Protokoll:
18097

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 97

  • date_rangeDatum: 26. März 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 20:37 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/97 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 97. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 I n h a l t : Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9153 A Absetzung der Tagesordnungspunkte 5 und 15 . 9154 A Gedenken an die Opfer des Flugzeugabstur- zes über den Alpen am 24. März 2015 . . . . . . 9154 B Begrüßung des Präsidenten des ukrainischen Parlaments, Herrn Volodymyr Groysman . . . 9155 A Tagesordnungspunkt 20: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 21. März 2014 und vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Euro- päischen Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits und der Ukraine andererseits Drucksachen 18/3693 (neu), 18/4352 . . . . 9154 C b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemein- schaft und ihren Mitgliedstaaten einer- seits und Georgien andererseits Drucksachen 18/3694, 18/4353 . . . . . . . . 9154 D c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemein- schaft und ihren Mitgliedstaaten einer- seits und der Republik Moldau ande- rerseits Drucksachen 18/3695, 18/4354 . . . . . . . . 9154 D Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9155 B Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 9157 A Dr. Franz Josef Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . 9157 D Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9159 C Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9160 C Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9162 B Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9163 B Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9163 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9164 D Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9165 D Tagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Monika Lazar, Tom Koenigs, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für verbindliche politische Re- geln im internationalen Sport – Menschen- rechte achten, Umwelt schützen, Korrup- tion bekämpfen Drucksache 18/3556 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9167 C Katrin Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9167 C Eberhard Gienger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 9169 A Dr. André Hahn (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 9170 B Michaela Engelmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9172 A Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 Dr. Frank Steffel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9174 A Detlev Pilger (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9175 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9176 B Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 9177 B Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9178 A Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . 9179 A Johannes Steiniger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 9180 A Tagesordnungspunkt 3: a) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Durch Stärkung der Digitalen Bil- dung Medienkompetenz fördern und digitale Spaltung überwinden Drucksache 18/4422 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9181 B b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Forschungsrahmenprogramm der Bun- desregierung zur IT-Sicherheit: Selbst- bestimmt und sicher in der digitalen Welt 2015 – 2020 Drucksache 18/4304 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9181 B Sven Volmering (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9181 D Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9183 B Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9184 D Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9186 B Stefan Müller, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9187 B Harald Petzold (Havelland) (DIE LINKE) . . . 9189 A Oliver Kaczmarek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 9190 A Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9191 B Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9192 B Dr. Jens Zimmermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9193 D Dr. Wolfgang Stefinger (CDU/CSU) . . . . . . . 9194 D Tagesordnungspunkt 26: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Verbesserung der internationa- len Rechtshilfe bei der Vollstreckung von freiheitsentziehenden Sanktionen und bei der Überwachung von Bewäh- rungsmaßnahmen Drucksache 18/4347 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9195 D b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Das Europäische Semester stär- ken, besser umsetzen und weiterent- wickeln Drucksache 18/4426 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9195 D c) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Luise Amtsberg, Omid Nouripour, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Den Men- schenrechtsrat der Vereinten Nationen stärken Drucksache 18/4430 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9196 A Tagesordnungspunkt 27: a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu- fassung der Anhänge F und G zum Übereinkommen vom 9. Mai 1980 über den internationalen Eisenbahnverkehr (COTIF) Drucksachen 18/4049, 18/4408 . . . . . . . . 9196 A b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Agrar- und Fischereifonds-Informationen-Ge- setzes und des Betäubungsmittelgeset- zes Drucksachen 18/4278, 18/4446 . . . . . . . . 9196 B c) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Sechsten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes Drucksachen 18/4281, 18/4452 . . . . . . . . 9196 C d) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Neunten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtlicher Vorschriften Drucksachen 18/4202, 18/4453 . . . . . . . . 9196 D e)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 164, 165, 166, 167, 168 und 169 zu Petitionen Drucksachen 18/4339, 18/4340, 18/4341, 18/4342, 18/4343, 18/4344 . . . . . . . . . . . . 9197 A Zusatztagesordnungspunkt 2: a)–f) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersich- ten 170, 171, 172, 173, 174 und 175 zu Petitionen Drucksachen 18/4440, 18/4441, 18/4442, 18/4443, 18/4444, 18/4445 . . . . . . . . . . . . 9197 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 III Zusatztagesordnungspunkt 3: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltung der Bundesregierung zu den Vorschlägen des Bundeswirtschaftsministers zur Reduzie- rung des CO2-Ausstoßes bei Kohlekraft- werken und zur Förderung der Kraft- Wärme-Kopplung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9198 B Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9198 B Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9199 D Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 9201 A Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9202 B Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 9203 C Johann Saathoff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9205 A Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . . 9206 B Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9207 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 9210 C Andreas Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 9211 D Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9212 C Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9214 B Dr. Herlind Gundelach (CDU/CSU) . . . . . . . 9215 B Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9216 C Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9217 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . . 9218 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9219 D Tagesordnungspunkt 6: – Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Aus- bildungs- und Beratungsmission EUTM Somalia auf Grundlage des Ersuchens der somalischen Regierung mit Schrei- ben vom 27. November 2012 und 11. Ja- nuar 2013 sowie der Beschlüsse des Rates der Europäischen Union vom 15. Februar 2010 und 22. Januar 2013 in Verbindung mit den Resolutionen 1872 (2009) und 2158 (2014) des Sicher- heitsrates der Vereinten Nationen Drucksachen 18/4203, 18/4447 . . . . . . . . 9221 B – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4456 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9221 B Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9221 C Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) . . . . . . . 9222 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 9223 C Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 9224 C Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 9225 A Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9225 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9225 D Elisabeth Motschmann (CDU/CSU) . . . . . . . 9226 D Thomas Hitschler (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 9228 A Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9229 A Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE) (Erklärung nach § 30 GO) . . . . . . . . . . . . . 9229 D Roderich Kiesewetter (CDU/CSU) . . . . . . . . 9229 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 9230 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9233 C Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Jutta Krellmann, Norbert Müller (Potsdam), Klaus Ernst, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aufwertung der Sozial- und Erzie- hungsberufe jetzt Drucksache 18/4418 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9230 B Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 9230 C Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . 9231 C Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 9233 A Christel Voßbeck-Kayser (CDU/CSU) . . . . . 9233 C Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9235 B Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 9236 D Matthäus Strebl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9238 A Dr. Matthias Bartke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 9239 A Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9239 D Tagesordnungspunkt 8: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss des Rates vom 26. Mai 2014 über das Eigenmit- telsystem der Europäischen Union Drucksachen 18/4047, 18/4409 . . . . . . . . . . . 9240 C Uwe Feiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9240 C Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 9242 B Joachim Poß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9243 A IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9244 A Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9245 A Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9246 B Tagesordnungspunkt 9: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Nachhaltige Wald- bewirtschaftung sicherstellen – Koopera- tive Holzvermarktung ermöglichen Drucksachen 18/2876, 18/3578 . . . . . . . . . . . 9247 B Kordula Kovac (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9247 C Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE) . . . . . . . 9248 D Petra Crone (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9250 A Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9251 D Alois Rainer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 9252 D Alois Gerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 9253 D Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . 9255 A Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9258 D Tagesordnungspunkt 10: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. April 2014 über Einlagensicherungssysteme (DGSD-Umset- zungsgesetz) Drucksachen 18/3786, 18/3992, 18/4451 . . . . 9255 B Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9255 C Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 9257 A Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 9257 D Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9261 A Matthias Hauer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9262 B Christian Petry (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9263 D Tagesordnungspunkt 11: a) Antrag der Abgeordneten Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Aktiv gegen Subventionen für den Neubau von Atomkraftwerken in der EU Drucksache 18/4215 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9264 D b) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Oliver Krischer, Annalena Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Subven- tionen für britisches Atomkraftwerk Hinkley Point C stoppen und rechtliche Schritte einlegen Drucksache 18/4316 . . . . . . . . . . . . . . . . 9265 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 9265 B Barbara Lanzinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 9266 A Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9267 D Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9268 C Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . 9269 D Tagesordnungspunkt 12: a) Antrag der Abgeordneten Dr. Stefan Kaufmann, Albert Rupprecht, Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU sowie der Ab- geordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Hubertus Heil (Peine), weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Europas Wettbewerbs- und Zu- kunftsfähigkeit durch Forschung und Innovation stärken Drucksache 18/4423 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9270 C b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Strategie der Bundesregierung zum Europäischen Forschungsraum: Leit- linien und nationale Roadmap Drucksache 18/2260 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9270 C Thomas Rachel, Parl. Staatssekretär BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9270 D Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 9272 A René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9272 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9274 C Dr. Stefan Kaufmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 9275 C Tagesordnungspunkt 13: a) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Neue Dynamik für nukleare Abrüstung – Der Humanitären Initiative beitreten Drucksachen 18/3409, 18/4217 . . . . . . . . 9276 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 V b) Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärtigen Ausschusses . . . . . . . . . . . . . 9276 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Inge Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: In UN-Gene- ralversammlung der Uranwaffen- Resolution zustimmen . . . . . . . . . . . . 9276 D – zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: VN-Resolution zu Uranmunition zu- stimmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9277 A Drucksachen 18/3407, 18/3410, 18/4218 . 9277 A Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . . . 9277 A Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 9278 B Carsten Müller (Braunschweig) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9279 B Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9280 B Julia Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9281 A Tagesordnungspunkt 14: – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes Drucksachen 18/3923, 18/4454 . . . . . . . . 9282 A – Bericht des Haushaltsausschusses gemäß § 96 der Geschäftsordnung Drucksache 18/4457 . . . . . . . . . . . . . . . . . 9282 B Dorothee Bär, Parl. Staatssekretärin BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9282 B Thomas Lutze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 9283 C Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 9284 C Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9286 A Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 9287 A Tagesordnungspunkt 17: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abge- ordneten Niema Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Hunger be- kämpfen, Recht auf Nahrung stärken Drucksachen 18/1482, 18/3613 . . . . . . . . . . . 9288 B Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- rat eingebrachten Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpas- sungsgesetzes Drucksachen 18/2231, 18/4355 . . . . . . . . . . . 9288 C Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption Drucksache 18/4350 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9288 D Tagesordnungspunkt 19: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktien- rechtsnovelle 2014) Drucksache 18/4349 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9289 A Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9289 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 9291 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour, Anja Hajduk, Cem Özdemir und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstim- mung über die Beschlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu dem Antrag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteili- gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Beratungs- mission EUTM Somalia (Tagesordnungs- punkt 6) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9291 D Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michael Donth, Hermann Färber, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Thorsten Frei, Dr. Stephan Harbarth, Franz-Josef Holzenkamp, Andreas Jung, Roderich Kiesewetter, Kordula Kovac, Ingrid Pahlmann, Lothar Riebsamen, Carola Stauche, Nina Warken und Peter Weiß (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstim- VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 mung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen – Koope- rative Holzvermarktung ermöglichen (Tages- ordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9293 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Katarina Barley, Dr. Matthias Bartke, Heike Baehrens, Marco Bülow, Petra Crone, Elvira Drobinski-Weiß, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Dr. Ute Finckh-Krämer, Martin Gerster, Angelika Glöckner, Gabriele Groneberg, Wolfgang Hellmich, Christina Jantz, Frank Junge, Cansel Kiziltepe, Arno Klare, Kirsten Lühmann, Katja Mast, Markus Paschke, Mechthild Rawert, Andreas Rimkus, Johann Saathoff, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Dr. Dorothee Schlegel, Matthias Schmidt (Berlin), Ewald Schurer und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Er- nährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Nachhaltige Waldbewirtschaftung si- cherstellen – Kooperative Holzvermarktung ermöglichen (Tagesordnungspunkt 9) . . . . . . 9293 D Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen – Koope- rative Holzvermarktung ermöglichen (Tages- ordnungspunkt 9) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9294 B Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD) . . . . . . . . . . 9294 C Gabriele Hiller-Ohm (SPD) . . . . . . . . . . . . 9294 D Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . 9295 A Ulrich Freese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9295 B Josef Göppel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 9295 D Birgit Kömpel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9295 D Annette Sawade (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 9296 A Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Hunger bekämpfen, Recht auf Nahrung stärken (Tagesordnungspunkt 17) . . 9296 C Dr. Georg Kippels (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9296 C Waldemar Westermayer (CDU/CSU) . . . . . 9297 C Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 9299 A Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 9300 B Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9301 A Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes (Tages- ordnungspunkt 16) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9302 A Dietrich Monstadt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9302 A Sebastian Steineke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9303 A Dr. Katarina Barley (SPD) . . . . . . . . . . . . . 9304 A Roland Claus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 9305 A Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9305 C Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption (Tagesordnungspunkt 18) . . . 9307 A Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9307 A Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 9308 A Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9308 D Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 9309 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9310 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9311 B Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) (Tagesordnungspunkt 19) . . . . . . . . . . . . . . . . 9311 D Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . 9311 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 VII Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 9312 A Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . 9313 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 9314 A Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9314 C Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9316 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9153 (A) (C) (D)(B) 97. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 Beginn: 9.01 Uhr
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    2) Anlage 9 (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9291 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Auernhammer, Artur CDU/CSU 26.03.2015 Barthel, Klaus SPD 26.03.2015 Behrens (Börde), Manfred CDU/CSU 26.03.2015 Dr. Brantner, Franziska BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.03.2015 Brugger, Agnieszka BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.03.2015 Bulmahn, Edelgard SPD 26.03.2015 Ehrmann, Siegmund SPD 26.03.2015 Dr. Fabritius, Bernd CDU/CSU 26.03.2015 Dr. Flachsbarth, Maria CDU/CSU 26.03.2015 Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 26.03.2015 Dr. Franke, Edgar SPD 26.03.2015 Gottschalck, Ulrike SPD 26.03.2015 Hänsel, Heike DIE LINKE 26.03.2015 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 26.03.2015 Höhn, Bärbel BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.03.2015 Koschyk, Hartmut CDU/CSU 26.03.2015 Dr. Krüger, Hans-Ulrich SPD 26.03.2015 Kunert, Katrin DIE LINKE 26.03.2015 Lange (Backnang), Christian SPD 26.03.2015 Dr. Launert, Silke CDU/CSU 26.03.2015 Lösekrug-Möller, Gabriele SPD 26.03.2015 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.03.2015 Özoğuz, Aydan SPD 26.03.2015 Pflugradt, Jeannine SPD 26.03.2015 Rüffer, Corinna BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.03.2015 Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 26.03.2015 Schimke, Jana CDU/CSU 26.03.2015 Schlecht, Michael DIE LINKE 26.03.2015 Schmidt (Ühlingen), Gabriele CDU/CSU 26.03.2015 Spahn, Jens CDU/CSU 26.03.2015 Stockhofe, Rita CDU/CSU 26.03.2015 Stritzl, Thomas CDU/CSU 26.03.2015 Tack, Kerstin SPD 26.03.2015 Weber, Gabi SPD 26.03.2015 Wöhrl, Dagmar G. CDU/CSU 26.03.2015 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Omid Nouripour, Anja Hajduk, Cem Özdemir und Dr. Valerie Wilms (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur nament- lichen Abstimmung über die Beschlussempfeh- lung des Auswärtigen Ausschusses zu dem An- trag der Bundesregierung: Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Bera- tungsmission EUTM Somalia (Tagesordnungs- punkt 6) Nach über 20 Jahren Bürgerkrieg ist die Lage in So- malia bedrückend. Mehr als drei Millionen Menschen sind auf der Flucht, Gewaltausbrüchen, Terrorattacken und Hungersnöten sind unzählige Unschuldige zum Op- fer gefallen. Einige Teile des Südens sind nach wie vor umkämpft. Die islamistische Al-Schabab-Miliz konnte zwar in der Fläche weitestgehend zurückgedrängt wer- den, sie verübt aber nach wie vor Terroranschläge, vor allem in Mogadischu. Der Aufbau von Staatlichkeit wird durch immer neue Auseinandersetzungen mit der Terror- Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 9292 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) miliz sowie durch aufflammende Konflikte zwischen konkurrierenden Clans erschwert. Aber es gibt auch Hoffnung: Der Norden des Landes ist relativ stabil, die Regionen Somaliland und Puntland verwalten sich faktisch autonom. Auch im Süden gibt es seit 2012 nach Jahren ohne zentralstaatliche Strukturen eine zumindest in Teilen anerkannte Übergangsregie- rung. Diese steht vor Herkules-Aufgaben: Sie muss trotz Nahrungsmittelknappheit die Versorgung der somali- schen Binnenflüchtlinge ebenso gewährleisten wie die der Bevölkerung. Es gilt eine funktionierende Sicher- heitsarchitektur aufzubauen, Föderalisierung voranzu- treiben und das politische System und das Justizwesen von Grund auf neu zu gestalten. Somalia bleibt auf vielfältige Weise auf internationale Unterstützung angewiesen: auf humanitäre Hilfe, wirt- schaftlichen Wiederaufbau, Unterstützung von Verhand- lungs- und Versöhnungsprozessen oder Hilfe bei der Rückführung von Flüchtlingen. Vieles davon wurde in den letzten Jahren in Somalia angestoßen. Die Peace- keeping Mission der Afrikanischen Union, AMISOM, unterstützt Somalia seit 2006. Die Europäische Union hat 2011 einen strategischen Rahmen für das Horn von Afrika entwickelt, der das politische Engagement der EU ausbuchstabiert. Im Rahmen einer New-Deal-Kon- ferenz wurde 2013 ein Plan für den Wiederaufbau Somalias entwickelt. Für 2016 sind Wahlen und ein Verfassungsreferendum geplant, auch hierfür hat die in- ternationale Gemeinschaft ihre Unterstützung zugesagt. Die letzten zwei Jahre haben gezeigt, dass es zwar langsam, aber dennoch stetig bergauf geht. Der Aufbau nationaler Streitkräfte ist ein zentraler Baustein dieses Statebuilding-Prozesses. Der Aufbau einer somalischen Armee kann dabei nicht nur die Sicherheitssituation ver- bessern. Er kann auch dabei helfen, mitten in einer ent- lang von Clanzugehörigkeiten organisierten Gesellschaft eine nationale Identität aufzubauen. Dies ist aber nur möglich, wenn alle Parteien in den Prozess eingebunden werden. Stabilisierung und Staatsaufbau können nur ge- lingen, wenn die Ausübung des Gewaltmonopols an rechtsstaatliche Prinzipien, an Gewaltenteilung und an die Einhaltung von Menschenrechten gebunden ist. Das ist das Ziel der europäischen Ausbildungsmission. Sie soll helfen, tragfähige Strukturen aufzubauen und so kri- minellen und terroristischen Strukturen sowie der Pirate- rie den Boden zu entziehen. In einem Umfeld, das so schwierig ist wie das in So- malia, ist Militärausbildung immer eine große Heraus- forderung. Wir danken allen, die sich dennoch engagiert daran beteiligen – im Rahmen der Europäischen und Afrikanischen Union sowie der Vereinten Nationen. Al- lerdings kann die hier zur Abstimmung stehende Mis- sion in ihrer derzeitigen Ausgestaltung dem eigenen An- spruch nicht gerecht werden. Deswegen können wir dem vorliegenden Mandat nicht zustimmen. EUTM Somalia ist auf Mogadischu begrenzt. Die auszubildenden Rekrutinnen und Rekruten werden durch die somalische Regierung identifiziert. Dabei hat sich in den letzten Jahren abgezeichnet, dass vorrangig Angehö- rige des der Regierung nahestehenden Clans ausgebildet wurden. In einem ohnehin zersplitterten Land kann dies Konflikte weiter anheizen. Im Moment ist nicht sicher- gestellt, dass die ausgebildeten Soldatinnen und Solda- ten regelmäßig bezahlt werden. In der Konsequenz gibt es zahlreiche Berichte über Desertationen, Straßensper- ren und Schutzgelderpressungen durch ehemalige Re- krutinnen und Rekruten. An der Ausbildung sind zahl- reiche Akteure beteiligt: AMISOM, private Firmen wie Bancroft Global, das im Auftrag der USA ausbildet, und die Trainingsmission der EU. Die Zusammenarbeit zwi- schen den Akteuren und mit der somalischen Regierung ist stark verbesserungswürdig. Unterschiedliche Stan- dards, vereinzelte Überschneidungen zwischen den Auf- trägen, unklare Hierarchiestrukturen und eine diffuse Befehlskette auf somalischer Seite hemmen den Erfolg. Eine Evaluation der bisherigen Aktivitäten, die unter derartigen Umständen unbedingt notwendige Verbesse- rungshinweise geben könnte, wurde bisher nicht vorge- legt. Zudem unterminieren völkerrechtswidrige Aktivi- täten wie Drohnenangriffe durch die USA eben jenen Staatsaufbau, den sich die internationale Gemeinschaft zum Ziel gesetzt hat. Aber es gibt auch Lichtblicke seit der letzten Abstim- mung. Die internationale Gemeinschaft hat die Schwach- stellen der bisherigen Ausbildung erkannt, und es gibt deutliche Ansätze, ihnen zu begegnen. Der Komman- deur der EU-Mission soll Mogadischu verlassen können, um weitere Clans an der Ausbildungsmission zu beteili- gen. Die Beratungstätigkeit der Mission soll ausgeweitet werden. Der Aufbau einer Personalverwaltung soll un- terstützt werden, um verlässliche Finanzstrukturen und Befehlsstrukturen zu etablieren. Weiter ist der Aufbau eines Systems zur Verbleibskontrolle von Waffen und Munition geplant. Schließlich sollen Menschen- und Völkerrechtsfragen in der zukünftigen Ausbildung stär- ker berücksichtigt werden. So sieht es der neue GSVP- Rahmen vor, der im März 2015 verabschiedet wurde. Auf einer gemeinsam von der somalischen und briti- schen Regierung ausgerichteten Konferenz wurde im September 2014 ein Konzept für den weiteren Aufbau der somalischen Streitkräfte bis 2019 vorgelegt. An des- sen Umsetzung will sich die EUTM beteiligen. Diese Lichtblicke dürfen aber nicht darüber hinweg- täuschen, dass noch vieles zu tun bleibt, vor allem im zivilen Bereich. Sicherheitssektorreform allein befrie- det keinen gesellschaftlichen Konflikt. Unterschiedliche Ausbildungsangebote müssen in Einklang miteinander gebracht werden, für sie braucht es verbindliche men- schen- und völkerrechtliche Standards, und sie müssen in ein Gesamtkonzept für den Wiederaufbau Somalias eingebettet werden. Die diplomatischen und entwick- lungspolitischen Aktivitäten hinken den militärischen sträflich hinterher. Bisher wird das deutsche Engage- ment in Somalia von einer Fachkraft in der Botschaft in Nairobi koordiniert, die dafür eine 50-Prozent-Stelle zur Verfügung hat. Das ist symptomatisch für den mangeln- den politischen Einsatz der Bundesregierung. Die EU und auch Deutschland agieren viel zu zaghaft, wenn es um die Implementierung des „New Deal“ geht, der den Rahmen für den Wiederaufbau Somalias insbesondere in den Bereichen Rechtsstaatlichkeit, Sicherheit und sozio- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9293 (A) (C) (D)(B) ökonomische Entwicklung vorgibt. Sie unterstützen die somalische Regierung viel zu wenig beim Aufbau regio- naler Strukturen, bei der Etablierung von Versöhnungs- prozessen und der Finanzierung der humanitären Hilfe. Die Unterstützung der somalischen Regierung bei der Aufstellung und Ausbildung einer nationalen Armee ist wichtig und richtig. Das vorliegende Konzept aber ist schwach und viel zu wenig mit den anderen Akteuren und Aktivitäten in Somalia koordiniert. Allerdings gab es im letzten Jahr sichtbare Bemühungen, die bisherige Ausbildungsunterstützung zu verbessern, den lokalen Herausforderungen anzupassen und auf internationaler Ebene zu koordinieren. Deswegen halten wir eine Ent- haltung zum vorliegenden Mandat für gerechtfertigt. Trotzdem bleibt: Die Mission darf nicht als Feigenblatt für unser ansonsten nur schwaches Engagement in So- malia dienen. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michael Donth, Hermann Färber, Axel E. Fischer (Karlsruhe-Land), Thorsten Frei, Dr. Stephan Harbarth, Franz- Josef Holzenkamp, Andreas Jung, Roderich Kiesewetter, Kordula Kovac, Ingrid Pahlmann, Lothar Riebsamen, Carola Stauche, Nina Warken und Peter Weiß (alle CDU/CSU) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abge- ordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen – Koopera- tive Holzvermarktung ermöglichen (Tagesord- nungspunkt 9) Im Antrag „Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicher- stellen – Kooperative Holzvermarktung ermöglichen“ wird von der Bundesregierung gefordert, im Bundes- waldgesetz klarzustellen, dass Forstarbeiten, die der Holzvermarktung vorgelagert sind – zum Beispiel Mar- kierung der für den Einschlag vorgesehenen Bäume –, nicht zur Holzvermarktung zugerechnet werden sollen. Da die Bundesregierung derzeit einen entsprechenden Gesetzentwurf vorbereitet, ist der Antrag entbehrlich. Der Beschlussempfehlung des Ausschusses für Ernäh- rung und Landwirtschaft, den Antrag abzulehnen, stim- men wir deshalb zu. Der in Vorbereitung befindliche Gesetzentwurf hat folgenden Hintergrund: Als Folge des Kartellverfahrens gegen die kooperative Holzvermarktung in Baden-Würt- temberg muss damit gerechnet werden, dass in Zukunft staatliche, kommunale und private Waldbesitzer ihre Holzernte nicht mehr gemeinsam vermarkten dürfen. Mit der Trennung der Holzvermarktung stellt sich die Frage, ob die Forstverwaltungen der Länder Dienstleis- tungen im kommunalen und privaten Wald erbringen dürfen. Mit der Änderung des Bundeswaldgesetzes soll erreicht werden, dass Dienstleistungen, die der Holzver- marktung vorgelagert sind, vom Kartellrecht ausgenom- men werden und somit von den Forstämtern in allen Waldbesitzarten angeboten werden dürfen. Aus unserer Sicht ist die angestrebte Gesetzesände- rung richtig: Die Forstämter sorgen nicht nur dafür, dass der Wald seine vielfältigen ökologischen Funktionen er- füllen kann und seinen Erholungswert für die Menschen behält. In zahlreichen Bundesländern tragen die Forst- ämter durch eine intensive Betreuung der Privatwaldbe- sitzer wesentlich zur Holzmobilisierung sowie zu einer flächendeckenden Waldbewirtschaftung bei – dies ist insbesondere bei kleinteiligen Waldbesitzstrukturen der Fall. Die Forstämter sichern so den Zugang vieler Klein- waldbesitzer zum Holzmarkt. Zudem leisten sie einen wichtigen Beitrag dafür, dass die Holzwirtschaft ihren nachwachsenden Rohstoff aus unseren nachhaltig be- wirtschafteten Wäldern erhält. Ziel der Änderung des Bundeswaldgesetzes muss es sein, dass in Bundesländern mit seitheriger kooperativer Holzvermarktung weitgehend an den bewährten Struktu- ren der Waldbewirtschaftung festgehalten werden kann. Zu diesem Zweck ist es sinnvoll, dass Forstämter als ein Anbieter von Forstdienstleistungen am Markt bestehen bleiben können. Unbestritten ist, dass auch private Anbieter Forstdienstleistungen in guter Qualität erbrin- gen. Die Gesetzesänderung darf auf keinen Fall das Recht der Waldbesitzer beeinträchtigen, private Dienst- leister mit Forstarbeiten zu beauftragen. Bedauerlich ist, dass die Bundesregierung den Ge- setzentwurf zur Änderung des Bundeswaldgesetzes bis- lang noch nicht vorgelegt hat. In der Ressortabstimmung wird vom Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit gefordert, die „gute fachliche Praxis“ der Waldbewirtschaftung im Bundeswaldgesetz zu verankern. Diese Forderung ist abzulehnen: Die nachhaltige Waldbewirtschaftung wird durch die Wald- gesetze der Länder geregelt, zudem gilt für viele Wälder eine freiwillige Zertifizierung. Zusätzliche bundes- einheitliche Standards sind nicht erforderlich – sie sor- gen nur für noch mehr Regulierung und werden letztlich der vielfältigen Waldstruktur in Deutschland nicht ge- recht. Die Bundesregierung ist gefordert, die Ressortabstim- mung zügig abzuschließen und in Kürze den Gesetzent- wurf zur Änderung des Bundeswaldgesetzes vorzulegen. Sicher wäre es hilfreich, wenn die Bundesländer – insbe- sondere solche mit SPD-Regierungsbeteiligung – gegen- über dem Bundesumweltministerium deutlich machen, dass wir die Änderung des Bundeswaldgesetzes brau- chen – und zwar ohne „gute fachliche Praxis“. Parallel muss geprüft werden, ob der Gesetzentwurf durch die Koalitionsfraktionen eingebracht werden sollte. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Katarina Barley, Dr. Matthias Bartke, Heike Baehrens, Marco 9294 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) Bülow, Petra Crone, Elvira Drobinski-Weiß, Michaela Engelmeier, Saskia Esken, Dr. Ute Finckh-Krämer, Martin Gerster, Angelika Glöckner, Gabriele Groneberg, Wolfgang Hellmich, Christina Jantz, Frank Junge, Cansel Kiziltepe, Arno Klare, Kirsten Lühmann, Katja Mast, Markus Paschke, Mechthild Rawert, Andreas Rimkus, Johann Saathoff, Dr. Hans- Joachim Schabedoth, Dr. Dorothee Schlegel, Matthias Schmidt (Berlin), Ewald Schurer und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über die Beschluss- empfehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abge- ordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen – Koopera- tive Holzvermarktung ermöglichen (Tagesord- nungspunkt 9) Im Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grü- nen die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwieweit durch Anpassungen im Bundeswaldgesetz eine dauerhafte Fortführung der länderspezifischen Strukturen zur Un- terstützung des nichtstaatlichen Waldbesitzes durch die Landesforstverwaltungen ermöglicht werden kann. Zu- dem soll im Bundeswaldgesetz klargestellt werden, dass Leistungen wie die Auswahl und Markierung der für den Einschlag des Holzes vorgesehenen Bäume, die der Ver- marktung des Holzes vorgelagert sind, als waldbauliche Maßnahmen anzusehen sind. Wir begrüßen grundsätzlich den Willen der Bundes- regierung, mit einer Änderung des Bundeswaldgesetzes einem ähnlich lautenden Beschluss der Agrarminister- konferenz, AMK, aus dem September 2014 nachzukom- men. Die SPD-Bundestagsfraktion prüft zurzeit, ob mit dem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geplanten § 46 BWaldG, der bestimmte Tätigkeiten, unter anderem das Holzauszeichnen, nicht der Holzvermarktung im Sinne des Kartellrechts zurech- nen soll, eine gesetzgeberische Klarstellung erreicht werden könnte. Wir beschäftigen uns intensiv und unvoreingenommen mit dem Thema. Uns liegt noch kein abgestimmter Referentenentwurf vor. Die Verhand- lungen innerhalb der Bundesregierung unter Federfüh- rung des BMEL mit den Ressorts BMUB, BMWi, BMJV dauern noch an. Wir wollen eine Gesetzesänderung, die inhaltlich und in ihren Auswirkungen präzise und korrekt ist und ver- fassungsrechtlich Bestand hat. Deshalb lehnen wir den Antrag der Grünen zum jetzi- gen Zeitpunkt ab. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über die Be- schlussempfehlung des Ausschusses für Ernäh- rung und Landwirtschaft zu dem Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nach- haltige Waldbewirtschaftung sicherstellen – Ko- operative Holzvermarktung ermöglichen (Ta- gesordnungspunkt 9) Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD): Die Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen fordert in ihrem Antrag die Bundesre- gierung auf, zu prüfen, inwieweit durch Anpassungen im Bundeswaldgesetz eine dauerhafte Fortführung der län- derspezifischen Strukturen zur Unterstützung des nicht- staatlichen Waldbesitzes durch die Landesforstverwaltun- gen ermöglicht werden kann. Zudem soll im Bundeswaldgesetz klargestellt werden, dass Leistungen wie die Auswahl und Markierung der für den Einschlag des Holzes vorgesehenen Bäume, die der Vermarktung des Holzes vorgelagert sind, als wald- bauliche Maßnahmen anzusehen sind. Ich begrüße ausdrücklich den Willen der Bundesre- gierung, mit einer Änderung des Bundeswaldgesetzes ei- nem ähnlich lautenden Beschluss der Agrarministerkon- ferenz, AMK, aus dem September 2014 nachzukommen. Die SPD-Bundestagsfraktion prüft zurzeit, ob mit dem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirt- schaft geplanten § 46 BWaldG, der bestimmte Tätigkei- ten, unter anderem das Holzauszeichnen, nicht der Holz- vermarktung im Sinne des Kartellrechts zurechnen soll, eine gesetzgeberische Klarstellung erreicht werden könnte. Die SPD-Bundestagsfraktion beschäftigt sich in- tensiv und unvoreingenommen mit dem Thema, um eine sachgerechte Lösung zu erreichen. Die Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung unter Federführung des BMEL mit den Ressorts BMUB, BMWi, BMJV dauern noch an. Ein abgestimmter Gesetzentwurf, der inhaltlich und in seinen Auswirkungen präzise und korrekt ist und ver- fassungsrechtlich Bestand hat, liegt daher noch nicht vor. Daher lehne ich den Antrag der Grünen zum jetzigen Zeitpunkt ab. Gabriele Hiller-Ohm (SPD): Im Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwieweit durch Anpassungen im Bun- deswaldgesetz eine dauerhafte Fortführung der länder- spezifischen Strukturen zur Unterstützung des nichtstaatli- chen Waldbesitzes durch die Landesforstverwaltungen ermöglicht werden kann. Zudem soll im Bundeswaldgesetz klargestellt werden, dass Leistungen wie die Auswahl und Markierung der für den Einschlag des Holzes vorgesehenen Bäume, die der Vermarktung des Holzes vorgelagert sind, als wald- bauliche Maßnahmen anzusehen sind. Wir begrüßen grundsätzlich den Willen der Bundesre- gierung, mit einer Änderung des Bundeswaldgesetzes ei- nem ähnlich lautenden Beschluss der Agrarministerkon- ferenz, AMK, aus dem September 2014 nachzukommen. Die SPD-Bundestagsfraktion prüft zurzeit, ob mit dem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirt- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9295 (A) (C) (D)(B) schaft geplanten § 46 BWaldG, der bestimmte Tätigkei- ten, unter anderem das Holzauszeichnen, nicht der Holz- vermarktung im Sinne des Kartellrechts zurechnen soll, eine gesetzgeberische Klarstellung erreicht werden könnte. Wir beschäftigen uns intensiv und unvoreinge- nommen mit dem Thema. Uns liegt noch kein abge- stimmter Referentenentwurf vor. Die Verhandlungen in- nerhalb der Bundesregierung unter Federführung des BMEL mit den Ressorts BMUB, BMWi und BMJV dau- ern noch an. Wir wollen eine Gesetzesänderung, die inhaltlich und in ihren Auswirkungen präzise und korrekt ist und ver- fassungsrechtlich Bestand hat. Deshalb lehne ich den Antrag der Grünen zum jetzi- gen Zeitpunkt ab und stimme somit der Beschlussemp- fehlung des Ausschusses für Ernährung und Landwirt- schaft zu. Dr. Johannes Fechner (SPD): Im Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregie- rung auf, zu prüfen, inwieweit durch Anpassungen im Bundeswaldgesetz eine dauerhafte Fortführung der län- derspezifischen Strukturen zur Unterstützung des nichtstaatlichen Waldbesitzes durch die Landesforstver- waltungen ermöglicht werden kann. Zudem soll im Bundeswaldgesetz klargestellt werden, dass Leistungen wie die Auswahl und Markierung der für den Einschlag des Holzes vorgesehenen Bäume, die der Vermarktung des Holzes vorgelagert sind, als wald- bauliche Maßnahmen anzusehen sind. Dieser Antrag ist nicht erforderlich, weil die Bundes- regierung und die Koalitionsfraktionen sowieso schon eine Lösung zu diesem in der Tat wichtigen Problem an- streben. Ich begrüße, dass die Bundesregierung mit einer Änderung des Bundeswaldgesetzes einem ähnlich lau- tenden Beschluss der Agrarministerkonferenz, AMK, aus dem September 2014 nachkommen will. Die SPD- Bundestagsfraktion prüft zurzeit intensiv, ob mit dem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirt- schaft geplanten § 46 BWaldG, der bestimmte Tätigkei- ten, unter anderem das Holzauszeichnen, nicht der Holz- vermarktung im Sinne des Kartellrechts zurechnen soll, eine gesetzgeberische Klarstellung erreicht werden kann. Ich hoffe, dass bald ein abgestimmter Referenten- entwurf vorgelegt werden kann. Ich will eine Gesetzesänderung, die inhaltlich und in ihren Auswirkungen präzise und korrekt ist und verfas- sungsrechtlich Bestand hat, insbesondere um die Forst- und Waldwirtschaft in Südbaden zu erhalten, die dort vorbildlich Naturschutz, Tourismus und eine nachhaltige Waldbewirtschaftung miteinander vereint. Deshalb lehne ich den Antrag der Grünen zum jetzi- gen Zeitpunkt ab. Ulrich Freese (SPD): Im Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwieweit durch Anpassungen im Bundeswald- gesetz eine dauerhafte Fortführung der länderspezifi- schen Strukturen zur Unterstützung des nichtstaatlichen Waldbesitzes durch die Landesforstverwaltungen er- möglicht werden kann. Zudem soll im Bundeswaldgesetz klargestellt werden, dass Leistungen wie die Auswahl und Markierung der für den Einschlag des Holzes vorgesehenen Bäume, die der Vermarktung des Holzes vorgelagert sind, als wald- bauliche Maßnahmen anzusehen sind. Ich begrüße grundsätzlich den Willen der Bundesre- gierung, mit einer Änderung des Bundeswaldgesetzes ei- nem ähnlich lautenden Beschluss der Agrarministerkon- ferenz, AMK, aus dem September 2014 nachzukommen. Meine Bundestagsfraktion prüft zurzeit, ob mit dem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft geplanten § 46 BWaldG, der bestimmte Tätigkeiten, un- ter anderem das Holzauszeichnen, nicht der Holzver- marktung im Sinne des Kartellrechts zurechnen soll, eine gesetzgeberische Klarstellung erreicht werden kann. Meine Fraktion beschäftigt sich intensiv und un- voreingenommen mit dem Thema. Mir liegt dazu noch kein abgestimmter Referentenentwurf vor. Die Verhand- lungen innerhalb der Bundesregierung unter Federfüh- rung des BMEL mit den Ressorts BMUB, BMWi, BMJV dauern noch an. Meine Fraktion und ich wollen eine Gesetzesände- rung, die inhaltlich und in ihren Auswirkungen präzise und korrekt ist und verfassungsrechtlich Bestand hat. Deshalb lehne ich den Antrag der Fraktion Bünd- nis 90/Die Grünen zum jetzigen Zeitpunkt ab. Josef Göppel (CDU/CSU): Ich werde dem Be- schlussvorschlag des federführenden Ausschusses, Drucksache 18/3578, zum Antrag „Nachhaltige Wald- bewirtschaftung sicherstellen – Kooperative Holz- vermarktung ermöglichen“ auf Drucksache 18/2876 nicht zustimmen. Der Antrag „Kooperative Holzvermarktung ermögli- chen“ hat zum Ziel, das Auszeichnen von Bäumen entgegen der Meinung des Bundeskartellamtes als Maßnahme zur Sicherung der nachhaltigen Holznutzung und nicht als Teil des Verkaufsgeschäfts einzustufen. Die Unterstützung der nichtstaatlichen Waldbenutzer durch Forstleute, die nicht in ein unmittelbares Nutzungsinter- esse eingebunden sind, dient dem Gemeinwohlziel des Waldgesetzes. Der Antrag wurde in der Ausschusssitzung mit der Begründung abgelehnt, dass dessen Anliegen mit einer Änderung des Waldgesetzes abgeholfen werde. Diese Novellierung ist derzeit jedoch zeitlich nicht absehbar. Deshalb ist die Bekräftigung des auch in den Koalitions- fraktionen nicht umstrittenen Anliegens auf Drucksache 18/2876 sinnvoll und zielführend. Birgit Kömpel (SPD): Mit ihrem Antrag fordert die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwieweit durch Anpassung im Bundes- waldgesetz eine dauerhafte Fortführung der länderspezi- fischen Strukturen zur Unterstützung des nichtstaatli- chen Waldbesitzes durch die Landesforstverwaltungen ermöglicht werden kann. 9296 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) Zudem soll im Bundeswaldgesetz klargestellt werden, dass Leistungen wie die Auswahl und Markierung der für den Einschlag des Holzes vorgesehenen Bäume, die der Vermarktung des Holzes vorgelagert sind, als wald- bauliche Maßnahmen anzusehen sind. Ich begrüße grundsätzlich den Willen der Bundesre- gierung, mit einer Änderung des Bundeswaldgesetzes ei- nem ähnlich lautenden Beschluss der Agrarministerkon- ferenz, AMK, aus dem September 2014 nachzukommen. Die SPD-Bundestagsfraktion prüft zurzeit, ob mit dem vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirt- schaft geplanten § 46 BWaldG eine gesetzgeberische Klarstellung erreicht werden könnte. Wir beschäftigen uns intensiv und unvoreingenommen mit dem Thema. Uns liegt noch kein abgestimmter Referentenentwurf vor. Die Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung unter Federführung des BMEL mit den Ressorts BMUB, BMWi, BMJV dauern noch an. Wir wollen eine Gesetzesänderung, die inhaltlich und in ihren Auswirkungen präzise und korrekt ist und ver- fassungsrechtlich Bestand hat. Deshalb lehne ich den Antrag der Grünen zum jetzi- gen Zeitpunkt ab. Annette Sawade (SPD): Im Antrag fordert die Frak- tion Bündnis 90/Die Grünen die Bundesregierung auf, zu prüfen, inwieweit durch Anpassungen im Bundes- waldgesetz eine dauerhafte Fortführung der länderspezi- fischen Strukturen zur Unterstützung des nichtstaatli- chen Waldbesitzes durch die Landesforstverwaltungen ermöglicht werden kann. Zudem soll im Bundeswaldgesetz klargestellt werden, dass Leistungen wie die Auswahl und Markierung der für den Einschlag des Holzes vorgesehenen Bäume, die der Vermarktung des Holzes vorgelagert sind, als wald- bauliche Maßnahmen anzusehen sind. Ich begrüße grundsätzlich den Willen der Bundes- regierung, mit einer Änderung des Bundeswaldgesetzes einem ähnlich lautenden Beschluss der Agrarminister- konferenz, AMK, aus dem September 2014 nachzukom- men. Die SPD-Bundestagsfraktion prüft zurzeit, ob mit dem vom Bundesministerium für Ernährung und Land- wirtschaft geplanten § 46 BWaldG, der bestimmte Tätig- keiten, unter anderem das Holzauszeichnen, nicht der Holzvermarktung im Sinne des Kartellrechts zurechnen soll, eine gesetzgeberische Klarstellung erreicht werden könnte. Wir beschäftigen uns intensiv und unvorein- genommen mit dem Thema. Uns liegt noch kein abge- stimmter Referentenentwurf vor. Die Verhandlungen innerhalb der Bundesregierung unter Federführung des BMEL mit den Ressorts BMUB, BMWi und BMJV dau- ern noch an. Wir wollen eine Gesetzesänderung, die inhaltlich und in ihren Auswirkungen präzise und korrekt ist und verfassungsrechtlich Bestand hat. Deshalb lehne ich den Antrag der Grünen zum jetzi- gen Zeitpunkt ab. Als ehemalige Mitarbeiterin in der Landesforst- verwaltung Baden-Würtemberg bin ich für eine klare Lösung und warte den Referentenentwurf ab. Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden Zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts zu dem Antrag: Hunger bekämp- fen, Recht auf Nahrung stärken (Tagesord- nungspunkt 17) Dr. Georg Kippels (CDU/CSU): Mein Kollege Westermayer ist schon auf die grundsätzliche und vor allem fachliche Kritik an Ihrem Antrag eingegangen. Ich möchte mich seiner Einschätzung anschließen. Zwar gehen wir erfreulicherweise darin überein, dass Minister Müller ein wichtiges Ziel formuliert und auf die Agenda genommen hat. Der Antrag vernachlässigt aber den Kontext der Hungerbekämpfung und konzentriert sich vordergründig nur auf Nahrungsmittel und deren in- dividuelle Verfügbarkeit. Leider erliegen Sie dabei wieder Ihrer Neigung, positive Prozesse der Regierung durch ideologische Fehlschüsse entwerten zu wollen. Das ist weder zielfüh- rend, noch trifft es das Thema. Hunger bedeutet nicht einfach nur, nicht satt zu sein. Hunger definiert sich durch Unter-, Mangel- und Fehlernährung. Dies erfor- dert eine differenzierte Bekämpfungsstrategie unter Einbindung verschiedener Sachbereiche und Aufgaben- stellungen. Ihre plakative Zusammenfassung, Hungerbekämp- fung dürfte nicht mit der Losung „Hauptsache satt“ ver- bunden werden, wäre daher mit Ihren Lösungsempfeh- lungen in den Titel umzudeuten: „Lieber ökologisch und fair verhungert, als mit moderner Landwirtschaft gesund und ausreichend ernährt“. Sie verteufeln die Wirtschaft, den internationalen Handel im Rahmen der Abkommen und Forschung für Saatgüter und Düngemittel sowie Schädlingsbekämpfung. Diese Herausforderungen hat Kollege Westermayer schon eindrücklich beschrieben. Besonders schwierig und bedenklich finde ich dabei Ihre uneingeschränkte Ablehnung von grüner Gentech- nologie als Option, Mangelernährung und Hunger oder genauer Unterernährung zu bekämpfen. Grüne Gentech- nik darf sicher keinen Blankoscheck in diesem Kontext bekommen. Eine generelle Ablehnung ist aber ebenso inakzeptabel. Selbst die Päpstliche Akademie hat bereits 2009 zu einer Wissenschaftskonferenz über die Gentechnik in der Landwirtschaft in Entwicklungsländern geladen. Die katholische Kirche, deren Selbstverständnis bekannter- maßen bei weitem nicht so revolutionär ist wie das Ihre, zeigte damit, im Gegensatz zu Ihnen die Fähigkeit zu haben, über den sprichwörtlichen eigenen Tellerrand blicken zu können. Hier zwei Zitate aus dem Resümee der Konferenz: Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9297 (A) (C) (D)(B) „In geeigneter Weise und verantwortlich angewandt, kann Gentechnologie unter vielfältigen Bedingungen wesentliche Beiträge zur Erhöhung der landwirtschaftli- chen Produktivität und der Nahrungsqualität leisten.“ „GE-Pflanzen“ – genetic engineered – „können eben- falls große Bedeutung für Kleinbauern und gefährdete Mitglieder armer Landbevölkerungen, insbesondere von Frauen und Kindern, haben.“ Ihre pauschale Verurteilung von allem, was vonseiten Wirtschaft und Industrie kommt, verstellt Ihnen den Blick auf solche Lösungsansätze. Betrachtet man die irreversiblen Leiden, die zum Beispiel durch den Mangel an Vitamin A und Mangelernährung insgesamt hervor- gerufen werden können, kann ich das nicht nachvoll- ziehen. Allein der Hinweis auf die Verfügbarkeit von Boden und Parzellen hilft da wenig bis überhaupt nicht. Ihr Lösungsansatz schreibt vor, Entwicklungs- und Schwellenländern moderne Technologien vorzuenthal- ten, derer wir uns selbst bedienen, um unsere Ernährung zu optimieren und zu sichern. Mit Ihrer Position wären wir noch nicht einmal in Europa in der Lage, uns ausrei- chend zu ernähren. Sie fordern in Ihrem Antrag Ernährungssouveränität als Leitbild deutscher Entwicklungspolitik. Das ent- spricht exakt dem Programm von Minister Müller. Er setzt sich ganz klar für die Stärkung dörflicher Gemein- schaften als Schlüsselfaktor beim Kampf gegen den Hunger ein. Er sieht hier ganz klar die universelle Gültigkeit des Prinzips der Selbstorganisation und Selbstverantwortung. Was mir in Ihrem Antrag viel zu kurz kommt, ist die Bedeutung der Bildung und Ausbildung der Menschen für die Bekämpfung des Welthungers. Fachliche Kennt- nisse im Umgang mit Böden, Bewässerung, Schädlings- bekämpfung, Fruchtfolge und Nährstoffgehalt sind wichtige Bausteine der landwirtschaftlichen Entwick- lung. Hier spielen aber auch moderne Informationsmög- lichkeiten – zum Beispiel per Smartphone – eine ent- scheidende Rolle. Bekannterweise besteht gerade in Afrika eine enorme Dichte der Abdeckung über das Smartphone, die für die Produktion, die Pflege und auch den Absatz von Nahrungsmitteln aus der kleinbäuer- lichen Produktion Verbesserungen generieren kann. Er- kenntnisse über Marktpreis und Nachfrage verbessern bereits die wirtschaftliche Ertragssituation der Kleinbau- ern und steigern damit die Lebensgrundlage der Fami- lien. Gerade auch dort setzt das Konzept von Minister Müller an. Aber nicht nur Nahrung in quantitativer Hinsicht, sondern gerade auch der richtige Umgang mit Nahrungsmitteln und die Kombination sowie sachge- rechte Lagerung sind entscheidend im Kampf gegen den Hunger. Das Wort Hygiene, das in diesem Kontext von immenser Bedeutung ist, taucht nicht einmal in Ihrem Antrag auf. Hungerbekämpfung findet auch immer sein Korrelat in einer funktionierenden Gesundheitsvorsorge und Aufklärung. Verdorbene Lebensmittel sind ebenso schädlich wie fehlende Lebensmittel oder sogar noch schädlicher. Gesundheitsfolgen durch Fehlernährung, teilweise sogar durch partiellen Überkonsum, sind bei der Hungerbekämpfung gleichfalls auszuschließen. Es wird daher dem Thema und der Aufgabe keines- falls gerecht, sich im Wesentlichen der Bodenverfüg- barkeit und der Pflege der Subsistenzwirtschaft zu widmen und sich im Übrigen darauf zu konzentrieren, die Handels- und Technologienationen an den Pranger der Ausbeutung zu stellen und darauf zu hoffen, dass mit 1,5 Hektar Ackerland der Hunger dieser Welt ausgerottet werden könnte. Ein wirkungsvoller Ansatz bedeutet, dass ausreichen- de, aber auch abwechslungsreiche und vor allem nährstoffreiche Nahrung produziert und auch über den Handel verteilt wird, um neben Urproduktion auch Wert- schöpfung aus den Nahrungsmitteln zu betreiben und vor Ort zu binden. Der Antrag enthält daher keinen Ansatz, der breit genug ist und die verschiedenen Aufgabenstellungen vernetzt angeht. Wie schon Kollege Westermayer fest- stellte, endet unsere Zustimmung hinter der Überschrift. Gut gemeint ist eben doch nicht immer gut gemacht. Wir werden daher den Antrag ablehnen. Waldemar Westermayer (CDU/CSU): Unser Minister Müller sagte es vor wenigen Tagen: „Hunger gehörte auch, noch bis in die jüngere Vergangenheit, zum Schicksal … in Deutschland. Es gibt viele Gründe dafür, dass dieser Hunger bei uns überwunden wurde. Einer war die Entwicklung einer organisierten dörflichen Selbsthilfe. ,Einer für alle, alle für einen‘ – dies war und ist heute noch die Leitidee des ländlichen Miteinanders. Friedrich Wilhelm Raiffeisen und viele andere schufen eine zentrale Basis unseres Gemeinwesens, die aus unse- rem Leben nicht wegzudenken ist.“ Auch deshalb sage ich Ja zum Titel Ihres Antrags. Denn wir wollen den Hunger bekämpfen. Und wir wol- len das Recht auf Nahrung stärken. Wir wollen, dass we- niger Menschen auf der Welt hungern müssen. Wir wol- len die Zahl der 842 Millionen hungernden Erwachsenen und Kinder senken. Ja, wir wollen, dass alle Menschen Zugang zu ausreichender Nahrung und zu ausgewogener Ernährung haben. Der Weg, den die CDU/CSU-Fraktion geht, ist jedoch ein anderer Weg als Ihrer. Wir wollen einen nachhaltigen Weg gehen. Wir wollen mehr Kooperationen und weni- ger staatliche Kontrolle. Wir wollen das Konzept der Hilfe zur Selbsthilfe in Entwicklungs- und Schwellen- ländern verwirklichen. Wir wollen neue Wege gehen und neue Partnerschaften wagen. Deshalb begrüßen wir den Titel Ihres Antrags und Ihre Unterstützung des EZ-Schwerpunktes der Hunger- bekämpfung. Viele Einschätzungen und Forderungen Ih- res Antrags lehnen wir jedoch ab. Deshalb lehnen wir auch Ihren Antrag ab. Solange Sie die Welt immer wieder in Ihre bekannten „guten“ und „bösen“ Akteure einteilen, wird Ihre Ent- wicklungspolitik weder nachhaltig noch partnerschaft- lich sein. Sie wird wenig zeitgemäß bleiben. Solange Sie 9298 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) Abkommen aussetzen wollen und Partnerschaften aufhe- ben wollen, so lange wird Ihre Entwicklungspolitik sta- tisch und starr bleiben. Private und wirtschaftliche Akteure sind berechtigte und wichtige Akteure im Bereich der Entwicklungszu- sammenarbeit. Die Kooperation zwischen Staat und Wirtschaft ist im Bereich der Entwicklungszusammenar- beit richtig und gut. Sie ist gewollt und wird von den Partnerländern in vielen Bereichen sogar direkt eingefor- dert. Ich erinnere hier nur an den zentralen Bereich der internationalen Berufsbildungskooperationen. Die German Food Partnership, GFP, die Deutsche Er- nährungspartnerschaft, wurde in der letzten Legislatur- periode ins Leben gerufen. Sie wird in der aktuellen Legislaturperiode umgesetzt, weiterentwickelt und eva- luiert. Ziel war und ist es, Armut und Hunger in Ent- wicklungs- und Schwellenländern zu reduzieren. Zentral sind der nachhaltige Aufbau von Wertschöpfungsketten und die Steigerung der landwirtschaftlichen Produktivi- tät. Wichtig ist es aber vor allem auch, dass Landwirte in Entwicklungs- und Schwellenländern Einkommen gene- rieren, damit sie von ihrem Einkommen leben und neu investieren können. Auch eine gerechte Verteilung der vorhandenen Lebensgrundlagen muss Teil des nachhalti- gen Wertschöpfungsprozesses sein. Unserer Meinung nach ist die privat-öffentliche Initiative ein nachhaltiger Weg, um die genannten Ziele Schritt für Schritt und ge- meinsam mit unseren Partnern zu erreichen. Die GFP führt überregionale Projekte in den Partner- ländern durch, um die Ernährungssituation vieler hun- gernder Menschen zu verbessern. Sie wird staatlich mit- finanziert. Sie wird von der GIZ koordiniert. Und sie wird von mehreren deutschen Unternehmen regional vor allem in Asien und Afrika durchgeführt. Das Schlüsselthema der deutschen Entwicklungszu- sammenarbeit heißt Wissenstransfer zum Nutzen aller Beteiligten. Deutscher Wissenstransfer ist für eine nach- haltige Entwicklung in den Entwicklungs- und Schwel- lenländern sehr wichtig. Wir gehen davon aus, dass das Wissen deutscher Un- ternehmen in den jeweiligen Bereichen wie Pflanzen- zucht, Saatgut, Düngung, Aufbereitung von Wasser zu sauberem Trinkwasser, Bewässerung und Abwasser je- weils vor Ort am besten angewandt und zum Nutzen der Akteure eingesetzt und umgesetzt werden kann und muss. Gemeinsam mit den landwirtschaftlichen Akteu- ren vor Ort, vor allem mit den Kleinbauern in den jewei- ligen Ländern, sollen die besten Wege für die genannten Ziele gesucht und verwirklicht werden. Das heißt: Es sollen lokale Akteure in landwirtschaft- lich nachhaltige Strukturen integriert werden. Man will den lokalen Marktzugang für heimisch produzierte, wenn möglich auch ökologische, Lebensmittel erleich- tern. Und man will mit verbesserten Einkommensmög- lichkeiten kleinbäuerliche Betriebe fördern. Kleinbauern müssen in Arbeit sein, und sie müssen konstant Zugang zu Weiterbildung erhalten. Außerdem müssen wir viel stärker die Verarbeitungs- und Veredelungsprozesse vor Ort fördern. All diese Prozesse sollen auf die Bedürf- nisse der jeweiligen Partnerländer und lokalen landwirt- schaftlichen Akteure abgestimmt sein. Ja, die erfolgreiche und wirksame Umsetzung dieser Partnerschaft und auch der von Ihnen kritisierten G-8- Allianz für Ernährungssicherung ist eine große Heraus- forderung für alle beteiligten Partner. Armut und Hunger zu bekämpfen, ist und bleibt aber bis in das 21. Jahrhundert hinein auch die Herausforde- rung schlechthin für die internationale Entwicklungs- politik. An Wegen der Hungerbekämpfung sollten wir als Parlamentarier kritisch, aber konstruktiv mitarbeiten, anstatt, wie Sie fordern, bestehende Abkommen und Partnerschaften aufheben zu wollen. Vielmehr müssen wir die Kooperationsstrukturen besser nutzen und natür- lich im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung Rechen- schaft einfordern. Eine erste Evaluierung des GFP steht in diesem Jahr an. An kommenden Projektreisen des BMZ zur Vorort- evaluierung des Programms sollen auch Nichtregie- rungsorganisationen beteiligt sein. Wenn ich mir die Stellungnahmen von Oxfam oder vom Forum Umwelt und Entwicklung anschaue, kann ich sagen, dass wir in diesem Fall von einer durchaus kritischen Zivilgesell- schaft ausgehen können, die das BMZ begleiten wird. Wenn Nichtregierungsorganisationen an Projektreisen der Regierung teilnehmen, entwertet das auch Ihren Vor- wurf, man würde unter dem Deckmantel der Hungerbe- kämpfung nur neue Märkte für deutsche Unternehmen erschließen wollen. Wer etwas zu verbergen hat, betei- ligt keine Kritiker. Wichtiger zu erwähnen ist aber Folgendes: Eine deut- sche Regierung in der Entwicklungspolitik muss und soll auch deutsche Interessen vertreten. Das ist moralisch ab- solut nicht verwerflich; im Gegenteil: Es wird von allen internationalen Partnern gefordert. Deutsches Know- how ist überall gefragt. Und: Ohne Interessenpolitik gibt es keine Entwicklungspolitik. Wir wollen im Interesse der Partner eine nachhaltige Entwicklungspolitik ver- wirklichen. Eines ist unbestritten: Es liegt in unserem deutschen und humanitären Interesse, dass sich die Zahl der Hun- gernden auf der Welt möglichst bald auf null reduziert. Das ist und bleibt mit dem Wissen um eine stetig und schnell wachsende Weltbevölkerung das größte Projekt der Entwicklungspolitik. Das Problem der ungleichen Verteilung von Flächen und Nahrung müssen wir lösen. Dabei sind die Klärung von Eigentumsrechten, die Schaffung von Katasterämtern und die Bekämpfung von endemischen, korrupten Strukturen elementar. Die deutsche Regierung will, dass landwirtschaftliche Flächen in Entwicklungs- und Schwellenländern effi- zienter genutzt werden. Kleinbauern sollen zunächst Subsistenzwirtschaft betreiben können. Sie sollen sich dann zusammenschließen können, um einen Marktzu- gang für ihre Produkte zu erhalten und ihr Einkommen steigern zu können. Für diese Schritte ist die GFP ein Motor, um Wissen zu vermitteln und auszutauschen. Sie fördert den Prozess Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9299 (A) (C) (D)(B) der ländlichen Entwicklung, den privatwirtschaftlichen Austausch, Investitionen. Und sie fördert die Entwick- lung und Anwendung von angepassten Instrumenten und Wegen. Wenn wir die GFP als Entwicklungsprozess verste- hen, dann sollten wir auch die Prozesse der Unterneh- men und den Abgleich der unternehmerischen und der entwicklungspolitischen Interessen kritisch begleiten. Wir sollten die GFP und auch die G-8-Initiative aber vor allem als internationalen Lernprozess begreifen. Anstatt unseren Unternehmen nur Profitorientierung vorzuwerfen, sollten wir Unternehmen für unsere ent- wicklungspolitischen Interessen gewinnen und sie stärker einbinden. Sonst besteht die Gefahr, dass andere Nationen – und hier vorneweg China – eine Entwicklungspolitik betreiben, die unseren Maßstäben nicht entspricht. Dr. Sascha Raabe (SPD): „Die Welt isst nicht ge- recht!“ Das war das Motto der Welthungerhilfe zum letz- ten Welternährungstag. Und dieser Satz stimmt in vieler- lei Hinsicht. Es ist nicht gerecht, dass über 800 Millionen Men- schen auf der Welt hungern. Es ist nicht gerecht, dass Tag für Tag 20 000 Kinder unter fünf Jahren an den Fol- gen von Hunger und Armut sterben, obwohl eigentlich genug für alle da wäre. Es ist nicht gerecht, dass Kinder krank werden und irreparable Wachstumsstörungen er- leiden, weil sie mangelernährt sind, also unterversorgt mit lebenswichtigen Vitaminen und Nährstoffen, wäh- rend anderswo Essen im Müll landet. Es ist auch nicht gerecht, dass Familien in Entwick- lungsländern bis zu 80 Prozent ihres Einkommens für Lebensmittel ausgeben müssen, dass Kleinbauern durch die großflächige Landnahme von Investoren die Exis- tenzgrundlage entzogen wird oder unfaire Welthandels- bedingungen und Billigimporte heimische Märkte in den Entwicklungsländern zerstören und einen fairen Zugang zum Weltmarkt blockieren. Wir schreiben das Entwicklungsjahr 2015, und noch immer ist das Recht auf Nahrung das wohl am häufigs- ten verletzte Menschenrecht. Bei allen Fortschritten, die beim ersten Millenniumsentwicklungsziel, der Reduzie- rung von Hunger und Armut, erreicht werden konnten, sind die Zahlen für uns alle Mahnung genug, in unseren Anstrengungen nicht nachzulassen. Daher begrüße ich es sehr, dass die Vereinten Nationen den Kampf gegen Hunger und extreme Armut ganz oben auf ihre Nachhal- tigkeitsagenda gesetzt haben. Sie werden aller Voraus- sicht nach im Herbst das Ziel ausgeben, diese große Gei- ßel der Menschheit bis zum Jahr 2030 endgültig zu überwinden. Lassen Sie uns gemeinsam alles daranset- zen, dieses Ziel auch wirklich zu erreichen! Dafür wird es auch weitere finanzielle Anstrengungen brauchen. Das Versprechen, das wir einmal gegeben ha- ben, in diesem Jahr 0,7 Prozent unseres Bruttonational- einkommens für Entwicklungszusammenarbeit zur Ver- fügung zu stellen, haben wir gebrochen. In den letzten Jahren hat sich Deutschland – man muss das so deutlich sagen – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern seiner Verantwortung für die Ärmsten der Welt entzo- gen. Jetzt aber sehen wir mit den aktuellen Planungen für den Haushalt ab 2016 wieder Licht am Ende des Tunnels. Die geplanten massiven Aufwüchse der deut- schen ODA-Mittel in den nächsten Jahren sind ein wich- tiger Schritt zurück zur Glaubwürdigkeit deutscher Ent- wicklungspolitik und ein wichtiger Schritt im Kampf gegen Hunger und Armut. Ich bin sehr froh, dass wir diese Steigerungen jetzt realisieren werden. Wir haben damit einen konkreten, realistischen Aufwuchspfad. Das Ringen darum hat sich gelohnt. Mit dem Geld werden wir, wenn es an der richtigen Stelle eingesetzt wird, gerade mit Blick auf die Förde- rung der ländlichen Entwicklung viel Sinnvolles bewir- ken können. Jetzt zahlt sich aus, dass wir als SPD durchsetzen konnten, der ländlichen Entwicklung im Koalitionsvertrag so einen bedeutenden Raum zu geben. Damit hat Minister Müller die Grundlage dafür, dieses Thema zu einem Schwerpunkt seiner Arbeit zu machen. Das Feld ist bereitet, die Mittel stehen zur Verfü- gung – nun müssen die notwendigen Maßnahmen voran- getrieben werden. Diese erschöpfen sich nach unserer Auffassung nicht in dem, was die Linke in dem vorlie- genden Antrag beschreibt. Unser Ansatz zur Förderung der ländlichen Entwicklung als ein wesentlicher Schlüs- sel zur Überwindung von Hunger und Armut ist weiter und geht über das hinaus, was die Linke fordert. Sicher- lich – das habe ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kolle- gen von der Linken, bereits in der ersten Debatte zu die- sem Antrag gerne zugestanden – enthält der Antrag viele richtige Punkte: die Förderung von Kleinbauern, die Stär- kung der Rechte von Frauen, die Sicherung des Zugangs zu Land, Wasser und Saatgut oder auch das besondere Augenmerk auf den Ausbau genossenschaftlicher Pro- duktions- und Vertriebssysteme; das alles sind Punkte, die ohne Zweifel zentral und wichtig sind. Leider aber enthält der Antrag ebenso viele Lücken. In vielem bleibt er hinter dem weitgreifenden Ansatz zurück, den wir als SPD-Fraktion bereits in der letzten Legislatur in unserem umfassenden Antrag „Ernährung sichern, (Über-)Lebensbedingungen in Entwicklungslän- dern strukturell verbessern – Ländliche Entwicklung als Schlüssel zur Bekämpfung von Hunger und Armut“ for- muliert haben. Zu Fragen von Bildung, Gesundheit und sozialer Sicherung etwa wird kaum etwas bis gar nichts gesagt. Vergeblich habe ich auch Vorschläge zum Aus- bau der Infrastruktur, von der Verkehrsinfrastruktur bis hin zu Handynetzen speziell in ländlichen Räumen, ge- sucht. Zu den so wichtigen Umwelt- und Klimafragen fordern Sie im Antrag recht lapidar, „… eine Kehrt- wende in der Klimapolitik voranzutreiben“. Wohin diese Kehrtwende führen soll, sagen Sie nicht. Das ist mir zu wenig. Alles in allem hat es den Anschein, als ob Sie nicht verstanden hätten, dass ländliche Entwicklung mehr ist als die Förderung von Kleinbauern und Selbstversor- gern. Die ist wichtig, wird aber nicht ausreichen, um die Lage der Menschen in ländlichen Regionen nachhaltig zu verbessern. Ich bin der festen Überzeugung, dass wir weiter denken müssen und uns gerade im Zusammen- 9300 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) hang mit ländlicher Entwicklung nicht darauf beschrän- ken dürfen, nur lokale Märkte in Entwicklungsländern zu schützen. Wir müssen darüber hinaus den Produzen- ten in diesen Ländern zu fairen Bedingungen einen Zu- gang zum Weltmarkt eröffnen. Nur so schaffen wir Be- schäftigung in den Entwicklungsländern. Denn wir brauchen angesichts wachsender Bevölkerung und knapper werdenden Landes auch deutlich mehr Be- schäftigungsmöglichkeiten außerhalb der Landwirt- schaft. Deshalb muss der Anteil der Weiterverarbeitung landwirtschaftlicher Produkte deutlich gesteigert wer- den, damit von der Wertschöpfungskette mehr vor Ort verbleibt und Arbeitsplätze in der weiterverarbeitenden Industrie und im Dienstleistungssektor entstehen. Dafür müssen wir uns einsetzen: für gute Arbeit zu gerechten Löhnen. So lassen sich langfristig Strukturen schaffen, mit denen wir Hunger und Armut wirklich wirksam be- kämpfen können. Ich halte es daher bei aller berechtigten Kritik auch für zu kurz gesprungen, Wirtschaftspartnerschaftsab- kommen schlichtweg abzulehnen. Vielmehr sollten wir den Ehrgeiz haben, sie entwicklungsfördernd auszuge- stalten, auch indem wir sie nutzen, um gute Regierungs- führung und Standards einzufordern. In all diesen Ab- kommen müssen menschenrechtliche, ökologische und soziale Mindeststandards wie die ILO-Kernarbeitsnor- men verbindlich verankert werden. So haben wir es in den Koalitionsvertrag geschrieben, und dafür werde auch ich persönlich mich weiter einsetzen. Wenn das ge- lingt, verbunden mit wirksamen Sanktionsmechanismen, dann können wir weltweit die Arbeitsbedingungen ver- bessern, und damit ist den Menschen wirklich geholfen. Das ist allemal besser, als gleich nur zu allem Nein zu sagen. Ähnlich verhält es sich mit den Öffentlich-Privaten Partnerschaften, die Sie so rundheraus ablehnen. Hier gibt es nicht nur negative Fälle, sondern auch zahlreiche Beispiele für erfolgreiche Kooperationen, die für gute Arbeitsplätze in den Partnerländern gesorgt haben – üb- rigens auch dank der Unterstützung durch die DEG. Wir haben in diesem für die Entwicklungszusammen- arbeit so wichtigen Jahr die Chance, gemeinsam vieles zu erreichen und die Weichen in Richtung Überwindung von Hunger und Armut zu stellen. Das wird angesichts der Krisen in der Welt, von Syrien bis zur nach wie vor schwelenden Ebola-Seuche, schwierig genug. Die Welt ist nicht gerecht. Lassen Sie uns daran arbei- ten, sie ein Stück weit gerechter für alle Menschen zu machen. Den vorliegenden Antrag lehnen wir ab. Niema Movassat (DIE LINKE): Gleich zu Beginn seiner Amtszeit hat Minister Müller das ehrgeizige Ziel formuliert, eine Welt ohne Hunger zu schaffen. Wie viele andere auch haben meine Fraktion und ich diese Schwerpunktsetzung begrüßt. Zugleich haben wir in dem Antrag, den wir heute abschließend debattieren, Eckpunkte einer Politik formuliert, die es ernst meint mit der Hungerbekämpfung. Um es in einem Satz zusammenfassen: Wir müssen den Menschen in den Ländern des Südens das Recht zu- gestehen, eigenständige Strukturen im Agrarbereich auf- zubauen, die sich an den Bedürfnissen der Kleinbauern sowie der Konsumenten in den jeweiligen Ländern orientieren. Ernährungssouveränität heißt die politische Forderung, die genau auf dieses Ziel hinarbeitet. Leider spielt diese zentrale Forderung in Müllers Sonderinitia- tive „Eine Welt ohne Hunger“ keine Rolle. Denn Entwicklungsminister Müller spricht zwar immer über Kleinbauern, aber selten mit ihnen. Einen deutlich besseren Draht hat Müller zum deutschen Agro- business. Man kennt sich ja schon gut aus seiner Zeit als Staatssekretär im Landwirtschaftsministerium. Somit ist es kein Wunder, dass die Interessen des deutschen Agro- business in der Sonderinitiative mehr Berücksichtigung finden als die Bedürfnisse der Kleinbauern in den Ent- wicklungsländern. Dies wurde auch bei der Konferenz „Eine Welt ohne Hunger“ wieder deutlich, die das BMZ diese Woche ver- anstaltet hat. Müller setzt insbesondere in Afrika auf eine Industrialisierung der Landwirtschaft nach europäi- schem Vorbild. Dies zeigt sich insbesondere bei den sogenannten Grünen Innovationszentren, deren Ansatz leider alles andere als innovativ ist. Statt agrarökologische Ansätze zu forcieren, lokale Innovationen zu unterstützen, vorhandene informelle Marktbeziehungen zu stärken und damit die kleinbäuer- liche Landwirtschaft in den Projektländern zu fördern, verfolgt ein Großteil der Grünen Zentren eine andere Agenda: Sogenannte marktorientierte Kleinbauern sollen in mehrstufige Wertschöpfungsketten integriert werden, an deren Anfang Agrarkonzerne wie Bayer oder BASF und an deren Ende Lebensmittelkonzerne wie die Metro Group stehen. Für die meisten Kleinbauern stellt diese Form der Marktintegration keine Option dar. Vielmehr werden sie verdrängt und müssen in die Städte gehen, um nach Arbeit zu suchen – dort, wo es keine Arbeit gibt. Für afrikanische Länder, in denen 50 bis 80 Prozent der er- werbstätigen Bevölkerung von der Landwirtschaft leben, eine soziale Katastrophe! Lassen Sie mich an dieser Stelle auch ein für alle Mal klarstellen: Die Förderung einer kleinbäuerlichen Land- wirtschaft ist weder Selbstzweck, noch hat sie mit einem falschen Romantizismus zu tun, wie Vertreter der Agrar- industrie nicht müde werden zu behaupten. Kleinbäue- rinnen und Kleinbauern produzieren weltweit 70 Prozent der Lebensmittel – in Entwicklungsländern sogar 80 Prozent –, verbrauchen dabei aber nur 30 Prozent der in der Landwirtschaft eingesetzten Energie. Genau anders- herum sehen die Zahlen für die industrielle Landwirt- schaft aus: Sie verbraucht 70 Prozent der Energie, pro- duziert damit aber nur 30 Prozent der global konsumierten Lebensmittel. Liebe Agrarindustrie, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, wer ist angesichts dieser Fakten der wichtigste Verbündete für eine erfolgreiche Hungerbekämpfung? Wer wirtschaftet produktiver – das Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9301 (A) (C) (D)(B) heißt, mit einem geringeren Energieaufwand? Und wer garantiert eine ökologisch nachhaltige Nahrungsmittel- produktion, die angesichts von Klimawandel und Res- sourcenknappheit das Gebot der Stunde ist? Kleinbäuerliche Strukturen können durch viele Maßnahmen gefördert werden. Ebenso wichtig ist es aber, sie vor unfairem Wettbewerb zu schützen. Dazu ist die Koalition aber nicht gewillt. Die Fraktionen von CDU/CSU und SPD lehnen unseren Antrag unter ande- rem wegen unserer Forderung nach einem sofortigen Verhandlungsstopp bei Freihandelsverträgen ab. Anders gesagt: Sie stellen die Profitinteressen europäischer Konzerne und der deutschen Agrarindustrie über das Ziel einer nachhaltigen Hungerbekämpfung. Herr Minister Müller, Sie müssen sich entscheiden. Werden Sie ein Vorkämpfer für eine Welt ohne Hunger, oder bleiben Sie der Exportbeauftragte der deutschen Agrarindustrie? Bisher sieht es leider nach Letzterem aus. Aber die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt. Uwe Kekeritz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Im Ziel sind wir uns sicher einig. Das Menschenrecht auf Nahrung muss endlich verwirklicht werden. Noch im- mer hungern über 800 Millionen Menschen weltweit, und 2 Milliarden sind mangelernährt. Doch der Weg, den die Bundesregierung eingeschlagen hat, um dagegen an- zugehen, ist voller Widersprüche. Minister Müller stellte diese Woche die Sonderinitia- tive „Eine Welt ohne Hunger“ vor. Rhetorisch wurde wieder alles aufgeboten: Die lokale Zivilgesellschaft werde einbezogen, es würden gemeinsam Lösungen ent- wickelt, schonender Umgang mit Ressourcen sei not- wendig, Empowerment würde großgeschrieben, die Be- deutung des Zugangs zu Land und die Verfügbarkeit von Saatgut würden betont. Doch weitere 90 Prozent seiner Rede beinhalteten zum x-ten Male die Darstellung der durchaus zu kritisierenden realen globalen Verhältnisse. Zum Konzept selbst gab es nur spärliche Informationen. Doch was wird wirklich umgesetzt? Minister Müllers Lieblingsprojekt in der Sonderinitia- tive, die Grünen Innovationszentren, sind zunächst von Konzeptlosigkeit geprägt. Damit wir uns nicht falsch verstehen: Die lokale Weiterverarbeitung von landwirt- schaftlichen Erzeugnissen ist zu begrüßen und notwen- dig. Aber der Wertschöpfungskettenansatz der Grünen Zentren bindet nur die marktfähige Bauernschaft ein. Diese haben bereits einen Zugang zu Märkten. Für die Grünen Zentren sind die höchsten Mittel der Sonderiniti- ative eingeplant, doch sie erreichen nicht die am stärks- ten von Hunger betroffenen Menschen. Die Einbindung der Zivilgesellschaft vor Ort bleibt entgegen der Ankündigungen dürftig – besser gesagt: Sie ist nicht erkennbar. Teilweise wurden benannte Part- ner im Rahmen der Prüfmissionen für die Grünen Zen- tren nicht einmal konsultiert. Lösungen beim Kampf ge- gen den Hunger müssen gemeinsam mit den Betroffenen selbst entwickelt und implementiert werden. Daran zeigt sich auch, dass Müllers Forderung, die im Afrika-Kon- zept des BMZ aufgestellt wurde, wohl nicht so ernst ge- meint ist: Afrikanische Lösungen für afrikanische Pro- bleme. Je mehr Details ich über die Innovationszentren erhalte, desto fraglicher erscheint das Konzept. Wenn Minister Müller zum Beispiel bei der offiziellen Eröff- nung der Initiative erklärt, dass in Sambia und Äthiopien ein Maschinenring mit aufgebaut werden soll, hat das nichts mit Innovation zu tun. Hier scheinen doch wirk- lich mehr die Exportinteressen der Hersteller der Ma- schinen im Vordergrund zu stehen. Auch die von der Bundesregierung unterstützte New Alliance treibt in verschiedenen Ländern Afrikas unter anderem Saatgutgesetze voran, die die Verfügbarkeit lo- kaler Sorten einschränken und die Saatgutmärkte dieser Länder für internationale Konzerne mit zweifelhaften Methoden erschließen. Bisher ist nicht erkennbar, wie die Bundesregierung die G-7-Präsidentschaft nutzen will, um das abzustellen. Die in die Kritik geratene German Food Partnership von Amtsvorgänger Niebel ist öffentlich in den Hinter- grund getreten. Im BMZ gehen Bayer & Co. jedoch wei- terhin munter ein und aus. Anstatt die am stärksten betroffenen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern zu unter- stützen, setzt man vor allem auf Produktionssteigerung, mehr Technik und zertifiziertes Saatgut. Der Bauern- schaft vor Ort wird keine biologische und damit effizien- tere Landwirtschaft vermittelt. Hier besteht enormer Bil- dungsbedarf. Anstatt diesbezüglich massiv tätig zu werden, wird mit fragwürdigen Methoden und Versu- chen vermittelt, dass der Einsatz von anorganischem Dünger einen Großteil der Lösung der Probleme dar- stellt. Damit fördert das BMZ die Abhängigkeit der kleinbäuerlichen Familien. Statt Hilfsprogramme für die westliche, vor allem deutsche Agrarindustrie braucht es eine an die lokalen Gegebenheiten angepasste, ökolo- gisch nachhaltige Landwirtschaft, die keine neuen Ab- hängigkeiten schafft. Zu diesem Ergebnis kommt auch der Weltagrarbe- richt. Dieser wurde in einem internationalen mehrjähri- gen Prozess mit über 900 Teilnehmern aus 110 Ländern entwickelt. Syngenta und andere beteiligte Unternehmen stiegen kurz vor Schluss aus, weil ihnen die Empfehlun- gen des Berichts nicht passten. Auch die Bundesregie- rung verweigert weiterhin die Unterzeichnung, mit der Begründung, dass der Bericht korrekt und auch Leitlinie deutscher Politik sei und deshalb eine Ratifizierung nicht mehr nötig sei. Ganz so ernst ist wohl auch diese Aus- sage nicht gemeint. Der Weltagrarbericht macht deutlich, dass bei der Umsetzung des Rechts auf Nahrung nicht in erster Linie Ertragssteigerungen ausschlaggebend sind. Erkennen Sie das doch an, dass vor allem eine vielfältige Produk- tion für regionale Märkte wichtig ist. Die Frage nach den „Cash Crops“ bearbeitet die Agrarindustrie auch ohne deutsche Steuergelder. Helfen Sie beim Aufbau sozialer Sicherungssysteme, und verbessern Sie den Zugang marginalisierter Bevölkerungsgruppen zu Land. Für die Welternährung wäre das wichtiger als Hybrid-Mais und die Exportzahlen deutscher Kartoffelerntemaschinen! 9302 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) Anlage 7 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines ... Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes (Tagesordnungspunkt 16) Dietrich Monstadt (CDU/CSU): Bereits seit dem 21. September 1994 regelt das Schuldrechtsanpassungs- gesetz die Überleitung von Nutzungsverträgen über Grundstücke, die in der DDR begründet worden sind, in das Miet- und Pachtrecht des BGB. Diese Regelungen haben seit nunmehr über 20 Jahren Bestand. Allein da- ran lässt sich schon erkennen, dass sich die aktuelle Rechtslage sehr gut bewährt hat und es keinerlei Ände- rungen bedarf. Ganz grundsätzlich geht es jedoch um viel mehr: Ers- tens reden wir hier über eine zentrale Rechtsgüterabwä- gung. Diese muss und musste gründlich zwischen dem Eigentumsgrundrecht einerseits und dem nachvollzieh- baren Anspruch des Nutzers auf weitere Nutzung ande- rerseits erfolgen. Zweitens – und das möchte ich beson- ders betonen – geht es aber eben auch um die Vollendung der deutschen Einheit, um Rechtseinheit und nicht zuletzt um Rechtssicherheit. All diese Aspekte müssen wir bei der hier zu treffenden Entscheidung be- rücksichtigen. Wie bereits erwähnt, geht es dabei heute im Wesentli- chen um Grundstücke zu Erholungszwecken. Es geht dabei auch um sozialistische Bodenverhältnisse in der ehemaligen DDR, die durch das Schuldrechtsanpas- sungsgesetz in den Rechtsrahmen des BGB überführt werden mussten und dann überführt wurden. Ein wesentlicher Bestandteil der aktuellen gesetzli- chen Regelung ist dabei das Auslaufen der besonderen Kündigungsfrist am 3. Oktober 2015. Grundsätzlich be- fürwortet dies auch der Antragsteller und möchte daran festhalten. Er und die Linken möchten aufschieben – nicht aufheben. Nach ihrem Willen soll die Kündigungs- frist schlichtweg um drei Jahre verlängert werden. Doch damit fahren Sie einen Zickzackkurs, den wir nicht unterstützen. Zudem ist dieser Weg verfassungs- rechtlich höchst bedenklich: Das Bundesverfassungsge- richt hat in seiner Entscheidung vom 14. Juli 1999 deut- lich zum Ausdruck gebracht, dass die vorgesehenen Kündigungsfristen nicht überdehnt werden sollen. Doch eben genau das, meine Damen und Herren Antragsteller, würden Sie unserer Ansicht nach mit Ihrer Vorlage errei- chen. Dabei geht die Argumentation des Bundesverfas- sungsgerichtes in eine ganz andere Richtung. Ich darf aus der Entscheidung vom 14. Juli 1999 Absatz 135 zi- tieren: „Im Hinblick auf die Gesamtdauer der Kündi- gungsschutzfrist für bebaute Erholungs- und Freizeit- grundstücke bis zum 3. Oktober 2015 (vergleiche § 23 Absatz 4 SchuldRAnpG) war es allerdings verfassungs- rechtlich geboten, die Kündigungsrechte der Grund- stückseigentümer in einem weiteren Anpassungsschritt zu einem angemessenen Zeitpunkt noch mehr zu stär- ken“. Dies wurde schließlich mit Wirkung zum 1. Januar 2015 in § 23 Absatz 3 SchuldRAnpG gesetzgeberisch umgesetzt. Darüber hinaus erschließt sich mir argumentativ auch der Zeitraum von drei Jahren nicht: Warum nicht zwei, vier, fünf oder sechs? Sie sehen: Dieser Ansatz wirkt nicht nur recht will- kürlich, sondern gibt auch erstzunehmenden Anlass, an der Verfassungsmäßigkeit zu zweifeln. Das ist nicht die Sache der CDU. Wir stehen wie keine andere Partei für das Zusammenwachsen von Ost und West. Das galt schon unter Bundeskanzler Helmut Kohl, und das gilt auch unter unserer Kanzlerin Angela Merkel. Nach 25 Jahren Mauerfall sind wir daher fest entschlossen, auch die Rechtseinheit zwischen Ost und West umzusetzen. Dabei geht es schlichtweg um mehr als den Ausgleich widerstreitender Interessen, der hier im Schuldrechtsanpassungsgesetz geregelt wurde. Es geht eben auch darum, zu einen und nicht zu spalten. Hier wurde mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz eine einvernehmliche Lösung gesucht und gefunden, um das Verhältnis zwischen Nutzern und Eigentümern langfris- tig zu regeln. Aus unserer Sicht ist dies nicht nur mit Blick auf den jahrzehntelangen besonderen Kündigungsschutz, son- dern auch bezüglich möglicher Beteiligungen an etwai- gen Abrisskosten hervorragend gelungen. Dies zeigt auch ein Blick auf die Praxis: Sowohl Nut- zer als auch Eigentümer haben sich gut darauf einge- stellt. Vielfach gibt es gar bilaterale Nutzungsverträge für die Zeit nach Ablauf der Kündigungsfrist. Hier än- dert sich also rein gar nichts. Andere wiederum dürften – aus welchen Gründen auch immer – gar ein Interesse daran haben, nach dem 3. Oktober 2015 vom Eigentümer gekündigt zu werden. Dadurch tragen sie nach aktueller Rechtslage keine Ab- risskosten. Dies könnte sich mit der im Entwurf enthalte- nen Billigkeitsklausel jedoch ändern und somit zu einer Belastung für die derzeitigen Nutzer führen. Erst nach einer 32-jährigen Investitionsschutzfrist können die Nut- zer nach dem 3. Oktober 2022 durch den Eigentümer zur Hälfte an den Abrisskosten beteiligt werden. Dies ist je- doch nichts weniger als ein sozial abgemilderter Über- gang, ein fairer Interessenausgleich. Vielfach sind eben keine Privatpersonen die Eigentü- mer. In den allermeisten Fällen sind dies heute unsere Kommunen. Diese nun, wie von der Bundesratsinitiative gefordert, mit 100 Prozent der Abrisskosten zu belasten, würde vielerorts dramatische Auswirkungen haben. Ich nenne hier beispielhaft nur die freiwilligen Leistungen, die es dann als Erstes treffen würde. Das ist nicht das, was wir wollen. Auch hier muss es um einen fairen Ausgleich gehen. Einen solchen können wir jedoch im vorliegenden Entwurf nicht erkennen. Völlig zu Recht erwarten alle Bürgerinnen und Bür- ger politisches Handeln und gesetzliche Bestimmungen, auf die sie sich verlassen können. Abgesehen von erheb- lichen verfassungsrechtlichen Bedenken wäre eine Frist- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9303 (A) (C) (D)(B) verlängerung um drei Jahre das genaue Gegenteil und würde inhaltlich rein gar nichts ändern. Deswegen setzen wir auf Verlässlichkeit, auf Konti- nuität und stehen zur Rechtseinheit im geeinten Deutsch- land. Daher lehnen wir den Gesetzentwurf ab. Sebastian Steineke (CDU/CSU): Mit dem Gesetz- entwurf will der Bundesrat die besondere Kündigungs- schutzfrist, die insbesondere für sogenannte Datschen- grundstücke auf dem Gebiet der ehemaligen DDR gilt und nach geltender Rechtslage am 3. Oktober 2015 ab- läuft, um drei Jahre verlängern. Weiterhin sollen die Grundstücksnutzer nahezu vollständig von der Pflicht zur Tragung der Abbruchkosten für von ihnen errichtete Bauwerke befreit werden. Ausnahmen soll es nur in den Fällen geben, die für den Grundstückseigentümer eine „unbillige Härte“ bedeuten würden. Wir haben bereits vor etwa zwei Monaten darüber hier im Saal debattiert. Daher will ich nur noch einmal die wesentlichen Kern- punkte ansprechen, die dazu führen, dass wir den Ge- setzentwurf des Bundesrates ablehnen. Im Zuge der deutschen Wiedervereinigung musste man den Fortbestand der Rechtsverhältnisse zwischen Eigentümern und Nutzern von Datschengrundstücken regeln. Dies war zuweilen ein Kraftakt, da es sich bei den DDR-Gesetzen um rechtsstaatswidrig zustande ge- kommene Vorschriften handelte, die wir nun in unsere demokratisch legitimierte Rechtsordnung überführen mussten. Ziel war es, eine für alle Beteiligten angemes- sene Überleitung in das Miet- und Pachtrecht der Bun- desrepublik Deutschland zu gewährleisten. Mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz wurde dem Rechnung ge- tragen. Sinn und Zweck des Gesetzes war die Schaffung eines geeigneten Interessenausgleichs zwischen der bestehenden Rechtsposition der Nutzer und den Grundstückseigentümern, die auf die Geltung des BGB-Miet- und Pachtrechts nach der Wende vertraut haben. Hierfür sieht das Schuldrechtsanpassungsge- setz bislang eine 25-jährige Vertrauensschutzregelung bezüglich einer möglichen Eigentümerkündigung so- wie eine 32-jährige Investitionsvertrauensschutzrege- lung im Bereich der Tragung der Abrisskosten zuguns- ten der Nutzer vor. Lassen Sie mich an der Stelle noch einmal kurz auf die zwei wesentlichen Punkte des Ge- setzentwurfs eingehen. Für eine Verlängerung der Kündigungsschutzfrist über das Jahr 2015 hinaus besteht kein sachlicher Grund. Nutzer und Eigentümer konnten sich in der langen Zeit seit dem Inkrafttreten des Schuldrechtsanpassungsgeset- zes im Jahr 1995 auf das nun bevorstehende Auslaufen der Frist einstellen. Der Zweck der besonderen Kündi- gungsschutzfrist, nämlich die noch zu DDR-Zeiten getä- tigten Investitionen zu schützen, ist mittlerweile erfüllt. Die von Nutzern errichteten Bauwerke haben sich inzwi- schen längst amortisiert. Im Übrigen ist nach dem Ende des Kündigungsschutzes nicht mit einer Kündigungs- welle zu rechnen. Die meisten Datschengrundstücke lie- gen in den Außenbereichen der Gemeinden, wo nicht ge- baut werden darf und die Datschen aus DDR-Zeiten aber Bestandsschutz genießen. Die weitere Verpachtung der Grundstücke zu Erholungszwecken wird dort für die Grundstückseigentümer die einzige vernünftige Mög- lichkeit einer Verwertung bleiben. Der zweite zentrale Punkt des Gesetzentwurfs des Bundesrates, die Befreiung der Nutzer von den Ab- bruchkosten, widerspricht unserem heute geltenden all- gemeinen Miet- und Pachtrecht, nach dem der Nutzer bei Vertragsbeendigung das Grundstück in dem Zustand zurückgeben muss, in dem er es erhalten hat. Im Übrigen enthielt selbst das DDR-Recht in § 314 Absatz 5 ZGB eine ähnliche Regelung. Mit der vorgesehenen Änderung müsste allein der Eigentümer für den Abriss aufkom- men. Dabei wurde schon im Rahmen der damaligen par- lamentarischen Beratungen zum Schuldrechtsanpas- sungsgesetz im Jahr 1994 festgestellt, dass als Ausgleich zumindest eine Teilung der Abrisskosten angemessen wäre. Würde der Entwurf des Bundesrates Gesetz, wäre zudem eine regelrechte Klageflut zu erwarten, denn viele Eigentümer würden sich auf das Vorliegen einer „unbilligen Härte“ berufen. Der Gesetzentwurf bedeutet für die Nutzer schließlich eine klare Schlechterstellung im Vergleich zur geltenden Rechtslage: Bei einer Eigen- tümerkündigung nach dem 3. Oktober 2015 tragen sie nämlich bis einschließlich 3. Oktober 2022 keine Ab- bruchkosten. Es drohen zudem erhebliche finanzielle Belastungen für den Eigentümer, bei denen es sich im Übrigen mehr- heitlich um Kommunen handelt, unter anderem was die vom Gesetzentwurf auch umfassten Garagen betrifft. Auch das muss eine deutliche Berücksichtigung in der Diskussion finden. Dieses Gesetz hätte mitunter schwer- wiegende finanzielle Folgen für die Städte und Gemein- den und würde unser weiteres Bestreben nach kommu- naler Entlastung klar konterkarieren. Aus diesem Grund frage ich mich auch, warum der Bundesrat in seinem Entwurf keinerlei Aussagen dazu getroffen hat, wie et- waige Belastungen der Kommunen aufgefangen werden sollen. Zumindest ein Passus, dass das Land für die Aus- fälle eintritt, hätte die Glaubwürdigkeit des Grundanlie- gens wenigstens ein Stück weit untermauert. Dies zeigt zum wiederholten Male, dass den Linken als eigentli- chen Urhebern des Entwurfs die Kommunen völlig egal sind, solange es darum geht, populistische Forderungen durchzusetzen. Es bestehen letztlich erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken gegen den Gesetzentwurf des Bundesrates. Das Bundesverfassungsgericht hat 1999 festgestellt, dass eine Benachteiligung nur einer der beiden Seiten nicht im Einklang mit Artikel 14 GG steht. Es hat da- mals klar zum Ausdruck gebracht, dass die Kündi- gungsschutzregelungen, insbesondere die Einschrän- kungen des Kündigungsrechts durch den Eigentümer bis zum 3. Oktober 2015, gerade „noch“ mit dem ver- fassungsrechtlich gebotenen Schutz der Privatnützig- keit und Verfügungsfreiheit des Eigentums vereinbar sind. Die nun 16 Jahre später vom Bundesrat vorge- schlagene Verlängerung der besonderen Kündigungs- 9304 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) schutzfrist ist vor diesem Hintergrund mehr als frag- würdig. Erlauben Sie mir abschließend noch eine Bemerkung an die Kolleginnen und Kollegen der Linksfraktion. Sowohl in den Medien als auch in der ersten Lesung hier im Parlament haben Sie sich vehement für diesen Ge- setzentwurf eingesetzt. In den Ausschussberatungen gab es dennoch keine einzige Wortmeldung von Ihnen. Dies finde ich erstaunlich. Das Anliegen kann Ihnen also doch nicht so wichtig gewesen sein, wie Sie es immer kommuniziert haben. Aus den zuvor genannten Gründen werden wir den Gesetzentwurf ablehnen. Dr. Katarina Barley (SPD): Der Deutsche Bundes- tag berät heute in zweiter und dritter Lesung abschlie- ßend über den vom Bundesrat eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Schuldrechtsanpas- sungsgesetzes. Der Sachstand hat sich seit der ersten Lesung am 29. Januar 2015 nicht verändert. CDU/CSU und SPD erläuterten in dieser Sitzung die Gründe für, aber über- wiegend gegen die Initiative. Der brandenburgische Minister Dr. Helmuth Markov, Die Linke, bat darum, „ernsthaft zu überprüfen, ob Sie diesem Gesetzentwurf … nicht doch Ihre Zustimmung geben können“. Die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Die Linke haben selbst nicht das Wort ergriffen. Ihren Zwischenru- fen war jedoch zu entnehmen, dass sie den Gesetzent- wurf des Bundesrates unterstützten. Und die Kollegin Katja Keul von Bündnis 90/Die Grünen kündigte an: „Wir werden die Sache jedenfalls noch einmal ergebnis- offen prüfen.“ So ist es im Plenarprotokoll nachzulesen. Mit dieser Ausgangslage wurde der Gesetzentwurf am 18. März in der Sitzung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz aufgerufen. Zu meiner Überra- schung hielten weder die Kolleginnen und Kollegen von der Bundestagsfraktion Die Linke es für nötig, uns erst- mals ihre Position als Fraktion vorzustellen, noch melde- ten sich die Kolleginnen und Kollegen von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zu Wort, um uns an den Ergeb- nissen ihrer in der ersten Lesung angekündigten ergeb- nisoffenen Prüfungen teilhaben zu lassen. Der Tages- ordnungspunkt wurde ohne Aussprache abgestimmt. Entsprechend dünn ist der heute vorliegende Bericht. Wie lässt sich dieses Verhalten der Opposition bewer- ten? Sicherlich haben Sie, sehr geehrte Damen und Her- ren von der Opposition, die Zeit zwischen erster Lesung im Plenum und Ausschussberatung genutzt, um sich mit den Argumenten der Koalition auseinanderzusetzen. Ganz offensichtlich hatten insbesondere die Kolleginnen und Kollegen von der Linken dem nichts entgegenzuset- zen. Sonst hätten Sie von Ihrem Rederecht im Ausschuss Gebrauch gemacht und für den Gesetzentwurf des Bun- desrates gesprochen. Die Oppositionsfraktionen hätten auch eine Anhörung beantragen können, um die von den Koalitionsfraktionen vorgetragenen Bedenken zur Ver- fassungsmäßigkeit zu thematisieren, um überhaupt den Versuch zu unternehmen, diese Bedenken zu entkräften. Alle diese Möglichkeiten hätten Sie nutzen können und haben es nicht getan. Ganz offensichtlich wissen Sie also, dass die von CDU/CSU und SPD dargestellten Sachverhalte richtig sind. Mich beschleicht der Eindruck, die Diskussion über das Schuldrechtsanpassungsgesetz und die Datschen- grundstücke sollte erst als Wahlkampfschlager der Linken in Brandenburg herhalten und anschließend hier im Bundestag für ein politisches Theater genutzt werden. Im 25. Jahr der deutschen Einheit sollte ein Ost- West-Konflikt inszeniert werden. Eine Inszenierung, die der Wirklichkeit nicht standhält und die Menschen verunsichert. Das ist unanständig. Ich möchte das am Beispiel Kündigungsschutz ver- deutlichen. Der Gesetzentwurf des Bundesrates sieht vor, den Sonderkündigungsschutz für die Datschen- grundstücke um drei Jahre auf den 3. Oktober 2018 zu verlängern. Dabei wurden mit dem geltenden Schuld- rechtsanpassungsgesetz bereits weitreichende Kündi- gungsschutzfristen vereinbart. Das sollte nicht in Verges- senheit geraten. Bis zum 31. Dezember 1999 waren ordentliche Kündigungen ausgeschlossen. Seit dem 1. Januar 2000 sind Kündigungen nur in einigen Fällen zulässig, zum Beispiel bei Eigenbedarf. Wer am 3. Okto- ber 1990 60 Jahre oder älter war, kann seine Datsche bis zum Lebensende nutzen. Der Verband Deutscher Grundstücksnutzer, also die Vertretung der Datschennutzer, geht nicht davon aus, dass es mit Ablauf der Kündigungsschutzfrist am 3. Ok- tober 2015 zu einer Kündigungswelle kommen wird. Und die Begründung dafür ist vollkommen einleuch- tend. Die meisten Datschengrundstücke liegen in den Außenbereichen der Kommunen. Dort darf häufig nicht gebaut werden. Die Datschen aber genießen Bestands- schutz. Die Verpachtung ist die einzige sinnvolle Möglichkeit, um die Grundstücke wirtschaftlich zu ver- werten. Viele der betroffenen Grundstücke sind heute im Eigentum von – wohlgemerkt ostdeutschen – Kommu- nen. Sichere Pachteinnahmen durch die Fortführung der Verträge dürften also häufig im Interesse der Grund- stückseigentümer sein. Das Ende eines besonderen Kündigungsschutzes ist eben nicht gleichzusetzen mit einer automatischen Kündigung. Darüber hinaus wurden Nutzungsentgelte begrenzt und für die Entschädigung eine sehr differenzierte Rege- lung gefunden. Abbruchkosten müssen die Nutzer, wenn sie denn gekündigt werden, frühestens ab 2022 tragen, also 32 Jahre nach der deutschen Einheit. Alle diese Fristen waren und sind sehr lang, sodass die Investitio- nen der Nutzer in ihre Datschen geschützt wurden und gleichzeitig Nutzer und Grundstückseigentümer lang- fristig planen konnten. Eine Verlängerung der Kündigungsschutzfrist um drei Jahre bringt uns in drei Jahren an den gleichen Punkt und wirft gleichzeitig verfassungsrechtliche Bedenken auf. Das Bundesverfassungsgerichtsurteil hat in seinem Urteil zum Schuldrechtsanpassungsgesetz von 1999 die genannten Regelungen weitgehend gebilligt. Gleichzei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9305 (A) (C) (D)(B) tig haben die Richter die Absehbarkeit eines Endes der Ausnahmen angemahnt. Fünf Jahre nach der Einheit sind die Regelungen zum besonderen Kündigungsschutz in Kraft getreten mit Fristen von weiteren 20 Jahren. Alle Betroffenen konnten sich darauf einstellen, und teil- weise sind Kündigungsschutzfristen bereits abgelaufen, zum Beispiel für Garagen. Auch hier zeigen die Erfah- rungen übrigens, dass Kündigungswellen ausgeblieben sind. Eine Änderung, wie sie dem Bundesrat jetzt zum Kündigungsschutz und zu den Abbruchkosten vor- schwebt, würde den gesamten komplizierten und seit 20 Jahren gültigen Kompromiss zwischen Nutzern und Eigentümern, der mit dem Schuldrechtsanpassungs- gesetz gefunden wurde, aus dem Gleichgewicht bringen. Gleichzeitig würden viele verfassungsrechtliche Beden- ken aufgeworfen. Da sich die Oppositionsfraktionen in den Ausschuss- beratungen nicht zu Wort gemeldet haben, sind bis heute keine neuen Erkenntnisse ans Tageslicht gekommen, die uns vom Gegenteil überzeugt hätten. Deshalb bleibt die SPD-Bundestagsfraktion bei ihrer Ablehnung des vom Bundesrat eingebrachten Gesetzentwurfes. Roland Claus (DIE LINKE): Es soll Sonntagsreden geben, in denen die Regierungskoalition aus CDU/CSU und SPD so tut, als seien ihr die Interessen, Sorgen und Nöte der Ostdeutschen wichtig. Heute, an diesem 26. März, einem Donnerstag, hält sie sich nicht mit Sonntagsreden auf. Heute redet sie Klartext, und der heißt: Ihr Ostdeutschen seid uns egal. Was schert uns eure Sorge um eure Datschen und Garagen. Sie passen nicht hinein in unsere Gesetzeswelt, wir brauchen klare Verhältnisse, also Schluss mit den Sonderregelungen. Seht zu, wie ihr klarkommt, und wenn ihr über 70, ja über 80 seid und nun in die Bredouille kommt, weil ihr ohne jede eigene Schuld um das gebracht werden könn- tet, wohinein ihr ein Leben lang Geld und Kraft gesteckt habt: Egal, es schert uns nicht. Und es ist alles noch viel schlimmer, viel kälter. Denn der Antrag zur Gesetzesänderung, um den hier im Bun- destag bei der ersten Lesung am 29. Januar immerhin noch etwas ausführlicher gestritten wurde als heute, da es nur noch ums Formale geht, dieser Antrag also kommt nicht von einer Fraktion, sondern er kommt vom Bundesrat. Das heißt: Die Bundesländer, die ost- wie die westdeutschen, waren sich darin einig, Solidarität mit den Ostdeutschen zu zeigen. Und hatten damit bei vielen in Ostdeutschland Hoffnung geweckt. Es ist ja doch nicht so schlimm, haben mir die Leute im Wahlkreis ge- sagt, wie ihr Linken manchmal meint. Der Bundesrat hat eine klare Position gefunden, erkennt unsere Sorgen an, das ist doch was. – Heute aber zeigt die Koalition, was sie vom Bundesrat hält, wenn er nicht ihrer Meinung ist: Dann ignoriert sie ihn, schiebt ihn beiseite – und sie tut es in den Abendstunden, damit es keiner sieht. Und lei- der, leider müssen die Menschen zur Kenntnis nehmen: Ihre Hoffnung war umsonst. Glauben Sie mir: Das heute Abend ist eine ganz schlechte Stunde für die Demokratie. Seit Herbst 2014 haben mich ungezählte Mails und Telefonanrufe er- reicht, in denen mich Bürgerinnen und Bürger danach gefragt haben, ob es etwas werden wird mit der Gültig- keitsverlängerung des Gesetzes. Ich war sehr überrascht davon, wie genau die Menschen Bescheid wussten über den Inhalt des Gesetzes und über den Sinn der Initiative zur Änderung, und ich habe wieder einmal begriffen, wie politikinteressiert sie sind, wenn es um Fragen geht, die tatsächlich mit ihrem Leben zu tun haben. Und nun werden sie auf diese Weise düpiert. Sie werden düpiert von einer Regierungskoalition, in der ich mich vor allem über die SPD wundern muss. Die SPD, die im Bundesrat mit uns gemeinsam initiativ geworden ist, erschreckt mich hier damit, wie aggressiv sie ihren eigenen Vorschlag im wahrsten Sinne des Wor- tes in die Tonne tritt. Wahrlich ein würdiger Beitrag zu 25 Jahren deutscher Einheit, aber irgendwo auch logisch. Sie aus der Regierungskoalition haben vor 25 Jahren ge- meinsam den Weg freigemacht für den verheerenden Grundsatz „Rückgabe vor Entschädigung“, Sie haben gemeinsam die Treuhand auf Enteignungs- und De- industrialisierungskurs geschickt, und nun setzen Sie den Punkt aufs i. Gegen Seniorinnen und Senioren und gegen die Datschen. Was für ein Skandal. Und was für ein Armutszeugnis. Annalena Baerbock (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Wie sensibel es ist, auch im Bereich von Pacht- grundstücken, zwei Rechtssysteme zusammenzubringen, hat der Bundestag bereits 1994 erkannt, und im Schuld- rechtsanpassungsgesetz von damals spiegelt es sich wi- der. Hinter diesem sperrigen Titel verbirgt sich vor allem die Frage nach dem Kündigungsrecht und den Kündi- gungsfristen für Datschen und Datschengrundstücke. Datschen sind nicht mit Gartenlauben oder Kleingärten zu verwechseln, sondern haben eine andere Geschichte und bedurften daher anderer Gesetze. Datschen – als Wochenendhäuschen – auf Grundstücken im sogenann- ten Volkseigentum waren nach DDR-Recht fast unkünd- bar und eine besondere Herausforderung bei der Anpas- sung an bundesdeutsches Recht – auch und vor allem an das Eigentumsrecht im Grundgesetz gemäß Artikel 14 – nach der Wiedervereinigung. Mit dem Schuldrechtsanpassungsgesetz wurde 1994 ein sehr weitgehender Kündigungsschutz gewährleistet, der dem Sondertatbestand bei den Eigentumsverhältnis- sen Rechnung tragen sollte. Bis 1999 waren Kündigun- gen nahezu ausgeschlossen, ab 2000 nur selten zulässig, und wer 1990 als Datschenbesitzer älter als 60 war, konnte sich auf ein lebenslängliches Pachtverhältnis ver- lassen. Auch für die Frage der Abrisskosten wurde eine aus- gewogene Lösung gefunden, denn diese sollten frühe- stens ab 2022 von Nutzern getragen werden, also drei Jahrzehnte nach der Wiedervereinigung. Mit dem Gesetzentwurf fordert Brandenburgs Lan- desregierung, die Angleichung der Rechtsvorschriften 9306 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) – trotz entsprechenden Bundesverfassungsgerichtsurteils – weiter aufzuschieben, die geltenden Kündigungsschutz- fristen für Datschennutzerinnen und Datschennutzer – darunter fallen aber auch Dauercampingplätze – zu verlängern und die Frage möglicher Abbruchkosten neu zu regeln. Die möglichen Kündigungsfristen, auf die sich alle seit 1994 eingestellt haben, sollen um weitere drei Jahre verschoben werden, und den Abriss von Dat- schen sollen laut Vorstellung der Linken und der SPD in Brandenburg künftig nur noch die Grundstückseigentü- mer und nicht mehr die Datschennutzerinnen und -nutzer zahlen. Das Anliegen mag ein hehres sein. Aber ein Auf- schieben hilft da nicht, vor allem, wenn es, wie im Vor- schlag der brandenburgischen Landesregierung, noch zusätzliche Rechtsfragen aufwirft und mögliche Kosten einseitig auf die öffentliche Hand überträgt. Der Gesetz- entwurf, wie Sie ihn formuliert haben, würde einen un- terschiedlichen Rechtszustand im Miet-, Pacht- und Nut- zungsrecht auch 25 Jahre nach der Wiedervereinigung in Deutschland festschreiben und durch seine unbestimm- ten Begriffe vor allem die Gerichte beschäftigen, anstatt für Rechtssicherheit zu sorgen. Was aber durchaus sinnvoll ist – da teilen wir Ihr An- liegen –, ist, sich noch einmal Klarheit darüber zu ver- schaffen, ob mit den 1994 beschlossenen gesetzlichen Regelungen und dem im Herbst beginnenden Übergang ins BGB im Einzelfall Härtefälle auftreten bzw. auftre- ten können. In diesem Sinne waren wir erfreut über die erste Reaktion der Bundesregierung, in der sie die Sensi- bilität des Themas unterstreicht und ankündigt, zu prü- fen, inwieweit dem Begehren Rechnung zu tragen ist. Wir bedauern, dass es dazu nicht gekommen ist. Zu einer echten Analyse gehört es – und das fehlt in dem heute zur Abstimmung stehenden Gesetzentwurf leider vollkommen –, festzustellen, welche Grundstücke tatsächlich für eine andere Nutzung durch den Eigentü- mer vorgesehen wären bzw. wo Datschengrundstücke nicht weiter als Erholungsort genutzt werden können, wie hoch die Abrisskosten und die Entsorgung – auch al- ter Baustoffe wie Asbest – tatsächlich wären, wie man Kommunen und Nutzerinnen und Nutzer, gegebenen- falls seitens des Bundes, unterstützen könnte. Doch diese in den letzten 25 Jahren sehr unterschied- lichen Entwicklungen der Nutzung der Grundstücke und die sehr unterschiedlichen Interessen der Nutzerinnen und Nutzer sowie der Grundstückseigentümer ignoriert der Gesetzesvorschlag. So können wir bei den Datschen- nutzerinnen und -nutzern von heute eben nicht davon ausgehen, dass alle Nutzungsverträge zu DDR-Zeiten geschlossen wurden und noch immer dieselben Men- schen ihre Datschen nutzen. Ein Vierteljahrhundert nach dem Fall der Mauer finde ich es schwierig, wenn trotz vielfachen Nutzerwechsels die neuen Nutzer noch in den Genuss von Sondernutzungstatbeständen kommen wür- den. Zudem gibt es sehr wohl auch Nutzerinnen und Nutzer – darauf wurde in der ersten Lesung schon hinge- wiesen –, die selbst ein Interesse daran haben, dass die Nutzung jetzt endet, damit sie keine Abrisskosten tragen, anders, als wenn sie selbst kündigen. Darüber hinaus wäre es auch falsch, durch den Vor- schlag die Ungerechtigkeit, auf die in der ersten Lesung bereits Kollege Stefan Zierke hingewiesen hat, die auf etlichen ostdeutschen Campingplätzen für Dauercamper herrscht, weiter fortzuschreiben: die Ungerechtigkeit, dass junge Familien, die in den vergangenen Jahren ei- nen Campingplatz gepachtet haben, das Vielfache von dem zahlen müssen, was mittlerweile Rentnerpaare zah- len, die ihren Campingplatz vor 25 Jahren gepachtet ha- ben. Die Jungen subventionieren heute also auch die Campingplätze der älteren Camper. Gerecht ist das nicht. Der brandenburgische Gesetzentwurf lässt aber nicht nur mit Blick auf die Nutzerinnen und Nutzer zu viele Fragen offen bzw. führt zu Unsicherheit, sondern auch mit Blick auf die Grundstückseigentümer, die gemäß dem Vorschlag auch in Zukunft alle Abrisskosten tragen sollen. Grundstückseigentümer sind zumeist die ostdeut- schen Kommunen, und ich glaube, das gesamte Haus stimmt mir zu, wenn ich die finanzielle Situation ost- deutscher Kommunen als nicht gerade rosig bezeichne. Schätzungen gehen zumindest für Kommunen in Bran- denburg davon aus, dass die Abbruchkosten durch- schnittlich bei 10 000 Euro pro Datsche liegen würden. Wie die summierten Kosten von den Kommunen getra- gen werden sollen, auch darauf konnte der Brandenbur- ger Finanzminister, der den Vorschlag in erster Lesung ja hier einbrachte, nicht antworten. Wahrscheinlich ist dies auch dem geschuldet, dass der Gesetzesvorschlag pünktlich zur Landtagswahl 2014 aus der Kiste gezaubert wurde. Eine solch unausgegorene Wahlkampfinitiative wird aber dem Thema nicht ge- recht, was ich sehr bedaure. Ernstzunehmende Politik setzt sich mit allen Betroffenen auseinander. Die bran- denburgische Landesregierung hingegen hat noch nicht einmal den brandenburgischen Städte- und Gemeinde- bund konsultiert oder um Stellungnahme gebeten. In an- deren ostdeutschen Ländern ist die Situation ähnlich, und auch hier löst der Gesetzentwurf keine Begeiste- rungsstürme aus. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wird sich zum vorliegenden Entwurf enthalten, da er zwar richtigerweise noch einmal darauf hinweist, dass wir uns die Wirkung des Inkrafttretens der entscheiden- den Passage des Schuldrechtsanpassungsgesetzes noch einmal genau anschauen müssen, aber – wie beschrieben – zu viele Fragezeichen aufwirft und keine ernstzuneh- menden Lösungen anbietet. Statt Rechtssicherheit würde er mehr Unsicherheit schaffen. Mit unserer Enthaltung wollen wir aber zugleich deutlich machen, dass, meine Damen und Herren der Re- gierungsfraktion, wir trotz Ihrer Ablehnung des Gesetz- entwurfes heute keinen Haken hinter das Thema machen dürfen. Legen Sie nicht die Hände in den Schoß, sondern lassen Sie uns gemeinsam evaluieren, welche Wirkung das Inkrafttreten auch in Einzelfällen entfalten kann. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9307 (A) (C) (D)(B) Anlage 8 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption (Tagesordnungs- punkt 18) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Mit dem Gesetz- entwurf zur Bekämpfung der Korruption setzen wir eine Reihe von europäischen Übereinkommen und Rahmen- beschlüssen in das deutsche Strafrecht um. Grundsätzlich ist es richtig, dass wir auch mit dem deutschen Strafrecht unseren Beitrag dazu leisten, dass das Vertrauen der Bürger in die Lauterkeit der Entschei- dungen europäischer Behörden gestärkt wird. Bei der Umsetzung müssen wir allerdings darauf achten, dass wir uns im Rahmen der deutschen Strafrechtssystematik bewegen. Deshalb will ich mich in meinem Redebeitrag ausschließlich auf die geplante Änderung des § 299 StGB konzentrieren. Das zu schützende Rechtsgut dieses Paragrafen ist die Wahrung der Integrität des wirtschaftlichen Wett- bewerbs. Ein Angestellter eines Betriebes, der über den Bezug von Waren oder Dienstleistungen zu entscheiden hat, soll einen Anbieter nicht in unlauterer Weise bevor- zugen, weil er dafür einen Vorteil erhalten hat. Dies soll jetzt neben dem in- auch auf den ausländi- schen Wettbewerb ausgeweitet werden. Das ist richtig und völlig problemlos. Aber es soll jetzt sowohl bei der Bestechlichkeit wie auch der Bestechung im geschäftlichen Verkehr eine zweite Tatbestandsalternative geben, wonach auch der bestraft wird, der bei dem Bezug von Waren oder Dienst- leistungen seine Pflichten gegenüber dem Unternehmen verletzt. Dieses sogenannte Geschäftsherrenmodell oder auch die Angestelltenbestechlichkeit ist seit jeher sehr umstritten. 2007 ist eine Gesetzesinitiative aus dem Justizministerium vom Bundestag zwei Jahre lang nicht abschließend behandelt worden und dann der Diskonti- nuität anheimgefallen. Im Wirtschaftsausschuss des Bundesrates wurde der Gesetzentwurf damals sogar ab- gelehnt. Die rechtlichen Bedenken, die damals gegen den Gesetzentwurf sprachen, werden auch heute in allen Stellungnahmen, die uns bisher erreicht haben, weiter vorgetragen. Wir müssen das ernst nehmen und bei der jetzt anstehenden Anhörung intensiv untersuchen. Der Schutz der Vermögensinteressen eines Unterneh- mens wird als Rechtsgut durch den Untreuetatbestand des § 266 StGB geschützt. Mit der jetzt vorgeschlagenen Formulierung ergeben sich damit erhebliche Abgren- zungsprobleme. Es kommt ein verfassungsrechtliches Problem hinzu, das sich im Grunde für unser gesamtes heute gültiges Korruptionsstrafrecht stellt: Nicht zuletzt durch die Rechtsprechung hat sich eine derartige Überdehnung verschiedener Tatbestandsmerkmale ergeben. Erwähnt sei hier nur der Vorteilsbegriff, dass man mit Fug und Recht die Frage aufwerfen kann, ob dies mit dem Be- stimmtheitsgrundsatz nach Artikel 103 unseres Grund- gesetzes noch vereinbar ist. Mit besonderer Schärfe stellt sich jedenfalls bei die- sem Gesetzentwurf das Problem, dass der Pflichtenkreis des neuen § 299 StGB nicht vom Gesetzgeber, sondern vom Arbeitgeber definiert wird. Die Pflichten – so steht es ausdrücklich in der Begründung des Gesetzentwurfs – ergeben sich aus Gesetz und Vertrag. Insoweit hat die Deutungshoheit, was zu den Pflichten des Angestellten gehört, der Arbeitgeber. Dies ist bedenklich, insbeson- dere wenn man heute, gerade bei Großunternehmen, die Flut von Compliance-Vorschriften betrachtet, die für den Arbeitnehmer kaum noch überschaubar ist. Die Verunsi- cherung in weiten Teilen der Wirtschaft, was noch zur zulässigen Kundenpflege gehört und wo die Korruption anfängt, wächst doch zunehmend. Hier brauchen wir mehr Klarheit und nicht noch mehr Unsicherheit. In der Gesetzesbegründung ist davon die Rede, dass es auch bei der zweiten Alternative des § 299 auf eine Unrechtsvereinbarung ankommt. Das ist schwer nach- vollziehbar und wird vom Gesetzeswortlaut nicht ge- deckt; denn das Tatbestandsmerkmal der Bevorzugung in unlauterer Weise findet sich in der zweiten Alternative gerade nicht. Es kommt auch nicht auf eine Wett- bewerbssituation an. Es bleibt also als Rechtsgut die Vermögensbetreuungspflicht des Mitarbeiters eines Unternehmens. Der § 299 StGB ist aber kein Auffangtat- bestand der Untreue. Nun heißt es in der Gesetzesbegründung, der Gesetz- geber sei gezwungen, den § 299 so umzugestalten, weil wir den europäischen Vorgaben Folge leisten müssten. Die Bundesrechtsanwaltskammer hat dem mit beachtli- chen Argumenten in ihrer Stellungnahme widerspro- chen. Wir werden das in der öffentlichen Anhörung mit den Sachverständigen erörtern. Denn es kommt natürlich einer Entparlamentarisierung der Gesetzgebungsarbeit gleich, wenn angesichts der Vorgeschichte von 2007 und des Umstands, dass damals durch die Bundesregierung auch Vorbehaltserklärungen gegen einzelne europäische Rechtsakte eingelegt wurden, es jetzt plötzlich heißt, diese Vorbehalte seien durch Fristablauf aufgehoben, ohne über eine Verlängerung nachzudenken. Der Gesetz- geber würde hier von der Exekutive überspielt. Das muss einmal geklärt werden. Erschwerend kommt hinzu, dass andererseits von eu- roparechtlichen Möglichkeiten nicht Gebrauch gemacht worden ist, die aber im Sinne eines lebensnahen Umgangs mit dem § 299 durchaus hätten in Erwägung gezogen werden können. Die entsprechenden Rahmen- beschlüsse ließen nämlich zu, dass der Gesetzgeber die Strafbarkeit auf das Versprechen oder die Annahme eines „unbilligen“ Vorteils beschränkt und damit Platz lässt für den Gedanken der Sozialadäquanz. Hier müssen wir in den Gesetzesberatungen miteinander darüber nachdenken, ob dies nicht ohnehin als Ergänzung des § 299 sinnvoll wäre. Was wir wollen, ist eine Stärkung des Vertrauens der Bürger in die Integrität der Entscheidungen europäischer Amtsträger. Was wir wollen, ist eine Stärkung aller Marktteilnehmer in die Integrität des wirtschaftlichen 9308 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) Wettbewerbs. Was wir nicht wollen, ist eine weitere Verunsicherung unserer Wirtschaft und insbesondere der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die Entscheidun- gen für ihre Unternehmen treffen sollen, ohne Angst zu haben, mit dem Gesetz in Konflikt zu kommen, wenn sie sich bei Kundengesprächen einmal eine Tasse Kaffee ausgeben lassen. Ich freue mich auf unsere Ausschussberatungen. Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Mit dem Gesetz zur Bekämpfung der Korruption nehmen wir nicht nur unsere nationale, sondern auch unsere internationale Verantwortung zur Verbrechensbekämpfung wahr. Korruption ist heute eben nicht mehr territorial be- schränkt; in Zeiten der Globalisierung ist sie eine grenz- überschreitende Herausforderung. Wichtig ist hier vor allem die Erkenntnis, dass die Errungenschaft des Bin- nenmarktes – und damit auch der große Erfolg der deut- schen Exportwirtschaft – durch korruptes Verhalten nach- haltig beschädigt werden kann. Handel, Export, Handels- und Staatengemeinschaften leben auch und gerade vom fairen Umgang miteinander. Fairness und Chancen- gleichheit sind Stabilitätsfaktoren der Weltwirtschaft. Selbstverständlich setzen wir mit dem vorliegenden Entwurf auch internationale Übereinkommen und euro- päische Richtlinien um. Dennoch lege ich Wert auf die Feststellung, dass es sich diese Bundesregierung selbst- ständig zur Aufgabe gemacht hat, Korruption in all ihren Facetten effektiv zu bekämpfen. Obwohl unser Straf- recht hier bereits an vielen Stellen den internationalen Vorgaben entspricht, sind noch einige Ergänzungen er- forderlich. Ich will diese nur kurz zusammenfassen: In Ausdehnung des Geltungsbereichs des deutschen Strafrechts müssen auch Auslandstaten der Vorteilsge- währung an Amtsträgern strafrechtlich erfasst sein. Dies ist eben dem Umstand geschuldet, dass Korruption in einer globalisierten Welt nicht vor Staatsgrenzen halt- macht, zumal einheitliche Binnenmärkte grenzübergrei- fendes Handeln nahezu alltäglich werden lassen. Der Vortatenkatalog des Geldwäschetatbestands muss um die Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftli- chen Verkehr sowie um die Bestechung und Bestechlich- keit von ausländischen und internationalen Amtsträgern erweitert werden. Im Rahmen des § 299 StGB muss die Norm in Zu- kunft bei der Unrechtsvereinbarung auf eine Pflichtver- letzung gegenüber dem Geschäftsherrn abstellen. Als weiterer Aspekt ist die Strafbarkeit der Bestech- lichkeit und Bestechung von ausländischen und interna- tionalen Beamten und sonstigen Bediensteten, Richtern und Soldaten umfassend zu regeln. Zudem ist der Täterkreis bei der Vorteilsgewährung und der Vorteilsnahme auf europäische Amtsträger zu erweitern. Grenzüberschreitendes Wirtschaftshandeln muss letzt- lich überall in Europa an dieselben Maßstäbe gebunden sein. Insgesamt trägt der Gesetzentwurf der Zielrichtung Rechnung, dass die bisher im Nebenstrafrecht formulier- ten Regelungen zur Bestechung in das StGB zu übertra- gen sind. Ich persönlich finde vor allem diesen Schritt unver- zichtbar. Der Rechtsstaat hat auch immer die Aufgabe, gerade im Strafrecht zu formulieren, was er in seiner Ge- sellschaftsordnung missbilligt. Gerade die Verortung im StGB signalisiert das noch einmal deutlicher als das Ne- benstrafrecht, zumal eine Bündelung der Vorschriften immer der Übersichtlichkeit und damit der Rechtsklar- heit dient. Dennoch: Trotz der Richtigkeit der Zielrichtung soll- ten wir gerade unter rechtspolitischen Gesichtspunkten den vorliegenden Entwurf im weiteren Verfahren auf- merksam und differenziert begleiten. Mir geht es vor al- lem um folgende Erwägung: Unser deutsches Strafrecht orientiert und gliedert sich immer nach den Schutzgütern, die es zu schützen gilt. Beim vorliegenden Entwurf stehen insoweit zunächst einmal die Integrität des geschäftlichen Verkehrs, die Vermögensinteressen der Unternehmen und auch Ver- trauensschutzgesichtspunkte innerhalb eines Unterneh- mens oder einer Behörde im Raum. Trotz der Vielschich- tigkeit der Sachlagen und der Komplexität des Themas sollten wir diese Schutzgüter aber nicht miteinander ver- mischen. Dies bedeutet im Einzelnen, dass eine Untreuehand- lung bei den Vermögensdelikten angesiedelt bleiben muss und damit zum Beispiel eine bewusst zu hoch ver- einbarte und ausgezahlte Vergütung nicht unter die Straf- taten gegen den Wettbewerb gefasst werden kann. Der Schwerpunkt im Unrechtsgehalt liegt hier deutlich ge- wichtiger im Vermögensschaden als in der Manipulation des fairen Wettbewerbs. Abschließend sollten wir uns zudem immer darüber im Klaren sein, dass es auch im Wettbewerb und im Ge- schäftsverkehr das Strafrecht nur als Ultima Ratio geben darf. Dies bedeutet aber in der Konsequenz, dass weiter- hin in Betrieben, Unternehmen und Behörden Com- pliance-Strukturen eingeführt, nachhaltig entwickelt und gepflegt werden müssen. Dirk Wiese (SPD): Die unfassbar hohe Summe von 250 Milliarden Euro ist der Schaden, den Korruption in Deutschland im Jahr 2012 verursacht hat. Diese erschre- ckende Zahl hat ein renommierter Forscher und Profes- sor für Wirtschaftswissenschaften der Johannes-Kepler- Universität im österreichischen Linz berechnet. Das zeigt, Deutschland ist alles andere als ein Land, das frei von Korruption ist. Auch der Corruption Percep- tions Index 2014 von Transparency International unter- mauert das, Deutschland liegt dort nach wie vor „nur“ auf Platz 12 hinter dem Spitzenreiter Dänemark als Staat mit der niedrigsten Korruptionsrate, sowie hinter Neu- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9309 (A) (C) (D)(B) seeland, Finnland und Schweden, Norwegen, der Schweiz, Singapur, den Niederlanden, Luxemburg, Ka- nada und Australien. Mit diesem Ergebnis dürfen wir uns nicht zufrieden geben. Was für die Wirtschaft bei den Exportzahlen und im Fußball gilt, muss auch bei der Korruptionsbekämp- fung gelten: Deutschland muss Weltmeister sein! Allerdings macht Korruption vor staatlichen Grenzen heute nicht mehr halt. In einer weltweit verflochtenen Wirtschaft mit einer engen Zusammenarbeit vieler Staa- ten auf dem Weltmarkt sind Korruptionstaten auch und gerade über Grenzen hinweg leider immer noch an der Tagesordnung. Korruption gefährdet den freien und fai- ren internationalen Wettbewerb und das Vertrauen in die staatlichen und internationalen Organisationen. Deshalb ist die effektive Bekämpfung grenzüberschreitender Korruption für uns von höchster Priorität. Die rot- schwarze Bundesregierung unterstützt deshalb die Schaffung internationaler Rechtsinstrumente, um der Korruption entschieden entgegenzutreten. Denn nur so, also indem wir Korruption im Keim ersticken und als Staatengemeinschaft hier zusammen und koordiniert vorgehen, können wir möglichst faire Wettbewerbsbe- dingungen für alle Unternehmen auf dem Weltmarkt schaffen. Der heute hier vorliegende Gesetzentwurf verfolgt genau dieses Ziel, denn er setzt verschiedene interna- tionale Abkommen zur Korruptionsbekämpfung in na- tionales Recht um. Zu nennen sind hier das Europarat- Übereinkommen, das Europarat-Protokoll, der EU-Rah- menbeschluss, die EU-Richtlinie Angriffe auf Informa- tionssysteme sowie die EU-Richtlinie Umweltstraf- recht. Weitestgehend entspricht das deutsche Strafrecht schon den Vorgaben dieser Abkommen, es sind nur noch wenige Änderungen erforderlich. Lassen Sie mich Ihnen kurz die drei wichtigsten Änderungen zusammenfassen. Erstens. Gemäß Artikel 17 des Europarat-Überein- kommens muss der Geltungsbereich des deutschen Strafrechts, § 5 StGB, ausgedehnt werden und auch Aus- landstaten der Vorteilsgewährung an Amtsträger erfasst werden. Außerdem müssen die Vertragsparteien ihre Ge- richtsbarkeit für Bestechungstaten begründen, wenn der Täter „Mitglied einer innerstaatlichen öffentlich-rechtli- chen Vertretungskörperschaft“ ist. Zweitens. Die Einbeziehung der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr, § 299 StGB, so- wie der Bestechlichkeit und Bestechung von ausländi- schen und internationalen Amtsträgern, § 335 a StGB, in den Vortatenkatalog des Geldwäschetatbestandes, § 261 StGB, ist in Umsetzung von Artikel 13 des Europarat- Übereinkommens erforderlich. Eine Änderung des § 299 StGB ist vor allem auch deshalb erforderlich, weil Arti- kel 7 und 8 des Europarat-Übereinkommens und des EU-Rahmenbeschlusses bei der Unrechtsvereinbarung auf eine Pflichtverletzung gegenüber dem Geschäfts- herrn abstellen. Im deutschen Recht ist dies nicht der Fall, hier ist maßgeblich, ob eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb vorliegt. Drittens. Artikel 5, 9 und 11 des Europarat-Überein- kommens fordern in umfassenderer Weise als bisher die Unterstrafestellung der Bestechlichkeit und Bestechung von ausländischen und internationalen Beamten und sonstigen Bediensteten, Richtern und Soldaten. Außer- dem sollen europäische Amtsträger über die bestehenden Vorgaben hinausgehend auch in die Straftatbestände der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung, §§ 331, 333 StGB, einbezogen werden. Sie sehen, die Bundesregierung hat hier einen sehr guten Gesetzentwurf vorgelegt, der den Umsetzungsan- forderungen der verschiedenen internationalen Abkom- men voll und ganz entspricht. Gleichwohl ist mir bewusst, dass gerade in der Litera- tur die Neufassung des § 299 StGB breit diskutiert wird. Ich verfolge die Diskussion mit Spannung und freue mich deshalb besonders auf die Expertenanhörung und die Beratungen im Ausschuss. Ich bin mir jedenfalls sicher, dass wir am Ende der Beratungen mit dem vorliegenden Gesetzentwurf dazu beitragen werden, dass Deutschland von Platz zwölf des Korruptionsindex dorthin befördert wird, wo es hinge- hört: An die Spitze der Liste, als eines der Länder mit der niedrigsten Korruption weltweit! Frank Tempel (DIE LINKE): Endlich hat die Bundesregierung den lange überfälligen Entwurf des Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption eingebracht. Er entspricht nahezu dem bereits in der 16. Wahlperiode von der damaligen Großen Koalition vorgelegten Ge- setzentwurf. Einer der Hauptgründe für das Scheitern des ursprünglichen Gesetzentwurfs war es, dass die jetzt enthaltenen Ausweitungen im Bereich der Wirtschaft im Jahre 2007 mit der Reform der Abgeordnetenbestechung verknüpft waren. Bekanntlich konnten sich die letzte Große Koalition, aber auch Schwarz-Gelb nicht auf eine Verschärfung der Regelungen zur Abgeordnetenbeste- chung einigen, sodass damals das gesamte Vorhaben gescheitert ist. Die lange Nichtregelung der Abgeordne- tenbestechung hat die Bundesrepublik einiges an Re- nommee gekostet, stand man doch auf einer Stufe mit Staaten wie Nordkorea, Sudan und Syrien. Positiv zu bewerten ist, dass in dem Entwurf Regelun- gen des EU-Bestechungsgesetzes und des Gesetzes zur Bekämpfung internationaler Bestechung vom Neben- strafrecht in das Strafgesetzbuch übertragen werden. Begrüßt wird auch die Bestrebung der umfassenden und lückenlosen Unterstrafestellung von Korruption im öf- fentlichen und privaten Sektor durch Änderungen der entsprechenden Strafvorschriften. Nicht nachvollziehbar ist aus linker Sicht aber vor al- lem das Fehlen von gesetzlichen Regelungen zum Whistleblowerschutz. Damit wird hier eine wesentliche Vorgabe aus dem Strafrechtsübereinkommen des Euro- parates über Korruption nicht umgesetzt, nämlich der Schutz von Whistleblowern, Artikel 22, 33 des Überein- kommens. Hinweisgeberinnen und Hinweisgeber sind unbedingt vor Strafverfolgung zu schützen. Ebenso be- 9310 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) darf es eines wirksamen Schutzes im Medienrecht und vor Entlassungen im Bereich des Arbeits- und Beamten- rechts. Da bei Korruptionsdelikten vor allem die Aufdeckung und der Nachweis schwierig sind, ist der Whistleblowerschutz die effektivste Form der Korrup- tionsbekämpfung. Der DGB weist in seiner Stellung- nahme zu dem Gesetzentwurf zu Recht darauf hin, dass „ein Großteil der wirtschaftskriminellen Taten, welche in der Regel eng mit Bestechung im privaten wie im öf- fentlichen Sektor zusammenhängen, … dank Hinweisen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der beteiligten Unternehmen aufgedeckt“ werden. Ausgerechnet hier schweigt der Entwurf aber. Im Änderungsantrag von Bündnis 90/Die Grünen – 18(6)93 – wird eine Regelung zum Whistleblowerschutz vorgeschlagen, der wir aus- drücklich zustimmen. Zudem enthält der Gesetzentwurf keine Regelungen, um Korruption „in den eigenen Reihen“ zu verhindern. Weder ein dringend notwendiges verpflichtendes Lobby- register noch die Einführung einer effektiven gesetzli- chen Karenzzeit für ausgeschiedene Regierungsmitglie- der sind vorgesehen. Zudem fordert die Linke schon lange Änderungen im Parteiengesetz, die Begrenzung von Spenden und Sponsoring durch juristische Personen wie Unternehmen und Wirtschaftsverbände an Parteien sowie eine Grenze der Spendenhöhe für natürliche Personen auf 25 000 Euro regeln. Das würde verhindern, dass sich in der Politik die finanzleistungsstarken Gesell- schaftsakteure und Einzelpersonen mit ihren politischen und wirtschaftlichen Interessen durchsetzen und damit den verfassungsrechtlichen Grundsatz der demokrati- schen Egalität gefährden. Notwendig dazu ist außerdem die Offenlegung der Nebenverdienste von Abgeordneten nach Heller und Cent statt des weiterhin geltenden Stu- fenmodells. Bedauerlich ist ebenfalls, dass der Gesetzentwurf trotz der Einführung neuer Tatbestände keine Evaluie- rung vorsieht, obwohl nur anhand einer solchen eine Effizienzkontrolle nach mehrjähriger Praxis stattfinden kann. In der Begründung des Gesetzentwurfs wird zudem die dringend erforderliche Reform der Sanktions- vorschriften für juristische Personen nach §§ 30, 130 des Ordnungswidrigkeitengesetzes abgelehnt, obwohl Un- ternehmen viel zu selten für ihre Pflichtverletzungen mit weitreichenden Folgen für Mensch und Umwelt im In- und Ausland zur Rechenschaft gezogen werden. Die Linke erkennt ein Missverhältnis zwischen durch Unter- nehmen verursachten Schäden und den verhängten Sanktionen. Es muss sichergestellt werden, dass Unter- nehmen, aus denen heraus Straftaten begangen werden, gleichgültig auf welcher Arbeitsebene, zur Verantwor- tung gezogen werden. Außerdem sollten die Sanktions- möglichkeiten ausgeweitet werden: Die bisherige Höchstsumme von 1 Million Euro ist in Anbetracht der Gewinne einiger Unternehmen zu niedrig; die Geldstrafe sollte sich am Umsatz des in kriminelle Machenschaften verwickelten Unternehmens orientieren. Weitere Sank- tionsmöglichkeiten wie der Ausschluss von Steuervor- teilen und Subventionen, Tätigkeitsverbote bis hin zur Betriebsschließung sowie die Veröffentlichung entspre- chender Gerichtsentscheidungen sollten zusätzlich ein- geführt werden. Die Linke hat schon mehrfach an dieser Stelle die leider gängige Praxis von Omnibus- bzw. Huckepack- gesetzgebung kritisiert. Ohne Not werden inhaltsfremde Passagen in einer Gesetzesänderung untergebracht. Warum im Korruptionsgesetz eine Verschärfung des so- genannten Hackerparagrafen – § 202 c StGB – einflie- ßen muss, erschließt sich in keiner Weise. Die EU-Richt- linie 2013/40/EU Artikel 9 Absatz 2 sieht ein Strafmaß von mindestens zwei Jahren vor, wenn kein leichter Fall vorliegt. Im bisherigen Strafrecht war die Mindeststrafe ein Jahr vorgesehen. Nach unserer Auffassung sind Strafverschärfungen aber kein abschreckendes Mittel. Allein Maßnahmen zu Erhöhung der Entdeckungswahr- scheinlichkeit haben präventive Wirkungen. Zusammenfassend kann man sagen: zu spät, viel zu lückenhaft und ein unnötiger „Passagier“ im „Omnibus“. Ein großer Wurf ist das nicht. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Heute beraten wir in erster Lesung einen Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Korruptionsbekämpfung. Für uns Grüne ist klar: Auch in der internationalen Zusammenarbeit muss die Korruptionsbekämpfung ver- stärkt werden. Es muss aber noch diskutiert werden, ob nicht die rechtsstaatliche Beschränkung des Strafrechts als schärfstes Schwert, quasi als Ultima Ratio, mit dem Gesetzentwurf zur Bekämpfung der Korruption über- schritten wird. Die Strafbarkeit von Bestechlichkeit und Bestechung im privaten Sektor wird über den Schaden der Wettbe- werbsverzerrung hinaus bis auf jeglichen Pflichtenver- stoß gegenüber dem Arbeitgeber ausgedehnt, unabhän- gig von materiellen Folgen. Ebenso muss die Strafbarkeit von Privaten im Aus- land diskutiert werden. Würde eine Strafabsehensklausel bei geringem Unrecht Situationen nicht besser gerecht, wenn beispielsweise Touristen sich in einer nicht ge- rechtfertigten Drucksituation von Polizisten in Willkür- und Unrechtsstaaten durch Zahlung eines Geldbetrages entziehen? Es gibt viele andere notwendige Maßnahmen gegen Korruption, die die schwarz-rote Koalition aber nicht an- geht. Die Bundesregierung sollte deshalb endlich ein bun- desweites Korruptionsregister schaffen, um Unterneh- men, die Korruption bei der Vergabe öffentlicher Auf- träge begangen haben, künftig ausschließen zu können. Außerdem fordern wir einen besseren Whistleblower- schutz. Und nun noch zum Hackerparagrafen, den Sie im Ge- setzentwurf versteckt haben: Gerade hat die Große Ko- alition unter Federführung des Bundesministeriums des Innern ihren Gesetzentwurf für ein IT-Sicherheitsgesetz und ihr Paket zur angeblichen Reform des Verfassungs- schutzes vorgelegt. Durch die Placeboreform der Bun- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9311 (A) (C) (D)(B) desregierung werden die Befugnisse der Sicherheitsbe- hörden nach dem NSU- und NSA-Skandal noch einmal massiv ausgeweitet und die Massenüberwachung unse- rer Kommunikation weiter legalisiert, beispielsweise durch entsprechende neue Regelungen im G-10-Gesetz. In dem von Ihnen gerade vorgelegten, in vielerlei Hinsicht viel zu kurz springenden Entwurf eines IT-Si- cherheitsgesetzes wird dem Bundeskriminalamt, BKA, unter anderem auch die Zuständigkeit zur Strafverfol- gung bezüglich des umstrittenen Hackerparagrafen, § 202 c StGB, übertragen. Nun legt die Bundesregie- rung, nur wenige Tage später, noch einmal nach, indem sie das Strafmaß für Vergehen gegen § 202 c StGB, gut versteckt in der heutigen Vorlage, von einem auf zwei Jahre heraufsetzt. Auch das geht in die völlig falsche Richtung, da so beispielsweise auch die Überprüfung von Programmen auf ihre Integrität durch Fachleute wie die des Chaos Computer Clubs massiv erschwert wird. Als Grüne sehen wir den Hackerparagrafen nach wie vor sehr kritisch. Statt ihn endlich auf seine tatsächliche Sinnhaftigkeit und möglicherweise höchst kontrapro- duktive Effekte zu überprüfen, verschärfen Sie ihn nun, achselzuckend auf die EU-Richtlinie verweisend, weiter. Die Richtlinie, die im Übrigen nicht vom Himmel gefal- len ist, sieht aber eine bewusste Unterscheidung zwi- schen leichten und nichtleichten Fällen vor. Eine solche Unterscheidung nehmen Sie jedoch bewusst nicht vor. Wenn sie den Hackerparagrafen schon nicht in Gänze in- frage stellen, so setzen Sie wenigstens die EU-Richtlinie richtig um. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Der Re- gierungsentwurf eines Gesetzes zur Bekämpfung der Korruption ist ein wichtiger weiterer Schritt bei der strafrechtlichen Bekämpfung von Korruption auf natio- naler wie auf internationaler Ebene. Gleich mehrere in- ternationale Vorgaben werden durch diesen Gesetzent- wurf umgesetzt. Zum einen sieht der Entwurf eine Ausweitung der Strafbarkeit der Bestechlichkeit und Bestechung im ge- schäftlichen Verkehr, § 299 StGB, vor, die nach dem EU-Rahmenbeschluss zur Bekämpfung der Bestechung im privaten Sektor von 2003 erforderlich ist. Zum anderen wird zur Umsetzung des Strafrechts- übereinkommens des Europarats über Korruption die Strafbarkeit wegen Bestechlichkeit und Bestechung auf ausländische, europäische und internationale Amtsträger erweitert. Damit wird Deutschland das Europarat-Über- einkommen, das es schon 1997 unterzeichnet hat, auch ratifizieren können, so wie dies außer uns mittlerweile alle EU-Mitgliedstaaten und fast alle Mitgliedstaaten des Europarats getan haben. Wir beenden damit den Still- stand, der in der letzten Legislaturperiode im Korrupti- onsstrafrecht herrschte. Kernstück des Entwurfs ist die Erweiterung des Straftatbestands der Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr. Bei der Bestechung im geschäft- lichen Verkehr wird nicht ein Amtsträger bestochen, sondern ein Angestellter oder Beauftragter eines Unter- nehmens. Diese Form von Korruption schadet dem Wett- bewerb und der Wirtschaft und geht am Ende zulasten der Verbraucher. Strafbar ist Korruption im geschäftli- chen Verkehr derzeit nur, wenn mit der Bestechung eine unlautere Bevorzugung im Wettbewerb erkauft werden soll, also beispielsweise wenn der Einkäufer eines Un- ternehmens von einem Zulieferer ein Bestechungsgeld erhält und im Gegenzug dafür diesem Zulieferer und nicht einem günstigeren Konkurrenten den Zuschlag er- teilt. Fehlt es an einer Wettbewerbsverzerrung, scheidet eine Korruptionsstrafbarkeit derzeit aus. Nach den Vorgaben des EU-Rahmenbeschlusses müssen aber auch die Fälle strafbar sein, in denen es nicht zu einer Wett- bewerbsverzerrung, sondern zu einer Verletzung der Pflichten gegenüber dem Geschäftsherrn kommt. Das ist etwa der Fall, wenn ein Lieferant den Warenprüfer des Unternehmens besticht, damit der bei der Qualitätsprü- fung der angelieferten Waren ein Auge zudrückt. Auch das soll zukünftig als Bestechlichkeit und Bestechung im geschäftlichen Verkehr nach § 299 StGB strafbar sein. Die Erweiterung der Strafbarkeit wird teilweise als zu weitgehend kritisiert. Ich halte diese Kritik nicht für zu- treffend. Denn abgesehen davon, dass wir europarecht- lich zu einer Erweiterung der Strafbarkeit verpflichtet sind, denke ich, dass wir mit unserer Regelung und der Beschränkung auf Fälle des Bezugs von Waren oder Dienstleistungen auch eine maßvolle und in der Praxis handhabbare Lösung gefunden haben. Die Korruptionsbekämpfung wird in dieser Legis- laturperiode übrigens noch ein weiteres Mal auf der Tagesordnung des Deutschen Bundestages stehen. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat neben dem heute vorliegenden Gesetzentwurf noch einen weiteren Gesetzgebungsvorschlag erarbeitet, mit dem wir Korruption im Gesundheitswesen unter Strafe stellen wollen. Beide Vorhaben zusammen werden Lü- cken im geltenden Korruptionsstrafrecht schließen und Staatsanwaltschaften und Gerichte in die Lage versetzen, Korruption noch wirksamer zu bekämpfen. Hierfür bitte ich Sie um Ihre Unterstützung. Anlage 9 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des von der Bundesregierung ein- gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände- rung des Aktiengesetzes (Aktienrechtsnovelle 2014) (Tagesordnungspunkt 19) Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Heute befassen wir uns in erster Lesung mit dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Aktiengesetzes. Die sogenannte Ak- tienrechtsnovelle 2014 enthält eine Vielzahl von nicht unmittelbar zusammenhängenden Einzeländerungen des Aktiengesetzes mit dem Ziel, das Aktienrecht in Deutsch- land im Interesse der Aktiengesellschaften, ihrer Aktio- näre und Mitarbeiter weiterzuentwickeln. 9312 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) Eine Vielzahl von Regelungen stellen dabei – vorbe- haltlich aller in der Ausschussarbeit zu leistenden Prüfungen – hilfreiche Ansätze zur Fortentwicklung des Aktienrechts dar. Exemplarisch seien genannt: die Ver- besserung der Transparenz der Beteiligungsstrukturen bei Aktiengesellschaften mit Inhaberaktien; die Mög- lichkeit der vereinfachten Ausgabe stimmrechtsloser Vorzugsaktien; Veränderungen im Recht der Wandel- schuldverschreibungen mit dem Ziel, auch der Gesell- schaft ein Umtauschrecht gewähren zu können. Problematisch erscheint aus unserer Sicht die in den Entwurf aufgenommene Regelung im Umgang mit soge- nannten nachgeschobenen Nichtigkeitsklagen. Bei aller Problematik derartiger Klagen erscheint weniger eine einzelfallbezogene Veränderung des Beschlussmängel- rechts, sondern dessen Gesamtüberprüfung angezeigt. Aktienrechtlicher Handlungsbedarf ist darüber hinaus auch aufgeworfen im Bereich des sogenannten Delis- tings. Durch die veränderte Rechtsprechung des Bundes- gerichtshofs besteht die Gefahr, dass Aktionäre börsen- notierter Aktiengesellschaften in Fällen des Delistings weitgehend schutzlos gestellt werden. Ob und inwieweit hier gesetzgeberischer Handlungsbedarf besteht, wird im weiteren parlamentarischen Verfahren zu prüfen sein. – Wir freuen uns auf gute Beratungen. Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU): Nachdem die Ak- tienrechtsnovelle 2012 zwei Tage vor der Bundestags- wahl im Bundesrat gescheitert war, beschäftigen wir uns heute erneut mit dem Thema, da das geltende Aktien- recht nach wie vor einer Weiterentwicklung bedarf. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesre- gierung zur Aktienrechtsnovelle 2014 ist eine Zusam- menstellung nicht thematisch verbundener, vorrangig technischer Änderungen im Aktienrecht vorgesehen. Ziel ist es, die Wirtschaft und den Verbraucherschutz insgesamt zu stärken. Durch die Einführung von mehr Transparenz und Beseitigungen von Rechtsunsicherhei- ten und Hemmnissen soll dies erreicht werden. Nachfolgend möchte ich auf einige der im Maßnah- menbündel vorgeschlagenen Korrekturen bzw. Klarstel- lungen näher eingehen: Erstens. So sieht der Gesetzentwurf die Einführung eines Nachweisstichtages, Record Date, für Namensak- tien am 21. Tag vor der Hauptversammlung vor. Dies ist ein Stichtag, zu dem die Aktieninhaberschaft von allen Aktionären weltweit festgestellt wird und der für die Le- gitimation des Aktionärs zur Hauptversammlung erfor- derlich ist. Damit soll zum einen der unberechtigten Sorge vor Verfügungsbeschränkungen angemeldeter Ak- tienbestände – insbesondere von ausländischen Investo- ren – entgegengewirkt werden und zum anderen alles zu mehr Rechtssicherheit führen bei den mit der Abwick- lung betrauten Verwahrbanken. Präsenzen auf den Haupt- versammlungen werden dadurch nachhaltig gestärkt und weiter ausgebaut. Zweitens. Auch soll die Finanzierung von Aktienge- sellschaften flexibler gestaltet werden. Der Begriff des Vorzugs soll dahingehend flexibilisiert werden, dass künftig auch die Mehrdividende erfasst wird und eine Nachzahlung des Vorzugs nicht mehr zwingend erfolgen muss – eine abweichende Satzungsbestimmung ist zuläs- sig. Mit einer derartigen Ausgestaltung von Vorzugsak- tien können Kreditinstitute die Anerkennung dieser Ak- tien als hartes Kapital nach EU-Vorgaben erreichen. Zudem soll die Möglichkeit eröffnet werden, bei einer Wandelanleihe ein Umtauschrecht zugunsten der Gesell- schaft zu vereinbaren und zu diesem Zweck bedingtes Kapital zu schaffen. Mit beiden Änderungen wird die Möglichkeit geschaffen, Unternehmenskrisen zu verhin- dern oder zu bewältigen. Drittens. Ferner sieht der Entwurf vor, die Beteili- gungsverhältnisse bei nichtbörsennotierten Aktiengesell- schaften transparenter zu gestalten. Diese dürfen künftig nur dann Inhaberaktien verwenden, wenn sie diese in Sammelurkunden verbriefen und dauerhaft und bei einer Wertpapiersammelbank oder bei einem der aufgeführten Verwahrer hinterlegen. Viertens. Schließlich entwickelt der Entwurf noch das Beschlussmängelrecht der Aktiengesellschaft fort, um zu verhindern, dass Aktionäre ihr Klagerecht missbrau- chen. Die bisher unbefriedigende Rechtslage im Hinblick auf das Phänomen der nachgeschobenen Nichtigkeitskla- gen wird dahingehend beseitigt, dass die Nichtigkeits- klage nunmehr einer relativen Befristung unterworfen wird. Grundsätzlich bleibt sie zwar unbefristet möglich. Wird aber gegen einen Beschluss der Hauptversamm- lung eine Beschlussmängelklage erhoben, müssen – wei- tere – Nichtigkeitsklagen gegen den Beschluss innerhalb eines Monats nach Veröffentlichung des ursprünglichen Beschlussmängelverfahrens erhoben werden. Dies führt im Ergebnis zu mehr Rechtssicherheit. Abschließend möchte ich bei der heutigen ersten Bera- tung auf ein Problem hinweisen, welches mit dem vorlie- genden Entwurf noch nicht rechtssicher zum Abschluss gebracht wird. Ich spreche das Thema „Delisting“ an, also den Fall eines Rückzuges der Gesellschaft von der Börse. Eine Entscheidung, wie weit der Schutz der Ak- tionäre im Fall eines Delistings geht, ist bisher nicht ge- troffen, aber aus meiner Sicht dringend geboten: In einer richtungsweisenden Entscheidung – dem so- genannten Macrotron-Urteil – hat der Bundesgerichts- hof, BGH, im Jahr 2002 zunächst festgelegt, dass für das Delisting einer Aktiengesellschaft von der Börse ein Hauptversammlungsbeschluss notwendig sei und die Aktiengesellschaft den Aktionären ein Abfindungsange- bot für die Aktien machen müsse. Das Bundesverfas- sungsgericht, BVerfG, entschied dann allerdings im Jahr 2012, dass ein Delisting grundsätzlich nicht den Schutz- bereich des Eigentumsrechts eines Aktionärs und damit Artikel 14 Absatz 1 des Grundgesetzes berühre. Diese Rechtsprechung des BVerfG nahm der BGH auf und stellte fest, dass der Grundrechtsschutz nicht mehr als Argument für die Erfordernisse einer Hauptversamm- lungsentscheidung sowie eines Abfindungsangebots an- geführt werden könne. Auch andere Vorschriften, insbe- sondere das Aktiengesetz selbst, könnten nicht als Rechtsgrundlage für die Notwendigkeit eines Hauptver- sammlungsbeschlusses dienen. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9313 (A) (C) (D)(B) Durch diesen Wandel in der höchstrichterlichen Recht- sprechung verlieren die Aktionäre von an der Börse zum Handel zugelassenen Aktiengesellschaften nunmehr den Schutz, den die richterliche Rechtsfortbildung jahrelang gewährleistet hat. Ferner wird durch die Meinungsände- rung der obersten Gerichte deutlich, dass die Abwägung der Eigentumsrechte der Aktionäre gegen die Interessen der Aktiengesellschaften sich in einem engen Grenzbe- reich bewegt. Minderheitsaktionäre laufen im Falle eines Antrags auf Widerruf der Zulassung der von ihnen ge- haltenen Aktien allerdings Gefahr, ab Zeitpunkt der An- tragstellung den Börsenwert ihrer Stimmrechte nahezu gänzlich zu verlieren. Denn die Nachfrage nach Aktien, die in Kürze nicht mehr börslich handelbar sind, wird re- gelmäßig einbrechen. Vor Änderung der Rechtsprechung des BGH geschah dies nicht, dies beruhte auf dem Um- stand, dass in der Vergangenheit den Minderheitsaktio- nären ein Abfindungsangebot zu machen war. An dieser Stelle sehe ich gesetzgeberischen Hand- lungsbedarf. Ein zivilrechtlicher Schutz der Aktionäre, sei es im Aktien- oder Umwandlungsgesetz, sollte bei den weiteren parlamentarischen Beratungen Berücksich- tigung finden. Dr. Johannes Fechner (SPD): Mit diesem Gesetz werden wir das Aktiengesetz in einigen Punkten ändern. Ich möchte kurz auf einige geplante wesentliche Neure- gelungen des Gesetzentwurfes eingehen. Zunächst: Die Finanzierung von Aktiengesellschaften soll flexibler gestaltet werden können. Der Gesetzentwurf sieht vor, dass es künftig auch Vorzugsaktien geben soll, bei denen der Vorzug nicht nachgezahlt werden muss. Vorzugsaktien können bereits heute von Aktiengesellschaften neben Stammaktien ausgegeben werden. Vorzugsaktionäre erhalten bei der Gewinnausschüttung eine höhere Dividende als Stamm- aktionäre, sind dafür aber vom Stimmrecht ausgeschlos- sen. Wird der Vorzug nicht gezahlt, lebt das Stimmrecht im zweiten Jahr der Nichtzahlung wieder auf, und zwar so lange, bis der Vorzug rückwirkend nachbezahlt wird. Wird der Vorzug in einem Jahr nicht gezahlt, so muss er nach der jetzigen Regelung im Aktiengesetz später nach- gezahlt werden. Diese verpflichtende Regelung soll nun, wie gesagt, geändert werden. Künftig soll es Vorzugsaktien geben, bei denen der Vorzug nicht nachgezahlt werden muss. Hintergrund ist, dass nur Vorzugsaktien, bei denen der Vorzug nicht nachzahlbar ist, als regulatorisches Eigen- kapital anerkannt werden. Die Regelung ist besonders für Banken wichtig. Vielleicht sollten wir sie auch auf diesen Bereich beschränken; das müssen wir uns anse- hen. Eine weitere Neuregelung betrifft die sogenannte umgekehrte Wandelschuldverschreibung. Bei Wandel- schuldverschreibungen können die Gläubiger bestimmen, ob sie im Fälligkeitszeitpunkt Geld oder Aktien erhalten wollen. Bei der umgekehrten Wandelschuldverschrei- bung kann der Schuldner bestimmen, ob er seine Schuld in Geld oder in Aktien zurückzahlt. Nun sieht der Ge- setzentwurf vor, dass die Hauptversammlung auch für die Fälle der umgekehrten Wandelschuldverschreibung bereits vorab eine bedingte Kapitalerhöhung genehmi- gen kann. Vorteil wäre, dass die Kapitalerhöhung dann schnell erfolgen kann, weil nicht erst der Termin der nächsten Hauptversammlung abgewartet werden muss. Bei Kredit- und Finanzdienstleistungsinstituten soll eine solche Genehmigung auch ohne mengenmäßige Be- schränkung möglich sein. Es bleibt abzuwarten, ob sich Vertragspartner bzw. Geldgeber finden werden, die sich auf umgekehrte Wan- delschuldverschreibungen einlassen. Das wird die Praxis zeigen, sofern das Gesetz so beschlossen wird. Aus Sicht der SPD ist es jedenfalls im Bereich der Finanzinstitute begrüßenswert, wenn im Krisenfall zunächst die Gläubi- ger zur Bankensanierung beitragen, bevor die Steuerzah- ler diese Kosten tragen müssen. Eine weitere Neuregelung betrifft die Transparenz bei Inhaberpapieren. Jede Aktiengesellschaft kann im Mo- ment sowohl Namensaktien als auch Inhaberaktien ver- geben. Künftig soll die Vergabe von Inhaberaktien bei nicht börsennotierten Aktien nur noch dann möglich sein, wenn die Aktiengesellschaft den Anspruch auf Ein- zelverbriefung ausschließt. Dann gibt es nur eine Sam- melurkunde; diese muss verwahrt werden. Über die Ver- wahrverträge können dann im Falle des Falles die Aktionäre ermittelt werden. Damit wollen wir Geldwä- sche erschweren. Eine wichtige Neuerung betrifft die Befristung nach- geschobener Nichtigkeitsklagen. Hat also bereits ein Aktionär gerichtlich geltend gemacht, dass ein Haupt- versammlungsbeschluss nichtig ist, weil er an einem schwerwiegenden Fehler leidet, so muss eine weitere Nichtigkeitsklage eines anderen Aktionärs innerhalb ei- nes Monats nach der ersten Klageerhebung und deren Bekanntmachung in den Gesellschaftsblättern erhoben werden. Vorteil der neuen Regelung ist, dass Aktionäre das Freigabeverfahren nicht unnötig in die Länge ziehen können. Künftig müssen sich alle Aktionäre in dem Fall, dass eine Klage anhängig ist, zügig entscheiden, ob sie selbst gegen einen Hauptversammlungsbeschluss ge- richtlich vorgehen wollen. Lassen Sie mich an dieser Stelle noch auf ein Problem aufmerksam machen, das in diesem Gesetzentwurf bis- her nicht berücksichtigt wird: das Delisting. Wenn Ak- tien an der Börse gehandelt werden, sind sie dort gelistet. Beim Delisting zieht sich ein Unternehmen von der Börse wieder zurück. Das ist zu einem immer größeren Problem für die Anleger geworden. Zu beobachten ist, dass sich speziell seit der Änderung der Rechtsprechung des BGH, der sogenannten Frosta-Entscheidung, immer mehr Unternehmen von der Börse zurückziehen, ohne den Minderheitsaktionären Abfindungsangebote zu ma- chen. Diese müssen oft starke Kursverluste hinnehmen. Ein Rückzug von der Börse ohne Regelungen zur Abfin- dung für die Minderheitsaktionäre stellt deshalb ein mas- sives Anlegerrisiko dar. 9314 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) Ich bin der Meinung, dass der Gesetzgeber angemes- sene Regelungen zum Schutz der Minderheitenaktionäre treffen sollte, zum Beispiel in Form eines Pflichtange- bots der Aktiengesellschaft an ihre Minderheitenaktio- näre. Wir werden das im weiteren Verfahren prüfen und diskutieren. Richard Pitterle (DIE LINKE): Wir beraten heute in erster Lesung einen Gesetzentwurf mit dem Arbeitstitel „Aktienrechtsnovelle 2014“. Dem aufmerksamen Be- obachter des Parlamentsbetriebes wird dieser Arbeitstitel bekannt vorkommen. Am Ende der 17. Legislatur- periode im Jahr 2013 befasste sich unser Haus bereits mit einer „Aktienrechtsnovelle“. Es ist nicht die große Dynamik im Aktienrecht, die eine weitere Novelle erfordert. Beide Entwürfe sind weitgehend identisch. Doch die Aktienrechtsnovelle 2012 ist am Widerstand der SPD-geführten Mehrheit im Bundesrat gescheitert. Auslöser der Konfrontation war eine kleine Ergänzung der Aktienrechtsnovelle im feder- führenden Rechtsausschuss durch die Schwarz-Gelbe Koalition. Zu diesem Zeitpunkt kochte erneut eine öf- fentliche Debatte um die Höhe der Vorstands- und Managergehälter hoch, die durch einen erfolgreichen Volksentscheid der schweizerischen „Initiative gegen Abzockerei“ angefacht wurde. Die Schweizer befürworteten, dass zukünftig die Aktionäre in der Hauptversammlung über die Gehälter von Konzernchefs und Aufsichtsräten entscheiden. Die Wahlen im Blick, rang sich Schwarz-Gelb durch, eine weichgespülte Variante in das deutsche Aktienrecht auf- nehmen zu wollen. Die Hauptversammlung sollte jähr- lich wenigstens, wenn auch rechtsfolgenlos, die vom Aufsichtsrat vorgelegten Vergütungssysteme billigen müssen. Ein sehr kleiner, wenn auch für die Regulierung ungeeigneter, so doch prinzipiell richtiger Schritt in Richtung Transparenz bei den Vergütungssystemen. Bereits in der 16. Wahlperiode hat meine Fraktion ge- fordert, Managergehälter absolut auf das 20-Fache der untersten Lohngruppe zu begrenzen und die steuerliche Abzugsfähigkeit als Aufwand zu begrenzen. Den Vor- schlägen ist die damalige Große Koalition nicht gefolgt. Stattdessen gab es ein Reförmchen, wonach die Haupt- versammlung freiwillig die Vergütungsmodalitäten billi- gen kann. In der letzten Wahlperiode, frisch in der Opposition, konnte die SPD es kaum erwarten, mit Vorschlägen ge- gen ausufernde Managergehälter vorgehen zu wollen. Und so ließ sie im Bundesrat kämpferisch zur Aktien- rechtsnovelle 2012 ausrichten, dass das Gesetz eine Mo- gelpackung sei, die Vergütungen nicht kontrolliere und schlicht wirkungslos sei, sodass man nicht zustimmen werde. Die Aktienrechtsnovelle 2014 kommt ohne Regelun- gen zur Vorstandsvergütung aus. Das könnte überra- schen. Erst im Sommer letzten Jahres schimpfte der SPD-Parteivorsitzende und Bundeswirtschaftsminister Gabriel über „obszöne“ Managergehälter, die es zu regu- lieren gäbe. Durch die Große Koalition wird schon wie in der 16. Wahlperiode nicht einmal auf dem kleinen Niveau reguliert, wie es eine Schwarz-Gelbe Koalition wollte. Doch Sie werden um diese Debatte nicht herumkom- men. Wir halten an unserer Forderung fest. Und selbst auf europäischer Ebene wird dieses Thema angegangen. So sieht der Richtlinienvorschlag zur Änderung der Ak- tionärsrechterichtlinie Beteiligungsrechte der Aktionäre bei der Vorstandsvergütung vor. Das „Aktienrecht bedarf einer punktuellen Weiterent- wicklung“, heißt es wieder im aktuellen Entwurf. In dem Referentenentwurf zur Aktienrechtsnovelle 2012, der erstmalig 2010 vorgestellt wurde, hieß es, einen Reform- bedarf gäbe es derzeit nicht. Nachdem der Entwurf seit 5 Jahren weitgehend unverändert vorliegt und in der Pra- xis keine Probleme aufgetreten sind, scheint das zu stim- men. „Wenn es nicht notwendig ist, ein Gesetz zu ma- chen, dann ist es notwendig, kein Gesetz zu machen.“ Mit der Verabschiedung der kommenden Aktionärsrech- terichtlinie werden wir das Aktienrecht umfassend än- dern müssen. Lassen Sie uns unsere Ressourcen dafür aufsparen. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Dieser Gesetzentwurf ist vor allem eines: eine verpasste Chance. Wesentliche Fragen gehen Sie leider nicht oder nur unzureichend an. Der Entwurf war in weitgehend gleicher Form bereits in der letzten Wahlperiode einge- bracht worden. Sie hätten daher viel Zeit gehabt, die Pro- bleme im Aktienrecht gründlich anzugehen. Das ist lei- der nicht der Fall. Damals scheiterte der Entwurf an der strittigen Frage der Vorstandsvergütung: dem sogenannten Say on Pay, wonach der Hauptversammlung eine rechtsverbindliche Entscheidungsbefugnis über das System der Vorstands- vergütung eingeräumt werden sollte. Mit dem Say on Pay wollte die damalige Koalition mehr Transparenz und eine Begrenzung der Höhe der Vorstandsvergütun- gen erreichen. Unverhältnismäßig hohe und nur auf den kurzfristigen Erfolg ausgerichtete Vergütungen von Ma- nagern sind eine Ursache für die Wirtschafts- und Fi- nanzkrisen der Vergangenheit. Dieses Problem sind Sie bis heute nicht angegangen! Das ist und bleibt ein Ar- mutszeugnis. Selbstverpflichtungen und bestehende Re- gelungen zur Angemessenheit von Vorstandsvergütun- gen haben keine ausreichenden Veränderungen bewirkt. Die Regelung der Vorstandsvergütung wird im jetzigen Entwurf gänzlich ausgeklammert. Auf europäischer Ebene ist derzeit zwar die Änderung der Aktionärsricht- linie im Gange, die nach jetzigem Stand auch Regelun- gen zum Say on Pay vorsieht. Ein Say on Pay der Aktio- näre ist aber nicht ausreichend. Was wir brauchen, ist etwa eine Beschränkung der steuerlichen Abzugsfähig- keit von überhohen Abfindungen und Gehältern. Der Gesetzentwurf will die Transparenz von Beteili- gungsverhältnissen verbessern, indem er Inhaberaktien bei nicht börsennotierten Aktiengesellschaften künftig nur noch zulässt, wenn der Einzelverbriefungsanspruch der Aktionäre ausgeschlossen ist und die auszustellende Sammelurkunde bei einer Wertpapiersammelbank ver- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 9315 (A) (C) (D)(B) wahrt wird. Das springt aber zu kurz. Die Financial Ac- tion Task Force, FATF, deren Mitglied die Bundesrepu- blik Deutschland ist, kritisiert zu Recht die deutsche Inhaberaktie bei nicht börsennotierten Unternehmen. Veräußerungen von Inhaberaktien bleiben bei nicht bör- sennotierten Unternehmen verborgen. Änderungen im Gesellschafterbestand eines Unternehmens sind also nach außen nicht nachvollziehbar und können im Hinter- zimmer abgewickelt werden; auch das Unternehmen selbst weiß nicht, wer seine Aktionäre sind. Die Inhaber- aktie begünstigt wegen dieser Intransparenz Geldwäsche und andere dunkle Machenschaften bis hin zur Terrorfi- nanzierung. Frau Merkel hat sich deshalb in einer Ver- pflichtungserklärung zum G-8-Gipfel 2013 dazu be- kannt, dieses Problem anzugehen. Doch führt der Entwurf mitnichten dazu, dass die Unternehmen künftig präzise und aktuell wissen, wer ihre Eigentümer sind und wer sie kontrolliert. Das ist es aber, was Frau Merkel den G-8-Partnern versprochen hat. Weder wissen die Unternehmen, wer Aktionär der Inhaberaktie ist, noch wird sichergestellt, dass Behörden zeitnah Informationen über die eigentlichen wirtschaftlich Berechtigten erhal- ten. Der von der Bundesregierung beschrittene Weg er- möglicht lediglich, über die Verwahrkette der Depotban- ken Informationen, das heißt Ermittlungsspuren zu erlangen. Das ist völlig unzureichend. Es besteht zudem eine große Lücke für den Fall des Delistings einer Aktiengesellschaft. Der Anspruch auf Herausgabe einer neuen Namensaktie infolge einer Kraftloserklärung der Inhaberaktie wegen Börsenrück- zugs ist nämlich ohne depotrechtliche Buchung oder Eintragung im Aktienregister übertragbar. Hier bleiben Beteiligungsverhältnisse also weiterhin völlig im Dun- keln. Hinzu kommt, dass die Neuregelung nur für Unter- nehmen gilt, die nach Inkrafttreten der Neuregelung ge- gründet werden. Bei allen bestehenden Unternehmen, die Inhaberaktien ausgeben, gilt die alte Rechtslage wei- ter. Hier gehen daher potenziell auch die kriminellen Machenschaften weiter, die Sie zu unterbinden vorge- ben. Im Übrigen bestehen auch bei börsennotierten Unternehmen Mitteilungspflichten nach dem Wertpa- pierhandelsgesetz erst ab einem Beteiligungsbestand von 3 Prozent. Mit dem vorgelegten Entwurf sind Sie daher meilen- weit davon entfernt, die Zusagen einzuhalten, die Sie selbst auf dem G-8-Gipfel im Jahr 2013 gegeben haben. Ich fordere Sie auf, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Regierungsfraktionen: Machen Sie endlich ernst mit der Transparenz von Beteiligungsverhältnissen bei Un- ternehmen! Es muss klar sein, wer die Eigentümer und wirtschaftlich kontrollierenden Akteure eines Unterneh- mens sind, und zwar unabhängig von der Rechtsform oder Börsennotierung. Es ist doch nicht zu viel verlangt, dass Sie Ihre eigenen Versprechen auch einhalten. Ein weiterer Aspekt, den Sie nicht angehen, ist die re- formbedürftige Organhaftung im Aktienrecht. Hier be- steht weiterhin das Problem, dass die Organhaftung auf dem Papier streng ausgestaltet ist, in der Praxis hingegen weitgehend leerläuft. Wir brauchen eine Verbesserung der privaten Rechtsdurchsetzung. Die Vorstandshaftung ist erforderlich, um wirtschaftliche Anreize für sorgfalts- gemäße Entscheidungen zu setzen und die Vermeidung der hieraus für die Eigentümer, aber auch für das Ge- meinwesen folgenden Schäden anzumahnen. Diese Wir- kung können Haftungsregeln aber nur entfalten, wenn die gerichtliche Durchsetzung der Ansprüche ausrei- chend gesichert ist. Im Jahr 2005 wurde mit dem Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des An- fechtungsrechts, UMAG, die Aktionärsklage eingeführt, die es dem Einzelaktionär bzw. der Aktionärsminderheit ermöglicht, Schadensersatzansprüche des Unternehmens gegen Vorstandsmitglieder geltend zu machen. Die Akti- onärsklage wurde allerdings so ausgestaltet, dass sie in der Praxis völlig bedeutungslos ist. Der gerichtlichen Durchsetzung ist ein Klagezulassungsverfahren vorge- schaltet. Kleinaktionäre tragen das volle Kostenrisiko für das Zulassungsverfahren, partizipieren an der erstrit- tenen Haftungssumme jedoch nur minimal, nämlich in Höhe ihres Anteils am Grundkapital der Gesellschaft. Die Aktionärsklage erweist sich für den klagenden Kleinaktionär in der Regel als Verlustgeschäft und er- zielt deshalb auch nicht die erhoffte Verbesserung der Haftungsdurchsetzung. Einem wirkungsvollen Organhaftungsregime steht zudem die in Deutschland übliche Ausgestaltung der D&O-Versicherung entgegen. Der 2009 eingeführte ob- ligatorische Selbstbehalt läuft leer, weil er vom Vor- standsmitglied seinerseits wieder versichert wird. Bei der heute üblichen Form der Gruppenversicherung zum Pauschaltarif gehen sämtliche Sorgfaltsanreize verloren, die durch die Vorstandshaftung generiert werden könn- ten. Wir brauchen daher eine Reform der Organhaftung, um die dringend notwendigen Sorgfaltsanreize für Vor- stände zu entwickeln. Ich will ein weiteres Thema ansprechen, bei dem wir als Gesetzgeber dringend aktiv werden müssten: Durch eine Änderung der Rechtsprechung des BGH ist für An- leger eine große Schutzlücke im Falle des Börsenrück- zugs einer Aktiengesellschaft entstanden. Das ist insbe- sondere für Kleinaktionäre ein Problem. Bisher wurden Anleger dadurch geschützt, dass die Gerichte aus der Ei- gentumsgarantie des Grundgesetzes die Notwendigkeit eines Hauptversammlungsbeschlusses und eines Abfin- dungsangebots der Gesellschaft an die Aktionäre im Falle eines Delistings ableitete. Der BGH sieht sich aber nicht länger imstande, an dieser rechtsfortbildenden Rechtsprechung festzuhalten. Daher sind wir als Gesetz- geber gefragt, einen angemessenen Anlegerschutz beim Delisting zu gewährleisten. Nach dem Rückzug von der Börse sind Aktien nicht mehr ohne weiteres jederzeit handelbar. Aktien verlieren damit für kleinere Aktionäre ganz erheblich an Wert. Davon profitieren Großaktio- näre, für die die jederzeitige Handelbarkeit der Aktien nicht von gleicher Relevanz ist und die durch ein Delis- ting Kleinaktionäre zum Schnäppchenpreis aus dem Un- ternehmen verdrängen können. Das kann so nicht blei- ben. Die hier eingebrachte Novelle des Aktienrechts muss dieses Problem angehen. Ich schließe mit einer grundsätzlichen Erwägung: Ak- tionäre sollten nicht nur bei monetären Fragen Einfluss auf das Verhalten der Unternehmen ausüben dürfen. Als Eigentümer sollten sie vielmehr auch Einfluss nehmen 9316 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 97. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 26. März 2015 (A) (C) (D)(B) können, wenn es um Nachhaltigkeitsfragen, ökologische und soziale Ziele des Unternehmens geht. Das muss sich auch im Aktienrecht widerspiegeln. Notwendig ist eine Fortentwicklung des Aktienrechts, die Einfluss und Ver- antwortung der Aktionäre als Eigentümer der Unterneh- men in einem institutionalisierten Verfahren auch auf die Frage der Nachhaltigkeit der unternehmerischen Tätig- keit ausweitet. Wer eine aktive Bürgergesellschaft will, in der Profit nicht der allein handlungsleitende Maßstab ist, muss dies auch in Fachgesetzen wie dem Aktienrecht durchdeklinieren. Denn das Aktienrecht setzt die Spiel- regeln für unternehmerische Entscheidungen mit enor- mer Reichweite und Relevanz für unser Gemeinwesen. Ökologische und soziale Fragen dürfen dabei nicht aus- geblendet werden. Hier bleibt viel zu tun. Dafür werden wir Grünen uns auch über den jetzt anstehenden Gesetz- gebungsprozess hinaus einsetzen. Christian Lange, Parl. Staatssekretär beim Bundes- minister der Justiz und für Verbraucherschutz: Ihnen liegt heute der Gesetzentwurf einer Aktienrechtsnovelle 2014 vor. Der Titel des Gesetzentwurfs klingt beschei- den, könnte überdies bei Gelegenheit in 2015 umformu- liert werden, und er wirkt auch sehr technisch. Gleich- wohl enthält er neben vielen Klarstellungen, die in der Praxis das Leben erleichtern werden, kleine aktienrecht- liche Änderungen mit großer Wirkung. Zum einen wird der Entwurf massiver Kritik seitens der Financial Action Task Force, einer Expertengruppe der OECD zur Bekämpfung der Geldwäsche und Terror- finanzierung, nachkommen und wird eine Transparenz- lücke im Aktienrecht schließen. Diese klafft bisher mög- licherweise bei nichtbörsennotierten Gesellschaften mit Inhaberaktien, bei denen jedenfalls die Befürchtung besteht, Anteilseigner könnten sich hinter anonymen Inhaberaktien verstecken. Dies wird der Gesetzentwurf nun abstellen. Hervorzuheben ist auch eine Regelung, wonach künf- tig Wandelschuldverschreibungen von Unternehmen nicht mehr nur vom Gläubiger, sondern auch vom Schuldner, also vom Unternehmen selbst, gewandelt werden können, das heißt, dass statt Bargeld Aktien zurückgezahlt werden. Man kann sich vorstellen, wie segensreich eine solche Regelung in einer schweren Un- ternehmenskrise wirken kann, wenn Liquidität knapp oder nicht vorhanden ist. Manche wünschen sich, wir hätten eine solche Regelung bereits in der großen Finanzkrise 2008/2009 gehabt. In Richtung Finanzinsti- tute zielt auch ein Regelungsvorschlag, der es Aktienge- sellschaften ermöglichen wird, Vorzugsaktien ohne eine zwingende Nachzahlung des Vorzugs auszugeben. Das bedeutet, dass solche stimmrechtslosen Vorzugsaktien ohne Nachzahlungspflicht künftig zum regulatorischen Eigenkapital gerechnet werden können. Wenn Ihnen diese Regelungen bekannt vorkommen, dann nicht ohne Grund. Wir hatten diesen Gesetzentwurf bereits in der letzten Wahlperiode im Bundestag. Gegen Offsetdruc Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Te Ende der Legislaturperiode war aber noch eine Regelung zur zwingenden Abstimmung der Hauptversammlung über die Vergütungspolitik aufgesattelt worden, ein sogenanntes zwingendes Say on Pay. Dieses hat den Widerstand der Länder hervorgerufen, die zwei Tage vor der Bundestagswahl 2013 im zweiten Durchgang durch den Bundesrat den Vermittlungsausschuss angerufen ha- ben. Damit war der Gesetzentwurf der Diskontinuität verfallen. Die umstrittene Regelung zu einem solchen zwingen- den Say on Pay findet sich dieses Mal nicht im Entwurf. Das hat folgenden Hintergrund: Zwar enthält die Koali- tionsvereinbarung zur 18. Wahlperiode eine Formulie- rung, die genau auf eine solche Regelung zu einem zwingenden Hauptversammlungsvotum über die Vergü- tungspolitik hindeutet. Allerdings erschien es nicht opportun, dies in die Aktienrechtsnovelle aufzunehmen. In Brüssel wird derzeit die Änderung der Aktionärsrech- terichtlinie verhandelt, die verschiedene Vorschriften zur Vergütungspolitik und zu einem Hauptversammlungsbe- schluss darüber zum Gegenstand hat, weshalb wir dieser Richtlinie nicht vorgreifen wollen. Sie wird vermutlich in diesem Jahr verabschiedet werden und dann binnen zwei Jahren umzusetzen sein. Im Übrigen war die Ak- tienrechtsnovelle in der letzten Wahlperiode bereits durch Anhörungen im Rechtsausschuss des Deutschen Bundestages hinreichend erörtert worden, und die allge- meine Meinung war, dass dieser Entwurf nun dringend verabschiedet werden sollte und dass alle auf ihn warten. Der Bundesrat hat zu dem neu eingebrachten Entwurf im ersten Durchgang einige Änderungsvorschläge ge- macht. Zum Beispiel hat er vorgeschlagen, dass es in Zu- kunft stimmrechtslose Aktien ohne Möglichkeit des Wiederauflebens des Stimmrechts geben solle. Nach gel- tendem Aktienrecht lebt das Stimmrecht auf, wenn der Dividendenvorzug nicht bezahlt wird. Stimmrechtsak- tien mit einem vollständigen Ausschluss des Stimm- rechts möchten wir nicht befürworten. Die stimmrechts- lose Vorzugsaktie ist im deutschen aktienrechtlichen System relativ nah an der Stammaktie angesiedelt, der Vorzugsaktionär ist mehr Aktionär als bloßer Darlehens- geber. Es ist daher fair und richtig, das Stimmrecht aufle- ben zu lassen, wenn keine Vorzugsdividende mehr be- zahlt wird, sodass der Vorzugsaktionär dann Einfluss nehmen kann. In einem Punkt hat die Bundesregierung zu einer Prüfbitte des Bundesrates allerdings positiv votiert: Der Bundesrat bat um Prüfung, ob im laufenden Verfahren noch eine Regelung zum Delisting eingeführt werden könne, das heißt zum Rückzug einer Publikumsgesell- schaft von der Börse. Dies ist eine rechtlich und öko- nomisch komplexe Frage, die durch eine grundlegende Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung in jüngster Zeit ausgelöst worden ist. Wir stehen der Dis- kussion dieser Frage im weiteren parlamentarischen Ver- fahren aufgeschlossen gegenüber. kerei, Bessemerstraße 83–91, 1 lefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 22 97. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 20 EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, Georgien, Moldau TOP 4 Verbindliche politische Regeln im Sport TOP 3 Förderung der Medienkompetenz TOP 26 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 27, ZP 2 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 3 Aktuelle Stunde zu Vorschlägen zur CO2-Reduzierung und Kraftwärmekopplung TOP 6 Bundeswehreinsatz EUTM Somalia TOP 7 Sozial- und Erziehungsberufe TOP 8 Eigenmittelsystem der Europäischen Union TOP 9 Waldbewirtschaftung TOP 10 EU-Richtlinie über Einlagensicherungssysteme TOP 11 Subventionen für Atomkraftwerke in der EU TOP 12 Forschung und Innovation TOP 13 Nukleare Abrüstung TOP 14 Bundesfernstraßenmautgesetz TOP 17 Bekämpfung des Hungers TOP 16 Schuldrechtsanpassungsgesetz TOP 18 Gesetz zur Bekämpfung der Korruption TOP 19 Aktienrechtsnovelle 2014 Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809700000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte einen Au-

genblick Platz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie zu
unserer heutigen Plenarsitzung und möchte Sie auf ei-
nige Änderungen unserer Tagesordnung aufmerksam
machen.

Es gibt eine interfraktionelle Vereinbarung, die Tages-
ordnung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten
Punkte zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
DIE LINKE:

Tarifkonflikt bei der Deutschen Post AG
durch Ausgliederung


(siehe 96. Sitzung)


ZP 2 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache


(Ergänzung zu TOP 27)


a) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 170 zu Petitionen

Drucksache 18/4440

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 171 zu Petitionen

Drucksache 18/4441

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 172 zu Petitionen

Drucksache 18/4442

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 173 zu Petitionen

Drucksache 18/4443
e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 174 zu Petitionen
Drucksache 18/4444

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 175 zu Petitionen
Drucksache 18/4445

ZP 3 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:
Haltung der Bundesregierung zu den Vor-
schlägen des Bundeswirtschaftsministers zur
Reduzierung des CO2-Ausstoßes bei Kohle-
kraftwerken und zur Förderung der Kraft-
Wärme-Kopplung

ZP 4 a) – Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Einführung ei-
ner Infrastrukturabgabe für die Benut-
zung von Bundesfernstraßen
Drucksache 18/3990
Beschlussempfehlung und Bericht des
Ausschusses für Verkehr und digitale In-
frastruktur (15. Ausschuss)

Drucksache 18/4455


(8. Ausschuss)

Drucksache 18/4459

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Verkehr und di-
gitale Infrastruktur (15. Ausschuss) zu dem
Antrag der Abgeordneten Herbert Behrens,
Sabine Leidig, Thomas Lutze, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion DIE LINKE

Keine Einführung einer Pkw-Maut in
Deutschland

Drucksachen 18/806, 18/4455





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

c) – Zweite und dritte Beratung des von der
Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Zweiten Verkehrsteuer-
änderungsgesetzes (VerkehrStÄndG 2)


Drucksache 18/3991

Beschlussempfehlung und Bericht des
Finanzausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/4448


(8. Ausschuss)


Drucksache 18/4458

Dabei soll, soweit erforderlich, wie üblich von der
Frist für den Beginn der Beratungen abgewichen wer-
den.

Die Tagesordnungspunkte 5 – hier geht es um den Be-
richt der Bundesregierung über die deutsche humanitäre
Hilfe im Ausland – und 15 – da geht es um die Beratung
eines Antrags über eine Entscheidung des Bundessozial-
gerichts im Hinblick auf die Kürzung der Grundsiche-
rung – werden abgesetzt.

Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkt-
liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.

Ich frage Sie, ob Sie mit diesen Vereinbarungen ein-
verstanden sind? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann
können wir so verfahren.

Bevor wir in diese Tagesordnung eintreten, möchte
ich Sie bitten, sich von Ihren Plätzen zu erheben.


(Die Anwesenden erheben sich)


Liebe Kolleginnen und Kollegen! Verehrte Gäste! Mit
jähem Entsetzen und tiefer Trauer haben wir die Nach-
richt vom verheerenden Flugzeugabsturz in den Alpen
erhalten. Es ist eine menschliche Tragödie, die Deutsch-
land, Spanien und Frankreich in Schock und Schmerz
eint. Unter den 150 Opfern sind viele Menschen aus
Deutschland und Spanien, darunter auch viele junge
Menschen, sehr junge Menschen: 16 Schüler und Schü-
lerinnen und zwei Lehrerinnen eines Gymnasiums der
Stadt Haltern sind unter den Toten.

Jeder von uns hat eine Vorstellung, was eine solche
Nachricht für die eigene Familie oder den eigenen
Freundeskreis bedeuten würde. Wir trauern mit den An-
gehörigen der Opfer und ihren Freunden. Und wir spre-
chen ihnen allen unser tiefes Mitgefühl aus.

Deutschland hat nach diesem Unglück viel internatio-
nale Anteilnahme erfahren: aus Frankreich, aus Spanien,
aus vielen anderen Ländern. „Heute sind wir alle Deut-
sche und Spanier“, hat mir die portugiesische Parla-
mentspräsidentin geschrieben. Für diese Zeichen des
Mitgefühls in einer für uns alle besonders bitteren
Stunde sind wir dankbar.

Dankbar sind wir auch den Mitgliedern der Rettungs-
und Bergungsmannschaften, mehr als 600 Einsatzkräfte,
die unter schwierigsten Umständen an der Unglücks-
stelle arbeiten und das ihnen Menschenmögliche tun.
Die Frage nach dem Grund für den Absturz ist natur-
gemäß noch unbeantwortet und wird sich vielleicht auch
nicht so bald verlässlich klären lassen. Aber selbst wenn
wir die Antwort wissen, wird das für die Betroffenen
kein Trost sein. Der Schmerz über den Verlust bleibt.
Deshalb gilt ein besonderer Dank und Respekt all denen,
die den Hinterbliebenen in diesen Stunden voller Ver-
zweiflung nun zur Seite stehen – in Barcelona wie in
Düsseldorf, in Haltern am See und in Seyne-les-Alpes in
den französischen Alpen.

Die Angehörigen der Opfer erleben jetzt eine unbe-
schreiblich schwere Zeit. Wir sind in unseren Gedanken
bei ihnen und fühlen uns ihnen in einer ganz besonderen
Weise verbunden. Und wir wünschen ihnen die Kraft
und die Zuversicht, diese schwere Herausforderung zu
bewältigen.

Ich danke Ihnen.


(Die Anwesenden nehmen wieder Platz)


Ich rufe nun unsere Tagesordnungspunkte 20 a bis
20 c auf:

a) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungs-
abkommen vom 21. März 2014 und vom
27. Juni 2014 zwischen der Europäischen
Union und der Europäischen Atomgemein-
schaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits
und der Ukraine andererseits

Drucksache 18/3693 (neu)


Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)


Drucksache 18/4352

b) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Assoziierungs-
abkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der
Europäischen Union und der Europäischen
Atomgemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten
einerseits und Georgien andererseits

Drucksache 18/3694

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)


Drucksache 18/4353

c) Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von
der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs ei-
nes Gesetzes zu dem Assoziierungsabkommen
vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen
Union und der Europäischen Atomgemein-
schaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits
und der Republik Moldau andererseits

Drucksache 18/3695

Beschlussempfehlung und Bericht des Auswärti-
gen Ausschusses (3. Ausschuss)


Drucksache 18/4354





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Zu diesem Tagesordnungspunkt darf ich die Botschaf-
ter und hochrangige Vertreter aus allen drei Ländern,
auch den Botschafter Spaniens, auf der Ehrentribüne
herzlich begrüßen.

Mein ganz besonders herzlicher Gruß gilt dem Präsi-
denten des ukrainischen Parlaments und seiner Dele-
gation.


(Beifall)


Sehr geehrter, lieber Herr Groysman, uns allen ist der
enge Zusammenhang bewusst zwischen den Verhand-
lungen über die Assoziierung mit der Europäischen
Union und den Freiheitskämpfen auf dem Maidan. Ihre
Anwesenheit heute unterstreicht die überragende Bedeu-
tung, die Sie und das frei gewählte Parlament der
Ukraine der europäischen Perspektive Ihres Landes bei-
messen. Wir freuen uns auf die künftige enge Zusam-
menarbeit zwischen unseren Ländern und unseren Parla-
menten, und wir wünschen Ihnen viel Kraft und Erfolg
auf diesem nicht ganz einfachen Weg.

Herzlich willkommen!


(Beifall)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache zu diesen Abkommen 60 Minuten vorge-
sehen. – Ich höre dazu keinen Widerspruch. Also können
wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-
nächst dem Bundesminister des Auswärtigen, Frank-
Walter Steinmeier.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die Europäische Union steht jetzt vor dem Ab-
schluss dreier Assoziierungsabkommen mit Ländern in
ihrer östlichen Nachbarschaft: mit Georgien, mit der Re-
publik Moldau und mit der Ukraine. Die Abkommen
sind wichtig. Sie sind wichtig für unsere Nachbarn, aber
nicht weniger wichtig für Europa und unser Verhältnis
zur europäischen Nachbarschaft.

Wohl kaum ein Abkommen der EU hat so viel inter-
nationale Aufmerksamkeit erfahren wie das zwischen
der EU und der Ukraine. Bei unserer heutigen Debatte
im Deutschen Bundestag – der Bundestagspräsident hat
gerade darauf hingewiesen – ist eine Delegation der
ukrainischen Rada zu Gast. Verehrter Herr Parlaments-
präsident, lieber Volodymyr Groysman, liebe Kollegin-
nen und Kollegen aus dem ukrainischen Parlament
– dasselbe will ich für die anwesenden Botschafter der
Ukraine, Georgiens und der Republik Moldau sagen –,
seien Sie uns alle herzlich willkommen!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Aufmerksamkeit, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, von der ich sprach, rührt natürlich zuallererst daher,
dass sich große Hoffnungen auf diese Abkommen rich-
ten, über die wir jetzt entscheiden: die Hoffnungen der
Menschen in der Ukraine zum Beispiel auf Wachstum
und Arbeit nach langer Stagnation, auf eine moderne
und transparente Demokratie nach Korruption und nach
Misswirtschaft, die Hoffnung auf eine bessere Zukunft.
Es hat lange gedauert, bis die Verhandlungen überhaupt
eröffnet wurden. Dann wurde sechs Jahre lang zwischen
der Europäischen Union und der ukrainischen Führung
verhandelt, dann die Kehrtwende unter Janukowytsch
– wir erinnern uns alle –, und jetzt hat die ukrainische
Regierung durch ihre Zustimmung zum Assoziierungs-
abkommen besiegelt, dass sie gemeinsam mit der Euro-
päischen Union an dieser besseren Zukunft arbeiten will.
Nun ist es an den Staaten der Europäischen Union, ihre
Seite des Versprechens zu bekräftigen. Darum, liebe
Kolleginnen und Kollegen, werbe ich heute um Ihre
möglichst breite Zustimmung in diesem Deutschen Bun-
destag.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Aufmerksamkeit für dieses Abkommen ist aber
natürlich auch deshalb so groß, weil es im Zusammen-
hang steht mit einer dramatischen politischen Krise, die
seit über einem Jahr nicht nur die Ukraine überschattet,
sondern die Friedensordnung, wenn ich das so sagen
darf, in ganz Europa. Gerade jetzt, wo wir vor dem Ab-
schluss dieser drei Abkommen stehen, gilt es, deutlich
zu sagen: Nicht die Intensivierung einer Partnerschaft ist
die Ursache für die Zuspitzung des Konflikts, sondern
Russlands völkerrechtswidrige Annexion der Krim und
die Destabilisierung der Ostukraine. Nicht der Weg der
Kooperation hat uns in die Krise geführt, sondern der
Weg der Konfrontation. Und weitere Konfrontation führt
uns nicht hinaus, sondern weiter hinein in diesen Kon-
flikt, und deshalb müssen wir sie vermeiden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb sage ich immer wieder, auch gerne heute er-
neut und auch gerade an unsere russischen Nachbarn:
Die Nachbarschaftspolitik der EU ist gegen niemanden
gerichtet.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Genau!)


Wir wollen eine gute Zusammenarbeit nicht nur mit un-
seren Nachbarn, sondern auch mit den Nachbarn unserer
Nachbarn. Alle 28 europäischen Außenminister haben
das kürzlich in Riga deutlich zum Ausdruck gebracht.
Vor allem ist es unsere gemeinsame Überzeugung hier in
Deutschland, in der Regierung und sicherlich auch im
Parlament. Auch deshalb sind wir so sehr um eine politi-
sche und nicht um eine militärische Lösung des Ukraine-
Konflikts bemüht. Ich hoffe, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, dass sie gelingt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)

Eigentlich haben wir seit über 40 Jahren eine Grund-
lage, die es uns ermöglicht, die Vorgänge zu beurteilen.

Kraft des Prinzips der Gleichberechtigung

– darf ich zitieren –

und des Selbstbestimmungsrechts der Völker haben
alle Völker jederzeit das Recht, in voller Freiheit …
ihren inneren und äußeren politischen Status ohne
äußere Einmischung zu bestimmen …

So heißt es wortwörtlich in der KSZE-Schlussakte
von 1975, die mit der Zustimmung Russlands zustande
gekommen ist. Deshalb sage ich: Nur auf dieser gemein-
samen Basis können wir den akuten Konflikt entschär-
fen, entlang der konkreten Vereinbarung des Minsker
Abkommens. Nur so kann die Basis für eine neue Zu-
kunft unserer Beziehungen auch mit Russland geschaf-
fen werden. Am Bemühen unsererseits wird und darf es
auch nach Enttäuschungen und nach Rückschlägen nicht
fehlen, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber zurück zu den Assoziierungsabkommen. Diese
drei Assoziierungsabkommen stellen die Beziehungen
der Europäischen Union zu Georgien, Moldau und der
Ukraine wirklich auf eine neue Stufe. Sie werden zu ei-
nem völlig neuen Grad an politischer Zusammenarbeit
und wirtschaftlicher Verflechtung führen. Aber nicht nur
das; die Abkommen bringen für unsere drei Partnerlän-
der auch große Aufgaben mit sich, an deren Erfüllung in
den kommenden Jahren zu arbeiten sein wird. Das wird
mühsam, keine Frage. Der Prozess der Assoziierung ver-
langt von der Ukraine, von Georgien und von der Repu-
blik Moldau tiefgreifende politische, wirtschaftliche und
gesellschaftliche Reformen. Aber ich weiß eben auch:
Die Hoffnungen, die die Menschen in diesen Prozess le-
gen – diese Hoffnungen setzen auch Kräfte frei. Das
können wir jetzt schon in einigen der Länder sehen.

Die Republik Moldau hat im letzten Jahr den Visa-
liberalisierungsprozess geradezu in Rekordzeit abge-
schlossen.

Georgien hat Justiz, Verwaltung und Grenzmanage-
ment in bemerkenswerter Weise modernisiert.

Und die Ukraine ist trotz des Konfliktes im eigenen
Land zu Reformen bereit, sei es im Energiebereich oder
bei der Korruptionsbekämpfung. Präsident Groysman
hat mir gegenüber, aber, wie ich vermute, auch gestern
im Auswärtigen Ausschuss den Fahrplan für die Refor-
men noch einmal erläutert. Wir wollen nicht vergessen:
Schon Ende 2014 wurde ein erstes Reformgesetzpaket
verabschiedet.

Meine Damen und Herren, wir haben Interesse an
dem Weg der Reformen – als Europäische Union und als
deutsche Bundesregierung. Vor allen Dingen ist das al-
lerdings im Interesse der drei Länder selbst. Deshalb
wünsche ich Ihnen – das sage ich den drei Botschaftern
und den anwesenden Parlamentsvertretern –, dass Ihnen
die notwendige politische Unterstützung in Ihren Län-
dern nicht versagt bleibt. Denn eines bleibt am Ende
auch wahr: Wir können diesen Reformprozess vonseiten
der deutschen Regierung und der Europäischen Union
unterstützen und werden das auch tun, aber getrieben
werden muss er vom politischen Willen in den drei Län-
dern selbst.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn der Weg gelingt, meine Damen und Herren,
dann können diese drei Assoziierungsabkommen auch
über die Partnerländer hinaus Wirkung entfalten. Auch
unseren drei anderen östlichen Partnern Armenien, Aser-
baidschan und Belarus, die keine Assoziierung mit der
EU anstreben, wollen wir mit individuellen Angeboten
gerecht werden. Auch in diesem Fall will ich betonen:
Die Hand, die wir Armenien, Aserbaidschan und Belarus
reichen, ist zugleich auch in Richtung Russland ausge-
streckt. Denn die Europäische Union will nicht nur
starke Einzelbindungen; wir wollen eine gute, stabile
Nachbarschaft in und mit der gesamten Region. Das
wird auch der Leitgedanke auf dem Gipfel der Östlichen
Partnerschaft in Riga sein. Größtmögliche Stabilität und
Kooperation in einem möglichst großen Raum – daran
ist uns allen gelegen: der EU, unseren östlichen Nach-
barn und hoffentlich Russland auch.

Ich bin jedenfalls überzeugt: Die Aufgaben, die vor
unseren Nachbarn liegen, lassen sich ohnehin nicht lö-
sen, wenn sie vor die Wahl zwischen Ost und West ge-
stellt werden. Auch der Wiederaufbau der Ukraine wird
nicht auf einem Bein gelingen – so dringend notwendig
die Unterstützung des Westens auch sein wird. Eine bes-
sere Zukunft für unsere Nachbarn liegt nicht im Entwe-
der-oder, sondern im Sowohl-als-auch. Deshalb unter-
stützen wir als deutsche Bundesregierung nachdrücklich
die trilateralen Gespräche zwischen der Ukraine, Russ-
land und der EU. Wenn nach Auslaufen des augenblick-
lich noch geltenden Moratoriums zum Jahresende die
Streitigkeiten über Handelsbeziehungen und Vereinbar-
keit von Handelsregelungen nicht erneut aufbrechen
sollen, dann rate ich – auch der Europäischen Kommis-
sion – dringend dazu, den Trilog endlich fortzusetzen
und die Gespräche nicht weiter zu vertragen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Ende. Die Lage ist ernst. Europas
Friedensordnung ist ins Wanken geraten. Jetzt geht es
um Verantwortung, die wir, die Staaten der EU, unsere
Nachbarn und auch Russland tragen. Die drei Abkom-
men, die vor uns liegen, können einen Beitrag zu Euro-
pas Friedensordnung sein. In dieser Verantwortung wol-
len wir nicht nur hier über sie abstimmen und sie
unterzeichnen, sondern vor allen Dingen wollen und
müssen wir sie in den kommenden Jahren mit Leben er-
füllen.

Herzlichen Dank.





Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809700100

Das Wort erhält nun der Kollege Andrej Hunko für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809700200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Au-

ßenminister! Der renommierte US-amerikanische Polito-
loge John Mearsheimer hat in seinem viel beachteten
Aufsatz „Putin reagiert“ die Verantwortung für den Kon-
flikt in der Ukraine vor allen Dingen dem Westen zuge-
schoben. Er benennt zwei zentrale Gründe dafür: erstens
die NATO-Osterweiterung, zweitens die EU-Osterweite-
rung. Diese Assoziierungsabkommen, die wir heute dis-
kutieren, sind Teil dieser Osterweiterung.

Herr Steinmeier, Sie sagen, es dürfe kein Entweder-
oder geben. Die Geschichte des Jahres 2014 hat aber ge-
zeigt, dass dieses EU-Assoziierungsabkommen mit der
Ukraine als Entweder-oder angelegt war. So hat es auch
Kommissionspräsident Barroso gesagt. Wir lehnen das
Entweder-oder ab, und wir lehnen deshalb auch dieses
EU-Assoziierungsabkommen ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Die drei Assoziierungsabkommen haben zwei Dimen-
sionen: einmal – das ist der größere Teil – eine wirtschafts-
politische Dimension, aber auch eine sicherheitspolitische,
eine militärische Dimension. In allen Abkommen ist die
tiefere Integration dieser Staaten in das europäische Si-
cherheitssystem angelegt. Auch das ist ein Problem, und
das ist eine der Sorgen, die auch Russland in diesem Fall
hatte.

Aber die wichtigere und auch größere Dimension ist
die wirtschaftspolitische Dimension. Es geht nicht nur
um Ost gegen West, EU oder Russland, sondern es geht
auch darum, dass diese Abkommen, wirtschaftspolitisch
betrachtet, radikal neoliberale Abkommen sind. Es gibt
dort ganz viele Bekenntnisse zur freien Marktwirtschaft,
etwa in der Präambel. Aber vergeblich sucht man in die-
sen Abkommen nach Bekenntnissen etwa zur sozialen
Marktwirtschaft oder nach einem Bezug auf das europäi-
sche Sozialstaatsmodell, das ja auch ein Kern europäi-
scher Werte ist. Wir lehnen diese radikal neoliberalen
Abkommen ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Im Kontext der Installierung dieser Abkommen, zum
Beispiel in der Ukraine, sind ja schon viele Reformen
eingefordert worden, zum Beispiel die drastische Erhö-
hung der Gas- und Strompreise oder der Wasserpreise
für Privathaushalte. Der Tagesspiegel beziffert die
durchschnittliche Erhöhung der Kosten für einen Zwei-
personenhaushalt in der Ukraine, die zum 1. April 2015
in Kraft treten soll, auf 88 Prozent. Am 1. April dieses
Jahr! Die WirtschaftsWoche schreibt dazu – ich zitiere –:
Den Ukrainern bleibt nicht mehr viel zum Leben.
Während es der Bevölkerung immer schlechter
geht, können Oligarchen wie Staatspräsident Petro
Poroschenko nicht klagen. Die Gewinne seiner
Schokoladenfabriken haben sich verachtfacht.
Auch seinen Freunden und Rivalen geht es nicht
schlecht. Die Oligarchen kontrollieren das Banken-
system, die Stromversorgung und die Ölgesell-
schaften des Landes.

Wir haben vor wenigen Tagen gesehen, dass auch
einzelne Oligarchen wie Kolomojskyj Privatarmeen
haben, die sie einsetzen. Das darf nicht sein. Auch im
Zuge der Diskussion um das Assoziierungsabkommen
müssen diese Privatarmeen aufgelöst werden, ebenso
wie die freiwilligen Bataillone, die ja auch zum Teil
von Kolomojskyj finanziert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Erinnern wir uns einmal an die dramatische Entwick-
lung in der Ukraine: das Assoziierungsabkommen, die
blutigen Unruhen auf dem Maidan, der verfassungswid-
rige Umsturz, die Gegenbewegung, die Sezession der
Krim, der Krieg im Osten, der Versuch, das militärisch
zu lösen, und natürlich die Reaktion Russlands – ich will
das ja nicht verschweigen. All das, glaube ich, sollte uns
einmal innehalten und überlegen lassen, ob wir nicht
eine andere Ostpolitik anvisieren sollen, eine Ostpolitik,
die nicht auf Konfrontation mit Russland setzt, und die
vor allen Dingen wirtschaftspolitisch auf Entwicklung,
auf Kooperation und nicht auf neoliberale Abkommen
setzt. Ich glaube, eine solche Ostpolitik wäre dringend
notwendig. Ich fordere Sie auf, eine solche Debatte in
der Europäischen Union anzustoßen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809700300

Franz Josef Jung ist der nächste Redner für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1809700400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zunächst eine
Vorbemerkung: Herr Hunko, ich will das, was Sie hier
gerade eben als Schuldzuweisung an den Westen, was
die Frage der Konfliktsituation in der Ukraine anbelangt,
gesagt haben, mit allem Nachdruck zurückweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Assoziierungsabkommen, die hier heute zur Ab-
stimmung stehen, sind ein deutliches Signal an die frei-
heitsliebenden, an die europäisch gesinnten Menschen in
der Ukraine, in Moldau und in Georgien. Deshalb wer-
den wir diesen Assoziierungsabkommen auch zustim-
men.





Dr. Franz Josef Jung


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit der Ratifizie-
rung dieser drei Assoziierungsabkommen treffen wir
heute, denke ich, auch eine historische Entscheidung. Es
geht um die Stärkung der politischen, der wirtschaftli-
chen und der kulturellen Beziehungen zwischen der Eu-
ropäischen Union, der Ukraine, Georgien und der Repu-
blik Moldau. Und, meine Damen und Herren, es ist ein
selbstbestimmter Weg, den diese Nationen hier im Hin-
blick auf Europa gewählt haben. Der Bundesaußen-
minister hat darauf hingewiesen – das ist die Grundlage
der Vereinbarungen der KSZE –: Es geht um die Selbst-
bestimmung der Völker. Und wenn die Völker hier eine
klare Entscheidung für Europa treffen, dann sollten wir
diese Entscheidung heute mit Nachdruck unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht auch um gleichberechtigte Beziehungen zu
diesen Nationen, die ehemals in den Machtbereich der
Sowjetunion gehört haben. Damit verbunden ist nicht
nur der zollfreie Zugang zu den Märkten der Europäi-
schen Union, sondern auch die Übernahme der rechtli-
chen und wirtschaftlichen Standards der Europäischen
Union. Ich denke, wir als Deutsche, aber auch als Euro-
päer übernehmen eine große Mitverantwortung, damit
dieser Weg der schrittweisen Annäherung an Europa ein
Erfolg wird.

Meine Damen und Herren, insofern sind diese drei
Abkommen der Europäischen Union mit Ländern außer-
halb der Europäischen Union auch ein Stück weit einzig-
artig.

Das Schlüsselland in diesem Prozess ist die Ukraine.
Deshalb müssen wir, wie ich denke, uns immer wieder
daran erinnern, dass die Aussetzung dieses Abkommens
durch den damaligen ukrainischen Präsidenten Wiktor
Janukowytsch zu den Maidan-Demonstrationen geführt
hat, bei denen sich Tausende Menschen in bitterer Kälte
für Freiheit, für Demokratie, für Europa eingesetzt haben
und Hunderte ihr Leben verloren haben. Wir dürfen
diese Menschen nicht im Stich lassen und müssen heute
in diesem Sinne eine positive Entscheidung für Freiheit
und Europa treffen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, leider ist
auch wahr, dass Russland bisher alles getan hat, um den
Prozess der Annäherung an die EU in diesen Ländern zu
erschweren. Es geht jetzt in der Ukraine darum, dass das
Abkommen Minsk II in allen Teilen entsprechend umge-
setzt wird. Diese Assoziierungsabkommen – das will ich
ebenfalls unterstreichen – richten sich gerade nicht ge-
gen Russland. Vielmehr geht es um eine engere Ver-
knüpfung der Wirtschaftsräume. Hierbei bleibt die Hand
nach Russland ausgestreckt. Es gibt die Vereinbarung
zwischen der Europäischen Union, der Ukraine und
Russland, den wirtschaftlichen Teil des Abkommens bis
zum Ende dieses Jahres auszusetzen.

Ich denke aber, es ist auch richtig – hier will ich auf
das verweisen, was die Bundeskanzlerin auf dem Wirt-
schaftsgipfel in Davos formuliert hat –, dass wir einen
gemeinsamen Wirtschaftsraum mit Russland von Lissa-
bon bis Wladiwostok anstreben. Aber dazu gehören im-
mer zwei Seiten. Deshalb sage ich: Es geht hier nicht um
ein Entweder-oder, sondern um ein Sowohl-als-auch.
Unsere Hand bleibt weiterhin ausgestreckt. Es ist kein
Signal gegen Russland, sondern es ist ein Signal für
Freiheit und Europa, aber auch für eine Zukunftsper-
spektive in Europa und darüber hinaus. Deshalb, glaube
ich, sind diese drei Abkommen so einzigartig und wich-
tig. Aus diesem Grund sollten wir ihnen heute auch zu-
stimmen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nachdem ich das mit Blick auf Russland so formu-
liert habe, will ich noch einmal unterstreichen: Das Ab-
kommen Minsk II muss in all seinen Teilen eingehalten
werden. Das gilt insbesondere für den Waffenstillstand,
der bisher nicht in allen Bereichen gewährleistet ist.
Zwar wissen wir: Es gibt eine Strecke von immerhin
500 Kilometern, auf der die Waffen im Wesentlichen
schweigen. Aber es kommt immer wieder zu Auseinan-
dersetzungen, die zu beenden sind. Es geht auch um den
Rückzug der schweren Waffen und insbesondere um die
Gewährleistung der Kontrolle durch die OSZE. Die Se-
paratisten müssen sicherstellen, dass die OSZE die un-
mittelbare Kontrolle hat, damit es zu einer friedlichen
Entwicklung kommt. Wir wollen damit natürlich auch
den Reformprozess beschleunigen.

Besonders unterstreichen will ich das, was das ukrai-
nische Parlament, die Abgeordneten und Präsident
Groysman, bereits beschlossen hat. Es sind schon Refor-
men auf den Weg gebracht worden. Jetzt geht es in der
Ukraine darum, dass die Reformen, die beschlossen wor-
den sind, in der Verwaltung umgesetzt werden, damit die
Menschen spüren, dass sich etwas verbessert. Es geht
nicht nur darum, Gesetze zu beschließen, sondern sie
müssen auch ihre Umsetzung finden. Das ist, glaube ich,
ein wichtiger Schritt, bei dem wir der Ukraine helfen
müssen, damit sich die Situation vor Ort konkret verbes-
sert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Meine Damen und Herren, vorrangig geht es um die
wirkungsvolle Bekämpfung der Korruption, eine Re-
form des Justizsystems, die Gewährleistung einer funk-
tionierenden Verwaltung und eine Verfassungsreform
mit dem Ziel der Dezentralisierung. Hierbei sollen die
Regionen eingebunden werden. Ich halte es für richtig,
dass die Macht der Oligarchen zurückgedrängt wird. Die
Oligarchen haben in diesem Staat immer noch viel zu
viel politischen Einfluss.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE Dr. Franz Josef Jung LINKE] – Andrej Hunko [DIE LINKE]: Und was bringt da dieses Abkommen?)





(A) (C)


(D)(B)


Dass Präsident Poroschenko dafür gesorgt hat, dass der
Oligarch Kolomojskyj als Gouverneur abgesetzt wird,
halte ich für ein Signal in die richtige Richtung. Die
Macht der Oligarchen in der Ukraine muss zur Verbesse-
rung der Situation der Menschen vor Ort zurückgedrängt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, ich denke, dass sich die
Menschen in der Ukraine vom politischen Wandel eine
sichtbare Verbesserung erhoffen. Wir stehen an ihrer
Seite, wenn es darum geht, diese Reformprozesse kon-
kret umzusetzen. Wir sollten unsere Leistungen mit den
Reformanstrengungen der Ukraine verbinden, um so zu
einer schnelleren Verbesserung der Situation vor Ort bei-
zutragen.

Das, was für die Ukraine gilt, gilt im Hinblick auf die
europäische Anbindung auch für Moldau und Georgien.
Diese Länder der Östlichen Partnerschaft verdienen
ebenfalls unsere Unterstützung. Moldau ist nach dem
letzten Regierungswechsel, bei dem es zu einer Minder-
heitsregierung gekommen ist, in keiner einfachen Situa-
tion. Ich glaube, in diesem Zusammenhang ist es richtig,
das Assoziierungsabkommen hier und heute zu ratifizie-
ren, um auch dort den Prozess in Richtung von Freiheit,
Europa und unseren gemeinsamen Werten weiter zu för-
dern und zu unterstützen.

Seit der Rosenrevolution hat Georgien seine Bezie-
hungen zur Europäischen Union kontinuierlich ausge-
baut. Tiflis hat fortlaufend an Reformen in Politik und
Wirtschaft gearbeitet, die von der Europäischen Union
im Rahmen der Östlichen Partnerschaft unterstützt wor-
den sind. Georgien wird mit dem Abkommen weiter in
den Binnenmarkt integriert. Weiteren Fortschritten im
Bereich der Justiz und auf den Gebieten von Freiheit und
Sicherheit wird der Weg geebnet.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesen
drei Assoziierungsabkommen haben wir die Chance, den
drei Ländern eine Perspektive im Hinblick auf Europa zu
eröffnen. Wir müssen allerdings feststellen: Wir beraten
diese drei Abkommen in einer besonderen Situation. Ich
unterstreiche: Wenn diese Länder – die Ukraine, Moldau
und Georgien – sich in freier Selbstbestimmung enger an
die Europäische Union binden wollen, wenn sie unsere
Werte teilen wollen, wenn sie die Lebenssituation der
Menschen vor Ort verbessern wollen, wenn sie damit
auch Europa politisch stabiler machen wollen, dann soll-
ten wir heute mit möglichst breiter Mehrheit diesen drei
Assoziierungsabkommen für eine freiheitliche, für eine
demokratische, für eine europäische Entwicklung in der
Ukraine, in Moldau und in Georgien zustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809700500

Das Wort erhält nun der Kollege Manuel Sarrazin für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809700600

Sehr verehrter Präsident! Sehr verehrte Herren Präsi-

denten! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Nach 1989
haben wir Europäerinnen und Europäer das große, das
einmalige Glück gehabt, dass eine solche Umwälzung
der Welt für uns, die wir jetzt in der Europäischen Union
sind, fast komplett friedlich abgelaufen ist – fast kom-
plett friedlich: Die Toten von Vilnius werden wir näm-
lich auch nicht vergessen.

Das Glück, bei einer solchen Umwälzung für Stabili-
tät in unserer Nachbarschaft sorgen zu können, die es
vorher nicht gegeben hat, dieses Glück verdanken wir ei-
nem Konzept der Europäischen Union, das da lautet: Wir
wollen Transformation durch Werte. Dazu gehören: De-
mokratie, freier Markt, Rechtsstaatlichkeit. Dieses Kon-
zept ist die Grundlage für die Beziehungen der Europäi-
schen Union zu ihrer Nachbarschaft, und es ist – daran
wird sich trotz allen Unterstellungen vom Kreml und
von sonst wo nichts ändern – richtig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Dieses Konzept baut darauf, dass wir Frieden und Stabi-
lität in unserer Nachbarschaft haben werden, wenn wir
Anreize schaffen für Transformation in diesen Ländern:
Transformation, die aufhört mit Oligarchie, Transforma-
tion, die den Zustand beendet, dass mit der Ökologie und
der sozialen Situation der Menschen im Land schlecht
umgegangen wird. Diese Transformation soll die Men-
schen ermächtigen, über die Zukunft ihrer Länder selber
zu entscheiden.

Herr Hunko, auf dieses Konzept hat der Kreml keine
andere Antwort als Militär. Das können Sie doch nicht
verteidigen! Stehen Sie – bei aller Kritik, die ich Ihnen
zubillige – ein für das friedliche Konzept der Europäi-
schen Union!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Im Januar 2007 lag das Verhandlungsmandat des Eu-
ropäischen Rates vor. Seit 2007 steht die Assoziierung
mit der Ukraine – übrigens als Ablösung der Partner-
schafts- und Assoziierungsabkommen, die wir mit allen
Ländern der ehemaligen Sowjetunion nach 1989 ge-
schlossen haben – auf der Tagesordnung. Zu behaupten,
das sei die Provokation gewesen, die dann sieben Jahre
später zu einem Krieg geführt hat, ist meiner Ansicht
nach schlichtweg nicht logisch.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das andere, was auch wichtig ist: Es war in der
Ukraine ein Konsens zwischen allen politischen Par-
teien, die Assoziierung mit der Europäischen Union zu
suchen. Es war in der Ukraine ein Konsens zwischen al-





Manuel Sarrazin


(A) (C)



(D)(B)

len politischen Parteien aus unterschiedlichen Gründen;
aber niemand hat jemals gesagt: Wir dürfen das wegen
Russland nicht machen. – Sogar Herr Putin wurde vor
einigen Jahren zitiert mit den Worten: Wenn die Ukraine
in die EU aufgenommen würde, hätte ich kein Problem
damit.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Was hat denn Barroso gemeint damit?)


Wenn Sie von einem Entweder-oder-Spiel reden,
möchte ich ganz deutlich sagen: Das Entweder-oder-
Spiel ist vom Kreml aufgemacht worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Die Assoziierung steht nicht dem Freihandel zwischen
der Ukraine, zwischen Moldau, zwischen Georgien und
Russland entgegen. Es ist das Konzept der Eurasischen
Wirtschaftsunion, was einer Assoziierung entgegensteht.
Den Status quo der Freundschaft der Ukraine und des
Handels der Ukraine mit Russland stellt das Assoziie-
rungsabkommen nicht infrage.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN, der CDU/CSU und der SPD)


Ich glaube, dass wir diese freie Entscheidung würdi-
gen müssen. Ich glaube, dass es an die Grundlage der
Werte der Europäischen Union ginge, wenn wir die freie
Entscheidung der Länder, über deren Assoziierung wir
heute abstimmen, ignorieren würden. Wir würden damit
an etwas rütteln, was seit 1989 eines der entscheidenden
Prinzipien war, nämlich: Ihr dürft euch in unsere Rich-
tung orientieren; aber wir verlangen von euren Ländern
Reformen im Sinne von Demokratie und Rechtsstaat-
lichkeit und natürlich auch gutnachbarschaftlichen Be-
ziehungen. Aber natürlich kann man nicht sagen: Weil
der Nachbar diese Beziehungen infrage stellt, dürft ihr
euch nicht mehr assoziieren. – Das ist ein Fehlschluss;
davon bin ich überzeugt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Ulli Nissen [SPD] – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die alte Breschnew-Doktrin!)


Ich bin der festen Überzeugung: Wir müssen alles da-
für tun, um die Ukraine und die Region zu stabilisieren.
Die Assoziierungsabkommen können ein Schritt auf die-
sem Weg sein. Sie müssen umgesetzt werden, und zwar
nach und nach in einem demokratischen und transparen-
ten Prozess im Land – nicht einfach nur von oben nach
unten. Das Gleiche gilt für Moldau und für Georgien.
Die neue Regierung in Moldau macht uns in dieser Hin-
sicht wirklich Sorgen.

Ich bin auch davon überzeugt, dass wir – früher oder
später – die Transformationskräfte in all diesen Ländern
auf der politischen Bühne nur dann wirklich entschei-
dend voranbringen können, wenn es nicht länger ein
Tabu ist, über eine EU-Perspektive für diese Länder zu
reden. Ohne eine EU-Perspektive, denke ich, werden wir
eine erfolgreiche Transformation dieser Länder nicht bis
zum letzten Schritt erreichen können.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809700700

Nächster Redner ist der Kollege Franz Thönnes für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1809700800

Herr Präsident! Werte Gäste aus Georgien, aus Mol-

dau und aus der Ukraine! Liebe Kolleginnen und Kolle-
gen! Die Entscheidungen, um die es heute geht, haben
ihre Grundlage in der seit Mai 2009 von der EU und ih-
ren Mitgliedstaaten verfolgten Politik des Auf- und Aus-
baus einer Östlichen Partnerschaft mit den Ländern
Aserbaidschan, Armenien, Georgien, Moldau, Ukraine
und Weißrussland.

Diese Partnerschaftspolitik war zentral darauf ausge-
richtet, das Alltagsleben der Menschen in diesen Län-
dern Stück für Stück zu verbessern, Wohlstand und
Lebensstandard in einem friedlichen Miteinander zu er-
höhen. Dazu gehörten die Öffnung der Märkte, politi-
sche Reformen zur Stärkung von Rechtsstaatlichkeit und
Demokratie, eine intensivere Einbindung in die Zivilge-
sellschaft, Schritte zur Angleichung von Standards in
verschiedenen Bereichen der Verwaltung und bei Fragen
in den Bereichen Energie, Umwelt- und Klimaschutz,
die Stärkung der Menschenrechte sowie die Bekämp-
fung der Krake Korruption. Mittel und Instrument soll-
ten die Assoziierungsabkommen, begleitet von umfas-
senden Freihandelsabkommen, sein.

Nun kann keiner der politisch Handelnden auf dem
europäischen Kontinent behaupten, während des knapp
fünfjährigen Prozesses jeden Tag alles richtig und nichts
falsch gemacht zu haben. Diese Feststellung ergibt sich
schon allein aus der Tatsache, dass Aserbaidschan, Ar-
menien und Weißrussland kein Assoziierungsabkommen
unterzeichnen. Aber sie ergibt sich auch aus der Tatsa-
che, dass der Weg von der Aufnahme der Verhandlungen
bis zum jetzigen Abschluss und zur Ratifikation der As-
soziierungsabkommen mit Georgien, Moldau und der
Ukraine nicht frei von Konflikten dieser Länder und der
Europäischen Union mit dem größten Nachbarn im Os-
ten, nämlich mit Russland, war.

Handelsauseinandersetzungen, gewalttätige Konflikte,
Drohungen bis hin zu kriegerischen Handlungen, der
Bruch des Völkerrechts durch Russland und der Verstoß
gegen OSZE-Prinzipien, die Drohung mit und die An-
wendung von Gewalt gegen die Ukraine haben uns in
Europa in eine Situation geführt, in der die Gefahr einer
neuen Spaltung nicht mehr irreal erscheint. In dieser Si-
tuation sind jetzt alle gehalten, Beiträge zur Deeskala-
tion – in der Praxis wie in der Rhetorik – und zur Siche-
rung des Friedens zu leisten.





Franz Thönnes


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb ist in der aktuellen Lage in Europa nach wie
vor das oberste Gebot, alles dafür zu tun, dass die Mins-
ker Vereinbarungen der vier Staats- und Regierungschefs
Frankreichs, Russlands, der Ukraine und Deutschlands
zum Waffenstillstand und zur friedlichen Konfliktlösung
Schritt für Schritt nachprüfbar umgesetzt werden, und
zwar von allen, die darin als Akteure genannt wurden –
hüben wie drüben.

Dennoch ist der heutige Tag wie der 16. September
des vergangenen Jahres, als das Europaparlament den
Assoziierungsabkommen zugestimmt hat, ein Tag der
Freude und der Perspektive – einer Perspektive, für die
sich die Menschen in den Ländern Georgien, Moldau
und der Ukraine engagiert haben, für die sie gestritten
haben, für die sie bei Wahlen gestimmt haben, einer Per-
spektive der größeren Nähe zur Europäischen Union, zu
mehr Wohlstand und mehr Freiheit. Diese Perspektive
muss nicht bedeuten, dass die bisher existierenden engen
internationalen Verbindungen und Wirtschaftsbeziehun-
gen aufgegeben werden müssen, sondern sie kann mit
dazu beitragen, zusammen von einer gemeinsamen öko-
nomischen und gesellschaftlichen Entwicklung zu profi-
tieren.

Moldau hat den Prozess der Assoziierung sehr inten-
siv mit der EU betrieben. Im Juni/Juli 2014 erfolgten
Unterzeichnung und Ratifizierung. Das Gleiche gilt für
Georgien. Seit April 2014 gilt die Visafreiheit. Dennoch
gibt es enge Beziehungen zu Russland. Es gibt die Ener-
gieabhängigkeit, die Abhängigkeit mit Blick auf den Ex-
port moldauischer landwirtschaftlicher Produkte, und
außerdem gewährleisten 600 000 bis 800 000 moldauische
Gastarbeiter in Russland 20 Prozent des moldauischen
Bruttoinlandsproduktes. Hier sind auch die russischen
Handelsrestriktionen, die wir zu Recht kritisieren, und
nicht zuletzt die offene Transnistrienfrage zu nennen.

Bei allem Bekenntnis zu Europa müssen wir dennoch
die geringe Wahlbeteiligung bei der letzten Wahl reali-
sieren und sagen: Hier gilt es, mehr gute Arbeit zu leis-
ten und für eine klare Unterstützung bei den zukünftigen
Reformen zu sorgen, damit mehr Zuspruch gewonnen
wird.

Georgien ist sehr ambitioniert, insbesondere bei der
Stärkung des Rechtsstaates und der Korruptionsbekämp-
fung. Doch auch hier gibt es Streitigkeiten innerhalb der
Regierung, die nicht gerade Stabilität vermitteln.

Meine Besuche in der Ukraine haben mir in den ver-
gangenen zwölf Monaten immer wieder deutlich ge-
zeigt, wie stark die Europabegeisterung der Menschen
ist und wie stark ihr Wille ist, nach 20 Jahren der Kor-
ruption und der Ausbeutung durch ein korruptes Staats-
wesen endlich einen guten Weg in Richtung Europa zu
gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

So geschunden das Land durch die Konfliktlage und die
kriegerische Auseinandersetzung ist, so ungebrochen ist
der breite Wunsch der Menschen, den Weg nach Europa
zu gehen.

Nun gilt es, die Herkulesaufgabe der inneren Refor-
men trotz aller äußeren Widrigkeiten zielstrebig voran-
zutreiben, und zwar mit konkreter Implementierung. An
Unterstützung soll es dabei nicht mangeln. Die Men-
schen dürfen nicht noch einmal enttäuscht werden. Denn
mit der Zustimmung des ukrainischen Parlamentes zum
Assoziierungsabkommen ist man ein Versprechen an die
Bürgerinnen und Bürger eingegangen; dafür hat die
Maidan-Bewegung monatelang gekämpft, und dafür ha-
ben Menschen ihr Leben gelassen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Herausforderungen sind enorm. Die Erwartungen
im Inneren und von außen sind groß. Auf der Agenda
stehen die konsequente Umsetzung der Beschlüsse von
Minsk, eine Verfassungsreform, der Aufbau eines
Rechtsstaates, die Wiederherstellung des staatlichen Ge-
waltmonopols – nicht zuletzt durch die Entwaffnung al-
ler staatlich nicht legitimierten Personen und Truppen –,
der Kampf gegen Korruption und die Begrenzung der
Macht der Oligarchen. Zu welchen Konflikten das füh-
ren kann, haben wir gerade bei der Entmachtung von
Kolomojskyj gesehen.

Zu nennen ist aber auch die ökonomische Realität: ein
Wirtschaftseinbruch um circa 15 Prozent in 2014,
1,2 Millionen verlorengegangene Arbeitsplätze, 2 bis
3 Millionen Menschen ohne Arbeit, 50 Euro Durch-
schnittsrente, 130 bis 160 Euro Durchschnittseinkom-
men, Steuersätze von 20 Prozent, 8 Millionen regis-
trierte Beschäftigte, 12 Millionen Rentnerinnen und
Rentner. In dieser Relation erkennt man das Spannungs-
verhältnis.

Die Finanzministerin, Frau Jaresko, sagt schon jetzt,
die 40 Milliarden US-Dollar vom IWF und von der EU
würden nicht ausreichen, und Gunter Deuber von der
Raiffeisen Bank International in Wien prognostiziert gar
einen Bedarf von 200 Milliarden US-Dollar in den kom-
menden Jahren.

Wenn man sich das Ganze anschaut, dann erkennt man:
Es geht jetzt darum, dass die Reformen die Menschen
überzeugen müssen. Es müssen gute Reformen sein, die
auch wahrnehmbar sind. Dazu gehört auch der soziale
Dialog zwischen den Gewerkschaften, den Arbeitgebern
und der Zivilgesellschaft, der in allen drei Assoziierungs-
abkommen gefordert wird. Es ist notwendig, die einzelnen
Reformschritte gemeinsam zu diskutieren und zu beraten.
Die Gespräche mit Gewerkschaftsvorsitzenden und mit
der Führung des Arbeitgeberverbandes bei meinem Be-
such in der Ukraine vor einigen Tagen haben mir deut-
lich gemacht, dass hier durchaus noch Spielraum nach
oben ist.

Wenn jetzt Finanzströme von Kiew in die Regionen
fließen, weil diese mehr Verantwortung tragen sollen,
dann müssen eine entsprechende Kontrolle und ein ent-





Franz Thönnes


(A) (C)



(D)(B)

sprechendes Monitoring stattfinden. Die neu gewählten
Kommunalpolitiker müssen dafür unsere Unterstützung
bekommen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle bleiben als Parlamentarierinnen und Parlamen-
tarier gefordert, unsere guten Kontakte in einen weite-
ren, intensivierten Erfahrungsaustausch einzubringen,
damit sich Gutes aus den genannten Assoziierungsab-
kommen entwickeln kann.

Abschließend ist auf die gemeinsame Verantwortung
für die friedliche Entwicklung in diesem gesamten geo-
grafischen Raum – nicht zuletzt aufgrund der genannten
Verflechtungen – hinzuweisen. Ich denke hier an fol-
gende Passage in der Minsker Vereinbarung der vier
Staats- und Regierungschefs:

Die Staats- und Regierungschefs bekennen sich un-
verändert zur Vision eines gemeinsamen humanitä-
ren und wirtschaftlichen Raums vom Atlantik bis
zum Pazifik auf der Grundlage der uneingeschränk-
ten Achtung des Völkerrechts und der Prinzipien
der OSZE.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809700900

Herr Kollege.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1809701000

Ich komme zum Schluss. – Deshalb gilt es, diesen

Satz zusammen mit den Assoziierungsländern, der EU
und Russland verantwortungsvoll durch gemeinsame
Dialoge umzusetzen. Dazu gehört es auch, die Bestre-
bungen zur Visaliberalisierung mit den drei Ländern,
aber auch mit Russland zu intensivieren, damit die Men-
schen sich begegnen und die vielfältigen Lebensweisen
kennenlernen können und damit Fehlinformationen und
eine falsche Informationspolitik den Frieden in Europa
nicht gefährden.

Stimmen wir dem Assoziierungsabkommen zu! Mit
Verantwortung zur Verantwortung durch Verantwortung!

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809701100

Nächster Redner ist der Kollege Wolfgang Gehrcke

für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809701200

Herr Präsident! Exzellenzen! Kolleginnen und Kolle-

gen! Man muss schon über die Ziele sprechen – verstän-
digen kann man sich nicht unbedingt –, wenn man diese
Abkommen beurteilen will. Ich möchte Ihnen die Ziele
der Linken vorstellen und begründen, weswegen wir
glauben, dass die Abkommen nicht in eine vernünftige
Richtung führen.

Unser Ziel ist nach wie vor die Verfolgung der Idee
von Michail Gorbatschow eines gemeinsamen Hauses
Europa. Dieses Ziel haben wir doch einmal zusammen
gehabt, liebe Kolleginnen und Kollegen der Sozialdemo-
kratie: das gemeinsame Haus Europa. Wir glauben und
wollen, dass in diesem gemeinsamen Haus jeder seinen
Platz findet. Es sind viele Zimmer zu vergeben. Da wer-
den auch die Bevölkerungen der Ukraine, Moldawiens
und Georgiens und die Bevölkerungen vieler anderer
Länder ihren Platz finden. Die Einrichtung des anderen
muss uns nicht gefallen und auch nicht die Art, wie er
die Feten in seinen Räumen feiert. Aber wir müssen in
einem gemeinsamen Europa zusammenleben wollen;
das muss die Zielsetzung sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben versucht, uns Gedanken darüber zu ma-
chen, ob diese drei Abkommen zu einem gemeinsamen
Haus Europa hinführen oder davon wegführen. Ich sage
Ihnen: Diese drei Abkommen vertiefen die Spaltung in
Europa. Deswegen werden wir ihnen nicht zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich meine die Spaltung zwischen oben und unten – das
kann man anhand der Abkommen nachvollziehen –, die
Spaltung zwischen Ost und West, eine Spaltung, die wir
endlich überwinden müssen, statt sie wieder zuzulassen.

Man wartet da auf Signale. Ich habe in Ihrer Rede,
Herr Jung, und auch in der Rede des Außenministers ge-
hört – die Grünen haben dazu nichts gesagt; das ist
typisch –, dass für Sie Sicherheit in Europa nur mit
Russland und nicht gegen Russland möglich sein kann.
Das haben wir Ihnen immer vorgetragen. Ich freue mich
ja, dass Sie auch etwas von der Linken lernen. Von uns
kann man viel lernen, wenn man genau hinhört.

Fragen Sie doch einmal, ob Ihre Politik in diese Rich-
tung angelegt ist. Ich sage Ihnen eins: Wenn Sie den Mut
gehabt hätten, die Debatte über die Assoziierung mit
dem Vorschlag zu verbinden, einige Sanktionen gegen
Russland aufzuheben, wenn Sie beides miteinander ge-
koppelt hätten, dann hätten Sie einen Schritt in diese
Richtung gemacht und wir hätten trotz aller Bedenken
vielleicht zustimmen können.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Bleibt doch ruhig bei eurer Linie!)


Das haben Sie nicht gemacht. Sie haben im Gegenteil
die Sanktionen gegen Russland verschärft. Deswegen
sage ich Ihnen: Sie reden von Verständigung; dafür fin-
den Sie unseren Beifall. Ihre praktische Politik aber be-
deutet eine Verschärfung der Situation in Europa; das
finde ich schlimm. Hier möchte ich eine andere Rege-
lung haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin es leid, dass jeder hier von Visafreiheit redet.
Wir reden seit ein paar Jahren darüber. Aber wenn es





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)

dazu kommt, sich für diese Visafreiheit zu entscheiden,
blockiert die CDU/CSU jeden Schritt in diese Richtung.


(Sabine Weiss [Wesel I] [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Sie reden zwar davon, aber handeln anders: Das ist Ihre
Politik. Diese sollten Sie endlich überwinden.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte gern, dass Sie in Richtung eines gemein-
samen Hauses Europa einen Weg finden, um die schwe-
ren sozialen Verwerfungen oder zumindest die sozialen
Auseinandersetzungen, die in der Ukraine mit Sicherheit
kommen werden, unblutig zu überwinden und humani-
täre Hilfe in Europa gemeinsam zu gestalten. Ich möchte
auch, dass endlich mehr Demokratie gewagt wird. Es ist
kein gutes Zeichen, wenn in Moldawien kurz vor den
Wahlen eine unliebsame Partei einfach verboten wird.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hätte diese Partei kandidieren können, wäre es in Mol-
dawien zu einem anderen Ergebnis gekommen. Auch
das gehört zu einem gemeinsamen Kampf für Demokra-
tie in Europa dazu.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809701300

Der Kollege Vaatz möchte Ihnen eine Zwischenfrage

stellen. Sie sind bereit, diese zuzulassen? – Bitte schön,
Herr Kollege Vaatz.


Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1809701400

Herr Kollege Gehrcke, ich möchte Sie fragen, wie Sie

es wagen können, von Demokratie zu reden, wenn Ihnen
der Wille der Mehrheit der Menschen im Baltikum, der
Mehrheit der Menschen in der Ukraine, der Mehrheit der
Menschen in Moldawien und der Mehrheit der Men-
schen in Georgien ganz offensichtlich völlig gleichgültig
ist. Ihnen geht es in Ihrer Rede nur um eines: Bahn frei
für Russland!


(Widerspruch bei der LINKEN)


Ich schließe daraus, dass Sie in diesem Parlament über-
haupt nicht die linke Fraktion sind, als die Sie sich beti-
teln. Sie sind nichts anderes als der politische Arm des
russischen Expansionismus.


(Lachen bei der LINKEN)


Sie sind auch keine Linken mehr. Seitdem die russi-
sche Regierung ihr linkes Mäntelchen abgestreift hat und
nach knallrechten expansionistischen Kriterien operiert,
blasen Sie genau in deren Horn. Sie haben jede Glaub-
würdigkeit in diesem Land verspielt. Sie waren immer
auf der Seite der russischen Aggressionen: Sie waren auf
der Seite der russischen Aggressionen, als es 1968 um
die Tschechoslowakei gegangen ist, und Sie sind auf der
Seite der russischen Aggressionen, wenn es heute um die
Ukraine geht. Bitte nehmen Sie das zur Kenntnis.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809701500

Jetzt müssen Sie schon stehen bleiben, Herr Vaatz. Es

gehört zum Prozedere, sich die Antwort im Stehen anzu-
hören. – Was ich in diesem Parlament wagen kann oder
nicht wagen kann, das entscheiden Gott sei Dank nicht
Sie, sondern in erster Linie die Wählerinnen und Wähler.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit denen bin ich im Dialog. Wir sind hier doch nicht in
einer Erziehungsanstalt, in der einer sagen kann, was der
andere sich wagen kann. Jeder darf sich wagen, seine
politische Überzeugung hier im Parlament auszudrü-
cken. Das ist Teil der Demokratie.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Das hat Ihnen auch keiner verboten! Wir finden die nur falsch!)


Ansonsten danke ich Ihnen für die Zwischenfrage. So
ein glänzendes Beispiel von Antikommunismus, von
Verkennen der Realität in Europa, wie Sie es hier vorge-
führt haben, hätte ich mir gar nicht ausdenken können.
Herzlichen Dank, Herr Vaatz! Ich bin Ihnen dankbar für
diese Intervention.


(Beifall bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Antworten Sie doch mal!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809701600

Das Wort erhält nun der Kollege Manfred Grund für

die CDU/CSU.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])



Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1809701700

Herr Präsident! Exzellenzen! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Assoziie-
rungsabkommen zwischen der Europäischen Union und
der Ukraine, der Republik Moldau und Georgien sind
gut für die Menschen in diesen Ländern und sind gut für
das Zusammenleben und das Zusammenwachsen im ge-
meinsamen Haus Europa.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Bild vom „gemeinsamen Haus Europa“ geht auf
eine Rede Michail Gorbatschows aus dem Jahre 1987
zurück, in der er wörtlich sagte:

Europa ist … ein gemeinsames Haus, wo Geografie
und Geschichte die Geschicke von Dutzenden von
Ländern eng miteinander verwoben haben.

Er sagte weiter:

Doch nur zusammen, gemeinschaftlich und indem
sie die vernünftigen Regeln der Koexistenz befol-
gen, können die Europäer ihr Haus bewahren … es
besser und sicherer machen …

Meine Damen und Herren, genau das wollen und das
sollen die Assoziierungsabkommen bewirken: unser ge-
meinsames Haus Europa bewohnbarer, besser und siche-
rer machen. Ganz wichtig: Diese Abkommen sind nicht
gegen Russland gerichtet. Russland ist Europa. Wir sind





Manfred Grund


(A) (C)



(D)(B)

Nachbarn im gemeinsamen Haus Europa. Wir sind über-
zeugt, dass Russland der wichtigste Nachbar der Euro-
päischen Union bleibt und Sicherheit in Europa nur mit
Russland, aber auch nur unter Mitwirken Russlands zu
erreichen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was aber ist passiert, dass aus dem von Gorbatschow
vorgeschlagenen Ausbau des gemeinsamen Hauses
Europa unter Wladimir Putin der Casus Belli, ein Krieg
zwischen Russland und der Ukraine, wird, nur weil die
Ukraine ein Assoziierungsabkommen mit der Europäi-
schen Union unterzeichnen will?

Bis 2012 hat Wladimir Putin mehrfach versichert,
dass er sich selbst einer EU-Mitgliedschaft der Ukraine
nicht widersetzen würde. In 2004 hat er es als damaliger
russischer Präsident wörtlich so ausgedrückt:

Wenn die Ukraine der Europäischen Union beitre-
ten will, können wir das nur begrüßen.

Und weiter: Russland könne davon nur profitieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit seiner Wiederwahl in 2012 hat Wladimir Putin
seine Position aber radikal verändert; nicht wir haben
uns verändert, sondern Putin hat seine Position verän-
dert. Im August 2013 erklärte Putin, „Schutzmaßnah-
men“ durchführen zu wollen, sollte die Ukraine das As-
soziierungsabkommen unterzeichnen. Die Moskauer
Zeitung Wedomosti schrieb kürzlich in einem Kommen-
tar, dass sich Putin für die Meinung Europas nicht mehr
interessiert. Wörtlich hieß es:

Vielmehr ist nun die Entscheidung gefallen, sich
vom Westen zu verabschieden.

Mit anderen Worten, Herr Kollege Gehrcke: Putin
kündigt die Wohnung Russlands im gemeinsamen Haus
Europa. Wir bedauern die Selbstisolation Russlands un-
ter Präsident Putin, werden aber gemeinsam mit der
Ukraine, Georgien und der Republik Moldau an diesem
gemeinsamen Haus Europa weiterbauen.

Meine Damen und Herren, warum sind die Assoziie-
rungsabkommen für diese Transformationsländer so
wichtig? Diese Abkommen sind vor allem eines: Sie
sind Reformprogramme für die Modernisierung dieser
Länder. Ihr Inhalt geht über Freihandel und wirtschaftli-
che Integration hinaus. Sie sind Instrumente, um die
Länder Osteuropas an europäische und weltweite Stan-
dards von Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und gutem
Regierungshandeln heranzuführen.

Damit soll den Menschen in der Ukraine, in Moldau
und Georgien vor allem eines geboten werden: wirt-
schaftliche und demokratische Perspektiven. Denn in der
Ukraine, in Moldau und Georgien haben die Menschen
Jahrzehnte des Verfalls, der Stagnation, der Korruption
und der Perspektivlosigkeit erlebt. Diese Menschen wol-
len eine Chance. Sie wollen eine Perspektive. Sie wollen
Frieden und Wohlstand anstatt Willkür und Oligarchen-
herrschaft. Sie wollen die Stärke des Rechts und nicht
das Recht des Stärkeren. Sie wollen Rechtssicherheit,
den Schutz der Schwachen und gesellschaftlichen Zu-
sammenhalt. Genau dabei sollen die Assoziierungsab-
kommen helfen. Dafür haben junge Menschen auf dem
Maidan in Kiew gekämpft. Dafür hat sich eine Mehrheit
der Moldauer bei den Parlamentswahlen am 30. Novem-
ber letzten Jahres entschieden. Und genau daran werden
wir das Handeln der Regierungen dieser Länder messen.
Eines will ich ausdrücklich festhalten: Oligarchen gehö-
ren für uns weder in die Politik noch in die Wirtschaft.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Meine Damen und Herren, Wladimir Putin hat die
Europäische Union einmal mit einem erloschenen Stern
verglichen, dessen Licht durch das All strahlt, jedoch
nicht mehr wärmt. Genau das Gegenteil ist der Fall. Die
Europäische Union ist von überzeugender Strahlkraft
und hoher Attraktivität. Die europäische Sonne wärmt
heute in ihrer Peripherie noch viel stärker als im Zen-
trum.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer ein Beispiel dafür sucht, findet es in der vorbildhaf-
ten demokratischen, wirtschaftlichen und sozialen Ent-
wicklung, welche unser Nachbarland Polen in den letz-
ten 20 Jahren durchlaufen hat. Kollege Gehrcke, Putin
fürchtet sich nicht vor NATO und Europäischer Union.
Er fürchtet sich vor dem Modell Polen, ausgedehnt auf
die Ukraine vor seiner Haustür. Er fürchtet, dass Demo-
kratie und Wohlstand – all das, was er seinem eigenen
Land vorenthält – in der Ukraine Platz greifen würden.

Die Menschen in der Ukraine, in Moldau und Geor-
gien wollen an diese Wohlstandsentwicklung Anschluss
finden, damit für sie das gemeinsame Haus Europa si-
cherer, wohnbarer, besser wird. Meine Damen und Her-
ren, wir können ihnen dabei heute besonders helfen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809701800

Marieluise Beck ist die nächste Rednerin für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In
den vergangenen Jahren sind viele Assoziationsabkom-
men abgeschlossen worden, aber keines hatte – und das
zu Recht – eine so große politische Aufmerksamkeit.
Denn wir gehen mit diesen Assoziationsabkommen ei-
nen weiteren Schritt hin zur Überwindung von Jalta.
Diese Spaltung Europas durch die Vereinbarungen von
Jalta ist eine erzwungene gewesen. Es hat nach 1945
nicht die Situation gegeben, bei der alle Länder, die sich
jenseits des Eisernen Vorhangs befanden, diese Spaltung
bereitwillig hingenommen hätten. Es hat den Aufstand
in Ungarn 1956 gegeben, es hat Prag 1968 gegeben.





Marieluise Beck (Bremen)



(A) (C)



(D)(B)

Wir standen auf der anderen Seite und mussten zu-
schauen, wie diese Volks- und Freiheitsbewegungen mit
Militär zurückgeschlagen worden sind. Vielleicht müs-
sen wir sogar eines Tages noch einmal darüber sprechen,
dass ein Teil unserer heutigen Republik, die damalige
DDR, bei der Niederschlagung des Prager Frühlings
1968 mitbeteiligt war.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das hat also auch eine historische Dimension.

Wer auf dem Maidan war und wer in der Ukraine un-
terwegs ist – auch in Odessa, in Charkiw und Mariu-
pol –, sieht mehr europäische Fähnchen, als wir je bei
uns in Europa sehen. Warum? Weil die Menschen in ihr
Unglück rennen wollen, vor dem Sie von der Linken sie
bewahren wollen?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Oder weil die Menschen mit Europa die Chance auf so-
ziale Gerechtigkeit und ein Ende von Willkür und Aus-
geliefertsein verbinden?

Was Ausgeliefertsein und die damit verbundene Ohn-
macht bedeutet, können Sie in dem großartigen russi-
schen Film Leviathan sehen: die Ohnmacht der kleinen
Bürger gegen Funktionäre und Oligarchen, die schlicht-
weg wie eine Mafia den Staat und die Menschen aus-
plündern. Das wollen die Menschen in der Ukraine nicht
mehr.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Ja, sie sind enttäuscht worden. Sie sind auch von der
Orangen Revolution enttäuscht worden, weil die oligar-
chischen Strukturen sich auch unter Orange weiter fort-
gesetzt und festgesetzt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Volker Kauder [CDU/CSU]: Leider wahr!)


Alle drei Länder, über die wir heute sprechen – Moldau,
Georgien und die Ukraine –, bezahlen derzeit für die
Entscheidung der freien Hinwendung zu Europa mit Ab-
spaltungen eines Teils ihres Landes, an denen Russland
tätig mitgewirkt hat.

Wir werden sehen, wie die Ukraine unter diesen Be-
dingungen – Krieg in einem Teil des Landes, Unwissen-
heit, ob der Krieg weitergehen wird oder ob wir nicht in
vier Wochen über Mariupol, Charkiw oder Odessa spre-
chen, die unter dem Deckmantel separatistischer Bewe-
gungen eingenommen worden sind, von denen wir aber
wissen, dass es russisches Militär ist – die dadurch fast
unmöglichen Reformaufgaben angeht, die wir dem Land
vorgeben und für die Menschen zu Recht abverlangen.
Das ist fast eine Mission Impossible, aber es ist alterna-
tivlos, weil die Menschen in der Ukraine, auch in Mol-
dau und Georgien ihre Erwartungen erfüllt sehen wollen,
dass die Europäische Union Freiheit bedeutet, auch
Wohlstand und Rechtsstaat – ich kann vor Gericht gehen
und Recht bekommen, auch gegen jemanden, der reicher
und mächtiger ist. All das muss eingelöst werden, auch
wenn es unter diesen Bedingungen fast unmöglich ist.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das gekränkte Imperium tut alles, um die Schritte in
die Freiheit nicht nur zu behindern, sondern zum Schei-
tern zu bringen, weil es vor dem Erfolg die allergrößte
Furcht hat. Der Erfolg dieser Reformen ist die größte
Gefahr für Putin. Denn auch viele Menschen in Russland
wissen, dass sie unter demokratischen und freiheitlichen
Bedingungen ein besseres Leben haben könnten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Gestatten Sie mir eine letzte Bemerkung. Wir sagen
zu Recht: Wir wollen keine militärische Lösung. Wir
wissen, dass der Kreml bereit ist, Militär einzusetzen
und dies bereits getan hat. Wenn wir das sagen, dann ist
das ein Versprechen, dass wir mit allen unseren Kräften
und ohne auf unsere Schatullen zu schauen, den schwie-
rigen Weg dieser drei Länder, der von Russland weiter
torpediert werden wird, trotzdem mit allen Kräften, in al-
ler Ernsthaftigkeit und mit sehr viel Geduld unterstützen.
Wir wissen auch, dass das sehr viel materielle Unterstüt-
zung bedeuten wird.

Wir haben ein Versprechen abgegeben. Wir geben es
mit der Abstimmung auch heute ab, und dieses Verspre-
chen einzulösen, sind wir den Menschen dort, wo bereits
viele für die Freiheit ihr Leben gelassen haben – was es
in unserem Nachkriegseuropa bisher noch nicht gegeben
hat –, schuldig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809701900

Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist

die Kollegin Andrea Lindholz für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1809702000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Par-

lamentspräsident Groysman! Sehr geehrte Exzellenzen!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Jahr 2012 erhielt
die Europäische Union den Friedensnobelpreis. Das Ko-
mitee wollte vor dem Hintergrund der ökonomischen
Krise in Europa den Fokus auf den wichtigsten Effekt
der EU lenken: die erfolgreiche Durchsetzung von Frie-
den, Versöhnung, Demokratie und Menschenrechten in
Europa.

Angesichts des Krieges in der Ukraine müssen wir
heute aber konstatieren, dass die EU ihrem Friedensan-
spruch zumindest im Rahmen der Östlichen Partner-
schaft nicht gerecht werden konnte. Das ist keine
Schuldzuweisung, sondern eine schlichte Tatsachenfest-
stellung. Es gehört zur Wahrheit, dass nicht alle Men-
schen in der Ukraine und in Moldawien die Annäherung
an die EU wollen. Die Menschen in den georgischen





Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

Provinzen Abchasien und Südossetien sind seit dem
Krieg von 2008 de facto kein Teil des Abkommens, das
wir heute ratifizieren wollen.

Genauso gehört es aber zur Wahrheit, dass sich die
große Mehrheit der Ukrainer, der Georgier und der Mol-
dawier in demokratischen Wahlen für Europa entschie-
den hat, und zwar trotz der massiven Drohungen und In-
terventionen aus Russland. Auf dem Maidan in Kiew
riskierten Tausende Ukrainer sogar ihr Leben, getrieben
von dem Wunsch nach Demokratie und Freiheit – Werte,
für die Europa gemeinsam einstehen muss. Als über-
zeugte Europäer unterstützen wir diese Entscheidungen,
und als überzeugte Demokraten bewundern wir diesen
starken Willen.

Ebenfalls gehört zur Wahrheit, dass Deutschland kein
neutraler Akteur in diesem Konflikt ist, sondern ein akti-
ver Spieler sein muss. Als Schlüsselmacht in Europa
kommt Deutschland eine besondere Bedeutung zu. Un-
sere Bundeskanzlerin und der Bundesaußenminister
werden dieser Verantwortung mehr als gerecht. In en-
ger Abstimmung mit unseren EU-Partnern verfolgen
sie eine klare europäische Position, und sie werben mit
bewundernswertem persönlichen Einsatz in Kiew, in
Washington und in Moskau für ihre Überzeugung, dass
der Konflikt in der Ukraine nicht mit Waffen zu lösen ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


So unsicher der Erfolg des Minsker Abkommens er-
scheint, es stellt heute die einzige Option dar, das Blut-
vergießen in der Ostukraine dauerhaft zu beenden. Alle
Seiten, Russland, die Rebellen und auch die Ukraine,
müssen das erkennen.

Die deutsch-französische Friedensinitiative ist auch
ein Stück der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspoli-
tik für Europa. Vor dem Hintergrund unserer Geschichte
vertrauen wir Europäer in der Sicherheitspolitik nicht al-
leine militärischen Mitteln. Ganz im Sinne des Osteuro-
päers Immanuel Kant setzt Europa heute vor allem auf
Friedenssicherung durch Demokratie und freie Markt-
wirtschaft.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist aber nicht Kant!)


Die Assoziierungsabkommen, die wir gleich beschlie-
ßen wollen, sind in dieser Hinsicht ein Teil der europäi-
schen Sicherheitspolitik. Es liegt in unserem ureigenen
Interesse, dass sich die Anrainerstaaten der EU unseren
Werten annähern und auch die Chance bekommen, sich
nachhaltig zu stabilisieren. Es ist richtig und legitim,
dass Europa sie aktiv bei den notwendigen Reformen un-
terstützt.

Die Abkommen sollen in der Ukraine, in Georgien
und Moldawien Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und
freien Handel fördern. Europa hilft diesen drei Staaten
mit dem Abbau von Handelshemmnissen, durch eine
enge Kooperation in der Außenpolitik sowie bei der Mo-
dernisierung des Justizsystems und in Grundrechtsfra-
gen. Als Anreiz für die Reformen stellt die EU bis 2020
rund 15,4 Milliarden Euro im Rahmen der Nachbar-
schaftshilfe zur Verfügung. Diese Unterstützung ist
keine milde Gabe, sondern sie ist eine Investition in eine
friedliche Zukunft Europas. Die erfolgreiche Umsetzung
der Abkommen wäre ein Sicherheitsgewinn für ganz Eu-
ropa.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Entscheidend für den Erfolg der Abkommen wird
auch der Kampf gegen Korruption und für Rechtsstaat-
lichkeit sein. Nur wenn die Menschen ihrem Staat ver-
trauen können, werden stabile Demokratien entstehen.

Russland hat kein Vertrauen mehr in Europa, und
Russland sieht in der Assoziierung eine Bedrohung. Die
Gründe dafür mögen vielfältig sein. Ein Faktor ist si-
cherlich die Angst vor einem russischen Maidan. Das
macht die neue russische Militärdoktrin vom 25. Dezem-
ber des letzten Jahres deutlich. Darin betont Russland
explizit die Gefahr eines gewaltsamen Sturzes der ver-
fassungsgemäßen Ordnung und verknüpft diese Gefahr
mit außenpolitischen Gefahren.

Die Weltordnung, die vor 25 Jahren mit dem Fall der
Mauer unterging, scheint sich in Osteuropa wieder auf-
zurichten: Zwei konkurrierende Gesellschaftsmodelle
ringen dort um Einflusszonen. Niemand von uns kann
aber ernsthaft einen zweiten Kalten Krieg wollen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt!)


Russland hat mit der Annexion der Krim und mit der
Destabilisierung der Ostukraine die europäische Frie-
densordnung massiv beschädigt und viel Vertrauen zer-
stört. Dieser Bruch des Völkerrechts lässt sich nicht ent-
schuldigen, und es wird Jahre dauern, das verlorene
Vertrauen wiederzugewinnen. Trotzdem muss sich die
EU mit Russland arrangieren. Zu einem neuen und stabi-
len Modus Vivendi mit Russland werden wir nur dann
finden, wenn wir unsere unveräußerlichen Werte konse-
quent vertreten. Anderenfalls verlieren sie und damit
auch die EU ihre Glaubhaftigkeit und ihre Stabilität.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zur Glaubhaftigkeit, liebe Kolleginnen und Kollegen,
gehört, dass wir den Wunsch der Menschen nach Demo-
kratie und Freiheit aktiv unterstützen. Ich freue mich für
die Ukraine, für Georgien und für Moldawien, dass der
Deutsche Bundestag heute dem Willen der großen Mehr-
heit ihrer Bürgerinnen und Bürger entsprechen kann, ich
glaube, ebenfalls mit großer Mehrheit, und eine Annähe-
rung an die Europäische Union nun ermöglicht. Wir wol-
len sie auch künftig aktiv unterstützen, und ich bitte Sie
alle daher heute, diesen drei Abkommen zuzustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1809702100

Ich schließe die Aussprache.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Wir kommen nun zur Abstimmung über die von der
Bundesregierung eingebrachten drei Gesetzentwürfe zu
den Assoziierungsabkommen zwischen der Europäi-
schen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft
und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie der Ukraine,
Georgien und der Republik Moldau andererseits.

Tagesordnungspunkt 20 a.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf zu dem
Assoziierungsabkommen mit der Ukraine. Der Auswär-
tige Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung
auf der Drucksache 18/4352, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die
dem Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer möchte sich der Stimme
enthalten? – Damit ist der Gesetzentwurf mit den Stim-
men der CDU/CSU, der SPD, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke
angenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident Groysman, Ihnen wird hoffentlich
nicht nur das überragend deutliche Ergebnis gefallen,
sondern auch die streitige Auseinandersetzung, die dem
vorausgegangen ist, wie sich das für ein ordentliches,
frei gewähltes Parlament gehört.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Tagesordnungspunkt 20 b.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf zu dem
Assoziierungsabkommen mit Georgien. Der Auswärtige
Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
der Drucksache 18/4353, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung anzunehmen. Ich darf diejenigen, die die-
sem Gesetzentwurf zustimmen wollen, bitten, sich von
ihren Plätzen zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Damit ist dieser Gesetzentwurf mit dem
gleichen Stimmenverhältnis angenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Tagesordnungspunkt 20 c.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung über den Gesetzentwurf zu dem
Assoziierungsabkommen mit der Republik Moldau,
auch hier auf der Basis der Beschlussempfehlung des
Auswärtigen Ausschusses; das ist die Drucksache 18/4354.
Wer diesem Gesetzentwurf zustimmen möchte, den bitte
ich, sich von den Plätzen zu erheben. – Wer stimmt da-
gegen? – Auch dieser Gesetzentwurf ist gegen die Stim-
men der Fraktion Die Linke mit den Stimmen des Hau-
ses im Übrigen angenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 4:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Monika Lazar, Tom Koenigs, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Für verbindliche politische Regeln im inter-
nationalen Sport – Menschenrechte achten,
Umwelt schützen, Korruption bekämpfen

Drucksache 18/3556
Überweisungsvorschlag:
Sportausschuss (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für Kultur und Medien

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Katrin Göring-Eckardt für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!
Alle vier Jahre legen Sportlerinnen und Sportler bei
Olympia den Eid ab, fair zu sein, Regeln zu achten und
ritterlichen Geist zu zeigen. Das ist der Anspruch. Die
Wirklichkeit ist aber so, dass Sie gerade den Entwurf
eines Anti-Doping-Gesetzes einbringen, nach dem
Motto: Wer im Sport betrügt, soll fliegen, und zwar in
die JVA. – Sie legen die Latte ziemlich hoch und fordern
oberflächlich Mittel, die schon in vielen anderen Berei-
chen gescheitert sind.

Ich finde: Wer über die Sportlerinnen und Sportler
spricht, darf über die Veranstalter nicht schweigen. Re-
den wir also über Korruption in den Chefetagen der gro-
ßen Sportverbände, insbesondere beim Internationalen
Olympischen Komitee und dem Weltfußballverband.
Bestechung, Vetternwirtschaft und Intransparenz sind
die Merkmale der weltgrößten Festspiele. Ich finde, das
ist des Sportes nicht würdig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Olympia und die Fußballweltmeisterschaften, die Orte
weltweiter Freude und Begeisterung sowie weltweiten
Mitfieberns, liegen in den Händen von Systemen, die wir
staatlicherseits aufs Schärfste bekämpfen müssten. Das
können wir nicht wollen. Das müssen wir ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Liste der Demokratien, die sich gegen eine Be-
werbung entschieden haben, wird immer länger. Ein ak-





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)

tuelles Beispiel sind die Olympischen Winterspiele
2022. München ist gegen die Austragung. Die Schweiz
hat sich ebenfalls dagegen ausgesprochen. Norwegen
sagte gleich ab. Es ist eben leider kein Wunder, dass die
besten Partner von IOC und FIFA heute undemokrati-
sche Regime sind. Brot und Spiele als Geschenk von
Diktatoren, korrupten Vereinen und globalen Playern in
der Wirtschaft – das sage ich noch einmal – können wir
nicht wollen. Das müssen wir ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir wollen den Sport und die Spiele zurück. Die
Funktionäre des Sports müssen für Strukturreformen
sorgen. Als Demokratinnen und Demokraten müssen wir
Angebote für Spiele machen, die dem olympischen Geist
zur Ehre gereichen. Deswegen bin ich froh, dass sich
Hamburg für die Austragung der Olympischen Spiele
2024 bewirbt. Dann können wir zeigen: Es geht auch an-
ders.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir Grünen!)


Hamburg ist eine gute Wahl. Denn dann können wir
zeigen: Es geht ökologisch. Es geht nachhaltig. Es geht
transparent. – Wir als Politikerinnen und Politiker haben
die Aufgabe, die Bürgerinnen und Bürger wieder für den
Sport zu begeistern. Das geht aber nur gemeinsam mit
den Sportorganisationen. Deswegen haben wir ein Kon-
zept für eine moderne internationale Sportpolitik vorge-
legt. Wir wollen mehr Demokratie und Transparenz. Ich
stelle, ehrlich gesagt, erstaunt fest, dass unsere Fraktion
die einzige ist, die ein solches Konzept in den Deutschen
Bundestag einbringt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Darüber sollten Sie mal nachdenken!)


Was schlagen wir vor? Erstens. Die Vergabeverfahren
um Sportgroßveranstaltungen müssen modernisiert wer-
den. Natürlich entscheiden der DOSB und der DFB wei-
terhin autonom. Wir brauchen aber eine Richtschnur, die
die verbindliche Beteiligung von Menschenrechtsorgani-
sationen und von Umweltschutzorganisationen sicher-
stellt. Das ist, ehrlich gesagt, eigentlich eine Selbstver-
ständlichkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Zweitens: die Steuerpflicht. Die überwiegende Zahl
der Verbände ist in der Schweiz angesiedelt. Dort gibt es
gesunde Luft und minimale Steuersätze.


(Dr. Frank Steffel [CDU/CSU]: Das ist doch Polemik!)


Doch obwohl sie nur als Vereine eingetragen sind, wird
niemand bestreiten können, dass IOC und FIFA interna-
tional tätige Wirtschaftsunternehmen sind. Für Fern-
seheinnahmen und Sponsoringgelder sind Steuern zu
zahlen. Das ist doch selbstverständlich, und auch das ge-
hört dazu.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Drittens. Die Bundesregierung muss stärker gegen
Korruption und Intransparenz im Sport vorgehen.
Deutschland hat da eine besondere Verantwortung, weil
wir ein starker Player sind und die internationale Kor-
ruption im Sport seit den 80er-Jahren eben auch maß-
geblich durch deutsche Funktionäre mit bewirkt und be-
stimmt worden ist. Es ist eine historische Tatsache:
Korruption und Doping waren leider auch die widerli-
chen Begleiter deutscher Sportpräsenz auf internationa-
ler Ebene, in Ost und in West.

Das ist unser Anspruch. Was tun die Verbände?

Ja, es gibt die Olympic Agenda 2020 mit 40 Empfeh-
lungen. Aber: Bedauerlicherweise hat sich an der Grund-
struktur des IOC nichts geändert. Deswegen kann von
einer echten Reform keine Rede sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Ja, es gibt eine externe Untersuchung der Korruption
bei der FIFA. Aber: Sonderermittler Garcia schmeißt
hin, und Katar bekommt dann doch seine Winter-WM.
Auch das kann nicht der Maßstab sein, den wir unterstüt-
zen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Ja, in den internationalen Gremien des Sports sitzen
zahlreiche Vertreter aus Deutschland. Aber: Eine wirkli-
che Initiative für einen glaubwürdigen Neuanfang geht
von dort nicht aus. Ich bin froh, dass da einige sitzen, die
den Mund aufmachen. Ich bin froh, dass einige Deutsche
dabei sind. Aber trotzdem treten wir auf der Stelle, was
eine echte Reform angeht. Auch das muss sich ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vor einigen Wochen hatte ich ein sehr gutes Gespräch
mit Nachwuchssportlerinnen und -sportlern der Stiftung
Deutsche Sporthilfe. Für diese Sportlerinnen und Sport-
ler kommt übrigens, wie für uns Grüne auch, ein Sport-
boykott von Olympia oder WM nicht infrage, selbstver-
ständlich nicht. Sie sagen uns ganz klar: Machen Sie
eine gute Politik. Wir wollen bei sauberen und transpa-
renten Spielen auftreten. Wir wollen uns als Sportlerin-
nen und Sportler auf unseren Sport konzentrieren und
nicht auf das, was Sie politisch machen; aber wir wollen
Sie unterstützen. – Diese jungen Sportlerinnen und
Sportler haben ein Recht darauf, dass wir politische Rah-
menbedingungen setzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir Olympische Spiele in Deutschland wollen,
wenn wir Olympische Spiele oder Fußballweltmeister-
schaften in demokratischen Staaten wollen, dann müssen
wir dafür sorgen, dass wir dafür sein können, und zwar
ohne jedes Wenn und Aber.

Vielen Dank.





Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809702200

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Eberhard

Gienger.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Eberhard Gienger (CDU):
Rede ID: ID1809702300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

Antrag der Grünen vermengt bereits im Titel zwei ver-
schiedene Ebenen miteinander:


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihnen zu komplex! Jetzt verstehe ich das!)


auf der einen Seite die internationale Politik und Diplo-
matie und auf der anderen Seite die gesellschaftlichen
Akteure rund um den Sport. Der Antrag richtet den
Fokus auf Kernfragen der Sportpolitik, nämlich: Wo ver-
laufen die Grenzen zwischen Sport und Politik? Welche
gesellschaftspolitischen Aufgaben vermag der Sport auf
nationaler und auf internationaler Ebene zu übernehmen,
und welche Aufgaben verbleiben, nicht zuletzt wegen
des fehlenden Mandats der Sportorganisationen, im ori-
ginären Kompetenzbereich von Politik und Demokratie?
Vermischt man, wie im Antrag der Grünen, die beschrie-
benen Ebenen, richtet man sich mit überhöhten Erwar-
tungen an die falschen Adressaten oder verwechselt gar
die Maßstäbe mit den Möglichkeiten der Akteure. Dann
können Sport und Politik die internationalen Herausfor-
derungen nicht bewältigen und die Missstände nicht be-
seitigen.

Betrachten wir zunächst einmal den organisierten
Sport für sich. Nimmt man die Autonomie des Sports
ernst, können sich die unabhängigen und meist nicht in
Deutschland ansässigen Weltverbände nur selbst ein
sportpolitisches Regelwerk verschreiben.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie denn nicht zugehört?)


So hat zum Beispiel das IOC mehr als 200 Mitglieder
oder die FIFA 209 Mitglieder. Das sind mehr Mitglieds-
verbände als die Vereinten Nationen an Mitgliedstaaten
haben. Das deutsche Stimmgewicht in diesen Gremien
ist demzufolge überschaubar, wenn auch nicht ganz un-
bedeutend.

Laut Transparency International werden in mehr als
100 Ländern der Welt die Menschenrechte, die Presse-
freiheit und andere Grundsätze missachtet, die Umwelt
nicht ausreichend geschützt und die Korruption nicht
hinreichend bekämpft. Die Weltverbände des Sports
stellt das regelmäßig vor das Dilemma, sich bei den be-
schriebenen Mehrheitsverhältnissen auf gemeinsame
Grundsätze zu einigen. Gleichwohl finden sich in den
Statuten des IOC und der FIFA Hinweise zu friedlichen
internationalen Beziehungen oder auch Aspekten wie
Good Governance, um zwei Beispiele zu nennen. Hier
muss aber gesagt werden, dass bei derartigen Vorhaben
und internationalen Beschlüssen die Vereinten Nationen
auch regelmäßig scheitern.

An dieser Stelle kommt man schließlich zu den kon-
kreten sportpolitischen Handlungsmöglichkeiten und der
moralischen Verantwortung von autonomen Sportver-
bänden, zum Beispiel im Rahmen der Organisation von
Weltmeisterschaften oder Olympischen Spielen. Es ist
klar, dass wegen eines zweiwöchigen Wettbewerbs wie
den Olympischen Spielen in einem aus unserer Sicht
problematischen Ausrichterland die politischen Verhält-
nisse nicht über Nacht geändert werden können. Eine
solche Erwartung werden die internationalen Verbände
nie erfüllen können.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen die auch gar nicht!)


Der Sport hat vor allem deshalb eine gesellschaftspoliti-
sche Macht und Ausstrahlungskraft.

Damit ist der Sport nicht von seiner Verantwortung
entbunden. Alles, was unmittelbar mit dem Sportereignis
zu tun hat, fällt in den Verantwortungsbereich der Orga-
nisatoren des Weltverbandes und der Gastgeber. Hier
müssen zum Beispiel auch Mindeststandards eingehalten
werden. Es kann nicht hingenommen werden, dass in ei-
nem der reichsten Länder der Welt wie Katar jedes Jahr
mit 400 Todesfällen von Wanderarbeitern gerechnet
werden muss. Dies ist absolut nicht hinnehmbar. Auch
Korruption bzw. Manipulation innerhalb der Sportfami-
lie muss aufgeklärt und bekämpft werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was tun Sie dagegen?)


Die internationale Sportgemeinschaft muss sich letzt-
lich zusammenfinden und Lösungen erarbeiten. Ich finde,
die IOC-Reformagenda 2020 stimmt mich in diesem
Punkt sehr viel optimistischer, wenngleich noch sehr viel
Arbeit bevorsteht. Frau Göring-Eckardt, ich finde, man
muss dem IOC und den Mitgliedern die Chance geben,
einmal zu beginnen. Der Anfang ist jedenfalls gemacht.

Kommen wir zu einer weiteren Frage, zur Aufgabe
und Verantwortung der Politik und der Demokratie. In
Abgrenzung zu dem Antrag der Grünen haben wir be-
reits einiges auf den Weg gebracht, umgesetzt oder auch
geplant.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was denn?)


Ein jährlicher Bericht über die Maßnahmen und Fort-
schritte der internationalen Sportverbände, wie im An-
trag gefordert, ist nicht Aufgabe der Bundesregierung,
sondern der Weltverbände. Mit der 5. UNESCO-Welt-
sportministerkonferenz von 2013 in Berlin und der un-
terzeichneten Erklärung hat die Bundesregierung neue
Maßstäbe in der internationalen Sportpolitik gesetzt.
Mittlerweile haben wir mit Stolz zur Kenntnis genom-
men, dass die dortigen Beschlüsse auch Veränderungen
aufseiten des Sports angestoßen haben, Stichwort Reform-
agenda 2020 des IOC. Der Sportausschuss wird im April
eine Delegationsreise in die Schweiz unternehmen und
dort mit maßgeblichen Vertretern der internationalen





Eberhard Gienger


(A) (C)



(D)(B)

Sportverbände zusammentreffen. Die Ergebnisse werden
nach unserer Rückkehr im Sportausschuss diskutiert und
sportpolitische Konsequenzen gezogen.

Mit Blick auf die Zeit will ich nur noch einen Punkt
benennen, der vor allem für Deutschland relevant ist.
Wie unser Sportminister vor kurzem sehr treffend ausge-
führt hat, hilft es nicht weiter, immer nur anderen Län-
dern und deren Verhältnissen – ob berechtigt oder unbe-
rechtigt – Fehler zu unterstellen. Wir können selbst mit
einer innovativen, weltoffenen, vom Bürger getragenen
und nachhaltigen Olympiabewerbung ein Zeichen set-
zen. Das haben wir bei der Fußballweltmeisterschaft
2006 in Deutschland erfahren. Erst am letzten Samstag
hat sich der organisierte Sport für Hamburg als Bewer-
berkandidat für die Olympischen Spiele ausgesprochen.
Hier können wir zeigen, dass es auch anders geht und
dass wir uns selbst konstruktiv einbringen. Hier haben
sich die Grünen auf Bundesebene diesen Entscheidun-
gen in den Bewerbergremien entzogen. Hier, lieber Kol-
lege Mutlu, hätten die Grünen durchaus die Möglichkeit
gehabt, die wichtigen Punkte ihres Antrags tatsächlich
anzusprechen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Placebo!)


Ich würde dazu sagen: Chance vertan!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Übrigen wurde der Sportausschuss des Deutschen
Bundestages erst im Kontext der Olympischen Spiele
1972 in München ins Leben gerufen. Und was, wenn
nicht eine Olympiakandidatur, fällt in unseren Zustän-
digkeits- und Verantwortungsbereich?

Deutschland kann, wie ich finde, mit einer Bewer-
bung um die Olympischen Spiele 2024 auch die interna-
tionalen Reformbewegungen kraftvoll vorantreiben. Las-
sen Sie uns deswegen die Bewerbung begleiten und sie
kritisch, aber durchaus konstruktiv unterstützen! Viel-
leicht sollten sich die Grünen ein Beispiel an den Ham-
burger Kollegen nehmen; denn sie haben das rechtzeitig
erkannt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809702400

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion

Die Linke der Kollege Dr. André Hahn.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. André Hahn (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809702500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich bin den Grünen für diesen Antrag dankbar;
denn er gibt uns die Möglichkeit, unmittelbar im Umfeld
der vom DOSB beschlossenen Olympiabewerbung
Hamburgs über verbindliche Regeln im internationalen
Sport und über Kriterien für künftige Sportgroßveran-
staltungen zu debattieren. Herr Kollege Gienger, im Ge-
gensatz zu Ihnen meinen wir: Wir brauchen solche Re-
geln.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aus Sicht der Linken muss dabei eines klar sein: Nach
all den wahrlich nicht nur positiven Erfahrungen der
letzten Olympiaden und Fußballweltmeisterschaften darf
es ein einfaches Weiter-so definitiv nicht geben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Spitzensport hat generell durchaus positive Wir-
kungen auf den Breitensport. Bekannte und erfolgreiche
Sportler können als Vorbilder dienen und motivieren ge-
rade Kinder und Jugendliche, selbst sportlich aktiv zu
werden. Dennoch muss man konstatieren: Die zuneh-
mende Kommerzialisierung im Hochleistungsbereich hat
dem Sport insgesamt geschadet. Immer mehr Vereine,
aber auch viele Spitzensportler sind auf Sponsoren ange-
wiesen. Diese unterstützen aber vor allem jene Sportar-
ten, die im Fokus der Medien stehen. Andere kommen
kaum noch über die Runden. Den Kommunen fehlt oft
das Geld, um den Breiten- und Schulsport besser zu un-
terstützen.

Deshalb muss dem Gigantismus bei Sportgroßveran-
staltungen endlich Einhalt geboten werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Denn alles geht auch ein Stück kleiner und deutlich be-
scheidener. Ökologische Nachhaltigkeit ist ebenso wich-
tig wie die Einbeziehung der Bürger in die Entscheidung
über eventuelle Austragungsorte.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Und Host-City-Knebelverträge wie in der Vergangen-
heit, meine Damen und Herren, darf es nicht mehr ge-
ben.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die momentan nahezu uneingeschränkte Macht vor al-
lem des Internationalen Olympischen Komitees und der
FIFA muss endlich gebrochen werden. Und überhaupt:
Müssen wirklich alle vier Jahre zu Olympia weltweit im-
mer neue Sportanlagen aus dem Boden gestampft wer-
den? Kann man nicht auch, wie zum Beispiel beim Welt-
cup, reihum bereits existierende Einrichtungen früherer
Olympiastandorte nutzen?


(Beifall bei der LINKEN)


Über diese und andere Fragen sollten wir in den kom-
menden Wochen und Monaten miteinander diskutieren.

Ich möchte die heutige Debatte dazu nutzen, im Sinne
eines Diskussionsangebotes einige Kriterien zu benen-
nen, anhand derer über eine Befürwortung oder Ableh-
nung von Sportgroßveranstaltungen entschieden werden
sollte. Denn für die Bürgerinnen und Bürger muss nach-
vollziehbar sein, warum wir für oder gegen eine be-
stimmte Sportveranstaltung sind. Die Diskussion um die
Olympiabewerbungen der Städte München, Hamburg
und Berlin zeigten, dass eine solche Verständigung über
Kriterien wichtig ist. Wenn selbst traditionelle Winter-





Dr. André Hahn


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sportorte wie Oslo – Frau Katrin Göring-Eckardt hat da-
rauf hingewiesen – das Handtuch werfen und auf eine
Bewerbung verzichten, dann muss das nachdenklich
stimmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Fakt ist und bleibt: Sportgroßveranstaltungen üben
eine große Faszination auf Zuschauerinnen und Zu-
schauer aus; sie sind Höhepunkte im Leben der Athleten
und können wichtige Werte in die Gesellschaft vermit-
teln. Die Grundidee der olympischen Bewegung ist auf
Völkerverständigung, auf einen friedlichen Wettstreit
von Athletinnen und Athleten aus unterschiedlichen
Ländern gerichtet. Vor allem die Paralympics und andere
Wettkämpfe der Behindertensportbewegung geben wich-
tige und nachhaltige Impulse hin zu einer inklusiven Ge-
sellschaft, für die gleichberechtigte Teilhabe von Men-
schen mit Behinderungen und die Beseitigung von
Barrieren im Sinne der UN-Behindertenrechtskonven-
tion.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Fakt ist aber auch: Sportgroßveranstaltungen standen
und stehen immer wieder im Spannungsfeld zwischen
großer Begeisterung und öffentlicher Kritik. Das galt für
die Olympischen und Paralympischen Spiele in Peking,
Vancouver, London und Sotschi ebenso wie für die Fuß-
ballweltmeisterschaften in Südafrika und Brasilien und
deren Vergabe an Russland und Katar. Die grundsätzli-
che Kritik, das habe ich eingangs schon angesprochen,
trifft vor allem die dahinterstehenden Organisationen,
insbesondere das IOC, die FIFA und auch die UEFA, die
als von Korruption durchdrungen wahrgenommen wer-
den und deren Funktionären Profitgier vorgeworfen
wird. Aber es geht natürlich auch um die politisch Ver-
antwortlichen in den Austragungsorten. Dahinter steht
ein generelles Unbehagen gegenüber dem zunehmenden
Einfluss kommerzieller sowie politischer Interessen auf
die Vergabe und den Ablauf von Sportveranstaltungen,
und die Linke teilt diese Kritik ganz ausdrücklich.


(Beifall bei der LINKEN)


Die olympischen Ideale und die Freude am Sport tre-
ten immer weiter zurück hinter die Interessen von Groß-
konzernen, die medienträchtige Sportveranstaltungen
vor allem zur Platzierung von Werbung nutzen und die
als Ausstatter bei Stadienbauten oder als sonstige
Dienstleister möglichst hohe Gewinne einfahren wollen.
Diese Dominanz von Profitinteressen öffnete zuneh-
mend die Tür für Manipulationen und auch für Korrup-
tion. Die Linke will Profitinteressen bei der Ausrichtung
von Sportgroßveranstaltungen zurückdrängen und wie-
der an die ursprüngliche olympische Idee anknüpfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir schlagen fünf Kriterien für eine Befürwortung
oder eine Ablehnung von Sportgroßveranstaltungen vor:

Erstes Kriterium sind für uns die sozialen und kultu-
rellen Standards. Soziale Kriterien müssen sowohl bei
der Bewerbung als auch bei der Durchführung von
Sportgroßveranstaltungen eine entscheidende Rolle spie-
len. Ohne Bürgerentscheid darf es keine Olympischen
Spiele geben.


(Beifall bei der LINKEN)


Sowohl bei Infrastrukturmaßnahmen als auch bei den
verschiedenen Kommunikationswegen muss auf die
Barrierefreiheit geachtet werden. Ebenso wichtig ist es,
dass es akzeptable Arbeitsbedingungen und Arbeits-
schutzvorschriften in den potenziellen Austragungsorten
gibt und dass diese auch eingehalten werden. Hier
stimme ich Herrn Kollegen Gienger ausdrücklich zu.

Zweites Kriterium sind die Menschen- und Bürger-
rechte. Bei der Vergabe von Sportgroßveranstaltungen
müssen insbesondere die wirtschaftlichen, sozialen und
kulturellen Menschenrechte des UN-Sozialpaktes sowie
die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorga-
nisation strikt eingehalten werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der Umstand, dass durch ein Sportgroßereignis medial
auf Missstände im jeweiligen Land aufmerksam ge-
macht wird, sollte positiv genutzt werden. Die Chance
auf Austragung eines bedeutenden Sportereignisses kann
auch bessere Möglichkeiten schaffen, um eine gesell-
schaftliche Öffnung und einen nachhaltigen Bewusst-
seinswandel zur Verbesserung der Menschenrechtslage
im jeweiligen Land zu bewirken.

Drittes Kriterium ist die Gewährung nachhaltiger
Standards. Sportgroßveranstaltungen haben immer auch
ökologische Auswirkungen. Diese entstehen zum einen
durch die Infrastrukturmaßnahmen, durch den Ressour-
cenverbrauch und durch eine erhöhte Mobilität und zum
anderen durch das erhöhte Abfallaufkommen. Bereits
vorhandene Sportstätten und Einrichtungen sollten ma-
ximal genutzt werden, für alle Neubauten müssen um-
fassende Nachnutzungskonzepte entwickelt werden,


(Beifall bei der LINKEN)


und in die jeweilige Bauplanung ist eine Umweltverträg-
lichkeitsprüfung zwingend zu integrieren.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Viertes Kriterium sind die ökonomischen und finan-
ziellen Standards. Sowohl die Bewerbung als auch die
Durchführung einer Sportgroßveranstaltung sind zum
Teil mit erheblichen Kosten verbunden. Es ist zwingend
notwendig, die Kosten transparent und öffentlich zu be-
nennen. Dazu zählen auch die Bewirtschaftungskosten,
die nach dem Sportgroßereignis auf die öffentliche Hand
zukommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Fünftes Kriterium ist das Verhalten der Sportorganisa-
tionen; denn häufig sind die hinter der Sportveranstal-
tung stehenden Institutionen wie die FIFA und das IOC
– ich habe es gesagt – der eigentliche Angriffspunkt für
Kritik. Hier muss endlich ein Bewusstseinswandel statt-
finden, und die im Dezember 2014 beschlossene Agenda





Dr. André Hahn


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2020 des IOC könnte dazu ein erster wichtiger Schritt
sein.


(Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Ist doch!)


Ich bin – das haben Sie sicherlich gemerkt – persön-
lich durchaus ein Anhänger der olympischen Idee. Diese
Idee ist in den zurückliegenden Jahren und Jahrzehnten
aber leider pervertiert worden. Deshalb habe ich großes
Verständnis für alle Kritikerinnen und Kritiker, in meiner
eigenen Fraktion genauso wie in der gesamten Gesell-
schaft. Deshalb begrüßen wir als Linke alles, was eine
öffentliche Diskussion über diese Thematik befördert,
und wir werden uns daran aktiv beteiligen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809702600

Die Kollegin Michaela Engelmeier hat jetzt das Wort

für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Michaela Engelmeier (SPD):
Rede ID: ID1809702700

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen! Liebe

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir
beraten heute den Antrag der Grünen für verbindliche
politische Regeln im internationalen Sport. Dies ist eine
durchaus wichtige Debatte,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und ein guter Antrag!)


die wir hier in diesem Hohen Hause unbedingt führen
müssen. Meine verehrten Kolleginnen und Kollegen der
Grünen formulieren in ihrem Antrag, dass der internatio-
nale Sport in einer Glaubwürdigkeitskrise steckt. Sie be-
zeichnen die Vergabe der Fußballweltmeisterschaften
nach Russland und Katar als Fehlentscheidung.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt ja auch!)


Da bin ich ganz bei Ihnen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Sotschi haben wir gesehen, wie die Initiativen für
um Lohn betrogene Arbeiter nach den Veranstaltungen
oft ins Leere liefen. Genau wie in Sotschi darf die kata-
strophale Situation in Katar, besonders die Lage der
Wanderarbeiter, nicht schöngeredet werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wegen Menschenrechtsverletzungen und ökologi-
schen Risiken sollte die FIFA Katar die WM entziehen.
Auch ich plädiere dafür, diesen Schritt zu gehen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])

Warum? Weil die FIFA mit ihrem Festhalten an Katar
den Sport insgesamt, die weltweite Anerkennung und
auch die Werte des Sports wie Fairness, Toleranz und
Gerechtigkeit ad absurdum führt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das war aber leider schon alles, was ich an Ihrem An-
trag so richtig gut finden kann.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ihn nicht richtig gelesen! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Anders lesen!)


Nicht gut finde ich hingegen, dass Sie den international
organisierten Sport offensichtlich politisieren wollen.
Denn Sie fordern, dass die Sportverbände an der Ent-
wicklung von Formen der Bürgerbeteiligung mitwirken
sollen. Sie fordern auch, dass der organisierte Sport auf
die Abschaffung des Kafala-Systems in Katar hinwirken
soll. Damit hier kein falscher Eindruck entsteht: Ich bin
für Bürgerbeteiligung, und ich bin entschieden gegen
das Kafala-System in Katar. Aber ich halte es und wir
halten es für die unmittelbare Aufgabe der Politik, diese
Probleme zu benennen und Lösungen zu finden,


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


ohne dafür zwingend den Ball über die Bande des orga-
nisierten Sports zu spielen.


(Zuruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


In dieser Hinsicht ist Ihr Antrag leider nicht zufrieden-
stellend.

Ein weiterer Punkt: Mitglieder des Kabinetts sollen
frühzeitig ankündigen, ob sie in das Ausrichterland rei-
sen. Was soll denn „frühzeitig ankündigen“ heißen? Das
bedarf doch eigentlich einer Konkretisierung. Aber ehr-
lich, was für ein Beitrag zur Lösung der Probleme soll
das denn sein? Eigentlich können Sie sich das doch spa-
ren.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz schön kleinlich, Frau Kollegin!)


Sie wollen zwischen den EU-Staaten abstimmen, dass
in Zukunft keine Steuerbefreiung bei internationalen
Sportgroßveranstaltungen gewährt werden soll. Wie darf
ich das verstehen? Planen Sie, eine europäische Steuer-
union durch die Hintertür einzuführen?


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hä?)


Sie schreiben außerdem, dass es Handlungsbedarf bei
der Korruptionsbekämpfung im Sport gibt und dass die
Bundesregierung diesen anerkennen soll. Ja, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen der Grünen, hier verweise ich be-
sonders gerne auf den Koalitionsvertrag zwischen der
Union und der SPD.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Michaela Engelmeier


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(D)(B)

Denn dort haben wir festgehalten, dass Doping und
Spielmanipulationen die ethisch-moralischen Werte des
Sports zerstören,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Umsetzen!)


die Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler gefährden
und die Konkurrenten im Wettkampf sowie die Veran-
stalter, Fans und Zuschauer täuschen und schädigen.
Deshalb schaffen wir weiter gehende strafrechtliche Re-
gelungen beim Kampf gegen Doping. Das Anti-Doping-
Gesetz ist auf einem guten Weg, und die Planung zu ei-
nem Gesetz gegen Spielmanipulationen ist in vollem
Gange.


(Beifall bei der SPD)


Sie wollen auch, dass sich die Bundesrepublik dafür
einsetzt, dass ökologische Standards in die Satzungen
der internationalen Sportverbände aufgenommen wer-
den. Nun einmal ehrlich, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen, wie soll denn da der Einsatz der Bundesregierung
aussehen? Sie wissen doch genauso gut wie ich, dass wir
in der internationalen Sportpolitik neben der Autonomie
des organisierten Sports auch besondere Rahmenbedin-
gungen beachten müssen. Hier gibt es ein internationales
Problem, wie es zum Beispiel auch beim Kampf gegen
den Klimawandel besteht, aber nur eine nationale Hand-
lungsmacht.

Nun ziehen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Grünen, den Schluss, dass nur eine internationale Initia-
tive das Problem der Vergabe internationaler Sportgroß-
veranstaltungen lösen kann.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Die Verantwortlichkeit nur auf die Politik, die Sponsoren
und den organisierten Sport zu schieben, ist meiner Mei-
nung nach falsch und eher billig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie müssen sich schon mal entscheiden, was Sie kritisieren wollen!)


Genau wie beim Kampf gegen den Klimawandel kön-
nen auch nationale Strategien eine positive Wirkung ent-
falten. Ein gutes Konzept für nachhaltige Veranstaltun-
gen kann ein Vorbild sein, dem andere Staaten folgen.
Darum ist es notwendig, dass die Politik den organisier-
ten Sport bei seinen Reformbemühungen konstruktiv
und kritisch begleitet. Das bedeutet, dass man die Bemü-
hungen des organsierten Sports, zum Beispiel die IOC-
Agenda 2020, genau betrachtet. Dort wird bereits ein
ökologischer Standard gesetzt – ich zitiere –:

Städte, die bereits eine Bewerbung für die Olympi-
schen Winterspiele 2022 abgegeben haben, sollen
ermutigt werden, möglichst temporäre und/oder
zerlegbare Anlagen zu nutzen.

Ein schönes Beispiel dafür ist Hamburg, die deutsche
Bewerberstadt für die Olympischen und Paralympischen
Spiele. An dieser Stelle übrigens herzliche Gratulation
an die Hanseaten!

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hamburg plant ein rückbaubares Stadion. Überhaupt
bieten die Olympischen und Paralympischen Spiele in
Deutschland die Möglichkeit, ein gutes Konzept für
nachhaltige Spiele zu präsentieren und umzusetzen.
Sportgroßveranstaltungen haben eine gesellschaftliche
Funktion. Sie integrieren die Gesellschaft und tragen zur
Identitätsbildung unseres Landes und unserer Bevölke-
rung bei. Die Unterstützung der Reformbemühungen des
organisierten Sports durch die Politik ist notwendig. Da-
für muss ein offener und vertrauensvoller Dialog zwi-
schen Sport und Politik geführt werden; man braucht
aber keine angeordneten Vorschriften. Denn um die
Glaubwürdigkeit und Integrität des Sports zu erhalten,
bedarf es eines Richtungswechsels: weg vom Gigantis-
mus und hin zu nachhaltigen und fairen Spielen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Eine nachhaltige Organisation bedeutet, den sozialen,
umweltpolitischen, nachhaltigen und sportlichen Aspek-
ten von Sportgroßveranstaltungen mehr Aufmerksam-
keit zu widmen. Die Akzeptanz der Bevölkerung für
Sportgroßveranstaltungen hängt davon ab, dass die Men-
schen mitgenommen werden. Wir müssen sie vom posi-
tiven Effekt einer deutschen Bewerbung und Ausrich-
tung einer Sportgroßveranstaltung überzeugen. Das ist
übrigens die Lehre, die wir aus der gescheiterten Bewer-
bung Münchens ziehen müssen. Denn da wurden die
Bürger nicht mitgenommen, obwohl es ein ziemlich
nachhaltiges Konzept gab. Mein lieber Özcan, auch die
Grünen im Rat der Stadt München fanden das damals
übrigens interessant.

Ich will noch einmal betonen: Ein nachhaltiges Kon-
zept für eine internationale Sportgroßveranstaltung in
Deutschland bedarf der Bürgerbeteiligung. Eine Volks-
beteiligung im Zuge einer Bewerbung, wie sie beispiels-
weise in Hamburg stattfinden soll, halte ich für den ge-
eigneten Mechanismus. Dadurch können alle wichtigen
Akteure dieses Politikfeldes – der Bürger, der organi-
sierte Sport und die Politik – den genannten Richtungs-
wechsel zu nachhaltigen und gerechten Spielen wirklich
mittragen und legitimieren.

Wir sagen ganz selbstbewusst: Die Olympischen und
Paralympischen Spiele in Hamburg 2024 wären ein ers-
ter Schritt. Liebes IOC, wenn ihr eure Reformagenda
2022 wirklich ernst nehmt, ist das genau die Bewerbung,
die wir brauchen. Ich kann nur alle Menschen in unse-
rem Land aufrufen: Seien Sie ab heute Feuer und
Flamme für die Olympischen und Paralympischen
Spiele und vor allen Dingen Feuer und Flamme für
Hamburg!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809702800

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Frank

Steffel.






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Frank Steffel (CDU):
Rede ID: ID1809702900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Frau
Göring-Eckardt, auch wenn Sie mittlerweile etwas wei-
ter hinten Platz genommen haben, möchte ich Ihnen sa-
gen, dass ich Sie für Ihre differenzierte und zumeist sehr
sachliche Argumentation sehr schätze. Heute war das,
was Sie hier vorgetragen haben, allerdings außerge-
wöhnlich oberflächlich, billig und ziemlich plump.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das, was Sie gerade machen, ist billig! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh! – Na, na!)


Das war eine Verallgemeinerung, mit der wir in dieser
Debatte überhaupt nicht weiterkommen.

Eine differenzierte Betrachtung beginnt damit, dass
man FIFA, IOC und allen anderen Verbände nicht in ei-
nen Topf schmeißt. Beim IOC wird – übrigens unter ei-
nem deutschen Präsidenten – der schwierige Versuch un-
ternommen, Veränderungen herbeizuführen und viele
Länder im Bereich des Sports zu verändern. Die Gesell-
schaften in diesen Ländern verändern sich ja nicht etwa
schneller – eher im Gegenteil.

Meine Damen und Herren, die FIFA hat 209 Mitglie-
der. Davon ist, wenn überhaupt, die Hälfte demokratisch.
In 70 Ländern gibt es noch heute per Gesetz ein Verbot
von Homosexualität. Der Sport kann einen Beitrag dazu
leisten, dass darüber in diesen Gesellschaften diskutiert
wird. Aber er wird die Gesetze in diesen Ländern nicht
ändern können. In 57 Ländern dieser Erde gibt es die To-
desstrafe, die wir Deutsche aus guten Gründen ablehnen.
Wir können für die Veränderungen, die wir uns wün-
schen, werben; aber wir werden sie in diesen 57 Ländern
nicht alleine durch den Sport herbeiführen. Von Frauen-
rechten und Minderheitenrechten, wie wir sie in Mittel-
europa kennen, können wir in den meisten Ländern die-
ser Erde nicht sprechen. Wir können nur daran arbeiten,
dass es in diesem Jahrhundert zu vielen Veränderungen
kommt, auch durch den Sport und auch durch die Sport-
verbände.

Wenn wir über die FIFA reden, eint uns sehr viel Kri-
tik. Ich bin sehr sicher, dass es heute auch in der FIFA
keine Entscheidung mehr mit drei Stimmen Mehrheit
– 13 : 7 war das Ergebnis für Russland – geben würde,
sondern eine Mehrheit für Spanien und Portugal, die sich
damals auch beworben haben. Nur, zur Wahrheit gehört
natürlich auch, dass die Eskalation, die wir heute in
Russland erleben, zum Zeitpunkt der Entscheidung der
FIFA überhaupt nicht absehbar war.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Entscheidungen kann man korrigieren!)


Es war überhaupt nicht erkennbar, dass es zu einer mili-
tärischen Auseinandersetzung in Europa kommen
würde. Insofern ist Ihre Forderung, die uns wahrschein-
lich eint – wir brauchen Regeln, wir brauchen Standards,
wir brauchen Verbände, die definieren, unter welchen
Bedingungen sportliche Großereignisse auf diesem Pla-
neten stattfinden können –, völlig berechtigt. Sie hat nur
den falschen Adressaten; denn nicht die Bundesregie-
rung kann das umsetzen – wir können alle dazu beitra-
gen –, sondern die Sportverbände müssen ihre Standards
diskutieren.


(Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Nehmen Sie das Beispiel Katar: Ich halte es für einen
absoluten Skandal und wundere mich über die Ruhe der
Mitbewerber Japan, USA und Australien, dass sie akzep-
tieren, dass man sich um eine Fußballweltmeisterschaft,
die im Sommer stattfinden soll, bewirbt und nach der
Entscheidung skrupellos gesagt wird: Na, dann machen
wir es eben kurz vor Weihnachten. – Das hat mit Trans-
parenz und mit vernünftigen Entscheidungsprozessen
nun überhaupt nichts zu tun.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wahrscheinlich werden die USA und Japan und Austra-
lien ihre Chancen, die nächste Fußballweltmeisterschaft
austragen zu dürfen, nicht schmälern wollen und sich
deswegen bei diesem Thema so zurückhalten.

Wir sind uns einig, dass mitten in der Weihnachtszeit
aus deutscher, europäischer, christlicher Sicht generell
ein schwieriger Zeitpunkt für eine Fußballweltmeister-
schaft ist; das wird uns wohl einen.


(Zuruf der Abg. Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Die ganze Welt ist
nicht Weihnachten unterwegs, sondern es gibt auch an-
dere Feste in anderen Religionen. Aber dann, meine Da-
men und Herren, muss man das vor der Abstimmung sa-
gen, es vor der Entscheidung zum Kriterium machen und
darf nicht danach sagen: Jetzt verlegen wir das Ganze
mal schnell in den November und in den Dezember.

Insofern sind wir gut beraten, von den internationalen
Verbänden immer wieder Regeln einzufordern und auch
lautstark – ich bin den Grünen dankbar für die Debatte,
die wir heute hier führen können – zu artikulieren, wel-
che Erwartung wir als deutsche Demokratie an Verbände
haben, aber auch an Länder, die internationale Groß-
sportereignisse ausrichten dürfen. Natürlich ist Hamburg
der demokratische, der moralische, der sportpolitische,
der gesellschaftliche Gegenentwurf zu anderen Orten, an
denen wir Großveranstaltungen erlebt haben und in Zu-
kunft erleben werden.

Ich rate uns sehr – da wäre übrigens auch die Linke
gefordert, mal ihr eigenes Bild zu klären –, in der Frage
Russland nicht doppelzüngig zu argumentieren: einer-
seits Maßstäbe einzufordern, dann aber einer Fußball-
mannschaft der Ukraine zuzumuten, dass sie möglicher-
weise in Moskau bei der Fußballweltmeisterschaft
spielen muss, während ihre Verwandten von russischen
Soldaten niedergeschossen werden.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das geht doch aus den Kriterien hervor!)






Dr. Frank Steffel


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(D)(B)

Das muss dann auch kritisiert werden, lieber Herr Kol-
lege Hahn. Das gehört dann auch zur Wahrheit: Dann
kann man nicht dort weggucken, weil einem die russi-
sche Position aus politischen Gründen näher ist als viel-
leicht die mitteleuropäische oder die deutsche.

Insofern, meine Damen und Herren, empfehle ich
Glaubwürdigkeit. Ich empfehle, dass wir uns sehr diffe-
renziert damit beschäftigen. Im Übrigen empfehle ich
auch, Frau Göring-Eckardt, dass wir dann Deutsche in
die Gremien schicken. Ich war sehr froh, dass Sie bei Ih-
rer Rede ab und zu Ihre Kollegin Roth angeschaut haben
– ich hatte den Eindruck, das hat besänftigend auf Ihr
Manuskript gewirkt –,


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


weil es natürlich richtig ist, dass Frau Roth sich in den
Gremien engagiert,


(Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Für die FIFA ist es ein bisschen früh!)


anders als die Grünen, die sich der Debatte über die
Olympiabewerbung Deutschlands verweigern, an ihr
nicht teilnehmen, aber vorher und hinterher schlaue
Nachrichten verkünden; das ist sicherlich der falsche
Weg. Transparenz ist wichtig, Dialog ist wichtig. Beides
setzt übrigens voraus, dass wir mit den Verbänden reden,
dass wir mit den Verantwortlichen reden und für unsere
Werte werben. Ich bin mir ganz sicher: Wir werden kon-
tinuierlich in diesem Jahrhundert in den Sportverbänden
eine Entwicklung haben, die auch in der Gesellschaft
weitergeht: zu mehr Demokratie, zu mehr Menschen-
rechten, zu mehr Transparenz. Dazu soll und muss der
Sport einen Beitrag leisten. Dafür werden wir uns einset-
zen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809703000

Nächster Redner für die SPD ist der Kollege Detlev

Pilger.


(Beifall bei der SPD)



Detlev Pilger (SPD):
Rede ID: ID1809703100

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Gäste! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Sport ist eine der schönsten
Nebensachen der Welt, begeistert Menschen, erhält die
Gesundheit, verschafft Emotionen und dient der Integra-
tion und der Völkerverständigung. Welches Bild jedoch
die Bevölkerung vielfach von sportlichen Großveranstal-
tungen hat und welche Befürchtungen damit verbunden
werden, hat uns der Bürgerentscheid zur Olympiabewer-
bung in München und Garmisch-Partenkirchen, aber
auch in anderen europäischen Ländern deutlich gemacht.

Die Olympiade in Sotschi und die WM in Brasilien
haben diese Einschätzungen weiter verstärkt: Dort wur-
den gigantische Sportstätten ohne Rücksicht auf Umwelt
und Natur gebaut; die Arbeitsbedingungen waren un-
menschlich, und es gab wenige Nachnutzungskonzepte.
In Brasilien wurden zum Teil Stadien für Zigtausende
Besucher in biologisch hochsensiblen Gebieten gebaut,
in denen heute nur wenige Hundert Menschen Sportver-
anstaltungen verfolgen. Diese Stadien sind schon heute
dem Zerfall gewidmet.

Die Abgründe, die sich im Rahmen der WM-Vergabe
in Katar auftun, sind jedoch wohl kaum zu überbieten.


(Beifall der Abg. Matthias Schmidt [Berlin] [SPD] und Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE])


Die Verantwortlichen haben immerhin „nur“ vier Jahre
gebraucht, um zu erkennen, dass es im Sommer in der
Wüste zu heiß ist, um Fußball zu spielen. Beim Bau der
Stadien werden Menschen- und Arbeitsrechte nicht ge-
achtet. Momentan sind mehr als 13 000 Gastarbeiter in
Katar. Der Internationale Gewerkschaftsbund fällte 2014
ein vernichtendes Urteil – Zitat –:

Ausländische Beschäftigte werden wie Sklaven be-
handelt.

Schuld daran sei das Kafala-System, bei dem die Arbei-
ter dem Arbeitgeber gehören: Er nimmt ihnen den Pass
ab, lässt sie sechs Tage in der Woche zehn Stunden am
Tag in der Hitze schuften, sodass bisher schon Hunderte
Arbeiter auf den Baustellen gestorben sind. Appelle, Ab-
hilfe zu schaffen, verhallen. Wo bleibt der Aufschrei der
Würdenträger? Wo bleibt die längst überfällige Bildung
einer unabhängigen Kommission, die die Zustände kon-
trolliert?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Damit nicht genug: Bereits heute steht die FIFA im
Hinblick auf die WM 2018 vor einem weiteren hausge-
machten Problem. Je näher der Zeitpunkt der WM in
Russland rückt, desto häufiger werden die Rufe nach ei-
nem Boykott laut. – Alles nichts Neues. Die Vergangen-
heit hat bereits vielfach gezeigt, dass die Unterdrückung
der Opposition und die Verletzung der Menschenrechte
keine Ausschlusskriterien für die Ausrichtung von sport-
lichen Großveranstaltungen sind. Mit diesem System
wird billigend in Kauf genommen, dass sich politische
Herrscher öffentlichkeitswirksam in Szene setzen.

Doch zurück nach Katar. Ich kenne niemanden, der
die Vergabe der WM in den Wüstenstaat gutheißen
würde. Aber ich kenne auch keine Scheichs, die die ei-
gentlichen großen Gewinner dieser WM sind. Man er-
kennt das schlechte Gewissen der FIFA, die nun die die
Spieler abgebenden Vereine mit den doppelten Summen
entschädigt. Wenn sich alle Europäer einig wären, dann
sollten sie diese WM boykottieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dann soll das System Blatter doch mal eine WM ohne
Spanier, Italiener, Engländer, Holländer, Franzosen und
Deutsche spielen! Das wäre ein deutliches Zeichen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Ulli Nissen [SPD]: Völlig richtig!)






Detlev Pilger


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(D)(B)

Denn dass sich die FIFA von selbst reformiert, ist so un-
wahrscheinlich wie ein Wintereinbruch in Katar.

Mich und Millionen Fußballbegeisterte, die sich auf
die Spiele vorbereiten und äußerst freuen, würde das zu-
tiefst treffen. Aber den Preis würde ich zahlen und mich
in dieser Zeit dann stattdessen auf den Advent und Weih-
nachten vorbereiten.

Wenn Großveranstaltungen ihre Glaubwürdigkeit zu-
rückgewinnen sollen, darf es zukünftig nicht mehr zu
solchen Vergaben kommen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir brauchen Vergaberichtlinien, die mit den Sportorga-
nisationen diskutiert und abgesprochen werden. Dieser
Katalog muss sich an ökologischen und menschenrecht-
lichen Kriterien ausrichten und ein schlüssiges Nachnut-
zungskonzept ausweisen. Gelingt das nicht, verlieren
solche sportlichen Großveranstaltungen zusehends an
Akzeptanz und verfehlen das Gefühl einer sportlichen
Weltfamilie. Zu dieser gehören auch die Hunderte von
Gastarbeitern in Katar, die bereits auf den Baustellen ihr
Leben gelassen haben und deren Familien nun ohne Er-
nährer überleben müssen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809703200

Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der

Kollege Özcan Mutlu.


(Ulli Nissen [SPD]: Jetzt sind wir aber gespannt! – Zuruf von der CDU/CSU: Jetzt wird es wieder sachlich!)



Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809703300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Um-

gang mit Olympischen Spielen oder Fußballweltmeister-
schaften verhalten wir uns ziemlich verrückt und wider-
sprüchlich, wie auch die Debatte heute wieder gezeigt
hat. Auf der einen Seite wissen wir um die strukturellen
Probleme des internationalen Sports: Wir wissen um
Korruption, Vetternwirtschaft, Intransparenz, die herr-
schende Großmannssucht und die Gigantomanie. Auf
der anderen Seite sind wir aber auch Konsumenten die-
ser Sportevents. Die TV-Einschaltquoten steigen und
steigen, und wir treffen uns Tag und Nacht zum Public
Viewing – bald auch mit Glühwein zum Wüstenfußball
2022, was nur die wenigsten abschrecken wird. Ich kann
an dieser Stelle nur sagen: Vielleicht kommt die FIFA ja
noch zur Vernunft und schaut nicht mehr zu, wie in Ka-
tar Menschenrechte mit Füßen getreten und Menschen
wie Sklaven auf Baustellen gehalten werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grüne sagen ganz klar und deutlich: Die Verlegung
der WM 2022 ist längst überfällig.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, transparente, saubere und
nachhaltige Spiele sind möglich, wenn die Weltsportver-
bände wieder zu ihren Ursprüngen zurückfinden, statt
sich von Kommerz und Korruption treiben zu lassen. Ob
die FIFA und das IOC diesen Willen haben, darf im All-
gemeinen bezweifelt werden. Peking, Sotschi, Russland
und Katar sprechen für sich. Dabei haben sich die zahl-
reichen Länder im Rahmen der UNESCO-Weltsportmi-
nisterkonferenz und der Berliner Erklärung auf klare und
konkrete Regeln für den internationalen Sport verstän-
digt.

Deutschland kann mit der Hamburger Bewerbung für
die Olympischen und Paralympischen Spiele 2024 oder
2028 zeigen, dass nachhaltige und transparente Spiele in
Demokratien sehr wohl möglich sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bis dahin muss aber noch viel Wasser die Elbe herunter-
fließen. Wir wissen nämlich, dass sich der DOSB mit der
Bewerbung Hamburgs für 2024 sehr viel vorgenommen
hat – vielleicht zu viel, zumal die Chancen für die Fuß-
ball-EM 2024 in Deutschland sehr groß sind.

Große Sorgen mache ich mir besonders auch um die
Kostenentwicklung und die finanzielle Solidität der Be-
werbungs- und Austragungsphase. Hier reicht ein kriti-
scher Blick nach London. Mit circa 13,5 Milliarden Euro
haben sich die Kosten der Londoner Spiele vervierfacht.
Das kann und darf nicht der Weg von Hamburg sein.

Ich bin aber optimistisch. Dank der absehbaren grü-
nen Beteiligung im Hamburger Senat bin ich zuversicht-
lich, dass die Bewerbung einen guten Weg einschlagen
wird. Bei dieser Gelegenheit wünsche ich der Hambur-
ger Bewerbung viel Glück und viel Erfolg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Mit eurer Beteiligung!)


Ich möchte hier klarstellen, dass wir uns zu keiner
Zeit gegen Olympische und Paralympische Spiele in
Deutschland ausgesprochen haben. Dass wir nicht als
Feigenblatt zum DOSB gegangen sind, war auch keine
Absage an die Spiele, sondern an das Gebaren des
DOSB.


(Michaela Engelmeier [SPD]: Da hättet ihr die richtigen Fragen stellen können!)


Ich habe bei der ganzen Debatte den Eindruck gewon-
nen, dass viele – auch in diesem Raum hier – das Ziel
bescheidener Spiele in Hamburg mit uns teilen. Wir tei-
len die Absicht, dass die Menschen vor Ort frühzeitig in
alle Planungsphasen einbezogen und mitgenommen wer-
den. Wir wollen Spiele, bei denen der Sport und vor al-
lem die Sportlerinnen und Sportler wieder im Mittel-
punkt stehen.

Selbst beim IOC wächst mit der Agenda 2020 lang-
sam ein Reformpflänzchen. Aber ich glaube das erst,
wenn rote Teppiche und freie Vorfahrt für IOC-Mitglie-





Özcan Mutlu


(A) (C)



(D)(B)

der keine Vorbedingungen für Olympiabewerbungen
mehr sind oder wenn Host-City-Verträge nicht wie in
Stein gemeißelt unverändert bleiben müssen.

Lieber Kollege Gienger, Frau Kollegin Engelmeier,
Sie tun immer wieder so, als finde der Sport in einem po-
litikfreien Raum statt.


(Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Da hast du mir nicht zugehört! – Dagmar Freitag [SPD]: Das ist doch Unsinn!)


– Das ist Unsinn. – Der Sport findet nicht im politik-
freien Raum statt, und das sollten Sie endlich einmal
verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michaela Engelmeier [SPD]: Sie müssen einmal aufmerksam zuhören!)


Meine Damen und Herren, mit dem vorliegenden An-
trag möchten wir die Kräfte im organisierten Sport un-
terstützen, die mit uns die Vision eines besseren Sports
und sauberer Spiele teilen. Ich möchte Sie einladen,
diese Vision von sauberen, nachhaltigen und transparen-
ten Spielen mit uns voranzubringen, gerade weil der
Sport eine so herausragende gesellschaftliche Funktion
hat.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809703400

Herr Kollege Mutlu, der letzte Satz wäre ein guter

Schlusssatz gewesen.


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809703500

Herr Präsident, ich komme zum Schluss. – Lassen Sie

uns gemeinsam diesen Weg gehen – egal, ob es dabei um
Olympische und Paralympische Spiele in Hamburg, die
European Games in Baku oder die Fußball-WM in Katar
geht. Das hat der Sport nötig.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Eberhard Gienger [CDU/CSU]: Der Präsident hatte recht mit seinem Hinweis auf Ihren letzten Satz!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809703600

Nächster Redner ist für die Unionsfraktion der Kol-

lege Reinhard Grindel.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1809703700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Pilger, Kritik an der FIFA ist berechtigt.
Aber sie muss auch gerechtfertigt sein. Zur Fairness ge-
hört es, auf den Umstand hinzuweisen, dass die FIFA bei
der Fußballweltmeisterschaft von Brasilien acht Stadien
verlangt hat. Die Entscheidung, zusätzlich auch in
Manaus und noch an drei anderen Orten Stadien zu
bauen, war eine Entscheidung der brasilianischen Regie-
rung, die ich für falsch halte. Wenn man Kritik übt, dann
muss man sie richtig adressieren. In diesem Fall muss sie
an die brasilianische Regierung gerichtet werden.

Im Übrigen haben wir es in Russland mit dem glei-
chen Phänomen zu tun. Auch da wurden statt der ver-
langten acht Stadien zwölf gebaut. Die Schwierigkeiten,
die Russland im Augenblick hat, sind mit Sicherheit im
Bereich des Baus von Stadien genauso groß wie im Be-
reich der Politik.

Frau Kollegin Göring-Eckardt, Sie haben gesagt:
Hamburg ist eine gute Wahl. – Das ist richtig. Aber nie-
mand hat an dieser guten Wahl so wenig mitgewirkt wie
die Bundestagsfraktion der Grünen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stimmt gar nicht!)


Man muss es unseren Zuschauern einmal darstellen: Die
gute Wahl für Hamburg ist unter anderem auf der Grund-
lage der Ergebnisse einer Expertenrunde beim DOSB
getroffen worden. Da waren alle vertreten: Sportler,
Olympiaexperten, Umweltverbände, Behindertenver-
bände, alle politischen Parteien, sogar die Linke, nur
nicht die grüne Bundestagsfraktion.


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da haben Sie sich an der Nase herumführen lassen!)


Aber die Grünen waren vertreten, nämlich mit Frau
Fegebank, der Landesvorsitzenden der Hamburger Grü-
nen,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


die dort als Teil der Hamburger Delegation einen exzel-
lenten Auftritt hatte. Wie ich von Teilnehmern der Ex-
pertenrunde weiß, war ihr Auftritt sicherlich ein Beitrag
dazu, dass sehr viele gesagt haben: Hamburg hat nicht
nur ein gutes Konzept, sondern auch die verantwortli-
chen Personen, die bei den Menschen für dieses gute
Konzept werben können. – Insofern sage ich Ihnen: Wir
brauchen keine Leute, die von den Zuschauerrängen
schlechte Stimmung verbreiten, sondern wir brauchen
Leute, die auf dem Spielfeld mitmachen. Frau Fegebank
hat das begriffen, Sie nicht. Das ist der große Unter-
schied.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809703800

Herr Kollege Grindel, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Mutlu?


(Dagmar Freitag [SPD]: Das war ja zu erwarten!)



Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1809703900

Ja.






(A)



(D)(B)


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809704000

Danke, Herr Präsident. – Kollege Grindel, eine Frage,

weil ich Ihren falschen Vorwurf nicht im Raum stehen
lassen möchte: Waren Sie denn geistig abwesend, als wir
als grüne Bundestagsfraktion im Sportausschuss des Bun-
destages mehrfach das Thema Bewerbung von Berlin und
Hamburg für die Olympischen Spiele in Deutschland an-
gemeldet haben und Vertreter des DOSB eingeladen
haben, um den Fahrplan für die Olympischen Spiele zu
diskutieren, damit uns deutlich gemacht wird, wie die
Entscheidungskriterien zu gewichten seien und, und,
und? Das war nicht eine Sitzung, das waren mehrere Sit-
zungen. Waren Sie da geistig abwesend, oder muss ich
Ihnen jetzt Böswilligkeit unterstellen?


Reinhard Grindel (CDU):
Rede ID: ID1809704100

Nein. Ich habe darauf hingewiesen, dass der Satz von

Frau Göring-Eckardt: „Hamburg ist eine gute Wahl“
stimmt, dass auch das stimmt, was Frau Engelmeier ge-
sagt hat, dass Hamburg genau zur Reformagenda 2020
des IOC passt, dass Hamburg, wie der DOSB-Präsident
Hörmann zu Recht gesagt hat, die Agenda-City ist und
dass Hamburg im Grunde genommen ein Konzept vor-
gelegt hat, über das man sagen kann: Wenn ihr es mit
Reformen ernst meint, dann nehmt Hamburg. – Deswe-
gen bin ich auch guten Mutes, dass Hamburg alle Chan-
cen hat, sich gegen Boston durchzusetzen.

Wenn man aber für diese Sache ist, dann muss man
darauf auch Einfluss nehmen. Diesen Einfluss auf dieje-
nigen, die über die Vergabe zu entscheiden haben, hätte
man in der genannten Expertenrunde geltend machen
müssen. Sie aber haben gehofft, mit populistischen Ar-
gumenten, mit Ihrem Boykott und Ihrer Nichtanwesen-
heit bei dieser Veranstaltung bei Sportjournalisten oder
anderen Punkte zu machen. Ich habe Ihnen eben gesagt,
dass Frau Fegebank als Hamburger Grüne das anders ge-
macht hat, dass sie einen Beitrag dazu geleistet hat, dass
der Satz von Frau Göring-Eckardt „Hamburg ist eine
gute Wahl“ stimmt. Zu dieser Wahl hat Frau Fegebank
beigetragen. Insofern kann ich nur sagen: Ich wünsche
mir bei den Grünen etwas mehr Fegebank und etwas we-
niger Mutlu, wenn Sie mir das nicht übelnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben meine Frage falsch verstanden!)


Ich will Ihnen auch sagen, Herr Mutlu, da Sie diese
Zwischenfrage gestellt haben: Sie haben hier kräftig
vom Leder gezogen und gesagt, die Argumentation hier
sei zum Teil verrückt und widersprüchlich. Sie sprechen
in Ihrem Antrag weniger – um nicht zu sagen: gar nicht –
von der Autonomie des Sports,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mit der Autonomie hat ja nicht geklappt!)


sondern Sie sprechen von Berichtspflichten. Ferner ist
davon die Rede, der Sport sei anzuhalten, der Sport habe
überprüft zu werden. Sie sprechen sogar von Sanktionen
gegen den Sport.
Wissen Sie, was Sie wollen, klingt ein bisschen nach
kompletter Kontrolle des Sports durch den Staat; das
wäre Staatssport. Das, was Sie hier verlangen, ist – und
das ist der Widerspruch – gerade in den Ländern an der
Tagesordnung, bei denen Sie nicht wollen, dass dorthin
sportliche Großveranstaltungen vergeben werden. Viel-
leicht denken Sie darüber noch einmal nach. Etwas we-
niger Kontrolle, etwas weniger staatlicher Einfluss, die
Autonomie des Sports achten, auch das gehört zum Ver-
hältnis von Politik und Sport, so wie es zumindest wir
als Union haben.

Sie vergießen hier Krokodilstränen wegen der Bewer-
ber für die Olympischen Winterspiele 2022. Gleichzeitig
verlangen Sie eine Bürgerbeteiligung auf allen Ebenen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Aber ich will Ihnen schon – auch ein bisschen in Ab-
grenzung zu Frau Engelmeier – entgegenhalten: Wenn
man im Fall von München diese Form der Bürgerbeteili-
gung nicht durchgeführt hätte, sondern auf das Votum
der von den Bürgern gewählten parlamentarischen und
kommunalpolitischen Gremien vertraut hätte, dann hät-
ten wir in meinen Augen jetzt sehr gute Chancen für eine
Winterolympiade in München, einer Stadt, die den An-
forderungen Ihres Antrages mehr entsprochen hätte als
die Bewerberstädte Almaty oder Peking. Ich bin ganz si-
cher: Die leider manchmal etwas zu schweigsame Mehr-
heit der Bürger in München und Umgebung würde sich
auf diese Spiele freuen. Es wäre in München auch anders
gegangen und im Sinne der Menschen und der olympi-
schen Idee vielleicht auch besser.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein letzter Gesichtspunkt. Sie mahnen den Sport in
Ihrem Antrag sehr stark zur Corporate Social Responsi-
bility, also zu sozialer Verantwortung. Sie formulieren
das in einer Weise in Ihrem Antrag, die besagt, dass es
da heute sehr viele Defizite gebe. Klaus-Dieter Fischer,
der langjährige Präsident von Werder Bremen, der Ende
letzten Jahres aus seinem Amt ausgeschieden ist und der
in seinem Verein eine CSR-Abteilung mit über zehn Mit-
arbeitern geschaffen hat, ist gefragt worden, was für ihn
der bewegendste Moment seiner Amtszeit war. Da hat er
von der Blindenfußballabteilung bei Werder erzählt, die
er einmal besucht hat. Er sprach davon, wie ein blinder
kleiner Junge zum ersten Mal mittrainiert hat und hinter-
her zu seiner Mutter gesagt hat: Mama, stell dir vor, ich
habe Fußball gespielt.

Ich könnte Ihnen etwas zur Begeisterung von Mann-
schaften aus den Werkstätten für Behinderte sagen, die
ihre Meisterschaften austragen. Mittlerweile schließen
sich sogar ganze Teams Vereinen an, um dort im ganz
normalen Spielbetrieb mitzumachen. Es gibt Hunderte
von Flüchtlingskindern, die in diesen Tagen der Tristheit
ihrer Unterkunft entfliehen, bei Vereinen Sport treiben,
da glücklich sind und bei dieser Gelegenheit neue
Freunde finden und auch Deutsch lernen.

Oder soll ich Ihnen von dem Strafgefangenen erzäh-
len, der entlassen wurde und ein neues Umfeld gefunden
hat – heraus aus seinem alten –, weil er im Gefängnis

(C)






Reinhard Grindel


(A) (C)



(D)(B)

den Schiedsrichterschein gemacht hat? Vereine sind wo-
möglich dankbar, wenn so einer zu ihnen kommt. Diese
Vereine fragen eben nicht nur: Was hast du vor der Zeit
im Gefängnis gemacht?

Es gibt Tausende von Beispielen, die deutlich ma-
chen, dass der Sport in unserem Land seine soziale Ver-
antwortung wahrnimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dafür brauchen sie, Herr Kollege Mutlu, keine Anträge
der Grünen. Dafür braucht man ein gutes Selbstverständ-
nis, ehrenamtliches Engagement und eben kein Miesma-
chen, sondern Mitmachen. Dazu fordere ich uns alle auf.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der Sportfunktionär sprach!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809704200

Nächster Redner für die SPD ist der Kollege Axel

Schäfer.


(Beifall bei der SPD)



Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1809704300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist gut, dass wir heute dieses Thema diskutieren. Es ist
wichtig, fast am Ende dieser Debatte darauf hinzuwei-
sen, dass es hier in vielen Punkten Übereinstimmung
zwischen den Fraktionen gibt. Deshalb könnte ich eine
Reihe von Punkten der Kollegin Göring-Eckardt und des
Kollegen Hahn durchaus unterschreiben, die SPD insge-
samt sicherlich auch.

Ein Punkt wurde aber leider völlig ausgeblendet: So
richtig Kritik an Verbänden ist, es darf die Selbstkritik
nicht fehlen, also die Kritik am eigenen Parlament. Ich
möchte deshalb daran erinnern, dass 1980 der Deutsche
Bundestag – von den damals Beteiligten ist niemand
mehr im Saal – den dümmsten Beschluss seiner Ge-
schichte gefasst hat: Er hat die Sportverbände veranlasst,
die Olympischen Spiele in Moskau zu boykottieren.


(Beifall der Abg. Michaela Engelmeier [SPD])


Das war dumm, weil wir fast die Einzigen waren, weil
der Sport in eine Abhängigkeit geriet und weil dieser Be-
schluss irreparabel war: Anders als bei einer Rentenre-
form konnte man nichts mehr ändern, sondern die Spiele
waren gelaufen. Dieser dumme Beschluss wurde vier
Jahre später durch den ebenso dummen Beschluss der
Volkskammer noch getoppt: Wie viele andere Staaten
auch boykottierte die DDR die nächsten Spiele in Los
Angeles. Das sollte uns eine Lehre sein. Wenn es um das
Verhältnis zwischen Sport und Politik geht, sollten wir
immer die Balance wahren sowie auch über die eigenen
Fehler, Schwächen und Erfahrungen reflektieren. Es war
wichtig, dass man auch hierüber einmal redet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)

Es ist, liebe Kolleginnen und Kollegen, notwendig,
auf Folgendes hinzuweisen: Man darf bei keinem Groß-
ereignis – so wie es damals der Sportausschussvorsit-
zende Peter Danckert in Bezug auf die Fußballweltmeis-
terschaft in Deutschland sagte –, bei diesen wichtigen
und auch wirklich schönen Spielen und Wettkämpfen, zu
keinem Zeitpunkt den Eindruck haben, dass in unserem
Land – durch die Regeln, die uns die FIFA oder das IOC
oktroyiert; die Host-City-Verträge wurden angespro-
chen – die Demokratie zum Teil außer Kraft gesetzt
wird. Das geht in Demokratien nicht.

Deshalb ist es wichtig, dass wir mit unseren Bewer-
bungen – das gilt auch für das, was wir jetzt im Hinblick
auf Hamburg beschlossen haben – ein gutes Beispiel –
auch was unser Verständnis in Europa und mit Europa
angeht – geben, ohne dass wir den anderen Teilen der
Welt vorschreiben wollen, wie etwas zu sein hat. Viel-
mehr sollten wir das im positiven Sinne machen.

Kollege Grindel, da bin ich anderer Meinung als Sie:
Wenn es in vier Städten in Bayern eine Mehrheit gegen
Olympische Winterspiele gibt – was ich sehr bedauere –,
dann ist das auch Teil der Demokratie, von der wir und
mit der wir leben. Der DOSB ist heute der Meinung,
dass man eine Vergabe nur noch durchführen kann,
wenn das auch von den Bürgerinnen und Bürgern – ge-
nauso wie von den parlamentarischen Gremien – akzep-
tiert wird. Und das ist auch gut so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da ich gerade beim Kollegen Grindel war, kann ich
nun direkt auf etwas sehr Positives zu sprechen kom-
men. Man muss auch im Deutschen Bundestag einmal
darauf hinweisen, dass das Verhältnis zwischen Sport
und Politik keine Einbahnstraße sein darf. Es ist gut und
richtig, dass wir ehrenamtlich engagierte Funktionsträ-
ger haben. Das sind auf der einen Seite die Kollegen
Gienger und Grindel sowie auf der anderen Seite die
Kolleginnen Freitag und Engelmeier. Sie stehen in ihren
Verbänden mit an der Spitze. Sie sind von ihren Wähle-
rinnen und Wählern demokratisch legitimiert, haben ent-
sprechende Verantwortung und können die Belange des
Sports hier kompetent einbringen. Auch das gehört dazu.
Des Weiteren gehört dazu, dass wir als Politikerinnen
und Politiker unsere Meinung öffentlich klar kundtun,
wenn es um streitige Fragen geht.

Ich finde es wichtig, dass wir über Menschenrechte in
Katar und auch über Diskriminierung in Sotschi reden.
Das finde ich richtig. Genauso richtig finde ich es, dass
einige von uns – das gilt für mich genauso – sagen:
Wenn die FIFA jetzt einen neuen Präsidenten wählt, ist
es gut, wenn sich die europäischen Verbände – es sind 54 –
abstimmen und einen gemeinsamen Kandidaten kraft-
voll unterstützen.

Ich sage Ihnen – nach den Erfahrungen der letzten
Jahre und Jahrzehnte – aber auch ganz offen: Ich wäre
froh, wenn diese Abstimmung zu dem Ergebnis führen
würde: Joseph Blatter ist weg. Es ist an der Zeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bravo!)







(A) (C)



(D)(B)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809704400

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-

punkt ist der Kollege Johannes Steiniger für die CDU/
CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Steiniger (CDU):
Rede ID: ID1809704500

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie mich als
letzten Redner der Debatte zunächst noch auf ein paar
Stichworte des Antrags, der uns heute vorliegt, zurück-
kommen, die im ersten Satz der Begründung aufgeführt
sind. Darin ist von Menschenrechtsverletzungen, Gigan-
tomanie, Umwelt- und Naturvernichtung, Korruption,
Intransparenz und Vetternwirtschaft die Rede. Man hätte
im Vorfeld durchaus auf die Idee kommen können, dass
wir heute Morgen über die Bekämpfung des organisier-
ten Verbrechens diskutieren.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei der FIFA stimmt das ja auch!)


Dies aber ist das Bild, das der eingebrachte Antrag vom
internationalen Sport zeichnet.

Dass es in der Sportwelt durchaus zu schweren Ver-
fehlungen kommt, bestreitet kein Mensch. Ich glaube, es
ist gut, dass wir heute in der Kernzeit über die Fraktions-
grenzen hinweg auch die Themen FIFA und Katar ange-
sprochen haben. Dieser Antrag diskreditiert mit seinem
implizierten Generalverdacht aber die gesamte interna-
tionale Sportfamilie.

Wir dürfen die öffentliche Aufmerksamkeit nicht im-
mer nur auf die einigen Dutzend Spitzenfunktionäre len-
ken, sondern wir müssen die Sportverbände an sich im
Blick haben. Mein Bild etwa der Fußballweltmeister-
schaft oder der Paralympischen und Olympischen Spiele
in London ist ein anderes: Die weltweiten Spiele stehen
aus meiner Sicht vielmehr für Begriffe wie Völkerver-
ständigung, fairer Wettbewerb, internationale Begeg-
nung und kultureller Austausch. Sie stehen für das fried-
liche Miteinander von Nationen und die Zusammenkunft
von Athletinnen und Athleten aus der gesamten Welt,
um ein gemeinsames Sportfest zu feiern.

Der von den Grünen eingebrachte Antrag legt aller-
dings – auch das wurde heute schon angesprochen; es ist
einer der wichtigsten Punkte, warum ich den Antrag
nicht gut finde – ein Stück weit die Axt an die Autono-
mie des Sports und stellt diesen grundlegend infrage. Er
widerspricht der Grundidee, dass Athletinnen und Athle-
ten und die vielen ehrenamtlich Engagierten in den zahl-
reichen Sportvereinen sich innerhalb des DOSB und sei-
ner Dachverbände selbst organisieren und dem Sport
auch international eine funktionierende Struktur geben.
Denn es sind die Verbände selbst, die ihre Zielsetzung
und Ausrichtung festlegen.


(Beifall des Abg. Eberhard Gienger [CDU/ CSU])


Durch regelmäßige Wahlen und Beratung in ihren
Mitgliederversammlungen entscheiden die Sportfach-
verbände eben ganz autonom über Personal und Inhalte.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Siehe Blatter-Wahl!)


Diese demokratischen Verfahren legitimieren ihr Han-
deln. Das ist der Wesenskern der Autonomie des Sports.


(Beifall des Abg. Eberhard Gienger [CDU/ CSU])


Es ist doch klar, dass es Regeln braucht. Aber in Ih-
rem Antrag wird der falsche Adressat angesprochen. Na-
türlich brauchen wir Regeln, und der DOSB muss an ers-
ter Stelle mitkämpfen. Aber wer in seinen Aussagen und
seinem Wording den DOSB auf diese Weise anspricht,
wie Sie seitens der Grünen es tun, Kollege Mutlu, wird
keinen großen Erfolg haben.

Ohne die Frage stellen zu wollen, wem mit dieser re-
lativ losen Aneinanderreihung Ihrer 16 Punkte mit diffu-
sen Problemlagen geholfen ist, möchte ich schon darauf
hinweisen, dass man einige Ihrer Forderungen getrost
abhaken kann, da sie entweder bereits erreicht, ange-
dacht, geplant oder auf einem guten Weg sind. Vieles
von dem, was im Antrag beispielsweise in puncto Nach-
haltigkeit und Umweltschutz, Transparenz und Bürger-
beteiligung gefordert wird, ist im deutschen Konzept der
Olympiabewerbung bereits umgesetzt, übrigens auch
mit der klaren Orientierung an der Reformagenda 2020
des IOC.

Wenn die Grünen konsequent wären, müssten sie
denklogisch eigentlich die größten Vorkämpfer für
Olympische und Paralympische Spiele in Deutschland
sein.


(Zuruf des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Ja gut, Herr Mutlu. Aber so, wie Sie sich im Vorfeld
der aktuellen Bewerbung verhalten haben, habe ich nicht
feststellen können, dass Sie die größten Vorkämpfer für
Olympische Spiele in Deutschland sind und das auch an
erster Stelle beworben haben.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben gar nicht zugehört, oder?)


Das muss ich Ihnen ganz ehrlich sagen.


(Dagmar Freitag [SPD]: Da haben Sie recht!)


Denn man muss sich entscheiden: Nimmt man in Kauf,
dass autoritäre Staaten den Zuschlag für Spiele bekom-
men, oder begreift man die Herausforderungen und
Chancen einer eigenen starken Bewerbung? Dann kann
man nämlich die Spiele nach unseren Standards ausrich-
ten und damit für die Zukunft die Messlatte setzen. Es ist
besser, Reformen von innen heraus anzugehen, als un-
realistische Forderungen an die Politik zu stellen.

Zurück zum Antrag. Der Antrag gibt der „Berliner Er-
klärung“ als Ergebnis der fünften Weltsportministerkon-
ferenz viel Raum, und zwar aus meiner Sicht zu Recht.
Denn sie gilt in der Tat als Meilenstein.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)






Johannes Steiniger


(A) (C)



(D)(B)

Die Grünen fordern nun die Bundesregierung auf, die
getroffenen Beschlüsse schnell umzusetzen. Ich kann
nicht erkennen, weshalb der Innen- und Sportminister
des Gastgeberlandes ein Interesse daran haben sollte,
dies nicht zu tun. Zum Umsetzungsstand der Vereinba-
rung der Weltsportministerkonferenz hat die Bundesre-
gierung Anfang März ausführlich Stellung genommen.
Beispielsweise wurden für die Teilhabe von Menschen
mit Behinderung im Leistungssport eine deutliche Ver-
besserung erreicht und zusätzliche Mittel bereitgestellt.

Weiter wird die Wahrung der Integrität des Sports als
zentrales Themenfeld in der „Berliner Erklärung“ be-
schrieben. Auch dieser zentralen Forderung kommen wir
mit einem Anti-Doping-Gesetz nach. Ein entsprechender
Gesetzentwurf war bereits gestern Gegenstand der Kabi-
nettssitzung.

Ich komme zum Schluss. Es ist falsch, zu glauben,
dass sich die Sportfamilie in Deutschland auf europäi-
scher und internationaler Ebene gewisser Missstände im
organisierten Sport nicht bewusst ist. Vom Hochleis-
tungssportler bis zum ehrenamtlich Engagierten haben
schließlich alle das gemeinsame Ziel, die Integrität des
Sports zu leben. Jeder, der im Sport Verantwortung trägt,
weiß um die große Strahlkraft des Sports und die Bedeu-
tung, die er für so viele Menschen in unserem Land hat.

Lassen Sie uns in dem Sinne an dieser Idee weiter ge-
meinsam arbeiten, sodass es auch 2024 in Hamburg wie-
der heißen kann: Die Welt zu Gast bei Freunden. – Die-
ser Antrag leistet dazu leider keinen nennenswerten
Beitrag.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was anderes hätte ich von Ihnen auch nicht erwartet!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809704600

Damit schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/3556 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 3 a und 3 b
auf:

a) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Durch Stärkung der Digitalen Bildung Medien-
kompetenz fördern und digitale Spaltung
überwinden

Drucksache 18/4422
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Forschungsrahmenprogramm der Bundes-
regierung zur IT-Sicherheit

Selbstbestimmt und sicher in der digitalen
Welt 2015 – 2020

Drucksache 18/4304
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Weil ich
keinen Widerspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie
alle damit einverstanden sind.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Kollegen Sven Volmering für die CDU/CSU
das Wort.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sven Volmering (CDU):
Rede ID: ID1809704700

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die gerade kontrovers geführte Sportdebatte
erleichtert mir ein wenig den Übergang zu meinem Re-
debeginn. Wir erinnern uns alle sehr gerne an das Jahr
2014, in dem wir Fußballweltmeister geworden sind.
Dieser Titel war bei allem notwendigen Glück auch
Lohn für den Tüchtigen, der sich nach den Debakeln bei
großen Turnieren um die Jahrtausendwende auf den Weg
gemacht hat, die Talentförderung in Deutschland neu zu
gestalten.

Vor einer ähnlichen Herausforderung steht Deutsch-
land heute bei der digitalen Bildung. Wir hinken den
Weltmeistern hinterher. Nur 1,5 Prozent der deutschen
Schülerinnen und Schüler haben bei der internationalen
ICILS-Studie die höchste Kompetenzstufe erreicht.
Computereinsatz findet viel zu selten und wenig fächer-
übergreifend statt. Nur 30 Prozent aller Kinder haben in
der Schule regelmäßig Kontakt mit ihnen. Der interna-
tionale Mittelwert liegt hier bei 52 Prozent. Die Studie
macht auch klar, dass das Aufwachsen in einer technolo-
gisch geprägten Welt nicht automatisch zu kompetente-
ren Nutzern führt. 30 Prozent der Schüler verfügen über
nur sehr gering ausgeprägte digitale Kompetenzen; bei
Schülern mit Zuwanderungshintergrund sind es sogar
40 Prozent. Ohne eine stärkere Verankerung digitaler
Medien in allen Lernprozessen droht im internationalen
Vergleich Mittelfeldgeplänkel und auf Sicht der Abstieg.

Ob es uns nun gefällt oder nicht: Die Bereiche Ler-
nen, Wissensaneignung und Mediennutzung werden sich
durch die Digitalisierung weiter fundamental ändern.





Sven Volmering


(A) (C)



(D)(B)

Zwei Drittel der Lehrer sind der Auffassung, dass der
Einsatz digitaler Medien junge Menschen motivierend
dabei unterstützt, Informationen wirksamer zu verarbei-
ten. 72 Prozent der Eltern und Schüler wünschen einen
verstärkten Einsatz digitaler Medien. Um eine digitale
Spaltung zu vermeiden, müssen wir allen Kindern und
Jugendlichen eine vernünftige digitale Grundbildung zu-
kommen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Diese ist eng mit Medienkompetenz verknüpft und be-
inhaltet dann auch den sicheren, verantwortungsvollen
und kritischen Umgang mit digitalen Medien und Pro-
grammen. Das ist mit Blick auf den Datenschutz wich-
tig, aber auch mit Blick auf bessere Chancen auf dem
Arbeitsmarkt. Es geht dabei nicht um die „totale
Zwangsdigitalisierung“, wie der Präsident des Deut-
schen Lehrerverbandes, Josef Kraus, befürchtet, und es
geht auch nicht um die Abschaffung wichtiger Kultur-
techniken wie Lesen und Schreiben, sondern um den di-
daktisch sinnvollen Einsatz, der sogar dazu führen kann,
dass die Geräte, wenn es sinnvoll ist, auch einmal aus
bleiben.

Wenn aber in einer Minute im Internet 204 Millionen
E-Mails verschickt, 13,8 Millionen WhatsApp-Nach-
richten versendet, 42 000 Fotos bei Instagram hochgela-
den und 277 000 Tweets gesendet werden – Herr Mutlu,
wahrscheinlich machen Sie es gerade wieder –,


(Heiterkeit des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


dann ist das die Lebensrealität, mit der unsere Kinder
und Jugendlichen aufwachsen. Schule ist zu oft ein „Ort
des digitalen Fastens“, wie ein Lehrer jüngst in einem
Beitrag kritisiert hat. Das konterkariert dann auch ausge-
zeichnete Projekte wie den Medienpass NRW. Ich finde,
es ist immer ein wenig plump, wenn Angst vor digitalen
Medien auch damit begründet wird, dass eine überwälti-
gende Mehrheit unserer Kinder und Jugendlichen zu po-
tenziellen Cybermobbern wird. Das sage ich, ohne die
Problematik herunterspielen zu wollen. Aber so geht es
auch nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist daher eine gute Sache, dass die Bundesregie-
rung gemeinsam mit den Ländern eine Strategie „Digita-
les Lernen“ entwickelt. Es ist eine gute Sache, dass wir
heute im Deutschen Bundestag über digitale Bildung de-
battieren. Dies ist auch Anerkennung für viele in der Bil-
dung tätige Erzieher, Lehrer, Aus- und Fortbilder, die als
Pioniere Innovationen in ihre Einrichtungen bringen und
denen dafür auch unser Dank gebührt. Es ist auch eine
gute Sache, dass CDU/CSU und SPD einen gemeinsa-
men Antrag auf den Weg bringen. Wir berücksichtigen
dabei die Erkenntnisse aus der Enquete-Kommission,
wir arbeiten den Koalitionsvertrag ab, und wir verteilen
– das mache ich als Lehrer natürlich besonders gern –
Hausaufgaben an die Bundesregierung, die Länder und
die KMK. Das positive Feedback vom Verband für Bil-
dung und Erziehung, das wir auf unseren Antrag hin be-
kommen haben, hat uns sehr gefreut.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Es kann, lieber Herr Mutlu, keine Rede davon sein,
dass beim Bund kein Interesse besteht, die IT-Bildung in
Deutschland zu verbessern, wie Sie dem Tagesspiegel
gesagt haben.


(Willi Brase [SPD]: Ungeheuerlich! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt aber!)


Es ist sicherlich legitim, zu fragen, und es ist auch legi-
tim, zu kritisieren – das erwarte ich von einer Opposi-
tionspartei –; aber ich erwarte auch, dass Sie konkrete ei-
gene Ideen in die Debatte einbringen und vielleicht auch
einmal über das ständige Schimpfen über das Koopera-
tionsverbot hinausgehen. Das ist auf die Dauer ein biss-
chen ermüdend. Wenn man Bundestagsreden-Bingo
spielen würde, wäre dieser Punkt immer sehr schnell ab-
gehakt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Oliver Kaczmarek [SPD])


Letzte Woche haben die Minister Wanka und Gabriel
den Startschuss für die Plattform Industrie 4.0 gegeben,
in der Wirtschaft, Gesellschaft, Wissenschaft und Politik
den Schulterschluss suchen. Eine ähnliche Zusammenar-
beit erwarte ich eigentlich auch beim „Pakt für Digitale
Bildung“, der die unterschiedlichen Aktivitäten dieser
Akteure bündeln soll, um inhaltlich und infrastrukturell
ein Stück voranzukommen. Ich durfte letzte Woche auf
der CeBIT als Pate Schüler aus Dorsten beim „Open Ro-
berta“-Projekt begleiten, bei dem Kinder lernen, einen
Legoroboter zu programmieren.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Solche Kooperationsprojekte von Fraunhofer-Gesell-
schaft und Wirtschaft müssen viel stärker vernetzt, aus-
gebaut und auch bekannt werden.

Es ist des Weiteren unerlässlich, bei der Aus- und
Weiterbildung von Pädagogen und Lehrkräften anzuset-
zen. Die „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ leistet ihren
Beitrag. Ich wünsche mir, dass dort noch das eine oder
andere Projekt mehr Aufnahme findet.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen eine Anpassung der Curricula und Prü-
fungsordnungen bei der Lehrerausbildung. Dabei konn-
ten sich bislang nur magere 12 Prozent Kenntnisse über
digital basierten Unterricht aneignen. Das ist leider noch
zu wenig.

Schließlich müssen wir über die Bundesländergren-
zen hinweg über einheitliche Standards bei der Medien-
kompetenz für die unterschiedlichen Altersstufen der
Schüler reden und sie dann auch in einer Länderver-
gleichsstudie überprüfen. Deshalb gehen wir hier einen
neuen Weg. Wir wollen aufgrund der Wichtigkeit des ge-
samten Themas über einen Länderstaatsvertrag oder zu-





Sven Volmering


(A) (C)



(D)(B)

mindest über einen weiter gehenden KMK-Beschluss
nachdenken.

Neben der digitalen Grundbildung brauchen wir aller-
dings auch digitale Exzellenz. Im Koalitionsvertrag
wurde vereinbart, nach dem Vorbild der Eliteschulen des
Sports unsere IT-Spitzenkräfte von morgen an Profil-
schulen IT/Digital auszubilden. Auch das ist eine Ver-
einbarung, die dringend mit Leben gefüllt werden muss.
Die Länder könnten dies beispielsweise durch die Mittel
finanzieren, die frei geworden sind, weil der Bund sie
beim BAföG entlastet hat. Dort ist immer noch Potenzial
vorhanden; diese Mittel können genutzt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Der Antrag ist sehr umfangreich. Es fehlt die Zeit,
alle Punkte anzusprechen. Ich möchte daher die Gele-
genheit nutzen, meiner Berichterstatterkollegin Saskia
Esken und ihren Mitarbeitern sowie auch meinen Mitar-
beitern für die gute Zusammenarbeit bei der Antragsfor-
mulierung zu danken. In 95 Prozent der Fälle ist das
glattgelaufen. Bei 5 Prozent hat es gehakt; das ist nor-
mal. Insgesamt herzlichen Dank! Ich freue mich auf die
weitere Zusammenarbeit. Ebenfalls Dank an die Arbeits-
gemeinschaften für Bildung der beiden Fraktionen CDU/
CSU und SPD, die wirklich zahlreiche Anregungen ge-
geben haben! Ich freue mich auf die Debatte jetzt, ich
freue mich auf die Debatte im Ausschuss – nach der
wohlverdienten Osterpause – und bin gespannt, wie
lange es dauert, Frau Hein, bis ich dann auch bei einer
Rede von Ihnen theoretisch „Bingo!“ rufen könnte.

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Sehr gute Rede! Spitze!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809704800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Rosemarie

Hein für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809704900

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Mal schauen, ob das mit dem Bingo etwas wird.


(Sven Volmering [CDU/CSU]: Ich bin sicher!)


Ich würde auch gerne mit einem Zitat beginnen, und
zwar mit einem Zitat des Vorsitzenden des VBE, des
Verbandes Bildung und Erziehung. Er hat erst vor weni-
gen Tagen auf dem Schulleitungskongress in Düsseldorf
gesagt:

Die digitale Schule gibt es in Deutschland bislang
nur virtuell …

Es wurde auch kritisiert, was alles fehlt. Ich lese aus
den Äußerungen seitens des VBE auch nicht viel Bestä-
tigung, sondern eher Kritik an den Zuständen.


(Sven Volmering [CDU/CSU]: Die kam ja gestern erst, die Stellungnahme!)

– Erst gestern? Dann müssen sich die Zustände aber in
wenigen Tagen deutlich verändert haben. Ich glaube das
nicht. Ich denke, dass die Kritik berechtigt ist, dass es
dabei bleiben wird und leider auch bleiben muss.


(Beifall bei der LINKEN – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nennt man Virtual Reality!)


Natürlich sind die digitalen Medien aus der Bildung,
aus der Schule nicht mehr wegzudenken. Nur gibt es die
Voraussetzungen dafür in den Schulen in Deutschland
leider nicht. Ganz sicher gibt es gute Beispiele. Ich habe
mir vor drei Jahren in Magdeburg in einer Grundschule
angeschaut, wie eine dritte Klasse mit Laptop und
Whiteboard arbeitet. Das war ein Projekt, das von der
Magdeburger Uni und vom Fraunhofer-Institut begleitet
wurde. Ich war sehr neugierig auf das digitale Klassen-
zimmer, und hinterher war ich wirklich beeindruckt. Die
Klischees, die besagen, die Kinder würden nachher nur
noch am Computer sitzen, stimmen nicht.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Da kann man sehr beruhigt sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Ist also alles gut? Nein, bei weitem nicht. Politikerin-
nen und Politiker aller Ebenen sonnen sich ganz gern im
Lichte solcher Leuchttürme. Wir sind aber weit davon
entfernt, dass die Nutzung digitaler Medien in der
Schule zum Alltag gehört; Sie haben das eben anhand
der Studie sehr ausführlich erläutert. Das liegt daran,
dass die Schulen darauf nicht ausgerichtet sind. Die Leh-
renden sind zu wenig darauf vorbereitet; die Lehr- und
Lernmittel stehen nicht zur Verfügung.

Durch den uns vorliegenden Antrag soll dies nun ge-
ändert werden. In der Tat werden wesentliche Empfeh-
lungen der Enquete-Kommission „Internet und digitale
Gesellschaft“ aus der vergangenen Legislaturperiode
aufgegriffen; das haben wir sehr wohl registriert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Empfehlungen sind damals auch von allen Fraktio-
nen begrüßt worden. Wir stehen auch heute noch dahin-
ter; aber Begrüßen allein reicht eben nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn die Koalitionsfraktionen in ihrem Antrag davon
sprechen, dass die Digitalisierung in einem rasanten
Tempo voranschreitet, so will ich doch fragen, was Sie
denn meinen, wie weit man in zwei Jahren mit diesem
rasanten Tempo kommt. Wer von uns hat eigentlich noch
das Handy von vor zwei Jahren? Ich glaube, wenn wir
noch fünf Jahre brauchen, dann sind die Technologien
sehr viel weiter und wir fangen wieder von Neuem an.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb haben wir keine Zeit mehr. Es wird aber Zeit
benötigt, um das alles auf die Reihe zu bekommen.





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)

Ich war kürzlich in einem Gymnasium meines Bun-
deslandes. Man braucht heute Tablets, Whiteboards, di-
gitale Arbeitsplätze für Lehrkräfte; das kennen Sie alles.
In diesem Gymnasium gibt es in jeder Klassenstufe vier
Parallelklassen, also etwa 32 Klassen, und nur fünf
Whiteboards. Da kommt jede Klasse, schätze ich, jedes
Vierteljahr einmal dran. Das ist doch keine digitale Bil-
dung.


(Beifall bei der LINKEN)


Und das ist schon viel, was in diesem Gymnasium zur
Verfügung steht.

Was also kann Ihr Antrag bewirken? Wollen Sie der
Bundesregierung tatsächlich auf die Sprünge helfen? Ich
bin gespannt, was der Staatssekretär nachher sagt. Dann
hätten Sie allerdings mehr aufschreiben müssen als nur
die Empfehlungen der Enquete-Kommission.

Digitale Bildung geht nicht ohne Geld. Da können Sie
den Breitbandausbau noch und nöcher vorantreiben.
Wenn er vor der Schultür endet, ist nicht viel geholfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Das ist etwa so, als würden Sie eine Wasserleitung bis
auf den Schulhof bauen, aber die Leitungen im Schul-
haus vergessen. Dann können Sie zwar noch eine Pumpe
anschließen und das Wasser ins Klassenzimmer tragen.
Das geht aber mit digitalen Daten nicht.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schöner Vergleich!)


Sie haben gerade ein Infrastrukturprogramm des Bun-
des beschlossen. Das wäre doch eine Chance gewesen,
auch etwas für die digitale Bildung zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Zum Beispiel hätte ein digitales Ausbau- und Ausrüs-
tungsprogramm für die Länder beschlossen werden kön-
nen. Bei der energetischen Sanierung machen Sie das
doch auch. Die dadurch zur Verfügung gestellten Gelder
könnten die Länder dann in die Schulen stecken. Aber so
bleiben Sie bei Ihren Aufforderungen und Ankündigun-
gen stehen, verstecken sich hinter der Länderhoheit und
kommen nicht voran.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In Ihrem Koalitionsvertrag werden Gespräche mit den
Ländern über Profilschulen angekündigt. In Ihrem An-
trag ist das nun zum Prüfauftrag verkommen. Ich finde,
das ist eine beeindruckende Leistung. Sie hören sicher-
lich den Sarkasmus in meiner Stimme.

Ich will ein paar Probleme nennen, über die wir drin-
gend reden müssen und für die wir alle noch keine Lö-
sung haben: Wie verändert sich der Unterricht, welche
didaktische Aufbereitung ist nötig? Wie ist die techni-
sche Betreuung der Schulnetze zu gestalten? Eine Lehr-
kraft kann das nicht nebenbei machen. Wie soll die tech-
nische Erneuerung materiell und finanziell abgesichert
werden? Um den sozialen Zugang zu sichern, hätten Sie
ja wenigstens den Vorschlag machen können, die Mittel
für das Schulbedarfspaket aufzustocken. Das könnte der
Bund. So hätte man zum Beispiel zumindest für diejeni-
gen, die von diesem Schulbedarfspaket profitieren, et-
was tun können, damit sie sich mit Laptops und Tablets
ausstatten. Das wäre eine Möglichkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich muss mich hier aus Zeitgründen beschränken, will
aber sagen, dass es auch eine ganze Menge Risiken gibt,
die damit verbunden sind und die wir noch nicht über-
schauen. Einige von uns sitzen ja im Ausschuss für Bil-
dung, Wissenschaft und Technikfolgenabschätzung. Ge-
nau darum geht es auch hier. Wir haben beantragt – es ist
ja auch so aufgenommen worden –, einen Bericht des
Büros für Technikfolgen-Abschätzung zu dieser Thema-
tik einzufordern. Der wird erstellt und hoffentlich noch
in diesem Jahr erscheinen. Wir wollen das nicht, um zu
verhindern, dass es digitale Bildung gibt; wir wollen das,
damit sie erfolgreich ist. Dazu muss man aber auch über
die Probleme und Risiken sowie über die Auswirkungen
etwas wissen. Darüber wissen wir zu wenig. Sie be-
schränken sich auf Appelle, verweisen ein weiteres Mal
auf die Länder. So wird die Digitalisierung in der Bil-
dung weiter auf sich warten lassen oder als Flickentep-
pich enden – wie das ganze Bildungssystem.

Schönen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809705000

Für die SPD spricht jetzt die Kollegin Saskia Esken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Saskia Esken (SPD):
Rede ID: ID1809705100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Gleich zu Beginn möchte ich gerne das Lob und den
Dank des Kollegen Volmering zurückgeben. Wir haben
wirklich sehr gut zusammengearbeitet, und wir sind zu
einem guten Antrag gekommen, wie ich meine.

Im Privaten wie bei der Arbeit – dieses Internet und
die digitalen Medien spielen eine immer größere Rolle.
Doch sind alle Menschen in Deutschland gleich gut vor-
bereitet, an dieser digitalisierten Welt teilzuhaben? Eine
Studie der Initiative D21 zur Entwicklung der digitalen
Kompetenz der Bevölkerung kommt zu einem ernüch-
ternden Ergebnis. Entlang der sozioökonomischen Ver-
hältnisse und dem Bildungsstand der Menschen verläuft
in Deutschland, so die Studie, eine stabile digitale Spal-
tung. Da gibt es diejenigen, die schon wie selbstver-
ständlich und sehr kompetent an den Potenzialen der Di-
gitalisierung teilhaben, und es gibt eben sehr viele,
denen nicht nur der schnelle Breitbandanschluss fehlt.
Ihnen fehlt vor allem der sichere und souveräne Umgang
mit dem, was wir mit dem Breitbandanschluss zu den
Menschen bringen wollen. Auch in der Arbeitswelt wer-
den digitale Kompetenzen immer wichtiger. Es deutet
sich schon heute ein immenser Bedarf an IKT-Fachkräf-
ten an – in der Wirtschaft, aber auch in der öffentlichen
Verwaltung. Schon in sehr naher Zukunft wird es kaum





Saskia Esken


(A) (C)



(D)(B)

noch ein Berufsfeld geben, das ohne eine zumindest
grundständige IT-Bildung auskommt.

Die Bundesregierung hat sich mit ihrer Digitalen
Agenda ein Pflichtenheft zur Gestaltung der digitalisier-
ten Welt vorgenommen. Auch das heute hier vorgestellte
Forschungsrahmenprogramm der Bundesregierung zur
IT-Sicherheit ist einer solch wichtigen Aufgabe geschul-
det: der Förderung der digitalen Souveränität des deut-
schen und europäischen Wirtschaftsraums in Bezug auf
IT-Sicherheitstechnik und Sicherheitsverfahren, die wir
für die Abwehr von Überwachung und Cyberkriminalität
brauchen. Daneben steht – nicht minder wichtig – die di-
gitale Souveränität der Bürgerinnen und Bürger, die
durch einfach anwendbare Verschlüsselungsverfahren
und andere Schutzmaßnahmen wieder in die Lage ver-
setzt werden sollen, Herr ihrer eigenen Daten zu sein.
Zum Thema „digitale Bildung“ – das ist ein weiterer
Beitrag zur digitalen Souveränität der Bürgerinnen und
Bürger – findet sich in der Digitalen Agenda ein ehrgei-
ziges, aber bislang wenig konkret ausgearbeitetes Vorha-
ben. Man will, so steht es dort geschrieben, mit den Bun-
desländern und anderen Akteuren des Bildungssystems
eine gemeinsame Strategie „Digitales Lernen“ erarbei-
ten. Mit dem Antrag von SPD und Union wollen wir die-
sem Vorhaben einen weiteren Anstoß geben und konkre-
ter beschreiben, welche Maßnahmen im Rahmen dieser
Strategie umgesetzt werden sollen.


(Dr. Daniela De Ridder [SPD]: Das ist gut so! – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu wenig!)


Vor wenigen Tagen hat der stellvertretende SPD-
Fraktionsvorsitzende Hubertus Heil angekündigt, dass
die SPD-Fraktion auf der Grundlage des Investitionspro-
gramms des Bundes ab dem Haushaltsjahr 2016 60 Mil-
lionen Euro für die digitale Bildung zur Verfügung stel-
len will. Ich finde, das ist eine ausgezeichnete Investition
in die Zukunft unseres Landes.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte auf drei der wichtigsten Voraussetzungen
eingehen, die erfüllt sein müssen, damit Schulen sich für
die Stärkung der digitalen Bildung auf den Weg machen
können. Sicher könnte man hier auch über die technische
Infrastruktur oder über die Finanzierung digitaler Endge-
räte sprechen. Ich bin aber der Überzeugung, dass es in
der Bildung zuerst auf kompetente Lehrkräfte, auf klar
definierte und im Konsens vereinbarte Bildungsziele und
nicht zuletzt auf gute didaktische Konzepte und Lernge-
genstände ankommt. Deshalb möchte ich genau darüber
sprechen.

Erstens. Digitale Bildung braucht Lehrerbildung.
Lehrkräfte wollen, dass sich Schülerinnen und Schüler
fit machen für die Mediengesellschaft, in der sie bereits
heute leben, und für die Schule arbeiten, wie wir gestern
vom BITKOM erfahren haben. In der Aus- und Fortbil-
dung der Lehrkräfte fehlt es aber an Modulen für Medi-
endidaktik, sodass sich viele dieser Aufgabe nicht ge-
wachsen fühlen. Mit dem Antrag wollen wir deshalb die
verpflichtende Aufnahme mediendidaktischer Inhalte in
die Studien- und Prüfungsordnungen von Lehrkräften
und anderem pädagogischen Personal erreichen. Dazu
müssen Fortbildungsangebote kommen, die sich nieder-
schwellig und effektiv am Bedarf der Bildungseinrich-
tungen und ihrer Lehrkräfte orientieren.

Zweitens. Digitale Bildung muss in die Bildungs-
pläne. Wir wollen, dass Schülerinnen und Schüler Kom-
petenzen im Umgang mit digitalen Medien erwerben
und dass sie ein grundlegendes Verständnis für die Spra-
che der Digitalisierung, die Logik der Algorithmen er-
halten. Gerade bildungsbenachteiligte Kinder und Ju-
gendliche sollen so besser für eine Teilhabe an der
digitalisierten Welt befähigt werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir empfehlen deshalb in unserem Antrag die fächer-
übergreifende Verankerung der Medienkompetenz in
den Bildungsplänen ebenso wie einen zeitgemäßen und
jeweils entwicklungsgerechten Informatikunterricht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Drittens. Digitale Bildung braucht freie und offene
Lehr- und Lernmaterialien. Der gute Umgang mit der
Diversität, der gemeinsame Unterricht für behinderte
und nicht behinderte Schülerinnen und Schüler – diese
Ansätze brauchen differenzierte, barrierefreie und indi-
viduell anpassbare Konzepte und Materialien. Mit digi-
talen Medien sind solche Anpassungen ein Kinderspiel,
wenn sie in den richtigen Formaten vorliegen und wenn
das Bearbeiten, Speichern und Weitergeben der Materia-
lien erlaubt ist. Schülerinnen und Schüler wiederum las-
sen sich dann von einem Thema packen, wenn sie ihre
Lerngegenstände selbst erstellen, verändern, weiterge-
ben und sich dazu austauschen können. Sie können dabei
ihre Stärken und ihre kreativen Potenziale ausbauen und
Selbstwirksamkeit erleben. Beides sind wichtige Fakto-
ren für einen nachhaltigen Lernerfolg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lehr- und Lernmaterialien müssen dazu unter Lizenzen
vorliegen, die die Veränderung und Weitergabe erlauben.
Solche Materialien werden als Open Educational Re-
sources, kurz OER, bezeichnet. In Deutschland spielen
OER in den Schulen bisher keine große Rolle, während
europäische Nachbarn wie beispielsweise Polen, aber
auch die USA schon viel weiter sind.

In der Koalition sind wir gewillt, hier aufzuholen. Im
laufenden Haushaltsjahr haben wir erstmals 2 Millionen
Euro für OER eingeplant, und wir sind als SPD-Fraktion
entschlossen, diesen Titel weiter auszubauen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Thomas Jarzombek [CDU/CSU])


Dazu kommt die Forderung, dass wir das in die Jahre ge-
kommene Urheberrecht endlich an die Erfordernisse des
digitalen Zeitalters anpassen und die Verwendung ge-
schützter Werke für Bildung und Wissenschaft weiter
öffnen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, sehr verehrte Da-
men und Herren, natürlich gibt es Schulen, die schon
heute gute Medienbildungskonzepte umsetzen. Natür-





Saskia Esken


(A) (C)



(D)(B)

lich gibt es Bundesländer, die sich schon auf einen richti-
gen Weg begeben. In Baden-Württemberg beispiels-
weise, woher ich komme – das hören Sie –, definieren
Kultusminister Andreas Stoch und sein Haus im neuen
Bildungsplan die Medienbildung als eine fächerüber-
greifende Leitperspektive. Über alle Altersstufen und
Schulformen hinweg soll die Medienbildung eine starke
Rolle spielen. Auch Bildungsministerin Britta Ernst hat
sich für ihre Amtszeit vorgenommen, die Schulen in
Schleswig-Holstein fit zu machen für das digitale Zeital-
ter.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Der Schulwettbewerb „Digitales Lernen“ soll nun in ei-
nem ersten Schritt besonders nachhaltige und ganzheitli-
che Medienbildungskonzepte auszeichnen und fördern,
die dann als nachahmenswerte Beispiele ins Land aus-
strahlen.

Ich habe in unseren Vorgesprächen zu diesem Antrag,
die wir mit den Ländern geführt haben, noch von einer
Vielzahl guter Ansätze und Vorhaben gehört. Dennoch
hat uns das unterdurchschnittliche Abschneiden
Deutschlands in der ICILS-Studie zu den Computer- und
Informationskompetenzen von Schülerinnen und Schü-
lern vor Augen geführt: Um in der Fläche des Landes zu
wirken, braucht es ein konzertiertes, verpflichtendes und
damit verlässliches Gesamtkonzept für die Stärkung der
digitalen Souveränität von Schülerinnen und Schülern.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir schlagen deshalb in unserem Antrag neben zahlrei-
chen Forderungen an die Adresse des Bundes eine ver-
bindliche Vereinbarung der Bundesländer über gemein-
same Bildungsziele, Standards und Maßnahmen vor,
beispielsweise in einem Länderstaatsvertrag. Verbindli-
che Ziele, gemeinsame und konzertierte Maßnahmen –
die Strategie „Digitales Lernen“ kann davon nur profitie-
ren. Bund und Länder, Schulträger und weitere Akteure
müssen sich jetzt gemeinsam auf den Weg machen, die
Chancen und Herausforderungen der digitalen Bildung
in Angriff zu nehmen, um die digitale Spaltung zu über-
winden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809705200

Nächster Redner für Bündnis 90/Die Grünen ist der

Kollege Özcan Mutlu.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Die Platte mit Sprung wird das jetzt wieder! Kooperationsverbot, Kooperationsverbot, Kooperationsverbot! Da muss mal was Neues kommen!)



Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809705300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren!

Computer-Trottel
Deutsche Schüler liegen bei der IT-Kompetenz weit
zurück – mit alten Geräten
So lautet die Überschrift eines Kommentars einer Tages-
zeitung vom November 2014 in Reaktion auf die erste
ICILS-Studie, eine internationale Bildungsstudie, die
ähnlich wie die PISA-Studie die Internet- und Medien-
kompetenz von Achtklässlern untersucht hat. Im Gegen-
satz zum damaligen PISA-Schock blieb der ICILS-
Schock aus. Dabei gibt es genügend Gründe dafür: über-
alterte Hardware, mangelhafte Internetanbindung, unzu-
reichende IT-Ausbildung der Lehrerinnen und Lehrer,
ein Drittel der getesteten Schülerinnen und Schüler in
der Gruppe der digitalen Analphabeten. Damit nicht ge-
nug: Die digitale Schere geht auseinander, die digitale
Spaltung der Gesellschaft schreitet leider voran. Das
können und dürfen wir nicht akzeptieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Willi Brase [SPD]: Das Abendland geht unter! – Sven Volmering [CDU/CSU]: Von Ihnen kommt ja gar nichts! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Haben Sie einen Antrag vorgelegt?)


Liebe Koalition, Ihr gutgemeinter Antrag ist nicht ge-
eignet, dieser Misere ein Ende zu setzen. Industrie 4.0,
digitale Technologien, Digitale Agenda etc. verkommen
zu Floskeln, wenn wir unsere Schülerinnen und Schüler
nicht für die Anforderungen der neuen Medien wappnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir Grünen haben Anfang dieses Jahres die Bundes-
regierung gefragt, welche Konsequenzen sie aus den
schlechten Ergebnissen der ICILS-Studie ziehe. Die
Antworten der Bundesregierung auf unsere 19 Fragen
kann man in einem Satz zusammenfassen: Wir sind nicht
zuständig; das ist Aufgabe der Länder. – Ich sage: Das
ist mehr als peinlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ihr Antrag zur digitalen Bildung bleibt hinter dem,
was dringend notwendig ist, und hinter dem, was Sie in
Ihrem Koalitionsvertrag vollmundig ankündigten, weit
zurück. Er listet auf, was die Bundesregierung in Ge-
sprächen „mit den Ländern und Akteuren aus allen Bil-
dungsbereichen“ vor allem beraten soll. Daraus kann
man schließen, dass die notwendigen Gespräche in den
letzten 15 Monaten noch nicht einmal begonnen haben.
Sie begrüßen in Ihrem Antrag Selbstverständlichkeiten
und fordern die Bundesregierung auf, diverse bereits be-
stehende Programme weiter zu unterstützen. Ich sage:
So wird das nichts mit der Stärkung von digitaler Bil-
dung und Medienkompetenz und erst recht nichts mit der
Überwindung der digitalen Spaltung der Gesellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])


An der entscheidenden Stelle fordern Sie die Bundesre-
gierung auf, sich lediglich bei den Bundesländern und
der KMK für einen Länderstaatsvertrag einzusetzen.
Wenn Sie – da schaue ich in die Reihen der SPD – das
Kooperationsverbot abgeschafft hätten, dann bräuchten





Özcan Mutlu


(A) (C)



(D)(B)

wir heute so etwas nicht, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen.


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Jetzt kommt Ihre Platte! Mein Gott! Haben Sie keine anderen Vorschläge? Ist das alles, was Sie zu sagen haben?)


Die digitale Gesellschaft stellt uns vor große Heraus-
forderungen, vor allem in der Bildung, wie wir hier ge-
hört haben. Deshalb empfehle ich, einen Blick in den
Schlussbericht der Enquete-Kommission „Internet und
digitale Gesellschaft“ zu werfen,


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Wo ist Ihr konkreter Vorschlag?)


die in den Projektgruppen „Bildung und Forschung“ so-
wie „Medienkompetenz“ sehr konkrete Handlungsemp-
fehlungen vorgelegt hat,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und zwar mit den Stimmen aller Fraktionen.

Meine Damen und Herren, egal ob bei den Themen
Aus- und Fortbildung der Lehrerinnen und Lehrer, OER,
Hardwareausstattung, Vernetzung, Lizenzen, Daten-
schutz usw. usf. – wir werden nicht umhinkommen,
mehr Geld in die Hand zu nehmen, um die Handlungs-
empfehlungen umzusetzen und die Herausforderungen
zu meistern. Deshalb ist Ihr Antrag zu kurz gesprungen.


(René Röspel [SPD]: Besser als stehen geblieben! – Gegenruf des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind in der Luft stehen geblieben!)


An dieser Stelle kann ich nur hoffen, dass sich der Kol-
lege Heil durchsetzt und die Bereitstellung der Mittel mit
dem Koalitionspartner vereinbart wird.

Digitale Bildung, Inklusion, Ganztagsschulausbau
oder Bildungsgerechtigkeit insgesamt – all das sind The-
men, die regelrecht nach der Abschaffung des Koopera-
tionsverbotes schreien. Ich appelliere an Sie: Hören Sie
diese Schreie, und handeln Sie jetzt!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zuruf von der CDU/CSU: Keinen einzigen konkreten Vorschlag!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1809705400

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamenta-

rische Staatssekretär Stefan Müller.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


S
Stefan Müller (CSU):
Rede ID: ID1809705500


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Verehrter Herr Mutlu, wenn es einen Preis zu verteilen
gäbe für den größten Nörgler, dann stünden Sie ziemlich
weit oben auf der Rangliste.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Haha! Das war ein guter Anfang!)


Für die kurze Redezeit, die Sie haben, können Sie nichts.
Vielleicht aber hätten Sie die kurze Redezeit, die Sie ha-
ben, dafür nutzen sollen, auch eigene Vorschläge zu ma-
chen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich habe meine Unterlagen zu diesem Tagesordnungs-
punkt noch einmal durchgesehen; mir ist kein Antrag der
Grünen aufgefallen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Getroffene Hunde bellen, sage ich nur!)


Gleiches gilt übrigens auch für die Linke. Also: Leider
Fehlanzeige.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Außer anderen, also den Regierungsfraktionen und der
Bundesregierung, kluge Ratschläge zu geben und zu sa-
gen, was alles nicht passt, hätten Sie die Zeit vielleicht
dafür verwenden sollen, sich eigene konzeptionelle Ge-
danken zu machen, so wie es die beiden Regierungsfrak-
tionen gemacht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben wir in der Enquete-Kommission gemacht!)


Wenn wir uns nun die Themen dieser Debatte einmal
ansehen, dann stellen wir fest: Beide Themen, digitale
Bildung einerseits und IT-Sicherheit andererseits, könn-
ten jedenfalls auf den ersten Blick nicht unterschiedli-
cher sein. Beide Themen eint aber, dass sie Reaktionen
auf die Chancen und die Herausforderungen der Digitali-
sierung sind. Die Bundesregierung hat im letzten Jahr
mit der Digitalen Agenda schon einmal wichtige Eck-
pfeiler im Bereich der Digitalisierung gesetzt. Dort wer-
den alle Themen und Maßnahmen gebündelt, die mit der
Digitalisierung zu tun haben.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hausaufgaben!)


Bildung, Wissenschaft und Forschung bilden einen ganz
wesentlichen Bereich in dieser Agenda;


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr müsst etwas machen!)


schlicht und ergreifend auch deswegen, weil wir zur
Kenntnis nehmen, dass Bildung und Forschung auch bei
der Digitalisierung wesentliche Treiber der Innovationen
von morgen sind. Sie sind wirkungsvolle Hebel, um die
Potenziale, die uns die Digitalisierung für Gesellschaft
und Wirtschaft bietet, am Ende auch zu erschließen.

Das heißt, es geht bei dieser Digitalen Agenda um
eine große Bandbreite von Themen wie die Stärkung der
Medienkompetenz, die Digitalisierung der Arbeitswelt
und der Verwaltung bis hin zum Thema IT-Sicherheit.
Dazu werde ich gleich noch etwas sagen.

Das BMBF hat eine ganze Reihe von Schwerpunkten
im Rahmen dieser Digitalen Agenda gesetzt und wird sie





Parl. Staatssekretär Stefan Müller


(A) (C)



(D)(B)

noch setzen. Wir arbeiten an einer Open-Access-Strate-
gie, weil auch in der Wissenschaft der freie Zugang zu
aktuellen Publikationen von essenzieller Bedeutung ist.
Es geht um den digitalen Wandel in der Wissenschaft.
Wir sind einer Empfehlung des Wissenschaftsrates ge-
folgt und haben einen Rat für Informationsinfrastruktu-
ren – der Begriff ist zugegebenermaßen ziemlich tech-
nisch – ins Leben gerufen, der nun eigene Vorschläge
machen wird, wie die Digitalisierung und der digitale
Wandel in der Wissenschaft gestaltet werden können.
Wir werden ein eigenes Programm zur Medizininforma-
tik auf den Weg bringen, um die bestehende Krankenver-
sorgung weiter zu verbessern.

Dies sollen einige wenige Beispiele sein, um zu zei-
gen, dass an dieser Stelle schon einiges passiert ist und
dass die Fraktionen mit diesem Antrag wichtige Impulse
auch für die weitere Arbeit im Bereich des digitalen Ler-
nens geben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben einen klaren Handlungsauftrag bereits im
Koalitionsvertrag verankert. Der Antrag der Koalitions-
fraktionen greift diesen Auftrag aus dem Koalitionsver-
trag auf und setzt entsprechende Schwerpunkte. Sie ha-
ben ja aufmerksam zugehört. Wie man im Übrigen nach
den Reden des Kollegen Volmering und der Frau Kolle-
gin Esken sagen kann, da kämen keine Vorschläge, kann
jedenfalls ich nicht nachvollziehen. Da ist vieles von
dem aufgegriffen worden, was in der Tat auch Gegen-
stand unserer Gespräche mit den Ländern sein wird.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: „Sein wird“! Sie haben nichts geliefert!)


Herr Mutlu, man kann die föderalen Zuständigkeiten
aber nun einmal nicht wegwischen. Ich finde es richtig,
dass wir diese Zuständigkeitsverteilung haben. Der
Bund wird natürlich seiner Verantwortung gerecht wer-
den. Selbstverständlich werden wir Impulse geben und
die Länder motivieren,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir mal gespannt!)


hier zu gemeinsamen Vereinbarungen zu kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Das ist jetzt aber sehr dünn! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr dünne!)


Da brauchen Sie sich gar keine Sorgen zu machen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir treiben Sie schon!)


Wir brauchen an dieser Stelle Ihre Nachhilfe nicht.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Sehr wohl!)


Vor allem enthalten Sie uns Ihre Vorschläge immer noch
vor. Sie hätten ja heute Gelegenheit gehabt, dazu etwas
zu sagen.

(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Enquete-Kommission! – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ändert sich jetzt für Schüler?)


Lassen Sie mich noch auf die IT-Sicherheit und auf
das IT-Sicherheitsprogramm eingehen. Den großen
Chancen der Digitalisierung stehen auch Risiken gegen-
über. Allein für 2013 werden die wirtschaftlichen Schä-
den aufgrund von IT-Angriffen weltweit auf 575 Milliar-
den Dollar geschätzt. Das Problem ist, dass diese
Angriffe nicht nur häufiger werden, sondern auch ge-
fährlicher. Wir müssen leider zu dem Ergebnis kommen,
dass bestehende Sicherheitslösungen immer noch zu
kurz greifen. Das heißt, wir müssen an dieser Stelle lang-
fristig denken. Wir müssen auch in der Forschung eine
neue Qualität von IT-Sicherheit erreichen. Deshalb hat
die Bundesregierung am 11. März das Forschungsrah-
menprogramm zur IT-Sicherheit „Selbstbestimmt und si-
cher in der digitalen Welt 2015–2020“ beschlossen. Das
Programm wird eine Laufzeit von sechs Jahren haben,
also bis 2020 laufen, und ein Volumen von circa
180 Millionen Euro haben.

Was sind die Ziele dieses Forschungsprogramms?
Letztendlich lassen sich vier übergeordnete Ziele zusam-
menfassen. Erstens. Wir wollen die innovativen techni-
schen Grundlagen für IT-Sicherheit weiter ausbauen.
Zweitens. Wir wollen Bürgerinnen und Bürger, Unter-
nehmen und Staat besser vor illegalen Zugriffen auf die
Daten schützen und damit letztlich auch die Wettbe-
werbsfähigkeit Deutschlands im Bereich der IT-Sicher-
heit stärken. Wir wollen Bürgerinnen und Bürger in die
Lage versetzen – das ist der dritte Punkt –, ihr Recht auf
informationelle Selbstbestimmung wahrzunehmen und
selbst zu entscheiden, welche Daten über sie erhoben
werden und wie diese Daten genutzt werden sollen und
dürfen. Der vierte Punkt ist: Wir wollen und werden mit
diesem Forschungsrahmenprogramm alle relevanten Ak-
tivitäten innerhalb der Bundesregierung bündeln, fokus-
sieren und gemeinsam nach außen hin darstellen.

Wir haben uns, um diese Ziele zu erreichen, vier For-
schungsschwerpunkte gesetzt. Es geht um Hightech für
die IT-Sicherheit, also um die Entwicklung neuer tech-
nologischer Ansätze, zum Beispiel auch im Bereich des
autonomen Fahrens. Es geht um sichere und vertrauens-
würdige IKT-Systeme. Hier ist der Schwerpunkt bei der
Sicherheit von komplexen Netzwerken und Systemen.
Es geht um IT-Sicherheit in bestimmten Anwendungs-
feldern, zum Beispiel beim Schutz kritischer Infrastruk-
turen. Es geht letztlich um Privatheit und Schutz von Da-
ten für ein digitales Leben, zum Beispiel auch um den
Schutz von sensiblen Gesundheitsdaten.

Das alles sind Themen, die von außerordentlicher
Wichtigkeit sind, wenn es um ein solches Sicherheitsfor-
schungsprogramm geht. Das heißt, das neue Forschungs-
programm wird für die Sicherheit unserer Bürgerinnen
und Bürger, unserer Unternehmen und auch des Staates
einen wichtigen Beitrag leisten. Es soll das Vertrauen der
Bürger in das Internet und in die Sicherheit in einer digi-
talen Welt, in einem digitalen Zeitalter stärken.





Parl. Staatssekretär Stefan Müller


(A) (C)



(D)(B)

Insofern ist mein Appell: Lassen Sie uns gemeinsam
die Chancen der Digitalisierung nutzen für mehr Bil-
dungsgerechtigkeit, exzellente Wissenschaft und For-
schung und für mehr Wohlstand und Beschäftigung in
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809705600

Vielen Dank, Herr Kollege Müller. – Einen schönen

Tag von meiner Seite Ihnen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, und unseren Gästen auf der Tribüne. – Der
nächste Redner in der Debatte: Harald Petzold für die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809705700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Liebe Gäste auf den Besuchertribünen!
Nach dieser Rede von Herrn Staatssekretär Müller bin
ich fast schon glücklich darüber, dass die Koalition über-
haupt den Mut aufgebracht hat, hier einen solchen An-
trag vorzulegen und wenigstens den Eindruck zu erwe-
cken, dass sie mit dieser lahmen Schnecke von
Bundesregierung unzufrieden ist. Die Koalition tut jetzt
zumindest so, als wolle sie signalisieren, dass es ihr
nicht schnell genug geht, nachdem wir schon wieder drei
Jahre verschlafen haben, seitdem die Enquete-Kommis-
sion ihren Zwischenbericht vorgelegt hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde, Herr Staatssekretär Müller, es ist schon ei-
nigermaßen


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Dreist!)


dreist – sagt gerade meine Kollegin Lötzsch; ich kann
mich dem nur anschließen –, wenn Sie dem Kollegen
Mutlu und der Kollegin Hein vorwerfen, dass sie hier
konkrete Beispiele und Vorschläge schuldig geblieben
sind. Gleichzeitig haben Sie nicht mehr anzubieten als
neue Arbeitskreise, neue Untersuchungen und neue Ver-
handlungsgruppen, mit denen Sie im Gespräch sein wol-
len. Wenn Sie das als konkrete Maßnahmen verkaufen
wollen, werden mindestens weitere drei Jahre vergehen,
in denen nichts passiert im Bereich digitaler Bildung, bei
der Medienkompetenz und der Überwindung der digita-
len Spaltung der Gesellschaft.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich mir den Inhalt des Antrags anschaue, ver-
ehrte Kolleginnen und Kollegen von den Koalitionsfrak-
tionen, sehe ich, dass es sich mit dem Mut allerdings
auch schon erledigt hat.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Das ist ein Antrag für die Schrankwand zu Hause. Den
können Sie sich golden einrahmen, über das Bett hängen
und weiterschlafen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben bereits in der Darstellung der Ausgangssi-
tuation, mit der wir es zu tun haben, deutlich gemacht,
dass Sie die Dimension des gesellschaftlichen Wandels,
um die es hier geht, nicht einmal ansatzweise verstanden
haben. Denn es geht natürlich nicht nur um Fachkräfte-
mangel und Verwertbarkeit in der Wirtschaft, sondern
auch um Selbstbestimmung, Freiheit, Emanzipation,
Kritikfähigkeit, Urteilsvermögen


(Beifall bei der LINKEN – Sven Volmering [CDU/CSU]: Alles im Antrag drin!)


und natürlich auch um das Verhältnis von Wahrheit und
Täuschung in der virtuellen und in der analogen Welt zu-
gleich. Wer das aus den letzten Wochen und den Ereig-
nissen rund um den Stinkefinger und unser Verhältnis zu
Wirklichkeit und Fake nicht gelernt hat, dem kann ich
nur sagen, er soll sich wieder schlafen legen.


(Beifall bei der LINKEN – Sven Volmering [CDU/CSU]: Lesen Sie erst mal den Antrag genau!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Koali-
tion beruft sich in ihrem Antrag auf die Empfehlungen
der Enquete-Kommission „Internet und digitale Gesell-
schaft“. Ich kann Sie nur ermutigen: Machen Sie das
aber konsequent! Gestehen Sie sich ein – der Kollege
Mutlu hat es gesagt –: Ohne Überwindung des Koopera-
tionsverbots wird das alles nichts werden. Sie reden hier
von einem Länderstaatsvertrag. Wie lange soll das alles
noch dauern? Ohne die Überwindung der feudalen, Ent-
schuldigung, föderalen Kleinstaaterei im Bildungswesen


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


können wir uns bundesweite, gemeinsame, länderüber-
greifende Programme – und mit welchen Adjektiven Sie
die ganzen Programme noch belegen wollen – ab-
schminken. Ohne die Sicherstellung einer flächende-
ckenden Breitbandversorgung wird ein Großteil Ihrer
Vorschläge technisch gar nicht funktionieren. Ohne eine
umfassende Netzneutralität sind auch Ihre ganzen wohl-
klingenden Vorstellungen von der Förderung von freien
Lern- und Lehrmaterialien, Schul-Clouds und derglei-
chen etwas für die Schrankwand.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie immer mit Ihrer Schrankwand! Gehen Sie doch zu Ikea mit Ihrer Schrankwand!)


Sie können froh sein, dass meine Redezeit schon zu
Ende ist.


(Sven Volmering [CDU/CSU]: Sind wir!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809705800

Ja, daran wollte ich Sie gerade erinnern.


(Heiterkeit)







(A) (C)



(D)(B)


Harald Petzold (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809705900

Frau Präsidentin, ich habe Ihr Signal gesehen. – Ich

sage nur: Die Empfehlungen der Enquete-Kommission
sind es wirklich wert, sie als Richtschnur dafür zu neh-
men, welche Maßnahmen umgesetzt werden könnten.
Sie waren schon damals Bundestagsabgeordneter, Herr
Kollege Müller. Sie wissen, dass Sie die Hand gehoben
haben, als es hieß, dass jeder Schüler einen Computer
bekommen soll. Jeder! Das ist der Maßstab. Daran gilt es
anzuknüpfen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809706000

Vielen Dank, Herr Kollege Petzold. – Nächster Red-

ner ist für die SPD-Fraktion Oliver Kaczmarek.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Oliver Kaczmarek (SPD):
Rede ID: ID1809706100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Wenn wir als Bildungspoliti-
ker über die Chancen des digitalen Wandels sprechen,
dann tun wir das nicht nur, weil wir einen technologi-
schen Wandel nachvollziehen wollen, sondern auch,
weil wir diesen Wandel gestalten und die großen Poten-
ziale heben wollen, die die digitale Bildung für die Ent-
wicklung des gesamten Bildungswesens bietet. Dazu
möchte ich zwei grundsätzliche Anmerkungen machen
und am Schluss auf die Handlungsoptionen im jetzt
schon bestehenden Rahmen eingehen.

Der Handlungsbedarf liegt im internationalen Ver-
gleich auf der Hand; Herr Kollege Volmering hat schon
die ICILS-Studie, die die computer- und informationsbe-
zogenen Kompetenzen der Achtklässler erhoben hat, zi-
tiert. Zusammengefasst kann man sagen: schlechte tech-
nische Ausstattung, mittlere Leistungen und hohe
soziale Ungleichheit. Das hört sich für jemanden, der
sich mit Schulleistungsstudien beschäftigt, irgendwie be-
kannt an; das scheint auf ein Strukturproblem hinzuwei-
sen. Die Herausforderung für uns ist, dass wir mit digita-
ler Bildung insgesamt für mehr Chancengleichheit
sorgen können. Das genau ist die Herausforderung, mit
der wir uns auseinandersetzen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nicht jeder Hinweis, den wir dazu in dieser Debatte
erhalten, ist hilfreich.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Ja, so ist das! Sehr richtig!)


Wer heute ein Buch über digitale Demenz, Verblödung
oder die vermeintlichen Lügen der digitalen Bildung
schreibt, verkauft zwar viele Bücher, liefert aber nicht
nur hilfreiche und sinnvolle Hinweise zur digitalen Bil-
dung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Bei allem, was man dazu sagen kann – zum Beispiel,
dass wir natürlich auch die Ergebnisse der Hirnfor-
schung berücksichtigen müssen –, sind die Schlussfolge-
rungen, nicht selten in den Feuilletons der Zeitungen
vorgetragen, teilweise falsch. Wer empfiehlt, digitale
Medien zumindest im frühkindlichen Bereich und im
Grundschulbereich zu verbannen, der ignoriert, dass der
digitale Alltag bei den Kindern schon längst angekom-
men ist, und der macht einen Fehler, weil er nämlich ins-
besondere die Kinder benachteiligt, deren Eltern sie
nicht im Umgang mit digitalen Medien unterstützen kön-
nen. Das verstärkt die soziale Ungleichheit. Was wir
brauchen, ist genau das Gegenteil. Deswegen dürfen wir
die digitalen Medien nicht aus dem Alltag verbannen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die zweite Herausforderung, von der ich hoffe, dass
sie mit digitaler Bildung bewältigt werden kann: Laptop
und Beamer machen noch keinen guten Unterricht. Das
gilt im Übrigen nicht nur für Schulen, sondern auch für
Hochschulen, und da vielleicht sogar im Besonderen.
Digitale Bildung, so wie wir sie verstehen müssen, bricht
an einigen Stellen mit der Lernkultur, wie wir sie teil-
weise in unserem Bildungswesen in Deutschland vorfin-
den. Dabei ist, glaube ich, kooperatives Lernen die große
Chance digitaler Bildung. Kooperatives Lernen meint:
projektbezogen lernen, lösungsorientiert lernen, interdis-
ziplinär lernen, teamorientiert lernen; das sind die He-
rausforderungen, denen wir uns stellen müssen. Wenn
Schule, Hochschule, alle Bildungseinrichtungen so blei-
ben, wie sie sind, nur mit Computern, dann ist digitale
Bildung gescheitert. Wir wollen, dass wir die große
Chance der Modernisierung – auch der Lernkultur – mit
digitalen Medien nutzen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da komme ich wieder zurück auf die ICILS-Studie,
weil sie auch Handlungsempfehlungen mitgibt, von de-
nen ich glaube, dass sie zum Teil auch im bestehenden
Rahmen schon sinnvoll mit angegangen werden können.
Ich hoffe, dass wir in der Ausschussdebatte da über das
eine oder andere vielleicht noch einmal konkret infor-
miert werden und auch konkrete Verbesserungen vor-
schlagen können. Ich will vier Punkte herausgreifen.

Der erste: Es geht um die Förderung professioneller
Kompetenzen von Lehrpersonen; das ist hier mehrfach
angesprochen worden. Vielleicht sollte man an dieser
Stelle aber auch sagen, dass es – bei aller Kritik an die-
sem systemischen Fehler – natürlich auch darum geht,
den Lehrerinnen und Lehrern, den Hochschullehrerinnen
und -lehrern einmal Wertschätzung entgegenzubringen,
die sich trotz widriger Umstände schon auf den Weg ge-
macht haben und versuchen, mit digitalen Medien im
Unterricht sinnvoll zu arbeiten. Das gehört eben auch
dazu: diese Wertschätzung an dieser Stelle aufzubringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Ich will auch das Stichwort „Qualitätsoffensive Lehrer-
bildung“ nennen, nicht weil ich der Meinung bin, dass





Oliver Kaczmarek


(A) (C)



(D)(B)

die alle Strukturprobleme im Bildungswesen lösen kann,
aber ich mir schon erhoffe, dass wir Projekte und Best
Practice für die Integration von digitaler Bildung in den
Unterricht identifizieren können.

Zweite Herausforderung, die die Autoren der Studie
benennen: Verbesserung der technischen Ausstattung in
Schulen. Da muss ich schon sagen: Ich bin ein bisschen
irritiert, dass die Redner der Opposition sich hierhinstel-
len und behaupten, die Bundesregierung würde ja über-
haupt kein Geld in die Hand nehmen. Wir werden im
Rahmen des Investitionsprogramms einen höheren Be-
trag – ich glaube, um die 4 Milliarden Euro – im Ge-
schäftsbereich des Verkehrsministers zur Verfügung stel-
len, um den Breitbandausbau voranzubringen.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Den Breitbandausbau, mehr nicht!)


Darüber hinaus haben wir ein Sondervermögen gebildet
– bis 2018, mit 3,5 Milliarden Euro –, mit dem struktur-
schwache Kommunen insbesondere in Infrastruktur und
Bildung investieren können. Jetzt will ich hier nicht Rat-
schläge geben, wie sie die Gelder zu verteilen haben – da
werden sowieso viel zu viele Ratschläge gegeben –, aber
doch der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass Schulen
mit leistungsfähigen Internetanschlüssen und intelligen-
ten Schul-Cloud-Lösungen dann auch davon profitieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will ganz kurz nur sagen: Was die Vertiefung der
wissenschaftlichen Forschung angeht, müssen wir ein-
mal darüber reden, ob das im Rahmenprogramm „Empi-
rische Bildungsforschung“ eine Rolle spielen kann. Die
Aufnahme der digitalen Bildung in die Bildungsbericht-
erstattung ist sicherlich ein Punkt, den wir im Ausschuss
diskutieren können.

Frau Präsidentin, ich komme dann auch zum Schluss.
Ich glaube, dass es sinnvoll ist, sich darüber zu verstän-
digen, dass es ganz grundsätzliche Potenziale gibt, die
Kraft entfalten können zur Modernisierung unseres Bil-
dungswesens, die Schule und Unterricht verändern und
mehr Chancengleichheit herstellen können. Wenn wir
das schaffen, dann bleibt es nicht nur bei einem techno-
logischen Wandel, und das sollte unser Ziel sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809706200

Vielen herzlichen Dank, lieber Kollege. – Nächste

Rednerin in der Debatte: Tabea Rößner für Bündnis 90/
Die Grünen.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809706300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Der beste Jugendme-
dienschutz ist eine gut ausgebildete Medienkompetenz.“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich hätte nie gedacht, dass ich der Großen Koalition im
Neuland Internet einmal ein „+ 1“ aussprechen würde.
Bei Ihrer bisherigen Tatenlosigkeit im Bereich Medien-
kompetenz ist es aber nicht verwunderlich, dass Sie sich
auf grüne Positionen beziehen, um endlich vorwärtszu-
kommen; allerdings endet hier meine Zustimmung dann
auch.


(Zuruf von der SPD: Schade!)


Mich stört an Ihrem Antrag etwas ganz Grundsätzli-
ches: Ich werde den Eindruck nicht los, dass Sie die
Medienkompetenz von Kindern und Jugendlichen in
Deutschland vor allem fördern wollen, um dem Fach-
kräftemangel zu begegnen, und nicht, um sie zu mündi-
gen Bürgerinnen und Bürgern, zu mündigen Menschen
in einer digitalen Gesellschaft zu machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Medienkompetent und mündig bedeutet aber auch: kri-
tisch gegenüber der Medienberichterstattung in Sendun-
gen wie Günter Jauch, kritisch gegenüber Fakes und
Nicht-Fakes im Internet und kritisch gegenüber einer an-
dauernden grundrechtswidrigen Totalüberwachung un-
serer Kommunikation; das sollte bei einer Debatte über
Medienkompetenz nicht unerwähnt bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Natürlich ist der Fachkräftemangel ein Problem. Er
darf aber nicht alleiniger Antrieb für Veränderungen
sein. Sie müssen die Menschen in den Mittelpunkt stel-
len. Die Forderung nach einem Pflichtfach Programmie-
ren, wie von Bundeswirtschaftsminister Gabriel geäu-
ßert, muss man wohl auch in diesem ökonomischen
Zusammenhang betrachten. Lassen Sie uns das Szenario
einmal durchspielen: Von wem soll eine Achtjährige, die
morgen in die Grundschule geht, was lernen? Viele
Lehrkräfte sind doch heute gar nicht in der Lage, selbst
medienkompetent zu handeln oder Medienkompetenz zu
vermitteln, geschweige denn die vorhandene Kompetenz
der Schülerinnen und Schüler sinnvoll in den Unterricht
zu integrieren. Das war und ist größtenteils nicht Teil ih-
rer Ausbildung. Engagierte Lehrerinnen und Lehrer, die
sich selbst weiterbilden, nehme ich hier ausdrücklich
aus.

Mit anderen Worten: Wir – Herr Gabriel ist heute ja
leider nicht da – müssen uns, egal ob bei fächerübergrei-
fender Medienkompetenz oder beim Schulfach Informa-
tik, zuallererst über die Lehrerausbildung unterhalten.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ja, das machen wir doch! 500 Millionen!)


Das aber ist Ländersache.

Kommen wir deshalb zurück zum Kompetenzbereich
des Bundes. Das hat nämlich den Vorteil, dass Sie die
Maßnahmen dann auch umsetzen können. Eine stärkere
Förderung der Medienbildung im außerschulischen Be-
reich wäre ein Leichtes für die Bundesregierung. Viel-
leicht erinnern Sie sich noch daran: Die Schule war ver-
mutlich nicht der einzige Ort, an dem Sie in Ihrer Jugend





Tabea Rößner


(A) (C)



(D)(B)

etwas gelernt haben. Gerade außerschulische Lernorte
sind für die Identität und die Bildung junger Menschen
wichtiger denn je. In diesem Sinne würde ich mir wün-
schen, dass die Bundesregierung zuerst ihre eigenen
Hausaufgaben macht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Was ist zum Beispiel mit der Medienbildung von Er-
werbstätigen oder Seniorinnen und Senioren? Sie wollen
„die digitale Spaltung der Gesellschaft“ verhindern. Al-
lerdings findet sich zum lebenslangen Lernen nicht eine
einzige Maßnahme in Ihrem Antrag. Das finde ich fatal;
denn die digitale Spaltung verläuft eindeutig zwischen
den Generationen. Darauf hat die Kollegin Esken ja
schon hingewiesen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es ist also die Aufgabe der Bundesregierung, den Bürge-
rinnen und Bürgern, den Erwerbstätigen, den Seniorin-
nen und Senioren, den Menschen Angebote zu machen,
um in der digitalen Welt zurechtzukommen.

Erlauben Sie mir zuletzt noch eine Randbemerkung:
Die Forderung, Kitas, allgemeinbildende Schulen und
Berufsschulen an das Breitbandnetz anzuschließen, ist ja
schön, aber angesichts der Tatsachen doch eher eine
Luftnummer. Wenn ich an den bisherigen Stand des
Breitbandausbaus denke, dann komme ich nicht umhin,
mich zu fragen, wie die Bundesregierung diese wohlfeile
Forderung denn umsetzen möchte. Uns wundert diese
Forderung auch deshalb, weil Sie doch gerade in Ihrer
Antwort auf unsere Kleine Anfrage sagen, das Pro-
gramm „Schulen ans Netz“ sei erfolgreich abgeschlos-
sen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809706400

Ihre Redezeit auch.


Tabea Rößner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809706500

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809706600

Danke, Frau Kollegin. – Nächster Redner ist Thomas

Jarzombek für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1809706700

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Die Tageszeitung Die Welt hat vor wenigen
Tagen eine Theorie aufgestellt, nämlich dass Google
ohne „Jugend forscht“ nicht erfunden worden wäre. Man
hat als Beleg für diese These angeführt, dass der junge
Andreas von Bechtolsheim mit 18 Jahren den Bundes-
wettbewerb „Jugend forscht“ gewonnen hat und, wie der
eine oder andere weiß, später einer der ersten Investoren
bei Google gewesen ist, eine Firma gegründet hat, Sun
Microsystems, die unter anderem die Programmierspra-
che Java entwickelt hat und, glaube ich, ein schweres
Fundament des Internets ist.

Der junge Andreas von Bechtolsheim aus Bayern,
Deutschland, der mit 18 Jahren bei „Jugend forscht“ ge-
wonnen hat, beginnt danach an der TU München zu stu-
dieren. Man kann es an verschiedenen Stellen nachlesen:
Er war frustriert, weil es dort keine Computer für den jun-
gen, computerbegeisterten Andreas von Bechtolsheim
gegeben hat. Schon kurze Zeit später ging er nach
Pittsburgh, dann nach Stanford. Er ist nie wieder nach
Deutschland zurückgekehrt.

Ich hatte vor zwei Jahren die Gelegenheit, ihn persön-
lich zu treffen. Ich habe ihn gefragt, was wir als Deut-
sche eigentlich tun können, damit Deutschland wieder
zum Gründerstandort wird und beim Internet aufholt.
Seine Antwort war sehr resignativ. Ich freue mich, dass
heute schon so oft von der Enquete-Kommission „Inter-
net und digitale Gesellschaft“ und von der Projektgruppe
Medienkompetenz gesprochen wurde, die ich damals
vor fünf Jahren geleitet habe. Dort haben Kollegin
Rößner und auch einige andere aus diesem Saal mitgear-
beitet. Man muss sich hier die Frage stellen: Was ist aus
all diesen guten Dingen, die wir hier vor fünf Jahren ge-
meinsam auf die Schiene gebracht haben, eigentlich ge-
worden?


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Petzold [Havelland] [DIE LINKE]: Das ist eine gute Frage! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine gute Frage! Warum findet sich nichts davon im Antrag?)


– Freut euch mal nicht zu früh, Herr Mutlu.

Die Studie ICILS kommt zu dem Ergebnis, dass in
Deutschland – das ist ein bitteres Ergebnis – elf Schüler
auf einen Computer kommen, dass Chile und Thailand
hier vor uns liegen, dass die Lehrerausbildung im Be-
reich IT Zufall ist und dass es auf diesem Gebiet seit
2006 eigentlich kaum noch eine Entwicklung gibt. Jetzt
muss man sich die Frage stellen, was in den Ländern ei-
gentlich passiert ist.

Lieber Herr Mutlu, ihr Grünen seid Schnacker, wenn
ich das mal so sagen darf.


(Lachen der Abg. Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Du bist der Oberschnacker!)


Hier werden schlaue Reden gehalten. Frau Rößner, Sie
kommen aus Rheinland-Pfalz und müssten doch einmal
zu Ihrer Ministerpräsidentin gehen und sagen: Mach
doch mal etwas! – Hannelore Kraft hat in Nordrhein-
Westfalen von Megahertz, Megabits und Mega-Irgend-
was gesprochen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt sind wieder die Länder schuld!)


Ich habe keinen einzigen Beitrag in NRW gesehen, wie
man an dieses Thema herangehen will.





Thomas Jarzombek


(A) (C)



(B)

Wir haben hier doch gemeinsam gesagt: Wir wollen
ein Tablet oder ein Laptop für jeden Schüler. – Wo ist die
entsprechende Initiative in den Ländern? Man kann sa-
gen: Bring your own device! Die Geräte, die die Schüler
schon besitzen, sollen also mitgebracht werden, und da-
neben sorgen wir für einen Ausgleichsmechanismus für
diejenigen, die sich ein solches Gerät nicht leisten kön-
nen. Ich sehe in diesen Ländern keine entsprechende Ini-
tiative.

In unserem Antrag wird richtigerweise auch auf das
Programmieren eingegangen. Das Programmieren nach
der Grundschule ist eine sehr wichtige Kompetenz.
Diese könnte man doch einmal zum Schwerpunkt ma-
chen.

Zum Thema Lehrerausbildung. Ich finde es einen
Skandal, dass in der heutigen Lehrerausbildung immer
noch nicht gelernt wird, wie man mit der IT umgeht.

Auch die neuen digitalen Medien – das hat die Kolle-
gin Esken sehr richtig gesagt –, die Open Educational
Resources und das digitale Lernen sind ganz wichtig. In
Deutschland hat man immer den Eindruck, dass das Ler-
nen trocken sein und Schmerzen bereiten muss.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: An der Tafel!)


Das darf auf keinen Fall Spaß machen, sonst ist das
Spielerei. Schauen Sie sich einmal an, wie viele Kinder
vor einigen Jahren bei „Dr. Kawashimas Gehirn-Jog-
ging“ mit totaler Begeisterung Rechenaufgaben gelöst
haben. Man kann offenbar auf spielerische Weise auch
diejenigen erreichen, deren Eltern sie nicht zum Bil-
dungserfolg antreiben.

Wir haben gestern Abend mit unserer Arbeitsgruppe
ein spannendes Start-up-Unternehmen getroffen, näm-
lich sofatutor. Es wurde hier in Berlin gegründet und hat
mittlerweile über 200 Mitarbeiter. Sie machen Lern-
videos für Schüler und veröffentlichen sie im Internet.
Das ist wirklich eine tolle Sache. 90 000 Schüler haben
dies abonniert. Momentan brauchen sie Wachstumskapi-
tal, aber sie finden hier niemanden, der sie finanziert.
Jetzt haben sie Angebote aus den USA. Mit diesen An-
geboten ist aber verbunden, dass sie dann auch in die
USA gehen müssen. Hier sind also wichtige Weichen-
stellungen nötig, um ein Unternehmen wie sofatutor in
Deutschland, in Berlin, zu halten und die entsprechenden
Projekte mit unseren Lernplänen zu verbinden.

Damit komme ich zu meinem letzten Punkt, nämlich
der Lust zum Gründen. Auch das ist ein extrem wichti-
ges Thema. Ich bin stolz und froh, dass in Deutschland
so viele junge Menschen davon träumen, eine Karriere
im öffentlichen Dienst zu machen.


(Heiterkeit des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU])


Das ist wahrscheinlich auch der Grund dafür, dass un-
sere öffentliche Verwaltung so viel leistungsfähiger ist
als in manch anderen Ländern. Ich will hier Griechen-
land gar nicht exemplarisch benennen. Ich würde es mir
aber schon wünschen, dass sich der eine oder andere
auch dafür entscheidet, zu gründen.
Es gibt eine junge Dame, Martina Neef, die hier ganz
tolle Projekte mit Schülern durchführt. In den Projekt-
wochen wird gezeigt, wie man ein Unternehmen grün-
det, um Lust auf Unternehmensgründungen zu machen.
Das geht nur mit Gründern zusammen. Ich glaube, hier
müssen wir noch mehr machen.

Vieles aus diesem Antrag führt genau dorthin. Des-
halb bin ich Sven Volmering sehr dankbar, dass er diesen
Antrag in den letzten Monaten mit so viel Energie nach
vorne getrieben hat


(Beifall bei der CDU/CSU)


und sich nicht dadurch frustrieren lässt, dass wir hier
viele gute Projekte und viele gute Fördermittel auf den
Weg bringen, während in den Ländern – zumindest in ei-
nigen – am Ende nur sehr wenig passiert. Dort muss
mehr stattfinden.

Die Länder bilden jetzt allen Ernstes einen Bund-Län-
der-Arbeitskreis zu der Frage, ob die Landesmedien-
anstalten bei Google hineinregulieren können, wenn es
um die Ergebnisreihenfolge bei manchen Themen geht.
Ich glaube, wenn das die zentrale Problemstellung der
Länder ist, dann haben sie noch nicht begriffen, was die
Herausforderung des digitalen Wandels ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich freue mich über unsere Initiative.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809706800

Vielen Dank, Herr Kollege. Also, an meiner Schule,

übrigens in Bayern, ging es anders zu als bei Ihnen. Ich
hoffe, Sie überwinden Ihr Trauma.


(Beifall des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Dr. Wolfgang Stefinger [CDU/CSU]: Sie waren ja auch in Bayern! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nächster Redner ist Dr. Jens Zimmermann für die
SPD.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Jens Zimmermann (SPD):
Rede ID: ID1809706900

Frau Präsidentin! Auch ich könnte ein paar Schulge-

schichten beisteuern, will das aber lassen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bist du auch traumatisiert?)


– Ich bin nicht traumatisiert, obwohl ich in Hessen zur
Schule gegangen bin.


(Zurufe von der SPD: Oh!)


Wir hatten eine schöne Schule mit viel zu wenigen Com-
putern – wenn ich das einmal sagen darf.

Aber wir behandeln heute nicht nur das Thema digi-
tale Bildung, sondern auch die Unterrichtung durch die

(D)






Dr. Jens Zimmermann


(A) (C)



(D)(B)

Bundesregierung zum Forschungsrahmenprogramm zur
IT-Sicherheit. Leider habe ich von den Rednern der Op-
positionsfraktionen zum Thema IT-Sicherheit überhaupt
nichts gehört.


(Tabea Rößner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben so wenig Redezeit!)


Dabei ist das mindestens genauso wichtig wie die Bil-
dung. Das geht ineinander über.

Die Bundesregierung legt im Rahmen der neuen
Hightech-Strategie ein Maßnahmenprogramm vor. Die
Digitalisierung und die Nutzung der IT-Infrastruktur in
allen Bereichen – das haben wir heute schon mehrfach
gehört – schreiten mit großer Geschwindigkeit voran.
Ich denke, es ist auch wichtig, nicht den Eindruck zu er-
wecken, als sei das etwas, was irgendwann in der Zu-
kunft kommt. Wir sind mittendrin. Ich bin gerade vom
NSA-Untersuchungsausschuss hierhergekommen und
sage Ihnen: Wir sollten wirklich nicht immer so tun, als
würde uns das erst irgendwann in der Zukunft betreffen.
Das betrifft uns schon heute.


(Beifall bei der SPD)


Umso besser ist es, dass die Bundesregierung mit der
Aufstellung des Forschungsrahmenprogramms zur IT-
Sicherheit unter der Überschrift: „Selbstbestimmt und si-
cher in der digitalen Welt 2015–2020“ diese Aktivitäten
erweitert. Im vergangenen Jahr haben wir das Konzept
zur digitalen Agenda verabschiedet. Das Forschungsrah-
menprogramm greift hier nun wichtige Aspekte heraus
und setzt die richtigen Schwerpunkte.

IT-Sicherheit ist kein Spartenthema. Es betrifft min-
destens drei Bereiche. Als Gesetzgeber sind wir gefor-
dert, Schäden für die Bürgerinnen und Bürger und für
die Unternehmen zu verhindern. Wir sind gefordert, Un-
ternehmen und die kritische Infrastruktur vor Cyberatta-
cken zu schützen, und wir sind im Interesse jedes Einzel-
nen und jeder Einzelnen sowie der Unternehmen
gefordert, die Ausspähung durch ausländische Geheim-
dienste zu verhindern.

Gerade gestern haben wir im Ausschuss Digitale
Agenda den Jahresbericht des BSI über die sicherheits-
relevanten Vorfälle in der IT diskutiert. Die aktuellen
Zahlen und Anlässe zeigen, dass wir in Deutschland
und international in diesem Bereich eine zunehmende
Gefährdungslage haben. Einige werden es mitbekom-
men haben: Auch unser Hohes Haus, der Deutsche Bun-
destag mit seiner Internetadresse www.bundestag.de,
und die Seite www.bundeskanzlerin.de sind in diesem
Jahr Opfer von Attacken geworden. Das ist kein Einzel-
fall. Das trifft viele Bürgerinnen und Bürger und Unter-
nehmen jeden Tag.

180 Millionen Euro werden an dieser Stelle in den
kommenden Jahren zur Verfügung gestellt. Das ist wich-
tig. Ich denke, da kann man in Zukunft möglicherweise
noch ein bisschen draufsatteln. Aber es ist eben auch vom
Kollegen angesprochen worden: Wir müssen dafür sor-
gen, dass junge Unternehmen Möglichkeiten haben, Lö-
sungen im Bereich IT-Sicherheit auf den Markt zu brin-
gen. An dieser Stelle wird auch klar, warum es so etwas
wie das Kleinanlegerschutzgesetz geben muss, das wir
noch beraten und mit dem wir dafür sorgen, dass Crowd-
funding, mit dem junge Unternehmen in diesem Bereich
gefördert werden, weiterhin möglich ist. Auch werden wir
nicht nur für die Grundlagenforschung sorgen, sondern
am Ende vor allem auch für Anwendungsmöglichkeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich komme zum Schluss. Es bleibt festzuhalten: IT-
Sicherheit muss künftig bei allen technischen Innovatio-
nen und Entwicklungen immer mitgedacht werden. Die
Einbindung sicherer verschlüsselter Verfahren und der
Ausbau unserer nationalen Kompetenzen sowie die eu-
ropäische Forschungszusammenarbeit müssen gestärkt
werden.

Als SPD-Bundestagsfraktion begrüßen wir es, dass
Hochschulen, Forschungsinstitute und Unternehmen auf
dem Weg zur sicheren IT-Infrastruktur unterstützt wer-
den. Das Rahmenprogramm sendet an dieser Stelle den
richtigen Impuls. Ich will auch sagen: Allen Unkenrufen
zum Trotz ist die digitale Agenda auf einem guten Weg.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809707000

Vielen Dank, Herr Kollege Zimmermann. – Der letzte

Redner in dieser Debatte ist Dr. Wolfgang Stefinger von
der CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Wolfgang Stefinger (CSU):
Rede ID: ID1809707100

Liebe Frau Präsidentin! Vielen Dank für Ihren Hin-

weis, dass Sie sehr positive Erfahrungen mit dem bayeri-
schen Schulsystem gemacht haben. Das ist wieder ein-
mal ein Beleg dafür, wie gut wir sind. Sehr schön! –
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Durchschnitt-
lich drei Stunden am Tag nutzt jeder Deutsche das Inter-
net. Wir kommunizieren beruflich und privat in digitalen
Räumen. Wir versenden Nachrichten. Wir chatten und te-
lefonieren. Wir kaufen online ein, nutzen Onlinebanking,
buchen online unseren Urlaub. Wir nutzen Onlinenetz-
werke, um mit Freunden weltweit in Kontakt zu bleiben.
Wir wollen überall und möglichst vom Smartphone, Ta-
blet-PC oder Laptop auf unsere Daten zugreifen können,
von zu Hause, am Arbeitsplatz, von unterwegs. Wir sind
auf dem Weg ins Zeitalter von selbstfahrenden Autos,
Telemedizin, Smart Home, Industrie 4.0 und des Inter-
nets der Dinge. Das Internet ist aus unserem Leben nicht
mehr wegzudenken. Fast jeder nutzt es. Es ist für die
meisten selbstverständlich geworden.

Die digitale Welt bietet ungeahnte Möglichkeiten,
viele Chancen für Wirtschaft und Gesellschaft, für Wis-
senschaft und Forschung, für die Medizin. Informations-
und Kommunikationstechnologien durchdringen alle
Bereiche unserer Gesellschaft. Ohne sie gäbe es keine
funktionierenden Krankenhäuser, keine Strom- und Was-
serversorgung, kein Bankensystem, keine wettbewerbs-
fähige Industrie.

Die Digitalisierung stellt uns aber auch vor große He-
rausforderungen. Regelmäßig erreichen uns Berichte
über IT-Sicherheitslücken, Cyberspionage oder Hacker-





Dr. Wolfgang Stefinger


(A) (C)



(D)(B)

angriffe. Im Jahr 2013 wurden von mindestens 800 Mil-
lionen Menschen weltweit persönliche Daten gestohlen.
Auch die wirtschaftlichen Schäden sind immens. Mit am
stärksten betroffen ist Deutschland – ein aufgrund seiner
Wirtschafts- und Innovationskraft besonders begehrtes
Angriffsziel.

Aus diesen Gründen ist es extrem wichtig, dass wir
uns auf eine sichere Informations- und Kommunika-
tionstechnologie verlassen können. Unser Forschungs-
rahmenprogramm setzt genau an diesen Stellen an.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mit diesem wegweisenden Programm werden die bishe-
rigen und zukünftigen Förderaktivitäten im Bereich der
IT-Sicherheitsforschung ressortübergreifend gebündelt
und wird die Sichtbarkeit der umfangreichen Aktivitäten
der Bundesregierung deutlich erhöht.

Das halte ich persönlich für sehr wichtig; denn das
Thema IT-Sicherheit ist seit langem auf der Agenda, und
auch die bisherigen Erfolge können sich durchaus sehen
lassen.


(Beifall des Abg. Dr. Stefan Kaufmann [CDU/ CSU])


Sie beweisen nämlich einmal mehr: Deutschland kann
das. Deutschland kann Forschung und Entwicklung
nicht nur in der Industrie und der Medizin, sondern auch
im Digitalen. Wir sind und bleiben die Nation der Den-
ker und Erfinder. Vielen Dank an dieser Stelle an unsere
Wissenschaftler!

Wir können IT-Sicherheit. Wir haben hervorragende
Forschungseinrichtungen und innovative Unternehmen.
Das zeigen auch der letztjährige Erfolg und die Aus-
zeichnung der vom Bildungs- und Forschungsministe-
rium geförderten Kompetenzzentren auf dem Gebiet der
IT-Sicherheit. Wir ruhen uns auf dem, was wir erreicht
haben, aber nicht aus; denn die Innovationsgeschwindig-
keit im IT-Bereich ist immens, und auch Hacker und Cy-
berkriminelle gehen immer professioneller vor.

Mit unserem Forschungsrahmenprogramm setzen wir
inhaltliche Schwerpunkte in dem Bereich „Hightech für
die IT-Sicherheit“. Wir bauen weiter an sicheren und
vertrauenswürdigen Informations- und Kommunika-
tionssystemen. Wir erforschen weiterhin die IT-Sicher-
heit für wichtige Anwendungsfelder, etwa Industrie 4.0,
Medizin, Logistik und kritische Infrastrukturen, und wir
schützen auch die Privatheit der Daten.

Wir werden Forschungseinrichtungen stärker fördern
und vernetzen, kleine und mittelständische Unternehmen
besser unterstützen und die europäische und internatio-
nale Kooperation ausbauen. Daneben fördern wir den
wissenschaftlichen Nachwuchs.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Programm mit der Laufzeit von 2015 bis 2020 ist
als offenes Programm angelegt. Das heißt, innerhalb der
Laufzeit wird es einer Prüfung unterzogen und bei Be-
darf inhaltlich aktualisiert oder ergänzt und finanziell an-
gepasst. Wir wollen, dass unsere Bürger und unsere Wirt-
schaft die vielfältigen Chancen der Digitalisierung nutzen.
Hierfür sind Vertrauen und Akzeptanz eine wichtige Vo-
raussetzung, Vertrauen darauf, dass die Daten auch im
Netz sicher sind.

Ich sage aber auch: Wer seine Daten leichtfertig preis-
gibt und keine Schutzsoftware nutzt, kann nicht erwar-
ten, dass sich der Staat darum kümmert. Es geht auch um
ein Stück Eigenverantwortung. Hierfür haben wir heute
zum einen den Antrag bezüglich der Medienkompetenz
auf den Weg gebracht. Zum anderen fördern wir mit dem
Forschungsrahmenprogramm auch anwendungsfreundli-
che Sicherheitsprogramme. Wir sind also auf dem richti-
gen Weg – auf dem Weg zu mehr Selbstbestimmung und
Sicherheit in der digitalen Welt. Das sind zwei Dinge,
die für uns zusammengehören.

Wir investieren 180 Millionen Euro – das ist nur der
Betrag, den das Forschungsministerium zur Verfügung
stellt – in unsere Sicherheit und Wettbewerbsfähigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das alles, meine sehr geehrten Damen und Herren, ist
eine gute Investition in Deutschlands Zukunft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809707200

Vielen Dank, Herr Kollege Stefinger. – Damit

schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/4422 und 18/4304 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. –
Sie sind damit einverstanden. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 c auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ver-
besserung der internationalen Rechtshilfe bei
der Vollstreckung von freiheitsentziehenden
Sanktionen und bei der Überwachung von
Bewährungsmaßnahmen

Drucksache 18/4347
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Das Europäische Semester stärken, besser
umsetzen und weiterentwickeln

Drucksache 18/4426
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Haushaltsausschuss





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Luise Amtsberg, Omid Nouripour, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Den Menschenrechtsrat der Vereinten Natio-
nen stärken
Drucksache 18/4430
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Tourismus

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. – Sie sind einverstanden. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 27 a bis 27 j sowie
die Zusatzpunkte 2 a bis 2 f auf. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 27 a:
Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zur Neufassung der An-
hänge F und G zum Übereinkommen vom
9. Mai 1980 über den internationalen Eisen-
bahnverkehr (COTIF)

Drucksache 18/4049
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)

Drucksache 18/4408

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/4408, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4049 anzunehmen.

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist einstimmig – bei Zustimmung aller Fraktionen –
angenommen.


(Beifall im ganzen Hause)

Tagesordnungspunkt 27 b:

Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Änderung des Agrar- und Fi-
schereifonds-Informationen-Gesetzes und des
Betäubungsmittelgesetzes
Drucksache 18/4278
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Ernährung und Landwirtschaft

(10. Ausschuss)

Drucksache 18/4446
Der Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/4446, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4278 anzunehmen.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist damit
in zweiter Beratung – bei Zustimmung von CDU/CSU,
SPD und Linke und bei Gegenstimmen von den Grü-
nen – angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist – bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und
der Linken sowie bei Gegenstimmen von den Grünen –
angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 c:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Sechs-
ten Gesetzes zur Änderung des Bundesfern-
straßengesetzes
Drucksache 18/4281
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/4452
Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/4452, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4281 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen.

Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in der
Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Handzei-
chen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung – bei Zustim-
mung von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen;
dagegen war die Linke – angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben.
– Wer stimmt dagegen? – Der Gesetzentwurf ist ange-
nommen: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/
Die Grünen; dagegen ist die Linke.

Tagesordnungspunkt 27 d:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Neun-
ten Gesetzes zur Änderung eisenbahnrechtli-
cher Vorschriften
Drucksache 18/4202
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/4453





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Der Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/4453, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 18/4202 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um ihr Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der
Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenom-
men: Zustimmung CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die
Grünen; dagegen ist die Linke.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich nun zu erheben.
– Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Niemand.
Der Gesetzentwurf ist angenommen: Zustimmung CDU/
CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen bei der Gegen-
stimme von den Linken.

Wir kommen nun zu den Beschlussempfehlungen des
Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 27 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 164 zu Petitionen
Drucksache 18/4339

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 164 ist einstimmig ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 27 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 165 zu Petitionen
Drucksache 18/4340

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 165 ist angenommen bei
Zustimmung von CDU/CSU, SPD, Gegenstimmen der
Linken und Enthaltungen von Bündnis 90/Die Grünen.

Tagesordnungspunkt 27 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 166 zu Petitionen
Drucksache 18/4341

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 166 ist einstimmig von al-
len Fraktionen angenommen.

Tagesordnungspunkt 27 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 167 zu Petitionen
Drucksache 18/4342

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Nein. Sammelübersicht 167 ist angenommen
bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Linken und
Gegenstimmen von Bündnis 90/Die Grünen.

Tagesordnungspunkt 27 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 168 zu Petitionen

Drucksache 18/4343

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 168 ist angenommen: Zu-
stimmung von CDU/CSU und SPD, Gegenstimmen von
Bündnis 90/Die Grünen, Enthaltungen der Linken.

Tagesordnungspunkt 27 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 169 zu Petitionen

Drucksache 18/4344

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 169 ist angenommen bei Zu-
stimmung von CDU/CSU und SPD und Gegenstimmen
von Bündnis 90/Die Grünen und der Linken.

Zusatzpunkt 2 a:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 170 zu Petitionen

Drucksache 18/4440

Ich kann Ihnen leider nicht sagen, worum es da geht;
das würde sonst zu lange dauern. Aber es dauert auch so
noch eine Weile.

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 170 ist damit einstim-
mig von allen Fraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 2 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 171 zu Petitionen

Drucksache 18/4441

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 171 ist angenommen: Zu-
stimmung CDU/CSU, SPD, Gegenstimmen der Linken,
Enthaltungen bei Bündnis 90/Die Grünen.

Zusatzpunkt 2 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 172 zu Petitionen

Drucksache 18/4442

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 172 ist von allen Fraktio-
nen einstimmig angenommen.





Vizepräsidentin Claudia Roth


(A) (C)



(D)(B)

Zusatzpunkt 2 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 173 zu Petitionen

Drucksache 18/4443

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Sammelübersicht 173 ist angenommen bei
Zustimmung CDU/CSU, SPD und Linken und Gegen-
stimmen von Bündnis 90/Die Grünen.

Zusatzpunkt 2 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 174 zu Petitionen

Drucksache 18/4444

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 174 ist angenommen: Zu-
stimmung CDU/CSU, SPD, Bündnis 90/Die Grünen,
Gegenstimmen von den Linken.

Zusatzpunkt 2 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 175 zu Petitionen

Drucksache 18/4445

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Sammelübersicht 175 ist angenommen: Zu-
stimmung CDU/CSU, SPD, Gegenstimmen von den
Linken und Bündnis 90/Die Grünen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:

Aktuelle Stunde

auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Haltung der Bundesregierung zu den Vor-
schlägen des Bundeswirtschaftsministers zur
Reduzierung des CO2-Ausstoßes bei Kohle-
kraftwerken und zur Förderung der Kraft-
Wärme-Kopplung

Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner in der De-
batte ist Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809707300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn wir die Klimaschutzziele 2020 erreichen wollen,
dann muss eines klar sein: Der Kraftwerkssektor, der
Stromerzeugungssektor darf dann nur noch maximal
290 Millionen Tonnen CO2 emittieren. Um das zu errei-
chen, brauchen wir vor allen Dingen drei Dinge: den
Ausbau der erneuerbaren Energien, die Abschaltung von
alten Kohlekraftwerken und den Ausbau der Kraft-
Wärme-Kopplung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)

Ich habe bisher gedacht, in diesem Hause gebe es ei-
nen Konsens, dass wir bis 2020 einen Anteil der Kraft-
Wärme-Kopplung an der Stromerzeugung von 25 Pro-
zent anstreben. Das habe ich jedenfalls in den Debatten
immer so wahrgenommen.


(Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE]: Ja!)


Jetzt schaue ich in das Papier des BMWi und finde
dort etwas, was mich an die Taschenspielertricks von
Herrn Dobrindt erinnert. Das 25-Prozent-Ziel ist zwar
immer noch da, aber es bezieht sich nicht mehr auf die
gesamte Stromerzeugung, sondern nur noch auf die ther-
mische Stromerzeugung, und wir landen netto bei einem
Anteil der Kraft-Wärme-Kopplung von 17 Prozent. Das
heißt nichts anderes, als dass wir den Status quo fest-
schreiben. Man muss einfach feststellen: Wenn dieses in
dem Papier beschriebene Ziel so umgesetzt wird, dann
wird der Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung nicht mehr
stattfinden. Damit schlägt die Bundesregierung eine wei-
tere Säule der Energiewende weg. Hier war bisher ein
Konsens. Ich hoffe, dass dieses Papier nicht durch dieses
Parlament geht, sondern dass wir hier andere Akzente
setzen und die Kraft-Wärme-Kopplung weiter ausbauen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Dann muss man über Kohlekraftwerke reden – keine
Frage. Wenn wir das Klimaschutzziel erreichen wollen,
müssen alte Kohlekraftwerke vom Markt. Da beißt die
Maus keinen Faden ab. Das ist nicht nur eine Frage des
Klimaschutzes; denn mir kann keiner erklären, warum in
Deutschland hochmoderne Kraft-Wärme-Kopplungs-
Anlagen und hochmoderne Gaskraftwerke stillstehen,
die Betreiber sogar überlegen, die Anlagen zu demontie-
ren, und gleichzeitig Kohlekraftwerke boomen. Da muss
die Politik handeln. Da kommen wir nicht drum herum.
Das ist sonnenklar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Jetzt hat Sigmar Gabriel einen Vorschlag gemacht.
Man wird ja bescheiden in Zeiten der Großen Koalition.


(Heiterkeit bei der LINKEN)


Wenn es überhaupt schon einmal einen Vorschlag gibt,
der über Eckpunktepapiere und allgemeine Bekundun-
gen hinausgeht, dann ist das schon mal etwas Positives.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Haben Sie einen Vorschlag?)


Das ist gut, und deshalb kann man an dieser Stelle auch
einmal ein lobendes Wort an den Bundeswirtschafts-
minister richten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


– Er freut sich, dass er das noch erleben darf. – Ich sage
aber, Herr Gabriel: Wenn man sich den Vorschlag genau
anguckt, dann wird man feststellen: Er hat bestenfalls
homöopathische Wirkung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)

Damit werden wir es nicht erreichen, in relevantem Um-
fang Kohlekraftwerke abzuschalten.

Jetzt könnte ich mich ja freuen: Wir führen eine Ins-
trumentendebatte. Wir Grünen schlagen was vor.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was schlagen Sie denn vor?)


Die Umweltverbände schlagen was vor. Andere schla-
gen was vor.


(Johann Saathoff [SPD]: Kein Vorschlag der Grünen!)


Genau das findet aber wieder nicht statt. Wir erleben
wieder das energiepolitische Verhinderungsdreieck:
Fuchs, Pfeiffer, Bareiß. Die stellen jedes Instrument in-
frage.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die wollen überhaupt nichts. Die stellen es am Ende
überhaupt infrage, dass man im Bereich der Kohlekraft-
werke etwas machen muss. Ich sage Ihnen: Wenn Sie an
dieser Stelle ehrlich wären, dann hätten Sie im Dezem-
ber dem Klimaaktionsprogramm der Bundesregierung
nicht zustimmen dürfen. Wenn das, was ich in Inter-
views und Statements in den letzten Tagen gehört habe,
ehrlich gemeint ist, dann müssen Sie sagen: Wir treten
das Klimaschutzziel in die Tonne. – Das wiederum
trauen Sie sich nicht, sondern Sie versuchen nur, tatsäch-
liche Maßnahmen zu verhindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, man muss bei dem Thema
auch etwas über Energiekonzerne sagen. Ich erlebe ein
RWE, das plötzlich den Untergang von 70 000 Arbeits-
plätzen in der Braunkohleindustrie herbeiredet.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: 30 000!)


RWE hat nicht einmal mehr 10 000 Arbeitsplätze in
Nordrhein-Westfalen. Wie kann ein Konzern dann so un-
verantwortlich sein und hier ein Bild malen, als ginge
ein Industriestandort unter? Das, meine Damen und Her-
ren, ist absurd. Wenn Arbeitsplätze bei RWE gefährdet
sind, dann hat das eine Ursache, nämlich dass jahrelang
die Zukunft verschlafen worden ist, dass das Geld ver-
zockt worden ist, dass man die Zukunftsperspektive
nicht erkannt hat und dass man die Zukunftschancen ver-
passt hat. Das hat nichts mit der Abschaltung alter Koh-
lekraftwerke zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Da bin ich, ehrlich gesagt, entsetzt. Da lesen wir von
einem Armin Laschet aus Nordrhein-Westfalen. Er
schreibt jetzt Briefe. Der Mann, Großpopulist der NRW-
CDU mit hochflexiblen Grundsätzen, wird jetzt zum
neuen Braunkohle-Ajatollah


(Lachen bei der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)

und sagt: NRW geht unter, wenn da nicht gehandelt
wird, wenn es so kommt, dass alte Kohlekraftwerke ab-
geschaltet werden.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist einer, der sich um die Menschen kümmert!)


Liebe Sozialdemokraten, bevor Sie an dieser Stelle la-
chen: Ich sage ganz ehrlich: Das, was ich von Hannelore
Kraft zu dem Thema gehört habe, steht dem in der Sache
um nichts nach, ist vielleicht in der Wortwahl nicht ganz
so drall.

Ich finde das unverantwortlich. Wir sind in Nord-
rhein-Westfalen eigentlich weiter – nach zwei Koali-
tionsverträgen, nach etlichen Regierungsentscheidun-
gen –, nämlich so weit, dass klar ist: Wir brauchen den
Strukturwandel in der Braunkohle. Der wird kommen,
meine Damen und Herren. Je früher man sich darauf ein-
stellt, desto besser ist es, desto besser kann man die Fol-
gen bewältigen. Das ist die Herausforderung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809707400

Herr Kollege.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809707500

Letzter Satz, Frau Präsidentin. – Ich warne noch ein-

mal davor, den Fehler zu machen, den wir beim Stein-
kohlebergbau gemacht haben, nämlich an überkomme-
nen Strukturen festzuhalten, sodass es am Ende deutlich
teurer wird und wir mit Milliarden etwas subventionie-
ren, was keine Zukunft hat. Machen Sie diesen Fehler
nicht mehr! Sorgen Sie endlich mit dafür, dass die Kraft-
werke aus Adenauers Zeiten aus dem Markt verschwin-
den und dass wir ein zukunftsfähiges Energiesystem in
Deutschland bekommen!

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809707600

Vielen Dank, Kollege Krischer. – Nächster Redner in

der Debatte: Dr. Joachim Pfeiffer für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1809707700

Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In der Tat
bekennen wir uns als CDU/CSU zum energiepolitischen
Zieldreieck. Die Ziele dieses Zieldreiecks gilt es gleich-
gewichtig zu verfolgen, nämlich Versorgungssicherheit,
Bezahlbarkeit und eine umweltschonende, nachhaltige
Energieversorgung.

Wer dem Kollegen Krischer zugehört hat, der weiß:
Er hat nichts zur Versorgungssicherheit gesagt, schon
gar nichts zur Bezahlbarkeit, sondern er hat bei diesem





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Zieldreieck einseitig das Thema CO2/Umwelt angespro-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Über Zukunftsfähigkeit habe ich aber gesprochen!)


Wir wollen, dass dieses Zieldreieck ausgeglichen ist und
die Ziele ausgeglichen verfolgt werden.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit alten Kohlekraftwerken!)


Auch für uns haben der Umweltschutz und die CO2-
Reduktion hohe Bedeutung. Wir haben Klimaschutz-
ziele, zu denen wir uns ganz klar bekennen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die Sie aber nichts tun!)


Aber wir wollen diese Klimaschutzziele im Gegensatz
zu Ihnen effizient und bezahlbar erreichen.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie denn? – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie mal, wie!)


Für uns sind diese Ziele kein Selbstzweck.

Wir werden uns deshalb sehr genau mit dem beschäf-
tigen, was die Bundesregierung vorgeschlagen hat. Ich
glaube, dass der eine oder andere Punkt noch nicht der
Weisheit allerletzter Schluss ist, insbesondere wenn es
darum geht, zusätzlich zu europäischen Instrumenten na-
tionale Instrumente zu etablieren.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Wie andere Länder auch!)


Es geht darum, dass wir im Strombereich 22 Millio-
nen Tonnen CO2 einsparen wollen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mehr!)


– Natürlich wollen wir mehr einsparen. – Das ist aber
nicht losgelöst möglich, sondern muss im europäischen
Kontext erfolgen.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist das deutsche Klimaziel!)


Ich möchte nur einmal einordnen, über was wir reden.
Wir haben weltweit mehr als 40 Milliarden Tonnen CO2-
Emissionen pro Jahr. Wir reden jetzt über die Frage, wie
man in dem ganz speziellen Fall der Stromerzeugung in
Deutschland mit 22 Millionen Tonnen umgeht. Das ist
also ein halbes Promille der weltweiten CO2-Emissio-
nen. Wir sagen: Es muss sehr genau überlegt werden, ob
das, was vorgeschlagen wurde, klimapolitisch sinnvoll
ist, ob es in ökonomischer Hinsicht Sinn macht und wel-
che Auswirkungen es auf die Versorgungssicherheit hat.

Klimapolitisch ist es leider ein Nullsummenspiel,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn! Das wissen Sie!)

wenn wir in Deutschland sagen: Wir wollen das neben
dem Emissionshandel machen, der im Strombereich und
im Industriebereich einen klaren Pfad vorschlägt. Sie
alle kennen das; das haben wir gemeinsam vereinbart.
Die Zielvorgaben im Emissionshandel lauten: Von
1,9 Milliarden Tonnen in 2013 gehen wir bis 2020 mit
einem jährlichen Reduktionsfaktor von 1,74 Prozent auf
1,7 Milliarden Tonnen zurück. Das gilt EU-weit. Wenn
wir jetzt in Deutschland mehr einsparen, dann bleibt das
europäische Ziel trotzdem gleich.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Dann kann an anderer Stelle in Europa mehr emittiert
werden. Das macht überhaupt keinen Sinn.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben überhaupt nichts verstanden! So ein Schwachsinn! Ich denke, Sie stehen zu den Klimazielen?)


Deshalb müssen wir, wenn wir auf nationaler Ebene
mehr machen wollen, entsprechend etwas in den Sekto-
ren, die nicht dem Emissionshandel unterliegen, zum
Beispiel im Gebäudebereich, unternehmen. Ich warte da
auf Ihre Vorschläge. Sie aber blockieren seit Jahren im
Bundesrat eine entsprechende Lösung,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer!)


weil die Länder und ihre grünen Minister zwar immer
den Klimaschutz ansprechen,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer!)


aber nicht bereit sind, auch nur 1 Euro mehr für bei-
spielsweise die steuerliche Förderung der energetischen
Gebäudesanierung auszugeben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seehofer!)


Dann wurde die Kraft-Wärme-Kopplung angespro-
chen. In der Tat, beim jetzt vorliegenden Vorschlag
besteht die Gefahr, dass die hocheffiziente KWK mit
Wirkungsgraden von 80 bis 90 Prozent nicht mehr renta-
bel ist und dann abgeschaltet wird. Wenn wir auf der
einen Seite 22 Millionen Tonnen einsparen wollen, auf
der anderen Seite aber allein im Bereich der öffentlichen
KWK, wenn diese abgeschaltet würde, knapp 18 Millio-
nen Tonnen mehr Emissionen haben, dann müssen wir
zumindest einmal fragen, ob das der richtige Weg ist.
Das müssen wir uns sehr genau anschauen.

Auch zur Frage der Kosten: Wir haben mit den jetzt
vorgeschlagenen Instrumenten eine Strompreiserhö-
hung um – ich nehme einmal die Zahl des Wirtschafts-
ministeriums – round about 0,02 Cent pro Kilowatt-
stunde. Der jetzt vorliegende Vorschlag würde also
Mehrkosten in Höhe von 1,2 Milliarden Euro bedeuten.
Was würde eingespart? Wenn Sie die CO2-Emissionen
mit dem Zertifikatspreis verrechnen, dann reden wir
über 130 bis 150 Millionen Euro. Die Mehrkosten lägen
also um den Faktor 10 höher – von den Auswirkungen





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

auf die Versorgungssicherheit und auf all das, was gesi-
cherte Leistungen und anderes angeht, einmal ganz zu
schweigen.

Wir werden uns deshalb sehr genau mit dem Thema
auseinandersetzen. Es gibt noch viele Fragen. Wir
werden die Ziele erreichen. Wir werden sie aber so errei-
chen, dass es klimapolitisch sinnvoll und nicht ein Null-
summenspiel ist, dass es aus ökonomischer Sicht Sinn
macht und die Versorgungssicherheit nicht gefährdet
wird.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809707800

Vielen Dank, Kollege Dr. Pfeiffer. – Nächste Redne-

rin in der Debatte: Eva Bulling-Schröter für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809707900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Gabriel, wenn Ihr Vorschlag, so wie er jetzt vor-
liegt, eins zu eins umgesetzt würde,


(Florian Post [SPD]: Wäre es super!)


wäre bis 2020 ein großer Schritt getan. Wir meinen aber:
Es wird wohl nicht so kommen; denn die großen Brem-
ser schreien jetzt am lautesten. Das wussten Sie natür-
lich, Herr Gabriel. Dass die Kohleländer rebellieren und
die Belegschaften der Kohlekraftwerke aus sozialen
Gründen Sturm gegen den Kohlebeitrag laufen, war ei-
gentlich klar.

Angesichts der harschen Kritik vonseiten der CDU
und der Konzerne wirkt Ihr Vorschlag fast so, als könne
er nicht ganz falsch sein. Das ist aber nur die halbe
Wahrheit. Niemand weiß derzeit, ob der neue Klimabei-
trag die ältesten Dreckschleudern unwirtschaftlich
macht; denn wir kennen die genauen Kosten für den Be-
trieb der Kohlekraftwerke eben nicht.

Es ist nämlich erstens völlig offen, ob der von Ihnen
vorgeschlagene Preis von 18 bis 20 Euro pro Tonne CO2
wirklich zu der erwünschten CO2-Reduzierung führt.

Zum Zweiten. Die Eckpunkte werden natürlich nicht
so bleiben.


(Florian Post [SPD]: Deshalb sind es Eckpunkte!)


Da hat der Kollege der CDU ja schon etwas angedeutet.
Ich gehe davon aus, dass der jetzt bei 18 bis 20 Euro pro
Tonne CO2 angesetzte Preis noch ordentlich geschliffen
wird, die Freigrenzen angehoben werden und, und, und.
Sie kennen das ja.

Abgesehen davon haben ja die Kohlekonzerne bereits
ein erhebliches Erpressungspotenzial in Form von
Klagen in Milliardenhöhe gegen den Atomausstieg auf-
gebaut.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Unglaublich!)

Ich vermute leider: Die Bundesregierung wird sich mit
den Energiekonzernen am Ende auf einen Deal einigen
– wir kennen das –, und der Deal wird leider butterweich
sein. Das wollen wir natürlich nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Noch ein dritter Punkt ist wichtig. Der Klimabeitrag
für Kohlekraftwerke wirkt erst ab 2017 und zunächst nur
bis 2020. Sie haben keine längerfristige Strategie für den
Umgang mit der Kohleverstromung. Und was kommt
dann nach 2020? Wir müssen ja weiterdenken. Hätten
Sie sich für einen geplanten und geordneten Ausstieg aus
der Kohle entschieden, dann könnte der fällige Struktur-
wandel in den betroffenen Regionen eingeleitet werden.
Dass wir diesen Strukturwandel brauchen, verehrte Kol-
leginnen und Kollegen, das halte ich für unbestritten.
Dafür müssen wir natürlich auch etwas tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann hätte nicht nur das Klima Sicherheit, sondern auch
die Belegschaften, die sich längerfristig darauf einstellen
könnten.

In dem Getöse um die Kohleabgabe gehen leider
– vielleicht auch gewollt – die schmerzlichen Maßnah-
men gegen die Kraft-Wärme-Kopplung fast vollständig
unter. Sie rücken vom bisherigen Ziel „25 Prozent KWK
bis 2020“ deutlich ab. Das haben wir zwar schon be-
fürchtet, als das Grünbuch herauskam. Aber dass Sie im
Windschatten der CO2-Debatte die KWK so radikal zu-
sammenstutzen, wie es jetzt geplant ist, das hätten wir
nicht für möglich gehalten.

Sie sagen, dass sich der Anteil von 25 Prozent nur an
der thermischen, also der fossilen Erzeugung, statt an der
gesamten Stromerzeugung bemessen soll. Wir sagen:
Das ist ein Rechentrick; denn Sie wussten selbst, dass
mit dem Aufwuchs bei den Erneuerbaren der Anteil der
Fossilen zurückgeht und damit die Stellschraube für
KWK. Der Rückgang der thermischen Erzeugung und
der Zubau bei den Erneuerbaren waren auch schon klar,
als das KWK-Ziel gesetzt wurde. Das wussten Sie. Sie
können rechnen. So ist es also nicht.

Ihr Vorschlag bedeutet, dass wir nur noch ein 19-Pro-
zent-Ziel – 19,4 Prozent haben wir berechnet – für den
Anteil der KWK bis 2020 und einen Aufwuchs von ge-
rade einmal 3 Prozent in fünf Jahren haben. Das ist
schon ein bisschen wenig.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich halte das nicht nur für bedauerlich, sondern ich halte
es auch für jämmerlich, meine lieben Kolleginnen und
Kollegen.

Es war von Beginn an klar, dass die KWK nur eine
Übergangstechnologie auf dem Weg zur Vollversorgung
durch Erneuerbare sein würde, aber trotzdem ein ganz
wichtiger Beitrag. Ich sage Ihnen: Sie lassen jetzt die
Stadtwerke im Regen stehen, für die Sie sich noch als
Umweltminister eingesetzt haben. Sie schreddern jetzt
Ihr eigenes KWK-Ziel.





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Das ist eine Riesensauerei! – Dirk Becker [SPD]: Stimmt doch nicht! Unsinn!)


Sie selbst geben der lange siechenden KWK einen
Gnadenstoß; so empfinden wir das und im Übrigen auch
die KWK-Hersteller, die uns ja jetzt schreiben, sowie die
Stadtwerke. Dazu, dass Sie von einem moderaten Aus-
bau reden, sage ich: Sie haben Angst vor Ihrer ehemali-
gen Courage. Das werden wir nicht hinnehmen. Wir
wollen die Stadtwerke schützen, und wir brauchen auch
die kleinen KWK-Anlagen.


(Beifall bei der LINKEN – Dirk Becker [SPD]: Das sagen wir schon die ganze Zeit!)


Wir brauchen natürlich in Klima- und Energiefragen
Visionen


(Florian Post [SPD]: Haben wir ja!)


und kein kurzfristiges Herumdoktern.

Zum Schluss vielleicht noch etwas zur Preissicher-
heit, die immer wieder angesprochen wird. Gestern war
im Wirtschaftsausschuss der Präsident der IRENA. Er
hat uns nochmals ans Herz gelegt: Wir müssen aus der
Kohle raus. Die regenerativen Energien sind bezahl-
barer. Sie sind konkurrenzlos billig. – Er ist nicht irgend-
jemand, sondern der Präsident der Internationalen Ener-
gieagentur. Wenn Sie uns schon nicht glauben, dann
glauben Sie doch den Leuten, die permanent an diesen
Fragen arbeiten. Ich denke, Sie sollten sich dies zu Her-
zen nehmen und nicht immer erzählen, dass die fossilen
Energieträger so viel billiger sind. In Wirklichkeit sind
es die regenerativen Energien.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809708000

Frau Kollegin.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809708100

Die sind zukunftsfähig. Die anderen eben nicht.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809708200

Danke, Frau Kollegin Bulling-Schröter. – Nächster

Redner in der Debatte: Dirk Becker für die SPD-Frak-
tion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dirk Becker (SPD):
Rede ID: ID1809708300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-

gen! Nachdem Herr Dr. Pfeiffer für die Union ein Be-
kenntnis zu den Klimazielen abgelegt hat, will ich das
natürlich auch für die Sozialdemokraten bestätigen. Wir
stehen zu dem 40-Prozent-Ziel,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie auch etwas dafür tun!)

und wir stehen zu den Maßnahmen, die das Kabinett im
Dezember mit den Stimmen der Kanzlerin, des Wirt-
schaftsministers und aller anderen Minister beschlossen
hat, unter anderem, zur Erreichung dieses Ziels auch
22 Millionen Tonnen Ersparnis im Kraftwerkepark zu
erbringen. Ich sage eines ganz klar, Herr Dr. Pfeiffer:
Nationale Ziele erfordern nationale Maßnahmen. Wir in
Deutschland stehen in der Verantwortung, genau diese
Maßnahmen zu beschließen, und wir haben das vor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will kurz auf die Punkte eingehen, die jetzt debat-
tiert werden. Wir haben zum einen gehört, dass Eck-
punkte einer KWK-Novelle vorgelegt wurden. Frau
Bulling-Schröter, eines verstehe ich überhaupt nicht:
Jetzt wird ein KWK-Gesetz vorgelegt, was dazu beitra-
gen soll


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja kein Gesetz!)


– Eckpunkte –, dass die wirtschaftlichen Grundlagen für
Bestandsanlagen verbessert werden, dass wir einen
Rahmen schaffen, dass das 25-Prozent-Ziel nicht aufge-
geben, sondern beibehalten wird, obwohl wir wissen,
dass wir es nicht erreichen werden. Jetzt vom KWK-
Abbruch-Gesetz zu sprechen, zeigt doch, dass es Ihnen
gar nicht um eine sachliche Debatte geht. Wo ist denn
das Engagement für die Stadtwerke, wenn Sie so über
das KWK-Gesetz reden?


(Beifall bei der SPD)


Wir wollen in der Tat, dass hocheffiziente Kraft-
Wärme-Kopplung, die mit 29 Millionen Tonnen auch
einen CO2-Minderungsbeitrag in unserem Konzept zu
erbringen hat, weiter ausgebaut wird; denn sie macht
Sinn. Es macht aber keinen Sinn, nur den Ausbau zu
finanzieren. Wir müssen uns auch um den Bestand küm-
mern. Das werden wir mit dieser Novelle tun.

Es handelt sich um Eckpunkte; die sind gut. Es gibt
Beratungsbedarf. Wir werden in aller Verantwortung se-
hen, welche Stellschrauben wir möglicherweise noch
verändern müssen, welche Ziele wir gemeinsam mit dem
Koalitionspartner vereinbaren. Aber wichtig ist mir die
Botschaft an alle Akteure im Markt: Wir werden dafür
sorgen, dass die, die im Vertrauen auf Klimaschutzziele
in den letzten Jahren in hocheffiziente KWK investiert
haben, jetzt nicht im Regen stehen bleiben. Dafür wer-
den wir sorgen.


(Beifall bei der SPD)


Ich will jetzt auf die Frage eingehen, wie man diesen
zusätzlichen CO2-Minderungsbeitrag von 22 Millionen
Tonnen erbringt. Ich sage noch einmal ganz klar: Dass
diese 22 Millionen Tonnen kommen werden, wissen wir
seit Dezember verbindlich. Das wissen die Kraftwerks-
betreiber. Die haben sich auch damit auseinandergesetzt.
Jeder, der sich halbwegs in der Kraftwerkswelt auskennt
und dort umschaut, hat natürlich eine Ahnung, welche
Kraftwerke besonders betroffen sein werden. Das hat
unter anderem etwas mit CO2-Intensität zu tun. Ich muss
sagen, Herr Minister: Das, was Sie im jetzigen Verfahren





Dirk Becker


(A) (C)



(D)(B)

vorgelegt haben – das gebe ich zu –, war für viele eine
Überraschung.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben im Vorfeld andere Sachen diskutiert.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was heißt das denn?)


Ich sage es einmal ganz allgemein, ohne dass wir da-
rüber im Detail gesprochen haben: Jetzt auf ein bewähr-
tes bestehendes wirtschaftliches Instrument, nämlich den
Emissionshandel, aufzusetzen, hat zunächst einmal
Charme; ich will das eindeutig sagen. Bevor wir jetzt
neue Instrumente entwickeln, ist die Diskussion, es so zu
machen, wirklich aller Mühe wert. Ich finde, es lohnt
sich, darüber zu reden. Wir werden das mit Ihrem Haus
und dem Koalitionspartner konstruktiv machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat keiner verstanden! Dafür oder dagegen?)


Ich will eines aufgreifen, weil immer der Eindruck
entsteht, es gehe darum, wann der Kohleausstieg, wenn
nicht schon jetzt sofort, kommt. Die gesamte Klima-
schutzdebatte, die wir hier seit Jahren führen, ist nicht
eine Debatte über den Kohleausstieg,


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch!)


sondern über den CO2-Ausstieg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Insgesamt müssen wir die CO2-Emissionen reduzieren.
Von daher, liebe Grünen, hören Sie auf, hier das Thema
nur aus Gründen des eigenen Parteienproporzes immer
auf die Kohledebatte zu verengen! Aber wir müssen uns
der Debatte stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Letzte Woche haben wir über CO2 geredet! Da liefert ihr auch nicht!)


Ich will eines ganz klar sagen: Wir werden das tun,
aber wir werden auch die Sorgen der Beschäftigten auf-
nehmen. Denn sosehr wir zu den Zielen stehen, so wich-
tig ist es für uns, auch die Verunsicherung, die Ängste
der Menschen, die im Bereich der Tagebaue und der
Kraftwerkswirtschaft arbeiten, aufzunehmen, sie nicht
zu diskriminieren, sondern sie mitzunehmen und zu
schauen: Wie können wir diese Dinge so regeln, dass die
Befürchtungen, die jetzt geäußert werden, sich nicht be-
wahrheiten? – Ich glaube, da ist auch vieles überzogen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist eine ganze Menge überzogen!)


Aber wir wollen das mit den betroffenen Menschen dis-
kutieren und sie ernst nehmen; denn wir werden den Kli-
mawandel nur dann hinbekommen, wenn wir die Men-
schen insgesamt mitnehmen, auch die Beschäftigten der
klassischen Energiewirtschaft. Das ist unsere Verantwor-
tung. Wir werden sie wahrnehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809708400

Vielen Dank, Herr Kollege Becker. – Nächster Red-

ner in der Debatte: Thomas Bareiß für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1809708500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!

Meine Herren! Ich muss gestehen: Ich bin den Grünen,
auch Oliver Krischer, sehr dankbar, dass sie heute diese
Aktuelle Stunde beantragt haben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja schön! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gerne!)


Denn der CO2-Ausstieg auf der einen Seite und der Koh-
leausstieg auf der anderen Seite sind Themen, die viele
Menschen in unserem Land bewegen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Gerade als Baden-Württemberger, der mit Kohle oder
Braunkohle nicht so eng in Berührung kommt wie Oliver
Krischer in seinem Wahlkreis, sage ich: Wir haben in
Deutschland eine Gesamtverantwortung. Von der Kohle-
industrie leben 80 000 Menschen in unserem Land.


(Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ CSU])


Wir müssen dafür sorgen, dass diese Menschen spüren,
dass sie unseren Zuspruch haben und wir unsere Verant-
wortung wahrnehmen. Deshalb bitte ich, hier ein biss-
chen anders zu diskutieren.


(Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wir haben ganze Landstriche, die ausbluten werden,
wenn der grüne Kohleausstieg kommt –


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


im Rheinischen Revier, im Lausitzer Revier und im Mit-
teldeutschen Revier.

Ich sage gerade zu den Grünen, gerade zu dir, lieber
Olli Krischer, der du aus einer Region kommst, in der
sehr viele Menschen von der Braunkohle leben:


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mehr!)


Auch diese Menschen haben ein Anrecht auf Sicherheit,
auf eine Zukunft und darauf, dass die Politik ein Stück
weit das anerkennt, was sie tun, was sie in den letzten
Jahren für die Volkswirtschaft, für Deutschland getan





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

haben. Auch das ist etwas, was im Zentrum unserer Poli-
tik stehen muss.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb müssen wir über Strukturwandel reden! Das ist der Punkt! Das tun wir aber nicht!)


Gerade wenn wir über Braunkohle und die Kohle-
industrie generell diskutieren, müssen wir die Importab-
hängigkeit Deutschlands in Betracht ziehen. Deutsch-
land steht im Bereich der Energieabhängigkeit in der
Europäischen Union an vierter Stelle. Deshalb sage ich
in dieser Debatte auch ganz klar: Wir können nicht in-
nerhalb von drei Jahrzehnten aus der Kernenergie und
der Kohle aussteigen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber dann müssen wir das Klimaschutzziel canceln! Das wäre dann die ehrliche Ansage!)


Das wird nicht funktionieren. Das wäre nicht nur unbe-
zahlbar, sondern das würde auch unsere Energiesicher-
heit gefährden. Deshalb wird es diesen Weg mit uns
nicht geben, meine sehr verehrten Damen, meine Her-
ren.

Ich will gerne auch etwas zum Thema Klimaschutz
sagen, weil es, wie schon meine Vorredner gesagt haben,
auch für uns ein wichtiges Thema ist. Ich will zuvor ei-
nes klarstellen, weil es immer wieder verzerrt dargestellt
wird: Deutschland ist Vorreiter im Bereich des Klima-
schutzes.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nicht mehr!)


Wir haben unsere Kioto-Ziele schon vor vier Jahren
übererfüllt; wir liegen 25 Prozent über den Kioto-Zielen.
Bei einem Thema, dem der Energieeffizienz, sind wir in
der Spitze der Welt; es gibt kein Industrieland auf der
Welt, das im Bereich der Energieeffizienz so schnell vo-
rankommt wie wir. Wir haben es in den letzten 20 Jahren
geschafft, unser Wirtschaftswachstum konsequent vom
Energieverbrauch zu entkoppeln. Auch das ist ein Erfolg
unserer Energiepolitik, meine sehr verehrten Damen und
Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich bitte auch euch von den Grünen, das einmal anzuer-
kennen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Thomas, jetzt sag mal, was du für moderne Gaskraftwerke und gegen Atom tust!)


Wir müssen trotzdem im Bereich Klimaschutz mehr
tun – gar keine Frage! Wir müssen es aber auf europäi-
scher Ebene tun. Deshalb hat die rot-grüne Regierung
2003 zu Recht Maßnahmen im Bereich des Klimaschut-
zes und der CO2-Emissionen auf europäischer Ebene an-
gesiedelt. Wir haben damals den europäischen Klima-
handel installiert; 2005 ging es los.

(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den CO2-Handel!)


Es wurde der Fahrplan aufgestellt, konsequent jedes Jahr
1,75 Prozent der Klimazertifikate aus dem Markt heraus-
zunehmen – ein marktwirtschaftliches Instrument, das
dazu führt, dass wir die CO2-Reduktionskosten für unser
Land günstig heben können. Daran müssen wir festhal-
ten, und es wird auch gelingen. Wir haben schon jetzt in
der Europäischen Union über 9 Prozent CO2 eingespart.

Ich bitte aber, zu bedenken: Wenn wir jetzt mit natio-
nalen Alleingängen eigene Instrumente im Bereich der
CO2-Reduktion installieren, werden wir im Bereich der
CO2-Zertifikate einen weiteren Preisverfall erleben. Wir
würden den CO2-Handel Stück für Stück aushöhlen und
dieses Instrument, das eigentlich von unserer Seite auf
europäischer Ebene gewollt wird und das wir sogar in
die Welt exportieren wollen, konterkarieren.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie verstehen das nicht!)


Wir würden so dafür sorgen, dass andere Länder in Eu-
ropa CO2 günstiger emittieren. Wir würden in Europa
unter dem Strich nicht mehr CO2 einsparen. Das macht
unterm Strich keinen Sinn, meine sehr verehrten Damen
und Herren. Auch hier würden wir nationale Allein-
gänge nicht für sinnvoll erachten.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann hättet ihr dem Klimaaktionsprogramm nicht zustimmen dürfen!)


Zur Wahrheit gehört dazu –


(Johann Saathoff [SPD]: Nicht der Kanzlerin in den Rücken fallen!)


das ist auch ein wichtiger Punkt –: Diese CO2-Reduktio-
nen werden wir nur schaffen, wenn andere Länder mit-
ziehen werden. Allein die Menge von 22 Millionen Ton-
nen, von der wir jetzt mehrfach gesprochen haben und
die wir jetzt mit großer Kraftanstrengung im Bereich der
Kohleindustrie reduzieren wollen, wird in China allein
in 16 Stunden emittiert.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: So ist das!)


Da sehen wir einmal die Größenordnung, von der wir re-
den.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, und wie viele Menschen leben da?)


In 16 Stunden haben die Chinesen diesen CO2-Ausstoß,
den wir unter größten Kraftanstrengungen in den nächs-
ten zehn Jahren im Bereich der Kohleindustrie heben
wollen.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und in Peking wohnen mehr Menschen als in Baden-Württemberg! – Weiterer Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: China liegt aber nicht in Europa!)


Das macht doch keinen Sinn. Deshalb müssen wir hier
europäisch herangehen. Ich bin dankbar, dass Angela





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)

Merkel und Sigmar Gabriel das gemeinsam auf europäi-
scher Ebene voranbringen.


(Beifall des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ CSU])


In diesem Sinne brauchen wir weiterhin eine Politik,
die saubere, bezahlbare und sichere Energieversorgung
gewährleistet. Deshalb wird es mit uns nicht gleichzeitig
einen Kernenergie- und Kohleausstieg geben. Das ma-
chen wir nicht mit.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja eine klare Ansage!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809708600

Vielen Dank, Herr Kollege Bareiß. – Nächster Redner

in der Debatte: Johann Saathoff für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johann Saathoff (SPD):
Rede ID: ID1809708700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ja, es stimmt. Wir haben gestern im Wirt-
schaftsausschuss mit dem Generalsekretär der IRENA
gesprochen, aber wir wollen das einmal in einen richti-
gen Zusammenhang stellen. Es war nicht so, dass er ge-
sagt hat: In Deutschland wird nicht genügend für die
Energiewende getan. Vielmehr hat er das Gegenteil dar-
gestellt und gesagt: Deutschland ist Vorbild für die Ener-
giewende in der Welt. – Das müssen wir an dieser Stelle
auch einmal so festhalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Seit einer Woche, also seitdem das BMWi den Vor-
schlag zur Einsparung der 22 Millionen Tonnen veröf-
fentlicht hat, kennt die politische Erregung keine
Grenzen mehr. Die Proteste gestern waren dabei der Hö-
hepunkt. Dabei muss man doch ehrlicherweise sagen,
dass das Minderungsziel von 40 Prozent bereits im Ko-
alitionsvertrag steht, also eineinhalb Jahre bekannt ist,
und dass der Kabinettsbeschluss zu den 22 Millionen
Tonnen am 3. Dezember 2014 gefasst wurde, also auch
schon längst bekannt ist. Deswegen sollte die Überra-
schung nicht zu groß sein.

Die Gespräche dazu, wie man diese 22 Millionen
Tonnen zusätzliche Einsparung umsetzt, laufen bereits
seit Wochen. Allerdings habe ich bisher keinerlei Ergeb-
nisse gesehen. Es gab wenig konstruktive Zusammenar-
beit in diesem ganzen Rahmen. Deshalb habe ich großes
Verständnis dafür, dass das Ministerium nun einen Vor-
schlag vorlegt. Ich habe dafür jedenfalls größeres Ver-
ständnis als für die kontroverse Debatte, die sich auf-
grund dieses Vorschlags daraus ergibt.


(Zuruf des Abg. Andreas G. Lämmel [CDU/ CSU])

Ich muss bei genauerer Betrachtung sagen: Ich finde
den Vorschlag durchdacht und gut. Er ist ein schlankes
und effizientes Instrument.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlank ist okay! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schlaff!)


Aus meiner Sicht überrascht die Mechanik. Er setzt auf
dem bestehenden ETS auf und ist zunächst einmal tech-
nologieoffen konzipiert. Im Gegensatz zu anderen The-
men, die wir sonst miteinander behandeln, dürften wir
also aus europarechtlicher Sicht erst einmal keine Pro-
bleme miteinander haben.

Das Hauptargument der Gegner des Klimabeitrags,
sofern Argumente benutzt werden, ist, dass einige be-
troffene Braunkohlekraftwerke unwirtschaftlich sind
und dementsprechend stillgelegt werden – mit Folgen
auch für die dazugehörigen Tagebaue. Von dieser Angst
getrieben, haben gestern viele Menschen gegen den Vor-
schlag protestiert. Ich habe großes Verständnis für die
Sorgen der Bürgerinnen und Bürger, und wir tragen in
diesem Zusammenhang alle miteinander eine große Ver-
antwortung für die Menschen, die direkt von unseren
Entscheidungen betroffen sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Deshalb müssen wir uns intensiv mit den Auswirkungen
beschäftigen und dürfen nicht gleich anfangen, aufeinan-
der zu schimpfen. Ich möchte Sie alle dazu aufrufen,
liebe Kolleginnen und Kollegen, das auch konstruktiv zu
tun.

Ich gebe zu bedenken, dass die Stromproduktion ther-
mischer Kraftwerke auch heute schon in einem gewissen
Umfang der Last folgt. Und weil genau das so ist, er-
scheint es mir wahrscheinlicher, dass die alten Kohle-
kraftwerke nicht generell stillgelegt werden, sondern
sich ihre Produktion stärker als bisher noch an der im
Netz erforderlichen Last und damit am Markt orientiert.
Das ist etwas, das uns auch in der Debatte zum Grün-
buch und anschließend zum Weißbuch eigentlich zugu-
tekommt und in die richtige Richtung geht. Mit dieser
und mit anderen Fragen sollten wir uns intensiver be-
schäftigen und natürlich auch mit möglichen Alternati-
ven. Dieser Vorschlag muss ja nicht zwingend das Ende
der Fahnenstange sein.

Ernsthafte Alternativen vermisse ich allerdings bis-
lang. Niemand will das Kind mit dem Bade ausschütten.
Deshalb müssen die Beteiligten sachlich und konstruktiv
miteinander reden. Ich bin froh, dass sich nun auch die
Wirtschaft bereit erklärt hat, sich sachlich an der Diskus-
sion zu beteiligen.

Einem sogenannten Alternativvorschlag möchte ich
an dieser Stelle aber gleich den Wind aus den Segeln
nehmen, und zwar ist es keine Option, einfach Zertifi-
kate in Höhe von 22 Millionen Tonnen CO2 zu kaufen.
Das käme nicht nur der deutschen, sondern vor allen
Dingen der europäischen CO2-Bilanz zugute. Damit ist
das keine Lösung.

In der ganzen Aufregung ein wenig untergegangen ist
der Vorschlag zur Kraft-Wärme-Kopplung. Der derzei-





Johann Saathoff


(A) (C)



(B)

tige Deckel soll von 750 Millionen Euro auf 1 Milliarde
Euro angehoben werden. Für mich ist noch viel wesent-
licher: Wir wollen uns im Wesentlichen auf die KWK-
Anlagen der Kommunen fokussieren, die zurzeit zwar
nicht wirtschaftlich sind, aber trotzdem laufen müssen.
Grundsätzlich ist es natürlich sinnvoll, da Emissionen
einzusparen, wo viel zu holen ist. Bei den KWK-Anla-
gen oder bei großen Heizkraftwerken ist das eher nicht
der Fall.

Es macht auch wenig Sinn, die Kraftwerke auf der ei-
nen Seite zu fördern und auf der anderen Seite von ihnen
einen Klimaschutzbeitrag zu verlangen. Deshalb sollte
man meiner Meinung nach vielleicht einmal darüber
nachdenken, ob man nicht eine Form von Wärmegut-
schrift für die durch gekoppelte Erzeugung von Energie
vermiedenen Emissionen einführen könnte. An diesem
Punkt könnten wir das Papier doch weiterentwickeln.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie uns doch
über die kommenden, vielleicht für uns alle etwas ruhi-
geren Ostertage sachlich über diesen Vorschlag und über
andere Vorschläge reden und etwaige Alternativen prü-
fen, damit die Menschen im Lande sehen, dass wir ver-
antwortungsvoll mit dieser Thematik umgehen und nicht
leichtfertig Arbeitsplätze riskieren wollen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809708800

Vielen Dank, Johann Saathoff. – Die nächste Redne-

rin in der Debatte: Dr. Anja Weisgerber für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1809708900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Das Ziel aller Fraktionen hier im Haus ist,
dass Deutschland bis 2020 den CO2-Ausstoß um 40 Pro-
zent reduziert. Wir unterscheiden uns allerdings darin,
wie wir dieses Ziel erreichen wollen.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Ob!)


Bei all unseren Entscheidungen müssen wir auch die
Frage mit einbeziehen, welche Auswirkungen nationale
Maßnahmen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland,
auf die Wettbewerbsfähigkeit und auch auf die Arbeits-
plätze in Deutschland haben.

Eines der wichtigsten Instrumente, um die Klimaziele
auf europäischer und nationaler Ebene zu erreichen, ist
der Emissionshandel. Denn er ist ein Instrument, das ma-
ximalen Klimaschutzeffekt bei maximaler Kosteneffi-
zienz bringt. In Brüssel steht die finale Verhandlungs-
runde zur Marktstabilitätsreserve unmittelbar bevor. Die
Bundesregierung ist hier mit ihren Forderungen


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gescheitert!)

ehrgeiziger als andere Mitgliedstaaten. Denn wir wollen,
dass die Einführung der Marktstabilitätsreserve vorgezo-
gen wird und dass die Zertifikate, die im Rahmen des so-
genannten Backloadings vorübergehend aus dem Markt
genommen wurden, direkt in die Reserve überführt wer-
den. Und das ist gut so, meine Damen und Herren.

Bei der ersten Forderung scheinen wir uns durchzu-
setzen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer ist „wir“?)


Bei der zweiten Forderung hat Deutschland noch nicht
die erforderliche Mehrheit der Mitgliedstaaten hinter
sich. Unser Hauptaugenmerk muss sich jetzt auf eine
wirksame vorgezogene Reform des Emissionshandels
richten, und wir müssen bei den anderen Mitgliedstaaten
Überzeugungsarbeit leisten. Denn durch den Emissions-
handel unterliegt die Wirtschaft in ganz Europa den glei-
chen Wettbewerbsbedingungen. Eben deswegen brau-
chen wir diese Reform.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil wir verhindern wollen, dass Arbeitsplätze verla-
gert werden, setzen wir uns in Brüssel auch dafür ein,
dass eine Reform des Emissionshandels mit einer Re-
form der Ausnahmen für die energieintensive Industrie
gekoppelt wird.

Generell ist unser Hauptaugenmerk auch darauf zu
richten, dass sich die nationalen Maßnahmen, über die
wir jetzt diskutieren, immer in den Emissionshandel ein-
fügen. Denn dem Klima bringt es unter dem Strich
nichts, wenn aufgrund nationaler Gesetze mehr Zertifi-
kate im Markt sind und dann zum Beispiel Polen noch
billiger emittieren kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Vorschläge aus dem Wirtschaftsministerium sind
mit dem Emissionshandel grundsätzlich kompatibel;


(Beifall des Abg. Frank Schwabe [SPD])


deshalb sind sie zu prüfen. Aber wir müssen immer
kritisch darauf schauen, welche Auswirkungen solche
Eingriffe auf die Versorgungssicherheit, den Strompreis
und die Arbeitsplätze haben werden. Da haben wir noch
eine ganze Latte von Fragen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu der Forderung von Herrn Krischer – sagen Sie
doch einmal, wie wir dann die Klimaziele erreichen
wollen! –: Auf unserem Weg dahin müssen wir unseren
Fokus noch stärker auf den Bereich legen, der nicht dem
Emissionshandel unterliegt, wie den Gebäudebereich.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, was war denn beim letzten Mal, als wir über den Gebäudebereich diskutiert haben?)


– Hören Sie mir bitte erst einmal zu, Herr Krischer. – Im
Bundesrat liegt ein Antrag Bayerns zur steuerlichen För-

(D)






Dr. Anja Weisgerber


(A) (C)



(D)(B)

derung der energetischen Gebäudesanierung auf dem
Tisch.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Antrag finde ich gut! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nur nichts zur Gegenfinanzierung!)


Außerdem hat Bayern die sofortige Sachentscheidung
für morgen beantragt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Vorschlag heißt, die Bundesregierung zahlt alles! Damit haben wir kein Problem!)


Deshalb rufe ich die Bundesländer auf: Stimmen Sie die-
sem Antrag morgen endlich zu! Wir brauchen nämlich
gar keine Gegenfinanzierung.


(Dirk Becker [SPD]: Oh! Aha! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bayern nicht!)


Zu Ihrem Einwurf, der Vorschlag würde beinhalten,
dass das nur der Bund zahlt: Das stimmt schlicht nicht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, das steht da so drin!)


Frau Hasselfeldt hat schon letzte Woche klargestellt,
dass Ihre Aussage dazu falsch ist.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Die kannte den ja gar nicht! – Thomas Bareiß [CDU/CSU], an das BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gewandt: Hört jetzt gut zu!)


Das stimmt so, wie gesagt, nicht.


(Beifall der Abg. Dorothee Bär [CDU/CSU])


Wir brauchen keine Gegenfinanzierung.

Die Abschaffung des Handwerkerbonus wird es mit
uns nicht geben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das war ein Vorschlag der CDU!)


Das wäre eine Überkompensation für die Länder.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch der Vorschlag der CDU!)


Wir würden damit bundesweit rund 9 Millionen Steuer-
fälle treffen, kleine Mieter genauso wie Eigenheimbesit-
zer. Die steuerliche Förderung finanziert sich von selbst;
das wissen Sie. Wenn die Bundesländer glaubwürdig
sein und ihre Klimaziele erreichen wollen, dann dürfen
sie diesen Antrag nicht weiter aus rein taktisch-politi-
schen Gründen blockieren. So können wir unsere Klima-
ziele nämlich nicht erreichen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zum Abschluss noch zwei Sätze zum Netzausbau.
Erst muss klar sein, welche Förderinstrumente für kon-
ventionelle Kraftwerkskapazitäten und KWK-Anlagen
es geben wird.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Es gelten das Gesetz und der Koalitionsvertrag!)


Erst dann weiß man, wie viel Strom vor Ort, auch durch
konventionelle Kraftwerke, produziert wird. Erst dann
weiß man, Herr Wirtschaftsminister Gabriel, welcher
Übertragungsbedarf besteht und welche Stromtrassen
definitiv erforderlich sind.


(Florian Post [SPD]: Ihr habt im Juni 2013 doch zugestimmt!)


Bevor solch weitreichende Entscheidungen, wie etwa
zum Bau neuer Gleichstromtrassen, getroffen werden,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das klärt die Mutti mit dem Horst!)


muss der Bedarf unzweifelhaft und für die Bürger erklär-
bar bestätigt werden. Deshalb ist es richtig, dass auf die
Forderung der CSU hin die Förderung der Kraftwerks-
kapazitäten und der KWK-Anlagen an die Frage gekop-
pelt wird, welche Trassen am Ende wirklich benötigt
werden. Das ist nicht zuletzt für die Akzeptanz vor Ort
wichtig. Denn die Energiewende kann nur gemeinsam
mit den Bürgern und nicht gegen sie gelingen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809709000

Vielen Dank, Frau Dr. Weisgerber. – Das Wort in

dieser Aussprache hat jetzt für neun Minuten der Bun-
desminister Sigmar Gabriel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Kollegin Weisgerber, ich finde, dass Sie recht
haben, was den Netzausbau angeht. Deswegen hat die
Bundesnetzagentur das alles berechnet. Danach hat auch
Ihre Fraktion in der letzten Legislaturperiode den jetzi-
gen Netzausbau beschlossen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will nur sagen: Ihre Forderung ist völlig berechtigt.
Deswegen gab es diese Pläne. Dann haben der Deutsche
Bundestag und der Bundesrat – mit all denen, die heute
gelegentlich anderer Meinung sind – beschlossen: Diese
Netze brauchen wir. – Dann wurde das ins Gesetz ge-
schrieben.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Und die Grünen waren auch dabei!)


– Ja, so ist das. Ich kann ja nichts dafür, dass das be-
schlossen wurde. Ich übrigens habe das damals auch mit
beschlossen. Nur: Ich distanziere mich jetzt nicht davon;
das ist der Unterschied.


(Beifall bei der SPD)






Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Ich kann das aber alles verstehen und bin sicher, wir fin-
den auch dafür vernünftige Lösungen und Verfahren.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will erst einmal
allen danken, die sich an dieser Debatte beteiligen. Ab-
gesehen von manchen Vorwürfen finde ich, dass wir
jetzt dazu gezwungen werden, uns ehrlich zu machen.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Denn seit Jahren – nicht erst seit der Koalitionsverein-
barung, sondern seit Jahren – beschließen wir alle mitei-
nander in großer Einmütigkeit: Erstens. Deutschland
will bis 2020 40 Prozent weniger CO2 als im Jahr 1990
emittieren; das beschließen wir immer einstimmig.
Zweitens beschließen wir, dass das Ganze nicht dazu
führen soll, dass Strompreise steigen – das geschieht
nicht mehr einstimmig; das gebe ich zu, Frau Höhn –,
drittens beschließen wir Ausbauziele für KWK, auch
meistens einvernehmlich.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bis jetzt!)


Viertens beschließen wir, dass wir das alles versorgungs-
sicher machen wollen, und fünftens, dass das alles keine
Arbeitsplätze kosten soll. – Solange man bei den Über-
schriften bleibt, ist es wunderbar, das alles zu beschlie-
ßen; schwierig wird es, wenn es konkret wird.

Dieser Punkt ist jetzt gekommen. Wenn wir bis 2020
40 Prozent CO2 gegenüber dem Jahr 1990 einsparen
wollen, dann müssen wir sagen, wie wir das schaffen
wollen; denn noch sind wir davon ein Stück entfernt. Es
nützt nichts, auf den europäischen Emissionshandel zu
verweisen. Ehrlich gesagt, ich bin durch die Lande
gelaufen und habe überall gesagt: Mensch, Leute, wir
müssen jetzt den europäischen Emissionshandel wieder
in Gang bringen und nicht nationale Instrumente entwer-
fen. – Das Problem ist nur, dass der europäische Emis-
sionshandel am Boden liegt, es gibt ihn de facto nicht,
und es gibt nicht die Bereitschaft in Europa, den
Vorschlägen Deutschlands, der skandinavischen Länder
und Frankreichs zu folgen, diesen Emissionshandel
deutlich vor dem Jahr 2020 wieder in Gang zu setzen.


(Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Nein, Herr Krischer: Nirgendwo außer in den genann-
ten Ländern haben wir bei diesem Anliegen große
Freunde.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na ja, Sie stehen kurz vor der qualifizierten Mehrheit!)


Osteuropa ist komplett dagegen. Es gibt 26 Millionen
Arbeitslose in Europa, sodass viele Länder sagen: Wir
wollen an das Thema nicht ran. – Ich finde das falsch,
ich finde, dass der Emissionshandel eigentlich viel
schneller wieder in Gang gesetzt werden müsste; aber
ich bin sehr, sehr skeptisch, ob das vor 2020 passieren
wird. Wenn wir dennoch das 40-Prozent-Ziel erreichen
wollen, dann werden wir sagen müssen, wie das gehen
soll, und können nicht auf den Emissionshandel verwei-
sen; denn von da kommt es nicht.

Übrigens nur ein Hinweis, Herr Kollege Pfeiffer: Weil
die Gefahr in der Tat besteht, dass man hier Zertifikate
sozusagen nicht nutzt und sie dann woandershin
wandern, ist unser Vorschlag, dass diese Zertifikate still-
gelegt werden und dieses CO2 nicht woanders emittiert
werden kann; das ist ein anderer Vorschlag.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zuruf des Abg. Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU])


– Nein. Die Wahrheit ist doch, dass Sie sich in Ihrer
Rede zu dem 40-Prozent-Ziel gerade nicht bekannt
haben,


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist das Problem!)


sondern sich für nachhaltigen Umweltschutz ausgespro-
chen haben. Wenn man darauf verweist, wie viel CO2
China binnen weniger Tage emittiert, dann steckt dahin-
ter doch immer die Idee, dass unser eigener Beitrag nicht
so wichtig sei. Der Beitrag Europas und Deutschlands
zum Klimaschutz bemisst sich nicht daran, ob wir 35, 38
oder 41 Prozent mindern, sondern daran, dass ein hoch-
industrialisiertes Land zeigt, dass ambitionierter Klima-
schutz möglich ist und dass dabei die wirtschaftliche und
industrielle Entwicklung nicht gefährdet, sondern ausge-
baut wird.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir Deutsche das nicht machen, wenn wir das als
Europäer nicht tun und die Ziele des Klimaschutzes zu-
rücknehmen aus Angst, wir könnten es nicht bezahlen,
dann können Sie sicher sein, dass aus den Schwellen-
und Entwicklungsländern uns niemand folgen wird, und
dann ist der internationale Klimaschutz im Eimer. Das
ist die dahinterstehende Debatte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Ich bin dafür, dass wir über alle Instrumente diskutie-
ren, von mir aus auch streiten; aber wir müssen uns in
ein paar Punkten ehrlich machen:

Erstens. Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif. Er
ist nicht ohne einen Beitrag des Stromsektors, aus dem
circa 40 Prozent der Emissionen in Deutschland stam-
men, zu erreichen.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eine gute Erkenntnis!)


Zweitens. Strompreisstabilität gibt es auch nicht zum
Nulltarif. Ich verberge übrigens gar nicht, dass wir die





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

alten KWK-Ziele mit dem Papier aufgeben. Warum
sollte ich das tun?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das tun Sie aber!)


Ich verberge das nicht: weil ich das schon in allen öffent-
lichen Debatten gesagt habe. – Ich bin der Überzeugung,
dass das notwendig ist, wenn wir das Ziel der Strom-
preisstabilität erreichen wollen.

Wenn wir das alte KWK-Ziel halten würden – ein
KWK-Anteil an der Stromerzeugung von 25 Prozent –,
es weiter ausbauen würden und gleichzeitig das tun wol-
len, was ich für zwingend nötig halte, nämlich die beste-
henden Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen zu sichern,
sie gerade nicht kaputtgehen zu lassen, die Stadtwerke
zu unterstützen, indem insbesondere gasbetriebene
KWK sozusagen abgesichert werden, dann hieße das:
Wir müssen zum ersten Mal, was wir bisher nicht tun, in
die Bestandsförderung gehen. Wenn Sie beides zusam-
men machen wollen – die alten erhalten und ambitio-
nierte Ausbauziele verfolgen –, dann müssen Sie sich
hierhinstellen und sagen: Wir sind dafür, dass der Strom-
preis um 3 bis 4 Cent pro Kilowattstunde steigt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch!)


Dann sind wir relativ nah dran an dem, was uns die Er-
neuerbaren bereits kosten. Und Sie müssen sagen: Wir
sind bereit, 3 Milliarden Euro pro Jahr zusätzlich dafür
auszugeben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch albern!)


Das macht aber von Ihnen keiner. Auch an dieser Stelle
bitte ich darum, ehrlich zu sein.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat nichts mit Ehrlichkeit zu tun!)


Wir können ja darüber debattieren und dann entscheiden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber, Herr Krischer, Sie dürfen sich nicht davor drü-
cken, der Öffentlichkeit zu sagen, dass das dann 3 Mil-
liarden Euro mehr kostet und dass das die Menschen be-
zahlen müssen – übrigens sowohl Menschen mit großen
als auch mit kleinen Einkommen. Das wird im Übrigen
auch die mittelständische Wirtschaft bezahlen müssen.
Das werden nicht die energieintensiven Unternehmen
bezahlen müssen; die sind befreit.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja wer hat sie denn befreit?)


– Ja, zu Recht sind sie befreit! Denn wir wollen in
Deutschland nicht Hunderttausende Jobs verlieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wenn die Stahl-, die Aluminium-, die Kupfer-, die
Chemieindustrie und viele andere Bereiche nicht befreit
wären, würde das ja nicht gleichzeitig bedeuten, dass
dann niemand mehr CO2 emittiert, sondern dann machen
die das in Ländern, in denen es keinen Klimaschutz gibt,
und dann sind die Jobs bei uns weg. Das ist übrigens
auch der Grund, aus dem die Grünen früher einmal, als
sie noch in der Regierung waren, diesen Befreiungen zu-
gestimmt haben, und zwar, wie ich glaube, zu Recht,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Frau Bulling-Schröter, ich würde gerne mal eine
Veranstaltung erleben, auf der Sie und nach Ihnen der
Kollege Claus zum Thema Kohle bzw. Braunkohle
reden – einfach nur als Zuhörer.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Denn dann würde sich zeigen, dass das nicht funktio-
niert. Wir müssen in der Debatte ehrlich sein und dürfen
nicht so tun, als ließe sich alles erreichen, ohne dass man
einen Preis dafür zahlen müsste.

Drittens – auch das gehört zur Ehrlichkeit –: Struktur-
wandel braucht Zeit.


(Dirk Becker [SPD]: So ist es!)


Das geht nicht von heute auf morgen. Ich bin übrigens
der festen Überzeugung, dass Herr Bareiß recht hat: Man
kann nicht zeitgleich aus der Kernenergie und aus der
Kohle aussteigen. Das ist aber mit dem Vorschlag auch
gar nicht möglich. Denn wenn wir von den knapp über
300 Millionen Tonnen CO2, die aus fossilen Kraftwer-
ken in 2020 noch emittiert werden, jetzt zusätzlich
22 Millionen Tonnen einsparen wollen, dann kann man
nicht wirklich sagen, dass das der Ausstieg aus der
Kohle ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das ist ein relativ bescheidener Beitrag.

Strukturwandel braucht also Zeit. Daraus ergibt sich
übrigens die vierte Wahrheit, um die wir uns in der ak-
tuellen Debatte völlig herumdrücken: Die eigentliche
Herausforderung kommt nach 2020. Denn der Deutsche
Bundestag, das Europäische Parlament und die Mitglied-
staaten der Europäischen Union haben verabredet, dass
es nach 2020 noch mal richtig losgehen soll mit dem
Klimaschutz. Wir wollen dann jedes Jahr 2,2 Prozent der
Emissionen einsparen. Das heißt, die Herausforderungen
des Strukturwandels entstehen doch nicht durch die
Einsparung der 22 Millionen Tonnen, die wir jetzt vor-
schlagen, um das nationale 40-Prozent-Ziel zu erreichen.
Die Herausforderung kommt danach, wenn es weiter-
geht. Deswegen, glaube ich, ist diese Debatte wichtig.
Aber man muss sie auch mit einigermaßen offenem
Visier führen.

Man darf nicht glauben, man könnte die unterschied-
lichen Ziele alle in Einklang bringen. Wir haben in den
nächsten Wochen ausreichend Zeit, diese Debatte zu
führen. Ich bekenne mich ausdrücklich dazu, dass ich
keine Strukturabbrüche bei der Kohle will. Selbst wenn
es nur um 10 000 Arbeitsplätze gehen würde, Herr
Krischer, wäre das, wie ich finde, eine ganze Menge. Die
Menschen, die da arbeiten, vertrauen darauf, dass die





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Politik ihnen einen Weg zeigt und dass sie nicht durch
unsere politischen Entscheidungen in die Arbeitslosig-
keit geschickt werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir auch nicht!)


– Ich sage doch nicht, dass Sie das wollen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diese Empathie hätte ich gerne bei den Erneuerbaren!)


– Herr Krischer, das mache ich da auch.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: 50 000 Arbeitsplätze in der Photovoltaik!)


– Die Photovoltaik! Frau Höhn, jetzt hören Sie doch mal
auf, immer Volksverdummung im Parlament zu machen!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Der Einbruch der Photovoltaik kommt daher, dass aus
China massiv Panels rübergeschoben werden; dagegen
laufen Antidumpingverfahren. Das kommt doch nicht
durch die Politik der Bundesregierung. Macht doch den
Leuten nicht immer was vor!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Da wissen ja die Betroffenen besser Bescheid.

Deswegen müssen wir, glaube ich, über diese Wege
reden. Ich will erstens darauf hinweisen, dass es unser
Ziel ist, KWK im Bestand zu halten und die Stadtwerke
zu retten. Dazu haben wir hier einen Vorschlag gemacht.
Ich lasse gerne mit mir darüber reden, wie wir das weiter
ausbauen können. Aber dann müssen wir auch über die
Preise und die Kosten sprechen.

Zweitens bitte ich dringend darum, dass wir im Rah-
men der Diskussion über den Umgang mit der Kohle
wirklich alles dafür tun, den Menschen die Ängste vor
dem Verlust ihrer Arbeitsplätze zu nehmen. Ich bin mir
mit der Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen,
mit den beiden Ministerpräsidenten von Sachsen und
Brandenburg, mit den Vorsitzenden der Gewerkschaften
IG BCE und Verdi absolut einig, dass es auf gar keinen
Fall zu Dominoeffekten bei der Braunkohle kommen
darf. Wir wollen den Braunkohletagebau nicht schlie-
ßen; wir wollen die Leute nicht in die Arbeitslosigkeit
schicken.

Wir glauben, dass wir einen verkraftbaren Vorschlag
mit relativ geringfügigen Auswirkungen gemacht haben.
Wir werden jetzt mit allen in die Diskussion darüber ein-
steigen, wie man diesen Vorschlag weiterentwickeln
kann. Ich glaube, dass wir dabei auf einem ganz guten
Weg sind.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809709100

Vielen Dank, Sigmar Gabriel. – Ich unterbreche für

einen ganz kurzen Moment. Wir müssen durch einen
Blick in die Geschäftsordnung klären, wie wir jetzt mit
der Redezeit weiter umgehen. – Liebe Kolleginnen und
Kollegen, wir sind geschäftsordnungstreu. Weil es eine
relativ deutliche Redezeitüberziehung des Ministers gab,
schlagen die Parlamentarischen Geschäftsführerinnen
und Geschäftsführer vor, dass jede Fraktion noch einen
zusätzlichen Redner oder eine zusätzliche Rednerin in
dieser Aktuellen Stunde benennen darf. Bitte sagen Sie
uns hier oben die Namen derjenigen, die in dieser De-
batte noch reden wollen.

Ich gehe derweil weiter vor: Der nächste Redner ist
Ralph Lenkert für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809709200

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kol-

legen! Herr Minister, bei den Zielen sind wir uns einig.
Das, was Sie hier zu den Kohlekraftwerken vorgelegt
haben, ist für das Klima allerdings so wie Kamillentee
für eine Grippe: Hilft manchmal, schadet nicht.

Ihre Vorschläge zu den Stromtrassen sind aber ein
echtes Problem für die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher. Ich zitiere aus Ihrem Kommentar in der Frankfur-
ter Allgemeinen Zeitung, in dem es heißt, beim Strom
müsse es weiter bundesweit einen einheitlichen Preis ge-
ben. Einheitliche Preise bundesweit? Wenn Ihnen das so
nahegeht, dann empfehle ich Ihnen die Annahme unse-
res Antrages für bundesweit einheitliche Netzentgelte;
denn damit würde man diesem Ziel einen Schritt näher-
kommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu den bundeseinheitlichen Preisen: In Lübbenau
– das liegt in Brandenburg – kostet der Strom 29 Cent je
Kilowattstunde. In München kostet er 25 Cent je Kilo-
wattstunde. Das sind 15 Prozent Unterschied. Das nenne
ich nicht einheitlich.

Wer hat einheitliche Strompreise? Das sind die Groß-
unternehmen. An der Börse kostet der Strom 3,6 Cent je
Kilowattstunde. Die Börsenstrompreise sind einheitlich.
Davon profitieren Großunternehmen, Stromhändler und
Stromspekulanten. Für diese Klientel kämpfen Sie um
neue Stromtrassen, und das lehnt die Linke ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn die Gleichstromtrassen gebaut werden, kom-
men auf die Verbraucherinnen und Verbraucher zusätzli-
che Kosten in Höhe von 10 Milliarden Euro zu; denn sie
und nicht die Gabriel-Connection bezahlen die Investi-
tionssumme für die Gleichstromtrassen. Für Abschreibun-
gen, garantierte Renditen und Betriebskosten entstehen
für die Verbraucherinnen und Verbraucher so zusätzliche
Kosten in Höhe von insgesamt 1 Milliarde Euro pro Jahr.
Deshalb lehnt die Linke diese Trassen ab.


(Beifall bei der LINKEN – Dirk Becker [SPD]: Was? Das ist ja abenteuerlich!)






Ralph Lenkert


(A) (C)



(D)(B)

Jetzt stellt sich natürlich die Frage: Was passiert,
wenn die Trassen nicht kommen? Es gibt zum Beispiel
die Aussage: Dann gibt es zwei Preiszonen. Das Deut-
sche Institut für Wirtschaftsforschung hat errechnet, dass
die Kosten für den Strom in Süddeutschland um
275 Millionen Euro pro Jahr steigen würden, während
sie in Norddeutschland um 163 Millionen Euro pro Jahr
sinken würden. Rechnen wir jetzt einmal dagegen: Be-
triebskosten von 1 Milliarde Euro für die Gleichstrom-
trassen bedeuten für Süddeutschland anteilig 300 Millio-
nen Euro Mehrkosten bei den Netzentgelten, die die
Verbraucherinnen und Verbraucher und nicht die Groß-
konzerne bezahlen müssten. Kosten von 275 Millionen
Euro für höhere Strompreise oder Kosten von 300 Mil-
lionen Euro für höhere Netzentgelte: Sie können wählen.
Die Linke entscheidet sich dafür, die Netzentgelte nicht
anzuheben.

Im Norden sieht es noch einmal anders aus. Da wer-
den nämlich niedrige Strompreise und nicht zu zahlende
Netzentgelte zu sinkenden Strompreisen führen. Deswe-
gen gratuliert die Linke der CSU, dass sie mit uns ge-
meinsam die Stromtrassen ablehnt.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Oje!)


Jetzt kommt natürlich der nächste Einwand von Grü-
nen und SPD: Wir brauchen den Strom, damit die Ver-
sorgungssicherheit in Bayern gewährleistet ist. – Im Mo-
ment liegt die Leistung der Stromproduktion in Bayern
bei 4 Gigawatt. Diese steigt bis 2024 auf 13 Gigawatt.
Die bestehenden Stromtrassen, die heute in Betrieb sind,
haben eine Kapazität von 21 Gigawatt. Wo ist da die
Versorgungssicherheit nicht gewährleistet? Da ist noch
keine Grenzkoppelei berücksichtigt. Das sind nur inner-
deutsche Trassen. Diese Frage hätte ich gerne beantwor-
tet. Deswegen sind wir sicher: Zur Versorgungssicher-
heit braucht es keine neuen Trassen.


(Beifall bei der LINKEN)


Nächstes Argument: Der Windstrom muss aus dem
Norden wegtransportiert werden. Wir haben in Nord-
deutschland eine Leistung aus erneuerbaren Energien
von 50 Gigawatt installiert. Der Eigenverbrauch in
Norddeutschland liegt bei 40 Gigawatt. Das heißt, we-
gen dieser 10 Gigawatt bei Extremwetterlagen brauchen
wir keine neuen Trassen. Die 21 Gigawatt reichen.

Wir haben aber 20 Gigawatt Strom aus Kohlekraft-
werken, die wegen der Primärregelenergie ständig laufen
müssen. Das ist die Energie, die gebraucht wird, damit
zwischen Stromverbrauch und Stromerzeugung immer
ausgeglichen werden kann. Solange es keine Alternative
für die Bereitstellung dieser Regelenergie gibt, werden
die Kohlekraftwerke nicht vom Markt genommen. Eine
Alternative sind zum Beispiel Batteriespeicher. Wenn
diese die Regelenergie bereitstellen, brauchen wir die
Kohlekraftwerke nicht durchlaufen zu lassen und brau-
chen dann auch keine neuen Trassen.

Natürlich brauchen wir wesentlich mehr KWK-Anla-
gen. Kraft-Wärme-Kopplung ist für die dunkle Flaute
hilfreich und kann zukünftig, gekoppelt mit der Tauch-
siederwirkung, wenn es zu viel Windstrom gibt, den
Stromüberschuss im Norden sinnvoll in Wärme umwan-
deln. Auch dann sind die 500-Kilovolt-Trassen überflüs-
sig.


(Beifall der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


Unsere Vorschläge lauten:


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809709300

Aber bitte kurz.


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809709400

Ja. – Erzeugen Sie die Regelleistung über Batterien.

Fördern Sie KWK. Schaffen Sie bundeseinheitliche
Netzentgelte. Dann brauchen wir keine neuen Trassen.
Das hat die CSU schon verstanden.


(Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh!)


Verstehen Sie jetzt auch den Rest. Dann erreichen wir
Klimaschutz, der sozial gerecht und vernünftig ist.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809709500

Vielen Dank, Herr Kollege Lenkert. – Nächster Red-

ner in der Debatte: Andreas Jung für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ihr müsst euch überlegen, von wem ihr Applaus bekommt!)



Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1809709600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Oliver Krischer hat ganz zu Beginn dieser Debatte ein
Dreieck in unserer Fraktion ausgemacht.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Verhinderungsdreieck!)


Lieber Oliver Krischer, ich finde, diese Betrachtung
greift etwas zu kurz. Dank Sigmar Gabriel und der Ge-
schäftsordnung stellt unsere Fraktion allein in dieser De-
batte sechs Redner. Auch ein Blick auf unsere Fraktion
zeigt unschwer: Wir sind deutlich mehr als drei.

Die Breite unserer Fraktion bringt automatisch eine
breite Debatte mit sich. Genau das ist der Grund, warum
bei uns über alle Aspekte und Auswirkungen dieses Vor-
schlages, über den wir heute reden, intensiv diskutiert
wird. Es wird gefragt: Was heißt das für die Wirtschaft?
Was heißt das für den Klimaschutz? Was heißt das für
die Menschen in den betroffenen Regionen? Das ist das
Gegenteil von Einseitigkeit. Das ist Ausdruck der Breite
einer Volkspartei. In diesem Ringen innerhalb unserer
Fraktion und mit unserem Koalitionspartner geht es al-
lein um die Frage: Wie erreichen wir einen guten Weg,
und wie erreichen wir am Ende eine gute Lösung? Ich
finde, das macht auch die Stärke einer Volkspartei aus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)






Andreas Jung


(A) (C)



(D)(B)

Das führt zu der Frage: Was ist der Maßstab, nach
dem wir diese Diskussion führen, und was ist der Maß-
stab für das, was ich als „gute Lösung“ beschrieben
habe? Ein Maßstab ist die große Herausforderung des
Klimawandels. Unsere Rolle als Vorreiter im Klima-
schutz kommt in unserem 40-Prozent-Ziel zum Aus-
druck. Es geht darum, dass wir die Lücke schließen, da-
mit sich keine Glaubwürdigkeitslücke auftut und damit
unsere Beschlüsse dazu führen, der Bundesregierung für
die Verhandlungen auf dem Klimagipfel in Paris Rü-
ckenwind zu geben, Rückenwind für die Umweltminis-
terin und Rückenwind für unsere Kanzlerin. Das ist das
Ziel der Union und der Koalition. Darum geht es.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zur Nachhaltigkeit gehören neben der Behandlung
der Klimafrage auch andere Aspekte. Deshalb ist eben
auch Maßstab – das ist in dieser Debatte ebenfalls deut-
lich geworden – die Bewältigung der Auswirkungen
der Umsetzung dieses Vorschlags auf die Wirtschaft,
auf Arbeitsplätze in der Kohleindustrie genauso wie
in Gaskraftwerken, auf Versorgungssicherheit, auf Strom-
preise, auf die betroffenen Regionen. Es geht dabei auch
um die sozialen Auswirkungen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht nicht nur Fragen formulieren, sondern ein paar Antworten geben!)


Das alles müssen wir in Einklang bringen. Umwelt und
Klima, Wirtschaft und Arbeitsplätze sowie Soziales
müssen wir unter einen Hut bekommen. Das ist die He-
rausforderung.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wo steht Andreas Jung da?)


Jetzt stellen sich konkrete Fragen zu diesem Vor-
schlag. Die Maßgabe im vorgelegten Nationalen Ak-
tionsplan Klimaschutz ist: Wir müssen im Strombereich
zusätzlich 22 Millionen Tonnen CO2 einsparen. Wir sind
uns einig: Das Beste wäre, wir würden unser Ziel durch
den Emissionshandel erreichen. Wir wissen aber auch:
Die Wahrscheinlichkeit, dass das Nötige bis zum Jahr
2020 beschlossen wird und Wirkungen zeigt, ist nicht
gerade hoch; darauf können wir uns nicht verlassen.
Deshalb reden wir über diese nationalen Maßnahmen.

Die nötigen Maßnahmen müssen erstens natürlich
EU-kompatibel sein; sie müssen mit dem CO2-Emis-
sionshandel in der Europäischen Union einhergehen und
rechtlich zulässig sein. Sie müssen zweitens, selbstver-
ständlich in einem Ordnungsrahmen, ein Höchstmaß an
Flexibilität ermöglichen. Sie müssen drittens die Maß-
gabe von Versorgungssicherheit berücksichtigen, und sie
dürfen nicht zum Treiber für die Strompreise werden.
Sie müssen viertens die Klimalücke schließen.

Der Bundeswirtschafts- und Energieminister sagt,
dass all diese Aspekte in seinem Vorschlag berücksich-
tigt sind. Meine Meinung ist: Das, was auf dem Tisch
liegt, ist eine gute Diskussionsgrundlage. Sie werden wir
jetzt intensiv prüfen; sie werden wir diskutieren. Das
heißt auch, es ist noch keine Entscheidung gefallen, weil
eben nichts alternativlos ist. Das heißt im Umkehr-
schluss aber auch: Wer das am Ende ablehnen wollte, der
brauchte gute Alternativen, und mit diesen Alternativen
müssten die Ziele, die genannt worden sind – Reduktion
der klimaschädlichen Emissionen um mindestens
40 Prozent, zusätzliche Einsparung von 22 Millionen
Tonnen CO2 –, erreicht werden können. Was nicht geht,
ist einfach eine Antwort nach dem Motto: Das wollen
wir nicht; Augen zu und durch.

Wir ringen jetzt um eine gute Lösung im Sinne der
Nachhaltigkeit in ihrer ganzen Breite im Bereich des
Klimaschutzes. Auf die Debatte darüber freuen wir uns.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809709700

Vielen Dank, Andreas Jung. – Nächste Rednerin in

der Debatte: Annalena Baerbock für Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Lieber Herr Jung, ich hatte gehofft, dass Sie als Union
den Vorschlag vor dieser Debatte prüfen und nicht erst
danach. Dann hätten wir die unsäglichen Argumente da-
für, warum das alles Quatsch sei – auch Herr Pfeiffer hat
sie hier vorgetragen –, hier nicht noch einmal gehört.

Ich finde es wirklich unglaublich, dass Kollege
Bareiß auch noch wiederholt, wir könnten aus der Kohle
in den nächsten drei Jahrzehnten nicht aussteigen; wir
sollten gar nicht erst anfangen, darüber nachzudenken.
Das toppt ja fast noch den IG-BCE-Lobbyisten Herrn
Freese, der gesagt hat, dass wir vor dem Jahr 2050 im
Kohlebereich überhaupt nichts machen dürfen. Wie wol-
len Sie die Klimaziele – nicht nur die deutschen, sondern
auch die europäischen und die internationalen – errei-
chen, wenn Sie vor dem Jahr 2045, wie es Herr Bareiß
sagte, oder vor dem Jahr 2050 mit dem Klimaschutz
nicht beginnen wollen? Das müssen Sie uns jetzt hier
einmal erläutern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Wir haben schon längst begonnen!)


Was sich auch noch offenbart hat, ist, dass Sie nicht
nur die Klimaschutzpolitik nicht verstanden haben, Herr
Pfeiffer, sondern auch die Europapolitik. Wer sich hier-
hinstellt und sagt, er könne nichts tun, weil Europa Vor-
gaben gemacht habe, der versteht nicht, was eine Gesetz-
gebung auf der europäischen Ebene ist, der versteht
nicht, dass man über Mindeststandards natürlich hinaus-
gehen kann. Genau dies fordern wir auch hier beim Kli-
maschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Volksverdummung setzen Sie auch noch bei
den Arbeitsplätzen fort. Herr Gabriel, ich habe Sie in den
letzten Tagen in Brandenburg gegen die Ansage Ihres





Annalena Baerbock


(A) (C)



(D)(B)

dortigen Ministerpräsidenten vehement verteidigt. Dass
aber auch Sie jetzt wieder das Arbeitsplatzargument hier
anführen, ist doch wirklich ein wenig traurig.


(Florian Post [SPD]: Das Argument ist so unsäglich!)


– Nein, das ist ein falsches Argument; auch bezogen auf
PV. Sie sagen, die Photovoltaik sei aufgrund der Module
aus China eingebrochen. Waren Sie einmal in Frankfurt

(Oder)? Da gab es First Solar. Die haben ein neues Werk

mit 3 000 neuen Arbeitsplätzen gebaut. Das geschah,
weil die damalige Bundesregierung – also Ihre liebe
Union – angekündigt hatte, dass die Freiflächenförde-
rung weitergeht. Die damalige Staatssekretärin Frau
Reiche – sie hat jetzt eine andere Aufgabe – war dort
und hat den Scheck der Bundesregierung über die För-
dermittel übergeben. Zwei Monate später hat die dama-
lige Bundesregierung die Freiflächenförderung – Freiflä-
chen gibt es in Ostdeutschland in sehr großem Ausmaß –
gekappt. Und was war die Ansage an First Solar? Das
neu eröffnete Werk mit 3 000 Arbeitsplätzen musste auf-
grund der falschen EEG-Politik in Deutschland schlie-
ßen. Das kann man nun wirklich nicht den Chinesen in
die Schuhe schieben, Herr Gabriel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich bringe jetzt – Oliver Krischer hat es in Bezug auf
NRW angesprochen; ich will das einmal für Branden-
burg, Sachsen und Sachsen-Anhalt ansprechen – ein
Sachargument bezogen auf die Arbeitsplätze in den Re-
gionen vor Ort. Es wird gesagt, dass dann plötzlich alle
Arbeitsplätze vernichtet werden und dass kein Struktur-
wandel mehr vorgenommen werden kann.

Erster Punkt: Der Strukturwandel in Ostdeutschland
ist in vollem Gange. Wer das negiert, streut den Men-
schen dort vor Ort Sand in die Augen. Ich nenne jetzt
einmal die Zahlen der Brandenburger Landesregierung,
die plötzlich sagt: Alle Arbeitsplätze werden vernichtet.
Dabei hat sie selbst – bevor der Vorschlag von Herrn
Gabriel kam – bei Prognos eine Studie in Auftrag gege-
ben. Deren Ergebnis lautet, dass die Zahl der Arbeits-
plätze bei Vattenfall um 3 000 zurückgehen wird. Sie
wird danach von 6 000 Direktbeschäftigten heute auf
3 000 Direktbeschäftigte in den nächsten Jahren zurück-
gehen. Das passiert von allein, weil der Strukturwandel
im Gange ist.

Zweiter Punkt: Zwei Drittel der Beschäftigten in der
Kohlebranche sind über 45 Jahre alt. Was bedeutet das
für Brandenburg? Die werden in den nächsten Jahren so-
wieso in Rente gehen. Das sind die offiziellen Zahlen
der Kohlewirtschaft. Der Strukturwandel ist in vollem
Gange.

Dritter Punkt: Wie sieht es denn in der Lausitz mit
den Fachkräften aus? Dazu gibt es eine ifo-Studie, die
von der Lausitzregion selbst in Auftrag gegeben wurde.
Sie wollen nicht über Kohleausstieg reden; aber bis zum
Jahr 2030 wird die Zahl an Fachkräften bzw. an Men-
schen, die im arbeitsfähigen Alter sind, in der Region um
36 Prozent zurückgehen. Das heißt, Sie werden gar
keine Arbeitskräfte haben, die dann in irgendwelchen
Kohlejobs arbeiten könnten, wenn es diese dann über-
haupt noch geben wird bzw. wenn sie nicht schon von
Vattenfall abgebaut sind. Das heißt, Sie betreiben hier
absolute Volksverdummung zulasten der Menschen in
der Region. Diese Menschen brauchen Planungssicher-
heit in Bezug darauf, wie die Zukunft dort aussehen soll.
Dafür müssen wir uns endlich einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE])


Selbst die Unternehmen – das gilt auch für Unterneh-
men, die in diesem Bereich tätig sind – fordern diese
Planungssicherheit ein. Ich zitiere jetzt einmal einen po-
tenziellen Käufer von Vattenfall, den Chef des tschechi-
schen Energiekonzerns EPH, der auch an der MIBRAG
mitbeteiligt ist, also weiß, was Braunkohlepolitik in
Deutschland bedeutet. Der sagte im Handelsblatt: Der
Ausstieg – er sprach vom Kohleausstieg – kommt von
selbst, aber eben Schritt für Schritt. Was wir brauchen,
sind klare Ansagen der Politik. – Diese klaren Ansagen
müssen wir hier im Deutschen Bundestag treffen, damit
nicht nur die Arbeitnehmer und die Region, sondern
auch die Unternehmen Planungssicherheit haben, meine
sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt am Schluss komme ich ganz kurz zu dem Instru-
ment. Wir sind ganz bei Ihnen, wenn Sie, Herr Gabriel,
sagen, dass wir mit dem Ausstieg anfangen müssen. Wir
Grünen bestehen aber darauf, dass dort, wo „Klima-
schutz“ draufsteht, auch wirklich Klimaschutz drin ist.
Wir haben die CO2-Grenzwerte vorgeschlagen. Es gibt
also einen Vorschlag in diesem Bereich. Das ist nicht
ganz der, den Sie haben. Unser Grenzwert wäre aus un-
serer Sicht planungssicher. Wenn Sie aber Ihren Vor-
schlag ernst meinen, hören Sie bitte genau zu und lesen
Sie bitte die Dokumente, in denen steht, wo man wirk-
lich nachlegen muss.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809709800

Kollegin Baerbock, Sie müssen bitte zum Schluss

kommen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich komme zum Schluss. – Bisher ist die Frage der
Modernisierung noch ungeklärt. Sie sagen, dass im
Zweifel ab einem Alter von 20 Jahren gezahlt werden
muss. Dann steht aber drin „es sei denn, sie werden mo-
dernisiert“. Was ist Modernisierung? Ist der Austausch
der Rauchentschwefelungsanlage Modernisierung? Da-
mit wird alle Kraft aus der Regelung herausgenommen,
und niemand muss die Umlage zahlen. Darauf müssen
Sie gucken.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809709900

Das können Sie jetzt wirklich nicht mehr bis zum

Ende erklären.






(A) (C)



(D)(B)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie müssen auf den Preis schauen, ob der wirklich
Wirkung entfaltet.

Vor allen Dingen müssen Sie sich fragen: Was wollen
wir machen, wenn die Projektionen wieder zu höheren
Zahlen bei den CO2-Emissionen führen und wir – um die
Zielmarke von 290 Millionen Tonnen zu erreichen –
nicht nur 22 Millionen Tonnen, sondern deutlich mehr
einsparen müssen? Ihr Instrument kann nicht nachge-
steuert werden.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809710000

Kollegin Baerbock, im Zweifel habe ich hier eine

Möglichkeit, auszuschalten.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hier müssen Sie nachlegen.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809710100

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Frank Schwabe

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1809710200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Damen und Herren! Als jemand, der aus einer
Region, dem Ruhrgebiet, kommt, wo die Kohle in der
Vergangenheit eine große Rolle gespielt hat und immer
noch spielt, aber in Zukunft jedenfalls in der Förderung
vermutlich keine Rolle mehr spielen wird – leider wird
das so sein –, weiß ich, wie schwierig die Debatte in den
Regionen ist. Deswegen kann ich auch die Diskussion
sowohl im Rheinischen Braunkohlerevier als auch in den
ostdeutschen Braunkohlerevieren nachvollziehen. Des-
wegen ist es, glaube ich, wichtig, den Menschen vor Ort
eine Perspektive zu bieten. Neben all dem, was wir dis-
kutieren, sei es beim Klimaschutz oder zu Veränderun-
gen im Energiesektor, brauchen die Menschen eine
Perspektive. Diese dürfen sie nicht erst im Anschluss
aufgezeigt bekommen, sondern wenn wir über solche
Maßnahmen diskutieren, sind wir in der Verantwortung,
auch gleichzeitig eine Perspektive aufzuzeigen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der Bundeswirtschaftsminister hat gerade deutlich
gemacht – ich kann dem kaum etwas hinzufügen –, dass
es wichtig ist, dass wir uns in der politischen Debatte
ehrlich machen. Das müssen wir in der Energiepolitik
insgesamt machen. Es geht nämlich nicht nur um die
Frage, die wir heute diskutieren, sondern es gibt sehr
viele Fragen, bei denen sich der Wirtschaftsminister auf
den Weg gemacht hat, uns ehrlich zu machen und klar zu
sagen, was das, was wir an Zielen umsetzen wollen, am
Ende kostet und wie man die Vorhaben konkret umset-
zen will.

Wir müssen uns in der Debatte auch ehrlich machen,
was Klimaschutz, Versorgungssicherheit und Preisstabi-
lität angeht. Das ist im Übrigen gerade auch für die
Regionen und die betroffenen Unternehmen notwendig.
Sie müssen nämlich verlässlich wissen, worauf sie sich
einzustellen haben und wie die Rahmenbedingungen für
die Zukunft sind.

Deswegen ist völlig klar – ich möchte wiederholen,
was schon viele gesagt haben –: Es gibt ein CO2-Minde-
rungsziel in Deutschland von mindestens 40 Prozent.
Das hat der Deutsche Bundestag gemeinschaftlich be-
schlossen. Dahinter stehen die gesamte Bundesregierung
und auch die Bundeskanzlerin. Wenn es ein solches Ziel
gibt, dann müssen wir im Deutschen Bundestag alles
tun, um dieses Ziel erreichen zu können.


(Beifall bei der SPD)


Das Programm sieht nun einmal vor – das wurde im
letzten Jahr beschlossen –, 22 Millionen Tonnen CO2 im
Kraftwerkssektor einzusparen. Natürlich wollen wir,
dass der europäische Emissionshandel funktionstüchtig
ist. Ich bin sehr skeptisch, dass er in kurzer Zeit funk-
tionstüchtig werden kann. Zurzeit ist er jedenfalls nicht
ausreichend funktionstüchtig, und die Hoffnung, dass
sich dies ändert und dazu beiträgt, dass wir bis zum Jahr
2020 unser Ziel erreichen, ist nicht groß. Die Preise für
Emissionszertifikate liegen zurzeit bei 6 oder 7 Euro.
Das reicht nicht aus, um eine ausreichende Lenkungs-
wirkung zu erzielen.

Auch dafür muss man die Bundesregierung loben:
Wir haben jetzt einen Bundeswirtschaftsminister, der
auch schon Umweltminister war. Zu der Zeit war
Deutschland in der Tat international ein Vorreiter. Die
Vorreiterrolle ist allerdings in den vier Regierungsjahren
dazwischen verloren gegangen. Wir können jetzt aber
wieder daran anknüpfen. Wir sind in vielen Bereichen
vielleicht noch nicht perfekt, aber ich finde, wir können
wieder an unsere Vorreiterrolle anknüpfen. Dazu gehört
auch ein zwischen Umweltministerin und Wirtschafts-
minister abgestimmtes Auftreten in Brüssel. Das ist mitt-
lerweile wieder erreicht, nachdem wir in Deutschland
jahrelang herumgeeiert sind und gar nicht klar war, wo
Deutschland steht. Nachdem wir damals als Bremser
aufgetreten sind, sind wir jetzt zumindest bei der Reform
des europäischen Emissionshandels wieder Vorreiter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber zurzeit reicht der Zertifikatepreis beim Emis-
sionshandel nicht aus, um eine ausreichende Lenkungs-
wirkung zu erzielen. Deshalb müssen wir eine Antwort
darauf geben, wie wir unsere Ziele sonst erreichen wol-
len. Ich war überrascht von dem Vorschlag, der uns vor-
gelegt wurde, weil es ein hochintelligenter Vorschlag ist,
der, anders als behauptet wurde, dem europäischen
Emissionshandel nicht entgegensteht. Die Gleichung,
die hier aufgemacht wurde, stimmt schlichtweg nicht,
dass wir durch Einsparungen in Deutschland am Ende
dafür sorgen, dass andere in Europa mehr emittieren
können. Denn mit dem Vorschlag ist verbunden, dass wir





Frank Schwabe


(A) (C)



(D)(B)

gleichzeitig Emissionshandelszertifikate vom Markt auf-
kaufen.

Insofern ist das Instrumentarium in der Tat mit dem
europäischen Emissionshandel kompatibel, und es sorgt
gleichzeitig dafür, dass wir in Deutschland handlungsfä-
hig sind und unsere Ziele entsprechend erreichen kön-
nen. Ich wiederhole, was schon viele gesagt haben: Wer
für das 40-Prozent-Ziel steht und akzeptiert, dass wir
Einsparungen brauchen – und im Kraftwerkssektor ha-
ben wir Einsparpotenziale –, der muss, wenn er dieses
Instrument ablehnt, ein anderes Instrument bieten.


(Dirk Becker [SPD]: So ist es!)


Ich habe noch kein solches Instrument gesehen. Deswe-
gen begrüße ich das Instrument, das der Wirtschafts-
minister vorgeschlagen hat, sehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ich glaube, dass wir mit dem, was hier vorgelegt
wurde und was man sicherlich im parlamentarischen
Verfahren noch diskutieren kann, ganz viel tun, um un-
sere Klimaschutzziele zu erreichen. Ich glaube, dass wir
gleichzeitig durchaus auf dem Weg sind, Perspektiven
für die betroffenen Regionen zu entwickeln. Daran wird
allerdings auch weiter zu arbeiten sein.

Glück auf!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809710300

Die Kollegin Dr. Herlind Gundelach hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1809710400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, in einem sind wir uns hier im Hause einig
– das hat die Debatte bisher auch gezeigt –: Alle beken-
nen sich zu dem 40-Prozent-Ziel der CO2-Minderung.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Pfeiffer nicht mehr!)


– Doch. Da haben Sie ihn völlig falsch verstanden. Auch
er bekennt sich dazu.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie wollen nichts dafür tun!)


Ich denke, das ist schon einmal ein positives Signal,
das nach draußen geht. Auch wenn das 40-Prozent-Ziel
damals unter anderen Rahmenbedingungen beschlossen
wurde – das möchte ich betonen –, so halten wir den-
noch an diesem Ziel fest. Das soll deutlich gesagt wer-
den.

Seit dieser Zeit haben sich allerdings auch die Rah-
menbedingungen unserer Energieversorgung drastisch
verändert. Wir alle wissen, dass die erneuerbaren Ener-
gien in der Zwischenzeit mehr als 25 Prozent bei der
Stromerzeugung ausmachen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir brauchen schärfere Ziele!)


Kraftwerke auf fossiler Basis kämpfen deswegen ums
Überleben. Das zeigt auch die Diskussion um das künf-
tige Strommarktdesign. Lassen Sie mich eine weitere
Zahl bringen: Deutschland hat im Jahr 2013 mehr als
34 Terawattstunden Strom netto exportiert.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Legt man den von der Kommission festgelegten Emissi-
onsfaktor von 0,76 Tonnen CO2 pro Megawattstunde an,
dann wären das bereits fast 26 Millionen Tonnen CO2,
die wir in Deutschland zwar produziert, aber nicht ver-
braucht haben. Auch das sollte man bei dieser Gelegen-
heit einmal betonen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Über noch eines müssen wir uns im Klaren sein: Auf-
grund des weiteren Ausbaus der erneuerbaren Energien,
den wir alle wollen, wird diese Zahl in den nächsten Jah-
ren noch zunehmen.

Klimapolitik ist aber nicht nur Strompolitik, sondern
sie umfasst auch die Bereiche Wärme und Kälte sowie
Energieeffizienz. Deswegen hat die Bundesregierung
den Nationalen Aktionsplan Energieeffizienz vorgelegt.
Deshalb müssen wir aus meiner Sicht neben dem Strom-
markt, über den wir heute im Wesentlichen gesprochen
haben, auch die anderen Sektoren in den Blick nehmen,
wenn wir unsere Klimaschutzziele erreichen wollen. Um
es noch einfacher zu formulieren: Wir müssen die Gel-
der, die zusätzliche Emissionsminderungen kosten, so
optimal wie möglich einsetzen.

Deshalb muss diese Diskussion – das ist heute in der
Debatte auch schon angeklungen – auch im Kontext der
Überlegungen erfolgen, wie es zum Beispiel bei der
KWK weitergeht; denn sie bietet noch immer die beste
Ausbeute der fossilen Energieressourcen. Ich glaube,
auch da besteht ein großer Konsens hier im Hause.

Allerdings werfen die jetzt vorliegenden Überle-
gungen des BMWi aus meiner Sicht mehr Fragen auf, als
sie beantworten. Zunächst einmal – auch das ist festzu-
halten – bedeuten die Vorschläge einen massiven Ein-
griff ins Eigentum, was überdies aus meiner Sicht von
Anfang an eine Schwachstelle in der Energiewendepoli-
tik war.


(Dirk Becker [SPD]: Was?)


Betreiber von Kraftwerken haben nämlich in der Regel
eine Genehmigung zur Freisetzung von Treibhausgasen,
meist aufgrund ihrer Genehmigung nach dem Bundes-
Immissionsschutzgesetz. Ihre Emissionszertifikate ha-
ben sie übrigens nicht nur kostenlos erhalten, sondern sie
haben sie zum Teil auch käuflich erworben. Nun sollen
sie aufgrund einer neu berechneten Grundausstattung
partiell stillgelegt werden, die eine nationale Berech-
nung ist.

Hier ist aus meiner Sicht ein Widerspruch zu Ihnen,
Herr Minister Gabriel. Sie sagen: Wir wollen diese Zerti-
fikate stilllegen. – Das ist richtig. Damit ist ein Teil des





Dr. Herlind Gundelach


(A) (C)



(D)(B)

in Europa vorhandenen Potenzials stillgelegt. Nur, dem,
was der Kollege Pfeiffer vorhin gesagt hat, haben Sie
widersprochen. Er hat gesagt, man könnte rein theore-
tisch nationales Geld nehmen und Zertifikate aufkaufen;


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das würden die Steuerzahler bezahlen!)


denn dem Klima ist es vergleichsweise egal, ob die Zer-
tifikate in Deutschland oder sonst wo stillgelegt werden.
Entscheidend ist die CO2-Minderung. Daher sehe ich da-
rin keine hundertprozentige Logik.


(Dirk Becker [SPD]: Doch! Doch! – Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bezahlen durch die Steuerzahler! Interessant!)


Es sind aus meiner Sicht noch weitere Fragen nicht
ganz geklärt. Ich hatte gerade das Thema Eigentum an-
gesprochen. Ist damit nicht eventuell ein enteignungs-
gleicher Eingriff verbunden? Wird die nach Artikel 12
des Grundgesetzes garantierte Berufsfreiheit einge-
schränkt? Im Übrigen gibt es aus meiner Sicht auch noch
keinen hinreichenden Nachweis, ob die Vorschläge mit
dem EU-Recht kompatibel sind, und zwar sowohl mit
dem Wettbewerbsrecht als auch mit dem Emissionshan-
delsrecht.

Auch scheint mir der Vorschlag – das ist der letzte
Punkt, auf den ich eingehen möchte – prima facie zu
sehr auf eine einseitige Beeinträchtigung der Braunkohle
zu setzen, die übrigens immer noch unser einziger hei-
mischer Energieträger ist, und zwar sowohl was den
nicht differenzierenden Freibetrag pro installierter Giga-
wattkapazität als auch was das Alter der Kraftwerke an-
geht.

In Ihrem Vorschlag heißt es, dass 90 Prozent der
Stromerzeugung aus fossilen Brennstoffen nicht betrof-
fen seien. Bei den Braunkohlekraftwerken stellt sich das
aber etwas anders dar; denn hier ist das Verhältnis unge-
fähr 28 : 16. 28 dieser Kraftwerke sind schon deutlich äl-
ter als 20 Jahre und sind daher sofort betroffen.

Auch haben die Vorschläge massive Auswirkungen
auf die regionale Wirtschaft, ihre Struktur und die damit
verbundenen Arbeitsplätze; das ist ebenfalls schon ange-
klungen. Erste Schätzungen gehen von bis zu 20 000 Ar-
beitsplätzen aus. Ich habe auch schon höhere Zahlen ge-
hört; ganz genau weiß das vermutlich keiner von uns.

Unsere Klimaschützer bringen immer wieder zum
Ausdruck, dass Kohlekraftwerke, insbesondere Braun-
kohlekraftwerke, das Klima schädigen und deswegen
aus Gründen der Nachhaltigkeit am besten sofort stillge-
legt werden müssten. Diesen Klimaschützern kann ich
nur sagen: Nachhaltigkeit umfasst drei Dimensionen,
nämlich die Ökonomie, die Ökologie und das Soziale,
und das müssen wir bei unseren Entscheidungen, denke
ich, immer bedenken.

Die neuen Länder – das ist, glaube ich, auch klar –
sind von diesem Vorschlag ganz besonders betroffen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die ältesten Kraftwerke stehen in NRW!)


Das spiegelt auch die Betroffenheit wider, die in den öf-
fentlichen Diskussionen dort zum Ausdruck kommt.
Auch das ist ein Punkt, den wir beachten müssen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809710500

Frau Kollegin.


Dr. Herlind Gundelach (CDU):
Rede ID: ID1809710600

Ich komme zum Schluss. – Noch einmal: Das Ziel

„40 Prozent“ ist aus meiner Sicht in Ordnung. Der Weg
dahin muss aber gründlich durchdacht werden. Schnell-
schüsse und Ideologie sind hier aus meiner Sicht fehl am
Platz.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809710700

Die Kollegin Bärbel Höhn hat für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen das Wort.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809710800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Minister Gabriel, ich möchte diese Diskussion zu
dem nutzen, zu dem Sie uns verholfen haben. Dadurch,
dass Sie länger geredet haben, haben wir die Möglich-
keit, spontan zu reagieren. Ich finde, diese Möglichkeit
sollten wir auch nutzen; denn wir bleiben bei den Debat-
ten hier im Bundestag immer noch zu oft fest am Blatt.
Deshalb möchte ich gern genau die Punkte aufgreifen,
die Sie hier angesprochen haben.

Sie haben gesagt: Wir müssen uns ehrlich machen,
und zwar in einer wichtigen Frage, nämlich der Frage:
Wie gehen wir mit einem Strukturwandel um, von dem
ganz bestimmte Regionen besonders betroffen sind? –
Ich lebe seit über 35 Jahren im Ruhrgebiet, und damit
habe ich den Strukturwandel in der Steinkohle extrem
und sehr intensiv miterlebt. Ich habe circa 20 Jahre in ei-
nem Bergarbeiterviertel gewohnt, und ich kenne die Si-
tuation. Ich finde, sich ehrlich zu machen, das heißt
auch, dass wir uns genau überlegen müssen: Wie ist der
Strukturwandel in der Steinkohle gelaufen? War er so,
wie er gelaufen ist, wirklich gut? War er gut für die Re-
gion? Ich sage: Er war nicht gut. Er war deshalb nicht
gut, weil die Große Koalition – das waren die IG BCE
und die SPD; das waren der Wirtschaftsrat der Union
und die CDU – viel zu lange an der Steinkohle festgehal-
ten hat, falsche Subventionen in die Region gegeben hat.
Sie ist damit Verursacher der Krise, die wir heute noch
im Ruhrgebiet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Bernd Westphal [SPD]: Unsinn!)


Solche Fehler sollten wir nicht noch einmal machen.
Sich ehrlich zu machen, heißt auch, aus Krisen und aus
der Bewältigung von Krisen in der Vergangenheit zu ler-
nen und es in Zukunft anders zu machen.





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)

Wenn wir die Energiewende erreichen wollen, dann
müssen wir sie in Nordrhein-Westfalen erreichen. Wenn
wir es da schaffen, dann sind wir durch. Das heißt aber
andersherum, dass wir das auch bei der Kohle angehen
müssen. Ich finde gut, dass der Minister darauf hinge-
wiesen hat, dass die Reduktion um 22 Millionen Tonnen
CO2, die er im Kohlebereich angesprochen hat, nicht der
Ausstieg aus der Kohle ist. Es ist ein wichtiger Punkt, zu
sagen: Man kann nicht von heute auf morgen aus der
Kohle aussteigen. Aber man muss anfangen, aus der
Kohle auszusteigen. Man muss ein Konzept machen


(Florian Post [SPD]: Genau das tun wir!)


und den Leuten die Wahrheit dazu sagen, wie sich das
Ganze entwickelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dirk Becker [SPD]: Genau das machen wir!)


Dazu gehört, dass wir gerade in Nordrhein-Westfalen
sozusagen das Festhängen an der Kohle angehen müs-
sen. Es gibt noch zu viel fossiles Denken in Nordrhein-
Westfalen, und das müssen wir überwinden; denn wir
wollen doch, dass in dieser Region, Nordrhein-Westfa-
len, wo die meiste Energie Europas erzeugt wird, in Zu-
kunft weiterhin die meiste Energie Europas erzeugt
wird. Das kann nur im Bereich der erneuerbaren Ener-
gien geschehen. Deshalb müssen wir gerade in Nord-
rhein-Westfalen auf die erneuerbaren Energien setzen.
Wir müssen den Bürgerinnen und Bürgern eine Alterna-
tive zur Steinkohle und zur Braunkohle bieten; ansons-
ten werden wir diese Krise nicht überwinden und werden
in den Krisenregionen genau dieselben Probleme be-
kommen, wie wir sie im Ruhrgebiet haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn in den Regionen Zehntausende Menschen be-
troffen sind, ist das natürlich ein großes politisches Pro-
blem; ich weiß das selber. Da kann man nicht einfach
nur die ökologische Karte ziehen. Da muss man natür-
lich auch die wirtschaftliche und die soziale Karte zie-
hen. Ich hätte mir aber gewünscht, dass wir damals das
ganze Geld nicht immer nur in die Steinkohle gesteckt
und die Subventionen immer weiter verlängert hätten,
sondern in Alternativen, die den Menschen in der Zu-
kunft zugutekommen, investiert und nicht am Alten, was
sowieso eines Tages kaputtgeht, festgehalten hätten.

Die Finanzkrise von Nordrhein-Westfalen hat auch
mit dem langen Festhalten an der Steinkohle zu tun. Man
hat immer Gelder für die Steinkohle zur Verfügung ge-
stellt und dafür weniger Geld in die Infrastruktur ge-
steckt. Genau da haben wir jetzt, im Vergleich zu den an-
deren Bundesländern, ein noch größeres Problem. Das
ist eine Spätfolge der falsch behandelten Krise des Stein-
kohlebergbaus. Das darf sich nicht wiederholen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nordrhein-Westfalen sollte viel stärker von den Ar-
beitsplätzen profitieren, die die erneuerbaren Energien
bieten. Wir reden hier über 370 000 Arbeitsplätze. In
Nordrhein-Westfalen verfügen wir über enormes Know-
how. Wir müssen diese Chance ergreifen. Das heißt: Kli-
maschutz muss ein wichtiger Bereich sein. Wir werden
insgesamt 200 Millionen Tonnen CO2 einsparen müssen.
Die Kohle muss einen enormen Beitrag dazu leisten; das
weiß der Minister Gabriel auch. Im gesamten Energie-
sektor sind das von 2013 bis 2020 90 bis 100 Millionen
Tonnen, um die reduziert werden muss. Die 22 Millio-
nen Tonnen sind nur ein kleiner Anteil. Das heißt: Wir
müssen an die alten Kohlekraftwerke rangehen. Wir
müssen, gerade im Bereich der Braunkohle, an die Kli-
makiller rangehen, um die Klimaziele zu erreichen und
um Nordrhein-Westfalen und Brandenburg sowie weite-
ren Braunkohleregionen in den neuen Bundesländern
eine Zukunft zu geben. Es wäre gut, wenn diese Debatte
im Bundestag dazu führen würde, diesen Weg ein Stück
gemeinsam zu gehen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809710900

Das Wort hat der Kollege Andreas Lämmel für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1809711000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Die Debatte nimmt erstaunlicherweise eine ganz
neue Wendung, wenn Sie, Frau Höhn, sagen, man soll
nicht immer die ökologische Karte ziehen. Das haben
Ihre Vorredner aber in extremer Weise getan.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Lämmel, Sie haben überhaupt nichts kapiert! Wie immer!)


Sie haben einfach deutlich gemacht, dass bei den Grünen
der ökonomische Sachverstand im Vergleich zum ökolo-
gischen Sachverstand eben nicht so groß ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich muss einmal deutlich sagen: Sie haben nicht ganz
unrecht, wenn Sie sagen, dass die langfristigen Subven-
tionen, die in Nordrhein-Westfalen in die Steinkohle ge-
flossen sind, den Strukturwandel aufgehalten haben; das
ist unbestritten. Wenn Sie sich aber einmal den Haushalt
des Bundeswirtschaftsministeriums anschauen, sehen
Sie, dass der größte Posten nicht die Förderung von
Innovationen, sondern die Abarbeitung der Steinkoh-
lealtlasten ist. Das geht bis 2018, und das hat Rot-Grün
damals in vollem Umfang mit ausgehandelt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat die CDU aber mitgemacht!)


Sie müssen sich also überhaupt nicht darüber aufregen.
Denn auch Sie sind Mitverursacher dieses Problems ge-
wesen.


(Lachen des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Sie dies nun auf die Braunkohle übertragen
wollen, Frau Höhn, dann sind Sie auf dem Holzweg. Die
Braunkohle ist subventionsfrei.





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch gar nicht! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist subventionsfrei? Kommen Sie mal zu mir! Ich zeige Ihnen die Subventionen für die Braunkohle!)


Nicht ein Cent aus dem Bundeshaushalt fließt in die
Braunkohle. Die Braunkohle ist der einzige heimische
Energieträger, der in vielen Revieren subventionsfrei ab-
gebaut wird. Das ist der Unterschied zur Steinkohle.


(Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Dass jetzt die Restlasten, die 22 Millionen Tonnen
CO2, die noch einzusparen sind, sozusagen auf einen In-
dustriezweig abgeladen werden sollen, empfinden viele
Abgeordnete, die aus diesen Regionen kommen, als
falsch. Die Diskussion, die Ihre Kollegin Baerbock ge-
führt hat, ist einseitig. Sie hat sich hier unheimlich auf-
geplustert und gesagt: Wegen der paar Arbeitsplätze
bricht doch die Welt nicht zusammen, und der Struktur-
wandel läuft doch schon. – Natürlich läuft der.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Das ist doch unbestritten; denn auch die Kohlereserven
und die Bergbauplanungen sind endlich.

Was Sie wollen, ist sozusagen eine bruchartige Ent-
wicklung. Ich kann Ihnen nur sagen: Wir haben so einen
Bruch 1990 erlebt. Es gibt noch 21 000 direkte Arbeits-
plätze in der Braunkohle. Das war einmal das Dreifache.
Das sollten Sie wissen, wenn Sie über Strukturwandel
reden. Sie haben es nicht erlebt; denn Sie sind ja erst ein
paar Jahre später dahin gekommen.

Meine Damen und Herren, das ist einmal für einen
Kraftwerksblock ausgerechnet worden, nämlich am Bei-
spiel des Kraftwerks Jänschwalde – das sind nicht meine
Zahlen; das sind die Zahlen der Gewerkschaft –: In
Jänschwalde gibt es sechs 500-Megawatt-Blöcke. Bei
20 Euro pro Tonne CO2 würde das eine finanzielle
Mehrbelastung von 400 Millionen Euro pro Jahr bedeu-
ten. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass ein Kraft-
werksbetreiber dieses Geld erwirtschaften kann.

Nun sagen Sie: Um die paar Arbeitsplätze ist es nicht
so schade. Da finden sich neue.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sage ich überhaupt nicht!)


Aber Sie müssen natürlich sehen: Im Unterschied zur
Steinkohle, die zumeist aus allen Teilen der Welt impor-
tiert wird, wird die Braunkohle überwiegend in Deutsch-
land gefördert. Das ist der große Unterschied zur Stein-
kohle.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wirklich?)


Das heißt also: Wenn ein Kraftwerksblock oder ein
Großkraftwerk geschlossen wird, weil dieses Geld am
Markt nicht zu verdienen ist, dann schließt nicht bloß
das Kraftwerk, sondern natürlich auch die Grube, weil
sie gar keine Abnehmer mehr für ihre Kohle hat.


(Beifall der Abg. Dr. Herlind Gundelach [CDU/CSU] – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/ CSU]: Genau das ist das Problem!)


An dieser Kohle, an dieser Grube und an diesem Kraft-
werk hängen natürlich Hunderte von Mittelständlern,
Hunderte von Lieferanten aus der Region, die jedes Jahr
Produkte und Dienstleistungen im Umfang von mehre-
ren 100 Millionen Euro an das Kraftwerk und die Grube
liefern. Insofern: Strukturwandel ist okay. Es darf aber
kein Bruch erfolgen. Er muss vielmehr gezielt angegan-
gen werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich werde Ihre Rede gerne einmal den Gewerkschaf-
tern in der Region zur Verfügung stellen, damit sie wis-
sen, wie Grüne denken.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wissen die! Da brauchen Sie sich keine Sorgen zu machen!)


Ihnen ist es scheißegal, was aus der Region wird; Haupt-
sache, Sie können Ihre große ökologische Karte ziehen.

Ich möchte noch einmal sagen: Bei dem Ziel, die
22 Millionen Tonnen CO2 einzusparen – das ist ja offen-
sichtlich –, spielt das Thema Wärme überhaupt keine
Rolle mehr, weil man im Bundesrat bei der CO2-Gebäu-
desanierung einfach nicht weiterkommt. Morgen wird ja
wieder ein Tag sein, an dem die Bundesländer bei der
Abstimmung, die das Land Bayern beantragt hat, bewei-
sen können, dass sie bei der CO2-Gebäudesanierung mit-
machen. Klimaschutz ist nicht alleine eine Aufgabe der
Bundesregierung, sondern Klimaschutz ist auch eine
Aufgabe des gesamten Landes. Deswegen kann man
nur sagen: Die Bundesländer können sich hier nicht
überall herausziehen und sagen: Der Bund muss das
bezahlen. – Insofern werden wir sehen, wie die morgige
Abstimmung ausgeht – da können wir ja auch sehen, wie
Herr Kretschmann als grüner Ministerpräsident reagiert –,
und dann die Diskussion weiterführen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der hat keine Braunkohle!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809711100

Die Kollegin Eva Bulling-Schröter hat für die Frak-

tion Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809711200

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Minister Gabriel hat recht, wenn er sagt:
Wir müssen ehrlich miteinander reden. – Er hat ja festge-
stellt, dass dieses Hohe Haus das CO2-Reduktionsziel
von 40 Prozent bekräftigt hat. Darüber diskutieren wir ja
schon lange. Auch in der letzten Legislatur wurde dieses
Ziel ja schon so formuliert.





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)

Natürlich hängt es auch an den Zertifikaten. Die
Linke hat schon vor einigen Jahren festgestellt, dass der
Zertifikatehandel gescheitert ist. Wenn wir uns jetzt die
Preise anschauen, dann kann man natürlich sagen: Er ist
gescheitert – außer man würde Backloading betreiben.
Backloading heißt, dass die überschüssigen Zertifikate
herausgenommen werden, heißt aber auch, dass sie dann
nicht mehr in Verkehr gebracht werden – auch nicht
2020 –, sondern dass sie weg sind, dadurch natürlich we-
niger CO2 ausgestoßen werden kann und die Preise stei-
gen. Die Preise sollen aber nicht deshalb steigen, weil ir-
gendjemand das Geld einhamstern will, wie hier immer
wieder behauptet wird, sondern um Neuinvestitionen zu
rekrutieren. Das wäre sinnvoll.

Auf europäischer Ebene stößt das zum großen Teil
nicht auf Gegenliebe. Unter den Gegnern sind auch Län-
der, die Angst vor höherer Arbeitslosigkeit haben, wie
zum Beispiel Griechenland oder Spanien. Das ist natür-
lich auch Politik dieser EU, die ganz andere Ziele ver-
folgt. Das hat natürlich auch Auswirkungen in diesen
Ländern wie Arbeitslosigkeit oder Schulden. Da beißt
sich die Katze in den Schwanz.


(Beifall bei der LINKEN)


Zur Erfüllung dieses 40-Prozent-Ziels fehlt noch et-
was – Kollege Lämmel hat es angesprochen –: die Ge-
bäudedämmung, die energetische Sanierung. Ich fordere
die Kontrahenten auf, sich hier endlich einig zu werden;
denn das ist dringend notwendig.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU])


Wir brauchen eine Rate von 2 Prozent. Dann könnte der
Mittelstand, Kollege Lämmel, den Sie hier angesprochen
haben, wirklich gefördert werden.


(Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU]: Können Sie das mal der SPD sagen?)


Das wären zukunftssichere Arbeitsplätze – sie müssten
im Osten und Westen nach Tarif bezahlt werden – und
wäre somit eine Sache für lange Zeit; denn die energeti-
sche Sanierung braucht Jahre, bis wir den Stand erreicht
haben, den wir wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann können wir wieder über ein Klimaschutzgesetz
reden, das immer wieder angemahnt wird. Ich halte es
nach wie vor für sinnvoll. Die jetzige Regierung will es
nicht. Die SPD wollte es in der letzten Legislaturperiode,
jetzt nicht mehr. Das finde ich schade. Wir sollten uns
gemeinsam hinsetzen und das überprüfen. Wir sollten
die Ziele noch einmal aufschreiben und Überprüfungs-
schritte festlegen. Wenn Sie ein solches Klimaaktions-
programm haben, wäre das kein Problem.

Zu den Preisen. Es wird immer über Preise gespro-
chen. Dabei reden wir auch über die energieintensiven
Unternehmen, die natürlich vieles geschenkt bekommen.
Es wird hier immer über Arbeitsplätze gesprochen. Sie
werfen uns hasserfüllt vor, wir wollten Arbeitsplätze
vernichten. Das wollen wir gar nicht. Aber wir sagen na-
türlich, dass man das Ganze auch staffeln kann, um die
Umverteilung, die weiter von unten nach oben geht, ein
bisschen auf den Kopf zu stellen.


(Beifall bei der LINKEN)


Was wollen wir noch? Wir, die Linke, wollen ein Ge-
setz zum Kohleausstieg. Wir wollen nicht sofort ausstei-
gen, wie immer behauptet wird, sondern wir wollen
einen Plan. Wir wollen, dass bis 2040 das letzte Kohle-
kraftwerk abgeschaltet wird. Wir wollen einen Plan. Wir
wollen, dass die Kilowattstunden, so wie bei den AKW,
von den alten auf die neuen übertragen werden können
und dass Effizienzbenchmarks in Dreijahresschritten
überprüft werden. Hier sind wir bei dem Thema Arbeits-
plätze. Alle Unternehmen sagen uns: Wir müssen uns
auf die Politik verlassen können, damit wir planen kön-
nen. Eine Strukturpolitik würde die Planung ermögli-
chen. Ich bin doch die Letzte, die das nicht versteht. Vor
meiner Zeit im Bundestag war ich Betriebsrätin, und ich
weiß, wie es Kolleginnen und Kollegen geht, die entlas-
sen werden. Hier braucht man Qualifizierungsoffensi-
ven. Man braucht in der Regionalplanung viele Dinge.
Hier müssen wir uns auf die Hinterbeine stellen und sa-
gen: So könnte es gehen. Es geht auch; denn wir sind ja
innovativ.


(Beifall des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE])


Sie wollen sowieso immer innovativ sein. Dann sollten
wir wirklich einmal schauen, wie wir vorankommen;
denn alle sagen uns: Wenn die Energiewende bei euch
nicht geht, dann geht sie nirgends. Also haben wir die
verdammte Pflicht und Schuldigkeit, etwas zu tun.

Zum Schluss etwas zu den Ausbauzielen der KWK.
Momentan beträgt die Umlage 0,3 Prozent. Dann wäre
sie höher. Ich denke, das wäre im Rahmen der KWK
auch möglich. Darüber müssten wir uns einigen. Ich
denke, es wäre ein sinnvoller Schritt, KWK für die Zu-
kunft zu sichern. Auch das sind Arbeitsplätze, liebe Kol-
leginnen und Kollegen.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809711300

Der Kollege Hubertus Heil hat für die SPD-Fraktion

das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1809711400

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Am

Ende einer solchen Debatte muss man feststellen, Frau
Kollegin Bulling-Schröter, dass wir heute über zwei
Punkte diskutieren, nämlich über das Thema Klimabei-
trag aus dem Kraftwerkspark und über das Thema Kraft-
Wärme-Kopplung. Das lässt uns aus den Augen verlie-
ren, dass dieses Thema in eine Reihe von Vorschlägen
eingebettet ist, die nur ein Ziel haben: Wir wollen und
müssen dafür sorgen, dass die Energiewende nicht ent-
gleist, dass sie wieder auf die Erfolgsspur kommt. Die
Ziele, die wir vertreten, sind gleichrangig, nämlich eine
saubere, versorgungssichere und bezahlbare Energiever-
sorgung in Deutschland zu gewährleisten. Deshalb sage





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

ich: Das Maßnahmenpaket, das der Bundeswirtschafts-
minister in der letzten Woche vorgelegt hat, reiht sich in
das ein, was wir im letzten Jahr begonnen haben. Nachdem
jahrelang Reformen, die notwendig gewesen wären, liegen
geblieben sind – auch bei der Vorgängerregierung –, müs-
sen wir dafür sorgen, dass das Ganze wieder in Ordnung
gebracht wird.

Wir haben im letzten Jahr mit der EEG-Reform dafür
gesorgt, dass wir erstens verlässliche Ausbaupfade für
die erneuerbaren Energien bekommen, dass wir zweitens
die Kosten einigermaßen im Griff behalten und dass wir
drittens die notwendigen Ausnahmetatbestände für ener-
gieintensive Betriebe, die im internationalen Wettbewerb
stehen, erhalten konnten. Das war harte Arbeit. Das war
der erste Schritt.

Letzte Woche ist vom Ministerium ein Paket mit Eck-
punkten vorgelegt worden, die insgesamt vier Themen
behandeln, zum einen die Frage: Wie gehen wir jetzt bei
der Frage der Ordnung am Strommarkt, des Strommarkt-
designs, weiter vor? Das Bundesministerium schlägt vor,
dass wir uns auf den Weg der Ertüchtigung des Strom-
marktes begeben – Stichwort Strommarkt 2.0 –, dass wir
mit einer Kapazitätsreserve arbeiten, nicht mit dem In-
strument der Kapazitätsmärkte. Unsere Aufgabe wird es
in den nächsten Wochen sein, in den Koalitionsfraktio-
nen mit dem Minister gemeinsam zu beraten, wie das
ausgestaltet wird, damit wir beim stetigen Ausbau der
erneuerbaren Energien niemals die Versorgungssicher-
heit in diesem Land gefährden, die ein hohes Gut für den
Wirtschaftsstandort Deutschland ist. Auch wenn der
Wind nicht weht und die Sonne nicht scheint, brauchen
wir in diesem Land eine gesicherte Stromleistung. Dies
kosteneffizient und sicher zu organisieren, ist die erste
wichtige Aufgabe.


(Beifall bei der SPD)


Zweitens geht es in diesem Zusammenhang auch um
das Thema Kraft-Wärme-Kopplung. Ich finde es richtig,
dass das Ministerium einen Vorschlag unterbreitet hat,
der KWK stärkt oder zumindest dafür sorgt, dass dieje-
nigen, die in den letzten Jahren im Bereich der Kraft-
Wärme-Kopplung in hocheffiziente Kraftwerke für die
allgemeine Versorgung investiert haben, eine Chance be-
kommen, diese Kraftwerke wirtschaftlich zu betreiben,
damit sie am Netz bleiben und damit auch einen Beitrag
zur Versorgungssicherheit leisten. Herr Minister, das,
was Sie da vorschlagen – übrigens im Interesse vieler
Stadtwerke und Kommunen in diesem Land –, ist ein
ganz wesentlicher Schritt, den die SPD-Bundestagsfrak-
tion massiv unterstützt.


(Beifall bei der SPD)


Wir werden uns in diesem Zusammenhang auch Fra-
gen stellen müssen. Es ist richtig – der Minister hat da-
rauf hingewiesen –: Wenn man alle Ausbauziele im Be-
reich der KWK gleichzeitig propagieren würde, würden
die Kosten um 2 bis 3 Milliarden Euro steigen. Wir müs-
sen auch da die Kosten, den Strompreis, im Blick behal-
ten. Ich sage aber trotzdem: Wir werden schauen, ob
eine Fokussierung im allgemeinen Bestand nur auf Gas
tatsächlich der richtige Weg ist.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das auch noch?)


Es kann dann sein, dass 1 Milliarde Euro nicht ganz aus-
reicht und wir vielleicht an einem anderen höheren De-
ckel arbeiten müssen. Das werden wir miteinander prü-
fen. Aber der Weg ist in diesem Bereich richtig, und von
einem Abbruch im Bereich der KWK kann keine Rede
sein.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Dr. Anja Weisgerber [CDU/CSU])


Drittens: das Thema Netzausbau. An die Kollegen
von der CDU gerichtet: Da gibt es überhaupt keine Dis-
kussion zwischen CDU und SPD; wir sind uns da einig.
Es gilt aber auch für den dritten Koalitionspartner, dass
wir uns daran erinnern sollten, was dazu unmissver-
ständlich im Koalitionsvertrag steht. Mit Erlaubnis der

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1809711500


Für den Ausbau des Übertragungsnetzes stellt der
Bundesbedarfsplan auch in Zukunft das zentrale In-
strument dar.

Ich sage Ihnen: Die Netzintegration ist notwendig. Sie
ist miteinander beschlossen worden. Da gilt, frei nach
Franz Josef Strauß, der alte Satz: Pacta sunt servanda –
Verträge sind einzuhalten. Diese Investitionssicherheit
brauchen wir auch in Deutschland.


(Beifall bei der SPD)


Viertens: die Frage des Beitrags des Kraftwerksparks
zur Erreichung der Klimaschutzziele, auch des 40-Pro-
zent-Ziels, bis zum Jahre 2020. Die Klimaschutzziele
sind in diesem Haus hundertprozentiger Konsens und
wurden nie infrage gestellt. Sie wurden am 3. Dezember
mit einem Kabinettsbeschluss hinterlegt, bei dem man
sich verschiedene Sektoren vorgenommen hat, durchaus
auch den Wärmesektor. Für die energetische Gebäude-
sanierung stehen zukünftig, weil Sigmar Gabriel dafür
gekämpft hat, 2 Milliarden Euro zusätzlich zum Markt-
anreizprogramm zur Verfügung. Wir schauen nicht nur
auf den Kraftwerkspark; wir schauen beispielsweise
auch auf den Wärmesektor, den Gebäudesektor und den
Verkehrssektor.

Klimaschutzziele kann man nicht allein im Kraft-
werkspark umsetzen, es sei denn, man will Deutschland
deindustrialisieren; das ist ganz klar. Aber es ist eben
auch richtig, dass das Bundeskabinett unter Leitung der
Bundeskanzlerin Angela Merkel, die auf der internatio-
nalen Konferenz in Paris mit anderen Ländern dieser
Welt verhandlungsfähig sein will, beschlossen hat, dass
der Kraftwerkspark bis 2020 einen Beitrag zur Reduzie-
rung der CO2-Emissionen im Umfang von 22 Millionen
Tonnen leisten soll. Deshalb sagen wir: Wir unterstützen
die Bundeskanzlerin und den Bundeswirtschaftsminister,
damit Ernst zu machen, und der Koalitionspartner ist ge-
nauso eingeladen, die Bundeskanzlerin bei diesem Ziel
zu unterstützen.


(Beifall bei der SPD)


Wir können gerne darüber reden, wie wir es umsetzen.
Ich sage: Das vorgeschlagene Instrument ist interessant.





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

Wir müssen es hinsichtlich der Frage, welche Auswir-
kungen es auf den Strompreis hat, und der Frage, was es
für einzelne Regionen im Strukturwandel bedeutet, über-
prüfen. Das muss man vernünftig miteinander bespre-
chen und dann ausgestalten. Aber nichts tun, Kollege
Pfeiffer, sich wegducken bei der ganzen Sache, das zählt
nicht.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das machen wir nicht!)


Wir werden gemeinsam ein Instrument finden müssen.
Das sind Sie Ihrer Kanzlerin, vor allen Dingen aber dem
Klimaschutz in Deutschland schuldig, meine Damen und
Herren.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Da ist sich die GroKo echt mal einig heute!)


Ich komme zum Schluss.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809711600

Kollege Heil, dieses Gespräch mit dem Koalitions-

partner müssen Sie jetzt an anderer Stelle fortsetzen. Sie
haben die Zeit überschritten.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1809711700

Das mache ich gerne, Frau Präsidentin. Gestatten Sie

mir bitte einen Schlusssatz. – Meine Damen und Herren,
die SPD-Bundestagsfraktion wird Bundeswirtschafts-
minister Sigmar Gabriel auf dem Weg unterstützen. Wir
wollen und wir werden es schaffen, eine sichere, eine
saubere und eine bezahlbare Energieversorgung langfris-
tig in Deutschland zu erreichen. Wir sind jetzt auf dem
Weg, unterstützen Sie uns dabei.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809711800

Die Aktuelle Stunde ist beendet.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

– Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter
deutscher Streitkräfte an der EU-geführten
Ausbildungs- und Beratungsmission EUTM
Somalia auf Grundlage des Ersuchens der
somalischen Regierung mit Schreiben vom
27. November 2012 und 11. Januar 2013 sowie
der Beschlüsse des Rates der Europäischen
Union vom 15. Februar 2010 und 22. Januar
2013 in Verbindung mit den Resolutionen
1872 (2009) und 2158 (2014) des Sicherheits-
rates der Vereinten Nationen
Drucksachen 18/4203, 18/4447

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/4456
Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen vor. Über die Beschlussempfeh-
lung werden wir später namentlich abstimmen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen. – Ich bitte,
die notwendigen Umgruppierungen zügig vorzunehmen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Dagmar Freitag für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1809711900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Schon vor rund einem Jahr haben wir hier über die Euro-
pean Union Training Mission, EUTM, gesprochen. Da-
mals ging es um die Wiederaufnahme der Beteiligung
der Bundeswehr an dieser Ausbildungsmission, heute
diskutieren wir über die Fortsetzung des Mandats.

Sie wissen, dass die Mission im vergangenen Jahr von
Uganda direkt nach Mogadischu verlegt worden ist. Das
war richtig und sinnvoll; denn somalische Probleme
können nur im Land, also in Somalia, gelöst werden. Es
hat sich auch gezeigt, dass diese Verlagerung durchaus
zu einer qualitativen Verbesserung der Mission hat füh-
ren können. Durch die Ausbildung direkt vor Ort in dem
betroffenen Land können die somalischen Streitkräfte
ihr Personal flexibler und auch kurzfristiger in die Aus-
bildungslehrgänge schicken, und die Verlagerung nach
Mogadischu trägt bei den somalischen Partnern zur Er-
höhung der Glaubwürdigkeit dieses Engagements der
EU bei. Darüber hinaus trägt sie auch dazu bei, die Ar-
beitsbeziehungen mit den somalischen Sicherheitsbehör-
den zu verbessern.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Sicherheitslage
in Mogadischu und in Teilen Süd- und Zentralsomalias
ist seit 2011 auch durch die AU-Mission AMISOM ver-
bessert, jedoch unbestritten weiterhin fragil. Ich erinnere
in diesem Zusammenhang nur an die Anschläge der al-
Schabab auf Regierungseinrichtungen mit leider mehre-
ren Toten.

Aber auch diese Meldung erreichte uns in dieser Wo-
che: Somalische Soldaten konnten mit Unterstützung der
AU die Insel Kudhaa von der Al-Schabab-Miliz zurück-
erobern. Sie ist jetzt wieder unter der Kontrolle der
somalischen Regierungstruppen. Dennoch: Somalia be-
droht als ein sogenannter Failed State die Stabilität des
gesamten Raums um das Horn von Afrika. Das ist nach
wie vor ein zentrales Problem in dieser Region.

Wir wissen, Somalia gehört zu den ärmsten Ländern
der Erde. Die Menschen sind seit Jahren Hunger und
Bürgerkriegen ausgesetzt und leben in äußerst prekären
wirtschaftlichen und sozialen Verhältnissen. Das Land
ist immer noch geprägt durch kaum vorhandene staatli-
che Strukturen, gerade im Bereich der Sicherheit und der
Justiz, und bietet darüber hinaus einen Rückzugsraum
für Terrorismus und Piraterie.

Die somalische Regierung, die 2012 eingesetzt
wurde, bemüht sich um eine Verbesserung der Situation,





Dagmar Freitag


(A) (C)



(D)(B)

kann aber nach wie vor keine belastbare und erfolgreiche
Staatsgewalt ausüben. Das heißt, Somalia wird weiterhin
die Unterstützung der internationalen Gemeinschaft be-
nötigen. Die Ausbildungsmission EUTM soll die soma-
lische Regierung schrittweise dazu befähigen, eigenver-
antwortlich für Sicherheit und Stabilisierung des Landes
zu sorgen. Bislang wurden insgesamt 4 800 Soldaten
ausgebildet. 136 Soldaten aus 11 EU-Staaten sind vor
Ort. Deutschland stellt zurzeit 8 Soldaten.

Die somalische Regierung benötigt weiterhin Hilfen
im Bereich der Spezialistenausbildung, in der Ausbil-
dung von Führungskräften und beim Mentoring somali-
scher Ausbilder sowie grundsätzliche Beratung zum
Aufbau der eigenen Streitkräfte. Diese Hilfe sollten und
können wir dem Land im Rahmen dieses Mandates zu-
kommen lassen. Denn nur wenn die Bevölkerung durch
die eigenen Streitkräfte geschützt werden kann, können
sich die dringend notwendigen rechtsstaatlichen und
auch wirtschaftlichen Strukturen auf Dauer etablieren.


(Beifall bei der SPD)


Die EU-Mission EUTM ist jedoch nur ein Teil eines
umfassenden EU-Ansatzes in dieser Region; denn das
europäische Engagement ist durchaus vielschichtig. Die
EU ist auch größter Mittelgeber der AU-Mission
AMISOM. Deutschland ist bislang mit einem Fünftel an
der Gesamtsumme beteiligt. Die EU unterstützt neben
EUTM die zivile Mission EUCAP NESTOR sowie die
Operation Atalanta zur Bekämpfung der Piraterie. An al-
len drei Missionen ist unser Land beteiligt.

Die Unterstützung ist aber auch vom Ansatz her noch
weitgehender. So ist die EU mittlerweile wichtigster
Mittelgeber im Rahmen der Entwicklungszusammenar-
beit. Von 2008 bis 2013 hat die Europäische Union ins-
gesamt 521 Millionen Euro unter anderem für gute Re-
gierungsführung, wirtschaftliche Entwicklung und auch
Bildung bereitgestellt.

Im Jahr 2016 sollen Wahlen in Somalia stattfinden.
Die Demokratisierung ist in einigen somalischen Regio-
nen bereits vorangeschritten, wenn auch natürlich längst
nicht in zufriedenstellendem Maße. Bis 2016 – das kann
nur zu hoffen bleiben – werden weitere Erfolge sichtbar
werden müssen, Erfolge, die vor allen Dingen die Bevöl-
kerung wahrnehmen und auch als Verbesserung ihrer ei-
genen Situation erkennen kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus diesen Gründen
bitten wir um Ihre Zustimmung zu dem vorliegenden
Antrag.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809712000

Das Wort hat der Kollege Dr. Alexander Neu für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809712100

Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte Frau

Präsidentin! Erlauben Sie mir zwei Anmerkungen, ein-
mal zu Somalia und dann generell zum westlichen Anti-
terrorkampf und Staatsaufbaukonzept.

Erste Anmerkung. Das herrschende Regime in Moga-
dischu, soweit es überhaupt herrscht, ist autoritär und
islamistisch geprägt. Die Scharia ist die erste Norm in
der Verfassung. Sie steht also über den normalen staatli-
chen Gesetzen. Das ist weit entfernt von dem, was ge-
rade gesagt wurde: Demokratisierung und Rechtsstaat-
lichkeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Faktisch ist das Ziel der EUTM, ein islamistisches Re-
gime gegen ein anderes, nämlich al-Schabab, in Stellung
zu bringen und zu halten, gemäß dem Motto von
Kissinger: Hauptsache es sind unsere Schweinehunde.
Dieser unausgesprochene Ansatz ist nicht zielführend
und kann nicht zielführend sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweite Anmerkung. Das sicherheitspolitische Kon-
zept des Westens bezüglich Antiterrorkampf und Staats-
aufbau ist und bleibt zum Scheitern verurteilt, da ledig-
lich Symptome bekämpft werden, häufig sogar neue
Ursachen für Terrorismus durch die Symptombekämp-
fung geschaffen werden.

Ein Beispiel ist Somalia. Somalia ist ein Land, das
mit am meisten unter dem US-Drohnenkrieg – ich sage
auch: US-Drohnenterror – zu leiden hat. Nicht nur po-
tenzielle Terroristen werden ohne juristische Grundlagen
getötet, nein, die meisten Getöteten sind Zivilisten, das
heißt Frauen, Kinder und Männer, die nichts mit Terro-
rismus zu tun haben. Die Menschenrechtsorganisation
Reprieve hat kürzlich berechnet, dass weltweit auf einen
getöteten Terroristen im Rahmen des US-Drohnenkrie-
ges 28 getötete Zivilisten kommen, 1 : 28.

Die Vereinigung der Internationalen Ärzte für die
Verhütung des Atomkrieges, IPPNW, veröffentlichte vor
wenigen Tagen eine Studie mit dem Titel „Body Count“,
frei übersetzt: Zahl der Getöteten. Demnach habe der
US-geführte Antiterrorkrieg bereits über 1 Million Tote
– das heißt, Kriegstote und Kriegsfolgetote – zu verant-
worten. Über 1 Million! Das, meine Damen und Herren,
ist der Humus, auf dem weltweit neuer Terrorismus
wächst. So kann man ihn aber nicht bekämpfen. Da kön-
nen Sie so viele Staatsaufbauprojekte suggerieren, wie
Sie wollen. Das wird nicht funktionieren.


(Beifall bei der LINKEN – Charles M. Huber [CDU/CSU]: Es bleibt die Frage nach den Alternativen!)


Was sagt die Bundesregierung dazu? Nun, sie könnte
ja sagen, sie hätte keinen Einfluss auf den US-Antiter-
rorkrieg. Das ist falsch, zumindest mit Blick auf den
Drohnenkrieg. Die US-Drohneneinsätze in asiatischen
und afrikanischen Ländern laufen über US-Stützpunkte
in Deutschland. Oder – um es anders, klarer auszudrü-
cken –: Die USA könnten ihren Drohnenterror in afrika-
nischen und asiatischen Ländern nicht praktizieren,





Dr. Alexander S. Neu


(A) (C)



(D)(B)

wenn die Bundesregierung endlich dafür Sorge tragen
würde, dass die USA das deutsche Staatsgebiet nicht für
ihre Kriegsführung missbrauchen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie reagiert die Bundesregierung auf den öffentli-
chen Druck, der derzeit wächst? Wie reagiert die Bun-
desregierung im Spagat zwischen Vasallentreue einer-
seits und Rechtsstaatlichkeitsgedanken andererseits?


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie reagiert ähnlich wie im NSA-Skandal, den Edward
Snowden aufgedeckt hat: Erst will sie davon nichts wis-
sen. Dann entscheidet sie sich angesichts des wachsen-
den öffentlichen Drucks dazu, die USA doch einmal
sanft zu fragen, ob an den Vorwürfen etwas dran sein
könnte. Die USA antworten natürlich ebenso sanft, wie
man es sich in Berlin erhofft: Nein, da ist nichts dran;
das stimmt nicht. – In Berlin ist man mit dieser Aussage
glücklich und zufrieden. Darauf, dass die USA es nicht
immer ganz genau mit der Wahrheit nehmen, wenn es
um Kriegspolitik geht, kommt die Bundesregierung
nicht.


(Niels Annen [SPD]: Ist Ihnen das Thema dieser Debatte mitgeteilt worden?)


– Mir ist das Thema bekannt, und ich habe den Rahmen
weit ausgedehnt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Dementsprechend werden die Zusagen der USA, dass
deutsches Territorium für den Drohnenkrieg nicht miss-
braucht wird, nicht weiter geprüft.

Fazit: Die deutsche Staatsräson ist: sich lieber mit
US-Kriegsverbrechen gemein machen – unter der Decke
natürlich –, als die internationale Rechtsordnung und
Menschenrechte zu respektieren, wenn es um deutsch-
amerikanische Beziehungen und deutsch-amerikanische
Interessen geht. Das, sehr geehrte Damen und Herren, ist
das Gegenteil einer verantwortungsvollen Außen- und
Sicherheitspolitik. Das ist feige und heuchlerisch.


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Oje, oje! – Stefan Rebmann [SPD]: Eine sehr selektive Wahrnehmung!)


Daher lehnt die Linke den Antrag auf Verlängerung von
EUTM Somalia ebenso ab wie den Entschließungsantrag
der Grünen, weil er ein falsches Konzept nur optimieren
möchte.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN – Henning Otte [CDU/CSU]: Wofür danken Sie denn? – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Das war eine Rede für den Parteitag!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809712200

Der Kollege Roderich Kiesewetter hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1809712300

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon
traurig, Herr Kollege Dr. Neu, dass Sie den Bundestag
als ein Forum für Desinformation und Propaganda nut-
zen,


(Lachen bei der LINKEN)


statt als stärkste Oppositionspartei bessere Vorschläge zu
machen. Das haben Sie nicht getan.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Terrorismus, organisierte Kriminalität, Flüchtlings-
ströme – Somalia ist ein erschütterndes Beispiel für die
Auswirkungen, die fragile Staaten bis nach Asien und
Europa haben. Es ist in unserem Kerninteresse, den Ur-
sachen von Flüchtlingsströmen nicht nur nachzugehen,
sondern sie auch intensiv zu bekämpfen und in Afrika
mit einem übergreifenden Ansatz Hilfe zur Selbsthilfe
zu leisten. Das genau machen wir im Rahmen dieser
Ausbildungsmission. Ich will im Folgenden darstellen,
welche unsere Kerninteressen sind.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809712400

Kollege Kiesewetter, gestatten Sie eine Frage oder

Bemerkung der Kollegin Dağdelen?


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Die bringt uns nicht weiter!)



Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1809712500

Nein, aber ich freue mich auf die Kurzintervention

hinterher.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Euro-
päer sind dort nicht deshalb engagiert, weil wir direkt
militärisch eingreifen wollen, sondern weil wir Hilfe zur
Selbsthilfe leisten wollen. In unserem Kerninteresse ist
es, dass die Ursachen von Flüchtlingsströmen bekämpft
werden. Vor allen Dingen aber müssen die Ursachen des
raumgreifenden Terrorismus bekämpft werden, der nicht
nur von Somalia ausgeht, sondern über Boko Haram
auch Kenia und andere Staaten wie Nigeria und Libyen
erfasst. Außerdem gefährdet er, wie wir gerade im Je-
men erleben, auch die Sicherheit Afrikas, der arabischen
Welt und Europas.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Seit dem Jahr 2006 ist die internationale Gemein-
schaft in Somalia engagiert, zunächst mit der Mission
AMISOM der Afrikanischen Union. Kurz nach Inkraft-
treten dieser Mission war klar, dass hier übergreifend ge-
holfen werden muss – da gab es dann die UNO-Mission
UNOSOM, die immer noch wirksam ist –, und dann ha-
ben wir Europäer uns aufgerufen gefühlt, zu unterstüt-
zen. Wir machen dies zur Unterstützung des Welternäh-
rungsprogramms und zur Bekämpfung der Piraterie mit
der Operation Atalanta. Wir unterstützen die Küsten-





Roderich Kiesewetter


(A) (C)



(D)(B)

sicherheit mit der EU-Mission EUCAP NESTOR, und
wir sind seit einigen Jahren – insbesondere in Somalia,
seit zwei Jahren – aktiv mit der Ausbildungsmission. An
dieser Ausbildungsmission sind zwar insgesamt nur
130 europäische Soldaten, darunter 8 deutsche Soldaten,
beteiligt; aber durch diesen Ausbildungsprozess ist bis
jetzt schon ein Viertel der somalischen Streitkräfte ge-
gangen. Das ist ein Erfolg. Ich möchte an dieser Stelle
allen europäischen Soldaten, die mitgewirkt haben an
diesem übergreifenden Ansatz, danken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Hier zeigen auch wir Deutschen europäische Solidarität;
denn die Flüchtlingsströme aus Somalia gehen über
Libyen nach Italien, nach Malta, nach Spanien. Hier zei-
gen wir auch, dass wir mit einer konzertierten Ausbil-
dung unterstützen.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, das Über-
greifende ist allerdings auch das Schwierige. In Somalia
haben wir erreicht, dass al-Schabab keine räumliche Ver-
antwortung bzw. räumliche Herrschaft mehr übernom-
men hat und übernehmen kann. Wir haben erreicht, dass
das somalische Budget sich in den letzten zwei Jahren
durch Steuereinnahmen um ein Fünftel erhöht hat. Wir
haben erreicht, dass der Teil der somalischen Streit-
kräfte, den wir unterstützen, so etwas wie eine Stütze der
dortigen Regierung geworden ist.

Allerdings stehen wir vor zwei Herausforderungen
– das müssen wir auch ganz offen ansprechen –: Die
Ausbildungsmission kann nur ein Teil sein in dem ver-
netzten strategischen Ansatz, den ich angesprochen
habe. Ganz wesentlich ist eine legitime Regierung. Erst-
mals seit 2012 haben wir wieder eine Regierung; bis
2012 stand das Land vor dem Zerfall. In den letzten drei
Jahren hat die Regierung zumindest die Kontrolle über
einen Teil des Landes wiedergewonnen. Im nächsten
Jahr finden erstmals wieder Parlamentswahlen statt. Es
ist, glaube ich, unsere Verantwortung, dieser Regierung
zu zeigen, dass die internationale Zusammenarbeit For-
derungen stellt an Rechtsstaatlichkeit und Korruptions-
bekämpfung, was dort einen erheblichen Aufwand be-
deutet.

Auf der anderen Seite – ich spreche hier die Kollegen
von Bündnis 90/Die Grünen an – wäre es ein fatales Si-
gnal, jetzt, knapp eineinhalb Jahre vor den Parlaments-
wahlen, aus dieser Mission auszusteigen. Im Gegenteil:
Heute früh hat eine Vertreterin Ihrer Fraktion sehr deut-
lich angesprochen, warum wir die EU-Assoziierungsab-
kommen brauchen. Auch wenn in den Staaten Molda-
wien, Ukraine und Georgien nicht alles so ist, wie wir
uns das wünschen, müssen wir uns dort engagieren. Ge-
nauso müssen wir uns weiterhin in Somalia engagieren,
dürfen uns nicht von dort zurückziehen, auch wenn die
Mission noch zu verbessern ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Rauszugehen ist keine Alternative. Entscheidend ist,
dass wir uns dort weiterhin einbringen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werbe
intensiv für die Zustimmung zu diesem Mandat. Die
Ausbildungsmission ist eingebunden in eine überregio-
nale Initiative, nicht nur, was die deutsche Afrikastrate-
gie angeht. Die Europäische Union ist auf dem Weg und
muss auf dem Weg bleiben, globaler Akteur für zivil un-
terstützte Sicherheit zu sein. Es ist unsere Aufgabe, ein
glaubwürdiger Pfeiler im Konzert der internationalen
Organisationen zu sein. Dank der Europäischen Union
ist die Afrikanische Union in der Lage, Missionen
durchzuführen. „Hilfe zur Selbsthilfe, afrikanische Lö-
sungen für afrikanische Probleme“ muss unsere Devise
sein. Die Ausbildungsmission leistet dazu einen erhebli-
chen, wertvollen Beitrag. Ich bitte Sie deshalb um Ihre
Unterstützung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809712600

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Dağdelen

das Wort.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809712700

Lieber Herr Kollege Kiesewetter, nachdem Sie meine

Zwischenfrage nicht zugelassen haben, bleibt mir nichts
anderes übrig, als Sie so zu fragen. Sie haben meinem
Kollegen Alexander Neu hier vorgeworfen, dass er das
Plenum des Deutschen Bundestages als ein Forum für
Desinformation und Propaganda nutzen würde.


(Henning Otte [CDU/CSU]: Das hat er gemacht!)


Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass am 20. März –


(Zuruf von der CDU/CSU: Welches Jahr?)


das liegt also noch nicht lange zurück – in der Süddeut-
schen Zeitung ein Artikel von John Goetz und Frederik
Obermaier mit dem Titel „Amerikanischer Drohnen-
krieg – Was die Regierung unter Aufklärung versteht“
erschienen ist. Ich will Ihnen nur kurz den Teaser vortra-
gen:

Haben die USA Drohnenflüge von Stützpunkten in
Deutschland aus organisiert? Washington demen-
tiert. Berlin ist damit zufrieden – obwohl sich die
Bundesregierung womöglich eines Verbrechens
schuldig macht.

Darauf ist mein Kollege Neu hier eingegangen. Die
Bundesregierung ist in Somalia in einen Krieg verwi-
ckelt – zum einen in den Atalanta-Krieg, zum anderen
durch die Militärausbildung von Sicherheitskräften, die
den Bürgerkrieg weiter anheizen sollen, und drittens
quasi auch in diesen Drohnenkrieg der USA in Somalia
zum Teil gegen unbeteiligte Zivilisten; denn hier sind
Stützpunkte in Ramstein und von AFRICOM.

Auf diese Vorwürfe reagiert diese Bundesregierung
entweder, indem sie sagt, dass sie nichts weiß, oder, in-
dem sie einen Fragebogen an die USA schickt, die dann
sagen: „Von Ramstein oder AFRICOM geht nichts aus“,





Sevim Dağdelen


(A) (C)



(D)(B)

obwohl Piloten der Drohnen zum Teil auf diesen Stütz-
punkten waren und das ausgesagt haben – sowohl gegen-
über der Süddeutschen als auch gegenüber der Fernseh-
sendung Panorama.

Deshalb ist unsere Frage: Warum ist diese Bundes-
regierung nicht bereit, ihre demokratische Souveränität
in Ramstein und in Stuttgart bei AFRICOM durchzuset-
zen und mindestens zu untersuchen, ob diese Vorwürfe
wahr sind oder nicht? Das ist unsere einzige Frage an
diese Bundesregierung. Daran werden wir diese Bundes-
regierung auch messen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809712800

Sie haben das Wort zur Erwiderung.


Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1809712900

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir sind gerade

wieder Zeuge von Desinformation geworden.

Erstens. Es gibt keinen Atalanta-Krieg, sondern es
gibt eine Unterstützung des Welternährungsprogramms.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens. Sie sprachen von einer „womöglichen“ Un-
terstützung. An Spekulationen beteilige ich mich nicht.

Drittens. Es ist Aufgabe des NSA-Untersuchungsaus-
schusses, den geheimen Drohnenkrieg zu untersuchen.
Von Ihnen sind der Kollege Hahn und die Kollegin
Renner mit dabei. Informieren Sie sich bei den beiden!

Viertens. Ich habe dem Kollegen Dr. Alexander Neu
bei den Königsbronner Gesprächen ein Forum angebo-
ten. Ihre Partei hat seine Dienstreise dorthin verhindert.
Der Kollege Liebich dagegen nimmt teil; er ist mutig.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Linke
sollte sich den Auseinandersetzungen in der Öffentlich-
keit stellen und nicht hier Propaganda und Desinforma-
tion verbreiten.

Ende meiner Antwort auf die Kurzintervention.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das war nicht meine Frage! Sagen Sie was zu der Frage! Sie haben nichts zu Ramstein und AFRICOM gesagt! – Abg. Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE] meldet sich zu Wort)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809713000

Kollege Neu, ich gebe Ihnen gleich einen Hinweis

dazu, wie sich Ihr Begehr nachher umsetzen lässt. Sie
können jetzt nicht in eine Debatte um die Kurzinterven-
tion bzw. die Erwiderung darauf einsteigen.

Das Wort hat der Kollege Dr. Frithjof Schmidt für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, Somalia gehört zu den krisengeschüttelten Ländern
Afrikas, die Unterstützung brauchen. Hier ergeben
Staatsversagen, regionale Konflikte, die fortschreitende
Dürre, die Überfischung der Küstengewässer und der
islamistische Terror in weiten Teilen des Landes eine
schreckliche Mischung der Destabilisierung, unter der
die Bevölkerung massiv leidet.

Kollegin Dağdelen, deswegen ist es richtig, dass die
EU und die internationale Gemeinschaft sich dort enga-
gieren. Sie können das doch nicht mit dem Hinweis auf
Drohnenkriegsführung der USA wegwischen. Die kriti-
siere auch ich in verschiedener Hinsicht, aber sie als
Vorwand zu nehmen, um zu sagen: „Man soll sich da
quasi ganz raushalten“, ist nun wirklich falsch und
schlecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Deswegen ist es auch grundsätzlich richtig, dass die
Europäische Union dort nicht nur humanitäre Hilfe und
Entwicklungshilfe leistet, sondern sich auch um den
Aufbau von Sicherheitsstrukturen kümmern will. Aller-
dings, Kollege Kiesewetter, das in einem Atemzug mit
EU-Assoziierungsabkommen in Europa zu nennen – das
ist nun wirklich die falsche Kategorie, die Sie da ver-
wendet haben. Da haben wir es nun wirklich mit ganz
anderen Problemen zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie wissen: Wir Grüne stehen im Zusammenhang mit
dem Aufbau von Sicherheitsstrukturen – gerade in
afrikanischen Krisenländern – auch dem Einsatz der
Bundeswehr aufgeschlossen gegenüber. Meine Fraktion
unterstützt den europäischen Ausbildungseinsatz in Mali
und hat auch die Bundeswehrmandate für die Zentral-
afrikanische Republik, für den Südsudan und für Darfur
unterstützt. Bei allen Schwachpunkten und Problemen,
die man auch dort feststellen kann und muss: Wir sind
vom Konzept dieser Einsätze überzeugt.

Das ist im Fall Somalia anders.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809713100

Kollege Schmidt, ich habe erst einmal die Uhr ange-

halten und frage Sie, ob Sie eine Frage oder Bemerkung
der Kollegin Dağdelen zulassen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja, bitte.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809713200

Herr Schmidt, vielen Dank. – Sie haben mich ja direkt

angesprochen und gemeint, dass es sozusagen schlecht
ist, zu sagen: Wir sollten uns da raushalten und bei dem
Einsatz EUTM Somalia gegen die al-Schabab wegen des
Bürgerkriegs nicht mitmachen.

Man kämpft dort an der Seite der USA und auch an
der Seite einiger Golf-Diktatoren. In diesem Zusammen-
hang möchte ich Sie etwas fragen, was mit dem
Nachbarland Jemen und auch mit diesem Einsatz gegen
Terroristen und al-Qaida – die al-Schabab ist ja im Ver-
bund der al-Qaida – zu tun hat: Haben Sie zur Kenntnis





Sevim Dağdelen


(A) (C)



(D)(B)

genommen, dass sich die USA ganz hastig aus dem
Jemen, diesem Nachbarland, zurückgezogen und
Rüstungsgüter im Wert von 500 Millionen US-Dollar
zurückgelassen haben, die laut Washington Post jetzt in
den Händen der al-Qaida sind? Glauben Sie, dass das ein
Beitrag dazu ist, sowohl die al-Qaida in Somalia als auch
die al-Qaida im Jemen zurückzudrängen?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Kollegin Dağdelen, Sie bringen hier Sachen zu-
sammen, die ich jetzt so erst einmal nicht zusammen-
bringen möchte.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Richtig!)


Ich habe Ihnen vorgeworfen, dass Sie die Kritik an
der amerikanischen Drohnenkriegsführung als Vorwand
dafür nutzen, zu sagen: Das Engagement der internatio-
nalen Gemeinschaft, der Europäischen Union und der
Vereinten Nationen, in Somalia ist falsch und schlecht. –
Man kann über einzelne Punkte dieses Engagements re-
den, und Sie werden feststellen, dass ich empfehlen
werde, diesem Einsatz heute nicht zuzustimmen, weil
ich eben Kritik daran habe.

Aber es ist ein grundsätzlicher Unterschied, konkret
zu kritisieren, was die internationale Gemeinschaft in
solchen Zusammenhängen tut, oder aufzuzeigen, wenn
man glaubt, dass sie etwas falsch macht, oder daherzu-
kommen und zu sagen, man soll sich dort eigentlich
komplett raushalten. Das ist ein politikunfähiger Ansatz,
den Sie hier immer wieder vortragen, und er wird auch
nicht besser, wenn Sie sagen: Lassen Sie uns einmal von
Somalia schnell auf den Jemen kommen; im Jemen ist es
auch ganz schrecklich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist nicht der Weg, wie wir hier über Somalia disku-
tieren wollen. Das finde ich, ehrlich gesagt, unernsthaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich möchte darauf zurückkommen, dass wir glauben,
dass man den Fall Somalia und das, was dort gemacht
wird, konkret beurteilen muss. Wir haben das Konzept
des europäischen Ausbildungseinsatzes für somalische
Kämpfer von Anfang an kritisiert. Bis vor 15 Monaten
fand das in Uganda statt. Deshalb war das hier im
Bundestag nicht mandatspflichtig, und deshalb haben
wir hier nicht so darüber diskutiert.

In Uganda wurden im Grunde Milizen aus bestimm-
ten Clans ausgebildet, die dann in Zentralsomalia zu ei-
ner Armee gegen al-Schabab verbunden werden sollten.
Dieses Konzept birgt die große Gefahr späterer bewaff-
neter Auseinandersetzungen zwischen den ausgebildeten
Claneinheiten. Es besteht das Risiko, dass diese Milizen
außer Kontrolle geraten und auf eigene Rechnung Ge-
biete beherrschen, dass es zu hohen Desertationsraten
kommt und dass gelieferte Waffen in andere Hände
wandern. Deswegen haben wir den Ausbildungseinsatz
in Uganda schon seit Jahren als falsch kritisiert. Die Ver-
legung nach Mogadischu vor einem Jahr hat daran nichts
geändert. Das falsche Konzept wird fortgeführt, und das
ist schlecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Evaluierungen im Kontext von AMISON benennen
genau dieses Problem und die Gefahr der Bildung von
homogenen Claneinheiten. Das Fehlen von Kasernen
führt dazu, dass sich die Milizen eigene Unterkünfte in
der Region suchen. Von etwa 4 800 Ausgebildeten sollen
nur 1 600 in geschlossenen Verbänden stationiert sein.
Die anderen wohnen mehrheitlich zu Hause, wie es die
Bundesregierung in der Antwort auf eine Frage meiner
Kollegin Brugger etwas blauäugig formuliert hat.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mehrheitlich zu Hause wohnen: Was kann das in Soma-
lia bei rund 3 000 Milizionären alles heißen?

Auch das sicherheitspolitische Umfeld in Zentral-
somalia wirft einige Fragen auf. So bilden die USA se-
parat Kämpfer aus. Das heißt, sie haben die Ausbildung
an ein Privatunternehmen vergeben, an Bancroft Global.
Die handeln mit Immobilien und führen Entwicklungs-
projekte durch, sind aber eben auch in der Militärausbil-
dung tätig. Bekannte Söldner wie der Franzose Richard
Rouget, der laut New York Times schon in einen Putsch
auf den Komoren und in den Bürgerkrieg der Elfenbein-
küste 2003 verwickelt war, sind in dieser Ausbildung tä-
tig. Mit solch dubiosen Sicherheitspartnern sollte man
eigentlich nichts zu tun haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es soll da um die Ausbildung von Spezialeinheiten
für die somalische Armee gehen, die sogenannten
Danab-Einheiten. Da fragt man sich schon: Gibt es da
etwas, was wir wissen sollten? Gibt es da eine Zusam-
menarbeit mit EUTM, und wenn ja, wie sieht sie aus? Ist
das Bestandteil eines von Deutschland mitgetragenen
Gesamtkonzeptes? Für meine Fraktion muss ich hier
sagen: Wir sehen nicht, dass sich gegenüber der kritik-
würdigen Ausbildungskonzeption in Uganda im letzten
Jahr irgendetwas substanziell verbessert hat. Wir haben
dieses Konzept und das Mandat dafür vor einem Jahr ab-
gelehnt, und wir werden es auch diesmal ablehnen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wir finden
es nicht richtig, dass Sie die Bundeswehr in diesen Ein-
satz in diesem Umfeld schicken wollen.

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809713300

Das Wort hat die Kollegin Elisabeth Motschmann für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Elisabeth Motschmann (CDU):
Rede ID: ID1809713400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

2008 stellte der Tagesspiegel allen Fraktionen die Frage:
Warum soll sich Deutschland überhaupt in Afrika enga-





Elisabeth Motschmann


(A) (C)



(D)(B)

gieren? – Diese Frage bleibt aktuell. Die Antworten
darauf waren überzeugend; Ausnahme: die Linke. Ihre
Antworten damals waren genauso verantwortungslos,
abwegig und falsch wie das, was Sie heute hier gesagt
haben, Herr Neu. Wir müssen diese Frage beantworten,
wenn wir Soldaten nach Somalia schicken.

Licht und Schatten charakterisieren unseren Nachbar-
kontinent Afrika insgesamt. Krasse Gegensätze kenn-
zeichnen das Leben und die Politik in Afrika in seinen
unterschiedlichen Staaten und natürlich auch in Somalia.
Demokratie und Autokratie, demokratisch gewählte
Präsidenten und kaum legitimierte Despoten, Aufbau
staatlicher Strukturen und Prozesse des Staatsverfalls,
hohe Wachstumsraten und Inflation sowie Korruption,
reiche Bodenschätze und bittere Armut, einzelne friedli-
che Zonen und Krieg, Terror und Vertreibung: Das alles
trifft zum großen Teil auch auf Somalia zu.

Licht und Schatten: Der Entschuldungsprozess
schreitet voran, internationale Finanzhilfen haben sich
im letzten Jahrzehnt verdoppelt, die Staatseinnahmen
sind um 21 Prozent gestiegen. Das ist positiv. Und trotz-
dem: Armut, Terror, Gewalt und Hunger.

Eines der zentralen Probleme sind die sehr fragilen
staatlichen Strukturen. Seit über 20 Jahren werden sie
vom Bürgerkrieg zwischen Regierung und Al-Schabab-
Miliz immer wieder zerstört. Die Hauptstadt Mogadischu
ist Ende 2011 von den Regierungstruppen und der Afri-
kanischen Union befreit worden. Das ist positiv. 4 600
somalische Soldaten wurden ausgebildet, sie sind zuver-
lässig. Das ist positiv. Die Milizionäre sind nicht mehr in
der Lage – Herr Kiesewetter hat darauf hingewiesen –,
größere Räume zu kontrollieren. Auch das ist positiv.
Und trotzdem: Zuletzt hatten die Terroristen von al-
Schabab am 20. Februar dieses Jahres ein Hotel in
Mogadischu angegriffen. 20 Menschen mussten ihr
Leben lassen, unter ihnen der Vizebürgermeister und ein
Abgeordneter.

Es kann also von einer dauerhaften Verdrängung von
al-Schabab oder von Frieden noch lange keine Rede
sein. Es kann auch keine Rede von der konsequenten
Umsetzung von Völkerrecht und Menschenrechten sein.
Genau deshalb engagieren wir uns in Afrika. Genau
deshalb ist die europäische Mission EUTM Somalia
weiterhin notwendig und wichtig, nicht weil wir irgend-
welche kolonialen Expansionsabsichten hätten, wie es
uns die Linken immer wieder unterstellen, sondern weil
die Menschen in Somalia einen berechtigten Anspruch
auf Völkerrecht, Menschenrechte, auf Perspektiven für
ihr Leben und auf zunächst bescheidenen Wohlstand ha-
ben. Deshalb engagieren wir uns.

Das Ziel bleiben die Ausbildung der somalischen Si-
cherheitskräfte, die dazu befähigt werden sollen, selbst
für Stabilität im Lande zu sorgen, die wirksame
Bekämpfung von kriminellen und terroristischen Struk-
turen mit den Mitteln der Sicherheits- und Ordnungs-
politik. Es war daher zum Beispiel eine richtige Entschei-
dung, die Ausbildung von Uganda in das Trainingscamp
Jazeera in Mogadischu zu verlegen, auch wenn die Rah-
menbedingungen für die Ausbildung schwierig sind.
Hier darf man sicher nicht unsere Maßstäbe anlegen,
Kollege Schmidt. Es war richtig, diese Verlagerung vor-
zunehmen und die Wahrnehmung von Sicherheitsverant-
wortung auf das Land zu übertragen.

Nächstes Jahr, 2016, sind Wahlen in Somalia. Bis da-
hin muss noch viel passieren. Die Menschen müssen
eine eigenverantwortliche Lebensperspektive bekom-
men, um überhaupt den Mut zu haben, die neuen Struk-
turen, die zu schaffen sind, zu schützen und zu stärken.
Neben dem politischen und strukturellen Ausbau des
Landes ist aber auch ein geistiger Aufbau der Zivilge-
sellschaft notwendig, was bei 62 Prozent Analphabeten-
quote sehr schwer ist.

Ein Einklang von militärischer und ziviler Entwick-
lungszusammenarbeit ist daher wichtig, und es passt gut,
dass das BMZ erhebliche Mittel nach Somalia gibt. So-
malia wird mit diesen Geldern in seinen Bemühungen
unterstützt, notwendige Entwicklungen im Land voran-
zubringen. Dieses Zusammenspiel humanitärer und mili-
tärischer Hilfe muss weitergehen. Ohne Sicherheit ist
humanitäre Hilfe nicht möglich. Auch das möchte ich
den Linken immer wieder ins Stammbuch schreiben:
Humanitäre Hilfe, die Sie wollen, geht nicht ohne ein
Minimum an Sicherheit.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Sagen Sie!)


Ohne Sicherheit sind freie demokratische Wahlen
nicht denkbar. Ohne die Bekämpfung der Al-Schabab-
Miliz ist die Zukunft des Landes und seiner Menschen in
Gefahr. Ohne Bekämpfung der organisierten Kriminali-
tät haben rechtsstaatliche Strukturen keine Chance.

Fest steht – ich komme zum Schluss, Frau Präsidentin –:
Somalia wird noch viele Jahre auf Hilfe von außen ange-
wiesen sein. Vorausgesetzt, die politische Lage lässt es
zu, wird Deutschland mit seinen Bündnispartnern dazu
einen Beitrag leisten. Die Eindämmung des Terrors ist
eine politische Aufgabe, zu der auch Deutschland beitra-
gen kann und muss. Aus diesen Gründen bitte ich Sie
herzlich um Ihre Zustimmung für den Einsatz.

Am Ende auch von meiner Seite herzlichen Dank an
alle Soldatinnen und Soldaten, die in Somalia oder in an-
deren Ländern einen schweren, oft auch gefährlichen
Einsatz leisten! Aber es ist zum Wohle der Menschen,
und deshalb müssen wir Ja zu diesem Einsatz sagen und
ihn positiv begleiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809713500

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schön, dass

Sie so zahlreich dieser Debatte folgen. Ich bitte Sie um
den notwendigen Respekt und die Aufmerksamkeit auch
für die beiden noch folgenden Redner in dieser Debatte.
Dazu gehört aus meiner Sicht, dass Sie die ausreichend
vorhandenen Sitzgelegenheiten auch tatsächlich nutzen.
Es wäre sehr schön, wenn ich auch in meiner eigenen





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Fraktion erhört würde und deren Abgeordnete Platz näh-
men. Aber das gilt auch für die Unionsfraktion.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, könnten Sie Ihre
Fraktionskollegen in den hinteren Reihen darauf auf-
merksam machen, dass wir noch immer in der Debatte
sind und sich diese vorwiegend hier vorne abspielt? –
Der Kollege Thomas Hitschler hat für die SPD-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Thomas Hitschler (SPD):
Rede ID: ID1809713600

Sehr geehrte Frau Präsidentin, ich bedanke mich erst

einmal ganz herzlich dafür, dass Sie die Aufmerksamkeit
im Saal gesteigert haben. – Liebe Kolleginnen und Kol-
legen! Vor nicht ganz einem Jahr stand ich schon einmal
an dieser Stelle und habe um Zustimmung zur Verlänge-
rung dieses Mandats der Bundeswehr gebeten.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat ja nichts genützt!)


Ich werde dies auch heute tun; denn ich bin davon über-
zeugt, dass der deutsche Einsatz in Somalia dazu bei-
trägt, dass sich Strukturen entwickeln und verfestigen, in
denen die Somalis selbst für ihre Sicherheit sorgen kön-
nen.

Frei nach Rousseau ist der Stärkste nie stark genug,
wenn er seine Stärke nicht in Recht verwandeln kann.
Gemeinsam mit Angehörigen der Streitkräfte aus zehn
weiteren Staaten bilden die Soldaten der Bundeswehr in
vier Lehrgängen somalische Bürgerinnen und Bürger
aus. Die Teilnehmer dieser Lehrgänge sind motiviert. Sie
möchten den Menschen in ihrem Land, in ihrer Heimat
Sicherheit geben.

Um zu verstehen, wie wichtig allein dieses Ziel ist,
müssen wir uns vor Augen führen, wie lange die Somalis
keinen Frieden und auch keine Sicherheit kennen. Der
Bürgerkrieg fing 1991 an. Das ist jetzt 24 Jahre her. Kol-
leginnen und Kollegen, wie groß schätzen Sie den Anteil
der Menschen in Somalia, die jünger als 24 Jahre sind,
für die der Gedanke, dass Frieden und Sicherheit eigent-
lich selbstverständlich sein sollten, fremd ist? 20 Pro-
zent? 30 Prozent? Es sind fast 63 Prozent.

Diese Menschen, die im Bürgerkrieg aufgewachsen
sind, wollen jetzt dafür eintreten, dass die nächste Gene-
ration in ihrem Land Frieden und Sicherheit als etwas
Normales wahrnehmen kann. Es ist daher gut und wich-
tig, dass auch wir dabei Verantwortung übernehmen.

Die militärische Unterstützung, die Deutschland So-
malia zuteilwerden lässt, stellt aber nur einen Teil des
deutschen Engagements für die Menschen dort dar.
Ohne Unterbrechung stellt Deutschland seit Beginn des
Konflikts Nothilfe und unterstützt Flüchtlinge in angren-
zenden Staaten, aber auch Rückkehrer, die ihr Land wie-
der aufbauen wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Deutschland unterstützt darüber hinaus Organisationen,
die dieses gebeutelte Land von Minen befreien. Weiter
stellt die Bundesregierung bis 2016 über 100 Millionen
Euro für die Entwicklungszusammenarbeit zur Verfü-
gung. Und ich meine: Das ist auch gut so!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich wünsche mir, dass sich der deutsche Aufbaubei-
trag irgendwann auf das rein zivile Feld konzentrieren
und auch beschränken kann. Bei allen Fortschritten, die
es in den vergangenen Monaten gegeben hat, ist dieses
Land leider längst nicht so weit. Teile Somalias sind im-
mer noch in Händen der Al-Schabab-Milizen. Al-Scha-
bab ist in der letzten Zeit im Fokus unserer Öffentlich-
keit weniger präsent. Das liegt nicht daran, dass deren
Mitglieder sich plötzlich des Unrechts bewusst gewor-
den wären, welches sie verbreiten. Es liegt vielmehr da-
ran, dass die Verbrechen der al-Schabab derzeit von
noch größeren Schandtaten in vielen anderen Bereichen
überschattet werden. Ich brauche auf den Begriff des so-
genannten „Islamischen Staates“ gar nicht weiter einzu-
gehen.

Vor diesem Hintergrund, Kolleginnen und Kollegen,
müssen wir auch darüber nachdenken, wie das künftige
Engagement der Bundeswehr aussehen sollte. Wir tragen
Verantwortung dafür, im Rahmen unserer Möglichkeiten
bei der Beilegung von Konflikten und dem Wiederauf-
bau von Staaten zu helfen. Auch dies ist eine der Lektio-
nen, die wir aus unserer Geschichte gelernt haben.

Derzeit dienen etwa 2 500 Soldatinnen und Soldaten
in Auslandseinsätzen. Dies ist der niedrigste Stand seit
über 20 Jahren. Von den insgesamt 16 Einsätzen sind bei
9 weniger als 50 Soldatinnen und Soldaten beteiligt. Das
kleinste Kontingent besteht aus einem Angehörigen der
Bundeswehr, der im Rahmen von EUCAP NESTOR in
Tansania tätig ist.

Bitte verstehen Sie mich nicht falsch. Jede Soldatin
und jeder Soldat, die bzw. der im Ausland Dienst tut,
macht einen guten, macht einen notwendigen Job. Dafür
sind wir ihnen auch alle dankbar. Wir müssen uns nur die
Frage stellen, ob die Beteiligung an vielen Einsätzen mit
wenigen Kräften mehr Sinn macht als die Konzentration
auf wenige Einsätze mit größeren Kontingenten. Ich bin
der Ansicht, dass es möglich ist, sich mit unseren Part-
nern in der EU, in der NATO und auch bei den Vereinten
Nationen besser zu koordinieren und unterschiedliche
Schwerpunkte zu setzen. Auch das muss Teil einer zu-
künftigen deutschen Sicherheitsstrategie sein.


(Beifall bei der SPD)


Denn wir stehen jetzt gerade sicherheitspolitisch an ei-
nem Punkt, an dem die Weichen für die Zukunft gestellt
werden. Die große Zahl der Einsätze, an denen die Bun-
deswehr beteiligt ist, hat uns die Gelegenheit gegeben,
Erfahrungen zu sammeln und herauszufinden, wo unsere
Stärken sind. Der Einsatz im Rahmen von EUTM Soma-
lia hat uns bei diesem Erfahrungsgewinn geholfen, und
noch viel wichtiger: Er hilft den Menschen in Somalia
dabei, ihr Land wieder aufzubauen.





Thomas Hitschler


(A) (C)



(D)(B)

Aus diesen Gründen bitte ich Sie, liebe Kolleginnen
und Kollegen, heute der Verlängerung des Mandats zu-
zustimmen. Die SPD-Fraktion wird dies tun.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809713700

Das Wort hat die Kollegin Julia Obermeier für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1809713800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die junge Somalierin Maymun Muhyadine
Mohamed spielt für ihr Leben gerne Fußball. Doch die
Liebe zum Fußball machte sie zur Witwe. Radikalislami-
sche Al-Schabab-Milizen bedrohten Maymun. Frauen
dürfen keinen Sport machen, sagten sie. Maymun solle
einen Körperschleier tragen, auch wenn sie damit weder
einen Ball stoppen noch flanken kann. Maymuns junger
Ehemann verteidigte seine Frau gegenüber den Milizen.
Daraufhin drangen die Islamisten nachts in ihr Haus ein
und ermordeten ihn. Maymun, die damals schwanger
war, floh daraufhin aus Mogadischu. Heute lebt sie zu-
sammen mit ihrer inzwischen vier Jahre alten Tochter in
einem Flüchtlingslager in Dschibuti.

Ähnlich wie Maymun ergeht es vielen ihrer Lands-
leute. Millionen Menschen sind auf der Flucht. Seit 1990
herrscht in Somalia Bürgerkrieg. Kriminalität, Terror
und Gewalt gehören am Horn von Afrika zum Alltag.
Derzeit sind über 4 Millionen Somalier auf humanitäre
Hilfe angewiesen.

Die internationale Staatengemeinschaft lässt Somalia
nicht allein. Bis 2016 fließen 1,6 Milliarden Euro an Un-
terstützung. Allein das BMZ hilft den Menschen in So-
malia mit rund 100 Millionen Euro, darunter 86 Millio-
nen Euro für die städtische Wasserversorgung und die
ländliche Entwicklung und weitere 8 Millionen Euro für
Maßnahmen gegen die Dürre.

Aber diese Hilfen können nur in halbwegs sicheren
Regionen ankommen. Die militärische Beteiligung
Deutschlands an der EU-Mission in Somalia ist Teil ei-
nes ganzheitlichen, vernetzten Ansatzes. Nur wenn alle
Instrumente erfolgreich greifen, können wir den Men-
schen dort helfen.

Etwa 150 Soldatinnen und Soldaten aus elf EU-Mit-
gliedstaaten sind derzeit für die europäische Trainings-
mission im Einsatz. Deutschland unterstützt diese Aus-
bildungsmission mit bis zu 20 Soldatinnen und Soldaten.
Es ist eine reine Ausbildungsmission, kein Kampfein-
satz. Derzeit leisten sechs deutsche Offiziere und zwei
Unteroffiziere ihren Dienst in Somalia. Deutschland leis-
tet dort einen kleinen, aber wichtigen Beitrag.

Seit 2010 hat EUTM Somalia 4 800 somalische Sol-
daten ausgebildet. Die europäische Trainingsmission ist
einer der tragenden Pfeiler der europäischen Sicherheits-
strategie für die Region am Horn von Afrika.

Weitere militärische Hilfe erhält Somalia seit mehre-
ren Jahren durch die Operation Atalanta. Aktuell schützt
die Fregatte „Bayern“ Schiffe des Welternährungspro-
gramms vor Piratenübergriffen. Darüber hinaus unter-
stützt die zivil-militärische Mission EUCAP NESTOR
die somalischen Behörden. Somalia baut derzeit eine
Küstenpolizei auf, um selbst für Sicherheit in diesem
Seeraum zu sorgen.

Der Weg zu einem funktionierenden Staatswesen in
Somalia ist noch lang. Wir wollen die Somalier auf die-
sem Weg begleiten. Unser langfristiges Ziel ist es, den
Menschen in Somalia ein sicheres Leben zu ermögli-
chen. Auch Maymun und ihre Tochter wollen eines Ta-
ges ohne Angst in den Straßen von Mogadischu Fußball
spielen. Den langen Weg dorthin wollen wir gemeinsam
bereiten. Deshalb bitte ich Sie um Ihre Zustimmung.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809713900

Ich schließe die Aussprache.

Ich erteile dem Kollegen Dr. Alexander Neu das Wort
nach § 30 unserer Geschäftsordnung zu einer Erklärung
zur Aussprache.


Dr. Alexander S. Neu (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809714000

Kollege Kiesewetter, Sie hatten auf Ihre Königsbrun-

ner Veranstaltung und auf meine Absage hingewiesen.
Ja, ich habe die Teilnahme als Referent abgesagt, nach-
dem ich die Genossinnen und Genossen der Partei vor
Ort konsultiert habe, die eine Protestaktion gegen diese
Veranstaltung planen. Ich wollte nicht unsolidarisch
sein. Mir diese Absage, die letztendlich von innerpartei-
licher Demokratie zeugt, als nachteilig auszulegen, halte
ich für problematisch. Es mag sein, dass es in Ihrer
Partei nicht üblich ist, innerparteilich miteinander zu dis-
kutieren und demokratisch zu entscheiden; bei uns ist es
das.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809714100

Ich erteile dem Kollegen Kiesewetter das Wort zu ei-

ner Erwiderung.


Roderich Kiesewetter (CDU):
Rede ID: ID1809714200

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bleibe bei mei-

ner Feststellung, dass hier heute ein Vertreter der Links-
partei Desinformation und Propaganda betrieben hat. Ich
halte sehr viel davon, dass wir alle Foren auch außerhalb
des Parlaments nutzen, um deutlich zu machen, was
Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Vielfalt bedeuten.
Ich halte sehr wenig davon, wenn dieses Hohe Haus als





Roderich Kiesewetter


(A) (C)



(D)(B)

Plattform für Propaganda und die Verteidigung hybrider
Kriegsformen verwendet wird.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809714300

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-

empfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf Druck-
sache 18/4447 zu dem Antrag der Bundesregierung zur
Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher
Streitkräfte an der EU-geführten Ausbildungs- und Bera-
tungsmission EUTM Somalia. Ich mache darauf auf-
merksam, dass mir mehrere Erklärungen nach § 31 unse-
rer Geschäftsordnung vorliegen, die wir entsprechend
unseren Regelungen zu Protokoll nehmen.1)

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung, den Antrag auf Drucksache 18/4203 anzunehmen.
Wir stimmen über die Beschlussempfehlung namentlich
ab. Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Ich eröffne die na-
mentliche Abstimmung über die Beschlussempfehlung.

Ist ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme noch nicht abgegeben hat? – Vorsorglich mache
ich darauf aufmerksam, dass wir damit noch nicht am
Ende der Abstimmungen zu diesem Tagesordnungs-
punkt sind, es sich also empfiehlt, wenn Sie weiter an
unseren Verhandlungen teilnehmen wollen, sich hinzu-
setzen, damit wir im Präsidium die weiteren Abstim-
mungsergebnisse zweifelsfrei feststellen können.

Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme bei
der namentlichen Abstimmung noch nicht abgegeben
hat? – Das ist nicht der Fall. Ich schließe die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der
namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt
gegeben.2)

Ich wiederhole meine Bitte, nun Platz zu nehmen, da-
mit wir die weitere Abstimmung durchführen können.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/4461. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke ge-
gen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
abgelehnt.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Jutta
Krellmann, Norbert Müller (Potsdam), Klaus
Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe
jetzt

1) Anlage 2
2) Seite 9233 C
Drucksache 18/4418
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809714400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Eine Aufwertung der Sozial- und Erziehungs-
berufe ist längst überfällig.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Fraktion hat hierzu eine Kleine Anfrage an die
Bundesregierung gestellt, und die Antwort hat mich echt
überrascht: Die Arbeitsbedingungen in den Sozial- und
Erziehungsdiensten sind überproportional belastend, die
Rahmenbedingungen sind überwiegend schlecht, und
das Gehalt langt hinten und vorn nicht.

In dieser Branche – übrigens einer der größten Bran-
chen in Deutschland – arbeitet über 1 Million Menschen.
Die Mehrheit der Beschäftigten sind Frauen. Mehr als
die Hälfte arbeitet in Teilzeit. Ein Drittel der Beschäftig-
ten ist heute bereits über 50 Jahre alt. Die Frage ist:
Kommen Jüngere nach und, wenn ja, unter welchen Be-
dingungen? Von den unter 25-Jährigen waren 2005 noch
95 Prozent und 2013 noch 85 Prozent befristet beschäf-
tigt. Von den neu eingestellten Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmern werden drei Viertel mit einem befristeten
Arbeitsvertrag abgespeist. Auch hier haben die Jüngeren
das Nachsehen. Wie sollen diese Menschen eine Zukunft
planen oder sich für eine Familie entscheiden? Das ist
die aktuelle Situation für die meisten Beschäftigten in
den Sozial- und Erziehungsberufen. Es gibt wirklich
nichts zu beschönigen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Zum Glück kommt da gerade Bewegung in die Sache.
Eine Möglichkeit zur Verbesserung der Situation in den
Berufen der Sozial- und Erziehungsdienste bieten die
laufenden Tarifverhandlungen in der Branche. Die Be-
schäftigten in diesen Bereichen streiken gerade für eine
deutliche Aufwertung ihrer Arbeit. Es geht ihnen dabei
nicht nur um mehr Geld. Es geht ihnen vor allem um die
längst überfällige Anerkennung ihres Berufsbildes.
Diese Aufwertung ist auch dringend nötig; denn nur
verbesserte Arbeitsbedingungen können die Grundlage
für qualitativ hochwertige soziale Pflegedienste und gute
Kinderbetreuung sein.

Letzten Freitag kam es erneut zu Warnstreiks, wie
übrigens auch heute in Berlin. In meinem Bundesland





Jutta Krellmann


(A) (C)



(D)(B)

Niedersachsen haben sich 40 000 Beschäftigte an diesen
Warnstreiks beteiligt. Das finde ich richtig klasse.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch in meinem Wahlkreis wurde gestreikt. Auf die
Frage, warum er streike, sagte ein junger Sozialassistent
meiner Lokalzeitung – ich zitiere –: Weil es eigentlich
nicht sein kann, dass Menschen, die Autos bauen, mehr
Anerkennung haben als Menschen, die mit Kindern ar-
beiten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich finde, dieser junge Mann hat absolut recht. Ich er-
warte, dass den Beschäftigten im Sozial- und Erzie-
hungsbereich gleiche finanzielle und gesellschaftliche
Anerkennung widerfährt wie den Facharbeitern aus dem
Bereich der Industrie.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die Erwartung der Gesellschaft und die Anforderun-
gen an die Beschäftigten steigen kontinuierlich. Das
steht in keinem Verhältnis zum Verdienst und auch in
keinem Verhältnis zu den belastenden Arbeitsbedingun-
gen. Ja, selbstverständlich geht mit einer steigenden
Wertschätzung des Berufsbildes auch ein steigendes Ge-
halt einher. Eine weitere Möglichkeit zur Verbesserung
und zur Aufwertung dieser Branche sind die politischen
Rahmenbedingungen, die hier im Parlament geschaffen
werden. Zur Steigerung der Qualität der Arbeit müssen
wir über die chronische Unterbesetzung in dieser Bran-
che reden. Fast drei Viertel der Fachkräfte leiden unter
dem übermäßigen beruflichen Stress. Wir sprechen hier
von Arbeit an der Grenze der Leistungsfähigkeit. Genau
deswegen brauchen wir eine Anti-Stress-Verordnung, in
deren Konzept die psychischen Belastungen einbezogen
werden. Das ist ein klarer Auftrag an die Bundesregie-
rung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der Gesetzgeber muss aber auch die Rahmenbedingun-
gen für gute Arbeit insgesamt stärken. Ich sage zum wie-
derholten Male – auch wenn es Ihnen zu den Ohren he-
rauskommt –: Die sachgrundlosen Befristungen gehören
abgeschafft. Basta!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsberufen
sind definitiv mehr wert; denn sie leisten eine wertvolle
Arbeit.

Die Linke findet, dass gut funktionierende öffentliche
und soziale Dienstleistungen ein wesentlicher Bestand-
teil für eine solidarische Gesellschaft sind. Deswegen
haben die Kolleginnen und Kollegen aus den Sozial- und
Erziehungsdiensten unseren Respekt und unsere volle
Unterstützung in ihrem Tarifkampf.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809714500

Das Wort hat die Kollegin Christel Voßbeck-Kayser

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1809714600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe jetzt“ –
was für ein Zufall, dass Sie, die Kollegen von der
Linken, diesen Antrag jetzt im Kontext der aktuellen
Tarifverhandlungen einbringen.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Das ist gar kein Zufall! Das ist Absicht! – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hat doch gerade darüber geredet!)


Ein Schelm, der Böses dabei denkt. Ich möchte daher
festhalten: Lohnverhandlungen gehören in die Hände der
Tarifpartner und nicht in die Hände der Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir haben in Deutschland eine gut funktionierende Ta-
rifpartnerschaft, und ich bin mir sicher, dass die Ver-
handlungspartner in den laufenden Verhandlungen eine
gute und faire Lösung für alle Beteiligten finden werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist nicht von der
Hand zu weisen: Die Aufgaben in den Sozial- und Erzie-
hungsberufen sind vielfältig. Ob beraten, erziehen, be-
treuen, pflegen, fördern und auch helfen – es sind alles
wichtige Hilfestellungen. Hierfür brauchen wir gut aus-
gebildetes und motiviertes Personal. Aber wie erreichen
wir dies? Hierzu sind mehrere Bausteine notwendig. Ne-
ben einer guten Bezahlung sind es auch gute Rahmen-
und Arbeitsbedingungen. Fakt ist: Daran arbeitet die
CDU/CSU-geführte Bundesregierung seit vielen Jahren.
Ich möchte Beispiele nennen.

Seit Oktober 2008 gibt es das Aktionsprogramm Kin-
dertagespflege. Es trägt dazu bei, mehr Personal für die
Tagespflege zu gewinnen, die Qualität der Betreuung zu
steigern und das Berufsbild insgesamt aufzuwerten. Ne-
ben der Schaffung eines niederschwellig angelegten Be-
ratungsangebotes, das übrigens auch online abzurufen
ist, gehört dazu seit Juni 2012 auch die Förderung von
Festanstellungen des Kindertagespflegepersonals durch
Lohnkostenzuschüsse zur Weiterentwicklung dieses
Aktionsprogramms.

Wir finden auch Beispiele im Bereich der Pflege. Hier
haben wir schon 2008 durch das Pflege-Weiterentwick-
lungsgesetz Rahmenbedingungen angepasst, was zu ei-
ner Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Arbeit-
nehmerinnen und Arbeitnehmern geführt hat. Aktuell
wird die Pflege entbürokratisiert. Speziell wollen wir die





Christel Voßbeck-Kayser


(A) (C)



(D)(B)

Reduzierung der Pflegedokumentation auf ein notwendi-
ges Maß.

Ein weiteres Beispiel aus dem Bereich Pflege: Noch
im Dezember letzten Jahres haben wir das Pflegestär-
kungsgesetz verabschiedet. Im Bereich der Demenz-
kranken in stationären Einrichtungen wurde damit der
Betreuungsschlüssel herabgesetzt, was ebenfalls zu einer
Entlastung des Personals führt.


(Beifall des Abg. Erich Irlstorfer [CDU/CSU])


Ganz aktuell haben wir am Montag dieser Sitzungswo-
che die Vergütung von Pflegekräften in einer öffentli-
chen Anhörung des Petitionsausschusses zum Thema ge-
macht. Der Bundesminister Gröhe war persönlich zu
Gast. Dies macht deutlich, wie ernst wir innerhalb der
CDU/CSU-Fraktion dieses Thema nehmen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was hat er gesagt?)


– Der Bundesgesundheitsminister hat gesagt, dass er
diesbezüglich in den direkten Dialog mit den Kranken-
kassen und Leistungserbringern treten will, um eine an-
gemessene Bezahlung in der Pflege zu ermöglichen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer prüft, ob es nicht nur eine Behauptung ist?)


– Das ist Tatsache.

Nicht zu vergessen: Mit der Einführung des Mindest-
lohns auch im Pflegebereich ist ein wichtiger Schritt hin
zu mehr Lohngleichheit in einem von Frauen häufig ge-
wählten Berufsfeld geschaffen worden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Beate MüllerGemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Es gibt keinen Pflegemindestlohn!)


All das zeigt: Wir kümmern uns. Wir erarbeiten Lö-
sungen. Wir haben konstruktive Lösungsvorschläge und
setzen diese auch um.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809714700

Kollegin Voßbeck-Kayser, gestatten Sie eine Frage

oder Bemerkung der Kollegin Krellmann?


Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1809714800

Nein, ich möchte meine Rede fortsetzen. Ich habe Ih-

nen auch zugehört, Frau Krellmann.

Unser Ansinnen ist nicht, Kollegen der Fraktion Die
Linke, Berufsgruppen gegeneinander auszuspielen. Die
Arbeit in der Pflege und in den vielen Sozial- und Erzie-
hungsberufen verdient ebenso Anerkennung und Wert-
schätzung wie die Arbeitsleistung in jeder anderen Bran-
che.

Gerne nenne ich Ihnen ein weiteres Beispiel, an dem
Sie sehen können, dass wir konstruktiv und lösungsori-
entiert arbeiten. Um die Attraktivität der Ausbildung in
den Pflegeberufen zu steigern, wollen wir die Ausbil-
dung in den Bereichen Kranken- und Altenpflege
zusammenfassen. Hierdurch werden die beruflichen
Einsatz- und Entwicklungsmöglichkeiten über den ge-
samten Zeitraum des Erwerbslebens verbessert und ver-
größert, und auch die individuelle Berufszufriedenheit
wird gestärkt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, warum erwähne ich
das? Soziale Arbeit, Pflege, Erziehungs- und Betreu-
ungsarbeit beruhen immer auf Beziehungsarbeit. Des-
halb ist es richtig und wichtig, sich neben einer guten
Bezahlung auch um die Verbesserung von Strukturen zu
kümmern. Verbesserte Strukturen schaffen nämlich ver-
besserte Arbeitsbedingungen, verbesserte Arbeitsbedin-
gungen führen zu mehr Zufriedenheit, und mehr Zufrie-
denheit bedingt psychisches Wohlbefinden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dies haben mich 30 Berufsjahre in psychiatrischen Bera-
tungs- und Betreuungsdiensten gelehrt.

Was Ihre Forderung nach Wertschätzung angeht:
Wertschätzung erfährt man neben einer angemessenen
Entlohnung und guten Arbeitsbedingungen auch – das
sei mir an dieser Stelle gestattet zu erwähnen – durch ein
Dankeschön, einen Händedruck, ein Lächeln eines Kin-
des oder einer zu pflegenden Person. Diese besondere
Wertschätzung ist mit keinem Geld der Welt zu bezah-
len.


(Maria Klein-Schmeink [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gottes Lohn!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Die
Linke, als Letztes möchte ich auf Ihre Forderung nach
einem Kitaqualitätsgesetz eingehen. Sie wissen schon,
dass dieses Thema bereits in Arbeit ist?


(Zuruf von der LINKEN: Nee!)


Auf der Konferenz zur frühen Bildung im November
letzten Jahres hat sich die Bundesfamilienministerin mit
den Fachministern der Länder auf einen Prozess zur Ent-
wicklung gemeinsamer Qualitätsziele für die Kinderta-
gesbetreuung geeinigt. Ferner wurde in diesem Zusam-
menhang auch eine Arbeitsgruppe mit Vertreterinnen
und Vertretern des Bundes, der Länder und der kommu-
nalen Spitzenverbände eingesetzt, die sowohl konkrete
Handlungsziele zur Weiterentwicklung der Qualität in
der Kindertagesbetreuung als auch Vorschläge zur Fi-
nanzierung erarbeitet. Warten wir doch erst einmal die
Ergebnisse der Praktiker ab, statt nach einem bundesein-
heitlichen Kitaqualitätsgesetz zu rufen. Ob ein solches
Gesetz aufgrund der regionalen Unterschiede und somit
auch der regionalen Anforderungen der richtige Weg ist,
wage ich zu bezweifeln.

Ich kann zusammenfassend nur sagen: Dieser Antrag
gehört in Zeiten von Tarifverhandlungen in die Katego-
rie „Aktionismus, Populismus, Effekthascherei“. An-
sonsten gibt es nichts Neues und Konkretes. Somit leh-
nen wir Ihren Antrag ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809714900

Zu einer Kurzintervention hat die Kollegin Krellmann

das Wort.






(A) (C)



(B)


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809715000

Frau Voßbeck-Kayser, ich glaube es gar nicht, wie Sie

am Schluss die Keule herausgeholt und draufgehauen
haben, wo Sie nur können. Ich finde, ich habe einen sehr
konkreten Vorschlag gemacht. Sie haben überhaupt
nichts dazu gesagt, was die Bundesregierung machen
könnte. Es geht hier nicht um die Bundesländer, nicht
um die zehntausend komplizierten Sachen, die Sie ge-
nannt haben. Der einfachste Vorschlag wäre, die befris-
teten Beschäftigungsverhältnisse abzuschaffen. Ihre
Bundesregierung hat uns gesagt, dass 85 Prozent der
Menschen in diesem Bereich befristet beschäftigt sind.
Was ist das für eine Wertschätzung?

Bei qualifizierten Berufen rede ich auch nicht über
den Mindestlohn. Das kommt überhaupt nicht infrage.
Arbeit muss mehr wert sein.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese hochqualifizierte Arbeit muss entsprechend gut
entlohnt werden und nicht mit einem Mindestlohn. Das
geht gar nicht. Überlegen Sie sich doch einmal, wie
lange Sie bei 8,50 Euro arbeiten müssen, damit Sie auch
etwas verdienen? Aufwertung sieht anders aus. Was jetzt
in der Tarifrunde passiert, finde ich richtig super, und es
ist ein gutes Zeichen, dass wir im Bundestag über dieses
wichtige Thema reden, das die Menschen draußen be-
wegt, und zwar nicht nur 500, sondern 5 000, 10 000,
50 000.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809715100

Wünschen Sie das Wort zur Erwiderung? – Bitte.


Christel Voßbeck-Kayser (CDU):
Rede ID: ID1809715200

Frau Krellmann, wenn Sie schon den Mindestlohn er-

wähnen, dann bleiben Sie nicht immer bei 8,50 Euro ste-
hen.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Sie haben das erwähnt!)


– Ja, ich habe über den Mindestlohn gesprochen.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Mindestlohn ist 8,50 Euro!)


Aber Sie wissen sicher wie auch ich, dass die Entloh-
nung im Bereich der Pflege über 8,50 Euro liegt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809715300

Bevor wir die Debatte fortsetzen, gebe ich Ihnen das

von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte
Ergebnis der namentlichen Abstimmung bekannt: ab-
gegebene Stimmen 578. Mit Ja haben 454 Kolleginnen
und Kollegen gestimmt, mit Nein 115, und 9 Kollegin-
nen und Kollegen haben sich enthalten.

(D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 577;
davon

ja: 453
nein: 115
enthalten: 9

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsruhe Land)

Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Dr. Ursula von der Leyen
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Helga Kühn-Mengel
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

SPD

Klaus Barthel
Dr. Ute Finckh-Krämer
Cansel Kiziltepe
Christian Petry
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)


DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Friedrich Ostendorff
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer

Enthalten

SPD

Marco Bülow
Petra Hinz (Essen)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Anja Hajduk
Dieter Janecek
Tom Koenigs
Omid Nouripour
Cem Özdemir
Manuel Sarrazin
Dr. Valerie Wilms
Wir setzen nun die Debatte zum Thema „Aufwertung
der Sozial- und Erziehungsberufe“ fort. Das Wort hat die
Kollegin Beate Müller-Gemmeke für die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Ja, der Antrag kommt auch wegen
der Kampagne zu den Sozial- und Erziehungsberufen.
Die Kampagne heißt: „Richtig gut – Aufwerten jetzt!“
Sie ist richtig und wichtig. Auch ich habe sie namentlich
aus vollem Herzen unterstützt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])


Die Beschäftigten im Sozialbereich engagieren sich für
die Menschen und für die Gesellschaft. Deshalb haben





Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)

sie Anerkennung, Wertschätzung und auch eine gute
Entlohnung verdient. Es geht immerhin um den Wert
von Arbeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Vier Aspekte des Antrags möchte ich kurz anspre-
chen:

Erstens. Auch wir Grünen fordern eine Qualitäts-
offensive in den Kitas. Da geht es insbesondere um ei-
nen besseren Personalschlüssel. Für die Kinder bedeutet
mehr Qualität bessere Lebens- und Bildungsperspekti-
ven, für die Eltern geht es um bessere Vereinbarkeit von
Familie und Beruf, und für die Beschäftigten entstehen
so bessere Arbeitsbedingungen. Die Bundesregierung
macht sich aber bei der Qualität einen schlanken Fuß,
und das ist nicht akzeptabel.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Zweitens. Es geht natürlich nicht nur um die Beschäf-
tigten in den Kitas, sondern auch um offene Jugendar-
beit, Schulsozialarbeit, Eingliederungshilfe und vielfäl-
tige andere Sozialdienste. Ich bin mir nicht sicher, ob
Leiharbeit und Werkverträge in diesen Bereichen tat-
sächlich eine so große Rolle spielen. Dennoch warten
auch wir auf die angekündigten Reformen und fordern
Equal Pay ab dem ersten Tag in der Leiharbeit. Vor allem
fordern wir eine klare Ansage gegen den Missbrauch
von Werkverträgen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD] und Harald Weinberg [DIE LINKE])


Das Thema Befristung hingegen ist viel wichtiger;
das wurde schon angesprochen. Die Fakten sind be-
kannt. Bei Befristungen sind die Löhne niedriger, und
zwar im Schnitt um 18 Prozent. Es fehlen Aufstiegs- und
Weiterbildungsmöglichkeiten. Betroffen sind insbeson-
dere junge Menschen. Familien- und Lebensplanung
sind Worte, die junge Menschen nur noch als Fremdwör-
ter kennen. Vor dem Hintergrund, dass die Bundesagen-
tur für Arbeit davon ausgeht, dass im Jahr 2016 21 000
Erzieherinnen und Erzieher fehlen werden, sind Befris-
tungen fatal. Deshalb fordern auch wir die Abschaffung
der sachgrundlosen Befristung; denn Brüche im Er-
werbsleben sind nicht gut und erst recht nicht ermuti-
gend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Matthias Bartke [SPD])


Drittens. Richtig ist auch die Forderung nach einer
Anti-Stress-Verordnung; denn bei diesem Thema geht es
immerhin um die Gesundheit gerade der Beschäftigten
im sozialen Bereich. Immerhin sind sie es, die Kindern,
Jugendlichen und Erwachsenen zur Seite stehen, zum
Beispiel bei Problemen in der Pubertät oder in der
Schule, bei Krankheit, Pflege oder Behinderung. Sie un-
terstützen und helfen in allen Lebenslagen. Sie sind
emotional gefordert und wollen auch emotional, also mit
Gefühl und Verständnis, ihre Arbeit machen. Da entsteht
durch Arbeitsverdichtung, durch zu wenig Zeit zwangs-
läufig Stress, und zwar teilweise über die Belastungs-
grenze hinaus. Deshalb müssen die Arbeitgeber sensibi-
lisiert werden. Sie müssen wissen, wann und wie Stress
entsteht, und vor allem, wie er vermieden werden kann.
Die Belastungsgrenzen der Beschäftigten gerade im so-
zialen Bereich müssen endlich im Mittelpunkt stehen.
Schöne Worte sind einfach zu wenig. Handeln ist ange-
sagt. Nehmen Sie von der CDU/CSU das endlich zur
Kenntnis!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Viertens. Wenn es um die sozialen Berufe geht, dann
geht es auch um den Wert von Arbeit. Damit bin ich zum
Schluss beim Thema Entgeltgleichheit. Dieser Aspekt
fehlt leider im Antrag.


(Zuruf von der LINKEN: Das können wir aufnehmen!)


– Gut. – Auf der Homepage Karrierebibel werden bei-
spielsweise die Bereiche Chemie, Fahrzeugbau und Me-
tall als „Top-Branchen“ bezeichnet, der Bereich „Ge-
sundheit und soziale Dienste“ hingegen als „Flop-
Branche“. Der Grund ist natürlich bekannt: Im Jahr 2014
lagen die Einstiegsgehälter im Bereich Naturwissen-
schaften bei über 46 000 Euro, bei den Erziehungswis-
senschaften gerade einmal bei 32 000 Euro. Die schlecht
bezahlten Berufe sind eindeutig noch immer Frauensa-
che. Das ist nicht fair und schon gar nicht gerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Es geht also nicht allein darum, dass Arbeit gleich be-
zahlt wird, sondern es geht auch um gleichen Lohn für
gleichwertige Arbeit. Nur so steigt der Wert von Arbeit
und in der Folge auch der Lohn von Frauen, und zwar
gerade in den Sozial- und Erziehungsberufen. Hier ist
die Politik in der Verantwortung, aber Transparenz al-
lein, liebe SPD, ist einfach zu wenig.


(Daniela Kolbe [SPD]: Das ist ein wichtiger Schritt!)


Es gibt noch viel zu tun. Packen Sie es endlich an!
Notwendig ist gute, sichere und gesunde Arbeit, gerade
für die Beschäftigten in den Sozial- und Erziehungsberu-
fen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809715400

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt die

Kollegin Gabriele Hiller-Ohm.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Hiller-Ohm (SPD):
Rede ID: ID1809715500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Ich wette, dass sich fast alle
hier im Saal noch an den Namen ihrer Grundschullehre-





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)

rin erinnern werden. Meine hieß Fräulein Peters – da-
mals sagte man das noch so.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kann mich sogar an den Namen meines Grundschullehrers erinnern!)


Sie hat bis heute einen bleibenden Eindruck bei mir hin-
terlassen. Aber kennen Sie auch noch den Namen Ihres
ersten Finanzberaters? Ich jedenfalls habe ihn vergessen,
obwohl seine Dienstleistung deutlich höher bewertet und
auch bezahlt wird als die Arbeit der Grundschullehrerin.
Er muss nicht studieren und hat dann doch etwa
1 000 Euro mehr in der Tasche als mein damaliges Fräu-
lein Peters.

Schon an diesem kleinen Beispiel erkennen Sie die
mangelnde Wertschätzung der Sozial- und Erziehungs-
berufe, in denen weit über 80 Prozent Frauen arbeiten.
Das lässt doch nur einen Schluss zu: So etwas ist unge-
recht und frauenfeindlich und gehört endlich abge-
schafft.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in unserem Koalitionsvertrag mit CDU/CSU
deshalb festgeschrieben, dass wir gemeinsam mit den
Tarifpartnern die Sozial- und Erziehungsberufe endlich
aufwerten wollen.

Nun liegt uns heute ein Antrag der Linksfraktion zu
diesem Thema vor. Liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linken, Sie beschreiben die Ungerechtigkeit in unserer
Gesellschaft in Ihrem Antrag treffend. Wenn ich mir
aber Ihre Forderungen anschaue, kommen mir Zweifel,
ob Sie es tatsächlich ernst meinen oder uns wieder ein-
mal nur einen Showantrag vorgelegt haben.


(Beifall bei der SPD)


Ihre erste Forderung lautet nämlich: „‚Gleicher Lohn
für gleiche Arbeit‘ ab dem ersten Einsatztag ohne Aus-
nahme bei der Leiharbeit.“


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Wie in Frankreich! Da gibt es das schon! Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit dieser Forderung erreichen Sie mit Sicherheit keine grundsätzliche Aufwertung der Sozialund Erziehungsberufe. (Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Den Antrag haben wir schon vor der Anfrage gestellt!)


Denn von den rund 1,2 Millionen Beschäftigten sind ge-
rade einmal 0,3 Prozent in Leiharbeit; ich wiederhole:
0,3 Prozent. Diese Forderung nützt den Beschäftigten
also überhaupt nichts.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber allen anderen schon!)


Die oberste Forderung muss doch lauten: Gebt den
Altenpflegerinnen, den Erzieherinnen, den Kinderpfle-
gerinnen, den Heilerzieherinnen, den Sozialarbeiterin-
nen und den Sozialpädagoginnen endlich mehr Geld!
Speist sie nicht länger mit miesen Löhnen für harte und
verantwortungsvolle Arbeit ab! Und denkt bitte auch an
meine Grundschullehrerin!


(Beifall bei der SPD)


Nur über eine gerechte Bezahlung werten wir die Be-
rufe auf und machen sie auch für Männer attraktiv. Also,
Gewerkschaften: Tut etwas für die Frauen und boxt ge-
rechte Löhne durch!


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wünschen Verdi und der GEW bei ihren laufenden
Tarifverhandlungen viel Erfolg.

In meiner Heimatstadt Lübeck setzt sich übrigens die
SPD auf kommunaler Ebene für eine gerechte Bezah-
lung der Sozial- und Erziehungsberufe ein; das ist prima.
Ich hoffe, dass viele Städte und Gemeinden und auch die
kirchlichen Einrichtungen zu dem gleichen Schluss
kommen und fairen Tariferhöhungen zustimmen werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, aber nicht wir hier
im Bundestag haben das Heft des Handelns in der Hand.
Die Länder und Kommunen sind es. Sie sind die Arbeit-
geber, und sie müssen mehr Geld rausrücken. Eigentlich
müsste das auch klappen. Von Bundesseite aus haben
wir nämlich eine enorme Entlastung der Länder und
Kommunen auf den Weg gebracht. Nach der Grund-
sicherung im Alter hat der Bund zum 1. Januar auch die
Finanzierung des BAföG komplett übernommen. Letzte
Woche hat das Kabinett ein weiteres massives Entlas-
tungs- und Investitionspaket vor allem für finanzschwa-
che Kommunen in Höhe von 5 Milliarden Euro be-
schlossen. Wenn wir alles zusammenrechnen, kommen
wir bis 2018 auf über 25 Milliarden Euro, die der Bund
an die Kommunen weiterreicht. Das ist das größte Ent-
lastungspaket für Kommunen seit Jahrzehnten.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Richtig!)


Wir werden die Städte und Gemeinden auch zukünftig,
zum Beispiel bei steigenden Flüchtlingszahlen, nicht im
Regen stehen lassen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Natürlich kämpfen wir als SPD auch weiterhin für
gute Arbeit und bessere Arbeitsbedingungen.


(Matthäus Strebl [CDU/CSU]: Wir auch!)


Im Koalitionsvertrag haben wir eine Menge verankern
können, was uns wichtig ist. Darunter sind auch viele der
im Antrag der Linken angesprochenen Themen. Den
Mindestlohn haben wir bereits umgesetzt. Bravo! Den
Missbrauch bei Leiharbeit und Werkverträgen werden
wir bekämpfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Noch in diesem Jahr wird dazu eine Gesetzesinitiative
kommen. Außerdem werden wir gegen unfreiwillige
Teilzeit vorgehen und ein Rückkehrrecht von Teilzeit in
Vollzeit bzw. zur alten Arbeitszeit einführen. Auch den
Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz werden wir verbes-
sern. Unser Leitbild ist ein ganzheitlicher, physische und





Gabriele Hiller-Ohm


(A) (C)



(D)(B)

psychische Belastungen umfassender Arbeitsschutz.
Dazu gehört auch die neue Arbeitsstättenverordnung, an
der wir arbeiten.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Schon wieder! Die war doch gut!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen der Linken, eines ist
klar: Mit Ihren Forderungen in Ihrem Antrag tragen Sie
nicht zur Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe
bei, und auch mein Fräulein Peters lassen Sie im Regen
stehen. Es ist wie immer: Sie machen große Worte und
Versprechungen, wir hingegen handeln und verbessern
das Leben der Menschen Stück für Stück. Das ist der
Unterschied.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809715600

Vielen Dank. – Es spricht jetzt der Kollege Matthäus

Strebl für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthäus Strebl (CSU):
Rede ID: ID1809715700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir beraten den Antrag der Fraktion Die
Linke „Aufwertung der Sozial- und Erziehungsberufe
jetzt“. Die Antragsteller greifen damit eine vor allem
durch die Medien weitverbreitete Stimmung auf,


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Das ist eine Kampagne!)


nach der Sozial- und Erziehungsberufe nicht ihrer Be-
deutung entsprechend entlohnt werden. Um es vorweg
zu sagen: Wenn der Antrag in erster Linie höhere Ent-
gelte für die Beschäftigten in den genannten Berufen
zum Ziel haben sollte, wäre der Deutsche Bundestag der
falsche Ort, um das zu diskutieren.

Lassen Sie mich zu Beginn folgende Feststellung tref-
fen: Deutschland ist ein Sozialstaat wie kaum ein ande-
res Land. Dennoch gibt es natürlich Probleme, um die
wir uns als Legislative kümmern müssen. In dem vorlie-
genden Antrag werden bessere Bezahlung, höhere Ein-
gruppierung und zeitgemäße Tätigkeitsmerkmale gefor-
dert. Sicherlich hätten vor allem die betroffenen
Personen gegen die Umsetzung nichts einzuwenden. Die
Beschäftigten, um die es geht, arbeiten in Einrichtungen
der Kinder- und Jugendhilfe, der Familienhilfe, der früh-
kindlichen Betreuung und in anderen sozialen Berufen.
Rund 722 000 Menschen sind heute in den Sozial- und
Erziehungsdiensten beschäftigt, und der Bedarf wird
auch in den nächsten Jahren weiter ansteigen.

Einige weitere Zahlen möchte ich nennen, um die Di-
mensionen deutlich zu machen: 527 000 Menschen ar-
beiten in Kindertagesstätten, davon 180 000 in Einrich-
tungen öffentlicher Träger. Fast 355 000 von ihnen sind
Erzieherinnen, die ihre Aufgaben unter teils schwierigen
Bedingungen erfüllen. Allein hier gab es laut Statisti-
schem Bundesamt seit 2008 einen Anstieg von 29 Pro-
zent. Nicht immer im Blickfeld stehen die 37 000 Be-
schäftigten in der außerschulischen Jugendarbeit und die
65 000 im Heimbereich.

Angesichts der demografischen Entwicklung dürfte
der Personalaufwuchs hier erst am Anfang stehen.
Träger der Einrichtungen sind in der weitaus größten
Zahl Kommunen und kirchliche Einrichtungen. Sie
müssten die Kosten, die durch eine Umsetzung des An-
trags entstehen würden, tragen. Das aber können sich an-
gesichts der ohnehin angespannten Kassenlage viele
nicht leisten. Der Bund scheidet als Finanzier aus, und
die Zusatzkosten auf die Eltern abzuwälzen, wäre höchst
unsozial.

Ungeachtet der zunehmenden Bedeutung der Sozial-
und Erziehungsberufe und ihrer noch mangelnden ge-
sellschaftlichen Anerkennung ist es nach meiner festen
Überzeugung die Angelegenheit der Tarifpartner, für
eine angemessene Bezahlung zu sorgen. Die Fraktion
Die Linke entpuppt sich mit ihrem Antrag in gewisser
Weise als „Trittbrettfahrer“ bei den laufenden Tarifver-
handlungen.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Niemals!)


Im konkreten Fall mag das zulässig sein; denn bei den
Tarifgesprächen geht es um eine deutliche Aufwertung
der in den Sozial- und Erziehungsberufen geleisteten Ar-
beit. Aber wie gewohnt enthält auch dieser Antrag die
bekannten Forderungen nach neuen Gesetzen und Ver-
ordnungen.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nach weniger Gesetzen! Wir wollen die sachgrundlose Befristung doch abschaffen!)


Werte Kolleginnen und Kollegen, ich möchte einen
Blick zurück in die Geschichte des Parlaments werfen,
weil das zu dieser Debatte passt. Ich habe nachgelesen:
Der frühere Bundesratspräsident Kai-Uwe von Hassel
– ja, so weit gehe ich zurück – hat 1955 seine Forderung
nach Entbürokratisierung damit begründet, dass im Jahr
zuvor 240 Gesetzentwürfe eingegangen waren.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das soll gestrichen werden!)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, eine solche
Zahl schafft die Fraktion Die Linke heute spielend al-
lein.


(Norbert Müller [Potsdam] [DIE LINKE]: Und das bei 64 Abgeordneten!)


Der Antrag spiegelt erneut das Denken wider, dass der
Staat alles regeln müsse.

Ich bleibe bei meiner Überzeugung, dass die Aufwer-
tung der Sozial- und Erziehungsdienste eine Angelegen-
heit der Tarifpartner ist.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Aber die haben noch nichts gegen Befristungen gemacht! Nichts!)


Bei den derzeitigen Verhandlungen geht es um eine An-
hebung um durchschnittlich 10 Prozent. Das wird insbe-





Matthäus Strebl


(A) (C)



(D)(B)

sondere durch die öffentlichen Träger nicht finanzierbar
sein. Aber das ist eine Angelegenheit – darauf möchte
ich zum Schluss noch einmal hinweisen –, die die Tarif-
partner unter sich ausmachen müssen und die nicht in
den Deutschen Bundestag gehört. Das muss und wird so
bleiben. Deswegen lehnen wir diesen Antrag ab.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809715800

Vielen Dank. – Letzter Redner zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist der Kollege Dr. Matthias Bartke, SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1809715900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Bei Er-

ziehungsberufen fällt den allermeisten von uns zuerst die
eigene Kindergärtnerin ein oder, wie bei Frau Hiller-
Ohm, die erste Lehrerin, Fräulein Peters – sehr schön.
Bezeichnend ist, dass die meisten von uns dabei eine
Frau vor Augen haben. Sozial- und Erziehungsberufe
werden ganz überwiegend von Frauen ausgeübt. Dafür
gibt es verschiedene Gründe. Und ehrlich: Die wenigs-
ten davon haben ihre Berechtigung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Fakt ist aber: In Sozial- und Erziehungsberufen wird
wertvolle Arbeit geleistet. Es geht uns allen besser, weil
es diese Berufe gibt. Wir profitieren in den verschiedens-
ten Lebensphasen von ihnen. Das können kurze und
lange Phasen sein, zu Beginn, mittendrin oder am Ende
unseres Lebens; manche sind vielleicht sogar ein Leben
lang auf Hilfe angewiesen. Wenn wir uns diese Bedeu-
tung vor Augen führen, wird schnell klar: Es kommt
nicht darauf an, ob Mann oder Frau. Viel wichtiger sind
gute Arbeitsbedingungen in diesen Jobs.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Nur gute Arbeitsbedingungen erlauben auch eine
hohe Qualität. Wie gut kann ich meinen Job machen,
wenn ich allein für zu viele Kinder verantwortlich bin?
Wenn ich eine zweite Stelle annehmen muss, weil das
Geld am Ende des Monats nicht reicht? Wenn ich immer
wieder neu beginne, weil ich keinen unbefristeten Ver-
trag bekomme? Gute Arbeitsbedingungen in Sozial- und
Erziehungsberufen liegen in Wahrheit in unser aller Inte-
resse, damit wir bestmöglich davon profitieren können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Gute Arbeitsbedingungen sind wir den vielen Frauen
und den wenigen Männern in diesen Berufen auch schul-
dig, weil sie tagtäglich einen wertvollen Beitrag leisten.
Leider sind die Arbeitsverhältnisse in der Erziehungs-
und Sozialarbeit oft nicht gut. Viele Erzieherinnen arbei-
ten in Teilzeit, und das meist unfreiwillig. Frau
Krellmann, ich stimme Ihnen ausdrücklich zu


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


in diesem Bereich: Wäre Erzieher wirklich ein Männer-
beruf, die Arbeitsbedingungen und die Löhne wären
bestimmt viel besser.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Dann müssen Sie eine Männerquote anheben!)


Meine Damen und Herren von der Linken, Sie sehen:
Sympathie für Ihren Antrag ist durchaus vorhanden.
Wenn Sie aber gleich als Erstes eine Veränderung im
Bereich der Leiharbeit und der Werkverträge fordern, so
hat mich das dann doch einigermaßen irritiert. Ich sage
Ihnen etwas: Die Sozial- und Erziehungsberufe haben
wirklich viele Probleme; dass dort zu viele Leih- und
Werkvertragsarbeitnehmer eingesetzt würden, ist aber
gerade nicht das Problem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Pia Zimmermann [DIE LINKE]: Für Sie nicht!)


Aber sei’s drum: Im Koalitionsvertrag hat sich die
GroKo ganz grundsätzlich darauf geeinigt, dass wir den
Missbrauch von Leiharbeit und Werkverträgen verhin-
dern wollen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mal los!)


Das ist auch richtig und wichtig. Die Vergangenheit hat
gezeigt, dass die bestehenden Regelungen nicht ausrei-
chen. Leiharbeit wird immer wieder missbraucht, um
Arbeitskosten zu senken oder Mitbestimmungsrechte zu
umgehen. Wir werden daher einen besseren gesetzlichen
Schutz für die Leiharbeitnehmer durchsetzen. Wir haben
deswegen im Koalitionsvertrag vereinbart: Spätestens
nach neun Monaten müssen Leiharbeitnehmer wie das
Stammpersonal bezahlt werden. Und: Leiharbeit soll vor
allem wieder auf das beschränkt werden, wofür sie ge-
dacht war: Auftragsspitzen zu bewältigen.


(Beifall der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809716000

Herr Kollege Bartke, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Krellmann?


Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1809716100

Ja, gerne.


Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809716200

Zu dem Thema „Leiharbeit und Werkverträge“: Der

Antrag wurde geschrieben, als wir noch nicht die Ant-
wort der Bundesregierung hatten, wie das an dieser
Stelle aussieht. Auch weil wir einer Verlängerung der
Zeit für die Beantwortung durch das Ministerium zuge-
stimmt haben, haben wir natürlich erst jetzt erfahren,
dass Leiharbeit und Werkverträge hier nicht das Ausmaß





Jutta Krellmann


(A) (C)



(D)(B)

haben, wie wir ursprünglich angenommen haben.
Akzeptieren Sie in diesem Zusammenhang, dass das der
Teil unseres Antrages ist, der am wenigsten wichtig ist?


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Matthias Bartke (SPD):
Rede ID: ID1809716300

Ich akzeptiere das, selbstverständlich. Aber das ist

natürlich die erste Forderung, die Sie stellen; gestatten
Sie mir, dass ich dann auch auf diese Forderung eingehe.
Im Grundsatz ist die Forderung, Werkverträge und Leih-
arbeit vernünftig zu regulieren, natürlich richtig. Dass es
im Bereich der Sozial- und Erziehungsberufe nun gerade
nicht so ist, das nehme ich gerne zur Kenntnis.

Ich möchte fortfahren: Die Höchstüberlassungsdauer
wird 18 Monate betragen. Leiharbeitnehmer sollen künf-
tig auch nicht mehr als Streikbrecher eingesetzt werden
können. Bei den Schwellenwerten des Betriebsverfas-
sungsgesetzes sollen sie aber mitgezählt werden. Auf
diese Weise werden wir ihre Rechte deutlich stärken.

Im Bereich der Leiharbeit – nicht bei den Sozial- und
Erziehungsberufen – hat es am Ende der vergangenen
Legislaturperiode schon einen tariflichen Mindestlohn
gegeben. Dies führte in der Vergangenheit zu einem im-
mer stärkeren Ausweichen auf die Rechtskonstruktion
Werkvertragsarbeitnehmer. Diese Konstruktion wird
jetzt verschärft genutzt, um den Mindestlohn zu umge-
hen. Die Beschäftigten bleiben unterbezahlt und ohne
soziale Absicherung zurück. Unternehmen gelingt es
viel zu häufig, die Arbeitsumstände so zu gestalten, dass
der Missbrauch nur schwer feststellbar ist. Die Kriterien
zur Unterscheidung zwischen Leiharbeit und Werkver-
trägen sind kompliziert. Für manche Unternehmen
scheint das attraktiv: Lohneinsparungen winken, und das
Risiko der Aufdeckung ist gering. Die Folgen davon tra-
gen vor allem die Beschäftigten: Ihnen werden ihr Lohn
und ihre Rechte vorenthalten.

Aber auch hier steuern wir gegen. Im Kampf gegen
den Missbrauch von Werkverträgen werden wir die
Mitwirkungs- und Informationsrechte der Betriebsräte
ausweiten. Wir werden die Kontrolle von Scheinselbst-
ständigkeit genauer regeln und bessere Prüfmöglich-
keiten schaffen. Verdeckte Arbeitnehmerüberlassung
wird künftig sanktioniert. Außerdem wollen wir den ge-
setzlichen Arbeitsschutz für Werkvertragsarbeitnehmer
sicherstellen.

Meine Damen und Herren, noch in diesem Jahr wer-
den wir das in Angriff nehmen. Diese Gesetze werden
ein Meilenstein in der Stärkung der Arbeitnehmerrechte
sein.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir aber einmal gespannt!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809716400

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/4418 an die in der Tagesordnung auf-
geführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist so
beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Ent-
wurfs eines Gesetzes zu dem Beschluss des Ra-
tes vom 26. Mai 2014 über das Eigenmittelsys-
tem der Europäischen Union

Drucksache 18/4047

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für die Angelegenheiten der Europäi-
schen Union (21. Ausschuss)


Drucksache 18/4409

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch; dann ist so beschlossen.

Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, jetzt die
Plätze einzunehmen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Uwe Feiler, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Uwe Feiler (CDU):
Rede ID: ID1809716500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Werte Gäste auf den Besuchertribünen! Der
Eigenmittelbeschluss, über den wir heute abschließend
beraten und dem wir heute zustimmen sollten, bestimmt
die Finanzierungsquellen der EU und legt die Verteilung
der finanziellen Lasten für den mehrjährigen Finanzrah-
men 2014 bis 2020 auf die einzelnen Mitgliedstaaten
fest. Die EU verfügt anders als die Mitgliedstaaten nicht
über eigene Steuereinnahmen und ist daher auf die Mit-
telzuweisungen ihrer 28 Mitglieder angewiesen.

Die Eigenmittel sind Einnahmen, die zur Finanzie-
rung des Gesamthaushaltes der EU bestimmt sind und
ihr von Rechts wegen zustehen. Eine darüber hinausge-
hende Finanzierung, beispielsweise durch Anleihen oder
gar eine Verschuldung, ist nicht vorgesehen. So ist es
zwischen den Mitgliedstaaten vertraglich vereinbart.

Der EU stehen drei Kategorien von Eigenmitteln zur
Verfügung, die ich nachfolgend als „Säulen“ bezeichnen
möchte.

Die erste Säule mit circa 15 Prozent Anteil bilden die
traditionellen Eigenmittel. Darunter verstehen wir die
Zölle und Agrarabgaben. Diese Quelle bleibt in ihrer
Struktur unverändert bestehen. Lediglich die Erhebungs-
pauschale, die die Mitgliedstaaten für ihren Verwal-
tungsaufwand einbehalten können, verringert sich von
25 auf 20 Prozent.

Die zweite Säule in einer Höhe von circa 11 Prozent
besteht aus einem Anteil an den Mehrwertsteuereinnah-
men der Mitgliedstaaten. Die Berechnung erfolgt nach





Uwe Feiler


(A) (C)



(D)(B)

einem selbst für einen Finanzwissenschaftler kompli-
zierten und wenig transparenten Verfahren. Deutschland,
die Niederlande und Schweden als große Nettozahler er-
halten hier einen Rabatt. Dieser beträgt für Deutschland
rund 1 Milliarde Euro jährlich.

Die dritte Säule mit einem Anteil von circa 74 Pro-
zent richtet sich nach dem Bruttonationaleinkommen der
Mitgliedstaaten. Auch hier gibt es nach einem kompli-
zierten Berechnungsverfahren Ausgleichsmechanismen
für die Niederlande und Schweden und neu hinzugekom-
men auch für Dänemark und Österreich. Der Rabatt für
das Vereinigte Königreich, der sogenannte Britenrabatt,
bleibt unverändert bestehen.

Auch bei den Eigenmittelobergrenzen ergeben sich
keine Veränderungen, sodass, in der Summe betrachtet,
das bisherige Eigenmittelsystem – mit kleinen Modifi-
zierungen – weiter Anwendung findet.

Deutschland wird im Jahr 2015 rund 32,3 Milliarden
Euro und für die gesamte Finanzperiode 2014 bis 2020
rund 234 Milliarden Euro an den EU-Haushalt abführen.

Meine Damen und Herren, diese Zahlungen werden
ausschließlich aus dem Bundeshaushalt bestritten. Bun-
desländer und Kommunen beteiligen sich hieran nicht,
obwohl sie gleichermaßen vom Mittelrückfluss, der
circa 50 Prozent der geleisteten Zahlungen beträgt, für
von der EU geförderte Projekte profitieren. Das ist so
gewollt; das ist auch gut so und hat sich in der Vergan-
genheit, wie vielerorts in Deutschland zu sehen ist, be-
währt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bei den immer lauter werdenden Rufen der Bundeslän-
der nach mehr finanzieller Unterstützung seitens des
Bundes sei dieser Hinweis jedoch gestattet, da unsere
Länderkollegen diese Art der mittelbaren Finanzierung
gerne unter den Tisch fallen lassen.

Das Eigenmittelsystem ist geprägt durch den Grund-
satz der Einstimmigkeit. Das hat auf der einen Seite eine
Vielzahl von Kompromissen in Form von Ausgleichs-
mechanismen und Rabatten zur Folge. Auf der anderen
Seite steht aber ein von allen Mitgliedstaaten getragener
Vorschlag, eine von allen getragene Lösung.

Seit Bestehen des Eigenmittelsystems gibt es Diskus-
sionen über die Reformbedürftigkeit des Verfahrens.
Aus diesen Diskussionen heraus hat sich das System
aber stetig weiterentwickelt. So lässt sich für die Periode
2014 bis 2020 positiv anmerken, dass auf der Ausgaben-
seite eine stärkere Ausrichtung an der Europa-2020-
Strategie erfolgte. Letztlich hat sich das System auch in
Zeiten von Krisen bewährt. Ich verweise hier auf die
vergangene Periode 2007 bis 2013, in der wir eine
Finanz- und Wirtschaftskrise zu bewältigen hatten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dennoch wird seitens der europäischen Institutionen und
vieler Experten ein weiterer Reformbedarf gesehen. Die
nunmehr eingesetzte hochrangige Gruppe „Eigenmittel“
soll geeignete Reformvorschläge erarbeiten und entspre-
chend zur Diskussion stellen.

Meine Damen und Herren, die Frage nach der
Reformbedürftigkeit des Systems lässt sich durchaus
bejahen. Aber wie reformfähig ist es tatsächlich? Refor-
men und Änderungen jeder Art sind auch hier nur nach
dem Prinzip der Einstimmigkeit möglich. Für mich las-
sen sich derartige Vorschläge nur in kleinen Schritten
verwirklichen. Wenn ich am Ufer eines Sees stehe und
an das gegenüberliegende Ufer möchte, mir aber das
nötige Werkzeug für den Bau einer Brücke oder eines
Floßes fehlt, muss ich den See umwandern. Der Weg ist
zwar länger, ich benötige mehr Schritte, erreiche den-
noch mein Ziel. Ähnlich verhält es sich in meinen Augen
mit der Reformfähigkeit des Eigenmittelsystems.

Es herrscht weitgehend Einigkeit darüber – für mich
gibt es hierzu keine Alternative –: Es kann keine Reform
der Einnahmeseite ohne eine Reform der Ausgabenseite
geben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dabei gilt es, die Juste-retour-Denkweise – also, was
bekomme ich von meinen eingezahlten Mitteln wieder
zurück – zu verlassen


(Beifall der Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE] und Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


und den Fokus auf eine Politik zu richten, die die ge-
samteuropäischen Interessen vertritt. Beispiele können
hier eine gemeinsame Flüchtlings- und Asylpolitik oder
eine noch stärkere gemeinsame Sicherheitspolitik bis hin
zur Aufstellung einer europäischen Armee sein. Diese
Liste lässt sich beliebig weiterführen.

Meine Damen und Herren, bei allen Reformen muss
aber der europäische Mehrwert auf der Ausgabenseite
deutlich im Vordergrund stehen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie einmal den Landwirtschaftsminister!)


Haben wir letztlich dieses Mehr an Mehrwert, können
wir auch über ein Mehr an Finanzautonomie bis hin zur
Einführung einer EU-Steuer nachdenken und diskutie-
ren.

Aber auch für eine EU-Steuer sehe ich nur das Prinzip
der kleinen Schritte als erfolgversprechend an. Wün-
schenswert wäre sicherlich eine einheitliche Unterneh-
mensteuer


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


mit einheitlichen Steuersätzen und einer einheitlichen
Bemessungsgrundlage. Das würde Steuerdumping in
den Mitgliedstaaten sicherlich verhindern. Aber für viele
unserer Mitgliedstaaten wäre dieser Schritt zu groß.

Ich würde als ersten Schritt vielmehr eine Reform des
Mehrwertsteuereigenmittelsystems ins Auge fassen.
Mehr Transparenz, eine einfachere Berechnungsme-





Uwe Feiler


(A) (C)



(D)(B)

thode und ein höherer Anteil zulasten der Mittel aus dem
Bruttonationaleinkommen könnten hier eine Diskus-
sionsgrundlage sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Dann fallen aber die Rabatte weg!)


Meine Damen und Herren, die große Herausforde-
rung besteht aber darin, einerseits dem europäischen
Gedanken gerecht zu werden, das Eigenmittelsystem
optimal zu reformieren, und andererseits dafür zu
sorgen, dass die Interessen der deutschen Steuerzahler,
denen gegenüber wir verantwortlich sind, bei der ge-
rechten Lastenverteilung angemessen berücksichtigt
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Fraktion begrüßt die vorliegende Beschluss-
empfehlung und wird dem Gesetzentwurf zustimmen.
Das Eigenmittelsystem hat sich bewährt. Es ist effektiv
und stabil. Es geht vorwiegend um die Verteilung der
finanziellen Lasten zwischen 28 Mitgliedstaaten. Es ist
deswegen nicht einfach, das ganze System von heute auf
morgen zu verändern. Eine Veränderung kann deswegen
nur in kleinen Schritten vorangetrieben werden.

Ich freue mich auf die Debatten dazu und bedanke
mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809716600

Vielen Dank. – Der Kollege Dr. Diether Dehm spricht

jetzt für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809716700

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Die Linke will mehr Eigenmittel für Europa,
weil ein friedliches, soziales und ökologisches Europa
mehr braucht. Hier ist als Königsweg – der Kollege
Feiler hat das hier eben angedeutet – eine eigene EU-
Körperschaftsteuer in der Diskussion. Damit könnte
Europa immerhin dem Wettlauf um immer niedrigere
Steuern für das Großkapital einen Riegel vorschieben.
Einzelne Mitgliedstaaten, nicht nur Luxemburg, haben
Steuerdumping viel zu lange als ihr Geschäftsmodell
propagieren dürfen.

Allein: Eine eigene EU-Steuer scheitert am unausge-
gorenen Konstrukt der EU, deren vertragliche Grundlage
die Linke auch darum grundsätzlich kritisiert und dage-
gen auch geklagt hat.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und verloren hat!)


Ich zitiere aus dem Urteil des Bundesverfassungsge-
richts:

Die demokratische Grundregel der wahlrechtlichen
Erfolgschancengleichheit („one man, one vote“)

gilt nur innerhalb eines Volkes, nicht in einem sup-
ranationalen Vertretungsorgan, das … eine Vertre-
tung der miteinander vertraglich verbundenen Völ-
ker bleibt.

Noch einmal deutlich: Eigene Steuereinnahmen der
EU scheitern so lange, wie in Ihrem EU-Konstrukt und
seinen Verträgen eine demokratisch-parlamentarische
Kontrolle von Steuererhebung und Mittelverwendung
nicht vorgesehen ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Ja, wir brauchen mehr Mittel für Europa, wenn wir
prosperierende europäische Wirtschaftsräume schaffen
wollen, die miteinander fairen Handel treiben, inklusive
Griechenland,


(Beifall bei der LINKEN)


die ökologische Nachhaltigkeit fortschreiben wollen, in-
klusive Frankreich,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


die Finanzkapital gerecht besteuern wollen, inklusive
England, und die entsprechende Lohnerhöhungen durch-
setzen wollen, inklusive Deutschland.


(Beifall bei der LINKEN)


Das könnte eine echte Offensive für Zukunftsinvestitio-
nen geben, aber nicht Junckers Schaufensterplan, für den
aus dem aktuellen MFR auch noch erhebliche Gelder ab-
gegriffen werden sollen.

Wir brauchen wirtschaftlich schlaue und sozial ge-
rechte Investitionen der öffentlichen Hände statt einer
Subventionierung der Renditen von Finanzhaien durch
die Steuerzahler über Public-private-Partnership, wie das
im Juncker-Plan vorgesehen ist. Wir brauchen auch nicht
die kleinkrämerische Nettosaldenlogik; Kollege Feiler
hat das nur zart und höflich angedeutet. Ich füge einmal
hinzu: Sagen Sie das auch Herrn Schäuble und seinen
„Friends of Better Spending“, was diese Nettosaldenlo-
gik bedeutet, nämlich: Was hole ich kurzfristig mehr aus
der EU heraus, als ich hineingeben muss? Es geht in
Wahrheit um europäische Solidarität, die auch uns Deut-
schen nachhaltiges Wirtschaften ermöglicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Immerhin hat das Deutsche Institut für Wirtschafts-
forschung errechnet, dass in Deutschland seit 1999 eine
addierte Investitionslücke von rund 1 Billion Euro auf-
gelaufen ist. Wir wollen mehr für den MFR, damit Be-
schäftigung und Kleinunternehmen eine neue Perspek-
tive eröffnet werden kann; denn aus dem MFR fließen
über 90 Prozent der Gelder in die Länder zurück, nicht in
die Taschen der Verwalter von Hedgefonds, von Ban-
kern und anderen Großspekulanten.

Wenn wir wirklich den realistischen und lebensnot-
wendigen europäischen Traum einer wirtschaftlichen
und sozialen Kohäsion, einer Angleichung von Spanien
über Griechenland bis Frankreich und Schweden errei-
chen wollen, dann ist die national-egomanische Netto-
saldenlogik ebenso fatal, wie es die Bankenrettung der
letzten Jahre war.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Diether Dehm


(A) (C)



(D)(B)

So aber versorgt der MFR 2014 bis 2020 die EU nicht
mit den vor allem im Kampf gegen die Krise nötigen
Mitteln. Hinzu kommt noch, dass laut Kommission seit
2007 die Investitionen EU-weit um 15 Prozent gesunken
sind. Zumindest an den leidigen Britenrabatt und die
„Rabatte der Rabatte“ könnten Sie jederzeit ohne verfas-
sungsrechtliche Bedenken ran.

Meine Fraktion wird den Gesetzentwurf ablehnen,
weil er für Deutschland zu kurz gedacht und für Europa
zu wenig ist.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809716800

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Joachim Poß, SPD-Fraktion.


Joachim Poß (SPD):
Rede ID: ID1809716900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Kollege Uwe Feiler hat bei diesem spannenden
Thema, „Eigenmittelsystem der Europäischen Union“,
vieles zu Recht erläutert. Dabei führt das Wort „Eigen-
mittel“ eigentlich in die Irre. Es suggeriert, dass die EU
wirklich eigene Mittel besitzt. Das ist ja nun nicht der
Fall. Tatsächlich kommen 85 Prozent der Einnahmen der
EU von den Mitgliedstaaten. Lediglich 15 Prozent der
Einnahmen werden aus Zöllen und Agrarabgaben be-
stritten. Deswegen hat in diesem Zusammenhang der
Sachverständige Henrik Enderlein betont – zu Recht,
meine ich –, dass diese Eigenmittelstruktur, die duale
Legitimationsstruktur, die Governance der EU, nicht wi-
derspiegelt. Eigentlich müssten wir eine hälftige Auftei-
lung haben: eine echte steuerliche Quelle für die eine
Hälfte und für die andere Hälfte Beiträge der Mitglied-
staaten.


(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir, die Bundesrepublik Deutschland, tragen in den
Jahren 2014 bis 2020 jährlich mit über 30 Milliarden
Euro zum Haushalt der Europäischen Union und damit
auch zur ausreichenden Ausstattung der verschiedenen
Politikbereiche bei – ich glaube, das muss man hier noch
einmal ganz deutlich erwähnen –, ansteigend von über
31 Milliarden Euro im Jahre 2014 auf 35,77 Milliarden
Euro in 2020. Das heißt, wir schreiben das bestehende
System fort, weil man sich anders nicht hat verständigen
können. Es ist bekannt, dass die Leistungen der Mit-
gliedstaaten in einem nicht sehr transparenten Verfahren
aus dem Mehrwertsteueraufkommen und dem Brutto-
nationaleinkommen bestimmt werden, abzüglich mögli-
cher Rabatte und Rabatten von Rabatten.

Die Kritik, dass dieses Verfahren intransparent ist und
sich nicht an den Aufgaben der Europäischen Union
orientiert, ist damit nicht ganz von der Hand zu weisen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aha!)


Der vorliegende Eigenmittelbeschluss, der Teil der sehr
schwierigen Verhandlungen über den mehrjährigen
Finanzrahmen ist, löst diese Probleme nicht, jedenfalls
nicht vollständig. Aber, Herr Kollege Dehm, er ermög-
licht es der Europäischen Union, in einer ihrer größten
Krisen weiterhin handlungsfähig zu sein. Das hätten Sie
zumindest konzedieren können.

Wir stehen in einer Krise in Europa, und deswegen
sollten wir die nächsten Jahre nutzen, um über weitere
Schritte im Eigenmittelsystem und der EU nachzuden-
ken. Diese europäische Doppelkrise – Finanz- und Wirt-
schaftskrise einerseits und Russland-Ukraine-Krise an-
dererseits und ihre sozialen Auswirkungen, insbesondere
die hohe Jugendarbeitslosigkeit – haben Europa verän-
dert und machen weiteren Handlungsbedarf deutlich.

Zudem fordern uns – das haben wir vorhin an einem
Beispiel erlebt – rechte und linke Populisten und Natio-
nalisten heraus. Das gefährdet die Zukunft Europas in
meinen Augen. Die Zukunft Europas ist aber eine
Schicksalsfrage für uns, gerade in Anbetracht der Krisen
und geopolitischen Veränderungen. Deswegen müssen
wir uns entscheiden: weitere Renationalisierung oder
eine verstärkte europäische Integration. In der Renatio-
nalisierung liegt keine gute Zukunft für die europäische,
westlich orientierte Wertegemeinschaft.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Erkenntnis muss aber auch praktische Konse-
quenzen haben. Ich füge hinzu: auch bei den Eigenmit-
teln. Diese Konsequenz müssen wir im weiteren Prozess
– ich verweise auf die Expertenkommission um Mario
Monti, die bis zum nächsten Jahr Vorschläge vorlegen
soll – auch wirklich aufbringen. Mittlerweile müssen ja
alle in Europa den Schuss gehört haben und wissen, was
auf dem Spiel steht. Dem muss man sich dann auch in ei-
ner solchen Frage wie der der Ausgestaltung der Eigen-
mittel stellen, weil die Struktur der Eigenmittel hinter
dieser Entwicklung zurückbleibt. Das ist nicht verwun-
derlich wegen der unterschiedlichen Interessenlagen der
28 Mitgliedstaaten; schließlich braucht man Einstimmig-
keit.

Wir könnten versuchen, wie es der Kollege Feiler dar-
gestellt hat, das Ganze in kleinen Schritten zu verändern.
Das würde in meinen Augen aber bedeuten, zu viele
Kompromisse eingehen zu müssen, die das System
wahrscheinlich weiter verkomplizieren. Das ist die Er-
fahrung der Vergangenheit.

Dann ist zu überlegen, ob nicht durch eine Körper-
schaftsteuer oder eine andere Steuerquelle die Abhän-
gigkeit des EU-Haushaltes von Mitteln der Mitgliedstaa-
ten reduziert werden kann. Es scheint sogar Konsens zu
sein – jedenfalls bei denen, die sich damit beschäftigen –,
dass man das versuchen sollte. Oder – das wäre das
Beste, liebe Kolleginnen und Kollegen – wir nutzen am
besten die aktuellen Krisen, die Druck erzeugen, und
streben eine Verständigung über die weiteren Schritte
der europäischen Integration – insbesondere für die
Währungsunion – an. Denn nur dann, wenn wir darüber
Klarheit herstellen können, welche Aufgaben die EU zu-
künftig übernehmen soll, können wir auch das hierfür
notwendige Eigenmittelsystem bestimmen. Ich glaube,





Joachim Poß


(A) (C)



(D)(B)

wir sollten einer solchen Logik folgen, zumindest den
Mut haben, etwas mutiger zu werden und das zu versu-
chen – und nicht von vornherein in der nächsten Zeit nur
eine Politik der kleinen Schritte machen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809717000

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Manuel

Sarrazin, Bündnis 90/Die Grünen.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809717100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Der Ra-

batt auf den Britenrabatt und die „Nacht der langen Mes-
ser“ – es gibt so vieles im europäischen Haushaltswesen
in Sachen Eigenmittel, was man eigentlich niemandem
erklären kann. Wie soll man eigentlich jemandem erklä-
ren, dass der Rabatt, den Deutschland auf den Rabatt des
Vereinigten Königreichs bekommt, eigentlich von den
Menschen in Griechenland bezahlt wird? Doch es ist so
ähnlich, wie es die Vorredner gesagt haben. Die notwen-
digen Veränderungen werden auch durch ein System des
„Juste retour“ verhindert. Dabei lässt jeder seinen Com-
puter ausrechnen, was am Ende der Entscheidung für ihn
in der Nettozahler- oder Nettoempfängerposition heraus-
kommt. Mit der Einstimmigkeit ist natürlich auch die Si-
tuation gegeben, dass man die Schritte, die man gehen
müsste, nicht gehen kann. Es gab dazu interessante Ver-
suche. Beim letzten großen Gipfel wurde versucht, die
Zettel zu verbieten, mit denen die Computer gefragt wer-
den, wie viel Geld am Ende herauskommt.

Wir müssen uns aber wirklich – da möchte ich den
Kollegen Poß unterstützen – Folgendes vor Augen hal-
ten: Viele „Nächte der langen Messer“ – so werden diese
großen Gipfel genannt, auf denen am Ende die Höhe der
Beträge ausgemacht wird – werden wir uns nicht mehr
leisten können, weil sie an die Legitimität der Europäi-
schen Union gehen und das Vertrauen der Menschen un-
tergraben, dass wir gute Kompromisse machen können.

Wir haben das Eigenmittelsystem aufgebaut, um die
Europäische Union von nationalen Interessen unabhän-
giger machen zu können. Das zweite Problem, das wir
auch vor Augen haben müssen, besteht darin, dass wir
aber durch den tatsächlichen Erfolg der EU – dabei geht
es um die Abschaffung der Zollgrenzen im Inneren als
auch um die Schaffung von weltweiten Abkommen, die
zur Zollfreiheit führen – letztlich – nach dem Motto von
Greenpeace, die es immer haben wollten – erreicht ha-
ben, dass die EU das abschafft, was sie selber finanziert.
So wird es nicht funktionieren. Deswegen ist eine Re-
form des Eigenmittelsystems wirklich notwendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Die Kommission und das Europäische Parlament ha-
ben das schon vor Verabschiedung des letzten mehrjähri-
gen Finanzrahmens eingefordert. Man muss sagen, dass
auch die deutsche Bundesregierung nicht bereit war,
dazu beizutragen, wirklich zu einer Reform zu kommen.
Deswegen ist es entscheidend, dass jetzt die Arbeit der
Monti-Gruppe als Ausgangspunkt genommen wird, um
auch mit dem „Juste-retour-Denken“ der deutschen Bun-
desregierung endlich Schluss zu machen und diesen Pfad
zu verlassen, wie Herr Feiler gerade richtig gesagt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich freue mich, Diether, dass du mehr Geld für
Europa forderst. Ich dachte immer, es gibt kein richtiges
Leben im falschen; aber offenkundig bist du noch nicht
ganz verloren. Immerhin willst du für das neoliberale
böse Monsterprojekt EU mehr Geld haben.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Mach es mir doch nicht wieder kaputt!)


Da sind wir uns schon mal einig. Dafür möchte ich herz-
lich danken. Das ist eine gute Sache.

Ich möchte – weil an einer Stelle dann doch die Be-
grenztheit deiner Fraktion zum Ausdruck kam –, um über
nationale Grenzen hinwegzudenken, die Bundesverfas-
sungsgerichtsentscheidung richtigstellen. Das Bundesver-
fassungsgericht hat nämlich nicht gesagt, man könne
keine Steuerkompetenz für Europa einführen, weil Eu-
ropa nicht demokratisch sei. Es hat lediglich gesagt, dass
die Gesamtverantwortung mit ausreichenden politischen
Freiräumen für Einnahmen und Ausgaben noch im Bun-
destag liegt. Das heißt, innerhalb dieses Rahmens kann
man durchaus mehr für Eigenmittel und echte EU-Steu-
ern tun, wofür wir uns einsetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Aber kein Haushaltsrecht!)


Es ist eine wirklich gute Idee, über eine Mehrwert-
steuerreform und über die Finanztransaktionsteuer zu re-
den. Am Ende eine EU-Unternehmensteuer – vielleicht
über den Weg einer gemeinsamen Körperschaftsteuerbe-
messungsgrundlage – zu erreichen, ist eine gute Idee.
Das wollen auch wir angehen.

Wir Grünen glauben, dass man versuchen muss, das
Projekt der europäischen Einigung jetzt entschlossen vo-
ranzutreiben, weil es Besonderheiten gibt, die man sich
bei dem trockenen Thema EU-Haushalt kaum anzuspre-
chen traut. Der EU-Haushalt ist nämlich eine verdammt
gute Idee, die gleichzeitig auch noch verdammt erfolg-
reich ist. Er schafft es, Kohäsion und Konvergenz zu er-
zielen. Das heißt, der EU-Haushalt ist das Instrument,
mit dem wir dafür sorgen, dass ärmere Regionen zu
mehr Wohlstand kommen, ohne dabei auf Kosten ande-
rer zu leben. Das ist gelebte Solidarität, die wir über den
EU-Haushalt organisieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deswegen ist Europa sein Geld wert.

Wir Grünen sehen das. Wir sehen, dass 70 Prozent
dessen, was im EU-Haushalt ausgegeben wird, in Inves-
titionen geht. Wir sehen, dass viele Länder – gerade Län-
der in schweren Wirtschaftskrisen, ob Portugal oder Un-
garn – ohne den EU-Haushalt gar nicht mehr investieren
könnten. Wir sehen, dass der Haushalt der Europäischen
Union das richtige Instrument ist, um in der Krise anti-





Manuel Sarrazin


(A) (C)



(D)(B)

zyklisch gegen Armut und Verwahrlosung angehen zu
können.

Deswegen meinen wir, dass es richtig ist, dass Europa
Eigenmittel bekommt, und wir befürworten, dass heute
im Bundestag eigenes Geld für Europa beschlossen wer-
den soll. Aber wir finden, dass das Eigenmittelsystem
anspruchsvoller werden muss und dass Europa mehr Ei-
genmittel braucht. Deswegen enthalten wir uns in der
Abstimmung, weil uns der vorliegende Gesetzentwurf
nicht weit genug geht.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809717200

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Alexander

Radwan, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1809717300

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir disku-

tieren heute den Eigenmittelbeschluss, der im Rahmen
der mehrjährigen Finanzplanung gefasst wurde. Schon
dem letzten Beschluss, der im November 2013 für die
Jahre 2014 bis 2020 gefasst wurde, ging eine heftige
Diskussion voraus. Wie üblich waren Kommission und
Parlament in ihren Vorgaben durchaus großzügiger als
das, was am Schluss herausgekommen ist.

Angesichts des Ergebnisses war ich gerade mit Blick
auf den deutschen Haushalt und unsere Politik hier froh,
dass zu dem Zeitpunkt Großbritannien und Deutschland
hart sein konnten und sagen können: Wir sparen in
Deutschland, und da geht es nicht an, dass man in Eu-
ropa nicht spart. – Das ist durchaus ein Vorteil des jetzi-
gen Systems. Wenn wir über die weitere Entwicklung
dieses Systems reden, müssen wir genau darauf achten,
was am Schluss herauskommt. Die Kanzlerin und der
Bundesfinanzminister haben dafür gesorgt, dass die
deutsche Sparphilosophie ein Stück weit auch in Europa
gewahrt bleibt, und das war richtig so.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es wurde schon mehrfach gesagt: Die Einnahmen-
und Ausgabenseite sind maßgeblich. Es gibt Kritik-
punkte wie eine mangelnde Transparenz und ein soge-
nanntes Demokratiedefizit, den Vorwurf, dass die einzel-
nen Mitgliedstaaten wichtiger sind als die europäischen
Institutionen und dass das Ganze zu komplex ist.

Ich kenne die Diskussion schon sehr lange. Ich war
selber zehn Jahre im Europäischen Parlament und habe
sie von dort aus verfolgen dürfen. Es gab etwa den
Wunsch nach einer eigenen Steuererhebungskompetenz
oder die Forderung nach einer einheitlichen Bemes-
sungsgrundlage für den Mehrwertsteuersatz. Das sind
tiefgreifende Diskussionen. Bei einigen Beiträgen wun-
dert es mich, dass man der Meinung ist: Wenn man das
System ändert, dann wird auf einmal aus dem ach so
neoliberalen und kapitalistischen Europa ein soziales.

(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo nehmen Sie diese Hoffnung her? – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das haben Sie doch nicht gehört! Das können Sie nicht gehört haben!)


Die Kausalität, dass eine Systemänderung gleichzeitig
zu einer Politikänderung führt, finde ich bemerkenswert.

Es kam schon Kritik an bestimmten Politiken zur
Sprache. Wir diskutieren die Frage – Sie hatten das an-
gesprochen, Herr Kollege Poß –, inwieweit eine Vertie-
fung stattfinden soll und welche Kompetenzen abgege-
ben werden sollen. Das sollte und kann man diskutieren.
Aber wenn die Kompetenzen einmal weg sind, dann sind
sie weg. Mit den entsprechenden Ergebnissen hat man
dann zu leben, auch wenn es irgendwann im Rat und im
Parlament andere Mehrheiten gibt.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So was nennt man Demokratie!)


– Genau. Auch Deutschland ist ein demokratischer Staat.
Sie können gerne der Meinung sein, dass wir in Deutsch-
land die Kompetenzen im Bereich der Steuererhebung
verlagern sollten, statt sie selber zu behalten. Sie können
durchaus dieser Meinung sein. Ich bin der Meinung, für
die Steuerpolitik sollten erst einmal die Nationalstaaten
Verantwortung tragen. Auch das bewegt sich im Rahmen
der Demokratie und ist nicht antidemokratisch.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Automatisch zu sagen, das sei antidemokratisch, halte
ich für abenteuerlich.


(Zuruf von der CDU/CSU: Also müssen wir einen Volksentscheid machen!)


Wir sollten also genau darüber nachdenken, in wel-
chen Bereichen wir eine Vertiefung der EU und eine Ver-
lagerung der Kompetenzen wollen. Dabei müssen wir
genau schauen, wie die aktuelle Situation ist. Was ist
realistisch? Zurzeit gilt die Einstimmigkeit auf europäi-
scher Ebene in Steuerfragen und Eigenmittelfragen. Wir
wissen, dass es in absehbarer Zeit ein Referendum über
den Verbleib Großbritanniens in der Europäischen Union
geben wird.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Wir können natürlich gerne eine solche Diskussion
momentan mit Großbritannien führen. Jeder, Herr Kol-
lege Sarrazin, der sich mit Europa auseinandersetzt,
weiß, wie diese Diskussion in Großbritannien geführt
wird.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber da gibt es eine Wahl vorher!)


– Die ist im Mai dieses Jahres. Bis Mai dieses Jahres
werden Sie dieses Thema nicht gelöst haben, selbst Sie
nicht. Das müssten selbst die zugestehen.

Wir müssen also genau schauen, welche Themen wir
vorantreiben. Ich kann mir durchaus ein abgestuftes Vor-
gehen dabei vorstellen, eine gemeinsame Bemessungs-





Alexander Radwan


(A) (C)



(D)(B)

grundlage in bestimmten Bereichen zu finden. So könnte
man die Festlegung der Steuersätze in nationaler Verant-
wortung belassen, aber sich bei der Frage, wie Gewinne
ermittelt werden, darauf einigen, dass Gewinne oder
Verluste nicht mehr durch Verschiebungen von einem
Staat in den anderen generiert werden können. Ich plä-
diere also für ein abgestuftes Vorgehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Man könnte darüber nachdenken, auch bei der Fi-
nanztransaktionsteuer abgestuft vorzugehen, wobei ich
hier schon anmerken möchte, auch wenn ich den Prozess
der vertieften Zusammenarbeit zwischen den Mitglied-
staaten unterstütze: Wir haben zum ersten Mal ein neues
System der Gesetzesfindung auf europäischer Ebene,
das bisher keine Anwendung gefunden hat. Wenn dieses
System erfolgreich sein sollte, wofür wir alle werben
und wofür wir kämpfen, kann das auch in anderen Berei-
chen der Zusammenarbeit dazu führen, dass sich Staaten
zusammentun und entsprechend vorangehen.

Wir müssen die politischen Situationen in den Mit-
gliedstaaten und die Haltung der Bevölkerungen beach-
ten. Darum ist bei dem Thema der Integration und Ver-
tiefung sehr wohl darauf zu achten, welche Diskussion
wir lostreten und welche Staaten wir mitnehmen. Ich
plädiere dafür, dass wir das Thema der Eigenmittel und
der Finanzierung Europas behutsam angehen und dass
wir realistisch vorgehen.

Was mich an Diskussionen, die auf nationaler Ebene
geführt wurden, oft gestört hat, ist, dass man gesagt hat:
„Wir werden das Problem jetzt europäisch angehen, und
wir werden es europäisch lösen“ – das ist auch in diesem
Hohen Hause verkündet worden –, ohne dass es eine
Aussicht gegeben hätte, auf europäischer Ebene einen
Konsens zu finden. Dann waren die Enttäuschungen
über Europa groß, und Europa wurde die Schuld gege-
ben. Die Leute fügen Europa einen Schaden zu, sie erhe-
ben Forderungen, von denen sie schon während der De-
batte wissen, dass sie keinerlei Aussicht auf Realisierung
haben.

Besten Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809717400

Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der

Kollege Christian Petry.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1809717500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Europa braucht Visionen. Europa braucht keine
technokratische Diskussion, Europa braucht Visionen
auf dem Weg in ein soziales Europa, in ein Europa des
Miteinanders, in ein Europa des Austausches. Dafür
braucht Europa natürlich ausreichend Geld.

Wir reden heute über den Beschluss des Rates der EU
über die Eigenmittel vom Mai 2014 und über den Pla-
nungszeitraum von 2014 bis 2020. Die EU-Eigenmittel
speisen sich aus Zoll- und Mehrwertsteuereinnahmen so-
wie anteilig aus den Bruttonationaleinkommen der Mit-
gliedstaaten. Dazu gibt es eine sehr komplizierte Berech-
nung. Ein Blick in das Gesetz ist wirklich sehr
interessant. Die Formeln, die dort aufgeführt sind, sind
nachvollziehbar, aber wirklich nicht einfach. Ich sage
das als jemand, der einmal Mathematik studiert hat. Ich
kenne das aus Lehrbüchern. So kompliziert müsste es ei-
gentlich nicht sein. Deutschland hat 31 Milliarden Euro
für 2014 und nach den Berechnungen des BMF 35 Mil-
liarden Euro im Jahr 2020 zu zahlen.

Wichtig ist auch, dass die Überschrift über dem EU-
Haushalt nun „Intelligentes und integratives Wachstum“
lautet und die Mittel für die Schwerpunkte früherer Jahre
– ich nenne zum Beispiel die Agrarförderung, den Aus-
gleich und die Austerität – etwas zurückgehen, es hin zu
mehr Investitionen und zur Angleichung der Lebensver-
hältnisse in Europa geht. Die Eigenmittelausstattung
– das ist schon ein paarmal genannt worden – ist für
viele Regionen in Europa natürlich segensreich, was die
Förderung der Projekte angeht. Sie muss grundsätzlich
diskutiert werden; das ist hier schon genannt worden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es ist rich-
tig, dass das System zu kompliziert ist, dass das Einstim-
migkeitsprinzip etwas hinderlich sein kann und dass
quasi eine Unabhängigkeit der Finanzierung nicht ge-
währleistet ist. Vorschläge werden schon lange disku-
tiert. Bereits 2005 hat der Europäische Rat eine Evaluie-
rung dieses Systems beschlossen. Die sogenannte
Monti-Gruppe hat ihre Arbeit aufgenommen, einen Zwi-
schenbericht vorgelegt und bekannte Schwachstellen des
Eigenmittelsystems angesprochen. Ich glaube, es ist sehr
wichtig, dass wir hierüber auch in unseren parlamentari-
schen Gremien sehr ausführlich diskutieren.

Das ist wichtig; denn Europa braucht Visionen. Wir
brauchen einen stärkeren Konsens der Staats- und Regie-
rungschefs – dies wird immer schwieriger –, und wir
brauchen positive Signale für Europa, auch aus dem Par-
lament heraus. Ich will einmal ein Beispiel dafür nennen,
was kein positives Signal wird. Die morgige Debatte um
die Maut wird mit Sicherheit kein positives Signal für
Europa werden. Viele Sozialdemokraten werden zustim-
men, obwohl sie eigentlich nicht viel davon halten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich wünsche mir, dass es im Parlament viel mehr posi-
tive Diskussionen über Europa gibt.

Eine Vision ist die Erweiterung Europas. Eine Vision
ist, dass wir Europa größer machen. Es gibt weiße Fle-
cken im mittleren Balkan. Die Staaten dort müssen den
Weg nach Europa finden. Da müssen wir helfen und un-
terstützen. Ich nenne Moldau und Georgien. Es gibt dort
beitrittswillige Länder. Die Türkei ist weiterhin ein
Thema, auch wenn der Beitritt heute – vermeintlich –
noch in weiter Ferne liegt. Diese Visionen brauchen wir.

Dafür braucht Europa eine ausreichende und vor al-
lem unabhängigere Ausstattung mit finanziellen Mitteln.
Kollege Dehm hat es gesagt: Natürlich muss man auch
über das Miteinander und die Konstruktion Europas re-





Christian Petry


(A) (C)



(D)(B)

den dürfen und das weiterentwickeln dürfen. Das Ziel
der Vereinigten Staaten von Europa, eine echte Sozial-
union, eine Europäische Union, die die Menschen mit-
nimmt, das ist der Anspruch, den wir an uns selber ha-
ben müssen. Es geht um ein friedenschaffendes Europa,
eine Konstruktion, die wir hier aufbauen und mit unter-
stützen können. In diesem Sinne sind die positiven Visi-
onen in Europa zu sehen.

Zum Gesetzentwurf. Ich persönlich würde mich na-
türlich sehr freuen, wenn wir bereits beim nächsten Fi-
nanzrahmen eine unabhängige Finanzierungsquelle hät-
ten, eigene Steuern der EU zum Beispiel, und die
Anpassung der Steuersysteme. Herr Kollege Radwan,
ich habe es nicht so verstanden, dass wir unsere Steuer-
hoheit abschaffen wollen; die soll es weiterhin geben. Es
geht darum, dass wir eine zusätzliche Finanzierungs-
möglichkeit, eine neue Steuerhoheit bei der EU kreieren
wollen, die allgemein akzeptiert ist. Das sollte man nicht
vermengen und nicht gegeneinander ausspielen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Vision
eines sozialen Europas soll uns treiben. Die Eigenmittel-
ausstattung werden wir beschließen. Bis 2020 ist das in
trockenen Tüchern. Wir sollten uns sehr rasch daranma-
chen, das System zu modernisieren und letztlich für ein
modernes, soziales und friedliches Europa zu sichern.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Glück
auf!


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809717600

Vielen Dank. – Das war der letzte Redner zu diesem

Tagesordnungspunkt. Damit schließe ich diese Debatte.

Wir kommen zur

zweiten Beratung

und Schlussabstimmung über den von der Bundesregie-
rung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zu dem Be-
schluss des Rates über das Eigenmittelsystem der Euro-
päischen Union. Der Ausschuss für die Angelegenheiten
der Europäischen Union empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/4409, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/4047 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 9 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung und Land-
wirtschaft (10. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Harald Ebner, Steffi Lemke,
Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstel-
len – Kooperative Holzvermarktung ermögli-
chen

Drucksachen 18/2876, 18/3578

Über die Beschlussempfehlung werden wir nachher
namentlich abstimmen. Ich mache Sie darauf aufmerk-
sam, dass derzeit schon eine Reihe von Erklärungen
nach § 31 der Geschäftsordnung vorliegen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Kordula Kovac, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Kordula Kovac (CDU):
Rede ID: ID1809717700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren auf der
Tribüne! Wir reden heute über den Antrag zur Sicher-
stellung der nachhaltigen Waldbewirtschaftung und so-
mit auch über die grüne Lunge unserer Republik: den
deutschen Wald. Auch bei mir zu Hause in Wolfach
prägt der Schwarzwald mit seinen tief eingekerbten Tä-
lern, Felsen, Bächen und großen, zusammenhängenden
Waldgebieten die Region ohnegleichen, und das in
mehrfacher Hinsicht: nicht nur wegen der biologischen
Vielfalt, sondern auch wegen der Unmenge an Leistun-
gen, die der Wald für uns erbringt. Er ist für uns ein Er-
holungsraum, aber eben auch ein Rohstofflieferant.

Zurzeit werden die Waldflächen in den einzelnen
Bundesländern unterschiedlich bewirtschaftet und der
Verkauf von Holz ganz unterschiedlich organisiert.
Diese unterschiedliche Handhabe in den Ländern hat
sich über Jahrzehnte hinweg entwickelt und bewährt und
trägt den unterschiedlichen regionalen Besonderheiten
Rechnung.

Kein Landeswaldgesetz ist dabei wie das andere.
Während Bayern den Holzverkauf nicht als hoheitliche
Aufgabe begreift, sondern ihn vollständig privatwirt-
schaftlich organisiert, ist das Vorgehen in Baden-
Württemberg ein vollkommen anderes. Hier herrscht,
historisch gewachsen, eine enge Kooperation zwischen
dem Land und der privaten Holzwirtschaft vor. Diese
Form der Bewirtschaftung bringt für alle Beteiligten
Vorteile und trägt maßgeblich dazu bei, den Wald
nachhaltig als Ökosystem zu schützen. So unterstützen
in Baden-Württemberg die Forstämter die privaten
Waldbesitzer dabei, nachhaltig zu forsten. Gerade für
viele kleinere Waldbesitzer ist diese Unterstützung Gold
wert,


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


weil sie eine derartig professionelle Bewirtschaftung ih-
rer Waldparzellen nicht selbstständig leisten könnten.

Die Zusammenarbeit zwischen dem Land und den
Privaten kommt letztendlich jedermann zugute. Aber





Kordula Kovac


(A) (C)



(D)(B)

dennoch muss klargestellt werden, dass auch im Bereich
der Holzvermarktung staatlicher Dirigismus niemals
der freien Marktwirtschaft vorgehen kann. Als CDU-
Abgeordnete sage ich an dieser Stelle deutlich, dass die
Union die Partei der sozialen Marktwirtschaft ist und
bleibt.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Die einzige!)


Genau aus diesem Grund dürfen wir auch nicht einfach
über die Bedenken, die das Bundeskartellamt unlängst
gegen das Modell des Holzverkaufs in Baden-Württem-
berg und anderen Bundesländern geäußert hat, hinweg-
gehen.

Natürlich ergibt sich aus dem Zusammenspiel zwi-
schen dem Land und einzelnen privaten Waldbesitzern
eine stärkere Position auf dem Holzmarkt. Natürlich ist
es so, dass das Markieren der hiebreifen Bäume durch
eine zentrale Stelle bereits das Angebot deutlich ein-
schränkt. Und natürlich ist es auch so, dass dabei für den
Kunden in Bezug auf die Auswahl der Händler nur eine
kleinere Auswahl zur Verfügung steht. Die Frage ist aber
doch, ob diese Einschränkung schlecht ist. Für mich als
Konservative ist es ein Glaubenssatz, dass nichts verän-
dert werden muss, was sich über Jahre hinweg bewährt
hat. Und genau damit dringen wir zum eigentlichen Kern
dessen vor, was wir heute hier diskutieren.

Ein Wettbewerb in der Forstwirtschaft soll, ja muss,
möglich sein, aber nicht um jeden Preis.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es geht vielmehr darum, wie bestehende Strukturen so
angepasst werden können, dass sowohl Bewährtes erhal-
ten bleibt, aber auch Raum für neue Ansätze geschaffen
werden kann.

Damit, liebe Freunde von den Grünen, kommen wir
zu Ihrem Antrag, in dem viel Kluges steht,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eigentlich nur Kluges!)


zum Beispiel, dass Wälder bedeutende großflächige
Ökosysteme sind, die durch geeignete Bewirtschaftungs-
maßnahmen in all ihren Funktionen zu erhalten, weiter-
zuentwickeln und zu schützen sind, oder dass Wälder
eine besondere Bedeutung für das Klima, für die
Speicherung von Wasser sowie für die Erhaltung der Ar-
tenvielfalt haben,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schön, dass wir Ihre Rede geschrieben haben!)


und eben auch, dass die staatliche Unterstützung der
Waldbewirtschaftung, wie sie zum Beispiel in meinem
Heimatbundesland Baden-Württemberg praktiziert wird,
in besonderem Maße den vielfältigen Ansprüchen an den
Wald als Erholungsstätte für die Bevölkerung gerecht
wird. Ich gebe Ihnen Brief und Siegel darauf, dass wir
als Union Ihnen jede dieser Aussagen unterschreiben
würden;


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön! Das ist doch gut! – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmen Sie zu!)


und auch die Schlüsse, die Sie daraus ziehen, nämlich
historisch gewachsene Regelungen im Kern zu erhalten
und gegen den Angriff des Bundeskartellamtes zu vertei-
digen, sind richtig. Allerdings kommen Sie mit Ihrer
Forderung zu spät. Die Große Koalition und hier ins-
besondere Landwirtschaftsminister Christian Schmidt,
der ein kluger Mann ist, haben das Problem schon vor
langer Zeit erkannt.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oho!)


Es ist schon längst so, dass wir dabei sind, Vorschläge
auf den Weg zu bringen, wie das Bundeswaldgesetz
dahin gehend geändert werden kann, dass die länder-
spezifischen Regelungen weiterhin bestehen bleiben
können.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie könnten es ja vorlegen, das Gesetz!)


Im Kern wird in nächster Zeit ganz konkret darüber
geredet werden können, inwiefern gerade solche forst-
wirtschaftlichen Dienstleistungen, die der eigentlichen
Forstvermarktung vorgelagert sind, wie der Waldbau,
wie die Markierung, wie die Holzernte oder wie die
Bereitstellung des Rohholzes, aus dem Kartellrecht aus-
geklammert werden können. Dadurch, liebe Kolleginnen
und Kollegen, werden die hergebrachten landestypi-
schen Strukturen gewahrt.

Wir brauchen deshalb an dieser Stelle als Union und
als Koalition keine Nachhilfe von der Opposition, schon
gar nicht zu sozialer Marktwirtschaft und Wettbewerb.
Aus genau diesem Grund lehnen wir Ihren Antrag heute
ab. Da Ihnen, liebe Freunde von den Grünen, so viel an
dem Thema liegt, freuen wir uns, wenn Sie beim nächs-
ten Mal für unsere Änderungsvorschläge stimmen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809717800

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Dr. Kirsten Tackmann, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Kirsten Tackmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809717900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Gäste! Im Grunde geht es heute um die Frage:
Wollen wir sicherstellen, dass sich private Waldbesitze-
rinnen und Waldbesitzer oder Kommunen bei der Be-
treuung ihres Waldes zwischen staatlichen und privaten
Forstdienstleistern entscheiden können? Genau das hat
das Kartellamt infrage gestellt, weil es wettbewerbs-
rechtliche Bedenken hat, wenn sich der staatliche Forst
dort einmischt. Dieses Damoklesschwert schwebt aber
schon seit Ende 2013 über den Köpfen der Beschäftig-
ten. Ich finde, wir müssen hier jetzt Klarheit schaffen.





Dr. Kirsten Tackmann


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für uns Linke steht völlig außer Frage, dass ein staat-
liches Angebot zur forstlichen Betreuung im Privat- und
Kommunalwald wichtig ist. Ich habe die Debatte eigent-
lich bisher so verstanden, dass wir uns an dieser Stelle
auch vollkommen einig sind. Gerade für die vielen
Klein- und Kleinstwaldbesitzer oder für die Kommunen
ist ein staatliches Unterstützungsangebot eine wichtige
Alternative, vielleicht anders als bei den großen Wald-
besitzern, die häufig selbst eigene Forstleute einstellen
können.

Als Linke wollen wir, dass genau wie bei Äckern und
Wiesen auch das Eigentum am Wald in der Gesellschaft
breit gestreut und dort auch verankert bleibt.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn wir trotzdem eine optimale forstliche Betreuung
und nachhaltige Nutzung des Waldes sichern wollen,
dann brauchen wir eben professionelle Unterstützung.
Ich sage: Bei staatlichen Forstleuten kann man davon
ausgehen, dass die wirtschaftlichen Eigeninteressen dem
Gemeinwohlinteresse deutlich nachgeordnet sind,


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


auch wenn sie zugegebenermaßen von den öffentlichen
Haushalten der Länder nicht völlig unabhängig sind.
Aber forstliches Handeln kann in dem Fall ja auch de-
mokratisch kontrolliert werden.

Die Agrarminister aller Bundesländer haben bei einer
Konferenz in Potsdam im vergangenen Jahr dazu gesagt:

Dadurch sind sie Ansprech- und Servicepartner für
Waldbesitzer, Behörden, Bürgerinnen und Bürger.
Sie genießen hohe Akzeptanz in der Bevölkerung
sowie bei den maßgeblichen Verbänden der Wald-
besitzer und der Holzindustrie.

Diese Verbindung zwischen der Gemeinwohlver-
pflichtung einerseits und dem Vertrauen andererseits ist
deshalb wichtig, weil es im Wald eben um mehr geht als
um Holzernte. Der Bund Deutscher Forstleute, also die
Gewerkschaft der Forstleute, sagt das unter der Über-
schrift „Der Wald ist keine Schraubenfabrik!“ so:

Die Pflege und Bewirtschaftung des Waldes sind
Teil der Daseinsvorsorge. Sie garantieren die Ge-
meinwohlleistungen zum Schutz des Klimas und
der Umwelt, der Erholung und Gesundheit, der Bil-
dung und vieles mehr. Der Wald ist mehr als Holz-
produktion.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Besser kann man aus meiner Sicht die Fürsorgefunktion
des Staates für den Wald nicht beschreiben.

Eigentlich wundert man sich, wenn überhaupt infrage
gestellt wird, dass die staatliche Betreuung von Privat-
und Kommunalwald möglich sein soll. Aber die Säge-
und Holzindustrie hat das im Jahr 2001 kritisiert. Genau
das war die Aufforderung an das Kartellamt, aktiv zu
werden. Ehrlich gesagt wundere ich mich auch deshalb
ein wenig darüber, weil in vielen anderen Branchen das
Kartellamt viel mehr gefordert ist, um Marktdominanz
einzuschränken, zum Beispiel bei den Supermarktketten.


(Beifall bei der LINKEN)


Noch mehr wundern mich die Zweifel des Kartellam-
tes, weil es hier eben nicht um die Holzvermarktung und
damit um Wettbewerb geht. Bei der forstlichen Betreu-
ung geht es vielmehr um die vielen Schritte, die im
Laufe des Lebens eines Waldes vor der Holzernte
stattfinden müssen, also um Tätigkeiten, die dem Wett-
bewerbsrecht gar nicht unterliegen. Es geht zum Beispiel
um die Holzauszeichnung, dass also ein staatlicher
Förster feststellt, welche Bäume gefällt werden können,
und dass trotzdem der Wald nachhaltig genutzt werden
kann. Es geht zum Beispiel darum, einen Nadelwald, bei
dem alle Bäume gleichaltrig sind, zu einem Mischwald
umzubauen, damit die ökologische Funktion des Waldes
gesichert wird. Deshalb ist aus meiner Sicht vor allem
die fachliche Qualität der forstlichen Betreuung von
Bedeutung dafür, für welchen Dienstleister ich mich
entscheide. Das muss aus meiner Sicht auch gesichert
bleiben.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn eine Klarstellung im Bundeswaldgesetz not-
wendig ist, um die Bedenken des Kartellamtes auszu-
räumen, dann sollten wir dieses Problem endlich lösen,
nicht nur weil wir endlich Rechtssicherheit brauchen,
sondern vor allen Dingen weil die Beschäftigten in den
Forstämtern, Forstverwaltungen und auch die Waldbe-
sitzer Klarheit brauchen. Der Antrag der Grünen geht
genau in diese Richtung, und deswegen werden wir ihm
zustimmen.

Ich sage aber auch: Beim Bundeswaldgesetz gibt es
noch ganz andere Baustellen. Ich nenne als Beispiel die
Festschreibung von sozialökologischen Mindestkriterien
für die Waldbewirtschaftung. Wir haben dies immer ge-
fordert; die SPD und die Grünen auch – ich weiß. Wenn
es jetzt wirklich noch Debattenbedarf gibt, muss man
das möglicherweise von der Lösung des Kartellamtspro-
blems trennen, damit man das zügig klären kann. Eine
noch bessere Lösung wäre aber, dass es Bewegung bei
den Mindeststandards gibt und sie endlich im Bundes-
waldgesetz festgeschrieben werden. Wir werden diese
Entwicklung jedenfalls weiter beobachten und voran-
bringen.

Wir bleiben Ihnen auf den Fersen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809718000

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Petra Crone, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Crone (SPD):
Rede ID: ID1809718100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Die Forstwirtschaft in
Deutschland ist ein ganz wichtiger Wirtschaftsfaktor.
Allein in Baden-Württemberg werden die Umsätze laut
landeseigener Clusterstudie aus 2010 auf 500 Millionen
Euro beziffert. Zusammengenommen erwirtschafteten
die Betriebe des Clusters Forst und Holz im Jahr 2008
im Ländle einen Umsatz von über 31 Milliarden Euro.
Das ist eine ganze Menge. Ich hoffe sehr, dass wir hier
einer Meinung sind, nämlich dass für diesen bedeuten-
den Wirtschaftszweig die marktwirtschaftlichen Grund-
sätze Anwendung finden müssen.

Ich benenne diesen Fakt so explizit, weil Außenste-
hende bei der Debatte den Eindruck gewinnen konnten,
der Forstwirtschaft, vor allem der staatlichen, gehe es
ausschließlich um das Erreichen von Gemeinwohlzielen.
Die sind auch dabei, klar. Aber auch der Staatsbetrieb im
Forst handelt unternehmerisch. Wer Holz verkauft, ist
Marktteilnehmer und kann erst einmal keine Sonder-
rechte für sich in Anspruch nehmen – Punkt.

Nebenbei, liebe Kolleginnen und Kollegen: Ich hätte
mir niemals gedacht, dass ich einmal Nachhilfe im Fach
„Der Wettbewerb als Grundpfeiler der sozialen Markt-
wirtschaft“ geben werde. Aber wir wachsen ja alle mit
unseren Aufgaben.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sind wir einmal gespannt!)


Was finden wir also vor in der deutschen Forstwirt-
schaft, liebe Kolleginnen und Kollegen? Grundsätzlich
können die forstliche Beratung sowie die Vorbereitung
und Durchführung von Holzeinschlägen, auch das oft
beschworene Auszeichnen von Bäumen zum Einschlag
von privaten Förstern, Forstingenieuren und Forstunter-
nehmen vorgenommen werden – oder von staatlichen.

In der Praxis zeigt sich aber in einigen Bundeslän-
dern, dass private Unternehmen es schwerer haben am
Markt. Warum haben sie es schwerer? Hier können wir
wirklich mal die Dinge beim Namen nennen, anstatt im-
mer so kryptisch zu reden, als wüssten wir alle nicht,
warum. Private Unternehmen haben es schwerer, weil
die Landesforstbetriebe beihilferechtlich zumindest frag-
würdige Preise unter den tatsächlichen Kosten verlan-
gen. Die Preise sind durch den Steuerzahler indirekt sub-
ventioniert. Ich habe den Präsidenten der Forstkammer
Baden-Württemberg, den CDU-Bürgermeister Roland
Burger, sehr wohl gehört, als er bei der Mitglieder-
versammlung in Baden-Baden ins gleiche Horn blies:
Künftig müssten die staatlichen Gebühren für die
Dienstleistungen kostendeckend sein. Die bislang ge-
währte indirekte Förderung werde in eine direkte Förde-
rung umgewandelt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn wir das Bild
zeichnen wollen, das Wirtschaftskraft, Gemeinwohl und
Forderungen nach einem neuen Paragrafen im Bundes-
waldgesetz umfasst, dann, finde ich, sollte das Bild auch
möglichst vollständig sein.


(Beifall bei der SPD)

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich in einigen Bun-
desländern etwas aufgebaut, was die eine Seite als „Ein-
heitsforstamt“ bezeichnet, die andere als „Monstranz
desselben“ geißelt. Dieses Rundumwohlfühlpaket – so
wurde es oftmals genannt – für alle Waldbesitzer, egal
ob Staats-, Kommunal- oder Privatwald, beginnt bei den
Pflanzungen und endet bei der Vermarktung und dem
Verkauf des Holzes. Diese gängige Praxis rief bereits
2002 – das ist eben schon gesagt worden – das Bundes-
kartellamt nach einer Beschwerde der Sägeindustrie auf
den Plan. Damals schon im Blickfeld: Baden-Württem-
berg.

Am Ende der Untersuchungen der 1. Beschlussabtei-
lung des Bundeskartellamtes steht ein beachtliches
Monopol. Andere nennen es Syndikat, wieder andere
Vertriebskartell. Fakt ist: 60 Prozent des Rundholzauf-
kommens vertreibt der Landesbetrieb ForstBW. Das ist
nicht nur Holz aus dem Staatswald, sondern auch Holz
aus Kommunal- und Privatwäldern. ForstBW verhandelt
für alle Waldbesitzer die Preise und bestimmt Kunden
und Verkaufskonditionen. Das ist nicht nur ein Verstoß
gegen das deutsche Kartellrecht, sondern ist auch poten-
ziell geeignet, den innerstaatlichen Wettbewerb in der
EU zu behindern. Das ist laut dem Vertrag über die Ar-
beitsweise der Europäischen Union verboten.

Früher lag die Schwelle für eine den Markt beherr-
schende Stellung bei 30 Prozent, heute bei 40 Prozent. In
Baden-Württemberg sind es aber 60 Prozent.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auf was beziehen Sie das jetzt, auf welche Quote? Schauen wir uns doch mal den EU-Markt an!)


Und was, lieber Harald Ebner, steht noch mal im Wahl-
programm von Bündnis 90/Die Grünen von 2013 auf
Seite 65? Sie fordern darin eine Stärkung des Bundes-
kartellamtes „bei der Regulierung von … monopolisti-
schen Märkten“.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sehr geehrte Damen und Herren, die Verhandlungen
des Landes Baden-Württemberg in dem Kartellverfahren
sind gescheitert. Das ist schade, denn Ende 2014 standen
alle Zeichen auf Einvernehmen. Betreuungsangebote
durch das Land für kleine private Waldbesitzer wären
vom Kartellamt gebilligt worden. Da deren Holzmenge
im Regelfall deutlich unter 100 Hektar liegt, hatte das
Kartellamt eine entsprechende Schwelle pro Waldbesitzer
vorgesehen. Ich will diesen Fakt noch einmal erklären,
liebe Kollegen und Kolleginnen: Mit der 100-Hektar-
Schwelle würdigt das Gesetz gegen Wettbewerbsbe-
schränkungen den Arbeitsgemeinschaftsgedanken, ohne
den die forstwirtschaftliche Leistung nicht möglich
wäre. Heißt: Eine gedeihliche Kooperation zwischen
Land und Waldbesitzern unterhalb dieser Schwelle wäre
möglich gewesen.

Ehrlich gesagt: Ich hätte es besser gefunden, wenn
Forstminister Bonde weiter mit dem Bundeskartellamt
nach einer vernünftigen Lösung gesucht hätte. Das Land





Petra Crone


(A) (C)



(D)(B)

wird jetzt voraussichtlich die Untersagungsentscheidung
abwarten, um diese dann gerichtlich überprüfen zu las-
sen. Ländersache also? Oder doch nicht?

Hoffnungsvoll blicken jetzt alle Beteiligten des Lan-
des auf unser Landwirtschaftsressort im Bund. Auch die
SPD-Bundestagsfraktion steht einer Änderung des Bun-
deswaldgesetzes nicht ablehnend gegenüber,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie? Jetzt doch?)


wenn sie denn ordentlich gemacht ist, also aus verfas-
sungsrechtlicher Sicht okay ist, und wenn die fachlichen
Probleme in den Ländern gelöst würden. Das ist die Prä-
misse der SPD an Gesetze: gute Gesetze und nicht Sym-
bolpolitik, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD)


In insgesamt fünf Bundesländern sind die Strukturen
bedenklich; folglich sind sie es in elf anderen Bundes-
ländern nicht. Die Frage, die wir uns als Bundespolitiker
stellen müssen, ist doch die: Warum sollte der Bund in
die föderalen Strukturen ordnungsrechtlich eingreifen,
wenn kartellrechtlich unbedenkliche Lösungen vor der
Haustür liegen? Das Verfahren ruft zu Recht Kritiker
und Mahner einer Gesetzesänderung auf den Plan. Was
oftmals nicht gesehen oder besser nicht gesagt wird:
Auch die Forstpartie hat keine einheitliche Position.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, selten wurde das
Für und Wider präziser, klüger und vielschichtiger erwo-
gen als beim Kolloquium in Freiburg. Ein bisschen mehr
Verliebtheit in die Mühen des Details würde ich mir auch
für unsere Debatte hier im Hohen Hause wünschen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind doch nicht der verlängerte Arm von Landes-
ministern, lieber Harald Ebner. Wir tragen hier doch
nicht Landespolitik aus, sondern suchen Gesetzesbe-
gründungen für Geeignetheit und Erforderlichkeit der
geplanten Kartellrechtsausnahme.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tragen Sie jetzt den Entwurf mit, oder nicht?)


Nebenbei: Die Beantragung, über die Beschlussempfeh-
lung eine namentliche Abstimmung durchzuführen,
finde ich ziemlich kleinlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Echt?)


Als Abgeordnete sage ich: Das BMEL ist immer noch
am Zug, an einer tragfähigen Formulierung für eine kar-
tellrechtliche Lösung im Bundeswaldgesetz zu arbeiten.
Hier wünsche ich mir von unserem Hause ein bisschen
weniger sachdienlich-juristische Hinweise von außer-
halb und ein Mehr an vertraulicher und konstruktiver
Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Wirt-
schaft. Da ist bislang einfach zu wenig gelaufen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Sehr geehrte Damen und Herren, bestimmt vermissen
Sie in meiner Rede bereits die berühmten drei Worte:
gute fachliche Praxis. Das Bundesumweltministerium
fordert deren Verankerung im Bundeswaldgesetz. Ich
finde, für diese Forderung hat das BMUB gute Gründe,
zum Beispiel, wenn eine Liberalisierung befürchtet wird.
Es hilft übrigens auch ein Blick in das SPD-Regierungs-
programm von 2013. Bei Bündnis 90/Die Grünen finden
Sie es auf Seite 157, Harald Ebner, zur Erinnerung. Wa-
rum Sie jetzt davon nichts mehr wissen wollen, müssen
Sie mir mal in einer ruhigen Minute erklären. Vielleicht
finden wir ja die Zeit.

Ich darf auch daran erinnern, dass wir 2008 in der
Großen Koalition kurz vor der Einigung auf gemeinsame
Kriterien zur guten fachlichen Praxis standen.


(Zuruf von der SPD: Hört! Hört!)


Was ist eigentlich so schlimm an ökologischen Mindest-
standards im Wald, dass wir es nicht einmal schaffen,
uns darauf zu verständigen, darüber zu sprechen, zu er-
örtern, wo Schnittmengen liegen könnten, wie ein Krite-
rienkatalog aussehen könnte, der dann für alle gilt? Denn
dem, der sagt, das könne doch jedes Bundesland in den
Gesetzen selbst regeln, da brauche es keine Ordnungspo-
litik von Berlin aus, dem sage ich: Ja! Das gilt dann aber
auch für die kartellrechtskonformen forstlichen Struktu-
ren. Ansonsten ist es föderal konfus.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es gilt das von unserer Seite Gesagte in der vorliegen-
den Beschlussempfehlung: Die SPD-Bundestagsfraktion
ist bei einer Änderung des Bundeswaldgesetzes an Bord,
wenn uns die Regierung einen guten, fachlich und
grundrechtlich haltbaren Entwurf vorlegt.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809718200

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Harald Ebner von

Bündnis 90/Die Grünen.


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809718300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen

und Kollegen! Die deutsche Waldwirtschaft blickt zu
Recht stolz auf eine 300-jährige Tradition der Nachhal-
tigkeit zurück. Das ist ein Fundament, auf dem wir ange-
sichts der Herausforderungen von Klimawandel und
Artensterben aufbauen könnten – könnten, wenn das
Kartellamt nicht wäre, das den Wald als reine Rohstoff-
quelle für Rundholz betrachtet.

Wälder sind aber – das hat die Kollegin Tackmann
schon gesagt – nicht nur Holzlieferanten, sondern haben
viele Gemeinwohlfunktionen bei Klimaschutz, Luftrein-
haltung, Wasserhaushalt, Artenvielfalt, Naherholung
usw.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])






Harald Ebner


(A) (C)



(B)

Darum ist es heute und auch in Zukunft existenziell, dass
Wälder nicht allein nach Renditekriterien und maximaler
Holzausbeute bewirtschaftet werden. Die staatlichen
Forstverwaltungen haben die verschiedenen Waldfunk-
tionen in ihrem Arbeitsauftrag. In vielen Bundesländern
übernehmen sie für private Waldbesitzer kleiner Wald-
flächen und für waldbesitzende Kommunen Auswahl
und Auszeichnung von Bäumen und bestimmen so ganz
wesentlich das Erscheinungsbild unserer Wälder. Das
hat sich seit Jahrzehnten für die Waldbesitzer, für das
Gemeinwesen, für die Steuerzahler und für die Natur be-
währt. Auch die Sägeunternehmen betonen im Übrigen,
wie praktisch die Bündelung der Holzmengen durch die
Landesforstbetriebe sei, dadurch hätten sie eine verläss-
liche Rohstoffversorgung und keinen zersplitterten Ein-
kauf.

Dennoch fordert das Bundeskartellamt nun faktisch
die Zerschlagung dieser bewährten und breit akzeptier-
ten Strukturen. Warum? Der Bundeskartellamtspräsident
hat es auf den Punkt gebracht: Er hält es nicht für hin-
nehmbar, dass aus Gründen der Preisgestaltung Holzvor-
räte ungenutzt in den Wäldern stehen bleiben und nicht
dem Markt zugeführt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das zeigt: Es geht hier gar nicht um die Frage, wer Holz
vermarktet, sondern nur um die maximale Steigerung
der Holzmenge. Alles andere soll diesem Kriterium un-
tergeordnet werden. Das Kartellamt sieht hier im wahrs-
ten Sinne des Wortes den Wald vor lauter Bäumen nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit Nachhaltigkeit hat das gar nichts mehr zu tun. Im
Gegenteil: Das ist ein Generalangriff auf die Tradition
von Carlowitz, meine Damen und Herren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE])


Die traurige Folge dieses Irrwegs ist ein Kartellver-
fahren gegen die Forstverwaltung Baden-Württemberg.
Auch andere Bundesländer sind aufgrund ähnlicher
Strukturen bereits im Visier. Jetzt drohen jahrelange
Rechtsstreitigkeiten, Schadenersatzforderungen in Mil-
lionenhöhe usw. Auch die Sägeindustrie, die das alles
veranlasst hat, fragt sich inzwischen, wie sie die Geister,
die sie da rief, wieder loswird.

Wichtiger Dreh- und Angelpunkt ist jetzt: Was zählt
zur Holzvermarktung? Etwa schon die Entscheidung da-
rüber, welcher Baum oder welche Baumart im Wald ste-
hen bleibt? Nein, liebe Kolleginnen und Kollegen, Holz-
vermarktung fängt am Wegrand an und nicht vorher. Um
das ein für alle Mal klarzustellen, und zwar so, dass es
auch das Bundeskartellamt kapiert, muss das Bundes-
waldgesetz, Herr Bleser, zügig geändert werden. Genau
darum geht es in unserem Antrag, um nicht mehr und um
nicht weniger.

Über diese Forderungen herrscht angeblich fraktions-
übergreifend Konsens. Heute habe ich zum ersten Mal
von der Kollegin Crone erhebliche Bedenken gehört.
Diese habe ich bislang im Ausschuss nicht hören kön-
nen. Die Forstwirtschaft, die Gewerkschaften, die Land-
räte, die Kommunen, die Umweltverbände – sie alle for-
dern eine schnelle Gesetzesänderung. Auch die
Agrarministerkonferenz hat hierzu einen klaren Be-
schluss gefasst. Warum passiert hier nichts?


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Vielleicht liegt das am Staatssekretär aus Ihrer Partei?)


Viele von Ihnen haben den Betroffenen schnelle Hilfe
versprochen. Doch Sie bleiben sie bis heute schuldig.
Der Gesetzentwurf aus dem BMEL ist seit Monaten im
Nirwana verschwunden; er taucht nicht einmal mehr in
der Vorhabenplanung der Bundesregierung auf.

Die Zeit drängt. Um zu verhindern, dass funktionie-
rende Strukturen zu Bruch gehen, muss jetzt gehandelt
werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein abgestimmter Gesetzentwurf muss endlich auf den
Tisch. Diffuse Bedenken oder weitergehende Forderun-
gen, was sonst noch alles wünschenswert wäre – da
stimme ich Petra Crone zu; da gibt es noch vieles –,
muss man aber in einem zweiten Teil machen. Das müs-
sen wir jetzt zugunsten einer schnellen Lösung zurück-
stellen. Wenn Sie jetzt sagen, liebe Frau Kovac, unser
Antrag sei unnötig, Sie seien schon dran, dann muss ich
Sie fragen: Wo ist denn Ihr Gesetz? Warum geht nichts
voran? Von der Absicht, ein Gesetz zu machen, kann
sich der Wald nichts kaufen.

Seit Mitte Oktober letzten Jahres liegt unser Antrag
vor. Sie haben keine inhaltliche Begründung für Ihre Ab-
lehnung im Ausschuss geliefert. Was hätte eigentlich ge-
gen einen gemeinsamen Antrag gesprochen? Sie haben
sich nicht geregt. Heute ist die Nagelprobe dafür, wie
sehr es Ihnen um die Sache geht. Bislang war Schweigen
im Walde. Heute können Sie beweisen, dass Ihnen die
Zukunftsfähigkeit unserer Wälder und der bewährten
Forststrukturen wirklich am Herzen liegt. Deshalb for-
dern wir Sie auf: Sorgen Sie endlich für die notwendige
Gesetzesänderung! Beenden Sie die unerträgliche Lage
der vom Kartellverfahren bedrohten Länder und der
Forstwirtschaft! Machen Sie einen Knopf dran, und
stimmen Sie unserem Antrag zu, damit der deutsche
Wald eine Zukunft hat!

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809718400

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Alois Rainer,

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Alois Rainer (CSU):
Rede ID: ID1809718500

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Schon 1713 legte Carl von Carlowitz den
Grundstein für die nachhaltige Waldwirtschaft. Heute,
über 300 Jahre später, ist dieses Prinzip in der Forstwirt-
schaft und in der Forstpolitik fest verankert. In seinem

(D)






Alois Rainer


(A) (C)



(D)(B)

Werk Sylvicultura oeconomica – auf Deutsch: nachhal-
tige Forstwirtschaft – ging es um eine kontinuierliche,
beständige und nachhaltige Nutzung des Waldes.

Heute, über 300 Jahre später, ist mit 11,4 Millionen
Hektar Wald ein Drittel der Fläche Deutschlands bewal-
det. Mit der dritten Bundeswaldinventur bekamen wir
darüber hinaus die Informationen, dass in Deutschland
mehr Holz nachwächst, als wir nutzen. Zudem haben wir
mehr davon als jedes andere Land in der Europäischen
Union. Der gute Zustand des Waldes ist das Ergebnis ei-
ner vernünftigen Struktur- und Waldpolitik. Daher ist es
richtig, dass die nachhaltige Bewirtschaftung der Wälder
in Deutschland weiterhin so bestehen bleibt, wie sie der-
zeit in den Waldgesetzen des Bundes und der Länder
festgeschrieben ist. Darum müssen wir nicht ständig
Dinge verändern, die in der Sache bereits seit Jahren her-
vorragend funktionieren. Wir haben Regulatoren und
Mechanismen, die sich bewährt haben und gut sind. Ich
sehe derzeit keinen Anlass, in irgendeiner Weise an den
gesetzlichen Stellschrauben zu drehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es ist auch nicht notwendig, die Waldbesitzer mit
noch mehr Auflagen und Vorschriften einzuschränken;
da ich selbst Waldbesitzer bin, weiß ich, was das bedeu-
tet. Wir werden daran festhalten, die Waldstrategie 2020
voranzutreiben und dabei verstärkt auf die Schutzziele
der Biodiversitätsstrategie zu setzen, so wie wir es im
Koalitionsvertrag festgehalten haben.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, natürlich
muss Holz, das gerodet wird, auch vermarktet werden
können. Hierzu möchte ich gern den Beschluss der
Agrarminister der Länder vom 5. September 2014 in
Erinnerung rufen. Darin stellen sie fest – ich zitiere –:

… dass sich die historisch gewachsenen, länderspe-
zifischen Strukturen in der Unterstützung von
Forstbetrieben unterschiedlicher Waldbesitzarten
bewährt haben. Sie halten mit ihren Einrichtungen
insbesondere bei kleinteiliger Besitzartenzersplitte-
rung regional angepasste Lösungsansätze für eine
nachhaltige Waldbewirtschaftung bereit.

In einem weiteren Punkt bitten die Agrarminister der
Länder – insbesondere die der von SPD und Grünen re-
gierten Länder – den Bund, dafür Sorge zu tragen, dass
die bewährten länderspezifischen Strukturen der Unter-
stützung des nichtstaatlichen Waldbesitzes erhalten
bleiben, und darüber hinaus, dass die Landesforstverwal-
tungen dies im Sinne einer nachhaltigen und gemein-
wohlorientierten Waldbewirtschaftung in den Bundes-
ländern weiter fortsetzen können, und notfalls die dafür
nötigen gesetzgeberischen Maßnahmen zu treffen. Dies,
meine sehr verehrten Damen und Herren, haben wir
längst getan, oder es ist in Arbeit.

Unabhängig davon, dass wir in Bayern bereits seit
Jahrzehnten eine vernünftige und gut funktionierende
Selbstvermarktung haben, möchte ich betonen, dass
Bayern auch bei der aktuellen kartellrechtlichen Frage-
stellung eigentlich außen vor ist. Denn die Organisa-
tionsstruktur im Freistaat wird vom Kartellamt als vor-
bildlich angesehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Daher besteht aus unserer Sicht hier kein Handlungsbe-
darf.

Darüber hinaus findet die geplante Novellierung des
Bundeswaldgesetzes eine breite Unterstützung und
große Zustimmung bei allen Beteiligten, da sie genau die
Felder anspricht, die Sie in Ihrem Antrag auch nennen.
Demzufolge ist der heute vorliegende Antrag zwar nicht
grundsätzlich falsch,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der ist überhaupt nicht falsch!)


aber absolut überflüssig, lieber Herr Kollege,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr traut euch einfach nicht, zuzustimmen!)


da wir bereits, wie erwähnt, seit dem letzten Jahr über
konkrete Formulierungsvorschläge verfügen,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo sind sie denn? Wo ist das Gesetz?)


die sich derzeit in der Ressortabstimmung befinden. Ich
kann Ihrem Antrag auch keine neuen Informationen ent-
nehmen, die nicht längst bekannt sind und bereits umfas-
send diskutiert werden. Der Antrag, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren, ist daher in Gänze abzulehnen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809718600

Vielen Dank.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es macht sich eine
allgemeine Unruhe breit wie immer vor namentlichen
Abstimmungen; aber der Kollege Alois Gerig würde
sich jetzt über Ihre ungeteilte Aufmerksamkeit freuen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Darf ich Sie darum bitten?


Alois Gerig (CDU):
Rede ID: ID1809718700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und Herren! Ich freue mich
nicht nur über die ungeteilte Aufmerksamkeit, ich freue
mich auch, dass wir dank des grünen Antrags das schöne
Thema Wald kurz vor Ostern noch debattieren und be-
handeln dürfen und auch aufgrund der – ebenfalls von
den Grünen beantragten – namentlichen Abstimmung
hier solch eine große Präsenz haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Alois Gerig


(A) (C)



(D)(B)

Aber, liebe Freunde von Bündnis 90/Die Grünen: Es
hilft nichts.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Befürchtung habe ich: dass es nichts hilft!)


Wir werden diesen Antrag ablehnen. Er ist inhaltlich, ich
möchte sagen, tadellos.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also! Dann stimmen Sie doch zu!)


Bereits bei der Einbringung im November 2014 haben
wir sehr wohl die Hand gereicht und gesagt: Die Bun-
desregierung ist unterwegs,


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kommt aber nicht an! Das ist doch das Problem: Unterwegs sein allein nützt nichts!)


es gibt Arbeit im Hintergrund, es gibt Gesetzentwürfe.
Deshalb biete ich noch mal an: Zieht doch diesen Antrag
zurück,


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt ihm doch zu!)


und lasst uns im Sinne der Bedeutung des deutschen
Waldes gemeinsame Sache machen!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dann würden wir auch der Agrarministerkonferenz ge-
recht werden und vielen, vielen Waldbesitzern draußen
in der Praxis.

Ich gebe ja zu: Ich hätte mir die Ressortabstimmung
auch etwas beschleunigter vorgestellt.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir können es heute beschleunigen: durch Zustimmung zu unserem Antrag!)


Eigentlich haben wir hier ein kleines Artikelgesetz, mit
dem wir das Bundeswaldgesetz gemeinsam mit dem
Bundesjagdgesetz behandeln und novellieren wollen;
aber wir tun uns schwer in der Ressortabstimmung. Da
die Kollegin Crone das BMEL benannt hat, füge ich
hinzu: Wir haben mit unserem Ministerium die Feder-
führung, und ich sehe nicht ein, dass an einem kleinen
Artikelgesetz nachher alle mitberaten, dann Ministerien
irgendwelche Auflagen da einbringen wollen, die diesem
Gesetz nicht gerecht werden.

Dem Wald – das wurde heute gesagt – geht es relativ
gut. Relativ heißt: Es gibt Kalamitäten mit Ungeziefer,
mit Frost oder eben auch mit Wind und Schnee. Aber wir
müssen schauen, dass wir im Sinne der ökonomischen
und ökologischen Bedeutung des Waldes, die immens
hoch ist, unsere kleinen Waldbauern schützen.

Der Wald – ein Drittel Deutschlands ist damit be-
wachsen – ist die grüne Lunge, CO2-Senke, er ist Erho-
lungsraum für die Menschen. Holz ist Rohstoff und auch
ein wiederentdeckter sehr wichtiger Baustoff und Ener-
gielieferant. Der bundesweite Cluster Forst und Holz
macht 170 Milliarden Euro Umsatz und bietet 1,2 Mil-
lionen Beschäftigten einen Arbeitsplatz; damit ist er ein
sehr bedeutender Wirtschaftsfaktor.

Ich habe eigentlich kein Verständnis dafür, dass das
Bundeskartellamt, das juristisch recht haben mag, mit
dem Kartellrechtsverfahren gegen Baden-Württemberg
– das angekündigtermaßen auf andere Bundesländer aus-
geweitet wird – genau wieder die Falschen trifft, näm-
lich unsere Kleinwaldbesitzer, die wegen der bescheide-
nen Holzpreise in den vergangenen Jahrzehnten häufig
keinerlei Gewinne machen konnten. Sie alle laufen nach
dem Beschluss des Kartellamts Gefahr, nicht mehr im
bisherigen Maße betreut zu werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Schlimmste, was unseren Waldbesitzern passieren
könnte, wäre – das sage ich vor dem Hintergrund, dass
Baden-Württemberg die Vereinbarung zurückgezogen
hat, ob nun zu Recht oder zu Unrecht –, dass ein Bun-
desland gegen das Kartellamt klagen würde. Das würde
für Unsicherheit an der rechtlichen Front auf mehrere
Jahre sorgen. Das wäre absolut falsch.

Die bewährten Forststrukturen sind in den einzelnen
Bundesländern unterschiedlich gewachsen. In Baden-
Württemberg zum Beispiel sind die Forstverwaltungen
überwiegend beim Land und bei den Kommunen ange-
siedelt. Diese Strukturen würden durch die Umsetzung
des Vorschlags des Kartellamts zerschlagen, mit der
Folge, dass akute Probleme bei den Kommunen als Ar-
beitgeber einerseits und bei den Waldbesitzern anderer-
seits auftreten würden.

Ich betone vor diesem Hintergrund noch einmal:
Wichtig ist die vorgesehene, mit den bundesweit agie-
renden Forstverbänden abgestimmte Gesetzesänderung;
das war eine recht schwierige Geburt. Einerseits werden
dadurch bewährte Strukturen gesichert. Andererseits
wird dadurch Raum für neue Entwicklungen in der
freien Marktwirtschaft geschaffen.

Ich schlage abschließend vor: Lassen Sie uns mög-
lichst alle gemeinsam – wir liegen nur minimal ausei-
nander – dafür Sorge tragen, dass der vom Bundesminis-
terium für Ernährung und Landwirtschaft in die
Ressortabstimmung eingebrachte Entwurf eines Waldge-
setzes übernommen wird


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unser Antrag unterstützt das doch!)


und dass keine Spielchen – welcher Art auch immer –
mit diesem relativ kleinen Gesetz gespielt werden.


(Beifall des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir können uns dann glücklich schätzen und unseren
Wald und unsere Waldbesitzer in eine gute Zukunft füh-
ren. Der deutsche Wald und die deutschen Waldbesitzer
haben unsere volle Aufmerksamkeit verdient.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann stimmt doch unserem Antrag zu!)


In den letzten 15 Sekunden meiner Redezeit möchte
ich Sie bitten, Ihren Antrag zurückzuziehen.





Alois Gerig


(A) (C)



(D)(B)


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wirklich albern!)


Dann sind wir auf einer großen gemeinsamen Linie.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809718800

Vielen Dank. – Damit ist die Aussprache beendet.

Da ich davon ausgehe, dass die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen Ihrer Bitte, Herr Gerig, nicht folgt, kommen
wir zur Abstimmung über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft zu dem
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Ti-
tel „Nachhaltige Waldbewirtschaftung sicherstellen –
Kooperative Holzvermarktung ermöglichen“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 18/3578, den Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2876 abzulehnen.

Wir stimmen auf Verlangen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses namentlich ab. Zu dieser Abstimmung liegen
uns bisher 49 Erklärungen nach § 31 unserer Geschäfts-
ordnung vor.1)

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. Sind alle Urnen be-
setzt? – Das ist der Fall. Dann eröffne ich die Abstim-
mung.

Gibt es ein Mitglied des Hauses, das seine Stimme
noch nicht abgegeben hat? – Ich sehe keine Kolleginnen
und Kollegen mehr, die nicht abgestimmt haben. Dann
beende ich die Abstimmung und bitte die Schriftführe-
rinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu begin-
nen. Das Ergebnis der Abstimmung wird Ihnen später
bekannt gegeben.2)

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/49/EU
des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 16. April 2014 über Einlagensicherungs-
systeme

(DGSD-Umsetzungsgesetz)

Drucksachen 18/3786, 18/3992
Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


Drucksache 18/4451
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für

die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Alexander Radwan, CDU/CSU-Fraktion.

1) Anlagen 3 bis 5
2) Seite 9258 D

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1809718900

Meine Damen und Herren! Wir beraten heute die Ein-

lagensicherung. Dabei handelt es sich um die letzte
Säule der Bankenunion.

Lassen Sie mich in Erinnerung rufen: Mit der Regu-
lierung der Kapitalmärkte auf europäischer Ebene ging
es los. Wir haben dann die Aufsicht eingeführt, die jetzt
bei der Europäischen Zentralbank liegt, welche ihre Auf-
gabe angegangen ist. Diese Aufsicht – das möchte ich
schon betonen – ist ein großer Fortschritt, weil wir die
Banken und die Produkte jetzt grenzüberschreitend be-
aufsichtigen können.

Die Europäische Zentralbank übt auf der einen Seite
eine unmittelbare Aufsicht aus. Auf der anderen Seite
werden mittelbar auch die Regionalbanken und die klei-
nen Banken beaufsichtigt. Von daher ist es mir schon
wichtig, dass wir als Bundestag genau hinschauen, wie
diese Aufsicht in der Praxis funktioniert. Wir wollten
immer, dass unsere Regionalbanken mit Blick auf die
Aufsicht nicht überfordert werden, die hier durch die
BaFin wahrgenommen wird.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist es!)


Wir haben dann auf europäischer Ebene die Abwick-
lung geregelt und dann national umgesetzt. Ich möchte
nur anmerken: Der erste Fall ist jetzt in Österreich einge-
treten. Wir haben festgestellt, dass Garantien durch den
Staat Österreich, aber auch durch das Land Kärnten
wohl nicht so sicher sind, wie wir uns das erhofft hatten.
Ich wünsche mir, die Europäische Kommission, die im-
mer sehr kritisch auf die verschiedenen Bereiche schaut,
möge sich den Fall der HGAA in Österreich genau vor
Augen führen, um zu sehen, was da passiert ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Heute beschließen wir die Einlagensicherung. Anders
als bei der Abwicklung haben wir hier keinen europäi-
schen, sondern einen nationalen Fonds, was ich für rich-
tig halte: Die nationalen Banken haften für ihren Be-
reich, aber nicht darüber hinaus. Es geht um 0,8 Prozent
der gedeckten Einlagen.

Es geht hier erst einmal um Verbraucherschutz. Die
Erstattung bis zu einer Summe von 100 000 Euro wird
zukünftig ohne Antrag gewährleistet. Damit soll auch
verhindert werden, dass es künftig wieder zu langen
Schlangen vor den Banken kommt – wir alle haben noch
die Bilder im Kopf –, wie wir sie früher beim Banken-
Run erleben mussten und wie wir sie kürzlich bei der Fi-
nanzkrise in Großbritannien gesehen haben. Die Bürger
sollen wissen, dass ihre Einlagen sicher sind, zumindest
bis zu einem Volumen von 100 000 Euro.

Wir verkürzen die Auszahlungsfrist auf sieben Tage.
Das heißt, innerhalb von sieben Tagen muss ausgezahlt
werden – ohne Antrag. Und wir werden – das finde ich
ganz besonders wichtig – die Summe von 500 000 Euro
beim Eingang bestimmter Zahlungen garantieren, zum





Alexander Radwan


(A) (C)



(D)(B)

Beispiel aufgrund von Abfindungen oder nach Immobi-
liengeschäften, weil dann ein größerer Betrag auf dem
Konto ist. Das ist in diesem Bereich ein großer Fort-
schritt.

Der zweite Punkt, der uns von der CDU/CSU-Frak-
tion wichtig ist, ist, dass das Dreisäulensystem erhalten
bleibt und sich in die Struktur einfügen kann. Da hatten
wir bis zum Schluss Diskussionen über die Frage: Wie
ist es mit den privaten Einrichtungen? Da können wir
uns sicherlich eine Weiterentwicklung vorstellen, wenn
folgender Grundsatz eingehalten wird: Es handelt sich
um öffentliche Gelder, und mit diesen öffentlichen Gel-
dern muss man entsprechend vorsichtig umgehen.

Ein anderer Punkt ist, dass auch Sparkassen und Ge-
nossenschaftsbanken bei entsprechenden Anpassungen
– wir alle bekommen die Diskussionen über die Anpas-
sungen mit – im europäischen Rahmen einem entspre-
chenden Verbundsystem der Einlagensicherung ange-
hören können, aber unter Berücksichtigung ihrer
nationalen Strukturen. Das, meine Damen und Herren,
ist gelebte Subsidiarität: Wir machen europäische Vorga-
ben, berücksichtigen dabei aber die nationalen Beson-
derheiten. Ich bin sehr dankbar, dass uns das gelungen
ist.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Zusammenhang mit dem Verbundsystem ist es
wichtig, dass auch die Risikoverteilung und risikoad-
äquate Bemessungen der Beiträge berücksichtigt wer-
den. Ein Punkt, den wir von der Unionsfraktion disku-
tiert haben – ich habe das aber auch aus den Beiträgen
der Kollegen aus den anderen Fraktionen
herausgehört –, ist die Frage, wie wir zukünftig mit eu-
ropäischen Vorgaben der EBA im Rahmen von Level 2
und Level 3 umgehen. Die Situation ist so, dass in Richt-
linien und Verordnungen Kompetenzen auf Experten-
gruppen wie die von EBA und ESMA verlagert werden,
und diese konkretisieren dann solche Maßnahmen. Wir
haben auf europäischer Ebene ein parlamentarisches
Kontrollsystem: Das Europäische Parlament kann ein
Veto einlegen, wenn die Kommission einen entsprechen-
den Vorschlag macht.

Aber auch wir als Bundestag, wir als Abgeordnete des
deutschen Volkes müssen und sollen darauf achten, dass
die Gesetze, die wir beschließen, in unserem Sinne dann
auch angewendet werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn Probleme bei der Umsetzung auftreten, wendet
man sich nämlich an den jeweiligen Abgeordneten und
fragt: Was für Gesetze habt ihr gemacht, und wie geht
die Verwaltung damit um? – Nach meinem Kenntnis-
stand haben wir hier zum ersten Mal einen Versuch ge-
macht. Ich bin aber nach wie vor für schärfere Regeln. –
Frau Präsidentin, Sie mahnen mich gerade. Mir stehen
neun Minuten Redezeit zur Verfügung; jetzt wollen Sie
mir nur fünf Minuten geben. Aber vielleicht war meine
Information falsch.

Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809719000

Sie haben neun Minuten Redezeit. Wenn dies nicht

ersichtlich war, dann tut es mir leid. Sie bekommen jetzt
also noch vier Minuten Redezeit.


Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1809719100

Das muss Ihnen nicht leidtun.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809719200

Sie haben jetzt noch vier Minuten Redezeit. Wenn Sie

etwas kürzer reden, ist es auch nicht schlimm.


(Heiterkeit – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man muss das nicht ausschöpfen!)



Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1809719300

Haben Sie eine Ahnung! – Lassen Sie mich noch ein-

mal zur EBA kommen. Unsere Beschlussempfehlung
enthält einen Passus, in dem wir klarmachen: Wir möch-
ten, dass die entsprechenden Vorgaben der EBA die Risi-
koadäquanz bei den Gebühren berücksichtigen. Sollte
dies nicht der Fall sein – wir wissen ja nicht, wie ent-
sprechende Beschlüsse durch die Aufseher in Europa er-
folgen –, dann erwarten wir von der BaFin, diese nicht
anzuwenden; dieses Wahlrecht hat sie. Wenn sie sie an-
wenden will, dann erwarten wir, dass dies vorher vor
dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestages be-
gründet wird. Das ist ein erster Versuch. Aber ich denke,
da die Kapitalmarktregulierung wie andere Regulierun-
gen auch sehr stark nach dem Komitologie-Verfahren
abläuft, angefangen auf der internationalen Ebene wie
Basel II oder IFRS über die europäische Ebene bis hin
zur nationalen Ebene, müssen wir alles daransetzen, hier
nach Möglichkeit noch strengere Vorgaben zu machen,
um der Verwaltung dabei zu helfen, sich am Willen des
Gesetzgebers zu orientieren.

Wir haben die Diskussion um die Rolle des Rech-
nungshofes gehabt. Wir hatten Konsens, dass der Rech-
nungshof entsprechend seinen engen Vorgaben tätig
werden kann. Was die steuerliche Behandlung angeht,
waren wir uns einig, dass wir keine Übertragung wollen,
weil wir nicht möchten, dass das Kapital zurückgeführt
wird. Wenn eine entsprechende Vorgabe aus Brüssel
kommen sollte, sollte die Beitragsentrichtung von Ban-
ken und Wertpapierunternehmen so sein, dass Wettbe-
werbsgleichheit besteht.

Meine Damen und Herren, uns ist gemeinsam ein gu-
ter Schritt gelungen. Im Vergleich zu Diskussionen, die
wir im Finanzausschuss über andere Bereiche, zum Bei-
spiel Griechenland, führen, war die Atmosphäre unter
den Fraktionen recht harmonisch. Unterschiedliche Auf-
fassungen gab es nur in Details. Ich bedanke mich beim
Bundesfinanzministerium für die gute, konstruktive Un-
terstützung. Ich plädiere natürlich für Zustimmung zu
diesem Gesetz.

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809719400

Vielen Dank. – Ich bedanke mich für die vorbildliche

Einhaltung der Redezeit.

Nächster Redner ist jetzt der Kollege Dr. Axel Troost,
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809719500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Für die allermeisten von uns gilt: Wer Geld aufbewahren
will und wer Zahlungen abwickeln will, hat ein Bank-
konto, weil das in der Regel doch besser ist als das Kopf-
kissen und der schwarze Koffer. Die geldwirtschaftli-
chen Infrastrukturen müssen insofern erhalten bleiben
und sicher sein.

Das Einlagensicherungsgesetz bringt uns hier auf eu-
ropäischer Ebene sicherlich einen Schritt weiter und ist
insofern Bestandteil einer besseren Finanzmarktregulie-
rung. Es zwingt nun alle dazu, sich an diese EU-Richtli-
nie zu halten. Dabei muss in Deutschland relativ wenig
geändert werden, weil unsere Einlagensicherungssys-
teme den angestrebten Vorstellungen schon sehr nahe-
kommen.

Ich will aber sagen, dass wir schon noch die eine oder
andere Frage haben. Trotzdem bleibt es dabei: Das Ge-
setz geht in die richtige Richtung. Es ist sicherlich kein
großer Wurf; wir werden uns bei der Abstimmung ent-
halten. Wie gesagt, wir glauben aber, dass es in die rich-
tige Richtung geht.

Ich will allerdings noch drei Punkte hervorheben:

Erstens. Schon mein Vorredner hat es ausgeführt: Zu-
künftig sind Einlagen bis zu 100 000 Euro gesichert. Zu-
dem ist festgelegt worden, dass in bestimmten Fällen
– Auszahlung einer Rente, Auszahlung einer Lebensver-
sicherung, Einnahmen aus dem Verkauf eines Hauses
und in anderen Fällen – bis zu 500 000 Euro gesichert
sind. Das ist sicherlich auch vernünftig.

Sicherlich ist es auch so, dass bei Pleiten kleiner Ban-
ken all diese Maßnahmen reichen werden. Wenn wirk-
lich große, systemrelevante Banken in Schieflage gera-
ten, wird das im Zweifelsfall nicht reichen. Allerdings
kommt dann auch nicht sofort die Einlagensicherung
zum Tragen, sondern es gibt dazwischen noch die Ab-
wicklungsmechanismen; denn gerade für diese Banken
sind auch andere Mechanismen geschaffen worden.
Trotzdem wird es natürlich dabei bleiben, dass in sol-
chen Fällen die Politik und möglicherweise am Ende
auch die Steuerzahler weiter benötigt werden.

Zweitens. Für Pleiten einzelner kleinerer Institute ha-
ben wir, wie schon gesagt, in Deutschland ein bewährtes
dreigliedriges System. Insbesondere bei den Sparkassen
und Genossenschaftsbanken ist es so, dass auch jetzt
schon nicht nur 100 000 Euro gesichert sind, sondern es
wird das gesamte Institut, das vor der Insolvenz steht,
entsprechend gerettet. Der Kollege Radwan hat darauf
hingewiesen, dass es Schwierigkeiten oder erst einmal
Unklarheiten gab, ob man das deutsche System mit der
Dreigliedrigkeit eins zu eins übertragen kann. Das ist
weitestgehend gelungen. Ich fand das, was er eben hier
ausgeführt hat, wirklich bemerkenswert und interessant.
Denn letztendlich heißt es: Es gelingt nicht immer,
Richtlinien so auszugestalten, dass sie den nationalen
Spezialitäten im Einzelnen gerecht werden.

Wenn die Europäische Bankenaufsicht – das ist die
Langfassung für die Kurzfassung EBA; ich würde drau-
ßen wieder beschimpft werden, wenn ich nur „EBA“ sa-
gen würde – für die Bundesrepublik nicht passende Um-
setzungsrichtlinien festlegen würde, insbesondere was
Sparkassen und Genossenschaftsbanken angeht, sodass
zwischen diesen kleinen Instituten und den Zentralinsti-
tuten hinsichtlich der Beiträge ein Ungleichgewicht be-
stünde, könnten wir sagen: Wir sorgen dafür, dass die
BaFin hier aushilft. Oder zur Not helfen wir als Bundes-
tag aus. – Das wäre sicherlich vernünftig.

Drittens. Für die meisten Bürgerinnen und Bürger
steht im Augenblick gar nicht das Problem von Banken-
pleiten im Mittelpunkt. Vielmehr geht es ihnen um die
niedrigen Zinsen, mit denen sie so gut wie nicht leben
können. Das ist als solches nicht zu dramatisieren. Man
muss immer wieder hervorheben, dass in Zeiten ohne
Wachstum und Inflation auch 0,05 Prozent Zinsen nicht
automatisch einen realen Verlust darstellen.


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Genau!)


Vor zwei, drei Jahren hatten wir noch 2,5 Prozent Zin-
sen, aber 3 Prozent Inflationsrate. Da war die Situation
schlechter. Darüber hat niemand geschimpft.

Trotzdem ist das natürlich ein Anzeichen, dass wir in
Europa nach wie vor in einer tiefen Wirtschaftskrise ste-
cken. Wir stecken in einer Wachstumskrise und haben
eine hohe Arbeitslosigkeit. Außerdem besteht Defla-
tionsgefahr. Deswegen ist und bleibt es so – das will ich
auch an dieser Stelle sagen –, dass wir einen Politik-
wechsel brauchen. Wir müssen raus aus dem Kaputtspa-
ren. Gerade aus Deutschland heraus müssen wir Impulse
mit mehr öffentlichen Investitionen setzen, um eben
auch Wachstum zu generieren und damit insgesamt die
Euro-Zone aus diesen stagnativen Tendenzen herauszu-
bringen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809719600

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Manfred Zöllmer, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1809719700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Die Finanzkrise ist zurück in Deutschland“ – so war zu-
mindest in der FAZ vor einigen Tagen zu lesen. „Die
deutschen Privatbanken übernehmen die Düsseldorfer
Hypothekenbank mit ihrem Einlagensicherungsfond“ –
so konnte man weiterlesen. Was war der Hintergrund?
Der Düsseldorfer Hypothekenbank drohte die Insolvenz,

(B)






Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)

und der bisherige Eigner Lone Star – ich sage in Klam-
mern: wir haben früher „Heuschrecke“ dazu gesagt –


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])


war nicht bereit, sich finanziell weiter zu engagieren.
Die Bank ist nicht systemrelevant. Die Bilanzsumme

beträgt nur 11 Milliarden Euro – das ist für Bankenver-
hältnisse nicht viel –, aber sie ist wichtig für den deut-
schen Pfandbriefmarkt, der immerhin ein Volumen von
500 Milliarden Euro hat. Nun wird diese Bank bereits
zum zweiten Mal von einem Einlagensicherungsfonds
übernommen. Das erste Mal geschah das in der Finanz-
krise 2008.

Damit sind wir ganz aktuell bei unserem Thema, das
wir heute diskutieren, nämlich der Einlagensicherung,
und bei dem Gesetzentwurf, den wir heute verabschie-
den wollen. Die Geschichte des Bankwesens war immer
eng mit Krisen und dem Verlust von Kundengeldern ver-
bunden. Ich erinnere nur an die Herstatt-Bank 1974 oder
an die Bank Northern Rock in Großbritannien im Kri-
senjahr 2008.

In Deutschland wurden lange Schlangen von Kunden
vor Banken durch die Garantie von Bundeskanzlerin
Merkel und Finanzminister Steinbrück verhindert. Sie
garantierten die Sicherheit der Einlagen.

All diese Ereignisse zeigen, wie bedeutsam der vorlie-
gende Gesetzentwurf zur Einlagensicherung ist. Man muss
sich vor Augen führen, dass es in Deutschland immerhin
um die gewaltige Summe von fast 3 Billionen Euro und
um die Stabilität des gesamten Finanzsystems geht.

Mit dem Gesetzentwurf wird neben Aufsicht und Ab-
wicklung die dritte Säule der europäischen Bankenunion
etabliert. Damit erreichen wir eine neue Qualität der Zu-
sammenarbeit in Europa und eine neue Stufe der Finanz-
marktstabilität.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wissen zwar, dass es eine hundertprozentige Sicher-
heit vor neuen Krisen nicht gibt. Aber die Wahrschein-
lichkeit einer Wiederholung der Krise, wie wir sie erlebt
haben, ist sehr viel geringer geworden.

Anders als bei der Schaffung einer gemeinsamen Auf-
sicht und eines Abwicklungsregimes auf europäischer
Ebene wollten wir bei der Einlagensicherung keine Ver-
gemeinschaftung der Risiken. Der deutsche Sparer sollte
nicht für die Einlagen eines Bankkunden anderswo in
Europa haften, falls seine Bank insolvent wird.

Wir wollten aber den Flickenteppich europäischer
Entschädigungsregelungen vereinheitlichen und mit ge-
meinsamen Regeln neues Vertrauen schaffen und dabei
die besondere Struktur des deutschen Finanzwesens er-
halten. Es galt, unser traditionelles Drei-Säulen-System
aus privaten Banken, Sparkassen und Genossenschafts-
banken mit den jeweiligen gesetzlichen, institutssichern-
den und freiwilligen Einlagensicherungseinrichtungen in
das neue europaweite System zu integrieren. Das ist zu
100 Prozent gelungen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf setzen wir eine
europäische Richtlinie um. Deshalb gilt unser Dank auch
dem Europaparlament, das sich in dieser Frage sehr er-
folgreich engagiert hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alle Einlagensicherungssysteme eines Mitgliedstaates
müssen jetzt verpflichtend innerhalb von zehn Jahren ein
Mindestvermögen von 0,8 Prozent der gedeckten Einla-
gen ihrer Kreditinstitute ansparen. Damit werden euro-
paweit für den Fall der Insolvenz einer Bank mindestens
100 000 Euro pro Anleger garantiert, in besonderen Fäl-
len auch bis zu 500 000 Euro. Das ist allerdings nur die
Basisabsicherung. Die Institutssicherungssysteme und
die Einlagensicherung der privaten Banken leisten da-
rüber hinaus.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, unsere Gesetzesbe-
ratung war sehr konstruktiv. Dafür möchte ich mich
beim Koalitionspartner, aber auch bei der Opposition be-
danken. Wichtig war uns eine angemessene und risiko-
gerechte Verteilung der Beitragslasten. Der Kollege
Radwan hat es eben schon angesprochen. Die EBA ist
hier in der Verantwortung, entsprechende Vorgaben zu
machen. Wir werden darauf achten, dass sie auch wirk-
lich risikoangemessen sind, das heißt, dass Institute mit
hohem Risiko auch entsprechend höhere Beiträge leisten
müssen. Denn wir haben ein sehr ausdifferenziertes und
kleinteiliges Bankensystem, das wir erhalten wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben neben einigen anderen Sachen auch die
Prüfungsrechte des Bundesrechnungshofs erweitert. Er
darf nun die wirtschaftliche Anlage und Verwaltung der
verfügbaren Finanzmittel der Einlagensicherungssys-
teme sowie die ordnungsgemäße und wirtschaftliche
Durchführung des Entschädigungsverfahrens überprü-
fen, und ich denke, das ist auch gut so.

Ich freue mich über die breite Unterstützung dieses
Gesetzentwurfs. Die Grünen haben angekündigt, dass sie
zustimmen werden. Mit diesem Gesetz wird die Banken-
union in Europa Realität. Die Finanzmärkte werden sta-
biler, und die Sparerinnen und Sparer werden besser ge-
schützt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809719800

Ich verlese das Protokoll über das von den Schriftfüh-

rerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der na-
mentlichen Abstimmung über die Beschlussempfeh-
lung des Ausschusses für Ernährung und Landwirtschaft
zum Antrag der Abgeordneten Harald Ebner, Steffi
Lemke, Bärbel Höhn und weiterer Abgeordneter der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit dem Titel „Nach-
haltige Waldbewirtschaftung sicherstellen – Kooperative
Holzvermarktung ermöglichen“, Drucksachen 18/2876
und 18/3578: abgegebene Stimmen 563. Mit Ja haben
gestimmt 448, mit Nein haben gestimmt 115. Damit ist
die Beschlussempfehlung angenommen.





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 563;
davon

ja: 448
nein: 115

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Dorothee Bär
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Günter Baumann
Maik Beermann
Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Dr. Helge Braun
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Alexander Dobrindt
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach

(Karlsruhe Land)

Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Michael Frieser
Dr. Michael Fuchs
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Alexander Hoffmann
Thorsten Hoffmann


(Dortmund)

Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Margaret Horb
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Dr. Günter Krings
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Dr. Gerd Müller
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Julia Obermeier
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Kerstin Radomski
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Katherina Reiche (Potsdam)

Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Dr. Wolfgang Schäuble
Andreas Scheuer
Karl Schiewerling
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Ronja Schmitt (Althengstett)

Patrick Schnieder
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Marco Bülow
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Daniela De Ridder
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Angelika Glöckner
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Rita Hagl-Kehl
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Dr. Barbara Hendricks
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Josip Juratovic
Thomas Jurk
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Anette Kramme
Christine Lambrecht
Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Kirsten Lühmann
Dr. Birgit Malecha-Nissen
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Detlef Müller (Chemnitz)

Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Markus Paschke
Christian Petry
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Christoph Strässer
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Carsten Träger
Rüdiger Veit
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

CDU/CSU

Josef Göppel
DIE LINKE

Jan van Aken
Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Sevim Dağdelen
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Annette Groth
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jan Korte
Jutta Krellmann
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Michael Leutert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Birgit Menz
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Norbert Müller (Potsdam)

Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
Sabine Zimmermann


(Zwickau)


BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Ekin Deligöz





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(B)

Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Katrin Göring-Eckardt
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Omid Nouripour
Friedrich Ostendorff
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Manuel Sarrazin
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

(D)

Als Nächstem erteile ich dem Abgeordneten
Dr. Gerhard Schick, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


(Beifall des Abg. Christian Petry [SPD] – Heiterkeit)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist in meiner Fraktion nicht üblich, dass wir vor
dem Reden klatschen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Danke schön. – Wir wollen erst einmal wissen, was ge-
sagt wird. Aber ich danke schon einmal.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Wir haben mehr Vertrauen in die Leute!)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist gut, dass wir uns in dieser insgesamt eher von Harmo-
nie geprägten Debatte die abendliche Zeit mit ein biss-
chen Humor versüßen. Tatsache ist – der Kollege hat es
schon gesagt –, dass wir dem Gesetzentwurf zustimmen
werden; denn auch wir meinen, dass eine harmonisierte
Einlagensicherung ein unverzichtbarer Teil der europäi-
schen Bankenunion ist. Neben der gemeinsamen Auf-
sicht und dem gemeinsamen Restrukturierungsmecha-
nismus ist eine stabile Einlagensicherung eine wichtige
dritte Säule. Das haben wir von Anfang an mit unter-
stützt.

Wenn man sich im Rückblick die drei Säulen an-
schaut, fällt schon auf, dass die Bundesregierung bei al-
len drei Säulen erst einmal gezögert und gebremst hat
und zum Jagen getragen werden musste. Dass jetzt trotz-
dem etwas Sinnvolles herausgekommen ist, ist deswe-
gen eher der Überwindung dieser Bremsaktionen ge-
schuldet. Bei dem Thema der Einlagensicherung haben
Sie sogar mit einer Subsidiaritätsrüge versucht, das
ganze Projekt zu Fall zu bringen. Zum Glück ist das
nicht gelungen, zum Glück haben Sie sich nicht durch-
gesetzt; denn die Harmonisierung der Einlagensiche-
rungssysteme ist ein wichtiger Schritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es ist schon gesagt worden, warum das wichtig ist. Es
braucht Vertrauen der Einleger, dass sie auch im Falle
der Schieflage einer Bank über ihre Einlagen verfügen
können. Sonst würde der Bank Run drohen, eine Desta-
bilisierung der Situation. Das kann in Krisensituationen
dazu führen, dass im Zweifelsfall der Steuerzahler ein-
stehen muss. Die Garantieerklärung der Bundeskanzle-
rin und des Finanzministers Steinbrück im Herbst 2008
hat genau das impliziert. Es ist wichtig, dass es zu einer
solchen Situation nicht kommt, dass es also kein Über-
springen der Risiken von Banken auf Staaten gibt.

Zur Aufrechterhaltung des Vertrauens brauchen wir
eine Harmonisierung, damit es in Europa in Krisenzeiten
nicht zu einem problematischen Wettlauf um die sichers-
ten Systeme kommt. Wir als Grüne begrüßen jetzt den
Aufbau von Einlagensicherungsfonds durch Beiträge der
Institute und dass es gelungen ist, die Regelung so aus-
zugestalten, dass auch die kleinen Banken in Deutsch-
land, also Genossenschaftsbanken und Sparkassen, da-
mit leben können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Auch die Höhe der Vorsorge von 0,8 Prozent der ge-
deckten Einlagen ist vertretbar, auch wenn wir eine et-
was höhere Abdeckung für richtig gehalten hätten. Wir
finden es auch richtig – das betrifft die Umsetzung hier
in Deutschland –, dass der Bundesrechnungshof eine
Prüfungsmöglichkeit erhält.

Obwohl wir zustimmen, möchte ich zwei Punkte in
Bezug auf die Verhandlungsposition der Bundesregie-
rung und die Umsetzung kritisieren.

Der erste Punkt ist die gegenseitige Kreditvergabe.
Die Situation in Europa würde stabiler, wenn sich die
Einlagensicherungssysteme gegenseitig Kredite geben
könnten. Natürlich muss man da über Fragen der Haf-
tung und der Kontrolle reden, damit es nicht zu falschen
Anreizen kommt. Aber statt dieses Problem anzugehen,
hat sich die Bundesregierung von Anfang an in ihrer ab-
lehnenden Haltung eingemauert. Das finden wir falsch.
Wir hätten die Möglichkeit gehabt, über eine Vernetzung
der Einlagensicherungssysteme das Gesamtsystem in
Europa im Interesse der Kundinnen und Kunden noch
stabiler zu machen. Hier blieb eine gute europäische
Chance leider ungenutzt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)

Der zweite Punkt. Auch dazu eine kritische An-
merkung. Die Richtlinie schreibt vor, dass mindestens
70 Prozent der Finanzmittel des Einlagensicherungs-
fonds tatsächlich einbezahlt werden müssen. Bis zu
30 Prozent der Finanzmittel können auch durch Zah-
lungsverpflichtungen abgedeckt werden. In der Umset-
zung schöpft die Koalition diesen Spielraum vollständig
aus, und das ist aus mehreren Gründen problematisch:

Erstens – das ist offensichtlich – sind Zahlungsver-
pflichtungen weniger liquide, bieten weniger Sicherheit
und sind nicht im gleichen Maß verfügbar wie Barmittel.

Zweitens – das ist unter Stabilitätsgesichtspunkten
viel wichtiger – wirken solche Zahlungsverpflichtungen,
wenn sie in Krisensituationen abgerufen werden, prozy-
klisch. Das kann Krisen verschärfen.

Drittens – da wird es jetzt etwas technisch – ver-
schärft das das Problem der Belastung der Vermögens-
werte in den Banken, das Problem der sogenannten
Asset Encumbrance. Einfach ausgedrückt: Wenn immer
mehr Vermögenswerte schon für bestimmte Zwecke re-
serviert werden, dann kann in Krisenzeiten nicht mehr
darauf zurückgegriffen werden. Auch das wirkt krisen-
verschärfend.

Deswegen halten wir es für falsch, die Möglichkeiten
zur Abdeckung der Finanzmittel durch Zahlungsver-
pflichtungen vollständig auszuschöpfen. Hier stellt die
Bundesregierung die Wettbewerbssorgen der Institute
über die Interessen der Finanzmarktstabilität.

Ich will zum Schluss noch einen Blick in die Zukunft
werfen. Es ist so – das finde ich gut –, dass die Kommis-
sion zugesagt hat, die Umsetzung der Richtlinie 2019 zu
evaluieren und noch einmal Vorschläge zur Weiterent-
wicklung vorzulegen. Ich hoffe, dass das dann wirklich
genutzt wird, um noch bestehende Schwächen zu korri-
gieren. Ich hoffe, dass dann eine deutsche Bundesregie-
rung sich konstruktiver und europafreundlicher in die
Diskussion zur Weiterentwicklung der Einlagensiche-
rung einbringt, als es auf dem Weg zum heute zu verab-
schiedenden Gesetz der Fall war.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809719900

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Matthias Hauer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Matthias Hauer (CDU):
Rede ID: ID1809720000

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Heute beraten wir abschließend über den dritten
und damit letzten Baustein der europäischen Banken-
union: die Umsetzung der Richtlinie zur Einlagensiche-
rung. Schon im November letzten Jahres ist der Einheit-
liche Europäische Bankenaufsichtsmechanismus in
Kraft getreten, die erste Säule der Bankenunion. Die
Großbanken in der Euro-Zone werden seitdem zentral
durch die EZB beaufsichtigt, unterstützt durch die natio-
nalen Aufsichtsbehörden. Die Aufsicht über die europäi-
schen Großbanken ist damit erheblich gestärkt worden.

Die zweite Säule der Bankenunion bildet seit Januar
der geltende einheitliche Bankenabwicklungsmechanis-
mus. Es gibt nun klare und europäisch einheitliche
Regeln für die Abwicklung und Sanierung von notlei-
denden Banken. Es haften nun vorrangig die Eigentümer
und Gläubiger der Banken und dann die von den Banken
gefüllten Abwicklungsfonds.

Mit der Umsetzung der Richtlinie über Einlagensi-
cherungssysteme, der dritten Säule der Bankenunion,
gehen wir heute einen Schritt weiter. Wir schützen die
Sparer noch besser vor dem Verlust ihrer Ersparnisse.
Die Banken müssen die Systeme zur Einlagensicherung
finanziell besser ausstatten, und das Erstattungsverfah-
ren wird unbürokratischer, kundenfreundlicher und
transparenter.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Durch die Richtlinie werden nun die Einlagensiche-
rungssysteme EU-weit harmonisiert, und es wird ein
einheitliches Schutzniveau für alle Sparer in der EU
geschaffen. Gut ausgestattete und funktionierende Einla-
gensicherungssysteme sind ein wesentlicher Faktor, um
das Vertrauen in das Bankensystem zu stärken. Auch in
der jüngeren Vergangenheit konnten wir in europäischen
Ländern einen guten Eindruck davon gewinnen, was
passiert, wenn Vertrauen in die finanzielle Leistungs-
fähigkeit von Banken abhandenkommt.

Die Einlagensicherung vermeidet im Krisenfall einen
massiven Abzug von Spareinlagen und trägt somit dazu
bei, dass sich eine Krise nicht weiter verschärft.

In Deutschland haben wir schon lange ein sehr gutes
System der Einlagensicherung. Die Entschädigungsein-
richtungen der privaten und öffentlichen Banken, die
institutsbezogenen Sicherungssysteme der regionalen
Sparkassen- und Giroverbände und die Sicherungs-
einrichtung des Bundesverbandes der Deutschen Volks-
banken und Raiffeisenbanken haben sich in der Vergan-
genheit bewährt. Diese etablierten und historisch
gewachsenen Strukturen bleiben erhalten. Dafür haben
sich CDU und CSU auch in der Vergangenheit stets ein-
gesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD – Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Die SPD auch!)


– Die SPD auch.

Bei der Anhörung zu dem Gesetzentwurf waren sich
die Sachverständigen einig: Die Umsetzung ist gelun-
gen. Auch die Drei-Säulen-Struktur der deutschen
Bankenlandschaft wird berücksichtigt. Für die instituts-
sichernden Systeme des Bundesverbandes der Deut-
schen Volksbanken und Raiffeisenbanken und des Deut-
schen Sparkassen- und Giroverbandes ist nun noch die
endgültige Ausgestaltung der Beitragsbemessung ein
wichtiges Thema. Eine angemessene und risikogerechte
Verteilung der Beitragslasten innerhalb der Systeme
muss sichergestellt werden.





Matthias Hauer


(A) (C)



(D)(B)

Auch künftig haftet die deutsche Einlagensicherung
ausschließlich für Einlagen in Deutschland. Bei Banken
aus anderen EU-Staaten mit deutscher Niederlassung
greift die Einlagensicherung des Herkunftsstaates, bei
Banken mit Sitz im EU-Ausland jeweils das nationale
Einlagensicherungssystem vor Ort.

Eine Vergemeinschaftung der Haftung abzulehnen,
das ist und bleibt eine richtige Entscheidung. Mit der
CDU und der CSU wird es auch künftig kein europäi-
sches System der Einlagensicherung geben, das eine
Vergemeinschaftung der Haftung vorsieht. – An dieser
Stelle hätte der Zwischenruf „Die SPD sieht das ge-
nauso!“ kommen können.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Die haben ein bisschen mehr Europafreundlichkeit!)


Alle EU-Länder sind durch die Richtlinie verpflichtet,
dafür zu sorgen, dass ihre Banken nationale Einlagen-
sicherungssysteme innerhalb einer Frist von zehn Jahren
mit einem Mindestvermögen ausstatten. Wir erhalten
damit EU-weit gleiche Standards und transparente
Regeln, aber eben ohne, dass ein EU-Mitgliedstaat bei
der Einlagensicherung für einen anderen Staat einstehen
muss.

Der Schutz von Sparguthaben in Deutschland hat sich
in den letzten Jahren deutlich verbessert. Die Höhe der
geschützten Einlagen ist nach und nach erhöht worden,
zunächst von 20 000 auf 50 000 Euro, nunmehr auf
100 000 Euro. Auch die frühere Selbstbeteiligung der
Sparer von 10 Prozent ist 2009 komplett entfallen.
Schon heute ist also von der Einlagensicherung ge-
schützt, wer auf seinem Konto ein Guthaben von bis zu
100 000 Euro hat. Mit dem vorliegenden Gesetz behal-
ten wir diese Sicherungsgrenze bei.

Für einige Bereiche heben wir die Sicherungsgrenze
sogar deutlich an, nämlich auf 500 000 Euro. Wer seine
Eigentumswohnung oder sein Haus verkauft, wer aus
einem Sozialplan als Arbeitnehmer eine Zahlung be-
kommt oder eine Versicherungsleistung nach einem
schweren Unfall, der ist künftig stärker geschützt. Für
derartige Ereignisse, bei denen üblicherweise ein großer
Betrag auf einmal auf ein Konto geleistet wird, ist der
Schutz bisher nämlich noch nicht ausreichend. Das än-
dern wir heute. In solchen Sondersituationen profitieren
die Sparer künftig sechs Monate lang mit einem Betrag
bis zu 500 000 Euro von der Einlagensicherung und
haben somit genug Zeit, das Geld nach reiflicher Überle-
gung neu diversifiziert anzulegen.

Uns ist wichtig, dass Sparer im Schadensfall künftig
schnell und unbürokratisch an ihr Geld kommen. Sie
erhalten die Entschädigung nunmehr schon nach 7 Ar-
beitstagen statt bisher nach 20 Tagen und müssen dafür
auch keinen Antrag mehr stellen. Diese schnellere
Auszahlung greift bereits ab Mai 2016. Nach der EU-
Richtlinie hätten wir uns dafür bis zu zehn Jahre Zeit
lassen können. Es ist gut, dass die Bundesregierung für
eine zügige und unbürokratische Umsetzung gesorgt hat.
Im Rahmen der Anhörung gab es viel Lob, nicht nur für
die Richtlinie, sondern auch für das Gesetz: sowohl für
die höhere Sicherungsgrenze von 500 000 Euro als auch
für die rasche Auszahlungsfrist von sieben Arbeitstagen.
Da darf die Opposition ruhig zugeben: Die Bundesregie-
rung hat gute Arbeit geleistet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das ist mir in Ihren Reden ein bisschen zu kurz gekom-
men.


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Haben sie vergessen!)


Die Transparenz wird durch das Gesetz erhöht. Die
Kreditinstitute werden nun verpflichtet, ihre Kunden
besser über die Einlagensicherung und insbesondere
über das Entschädigungsverfahren aufzuklären. Zusätz-
lich bekommt der Bundesrechnungshof ein gesetzliches
Prüfungsrecht gegenüber allen Einlagensicherungssyste-
men; das haben meine Vorredner schon vertieft, das will
ich nicht noch einmal wiederholen.

Abschließend bleibt festzustellen: Die Umsetzung ist
ein wichtiger Schritt, die Sparer besser zu schützen und
gleichzeitig die Banken in Finanzkrisen stabiler zu
machen. Unser gutes und funktionierendes System der
Einlagensicherung in Deutschland wird durch das
Gesetz noch weiter verbessert. Die Sparer in Deutsch-
land können sich darauf verlassen, dass ihre Einlagen
geschützt sind. Künftig können sie davon ausgehen, dass
sie im Krisenfall schnell und unbürokratisch entschädigt
werden.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809720100

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich

das Wort dem Abgeordneten Christian Petry, SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Christian Petry (SPD):
Rede ID: ID1809720200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! 2015 wird das Jahr des Verbraucherschutzes. In
vielen Bereichen stärken wir die Rechte der Verbraucher
und schützen ihre Anlagen und Güter. In vielen Berei-
chen werden das wirtschaftliche und das finanzpolitische
Handeln transparenter. Die Regulierungsmechanismen
und Aufsichtsbehörden werden gestärkt.

Die Reaktionen und Schlüsse aus der Finanzmarkt-
krise werden zügig gezogen, und durch die Einlagen-
sicherung – es ist hier ja mehrfach genannt worden –
wird neben dem Aufsichts- und Abwicklungsregime die
dritte Säule der Bankenunion verwirklicht. Ich denke, es
ist ein guter Tag – auch, um zu dieser Stunde darauf
hinzuweisen –, weil damit ein starker Schutz für Ver-
braucherinnen und Verbraucher, eine starke Reglemen-
tierung und Transparenz im Markt geschaffen werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alle Staaten müssen Einlagensicherungsfonds auf-
bauen. Das heißt also, es wird auch für europäische Ver-





Christian Petry


(A) (C)



(D)(B)

hältnisse sicherer. Die Wertgrenzen sind genannt worden.
In der Frage, ob sich europäische Sicherungssysteme ge-
genseitig unterstützen sollten oder nicht, bin ich nicht so
absolut festgelegt, dass ich sage: Nein, das kann es auf
keinen Fall geben; wir wollen nicht die Sicherungssys-
teme von Kroatien oder Slowenien absichern.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Griechenland!)


– Griechenland ist ein gutes Beispiel, Herr Brinkhaus.
Auch das kann man immer als Beispiel bringen.


(Matthias Hauer [CDU/CSU]: Aber nicht sofort!)


Man muss sehen, ob es im Zuge der Evaluation 2019
fachlich und faktisch gesehen Sinn macht, nochmals da-
rüber zu diskutieren. Das ist nicht Bestandteil der heuti-
gen Debatte. Man sollte aber, denke ich, diese Frage
nicht völlig aus den Augen verlieren.

Der Fonds garantiert: Im Entschädigungsfall sind die
Einlagen bis 100 000 Euro und Vermögen in besonderen
Lebenslagen bis 500 000 Euro sechs Monate abgesi-
chert; das ist hier bereits genannt worden. Dies sind die
unteren Grenzen; denn die Institutssicherungen leisten
durchaus mehr. Ich glaube, das ist ein guter Tag, ein gu-
tes Zeichen für die Verbraucherinnen und Verbraucher,
dass ihre Einlagen sicher sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Anleger sollen ihr Geld ohne Antrag innerhalb von
sieben Tagen zurückerhalten. Wir sind hier Vorreiter in
Europa. Wir hätten natürlich auch gerne eine längere
Übergangsfrist gehabt. Wir wollen aber, dass es unbüro-
kratisch und schnell geht und dass bereits ab Sommer
2016 die Gelder innerhalb dieser Sieben-Tages-Frist
zurückerstattet werden. Eine entsprechende Informa-
tionspflicht wird natürlich auch eingeführt.

Wir können stolz darauf sein, dass in den Verhandlun-
gen erreicht worden ist, dass auch die etablierten insti-
tutsbezogenen Sicherungssysteme der Sparkassen, der
Volksbanken und der Raiffeisen- und Genossenschafts-
banken zukünftig als gesetzliche Sicherungssysteme
anerkannt werden. Darüber hinaus ist es gut, dass das
Signal ausgesandt wurde, dass beim Übergang eines
institutsbezogenen Systems in ein gesetzliches Siche-
rungssystem keine steuerliche Mehrbelastung für Ban-
ken ausgelöst werden soll. Dies ist ein positives Signal;
denn es wäre ja nicht unbedingt nachvollziehbar, wenn
das, was abgesichert werden soll, auch noch zusätzlich
besteuert wird. Ich glaube, hier ist im Finanzministerium
gute Arbeit geleistet worden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])


Hinsichtlich der risikoorientierten Beiträge, die die
Banken in das Einlagesystem einzahlen müssen, soll es
zu keiner Mehrbelastung der institutsbezogenen Systeme
kommen. Der Wert von 0,8 Prozent ist genannt worden.
Herr Dr. Schick, das ist okay. Da kann man auch über
andere Beträge reden; aber als Startschuss ist das prima.
70 Prozent der Mittel müssen eingezahlt werden. Ich
halte das für eine ausreichend hohe Quote. Aber auch
das muss man irgendwann einmal überprüfen: War es
wirklich so, oder war es nicht so? Wenn irgendwann ein-
mal ein entsprechender Fall eingetreten ist, dann wird es
zum Schwur kommen.

Im Zuge der Richtlinienumsetzung wird es also keine
Ungleichbehandlung der Banken in den bisherigen
Sicherungssystemen geben. Auch die Begrenzung der
Prüfungsrechte des Rechnungshofes auf die beliehenen
hoheitlichen Teile ist damit sichergestellt. Das macht
auch Sinn. Ein weiter gehendes Prüfungsrecht wäre auch
nicht nachvollziehbar gewesen. Die Angleichung der
nationalen Systeme in Europa ist ein wichtiges Signal
für die europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher.
Die Anpassung der Sicherheitssysteme flankiert natür-
lich auch viele Projekte, die wir auf nationaler und euro-
päischer Ebene im Sinne der Anleger und des Verbrau-
cherschutzes umsetzen. Ich nenne hier nur einmal das
Kleinanlegerschutzgesetz.

Wir rücken damit den Schutz der Verbraucherinnen
und Verbraucher in den Vordergrund europäischer und
nationaler Finanzmarktpolitik. 2015 ist das Jahr des Ver-
braucherschutzes.

Glück auf!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809720300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Umset-
zung der Richtlinie 2014/49/EU des Europäischen Parla-
ments und des Rates über Einlagensicherungssysteme.
Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussemp-
fehlung auf Drucksache 18/4451, den Gesetzentwurf der
Bundesregierung auf den Drucksachen 18/3786 und 18/3992
in der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
zustimmen wollen, um ihr Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist der Gesetzent-
wurf in zweiter Beratung mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke angenommen.

Wir kommen zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich von ihren Plätzen
zu erheben. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit mit den Stimmen der CDU/
CSU-Fraktion, der SPD-Fraktion, der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 11 a und 11 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Hubertus Zdebel, Eva Bulling-Schröter, Caren
Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Aktiv gegen Subventionen für den Neubau
von Atomkraftwerken in der EU

Drucksache 18/4215
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl, Oliver Krischer, Annalena
Baerbock, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Subventionen für britisches Atomkraftwerk
Hinkley Point C stoppen und rechtliche
Schritte einlegen

Drucksache 18/4316
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Federführung strittig

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Abgeordnete Hubertus Zdebel, Fraktion Die Linke, das
Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809720400

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Im Oktober vergangenen Jahres hat die alte
EU-Kommission kurz vor Ablauf ihrer Amtszeit mit Zu-
stimmung des deutschen EU-Kommissars Oettinger
einen unsäglichen Beschluss gefasst. Sie hat den Weg
dafür frei gemacht, dass die britische Regierung den
Neubau eines Atomreaktors in Hinkley Point sowie den
dort erzeugten Atomstrom für 35 Jahre mit dem Geld der
Steuerzahler und Steuerzahlerinnen subventionieren
darf.

Bürgschaften von über 20 Milliarden Euro will die
britische Regierung für den Bau übernehmen. Ein skan-
dalöser Beschluss, der nicht nur die britischen Steuer-
zahler und Steuerzahlerinnen teuer zu stehen kommen
wird.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese Beihilfebewilligung öffnet auch die Tür für andere
Regierungen, die den unverantwortlichen Weg in die
Atomenergie gehen wollen. Polen, Tschechien und an-
dere Länder stehen bereits in den Startlöchern. Ohne
staatliche Mittel würde es keine weiteren Atomkraft-
werke geben – das wissen Sie alle –, weil sie beim Bau
und Betrieb und mit Blick auf die Endlagerung viel zu
teuer sind. Dieser Beschluss der EU-Kommission ist ein
Schlag gegen die Energiewende durch erneuerbare Ener-
gien.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb stellen wir als Fraktion Die Linke heute die-
sen Antrag. Wir wollen erreichen, dass die Bundesregie-
rung mit allen rechtlichen und politisch möglichen Maß-
nahmen und notfalls auch mit Klagen, wie Österreich
und Luxemburg sie angekündigt haben, dafür sorgt, dass
dieser Beschluss der EU-Kommission dahin kommt, wo-
hin er gehört, nämlich in den Mülleimer.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Wirtschaftsminister und SPD-Vorsitzende
Gabriel ist darin offenbar mit uns einer Meinung, ge-
nauso wie es die Grünen schon die ganze Zeit sind. An-
fang März hatte er sich gegen Subventionen für neue
Atomkraftwerke in Europa ausgesprochen. Auf gar kei-
nen Fall dürften öffentliche Gelder für die Atomenergie
eingesetzt werden, sagte er Anfang März. Gestern haben
wir in der Fragestunde erfahren, dass das mit der Klar-
heit der SPD und insbesondere der Bundesregierung
noch nicht so weit her ist. Staatssekretärin Zypries, die
heute anwesend ist, hat auf eine Nachfrage der Kollegin
Britta Haßelmann nicht beantworten können, ob es be-
züglich dieser Angelegenheit tatsächlich zu einer Klar-
heit in der Regierung gekommen ist. Ich bin sehr ge-
spannt, ob heute in dieser Parlamentsdebatte mehr
Klarheit geschaffen wird. Denn eigentlich wäre nach den
Äußerungen des SPD-Vorsitzenden davon auszugehen,
dass die SPD heute Zustimmung zu unserem Antrag si-
gnalisiert.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich bin sehr gespannt auf die Ausführungen der SPD-
Fraktion zu dieser Frage.

Der Kommissionsbeschluss basiert auf dem europäi-
schen Atomfördervertrag Euratom. Dieser Vertrag hat
zum Ziel – ich zitiere –,

… die Voraussetzungen für die Entwicklung einer
mächtigen Kernindustrie zu schaffen, welche die
Energieerzeugung erweitert, die Technik moderni-
siert und auf zahlreichen anderen Gebieten zum
Wohlstand ihrer Völker beiträgt …

Nicht nur angesichts der Katastrophen von Tscherno-
byl und Fukushima ist das ein Hohn. Der Euratom-Ver-
trag dient nur der Atomlobby, die ihre wirtschaftlichen
Interessen auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuer-
zahler durchboxen will. Das Schlupfloch Euratom muss
endlich geschlossen werden, der Euratom-Vertrag muss
aufgelöst werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Linke meint: Ein neues nukleares Zeitalter in Eu-
ropa muss verhindert werden. Atomausstieg in Deutsch-
land und Atomsubventionierung in Europa passen nicht
zusammen. Noch kann sich die Große Koalition auch in
Europa für einen tatsächlichen Atomausstieg starkma-
chen. Das bedeutet aber, gegen die Entscheidung der





Hubertus Zdebel


(A) (C)



(D)(B)

EU-Kommission und gegen die Beihilfegenehmigung
für Hinkley Point C vorzugehen. Dazu fordern wir Sie
heute mit unserem Antrag auf.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809720500

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Barbara Lanzinger, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1809720600

Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen haben je einen
Antrag zu einem – das gebe ich zu – nicht sehr einfachen
Thema gestellt: zur Subventionierung von Atomkraft-
werken in anderen Mitgliedstaaten der EU.

Wir haben in Deutschland die Energiewende be-
schlossen, und darauf sind wir stolz. Dennoch muss uns
eines klar sein: Dies ist eine nationale Entscheidung.
Auch wenn ich persönlich die Subventionierung aus mo-
ralischen Gründen, aber auch aus ökologischen Gründen
nicht für die beste Lösung halte, so müssen wir uns den-
noch an der Sachlage orientieren und an Gesetze halten.
Ihre Anträge möchte ich daher aus juristischer und poli-
tischer Sicht betrachten.

Wir müssen uns aus juristischer Sicht nach den
Grundsätzen der EU richten, die im Vertrag über die Ar-
beitsweise der Europäischen Union stehen. Hier ist in
Artikel 3 festgelegt, dass sich die Mitgliedstaaten zu
einer offenen Marktwirtschaft mit freiem Wettbewerb
verpflichten. Dazu gehört natürlich auch, dass der Wett-
bewerb nicht durch staatliche Begünstigungen beein-
trächtigt oder verzerrt werden darf. Darum haben die
Mitgliedstaaten die EU-Kommission beauftragt, grund-
sätzlich darauf zu achten, dass die erforderlichen Wett-
bewerbsregeln eingehalten werden, damit der Binnen-
markt marktwirtschaftlich funktioniert.

Dieser Grundsatz spiegelt sich auch in den energiepo-
litischen Grundsätzen der EU wider. Artikel 194 AEUV
besagt, dass die EU vor allem das Funktionieren des
Energiemarktes sicherstellen und die Energieversor-
gungssicherheit gewährleisten will. In Artikel 194 Ab-
satz 2 ist jedoch ein weiterer, wesentlicher Grundsatz ge-
regelt: Im Rahmen dieser Regelungen kann jeder
Mitgliedstaat frei über seinen nationalen Energiemix
entscheiden. Dazu gehört auch die Frage, inwieweit ein-
zelne Mitgliedstaaten Kernkraftwerke durch nationale
Maßnahmen unterstützen.

Wenn Großbritannien für sich entscheidet, dass die
Kernkraft ein wesentliches Element seiner Energiever-
sorgung sein soll, dann können wir dies moralisch und
ökologisch verurteilen. Die Grundsätze besagen aber
auch, dass es nicht in den Aufgabenbereich der EU-
Kommission fällt, sich diesbezüglich einzumischen.

(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon, wenn es um Subventionen geht! – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Doch, wenn es um Wettbewerb geht! – Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, bei Wettbewerbsverzerrungen natürlich!)


Die EU-Kommission ist als Wächterin der Verträge nur
befähigt, zu prüfen, ob öffentliche Zuwendungen im
Einklang mit dem EU-Beihilferecht stehen und der Wett-
bewerb im Binnenmarkt trotz dieser Zuwendungen auf-
rechterhalten werden kann. Wir haben also juristisch
keine Möglichkeit, die Entscheidung Großbritanniens
über seinen Energiemix zu beeinflussen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wieso das denn nicht?)


Auch wenn die Bundesregierung einen europäischen
Förderrahmen oder sogar eine europäische Finanzierung
für Kernkraftwerke ablehnt, geht es bei dem vorliegen-
den Sachverhalt nicht um eine politische Entscheidung,
sondern erst einmal um die Klärung einer Beihilferechts-
frage.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809720700

Frau Abgeordnete, der Abgeordnete Lenkert möchte

eine Zwischenfrage stellen. Wollen Sie sie ihm gewäh-
ren, oder wollen Sie weitersprechen?


Barbara Lanzinger (CSU):
Rede ID: ID1809720800

Ich würde jetzt gern weiterreden. Das würde die Re-

dezeit nur unnötig verlängern. – Nach der Einreichung
des Antrags auf Beihilfe von Großbritannien hat die
Kommission sachgerecht – wie in Artikel 108 Absatz 2
des Vertrags über die Arbeitsweise der EU vorgeschrie-
ben – geprüft, ob es sich im Rahmen der bestehenden
Regelungen um eine ungerechtfertigte Beihilfe handelt.
Im Verlauf der eingehenden Prüfungen hatte sich Groß-
britannien dazu bereit erklärt, wesentliche Änderungen
an den Projektfinanzierungsbedingungen vorzunehmen.
Dadurch änderte sich die Sachlage, und die Kommission
ist der Auffassung, dass die staatliche Unterstützung
weiterhin in einem angemessenen Verhältnis zum ver-
folgten Ziel steht und dass eine unangemessene Wettbe-
werbsverzerrung im Binnenmarkt vermieden wird.

Die Bundesregierung hat den Beihilfebeschluss der
EU-Kommission zu Hinkley Point faktisch und rechtlich
analysiert und darauf basierend festgestellt, dass der Be-
schlusstext keine beihilferechtlichen Aussagen enthält,
die nach Ansicht der Bundesregierung so offensichtlich
rechtsfehlerhaft sind, dass eine Nichtigkeitsklage hinrei-
chend erfolgversprechend wäre.

Aus diesen Gründen halte ich fest: Es war keine poli-
tische Entscheidung, sondern die Anwendung von euro-
päischem Recht. Die EU-Kommission trifft in diesem
Bereich keine Entscheidung für oder gegen die Atom-
kraft, sondern sie prüft rein wettbewerbsrechtliche Fra-
gen. Diese Prinzipien gelten übrigens auch für Förderre-
gelungen für erneuerbare Energien.





Barbara Lanzinger


(A) (C)



(D)(B)

An dieser Stelle komme ich zur politischen Antwort
auf Ihren Antrag: Die Fraktion Die Linke schreibt, dass
durch die Beihilfegewährung der EU-Kommission die
klima- und verbraucherfreundlichen erneuerbaren Ener-
gien eine massive Benachteiligung erfahren und ausge-
bremst werden. Hierzu möchte ich Sie auf eine Studie
hinweisen, die erstmalig darstellt, in welcher Höhe öf-
fentliche Subventionen 2012 EU-weit gewährt wurden:
in Höhe von rund 140 Milliarden Euro. Am meisten pro-
fitiert davon haben laut dieser Studie die erneuerbaren
Energien mit über 40 Milliarden Euro.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann müssen Sie sagen, welche Studie das war!)


Laut der Studie erhält Deutschland mit 25 Milliarden
Euro sogar die höchsten Energiehilfen in der Europäi-
schen Union: 14,7 Milliarden Euro für Solarenergie und
10,1 Milliarden Euro nur für Onshorewindenergie. Hin-
gegen werden fossile Energieträger nur halb so viel ge-
fördert. Kernenergie macht mit 7 Milliarden Euro bei
von der EU genehmigten Subventionen in allen 28 Mit-
gliedstaaten zusammen genau 5 Prozent aus. Man kann
nun darüber diskutieren, ob es notwendig ist, diese über-
haupt zu subventionieren. Das ist sicherlich diskussions-
würdig.

Ich stimme der Fraktion der Grünen zu, dass wir eine
risikobehaftete Energieform, wie es die Nuklearenergie
ist, nicht fördern sollten. Deshalb haben wir in Deutsch-
land die Energiewende und den Atomausstieg beschlos-
sen. Das ist gut und richtig so. Dennoch müssen wir
deutlich sagen: Es ist unser nationales Projekt und kei-
nes, welches von allen 28 Mitgliedstaaten genauso mit-
getragen wird. Es ist zweifellos wünschenswert, dass be-
nachbarte Länder und auch die EU insgesamt eine besser
koordinierte Energiepolitik verfolgen und hierzu auch
gezielter auf erneuerbare Energien achten sollten. Den-
noch obliegt es uns nicht, andere Mitgliedstaaten zu
maßregeln.

Mindestens genauso wünschenswert ist es auch, end-
lich mehr Wettbewerb in unsere stark subventionierte
– ich sage dies bewusst – und regulierte Energiewirt-
schaft zu bringen. Wir wollen Wettbewerb statt Subven-
tionen.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Richtig! Genau!)


So interpretiere ich auch Ihre heutigen Anträge. Sie
sprechen hiermit endlich ein Thema an, das wir auch in
Deutschland haben: Das EEG ist Subvention pur,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


von Rot-Grün vor über 14 Jahren als Anschubfinanzie-
rung für die schwach ausgeprägten erneuerbaren Ener-
gien richtigerweise eingeführt. Ich denke aber, diese ist
zunehmend zu überdenken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Genau wegen dieses Instruments schaut die EU-Kom-
mission auch bei uns sehr genau hin, inwieweit unser
energiewirtschaftlicher Wettbewerb verzerrt wird. Denn
der ursprüngliche Gedanke, einen Ausbau durch massive
Beihilfen zu fördern oder fördern zu müssen, ist schon
länger nicht mehr in diesem Ausmaß gegeben.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Richtig!)


Wer im Glashaus sitzt, sollte – damit möchte ich
schließen – nicht mit Steinen werfen. Deshalb müssen
wir in Bezug auf staatliche Subventionen selbst sehr
stark aufpassen. Wir sollten niemanden kritisieren, wenn
wir nicht ganz sicher sind, dass wir selbst keinen Anlass
zur Kritik geben. Wir können Anregungen geben und ein
Beispiel für andere Länder sein, aber wir können sie zu
nichts zwingen.

Wir haben mit unserem Projekt Energiewende genug
eigene Herausforderungen – ich spreche bewusst nicht
von Problemen –, die angegangen werden müssen. Wir
sollten uns – damit meine ich ganz explizit auch die
Opposition – auf die aktuell in Deutschland zu bewälti-
genden Herausforderungen konzentrieren. In meiner
Rede letzte Woche habe ich es bereits so formuliert, und
ich möchte es Ihnen auch heute zum Abschluss mit auf
den Weg geben: Ich würde mich freuen, wenn Sie ihre
ganze Kraft, die Sie jetzt in Anträge stecken, verwenden,
um uns bei all unseren Vorhaben zu den wirklich wichti-
gen Themen in der Energiepolitik zu unterstützen.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Treiben müssen wir Sie! Treiben! – Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Danke schön fürs Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809720900

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Sylvia Kotting-Uhl, Bündnis 90/Die Grünen.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809721000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

müssen die Debatte natürlich im Kontext der EU-Ener-
gieunion führen. Ein wesentlicher Bestandteil dieser
vorgelegten Strategie ist ja die Nutzung der Atomener-
gie. Der zuständige Kommissar hat schon angekündigt,
dass er noch in diesem Jahr einen – ich zitiere – „illustra-
tiven Ausbauplan“ für AKWs in Europa vorlegen will.
Das heißt, schon heute ist klar, dass die Bewilligung die-
ser höchst umstrittenen Beihilfen für das AKW-Projekt
in Großbritannien der Wegweiser für weitere Atompro-
jekte in anderen Mitgliedstaaten sein wird, wenn dieser
energie- und wettbewerbspolitische Irrsinn nicht noch
gestoppt wird.

Die Beihilfebewilligung ist der Einstieg in eine euro-
päische Subventionspolitik für Atomenergie. Schauen
wir uns die Subvention noch einmal kurz an. Der
Contract for Difference legt fest: 12,8 Cent pro Kilo-
wattstunde inklusive Inflationsausgleich. Die Financial
Times hat übrigens inzwischen errechnet, dass das heißt,
dass diese Umlage bis zu den 2050er-Jahren auf 35 Cent
pro Kilowattstunde ansteigen wird, also dann, wenn die





Sylvia Kotting-Uhl


(A) (C)



(D)(B)

erneuerbaren Energien längst unschlagbar billig gewor-
den sind.

Dazu kommen eine Kreditbürgschaft der britischen
Regierung und eine großzügige Bewertung späterer
Rückbaukosten. Dazu kommt, dass es keine Ausschrei-
bung gab. Es kommt auch noch eine Garantie für den
Fall eines politisch begründeten sogenannten Shutdown
dazu. Das heißt, auch ein Atomausstieg muss – das wird
schon festgelegt – entschädigt werden. Das mag zukünf-
tige Regierungen in Großbritannien durchaus von einem
Atomausstiegsbeschluss abhalten.

Der Erzeugermarkt wird durch Subventionen von
Atomstrom geschädigt. Denn anders als beim EEG, das
degressiv angelegt ist und dazu da war, eine neue
Technologie in den Markt einzuführen, geht es hier um
eine Technologie die sechs Jahrzehnte alt ist und offen-
sichtlich immer noch nicht oder nicht mehr in der Lage
ist, sich selbst finanziell zu tragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Welches Bild gibt Deutschland ab? Das energiepoliti-
sche Gesicht Deutschlands in der EU: Man stimmt zu;
die Bundesregierung nimmt hin, keine Klage, keine
öffentliche Äußerung, die das entschieden mit dem
Ausdruck höchster Empörung – so würde ich das erwar-
ten – zurückweist. – Das heißt, Sie drücken sich. Das
Ausstiegsland Deutschland drückt sich. Die Frage ist:
Warum? Vielleicht glauben Sie, dass Sie zu Dankbarkeit
verpflichtet sind, weil die EU-Kommission bei den über-
steigerten Ausnahmen für die Industrie bei der EEG-
Umlage die Füße stillgehalten hat. Vielleicht denken Sie,
dass Sie als Gegenleistung jetzt besser hier die Füße
stillhalten.


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: So sieht der Deal aus!)


Oder Sie drücken sich, weil, wie Sie selbst sagen, eine
Klage nicht hinreichend erfolgreich wäre. Da kann ich
nur sagen: So what? Lohnt das den Kampf nicht?

Aber es stellt sich auch die Frage, ob Sie mit dieser
Begründung recht haben. Das Wirtschaftsministerium
kommt zu der Einsicht, die Erfolgsaussichten einer
Klage seien nach vorliegenden Erkenntnissen eher ge-
ring, da die Tatbestandsmerkmale einer Beihilfe gemäß
Artikel 107 AEUV von der Europäischen Kommission
geprüft wurden. Darauf haben ja auch Sie, Frau
Lanzinger, Bezug genommen. Schauen wir uns den Arti-
kel einmal genau an. Bezug genommen hat die Kommis-
sion auf Artikel 107 des Vertrages über die Arbeitsweise
der EU. In Absatz 3 b steht wörtlich:

Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von
gemeinsamem europäischem Interesse oder zur
Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirt-
schaftsleben eines Mitgliedstaats.

Ja, hallo! Hier liegt kein gemeinschaftliches Interesse
vor. Ein AKW-Bau in der EU liegt nicht im Interesse
Österreichs, er liegt nicht im Interesse Luxemburgs, und
er sollte nicht im Interesse Deutschlands liegen. Es liegt
auch keine Marktstörung vor. Sie wird durch diese Sub-
ventionierung ja erst herbeigeführt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frage ist, was das Wirtschaftsministerium da geprüft hat!)


Das Fazit lautet: Beihilfen sollen Marktversagen kor-
rigieren und nicht produzieren. Deutschland sollte für ei-
nen europäischen Atomausstieg arbeiten und nicht mit
Schweigen und Stillhalten den Einstieg in eine EU-Sub-
ventionspolitik für die Atomkraft unterstützen. Unser
Antrag gibt Ihnen dazu die Chance.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809721100

Als letzter Rednerin in dieser Aussprache erteile ich

das Wort der Abgeordneten Dr. Nina Scheer, SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1809721200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Ich teile natürlich die Ansicht, die
hier, auch vom Antragsteller, schon vertreten wurde: Es
kann nicht sein, dass wir in der heutigen Zeit weiter in
die Atomenergie investieren und sie subventionieren.
Das ist eigentlich ein mitgliedstaatliches Armutszeugnis;
das muss ich gleich vorweg sagen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Investitionen in Atomenergie sind unverantwortlich.
Wir wissen um die Risiken; das brauche ich hier nicht
weiter auszuführen. Man muss auch in Rechnung stellen,
dass die erneuerbaren Energien schon heute kostengüns-
tiger sind, wenn man alle Kosten, die hineinzurechnen
sind, mit hineinrechnet. Insofern ist es ganz wichtig, an
dieser Stelle festzuhalten: Es darf nicht passieren, dass
wir Unionsmittel bereitstellen, um daraus Subventionen
für die Gewinnung von Atomenergie zu stricken. Mittel
der Europäischen Union zur Subventionierung der
Atomenergie darf es nicht geben.


(Beifall der Abg. Dr. Julia Verlinden [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Insofern ist es ganz wichtig, schon an dieser Stelle
festzuhalten, dass man solchen Staaten, die in der Euro-
päischen Union derzeit fordern, einen weiteren, neuen
Rechtsrahmen zu schaffen, um Atomenergie aus der EU
heraus subventionieren zu können – dazu gehören Polen,
Großbritannien und Frankreich; es sind acht Staaten –,
eine klare Absage erteilen muss. Natürlich schwebt die-
sen Staaten vor, dass man so etwas im Rahmen der Ener-
gieunion, über die derzeit diskutiert wird und die ge-
schaffen werden soll, implementieren könnte. Das darf
nicht sein. Ich finde es richtig, lobenswert, aber auch
selbstverständlich – das muss ich an dieser Stelle sagen –,
dass sich unser Bundeswirtschaftsminister hierzu schon





Dr. Nina Scheer


(A) (C)



(D)(B)

ganz klar geäußert und gesagt hat: Das darf es nicht ge-
ben. EU-Gelder stehen hierfür nicht zur Verfügung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann muss er aber auch den ersten Schritt verhindern!)


– Er hat sich klar geäußert, und ich nehme ihn da beim
Wort. Ich habe auch überhaupt keinen Anlass, an seinen
Äußerungen zu zweifeln.

Wir müssen im Blick haben, dass der Antrag, über
den wir heute reden, auf eine andere Ebene bzw. auf eine
andere Maßnahme zielt. Er zielt auf die Beihilfeent-
scheidung der Europäischen Kommission. Die Kommis-
sion hat darüber zu entscheiden, wie Maßnahmen von
Mitgliedstaaten, die Fördermaßnahmen bzw. fördernde
Regelungen enthalten, einzustufen sind. Hier ist die
Maßnahme Großbritanniens zur Förderung von Hinkley
Point C – das ist ein gigantisches Atomausbauprojekt –
angesprochen. Ich möchte festhalten: Es ist ökonomisch
blind, unverantwortlich und eine gigantische Geldver-
nichtung.

Maßgeblich für die Bewertung der Kommissionsent-
scheidung ist, ob sie rechtsfehlerhaft ist. Ich denke, man
kann wahrscheinlich – viele Juristen, viele Meinungen –
verschiedene Positionen dazu vertreten. Aber ich erachte
es als problematisch, wenn man die Fehlerhaftigkeit an
einer mitgliedstaatlichen Entscheidung festmacht und
wenn – Frau Lanzinger hat das schon dargestellt – im
Kern angegriffen wird, dass sich ein Staat für eine be-
stimmte Form der Energiegewinnung entschieden hat.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das könnte man doch mal per Gericht klären lassen!)


So misslich es ist, dass es in diesem Fall die Entschei-
dung für die Atomenergie ist: Es bleibt dabei, dass das
eine mitgliedstaatliche Entscheidung ist. Ich möchte
gerne an Sie alle, auch an die Grünen, appellieren, zu
Ende zu denken, wohin es führt, wenn man diese
Entscheidungshoheit angreift. Wenn man die Hoheit der
Mitgliedstaaten, über ihren Energiemix selbst zu ent-
scheiden, angreift, dann kann es eben auch passieren,
dass der Förderrahmen im Hinblick auf den Ausbau
erneuerbarer Energien, den wir haben und der weltweit
Ausstrahlungswirkung hat, und das Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetz angegriffen werden. Man hält sich dann
nicht mehr konsistent an die Kriterien und auch die Ar-
gumentation, die wir hier selbst nutzen, um, auch vor-
bildhaft, die Nutzung der erneuerbaren Energien weiter
auszubauen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch jetzt echt nicht wahr!)


Insofern möchte ich an dieser Stelle Frau Lanzinger,
die ich ja gerade lobend erwähnt habe mit diesem Argu-
ment, auch kritisieren. Ich finde, dass es unlogisch ist,
einerseits darauf zu verweisen, dass wir die mitglied-
staatliche Gestaltungshoheit haben, aber an anderer
Stelle, im nächsten Satz dann zu sagen: Wir müssen das
aber jetzt hinterfragen. – Das finde ich eben gerade
nicht. Wir haben hier wirklich – das habe ich ja schon er-
wähnt – ein vorbildhaftes Instrument mit weltweiter
Ausstrahlung. Der Systemwettbewerb hat hier eine ent-
scheidende Rolle. Man sollte so etwas nicht untergraben,
man sollte es wertschätzen. Insofern halte ich es für
problematisch, zu versuchen, die Nutzung der Atom-
energie in Europa zu beenden, indem man die Entschei-
dung der Kommission auf dem Weg der Klage angreift.

Es muss natürlich unsere Aufgabe bleiben, die Nut-
zung der Atomenergie in der EU zu beenden. Deswegen
müssen wir uns an dieser Stelle weitere Maßnahmen
überlegen, damit es nicht neue Förderrahmen gibt. Wir
brauchen auch einen Ausstieg aus der europäischen
Denke, dass Atomenergie eine klimafreundliche Techno-
logie sei. Damit aufzuräumen, muss eine Aufgabe blei-
ben. Ich erachte aber diese Maßnahme nicht als den rich-
tigen Weg, um dieses Feld aufzubrechen, und hoffe, dass
wir es in der Europäischen Union schaffen, all die Alt-
lasten, die wir auch regelungstechnisch haben – den
Euratom-Vertrag; die Fördermaßnahmen, die wir für die-
ses Kernfusionsprojekt immer noch ständig mitfinanzie-
ren –, zu überarbeiten, dass wir dort mit europäischer
Stimme einer weiteren Nutzung der Atomenergie eine
klare Absage erteilen; das wünsche ich mir.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie erklären doch gerade, dass wir das alles nicht infrage stellen dürfen!)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809721300

Frau Abgeordnete, gestatten Sie eine Zwischenfrage

des Abgeordneten Zdebel von der Fraktion Die Linke?


Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1809721400

Ja.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809721500

Bitte.


Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809721600

Danke, Frau Scheer, dass Sie die Frage zugelassen ha-

ben. Ich habe eigentlich zwei, weil Sie sich dazu noch
nicht geäußert haben. Die eine ist: Wie bewerten Sie
denn vor dem Hintergrund Ihrer Ausführungen die Ent-
scheidung der Länder Österreich und Luxemburg, gegen
die Entscheidung der EU-Kommission vorzugehen? Die
andere ist: Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang
die Zustimmung des deutschen EU-Kommissars? Ich
halte es, teilweise zumindest, für weltfremd, davon
auszugehen, dass das nicht möglicherweise mit der Bun-
desregierung abgestimmt ist.


Dr. Nina Scheer (SPD):
Rede ID: ID1809721700

Um das Letzte aufzugreifen: Von einer Abstimmung

mit der Bundesregierung weiß ich schlichtweg nichts.
Ich kann auch nicht spekulativ hier irgendwas in die
Welt setzen; das führt auch nicht zur Klärung des Sach-
verhalts.





Dr. Nina Scheer


(C)



(D)(B)

Zu der Frage, ob es denn richtig ist oder wie man be-
wertet, wie Österreich vorgeht: Ich kann das Ansinnen
sehr gut teilen, dass man gerne verhindern möchte,


(Christian Kühn [Tübingen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Dass es Wettbewerbsverzerrung gibt!)


dass im europäischen Raum weiterhin in die Förderung
der Atomenergie investiert wird. Nur, wenn man genau
auf die Maßnahme und auf den Weg schaut und vom
Ende her betrachtet, was man damit angreift, halte ich es
mit Blick auf unsere Fördermechanismen, die wir für die
Erneuerbaren haben, für gefährlich, so einen Weg zu ge-
hen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann doch nicht wahr sein!)


– Es tut mir leid, wenn Sie das nicht teilen; aber das ist
meine Überzeugung.


(Beifall bei der SPD – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Subvention mit der Begründung EEG zu rechtfertigen, ist der Hammer! Also wirklich!)


– Sie können weiterschimpfen; ich bin jetzt auch schon
am Ende meiner Rede.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809721800

Wir sind damit am Ende der Aussprache.

Tagesordnungspunkt 11 a. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/4215 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Tagesordnungspunkt 11 b. Die Vorlage auf Druck-
sache 18/4316 soll ebenfalls an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüsse überwiesen werden. Die
Federführung ist jedoch strittig: Die Fraktionen der
CDU/CSU und der SPD wünschen Federführung beim
Ausschuss für Wirtschaft und Energie. Die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen wünscht Federführung beim
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktor-
sicherheit.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reaktorsicherheit!)


– Bitte?


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles okay, alles gut: Wir schimpfen noch! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wir sind noch in der Zwischenrufphase!)


– Bündnis 90/Die Grünen stimmt dem Präsidium zu; das
begrüßen wir.

Wir stimmen jetzt über beide Überweisungsvor-
schläge ab. Zuerst lasse ich über den Überweisungsvor-
schlag von Bündnis 90/Die Grünen abstimmen. Wer
stimmt für den Überweisungsvorschlag von Bündnis 90/
Die Grünen? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist der Überweisungsvorschlag von Bündnis 90/
Die Grünen mit den Stimmen der CDU/CSU und der
SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Wir stimmen jetzt über den Überweisungsvorschlag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD ab. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Diesem Überwei-
sungsvorschlag ist mit den Stimmen der CDU/CSU, der
SPD und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen zugestimmt. Der Überweisungs-
vorschlag ist somit angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 12 a und 12 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Stefan Kaufmann, Albert Rupprecht,
Michael Kretschmer, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der CDU/CSU sowie der Abgeord-
neten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann,
Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Europas Wettbewerbs- und Zukunftsfähig-
keit durch Forschung und Innovation stärken

Drucksache 18/4423

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Strategie der Bundesregierung zum Europäi-
schen Forschungsraum

Leitlinien und nationale Roadmap

Drucksache 18/2260
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. Sind Sie damit
einverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann ist
so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erstem erteile ich das
Wort für die Bundesregierung Herrn Parlamentarischen
Staatssekretär Thomas Rachel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


T
Thomas Rachel (CDU):
Rede ID: ID1809721900


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Die politische Integration Europas
ist das größte und erfolgreichste grenzüberschreitende
Friedensprojekt der Neuzeit.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: So weit, so gut!)


(A)






Parl. Staatssekretär Thomas Rachel


(A) (C)



(D)(B)

Gerade in der aktuellen Weltlage mit ihren vielen Kon-
flikten und Kriegen gilt es, diese nur scheinbare Selbst-
verständlichkeit zu betonen. Ich glaube, dass deshalb un-
sere Debatte sehr wichtig ist. Sie kommt zum richtigen
Zeitpunkt.

In Europa erarbeiten wir etwa 19 Prozent der globalen
Wirtschaftsleistung. Noch hat Europa etwa 30 Prozent
Anteil an der weltweiten Wissensproduktion. Aber der
Rest der Welt schläft nicht. Die weltweiten F-und-E-
Ausgaben sind von 2000 bis 2011 um 77 Prozent gestie-
gen, während der weltweite Anteil Europas im gleichen
Zeitraum von 27 auf 23 Prozent gefallen ist. Wir können
uns nicht mit Mittelmaß zufriedengeben. Europa muss
handlungsfähig sein, und gerade Deutschland muss
hochinnovativ bleiben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dies erfordert erhebliche Investitionen in Forschung und
Entwicklung. Die Bundesregierung hat hier Maßstäbe
gesetzt. Innerhalb dieser Legislaturperiode werden zu-
sätzlich 3 Milliarden Euro für Forschung und Entwick-
lung ausgegeben. Die Ausgaben des Bundes für For-
schung und Entwicklung haben sich seit 2005 um
60 Prozent auf rund 14,4 Milliarden Euro erhöht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Noch nie wurde so viel Geld für Forschung und Ent-
wicklung seitens des Bundes ausgegeben. Der Staat und
die Unternehmen erreichen Hand in Hand fast das 3-Pro-
zent-Ziel.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur fast! Das hätte schon 2010 erreicht werden sollen!)


Wir brauchen aber auch einen Forschungsraum, der
die Menschen zusammenbringt. Grenzüberschreitende
Projektförderung, gemeinsame Nutzung von For-
schungsinfrastrukturen, die Mobilität in einem Wirt-
schaftsraum mit 500 Millionen Menschen sind nur ei-
nige Stichworte. Wir brauchen eine Willkommenskultur,
die die Besten aus der Welt in Sachen Forschung und
Wissenschaft anspricht und zu uns holt.

Die Bundesregierung hat eine eigene Strategie zum
Europäischen Forschungsraum im vergangenen Jahr ver-
abschiedet. Wir waren übrigens das erste und sind bisher
auch das einzige Mitgliedsland, das eine solche Strategie
vorgelegt hat. Ich glaube, andere Staaten werden uns fol-
gen.

Das neue Rahmenprogramm für Forschung und Inno-
vation „Horizont 2020“ ist gestartet, um auch den Euro-
päischen Forschungsraum zu gestalten. Neu ist dabei die
Synthese aus Forschungs- und Innovationselementen.
Die Verwertung der Forschungsergebnisse rückt stärker
in den Vordergrund. Wir können nach einem Jahr fest-
stellen: Deutschland ist in „Horizont 2020“ gut gestartet.
Wir liegen auf Platz eins in Europa, sowohl bei den Pro-
jektbeteiligungen als auch bei den Zuwendungen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Rund 3 300 deutsche Institutionen haben Anträge ein-
gereicht und über 900 davon haben erfolgreich Projekte
eingeworben. Die Erfolgsquote liegt bei 27 Prozent.
Deutsche Akteure haben bereits 1,5 Milliarden Euro an
Drittmitteln aus Europa eingeworben, und das, obwohl
der Wettbewerb sehr viel intensiver geworden ist als
noch im 7. Forschungsrahmenprogramm.

Der Anteil der Unternehmen an den deutschen Betei-
ligungen beträgt rund 36 Prozent. Das ist gut und wich-
tig, weil wir den Innovationsschub natürlich auch in die
Unternehmen in Deutschland hineinbringen wollen.

Jeder fünfte „ERC Starting Grant“ in der Grundlagen-
und Spitzenforschung ging 2014 an Wissenschaftlerin-
nen und Wissenschaftler in deutschen Einrichtungen.
Damit ist Deutschland in Bezug auf den Standort erstma-
lig auf Platz eins – mit deutlichem Abstand vor dem Ver-
einigten Königreich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Martin Rabanus [SPD]: Das spricht für Qualität!)


Um den Begriff von Herrn Rupprecht aufzunehmen:
Gleichzeitig reicht der Weltmeister seine Hand. Im Be-
reich „Teaming“ unterstützen wir den Aufbau von Ex-
zellenzzentren in den leistungsschwächeren EU-Regio-
nen. In 14 von 31 ausgewählten europäischen
Konsortien sind deutsche Einrichtungen am Exzellenz-
aufbau in den ost- und südeuropäischen Mitgliedstaaten
beteiligt.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir bringen unser Know-how ein, um Europa insgesamt
nach vorne zu bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Diese gute Zwischenbilanz bereits nach einem Jahr ist
für uns ein ermutigendes Zeichen und gleichzeitig An-
sporn; denn Europa braucht unbedingt Wachstum. Das
wird klar, wenn wir uns die Situation in verschiedenen
Ländern anschauen. Dafür müssen wir auch private In-
vestitionen mobilisieren. Deswegen unterstützen wir als
Bundesregierung auch die Einrichtung des Europäischen
Fonds für Strategische Investitionen.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])


Wie Sie wissen, sollen auch Gelder aus „Horizont 2020“
zur Finanzierung herangezogen werden. Wir nehmen die
kritischen Hinweise aus der Wissenschaft hierzu sehr
ernst. Wir sind davon überzeugt, dass der EFSI wichtige
Impulse für die europäische Wettbewerbsfähigkeit set-
zen kann; denn Bildung, Forschung und Innovation ge-
hören zu den strategischen Investitionsbereichen des
EFSI. Diese Chancen sollten wir gemeinsam nutzen.

Ich hoffe sehr, dass bei der konkreten Beratung des
Haushalts durch das Europäische Parlament vor allem
den Anliegen im Bereich Forschung und Innovation
Rechnung getragen wird und dass dieser Bereich bei der
schlussendlichen Haushaltsaufstellung gestärkt wird;
denn dadurch stärken wir die Wettbewerbsfähigkeit von
Europa.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809722000

Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten

Ralph Lenkert, Fraktion Die Linke, das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809722100

Sehr geehrter Herr Präsident! Geehrte Kolleginnen

und Kollegen! Herr Staatssekretär, wenn ich Sie so höre,
dann habe ich den Eindruck: Die europäische Zusam-
menarbeit in der Forschung gestaltet sich für Sie so, wie
Sie den Binnenmarkt verstehen: Forschung muss wert-
voll sein und den Regeln der Profite unterworfen wer-
den. Was das heißt, sehen wir: Die Starken gewinnen,
die Schwachen sterben. Diese Unterwerfung der For-
schung unter die Wirtschaftlichkeitskriterien lehnt die
Linke ab.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Haben Sie eben eine andere Rede gehört?)


In Europa soll die Wissens- und Innovationsentwick-
lung als reiner Wettbewerb verstanden werden. Zukünf-
tig müssen die Forscherinnen und Forscher dann noch
mehr als bisher um Förderungen kämpfen, statt unab-
hängig zu forschen und gemeinsam die Probleme der
Gesellschaft zu lösen.

Förderkriterien, Exzellenzinitiativen und der Zwang
zur Vermarktung von Ideen verschärfen Spaltung und
Konkurrenz innerhalb der EU. Wie sollen die finanz-
schwachen Länder Europas ihren Eigenanteil aufbrin-
gen, um EU-Mittel aus Förderprogrammen zu erhalten?
Wie sollen diese Länder die besten Köpfe an ihren For-
schungseinrichtungen halten, wenn sie wie Griechenland
gezwungen werden, Gehälter massiv zu senken? Und
wie soll sich dann eine innovative Wirtschaft entwi-
ckeln?


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: In Griechenland geht es um den öffentlichen Dienst und nicht um die Wissenschaft!)


Man muss dafür bei Ihnen nicht einmal zwischen den
Zeilen lesen, um zu erkennen: Deutschlands Vorreiter-
rolle in Europa soll ausgebaut werden. Die Strategie der
Regierung priorisiert effektivere nationale – sprich:
deutsche – Forschungssysteme. Auch im Forschungsbe-
reich opfern Sie die Idee eines einigen, fortschrittlichen
Europas den kurzfristigen Wettbewerbsvorteilen
Deutschlands. Heute gewinnt Deutschland vom neuen
„keep the brains“, dem Nehmen der besten Köpfe.


(Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU])


In Griechenland, wo Universitäten geschlossen wer-
den müssen, wandern die besten Forscherinnen und For-
scher ab. Spanien verliert die besten Köpfe, weil andere
Länder besser zahlen können.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Die würden auch bestimmt mehr verdienen, wenn die Linken an der Regierung sind!)

Die Koalition und die deutschen Konzerne jubeln über
solche Abwanderungen und ignorieren die Nebenwir-
kungen.

An deutschen Forschungseinrichtungen wächst der
Konkurrenzdruck zwischen den Beschäftigten. Eine
Folge ist der Befristungs- und Teilzeitwahn an unseren
Hochschulen. Weniger als 10 Prozent der wissenschaftli-
chen Beschäftigten sind unbefristet und in Vollzeit be-
schäftigt. Das ist unerträglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Statt sich um Nachwuchs zu kümmern, schöpfen die
deutsche Industrie und die deutschen Forschungseinrich-
tungen aus dem EU-Pool und sparen bei Gehältern und
Ausbildung. Was passiert, wenn in einigen Jahren die är-
meren EU-Staaten wie Griechenland, Spanien und Por-
tugal ausgeblutet sind, wenn der Pool leer ist, wenn der
Nachwuchs fehlt?

Im Interesse Deutschlands und der europäischen Inte-
gration fordert die Linke: erstens bessere Arbeitsbedin-
gungen an Forschungseinrichtungen, und zwar über ein
Wissenschaftszeitvertragsgesetz in Deutschland; zwei-
tens eine bessere Grundfinanzierung von Hochschulen
und Forschungseinrichtungen,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das machen wir doch!)


damit Forscher nicht um Exzellenzmittel streiten, son-
dern gemeinsam an exzellenter Forschung arbeiten;


(Willi Brase [SPD]: Mann, Mann, Mann!)


drittens, dass sich die Bundesregierung dafür einsetzt,
dass finanzschwache EU-Staaten EU-Forschungsmittel
ohne Eigenanteil erhalten; viertens, ein Ende der Politik
„keep the brains“ und mehr Nachwuchsförderung in
Deutschland und in der EU.

Mit unseren Forderungen sind europaweit bessere
Forschungsbedingungen erreichbar. Wir Linke kämpfen
für eine zukunftsweisende Forschungslandschaft, die ein
soziales, ökologisches und gebildetes Europa unterstützt.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809722200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten René Röspel, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1809722300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Erlauben Sie mir nach dieser Rede eine Vorbe-
merkung: Lieber Kollege Lenkert, ich habe mich, wie
wahrscheinlich viele andere, entschieden, in die Politik
zu gehen und mich politisch zu engagieren, egal ob es
um eine Verbesserung beim Straßenverkehr oder um et-
was anderes ging, weil ich gestalten wollte, weil ich et-
was verändern wollte. Wer ein Feuer anmachen will, da-
mit es anderen Leuten warm wird, der muss ein





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)

Feuerzeug in die Hand nehmen, und der macht sich auch
manchmal die Finger dreckig, wenn Asche darauf fällt.


(Beifall der Abg. Dagmar Ziegler [SPD])


Aber dieses ewige Genörgel und diese ewige Besserwis-
serei, dass alles anders gemacht werden muss, ohne dass
man selbst etwas dazu beiträgt, das – so muss ich sagen –
geht mir spätabends manchmal auf den Geist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Das ist doch kein Argument! Das sind doch nur Phrasen!)


Der Antrag, den wir als Koalition hier vorlegen – der
Staatssekretär hat dazu einiges gesagt –, macht deutlich,
dass die neuen Mitgliedstaaten, die natürlich noch nicht
so stark wie die Bundesrepublik Deutschland, wie
Frankreich, Großbritannien und andere sind, mit den eu-
ropäischen Programmen eine Chance bekommen, exzel-
lente Wissenschaftler hervorzubringen. Darum geht es.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, dieser Antrag zeigt ein Stück weit unser Han-
deln, und das ist auch gut so.

Weil der Staatssekretär unsere Ideen zur Unterstüt-
zung eines Europäischen Forschungsraums, in dem wir
gemeinsam forschen, damit das Klima besser wird, da-
mit wir neue Technologien entwickeln, die der Gesell-
schaft dienen, schon hervorragend ausgeführt hat – da-
rauf brauche ich mich nicht zu konzentrieren –,
beschränke ich mich auf den anderen Teil, der in unse-
rem Antrag auch eine Rolle spielt, nämlich den europäi-
schen Strukturfonds, der von Jean-Claude Juncker und
der Kommission geplant ist und auf den Weg gebracht
wird. Wir begrüßen ausdrücklich die Initiative, mit ei-
nem kleinen Teil öffentlichen Geldes große private In-
vestitionen für Infrastruktur, Forschung und Innovatio-
nen auf den Weg zu bringen.


(Beifall bei der SPD)


Das ist ein guter Ansatz. Wir in Deutschland haben
mit einem ähnlichen Ansatz hervorragende Erfahrungen
gemacht. Ich bin davon überzeugt, dass diese Maßnah-
men noch dazu beitragen, dass Deutschland im europäi-
schen Vergleich sehr gut dasteht. Die letzte Große Koali-
tion – einige der Älteren werden sich erinnern –


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das sieht man Ihnen gar nicht an!)


hat nämlich in der Finanzkrise einige wichtige Pakete
auf den Weg gebracht. Das betraf nicht nur die Verlänge-
rung des Bezuges des Kurzarbeitergeldes – am Rande
bemerkt: das spielt heute nicht eine solche Rolle –, son-
dern wir haben auch Konjunkturpakete geschnürt, mit
denen wir nachhaltige Investitionen, gerade in den Kom-
munen, generiert haben. Da ging es um die energetische
Sanierung von Schulen und anderen öffentlichen Ein-
richtungen, damit Energie gespart werden kann. Das hat
Bewegung in den Arbeitsmarkt und in die Situation ins-
gesamt gebracht. So ähnlich verhält es sich mit diesem
Europäischen Fonds für Strategische Investitionen.
Beide Projekte sind vergleichbar. Deswegen ist das gut.
Aber all das hat nur geklappt, weil die Voraussetzun-
gen in Deutschland besonders gut waren und sind.

Warum sind wir erfolgreich? Weil andere Länder un-
sere Produkte offenbar gerne kaufen. Warum kaufen sie
sie? Weil sie offenbar eine hohe Qualität haben, weil sie
technisch interessant sind, weil sie innovativ sind und
weil Made in Germany immer noch ein Begriff für Ma-
terial ist, das eigentlich relativ lange hält.

Wie sind wir in der Lage, solch gute Produkte zu pro-
duzieren? Das ist in erster Linie unsere Arbeitnehmer-
schaft, den vielen Menschen, die diese Produkte erzeu-
gen, zu verdanken. Warum haben wir in Deutschland
gute Arbeitnehmer? Das hat im Wesentlichen zwei
Gründe, wobei der eine eine Besonderheit in Deutsch-
land ist:

Wir haben ein duales Berufsausbildungssystem, das
ganz hervorragend in der Lage ist, im Berufsleben ste-
hende junge Menschen auszubilden, zur Gesellin oder
zum Gesellen, zur Meisterin oder zur Technikerin. Das
ist etwas, was uns von vielen anderen Ländern unter-
scheidet. Diese Menschen sind in der Lage, Produkte gut
herzustellen und zu entwickeln. Das ist der eine Bereich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Über den anderen Bereich können wir heute zwar
nicht ausführlich reden, aber er ist unerhört wichtig: Wir
haben in Deutschland glänzend ausgebildete Forscherin-
nen und Forscher, Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler. Das haben wir einem System zu verdanken,
das ebenfalls sehr differenziert ist, einem System, das ei-
nerseits Grundlagenforschung in Deutschland und ande-
rerseits angewandte Forschung finanziert.

Was ist der Unterschied zwischen Grundlagenfor-
schung und angewandter Forschung? Grundlagenfor-
schung ist, wenn Sie Ihrer Oma zu erklären versuchen,
was das ist, sie das nicht versteht und am Ende fragt:
Wofür ist das gut?

Angewandte Forschung kann man der Oma erklären,
indem man ihr sagt: Damit machen wir die LED schöner
und wärmer.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das versteht die auch?)


Oder: Wir sparen Energie, und du bekommst einen
neuen Kühlschrank. – Das ist etwas, was die Industrie
macht, woran die Industrie ein Interesse hat, weil sie von
immer weiter verbesserten Produkten profitiert.

Was die Industrie nicht fördert, das ist die Grundla-
genforschung, das ist das, was die Max-Planck-Institute
machen, das ist das, was die Helmholtz-Gemeinschaft
und andere Forschungsgemeinschaften machen, das ist
das, was vor allen Dingen an den Hochschulen und Uni-
versitäten gemacht wird. Dort geht es darum, einfach nur
um der Sache und des Erkenntnisgewinnes willen zu for-
schen. Das bezahlt keine Wirtschaft, kein Privatunter-
nehmen, sondern das finanziert der Staat. Das ist eine





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)

unglaublich wichtige Aufgabe der öffentlichen Hand.
Darauf können wir nicht verzichten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


An dieser Stelle kriege ich wieder den Dreh zum
Europäischen Fonds für Strategische Investitionen. Er
wiederum wird aus einigen Programmen auf europäi-
scher Ebene finanziert, unter anderem aus dem Pro-
gramm „Horizont 2020“, dem großen Forschungsrah-
menprogramm auf europäischer Ebene. 2,7 Milliarden
Euro werden aus diesem Topf genommen, um diesen In-
frastrukturbereich zu finanzieren. Dagegen haben wir
grundsätzlich nichts, weil es viele Bereiche gibt, die pro-
fitieren.

Es wird aus dem Bereich der Nanotechnologie Geld
genommen, um Infrastrukturen und Innovationen zu
finanzieren. Es wird aus dem Bereich der Lasertechnolo-
gie und dem Bereich des ressourceneffizienten Wirt-
schaftens Geld genommen. Das alles wird möglicher-
weise zurückkommen. Wenn man aus dem Bereich
Grundlagenforschung Geld herausnimmt und Industrie-
unternehmen unterstützt, die in diesem Bereich arbeiten,
und zusätzliche Innovationen ermöglicht und Investitio-
nen getätigt werden, kommt dieses Geld irgendwann zu-
rück.

Ein wichtiger Punkt in diesem Antrag ist – da bezie-
hen wir Stellung –, dass die Europäische Kommission
plant, drei Stellen Geld zu entziehen, bei denen wir es
für falsch halten. Dort geht es nämlich um Bereiche der
Grundlagenforschung, die niemand anderes finanziert.
Die dort entzogenen Gelder kommen auch nicht über In-
frastrukturverbesserungen oder Investitionen zurück.
Zwei dieser Bereiche sind der Europäische Forschungs-
rat und das Marie-Curie-Programm, mit dem man die
Mobilität bzw. den Austausch von Wissenschaftlern
finanziert. Aus diesem Programm darf kein Geld heraus-
genommen werden, weil es ganz wichtig ist, dass junge
Wissenschaftler in Europa mobil sind, andere Labore,
andere Situationen kennenlernen.


(Beifall bei der SPD)


Durch den Europäischen Forschungsrat wird exzellente
Grundlagenforschung gefördert. Das Geld, das aus die-
sem Bereich herausgenommen wird, kommt nicht auf ei-
nem anderen Weg zurück.

Unser Antrag enthält zwei wesentliche Punkte:

Erstens. Wir sagen, wir wollen einen Europäischen
Forschungsraum, in dem alle Länder und alle Menschen,
übrigens unabhängig von ihrer Herkunft, die Möglich-
keit haben, Wissenschaft zu betreiben.

Zweitens. Wir appellieren ausdrücklich an die EU-
Kommission, aus keinem der drei Bereiche, in denen es
um Grundlagenforschung geht, Geld zu nehmen, son-
dern Alternativen zu suchen; dann nämlich schaffen wir
es, einen gemeinsamen Forschungsraum in Europa zu
entwickeln.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809722400

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809722500

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zuversicht und
Zukunft in Europa entstehen gerade dann, wenn Zusam-
menarbeit und Zusammenhalt tagtäglich gelebt werden.
Das gilt ganz besonders in der Wissenschaft. Forschung
ist Zukunftsmotor und Innovationstreiber für unsere wis-
sensbasierten Volkswirtschaften auf dem ganzen Konti-
nent. Deshalb ist ein vertiefter und lebendiger Europäi-
scher Forschungsraum von ganz zentraler Bedeutung für
europäisches Bewusstsein und Weltoffenheit, für mehr
Forschergeist und eine höhere Mobilität kreativer Köpfe,
für künftigen Wohlstand und Zukunftsfähigkeit.

Deutschland muss sich in Europa für eine nachhalti-
gere Forschungspolitik einsetzen. Der EU-Haushalts-
kontrollausschuss hat in dieser Woche unter anderem
dem Kernfusionsreaktor ITER die Haushaltsentlastung
für 2013 verweigert. Das bestätigt uns Grüne. Seit Jah-
ren kritisieren wir Missmanagement, Kostenexplosion
und Kostenrisiken bei ITER. Trotzdem will die EU zwi-
schen 2014 und 2020 2,9 Milliarden Euro in das Projekt
stecken, Gelder, die an anderer Stelle für innovative For-
schung auf dem Gebiet erneuerbarer Energien und Ener-
gieeffizienz einfach fehlen.

Wir müssen endlich grundlegend umsteuern. Europa
braucht kräftigere Investitionen in Forschung, auf euro-
päischer Ebene genauso wie in den einzelnen Mitglied-
staaten. Davon sind wir noch weit entfernt. Deutschland
hat das Ziel 3 Prozent des BIPs für Forschung und Ent-
wicklung noch längst nicht erreicht – das sollte schon
vor einem halben Jahrzehnt der Fall sein – und hätte sich
schon längst das 3,5-Prozent-Ziel setzen müssen. Unser
Land muss endlich zur Spitzengruppe der Innovations-
länder aufschließen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Gleichzeitig muss die Bundesregierung im gemeinsa-
men Haus Europa dafür sorgen, dass manche osteuropäi-
schen Länder und Griechenland mehr Spielraum für In-
vestitionen in Forschung und Entwicklung haben. Die
einseitige Sparpolitik, die Griechenland auferlegt wurde,
hat nicht nur zu einer schärferen sozialen Spaltung ge-
führt, sondern auch zu massiven Kürzungen bei öffentli-
chen Bildungs- und Hochschulinvestitionen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das ist leider so!)


Das kann so nicht weitergehen. Da wird dringend eine
Kehrtwende benötigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wenn Sie, liebe Koalition, vom Europäischen For-
schungsraum reden und das ernst meinen, müssen Sie
endlich Ihrer Verantwortung gegenüber den finanzärme-
ren und auch forschungsärmeren Ländern gerecht wer-





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)

den. Die Bundesregierung hat lange eine europäische
Investitionsoffensive blockiert und dadurch auch öffent-
liche Investitionen in Ländern mit einer Wirtschaftskrise
weiter gedrosselt. Jetzt endlich soll Junckers Investi-
tionsplan kommen – aber mit einem ganz krassen Web-
fehler. Denn Juncker will dem wichtigen EU-For-
schungsrahmenprogramm „Horizon 2020“ im Gegenzug
2,7 Milliarden Euro entziehen. Das macht keinen Sinn,
das ist falsch. Dazu sagen wir ganz klar Nein. Diese Mit-
tel sollen nicht entzogen werden.

Sie schwiemeln, was das angeht, in Ihrem Antrag viel
zu sehr rum. Sie glauben doch nicht ernsthaft, dass Sie
bei der Grundlagenforschung eine 15-fache Hebelwir-
kung erzielen. Das ist ein koalitionärer Formelkompro-
miss.


(René Röspel [SPD]: Wir sind schon präzise beim Europäischen Forschungsrat!)


Für den Europäischen Forschungsraum bringt das aber
zu wenig. Keine Kürzungen bei „Horizon 2020“ – das
wäre eine klare Botschaft dieses Hauses.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich sage Ihnen auch: Der Europäische Forschungs-
raum muss sich durch Ideenreichtum und Vielfalt aus-
zeichnen. Eine einseitige Marktorientierung wird diesem
Ziel nicht gerecht. Forschung ist mehr als die Jagd nur
nach marktfähigen Produkten und Patenten. Es geht
auch um die Lösung großer Herausforderungen. Auch
geht es um soziale und ökologische Innovationen. Ge-
rade von der Union würde ich mir wünschen, dass sie
darauf stärker Wert legt. In Ihrem Koalitionsantrag fin-
det sich viel Technokratisches, aber leider nichts Visio-
näres.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Europäische Forschungsraum braucht eine anstän-
dige Finanzausstattung. Deshalb hoffe ich sehr darauf,
dass sowohl das EU-Parlament als auch Kommission und
Rat hier noch zur Vernunft kommen, was die Finanzaus-
stattung von „Horizon 2020“ angeht.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Das hoffen wir auch! Deshalb stimmen Sie dem Antrag zu!)


Sorgen Sie mit dafür, dass es nicht zu Kürzungen
kommt. Die Förderung des EU-Forschungsraums darf
kein finanzpolitischer Steinbruch sein, sondern muss für
alle Mitgliedstaaten Zukunftsvorsorge bieten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809722600

Als letztem Redner in dieser Aussprache erteile ich

das Wort dem Abgeordneten Dr. Stefan Kaufmann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Stefan Kaufmann (CDU):
Rede ID: ID1809722700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Lieber Kai Gehring, Politik
braucht Visionen, aber Politik braucht auch harte Arbeit.
Und Europa ist eben oftmals auch harte Arbeit. Deshalb
auch dieser Antrag der Koalitionsfraktionen, den ich Ih-
nen heute am Schluss dieser Debatte in aller Kürze vor-
stellen möchte. Er kam nach wochenlanger Arbeit der
Büros und auch nach einigen kniffligen Verhandlungen
zustande. An dieser Stelle sage ich Dank an den Kolle-
gen René Röspel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, vor dem Hintergrund der
großen Herausforderungen im weltweiten Wettbewerb
ist für uns eine Stärkung der Forschung auch auf euro-
päischer Ebene essenziell. Wir müssen bei der For-
schung in Europa noch mehr PS auf die Straße bringen.
Die anderen Länder werden nämlich nicht auf uns war-
ten: China, Türkei, Israel und auch Russland. Wir alle er-
leben dies überall dort, wo wir als Parlamentarier unter-
wegs sind. Thomas Rachel hat schon einige Zahlen dazu
geliefert.

Durch Forschung und Innovation erzielte Wissens-
und Technologievorsprünge sind der Schlüssel für die
langfristige Sicherung und Stärkung von Europas Wett-
bewerbsfähigkeit. Dafür bedarf es auf europäischer
Ebene erstens eines gemeinsamen Forschungsraums
– darüber haben wir heute diskutiert –, der die For-
schung in Europa durch grenzüberschreitende Koopera-
tionen und eine engere Verzahnung insgesamt stärkt, und
zwar ohne harmonisierende gesetzliche Maßnahmen.

Beispielhaft – auch das wurde bereits erwähnt – gehö-
ren für mich insbesondere die sehr erfolgreichen Tea-
ming- und Twinning-Maßnahmen dazu, um die sich in
Deutschland zum Beispiel insbesondere die Max-
Planck-Gesellschaft verdient macht und die die neuen
EU-Mitgliedstaaten beim Aufbau ihrer Forschungskapa-
zitäten unterstützen. Damit haben wir eine echte Win-
win-Situation für die beteiligten Mitgliedstaaten und so-
mit ein ganz hervorragendes Exempel für den Mehrwert
europäischer Zusammenarbeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Zweitens bedarf es dafür der konsequenten Umset-
zung der geplanten europäischen Roadmap zum Euro-
päischen Forschungsraum, und zwar komplementär zu
den nationalen Strategien. Dadurch kann die Leistungs-
fähigkeit des Europäischen Forschungsraums weiter
gestärkt werden. Ich nenne nur die Stichpunkte „For-
schungsinfrastrukturen“, „Mobilität von Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftlern“ sowie die „weitere Stär-
kung der Internationalität“. Auch dazu hat unser
Staatssekretär einiges gesagt.

Ein weiteres, aktuelleres Thema ist der bereits er-
wähnte EFSI, der Europäische Fonds für Strategische In-
vestitionen. Wir haben uns wegen offensichtlich spürba-
rer Auswirkungen gerade auf den EU-Forschungsetat
sehr frühzeitig in der AG und im Ausschuss mit dem
EFSI beschäftigt – allerdings, da müssen wir ehrlich





Dr. Stefan Kaufmann


(A) (C)



(D)(B)

sein, meine Damen und Herren, ist in Brüssel die Messe
zum EFSI schon weitgehend gelesen –; deshalb kommt
dieser Antrag heute zu einem frühen Zeitpunkt. Noch
einmal Danke schön, dass wir ihn in einem Kraftakt so
schnell durch das parlamentarische Verfahren gebracht
haben!


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Nun zum Inhalt. Wir, die Union, begrüßen die Initia-
tive der EU-Kommission zur Steigerung der Investi-
tionstätigkeit innerhalb der EU dem Grundsatz nach. Wir
müssen aber bei der weiteren Ausarbeitung der gesetzli-
chen Grundlage für den EFSI bis zum Sommer in Brüs-
sel aus unserer Sicht auf folgende Punkte besonders ach-
ten – einige wurden schon angesprochen –: Die anteilige
Finanzierung des EFSI aus „Horizon 2020“ sollte sich
zumindest im Ergebnis nicht nachteilig auf die Gesamt-
finanzierung von Forschung in Europa auswirken. Da
bin ich auch bei dir, lieber Kai Gehring.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Hinsichtlich der genauen Ausgestaltung müssen wir
sehr genau darauf achten, dass bei der Auswahl der
EFSI-Projekte insbesondere auch forschungs- und inno-
vationsbasierte Projekte berücksichtigt werden. Denn
genau darum geht es bei dieser Investitionsoffensive: um
innovationsbasiertes Wachstum und Wettbewerbsfähig-
keit. Deshalb müssen diese Kriterien in dem Paket eine
Rolle spielen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Außerdem sollten wir dafür Sorge tragen, dass die För-
derung der Grundlagenforschung stark bleibt. Deutsch-
land lag 2014 bei den Starting Grants des Europäischen
Forschungsrates erstmals auf Platz eins – Thomas Rachel
hat es schon gesagt –, und zwar mit 70 von 328 Grants.

Auch bei den Projektbeteiligungen und Zuwendungen
liegt Deutschland auf Platz eins. Im ersten Jahr von „Ho-
rizon 2020“ sind bereits 1,5 Milliarden Euro an Drittmit-
teln aus Europa nach Deutschland geflossen. Das ist ein
Wort. Thomas Rachel hat auch hierzu schon das Not-
wendige gesagt.

Auch deshalb sollten die Mittel nur insoweit den Pro-
grammlinien entnommen werden, wie sie auch zur
Garantie für konkrete Investitionsvorhaben benötigt
werden – also ein sogenanntes Frontloading.

In diesen Zusammenhang gehört auch, dass nochmals
über den Rückfluss nicht verbrauchter Garantiesummen
in „Horizon 2020“ diskutiert wird. Ich bin, offen gesagt,
nicht glücklich darüber, dass dieser Punkt in letzter Mi-
nute aus dem Antrag herausfallen musste.

Letzter Punkt. Wir wollen, dass nicht nur privatrecht-
liche Institutionen, sondern auch unsere öffentlich-recht-
lich verfassten Forschungseinrichtungen und Hochschu-
len beim EFSI Anträge stellen können.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Zusammenfassend gesagt geht es darum, mit der In-
vestitionsoffensive auf der einen Seite und dem welt-
größten Forschungsprogramm „Horizon 2020“ sowie
der Weiterentwicklung eines gemeinsamen Europäi-
schen Forschungsraums auf der anderen Seite Europa
auch und gerade durch Forschung und Innovation zu-
kunftsfest zu machen. Ich bin überzeugt davon, dass un-
ser Antrag einen konstruktiven Beitrag zur Stärkung der
europäischen Forschung leisten wird. Damit senden wir
auch ein starkes Signal des Deutschen Bundestages nach
Brüssel, gerade während der Verhandlungen zum EFSI.
Deshalb darf ich Sie heute Abend herzlich um Ihre Zu-
stimmung bitten.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809722800

Tagesordnungspunkt 12 a. Wir kommen zur Abstim-

mung über den Antrag der Fraktionen der CDU/CSU
und der SPD auf Drucksache 18/4423 mit dem Titel
„Europas Wettbewerbs- und Zukunftsfähigkeit durch
Forschung und Innovation stärken“. Wer stimmt für die-
sen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Antrag ist mit den Stimmen der CDU/CSU-Fraktion
und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion
Die Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen worden.

Tagesordnungspunkt 12 b. Interfraktionell wird Über-
weisung der Vorlage auf Drucksache 18/2260 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe nun die Tagesordnungspunkte 13 a und 13 b
auf:

a) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)

Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock,
Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Neue Dynamik für nukleare Abrüstung – Der
Humanitären Initiative beitreten

Drucksachen 18/3409, 18/4217

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(3. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten Inge
Höger, Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

In UN-Generalversammlung der Uran-
waffen-Resolution zustimmen





Vizepräsident Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

– zu dem Antrag der Abgeordneten Agnieszka
Brugger, Annalena Baerbock, Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

VN-Resolution zu Uranmunition zustim-
men

Drucksachen 18/3407, 18/3410, 18/4218

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich dem Abgeordneten Dr. Karl-Heinz Brunner, SPD-
Fraktion, das Wort.


Dr. Karl-Heinz Brunner (SPD):
Rede ID: ID1809722900

Sehr verehrter Herr Präsident! Meine Kolleginnen

und Kollegen! Verehrte Zuhörerinnen und Zuhörer! Ich
sage ganz klar: Atomwaffen braucht kein Mensch. Sie
schaffen weder Vertrauen noch Sicherheit.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Schön, dass die Linken klatschen. – Frank-Walter
Steinmeier hat es auf den Punkt gebracht: Global Zero
ist mehr als eine Vision; das ist eine Notwendigkeit. Eine
Welt frei von Atomwaffen darf verdammt noch einmal
keine wolkenhafte Utopie bleiben; sie ist Verpflichtung
für uns und für alle Unterzeichner des Nichtverbrei-
tungsvertrags. Gerade deswegen muss die kommende
Überprüfungskonferenz in New York gelingen. Ein
Scheitern hätte schwerwiegende Folgen, nicht nur für
den nuklearen Abrüstungs- und Rüstungskontrollprozess
selbst; es geht auch um die Glaubwürdigkeit der Atom-
mächte.

Wissen Sie, meine Kolleginnen und Kollegen, meine
Damen und Herren: Wir haben zwar ein Netz von ver-
trauensbildenden, stabilisierenden Abrüstungsverträ-
gen; das ist jedoch ein Netz, dessen Maschen immer
weiter und durchlässiger werden. Manchmal möchte ich
gar meinen, dass dieses Netz sogar in Vergessenheit ge-
raten ist. Daher gilt an dieser Stelle besonderer Dank
Frank-Walter Steinmeier für seinen unermüdlichen Ein-
satz; denn er und das Auswärtige Amt unterstützen die
Bemühungen des Finnen Jaakko Laajava, doch noch die
Konferenz über eine massenvernichtungswaffenfreie
Zone im Mittleren Osten zustande zu bringen. Gerade
jetzt, bei all den Krisen, wäre es nämlich verantwor-
tungslos, Sicherheit allein zu sehen und dabei Abrüstung
und Rüstungskontrolle zu vernachlässigen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Julia Obermeier [CDU/CSU])


Um allerdings neue Dynamik in die Sache zu bringen,
bedürfte es einer Fülle von Maßnahmen. Würde ich je-
doch den gesamten Handlungsbedarf und alle Probleme
aufzählen, könnte manch einer vielleicht vor Angst blass
werden. Daher heute nur einige Punkte, Hinweise und
Anmerkungen, welche mir persönlich wichtig erschei-
nen.
Erstens. Wir brauchen eine Erweiterung der Rüs-
tungskontrolle für Kleinwaffen.


(Beifall bei der SPD)


Sie ist ein wesentliches Element von Krisenprävention
und Terrorbekämpfung. Kleinwaffen und leichte Waffen
verursachen mehr Opfer als jede andere Waffenart. Man
schätzt, dass durch die rund 875 Millionen Stück im
Umlauf jedes Jahr eine halbe Million Menschen getötet
werden. Ehrlich gesagt: Ich empfand es letztes Jahr, als
Kleinwaffen deutscher Hersteller in Südamerika ohne
Exportgenehmigung auftauchten, als Schande.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wie kann es sein, dass vertragliche Zusagen zur Endver-
bleibskontrolle unterlaufen werden, sodass nicht mehr
genutzte Waffen relativ leicht von den USA nach
Kolumbien gelangen? Ja, mit dem ATT-Vertrag wurde
Transparenz geschaffen, und die Exportkontrollen wur-
den verbessert. Aber es braucht auch ein weiterführen-
des Gesamtkonzept der vielen Einzelmaßnahmen. Ja, es
macht mich persönlich wütend, wenn ich in der deut-
schen Rüstungsindustrie immer nur Jammern höre, weil
bei Exportgenehmigungen durch Sigmar Gabriel endlich
hingeschaut wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens. Wann, wenn nicht jetzt, brauchen wir eine
reibungslose Umsetzung der Vertrags über den Offenen
Himmel von 1992? Open Skies ermöglicht ungehinderte
Beobachtungsflüge in den Hoheitsgebieten der Vertrags-
staaten. Dies erfolgt, dies funktioniert, dies ist ein Er-
folgsprojekt. Open Skies ist der einzige multilaterale
Vertrag, der wirklich funktioniert. Er ist die Plattform,
um auch und gerade mit Russland weiter kommunizieren
zu können. Er kann aber auch die Brücke sein, die zu be-
schreiten wir Russland anbieten wollen. Deshalb, meine
Damen und Herren, sind wir mehr als optimistisch, dass
wir bald, so wie im Koalitionsvertrag vereinbart, wieder
mit einem eigenen, einem modernen Flugzeug dabei
sind, wenn es darum geht, Open Skies zu unterstützen.


(Beifall bei der SPD)


Daran mit Vorrang zu arbeiten, das ist unsere Aufgabe,
und das ist gut so.

Drittens: die verbale Aufrüstung. Ich war in der Ver-
gangenheit nie Teil einer sich an Schienengleise anket-
tenden Friedensbewegung; das Engagement der Men-
schen in Ehren. Ich glaube auch nicht, dass sich die
Lehren und die Rhetorik des Kalten Krieges im Guten
und im Schlechten auf heutige Situationen anwenden
lassen. Wir haben es mit einer Vielzahl von Krisen zu
tun, und dies unter ganz anderen Vorzeichen. Für mich
heißt „Abrüstung“ übersetzt nicht banal „weniger Mili-
tär“. Die Formel muss vielmehr heißen: Das Richtige
wollen, und dies richtig tun. – Das heißt: infrage stellen,
Rüstungsexporte von Fall zu Fall prüfen. Das heißt: ehr-
lich und beharrlich die Chancen suchen, diese Welt si-
cherer zu machen. Zusammen mit der Rüstungskontrolle
heißt das: Vertrauen schaffen.





Dr. Karl-Heinz Brunner


(A) (C)



(D)(B)

Was mich in letzter Zeit besonders beunruhigt, hat
vielleicht nicht unmittelbar mit Abrüstungspolitik oder
Rüstungskontrolle zu tun. Es ist die verbale Aufrüstung,
die viel Vertrauen im Keim zerstört. Feindbilder in der
Gesellschaft werden geschürt. Empörungen gegen ein-
zelne Menschen wachsen. Verschwörungstheorien gegen
die Politik werden beliebt.

Da ist Russland, das ohne erkennbare Not Dänemark
einen Atomschlag androht – Dänemark, ein Land, das
neben Island für mich und sicherlich für alle eines der
friedliebendsten Länder dieser Welt ist. Da ist Russland,
das den Konflikt sucht, um von eigenen Problemen ab-
zulenken. Es konstruiert Bedrohungen, beschäftigt ganze
Behörden in Moskau und Sankt Petersburg, die das öf-
fentliche Bild des Landes schönreden und den vermeint-
lichen Feind scharfzeichnen. Aber da ist zum anderen
auch das US-Repräsentantenhaus, das Waffenlieferun-
gen in die Ukraine fordert. Sie sagen, sie wollten Frieden
schaffen. Ich sage: Wenn sie das tun, kommt Putin und
schafft noch mehr von seinem Frieden. – Aber da ist
auch unser enger Freund Frankreich, der seine Atom-
waffen weiterhin öffentlich als geeignete Abschre-
ckungswaffe preist.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, es geht um
internationale Verantwortung. Dieses verbale Wettrüsten
muss ein Ende haben. Frank-Walter Steinmeier macht
diesen Dialog vor: beharrlich in der Sache, auf Augen-
höhe und vor allen Dingen mit viel Geduld. Wir werden
damit nicht Putin auf den Boden zurückholen – der ist in
seiner eigenen Welt –; aber wir und unsere Bündnispart-
ner müssen in unserem eigenen Interesse den sachlichen
Dialog suchen.

Eigentlich bräuchten wir alle eine Zeit der Ruhe, der
Besinnung, eine Zeit des Denkens, weniger des Redens;
denn wenn wir es nicht schaffen, die Rhetorik herunter-
zufahren, wächst die Gefahr, dass aus diesen wilden Vi-
sionen eine neue Realität wird. Daher fordere ich: Aus,
Schluss und vorbei mit verbaler Aufrüstung! Mehr Dia-
log, mehr internationale Verantwortung, mehr Pflichtbe-
wusstsein gegenüber Verträgen und mehr Gelassenheit
in öffentlichen Debatten!

Vielen herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit und
vielen Dank, dass ich kurz überziehen durfte, Herr Präsi-
dent.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809723000

Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-

ordneten Inge Höger, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809723100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir erle-

ben zurzeit den Wechsel von der Außenpolitik der Zu-
rückhaltung von Guido Westerwelle hin zu einer Politik
der Übernahme von mehr Verantwortung. Damit einher
geht eine massive Aufrüstung der NATO und der Bun-
deswehr. Was die Große Koalition seit 2013 als Abrüs-
tungspolitik verkauft, verdient diesen Namen leider
nicht.

Nehmen wir zum Beispiel den Verbleib der US-
Atomwaffen in Deutschland. Darüber haben Sie in Ihrer
Rede kein Wort verloren. Herr Westerwelle hat zwar
auch nichts für diesen so dringend notwendigen Abzug
getan; aber er hat immerhin die Forderung formuliert.
Davon sind wir heute meilenweit entfernt. Stattdessen
modernisieren die USA ihr Nukleararsenal in Rheinland-
Pfalz, und die Bundesregierung hat offensichtlich nichts
dagegen.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Sagen Sie doch einmal etwas zu den syrischen Chemiewaffen!)


Die neuen modernen Atombomben sollen dann leichter
und zielgenauer eingesetzt werden. Was für ein Hohn!
Die Linke bleibt dabei: Die Atomwaffen müssen sofort
abgezogen werden. Auch die Bereitstellung von Bundes-
wehrflugzeugen als Trägersysteme und die Ausbildung
deutscher Soldatinnen und Soldaten für den atomaren
Ernstfall muss endlich ein Ende haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Ein weniger bekanntes Beispiel für die abrüstungs-
feindliche Politik von Schwarz-Rot ist das Abstim-
mungsverhalten der Bundesrepublik auf UN-Ebene zum
Thema Uranmunition.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Was ist denn mit Ihrem Abstimmungsverhalten?)


Regelmäßig bringen Indonesien und andere Staaten Re-
solutionen in der UN-Generalversammlung ein, die den
Einsatz von Waffen mit abgereichertem Uran problema-
tisieren. In der Vergangenheit hatte die Bundesregierung
diesen Resolutionen immer zugestimmt; im vergangenen
Jahr hat sie sich leider nur enthalten. Das ist angesichts
der vielen Zivilistinnen und Zivilisten, die durch die Ein-
wirkung von abgereichertem Uran erkrankt oder verstor-
ben sind, absolut beschämend. Ich appelliere an die Bun-
desregierung: Geben Sie sich einen Ruck, und setzen Sie
sich gegen den Einsatz von Uranwaffen ein!


(Beifall bei der LINKEN)


Aber zurück zur weitaus zerstörerischsten und un-
menschlichsten Waffe, der Atombombe. Uns liegt heute
ein Antrag vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert
wird, der Humanitären Initiative beizutreten. Deren Ziel
ist es, die Strategie der nuklearen Abschreckung als das
zu bezeichnen, was sie ist: ein Spiel mit dem Leben von
Millionen unschuldiger Zivilistinnen und Zivilisten. Je-
der Einsatz von Atombomben hätte katastrophale Folgen
für das Überleben unseres Planeten. Kein Staat und
keine internationale Organisation wären in der Lage, hu-
manitäre Hilfe zu leisten. In diesem Zusammenhang
macht es mir große Sorgen, wenn der US-Kongress im
Rahmen der Ukraine-Krise mit der Kündigung des Ver-
trages droht, der den Einsatz nuklearer Mittelstreckenra-
keten verbietet. Die Bundesregierung sollte entgegen ih-
rer bisherigen Gewohnheit deeskalierend auf diesen
Konflikt wirken. Jeder Drohung, Atomwaffen einzuset-
zen, muss unmissverständlich widersprochen werden.





Inge Höger


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Was ist mit den Russen?)


In einigen Wochen wird die Überprüfungskonferenz
zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag in New York
stattfinden. Noch nie war dieser Atomwaffensperrver-
trag so sehr in Gefahr wie momentan. Grund dafür ist
unter anderem die Stagnation bei der Umsetzung der
2010 beschlossenen Konferenz für eine Zone ohne Mas-
senvernichtungswaffen im Nahen und Mittleren Osten.


(Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Was ist denn mit dem Budapester Abkommen?)


Viele Staaten der Region fühlen sich nicht mehr sicher,
und sie haben recht: Was hilft ein Atomwaffensperrver-
trag, an den sich nicht alle Staaten halten? Es ist gut,
dass es bei den Atomverhandlungen mit dem Iran Fort-
schritte gibt. Ähnliche Fortschritte sind aber auch mit
der inoffiziellen Atommacht Israel notwendig. Entweder
dürfen alle Atomwaffen haben oder keiner.


(Zuruf von der SPD: Was ist das denn?)


Ich bin dafür, dass kein Staat Atombomben besitzen
darf.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke setzt sich für eine Welt ohne Atomwaffen und
ohne Atomkraftwerke ein. Wenn Sie das auch wollen,
dann müssen Sie dem Antrag zustimmen.


(Beifall bei der LINKEN)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809723200

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-

ordneten Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1809723300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Kol-

legin Höger, dann wollen wir einmal Ihren Versuch der
parlamentarischen Volksverdummung eindämmen. Sie
haben nämlich dem Parlament und der Öffentlichkeit
verschwiegen, worum es in Wahrheit bei der UN-Reso-
lution geht. Bei der UN-Resolution geht es um Untersu-
chungen zur Schädlichkeit des Einsatzes von Uranmuni-
tion.

Sie verschweigen – und dadurch wird Ihre Absicht
der Täuschung sehr offensichtlich –, dass beispielsweise
die Bundesrepublik in der Bundeswehr seit rund vier
Jahrzehnten gar keine Uranmunition mehr einsetzt und
damit vorbildlich vorangeht. Sie verschweigen der Öf-
fentlichkeit auch – und zwar nicht zum ersten Mal, son-
dern auch schon in der Debatte am 4. Dezember 2014;
ich habe das eben nachgelesen –, dass sich die Bundes-
republik Deutschland deswegen enthalten hat, weil sie
sich mit ihrer Forderung, auch neueste wissenschaftliche
Erkenntnisse in die Untersuchung der Schädlichkeit ein-
zubeziehen, nicht durchsetzen konnte. Man hat sich
innerhalb der UN bedauerlicherweise und unverständli-
cherweise dafür entschieden, einen Teil des Wissens-
spektrums einfach auszublenden. Deswegen haben wir
gesagt: Wir enthalten uns. Wir wollen eine seriöse Un-
tersuchung gewährleistet wissen. – Das war nicht gege-
ben. Aber weil wir in Deutschland nach wie vor über-
wiegend von der Schädlichkeit der Uranmunition
überzeugt sind und um das Verhalten der letzten Jahr-
zehnte nicht zu konterkarieren, haben wir uns enthalten.


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809723400

Herr Abgeordneter, die Frau Abgeordnete Höger

fragt, ob Sie eine Zwischenfrage zulassen.


Carsten Müller (CDU):
Rede ID: ID1809723500

Das war eben schon so schwer erträglich, dass ich

diese Zwischenfrage nicht zulassen möchte. Das verbes-
sert auch, ehrlich gesagt, ihre Position nicht.


(Beifall des Abg. Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD])


Meine Damen und Herren, insofern kommen wir
heute zu einer Ablehnung der Anträge von Linken und
Grünen, die sich mit dem Komplex Uranmunition aus-
einandergesetzt haben.

Zum Thema der atomaren Abrüstung. Der Kollege
Brunner hat hier einige ganz allgemeine Überlegungen
in den Raum gestellt, verschiedene Regierungsmitglie-
der gelobt und ein Zitat an den Anfang seiner Rede
gestellt. Ich möchte seinem Beispiel folgen und mich
einmal auf Papst Franziskus beziehen, der Folgendes ge-
sagt hat: Atomwaffen haben das Potenzial, uns und die
Zivilisation zu zerstören. Sie sind ein globales Problem,
das alle Nationen betrifft und Auswirkungen auf die zu-
künftigen Generationen sowie unseren Heimatplaneten
hat. – Meine Damen und Herren, ich sage: Dahinter kön-
nen wir uns alle versammeln. Ich halte, Koalitionsfreund
Brunner, Ihre Behauptung „Atomwaffen braucht kein
Mensch“ so nicht eins zu eins für richtig.

Wir müssen den Blick auf die heutige Zeit richten. Ich
finde es bemerkenswert, dass da offensichtlich auch die
Kollegin Höger einen ganz dicken Balken in ihrem Auge
hat. Wir befinden uns in einer Zeit, in der man – das be-
komme ich in vielen Gesprächen mit Bürgerinnen und
Bürgern mit – Angst vor kriegerischen Auseinanderset-
zungen in Europa hat. Weswegen ist das so? Russland
hat einen Nachbarstaat überfallen, ausgeraubt, Teile des
Gebietes der souveränen Ukraine besetzt. Das geht an
uns allen nicht spurlos vorbei. Russland hat damit wich-
tigen Grundvoraussetzungen für Abrüstung, nämlich
Verlässlichkeit, Vertrauen und Glaubwürdigkeit, einen
Bärendienst erwiesen. Es hat einen atomaren Abrüs-
tungsvertrag gebrochen. Das Budapester Memorandum
von 1994 – im Übrigen haben wir das vor fast genau ei-
nem Jahr hier auch diskutiert – ist leider nicht mehr das
Papier wert, auf dem es geschrieben steht. Wir sehen
diese Entwicklung nicht nur im Bereich der atomaren
Abrüstung, sondern auch bei der konventionellen Abrüs-
tung. Russland entzieht sich einer weiteren Teilnahme
am KSE-Abkommen, also an der Überwachung der kon-
ventionellen Waffenpotenziale. Das ist meines Erachtens
ein ganz schwerer Anschlag auf Vertrauen und Glaub-
würdigkeit sowie auf gute Nachbarschaft in Europa.





Carsten Müller (Braunschweig)



(A) (C)



(D)(B)

Es hat in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von
Verletzungen des Luftraums der baltischen Staaten gege-
ben. Nun würden Sie sagen: Na gut, es sind eben auch
die bösen NATO-Staaten. – Aber wie erklären Sie dann
beispielsweise Luftraumverletzungen in Finnland? Ich
halte es – das hat der Kollege Brunner richtigerweise
angesprochen – für nicht angängig, dass ein russischer
Botschafter dem Staat Dänemark mit dem Einsatz von
Atomraketen gegen dänische Kriegsschiffe droht. Das
spricht für sich. So kann man Abrüstung leider nicht
fundiert ansehen. Wir wollen uns deswegen nach wie vor
im sicheren Schoß der nuklearen Teilhabe der NATO
aufgehoben wissen.

Die CDU/CSU – das will ich auch sagen – tritt für
Abrüstung ein, für konventionelle und nukleare, und
zwar insbesondere dann, wenn Abrüstung die Welt si-
cherer macht, und nicht, wenn einseitige Abrüstung die
Welt unsicherer macht und Despoten sich dadurch zu
Übergriffen ermutigt fühlen. Deswegen können wir den
Anträgen von Linken und Grünen nicht zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809723600

Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem

Abgeordneten Jürgen Trittin, Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.


Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809723700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir waren

in diesem Haus schon einmal weiter. Vor fünf Jahren
haben CDU/CSU, SPD, die damals noch existierende
FDP, die sich heute gefallen lassen muss, von Frau
Höger gelobt zu werden,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


und die Grünen einen Antrag für eine Welt frei von
Atomwaffen verabschiedet. Damals war es möglich,
einen parteiübergreifenden Konsens in dieser Frage zu
erzielen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun stellen wir fest: Das ist vorbei; den Konsens für die
atomwaffenfreie Welt gibt es nicht mehr. Sie haben sich
– Herr Müller hat das gerade gezeigt – von diesem Kon-
sens verabschiedet. Was das Handeln angeht – nicht Ihre
Rede, Herr Brunner –, gilt das auch für die SPD.

Wir wollen an diesem Konsens festhalten, auch in
schwierigen Zeiten. Damals war es einfach, zu diesem
Konsens zu stehen. Es war der Zeitpunkt, wo Barack
Obama einen Neustart der US-russischen Beziehungen
wollte – übrigens das Gegenteil der von Putin behaupte-
ten Einkreisungspolitik. Es gab eine neue Vereinbarung
zur Begrenzung strategischer Waffen. Aber diese ist un-
ter die Räder gekommen, weil wir auf der Basis des
Bruchs international gültiger Abrüstungsabkommen
– das ist das Budapester Memorandum gewesen – in Eu-
ropa in eine neue Situation geschlittert sind. Die Frage
ist doch nur: Reagieren wir wie sie und vergelten Glei-
ches mit Gleichem? Bewegen wir uns also in der Spirale
der gegenseitigen Aufrüstung? Oder zerstören wir die
Erzählung, das Narrativ, von Putin? Was hindert uns
zum Beispiel daran, nach erfolgten Verhandlungen mit
dem Iran zu sagen: „Wir brauchen keinen Raketen-
abwehrschirm“?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was hindert uns daran, zu sagen: „Sie mögen mit absur-
den Äußerungen gegenüber Dänemark das Klima in Eu-
ropa versauen, lieber Herr Putin, aber wir verabschieden
uns von der Lüge der Sicherheit durch Abschreckung“?
Das wäre doch eine vernünftige Reaktion, zumal wir alle
wissen, dass zur Bewältigung moderner Gefahren, der
Kriege und Krisen, Atomwaffen überhaupt nicht beitra-
gen können. Die meisten Kriege sind asymmetrisch: zer-
fallende Staaten und Terrornetzwerke, Ungleichheit,
Korruption, Klimawandel, Dürre. Gegen all das hilft
kein einziger nuklearer Sprengkopf. Ein einziger würde
ausreichen, die Region von Norditalien bis Tschechien
und Österreich komplett zu verwüsten. Es hilft also
nicht, daran festzuhalten.

Interessanterweise teilt auch die Bundesregierung die
Einschätzung von den fatalen ökologischen und humani-
tären Folgen vom Einsatz von Atomwaffen; sie hat an
der Konferenz in Wien teilgenommen. Dennoch lagern
bis heute in der Vulkaneifel 20 einsatzfähige Bomben.
Jeden Morgen steigen deutsche Piloten auf und üben,
diese Atombomben abzuwerfen. Als die SPD noch in
der Opposition war, wollte sie die abziehen. Jetzt hat die
Große Koalition, die Bundesregierung, nicht einmal
mehr den Mut, die Erklärung der Humanitären Initiative
zu unterschreiben, wonach der Einsatz von Atomwaffen
– ich zitiere – „under any circumstances“, also unter al-
len möglichen Umständen, auszuschließen ist. 155 Staa-
ten haben das unterschrieben. Aber Sie behaupten, das
sei mit der NATO-Mitgliedschaft nicht vereinbar. Tatsa-
che ist: Norwegen, Dänemark und Island, alles NATO-
Mitglieder, haben diese Erklärung unterschrieben. Was
hindert Sie, Herr Roth, was hindert die Bundesregierung
daran, diese Erklärung zu unterschreiben? Ich finde, das
kann nur politische Feigheit sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Hier sollen die Atomwaffen nicht nur nicht abgezogen,
sondern sogar modernisiert werden. Das ist absurd; das
ist feige.

Ich zitiere: Das Ziel von Global Zero ist keine Spiel-
wiese für Utopisten; denn diese Waffen sind heute
militärisch obsolet. – So Frank-Walter Steinmeier. Herr
Steinmeier hat recht; aber dann handeln Sie auch da-
nach. Machen Sie den Weg frei für ein atomwaffenfreies
Deutschland! Sorgen Sie für den Abzug der nuklearen
Teilhabe! Sorgen Sie dafür, dass diese Waffen nicht mo-
dernisiert werden!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)







(A) (C)



(B)


Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1809723800

Die Bitte kommt etwas spät; aber es wäre gut, wenn

die Redner bei der Äußerung ihrer wichtigen Gedanken
zwischendurch auch auf die Uhr schauen würden und
nicht nur auf das Redemanuskript. Wir haben das jetzt
akzeptiert. Aber prinzipiell diente dies der allgemeinen
Fairness. Die meisten nehmen sich den Höhepunkt für
den Schluss vor und verlegen den Schluss an das Ende
der Redezeit, genauer gesagt: dahinter. Dann sind wir bei
der Gewissensfrage, ob wir den schönen Gedankengang
unterbrechen. Wir haben ihn jetzt fließen lassen; aber es
wäre trotzdem fair, beim nächsten Mal die Redezeit ein-
zuhalten.

Als letzter Rednerin in dieser Aussprache gebe ich
das Wort der Abgeordneten Julia Obermeier, CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Julia Bartz (CSU):
Rede ID: ID1809723900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Seit den 1970er-Jahren verzichtet die Bundes-
wehr auf den Einsatz von Uranmunition, auch wenn der
Einsatz von Munition aus abgereichertem Uran völker-
rechtlich nach wie vor zulässig ist.

Was die gesundheitlichen Folgen betrifft, haben die
Bundeswehr und die Gesellschaft für Strahlenforschung
deutsche Soldatinnen und Soldaten nach ihrem Einsatz
im Kosovo untersucht und sind zu dem Ergebnis gekom-
men, dass ihre Gesundheit durch den Einsatz dieser
Munition nicht gefährdet war und sie zu keinem Zeit-
punkt erhöhten Strahlenbelastungen ausgesetzt waren.
Zu ähnlichen Ergebnissen kamen auch Studien der
NATO, der IAEO, der Weltgesundheitsorganisation, der
UNO und auch der Europäischen Kommission. Es konn-
ten zwar Spuren von abgereichertem Uran in der Um-
welt nachgewiesen werden. Allerdings lag die Belastung
weit unter den Grenzwerten der IAEO.

In den vorliegenden Anträgen fordern Sie, dass
Deutschland für eine UN-Resolution stimmt, die darauf
abzielt, die Auswirkungen der Uranmunition weiter zu
untersuchen. Allerdings werden die Ergebnisse der eben
genannten Studien in dieser Resolution nur teilweise
oder gar nicht berücksichtigt. Die Resolution ist also
nicht auf dem aktuellen Stand der Wissenschaft. Das war
der Grund, warum sich Deutschland zusammen mit 20
anderen Nationen bei der Abstimmung im Sicherheitsrat
enthalten hat. An den Ursachen dieser Enthaltung hat
sich nichts geändert. Deshalb werden wir heute die bei-
den Anträge der Grünen und der Linken ablehnen.

Vor viel größeren Herausforderungen stehen wir bei
unseren Abrüstungsbemühungen angesichts des aggres-
siven Verhaltens Russlands. Seit Beginn der Ukraine-
Krise wird der Ton Russlands gegenüber dem Westen
immer schärfer. Vor wenigen Tagen war in einer däni-
schen Zeitung eine Drohung des russischen Botschafters
zu lesen. Demzufolge – ich zitiere – „werden dänische
Kriegsschiffe zu Zielen russischer Atomraketen“. Russ-
lands atomare Drohungen richten sich aber nicht nur ge-
gen Dänemark, sondern auch gegen unsere Nachbarn
und weitere NATO-Staaten. Moskau will nun wieder
Iskander-Raketen in Kaliningrad stationieren. Diese Ra-
keten können Atomsprengköpfe tragen und haben eine
Reichweite von knapp 500 Kilometern. Damit können
sie Warschau, Vilnius, aber auch Frankfurt an der Oder
erreichen. Mit diesen Einschüchterungsversuchen baut
Russland eine nukleare Drohkulisse auf. Die Abschre-
ckung als Teil des Strategischen Konzepts der NATO
lebt dadurch traurigerweise wieder auf. Mit Blick auf
dieses aggressive Verhalten Russlands und auch auf die
aktuelle geopolitische Lage wäre es deshalb fatal, nun
alle US-Atomwaffen aus Deutschland und Europa abzu-
ziehen, wie Sie das in Ihrem Antrag fordern. Ebenso we-
nig darf sich Deutschland aus der operativen nuklearen
Teilhabe zurückziehen. Das wäre der falsche Schritt zum
falschen Zeitpunkt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das Verhalten der russischen Regierung führt uns vor
Augen: Wir sind leider weit entfernt von einer Welt ohne
Atomwaffen. Russland bricht internationale Verträge
wie das Budapester Memorandum. Freiwillig hat die
Ukraine 1994 auf ihre Atomwaffen verzichtet. Im
Gegenzug war der Ukraine die Unversehrtheit ihrer
Landesgrenzen zugesichert worden. Ihre Kollegin
Marieluise Beck hat heute in diesem Haus Russland zu
Recht als „gekränktes Imperium“ beschrieben, dessen
Verhalten nicht vorhersehbar ist. Deshalb ist es umso
problematischer, dass Russland internationale Bemühun-
gen zur nuklearen Abrüstung weiter ablehnt. Der Kreml
hat im Dezember 2014 einen wichtigen Pfeiler der ame-
rikanisch-russischen Nuklearkooperation aufgekündigt.
Dieses Abkommen sollte verhindern, dass Nuklearwaf-
fen in falsche Hände geraten. Zudem lehnt die Führung
in Moskau Angebote der USA nach wie vor ab, ein
New-START-Abkommen zu verhandeln.

Sehr geehrte Damen und Herren, grundsätzlich wür-
den wir uns in diesem Hause sicherlich alle eine atom-
waffenfreie Welt wünschen. Dieses Ziel können wir aber
nicht über eine Einbahnstraße erreichen. Länder mit und
ohne Atomwaffen müssen diesen Weg gemeinsam be-
schreiten, sonst landen wir in einer gefährlichen Sack-
gasse. Deshalb werden wir auch diesen Antrag ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809724000

Vielen Dank. – Damit sind wir am Ende der Ausspra-

che angekommen. Wir kommen jetzt zu einer Reihe von
Abstimmungen.

Tagesordnungspunkt 13 a. Wir kommen zur Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses zu
dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit
dem Titel „Neue Dynamik für nukleare Abrüstung – Der
Humanitären Initiative beitreten“. Der Ausschuss emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
18/4217, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/3409 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –

(D)






Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die Stimmen der
Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 13 b. Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Auswärtigen Ausschusses auf
Drucksache 18/4218. Der Ausschuss empfiehlt unter
Buchstabe a seiner Beschlussempfehlung die Ablehnung
des Antrags der Fraktion Die Linke auf Drucksache
18/3407 mit dem Titel „In UN-Generalversammlung der
Uranwaffen-Resolution zustimmen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Der Antrag ist mit den Stimmen der
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen
Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/3410 mit dem Titel „VN-Resolu-
tion zu Uranmunition zustimmen“. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer
enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen von CDU/CSU- und SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen und der
Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 14 auf:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Dritten
Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstra-
ßenmautgesetzes

Drucksache 18/3923

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Verkehr und digitale Infrastruktur

(15. Ausschuss)


Drucksache 18/4454

– Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss)

gemäß § 96 der Geschäftsordnung

Drucksache 18/4457

Hierzu liegen ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke sowie ein Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und SPD vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Parla-
mentarische Staatssekretärin Dorothee Bär für die Bun-
desregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


D
Dorothee Mantel (CSU):
Rede ID: ID1809724100


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Als wir in
der Woche die unterschiedlichen Redezeiten und Redner
festgelegt haben, hat unser verkehrspolitischer Sprecher
Ulrich Lange darauf hingewiesen, dass die Lkw-Maut
weiblich sei und die Pkw-Maut männlich. Deswegen
freue ich mich sehr, die Debatte heute gemeinsam mit
Daniela Ludwig besprechen zu dürfen. Auch für die
Kollegin Ferner war der Grund, hierzubleiben, dass dies
aus frauenpolitischer Sicht berücksichtigt werden kann.


(Heiterkeit – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich spreche auch nachher!)


– Eben, Frau Wilms spricht auch. Das Thema ist auf je-
dem Fall hervorragend abgedeckt.

Spaß beiseite, zurück zum Thema. Wir haben hier in
den letzten Wochen sehr oft über verschiedene Verkehrs-
infrastrukturfinanzierungen gesprochen, und diese haben
in den parlamentarischen Beratungen insgesamt einen
sehr breiten Raum eingenommen. Deswegen möchte ich
mich ganz herzlich bei allen Kolleginnen und Kollegen
im Verkehrsausschuss für die wirklich guten und sachli-
chen Beratungen und für die konstruktive Zusammenar-
beit bedanken. Ganz besonders möchte ich mich auch
bei den beiden Regierungsfraktionen für die vielen Be-
richterstattergespräche in vielen Bereichen, aber ganz
besonders für die konstruktive Zusammenarbeit zum
Thema Lkw-Maut bedanken.

Wir werden in dieser Woche eine weitere finanzpoliti-
sche Diskussion über die Einführung der Infrastruktur-
abgabe haben; darüber werden wir separat beraten. Jetzt
geht es erst einmal darum, uns anzusehen, wie sich die
Finanzierung in den nächsten Wochen und Monaten
durch die Ausweitung und die Vertiefung der Lkw-Maut
durch das Dritte Gesetz zur Änderung des Bundesfern-
straßenmautgesetzes entwickelt. Wir haben erst vor we-
nigen Wochen die erste Lesung gehabt. Da hatte ich be-
reits die Möglichkeit, den Gesetzentwurf, die Ziele und
den Inhalt ausführlich vorzustellen. Ich möchte das nicht
alles wiederholen, sondern nur eine kurze Zusammen-
fassung geben, worum es uns in dem Gesetz geht.

Was wir heute in zweiter und dritter Lesung verab-
schieden, ist für uns ein ganz wichtiger Baustein; es han-
delt sich um ein ganz breites Maßnahmenpaket. Wir ha-
ben in unserem Haus bei der Finanzierung der
Infrastruktur die Notwendigkeit, zusätzliche Haushalts-
mittel zu bekommen. Ich glaube, wir sind uns alle einig,
dass wir eine gute Infrastruktur brauchen. Wir haben,
zum Beispiel durch dieses Gesetz, 5 Milliarden Euro zu-
sätzlich. Auch morgen werden wir ein Gesetz verab-
schieden, das zusätzlich Geld in die Kassen spülen wird.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber trotzdem weniger, als Sie früher hatten!)


Wir werden jetzt mit dem Gesetz zur Lkw-Maut in ei-
nem ersten Schritt die Mautpflicht zum 1. Juli 2015 auf
weitere 1 100 Kilometer vierstreifige Bundesstraßen
ausdehnen. Wenn man sich anschaut, wie viel das tat-
sächlich bedeutet, sieht man, dass es ein Zuwachs des
mautpflichtigen Streckennetzes von rund 8 Prozent ist,
sprich: von 14 000 Kilometern auf 15 100 Kilometer.
Welche Einnahmeerwartung haben wir da? Wir erwarten
im Zeitraum von 2015 bis 2017 zunächst einmal Einnah-
men von insgesamt 200 Millionen Euro.





Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär


(A) (C)



(D)(B)

Es gibt einen zweiten Schritt. Der zweite Schritt soll
zum 1. Oktober 2015 erfolgen. Dann wird die Maut-
pflichtgrenze von derzeit 12 Tonnen auf 7,5 Tonnen zu-
lässiges Gesamtgewicht abgesenkt. Hier erwarten wir im
Zeitraum von 2015 bis 2017 zusätzliche Einnahmen von
insgesamt 675 Millionen Euro. Das sind für uns keine
Peanuts, sondern jeder einzelne Euro, jede einzelne Mil-
lion sind sehr, sehr viel Geld für den Haushalt. Jeder
kann sich einmal überlegen, was das bedeutet. Uns lie-
gen ja Briefe von fast allen Abgeordneten vor, in denen
Wünsche angemeldet werden.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von mir nicht, Kollegin!)


– Nein, von Ihnen nicht, Frau Wilms. Ich weiß, dass Sie
dem Minister direkt schreiben.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht mit Wünschen!)


Wir gehen also davon aus, dass insgesamt 170 000
Lkws aus dem In- und Ausland zusätzlich Maut bezah-
len werden, allerdings mit deutlich geringeren maut-
pflichtigen Fahrleistungen als derzeit im schweren Stra-
ßengüterverkehr.

Wir hatten – das gehört in den parlamentarischen Be-
ratungen dazu – selbstverständlich eine Diskussion über
die Erweiterung der Achsklasseneinteilung von bisher
zwei Achsklassen auf zukünftig vier Achsklassen. Wir
hatten auch eine Expertenanhörung zu diesem Thema
am 16. März 2015. Bei der Anhörung gab es noch ein-
mal viele interessante Aspekte. Aber ich möchte an die-
ser Stelle ganz deutlich sagen, dass die Bundesregierung
die Befürchtung nicht teilt, dass mit der neuen Achsklas-
seneinteilung Fehlanreize zur Nutzung von Fahrzeugen
mit weniger Achsen gesetzt werden, also dass es durch
diese neue Achsklasseneinteilung zu Verschiebungen
von fünfachsigen zu vierachsigen Fahrzeugkombinatio-
nen kommen wird. Vielmehr halten wir diese vier Achs-
klassen für geboten, weil mit vier Achsklassen die ver-
ursachungsgerechte Anlastung der Wegekosten besser
gewährleistet werden kann.

An der Kostenstruktur im Güterkraftverkehr haben
die Mautkosten einen Anteil von 10 bis 15 Prozent. Die
Personal- und die Kraftstoffkosten haben mit über
50 Prozent einen weitaus gewichtigeren Anteil an den
Gesamtkosten.

Wir wollen selbstverständlich eine praxisnahe Lö-
sung; das ist klar. Deswegen sage ich auch: Wir hatten
viele Diskussionen. Wir haben uns auf Kompromisse ge-
einigt, aber wir werden als Bundesregierung – das ist uns
wichtig – ganz genau beobachten, ob es durch die
Mautänderung zu Änderungen an den Fahrzeugflotten
kommt. Wir würden die entsprechenden Ergebnisse
selbstverständlich in das nächste Wegekostengutachten
einfließen lassen, um eventuelle Fehlanreize – sollte es
diese geben; davon gehen wir im Moment nicht aus – zu
minimieren.

Alles zusammengefasst, kann ich sagen: Ich glaube,
wir haben heute mit den unterschiedlichen Modellen
einen weiteren wichtigen Schritt gemacht, um unsere
Infrastruktur in Deutschland zukunftsfest zu machen und
in den nächsten Jahren aufzurüsten. Deswegen noch ein-
mal vielen herzlichen Dank für die konstruktive Zusam-
menarbeit. Ich hoffe, dass diese morgen genauso stattfin-
det.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809724200

Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke hat jetzt

Thomas Lutze das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Thomas Lutze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1809724300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Frau Staatssekretärin, das mit morgen – weiß ich
nicht.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch nicht!)


Da müssen wir alle noch eine Nacht drüber schlafen;
aber ich habe meine Bedenken, dass das funktioniert.

Kommen wir zu der Sache, um die es heute geht,
nämlich die Lkw-Maut. Hier begrüßen wir es grundsätz-
lich, dass in Zukunft mehr Fahrzeuge, mehr Verkehrs-
mittel von der Maut betroffen sein werden, also Maut
bezahlen müssen. Das ist richtig. Wir brauchen eine Ab-
gabe, die wirklich streng nach dem Kriterium des Verur-
sacherprinzips aufgestellt ist. Wie gesagt, da bewegen
wir uns im Moment in die richtige Richtung.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Gesetzesvorlage beinhaltet allerdings mehrere
Punkte – das ist auch vonseiten der Koalitionsabgeord-
neten immer wieder betont worden –, die nach wie vor
noch nicht so ausgereift sind, dass man sagen kann: Wir
machen hier ein Gesetz, das die nächsten zehn Jahre Be-
stand hat. – Ich glaube, auch dieses Gesetz werden wir in
dieser Wahlperiode noch das eine oder andere Mal zur
Vorlage bekommen. Das ist bei diesem Thema auch kein
Beinbruch; da können wir über alles reden.

Es ist uns bewusst, dass in diesem Gesetzentwurf eine
ganze Reihe von Ausnahmen vorhanden ist. Bei der ei-
nen oder anderen Ausnahme bin ich auch dabei. Wenn
man zum Beispiel sagt, dass Schausteller- und Zirkus-
betriebe von der Maut befreit sein sollen, dann hat das
sicherlich gute Gründe. Wenn es allerdings weiter heißt,
dass Reisebusse – hiermit meine ich vor allem die Fern-
linienbusse – von dieser Maut befreit sein sollen, dann
mache ich mehr als ein großes Fragezeichen daran.

Worum geht es eigentlich? Ich denke, dass wir die
Verkehrsmittel, über die wir in der Verkehrspolitik ins-
gesamt reden, miteinander vergleichen müssen. Da ist es
für mich nicht nachvollziehbar, warum zum Beispiel ein
Zug- bzw. Bahnreisender für jeden Kilometer, den er
fährt, eine Streckengebühr bezahlen muss, dass auch für
jeden Halt, den der Zug an einer Station oder einem





Thomas Lutze


(A) (C)



(D)(B)

Bahnhof macht, eine Gebühr fällig wird und dass Fernli-
nienbusse im Gegensatz dazu die Infrastruktur – sprich:
die Autobahnen und Bundesstraßen – vollkommen kos-
tenfrei benutzen dürfen. Das halten wir von der Linken
für zumindest diskussionswürdig.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt natürlich Bedenken. Die Fernlinienbusse wur-
den auch deshalb eingeführt, weil man gesagt hat: Man
kann damit eine günstige, eine billige Alternative zur
teuren Bahn schaffen. – Die Frage ist nur: Was würde
denn in der Realität passieren, wenn man, wie wir vor-
schlagen, eine Fernbusmaut einführen würde? Eine
Fahrkarte von Berlin nach Saarbrücken zum Beispiel
würde ungefähr 1 Euro bis 1,50 Euro teurer werden. Bei
Fahrpreisen auf dieser Strecke von 25 Euro bis 50 Euro
ist das sicherlich ein absolut überschaubarer Betrag.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Bei allem Respekt: Bei diesen Summen bricht nicht so-
fort der komplette Fernbusmarkt zusammen. Das glaube
ich beim besten Willen nicht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir als Linksfraktion haben einen Änderungsantrag
eingebracht. Wenn Sie ihm zustimmen, dann leisten Sie
einen Beitrag zu mehr Wettbewerbsgerechtigkeit zwi-
schen den Verkehrsträgern und Verkehrsmitteln. Es
kann, wie gesagt, für meine Begriffe nicht sein, dass
man für einen Zug, der zum Beispiel von Frankfurt nach
Hamburg fährt, zahlen muss, während ein Fernbus, der
in aller Regel parallel zur Eisenbahn fährt, die Infra-
struktur kostenfrei benutzen darf. Wenn wir eine Fern-
busmaut hätten, würde sie dem Finanzminister rund
90 Millionen Euro pro Jahr einbringen. Dies ist sicher-
lich keine Riesensumme, aber verglichen mit dem, wo-
rum es in der Diskussion morgen gehen wird, auch kein
schlechter Betrag.


(Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ja, Fernbusse sind eine beliebte, da billige Alternative
zur Bahn und zum Flugzeug. Aber neben dem Wettbe-
werbsvorteil, den die Fernbusse bezüglich der Maut ha-
ben, gibt es weitere Schattenseiten: Die Fahrerinnen und
Fahrer werden im Gegensatz zu Lokführern oder Flug-
zeugpiloten unterirdisch bezahlt. Bis 2019 können diese
Busse nach wie vor völlig frei von Plätzen für Rollstuhl-
fahrer durch die Gegend fahren. Ich mache ein ganz gro-
ßes Fragezeichen, ob das Gesetz, nach dem auch Fern-
busse behindertengerecht sein müssen, 2019 umgesetzt
wird.

Zurück zur Maut. Stimmen Sie unserem Änderungs-
antrag einfach zu! Sagen Sie Ja dazu! Dann würden wir
im Gegenzug auch Ja zu Ihrem Gesetzentwurf sagen.


(Zuruf von der CDU/CSU: So einfach ist das nicht!)

– Es ist ganz einfach. Das ist ein kleiner Änderungsan-
trag. – Sie brauchen ihm nur zuzustimmen. Ansonsten
werden Sie von der Linken für Ihren Gesetzentwurf eine
wohlwollende, aber kämpferische Enthaltung bekom-
men.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Heiterkeit bei Abgeordneten der LINKEN, der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809724400

Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege

Sebastian Hartmann, SPD-Fraktion.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Enthalten sich die Sozialdemokraten auch kämpferisch, oder wie?)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1809724500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
nehme einmal an, Herr Kollege, dass sich das Angebot
auf das heutige Mautgesetz bezogen hat und nicht auf
das morgige.


(Heiterkeit bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Okay, gut.

Wir konzentrieren uns jetzt heute auf heute; morgen
ist ja auch noch ein Tag. Tatsächlich ist das verkehrspoli-
tisch eine bewegende Woche, wenn wir an den Aus-
schuss denken und an das, was in Europa passiert ist; das
ist für uns Verkehrspolitikerinnen und Verkehrspolitiker
und alle hier im Hause auch nicht einfach.

Aber heute Abend sprechen wir über die Lkw-Maut,
und ich möchte mich bei den Ausführungen auch wirk-
lich auf das Gesetz und unsere Perspektive, die wir in
dieses Gesetz hineinbringen, konzentrieren. Tatsächlich
– Sie haben es ausgeführt, Frau Staatssekretärin –: Es
geht um die Vertiefung und die Verbreiterung der Be-
mautung unserer Straßen. Das ist im Koalitionsvertrag
ausgeführt, wir haben es vereinbart. Auf der anderen
Seite gleichen wir auch Mindereinnahmen aus, die daher
kommen, dass wir den europäischen Rechtsrahmen aus-
schöpfen müssen. Da geht es auch um Kapitalkosten und
Zinskosten. Wir müssen in einer Wegekostenrechnung
auch die Kosten entsprechend nachweisen.

Wir gehen heute Abend einen Schritt, um insgesamt
die Finanzierung unserer Verkehrsinfrastruktur mit
380 Millionen Euro – das ist nicht wenig Geld – an jähr-
lichen Mehreinnahmen zu verstärken. Mehr Einnahmen
bedeutet: eine bessere und leistungsfähigere Infrastruk-
tur. Wir gehen einen weiteren Schritt weg von der Haus-
haltsfinanzierung hin zu einer stärkeren Nutzerfinanzie-
rung, folgen damit einem europäischen Trend.

Aber lassen Sie uns doch einen Ausblick wagen. Wir
gehen als Große Koalition weit über das hinaus, was wir
heute Abend beschließen. Wir haben deutlich gemacht,
wie die Perspektive des zukünftigen Mautsystems ausse-





Sebastian Hartmann


(A) (C)



(D)(B)

hen soll. Wir werden uns verabschieden müssen von be-
stimmten Systematiken, die wir bislang zur Grundlage
der Bemautung gemacht haben. Das simple Zählen von
Achsen wird nicht mehr ausreichen, um Gewichte aus-
reichend abzubilden. Man muss sich vor Augen führen,
dass die Achsklasse der Vierachser im Moment Ge-
spanne von 7,5 Tonnen bis zu 38 Tonnen unfasst; da
fehlt nicht mehr viel zu Fünfachsern mit bis zu 40 Ton-
nen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht davon etwas im Gesetzentwurf? Nichts!)


Die Staatssekretärin ist auf die Anhörung eingegan-
gen. Wir nehmen die Hinweise des Gewerbes ernst. Wir
nehmen die Hinweise der Speditionen ernst. Wir danken
auch für die wichtigen Hinweise, die wir von den Sach-
verständigen erhalten haben, auch durch die Stellung-
nahmen. Es ist wichtig, dass wir anerkennen, dass es
eine Achsklassenproblematik gibt, und dass wir Ergeb-
nisse aus der bisherigen Bemautung und ihrer Kontrolle
in die zukünftige Fortentwicklung des Systems einflie-
ßen lassen und dieses System erweitern und ihm eine
Perspektive geben, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Die Härten, dass wir nach der bisherigen Systematik
das Gewicht anhand der Achsen nicht eindeutig abbilden
können, erkennen wir an. Wir zeigen mit unserem Ent-
schließungsantrag auf, dass wir uns bei der Anlastung
der Infrastrukturkosten zukünftig viel deutlicher am tat-
sächlich auf die Straße gebrachten Gewicht orientieren
wollen; denn wir müssen den tatsächlichen Verschleiß,
den Verbrauch unserer Infrastruktur abbilden und genau
das bemauten.

Weil wir das in der bisherigen Systematik nicht so
einfach können – wir können nicht eine Vollbremsung
einlegen und das System von jetzt auf gleich umschal-
ten –, ist es wichtig, dass wir dem Gewerbe ausreichend
früh die Perspektiven aufzeigen. Damit erreichen wir
zwei Dinge: Einerseits vermeiden wir eine kurzfristige
Umstellung des Fuhrparks, wie sie drohte, wenn jetzt ein
falscher Anreiz geschaffen würde, beispielsweise von
fünf auf vier Achsen umzustellen; denn es wird sich
nicht lohnen, den Fuhrpark für eine Übergangszeit um-
zustellen. Andererseits zeigen wir auf, dass wir uns nä-
her am Gewicht orientieren wollen.

Eine zweite Erkenntnis konnten wir ebenso aus der
Anhörung der Sachverständigen entnehmen. Wir blicken
auf eine erfolgreiche Bemautung unserer Bundesfern-
straßen, der Bundesautobahnen und der Bundesstraßen
zurück. Für die Freunde der Statistik: Wenn zu
1 200 Kilometern Bundesstraße, die bemautet werden,
weitere 1 100 Kilometer Bundesstraße hinzukommen,
was wir heute beschließen, dann zeigt das die Perspek-
tive auf: dass wir demnächst alle Bundesstraßen einbe-
ziehen müssen. Das ist ein Vielfaches der jetzt ange-
strebten Verdopplung der bemauteten Kilometer
Bundesstraßen. Das ist ein Ziel, das wir im Koalitions-
vertrag vereinbart haben, und wir zeigen auch den Weg
auf: dass wir zur Mitte des nächsten Jahres mit einem ei-
genen Gesetzentwurf klarmachen werden, wie es mit der
Bemautung unserer Straßen weitergeht. Der verbindliche
Zeitplan wird erweitert.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Und nicht nur das: Wir haben in der Sachverständi-
genanhörung auch die Erfahrung gesammelt, dass die
Trennung in Mautkontrolldienst und Straßenkontroll-
dienst eine willkürliche Trennung ist, die aber aus haus-
halterischen Gründen notwendig ist. Wir wollen den Per-
sonaleinsatz zukünftig flexibilisieren, wenn das Geld im
Mautkreislauf rechtssicher angelastet werden kann. Das
eröffnet nicht nur eine effizientere Kontrolle unserer
Straßen, sondern eröffnet auch den Kolleginnen und
Kollegen im BAG – das ist für sie sehr wichtig – ganz
neue Perspektiven. Wir nehmen die Hinweise des Präsi-
denten des BAG, für die ich mich ausdrücklich bedanken
möchte, sehr ernst und sagen ihm zu, dass wir diesen
Weg weitergehen wollen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ein weiterer Gedanke ist: Wenn wir das System er-
weitern, dann wollen wir das auch durch die Verknüp-
fung des einen Verkehrsträgers mit den digitalisierten
Möglichkeiten der Zukunft tun. Wenn wir über intelli-
gente Netze sprechen, dann müssen wir die Daten, die
wir durch das Lkw-Mautsystem gewinnen, nutzbar ma-
chen, und zwar anonym, nicht einer Person zuordbar,
nicht für andere Zwecke, sondern gemäß dem Gedanken,
dass wir mit intelligenten Netzen das System insgesamt
effizienter machen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und den gläsernen Lkw-Fahrer schaffen! Viel Spaß!)


Frau Kollegin Dr. Wilms, wir schätzen den Austausch
immer. Aber bedenken Sie: Wenn wir die Netze intelli-
gent machen und auf die Daten der Telematik zugreifen,
dann lassen sich Staukosten und unnötige Umweltbelas-
tungen vermeiden sowie die Fahrzeuge sicherer machen.
Auch diese Perspektive zeigen wir auf. Wir machen die
Daten dabei entsprechend den Vorgaben des härtesten
europäischen Datenschutzes verfügbar. Frau Kollegin
Dr. Wilms, machen Sie doch einfach mit! Erkennen Sie
doch an, dass wir als Große Koalition sagen:


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Große Koalition des Stillstands!)


Ja, wir können bei der dritten Änderung des Bundesfern-
straßenmautgesetzes nicht alle Wege auf einmal gehen.
Aber im Gegensatz zu Ihnen zeigen wir sehr deutlich ei-
nen Weg auf, wie es gehen kann und wohin wir wollen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo?)


Das lädt doch zur Zustimmung ein, liebe Frau Kollegin.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir zeigen auch auf, wohin wir wollen!)






Sebastian Hartmann


(A) (C)



(D)(B)

Angesichts meiner Redezeit, die abläuft, fasse ich zu-
sammen: Wir stellen das System um. Wir verlagern die
Bemautung weg von den reinen Achszahlen hin zu der
tatsächlichen Belastung unserer Infrastruktur durch Ge-
wicht.

Ein letzter Gedanke. Wir unterstützen die Bundesre-
gierung auf ihrem Weg in Europa. Sie will dafür sorgen,
dass der europäische Rechtsrahmen weiterentwickelt
und die entsprechende Richtlinie angepasst wird. Zu-
künftig werden die externen Kosten der tatsächlichen
Belastungen durch Luftschadstoffe und Lärm im Rah-
men eines entsprechenden Katasters den Infrastruktur-
kosten hinzugefügt, um eine faire Bemautung aller Ver-
kehrsträger organisieren zu können.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809724600

Vielen Dank. – Als Nächste hat die Kollegin

Dr. Valerie Wilms, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1809724700

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Werte Gäste auf den Tribünen! Frau Staatssekretärin
Bär, der vorliegende Gesetzentwurf ist ein hübscher Ver-
such, reicht aber bei weitem nicht aus, um die Infrastruk-
turprobleme in diesem Land zu lösen. Mithilfe dieses
Gesetzes werden Sie zwar etwa 380 Millionen Euro ein-
nehmen, wie Kollege Hartmann eben deutlich ausge-
führt hat. Aber durch die Senkung der Lkw-Maut auf-
grund des katastrophalen Wegekostengutachtens, das in
Gang gesetzt wurde, hatten Sie bereits Einnahmeverluste
in Höhe von 460 Millionen Euro zu verzeichnen. Betrei-
ben wir nun einmal einfache Mathematik wie in der
Grundschule: 380 Millionen minus 460 Millionen ergibt
nach meiner Rechnung – das entspricht Adam Riese –
noch immer ein Minus von 80 Millionen. Ist das der
Weg nach vorne, den man beschreiten will, um mehr
Einnahmen zu erzielen? Fehlstelle, Sie haben nichts! Ni-
ente!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


So lösen Sie die Infrastrukturprobleme garantiert nicht.
Bleiben Sie auf dem Teppich! Verkaufen Sie dieses Ge-
setz nicht als Chance auf riesengroße Einnahmesteige-
rungen!

Wie Sie wissen, wird es mit uns nur eine verursacher-
gerechte Maut geben. Das beinhaltet eine Ausweitung
auf alle Bundesstraßen und eine Maut für Lkws ab 3,5
Tonnen. Also auch die sogenannten Sprinter müssen ein-
bezogen werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eine Pkw-Maut à la CSU – darüber werden wir morgen
noch sehr intensiv reden; ich schätze, dass dann auch Ihr
Minister persönlich anwesend sein wird – schließen wir
kategorisch aus, weil sie nicht verursachergerecht ist.
Ein Lkw zerstört die Straßen bis zu 60 000-mal mehr als
ein Pkw. Das muss sich auch in den Mautgebühren wi-
derspiegeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich komme jetzt zu diesem Gesetzentwurf.


(Ulrich Lange [CDU/CSU]: Ja, gute Sache!)


Wir werden ihn heute unterstützen, weil Sie damit einen
kleinen Schritt in die richtige Richtung gehen und versu-
chen, die Einnahmeverluste aus dem letzten Jahr etwas
auszugleichen.

Werte Kolleginnen und Kollegen, in Deutschland gibt
es aber 32 000 Kilometer Bundesstraßen und nicht nur
1 100 Kilometer. Das sollten Sie schon ernst nehmen.
Sehen Sie darum zu, dass Sie so schnell wie möglich alle
Bundesstraßen in die Mautberechnung aufnehmen. Dann
erhalten Sie nämlich 2,3 Milliarden Euro pro Jahr zu-
sätzlich, und damit könnte dieses Ruinenministerium
endlich auch einmal etwas Vernünftiges anfangen, näm-
lich einen Teil des Dilemmas der bröckelnden Republik
beseitigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Karl Holmeier [CDU/CSU]: Die bröckelnden Grünen!)


Wir mussten den stetigen Verfall der Straßen in den letz-
ten Monaten leidvoll erleben: an der Leverkusener
Rheinbrücke und an der Rader Hochbrücke. Das wird
sich im ganzen Land weiter fortsetzen, wenn wir nicht
gegensteuern.

Ich komme jetzt zu der tollen Anhörung, die der Kol-
lege Hartmann hier angesprochen hat. In dieser Anhö-
rung haben wir sehr deutlich gehört, dass es den Sach-
verständigen um eine gerechte Maut geht. Das wollen
wir auch. Wir wollen eine Maut, die die schweren Brum-
mer stärker belastet, weil sie die größten Schäden an un-
seren Straßen anrichten. Hier müssen wir hin. Wir dürfen
uns nicht nur die Achslast anschauen, sondern wir müs-
sen auch das Gesamtgewicht im Blick haben. Kollege
Hartmann hat das eben ja auch deutlich dargestellt. Dies
muss möglichst schnell in Gang kommen; denn bei uns
in Schleswig-Holstein fahren die Hunderttonner über die
Rader Hochbrücke und machen diese Brücke kaputt.

Warum sollte es sinnvoll sein, neue Achsklassen ein-
zuführen? Es werden dann Fahrzeuge mit weniger Ach-
sen eingesetzt, auf deren Achsen jeweils mehr Gewicht
lastet. Das, was Sie derzeit veranstalten, ist also grober
Unfug.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich appelliere daher an Sie: Beobachten Sie die Ent-
wicklung ganz genau, und passen Sie die Achsklassen
schnellstens verursachergerecht an! Arbeiten Sie daran,
dass wir das Verkehrssystem endlich ausreichend erhal-
ten können! Dafür brauchen wir dringend die Lkw-Maut
für alle außerörtlichen Straßen und für alle Fahrzeuge ab
3,5 Tonnen Gesamtgewicht, also auch für die Fernbusse.
Da sind wir mit dabei.





Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Beenden Sie das Klein-Klein, und übernehmen Sie end-
lich Verantwortung für den gesamten Verkehrsbereich! –
Wenn Sie das vielleicht, werte Kollegin, dem Minister
heute Abend noch mitteilen könnten, dann wäre ich Ih-
nen sehr dankbar.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809724800

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Daniela Ludwig, CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1809724900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Diese Woche ist die Woche des Systemwechsels. Mit der
morgigen Debatte zur Pkw-Maut und mit der heutigen
Erweiterung und Vertiefung der Lkw-Maut bekennen
wir uns als Große Koalition ganz klar zum Verursacher-
prinzip und zur Nutzerfinanzierung. Das ist sicherlich
eine gute Nachricht an diesem Abend.

Der Erhalt und der Ausbau insbesondere der Ver-
kehrsinfrastruktur werden uns natürlich auch künftig
weiter beschäftigen. Liebe Frau Dr. Wilms, es ist völlig
richtig, dass wir an der einen oder anderen Stelle drin-
genden Nachholbedarf haben. Ich will jetzt nicht wieder
die Vergangenheit bemühen, in der auch Sie ab und an
einmal Verantwortung in der Regierung trugen, aber ich
kann mich an kaum einen Verkehrsminister erinnern,
dem es gelungen ist, einen Verkehrshaushalt im Umfang
von 14 Milliarden Euro aufzulegen, wie es Alexander
Dobrindt in den nächsten Jahren gelingen wird.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wenig ist im Verkehrsministerium?)


Das ist ein sensationelles Ergebnis, und dafür brauchte
es halt erst die CSU und die CDU.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können ja nicht rechnen in der CSU!)


Auch die Lkw-Maut ist trotz einiger Wehwehchen
zum Zeitpunkt ihrer Einführung sicherlich eine Erfolgs-
geschichte geworden. Das hängt nicht nur mit den zu-
sätzlichen Einnahmen zusammen, sondern auch damit,
dass ihre geschickte Ausgestaltung gerade in den ersten
Jahren in der Branche Anreize für Investitionen in die
Flotte gesetzt hat, sodass es zu einer deutlichen Schad-
stoffreduzierung gekommen ist. Insofern ist es wichtig
und richtig, diese Erfolgsgeschichte mit diesem Gesetz-
entwurf, über den wir heute abstimmen, nun auch fortzu-
schreiben.
Es ist völlig richtig gesagt worden: 1 100 Kilometer
vierstreifig ausgebaute Bundesstraßen mehr, nicht mehr
nur Zwölftonner, sondern Fahrzeuge ab 7,5 Tonnen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleiben die 3,5-Tonner?)


Natürlich wird es auch – liebe Frau Dr. Wilms, Sie haben
unseren Koalitionsvertrag, wie ich Sie kenne, sicherlich
gut gelesen – die Ausweitung auf alle Bundesstraßen ge-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wo bleiben die Busse?)


Dazu haben wir uns frühzeitig bekannt. Das ist Wille
dieser Großen Koalition. Seien Sie sich sicher: Wir set-
zen dieses Ziel genauso konsequent um wie morgen die
Pkw-Maut.

Wir haben aber auch, lieber Kollege Hartmann – Sie
haben die Kniffe, wie ich finde, schon perfekt genannt –,
die Schwächen erkannt, die sich gerade in den letzten
Monaten gezeigt haben. Das war letztlich auch der
Grund für unseren Entschließungsantrag, für den ich hier
stark werben möchte.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, was sind denn Entschließungsanträge wert!)


Damit wird der Finger in die Wunde gelegt, und damit
werden die Knackpunkte angegangen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Macht einen Gesetzentwurf!)


Wir wollen, dass die Datengrundlage für das nächste
Wegekostengutachten deutlich überarbeitet und deutlich
verbessert werden; denn es ist genauso, wie Sie sagen:
Die tatsächliche Belastung der Infrastruktur durch die
Fahrzeuge muss ausschlaggebend sein. Das muss am
Ende des Tages unser Ziel sein und kein Umweg über di-
verse Berechnungsmethoden. Ich glaube, da sind wir
wesentlich näher beieinander, als das der eine oder an-
dere Redebeitrag vermuten lassen würde.

Wir müssen uns auch auf europäischer Ebene für Ver-
besserungen einsetzen – auch das finden Sie in unserem
sehr gelungenen Entschließungsantrag –,


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was sollen die Entschließungen? Handeln, handeln!)


nämlich für die mögliche Anlastung externer Kosten.
Auch muss die Methodik für die Wegekostenrechnung
so weiterentwickelt werden, dass ein noch höherer Kos-
tendeckungsgrad erreicht wird sowie deutlich mehr Sta-
bilität im Hinblick auf die anlastbaren Wegekosten. Wir
brauchen nicht nur Rechtssicherheit, sondern wir brau-
chen auch Finanzsicherheit.

In diesem Sinne glaube ich, dass wir heute einen
wichtigen Schritt in die richtige Richtung tun, aber dass
wir damit nicht am Ende sind, sondern dass im Gegenteil
noch sehr viel Arbeit vor uns liegt. Darüber, dass wir die
Lkw-Maut noch ökologischer und noch verursacherge-





Daniela Ludwig


(A) (C)



(D)(B)

rechter ausgestalten müssen, sind wir uns alle einig. Des-
wegen ist der nächste richtige Schritt die Ausweitung auf
alle Bundesstraßen dieser Republik. Wichtig für uns:
Wir gehen es an. Morgen packen wir die Pkw-Maut.

In diesem Sinne: Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das lassen wir besser!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1809725000

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur
Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes. Der Aus-
schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/4454,
den Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
18/3923 anzunehmen.

Hierzu liegt ein Änderungsantrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/4462 vor, über den wir zuerst
abstimmen. Wer stimmt für diesen Änderungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Damit ist der Änderungsantrag
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die
Stimmen der Fraktionen Die Linke und Bündnis 90/Die
Grünen abgelehnt.

Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratung mit den
Stimmen von CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grü-
nen bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenom-
men.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist in der dritten Lesung mit dem gleichen Stim-
menverhältnis angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf
Drucksache 18/4463. Wer stimmt für diesen Entschlie-
ßungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält
sich? – Der Entschließungsantrag ist mit den Stimmen
von CDU/CSU, SPD und der Fraktion Die Linke gegen
die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich brauche jetzt
nur noch für kurze Zeit Ihre ganze Aufmerksamkeit. Ich
verspreche Ihnen auch, dass ich Sie dann, wenn das hier
jetzt zügig geht, entlasse.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Niema
Movassat, Heike Hänsel, Wolfgang Gehrcke,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Hunger bekämpfen, Recht auf Nahrung stär-
ken

Drucksachen 18/1482, 18/3613

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden. –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.1)

Dann kommen wir zur Abstimmung. Der Ausschuss
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 18/3613, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 18/1482 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men von CDU/CSU und SPD gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur
Änderung des Schuldrechtsanpassungsgeset-
zes

Drucksache 18/2231

Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/4355

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/4355, den Ge-
setzentwurf des Bundesrates auf Drucksache 18/2231
abzulehnen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist in
zweiter Beratung mit den Stimmen von CDU/CSU und
SPD gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ent-
haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.
Damit entfällt nach unserer Geschäftsordnung die wei-
tere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Be-
kämpfung der Korruption

Drucksache 18/4350
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Innenausschuss

1) Anlage 6
2) Anlage 7





Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(B)

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4350 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Ich sehe, das ist nicht
der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 19 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-

(Aktienrechtsnovelle 2014)

Drucksache 18/4349
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie

1) Anlage 8
Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.2) –
Ich sehe keinen Widerspruch.

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/4349 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Ich
sehe, Sie sind alle damit einverstanden. Dann ist die
Überweisung beschlossen.

Wie versprochen, sind wir jetzt am Schluss unserer
heutigen Tagesordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 27. März 2015, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.