Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Wir kommen gleich zur Sache. Ich rufe den Tagesord-
nungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Stärkung der Gesundheitsförderung und der Präven-
tion.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Bundesminister für Gesundheit, Herr Hermann
Gröhe. – Herr Gröhe, Sie haben das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-
gen! Die insgesamt gesündere Lebens- und Arbeitsweise
der heute lebenden Menschen zeigt sich an einer deutlich
gestiegenen Lebenserwartung. Wahr ist aber auch, dass
wir eine Fülle von Mehrfacherkrankungen und chroni-
schen Erkrankungen sowie auch eine deutliche Zunahme
lebensstilbedingter Erkrankungen feststellen müssen. Ob
wir über Diabetes, Erkrankungen des Bewegungsappara-
tes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bestimmte psy-
chische Störungen reden: Immer wieder tragen ursäch-
lich auch die Lebensführung bzw. die Lebens- und
Arbeitsweise maßgeblich zum Krankheitsverlauf oder
gar zur Krankheitsentstehung bei. Deswegen ist es ein
zentrales Anliegen der Bundesregierung, den Gedanken
der Vorbeugung, der Vermeidung von Krankheiten oder
der günstigen Beeinflussung von Krankheitsverläufen zu
einem zentralen Punkt der Gesundheitspolitik zu ma-
chen.
Mit dem heute vom Kabinett beschlossenen Entwurf
eines Gesetzes zur Stärkung der Gesundheitsförderung
und der Prävention – kurz gefasst: Präventionsgesetz –
machen wir in der Präventionsarbeit einen deutlichen
Sprung nach vorne. Wir werden durch entsprechende
Verpflichtungen der gesetzlichen Krankenversicherung
und erstmalig auch der Pflegeversicherung dazu beitra-
gen, dass die Mittel, die für die Prävention zur Verfü-
gung gestellt werden, mehr als verdoppelt werden und
sich in diesem Bereich zu einer runden halben Milliarde
Euro addieren.
Es ist uns dabei ein Anliegen, gerade jene Menschen
zu erreichen, die bisher Angebote der Gesundheitsförde-
rung, die eher individueller Natur sind, nicht ausreichend
wahrgenommen haben. Deswegen ist ein zentraler Punkt
des Präventionsgesetzes die Stärkung der Gesundheits-
förderung dort, wo Menschen leben, lernen und arbeiten,
also in den unterschiedlichsten Lebenswelten. Die dafür
zur Verfügung stehenden Mittel werden von heute rund
80 Millionen Euro auf zukünftig nahezu 300 Millionen
Euro mehr als verdreifacht. Damit wird auf Begleitung
durch die gesamte Lebensspanne gezielt.
Im Bereich Kita und Schule wird, auch unter Einbe-
ziehung der Jugenduntersuchung, ein frühes Erreichen
von Kindern und Jugendlichen sichergestellt. Angesichts
der öffentlichen Berichterstattung der letzten Tage will
ich besonders das Thema „Verbesserung der Impfquote“
ansprechen. So sollen Impfungen gemäß der entspre-
chenden Empfehlung des Robert-Koch-Instituts mög-
lichst bei Kleinkindern vor dem zweiten Lebensjahr
durchgeführt werden; das gilt insbesondere im Hinblick
auf Erkrankungen wie Masern. Die Bundesregierung
sieht vor, dass vor dem Kitabesuch eine ärztliche Auf-
klärung über den Impfstatus ansteht und entsprechende
Empfehlungen gegeben werden.
Kita und Schule sind eine wesentliche Lebenswelt, in
der es auch um den Ausgleich von Benachteiligungen
gehen kann und muss. Natürlich sollen durch entspre-
chende Präventionsmaßnahmen alle in unserem Land er-
reicht werden. Die Fördermaßnahmen zielen nicht zu-
letzt auf gesunde Ernährung, auf ausreichend Bewegung
und auf die Vermeidung von Risikoverhalten ab.
Ein weiterer Schwerpunkt ist die betriebliche Ge-
sundheitsförderung. Wir alle verbringen einen wesentli-
chen Teil unseres Lebens am Arbeitsplatz. Die unter-
schiedlichen Arbeitsplätze, die es gibt, bringen
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Bundesminister Hermann Gröhe
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unterschiedliche körperliche und auch psychische Belas-
tungen mit sich; auch die Fähigkeit zur Stressbewälti-
gung ist ein Faktor. Die betriebliche Gesundheitsförde-
rung soll eng mit dem Arbeitsschutz und mit den
Maßnahmen der Unfallversicherung verzahnt werden.
Damit, auch durch die Inanspruchnahme der Betriebs-
ärzte, soll erreicht werden, dass stärker ein ganzheitli-
cher Ansatz der betrieblichen Gesundheitsförderdung
Platz greift. Das ist ein zweites, ganz wichtiges Anlie-
gen.
Des Weiteren soll nach der Erwerbsphase die Präven-
tion auch im Bereich der Pflege ein wichtiges Element
zum Befördern einer selbstbestimmten Lebensweise
sein. Insofern beginnt Prävention sehr früh, endet aber
nie, sondern soll den gesamten Lebensverlauf prägen.
Wir wollen die Arbeit der Krankenkassen im Bereich
der lebensweltlichen Prävention durch die Expertise der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in be-
sonderer Weise unterstützen. Sie verfügt gerade im Hin-
blick auf weniger erreichte Bevölkerungsgruppen über
gute Expertise, die sie im Auftrag der Krankenkassen
– nur so geht es – hier einbringen soll.
Schließlich ist es uns ein wichtiges Anliegen, alle Ak-
teure in diesem Bereich miteinander zu verbinden und
die Arbeiten aufeinander abzustimmen, zum Beispiel
das, was die Rentenversicherung im Bereich Prävention
tut und was mit dem wachsenden Rehabudget weiter an-
wachsen soll, und das, was die Unfallversicherung tut.
Wir wollen Arbeitslosenversicherung und Jobcenter ein-
beziehen, wenn es darum geht, Langzeitarbeitslose, bei
denen gesundheitliche Beeinträchtigungen ja zu Vermitt-
lungshindernissen führen können, rechtzeitig mit Ange-
boten zur Prävention zu erreichen. Erarbeitet werden soll
dies im Rahmen einer nationalen Präventionsstrategie.
Umgesetzt werden soll es nicht zuletzt durch Rahmen-
vereinbarungen auf Landesebene, weil es uns ein ganz
wichtiges Anliegen ist, die Aktivitäten zu bündeln, statt
nur die eine Maßnahme durch die andere zu ersetzen
oder anders zu finanzieren.
Herr Minister, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dazu werden Rahmenbedingungen wesentlich beitra-
gen.
Vielen Dank, Herr Minister. – Es liegen mir schon
mehrere Wortmeldungen vor. Als Erste erhält die Kolle-
gin Schulz-Asche das Wort.
Vielen Dank. – Herr Minister, das, was Sie hier sagen,
hört sich nach dem an, was im SPD-Parteiprogramm zu
dem Thema steht. Wenn man sich den Gesetzentwurf ge-
nauer anschaut, dann kann man feststellen, dass die Um-
setzung sehr nahe bei dem ist, was die schwarz-gelbe
Vorgängerregierung vorgeschlagen hat.
Sie selber haben gerade gesagt, dass die Beeinflus-
sung des Verhaltens Einzelner ein wesentlicher Beitrag
dazu wäre, die Gesundheitssituation zu verbessern. Wir
wissen aber aus den Erfahrungen der letzten Jahre und
aus wissenschaftlichen Untersuchungen, dass die Beein-
flussung des Individualverhaltens kaum Erfolge hat,
wenn man nicht bei den Lebens- und Alltagswelten der
Menschen ansetzt. Deswegen möchte ich Sie ganz kon-
kret fragen: Wie stellen Sie sich vor, dass Krankenkassen
zum Beispiel analog zur zum Teil sehr gut funktionieren-
den betrieblichen Gesundheitsförderung, bei der das
ganze Unternehmen in den Blick genommen wird, in die
pädagogischen Konzepte von Kindergärten oder Schu-
len, aber auch im Stadtteil bei der Prävention von Pfle-
gebedürftigkeit eingreifen können, ohne dass die Kom-
munen als Selbstverwaltung der Bürgerinnen und Bürger
daran beteiligt werden? Wie stellen Sie sich das eigent-
lich vor, die Lebenswelten in Kindergärten gesund zu
gestalten – wie Sie selber sagten –,
Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Schluss kom-
men.
– ja, ich komme zum Schluss –, wenn man die Träger
und Kommunen nicht daran beteiligt?
Herr Minister.
Verehrte Frau Kollegin, Ihre Hinweise auf Parteipro-
gramme oder alte Gesetzentwürfe zeigen nur, dass Sie in
den Schützengräben vergangener Auseinandersetzun-
gen stecken geblieben sind. Die sind längst überwunden.
In Ihrer eigenen Fragestellung kommt zum Ausdruck,
dass lebensweltlicher Ansatz und individuelle Verhal-
tensgestaltung natürlich zusammengehören. Ich habe
sehr deutlich betont, dass gerade im Hinblick auf jene,
die wir sonst nicht ausreichend erreichen, der Mittelauf-
wuchs beim lebensweltlichen Ansatz besonders deutlich
ist; insgesamt gibt es mehr als eine Verdreifachung in
diesem Bereich.
Es geht aber immer auch um das Zusammenwirken.
Deswegen habe ich die Rahmenvereinbarungen auf Lan-
desebene ausdrücklich genannt. Es kann nicht darum ge-
hen, dass Aktivitäten der Kommunen in Zukunft vom
Beitragszahler finanziert werden. Vielmehr geht es da-
rum, dass ein Mehr an Prävention geschieht. Denn das,
was die Kommunen tun und was über die Länder pas-
siert, muss in regionalen Rahmenvereinbarungen ver-
bindlich verbunden werden, wobei die Krankenkassen
ergänzende Fähigkeiten einbringen.
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Als nächste Fragerstellerin hat die Kollegin Wöllert
das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, danke
für Ihre Ausführungen. Veränderungen der Lebensver-
hältnisse sind im Hinblick auf mehr Gerechtigkeit bei
den Gesundheitschancen – Frau Schulz-Asche wies
schon darauf hin – nachweislich wirksamer als Maßnah-
men für gesundheitsbewussteres Verhalten, wozu etwa
Kampagnen oder Gesundheitskurse gehören. Bislang ge-
ben wir aber 80 Prozent des Geldes für Verhaltensprä-
vention und nur 20 Prozent für wirksamere Maßnahmen
zur Veränderung der Lebensbedingungen aus. Ihr früher
Entwurf des Gesetzes – der jetzige liegt mir leider noch
nicht vor – sah immerhin eine Verteilung der Mittel im
Verhältnis von 40 : 60 vor. Wie viel Geld wollen Sie jetzt
in die lebensweltbezogene und wie viel in die verhal-
tensbezogene Prävention stecken? Ich bitte auch darum,
die lebensweltbezogenen Maßnahmen etwas näher zu
beschreiben; denn ich glaube, wir kommen sonst bei der
Zuordnung immer zu unterschiedlichen Bewertungen.
Derzeit werden gut 3 Euro pro gesetzlich Versicher-
tem für Prävention ausgegeben. Zurzeit werden in
Deutschland insgesamt ungefähr 80 Millionen Euro für
die lebensweltliche Präventionsarbeit ausgegeben. Wir
wollen die Mittel für die Prävention auf 7 Euro pro Ver-
sichertem anheben. Davon sollen zumindest weitere
2 Euro, also dann insgesamt 4 Euro, in die betriebliche
Gesundheitsförderung oder in die Förderung nichtbe-
trieblicher Lebenswelten fließen. Außerdem wird erst-
mals eine entsprechende Verpflichtung der Pflegever-
sicherung im Bereich der stationären Altenpflege
eingeführt. Wir steigern damit die Mittel für die Förde-
rung der Gesundheit im lebensweltlichen Bereich von
rund 80 Millionen Euro auf 300 Millionen Euro, und das
ist als Mindestquote zu verstehen.
Im Übrigen frage ich mich: Sind Maßnahmen in den
Schulen und Kitas, um eine möglichst hohe Impfquote
zu erreichen, für Sie etwas, was zur individuellen Ge-
sundheitsförderung gehört, oder etwas, was insgesamt
der Lebenswelt dient, weil es auch um den Gruppen-
schutz geht? Es gibt ja eine Fülle von Aktivitäten in den
Kindergärten. So gibt es Maßnahmen zur Förderung ei-
ner guten Ernährung, zur Integration von ausreichend
Bewegung in den Alltag der Kinder, zur Ausbildung der
Erzieher etc.
Herr Minister, ich hätte Sie beinahe wiederum bitten
müssen, zum Schluss zu kommen.
Ich bitte die Kolleginnen und Kollegen, natürlich
auch Sie, Herr Minister, auf die Uhr zu schauen. Dann
kriegen wir das alles gut hin.
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Kühne das
Wort.
Ich fasse meine Frage kurz; statt langer Rede kurzer
Sinn. Es geht um die Stärkung der kleinen und mittleren
Betriebe im Rahmen der betrieblichen Gesundheitsför-
derung. Herr Minister, welche Möglichkeiten sehen Sie
da?
Herr Minister.
Ich glaube, dass das die große Herausforderung ist.
Wir haben eine Fülle von guten Beispielen in der Groß-
wirtschaft, in der das Bewusstsein dafür, dass Prävention
sich rechnet, dass sie Arbeitsausfall aufgrund von Beein-
trächtigungen vermeidet, schon sehr ausgeprägt ist. Wir
müssen diese guten Beispiele in die kleinen und mittel-
ständischen Betriebe hineintragen, die die meisten Ar-
beits- und Ausbildungsplätze bereitstellen. Dazu soll es
entsprechende Angebote der Krankenkassen geben, die
im Internet und anderswo transparent gemacht werden;
es sollen auch regionale Beratungsstellen geschaffen
werden. Dabei ist eine Zusammenarbeit mit den Indus-
trie- und Handelskammern und den Handwerkskammern
vorgesehen, um Informationen dazu zu verbreiten, wel-
che Angebote und Fördermaßnahmen es gibt, um ins-
besondere die Belange des Arbeitsschutzes und der
Gesundheitserhaltung in mittelständischen Arbeitsver-
hältnissen sicherzustellen.
Jetzt hat die Kollegin Klein-Schmeink das Wort.
Herr Minister, im Koalitionsvertrag ist – aus unserer
Sicht richtigerweise – vereinbart worden, dass auch die
anderen Sozialversicherungsträger in die Finanzierung
der Kosten einer verstärkten Prävention und Gesund-
heitsförderung einbezogen werden sollen. Nun mussten
wir dem Gesetzesentwurf entnehmen, dass ausgerechnet
die Arbeitslosenversicherung ausgeklammert ist. Das ist
umso erstaunlicher, als es gerade im Bereich der Arbeits-
losigkeit eine sehr hohe Krankheitsbelastung gibt und
wir gerade hier mit Maßnahmen der Prävention also viel
erreichen könnten. Zugleich wissen wir aber auch, dass
ausgerechnet Arbeitslose kaum an individuellen Kursen
teilnehmen. Wieso haben Sie das so vorgesehen? Das ist
ja nicht sehr logisch. Es erschließt sich uns ebenfalls
nicht, dass die PKV nicht einbezogen wurde.
Herr Minister.
Im Hinblick auf die unterschiedlichen Sozialversiche-
rungsträger wird in der Koalitionsvereinbarung zu Recht
von einer Koordination und einer abgestimmten gemein-
samen Strategie gesprochen; denn es liegt nahe – auch
aus grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Erwägun-
gen –, dass beispielsweise die Rentenversicherung im
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Bundesminister Hermann Gröhe
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Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags, im Rahmen ihrer
Verwendungsberechtigung genauso hinsichtlich der Bei-
träge handelt, wie das auch im Bereich Pflege- und
Krankenversicherung der Fall ist. Es gibt erhebliche
Aktivitäten der gesetzlichen Unfallversicherung. Bei der
Verpflichtung geht es um eine Verpflichtung zur Koordi-
nation, und das ist aus meiner Sicht der richtige Ansatz.
Für die Maßnahmen, die sich in unterschiedlicher
Weise an Langzeitarbeitslose richten, ist die Kranken-
versicherung zuständig. Aber auf diese Angebote soll in
Zukunft von den kommunalen Jobcentern wie von den
Arbeitsagenturen in besserer Weise hingewiesen wer-
den; daher die Einbeziehung in die entsprechenden Ver-
abredungen.
Die private Krankenversicherung soll sich nach dem
Modell der unabhängigen Patientenberatung mit einem
angemessenen Beitrag beteiligen können und darf sich
dann in die Strategie einbringen.
Jetzt hat der Kollege Petzold das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will auf den von
Ihnen, Herr Minister, schon angesprochenen Zusammen-
hang zwischen der sozialen Lebenssituation und der Prä-
vention zu sprechen kommen. Es müsste Ihnen bekannt
sein, dass Männer aus niedrigen sozialen Schichten in
der Regel – so ist es zumindest ermittelt worden – elf
Jahre früher sterben als Männer aus höheren sozialen
Schichten. Ich könnte die Beispiele fortsetzen. Ich möchte
Sie gerne fragen, ob aus Ihrer Sicht nicht die Verringe-
rung sozialer Ungleichheit zum wichtigsten Anliegen
von Prävention und Gesundheitsförderung gemacht wer-
den müsste.
Herr Minister.
Im Gesetz wird gerade die von Ihnen angesprochene
Aufgabe der Verminderung der Unterschiede bei sozia-
len wie geschlechtsspezifischen Gesundheitschancen als
zentrales Ziel benannt.
Jetzt erhält Frau Dörner das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, vielen
Dank für Ihre Ausführungen. Ich würde gerne eine Frage
zum Komplex Datenschutz stellen.
Es ist ja vorgesehen, dass die Krankenversicherungen
zukünftig verpflichtet werden sollen, sowohl an die Ver-
sicherten wie auch an Arbeitgeber Boni für ein wie auch
immer definiertes richtiges Verhalten auszuschütten.
Meine Frage ist: Wie soll überhaupt kontrolliert werden,
dass sich Frau oder Mann richtig verhält? Wie stellen Sie
sicher, dass die Daten geschützt werden? Wie verhindern
Sie, dass auch auf der zeitlichen Schiene kein Schindlu-
der mit Daten getrieben werden kann?
Herr Minister.
Es kann keinesfalls darum gehen, hierdurch sozusagen
eine Alltagskontrolle sensibler Daten herbeizuführen.
Vielmehr muss es darum gehen, in einer Weise Anregun-
gen, sich gesundheitsfördernd zu verhalten, zu geben,
wie es unser System ja heute bereits in Form von Kann-
bestimmungen kennt. Wir kennen das zum Beispiel aus
dem Bereich Zahnmedizin und anderen Bereichen, wo
Untersuchungen unmittelbare Vorteile für den Versicher-
ten auf der Leistungsseite zur Folge haben. Das ist also
eine Möglichkeit.
Was ist also der Unterschied zur bisherigen Rege-
lung? Erstens. Aus der Kannvorschrift soll eine Sollvor-
schrift werden. Zweitens. Die Boni sollten nur für quali-
tativ hochwertige Präventionsangebote ausgeschüttet
werden. Anreize sollen also nicht ins Belieben gestellt
werden nach dem Motto „Gesund ist schon die Teilneh-
merwerbung“, und dann werden Boni ausgezahlt. Nein,
Boni soll es nur für qualifizierte Präventionsangebote
geben. Ich bin sicher, dass die Vertragspartner das in ei-
ner Weise machen, die dem Datenschutz, den Sie zu
Recht betonen, Rechnung trägt.
Jetzt hat die Kollegin Maag das Wort.
Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben gerade die
Qualität erwähnt. Sie haben auch darauf hingewiesen,
dass die Ausgaben für Prävention steigen. Mich würde
interessieren: Wie sieht der Qualitätswettbewerb, den
Sie angekündigt haben, aus? Wie stellen wir sicher, dass
die Präventionsangebote gut sind, also wirken und ziel-
genau ankommen?
Herr Minister.
Ich denke, wir haben diesbezüglich durch die Tätig-
keit des GKV-Spitzenverbandes und entsprechende Hand-
bücher in den letzten Jahren einen deutlichen Schritt nach
vorn gemacht. Ich sage es einmal so: eher weg von der
Idee der Mitgliederbindung, der Mitgliederbetreuung
und eines allgemeinen Wohlfühlens hin zu qualitäts-
orientierten Präventionsangeboten. Das ist auch richtig.
Bestimmte Maßnahmen – das sage ich etwa mit Blick
auf die Boni – müssen an entsprechende Qualitätsnach-
weise geknüpft werden.
Ich denke, dass es beispielsweise Aufgabe der Bun-
deszentrale für gesundheitliche Aufklärung sein wird,
durch Evaluierung und konzeptionelle Entwicklung ei-
nen Beitrag dazu zu leisten, dass nicht zuletzt die lebens-
weltlichen Angebote, mit denen ein Teil der kleineren
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Bundesminister Hermann Gröhe
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Krankenkassen noch gar keine Erfahrungen hat, quali-
tätsgesichert umgesetzt werden. Gerade durch die Eva-
luierung bisheriger Maßnahmen wurden schon viele Er-
fahrungen gesammelt.
Kollege Terpe, jetzt haben Sie das Wort.
Herr Minister, sind Sie mit mir der Meinung, dass im
Gesetzentwurf nicht die Sekundär- und die Tertiärprä-
vention angesprochen werden, sondern die Gesundheits-
förderung und die Primärprävention, die in den jeweili-
gen Lebenswelten erfolgen muss? Betriebe, Stadtteile,
Kommunen usw. wurden schon genannt. Sie haben dann
gesagt, die Kommunen müssten angeregt werden, selbst
Geld in die Hand zu nehmen. Dieser Punkt ist ja seit Jah-
ren in der Diskussion. Wie stellen Sie sich das vor? Wie
sollen die Kommunen dazu, dass die Krankenkassen
Geld in die Hand nehmen – so ist das ja in dem Gesetz-
entwurf geregelt –, angereizt werden?
Ich habe noch eine zweite Frage: Wie stellen Sie sich
Präventionsarbeit bei den kleineren Betrieben vor? In
den Großbetrieben klappt das mit der Präventionsarbeit
meist ganz gut, aber die kleineren Betriebe haben er-
kennbar Schwierigkeiten damit.
Herr Minister.
Erstens. Die Rahmenvereinbarungen, die auf Landes-
ebene geschlossen werden, müssen die verbindliche Ver-
abredung enthalten, dass die Mittel für Aktivitäten im
Bereich Prävention, zum Beispiel in einer Kita, von
Kommune, Land und Krankenkassen gemeinsam er-
bracht werden. Es kann nicht so sein, dass eine Aufgabe
der kommunalen Daseinsvorsorge durch Wahrnehmung
dieser Aufgabe durch die Krankenkassen gleichsam ab-
gelöst oder refinanziert wird. Es ist Aufgabe, dies entspre-
chend in den Verabredungen zu bündeln und so sicherzu-
stellen, dass jeder seine Expertise in diese gemeinsame
Verabredung einbringt und seiner Verantwortung gerecht
wird, beispielsweise für die Ausbildung der Erzieherin-
nen.
Zweitens. Sie haben in der Tat die größte Herausfor-
derung im Bereich der betrieblichen Gesundheitsförde-
rung angesprochen. Ich wiederhole es noch einmal: Ein-
mal soll der Zugang zu solchen Leistungen erleichtert
werden. Dann soll durch die Einbindung von Hand-
werkskammern, Innungen und Industrie- und Handels-
kammern erreicht werden, dass Beratungsangebote, die
sich sonst nur Großbetriebe leisten können, gebündelt
erbracht werden und auch kleinere Betriebe von solchen
Maßnahmen profitieren können.
Frau Kollegin Vogler, Sie haben das Wort.
Vielen Dank. – Herr Minister, in keinem anderen
Land mit einem Sozialversicherungssystem wird den
Krankenkassen eine derart hohe Bedeutung bei Präven-
tion und Gesundheitsförderung zugemessen. Mich würde
interessieren, wie Sie verhindern wollen, dass die Kran-
kenkassen, die ja unter Wettbewerbsdruck stehen, die
Gelder für die Prävention nicht verstärkt zur Risikose-
lektion oder als Marketinginstrument verwenden.
Was können denn die Krankenkassen durch Satzungs-
leistungen zu dem Ziel des gesamten Gesetzesvorha-
bens, nämlich der Verminderung sozial bedingter Un-
gleichheiten von Gesundheitschancen – Sie haben ja
gesagt, dass Sie das in den Mittelpunkt stellen wollen –,
konkret beitragen? Könnten Sie darstellen, wie konkrete
Beispiele für die Verminderung sozial bedingter Un-
gleichheiten von Gesundheitschancen in Kooperation
von Krankenkassen und BZgA aussähen?
Herr Minister.
Erstens. Ich halte es für richtig, dass die gesetzliche
Krankenversicherung, übrigens schon aus wohlverstan-
denem Eigeninteresse, dafür zuständig ist. Zuallererst
geht es zwar bei der Prävention um Gesunderhaltung
und Lebensqualität, aber es liegt schon im gesamtwirt-
schaftlichen Interesse der Krankenversicherungen, dass
Krankheit nach Möglichkeit vermieden wird oder
Krankheitsverläufe günstig beeinflusst werden.
Das Zweite ist: Wenn Krankenkassen – ich denke
jetzt gerade an die kleineren Krankenkassen – etwas in
lebensweltlichen Bereichen tun, etwa im Kindergarten
oder in der Schule, etwa durch eine gezielte Ansprache
von Kindern aus Flüchtlingsfamilien oder Kindern mit
mangelnden Sprachkenntnissen – ich könnte auch an-
dere Gruppen nennen –, kann die Bundeszentrale für ge-
sundheitliche Aufklärung wesentlich dabei helfen. Denn
sie verfügt bereits über erhebliche Erfahrung und kann
die Krankenkassen bei der Erarbeitung von Materialien
für Schulen und Kindergärten, bei der konzeptionellen
Entwicklung solcher Angebote, bei der Weiterbildung
von Erzieherinnen und Erziehern sowie schließlich auch
bei der Evaluierung durchgeführter Maßnahmen unter-
stützen.
Frau Kollegin Kühn-Mengel, Sie haben das Wort.
Herr Minister, es geht einmal um die Lebenswelten,
also Kindergarten, Schule, Betrieb, Quartier. Im Bereich
der Pflege haben Sie jetzt aber nicht nur den stationären,
sondern auch den ambulanten Bereich betont. Können
wir davon ausgehen, dass Sie dies vor dem Hintergrund
von Studien machen, die deutlich zeigen, dass in der
Pflege auch im fortgeschrittenen Alter im wahrsten
Sinne des Wortes Ressourcen zu mobilisieren sind? Ist
das nicht auch – ich greife die Frage des Kollegen Terpe
7142 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Helga Kühn-Mengel
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auf – Sekundär- oder Tertiärprävention, nämlich Verhin-
derung von Verschlimmerung?
Zweite Frage. In diesem Bereich wird ja oft über das
Zusammenwirken der vielen Akteure in einem stark ge-
gliederten Sozialsystem und vor dem Hintergrund eines
ausgeprägten Föderalismus diskutiert. Meine Frage
wäre: Können Sie vielleicht noch einmal darstellen, wie
diese Kooperationen –
Frau Kollegin, auch Sie müssen zum Schluss kom-
men.
– ganz unterschiedlicher Präventionsträger gelingen
sollen?
Herr Minister.
Ich möchte ausdrücklich unterstreichen, was Sie zur
Situation im Alter gesagt haben. Das hat auch mit dem
berühmten Schalter im Kopf zu tun. Bei uns ist „ambu-
lant vor stationär“ sehr stark im Kopf verankert, man
möchte möglichst lange in den eigenen vier Wänden
bleiben. Aber es gilt zum Beispiel auch: Reha oder Prä-
vention vor Pflege. Das alles hat auch nach der Erwerbs-
phase Sinn. Es kann dazu beitragen, dass Krankheiten
weniger schlimm verlaufen. All das ist noch nicht aus-
reichend ins Bewusstsein vorgedrungen. Deswegen ha-
ben wir dem Medizinischen Dienst jetzt den Auftrag er-
teilt, nach der Rehaempfehlung eine entsprechende
Präventionsempfehlung zu geben. Das bringt in der Tat
ein Mehr an Lebensqualität mit sich und trägt, auch
wenn ein bestimmtes Grundleiden zwar nicht mehr ku-
riert, aber der Fortgang der Krankheit verzögert werden
kann, maßgeblich zur Selbstbestimmung bei.
Wichtig ist, dass wir vor Ort nicht die Verantwortlich-
keiten verwischen. Wir wollen wirklich ein Mehr und
nicht nur ein Umfinanzieren. Deswegen glauben wir,
dass der Weg verbindlicher Absprachen aller Akteure
auf Landesebene der richtige ist.
Jetzt hat Frau Schulz-Asche das Wort.
Herr Minister, auch ich habe Nachfragen zu den All-
tagswelten, zu den Lebenswelten. Zum einen: Wir wis-
sen, dass Pflegebedürftigkeit verhindert werden kann
und die entsprechende Arbeit vor allem im Quartiersma-
nagement, das heißt im Stadtteil, stattfindet. Von daher
frage ich, warum in Ihrem Gesetzentwurf der Stadtteil
als Ort des Zusammenlebens der Generationen über-
haupt keine Erwähnung findet.
Die zweite Frage bezieht sich auf die Alltagswelt
Kindergarten. Sagen Sie mir doch bitte einmal ganz kon-
kret, wie Sie sich Folgendes vorstellen: Eine Gemeinde
beschließt, dass alle ihre Kindergärten gesundheitsför-
dernde Kindergärten werden sollen. Das heißt, Bewe-
gung und gute Ernährung sollen gefördert werden, Stress
soll möglichst abgebaut werden, Eigenkompetenzen sol-
len gefördert werden, und gleichzeitig soll der Arbeits-
schutz für die Erzieherinnen, zum Beispiel im Bereich
des Lärmschutzes, sichergestellt werden. Wer soll denn
diese Aufgaben in einer Gemeinde koordinieren? Die
Kassen sind zwar die Geldgeber, aber die Kommune
müsste doch eigentlich die Koordination und die Mode-
ration eines solchen Prozesses vor Ort vornehmen.
Herr Minister.
Es geht gerade nicht darum, dass eine ursprünglich
und zu Recht kommunale Aufgabe nun plötzlich durch
die Krankenversicherten finanziert wird. Das wäre auch
der gesamtgesellschaftlichen Aufgabe gar nicht ange-
messen. Vielmehr geht es um gemeinsame Aktivitäten.
Lassen Sie den Herrn Minister doch erst einmal aus-
reden!
Nein, durch gemeinsame Rahmenvereinbarungen. Ich
habe ja mehrfach davon geredet. Jeder bringt seine Ver-
antwortung ein: für die Gebäude, für die Hofgestaltung.
Für all dies ist der Kindergartenträger verantwortlich,
und dies ist eben häufig die Kommune, beispielsweise
als Förderer eines freien Trägers. Das gilt auch für die
Weiterbildung der Erzieherinnen und Erzieher. Es geht
darum, dass jeder seins macht, aber nicht aneinander
vorbei, sondern besser koordiniert.
Sie haben zweitens nach dem Wohnquartier gefragt:
Wir haben in der Koalition unter meiner Federführung
eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet, in der wir mit
den kommunalen Spitzenverbänden und verschiedenen
Bundesländern über das Thema „Pflegegerechte Wohn-
ortgestaltung“ diskutieren. Auch hier werden wir ent-
sprechende Arbeitsergebnisse erzielen, die dann aller-
dings in ganz andere Bereiche wie den Wohnungsbau
bzw. in die Sozialpolitik insgesamt einfließen müssen.
Herr Kollege Henke, Sie haben das Wort.
Vielen Dank. – Herr Minister, die Diskussion lässt ja
schon erkennen: Das Präventionsgesetz ist nicht die ein-
zige Initiative, die präventiv wirksam ist, sondern wir
handeln auch in vielen anderen Bereichen präventiv. Als
Beispiel nenne ich die Bildungspolitik. Der Kollege hat
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7143
Rudolf Henke
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die gesundheitlichen Folgen von Armut und Arbeits-
losigkeit erwähnt. Ja, klar: Wenn wir wirtschaftsförder-
liche Politik machen, mit der wir Investitionen in Ar-
beitsplätze fördern, dann schützen wir auch die
Gesundheit. Man kann nicht alles den Krankenkassen
übertragen.
Was mich am meisten interessiert, ist: Wie, glauben
Sie, können wir besser als bisher die Menschen errei-
chen, die sich bis jetzt noch nicht von Präventionsmaß-
nahmen angesprochen fühlen, also die Menschen, die
nicht an solchen Maßnahmen teilnehmen? Wir haben ja
eine Zweiteilung: Ein großer Teil der Menschen macht
bei den Krankenkassen entsprechende Kurse; aber der
andere Teil, der sie vielleicht am nötigsten hätte, macht
sie leider nicht. Werden da mit dem Präventionsgesetz
neue Impulse gesetzt?
Herr Minister.
Erstens. Sie haben recht – das betrifft auch die Frage,
die vorhin im Hinblick auf die sozialen Chancen und die
Chancen auf gesundes Leben gestellt wurde –, dass guter
Bildung und guter Beschäftigung eine zentrale Bedeu-
tung zukommt. Insofern muss man aufpassen: Man darf
weder einen zu engen Präventionsbegriff zugrunde le-
gen, der allein die Erwachsenenbildung oder die Jugend-
bildung im Gesundheitsbereich in den Mittelpunkt rückt,
noch darf man einen zu weiten Präventionsbegriff zu-
grunde legen, mit dem man sozusagen die gesamte Ge-
staltung des Sozialen zum Zwecke des Ausgleichs von
Chancennachteilen zur Aufgabe der Krankenversiche-
rung erklärt.
Ein gutes Beispiel ist die Verankerung zahnärztlicher
Untersuchungen in Kindergärten. Sie hat in den letzten
Jahrzehnten dazu geführt, dass in unserem Land, vergli-
chen mit den anderen Industriestaaten, unter Jugendli-
chen die beste Zahngesundheit vorzufinden ist.
Ich denke, an einer Reihe solcher Präventionsmaßnah-
men zeigt sich, dass man die Menschen am besten da er-
reicht, wo sie leben, lernen und arbeiten. Deswegen sind
Maßnahmen in der Schule von zentraler Bedeutung,
auch im Hinblick auf den sozialen Chancenausgleich.
Jetzt hat die Kollegin Scharfenberg das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie
haben gesagt, Geld aus der Pflegeversicherung werde ins
Präventionsgesetz mit einfließen und damit sollten Prä-
ventionsmaßnahmen im Bereich der stationären Alten-
pflege finanziert werden. Ich denke, da ist sicherlich ei-
niges möglich. Aber ist nicht gerade die Zeit vor einem
Umzug in eine stationäre Einrichtung für präventive
Maßnahmen ganz besonders wichtig, um die Pflegebe-
dürftigkeit hinauszuzögern oder den Gesundheitszustand
zu stabilisieren? Warum gibt es im Rahmen des Präven-
tionsgesetzes – insbesondere angesichts der Tatsache,
dass, wie Sie sagen, die Pflegeversicherung dies mitfi-
nanzieren wird – für die Zeit vor dem Umzug in eine sta-
tionäre Einrichtung nicht ähnliche Präventionsmaßnah-
men, wie sie im stationären Bereich vorgesehen sind?
Denn gerade die Pflegeversicherung ist im Anschluss
auch die Nutznießerin, zum Beispiel bei Einsparungen
aufgrund verhinderter Pflegebedürftigkeit oder Nichter-
höhung der Pflegestufe.
Herr Minister.
Wir stärken diesen Aspekt bewusst auch in der ambu-
lanten Altenpflege. Erstens gehört zur Begutachtung des
Medizinischen Dienstes in Zukunft selbstverständlich
eine Rehaempfehlung. Dieser sollte meiner Meinung
nach – auch das muss sich noch entwickeln – wesentlich
öfter gefolgt werden. Es gibt über 1 Million Begutach-
tungen; zu einer konkreten Rehaempfehlung kam es aber
nur in knapp 6 000 Fällen. Das ist das, was ich vorhin
„Schalter im Kopf“ genannt habe.
Zweitens gehört eine Präventionsempfehlung dazu.
Wenn die Menschen in ihrem häuslichen Umfeld leben,
ist die Krankenversicherung zuständig, wobei eine Re-
hamaßnahme unter Umständen auch zulasten der Ren-
tenversicherung erfolgen kann. Die Ausgestaltung des
Lebensraumes Altenpflegeeinrichtung – dort werden die
Menschen sozusagen in einer gemeinsamen Lebenswelt
erreicht – ist dagegen Aufgabe der Pflegeversicherung.
Herr Kollege Petzold, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie
haben mich mit Ihrer Andeutung in Ihrer Antwort natür-
lich neugierig gemacht. Ich würde daher gerne noch wis-
sen, welche konkreten messbaren und überprüfbaren
Maßnahmen und Ziele Sie dabei ins Auge gefasst haben
und mit welchen konkreten Maßnahmen wir rechnen
dürfen. Diese konnte ich nämlich zumindest in dem mir
vorliegenden Entwurf Ihres Gesetzes nicht finden.
In welchem Bereich?
Es geht um die Verringerung sozialer Ungleichheit.
Danach hatte ich vorhin gefragt.
Herr Minister.
7144 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
(C)
(B)
Wir haben diesbezüglich beispielsweise bei der Bun-
deszentrale für gesundheitliche Aufklärung eine große
Expertise. Parallel zu den verschiedenen Aufklärungs-
maßnahmen zu den Themen Aids, Alkohol usw. – es
geht um die unterschiedlichsten Themen – findet eine
Evaluierung statt, durch die genau diese Frage, ob wir
auch benachteiligte Gruppen erreichen, wissenschaft-
lich untersucht wird. Bei der Entwicklung von Maßnah-
men für die Kitas, für die Schulen und auch für die Wei-
terbildung von Erzieherinnen und Erziehern ist zentrale
Messlatte für den Gesetzgeber, einen Beitrag zur Chan-
cengleichheit zu leisten, so wie wir das bei Maßnahmen
der gesundheitlichen Aufklärung seit langem und mit
großem Erfolg tun. Und dies gilt auch für die jeweils er-
folgende Evaluierung.
Die Kollegin Vogler hat als Nächste das Wort.
Herr Minister, da Sie zum Thema „Verringerung so-
zialer Ungleichheiten“ offensichtlich nichts Konkretes
sagen können, will ich es jetzt einmal mit einem ganz
anderen Themenbereich versuchen.
Wir haben hier ja eine große Debatte über das Thema
Suizidassistenz geführt, und Sie haben das Thema „Psy-
chische Belastungen“ angesprochen. Mich würde in die-
sem Zusammenhang interessieren, inwieweit die Bun-
desregierung auch die Suizidprävention – insbesondere
mit Blick auf den Alterssuizid – zu einem Thema dieses
Präventionsgesetzes macht und welche konkreten Maß-
nahmen Ihnen hier vorschweben.
Herr Minister.
Erstens. Ich lege Wert darauf, dass eine Reihe von
Maßnahmen, die ich schon genannt habe – beispiels-
weise die Untersuchung von Kindern und Jugendlichen
sowie Empfehlungen, was das Impfen angeht –, gerade
diejenigen erreicht, die kein enges Verhältnis zu einem
Arzt haben. Indem solche Maßnahmen zum Beispiel mit
dem Kitabesuch verbunden werden, lenken wir den Fo-
kus ausdrücklich auf diejenigen, die sonst nicht in aus-
reichender Weise erreicht würden.
Zweitens. Wir nehmen im Gesetzentwurf Bezug auf
die verschiedenen Gesundheitsziele – die Themen De-
pression und „Gesund älter werden“ werden darin aus-
drücklich genannt –, und wir bringen verschiedene
konkrete Maßnahmen zur Verbesserung der Suizidprä-
vention auf den Weg, und zwar nicht zuletzt durch die
– das ist ein anderes Gesetzgebungsverfahren, das uns
aber auch beschäftigen muss – Überarbeitung der Psy-
chiatrierichtlinie und der Sprechstundenangebote.
Jetzt hat Frau Kollegin Pflugradt das Wort.
Vielen Dank. – Herr Minister, Sie haben vorhin sehr
zu meiner Freude gesagt, dass eine gesunde Ernährung
eine Präventionsmaßnahme ist. Das kann ich nur unter-
stützen und unterstreichen. Welche Vorstellungen, Pläne
und Ziele haben Sie hier? Welche Maßnahmen wollen
Sie ergreifen, um das auch zu untermauern?
Herr Minister.
Im Gesetzentwurf nehmen wir Bezug auf entspre-
chende Aktivitäten. Als Beispiel sei das vom Bundes-
ministerium für Ernährung und Landwirtschaft und un-
serem Haus gemeinsam verantwortete Programm IN
FORM genannt. Dadurch wird beispielsweise die Zu-
sammenarbeit mit Netzwerken gefördert. Zum Thema
Schulverpflegung gab es neulich eine Veranstaltung, die
dem Erfahrungsaustausch im Hinblick auf die Qualitäts-
sicherung und auf die Berücksichtigung gesundheitlicher
Belange in der Schulverpflegung diente.
Das ist ein Beispiel, an dem deutlich wird, dass wir
die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Er-
nährung, die in dem Gesetzentwurf genannt werden,
ernst nehmen. Egal ob Kantinenessen im Betrieb oder
auch das Essen in Kita und Schule: Gesunde Ernährung
kann einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, die Ent-
wicklung von fehlernährungsbedingten Krankheiten zu
vermeiden.
Jetzt hat die Kollegin Klein-Schmeink das Wort.
Ich habe eine Frage zum Thema Sport auf Rezept.
Nicht von ungefähr hat der Kollege Hennrich von der
CDU/CSU diese Maßnahme im Präventionsgesetz kriti-
siert. Ich frage Sie: Wie verträgt sich auf der einen Seite
ausgerechnet dieser Ansatz mit dem lebensweltlichen
Ansatz? Schließlich ist klar, dass bestimmte Gruppen
eben keinen Arzt aufsuchen und deshalb mit gesund-
heitsbewusstem Verhalten insgesamt Schwierigkeiten
haben. Heißt das auf der anderen Seite in der Folge, dass
es auch eine neue Honorarziffer geben wird, mit der
dann die Abrechnung dieser Beratung ermöglicht wird?
Herr Minister.
Nein, darum geht es nicht. Das wäre auch völlig
falsch. Ich glaube, es sind Streitigkeiten, die der Vergan-
genheit angehören. Ich warne davor, die Fragen „Wie er-
mutigen wir Menschen, eigenverantwortlich gesünder zu
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7145
Bundesminister Hermann Gröhe
(C)
(B)
leben?“ und „Wie erreichen wir diese Menschen in ihren
Lebenswelten?“ permanent gegeneinander zu stellen.
Mit Blick auf das besondere Vertrauensverhältnis vie-
ler Familien zu ihrem Hausarzt legen wir großen Wert
auf den Gedanken der Prävention und übrigens auch auf
entsprechende Empfehlungen, die zum Ausgleich von
Benachteiligungen führen sollen. Die entsprechenden
Präventionsempfehlungen, die dann für die Krankenkas-
sen bindend sind, sind ein richtiger Ansatz.
Wir brauchen Sport und Bewegung in unserer Le-
benswelt. Dazu gehören auch der Sportunterricht und
vieles andere mehr. Aber das ist nicht gegen die Idee ge-
richtet, die Vertrauensbeziehung zum Arzt für Empfeh-
lungen zu nutzen.
Jetzt hat der Kollege Stritzl das Wort. Dann lasse ich
noch eine Frage zu. Danach möchte ich die Befragung
schließen. – Herr Kollege Stritzl.
Herr Minister, wenn ich das richtig verstanden habe,
ist es so, dass Sie mit diesem Gesetzentwurf wirkliches
Neuland betreten. Mich interessiert, wo Sie als Minister
die drei Schwerpunkte dieses Gesetzentwurfs sehen, von
denen Sie sagen, dass es sich um sinnvolle und erforder-
liche Regelungen handelt. Bitte beziehen Sie in die Ant-
wort auch die Frage ein, von welchem Mittelansatz Sie
insgesamt ausgehen.
Herr Minister.
Der Mittelansatz insgesamt sieht so aus, dass wir im
Bereich der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversiche-
rung in Zukunft rund eine halbe Milliarde Euro und da-
mit mehr als doppelt so viel wie in der Vergangenheit zur
Verfügung stellen.
Die drei entscheidenden Punkte sind: Erstens. Alle,
die in diesem Bereich tätig sind – die gesetzliche Unfall-
versicherung spricht in diesem Zusammenhang von über
1 Milliarde Euro –, sollen ihre Aktivitäten bündeln und
aufeinander abstimmen, damit es zu einer Gesamtstrate-
gie und zu einer verbindlichen Gesamtverantwortung
vor Ort kommt.
Zweitens. Wir fangen bei den Kleinsten an, indem in
Kita und Schule verstärkt Prävention betrieben wird und
die Jugenduntersuchungen ausgeweitet und aufgewertet
werden. Außerdem gehört zur Prävention die verbesserte
Durchimpfung der Bevölkerung. Wir übertragen die gu-
ten Beispiele, die wir vor allen Dingen in großen Betrie-
ben finden, nämlich die betriebliche Gesundheitsförde-
rung, auf unsere Wirtschaft insgesamt.
Drittens. Wir verankern und verstärken den Gedanken
– das ist mir ganz wichtig –, dass gesundheitsförderndes
Verhalten in jeder Lebensphase, auch in der Phase nach
dem Erwerbsleben, Sinn hat.
Als letzter Kollege in dieser Runde erhält der Kollege
Petzold das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich
bin mir nicht sicher, ob den Problemen im Präventions-
bereich allein mit Evaluationen zu Leibe gerückt werden
kann.
Sie haben vorhin das Stichwort HIV/Aids genannt.
Das habe ich in Ihrem Gesetzentwurf bislang nicht fin-
den können. In Ihren einleitenden Ausführungen vorhin
haben Sie das Thema auch nicht erwähnt. Deshalb geht
meine Frage dahin, wie im Bereich HIV/Aids die Prä-
vention zukünftig gestaltet werden soll. Bitte beantwor-
ten Sie diese Frage konkreter als nur mit einem Hinweis
auf Evaluationen.
Ich frage das vor allen Dingen vor dem Hintergrund
eines Urteils des Landgerichts Oldenburg gegen eine
Prostituierte, die wegen ungeschütztem Sex zu einer
Freiheitsstrafe verurteilt worden ist. Anschließend soll
sie sogar sicherheitsverwahrt werden. Wenn man die Lo-
gik eines solchen Urteils zu Ende denkt, dann wird Prä-
vention, was HIV/Aids angeht, künftig den Positiven
überlassen bleiben. Das kann ja wohl nicht in Ihrem
Sinne sein.
Herr Minister.
Ich bitte um Verständnis, dass ich zu einem Urteil, das
mir nicht vorliegt, und zu der von Ihnen vermuteten Be-
deutung, die das Urteil insgesamt hat, nicht Stellung
nehmen möchte.
Insgesamt zeigt sich gerade mit Blick auf HIV/Aids,
wie erfolgreich Prävention in diesem Land funktioniert.
Denken wir einmal 20 Jahre zurück und erinnern wir uns
an die erbitterten Auseinandersetzungen in dieser Ge-
sellschaft über die Fragen, wie wir was erreichen, was
zur Krankheitsbekämpfung zu tun ist, wie wir Stigmati-
sierung vermeiden und was wir an Aufklärung leisten
können. Unsere Anstrengungen waren insgesamt ein
großer Erfolg. Zudem ist das ein Bereich, für den ganz
viele erkennbar Verantwortung tragen. Das beginnt mit
der Sexualaufklärung in der Schule. Dazu gehört auch
die Arbeit der Selbsthilfegruppen wie zum Beispiel der
Deutschen Aids-Hilfe und der Bundeszentrale für ge-
sundheitliche Aufklärung.
Das ist ein eindrucksvolles Beispiel dafür, dass man
einzelne Maßnahmen nicht gegeneinander ausspielen
sollte. Was in den Schulen stattgefunden hat, wurde
durch öffentliche Kampagnen, die der Enttabuisierung
bestimmter Themen und die der Entstigmatisierung be-
stimmter Personengruppen dienten, wirksam unterstützt.
Insofern wird diese Arbeit – dazu habe ich mich kürzlich
anlässlich des Welt-Aids-Tages ausdrücklich geäußert –
weiterhin von hoher Priorität sein müssen.
7146 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
(C)
(B)
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt
es Fragen zu anderen Themen der Kabinettssitzung? Ich
bitte, daran zu denken, dass all das, was jetzt noch ge-
fragt wird, zu einer Verkürzung der Fragestunde führt. –
Herr Krischer.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Ich versichere Ih-
nen, es geht auch ganz schnell.
Ich habe der Presse entnommen, dass heute im Bun-
deskabinett – Stichwort Pkw-Maut – ein Gesetzentwurf
zur Infrastrukturabgabe und ein Gesetzentwurf zur No-
vellierung des Kfz-Steuergesetzes beschlossen worden
sind. Ferner war der Presse zu entnehmen, dass es dazu
eine Protokollnotiz geben soll.
Meine Frage an die Bundesregierung: Ist diese Proto-
kollnotiz im Bundeskabinett beschlossen worden? Was
ist deren Inhalt? Ist die Bundesregierung bereit, diese
Protokollnotiz dem Deutschen Bundestag für die weitere
Beratung dieser Gesetzentwürfe zur Verfügung zu stel-
len?
Herr Minister.
– Ich denke auch, dass Minister Dobrindt der richtige
Minister für die Beantwortung dieser Frage ist. Herr
Dobrindt, Sie haben das Wort.
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
Ich bin davon ausgegangen, dass Herr Minister Gröhe
die einführenden Worte für mich übernimmt und dann
weiterleitet.
Wir haben heute im Kabinett den Gesetzentwurf zur
Einführung einer Infrastrukturabgabe beschlossen.
Gleichzeitig haben wir einen Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Kfz-Steuergesetzes beschlossen. Ich habe in
meinen Anmerkungen im Kabinett noch einmal deutlich
darauf hingewiesen, dass die neue Infrastrukturabgabe
nicht zu einer Mehrbelastung der Halter von in Deutsch-
land zugelassenen Kfz führen wird.
Die heutigen Beschlüsse zu den beiden Gesetzentwürfen
zur Einführung einer Infrastrukturabgabe und zur Re-
form des Kfz-Steuergesetzes sind von diesem Grundsatz
geleitet. Dies findet sich auch so im Protokoll wieder.
Das ist das, was Sie gerne zur Kenntnis haben woll-
ten. Ich habe Ihnen dies auch gerne mitgeteilt. Was Sie
unter Protokollnotiz verstehen, ist das von mir soeben
Vorgetragene, –
Herr Minister, Sie müssen zum Schluss kommen.
Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr
und digitale Infrastruktur:
– ja –, das von den anderen Mitgliedern des Kabinetts
auch so als zutreffend und als gemeinsames Verständnis
über unser Vorgehen festgehalten worden ist.
Herr Kollege Kekeritz, Sie haben das Wort.
– Der Kollege Kekeritz hat das Wort.
Herzlichen Dank. – Im Ministerrat in Brüssel wurde
kürzlich entschieden, die EPA-Verträge unverändert zu
akzeptieren. Meine Frage an die Regierung ist: Was ge-
denkt die Bundesregierung im weiteren Verfahren zu
tun? Wird das Parlament über die EPAs mitentscheiden,
oder geht das Kabinett davon aus, dass es demokratisch
legitimiert ist und deshalb die Verträge ohne Parlaments-
beteiligung ratifizieren kann?
Wer antwortet für die Bundesregierung? – Herr Roth.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich will noch einmal
klarstellen, Herr Kollege, dass das Thema, das Sie ange-
sprochen haben, heute nicht Gegenstand der Kabinetts-
sitzung war. Aber Sie haben ja das Recht, auch Fragen
zu anderen Themen zu stellen.
Wir müssen das noch prüfen. Eine abgestimmte Posi-
tion der Bundesregierung gibt es dazu noch nicht. Wir
nehmen Ihre Frage gerne zum Anlass, das mit den ver-
antwortlichen Ressorts zu klären.
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt
es darüber hinaus Fragen an die Bundesregierung? –
Wenn das nicht der Fall ist, dann beende ich die Befra-
gung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksachen 18/3518, 18/3535
Nachdem die Fragen gemäß Nummer 15 Absatz 3 der
Richtlinien für die Fragestunde und für die schriftlichen
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7147
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Einzelfragen auf Drucksache 18/3535 nach dem Grund
der Fristüberschreitung bei der Beantwortung durch die
Bundesregierung zwischenzeitlich von der Fragestellerin
zurückgezogen worden sind, rufe ich die Fragen auf
Drucksache 18/3518 in der üblichen Reihenfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter zur
Verfügung.
Die Fragen 1 und 2 des Abgeordneten Manuel
Sarrazin sollen schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 3 des Abgeordneten Richard
Pitterle auf:
Sind der Bundesregierung Fälle bekannt, in denen Organi-
sationen, die sich selbst zu Religionsgemeinschaften erklärt
haben, nach Ansicht der Rechtsprechung jedoch vorrangig
kommerzielle Ziele verfolgen und bei entsprechenden Tätig-
keiten daher ein Gewerbe anmelden müssten, dieser Anmel-
depflicht und der daraus folgenden Steuerpflicht nicht nach-
gekommen und damit unter anderem im Hinblick auf die
Bekämpfung der Geldwäsche relevant geworden sind, und
wenn ja, welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregie-
rung diesbezüglich ergriffen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
S
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Pitterle, ich beantworte die Frage wie
folgt: Eine Ressortabfrage hat ergeben, dass wir keiner-
lei Erkenntnisse zu der geschilderten Problematik haben.
Gibt es eine Nachfrage?
Haben der Bund-Länder-Gesprächskreis „sogenannte
Sekten und Psychogruppen“ und die „Ständige Inter-
ministerielle Arbeitsgruppe zur Koordinierung und Bün-
delung der Aktivitäten von Bund und Ländern in Bezug
auf die Scientology-Organisation“ nicht die Aufgabe,
diese Informationen zu sammeln, bzw. warum werden
sie nicht gesammelt, wenn sie offensichtlich, wie Sie sa-
gen, nicht vorliegen?
Herr Staatssekretär.
S
Sie haben einen konkreten steuerrechtlichen Sachver-
halt angesprochen. Ich glaube nicht, dass es sich hierbei
um eine steuerrechtliche Bund-Länder-Arbeitsgruppe
handelt. Ich gehe der Sache aber gerne nach und würde
Ihnen über den Aufgabenzuschnitt dieser Arbeitsgruppe
gerne eine schriftliche Notiz zukommen lassen.
Vielen Dank. – Dann kommen wir zum Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales.
Ich rufe die Frage 4 des Abgeordneten Markus Kurth
auf:
tionsarbeitsgruppe „Flexibler Rentenübergang“ diskutiert
Frau Staatssekretärin Lösekrug-Möller.
G
Herr Kollege Kurth, ich antworte auf Ihre Frage wie
folgt: Die Beratungen der Arbeitsgruppe „Flexible Über-
gänge in den Ruhestand“ sind noch nicht abgeschlossen.
Über den Inhalt der internen Beratungen können im Inte-
resse eines zielgerichteten Entscheidungsprozesses keine
Angaben gemacht werden.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kurth? – Bitte.
Ja, ich habe eine Nachfrage und bitte die Frau Vize-
präsidentin – denn hier sind auch Rechte von Abgeord-
neten betroffen –, dafür zu sorgen, dass mir zugehört
wird, wenn ich meine Nachfrage stelle.
Ich habe bereits in der vergangenen Fragestunde Frau
Kramme danach gefragt. Sie hat mir damals fünf The-
men genannt, die Sie in der Koalitionsarbeitsgruppe
„Flexible Übergänge in den Ruhestand“ besprechen. Die
Bundesregierung nimmt an dieser Koalitionsarbeits-
gruppe teil. Ich habe mehrfach betont – ich wiederhole
das –, dass mir nicht daran gelegen ist, eine politische
Bewertung dessen zu erhalten, worüber Sie dort verhan-
deln; es ist klar, dass Sie das für sich behalten wollen.
Aber ich möchte wenigstens eine Liste der 15 Themen
haben, die zumindest in den Zeitungen erwähnt wurden,
und die Diskussionsgegenstände genannt wissen. Halten
Sie es eigentlich für angemessen gegenüber dem Parla-
ment, noch nicht einmal die dürren Fakten dessen, wor-
über Sie reden, mitzuteilen, wenn doch Sie oder Frau
Kramme als Staatssekretärinnen an den Beratungen re-
gelmäßig teilnehmen?
G
Herr Kollege Kurth, ich habe nachgelesen, was Ihnen
meine Kollegin Kramme am 3. Dezember geantwortet
hat. Ich finde, dass sie auf sehr verbindliche und kluge
Weise geantwortet hat. Sie hat ein paar Beispiele ge-
nannt. Das ist im Protokoll festgehalten; diese Beispiele
kennen Sie ebenfalls. Wir haben aber in der Tat die feste
Absicht, zu guten Ergebnissen zu kommen. Deshalb ist
es nicht im Sinne einer guten Lösungsorientierung, Ih-
nen nun eine abschließende Liste all der Themen, über
die beraten wird, vorzutragen. Diese Übereinkunft haben
wir im Sinne eines guten Arbeitsergebnisses getroffen.
Die Arbeitsgruppe wird aller Voraussicht nach erneut im
Januar tagen. Möglicherweise kommt sie dann zum Ab-
schluss. Aber selbst das ist im Augenblick noch offen.
7148 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
(C)
(B)
Können Sie mir denn bestätigen, dass folgende The-
men behandelt werden – ich komme zu diesem Schluss,
wenn ich mir verschiedene Redebeiträge und die De-
batte, die wir unlängst im Parlament geführt haben, vor
Augen führe –: erstens Flexibilisierung der Teilrente ab
60, zweitens verbesserte Hinzuverdienstmöglichkeiten
bei der Teilrente, drittens Rechtsanspruch auf Teilzeit im
Alter, viertens Alterssicherungsgeld, fünftens Zeitwert-
konten, sechstens Gesundheitsförderung und Prävention,
siebtens Recht auf Qualifikation und Weiterbildung, ach-
tens Verbesserung der Erwerbsminderungsrente, neun-
tens Umsetzung einer Anti-Stress-Verordnung, zehntens
Ü-50-Check-up, elftens flexiblerer Rückkauf von Ab-
schlägen, zwölftens Abschaffung der Rentenbeiträge von
Älteren, Stichwort „Flexi-Rente“, dreizehntens befristete
Arbeitsverhältnisse von Älteren, vierzehntens degressive
Gestaltung der Zuschläge und fünfzehntens Zwangsver-
rentung von Langzeitarbeitslosen ab 63 Jahre.
Frau Staatssekretärin.
G
Verehrter Herr Kollege Kurth, ich könnte meine Ant-
wort wiederholen. Ich möchte das ganz freundlich ma-
chen. Es handelt sich um eine Arbeitsgruppe der Koali-
tionsfraktionen, die unter Mitarbeit des BMAS tagt. Wir
werden über die Themen, über die beraten wird, keine
Auskunft geben, bevor nicht ein Ergebnis vorliegt.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Zur
Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Peter Bleser zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Friedrich
Ostendorff auf:
Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung die Ge-
samtproduktionsmenge der Straathof-Betriebe an Ferkeln,
Läufern und Mastschweinen, und welche mengen- und preis-
mäßigen Auswirkungen auf den Markt wird ein Produktions-
stopp haben?
Bitte, Herr Bleser.
P
Der Bundesregierung liegen aus amtlichen Erhebun-
gen keine diesbezüglichen Zahlen vor. Sie kann daher
auch keine Aussagen hinsichtlich möglicher Mängel und
preismäßiger Auswirkungen treffen.
Haben Sie eine Nachfrage?
Selbstverständlich. Schönen Dank, Frau Präsidentin. –
Herr Staatssekretär, wenn die Straathof Holding 1,5 Mil-
lionen Ferkel produziert, wie überall zu lesen ist – gut
informierte Kreise gehen sogar von 2,4 Millionen aus –,
dann ist das ein hoher Marktanteil, der sich in der Hand
dieses Herrn Adrian Straathof bündelt. Er hat ein Betreu-
ungs- und Berufsverbot betreffend die 25 Anlagen erhal-
ten, die er in Deutschland betreibt. 2006 wurde er von
einschlägigen Landesregierungen und deren Ministern
willkommen geheißen, sei es in Mecklenburg-Vorpom-
mern oder in Sachsen-Anhalt. Inzwischen sieht man das
grundsätzlich anders.
Meine Frage wäre: Da Sie immer reklamieren, Part-
ner der Landwirtschaft zu sein, und sich als Helfer der
Landwirtschaft verstehen, sehen Sie nicht die Notwen-
digkeit, Klarheit über die Größe und den Umfang der
Aktivitäten des Straathof-Konzerns zu gewinnen?
P
Herr Kollege Ostendorff, dass wir uns als Helfer und
Unterstützer der Landwirtschaft sehen, unterstreiche ich
nachdrücklich. Die von Ihnen genannten Zahlen waren
in der Presse zu lesen. Selbst wenn sie zutreffen, ergäbe
sich daraus ein Marktanteil von 2,5 Prozent. Wir erwar-
ten dadurch keine Marktstörung.
Herr Ostendorff.
Wir können noch einmal nachrechnen: 55 Millionen
Schweine werden produziert. Wenn 2,4 Millionen in der
Hand eines Einzelnen sind, dann wären das 5 Prozent.
Das ist sicherlich eine Größenordnung, die sehr beacht-
lich ist, vor allen Dingen bei den jetzigen Marktverhält-
nissen. Wir haben einen völligen Zusammenbruch der
Schweinepreise. Die unglaublich niedrigen Preise basie-
ren darauf, dass es einen großen Überschuss an Schwei-
nen gibt. Angesichts dessen sind 5 Prozent sicherlich nä-
her zu betrachten.
Hierzu die Frage an Sie: Werden Sie sich das in Zu-
kunft genauer ansehen? Sie sind gerade persönlich in
China gewesen und haben dort den Export von Sport-
pferden angekurbelt, nicht von Schlachtpferden. Sie ha-
ben aber immer wieder darauf verwiesen, dass Sie auch
die Exportaktivitäten deutscher Schweinezüchter ankur-
beln wollen. Wollen Sie das auch für Straathof-Fleisch
tun, oder werden Sie in Zukunft differenzieren?
P
Herr Kollege Ostendorff, die Bundesregierung nimmt
keine Differenzierungen vor, was die Auswahl von Be-
trieben angeht, die verschiedene Zielländer im Export
bedienen.
Ich will die von Ihnen aufgestellten Zahlen und die
damit verbundene Unterstellung, dass wir des Rechnens
nicht kundig wären, korrigieren. Nach unseren Zahlen
werden in Deutschland 46 Millionen Ferkel erzeugt. Das
besagte Unternehmen – so stand es in der Presse – habe
1,5 Millionen Tiere produziert. Damit ist meine Rech-
nung richtig.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7149
(C)
(B)
Wir kommen zur Frage 6 des Kollegen Ostendorff:
In welcher Höhe wurden die Stallbauten der Straathof-Be-
triebe mit Fördergeldern aus Agrarinvestitionsprogrammen
gefördert, und welche Förderungen haben die Straathof-Be-
triebe in den letzten drei Jahren aus flächenbezogenen Direkt-
zahlungen bekommen?
Herr Staatssekretär, Sie haben wieder das Wort.
P
Das Agrarinvestitionsförderungsprogramm, AFP ab-
gekürzt, wird wie alle Fördermaßnahmen im Rahmen
der Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrar-
struktur und des Küstenschutzes“, GAK abgekürzt, von
den Bundesländern umgesetzt und auch durchgeführt.
Dies beinhaltet auch die Kontrolle der Einhaltung der
GAK-Förderbedingungen. Seit dem Jahr 2014 sind bei
einer AFP-Förderung über die gesetzlichen Anforderun-
gen hinausgehende Tierschutzstandards zu erfüllen.
Das BMEL hat keine Daten zu einzelnen Investitions-
projekten des AFP. Im Rahmen der Berichterstattung zur
Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung der Agrarstruktur
und des Küstenschutzes“ werden für die einzelnen För-
derbereiche nur aggregierte Daten von den Ländern an
den Bund weitergegeben. Die der Bundesregierung be-
kannten EU-Agrarzahlungen an die mit der Straathof
Holding GmbH verbundenen Unternehmen können auf
der öffentlich zugänglichen Transparenzplattform der
Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, BLE,
abgerufen werden. Diese überreiche ich Ihnen gerne im
Anschluss separat.
Herr Kollege Ostendorff.
Meine Frage bezog sich auf die Höhe. Ich muss daher
verlangen – das ist auch ein Hinweis an die Parlamenta-
rische Geschäftsführerin –, dass Sie uns die Erkenntnis,
die Sie bei der Einsichtnahme gewonnen haben, heute
mitteilen,
und zwar sowohl differenziert nach einzelbetrieblicher
Förderung als auch nach flächenmäßiger Förderung.
P
Ich hatte bisher immer die Vorstellung, dass gerade
die Grünen, was den Datenschutz angeht, besonders
hohe Ansprüche stellen. Aus Gründen des Datenschut-
zes, aber auch aus rechtlichen Gründen werde ich das
hier nicht mitteilen.
Herr Ostendorff, Sie haben das Wort zu einer weite-
ren Nachfrage.
Herr Staatssekretär, das werden wir dann noch einmal
prüfen. Ich denke, dass diese Zahlen – Sie wissen das
ganz genau – der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen
sollten. Von daher verstehe ich Ihre Aufgeregtheit an
diesem Punkt nicht. Das ist ja nichts Geheimnisvolles.
Man kann natürlich so vorgehen, wie Sie das jetzt tun.
Wechseln wir kurz das Metier. Das Gericht hat nun
festgestellt, dass Herr Straathof praktisch ein Berufsver-
bot für seine Tätigkeiten hat. Wie werden Sie zusammen
mit den Ländern diesem Gerichtsurteil zur Geltung ver-
helfen? Schließlich hat Herr Straathof angekündigt, dass
er sich sehr massiv um Umgehung der Vorschriften be-
mühen wird.
P
Die Rechtsdurchsetzung obliegt den Gerichten. Sie
haben dafür die entsprechenden Mittel zur Verfügung.
Ansonsten ist hier die Zuständigkeit der Länder gege-
ben. Aber unterstützen werden wir in geeigneter Weise
natürlich gerne.
Die Fragen 7 und 8 der Abgeordneten Bärbel Höhn
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf
Brauksiepe zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 9 der Abgeordneten Agnieszka
Brugger auf:
Wann wurde der Leitungsebene des Bundesministeriums
der Verteidigung, BMVg, und wem im Einzelnen erstmals zur
Kenntnis gebracht, dass es den Versuch gegeben haben könnte
,
Einfluss auf die Inhalte sowie die Bewertung eines Berichtes
zu Problemen an dem Sturmgewehr G36 aus dem nachgeord-
neten Bereich des BMVg zu nehmen?
Herr Staatssekretär Dr. Brauksiepe, bitte.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin, wir
haben es hier insgesamt mit zehn Fragen zu tun, die im
Kern dieselbe Thematik betreffen. Dies möchte ich zum
Anlass nehmen, mich zunächst grundsätzlich zum Sach-
verhalt zu äußern.
Das Sturmgewehr G36 ist seit dem Jahr 1996 die
Standardbewaffnung der Soldatinnen und Soldaten der
Bundeswehr. Seit dem Jahr 2012 ist die Waffe hinsicht-
7150 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
(C)
(B)
lich ihrer Qualität und ihres Schießverhaltens wiederholt
in die Kritik geraten.
Den Ausgangspunkt zu dem in der Fragestellung an-
gesprochenen Bericht bildet eine Meldung der 1. Panzer-
division vom 3. April 2014, in dem ein vermeintlich auf-
fälliges Treffverhalten von zwei Gewehren G36 bei
einem durchgeführten Schießen dieses Verbands dem
Bundesministerium der Verteidigung angezeigt wurde.
Obwohl der Vorfall von den zuständigen Stellen nicht
als sogenanntes Besonderes Vorkommnis bei Waffen
und Munition eingestuft wurde, hat sich das Bundes-
ministerium der Verteidigung entschieden, dieser Mel-
dung sofort nachzugehen. Das zuständige Bundesamt für
Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bun-
deswehr wurde am 7. April 2014 mit der Untersuchung
dieses Vorfalls beauftragt und betraute seinerseits die
Wehrtechnische Dienststelle 91 mit der Erstellung eines
entsprechenden Berichts. Der in der Fragestellung ange-
sprochene Bericht ist das Ergebnis dieser hausinternen
Aufklärung der angezeigten Schießergebnisse.
Der Untersuchungsbericht ist von der Wehrtechni-
schen Dienststelle 91 am 9. Juli 2014 finalisiert und an
das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und
Nutzung der Bundeswehr übersandt worden. Nach der
Gesamtbewertung des Projektleiters „G36 in Nutzung“
im Bundesamt für Ausrüstung, Informationstechnik und
Nutzung der Bundeswehr entspricht das System Waffe
und Munition weiterhin uneingeschränkt den derzeit gül-
tigen Forderungen des Bedarfsträgers sowie den daraus
abgeleiteten Abnahmekriterien der Technischen Liefer-
bedingungen. Mit dieser Bewertung wurde der Bericht
dem Bundesministerium der Verteidigung am 10. Juli
2014 vorgelegt.
Zu der Erstellung dieses Berichts wurde dem Vertei-
digungsausschuss des Deutschen Bundestages am 15. De-
zember ein ausführlicher Bericht vorgelegt. Der einver-
nehmlich mit allen Beteiligten erstellte Bericht stellt
detailliert in chronologischer Abfolge den während der
Erstellung des Abschlussberichtes der Wehrtechnischen
Dienststelle 91 abgelaufenen Abstimmungsprozess dar.
Er kommt zu dem Schluss, dass eine unzulässige Ein-
flussnahme im vorliegenden Fall nicht gegeben ist. Es
hat vor der Finalisierung des Abschlussberichtes der
Wehrtechnischen Dienststelle 91 Abstimmungsprozesse
zwischen den Beteiligten gegeben. Zu Beginn und im
weiteren Verlauf des Abstimmungsprozesses hat die
Wehrtechnische Dienststelle 91 mehrmals ausdrücklich
um Anmerkungen und Korrekturvorschläge zum Bericht
gebeten.
Herr Brauksiepe, ich muss auch Sie daran erinnern,
dass Ihnen zur Beantwortung der Frage eine Minute zur
Verfügung steht. Ich habe Ihre bisherige Beantwortung
im Interesse einer sachgerechten Antwort jetzt etwas
länger laufen lassen; nur haben wir die Zeit jetzt wirklich
schon sehr stark überzogen. Von daher bitte ich Sie, zum
Schluss zu kommen.
D
Frau Präsidentin, ich habe gebeten, den Zusammen-
hang einmal im Ganzen darstellen zu können.
Deshalb habe ich es ja auch zugelassen.
D
Ich werde mich bei den folgenden Antworten ein-
schließlich der schriftlich zu gebenden kurzfassen; das
verspreche ich Ihnen.
Wo war ich stehen geblieben? – Dieser Bitte – An-
merkungen und Korrekturvorschläge zu machen – wurde
seitens des Bundesamts für Ausrüstung, Informations-
technik und Nutzung der Bundeswehr sowie des Bundes-
ministeriums der Verteidigung nachgekommen. In dieser
Vorgehensweise liegt keine unzulässige Einflussnahme;
darin liegt auch nicht ein nur dahin gehender Versuch.
Technische Prüfungsinhalte und Untersuchungsergeb-
nisse wurden zu keiner Zeit infrage gestellt. Im Ergebnis
wurde kein Änderungsvorschlag des Bundesministe-
riums der Verteidigung übernommen. Der Bericht wurde
in einer von der Wehrtechnischen Dienststelle 91 verant-
worteten Fassung finalisiert.
Zu Ihrer Frage führe ich darüber hinaus kurz wie folgt
aus: Staatssekretär Hoofe wurde im Rahmen der Vorbe-
reitung seines Gesprächs mit dem Wehrbeauftragten des
Deutschen Bundestags, Hellmut Königshaus, mit der
Thematik des Abstimmungsprozesses bei der Erstellung
des Untersuchungsberichts befasst. Mit Datum vom
21. Juli 2014 wurde ihm unmittelbar vor dem Gespräch
eine Vorlage zur Gesprächsvorbereitung, unter anderem
zu diesem Thema, zugeleitet.
Frau Kollegin Brugger.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich hätte jetzt fast
das Bedürfnis, eine Gegendarstellung zu dem zu geben,
was Sie hier vorgetragen haben, Herr Staatssekretär,
werde mich aber erst einmal auf eine Nachfrage be-
schränken.
Als die geplanten Einflussversuche in der Presse the-
matisiert wurden, hat das Verteidigungsministerium die
Kritik der Opposition mit dem Wording, das sei „ab-
surd“, abgebügelt. Wir hatten heute im Ausschuss das
zweite Mal die Gelegenheit, diesen Vorgang sehr inten-
siv zu beraten; ich begrüße auch ausdrücklich, dass Sie
uns jetzt alle Akten dazu zur Verfügung stellen. Ich hatte
den Eindruck, dass man mittlerweile auch vonseiten des
Verteidigungsministeriums nicht mehr ganz so glücklich
ist über die Art und Weise, wie hier Änderungen in einen
Bericht eingepflegt – ich würde sagen: reingedrückt –
werden sollten, und dass man vor diesem Hintergrund
durchaus überlegt, die Verwaltungsvorschriften zu prü-
fen und anzupassen, damit es zu solchen Vorgängen
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7151
Agnieszka Brugger
(C)
(B)
nicht mehr kommt. Ist das geplant? Bleiben Sie bei dem
Wording „absurd“?
Herr Staatssekretär.
D
Frau Kollegin, ich wiederhole, dass es in diesem Fall
nach übereinstimmender Einschätzung keine unzuläs-
sige Einflussnahme gegeben hat. Gleichwohl werden wir
prüfen, ob zusätzlich zu den Vorschriften, die es gibt, ge-
wissermaßen für den Ablauf des Prozesses noch weitere
Leitplanken eingebaut werden können, die die Möglich-
keit einer unzulässigen Einflussnahme noch weiter aus-
schließen. Das ändert nichts an unserer Feststellung,
dass es hier keine unzulässige Einflussnahme gegeben
hat, was in der Tat auch mindestens sehr bemerkenswert
wäre; denn wir als Ministerium haben diesen Bericht ja
selbst in Auftrag gegeben. Wir sind von niemandem auf-
gefordert worden, wir waren durch keinen Dritten veran-
lasst, einen Bericht Dritten vorzulegen, sondern wir wa-
ren im Interesse unserer Soldatinnen und Soldaten selbst
um Sachaufklärung bemüht und daran interessiert. Es
wäre in der Tat abwegig, anzunehmen, dass wir ein Inte-
resse hätten, uns selbst etwas vorzulügen. Wenn wir die
Wahrheit nicht hätten wissen wollen, hätten wir keinen
Bericht in Auftrag gegeben.
Frau Kollegin Brugger.
Dann würde ich gerne einmal ganz konkret nachfra-
gen und dabei auf die Zentrale Dienstvorschrift 500/1
Bezug nehmen, die unter anderem besagt, dass die Be-
richte aus dem nachgeordneten Bereich eigenständiger
und somit eigenverantwortlicher Teil des nachgeordne-
ten Bereichs in der ministeriellen Vorgangsbearbeitung
sind; sie finden unverändert Eingang in die ministerielle
Arbeit.
Weil Sie jetzt noch einmal gesagt haben: „Hier hat es
nicht den Versuch der Einflussnahme gegeben, Bewer-
tungen zu verändern“, möchte ich nur ein Beispiel auf-
greifen, das im Rahmen der Berichterstattung in der Süd-
deutschen Zeitung erwähnt wurde. Zum Beispiel gab es
aus dem Ministerium heraus den Versuch, den Satz „Das
System Waffe und Munition zeigt hinsichtlich des Treff-
verhaltens keine besonderen Auffälligkeiten“ hineinzu-
bekommen. Ursprung dieses ganzen Vorgangs war, dass
sehr wohl der Verdacht aufkam, hier könnte das Gewehr
ursächlich sein. Sie finden, das sei mit der Dienstvor-
schrift vereinbar und hier sei nicht der Versuch aus dem
Ministerium unternommen worden, zentrale Stellen zu
ändern?
Herr Staatssekretär.
D
So ist es, Frau Kollegin. Die Zentrale Dienstvorschrift
bezieht sich auf bereits abschließend verfasste, finali-
sierte Berichte. Ein noch nicht vorhandener Bericht kann
auch nicht in irgendeiner geänderten Form in die Arbeit
des Ministeriums eingehen. Die Dienstvorschrift bezieht
sich in diesem konkreten Fall auf den Bericht der Wehr-
technischen Dienststelle 91 vom 9. Juli.
Mit dem ist in der Tat exakt so verfahren worden, wie
es in der entsprechenden Zentralen Dienstvorschrift vor-
gesehen ist. Ich darf Ihnen exemplarisch zu dem, was ich
eben ausgeführt habe, ergänzend noch einmal aus einem
entsprechenden Schreiben der Wehrtechnischen Dienst-
stelle an die anderen Beteiligten, das Ihnen ebenfalls
vorliegt, vorlesen. Dort heißt es ausdrücklich: Ich bitte
um Kommentare bis zum – in diesem Fall – 20. Juni
2014. – Dieser Bitte ist von entsprechender Stelle nach-
gekommen worden, mit der Bitte, die entsprechenden
Hinweise zu prüfen.
Ebenso heißt es in dem von Ihnen angesprochenen
Hinweis aus dem Ministerium – dort werden Formulie-
rungsvorschläge gemacht –: Diese bitte ich zu prüfen.
Das ist sozusagen die Aufforderung gewesen, der dann
von entsprechender Stelle mit den ausdrücklich erbete-
nen Formulierungsvorschlägen nachgekommen worden
ist.
Herr Kollege Brauksiepe, Sie müssen zum Schluss
kommen.
D
Darin kann ich keine unangemessene Einflussnahme
erkennen.
Ich rufe die Frage 10 der Abgeordneten Brugger auf:
Wann hat der Staatssekretär im Bundesministerium der
Verteidigung, Gerd Hoofe, infolge der Kenntnisnahme des
Vorfalls, spätestens aber nach dem Gespräch mit dem
Wehrbeauftragten des Deutschen Bundestages, Hellmut
Königshaus, in dieser Sache die Bundesministerin der Vertei-
digung, Dr. Ursula von der Leyen, über den Vorgang infor-
miert, und, wenn ja, in welcher Form ist dies geschehen?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
D
Frau Kollegin Brugger, der Wehrbeauftragte des
Deutschen Bundestages hat auf eigenen Wunsch in einer
Besprechung am 24. Juli 2014 mit Herrn Staatssekretär
Hoofe den Sachverhalt der möglichen Einflussnahme er-
örtert und die einzelnen Aspekte hierzu diskutiert.
Herr Staatssekretär Hoofe wurde im Zuge der Vorbe-
reitung auf das Gespräch mit einer Vorlage vom 21. Juli
2014 unmittelbar vor dem Gespräch mit der Thematik
des Abstimmungsprozesses bei der Erstellung des Unter-
suchungsberichtes befasst. Aufgrund dieser Vorberei-
7152 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
(C)
(B)
tung, insbesondere aber aufgrund der Darstellung des
Sachverhaltes durch den zuständigen Referatsleiter in
Gegenwart des Wehrbeauftragten des Deutschen Bun-
destages gewann Staatssekretär Hoofe den Eindruck,
dass in Bezug auf den Untersuchungsbericht und den
vorangegangenen Abstimmungsprozess keine weiteren
Fragen zu dieser Thematik bestanden. Deshalb gab es
keine Veranlassung für Staatssekretär Hoofe, andere
Leitungsmitglieder unmittelbar zu unterrichten. Das
schließt nicht aus, dass zum Beispiel im Rahmen einer
Morgenlage der Leitung des Hauses eine kurze Unter-
richtung zum Ergebnis des Gesprächs stattgefunden hat.
Ein konkreter Zeitpunkt ist nicht dokumentiert.
Frau Kollegin Brugger.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Danke, Herr Staats-
sekretär. Sie haben es im Rahmen Ihrer Antwort ange-
sprochen: Der Wehrbeauftragte ist hier eingeschaltet
worden. Das heißt, jemand, der in diesen Prozess invol-
viert war, hat anonym eine Eingabe beim Wehrbeauf-
tragten gemacht. Er hat offensichtlich nicht Ihre Ein-
schätzung geteilt, dass es sich hier um einen ganz
normalen Vorgang handelt, sondern hat ihn für so gravie-
rend eingeschätzt, dass er sich vertrauensvoll an den
Wehrbeauftragten gewandt hat, mit dem Hinweis, er
oder sie würde sich unter Druck gesetzt fühlen. Wie
passt das zu Ihrer Darstellung, dass es sich hier um einen
ganz normalen Vorgang handelt, der tagtäglich im Hause
stattfindet?
Herr Staatssekretär.
D
Frau Kollegin, der Wehrbeauftragte des Deutschen
Bundestages ist im Rahmen seiner Kompetenzen tätig
geworden. Er hat, was sein gutes Recht ist, bei der Wehr-
technischen Dienststelle 91 einen unangekündigten Be-
such gemacht. Er hat um ein Gespräch mit Staatssekretär
Hoofe gebeten. Dieses Gespräch hat stattgefunden. Das
ist das, worüber ich Ihnen berichten kann. Was den
Wehrbeauftragten zum Besuch der Wehrtechnischen
Dienststelle 91 veranlasst hat, entzieht sich meiner
Kenntnis und geht mich auch nichts an. Ich habe ihn da-
nach nicht zu befragen.
Eine Nachfrage noch? – Okay.
Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie diesen Vorgang als
völlig normal ansehen. Es gibt mittlerweile ein Bündel
an Berichten und Untersuchungen zum Thema G36. Das
heißt, wir als Abgeordnete müssen damit rechnen, dass
die Dokumente, die uns hierzu vorliegen, im Rahmen
von aus Ihrer Sicht ganz normalen Prozessen entstanden
sind. In diesem Fall wäre es so gewesen: Wenn sich
nicht jemand aus dem nachgeordneten Bereich als nicht
einverstanden mit den Bewertungen des Ministeriums
erklärt hätte, dann wäre der Bericht in seiner Bewertung
und in seiner Qualität massiv verändert worden. Das
heißt, wir müssen damit rechnen, dass in weiteren Be-
richten ähnliche Vorkommnisse dahinterstehen und dass
wir uns nicht auf die abschließenden Bewertungen, die
wir dort finden, verlassen können.
Herr Staatssekretär.
D
Frau Kollegin, ich bitte Sie, mir nicht Dinge in den
Mund zu legen, die ich nicht gesagt habe. Ich habe ge-
sagt: Es hat nach überstimmender Einschätzung aller Be-
teiligten hier keine unzulässige Einflussnahme gegeben.
Das heißt nicht, dass um das G36 herum alles normal ist.
Ich habe schon zu Anfang ausgeführt, dass wir, obwohl
die zuständigen Stellen im BMVg und im BAAINBw zu
der Einschätzung gekommen sind, dass es bei diesem
Schießen kein sogenanntes Besonderes Vorkommnis
gab, diesen Bericht in Auftrag gegeben haben, weil das
Sturmgewehr G36 für unsere Soldatinnen und Soldaten
im Einsatz wichtig ist. Wir fühlen uns den Soldatinnen
und Soldaten verpflichtet und wollen Gewissheit haben,
dass sie sich auf dieses Gewehr verlassen können.
Deswegen haben wir uns im Sommer mit dem Bun-
desrechnungshof auf ein Verfahren verständigt, erneut
zu prüfen. Wir sagen nicht: „Wir haben recht, und andere
haben unrecht“, sondern unternehmen den Versuch, ge-
meinsam mit allen Experten zu einer einvernehmlichen
Einschätzung in Bezug auf dieses Gewehr zu kommen.
Das ist das, worum es uns geht. Insofern ist das Thema
G36 kein Routinefall. Es ist ein sensibles Thema, das
wir mit der gebotenen Sensibilität und Akribie behan-
deln.
Ich sage noch einmal: Die in Ihrer Fragestellung im-
plizierte Unterstellung ist durch nichts begründet. Im
Gegenteil: Der Bericht, den die Wehrtechnische Dienst-
stelle 91 im Entwurf vorgelegt hat, ist, ohne dass Ände-
rungsvorschläge aus dem BMVg aufgenommen worden
wären, auch so finalisiert worden. Es hat hier keine Än-
derungen gegeben, die das BMVg gegen den Sachver-
stand und Willen von anderen durchgesetzt hätte.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Dr. Schmidt auf:
Inwiefern wurden bei der Beauftragung und weiteren Er-
stellung des Abschlussberichts der Wehrtechnischen Dienst-
stelle 91, WTD 91, zum Treffverhalten des Sturmgewehrs
G36, der auf den 9. Juli 2014 datiert, die dafür vorgesehenen
Berichtswege entlang der einschlägigen Zentralen Dienstvor-
schriften eingehalten?
Herr Staatssekretär.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7153
(C)
(B)
D
Herr Kollege Schmidt, ich antworte Ihnen wie folgt:
Die Beauftragung des Berichts seitens des Bundesminis-
teriums der Verteidigung erfolgte auf dem Dienstweg
über das Bundesamt für Ausrüstung, Informationstech-
nik und Nutzung der Bundeswehr. Im Zuge der weiteren
Erstellung des Berichts wurde seitens des Bundesminis-
teriums der Verteidigung sowohl mit dem Bundesamt für
Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der
Bundeswehr als auch mit der Wehrtechnischen Dienst-
stelle 91 kommuniziert.
Herr Kollege Schmidt.
Ich habe folgende Nachfrage: Wie genau wurde denn
die Bearbeitung dieses Abschlussberichtes in den nach-
geordneten Bereichen, also in der Wehrtechnischen
Dienststelle 91 und im Bundesamt für Ausrüstung, In-
formationstechnik und Nutzung der Bundeswehr, beglei-
tet? Wie sah das aus?
Herr Staatssekretär.
D
Herr Kollege Schmidt, es gibt eine umfangreiche
Chronologie, die wir für den Verteidigungsausschuss
aufbereitet haben. Die Präsidentin würde es sicherlich
nicht zulassen, dass ich diese jetzt vollständig wieder-
gebe.
Ich möchte nur wenige Punkte herausgreifen: Am
16. Juni ist dem BMVg erstmals ein vollständiger Ent-
wurf dieses Berichts zugekommen. Es gab vorher schon
einmal einen Entwurf, der ausdrücklich als unvollstän-
dig bezeichnet wurde. Es hat am 28. Mai dann eine Erör-
terung dieses Berichts gegeben. Der erste vollständige
Entwurf, der uns zugegangen ist, stammt vom 16. Mai.
Es hat, wie gesagt, schon vorher ausdrücklich die Bitte
gegeben, Korrekturvorschläge bzw. Änderungsvor-
schläge zu machen. Dem ist seitens des BMVg erstmals
am 18. Juni und ein zweites Mal am 25. Juni nachge-
kommen worden. Im Ergebnis sind diese Vorschläge
nicht übernommen worden, sondern am 9. Juli ist dann
der Abschlussbericht erstellt worden, ohne dass Ände-
rungsvorschläge des BMVg aufgenommen worden wä-
ren.
Herr Kollege Schmidt.
Dann frage ich anders: Können Sie mir sagen, welche
Personen vonseiten des BMVg an der Erstellung dieses
Abschlussberichtes beteiligt waren?
Herr Staatssekretär.
D
Der Abschlussbericht ist in der Eigenverantwortung
der Wehrtechnischen Dienststelle 91 erstellt worden.
Von einem zuständigen Mitarbeiter des BMVg in der
Abteilung Ausrüstung, Informationstechnik und Nut-
zung sind auf der Strecke Formulierungsvorschläge erar-
beitet worden, die dann in Eigenverantwortung der
WTD 91 nicht übernommen worden sind.
Ich komme zur Frage 12 des Kollegen Dr. Schmidt:
Welche Stellen im BMVg wussten über die Akteneinsicht
bei dem unangekündigten Besuch des Wehrbeauftragten des
Deutschen Bundestages bei der WTD 91 Bescheid bzw. wur-
den nachträglich in Kenntnis gesetzt?
Herr Staatssekretär, Sie haben wieder das Wort.
D
Herr Kollege Schmidt, ich antworte Ihnen wie folgt:
Im Vorfeld des Besuchs des Wehrbeauftragten am
15. Juli 2014 hatte das Bundesministerium der Verteidi-
gung keine Kenntnis. Am 17. Juli 2014 hat das Bundes-
ministerium der Verteidigung durch den Bericht der
Wehrtechnischen Dienststelle 91 an das Bundesamt für
Ausrüstung, Informationstechnik und Nutzung der Bun-
deswehr Kenntnis über den Besuch erhalten. Zur allge-
meinen Erläuterung: Es geht hier um den Besuch des
Wehrbeauftragten bei der Wehrtechnischen Dienst-
stelle 91.
Herr Kollege Schmidt.
Ich habe die Nachfrage: Hat es nach der Aktenein-
sicht durch den Wehrbeauftragten Versuche der Einfluss-
nahme durch das BMVg gegeben? Sie haben in den Ant-
worten auf die Fragen der Kollegin Brugger mehrfach
gesagt, nach Ihrer Kenntnis habe es keine unzulässige
Einflussnahme gegeben. Mich würde interessieren, ob es
überhaupt Einflussnahme gegeben hat, zum Beispiel
eine, die Sie für zulässig erachten. Also, unabhängig da-
von, ob Sie sie für zulässig oder unzulässig erachten: Hat
es Einflussnahme gegeben?
Herr Staatssekretär.
D
Herr Kollege Schmidt, ich wiederhole gerne, dass es
zweimal die schriftliche Bitte der WTD 91 gab, Kom-
mentierungen, Änderungsvorschläge etc. zu machen. –
Ich schaue mir noch einmal die erste Formulierung an,
7154 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
(C)
(B)
die zweite habe ich schon vorgetragen. Die erste Bitte
wurde so formuliert: Anbei der zweite Entwurf des Be-
richtes der WTD 91 zur Meldung der 1. Panzerdivision
mit der Bitte um Anmerkungen und Korrekturvor-
schläge.
Darum ist seitens der WTD 91 zweimal gebeten wor-
den. Es hat seitens des BMVg zweimal solche Vor-
schläge gegeben, die – das wiederhole ich gerne noch
einmal – von der WTD 91 nicht übernommen wurden.
Das alles hat vor dem Besuch des Wehrbeauftragten
in der Wehrtechnischen Dienststelle 91 stattgefunden.
Dieser fand statt, nachdem der Bericht bereits finalisiert
war. Von daher kann sich nach der Finalisierung des Be-
richts die Frage nach der zulässigen Einflussnahme auf
den Bericht nicht gestellt haben. Wenn Sie den Umstand,
dass ein Mitarbeiter des BMVg der Bitte nach Ände-
rungsvorschlägen nachkommt, als zulässige Einfluss-
nahme bezeichnen, dann ist das aus meiner Sicht eine se-
mantische Frage. Das können Sie halten, wie Sie wollen.
Aber die Bitte, dass man einer Bitte nachkommt, ist je-
denfalls keine unzulässige Einflussnahme.
Die Fragen 13 und 14 der Kollegin Katja Keul wer-
den schriftlich beantwortet.
Dann komme ich zur Frage 15 der Abgeordneten
Doris Wagner:
Wann sollte den Abgeordneten des Deutschen Bundesta-
ges bzw. den Mitgliedern des Verteidigungsausschusses des
Deutschen Bundestages die versuchte Einflussnahme auf die
Erstellung des Abschlussberichts der WTD 91 zum Treffver-
halten des Sturmgewehrs G36 zur Kenntnis gebracht werden?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
D
Vielen Dank. – Frau Kollegin, es hat vor der Finali-
sierung des Untersuchungsberichtes der Wehrtechni-
schen Dienststelle 91 Abstimmungsprozesse zwischen
den Beteiligten gegeben. In dieser Vorgehensweise liegt
keine unzulässige Einflussnahme oder auch nur der da-
hin gehende Versuch vor. Demzufolge war nicht beab-
sichtigt, die Abgeordneten des Deutschen Bundestages
über diesen Abstimmungsprozess zu informieren.
Frau Kollegin Wagner.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich nehme zur
Kenntnis, dass Sie offenbar eine andere Auffassung ver-
treten als der Beschwerdeführer oder die Beschwerde-
führerin beim Wehrbeauftragten. Ich habe keine Nach-
frage; vielen Dank.
Ich rufe die Frage 16 der Abgeordneten Doris Wagner
auf:
Warum hat das BMVg die Mitglieder des Verteidigungs-
ausschusses des Deutschen Bundestages nicht nach dem Be-
kanntwerden der versuchten Einflussnahmen auf die Erstel-
lung des Berichts der WTD 91, spätestens aber infolge des
unangekündigten Besuches des Wehrbeauftragten des Deut-
schen Bundestages bei der WTD 91 sowie des folgenden Ge-
sprächs zwischen ihm und dem Staatssekretär im Bundes-
ministerium der Verteidigung, Gerd Hoofe, über den Vorgang
informiert?
Herr Staatssekretär, Sie haben wieder das Wort.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin, ich
antworte Ihnen wie folgt – ziemlich ähnlich, weil die
Frage ziemlich ähnlich ist –: Es hat vor der Finalisierung
des Untersuchungsberichtes der Wehrtechnischen Dienst-
stelle 91 Abstimmungsprozesse zwischen den Beteilig-
ten gegeben. In dieser Vorgehensweise liegt keine unzu-
lässige Einflussnahme oder auch nur der dahin gehende
Versuch. Demzufolge war nicht beabsichtigt, die Mit-
glieder des Verteidigungsausschusses des Deutschen
Bundestages über diesen Abstimmungsprozess zu infor-
mieren.
Frau Kollegin Wagner.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Auch hier habe
ich keine weitere Nachfrage; vielen Dank.
Kollegin Brugger hat hierzu eine Nachfrage. – Frau
Kollegin Brugger.
Vielen Dank, dass ich diese kurze Nachfrage stellen
darf. – Als dies alles bekannt geworden ist und über den
Vorfall in der Presse, in der Süddeutschen Zeitung, zu le-
sen war, hat sich ein Kollege der Koalition öffentlich mit
dem Hinweis darauf geäußert, dass er den Berichten aus
dem Ministerium nicht mehr wirklich vertraut. Glauben
Sie, dass sich der Ausschuss an dieser Stelle wirklich gut
informiert fühlen kann?
Herr Staatssekretär.
D
Frau Kollegin, es würde meine Kompetenzen über-
schreiten, wenn ich über die Einschätzung von Aus-
schussmitgliedern spekulieren oder öffentliche Äußerun-
gen frei gewählter Abgeordneter kommentieren würde.
Das steht mir nicht zu, und das maße ich mir nicht an.
Ich komme zur Frage 17 des Abgeordneten Uwe
Kekeritz:
Wann – bitte einzelne Ereignisse möglichst mit Datum an-
führen – hat es nach derzeitiger Kenntnis des BMVg seitens
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7155
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Teilen des BMVg Versuche gegeben, unter Verstoß gegen die
einschlägige Zentrale Dienstvorschrift, ZDv 500/1, Einfluss
auf die Kernaussagen des Abschlussberichts der WTD 91
zum Treffverhalten des Sturmgewehrs G36, der auf den 9. Juli
2014 datiert, zu nehmen, und wie wurden diese versuchten
Einflussnahmen dokumentiert?
Herr Staatssekretär, Sie haben wieder das Wort.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Kekeritz, ich antworte Ihnen wie folgt: Es hat im Zusam-
menhang mit der Abschlussberichterstattung der WTD 91
zum Treffverhalten des Gewehrs G36 zu keiner Zeit Ak-
tivitäten des Bundesministeriums der Verteidigung gege-
ben, die als unzulässige Einflussnahme und damit als
Verstoß gegen die einschlägige Zentrale Dienstvorschrift
ZDv 500/1 zu werten sind.
Kollege Kekeritz.
Herr Staatssekretär, ich habe jetzt verstanden, dass
diese Antwort grundsätzlich für alle Fragen passt. Dies-
bezüglich habe ich keine weiteren Nachfragen.
Dann komme ich zu Frage 18 ebenfalls des Kollegen
Kekeritz:
Welche personellen Konsequenzen wurden nach Bekannt-
werden der versuchten Einflussnahme auf den in Rede stehen-
den Abschlussbericht der WTD 91 zum Treffverhalten des
Sturmgewehrs G36, der auf den 9. Juli 2014 datiert, durch die
Leitung des BMVg veranlasst, und welche Maßnahmen hat
das Ministerium ergriffen bzw. plant es zu ergreifen, um künf-
tige Verstöße gegen die ZDv 500/1 zu verhindern?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege, ich
antworte Ihnen wie folgt: Da es nicht zu Verstößen ge-
gen die Zentrale Dienstvorschrift ZDv 500/1 gekommen
ist, waren und sind keine personellen Konsequenzen
bzw. weiter gehenden Maßnahmen angezeigt.
Herr Kekeritz.
Ich habe keine andere Antwort erwartet.
Keine Nachfragen? – Dann komme ich zum Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend.
Hier werden die Fragen 19 und 20 der Abgeordneten
Ulla Jelpke schriftlich beantwortet. Die Fragen 21 und
22 des Abgeordneten Wunderlich werden ebenfalls
schriftlich beantwortet.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Gesundheit.
Frage 23 der Kollegin Vogler wird schriftlich beant-
wortet.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur.
Frage 24 des Abgeordneten Harald Petzold wird
schriftlich beantwortet.
Ich komme zur Frage 25 der Kollegin Renate Künast:
Welche konkreten Planungen für den Ausbau des Berliner
gramm der Europäischen Union zur Förderung vorgeschla-
gen, und welche Ausbauvariante der Dresdener Bahn ist dabei
vorgesehen?
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
D
Liebe Frau Kollegin Künast, Ihre Frage beantworte
ich wie folgt: keine.
Frau Kollegin Künast.
Jetzt muss ich sicherheitshalber selber gucken, wie
genau meine Frage endete, da Sie die lange Antwort
„keine“ geben, Frau Bär.
Wir haben den Medien entnommen, dass Gelder für
Bahnprojekte oder Mobilitätsprojekte im Bereich Berlin
oder Berlin-Brandenburg beantragt wurden. Meine Frage
war, welche „konkreten Planungen für den Ausbau des
Berliner Bahnnetzes“ zur Förderung vorgeschlagen wur-
den und „welche Ausbauvariante der Dresdener Bahn …
dabei vorgesehen“ ist. Soll ich Ihre Antwort so verste-
hen, dass der Hinweis aus dem Magazin Der Spiegel,
man habe bezüglich solcher Mobilitätsprojekte über-
haupt etwas beantragt, komplett falsch ist, oder sind es
andere Projekte, die Sie beantragt haben?
Frau Staatssekretärin.
D
Sie hatten gefragt, welche Maßnahmen die Bundesre-
gierung im Bereich des Ausbaus des Berliner Bahnnet-
zes zur EU-Förderung vorgeschlagen hat. Wenn man die
Frage nicht nur auf Berlin bezieht, sondern grundsätzlich
fasst, lautet sie: Welche Maßnahmen im Bereich des
Aus- und Neubaus der Schiene wurden überhaupt vorge-
schlagen? – Darauf kann ich auch nur antworten: keine.
7156 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Parl. Staatssekretärin Dorothee Bär
(C)
(B)
Ich habe hier eine detaillierte Liste, was von Deutsch-
land in jedem einzelnen Bereich angemeldet wurde. Da
geht es um Straßen, um Wasserstraßen und um die digi-
tale Infrastruktur. Aber wenn sich die Frage konkret auf
die Schiene bezieht, muss ich mit „keine“ antworten.
Also bezieht sich „keine“ auf das Bundesgebiet und
nicht nur auf das Gebiet Berlin-Brandenburg?
D
Keine.
Danke.
Die Fragen 26 und 27 des Kollegen Herbert Behrens
werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 28 und 29
der Kollegin Sabine Leidig werden auch schriftlich be-
antwortet.
Damit komme ich zur Frage 30 des Abgeordneten
Lutze:
Bleibt es auch im verlängerten Betreibervertrag des Bun-
des mit der Toll Collect GmbH zur Erhebung der Lkw-Maut
bei der bisherigen Regelung, dass die Übertragung der Anla-
gen und Einrichtungen nach Ablauf des Betreibervertrages
kostenlos erfolgen würde, während der Laufzeit aber der ak-
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Wort.
D
Ja. – Das ist die Antwort auf Frage 30.
Richtig.
D
Das war die Antwort: ja.
Gut. Kurz und knapp. – Herr Kollege Lutze, Sie ha-
ben das Wort. – Keine Nachfrage.
Ich rufe nun die Frage 31 des Kollegen Thomas Lutze
auf:
Welche Kosten – zum Beispiel Nutzung der Patente, Über-
nahme von Anlagen und Einrichtungen, Datenbank etc. –
würden für den Bund anfallen, wenn er nach Vertragsbeginn
des verlängerten Betreibervertrages zur Erhebung der Lkw-
Maut durch Toll Collect die Toll Collect GmbH übernehmen
würde – Call-Option; bitte gegebenenfalls für unterschiedli-
che Zeitpunkte, insbesondere vor und nach Ablauf des verlän-
gerten Betreibervertrages gesondert angeben –, und sind in
diesem Verlängerungsvertrag entsprechende Kosten bzw.
Grundlagen oder Ähnliches niedergelegt?
Frau Staatsekretärin, Sie haben das Wort.
D
Nein, jetzt kommt eine längere Antwort. Ich habe
meine Zeit noch nicht ausgeschöpft.
Die Frage 31 beantworte ich wie folgt: Der Bund
hätte im Falle einer Call-Option einen Kaufpreis zu zah-
len, der im Rahmen einer Due Diligence ermittelt wird.
Nach Ablauf des verlängerten Betreibervertrages erfolgt
die Übertragung der Anlagen und Einrichtungen kosten-
los.
Herr Kollege.
Vielen Dank. – Zur Erinnerung: Die Patente gehen im
alten wie im neuen Vertrag nur dann kostenlos an den
Bund über, wenn die Call-Option bei Vertragsbeendi-
gung nicht ausgeübt wird; so lautete eine entsprechende
Antwort von Frau Reiche am 3. Dezember. Bleibt es also
dabei, dass der Bund immer zahlen muss: entweder für
die Anlagen der Einrichtung, für die Übernahme, wenn
sie während der Vertragslaufzeit erfolgt, oder für die Pa-
tente, wenn keine Übernahme erfolgt? Meine zweite
Frage: Welche Kosten für Anlagen und Einrichtungen
einerseits und für Patente andererseits würden auf den
Bund zum jeweiligen Zeitpunkt der Übernahme mögli-
cherweise zukommen?
Frau Staatssekretärin.
D
Ich kann Ihnen sagen, dass wir als Bund die Call-Op-
tion zur Sicherung des Mautsystems immer zum 31. Au-
gust mit einer Ankündigungsfrist von drei Monaten zie-
hen könnten. Ab dem 1. Juni 2016 ist dies mit einer
Ankündigungsfrist von drei Monaten jederzeit möglich.
Sollte Toll Collect bei der Mauterweiterung mehr als
sechs Monate in Verzug geraten, kann die Call-Option
ebenfalls jederzeit gezogen werden.
Die Regelungen, die im Verlängerungsvertrag enthal-
ten sind, betreffen ausschließlich die Behandlung von
neuen Schutz- und Nutzungsrechten innerhalb des Ver-
längerungszeitraums. Alle Assets, die für den Betrieb
des Mautsystems erforderlich sind, können im Falle ei-
nes Ziehens der Call-Option uneingeschränkt vom Bund
übernommen werden. Darüber hinaus kann ich Ihnen
keine detaillierten Angaben machen.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Die Fragen 32 und 33 des Kollegen Stephan
Kühn sowie die Fragen 34 und 35 der Kollegin Annalena
Baerbock werden schriftlich beantwortet.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7157
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
(C)
(B)
Ich rufe die Frage 36 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Kann die Bundesregierung bestätigen, dass es sich bei
denjenigen Atomkraftwerken, die noch eine Berechtigung
zum Leistungsbetrieb haben und bei denen die in der Antwort
der Bundesregierung auf meine schriftliche Frage auf Bundes-
tagsdrucksache 18/3519 genannte Prüfung der Gesellschaft
für Anlagen- und Reaktorsicherheit, GRS, mbH der betreffen-
den länderaufsichtlichen Bewertung zur Umsetzung der Wei-
terleitungsnachricht 2008/7 zum Eindringen von Brandgasen
in die AKW-Warte stattfindet, um die beiden AKW Grafen-
rheinfeld und Isar 2 handelt, und wie lange wird diese Prüfung
der GRS voraussichtlich noch dauern?
Zur Beantwortung steht Staatssekretärin Rita
Schwarzelühr-Sutter zur Verfügung. – Frau Staatssekre-
tärin, Sie haben das Wort.
Ri
Sehr geehrte Frau Kollegin Kotting-Uhl, den ersten
Teil Ihrer Frage beantwortet die Bundesregierung mit Ja.
Die Prüfung der Gesellschaft für Anlagen- und Reaktor-
sicherheit dauert an. Eine Aussage, bis wann die Prüfung
abgeschlossen sein wird, kann nicht getroffen werden.
Frau Kollegin Kotting-Uhl.
Danke für die Gelegenheit zur Nachfrage. – Frau
Staatssekretärin, zur Antwort auf die erste Hälfte meiner
Frage: Es freut mich, dass das bestätigt wird. Mit der
Antwort auf die andere Hälfte meiner Frage bin ich un-
zufrieden. Für alle anderen noch am Netz befindlichen
Atomkraftwerke hat die GRS das Problem – nach eige-
ner Aussage seit März 1913 – gelöst. Woran liegt es,
dass wir bei den von mir genannten Atomkraftwerken
seit eineinhalb Jahren auf die Ergebnisse der Prüfung
warten? Man weiß nicht einmal, wie lange die Prüfung
noch dauern wird.
Frau Staatssekretärin.
Ri
Frau Kollegin, Sie haben sicherlich nicht 1913, son-
dern 2013 gemeint.
– 1913 gab es noch keine AKW.
Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit hat die Gesellschaft für Anla-
gen- und Reaktorsicherheit beauftragt, eine Bewertung
im Gesamtkontext der Rückflüsse auch anderer Kern-
kraftwerke hinsichtlich der Weiterleitungsnachricht durch-
zuführen und sich gegebenenfalls weitere Informationen
von den atomrechtlichen Aufsichtsbehörden der Länder
einzuholen. Ich kann Ihnen versichern, dass sich die
GRS intensiv mit dieser Thematik auseinandersetzt. Im
Frühjahr wird es hier in Berlin eine Veranstaltung der
GRS unter anderem zum Thema Weiterleitungsnachricht
geben.
Sie haben eine zweite Nachfrage.
Auch wenn es nicht im Jahr 1913, sondern im Jahr
2013 war – was den Zeitraum entscheidend verkürzt –,
so dauert die Prüfung doch ein bisschen lang. So groß
können die Unterschiede zwischen den beiden bayeri-
schen Kraftwerken und den anderen Atomkraftwerken
nicht sein. Darf ich davon ausgehen, dass auch das Bun-
desumweltministerium der Ansicht ist, dass das Ergeb-
nis in absehbarer Zeit vorliegen müsste? Darf ich des
Weiteren davon ausgehen, dass das Bundesumweltmi-
nisterium diese Ansicht gegenüber der GRS mit Nach-
druck zum Ausdruck bringt?
Ri
Wir werden Sie dann informieren, wenn das Ergebnis
vorliegt.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung.
Ich rufe die Frage 37 der Kollegin Kotting-Uhl auf:
Welche vergleichende Darstellung und Bewertung von
Zeitplänen sieht das Detailkonzept der Forschungszentrum
Jülich GmbH, das sich gegenwärtig in der Nachprüfung beim
Ministerium für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand
und Handwerk des Landes Nordrhein-Westfalen, MWEIMH,
befindet, siehe Antwort der Bundesregierung auf meine
mündliche Frage 23, Plenarprotokoll 18/72, Anlage 14, je-
weils für die drei Optionen zum Umgang mit dem hochradio-
aktiven Müll aus dem Versuchsreaktor AVR Jülich vor – bitte
nach US-Export, Transport der Brennelemente ins Zwischen-
lager Ahaus und Ertüchtigung bzw. Neubau eines Zwischenla-
gers in Jülich aufschlüsseln?
Herr Staatssekretär, bitte.
S
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kotting-Uhl,
wie Sie in Ihrer Frage formulieren, befindet sich das De-
tailkonzept gerade zur Nachprüfung beim Ministerium
für Wirtschaft, Energie, Industrie, Mittelstand und Hand-
werk des Landes Nordrhein-Westfalen. Das Ergebnis
dieser Nachprüfung hat nun letztlich auch das Bundes-
ministerium für Bildung und Forschung abzuwarten.
Das hatte ich Ihnen bereits in der Antwort auf Ihre
mündliche Frage vom 28. November 2014 mitgeteilt.
Ich bitte um Verständnis dafür, dass es, jedenfalls nach
7158 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Parl. Staatssekretär Stefan Müller
(C)
(B)
unserer Auffassung, dem zuständigen Landesministe-
rium als verfahrensleitender Aufsichtsbehörde obliegt,
zu entscheiden, ob und ab welchem Zeitpunkt ein Infor-
mationszugang der Öffentlichkeit oder von Mitgliedern
des Deutschen Bundestages zum Konzeptinhalt rechtlich
zulässig erfolgen kann.
Frau Kollegin Kotting-Uhl.
Danke schön. – Ich erlaube mir, aus Ihrer Antwort auf
meine letzte Frage zu diesem Sachverhalt auf Drucksa-
che 18/3360 zu zitieren: „Die Entscheidung des“ zu-
ständigen Ministeriums, „mit welcher Alternative der
Anordnung Folge zu leisten ist, ist nicht von Kostenge-
sichtspunkten geleitet.“ – Wunderbar. Weiter heißt es:
Zum aktuellen Zeitpunkt ist es lediglich möglich,
auf der Grundlage von Informationen und vorläufi-
gen Schätzungen des FZJ vorsorglich Ausgaben zu
planen.
Dann listen Sie auf, welche Mittel für dieses und die
nächsten Jahre in den Bundeshaushalt eingestellt sind.
Das sind alles Ausgaben, die ausdrücklich den US-Ex-
port meinen – so steht das im Haushalt – und nicht alle
drei Optionen umfassen. Darf ich das so interpretieren,
dass sich die Informationen und vorläufigen Schätzun-
gen des Forschungszentrums Jülich ausdrücklich auf die
US-Option beziehen?
S
Nein, Frau Kollegin, das dürfen Sie so nicht interpre-
tieren. Ich möchte Sie darauf hinweisen, dass es eine re-
daktionelle Öffnung im Bundeshaushalt gegeben hat.
Wenn Sie einen Blick in den Bundeshaushalt für 2015
werfen, werden Sie erkennen, dass sich der Haushaltsan-
satz ausdrücklich nicht allein auf die US-Option bezieht,
sondern auch auf alle anderen Optionen.
Frau Kotting-Uhl.
Mich überzeugt das nicht wirklich, weil man lediglich
die Zweckbestimmung herausgenommen hat und den
Haushaltsansatz in der Höhe belassen hat. Daher bin ich
nicht überzeugt, dass man das Ziel geändert hat.
– Ich finde das auch sehr bedauerlich.
Ich habe aber noch eine zweite Frage: Welches Inte-
resse verfolgt das Ministerium für Bildung und For-
schung mit dem Angebot an Nordrhein-Westfalen, im
Falle eines US-Exports 90 Prozent der Finanzierung zu
übernehmen statt nur 70 Prozent, wozu die Bundesregie-
rung verpflichtet wäre? Wenn eine der anderen Optionen
genutzt würde, bleibt es anscheinend bei diesen 70 Pro-
zent.
Herr Staatssekretär.
S
Die Verhandlungen, die Sie ansprechen, beziehen sich
ausschließlich auf den Rückbau und auf keine weiteren
Bereiche.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich der Bun-
deskanzlerin und des Bundeskanzleramtes.
Die Frage 38 der Abgeordneten Britta Haßelmann zu
dem Komplex der frühzeitigen Übermittlung der Tages-
ordnung der Kabinettssitzung an die Fraktionen des
Deutschen Bundestages wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie.
Wir kommen zur Frage 39 des Abgeordneten Oliver
Krischer. – Er ist nicht anwesend. Dann können wir die
Frage auch nicht mündlich beantworten. Es wird verfah-
ren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 40 des Abgeordneten Krischer wird schrift-
lich beantwortet. Die Fragen 41 und 42 der Abgeordne-
ten Sevim Dağdelen werden ebenfalls schriftlich beant-
wortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts.
Ich rufe die Frage 43 der Kollegin Dr. Brantner auf:
Wie viele Millionen Euro hat die Bundesregierung am
3. Dezember 2014 im Rahmen der vom Auswärtigen Amt be-
teln aus dem Sommer 2014 – 40 Millionen Euro für Syrien
und Nachbarländer – zur Verfügung gestellt, um einer drohen-
den Einstellung der Nahrungsmittelhilfe des World Food Pro-
gramme, WFP, entgegenzuwirken?
Herr Staatssekretär.
Vielen Dank, Frau Vizepräsidentin. – Liebe Kollegin
Brantner, das Auswärtige Amt hat dem Welternährungs-
programm noch im Herbst dieses Jahres 15 Millionen
Euro überplanmäßig zur Verfügung gestellt. Das wurde
Anfang Dezember dieses Jahres in einer Pressemittei-
lung der Öffentlichkeit mitgeteilt. Fast zeitgleich gab es
den dringenden Appell des Welternährungsprogramms,
zusätzliche Mittel zur Weiterführung der Nahrungsmit-
telhilfen zur Verfügung zu stellen. Wir haben daraufhin
noch einmal kurzfristig aus Restmitteln weitere 4,4 Mil-
lionen Euro zur Verfügung gestellt, um die drohende
Einstellung der Lebensmittelprogramme abzuwenden.
Diese Lebensmittelprogramme – das wissen Sie – sind
vor allem für die Nachbarländer Syriens gedacht. Insge-
samt haben wir in diesem Jahr – diese Mittel kamen von
meinem Haus – für humanitäre Hilfsprogramme des
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7159
Staatsminister Michael Roth
(C)
(B)
Welternährungsprogramms rund 40 Millionen Euro für
Syrien und die Nachbarländer zur Verfügung gestellt.
Ich will der Fairness halber darauf hinweisen, dass
auch ein weiteres Ressort, nämlich das Bundesministe-
rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-
lung, dem Welternährungsprogramm Mittel in signifi-
kanter Höhe im Zusammenhang mit der Syrien-Krise
und der Krise im Irak zur Verfügung gestellt hat, und
zwar 11,5 Millionen Euro für die Unterstützung der syri-
schen Flüchtlinge im Libanon und 13,5 Millionen Euro
zur Unterstützung von Flüchtlingen im Irak. Diese Mit-
tel kamen aus dem Haushalt des BMZ.
Es macht mich ein kleines bisschen stolz – das liegt
aber auch in der Verantwortung des Deutschen Bundes-
tages –, dass die Bundesrepublik Deutschland im Rah-
men des Welternährungsprogramms fünftgrößter bilate-
raler Geber weltweit ist. Wir setzen uns sehr dafür ein,
dass die Bereitstellung der Mittel auf hohem Niveau in
den nächsten Jahren fortgesetzt wird.
Frau Kollegin Brantner.
Herzlichen Dank, Frau Vizepräsidentin, und danke
für die Antwort, Herr Staatsminister. – Ich habe noch
eine Nachfrage. Anfang November wurde von Ihnen er-
klärt, dass man 40 Millionen Euro für Syrien zur Verfü-
gung stellen würde, und diese 40 Millionen Euro, von
denen Sie gerade sprachen, wurden ja dann im Novem-
ber hier im Bundestag im Rahmen des Haushalts mit
verabschiedet. Dann wurde im Dezember noch einmal
gesagt, man würde Geld für das Welternährungspro-
gramm zur Verfügung stellen. Heißt das, dass die Gelder,
die man jetzt ausgezahlt hat, um auf den Appell der Ver-
einten Nationen zu reagieren, de facto die Gelder sind,
die man im November für Syrien angekündigt hatte?
Wir haben über die zu diesem Zeitpunkt bereits zuge-
sagten Mittel hinaus aus Restmitteln meines Hauses
kurzfristig weitere 4,4 Millionen Euro zur Verfügung ge-
stellt, als wir das Notsignal des Welternährungspro-
gramms hörten. Es gab auch viele Anregungen hier aus
dem Haus und auch von Nichtregierungsorganisationen.
Wir haben im Rahmen unserer Möglichkeiten versucht,
das Nötigste zu tun. Wir hoffen, dass es uns auch im
nächsten Jahr gelingt, die Bereitstellung der Mittel auf
diesem hohen Niveau fortzusetzen.
Frau Brantner, haben Sie noch eine weitere Frage?
Ja. – Ich habe noch eine ganz kurze Rückfrage. Sie
sprachen jetzt gerade von den Mitteln, die Sie zusam-
mengekratzt hatten. In Ihrem Schreiben vom 4. Novem-
ber stand, dass für aktuelle Krisen 5 Millionen Euro zu-
sätzlich zur Verfügung stehen. Sind diese 4,4 Millionen
Euro, von denen Sie gerade sprachen, Teil dieser 5 Mil-
lionen Euro, oder waren dies Gelder, die aus irgendwel-
chen Töpfen zusammengekratzt worden sind?
Bevor ich Ihnen jetzt etwas Falsches sage, biete ich
Ihnen ausdrücklich an, dass ich dies noch einmal recher-
chiere. Wie gesagt: überplanmäßige Mittel für Syrien
und die Nachbarländer aus meinem Haus in Höhe von
40 Millionen Euro. Kurzfristig – diese Gelder haben
nichts mit den bereits zugesagten Mitteln zu tun – haben
wir weitere 4,4 Millionen Euro für das Welternährungs-
programm zur Verfügung gestellt. Alles andere müsste
ich recherchieren.
Danke.
Die Fragen 44 und 45 des Kollegen Wolfgang
Gehrcke, die Frage 46 der Kollegin Renate Künast, die
Frage 47 der Kollegin Heike Hänsel sowie die Fragen 48
und 49 des Kollegen Dr. André Hahn werden schriftlich
beantwortet.
Deshalb kommen wir jetzt zu Frage 50:
Wie rechtfertigt die Bundesregierung, die stets beteuert,
mit Flüchtlingen aus den Kriegsgebieten in Syrien solidarisch
zu sein und mehr in Deutschland aufzunehmen – Merkur-
Online.de vom 27. Oktober 2014), die Praxis, dass Menschen
in höchster Not und Gefahr persönlich oder deren Vertreter
unzumutbare Reisen und Risiken auf sich nehmen müssen,
(C)
(B)
Weil bald Weihnachten ist, Herr Staatsminister,
möchte auch ich mit einem Dank anfangen. Ich küm-
mere mich um etwas mehr als ein Dutzend Flüchtlinge
aus Syrien. Meine Mitarbeiter haben intensiven Kontakt
zu Ihrem Haus und Ihren Mitarbeitern. Ich danke für
diese Unterstützung. Sie ist sicherlich richtig.
Nun kommen wir aber zu diesen konkreten Fällen.
Ich möchte die Namen der Betroffenen jetzt und hier
nicht nennen; Ihnen kann ich sie aber nennen. Das, was
ich hier beschrieben habe – dass von Personen, die sich
in Aleppo, in Syrien, aufhalten, die verfolgt werden, dort
weg müssen und schwer krank sind, verlangt wird, durch
vermutlich ein Dutzend Kontrollstellen nach Beirut zu
reisen, um dort ihre Papiere abzugeben, dann nach
Aleppo zurückzureisen, dort zu warten, ob sie ein Visum
bekommen, und dann von dort zu versuchen, irgendei-
nen Weg zu finden, um nach Deutschland zu kommen,
wenn es mit dem Visum klappt; das weiß man ja vorher
nicht –, ist die Auskunft, die wir aus Ihrem Hause be-
kommen haben. Meine Mitarbeiterin hat mehrfach inten-
siv und lange mit Ihren Mitarbeitern telefoniert.
Herr Kollege Ströbele, erst einmal Danke an Sie für
Ihr Engagement. Wie viele andere Kolleginnen und Kol-
legen bemühen auch Sie sich da sehr. Ich möchte aber
auch eine Lanze für die Kolleginnen und Kollegen bei
mir im Hause brechen, die wirklich alles Menschenmög-
liche tun, um vielen Flüchtlingen zu helfen. Die Lage ist
schon dramatisch genug; wir wollen sie nicht durch
übermäßige Bürokratie zusätzlich erschweren.
Aber selbstverständlich sind auch wir an die Regelungen
zur Erteilung des Schengen-Visums gebunden. Darüber
hinaus habe ich Ihnen eben Wege aufgezeigt, wie wir
auch den Flüchtlingen, die sich in einer akuten medizini-
schen Notlage befinden, entgegenkommen können.
Die beiden Fälle, die Sie mir geschildert haben, kenne
ich nicht; sie sind auch meinem Haus offenkundig nicht
bekannt. Sollte es da eine Kommunikation gegeben ha-
ben, so ist sie offenbar nicht über uns gelaufen.
– Ich kann Ihnen nur sagen, was ich weiß, und ich weiß
davon nichts. Ich habe auch in meinem Haus nachge-
fragt. Ich werde Ihre Nachfrage zum Anlass nehmen,
noch einmal zu recherchieren. Sie können sich aber da-
rauf verlassen, dass wir im Interesse und nicht gegen die
Interessen der Flüchtlinge arbeiten.
Darf ich noch eine Frage stellen, Frau Präsidentin?
Ja, einmal dürfen Sie noch.
Ich bin natürlich gerne bereit, Ihnen die Namen Ihrer
Mitarbeiter und auch die Telefonnummer, um die es
geht, zu nennen, damit Sie das in Ihrem Haus klären
können. Soweit ich das sehe, sind aber nicht die Mit-
arbeiter in Ihrem Hause das Problem, sondern die Vor-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7161
Hans-Christian Ströbele
(C)
(B)
schriften, auf die diese Mitarbeiter Bezug nehmen und
die sie einhalten müssen.
Ich habe heute im Auswärtigen Ausschuss gelernt,
dass Aleppo von Regierungstruppen umzingelt ist, dass
man dort nur sehr schwer lebend herauskommt und dass
man von dort aus schon gar nicht nach Beirut reisen
kann, weil das noch ein ganzes Stück entfernt ist. Kön-
nen wir uns darauf verständigen, dass man für einen
Flüchtling, dem man helfen und hier in Deutschland eine
Aufenthaltsmöglichkeit geben will, einen Weg schaffen
muss, in Aleppo zumindest zu einer Visumszusage zu
kommen? Sein Visum kann er dann ja, wenn er ausreist,
in der Türkei oder im Libanon irgendwo abholen.
Herr Kollege Ströbele, ich habe eingangs schon auf
das Dilemma hingewiesen, in dem wir uns alle leider
befinden. Weder in Libyen noch in Syrien haben wir der-
zeit eine Auslandsvertretung, die solche Visafälle bear-
beiten könnte. Dafür, dass wir dort keine Auslandsver-
tretungen mehr offenhalten können, gibt es gute Gründe –
auch im Interesse der Beschäftigten des Auswärtigen
Amts.
Das bedeutet aber gleichzeitig eine Erschwernis für
die Menschen auf der Flucht, weil sie natürlich weitere
Wege zurückzulegen haben.
Ich habe Ihnen deutlich gemacht, dass wir uns an die Re-
geln für die Erteilung des Schengen-Visums zu halten
haben, und gleichzeitig wollen wir humanitären Ge-
sichtspunkten Rechnung tragen. Das tun wir im Rahmen
der Regelungen, und diese habe ich Ihnen aufgezeigt.
Ich will das noch einmal unterstreichen: Melden Sie
sich wegen dieser beiden Fälle bei mir. Dann kümmern
wir uns auch darum. Ich werde diesen Fällen noch ein-
mal nachgehen.
Frau Kollegin Brantner hat auch noch eine Nachfrage.
Sie haben gerade erwähnt, dass die Kolleginnen und
Kollegen des Auswärtigen Amts in Erbil alles probieren.
Meine Frage ist: Inwieweit planen Sie eine Aufstockung
des Personals in Erbil, um der, wie wir wissen, verstärk-
ten Inanspruchnahme des Konsulats in Erbil gerecht
werden zu können?
Wenn Sie einmal mit den Kolleginnen und Kollegen
sprechen, die selbst die Auslandsvertretungen besucht
haben – vielleicht haben Sie auch einmal Gelegenheit,
mit unserem Menschenrechtsbeauftragten Christoph
Strässer zu sprechen, der die entsprechenden Kollegin-
nen und Kollegen, die mit Visaangelegenheiten betraut
sind, dort selbst besucht hat –, dann wissen Sie, welche
außergewöhnlich schwierige Arbeit diese Kolleginnen
und Kollegen zu leisten haben. In einigen Auslandsver-
tretungen arbeiten wir im Schichtdienst fast rund um die
Uhr, um die in Wäschekörben ankommenden Visaan-
träge zu bearbeiten. Dennoch reicht das zugegebenerma-
ßen nicht.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind großen Be-
lastungen ausgesetzt, und wir versuchen auch, die War-
tezeiten für die Flüchtlinge, die Antragsteller, durch ein
möglichst unbürokratisches Verfahren zu verkürzen. Da-
neben haben wir Personal umgesetzt und gerade dort
eingesetzt, wo das größte Antragsvolumen zu bearbeiten
ist.
Wenn ich mir so kurz vor Weihnachten etwas wün-
schen dürfte, dann würde ich mir natürlich wünschen,
dass auch dem Auswärtigen Amt weitere zusätzliche
Personalmittel durch den Deutschen Bundestag zur Ver-
fügung gestellt werden, sodass wir noch mehr tun könn-
ten, um die Bearbeitungszeiten möglichst kurz zu halten
und den Menschen, die in einer ganz schwierigen Lage
sind, weitestgehend entgegenzukommen.
Vielen Dank. – Dazu gibt es keine weiteren Fragen.
Die Frage 51 des Kollegen Hunko wird schriftlich be-
antwortet.
Ich darf dem Herrn Staatsminister herzlich danken.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Für die Beantwortung der Fra-
gen zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums des
Innern steht der Staatssekretär Dr. Günter Krings zur
Verfügung.
Die Frage 52 des Kollegen Andrej Hunko wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir jetzt bei der Frage 53 des Kollegen
Hans-Christian Ströbele:
Wie erlangt und überprüft die Bundesregierung ihre Anga-
ben, seit Beginn der Kämpfe in Syrien 2011 hätten sich
550 Personen aus Deutschland „in Richtung Syrien und Irak
aufgemacht“, von denen „rund 60“, „mindestens 9“ bei
Selbstmordanschlägen, bisher gestorben, während „rund 180“
haft hält die Bundesregierung diese Zahlen, wenn diese vor
türkischen MIT beruhen (so Hans-Georg Maaßen im Deutsch-
landfunk vom 31. August 2014), dass sie auf die Zahlen sogar
Forderungen nach neuen Gesetzen stützt?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
D
Vielen Dank. – Herr Präsident! Herr Kollege, für die
Angaben der Bundesregierung zu nach Syrien ausgereis-
ten, zurückgekehrten und verstorbenen Personen werden
die Erkenntnisse der für die innere Sicherheit zuständi-
gen Behörden des Bundes und der Länder abgeglichen
7162 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
(C)
(B)
und in einer gemeinsamen Sprachregelung zusammen-
gefasst. Uns liegen also nicht nur ungefähre Zahlen vor,
sondern wir wissen mit Namen und Anschrift genau, wer
ausgereist ist oder jedenfalls eine Ausreise glaubhaft an-
gekündigt hat und dann verschwunden ist. Daher reden
wir über belastbares Zahlenmaterial.
Hinsichtlich der Vorgänge im Ausland sind natürlich
die deutschen Sicherheitsbehörden auf die Angaben von
Partnerdiensten, von Nachrichtendiensten anderer Län-
der angewiesen. Diese werden allerdings gegengeprüft
und eigenen Erkenntnissen gegenübergestellt. Insofern
hält die Bundesregierung die von ihr verwendeten Zah-
len für hinreichend verlässlich.
Darüber hinaus leitet sich der gesetzgeberische Hand-
lungsbedarf, den wir hier aufgrund der Dschihad-Krie-
ger schon oft diskutiert haben, aus Sicht der Bundesre-
gierung nicht primär aus den Zahlen, sondern aus dem
Phänomen ausländischer Kämpfer im Bereich Syrien
und Irak allgemein und den daraus resultierenden poten-
ziellen Gefahren ab. Die Gefährlichkeit beginnt also
nicht erst bei 400, 500 oder 550 Kämpfern; denn schon
Anschläge von einigen wenigen – das haben wir in Brüs-
sel gesehen – können verheerende Folgen haben und da-
mit unsere Sicherheit gefährden.
Herr Kollege Ströbele, Sie haben mit Sicherheit eine
Nachfrage.
Das ist bei mir so, Herr Präsident. Das ahnen Sie rich-
tig.
D
Ich wäre sonst auch sehr enttäuscht gewesen, Herr
Ströbele.
Ihre Angaben sind ja ganz konkret. Es ist von
550 Personen die Rede, dann von „rund 60“ und „min-
destens 9“, die bei Selbstmordanschlägen ums Leben ge-
kommen sind. Die Zahl 9 ist vielleicht noch nachvoll-
ziehbar, weil man bei diesen Anschlägen häufig
Bekennerveröffentlichungen oder Ruhmesbezeugungen
oder Ähnliches im Internet findet. Aber bei der Zahl von
60 umgekommenen Personen frage ich mich: Woher
stammt diese Zahl? Wie kommen Sie darauf? Wenn je-
mand im Kampf, im Krieg oder an einer Krankheit im
Irak oder in Syrien stirbt, wird er sich nicht bei Ihnen ab-
melden. Wie kommen Sie also auf diese Zahl?
Im zweiten Teil meiner Frage habe ich gefragt, ob Sie
sich bei diesen Angaben auf den türkischen Geheim-
dienst beziehen und für wie zuverlässig Sie die Zahlen
vom türkischen Geheimdienst halten, gerade in diesen
Fällen.
D
Es gibt die verschiedensten Quellen. Eine Quelle sind
die sozialen Netzwerke, die stark genutzt werden. Inso-
fern gibt es nicht die eine Quelle, sondern es gibt viele
Quellen, aus denen diese Zahl dann aggregiert wird. Wir
sprechen von „rund 60“ Personen. Diese Zahl ist natür-
lich nicht exakt. Exakt ist nur die Anzahl der Personen,
die tatsächlich ausgereist oder mit sehr großer Wahr-
scheinlichkeit ausgereist sind. Das kann man in der Tat
sehr genau darstellen; da stimmen Sie mir zu.
Natürlich gibt es eine gewisse Ungenauigkeit bei der
Zahl der Personen, die umgekommen sind. Aber auch da
gibt es verschiedene Quellen, so erfahren etwa Angehö-
rige über Dritte, dass ein Familienmitglied zu Tode ge-
kommen ist. Eine der Erkenntnisquellen sind natürlich
auch Erkenntnisse und Informationen von Partnerdiens-
ten, auch die des türkischen Geheimdienstes.
Herr Kollege Ströbele, möchten Sie eine weitere
Nachfrage stellen?
Ja. Meine weitere Frage ist mit einer Bitte verbunden.
Herr Staatssekretär, sind Sie bereit, die Namen bekannt
zu geben – das werden Sie in öffentlicher Sitzung wahr-
scheinlich nicht können –, und vor allen Dingen anzuge-
ben, woher die jeweilige Information stammt?
Gerade gegenüber dem türkischen Geheimdienst, der
eigene Interessen verfolgt – das müssen wir hier nicht
diskutieren –, in Syrien und gegenüber dem ISIS – das
ist bekannt und wird auch öffentlich diskutiert –, gibt es
doch erhebliche Zweifel, ob dessen Angaben zutreffend
sind. Sind Sie bereit, diese Angaben irgendwo, an wel-
cher Stelle auch immer, zur Verfügung zu stellen? Es
gibt schließlich Geheimschutzstellen.
D
Ich bin gerne bereit, das zu prüfen. Natürlich sind das
eingestufte Informationen. Jetzt kommt es auf die
Strenge der Geheimhaltung an. Ob es hier eine Lösung
in Form einer Zurverfügungstellung gibt, werden wir
gerne prüfen. Diese Prüfung kann ich Ihnen zusagen.
Im Übrigen bin ich nicht sicher, welches elementare
Interesse der türkische Geheimdienst haben sollte, uns
gegenüber falsche Angaben zu Verstorbenen zu machen.
Ich könnte es noch nachvollziehen, wenn man sagt, dass
dieser ein Interesse daran hat, das Phänomen größer er-
scheinen zu lassen.
Noch einmal: Die Daten der Ausgereisten, also die
Daten derjenigen, die Richtung Kampfhandlung gereist
sind – nicht alle haben an Kampfhandlungen teilgenom-
men –, das sind belastbare Informationen aus dem In-
land. Das sind keine Informationen, für die man unbe-
dingt andere Nachrichtendienste braucht. Anders verhält
es sich natürlich bei Todesfällen. Aber auch bei Todes-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7163
Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
(C)
(B)
fällen ist natürlich nicht ein anderer Nachrichtendienst
die einzige Erkenntnisquelle. Vielmehr gibt es noch an-
dere Erkenntnisquellen, die dann zusammengeführt wer-
den.
Ich sehe dazu keine weiteren Nachfragen.
Damit kommen wir zur Frage 54 des Kollegen Volker
Beck:
Aufgrund welcher rechtlichen Erwägungen hält es die
Bundesregierung für möglich, bei der Umsetzung des neuen
§ 7 Absatz 2 Satz 2 bis 4 des Gesetzes über die allgemeine
Freizügigkeit von Unionsbürgern, FreizügG/EU, die Abgren-
zung des von den neuen Einreiseverboten betroffenen Perso-
gung in § 11 a FreizügG/EU nicht auf § 7 FreizügG/EU er-
streckt und der Bundesregierung keine originäre Kompetenz
zum Erlass von Verordnungen zukommt?
Herr Staatssekretär.
D
Herr Präsident, vielen Dank. – Herr Beck zitiert in
seiner Frage eine Vereinbarung. Ich hoffe, ich kann an
dieser Stelle ein Missverständnis aufklären.
Die zitierte Passage aus dem Gesetz zur Änderung
des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften
aus der „Verständigung zwischen Bund und Ländern
über ein Gesamtkonzept zur Entlastung von Ländern und
Kommunen bei der Aufnahme und Unterbringung von
Asylbewerbern“ bezieht sich, anders als in Ihrer Frage
dargestellt, nicht auf das befristete Wiedereinreiseverbot,
also nicht auf § 7 Absatz 2 Satz 2 bis 4 des Freizügig-
keitsgesetzes/EU, sondern auf die Entlastung besonders
betroffener Kommunen in Höhe von 25 Millionen Euro
durch die Erhöhung der Bundesbeteiligung an den Kos-
ten der Unterkunft und Heizung im SGB II im Jahr 2014
durch Artikel 4 des genannten Gesetzes.
Hierzu sieht die Verständigung zwischen Bund und
Ländern vor, dass der Bund bei der Umsetzung dieses
Teils des Gesetzes auf dem Verordnungswege die Ab-
grenzung des betroffenen Personenkreises prüfen und
das Einvernehmen mit den Ländern suchen wird. Dies
ist bereits geschehen. Das Bundeskabinett hat den Ent-
wurf der Sonderbeteiligungsfestlegungsverordnung am
3. Dezember 2014 zustimmend zur Kenntnis genom-
men, die wiederum den Maßgabebeschluss des Bundes-
rats vom 28. November 2014 aufgegriffen hat. Die Ver-
ordnung ist bereits am 12. Dezember 2014 verkündet
worden.
Im Rahmen der 2015 anstehenden Überarbeitung der
allgemeinen Verwaltungsvorschriften zum Freizügig-
keitsgesetz/EU werden gemeinsam mit den Ländern un-
ter anderem auch der Anwendungsbereich des im Frei-
zügigkeitsgesetz verankerten Wiedereinreiseverbots
sowie der betroffenen Personenkreise besprochen wer-
den.
Herr Kollege Beck, Sie haben die Möglichkeit, eine
Nachfrage zu stellen.
Uns hat es aus den Gesprächen so erreicht, dass per
Verordnung der Bundesregierung der Kreis wegen der
allgemeinen Zweifel an der Europarechtskonformität des
§ 7 Absatz 2 Satz 2 bis 4 des Freizügigkeitsgesetzes/EU
eingegrenzt werden soll.
Es ist in der Tat so, dass in der Verordnungsermächti-
gung des Freizügigkeitsgesetzes nach § 11 a enumerativ
die Verordnungsermächtigungen der Bundesregierung
aufgezählt werden. Darin sind der § 7 und die Wieder-
einreise- bzw. Ausreisesperren ausdrücklich nicht er-
wähnt. Insofern gibt es hierzu keine Verordnungser-
mächtigung.
Wie wollen Sie im Rahmen der Verwaltungsvor-
schriften als Bund diesen Personenkreis untergesetzlich
europarechtskonform einschränken?
D
Die Prämisse, dass wir eine Einschränkung hinsicht-
lich der Europarechtskonformität brauchen, weise ich
zurück. Das ist nicht die Rechtsauffassung der Bundes-
regierung. Diese Regelung ist unabhängig von weiteren
Ausgestaltungen europarechtskonform.
Allerdings kann man im Rahmen von Verwaltungs-
vorschriften einen Personenkreis genauer definieren.
Hierzu gibt es Verwaltungsvorschriften. Natürlich ist der
Spielraum hierbei nicht so groß wie bei einer Verord-
nung.
Sie haben aber vollkommen richtig ausgeführt, dass
es bezüglich einer Neudefinition des Begriffes gar keine
Verordnungsermächtigung im Gesetz gibt. Insofern wird
natürlich noch einmal genau die Definition des Perso-
nenkreises im Rahmen der Verwaltungsvorschrift abge-
glichen, aber auch nicht mehr.
Offensichtlich gab es ein unterschiedliches Verständ-
nis.
Herr Kollege Beck, Sie haben die Möglichkeit, eine
weitere Zwischenfrage zu stellen.
D
Das tut er schon.
Davon bin ich ausgegangen, Herr Präsident. Ent-
schuldigung, dass ich Ihnen da zuvorkam.
7164 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Volker Beck
(C)
(B)
Die Gespräche hatten offensichtlich einen unter-
schiedlichen Wahrnehmungshorizont. Man hat das wohl
so interpretiert, dass die Erwähnung in der Vereinbarung
zur Verordnungsermächtigung auf das Thema Wieder-
einreisesperren bezogen ist. Sie behaupten, dem sei nicht
so. Wer ist denn für den Erlass der Verwaltungsvor-
schriften zu diesem Thema zuständig? Sie sagen, dass
Sie das regeln wollen. Fällt das nicht – aber damit kann
ich auch falsch liegen – in die Kompetenz der Länder?
D
Ich kann Ihnen das exakte Verfahren nicht ad hoc er-
läutern. Die Länder werden jedenfalls Teil des Verfah-
rens sein. Der Bund wird das nicht alleine machen. Die
Länder werden mit einbezogen. Insofern können Sie
ganz unbesorgt sein. Ansonsten ist die Verständigung re-
lativ eindeutig. Das Wort „Verordnungswege“ kommt
nur unter Ziffer 3 vor, wo es um die 25 Millionen Euro
Entlastung geht. Ich glaube, es ist relativ klar, was die
Verständigung beinhaltet. Allerdings – ich sage es noch
einmal – werden die Länder im Rahmen der allgemeinen
Verwaltungsvorschriften beteiligt und werden auch be-
züglich des Personenkreises die Möglichkeit der Mit-
sprache haben.
Vielleicht können Sie mich über das, was Sie jetzt
nicht präzise beantworten können – niemand kann alles
wissen – im Nachgang schriftlich in Kenntnis setzen.
D
Das exakte Verfahren teilen wir Ihnen schriftlich mit.
Gibt es dazu noch Nachfragen von anderen Kollegin-
nen und Kollegen? – Das sehe ich nicht.
Die Fragen 55 und 56 der Kollegin Monika Lazar
werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir jetzt zu Frage 57 der Kollegin
Martina Renner:
Kann die Bundesregierung darlegen, inwieweit und mit
welcher Begründung die Antwort des Bundesministeriums
des Innern auf meine Kleine Anfrage zu den Aktivitäten des
V-Mannes „Tarif“ des Bundesamtes für Verfassungsschutz im
NSU-Komplex – NSU: Nationalsozialistischer Untergrund –
und seiner V-Mann-Führer – Nachfrage zur Antwort der Bun-
desregierung auf die Kleine Anfrage auf Bundestagsdrucksa-
che 18/2722 , wonach „Fra-
gen zur Art und Weise der Quellenführung sowie zu
konkreten Aufträgen des ehemaligen VM ,Tarif‘, die über die
bislang veröffentlichten Informationen hinausgehen, den ope-
rativen Kernbereich der Nachrichtendienste betreffen“ – im
Einklang mit dem Versprechen der umfangreichen Aufklä-
rung stehen, das die Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel den
Angehörigen der NSU-Mordopfer und den Verletzten der
NSU-Anschlagsserie bei der zentralen Gedenkfeier für die
NSU-Opfer am 23. Februar 2012 mit den Worten gegeben
hat: „Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland
verspreche ich Ihnen: Wir tun alles, um die Morde aufzuklä-
ren und die Helfershelfer und Hintermänner aufzudecken und
Herr Staatssekretär.
D
Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Frau Kollegin, die Frau Bundeskanzlerin hat im Fe-
bruar 2012 – darauf nehmen wir Bezug – die rechtsstaat-
lich ohnehin bestehende Verpflichtung zur Aufklärung
der Verbrechen des NSU noch einmal mit persönlichen
Worten untermauert. Die gesamte Bundesregierung fühlt
sich selbstverständlich nach wie vor daran gebunden und
unternimmt große Anstrengungen, um die dem NSU zu-
gerechneten Sachverhalte weiter aufzuklären.
Zum Fortgang der Ermittlungen und dem Stand der
vorliegenden Erkenntnisse hat die Bundesregierung je-
derzeit transparent sowohl schriftlich als auch mündlich
Stellung genommen. Dem Aufklärungs- und Informa-
tionsinteresse des Parlaments wurde dabei möglichst
schnell und umfassend Rechnung getragen. Das Bemü-
hen um eine maximale Transparenz stößt an Grenzen,
wenn es um berechtigte Geheimhaltungsbelange der
Nachrichtendienste geht. Darunter wird unter anderem
auch der Schutz von denjenigen Arbeitsmethoden und
Vorgehensweisen der Nachrichtendienste verstanden, die
für die nachrichtendienstliche Aufgabenerfüllung von
überragender Wichtigkeit sind.
Es versteht sich darüber hinaus von selbst, dass auch
eine akute Gefährdung von Mitarbeitern der Nachrich-
tendienste oder anderer Personen durch die Beantwor-
tung parlamentarischer Anfragen nicht hingenommen
werden kann. Das Bemühen um maximale Transparenz
stößt darüber hinaus auch dann an Grenzen, wenn damit
laufende Ermittlungen gefährdet werden. Hierbei geht es
um die aus dem Rechtsstaatsprinzip resultierende Pflicht
zur Durchführung von Strafverfahren und die damit ver-
bundenen berechtigten Geheimhaltungsinteressen in ei-
nem laufenden Ermittlungsverfahren. Diese aus dem
Verfassungsrecht abgeleiteten und vom Bundesverfas-
sungsgericht bestätigten Prinzipien stehen ausdrücklich
auch im Einklang mit einer dem Grundgesetz verpflich-
teten Bundesregierung.
Frau Kollegin Renner, Sie haben die Möglichkeit zu
einer Nachfrage.
Herr Präsident, davon mache ich gerne Gebrauch. –
Herr Staatssekretär, der in Rede stehende V-Mann
Michael See hat sich unlängst in der Presse dahin gehend
geäußert – der Wahrheitsgehalt kann leider nicht über-
prüft werden –, dass er damals, 1998, seinem V-Mann-
Führer von einem Gespräch mit dem Jenaer Neonazi
André Kapke berichtet hat, in dem dieser um Unterkunft
für die drei bat. Er hätte damals schon dem Bundesamt
für Verfassungsschutz wichtige Hinweise geben können,
die möglicherweise zu einem frühen Ergreifen des Kern-
trios des NSU hätten führen können.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7165
Martina Renner
(C)
(B)
Ich glaube, die Aufklärung zu diesen Sachverhalten –
welche Rolle der V-Mann gespielt hat, welche Informa-
tionen er weitergegeben hat und ob es bei diesen Opera-
tionen tatsächlich die Möglichkeit gegeben hätte, zu
handeln – ist ein überragendes Interesse der Öffentlich-
keit und des Parlamentes. Ich kann, ehrlich gesagt, nicht
nachvollziehen, wie dieses wichtige Anliegen hinter et-
was, das Sie „Methodenschutz“ nennen, und die Gefähr-
dung der Mitarbeiter zurücktreten muss. Wenn das zu-
trifft, dann bitte ich Sie – das ist meine Frage –,
darzustellen, wie sich aus der Beantwortung der Fragen
in meiner Kleinen Anfrage zum Beispiel nach der An-
zahl der Treffberichte die Gefährdung der Mitarbeiter
des BfV ableitet. Oder haben wir es mittlerweile nicht
vielmehr mit einer Art Kunstfigur zu tun, dem Kernbe-
reich operativen Handelns der Geheimdienste, hinter den
das berechtigte Interesse des Parlamentes zurückzutreten
hat? Sie müssten nun konkret sagen, welche Ihrer Ant-
worten tatsächlich zu einer Gefährdung des V-Mann-
Führers führen könnte. Enttarnt ist der Spitzel bereits.
Um den Schutz der Person kann es also nicht mehr ge-
hen.
D
Mit Verlaub, Frau Kollegin, das muss ich selbst ein-
schätzen und verantworten. Schon manche Begründung
kann berechtigte Geheimhaltungsinteressen verletzen.
Ich habe nicht nur darauf hingewiesen, dass es um den
Schutz nachrichtendienstlicher Personen geht. Vielmehr
geht es auch um laufende Ermittlungen. Mir ist aber
wichtig, zu sagen, dass wir diesen Hinweisen nachge-
hen. Uns hat sehr aufgeschreckt, was in der Presse zu le-
sen war. Aber die Ermittlungen dauern an und wären aus
unserer Sicht durch ein maximales Maß an Transparenz
zum jetzigen Zeitpunkt jedenfalls gefährdet. Das heißt
nicht, dass zu einem anderen Zeitpunkt eine andere Ein-
schätzung möglich sein wird. Wir haben an anderen
Punkten unsere Geheimschutzeinstufungen durchaus
kritisch hinterfragt und sind bereit, sie noch einmal zu
überprüfen. Das werden wir weiterhin so tun.
Frau Kollegin Renner, haben Sie eine zweite Nach-
frage? – Das ist offenbar nicht der Fall.
Herr Staatssekretär, haben Sie die erste Nachfrage der
Kollegin vollständig beantwortet?
D
Aus meiner Sicht: Ja. Ich würde nun gerne Frage 58
der Abgeordneten Martina Renner beantworten.
Nein, noch nicht. Der Kollege Ströbele hat sich zu ei-
ner Nachfrage gemeldet. Ich habe nachgefragt, um das
klarzustellen.
Nun hat der Kollege Ströbele das Wort zu einer Nach-
frage.
Herr Staatssekretär, die Frage, die die Kollegin
Renner gestellt hat, treibt mich ebenfalls erheblich um.
Deshalb konkretisiere ich sie. Der in Rede stehende
Mann ist in der Öffentlichkeit. Er war im Fernsehen zu
sehen, und von ihm war im Spiegel zu lesen. Das heißt,
er selber stellt sich in die Öffentlichkeit. Das heißt, Per-
sonenschutz oder Identitätsschutz können bei ihm keine
Rolle mehr spielen, abgesehen davon, dass die Gescheh-
nisse schon sehr lange zurückliegen. Dieser Mann be-
richtet nun in den Medien, dass seinerzeit die Möglich-
keit bestanden habe, das untergetauchte Trio zu
ergreifen, bevor irgendein Verbrechen wahrscheinlich
geschehen wäre, also zumindest zu einem sehr frühen
Zeitpunkt. Das ist eine Information von allerhöchster
Brisanz, die auch die Öffentlichkeit umtreibt; wir erle-
ben das auf vielen Veranstaltungen. Können Sie in die-
sem Zusammenhang die Frage beantworten, ob es
stimmt, dass dieser Mann, die Quelle „Tarif“, das an sei-
nen V-Mann-Führer weitergegeben hat und dass dieser
V-Mann-Führer ihm gesagt hat: „Nein, nimm die nicht
bei dir zu Hause auf“, und zwar aus Quellenschutzgrün-
den oder aus welchen Gründen auch immer, und damit
die Chance auf eine Festnahme verpasst hat?
D
Es geht um Identitätsschutz nicht nur desjenigen, der
sich selbst in die Öffentlichkeit gestellt hat, sondern
auch anderer Mitarbeiter. Eine Fülle von Beteiligten
kann hier eine Rolle spielen. Ich teile Ihre Einschätzung,
dass es sich um einen brisanten Hinweis handelt. Es ist
daher wichtig, dass wir solchen Hinweisen nachgehen
– das tun wir –, diesen Fall aufklären und diese Behaup-
tung auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen; darum geht
es jetzt. In der jetzigen Phase kann einiges zusätzlich da-
für sprechen, die Methoden und die Umstände im Zu-
sammenhang mit dieser Aussage nicht offenzulegen.
Aber wir gehen dieser Aussage nach; das ist das Ent-
scheidende. Im Kerninteresse der Öffentlichkeit liegt,
dass dieser Fall weiter aufgeklärt wird, sodass wir mit
dem Ergebnis vor die Öffentlichkeit treten können, ob es
sich um eine haltbare oder falsche Aussage handelt.
Danke schön. – Nun kommen wir zu Frage 58 der
Kollegin Renner:
Kann die Bundesregierung darlegen, wie viele Quellenbe-
richte des V-Mannes „Tarif“ sich derzeit im Besitz des Bun-
desamtes für Verfassungsschutz befinden?
Herr Staatssekretär Krings, Sie haben das Wort.
D
Das kann ich kurz und präzise beantworten. Im Bun-
desamt für Verfassungsschutz liegen derzeit 157 Quel-
lenberichte des ehemaligen VM „Tarif“ vor.
7166 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
(C)
(B)
Frau Kollegin Renner, haben Sie dazu eine Nach-
frage? – Bitte, Sie haben das Wort.
Lagen diese 157 Quellenberichte auch dem NSU-Un-
tersuchungsausschuss in der letzten Legislaturperiode
vor?
D
Meines Wissens nicht alle. Mir wurde mitgeteilt, dass
aus dem Haus heraus Dinge zusammengetragen werden.
Vorher waren die Informationen in der Behörde offenbar
vorhanden, aber nicht aggregiert. Das ist mein jetziger
Kenntnisstand.
Frau Kollegin, Sie haben die Möglichkeit zu einer
weiteren Nachfrage.
Können Sie erklären, warum diese Quellenberichte zu
dem Zeitpunkt, als sie vom Untersuchungsausschuss an-
gefordert wurden und eine Sondereinheit – ich nenne es
einmal so – im BfV gebildet worden war, und zwar exakt
mit der Aufgabe, alle Dinge im Kontext des NSU zu
identifizieren und dem Untersuchungsausschuss zuzu-
führen, nicht gefunden wurden? Waren die im Keller,
oder wie muss ich mir das jetzt vorstellen?
D
Eine Reihe von Akten sind gefunden worden. Warum
nicht weitere Akten damals beigelegt worden sind bzw.
nicht präsent waren, kann ich Ihnen aktuell nicht erklä-
ren. Auch das wird noch zu prüfen sein.
Herr Kollege Ströbele hat die Möglichkeit zu einer
weiteren Nachfrage.
Herr Staatssekretär, können Sie bestätigen, dass ge-
rade dieser V-Mann „Tarif“ einer von denen ist, dessen
Akten nach dem Auftauchen dieses Trios, wenige Tage
später, am 11. November 2011, geschreddert worden
sind?
D
Genau das kann ich bestätigen. Das ist der Grund, wa-
rum diese Akten jetzt rekonstruiert werden müssen. Um
die Antwort auf die Frage von Frau Kollegin Renner zu
ergänzen: Es war nicht so einfach, diese Akten aus ande-
ren Querverweisen zu rekonstruieren. Das ist offenbar
ein mühsamer Prozess, der einem Puzzlespiel ähnelt. In
der Tat: Die Ursache, warum das so schwierig war und
ist, ist das Schreddern, das Sie zu Recht angesprochen
haben.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Dr. Sitte das Wort.
Ich möchte nur fragen, ob Sie auch aus den Landes-
ämtern Quellenmeldungen von „Tarif“ angefordert ha-
ben.
D
Dazu kann ich Ihnen leider aktuell nichts sagen. Ich
kann die Antwort gerne nachreichen.
Dazu sehe ich keine weiteren Nachfragen.
Ich rufe die Frage 59 des Kollegen Richard Pitterle
auf:
Wann haben der Bund-Länder-Gesprächskreis „Soge-
nannte Sekten und Psychogruppen“ und die „Ständige Inter-
ministerielle Arbeitsgruppe zur Koordinierung und Bünde-
lung der Aktivitäten von Bund und Ländern in Bezug auf die
Scientology-Organisation“ zuletzt getagt, und welche Ergeb-
nisse wurden dabei hinsichtlich der Scientology-Organisation
erzielt?
Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege, der
Bund-Länder-Gesprächskreis „Sogenannte Sekten und
Psychogruppen“ – so heißt er jetzt – hat zuletzt am
6. und 7. November 2014 getagt. Sachverhalte zur
Scientology-Organisation wurden bei diesem Treffen
nicht erörtert.
Die Ständige Interministerielle Arbeitsgruppe Scien-
tology-Organisation, abgekürzt IMA SO, hat zuletzt am
26. Oktober 2012 vorrangig zu den Themen Scientology,
Geheimdienst USA, Verfassungsschutzberichte von
Bund und Ländern sowie zu den Berichten des US-De-
partment of State zu Menschenrechtspraktiken und Reli-
gionsfreiheit getagt. Seit 2013 arbeitet die IMA SO als
Ad-hoc-Gremium. Sollte aus fachpolitischen Erforder-
nissen oder aus Gründen der dienstlichen Vertraulichkeit
ein Treffen der IMA SO über den bestehenden Aus-
tausch hinaus notwendig sein, wird dieses zeitnah einbe-
rufen, was seit einiger Zeit nicht geschehen ist.
Das federführende Bundesministerium für Familie in-
formiert die IMA SO regelmäßig zu den maßgeblichen
Entwicklungen bei Scientology.
Herr Kollege Pitterle, möchten Sie eine Nachfrage
dazu stellen?
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7167
(C)
(B)
Ja. – Die erste Nachfrage ist: Gibt es über diese Ta-
gungen Protokolle, die für Abgeordnete einsehbar sind,
und, wenn ja, wo kann man sie einsehen?
D
Ich vermute, da es eine Tagung ordentlicher deutscher
Beamter ist, dass es natürlich Protokolle gibt. Ob sie ein-
sehbar sind, kann ich Ihnen ad hoc nicht beantworten.
Das kann ich gerne nachprüfen lassen. Falls es eine Ein-
sehbarkeit gäbe, würden wir das ermöglichen. Das kann
ich Ihnen aber jetzt so nicht beantworten.
Herr Kollege Pitterle, Sie haben die Möglichkeit zu
einer zweiten Nachfrage.
Wenn diese Tagungen stattgefunden haben und Er-
gebnisse erzielt worden sind, in welche Maßnahmen
wurden die Ergebnisse umgesetzt? Können Sie sagen,
wie sie umgesetzt worden sind?
D
Aktuell ergaben sich aus dem letzten Treffen – das
einzige, das zeitnah infrage kommt, ist das vom Novem-
ber 2014 – keine Maßnahmen, die konkret umzusetzen
waren. Es ist immer wichtig in solchen Besprechungen,
ob es in Sekten oder aus Sekten heraus kindeswohlge-
fährdende Umtriebe gibt. Das ist immer ein ganz zentra-
les Thema. Aber offensichtlich gab es da aktuell keine
Aufforderungen zu Maßnahmen.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich sehe, dazu
gibt es keine weiteren Nachfragen. Ich darf dem Herrn
Staatssekretär sehr herzlich danken.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde angelangt.
Wir sind aber noch nicht am Ende der heutigen Tages-
ordnung; vielmehr fahren wir mit der Aktuellen Stunde
fort. Diese beginnt um 15.35 Uhr. Deshalb unterbreche
ich kurzzeitig die Sitzung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die un-
terbrochene Sitzung fort.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Folter durch die USA und ihre Folgen für den
weltweiten Kampf um Menschenrechte
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Wolfgang Gehrcke, Die
Linke.
Herzlichen Dank, Herr Präsident! Es geht natürlich
nicht um Folter durch die USA, sondern es geht um Fol-
ter, die die US-Regierung zu verantworten hat. Das ist
ein beachtlicher Unterschied. Ich weiß, dass es in den
USA genügend Menschen gibt, die sich genau wie wir
gegen Folter wehren. Auch sie wollen, dass dies aufge-
klärt und abgestellt wird. Ich möchte gern, dass unsere
Debatte ein Signal an die Menschen in den USA ist: Wir
wenden uns nicht gegen sie, sondern wir wollen mit ih-
nen zusammen eine Veränderung durchsetzen. Das ist
mir sehr wichtig.
Soweit dies möglich war, habe ich den Bericht und
das, was darüber in den Medien steht, gelesen. Ich möchte
Ihnen raten, das auch zu machen. Gleichzeitig möchte
ich jeden warnen: Sie werden davon Albträume erhalten.
Nachdem ich dies gelesen habe, habe ich Bilder aus Abu
Ghureib gesehen. Dort hieß es damals, es sei eine US-
Soldatin gewesen, die dies zu verantworten hatte. Ich
habe die Bilder vor mir gesehen, die Francisco de Goya
über die Inquisition in Spanien gemalt hat. Ich habe, und
dies sollte jeder tun, im Hexenhammer geblättert und ge-
sehen, was in unserem Land möglich gewesen ist. Ich
habe mir die Schilderungen von Folter und Menschen-
rechtsverletzungen im Kontext mit der Politik der US-
Regierung in Ländern wie Argentinien, Chile, Uruguay
und Paraguay angesehen. Überall hat man es mit der
Geißel des körperlichen und geistigen Quälens von Men-
schen zu tun, weil man bestimmte Ergebnisse erreichen
will, die man so aber nicht erreicht. Ich finde, damit
muss absolut Schluss sein. Das kann so nicht weiterge-
hen.
Ich lese, dass hohe US-Beamte der CIA nicht von
Folter, sondern von – ich zitiere – „erweiterten Verhör-
methoden“ sprechen. Dazu kann man nur sagen: Sie ha-
ben gar nichts begriffen. Sie wollten nichts begreifen,
und sie haben nichts begriffen. Deswegen muss man ih-
nen Grenzen setzen. Ich bin dafür, dass Folter nicht
straflos bleibt, dass Folter in diesem Land verfolgt wird,
auch wenn sie in den USA geschehen ist.
Ich finde, hier darf es keine Ausnahme geben. Die
Untersuchungsverfahren und die Anzeigen müssen sich
auch gegen den Präsidenten der USA, gegen den Vize-
präsidenten und gegen die Chefs der CIA richten. Nicht
nur die kleinen Folterer müssen vor Gericht gebracht
werden, auch die großen, die dies zu verantworten haben
und die dies angeordnet haben, müssen vor Gericht ge-
bracht werden.
7168 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Wolfgang Gehrcke
(C)
(B)
Das ist das Mittelalter, das auf Anforderung eines
oder mehrerer Staaten, des Präsidenten oder des Vize-
präsidenten und der Direktoren der CIA und der ausge-
bildeten Folterer hin wiederkehrt. Ich möchte, dass der
Generalbundesanwalt – mein Kollege Gregor Gysi hat
Anzeige erstattet – sich damit auseinandersetzt.
Ich möchte wissen, ob wir in Deutschland die Cou-
rage haben, Folter zu verfolgen. Ehrlich gesagt bin ich
das devote Verhalten unserer Bundesregierung gegen-
über den USA und den amerikanischen Präsidenten leid.
Wer nicht die Courage hat, dafür einzutreten, dass Ed-
ward Snowden in diesem Land Asyl gewährt wird, der
wird auch Folter nicht richtig verfolgen können. Auch
das, was mit Snowden passiert, ist eine Art der Folter, da
man ihn aus dem Land vertrieben hat.
Ich finde es super, dass Snowden in Russland ist. Ich
möchte, dass er nach Deutschland kommen kann, dass
hier andere Verhältnisse herrschen und dass Folter und
Verfolgung von Bürgerinnen und Bürgern aufgeklärt
werden. Ich sage das gegenüber den USA nicht von oben
herab. Wenn es um Folter geht, kann man angesichts der
Geschichte unseres Landes nie von oben herab reden.
Ich möchte gern, dass auch unsere Regierung endlich
kapiert, dass sie in einem hohen Maße unglaubwürdig
ist. Wir müssen uns die Frage vorlegen: Wussten die ver-
schiedenen Bundesregierungen von den geheimen Fol-
tergefängnissen? – Sie wussten es alle; sie konnten da-
von wissen.
Man brauchte nur einmal nachzulesen, was Dick Marty,
der Sonderbeauftragte des Europarates, in seinen Berich-
ten geschrieben hat. Darin steht zum Beispiel, es sei ex-
trem unwahrscheinlich, dass die europäischen Regierun-
gen oder zumindest ihre Geheimdienste von geheimen
CIA-Flügen und -Verhören nichts gewusst haben. – Sie
wussten alles. Man hat es geduldet, weil man das Argu-
ment „Folter gegen Terrorismus“ akzeptiert hat. – Nichts
rechtfertigt Folter, und nichts darf zur Rechtfertigung
von Folter herangezogen werden.
Wir sind schon aufgrund der Verträge der Europäi-
schen Union zu Rechtstaatlichkeit und der Wahrung von
Menschenrechten verpflichtet. Man muss daher auch un-
sere polnischen Nachbarn und insbesondere den Kolle-
gen Kwaśniewski, der Präsident war, fragen. Man muss
in Litauen nachfragen. Man muss in Rumänien nachfra-
gen, wo geheime Foltergefängnisse existiert haben.
Wenn diese Methoden in Europa um sich greifen und wir
nichts dagegen machen, dann werden wir die Menschen-
rechte in der Europäischen Union zerstören. Ich möchte
nicht, dass wir die Menschenrechte zerstören, sondern
ich möchte, dass wir die Anti-Folter-Konvention endlich
konsequent umsetzen und damit ein Beispiel geben.
Herzlichen Dank.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Frank
Heinrich.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn Freunde
wirklich Freunde sind – und das sind die USA für uns –,
dann reden sie auch Klartext; das zeichnet Freundschaft
unter anderem aus. Deshalb müssen wir laut und deut-
lich sagen: Schämt euch, Freunde in den USA, dass das
passieren konnte! – Das heißt eben nicht, dass wir die
Freundschaft aufkündigen. Wir wollen vielmehr deutlich
machen, dass es das in unseren Breitengraden nicht ge-
ben darf.
Wir alle haben schockiert und angeekelt dem zuge-
hört, was Sie zitiert haben, was Sie erwähnt haben, und
haben darüber gelesen. Wenn Dick Cheney sich hinstellt
und Folter an unschuldigen Menschen rechtfertigt, dann
macht einen das sprachlos. Das ist eine Schande. Unkon-
trollierte Exekutivgewalt ist das Ende von Freiheit, für
das doch eigentlich unsere westliche Kultur steht, und
das Ende des Strebens nach Glück.
Schauen wir uns einmal die Sprache in der jetzigen
Aufarbeitung an: Man redet von „erweiterten Verhörtak-
tiken und -techniken“. Das ist eine massive Verharmlo-
sung von Folter. Wenn man dann die Aufzählung der
Methoden in den Medien hört oder liest – Verhaftungen
auf Verdacht ohne Anklage, Abschottung von der Au-
ßenwelt in Geheimgefängnissen, Drohungen gegen die
Familie, besonders die Drohung gegenüber einem Ge-
fangenen, dass seine Mutter vergewaltigt wird, Eintau-
chen in eine Tonne mit Eiswasser –, dann können Sie
sich denken, was da wohl noch alles dazugehört.
Besonders perfide finde ich die Anstellung von Psy-
chologen, um Methoden zu erproben, die ohne physische
Gewalt auskommen, um eine Vertuschung besser mög-
lich zu machen. So etwas zieht die langfristige Traumati-
sierung von Gefangenen nach sich. Das erinnert mich an
Kritik aus den USA dahin gehend, wie wir wenige Meter
von hier, in der ehemaligen DDR, mit Menschenrechten
umgegangen sind. Solche Methoden führen zur Ent-
menschlichung der Verdächtigen. Die Sprache deutet be-
reits darauf hin. Auch Deutschland hat das erlebt, als
plötzlich Tiermetaphern für jüdische Mitbürger benutzt
wurden und somit jegliche Humanität außer Kraft ge-
setzt wurde.
Im Rahmen der von Ihnen genannten Anti-Folter-
Konvention wird betont, dass die – ich zitiere-:
Anerkennung der Gleichheit und Unveräußerlich-
keit der Rechte aller Mitglieder der menschlichen
Gesellschaft die Grundlage von Freiheit, Gerechtig-
keit und Frieden in der Welt bildet, in der Erkennt-
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7169
Frank Heinrich
(C)
(B)
nis, dass sich diese Rechte aus der dem Menschen
innewohnenden Würde herleiten …
In Artikel 2 ist angefügt:
Außergewöhnliche Umstände gleich welcher Art,
sei es Krieg oder Kriegsgefahr, innenpolitische In-
stabilität oder ein sonstiger öffentlicher Notstand,
dürfen nicht als Rechtfertigung für Folter geltend
gemacht werden.
Ein Bruch dieser Konvention hat Folgen für die interna-
tionale Gemeinschaft – hier sind wir beim Thema dieser
Aktuellen Stunde – und für den Kampf für Menschen-
rechte. Da ist der Einsatz für Menschenrechte auf einmal
bedingt glaubwürdig. Da wird die Neutralität humanitä-
rer Hilfe infrage gestellt. Unrechtsstaaten wie beispiels-
weise Nordkorea fühlen sich legitimiert. Die innere Si-
cherheit wird eben nicht gefestigt, sondern beschädigt.
Auch der Wert erzwungener Geständnisse ist mehr als
zweifelhaft.
In einer Pressemitteilung unserer Fraktion in dieser
Woche heißt es:
Die USA haben sich beim Kampf gegen den Terro-
rismus auf einen Weg begeben, der dem Ansehen
des Landes und der Glaubwürdigkeit der Werte der
internationalen Staatengemeinschaft erheblichen
Schaden zugefügt hat.
Dieses Beispiel zeigt auch, dass Kontrollmechanis-
men als Sicherungssysteme unerlässlich sind. Die haben
ja dann funktioniert. Auch in der westlichen Welt brau-
chen wir diese Mechanismen: Maßnahmen wie nationale
Präventionsstellen, jährliche Berichte und Ähnliches.
Das im Nachhinein Positive an diesem Bericht – nicht
an der Folter –, mein Kollege wird nachher noch darauf
eingehen, ist: Bei den Freunden in den USA geht es um
einen Rechtsstaat, der dies dann untersucht und an-
spricht. Hier funktioniert das, was in manchen der ange-
sprochenen Nationen übrigens nicht so gut funktioniert:
Untersuchungskommissionen wurden eingesetzt, und
der Bericht wird veröffentlicht. Obama nennt die Ver-
hörmethoden öffentlich – repräsentativ für die Regie-
rung –: brutal, falsch und kontraproduktiv. Es kommt
Licht ins Dunkel. Politische Mechanismen funktionie-
ren, wenn auch in diesem Fall zu spät, können aber ver-
hindern, dass es so leichtfertig wieder passiert.
Jetzt müssen allerdings Taten folgen. Der UNO-Son-
derberichterstatter für Terrorismusbekämpfung und
Menschenrechte, Ben Emmerson, fordert strafrechtliche
Verfolgung. Das ist letztlich die richtige Konsequenz für
einen Rechtsstaat.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Klagen Sie die
Verantwortlichen an! Machen Sie Schluss mit solchen
unmenschlichen Methoden! Mister Obama, tear down
this wall of injustice!
Der Kollege Hans-Christian Ströbele spricht jetzt für
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
kommt nicht so häufig vor, dass ich in Versuchung bin,
Vertreter des US-Staates zu loben. Aber heute lobe ich
einen Ausschuss des Senats des US-Kongresses, insbe-
sondere seine Vorsitzende, Frau Feinstein, in diesem
Hause:
Ich bedanke mich bei Ihnen, dass Sie uns diesen Bericht
vorgelegt haben, dass Sie ihn über lange Zeit erarbeitet
haben und dass Sie es durchgehalten haben, wenigstens
einen Teil von 500 Seiten zu veröffentlichen.
Sie haben sich – so etwas sage ich nicht so schnell – um
unsere Werte verdient gemacht, um die Würde des Men-
schen, um Grundrechte und Menschenrechte auf körper-
liche Unversehrtheit und auf Leben. Sie haben Folter in
den Jahren 2002 bis 2008, also ganze sechs Jahre lang
Folter in den USA, aufgedeckt. In den USA gibt es eine
Diskussion darüber: War das Folter, oder war das un-
menschliche Behandlung, oder war das gerechtfertigt?
Ich habe dazu einen Artikel gefunden. Danach hat US-
Senator McCain in einer Pressekonferenz erklärt: Nach
dem Zweiten Weltkrieg haben die USA Personen aus Ja-
pan, die während des Zweiten Weltkrieges Waterboar-
ding praktiziert haben, zum Tode verurteilt und hinge-
richtet. – Muss man dann noch darüber streiten, ob
Waterboarding Folter oder unmenschliche Behandlung
ist?
Jetzt geht es – die Kollegen haben zu Recht darauf
hingewiesen – nicht nur darum, diesen Bericht zu feiern
und zu nutzen, sondern auch um die Konsequenzen aus
diesem Bericht. Herr Kollege Heinrich, ich unterscheide
mich da von Ihnen in nur einem Punkt. Natürlich sage
auch ich: Die Verantwortlichen in den Vereinigten Staa-
ten müssen zur Rechenschaft gezogen werden – diejeni-
gen, die gefoltert haben, diejenigen, die die Folter ange-
ordnet haben, die auf Folter bestanden haben. Selbst
wenn die Folterer zusammengebrochen sind, geweint
haben, sich an ihre Vorgesetzten gewandt haben und ge-
sagt haben: „Wir können das nicht mehr, wir wollen das
abbrechen, wir halten das nicht durch“, wurden sie ange-
wiesen, das weiterhin zu machen. Diejenigen, die so et-
was angeordnet haben, die so etwas zu verantworten ha-
ben, müssen zur Rechenschaft gezogen werden. Wenn
das in den USA nicht geschieht, dann ist die internatio-
nale Gemeinschaft gefragt,
dann ist auch ein internationaler Gerichtshof gefragt.
Aber, Herr Kollege, jetzt kommt der Unterschied: Wir
7170 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Hans-Christian Ströbele
(C)
(B)
zeigen auch bei diesem Punkt nicht nur auf die USA,
sondern auch auf andere Staaten, auf europäische Staa-
ten, auf Staaten außerhalb Europas, und wir zeigen auch
auf Deutschland.
Wir haben uns in einem parlamentarischen Untersu-
chungsausschuss der 16. Legislaturperiode sehr ausführ-
lich mit Folterpraktiken und der Frage, was Deutschland
damit zu tun hat, befasst. Wir haben eine ganze Reihe
von Indizien aufgelistet, zum Beispiel Indizien dafür,
dass allein in der Zeit von 2003 bis 2005 368 Rendition-
Flüge, also Flüge von CIA-Flugzeugen über Deutsch-
land, gesichtet worden sind und solche Flugzeuge hier
niedergegangen sind. Wir haben uns mit dem Fall des in
Italien gekidnappten, nach Ramstein gebrachten, dort
umgeladenen, dann nach Ägypten geflogenen und dort
im Foltergefängnis gefolterten Mannes beschäftigt. Wir
haben uns mit el-Masri beschäftigt. Wir haben uns mit
Kurnaz beschäftigt. Und wir brauchen jetzt diesen Be-
richt aus den Vereinigten Staaten, um festzustellen, ob es
neue Fakten gibt, die es ermöglichen, auch hier in
Deutschland die Verantwortlichen zur Verantwortung zu
ziehen.
Deshalb soll sich der Deutsche Bundestag – unsere Frak-
tion hat das gestern beschlossen – an die Kollegen im
Senat der Vereinigten Staaten wenden, unterstützt von
der Bundesregierung, um den vollständigen Bericht von
über 6 000 Seiten zu erbitten, damit wir anhand dieses
Berichtes Verantwortlichkeiten in Europa und der gan-
zen Welt feststellen und die entsprechenden Straftaten
verfolgen und bestrafen können; denn die USA waren es
nicht alleine.
Lassen Sie mich einen letzten Punkt nennen. Es mag
ja sein – das ist ja menschlich –, dass Herr Bush, Herr
Rumsfeld und Herr Tenet, der damalige CIA-Chef, heute
sagen: Das ist alles gerechtfertigt. – Aber, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, das sollen sie dann ihrem Richter
erzählen. Wenn der meint, wenn die Jury meint, das war
gerechtfertigt, dann sollen sie ein solches Urteil spre-
chen. Nach dem, was die Herren sagen, müssen wir uns
nicht richten; für uns sind das Verantwortliche, die vor
Gericht gehören.
Für die SPD spricht jetzt der Kollege Christoph
Strässer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bei
dem Thema, über das wir heute diskutieren, muss man
nicht so weit in die Geschichte zurückgehen. Denn fast
auf den Tag genau vor 30 Jahren ist die Anti-Folter-Kon-
vention der Vereinten Nationen angenommen worden.
Vor knapp 20 Jahren haben die Vereinigten Staaten von
Amerika die Anti-Folter-Konvention ratifiziert. Das
heißt, wir reden über geltendes Recht, über geltendes
Völkerrecht und geltendes nationales Recht. Ich will
jetzt gar nicht aus der Konvention zitieren. Aber eines ist
völlig klar: All das, was in den Artikeln 1 und 2 der
Anti-Folter-Konvention definiert ist, sind gültige und
wirkende Menschenrechte. Diese stehen nicht in irgend-
einer konkreten Situation zur Disposition. Sie werden
auch nicht von einem Staat verliehen, sondern sie kom-
men jedem Menschen zu: aufgrund seiner Geburt, auf-
grund seiner Würde, aufgrund seines Menschseins. Das
ist der Charakter der Menschenrechte.
Wenn man die Zusammenfassung des 6 700-seitigen
Senatsberichts zur Folterpraxis der CIA auch nur in Tei-
len liest, dann stockt einem in der Tat der Atem. Wenn
dort minutiös dargestellt wird, wie ein Staat – ein Staat,
der unser Freund ist und das auch bleiben soll; worauf
wir auch viel Wert legen –, der sich selbst als ein Hort
der Menschenrechte und der Demokratie versteht, syste-
matisch gegen die eigenen Prinzipien verstößt, dann
stockt einem der Atem. Das muss man so deutlich und
auch in Richtung unserer Freundinnen und Freunde sa-
gen.
Es ist wirklich schwer erträglich, von Praktiken wie
Rektalfütterung zu lesen oder davon, wie Gefangene mit
der Schusswaffe am Kopf oder durch Drohungen gegen
ihre Kinder zum Reden gebracht werden sollen. Es ist
ebenfalls erschreckend, zu beobachten, dass es selbst
nach Kenntnis des Berichts immer noch Diskussionen
darüber gibt, ob die euphemistisch „enhanced interroga-
tions“, also verschärfte Befragungen genannten Verhör-
methoden als Folter bezeichnet werden können oder
nicht.
Die passende Antwort – Herr Ströbele, ich bin Ihnen
sehr dankbar dafür, dass Sie darauf hingewiesen haben –
hat die Senatorin Dianne Feinstein gegeben. Als sie den
Bericht vorgestellt hat, hat sie gesagt – ich zitiere –:
Nach allen gängigen Bedeutungen des Begriffs
wurden die CIA-Gefangenen gefoltert.
Ich schließe mich dem ausdrücklich an. Diese mutige
Frau hat unseren Respekt verdient.
Ja, wir reden über eine Situation in den Vereinigten
Staaten, die sich viele von uns vielleicht nicht vorstellen
konnten. Ja, der 11. September 2001 hat diese Welt ver-
ändert; das ist so, und keiner von uns kann ermessen,
was das für die amerikanische Gesellschaft bedeutet hat.
Aber gerade – und das ist doch die Botschaft, die von der
Anti-Folter-Konvention ausgeht – allen Staaten, die die
westlichen Werte zu Recht hochhalten und nach außen
tragen, muss doch auch klar sein: Es gibt keinen Grund
für Folter, und es darf keinen Grund für Folter geben. Es
gibt keinerlei Veranlassung dafür, zu sagen, dass man
Schäden in der Gesellschaft durch Folter ermitteln kann.
Das ist grundsätzlich verboten, und zwar in jeder Situa-
tion.
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7171
Christoph Strässer
(B)
Wer das Folterverbot aufweicht, der schafft es gleich-
zeitig ab; denn es schafft die Legitimation für Gesell-
schaften, wo und wie und warum auch immer zu foltern.
Wir müssen an dieser Stelle klipp und klar sagen: Nein,
Folter ist kein Instrument der Wahrheitsfindung! Folter
ist das exakte Gegenteil. Deshalb müssen wir politisch
und auch rechtlich damit umgehen. Wir müssen das ge-
genüber unseren Freundinnen und Freunden klar und
deutlich verurteilen.
Ja, es ist richtig: Die Folterpraxis muss Konsequenzen
haben, sie muss aber auch – das sage ich ohne jedes
Wenn und Aber – Konsequenzen für die Aufklärung in
Deutschland haben. Es ist völlig klar: Wenn wir weltweit
für ein allgemein geltendes Folterverbot kämpfen, dann
muss auch hier vor Ort Aufklärung stattfinden. Auch da-
ran gibt es aus meiner Sicht keinen Zweifel.
Wer glaubt, dass es Hindernisse geben sollte, dem
müssen wir klar sagen: Wir brauchen Aufklärung. Wir
brauchen nicht nur eine politische Diskussion, sondern
wir brauchen auch eine rechtliche, eine strafrechtliche
Diskussion, um die Verantwortlichkeiten festzustellen.
Ich bin bei all denjenigen, die sagen: Wir müssen die
Möglichkeiten ausschöpfen, die das internationale Recht
bietet.
Wir alle wissen, dass die Vereinigten Staaten – auch
das hat einen Hintergrund – das Römische Statut nicht
ratifiziert haben. Es wird also keine Verhandlung vor
dem Internationalen Strafgerichtshof geben. Aber uns
stehen die Instrumentarien des Völkerrechts zur Verfü-
gung. Das Völkerstrafrecht gibt auch deutschen Strafver-
folgungsbehörden die Möglichkeit, zu ermitteln. Ich
kann sie nur dringend dazu auffordern, dies zu tun. Es
handelt sich um ein Offizialdelikt. Deshalb müssen wir
auch an dieser Stelle für Aufklärung sorgen.
Herzlichen Dank.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Dr. Bernd
Fabritius.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Einsatz von Folter ist immer grausam und unmenschlich;
dies wurde bereits von meinen Vorrednern deutlich ge-
macht. Es ist Konsens im Deutschen Bundestag, und
auch die Gesellschaft in unserem Land lehnt Folter mit
Entschiedenheit ab. Folter darf es nicht geben, und wo
sie noch angewendet wird, gehört sie abgeschafft.
Deshalb muss in aller Deutlichkeit gesagt werden, dass
die USA nach den schrecklichen Terroranschlägen im
Jahr 2001 einen falschen Weg gegangen sind. Die An-
schläge vom 11. September 2001 zielten gerade darauf
ab, das westliche Wertesystem zu erschüttern. Dies ist
den Terroristen auf fatale Weise leider ein Stück weit ge-
lungen.
Der Bericht des US-Senats listet abscheuliche Details
auf, die in ihrer Perversität kaum zu überbieten sind.
Diese sogenannten verschärften Verhörmethoden, wie
die Praktiken der CIA zuweilen beschönigend genannt
wurden, sind – Herr Gehrcke, damit haben Sie selbstver-
ständlich recht – nirgendwo tolerabel, am allerwenigsten
in einer hochentwickelten Demokratie.
Sie sind abzulehnen und durch nichts zu rechtfertigen,
und selbstverständlich müssen sie rechtliche Konsequen-
zen haben. Umso wichtiger ist es nun, die Aufklärung
dieses Unrechts in aller Öffentlichkeit vorzunehmen.
Selbstverständlich kann ein Folterbericht begangenes
Unrecht nicht wiedergutmachen; das möchte ich aus-
drücklich betonen. Es verdient trotzdem unseren Re-
spekt und unsere Anerkennung – auch das wurde schon
angesprochen –, wenn ein Staat den Mut aufbringt, un-
angenehmen Wahrheiten ins Gesicht zu blicken und be-
gangene Fehler öffentlich aufzuarbeiten.
Meine Damen und Herren von den Linken, der zweite
Teil des von Ihnen für diese Aktuelle Stunde gewählten
Titels, nämlich die Frage nach den Folgen für den
Kampf um Menschenrechte – ich füge gerne hinzu: für
den weltweiten Kampf um Menschenrechte –, zeigt auf,
was in dieser Debatte aus meiner Sicht noch fehlt: ver-
gleichbare Berichte aus anderen Ländern.
Das wird vor allem klar, wenn man bedenkt, in wie vie-
len Ländern heute noch gefoltert wird – das macht die
Folter in den USA um nichts besser, aber das beantwor-
tet den zweiten Teil Ihrer zu Recht gestellten Frage –:
Laut Amnesty International war dies in den vergangenen
fünf Jahren in 141 Ländern der Welt der Fall. So werden
beispielsweise in russischen Gefängnissen jedes Jahr
Hunderte von Menschen Opfer von Folter und Miss-
handlungen.
Ich möchte nur einen Fall exemplarisch herausgrei-
fen: Der ukrainische Filmregisseur und Autor Oleg
Sentsov wurde nach der russischen Annexion der Krim
wegen des Vorwurfs terroristischer Handlungen auf der
Krim festgenommen und sitzt bis heute in Moskau in
Haft. Der Maidan-Aktivist bestreitet alle Vorwürfe und
gibt an, von den russischen Beamten gefoltert worden zu
sein. Auch die gegen ihn verwendeten Aussagen anderer
Aktivisten seien unter Folter zustande gekommen. – Der
Fall von Oleg Sentsov ist nur einer unter vielen. Natür-
lich lässt sich nicht unabhängig nachprüfen, was an den
Foltervorwürfen wirklich dran ist. Russland denkt aber
gar nicht daran, einen Bericht wie die USA zu erstellen
und diesen auch noch zu veröffentlichen – und Sie fra-
gen auch nie danach.
7172 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Dr. Bernd Fabritius
(C)
(B)
Genau das will Russland, genau das will China, ein
Land, aus dem Menschenrechtsaktivisten ebenfalls über
grausame Foltermethoden berichten, genau das wollen
der Iran und all die anderen Staaten: unter den Teppich
kehren. Gerade weil wir eine ehrliche Aufarbeitung in
diesen Ländern eben nicht erwarten können, beunruhigt
es mich, wenn wir in dieser Aktuellen Stunde aus-
schließlich über die Verfehlungen der USA sprechen,
weil es vielleicht gerade ideologisch passt, und nicht
über die Verfehlungen anderer Staaten, zum Beispiel
Russlands, gerade auch auf der Krim. Es darf nicht un-
sere Schlussfolgerung sein, andere Länder nicht zu kriti-
sieren, nur weil sie keinen Bericht vorlegen.
Unterschwellig würde damit suggeriert, Folter finde dort
gar nicht statt. Wir und Sie wissen, dass es so nicht ist.
Meine Damen und Herren, im Namen der USA wurde
gefoltert. Das ist abscheulich, und das kritisieren wir
ganz deutlich. Wir hoffen nun umso mehr, dass die Auf-
arbeitung dieses Unrechts durch die USA in Zukunft je-
nen Ländern als positives Beispiel dient, die noch nicht
so weit sind, sich selbstkritisch mit der eigenen Folter-
praxis auseinanderzusetzen, damit Folter baldmöglichst
der Vergangenheit angehört.
Danke.
Der Kollege Stefan Liebich spricht als Nächster für
die Linke.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wir
wussten es. Wir wussten doch, dass Deutschlands engs-
ter Verbündeter foltert. Der Bremer Murat Kurnaz hat
bereits 2007 ein Buch – Sie kennen es vielleicht –, in
dem er über seine Erlebnisse in Guantánamo berichtet,
veröffentlicht. Im Bundestag – Hans-Christian Ströbele
hat darauf Bezug genommen – ist dies im Abschlussbe-
richt des BND-Untersuchungsausschusses aus dem Jahr
2009 nachzulesen.
Nun hat die US-Senatorin Dianne Feinstein ihren Re-
port vorgelegt. Ich habe Frau Feinstein vor einigen Wo-
chen kennengelernt. Sie ist eine sehr resolute 81-jährige
Demokratin, eine engagierte Frau. Sie ist übrigens keine
Gegnerin der Geheimdienste, ganz im Gegenteil. Wir
hatten heftigste Auseinandersetzungen über die NSA-
Affäre. Aber das Ausmaß an Verbrechen, die im Staats-
auftrag begangen wurden – sie hat dies in einer vierzig-
minütigen Rede im Senat dargelegt –, war dann doch
deutlich schockierender, als es sich viele vorstellen
konnten. Wir kennen immer noch nicht das gesamte
Ausmaß. Weite Teile des Berichtes – hier wurde darauf
hingewiesen – sind nicht veröffentlicht worden oder
wurden geschwärzt. Man muss also davon ausgehen,
dass alles noch viel schlimmer ist.
In der letzten Woche war ich mit einigen Kollegen aus
dem Bundestag zu Gesprächen mit unseren Kollegen im
Kongress in die USA gereist. Natürlich haben wir auch
über den CIA-Report gesprochen. Loretta Sanchez, eine
Demokratin aus Kalifornien, hat zu unserer Kritik ge-
sagt: Wir haben doch nicht euch geschadet. Wir haben uns
selbst geschadet. Dieser Bericht, dieses Handeln wird ein
schwarzes Mal auf unserem Körper bleiben. – Der repu-
blikanische Senator John McCain – Hans-Christian
Ströbele hat schon auf ihn hingewiesen –, der selbst
während des Vietnam-Krieges gefoltert wurde, hat in
seiner Rede gesagt: Es geht um uns, was wir waren, was
wir sind und wer wir sein sollten. Und das ist eine Na-
tion, die nicht mitmacht bei dieser Art von Gewalt gegen
ein solch fundamentales Menschenrecht, das wir in un-
serer Unabhängigkeitserklärung garantiert haben.
Leider waren die anderen Stimmen in der US-Debatte
lauter und in der Mehrheit. Mitch McConnell, der künf-
tige Mehrheitsführer der Republikaner im Senat, hat da-
von gesprochen, dass seine Partei gegen die Veröffentli-
chung des Berichts ist, da er ideologisch motiviert sei.
30 Prozent der US-Amerikanerinnen und -Amerikaner
lehnen Folter im Namen der Terrorbekämpfung und De-
mokratie ab, aber 51 Prozent befürworten sie. Das ist
schockierend.
Aber ehe wir den Stab über die US-Amerikaner und
US-Amerikanerinnen brechen, müssen wir uns ansehen,
wie sich die Debatte dazu bei uns gestaltet. Ich weiß nicht,
wer von Ihnen sich noch an die Diskussionen im Zusam-
menhang mit der Entführung von Jakob von Metzler er-
innert, nachdem Polizeivizepräsident Daschner dem
Entführer Gewalt angedroht hatte. Ich erinnere an die
Stimmen, die es da aus der Politik gegeben hat. Ich
möchte die einzelnen Beispiele aus unterschiedlichen
Parteien hier nicht nennen. Ich finde, das Folterverbot
muss absolut, ohne jede Relativierung und immer gelten.
Bei der deutschen Debatte im Jahr 2002 ging es um ein
Leben. Jedes Leben ist wichtig. Ich frage mich, wie die
Debatte nach einem Terroranschlag hier in Deutschland
ähnlich dem des 11. September verlaufen wäre.
Dianne Feinstein hat in ihrer Rede nach der Veröffent-
lichung des Folterberichts gesagt, dass es ein Weiter-so
nicht geben darf. Nie wieder dürfe so etwas geschehen.
Das ist richtig und sollte selbstverständlich sein. Aber es
ist nicht genug. Präsident Obama will den CIA-Folter-
knechten weiterhin Straffreiheit gewähren. Das ist nicht
akzeptabel. Sie und all jene, die für diese Verbrechen
verantwortlich sind, gehören vor Gericht und nach ei-
nem ordentlichen Gerichtsverfahren ins Gefängnis.
Wenn die Folterpraxis ohne jede juristische Konsequenz
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7173
Stefan Liebich
(C)
(B)
bleibt, dann handeln die USA nicht besser als ein Un-
rechtsstaat.
Herr Dr. Fabritius, ich möchte Ihre Erwartung hier
widerlegen. Es gibt viele Länder auf der Erde, die fol-
tern: China, Nordkorea, Syrien, Nigeria, Kasachstan,
Iran. Das alles sind Länder, aus denen Folter bekannt ist.
Es gibt noch viele weitere. Jeder Fall in jedem einzelnen
Land ist schlimm. Die USA haben dem Kampf dagegen
massiven Schaden zugefügt. Die Bundesregierung darf
hier nicht wieder wie bei den Enthüllungen von Edward
Snowden zur Tagesordnung übergehen. Die Vorschläge
liegen auf dem Tisch. Die Grünen haben vorgeschlagen,
dass wir den vollständigen ungeschwärzten Bericht
übermittelt bekommen sollen. Das unterstützen wir sehr.
Gregor Gysi hat Strafanzeige gestellt. Deutschland hat
die Verpflichtung, zu handeln. Der UN-Sonderbericht-
erstatter Ben Emmerson, den Herr Heinrich hier erwähnt
hat, hat auch gesagt, dass die für die Folter Verantwortli-
chen in jedem Land verfolgt und angeklagt werden kön-
nen. Genau das sollte passieren. George W. Bush, Dick
Cheney, Donald Rumsfeld, alle Täter müssen für ihre
Taten geradestehen, wenn notwendig auch hier in
Deutschland.
Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist für die SPD die Kollegin
Angelika Glöckner.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Die Welt ist
aus den Fugen geraten. – Diesen Satz habe ich hier im
Plenum, in der breiten Öffentlichkeit und in vielen Ge-
sprächen mit Bürgerinnen und Bürgern in den letzten
Wochen und Monaten immer wieder gehört. Gemeint
sind damit die aktuellen Krisenherde in der Ukraine, in
Syrien und im Irak oder auch die jüngsten Massende-
monstrationen in Hongkong. Diese Krisen und Konflikte
sind im Grunde genommen keine neuen Erscheinungen,
sondern für viele Menschen auf der Welt seit langem
traurige Realität. Geändert allerdings hat sich, dass sich
die Anzahl und die Intensität der Konflikte steigern und
sich durch die Globalisierung, die schnellen Medien und
die räumliche Nähe bei vielen Menschen ein Gefühl der
Bedrohung entwickelt hat. Für viele Menschen in der ge-
samten westlichen Welt verschiebt sich offensichtlich
das bisher vermutete System des staatlichen Schutzes, in
dem sie sich sicher fühlen. Aus ebendiesem Gefühl der
Unsicherheit ergibt sich für viele der Eindruck, dass die
Welt aus den Fugen gerät.
Doch hier stellt sich für mich die Frage, ob im Zuge
all dieser weltweiten Krisen nicht auch die Wahrung der
Menschenrechte insgesamt aus den Fugen gerät. Wie
sonst ist zu erklären, dass laut einer Umfrage mehr als
die Hälfte der Amerikaner Folter toleriert, sofern sie ei-
ner – wie auch immer verstandenen – nationalen Sicher-
heit nützt?
Ganz aktuell erleben wir, dass auch in Europa die ein-
zelnen nationalen Bemühungen für Menschenrechte,
etwa bei der Flüchtlingspolitik, bei der Bevölkerung Be-
fürchtungen wecken, dass dadurch die eigenen Rechte
beeinträchtigt werden könnten. Natürlich treten da auch
politische Brandstifter auf den Plan, die die Ängste der
Menschen mit diffusen Argumenten noch verstärken und
diese Situation in Wahrheit nutzen, um ihre eigene poli-
tische Agenda umzusetzen. Die in weiten Teilen der
Welt für überwunden geglaubten Vorurteile scheinen
wieder salonfähig zu werden, was letzten Endes dazu
führt, dass Praktiken, die ganz klar als Menschenrechts-
verletzungen einzustufen sind, selbst in Demokratien für
einige Menschen wieder diskussionsfähig werden, Kol-
leginnen und Kollegen.
Offen gesagt: Das hat mich betroffen gemacht. Vor al-
lem aber macht es deutlich, dass man sich generell, welt-
weit und fortlaufend für Menschenrechte einsetzen muss.
Aus diesem Grunde halte ich diese Aktuelle Stunde zu
diesem Thema für wichtig und richtig. Was ich jedoch
nicht richtig finde, ist, an dieser Stelle mit erhobenem
Finger nur nach Amerika zu zeigen. Bitte verstehen Sie
mich nicht falsch: Folter ist generell abzulehnen und zu
verbieten.
Die Folterpraxis der CIA ist grauenhaft und vollkommen
inakzeptabel, und die Verantwortlichen müssen dafür
strafrechtlich verfolgt werden; das ist gar keine Frage.
Das darf aber nicht dazu führen, dass man den Blick in
der Menschenrechtsdebatte nur in Richtung USA wirft,
während anderswo auf der Welt Menschenrechtsverlet-
zungen undokumentiert und unkommentiert bleiben.
Kolleginnen und Kollegen, was der Fall der USA aber
auch deutlich zeigt, ist doch, dass es nur da, wo es freie
Opposition und unabhängige Medien gibt, überhaupt
erst möglich wird, Menschenrechtsverletzungen aufzu-
klären. Nur wenn Transparenz herrscht, können Verant-
wortliche überhaupt verurteilt und Dinge verändert wer-
den. Wir dürfen nicht vergessen: Während wir hier über
die Enthüllungen des Berichts des US-Senats debattie-
ren, sind weltweit Tausende politischer Aktivisten, die
sich für politische Freiheiten und Menschenrechte ein-
setzen, inhaftiert oder Opfer von Zwangsarbeit und Fol-
ter – und das, ohne dass es einer zivilen Öffentlichkeit
möglich wäre, sich für sie einzusetzen, ohne dabei das
eigene Leben zu riskieren.
Für das Vorgehen der amerikanischen Regierung im
sogenannten Kampf gegen den Terrorismus gibt es keine
7174 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Angelika Glöckner
(C)
(B)
Rechtfertigung; das betone ich noch einmal ausdrück-
lich.
Einmal mehr möchte ich verdeutlichen, was meine
Fraktionskollegen aus dem Menschenrechtsausschuss
vor mir immer wieder gefordert haben: Deutschland
muss sich insgesamt mehr für Menschenrechte einsetzen –
im Inland und auch weltweit. Wir müssen beispielsweise
die Bedeutung von Menschenrechten noch mehr als bis-
her herausstellen, um politischen Brandstiftern erst gar
nicht die Chance zu geben, die Ängste von Menschen für
ihre eigenen Zwecke zu nutzen.
Wir brauchen regelmäßige Besuche unabhängiger Ex-
pertenteams in Inhaftierungseinrichtungen und deren
Empfehlungen zur Beseitigung von Missständen. Eini-
gen unserer Partner in der westlichen Wertegemeinschaft
müssen wir deutlicher als bisher aufzeigen, dass der Ein-
satz für Menschenrechte nicht erst außerhalb ihrer eige-
nen Grenzen beginnt. In Staaten, in denen Menschen-
rechtsverletzungen alltäglich sind, müssen wir freie
Medien unterstützen und fördern.
Das muss meines Erachtens der Maßstab sein; denn ei-
nes zeigt die heutige Debatte ganz deutlich: Menschen-
rechte sind kein abstraktes Gebilde. Wir müssen uns
dauerhaft und überall für sie einsetzen. Menschenrechte
müssen gelebt werden.
Vielen Dank.
Frau Kollegin Glöckner, obwohl Sie dem Deutschen
Bundestag erst seit wenigen Tagen angehören, haben Sie
hier gerade Ihre erste Rede gehalten. Ich gratuliere Ihnen
dazu sehr herzlich.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Jürgen Trittin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir lesen
einen ungeheuerlichen Befund: Die USA haben zwi-
schen 2001 und 2006 systematisch gefoltert. Es ging
also nicht um einzelne Entgleisungen.
Die erste Frage in der Diskussion in den USA darauf-
hin war: War das überhaupt effektiv? Ich finde, wir müs-
sen in aller Deutlichkeit sagen: Schon die Frage ist
falsch gestellt.
Wäre die Folter gerechtfertigt gewesen, wenn sie wahre
Ergebnisse gebracht hätte? – Nein, das wäre sie nicht!
Ich finde, die eigentliche Antwort auf die Frage nach
dem Beitrag der Folter im Kampf gegen den Terrorismus
hat Scheich Chalid Mohammed gegeben. Nachdem er in
Guantánamo über 180 Mal gefoltert wurde, hat er eine
ganze Reihe tatsächlicher, geplanter oder nur phantasier-
ter Verbrechen gestanden. Vor dem Militärgericht hat er
dann den entscheidenden Satz über George W. Bushs
War on Terror gesagt – ich zitiere –:
George Washington ist euer Held, unserer ist
Usama Bin Ladin. Der Krieg wird niemals aufhö-
ren. Er hat seine eigene Sprache, die Sprache der
Gewalt und des Todes. Wir sprechen sie, ihr sprecht
sie auch.
Das ist die bittere Bilanz. Wenn das wahr ist, dann ist das
der Sieg des Terrorismus. Folter ist nicht einfach ineffek-
tiv, sie ist im Kampf gegen den Terrorismus schlicht und
ergreifend kontraproduktiv. Indem sich der Kampf gegen
den Terrorismus mit den Methoden der Terroristen ge-
meinmacht, legitimiert er sie. Insofern gibt es eine trau-
rige Linie vom Waterboarding in Guantánamo zu den
Enthauptungsvideos des ISIS.
Ja, es stimmt: Nicht nur in Diktaturen, nicht nur in
Unrechtsstaaten wird gefoltert, auch in Demokratien.
Aber nur in Demokratien besteht die Chance, es öffent-
lich zu machen, um es zu beenden. Dies ist das histori-
sche Verdienst des Senatsreports. Ich finde es schon eini-
germaßen bizarr, dass einer der Hauptverdächtigen
diesen Report kurzerhand – ich zitiere ihn, Herr Präsi-
dent – zu einem „Haufen Scheiße“ erklärt. Nein, diejeni-
gen, die diesen Report erarbeitet haben, haben sich um
Amerika und um die Demokratie verdient gemacht.
Das führt aber auch uns zu einer Verpflichtung. Im
Grundgesetz heißt es nicht nur:
Die Würde des Menschen ist unantastbar.
Es heißt dort weiter:
Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung al-
ler staatlichen Gewalt.
Das heißt, es gibt nicht nur eine Grenze für die Anwen-
dung von Gewalt, sondern auch eine aktive Schutz-
pflicht. Diese aktive Schutzpflicht wahrzunehmen, ist
das, was wir unter anderem von unserem Generalbun-
desanwalt erwarten. Aus dieser Schutzpflicht erwächst
die Pflicht, Straftaten gegen die Würde des Menschen
strafrechtlich zu verfolgen, und das nicht nur im Fall
Daschner, wie Herr Liebich zu Recht gesagt hat. Das ist
es, was wir von den USA erwarten. Das ist es, wofür wir
in Europa sorgen müssen. Strafverfolgung zum Schutze
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7175
Jürgen Trittin
(C)
(B)
der Würde des Menschen ist keine akademische Forde-
rung. Ohne sie gibt es keine Herrschaft des Rechts. Das
gilt gerade auch für eine Europäische Union, die zu
Recht auf ihre Grundrechtecharta stolz ist.
Donald Rumsfeld glaubte damals, er könne im Kampf
gegen den Terrorismus das alte Europa und das neue
Europa, wie er es nannte, spalten. Heute wissen wir, dass
es einfach nur um den schmierigen Versuch ging, sich
rechtsfreie Räume für illegale Praktiken zu kaufen. Das
können wir in Europa nicht dulden. Europa ist kein
rechtsfreier Raum. Deswegen müssen solche Vorstöße
bei uns verfolgt werden.
Ich glaube, dass am Beginn des Kampfes gegen den
Terror eine fundamentale und handlungsleitende Er-
kenntnis stehen muss. Ich zitiere hier Nils Minkmar aus
der FAZ vom 13. Dezember dieses Jahres. Diese Er-
kenntnis lautet:
Wir sind nicht wie ihr. Ob man für Menschenrechte
und Freiheit einsteht, ist nicht das Gleiche wie der
Wunsch nach einem totalen islamischen Kalifat.
Und weil das ein Unterschied ist, besteht auch eine
Differenz in den Mitteln, die wir anwenden, um uns
zu verteidigen. … Sonst hört der Krieg niemals auf.
Ich finde, er hat recht.
Vielen Dank.
Der Kollege Martin Patzelt spricht jetzt für die CDU/
CSU.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe
Gäste! In der Debatte ist bereits so viel zu den ungeheu-
erlichen Vorgängen gesagt worden, so viele Argumente
genannt und entsprechende Konsequenzen verlangt wor-
den, dass ich mich all dem nur nachdrücklich anschlie-
ßen kann. Wer von uns würde angesichts dieses Berichts
anderes sagen? Es ist wohltuend, dass wir uns hier inter-
fraktionell einig sind.
Ich will das eine oder andere nicht verstärken, son-
dern den Blick auf uns selber richten. Ich bin besonders
unserer neuen Kollegin dankbar, deren ganzer Rede ich
vorbehaltlos zustimme. Wie steht es bei uns um die Wur-
zel der Menschenrechte? Die Menschenrechte haben
eine lange Entwicklung erlebt. Es ist ja nicht so, dass wir
heute diejenigen sind, die die Menschenrechte erfunden
haben und bewahren müssen. Vielmehr haben wir als
deutsches Volk in unserem Umgang mit Menschenrech-
ten leidvoll erfahren, wie schnell ein Volk in die Situa-
tion kommen kann, Menschen industriemäßig zu ver-
nichten. Das hat dazu geführt, dass wir in Auswertung
dieser furchtbaren Erfahrungen und des Leides, das wir
über die Menschen gebracht haben, neue Wege gegan-
gen sind.
Nun dürfen wir die Menschenrechte und unseren
Kampf gegen die Folter aber nicht wie eine Monstranz
vor uns hertragen. Laut Amnesty International wird an
fast allen Orten der Welt gefoltert, in 140 Ländern;
meine Vorredner haben darauf aufmerksam gemacht. Ich
will Sie dafür gewinnen, dass wir diese Entwicklung als
einen Prozess sehen, in den wir uns mit aller Kraft, mit
all unserer historischen Erfahrung und mit den Werten,
die wir daraus gewonnen haben, hineinbegeben und da-
rauf drängen, dass alle Vergehen, die juristisch irgend-
wie zu fassen sind, sei es auch vor dem Internationalen
Gerichtshof, zur Anklage gebracht werden. Gleichzeitig
aber müssen wir uns die Frage stellen: Wie schnell kom-
men Menschen in die Situation, aus Opportunismus oder
aus Gründen der Zweckmäßigkeit den Einsatz von Mit-
teln zu bejahen, die mit dem Menschenrecht, so wie wir
es verstehen, nicht vereinbar sind?
In den USA hat die Mehrheit der Amerikaner nach
den traumatischen Erfahrungen des 11. September ge-
sagt – meine Vorredner haben darauf aufmerksam ge-
macht –: Ja, wenn dadurch Menschenleben gerettet wer-
den können, ist auch Folter gerechtfertigt. – Was auch
immer sich hinter diesem Begriff verbirgt und was sich
jeder dazu ausmalt. Der damalige Präsident Bush hat das
ausdrücklich bestätigt und gesagt: Ja, wenn wir Men-
schenleben retten können, dann ist auch Folter gerecht-
fertigt.
Der Fall in Deutschland, auf den Bezug genommen
wurde, der Fall Jakob von Metzler, war ähnlich. Ich kann
mich noch gut entsinnen, dass die Menschen in meiner
Umgebung gesagt haben, das sei doch richtig gewesen,
und gefragt haben, warum dieser Polizist aufgrund sei-
ner Verhörmethoden bestraft werde. Dieser Polizist ist
zu Recht bestraft worden – Herr Trittin hat das noch ein-
mal sehr deutlich gemacht –, weil wir einen Wert vertei-
digen, den wir uns mühsam erworben haben.
Wer sagt, der Zweck heilige die Mittel, und wer das
unterstützt, der ist bald wieder am Ende.
Ja, es ist wahr. Wir haben eine Demokratie, die wir uns
„erlitten“ haben. Deshalb haben wir diese Demokratie
jeden Tag zu behüten. Sie haben das sehr deutlich ge-
sagt. Wenn wir nicht darauf achten, dann sind wir gleich
wieder an einer anderen Stelle. Schauen wir uns einmal
in unserem Land um. Denken wir einmal an die Vor-
gänge in den Flüchtlingsheimen in Nordrhein-Westfalen.
Der zuständige Polizeipräsident sagte dazu: Diese Bilder
erinnern mich an Guantánamo. Das ist alles nicht so weit
weg.
Wir müssen Sorge tragen, dass wir die Menschen-
rechte in unserem Land nicht nur vom Gesetz her beja-
hen. Eine Regierung kann schnell wechseln. Es geht im-
mer um Mehrheiten. Ein Wert, den wir mit dem
Grundgesetz verteidigen, kann sich ändern, wenn sich
7176 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Martin Patzelt
(C)
(B)
zwei Drittel anders aussprechen. Auch damit haben wir
unsere historischen Erfahrungen. Wir müssen versuchen,
überall Anschluss zu finden und die Menschen für die
Überzeugung zu gewinnen, dass diese Rechte uns allen
eine glückliche Zukunft schenken. Sie sind kein Wert an
sich, sondern der Garant dafür, dass wir in Frieden und
Wohlstand und in einer guten Entwicklung miteinander
leben können.
Danke.
Die Kollegin Ulla Schmidt spricht jetzt für die SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine sehr geehrten Damen und Herren! Als ich den
Titel dieser Aktuellen Stunde gelesen hatte, hatte ich zu-
nächst die Befürchtung, dass wir nicht zu einer differen-
zierten Diskussion kommen werden. Im Gegensatz zu
Ihrer Fraktion, die das so betitelt hat, haben Sie das so-
fort ausgeräumt, Herr Gehrcke. Ich finde, dass die Dis-
kussion, die wir hier geführt haben, sehr differenziert ge-
wesen ist und auch dem Anlass gerecht geworden ist,
weil sie mehrere Aspekte aufgegriffen hat.
Erstens sind wir uns in diesem Parlament alle einig,
dass wir das, was als sogenannte erweiterte Verhörme-
thode bezeichnet wird, als elementare Verletzung von
Menschenrechten, als etwas, das gegen unsere gesamten
Werte gerichtet ist, und letztlich als Folter ansehen.
Wenn Menschen gewaltsam zu etwas gezwungen wer-
den, dann ist das Folter. Das ist auch so in den Konven-
tionen festgelegt.
Das Gute an der Debatte ist, dass wir als Parlamenta-
rierinnen und Parlamentarier sehr gut daran tun, dass wir
die Männer und Frauen im amerikanischen Kongress,
die in den vergangenen Jahren sehr viel Engagement
aufbringen mussten, dass wir unsere Kolleginnen und
Kollegen unterstützen, damit sie diese Aufklärung wei-
ter betreiben können, sodass die Verantwortlichen zur
Rechenschaft gezogen werden; denn Aufklärung ge-
schieht vorher und In-Rechenschaft-Ziehen hinterher.
In diesem Zusammenhang fallen mir die Nürnberger
Prozesse ein. Dabei wurde deutlich, dass sich niemand
darauf verlassen kann, dass er im Falle von Menschen-
rechtsverletzungen nicht bestraft wird, wenn er im staat-
lichen Sinne oder im staatlichen Auftrag gehandelt hat.
Das entspricht auch den Prinzipien des Völkerrechts.
Darauf müssen wir achten, und dabei müssen wir unsere
Kolleginnen und Kollegen unterstützen.
Zweitens müssen wir darüber nachdenken, dass wir
heute über dieses Thema debattieren können, weil die
USA eine parlamentarische Demokratie sind und weil in
einer parlamentarischen Demokratie mit den Mitteln des
Parlaments Transparenz durchgesetzt werden kann. Es
gibt Menschen, die diese Praktiken genauso verurteilen
wie wir. Deshalb hat der Geheimdienstausschuss mit
Dianne Feinstein darum gekämpft, dass der Bericht ver-
öffentlicht wird. Natürlich hat man zum Schluss Kom-
promisse eingehen müssen. Aber ich habe Verständnis
dafür. Was wäre denn gewesen, wenn es im Dezember
nicht veröffentlicht worden wäre? Im Januar, mit einer
anderen Mehrheit im amerikanischen Kongress, wäre es
nicht mehr dazu gekommen. Deswegen musste der Be-
richt auch mit den Kompromissen veröffentlicht werden.
Dianne Feinstein hat das sehr genau beschrieben. Sie
hat einen Satz gesagt, der mich sehr bewegt hat. In der
Los Angeles Times – wir waren letzte Woche in den USA –
hat sie geschrieben: „Torture goes against the very soul
of our country.“ „Folter verstößt gegen die ureigene
Seele unseres Landes.“ Das sagt mehr aus als das, was
manche Berichte sagen können. Es zeigt nämlich die
Motive, warum man dafür kämpft, warum man dagegen
klagt und warum man sich nicht mit dem zufriedengege-
ben hat, was die CIA und der Bericht immer nur unzu-
länglich benannt haben. Weder in der Anzahl noch in
dem, was geschehen ist, hat die CIA das entsprechend
deutlich gemacht.
Für mich bedeutet das, dass wir als Parlamentarier
und Parlamentarierinnen daraus eine Lehre ziehen müs-
sen. Denn unsere Aufgabe ist es, klarzumachen, dass der
Rechtsstaat nicht nach dem Prinzip „Auge um Auge,
Zahn um Zahn“ verfährt, auch wenn die Volksseele das
oft anders sieht. Kennzeichen des Rechtsstaates ist näm-
lich, dass wir mit den Mitteln des Rechtsstaates unter
Wahrung der Menschenwürde auch für Täter die Taten
bekämpfen. Das sollten wir auch nach außen tragen, und
dafür sollten wir werben. Ich habe das in einer Diskus-
sion mit amerikanischen und deutschen Schülerinnen
und Schülern gemacht.
Das, was gestern in Peschawar an Gräueltaten passiert
ist, wirkt sich sicherlich entsprechend auf die Umfragen
aus. Die Menschen haben oft den Wunsch, dass wir
mehr tun müssen, oder sie wollen, dass wir manches an-
ders machen. Aber das ist das Wesen unserer Demokra-
tie. Dafür müssen wir kämpfen. Das ist der Rechtsstaat,
in dem wir weltweit für Menschenrechte eintreten. Ohne
diesen Rechtsstaat und ohne Transparenz werden wir die
Menschenrechte nicht einhalten können. Deswegen
müssen wir uns dafür einsetzen.
Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum Schluss.
Wir hatten ein Gespräch mit dem Sonderbeauftragten für
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7177
Ulla Schmidt
(C)
(B)
Afghanistan, der unter anderem für die Bekämpfung der
Korruption dort zuständig ist. Er hat gesagt: „Sunlight is
the best disinfectant.“ Darum geht es: Licht in die Dun-
kelheit zu bringen, gibt uns erst die Voraussetzung dafür,
dass wir über solche Gräueltaten reden können und dass
wir klar differenzieren und vielleicht verstehen können,
warum jemand so gehandelt hat. Wir müssen aber kein
Verständnis für dieses Handeln aufbringen, sondern wir
müssen uns unter Freunden klar sagen, was geht und was
nicht geht. Das, was dort passiert ist, geht nicht.
Lassen Sie uns weiter dafür kämpfen, dass wir das,
was wir an Mitteln haben, zum Beispiel in der auswärti-
gen Kultur- und Bildungspolitik, weiter ausbauen, bei-
spielsweise unsere Mittlerorganisationen. Denn wir ha-
ben noch eine ganze Menge zu tun, damit diese
Auffassung von Rechtsstaat, Demokratie und demokrati-
schen Prinzipien umgesetzt wird. Deswegen sollten wir
auch in Soft Power investieren. Das ersetzt nicht die
Hard Power, aber ohne Soft Power ist Hard Power über-
haupt nichts.
Vielen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Dr. Johann
Wadephul, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Diesem engagierten Beitrag kann ich mich nur
voll und ganz anschließen.
– Herr Gehrcke, ich finde, dass es ein Wert an sich ist,
dass wir alle, glaube ich, in diesem Hohen Hause bei
dem Thema, das eigentlich Ihr Kernthema sein sollte, ei-
ner Meinung sind
und dass keine Bündnisverpflichtung und kein freund-
schaftliches Band zu den Vereinigten Staaten von Ame-
rika – und diese Bänder sind sehr stark; es sind die
stärksten, die wir haben – uns davon abhält, den Verei-
nigten Staaten von Amerika klar zu sagen, dass derartige
Methoden nicht akzeptabel sind und dass sie mit den
Grundwerten, die die Grundlage unseres Bündnisses und
unserer Freundschaft zwischen Deutschland und Ame-
rika sind, nicht vereinbar sind. Das formulieren wir ge-
meinsam sehr deutlich, und ich finde, das ist ein Wert an
sich, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Nun zu Ihrer Bemerkung „Duckmäusertum“. Jede
Bundesregierung, egal von welcher politischen Koali-
tion in diesem Haus sie getragen wurde, hat immer sehr
klar ihre Meinung zu den der CIA schon früher unter-
stellten Methoden gesagt. Die Bundeskanzlerin hat – das
ist eine ihrer Stärken – schon zu einem sehr frühen Zeit-
punkt das Lager Guantánamo angesprochen und inner-
halb des Bündnisses mit sehr klaren Worten kritisiert.
Guantánamo ist nicht akzeptabel. Aber sie hat auch dem
russischen Präsidenten gesagt – das hat mir bei Ihren
Beiträgen in der Tat gefehlt, sehr geehrte Damen und
Herren von der Linken –, dass das, was in Tschetsche-
nien geschehen ist, oder das, was heute Herr Fabritius
angesprochen hat, Menschenrechtsverletzungen dar-
stellt. Die Menschenrechte sind unteilbar. Das müssen
wir den Amerikanern, aber auch den Russen sagen.
Herr Liebich hat versucht, das sozusagen auszuräumen
und nachzutragen. Aber leider wurde Russland erneut
nicht erwähnt. Ob das der Loyalitätsverpflichtung ge-
genüber dem Kollegen Gehrcke geschuldet ist, weiß ich
nicht. Ich finde nur, dass es dazu gehört, auch Russland
zu erwähnen.
– Ich kenne diese Differenzen. – Wenn wir schon über
Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit reden, dann
muss auch das Verhalten Russlands deutlich angespro-
chen werden.
Ich will noch etwas zu zwei Aspekten sagen. Herr
Kollege Trittin, ich stimme Ihnen vollkommen zu, dass
wir hier in Europa beim Rechtsstaat keine Relativierung
machen können. Wenn es Rechtsverletzungen in
Deutschland oder in Europa gegeben hat, dann müssen
diese nach unseren rechtsstaatlichen Verfahren und im
Rahmen der Strafverfolgung eindeutig aufgeklärt wer-
den. Gegebenenfalls muss es dann zu Verurteilungen
kommen; das ist vollkommen klar. Da sind wir absolut
einer Meinung.
Ich bin nicht Ihrer Meinung, dass man von dieser
Stelle aus dem Generalbundesanwalt Vorschriften ma-
chen sollte, welche Verfahren er einzuleiten hat und wel-
che er nicht einzuleiten hat. Justizminister Heiko Maas
hat ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich hier
um eine unabhängige Behörde handelt, die unabhängig
ermitteln soll, erstens ob sie zuständig ist und zweitens
ob sie die Rechtsverfolgung aufnehmen kann und will.
An dieser Stelle sollten wir uns sowohl gegenüber den
Staatsanwaltschaften als auch gegenüber den Gerichten
etwas zurückhalten. Parlamentarismus und politische
Forderungen sind das eine. Unabhängige Gerichte sind
das andere. Da sollten wir uns als Parlamentarier nicht
über Gebühr einmischen.
Mich macht traurig, dass sich die Vereinigten Staaten
von Amerika, die in vielen Bereichen vorbildlich für uns
sind, durch diese Methoden der Bekämpfung von wirk-
lich schlimmem Terrorismus auf das Unrechtsniveau der
7178 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014
Dr. Johann Wadephul
(C)
(B)
Terroristen begeben. Das darf sich ein freiheitlicher
Rechtsstaat niemals leisten. Da muss es Unterschiede
geben, so groß der Zorn und so groß das Verständnis für
die Situation nach 9/11 – auch hier im Hause – sein mag.
Mit Blick auf den Fall Jakob von Metzler wurde bereits
gesagt: Wer weiß, wie die Stimmung in Deutschland ge-
wesen wäre, wenn ein ähnlicher terroristischer Anschlag
hier bei uns stattgefunden hätte, und wie schwer wir es
dann gehabt hätten, die Grundsätze, für die wir alle ein-
treten, durchzusetzen! So weit müssen wir uns ehrlich
machen.
Mich macht auch traurig, dass diese Vorfälle dem in
Deutschland latent vorhandenen Antiamerikanismus
wieder Vorschub leisten könnten. Mich hat verwundert,
dass sich der Kollege Ströbele quasi gebrüstet hat, hier
als Amerikakritiker aufzutreten. Vielleicht habe ich ihn
auch missverstanden. Da er berechtigterweise nicht an-
wesend sein kann, werde ich ihn persönlich fragen.
Wir müssen den Vereinigten Staaten von Amerika si-
cherlich klar sagen, was wir für kritikwürdig halten.
Aber wir müssen in einer solchen Debatte auch festhal-
ten, dass wir nie vergessen, dass es die Amerikaner wa-
ren, die uns vom Naziregime befreit haben und letztlich
dafür gesorgt haben, dass wir nun in einem wiederverei-
nigten Deutschland leben, und die uns Freiheit, Men-
schenrechte und Rechtsstaatlichkeit erst ermöglicht ha-
ben.
Vielen Dank.
Abschließender Redner in dieser aktuellen Stunde ist
der Kollege Michael Vietz, CDU/CSU.
Herr Präsident! Geschätzte Kolleginnen und Kolle-
gen! Als Letzter in einer Debatte zu reden, in der wir
eine so grundsätzliche Übereinstimmung haben, kreuz
und quer durch alle Parteien, fällt einem natürlich nicht
leicht, aber man gibt trotzdem sein Bestes, im Zweifel
wiederholt man sich.
Seitdem der Geheimdienstausschuss des US-Senats
letzte Woche am 9. Dezember den Bericht zum Haft-
und Verhörprogramm der CIA, wie er offiziell heißt, ver-
öffentlicht hat, wird dieser weltweit diskutiert. Man fragt
sich, was in den 6 700 Seiten steht, man weiß, was in
den 525 veröffentlichten Seiten steht, und man weiß,
was in den knapp 170 Seiten steht, die die Republikaner
als Ergänzung gebracht haben. Zusätzlich gab es knapp
30 Seiten von Einzelsenatoren. Trotz allem fragt man
sich in erster Linie – auch wir haben uns diese Frage ge-
stellt –: Was steht in den 6 700 Seiten? Dieser Bericht
hat zu einer weltweiten Aufmerksamkeit und Diskussion
geführt, und er wird zu Recht auch in diesem Hause in-
tensiv diskutiert.
Dass diese euphemistisch als erweiterte Verhörmetho-
den bezeichneten Aktivitäten stattfinden, ist leider keine
Neuigkeit. Waterboarding und andere schockierende
Praktiken waren uns schon vorher durch zahlreiche Be-
richte bekannt. Speziell die USA, aber auch wir als west-
liche Gesellschaft allgemein wurden dadurch in eine
schwierige Position manövriert. Viele Menschen sind zu
Recht enttäuscht darüber, dass die Vereinigten Staaten,
die sich Freiheit und Gerechtigkeit für alle Menschen auf
die Fahne schreiben, offenkundig und nun auch offiziell
dokumentiert foltern. Folter ist und bleibt Folter, egal
wie man es nennt. Folter ist grundsätzlich und in jeder
Form zu verurteilen.
Wenn ich einen Blick auf den Titel der Aktuellen
Stunde werfe, dann muss ich sagen, dass der CIA-Report
natürlich Folgen für den Kampf um die Menschenrechte
haben wird. Natürlich wird man fragen, wie glaubhaft
ein Staat gegen Terrorregime vorgehen kann, der es
selbst mit den Menschenrechten nicht ganz genau
nimmt, der die Menschenrechte nicht ernst nimmt. Die
USA stehen nun am Pranger. Am lautesten wird diese
Frage von Regimen gestellt, die selbst die Menschen-
rechte mit Füßen treten. Das ändert aber nichts an der
Brisanz, sich für die Menschenrechte weltweit einzuset-
zen. Im Gegenteil: Es beflügelt die Diskussion weltweit.
Nur in einer starken parlamentarischen Demokratie, die
Rechtsstaatlichkeit und auch Freiheit lebt, ist es möglich,
so einen Bericht mit all seinen innenpolitischen und au-
ßenpolitischen Konsequenzen zu veröffentlichen. Diese
Konsequenz würde ich mir auch von dem einen oder an-
deren Staat auf dieser Welt wünschen.
Ich habe den Eindruck, der halbe Bundestag war
letzte Woche in Amerika unterwegs. Auch ich war letzte
Woche in Washington
und erlebte vor Ort die ernsthaften Diskussionen im Um-
feld der Veröffentlichung des Berichts. Persönlichkeiten
wie Senatorin Feinstein und Senator McCain warfen in
ihren Beiträgen die berechtigte Frage auf, ob diese Prak-
tiken wirklich den westlichen Werten, den Werten ihres
Landes entsprechen, ob ihr Land nicht durch sein prakti-
sches Handeln beweisen muss, dass es besser ist als
seine Gegner, dass Recht und Gesetz für alle zu gelten
haben, auch und vor allem, wenn auf der anderen Seite
der Front nicht die großen Verteidiger der Menschen-
rechte stehen. Denn auch da gilt: Menschenrechte gelten
für alle, selbst für diejenigen, die es mit ihnen nicht un-
bedingt ernst meinen.
Es wurde auch schon Jakob von Metzler erwähnt. Es
lohnt sich, in der Debatte zu fragen: Wie weit würde ich
gehen? Die öffentliche Diskussion damals, vor allem
nachdem die Gerichte zu Recht festgestellt hatten, dass
schon die Androhung von Folter Folter ist, wurde hier
bereits erwähnt. Es wurde auch erwähnt, dass wir nicht
so ganz unschuldig und rein im Herzen sind, wie wir es
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 75. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 17. Dezember 2014 7179
Michael Vietz
(C)
vielleicht manchmal wollen. Wir müssen uns in Erinne-
rung rufen, dass sich Gründe für Folter schnell finden
lassen, aber es niemals eine Rechtfertigung dafür gibt.
Den CIA-Report betrachte ich als einen Impuls für
die Aufarbeitung und die kritische Auseinandersetzung.
Dadurch, dass das Thema öffentlich diskutiert wird, er-
warte ich tatsächlich langfristig einen positiven Impuls
für den Kampf um die Menschenrechte, einen Impuls,
der auch andere folternde Staaten trifft.
Die UN-Antifolterkonvention wurde bis jetzt von
156 Staaten ratifiziert. Mehr als 100 Staaten foltern
heute immer noch. Da wir etwas unter 200 Staaten ha-
ben, weiß man, dass viele, die die Konvention unter-
schrieben haben, trotzdem foltern. Hier müssen wir,
auch beflügelt durch unsere gegenwärtige Debatte, ver-
stärkt ansetzen.
Menschenrechte gehören generell auf die Agenda in-
ternationaler Politik – nicht nur in dieser Aktuellen
Stunde und auch nicht nur, wenn es gegen die Vereinig-
ten Staaten geht. Dort findet die notwendige Aufarbei-
tung nun statt. In zu vielen Ländern sind wir nach wie
vor Meilen von einer solchen Aufarbeitung entfernt.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.
Wir sind zugleich am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 18. Dezember
2014, 9 Uhr, ein.
Kommen Sie alle wohlbehalten und gesund wieder.
Die Sitzung ist geschlossen.