Protokoll:
18080

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 80

  • date_rangeDatum: 16. Januar 2015

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 14:27 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/80 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 80. Sitzung Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 18: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Nationaler Bildungsbericht – Bildung in Deutschland 2014 und Stellungnahme der Bundesregierung Drucksache 18/2990 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7619 A b) Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD: Bildung in Deutschland gemein- sam voranbringen, Lehren aus dem Na- tionalen Bildungsbericht 2014 ziehen, Chancen der Inklusion nutzen Drucksache 18/3546 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7619 B c) Antrag der Abgeordneten Özcan Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Bildung schafft Teilhabe und Chancengleichheit – Empfehlungen des Nationalen Bil- dungsberichts 2014 zügig umsetzen Drucksache 18/3412 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7619 C d) Antrag der Abgeordneten Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Bildungsverant- wortung gemeinsam wahrnehmen – Konsequenzen aus dem Bildungsbericht ziehen Drucksache 18/3728 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7619 D Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7620 A Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE) . . . . . . . . . 7623 A Kerstin Tack (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7625 C Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7627 A Albert Rupprecht (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 7627 C Xaver Jung (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 7628 B Katrin Werner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 7629 D Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 7631 A Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7633 C Uwe Schummer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 7634 C Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . . 7635 D Kai Gehring (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7637 A Sybille Benning (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 7638 A Willi Brase (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7639 D Sven Volmering (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 7640 D Tagesordnungspunkt 19: a) Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Konsultationsergebnisse beherzigen – Klageprivilegien zurückweisen Drucksache 18/3747 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7642 C b) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Interessengeleitetes Gut- achten zu Investorenschutz zurückwei- sen Drucksache 18/3729 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7642 D Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7642 D Dr. Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 7644 C Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7644 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 7648 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . 7649 B Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7651 A Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 7651 C Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 7653 B Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7653 D Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 7655 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 7656 C Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7657 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7659 A Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . 7659 B Dr. Heribert Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 7660 B Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . 7661 B Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7662 D Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7664 A Jürgen Hardt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 7665 B Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 7667 B Tagesordnungspunkt 20: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Assoziierungsabkommen vom 21. März 2014 und vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemein- schaft und ihren Mitgliedstaaten einer- seits und der Ukraine andererseits Drucksache 18/3693 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7669 A b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Euro- päischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitglied- staaten einerseits und Georgien ande- rerseits Drucksache 18/3694 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7669 A c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwischen der Euro- päischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und ihren Mitglied- staaten einerseits und der Republik Moldau andererseits Drucksache 18/3695 . . . . . . . . . . . . . . . . . 7669 A Michael Roth, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7669 B Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . 7670 C Manfred Grund (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 7671 D Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7673 A Karl-Georg Wellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . 7674 A Franz Thönnes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7675 A Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7675 D Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 7677 A Tagesordnungspunkt 21: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Abkommen vom 15. Mai 2014 zwi- schen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland und der Regierung der Repu- blik Polen über die Zusammenarbeit der Polizei-, Grenz- und Zollbehörden Drucksache 18/3696 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7678 A Dr. Günter Krings, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7678 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 7679 D Wolfgang Gunkel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 7680 C Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7682 B Günter Baumann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 7683 C Tagesordnungspunkt 22: Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Diana Golze, Jan Korte, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Rechtsan- spruch auf Schutz und Hilfe für von Ge- walt betroffene Frauen und deren Kinder Drucksache 18/2884 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7684 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7684 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 7685 A Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rechtsanspruch auf Schutz und Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 III Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder (Tagesordnungspunkt 22) . . . . . 7685 D Sylvia Pantel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 7685 D Gudrun Zollner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 7687 B Dr. Fritz Felgentreu (SPD). . . . . . . . . . . . . . 7688 C Gülistan Yüksel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 7689 C Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . 7690 C Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7691 A Anlage 3 Amtliche Mitteilungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7691 D Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 7619 (A) (C) (D)(B) 80. Sitzung Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 Beginn: 9.00 Uhr
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    1) Anlage 2 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 7685 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 16.01.2015 Alpers, Agnes DIE LINKE 16.01.2015 Amtsberg, Luise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.01.2015 Dr. Brandl, Reinhard CDU/CSU 16.01.2015 Frei, Thorsten CDU/CSU 16.01.2015 Dr. Fuchs, Michael CDU/CSU 16.01.2015 Gabriel, Sigmar SPD 16.01.2015 Gleicke, Iris SPD 16.01.2015 Gohlke, Nicole DIE LINKE 16.01.2015 Held, Marcus SPD 16.01.2015 Hupach, Sigrid DIE LINKE 16.01.2015 Kaczmarek, Oliver SPD 16.01.2015 Kassner, Kerstin DIE LINKE 16.01.2015 Kolbe, Daniela SPD 16.01.2015 Kunert, Katrin DIE LINKE 16.01.2015 Dr. de Maizière, Thomas CDU/CSU 16.01.2015 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 16.01.2015 Metzler, Jan CDU/CSU 16.01.2015 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 16.01.2015 Nouripour, Omid BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.01.2015 Oßner, Florian CDU/CSU 16.01.2015 Pfeiffer, Sibylle CDU/CSU 16.01.2015 Poß, Joachim SPD 16.01.2015 Dr. Riesenhuber, Heinz CDU/CSU 16.01.2015 Roth (Augsburg), Claudia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.01.2015 Schiewerling, Karl CDU/CSU 16.01.2015 Schimke, Jana CDU/CSU 16.01.2015 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 16.01.2015 Dr. Steinmeier, Frank- Walter SPD 16.01.2015 Strässer, Christoph SPD 16.01.2015 Wagner, Doris BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.01.2015 Wellenreuther, Ingo CDU/CSU 16.01.2015 Wichtel, Peter CDU/CSU 16.01.2015 Zimmermann (Zwickau), Sabine DIE LINKE 16.01.2015 Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder (Tagesordnungs- punkt 22) Sylvia Pantel (CDU/CSU): Wir sind uns einig, dass wir alle Menschen vor Gewalt schützen wollen. Heute reden wir hauptsächlich über die Gewalt gegen Frauen. Sie haben zu Recht in Ihrem Antrag darauf hingewie- sen, dass die Agentur der Europäischen Union für Grund- rechte im vergangenen Jahr in einer europaweit ausge- legten Studie zur Gewalt gegen Frauen erschreckende Daten veröffentlicht hat. 42 000 Frauen in 28 EU-Staa- ten wurden befragt. Im europäischen Durchschnitt hat jede dritte Frau körperliche und/oder sexuelle Gewalt er- fahren. In Deutschland sind sogar 35 Prozent der Frauen von Gewalt betroffen. Es ist deshalb notwendig, gegen Gewalt zu sensibilisieren, das Thema zu enttabuisieren und Hilfsangebote vorzuhalten und zu informieren. Weltweit werden Frauen geschlagen, verstümmelt und getötet. Sie werden ausgebeutet, vergewaltigt und zur Prostitution gezwungen. Deshalb ist uns die Bekämp- fung von Gewalt an Frauen ein wichtiges Thema. Wir haben im Koalitionsvertrag vereinbart, dass wir Gewalt an Frauen und Kindern konsequent bekämpfen und Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 7686 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 (A) (C) (D)(B) Schutz und Hilfe gewährleisten wollen. Wir werden res- sortübergreifend Maßnahmen zur Bekämpfung von Ge- walt gegen Kinder und Frauen bündeln und Lücken im Hilfesystem schließen. Unabhängig von Aussehen, Alter und sozialer Schicht erleben Frauen in ihrem Alltag viele Formen von Ge- walttätigkeit. Deshalb werden wir den Schutz für Frauen erhöhen. Die Bundesregierung hat erklärt, dass sie in dieser Le- gislaturperiode das Abkommen des Europarats über die „Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt“, die sogenannte Istanbul-Kon- vention, umsetzen wird. Dazu müssen alle Bedingungen in nationales Recht implementiert werden. Deshalb dau- ert dieser Vorgang auch etwas länger. Hierbei gilt: Sorg- falt vor Schnelligkeit. Die Istanbul-Konvention verpflichtet Deutschland, alle nicht einverständlichen sexuellen Handlungen unter Strafe zu stellen. Nach unserem Strafgesetzbuch wird nicht jede Vergewaltigung als Vergewaltigung bestraft. So wird ein Täter nicht nach § 177 StGB bestraft, wenn er die Frau eingeschüchtert hat und sie aus Angst vor noch schlimmeren Folgen keine sichtbare Gegenwehr geleistet hat. Es darf nicht sein, dass ein Opfer seine Ver- gewaltigung durch körperliche Verletzungen nachweisen muss. Die Diskussion betrifft auch den § 179 StGB, der den sexuellen Missbrauch widerstandsunfähiger Personen ahndet und entsprechend anzupassen ist. Die sexuelle Selbstbestimmung ist für uns ein hohes Gut. Der Schutz von Frauen ist für uns ein wichtiges Ziel. Gutgemeint ist nicht gutgemacht, dies zeigt uns das Prostitutionsgesetz von 2002, welches verbessert werden muss. Wir arbeiten sorgfältig an einer Novellierung. Wir benötigen für einen besseren Schutz der Frauen unter anderem eine Erlaubnispflicht für Bordellbetriebe, das Verbot von menschenunwürdigen Geschäftsmodel- len, Gesundheitsuntersuchungen, ein Mindestalter von 21 Jahren, die polizeiliche Anmeldepflicht und die Kon- dompflicht. Frauen dürfen nicht länger Opfer von sexu- eller Ausbeutung und Menschenhandel sein. Wir wollen Prostitution nicht verbieten, sondern die Rechtssicherheit verbessern, das Selbstbestimmungs- recht stärken und die Kriminalität bekämpfen. Gleichzei- tig wollen wir bessere Ausstiegshilfen aus der Prostitution schaffen. Opfer von Menschenhandel und Zwangsprosti- tution aus Drittstaaten sollen ein verbessertes Aufent- haltsrecht erhalten. Unsere Beratungen werden zu einem guten Gesetz führen, das Opfer besser vor Gewalt schützt und Täter konsequenter bestraft. Um Frauen Hilfsangebote in einer Notsituation aufzu- zeigen, hat der Bund 2013 ein niederschwelliges Ange- bot geschaffen: das bundesweite Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“. Mit Bundesmitteln finanziert, wird betroffenen Frauen und Ratsuchenden täglich rund um die Uhr und kosten- los eine Erstberatung gewährleistet, auch anonym. Im ersten Jahr, Ende März 2014, hatten 60 Beraterin- nen in 15 Sprachen 47 500 Kontakte in rund 18 800 Be- ratungsgesprächen über Telefon, Chat oder E-Mail. Das Hilfetelefon mit der Nummer 08000-116 016 ist die Schnittstelle zu den Hilfsangeboten vor Ort. Viele Städte und Gemeinden bieten bereits ein umfas- sendes Unterstützungssystem für von Gewalt betroffene Frauen an: Frauennotrufe, Frauenberatungsstellen, Frau- enhäuser und Zufluchtswohnungen. Hier sind die Länder aufgefordert, die Einrichtungen vorzuhalten und zu ko- ordinieren. Mit dem Gewaltschutzgesetz hat der Bund einen Rah- men geschaffen, um Frauen in einer akuten Situation von häuslicher Gewalt zu helfen. Gewalttäter müssen die Wohnung für einige Zeit verlassen, und die Frauen kön- nen mit den Kindern in der vertrauten Umgebung blei- ben. So können sie überlegen, welche Maßnahmen sie für die Zukunft ergreifen wollen. Sie können aber auch entscheiden, mit ihren Kindern das Haus zu verlassen, sich an ein Frauenhaus wenden und sich dort beraten las- sen. In solchen Situationen brauchen Frauen Hilfe bei der Bewältigung des Alltags. Es muss geklärt sein, wer die Finanzierung des Aufenthalts übernimmt oder welche weiteren Maßnahmen mit Blick auf die Frauen und Kin- der notwendig sind. Vor Ort, in der Kommune, kann der Bedarf an Hilfen und Schutzeinrichtungen besser beurteilt und einge- schätzt werden als durch Richtlinien, die der Bund vor- gibt. Und dies liegt auch nicht in seiner Zuständigkeit. In der Stadt und im ländlichen Raum können unterschiedli- che infrastrukturelle Bedingungen besser berücksichtigt werden. In der vergangenen Woche habe ich mich bei der Frauenberatungsstelle in Düsseldorf erneut über den Sachstand informiert. In Düsseldorf haben wir in der Fachgruppe Opferschutz ein Netzwerk aufgebaut. Das soll für alle von Gewalt betroffenen Menschen eine An- laufstelle werden und Hilfe anbieten. Wie in Düsseldorf gibt es auch in anderen Kommunen vielfältige Bera- tungsangebote, wo Land und Kommune gut zusammen- arbeiten und Hilfe für betroffene Frauen anbieten. Diese Initiativen zeigen, dass es funktionieren kann, wenn die Länder und Kommunen ihren Aufgaben ge- recht werden und durch kurze Wege gute Angebote ge- schaffen werden. Ich habe große Anerkennung dafür, wie engagiert die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sich um die betroffe- nen Frauen kümmern. Und ich kann den Frust und die Sorgen sehr gut verstehen, wenn die Voraussetzungen für einen guten Opferschutz nicht stimmen. Da, wo es nicht funktioniert, müssen Regelungen ge- funden werden. Es muss geklärt werden, warum und wo die Schwachstellen sind und was getan werden muss. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 7687 (A) (C) (D)(B) Für die Finanzierung der Frauenhäuser sind die Länder zuständig. Die Regelungen in den Ländern sind sehr unter- schiedlich. Oft sind es freiwillige Leistungen, die von der jeweiligen Haushaltslage abhängen – mit den ent- sprechenden Unsicherheiten. Hier müssen die Länder ih- rer Verantwortung gerecht werden. Der Bund gibt den Ländern durch die verschiedenen Zuweisungen die Mit- tel. Die Prioritäten für die Mittelverwendung setzt allein das Land. Der Bund hat nicht die Kompetenz, diese Auf- gabe einfach an sich zu ziehen. Es gibt auch Länder, die ihrer Verantwortung gerecht werden und gute Lösungen vorhalten. So plant auch Nordrhein-Westfalen ein Lan- desgesetz zur Finanzierung der Frauenhäuser. Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und der Schutz von Frauen und Kindern ist eine gesamtgesell- schaftliche Aufgabe. Länder und Kommunen wurden im vergangenen Jahr, zum Beispiel beim BAföG und bei der Grundsicherung, erheblich entlastet, damit sie genau solchen Aufgaben besser nachkommen können. Wir ha- ben immer wieder gezeigt, dass der Bund für die Länder und Kommunen ein verlässlicher Partner ist. Die Länder müssen nun auch den Kommunen die finanziellen Mittel zur Verfügung stellen und ihnen damit ermöglichen, ih- ren Aufgaben nachzukommen. Und wir brauchen Trans- parenz, welche Länder ihren Verpflichtungen nicht nach- kommen. Bund, Länder und Kommunen müssen als Partner eine bedarfsgerechte Lösung für die Finanzierung von Schutzkonzepten gegen Gewalt, insbesondere Gewalt an Frauen, finden. Gudrun Zollner (CDU/CSU): Wir sprechen heute über ein wichtiges und sehr sensibles Thema: Gewalt an Frauen und deren Kindern. Schutz und Hilfe für die Be- troffenen zu gewährleisten, ist ein wichtiger Auftrag. Nicht nur für uns hier im Deutschen Bundestag, nicht nur für die Politik, sondern für die gesamte Gesellschaft. Jeder Mensch hat das Recht auf körperliche Unver- sehrtheit. Frauen sind in besonderem Maße von Gewalt betroffen. Etwa jede vierte Frau, die in Deutschland lebt, ist schon mindestens einmal Opfer körperlicher oder se- xueller Gewalt geworden. Wir sind uns sicher alle einig darin, dass jeglicher Übergriff gegen Frauen und Kinder auf das Schärfste zu verurteilen ist. Die Bekämpfung aller Formen von Ge- walt gegen Frauen gehört daher zu den langfristigen Schwerpunkten der Bundesregierung. Es ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die Bund, Länder und Kommunen betrifft. Im Rahmen der durch das Grundgesetz vorgegebenen Kompetenzen stehen wir alle in der Verantwortung. Das Vorhandensein, die Aus- gestaltung und die finanzielle Absicherung von Unter- stützungsangeboten für gewaltbetroffene Frauen und deren Kinder liegen aber in erster Linie bei den Bundes- ländern. Im Rahmen der landesrechtlich konkretisierten Aufgabe der Daseinsvorsorge liegt die Zuständigkeit auch bei den Kommunen. Diese vorrangige Aufgaben- verteilung ist uns allen bekannt. Wir unterstützen und entlasten als Bund die Länder und Kommunen an vielen Stellen, damit diese ihre Auf- gaben auch wahrnehmen können. Bei der Eingliederungshilfe werden wir die Kommu- nen in den Jahren 2015 bis 2017 um 1 Milliarde Euro pro Jahr entlasten, ab 2018 auf der Grundlage des Bun- desteilhabegesetzes den Umfang um 5 Milliarden Euro erhöhen. Auch sollen die Bundesländer in der laufenden Legis- laturperiode mit insgesamt 6 Milliarden Euro unterstützt werden, damit sie und ihre Kommunen die Herausforde- rungen bei der Finanzierung von Kinderkrippen, Kitas, Schulen und Hochschulen besser bewältigen können. Hier möchte ich die Bundesländer aufrufen, ihre Kommunen bei diesen wichtigen Aufgaben zu unterstüt- zen und die Entlastungen auch an sie weiterzugeben. Eine schwarze Null sollte auch Ziel eines jeden Haushal- tes sein. Ich kann nicht für alle Bundesländer sprechen, aber für mein Heimatbundesland kann ich festhalten, dass es seiner Verantwortung zum Schutz von vor Gewalt be- troffenen Frauen und deren Kindern gerecht wird. Der Freistaat Bayern unterstützt die Kommunen bei diesen wichtigen Aufgaben zum Beispiel durch Beteiligung an den Personalkosten der Frauenhäuser – und das obwohl Bayern inzwischen rund 5 Milliarden Euro in den Län- derfinanzausgleich zahlt. In Bayern gibt es ein einvernehmliches Gesamtkonzept als Grundlage für die Bedarfsermittlung und Finanzie- rung. Dieses Konzept wird auch von der Bundesregierung als exemplarisch dafür angesehen, durch sinnvolle Ar- rangements auf Verwaltungsebene die Finanzierungsbe- dingungen der Frauenhäuser verlässlich zu gestalten. Der Freistaat wird außerdem eine Bedarfsermittlung durchführen, um weiterem Handlungsbedarf gezielt nach- kommen zu können. Auf die Verantwortung der Bundesländer wird im vorliegenden Antrag „der Linken“ in keinster Weise ein- gegangen. Es entspricht unserem föderalen Prinzip, in der unter- schiedlichen Ausgestaltung vor Ort grundsätzlich eine Chance zu sehen. Damit werden Spielräume eröffnet, um den Bedürfnissen mit den regionalen Unterschieden Rechnung zu tragen. Dies sehen auch die Bundesländer so, und dies wurde auch von der Gleichstellungsminis- terkonferenz so gesehen. Einer bundesgesetzlichen Re- gelung, wie in ihrem Antrag gefordert, bedarf es deshalb nicht. Festgestellte gewachsene Unterschiede der Versor- gungsinfrastruktur für gewaltbetroffene Frauen sind auch Ausprägungen der föderalistischen Struktur der Bundes- republik Deutschland und deuten nicht automatisch auf Versorgungsdefizite hin. Die Bestandsaufnahme, die die Bundesregierung im Sommer 2012 vorgelegt hat, bestä- tigt, dass es ein dichtes Netz an Hilfeeinrichtungen für Betroffene gibt. Insofern möchte ich daher den Ausfüh- rungen in Ihrem Antrag, das Hilfesystem für gewaltbe- 7688 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 (A) (C) (D)(B) troffene Frauen sei in einem desolaten Zustand, an dieser Stelle deutlich widersprechen. Insgesamt verfügt Deutschland über ein ausdifferen- ziertes Hilfesystem für gewaltbetroffene Frauen. Ich möchte – neben den Frauenhäusern und Beratungsstel- len, die wir in Deutschland haben und an denen vor Ort hervorragende Arbeit geleistet wird – einige Punkte ex- emplarisch nennen. Im März 2013 startete das Hilfetelefon für von Ge- walt betroffene Frauen. Unter der bundeseinheitlichen Rufnummer 08000 116 016 kann sich jede Frau an diese Beratungsstelle wenden und bekommt dort kostenlos, anonym und vertraulich Rat durch erfahrene Fachkräfte. Wichtig ist, dass sich auch Frauen beraten lassen kön- nen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, da Dolmetscherinnen zur Verfügung stehen, die zeitnah zu- geschaltet werden können. Damit wurde eine wesentli- che Maßnahme des Aktionsplanes II zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen umgesetzt. In diesem Frühjahr soll hierzu der zweite Bericht vorgestellt werden. Ein ebenfalls wichtiger Punkt ist das Gesetz zur Be- kämpfung von Zwangsheirat, das ebenfalls in der ver- gangenen Legislaturperiode in Kraft getreten ist. Und natürlich das Prostituiertenschutzgesetz, das der- zeit überarbeitet und verbessert wird. Persönlich wichtig ist mir besonders der gesamte Be- reich der „Häuslichen Gewalt“ – meist ein Tabuthema. Im Hinblick darauf möchte ich darauf verweisen, dass seit 1997 Vergewaltigung auch in der Ehe strafbar ist. Frauen mit Behinderungen haben einen besonderen Hilfebedarf, da sie überdurchschnittlich häufig von Ge- walt betroffen sind. Hierzu sind beispielsweise in Bayern im Januar 2014 zwei Projekte gestartet worden. Zum einen eine zentrale, barrierefreie Service-Homepage mit Informationsmate- rial für Frauen mit verschiedenen Behinderungen, Fort- bildungen für Beraterinnen in Frauenhäusern und Notru- fen zur Thematik „Gewalt und Behinderung“. Zum zweiten werden Frauenbeauftragte in Einrich- tungen der Behindertenhilfe ausgebildet, um als kompe- tente Ansprechpartnerinnen für andere Frauen in der Einrichtung zur Verfügung zu stehen. Auch das Thema Menschenhandel ist seit langem Schwerpunkt der Politik der Bundesregierung. Bereits 1997 wurde die „Bund-Länder-Arbeitsgruppe Frauen- handel“ ins Leben gerufen. Ziel war es, Maßnahmen zur Bekämpfung des Menschenhandels zum Zweck der se- xuellen Ausbeutung besser abstimmen zu können. Seit November 2012 heißt diese Gruppe „Bund-Länder-Ar- beitsgruppe Menschenhandel“; sie hat schon zahlreiche Verbesserungen zugunsten der Opfer erreicht. Auch in diesem Bereich sind für die Legislaturperiode gesetzli- che Verbesserungen geplant. Was die Umsetzung der entsprechenden Europarats- konvention angeht, so ist dies genauso bei den zuständi- gen Stellen in Arbeit wie die Umsetzung der sogenann- ten Istanbul-Konvention. Noch im letzten Jahr wurde vom Kabinett ein Gesetzentwurf auf den Weg gebracht, mit dem deutliche Verbesserungen des Aufenthaltsrechts für Opfer von Menschenhandel erreicht werden soll. Wir nehmen in der Koalition unsere Verantwortung auch in diesem Bereich sehr ernst. Ein wirkungsvoller Schutz ist aber nur dann möglich, wenn wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen an Lösungen arbeiten und das geltende Recht fortentwickeln, um den Schutz von Frauen und Kindern weiter zu verbessern. Dies war über die letzten Jahre und Jahrzehnte der Fall und wird auch weiterhin so bleiben. Mit den Aktionsplänen I und II der Bundesregierung wurden hierzu bereits erfolgreich Grundlagen geschaffen. Abschließend möchte ich heute die Gelegenheit nut- zen, all denjenigen zu danken, die sich hauptberuflich oder ehrenamtlich für Frauen und Kinder in den Bera- tungsstellen, in den Frauenhäusern sowie im eigenen persönlichen oder gesellschaftlichen Umfeld einsetzen. Sie alle erfüllen eine sehr wichtige Aufgabe. Dr. Fritz Felgentreu (SPD): Zehn Jahre lang war ich Mitglied eines Landesparlaments, des Abgeordneten- hauses von Berlin – übrigens in einer erfolgreichen rot- roten Koalition. In dieser Zeit habe ich es öfter erlebt, dass eine Oppositionsfraktion versuchte, Probleme Ber- lins dadurch zu lösen, dass sie bundespolitische Anträge einbrachte, nach dem Motto: Der Senat soll sich dafür einsetzen, dass die Bundesregierung Gutes tut oder der Bundestag ein tolles neues Gesetz macht. Die Mehr- heitsfraktionen haben solche Anträge auch dann abge- lehnt, wenn wir als Koalition das Anliegen richtig fan- den – weil wir entweder unsere Befugnisse nicht überschreiten wollten oder weil wir den Senat nicht ei- gens zu einer Politik auffordern wollten, die er sowieso auch von sich aus schon verfolgte. Heute erlebe ich es zum ersten Mal anders herum: Die Linke bringt einen Antrag ein, dessen Kernforderung nur auf Landesebene erfüllt werden kann, weil das, was Sie wollen, in der Zuständigkeit der Länder liegt. Der Lin- ken geht es um Zufluchtsorte und Beratung für Frauen und ihre Kinder, die von Gewalt betroffen oder bedroht sind. Um sicherzustellen, dass jede Frau, die auf Zu- flucht in einem Frauenhaus angewiesen ist, auch wirk- lich einen Platz findet, fordern Sie, den Frauen und ihren Kindern einen Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe zu gewähren. Das ist ein ehrenwertes Anliegen. Das von Ih- nen beschriebene Ziel teilen sicherlich alle Fraktionen des Bundestages. Der Weg, den Sie dazu beschreiten wollen, ist aber nicht der richtige, weil Sie vorhandene Probleme auf der falschen Ebene zu lösen versuchen. Denn die Frage, wie viele Plätze in Frauenhäusern wir an welchem Ort vorhalten müssen, können wir auf Bun- desebene nicht beantworten. Diese Planung ist Aufgabe der Länder, die näher an den Problemen dran sind und besser einschätzen können, wo wir als Gesellschaft bes- ser werden müssen, um Frauen und Kinder vor Gewalt zu schützen. Der entscheidende Punkt, an dem Sie ansetzen, ist un- bestritten: Wenn das Jahr 2011 repräsentativ ist, dann weisen Frauenhäuser jährlich in etwa 9 000 Fällen Hilfe Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 7689 (A) (C) (D)(B) suchende Frauen ab. Das ist eine große Zahl. Deshalb haben Sie recht, wenn Sie fordern, dass wir uns hier da- mit auseinandersetzen, wie wir das Hilfesystem verbes- sern. Falsch ist allerdings Ihre Annahme, wir könnten das Problem mit mehr Plätzen und einem Rechtsanspruch schnell lösen. Denn der Bericht der Bundesregierung zur Lage der Frauenhäuser zeigt ja auch: Die Auslastung die- ser unverzichtbaren Zufluchtsorte ist überall in Deutsch- land starken Schwankungen ausgesetzt. Mal sind sie über- füllt, mal stehen die selben Häuser teilweise leer. Deshalb bedeuten die 9 000 Fälle, in denen bestimmte Frauenhäuser Frauen nicht aufnehmen können, auch nicht, dass diese Frauen wirklich keine Zuflucht finden. Der Bericht der Bundesregierung geht vielmehr da- von aus, dass grundsätzlich jede Frau in einem Frauen- haus aufgenommen wird, wann immer sie diesen Schutz braucht – nur eben nicht immer in dem Frauenhaus, das Ihrem Wohnort am nächsten liegt oder an das sie sich zu- erst gewendet hat. Es geht also vor allem um Fragen der Steuerung und der Planung, nicht um einen Rechtsanspruch. Und um diese Fragen müssen sich die Länder und Kommunen kümmern – weil sie es am besten können und weil ihnen eben deswegen in unserer föderalen Ordnung diese Auf- gabe auch übertragen worden ist. Ein Bundesgesetz ist auch nach Einschätzung der Familienministerkonferenz nicht erforderlich. Weil wir gerade bei den rechtspolitischen Fragen sind, die Ihr Antrag aufwirft, lassen Sie mich noch kurz darauf eingehen, warum Deutschland die Istanbul-Kon- vention noch nicht ratifiziert hat. Diese Europaratskon- vention regelt ein europäisches Übereinkommen zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen – ein großer Wurf, zu dem Deutschland sich durch die Un- terzeichnung schon im Mai 2011 bekannt hat. Wir müssen die Konvention natürlich unbedingt rati- fizieren, und zwar so schnell wie möglich. Nach deut- schem Recht werden solche internationalen Vereinbarun- gen aber erst dann ratifiziert, wenn sie vorher vollständig umgesetzt worden sind. Und dabei sind wir auf einem guten Weg, aber noch nicht ganz am Ziel. Die letzte Änderung des Strafrechts ist noch vor Weihnachten auch vom Bundesrat beschlossen worden. Damit sind zwei wichtige Vorschriften der Istanbul-Kon- vention, nämlich die Artikel zur Gerichtsbarkeit und zu längeren Verjährungsfristen bei sexuell motivierter Ge- walt, deutsches Recht geworden. Trotzdem können wir die Istanbul-Konvention erst dann ratifizieren, wenn geklärt ist, ob sie weitere Geset- zesänderungen zum Beispiel im Strafrecht und im Auf- enthaltsrecht erforderlich macht. Diese Fragen werden in den zuständigen Ministerien, federführend im Justiz- ministerium, geprüft. Die Ergebnisse dieser Prüfung müssen wir abwarten, bevor wir einen Schlusspunkt un- ter den Istanbul-Prozess setzen können. Die Koalition hat sich in ihrem Gründungsvertrag dazu bekannt, Gewalt an Frauen und Kindern zu be- kämpfen und Lücken im Hilfesystem zu schließen. Wir werden uns dieser Verantwortung stellen, damit Frauen, die Hilfe suchen, in Zukunft möglichst auf Anhieb den Zufluchtsort haben, den sie brauchen. Wir begrüßen es, dass die Familienministerkonferenz beschlossen hat, eine länderübergreifende Arbeitsgruppe einzusetzen, an der sich das Bundesministerium beteili- gen wird. Die Arbeitsgruppe wird die regionalen Unter- schiede analysieren und Vorschläge machen, wie wir es hinkriegen, dass Beratung und Schutz überall so vorhan- den sind, wie die Frauen und ihre Kinder sie brauchen. Die SPD-Fraktion unterstützt Ministerin Schwesig in ih- rer Absicht, dazu möglichst noch in diesem Jahr ein Mo- dellprojekt auf den Weg zu bringen. Lassen Sie uns den Antrag der Linken zum Anlass nehmen, in dieser Richtung weiterzudenken. Wenn wir dazu kein Gesetz zu ändern brauchen, umso besser! Gülistan Yüksel (SPD): Gewalt gegen Frauen, sie passiert täglich, zu Hause, am Arbeitsplatz, in der Öf- fentlichkeit oder im Internet. Betroffene Frauen benöti- gen deshalb Sicherheit, Schutz, Unterstützung und Ver- trauen, denn ihr Weg in ein gewaltfreies Leben ist nicht einfach. Wir alle wissen um die Missstände und Pro- bleme in den Frauenhäusern. Barrierefreiheit, die Be- treuung und Versorgung der Kinder, welche die Frauen mitbringen und die wie ihre Mütter oftmals unter psychi- schen Belastungen leiden. Auch die erschwerten Bedin- gungen für Studentinnen oder Frauen mit Migrationshin- tergrund sind Punkte, an denen noch intensiv gearbeitet werden muss. Die Probleme sind tiefgreifend. Mit einem individuel- len Rechtsanspruch auf Hilfe und Schutz allein wäre es nicht getan. Dabei ginge es dann nämlich auch um die Frage, ob eine Frau den notwendigen Nachweis erbrin- gen könnte, um den Rechtsanspruch überhaupt geltend machen zu können. Zu Recht wurde von Sachverständi- gen darauf hingewiesen, dass ein Rechtsanspruch Nach- weispflichten mit sich bringen würde, welche für Frauen, die Gewalt erfahren mussten, eine hohe Hürde bedeuten. Ich möchte ausdrücklich daran erinnern, dass die Hauptverantwortung bei den Ländern liegt. So obliegt der Bereich des Gewaltschutzes dem Ordnungsrecht und fällt somit grundsätzlich in die Kompetenz der Länder – ebenso wie die Finanzierung des Frauenunterstützungs- systems. Das Wissen um die konkreten Bedürfnisse er- laubt es örtlichen Akteuren, besser die notwendigen Maßnahmen zu erkennen und eine bedarfsgerechte Inf- rastruktur vor Ort zu gewährleisten. Diese Einschätzung teilen auch die Länder. In dem Antrag der Linken kom- men diese Aspekte zu kurz. Man darf auch nicht vergessen, dass die Länder be- reits verschiedene Wege eingeschlagen haben, angepasst an die jeweiligen Gegebenheiten vor Ort. Bei Vorgaben durch den Bund befürchten diese eine Verschlechterung ihrer Situation. Der Bund ist sich seiner Verantwortung aber bewusst – Die im Koalitionsvertrag festgeschriebe- nen Punkte bleiben das Ziel. 7690 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 (A) (C) (D)(B) Das Thema der Frauenhausfinanzierung ist wichtig, sollte aber nicht ausschließlich im Vordergrund stehen. Es geht um das Gesamtsystem der Hilfeleistungen für die von Gewalt betroffenen Frauen und deren Kinder. Insgesamt haben wir in Deutschland ein dichtes Netz an Unterstützungsangeboten und Einrichtungen, die be- troffenen Frauen Hilfestellungen bieten. Zu den Frauen- häusern kommen rund 750 Fachberatungsstellen sowie Telefon- und Onlineberatung hinzu. Sie bieten den Frauen eine erste Anlaufstelle in ihrer Notsituation und stehen ihnen zur Seite. Wir als SPD setzen uns dafür ein, dass Beratungsstel- len und andere Hilfsangebote weiter ausgebaut werden und damit das Hilfenetz insgesamt gestärkt wird. Ich sage auch ganz klar: Die SPD Fraktion steht für eine be- darfsgerechte und bundesvereinheitlichte Finanzierung der Frauenhäuser. Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, an der sich auch der Bund im Rahmen seiner Möglichkeiten und Kompetenzen bereits beteiligt, aber: Dies ist aus- baufähig, und wir arbeiten weiter daran. Die letzte Gleichstellungs- und Frauenministerkonfe- renz hat zum Thema „Betreuung und Beratung für ge- waltbetroffene Frauen und deren Kinder“ im Oktober ein länderoffenes Arbeitsgremium unter Beteiligung des Fa- milienministeriums ins Leben gerufen. Der Bund wurde außerdem gebeten, in Kooperation mit den Ländern und Kommunen ein Modellprojekt durchzuführen. Dieses soll untersuchen, wie eine bedarfsgerechte Ausstattung bezüglich Beratung und Schutz in einzelnen Regionen aussehen könnte. Ich freue mich, dass dieses Modellpro- jekt in dieser Legislaturperiode in Angriff genommen wird. Aus den gewonnenen Erkenntnissen sollen kon- krete Vorschläge entstehen, welche den Teilnehmern der Konferenz als Beratungs- und Beschlussgrundlage die- nen werden. Weiterhin möchte ich darauf hinweisen, dass die Is- tanbul-Konvention bereits teilweise umgesetzt ist und in dieser Legislaturperiode ratifiziert wird. Die Europarats- konvention zu Menschenhandel ist schon ratifiziert. Un- ter Federführung von Minister Heiko Maas wird derzeit ein Gesetzentwurf zur Umsetzung der Europarichtlinie zu Menschenhandel vorbereitet. Außerdem liegt dem Bundesrat der Gesetzentwurf zur Neubestimmung des Bleiberechts und der Aufenthaltsbeendigung vor. Dieser bringt für Opferzeuginnen des Menschenhandels deutli- che Verbesserungen bezüglich ihres Aufenthaltsrechts. Immer noch spielt sich viel Leid im Verborgenen ab. Das Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“, das es nun seit rund eineinhalb Jahren gibt, wurde im ersten Jahr über 47 000-mal gewählt. Die Dunkelziffer von Frauen, die sich weiterhin nicht trauen, Hilfe in Anspruch zu neh- men, ist aber immer noch zu hoch. Deshalb möchte ich am Ende meiner Rede die Möglichkeit nutzen, um an alle Bürgerinnen und Bürger zu appellieren: Schauen Sie nicht weg! Denn dort wo Verantwortungsbewusstsein und Mitgefühl für einander vorherrschen, wird Gewalt vorgebeugt. Cornelia Möhring (DIE LINKE): Warum dieser Ta- gesordnungspunkt zur Lage der Frauenhäuser zu diesem Zeitpunkt – obwohl wir doch gerade eine interne Anhö- rung im Ausschuss hatten und auch die Konferenz der Frauen- und Gleichstellungsministerinnen sich am 1. und 2. Oktober 2014 mit dem Thema befasst hat? Die brisante Lage der Frauenhäuser und noch mehr die Frauen und Kinder, die diesen Schutzraum brauchen, verlangen es aus meiner Sicht, das Thema immer wieder öffentlich zu diskutieren, um endlich ins Handeln zu kommen. Vor fast einem Jahr wurde in Brüssel die Studie zur Gewalt gegen Frauen vorgestellt. Wir alle sind zu Recht entsetzt über das Ausmaß der Gewalt – auch in unserem Land. Nun benötigen nicht alle Opfer von Gewalt einen Frauenhausplatz. Sie brauchen aber ein gut funktionie- rendes Hilfesystem. Auch dazu gibt es viel zu tun, und auch dieses sollte in naher Zukunft hier Thema werden. Heute geht es zuerst um die Frauenhäuser. Frauen, die Schutz in einem Frauenhaus suchen, sind auf der Flucht. Sie fürchten um ihr Leben, ihre Gesundheit, um das see- lische Wohl ihrer Kinder. Der Entschluss, in ein Frauenhaus zu gehen, bedeutet, alles zurückzulassen: Hab und Gut, das gewohnte Um- feld, auch das, was am bisherigen Leben gut war. Das ist für viele von uns kaum vorstellbar und für die betroffe- nen Frauen ein sehr schwerer Schritt. 6 800 Plätze für Frauen gibt es zurzeit – in 353 Häu- sern und 40 Zufluchtswohnungen. Jährlich suchen aber 15 000 bis 17 000 Frauen mit ihren Kindern Schutz in Frauenhäusern und Zufluchtswohnungen. Wir reden also über circa 34 000 Personen, für die entsprechend Raum und Betreuung vorgehalten werden müsste. Wir wissen: Der Bedarf wird eher wachsen, und das Angebot ist alles andere als bedarfsgerecht. Und das darf nicht sein. Wir brauchen eine flächendeckende Versorgung, un- bürokratische Zugänge, Barrierefreiheit. Denn Frauen mit Behinderungen sind noch stärker von Gewalt betrof- fen, aber es gibt kaum Einrichtungen, die diesem Um- stand gerecht werden. Ich vermute, dass die große Mehrheit im Hause sich in vielen Punkten einig ist, darin, dass das Ausmaß der Gewalt viel zu groß ist, darin, dass das Angebot an Plät- zen schlicht nicht ausreicht und es einen unbürokrati- schen Zugang für Betroffene geben muss. Politik ist al- lerdings nicht sonderlich nützlich, wenn sie bei verbaler Zustimmung stehen bleibt. Es muss auch lösungsorien- tiert gehandelt werden. Und genau an dieser Stelle setzt meine Kritik am zö- gerlichen Vorgehen der Bundesregierung an. Es wird wieder viel geredet, evaluiert und festgestellt – dabei müsste es endlich mit Volldampf losgehen, damit end- lich alle Frauen und Kinder, die einen Platz brauchen, auch einen bekommen. Dazu muss die Finanzierung ge- regelt werden, und zwar bundeseinheitlich – in allen Ländern gleich. Es geht um die Herstellung einheitlicher Lebensverhältnisse, und das ist eine Bundesangelegen- heit. Die Länder und Kommunen dürfen nicht damit Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 7691 (A) (C) (D)(B) alleine gelassen werden – und vor allem nicht die betrof- fenen Frauen und die Mitarbeiterinnen der Schutzein- richtungen. Zur bundeseinheitlichen Finanzierung liegen bereits einige Vorschläge vor. Beispielsweise ein „3-Säulen- Modell“, nach dem Bund – Land – Kommune gemein- sam finanzieren. Unverzügliches Handeln ist angesagt. Wir fordern Sie auf, einen Gesetzentwurf vorzulegen, in dem der Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz und um- fassende Hilfe so geregelt ist, dass er folgende Bedin- gungen erfüllt: Er muss unabhängig vom Einkommen, unabhängig vom Aufenthaltstitel, unabhängig vom Her- kunftsort und unabhängig von gesundheitlichen Ein- schränkungen oder Behinderungen gelten. Eine einzel- fallunabhängige und bedarfsgerechte Finanzierung des Schutz- und Hilfesystems bei Gewalt gegen Frauen sollte unser gemeinsames Ziel sein. Ulle Schauws (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Frau- enhäuser sind eine zentrale Säule beim Schutz von Frauen vor Gewalt. Für Frauen in Not sind sie eine wich- tige Anlaufstelle, weil sie hier Sicherheit finden, oft auch mit ihren Kindern. Es sind Orte, wo Bedrohung, Angst und Gewalt vor der Tür bleiben. Tatsache aber ist, dass wir seit den knapp 40 Jahren, in denen es Frauenhäuser gibt, nach wie vor über eine mangelnde Finanzierung sprechen. Tatsache ist, dass wir immer noch über bundesweit uneinheitliche Standards und Lücken im System spre- chen und es vom Bundesland abhängt, wie schnell Frauen Hilfe erhalten. Tatsache ist, dass wir uns ein großes Defizit leisten bei effektivem Schutz für Frauen. Das ist, mit Verlaub, ein Skandal! Laut einer Studie der Europäischen Grundrechteagen- tur von 2014 war jede dritte Frau in Deutschland schon einmal Opfer von körperlicher oder sexueller Gewalt. Jedes Jahr fliehen in Deutschland etwa 34 000 Frauen und Kinder vor häuslicher Gewalt in eines der circa 360 Frauenhäuser. Immer wieder müssen Frauen abge- wiesen werden. Doch die Bundesregierung hat, wie schon ihre Vor- gängerregierung, bislang nichts unternommen, um Frau- enhäuser von Bundesseite zu unterstützen. Zwar wollen Sie laut Koalitionsvertrag „den Schutz und die Hilfe für die Betroffenen gewährleisten und Lü- cken im Hilfesystem schließen“. Das sind bisher aber leere Worte. Ich fürchte, dabei bleibt es. Besonders die Union ist hier sehr still. Um es klar zu benennen: Sie scheuen die Kosten für den Bund und beharren weiter darauf, dass die Länder „gefälligst ihre Aufgaben ordentlich wahrnehmen“. Das ist Ihr Totschlagargument. Wir Grüne wollen, dass die Schwierigkeiten bei der Frauenhausfinanzierung nicht wieder nur zur Kenntnis genommen werden. Wir wollen endlich konkrete Schritte und Lösungen, wie der Bund mit in die Verant- wortung gehen kann. Der bürokratische Aufwand, einen Platz im Frauen- haus zu bekommen, ist oft sehr hoch. Die Mitarbeiterin- nen müssen selbst bei Notfällen aufwendig Formalien prüfen. Darum brauchen wir praktikable Lösungen. Nö- tig ist eine schnelle und sichere Unterbringung für Frauen, und zwar für alle: auch für Studentinnen und Asylbewerberinnen. Das Fachgespräch im November im Frauenausschuss hat klar gezeigt: Viele Frauenhäuser und auch Frauenbe- ratungsstellen sind längst am Rande ihrer Kapazitäten angelangt, vor allem personell. Einige mussten bereits schließen. Deshalb sage ich es deutlich: Wir brauchen endlich eine Reform der Frauenhausfinanzierung, die hohe qualitative Standards und eine ausreichende finan- zielle Ausstattung garantiert – bundeseinheitlich und be- darfsgerecht. Wenn Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Union, immer wieder verfassungsrechtliche Bedenken wegen der Mischfinanzierung vorschieben, möchte ich Sie an die Lösungsvorschläge der Expertinnen im Aus- schuss erinnern. Demnach wäre zum Beispiel ein soge- nanntes 3-Säulen-Modell, also eine Finanzierung aus Bund, Ländern und Kommunen, durchaus möglich. Was dem im Weg steht, ist Ihr fehlender politischer Wille. Sie haben es in der Hand! Der Europarat und die UN fordern seit Jahren von Deutschland eine Verbesserung der Situation der Frau- enhäuser – und mehr Plätze. Das Beispiel der autono- men Frauenhäuser macht klar: 2013 wurden knapp 5 400 Frauen und ihre Kinder aufgenommen. Aber über 7 700 mussten abgewiesen bzw. verwiesen werden. Darum unterstützen wir den Antrag der Linken auf ei- nen Rechtsanspruch auf sofortigen Schutz. Denn Frauen in Not können nicht länger warten. Das Hilfetelefon für Gewaltopfer ist eine gute Maß- nahme. Aber es ist eben nur ein Baustein im Hilfesys- tem, und das wissen auch Sie von der Regierung. Gewalt gegen Frauen ist kein individuelles, sondern ein gesellschaftliches Problem. Frauen und ihren Kin- dern Hilfe und Schutz zu gewähren, ist ein Menschen- recht und staatliche Verpflichtung. Ich appelliere an Sie als Bundesregierung: Reformie- ren Sie die Finanzierung der Frauenhäuser, sodass Un- terstützung und Schutz gesichert sind, wenn Frauen diese brauchen. Anlage 3 Amtliche Mitteilungen Der Bundesrat hat in seiner 929. Sitzung am 19. De- zember 2014 beschlossen, den nachstehenden Gesetzen zuzustimmen bzw. einen Antrag gemäß Artikel 77 Ab- satz 2 des Grundgesetzes nicht zu stellen: 7692 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 (A) (C) (D)(B) – Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes (Arti- kel 91b) – Gesetz über die Feststellung des Bundeshaushalts- plans für das Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsge- setz 2015) Der Bundesrat hat hierzu ferner die folgende Ent- schließung gefasst: 1. Der Bundesrat hat in seiner Stellungnahme zum Entwurf eines Gesetzes über die Feststellung des Bundeshaushaltsplans für das Haushaltsjahr 2015 (Haushaltsgesetz 2015) seine Erwartung zum Ausdruck gebracht, dass die für den Verkehrsbe- reich bereitgestellten Regionalisierungsmittel er- höht werden und der Ansatz zumindest um die zur Deckung von Kostensteigerungen dringend erforderliche, bisher erfolgte Dynamisierung von 1,5 Prozent aufgestockt wird (vgl. Drucksache 350/14 (Beschluss)). Der Bundesrat nimmt mit Bedauern zur Kenntnis, dass dieser Forderung im Bundeshaushalt 2015 nicht gefolgt wurde. Er weist vor diesem Hinter- grund mit Nachdruck auf den Entwurf eines Ge- setzes zur Änderung des Regionalisierungsgeset- zes hin, dessen Einbringung beim Deutschen Bundestag der Bundesrat am 28. November 2014 beschlossen hat (vergleiche Drucksache 557/14 (Be- schluss)). Der Gesetzentwurf sieht eine aus Sicht des Bundesrates dringend erforderliche Anpas- sung des Ausgangsbetrags der Regionalisierungs- mittel an den nachgewiesenen Bedarf (8,5 Mil- liarden Euro im Jahr 2015) sowie eine Erhöhung der jährlichen Dynamisierungsrate auf 2 Prozent vor. Im Übrigen weist der Bundesrat darauf hin, dass die Regionalisierungsmittel nicht Gegen- stand der Gespräche zur Neuordnung der Bund- Länder-Finanzbeziehungen sind, sieht doch § 5 Absatz 5 Regionalisierungsgesetz eine Revision der Höhe der Mittel zum 1. Januar 2015 vor. 2. a) Die Länder und der Bund tragen eine gemein- same Verantwortung für gute Rahmenbedin- gungen für die Kulturlandschaft in der Bundes- republik Deutschland. Die Länder begrüßen es deshalb, dass im Rahmen der Haushaltsbe- ratungen des Deutschen Bundestages der Kul- turetat erhöht wurde und damit wichtige Im- pulse für die Kulturpolitik gesetzt werden können. b) Die Länder und der Bund eint der Anspruch, durch eine qualitätsorientierte Förderung des Films die außergewöhnliche kulturelle Viel- falt im audiovisuellen Angebot abzusichern und damit auch mittelbar zum Erfolg der deutschen Filmindustrie beizutragen. Kom- plementär zu den Filmförderungen durch die Länder leistet die wirtschaftliche Förderung des bei der Beauftragten für Kultur und Me- dien angesiedelten Deutschen Filmförder- fonds (DFFF) einen wichtigen Beitrag zur deutschen und europäischen Filmkultur. c) Gleichzeitig hat der DFFF maßgeblich zur Verbesserung der Rahmenbedingungen der Medienwirtschaft beigetragen und die inter- nationale Wettbewerbsfähigkeit des Produk- tionsstandortes Deutschland nachhaltig ver- bessert. Der Medienstandort Deutschland zeichnet sich durch eine gute Filminfrastruk- tur und sehr gut ausgebildete Filmschaffende aus. Durch den DFFF ist es gelungen, diese Standortvorteile auszubauen und große inter- national erfolgreiche Filmproduktionen nach Deutschland zu holen. Von dieser Entwick- lung haben zahlreiche Regionen Deutschlands und mittelbar auch der Technologiestandort Deutschland, beispielsweise im Bereich von Postproduktion und Visual Effects, profitiert. Aufgrund der Nachhaltigkeit dieses Engage- ments der Bundesregierung konnte sich Deutsch- land zu einem führenden Standort für große internationale Filmproduktionen in Europa entwickeln. Deutsche Filmproduktionen prä- gen das Deutschlandbild im Ausland positiv mit. d) Der Bundesrat hält es zur Sicherung der Kon- tinuität dieser positiven Entwicklung für wichtig, die finanzielle Ausstattung des DFFF auf einem angemessenen Niveau sicherzustel- len. Daher sieht er die für den Bundeshaushalt 2015 vorgesehene Kürzung um 10 Millionen Euro von 60 Millionen Euro auf 50 Millionen Euro mit Sorge. Im Jahre 2013 lag das Budget des DFFF noch bei 70 Millionen Euro. Der Bundesrat ist der Auffassung, dass die Mittel für den DFFF im Haushaltsjahr 2016 mindes- tens wieder auf das Niveau von 2014 (60 Mil- lionen Euro) aufgestockt werden sollten, damit die Bundesrepublik Deutschland weiterhin ei- nen Spitzenplatz für nationale und internatio- nale Filmproduktionen einnehmen kann. e) Der Bundesrat geht davon aus, dass die Bun- desregierung in der mittelfristigen Finanz- planung des Bundes den Deutschen Filmför- derfonds über 2017 hinaus grundsätzlich absichert. Es ist wichtig, dass der DFFF auch künftig in seiner Höhe und flexiblen Ausge- staltung ein verlässliches Fundament für viel- fältige deutsche und internationale Filme bil- den kann. 3. Die Gefährlichkeit militärischer Hinterlassen- schaften aus dem Zweiten Weltkrieg mit chemi- schem Langzeitzünder stellt ein unkalkulierbares Gefahrenpotential dar. Stark belastete Länder sind mit der Beseitigung der Rüstungsaltlasten überfordert. Der am 11. Juli 2014 vom Bundesrat beschlossene Entwurf des Rüstungsaltlastenfinanzierungsgeset- zes (BR-Drucksache 282/14 (Beschluss)) soll den unbefriedigenden Zustand der bestehenden Staatspraxis beenden, wonach der Bund den Län- dern nur die Aufwendungen für die Kampfmittel- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 7693 (A) (C) (D)(B) räumung auf Bundesliegenschaften sowie die Bergung und Vernichtung sogenannter reichsei- gener Kampfmittel erstattet. Denn auch der Aus- gleich der enormen, im Zusammenhang mit der Beseitigung von nicht ehemals reichseigenen Kampfmitteln und weiteren Rüstungsaltlasten noch ausstehenden Kosten ist eine gesamtgesell- schaftliche Aufgabe. Der Bundesrat bittet die Bundesregierung und den Bundestag nachdrücklich, den berechtigten In- teressen der Länder nachzukommen, die notwen- dige Haushaltsvorsorge zu treffen und schnellst- möglich das Gesetz zu beschließen. – Gesetz zur besseren Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf – Gesetz zur Änderung von Gesetzen über Sonder- vermögen des Bundes – Gesetz zur weiteren Entlastung von Ländern und Kommunen ab 2015 und zum quantitativen und qualitativen Ausbau der Kindertagesbetreuung sowie zur Änderung des Lastenausgleichsgesetzes – Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung wei- terer steuerlicher Vorschriften – Gesetz zur Änderung der Abgabenordnung und des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung – Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern – Fünfundzwanzigstes Gesetz zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (25. BAföGÄndG) – … Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexual- strafrecht – Fünftes Gesetz zur Verbesserung rehabilitie- rungsrechtlicher Vorschriften für Opfer der poli- tischen Verfolgung in der ehemaligen DDR – Gesetz zur Umsetzung der Richtlinie 2012/17/EU in Bezug auf die Verknüpfung von Zentral-, Han- dels- und Gesellschaftsregistern in der Europäi- schen Union – Gesetz zur Änderung von Vorschriften zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften zur Durchsetzung des Verbraucherschutzes – Gesetz zur Änderung des Erneuerbare-Energien- Gesetzes Ferner hat der Bundesrat hierzu die folgende Ent- schließung gefasst: Der Bundesrat bittet die Bundesregierung, zeitnah ei- nen Gesetzentwurf vorzulegen, der es Betreibern mehrerer Anlagen, die über eine gemeinsame Mess- einrichtung abgerechnet werden, ermöglicht, auch weiterhin einen Teil des produzierten Stroms direkt zu vermarkten. Begründung: Im EEG 2014 wurde anlässlich der letzten Novelle in § 20 Absatz 2 die Möglichkeit der prozentualen Auf- teilung auf verschiedene Veräußerungsformen ein- schließlich der anteiligen Direktvermarktung aufge- nommen. Ausweislich der Begründung zu § 20 Absatz 2 EEG 2014 (BT-Drucksache 18/1891, S. 201) soll die anteilige Direktvermarktung auch möglich sein, wenn mehrere Anlagen, die über eine gemeinsame Messeinrichtung abgerechnet werden, anteilig direkt vermarkten. Dazu im Widerspruch steht § 25 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 EEG 2014, der die Kombination von Einspeisevergütung und Di- rektvermarktung ausschließt, wenn mehrere Anlagen über eine gemeinsame Messeinrichtung abgerechnet werden. Mit der Anordnung, dass in diesen Fall le- diglich der Monatsmarktwert zu vergüten ist, wirkt die Vorschrift wie eine Sanktion, die für die Betroffe- nen im Einzelfall wirtschaftlich existenzbedrohend sein kann. Aufgrund der unterbliebenen redaktionellen Folgen- anpassung in § 25 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 EEG 2014 wurden von Netzbetreibern Förderansprüche betroffener Anlagenbetreiber ab Inkrafttreten des no- vellierten EEG 2014 zum 1. August 2014 reduziert, obwohl die Gesetzesbegründung zum EEG 2014 aus- drücklich vorsieht, die anteilige Direktvermarktung zuzulassen. Um im Gesetzeswortlaut klarzustellen, dass die an- teilige Direktvermarktung auch bei den Anlagen wei- terhin möglich ist, die über eine gemeinsame Mess- einrichtung abgerechnet werden, sollte § 25 Absatz 2 Satz 1 Nummer 3 EEG 2014 gestrichen werden. In diesem Zusammenhang ist von wesentlicher Bedeu- tung, dass die Klarstellung zur zulässigen anteiligen Direktvermarktung bei gemeinsamer Messeinrich- tung rückwirkend zum 1. August 2014 in Kraft tritt, um Vergütungseinbußen betroffener Anlagenbetrei- ber zu vermeiden. – Gesetz zum Vorschlag für einen Beschluss des Ra- tes über einen Dreigliedrigen Sozialgipfel für Wachstum und Beschäftigung und zur Aufhe- bung des Beschlusses 2003/174/EG – Gesetz zu dem Europäischen Übereinkommen vom 27. November 2008 über die Adoption von Kindern (revidiert) – Gesetz zu dem Übereinkommen des Europarates vom 25. Oktober 2007 zum Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Miss- brauch Zudem hat der Bundesrat in seiner 929. Sitzung am 19. Dezember 2014 gemäß § 3 Absatz 1 Satz 2 Num- mer 3, Satz 5 und 6 des Standortauswahlgesetzes Sena- tor Andreas Geisel (Berlin) als Nachfolger des ausschei- denden Regierenden Bürgermeisters Michael Müller (Berlin) und Ministerin Anja Siegesmund (Thüringen) als Nachfolgerin des ausscheidenden Ministers a. D. Jürgen Reinholz (Thüringen) zu stellvertretenden Mit- 7694 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 80. Sitzung. Berlin, Freitag, den 16. Januar 2015 (A) (C) (D)(B) gliedern der „Kommission Lagerung hoch radioakti- ver Abfallstoffe“ gewählt. Die folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass sie gemäß § 80 Absatz 3 Satz 2 der Geschäftsordnung von einer Berichterstattung zu den nachstehenden Vorlagen absehen: Auswärtiger Ausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fortschrittsbericht zur Lage in Afghanistan 2014 einschließlich einer Zwischenbilanz des Afghanistan-Engagements Drucksache 18/3270 Innenausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Fünfter Versorgungsbericht der Bundesregierung Drucksachen 17/13590, 18/641 Nr. 10 Haushaltsausschuss – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2014 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts- ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei Kapitel 16 06 Titel 893 01 – Prämien nach dem Wohnungsbau-Prämiengesetz Drucksachen 18/3159, 18/3363 Nr. 1.2 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2014 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts- ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Ausgabe bei 10 01 Titel 636 01 – Zuschüsse für die Al- terssicherung der Landwirte – bis zur Höhe von 26,5 Mio. Euro Drucksachen 18/3371, 18/3482 Nr. 1.1 – Unterrichtung durch die Bundesregierung Haushaltsführung 2014 Mitteilung gemäß § 37 Absatz 4 der Bundeshaushalts- ordnung über die Einwilligung in eine überplanmäßige Offsetdruc Vertrieb: Bundesanzeiger Verlag GmbH, Postfach 10 05 34, 50445 Köln, Te Ausgabe bei Kapitel 10 01 Titel 636 04 – Zuschüsse zur Krankenversicherung der Landwirte – bis zur Höhe von 16,5 Mio. Euro Drucksachen 18/3510, 18/3617 Nr. 6 Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht zur Tätigkeit der Verkehrsinfrastrukturfinan- zierungsgesellschaft im Jahr 2013 Drucksachen 18/3014, 18/3216 Nr.1 Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung – Unterrichtung durch die Bundesregierung Bericht der Bundesregierung zu Ausgangslage und Per- spektiven der Post-2015-Agenda für nachhaltige Ent- wicklung – Gemeinsame globale Herausforderungen, Interessen und Ziele Drucksache 17/14667 (neu) Die Vorsitzenden der folgenden Ausschüsse haben mitgeteilt, dass der Ausschuss die nachstehenden Unionsdokumente zur Kenntnis genommen oder von ei- ner Beratung abgesehen hat. Finanzausschuss Drucksache 18/1393 Nr. A.28 Ratsdokument 8050/14 Drucksache 18/2533 Nr. A.30 Ratsdokument 12031/14 Drucksache 18/3362 Nr. A.6 Ratsdokument 15059/14 Haushaltsausschuss Drucksache 18/3110 Nr. A.9 Ratsdokument 14071/14 Drucksache 18/3110 Nr. A.10 Ratsdokument 14401/14 Drucksache 18/3218 Nr. A.3 Ratsdokument 14433/14 Drucksache 18/3218 Nr. A.4 Ratsdokument 14442/14 Drucksache 18/3477 Nr. A.2 Ratsdokument 15444/14 kerei, Bessemerstraße 83–91, 1 lefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 22 80. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 18 Nationaler Bildungsbericht 2014 TOP 19 Schiedsgerichte in Freihandelsabkommen USA, Kanada TOP 20 EU-Assoziierungsabkommen Ukraine, Georgien, Moldau TOP 21 Abkommen mit Polen über Polizei- und Zollkooperation TOP 22 Schutz für von Gewalt betroffene Frauen und Kinder Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808000000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer 80. Plenarsitzung und rufe gleich die
Tagesordnungspunkte 18 a bis 18 d auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundes-
regierung

Nationaler Bildungsbericht – Bildung in
Deutschland 2014

und

Stellungnahme der Bundesregierung

Drucksache 18/2990
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

b) Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und SPD

Bildung in Deutschland gemeinsam voran-
bringen, Lehren aus dem Nationalen Bil-
dungsbericht 2014 ziehen, Chancen der In-
klusion nutzen

Drucksache 18/3546
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss
c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Özcan
Mutlu, Kai Gehring, Beate Walter-Rosenheimer,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Bildung schafft Teilhabe und Chancengleich-
heit – Empfehlungen des Nationalen Bil-
dungsberichts 2014 zügig umsetzen

Drucksache 18/3412
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Rosemarie Hein, Sigrid Hupach, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Bildungsverantwortung gemeinsam wahrneh-
men – Konsequenzen aus dem Bildungs-
bericht ziehen

Drucksache 18/3728
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)

Sportausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Dazu gibt es
offenkundig keinen Dissens. Dann können wir so ver-
fahren.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Bundesministerin Frau Professor Wanka.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Deutschland ist mittlerweile ein
Land, in dem Bildung großgeschrieben wird. Deutsch-
land ist eine Bildungsrepublik. Die massiven Investitio-
nen der letzten Jahre, sowohl an Geld als auch an Ideen,
in den Bereich der Bildung haben sich ausgezahlt. Das
ist kein Verdienst, mit dem wir uns allein schmücken
können, sondern das ist eine gemeinsame Anstrengung
des Bundes, der Länder, der Kommunen, der Sozialpart-
ner, aber vor allen Dingen der Lehrerinnen und Lehrer
und der Erzieherinnen und Erzieher, die hervorragende
Arbeit leisten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man sich den Bericht anschaut, dann erkennt
man die zeitliche Entwicklung. Das Entscheidende an
dem Bericht ist ja, dass seit 2006 Daten zu denselben In-
dikatoren erhoben werden. Damit gibt es in Deutschland
endlich einmal eine Längsschnittbetrachtung, also eine
Darstellung der Entwicklung im Zeitverlauf. Dieser Bil-
dungsbericht zeigt die positive Entwicklung auf. Wenn
ich in die Anträge schaue, dann stelle ich fest, dass die
grüne Fraktion sagt: „Ja, positive Entwicklung, aber zu
gering und zu langsam“, und die linke Fraktion sagt: Nur
leichte Fortschritte erkennbar. – Nein, meine Damen und
Herren, es sind große Steigerungen erkennbar.

Ich will einmal einige wenige Punkte herausgreifen.

Der Anteil der Schülerinnen und Schüler, die die
Schule ohne Hauptschulabschluss verlassen, lag einmal
bei 8 oder 9 Prozent. Ich erinnere mich noch, dass dieser
Anteil ursprünglich sogar bei 12 Prozent lag. Jetzt liegt
er bei 5,9 Prozent. Diese Zahl umfasst auch diejenigen,
die eine Förderschule besuchen, was nicht als Abschluss
gerechnet wird. Natürlich wollen wir eine weitere Sen-
kung, aber hinter dem jetzt erreichten Ergebnis steckt
bereits eine enorme Anstrengung.

Nehmen wir den Übergangsbereich: Jahrelang hatten
wir – Sie hier im Bundestag; wir in allen Landtagen –
darüber diskutiert, dass sich immer mehr junge Men-
schen in diesem Übergangsbereich, also in Warteschlei-
fen, befinden. Zum ersten Mal in den letzten Jahren hat
sich die Zahl der jungen Menschen in diesem Über-
gangsbereich verringert. 2013 – das steht in diesem Be-
richt – wurde ein absoluter Tiefstand erreicht. Trotzdem
muss noch viel getan werden; das ist völlig unstrittig.

Auch über die Studienanfängerquote wird viel disku-
tiert. Sie liegt bei über 50 Prozent, wobei – kleiner Ne-
bensatz – bei dieser Studienanfängerquote auch alle aus-
ländischen Studierenden erfasst werden. Es sind also
nicht über 50 Prozent eines Altersjahrgangs, die hier le-
ben und die ein Studium beginnen, sondern es werden
auch alle ausländischen Studierenden hinzugerechnet.
Im Moment gibt es einen riesigen Run aus dem Ausland.
Wir sind in einer Spitzenposition, was die Zahl ausländi-
scher Studierender betrifft. Was mich besonders freut,
ist, dass wir auch in den MINT-Fächern einen Zuwachs
an Studierenden zu verzeichnen haben, und da ist ein
überproportionaler Zuwachs des Anteils von jungen
Frauen festzustellen, vor allem dann – das wundert uns
nicht –, wenn es um die Abschlüsse geht.

Stichwort Weiterbildungsangebote. Dieser Bericht
macht deutlich: Seit 15 Jahren haben erstmals 49 Pro-
zent der 16- bis 64-Jährigen an einer Weiterbildung teil-
genommen.

Viel diskutiert wurde auch der Rechtsanspruch auf ei-
nen Betreuungsplatz für die unter Dreijährigen. Das Fa-
zit des Bildungsberichts lautet, dass dieser Rechtsan-
spruch umgesetzt wurde und dass ein bedarfsgerechtes
Angebot an Betreuungsplätzen vorhanden ist. Wenn ich
mir einmal die Studien ansehe, dann bin ich immer wie-
der verblüfft, dass in Deutschland 96 Prozent aller Kin-
der, die vier Jahre alt sind, in eine Betreuungseinrichtung
gehen. Das vermutet man gar nicht; denn im OECD-
Durchschnitt sind es 82 Prozent. In diesem Bereich hat
Deutschland in den letzten Jahren eine enorme Verände-
rung erfahren.

Der Bericht zeigt noch etwas anderes sehr deutlich. In
dem Bericht steht – das möchte ich zitieren –, dass im
Zusammenhang mit dem Ausbau „keine Abstriche bei
der Qualifikation des in Kindestageseinrichtungen täti-
gen pädagogischen Personals oder den Personalschlüs-
seln erkennbar sind“.

Dieser kleine Ausschnitt – wir werden noch andere
Zahlen hören – zeigt, dass es richtig war, dass sich die
Bundeskanzlerin zusammen mit den Ministerpräsidenten
auf dem Bildungsgipfel 2008 konkrete Zahlenziele ge-
setzt hat, auch wenn das immer ein bisschen gefährlich
ist. Wir gehen in die richtige Richtung. Auf dem Bil-
dungsgipfel wurde vereinbart, dass man die Ziele bis
2015 erreichen will. Das heißt, der Bildungsbericht, der
uns 2016 vorliegen wird, wird zeigen, ob wir die Ziele
erreicht haben und wo wir stehen. Ich glaube, es kommt
nicht so sehr darauf an, jedes Ziel zu erreichen. Ich
kenne keinen Gipfel, egal zu welchem Thema, auf dem
so viel geschafft wurde wie im Zusammenhang mit dem
Bildungsgipfel.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Anders als die Grünen das in ihrem Antrag formulie-
ren, ist Aufstieg durch Bildung kein „uneingelöstes Ver-
sprechen“. Schauen Sie sich einmal an, wo wir hinsicht-
lich der sozialen Mobilität im internationalen Vergleich
liegen: Im Vergleich mit vergleichbaren Ländern sind
wir unter den Besten.

Wenn Sie diese Zahlen hören, denken Sie vielleicht,
dass wir sehr selbstzufrieden sind. Selbstzufriedenheit
wäre falsch, aber ich denke, dass man sich auch in der
Politik einmal freuen kann. Man kann sagen: „Es ist et-
was geschafft worden“, ohne dabei zu verkennen, dass





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)

noch eine Wegstrecke vor uns liegt und noch ganz viel
zu tun ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zentrales Anliegen ist natürlich die Verbesserung der
Bildungschancen und der Teilhabechancen für alle Kin-
der und Jugendlichen. Ein guter Start ins Leben ist wich-
tig. Dieser Bereich ist aber auch mit Blick auf das
Thema Integration außerordentlich wichtig. Wenn man
sich die Gruppe der Kinder und Jugendlichen mit Migra-
tionshintergrund anschaut, stellt man fest, dass laut
PISA-Studien diese Gruppe zwischen 2003 und 2012 ei-
nen Kompetenzzuwachs von 24 Punkten verzeichnen
konnte. Kinder und Jugendliche ohne Migrationshinter-
grund konnten während desselben Zeitraums einen
Kompetenzzuwachs von 3,6 Punkten verzeichnen. Das
heißt, dass sich in diesem Bereich Anstrengungen aus-
zahlen und die jungen Leute motiviert sind. Wir können
also sagen: Die jungen Leute mit Migrationshintergrund
holen auf,


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aufholen reicht nicht!)


auch wenn sie noch nicht das Niveau erreicht haben, das
wir uns wünschen. Dass man aufseiten der Linken in
diesem Zusammenhang von einer „hohen Ausgrenzung
von Lernenden mit Zuwanderungshintergrund“ spricht,
kann ich nicht verstehen; denn dafür gibt es überhaupt
keine Belege


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! PISA!)


in dem dicken Bildungsbericht, im Gegenteil.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Entscheidend ist die Sprachförderung. Diesbezüglich
wird in den Ländern viel gemacht. 2013 haben wir das
Programm BISS, Bildung durch Sprache und Schrift,
aufgelegt. Es kommt da darauf an, dass die Millionen,
die auch von den Ländern zur Verfügung gestellt wer-
den, effektiv eingesetzt werden. Das passiert aber an vie-
len Stellen nicht. Man muss gemeinsam mit den Ländern
die Wirksamkeit dieses Programms überprüfen und
Schlussfolgerungen daraus ziehen.

Meine Damen und Herren, was soll in den nächsten
Jahren wichtig sein? Entscheidend ist, dass die Qualität
von Bildungsprozessen verbessert wird. Die zentralen
Figuren in Bildungsprozessen sind natürlich die Erziehe-
rinnen und Erzieher sowie die Lehrerinnen und Lehrer.
Zur Verbesserung der Qualität der frühen Bildung unter-
stützt unser Ministerium die Weiterbildungsinitiative
Frühpädagogische Fachkräfte. Sie sollte eigentlich bis
2014 laufen, wurde aber verlängert, erst einmal bis 2018.
Ich habe mich gefreut, dass die Linken sagen, dass diese
Weiterbildungsinitiative einen Vorbildcharakter hat.


(Zuruf der Abg. Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE])


– Ja, das kann man auch einmal sagen.
Ärgerlich ist aber, dass in Ihrem Antrag behauptet
wird, wir würden eigentlich nicht viel machen und es
würde alles nur ein bisschen weiterentwickelt. Als Bei-
spiel führen Sie die Bildungsketten an. An dieser Stelle
kriege ich wirklich Zustände.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Können Sie lesen?)


– Ja.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Scheinbar nicht!)


Bildungsketten bedeuten – das habe ich hier schon ein-
mal erläutert –: siebente, achte Klasse, Potenzialanalyse,
individuelle Ansprache, dann Entscheidung für Berufe,
Berufseinstiegsbegleitung etc. Ich habe bei all meinen
Besuchen in unterschiedlichsten Einrichtungen, auch
schon als Landesministerin, von den Lehrern, von den
Erziehern, von den betreffenden Jugendlichen und von
den Eltern nur Positives gehört. Das funktioniert. Aber:
Modellversuche sind das eine, wichtig ist, dass die
Dinge auch einmal im großen Maßstab, in der Fläche
funktionieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Da entwickeln wir nicht nur ein bisschen weiter, son-
dern Frau Nahles und ich haben uns darauf verständigt,
dass in den nächsten Jahren 1 Milliarde Euro für diesen
Bereich ausgegeben wird. So können wir 500 000 Ju-
gendliche erreichen; bei der Berufseinstiegsbegleitung
sind es über 100 000. Das gab es noch nie. Wir brauchen
nicht alle fünf Minuten einen neuen Vorschlag, ein neues
Modell, sondern das, was funktioniert, muss in der Flä-
che verstärkt angewendet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wissen, dass wir im Bereich der dualen Ausbil-
dung Probleme haben. Wir müssen die Attraktivität er-
höhen. Es geht vor allen Dingen um die Passgenauigkeit,
also darum, dass jeder den für sich geeigneten Beruf fin-
det. Wir können es uns nicht mehr erlauben, dass wie
noch vor Jahren nur mit Abitur eingestellt wird und Ju-
gendliche mit einem Hauptschulabschluss oder ohne Ab-
schluss keine Chance haben. Das ist aber auch in der
Wirtschaft angekommen. Wir haben uns im Ministerium
überlegt, wie man jetzt dort das Rad ein Stück weiterdre-
hen kann, und haben dann alles, was uns eingefallen ist,
und auch die Vorschläge, die von den Regierungsfraktio-
nen gekommen sind, in das große Paket „Chance Beruf“
gepackt. Es soll dafür sorgen, dass wir mit unserer dua-
len Ausbildung nicht nur international wertgeschätzt
werden, sondern dass auch genügend junge Leute eine
duale Ausbildung machen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Das Thema Weiterbildung habe ich bereits genannt.
49 Prozent sind eine gute Zahl. Wir haben beim Bund In-
strumente, um Weiterbildung individuell zu befördern,
zum Beispiel die Weiterbildungsprämie. Dieses Instru-
ment haben wir jetzt evaluiert, um zu schauen, wer es





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)

nutzt. Das Ergebnis ist sehr schön. Diese Weiterbil-
dungsprämie wird entgegen dem sonstigen Trend in der
Weiterbildung gerade von denen genutzt, die wir sonst
nicht erreichen, die aus finanziellen Gründen oder weil
sie bildungsfern sind nicht in Weiterbildung gehen. Des-
wegen ist dieses Instrument so wichtig. Wir haben seit
dem 1. Januar einen Telefonservice freigeschaltet, damit
in dem großen Bereich der Weiterbildung gute Informa-
tionen für jeden Bürger bereitgestellt werden, damit sich
jeder zurechtfindet und die Möglichkeiten nutzen kann.

Noch ein paar weitere Stichpunkte. Über den Hoch-
schulpakt haben wir schon öfter gesprochen. Ich muss
hier nicht noch einmal die Milliarden, die investiert wer-
den, und all die anderen Punkte nennen. Aber zwei Sa-
chen sind mir wichtig. Der Hochschulpakt ist aus meiner
Sicht die größte Leistung in der Bundesrepublik Deutsch-
land für die Bewältigung der demografischen Entwick-
lung. Zweitens ist es ein Rieseninstrument für Chancen-
gerechtigkeit. Ohne den Hochschulpakt hätten die
jungen Leute, die in den Jahren von 2005 bis 2020
18 geworden sind bzw. werden, geringere Chancen. Wir
haben dafür gesorgt, dass sie genau die Chancen haben
wie die jugendlichen Generationen vor ihnen. Gerade
Chancengerechtigkeit ist mir ein wichtiges Thema. Aber
es geht nicht nur um Quantitäten, sondern auch um die
Qualität. Ich denke hier an den Qualitätspakt Lehre und
anderes.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt keinen Königsweg, aber die Durchlässigkeit
zwischen den unterschiedlichen Bildungsgängen wird
verbessert. Ich denke zum Beispiel an berufliche Bil-
dung, Studieren mit beruflicher Qualifikation und an
Studienabbrecher, die in Meisterberufe oder andere Aus-
bildungen wechseln. In einem Ihrer Anträge las ich: Na
ja, da gibt es ANKOM und Bundesprojekte. Das betrifft
20 Hochschulen, an denen der Bund Maßnahmen geför-
dert habe. – Erst einmal muss ich sagen, dass es um viel
Geld geht. Die TU Braunschweig beispielsweise be-
kommt 8 Millionen Euro; das ist eine beachtliche
Summe.

Es geht aber nicht darum, ein einzelnes Modell zu ha-
ben. Wir haben uns im letzten Jahr auf einer Konferenz
damit befasst. Die Oldenburger Uni hatte die Förderung
für ein Projekt bekommen – hier wurden wichtige Er-
gebnisse erzielt –, bei dem es um die Anrechenbarkeit
ging: Was ist denn ein IHK-Abschluss in unterschiedli-
chen Studiengängen an Credits wert? Die Ergebnisse
gelten natürlich nicht nur für Oldenburg oder Umge-
bung, sondern sie sind – das wurde bei der Tagung deut-
lich – auch für andere interessant und verwendbar. Das
ist deswegen wichtig, weil es das ist, was wir als Bund
oft machen, was wir können: Initiativwirkung. Natürlich
spielt Geld auch eine Rolle; es fließen Millionen. Aber
damit wird auch eine Anregung gegeben, die weit über
das hinausgeht, was vielleicht ein einzelnes Bundesland
macht.

Im Bildungsbericht gibt es immer ein Schwerpunkt-
kapitel. Diesmal geht es um die Situation von Menschen
mit Behinderung. Die Analyse, die dort vorgelegt wird,
ist einzigartig. So etwas gab es noch nicht. Es wird ana-
lysiert, wie die Situation von Menschen mit Behinde-
rung in der Bundesrepublik Deutschland im frühkindli-
chen Bereich, im Studium usw. ist. Sonst haben wir
immer nur partiell Zahlen und Daten. Es ist auch ein
Sinn des Bildungsberichts, im Schwerpunktkapitel ein
Thema flächendeckend ganz genau zu untersuchen. Im
nächsten Bildungsbericht wird der Schwerpunkt auf
Menschen mit Migrationshintergrund, insbesondere im
Bildungsprozess, liegen.

Wenn man sich das Kapitel im aktuellen Bericht be-
züglich der Inklusion der Menschen mit Behinderung
– es geht natürlich um mehr – durchliest, dann muss man
sagen: Ich war sehr erfreut über die Einschätzung, dass
es ein hochdifferenziertes ausgebautes System im recht-
lichen und im sozialen Sinn für Menschen mit Behinde-
rung gibt. Aber was die Abstimmung zwischen den ein-
zelnen Bildungsbereichen angeht, funktioniert es nicht.

Wir haben es manchmal falsch gemacht und etwas in
Deutschland eingeführt, nur weil wir gesehen haben,
dass es in Großbritannien oder in Asien gut funktioniert,
ohne dabei die gewachsene historische Situation in
Deutschland zu berücksichtigen. Man kann aus dem Bil-
dungsbericht herauslesen – das finde ich gut –: Wir ha-
ben in Deutschland ein System der Förderschulen, wir
haben geschützte Werkstätten, und wir wollen Inklusion.
Wir müssen zwar Änderungen vornehmen. Wir dürfen
dies aber nicht tun, indem wir einfach die Rezepte von
woanders übernehmen. Vielmehr müssen wir uns fragen:
Wie können wir im Rahmen unseres gewachsenen Sys-
tems klug – und nicht vor allen Dingen schnell – für In-
klusion sorgen? Weil wir nicht einfach die Rezepte von
woanders übernehmen können, besteht hier viel For-
schungsbedarf.

Wir starten in diesem Jahr das Forschungsförderpro-
gramm „Inklusion im Bildungssystem“, das sehr breit
angelegt ist.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fünf Jahre nach der UN-Konvention!)


Daraus werden sich Empfehlungen für konkrete Maß-
nahmen ergeben. 70 Prozent aller Grundschullehrer sa-
gen laut Bildungsbericht, dass sie sich nicht gerüstet füh-
len. Sie brauchen in diesem Bereich Kompetenzen, zum
Beispiel Diagnostikmöglichkeiten. Diese werden wir ef-
fektiv auf der Basis der Forschungsergebnisse entwi-
ckeln. Ich glaube, dass es auch im Hinblick auf die
„Qualitätsoffensive Lehrerbildung“, die schon läuft,
Möglichkeiten gibt, diese Dinge im Rahmen der Lehrer-
bildung schon jetzt zu verankern oder zu erproben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben große Fortschritte gemacht. Wir müssen
aber immer daran denken: Es dauert lange, bis Fort-
schritte im Bildungsbereich ihren Niederschlag finden.
Änderungen, die man heute vornimmt, zeigen vielleicht
erst in 15 Jahren ihre Wirkung. Das heißt, das wird nicht
fix gehen. Man braucht also einen langen Atem, und
man braucht lange Zeit Geld. Die Bildungsfinanzierung
muss auf hohem Niveau fortgesetzt werden.





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)

Meine letzte Bemerkung. Heute ist der 16. Januar
2015. Das heißt, seit 16 Tagen liegt auf dem Tisch der
Länder ein schönes Geldpaket; ich meine die BAföG-
Mittel. Mit diesem Geld können sie das, was von einzel-
nen Rednern, wie ich annehme, nachher bestimmt gefor-
dert wird, machen. Sie können, wenn sie es wollen,
Schulsozialarbeiter, Personal für Ganztagsschulen, Ju-
niorprofessoren, Professoren, Laboringenieure und wei-
teres Personal für Hochschulen einstellen. Das ist Geld,
das dauerhaft zur Verfügung steht, und zwar für Dauer-
stellen; so etwas gab es noch nie, jedenfalls nicht, so-
lange ich mich erinnern kann. Diese Mittel müssen
natürlich genutzt werden; denn es war eine große Kraft-
anstrengung, sie zur Verfügung zu stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben die Weichen richtig gestellt. Aber es gibt
noch viel zu tun.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808000100

Das Wort hat nun die Kollegin Rosemarie Hein für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Rosemarie Hein (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808000200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der

fünfte nationale Bildungsbericht gibt erneut Anlass, den
Zustand des Bildungssystems in Deutschland kritisch zu
beleuchten. Das will ich tun. Vor allen Dingen müssen
wir die notwendigen Schlussfolgerungen daraus ziehen.
Die Stellungnahme der Bundesregierung zu diesem Be-
richt finde ich ausgesprochen enttäuschend. Sie macht
vor allem das, was sie in Sachen Bildung seit Jahren tut:
Sie lobt sich


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Zu Recht! – Uwe Schummer [CDU/CSU]: Allerdings, und zwar zu Recht!)


– das finde ich nicht –, und sie setzt auf ein „Weiter so“.
Doch mit einem „Weiter so“ werden wir die gravieren-
den Defizite, die es im deutschen Bildungssystem auf al-
len Ebenen nach wie vor gibt, nicht beheben können.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie wissen ja nicht, worüber Sie reden!)


Ich will das an ein paar Beispielen deutlich machen.
Das Bildungssystem in Deutschland ist insgesamt nach
wie vor von einer großen sozialen Ungleichheit geprägt.
Kinder von Eltern, die keinen akademischen Abschluss
haben, besuchen um ein Vielfaches seltener ein Gymna-
sium als Kinder aus Akademikerelternhäuser. Das Ziel
der Hochschulreife erreichen sie häufiger als andere
– auch wenn das besser geworden ist – erst über den län-
geren Weg der berufsbildenden Schulen. Ein deutlich ge-
ringerer Anteil von ihnen nimmt ein Hochschulstudium
auf. Sechsmal häufiger landen sie an Hauptschulen. Ich
finde, das ist ein Ausweis, dass es, was das Bildungssys-
tem in Deutschland betrifft, so nicht weitergehen kann.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie reden die berufliche Bildung schlecht! Das ist nicht gut, Frau Hein! – Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Es gibt nicht nur die akademische Bildung, Frau Kollegin!)


Probleme gibt es nach wie vor auch im Bereich der
beruflichen Bildung. Ende des vergangenen Jahres – in-
zwischen liegen auch neuere Zahlen vor – wurde festge-
stellt, dass wieder weniger Ausbildungsverträge abge-
schlossen wurden als im Jahr zuvor, in dem schon ein
Tiefststand zu verzeichnen war. Das ist nicht mit
Passungsproblemen zu erklären, wie es die Bundes-
regierung und Sie, Frau Ministerin, immer wieder tun.
Es fehlt eindeutig ein Ausbildungsangebot. Es gibt genü-
gend Bewerberinnen und Bewerber, die einen Beruf er-
lernen wollen. Sie bekommen aber keinen Ausbildungs-
platz; das ist das Problem. 81 000 Bewerberinnen und
Bewerber sind im vergangenen Jahr ohne Ausbildungs-
vertrag geblieben. Das sind zwar 2 400 weniger als im
Jahr zuvor; aber wenn das Abbautempo so weitergeht,
werden wir nicht 10 oder 15, sondern 34 Jahre brauchen,
um dieses Defizit auszugleichen.

Vor allem fehlt Geld, viel Geld. Sie haben zum wie-
derholten Male auf die 1,2 Milliarden Euro verwiesen,
die der Bund den Ländern zur Verfügung stellt. Ich frage
mich, was von diesem Betrag noch alles finanziert wer-
den soll.


(Zuruf von der CDU/CSU: Bildung!)


Sie haben angekündigt, dass Sie in den nächsten vier
Jahren insgesamt 6 Milliarden Euro mehr in die Bildung
geben werden.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Und?)


Es gibt aber Studien, die belegen, dass jährlich zwischen
20 und 40 Milliarden Euro zusätzlich nötig wären, um
die Defizite im Bildungsbereich insgesamt auszuglei-
chen.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das hat die Rosa-Luxemburg-Stiftung bestimmt!)


Sie können nicht immer nur auf die Länder verweisen,


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Natürlich! – Sybille Benning [CDU/CSU]: Die Länder müssen das Geld nur richtig verwenden!)


Sie müssen die Länder auch entsprechend ausstatten; an-
ders funktioniert das nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe 15 Jahre Bildungspolitik in den Ländern ge-
macht. Ich weiß, was dort in den Bildungshaushalten
steht. Ich weiß, was das für ein Kampf ist,


(Sybille Benning [CDU/CSU]: Ja, wir sind so!)


und ich weiß, wo dann das Ende der Fahnenstange er-
reicht ist.





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)

Wir wollen nicht verhehlen, dass es auch positive
Entwicklungen gibt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hört! Hört!)


Aber wie das so ist: Auch bei den positiven Entwicklun-
gen gibt es Defizite. Obwohl die Zahl der Betreuungs-
plätze für unter Dreijährige stark gestiegen ist, wurden
vor allen Dingen in den westlichen Bundesländern die
Zielzahlen gar nicht erreicht.

Sie haben uns zitiert, weil wir die WiFF-Initiative lo-
ben. Wir loben sie, weil diese Weiterbildungsinitiative
geeignet ist, bei ausgebildeten Fachkräften sonderpäda-
gogische Sachkompetenz zu entwickeln. Was diese Ini-
tiative jedoch nicht leisten kann, ist die Ausbildung von
Erzieherinnen und Erziehern. Man darf nicht verkennen,
dass die WiFF-Initiative ein Weiterbildungsprogramm
ist. Ihre Arbeit ist aller Ehren wert, reicht aber nicht aus
für eine vernünftige Versorgung mit ausgebildetem Er-
ziehungspersonal.


(Beifall bei der LINKEN)


Zu den positiven Trends gehört auch der Wunsch
nach höheren Bildungsabschlüssen. Der Realschulab-
schluss – das steht auch im Bildungsbericht – wird zum
neuen Regelabschluss; das ist sehr schön. Bei Lernförde-
rung im Rahmen des Bildungs- und Teilhabepaketes der
Bundesregierung ist das Ziel, einen höheren Bildungs-
abschluss zu erreichen, jedoch nicht vorgesehen. Dies
sei kein Grund, Lernförderung zu beantragen, hat uns die
Bundesregierung schriftlich erklärt. Wenn der Realschul-
abschluss aber ein solch anerkannter und erstrebenswerter
Abschluss wird – wir wissen, dass man dadurch deutlich
besser einen Ausbildungsplatz bekommt –, dann muss
auch er Ziel von Lernförderung sein. Ich kann Ihnen ver-
sichern: Die Schulen könnten mit dem Geld, was man in
die Lernförderung steckt, etwas Besseres anfangen. Aber
die Schulen bekommen das Geld nicht und das gehört zu
den Grundstrickfehlern in unserem Bildungssystem.

Gut ist auch, dass immer mehr junge Leute ein Stu-
dium aufnehmen; hier wurden die Zielzahlen des Bil-
dungsgipfels in der Tat überboten. Doch die Lehre an
den öffentlichen Hochschulen wird vor allem durch be-
fristet eingestelltes Lehrpersonal abgesichert.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das liegt doch an den Ländern! Die können das doch ändern! 1,2 Milliarden Euro! Ich hoffe, Sie können rechnen!)


– 1,2 Milliarden Euro; ich hoffe, Sie können rechnen.


(Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Nein! Judex non calculat! Juristen können nicht rechnen!)


Es ist keine zukunftsfähige Entwicklung, wenn man
durch prekär Beschäftigte die Lehre absichern will. Da
muss etwas passieren! Das können Sie jetzt im Übrigen
auch leisten.


(Beifall bei der LINKEN)

Besondere Probleme weist der Bildungsbericht bei
der schulischen Bildung aus. Es wurde schon gesagt:
2012 haben immer noch 5,9 Prozent der Schülerinnen
und Schüler die Schule ohne Abschluss verlassen. An
den Förderschulen besteht in den Ländern sehr oft nicht
einmal die Möglichkeit, einen Hauptschulabschluss zu
erwerben; auch das gehört zu den Defiziten.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist Sache der Länder, Frau Hein!)


Problematisch ist, dass die Entwicklung neuer Schul-
formen – die es gibt in den Ländern, und zwar zuhauf –
von den Autoren des Bildungsberichtes so eingeschätzt
wird, dass dies die Übersichtlichkeit im Bildungssystem
nicht erhöht, im Gegenteil, es wird unübersichtlicher.
Familien werden immer mehr verunsichert und sind da-
durch auch in ihrer Mobilität eingeschränkt.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Früher war alles besser!)


Besonders nachdenklich gemacht hat mich die Fest-
stellung, dass die Zahl der allgemeinbildenden Schulen
in den letzten Jahren dramatisch zurückgegangen ist und
dass es nicht mehr möglich ist, überall ein wohnortnahes
Angebot zu machen. Die Schulwege werden länger. Da-
rüber verliert die Bundesregierung leider kein Wort. Das
sei nicht ihr Bier, dafür sei der Bund nicht zuständig,
nicht für die Schulsanierung, nicht für die Schulsozial-
arbeit, nicht für die Ausstattung mit Lehrkräften usf. –
alles Ländersache.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Für was sind denn die Länder noch zuständig! Für gar nichts mehr? – Gegenruf der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wenn niemand für irgendetwas zuständig ist, brauchen wir auch keinen Bildungsbericht mehr! – Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


– Wissen Sie, ich bin Lehrerin. Ich weiß, was es heißt,
jeden Schultag fünf bis sechs Stunden das Interesse von
Schülerinnen und Schülern wachzuhalten. Es steht im
Bildungsbericht, wir sind heute bei diesem Thema. Dann
lassen Sie mich auch darüber reden! Sie können sich dort
nicht einfach rausmogeln!


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Wenn die Länder für die Kultur nicht mehr zuständig sind, werden sie abgeschafft! Polizeiminister allein brauchen wir nicht!)


– Herr Kauder, ich mache mal einfach weiter, ja?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Machen Sie ruhig! Ist sowieso Unsinn, was Sie da erzählen!)


– Das kennen Sie noch nicht. – Seit meiner Schulzeit hat
sich die Lebenswelt von Kindern gravierend verändert.
Ich habe große Hochachtung vor dem, was die Lehren-
den zurzeit leisten.


(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Wir auch!)


Die Bundespolitik erfindet in ihrer Unzuständigkeit
Programme, mit denen sie an der Schule vorbei versucht,





Dr. Rosemarie Hein


(A) (C)



(D)(B)

die Defizite, die es im schulischen Bereich gibt, zu be-
seitigen. Das sind durchaus vernünftige Programme, wie
„Kultur macht stark“, die als Ergänzung von uns sehr
wohl durchaus anerkannt werden.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie haben dagegen gestimmt!)


– Wir haben nicht wegen des Programms dagegen ge-
stimmt, sondern weil es einen Ersatz leisten soll, was
nicht möglich ist.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Gucken Sie doch einmal nach! Dagegen gestimmt! Immer nur dagegen und fordern!)


Das können diese Programme einfach nicht leisten –
auch nicht die Berufseinstiegsbegleitung. Das alles kann
die Situation an Schulen nicht verbessern.

Über die inklusive Bildung wird meine Kollegin
nachher reden; ein paar Minuten Redezeit wird sie noch
haben. Wir haben uns entschlossen, einen entsprechen-
den Antrag einzureichen, weil die Bundesregierung eben
nicht die Konsequenzen zieht, von denen wir glauben,
dass sie gezogen werden müssen.

Wir fordern deshalb erneut die Einführung einer Ge-
meinschaftsaufgabe „Bildung“, damit wir hier nicht im-
mer darüber debattieren müssen, wer zuständig ist;


(Beifall bei der LINKEN)


denn die Bildung unterliegt laut Grundgesetz der staatli-
chen Aufsicht, und Staat sind wir bitte schön auch.

Zu dieser Gemeinschaftsaufgabe gehören eine bes-
sere Ausfinanzierung des Bildungssystems und ein
Rechtsanspruch auf Ausbildung.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie haben, glaube ich, ein anderes Staatsverständnis als wir!)


Die hohe Betreuungsqualität im frühkindlichen Bereich
und die hohen Betreuungszahlen haben auch etwas da-
mit zu tun, dass es hier einen Rechtsanspruch gibt. Das
darf man nicht vergessen.

Daneben ist auch eine inhaltliche und strukturelle De-
batte notwendig. Hier könnte ein Bildungsrat helfen, den
wir schon 2012 vorgeschlagen haben. Ich freue mich,
dass die SPD dem jetzt zustimmt. Vielleicht finden wir
ja noch mehr Gemeinsamkeiten. Ich freue mich auf die
Debatte im Ausschuss.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808000300

Nächste Rednerin ist die Kollegin Kerstin Tack für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Kerstin Tack (SPD):
Rede ID: ID1808000400

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrte Damen und Herren! Seit jeher wissen
wir: Bildung ist der Schlüssel und die Eintrittskarte zu
einem selbstbestimmten Leben, zu gesellschaftlicher
Teilhabe und zu ökonomischer Unabhängigkeit. Weder
die soziale oder ethnische Herkunft noch die religiöse
Weltanschauung, das Geschlecht, das Alter, die Sexuali-
tät oder der Umstand einer Behinderung sollen hier be-
einflussend wirken. Deshalb möchte ich mich in meiner
Rede auf das Schwerpunktthema des Berichtes fokussie-
ren, nämlich auf die Menschen mit Behinderung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schauen wir uns die aktuelle Datenlage an, so sehen
wir, dass wir in unserer Verantwortungsgemeinschaft
beim Umgang mit Menschen mit Behinderung, bei der
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention und
hinsichtlich eines inklusiven Bildungssystems noch ei-
nen langen Weg vor uns haben.

35 Prozent der Kindertagesstätten in Deutschland ar-
beiten im Moment inklusiv, das heißt, dort werden Kin-
der mit und ohne Behinderung gemeinschaftlich betreut,
erzogen und gebildet. 35 Prozent: Diese Zahl ist nicht
klein, aber deutlich ausbaufähig.

Im Bereich der Schule haben 6,6 Prozent der Kinder
einen sonderpädagogischen Förderbedarf. Das sind eine
halbe Million Kinder und Jugendliche. 72 Prozent von
ihnen gehen in die Förderschule. Lediglich 28 Prozent
werden also in einer allgemeinbildenden Schule be-
schult. Auch das ist deutlich steigerungsfähig.

Zwar besuchen immer mehr Kinder und Jugendliche
mit und ohne Behinderung gemeinsam unsere Kitas und
Schulen, doch diese Zahl nimmt mit steigendem Alter
ab, das heißt, vom Besuch einer Kita an wird mit jedem
weiteren Übergang – von der Kita zur Grundschule, von
der Grundschule zur weiterführenden Schule – erneut se-
lektiert, wodurch junge Menschen – insbesondere mit
Behinderung – aus dem Bildungssystem herausfallen.
Das kann nicht unser Anspruch an ein inklusives, ge-
meinsames Bilden und Lernen in Schulen sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Fast drei Viertel der Förderschülerinnen und -schüler
haben überhaupt keinen Schulabschluss. Auch da ist un-
ser Anspruch ein anderer.

Ein großes Defizit – Frau Wanka hat es erwähnt – be-
steht auch in der Fortbildung der Lehrkräfte. Obwohl
70 Prozent der Grundschullehrkräfte – Sie hatten es er-
wähnt – einen Bedarf an Fort- und Weiterbildung an-
gemeldet haben, haben real aber nur 9,5 Prozent ein
solches Angebot angenommen. Bei den Gymnasiallehr-
kräften sind es gerade einmal 2 Prozent. Das heißt, selbst
wenn eine Schule Fortbildung anbietet, so ist die Wahr-
nehmung dieses Angebots doch immer noch sehr über-
schaubar.

Ausbildungsuchende junge Menschen müssen eine
doppelte Einschränkung hinnehmen. Zum einen gingen





Kerstin Tack


(A) (C)



(D)(B)

zwischen 2009 und 2012 sowohl die Zahl der neu abge-
schlossenen Ausbildungsverträge als auch das Angebot
und die Nachfrage nach Ausbildungsverhältnissen um
jeweils circa 30 Prozent zurück. Zum anderen steht ih-
nen sowieso nur ein begrenztes, institutionell definiertes
Berufsspektrum zur Verfügung.

Im Bereich der akademischen Ausbildung waren
2012 lediglich ein Siebtel aller Studierenden durch eine
Behinderung oder eine chronische Erkrankung beein-
trächtigt und haben aufgrund ihrer Beeinträchtigung
Nachteile im Studium erfahren. Häufig wechseln sie die
Hochschule und ihr Studienfach. Häufig kommt es zu
Abbrüchen, und es gibt Schwierigkeiten bei den Prü-
fungsordnungen. Häufig brauchen sie mehr Zeit, um ihr
Studium zu absolvieren. Die Prüfungssituation erleben
sie als schwieriger, als es für Studierende ohne Beein-
trächtigung der Fall ist. Deshalb muss die Unterstützung
für diese Studierenden eine ganz besondere sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sehen also: Wir sind im Bildungssystem noch
eine ganze Ecke von den von uns erklärten Zielen ent-
fernt. Ich denke, es reicht auch nicht, ein Kind aus einer
Förderschule in eine allgemeinbildende Schule zu ste-
cken und ihm einige wenige Förderstunden zu geben.
Das ist, wenn man es bei Lichte betrachtet, nicht mehr
als eine Einzelintegration. Was wir wollen, ist Inklusion.
Wir wollen die Veränderung der Systeme. Wir wollen,
dass durch unsere Systeme allen Kindern und Jugendli-
chen eine gute Förderung organisiert wird, eine gute Un-
terstützung, die jedem, völlig unabhängig davon, ob mit
oder ohne Behinderung, einen erfolgreichen Bildungs-
weg ermöglicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber wir sehen – das macht auch der Bericht deutlich –:
Es gibt Hürden bei der Umsetzung. Natürlich sind die
unterschiedlichen Regelungen in den Schulsystemen der
Bundesländer nicht immer hilfreich. Es ist kein Geheim-
nis, wenn ich sage, dass wir uns als SPD-Fraktion hier
eine stärkere Beteiligung des Bundes bei der Standard-
setzung, aber auch bei der finanziellen Unterstützung der
Umsetzung wünschen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Machen Sie mal!)


Sosehr wir uns über den Wegfall des Kooperationsver-
botes im Hochschulbereich freuen, so sehr wünschen wir
uns natürlich, dass weiter gehende Maßnahmen ergriffen
werden.


(Beifall bei der SPD)


Die Definition von inklusiver Bildung ist in den Bun-
desländern sehr unterschiedlich. Das ist ein Problem,
wenn wir unsere einheitlichen Standards, die wir für
richtig halten, umsetzen wollen. Auch die sehr unein-
heitlichen Diagnoseverfahren führen in der Regel dazu,
dass es wenig einheitliche Lebensbedingungen für Kin-
der und Jugendliche mit Behinderungen im deutschen
Bildungssystem gibt. Deshalb möchten wir einen
Schwerpunkt in der Bildungsforschung setzen, insbeson-
dere wenn es darum geht, gute Rahmenbedingungen für
eine erfolgreiche inklusive Bildung zu definieren und sie
über alle Länder hinweg in einer Gemeinschaftsverant-
wortung umzusetzen.

Wir brauchen dringend auch eine Forschung dahin
gehend, welche digitalen und analogen Instrumente hilf-
reich sind, um Menschen mit Behinderung im Bildungs-
system eine gute Chance zu gewährleisten.

Wir brauchen eine andere Form der Vernetzung der
Akteure: der Ärztinnen und Ärzte, der Pädagoginnen
und Pädagogen, der Logopädinnen und Logopäden und
anderer, die in Schulen gemeinschaftlich wirken sollen,
um für die Begleitung der Kinder konzeptionell das
Bestmögliche herausarbeiten zu können.

Klar ist aber auch: Auch Betriebe und Unternehmen
müssen sich stärker in der Ausbildung für Jugendliche
mit Behinderungen öffnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir nehmen wahr: Es gibt große Defizite in dem Wissen
darüber, welche Unterstützung ein Unternehmer be-
kommt, wenn er sich entscheidet, einem jungen Men-
schen mit Beeinträchtigung in seinem Unternehmen eine
Ausbildung zu ermöglichen. Das heißt, wir haben ein
Aufklärungsproblem. Wir haben aber auch das Problem,
dass viele Betriebe das immer noch als Benachteiligung,
teilweise sogar als Belastung erleben. Wir haben die ge-
sellschaftliche Aufgabe, verstärkt über dieses Thema zu
informieren und den Wert der Vielfalt in Unternehmen
viel deutlicher herauszustellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Initiative Bildungsketten – auch sie hat Frau
Wanka bereits erwähnt – wollen wir gerne fortgeführt
sehen. Aber wir wissen auch, dass bei Menschen mit Be-
hinderung, die in Ausbildung sind, die Abbrecherquote
sehr hoch ist. Daraus leiten wir den Auftrag ab, genauer
darauf zu achten, welcher Ausbildungsbereich für die je-
weilige Person der richtige ist und was zu schaffen, zu
leisten und mit einer guten Unterstützung und gegebe-
nenfalls auch mit ausbildungsbegleitenden Hilfen dann
auch bis zum Ende durchhaltbar ist.

Im Hochschulbereich stehen wir vor der Herausforde-
rung, andere Formen der Studienangebote und Studien-
bedingungen zu ermöglichen. Die Möglichkeiten der
Nachteilsausgleiche müssen flexibler eingesetzt werden.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Zum Schluss möchte ich mich ganz herzlich bei all
den Fachkräften und Lehrkräften bedanken, die sich
trotz manchmal unzureichender Rahmenbedingungen
tagtäglich darum bemühen, dass Inklusion durch ge-
meinsame Beschulung und konzeptionelle Arbeit in den
Einrichtungen möglich ist. Diesen Anstrengungen gilt
mein ganz herzlicher Dank.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808000500

Der Kollege Mutlu ist der nächste Redner für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808000600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bera-

ten heute den fünften Nationalen Bildungsbericht. Das
ist zugleich die erste Debatte zur Bildungspolitik im
Deutschen Bundestag seit der vergebenen Chance zur
Abschaffung des unsäglichen Kooperationsverbotes in
der Bildungspolitik. Das sage ich insbesondere mit Blick
auf die SPD.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Winfried Kretschmann nicht vergessen!)


Diese Debatte passt auch zeitlich sehr gut, finde ich.
Erst in der vergangenen Woche hat der Bildungsforscher
Professor Klaus Klemm die vom DGB in Auftrag gege-
bene Bilanz des Bildungsgipfels der Bundesregierung
von 2008 vorgestellt. Ich empfehle Ihnen, vor allem der
GroKo, diese Bilanz genau anzuschauen. Diese Analyse
bringt Bemerkenswertes zutage.

Sie wollten die Schulabbrecherquote von 8 auf 4 Pro-
zent halbieren. Aktuell liegt die Quote bei 5,9 Prozent.
Ziel verfehlt!


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! 2015! Sie müssen den Bildungsbericht schon genau lesen! – Willi Brase [SPD]: Bund und Länder! Mann, Mann, Mann!)


Sie wollten die Quote der jungen Erwachsenen ohne
Berufsausbildung von 17 auf 8,5 Prozent halbieren. Ak-
tuell liegt die Quote bei 13,8 Prozent. Ziel deutlich ver-
fehlt!


(Albert Rupprecht [CDU/CSU]: Vollkommen falsch! Bis 2015!)


Sie wollten die Ausgaben für die Bildung auf 10 Pro-
zent des BIP erhöhen. Auch hier Ziel verfehlt!

Damit sind Sie in den Kernbereichen des Bildungs-
gipfels gescheitert. Wenn ich Ihr Lehrer wäre, hätten Sie
jetzt eine fette Sechs dafür bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU und der SPD: Oh! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Um Himmels willen!)


Liebe Frau Ministerin, ich will nicht verhehlen, dass
es auch Lichtblicke gibt, ohne Frage. Sie haben die Stu-
dienanfängerquote und die Weiterbildungsquote er-
wähnt. Wenn man sich das Ganze aber genauer anschaut,
dann kommt man zu dem Schluss, dass diejenigen, die
zur Risikogruppe gehören, erneut abgehängt werden.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808000700

Herr Kollege Mutlu, darf der Kollege Rupprecht eine

Zwischenfrage stellen?

Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808000800

Ja, bitte sehr.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808000900

Der Kollege Rupprecht befindet sich scharf rechts

von Ihnen, Herr Mutlu.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Scharf rechts ist nichts für ihn! – Heiterkeit)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1808001000

Herr Kollege Mutlu, wenn Sie den Bildungsbericht

richtig gelesen hätten, dann wüssten Sie, dass das Errei-
chen der Ziele für 2015 angestrebt wird. Die Zahlen, die
Sie genannt haben, wurden 2013 erhoben. Deswegen
lautet meine Frage an Sie: Kann es sein, dass Sie in der
Bewertung falsch liegen?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das gibt er nie zu! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sonst gibt es eine schlechte Note!)



Özcan Mutlu (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808001100

Lieber Kollege Rupprecht, wenn Sie meinen, dass Sie

innerhalb eines Jahres das alles aufholen, was Sie in den
letzten vier, fünf Jahren nicht geschafft haben, dann sage
ich Ihnen: Wenn Sie das schaffen, gratuliere ich Ihnen
als Erster.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ihre Bildungspolitik beruht auf dem Matthäus-Effekt
und manifestiert meiner Ansicht nach Bildungsunge-
rechtigkeit von Generation zu Generation. Aufstieg
durch Bildung ist noch immer ein uneingelöstes Verspre-
chen dieser Koalition.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihre vollmundig ausgerufene Bildungsrepublik ist
sechs Jahre nach dem Bildungsgipfel nichts anderes als
eine Republik der Bildungsungerechtigkeit. So lesen
sich auch die Ergebnisse des Bildungsberichtes 2014.
Bereits beim Bildungsbericht 2010 hat meine Fraktion
hier in diesem Hause gefordert, dass der Bericht auch
konkrete Handlungsempfehlungen enthalten soll, um
– ich zitiere aus unserem Antrag auf Drucksache 17/4436 –
„aus den Analysen der Fachleute einen möglichst hohen
Gewinn für die Bildungspolitik zu ziehen“. Im Gegen-
satz zu den ersten Berichten enthält der vorliegende Be-
richt neben einer aktuellen Bestandsaufnahme nun end-
lich konkrete Handlungsempfehlungen. Diese konkreten
Handlungsempfehlungen sind Ihnen aber anscheinend
egal. Denn ein Blick auf Ihren Antrag zeigt: Viele Worte,
aber kaum Taten! – Das reicht nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Man fragt sich mitunter schon, wie es sein kann, dass
trotz klarer Handlungsempfehlungen nichts, aber auch
gar nichts von diesen Empfehlungen Einzug in Ihr politi-
sches Handeln findet.

Meine Damen und Herren, der Königsweg – ich be-
mühe ihn nun genauso wie die Ministerin – zu mehr





Özcan Mutlu


(A) (C)



(D)(B)

Teilhabe und damit zu mehr Bildungsgerechtigkeit ist
Inklusion. Das ist auch der Schwerpunkt des Bildungs-
berichtes. Aber Inklusion ist nicht kostenneutral und
zum Nulltarif zu haben. Das wissen Sie genauso gut wie
ich, wie ich Ihrer Rede, Frau Kollegin Tack – das war
beinahe eine Oppositionsrede –, entnommen habe.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Denn die Kommunen und die Länder können die bil-
dungspolitische Mammutaufgabe, zu der wir seit der Ra-
tifizierung der UN-Konvention 2009 verpflichtet sind,
nicht alleine stemmen. Der Bildungsbericht 2014 und
die Bilanz des DGB zeigen: Wir haben kein Erkenntnis-
defizit, sondern ein Handlungsdefizit, Frau Ministerin.
Deshalb sage ich: Leere Worte reichen nicht. Lassen Sie
uns gemeinsam einen erneuten Anlauf nehmen und das
Kooperationsverbot in Gänze abschaffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich komme zum Schluss. Bund, Länder und Kommu-
nen müssen eine gemeinsame Bildungsstrategie entwi-
ckeln, und zwar mit klaren Zielen und Zuständigkeiten.
Es geht nicht darum, den Ländern die Kompetenz in der
Bildung zu nehmen, sondern darüber nachzudenken, wie
wir gemeinsam an einem Strang ziehen können, damit
die Bildungsrepublik tatsächlich Realität wird. Wir sind
gerne bereit, Ihnen dabei zu helfen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808001200

Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege

Xaver Jung das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Xaver Jung (CDU):
Rede ID: ID1808001300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Besucherinnen und Besucher!
Liebe Schüler auf der Tribüne, macht euch keine Gedan-
ken. Eure Schule ist nicht so schlecht, wie Herr Mutlu
eben behauptet hat.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Frau Hein, Sie können nicht alle Aufgaben, die
den Ländern per Verfassung gegeben sind, vom Bund
bezahlen lassen. So einfach können wir es uns nicht ma-
chen, und das tun wir auch nicht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat auch keiner gesagt!)


Wir sind auf einem guten Weg. Die Bildung in
Deutschland hat sich auf allen Ebenen verbessert. Zu
diesem Ergebnis kommt sowohl die aktuelle OECD-Stu-
die als auch die nun vorliegende Ausgabe des Nationalen
Bildungsberichts.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Studie haben Sie denn gelesen?)

Man kann es nicht oft genug sagen: Die gemeinsamen
Anstrengungen von Bund, Ländern und Kommunen, der
Bildungsträger aus Wirtschaft und Gesellschaft sowie
der Pädagoginnen und Pädagogen in den unterschied-
lichsten Bildungsbereichen zeigen eine positive Ent-
wicklung. Dies sind einmal mehr gute Nachrichten für
dieses Haus. Ich möchte unserer Bildungsministerin ei-
nen herzlichen Dank aussprechen. Mit viel persönlichem
Einsatz und Ausdauer kämpfen Sie, liebe Frau Wanka,
stets für moderne und bessere Bildung. Die Aufwüchse
im Bildungsetat in den letzten Jahren sind ein großarti-
ges Zeichen dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte mich auch ausdrücklich bei allen beteilig-
ten Autoren und Instituten für die Ausarbeitung und die
Vorlage des ausführlichen Berichts bedanken. Das Er-
gebnis ist die Bestätigung für eine vorausschauende Bil-
dungspolitik. Der Ausbau der Betreuungsplätze für unter
Dreijährige ist weit vorangeschritten und geht weiter vo-
ran. Immer mehr junge Menschen erlangen einen Be-
rufsabschluss. Wir sollten auch die berufliche Bildung
nicht schlechtreden. Auch junge Menschen mit Migra-
tionshintergrund werden besser integriert. Das sagt der
Bericht.

Unser duales Ausbildungssystem und unsere Hoch-
schulen genießen einen sehr guten Ruf in der Welt. Im-
mer mehr beginnen ein Studium, immer mehr höherwer-
tige Abschlüsse werden erreicht. Auch für Studierende
aus dem Ausland sind unsere Hochschulen attraktiver
denn je. Die Möglichkeiten der Weiterbildung werden
gut aufgenommen. Wir freuen uns über all diese guten
Ergebnisse.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])


Wir erkennen auch den verstärkten Bedarf an Nach-
wuchs im MINT-Bereich. Dazu unterstützen wir die Ini-
tiative der Helmholtz-Stiftung „Haus der kleinen For-
scher“. Das ist eine tolle Initiative, die Kindern im
Kindergarten und künftig auch in der Grundschule den
Spaß am Entdecken und an den Naturwissenschaften nä-
herbringt. Wir freuen uns über die Aufstockung der Mit-
tel in diesem Bereich ebenso wie über die zusätzlichen
Mittel im Bereich der Grundbildung.

Der Bildungsbericht zeigt uns aber auch klar auf, wo
wir noch besser werden können. Wir werden den Vor-
schlägen gerne nachkommen.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD] – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Jetzt wird es differenziert!)


Wir wollen eine verbesserte Qualität der Betreuung,
die nach dem Kindertagesstättenausbau nun verstärkt an-
gegangen wird. Wir treten auch weiterhin für ein mög-
lichst wohnortnahes, differenziertes Schulsystem ein.
Wir setzen uns für mehr qualifizierte Aus- und Weiter-
bildung von Erziehern und Erzieherinnen ein. Dieser Be-
ruf verdient mehr Wertschätzung.





Xaver Jung


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


In der Lehrerbildung rüsten wir mit der Qualitäts-
offensive Lehrerbildung bereits auf. Trotz Haushaltskon-
solidierung entlasten wir die Länder im Bereich der Ki-
tas, Schulen und Hochschulen in dieser Wahlperiode um
6 Milliarden Euro. Bereits in diesem Jahr stehen den
Ländern zusätzlich, wie gesagt, 1,2 Milliarden Euro aus
den BAföG-Mitteln für Bildung und Wissenschaft zur
Verfügung. Wir ruhen uns also nicht auf dem Erreichten
aus, wie mancher hier heute Morgen schon gesagt hat.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, frühkindliche Bil-
dung hilft, Sprachbarrieren abzubauen und den Grund-
stein zu einer guten, weiterführenden Bildung zu legen.
Deshalb wollen wir mit unserem Antrag, dass es zwischen
den Ländern vergleichbare und frühzeitige Sprachtests
von Kindern in jungen Jahren gibt. So können wir früh
reagieren, sozialen Disparitäten entgegenwirken und in-
dividuelle Förderung garantieren.

Immer weniger Jugendliche verlassen die Schule
ohne Abschluss. Dennoch sehen wir hier weiteren Hand-
lungsbedarf und werden uns darum kümmern. Ähnlich
wie im Bereich der dualen Ausbildung muss die Abbre-
cherquote weiter gesenkt werden. Wir schaffen dies
durch eine frühzeitige Berufsorientierung und Praktika
sowie ausbildungsbegleitende Hilfen bis hin zur Ausbil-
dungsassistenz.

Der Schwerpunkt des Berichts lag dieses Mal auf In-
klusion. Auch hier haben wir Handlungsanweisungen,
die wir gerne aufgreifen. Seit Jahren haben viele Schulen
erfolgreich eigene inklusive Konzepte verfolgt, trotz der
teilweise fehlenden personellen, sachlichen und räumli-
chen Voraussetzungen. Wir wollen diese Erfolgsmodelle
anerkennen und kommunizieren.

Nahezu alle Bundesländer verfolgen bereits eigene
Modelle bei der Umsetzung in die Praxis. In unserem
Antrag fordern wir deshalb einen runden Tisch. Gemein-
sam mit den Bundesländern muss in einem regelmäßigen
Fachkongress – alle zwei Jahre – mit Politikern, Wissen-
schaftlern, Pädagogen, Eltern und Schülern sowie Ver-
tretern der Behindertenverbände und der Selbsthilfe eine
Bestandsaufnahme generiert und an konkreten Hand-
lungsempfehlungen gearbeitet werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dabei ist die immer wieder aufkommende, ideolo-
gisch geprägte und wenig sachliche Diskussion darüber,
die Förderschulen abzuschaffen, fehl am Platz. Wir dür-
fen das Kind nicht mit dem Bade ausschütten.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Im Hinblick auf elf verschiedene Förderschultypen ist
es wichtig, die Diskussion im Bereich der inklusiven
Bildung differenziert zu führen; denn viele junge Men-
schen mit Beeinträchtigungen sind auf die individuelle
Begleitung von erfahrenen Fachkräften sowie auf die zu-
sätzliche Ausstattung an diesen Schulen angewiesen.
Wir brauchen auch in Zukunft Förderschulen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Auch im Bereich der Diagnostik von sonderpädago-
gischem Förderbedarf zeigt uns die Studie Handlungs-
bedarf auf. Denn es gibt weder einen Konsens darüber,
was „sonderpädagogischer Förderbedarf“ meint, noch da-
rüber, wie er festgestellt werden soll. So kommt es, dass
sich die Betroffenen für die ihnen zustehenden zusätzli-
chen Ressourcen teils halbjährlich diagnostizieren lassen
müssen. Da kann man sich vieles sparen. Inklusion zielt
doch darauf ab, die Verschiedenartigkeit der Schülerinnen
und Schüler als selbstverständlich anzusehen. Damit ver-
bunden wäre ein sinnvoller Bürokratieabbau.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen auch prüfen, wie digitale Lernmaterialien
und Medien sowie technologische Unterrichtshilfen den
Bildungszugang für Menschen mit Beeinträchtigungen
erleichtern können und welche Voraussetzungen für den
Einsatz in allen Schularten geschaffen werden müssen.

Meine Damen und Herren, wir als CDU/CSU-Bun-
destagsfraktion werden den Reformkurs für mehr Ver-
gleichbarkeit und Qualitätsentwicklung im Bildungsbe-
reich weiterverfolgen. Trotz aller Freude über die
Erfolge der letzten Jahre sind wir uns in der Koalition
der vielfältigen Herausforderungen sehr bewusst und
werden sie gerne gemeinsam mit den Ländern angehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808001400

Das Wort erhält nun die Kollegin Katrin Werner für

die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Werner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808001500

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Ja, Frau Bundesministerin
Dr. Wanka, die Analyse ist einzigartig, und der Bericht
ist umfangreich. Die Stellungnahme der Bundesregie-
rung zum fünften Nationalen Bildungsbericht mit dem
Schwerpunkt „Bildung von Menschen mit Behinderung“
zeigt aber recht deutlich, wie wenig wichtig der Bundes-
regierung die Umsetzung der UN-Behindertenrechtskon-
vention ist: Nur eine einzige Seite widmen Sie Men-
schen mit Behinderung im Bildungssystem, und das bei
einem Bericht, der 342 Seiten umfasst.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Es kommt doch nicht auf die Menge an, sondern auf den Inhalt!)


Das ist wirklich traurig.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Sogar mein grüner Kollege Mutlu ist meiner Meinung!)


– Lesen Sie einmal Ihre Stellungnahme.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Hat man mir vorgelesen!)






Katrin Werner


(A) (C)



(D)(B)

Inklusive Bildung ist ein Menschenrecht, das nieman-
dem verwehrt werden darf. Deshalb ist es für uns mehr
als wichtig, dass jeder Mensch in diesem Land die Mög-
lichkeit zur Teilhabe an einem inklusiven Bildungssys-
tem hat, und zwar nicht irgendwann in ferner Zukunft,
sondern jetzt und sofort.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Bildungssystem braucht hierzu mehr Geld. Die
Länder und Kommunen brauchen die Unterstützung
vom Bund. Es ist völlig unmöglich, dass der Bund beim
Fachkräftemangel im Bereich Bildung, Erziehung und
Pflege die Augen schließt und die Kommunen ihrem ei-
genen Schicksal überlässt. Inklusion darf kein Spar-
modell werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Inklusion ist wichtiger als die schwarze Null des Finanz-
ministers.


(Beifall bei der LINKEN)


Denn:

Wer die Felder nicht bestellt, der kann nachher auch
nicht ernten.

Das waren Worte Ihrer Kollegin in der Aktuellen Stunde
am Mittwoch dieser Woche. Bestellen Sie die Felder;
dann können Sie auch die Zukunft ernten!


(Beifall bei der LINKEN)


Am 3. Dezember, dem Internationalen Tag der Men-
schen mit Behinderung, mussten wir uns hier im Plenum
von einer Kollegin aus der CSU anhören – ich zitiere –:

Die Mutter, die ihr Kind mit Downsyndrom an das
Gymnasium bringen will, tut dem Kind, so meine
ich, nichts Gutes.

Das ist Blödsinn.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ach, Sie kennen die Mutter?)


Ich verstehe nicht, warum bei so einem Zitat hier in der
Regierung niemand aufschreit.

So verwundert es aber auch nicht, dass die Bundesre-
gierung eine absolut oberflächliche, inhaltslose Stellung-
nahme zur inklusiven Bildung für Menschen mit Behin-
derung abgibt. Es gibt keinerlei neue Maßnahmen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Wir kritisieren ja gern, aber das ist wirklich sehr platt!)


Dass Sie sagen, dass Inklusion eine Herausforderung
ist und weiter erforscht werden müsse, ist echt zu wenig.


(Beifall bei der LINKEN)


Die vor knapp sechs Jahren in Deutschland in Kraft ge-
tretene UN-Behindertenrechtskonvention ist geltendes
Recht und verpflichtet die Politik zur Schaffung eines in-
klusiven Bildungssystems. Ich möchte nicht in Ihrer
Haut stecken, wenn die UN Ende März Deutschland un-
ter die Lupe nehmen. Die Kritik wird heftig.
Sie sagen: Es mangelt an für ein inklusives Schulsys-
tem gut ausgebildeten Lehrerinnen und Lehrern. Sie sa-
gen: Es gibt nicht die richtigen Räume. Sie sagen: Es
gibt nicht ausreichend Geld. Ich sage Ihnen: Es mangelt
an Ihrem politischen Willen,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Den Finger runter! Das sieht furchtbar aus! Wenn Sie die Faust erheben würden, das würde ich ja verstehen!)


endlich die Ärmel hochzukrempeln und etwas in Rich-
tung inklusiver Bildung zu tun.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir fordern erstens die sofortige Erstellung eines ge-
sonderten Aktionsplans zur inklusiven Bildung – selbst-
verständlich unter Einbeziehung der Menschen mit Be-
hinderung.

Wir fordern zweitens, dass Bund und Länder zusam-
men die Bildungsarbeit angehen.

Wir fordern drittens, dass Bund, Länder und Kommu-
nen ein unabhängiges Beratungs- und Unterstützungs-
system vor Ort befördern.

Wir fordern viertens eine Qualitätsoffensive bei der
Aus- und Weiterbildung für das gesamte Bildungs- und
Ausbildungspersonal.

Wir fordern fünftens den breiten Einsatz pädagogi-
scher Fachkräfte mit Behinderung im Bereich der inklu-
siven Bildung. Damit treten Sie übrigens auch dem
Fachkräftemangel entgegen.

Wir fordern sechstens einkommens- und vermögens-
unabhängige sowie bedarfsgerechte Assistenzleistungen
für Menschen mit Behinderung an den Unis und Schu-
len – und das auch über den ersten berufsqualifizieren-
den Abschluss hinaus.

Und wir fordern siebtens die Verankerung einer Be-
rufsausbildungsquote für junge Menschen mit Behinde-
rung in Betrieben.

Wenn Sie etwas gegen das weitere Auseinanderdrif-
ten dieser Gesellschaft tun wollen, müssen Sie die
Ängste und Vorurteile gegenüber Menschen mit Behin-
derungen abbauen. Sie müssen endlich begreifen, dass
der Grundsatz der UN-Behindertenrechtskonvention und
der Selbstvertretungsorganisationen von Menschen mit
Behinderung „Nichts über uns ohne uns!“ die Grundlage
jeder positiven Veränderung ist.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Corinna Rüffer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808001600

Hubertus Heil ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1808001700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Der Nationale Bildungsbericht sollte eigentlich eine
Chance sein, eine realistische Debatte über den Zustand
unseres Bildungssystems zu führen; das heißt, Frau Kol-
legin Hein, Herr Kollege Mutlu, weder alles in Grund
und Boden zu reden


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Haben wir gar nicht! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Aber auch nicht Schönrederei! – Gegenruf des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Einfach mal zuhören!)


noch Dinge, die schwierig sind, zu beschönigen. – Wenn
Sie einen Moment zuhören,


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das kann er nicht!)


kriegen wir das miteinander hin, glaube ich.

Sie werden denjenigen, die im Bildungssystem tätig
sind, die dort als Erzieherinnen und Erzieher arbeiten,
den Eltern, den Kindern, den Schülerinnen und Schü-
lern, den Lehrerinnen und Lehrern, den Ausbildern, den
Prüfern, denen, die in den Hochschulen im wissenschaft-
lichen Mittelbau oder als Professorinnen und Professo-
ren arbeiten, all denjenigen, die in der Weiterbildung tä-
tig sind, nicht gerecht, wenn Sie alles in diesem Land im
Bereich der Bildung in Grund und Boden reden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir werden ihnen aber auch nicht gerecht, wenn wir
objektive Probleme im Alltag des Bildungssystems
schönreden; auch regierungsamtlich sollten wir das nicht
tun. Ich bin der Ministerin sehr dankbar, dass sie darauf
hingewiesen hat, dass wir auch vor großen Herausforde-
rungen stehen. Aber es hat sich in den letzten Jahren
auch verdammt viel bewegt, und das hat Gründe.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich kann mich erinnern, dass es in den letzten 15 Jah-
ren zwei Dinge gab, die uns alle wachgerüttelt haben. Da
war natürlich der PISA-Schock 2000. Was für die Ame-
rikaner Ende der 50er-Jahre der Sputnik-Schock war, der
zu Anstrengungen in der Luft- und Raumfahrt geführt
hat – bis zur Mondlandung –, war für unser Bildungssys-
tem der PISA-Schock. Der PISA-Schock war aus meiner
Sicht deshalb heilsam, weil durch ihn ideologische Grä-
ben in der bildungspolitischen Debatte überwunden wor-
den sind.

Was haben wir uns in diesem Land jahrelang gestrit-
ten – ich sage mal: Konservative und Sozialdemokra-
ten – über die Frage, ob Leistung wichtig ist oder Chan-
cengleichheit! PISA hat uns vor 15 Jahren bescheinigt,
dass wir an beiden Ecken im Bildungssystem massive
Probleme hatten: beim Zugang, bei der Chancengleich-
heit und bei der Leistungsfähigkeit, bei der Qualität in
der Breite und der Exzellenz in der Spitze. Da hat sich in
den letzten Jahren dank vielfältiger Anstrengungen vom
Bund, aber vor allen Dingen auch von Ländern und
Kommunen, die nach wie vor in unserem Bildungssys-
tem hauptverantwortlich und zuständig sind, eine ganze
Menge getan. Wir haben einen Aufbruch in den Ländern
erlebt. Wir haben den Kitaausbau erlebt. Wir haben Län-
dervergleiche, Ganztagsschulprogramme, Bildungsstan-
dards. Das Ganze braucht Zeit, zu wirken; das ist gar
keine Frage. Bildung ist manchmal eine langfristige In-
vestition, auch über Legislaturperioden hinaus. Das, was
Sie heute säen, kann man dann eben erst in 10 oder
15 Jahren im Bildungssystem wirklich sehen. Natürlich
ist vieles noch nicht so weit, wie wir es haben wollen.
Nicht alle Ziele sind erreicht. Aber es hat sich doch eine
ganze Menge getan.

Ein zweiter Aufbruch, der im Bildungssystem stattge-
funden hat, ist in den 2000er-Jahren der Aufbruch im
Bereich der Hochschulen gewesen. Das war ein massi-
ver Aufbruch; ich nenne an dieser Stelle die Stichworte
Exzellenzinitiative, Hochschulpakt, Pakt für Forschung
und Innovation. Das war ein Riesenaufbruch, vergleich-
bar der Bildungsexpansion Ende der 60er- und Anfang
der 70er-Jahre im Bereich der Hochschulen. Auch das ist
ein Riesenerfolg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Trotzdem müssen wir angesichts dieses Bildungsbe-
richts auch über die objektiven Herausforderungen und
Probleme im System reden. Es geht dabei um drei The-
men.

Erstens geht es nach wie vor um die Frage, wie es um
die Chancengleichheit bestellt ist. Bei allen Verbesserun-
gen – ich komme gleich darauf – ist es für uns Sozialde-
mokraten nicht erträglich, dass nach wie vor auch in
unserem Land Herkunft, Migrationshintergrund, Geld-
beutel der Eltern stärker über die Bildungs- und Lebens-
chancen von Kindern und Jugendlichen entscheiden als
in anderen Ländern. Wir wollen nicht, dass die Herkunft
entscheidet, sondern wir wollen, dass sich Talente entfal-
ten können, dass Leistung in diesem Land zählt und
nicht Herkunft, dass Menschen selbstbestimmt leben
können, dass sie ihren eigenen Lebensweg gehen kön-
nen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb ist der Befund so, dass sich zwar einiges ge-
tan hat, aber wir in diesem Bereich, wenn wir einmal
ganz ehrlich sind, nach wie vor weit von Chancengleich-
heit entfernt sind, wenn es beispielsweise um Kinder und
Jugendliche mit dem berühmten Migrationshintergrund
geht. Da liegt noch eine ganze Menge im Argen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Zahl derjenigen, die ohne Schulabschluss daste-
hen, hat sich zwar insgesamt reduziert, aber noch immer-
hin 50 000 junge Menschen verlassen Jahr für Jahr un-
sere Schulen ohne jeden Schulabschluss. 1,5 Millionen
Menschen zwischen 20 und 30 stehen ohne berufliche
Erstausbildung da. Unter diesen sind ganz viele, die





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

Wurzeln außerhalb unseres Landes haben. Aber dafür
können die Kinder und Jugendlichen nichts. Sie sind hier
in dieser Gesellschaft aufgewachsen. Hier geht es um
eine Frage der Gerechtigkeit. Ich füge aber hinzu: Es ist
auch eine Frage der ökonomischen Vernunft. Wir kön-
nen nicht über Fachkräftemangel klagen und diese Po-
tenziale in unserem Land ungenutzt lassen. Jeder braucht
eine Chance auf Teilhabe in diesem Land.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb, Herr Kollege Mutlu, sind wir beim Befund
gar nicht anderer Meinung. Wir stehen hier vor einer rie-
sigen Herausforderung. Nur zu glauben, dass das der
Bund alleine stemmen könne, ist illusorisch. Wir brau-
chen vielmehr eine Kraftanstrengung von Bund, Län-
dern, Kommunen, von Gewerkschaften, Arbeitgebern,
um dieses Thema anzugehen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen wir auch! Meine Worte!)


Zu sagen, dass wir inzwischen angefangen haben, das
miteinander anzugehen, gehört auch dazu.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Zweitens. Wir müssen, auch wenn Geld im Bildungs-
system nicht alles ist, natürlich über Geld reden. Wir ha-
ben da eine ganze Menge bewegt, zum Beispiel im letz-
ten Jahr auf Bundesebene. Ich sage, da hat sich in einem
Jahr mehr bewegt als in vielen Jahren davor. In diesem
einen Jahr haben wir es geschafft, die Länder massiv zu
entlasten – 6 Milliarden Euro haben wir da auf den Weg
gebracht –, damit sie stärker in Bildung investieren kön-
nen, wir haben den Hochschulpakt verlängert, das
BAföG erhöht usw. usf. Wir haben seit 1995 als Gesamt-
staat auch massiv die Bildungsausgaben um sage und
schreibe 42 Prozent gesteigert. Ich gebe aber zu: Das
reicht noch nicht. Es geht allerdings nicht um solche
Mondzahlen, wie Sie sie, Frau Kollegin Hein, in die
Welt setzen, in Höhe von 40 Milliarden Euro. Ich weiß
nicht, woher Sie das nehmen,


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Aus einer GEW-Studie!)


möglicherweise aus einer Gelddruckerei. Das ist aber
nicht das, was wir brauchen.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Oder die 20 Milliarden, die Sie schon eingefordert haben!)


Wir müssen natürlich über die Frage reden, was wir
an zusätzlichen Geldmitteln organisieren müssen, aber
auch darüber, wo wir es einsetzen, um die Qualität zu
verbessern. Da sage ich: Wenn uns die erste PISA-Studie
etwas gelehrt hat, dann das, dass die frühe und individu-
elle Förderung von Kindern und längeres gemeinsames
Lernen vernünftig sind. In der frühkindlichen Förderung
ist nach wie vor das Problem, dass wir zwar beim Aus-
bau vorangekommen sind, aber weitere Anstrengungen
brauchen, um zu mehr Qualität zu kommen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)

Daran arbeitet diese Bundesregierung, insbesondere
Frau Ministerin Schwesig. Ich glaube, das ist der richtige
Weg. Wir müssen mehr in die frühkindliche Förderung
investieren. Mit „wir“ meine ich Bund, Länder und
Kommunen, also den Gesamtstaat. Wir müssen den Er-
zieherinnen und Erziehern den Rücken stärken. Wir
müssen Weiterbildung ermöglichen. Dann werden wir in
diesem Bereich den Primat der Herkunft als Grund für
Bildungschancen stärker durchbrechen. Die frühe und
individuelle Förderung von Kindern braucht mehr Inves-
titionen. Das müssen wir uns alle miteinander vorneh-
men.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Uwe Schummer [CDU/CSU])


Drittens. Neben der Frage von Chancengleichheit und
neben der Geldfrage müssen wir auch über Zuständig-
keiten reden. Ich will keine alten Schlachten schlagen.
Ich will nur versuchen, mit einigen Missverständnissen
aufzuräumen. Ein Missverständnis ist: Diejenigen, die
sich nach wie vor dafür einsetzen, dass das Koopera-
tionsverbot nicht nur im Bereich der Wissenschaft fällt
– das haben wir gemeinsam geschafft –, sondern auch im
Bereich der allgemeinen Bildung, der schulischen Bil-
dung, sind nicht diejenigen – in ihrer überwiegenden
Zahl; wir jedenfalls nicht –, die auf Zentralismus setzen,
denen es darum geht, dass sich der Bund neue Kompe-
tenzen anmaßt. Es geht um Gemeinsamkeit, um Koope-
ration und um gemeinsame Kraftanstrengung.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Es geht nur darum, mehr zu zahlen, und die anderen machen, was sie wollen! So ist es!)


Ich weiß, dass es im Moment in diesem Hause, gerade
bei unserem Koalitionspartner – auch wenn der Bundes-
rat dem offen gegenübersteht –, keine Zweitdrittelmehr-
heit für eine entsprechende Verfassungsänderung gibt.
Gleichwohl müssen wir aus meiner Sicht mit Blick da-
rauf daran arbeiten und darüber diskutieren, dass wir uns
für zusätzliche Anstrengungen auf diesen Weg machen
müssen. Ich werde dazu gleich zwei Beispiele nennen.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Herr Kollege Kauder, erinnern wir uns daran, welche
Klimmzüge wir oft machen müssen. In der letzten Gro-
ßen Koalition haben wir beispielsweise aufgrund wirt-
schaftlicher Not versucht, mithilfe des Konjunkturpake-
tes in den Kommunen Geld an vernünftiger Stelle
einzusetzen. Wir haben versucht, Umwege zu finden.
Über energetische Gebäudesanierung durften wir dann
auch Schulen sanieren. Aber warum, meine Damen und
Herren, ist es eigentlich nicht möglich, dass wir mit
Bund und Ländern zum Beispiel im Bereich der Ganz-
tagsschulen vorangehen, wenn dafür Geld vorhanden
wäre?


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Warum ist es so, dass wir beim Thema „Haus der klei-
nen Forscher“ – ein ganz wichtiges Projekt zur Förde-





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

rung beispielsweise der MINT-Berufe, über die Helm-
holtz-Gemeinschaft gefördert – zwar im Kitabereich
eine ganze Menge fordern können, um die Neugier von
Kindern und ihren Forschergeist zu wecken, wenn es
aber darum geht, das Ganze auf den Bereich der Grund-
schulen auszudehnen, wir an Grenzen stoßen, weil wir
mit Geld des Bundes keine Dinge machen können, bei
denen der Bund im gesetzgeberischen Bereich keine
Kompetenz hat? Noch einmal: Mir geht es nicht um Zen-
tralismus. Man kann von Berlin ganz schlecht Bildungs-
politik für ganz Deutschland machen, auch wenn man
die alleinige Zuständigkeit hat.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber dass wir nur zahlen, geht auch nicht!)


Aber ich bin der festen Überzeugung, dass wir eine
gemeinsame Kraftanstrengung brauchen. Deshalb sage
ich: Auch für die Grünen gibt es im Übrigen keinen
Grund zur Häme. Wenn ihr es schaffen würdet, euren
einzigen Ministerpräsidenten in Stuttgart, Herrn
Kretschmann, davon zu überzeugen, dass eine Änderung
der Verfassung in diesem Bereich zielführend ist, dann
arbeiten wir weiter daran, unseren Koalitionspartner in
Berlin zu überzeugen. Das ist doch ein Deal, den wir ein-
gehen können.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN)


Meine Damen und Herren, Verantwortung, Leiden-
schaft und Augenmaß braucht auch die Bildungspolitik.
Ich spreche der Opposition nicht ab, dass sie auch Lei-
denschaft für dieses Thema hat. Das ist gut. Ich spreche
Ihnen aber an der einen oder anderen Stelle das Augen-
maß ab. Ich richte das ganz deutlich an die Kollegin, die
vorhin gesprochen hat. Es ist nicht in Ordnung, wenn wir
uns wechselseitig unterstellen, dass wir die Herausforde-
rungen von Inklusion nicht begriffen haben. Sie haben
die Rede meiner Kollegin Tack vielleicht gehört. Es ist
ein gemeinsames Ziel, dafür zu sorgen, dass Menschen
mit und ohne Behinderung in diesem Land gleichberech-
tigte Teilhabe am Leben haben. Das gilt vor allen Din-
gen auch in der Bildung. Nur eines ist auch ganz klar: Zu
glauben, dass man das mit der Brechstange hinbekommt,
dass man das mit einem Fingerschnipp hinbekommt, un-
terschätzt die Lebensrealität von Eltern, von Kindern,
von denjenigen, die an den Schulen lehren. In diesem
Bereich haben wir Riesenprobleme.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808001800

Herr Kollege.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1808001900

Aber das Ziel eint uns. Wir haben viel zu viele Kinder

an Förderschulen, die dort nicht hingehören, auch wenn
wir, wie gesagt, einen Übergang brauchen. Sie gehören
in die Regelschulen. Das ist ganz klar. Das geht aber
nicht ohne Assistenz, ohne Unterstützung und ohne Um-
steuern. Das geht nicht von heute auf morgen. Wir müs-
sen aufpassen, dass das Thema Inklusion die Gesell-
schaft nicht spaltet, sondern dass wir Inklusion in diesem
Land hinbekommen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808002000

Katja Dörner erhält nun das Wort für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808002100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Angesichts der Ereignisse in Frankreich
fällt es mir ehrlich gesagt schwer, in unserer herkömmli-
chen Manier über den Nationalen Bildungsbericht zu de-
battieren; und das vor dem Hintergrund – ich denke, da-
rin sind wir uns alle einig –, welche zentrale Rolle
unsere Bildungsinstitutionen in unserem Land für eine
gelingende Integration spielen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die aktuellen Ereignisse müssen für uns ein besonde-
rer Ansporn sein, uns mit aller Kraft dafür einzusetzen,
Kitas, Schulen, Hochschulen, aber auch die Einrichtun-
gen der Erwachsenenbildung, Einrichtungen für Jugend-
liche darin zu unterstützen, dieser wichtigen und zentra-
len Aufgabe gerecht werden zu können. Das ist aus
meiner Sicht sehr wichtig.

Gestern hat die Bundeskanzlerin in ihrer Regierungs-
erklärung erneut bekräftigt, dass der Islam zu Deutsch-
land gehört. Ich halte das für eine Selbstverständlichkeit.
Aber leider muss das offensichtlich bekräftigt und betont
werden.

Was heißt das für unsere Bildungsinstitutionen? Ich
möchte hier auf eine ganz konkrete Fragestellung zu
sprechen kommen. Ich komme aus Nordrhein-Westfa-
len, und Nordrhein-Westfalen ist das erste Bundesland,
das – im Schuljahr 2012/2013 – islamischen Religions-
unterricht eingeführt hat, einen islamischen Religionsun-
terricht in deutscher Sprache nach modernen religions-
pädagogischen Grundsätzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die grüne Schulministerin von Nordrhein-Westfalen,
Sylvia Löhrmann, hat gestern gesagt, dass der islamische
Religionsunterricht auch „ein Zeichen der Anerkennung
und Wertschätzung“ für die Muslime in unserem Land
ist. Ich finde, heute ist eine gute Gelegenheit, diesen Satz
hier ganz dick zu unterstreichen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, islamischer Reli-
gionsunterricht ist gelebte Integration und auch gerade
aktuell ein Beitrag zum Zusammenhalt in unserer Ge-
sellschaft. Nun ist mir ja hinlänglich bekannt, dass wir
hier auf Bundesebene – der Bundestag, die Bundesregie-
rung – in diesem Zusammenhang keine Handlungskom-
petenzen haben. Aber ich weiß, hier sitzen Kolleginnen
und Kollegen aus der ganzen Bundesrepublik, aus allen
Bundesländern. Ich möchte Sie einladen, sich einmal an-
zuschauen, welche Erfahrungen wir mit dem islami-
schen Religionsunterricht in Nordrhein-Westfalen ge-
macht haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)






Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich will natürlich
auch auf den Nationalen Bildungsbericht im engeren
Sinne eingehen. Da muss ich sagen: Ich muss mich doch
sehr wundern. Der Bildungsbericht beschreibt die früh-
kindliche Bildung als ein zentrales Handlungsfeld. Früh-
kindliche Bildung in der Kita ist – neben der Familie –
die Grundlage für alles. Aber ich habe heute seitens der
Koalitionsfraktionen noch niemanden gehört, der dazu
gesprochen hat.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Man muss dann auch zuhören! Sie hätten mal zuhören sollen!)


Die Ministerin hat zwei Sätze dazu gesagt, aber die wa-
ren eher retrospektiv. Ich finde das wirklich bitter. Es be-
stätigt mich leider in meinem Eindruck, dass die Kitas,
dass die frühkindliche Bildung bei dieser Bundesregie-
rung ganz schlechte Karten hat. Wir halten das für
falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist nicht fair! Ich habe dazu etwas gesagt!)


Schon bei der Verteilung der berühmt-berüchtigten
6 Milliarden Euro wurden die Kitas mit eher mickrigen
Summen abgespeist: Gerade einmal 550 Millionen Euro
zusätzlich gibt es für die gesamte Legislaturperiode. Das
ist, wenn man nur den Ausbau der Plätze betrachtet, eher
ein Tropfen auf den heißen Stein, und für die dringend
notwendige Qualitätsverbesserung bleibt da natürlich
überhaupt nichts mehr übrig. Eine Verbesserung der
Fachkraft-Kind-Relation ist der Schlüssel für mehr Qua-
lität in der Kita; das schreiben Sie selbst in Ihrem An-
trag. Also die dringende Aufforderung an die Bundesre-
gierung: Tun Sie endlich etwas dafür, dass es hier zu
Verbesserungen kommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In den letzten Tagen haben wir von Vertretern der
Union und auch der SPD viele Äußerungen dazu gehört,
wie die Spielräume im Haushalt auch für familienpoliti-
sche Leistungen genutzt werden sollten. Das Stichwort
„Kita“ ist dabei gar nicht gefallen. Ich finde das schade;
ich halte das auch für falsch. Wir brauchen dringend
mehr Geld für die Kitas, insbesondere – ich habe es
schon gesagt – für Qualitätsverbesserungen. Das sind
zentrale bildungspolitische Investitionen, und es ist
überhaupt nicht einsichtig, zumindest für uns Grüne
nicht, dass das für die Regierungsfraktionen überhaupt
keine Rolle spielt.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im kompletten Forderungsteil Ihres Antrags kommt die
ganze Thematik der frühkindlichen Bildung und des
Kitaausbaus gar nicht vor. Ich muss konstatieren: Das
sind sehr schlechte Aussichten für die frühkindliche Bil-
dung in dieser Legislaturperiode.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808002200

Uwe Schummer erhält nun das Wort für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Uwe Schummer (CDU):
Rede ID: ID1808002300

Verehrtes Präsidium! Meine Damen! Meine Herren!

Liebe Kollegin Werner, welchen Stellenwert die Frage
der Behindertenpolitik und der Inklusion bei den Linken
hat, sieht man daran, dass der profilierteste Sprecher, den
Sie in dem Bereich haben, Herr Ilja Seifert, nicht mehr
dem Parlament und Ihrer Fraktion angehört. Sie haben
ihn nicht ausreichend abgesichert; er war Ihnen nicht
mehr wichtig.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Quatsch! – Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das nennt man Basisdemokratie!)


Insofern ist es eine ganz politische Frage, ob man letzt-
endlich bereit ist, in der eigenen Truppe Konsequenzen
zu ziehen, oder man sie immer nur von anderen einfor-
dert, aber selber versagt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


40 Prozent derer, die in einer Förderschule unterrich-
tet werden, gelten als lernbehindert. Ich denke, dass wir
uns mit Blick auf unsere Bildungslandschaft angesichts
der offenkundig steigenden Zahl der Menschen mit
Lernbehinderung selber einmal fragen müssen, ob nicht
manchmal auch die Bildungsmethoden und -systeme
falsch sind. Der Nürnberger Trichter und die Schwer-
punktsetzung auf eine rein theoretische Herangehens-
weise können nach meiner Überzeugung vermeintliche
Lernbehinderungen produzieren. Denn es ist nicht im-
mer ein Kind lernbehindert, sondern es sind oftmals die
Methoden, die Systeme, die das Lernen behindern.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Begreifen kommt auch von greifen.

Der Weg aus der praktischen Erfahrung zum Ver-
ständnis wurde in der allgemeinen Bildung weitgehend
verbaut. Praxis und Theorie in der dualen Berufsausbil-
dung zeigen auch der allgemeinen Bildung, wie es bes-
ser gehen kann: wie man auf der einen Seite von der
Theorie zur Praxis gelangt und auf der anderen Seite
über die Praxis zum theoretischen Verständnis kommt.
Beide Wege müssen möglich sein; beide Wege sind
gleichberechtigt in der Bildung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])


Berufsschulen und überbetriebliche Werkstätten kön-
nen im Verbund mit den allgemeinbildenden Schulen
diese praktischen Wege wieder freilegen. Der Bildungs-
bericht empfiehlt auch, dass dort, wo sonderpädagogi-
scher Förderbedarf vorhanden ist, dieser mit den Bil-
dungsakteuren besser abgestimmt wird. Eine Assistenz





Uwe Schummer


(A) (C)



(D)(B)

sollte in der Schule, in den Bildungseinrichtungen nicht
isoliert mitlaufen, sondern Assistenz und Bildungsperso-
nal sollten eng miteinander verzahnt sein.

Jährlich verlassen etwa 50 000 Jugendliche mit son-
derpädagogischem Förderbedarf die Schule. Nur wenige
finden eine Berufsausbildung. Nur 10 Prozent der Be-
triebe im dualen System bieten auch für behinderte Ju-
gendliche Ausbildungsplätze an. In meinem Bundestags-
büro war ein Vertreter des Verbandes der Floristen zu
Besuch, der sich darüber beklagte, dass die Floristen
keine Auszubildenden mehr finden. Ich habe ihn gefragt:
Haben Sie es denn auch einmal mit behinderten Jugend-
lichen versucht? – Man konnte schon an seinen Augen
sehen, dass das nicht so richtig sein Thema war. Schließ-
lich kam die Antwort: Die Kunden, die zu uns kommen
und Blumen kaufen, haben nie Zeit, sie müssen sofort
weiter. – In diesem Zusammenhang sollte man vielleicht
einmal über Entschleunigung nachdenken.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Wir sollten uns mit der Frage beschäftigen, ob man nicht
Arbeitsprozesse und -strukturen so organisieren kann,
dass sie menschengerecht sind und dass dadurch auch
behinderte junge Menschen ein Stück weit die Chance
bekommen, mitzuarbeiten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da kann einiges im Hintergrund geschaffen werden.
Man hat auch entsprechende Finanzierungsmöglichkei-
ten für den Umbau von Arbeitsplätzen. Es gibt auch
Kunden, die Zeit haben und die froh sind, wenn sie ein
Käffchen bekommen und mit dem Floristen ein Ge-
spräch führen können. Entschleunigung ist etwas, was
uns allen guttut. Deshalb ist das ein Thema, das wir so-
wohl in der Arbeitswelt als auch in der Politik aufgreifen
sollten.

Ich war am Montag in einer katholischen Grund-
schule in Neuzelle in Brandenburg. Ich fand es span-
nend, zu sehen, wie hier eine Regelgrundschule aus einer
Förderschule entwickelt worden ist, eine Regelgrund-
schule in Vielfalt, wie sie sich selber nennt. Zwei Drittel
der Kinder sind ohne Förderbedarf, ein Drittel benötigt
Sonderförderung. Die Klassengröße liegt bei 16. Von der
ersten Klasse an lernen Kinder, behindert oder nicht, ge-
meinsam. Es gibt ausreichend finanziertes geschultes
Personal und Räume für den Fall, dass sich Schüler mit
ihrer Assistenz zurückziehen wollen.

Wir wissen, dass die Zahl der Schüler mit besonderem
Förderbedarf seit vielen Jahren konstant bei 500 000 liegt,
bei einer allerdings insgesamt sinkenden Schülerzahl.
Wir wissen auch, dass im Grundschulbereich die inklu-
sive Beschulung bei etwa 44 Prozent liegt, im Sekundar-
bereich sinkt sie auf 23 Prozent.

Deshalb ist es wichtig, auf der einen Seite Zielsetzun-
gen für die Inklusion zu entwickeln. Auf der anderen
Seite müssen aber auch die Voraussetzungen geschaffen
werden. Die wunderbare, fabelhafte grüne Bildungspoli-
tik von Frau Löhrmann in Nordrhein-Westfalen hinge-
gen sorgt erstens dafür, dass ein Unterrichtsstundenaus-
fall überhaupt nicht erfasst werden kann.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Nicht das Niveau, Herr Kollege!)


Man hat sich für 700 000 Euro ein Gutachten erstellen
lassen, in dem festgestellt wird, weshalb man Ausfall-
stunden nicht addieren kann. Zweitens wird jeder Schü-
ler in Nordrhein-Westfalen mit 2 800 Euro weniger im
Jahr gefördert, als das beispielsweise in Thüringen der
Fall ist. Damit wird im Grunde die Zielsetzung erkenn-
bar: Wir schaffen die Förderschulen ab und übertragen
die Mittel auf die Regelschulen; das wird schon irgend-
wie klappen. – Auf diese Weise fährt man Inklusion kra-
chend gegen die Wand!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Eltern und Lehrer in Nordrhein-Westfalen sind dann
bedauerlicherweise sauer und regen sich auf über Inklu-
sion, obwohl die Auswirkungen offenkundig auf eine
falsche, alles über Bord werfende Bildungspolitik von
Frau Löhrmann zurückzuführen sind.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch, was Sie sagen! Sie haben keine Ahnung!)


Das beschädigt die Inklusion.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb kann ich nur empfehlen, die katholische Re-
gelschule in Neuzelle in Brandenburg als Vorbild zu se-
hen, sie einmal zu besuchen und davon zu lernen.

Es ist gut, dass wir in diesem Bildungsbericht ge-
meinsam – Bund und Bundesländer – Konsequenzen
entwickelt haben. Das ist auch ein gutes Zeichen, dass
wir als Bund mit den Ländern diese Aufgabe bewältigen.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808002400

Nächster Redner ist der Kollege Rossmann für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD):
Rede ID: ID1808002500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vom Bildungsgipfel 2008 bis zu den Bildungsberichten
geht es immer um strategische Bildungspolitik. Anliegen
einer strategischen Bildungspolitik muss dabei sein, zum
einen möglichst viele Kräfte zu bündeln, zum anderen
möglichst zu einer gemeinsamen Analyse zu kommen
und daraus auch Handlungen abzuleiten. Ich finde, dazu
gehört auch eine Differenzierung. Wenn wir das aufneh-
men, was in den Beiträgen, von dem unserer Ministerin
bis zu dem meines Vorredners, geäußert wurde, dann
sind wir doch schon weitergekommen: in Licht und
Schatten, in Prioritäten und Posterioritäten. Aber dieser
Bildungsbericht und die Diskussion dazu zeigen doch
auch, dass es so etwas wie einen „Spirit“ geben kann, ge-





Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) (C)



(D)(B)

meinsam mit Kommunen, Ländern, Bund, Sozialpart-
nern und Wissenschaft an wichtigen Schlüsselstellen an-
zusetzen. Aber ich bitte dann auch alle Seiten darum,
dabei mitzugehen.

Natürlich kann man einem Antrag der Koalitionsfrak-
tionen vorwerfen, dass darin nicht ausgiebig etwas zu
Hochschulen gesagt wird. Aber das war auch nicht die
Absicht. Wir haben uns, weil es – der Kollege Heil und
die Ministerin haben es gesagt – um Bildungschancen
für alle geht, vorgenommen, diese Forderung auch ein-
mal auf die rund 500 000 Kinder, die eine Schule besu-
chen, auf eine noch größere Zahl von Kindern, die hof-
fentlich eine Kindertagesstätte besuchen, und auf
diejenigen, die mit einer Behinderung eine Berufsbil-
dungseinrichtung oder Hochschule besuchen, zu bezie-
hen. Herr Mutlu, dann lässt man anderes eben weg. Wir
finden, dass das eine Ausfüllung einer strategischen,
politischen Schwerpunktsetzung ist.

Herr Jung, noch einmal vielen Dank dafür, dass wir
dort auch viele differenzierte Vorschläge machen konn-
ten. Aber es soll ja nicht nur bei den Vorschlägen blei-
ben, sondern entscheidend ist auch die Tat.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


In diesem Zusammenhang will ich nur darauf auf-
merksam machen: Wenn Sie sich jetzt die Vereinbarun-
gen der Allianz für Aus- und Weiterbildung anschauen,
die diese Bundesregierung mit initiiert hat, dann finden
Sie dort über das hinaus, was im berufsbildenden Be-
reich schon gemacht worden ist, sehr präzise Verabre-
dungen, speziell für junge Menschen mit Behinderung in
der beruflichen Ausbildung mehr zu tun, angefangen bei
400 000 Praktikumsplätzen, bei denen sich die Wirt-
schaft verpflichtet hat, diese bewusst auf Menschen mit
einer Behinderung auszurichten, bis hin zur assistierten
Ausbildung. Die assistierte Ausbildung soll ja auch ein
Pfund sein, mit dem man wuchern kann. Es wurde sogar
verabredet, zusätzliche Ausbildungsplätze für diesen Be-
reich zur Verfügung zu stellen. Das macht doch das Stra-
tegische aus: etwas zu erkennen, gemeinsam zu verabre-
den und dann auch umzusetzen. Das macht uns dann
auch in Teilen zufrieden hiermit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will gerne in der Logik des Bildungsberichtes
bleiben und noch sagen: Das gibt uns ja auch die
Chance, tiefer zu graben. Was die frühkindliche Bildung
angeht, müssen wir uns – Kollege Heil hat es angespro-
chen; die Ministerin hat es auch angesprochen –, wenn
wir den Bildungsbericht lesen, auch selbstkritische Fra-
gen stellen. Im Bildungsbericht steht in einem Kapitel,
dass ausgerechnet bei Kindern aus Migrationsfamilien,
von denen wir alle uns wünschen, dass sie besonders gut
Sprache lernen, ein zu großer Anteil eben nicht in eine
Kindertagesstätte geht. Ich will nicht versäumen, darauf
hinzuweisen, dass es ja auch verwirren muss, wenn es
ein Betreuungsgeld dafür gibt, dass ein Kind keine Kin-
dertagesstätte besucht, und wir gleichzeitig erwarten,
dass dort Sprache gelernt werden soll. Wir müssen aus
dem Bildungsbericht diagnostizieren: Da fehlen zwei
Jahre im Spracherwerb, die über gute Kindertagesstätten
für Migrantenkinder ermöglicht werden könnten. Viel-
leicht können wir auch an so etwas arbeiten.

Ein zweiter Punkt. Der Bildungsbericht stellt die
Schlüsselstellung der Ganztagsschule heraus, sagt aber
auch, dass die Entwicklung auf diesem Gebiet stagniert.
Muss uns nicht die im Bildungsbericht festgestellte Sta-
gnation beim Ausbau guter Ganztagsschulen veranlas-
sen, noch einmal zwischen Kommunen, Bund und Län-
dern darüber nachzudenken, wie man gemeinsam eine
Fortsetzung der Ganztagsschulentwicklung mit Qualität
und auch mehr Quantität erreichen kann? Die Eltern
wünschen sich das. Das ist aber auch strategisch wichtig
in Bezug auf die Anforderungen, die der moderne Ar-
beitsmarkt stellt. Es soll doch möglich sein, dass Frauen
wie Männer zur qualifizierten Wertschöpfung ausrei-
chend beitragen. Dafür bleibt die Ganztagsschule eine
Schlüsselstelle, und wenn es eine Schlüsselstelle ist,
dann ist sie es auch für eine strategische Bildungsverant-
wortung aller Kräfte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das Dritte, was durch den Nationalen Bildungsbericht
als Schwerpunkt herausgearbeitet wird, ist der Übergang
von der allgemeinen Bildung zur beruflichen Bildung.
Ich will in diesem Zusammenhang ausdrücklich heraus-
stellen, wie wichtig es ist – Kollege Rupprecht, wir ha-
ben als Parlamentsfraktionen das verstärkt, was die Re-
gierung im Auge hatte –, Berufsorientierung nicht nur
verstärkt auf Gymnasiasten auszuweiten, sondern
schwerpunktmäßig auch für Menschen mit Behinderung,
für Förderschüler und andere. Der Bericht und die prak-
tischen Erfahrungen mit der Berufsorientierung bestäti-
gen, dass wir alle im Blick haben müssen und nicht nur
die Abiturienten. Wir müssen alle ernst nehmen. Kollege
Schummer, ich fand Ihre Ausführungen über die Floris-
ten sehr gut, weil das ein praktisches Beispiel war. Das,
was Sie zu Nordrhein-Westfalen gesagt haben, wird
gleich noch gekontert, aber jetzt erst einmal zum prakti-
schen Bezug: Praktische Hilfen sind wichtig, und diesen
Bereich müssen wir ausbauen.

Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte, ist die
Verbindung von Berufs- und Hochschulausbildung. Wir
können uns darüber freuen, dass wir laut Bildungsbe-
richt viele Master haben. Der Bildungsbericht sagt uns
aber auch, dass wir uns erst recht freuen können, wenn
wir viele Meister haben. Diese Gleichwertigkeit ist
wichtig. Priorität darf nicht die akademische Bildung ha-
ben, sondern die Priorität muss auf einem erfolgreichen
Abschluss im beruflichen oder akademischen Bereich
liegen. Das ist eine Botschaft des Bildungsberichts, die
zu Handlungen führen kann, die zu Handlungen führen
muss.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Erlauben Sie mir eine letzte Bemerkung: Strategisch
sind wir gut aufgestellt: mit volatilen Bildungsgipfeln,
mit einem kontinuierlich erscheinenden Bildungsbericht,





Dr. Ernst Dieter Rossmann


(A) (C)



(D)(B)

mit einer KMK, die sich zunehmend konsensorientiert
und strategisch ausrichtet. Wir werben nach wie vor da-
für, die Weisheit, die in einem CDU-Parteitagsbeschluss
zum Ausdruck kommt – Beschluss C 13 und C 53, Par-
teitag 2014 in Köln – aufzugreifen und einen nationalen
Bildungsrat, den uns die vormalige Bildungsministerin,
Frau Schavan, anempfohlen hatte, nicht von vornherein
auszuschließen, sondern offen darüber nachzudenken,
ob ein solcher nationaler Bildungsrat die Bildungsrepu-
blik Deutschland durch einen Konsens und die strategi-
sche Bündelung aller Kräfte weiter befördern könnte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808002600

Das Wort erhält nun der Kollege Kai Gehring für die

Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Kai Gehring (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808002700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bis

es Chancen für alle gibt, ist noch viel zu tun. Das ist das
Kernergebnis des Bildungsberichts 2014 und auch mein
Zwischenfazit in dieser Debatte.

Der Reformstau ist auch deswegen so groß, weil zwei
CDU-Bundesbildungsministerinnen zu wenig für Bil-
dungsgerechtigkeit getan haben. Ein Kurswechsel hin zu
einem inklusiven Bildungsaufsteigerland tut not.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sieben Jahre nach dem Bildungsgipfel brechen immer
noch zu viele die Schule ab, bleiben zu viele ohne Be-
rufsabschluss, bleiben Geringqualifizierte abgehängt.
Dieser Chancenmangel und die soziale Spaltung im Bil-
dungssystem verschwinden nicht durch föderale Klein-
staaterei und nicht durch Unterfinanzierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie werden nur durch gemeinsames Handeln von Bund,
Ländern und Kommunen für alle Bereiche der Bildungs-
kette von der Kita bis zur Weiterbildung überwunden:
für U 3, für Ganztagsschulen, für Inklusion, für Schul-
sozialarbeit und eine Ausbildungsgarantie. Das ist not-
wendig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ob gemeinsames Handeln dann zu einem nationalen
Bildungsrat führt, darüber müssen wir diskutieren, und
zwar fraktionsübergreifend, mit den Verbänden und vor
allem entlang der Frage nach seinem Mehrwert. Falsch
dagegen ist es, die Idee zu vereinnahmen und vorzupre-
schen, wie die SPD es gerade macht. Mit solchen Kaper-
fahrten riskiert man, dass eine genauso alte wie interes-
sante Idee baden geht. Notwendiger als ein neues
Gremium ist es aus unserer Sicht, mehr Kooperation in
der Bildung überhaupt zu ermöglichen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Beides!)


Das bildungsfeindliche Kooperationsverbot muss fallen.
Das hat uns die Große Koalition 2006 eingebrockt und
2014 nicht behoben. Dieses Kooperationsverbot muss
fallen, und deswegen muss vor allem die Union endlich
ihren Widerstand aufgeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und Winfried Kretschmann! – Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ich klatsche mit einer Hand!)


Solange Bund und Ländern eine echte Bildungszusam-
menarbeit verbaut bleibt, bliebe ein neues Strategie-
gremium wie der nationale Bildungsrat nur eine lahme
Ente.

Zu alten Fehlern kommen neue Versäumnisse hinzu.
Es ist zwar wunderbar, dass Bund und Länder die Wis-
senschaftspakte fortsetzen, aber wo bleibt der Vorschlag
der Koalition, wie die neuen Kooperationsmöglichkeiten
in der Wissenschaft, also die neue Verfassungsrealität
seit dem 1. Januar 2015, genutzt werden können? Fehl-
anzeige! Da sind Sie blank, Sie haben keinen zusätzli-
chen Cent und keine neue Idee – das ist mau für unsere
Wissensgesellschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Anstatt substanziell für bessere Studien-, Lehr- und
Arbeitsbedingungen zu sorgen, diskutieren die Kollegen
aus der Koalition seit Monaten lieber über eine angebli-
che Akademikerschwemme. Dabei übersehen sie, dass
wir durch den demografischen Wandel vor einem ver-
schärften Fachkräftemangel sowohl an beruflich als auch
an akademisch Qualifizierten stehen. Unser Land
braucht mehr Meister und mehr Master. Wir als Grüne
wollen es den jungen Menschen selber überlassen, ob sie
ein Studium oder eine Ausbildung wählen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für Fachkräftesicherung ist unerlässlich, niemanden
zurückzulassen, keine Bildungsverlierer zu produzieren
und Hürden für qualifizierte Einwanderung einzureißen.
In unserer global vernetzten und wissensbasierten Volks-
wirtschaft kommt es auf Vielfalt, auf Kreativität, auf In-
ternationalität und auf Ideenreichtum an. Deutschland ist
auf Einwanderung als Innovationstreiber in Wissen-
schaft und Arbeitswelt angewiesen. Die Liste der Man-
gelberufe muss daher jetzt erweitert werden. Auch junge
Flüchtlinge und Asylbewerber brauchen eine Ausbil-
dungsgarantie mit gesichertem Aufenthaltsstatus, inten-
siver Sprachförderung und gleichberechtigtem Zugang
zur Ausbildungsförderung. Das sagen Ihnen auch jedes
Unternehmen und jeder Betrieb.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Gerechte Chancen und gute Bildung für alle – beides
ist konstitutiv für eine gelingende Persönlichkeitsent-
wicklung und eine freiheitlich-demokratische Gesell-
schaft. Gute Bildung immunisiert gegen Fundamentali-
sierung und Fanatisierung und gleichzeitig auch gegen
jede Form von Vorurteilen und Menschenfeindlichkeit.
Deshalb ist gute Bildung eine Antwort auf Islamismus
und Islamophobie, also auch ein wirksames Therapeuti-
kum gegen gesellschaftliche Spaltpilze wie Pegida und





Kai Gehring


(A) (C)



(D)(B)

Co. Auch deswegen muss eine chancengerechte Bil-
dungspolitik bei dieser Regierung einen höheren Stellen-
wert bekommen. Das ist auch für den sozialen Zusam-
menhalt in unserem Land unerlässlich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808002800

Die Kollegin Benning erhält nun das Wort für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sybille Benning (CDU):
Rede ID: ID1808002900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Dieser Nationale Bildungsbericht
untersucht die einzelnen Stationen des Bildungsweges,
von der Kita bis zur beruflichen Ausbildung, bis zum
Studium. Jede Station baut dabei auf der vorherigen auf.
Je besser ein Bildungsschritt gelingt, desto günstiger ist
es für den folgenden. Unter Führung der Union sind wir
in den letzten Jahren bei der Verbesserung jeder einzel-
nen Stufe deutlich vorangekommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bildung bedeutet neben dem Erwerb von Wissen im-
mer auch die Entwicklung der Persönlichkeit. Am Be-
ginn des Bildungsweges geschieht Entscheidendes. In
unserem Antrag verweisen wir auf die Studie der Leo-
poldina zur frühkindlichen Sozialisation. Erfahrungen,
die in der frühen Kindheit gemacht werden, prägen den
gesamten weiteren Lebensweg. Dies gilt zum Beispiel
auch für den Spracherwerb; das wurde eben bereits
mehrfach gesagt. Eine sichere Beherrschung der deut-
schen Sprache ist eine Grundvoraussetzung für einen er-
folgreichen Bildungsweg in Deutschland. Kinder aus
nicht deutschsprachigen Familien sollten daher so früh
wie möglich Kontakt zu deutschen Muttersprachlern be-
kommen.


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Weg mit dem Betreuungsgeld!)


Sehr erfolgreich wirkt hier das Bundesprogramm
„Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integration“.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr nachteilig wirkt das Betreuungsgeld!)


Wichtig wäre ein früherer Sprachtest möglichst bei allen
Kindern jedes Jahrgangs, um bei Nachholbedarf gezielt
nachsteuern zu können.

In der frühen Kindheit entwickelt sich auch das
Selbstkonzept eines Menschen. Er entwickelt hier Strate-
gien, um seine Ziele zu erreichen, und lernt, mit Belas-
tungen umzugehen. Je mehr Kompetenzen in dieser Zeit
erworben werden, umso besser sind die Prognosen für
die gesamte weitere Entwicklung im Jugend- und Er-
wachsenenalter, sowohl für den Schul- und Berufserfolg
als auch für Gesundheit und Wohlstand. Die enorme Be-
deutung der frühkindlichen Bildung ist daher offenkun-
dig.
Hier ist in den letzten Jahren viel passiert. Die Beteili-
gung der unter Dreijährigen an frühkindlicher Bildung,
Betreuung und Erziehung hat sich in Westdeutschland
seit 2006 verdreifacht und betrug im März 2013 deutsch-
landweit 29 Prozent.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Bei den drei- bis sechsjährigen Kindern beträgt die Bil-
dungsbeteiligung insgesamt 96 Prozent. Quantitativ ist
der Ausbau also gut gelungen. Jetzt muss verstärkt auf
die Qualität geschaut werden. Nach wie vor sind es die
Eltern, die in dieser Zeit entscheiden, welche Angebote
ihr Kind wahrnimmt. Besonders für Kinder aus bil-
dungsfernen Elternhäusern kommt es daher entschei-
dend darauf an, die Eltern anzusprechen und einzubezie-
hen. Ich kenne viele gute Beispiele dafür.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Meine Damen und Herren, Deutschland lebt von sei-
nen Köpfen. Flapsig ausgedrückt kann man auch sagen:
Was man nicht im Boden hat, muss man in der Birne ha-
ben.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau! Ein Spruch von mir! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Ein guter Spruch.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das gilt nicht nur im Münsterland!)

– Das gilt nicht nur im Münsterland; das gilt bundesweit.
– Wir sollten uns daran halten. Unser Wissen macht uns
nämlich auch wirtschaftlich stark. Dabei haben wir einen
wachsenden Bedarf in den sogenannten MINT-Fächern:
Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften, Technik.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sehr gut! Da ist NRW vorn!)


Wir brauchen mehr junge Menschen, die sich hier aus-
bilden lassen, auch und gerade mehr junge Frauen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Der Nationale Pakt für Frauen in MINT-Berufen
wirkt hier bereits. Immer mehr Frauen folgen der Auf-
forderung: „Komm, mach MINT“. 2012 gab es nämlich
schon 57 Prozent mehr MINT-Studienanfängerinnen als
2008. Es geht darum, in jungen Jahren Interesse zu we-
cken und eigene Erfahrungen zu ermöglichen, mit dem
Ziel, aus diesem Grundwissen einen Nährboden für spä-
tere technische und naturwissenschaftliche Berufsausbil-
dungen wachsen zu lassen.

Genau hier setzt die Stiftung „Haus der kleinen For-
scher“ an. 2006 gegründet und vom Bundesbildungsmi-
nisterium gefördert, hat sie sich mittlerweile zur größten
frühkindlichen Bildungsinitiative entwickelt, die es in
Deutschland je gegeben hat. Wussten Sie das?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja!)

– Das ist gut.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)






Sybille Benning


(A) (C)



(D)(B)

Was zunächst auf Kitas ausgerichtet war, wird seit 2011
auch auf die Grundschulen ausgeweitet. Unser Ziel ist
es, die kleinen Forscher in 80 Prozent aller Kitas experi-
mentieren zu sehen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei älteren Schülern muss man noch mehr für die
MINT-Fächer werben. Dazu gehört zum Beispiel, Lehre-
rinnen und Lehrer als Botschafter für Naturwissenschaf-
ten zu gewinnen. Nötig ist auch mehr Spielraum für
vertiefende Erfahrungen und Experimente über die regu-
lären Lehrpläne hinaus. Hier kommt den Ganztagsschu-
len eine besondere Bedeutung zu. Das Angebot wurde in
den letzten Jahren massiv ausgebaut. Mittlerweile geht
schon jeder dritte Schüler ganztags zur Schule. Der Be-
darf ist noch größer.


(Dr. Simone Raatz [SPD]: Das ist richtig!)


Ganztagsschulen erhöhen nachweislich die Bildungs-
chancen. Studien belegen, dass Kinder, die regelmäßig
an Ganztagsangeboten teilnehmen, bessere Lernerfolge
erzielen. Der Erfolg schulischer Ganztagsbetreuung be-
stimmt sich maßgeblich durch die pädagogischen Kon-
zepte. Hier müssen innovative Lösungen gefunden wer-
den.

Meine Damen und Herren, das formale Ziel jeder
Schulausbildung ist der Schulabschluss. Noch immer ist
die Zahl derer, die ihn nicht schaffen, leider zu hoch. Der
Übergang zum nächsten Schritt, zur Ausbildung, wird
damit deutlich erschwert. Denn nicht jeder, der eine
Ausbildung oder ein Studium anfängt, schafft den ange-
strebten Abschluss. Aber auch hier passiert sehr viel. Die
Initiative Bildungsketten zur Berufseinstiegsbegleitung
verzeichnet seit Jahren große Erfolge.

Gerade haben Bund, Länder und Sozialpartner die Al-
lianz für Aus- und Weiterbildung unterzeichnet. Das
Konzept der assistierten Ausbildung sieht vor, dass so-
wohl die Auszubildenden als auch die Betriebe während
der Ausbildung Ansprechpartner haben, die bei Schwie-
rigkeiten vermitteln können. Dies alles ist ein entschei-
dender Beitrag zur Stärkung der beruflichen Bildung im
deutschen Mittelstand, dem Rückgrat unserer Wirt-
schaft. Denn wir brauchen beides: Wir brauchen berufli-
che und akademische Bildung.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Das sage ich bewusst, weil ich die Verzahnung beider
Systeme für unabdingbar halte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Die Anzahl der Studienanfängerinnen und -anfänger
übersteigt bei weitem die von Bund und Ländern an-
gestrebte Zielmarke von 40 Prozent. Sie lag 2012 bei
51,4 Prozent. Gerade in den MINT-Fächern sind jedoch
zu viele Abbrüche zu verzeichnen. Gemeinsam mit den
Hochschulen und Kammern suchen wir nach neuen Lö-
sungen, wie es weitergehen kann, wenn ein begonnener
Bildungsweg nicht abgeschlossen wurde. Damit es wei-
tergeht und aus dem scheinbaren Scheitern eine genutzte
Chance wird, müssen wir klären, was angerechnet wer-
den kann: von einer Ausbildung für eine andere, von ei-
nem begonnenen Studium für eine Ausbildung und von
auf dem Ausbildungsweg erworbenen Qualifikationen
für ein Studium.

Die Gründe für einen Abbruch liegen oft nicht im
fachlichen Bereich, sondern in den sogenannten Sekun-
därtugenden. Wesentliche Kompetenzen dafür werden
bereits in der frühen Kindheit erworben. Hier sind wir
dann wieder bei der Bedeutung der frühkindlichen Bil-
dung für den gesamten Bildungsweg.

Meine Damen und Herren, das Schwerpunktthema
des Bildungsberichtes 2014 – die Inklusion und die
Frage, was wir für Menschen mit Behinderung im Bil-
dungsbereich tun müssen – wurde in dieser Debatte be-
reits umfangreich erörtert. Mir ist wichtig, dass wir mit
den Verbesserungen im gesamten Bildungsbereich ge-
rade diejenigen erreichen, die vielleicht keinen aner-
kannten besonderen Förderbedarf haben, aber dringend
eine bessere individuelle Förderung benötigen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Betonen möchte ich: Für die Bewältigung der anste-
henden Herausforderungen ist das Zusammenwirken
aller Akteure zwingend erforderlich. Bund, Länder,
Kommunen und Bildungsträger in Wirtschaft und Ge-
sellschaft müssen zusammenarbeiten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Der Bund stellt in dieser Legislaturperiode zusätzlich
6 Milliarden Euro für Bildung und Betreuung zur Verfü-
gung. Durch die freiwerdenden BAföG-Mittel können
– und sollten – die Länder insgesamt 1,2 Milliarden Euro
jährlich in Schulen und Hochschulen investieren. Wenn
die darin liegenden Chancen jetzt gut genutzt werden,
kommen wir alle einen Riesenschritt voran. Wir kennen
unsere Aufgaben, und wir gehen sie entschlossen an.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808003000

Das Wort hat nun der Kollege Willi Brase für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Willi Brase (SPD):
Rede ID: ID1808003100

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin meiner Vorred-
nerin ausgesprochen dankbar, dass sie auf die Bedeutung
von MINT hingewiesen hat. Wir haben mal ein bisschen
geschaut: Wie sieht es denn in den Bundesländern aus,
was passiert dort? Ich erinnere daran, dass wir 2008
beim Bildungsgipfel Maßnahmen beschlossen haben,
die für Bund, Länder und Kommunen, vor allen Dingen
aber für Bund und Länder gelten, Herr Mutlu. Wenn Sie
beklagen, dass zu wenige einen Schulabschluss haben,
dann müssen Sie die Länder genauso adressieren.





Willi Brase


(A) (C)



(D)(B)

Bei den Abschlüssen in MINT-Fächern können wir
eine wunderbare Statistik zur Kenntnis nehmen: Bezo-
gen auf 1 000 erwerbstätige MINT-Akademiker hatte
Nordrhein-Westfalen 2013 74 Abschlüsse vorzuweisen,
Niedersachsen und Bremen 68, Schlusslicht war Hessen
mit 54; der Durchschnitt in Deutschland lag bei 63.
Also: Wenn man Bundesländer kritisieren will, dann
muss man anerkennen, dass Nordrhein-Westfalen und
Niedersachsen hier sehr gut im Feld liegen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Volker Kauder [CDU/CSU]: Das waren sicher die Baden-Württemberger, die dorthin gekommen sind!)


– Kauder, hör up!


(Heiterkeit)


Ich fand es auch sehr interessant, zu erfahren, dass
das Bundesland Sachsen einen Bildungsplan für Kitas
vorgelegt hat – auch ein Ausdruck der gemeinsamen
Verabredung 2008: Wir machen einen Plan, damit das
mit den Kitas vernünftig läuft und immer mehr junge
Kinder eine Chance haben.


(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Auch das, was die Bundesländer hier machen,


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Sachsen!)


ist eine gute Sache.


(Beifall bei der SPD)


Lieber Uwe Schummer, wenn ich mir anschaue, was
die Regierung Rüttgers – Herr Rüttgers war ja mal Bil-
dungsminister in der Bundesregierung – in Nordrhein-
Westfalen hinterlassen hat, muss ich feststellen: Da blieb
einiges unerledigt. Wir haben in Nordrhein-Westfalen
seit 2010/2011 den Ausbau der U-3-Betreuung um
75 Prozent gesteigert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben die Zahl der Ganztagsplätze seit diesem Da-
tum von 225 000 auf 280 000 Plätze erhöht – eine Stei-
gerung um 25 Prozent. Wir haben die Zahl der Studien-
anfänger ebenfalls um 25 Prozent gesteigert, in den
MINT-Fächern sogar um 50 Prozent.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist Ausdruck einer richtigen Politik, die aber nicht
erst 2011 oder 2012 begonnen hat, sondern teilweise
Jahre zurückgeht. Das Beste, was Nordrhein-Westfalen
passiert ist, war, dass man Ende der 60er-Jahre den Aus-
bau der Hochschulen und Fachhochschulen massiv vo-
rangetrieben hat. Auch Herr Rüttgers hat etwas getan;
das wollen wir nicht außen vor lassen. Also: Die Länder
machen schon gute Sachen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Vor allen Dingen Johannes Rau!)

Für Inklusion nimmt NRW zwischen 2012 bis 2017
750 Millionen Euro zusätzlich in die Hand für über
3 800 Lehrerstellen; auch das geht also gut voran.

Im Bildungsbericht – ich will doch noch mal kurz da-
rauf zurückkommen – wurde auch beschrieben, dass wir
in dieser Republik nach wie vor das Problem haben, dass
junge Leute mit sozial schwierigem oder bildungsfernem
Hintergrund wesentlich schlechtere Chancen haben, einen
höheren Abschluss zu erreichen. Das ist leider immer
noch so. Das betrifft den Bund, das betrifft die Länder,
das betrifft die Kommunen. Deshalb will ich eine Initia-
tive erwähnen, mit deren Vertretern ich in den letzten Tagen
habe sprechen können, die Initiative ArbeiterKind.de. Es
handelt sich hierbei um freiwilliges Engagement von
jungen Leuten, die sagen: Wir wollen Informationen
auch in diese Familien hineinbringen, damit auch Kinder
aus diesen Familien eine Chance haben – mit den Bedin-
gungen, die wir als Gesellschaft schon lange zur Verfü-
gung stellen –, zu studieren, wenn sie dies wollen.
30 000 Schülerinnen und Schüler werden von dieser Ini-
tiative jedes Jahr angesprochen. Mir war es ein Bedürf-
nis, von dieser Stelle auch zu sagen: Danke, dass hier
auch junge Menschen sich Gedanken machen, wie man
es erreicht, dass alle eine Chance bekommen, auf dem
Weg nach vorne zu gehen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Leider habe ich nicht mehr viel Redezeit, Herr Präsi-
dent, aber eine Bemerkung darf ich noch machen: Mit
der Allianz für Aus- und Weiterbildung wollen wir nicht
nur für mehr Ausbildungsplätze für junge Leute und für
mehr Berufsorientierung sorgen, sondern auch noch ein-
mal die Gleichwertigkeit von allgemeiner und akademi-
scher Bildung deutlich machen. Das kann man nicht oft
genug sagen. Wir bieten den jungen Menschen zwei
Wege an, die sie ganz nach oben führen, und wer das
möchte, muss und wird alle Unterstützung bekommen.

Vielen Dank für Ihr Zuhören.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808003200

Sven Volmering ist der letzte Redner zu diesem Ta-

gesordnungspunkt für die CDU/CSU-Fraktion.


Sven Volmering (CDU):
Rede ID: ID1808003300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Als letzter Redner dieser Debatte möchte ich
noch einmal die Gelegenheit nutzen, allen Menschen,
die im Bildungssektor arbeiten, zu danken. Sie leisten in
unseren Kitas, Schulen, Hochschulen und Fortbildungs-
einrichtungen wirklich Großartiges.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Im Nationalen Bildungsbericht 2014 wird festgestellt,
dass es positive Entwicklungen in allen Bildungsberei-
chen gibt und dass die Bildungsbeteiligung sowie der





Sven Volmering


(A) (C)



(D)(B)

Bildungsstand der Bevölkerung in Deutschland verbes-
sert wurden. Das ist ein Erfolg,


(Beifall bei der CDU/CSU)


und ich freue mich, dass die Grünen und Linken in ih-
ren Anträgen versteckt ebenfalls von Verbesserungen
sprechen.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind halt objektiv!)


Inhaltlich erinnern Sie hingegen an Scheinriesen, die
meinen, in wenigen Schritten, bestehend aus Rechtsan-
sprüchen und neuen Gesetzen, das Ziel einer perfekten
Bildungsrepublik sofort erreichen zu können. Das funk-
tioniert so nicht. Mit dem Antrag unserer Koalition, der
viele konkrete Punkte enthält, werden wir erfolgreicher
für das Bildungssystem sein, weil er realistischer ist, als
es Ihre allgemeinen Forderungen sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das Ceterum censeo eines neuen Artikels 91 b Ab-
satz 2 des Grundgesetzes, von dem wir in dieser Debatte
auch immer wieder gehört haben, ändert nichts, aber
auch gar nichts an dem Befund, dass der Bund in enger
Kooperation mit Ländern und Kommunen sehr viel in
der Bildungspolitik leistet, von dem die Schulen direkt
und indirekt profitieren.

Frau Dörner, Sie haben bemängelt, es gebe in der
frühkindlichen Bildung nichts, was stützend wirkt. Für
meine einjährige Tochter habe ich letztens bei der Kin-
derärztin zum Beispiel das Starterset des Programms
„Lesestart – Drei Meilensteine für das Lesen“ bekom-
men. Die Stiftung Lesen hat hier mit Mitteln des BMBF
etwas wirklich Ausgezeichnetes geschaffen. Mit insge-
samt drei Sets, die bis zur Einschulung wirken, wird eine
gute Leistung angeboten und letztendlich Lust aufs Le-
sen gemacht. Das kommt in Deutschland jedem Kind –
aus allen Bevölkerungsschichten und mit jedem Hinter-
grund – zugute.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Als weitere Maßnahmen nenne ich die vielen Wettbe-
werbe, die der Bund fördert. „Jugend forscht“ wird in
diesem Jahr beispielsweise 50 Jahre alt, und die Quali-
tätsoffensive Lehrerbildung wurde in dieser Debatte
auch schon zigmal angesprochen.

Das Engagement des Bundes in der Bildungsfor-
schung ist hier letztendlich heruntergeredet worden. Das
ist ein falsches Signal. Wir fördern insgesamt 300 For-
schungsprojekte mit 165 Millionen Euro. Diese liefern
uns sehr deutlich Erkenntnisse darüber, wo wir auf ge-
sellschaftliche Entwicklungen reagieren müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen endlich von der reinen Zahlen- und Quo-
tenfixierung wegkommen


(Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD]: Ja!)


und auch von der Qualität sowie der inhaltlichen Ausge-
staltung der Angebote in der Bildungspolitik sprechen.
Die Bildungsforscherin Fabienne Becker-Stoll hat in
der FAS vom 2. August 2014 darüber gesprochen, dass
Kinder aller Schichten und Bevölkerungsgruppen besser
zu Hause bei ihren Eltern bleiben sollten, bevor sie eine
schlechte Einrichtung besuchen. Das verdeutlicht den
Spagat, den wir in der Politik zwischen Qualität, Quanti-
tät und politischen Zielen vollziehen müssen. An dieser
Stelle bin ich froh – das sage ich auch deutlich –, dass
wir das Betreuungsgeld haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Oh wei, oh wei!)


– Nein, nicht „oh wei, oh wei“; das ist doch richtig!

Die Fragen nach der Qualität stellen sich auch bei an-
deren Themen, zum Beispiel beim Thema Inklusion und
beim Thema Ganztag. Die gesellschaftliche Antwort, die
manchmal gegeben wird – weniger Leistung, keine
Hausaufgaben, keine Noten –, ist hier sicherlich auch
kein Lösungsweg.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer sagt denn das?)


Die Schülerinnen und Schüler müssen abseits der
Schule Zeit für sich haben, sie müssen Zeit haben, Ge-
lerntes zu wiederholen, neue Hürden zu meistern und
Leistungen zu zeigen. Herr Heil, darin sind wir uns ja
auch durchaus einig, wie wir gerade gehört haben.

Aber natürlich gilt es, Verbesserungsvorschläge zu
diskutieren. Das betrifft beispielsweise unterrichtliche
Belastung am Mittag. Das betrifft die Inhalte, wie wir in
den letzten Tagen auf Twitter gelernt haben. Aber das
betrifft auch die Erfahrungen von Vereinen, dass Kinder
und Jugendliche weniger Zeit für außerschulisches
Engagement haben.

Wenn Lehrerverbände und Studien davor warnen,
dass der psychische Druck für manche Schüler immer
größer wird, weil Abitur und Studium als alleinseligma-
chende Königswege der Bildung angesehen werden,
dann muss reagiert werden. Angesichts des demografi-
schen Wandels und der steigenden Zahl der Studieren-
den brauchen wir uns nicht zu wundern, dass bei
49 Fachkräftegattungen, bei denen eine duale Ausbil-
dung möglich wäre, dramatische Engpässe in Millionen-
höhe bestehen.

Wir müssen das Bildungssystem stärker mit der Le-
bensrealität verbinden. Eine Tatsache ist, dass es Infor-
mationsdefizite bei der Berufsorientierung gibt,


(Beifall bei der CDU/CSU)


bei allen Schulformen und in allen gesellschaftlichen
Schichten, wie durch eine Allensbach-Studie herausge-
funden wurde. Daher ist es gut, dass in dem Antrag der
Großen Koalition allein zu dieser Thematik acht Punkte
benannt werden. Von den Grünen gab es im gesamten
Antrag insgesamt nur neun Forderungen. Von daher kön-
nen Sie sich Ihre Kritik in diesem Bereich eindeutig spa-
ren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD] – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Besser gute Forderungen als viele!)






Sven Volmering


(A) (C)



(D)(B)

Die Zusammenarbeit zwischen Schulen, Unterneh-
men und Behörden muss intensiviert werden. Die Aus-
sage, dass nur ein Viertel der Schüler die Angebote der
Bundesagentur für Arbeit im Bereich der Berufsorientie-
rung nutzt und für hilfreich hält, ist erschreckend. Ge-
nauso erschreckend ist es, wenn man von Schülern im-
mer wieder hört, dass es bei der Berufsberatung den Tipp
gebe, Model zu werden, weil man so gut aussehe. Diese
Punkte beweisen, dass da noch nicht der Weisheit letzter
Schluss erreicht ist.

Von daher ist es kein Wunder, dass sich die Jugendli-
chen vor allem mit ihren Eltern über Berufsfragen unter-
halten, was mal positiv, mal negativ sein kann. Es ist
deshalb gemeinsames Ziel der Großen Koalition – das
wird auch in dem Antrag festgehalten –: Wir wollen jun-
gen Menschen und ihren Eltern realistische Zukunftsper-
spektiven aufzeigen, um die Abbrecherquoten zu senken
und jedem Jugendlichen, wie es die Allianz für Aus- und
Weiterbildung vorsieht, eine Ausbildungsgarantie zu ge-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Diese Intensivierung der Berufsorientierung, die un-
ser Ziel ist, bedeutet natürlich eine Herausforderung für
die Schulen. Deshalb brauchen sie Entlastungen. Über
dieses Thema sollte in der KMK einmal geredet werden;
denn die Kollegen an den Schulen ächzen natürlich
schon unter einem enormen Bürokratieaufwand in
Deutschland: Dokumentationspflichten, das Schreiben
von Papieren für die Schublade und auch die Erhebung
manch unwichtiger Statistiken rauben Zeit für die Schü-
lerinnen und Schüler. Deshalb muss Bürokratie im deut-
schen Bildungssystem reduziert werden. Nicht alles
muss bis ins letzte Detail geregelt und standardisiert
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Willi Brase [SPD])


Da muss Schulen einmal die Freiheit gewährt werden,
stärker auf aktuelle Entwicklungen in Gesellschaft, Poli-
tik und Wirtschaft einzugehen, ohne durch zentrale Vor-
haben und Vorgaben gelähmt zu werden.


(Dr. Rosemarie Hein [DIE LINKE]: Warum wollen Sie dann das Zentralabitur?)


Warum sollten Schulen, die beispielsweise Vorreiter bei
der Inklusion sind, nicht die Möglichkeit haben, in Ei-
genverantwortung von Klassenfrequenzrichtlinien abzu-
weichen? Es ist gerade das Hohe Lied auf Nordrhein-
Westfalen gesungen worden. Aber in Dinslaken ist ge-
nau diese Abweichung von der Landesregierung verbo-
ten worden, als eine Vorreiterschule im Bereich der In-
klusion diese dringende Bitte geäußert hatte. Auch in
NRW ist also nicht alles Gold, was glänzt. Auch das ge-
hört zur Wahrheit dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen bereit sein, neue Strategien zuzulassen.
Das Handwerk hat die Idee des dualen Abiturs vorge-
stellt, um Abiturienten in entsprechende Berufe zu lo-
cken. Auch mit diesem interessanten Ansatz sollten wir
uns beschäftigen. Ebenso werden uns die Themen digi-
tale Bildung und Inklusion in diesem Jahr verfolgen.

Nichtsdestoweniger will ich zum Abschluss zitieren.
In der Bibel steht: „Gelassenheit bewahrt vor großen
Fehlern.“ – Ein großer Fehler wäre es, Herr Präsident,
die Redezeit zu überziehen. Allerdings wäre es ein ande-
rer Fehler, es so zu machen, wie es der DGB in der letz-
ten Woche getan hat, nämlich teilweise überdramatisch
alles schlechtzureden.

Deutschland ist in der Bildung auf einem guten Weg.
Die Koalition hat einen starken Antrag vorgelegt, den
der Bundestag in aller Gelassenheit annehmen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1808003400

Darüber entscheiden wir dann später. – Zunächst

schließe ich die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/2990, 18/3546, 18/3412 und
18/3728 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Darf ich dazu Ihr Einvernehmen
feststellen? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann sind
die Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen zu den Tagesordnungspunkten 19 a und
19 b:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katharina Dröge, Kerstin Andreae, Dr. Thomas
Gambke, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Konsultationsergebnisse beherzigen – Klage-
privilegien zurückweisen

Drucksache 18/3747

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Klaus
Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Interessengeleitetes Gutachten zu Investoren-
schutz zurückweisen

Drucksache 18/3729
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Auch hier soll nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung die Aussprache 96 Minuten dauern. – Ich stelle
dazu Einvernehmen fest und eröffne hiermit die Aus-
sprache.

Das Wort erhält zunächst die Kollegin Katharina
Dröge für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808003500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Wir haben im Deutschen Bundestag schon das
eine oder andere Mal über die Schiedsgerichte im TTIP-
Abkommen diskutiert: über die Gefahren von unklaren





Katharina Dröge


(A) (C)



(D)(B)

Rechtsbegriffen, die mangelnde Unabhängigkeit von
Schiedsrichtern, intransparente Schiedsverfahren, man-
gelnde Berufungsinstanzen oder ganz grundsätzlich über
den Sinn oder Unsinn dieses Konzeptes.

Ich bin froh, dass wir auch heute wieder darüber spre-
chen. Denn nach wie vor sind die Klageprivilegien für
Konzerne eine der entscheidenden Fragen, wenn es um
das Für und Wider von TTIP geht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Seit dieser Woche gibt es allerdings noch eine neue
Tatsache, die wir in der Debatte berücksichtigen müssen,
und zwar die Entscheidung der europäischen Bürgerin-
nen und Bürger. Die Kommission hat nämlich endlich,
nach Monaten der Auswertungszeit, die Ergebnisse der
EU-weiten Bürgerbefragung zu den Schiedsgerichten
veröffentlicht.

Das Ergebnis spricht eine eindeutige Sprache: Über
97 Prozent der Befragten sagen Nein zu den Schiedsge-
richten im TTIP-Abkommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Über 97 Prozent halten die Schiedsgerichte für gefähr-
lich und unnötig. Sie wollen sie grundsätzlich nicht. Das
heißt, sie lehnen sie nicht nur im Detail ab, sondern sie
wollen sie gar nicht.

Das Ergebnis ist auch deshalb so klar und eindeutig,
weil fast 150 000 Stellungnahmen zu diesem Thema in
Brüssel eingegangen sind. Das ist eine enorme Zahl im
Vergleich zu den vielen anderen Befragungen, die die
EU ansonsten durchführt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Vor allem zu den 500 Millionen, die nicht abgestimmt haben!)


Ich glaube, angesichts dieser Zahlen ist es jetzt unsere
Verantwortung als Politiker, hierauf eine ebenso eindeu-
tige Antwort zu geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir Grünen haben mit unserem Antrag einen konkre-
ten Vorschlag gemacht. Aus unserer Sicht ist es nun end-
lich notwendig, dass wir als Deutscher Bundestag sagen,
dass wir keine Schiedsgerichte in TTIP und CETA ak-
zeptieren werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Diesen Vorschlag wollen wir gerne mit Ihnen disku-
tieren, und zwar ernsthaft und ehrlich. Aber man führt
keine ehrliche Debatte, und man nimmt die Bürgerbefra-
gung nicht ernst, wenn man das Ergebnis nur freundlich
entgegennimmt und es dann, bildlich gesprochen, in den
Aktenschrank stellt, um es dort verstauben zu lassen.
Genau das scheinen Sie als Bundesregierung leider vor-
zuhaben. Denn so müssen es die Menschen verstehen,
dass Herr Gabriel in einer Pressemitteilung diese Woche
angekündigt hat: Zur Frage der Schiedsgerichte wird
sich die Bundesregierung erst dann abschließend äußern,
wenn auch das ganze Verhandlungsverfahren abge-
schlossen ist, also in vier oder fünf Jahren oder noch spä-
ter, je nachdem, wann TTIP ausverhandelt ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Weil wir gerade beim Thema Wahrheit und Klarheit
sind: Nicht ernst nimmt man die Bürgerinnen und Bür-
ger übrigens auch dann, wenn man, wie Landwirt-
schaftsminister Schmidt letzte Woche im Spiegel,
erklärt, man könne unter TTIP nicht mehr die Herkunfts-
angabe zu jeder Wurst oder jedem Käse schützen,


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Das stimmt ja!)


nur um dann schleunigst zurückzurudern, wenn man
merkt, wie viel Ärger man sich damit einhandelt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sehr geehrte Bundesregierung, die Bürgerinnen und
Bürger wollen wissen, ob das Kölsch künftig noch aus
Köln kommt oder, was ich nicht hoffen will, auch in
Düsseldorf gebraut werden kann.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das können die Kölner Abgeordneten sagen, wie es sich mit dem Kölsch verhält! – Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Das ist ein schlechtes Beispiel!)


– Sie können Herrn Schmidt sagen, dass das ein schlech-
tes Beispiel ist. Denn genau so wird er im Spiegel zitiert.
Damit stiftet die Bundesregierung bei diesem Thema
Verwirrung.

Sie wollen auch wissen, ob Konzerne uns unter TTIP
vor intransparenten Schiedsgerichten verklagen können
oder ob sie sich weiter an normale staatliche Gerichte
wenden müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU
und der SPD, ich finde, die Bürgerinnen und Bürger ha-
ben es verdient, dass die Bundesregierung endlich, nach-
dem wir so oft darüber diskutiert haben, klar sagt, was
sie an den Schiedsgerichten akzeptiert. Sagen Sie uns
doch einfach, welche Regeln Sie gut und welche Sie
schlecht finden bzw. wann Sie zu den Schiedsgerichten
Ja und ab wann Sie Nein sagen. Wir haben das schon oft
diskutiert. Sie sagen immer nur: Wir werden prüfen. Wir
werden vielleicht nachverhandeln, vielleicht werden wir
aber auch nicht nachverhandeln. Vor allem aber werden
wir den Bürgerinnen und Bürgern nicht sagen, was die
Bundesregierung will. – Das geht nicht. So nimmt man
die Bürgerinnen und Bürger nicht ernst.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Wir wollen TTIP! Wir machen das auch! Das ist ganz wichtig für Deutschland!)


Zur Ehrlichkeit in der Debatte gehört im Übrigen
auch, dass wir die Chance nutzen und jetzt klären, wer in





Katharina Dröge


(A) (C)



(D)(B)

dieser Bundesregierung die Schiedsgerichte und das Ab-
kommen will und wer nicht; denn auch hier liefern Sie
als Bundesregierung eine ziemlich verwirrende Perfor-
mance ab.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Auf der einen Seite gibt es einen Parteitagsbeschluss der
SPD, der ziemlich klar ist. Es gibt diverse öffentliche
Äußerungen der Minister der Bundesregierung. Außer-
dem gibt es sogar einen kritischen Parteitagsbeschluss
der CSU zu den Schiedsgerichten, wie ich mit Freude
zur Kenntnis genommen habe. Auf der anderen Seite ist
da Frau Merkel, die eigentliche Erfinderin des TTIP-
Projekts und vielleicht die Einzige, die das Ganze wirk-
lich will.


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Dann haben Sie aber die letzte Regierungserklärung verpasst! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Unsere ganze Fraktion will das, geschlossen!)


Doch auch Frau Merkel äußert sich zu TTIP nur dann,
wenn sie gar nicht darum herumkommt. Ansonsten geht
sie lieber auf Tauchstation und freut sich darüber, dass
das Thema TTIP nicht so wirklich mit ihr in Verbindung
gebracht wird. Man hat das Gefühl, es wäre Frau Merkel
sehr recht, wenn das so unbeliebte Thema TTIP letztend-
lich nicht mit der CDU/CSU, sondern mit Herrn Gabriel
und der SPD in Verbindung gebracht würde.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das würde ich notfalls in Kauf nehmen!)


Ich weiß nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, ob Sie bzw. Ihr Minister das wirklich wollen soll-
ten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wir ducken uns nicht!)


Was Sie aber auf jeden Fall wollen sollten – das ist
mein dringender Appell an Sie –, ist, dass die Bürgerin-
nen und Bürger, die sich mit dem Thema TTIP beschäfti-
gen, endlich wissen, woran sie bei Ihnen sind. Hier ha-
ben Sie eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Entweder
hören Sie auf die 150 000 Bürgerinnen und Bürger, die
nun abgestimmt haben, und auf die 1,3 Millionen Men-
schen, die die Resolution gegen TTIP unterschrieben ha-
ben,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder auf die 500 Millionen, die sich dazu nicht äußern!)


und geben den Kirchen, den Gewerkschaften sowie den
Umwelt- und Sozialverbänden in Europa eine Stimme,
oder eben nicht. Es ist Ihr gutes Recht, das frei zu ent-
scheiden. Aber es ist auch Ihre Pflicht, zu sagen, wo Sie
stehen; das schulden Sie den Bürgerinnen und Bürgern.
Damit müssen Sie heute endlich anfangen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Darauf ein Kölsch!)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808003600

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege

Dr. Joachim Pfeiffer.


(Beifall bei der CDU/CSU – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Jetzt kommt der Industrielobbyist!)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1808003700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Vielleicht soll-
ten wir eingangs kurz darüber sprechen, worüber wir ei-
gentlich reden.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Kölsch oder Alt!)


– Das Thema Kölsch wird der Kölner Abgeordnete Herr
Professor Hirte nachher mit Frau Dröge persönlich be-
sprechen. Da will ich mich nicht einmischen. Ich fühle
mich eher für den Wein zuständig. Aber dieser wurde
heute nicht angesprochen.

Es geht darum, wer im 21. Jahrhundert im internatio-
nalen Handel die Standards setzen wird.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Setzen wir in Europa zusammen mit den USA und Ka-
nada – das Abkommen CETA ist quasi ausverhandelt;
hier sind wir auf der Zielgeraden angekommen – die
Standards nicht nur für Europa – das ist wahrscheinlich
die letzte Chance, unsere Standards in Technik, im Ver-
braucherschutz, im Arbeitsschutz und in anderen Berei-
chen weltweit zu setzen –, oder schaffen wir es nicht?
Wenn wir es nicht schaffen, wird es trotzdem eine Rege-
lung geben. Was wird passieren? Dann werden andere
das Vakuum, das durch die Nicht-Regulierung entstan-
den ist, ausfüllen. Die USA verhandeln parallel zu TTIP
mit 13 asiatischen Staaten über die Trans-Pacific Part-
nership. China hat nun angekündigt, ein Freihandelsab-
kommen mit den USA abzuschließen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808003800

Kollege Pfeiffer, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollege Gambke?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1808003900

Ja, selbstverständlich.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Vielen Dank, Herr Kollege Pfeiffer, dass Sie meine
Frage zulassen. – Ich glaube, wir sind an einer ganz ent-
scheidenden Stelle. Sie haben davon gesprochen, dass
Standards gesetzt werden sollen. Ist Ihnen bewusst, dass
die Bruttowertschöpfung, die China bei den produzierten
Waren erreicht, bei 25 Prozent liegt, während Amerika
nur 19 Prozent erreicht? Ist Ihnen bewusst, dass der pa-
zifische Raum dabei ist, Handelsabkommen abzuschlie-
ßen? Wie bewerten Sie in diesem Zusammenhang die Er-
folgsaussichten, auf atlantischer Ebene – die Amerikaner
sind im zudem im pazifischen Raum aktiv, wir nicht –





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)

die Trends zu setzen, sowie die Tatsache, dass China ein
gerade gefälltes Schiedsgerichtsurteil der WTO umge-
setzt hat? Dieses Urteil betreffend den Export Seltener
Erden zeigt, dass es durchaus möglich ist, auf WTO-
Ebene Schiedsgerichte und Appellationsgerichte, also
Berufungsgerichte, einzurichten.

Wie bewerten Sie dann die sehr singuläre und übri-
gens in der Fachwelt sehr umstrittene Art und Weise, mit
der jetzt versucht wird, auf atlantischer Ebene Schieds-
gerichte zu etablieren?


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1808004000

Das ist eine umfangreiche Frage, die ich auch um-

fangreich zu beantworten versuchen werde. – In der Tat
– da sind wir uns einig – wären multilaterale Lösungen
im Rahmen der WTO am besten. Leider sind die WTO-
Verhandlungen in den letzten Jahren nicht so schnell vo-
rangekommen – das gilt insbesondere für die Doha-
Runde –, wie wir uns das alle gemeinsam in Europa er-
hofft haben. Weil die Verhandlungen nicht so schnell vo-
rankommen, wurde begonnen, bilaterale Abkommen zu
verhandeln und auch abzuschließen.

Im Übrigen hat nicht Europa mit diesen bilateralen
Verhandlungen begonnen, sondern Europa hat sehr lange
versucht, den multilateralen Ansatz weiterzuverfolgen
und alle Staaten einzubinden. Erst als andere mit diesen
bilateralen Verhandlungen begonnen haben, konnten wir
in der EU nicht außen vor bleiben und mussten unsere
Interessen entsprechend vertreten. Selbstverständlich ist
es aber immer noch das europäische Ziel und das Ziel
dieser Bundesregierung und der CDU/CSU-Fraktion, die
WTO an erster Stelle zu stärken.

Es gab, wie Sie wissen, im letzten Jahr in Bali einen
Fortschritt, dem jetzt auch die Inder zugestimmt haben.
Es geht also im Schneckentempo weiter. Ich sehe auch
die Abkommen zwischen Europa und Kanada und Eu-
ropa und den USA nicht im Gegensatz zur WTO; viel-
mehr können diese Abkommen Standards setzen, die wir
im Rahmen der WTO aufgreifen. Genau das ist doch das
Thema, das Sie beschrieben haben.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das ist die Herausforderung: Wer wird zukünftig mul-
tilateral diese Standards setzen? Werden es europäisch-
amerikanische Standards sein, oder werden es asiatische
Standards sein? Die Interessen, um die es hier geht, sind
ganz unterschiedlich.

Wenn Sie jetzt die Frage nach den Gewichten stellen,
dann muss ich sagen: Es ist in der Tat so, dass die Euro-
päische Union und die Vereinigten Staaten von Amerika
mit TTIP einen Markt von über 800 Millionen Men-
schen schaffen würden, in dem weit über 50 Prozent der
Weltexporte stattfinden. Die aufstrebenden Länder in
Asien werden natürlich an Exportstärke gewinnen, ins-
besondere China und die ASEAN-Staaten, die wir alle
gut kennen, weil wir uns mit dem Thema intensiv aus-
einandersetzen. Deshalb ist es umso wichtiger, dass wir
gerade jetzt auf transatlantischer Ebene versuchen, un-
sere Standards als Weltstandards zu implementieren.
Zu den Schiedsgerichtsverfahren will ich an dieser
Stelle auch gleich etwas einflechten. Diese sind ein In-
strument, die es im Rahmen der WTO und im Rahmen
von Freihandelsabkommen der Europäischen Union mit
anderen Staaten gibt, und Investitionsschutzabkommen
und Schiedsgerichte gibt es selbstverständlich auch auf
nationaler Ebene. Wie Sie wissen, hat Deutschland vor
50 Jahren diese Schiedsgerichte und diese Investitions-
schutzabkommen quasi erfunden. Wir haben 130 Ab-
kommen abgeschlossen. Im Übrigen wurden über 20
dieser Abkommen unter Rot-Grün zwischen 1998 und
2005 abgeschlossen.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Aha!)


Deshalb kann ich auch gar nicht erkennen, weshalb
Investitionsschutzabkommen per se schlecht sein sollen.
Sie haben solche Abkommen während Ihrer Regierungs-
zeit abgeschlossen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war mir bis jetzt nicht aufgefallen! – Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] nimmt wieder Platz)


– Herr Kollege, ich bin eigentlich noch immer bei der
Beantwortung Ihrer Frage.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Er scheint mit der Antwort zufrieden zu sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Wir auch!)


Ich möchte aber den Gedanken fortsetzen. Die 23 Ab-
kommen, die in rot-grüner Regierungszeit abgeschlossen
wurden, und die weiteren fünf, die in rot-grüner Zeit ra-
tifiziert wurden, betreffen bei weitem nicht nur Ent-
wicklungsländer oder Schwellenländer. In Ihrer Regie-
rungszeit ist zum Beispiel das Abkommen mit Polen
abgeschlossen und das Abkommen mit Kroatien ratifi-
ziert worden, und es sind Abkommen mit Mexiko und
anderen Staaten abgeschlossen worden.

Insofern wird auch an dieser Stelle deutlich – eigent-
lich wollte ich das erst später ausführen –, dass das, was
immer gesagt wird, nämlich dass Schiedsgerichtsverfah-
ren nichts für entwickelte Staaten seien, sondern nur im
Umgang mit Entwicklungsländern oder Schwellenlän-
dern sinnvoll seien, nicht richtig ist. Das ist mitnichten
der Fall.

Ich will Ihnen dazu gerne ein paar Zahlen nennen:
Deutschland hat, wie bereits erwähnt, 130 Abkommen
geschlossen. Im Übrigen gab es nach meinen Informa-
tionen überhaupt erst drei Klagen gegen Deutschland,
von denen bisher keine erfolgreich war. Das heißt, bisher
gab es hier – es wird ja immer unterstellt: es kommen ir-
gendwelche finsteren Konzerne und Mächte von irgend-
woher und klagen in Deutschland gegen Standards –
keine erfolgreiche Klage.

Im Gegenteil, umgekehrt wird ein Schuh daraus.
Wenn Sie sich die aktuelle Situation anschauen, dann er-
kennen Sie, dass die Mehrzahl der weltweit anhängigen





Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Schiedsgerichtsverfahren von EU-Staaten gegen andere
Staaten geführt wird; 53 Prozent aller Schiedsgerichts-
verfahren werden von EU-Staaten angestrengt, während
nur 22 Prozent aus den USA kommen.

Wenn wir die jüngste Entwicklung, die des Jahres
2014, betrachten, dann zeigt sich, dass Schiedsgerichts-
verfahren sogar von Staaten der Europäischen Union ge-
gen andere Staaten der Europäischen Union angestrengt
werden – Verfahren, die es nach Ihrer Einschätzung ja
gar nicht geben dürfte. Welche sind es? Im letzten Jahr
gab es Schiedsgerichtsklagen gegen Spanien und gegen
Tschechien.

Hinzu kamen – das müssten Sie eigentlich wissen;
aber vielleicht verschweigen Sie es – Schiedsgerichts-
klagen aus der Ökostrombranche, aus dem Bereich er-
neuerbare Energien. Neun Investoren aus den Niederlan-
den, aus Großbritannien, aus Luxemburg, aber auch aus
Deutschland, zum Beispiel die Stadtwerke München
oder die STEAG, klagen in Washington vor einem inter-
nationalen Schiedsgericht gegen Spanien, das die Regeln
für Ökostromförderung in Spanien rückwirkend geän-
dert und damit bereits getätigte Investitionen beeinträch-
tigt hat.

Genau darum geht es. Solche Rechtsstreitigkeiten gibt
es nicht nur zwischen Entwicklungsländern und Schwel-
lenländern einerseits und den entwickelten Staaten ande-
rerseits; auch in entwickelten Staaten gibt es ab und zu
den Fall, dass Rechtsgrundlagen für getätigte Investitio-
nen verändert werden. Genau dann kommen solche Kla-
gen vor. Da helfen uns auch der europäische Binnen-
markt und das bestehende Rechtssystem bisher nicht im
notwendigen Umfang weiter.

Insofern kann ich nur davor warnen, Schiedsgerichts-
verfahren von vornherein zu verdammen. Es geht viel-
mehr darum, jetzt mit dem Abkommen mit den USA ei-
nen Standard zu setzen, der nachher weltweit Vorbild für
andere Freihandelsabkommen werden kann und werden
wird und dann hoffentlich multilateral in der WTO um-
gesetzt werden kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist das Ziel, das wir als Union und die Bundesregie-
rung in Europa verfolgen.

Frau Dröge, Sie haben eben das Konsultationsverfah-
ren, das die EU auf diesem Gebiet durchgeführt hat, an-
gesprochen. Sie haben ein paar Zahlen genannt. Diese
Zahlen sind richtig;


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie immer! Wir sind genau!)


aber sie sind doch etwas lückenhaft. Sie haben von einer
Volksbefragung gesprochen. Ein Konsultationsverfahren
der EU ist keine Volksbefragung, auch keine Bürgerbe-
fragung,


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jeder Bürger in Europa kann teilnehmen!)

sondern quasi eine Fachumfrage bei denen, die von sol-
chen Themen betroffen sind. Diese Personen sind aufge-
fordert, sich zu äußern. Jetzt nehmen wir einmal an, alle
500 Millionen Bürger wären betroffen; das gab es bisher
übrigens noch nie.

Zumindest wir gehen so vor – ich weiß nicht, wie Sie
es machen –: Wenn im Deutschen Bundestag eine Anhö-
rung stattfindet, dann setzen wir uns mit den Sachargu-
menten auseinander und entscheiden nicht anhand der
Zahl der Eingaben darüber, wer Recht hat und wer nicht
Recht hat; wir setzen uns vielmehr inhaltlich mit den Ar-
gumenten auseinander.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben im Gegensatz zu Ihnen 1 Million Sachargumente geliefert!)


Für uns geht ganz klar Qualität vor Quantität.

Was ist bei den Stellungnahmen passiert?


(Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


– Wenn Sie eine Zwischenfrage stellen wollen – Zwi-
schenrufe verstehe ich schlecht –, stehe ich zu deren Be-
antwortung gerne zur Verfügung.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen Sie gar nichts fragen!)


– Okay.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808004100

Herr Kollege Pfeiffer, möglicherweise hat Ihre eben

etwas länger dauernde Antwort auf eine Zwischenfrage
abschreckend gewirkt.


Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1808004200

Wenn man sich nicht mit den Fakten auseinanderset-

zen will, dann ist das natürlich immer schade.

Die Fakten sind – lassen Sie mich jetzt zur Konsulta-
tion kommen –: Von 500 Millionen Bürgern in Europa –
Sie sagen ja: es war eine Bürgerumfrage –


(Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


haben 150 000 sozusagen teilgenommen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und dann noch kopiert von Campact!)


Davon haben 145 000 Vordruckexemplare, Postkarten


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Genau!)


oder Standard-E-Mails der einschlägigen Organisationen
der Empörungsindustrie an die EU geschickt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Florian Post [SPD])


145 000 der 150 000 waren Standardformulare, waren
genau gleich.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut!)






Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Deshalb sage ich: Es kann sicher nicht danach gehen:
Wer schickt am schnellsten die meisten E-Mails, und
wer schickt am schnellsten die meisten Postkarten? Das
ist nicht Aufgabe eines Konsultationsverfahrens, son-
dern Aufgabe ist die inhaltliche Auseinandersetzung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es haben 3 000 Personen und 450 Organisationen ent-
sprechende Eingaben gemacht. Die werden jetzt selbst-
verständlich fachlich vertieft und fundiert geprüft, und
es wird geschaut, inwieweit diese berücksichtigt werden
können, berücksichtigt werden müssen. Das ist der ganz
normale Vorgang, der da abläuft.

Wenn Sie davon sprechen, 97 Prozent seien dagegen,
sage ich: Es waren in der Tat 97 Prozent, nämlich die
Empörungsindustrie, die dazu aufgerufen hat, E-Mails
und Postkarten zu schicken. Das ist aus unserer Sicht
wirklich keine ernsthafte Auseinandersetzung.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieses Argument ist echt gefährlich, finde ich! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist Ihre Art von Demokratieverständnis, Herr Pfeiffer! So gehen Sie mit Bürgern um!)


Man wird sich selbstverständlich auch mit diesem Vor-
druck beschäftigen. Aber es hätte gereicht, den einmal
zu schicken; den hätte man nicht gleich 145 000-mal
schicken müssen.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ärgert Sie vielleicht!)


Aber das hat man gemacht.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es sind einzelne Menschen gewesen!)


Das wird jetzt ausgewertet.

Wie gesagt, ich bin mal gespannt, ob wir es bei der
nächsten Anhörung im Ausschuss auch von der Zahl der
Eingaben zur Anhörung abhängig machen, wie wir uns
inhaltlich positionieren. Ich glaube, das kann nicht unser
Ziel sein.

Es geht darum – ich will das noch einmal deutlich
machen –, jetzt die Chance zu nutzen, zu definieren, wie
die zukünftigen Standards sind.

Im Übrigen geht es auch darum, den Wildwuchs, den
wir bisher haben, zu bereinigen. Ich hatte Ihnen vorher
schon gesagt: Wir haben in Deutschland 130 Investi-
tionsschutzabkommen; in der gesamten EU sind es
1 400, und zwar liegen ihnen unterschiedliche Standards
zugrunde.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Weltweit 3 500!)


Einige haben einzelne Länder mit einzelnen anderen
Ländern abgeschlossen. Dann hat die EU Abkommen
mit anderen Ländern oder mit anderen Regionen abge-
schlossen. Das heißt, wir haben jetzt die Chance, von
den 1 400 Abkommen mit sehr unterschiedlichen Stan-
dards im technischen Bereich, aber auch bei der Recht-
setzung wegzukommen und einheitliche europäische
Standards zu schaffen. Das müssten Sie eigentlich be-
grüßen, weil das Rechtsklarheit, Rechtssicherheit schafft
für die Bürger und für die Unternehmen. Wir arbeiten
daran, diese Standards jetzt zu entwickeln.

Deshalb kann ich überhaupt nicht erkennen, warum
wir zum jetzigen Zeitpunkt sagen sollen: Es soll keine
Investitionsschutzabkommen geben. Ich wage einmal
die Prognose: Wenn wir uns am Ende des Tages damit
auseinandersetzen – ich habe Ihnen vorher die Zahlen
genannt und gesagt, wer weltweit Schiedsgerichtsver-
fahren betreibt –, werden wir feststellen, dass im Zweifel
wir in Europa ein größeres Interesse an solchen Schieds-
verfahren und -instanzen haben als die USA.

Wir haben eine vor allem mittelständisch geprägte In-
dustrie, gerade in Deutschland, die auch exportiert. Ich
denke an den Fall, dass ein Mittelständler irgendwo in
einem amerikanischen Bundesstaat, in einem County im
Süden der USA einer Laienjury – die Mitglieder sind in
dem County direkt gewählt – gegenübersteht und es um
spezielle Medizintechnikprodukte geht. Ich bin mir nicht
ganz sicher, ob wir gut beraten sind, wenn wir für solche
Fälle keine Expertengremien haben.

Diese Gremien ersetzen nicht das bestehende Rechts-
system, sondern sie sind quasi ein Auffangnetz, ein Not-
fallnetz für den Fall, dass die Dinge aus dem Ruder lau-
fen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein Parallelnetz sind die, kein Notfallnetz!)


– Nein, es ist weder eine Parallelgesetzgebung noch eine
Parallelwelt. Das stimmt doch alles nicht.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nehmen Sie mal die Fakten zur Kenntnis! Das stimmt nicht! – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


– Ich stehe gern für Zwischenfragen zur Verfügung, Herr
Ernst. Dann kann ich Ihnen gern ausführlich erläutern,
wie da der Sachverhalt ist.


(Klaus Barthel [SPD]: Ein Schiedsgericht kommt jetzt!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808004300

Lieber Kollege Dr. Pfeiffer, da die vereinbarten Rede-

zeiten keine ungefähren Richtwerte sind, sondern prä-
zise Vorgaben, würde ich Sie bitten, jetzt zum Ende zu
kommen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Er hat ja auf noch eine Zwischenfrage gehofft!)



Dr. Joachim Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1808004400

Ich bin ja eigentlich immer noch bei der Beantwor-

tung der Zwischenfrage. Ich will es aber in der Tat auch
nicht überstrapazieren.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Gott sei Dank!)






Dr. Joachim Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

Ich rate, dass wir uns mit dem Thema ohne Hysterie
auseinandersetzen. Lassen Sie uns die Fakten betrach-
ten! Lassen Sie uns das beste Freihandelsabkommen und
das beste Investitionsschutzabkommen, das es bisher auf
der Welt gibt, mit den USA zusammen entwickeln und
damit weltweit Standards setzen. Daran arbeiten zumin-
dest wir.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Unglaublich! Überheblich sind Sie, Herr Pfeiffer!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808004500

Jetzt spricht für die Fraktion Die Linke der Kollege

Klaus Ernst.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808004600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Pfeiffer, machen wir es gleich am Anfang:
Sie haben davon gesprochen, die Europäer müssten ein
Interesse an solchen Schiedsverfahren haben, weil es
auch entsprechende europäische Verfahren gibt. Es gibt
eines, da werden wir, die Bundesrepublik Deutschland,
von Vattenfall wegen des Atomausstiegs verklagt. Kön-
nen Sie mir bitte sagen, welches Interesse der deutsche
Bürger an so einem Verfahren haben soll? Welches Inte-
resse?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja!)


– Sie können mir gerne eine Zwischenfrage stellen,
wenn Sie wollen. – Es geht aber nicht einmal darum,
sondern es geht darum, dass nicht der Bürger klagen
darf, weil das in den Schiedsverfahren gar nicht vorgese-
hen ist. Bei diesen Verfahren hat der Bürger kein Klage-
recht, übrigens hat auch die Bundesrepublik Deutsch-
land kein Klagerecht, auch kein Verband hat ein
Klagerecht, sondern ausschließlich die Unternehmen ha-
ben ein Klagerecht gegen die Staaten. Warum ein Staat
daran Interesse haben sollte, entzieht sich wirklich mei-
ner Logik, Herr Pfeiffer.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das Unternehmen hat die Investition gemacht!)


Jetzt kommen wir gleich zum nächsten Punkt. Sie sa-
gen: Sie mit Ihrer Angstmacherei! Die ist ja unerträg-
lich! – Wir werden abgehängt, weil die Chinesen Ab-
kommen schließen. – Ja, glauben Sie wirklich, dass der
deutsche Export von den Regelungen zwischen China
und den Amerikanern abhängt?


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Ja! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU)


Ich sage Ihnen: Wenn das so wäre, dann dürften ja die
Amerikaner ohne entsprechende Abkommen gar nicht
erst bei uns investiert haben und wir ohne entsprechende
Abkommen nicht in den USA. Aber das läuft.
Ich sage Ihnen, was den Fortschritt ausmacht – das
sind nicht die Abkommen –: Innovationen, vernünftig
ausgebildete Leute, neue Technologien. Das macht aus,
ob wir Handel treiben können, und nicht das Aufgeben
von Prinzipien des deutschen Rechtsstaats in Form von
solchen Handelsabkommen, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Matthias Ilgen [SPD] – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Schiedsgerichtsbarkeit ist ein Teil der Rechtspflege auch in Deutschland!)


Das musste einfach einmal gesagt werden, weil es mir
langsam wirklich auf den Senkel geht, wie hier argu-
mentiert wird.

Meine Damen und Herren, wo ist das Neue bei diesen
Schiedsverfahren? Sie sagen immer, wir hätten ja inzwi-
schen Abkommen mit Kroatien und mit was weiß ich für
Ländern. Ich sage Ihnen: Das Neue ist, dass wir zwi-
schen Wirtschaftsblöcken mit Rechtssystemen, die funk-
tionieren, Abkommen schließen wollen. Ich möchte
gerne von Ihnen wissen, warum wir unter solchen Vo-
raussetzungen eine Paralleljustiz brauchen.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber genau darum geht es: um den Aufbau einer Paral-
leljustiz, bei der der Bürger selbst ausschließlich der Be-
nachteiligte ist, weil er als Steuerzahler zahlt, aber selber
gar nicht klagen darf.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Sie haben vor, den An-
wendungsbereich dieser Schiedsgerichte massiv gegen-
über dem zu erweitern, was vorher war. Massiv! Ich sage
Ihnen: Da gibt es berechtigte Kritik. Eine Kritik stammt
von der Neuen Richtervereinigung. Das interessiert Sie
vielleicht nicht, weil – diesen Eindruck habe ich – Sie
eher Interessenvertretung für die Großindustrie und die
Exportindustrie machen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber hören Sie sich einmal an, was die Richter dazu sa-
gen. Sie sagen, dass sie gegen solche Schiedsgerichte
sind,

weil hierdurch demokratisch legitimierte Schutzge-
setze ohne Einhaltung grundlegender Verfahrens-
prinzipien und ohne wirksame Kontrolle in Frage
gestellt werden.

Unabhängigkeit, Öffentlichkeit, rechtliches Gehör
und Überprüfbarkeit von Entscheidungen sind ele-
mentare Errungenschaften unseres Rechtsstaats.
Diese dürfen nicht durch Schiedsgerichtsklauseln
ausgehöhlt werden.

Recht haben die Richter! Recht haben sie, die Richter,
Herr Pfeiffer!





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU)


Der DGB und seine Einzelgewerkschaften sind strikt
dagegen. Selbst Heiko Maas, der Justizminister, hat sich
in der Süddeutschen Zeitung positioniert – ich möchte
das zitieren –:

Ich bin eindeutig gegen diese Schiedsgerichte. Wir
brauchen so etwas zwischen OECD-Staaten nicht.

Recht hat er.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Hendricks, die Bundesumweltministerin, hat
sich positioniert. Sie sagt – Zitat –:

Ein solches Schlupfloch würde die Errungenschaf-
ten von 150 Jahren Arbeiterbewegung, 100 Jahren
Frauenbewegung und 50 Jahren Umweltbewegung
mit einem Federstrich zerstören.

Auch sie hat recht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, Ihre Ministerin hat an dieser
Stelle vollkommen recht.

Jetzt haben wir das Problem, dass die SPD-Basis dem
Braten nicht so richtig traut. Deshalb der Beschluss auf
dem SPD-Konvent, wo gesagt wird: Es sind Schiedsver-
fahren abzulehnen und Begriffe wie „faire und gerechte
Behandlung“ oder „indirekte Enteignung“. – Jetzt sind
Schiedsverfahren und diese Begriffe aber enthalten, wie
man bei CETA lesen kann. Das ist Bestandteil von
CETA. Deshalb müsste eigentlich logischerweise – –


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808004700

Herr Kollege Ernst, gestatten Sie jetzt eine Zwischen-

frage des Kollegen Dr. Heider?


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808004800

Ja, von wem auch immer. – Bitte schön.


(Heiterkeit)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1808004900

Herr Kollege Ernst, vielen Dank, dass Sie die Frage

zulassen. – Sie haben gerade die deutsche Richterschaft
zitiert. Ist Ihnen eigentlich bekannt, dass in der deut-
schen Zivilprozessordnung seit 1897 Verfahren über die
Schiedsgerichtsbarkeit, über die vorläufige Vollstreck-
barkeit von Schiedsgerichtssprüchen enthalten sind und
dass noch nie ein Richter daran Zweifel gehabt hat, dass
es seine Berechtigung hat?


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808005000

Tja.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Das ist genau das Problem. Sie machen Politik nach dem
Motto: Das war schon immer so. Dann machen wir so
weiter.


(Heiterkeit bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie sind nicht bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass es
ein wesentlicher Unterschied ist, ob es um Schiedsver-
fahren geht, an denen Gleiche mit gleichen Rechten be-
teiligt sind – was in vielen Schiedsverfahren üblicher-
weise der Fall ist, übrigens auch bei anderen in der Justiz
üblichen Verfahren.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was? Natürlich hat jeder die gleichen Rechte!)


Es geht hier um Sonderrechte für eine kleine Gruppe.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nein!)


– Natürlich, wenn es nicht um Sonderrechte für eine
kleine Gruppe gehen würde, dann sagen Sie mir, warum
nur Unternehmen in diesen Verfahren Klagerecht haben.


(Abg. Dr. Matthias Heider [CDU/CSU] nimmt Platz)


– Ich bin noch nicht fertig, Herr Heider. Ich bin immer
noch bei der Beantwortung Ihrer Frage. Sie dürfen sich
aber gerne setzen. Stehen ist ja auch fade. – Ich sage Ih-
nen nur: Genau das ist das Problem. Es sind vollkommen
andere Verfahren als die, die Sie ansprechen. Es geht
ausschließlich um ein Recht für die großen Unterneh-
men. – So, jetzt bin ich mit der Beantwortung Ihrer
Frage fertig.

Meine Damen und Herren, ich habe gerade angespro-
chen, dass große Teile der Bundesregierung selbst Be-
denken gegen diese Abkommen haben. Das ist gut und
richtig. Aber ich muss ehrlich sagen: Ich kenne mich
nicht mehr mit dem aus, was Herr Gabriel eigentlich
will. Einmal sagt er so, dann sagt er wieder das Gegen-
teil. Ich frage mich: Wo ist die Haltung der Bundesregie-
rung in dieser Frage, Frau Zypries?


(Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin: Das sage ich Ihnen!)


Ich habe den Eindruck, die Aussagen unseres Bundes-
wirtschaftsministers in der Frage der Handelsabkommen
haben die Halbwertszeit von Einwegunterwäsche.


(Beifall bei der LINKEN)


So schnell kann man gar nicht gucken, dann ist die Posi-
tion geändert. Die SPD-Basis muss sich doch veräppelt
vorkommen bei dem, was sie beschließt, was aber in der
praktischen Frage keine Bedeutung hat.

Meine Damen und Herren, 97 Prozent derjenigen, die
sich an der Debatte beteiligt haben, die von der Europäi-
schen Union angeregt wurde, lehnen die Verfahren ab.
Jetzt spielen Sie das herunter, Herr Pfeiffer, und sagen:
Es waren nur 150 000, die sich beteiligt haben, und es
war auch keine Volksbefragung.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das war keine Volksbefragung!)






Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

Kennen Sie den Unterschied? Ich kann es Ihnen sagen.
Schon der frühere Handelskommissar hat gesagt: Ich
verhandele für 500 Millionen Europäer. Und es gibt nur
400 000 Unterschriften dagegen. – Was soll denn das?
Sie nehmen den Bürger nicht ernst. Die 500 Millionen in
Europa hat niemand gefragt, ob sie solche Abkommen
wollen. Das will ich Ihnen nur sagen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael GrosseBrömer [CDU/CSU]: Wir haben demokratisch gewählte Abgeordnete!)


Nun heißt es von der Bundesregierung mit Blick auf
TTIP:

Die endgültige Entscheidung über die Einbezie-
hung von Investitionsschutz und Investor-Staat-
Schiedsverfahren in TTIP wird erst nach Abschluss
der Verhandlungen und Prüfung des Verhandlungs-
ergebnisses getroffen werden.

Dann läuft es im Ergebnis genauso wie bei CETA. Dort
ist es enthalten; dort steht es drin. Trotzdem hat die Bun-
desregierung keine vernünftige Haltung. Meine Damen
und Herren, Sie veräppeln nicht nur Ihre Mitglieder, sie
veräppeln die ganze Republik, wenn Sie so herumeiern.


(Zuruf von der CDU/CSU: Was stimmt denn dann?)


– Wollen Sie noch eine Frage stellen? Bitte.

Selbst der Beirat der Bundesregierung, Ihr Beirat, den
Sie vom Wirtschaftsministerium ins Leben gerufen ha-
ben, hat sich zu dem, was dort läuft, sehr deutlich kri-
tisch geäußert.


(Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin: Dafür ist er ja auch da, meine Güte!)


– Nein, nein, dafür ist er nicht da. Er stellt nämlich das
Verfahren infrage, dass Sie sich nämlich festgelegt ha-
ben, ohne den Beirat ernst zu nehmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In diesem Brief steht – ich zitiere es –:

Eine solch apodiktische Haltung löst bei uns die
Frage aus, welche Funktion ein TTIP-Beirat hat,
wenn die Bundesregierung entweder sich den Ent-
scheidungen der anderen Mitgliedstaaten anschließt
oder aber in ihrer Haltung bereits festgelegt ist.

Das ist der Eindruck des Rates, der offensichtlich kriti-
siert, was dort eigentlich läuft.

Im Übrigen wird immer wieder argumentiert: Die
Bundesrepublik Deutschland ist das einzige Land, das
dagegen ist. Wie ist es denn wirklich? In den Niederlan-
den, in Österreich, in Frankreich und in anderen Ländern
gibt es massive substanzielle Vorbehalte gegen diese Ab-
kommen. Die Regierungen von Australien, Argentinien,
Bolivien, Brasilien, Ecuador, Indien, Südafrika und Ve-
nezuela zeigen, wie man es machen kann.

(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Denken Sie an eine EU-Erweiterung?)


Sie haben entweder Investitionsschutzverträge aufge-
kündigt, gar nicht erst unterschrieben oder bekannt gege-
ben, keine weiteren Abkommen zu unterzeichnen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Nordkorea kam noch nicht!)


Meine Damen und Herren, der Bundesminister ver-
läuft sich momentan in eine fragwürdige Argumentation.
Wenn auch noch ein Gutachter beauftragt wird, der auf
der Schlichterliste bei internationalen Schiedsverfahren
ist, dann fragt man sich doch: Ist der denn unabhängig? –
Sie fragen doch auch keinen Metzger wegen eines Gut-
achtens,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Zur Qualität von Fleisch? Natürlich!)


ob Vegetarismus vielleicht besser ist als Fleischkonsum.
Aber Sie nehmen hier einen Gutachter, der selber an
Schiedsverfahren beteiligt ist! Der ist wirklich sehr un-
abhängig.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Expertenanhörungen sind für Sie natürlich katastrophal!)


Meine Damen und Herren, selbst Ihre eigenen Sachver-
ständigen haben bezogen auf die Schiedsgerichte mas-
sive Bedenken gehabt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Stimmt gar nicht!)


Angeblich geht es bei den Abkommen um mehr In-
vestitionen. Es gibt nicht den geringsten Beweis dafür,
dass dem so ist. Aber es gibt eine Frage, die wir als Ab-
geordnete ernst nehmen sollten.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808005100

Herr Kollege Ernst, nachdem leider trotz mehrfacher

Aufforderung keine Zwischenfragen mehr eingelaufen
sind, muss ich Sie an das Ende der Redezeit erinnern.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808005200

Danke für den Hinweis; ich bin gleich fertig. – Der

Volksmund sagt: Vor dem Gesetz sind alle gleich, aber
einige sind gleicher.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Schmarrn!)


Dass man diesen Gleichen aber auch noch ein eigenes
Rechtssystem gibt, ist unerträglich.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808005300

Für die SPD spricht jetzt der Kollege Klaus Barthel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1808005400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wenn wir

gerade beim Veräppeln sind, Herr Kollege Ernst, müssen
wir doch erst einmal schauen, was für einen Antrag die
Linke in diese Debatte eingebracht hat. Dazu haben Sie
nur ganz zum Schluss etwas gesagt. Ich will auf diesen
Antrag eingehen, aber vorher noch sagen: Soweit Sie
hier Argumente vorgebracht haben, haben Sie Richter,
den Beirat und Sozialdemokraten zitiert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Insoweit kann man Ihnen nur recht geben: Das waren
Argumente, mit denen man sich auseinandersetzen
muss.

Was Sie hier beantragen, ist aber etwas ganz anderes.
Sie sprechen in Ihrem Antrag von einem Gefälligkeits-
gutachten, von nicht gegebener Neutralität und fordern
dann, kein Geld „für tendenziöse Gutachten zu ver-
schwenden“.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)


Dann frage ich Sie einmal: Wo auf dieser Welt gibt es
absolute Neutralität? Warum sollte man einer Bundes-
regierung, einer Bundestagsfraktion oder wem auch im-
mer das Recht nehmen, Gutachten in Auftrag zu geben,
bei denen man damit rechnet, dass die eigene Position
unterstützt wird, wenn man doch weiß, dass es – gerade
bei dieser Frage – keine absolute Wahrheit, keine abso-
lute Neutralität und Interessenfreiheit gibt? Herr Kollege
Ernst, warum geben Sie von der Fraktion Die Linke bei
Herrn Professor Däubler ein Gutachten zum Tarifein-
heitsgesetz in Auftrag, übrigens auch mit Steuergeldern
finanziert, das Ihre Position bei der Tarifeinheit stützt?
Das ist doch in Ordnung. Entscheidend ist nur, dass man
sich mit diesen Gutachten auseinandersetzen muss.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn einem nichts Besseres einfällt, als andere wegen
ihres Interessenhintergrunds anzupissen, dann zeigt das
nur, dass man selber keine Argumente hat und deshalb
versuchen muss, mit Lobbyismus zu kommen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808005500

Herr Kollege Barthel, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Ernst?


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1808005600

Gleich. Lassen Sie mich den Gedanken zu Ende füh-

ren. – Es geht hier um Transparenz, darum, sichtbar zu
machen: Welche Argumente werden von wem vorge-
bracht? Dann ist es völlig legitim, diese Leute zu Anhö-
rungen einzuladen und sich von ihnen Gutachten erstel-
len zu lassen. Sie haben ja in der Anhörung Gelegenheit
gehabt, Herrn Schill zu befragen, und er hat Ihre Fragen
ganz offen beantwortet. Dann gibt es aber kein Problem
mehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ansonsten müssten wir alle uns nämlich fragen, was wir
hier eigentlich machen. Sie, Kollege Ernst, und ich, wir
kommen aus den Gewerkschaften. Wir machen auch
kein Geheimnis daraus: Natürlich haben wir einen Inter-
essenhintergrund. Dementsprechend argumentieren wir
und holen wir Gutachten ein. Das ist völlig legitim. Sich
aber nicht mit den Inhalten auseinanderzusetzen, spricht
für geistige Armut, und das haben Sie heute hier mit Ih-
rem Antrag geliefert.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808005700

Herr Kollege Barthel, ich habe Sie so verstanden,

dass der Kollege Ernst jetzt eine Zwischenfrage stellen
darf. Deshalb erteile ich ihm dazu das Wort.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808005800

Herzlichen Dank. – Die Behauptung, dass wir uns

hier nicht mit Inhalten auseinandersetzen, muss ich in al-
ler Deutlichkeit zurückweisen. Wir haben uns mit die-
sem Thema schon auseinandergesetzt, als der Großteil
der SPD mit diesem Thema noch gar nicht vertraut war,
als Sie noch gar nicht wussten, was da überhaupt laufen
soll. Die Art und Weise, wie die Diskussion geführt
wird, ärgert mich.

Um was geht es eigentlich? Es geht um die Frage:
Welche Art von Gutachten lassen Sie erstellen? Ich habe
nichts dagegen, dass man mit Interesse ein Gutachten er-
wartet; das macht jeder. Aber das Wirtschaftsministe-
rium ist nicht einmal in der Lage, einen neutralen Gut-
achter zu benennen. Wissen Sie denn, was Herr Schill
gemacht hat, wo er gearbeitet hat? Wissen Sie, dass er
indirekt über seinen früheren Chef selber an Verfahren
beteiligt war? Können Sie sich vorstellen, dass jemand,
der auf einer Schlichterliste eines internationalen
Schiedsgerichts steht, keinesfalls der Auffassung sein
wird, dass ein Schiedsgericht überflüssig ist? Er lebt
doch davon. Er verdient sein Geld damit, und wie Sie
wissen, verdienen Schiedsrichter ausgezeichnet. Ange-
sichts dieser Tatsache, Herr Barthel, können Sie doch
nicht behaupten, das sei seriös.

Natürlich versucht man, auf der wissenschaftlichen
Ebene Experten zu finden, die alle Aspekte berücksichti-
gen. Aber wenn jemand selber an diesem Verfahren be-
teiligt ist, dann ist er doch nicht neutral. Das ist die Kri-
tik, die wir in unserem Antrag formuliert haben. Herr
Barthel, wir sagen klipp und klar: Neutral ist Ihr Gutach-
ten nicht. Nehmen Sie andere, wirklich neutrale Gutach-
ter! Dann werden Sie zu einem ganz anderen Ergebnis
kommen.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Lobbyismus pur!)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1808005900

Ich würde gerne von Ihnen wissen, wo es absolute

Neutralität gibt. Da bin ich gespannt. Sie sagen, das sei
unseriös. Setzen Sie sich doch einmal mit den Argumen-
ten von Professor Schill auseinander! Sein Interessen-
hintergrund ist bekannt. Aber das ist doch kein Grund,
uns nicht mit den Argumenten von jemandem auseinan-
derzusetzen, der Erfahrung mit solchen Verfahren hat.





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)

Man muss mit Fakten argumentieren, und genau hier
liegt das Problem. In Ihrer Rede haben Sie sich zu
99 Prozent nicht mit Ihrem Antrag beschäftigt. Aber da-
rüber müssen wir eine Debatte führen. Ich bin gespannt,
wann die Linken einen Antrag vorlegen, so wie es die
Grünen gemacht haben, in dem sie sich ernsthaft mit der
Sache auseinandersetzen und die Frage klären, wie die
Linken in Zukunft Welthandel und Weltwirtschaft ge-
stalten wollen. Aber Sie wollen sich auf Debatten über
Handelsverträge nicht einlassen. Stattdessen bringen Sie
konfuse Kritik vor.


(Beifall bei der SPD)


Herr Ernst, ich muss schon sagen: Sie betreiben platte
Stimmungsmache, und das können wir überhaupt nicht
brauchen.

Schauen wir uns doch die Kampagnen der letzten Wo-
chen an. Erst wird gezetert, der Konventsbeschluss der
SPD sei Verrat, weil er Tür und Tor öffne und keine Ab-
lehnung von TTIP und CETA beinhalte. Ein paar Tage
später ziehen Sie den Konventsbeschluss der SPD aus
der Tasche als Bestätigung für Ihre Position; denn darin
steht: Wir wollen keine Schiedsgerichte. – Wieder ein
paar Tage später wird Sigmar Gabriel kritisiert, weil er
den Konventsbeschluss angeblich aufgegeben habe. Das
wird daran festgemacht, dass er hier darauf hingewiesen
hat, dass wir nicht nur in Deutschland, sondern auch auf
europäischer Ebene eine breitere Diskussion brauchen,
wenn wir in Bezug auf TTIP, CETA und Investoren-
schutz noch etwas verändern wollen.


(Beifall bei der SPD – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Herr Gabriel nicht gesagt! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit ist er doch nicht alleine!)


Genau deswegen ist Sigmar Gabriel zurzeit in Europa
unterwegs: Er will anderen Ländern unsere Position
deutlich machen. Er macht deutlich, was wir wollen,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann sagt doch, was Ihr wollt!)


nämlich Bewegung in die Verhandlungen über TTIP und
CETA bringen. Das ist schon ein Stück weit gelungen.

Dann gibt es Kampagnen – hier komme ich auf die
Grünen zu sprechen –, mit denen die Bürgerinnen und
Bürger durch Informationen, die einfach nicht stimmen,
auf die Palme gebracht werden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was will die SPD?)


Es wurde zum Beispiel behauptet, dass die SPD-Frak-
tion am letzten Dienstag vor Weihnachten gezwungen
werde, irgendeine Entscheidung über TTIP oder CETA
zu treffen. Die Folge war, dass Hunderte von Bürgerin-
nen und Bürgern bei uns Abgeordneten der SPD anrufen
und uns bewegen wollen, das nicht zu tun.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Damit haben wir doch nichts zu tun!)

Es ist richtig: Am Ende kommt es auf die Sozialdemo-
kratie an. Es ist schon klar, dass sich die Blicke auf uns
richten. Aber die Bürgerinnen und Bürger durch un-
wahre Behauptungen auf die Palme zu bringen, das ist
nicht in Ordnung. Ich frage Sie alle: Wem nützt das ei-
gentlich? Wem hilft das?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hilft das den Grünen? Hilft das Campact? Hilft das der
Linken? – Nein, es bewirkt nichts anderes, als die Poli-
tikverdrossenheit zu erhöhen, Misstrauen zu säen und
die Politikferne zu unterstützen.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Reden Sie doch mal über die Sache!)


Deswegen haben auch Sie von den Grünen heute in der
weiteren Debatte die Gelegenheit, sich von solchen
Kampagnen zu distanzieren, anstatt sie draußen in der
Öffentlichkeit zu unterstützen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben gar nichts damit zu tun! Was haben wir denn mit dieser Kampagne zu tun?)


Ich bin gespannt, wie die Grünen die heutige Debatte
kommentieren werden,


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen mal irgendwas sagen, damit wir es kommentieren können!)


weil ich gehört habe, dass Sie ursprünglich gefordert ha-
ben, dass wir heute über Ihren Antrag abstimmen. Wir
haben das ja schon einige Male erlebt: Wenn wir einen
Antrag zum Investorenschutz ablehnen, wird im Um-
kehrschluss behauptet, wir seien für den Investoren-
schutz und für Schiedsgerichte.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wofür sind Sie denn?)


Wir sind dafür, dass wir Ihren durchaus seriösen Antrag
überweisen, in den Ausschüssen behandeln und weiter
diskutieren, weil wir ihn nicht einfach ablehnen, sondern
in der Sache darüber diskutieren wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, wofür Sie sind!)


Zur Sache komme ich jetzt; es besteht ja leider immer
das Problem, dass man sich zuerst mit anderen Dingen
auseinandersetzen muss. Es ist doch klar, dass das Bun-
deswirtschaftsministerium, die SPD und im Übrigen
schon die alte Bundesregierung der Auffassung waren,
dass wir keine Schiedsgerichtsverfahren und keinen In-
vestorenschutz brauchen. Das ist zu TTIP zu Protokoll
gegeben worden. Im Übrigen gilt der alte Spruch – weil
es ein ordoliberaler Spruch ist, dachte ich immer, dass er
von Ludwig Erhard ist; ich habe aber gelesen, dass er
von Montesquieu ist –: Wenn ein Gesetz nicht nötig ist,
ist es nötig, kein Gesetz zu machen. – Das heißt für
mich: Wenn ISDS nicht nötig ist, dann ist es nötig, kein





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)

ISDS zu machen. Das ist die Position des Wirtschafts-
ministeriums, das ist die Position der Sozialdemokraten,
und das war auch schon die Position von Schwarz-Gelb.
Das Konsultationsverfahren hatte das gleiche Ergebnis:


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sieht der Kollege Pfeiffer anders!)


Es gibt ein neues Nachdenken in der Kommission. Dazu
wird mein Kollege Dirk Wiese, der heute hier als neues
Mitglied des Wirtschaftsausschusses reden wird, sicher
noch etwas sagen.

Ich will zum Schluss noch einmal sagen: Es geht bei
dieser Debatte um mehr als nur die Abwehr von Schieds-
gerichtsverfahren.


(Zuruf von der SPD: So ist es!)


Es geht um mehr als die Frage, wer die Verträge zum in-
ternationalen Handel und zum Investorenschutz aushan-
delt. Vorrangig geht es um die Frage, welche Abkommen
mit welcher Qualität und welchen Inhalten wir interna-
tional aushandeln.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])


Unsere Kriterien sind: Können wir die Daseinsvorsorge
sichern? Können wir die Standards auf der Welt verbes-
sern? Können wir einklagbare Rechte für Verbraucher,
für Umweltschutzverbände, für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer schaffen? Können wir Datenschutz- und
Verbraucherrechte verankern? Können wir die Finanz-
märkte regulieren? Können wir Steuerdumping unterbin-
den?


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808006000

Lieber Kollege Barthel, leider ist die Redezeit be-

grenzt. Deshalb bitte ich Sie, zum Schluss zu kommen.


Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1808006100

Jawohl. – Es geht also nicht nur um einen Abwehr-

kampf, sondern auch um Gestaltung. Derjenige, der an
dieser Auseinandersetzung um die Gestaltung solcher
Handelsabkommen teilnimmt, ist nicht ängstlich, son-
dern mutig.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dazu haben Sie aber nichts gesagt!)


Der Mut besteht darin, so etwas vernünftig auszuarbei-
ten und nach vorne zu treiben. Ich hoffe, dass wir in den
nächsten Wochen und Monaten dabei weiterkommen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808006200

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Max

Straubinger.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1808006300

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Letztendlich ist eine angeregte Debatte über die beiden
Anträge der Bundestagsfraktionen der Grünen und der
Linken entstanden. Die einen fordern, wir sollten über-
haupt keine Gutachten mehr in Auftrag geben, und wenn
doch, dann müssten die Auftraggeber aus der Linken-
fraktion kommen und die Bundesregierung dafür bezah-
len, damit das Ergebnis stimmt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder Herr Ernst muss sie persönlich kennen! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Genau!)


– Das ist doch völlig klar, Kollege Ernst. Ich kenne ja
dein Ansinnen, also darf ich beim Du bleiben. – Das-
selbe gilt auch für die Bundestagsfraktion der Grünen,
die grundsätzlich die Verhandlungen zu den Freihandels-
abkommen ablehnt. Ich bin aber dankbar für die Wort-
meldung und die Frage des Kollegen Gambke; denn es
schien durch, dass Ihrer Meinung nach Schiedsgerichte
unter Umständen gar nicht so schlecht sind, ja sogar not-
wendig, wenn es um internationale Investitionen von
Unternehmen geht.

Ein Grund für Freihandelsabkommen ist, dass wir
Möglichkeiten schaffen wollen, um in der Weltwirt-
schaft weiter voranzukommen; denn die Weltwirtschaft
ist für die deutsche Wirtschaft elementar, ebenso wie für
die europäische und die amerikanische. Letzten Endes
sind sie ein Segen; denn damit sind die Arbeitsplätze
vieler Menschen verbunden. Wenn wir in Ländern mit
unterschiedlichen, auch schwierigen Rechtssystemen
keine Investitionen mehr tätigen würden, dann würden
dort – davon bin ich überzeugt – gar keine Investitionen
getätigt. Damit würden wir aber auch unsere eigenen
wirtschaftlichen Möglichkeiten beschneiden. Im abge-
laufenen Jahr konnten wir 1,5 Prozent Wirtschafts-
wachstum verzeichnen. Ein Grund dafür ist, dass wir
eine großartige exportorientierte Industrie haben, die in
vielen Ländern der Welt Investitionen getätigt hat. Diese
Investitionen haben nicht zum Abbau von Arbeitsplätzen
in unserem Land geführt, sondern dazu, dass in unserem
Land Arbeitsplätze entstanden sind bzw. gefestigt wur-
den.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Deshalb sind Freihandelsabkommen notwendig und zu
befürworten. Deshalb ist es zu begrüßen, dass die EU
und Kanada ein Freihandelsabkommen ausgehandelt ha-
ben; abgeschlossen ist es noch nicht. Zu begrüßen ist
auch, dass die Europäische Union und die USA ein Frei-
handelsabkommen anstreben. Letztlich ist das ein Segen
für die Menschen in beiden Erdteilen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808006400

Herr Kollege Straubinger, gestatten Sie eine Zwi-

schenfrage des Kollegen Janecek?


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1808006500

Ja, gerne.


Dieter Janecek (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808006600

Herr Kollege Straubinger, Sie sind jetzt der dritte

Redner für die Große Koalition in dieser Debatte. Kön-
nen wir erwarten, dass Sie sich in Ihrer zehnminütigen





Dieter Janecek


(A) (C)



(D)(B)

Rede auch einmal zum Thema äußern, was in den beiden
ersten Reden nicht der Fall war?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Selektive Wahrnehmung ist das!)


Wie gedenken Sie, mit dem Ergebnis des Konsultations-
verfahrens – 97 Prozent sind dagegen – umzugehen?
Wenn die EU ein solches Verfahren durchführt, haben
Sie die Pflicht, darauf zu reagieren und zu beschreiben,
wie Sie damit umgehen wollen. Wollen Sie zum Beispiel
verhindern, dass Schiedsgerichtsverfahren zukünftig in
private Hände gegeben werden? Wollen Sie einen Pro-
zess in Gang setzen, der die Sache in staatliche Verfah-
ren überführt? Das wäre ja einmal ein konstruktiver An-
satz. Ich bitte Sie einfach, die Fragen, die sich hier
stellen, zu behandeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Wenn Sie zuhören würden, dann könnte man das sagen!)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1808006700

Lieber Herr Kollege Janecek, es ist so, dass wir uns

damit befassen. Wir setzen uns mit der Fragestellung
und der Kritik auseinander. Die Intention Ihrer Anträge
ist aber meistens, ein Freihandelsabkommen zwischen
den USA und der EU zu verhindern.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee! Das stimmt ja nicht! Dann haben Sie unseren Antrag gar nicht gelesen!)


In Ihren Anträgen beziehen Sie sich ja immer nur auf ei-
nen kleinen Teil. Sie filetieren das Gesamtabkommen.
Einmal werden die Schiedsgerichte herausgestellt und
kritisiert, dann wird uns ein Antrag vorgelegt, in dem es
um den Schutz der Daseinsvorsorge geht, und dann
kommt ein Antrag, in dem es darum geht, ob die Regio-
nalmarken geschützt sind usw.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist es denn nicht wichtig, die Regionalmarken zu schützen?)


Damit wollen Sie für eine immerwährende Diskussion
sorgen und Sand ins Getriebe streuen.

Ich bin überzeugt, Herr Kollege Janecek, dass das
Konsultationsverfahren eines gezeigt hat: 500 Millionen
Menschen hätten sich beteiligen können. 150 000 Ein-
wendungen gab es; die Kollegen haben das vorhin schon
dargelegt. Ich will das nicht geringschätzen, aber doch
sagen: Wenn 145 000 Einwendungen letztendlich gleich-
lautende Postkarten sind, die von Interessenverbänden
verschickt wurden, um Unterstützung zu erfahren, muss
ich annehmen, dass die Einsender nicht in die Tiefe eines
solchen Abkommens und der daraus resultierenden Fra-
gen vorgedrungen sind; das muss ich unterstellen. Das
zeigt, dass dieses Konsultationsverfahren entsprechend
bewertet werden muss. Eine solche Bewertung nehmen
wir übrigens auch in anderen Bereichen vor. Auch ich
bekomme in der Regel Unterschriftenlisten zu einem
Thema: einmal dafür und einmal dagegen. Der Politiker
muss dann auswählen, was er im Hinblick auf die zu-
künftige Entwicklung unseres Landes für das Richtige
hält. Das ist ein sehr komplexer Vorgang, Herr Kollege
Janecek.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Um was geht es? Es geht letztendlich um den Schutz
von Investitionen unserer Firmen. Wenn Kollege Ernst
anprangert, hier würden nur die Interessen von Firmen-
inhabern geschützt, muss ich sagen, dass das völlig klar
ist; denn sie tätigen die Investitionen in anderen Län-
dern. Es geht nicht darum, Arbeitnehmerrechte in den
USA einzuklagen, sondern es geht darum, dass Investi-
tionen, die in anderen Ländern getätigt werden, vor Dis-
kriminierung oder möglicherweise auch vor unbilliger
Enteignung geschützt sind.

Sie haben vorhin gefragt: Was kann Deutschland für
ein Interesse daran haben, dass Vattenfall oder die deut-
schen Bürger vor einem Schiedsgericht klagen? Da stelle
ich die Gegenfrage: Warum haben wir ein Interesse da-
ran, dass RWE, Eon und auch EnBW in einem ordentli-
chen Rechtsstaat auf Schadensersatz klagen können,


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber vor einem ordentlichen Gericht!)


weil wir den Atomausstieg beschlossen haben? Das ist in
einem Rechtsstaat in Ordnung. Daher kann man daran
überhaupt keine Kritik üben.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum hat Vattenfall andere Rechte als Eon und EnBW?)


Ich glaube, dass es ein entscheidendes Moment ist, dass
wir hier keine großen Unterschiede haben.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das Thema nicht verstanden!)


Es geht hier um den Punkt: Wir brauchen Schiedsge-
richte, damit eine Firma ihre Interessen durchsetzen
kann. Was nützt mir ein Gerichtsurteil, wenn ich hinter-
her zwar einen Schein, einen Anspruch habe, dieser aber
nicht befriedigt wird? Mit diesem internationalen Ab-
kommen wird durch die Schiedsgerichtsverfahren ge-
währleistet, dass es eine Befriedigung des berechtigten
Anspruchs gibt. Deshalb ist es zum Schutz unserer Fir-
men und unserer Unternehmen und damit auch der Ar-
beitsplätze in unserem Land.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808006800

Herr Kollege Straubinger, der Kollege Ernst möchte

noch eine Zwischenfrage stellen.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1808006900

Bitte schön. Dem kann ich überhaupt nichts abschla-

gen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808007000

Dann haben Sie das Wort. Ich bitte aber, darauf zu

achten, dass die Zwischenfragen oder Zwischenbemer-
kungen präzise sind und nicht zu lang werden.





Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist ja eine rein bayerische Debatte hier den ganzen Morgen!)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808007100

Kollege Straubinger, das, was Sie eben angesprochen

haben, ist genau der Punkt: Wer kann wo klagen? Wäh-
rend deutsche Unternehmen vor den deutschen Gerich-
ten klagen müssen, wenn sie glauben, ungerecht behan-
delt worden zu sein, können ausländische Unternehmen
vor Schiedsgerichte ziehen, und zwar ohne die Möglich-
keit, dass der Staat dagegen in Revision gehen kann.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Es gibt schon internationale Schiedsgerichtsverfahren!)


Im Übrigen verlaufen die Verfahren dort, wie wir gerade
bei Vattenfall sehen, unter sehr großer Geheimhaltung.
Selbst wir als Abgeordnete sind bis heute nicht alle um-
fassend informiert worden, was genau in der Klage-
schrift steht usw. Genau das ist der Unterschied. Ich bin
ja wie Sie der Auffassung – da sind wir uns vollkommen
einig –, dass ein Unternehmen in einem Rechtsstaat auch
das Recht hat, gegen staatliche Entscheidungen zu kla-
gen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Aha!)


Die Frage ist allerdings, wo. Wir debattieren hier über
diese unterschiedliche Gerichtsbarkeit und nicht darüber,
dass es Unternehmen nicht mehr möglich sein soll, eine
Klage gegen einen Staat zu führen.

Sie haben zum Schluss gesagt, dass es keine großen
Unterschiede gibt. Dann haben Sie gesagt: Wenn jemand
vor ein ordentliches Gericht geht, dann bekommt er ei-
nen Schein. Dieser Schein ist üblicherweise ein Urteil,
und in Rechtsstaaten werden Urteile vollstreckt. Das
heißt, wenn funktionierende Rechtssysteme vorhanden
sind, reicht das aus. Denn wenn es anders wäre, Kollege
Straubinger, müssten wir uns und müsste sich das ganze
Hohe Haus sehr schnell Gedanken darüber machen, wie
wir unser Rechtssystem so verändern können, dass Rich-
tersprüche auch durchgesetzt werden.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1808007200

Um gleich beim letzten Punkt zu bleiben: Herr Kol-

lege Ernst, es ist für ein Unternehmen wahrscheinlich
leichter, Ansprüche gegenüber einem Staat geltend zu
machen als gegenüber einem Vertragspartner, der viel-
leicht pleitegegangen ist und bei dem nichts mehr zu ho-
len ist. Das ist der große Unterschied bei dem gesamten
Verfahren.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was? Darum geht es doch nicht!)


Es geht darum, seine Rechte durchzusetzen, und zwar
so, dass dies auch eine Wirkung hat.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber darum geht es doch gar nicht! Es geht doch diesmal um den Staat – bei beiden!)


– Natürlich geht es auch darum.

(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie haben das ja noch gar nicht verstanden, Herr Straubinger!)


Hinzu kommt: Auch was die Rechtspflege in
Deutschland angeht, gibt es unterschiedliche Urteile zu
gleichen Sachverhalten. Deshalb bin ich sehr dafür, dass
im Hinblick auf Schiedsgerichte unter Umständen auch
über die Möglichkeit von Berufungen diskutiert wird.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist ja auch aktuell in der Verhandlung! Das wird ja schon verhandelt!)


Dazu finden derzeit ja Verhandlungen statt. Aber Sie
lehnen im Grunde genommen Verhandlungen zu dem
gesamten Komplex ab.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, genau!)


Das ist letztendlich der Denkfehler, den Sie bei diesem
Thema machen, liebe Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Na ja, über diesen „Denkfehler“ müssen wir aber noch mal debattieren! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Einer von vielen!)


Der nächste Punkt. Hier heißt es immer, multinatio-
nale Konzerne würden diese Regelung ausnutzen, Staa-
ten zwingen, ihre Gesetzgebung zu ändern, und derglei-
chen mehr.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ja, ja! Um Gottes willen!)


Die Praxis zeigt, dass die Schiedsgerichtsverfahren, die
bisher angeleiert worden sind, in der Regel vom Mittel-
stand ausgegangen sind.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist falsch! Stimmt nicht!)


– Ja, natürlich; die meisten Verfahren sind bisher von
mittelständischen Unternehmen angestrengt worden. –
Warum das so ist, kann man nachvollziehen: Ein multi-
nationaler Konzern hat in den jeweiligen Ländern sicher-
lich wesentlich leichter den nötigen Zugang, um seine
Position entsprechend zu verdeutlichen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sollten mal über die Sache reden!)


Aber ein kleiner Automobilzulieferer,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, der kann das ja gar nicht bezahlen!)


der zum Beispiel im Zuge der Expansion eines großen
Automobilherstellers – ich sage es einmal so – gebeten
worden ist, in dem entsprechenden Land Investitionen
zu tätigen,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen ja gar nicht, worum es eigentlich geht!)


mit der Folge, dass diese Investitionen dann möglicher-
weise nicht mehr so gut geschützt sind, kommt unter die





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)

Räder. Deshalb kommt das Ansinnen, Investitionsschutz-
abkommen mit Schiedsgerichten zu versehen, eher aus
den Reihen des Mittelstandes. Auch der Bayerische Bau-
ernverband hat sich erst jüngst dafür ausgesprochen,
Freihandelsabkommen mit Schiedsgerichten anzustre-
ben.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Das ist dann ja noch ein Argument dagegen!)


Dasselbe gilt für den Zentralverband des Deutschen
Handwerks, der sich ebenfalls positiv zum Abschluss
dieses Freihandelsabkommens geäußert hat.

Werte Kolleginnen und Kollegen, der Grund dafür ist,
dass damit viele Arbeitsplätze, auch in der mittelständi-
schen Wirtschaft, verbunden sind. Natürlich kann man in
dieser Debatte immer wieder die multinationalen Kon-
zerne als großes Gespenst erwähnen. Tatsache ist aber:
Wir brauchen unsere großen Weltfirmen, die bereit sind,
in verschiedensten Ländern Risiken einzugehen,


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wie die Banken! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich sage nur: Rüstung!)


wobei sie große Erfolge erzielen, manchmal aber auch
Niederlagen erleiden. Wenn wir diese Unternehmen
nicht hätten, hätten wir auch nicht die Exportmöglich-
keiten, die wir haben und von denen viele mittelständi-
sche Betriebe und viele Handwerksbetriebe profitieren.

In Dingolfing – das ist in meinem Wahlkreis; ich kann
das also beurteilen – steht das größte Automobilwerk
von BMW. Viele mittelständische und kleine Hand-
werksbetriebe erhalten von BMW Aufträge, zum Bei-
spiel im Rahmen von Werkverträgen, oder sie erledigen
die Reparatur von Maschinen und Anlagen. Stellen Sie
sich einmal vor, welche Situation wir hätten, wenn es
solche exportorientierten Werke nicht gäbe, wenn sie
nicht gebaut worden wären. Über 20 Prozent der dort
produzierten Autos werden in die USA geliefert, und
etwa 80 Prozent kommen auf den Weltmarkt; das muss
man sich einmal vorstellen. Daran hängen viele Arbeits-
plätze in unserem Land.

Man darf keine Ängste vor Freihandelsabkommen
schüren, sondern es gilt, Freihandelsabkommen positiv
zu begleiten. Handelsabkommen waren für unser Land
bisher immer großartige Erfolge. Ich bitte Sie, die zu-
künftigen Diskussionen über dieses Thema auch unter
diesem Gesichtspunkt zu führen, dieses Vorhaben mit
positiver Kritik zu begleiten und von der ablehnenden
Haltung, die die linke Fraktion und die grüne Fraktion in
ihren Anträgen heute wieder einmal zum Ausdruck ge-
bracht haben, Abstand zu nehmen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808007300

Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion

Die Linke der Kollege Alexander Ulrich.


(Beifall bei der LINKEN)


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808007400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

TTIP und CETA sind Angriffe auf unsere Lebensweise,
auf unsere Standards, auf unsere Demokratie und


(Zurufe von der SPD: Oh!)


auf unsere Rechtsstaatlichkeit und müssen deshalb ge-
stoppt werden!


(Beifall bei der LINKEN)


Ein Großbündnis aus Gewerkschaften, Sozialverbän-
den, Kirchen, Diakonie, Umweltverbänden, Verbrau-
cherschützern, vielen Kommunalpolitikern – auch mit
CDU-, CSU- oder SPD-Parteibuch –, vielen Landwirten,
sogar den Bierbrauern – Herr Kauder, der Bier-Botschaf-
ter, ist nicht da –, Kulturschaffenden, vielen, vielen
– täglich werden es mehr – ist gegen diese Verträge, wie
sie jetzt vorliegen.

Wenn Sie davon sprechen, das sei eine Empörungsin-
dustrie, dann haben hoffentlich all die vielen Menschen
in diesem Land, die Angst haben um unsere Standards,
gehört, dass sie von Ihnen auf diese Weise in eine Ecke
gestellt werden. Wenn Sie diese Proteste nicht ernst neh-
men, sind Sie mit schuld daran, wenn sich Bürger von
der Demokratie verabschieden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Manfred Grund [CDU/CSU]: Angst frisst Denken auf!)


Wenn hier gesagt wird, fast 150 000 kritische Ein-
wände gegen TTIP, das sei ja nichts, rufe ich in Erinne-
rung, dass wir als Linke schon immer sagen: Wir wollen,
dass bei wichtigen europapolitischen Entscheidungen
Volksabstimmungen abgehalten werden. Herr Seehofer
sagt das auch manchmal, wenn Europawahlen anstehen.
Lassen Sie uns doch über diese Verträge eine Volksab-
stimmung machen! Das Thema wäre morgen beendet,


(Beifall bei der LINKEN)


weil die Bürgerinnen und Bürger wissen: Das, was da
verhandelt wird, ist nicht in ihrem Interesse.

Jetzt komme ich zur „Empörungsindustrie“, Herr
Pfeiffer. Ich möchte etwas zitieren, was gestern, am
15. Januar, veröffentlicht worden ist:

Wir lehnen die angedachten Regelungen zum In-
vestitionsschutz … ab. Sie beschädigen rechtsstaat-
liche Prinzipien und schränken die demokratische
Entscheidungsgewalt ein.

Wer war denn das? Haben Sie Vorstellungen? Das
stammt aus einer gemeinsamen Erklärung von CDA und
Katholischer Arbeitnehmer-Bewegung,


(Zurufe von der LINKEN: Ah!)


gestern hier in Berlin verabschiedet. Wollen Sie Ihre ei-
genen Leute zu einem Teil der „Empörungsindustrie“ er-
klären? Wunderbar!


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)

Hoffentlich haben alle gehört, dass diese Erklärung in
der Bundestagsfraktion der CDU/CSU nicht ernst ge-
nommen wird.

Ein weiteres Beispiel für die „Empörungsindustrie“:

Investitionsschutzvorschriften sind in einem Ab-
kommen zwischen den USA und der EU grundsätz-
lich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP
eingeführt werden.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das kennen wir!)


Wer hat das verabschiedet? Die „Empörungsindustrie“
kommt diesmal aus dem Parteikonvent der SPD. Tun Sie
doch einmal, was Ihr Parteikonvent beschlossen hat! Tun
Sie nicht so, als wäre das alles Schnee von gestern! Ma-
chen Sie uns keine Vorwürfe, weil wir euch an dieser
Stelle ernst nehmen!


(Beifall bei der LINKEN)


Eine SPD, die Sozialstandards gefährden will, Verbrau-
cherschutzstandards gefährden will und andere Dinge
auch, braucht man nicht in einer Bundesregierung. Wenn
Sie nur den Job der FDP erledigen wollen, dann gehen
Sie lieber wieder in die Opposition; dort sind Sie besser
aufgehoben.


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ihr Niveau ist unter Standard, Herr Kollege!)


Als gewählte Volksvertreter haben wir die Aufgabe,
die Demokratie zu verteidigen. Mit der Zustimmung zu
CETA würden wir das nicht tun. Ich sage es noch ein-
mal: Warum sollen diese Abkommen eigentlich abge-
schlossen werden? Hat hier tatsächlich jemand Angst,
dass wir auch nur ein Automobil weniger nach Kanada
oder in die USA verkaufen, wenn wir diese Abkommen
nicht abschließen? Hat hier wirklich jemand Angst, dass
die BASF oder andere auch nur ein Produkt weniger
dorthin verkaufen, wenn wir diese Abkommen nicht ab-
schließen? Hat hier jemand Angst, dass ein kanadisches
Gericht oder ein amerikanisches Gericht möglicherweise
nicht zur gleichen Rechtsprechung kommen könnte wie
ein solches Schiedsgericht, bei dem es nur darum geht,
Großkonzerne zu schützen? Dann sagen Sie das! Sagen
Sie, Sie glauben nicht, dass die Justiz in Kanada oder in
den USA zu einer Rechtsprechung kommt, die tatsäch-
lich sinnvoll ist.

Sie machen auch immer wieder den gleichen Fehler:
Sie tun so, als würden alle diejenigen, die mit diesen
Verträgen Ängste verbinden, mit dieser Haltung die
deutschen Exporte gefährden. Exportieren wir heute
nichts? Wir sind eine der Exportnationen dieser Welt.
Und wir haben Angst, zu sagen: „Wir wollen solche In-
vestorenschutzklagen nicht“? Das soll irgendjemand
ernst nehmen? Noch einmal: Wir sind eine der Export-
nationen. Wenn wir als die Exportnation auf europäi-
scher Ebene sagen: „Wir wollen den Investorenschutz
raushaben aus CETA und wollen ihn auch nicht reinver-
handelt haben bei TTIP“,

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das versuchen wir!)


dann, bin ich mir sicher, könnten diese Verträge auch
verändert werden. Deshalb ist die Frage, ob sich Sigmar
Gabriel tatsächlich zum Handlanger der Großindustrie
machen will oder ob er seine eigene Partei ernst nimmt.
Deshalb: TTIP und CETA können noch verhindert wer-
den, auch dieser Investorenschutz kann verhindert wer-
den.

Ich rufe alle auf, die auch morgen hier in Berlin auf
die Straße gehen: Machen Sie weiter Druck! Sie haben
schon viel erreicht. Noch einmal: Die SPD wird schon
noch rechtzeitig einknicken.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808007500

Der Kollege Dirk Wiese spricht jetzt für die SPD.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1808007600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Viel zu lange wurden Freihandelsabkommen
einfach nur verhandelt und beschlossen, ohne dass die
Öffentlichkeit daran teilnahm. Dass sich dies jetzt end-
lich ändert und wir hier im Parlament darüber diskutie-
ren, wie wir Freihandel gestalten und unter den Primat
der Rechtsstaatlichkeit stellen wollen, ist gut und richtig.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Warum ist Freihandel eigentlich gut und richtig für
unser Land und für unsere Bürgerinnen und Bürger? Ers-
tens. Wir wollen Arbeitsplätze sichern und neue Arbeit
ermöglichen. Zweitens. Wir wollen Exportweltmeister
bleiben und Wohlstand sichern. Drittens. Wir wollen die
Menschen mitnehmen und unsere Entscheidungen trans-
parent machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bedauerlicherweise interessieren Sie von den Linken
sich nicht für die Ziele und die Zukunft der Menschen,
sondern für Gutachter.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ach, so ein Geschwätzt! Warum muss man sich so etwas anhören?)


Das wäre auch gar nicht schlimm, wenn es nicht so
durchschaubar wäre. Warum? Weil Experten nicht im
luftleeren Raum leben, sondern mitten in der Gesell-
schaft. Jemanden zu fragen, der sich auskennt, ist, ehr-
lich gesagt, besser, als substanzlose Anträge zu stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Wirtschafts-
ministerium hat einen anerkannten Experten beauftragt –
mehr nicht. Oder in aller Klarheit: Wenn Sie ein Haus





Dirk Wiese


(A) (C)



(D)(B)

bauen und die Statik stimmen soll, dann fragen Sie einen
Architekten und nicht Ihren Nachbarn von nebenan.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aber am Gutachten war er nicht beteiligt!)


– Es ist immer schlimm, wenn man den Spiegel vorge-
halten bekommt.

Ich komme jetzt zum Antrag von Bündnis 90/Die
Grünen. Sie gehen auf einige wichtige Punkte fundiert
ein, und ich bin für Ihre klare Positionierung in der De-
batte dankbar; denn bisher wusste ich nicht so recht, wo
Sie bei TTIP und CETA eigentlich stehen und was Sie
wollen bzw. noch geändert haben wollen bzw. noch
hineinverhandelt bzw. erst gar nicht hineinverhandelt ha-
ben möchten. Aus Ihren heutigen Forderungen ist end-
lich zu entnehmen, dass Sie für die Ratifizierung von
CETA und TTIP sind, wenn die EU-Kommission die
ISDS-Klauseln bei CETA noch herausnimmt und sie bei
TTIP erst gar nicht hineinnimmt. Das war heute eine
klare Positionierung.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieser Schluss ist nicht zulässig! Das steht da nicht! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Mathematisch ist das falsch!)


Die Menschen müssen wissen, was wir verhandeln
und was unsere Ziele sind. Nur dann können wir sie mit-
nehmen und für die Potenziale des gerechten Freihandels
gewinnen.

Mehr Transparenz zu schaffen, muss unser Anspruch
in Deutschland und vor Ort in den Regionen sein. Es ist
von höchster Wichtigkeit, dass wir als Deutscher Bun-
destag, als Fraktion, mit den Regierungen der anderen
Mitgliedstaaten, dem Europäischen Parlament und der
Zivilgesellschaft eine offene und ehrliche Diskussion da-
rüber führen, was möglich ist.

Wir als Sozialdemokraten gehen mit gutem Beispiel
voran. Am 23. Februar 2015 wird es eine öffentliche
Veranstaltung zu den transatlantischen Freihandelsab-
kommen im Willy-Brandt-Haus geben, bei der unter an-
derem Sigmar Gabriel, Cecilia Malmström, Martin
Schulz und Bernd Lange auch zu dem Investitionsschutz
und den ISDS-Bestimmungen sprechen werden.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ja toll!)


Unser Fahrplan ist dabei klar: Wir setzen uns dafür
ein, dass ein Freihandelsabkommen ausgehandelt wird,
das gut für die Arbeitsplätze vor Ort in Deutschland und
in Europa ist, primär einen Mehrwert für die Bürgerin-
nen und Bürger darstellt und mit dem versucht wird,
weiter unsere hohen Standards in vielen Bereichen zu ei-
nem Exportschlager zu machen. Dafür müssen wir uns
einsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Freihandel heißt aber auch ein Geben und Nehmen
– gerade auch in den Gesprächen dazu –; denn in einigen
Bereichen – da müssen wir als Parlament auch ehrlich
sein – sind die US-Standards durchaus höher. Ich erin-
nere zum Beispiel an den Finanzmarktbereich.

Um zu einem Abkommen für die Menschen zu kom-
men, dürfen wir nicht immer nur sagen, was wir nicht
wollen, sondern wir müssen auch einmal offensiv sagen,
was wir wollen. Das ist unter anderem die Aufhebung
der Buy-American-Clause, damit unsere kleinen und
mittelständischen Unternehmen die Möglichkeit bekom-
men, sich auf dem US-Beschaffungsmarkt dem Wettbe-
werb zu stellen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn ein ausgehandeltes Freihandelsabkommen dann
am Ende gute Arbeit schafft und gute Arbeitsplätze er-
hält und sichert, ist das ein Mehrwert, auf den wir alle
stolz sein können und mit dem wir unsere weltweite
Position als Exportweltmeister sichern können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie mich
zum Abschluss vier Punkte ansprechen, die auch über
TTIP und CETA hinausgehen:

Erstens. Das öffentliche Konsultationsverfahren der
EU-Kommission hat mir wieder einmal verdeutlicht,
dass das Recht des internationalen Investitionsschutzes
und die darauf beruhende Schiedsgerichtsbarkeit einer
umfassenden Reform bedürfen: hin zu mehr Transpa-
renz, einer zweiten Instanz, einer unabhängigen Institu-
tionalisierung und besseren Klagemöglichkeiten für
kleine und mittlere Unternehmen, um nur einige Punkte
auf dem Weg hin zur Stärkung des internationalen
Rechts anzusprechen.

Zweitens. Bei vergleichbaren Rechtssystemen sind
entsprechende Regelungen nicht notwendig. Nach Durch-
laufen sämtlicher nationaler Instanzen dürfte in der Re-
gel davon ausgegangen werden, dass eine neutrale Ent-
scheidung über die jeweilige streitige Angelegenheit
gefällt wird.

Drittens. Wir müssen aufpassen, was sich im Asien-
Pazifik-Raum tut; denn ich möchte mitgestalten, beste-
hende Defizite ausräumen und reformieren, und ich
möchte nicht irgendwann gestaltet werden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da die USA derzeit die TTP-Verhandlungen mit dem
pazifischen Raum beschleunigen, ist anzunehmen, dass
die USA und ihre Verhandlungspartner in diesem Ab-
kommen ihre Regeln und Standards für den Handel fest-
schreiben wollen. Bedrohlich kann das für uns in der Eu-
ropäischen Union dann werden, wenn China so mächtig
wird und so viel Einfluss gewinnt, dass es die globale
Handelsstruktur dominant prägen kann. Daher ist es von
höchster Wichtigkeit, dass demokratische Länder rechts-
staatliche Prinzipien für einen freizügigen Handel veran-
kern, bevor uns andere Länder ihre Standards auferle-
gen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Viertens. Ich lade alle Bürgerinnen und Bürger ein,
mit uns allen über die Vor- und Nachteile von Freihan-





Dirk Wiese


(A) (C)



(D)(B)

delsabkommen zu diskutieren, aber nicht Ängste schü-
ren, sondern konstruktiv und offen darüber reden, wo-
rum es eigentlich geht. Machen wir uns an die Arbeit!
Lassen Sie uns gestalten und etwas bewegen und nicht
nur dagegen sein! Oder um es am Ende mit den Worten
von Willy Brandt zu sagen: „Der beste Weg, die Zukunft
vorauszusagen, ist, sie zu gestalten.“

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808007700

Als nächste spricht für die Fraktion Bündnis 90/Die

Grünen die Kollegin Katja Keul.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808007800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich möchte damit beginnen, dass ich meinen
Kollegen aus der Union, Patrick Sensburg, aus der Deut-
schen Richterzeitung unter der Überschrift „Parallel-
justiz – Rechtsstaat bleibt außen vor!“ zitiere. Dort sagt
er, Paralleljustiz sollte man besser als Scheinjustiz be-
zeichnen. Fälle, in denen die Scheinjustiz Anwendung
fände, könnten die Geltung des deutschen Rechts und
unseres Rechtsstaates unterminieren. – Recht hat der
Mann, auch wenn er hier vom Strafrecht redet.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Was gibt es da zu lachen?


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Weil das eine mit dem anderen nichts zu tun hat!)


Wir wollen keine Paralleljustiz, weder im Strafrecht
noch im Verwaltungs- und Staatshaftungsrecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808007900

Frau Kollegin Keul, der Kollege Dr. Heider möchte

Ihnen gern eine Zwischenfrage stellen.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808008000

Ja, bitte.


Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1808008100

Vielen Dank, Frau Kollegin, dass Sie die Zwischen-

frage zulassen. – Sie sind bemüht, einmal den Hinter-
grund von Schiedsverfahren aufzuklären. Ich darf darle-
gen, dass das nicht etwa eine Paralleljustiz ist, wie Sie
das darstellen, sondern dass das ein seit über 100 Jahren
gepflegtes Verfahren in Deutschland ist, womit sich Par-
teien gegenseitig Recht erweisen.

Ist es richtig, dass die Grünen eine Schiedsordnung
haben und in einem Schiedsverfahren innerhalb Ihrer
Partei geurteilt wird, wenn es Streitigkeiten gibt? Wür-
den Sie mir zustimmen, dass das ein ordentliches Ver-
fahren ist, um Streitigkeiten beizulegen?

Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808008200

Vielen Dank, Herr Heider, dass Sie mir die Gelegen-

heit geben, die Frage zu beantworten, die vorhin ein
bisschen im Raum stehen geblieben ist.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Sie hat bloß drei Minuten!)


Das Schiedsgericht im Zivilrecht, das Sie vorhin ange-
sprochen haben, ist nicht das Problem. Dort, wo Private
mit Privaten vor einem Zivilgericht streiten, ist nichts
dagegen einzuwenden, dass man zu einem Schiedsrich-
ter geht. Entscheidend ist natürlich, dass im Vertrag ge-
währleistet ist, dass keinem der beiden Vertragsparteien
der Weg zu den staatlichen Gerichten verwehrt wird.

Aber hier geht es um etwas ganz anderes. Hier geht es
um das öffentliche Recht. Hier geht es um Streitigkeiten
zwischen Privaten auf der einen und dem Staat auf der
anderen Seite. Das ist die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
Das hat mit dem Zivilgericht nichts zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Schönes Eigentor!)


Um das noch einmal zu Ende auszuführen: Beim Straf-
recht mache ich mir weniger Sorgen als der Kollege
Sensburg; denn da ist eine Paralleljustiz ohnehin als
Strafvereitelung verboten – da sind wir außen vor –,
während im öffentlichen Recht gerade etwas von höchs-
ter Stelle verhandelt wird. Das macht mir in der Tat Sor-
gen.

Im öffentlichen Recht, um darauf zurückzukommen
– darum geht es beim Investorenschutzabkommen –,
handelt es sich eben um Streitigkeiten zwischen Unter-
nehmen auf der einen und dem Staat auf der anderen
Seite und nicht um Streitigkeiten zwischen Unterneh-
men. Das ist der entscheidende Unterschied.

Ich will Ihnen ein Beispiel bilden. Zwei konkurrie-
rende Unternehmen produzieren in Deutschland ähnli-
che Produkte mit ähnlichen Verfahren. Beide Unterneh-
men bekommen von deutschen Behörden Auflagen
erteilt, die sie für unberechtigt halten. Jetzt haben sie
beide die Möglichkeit, den Rechtsweg zu den Verwal-
tungsgerichten zu beschreiten und sich dagegen zu weh-
ren. Warum aber sollte jetzt eines dieser Unternehmen,
weil es vielleicht ein amerikanisches ist, einen parallelen
Rechtsweg zu einem anderen Gericht wählen können?


(Jürgen Hardt [CDU/CSU]: Soll es ja nicht!)


Wo ist denn da die Gleichheit vor dem Recht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Verfechter von Schiedsgerichten unterstellen un-
seren deutschen Verwaltungsrichtern latent, sie würden
staatliche Eingriffe gegenüber einem ausländischen Un-
ternehmen anders beurteilen als Eingriffe gegenüber ei-
nem deutschen Unternehmen. Ich finde das ungeheuer-
lich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)






Katja Keul


(A) (C)



(D)(B)

Eine unabhängige Verwaltungsgerichtsbarkeit ist doch
das Markenzeichen eines funktionierenden Rechtsstaats
und funktionierender Gewaltenteilung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Nicht umsonst gab es zum Beispiel in der DDR keine
Verwaltungsgerichte.

Wir sind in Deutschland, wie ich finde, zu Recht stolz
auf unser Rechtssystem. Wir werben international dafür
mit unserer Initiative „Law – Made in Germany“. Was
macht es für einen Sinn, völkerrechtlich Wege zu verein-
baren, mit denen man dieses tolle System umgehen
kann? Das verstehe, wer will – ich nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


In unserem Rechtssystem ist in jahrelanger Recht-
sprechung ausdifferenziert worden, was eine Enteig-
nung, ein enteignender Eingriff und ein enteignungsglei-
cher Eingriff ist. Wozu brauchen wir dann jetzt noch
einen neuen Begriff der indirekten Enteignung, für den
private Gerichte erst wieder eine neue Dogmatik entwi-
ckeln müssen? Da helfen auch keine Berufungen, es sei
denn, die Berufung ist beim zuständigen Oberverwal-
tungsgericht einzulegen. Dann wäre ich damit einver-
standen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Fazit: Statt dem Big Business Paralleljustiz zu ermög-
lichen, sollten wir unsere Justiz durch personelle und fi-
nanzielle Ressourcen stärken.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


So bieten wir für den Streitfall eines der weltweit besten
rechtsstaatlichen Verfahren zur Klärung von Streitigkei-
ten. Davon können alle in der EU tätigen Unternehmen,
unabhängig von ihrer Herkunft, profitieren. Da braucht
es keine Paralleljustiz.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808008300

Nächster Redner ist der Kollege Professor

Dr. Heribert Hirte für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1808008400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Frau Dröge, Sie hätten heute Morgen besser mit
dem Kölsch angefangen. Dann wäre es lustiger losge-
gangen. So kam die Stimmung erst etwas später auf.


(Özcan Mutlu [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben wohl zu viel Kölsch gehabt!)

Dann hätten Sie auch zu Recht sagen können, dass
Kölsch markenrechtlich geschützt ist und deshalb von
den jetzt diskutierten Abkommen überhaupt nicht be-
rührt ist.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Kölsch ist durch die Herkunftsangabe geschützt!)


Als Erfolg des Abkommens werden am Ende 200 Mil-
lionen Amerikaner nach Köln kommen wollen, um
Kölsch in Köln zu trinken.

Die 150 000 Kritiker, die Sie eben im Zusammenhang
mit der Bürgerbefragung angegeben haben, können dann
nach Amerika reisen und herausfinden, ob es dort nicht
vielleicht schlechteres Bier gibt, und sich ihr eigenes Ur-
teil bilden.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen das Ganze lächerlich! Das ist aber keine Frage zum Lächerlichmachen!)


– Frau Höhn, Sie müssen lauter sprechen oder nach
vorne kommen; dann können wir im Duett singen. Aber
das wird der Herr Präsident nicht erlauben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das mache ich gleich!)


Sie haben gesagt, fast 150 000 Bürgerinnen und Bürger
hätten sich bei der Befragung negativ geäußert. Was
folgt daraus? Stellen Sie sich vor, die europäischen und
deutschen Unternehmer hätten das gemacht, was sie
vielleicht hätten machen sollen, nämlich eine Reihe von
Werbeagenturen einzuschalten, ähnlich, wie Sie es ge-
macht haben, viele Mails nach Brüssel zu schicken und
Lkw-weise zustimmende Postkarten zu TTIP und CETA
abzuliefern und zu sagen: Das nutzt unserer Wirtschaft,
unserem Wohlstand und unseren Arbeitsplätzen. – Dann
würden Sie jetzt schreien: „Betrug! Verrat! Die Zahlen
spielen keine Rolle.“


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


Lassen Sie deshalb die Diskussion über die Zahlen.
Sie spielen wirklich keine Rolle. Lassen Sie uns lieber
– das ist richtig – über die Sachfrage reden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: CDU und Bürgerbeteiligung! Das war schon immer miserabel!)


Worum geht es bei diesen Investitionsschutzabkom-
men? Es geht darum, dass Freihandelsabkommen ge-
richtlich überwacht werden sollen. Diese Freihandelsab-
kommen sind zwischenstaatliche und völkerrechtliche
Vereinbarungen. Dabei ist es ein bisschen schwierig, das
Abkommen für den einen Vertragspartner auch mit Wir-
kung für den anderen auszulegen. Denn dann würde ein
Staat über den anderen zu Gericht sitzen.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Staat und Privatunternehmen!)






Dr. Heribert Hirte


(A) (C)



(D)(B)

Frau Künast, die sich mehrfach dazu geäußert hat, ist
gerade nicht anwesend. Ich war mit ihr zusammen beim
Europäischen Gerichtshof. Wir haben über die Ausle-
gung der Maßnahmen der Europäischen Zentralbank
nachgedacht. Der Europäische Gerichtshof ist dabei, zu
diesen Fragen Stellung zu nehmen. Wenn Ihre Argumen-
tation richtig wäre, dann könnten wir es den griechi-
schen Gerichten überlassen, diese Maßnahmen auszule-
gen. Das wäre die Konsequenz.


(Annalena Baerbock [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Quatsch!)


Das können Sie dann den deutschen Bürgern verkaufen.
Die Alternative wäre, den Griechen zu sagen: Abschlie-
ßend entscheidet das Bundesverfassungsgericht, be-
kanntlich das beste europäische Gericht. – Verkaufen Sie
als Linke das einmal den Griechen! So wäre es, wenn
wir keine überstaatliche Streitschlichtungsinstitution
hätten. Das führt doch nicht weiter. Was wir brauchen,
ist eine überstaatliche Institution, die die entsprechenden
Fragen klärt. Man kann darüber nachdenken, ob dies
Schiedsgerichte tun sollen oder ob eine solche Gerichts-
barkeit bei der WTO angesiedelt werden soll. Aber wir
brauchen eine zwischenstaatliche Institution, die eine
entsprechende Auslegung betreibt.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808008500

Kollege Hirte, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Ulrich?


Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1808008600

Gerne.


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808008700

Vielen Dank, dass Sie meine Frage zulassen, Herr

Dr. Hirte. – Manchmal ist es wichtig, dass wir darlegen,
worüber wir eigentlich reden. Ich möchte Ihnen zwei,
drei Beispiele nennen. Dann beantworten Sie uns, ob die
CDU/CSU-Fraktion tatsächlich will, dass so etwas in
Zukunft überall möglich ist.

Wie Sie vielleicht wissen, gab es in der kanadischen
Provinz Quebec ein Moratorium gegen Fracking. Das
Unternehmen Lone Pine hat dagegen geklagt und fordert
250 Millionen Dollar Schadensersatz. In Luxemburg
wurde erfolgreich gegen ein südafrikanisches Programm
geklagt, das farbige Unternehmen begünstigt, um die
Ungerechtigkeiten des Apartheidregimes zu mildern.
Rumänien wurde 2006 zur Zahlung von rund 200 Mil-
lionen Euro Schadensersatz an einen schwedischen In-
vestor verurteilt, weil es EU-Recht im Steuerbereich um-
gesetzt hat. Der Investor musste dann mehr Steuern
zahlen als erwartet. Es gibt unzählige solcher Beispiele.
Ein letztes Beispiel. Ein französisches Unternehmen hat
den ägyptischen Staat verklagt, weil dort Mindestlöhne
eingeführt wurden und diese offensichtlich die Investi-
tionen beeinträchtigt haben.

Wollen Sie, dass das zukünftig der globalisierte Maß-
stab für die Verträge zwischen der EU, Kanada und
Amerika wird? Wenn das die Vorstellung von CDU/CSU
und SPD von Globalisierung ist, dann gute Nacht unse-
ren Standards.

(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hallo!)



Dr. Heribert Hirte (CDU):
Rede ID: ID1808008800

Lieber Herr Ulrich, ich halte es für richtig, dass Inves-

toren, die auf der Grundlage eines Abkommens in einem
anderen Land investiert haben – wir reden hier in erster
Linie über deutsche Unternehmer, die in Kanada oder
den USA investieren wollen –, eine Möglichkeit haben,
gegen Diskriminierungen – auch in den USA und Ka-
nada – vorzugehen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es sind keine Diskriminierungen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch jetzt schon möglich!)


Dass das Ergebnis eines Gerichtsverfahrens nicht immer
allen gefällt, liegt in der Natur der Sache.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Das waren politische Entscheidungen! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie damit sagen, dass amerikanische Gerichte nicht unabhängig sind? – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Rechtsstaatsverständnis ist unglaublich!)


Damit kommen wir zu Ihrem entscheidenden Gegen-
argument, zwischen funktionierenden Rechtsstaaten seien
solche Abkommen nicht erforderlich. Natürlich handelt
es sich immer um funktionierende Rechtsstaaten. Wenn
Sie aber einen Norditaliener fragen, ob er mit Begeiste-
rung einen Prozess in Süditalien führt, dann werden Sie
feststellen, dass er das nicht gerne tut. Wenn Sie die
Fälle analysieren, in denen der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte Deutschland wegen überlanger Ver-
fahren verurteilt hat, dann stellen Sie fest, dass Ihnen
ausländische Investoren entgegenhalten, dass gerade
Wirtschaftsprozesse bei uns viel zu lange dauern. Erklä-
ren Sie doch einmal einem deutschen Investor, warum er
mit großer Begeisterung vor einzelstaatlichen Gerichten
oder Bundesgerichten in den USA die Pre-Trial Disco-
very über sich ergehen lassen soll! Wenn so Ihre ideale
Wirtschaftsförderung aussieht, dann kann ich dazu nur
sagen: Danke, Deutschland!


(Beifall bei der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mein Gott! Sie reden sich um Kopf und Kragen!)


Ihre pauschale Ablehnung von Investitionsschutzab-
kommen hilft uns doch nicht weiter. Mir sagen viele eu-
ropäische Länder, insbesondere kleine Staaten wie Lett-
land und Estland: Wir brauchen solche Abkommen,
damit auch bei uns investiert werden kann. Wir machen
das gerne. – Wenn wir solche Abkommen ablehnten,
wäre die Konsequenz, dass die 27 anderen EU-Staaten
darüber nachdenken, wie sie ohne uns vorangehen kön-
nen. Das wollen wir nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die investieren doch heute schon!)


Platte Ablehnung hilft uns nicht.





Dr. Heribert Hirte


(A) (C)



(D)(B)

Lassen Sie uns doch über die Frage nachdenken, wie
wir für Verbesserungen sorgen können. Das haben wir
getan. Wie wir hier in diesem Hause zu Verbesserungen
kommen können, dazu mache ich Ihnen drei Vorschläge,
die wir schon vorbesprochen haben. Wir sollten darüber
nachdenken, ob die Auswahl der Richter und die Beset-
zung der Richterbänke bei den entsprechenden Schieds-
gerichtsinstitutionen mit Zustimmung dieses Hauses ge-
schehen sollten.

Darüber können wir nachdenken, darüber sollten wir
nachdenken. Dann ist Ihr Einwand vom Tisch, dass dort
möglicherweise keine unabhängigen Personen sitzen.
Dann können wir hier darüber diskutieren, wer dafür ge-
eignet ist und ob der oder die unabhängig ist. Wir sollten
über diese Frage nachdenken, und wir werden darüber
nachdenken. Wir werden dann genau denselben Schritt
tun, den wir vor einigen Jahren bei der Auswahl der
Richter am Europäischen Gerichtshof gemacht haben.
Die wurden nämlich anfangs auch alleine vom Bundes-
wirtschaftsministerium ernannt, ohne Zustimmung des
Parlaments. Das war mein erster Punkt.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Sie können gleich alle weiterreden. Sie kommen sicher
in den nächsten Jahren noch zu Wort.

Zweiter Punkt. Sie mahnen an, dass die nationalen
Verfahren und die Schiedsverfahren nicht ausreichend
miteinander verzahnt sind. Ja, das stimmt. Die Wahl-
möglichkeit wird mit den neuen Klauseln eingeschränkt.
Man kann nicht mehr das eine und das andere machen,
sondern man kann nur das eine oder das andere machen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt nicht! Vattenfall macht beides!)


– Das ist doch altes Recht. Reden Sie doch nicht über die
Vergangenheit, sondern über das, was wir in der Zukunft
machen wollen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist die Energiecharta!)


Es gibt einen Punkt, den wir hier autonom machen
wollen und werden. Wir werden über die Frage nachden-
ken, ob nicht der Bundesgerichtshof Anfragen von
Schiedsgerichten entgegennehmen kann. Das darf er bis-
her nicht. Das Gleiche gilt für den Europäischen Ge-
richtshof. Auch der darf Anfragen von Schiedsgerichten
bisher nicht entgegennehmen. Wir werden entspre-
chende Initiativen ergreifen, um auf der Ebene der Kom-
mission durchzusetzen, dass das in den entsprechenden
Rechtsakten geändert wird.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat Ihre Fraktion diese Vorschläge besprochen?)


– Darüber reden wir jetzt. Sie haben den Antrag gestellt.
Sie behaupten, wir würden nicht nachdenken. Natürlich
denken wir nach, und das ist die Antwort.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wollen Sie CETA ändern?)

Damit komme ich zum dritten Punkt. Liebe Frau
Dröge, Sie haben immer wieder und auch eben darauf
hingewiesen, dass das alles nur Großunternehmen die-
nen würde und Schiedsverfahren für Großunternehmen
gedacht seien. Es mag sein, dass Schiedsverfahren rela-
tiv gesehen teuer sind. Deshalb denken wir darüber nach,
die Kosten für diese Schiedsverfahren für kleine und
mittelständische Unternehmen, die aus unserer Sicht in
Kanada und in den USA investieren sollen, auf das
Niveau zu senken, das sie haben würden, wenn die Un-
ternehmen vor nationalstaatlichen Gerichten klagen
würden. Das ist für uns eine Maßnahme der Außenwirt-
schaftsförderung. Ich halte es für legitim, dass wir über
diese Frage nachdenken.

Das bedeutet: Alle Argumente, die Sie hier bringen,
rechtfertigen keine Ablehnung von Schiedsverfahren,
rechtfertigen keine Ablehnung des Investorenschutzes.
Wir brauchen das für deutsche Unternehmen, die jenseits
des Atlantiks investieren wollen. Deshalb werden wir Ih-
ren Antrag ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808008900

Für die Bundesregierung spricht jetzt die Frau Parla-

mentarische Staatssekretärin Brigitte Zypries.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


B
Brigitte Zypries (SPD):
Rede ID: ID1808009000


Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Der Antrag der Grünen bezieht sich
in der Tat auf die Frage des Investitionsschutzes und der
Investor-Staat-Schiedsgerichtsbarkeit und greift damit
eines der wirklich problematischen Themen bei diesen
Verträgen auf. Darüber sind wir uns, glaube ich, alle ei-
nig.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die CDU nicht!)


– Dass das ein wesentliches Thema bei diesen Verträgen
ist, ist unstreitig.

Mir ist es wichtig, ganz kurz zu sagen, dass wir den
Zusammenhang nicht aus den Augen verlieren sollten.
Wir als eine der größten Handelsnationen der Welt brau-
chen einen freien Waren- und Dienstleistungsverkehr.
Dafür braucht unsere Wirtschaft offene Märkte. Es hat
keinen Sinn, dass wir uns bei der Standardisierung und
anderen Dingen selber Brücken bauen. Deshalb müssen
wir solche Verhandlungen führen. Man spricht nicht um-
sonst von den nichttarifären Handelshemmnissen.

Weil es so ist, dass in der globalisierten Welt die
28 Mitgliedsländer der EU alleine bei einer solchen
Standardsetzung mit China, den USA und anderen gar
nichts mehr ausrichten können, ist es richtig, dass die





Parl. Staatssekretärin Brigitte Zypries


(A) (C)



(D)(B)

Kompetenz für diese internationalen Abkommen auf die
EU übergegangen ist. 2009 ist das mit dem Lissabon-
Vertrag so geregelt worden. Wir alle haben das damals
für richtig gehalten, weil wir sehen müssen, dass wir Eu-
ropa in der Welt positionieren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Insofern ist es wichtig, dass wir die Globalisierung ge-
stalten – das haben Vorredner schon oft genug gesagt –
und auch angemessene Spielregeln entwickeln.

Wir reden hier über zwei verschiedene Abkommen.
Klar ist: Unsere Beziehung zu Kanada wollen wir aus-
bauen. Bei aller Kritik am Investor-Staat-Schiedsge-
richtsverfahren, das in CETA geregelt ist, muss man
auch eins einmal sehen – das müssten Sie von Bünd-
nis 90/Die Grünen bitte auch zur Kenntnis nehmen; ich
habe es aus Ihrem Antrag nicht herauslesen können –:
Kein anderes Freihandelsabkommen der EU sieht eine
derart weitgehende Öffnung der Märkte vor – unter
Wahrung der geltenden Schutzstandards für Verbrau-
cher-, Umwelt- und Arbeitsschutz. Kein anderes Frei-
handelsabkommen hat so weitreichende Bestimmungen
zur Nachhaltigkeit.

Auch beim Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren
enthält CETA schon deutliche Verbesserungen. Sie kön-
nen gar nicht in Abrede stellen, dass es insoweit auf alle
Fälle das beste Abkommen ist. Es ist inzwischen klar:
Transparenz wird eingehalten; sämtliche Unterlagen
werden veröffentlicht. Alle Anhörungen sind öffentlich.
Schon im jetzigen Entwurf von CETA steht das. Auf die
geplanten Veränderungen komme ich gleich noch zu
sprechen. Ich wiederhole: Alle Anhörungen sind öffent-
lich. Interessierte Gruppierungen wie NGOs oder Ge-
werkschaften können Anträge einreichen und Stellung-
nahmen abgeben. Das ist etwas, was unser deutsches
Recht gar nicht kennt. Die Unabhängigkeit der Schieds-
richter wird garantiert;


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht!)


die Schiedsrichter müssen unabhängig sein. Es gibt ei-
nen eigenen Verhaltenskodex. Es wird eine Schiedsrich-
terliste erstellt.

Herr Kollege Hirte, ich kann nur sagen: Wir in
Deutschland sind zwar ziemlich großartig, aber es ist ein
EU-Abkommen. Wir können nicht allein die Schieds-
richter bestimmen. Das macht natürlich die EU.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Barbara Lanzinger [CDU/CSU])


Es ist vorgesehen, dass die EU fünf Schiedsrichter be-
nennt. Also, das muss man einmal abwarten. Es gibt das
Verbot ungerechtfertigter Klagen usw. usf. Das heißt, es
gibt eine Menge Verbesserungen. Auf diesen Verbesse-
rungen wollen wir aufbauen, und wir wollen diese Ver-
besserungen noch weiter verbessern.

Ich komme zu TTIP und zu dem Ergebnis der Kon-
sultationen, das Sie hier mehrfach angesprochen haben.
Wir wissen, dass das Ergebnis, das die EU-Kommission
vorgestellt hat, Veränderungen noch in vier weiteren Be-
reichen benennt: Das sind der Schutz des sogenannten
right to regulate, der Gestaltungsspielraum des demokra-
tisch legitimierten Gesetzgebers, die Arbeitsweise und
die Zusammensetzung der Schiedsgerichte, Stichwort
„Transparenz“, das Verhältnis ISDS zu nationalem
Rechtsweg und die Einführung eines Berufungsmecha-
nismus.

Diese Punkte hat die EU-Kommission identifiziert,
und über diese Punkte werden wir in den nächsten zwei
bis drei Monaten Gespräche führen. Das Europäische
Parlament wird sich damit auseinandersetzen, die Mit-
gliedstaaten werden sich damit auseinandersetzen – vor-
hin wurde schon erwähnt, dass dieses Abkommen nicht
nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Mit-
gliedstaaten kritisch diskutiert wird –, und natürlich wer-
den sich auch die Zivilgesellschaft und andere Stakehol-
der, die an diesem Prozess beteiligt sind, Stichwort
„Gewerkschaften“, damit beschäftigen. Sie alle werden
darüber beraten, und dann wird man sehen, welche Ver-
besserungen wir auf europäischer Ebene durchsetzen
können.

Ich bin ganz zuversichtlich, dass wir Deutschen mit
den Möglichkeiten, die wir haben, und mit dem, was wir
uns bei diesen Gesprächen zu flankieren vorgenommen
haben, erfolgreich sein werden. Wir, die deutsche Bun-
desregierung, werden selber aktiv werden. Wir werden
Gespräche mit anderen Ländern und selbstverständlich
mit der Kommission suchen. Wir werden natürlich se-
hen, dass wir all das, was wir für CETA schon erreicht
haben, was wir bei TTIP noch besser machen wollen,
was wir bei CETA auch wieder rückkoppeln können, zu
einer Regelung zusammenführen, die insgesamt zu noch
mehr Transparenz und Offenheit führt.

Wenigstens für meine Begriffe ist von zentraler Be-
deutung bei solchen Verfahren, sicherzustellen, dass es
immer ein faires Verfahren geben kann und dass man
sich gegebenenfalls mit einem Rechtsmittel, in welcher
Art auch immer, gegen Entscheidungen wehren kann.
Dann kommen wir mit dieser Art von Regelung in die-
sem Investitionsschutzverfahren schon ganz gut weiter.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


In Vorbereitung auf diese Rede habe ich ein ganz gu-
tes Gutachten vom Wissenschaftlichen Dienst des Bun-
destages gelesen. Auf etwa acht Seiten setzt er sich sehr
gut mit diesem Thema auseinander und stellt sehr gut
dar, welche Verbesserungen tatsächlich schon erfolgt
sind. Das sollte man sich gern einmal anschauen, wenn
man sich mit dem Ganzen noch inhaltlich auseinander-
setzen will.

Ich würde gern noch etwas zu dem Antrag der Linken
sagen, der sich mit CETA ja gar nicht beschäftigt, son-
dern nur mit einem bestimmten Gutachten. Ich würde
Sie herzlich bitten, nicht Menschen zu diskreditieren, die
einen Auftrag wahrgenommen haben, den das Haus, das
ich hier heute vertrete, erteilt hat. Ich finde, Sie können
das Wirtschaftsministerium angreifen, wenn Sie meinen,
dass wir falsche Gutachter beauftragt haben. Aber einem





Parl. Staatssekretärin Brigitte Zypries


(A) (C)



(D)(B)

unabhängigen Professor zu unterstellen, schon in der
Überschrift, er würde ein Gefälligkeitsgutachten erstel-
len, ist eine Unverschämtheit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da muss ich mich wirklich schützend vor die Person
stellen.

Noch einmal: Wenn Sie da Kritik haben, greifen Sie
das Haus an! Wir werden uns zu wehren wissen, und wir
können Ihnen sehr gut erklären, worin der Unterschied
zwischen einem Schlichtungsverfahren und einem
Schiedsverfahren besteht; der ist Ihnen offenbar entgan-
gen, Herr Ernst. Er ist ein Schlichter und keineswegs ein
Schiedsrichter. Da gibt es wesentliche Unterschiede. Der
eine macht ein Urteil, der andere macht einen Ver-
gleichsvorschlag. Das kann man nicht über einen Kamm
scheren. Deshalb noch einmal die Bitte: Lassen Sie un-
sere unbescholtenen Professoren in Deutschland unbe-
scholten!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dieter Janecek [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808009100

Die Kollegin Bärbel Höhn spricht jetzt für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808009200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-

nächst einmal möchte ich auf die Kollegen Pfeiffer und
Hirte eingehen, die sich zu den Konsultationen geäußert
haben. Ich finde, es ist eine absolute Unverschämtheit,


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


wenn Sie 3 000 substanzielle Eingaben zu diesen Kon-
sultationen – normalerweise sind es bei solchen Konsul-
tationen 200; diesmal waren es 3 000 – und 145 000
Menschen, die sich mit der Sache beschäftigt haben, die
am Ende ihre Unterschrift gegeben haben, hier so diskre-
ditieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das ist etwas, was die Politikunzufriedenheit wirklich
schüren wird. Sie gehen da mit Bürgerinnen und Bürgern
auf eine Art und Weise um, die ich nicht für möglich ge-
halten hätte. Es wird am Ende auch die Demokratie be-
schädigen, wie Sie mit solchen Konsultationsverfahren
und der Beteiligung der Bürger umgehen. So geht es
nicht, liebe Kollegen von der CDU und CSU!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Klaus Barthel [SPD])


Zu dem Gutachten, das von Schill gemacht worden
ist. Frau Zypries, ich glaube, da haben Sie genau recht.
Man soll gar nicht das Gutachten an sich kritisieren. Ich
kritisiere aber sehr wohl die Fragestellung des Wirt-
schaftsministeriums; denn am Ende hat sich der Gutach-
ter eigentlich fast nur mit Gesetzesvorhaben beschäftigt
und kaum mit Verwaltungshandeln. Die Klagen werden
sich aber wesentlich gegen Verwaltungshandeln richten.
Deshalb wäre es notwendig gewesen, den Auftrag um
genau diese Frage zu erweitern. Deshalb richtet sich die
Kritik in der Tat gegen das Wirtschaftsministerium und
nicht unbedingt gegen den Gutachter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir erleben, dass wir mittlerweile eine Klagewelle
haben, was diese Schiedsverfahren angeht; das ist der
Punkt. Da hat sich in den letzten Jahren viel verändert.
Wir haben auf EU-Ebene vom Jahr 2012 zum Jahr 2013
eine Verdoppelung der Zahl der Klagen. Die meisten da-
von richten sich gegen Umweltregulierungen oder Res-
sourcenschutz, auch gegen soziale Fragen, aber vor allen
Dingen gegen Industrieländer. Es ist gar nicht mehr so
wie früher. Da kam es zu solchen Verfahren, weil viel-
leicht kein sicheres Rechtssystem vorhanden war. Kla-
gen richten sich jetzt zunehmend gegen Industrieländer.

Eine der wichtigsten Erkenntnisse, die wir mit einer
Delegation des Umweltausschusses gewonnen haben,
als wir uns in den USA mit diesen Fragen beschäftigt ha-
ben, war, dass gerade Anwaltskanzleien in den USA
diese Schiedsverfahren zu ihrem Geschäftsmodell ge-
macht haben. Die Frage ist doch, ob wir Handlanger für
Rechtsanwaltskanzleien in den USA sein wollen, die
sich mit diesem Geschäftsmodell mittlerweile eine gol-
dene Nase verdienen. Das kann doch wohl nicht sein!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir erleben – ich will einen bestimmten Punkt noch
einmal aufgreifen, nämlich die Gentechnik –, dass wir in
der Gentechnik ein sehr komplexes Problem haben. In
Nordamerika ist es so, dass der Gentechnikaspekt einer
Pflanze bei der Genehmigung gar nicht berücksichtigt
wird; wenn sie wie ein Pestizid wirkt, wird sie sozusagen
als Pestizid behandelt und zugelassen. Wenn da mehrere
Kompenenten vorhanden sind, gibt es in Zukunft teil-
weise keine Zulassungsverfahren mehr. Die Wechselwir-
kungen werden nicht beachtet. Es wird also zunehmend
Gentechnikpflanzen in Nordamerika geben, die nicht
einmal ein Zulassungsverfahren hatten. Wenn wir die-
sem Freihandelsabkommen zustimmen, zukünftig Gen-
technikpflanzen hier aber verbieten, dann gibt es natür-
lich Klagen von Monsanto & Co. Ich sage Ihnen: Wegen
der Schiedsverfahren werden wir diese Gentechnikpflan-
zen hier in Europa und Deutschland nicht aufhalten kön-
nen. Das ist ein ganz großer Kritikpunkt. Das ist ein Ver-
lust an Verbraucherschutz, den hinzunehmen ich nicht
bereit bin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des Abg. Dirk Becker [SPD])


Das Freihandelsabkommen CETA – dazu haben wir
ja die Texte vorliegen – ist ein Einfallstor für die Gen-
technik in Europa und Deutschland, und das wissen Sie
auch. Ich erwarte deshalb gerade vom Wirtschaftsminis-
ter, dass er sich für die Verbraucherinteressen, die wir





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)

hier in Deutschland haben, genauso einsetzt, wie er sich
zum Beispiel für die Interessen von energieintensiven
Betrieben eingesetzt hat, und ich erwarte von der Kanz-
lerin, dass sie sich so einsetzt, wie sie sich für einen hö-
heren zulässigen CO2-Ausstoß von großen Autos einge-
setzt hat. Das höre ich vom Wirtschaftsminister nicht.
Ich höre, dass er herumreist,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist unfair!)


aber ich höre öffentlich nicht, dass er sich wirklich inten-
siv für die Verbraucherschutzinteressen in diesem Han-
delsabkommen einsetzt.


(Klaus Barthel [SPD]: Das wissen Sie doch gar nicht!)


Das heißt, wir Grüne sind nicht gegen Handelsab-
kommen, aber wir sind für faire Handelsabkommen. Nur
faire Handelsabkommen sind freie Handelsabkommen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Jörn Wunderlich [DIE LINKE] – Zurufe von der CDU/CSU: Aha! Neue Position!)


Deshalb sage ich: Wir müssen CETA aufschnüren, und
wir müssen CETA verändern. Ansonsten wird es zu
Recht Demonstrationen der Bevölkerung geben, die
dann zu Recht für ihre Interessen kämpft. Da möchte ich
Sie einmal sehen. Sie werden sich da plötzlich wegdu-
cken


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Na, Na!)


und nicht mehr um das kümmern, was die Leute wirklich
interessiert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808009300

Für die Unionsfraktion spricht jetzt der Kollege

Jürgen Hardt.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jürgen Hardt (CDU):
Rede ID: ID1808009400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-

gen Ende der Debatte möchte ich nicht all das vortragen,
was hier schon gesagt wurde,


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lieber nicht!)


sondern möchte auf die Argumente eingehen, die im
Einzelnen hier vorgetragen wurden und vielleicht den ei-
nen oder anderen neuen Gedanken zusätzlich hereinbrin-
gen.

Ich möchte an dieser Stelle festhalten: Die Frage der
Handelsabkommen mit Kanada und mit den USA ist für
die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes und der
Europäischen Union von essenzieller Bedeutung. Selbst-
verständlich sind schlechte Handelsabkommen eine
schlechte Hilfe hinsichtlich der zukünftigen wirtschaftli-
chen Entwicklung und gute Abkommen eine gute Hilfe.
Deswegen sollten wir über Parteigrenzen hinweg ge-
meinsam daran arbeiten, dass wir gute und zuverlässige
Handelsabkommen bekommen, so wie Deutschland
auch jetzt schon viele Handelsabkommen hat, von denen
es profitiert.

Jenseits der Polemik der Debatte hier im Haus, aber
überwiegend außerhalb dieses Hauses habe ich doch das
Gefühl – ich habe mit Frau Künast darüber beim Tages-
spiegel diskutiert –: Die Grünen halten sich die Hinter-
tür, dass sie vielleicht eines Tages doch für dieses Ab-
kommen sein könnten, sperrangelweit offen. Ich finde,
das ist ein positives Zeichen. Deswegen lohnt es sich
auch, mit Ihnen zu reden. Auch das, was Frau Höhn ge-
rade gesagt hat, war ja ein Schritt in diese Richtung.

Warum sind Handelsabkommen wichtig für uns? Ich
sage es einmal ganz konkret: Hinsichtlich der wirtschaft-
lichen Wirkungen von Handelsabkommen, CETA mit
Kanada oder TTIP mit den USA, haben wir natürlich die
Situation, dass wir nur schwer einschätzen können, wie
viel das konkret an mehr Arbeitsplätzen und in Euro
bzw. Dollar ausmacht. Ich will mich auch nicht auf Pro-
gnosen stützen. Da geht die eine in die eine Richtung
und die andere in die andere Richtung. Ich bin aber fest
davon überzeugt, dass die strategische Bedeutung dieser
Abkommen nicht zu überschätzen ist.


(Brigitte Zypries, Parl. Staatssekretärin: Genau!)


Angesichts der Tatsache, dass in dieser Welt China,
Indien, südamerikanische und afrikanische Staaten, In-
donesien, Korea, auch Russland ganz stark darum buh-
len, wer den Ton bei der Frage angibt, was fairer Welt-
handel ist, haben wir hier die Chance, für 50 Prozent der
Weltwertschöpfung, für 50 Prozent des Weltbruttosozial-
produkts, nämlich Europäische Union plus Nordame-
rika, unsere Vorstellungen von fairen Standards im Welt-
handel und von fairen Bedingungen bei der Produktion
von Gütern und Dienstleistungen durchzusetzen. Wenn
uns das nicht gelingt, wenn wir uns auf dem Wege dahin
verzetteln und scheitern, dann werden die anderen sa-
gen: Ihr Europäer, ihr Amerikaner wollt uns sagen, was
fairer Welthandel ist? Ihr seid ja nicht einmal in der
Lage, Standards für euren relativ vergleichbaren Wirt-
schaftsraum herzustellen. Jetzt geben wir den Ton an
und sagen, wohin die Reise geht. – Dann müssen wir auf
deren Zug mitfahren, und nicht umgekehrt.

Umgekehrt ist es natürlich so, dass wir dann, wenn
wir für einen Wirtschaftsraum, der etwa 50 Prozent der
Weltwertschöpfung ausmacht, Regeln setzen, zwar kei-
nen in China oder Indien zwingen können, sich bei der
Produktion an diese Regeln zu halten; aber wenn er in
unseren Wirtschaftsraum hinein will, muss er sie erfül-
len. Den Unternehmer in Fernost, der das ignorieren
kann, der sozusagen 50 Prozent des Marktes einfach ver-
nachlässigt, indem er sich nicht daran hält, möchte ich
sehen. Das ist für mich eine riesige Herausforderung, das
bietet für mich eine riesige Chance, die wir unbedingt
wahrnehmen sollten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Da werden, wie ich finde, gewisse Polemiken und
auch Übertreibungen dem Ernst der Sache nicht gerecht.





Jürgen Hardt


(A) (C)



(D)(B)

Ich möchte auch den Kollegen Landwirtschaftsminister
da noch ein bisschen in Schutz nehmen. Sie wissen ja,
dass das Wiener Schnitzel bekanntermaßen nicht Wiener
Schnitzel heißt, weil es aus Wien kommt, sondern weil
es aus Kalbsfleisch besteht. Warum ist es aus Kalb? Weil
es ja eigentlich ein Cotoletta Milanese ist. – Ich will da-
mit nur deutlich machen: Die Frage, wie die Bezeich-
nungen nach regionaler Herkunft in der Europäischen
Union geregelt sind, ist ja durchaus bedenkenswert.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! Wir wollen das auch ändern!)


Wenn wir auf dem Wege eines Handelsabkommens dazu
kommen, dass im Zuge einer entsprechenden Diskussion
dafür gesorgt wird, dass der Verbraucher erkennen kann,
ob in dem Parmesankäse holländische oder polnische
Milch drin ist oder ob die Milch tatsächlich aus Oberita-
lien stammt, dann würde das einen Fortschritt darstellen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


In diesem Sinne habe ich unseren Landwirtschaftsminis-
ter verstanden. Deswegen auch seine plakativen Bei-
spiele.

Frau Dröge, ganz kurz zum Thema Kölsch, weil es
mir ein persönliches Anliegen ist. Kölsch wird an der
Stadtgrenze von Düsseldorf und in Bonn gebraut. Des-
halb kann es nicht regional geschützt werden.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt nicht!)


Daraufhin haben sich alle 22 Kölsch brauenden Braue-
reien im Rheinland zusammengeschlossen und das Wort
„Kölsch“ als Markennamen schützen lassen. Damit ha-
ben sie das Problem, dass sie keine Bezeichnung nach
regionaler Herkunft anwenden können, umgangen.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das stimmt nicht!)


– Sie brauchen nicht mit dem Kopf zu schütteln. Der
Mann, der das gemacht hat, war vor 25 Jahren mein
Nachbar in Köln.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte ganz konkret etwas zu dem Thema der
Schiedsverfahren sagen. Den von der Staatssekretärin
verwendeten Begriff „problematisch“ würde ich so nicht
verwenden. Es ist aber eine der großen Herausforderun-
gen im Rahmen dieser Abkommen, für diese Schieds-
verfahren vernünftige Regeln zu entwickeln. Ich sage Ih-
nen auch: Ich halte es für völlig unrealistisch, dass wir
die Kanadier davon überzeugen würden, dass sie darauf
verzichten. Die Gespräche, die ich geführt habe, geben
dazu keinen Anlass. Auch wenn Sie mit US-Amerika-
nern darüber reden – ich habe mit einer Person, die daran
maßgeblich beteiligt ist, gesprochen –, halte ich es für
unrealistisch, dass es aufgegeben wird, nachdem verein-
bart wurde, dass wir so etwas machen. Ich bin aber der
Meinung, wir sollten die Chance wahrnehmen, daraus
Schiedsverfahren neuen Typs zu machen, und zwar kon-
kret bei CETA, das dann ein Role Model, also ein Vor-
bild, für TTIP sein kann, was wir mit den Amerikanern
verhandeln. Ich finde ein paar Aspekte ganz entschei-
dend bei dem CETA-Verfahren.

Erstens. Transparenz. Das CETA-Verfahren wird sich,
anders als bisherige Schiedsverfahren, nach diesen
neuen UN-Transparenzrichtlinien richten. Wir haben
bisher nur den vorläufigen englischen Text, 1 600 Sei-
ten, des Handelsabkommens vorliegen. Wir werden das
alles sorgfältig auch in deutscher Sprache prüfen müs-
sen. Ich habe den Eindruck, dass dies ein qualitativer
Sprung ist mit Blick auf die Transparenz dieses Verfah-
rens.

Zweitens. Ganz wichtig ist, dass derjenige, der nach
einem Schiedsverfahren in CETA ein Schiedsgericht an-
ruft, ein relevantes Geschäft haben muss. Die Diskus-
sion, dass man irgendwo eine Briefkastenfirma gründet,
um in den Genuss der Vorteile eines Schiedsverfahrens
im Handelsabkommen zu kommen, fällt nach CETA
weg. Er wird konkret ausgeschlossen. Sie müssen sub-
stanziell betroffen sein, und zwar schwerwiegend im
Sinne von Enteignung oder ähnlichen schwerwiegenden
Eingriffen, damit Sie überhaupt das Recht haben, einzu-
schreiten. Und Sie müssen geltend machen, dass Sie als
Teilnehmer des jeweils anderen Teils des Handelsab-
kommens – also als Amerikaner in Europa oder umge-
kehrt – gegenüber denen diskriminiert sind, die aus dem
anderen Teil des Marktes kommen. Die Frage, ob die
Veränderung eines Umweltstandards in Deutschland zu
Schiedsgerichtsverfahren führt, ist natürlich mit Nein zu
beantworten. Das würde für ein deutsches Unternehmen,
für ein italienisches Unternehmen, für ein englisches
Unternehmen in Deutschland genauso wie für ein ameri-
kanisches Unternehmen gelten. Somit wäre das gar kein
Gegenstand, wo die Diskriminierung des Teilnehmers
aus dem jeweils anderen Wirtschaftsteil stattfindet. In
diesem Sinne möchte ich nur deutlich machen, dass es
eine massive Weiterentwicklung der Schiedsverfahren
gibt. Wir werden uns das genau ansehen. Wir werden
auch als Parlament Einfluss nehmen. Das Parlament
wird sowieso ein ganz entscheidendes Wort bei diesen
Handelsabkommen sprechen. Wir werden sowohl bei
CETA als auch bei TTIP darüber im Deutschen Bundes-
tag abstimmen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die deutsche Bundesregierung wird, wenn sie im Rat
ihre Stimme abgibt, mit Sicherheit dem Deutschen Bun-
destag Rechenschaft darüber ablegen, wie sie im Rat ab-
zustimmen gedenkt. Sie kennen alle die Regeln, die wir
hier im Deutschen Bundestag haben: Theoretisch könn-
ten wir die Regierung förmlich binden in ihrem Abstim-
mungsverhalten im Rat. Also die Vorstellung, dass etwas
an den demokratisch gewählten Vertretern vorbeiläuft,
ist unbegründet. Es hat, wie ich finde, massive Versäum-
nisse in der Informationspolitik in den letzten Jahren ge-
geben. Ich finde, sie sind im Jahr 2014 zu wesentlichen
Teilen auch aufgelöst und aufgehoben worden. Die neue
Kommission – Juncker, Timmermans, als erster Vizeprä-
sident dafür zuständig, und Frau Malmström, die neue
Handelskommissarin – hat in der Öffentlichkeitsarbeit
einen gänzlich anderen Stil gewählt.





Jürgen Hardt


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Am 7. Januar ist ein ganzer Stapel von Dokumenten
ins Netz gestellt worden, mit denen wir uns auseinander-
setzen können. Ich finde, dass der Bundeswirtschafts-
minister, der es in dieser Frage mit seiner Doppelrolle
wirklich nicht einfach hat – das muss ich einmal sagen –,
einen guten Job und eine gute Öffentlichkeitsarbeit
macht. Ich bitte nur ganz herzlich darum: Lassen Sie uns
das Thema mit dem notwendigen Ernst und in dem Be-
wusstsein um das, was auf dem Spiel steht, sorgfältig
und sauber beraten. Lassen wir uns von Menschen, die
aus anderen – bei dem einen oder anderen vielleicht auch
dumpf antiamerikanistischen – Motivationen dagegen
vorgehen, nicht beirren. Lassen Sie uns gemeinsam Un-
klarheiten auflösen!

Ich möchte, weil ich noch 50 Sekunden Redezeit
habe, eine Unklarheit nennen. Dass die kommunale
Selbstverwaltung oder die Frage der kommunalen Da-
seinsvorsorge betroffen ist, kann man weder bei CETA
noch bei TTIP sagen. In den Leitlinien für die Verhand-
lungen über TTIP steht unter Ziffer 20: Das wird nicht
angerührt. – Das steht außer Frage; es wird auch nicht
bestritten. Dennoch beschließen jetzt die Räte im ganzen
Land entsprechende Resolutionen auf der Basis von
Textentwürfen, die sie von einzelnen Fraktionen oder
vom Städtetag bekommen. Für mich hat das den Charak-
ter der folgenden Entscheidung: Der Rat der Stadt Köln
beschließt, der Kölner Dom soll nicht abgerissen wer-
den. Dafür wird man im Rat der Stadt Köln immer eine
Mehrheit finden; nur hat keiner den Plan, den Kölner
Dom abzureißen. – Es hat auch keiner den Plan, die
kommunale Daseinsvorsorge, so wie wir sie in der Euro-
päischen Union und im Rahmen der WTO geschützt ha-
ben, infrage zu stellen.

Ich bin guten Mutes, dass wir die Zweifler, die Skep-
tiker überzeugen werden. Ich bin guten Mutes, dass die
Antiamerikaner in Deutschland nicht so stark sind, dass
sie uns da wirklich reingrätschen können. Ich möchte Sie
ermutigen, die heutige Debatte als Auftakt zu nehmen,
zukünftig sehr sorgfältig und verantwortungsbewusst
mit diesem Thema umzugehen, auf allen Seiten des Hau-
ses.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1808009500

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-

punkt ist der Kollege Dr. Matthias Miersch, SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1808009600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Hardt, vielen Dank für diesen Beitrag. Ich
glaube, er war am Ende wohltuend, weil er eines gezeigt
hat: Viele, die sich augenblicklich äußern, sind verunsi-
chert; sie stellen Fragen. Die Mindestverpflichtung des
Parlaments der Bundesrepublik Deutschland ist die sach-
liche Auseinandersetzung mit den Ängsten, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Da hilft es nicht, von einer „Empörungsindustrie“ zu
sprechen. Da hilft es aber auch nicht, Herr Kollege
Ernst, so zu tun, als ob der deutsche Rechtsstaat die Lö-
sung wäre; denn wir sind schon viel weiter. Es gibt nicht
nur den deutschen Rechtsstaat, und viele Probleme, die
wir hier heute zu lösen haben, sind allein nationalstaat-
lich nicht mehr in Gänze zu lösen. Auch das muss man
den Menschen sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Als Umweltpolitiker sage ich Ihnen, dass wir beim in-
ternationalen Klimaschutz das Spannungsfeld zwischen
notwendigen internationalen Verträgen und deren Um-
setzung hautnah erleben. Aber gleichzeitig erleben wir
beim Thema Grüne Gentechnik, dass wir es nicht einmal
schaffen, auf europäischer Ebene eine gemeinsame Hal-
tung zu erreichen, sodass es jetzt mit der Opt-out-Klau-
sel eine – ich sage es mal so – Renaissance des national-
staatlichen Handelns gibt.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil die Bundesregierung dafür gestimmt hat!)


Insofern müssen wir überlegen, wie es bei diesen sen-
siblen Themen, bei CETA und bei TTIP, aussieht. Ich
bin froh, dass wir mit Bernd Lange einen Sozialdemo-
kraten haben, der als zuständiger Berichterstatter im
Europäischen Parlament genau die Fragen, die Sie von
den Grünen in Ihrem Antrag gestellt haben, gerade in Ih-
rem Sinne klärt, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was mir aber zu kurz kommt – deswegen werde ich
ein bisschen hellhörig, wenn Sie eine sofortige Abstim-
mung wollen –, ist die Tatsache, dass es um viel mehr
geht als nur Schiedsgerichte – ja oder nein –; es geht vor
allen Dingen auch um die zugrundeliegenden An-
spruchsgrundlagen. Da haben wir bei CETA beispiels-
weise augenblicklich 500 Seiten englischsprachigen
Text vor uns liegen, mit einem Verweis auf ein Anlagen-
konvolut von rund 1 000 Seiten. Ich weiß nicht, ob sich
jemand in diesem Haus zutraut, auf alle Fragen zu ant-
worten. Ich finde es jedenfalls legitim, dass sich Leute
an uns wenden und sagen: Guckt da genau nach!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich möchte gerade als Umweltpolitiker ein Thema he-
rauspicken, das mich ganz besonders berührt und bei
dem ich befürchte, dass wir in Verbindung mit der Kon-
struktion der Schiedsgerichtsbarkeit ein ganz ungutes
Gebräu bekommen: Wir haben zwei unterschiedliche
fundamentale Rechtsgrundsätze im europäischen bzw.
im kanadischen und amerikanischen System: Wir haben
in Europa den sogenannten Vorsorgegrundsatz. Den gibt
es in Kanada und in den USA in dieser Form nicht. Die
Frage ist, inwieweit wir in diesen Abkommen – zumin-





Dr. Matthias Miersch


(A) (C)



(D)(B)

dest bei CETA; darauf komme ich gleich noch zu spre-
chen – die Unterminierung dieses Grundsatzes ermögli-
chen. Ich finde, wir müssen dieser Fragestellung nicht
nur in einer Debatte, wie wir sie heute führen, sondern in
einer Vielzahl von Unterredungen nachgehen.

Die von mir angesprochenen 500 Seiten enthalten
eine Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe, die der Aus-
legung bedürfen. Aber wer hat die Hoheit der Ausle-
gung?


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: So ist es!)


Es ist heute in keiner Weise angesprochen worden, dass
neben den Schiedsgerichten auch im CETA-Verfahren
andere Gremien geschaffen werden, sogenannte Regu-
lierungsräte, die – soweit ich es verstehe – zumindest
Auslegungskompetenzen erhalten können; ich sage das
ganz vorsichtig. Ich finde, wir müssen uns mit dieser
Frage beschäftigen.


(Beifall der Abg. Klaus Barthel [SPD] und Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU])


Denn wenn intransparente Gremien, die nicht demokra-
tisch legitimiert sind, die Auslegungshoheit bekommen,
dann geben wir – und das sage ich auch mit Blick auf die
Parlamentarier im Europäischen Parlament; das betrifft
nicht nur die Parlamentarier der nationalen Parlamente –
demokratische Legitimität ab. Das könnte ich nicht ver-
antworten. Deswegen möchte ich um diese Frage ringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen auf zahlreichen Seiten Fragezeichen ma-
chen. Ich finde – da teile ich die Meinung der Kollegin
Höhn –, wir sollten den Bereich Grüne Gentechnik ruhig
ansprechen. CETA enthält ein Kapitel, das die Über-
schrift „Dialog und bilaterale Zusammenarbeit“ trägt. In
diesem Kapitel geht es um den Informationsaustausch
gerade im Bereich der GVO, also der gentechnisch ver-
änderten Organismen.

Es gibt eine gemeinsame Zielerklärung, in der es
heißt – wenn meine Übersetzung stimmt –, dass das ge-
meinsame Ziel die Förderung wissenschaftsbasierter Zu-
lassungsprozesse sei. Genau das haben wir im Vorsorge-
prinzip im europäischen Kontext eben nicht. Wir müssen
nicht beweisen, dass etwas gefährlich ist, sondern wir
können auch etwas verbieten, weil wir uns unsicher sind,
ob es gefährlich ist. Das sind fundamentale Unter-
schiede. Wenn diese durch die entsprechenden Klauseln
unterminiert werden, dann stehen Rechtspositionen zur
Disposition, die wir nicht aus der Hand geben dürfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Aus dieser Debatte ergeben sich fünf ganz konkrete
Forderungen. Erstens. Das Versäumnis, von Anfang an
Transparenz herzustellen – das Sie, Herr Hardt, zu Recht
angesprochen haben –, können wir nur wettmachen, in-
dem wir uns die Zeit nehmen, die wir für eine sorgfältige
Beratung brauchen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zweitens. Wir müssen überdenken, ob die Beratungs-
formen, also wie wir hier im Parlament beraten, diesen
Abkommen gerecht werden. Wir müssen überdenken, ob
wir nur im Wirtschaftsausschuss oder nur im Umwelt-
ausschuss Anhörungen durchführen oder ob wir – der
Wirtschaftsausschuss hat das an der einen oder anderen
Stelle schon gemacht – uns hier öffnen, um die großen
Abkommen interdisziplinär zu besprechen.

Drittens. Die Anspruchsgrundlagen sind mindestens
genauso wichtig wie die Systematik der Schiedsgerichts-
barkeiten oder der Regulierungsräte.

Viertens. Wenn die Kommission aufgrund des Kon-
sultationsverfahrens Änderungen bei TTIP anmahnt,
dann muss das auch für CETA gelten; sonst geht das
nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Fünftens. Wir sollten darüber nachdenken, ob das
System sogenannter Positivlisten dazu führen kann,
Rechtsunsicherheiten in vielen Bereichen der Abkom-
men zu beseitigen. Ich weiß, es ist ganz schwer, das jetzt
noch bei CETA durchzusetzen. Viele Punkte offenzulas-
sen, birgt die Gefahr, dass andere die Auslegung über-
nehmen. Insofern wäre das Positivlistensystem – Sie ha-
ben gerade die Daseinsvorsorge angesprochen – eine
Möglichkeit, Rechtsunsicherheit zu beseitigen.

Vor uns liegt viel Arbeit. Ich freue mich auf eine sach-
liche Diskussion. Ich bin mir sicher, dass diese Themen
eine Tragweite haben, die wir gar nicht hoch genug ein-
schätzen können.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808009700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache.

Tagesordnungspunkt 19 a. Wir kommen zur Abstim-
mung über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/3747. Die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache. Die
Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen Überwei-
sung, und zwar federführend an den Ausschuss für Wirt-
schaft und Energie sowie mitberatend an den Ausschuss
für Recht und Verbraucherschutz und an den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union.

Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Die Ko-
alition. Wer stimmt dagegen? – Die Opposition. Wer ent-
hält sich? – Niemand. Dann ist die Überweisung mit den
Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposi-
tion so beschlossen. Damit stimmen wir über den Antrag
auf Drucksache 18/3747 in der Sache nicht ab.

Tagesordnungspunkt 19 b. Interfraktionell wird die
Überweisung der Vorlage auf Drucksache 18/3729 an





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann ist die Überweisung auch so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 20 a bis 20 c auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem As-
soziierungsabkommen vom 21. März 2014 und
vom 27. Juni 2014 zwischen der Europäischen
Union und der Europäischen Atomgemein-
schaft und ihren Mitgliedstaaten einerseits
und der Ukraine andererseits

Drucksache 18/3693 (neu)

Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem As-
soziierungsabkommen vom 27. Juni 2014 zwi-
schen der Europäischen Union und der
Europäischen Atomgemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und Georgien ande-
rerseits

Drucksache 18/3694
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Assoziierungsabkommen vom 27. Juni 2014
zwischen der Europäischen Union und der
Europäischen Atomgemeinschaft und ihren
Mitgliedstaaten einerseits und der Republik
Moldau andererseits

Drucksache 18/3695
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu höre ich
keinen Widerspruch. Dann ist das auch so beschlossen.

Wenn die Kolleginnen und Kollegen ihre Sitzplätze
eingenommen haben, können wir mit der Aussprache
beginnen. – Ich eröffne die Aussprache.

Ich rufe zunächst den Staatsminister Michael Roth
auf. Er hat das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Roth (SPD):
Rede ID: ID1808009800

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine Damen und meine Herren! Die De-
batte, die wir heute führen, findet in Zeiten einer schwe-
ren Krise im Osten Europas statt. Wir alle, insbesondere
die Bundesregierung, bemühen uns seit vielen Monaten
um die Abwendung dieser Krise, und wir arbeiten an ei-
ner politischen Lösung. Wir alle wissen: Wir sind noch
sehr weit davon entfernt.

Russland hat mit der völkerrechtswidrigen Annexion
der Krim und der Destabilisierung der Ostukraine die
Fundamente der europäischen Friedensordnung infrage
gestellt. 25 Jahre nach dem Fall des Eisernen Vorhangs
drohen neue Trennlinien auf unserem Kontinent. Von
neuen Mauern und neuer Entfremdung wären die
Ukraine, die Republik Moldau und Georgien unmittelbar
betroffen, nicht nur wegen ihrer geografischen Lage. In
allen drei Ländern gibt es, wenn auch in ganz unter-
schiedlicher Ausprägung, Bestrebungen in beide Rich-
tungen: einerseits die traditionell engen Beziehungen zu
Russland, andererseits den Wunsch nach einer stärkeren
Anbindung an Europa. Angesichts der derzeitigen Krise
ist es umso bemerkenswerter, dass diese drei Länder ge-
rade jetzt die Zusammenarbeit mit der EU abermals ver-
tiefen wollen. Der Abschluss der Assoziierungsabkom-
men mit der EU am 27. Juni des vergangenen Jahres hat
dies eindrucksvoll gezeigt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, mit den Assoziie-
rungsabkommen wollen wir die Ukraine, die Republik
Moldau und Georgien auf ihrem schwierigen Weg der
Reformen begleiten: mit Rat und mit Tat, aber eben auch
mit finanzieller Unterstützung. Die Abkommen setzen
einen klaren, verbindlichen Rahmen für weitere tiefgrei-
fende Reformen in diesen Ländern, die bitter nötig sind.

Unsere östlichen Nachbarn modernisieren, öffnen und
demokratisieren Schritt für Schritt Politik, Wirtschaft
und Gesellschaft. Ich freue mich über die bisherigen Er-
folge und Fortschritte. Doch die eigentlichen Bewäh-
rungsproben liegen noch vor uns. Denn nun gilt es, über
1 000 Seiten Regelungswerk umzusetzen. Das wird ein
ziemlicher Kraftakt, der die Länder grundlegend verän-
dern dürfte. Ein solch radikaler Wandel vollzieht sich
nicht ohne Spannungen. Er kennt eben nicht nur Gewin-
ner, sondern er bringt, zumindest kurzfristig, immer auch
Verlierer hervor.

Die Regierungen unserer Partnerländer wissen, was
die Menschen in der Ukraine, in der Republik Moldau
und in Georgien jetzt von ihnen erwarten und einfordern:
Rechtstaatlichkeit, Fortschritte bei der Bekämpfung der
Korruption, eine leistungsfähige Justiz und Verwaltung.
Wenn das gelingt, dann rückt das in greifbare Nähe, was
wir uns alle im Interesse dieser Menschen wünschen:
stabile Demokratien, in denen das Recht geachtet und
die Menschenrechte geschützt werden, erfolgreiche
Wirtschaften und ein starker Sozialstaat.

Wir wissen aber eben auch: Die EU wird das Ziel ei-
ner stabilen, demokratischen und wirtschaftlich gedei-
henden Nachbarschaft nur dann erreichen, wenn diese
Länder auch gute Beziehungen zu ihrem großen Nach-
barn im Osten pflegen. Es geht für die Ukraine, für die
Republik Moldau und für Georgien eben nicht um eine
Entweder-oder-Entscheidung; denn die Östliche Partner-
schaft will unsere Partnerländer eben nicht vor die Wahl
stellen, und schon gar nicht ist dieses Projekt gegen
Russland gerichtet. Ich möchte aber auch sagen: Russ-
land hat kein Recht, in der Ukraine territoriale Fakten zu
schaffen oder die Staaten der Östlichen Partnerschaft mit





Staatsminister Michael Roth


(A) (C)



(D)(B)

Strafen zu belegen. Hier steht die Europäische Union ge-
schlossen an der Seite unserer östlichen Nachbarländer,
die auf unsere Solidarität zählen können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Fähigkeit zur Selbstkritik wird von der Europäi-
schen Union immer wieder eingefordert. Wir haben uns
natürlich auch gefragt: Was ist da möglicherweise falsch
gelaufen? Mit Blick auf die Östliche Partnerschaft hat
Russland erst nach jahrelangen Assoziierungsverhand-
lungen ernste Bedenken angemeldet, und leider hat
Russland Mittel gewählt, die sich überhaupt nicht mit
guter Nachbarschaft und internationalem Recht verein-
baren lassen. Diese von Russland gewählten Mittel sind
inakzeptabel.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich weiß aus sehr vielen persönlichen Gesprächen – das
deckt sich sicherlich mit Ihren eigenen Erfahrungen,
liebe Kolleginnen und Kollegen –: Keines der östlichen
Partnerländer möchte seine jahrhundertealten Verbin-
dungen zu Russland abbrechen. Auch die Europäische
Union misst den Beziehungen zu Russland weiterhin
eine ganz hohe strategische Bedeutung bei.

Die Bundesregierung setzt sich nicht nur unermüdlich
für eine politische Lösung der Ukraine-Krise ein. Wir
nehmen natürlich auch die Sorgen Russlands über die
Auswirkungen der Assoziierungsabkommen auf seine
Wirtschaft ernst. Wir haben auch Bereitschaft gezeigt,
die vorläufige Anwendung des Freihandelsabkommens
mit der Ukraine für 15 Monate auszusetzen, um zu über-
prüfen, wo es möglicherweise Schwierigkeiten in der
Zusammenarbeit dieser Staaten mit Russland gibt. Die
Europäische Union ist also durchaus zu vernünftigen
und praktikablen Lösungen bereit, die dem Frieden und
der Sicherheit der ganzen Region dienen. Aber es ist
eben auch klar – das haben wir Russland immer wieder
deutlich gesagt –: Wenn die EU Verträge mit Drittstaaten
schließt, dann gibt es für Russland kein Vetorecht.

Am Anfang dieses Gesetzgebungsverfahrens möchte
ich einen kleinen Wunsch äußern, liebe Kolleginnen und
Kollegen: Im Mai dieses Jahres findet in Riga das
nächste Gipfeltreffen der Östlichen Partnerschaft statt.
Die große Mehrheit unserer Partner in der Europäischen
Union wird bis dahin die Ratifizierung der drei Asso-
ziierungsabkommen abgeschlossen haben. Ich fände es
großartig, wenn auch wir, als Motor der europäischen
Nachbarschaftspolitik, unsere Ratifizierungsverfahren
bis dahin abgeschlossen hätten. Daher bitte ich Sie um
eine intensive, aber auch um eine zügige Beratung. Wir
stehen als Bundesregierung unterstützend bereit. – Ich
darf heute diese Abkommen für die Bundesregierung
hier einbringen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808009900

Als nächster Redner spricht Wolfgang Gehrcke, Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN – Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Genosse Gehrcke, los!)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808010000

Genosse Wellmann! Wir wollen gleich zur richtigen

Anrede übergehen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte, dass wir als Erstes darüber nachdenken, was
wir den Menschen in Moldawien, in Georgien und in der
Ukraine wünschen sollten und was wir möglicherweise
dazu beitragen können, ihre Wünsche zu erfüllen. Ich
möchte gern, dass die Menschen in der Ukraine, in Mol-
dawien und in Georgien sozial wie auch von den demo-
kratischen Rechten her etwas besser leben, als es heute
der Fall ist und in der Vergangenheit der Fall war. Das ist
mir ganz wichtig. Ich glaube, dass mit diesen Abkom-
men – ich befürchte dies insbesondere für die Ukraine –
griechische Verhältnisse einziehen werden


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Oder polnische! Und das ist ein Erfolgsmodell!)


mit einer Zerstörung des Sozialstaates und mit weiteren
sozialen Verwerfungen. Ich möchte, dass das abgewehrt
wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will nicht, dass wir den Menschen solche Vorschrif-
ten machen.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also wollen Sie aus Griechenland eine Ukraine machen?)


Ich möchte, dass für alle drei Länder Hilfsprogramme
aufgelegt werden, die die Macht der Oligarchen begren-
zen.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie in Griechenland!)


Das eigentliche Problem dieser Länder sind die Oligar-
chen, die diese Länder ausgeplündert haben und aus-
plündern.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich finde, wir dürfen die Oligarchen nicht befördern, ih-
nen nicht auch noch Geld zuspielen, sondern wir müssen
das Geld der Oligarchen umverteilen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich bin für eine Enteignung der Oligarchen in diesen
Ländern. Das werden aber die Menschen in der Ukraine,
in Moldawien und in Georgien selber leisten.


(Beifall bei der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und in Russland gleich mit!)






Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)

– Wenn stattdessen Sozialismus in Russland eine Rolle
spielen würde, wäre es mir nur recht, auch die Oligar-
chen in Russland zu enteignen.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sozialismus oder Kommunismus?)


Das Zweite, das mich sehr bewegt, ist Folgendes: Wir
reden über diese Abkommen ja nicht in normalen Zeiten.
Normalerweise spielen solche Abkommen der Europäi-
schen Union in der Öffentlichkeit nicht so eine große
Rolle. Wir reden aber jetzt in Zeiten darüber, in denen
der Krieg als reale Gefahr in Europa auf der Tagesord-
nung steht. Ich finde, wir haben auch eine Verantwor-
tung, darüber nachzudenken, ob sich die Entscheidung,
dass sich drei Länder an der Grenze Russlands in ein
westliches System integrieren, positiv oder negativ auf
die Dämpfung der Kriegsgefahr auswirkt.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist die alte BreschnewDoktrin!)


Ich zitiere wieder einmal Michail Gorbatschow, weil
Sie das besonders trifft. Ich denke, dass wir Gorbatschow
einen besonderen Verdienst und auch Verantwortung zu-
rechnen können. Er warnte im Spiegel vor einem großen
Krieg in Europa. Er wird im Spiegel zitiert:

Ein solcher Krieg würde heute wohl unweigerlich
in einen Atomkrieg münden. … Wenn angesichts
dieser angeheizten Stimmung einer die Nerven ver-
liert, werden wir die nächsten Jahre nicht überle-
ben.

Das sagt Gorbatschow. Ich hoffe, dass er unrecht hat.
Aber ich nehme seine Warnung sehr ernst und frage
mich immer: Was können wir tun, auch speziell wir in
Deutschland, damit es zu einer Dämpfung des Konflik-
tes kommt?

Gorbatschow sagt weiter in Bezug auf Deutschland –
das muss doch jeden von uns tief treffen –:

Das neue Deutschland will sich überall einmischen.
… In Deutschland möchten anscheinend viele bei
der neuen Teilung Europas mitmachen. … Deutsch-
land hat im Zweiten Weltkrieg schon einmal ver-
sucht, seinen Machtbereich nach Osten zu erwei-
tern. Welche Lektion braucht es noch?

Welche Lektion braucht unser Land noch? Diese Frage
legt uns Gorbatschow vor. Unser Land muss eine Lek-
tion lernen, nämlich dass wir bei allem die künftigen
Folgen bedenken.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich glaube, es wäre im Moment klüger, mehr Druck
zu entwickeln, dass besser verhandelt wird, dass Sank-
tionen aufgehoben werden und dass dieses Abkommen,
so wie es ist, nicht ratifiziert wird. Das wäre ein Beitrag
unseres Landes. Ich glaube, damit muss man sich ernst-
haft auseinandersetzen.

Ich habe die Befürchtung, dass das Abkommen Eu-
ropa erneut spaltet, nicht zu guter Nachbarschaft mit
Russland führt, nicht dazu führt, dass die eingefrorenen
Konflikte, die nur mit Russland zusammen gelöst wer-
den können, wirklich gelöst werden. Ich denke an Ab-
chasien, Südossetien, Transnistrien, Berg-Karabach und
viele andere Regionen. Diese Probleme kann man nur
mit Russland zusammen lösen.

Lassen Sie mich abschließend sagen: Ich möchte
gerne, dass wir darüber nachdenken, wie auch der
70. Jahrestag der Befreiung Europas vom Faschismus,
die ohne die damalige Sowjetunion – das ist mehr als
Russland; das sage ich gleich dazu –


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Die Ukraine vor allen Dingen!)


nicht denkbar gewesen wäre, würdig begangen werden
kann. Ich finde, die Äußerung des ukrainischen Präsi-
denten – sie wurde hier in Deutschland auch im Fernse-
hen übertragen –


(Franz Thönnes [SPD]: Ministerpräsident!)


– des Ministerpräsidenten; Entschuldigung, ja; wo ihr
recht habt, habt ihr recht; wenn ihr mir auch in der Folge
zustimmt, wäre ich euch dankbar –,


(Franz Thönnes [SPD]: Na, mal sehen! – Dr. Rolf Mützenich [SPD]: Ist gut!)


dass die Sowjetunion über die Ukraine nach Deutschland
einmarschiert ist, ist so katastrophal, dass ich hoffe, er
hat sich in der Wortwahl geirrt.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das Missverständnis ist wirklich lange aus dem Weg geräumt! Sie benutzen es wider besseres Wissen als Propaganda aus Moskau!)


– Wenn es so ist, kann man das ja klarstellen.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist klargestellt!)


Ich hoffe, dass hier klar ist: Deutschland und Europa
sind auch von der Sowjetunion vom Faschismus befreit
worden. An dieser inhaltlichen Position sollten wir kei-
nen Millimeter rütteln lassen.

Besten Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808010100

Der nächste Redner ist Manfred Grund, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1808010200

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen und

Herren! Liebe Zuhörer, insbesondere auf der Tribüne!
Wir beraten heute drei Gesetzentwürfe zu Assoziie-
rungsabkommen der Europäischen Union: mit der
Ukraine, mit Georgien und mit der Republik Moldau. Es
sind umfassende Assoziierungsabkommen, und die Ab-
kommen mit Moldawien und Georgien beinhalten auch
ein Freihandelsabkommen. Wir erhoffen uns von diesen
Abkommen, dass dadurch die Wertevorstellungen der





Manfred Grund


(A) (C)



(D)(B)

Europäischen Union, also unsere Wertevorstellungen, in
Bezug auf Menschenrechte, Demokratie, Rechtsstaat-
lichkeit, Transparenz und eine offene und freie Gesell-
schaft in diesen Ländern gefördert werden.

Zum Ersten begründen diese Abkommen eine politi-
sche und gesellschaftliche Verknüpfung mit der Europäi-
schen Union. Die wichtigsten Aspekte sind die notwen-
digen inneren Reformen, auf die sich diese Länder mit
unserer Unterstützung verpflichten: Reform der Verwal-
tung, funktionierende Institutionen, Bekämpfung der
Korruption, Unterbindung oligarchischer Strukturen und
Einflussnahmen, Stärkung der Rechtsstaatlichkeit. Diese
Abkommen sind daher in erster Linie ambitionierte Re-
formprojekte, die innerhalb dieser Länder umzusetzen
sind.

Zum Zweiten begründen diese Abkommen eine ge-
meinsame Freihandelszone, und zwar eine umfassende
und tiefgreifende. Dabei geht es um weit mehr als um
den Abbau von Handelsbarrieren. Es geht um die schritt-
weise Integration dieser Länder in den europäischen
Binnenmarkt einschließlich der Übernahme europäi-
scher Rechtsstandards. Dabei wird nicht nur der freie
Warenverkehr eröffnet, sondern es werden vor allem
auch die Investitionsbedingungen in den Ländern selbst
entscheidend verbessert, um den Menschen dort eine
bessere wirtschaftliche Perspektive und eine lebenswerte
Zukunft zu ermöglichen.

Die Assoziierungsabkommen und die Freihandelsab-
kommen sind Modernisierungsabkommen. Wir können
und wollen mithelfen, die Ukraine, Georgien und die Re-
publik Moldau zu modernisieren: politisch, gesellschaft-
lich und wirtschaftlich. Damit sind diese Abkommen die
einzig richtige Antwort auf die systemischen Probleme
in diesen sogenannten Transformationsländern.

Seit dem Ende der Sowjetunion befanden sich diese
Länder Osteuropas in einer Art Zwischeneuropa. Sie
gehörten nicht mehr zum direkten Herrschaftsbereich
Moskaus, waren aber auch nicht Teil des europäischen
Einigungsprojektes. Was dieses Zwischeneuropa kenn-
zeichnete, waren ein Zustand äußerer und innerer Insta-
bilität, der Mangel an Perspektive und Entwicklung so-
wie – als Folge der Instabilitäten – innere und äußere
Konflikte. Damit haben diese Länder mehr als zwei
Jahrzehnte Stagnation, Verfall, Oligarchenwirtschaft und
Erpressung erlebt.

Deutlich wird dies auch an der unterschiedlichen Ent-
wicklung der Lebensverhältnisse. Nach dem Zusammen-
bruch der Sowjetunion vor 25 Jahren waren die Lebens-
verhältnisse in der Ukraine, in Georgien und in Moldau
ähnlich denen im Baltikum oder in Polen. Während aber
die Länder des Baltikums und Polen der Europäischen
Union beigetreten sind und einen beispiellosen wirt-
schaftlichen, politischen und sozialen Aufschwung er-
lebten – Polen ist eine Erfolgsgeschichte, ein Erfolgs-
modell –, hat die Entwicklung in der Ukraine und in
Moldau stagniert. Schlimmer noch: Diese Länder haben
Jahre und Teile ihrer Zukunft verloren. Junge, gut ausge-
bildete Menschen, die sich mit Stagnation und Korrup-
tion nicht abfinden wollten, sind in großer Zahl wegge-
gangen.
Es ist auch in unserem Interesse, dass diese Länder
eine Entwicklungsperspektive, eine Modernisierungs-
perspektive erhalten. Das wird aber nur gelingen, wenn
wir ihnen den Zugang zum europäischen Integrations-
prozess eröffnen und das Selbstbestimmungsrecht der
Ukrainer, der Georgier und der Moldauer anerkennen
und diese Länder nicht hegemonistischen Bestrebungen
opfern.

Damit bin ich bei Russland und dem unerklärten
Krieg, den Russland gegen die Ukraine führt. Was hat
Russland von einer modernisierten, reformierten und mit
der EU assoziierten Ukraine zu befürchten, dass Putin
die Ukraine fortgesetzt destabilisiert? Die Antwort liegt
zum einen im hegemonistischen Denken Putins begrün-
det, in seinem Bestreben, Russland zu alter Bedeutung
und Größe zu erheben. In diesem Denken kommt die
Ukraine als eigener souveräner Staat mit selbst entschei-
dender Bevölkerung überhaupt nicht vor.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die größte Provokation, die größte Herausforderung
für Putin wäre es wohl, wenn sich das europäische Er-
folgsmodell wie in Polen auch in Moldau, Georgien und
in der Ukraine und damit direkt vor seiner Haustür
durchsetzte. Es ist, Kollege Gehrcke, nicht die Angst vor
der Europäischen Union und auch nicht die Angst vor
der NATO, die Putin umhertreibt – es ist die Angst vor
einer modernisierten, vor einer offenen Gesellschaft;
denn Putins Weg für Russland ist ein ganz anderer: ein
Weg, der in das vergangene Jahrhundert zurückführt, der
Nachbarländer nur als Einflusszonen wahrnimmt und
der vor Krieg und Gewalt nicht zurückschreckt.

Weil wir zu den Konfrontationen des letzten Jahrhun-
derts nicht zurückkehren wollen, weil wir aus Überzeu-
gung für offene, moderne, freiheitliche, soziale Gesell-
schaften eintreten, sind diese Abkommen für die
Menschen in der Ukraine, in Georgien und Moldau gute
Abkommen, und es sind gute Abkommen für uns als be-
kennende Demokraten, als helfende Nachbarn und als
überzeugte Vertreter einer offenen Gesellschaft.

Kollege Gehrcke, Sie haben darauf Bezug genom-
men, was Jazenjuk hier gesagt hat. Er hat gesagt, die
Sowjetunion sei in seiner Heimat einmarschiert. In die-
sem Jahr vor 70 Jahren endete Gott sei Dank der Zweite
Weltkrieg. Vorbereitet wurde er mit einem Pakt, den
Stalin und Hitler zusammen vor 75 Jahren unterzeichnet
haben


(Zuruf des Abg. Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE])


und in dem es um die Aufteilung Polens ging. Jazenjuk
ist geboren in Czernowitz. Czernowitz war zu diesem
Zeitpunkt Teil von Polen; insoweit hat Jazenjuk mit sei-
ner Äußerung recht, dass die Sowjetunion bei ihm zu
Hause einmarschiert sei. Das waren weiß Gott keine gu-
ten Zeiten, nicht für die Ukraine, nicht für Polen.

Wir sind froh und dankbar, dass wir einen Teil dessen,
was durch den Zweiten Weltkrieg mit uns verbunden ist,
wiedergutmachen können. Wir werden die Ukraine, Ge-





Manfred Grund


(A) (C)



(D)(B)

orgien und Moldau nicht Russland sozusagen vor die
Haustür werfen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Norbert Spinrath [SPD] und Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michaela Noll [CDU/CSU]: Das war Klartext!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808010300

Als nächste Rednerin spricht Marieluise Beck von

den Grünen.

Marieluise Beck (Bremen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man in der Zeit zurückgeht und sich die Schluss-
akte von Helsinki aus dem Jahr 1975 anschaut, dann
kann man sehen, dass die europäische Friedensordnung
damals tatsächlich auf neue Füße, auf gemeinsame Füße
gestellt worden ist. Sie ist dann noch einmal präzisiert
worden durch die Charta von Paris von 1990, das Folge-
treffen in Helsinki 1992 und den Gipfel in Lissabon
1996. In all diesen Papieren wird noch einmal deutlich
auf die Integrität der Grenzen und das Recht souveräner
Staaten auf freie Bündniswahl hingewiesen. Das ist nicht
nur 1975 von Breschnew unterschrieben worden, son-
dern auch von Russland nach Ende des Kalten Krieges.
An diese Zeiten, an dieses Versprechen sollten wir Russ-
land erinnern. Diese Texte sind ein Bekenntnis zur De-
mokratie, zur Wahrung von Frieden und Souveränität. Es
ist ein Drama, dass all das mit dem Krieg in der Ukraine
und mit der Enteignung von Territorien in Georgien und
Moldawien über den Haufen geworfen wurde.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)


Die heute zur Debatte stehenden Assoziierungsab-
kommen sind sicherlich kein Gnadenakt der EU – natür-
lich geht es auch um Interessen, um die Erweiterung von
Handelsräumen –; aber diese tausend Seiten sind gleich-
zeitig auch ein Angebot, diesen Ländern bei ihrer inne-
ren Transformation beizustehen. Das heißt: Demokratie,
Rechtsstaatlichkeit, die Chance auf Befreiung von Kor-
ruption. Selbst wenn die Bürgerinnen und Bürger, die
sich auf dem Maidan versammelt haben, diese tausend
Seiten nicht gelesen haben – sie haben sie mit Sicherheit
nicht gelesen –, haben sie doch eines verstanden, und
zwar die Botschaft dieses Abkommens. Diese ist: Wir
haben die Chance, uns endlich von Oligarchen und kor-
rupten Beamten zu befreien, wir haben die Chance, ent-
sprechende Institutionen aufzubauen.


(Zuruf der Abg. Inge Höger [DIE LINKE])


Deswegen haben die Menschen auf dem Maidan gesagt:
„Wir wollen nach Europa“, wozu sie ja geografisch ge-
hören. Die Botschaft dahinter war: Wir wollen demokra-
tische, rechtsstaatliche Länder werden mit allen entspre-
chenden Freiheiten, befreit von der Last von Oligarchie
und Korruption; das ist unsere Zukunft. – Das war die
Botschaft des Maidan.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dass diese Länder mit den Assoziierungsabkommen
mit der EU vor ein Entweder-oder gestellt worden seien,
ist ein Mythos. Das ist einfach falsch. Diese Abkommen,
die Freihandelsabkommen sind, haben es ermöglicht,
weitere Freihandelsabkommen – auch die bestehenden
mit Russland – weiter aufrechtzuerhalten. Umgekehrt
wird ein Schuh daraus: Der Plan Putins, die Zollunion in
die Eurasische Union zu verwandeln, ist eine protektio-
nistische Idee. Länder wie Moldau und die Ukraine hät-
ten neue Zölle einführen müssen. Sie hätten sich also aus
dem Trend, Zölle abzubauen und damit einen großen
Handelsraum zu schaffen, ausklinken müssen.

Es ist einfach ein Drama, dass die Idee von
Medwedew, einen Handelsraum von Lissabon bis Wla-
diwostok zu schaffen, mit dieser protektionistischen
Politik vonseiten des Kremls zerstört worden ist. Sie ist
nicht durch die EU-Assoziierungsabkommen zerstört
worden und wird auch nicht durch sie zerstört.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde, es ist sehr wichtig, dass wir diese Länder
nicht nur mit Entschiedenheit auf dem schwierigen Weg
begleiten. Wir wissen durch Griechenland – und in Grie-
chenland herrscht kein Krieg –, wie zäh und langwierig
der Aufbau von rechtsstaatlichen Institutionen ist, wie
schwierig es ist, eine vernünftige und belastbare Steuer-
verwaltung sowie ein Gerichtswesen aufzubauen. Und
das ist ein EU-Staat! Insofern ist vollkommen klar, dass
wir uns auch den Zeithorizont klarmachen sollten, wenn
wir derzeit danach fragen, wie weit die Ukrainer jetzt
sind. Der Weg ist sehr lang.

Die Menschen dort sind bereit, diesen Weg zu gehen,
weil sie – Kollege Grund hat das eben erwähnt – an
Polen sehen, dass Demokratie und Prosperität tatsäch-
lich zusammengehören. An Polen kann man sehen, dass
gutes Leben für die Menschen entsteht, wenn es Demo-
kratie gibt, und dass es nicht entsteht, wenn Oligarchen
und korrupte Staatsinstitutionen die Bevölkerung aus-
nehmen können. Insofern wissen die Menschen, dass
schwierige Transformationszeiten vor ihnen liegen, aber
sie wollen sie.

Die Oligarchen in der Ukraine werden derzeit vor al-
len Dingen durch den Krieg geschützt. Der Krieg gibt ih-
nen die Möglichkeit, ihre Macht aufrechtzuerhalten. Das
sieht man in Dnipropetrowsk. Insofern führen die Ursa-
chen für Transformationshindernisse derzeit zur aggres-
siven Politik Russlands. Das sollten wir hier ganz deut-
lich sagen. Es ist nicht ehrlich, wenn man nur beklagt,
dass die Oligarchen nicht bereit sind, ihre Macht abzuge-
ben, oder nicht ausreichend bekämpft würden.

Die Teilung Europas durch die Konferenz von Jalta
ist 1990 nicht endgültig überwunden worden, sondern
nur in Teilen, und jetzt kommt der nächste Schritt. Die
nächsten souveränen Staaten klopfen an die Tür der Eu-
ropäischen Union. Wir sollten diese Tür weit offenhalten
und sie einladen, dazuzukommen, wenn die Vorausset-





Marieluise Beck (Bremen)



(A) (C)



(D)(B)

zungen erfüllt sind. Das ist noch ein langer Weg, und ich
sage auch – das ist auch vom Staatsminister betont wor-
den –: Wir wünschen uns, dass Russland auf diesem
Weg dabei ist.

Schönen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808010400

Wir kommen jetzt zum nächsten Redner, Karl-Georg

Wellmann von der CDU/CSU.


Karl-Georg Wellmann (CDU):
Rede ID: ID1808010500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Genosse

Gehrcke,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der LINKEN)


das Volk der Ukraine hat sich für den europäischen Weg
entschieden, und zwar in zwei freien und unabhängigen
Wahlen. Die Menschen dort haben entschieden, dass sie
Teil der europäischen Familie sein wollen. Sie haben
sich übrigens vorbildlich verhalten und den Radikalen
trotz des Krieges und der Wirtschaftskrise keine Chance
gelassen. Das hätte ich mir an der einen oder anderen
Stelle sowohl in den deutschen Bundesländern als auch
in Frankreich gewünscht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die europäische Nachkriegsordnung unter Ein-
schluss des gesamten europäischen Regelwerks gibt je-
dem Staat das Recht, Herr Gehrcke, über sein Schicksal
und seine Zugehörigkeit auch zu überstaatlichen Organi-
sationen selbst zu entscheiden. Niemand – auch kein
Nachbarstaat; egal wie groß er ist –, hat ein Vetorecht,
und das gilt auch für Russland. Russlands Denken in
Einflusszonen lehnen wir ab.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Franz Thönnes [SPD])


Die Ukraine hat ein verbrieftes Recht auf Selbstbe-
stimmung, und dieses Recht hat sie wahrgenommen, in-
dem sie das Assoziierungsabkommen unterschrieben
hat. Der Versuch der Einflussnahme Russlands auf den
Gang der Dinge, die militärische Aggression, werden
wir nicht akzeptieren. Solange diese militärische Aggres-
sion fortdauert, gibt es auch keine Möglichkeit, die
Sanktionen aufzuheben. Wenn wir diese völkerrechtli-
chen Prinzipien ernst nehmen, dann müssen wir in der
Tat alles tun, um die Ukraine politisch und ökonomisch
zu stabilisieren. Das heißt, wir müssen dem Land auf
dem Weg nach Europa intensiv helfen.

Wir dürfen die alten Fehler nicht wiederholen. Sie ha-
ben als Beispiel Polen angesprochen, Frau Beck. Die
Ukraine muss eine klare europäische Perspektive haben.
Andreas Schockenhoff hat es an dieser Stelle gesagt:
Wenn denn eines Tages, wann immer das sein wird, die
Voraussetzungen erfüllt sind, muss die Ukraine die
Chance haben, Mitglied der Europäischen Union zu wer-
den. Wir haben es bei Polen erlebt: Als es in den 90er-
Jahren zum Abschluss eines Assoziierungsabkommens
kam, haben wir uns geweigert, Polen eine europäische
Perspektive zu geben. Polen ist dann Mitglied in der EU
geworden und ist geradezu ein Musterknabe unter den
Beitrittsländern und eine große Bereicherung für Eu-
ropa.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Ukraine hat übrigens – das müssen wir all denen
sagen, die Angst vor einem Fass ohne Boden haben – ein
großes Potenzial. Ukrainische Unternehmen und Inge-
nieure können Dinge, die wir nicht können. Was ihnen
fehlt, ist westliches Know-how und westliches Kapital.
Aber wenn dies dazukommt, kann und wird die Ukraine
ein großer Gewinn für Europa sein. Wir müssen uns des-
halb in der Ukraine nachhaltig engagieren. Wir dürfen
den EU-Enthusiasmus der Maidan-Bewegung, der Zivil-
gesellschaft, nicht enttäuschen.

Wir müssen leider feststellen: Ein Jahr nach den Pro-
testen auf dem Maidan geht es den Menschen dort nicht
besser, sondern schlechter. Sie stellen die Frage: Wann
geht es uns besser? Wir haben doch die Assoziierungs-
verträge schon vor fast einem Jahr unterschrieben. –
Wenn wir das Vertrauen der Menschen in der Ukraine
nicht verspielen wollen, dann müssen wir schnell etwas
machen und müssen schnell zeigen, welche Vorteile Eu-
ropa für sie hat.

Wir dürfen, wenn wir das Vertrauen der Maidan-Be-
wegung nicht enttäuschen wollen, keine Buchhalterdis-
kussionen führen. Den Enthusiasmus der Menschen für
die europäischen Werte dürfen wir nicht enttäuschen.
Aber es muss ebenso klar gesagt werden, dass wir keine
Kompromisse machen, wenn es um die notwendigen Re-
formen geht. Wir verkennen nicht die Schwierigkeiten:
Rezession und Krieg im Osten des Landes. Wir müssen
auch sagen, dass wir mit den bisherigen Reformen seit
dem Amtsantritt der Übergangsregierung noch nicht zu-
frieden sein können.

Die Ukraine wird sich politisch und ökonomisch nur
stabilisieren, wenn es zu einem umfassenden Wandel
kommt. Die Ukraine braucht so etwas wie einen Mar-
shallplan; das ist inzwischen eine Binsenweisheit. Aber
das setzt nicht mehr und nicht weniger als eine funda-
mentale Neugestaltung des Verfassungssystems, der Jus-
tiz und der Finanzverfassung voraus. Nur wenn sich die
Ukraine zu einer rechtsstaatlichen Demokratie nach eu-
ropäischem Vorbild transformiert, wird eine solche Hilfe
möglich sein.

Die westliche Staatengemeinschaft und vor allem wir
Deutsche müssen sehr viel mehr Engagement und auch
Fantasie entwickeln, wie wir die Ukraine voranbringen
können. Dazu gehört eine sehr fundierte Beratung und
Unterstützung bei den wichtigsten Themen: bei der Ver-
fassungs- und Justizreform, der Finanz- und Steuer-
verfassung, den nötigen Wirtschaftsreformen und den





Karl-Georg Wellmann


(A) (C)



(D)(B)

großen Reformen im Bereich von Polizei und Staatsan-
waltschaft.

Leider kann sich die Ukraine jetzt keinen mehrjähri-
gen Verfassungsdiskurs leisten. Sie hat alles, aber keine
Zeit. Deshalb muss es schnell gehen. Wir alle sind auf-
gefordert, möglichst viele pensionierte Landräte, Ober-
stadtdirektoren, Bürgermeister, Gerichtspräsidenten und
Finanzamtsvorsteher in unseren Wahlkreisen zu motivie-
ren, für eine Weile in die Ukraine zu gehen und dort
beim Aufbau zu helfen.

Wenn wir all das jetzt versäumen sollten, dann wer-
den wir in Europa am Ende sehr viel mehr als nur die
Ukraine verlieren.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808010600

Als nächster Redner spricht Franz Thönnes, SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1808010700

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Staatsminister Roth hat die Rahmenbedingungen, unter
denen wir heute die drei Assoziierungsabkommen bera-
ten, treffend und umfassend beschrieben. Man muss aber
auch sagen: Nicht zuletzt, weil auch die internationale
Lage so schwierig ist, verdienen die ständigen Bemü-
hungen von Außenminister Steinmeier und Bundeskanz-
lerin Merkel unsere vollste Unterstützung, damit es so
schnell wie möglich wieder zu einem Treffen kommt,
um einen erneuten Versuch zu unternehmen, Frieden in
diese Region zu bringen und den Konflikt friedlich zu
lösen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Auch wenn die Rahmenbedingungen so sind, wie sie
von meinen Vorrednern beschrieben worden sind, ist
heute ein Tag der Freude; denn wir haben heute ein
wichtiges Etappenziel in der Östlichen Partnerschaft zu
beraten. Mit dem Abschluss der Assoziierungsabkom-
men vom 27. Juni 2014 mit der EU ist ein ganz wichti-
ger Schritt vollbracht worden, und heute wollen wir ei-
nen nächsten Schritt gehen.

Es war ein großer historischer Moment, als am
16. September 2014 das Europäische Parlament auf der
einen Seite und die Werchowna Rada auf der anderen
Seite in Kiew, per Video miteinander verbunden, zeit-
gleich dem Vertragswerk zugestimmt haben, einem Ver-
tragswerk, dem die zentrale Idee von Rechtsstaatlichkeit,
Wohlstand, dem Wegfall der Visapflicht, von Sicherheit,
Demokratie und der Mitgliedschaft im demokratischen
Haus zugrunde liegt. Deswegen freuen wir uns, dass wir
jetzt an diesem Punkt sind.
Aber gleichzeitig muss uns klar sein: Wir stehen vor
großen Herausforderungen, die teilweise schon skizziert
worden sind. Zum Vertragen gehört auch Verantwortung,
und zur Verantwortung gehört, auszusprechen, dass so-
wohl die EU als auch die Ukraine vor einem großen Auf-
gabenfeld stehen.

Wenn von sechs Ländern, mit denen man den Prozess
der Östlichen Partnerschaft begonnen hat, am Ende mit
dreien ein Assoziierungsabkommen geschlossen werden
kann, müssen wir uns auch selbstkritisch fragen, warum
das nicht mit allen gelungen ist. Wir kennen die Druck-
mechanismen, aber wir wissen auch um die Befindlich-
keiten in den Ländern. Letzten Endes gilt ihr Selbstbe-
stimmungsrecht.

Zudem darf man die Frage stellen, ob immer alles
richtig eingeschätzt und bewertet worden ist. Hat man
beispielsweise berücksichtigt, dass 36 Prozent der
Exporte der Ukraine in die Mitgliedstaaten der Zoll-
union, 24 Prozent nach Russland und 30 Prozent nach
Europa gehen?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Hat man berücksichtigt, dass ein Drittel der Exporte Ge-
orgiens nach Russland gehen? Hat man berücksichtigt,
dass 500 000 bis 700 000 Gastarbeiter aus Moldawien in
Russland sind? War es nicht doch ein Fehler – und ich
bleibe dabei, weil auch Bundeskanzlerin Merkel das
mittlerweile unterstützt –, dass EU-Kommissionspräsi-
dent Barroso gesagt hat: „Die Ukraine muss sich ent-
scheiden, entweder oder“?


(Zuruf von der CDU/CSU: Richtig! – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist aber faktisch falsch!)


Das war keine gute Situation.

Bei dem ausgesetzten Teil des Freihandelsabkom-
mens geht es jetzt darum, dass Russland liefern muss,
wenn es um die Kriterien geht und darum, welche Be-
schwernisse aus russischer Sicht bestehen, wenn es um-
gesetzt wird. Seit dem 12. September 2014 hat es leider
keine weiteren Zusammenkünfte gegeben.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808010800

Herr Thönnes, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Sarrazin?


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1808010900

Ja, selbstverständlich.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808011000

Vielen Dank. – Herr Kollege Thönnes, ich stimme Ih-

nen zu, was den Eindruck betrifft, die Ukraine müsse
sich im Hinblick auf eine gute wirtschaftliche und politi-
sche Zusammenarbeit, aber vor allem auch in der Han-
delszusammenarbeit zwischen der Europäischen Union
und den Staaten der Zollunion, mit denen sie bilaterale
Freihandelsabkommen hat, entscheiden. Ich lege aber
Wert darauf, dass nach meinem Verständnis Herr
Barroso zwar damals gesagt hat, die Ukraine müsse sich
entscheiden und wissen, dass sie für den Fall, dass sie





Manuel Sarrazin


(A) (C)



(D)(B)

der Zollunion beitritt, nicht mehr mit einem Freihandel
mit der Europäischen Union rechnen könne, weil die
Vorgaben der Zollunion weder WTO-tauglich sind noch
mit den Freihandelsbestimmungen der Europäischen
Union übereinstimmen, dass dies aber nach den Aussa-
gen von Barroso nicht für den Status quo galt. Das heißt,
dass die bisherigen Freihandelsabkommen der Ukraine
mit den Staaten der Zollunion weiterhin in Kraft bleiben
können. Dieser Unterschied ist relativ wichtig. Denn nie-
mand, weder in der Ukraine noch in der Europäischen
Union, möchte diesen Pfad der Ukraine, die seit 1991 die
Strategie verfolgt hat, mit allen Nachbarn gute Handels-
beziehungen zu haben, also mit Russland, Weißrussland,
der Europäischen Union, aber auch mit Georgien und
Moldau, die übrigens auch nicht gerade irrelevant sind,
ändern. Stimmen Sie dem zu?


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1808011100

Herr Kollege Sarrazin, ich glaube, dass an dieser

Stelle dennoch der Eindruck vermittelt worden ist, als
müsste man sich langfristig für das eine oder das andere
entscheiden. Es wäre hilfreicher gewesen, gemeinsam
danach zu suchen, wie ein solcher Eindruck verhindert
werden kann, und im Hinblick auf eine ökonomische Tä-
tigkeit mit der Europäischen Union und der Eurasischen
Union auszuloten, inwieweit es Kooperationsmöglich-
keiten gibt. Das war zum damaligen Zeitpunkt nicht ge-
geben. Dass eine solche Situation entstanden ist, die uns
bis heute verfolgt, war nicht gut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD, der CDU/ CSU und der LINKEN)


Sonst würde man jetzt nicht einen Teil des Abkommens
aussetzen. Das hätte man wesentlich früher anfangen
können. Dann hätten wir uns das jetzt sparen können.
Das ist sozusagen auch das Eingeständnis dafür.

Ich möchte darauf hinweisen, dass die tiefe wirt-
schaftliche Kluft nicht so schnell überwunden sein wird
und dass, wie Kollege Wellmann schon gesagt hat, so et-
was wie ein Marshallplan notwendig ist. Der Chefana-
lyst für Osteuropa der Raiffeisen Bank International in
Wien schätzt den Bedarf an privatwirtschaftlichen und
öffentlichen Investitionen auf 200 Milliarden US-Dollar.
Ich glaube, er liegt mit seiner Expertise nicht daneben.
Das heißt, angesichts des Hintergrundes, vor dem die
politisch Verantwortlichen in Kiew nun arbeiten müssen,
wird es darauf ankommen – Staatsminister Roth hat da-
rauf hingewiesen, dass es auch Verlierer geben wird –,
bei diesem Prozess einen gesellschaftlichen Zusammen-
halt in der Ukraine zu organisieren. Als Ministerpräsi-
dent Jazenjuk in der letzten Woche über Reformen
sprach, sprach er auch vom Kampf gegen Korruption,
vom Abbau sozialer Leistungen, von Entlassungen im
öffentlichen Dienst beschäftigter Menschen sowie von
der Reduzierung von Einkommen und von Preiserhö-
hungen. Das alles sind keine guten Botschaften.

Es muss daher ein sozialer Dialog erfolgen, in den
Gewerkschaften, Unternehmen und die Zivilgesell-
schaft eingebunden sind, um die schwierigen Folgen der
Umgestaltung abzumildern und dazu beizutragen, dass
der Prozess in gute Bahnen mündet. Dabei könnten un-
sere Erfahrungen mit den Transformationsprozessen in
der Eisen- und Stahlindustrie, der Kohleindustrie und bei
der deutschen Einheit hilfreich sein. Der Prozess wird
nur dann gelingen, wenn auch der soziale Zusammenhalt
in der Ukraine gewahrt wird.


(Beifall bei der SPD)


Ich will hinzufügen, dass es auch notwendig ist, offen
darüber zu reden, dass wahrscheinlich die aktuellen öko-
nomischen Machthabenden gar kein Interesse an einer
nachhaltigen Modernisierung des Landes haben, sondern
nur am Erhalt der eigenen Machtressourcen interessiert
sind. Deswegen wird es wichtig sein, das Oligarchentum
infrage zu stellen und die Verteilung wirtschaftlicher
Macht neu zu regeln. Es ist wichtig, an dem anzusetzen,
was sich auf dem Maidan entwickelt hat, also die NGOs
zu stärken und zu fördern sowie eine Verzahnung mit der
Zivilgesellschaft in Europa und insbesondere in der Bun-
desrepublik Deutschland zu organisieren. Schließlich
geht es darum, den Prozess, der nun stattfindet, in einem
Monitoring zu überwachen und zu begleiten.

Notwendig ist ebenfalls, Schluss mit der Verquickung
von wirtschaftlichen und politischen Eliten zu machen.
Die EU muss dabei helfen, dass die reformorientierten
Kräfte in der Ukraine lokal, regional und national an
neuer Stärke gewinnen. Schließlich geht es darum
– auch deswegen ist dieses Assoziierungsabkommen so
wichtig –, dass man sich kritisch mit den Menschen-
rechtsverletzungen durch die Freiwilligenbataillone aus-
einandersetzt. Insbesondere die Minderheitenrechte in
der Ukraine sind deutlich zu wahren, wenn es um Spra-
che und Kultur geht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Ich will abschließend noch auf zwei, drei Punkte hin-
weisen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808011200

Nein, Herr Kollege, ich muss Sie leider ermahnen,

zum Schluss zu kommen.


Franz Thönnes (SPD):
Rede ID: ID1808011300

Dann komme ich zum Schluss.

Wir haben bislang über die inneren Verhältnisse in der
EU und der Ukraine geredet. Es wird notwendig sein,
auch außenpolitisch ein Umfeld zu entwickeln, das eine
friedliche Entwicklung in Europa gewährleistet; denn
nur dann wird der Prozess der Transformation, der Asso-
ziierung und des Weges nach Europa auch für die
Ukraine friedlich verlaufen. Das bedeutet, die russische
Perspektive zu berücksichtigen; denn die Landkarte ist
nun einmal so, wie sie ist. Frieden in Europa wird sich
nur mit Russland und nicht gegen Russland organisieren
lassen. Russland muss aber wissen: Frieden in Europa
und seine eigene Sicherheit werden nur gemeinsam mit
Europa organisiert werden können. Dazu gehört neues
Vertrauen, das durch nachweislich friedliches Handeln
untermauert werden muss.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)







(A) (C)



(D)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808011400

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Dr. Bernd

Fabritius von der CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1808011500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Alle drei Abkommen formulieren dieselben Ziele. Durch
diese sollen Wertevorstellungen der Europäischen Union
in Bezug auf Menschenrechte, Demokratie und Rechts-
staatlichkeit gefördert und Handelsbeziehungen liberali-
siert und ausgeweitet werden. Ja, so gesehen, Frau Kol-
legin Beck, ist das eine Ausweitung der Interessen- und
der Wertegemeinschaft. Diese Ziele liegen in unserem
Interesse und auch im Interesse der ukrainischen, der
moldauischen und der georgischen Bürgerinnen und
Bürger, Herr Kollege Gehrcke.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das bezweifle ich!)


Bei den Wahlen im Oktober hat die ukrainische Be-
völkerung den proeuropäischen Kurs klar bestätigt. Bei
den Wahlen im November hat die moldauische Bevölke-
rung den proeuropäischen Kurs ebenfalls klar bestätigt.
Auch die Ergebnisse der Kommunalwahlen im Sommer
in Georgien bestätigen diesen Kurs. Viel deutlicher geht
es nicht, Herr Kollege Gehrcke. Die Abkommen sind
seitens der EU die verbindliche Zusage, den europäi-
schen Weg dieser drei Länder gemeinsam mit ihnen zu
beschreiten und sich auch in Krisenzeiten solidarisch zu
zeigen. Vor diesem Hintergrund war die Bewilligung
weiterer EU-Kredite in der vergangenen Woche selbst-
verständlich richtig.

Die Assoziierungsabkommen beinhalten auch eine
verbindliche Zusage seitens der Ukraine, der Moldau
und Georgiens als Antwort auf eine ganz klare Hand-
lungsaufforderung. Mit den Unterschriften unter die Ab-
kommen erklärten die Unterzeichner ihre Absicht zu
mehr Rechtsstaatlichkeit, zur Korruptionsbekämpfung
und zu Reformen im Justiz- und Verwaltungssektor. Mit
den Abkommen geht auch die Aufforderung einher, die
Gesellschaften dieser Länder näher an die europäische
Wertegemeinschaft heranzuführen. Es wurde zutreffend
festgestellt – auch ich denke das –: Das macht Russland
Sorgen. Allerdings erst dann, wenn diese Annäherung
erfolgreich gelungen ist, können wir irgendwann auch
über einen Beitritt sprechen; einen Automatismus dafür
gibt es nicht.

Die Republik Moldau spricht schon von einem Bei-
trittsantrag noch vor Jahresende. Die Ukraine hat als Ziel
dafür das Jahr 2020 angegeben. Auch das halte ich für
viel zu früh. Aber wir kommen damit der Sache etwas
näher. Momentan gehen die Reformbemühungen in der
Ukraine und in der Republik Moldau viel zu zögerlich
voran. Es stimmt natürlich: Die Parlamentswahlen haben
in der Republik Moldau und in der Ukraine für eine
kurze Zeit des politischen Leerlaufs gesorgt. Das erklärt
aber mitnichten, wieso zum Beispiel in der Ukraine die
Schaffung einer Antikorruptionsbehörde seit Monaten
verschleppt wird. Die chronischen Probleme im Men-
schenrechtsschutz bestehen fort; auch darauf wurde hin-
gewiesen. Kinderobdachlosigkeit, Menschenhandel,
häusliche Gewalt, Homophobie und die Diskriminierung
von Roma gehören weiterhin zum Alltag. Das alles sind
natürlich Probleme, die man nicht über Nacht lösen
kann. Allein, ich sehe noch nicht einmal den Willen,
diese Probleme zügig anzupacken.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist falsch! 1 Million aktive Bürger!)


Ende November konnte ich mir von der Lage in der
Republik Moldau als Wahlbeobachter bei den Parla-
mentswahlen ein eigenes Bild machen. Der Ausschluss
einer chancenreichen Partei, unabhängig davon, wie man
zu deren Inhalten steht, nur zwei Tage vor den Wahlen,
sodass ein rechtsstaatliches Prüfungsverfahren dieses
Ausschlusses lächerlich schien, war sicherlich kein
Lehrstück demokratischen Verständnisses.


(Zurufe von der LINKEN: Sehr richtig!)


Einzig Georgien legt ein einigermaßen zufriedenstel-
lendes Reformtempo vor. Korruptionsvorwürfen wird
dort wirksam nachgegangen. Die OSZE bestätigt deutli-
che Fortschritte im Bereich der Rechtsstaatlichkeit. Las-
sen Sie mich Folgendes erwähnen: Wenn vor kurzem
Verteidigungs-, Außen- und Europaminister mit viel
Brimborium zurückgetreten sind, so liegt bei näherer
Betrachtung der Hintergründe darin keinesfalls ein
Rückschritt des Landes auf dem Weg in die richtige
Richtung.

Die beiden anderen Partner sollten sich daran ein Bei-
spiel nehmen. Der ukrainische Ministerpräsident warb in
der vergangenen Woche bei seinem Besuch hier in
Deutschland um mehr Investitionen in sein Land. Da
sich jedoch mangelnde Rechtsstaatlichkeit und Korrup-
tion abschreckend auf Investoren auswirken, wird dieses
Werben vermutlich ungehört verhallen, und das ist sehr
bedauerlich. Ähnlich verhält es sich mit der Republik
Moldau, die bei ausländischen Direktinvestitionen tradi-
tionell Schlusslicht in Europa ist. Auch hier ist man-
gelnde Korruptionsbekämpfung mit schuld an diesem
Zustand.

Ich bin deutlich für diese Abkommen. Fest steht aber:
Unsere neuen Assoziierungspartner, besonders Kiew
und Chisinau, müssen jetzt liefern – in ihrem eigenen In-
teresse und im Interesse einer erfolgreichen Assoziie-
rung.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808011600

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die De-

batte.

Interfraktionell wird Überweisung der Gesetzent-
würfe auf den Drucksachen 18/3693 (neu), 18/3694 und
18/3695 an die in der Tagesordnung aufgeführten Aus-
schüsse vorgeschlagen. Gibt es anderweitige Vor-

(B)






Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

schläge? – Das ist nicht der Fall. Dann sind die Überwei-
sungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Ab-
kommen vom 15. Mai 2014 zwischen der Re-
gierung der Bundesrepublik Deutschland und
der Regierung der Republik Polen über die
Zusammenarbeit der Polizei-, Grenz- und
Zollbehörden

Drucksache 18/3696
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Auch hier sind nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung für die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Dazu
gibt es keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als erster Redner hat der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Günter Krings das
Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


D
Dr. Günter Krings (CDU):
Rede ID: ID1808011700


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die heutige Debatte hat eine Vorgeschichte von
etwas über vier Jahren und ist dennoch, wie ich finde,
hochaktuell. Im Oktober 2010 trafen sich Thomas de
Maizière in seiner ersten Amtszeit als Bundesinnen-
minister und sein damaliger polnischer Amtskollege
Jerzy Miller an der deutsch-polnischen Grenze bei Gör-
litz auf polnischer Seite. Sie vereinbarten, den derzeit
geltenden bilateralen Polizeivertrag aus dem Jahr 2002
fortzuentwickeln.

Am 15. Mai des letzten Jahres haben am selben Ort
Minister de Maizière und sein nunmehriger polnischer
Amtskollege Sienkiewicz den neuen deutsch-polnischen
Polizeivertrag unterzeichnet. Es gab und gibt zwei we-
sentliche Gründe für die Neuverhandlung des bilateralen
Polizeivertrages:

Zum einen gab es und gibt es eine rechtliche Notwen-
digkeit. Polen ist seit dem 1. Mai 2004 Mitglied der Eu-
ropäischen Union, und aufgrund der seit Dezember 2007
geltenden Schengen-Regelungen war es erforderlich ge-
worden, das Abkommen von 2002 an den für beide Län-
der gleichermaßen geltenden europäischen Rechtsrah-
men anzupassen.

Zum anderen gab es den beiderseitigen Wunsch, die
grenzüberschreitende polizeiliche Zusammenarbeit auch
jenseits rechtlich zwingender Notwendigkeiten in der
Sache weiter zu verbessern. Die Ziele waren also nicht
nur die rechtlich notwendige Anpassung, sondern auch
die Schaffung erweiterter Handlungsmöglichkeiten für
die Polizei und den Zoll, um die Bevölkerung besser vor
grenzüberschreitender Kriminalität zu schützen – wie
ich meine, ein sehr wichtiges und richtiges Ziel.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir können heute sagen: Das ist uns mit dem neuen
Abkommen auch gelungen. So können in Zukunft ge-
meinsame Streifen paritätisch im Format eins zu eins be-
setzt werden. Dabei wird den Beamten aus Polen und
Deutschland die Möglichkeit eingeräumt, in dem jeweils
anderen Land auch hoheitliche Aufgaben auszuüben –
ein wichtiger Schritt. Die Beamten aus dem jeweiligen
Nachbarstaat unterstehen dabei immer der Leitung eines
Beamten des Gebietsstaates.

Ermöglicht wird ebenfalls die Unterstellung von Be-
amten, das heißt die Aufnahme in einen Polizeiverband
des Nachbarstaates. Auch das ist ein Vorgang, den wir
heute vielleicht für selbstverständlich erachten, der aber
vor 10 oder 20 Jahren im Verhältnis zu fast allen Nach-
barstaaten noch unerhört gewesen wäre. Dies ist insbe-
sondere im Falle der Unterstützung bei Großereignissen
relevant.

Zudem werden die Möglichkeiten der Zusammenar-
beit auch zu präventiven Zwecken erweitert. So sind
künftig Grenzübertritte zur Abwehr einer gegenwärtigen
Gefahr für Leib oder Leben und grenzüberschreitende
Observationen auch zu präventiven Zwecken möglich.

Schließlich wird der Zoll stärker als bisher in das
neue Abkommen einbezogen. Die Zollbehörden werden
zum Beispiel im Rahmen der Verfolgung von Zoll- und
Verbrauchsteuerstraftaten zusammenarbeiten können,
um insbesondere den leider sehr stark verbreiteten Ziga-
rettenschmuggel besser bekämpfen zu können. Das ist
natürlich nur ein Beispiel von vielen Anwendungsberei-
chen auf dem Gebiet des Zolls.

Meine Damen und Herren, die erweiterten Hand-
lungsmöglichkeiten für Polizei und Zoll sind angesichts
der bestehenden Herausforderungen, insbesondere in
den Grenzregionen, unbedingt erforderlich. Ein Blick in
die Statistik zeigt zwar, dass der mit der Aufhebung der
Grenzkontrollen im Dezember 2007 befürchtete Anstieg
der Gesamtkriminalität weitgehend ausgeblieben ist; je-
denfalls waren die Befürchtungen damals größer als die
tatsächliche Entwicklung, was nicht heißen soll, dass die
tatsächliche Entwicklung nicht schon besorgniserregend
genug ist. Polen ist inzwischen selbst eher zu einem
Transitland für andere östliche Staaten und dorther rüh-
rende Kriminalität.

Dennoch: Die Kriminalität in der Grenzregion bleibt
eine große Herausforderung, der wir uns natürlich stel-
len müssen. Vor allen Dingen die Kfz-Kriminalität,
Wohnungseinbruchsdiebstähle sowie die Diebstähle auf
Baustellen, etwa von höher- und hochwertigen Arbeits-
mitteln, sind in der Grenzregion zu Polen in den letzten
Jahren problematisch gewesen.

Fest steht, dass Wohnungseinbruchsdiebstähle in
Deutschland insgesamt weiter zunehmen. 2008 haben
wir 108 284 Fälle registriert, 2013 bereits 149 500. Na-
türlich gibt es bei diesen Deliktzahlen teilweise erhebli-
che regionale Unterschiede, gerade in Brandenburg und
Sachsen ist in den vergangenen fünf Jahren ein deutli-
cher Anstieg zu beobachten. Grund hierfür ist auch eine





Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings


(A) (C)



(D)(B)

neue Art der Tatausführung durch inzwischen internatio-
nal vernetzte und sehr mobile Intensivtäter.

Wir wissen alle, dass wir hier nicht nur über die Pro-
bleme des materiellen Verlusts sprechen. Wir haben an
dieser Stelle schon einige Debatten zum Thema Woh-
nungseinbruchsdiebstähle geführt. Es ist für viele vor al-
lem eine psychische Belastung, wenn sie erleben, dass in
ihre Privatsphäre im wahrsten Sinne des Wortes einge-
drungen wird. Es ist deshalb ein Phänomenbereich, der
von uns wirklich sehr ernst genommen werden muss; das
geht über den eigentlichen ökonomischen Schaden hi-
naus, meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Vor diesem Hintergrund hat die Frühjahrsinnenminis-
terkonferenz 2014 verstärkte Maßnahmen zur Bekämp-
fung des Wohnungseinbruchsdiebstahls beschlossen. So
werden wir zum Beispiel den länder- und staatenüber-
greifenden Informationsaustausch sowie die Lageerhe-
bung und Analyse verstärken, um somit die Grundlage
für die Einrichtung grenzüberschreitender Ermittlungs-
kommissionen zu schaffen.

Eine weitere Herausforderung stellt die voranschrei-
tende Ausbreitung von kristallinem Methamphetamin
– umgangssprachlich auch Crystal oder Crystal Meth ge-
nannt – dar. Mit 3 847 Sicherstellungsfällen – 10 Prozent
mehr im Vergleich zum Vorjahr – und einer Gesamt-
menge von 77 Kilogramm wurden 2013 bundesweit er-
neut Höchstwerte bei Crystal Meth registriert. Beunruhi-
gend bei den Sicherstellungen sind vor allen Dingen die
hohen jährlichen Zuwachsraten.

Es handelt sich zwar – das zu betonen, ist wichtig –
nach wie vor hauptsächlich um ein Problem im deutsch-
tschechischen Grenzgebiet. Als Grundstoff für die Her-
stellung dient allerdings nahezu ausnahmslos das in
Polen derzeit noch in frei verfügbaren Erkältungsmitteln
enthaltene Pseudoephedrin. Wir hoffen darauf, dass in
Polen bald die erforderliche Gesetzesänderung zur Be-
schränkung der Abgabe ephedrinhaltiger Medikamente
beschlossen wird. Das wäre ein wichtiger Schritt zur Be-
kämpfung dieser furchtbaren Droge, meine sehr verehr-
ten Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Mit den erweiterten Handlungsmöglichkeiten für
Polizei und Zoll, die Gegenstand des neuen Abkommens
sind, werden wir mehr Sicherheit für die Bürger, insbe-
sondere in den Grenzregionen, erreichen. Die Bekämp-
fung der Kriminalität in den Grenzregionen – wie natür-
lich die Kriminalitätsbekämpfung allgemein – liegt in
Deutschland selbstverständlich grundsätzlich in der Zu-
ständigkeit der Länder. Daher haben die Länder den Weg
zu diesem neuen Abkommen nicht nur eng mitverfolgt,
sondern aktiv und intensiv mitgestaltet. Es ist deshalb
gerade auch den Ländern ein besonderes Anliegen, dass
das neue Abkommen möglichst zügig in Kraft tritt, und
dies ist selbstverständlich auch im Interesse der Bundes-
regierung.

Auf polnischer Seite – insofern gibt es da jetzt eine
gewisse Anreizwirkung – hat das Parlament dem Ab-
kommen bereits zugestimmt. Der polnische Präsident
hat am vorletzten Tag des letzten Jahres das Vertrags-
werk bereits unterzeichnet. Aus Sicht der Bundesregie-
rung wäre es wünschenswert, wenn auch in Deutschland
das innerstaatliche Verfahren weiterhin so zügig voran-
getrieben werden könnte.

Meine Damen und Herren, die grenzüberschreitende
Zusammenarbeit von Polizei und Sicherheitsbehörden
ist in unserer Zeit wichtiger und dringender denn je. Das
gilt für die eben genannten Deliktsbereiche, die wir zum
Teil, wie ich finde, fast irreführend als Alltagskriminali-
tät bezeichnen; das sollte eigentlich nicht alltäglich sein.
Aber natürlich gilt das auch in besonderer Weise für die
Bekämpfung schwerster Kriminalität und die Bekämp-
fung des international agierenden Terrorismus.

Nicht nur die furchtbaren Vorfälle in der vergangenen
Woche in Paris, sondern auch der Anschlag in Brüssel
im vergangenen Jahr haben gezeigt, dass Gefahrenab-
wehr wie Tataufklärung nicht mehr rein national erfol-
gen können. Auch wenn der deutsch-polnische Grenz-
raum sicherlich nicht den Schwerpunkt von Aktivitäten
terroristischer oder gar islamistischer Gruppen bildet, so
schließen wir mit dem hier heute zu behandelnden Ver-
trag doch ein weiteres wichtiges Glied in der Kette der
polizeilichen Zusammenarbeit in Europa. Aus diesem
Grunde bitte ich Sie sehr herzlich, dafür zu sorgen, dass
wir diesen Vertrag möglichst zügig in geltendes deut-
sches Recht überführen können.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808011800

Vielen Dank. – Als nächste Rednerin hat Ulla Jelpke

von der Linken das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1808011900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die

Linke hat überhaupt nichts dagegen, die Sicherheit der
Bürgerinnen und Bürger in den Grenzregionen zu verbes-
sern. Das gibt das Bundesinnenministerium ja als Ziel des
neuen deutsch-polnischen Polizeiabkommens an. Wir ha-
ben auch nichts dagegen, wenn die Polizisten aus Frank-
furt/Oder enger mit den Kollegen aus dem benachbarten
Slubice zusammenarbeiten. Aber ich werde doch sehr
stutzig, wenn ich im Vertragstext lese – Zitat –:

Grenzgebiete im Sinne dieses Abkommens sind
… die Länder Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-
Vorpommern und der Freistaat Sachsen.

Herr Staatssekretär, haben Sie sich einmal die Landkarte
angesehen? Schwerin, Potsdam, Leipzig sind ein ganzes
Stück von der polnischen Grenze entfernt, und einen
polnisch-berlinischen Grenzübergang gibt es nicht.

Aber nicht nur in geografischer Hinsicht ist der Ver-
trag aus Sicht der Linken viel zu weitgehend. Zum Um-
fang der polizeilichen Zusammenarbeit gehört nach den
Plänen der Bundesregierung – dazu haben Sie nichts





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

gesagt – auch die Abwehr von Flüchtlingen. Das klingt
sehr nach Frontex, wenn es dort heißt – ich zitiere –:

Informationen über die Routen und das Ausmaß il-
legaler Migration sowie über Migrationsphäno-
mene …

sollen ausgetauscht werden. Im Vertragstext wird die
Flüchtlingsproblematik im Übrigen mit allen möglichen
Verbrechen auf eine Ebene gestellt: Diebstahl, Waffen-
schmuggel, um nur einige zu nennen. Doch Flüchtlinge
sind kein kriminalistisches und polizeiliches Problem;
sie sind eine humanitäre Herausforderung für uns alle.
Das sollten wir endlich einmal begreifen.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Der Vertrag erleichtert den Einsatz von Polizisten bei-
der Länder bei Großereignissen im jeweiligen Nachbar-
land. Nun mag es bei internationalen Fußballspielen
sinnvoll sein, ein paar sprachkundige Polizisten aus dem
Nachbarland dabeizuhaben. Das gibt es aber auch längst
ohne dieses Abkommen, über das wir heute diskutieren.
Hier werden jetzt vielmehr zusätzliche hoheitliche Be-
fugnisse eingeräumt. Das heißt, ausländische Polizisten
erhalten das gleiche Recht zum Beispiel zum Schlag-
stockeinsatz wie die inländischen. Dafür sehen wir über-
haupt keinen legitimen Bedarf. Wollen Sie polnische
Polizisten zum Beispiel zum 1. Mai nach Berlin holen,
wenn hier demonstriert wird? Warum Sie Berlin zu ei-
nem Grenzgebiet von Polen erklärt haben, müssen Sie
wirklich einmal erklären. Wir brauchen diese Art von
Verstärkung nicht und wollen sie auch nicht.

Ein weiterer, höchst kritischer Punkt ist die Einbezie-
hung des polnischen Inlandsgeheimdienstes ABW. Der
ist wie sein deutsches Pendant demokratisch weitgehend
unkontrollierbar und neigt zu Rechtsbrüchen. Im vergan-
genen Sommer hat der ABW zum Beispiel die Redak-
tion einer polnischen Zeitung gestürmt. Er wollte Daten
über Informanten beschlagnahmen, die heikle Gespräche
zwischen polnischen Spitzenpolitikern öffentlich ge-
macht hatten. Von Pressefreiheit scheint der ABW offen-
bar nicht viel zu halten.

Und dieser Geheimdienst soll nun per Vertrag das
Recht bekommen, verdeckte Ermittlungen auch in
Deutschland durchzuführen?


(Zuruf von der CDU/CSU: In unserem Interesse!)


Wir haben damit sehr schlechte Erfahrungen gemacht.
Ich will hier nur an den Fall des britischen Polizisten
Mark Kennedy erinnern, der jahrelang in der linken
Szene gespitzelt hat. Sicher, es gibt andere Phänomenbe-
reiche, bei denen im Einzelfall durchaus eine verdeckte
Ermittlung sinnvoll sein kann – aber durch die Polizei
und nicht durch die Geheimdienste. Wenn dieser Praxis
hier eine Blankovollmacht erteilt werden soll, lehnen wir
das strikt ab.


(Beifall bei der LINKEN)

Wir sehen generell nicht ein, wieso unsere Polizeibe-
hörden so eng mit dem polnischen Inlandsgeheimdienst
kooperieren sollen. Die Linke plädiert dafür, auch in die-
sem Vertrag das Gebot der Trennung von Polizei und
Geheimdiensten auf jeden Fall zu berücksichtigen.

Unterm Strich halten wir fest: Die Bundesregierung
hat bislang nicht überzeugend klargemacht, warum die-
ses Abkommen überhaupt notwendig ist. Wir können Sie
nur auffordern, mit der polnischen Seite nachzuverhan-
deln. Legen Sie dann einen Vertrag vor, der tatsächlich
den Interessen der Bevölkerungen beider Länder ent-
spricht – ohne Geheimdienste und ohne Flüchtlings-
abwehr.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808012000

Vielen Dank. – Als nächster Redner spricht Wolfgang

Gunkel von der SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Wolfgang Gunkel (SPD):
Rede ID: ID1808012100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Staats-

sekretär Dr. Krings hat ja schon recht ausführlich da-
rüber berichtet, welche inhaltlichen Veränderungen
dieser Gesetzentwurf, welcher jetzt in Form eines Ab-
kommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland
und Polen in Kraft treten soll, beinhaltet.

Ich will zunächst etwas weiter zurückschauen als auf
das Jahr 2010, als dieser Prozess begann. Ich will zu-
rückblicken auf das Jahr 2004, und zwar deshalb, weil
ich vor meiner Zeit als Abgeordneter für die Polizei-
direktion Görlitz Verantwortung getragen habe. Sie heißt
heute Görlitz, damals hieß sie Oberlausitz-Niederschle-
sien, und sie umfasst die gesamte polnische Grenze von
Bad Muskau über Görlitz bis Zittau. Polen trat 2004 der
Europäischen Union bei. Gleichzeitig damit fielen auch
die Kontrollen des Zolls direkt an der Grenze weg, was
zunächst einmal bedeutet hatte, dass eine Sicherheits-
kraft bei der Ausübung der Überwachung der Grenze
fehlte. Das ist dadurch kompensiert worden, dass die
Zöllner bewegliche Überwachungseinheiten gebildet
und innerhalb der 30-Kilometer-Zone Überprüfungen
vorgenommen haben. Es hat sich aber gezeigt, dass dies
direkt an der Grenze auch zu einigen Überwachungsver-
lusten geführt hat.

Hinzu trat drei Jahre später die Übernahme des
Schengener Vertragswerkes durch Polen, sodass die
Kontrollen der Bundespolizei, die Hand-in-Hand-Kon-
trollen, die direkt an der Grenze durchgeführt worden
sind, wegfielen. Damit wurde das möglich, was wir
heute praktizieren: Es wurde ein grenzkontrollfreier
Raum innerhalb Europas geschaffen, in dem sich jeder
frei bewegen kann. Jeder hat das begrüßt. Jeder hat ge-
sagt: Das ist hervorragend für die freiheitliche Entwick-
lung in unseren europäischen Ländern.





Wolfgang Gunkel


(A) (C)



(D)(B)

Das hat natürlich auch – Staatssekretär Krings hat es
schon gesagt – zu einigen Nachteilen geführt. Die Kri-
minalität – da muss ich Ihnen leider widersprechen –
stieg zunächst an. Der Bundesgrenzschutz und die Bun-
despolizei haben bei Grenzkontrollen, die auch nur ab-
gesetzt stattfinden konnten, mehr oder weniger illegale
Grenzübertritte feststellen können. Das hat sich aber im
Laufe der Zeit – da gebe ich Ihnen recht – normalisiert
und ist unter den damaligen Erwartungen geblieben. Ich
glaube schon, dass dies eine ganz wichtige Erkenntnis
war, weil parallel dazu die übrige Kriminalität im Grenz-
gebiet in erheblichem Maße anstieg, was überwiegend
die Länderpolizeien betraf, in diesem Fall das Land
Sachsen. In Brandenburg war es ähnlich, jedoch von un-
terschiedlicher Ausprägung. In Sachsen war es jeden-
falls so, dass in verstärktem Maße Wohnungseinbrüche
und Diebstähle von Kfz zu verzeichnen waren.

Man hat auch feststellen können, dass sich sehr viele
kriminelle Gruppen gebildet haben, wobei nicht nur die
Polen die Taten begangen haben, wie immer behauptet
wird, sondern es waren zu über 60 Prozent Deutsche da-
ran beteiligt, und sie haben die Straftaten gemeinsam
verübt. Weil dadurch die Bevölkerung empfindlich in ih-
rer Sicherheit gestört wurde, war es notwendig, zu ver-
einbaren, dass man neben der Zusammenarbeit zwischen
den deutschen Behörden, also Bundespolizei, Landes-
polizei und Zoll, auch die polnischen Behörden verstärkt
mit einbinden muss. Man kann nicht sagen, dass wir das
früher nicht schon gemacht hätten. Sie haben darauf hin-
gewiesen, dass es gemeinsame Streifen und andere
Dinge schon vorher gab. Das ist auch richtig. Nur hatten
wir einige Hindernisse zu überwinden. Darauf möchte
ich jetzt noch einmal zu sprechen kommen, weil es zeigt,
weshalb ich diesen Vertrag für so wichtig halte.

Erstens durften die Streifen, die das jeweils andere
Land entsandt hatte, keine Waffen und anderen Ausrüs-
tungsgegenstände mitführen. Man muss sich das so vor-
stellen: Der eine Polizist läuft voll ausgerüstet Streife,
und der andere läuft daneben. Man hätte auch sagen kön-
nen: eine Lachnummer. Ich will es einmal freundlich
ausdrücken: Die Bevölkerung hat uns gesagt: Ach so,
das ist ein Auszubildender, der läuft mit. – Als mehr ist
er nicht eingeschätzt worden. Das war natürlich für ihn
sehr unschön. Er hat sich nicht wohlgefühlt und wurde
sowohl auf deutscher wie auf polnischer Seite nicht für
voll genommen. Das ist natürlich bitter. Die Folge war,
dass man dazu überging, dies etwas einzugrenzen.

Über die Autobahnpolizei wurde dies dann als ge-
meinsame Ermittlungsgruppe aufgewertet, die gemein-
sam tätig geworden ist und damit auch das genutzt hat,
was schon angesprochen worden ist: beispielsweise die
Sprachkenntnisse, wobei die polnischen Polizisten sehr
viel besser Deutsch sprechen als die Deutschen Polnisch.

Diese Art der gemeinsamen Streife ist nun in dem
Abkommen fixiert. Jeweils das Land, das die Führung
der gemeinsamen Streife stellt, ist für ihre Durchführung
verantwortlich – das gilt auch für die rechtlichen Ver-
hältnisse –, sodass nicht jeder Polizist in dem anderen
Land machen kann, was er will, sondern er sich an die
rechtlichen Vorschriften des Landes halten muss, in dem
er tätig ist.

Die Begleitung von Großereignissen ist hinzugetre-
ten. Da ist ganz klar der Fußball zu nennen, Ereignisse
wie die Weltmeisterschaft und die Europameisterschaft
und Ähnliches. Da hat sich insbesondere 2006 beim Ein-
satz niederländischer Beamter in Nordrhein-Westfalen
gezeigt, wie wichtig eine solche Zusammenarbeit sein
kann. Diese Beamten können dann nicht einschreiten,
wie sie wollen; derjenige, der den Einsatz führt, hat die
Rechte festzulegen und zu entscheiden, ob Zwangsmittel
oder irgendwelche Einsatzmittel angewendet werden.
Das heißt, derjenige, der jeweils im Gastland tätig ist,
handelt nicht auf eigene Rechnung, sondern nach dem
Recht des Gastlandes und nach der Weisung des Betref-
fenden.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist ja sonst auch so, dass der Einsatzleiter das bestimmt!)


– So ist es. Ich komme nachher auf die verdeckten Er-
mittlungen zu sprechen. Auch da ist das so. Da können
Geheimdienste nicht irgendetwas machen, sondern es
muss vorher angemeldet werden, genehmigt werden,
und dann wird es in gemeinsamer Arbeit mit dem betref-
fenden Land abgewickelt.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ändert nichts an unserem Misstrauen den Geheimdiensten gegenüber!)


– Wenn Sie Misstrauen hegen: bitte schön! Ich sage mal:
Die Kontrolle ist gewährleistet. Ich sehe da keine Ge-
fährdungen.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist nicht einmal in Deutschland gewährleistet! Wie kann es dann in Polen gewährleistet sein?)


Auch Polizeibeamte nehmen verdeckte Ermittlungen
vor. Sie sind schon bei uns sehr schwer durchzusetzen,
weil es dort immer rechtliche Grenzen gibt. Aber wenn
man gemeinsam mit den polnischen Behörden hier in
Deutschland unter deutscher Aufsicht agiert, sehe ich
keine Gefahr, dass da schwere rechtswidrige Taten be-
gangen werden.

Ein weiterer Punkt, der wichtig ist – das war für mich
immer wieder bezeichnend –, ist die sogenannte polizei-
liche Nacheile. Für Leute, die jetzt nicht wissen, was das
im Einzelnen heißt: Das ist die Strafverfolgung auf fri-
scher Tat. Wenn die Verfolgung über die Grenze hinweg
ging, dann fielen bestimmte Rechte weg, die man sonst
als Polizeibeamter hat, nämlich die der vorläufigen Fest-
nahme und des Einsatzes anderer Zwangsmittel. Auch
das wird jetzt mit dem Abkommen geregelt, in dem ganz
genau festgelegt ist, dass derjenige, der sich auf einer
Verfolgung befindet, nunmehr in das jeweilige Land hin-
eindarf und die Maßnahmen alleine durchführen kann,
es sei denn, dass durch die Information der zuständigen
Behörde andere Beamte hinzutreten – dann muss man
sich wieder an die Regeln des Gastlandes halten und ent-
sprechend verfahren.

Ich möchte hervorheben, dass das Abkommen im Zu-
sammenhang mit der Kriminalitätsbekämpfung zu sehen





Wolfgang Gunkel


(A) (C)



(D)(B)

ist. Sie haben vorhin insbesondere die organisierte Kri-
minalität angesprochen. An diesem Punkt erlangt das
Abkommen dadurch Bedeutung, dass man nun gemein-
same operative Ermittlungsgruppen bilden kann. Wenn
Verfahren parallel geführt werden, können die Ergeb-
nisse jetzt zusammengeführt werden. Es kann sein, dass
auf polnischer oder auf deutscher Seite bestimmte Er-
mittlungsergebnisse vorliegen, die man vorher nicht ab-
gleichen konnte. Jetzt kann man dies in gemeinsamen
Gruppen zusammen abarbeiten. Das finde ich hervorra-
gend.

Im Zusammenhang mit dem Informationsaustausch
ist jetzt hinzugekommen, dass eine ganze Palette von In-
formationen der jeweils anderen Seite zugespielt wird.
Dazu gehören Informationen zu Ordnungswidrigkeiten
und anderen Strafsachen, die bisher nicht bekannt waren.
Sie werden dann an die jeweils zuständigen Stellen über-
mittelt.

Ein wesentlicher Punkt ist das Gemeinsame Zentrum,
das nun in der polnischen Stadt bei Frankfurt an der
Oder angesiedelt wird. Dort werden alle entsprechenden
Behörden – Zollbehörden, Grenzbehörden und Polizei-
behörden – zusammenarbeiten, um Informationen zu
sammeln und zu verteilen. In diesem Zusammenhang ist
natürlich besonders wichtig, dass dies bei grenzüber-
schreitender Kriminalität auch in Bezug auf Erkennt-
nisse zum Terrorismus erfolgt. Das wird dann an die ein-
zelnen Stellen weitergeleitet.

Ich möchte zum Schluss noch einen Punkt anspre-
chen. Es ist natürlich so, dass man nur dann polizeilich
zusammenarbeiten kann, wenn Polizeikräfte da sind. Der
Bürgermeister eines Grenzortes hat einmal gesagt: Was
nutzt uns dieses Abkommen, wenn keine Polizisten vor-
handen sind? – Da muss man an die Länder appellieren,
in diesem Bereich nicht zu viele Kräfte abzubauen. Aber
auch der Bund sollte sich noch einmal überlegen, inwie-
weit gerade in diesem Bereich die Bundespolizei kräfte-
mäßig ausgedünnt werden soll.

Es ist meine feste Überzeugung, dass wir mit diesem
Abkommen eine gute Entwicklung in Gang setzen. Die
Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Polen wird
ein Erfolg für die innere Sicherheit sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808012200

Herzlichen Dank. – Als nächste Rednerin hat Irene

Mihalic von Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Dr. Irene Mihalic (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1808012300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Europa ist nicht nur ein Wirtschafts-
raum, sondern auch ein Raum der Sicherheit, des Rechts
und der Freiheit. Diese Freiheit zu bewahren, ist auch
eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden; denn natürlich
können Konflikte und Kriminalität Ländergrenzen auch
einmal überschreiten.
Eine schnelle und effiziente Zusammenarbeit von
Nachbarländern ist deswegen zum Schutz der Bürgerin-
nen und Bürger vom Grundsatz her unerlässlich. Des-
halb ist dieses Abkommen nicht nur ein wichtiger Bau-
stein, sondern auch ein längst überfälliger Schritt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Wolfgang Gunkel [SPD])


Denn der bisherige Polizeivertrag zwischen Deutschland
und Polen stammt aus dem Jahr 2002. Er hat also einer
dringenden Überarbeitung bedurft, weil er aus einer Zeit
stammt, in der Polen weder Mitglied in der Europäi-
schen Union war noch an den Schengen-Regelungen
teilgenommen hat.

Das gemeinsame Abkommen kann auf einer soliden
Basis aufbauen. Seit 2007 existiert das Gemeinsame
Zentrum der deutsch-polnischen Polizei- und Zollzu-
sammenarbeit in Schwetig. Den Kolleginnen und Kolle-
gen, die hier unermüdlich im Einsatz sind, möchte ich an
dieser Stelle ganz ausdrücklich für ihre Arbeit danken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Das Zentrum hilft dabei, grenzüberschreitende Opera-
tionen durchzuführen, Ressourcen zu bündeln, Sprach-
barrieren zu überwinden sowie die Aufgabenerfüllung
insgesamt viel effektiver zu gestalten. Allein schon das
Wissen um Ansprechpartner bei den Nachbarn erleich-
tert Prozesse, die ansonsten sehr langwierig wären. Vor
allem die gemeinsamen deutsch-polnischen Streifen-
dienste – die bereits mehrfach angesprochen wurden –
sind ein greifbares und sichtbares Symbol. Bei aller Ko-
operation ist es aber unerlässlich, dass die Verfahrens-
garantien für Verdächtige in beiden Ländern umfassend
gewahrt bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Natürlich gibt es bei der Zusammenarbeit auch Pro-
bleme: Wir haben es schließlich mit unterschiedlichen
Strukturen im Staatsaufbau zu tun, mit verschiedenen
Sprachen und auch mit unabhängigen Rechtsordnungen.
Während zum Beispiel das Fahren ohne Fahrerlaubnis
bei uns eine Straftat ist, ist es in Polen nur eine Ord-
nungswidrigkeit. Das nun auch bestimmte Ordnungs-
widrigkeiten in dem neuen Polizeivertrag erfasst sind, ist
deswegen auf jeden Fall positiv.

Ich habe mich aber genauso wie Frau Jelpke darüber
gewundert, wie es sein kann, dass zum Grenzgebiet auf-
seiten der Bundesrepublik Deutschland die Länder Ber-
lin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern und Sach-
sen in ihrer Gänze gehören sollen. Das erscheint mir
räumlich doch eine ziemliche Ausdehnung des Begriffs
„Grenzgebiet“ zu sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Abkommen und institutionelle Zusammenarbeit blei-
ben eine leblose Hülle, wenn man dabei die Bürgerinnen
und Bürger nicht mitnimmt. Deswegen muss man sich





Irene Mihalic


(A) (C)



(D)(B)

der Polemik gegenüber vermeintlich massenhaft auftre-
tenden Straftätern aus Polen ganz klar entgegenstellen;
denn Kriminalität funktioniert nun einmal in beide Rich-
tungen. Allein die Feststellung, dass es einen Anstieg an
Diebstählen von Kraftfahrzeugen, Landmaschinen und
Fahrrädern im Grenzgebiet gibt, bedeutet doch noch
lange nicht, dass alle Täter aus dem Nachbarland kom-
men.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Übrigen kommt es auf polnischer Seite auch zu Straf-
taten durch Deutsche. Kriminelle Täterbanden in der Re-
gion setzen sich oft aus Deutschen, Polen und Litauern
zusammen. Der klauende Pole ist und bleibt ein plattes
Klischee.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Multikulti eben!)


Es ist wichtig, dass es bei dem Abkommen über die
Polizeizusammenarbeit nicht nur bei guten Absichten
bleibt. Die deutsch-polnische Zusammenarbeit muss
auch durch ausreichende Stellen und Mittel abgesichert
werden; denn schon jetzt gehen die Beamtinnen und Be-
amten in diesem Gemeinsamen Zentrum an ihre Belas-
tungsgrenzen. An technischer Ausstattung mangelt es
zum Teil ebenfalls erheblich. Die Landespolizeibehör-
den dürfen sich hier nicht aus ihrer Verantwortung steh-
len, aber sie sind an den Grenzen nun einmal auf die
Unterstützung der Bundespolizei angewiesen. Anstatt
die Bundespolizei also mit sachfremden Aufgaben wie
mit der Bewachung der Goldreserven zu betrauen, soll-
ten wir sie doch lieber in ihrem Kerngeschäft stärken.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Punkt ist mir noch sehr wichtig. Polizeiliche Ein-
sätze an den Grenzen dürfen nicht dazu führen, dass die
Schengen-Regeln ausgehebelt werden und dass ver-
kappte Grenzkontrollen durch die Hintertür eingeführt
werden. Kontrolliert werden darf nur verdachtsabhängig.
Alles andere bricht das Recht und den Geist Schengens.

Es gibt in diesem Abkommen auch noch ein paar an-
dere fragwürdige Vereinbarungen. Diese sind ja hier
schon verschiedentlich angesprochen worden. Daher
wäre es natürlich gut gewesen, wenn das Abkommen
noch nicht unterzeichnet und wenn der Bundestag bei
der Erarbeitung irgendwie beteiligt worden wäre.

In diesem Sinne: Herzlichen Dank für Ihre Aufmerk-
samkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Susanna Karawanskij [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808012400

Vielen Dank. – Als nächster Redner hat Günter

Baumann von der CDU/CSU das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Günter Baumann (CDU):
Rede ID: ID1808012500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Vor wenigen Wochen konn-
ten wir den 25. Jahrestag der friedlichen Revolution in
der ehemaligen DDR und des Falls der Mauer begehen.
Dieses Ereignis war 1989 der Beginn für umfangreiche
politische Veränderungen in Europa. Damit war auch ein
schrittweiser Abbau von Grenzen verbunden. Offene
Grenzen zu Tschechien und Polen sind ein wichtiger
Schritt der Aufarbeitung einer teilweise sehr leidvollen
Geschichte der Völker. Offene Grenzen sind aber auch
entscheidend für eine bessere Entwicklung auf den Ge-
bieten von Wirtschaft und Tourismus.

Meine Damen und Herren, der Zugewinn an Freiheit
brachte uns aber leider auch einen Anstieg an grenz-
übergreifender Kriminalität, insbesondere organisierter
Kriminalität. Beispiele wurden hier bereits genannt:
Wohnungseinbrüche, Autodiebstähle, Diebstähle von
Buntmetall und Traktoren, der Diebstahl einer ganzen
Tierherde, Diebstähle aus Unternehmen, die oft zu gro-
ßen Verärgerungen führen. Von der Insel Usedom über
Frankfurt/Oder bis in die Lausitz und ins Erzgebirge gibt
es überall dieselben Probleme.

Gestatten Sie mir, um die Dimension einmal deutlich
zu machen, zwei Fälle aus den letzten Tagen aufzufüh-
ren:

Am letzten Sonntag wurden in der Nähe von
Greifswald aus einer Garage vier Traktoren, eine Stroh-
ballenpresse und ein Güllewagen im Gesamtwert von
560 000 Euro gestohlen. Das ist eine bemerkenswerte
Dimension. Die Fahrzeuge wurden am helllichten Sonn-
tag über die Insel Usedom Richtung Polen gefahren. Das
fiel einem Bürger auf, der die Polizei benachrichtigt hat.
Mithilfe der polnischen Kollegen konnten auf polni-
schem Gebiet im Terminal des Hafens von Swinemünde
die Traktoren gefunden und sichergestellt werden.

Ein zweiter Fall hat sich am letzten Wochenende in
Dresden ereignet, wo Fahnder in einem Kleintransporter
immerhin 2 Kilogramm Crystal gefunden haben. Wert:
100 000 Euro.

Das ist organisierte, grenzübergreifende Kriminalität.
Die Bürger in den Grenzregionen sind mit Recht besorgt,
verärgert, verunsichert und verlangen natürlich, dass der
Staat handelt. Der Staat muss handeln. Die Grenzen zu
schließen, wie es manche Politiker fordern, oder Bürger-
wehren, wie sie sich in manchen Orten gebildet haben,
sind absolut keine Lösungen. Dem erteilen wir eine klare
Absage.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Staat, der das Gewaltmonopol in seinen Händen
hat, muss es behalten und die Kriminalität mit allen Mit-
teln bekämpfen. Dem Bürger ist es vollkommen egal,
wer für Ordnung sorgt: ob die Landespolizei, die Bun-
despolizei oder der Zoll. Er will einfach sicher leben. Es
wurde bereits gesagt: Wir brauchen eine gut ausgestat-
tete Polizei, wir brauchen eine zahlenmäßig starke Poli-
zei, und wir brauchen – darüber reden wir heute – eine
Polizei, die über Ländergrenzen hinweg agieren kann.





Günter Baumann


(A) (C)



(D)(B)

Deutschland hat mit allen Nachbarstaaten bilaterale
Abkommen geschlossen. Heute debattieren wir in erster
Lesung über ein Abkommen mit Polen. Wir haben be-
reits einen Polizeivertrag, der auch funktioniert. Wolfgang,
ich habe gestern mit deinem Nachfolger gesprochen,
dem Polizeipräsidenten der Polizeidirektion Görlitz. Er
hat erzählt, was bisher funktioniert. Aber man kommt an
gewisse Grenzen. Deshalb brauchen wir einen neuen
Vertrag, mit dem wir einen Schritt weitergehen.

Der Staatssekretär sprach bereits die Gründe an, wa-
rum ein neuer Vertrag erforderlich ist. Das hat zum einen
mit veränderten europäischen Rahmenbedingungen zu
tun, die wir hier beachten müssen: der Öffnung der EU-
Grenzen zu Polen, dem Beitritt zum Schengener Ab-
kommen. Das Zweite ist: Wir wollen – das ist in dem
neuen Vertrag geregelt – einen größeren Handlungsspiel-
raum. Es sind bereits Beispiele genannt worden. Ich
möchte Ihnen diese ersparen.

Frau Jelpke, warum die Länder? Es sind eben die
Bundes- und die Landespolizeien, die einbezogen sind.
Im Freistaat Sachsen haben wir über 700 Kilometer Au-
ßengrenzen, sodass die Landespolizei an allen Stellen
gefordert ist. Deswegen gilt der Vertrag für die Landes-
polizeien, die Bundespolizei und den Zoll.

Entscheidend ist, dass wir die Arbeitsbedingungen
derjenigen, die für unsere Sicherheit zuständig sind, ver-
bessern. Wir müssen ihnen mehr Spielraum geben und
dafür sorgen, dass noch enger zusammengearbeitet wird.
Vor allem müssen wir dafür sorgen, dass die jeweils Ver-
antwortlichen auf dem Nachbargebiet hoheitliche Auf-
gaben verrichten können, was ganz entscheidend ist.

Wir haben mit dem Vertrag mit Polen eine Regelung
geschaffen. Wichtig ist aber auch, dass wir in den nächs-
ten Tagen, spätestens in den nächsten Wochen, über den
gleichen Vertrag mit Tschechien verhandeln. Der hier
bestehende Vertrag ist nämlich genauso alt und muss da-
her auf den Prüfstrand. Da sich auch in Bezug auf Tsche-
chien die Bedingungen verändert haben, brauchen wir
auch hier andere Regelungen.

Der Vertragsentwurf, den wir heute beraten, signali-
siert unseren Bürgerinnen und Bürgern, dass wir für
mehr Sicherheit sorgen, und er ist eine ganz klare
Kampfansage an die großen und kleinen Ganoven auf
beiden Seiten der Grenze.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen und mich ganz
herzlich bei den Polizeibeamtinnen und Polizeibeamten
von Bund und Ländern sowie bei den Zollbeamtinnen
und Zollbeamten für ihren täglichen, engagierten, oft
auch sehr gefährlichen Einsatz bedanken. Sie tun ihren
Dienst für unsere Sicherheit. Dafür einen ganz herzli-
chen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da ich der letzte Redner in dieser Debatte sein darf,
habe ich Ihnen allen ein Geschenk mitgebracht: Ich
möchte Ihnen zwei Minuten Zeit schenken.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1808012600

Vielen Dank, für das Geschenk, Herr Kollege. An ei-

nem Freitagnachmittag ist das sehr willkommen.


(Günter Baumann [CDU/CSU]: So bin ich eben!)


Ich schließe die Debatte.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/3696 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann
ist die Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Cornelia Möhring, Diana Golze, Jan Korte, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Rechtsanspruch auf Schutz und Hilfe für von
Gewalt betroffene Frauen und deren Kinder
Drucksache 18/2884
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Die Reden sollen zu Protokoll gegeben werden.1) –
Ich sehe, Sie sind damit einverstanden.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/2884 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung. Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen
Bundestages auf Mittwoch, den 28. Januar 2015, 13 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen ein
schönes Wochenende.