Gesamtes Protokol
Meine Damen und Herren! Ich begrüße Sie herzlich.Die Sitzung ist eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zurUmsetzung der Richtlinie 2011/36/EU zur Verhütungund Bekämpfung des Menschenhandels und zumSchutz seiner Opfer.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister der Justiz und für Verbraucher-schutz, Herr Heiko Maas.Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Meine Damen und Herren Abgeord-nete! Ich würde gern über einen Gesetzentwurf berich-ten, den wir heute im Kabinett beschlossen haben undder sich mit der Umsetzung der EU-Richtlinie zur Ver-hütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zumSchutz seiner Opfer befasst.Menschenhandel ist – das brauche ich, glaube ich,hier nicht weiter auszuführen – ein großes Problem.Menschenhandel kennt viele Opfer ganz unterschiedli-cher Art und Weise, vor allem Frauen, die als Zwangs-prostitutierte missbraucht werden, aber auch Männer, dievielfach als billige Arbeitskräfte ausgebeutet werden.Ein weiteres Thema in Europa sind mittlerweile auchKinder, die zum Betteln auf die Straße gezwungen wer-den.Meine Damen und Herren, wir haben vorgesehen, mitdiesem Gesetzentwurf eine Richtlinie umzusetzen, derenUmsetzungsfrist bereits im April 2013 abgelaufen ist.Die Regierungsfraktionen haben in Bezug auf die Be-kämpfung des Menschenhandels durchaus weiter ge-hende Überlegungen. Aber weil die Umsetzungsfristschon so lange abgelaufen ist, haben wir uns darauf ver-ständigt, nun die Dinge eins zu eins umzusetzen, bei de-nen unmittelbarer gesetzgeberischer Handlungsbedarfbesteht. Der Gesetzentwurf sieht hierfür eine Verände-rung der §§ 232 bis 233 a des Strafgesetzbuches vor.Wir erweitern zum einen den Katalog der Motive,aufgrund derer Menschenhandel stattfindet. Bisher wa-ren nur die Zwecke „sexuelle Ausbeutung“ und „Aus-beutung der Arbeitskraft“ geregelt. Dies wird gemäß derRichtlinie nun ergänzt, indem wir Menschenhandel zurAusnutzung von Menschen zu Betteltätigkeiten, Men-schenhandel zum Zwecke strafbarer Handlungen oder– auch das ist ein ganz großes Problem – Menschenhan-del zum Zwecke der Entnahme von Organen des Opfersunter Strafe stellen, und dies ganz explizit. Ich weise da-rauf hin, dass es beim Organhandel bereits jetzt Rege-lungen gibt; er ist nämlich als Beihilfe zu Straftaten nachdem Transplantationsgesetz strafbar. Mit dem, was wirjetzt ins Strafgesetzbuch schreiben, weiten wir die Straf-barkeit aus, weil nicht nur der Versuch bestraft werdenkann, sondern auch schon Vorbereitungshandlungenstrafrechtlich geahndet werden können.Der zweite Punkt, der durch unseren Gesetzentwurfgeändert werden soll, ist, dass auch § 233 a des Strafge-setzbuches, also Förderung des Menschenhandels, ver-ändert wird. Es gibt da für qualifizierte Tatbestände eineerhöhte Mindeststrafe; diese qualifizierten Tatbeständeweiten wir nun aus. Bisher umfasste die erste Qualifika-tion lediglich Fälle, in denen Kinder Opfer von Men-schenhandel geworden waren. In Zukunft soll die Quali-fikation auch für Opfer unter 18 Jahren gelten. Einehöhere Mindeststrafe soll es außerdem nicht nur danngeben, wenn das Leben des Opfers vorsätzlich gefährdetworden ist, sondern auch schon dann, wenn es grob fahr-lässig gefährdet worden ist.Das ist der Inhalt des Gesetzentwurfs. Es gibt zwi-schen den Regierungsfraktionen und dem politischenRaum aber bereits darüber hinaus Diskussionen, wasnoch geändert werden kann. Wir setzen den Gesetzent-wurf zwar jetzt schon auf, wollen aber mögliche weitergehende Regelungen auch in das Gesetzgebungsverfah-ren mit einfließen lassen.Schönen Dank.
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7696 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
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Herzlichen Dank. – Der erste Fragesteller ist der Ab-
geordnete Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, Sie haben es gerade angesprochen – im
Anschreiben der Bundesregierung an den Bundestag ist
es auch aufgeführt –: Lösungen weiterer Problemstellun-
gen sollen noch folgen. Wir als Bundestag interessieren
uns natürlich dafür, an welche Problemstellungen die
Bundesregierung dabei denkt.
Vielleicht können Sie bei dieser Gelegenheit auch
schildern, welche Unterschiede in strafrechtlicher Hin-
sicht und in Hinsicht auf das Gewerberecht dieser Ge-
setzentwurf zum Gesetzentwurf aufweist, den die Bun-
desregierung in der letzten Wahlperiode vorgelegt hat.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Vielen Dank, Herr Abgeordneter Beck. – Der Unter-
schied zum Gesetzentwurf der letzten Legislaturperiode
besteht im Wesentlichen darin, dass im alten Gesetzent-
wurf Regelungen hinsichtlich des Gewerberechtes, also
des Prostitutionsgesetzes, enthalten gewesen sind. Das
ist im jetzigen Gesetzentwurf nicht der Fall.
Es gibt allerdings im Ministerium von Kollegin
Schwesig Überlegungen und Vorbereitungen, auch an
dieser Stelle gesetzliche Veränderungen vorzunehmen.
Wir haben uns vor allen Dingen deshalb auf die rein
strafrechtliche Umsetzung der EU-Richtlinie beschränkt,
weil seit Ende der Umsetzungsfrist schon ein längerer
Zeitraum vergangen ist und wir nicht wollen, dass es ein
Vertragsstrafeverfahren gibt. Wir haben der Kommission
auch die Tatsache mitgeteilt, dass der Gesetzentwurf
heute im Kabinett beschlossen worden ist und jetzt das
parlamentarische Gesetzgebungsverfahren aufgesetzt
werden kann, damit es nicht dazu kommt, dass ein Ver-
tragsstrafeverfahren – im Moment ist das Stadium des
Vorverfahrens erreicht – beim Europäischen Gerichtshof
eingeleitet wird.
Bei den Regelungen, die wir jetzt neu fassen wollen,
geht es auch um systematische Veränderungen, vor allen
Dingen darum, dass bisher die Ausbeutung als solche
nicht unter Strafe gestellt wurde, sondern dass die Täter
das Opfer dazu bringen mussten, die Ausbeutung zu dul-
den. Das ist sehr schwer nachzuweisen und hat zu einer
geringen Verurteilungsquote geführt. Deshalb wollen
wir zukünftig bei der Ausbeutung als solcher objektiv
ansetzen. Diese wird ganz sicher auch einfacher nachzu-
weisen sein.
Frau Christina Jantz, SPD-Fraktion, ist die nächste
Kollegin, die fragt.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrter Herr
Bundesminister, ich möchte noch einmal auf das Straf-
gesetzbuch zu sprechen kommen und bitte Sie, die kon-
kreten Änderungen des Strafgesetzbuches, die jetzt im
Gesetzentwurf enthalten sind, darzustellen.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Das tue ich gerne. Wir verändern zum einen den
§ 232 des Strafgesetzbuches. Im § 232 fügen wir unter
Absatz 3 bei den Qualifikationsmerkmalen ein, dass
nicht mehr nur in dem Fall, dass ein Kind Opfer einer
Tat ist, eine erhöhte Mindeststrafe vorgesehen ist, son-
dern in allen Fällen, in denen die Personen unter 18 Jah-
ren sind. Das Gleiche wird auch in § 233 a – Förderung
des Menschenhandels – geändert. Auch hier weiten wir
den Opferkreis aus, weil wir der Auffassung sind, dass
Personen unter 18 Jahren eine insgesamt höhere Schutz-
würdigkeit haben und sie deshalb auch qualifizierte
Strafgesetze zu ihrem Schutz haben müssen.
Im § 232 des Strafgesetzbuches weiten wir außerdem
die Tatbestandsmerkmale in der Form aus, wie es in der
Richtlinie vorgegeben ist. Wir nehmen die Betteltätig-
keit mit auf, also Menschenhandel, der betrieben wird,
um insbesondere Kinder auf die Straße zu schicken. Wir
nehmen das Tatbestandsmerkmal des Menschenhandels,
der zur Begehung von mit Strafe bedrohter Handlungen
betrieben wird, mit auf, also dass beispielsweise Men-
schen verschleppt werden, um an anderen Stellen Ein-
bruchsdiebstähle oder Drogendelikte zu begehen.
Als Drittes führen wir, wie es auch in der Richtlinie
vorgegeben ist, das Tatbestandsmerkmal des Menschen-
handels zum Zwecke des Organhandels, also dass Opfer
sich Organe entnehmen lassen müssen – das gibt es lei-
der auch –, explizit ins Strafgesetzbuch ein. Das sind die
konkreten Änderungen, die wir bei den Straftatbeständen
vornehmen.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Dr. Johannes
Fechner, SPD-Fraktion.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, ich hätte eineFrage zu dem Problem, dass es oft nicht zu Verurteilun-gen von Tätern kommt, weil insbesondere Frauen ausAngst vor Gewalt keine Aussage im Ermittlungsverfah-ren bzw. im Strafverfahren machen möchten. Wie sehenSie das? Welche Regelungen sind hier, gegebenenfallserst in einem weiteren Gesetzentwurf, vorgesehen, umzu gewährleisten, dass es auch in jenen Strafverfahren zuVerurteilungen kommt, in denen die Opfer aus Angst vorRepressalien nicht aussagen möchten?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Das ist zugegebenermaßen ein großes Problem, dasauch dazu führt, dass die Zahl der Verurteilungen nichtder Zahl der Tathandlungen entspricht, die wir feststel-len. Die niedrige Verurteilungsquote hängt damit zusam-men, dass der Straftatbestand des Menschenhandels imStrafgesetzbuch jetzt darauf abstellt, dass der Täter seinOpfer dazu bringt, im Zuge von Menschenhandel die
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7697
Bundesminister Heiko Maas
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Ausnutzung zu dulden, also etwa verschleppt zu werden,um Straftaten zu begehen, um zu betteln. Das ist außer-ordentlich schwer nachweisbar. Dafür braucht man dieAussage der Opfer. Die Opfer sind allerdings aufgrunddes Drucks, der auf sie ausgeübt wird, nur sehr bedingtaussagebereit.Deshalb glauben wir, dass mögliche weitergehendeVeränderungen im Gesetzgebungsverfahren darauf ab-stellen sollten, den Straftatbestand so zu definieren, dasses weniger darum geht, ob der Täter das Opfer zu ir-gendeiner Handlung bringt – weil das schwer nachzu-weisen ist –, sondern mehr darum, ob Ausbeutung statt-findet, und dass diese einfach nur objektiv nachgewiesenwerden muss. Das macht uns unabhängiger von der Aus-sage des Opfers. Die Aussage des Opfers wird aber im-mer eine wichtige Rolle spielen.Darüber hinaus wird man sich sicherlich auch dieFrage stellen müssen, ob dem Opfer nicht auch eine ver-besserte Stellung im strafprozessualen Verfahren einge-räumt werden sollte, um möglicherweise mehr Aussagenund damit mehr Indizien bzw. Erkenntnisse zu erhalten,wodurch die Verurteilungsquote deutlich erhöht werdenkönnte.
Danke schön. – Nächster Fragesteller ist der Abge-
ordnete Alexander Hoffmann, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie hat-
ten schon angekündigt, dass es noch weitere Regelungen
geben soll. Ist es zutreffend, dass die Bundesregierung in
diesem Zusammenhang kurzfristig auch noch Regelungen
zur Zwangsprostitution, insbesondere zur Freierstrafbar-
keit, und zum Mindestalter nach dem Prostitutionsgesetz
vorlegen wird? Können wir also davon ausgehen, dass es
eine Art Gesamtpaket geben wird?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Es ist richtig, dass zurzeit innerhalb der Bundesregie-
rung mehrere Gesetzgebungsverfahren beraten werden,
die vom Verfahren her zwar unabhängig voneinander
sind, aber sicherlich auch im Zusammenhang mit dem
Thema Menschenhandel stehen. Das Thema Prostitution
ist eines dieser Themen. Dabei geht es um ganz unter-
schiedliche Gesichtspunkte. Ich will nur einige Themen
erwähnen, die dort diskutiert werden: Es geht um eine
Erlaubnispflicht, um Anmeldepflichten und um viele an-
dere Dinge, die aber sicherlich noch im politischen
Raum zu klären sein werden.
Ja, wir wollen uns auch damit auseinandersetzen, wie
wir den Aspekt, dass Freier Zwangsprostituierte ausnut-
zen und damit missbrauchen, in die Bekämpfung des
Menschenhandels miteinbeziehen können. Es gibt dazu
unterschiedliche Überlegungen. Eine Überlegung ist, ob
Freier von Zwangsprostituierten über die Straftatbe-
stände des Menschenhandels als Teilnehmer oder Bei-
helfer zur Rechenschaft gezogen werden können. Das ist
nicht so ganz einfach, da man rechtlich von einer not-
wendigen Teilnahme spricht, die per se straflos ist. Die
andere Möglichkeit besteht darin, die Freierstrafbarkeit
selbst im Strafgesetzbuch explizit zu regeln. Das ist eine
Überlegung, mit der wir uns zurzeit auseinandersetzen.
Dazu werden wir sicherlich in einem absehbaren Zeit-
raum auch entsprechende Vorschläge machen.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Frank
Heinrich, CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister, verstehe ich das richtig – einige Aspekte mei-
ner Frage haben Sie eben schon angeschnitten bzw. be-
antwortet –, dass der Aspekt der Zwangsprostitution aus
Ihrem Bereich herausgenommen worden ist, weil er in
einem anderen Bereich geklärt werden soll? Heißt das
auch, dass die Federführung in diesem Fall an das Minis-
terium Ihrer Kollegin Frau Schwesig übergeht? Sind die
Maßnahmen, die Sie vorhin in Bezug auf die Bekämp-
fung von Zwangsprostitution und Menschenhandel ge-
nannt haben, jene Maßnahmen, die noch einfließen sol-
len? Gibt es dafür einen Zeitplan? Man hört ja, dass die
vorgelegte Minimallösung nur ein Zwischenschritt ist,
um nach entsprechender Klärung dann auch an diese Be-
reiche heranzugehen.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Ja, das ist so. Wir bringen den Gesetzesentwurf ge-
zielt jetzt ganz ein, und zwar in der Form, dass wir ledig-
lich die Vorgaben der Richtlinie der Europäischen Union
eins zu eins umsetzen, auch, um um ein Vertragsstrafe-
verfahren herumzukommen. Ich glaube, dass es bei der
Kommission anerkannt wird, dass der Gesetzentwurf im
Kabinett beschlossen worden ist und jetzt dem parla-
mentarischen Verfahren zugeleitet werden kann. Die
Kollegin Schwesig ist aktuell dabei, entsprechende Fra-
gen im Zusammenhang mit Prostitution, also eher ge-
werberechtliche Fragen, zu klären. Über einen Zeitplan
kann ich Ihnen konkret nichts sagen.
Die Frage der Freierstrafbarkeit, die im Strafgesetz-
buch geregelt werden muss, wird weiterhin in Federfüh-
rung des Justizministeriums bearbeitet werden. Es ist
aber sicherlich denkbar, dass man die verschiedenen Be-
reiche im Gesetzgebungsverfahren zusammenführt. Wir
werden allerdings einen Vorschlag machen, wie die
Freierstrafbarkeit innerhalb des Strafgesetzbuches gere-
gelt werden kann.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete
Dr. Matthias Bartke, SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie ha-ben eben die Frage meiner Kollegin Frau Jantz, welchekonkreten Neuregelungen im Strafgesetzbuch vorgese-hen sind, beantwortet. Könnten Sie auch darstellen, wel-
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7698 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Dr. Matthias Bartke
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che Neuregelungen in der Strafprozessordnung vorgese-hen sind?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:In Bezug auf die Strafprozessordnung ist im Gesetz-entwurf ebenfalls eine Regelung vorgesehen, die aller-dings lediglich eine Folge der Veränderungen im Straf-gesetzbuch ist. Bei den Änderungen in der StPO geht esum den Bereich der akustischen Wohnraumüberwa-chung, und zwar § 100 c StPO. Hier ändern wir lediglichden Verweis auf den Straftatenkatalog, insbesondere aufdie neue Rechtslage gemäß § 233 StGB, der ja um dieZwecke des Menschenhandels zur Ausnutzung von Bet-teltätigkeiten, zur Ausnutzung strafbarer Handlungenund zur Entnahme von Organen erweitert wird, damitdiese Tatmodalitäten bzw. Begehungsformen auch beider akustischen Wohnraumüberwachung eine Rolle spie-len können. Menschenhandel ist ja, wie wir wissen,meist Teil der organisierten Kriminalität, zu deren Be-kämpfung es auch besonderer Mittel bedarf.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Dirk Wiese,
SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr
Minister! Im Transplantationsgesetz ist der Organhandel
bereits unter Strafe gestellt. Damit ist doch der Men-
schenhandel zum Zwecke des Organhandels als Beihilfe
zum Organhandel eigentlich schon strafbar. Könnten Sie
vielleicht ausführen, welche Straftaten im Bereich des
Organhandels, die bisher nicht vom Transplantationsge-
setz abgedeckt sind, durch die neuen Regelungen, die
heute auf den Weg gebracht worden sind, aufgegriffen
werden? – Vielen Dank.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Ich habe eben, zumindest kurz, darauf hingewiesen,
dass die Strafbarkeit von Organhandel bereits durch den
Straftatbestand der Beihilfe zum Organhandel im Trans-
plantationsgesetz gegeben ist. Allerdings ist es in diesem
Fall notwendig, dass wir zumindest eine versuchte Tat-
begehung nachweisen. Die neuen Regelungen im Straf-
gesetzbuch sehen konkret vor, dass es möglich sein soll,
bereits bei der Vorbereitungshandlung anzusetzen. Das
heißt, in Zukunft macht sich bereits derjenige strafbar
– das ist nach dem Transplantationsgesetz nicht möglich
gewesen –, der das Opfer im Wissen um Pläne zur Or-
ganentnahme beispielsweise anwirbt oder diese beför-
dert, und zwar unabhängig davon, ob es anschließend
auch tatsächlich zu einer Organentnahme kommt. Inso-
fern wird die Strafbarkeit an der Stelle nicht unwesent-
lich ausgeweitet, was wir aber aufgrund der Bedeutung
dieser Vorgänge als absolut notwendig erachten.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete
Dr. Franziska Brantner, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Danke für die Vorstel-
lung des Gesetzentwurfs. Ich habe eine Frage zu dem,
was danach kommt, auch mit Blick auf die aufenthalts-
rechtlichen Bestimmungen. Die EU-Richtlinie sieht ja
vor, dass die Sorge auch nach einem Gerichtsverfahren
weitergeht und ein Aufenthalt ermöglicht werden soll.
Dahin gehend meine Frage: Inwieweit wird in der Koali-
tion darüber diskutiert, auch diesen Teil der EU-Richtli-
nie umzusetzen? Und inwieweit werden Sie Artikel 1 der
EU-Richtlinie berücksichtigen, der ja eine besondere
Berücksichtigung der Geschlechterperspektive fordert?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Ich kann bestätigen, dass wir in der Koalition darüber
reden, welche prozessualen Maßnahmen, auch im Auf-
enthaltsrecht, notwendig sind, um die Stellung von
Opfern zu verbessern. Allerdings haben wir dazu bisher
keine Entscheidung herbeigeführt. Das ist ja auch einer
der Gründe dafür, warum wir sagen: Wir wollen die
Richtlinie jetzt erst einmal eins zu eins umsetzen.
Es ist zweifellos richtig, dass in den Verfahren immer
wieder deutlich geworden ist, dass das ein Problem ist.
Es gibt gute Gründe dafür, dort anzusetzen. Das ist in-
nerhalb der Regierung bisher aber nicht entschieden.
Zu der Frage, inwieweit wir sonstige Gesichtspunkte
herausgreifen: Die Richtlinie verpflichtet uns zunächst
einmal nur, die Stellung von Kindern bzw. von Personen
unter 18 Jahren besonders zu berücksichtigen, was wir
durch die Qualifikation dieses Straftatbestandes tun. Es
gibt darüber hinausgehende Hinweise, was die Ge-
schlechterbezogenheit angeht, aber auch sonstige Krite-
rien. Wir sind der Auffassung, dass diese Gesichtspunkte
über die Strafzumessung im Verfahren bereits Berück-
sichtigung finden können, und haben uns deshalb darauf
beschränkt, das in den Gesetzentwurf aufzunehmen, was
wir unbedingt umsetzen müssen, weil die Richtlinie das
zwingend vorgibt, nämlich Personen unter 18 Jahren be-
sonders zu schützen.
Ich will einmal einen kleinen Überblick geben: Wirhaben jetzt noch acht Fragesteller – die nehme ich auchalle dran –: Jörn Wunderlich, Kathrin Vogler, Petra Pau,Volker Beck, Katja Keul, Volker Ullrich, Sylvia Pantelund Britta Haßelmann.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7699
Vizepräsident Peter Hintze
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– Sie melden sich noch einmal? – Wir schauen einmal,wie weit wir kommen. – Es gibt noch eine prophylakti-sche Meldung von Herrn Beck, weil er jetzt schon weiß,dass die Frage nicht ordnungsgemäß – – Nein, Spaß bei-seite. Ich schreibe Sie einmal auf die Liste, und wennwir mit der Zeit hinkommen, dann nehme ich Sie dran.Jetzt kommt erst der Kollege Jörn Wunderlich von derFraktion Die Linke. – Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister Maas,
Sie sagten gerade, Sie setzten die Richtlinie eins zu eins
um. Ich weiß, dass die Zeit drängt, weil seit Ablauf der
Frist zur Umsetzung schon fast zwei Jahre verstrichen
sind; das hätte schon 2013 umgesetzt werden müssen.
Hat sich denn die Regierung seit 2013 einmal einen
Kopf darüber gemacht, was man außerhalb des Straf-
rechts, dessen Modalitäten nach Ihren Ausführungen
wenig effektiv sind, im Präventionsbereich machen
kann? Ich denke insbesondere an die Beobachtung von
Entwicklungen im Menschenhandel, also an Artikel 19
der Richtlinie. Wird Artikel 19 der Richtlinie auch um-
gesetzt? Das war ja damals der Knackpunkt: Der Gesetz-
entwurf ist hier in dritter Lesung verabschiedet worden,
aber der Bundesrat wandte gerade mit Blick auf Arti-
kel 19 der Richtlinie ein, dass keine Entwicklungsüber-
wachung vorgesehen war bzw. nicht klar war, wie das
Ganze umgesetzt werden sollte. Dank des Vermittlungs-
ausschusses ist das Ganze dann der Diskontinuität an-
heimgefallen.
Mit dieser Thematik beschäftigen wir uns ja schon
seit Jahren; das ist nichts Neues. Ich kann aber nicht
nachvollziehen, warum Sie jetzt sagen: Wir setzen das
eins zu eins um.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Wir finden, es ist deshalb eine Eins-zu-eins-Umset-
zung, weil wir das, was in der Richtlinie zwingend vor-
gegeben ist, auch tatsächlich umsetzen,
zumindest hinsichtlich des strafrechtlichen Teils.
Natürlich haben wir innerhalb der Regierung darüber
geredet, hier gleich einen weitergehenden Gesetzentwurf
vorzulegen. Allerdings hat sich gezeigt, dass das sowohl
hinsichtlich des Strafrechts als auch hinsichtlich der Re-
gelungen zur Prostitution insgesamt, insbesondere also
die gewerberechtlichen Regelungen, nicht so ganz ein-
fach ist.
Wir vertreten ohnehin die Auffassung, dass es bei
dem Thema Menschenhandel systematischen Verände-
rungsbedarf innerhalb des Strafgesetzbuchs gibt. Des-
halb ist das, was wir jetzt vorlegen, nach unserer Auffas-
sung schon eine Eins-zu-eins-Umsetzung, zumindest
hinsichtlich dessen, was wir zwingend umsetzen müs-
sen.
Im laufenden Gesetzgebungsverfahren besteht die
Möglichkeit, all diese Punkte – auch die, die Sie erwähnt
haben – noch einmal einzubringen. Wir werden ohnehin
weitere Punkte einbringen, insbesondere zur systemati-
schen Veränderung, zumindest auf der Ebene des Straf-
gesetzbuchs. Das heißt, dass wir die Regelungen zum
Menschenhandel deutlich ändern wollen.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Kathrin
Vogler, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. – Herr Minister, das Deutsche Institut
für Menschenrechte hat ja empfohlen, auch das Opfer-
entschädigungsgesetz zu überarbeiten. Nun scheint das
jetzt vorliegende Gesetzgebungsverfahren ja eher mini-
malinvasiv zu sein. Ich frage Sie, ob die Regierung da-
rüber hinaus über diesen Vorschlag nachdenkt, damit
alle Opfer von Menschenhandel, auch die, bei denen ein
Strafverfahren vielleicht nicht erfolgreich abgeschlos-
sen werden konnte, Zugang zu Unterstützungsleistungen
aus der Opferentschädigung bekommen können.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Das ist ein Thema, mit dem wir uns auseinanderset-
zen. Allerdings sind wir noch nicht so weit, dass ich Ih-
nen die Auffassung der Regierung bereits abschließend
vorstellen kann und sagen kann, was wir noch zusätzlich
regeln werden. Darüber hinaus wird im laufenden Ge-
setzgebungsverfahren die Möglichkeit bestehen, eine
Vielzahl an Punkten, die insbesondere die Stellung der
Opfer, auch im Verfahren, verbessern, einzubringen. Da
sehe ich durchaus noch weiteren Handlungsbedarf.
Danke schön. – Nächste Fragestellerin ist die Abge-
ordnete Petra Pau, Fraktion Die Linke.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, ich möchte zueinem Bereich kommen, den Sie vorhin schon bei derBeantwortung der Frage der Kollegin Brantner erwähnthaben. Sie haben ausgeführt, dass Sie besonderes Au-genmerk auf die minderjährigen Flüchtlinge legen. Ichwüsste gern, welche Position die Bundesregierung ge-genüber der Empfehlung, unter anderem ausgesprochenvom Deutschen Institut für Menschenrechte, vertritt, dieZuständigkeit der Altersfeststellung von Flüchtlingen,die minderjährig sein könnten, auf Jugendämter oder Fa-miliengerichte zu übertragen, das heißt, aus der Kompe-tenz der Ausländerbehörden, welche ja der Migrations-lenkung dienen, herauszunehmen.Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Ich kann Ihnen diese Frage nicht genau beantworten.Mehrere Ressorts sind dabei betroffen. Ich würde Ihnengerne anbieten, das schriftlich nachzureichen.
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7700 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
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Das nehmen wir an. – Dann kommt der Kollege
Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.
Gestatten Sie mir, Herr Präsident, eine Vorbemerkung
zum Sach- und Streitstand der Gesetzgebungsverfahren. –
Sie, Herr Minister, haben gerade gesagt, die Bundesre-
gierung hätte noch keine Position zum Thema Aufent-
haltsrecht. Dem ist nicht so. Herr Schröder kann Ihnen
das sicherlich bestätigen. Dem Hause liegt ein Gesetz-
entwurf des Bundesinnenministeriums mit Drucksachen-
nummer vor. Darin ist in der Tat eine unzureichende Re-
gelung des Aufenthaltsrechts für Menschenhandelsopfer
vorgesehen, weil nach wie vor die Entscheidung von der
Aussage- und Anzeigebereitschaft des Opfers abhängig
gemacht werden soll. In bestimmten Fällen soll dann in
Zukunft über das Gerichtsverfahren ermöglicht werden,
dass der Aufenthalt verlängert wird. Notwendig wäre im
Sinne des Opferschutzes aber etwas anderes, nämlich ein
Aufenthaltsrecht für alle Menschenhandelsopfer. Wir
wissen ja, dass manche Menschenhandelsopfer in
Deutschland nicht aussagen können, weil sie Kinder, El-
tern oder Geschwister im Herkunftsland haben, die dort
unter Druck gesetzt werden. Bevor man die Angehöri-
gen nicht geschützt hat, ist dem Menschenhandelsopfer
auch nicht zuzumuten, dass es hier aussagt; denn dies
hätte Repressionen gegenüber den Familienmitgliedern
zur Folge. Wenn man also Menschenhandelsopfer schüt-
zen will, muss man ihnen ein Aufenthaltsrecht geben;
denn sie sind Opfer geworden. Das wäre der richtige
Weg.
Ich freue mich, wenn ich Ihre Äußerung hier zumin-
dest so interpretieren kann, dass Sie vom Vorschlag des
Bundesinnenministeriums, dem Sie im Kabinett zuge-
stimmt haben, abweichen und hier noch einmal darüber
reden wollen.
Nun zu meiner Frage: Wenn es Ihnen um die Umset-
zung von europäischem Recht geht, warum ignorieren
Sie in Ihrem Gesetzentwurf vollständig die Konvention
des Europarates zur Bekämpfung des Menschenhandels?
In dieser werden ein Entschädigungsfonds für die Opfer
und neue rechtliche Möglichkeiten zur Durchsetzung
von Ansprüchen gegenüber Arbeitsausbeutern oder auch
Prostitutionsausbeutern gefordert. Zu all dem lesen wir
in Ihrem Gesetzentwurf überhaupt nichts.
Ich hatte bei Ihren Ausführungen ein bisschen den
Eindruck: Wir haben zwar noch keine Position, aber wir
haben schon einmal eine Drucksache produziert. – Denn
das, was Sie da im Strafrecht machen, ist im Wesentli-
chen unstreitig. Man könnte sich allenfalls darüber un-
terhalten, ob so wirklich neues Recht und neue Strafbar-
keiten produziert werden oder nicht einfach nur das noch
einmal ausgesprochen wird, was andernorts im Strafge-
setzbuch und im Nebenstrafrecht ohnehin schon geregelt
ist.
Können Sie mir sagen: Was planen Sie beim Opfer-
schutz und bei der Durchsetzung von entgangenen
Arbeitsentgelten im Hinblick auf das, was auch die
Europaratskonvention gegen Menschenhandel von 2005
– schon neun Jahre her – von uns als nationalem Gesetz-
geber fordert?
Ich zähle das jetzt einmal für Ihre nächste Wortmel-
dung gleich mit, weil Sie, sowohl was die Zahl der Fra-
gen als auch was die Zeit angeht – –
Ich habe eine Frage gestellt. Ansonsten habe ich ver-
sucht, richtigzustellen, worüber wir falsch unterrichtet
wurden.
Ein kurzer Blick in die Geschäftsordnung zeigt: DerPräsident hat immer recht. In diesem Fall hat er beson-ders recht.
Bitte, Herr Minister.Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Herr Beck, wenn Sie ausführen, dass das alles in derSache unstreitig ist, ist das ja schon einmal gut. Ich habedarauf hingewiesen – ich mache auch gar keinen Hehldaraus –, dass wir diesen Gesetzentwurf natürlich vor al-len Dingen deshalb einbringen, um ein Signal an dieEuropäische Kommission zu senden und einem Ver-tragsstrafeverfahren zu entgehen.
– Nein, es geht nicht um die Drucksache, sondern esgeht darum, dass die Frist zur Umsetzung der Richtlinieim April 2013 abgelaufen ist.
Ich bin im Übrigen nicht der Auffassung, dass in die-sem Haus in dieser Frage auf breiter Ebene Dissensherrscht. Es gibt in einzelnen Fragen sicherlich unter-schiedliche Auffassungen oder unterschiedliche Ansich-ten über die Wege, die beschrieben werden, auch wasden Umfang der Regelungen angeht, die man außerhalbdes Strafgesetzbuches noch treffen muss. Aber das, waswir hier vorlegen, entspricht dem, was uns die Richtliniezwingend vorschreibt. Bei dem, was darüber hinaus zuregeln sein wird, geht es, zumindest aus Sicht des Justiz-ministeriums,
um systematische Veränderungen im Hinblick auf dieParagrafen, die es im Strafgesetzbuch zum Menschen-handel gibt. Auch dazu werden wir im weiteren Gesetz-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7701
Bundesminister Heiko Maas
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gebungsverfahren einen entsprechenden Vorschlag ma-chen.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Katja
Keul, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. – Herr Maas, Sie hatten vorhin ange-
kündigt, dass Sie den Tatbestand in § 232 Absatz 1 des
Strafgesetzbuches so verändern wollen, dass eine Aus-
sage des Opfers für eine Verurteilung gegebenenfalls
nicht mehr erforderlich sein wird. Ich frage mich, wie
das gehen soll. Was haben Sie hier vor? Wollen Sie die
Formulierung „Ausnutzung einer Zwangslage“ strei-
chen? Ich würde gerne wissen, wie das bewerkstelligt
werden soll. Außerdem frage ich Sie: Wenn es dann nur
noch um die objektive Ausbeutung geht, welche Rege-
lung spielt dann das neue Mindestlohngesetz?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Die Aussage des Opfers wird im Strafverfahren auch
zukünftig von zentraler Bedeutung bleiben. Deshalb gibt
es ja auch Verbesserungen im Aufenthaltsrecht, bei de-
nen es um genau dieses Thema geht – auch wenn sie
Herrn Beck nicht weit genug gehen. Wir wollen durch
eine entsprechende Fassung des Tatbestands im Strafge-
setzbuch auch dafür sorgen, dass die Verurteilungsquote
erhöht wird.
Wir haben, auch im Gespräch mit vielen Praktikern,
festgestellt, dass es aufgrund der derzeitigen Formulie-
rung des Tatbestands, dass der Täter das Opfer dazu
bringen muss, die Ausbeutung zu dulden, außerordent-
lich schwierig ist, den geforderten Nachweis zu führen,
wenn man keine explizite Aussage des Opfers hat.
Wenn man einen Straftatbestand schafft, nach dem die
Ausbeutung als solche, also die objektiv vorhandene
Ausbeutung, unter Strafe gestellt wird, ist die Aussage
des Opfers nach wie vor hilfreich und sinnvoll. Aber der
objektive Beweis ist deutlich einfacher zu erbringen, als
wenn man den Beweis erbringen muss, dass ein Täter in
der Weise auf ein Opfer eingewirkt hat, dass es seine
Ausbeutung erduldet. Mit diesem Thema wollen wir uns
auch im weiteren Verlauf dieses Gesetzgebungsverfah-
rens beschäftigen.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Dr. Volker
Ullrich, CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister,
die Bekämpfung des Menschenhandels und der Schutz
der Opfer setzen die Aufdeckung von kriminellen Struk-
turen voraus. Ich möchte Sie vor diesem Hintergrund
zwei Dinge fragen:
Erstens. Werden Sie das Familienministerium im
Rahmen der Ressortabstimmung dazu drängen, dass das
eingeschränkte Weisungsrecht im Rahmen des Prostitu-
tionsgesetzes abgeschafft wird?
Zweitens. Wie steht die Bundesregierung zur Wieder-
einführung von Mindestspeicherfristen für Verbindungs-
daten, um kriminelle Strukturen in diesem Bereich zu
entdecken und damit Straftaten zu verhüten und aufzu-
klären?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Das Ministerium von Frau Schwesig brauchen wir zu
überhaupt nichts zu drängen, weil es außerordentlich ak-
tiv ist. Es hat bereits Vorschläge dazu gemacht hat, die
zurzeit in den Regierungsfraktionen diskutiert werden.
Ich bin mir sicher, dass es hier zu einem zügigen und
konstruktiven Abschluss kommen wird.
Was die Vorratsdatenspeicherung angeht, hat sich die
Bundesregierung darauf verständigt, gegenüber der
Kommission die Auffassung zu vertreten, dass sich die
Kommission aufgrund der Rechtsunsicherheit, die es in
Europa nach dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs
vom 8. April des letzten Jahres gibt – in einigen Ländern
wurde gegen die dortigen nationalen Gesetze zur Vor-
ratsdatenspeicherung Klage erhoben; in Österreich bei-
spielsweise ist das entsprechende Gesetz vom dortigen
Verfassungsgerichtshof schon einkassiert worden –, auf
europäischer Ebene dazu positionieren muss. Das werde
ich mit dem Kollegen de Maizière demnächst noch ein-
mal gegenüber der Kommission thematisieren. Danach
wird die Bundesregierung sicherlich auch eine Entschei-
dung darüber zu treffen haben, wie es mit der Vorratsda-
tenspeicherung weitergeht. Allerdings halten wir es für
notwendig, dass eine Klärung auf europäischer Ebene
herbeigeführt wird.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete Sylvia
Pantel, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Minister, welche Maßnahmen wollen Sie ergrei-fen, damit der Prostitutionsmarkt in Deutschland, wasMenschenhandel und kriminelle Machenschaften be-trifft, nicht mehr so lukrativ ist und eingeschränkt wird?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Es geht hier auch um die Frage, inwieweit Freier vonZwangsprostituierten strafrechtlich verfolgt werden kön-nen. Wir werden entsprechende Maßnahmen auf denWeg bringen, um die Zwangsprostitution, die nach denkriminalistischen Erfahrungen in der Regel mit Men-
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7702 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Bundesminister Heiko Maas
(C)
(B)
schenhandel einhergeht, im Rahmen der Ermittlungs-möglichkeiten der Behörden deutlich besser bekämpfenzu können.Die Prostitution an sich ist Thema von gewerberecht-lichen Überlegungen, die zurzeit im Ministerium vonFrau Schwesig angestellt werden. Einige Punkte habeich bereits genannt, insbesondere, stärker mit Erlaubnis-pflichten gegenüber denjenigen zu arbeiten, die Prostitu-tionsstätten führen. Hier wird sicherlich auch zu fragensein, ob diejenigen, die ein solches Gewerbe angemeldethaben, nicht stärker kontrolliert werden müssen. Dabeiwird es dann auch darum gehen, ob sie – in Anführungs-zeichen – die dafür notwendige „Zuverlässigkeit“ habenund ob möglicherweise einschlägige Straftaten im Mi-lieu nachzuweisen sind, was dazu führen könnte, ent-sprechende Genehmigungen zu versagen.Ich glaube, all das sind Maßnahmen, mit denen denMissständen, die es im Bereich der Prostitution gibt, ef-fektiv begegnet werden kann.
Danke schön. – Die letzte Frage an den Minister in
dieser Runde: Frau Britta Haßelmann, Bündnis 90/Die
Grünen.
Vielen Dank. – Erstens. Herr Maas, nach dem, was
Sie ausgeführt haben, halte ich Ihre Aussage, dass die
Richtlinie eins zu eins umgesetzt wird, für falsch; denn
Sie haben in den Antworten auf die verschiedenen Fra-
gen der Fragestellerinnen und Fragesteller deutlich ge-
macht, dass die Richtlinie nicht eins zu eins umgesetzt
wird.
Zweitens. Mich interessiert, warum Sie mit einem
solchen Thema in die Regierungsbefragung gehen, ob-
wohl eigentlich alle relevanten und hochsensiblen Berei-
che ausgeklammert werden. Insbesondere das Aufent-
haltsrecht und strafrechtlich relevante Fragen werden im
Gesetzentwurf überhaupt nicht berührt. In Bezug auf die
Handlungsfähigkeit ist das aus meiner Sicht ein absolu-
tes Placebo; denn sehr viel Strittiges in der Koalition
bleibt ausgeklammert. Also: Warum gehen Sie damit in
die Regierungsbefragung?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Im Zusammenhang mit der Frage der Eins-zu-Eins-
Umsetzung will ich noch einmal darauf hinweisen, dass
es die Auffassung der Bundesregierung ist, dass wir
diese Richtlinie eins zu eins umsetzen, insbesondere die
strafrechtlichen Maßgaben dieser Richtlinie. Deshalb
kann man mit diesem Gesetzentwurf, wie ich finde,
durchaus in eine Regierungsbefragung gehen.
Es ist eben schon einmal angesprochen worden, dass
in den Erwägungsgründen der Richtlinie darauf hinge-
wiesen wird, dass auch das Geschlecht, eine Schwanger-
schaft, der Gesundheitszustand oder eine Behinderung
besondere Berücksichtigung finden sollen. Allerdings ist
in der Richtlinie genau geregelt, dass insbesondere hin-
sichtlich der Schutzbedürftigkeit einer Person den Mit-
gliedstaaten lediglich zwingend vorgegeben wird, bei
Kindern bzw. Personen unter 18 Jahren entsprechende
Qualifikationsmerkmale auch im Strafgesetzbuch auszu-
legen.
Es gibt einen weiteren Punkt, bei dem man mögli-
cherweise die Frage stellen könnte: Ist diese Vorgabe
nicht vollständig umgesetzt? In der Richtlinie wird näm-
lich verlangt, dass etwa Menschenhandel in Ausübung
eines Amtes ein erschwerender Umstand ist, der sich in
der Bestrafung niederschlagen muss. Auch da sind wir
der Auffassung, dass die Richtlinie die Aufnahme einer
solchen expliziten Regelung nicht zwingend vorgibt.
Aufgrund der Strafzumessungsregelung in § 46 des
Strafgesetzbuches können wir die berufliche Stellung,
also die Eigenschaft eines Amtsträgers, strafwirkend be-
rücksichtigen. Deshalb sind wir, um das noch einmal zu
sagen, der Auffassung, dass wir das, was die Richtlinie
zwingend vorgibt, in dem Gesetzentwurf umsetzen.
– Für uns ist der Unterschied nicht so zwingend.
Das kann dann vielleicht in der Debatte, wenn der Ge-
setzentwurf eingebracht wird, weiter erörtert werden. –
Gibt es sonstige Fragen zu Themen der heutigen Kabi-
nettssitzung oder sonstige Fragen an die Bundesregie-
rung? – Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – An die Bundesregie-rung folgende Frage: Beabsichtigen Sie, das gerade erstin Kraft getretene Mindestlohngesetz in den ersten dreiMonaten dieses Jahres im Hinblick auf die Pflicht desNachweises der Arbeitszeit bei Minijobbern und Mini-jobberinnen wieder zu ändern?Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Zumindest kann ich Ihnen sagen, dass mir von einerAbsicht, gesetzliche Änderungen vorzunehmen, nichtsbekannt ist. Es ist richtig, dass es in den letzten Tagen– darüber ist berichtet worden – Klagen wegen angeb-lich zu bürokratischer Vorgänge gegeben hat. Ich weiß,dass man sich das im Ministerium von Frau Nahles nocheinmal angesehen hat. Mir ist allerdings nicht bekannt,dass das zu gesetzgeberischen Konsequenzen führenwird.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7703
Bundesminister Heiko Maas
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(B)
Ich bitte Sie aber, die Details gegebenenfalls nocheinmal bei den zuständigen Kollegen in Erfahrung zubringen. Ich kann nicht bestätigen, dass gesetzliche Än-derungen geplant sind.
Der Abgeordnete Kekeritz, Bündnis 90/Die Grünen,
stellt die nächste Frage an die Bundesregierung.
Herr Minister, meine Frage geht in eine andere Rich-
tung. Es geht um die Ratifizierung der Handelsverträge
zwischen Europa und den afrikanischen AKP-Staaten.
Ich habe im Ministerium für wirtschaftliche Zusam-
menarbeit und Entwicklung nachgefragt, wann die Rati-
fizierung dieser Verträge im Parlament durchgeführt
wird. Darauf habe ich schriftlich die Antwort bekom-
men: Sie wird hier überhaupt nicht durchgeführt, son-
dern das wird im Kabinett beschlossen. Ich wollte dann
vom Ministerium wissen, wie es zu diesem Ergebnis ge-
kommen ist. Das BMZ hat sich da auf eine Studie Ihres
Hauses berufen. Daraufhin habe ich in Ihrem Hause
nachgefragt, ob ich dieses Studie haben könnte, und die
lapidare Antwort war: Eine solche Studie gibt es nicht.
Jetzt frage ich Sie: Wie ist es möglich, dass sich das
BMZ auf Studien beruft, die in Ihrem Haus angeblich er-
stellt worden sind, die es aber nicht gibt? Wie gedenken
Sie diese EPA-Verträge zu ratifizieren? Soll das tatsäch-
lich nur eine Sache der Minister sein, oder kommt das
hier ins Haus?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Wenn das BMZ mitgeteilt hat, dass die Ratifizierung
durch Kabinettsbeschluss erfolgt, dann kann ich dem
nichts hinzufügen. Ich kann Ihnen, da ich das Schreiben
vom Kollegen Müller nicht kenne, nicht sagen, auf wel-
che Studie er sich bezieht.
Wenn Sie mir die Unterlagen zur Verfügung stellen,
bin ich gerne bereit, Ihnen diese Frage im Nachgang
schriftlich zu beantworten und zu klären, wie es zu ei-
nem solchen Missverständnis kommen konnte, wenn es
denn eines ist.
Nächster Fragesteller ist der Abgeordnete Koenigs,
Bündnis 90/Die Grünen.
Hat das Kabinett in seiner heutigen Sitzung die gesetzli-
che Grundlage für das Deutsche Institut für Menschen-
rechte beschlossen, die Sie schon für Oktober verspro-
chen hatten?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Nein.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Noch eine Frage von Frau Haßelmann, Bündnis 90/
Die Grünen.
Kurz eine Frage zum gleichen Thema: Herr Maas,
was hindert Sie daran, die für Oktober versprochene und
anvisierte gesetzliche Regelung zum Deutschen Institut
für Menschenrechte endlich dem Deutschen Bundestag
vorzulegen?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Wir haben dazu einen Gesetzentwurf vorgelegt,
den wir für geeignet halten, die Stellung des Deutschen
Instituts für Menschenrechte ausreichend zu regeln und
die notwendige gesetzliche Grundlage zu schaffen. Die-
ser Gesetzentwurf befindet sich in der Ressortabstim-
mung – das ist alles allgemein bekannt –, und wir bemü-
hen uns darum, diesen Gesetzentwurf auch zügig zur
Verabschiedung zu bringen.
Frau Abgeordnete Künast, Bündnis 90/Die Grünen,
und danach noch einmal Herr Beck.
Herr Minister, was das Stichwort „zügig“ angeht, gibtes einen gewissen Zeitdruck, weil in wenigen Wochen,glaube ich, Deutschland im UN-Menschenrechtsrat denVorsitz übernimmt.
– Wir haben ihn schon? Dann ist es noch schlimmer. –Denn es ist ungeheuer blamabel, dass wir, wenn wirNicht-Rechtsstaaten, Diktaturen und Länder, in denenmassiv Menschenrechte verletzt werden, dazu anhaltenwollen, Strukturen aufzubauen, selber nicht dazu in derLage sind, weil diese Entscheidung offenbar ungeheuerüberraschend kommt. Woran scheitert es bisher, dass IhrEntwurf, den auch ich gerne kennen würde, noch nichtzur Abstimmung vorliegt? Haben Sie zu viele Regelun-gen hineingeschrieben, die rechtlich gar nicht nötigsind?
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7704 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Renate Künast
(C)
(B)
In der Presse wird berichtet, dass es in Wahrheit eineAbgeordnete der CDU/CSU-Fraktion, Frau Steinbach,sei, die einfach nicht einsehen wolle, dass es ein Men-schenrechtsinstitut geben müsse, das gegen Menschen-rechtsverletzungen auf deutschem Territorium vorgeht.Ist dem so? Dann wäre die Frage, wie Sie sich materielleinigen wollen.
Ich würde gerne wissen, worum der Streit geht und mitwem in der Koalition er geführt wird.Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Das ist eine Diskussion, die wir innerhalb der Regie-rung führen.
Dass diese Diskussion natürlich auch in den Fraktionengeführt wird, ist auch für Sie keine Überraschung. Ichgehe davon aus, dass wir zu einem vernünftigen Ergeb-nis kommen, das eine rechtliche Grundlage für ein aus-reichend ausgestattetes Menschenrechtsinstitut schafft.
Nächste Frage: Abgeordneter Volker Beck, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Teilt das Bundesjustizministerium meine Rechtsauf-
fassung – –
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Es heißt übrigens Bundesministerium der Justiz und
für Verbraucherschutz, Herr Abgeordneter.
Zumindest das können Sie uns frei sagen.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Ja, immerhin.
Teilt der Bundesminister der Justiz und für Verbrau-
cherschutz die Rechtsauffassung, dass zur Beibehaltung
des A-Status nach den Pariser Kriterien dieses Men-
schenrechtsinstitut erstens unabhängig sein muss und
zweitens die Begutachtung von Menschenrechtsfragen
im In- und Ausland frei vornehmen können muss?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Ja.
Die nächste Fragestellerin ist Frau Höger, Fraktion
Die Linke.
Vielen Dank für die Möglichkeit einer Nachfrage. –
Sie wissen, dass der A-Status für das Deutsche Institut
für Menschenrechte im Grunde schon im Oktober letzten
Jahres aberkannt werden sollte und dass es eine Verlän-
gerung gab. Im Ausschuss für Menschenrechte wird je-
des Mal gesagt: Wir einigen uns. – Jetzt konnten wir der
Presse entnehmen, dass Sie sich doch nicht einigen. Was
gedenken Sie zu tun, damit Deutschland in diesem sehr
wichtigen Bereich eine führende Rolle wahrnimmt?
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:
Wir werden alles dafür tun, dass wir uns in dieser
Frage einigen und eine gesetzliche Grundlage für das In-
stitut schaffen, und zwar eine, die notwendig ist, um den
A-Status zu erhalten.
Danke schön. – Ich beende jetzt die Befragung derBundesregierung.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:FragestundeDrucksachen 18/3811, 18/3829Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Num-mer 10 Absatz 2 der Richtlinien für die Fragestunde diedringliche Frage der Abgeordneten Katja Keul aufDrucksache 18/3829 auf:Hat der Bundessicherheitsrat in seiner letzten Sitzung eingenerelles Ausfuhrverbot für Kriegswaffen und sonstige Rüs-tungsgüter nach Saudi-Arabien beschlossen, wie die ZeitungBild am Sonntag vom 25. Januar 2015 berichtete, und sindauch bereits genehmigte, aber noch nicht ausgeführte Rüs-tungsgüter von dieser Entscheidung erfasst?Diese Frage richtet sich an den Geschäftsbereich desBundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Be-antwortung steht der Parlamentarische StaatssekretärUwe Beckmeyer bereit.Herr Staatssekretär, bitte.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7705
(C)
(B)
U
Herr Präsident, schönen Dank. – Liebe Frau Keul, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Sitzungen des Bun-
dessicherheitsrates sind geheim und unterliegen nach der
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dem
Kernbereich exekutiver Eigenverantwortung. Auskunfts-
pflichtig ist die Bundesregierung nach dieser Rechtspre-
chung lediglich bei Fragen zu positiv beschiedenen
Rüstungsexportanträgen. Ich verweise in diesem Zusam-
menhang auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
vom 21. Oktober 2014; das Aktenzeichen erspare ich
mir.
Mögen Sie eine Nachfrage stellen, Frau Abgeordnete
Keul? – Bitte schön.
Vielen Dank für diese Nichtantwort. – Ich gebe zu,
dass dieses Urteil des Bundesverfassungsgerichts für uns
Parlamentarier nicht in jeder Hinsicht erfreulich war.
Das Bundesverfassungsgericht hat aber auf jeden Fall
klargestellt, dass die Frage, ob genehmigt worden ist
oder nicht, beantwortet werden muss. Deswegen frage
ich nach den bereits genehmigten Rüstungsexporten
nach Saudi-Arabien. Sind in der in Rede stehenden Sit-
zung erteilte Genehmigungen aufgehoben oder widerru-
fen worden?
Herr Staatssekretär, bitte.
U
Ich will auf Ihre Frage wie folgt antworten: Die Bundes-
regierung unterrichtet den Bundestag gemäß Koalitions-
vertrag unverzüglich, das heißt in der Regel innerhalb
von zwei Wochen, über abschließende Genehmigungs-
entscheidungen des Bundessicherheitsrates. Abschlie-
ßende Genehmigungsentscheidungen werden dem Bun-
destag insofern zeitnah mitgeteilt.
Sie haben noch eine Zusatzfrage, wenn Sie mögen.
Verstehe ich richtig, dass die Beantwortung meiner
Frage spätestens in vierzehn Tagen schriftlich vorliegen
wird? – Ich frage auch, ob bei dieser Entscheidung die
Auspeitschung des Bloggers in Saudi-Arabien eine Rolle
gespielt hat und ob das Aufschieben der Genehmigungen
so lange aufrechterhalten bleibt, bis Saudi-Arabien von
solchen martialischen Strafen Abstand nimmt.
U
Frau Abgeordnete, Sie beziehen sich in Ihrer Frage
auf die Bild am Sonntag, in der es heißt: „Merkel stoppt
Waffen-Deals mit den Scheichs“. Dort ist des Weiteren
zu lesen: Die Minister der Großen Koalition sind „zu ab-
solutem Stillschweigen verpflichtet. Wer was ausplau-
dert, macht sich strafbar“. Ich hoffe nicht, dass Sie mich
zu einer Straftat anstiften wollen.
Ich darf hinzufügen, dass die Bundesregierung wei-
terhin eine restriktive Rüstungskontrollpolitik verfolgt.
Nach dem Gemeinsamen Standpunkt der EU betreffend
Rüstungsausfuhren vom Dezember 2008, den Politi-
schen Grundsätzen der Bundesregierung zum Rüstungs-
export generell und dem Vertrag über den Waffenhandel
ist die klare Positionierung der Bundesregierung unver-
ändert. Wir haben in den Politischen Grundsätzen der
Bundesregierung für den Export von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern klar zum Ausdruck gebracht:
Der Beachtung der Menschenrechte im Bestim-
mungs- und Endverbleibsland wird bei den Ent-
scheidungen über Exporte von Kriegswaffen und
sonstigen Rüstungsgütern besonderes Gewicht bei-
gemessen.
Danke schön. – Die nächste Fragestellerin ist die Ab-
geordnete Höger, Fraktion Die Linke.
– Das geht immer nach der Reihenfolge der Wortmel-
dungen. Sie kommen noch dran.
Ich stelle noch einmal klar: Erstens. Jeder kommt
dran. Zweitens. Die Reihenfolge ist nach jetzigem Stand:
Frau Höger, Frau Haßelmann, Herr Beck, Frau Vogler
und Herr Koenigs. Es dürfen sich aber noch andere mel-
den. Wir sind nun in der Fragestunde, die ihre eigenen
Regeln hat. Die Fragestellerin hat zwei Zusatzfragen.
Diese hat sie gestellt. Nun kommen die anderen. Wir
machen das alles ganz ruhig.
Frau Abgeordnete Höger, Fraktion Die Linke, bitte.
Ich habe eine Nachfrage: Sie haben eben die Rüs-
tungsexportrichtlinien zitiert. Die haben Sie bisher nicht
daran gehindert, Rüstungsexporte nach Saudi-Arabien
zu verbieten. Ein solches Verbot wäre erstmalig der Fall.
Wir haben diese Information aus den Medien; aber Sie
wollen nicht sagen, ob es wirklich so ist oder nicht.
Wir fordern ein grundsätzliches Verbot von Rüstungs-
exporten in diese Region und auch an Länder, die, so wie
Saudi-Arabien, Menschenrechte generell missachten. Es
stellt sich angesichts der Behauptung der Zeitung Bild
am Sonntag schon die Frage: Ist nur ein Antrag auf Ge-
nehmigung ausgesetzt, oder sind alle Anträge ausge-
setzt? Es gilt, der Informationspflicht gegenüber den Ab-
geordneten nachzukommen, damit wir nicht der Bild-
Zeitung auf den Leim gehen.
Herr Staatssekretär.
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7706 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
(C)
(B)
U
Es gibt klare Spielregeln hier im Parlament. Insofern
werden positive Genehmigungsentscheidungen aus dem
Bundessicherheitsrat dem Parlament unverzüglich, das
heißt in der Regel innerhalb von 14 Tagen, mitgeteilt.
Dabei bleibt es.
Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank. – Meine Frage an Sie, Herr Staatssekre-
tär: Können Sie mir bestätigen, dass im ersten Halbjahr
2014 von Deutschland aus Rüstungsgüter im Wert vom
65,9 Millionen Euro geliefert worden sind?
U
Auf Anhieb kann ich das nicht bestätigen, aber ich
werde es prüfen.
Es besteht der Wunsch, dass Sie das zeitnah der Kol-
legin Haßelmann zukommen lassen.
Nächster Fragesteller zu diesem Komplex ist Herr
Abgeordneter Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatssekretär, die Formulierung „zeitnah“ be-
zieht sich natürlich darauf, dass die Bundesregierung die
Pflicht hat, uns proaktiv zeitnah zu unterrichten. Wenn
der Vorgang bereits abgeschlossen ist und das Parlament
Sie in Ausschüssen oder hier im Plenum im Rahmen der
Fragestunde befragt, sind Sie selbstverständlich gegen-
über dem Parlament auskunftspflichtig. Strafbar machen
Sie sich hier ohnehin nicht, weil Sie Indemnität für Ihr
hier gesprochenes Wort genießen.
Deshalb frage ich Sie noch einmal im Sinne der Frage
von Frau Keul: Gab es bei der letzten Bundessicherheits-
ratssitzung einen Vorgang, aufgrund dessen die Bundes-
regierung beabsichtigt, das Parlament zeitnah zu unter-
richten, und wenn ja, welcher Art war dieser Vorgang?
U
Lieber Herr Kollege Beck, Sie können mich noch so
sehr locken, aber meine Antwort steht und ist eindeutig.
Die Bundesregierung nimmt zu Fragen und zu Medien-
berichten, die die Zuständigkeit des BSR oder Einzel-
fälle von Rüstungsexporten betreffen, wie auch die Vor-
gängerregierung aktuell keine Stellung.
Die nächste Fragestellerin dazu ist Frau Abgeordnete
Vogler, Fraktion Die Linke.
Da Sie uns zu Einzelfallentscheidungen des Bundes-
sicherheitsrates keine Auskunft geben wollen, möchte
ich eine etwas grundsätzlichere Frage stellen. Vor eini-
ger Zeit hat die Bundesregierung uns hier den Umset-
zungsbericht zum Aktionsplan „Zivile Krisenpräven-
tion“ für die vergangenen vier Jahre vorgelegt. In diesem
Umsetzungsbericht spielen Rüstungsexporte keine Rolle.
Meine Fraktion hat nichtsdestotrotz nachgefragt, ob die
Bundesregierung Erkenntnisse darüber hat, ob in Län-
der, in denen sie Maßnahmen ziviler Krisenprävention
und Konfliktbearbeitung betreibt, gleichwohl Rüstungs-
güter in den vergangenen Jahren geliefert worden sind.
Das wollte uns die Bundesregierung nicht ausführlich
beantworten. Wären Sie in der Lage, uns einen solchen
Bericht nachzuliefern?
U
Ich werde Ihre Frage aufgreifen und prüfen, weshalb
das nicht passiert ist. Ich vermute, dass es dafür gute
Gründe gab. Ich werde diese Gründe erforschen, und Sie
werden von mir einen Bericht bekommen.
Danke schön. – Nächster Fragesteller: Abgeordneter
Koenigs, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatssekretär, es ist zu den Feierlichkeiten an-
lässlich des Regierungswechsels in Saudi-Arabien ja der
Exbundespräsident geschickt worden. Zweifellos hat er
dort auch über so schwierige Fragen wie Rüstungs-
exporte und Menschenrechte gesprochen. Hat das Wirt-
schaftsministerium ihn vorbereitet?
U
Lieber Herr Abgeordneter, wenn ich es richtig weiß,
fanden dort nicht nur ein Regierungswechsel, sondern
auch Trauerfeierlichkeiten statt, bei denen Herr Exbun-
despräsident Wulff die Bundesrepublik Deutschland ver-
treten hat. Insofern mussten wir ihn auf dieses Thema
nicht vorbereiten.
Danke schön. – Herr Abgeordneter Ströbele.
Herr Staatssekretär, ich habe dazu ebenfalls noch einedringende Nachfrage. Ich weiß aus einer Antwort derBundesregierung, dass die Bundesregierung unter ande-rem mit Saudi-Arabien ein Sicherheitsabkommen ge-schlossen hat; das brauchen Sie mir also gar nicht zuverraten. Mich interessiert: Enthält dieses Abkommen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7707
Hans-Christian Ströbele
(C)
(B)
Menschenrechtsklauseln, also Klauseln, die sichern,dass die Menschenrechte gewahrt werden? Um es nochkonkreter zu machen: Wie will die Bundesregierung aus-schließen, dass Hilfen bei der Ausbildung auch dazuführen und benutzt werden, dass öffentliche Hinrichtun-gen oder öffentliche Auspeitschungen in Saudi-Arabienauch in Zukunft durchgeführt werden können?U
Herr Abgeordneter, die deutsche Bundesregierung hat
in der jüngsten Vergangenheit, aber auch zuvor im All-
gemeinen bei Fällen von eklatanten Menschenrechtsver-
letzungen, unter anderem in Saudi-Arabien, immer ihre
Stimme erhoben, und sie hat in dieser Frage auch ihre
Besorgnis über diesen Umstand deutlich zum Ausdruck
gebracht. Das werden wir auch in Zukunft tun.
Gleichwohl ist die gesamte Region eine, der man be-
sondere Aufmerksamkeit widmen muss. Denn das
Thema, das Sie eben beschrieben und erfragt haben, ist
eines; aber es gibt darüber hinaus noch einen weitaus
größeren Kreis von Sicherheitsproblemen, die uns insge-
samt nicht unbeeinträchtigt und nicht unaufmerksam
werden lassen dürfen. Denken Sie allein an das Atom-
programm der Iraner oder an das, was ISIS dort zurzeit
treibt. Wir werden genau schauen, was im Bereich des
Bürgerkrieges und des Friedensprozesses generell statt-
findet. Wir haben es dort also mit einer Region mit einer
besonders explosiven Mischung zu tun, und diese beson-
ders explosive Mischung müssen wir schon im Auge be-
halten. Da spielt Saudi-Arabien eine nicht zu unterschät-
zende Rolle.
– Haben Sie eine Frage?
– Gut, okay. Danke schön.
Nächste Fragestellerin ist die Abgeordnete
Haßelmann, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatssekretär, Ihr Vizekanzler und Wirtschafts-
minister plant eine Reise nach Saudi-Arabien. Meine
Frage lautet: Wie bereiten Sie sich darauf vor im Hin-
blick auf die Menschenrechtsfragen, die es anzusprechen
gilt, nicht nur gegenüber der Öffentlichkeit und den
Journalisten hier in Deutschland, sondern auch in Saudi-
Arabien selbst? Erachten Sie es nicht für ein bisschen
scheinheilig, wenn hier in Deutschland die Menschen-
rechtssituation in Saudi-Arabien beklagt wird? Wir em-
pören uns alle zu Recht über den aktuellen Fall eines
Bloggers, und gleichzeitig pflegen wir Wirtschaftsbezie-
hungen, indem wir Rüstungsexporte nach wie vor nicht
ausschließen.
U
Liebe Frau Abgeordnete, wir haben eine klare Werte-
orientierung in unserer Außenpolitik und auch in unserer
Wirtschaftspolitik. Selbstverständlich bereitet sich auch
der Herr Minister entsprechend auf diese Reise vor. Das
wird passieren; darauf können Sie Gift nehmen. Der
Minister wird – das hat er auch schon öffentlich ange-
kündigt – auch diese Fragestellung ansprechen. Da seien
Sie ganz sicher. Dazu ist er in der Lage und auch willens.
Schönen Dank. – Wir waren fast schon am Ende, aber
bitte, Herr Kollege.
Knapp vorbei ist auch daneben. – Sie haben gesagt:
Positive Entscheidungen im Bundessicherheitsrat wer-
den dann zeitnah, in aller Regel binnen 14 Tagen, dem
Parlament mitgeteilt. Habe ich Sie da richtig verstanden?
Wenn das der Fall ist und Sie sagen: „Jetzt kann ich nicht
darüber reden“ und die Entscheidung getroffen worden
ist, kann es keine positive Entscheidung gewesen sein;
denn die könnte ja zeitnah dem Parlament mitgeteilt
werden. Insofern kann es sich nur um eine negative Ent-
scheidung handeln, die dem Parlament dann nicht mitge-
teilt wird. Insofern dürfte die Meldung, die in der Bild
am Sonntag stand, korrekt sein, dass nämlich tatsächlich
ein Verbot von Rüstungsausfuhren nach Saudi-Arabien
entschieden worden ist. Gehe ich da fehl in der An-
nahme?
U
Ich kommentiere Ihre Feststellungen nicht.
Jetzt kommen wir zu den mündlichen Fragen aufDrucksache 18/3811 in der üblichen Reihenfolge.Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. ZurBeantwortung steht der Parlamentarische StaatssekretärChristian Lange bereit.Die Frage 1 des Abgeordneten Andrej Hunko wirdschriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Tom Koenigsauf:Kann die Bundesregierung garantieren, dass sie, wie von
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7708 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
kündigt, rechtzeitig vor März 2015 eine gesetzliche Grund-lage für das Deutsche Institut für Menschenrechte e. V.,DIMR, schaffen wird, die die Unabhängigkeit des Institutswahrt und den Verlust des A-Status des DIMR verhindert?Bitte schön, Herr Staatssekretär, Sie haben das Wortzur Antwort.C
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vor wenigen Minuten
hat der Kollege Koenigs in der Befragung der Bundes-
regierung diese Frage eigentlich schon gestellt. Ich weiß
nicht, ob Sie damit einverstanden sind, Herr Präsident,
wenn ich mich den Ausführungen meines Ministers an-
schließe. Aber ich bin auch gern bereit, das hier zu wie-
derholen.
Herr Abgeordneter, sind Sie damit einverstanden?
– Wir nehmen das als Einverständnis, und jetzt kommt
gleich die erste Nachfrage des Abgeordneten Koenigs.
Bitte schön.
In der vorigen Sitzung des Menschenrechtsausschus-
ses hat der jetzige Vorsitzende des Menschenrechtsrats
der Vereinten Nationen in Genf, der Botschafter Rücker,
darauf hingewiesen, wie wichtig es auch für das Prestige
der Bundesrepublik Deutschland ist, diese gesetzliche
Grundlage für das Menschenrechtsinstitut zeitnah zu
schaffen. Wenn Sie den Terminplan für ein Gesetzge-
bungsverfahren, das ja dafür notwendig ist, bedenken:
Wie wollen Sie das bis zur März-Sitzung des Ausschus-
ses mit Blick auf die Pariser Prinzipien noch schaffen?
C
Wir sind guter Hoffnung, dass die Gespräche mit den
Koalitionsfraktionen und innerhalb der Bundesregierung
rechtzeitig zum Abschluss kommen, sodass wir die ent-
sprechenden Fristen einhalten.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege Koenigs?
Ja. – Werden Sie das dann notfalls auch im Eilverfah-
ren zu machen versuchen?
C
Herr Kollege, mir ist ein Eilverfahren in dem Zusam-
menhang nicht bekannt.
Nachfrage von Frau Abgeordneten Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Lange, ich muss
da nachhaken. Sie waren lange genug im Parlament.
Jetzt sind Sie Staatssekretär. Sie wissen, dass der März-
Termin bei einem normalen Beratungsverfahren – mit
ganz normalen Ausschusssitzungen, möglichen Anhö-
rungen etc. zu einem Gesetzentwurf – schon jetzt kaum
noch zu halten ist. Von daher erscheint mir Ihre Antwort
hier doch eher als eine Ausrede. Wir haben den Termin-
druck für die Sitzung – Herr Koenigs hat es gerade be-
schrieben –, wir haben keinen Gesetzentwurf, und wir
wissen, dass es massiven Streit innerhalb der Großen
Koalition gibt; so dachten wir zumindest bisher. Aber
anscheinend ist dieser Streit ja bis ins Kabinett getragen
worden; sonst würde ja eine Einlassung von Frau
Steinbach Sie im Kabinett nicht daran hindern, einen
Gesetzentwurf vorzulegen. Oder sehe ich das falsch?
C
Frau Kollegin, ich glaube, dass wir, wenn sich Oppo-
sition und Bundesregierung darin einig sind, dass wir
den A-Status erhalten wollen – der Koalitionsvertrag
sieht das auch vor –, die Fristen einhalten können.
Nächste Fragestellerin: Abgeordnete Künast, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Ich will einmal etwas aus unserer gestrigen Fraktions-sitzung verraten, nämlich dass wir den Parlamentspräsi-denten, Herrn Lammert, dort hatten und mit ihm über ge-nau diese Fragestunden und so geredet haben. Er hat unsaufgefordert, auch mal aufzustehen und uns zu beschwe-ren, wenn auf Fragen keine Antworten gegeben werden.Ich würde mal gern eine Antwort auf die Frage haben,wo eigentlich jetzt das Problem liegt, Herr Lange. Siehaben gesagt, Sie bezögen sich auf die Antwort desMinisters – das verstehe ich ja –, aber die habe ich schonmateriell nicht verstanden. Worüber gibt es eigentlichStreit, und wo ist das Problem? Ich würde auch gern wis-sen, zwischen wem. Hat das Justizministerium, das ei-nen Vorschlag gemacht hat, der wahrscheinlich das Not-wendige umfasst, Streit mit dem Innenressort oder mitdem Kanzleramt oder mit wem? Oder trifft es zu, dass esStreit mit anderen gibt, also dass es eigentlich kein Pro-blem bei der Ressortabstimmung ist, sondern dass esDruck innerhalb der Koalition gibt, zum Beispiel von
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7709
Renate Künast
(C)
(B)
Frau Steinbach, die diesen Gesetzentwurf nicht will?Dann würde ich aber sagen: Es kann nicht sein, dass da-durch die parlamentarische Beratung aufgehalten wird.Frau Steinbach könnte sich ja dann in die Beratung ein-bringen. Wir hätten dann aber trotz alledem endlich dieMöglichkeit, in einem geordneten Verfahren ohne Auf-gabe von Minderheitenrechten und Parlamentsrechtendas Ganze rechtzeitig zu entscheiden. Sagen Sie bittenicht wieder: „Ich gehe fest davon aus, dass wir uns eini-gen werden“, denn das ist eine Nichtantwort.
Herr Staatssekretär.
C
Frau Kollegin, wir antworten immer nach bestem
Wissen und Gewissen, und so tue ich das hier auch. Der
Bundesminister hat vorhin ausgeführt, dass wir zu dem
Thema eine Koalitionsarbeitsgruppe eingesetzt haben,
und die Bundesregierung kann keine Auskunft dazu ge-
ben, da die Koalitionsarbeitsgruppe noch nicht zu einem
Ergebnis gekommen ist. Aber – und hier kann ich mich
wiederholen – wir gehen davon aus, dass das noch recht-
zeitig geschieht. Wir dringen auch darauf.
Die nächste Frage stellt der Abgeordnete Volker
Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatssekretär, da Sie die Einigung noch nicht
verkünden können, jedoch der Hoffnung voll sind, wie
Sie uns ständig beteuern, würde ich trotzdem gern etwas
über den Sach- und Streitstand in der Koalition und in
der Bundesregierung erfahren. Können Sie uns sagen,
zwischen welchen Positionen oder zu welchen Punkten
es Dissense gibt und welche Vorschläge es in dieser De-
batte für diese Dissense gibt? Es kann ja nicht sein, dass
es irgendwie einen Streit gibt, aber keinen Streitgegen-
stand. Nehmen Sie sich die Worte von Herrn Lammert
zu Herzen und antworten Sie in der Sache und nicht mit
einer Ausweichformel.
Herr Staatssekretär.
C
Herr Abgeordneter, ich kann Ihnen nur noch einmal
sagen, dass die Bundesregierung keine Auskunft dazu
geben kann, was die Ergebnisse der Koalitionsarbeits-
gruppe angeht, die sich mit dem Thema beschäftigt.
Darauf habe ich hingewiesen, und der Minister hat vor-
hin in der Regierungsbefragung gesagt, dass wir in der
Ressortabstimmung sind. Beides findet statt.
– So ist es. Deshalb habe ich die Antworten so gewählt,
wie ich sie gewählt habe.
Frau Haßelmann, wollen Sie noch eine Frage stellen,
dann brauchen Sie nicht zu rufen? – Bitte, stellen Sie sie
einfach noch einmal geordnet.
Wir können das schon gut sortieren, Herr Lange. Sie
brauchen sich um uns keine Sorgen zu machen. Wir fra-
gen die Bundesregierung in einer Fragestunde, und ich
weiß, dass sie in der Regel – so antwortet uns immer das
Arbeitsministerium – nichts sagt zu der Frage der Dis-
kussion in den Arbeitsgruppen der Koalitionen. Das ist
auch okay.
Ich frage Sie aber danach, was Sie daran hindert, als
Kabinett einen Gesetzentwurf vorzulegen. In der Sache
ist es unstreitig, wie blamabel es wäre, wenn wir keine
gesetzliche Grundlage für das Deutsche Institut für Men-
schenrechte hätten. Diese Frage haben Sie zum wieder-
holten Male nicht beantwortet. Mich interessiert die Ko-
alitionsarbeitsgruppe nicht. Ich will wissen, was Sie im
Kabinett daran hindert, hierzu einen Gesetzentwurf vor-
zulegen.
Herr Staatssekretär.
C
Auch wenn es etwas langweilig ist,
ich kann Ihnen nun einmal nicht weiterhelfen. Ich kannIhnen nur sagen, dass wir in intensiven Diskussionen mitden Koalitionsfraktionen sind. Sie wissen, dass die Ge-setzgebungskompetenz bei der Legislative liegt und dasVerfahren schon deshalb in der Hand der Fraktionen lie-gen wird. Wir legen unseren Entwurf auf der einen Seiteden anderen Ressorts vor. Darauf hat der Minister hinge-
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7710 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Parl. Staatssekretär Christian Lange
(C)
(B)
wiesen. Diese Ressortabstimmung läuft. Auf der anderenSeite legen wir ihn den Koalitionsfraktionen vor.
– Das ist wahr.
Dann kommen wir jetzt zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums der Finanzen. Die Fragen 3 und 4
der Abgeordneten Sabine Zimmermann und die Frage 5
des Abgeordneten Harald Petzold werden schriftlich be-
antwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 6 und 7 des
Abgeordneten Markus Kurth werden schriftlich beant-
wortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die
Fragen 8 und 9 des Abgeordneten Friedrich Ostendorff
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Zur Beantwortung steht die Parlamentarische Staats-
sekretärin Caren Marks bereit.
Ich rufe die Frage 10 des Abgeordneten Volker Beck
auf:
Welche Deradikalisierungsprogramme für gewaltbereite
Islamistinnen und Islamisten werden nach Kenntnis der Bun-
desregierung gefördert, bitte mit Angabe der Trägerschaft, der
etwaigen Beteiligung muslimischer Seelsorgerinnen und Seel-
sorger und der bereitgestellten Mittel, und inwiefern werden
laufenden Jahr aufgestockt?
Frau Staatssekretärin, bitte.
C
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrter Herr Kol-
lege Beck, ich beantworte Ihre Frage zu den Deradikali-
sierungsprogrammen gern wie folgt: Diese Programme
für gewaltbereite Islamisten liegen in erster Linie – das
ist bekannt – in der Zuständigkeit der Länder und Kom-
munen. Es gibt aber eine enge und gute Zusammenarbeit
der Bundesregierung mit den Bundesländern.
Es gibt Maßnahmen des Bundesinnenministeriums,
die ich der Vollständigkeit halber ebenfalls – Sie hatten
ja nach allen Programmen gefragt, von denen die Bun-
desregierung Kenntnis hat – kurz erwähnen möchte. Das
Bundesministerium des Innern hat 2012 eine „Bera-
tungsstelle Radikalisierung“ im Bundesamt für Migra-
tion und Flüchtlinge eingerichtet, die als erste Anlauf-
stelle für Angehörige und für das soziale Umfeld von
sich radikalisierenden Personen dient. Das BMI fördert
auch einige Träger, die Beratungsangebote vorhalten.
Die Bundeszentrale für politische Bildung leistet in die-
sem Zusammenhang ebenfalls eine wichtige Arbeit.
Der Ansatz unseres Hauses, des Ministeriums für Fa-
milie, Senioren, Frauen und Jugend, mit dem neuen
Bundesprogramm ist im Themenfeld „Islamismus“ ein
breit angelegter Ansatz, der die jugendpolitische Sicht-
weise einbezieht und einen Schwerpunkt des Programms
eben auch auf die Radikalisierungsprävention legt. Mit
der Aufstockung der Mittel des Programms – das war
Gegenstand der Haushaltsberatungen – um 10 Millionen
Euro stehen dieses Jahr 40,5 Millionen Euro zur Verfü-
gung.
– Nein, insgesamt. Ich habe gesagt, mit der Aufstockung
der Mittel des Programms „Demokratie leben!“ stehen
insgesamt 40,5 Millionen Euro zur Verfügung.
19 Projekte, Herr Kollege Beck, befassen sich mit de-
mokratiefeindlichen islamistischen Phänomenen und
missbräuchlichen Instrumentalisierungen des Islam zu
ideologischen Konflikten. Da Sie konkret nach den Pro-
jekten und deren Finanzierung gefragt haben, habe ich
eine Auflistung vorbereitet, die ich Ihnen gerne schrift-
lich zukommen lassen würde; denn es würde den Rah-
men sprengen, diese Maßnahmen aufzuzählen.
Eine Reihe dieser Projekte plant, in und mit Moschee-
gemeinden gemeinsam zu arbeiten. Wie gesagt: Wir un-
terstützen die Bundesländer zusätzlich über die Aufsto-
ckung der Mittel.
Möchten Sie eine Zusatzfrage stellen?
Vielleicht möchte das Bundesinnenministerium noch
ergänzend antworten; denn es ist eine Frage an die Bun-
desregierung gewesen. Wenn die Frage abschließend be-
antwortet worden ist, dann würde ich gerne meine zwei
Nachfragen stellen.
Die Bundesregierung entscheidet, wer antwortet.
Es kann ein Ressort die Beantwortung einer Fragedurchaus einem anderen Ressort übertragen. So habe icheben die Staatssekretärin verstanden.
– Ja, das ist in der Fragestunde zulässig. Die Bundesre-gierung entscheidet jedenfalls selbst, wer für sie welcheFrage beantwortet. Da es keinen anderen Vertreter derBundesregierung gibt, der antworten möchte, haben Siejetzt die Möglichkeit zur Nachfrage.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7711
(C)
(B)
Dann hoffe ich, dass die schriftliche Nachbeantwor-
tung für beide Ressorts erfolgt, damit wir wissen, welche
Projekte in diesem Bereich aus welchen Haushaltstiteln
finanziert werden.
Meine Nachfrage: Glauben Sie wirklich, dass die in
der Bereinigungssitzung erfolgte Aufstockung um zwei-
mal 5 Millionen Euro – 5 Millionen für Ihr Haus und
dann 5 Millionen für das BMI – ausreichend ist ange-
sichts der Tatsache, dass dieses Jahr in Frankreich, wie
in der Frage angesprochen, die Mittel allein für den Be-
reich der Deradikalisierung im Bereich der Justiz um
50 Millionen Euro aufgestockt wurden? Sollten wir hier
nicht größere Anstrengungen unternehmen – wir haben
erst dieses Jahr angefangen, uns mit diesem Thema zu
befassen –, da wir die Berichte des Verfassungsschutzes
über die große Zahl der islamistischen Terroristen, die
nach Syrien und Irak ausgereist sind und die in beängsti-
gend hoher Zahl aus dem Terrorkampf zurückkehren,
kennen?
C
Vielen Dank, Herr Kollege Beck, für Ihre Nachfrage. –
In der Tat ist die Radikalisierung im Zusammenhang mit
Salafismus und mit gewaltbereitem Islamismus ein
wichtiges Themenfeld, wenn es darum geht, Programme
aufzustellen, die unsere Demokratie stärken. Deswegen
heißt unser Programm auch „Demokratie leben!“.
Unser Haus hat es sehr begrüßt, dass wir in unserem
Ressort zusätzlich 10 Millionen Euro – und nicht nur
5 Millionen Euro – für dieses Programm haben. Wir ha-
ben uns gemeinsam mit den Ländern und Kommunen
darauf verständigt, diese Programme zu verstärken.
Angesichts der aktuellen Situation ist es notwendig,
dass sowohl Bund als auch Länder und Kommunen da-
hin gehend Überlegungen anstellen, wie man all diese
Programme und insbesondere auch den präventiven Be-
reich weiter stärken kann. Ich denke, dass wir da sowohl
innerhalb der Ressorts als auch gemeinsam mit allen im
Bundestag vertretenen Fraktionen Entscheidungen tref-
fen werden, die zur Stärkung dieses Programmbereichs
beitragen.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Selbstverständlich. – Die wiederholte Betonung von
„weiter verstärken“ halte ich für einen Euphemismus.
Wir müssen uns eingestehen, dass wir in der Fläche fast
nichts haben. Ich sehe drei Ansatzpunkte, wo man un-
mittelbar beginnen könnte. Das ist erstens der Bereich
der Schule und zweitens der Bereich der Justiz. Außer-
dem kann man drittens partnerschaftlich und gemeinsam
mit islamischen Organisationen – Moscheevereinen und
dergleichen – versuchen, das Umfeld mithilfe entspre-
chender demokratiefördernder Maßnahmen aufzurollen
und an der Stelle präventiv tätig zu sein.
Wie sieht die Strategie der Bundesregierung aus, und
was ist gemeinsam mit den Ländern geplant? Es geht
nicht, dass Sie eine Sache und die Länder eine andere
Sache machen und Sie das nicht miteinander abstimmen.
Es bedarf einer Gesamtstrategie zur Prävention. Wir
müssen in die Puschen kommen. Es handelt sich hierbei
schließlich um eine gefährliche Situation, in der wir
nicht tatenlos bleiben dürfen.
C
Herr Kollege Beck, das sprechen Sie völlig zu Recht
an. Aus diesen Gründen führen wir schon seit längerem
sehr gute Gespräche mit den Bundesländern und den
Kommunen, in denen einzelne Projekte gefördert wer-
den.
Da Sie grundsätzlich großes Interesse an unserer Ar-
beit haben, wissen Sie sicherlich, dass es im Familienmi-
nisterium das neue Programm „Demokratie leben!“ gibt.
Wir finanzieren damit nachhaltige Strukturen, indem wir
beispielsweise den Ländern über die Demokratiezentren
zur landesweiten Koordinierung mobiler Opfer- und
Ausstiegsberatung Gelder über einen Zeitraum von fünf
Jahren zur Verfügung stellen. Damit widmen wir uns
nachhaltig der Strukturförderung. Die Länder sind ge-
meinsam mit uns gut aufgestellt. Die Strukturen sind
wichtig, damit nachhaltige präventive Arbeit geleistet
werden kann.
Zusätzlich gibt es Geld für die Projektförderung. Das
ist insbesondere in Bezug auf den Salafismus und den
gewaltbereiten Islamismus wichtig; darauf bezog sich
auch Ihre Frage. Wir betreten hier nämlich in der Tat
Neuland. Darum müssen wir zusätzlich zur Strukturver-
besserung gemeinsam mit den Ländern und Kommunen
Projekte erarbeiten.
Sie haben in Ihrer Fragestellung explizit die Schulen
erwähnt. Hier liegt jedoch die alleinige Verantwortung
insbesondere für die Ausführung bei den Bundesländern.
Damit ist die Beantwortung der Frage 10 abgeschlos-sen.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Gesundheit. Zur Beantwortung stehtdie Parlamentarische Staatssekretärin Ingrid Fischbachbereit.Wir kommen zur Frage 11 der Abgeordneten KathrinVogler:Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über eineangeblich zwischen dem 6. Januar 2015 und dem 9. Januar2015 vorgenommene Änderung des Bundesmantelvertrags –Ärzte, BMV-Ä, die zum 1. Januar 2015 Gültigkeit haben soll,und wie bewertet die Bundesregierung die von einem Bürgerin einem Schreiben vom 9. Januar 2015 an das Bundesversi-cherungsamt, das nachrichtlich auch an den Bundesministerfür Gesundheit, Hermann Gröhe, sowie an die Fragestellerin
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7712 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
verschickt wurde, geäußerten Zweifel an der Beachtung dersatzungsrechtlichen Regularien?Frau Staatssekretärin, bitte.I
Danke, Herr Präsident. – Frau Kollegin, aufgrund des
Sachzusammenhangs würde ich gern die Fragen 11 und
12 zusammen beantworten. Ist das in Ordnung?
Ich bin einverstanden. Ich weise nur darauf hin, dass
es vier Nachfragen gibt.
I
Das ist mir klar.
Es soll sich nur jeder geistig und emotional darauf
vorbereiten können.
Dann rufe ich auch die Frage 12 der Abgeordneten
Kathrin Vogler auf:
Wie viele gesetzlich Versicherte sind nach den Erkenntnis-
sen der Bundesregierung bislang nicht im Besitz einer elektro-
nischen Gesundheitskarte, und welche Veränderungen erge-
ben sich aus der in diesem Jahr vorgenommenen Änderung
des BMV-Ä für diese Versicherten gegenüber der am 5. De-
zember 2014 von der Bundesregierung erteilten Antwort auf
meine schriftliche Frage 80 auf Bundestagsdrucksache 18/
3519?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
I
Ich möchte Frau Kollegin Vogler wie folgt antworten:
Nach Auskunft des GKV-Spitzenverbands ist die letzte
Änderung des Bundesmantelvertrages – Ärzte am 1. Ja-
nuar 2015 in Kraft getreten. Änderungen zwischen dem
6. und 9. Januar 2015, wie Sie es in Ihrer Frage themati-
siert haben, hat es nicht gegeben.
Nach der dem Bundesministerium für Gesundheit of-
fiziell vorliegenden Fassung der Änderung des Bundes-
mantelvertrags – Ärzte, die am 1. Januar 2015 in Kraft
getreten ist und entsprechend am 5. Januar 2015 im
Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht wurde, lautet der in-
frage stehende neue § 19 Absatz 2 des Bundesmantel-
vertrags – Ärzte wie folgt:
Wird von der Krankenkasse anstelle der elektroni-
schen Gesundheitskarte im Einzelfall ein An-
spruchsnachweis zur Inanspruchnahme von Leis-
tungen ausgegeben, muss dieser die Angaben
gemäß § 291 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 9 SGB V ent-
halten. Die Krankenkasse darf einen Anspruchs-
nachweis nach Satz 1 nur im Ausnahmefall zur
Überbrückung von Übergangszeiten bis der Versi-
cherte eine elektronische Gesundheitskarte erhält
… ausstellen. Der Anspruchsnachweis ist entspre-
chend zu befristen. Die Krankenkasse ist verpflich-
tet, ungültige elektronische Gesundheitskarten ein-
zuziehen.
So weit der Text.
Mitte 2014 waren mehr als 97 Prozent der Versicher-
ten im Besitz einer elektronischen Gesundheitskarte.
Aktuellere Zahlen liegen der Bundesregierung nicht vor.
Bei der Änderung des § 19 Absatz 2 des Bundesman-
telvertrags – Ärzte handelt es sich um eine Konkretisie-
rung der bisherigen Regelung. Gegenüber der in der
Antwort der Bundesregierung auf Ihre schriftliche
Frage 80 auf Bundestagsdrucksache 18/3519 dargestell-
ten bisherigen bundesmantelvertraglichen Regelung
wird damit die Ausstellung eines Anspruchsnachweises
zur Inanspruchnahme von Leistungen auf die Überbrü-
ckung von Übergangszeiten beschränkt, bis der Versi-
cherte eine elektronische Gesundheitskarte erhält.
Schönen Dank. – Die erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für Ihre genaueAuskunft, was wann wie in Kraft getreten ist und veröf-fentlicht wurde. – Der Bundesmantelvertrag wird zwi-schen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und demGKV-Spitzenverband ausgehandelt. Die Bundesregie-rung ist die Aufsichtsbehörde. Ich wüsste gerne – Sie ha-ben meine Frage kurz vor der Veränderung nach altemSachstand beantwortet –, ob das BMG frühzeitig überdie geplanten Veränderungen informiert worden ist oderob Sie im Nachhinein, also erst nach dem 1. Januar2015, davon erfahren haben oder ob Sie vielleicht alsReaktion auf meine Nachfragen hier im Bundestag sogarden Anstoß dazu gegeben haben. Das ist meine ersteFrage.Die zweite Frage ist, ob eine solche Änderung nicht ingeeigneter Form den Vertragsärztinnen und Vertragsärz-ten sowie den gesetzlich Versicherten rechtzeitig be-kannt gemacht werden muss, weil es beide Gruppen in-tensiv betrifft, insbesondere diejenigen Versicherten, diebisher noch keine elektronische Gesundheitskarte besit-zen.Dann hat die Bundesregierung auf meine schriftlicheFrage vom Dezember 2014 geantwortet, dass auch beiVorlage dieses papiergebundenen Anspruchsnachweisesein vollumfänglicher Leistungsanspruch besteht. Ichfrage, ob Sie es vor diesem Hintergrund für akzeptabelund vertragskonform halten, wenn Patientinnen und Pa-tienten mir berichten, dass sie in einigen Arztpraxen ent-weder komplett zurückgewiesen werden, wenn sie einensolchen Ausweis vorlegen, mit der Begründung, ein sol-cher papiergebundener Nachweis mache zu viel bürokra-tische Arbeit, oder sie gezwungen werden, zu unter-schreiben, dass sie bereit sind, privat zu zahlen?Meine vierte Nachfrage: Die Kassenärztliche Vereini-gung in Bayern – – Stellen wir eigentlich jede Frage ein-zeln?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7713
(C)
(B)
Da schon drei Fragen gestellt wurden, können Sie die
vierte Frage auch noch stellen, wenn Sie wollen.
Nein.
Sollen wir erst einmal eine Pause machen? – Zuerst
werden diese drei Fragen beantwortet. Dann haben Sie
noch eine gut. – Frau Staatssekretärin Fischbach.
I
Frau Kollegin Vogler, die Entscheidung des GKV-
Spitzenverbandes, der KBV und der Kassenzahnärztli-
chen Bundesvereinigung ist nicht erst im Dezember ge-
fallen, sondern im August. Es war klar, dass wir ein
Datum haben werden, an dem die elektronische Gesund-
heitskarte eingeführt wird. Das wollten wir politisch auf
den Weg bringen. Das ist auch nicht vom Himmel gefal-
len. Insofern war allen klar, dass der 1. Januar 2015 der
Stichtag ist, ab dem die Karte gilt.
Viele Krankenkassen – ich kenne keine, die es nicht
getan hat – haben ihre Versicherten angeschrieben und
im Vorlauf schon sehr deutlich gemacht: Kommen Sie,
Sie haben noch nicht die gültige Fassung. Wir müssen es
umstellen. – Ich weiß, dass zum Beispiel Gehbehinderte,
die den Weg zur Krankenkasse nicht gehen konnten, die
Möglichkeit hatten, diese Karte auch ohne Foto zu erhal-
ten. Es ist also Aufklärungsarbeit geleistet worden. Sie
mussten nicht mit Ihrer Anfrage dafür sorgen, dass wir
uns schlau gemacht haben. Es war der Öffentlichkeit be-
kannt. Wie gesagt: 97 Prozent der Versicherten haben
diese Karte.
Können Sie die zweite Frage noch einmal wiederho-
len? Ich bin ein bisschen durcheinandergekommen.
Stellen Sie einfach noch einmal Ihre zweite Frage.
Das waren schon zwei Fragen, auf die Sie geantwortet
haben.
Die dritte.
Sie haben vergessen, mir zu sagen, wann die Bundes-
regierung von dieser konkreten Veränderung, über die
wir gesprochen haben, erfahren hat und in Kenntnis ge-
setzt worden ist.
Die dritte Frage war, ob die Bundesregierung es für
akzeptabel und vertragskonform hält, wenn Patientinnen
und Patienten bei Ärztinnen und Ärzten auf den Hinweis
stoßen, dass sie auf Grundlage des papiergebundenen
Nachweises nicht behandelt werden, obwohl das doch
eigentlich möglich ist.
I
Nachdem die eGK schon über einen längeren Zeit-
raum in der Diskussion war, ist mit dem Beschluss der
Spitzenverbände deutlich geworden, dass die Einfüh-
rung zum 1. Januar 2015 erfolgt. Das heißt, mit dem Be-
schluss im August war uns das Datum bekannt. Wir wol-
len, dass die elektronische Gesundheitskarte endlich das
wird, was sie sein kann und sein soll, nämlich eine Hilfe
und Unterstützung für die Versicherten und auch für die-
jenigen, die die Versicherten behandeln.
Der Fall, den Sie nennen, dass Patienten, die jetzt mit
einem Papiernachweis in die Praxis kommen, nicht be-
handelt werden, entspricht nicht der gesetzlichen Grund-
lage. Es ist klar, dass in Ausnahmefällen, wenn die elek-
tronische Gesundheitskarte nicht vorliegt, auf Grundlage
eines Papiernachweises behandelt werden muss. Wenn
die elektronische Gesundheitskarte oder der Nachweis
der Krankenkasse allerdings nicht nachgereicht wird, ist
der Arzt in der Lage und ermächtigt, eine Privatrech-
nung zu stellen.
Jetzt haben Sie noch eine Zusatzfrage, die vierte.
Bitte.
Ich will gerne nachfragen, ob die Bundesregierung
vielleicht erwägt, gegenüber der Öffentlichkeit klarzu-
stellen, dass Ärztinnen und Ärzte alle Patientinnen und
Patienten, auch chronisch kranke, die anstatt der elektro-
nischen Gesundheitskarte einen papiergebundenen An-
spruchsnachweis vorlegen, genauso behandeln müssen
und ihnen genauso die benötigten Medikamente auch für
längere Zeiträume verschreiben müssen und dass sie
– auch diese Befürchtung haben Ärztinnen und Ärzte
mir gegenüber geäußert – keine Angst vor Regressforde-
rungen vonseiten der Krankenkassen haben müssen, also
bei der Behandlung von Patientinnen und Patienten, die
anstatt der Karte einen papiergebundenen Anspruchs-
nachweis vorlegen, keine Unterschiede machen müssen?
I
Das ist auch mit der Änderung des Manteltarifver-
trags deutlich geworden, in dem nun steht, dass es eine
Überbrückungsphase gibt, in der ein Papiernachweis
gelten muss. Es ist eindeutig, dass damit alle Leistungen
zur Verfügung gestellt werden, die auch sonst von der
gesetzlichen Krankenversicherung zur Verfügung ge-
stellt werden müssen.
Schönen Dank. – Die Frage 13 der AbgeordnetenBärbel Höhn wird schriftlich beantwortet.Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur.Für die Beantwortung steht der ParlamentarischeStaatssekretär Enak Ferlemann zur Verfügung.
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7714 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Ich rufe die Frage 14 des Abgeordneten HerbertBehrens, Fraktion Die Linke, auf:Was tut die Bundesregierung, um dem in der geplantenHafenrichtlinie der Europäischen Union, EU, namens Port Pa-ckage III enthaltenen Angriff auf das Streikrecht, wie es imKapitel 8.6 des ursprünglichen Entwurfs der EuropäischenKommission mit den sogenannten Notfallmaßnahmen vorge-sehen ist, entgegenzuwirken und diese zu entfernen?Herr Staatssekretär, bitte.E
Verehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten Da-
men und Herren! Die Frage zum Port Package III des
Kollegen Herbert Behrens beantworte ich wie folgt: Es
wird davon ausgegangen, dass sich die mündliche An-
frage auf den Vorschlag für eine Verordnung des Euro-
päischen Parlaments und des Rates zur Schaffung eines
Rahmens für den Zugang zum Markt für Hafendienste
und für die finanzielle Transparenz der Häfen bezieht.
Die Bundesregierung hat diese Frage bereits in ihrer
Antwort auf Frage 4 der Kleinen Anfrage der Fraktion
Die Linke, Drucksache 18/1711, beantwortet. Ich zitiere:
Die Bundesregierung wird sich nicht für die Strei-
chung des Artikels 8 Nummer 6 einsetzen. Die Not-
fallmaßnahmen … dienen der Aufrechterhaltung
des Hafenbetriebs, dem gemeinwirtschaftliche Ver-
pflichtungen auferlegt wurden.
Die Notfallmaßnahme kann in Form einer Direktver-
gabe erfolgen, bei der ein Dienst für einen Zeitraum von
bis zu zwei Jahren einem anderen Anbieter zugewiesen
wird. Die Bundesregierung kann darin keine Einschrän-
kung des Streikrechts erkennen.
Haben Sie dazu eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Behrens?
Die hätte ich schon.
Bitte schön.
Zumindest steht die Aussage der Bundesregierung im
Gegensatz zur Aussage der Gewerkschaft Verdi, die für
die Beschäftigten an deutschen Seehäfen zuständig ist.
Sie sagen eindeutig: Es sind Notfallmaßnahmen, die
nichts mit dem Streikrecht zu tun haben, sondern der
Aufrechterhaltung des normalen Betriebes dienen. Es ist
in gewisser Weise mit anderen Streiks vergleichbar, wie
wir sie beispielsweise bei der Bahn hatten, bei denen es
theoretisch möglich gewesen wäre, die Belegschaft aus-
zutauschen. Sie sagen explizit, dass das Streikrecht da-
durch nicht infrage gestellt wird. Haben Sie von einem
Verfassungsrechtler den Umstand prüfen lassen, inwie-
weit das wirklich der Fall ist, ob also nicht doch die Ko-
alitionsfreiheit, wie sie im Grundgesetz festgelegt ist, da-
durch beeinträchtigt wird?
Herr Staatssekretär.
E
Wir bleiben bei unserer Rechtsauffassung. Dass wir
nicht immer mit Verdi einverstanden sind, das liegt in
der Natur der Sache.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Abgeordneter
Behrens? – Das ist nicht der Fall.
Ich rufe die Frage 15 des Abgeordneten Herbert
Behrens auf:
Was tut die Bundesregierung, um die von den Bundesrats-
vertretungen der norddeutschen Küstenländer gewünschte
Herausnahme der Lotsendienste, der Schlepper, der Festma-
cher, der Baggerei und der Schiffsentsorgungsdienste aus der
geplanten Hafenrichtlinie der EU herbeizuführen?
Herr Staatssekretär, bitte.
E
Danke, Herr Präsident. – Ich beantworte die Fragewie folgt: Die Bundesregierung hat diese Frage bereits inihren Antworten zu den Fragen 2 und 3 der Kleinen An-frage der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/1711weitestgehend beantwortet. Trotzdem nehme ich Stel-lung zu den einzelnen Berufsgruppen.Zu den Lotsendiensten. Nach Artikel 11 a des aktuel-len Verordnungsentwurfs können die Mitgliedstaaten be-schließen, Kapitel II „Marktzugang“ und die Übergangs-bestimmung des Artikels 24 nicht auf Lotsendiensteanzuwenden. Das in Deutschland bestehende Lotsensys-tem kann unverändert fortgeführt werden, wie vonDeutschland in der Ratsarbeitsgruppe verlangt.Ich komme zur Gruppe der Schlepper und Festma-cher. Der Bundesrat hat in seinem Beschluss vom20. September 2013, Drucksache 439/13, nicht gefor-dert, das Schleppen und die Festmacher aus dem Rege-lungsbereich der Verordnung zu entfernen.Zur Baggerei. Wie von Deutschland in der Ratsar-beitsgruppe gewünscht, wurde die Ausbaggerung imderzeitigen Verordnungsentwurf aus Artikel 1 Num-mer 2 „Gegenstand und Geltungsbereich“ gestrichen.Nach Artikel 1 Nummer 2 a ist lediglich Artikel 12Nummer 2 „Getrennte Buchführung bei öffentlicher Fi-nanzierung“ auf die Ausbaggerung anzuwenden.Ich komme zu den Schiffsentsorgungsdiensten. Einevollständige Streichung des Bereichs Sammeln vonSchiffsabfällen und Ladungsrückständen aus dem Ver-ordnungsentwurf konnte aufgrund fehlender Unterstüt-zung anderer Mitgliedstaaten bislang nicht erreicht wer-den. Die EU-Kommission stellte jedoch klar, dass sichdie Regelung nur auf das Sammeln, nicht jedoch auf dieEntsorgung der Abfälle und Ladungsrückstände an Landbezieht, die in der Richtlinie 2000/59/EG des Europäi-schen Parlaments und des Rates vom 27. November2000 über Hafenauffangeinrichtungen für Schiffsabfälleund Ladungsrückstände geregelt ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7715
(C)
(B)
Haben Sie dazu eine Zusatzfrage?
Wir haben eine neue EU-Verkehrskommissarin. Frau
Bulc hat gestern bei ihrer Vorstellung im Verkehrsaus-
schuss deutlich gemacht, dass sie sehr stark daran inte-
ressiert ist, eine wettbewerbsorientierte Verkehrspolitik
zu betreiben. Daher meine Nachfrage: Hat es bezüglich
Port Package III Gespräche gegeben? Plant Frau Bulc in
diesem Zusammenhang eine eigene Initiative?
E
Eine eigene Initiative von Frau Bulc in diesem Zu-
sammenhang ist mir nicht bekannt. Es gibt allerdings
eine Reihe von Gesprächen und Verhandlungen, um die-
ses sogenannte Port Package III zum Abschluss zu brin-
gen. Die Bundesregierung konnte sich sehr erfolgreich
in fast allen Punkten durchsetzen. Wir haben den an-
deren Mitgliedstaaten signalisiert, dass wir auf der
Grundlage des jetzt gefundenen Kompromisses Port
Package III passieren lassen können.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Behrens? – Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie hatten angekündigt, dass sich
der ganze Vorgang auf der Zielgeraden befindet. Haben
Sie eine Vorstellung davon, auf welche zeitlichen Ab-
läufe wir uns einstellen müssen?
E
Das ist in Europa nicht immer ganz einfach darzustel-
len, weil die Beratungen ein sehr komplizierter Prozess
sind. Aber ich gehe davon aus, dass wir noch in diesem
Jahr zu einem Abschluss kommen.
Herzlichen Dank.
Ich rufe die Frage 16 des Abgeordneten Matthias
Gastel auf:
Was spricht aus Sicht der Bundesregierung für die Vor-
gabe des Bundes, die Rheintalbahn zwischen Offenburg und
Riegel, wie im Bundesverkehrswegeplan vorgesehen, auf eine
Maximalgeschwindigkeit von 250 km/h auszubauen, und wie
würde sich nach Kenntnis der Bundesregierung eine Maxi-
malgeschwindigkeit von 230 km/h auf die Fahrplangestaltung
sowie auf die Baukosten auswirken?
Herr Staatssekretär, bitte.
E
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich gebe folgende
Antwort: Diese Vorgabe ist Inhalt des geltenden Bundes-
schienenwegeausbaugesetzes. Im Ergebnis der letzten
Bewertung des Vorhabens „Ausbaustrecke/Neubaustre-
cke Karlsruhe—Offenburg—Basel“ erhöhen sich die
Betriebsleistungen des Schienenpersonenverkehrs insge-
samt im Zielnetz auf knapp 2 Millionen Zugkilometer
pro Jahr. Durch die Trassierung auf eine Maximalge-
schwindigkeit von 250 km/h wird ein Reisezeitnutzen
generiert, der diesen erheblichen Zuwachs und die damit
positive gesamtwirtschaftliche Bewertung des Vorha-
bens ermöglicht.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Abgeordneter
Gastel?
Herr Staatssekretär, vielen Dank für Ihre Antwort.
Können Sie mir sagen, wie viele und in welcher Länge
Überholgleise für eine Höchstgeschwindigkeit von
250 km/h im Vergleich zu einer Höchstgeschwindigkeit
von 230 km/h notwendig sind?
E
Das ist eine sehr fachspezifische Frage. Wir haben auf
diesem Abschnitt noch nicht einmal alle Planfeststel-
lungsverfahren eröffnet. Ich werde also kaum in der
Lage sein, Ihnen diese Frage korrekt zu beantworten.
Aber ich werde mir die Mühe machen, bei der Bahn
nachzufragen. Ich werde Ihnen das Ergebnis schriftlich
nachreichen.
Haben Sie noch eine Nachfrage dazu? – Nein.
Dann rufe ich die Frage 17 des Abgeordneten
Matthias Gastel, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Entspricht der geplante Tiefbahnhof in Stuttgart nach
Kenntnis der Bundesregierung gemäß der Definition der Ei-
senbahn-Bau- und Betriebsordnung, EBO, einem Haltepunkt
– Definition: „Haltepunkte sind Bahnanlagen ohne Weichen,
wo Züge planmäßig halten, beginnen oder enden dürfen“ –
oder einer Haltestelle – Definition: „Haltestellen sind Ab-
zweigstellen oder Anschlussstellen, die mit einem Haltepunkt
örtlich verbunden sind“ –, und in welchen anderen deutschen
Landeshauptstädten stellt die wichtigste Bahnanlage mit den
meisten ein- und aussteigenden Fahrgästen nach der formalen
Definition nach Kenntnis der Bundesregierung noch eine Hal-
testelle oder einen Haltepunkt dar?
E
Herr Kollege Gastel, ich gebe Ihnen folgende Antwort:Da die geplante Anlage in Stuttgart Weichen benötigt,handelt es sich um einen Bahnhof gemäß § 4 Absatz 2EBO. Der Bundesregierung ist keine Landeshauptstadtin Deutschland bekannt, die nicht über einen Bahnhofgemäß der oben genannten Definition verfügt.
Metadaten/Kopzeile:
7716 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
(C)
(B)
Möchten Sie dazu eine Zusatzfrage stellen, Herr Ab-
geordneter Gastel?
Ja, dazu muss ich eine Zusatzfrage stellen. – Herr
Staatssekretär Ferlemann, Sie sagen: Es handelt sich um
einen Bahnhof nach § 4 EBO. Wie erklären Sie sich,
dass in der Anhörung zum Planfeststellungsverfahren für
den Abschnitt 1.3 – das ist die vorgesehene Flugha-
fenanbindung – die Vorhabensträgerin zigfach ausdrück-
lich gesagt hat – ich war selber dabei; es steht auch im
Protokoll –, es würde kein Bahnhof geplant, sondern
eine Station? Jetzt ist „Station“ in der Eisenbahn-Bau-
und Betriebsordnung aber gar nicht definiert. Deswegen
habe ich diese Frage gestellt. Wie erklären Sie sich, dass
seitens der Vorhabensträgerin, der Deutschen Bahn, die
das Projekt realisieren möchte, negiert wird, dass ein
Bahnhof gebaut wird?
E
Ich kann aus Ihrer Frage nicht genau ermitteln, wel-
chen Bahnhof Sie jetzt meinen? Den unter dem Flugha-
fen oder den Hauptbahnhof?
Ich meine den geplanten – in Anführungszeichen –
Hauptbahnhof, den Tiefbahnhof Stuttgart Stadtmitte.
E
Dazu habe ich Ihnen ja eine Antwort gegeben.
Ja, aber ich habe eine Nachfrage gestellt: Wie erklä-
ren Sie sich, dass die Deutsche Bahn, Vorhabensträgerin,
im Planfeststellungsverfahren negiert hat, dass es sich
um einen Bahnhof handeln würde?
E
Das ist mir nicht bekannt.
Sie haben noch eine Nachfrage? – Nein. Aber Frau
Haßelmann hat eine. Bitte.
Herr Präsident! Ich möchte erst einmal sagen, dass ich
die Art der Beantwortung als Unverschämtheit emp-
finde. Ich würde mir wünschen, dass Herr Ferlemann
auch mal darauf hingewiesen würde. Ich mache das hier-
mit jetzt einmal.
Ich finde, dass mein Kollege eine ganz präzise Frage
gestellt hat, Herr Ferlemann. Wir streiten mit Ihrem
Ministerium eh schon seit geraumer Zeit über Art, Um-
fang und Zeit, die Sie sich für die Beantwortung parla-
mentarischer Fragen nehmen. Sie schränken unser Fra-
gerecht ein. Das ist nicht nur unserer Fraktion bekannt,
sondern mittlerweile auch der Bundesregierung und dem
Bundestagspräsidenten.
Nun zu meiner Frage: Ich bitte Sie, uns jetzt zu erläu-
tern – Sie sind ja der zuständige Staatssekretär; da kön-
nen wir im Parlament, glaube ich, diese Erwartung for-
mulieren –, was bahnpolitisch der Unterschied zwischen
einer Station und einem Bahnhof ist.
E
Damit wir das ganz korrekt machen, wie Sie das er-
warten, werde ich Ihnen das schriftlich beantworten.
– Ich habe die Frage doch beantwortet.
Das interessiert mich, Herr Präsident. Das ist der zu-
ständige Staatssekretär dafür. Und wenn man so eine
Frage nicht beantworten kann, bin ich wirklich erschro-
cken über die Kompetenz.
E
Die Frage ist hochkomplex und kompliziert, und des-
wegen werde ich sie fachtechnisch ganz genau und kor-
rekt beantworten, damit Sie damit dann auch arbeiten
können.
Ich darf friedenstiftend einmal darauf hinweisen, dass
der Kollege Gastel selbst darauf hingewiesen hat, dass
der Begriff „Station“ in allen einschlägigen Vorschriften
seiner Kenntnis nach gar kein Terminus technicus ist. In-
sofern ist es vielleicht gut, wenn das noch einmal in
Ruhe geklärt wird.
Der Kollege Gastel möchte seine zweite Zusatzfrage
jetzt doch stellen.
Wenn Sie ohnehin noch mal nachhaken, hätte ich
gerne auch eine Antwort darauf, ob in diesem geplanten
Bahnhof, diesem Haltepunkt oder dieser Station – was
auch immer das dann sein soll – auch das Beginnen, das
Enden, das Ausweichen und das Wenden von Zügen
möglich ist, weil das nämlich auch Bestandteil dieser
Definition in der Eisenbahn-Bau- und Betriebsordnung
ist.
E
Ich habe es ja gesagt: Das ist ein komplizierter Sach-verhalt, den die Kollegin Haßelmann so nicht erfassenkonnte. Deswegen wird das umfassend beantwortet. Siehaben jetzt schon so viele Zusatzfragen gestellt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7717
Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann
(C)
(B)
Im Übrigen weise ich darauf hin, dass es extra zu die-sem Thema, von Herrn Gastel beantragt, eine Anhörungim Verkehrsausschuss gibt, in der alle diese Fragen vondenen, die für die Planung verantwortlich sind, detailliertbeantwortet werden müssen. Diese werden wir durch-führen.
Ich darf trotzdem bitten, dass wir versuchen – –
– Also, ich finde es immer richtig, wenn ein Vertreter der
Bundesregierung bei komplizierten technischen Sach-
verhalten sagt: Ich gehe der Sache gründlich nach und
werde die technischen Sachverhalte klären.
Das hat er hier vorgetragen.
Ich finde, das können wir dann auch so akzeptieren.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit auf. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentarische
Staatssekretärin Rita Schwarzelühr-Sutter bereit.
Die Frage 18 der Abgeordneten Bärbel Höhn wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 19 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl:
Welche Konsequenzen wird das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit, BMUB,
aus den vom Oberverwaltungsgericht Schleswig in seinem
Brunsbüttel für nötig erachteten Untersuchungs- bzw. Nach-
weismaßstäben beim Schutz vor Flugzeugabstürzen und pan-
zerbrechenden Waffen für sich daraus implizit ergebenden
aufsichtlichen Handlungsbedarf bezüglich auch im Rahmen
der Aufsicht entsprechend neu anzulegender Untersuchungs-
bzw. Nachweismaßstäbe bei den noch laufenden Atomkraft-
werken ziehen – bitte mit Begründung –, und welches Vorge-
hen plant das BMUB hierfür – falls möglich, bitte mit Angabe
von Meilensteinen oder Ähnlichem, der Zeitschiene etc.?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Ri
Vielen Dank, Herr Präsident. – Sehr geehrte Frau
Kotting-Uhl, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Das
nunmehr rechtskräftige Urteil des Oberverwaltungsge-
richts Schleswig hat nur auf das Zwischenlager Bruns-
büttel unmittelbare rechtliche Auswirkungen. Bei der
Genehmigungserteilung im Jahre 2003 gab es aus Sicht
des Gerichts ein Ermittlungs- und Bewertungsdefizit in
Bezug auf Einwirkungen Dritter, insbesondere Terror-
angriffe. Das Gericht hat aber keinen Zweifel an der Si-
cherheit des Zwischenlagers Brunsbüttel geäußert.
Die atomrechtliche Duldungsanordnung der zuständi-
gen atomrechtlichen Aufsichtsbehörde des Landes Schles-
wig-Holstein vom 16. Januar 2015 stellt die Rechts-
grundlage für die weitere rechtmäßige Aufbewahrung
der neun im Zwischenlager Brunsbüttel befindlichen
Castoren bis zur Erteilung einer Genehmigung sicher.
Die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts hat
keine unmittelbaren rechtlichen Auswirkungen auf Ge-
nehmigungen anderer Zwischenlager. Das gilt genauso
für alle anderen bestandskräftigen atomrechtlich geneh-
migten kerntechnischen Anlagen und Einrichtungen.
Der in der Rechtsprechung anerkannte Beurteilungs-
spielraum der Exekutive bei der Risikoermittlung und
-bewertung, die von den Gerichten nur beschränkt über-
prüft werden kann, hat im Bereich des Schutzes gegen
Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen Dritter
eine besondere Bedeutung, da die Behörden hier auf der
Basis prognostischer Einschätzungen zur Sicherheitslage
Festlegungen zu erforderlichen Lastannahmen und
Schutzmaßnahmen treffen müssen.
Das gesamte untergesetzliche Regelwerk zum Schutz
gegen Störmaßnahmen oder sonstige Einwirkungen
Dritter wird regelmäßig sowie anlassbezogen bei Vorlie-
gen neuer Erkenntnisse evaluiert. Ändert sich die Er-
kenntnislage, werden die bestehenden Maßnahmen auf
den Prüfstand gestellt und führen gegebenenfalls zu ei-
ner Nachrüstung, so wie es im Jahr 2011 für die Zwi-
schenlager der Fall war.
Haben Sie dazu eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete
Kotting-Uhl?
Ja, vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, FrauStaatssekretärin. Die Antwort bezog sich jetzt nicht ganzhaarscharf auf das, was ich gefragt hatte. Ich hatte aus-drücklich nicht nach den sich unmittelbar ergebendenHandlungsaufträgen, sondern nach den sich implizit er-gebenden Handlungsaufträgen gefragt. Denn es ist janicht nur theoretisch durchaus vorstellbar, dass weitereKlagen folgen. Diese Klage war erfolgreich. Das heißt,das Zwischenlager Brunsbüttel ist im Moment genehmi-
Metadaten/Kopzeile:
7718 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Sylvia Kotting-Uhl
(C)
(B)
gungslos. Es ist ein genehmigungsloser Zustand, der imMoment nur mithilfe einer Duldung überbrückt werdenkann. Wenn es bei weiteren Klagen genauso gehandhabtwird, wenn also die Unterlagen, die eigentlich nachwei-sen könnten, dass die Sicherheit besteht, nicht vorgelegtwerden können, dann bekommen wir in Deutschland rie-sige Probleme, nicht nur hinsichtlich der Zwischenlager,sondern auch hinsichtlich der Atomkraftwerke, die, so-weit ich informiert bin, gegen Flugzeugabstürze nichteinmal so ausgelegt sind wie die Zwischenlager.Gibt es Überlegungen oder Planungen im BMUB, wiediese Unterlagen, die den Gerichten 2003 und anschlie-ßend nicht zur Verfügung gestellt wurden – daraus folgtedas Bewertungsdefizit –, in die Verhandlungen einge-bracht werden können?Ri
Ich komme ganz konkret auf Ihre Frage zurück. Ja,
vor diesem Hintergrund lassen wir prüfen, wie geheim-
haltungsbedürftige Unterlagen unter Wahrung des Ge-
heimschutzes zukünftig angemessen in verwaltungsge-
richtliche Verfahren eingebracht werden können. Sie
wissen, das BfS hat die Unterlagen geprüft, konnte aber
aus Geheimschutzgründen nicht alles zur Verfügung
stellen. Deswegen lassen wir prüfen, welche Möglich-
keiten es hier gibt.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete Kotting-
Uhl?
Gerne, Herr Präsident. – Ich habe eine ganz kurze Zu-
satzfrage. Geht das BMUB davon aus, dass diese Unter-
lagen, die bisher nicht zur Verfügung gestellt wurden,
bei Zurverfügungstellung dazu führen, dass die Sicher-
heit des Zwischenlagers Brunsbüttel erkannt und bestä-
tigt werden kann?
Ri
Die Sicherheit als solche stand nie infrage, und wir
ziehen sie auch nicht in Zweifel.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Zur Beantwortung steht der Parlamentari-
sche Staatssekretär Thomas Silberhorn bereit.
Die Frage 20 des Abgeordneten Movassat wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 21 der Abgeordneten Heike
Hänsel, Fraktion Die Linke:
Mit welchen Geldern wurde die Studie „Mögliche Auswir-
kungen der Transatlantischen Handels- und Investitionspart-
nerschaft, TTIP, auf Entwicklungs- und Schwellenländer“ des
wirtschaftsliberalen ifo-Instituts, München, unterstützt, und
wie verhält sich die Bundesregierung zur Kritik von Fachor-
ganisationen, nach der in dem von Bundesminister Dr. Gerd
Müller als „unabhängige Diskussionsbasis“ bezeichneten Pa-
pier nicht auf das entwicklungspolitisch relevante Problem
der Ungleichverteilung in Entwicklungsstaaten eingegangen
wird, die als Produktzulieferer an die USA und die EU fungie-
Herr Staatssekretär, bitte.
Th
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Hänsel,
diese Studie wurde im Auftrag des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung
durch das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung an
der Universität München gemeinsam mit dem Institut für
Angewandte Wirtschaftsforschung in Tübingen erstellt.
Diese Studie wurde aus Barmitteln des Bundeshaushal-
tes finanziert, und zwar aus dem Einzelplan 23 bzw., um
es genau zu sagen, aus Kapitel 2305. Die Titelnummer
– ich sehe, Sie schreiben mit – ist 54401, und der Titel
lautet „Forschung, Untersuchungen und Ähnliches“.
Hauptanliegen der Studie ist es, die Auswirkungen
dieser Transatlantischen Handels- und Investitionspart-
nerschaft auf die wirtschaftliche Entwicklung von
Schwellen- und Entwicklungsländern zu untersuchen
und daraus Handlungsempfehlungen abzuleiten. Das
wurde insbesondere im Rahmen von neun Fallstudien
anhand sehr unterschiedlicher Länder ermittelt. Es ging
dabei um die Länder Brasilien, Mexiko, Marokko, Ke-
nia, Elfenbeinküste, Südafrika, Türkei, Bangladesch und
Indonesien. Die Forscher haben gezielt versucht, der Un-
terschiedlichkeit von Schwellen- und Entwicklungslän-
dern gerecht zu werden und diese Heterogenität in der
Studie wissenschaftlich abzubilden. Wir werden die Er-
gebnisse dieser Studie in unserem Haus intensiv prüfen
und die Handlungsempfehlungen weiter verfolgen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Abgeordnete? –
Bitte schön.
Danke schön. – Herr Staatssekretär, nun zur politi-schen Diskussion. Die Bundesregierung hat ja immerwieder beteuert, sollte der Abschluss von TTIP für dieLänder des Südens bzw. für die Entwicklungsländer ne-gative Handelsfolgen, Einkommenseinbußen usw. mitsich bringen, dann sollte TTIP in dieser Form nicht be-schlossen bzw. dann müsste der Abschluss von TTIPüberdacht werden. Prompt liegt uns jetzt eine von Ihnenin Auftrag gegebene Studie vor, die zu dem Ergebniskommt, dass TTIP den Ländern des Südens eigentlichnur beste Aussichten eröffnet. Da möchte ich Sie gernefragen: Wie bewerten Sie eigentlich die zahlreichen an-deren Studien zu diesem Thema?Es ist immer ganz gut, wenn man mehrere Studienhat, die man bei der Beurteilung zugrunde legt. Das giltauch für die darin gemachten Grundannahmen. So heißt
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7719
Heike Hänsel
(C)
(B)
es in dieser von Ihnen in Auftrag gegebenen Studie zumBeispiel, TTIP habe für Europa und die USA generellpositive Einkommenseffekte, und dadurch würde auchdie Nachfrage in den Ländern des Südens gesteigert; dieHandelsumlenkungseffekte hingegen werden margina-lisiert. Andere Studien kommen da zu ganz anderenErgebnissen. So ist zum Beispiel im Hinblick auf Nord-afrika von einer Handelsumlenkung bzw. einem Rück-gang des Handels in Höhe von 5 Prozent die Rede und,um eine letzte Zahl zu nennen, von einem Rückgang desBIP für ganz Lateinamerika um 2,8 Prozent. Das führt inden nächsten zehn Jahren zu Verlusten von über 20 Mil-liarden Euro. Wie reagieren Sie auf Studien, die zu sol-chen Ergebnissen kommen?Th
Frau Hänsel, die von uns in Auftrag gegebene Studie
untersucht gleichermaßen die Chancen und Risiken die-
ses Handelsabkommens. Welche Auswirkungen ein sol-
ches Handelsabkommen auf die Entwicklungs- und
Schwellenländer haben wird, hängt natürlich von seiner
Ausgestaltung und von der Wirtschaftsstruktur in den je-
weiligen Staaten ab. Im Rahmen dieser Studie wurden
Expertengespräche und quantitative Studien ausgewer-
tet, und es wurden die genannten Fallstudien erarbeitet.
Daraus wurden Handlungsempfehlungen abgeleitet: sol-
che, die im Rahmen der Verhandlungen über dieses Ab-
kommen berücksichtigt werden sollten, und solche, die
im Hinblick auf Maßnahmen, die unabhängig von die-
sem Handelsabkommen sind, von Bedeutung sind.
Die weiteren Studien, die Sie angesprochen haben,
sind uns durchaus bekannt. Ich darf an dieser Stelle auf
eine für mich hilfreiche Übersicht hinweisen. Es gibt
eine kurze Studie der Stiftung Wissenschaft und Politik
vom August letzten Jahres, die sich in Form eines Über-
blicks mit den vorhandenen Studien befasst, auch mit
den Vorstudien des von uns beauftragten ifo-Instituts.
Ich will darauf hinweisen, dass wir bei der Ausschrei-
bung dieser Studie ein Interessenbekundungsverfahren
durchgeführt haben. Wir haben uns dabei an eine Viel-
zahl von Instituten, die wir um die Abgabe einer Interes-
senbekundung gebeten haben, gerichtet.
Noch eine Frage?
Ja.
Bitte.
Ich kann Ihnen die Einschätzung des Wissenschaft-
lichen Dienstes des Deutschen Bundestages empfehlen
– wir haben sie angefordert –, die da deutlich konservati-
ver ist. Was die Länder des Südens betrifft, sieht man die
große Gefahr, dass sie durch diese große Freihandels-
zone ein Stück weit abgehängt werden.
Ein ganz großes Problem ist die soziale Ungleichheit;
wie Entwicklungsminister Müller heute Morgen betont
hat, soll dieses Thema ja ein Schwerpunkt der Arbeit der
Bundesregierung sein. Auch hier stellt sich die Frage, ob
die sozialen Ungleichheiten zwischen den Ländern und
innerhalb der Länder durch eine so große Freihandels-
zone weltweit verschärft werden.
In der von Ihnen in Auftrag gegebenen Studie wird
gerade mit der verstärkten Nachfrage unter anderem
nach Rohstoffen und Zuliefererprodukten argumentiert.
In diesen Bereichen findet innerhalb der Wertschöp-
fungskette aber am wenigsten Wertschöpfung statt. Von
daher wird die soziale Ungleichheit noch einmal ver-
schärft, wenn genau diese Rolle der Länder des Südens
dadurch manifestiert wird.
Deshalb lautet meine Nachfrage: Nehmen Sie zur
Kenntnis, dass es deutlich progressivere und im Sinne
der Länder des Südens ausgestaltete Studien gibt, die
sich die Bundesregierung zu eigen machen kann? Gege-
benenfalls könnten Sie auch eine neue Studie in Auftrag
geben, die die Sachlage „TTIP und Länder des Südens“
vielleicht mit mehr Einblick in die großen Zusammen-
hänge bewertet.
Th
Frau Kollegin Hänsel, wir machen uns keine Studienzu eigen, sondern wir untersuchen, wie wir jetzt in die-sen Verhandlungsprozess gehen müssen, damit am Endeentwicklungsförderliche Ergebnisse stehen.Die Studie, die wir in Auftrag gegeben haben, enthältkeineswegs eine oberflächliche Argumentation in Bezugauf dieses Handelsabkommen. Es ist gerade zu untersu-chen, was ein sinnvoller Inhalt in Bezug auf Entwick-lungs- und Schwellenländer sein kann, und ich will hiererneut auf die bereits angeführte Studie der Stiftung Wis-senschaft und Politik hinweisen, die einleitend zitiert:Zahlreiche Autoren setzen sich mit den erwartetenWirkungen– gemeint ist: des Abkommens –auseinander. Da ihre Annahmen darüber jedochstark divergieren, kommen sie zu sehr unterschied-lichen Ergebnissen.Von daher wäre es völlig verkehrt, jetzt mit einseiti-gen Annahmen eine Diskussion über mögliche Auswir-kungen zu führen, sondern wir müssen die Diskussionumdrehen und fragen: Welche Auswirkungen wollen wirerreichen, welche wollen wir verhindern, und wie müs-sen wir dann dieses Abkommen inhaltlich gestalten? –Genau dazu weist die Studie, die wir in Auftrag gegebenhaben, eine Reihe von Handlungsempfehlungen auf. MitBlick auf die Zeit will ich das jetzt nicht im Einzelnenvortragen, aber ich kann Ihnen gerne die komplette Stu-die oder auch eine Kurzfassung zur Verfügung stellen.
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7720 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
(C)
(B)
Vielen Dank. – Die Gelegenheit zu einer Nachfrage
hat jetzt der Kollege Thomas Viesehon, CDU/CSU-
Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
können Sie neben der Beantwortung der Fragen zu den
Auswirkungen der Gutachten auch etwas zur Ratifizie-
rung des TTIP insgesamt sagen?
Th
Das Ratifikationsverfahren für dieses Abkommen
wird vom Inhalt abhängen. Wenn sowohl Zuständig-
keitsbereiche der Europäischen Union als auch der Mit-
gliedstaaten betroffen sind, womit wir rechnen müssen,
dann liegt ein sogenanntes gemischtes Abkommen vor,
das doppelt ratifiziert werden muss – sowohl durch die
Organe der Europäischen Union als auch durch die Mit-
gliedstaaten nach ihren jeweiligen verfassungsrechtli-
chen Vorschriften. Insofern ist hier die Lage anders als
bei dem Wirtschaftspartnerschaftsabkommen der Euro-
päischen Union mit Westafrika, das der Kollege Kekeritz
vorhin angesprochen hat, bei dem keine Ratifizierung
durch den Deutschen Bundestag erforderlich ist.
Ich will gerne anfügen, dass die Behauptung, dass wir
uns auf eine Studie bezogen hätten, die es gar nicht gibt,
nicht zutrifft. Herr Kollege Kekeritz hat am 20. Novem-
ber 2014 ein Schreiben von unserem Hause erhalten. Ich
habe es unterzeichnet; es liegt hier vor. Darin beziehe
ich mich nicht auf eine Studie, sondern auf eine – ich
zitiere – „ausführliche verfassungsrechtliche Prüfung“
durch das Bundesministerium der Justiz und für Ver-
braucherschutz, durch das Bundesministerium des In-
nern und durch das Bundesministerium der Finanzen.
Diese Prüfung hat stattgefunden, und darauf habe ich
mich bezogen.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Wortmeldun-
gen zu diesem Komplex.
Die Frage 22 des Kollegen Uwe Kekeritz wird
schriftlich beantwortet.1)
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beant-
wortung steht der Parlamentarische Staatssekretär Uwe
Beckmeyer zur Verfügung.
Die Frage 23 des Kollegen Uwe Kekeritz wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 24 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl auf:
Wären deutsche Energieversorgungsunternehmen aus
Sicht der Bundesregierung von einem mithilfe britischer
Staatsbeihilfe geförderten Bau und Betrieb eines Atomkraft-
werks Hinkley Point C wettbewerblich betroffen oder nicht
1) Die Antwort wird in einem späteren Plenarprotokoll abgedruckt.
, und wird sich die Bundesregierung
der angekündigten Klage der österreichischen Bundesregie-
rung, die nach Medienberichten voraussichtlich von
dem Amt geschiedenen Europäischen Kommission, die briti-
schen Beihilfepläne zuzulassen, vom 8. Oktober 2014 an-
schließen bzw. eine entsprechende eigene Klage einreichen?
Bitte schön.
U
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Die nichtvertrauliche Fassung des Ge-
nehmigungsbeschlusses ist am 21. Januar 2015 von der
EU-Kommission veröffentlicht worden und wird derzeit
von der Bundesregierung unter rechtlichen und fachli-
chen Gesichtspunkten geprüft. Eine Aussage über eine
mögliche Klage oder einen etwaigen Beitritt zur Klage
ist daher derzeit nicht möglich.
Angesichts der sehr begrenzten Stromleitungskapazi-
täten zwischen dem Vereinigten Königreich und dem
EU-Festland und der Tatsache, dass das neue Kraftwerk
stillzulegende Altanlagen ersetzen soll, gehen wir davon
aus, dass mögliche wettbewerbliche Effekte von Strom-
lieferungen aus dem AKW Hinkley Point C auf den
deutschen Markt vergleichsweise gering sein dürften.
Frau Kollegin Kotting-Uhl, Sie haben die Gelegenheit
zur Nachfrage. Bitte schön.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
zum ersten Teil Ihrer Antwort: Die Fakten liegen ja nun
seit langem auf dem Tisch. Ich glaube nicht, dass Sie
vorher von nichts wussten und erst durch das Schreiben
der Kommission informiert werden mussten. Ich frage
mich tatsächlich, was eigentlich so lange geprüft werden
muss.
Frau Hendricks war hier vor etlichen Monaten spon-
tan in der Lage, zu sagen: Ja, da müsste man klagen. –
Österreich konnte sehr schnell sagen, dass es eine Klage
erwägt. Inzwischen hat sich das Land dazu entschlossen.
Luxemburg ist inzwischen entschlossen, dieser Klage
von Österreich beizutreten. Was muss die deutsche Bun-
desregierung so lange prüfen? Ich habe den Eindruck,
dass dahinter entweder Unwilligkeit steckt, oder, was ich
aber gar nicht zu glauben wage, erkennbare Defizite.
U
Ich muss sowohl Ihre erste als auch Ihre zweite Fest-stellung zurückweisen. Eine Frage darin kann ich inso-fern erkennen, dass Sie mich fragen, warum wir so langefür die Prüfung brauchen. Der Genehmigungsbeschluss,den wir online auf der Homepage der Kommission am21. Januar dieses Jahres gefunden haben, ist jetzt vonuns auszuwerten. Eine andere Informationsquelle hatten
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7721
Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
(C)
(B)
wir zu diesem Zeitpunkt offiziell nicht. Das bedeutet:Wir werden diesen Genehmigungsbeschluss, der jetztveröffentlicht worden ist, unter rechtlichen und fachli-chen Gesichtspunkten prüfen; das führte ich bereits aus.Dann werden wir uns dazu entsprechend verhalten.
Sie haben noch einmal die Gelegenheit, zu fragen.
Bitte schön.
Gut. Dann bin ich sehr gespannt. – Ich möchte zu dem
Teil der Frage und Ihrer Antwort kommen, was das für
die Energieversorgungsunternehmen in Deutschland
heißt. Sie haben im Oktober 2014 einen Brief der Stadt-
werke Schwäbisch Hall bekommen. Das liegt bei mir in
Baden-Württemberg, weshalb das für mich von besonde-
rem Interesse ist.
Ich zitiere einen Satz, der dem widerspricht, was Sie
eben sagten:
Diese Entscheidung fördert nicht nur einen gravie-
renden Kartellverstoß, sondern verzerrt den Wettbe-
werb in Mitteleuropa ganz gravierend, weil dieses
Erzeugerkonsortium in Großbritannien in der Lage
wäre, grundsätzlich alle Strompreise, die sich an
den Börsen bilden, aufgrund der Garantievergütung
durch den britischen Staat zu unterbieten.
Im Anschluss daran möchte ich noch etwas aus dem
Schreiben von Schwäbisch Hall wiedergeben. Als er
noch Energiekommissar war, war Günther Oettinger bei
der Bausparkasse in Schwäbisch Hall zu einem Vortrag
und wurde natürlich gefragt, wie er diesen ganzen Vor-
gang um Hinkley Point bewertet. Dann steht hier:
Kommissar Günther Oettinger hat sehr umfassend
geantwortet und im Kern erklärt, dass dann, wenn
z. B. das Unterhaus der britischen Regierung ein-
stimmig ein derartiges Projekt beschließt, diese na-
tionale Entscheidung auf der europäischen Ebene
zu respektieren sei und dass dann gegebenenfalls
kartellrechtliche Aspekte dahinter zurückstehen
müssten.
Teilt das BMWi diesen Ansatz?
U
Ich will darauf indirekt antworten, verehrte Kollegin.
In einer Anhörung im Europäischen Parlament hat der
damalige Wettbewerbskommissar Almunia erläutert,
dass nach den zur Prüfung vorgelegten Verträgen Ent-
scheidungen zum nationalen Energiemix letztendlich in
der Verantwortung der Mitgliedstaaten liegen und daher
von der Kommission nicht zu kommentieren sind. Das
ist die Haltung der Kommission, zumindest die des
Wettbewerbskommissars.
Ich darf Sie daran erinnern, dass wir uns national da-
gegen gewehrt haben und auch aktuell dagegen wehren,
dass uns Mitglieder der Kommission Fragen hinsichtlich
unseres eigenen Energiemixes stellen. Auch dem muss
man an dieser Stelle Rechnung tragen.
Die Motivation von Österreich kann ich momentan
nicht offiziell bewerten. Die Ankündigung einer entspre-
chenden Klage – es ist nämlich noch keine Klage einge-
reicht worden, und von den Überlegungen Luxemburgs
habe ich nicht offiziell, sondern nur aus der Presse erfah-
ren – ist sicherlich vor der Situation zu sehen, dass Ös-
terreich befürchtet, dass an den Grenzen Österreichs
möglicherweise weitere Atomkraftwerke gebaut werden.
Das ist, denke ich, die Motivation der Republik Öster-
reich, sich in dieser Angelegenheit so einzulassen, wie
sie es getan hat.
– Nein, wir steigen aus der Atomkraft aus. Das wissen
Sie. 2022 ist damit in Deutschland Schluss.
Jetzt bitte keine weiteren Zwiegespräche mehr. – Ge-
legenheit zur Nachfrage hat jetzt die Kollegin Britta
Haßelmann. Ich darf darum bitten, dass sich zukünftig
alle an die Redezeit halten.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Beckmeyer,
meine Nachfrage zu Hinkley Point und der Beihilfeent-
scheidung richtet sich an Ihr Haus. Sie haben gerade
zum wiederholten Male gesagt, eine Aussage über die
Klage sei nicht möglich. Eigentlich täuscht doch die
Bundesregierung damit die Öffentlichkeit und sugge-
riert, wir seien immer noch dabei, zu prüfen, ob wir uns
einer Nichtigkeitsklage gegen diese Beihilfeentschei-
dung anschließen.
Ihr Wirtschaftsminister hat doch längst entschieden.
So zumindest muss ich seine Aussage vom 6. November
2014 interpretieren. Ich zitiere:
Auch wird ab 2023 genau zu beobachten sein, wel-
che Auswirkungen die Inbetriebnahme der beiden
neuen Reaktoren auf den europäischen Strombin-
nenmarkt haben wird.
Das heißt – so kann man es übersetzen –, Sie haben sich
als Bundesregierung längst entschieden, nicht zu klagen,
suggerieren aber der Öffentlichkeit weiterhin, Sie seien
dabei, zu prüfen, ob Sie sich der Nichtigkeitsklage gegen
diese Beihilfeentscheidung zum Bau eines neuen Atom-
kraftwerkes, obwohl wir aus der Atomkraft ausgestiegen
sind, anschließen.
U
Verehrte Kollegin, ich kann Ihren Vorhalt nicht bestä-tigen.
Metadaten/Kopzeile:
7722 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
(C)
(B)
Wir prüfen diesen Sachverhalt, nachdem wir offiziell dieEntscheidung der Kommission bzw. den Genehmigungs-beschluss vor fünf, sechs Tagen erhalten haben, und wirwerden uns auf Grundlage dieses Genehmigungsbe-schlusses fachlich und rechtlich dazu einlassen.
– Das tut mir leid, aber das ist der Text möglicherweiseeines Briefes, den ich momentan nicht bestätigen kann.
Sie zitieren aus der Presse.
Ich sage Ihnen offiziell für die Bundesregierung, dasswir uns rechtlich und fachlich mit diesem Genehmi-gungsbeschluss befassen und dann zu einer Entschei-dung kommen werden, ob wir eventuell selbst Klage er-heben oder einer etwaigen Klage beitreten. Dies ist aberzurzeit nicht möglich und auch nicht entschieden.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Nachfragen
zu diesem Themenbereich.
Die Fragen 25 und 26 des Abgeordneten Oliver
Krischer werden schriftlich beantwortet.
Ich darf mich bei Staatssekretär Beckmeyer bedan-
ken.
Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswärti-
gen Amtes. Zur Beantwortung der Fragen steht uns der
Staatsminister Michael Roth zur Verfügung. Die Frage 27
des Abgeordneten Omid Nouripour, die Frage 28 des Ab-
geordneten Manuel Sarrazin und die Fragen 29 und 30 der
Abgeordneten Britta Haßelmann werden schriftlich be-
antwortet.
Wir kommen zu Frage 31 der Kollegin Heike Hänsel,
Fraktion Die Linke:
Inwieweit betrachtet die Bundesregierung die Aufsto-
ckung von zusätzlichen 68 000 Soldaten zur Verstärkung des
Kampfpotenzials der Armee an der ostukrainischen Front
des Präsidenten Petro Poroschenko beim Weltwirtschafts-
forum in Davos, in der er unter anderem Russland die Beset-
zung von 7 Prozent des ukrainischen Staatsgebiets vorwarf,
als einen Beitrag zur politischen Konfliktlösung und Stabili-
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sie wissen, Frau
Kollegin Hänsel, dass sich die Bundesregierung uner-
müdlich um eine politische und diplomatische Konflikt-
lösung bemüht und dass wir daran arbeiten, eine friedli-
che Lösung zu erreichen. Wir sind derzeit leider noch
sehr weit davon entfernt.
Grundlage für eine solche Friedenslösung ist für uns
nach wie vor die Minsker Vereinbarung. Wir wollen un-
bedingt an der Minsker Vereinbarung festhalten; wir
wollen nicht dahinter zurückfallen.
Ob wir einen Schritt in die richtige Richtung weiter-
kommen, liegt natürlich vor allem in den Händen der
Konfliktparteien. Alle Seiten müssen ihren Beitrag zur
Deeskalation leisten. Wir können für die ukrainische Re-
gierung bestätigen, dass sie sich bislang maßgeblich für
die Umsetzung der Minsker Vereinbarung eingesetzt und
sich zu schwierigen Entscheidungen durchgerungen hat.
Diese anerkennen wir ausdrücklich. Ich will an die ge-
sonderte Waffenruhe, an das sogenannte Regime der
Stille vom 9. Dezember, erinnern.
Anders bewertet die Bundesregierung die Haltung der
russischen Regierung. Wir sind uns mit allen Partnerin-
nen und Partnern in der Europäischen Union einig, dass
das bislang größte Hindernis für eine politische Kon-
fliktlösung in der Verweigerungshaltung der eindeutig
von Russland unterstützten Separatisten liegt. Der
jüngste traurige Beleg dafür ist der menschenverach-
tende Raketenangriff auf ein Wohngebiet in Mariupol
am vergangenen Samstag. Nach Erkenntnissen der
OSZE ging dieser Angriff von separatistisch kontrollier-
tem Gebiet aus.
Auch die Ankündigung des Separatistenführers
Sachartschenko vom 23. Januar, die Minsker Gespräche
im Rahmen der Kontaktgruppe abzubrechen und das Se-
paratistengebiet durch eine neue Offensive bis an die
Grenzen der Gebiete Donezk und Lugansk auszuweiten,
ist ein Schlag in das Gesicht all derer, die sich, so wie
wir und die Europäische Union, um eine diplomatische
Lösung bemühen.
Trotzdem: Wir müssen im Gespräch bleiben. Sie wis-
sen: Es gibt verschiedenste Angebote, an den Verhand-
lungstisch zurückzukehren. Dem Ziel, eine friedliche
Lösung zu erreichen, bleiben wir nach wie vor verpflich-
tet.
Frau Kollegin Hänsel, Sie haben jetzt die Gelegenheit
zur Nachfrage.
Danke schön. – Herr Staatsminister, ich hatte eigent-lich gefragt, wie Sie sich zu der Mobilmachung von68 000 Soldaten durch die ukrainische Regierung posi-tionieren. Dazu haben Sie aber keinen Satz gesagt. An-gesichts dieser auch sehr einseitigen Positionierung weißich nicht, ob die Bundesregierung geeignet ist, zu einerKonfliktlösung beizutragen; denn nicht die russische Ar-mee hat Mariupol beschossen. Wenn Sie sagen: „Russ-land hält sich nicht an das Minsker Abkommen“ und imgleichen Satz sagen, dass die Rebellen Mariupol be-schossen hätten, dann frage ich mich, wie Sie zu dieserEinschätzung kommen. Es ist ja nicht die russische Ar-mee gewesen, die da geschossen hat.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7723
Heike Hänsel
(B)
Nun zu meiner Zusatzfrage. Es gibt 500 MillionenEuro Kreditmittel seitens der Bundesregierung für dieUkraine. Sie sagten in einer Antwort, dass Sie davonausgehen, dass die ukrainische Regierung diese Mittelvorrangig für den Wiederaufbau und die soziale Ent-wicklung verwendet. Können Sie sicherstellen, dass keinGeld davon für den Krieg verwendet wird, wenn nun soviel Geld für die Mobilmachung ausgegeben wird?
Ich weiß nicht, wie Sie zu Ihrer Wahrnehmung kom-
men, wir seien einseitig. Immerhin sind bis jetzt alle Ge-
spräche im sogenannten Normandie-Format unter Betei-
ligung Frankreichs, Deutschlands, Russlands und der
Ukraine auf ausdrücklichen Wunsch beider Konfliktpar-
teien zustande gekommen. Sowohl der ukrainische Prä-
sident als auch die russische Führung haben uns auf
Grundlage dieses Formats um Vermittlung gebeten.
Wir sind mitnichten einseitig. Selbstverständlich
drängen wir beide Seiten zur Erfüllung dessen, was sie
schon längst im Rahmen des Minsker Abkommens zuge-
sagt haben. Wir drängen die ukrainische Regierung wei-
terhin, den Reformprozess zu beschleunigen, zu dezen-
tralisieren und den nationalen Dialog noch engagierter
zu führen. Aber wir müssen die Maßstäbe wahren. Ich
habe in meiner Antwort darauf hingewiesen, dass derzeit
aggressive Gewalt in erster Linie von den von Russland
unterstützten Separatisten ausgeht. Dem habe ich nichts
weiter hinzuzufügen.
Da Sie mich nach der Position bzw. der Bewertung
der Bundesregierung – –
Herr Staatsminister, darf ich Sie bitten, sich an die
Zeit zu halten?
Aber natürlich. Dann lasse ich das.
Eine Nachfrage.
Danke schön. – Meine Zusatzfrage bezüglich der Ver-
wendung der 500 Millionen Euro Kredithilfe ist eben-
falls nicht beantwortet worden. Auch zur Mobilmachung
von 68 000 Soldaten, auf die sich meine ursprüngliche
Frage bezieht, haben Sie nichts gesagt. Ich kann also
nicht davon ausgehen, dass meine Fragen beantwortet
werden. Trotzdem probiere ich es noch einmal mit mei-
ner zweiten Nachfrage bezüglich der einseitigen Bewer-
tung. Ist denn der Bundesregierung – das hat der Focus
gemeldet – ein Schreiben des russischen Präsidenten
Wladimir Putin an Präsident Poroschenko vom 16. Ja-
nuar 2015 bekannt, in dem er konkrete Vorschläge zum
Abzug schwerer Militärtechnik aus dem Donbass macht,
sowie die Tatsache, dass der ukrainische Präsident bis
heute nicht darauf eingegangen ist, sämtliche Vorschläge
abgelehnt bzw. keinerlei Gegenvorschläge gemacht hat
und erneut mit den Kampfhandlungen begonnen hat?
Der Rückzug des schweren Geräts, Frau Kollegin,
war das Ergebnis der vor kurzem geführten Gespräche
der Außenminister – die kürzlich zusammengekommen
sind –, in denen sich beide Seiten hierauf verständigt ha-
ben. Selbstverständlich erwarten wir von allen Beteilig-
ten, dass dies umgesetzt wird. Sie wissen aber genauso,
dass die Separatisten weiterhin mit schweren Waffen
ausgerüstet werden.
Im Übrigen ist Ihnen sicherlich bekannt, dass die
Bundesregierung immer wieder darauf hingewiesen hat,
dass die Verhängung des Kriegszustandes durch die
Ukraine sicherlich nicht zur Deeskalation beigetragen
hat. Sie werden mich jedoch nicht daran hindern können,
deutlich zu machen, wo die Hauptverantwortung liegt:
Die Hauptverantwortung liegt insbesondere bei den Se-
paratisten, von denen aggressive Gewalt ausgeht.
Vielen Dank. – Wir kommen zur Frage 32 des Kolle-
gen Hans-Christian Ströbele:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung im Einzel-
nen dazu, wohin die von ihr im letzten Jahr an die Kurden im
Nordirak gelieferten Waffen gelangt sind, und wie will die
Bundesregierung sicherstellen, insbesondere im Hinblick auf
eine mögliche Mitverantwortung durch die Lieferung der
Waffen und Berichte, dass Kritiker der kurdischen Autono-
mieregierung vom Geheimdienst der Autonomieregierung
oder Privatmilizen in Geheimgefängnisse gebracht und dort
solche Zwecke oder in Auseinandersetzungen zwischen ver-
schiedenen kurdischen Gruppen – Peschmerga und PKK –
eingesetzt werden?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
Frau Präsidentin! Herr Kollege Ströbele, Sie wissen,dass die militärische Ausrüstungshilfe – das sind nicht inerster Linie Waffen, sondern das sind auch Güter wieSchutzausrüstung, Sanitätsausstattung, Feldküchen – inArbil dem Peschmerga-Ministerium und damit der Re-gierung der Region Kurdistan-Irak übergeben werden.Diese Regierung hat sich in einer sogenannten Endver-bleibserklärung zu verpflichten – sie hat diese Erklärungzu unterzeichnen –, dass die gelieferte militärische Aus-rüstung nicht an Dritte weitergegeben wird. Bislang lie-gen der Bundesregierung keinerlei Erkenntnisse vor,dass dieser Endverbleibserklärung zuwidergehandeltwird.Im Übrigen – auch das zeigen die Bilder und dieNachrichten aus den Medien – benötigen die Pesch-merga die gelieferte Ausrüstung dringend, um täglichAngriffe von ISIS auf einer über 1 000 Kilometer langenFront abzuwehren und ISIS zurückzudrängen, etwa imSindschar-Gebirge. Die gelieferte Ausrüstung wird nachuns vorliegenden Informationen im Gefecht eingesetzt,und die Munition wurde bislang zum Großteil ver-braucht.
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7724 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
(C)
(B)
Herr Kollege Ströbele.
Herr Staatsminister, ich habe eigentlich gefragt, wo
jeweils die gelieferten Waffen – nach den Hilfsgütern
habe ich Sie und auch die Bundesregierung nicht gefragt
– geblieben sind. Können Sie ausschließen, dass diese
Waffen – mir geht es um die Waffen, also MILAN-Rake-
ten, Gewehre und was auch immer – auch zu anderen,
zum Beispiel zu kurdischen Truppen, gekommen sind?
Sie weisen zutreffend darauf hin, dass da Kämpfe
stattfinden. Geben Sie mir recht, dass eine Hauptlast des
Kampfes gegen ISIS bzw. IS auch von der PKK getragen
wird, also einer kurdischen Gruppe, wie wir wissen, und
zwar sowohl im Nordirak als auch in Nordsyrien?
Ich kann aufgrund Ihrer Zusatzfrage meine erste Ant-
wort gerne präzisieren, Herr Kollege Ströbele. Wir leiten
die Waffen an die Regierung der Region Kurdistan-Irak
weiter. Wie diese Waffen dann von der kurdischen Re-
gierung konkret eingesetzt werden, liegt natürlich im Er-
messen des Militärs und richtet sich nach den militäri-
schen Notwendigkeiten. In diese Frage sind wir nicht
eingebunden.
Worin wir aber eingebunden sind, ist die Verpflich-
tung der Regierung durch die Endverbleibserklärung.
Wir haben bislang keinen Anlass, daran zu zweifeln,
dass die Waffen, so wie es die Endverbleibserklärung be-
sagt, ausschließlich von der legitimierten Regierung
bzw. von ihren Militäreinheiten verwendet werden.
Herr Kollege Ströbele.
Das beruhigt mich überhaupt nicht, weil Sie zur PKK
aus Gründen, die ich nachvollziehen, aber nicht billigen
kann, keinerlei Aussagen machen. Sie wissen, dass die
PKK der wichtigste militärische Faktor bei der Abwehr
des IS im Nordirak gewesen ist. Außerdem ist die PKK
der mit Abstand wichtigste Faktor in Nordsyrien bei der
weitgehenden Befreiung von Kobane. Dazu nehmen Sie
überhaupt keine Stellung. Haben die nun die deutschen
Waffen, ja oder nein?
Ich habe Ihnen mitgeteilt, dass die von uns gelieferten
Waffen wie auch die sonstigen Güter an die Regierung
der Region Kurdistan-Irak weitergegeben werden. Diese
Regierung trägt die Verantwortung dafür, dass diese
Waffen nur an die Militäreinheiten gehen, die sich im
Verantwortungsbereich dieser Regierung befinden. Wir
legen großen Wert darauf – wir nehmen da auch die Re-
gierung in die Pflicht –, dass das genau so gemacht wird.
Wir haben bislang keinen Anlass, zu vermuten, dass die
Waffen in die falschen Hände geraten sind.
Das ist unser Erkenntnisstand.
Vielen Dank. – Herr Staatsminister, die Kollegin
Hänsel hat noch eine Nachfrage. Bitte schön, Frau
Hänsel.
Danke schön. – Herr Staatsminister, Sie haben mehr-
fach auf die Endverbleibserklärung hingewiesen. Dazu
muss man wirklich sagen: Das ist langsam eigentlich ein
völlig inakzeptabler Beweis. Man macht sich ja schon
lächerlich, wenn man die Endverbleibserklärung er-
wähnt. Das ist ein Papier, das unterschrieben wird.
Sie erwähnen auch, dass Sie offizielle Endverbleibs-
erklärungen vonseiten der US-Behörden für Sig-Sauer-
Pistolen haben. Diese Pistolen sind illegalerweise in
Kolumbien gelandet. Ferner berufen Sie sich auf End-
verbleibserklärungen vonseiten Mexikos. Dennoch sind
etwa in der mexikanischen Provinz Guerrero deutsche
Waffen im Zusammenhang mit dem Verschwinden der
43 Studenten sichergestellt worden. Sie können uns doch
nicht immer wieder erzählen: Es gibt da eine Endver-
bleibserklärung. – Fühlen Sie sich da nicht eigentlich
selbst langsam ein bisschen lächerlich?
Ich fühle mich überhaupt nicht lächerlich. Sie wissen,
dass wir hier einen Konflikt haben, den wir offen austra-
gen müssen, und diesen Konflikt tragen wir mit Ihnen
aus.
Wir sind dafür – wir wissen um die Schwierigkeiten
und auch um die Risiken –, dass in dieser ganz besonde-
ren Situation nicht nur Hilfsgüter, sondern auch Waffen
an die Regierung der Region Kurdistan-Irak geliefert
werden, und das ist uns nicht leichtgefallen. Wir verfü-
gen über das Instrument der Endverbleibserklärung, und
diese Verpflichtung ist die dortige Regierung eingegan-
gen; sie hat die entsprechende Erklärung unterzeichnet.
Auch wenn sie Ihnen nicht viel wert sein mag, ist sie das
richtige Mittel. Wir achten sehr genau auf die Einhal-
tung.
Wir gehen im Übrigen, Frau Kollegin Hänsel, jeder
Kritik, jeder Nachfrage und jedem Verdacht, dass die Er-
klärung nicht befolgt worden sei, sehr aufmerksam nach.
Vielen Dank. – Die Frage 33 der Kollegin Dağdelenwird schriftlich beantwortet.Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs desAuswärtigen Amts, und deshalb bedanke ich mich beimStaatsminister Roth für die Beantwortung der Fragen.Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fra-gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. GünterKrings zur Verfügung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7725
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
(B)
Die Frage 34 der Kollegin Dağdelen wird schriftlichbeantwortet.Ich rufe Frage 35 des Kollegen Hans-ChristianStröbele auf:Welche Aufträge erteilten Bundesbehörden vor allem zwi-schen den Jahren 2001 und 2006 der damals gegen die Ham-burger linke Szene eingesetzten verdeckten Ermittlerin – bzw.„Beamtin für Lageaufklärung“, BfL – „Iris Schneider“ desHamburger Landeskriminalamtes, welche unter anderem fürden Generalbundesanwalt derweil mindestens zweimal tätigwar, unter anderem im November 2003 während einer Razzia-Durchsuchung im dortigen Radiosender FSK, die das Bundes-
tung vom 5. Januar 2015), und welche durch „Iris Schneider“während solcher verdeckten Einsätze im Auftrag von Bundes-oder Länderbehörden erhobenen vor allem personenbeziehba-ren Daten übermittelte sie direkt oder indirekt – etwa viaHamburger Sicherheitsbehörden – an Bundesbehörden wieetwa das Bundesamt für Verfassungsschutz?Bitte schön, Herr Parlamentarischer Staatssekretär.D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Ströbele, das Bundeskrimi-
nalamt war vom Generalbundesanwalt im Zeitraum vom
Oktober 2002 bis April 2004 mit polizeilichen Ermitt-
lungen beauftragt, bei denen ein verdeckter Ermittler des
Landeskriminalamtes Hamburg eingesetzt wurde. Der
Einsatz des verdeckten Ermittlers erfolgte unter Führung
durch einen VE-Führer des Landeskriminalamtes Ham-
burg. Weiterhin war das Landeskriminalamt Schleswig-
Holstein vom Generalbundesanwalt im Zeitraum von
2004 bis 2006 mit polizeilichen Ermittlungen beauftragt,
bei denen ebenfalls verdeckt ermittelt wurde. Aufgrund
bereits bestehender Zugänge durch seine vorausgegan-
gene Tätigkeit als Beschaffer für Lageinformationen be-
stand der konkrete Auftrag des verdeckten Ermittlers
darin, Kontakt und Informationen zu Personen zu gewin-
nen, die als Kontaktpersonen für flüchtige Beschuldigte
infrage kommen, um so neue Fahndungsansätze erlan-
gen zu können. Durch den Einsatz des verdeckten Er-
mittlers konnten jedoch keine relevanten Informationen
gewonnen werden.
In dem Zeitraum des VE-Einsatzes von Oktober 2002
bis April 2004 ergaben sich nach Kenntnis des Bundes-
kriminalamtes drei zunächst für relevant erachtete Perso-
nenkontakte, über die auch dann berichtet wurde.
In den vorliegenden Einsatzberichten werden zwar
weitere Personen, denen der VE im Rahmen seines Ein-
satzes begegnet ist, namentlich genannt; über die bloße
namentliche Erwähnung hinaus erfolgt jedoch keine
weitere Berichterstattung zu diesen Personen. Ich ver-
weise insoweit auf die Beantwortung der Kleinen An-
frage der Fraktion Die Linke vom 15. Januar 2015; ich
kann Ihnen bei Bedarf auch gern noch die Drucksachen-
nummer sagen.
Seitens des Bundeskriminalamtes ist keine Übermitt-
lung der durch den verdeckten Ermittler erhobenen per-
sonenbezogenen Daten an Nachrichtendienste des Bun-
des oder der Länder erfolgt.
Der Bundesregierung ist die weitere Beantwortung
der Frage im Rahmen der Fragestunde aus Geheimhal-
tungsgründen nicht möglich. Die weitere Antwort der
Bundesregierung muss als „Verschlusssache – Geheim“
eingestuft werden. Diese Teilantwort kann bei der Ge-
heimschutzstelle des Deutschen Bundestages – Sie ken-
nen das Verfahren – nach Maßgabe der Geheimschutz-
ordnung eingesehen werden. Das ist sozusagen der
kleinere Teil der Antwort. Diesen Teil kann ich Ihnen
heute hier nicht geben, Herr Kollege.
Vielen Dank. – Herr Kollege Ströbele.
Ich finde es nett, dass Sie immer von dem verdeckten
Ermittler reden. Reden wir von derselben Person, „Iris
Schneider“?
D
Wir reden nicht über Personen. Wenn ich eine masku-
line Form verwende, kann es eine Frau oder ein Mann
sein.
– Eindeutig muss man es ja ausdrücken.
Aber jetzt keine Zwiegespräche, Herr Parlamentari-
scher Staatssekretär. Der Kollege Ströbele hat jetzt das
Wort. Bitte schön.
Ich frage jetzt nach „Iris Schneider“ – das habe ich
auch in meiner Frage gefragt –, nämlich: War sie in ir-
gendeiner Form an der Razzia in dem Radiosender im
November 2003 beteiligt, von der das Bundesverfas-
sungsgericht später festgestellt hat, dass sie verfassungs-
widrig gewesen ist? Wenn es stimmt, dass sie dabei war,
dann hat sie zu einer verfassungswidrigen Aktion der
Bundesanwaltschaft beigetragen.
D
Weder hatte die verdeckte Ermittlungsperson – um esvielleicht etwas korrekter auszudrücken;
ich gehe davon aus, dass wir über die gleiche Personsprechen – den Auftrag, bei diesem Radiosender tätig zuwerden – das ist schon einmal angesprochen worden –,noch hatten die Behörden offenbar Kenntnis von der Tä-tigkeit dort. Insoweit kann ich die Frage beantworten.
Metadaten/Kopzeile:
7726 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
(B)
Herr Kollege Ströbele, noch eine weitere Nachfrage?
Ja. – Heißt das, dass sie im Rahmen dieser Aktion, die
zu der Durchsuchung geführt hat, die verfassungswidrig
gewesen ist, wie wir inzwischen wissen, gar nicht betei-
ligt gewesen ist?
D
Ich habe gesagt, dass sozusagen der Auftrag, dort zu
arbeiten, nicht von den Behörden kam und dort auch die
Kenntnis wohl nicht vorhanden war. Insofern würde ich
die Schlussfolgerung, die Sie jetzt ziehen, persönlich
auch ziehen; allerdings bin ich etwas vorsichtiger, weil
ich die Information im Ergebnis nicht habe; aber es ist
jedenfalls naheliegend. Wenn sie dort nicht im Auftrag
und nicht einmal mit Wissen der Behörden gearbeitet
hat, ist jedenfalls für mich an der Stelle heute und hier
schwer erkennbar, wie sie in diese Aktion involviert ge-
wesen sein sollte.
Vielen Dank.
Wir kommen dann zur Frage 36 des Kollegen Volker
Beck:
Welche Schritte wurden bisher unternommen, um den Ver-
bleib der Hamas auf der europäischen Liste terroristischer
Vereinigungen innerhalb der Übergangsfrist von drei Monaten
auf Tatsachen zu stützen, die in Entscheidungen zuständiger
nationaler Behörden geprüft und bestätigt wurden, und wel-
che Aktivitäten hat die Bundesregierung hierzu inzwischen
unternommen?
Die Beantwortung nimmt wieder der Parlamentari-
sche Staatssekretär Dr. Krings vor. Bitte.
D
Gern. – Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren!
Herr Kollege Beck, der Rat der Europäischen Union hat
am 14. Januar dieses Jahres Einlegung von Rechtsmit-
teln beim Europäischen Gerichtshof gegen das Urteil des
Europäischen Gerichts erster Instanz vom 17. Dezember
2014 zur Aufhebung der Listung der Hamas beschlos-
sen. Dies wurde durch die EU-Außenminister auf der
Sitzung des Rates für Außenbeziehungen am 19. Januar
2015 in Brüssel bestätigt. Die Frist für die Einlegung
von Rechtsmitteln beträgt zwei Monate. Deutschland hat
sich wie alle anderen EU-Mitgliedstaaten für die Einle-
gung von Rechtsmitteln ausgesprochen. Durch das
Rechtsmittel ist die Entscheidung des Europäischen Ge-
richts zunächst nicht zu vollziehen. Die zweite Instanz,
die über diese Entscheidung des erstinstanzlichen Ge-
richts zu entscheiden hat, ist der Europäische Gerichts-
hof.
Die Bundesregierung hielte eine Entlistung von Ha-
mas für ein grundfalsches Signal und wird daher den Rat
mit all ihren Möglichkeiten dabei unterstützen, neue In-
formationen vorzulegen, um die Begründung der Lis-
tung auf anerkannte Beweise zu stützen und damit ge-
richtsfest zu machen. Auch andere EU-Mitgliedstaaten
liefern weitere Informationen. Die Bundesregierung
steht in dieser Frage in engem Kontakt mit ihren Part-
nern.
Derzeit werden dem Rat Gerichtsentscheidungen der
Staaten zur Verfügung gestellt, die den Charakter der
Hamas entsprechend beschreiben. Diese sollten nach der
europäischen Rechtsprechung geeignet sein, die Begrün-
dung einer Listung der Hamas weiter zu untermauern.
Darunter fallen auch zwei Entscheidungen des Bundes-
verwaltungsgerichts, in denen es um das aufrechterhal-
tene Verbot von Spendensammelorganisationen für die
Hamas geht.
Herr Kollege Beck.
Das begrüße ich außerordentlich. Ich glaube, wir sind
uns darin einig, dass erstens die Hamas eine Terrororga-
nisation ist und man zweitens auch die Feinde des
Rechtsstaates und der Demokratie rechtsstaatlich be-
kämpfen muss. Daher müssen wir die Rüge des Europäi-
schen Gerichtshofs in ihrem formalen Teil ernst nehmen.
Deshalb wollte ich wissen, welche Tatsachen die Bun-
desregierung der Europäischen Kommission an die Hand
geben wird, die den Anforderungen des Urteils entspre-
chen, nämlich Entscheidungen zuständiger nationaler
Behörden, die geprüft und bestätigt wurden. Das Pro-
blem ist: Einerseits können wir aus den bekannten Ge-
heimschutzgründen keine Geheimdienstinformationen
vorlegen. Andererseits reicht es nicht aus, Presseberichte
und URLs aus dem Internet zur Beweisbekräftigung vor-
zutragen.
D
Da stimme ich Ihnen vollkommen zu. Ich weise nocheinmal auf die beiden genannten Entscheidungen desBundesverwaltungsgerichts hin, die in einem öffentli-chen – zumindest gerichtlichen – Verfahren getroffenwurden und sehr gut als Informationen eingebracht wer-den können. Ich weiß nicht, inwieweit dort Geheim-schutztatbestände erfüllt waren. Diese Informationensind von einer Behörde eingebracht und von einem Ge-richt überprüft worden. Diese Entscheidungen werdenzurzeit aufbereitet. Im Verbund mit anderen Entschei-dungen haben wir durchaus Grund für die Aussicht, dassdies Erfolg haben wird.Ich bin nicht sicher, ob das für dieses konkrete Ver-fahren ausreicht; aber im Übrigen wird zurzeit die Ver-fahrensordnung des Gerichts in erster Instanz überarbei-tet. Da geht es auch um neue Regeln zur Behandlungvertraulicher Dokumente. Daran krankt es offenbar imeuropäischen Verfahren noch etwas. Wenn es um dieEinführung vertraulicher Dokumente in Gerichtsver-handlungen geht, dann sind wir nationalstaatlich offen-bar etwas weiter.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7727
(C)
(B)
Vielen Dank. – Herr Kollege Beck, noch eine Nach-
frage?
Vielleicht können Sie uns dies sagen: Geht es bei den
Tatsachen, die die Bundesregierung beisteuert, nur um
die Gegenstände aus den beiden Gerichtsentscheidun-
gen, die Sie zitiert haben, oder wird die Bundesregierung
weitere Tatsachen, die durch nationale Behörden geprüft
und bestätigt wurden, vorlegen? Wenn ja, welche? –
Wenn Sie diese Antworten in Ihrem Haus nicht vorberei-
tet haben, dann dürfen Sie mir gern schriftlich nachbe-
richten.
D
Wir schauen natürlich breit gefächert, welche Infor-
mationen hier geeignet sind. Insbesondere gilt das für
die beiden Gerichtsentscheidungen. Ich gehe davon aus,
dass auch andere Informationen dahin gehend gesichtet
werden, ob es relevante Dinge gibt. Konkret bekannt
sind mir diese beiden Gerichtsentscheidungen. Wenn Sie
mögen, können wir gern nachsehen, inwieweit wir noch
über andere Informationen berichten können.
Vielen Dank. – Wir kommen zum Ende der Frage-stunde, da die Frage 37 des Abgeordneten HubertusZdebel, die Frage 38 des Abgeordneten Andrej Hunko,die Frage 39 des Abgeordneten Dr. Alexander S. Neuund die Fragen 40 und 41 der Abgeordneten ErikaSteinbach schriftlich beantwortet werden.Ich bedanke mich beim Parlamentarischen Staatsse-kretär für die Beantwortung.Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENHaltung der Bundesregierung zum EZB-An-leihekaufprogrammIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Gerhard Schick, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das Aufkaufprogramm der Europäischen Zentralbank,das letzte Woche beschlossen wurde, ist in seiner Di-mension einzigartig. Es ist vielleicht die wichtigste wirt-schaftspolitische Entscheidung unserer Zeit. Man hat esin den Medien gemerkt; denn es gab einen riesigen Um-fang der Debatte. Auch viele von uns haben sich dazugeäußert.Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, weil wirmeinen, dass auch hier darüber diskutiert werden muss.Wir haben uns zunächst gewundert, warum Sie einervereinbarten Debatte nicht zugestimmt haben. Wir habenuns dann aber nicht mehr gewundert; denn die Debatteist für Sie natürlich unangenehm. Ich will auch sagen,warum das so ist.Die Lage in der Euro-Zone ist schwierig. Wir habenin vielen Ländern Massenarbeitslosigkeit. Manche Län-der sind in einer Deflation, also in einer gefährlichenwirtschaftlichen Lage. Die Inflationsraten sind unter dieNulllinie gesunken. Das bedeutet: Die Europäische Zen-tralbank, die das Ziel einer Inflation von 2 Prozent ver-folgt, muss dringend etwas tun, wenn sie ihre Glaubwür-digkeit nicht verlieren will.In dieser Situation gibt es zwei Möglichkeiten. Dieeine Möglichkeit ist, dass nur die Europäische Zentral-bank handelt, dass also nur geldpolitische Maßnahmenergriffen werden. Das passiert gerade. Natürlich hat dies,wie viele Ökonomen zu Recht sagen, problematischeNebenwirkungen. Wir sehen schon jetzt, dass die Ak-tienkurse in die Höhe gehen. Das hat unerwünschte Ver-teilungswirkungen und schafft neue Blasen; denn es istnatürlich keine nachhaltige Wertsteigerung. Wir sehen,dass die Währungsrelationen, am Schweizer Frankendeutlich sichtbar, Unruhe in die Wirtschaft bringen. Alldas sind gefährliche Nebenwirkungen.Man muss sich daher fragen: Was ist eigentlich dieAlternative? Die Alternative ist – das schlagen auch wirvon Bündnis 90/Die Grünen vor –, dass man die Last derStabilisierung der europäischen Wirtschaft nicht alleinder Europäischen Zentralbank aufbürdet, sondern dassauch die Regierungen in Europa ihren Teil zur Stabilisie-rung beitragen. Das könnte dadurch erreicht werden,dass private und vor allem öffentliche Investitionen ge-zielt angeregt werden.
Aber das passiert nicht. Die Bundesregierung beharrt da-rauf, eine kurzsichtige Sparpolitik in Europa durchzuset-zen. Sie freut sich über symbolische Effekte. Damitbleibt die Last bei der Europäischen Zentralbank, ver-bunden mit den unerwünschten Nebenwirkungen, diewir nicht hätten, wenn es ein ausgewogenes Verhältniszwischen geldpolitischen Maßnahmen und dem, was dieRegierungen tun, gäbe.Man muss all diejenigen, die unzufrieden sind undsich über die Politik der Europäischen Zentralbank är-gern, auffordern, ihre Protestbriefe nicht nach Frankfurt,sondern nach Berlin an das Bundeskanzleramt zu schi-cken;
denn da werden Maßnahmen blockiert, die die notwen-digen öffentlichen Investitionen in Europa voranbringenkönnten. Diese Investitionen könnten Druck von der Eu-ropäischen Zentralbank nehmen; sie müsste weniger tun.Dann könnten wir eine Politik betreiben, mit der vor al-lem die Verteilungs- und die sozialen Probleme in An-griff genommen werden, und unsere Zukunft entspre-chend gestalten.
Metadaten/Kopzeile:
7728 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Dr. Gerhard Schick
(C)
(B)
Geldpolitische Maßnahmen wirken diffus, mit uner-wünschten Verteilungswirkungen. Daraus entstehennicht unbedingt reale Investitionen. Wir schlagen einenGreen New Deal vor, eine Strategie, mit der Investitio-nen der öffentlichen Hand und auch der privaten Wirt-schaft gezielt angeregt werden. Damit können wir wich-tige Zukunftsprobleme wie den Klimawandel in Angriffnehmen, die Digitalisierung unserer Wirtschaft voran-bringen und für die Zukunft vorsorgen. Genau das blo-ckieren Sie. Das wäre aber die richtige Lösung.
Schauen Sie sich doch die Lage an. Es gibt mit demJuncker-Plan eine richtige Initiative auf europäischerEbene. Dies ist grundsätzlich die richtige Idee. Die Bun-desregierung hingegen verfolgt ein Sammelsurium vonProjekten ohne klare Entwicklungsrichtung. Teilweisehandelt es sich um irgendwelche Autobahnneubauten,anstatt einmal richtig zu sanieren. Außerdem gibt eskeine Finanzierungszusagen aus Berlin. So wird es na-türlich nichts mit den Investitionen in Europa.
Was Sie machen, ist so schofel, so wohlfeil, so billig.Bei der Kritik aus Ihren Reihen hat sich der KollegeMichelbach am meisten verstiegen, indem er den Präsi-denten der Europäischen Zentralbank, der Ihre Fehlerausputzen muss, als Fehlbesetzung bezeichnet hat. Ichhoffe, Sie entschuldigen sich in dieser Debatte für dieseEntgleisung, Herr Kollege.
Es ist schofel, die zweite Reihe kritisieren zu lassen.Die Regierung ist eigentlich froh über die jetzige Situa-tion; denn Ihre symbolischen Erfolge in der Haushalts-politik haben Sie nur dem zu verdanken, was die Euro-päische Zentralbank in Frankfurt macht. Seit Ausbruchder europäischen Finanzkrise hat Deutschland aufgrundniedriger Zinsen 130 Milliarden Euro eingespart. Das istdie Grundlage dessen, was Sie feiern. Seien Sie ehrlichund stehen Sie wenigstens dazu! Blockieren Sie nichtwichtige Zukunftsprojekte in Europa, wie Sie es heutetun!Danke schön.
Vielen Dank. – Für die Bundesregierung spricht jetzt
der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter.
S
Charmante Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Das Thema der Aktuellen Stunde, beantragtvon Bündnis 90/Die Grünen, ist die Position der Bundes-regierung zu den aktuellen Entscheidungen der Europäi-schen Zentralbank. Dazu hat mein Vorredner relativ we-nig beigetragen. Damit ihm klar wird, worum es geht,will ich deutlich sagen: Für die Bundesregierung ist dieEuropäische Zentralbank, in der Tradition der DeutschenBundesbank fortentwickelt, die unabhängige geldpoliti-sche Institution, die für die Stabilität unserer Währung inDeutschland und innerhalb der Euro-Zone sorgen soll,dies mit Erfolg in den vergangenen Jahren getan hat undsicher auch in Zukunft tun wird. Das ist unsere grund-sätzliche Auffassung.
Wenn eine Fraktion des Deutschen Bundestages eineEntscheidung der Europäischen Zentralbank diskutierenmöchte, ist das ihr gutes Recht. Die Bundesregierunghält aber an ihrer bisherigen Position fest, dass die Unab-hängigkeit der Zentralbank ein hohes Gut ist. Unabhän-gigkeit endet nicht bei der Frage, ob man einer Entschei-dung der Institution zustimmt oder nicht; sie istumfassend zu respektieren.
Zusammenfassend kann ich sagen: Wir respektierendie Entscheidung, die sich auf Artikel 18 Absatz 1 derEZB-Satzung stützt. Mehr ist dazu nicht zu sagen. Sie,meine sehr verehrten Damen und Herren vom Bünd-nis 90/Die Grünen, zerren die Unabhängigkeit der Zen-tralbank an den Rand des Zulässigen. Die Bundesregie-rung wird Ihnen dabei nicht folgen.
Herr Kollege Schick, da Sie wie ich ein Diplom-Volkswirt sind, haben Sie nicht nur Unrichtiges gesagt,sondern auch auf die Verantwortungsteilung zwischenGeldpolitik und Fiskalpolitik hingewiesen. Das fand ichrichtig. Es ist eine Binsenweisheit, dass man eine guteGeldpolitik für eine nachhaltige Wirtschafts- undWachstumspolitik braucht. Man braucht auch eine an-ständige Fiskalpolitik und eine Politik für mehr Wettbe-werbsfähigkeit in Europa. Das ist genau das Motiv desJahreswirtschaftsberichts, den wir heute im Bundeskabi-nett besprochen haben. Wir brauchen mehr Investitionenin die Wettbewerbsfähigkeit in Deutschland. Das ist Zielder Politik der Bundesregierung. Das Gleiche brauchenwir in Europa. Dazu bedarf es Gott sei Dank keiner Er-mahnung durch die Opposition; denn das ist die erklärtePolitik dieser Koalition.
Wir sehen Investitionen als den Schlüssel für mehrWettbewerbsfähigkeit. Nur wenn eine Volkswirtschaftinvestiert, wird sie auf Dauer wettbewerbsfähig bleiben.
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Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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Deswegen haben wir unsere Investitionen in den vergan-genen Jahren gesteigert, insbesondere in den BereichenBildung und Forschung. Wir wollen der Innovationsmo-tor des Wachstums in Europa sein. Die Hightech-Strate-gie und die Industrie 4.0 spielen daher eine zentraleRolle in unseren investitions- und wirtschaftspolitischenBemühungen.Wir wollen selbstverständlich nicht nur in die digitaleInfrastruktur, sondern auch in die Verkehrsinfrastrukturinvestieren. Dafür wollen wir in Deutschland in Zukunftstärker privates Kapital mobilisieren. Privat und Staatkönnen gemeinsam für eine leistungsfähige InfrastrukturSorge tragen.
– Herr Kollege Schick, die Telekommunikationsinfra-struktur ist ausschließlich mit privaten Geldern finan-ziert worden. Sie können doch nicht behaupten, dass pri-vat finanzierte Infrastruktur nicht leistungsfähig ist.
Ich kenne kaum ein leistungsfähigeres Telekommunika-tionsnetz als das der Bundesrepublik Deutschland, dasdurch privates Kapital finanziert wurde. Das sollten Siesich einmal hinter Ihre Ohren schreiben.
– Das heißt nicht, dass es keine Lücken gibt. Aber wirarbeiten daran. Das private Kapital ist da sehr mobil.Was ich noch erwähnen möchte, Herr Kollege Schick,ist Ihre Unverfrorenheit, mit der Sie darüber hinwegge-hen, dass die Bundesregierung eine derjenigen Regie-rungen in Europa war, die mit als erste und nachhaltigden Vorschlag von Jean-Claude Juncker, dem neuen Prä-sidenten der Europäischen Kommission, für mehr Inves-titionen in Europa unterstützt hat.
Wir stehen ausdrücklich an der Seite von Jean-ClaudeJuncker, der mit seiner Initiative weitaus mehr als300 Milliarden Euro an zusätzlichen Investitionen in undfür Europa mobilisieren will. Dies ist die Politik derBundesregierung. Das haben wir in der Vergangenheitunterstützt, und das werden wir auch zukünftig unter-stützen. Das muss in aller Klarheit einmal gesagt wer-den.
Wenn es darum geht, die Initiative von Jean-ClaudeJuncker auf breitere Schultern zu stellen, sind alle28 Staaten der Europäischen Union herzlich eingeladen,da mitzumachen. Solange das nicht so ist, werden wirmithilfe der KfW in zweiter Linie über den Juncker-Planhinaus europäische Investitionen unterstützen. Am deut-schen Einsatz für mehr Wachstum und mehr Wohlstandin Europa wird unser europäisches Projekt keinesfallsscheitern. Das ist hier in aller Klarheit festzuhalten.
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Wenn das Klarheit ist!)In diesem Kontext möchte ich gerne darauf hinwei-sen, dass wir viel in nationaler Verantwortung machenkönnen; die Europäer nennen das „National Ownership“.Der Jahreswirtschaftsbericht hat in diesem Zusammen-hang beispielsweise ein investitionsfreundliches Verga-berecht und eine digitale Wettbewerbsstruktur angeführt.Das werden wir engagiert verfolgen.Aber wir werden auch unsere auf Nachhaltigkeit aus-gerichtete Finanzpolitik in Deutschland und für Europaweiterverfolgen. Investitionen und Wachstum zur Unter-stützung einer vernünftigen Geldpolitik wird es nur ge-ben, wenn die öffentlichen Haushalte in Ordnung sind.Das muss heute einmal in aller Klarheit vor dem Deut-schen Bundestag festgestellt werden.
Ich will alle, die vom EZB-Präsidenten ansonsten nurwenig hören, noch einmal daran erinnern, dass er unsaufgefordert hat, an dem Kurs für nachhaltige Finanzenin Europa festzuhalten. Er hat die europäischen Staaten– Deutschland, aber auch andere Staaten – aufgefordert,mehr für ihr Wachstum in nationaler Verantwortung zutun. Die europäische Geldpolitik, Herr Kollege Schick,ist kein Ersatz für nationale Reformen. Wer etwas ande-res glaubt, irrt.
Wenn Sie dieser irrigen Auffassung sind, weisen wir daszurück. Das ist nicht die Auffassung der Bundesregie-rung. Wir wissen, dass wir für mehr Wachstum in Eu-ropa auch mehr tun müssen.
Wir werden auch mehr tun, soweit wir dazu gemeinsammit den europäischen Partnern in der Lage sind. Das istunsere Politik, und daran werden wir nichts ändern.
Der Fraktionsvorsitzende der Grünen hat offensicht-lich übersehen, dass wir mit unserem Kurs auch bei derInvestitionsbereitschaft in und für Europa Spielräumegeschaffen haben. Wir haben gegenüber unserer bisheri-gen nationalen Haushaltsplanung 10 Milliarden Euro zu-
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Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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sätzlich für Infrastrukturinvestitionen, für wachstums-förderliche Investitionen bereitgestellt.
Wir werden dem Deutschen Bundestag zeitnah entspre-chende Überlegungen hierzu vorlegen. Ordentliches Haus-halten und mehr Investitionen gehören zusammen.Schauen Sie sich doch einmal um: Da, wo die Defizitehoch sind, sind die Investitionen niedrig. Da, wo die De-fizite niedrig sind, hat man Spielräume für mehr Investi-tionen. – Das ist verantwortliche Politik für Deutschland.Das ist verantwortliche Politik in Europa.
Herr Kollege Schick, Sie können sich hier aufregen,wie Sie wollen; Tatsache ist auch: Für mehr Investitio-nen in und für Europa zählt auch die Stabilität des Ban-kensektors. Deshalb bedanke ich mich beim deutschenGesetzgeber, dass er beherzt, zeitnah und umfassend dienotwendigen Maßnahmen zur Umsetzung der Banken-union für Deutschland ergriffen hat. Nur wenn wir einstabiles Banken- und Finanzsystem haben, haben wirauch die stabilen Rahmenbedingungen für Investitionenin Wachstum in Deutschland und Wachstum in Europa.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir wissen,wer für Geldpolitik verantwortlich ist. Wir wissen aberauch, wer für Wachstum und Wohlstand verantwortlichist. Die Bundesregierung wird das Notwendige dafürtun.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege
Michael Schlecht, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!Ich finde, das war schon eine sehr abenteuerliche Vor-stellung. Eines muss man deutlich sagen: Egal was manvon der EZB hält – ich gehöre zu denen, die dort vielessehr kritisch sehen –; aber das intellektuelle Niveau derEZB ist um Dimensionen höher als das der deutschenBundesregierung, zumindest in Gestalt dieses Parlamen-tarischen Staatssekretärs.
Die EZB hat nämlich eines begriffen: Wir haben in Eu-ropa, auch in Deutschland, ein ganz gravierendes Pro-blem, die Deflation. Sie haben kein einziges Wort überdie Gefahr der Deflation gesagt, sondern nur Ihre ver-hängnisvolle Politik apologetisch beschönigt. Das istwirklich ein starkes Stück.
Deflation bedeutet tendenziell sinkende Preise. In die-ser Logik sind wir schon, zumindest in einigen Ländern.Selbst wenn wir Öl herausrechnen, sind wir in vielenLänder unter der 1-Prozent-Marke. Konsumenten undUnternehmen schieben ihre Käufe und Investitionen auf,in der Hoffnung, die Dinge später billiger kaufen zu kön-nen. Dies lässt die Wirtschaft einbrechen und verschärftdie Misere.
Schauen Sie einmal nach Japan. Japan befindet sich seitmittlerweile 30 Jahren in einer deflationären Dauerkrise.Es ist ganz schwer, aus einer solchen Situation herauszu-finden.Die Inflationsrate in der Euro-Zone ist in den letztenzwei Jahren von 2 Prozent auf minus 0,2 Prozent gesun-ken. Die Gründe dafür sind klar: Die Konjunktur in derEuro-Zone ist viel zu schwach, weil die Staaten auf un-terschiedliche Weise zu Kürzungen verdonnert wurden.Private Haushalte leiden unter Arbeitslosigkeit undLohnkürzung. Wo sollte da die Nachfrage herkommen,die den Unternehmen höhere Umsätze beschert und ih-nen Preissteigerungen zumindest auf dem Niveau von2 Prozent erlaubt, was der von der EZB definiertenZielinflationsrate entspräche? Das sind die entscheiden-den Probleme, die wir bekämpfen müssen.
Die Hoffnung der EZB war: Die Zinsen fallen, wennsie Geld in den Markt schmeißt; dann schwimmen dieBanken im Geld und die Nachfrage springt an, und alleswird gut. – Das wird leider nicht eintreten. Der Effekt,den wir momentan erleben und weiter erleben werden,ist: Die Geldflut sorgt für steigende Aktienkurse, was einpaar Spekulanten und ein paar Banken noch reicher ma-chen wird. Zu einem allgemeinen Anstieg der Nachfragewird das nicht führen. Denn wer nimmt schon Kredite inZeiten einer europaweit so schwierigen wirtschaftlichenEntwicklung auf?
Wir haben ja jetzt schon Minizinsen.Die Deflationsgefahr ist eine Folge des Kürzungsdik-tats. Man sieht das am ausgeprägtesten an Griechenland.Dort ist in den letzten Jahren der Konsum um, sage undschreibe, ein Viertel heruntergeknüppelt worden, maß-geblich durch Interventionen der deutschen Bundesre-gierung. Die Folge ist, dass die Deflation in Griechen-land am ausgeprägtesten ist.An diesen Diktaten hat im Übrigen die EZB kräftigmitgewirkt. Als Teil der Troika setzte sie Kürzungendurch, die den Rückgang der Inflation überhaupt erstverursacht haben. Jetzt wirft sie Milliarden auf denMarkt, um genau das, was sie mit herbeigeführt hat, zubekämpfen. Die EZB ist faktisch Brandstifter und Feuer-
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Michael Schlecht
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löscher zugleich. Allerdings löscht sie das Feuer mit hei-ßer Luft. Vielleicht muss man eines Tages sagen: Sielöscht das Feuer mit Benzin. – Es ist wirklich ein Skan-dal, dass das geschieht.
EZB-Chef Mario Draghi tritt dafür ein, dass die Welt mitMilliarden geflutet wird, und gleichzeitig fordert er wei-terhin die Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und Lohn-senkungen. All das wird das Problem der Deflation, daser vorgibt zu bekämpfen, nur noch weiter verschärfen.Das nenne ich eine vollkommen irre Politik.Wir brauchen in Europa endlich ein Ende dieser Kür-zungspolitik. Die Griechen haben jetzt für einen grund-legenden Politikwechsel gestimmt. Wir sollten den auchunterstützen.
Ausgehend von Griechenland muss es endlich in Europaeine andere Politik geben, auch hier in Deutschland.
Die EZB sollte mit ihrem Geld lieber europaweite Inves-titionsprogramme finanzieren, anstatt es Banken undSpekulanten in den Rachen zu werfen. Vor allem inDeutschland brauchen wir endlich wieder deutlich stei-gende Löhne auf breiter Front. Dass der Durchschnitts-verdiener trotz aller leichten Verbesserungen der letztenJahre preisbereinigt heute immer noch 3 Prozent weni-ger Lohn hat als im Jahre 2000, macht deutlich, dassauch in Deutschland vieles im Argen liegt und hier sehrschlechte Verteilungsverhältnisse herrschen.Danke schön.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das
Wort der Kollege Carsten Schneider.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dass der Kollege Schlecht von der Linkspartei ebenGriechenland und den Politikwechsel, der dort stattge-funden hat, angeführt hat, finde ich angesichts der Koali-tionskonstellation mit Rechtspopulisten und Linkspopu-listen schon bemerkenswert. Ich glaube, dass es da eineEinigkeit gibt: Ihr Ziel ist eine Renationalisierung derPolitik und nicht eine Europäisierung. Das zeigt sich inGriechenland gerade sehr deutlich, wenn ich mir dieseKoalitionspartner angucke.
Wissen Sie, die EZB hat in den vergangenen Jahrenimmer wieder die Kohlen aus dem Feuer geholt, wenn esdarum ging, den Euro zu stabilisieren und die Europäi-sche Union und die Euro-Zone am Laufen zu halten. Dagab es viel Kritik aus Deutschland, viel Kritik, die mei-nes Erachtens unberechtigt war; denn die EZB war dieeinzige Institution, die gesichert hat, dass die Spekulatio-nen an den Finanzmärkten gegen die Staaten gestopptwurden. Das ist der große Erfolg, der sich auch in sin-kenden Zinsen oder günstigen Refinanzierungen nieder-geschlagen hat.
Herr Kollege Schick hat zu Recht darauf hingewie-sen: Die lockere Geldpolitik, die die EZB jetzt vollzieht,ist mit Gefahren verbunden, mit Vermögenspreisblasen.Das ist vollkommen klar. Wir haben die Null-Zins-Grenze erreicht. Die EZB macht Geldpolitik nicht nurfür Deutschland, sondern für den gesamten Euro-Raum.Man muss klar feststellen, dass sie ihr Inflationsziel, dasbei knapp unter 2 Prozent liegt, verfehlt. Wenn man sichdie Inflationserwartungen für einen Zeitraum von fünfJahren anguckt, dann stellt man fest: Sie liegen bei unter1 Prozent. Die EZB muss also handeln, und ich finde esrichtig, dass sie handelt. Nicht zu handeln, wäre keineOption gewesen.Wenn Sie sich die Bilanzsumme der EZB genau an-schauen, dann stellen Sie fest, dass sie bereits 2012 einVolumen von 3 Billionen Euro hatte; das ist die Ziel-marke, die Herr Draghi bzw. der EZB-Rat wieder ausge-geben haben. Derzeit beläuft sich die Bilanzsumme auf2 Billionen Euro. Sie wäre gesunken, wenn es die Ent-scheidung für das Programm zum Aufkauf von Staatsan-leihen nicht gegeben hätte. Die Bilanzsumme der EZBwäre weiter gefallen und dem Markt würde Liquiditätentzogen werden; denn die geldpolitischen Maßnahmen– Abkürzung LTRO –, den Banken günstige Kredite zugeben, damit sie das Geld verleihen, laufen aus. DieBanken geben das Geld freiwillig zurück; sie nutzen esgar nicht.Der entscheidende Punkt ist: Wir haben den Banken-sektor sehr stark reguliert – der Kollege Staatssekretärhat zu Recht darauf hingewiesen –, und im Gegenzug er-warten wir, dass er jetzt seine Aufgabe erfüllt. Die Auf-gabe ist, Kredite durch die Einlagen der Sparer zu finan-zieren, damit investiert wird. Das ist die Kernaufgabe,und ich erwarte, dass die Banken dieser Aufgabe nach-kommen.
Wenn man sich die Debatte in Deutschland, die Auf-macher der Zeitungen und die Kommentare, die teil-weise abgegeben werden, so anguckt, fragt man sichschon, in welchem Land man lebt. Wenn es nur noch da-rum geht, den Sparer und die geringeren Zinsen, die ererhält, in den Mittelpunkt zu stellen, wenn es nur nochdarum geht, dies als Gefahr an die Wand zu malen, dannfrage ich mich schon: Wo ist eigentlich die Hoffnung indie Zukunft, die dieses Land einmal ausgemacht hat?Eine Medaille hat ja immer zwei Seiten. Natürlich be-kommt der Sparer weniger Zinsen für sein angelegtesGeld; das ist klar. Aber er profitiert von einer sehr niedri-gen Inflationsrate; das gehört zur Wahrheit dazu. 6 Pro-
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Carsten Schneider
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zent Zinsen bei 5 Prozent Inflation sind auch nicht bes-ser als 1 Prozent Zinsen bei einer viel niedrigerenInflation. Der entscheidende Punkt ist doch – das ist dieandere Seite der Medaille –, dass die Investitionen ver-dammt günstig sind, dass es nie so billig war, ein Unter-nehmen zu gründen und in Wachstum zu investieren,dass es für Familien noch nie so günstig war, den Traumvom Einfamilienhaus oder einer Eigentumswohnung zufinanzieren.
Das sind die Chancen, die in dieser Entwicklung liegen.Ich finde, wir als Politiker müssen diese Chancen beto-nen. Wir dürfen nicht nur die Gefahren an die Wand ma-len.
Lassen Sie mich auf einen zweiten Punkt eingehen.Es stellt sich die Frage – Herr Schick oder HerrKampeter haben darauf hingewiesen –: Welche Aufgabehat eigentlich die Finanzpolitik? Natürlich kann die EZBnur eines machen, nämlich Geldpolitik; das ist ihre Auf-gabe. Genauso wenig, wie ich erwarte, dass die Bundes-regierung die Politik der EZB kommentiert, erwarte ich,dass die EZB die Politik von nationalen Regierungenkommentiert. Von daher hat mich schon sehr gewundert,dass sich der Bundesbankpräsident zum Wahlergebnis inGriechenland geäußert hat; aber das ist ein anderesThema.Was ist also unsere Aufgabe als Nationalstaat? Wirmüssen alles dafür tun, dass die Investitionen in Deutsch-land steigen. Die privaten Investitionen sind niedrig, ins-besondere im Unternehmenssektor. Die Aktienkursewurden genannt. Aber nicht nur die Kurse, sondern vorallen Dingen die Dividenden spielen eine Rolle. Dass dieDAX-Konzerne die Gewinne zum Großteil ausschütten,anstatt sie zu reinvestieren, zeigt mir, dass sie nicht ge-rade Hoffnung in gute Produkte und künftige Märkte ha-ben. Das macht mir Sorgen. Ich finde, sie müssen inves-tieren und ihren Kapitalstock langfristig erweitern. Siemüssen in Innovationen investieren und dadurch dafürsorgen, dass wir langfristig gute Produkte haben.Wir werden in den nächsten Wochen hier im Bundes-tag über den Haushalt 2016 und vielleicht sogar über ei-nen Nachtragshaushalt 2015 zu entscheiden haben. EinSchwerpunkt wird sein, dass wir die staatlichen Investi-tionen deutlich verstärken; Herr Kampeter hat auf die10 Milliarden Euro, die wir investieren wollen – das istdie Untergrenze –, hingewiesen. Wir werden sinnvollestaatliche Investitionen auch zur Erhaltung unseres Ka-pitalstocks auf den Weg bringen. Das wird dazu führen,dass die Nachfrage nach Gütern aus anderen Ländernsteigt. Das ist unser Beitrag, den wir hier leisten können.
Wir müssen den Weg noch weiter in Richtung einergemeinsamen Steuerpolitik gehen. Es geht dabei nichtnur um Steuerdumping von Unternehmen in Europa,dass es wettbewerbsfähige Steuersätze sind, sondernauch um Investitionen und gerechte Unternehmenssteu-ern. Jedes Unternehmen sollte dort besteuert werden, woes seinen Umsatz macht. Dann sind wir, glaube ich, ge-meinsam auf einem guten Weg.
Herr Kollege Schneider.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. – Wir wol-
len die Unterstützung, die uns die EZB zukommen lässt,
nutzen, um nach vorne zu kommen.
Danke schön.
Das Wort hat jetzt der Kollege Norbert Barthle, CDU/
CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Diese AktuelleStunde beschäftigt sich mit der „Haltung der Bundes-regierung“ zu den Maßnahmen der EZB. Dazu hat derStaatssekretär Steffen Kampeter eigentlich schon allesNotwendige gesagt. Ich habe großes Verständnis dafür,dass die Bundesregierung die Entscheidungen der EZBnicht kommentiert, sondern großen Wert auf die Unab-hängigkeit der EZB legt. Ich spreche auch nicht für dieBundesregierung, sondern für meine Fraktion,
und auch wir legen großen Wert auf die Unabhängigkeitder EZB.
Ich gehe davon aus, dass die EZB innerhalb ihresMandates über ihre geldpolitischen Maßnahmen unab-hängig entscheidet. Es ist unbestritten, dass man kritischnachfragen kann; das ist gar keine Frage. Ich bin über-zeugt, die eine oder andere Maßnahme wird auch nochdeutschen Verfassungsrichtern zur Beurteilung vorgelegtwerden;
dazu besteht durchaus Anlass. Ich gehe aber davon aus– ich respektiere ihre Entscheidungen auch –, dass dieEZB im Rahmen ihres Mandats handelt und ihrer geld-politischen Verantwortung gerecht wird.Interessanter wird die politische Debatte, wenn mandie Neben- und Folgewirkungen der geldpolitischenMaßnahmen für die nationalen Haushalte und die Fiskal-
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Norbert Barthle
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politik in Europa in den Blick nimmt. Das ist doch dieeigentlich spannende Frage. An diesem Punkt hören wirvon den Grünen und den Linken sehr schnell: Jetzt, da esbilliges Geld gibt, muss man mehr investieren. – Hinzu-gefügt wird dabei nicht: natürlich zulasten neuer Schul-den. Woher soll das Geld denn sonst kommen? Sie müs-sen den Menschen draußen ehrlicherweise sagen, dassSie neue Schulden machen wollen, um mehr investierenzu können.
Das wollen wir nicht. Wir halten an unserer Liniefest: Wir schaffen uns die notwendigen Investitionsspiel-räume für die Zukunft – 10 Milliarden Euro sind ge-plant; 5 Milliarden Euro stehen schon im Koalitionsver-trag – durch entsprechend konsolidierte Haushalte.
Wir sorgen für die Zukunft vor, indem wir uns die not-wendigen Spielräume erwirtschaften. Das unterscheidetuns fundamental von der linken Seite des Hauses.Etwas anderes – das ist es, was mir eigentlich Sorgenmacht –: Diese EZB-Entscheidung, die Tatsache, dassjetzt billiges Geld zur Verfügung steht, trägt offensicht-lich dazu bei, dass einige Länder in der Euro-Zone nichtmehr die Notwendigkeit sehen, Strukturreformen undHaushaltskonsolidierung weiter voranzutreiben, son-dern beim billigen Geld zugreifen. Diese Gefahr darfman nicht unterschätzen. Ich setze darauf, dass unsereBundesregierung in den entsprechenden internationalenVerhandlungen großen Wert darauf legt, dass die Maß-stäbe und Regeln des europäischen Stabilitäts- undWachstumspakts und auch die nachfolgenden Vereinba-rungen – Six-Pack, Two-Pack, Fiskalvertrag und allesandere, was in der Folge entstand – eingehalten werden.Man hört schon jetzt Signale, vor allem aus den Pro-grammländern, die darauf schließen lassen, dass mansich mit den bisherigen Bemühungen womöglich zufrie-dengibt und nicht mehr weiter reformieren will.Wir haben einen Reformstau, nicht nur in den Pro-grammländern, sondern auch in Italien und Frankreich.An dieser Stelle möchte ich aber hinzufügen, dass in Ita-lien bereits tiefgreifende Reformen auf den Weg ge-bracht wurden. Was den Arbeitsmarkt anbelangt, musszwar noch einiges umgesetzt werden, aber Italien ist aufeinem guten Weg. Ich hoffe sehr, dass Frankreich nach-zieht.
Das Einhalten der verabredeten Regeln – das gilt füralle Regeln, die wir verabredet haben – ist notwendig,um die Glaubwürdigkeit der Politik in ganz Europa auf-rechtzuerhalten. Wir haben das Problem, dass in vielenLändern eine Glaubwürdigkeitskrise entstanden ist, undzwar insbesondere in Bezug auf die europäische Politik.Deshalb sollten wir aufhören, europäische Institutionenschlechtzureden. Wir sollten gut über Europa reden.
Das nützt uns allen. Das nützt Europa, und das nützt deneinzelnen Ländern, die derzeit noch Probleme haben.
Griechenland ist schon angesprochen worden. Dazunoch eine kurze Bemerkung: Ich wundere mich schonüber die Debatte, die dort geführt wird. Es wird immerüber einen Schuldenschnitt geredet. Für uns ist Folgen-des vollkommen klar:Erstens. Das zweite Griechenland-Hilfsprogrammmuss eingehalten und bis Ende Februar abgeschlossenwerden, ohne irgendwelche Änderungen an den Verein-barungen.Zweitens. Eine Schuldenschnittdebatte hat überhauptkeine Substanz; denn Griechenland hat, da die Zins- undTilgungszahlungen ausgesetzt sind, derzeit nur ganz ge-ringe Belastungen. Was würde sich an den Haushaltsbe-lastungen ändern, wenn man einen Schuldenschnitt ver-einbaren würde? Gar nichts. Das würde allenfalls neueSpielräume für neue Schulden eröffnen, und das wäreGift für die Weiterentwicklung von Griechenland. Des-halb ist diese Debatte so unsinnig.Danke.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke spricht
jetzt der Kollege Dr. Diether Dehm.
Liebe Frau Präsidentin! Kollegen! Herr Schneider, ichmeine, Herr Schröder hat mit seiner Hartz-IV-Politik ge-wisse Anteile daran, dass wir hier als stärkste Opposi-tionspartei sitzen. Frau Merkel hat bestimmt auch ge-wisse Anteile an der Stärke von Syriza und demWahlerfolg vom Sonntag. Die europäische Arbeiterbe-wegung ist Ihnen zu tiefem Dank verpflichtet.
Aber wofür die Arbeiter, soweit sie Kleinsparer sind,keinen Grund zum Dank haben, sind Ihre Nullzinsen aufden Konten. Das war allein im letzten Jahr eine Enteig-nung in Höhe von 23 Milliarden Euro.
Das kann nicht einmal von der Inflation gegengezeichnetwerden.Draghi kauft nun für 60 Milliarden Euro marodeStaatsanleihen auf, und das im Monat.
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Dr. Diether Dehm
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Die Steuerzahler wären geschont worden, wenn Sie inden letzten fünf Jahren ein einziges Mal auf uns gehörthätten. Als wir damals den Schuldenschnitt gefordert ha-ben, befanden sich diese Schrottpapiere zu 92 Prozentnoch in der Hand von Hedgefonds und Großbanken.Diese hätten dann für ihre Gier bezahlt. Heute, wenn an-dere vom Schuldenschnitt sprechen – in Brüssel übri-gens auch andere als wir –, sind diese Papiere nicht mehrin der Hand derer, die vor fünf Jahren dafür geblutet hät-ten, sondern zu 88 Prozent in der Hand der Steuerzahler.Auf diesen Unterschied muss man hinweisen. Sie hättendamals auf uns hören sollen. Wir haben das fünf Jahrelang immer wieder gesagt.Durch die Troika und die jahrzehntelange Vorarbeitder beiden Schwesterparteien der Großen Koalition – ichsage nur als Stichwort: Steuerschonung der Milliardäre –sind 230 000 Betriebe in die Pleite getrieben worden, dieInvestitionen um fast 70 Prozent und die Wirtschafts-kraft um 25 Prozent gedrosselt worden. Die Schuldensind seither noch angestiegen. Diese Politik ist, wie ichfinde, am Sonntag völlig zu Recht überzeugend abge-wählt worden.
Jetzt gibt es drei Alternativen. Alle drei kosten denSteuerzahler übrigens ungefähr gleich viel.Erstens. Sie treiben Griechenland in den Staatsbank-rott in der Hoffnung, dass die europäische Linke schei-tert und Spanien und Portugal eingeschüchtert werden.Die insgesamt rund 245 Milliarden Euro, die geflossensind, von denen Deutschland mit 55 Milliarden Eurohaftet, wären dann im Schornstein. Ich nenne das Wahn-sinn.Zweitens. Sie treiben Griechenland in RichtungStaatsbankrott, um Neuwahlen zu erzwingen. Ultra-rechts, die „Goldene Morgenröte“, wäre dann wahr-scheinlich einer der Nutznießer. Aber das birgt das Ri-siko, dass sich plötzlich China oder Russland alsÜberbrückungsfinanziers mit erheblichen Optionen ineinem EU-Land anbieten würden. Dann zahlt zwar auchder deutsche Steuerzahler, die Annuitäten und Refundie-rungen kämen aber nicht in die EU, sondern würdennach China oder Russland gehen. Wir werden ja immerals Putin-Versteher dargestellt. Daran würden aber Siedie Schuld tragen.
Drittens. Sie machen einen Schuldenschnitt, wie ihnAlexis Tsipras fordert, im Übrigen mit Frischgeld.
Das wäre nicht teurer als die erste Alternative, aber dannbestünde zumindest eine Hoffnung auf Rückzahlung.Denken Sie an die Londoner Schuldenkonferenz von1953! Damals wurde Deutschland ein Teil seiner Kriegs-schulden erlassen. Denken Sie an den Marshallplan, den-ken Sie an den Geist des Marshallplans, der sich vondem von Versailles erheblich unterschied.Wir Linken werden oft gefragt, warum wir bei Grie-chenland so emotional sind. Lassen Sie mich das sehrpersönlich beantworten. Mein Vater wurde als 17-jähri-ger Junge aus einer antifaschistischen SPD-Familie inFrankfurt gerissen und musste als Panzerfahrer in Grie-chenland auf Partisanen schießen und ihre Dörfer zerstö-ren. Er hat mir oft davon erzählt. „Zum Glück musste ichniemandem dabei in die Augen blicken“, hat er mir ge-sagt. Zeit seines Lebens wollte er nach Griechenlandfahren und sich irgendwo entschuldigen. Leider ist ermit 48 Jahren zu früh gestorben.Darum bin ich nach Athen gefahren und habe dort ge-sprochen, gesungen und auf Kundgebungen mit meinemFreund Alexis Tsipras meines Vaters Geschichte erzähltund mich entschuldigt für die Verbrechen der Wehr-macht und für die NS-Zwangsanleihen in Höhe von476 Millionen Reichsmark – das wären heute etwa70 Milliarden Euro –, die bis heute nicht zurückgezahltwurden. Ich habe mich auch für die Bild-Zeitung und de-ren Aussagen wie „faule Griechen“ sowie für so mancheEntgleisung deutscher Politiker an diesem Pult entschul-digt.
Warum gehört Griechenland zu den wenigen Län-dern, die keine Reparationszahlungen bekommen ha-ben? Das fragt Manolis Glezos auf Weltnetz.tv, der alsPartisan einst die Nazifahne von der Akropolis geholthat. Das fragt der weltberühmte Komponist MikisTheodorakis, zu dessen Alexis Sorbas viele von unsschon getanzt haben. Besonders im 70. Jahr der Befrei-ung Europas vom Nazi-Faschismus, der eine kapitalisti-sche Herrschaftsform war, können wir niemandem dieseFrage ersparen. Wir sind bei Griechenland in der Pflicht,und sei es nur bei dessen Kindern.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Bettina Hagedorn für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Der Kollege Schlecht von der Linksfraktion hatvorhin das intellektuelle Niveau beklagt. Ich denke, dassSie dieser Debatte mit dieser Wertung nicht gerecht wer-den, außer Sie meinen vielleicht die Beiträge aus Ihrereigenen Fraktion,
und zwar deshalb, weil sie mit der Wirklichkeit so wenigzu tun haben.Vor diesem Hintergrund will ich daran erinnern:Wenn wir in der Vergangenheit über die EZB-Politik dis-kutiert haben – das tun wir ja mitnichten das erste Mal –,war sich meine Fraktion, auch als wir noch nicht mit derUnion zusammen regiert haben, in zwei Punkten mit
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7735
Bettina Hagedorn
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dem größten Teil dieses Hauses einig, nämlich erstensdarin, dass die Unabhängigkeit der EZB ein hohes Gutist, das von uns allen respektiert wird, und zweitens da-rin, dass die EZB in der Vergangenheit viele Dinge getanhat, die sie möglicherweise nicht ganz freiwillig ge-macht hat. Es war schlicht und ergreifend so, dass, wasden großen Tanker Europa mit seinen 28 Staaten angeht,die notwendigen Schritte, die auf die Euro- und Finanz-krise hätten folgen müssen – nicht nur im Hinblick aufdie Geldwertstabilität, sondern auch und vor allen Din-gen mit Blick auf die Strukturreformen, die erfolgenmussten, und die Ankurbelung der Finanz- und Wirt-schaftspolitik –, nicht so schnell gegangen worden sind,wie es notwendig gewesen wäre. Wir alle können uns beider EZB dafür bedanken, dass sie hier in großer europäi-scher Verantwortung immer wieder mit eingesprungenist.
Das ist nicht ihre Aufgabe. Ihre Aufgabe ist die Ge-währleistung der Geldwertstabilität. Aber es ist so, wieverschiedene Kollegen schon gesagt haben: Die Geld-wertstabilität ist die eine Seite. Die andere Seite ist diepolitische Verantwortung. Ja, auch der Deutsche Bun-destag und auch die Bundesregierung haben sich in derVergangenheit auf europäischer Ebene sehr wohl zu Re-formen bekannt und versucht, sie anzustoßen. Auch wirmüssen mehr Verantwortung übernehmen, wenn es umdas Thema Bildung und um die Ankurbelung der Wirt-schaft geht. Das Ausmaß der Jugendarbeitslosigkeit imSüden Europas ist nicht hinzunehmen. Das müssen Sieuns aber nicht sagen. Dazu hat der Deutsche Bundestagmit unseren Stimmen schon längst Beschlüsse gefasst.Ja, es ist richtig, dass sich die Dinge in Europa nichtsehr schnell in die richtige Richtung bewegen; das sehenauch wir. Europa ist eben ein Tanker. Wer von der Küstekommt, der weiß: Ein großer Tanker kann nicht mal soeben umgelenkt werden. Aber wichtig ist: Wir haben ge-meinsam den richtigen Kurs eingeschlagen. Wir brau-chen aber auch die anderen europäischen Partner, diediesen Kurs gemeinsam mit uns einschlagen wollen.Richtig ist auch, dass wir in der Großen Koalition aufnationaler Ebene gemeinsam den Beitrag dazu leisten,den wir leisten können. Dafür gibt es Beispiele. Dazu ge-hören nicht nur die im Koalitionsvertrag verabredeten5 Milliarden Euro für die Infrastruktur, sondern dazu ge-hört auch das 10-Milliarden-Euro-Paket, das jetzt hinzu-kommt und über das wir hier zeitnah diskutieren werden.Natürlich werden wir in Deutschland öffentliche Investi-tionen anstoßen; das ist dringend erforderlich. Dadurchsollen Arbeitsplätze geschaffen werden, und dadurchsoll die Wirtschaft angeregt werden, zu investieren.Richtig ist auch – darauf hat mein Kollege schon zuRecht hingewiesen, auch der Kollege Norbert Barthle –,dass die aktuelle Zinssituation es allen leichtmacht. Jetztmüssen aber alle Akteure ihrer Verantwortung gerechtwerden. Natürlich ist die aktuelle Zinssituation für dieSparer nicht angenehm. Aber jede Medaille hat zweiSeiten. Es ist ja nicht so, dass wir – absichtlich, mutwil-lig, um die Sparer zu ärgern – diesen Kurs gewählt hät-ten. Tatsache ist, dass die Sparer derzeit nur geringe Zin-sen bekommen; ja, das ist richtig. Aber richtig ist auch,dass es darum klug ist, die Binnennachfrage zu steigern.Der Jahreswirtschaftsbericht, über den wir in dieser Wo-che noch diskutieren werden, macht deutlich, dass wirdabei in Deutschland auf einem guten Weg sind. Damitwollen wir Motor in Europa sein und bleiben, und wirwollen natürlich auch unserer Verantwortung dafür ge-recht werden, dass diese Schritte in Europa analog wei-ter fortgesetzt werden.Daran arbeiten wir in diesem Haus gemeinsam – zu-mindest alle außer den Linken. Ich hoffe, dass Sie vonden Linken Ihre bloßen Reden, in denen Sie allesschlechtmachen und schlechte Stimmung verbreiten,hier nicht weiter fortsetzen; denn das hat mit der Realitätnichts zu tun und bringt uns nicht einmal ansatzweisevoran.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt der Kollege Jürgen
Trittin, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich re-spektiere ja Ihr antifaschistisches Bekenntnis, lieberKollege Dehm, aber ich hätte mir, ehrlich gesagt, ge-wünscht, dass Sie auch klar etwas zu den „Unabhängi-gen Griechen“ sagen. Man kann hier nämlich nicht ge-gen Pegida demonstrieren, was ich ausdrücklichbegrüße, und gleichzeitig in Griechenland eine Regie-rung mit Rechtspopulisten bilden. Das geht nicht!
Ich glaube aber, dass wir uns in dieser AktuellenStunde in erster Linie mit der doppelten Moral der Bun-desregierung auseinandersetzen sollten. Natürlich kriti-sieren Sie die Europäische Zentralbank nicht direkt. Sielassen sie aus der zweiten Reihe Ihrer Fraktion herauskritisieren – genauso wie Sie aus der zweiten Reihe IhrerFraktion heraus eine Diskussion über einen möglichenAustritt Griechenlands aus dem Euro angestoßen haben.Das ist das Problem: auf der einen Seite so zu tun undauf der anderen Seite nicht für Klarheit zu sorgen.
Das hat etwas damit zu tun, dass Sie spüren, dass IhrePolitik in Europa, in der Euro-Zone in eine Sackgassegeraten ist.Man konnte das schon beim G-20-Gipfel in Brisbanesehen, wo es um die Weltwirtschaft ging. Deutschlandwar bezogen auf die Frage, wie in der künftigen Wirt-schaftspolitik mit den Problemen in den Schwellenlän-dern umzugehen ist, völlig isoliert. Das Ergebnis hieß19 gegen 1. In einer Situation, in der die G 20 erklärt ha-ben, sie wollen Wachstum stimulieren und das globaleBruttoinlandsprodukt in den kommenden Jahren um2 Billionen Dollar anheben, haben Sie es fertiggebracht,dass Herr Schäuble für Deutschland gesagt hat: Wir ge-
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Jürgen Trittin
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ben ab 2016 12 Milliarden Euro über drei Jahre verteiltzusätzlich aus. – Das ist für die größte Volkswirtschaft inder Euro-Zone lächerlich und nichts anderes als das Be-mänteln des Nichtstuns. Sie sagen, sie wollten investie-ren, Herr Kampeter, aber Sie tun es einfach nicht.
Deswegen sind die Anwürfe aus der zweiten Reihegegenüber der EZB nicht gerechtfertigt. Es ist die Auf-gabe der EZB, für Geldwertstabilität zu sorgen. Wenn esin der Euro-Zone eine Deflationsgefahr gibt – wir liegenbei minus 0,2 Prozent –, dann muss die EuropäischeZentralbank handeln, um einer Deflation vorzubeugen.Eine Aufgabe der deutschen Bundesregierung unter die-ser Bundeskanzlerin ist es, eine vernünftige, stabilitäts-orientierte Geldpolitik der Zentralbank mit einer ver-nünftigen Wirtschaftspolitik zu kombinieren. Die EZBmuss ein Stück weit auch deshalb handeln, weil die Bun-desregierung sich genau dieser Wirtschaftspolitik ver-weigert.
Sie weigern sich auch, zur Kenntnis zu nehmen, dassdurch Ihre Sparpolitik nicht gespart wird. Die SchuldenGriechenlands betragen heute 175 Prozent des Bruttoin-landsprodukts. Damit sind sie gegenüber 2009 deutlichgestiegen; damals lagen sie bei 112 Prozent. Bei Spanienwaren es 2009 54 Prozent, heute, nach Jahren des Spa-rens, sind es 99 Prozent. Bei Portugal waren es 84 Pro-zent, nun sind es 127 Prozent. Wann begreifen Sie, dassman nur mit Ausgabenkürzungen nicht aus einer Wirt-schaftskrise herauskommt?
Sie sagen, das alles seien die Krisenländer, nach demMotto: Wir sind es nicht; das sind die, die es nicht kön-nen. – Vergleichen Sie doch einmal die Situation in derEuro-Zone mit der in den USA! Der Abbau des struktu-rellen Haushaltsdefizits in den USA verlief doppelt soschnell wie hier. Das reale Inlandsprodukt stieg dort ge-genüber 2009 um 10 Prozent; in der Euro-Zone waren esnur plus 4 Prozent. Die Arbeitslosenquote ist in denUSA nur halb so hoch wie in der Euro-Zone. Wie habendie USA das geschafft? Mit der lockeren Geldpolitik, dievon Ihnen aus der zweiten Reihe massiv hinterfragt undkritisiert wird. Das ist der Unterschied.
Ich will noch eines hinzufügen. Frau Merkel hat inDavos gesagt: Die Entscheidung der EZB darf nicht da-von ablenken, dass vernünftige Rahmenbedingungen fürWachstum notwendig sind. – Die Frage ist doch eigent-lich: Warum tun Sie es nicht?
Warum gehen Sie nicht den Weg eines europäischenGreen New Deals? Warum investieren Sie nicht in Infra-struktur? Warum investieren Sie nicht in mehr Bildung?Hören Sie auf, uns zu erzählen, dafür müsse man sichverschulden! Dieses Argument ist in Zeiten niedrigerZinsen schon fragwürdig. Man muss sich dafür nichtverschulden. Man kann doch die Zeiten niedriger Zinsenund niedriger Ölpreise endlich einmal dafür nutzen, Sub-ventionen abzubauen.
Bei den 100 größten Unternehmen im FAZ-Index, dieeine Rekordsumme an Dividenden ausschütten, wird einDrittel der Betriebsgewinne ausgeschüttet und nicht in-vestiert.
Warum halten Sie dann daran fest, dass Kapitalgewinnemit der Abgeltungsteuer noch immer nur mit 25 Prozentversteuert werden? Es wäre Zeit, mit dieser SubventionSchluss zu machen.
In Zeiten niedriger Ölpreise machen sich die asiati-schen Staaten daran, ihre Mineralölsteuersubventionenabzubauen. Warum halten Sie in einer solchen Situationkrampfhaft daran fest, das Mineralölsteuerprivileg fürdie chemische Industrie aufrechtzuerhalten?
Herr Kollege Trittin, denken Sie an die Zeit.
Da liegen doch die Gelder, die man bräuchte, um in
Deutschland zu Wachstum und Beschäftigung zu kom-
men. Deutschland könnte eine Lokomotive für ganz Eu-
ropa sein, aus der Krise herauszukommen, wenn Sie Ihre
Politik ändern und investieren statt sparen würden.
Nächster Redner ist der Kollege Volkmar Klein,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich halte die Diskussion schon für sehr erstaun-lich. Dass diese eigentlich ganz sachliche, wirtschafts-politische und theoretische Diskussion zu derartig breitangelegter Polemisierung genutzt wird, ist schon er-staunlich. Auch die Erfindung des Wortes „Schulden-schnitt mit Frischgeld“ ist genauso erstaunlich und ei-gentlich auch ein bisschen verräterisch.
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Volkmar Klein
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Es geht darum, Entscheidungen der unabhängig ent-scheidenden EZB zu diskutieren, gegebenenfalls zukommentieren, wobei dabei an sich gar nicht so über-wältigend viel Neues festzustellen ist. Natürlich ist esrichtig, über die Arbeit der EZB auch kritisch zu reden.Natürlich darf es keine monetäre Staatsfinanzierung ge-ben. Das ist der EZB verboten. Aber im Rahmen ihrerAufgaben und zur Erreichung ihrer Ziele darf und mussdie EZB am Markt auftreten, also konkret auch am Se-kundärmarkt für Staatsanleihen. Die Warnungen, dieman hier und da hört oder die aus der Bundesbank kom-men, sind durchaus berechtigt, dass nämlich dieses Auf-treten am Markt selbstverständlich nicht in monetäreStaatsfinanzierung abgleiten darf.
Das passiert aber auch nicht. Das, was wir gegenwär-tig sehen, ist aus meiner Sicht weder qualitativ nochquantitativ wirklich etwas Neues. Zum Thema Qualität:2012 hat die EZB angekündigt, im Rahmen des OMT-Programms, wenn es denn die Stabilität erfordere, not-falls unbegrenzt Staatsanleihen zu kaufen. Die EZB hatdamit die Angst aus dem Markt genommen. Ordnungs-politisch sicherlich ein Stück fragwürdig, aber dieMärkte wurden beruhigt. Kein einziger Euro im Rahmendieses OMT-Programms musste ausgegeben werden.Man kann natürlich sagen: Genauso ordnungspolitischfragwürdig war 2008 die Ankündigung der Bundesregie-rung, die Sparguthaben unbegrenzt zu sichern.Jetzt geht es darum, auf dem Sekundärmarkt begrenztStaatsanleihen zu kaufen. Dies hat die EZB im Rahmenihrer Unabhängigkeit als das geeignete Mittel angese-hen, um der Deflationsgefahr entgegenzutreten, und hatsich jetzt dafür entschieden. Natürlich ist es richtig, ge-rade in Deutschland mit unserer Geschichte über Infla-tionsgefahr nachzudenken und sie im Auge zu behalten.Aber gegenwärtig wird in der Wissenschaft eher darüberdiskutiert, ob die EZB mit den von ihr geplanten Auf-käufen überhaupt eine Wirkung erzielt.Gegenwärtig haben wir keine Inflationsgefahr; viel-mehr ist in den letzten drei Jahren die Inflationsrate inEuropa von 3 Prozent auf circa 0 Prozent zurückgegan-gen. Das heißt, empirisch müssen wir gegenwärtig weni-ger vor Inflationsgefahren warnen, sondern wir könnenfeststellen: Das ist aus der Sicht der EZB das richtigeMittel, um Deflationsgefahren entgegenzuwirken.Aber nicht nur qualitativ, sondern vor allen Dingenquantitativ fällt es in der EZB-Bilanz gar nicht so beson-ders auf, wenn es zur Umsetzung dieses Programmskommt. Bereits 2012 lag die EZB-Bilanzsumme deutlichüber 3 000 Milliarden Euro. Heute hat die EZB nur noch2 000 Milliarden Euro in ihrer Bilanz. Jetzt geht es indem Programm der EZB um 1 140 Milliarden Euro. Dasheißt, nach Ausführung dieses Programms wird dieEZB-Bilanzsumme in etwa so hoch sein wie bereitsMitte 2012. Seit 2012 hat die EZB ihre Bilanzsummedrastisch reduziert, in einer Zeit, in der gleichzeitig alleanderen relevanten Notenbanken ihre Bilanzsumme je-weils erheblich ausgeweitet haben. Deswegen ist esfalsch, der EZB jetzt eine inflationäre Gesinnung zu un-terstellen.
Es gibt also keinen Anlass, an der Solidität der EZBzu zweifeln. Sie macht ihre Arbeit, und wir machen un-sere Arbeit. Denn das, was wir als BundesrepublikDeutschland, als Staat tun können, ist erstens, für Inves-titionen zu sorgen und den Juncker-Plan zu unterstützen.Das tun wir. Und noch wichtiger ist: Wir sorgen für Sta-bilität.
Denn auf der Basis von Stabilität entwickeln sich Ver-trauen und Investitionsbereitschaft. Insofern, meine Da-men und Herren, ist die deutsche Haushaltspolitik diebeste Konjunkturpolitik für ganz Europa.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt das
Wort Cansel Kiziltepe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Ich freue mich, dassKollege Klein seine eigene Fraktion überzeugen will
und sie auch zur Räson ruft, wenn Inflationsgefahren ge-schürt werden. Danke noch einmal, Herr Kollege Klein.
Die Entscheidung der Europäischen Zentralbank amvergangenen Donnerstag, für 60 Milliarden Euro monat-lich Staatsanleihen zu kaufen, hat im Vorfeld tatsächlichzu bizarren Szenarien geführt. Es war vom Untergangdes Abendlandes, vom monetären Sozialismus und voneiner Draghi-Diktatur die Rede. Aber ich muss dieseHoffnung enttäuschen: Es gibt keinen Untergang, keinenSozialismus und keine Diktatur, liebe Kolleginnen undKollegen.
Doch die Geldpolitik alleine wird die Krise im Euro-Raum keinesfalls lösen können.
Die EU-Staaten müssen Maßnahmen ergreifen und dieGeldpolitik wirtschaftspolitisch flankieren. Ansonstenwerden wir alle enttäuscht werden, wenn diese geldpoli-tischen Maßnahmen verpuffen, liebe Kolleginnen undKollegen.Da sich vieles an der Person von Mario Draghi ent-zündet, möchte ich kurz an das Jahr 2012 erinnern, als
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Cansel Kiziltepe
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ebenjener EZB-Präsident mit einer Rede und seiner Zu-sicherung, alles Mögliche zu tun, um den Euro zu retten,maßgeblich zur Beruhigung des Euro-Raums beigetra-gen hat, und das ist auch gut so.
Aber die Krise im Euro-Raum war mit dieser Ankün-digung keineswegs überwunden, und sie ist es auchheute nicht, wie wir an den makroökonomischen Zahlensehen. Alle Krisenländer liegen mit ihrer gesamtwirt-schaftlichen Produktion noch unter dem Vorkrisenni-veau. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere die Jugendar-beitslosigkeit, ist immens hoch. Deshalb brauchen wirdringend wirtschaftliches Wachstum, denn ohne wirt-schaftliche Prosperität werden wir die Krise nicht über-winden.Die Kombination aus unerbittlicher Sparpolitik undharten Strukturreformen hat in den vergangenen Jahreneben nicht zum gewünschten und dringend notwendigenWachstumsprozess geführt. Nein, diese Politik hat dazugeführt, dass wir aktuell mit einer Deflationsgefahr imEuro-Raum, aber auch mit einer dauerhaften Rezessionin den Südländern konfrontiert sind.Die EZB versucht mit ihrer Politik, ihr Inflationszielzu erreichen und gegen die Krise vorzugehen; das istauch richtig. Sie erfüllt ihr Mandat, das Inflationsziel zuerreichen. Ich freue mich, dass alle Fraktionen diesesHohen Hauses damit einverstanden sind. Während sogarIWF und OECD eine expansivere Geldpolitik fordern,erzählen uns deutsche Ökonomen leider weiterhin Un-sinn. Nebenbei bemerkt ist die Entscheidung zugunstendes Anleihekaufprogramms nicht die alleinige Entschei-dung des EZB-Präsidenten Draghi, sondern eine ge-meinsame Entscheidung des EZB-Rates. Die EZB tut imRahmen ihrer Möglichkeiten das, was sie tun kann. Dasist besser, als abzuwarten und auf Sicht zu fahren.Es wurde schon darauf hingewiesen, dass die US-amerikanische Fed mit ihrer Politik sehr erfolgreich ist.Aber auch dort wird die Geldpolitik wirtschaftspolitischflankiert. In den USA wird dadurch im Ergebnis mehrWachstum generiert. Dabei ist die Arbeitslosigkeit nichtso unerträglich hoch wie in Europa und insbesondere inden südeuropäischen Ländern.Die Zinsen hat die EZB bereits auf null gesenkt. Wirsehen aber, dass dadurch nicht so viele Investitionen an-geregt werden konnten. Das hängt damit zusammen,dass die Rahmenbedingungen nicht so sind, wie sie seinsollten, und dass Unsicherheit herrscht. Deshalb brau-chen wir eine Korrektur der europäischen Finanzpolitik.In Deutschland tun wir in dieser Hinsicht schon einiges.Wir Sozialdemokraten haben beispielsweise das 10-Mil-liarden-Euro-Programm durchgesetzt. Das geht in dierichtige Richtung. Aber wir müssen als größte Volks-wirtschaft in Europa noch mehr leisten. Das werden wirauch tun. Das Motto der Sozialdemokraten lautet: euro-päisch denken und europäisch handeln.
Wenn es uns nicht gelingt, den Menschen in Europaeine Zukunftsperspektive aufzuzeigen, dann wird esschwierig. Wir sind als politisch Verantwortliche, aberauch als Europäer gefordert. Wie gesagt, mit dem 10-Mil-liarden-Euro-Programm gehen wir in die richtige Rich-tung. Die Stärkung der Kaufkraft und die Förderung vonInvestitionen werden nur mit einer nachhaltigen Investi-tionsoffensive gelingen; dafür treten wir als SPD ein.Wir wollen die EZB im Kampf gegen die Krise nicht al-leinlassen und den anderen europäischen Ländern einWachstum aus der Krise heraus ermöglichen, damit wiruns gemeinsam von der Krise befreien und damit es denMenschen in Europa besser geht. Deshalb lasst uns wei-ter europäisch denken und europäisch handeln.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Die EZB hat zweifellos eine garantierteUnabhängigkeit. Aber einen Freibrief hat sie natürlichnicht. Ein Mandat zur monetären Staatsfinanzierung hatsie nicht; das ist nicht Grundlage des Vertrags. Es istAufgabe des Parlaments, die gleichen Fragen wie derPräsident der Deutschen Bundesbank, Dr. Weidmann,betreffend die Stabilitätsgrundsätze der Deutschen Bun-desbank zu stellen. Die Deutsche Bundesbank hat füruns noch immer die höchste Glaubwürdigkeit. Wir dür-fen sie nicht im Regen stehen lassen.
Zunächst zu den Fakten. Am vergangenen Donners-tag hat EZB-Präsident Draghi einen massiven Aufkaufvon Staatsanleihen angekündigt. Innerhalb von 19 Mo-naten wird die EZB Staatsanleihen im Wert von 60 Mil-liarden Euro pro Monat aufkaufen, sodass sie insgesamtweitere 1,1 Billionen Euro in die Märkte pumpt. DieEZB möchte auf diese Weise die geringe Inflation imEuro-Raum auf die Zielmarke von 2 Prozent bringen,was als Preisstabilität definiert ist. Gleichzeitig will dieEZB die Kreditvergabe der Banken gerade in Südeuropaankurbeln.Wir müssen uns natürlich die Frage stellen, ob diesebeiden Ziele grundsätzlich richtig sind und ob die ergrif-fenen Maßnahmen zum jetzigen Zeitpunkt zielführendsind. Unser Ziel muss doch sein, die Banken durch Re-gulierung – diese betreiben wir intensiv – zu stärken.Wir dürfen keine Politik betreiben, die Banken aufgrundvon Überliquidität dazu bringt, extreme Risiken einzu-gehen. Das sind die Grundsätze unserer Finanzmarkt-konzeption.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015 7739
Dr. h. c. Hans Michelbach
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Man kann sicher unterschiedliche Meinungen dazuhaben, ob die Staatsanleihekäufe aktuell zielführend undjetzt auch notwendig sind. Ich persönlich bin der Auffas-sung: nein. Es ist richtig, dass Draghi als Chef der EZBmit seinem „whatever it takes“ uns Zeit gekauft hat. DasProblem ist, wie wir sehen, aber damit nicht gelöst.
Deswegen müssen wir darüber reden, was die besteProblemlösung ist. Da hilft kein Schönreden und keinBauen von Luftschlössern, wie das hier Herr Dr. Schickund Herr Trittin gemacht haben.
Hier muss natürlich der Grundsatz gelten: keine Leis-tung ohne Gegenleistung. Die Grünen geißeln das Sparen.Wollen Sie noch mehr Schulden in den Staatsschulden-ländern machen? Wollen Sie noch mehr Haftungsrisikenfür Deutschland?
Ihre finanzpolitischen Vorstellungen sind absolut kon-traproduktiv, sie sind geradezu absurd. Sie reden einerSchuldenunion das Wort, und das wollen wir nicht.
Zugegeben: Die Inflationsrate ist gegenwärtig sehrniedrig. Betrachtet man jedoch die Kerninflationsrate,also wenn man die Energie- und Lebensmittelpreise aus-klammert, dann zeigt sich schon ein gänzlich anderesBild. Der niedrige Ölpreis wirkt doch momentan schonwie ein kostenloses Konjunkturpaket. Von der Gefahr ei-ner sich selbst verstärkenden Deflation im Euro-Raumkann nach meiner Ansicht aktuell keine Rede sein.
Man darf nicht vergessen: Die geringen Inflationsra-ten sind zum großen Teil auf die notwendigen Anpas-sungsprozesse in den Krisenländern zurückzuführen.Die Krisenländer müssen preiswerter werden, um wiederwettbewerbsfähig zu werden. Das ist für die betroffenenLänder sicherlich nicht einfach, sondern das ist schmerz-haft, aber ich muss Ihnen sagen: Da hilft doch gar nichtsanderes. Die Probleme können Sie nicht lösen, indemSie noch mehr Geld in die Pipeline einspeisen. Es mussvielmehr vor Ort mit Reformanstrengungen Stabilität er-zielt werden. Nur so wird ein Schuh daraus, nur das istder Erfolgsweg.
Deswegen bitte ich Sie, immer die zwei Seiten derMedaille zu betrachten. Die eine Seite betrifft die Ver-mögensverluste für unsere Sparer bei der Altersvorsorge,auf der anderen Seite müssen wir natürlich den anderenLändern helfen. Das muss aber immer auf der Basis vonLeistung gegen Gegenleistung passieren. Es kann keinenAutomatismus geben.Ich kämpfe für einen stabilen Euro. Zum Euro-Sys-tem muss aber Vertrauen gehören. Die EZB muss Ver-trauen schaffen. Darum geht es. Wenn wir diese Dingegemeinsam bearbeiten, dann ist das der beste Weg zumErfolg, den wir für die Zukunft benötigen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist die Kollegin Bettina Kudla, CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Lassen Sie mich als letzte Rednerin dieserDebatte nochmals auf die wichtigsten Punkte dieser Ak-tuellen Stunde eingehen. Es war viel von Unabhängig-keit und Aufgaben der EZB die Rede. Ich habe festge-stellt: In Ihrer Eingangsrede haben Sie, Herr Dr. Schick,diese Aufgaben doch ziemlich vermengt. Ich halte es fürproblematisch, wenn wir uns nicht an die europäischenSpielregeln halten.Da hilft ein einfacher Blick in Artikel 282 des Vertra-ges über die Arbeitsweise der Europäischen Union. Dortheißt es über das Europäische System der Zentralban-ken:
Das ESZB wird von den Beschlussorganen der
Europäischen Zentralbank geleitet. Sein vorrangi-ges Ziel ist es, die Preisstabilität zu gewährleisten.Unbeschadet dieses Zieles– also quasi an zweiter Stelle –unterstützt es die allgemeine Wirtschaftspolitik inder Union, um zur Verwirklichung ihrer Ziele bei-zutragen.… Die Europäische Zentralbank besitzt Rechtsper-sönlichkeit. Sie allein ist befugt, die Ausgabe desEuro zu genehmigen. Sie ist in der Ausübung ihrerBefugnisse und der Verwaltung ihrer Mittel unab-hängig.Erfahrungsgemäß sind unabhängige Zentralbankenbesser in der Lage, den Geldwert zu sichern. Diese Un-abhängigkeit garantiert, dass eine Zentralbank ihre Auf-gaben und ihre Pflichten ohne Einflussnahme der Politikausüben kann. Das ist ganz wesentlich.
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7740 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 81. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. Januar 2015
Bettina Kudla
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Die Unabhängigkeit des Euro-Systems ist in mehrfa-cher Hinsicht gewährleistet:Einmal institutionell: Es ist durch ein umfassendesVerbot nationalen und supranationalen Stellen untersagt,der EZB oder den nationalen Zentralbanken Weisungenzu erteilen.
Zum anderen funktional: Es wählt frei und eigenver-antwortlich die Strategien und Maßnahmen, um seineZiele, vornehmlich die Preisstabilität, zu erreichen. Esgilt die finanzielle Unabhängigkeit, und es gilt die perso-nelle Unabhängigkeit.Die Bundesregierung respektiert diese Haltung undhält sich an die Regeln der europäischen Verträge. Be-züglich des angekündigten Anleihekaufprogramms mussallerdings erst noch ein Rechtsakt der EZB erfolgen, indem gewisse Haftungsklauseln festgelegt werden, ver-gleiche die Schlussanträge des Generalanwalts vom14. Januar 2015 im OMT-Verfahren vor dem EuGH.Des Weiteren möchte ich auf die Begründung desProgramms – die drohende Deflationsspirale zu stop-pen – und auf die Wirtschaftspolitik eingehen.Die Gefahr einer Deflation, also einer gefährlichenAbwärtsspirale aus sinkenden Preisen und Löhnen, beider dann auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu-rückgeht, wird vonseiten der Deutschen Bundesbank alsgering angesehen. Die derzeit niedrigen Inflationsratenwerden von zwei Faktoren getrieben: zum einen vondem Anpassungsprogramm und zum anderen – HerrDr. Michelbach hat es erwähnt – von den niedrigen Öl-preisen, die quasi als Konjunkturprogramm wirken. Bis-her gibt es zumindest in Deutschland keine Anzeichenfür sinkende Preise und Löhne. Im Gegenteil, es sindPreissteigerungstendenzen erkennbar, zum Beispieldurch die Einführung des Mindestlohns. Allerdings dür-fen wir den Blickwinkel nicht nur auf Deutschland rich-ten; es geht hier schließlich um den gesamten Euro-Raum.
Zur Erlangung der Wettbewerbsfähigkeit einzelner Län-der kann es durchaus notwendig sein, dass die Preise et-was nach unten gehen. Allerdings darf es nicht zu einerregelrechten Deflationsspirale führen.Was die Wirtschaftspolitik betrifft, so unterstützt dieEZB die allgemeine Wirtschaftspolitik in der Union. Wirmüssen Beschäftigung und Wettbewerbsfähigkeit in deneinzelnen Staaten fördern. Aber die Maßnahmen, diestrukturellen Anpassungen, können die einzelnen Staa-ten nur selbst ergreifen. Jede Volkswirtschaft braucht un-ter Umständen viele Jahre, um wettbewerbsfähig zu wer-den. Sanierungsprozesse brauchen Geduld. Wir solltennicht bei jeder Entscheidung der EZB gleich das Ge-samte infrage stellen. Das würde dazu führen, dass wirdie europäischen Regeln kaputtreden, dass wir den Euroschlechtreden. Wir müssen uns klar an die Regeln hal-ten. Die EZB kann nicht die Strukturprobleme der ein-zelnen Staaten lösen, sondern nur die Nationalstaatenselbst können dies erreichen.
Vielen Dank. – Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 29. Januar 2015,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.