Gesamtes Protokol
Herzlich willkommen! Guten Tag, liebe Kolleginnenund Kollegen! Guten Tag, liebe Gäste! Ich eröffne dieSitzung.Ich bitte um Verständnis dafür, dass wir ein paar Mi-nuten warten müssen, weil Frank-Walter Steinmeier imStau steckt. Es wäre zu kompliziert, wenn wir mit ande-ren Fragen anfangen würden. Ich hoffe, Sie sind damiteinverstanden. – Gut.
– Im Liedersingen sind wir schon geübt. Hat jemand Ge-burtstag? – Nein, heute singen wir nicht.
Herzlich willkommen, Frank-Walter Steinmeier!Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: 4. Bericht der Bundesregie-rung über die Umsetzung des Aktionsplans „ZivileKrisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskon-solidierung“.Das Wort für den fünfminütigen einleitenden Berichthat der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier.Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In der Außenpolitik haben wir in diesen Zeiten viel zureden und reden wir viel über akute Krisen. Über dieverhinderten Krisen reden wir kaum, aber das macht dieArbeit in der Krisenprävention deshalb nicht unwichti-ger. Im Gegenteil: Jede verhinderte Krise war bishernach unserer Beurteilung die beste außenpolitische In-vestition. Das Paradoxe ist nur: Am erfolgreichsten istdie Krisenprävention, wenn sie am wenigsten sichtbarist, wenn eben nicht Bilder von Krieg und Gewalt unsereFernsehbildschirme erreichen. Gerade dann hat sichfrühzeitig investierende oder vorsorgende Außenpolitikgelohnt.Wir haben vor zehn Jahren in der damaligen Bundes-regierung den Aktionsplan „Zivile Krisenprävention“auf den Weg gebracht. Ich glaube, man darf sagen, dassseither viel passiert ist. Wir setzen heute etwa zehnmalso viele Mittel für zivile Krisenprävention ein wie da-mals im ersten Jahr. Es sind allein im Auswärtigen Amtjetzt, im Jahr 2014, etwa 150 Millionen Euro. Mit IhrerHilfe, mit der Hilfe des Hohen Hauses, wollen wir dieseGrößenordnung natürlich auch in den nächsten Jahrenverstetigen und erhalten.Wir haben heute im Kabinett, wie eben angekündigt,den 4. Umsetzungsbericht zum Aktionsplan beschlossen.Darin finden sich viele Schwerpunkte der präventivenAußenpolitik und der Krisenvorsorge. Das ist erstens dieStärkung der Staatlichkeit. Denn Sie wissen es wie ich:Fragile Staaten und fragile Staatlichkeit sind die häu-figste Ursache nicht nur von Destabilisierung, sondernauch von neuen Krisen und Konflikten.Dafür gibt es verschiedene Beispiele. Denken Siezum Beispiel an die Stärkung von Sicherheit in krisenge-fährdeten Staaten. Dazu gehört die Polizeiausbildung inAfghanistan, für die wir uns engagiert haben. Dasschließt aber auch das Training von afrikanischen Poli-zisten für Peacekeeping-Einsätze in Afrika ein. Oderdenken Sie an die Stärkung der öffentlichen Infrastruk-tur. Eines der Ziele, die wir auf der Syrien-Konferenzvor wenigen Tagen hier in Berlin verfolgt haben, war, zuverhindern, dass durch die Vielzahl der Flüchtlinge inJordanien und im Libanon – mehr als 1,3 Millionen bzw.1,5 Millionen – staatliche Strukturen, vor allem im Bil-dungs- und Gesundheitssystem, völlig zusammenbre-chen.Ein weiteres Beispiel ist Rechtsstaatlichkeit – mitganz vielen Aspekten. Einer der jüngeren Aspekte, vondem ich Ihnen berichten kann, ist die Einrichtung einerneuen Kammer für Völkerstrafrecht; es hat seine Ursa-chen, wenn wir helfen, eine neue Kammer für Völker-strafrecht am kenianischen Obersten Gerichtshof in Nai-robi einzurichten.
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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Die drei unterschiedlichen Felder, die ich nur bei-spielhaft genannt habe, folgen einer gemeinsamen Philo-sophie, nämlich Staaten zu ertüchtigen, weil funktionie-rende Staaten nach unserer und meiner Auffassung amEnde die erste Verteidigungslinie gegen Krisen und Kon-flikte sind und bleiben.Die zweite Verteidigungslinie, die man braucht, sindregionale und multilaterale Strukturen der Friedenssi-cherung. Da engagieren wir uns zum Beispiel durchStärkung der Afrikanischen Union, aber auch durch Mit-unterstützung des Kofi Annan International Peace-keeping Training Centre der ECOWAS in Ghana, West-afrika.Ein dritter Schwerpunkt, der nicht vergessen sein sollund der in diesen Zeiten Konjunktur hat, ist Friedensme-diation und Konfliktlösung – vielfach nachgefragt, oftmehr, als wir leisten können –, zum Beispiel in Mali, wowir die Kommission des neu geschaffenen Ministeriumsfür Versöhnung unterstützen, oder in Korea, wo ich ge-rade eben – Sie haben es wahrscheinlich mitverfolgt undgelesen – mit einer Beratergruppe zu außenpolitischenAspekten der Wiedervereinigung Koreas unterwegs war,oder die Beiträge, die wir von europäischer Seite ge-meinsam mit unseren französischen und britischenFreunden als Ergänzung hoffentlich möglicher Waffen-stillstandsvereinbarungen zwischen Israel und Palästinaauf den Weg zu bringen versuchen. Gerade eben erst, voranderthalb Wochen, war Präsident Santos hier, der unsmit Blick auf seine Aussöhnungsbemühungen, die er inKolumbien anstrengt, gebeten hat, Vorsorge zu treffen,damit es nach Vereinbarungen mit der FARC in Kolum-bien zu einem innerstaatlichen Aussöhnungsprozesskommen kann. – All das sind Themen, die in diesen Be-reich der Friedensmediation, Konfliktlösung und Aus-söhnung gehören, bei denen wir mit unseren Möglich-keiten beratend zur Seite stehen.Das alles zeigt, liebe Kolleginnen und Kollegen: DerInstrumentenkasten der Diplomatie ist eigentlich reich-haltiger, als viele glauben. Er endet nicht am letztenStuhl des Verhandlungstisches, und er beschränkt sichinsbesondere auch nicht auf die ganz groben Werkzeuge,auf die Kneifzange der Sanktionen oder auf schwere Ge-schütze bis hin zum Einsatz von Waffen. Vielmehr liegtall diesen Beispielen aus der zivilen Krisenprävention,die ich eben genannt habe, der Gedanke der vorsorgen-den Außenpolitik zugrunde, in dem Sinne, lieber vorsor-gend gezielt in Frieden und Stabilität zu investieren, alsam Ende zu spät eingreifen zu müssen.Natürlich gibt es keine Garantie, dass Investitionen inKrisenprävention sich auszahlen. Natürlich gibt alleindie Investition noch nicht die Garantie, dass es zu keinerVerschärfung eines Konfliktes kommt. Aber ich bin mirsicher, sie wird in ihrer Bedeutung unterschätzt. MancheKrise hat sich eben nicht zum militärischen Konflikt ent-wickelt, weil wir mit den Instrumenten der Krisenprä-vention helfen konnten. Sie ist zudem, wenn ich das sosagen darf, zu so etwas wie einem Markenzeichen deut-scher Außenpolitik geworden. Das spürt man im Augen-blick zum Beispiel an den Gesprächen, die wir gesternmit der International Crisis Group hier in Berlin geführthaben. Es zeigt sich aber auch an den vielen Experten-meinungen, die wir in unserem Reviewprozess eingeholthaben, in dem wir die Fragestellungen der deutschenAußenpolitik im Augenblick durch Befragung nationalerund internationaler Experten einer Überprüfung zufüh-ren.Ich glaube, dass jeder Euro, den wir zur Krisenverhin-derung einsetzen, ein gut investierter Euro ist. Deshalblohnt es sich aus meiner Sicht, diesen Bereich der Au-ßenpolitik noch stärker auszubauen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. – Es gibt ei-
nige Fragesteller und Fragestellerinnen. Es beginnt
Dr. Franziska Brantner.
Danke schön. – Lassen Sie mich zunächst feststellen,
dass wir als Grüne es sehr begrüßenswert finden, dass
Sie dieses Thema heute an dieser Stelle diskutieren. Es
ist das erste Mal, dass der Bericht so prominent vorge-
stellt und diskutiert wird.
Ich habe eine Nachfrage zu Ihren Ausführungen. Sie
haben von den finanziellen Mitteln gesprochen. Soweit
wir wissen, wird im Haushalt 2015 der Titel „Unterstüt-
zung von internationalen Maßnahmen auf den Gebieten
Krisenprävention, Friedenserhaltung und Konfliktbe-
wältigung durch das Auswärtige Amt“ um 2 Millionen
Euro gekürzt. Nun könnte man sagen: Das ist nicht viel.
Aber wenn man bedenkt, dass 2013 eigentlich 40 Millio-
nen Euro mehr hätten ausgegeben werden können, dann
wird deutlich, dass die Mittel nicht ausreichen.
Sie haben die Polizeieinsätze angesprochen. In die-
sem Bereich ist der Unterschied noch eklatanter. Im
Titel 532 04, Untertitel „Mandatierte polizeiliche Frie-
densmissionen und bilaterale polizeiliche Auslandsein-
sätze in internationalen Krisengebieten“, wurden 2014
über 13 Millionen Euro veranschlagt, für 2015 sind da-
für 7,7 Millionen Euro veranschlagt. Nun könnten Sie
argumentieren: Der Afghanistan-Einsatz ist beendet.
Aber natürlich ist der Bedarf an deutschen Polizistinnen
und Polizisten weltweit nicht gedeckt. Als Beispiele sind
zu nennen die Ukraine, Tunesien, das um Unterstützung
bei der Polizeireform gebeten hat, und die UN-Missio-
nen. Derzeit sind über 13 000 Polizeibeamtinnen und
Polizeibeamte in UN-Missionen tätig; übrigens nur 24
davon sind aus Deutschland.
Sieht so Ihre neue Verantwortung in diesem Bereich
aus? Steht das im Einklang mit dem Anspruch, den Sie
gerade dargestellt haben?
Vielen Dank, Franziska Brantner. – Frank-WalterSteinmeier, bitte.
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Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Sollten Sie die Frage, ob wir uns dieser neuen Verant-wortung stellen, ernst gemeint haben, so kann ich sie mitJa beantworten. Die Wahrnehmung unserer Verantwor-tung beschränkt sich in der Tat nicht auf den Mittelan-satz bei der zivilen Krisenprävention. Wenn Sie zumBeispiel die Kolleginnen und Kollegen, die sich im Mo-ment in der Ukraine aufhalten, befragen, dann wird deut-lich, dass sie sehr dankbar sind, dass sich diese Bundes-regierung nicht in die Furche legt, wenn es darum geht,Gespräche zwischen der Ukraine und Russland in Gangzu halten, um den Konflikt zu entschärfen und, so hoffeich, irgendwann in mittelfristiger oder ferner Zukunft ei-ner Lösung zuzuführen.Selbstverständlich ist es so, dass wir bei der Vielzahlder Krisen – auf die wir nicht nur schauen, sondern beider einen oder anderen sind wir auch gefragt – nochmehr Mittel gebrauchen könnten, auch für die zivile Kri-senprävention; das ist gar keine Frage.Ich sage für mich und für das Außenministerium: Un-ter den gegenwärtigen Haushaltsbedingungen bin ichfroh, dass wir unser Niveau in dieser Größenordnung ha-ben halten können. Wir müssen in Zukunft überlegen– wenn Sie an Länder Nordafrikas denken, mit denenwir im Rahmen der Transformationspartnerschaften zu-sammenarbeiten –, ob wir dort zusätzliche Mittel, etwafür Polizeiausbildung, generieren können. Das ist zumgegenwärtigen Zeitpunkt aber noch nicht entschieden.
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. – Nächste
Fragestellerin: Kathrin Vogler für die Linke.
Vielen Dank. – Herr Minister, der heute vorgestellte
Bericht liegt uns noch nicht vor. Ich nehme an, er wird
von Ihnen in Kürze an den Bundestag weitergeleitet. Bei
den vergangenen Berichten haben Organisationen aus
der Zivilgesellschaft, zum Beispiel aus dem Umfeld der
Plattform Zivile Konfliktbearbeitung, die immer deutli-
chere Verschränkung mit militärischen Maßnahmen und
die zunehmende Versicherheitlichung der Konzepte, die
die Bundesregierung in diesem Bereich verfolgt, be-
klagt. Hat die Bundesregierung da im neuesten Bericht
andere Akzente gesetzt, und wie sehen die aus?
Herr Minister, bitte.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Vielen Dank. – Das war Anlass für meine Vorbemer-
kungen eben, in denen ich versucht habe, das breite
Spektrum ziviler Krisenprävention darzustellen, mit dem
wir weltweit unterwegs sind. Ich glaube, wenn Sie eine
faire Einschätzung des ganzen Aktivitätenspielraums
vornehmen, dann werden Sie darin keinen militärischen
Schwerpunkt, nicht einmal eine Versicherheitlichung
feststellen; wenngleich ich zu bedenken gebe, ob in die-
sen fragilen Staaten Sicherheit und die Gewährleistung
von Sicherheit nicht ein wichtiger Anker sind, um zu-
nächst eine Grundlage dafür zu schaffen, dass sich Staat-
lichkeit überhaupt entwickeln kann.
Aber das beiseitegelassen, kann man mit dem Hinweis
darauf, was wir zur Stärkung der Rechtsstaatlichkeit tun,
beispielsweise durch die Ausbildung von Richtern und
Verwaltungsbeamten, feststellen, dass Sicherheit einer
der Schwerpunkte sein muss, es daneben aber viele an-
dere Schwerpunkte gibt, die nicht weniger bedeutsam
sind, was sich auch in unseren Ausgabenansätzen wider-
spiegelt. Ich denke etwa an unsere Beratungshilfe bei der
Einrichtung einer Völkerstrafkammer beim Obersten
Gerichtshof in Kenia. Für diese Aufgabe kam, wenn ich
das richtig sehe und die Gespräche mit den Kenianern
richtig erinnere, im Grunde niemand anders in Betracht.
Vorhin habe ich Kolumbien angesprochen. Wenn es
um die Aufarbeitung langer innerstaatlicher Konflikte
geht, dann gibt es am Ende, insbesondere seit der Schaf-
fung des Internationalen Strafgerichtshofs, oft nur eine
Möglichkeit: den Weg über eine Anklage beim Strafge-
richtshof. Dann ist ein Aussöhnungsprozess aber nur
noch schwer möglich, weil diejenigen, die befürchten
müssen, vor dem Internationalen Strafgerichtshof zu lan-
den, bis zur letzten Möglichkeit kämpfen werden. Des-
halb sucht man nach Alternativen, um im Zuge der Auf-
arbeitung erlittenen Unrechts nach langjährigen
Konflikten zu einer Versöhnung zu kommen. Beispiele
dafür gibt es in Südafrika. Dort ist das einigermaßen ge-
lungen. Wir versuchen, diese Erfahrungen für vergleich-
bare Konflikte fruchtbar zu machen. Vielleicht ist Ko-
lumbien ein Anwendungsfall dafür.
Vielen Dank. – Darf ich alle Anwesenden bitten, sich,
wenn es irgendwie geht, an die Minutenvorgabe zu hal-
ten? Denn es folgen noch viele spannende Fragen, und
wir erhalten sicher auch in Knappheit spannende Ant-
worten.
Frank Heinrich ist für die CDU/CSU der nächste Fra-
gesteller.
Ganz herzlichen Dank, sehr geehrter Herr Außen-minister, für den Bericht. – Ich habe eine kurze Frage.Sie sprachen im Zusammenhang mit der Krisenpräven-tion von fragilen Staaten und Staaten, die auf dem Wegin die Fragilität sind, und davon, dass wir diesen Staatenmöglichst Stabilität bieten sollten. In den letzten Tagenund Monaten haben sich die Anzeichen dafür gemehrt– es gibt auch entsprechende Warnungen –, dass die dreiStaaten, in denen Ebola sich am stärksten ausgebreitethat, auf dem Weg in Richtung Fragilität sind. Die Schu-len sind seit Juli mehr oder weniger nicht mehr geöffnet,man wird nur noch über das Radio unterrichtet, und dasGesundheitssystem liegt brach. Die Warnungen sindernst zu nehmen. Auch Botschafter Lindner hat das sogesagt. Gibt es in diesem Zusammenhang konkrete Aus-sagen der deutschen Außenpolitik?
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Herr Minister.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Ein Beispiel ist Nigeria. Bei unserem Besuch in Nige-
ria vor kurzem haben wir gesagt: Wir dürfen jetzt nicht
nur in die Bekämpfung von Ebola investieren, sondern
wir müssen auch in die Gesundheitsstrukturen der Nach-
barstaaten investieren, die im Augenblick noch ebolafrei
sind. Deshalb haben wir gemeinsam mit Frankreich in
Nigeria ein Ausbildungsprogramm auf den Weg ge-
bracht, in dem wir 200 medizinische Fachkräfte ausbil-
den wollen. Die Hälfte dieser Fachkräfte soll in Nigeria
bleiben, um das Gesundheitssystem dort zu stabilisieren,
und die andere Hälfte soll in die Nachbarstaaten gehen,
um dort mit den Möglichkeiten, die wir haben, zu helfen,
Ebola zu bekämpfen.
Ein zweiter Gesichtspunkt ist das, was wir in Brüssel
vorgeschlagen haben: Lessons learned unter der Über-
schrift White Helmets. Wir stellen jetzt fest, dass wir im
Kampf gegen Ebola tendenziell zu spät gekommen sind.
Für die Zukunft brauchen wir einen Pool von Nichtregie-
rungsorganisationen und medizinischem Fachpersonal,
auf den man in Zukunft gesamteuropäisch zugreifen
kann, um im Wege der Arbeitsteilung unterschiedliche
Fähigkeiten zusammenzubringen, damit man bei einer
zukünftigen Epidemie, die noch gefährlicher sein kann
als Ebola, schneller reaktionsfähig sein kann.
Vielen Dank. – Edelgard Bulmahn ist für die SPD die
nächste Fragestellerin.
Sehr geehrter Herr Minister, Sie haben in Ihrer Ein-
führung – zu Recht, wie ich finde, und das gilt sicherlich
auch für viele Kollegen – darauf hingewiesen, dass die
zivile Krisenprävention inzwischen zu einem Marken-
zeichen deutscher Außenpolitik geworden ist. Deshalb
liegt uns allen sehr daran, dass wir sowohl die Ziele als
auch die Schwerpunkte der deutschen Politik in diesem
Bereich sehr deutlich machen. Es ist gut, dass wir als
Parlament insgesamt jetzt die gute Möglichkeit haben,
dieses miteinander zu diskutieren.
Ich habe zwei Fragen. Die erste Frage bezieht sich auf
die Schwerpunkte, die Sie in den kommenden Jahren in
diesem Feld setzen wollen, zum Beispiel beim Aufbau
von Rechtsstaatlichkeit; Sie haben die Justiz genannt.
Vielleicht können Sie uns noch etwas zum Aufbau von
Polizei bzw. zur Polizeiausbildung sagen. Weiter geht es
um die Beratung bei der Erarbeitung neuer Verfassun-
gen. Ich jedenfalls mache immer die Erfahrung, dass ge-
rade unser föderales System in vielen anderen Ländern
auf ein sehr großes Interesse stößt. Außerdem geht es um
die Ausbildung von Jugendlichen, die eine Perspektive
bekommen sollen. Das sind nur einige Beispiele.
Die zweite Frage bezieht sich darauf, wie die Zusam-
menarbeit mit anderen Ressorts erfolgt; vielleicht kön-
nen Sie dazu noch etwas sagen. Denn zivile Krisenprä-
vention ist sicherlich eine Querschnittsaufgabe der
gesamten Bundesregierung, an der sich zum Beispiel
auch das BMZ und das BMI beteiligen müssen.
Danke, Edelgard Bulmahn. – Herr Minister, bitte.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Um mit dem Letzten zu beginnen: In dem Bericht,
den wir Ihnen übergeben werden, werden Sie sehen, dass
eine Zusammenarbeit nicht nur angeraten wird, sondern
dass dort ausdrücklich eine Selbstverpflichtung der be-
teiligten Ressorts aufgenommen wurde, die Zusammen-
arbeit bei der Krisenprävention weiter zu verstärken.
Das ist auch sinnvoll, weil wir gerade bei der Krisen-
früherkennung unterschiedliche Fähigkeiten und Instru-
mente benötigen, um in bestimmten Regionen dieser
Welt – gerade auch dort, wo wir mit den eigenen Struk-
turen dünner vertreten sind; das gilt zum Beispiel für
Afrika und Teile Asiens – den unterschiedlichen Er-
kenntnisgewinn möglichst frühzeitig zusammenzubrin-
gen. Das ist verabredet. Wir werden entsprechende
Foren schaffen, in denen auch regelmäßiger Informa-
tionsaustausch stattfinden wird.
Was die erste Frage angeht: Jenseits von Fragen der
Polizeiausbildung – die nach meiner Auffassung gerade
wegen der Zunahme von Fragilität in Staatlichkeiten in
Zukunft stärker abgefragt werden wird – gehören Verfas-
sungsfragen zu den Schwerpunkten, die wir uns gar
nicht selbst aussuchen müssen, sondern die andere abfra-
gen.
Nehmen Sie aktuell die gemeinsame Initiative Bos-
nien-Herzegowina. Das ist ein Beispielfall, wo mit den
verfassungsrechtlichen Vorgaben, die dieses Land hat,
keine Integration bzw. wirklich inklusive Politik stattfin-
den kann. Deshalb habe ich gemeinsam mit dem briti-
schen Kollegen in Anwesenheit aller Außenminister des
westlichen Balkans in der vergangenen Woche hier in
Berlin einen Vorschlag vorgelegt.
Danke, Frank-Walter Steinmeier. – Nächste Fragestel-lerin: Agnieszka Brugger für Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Außenminister,ich teile absolut das, was Sie zu Beginn ausgeführt ha-ben, nämlich dass jeder Euro in der Krisenprävention eingut investierter ist und dass dies auch ein besonderesMarkenzeichen der deutschen Außenpolitik ist. Sie sindbei der Antwort auf die Frage der Kollegin Brantner et-was wolkig geblieben. Deshalb möchte ich ganz konkretnachfragen.Ich habe mich sehr gefreut, dass Sie das Kofi AnnanInternational Peacekeeping Training Centre angespro-chen haben, wo sich auch Deutschland finanziell enga-giert hat, gerade bei der Ausbildung afrikanischer Poli-zistinnen und Polizisten, die, wie wir wissen, sehr
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6073
Agnieszka Brugger
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dringend zum Beispiel für die UN-Friedensmissionengebraucht werden; über zwei dieser Friedensmissionenim Sudan bzw. Südsudan – UNAMID und UNMISS –werden wir morgen diskutieren.Vor dem Hintergrund möchte ich Sie gerne fragen,wie es dazu kommt, dass in Ihrer Amtszeit die finanziellenMittel gerade für dieses tolle Projekt um mehr als dieHälfte gekürzt werden. 2012 waren es 518 000 Euro, da-nach nur noch 500 000 Euro, und jetzt sind es 245 000 Euro.Können Sie erklären – Sie haben das Projekt in IhrenAusführungen gerade hervorgehoben –, warum es zudiesen Kürzungen gekommen ist? Können Sie auch sa-gen, ob Sie das nicht vielleicht überdenken wollen?
Danke, Frau Kollegin. – Herr Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Vielleicht ist es Ihren Beobachtungen nicht ganz ent-
gangen, dass ich weder im Jahre 2012 noch im Jahre
2013 – in 2013 allenfalls einen knappen halben Monat –
Außenminister war. Die Kürzungen, die da zu verzeich-
nen sind, lasten Sie bitte nicht mir an.
– Ja, ich weiß, aber es hat ja von 2012, wie Sie eben be-
richtet haben, auf 2013 Kürzungen gegeben.
– In einem Haushalt, den eine andere Regierung noch
beschlossen hat. Einverstanden?
Was zu tun ist beim Kofi Annan International Peace-
keeping Training Centre, werde ich mir beim nächsten
Besuch in Ghana noch einmal ansehen. Ich glaube, die
Freunde und Kollegen in Ghana wissen, dass wir uns
und dass ich mich persönlich von Anfang an für dieses
Training Centre nicht nur interessiert haben, sondern es
auch unterstützt haben. Deshalb wird es nicht in Verges-
senheit geraten. Aber wir müssen mit den Mitteln, die
wir gegenwärtig zur Verfügung haben, umgehen. Ich
hoffe, wir setzen sie einigermaßen zielgerichtet ein.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller: Jan van Aken
für die Linke.
Herr Steinmeier, Sie haben gerade eine sehr breite
Definition von ziviler Krisenprävention vorgelegt und
die Finanzmittel dazu dargelegt. Mich würde einmal in-
teressieren: Wie sehen die Finanzmittel für die enge De-
finition, Ihren dritten Punkt, also für die Friedensmedia-
tion, aus? Können Sie sagen, wie viel genau Sie dafür
eingeplant haben und wie sich das in den letzten Jahren
entwickelt hat?
Ich muss sagen: Die Definition, die Sie vorlegen, ist
sehr breit. Man kann über alles reden, über die Polizei-
ausbildung usw., aber der Kernbereich der Friedensme-
diation sollte nicht kleingeredet werden. Wenn ich dann
feststelle, dass im Haushaltsausschuss gesagt worden ist,
dass es zum Beispiel in Nordkorea ein Projekt gibt, bei
dem Fußballmoderatoren als Beitrag zur zivilen Krisen-
prävention ausgebildet werden, finde ich das extrem
weit gefasst. Das muss ich ehrlich sagen. Wie können
Sie das rechtfertigen? Ich finde, es wäre vielleicht tat-
sächlich ein Beitrag zur Krisenprävention hier in
Deutschland, wenn Sie einige von denen dorthinschi-
cken, aber ganz ernsthaft: Es trägt doch nicht unbedingt
zur Krisenprävention in der Welt bei, einen Fußballkom-
mentator auszubilden. Oder?
Schade, dass ich jetzt nicht antworten kann. Ich habe
nämlich eine Meinung dazu.
Herr Minister, bitte.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Herr van Aken, da sind wir möglicherweise auseinan-
der. Denn ich teile Ihre Auffassung nicht, dass es einen
engen und einen weiten Begriff von Krisenprävention
gibt. Wenn Sie das gern so machen möchten und den
Aufbau von Sicherheit in diesen Staaten aus der Krisen-
prävention ausgrenzen wollen, dann ist das Ihre Sache
und Ihre politische Überzeugung, die ich gar nicht kriti-
sieren will. Nur: Wer das Geschäft ernsthaft betreibt,
muss akzeptieren, dass der Aufbau von Sicherheit ein
Teil von Krisenprävention ist. Deshalb werde ich mich
Ihrem Vorschlag, einen engen und einen weiten Bereich
zu unterscheiden, jedenfalls nicht anschließen.
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. – Nächster
Fragesteller: Johannes Selle für die CDU/CSU.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wir
haben in diesem Jahr den 20. Jahrestag des Genozids
in Ruanda begangen. Dieser Konflikt wurde wesent-
lich über die Medien vorbereitet. Wir werden morgen
UNMISS beschließen; dabei geht es um den Konflikt im
Südsudan. Ich glaube, dass man über aufklärende, mäßi-
gende und objektive Medien die Bevölkerung dort hinter
sich bringen kann, um diesen Konflikt zu beenden. Wel-
che Bedeutung hat für Sie die Medienarbeit in der Kon-
fliktlösung und in der Krisenprävention?
Vielen Dank, Herr Kollege. – Herr Minister.Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister desAuswärtigen:Ehrlich gesagt stehen wir, was die Rolle der Medienangeht, nach meiner Beurteilung nicht am Ende, sondern
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Bundesminister Dr. Frank-Walter Steinmeier
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am Anfang einer Entwicklung. Wenn Sie gegenwärtigdie sozialen Medien betrachten, sehen Sie nicht nur imZusammenhang mit dem Ukraine-Konflikt, sondernauch angesichts des Aufkommens etwa aus dem Mittle-ren Osten, dass wir eher am Anfang einer neuen Nut-zung, Instrumentalisierung von Medien stehen, die wirso in diesem Umfang aus der Vergangenheit nicht ken-nen. Umso mehr kommt es darauf an, unabhängige Me-dien zu stützen, um wenigstens eine Chance für dieWahrheit in solchen Auseinandersetzungen zu geben.Das werden wir mit den Möglichkeiten, die wir haben,auch weiterhin tun. Aber ehrlich gesagt glaube ich, dassallein die Möglichkeiten des Medientrainings und derJournalistenausbildung langfristig nicht ausreichen, umdieser Verformung und Instrumentalisierung der Medienwirksam etwas entgegenzusetzen. Da, glaube ich, stehenwir noch am Anfang unserer Überlegungen, wie daraufzu reagieren ist.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller: Dr. Rolf
Mützenich für die SPD.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Genauso wie die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen freuen auch wir uns,
dass sich die Bundesregierung entschlossen hat, heute
diesen Bericht vorzustellen. Ich hätte nur gedacht, Sie
würden sich noch mehr darüber freuen, weil uns ja nach
wie vor verbindet, dass dies damals eine gemeinsame
Idee unserer beiden Fraktionen war. Ich kann auch ver-
stehen, dass vonseiten der Linken ein bisschen Ärger
aufgekommen ist. Denn das, was die Bundesregierung
unter konkreter Verantwortung versteht, stellt sich
schließlich etwas anders dar. Ich glaube, das macht die
deutsche Außenpolitik auch aus.
Herr Bundesaußenminister, ich würde gerne auf die
Rolle der NGOs hinweisen, die wahrscheinlich auch in
diesem Bericht eine Rolle spielen. Insbesondere möchte
ich von Ihnen gerne erfahren, welche regionalen
Schwerpunkte in diesem Bericht im Hinblick auf die Ar-
beit im Bereich der zivilen Krisenprävention erwähnt
werden, vor allem im Zusammenhang mit der Frage, wie
die Vereinten Nationen in diesem Feld vonseiten
Deutschlands gestärkt werden können.
Vielen Dank. – Herr Minister.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Der zahlenmäßig größere Einsatz findet im Augen-
blick in Afrika statt. Aber ich habe in meinen Beispielen
darauf hingewiesen: Wir haben auch Bezüge zu Ostasien
und Lateinamerika. Hier werden sich aber nicht diesel-
ben Schwerpunkte ausbilden wie bei den Einsätzen im
Bereich der zivilen Krisenprävention, die im Augenblick
in Afrika durchgeführt werden.
In Deutschland gibt es nach meiner Beurteilung – die
ersten Treffen in meiner neuen Amtszeit fanden gerade
statt – eine recht gute Vernetzung mit den hier tätigen
NGOs. Wir können auf umfangreiche, auch politikwis-
senschaftliche Expertise an Instituten zurückgreifen. Wir
gehören auf der internationalen Ebene – auch bei den
Vereinten Nationen, denke ich – zu den wenigen, die die
Vernetzung zwischen den Institutionen der VN und den
NGOs vorantreiben. Wir haben das gerade erst beim ge-
meinsamen Kampf der Vereinten Nationen gegen Ebola
unterstrichen, als wir dafür geworben haben, die NGOs
von vornherein und frühzeitig mit einzubeziehen.
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. – Ich möchte
Ihr Einverständnis voraussetzen, dass wir diese Regie-
rungsbefragung verlängern. Wir können das tun; wir ha-
ben auch die Zeit dafür. Es gibt nämlich einige Kollegen,
die noch Fragen stellen möchten. – Gut, dann machen
wir das.
Nächste Fragestellerin: Dr. Franziska Brantner.
Herr Außenminister, erlauben Sie mir, Ihre Beobach-
tungsgabe, die Sie gerade mit Blick auf meine Kollegin
erwähnt haben, doch etwas zu relativieren, und zwar mit
dem Hinweis darauf, dass der Haushalt 2014 am 27. Juni
2014 verabschiedet wurde. Da hatten Sie also doch ei-
nige Zeit.
Davon unbenommen: Der Haushaltsansatz für den
Bereich der Polizei ist für das Jahr 2015 halbiert worden.
Habe ich Sie richtig verstanden, dass wir davon ausge-
hen können, dass dieser Haushaltsansatz mit Blick auf
2016 aufgestockt wird und die Mittel verdoppelt wer-
den?
Danke, Frau Kollegin. – Herr Minister.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Wenn ich als Bundesaußenminister für meinen eige-
nen Haushalt alleine Verantwortung tragen und entspre-
chende Zuteilungen beschließen könnte, dann könnte ich
Ihnen das versprechen. Ich bleibe allerdings abhängig
von der Entscheidung der Abgeordneten des Deutschen
Bundestages und befinde mich in der Hand des Haus-
haltsausschusses. Aber Sie können versichert sein, dass
ich aus eigenem Interesse das mir Mögliche tue, um
Überzeugungsarbeit zu leisten, damit auch die Haus-
haltsansätze für diesen Bereich steigen werden.
Danke, Frank-Walter Steinmeier. – Nächster Frage-steller: Wolfgang Gehrcke für die Linke.
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Da ein insgesamt sehr freundliches Klima hier
herrscht, möchte ich das noch ein bisschen verstärken.
Ich will Sie nicht enttäuschen. Schließlich muss man ja
nicht immer irgendwelchen Vorurteilen entsprechen.
Wir alle möchten Außenpolitik natürlich nicht von
der Außenlinie betrachten, sondern wir möchten Außen-
politik debattieren und gestalten. Deswegen, Herr Au-
ßenminister, erlaube ich mir den Vorschlag, dass es nicht
bei dieser Befragung bleibt, sondern dass der Aktions-
plan, den die Bundesregierung vorgelegt hat und den wir
alle noch nicht kennen, zum Gegenstand einer regulären
Debatte hier im Parlament gemacht wird, in der über au-
ßenpolitische Grundlinien diskutiert wird. Wenn die
SPD einverstanden ist – sie hat ja ihre Liebe zu den Grü-
nen wiederentdeckt –, dann ergibt sich eine Gelegenheit,
einmal über Außenpolitik konstruktiv zu streiten.
Ich fand zum Beispiel Ihr Stichwort von den funktio-
nierenden Staaten außerordentlich wichtig und gut, weil
das Gegenkonzept von Condoleezza Rice, nämlich das
kreative Chaos, dazu geführt hat, dass im Nahen und
Mittleren Osten mittlerweile ein solches Chaos ausge-
brochen ist. Über solche Fragen möchte ich hier gerne
streiten.
Wenn Sie einverstanden sind, kommt dieses Thema
auf die Tagesordnung. Meine Parlamentarische Ge-
schäftsführerin hat in Form eines Nickens signalisiert,
dass ich das hier sagen darf, sie kritisiert mich aber,
wenn wir alleine sind. Ich möchte wissen, wie Sie da-
rüber denken.
In der Regel bestimmt der Bundestag die Tagesord-
nung des Bundestages. Selbstverständlich ist Frank-
Walter Steinmeier, wenn die Kolleginnen und Kollegen
beschließen sollten, dass es dazu einen Tagesordnungs-
punkt geben sollte, eingeladen, an dieser Debatte teilzu-
nehmen.
Ist das in Ihrem Sinne, Herr Minister? – Ja.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Ich will nur die Feststellung anschließen, dass der
Bundestag bisher auch ohne mein Einverständnis die Ta-
gesordnung selbst bestimmt hat.
So bleibt das auch. – Nächste Fragestellerin ist
Sibylle Pfeiffer für die CDU/CSU.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Außenminister,
ich gehe einmal davon aus, dass Sie in einer solchen De-
batte dann reden dürften. Ich will gerne hinterherschi-
cken, dass wir das unterstützen werden.
Glauben Sie nicht auch, dass es sich geradezu anbie-
tet, sehr geehrter Herr Außenminister, dass sich die Ent-
wicklungspolitik und die Außenpolitik gerade in diesem
Bereich noch enger vernetzen und noch enger verzah-
nen, zumal wir in dem Bereich nicht nur Sonderinitiati-
ven haben, wenn es etwa wie bei der Flüchtlingspolitik
um humanitäre Hilfe geht, und es, vorbehaltlich der Zu-
stimmung des Haushaltsausschusses in der morgigen
Sitzung, im Bereich des zivilen Friedensdienstes zu ei-
ner entsprechenden Mittelerhöhung kommen wird? Das
sage ich auch zum Erkenntnisgewinn für unsere Kolle-
gen von den Grünen.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Herr Minister.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Vielen Dank für die Frage. – Ich glaube, wir machen
hier gute Fortschritte. Die Syrien-Konferenz war dafür
ein gutes Beispiel: Der Kollege Müller und ich haben
diese Konferenz gemeinsam vorbereitet und durchge-
führt. Auch heute Morgen, als wir den Bericht vorgelegt
haben, hat Herr Müller im Kabinett dazu Stellung ge-
nommen und aus seinem Bereich dargestellt, was das
BMZ zur internationalen Krisenprävention beiträgt. Ich
glaube, wir sind auf einem guten Wege, die enge Zusam-
menarbeit nicht nur in Berichten festzuhalten, sondern
sie auch durch tätigen Beweis mit Leben zu erfüllen. –
Danke.
Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin ist Dr. Ute
Finckh-Krämer für die SPD.
– Wir haben auch Sie gesehen, keine Angst. Hier geht es
ganz korrekt zu. Aber jetzt ist erst einmal Frau Dr. Ute
Finckh-Krämer an der Reihe.
Ich hätte notfalls auch Kathrin Vogler den Vorrang ge-lassen. – Vielen Dank auch von meiner Seite für die– man kann es fast so sagen – präventive Behandlungdes Berichts hier im Bundestag, der uns allen noch nichtvorliegt.Im Titel stehen nicht nur die zivile Krisenprävention,sondern auch die Konfliktlösung und die Friedenskonso-lidierung. In gar nicht so weiter Entfernung von uns gibtes mehrere eingefrorene Konflikte. Wir haben in derUkraine-Krise gemerkt, welche entscheidende Rolle ineinem solchen Konflikt, der sich auf OSZE-Gebiet ab-spielt, die OSZE spielen kann.
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6076 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014
Dr. Ute Finckh-Krämer
(C)
(B)
Deswegen meine Frage: Wird eine mögliche Rolleder OSZE, auch eine mögliche Stärkung der OSZE imUmsetzungsbericht behandelt? Gibt es Überlegungendazu, wie man mit den eingefrorenen Konflikten in derehemaligen Sowjetunion umgehen kann?
Vielen Dank. – Frank-Walter Steinmeier.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Ich glaube, das ist nicht so sehr eine Frage der Erwäh-
nung im Bericht, sondern ich bin zutiefst der Überzeu-
gung, dass der Ukraine-Konflikt uns vor Augen geführt
hat, dass sich Teile der europäischen Friedensarchitektur,
die viele für überflüssig gehalten haben, doch als sehr
notwendig erweisen, und die OSZE gehört dazu.
Das haben wir nicht sozusagen als bloßes Bekenntnis
in den Bericht hineingeschrieben. Prägender und deutli-
cher ist vielmehr, dass wir die Bereitschaft erklärt haben,
im Jahr 2016 – in schwierigen Zeiten – den Vorsitz der
OSZE zu übernehmen. Dies geschieht durchaus mit der
Absicht, unseren Teil dazu beizutragen, dass die OSZE
künftig wieder stärker aktionsfähig sein wird, als sie es
in der Vergangenheit war. Letzteres hatte nicht nur insti-
tutionelle Gründe, sondern sie war sicherlich auch in den
vergangenen Jahren, in denen es zwischen Europa, den
USA auf der einen Seite und Russland auf der anderen
Seite einigermaßen lief, schlicht und einfach nicht nach-
gefragt. Aber es gibt auch institutionelle Begrenzungen
innerhalb der OSZE, die das Geschäft sehr schwerfällig
machen.
Wir müssen uns, und zwar nicht nur wir allein, son-
dern gemeinsam mit den Ländern, die die nächsten drei
Vorsitze übernehmen – das wird nach Lage der Dinge
zunächst Serbien sein, dann wir und danach möglicher-
weise Österreich; das wird demnächst entschieden wer-
den –, auch darüber Gedanken machen, wie man die
OSZE für die Zukunft reformieren kann.
Es gibt noch vier Kolleginnen und Kollegen, die sich
zu diesem Themenbereich zu Wort gemeldet haben.
Diese Wortmeldungen lasse ich zu. Ansonsten wird zu
diesem Themenbereich keine Wortmeldung mehr zuge-
lassen. – Der Nächste ist Peter Meiwald für die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, wir
erleben aktuell eine massive Ausweitung der Diskussion
über militärische bzw. wehrtechnische Kriseninterven-
tion bis hin zur Forderung nach Erhöhung des Verteidi-
gungsetats. Dabei sind aus meiner Sicht die Ergebnisse
der Militäreinsätze gerade im Bereich der Konflikt-
lösung und Friedenskonsolidierung in der Rückschau be-
trachtet eher ernüchternd. Wir engagieren uns von
Afghanistan über Mali bis nach Centrafrique, werden
aber Jahr für Jahr immer nur mit der Feststellung kon-
frontiert: Eigentlich hat das nicht wirklich etwas be-
wirkt.
Gleichzeitig werden – das ist schon angesprochen
worden – die Mittel für zivile Konfliktprävention im Etat
leicht gekürzt. Müssten wir nicht eigentlich das politi-
sche Signal aussenden, dass wir daraus die Konsequenz
ziehen müssen, viel stärker umzusteuern, und zwar weg
von der militärischen Intervention hin zu zivilen Maß-
nahmen? Ich hatte gerade im Sommer die Möglichkeit,
in Kolumbien die hochinteressanten Projekte in diesem
Bereich kennen- und sehr schätzen zu lernen.
Deswegen ist meine konkrete Frage: Wo und in wel-
chen Bereichen wollen Sie in der Zukunft die Schwer-
punkte setzen? Der Kollege van Aken hat es angespro-
chen. Sollen sie eher im Bereich ZFD, in der Mediation
oder in der Stärkung der Polizeikräfte liegen? Diese Fra-
gen hätte ich gerne beantwortet. Wo wollen Sie die Prio-
ritäten setzen, und wie wollen Sie das zukünftig finan-
ziell stärken? – Vielen Dank.
Herr Minister.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Ich glaube nicht, dass es eine Zunahme der Debatten
über militärische Auseinandersetzungen und bewaffnete
Konflikte gibt; es ist vielmehr Realität, dass wir eine Zu-
nahme von bewaffneten Konflikten haben. Dagegen
lässt sich nicht einfach Krisenprävention beschließen,
sondern wir müssen an der richtigen Stelle beim Aufbau
von Strukturen helfen, die fragile Staaten möglichst gar
nicht erst in einen Zustand kommen lassen, aus dem be-
waffnete Konflikte entstehen.
Zivile Krisenprävention kommt dann zu spät – da-
rüber sind wir uns hoffentlich einig –, wenn der Konflikt
oder gar der Krieg schon ausgebrochen ist. Deshalb kann
ich nur dafür plädieren, Überzeugungsarbeit zu leisten,
dass man, auch wenn das vielleicht der unangenehmere
Teil der zivilen Krisenprävention ist, den Aufbau von Si-
cherheit nicht in irgendeiner Weise diskreditiert. Das ge-
hört dazu, das muss sein, und es ist nicht weniger wich-
tig als der Aufbau von stabilen und rechtsstaatlichen
Verwaltungsstrukturen.
Ich kann nicht einfach selbst entscheiden, dass wir zu-
künftig einen neuen Schwerpunkt auf Aussöhnungsar-
beit setzen. Das richtet sich ein bisschen nach der Nach-
frage. Wir können heute ungefähr absehen, wo solche
Beratungshilfen für die Zukunft möglicherweise ver-
langt werden. Gegenwärtig ist das in Kolumbien der
Fall. In Korea habe ich in einem Erfahrungsaustausch
über die Wiedervereinigung gesprochen. Ich hoffe nur,
dass wir irgendwann auch so weit sind, dass aus der
Ukraine eine entsprechende Nachfrage kommt, weil wir
dann zu der Aufarbeitung eines Konfliktes kommen, der
dann hoffentlich vorüber ist. Ob und wann wir da hin-
kommen, kann ich zum jetzigen Zeitpunkt leider nicht in
Aussicht stellen.
Danke, Frank-Walter Steinmeier. – Kathrin Vogler.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6077
(C)
(B)
Vielen Dank, auch an Sie, Frau Präsidentin, dass Sie
es schaffen, dass wir über dieses ernsthafte Thema mit
einem Schuss Humor beraten können.
Herr Steinmeier, mir ist aufgefallen, dass Sie – auch
beim Bericht – auf die staatlichen Handlungsmöglich-
keiten stark fixiert sind. Ich möchte an das anschließen,
wonach der Kollege Meiwald gefragt hat. Wir haben
eine Vorstellung von dem, was in dem Bericht stehen
könnte; denn meine Fraktion hat eine Kleine Anfrage zur
zivilen Krisenprävention und Konfliktlösung gestellt.
Dabei ist uns in der Antwort der Bundesregierung aufge-
fallen, dass die zivilgesellschaftlichen Maßnahmen, also
das, was in Zusammenarbeit mit den NGOs entsteht, in
Ihrem Haus offensichtlich nicht ganz so hoch bewertet
werden wie andere Aspekte. So fehlt uns zum Beispiel
– das finde ich sehr schade – die entsprechende Wert-
schätzung der Arbeit, die das IfA und das CIVIC-Institut
leisten, durch die Bundesregierung. Ich halte die Pro-
jekte, die in Zusammenarbeit mit NGOs durchgeführt
werden, auf jeden Fall für sehr wichtig.
Über den zivilen Friedensdienst haben wir fast noch
gar nicht gesprochen. Das mag damit zu tun haben, dass
das nicht in Ihre Zuständigkeit fällt. Aber schon das lässt
Fragen zur Ressortzusammenarbeit aufkommen. Zudem
muss ich Ihnen an einer anderen Stelle widersprechen.
Tatsächlich kann man auch ohne Militär intervenieren,
zum Beispiel im Rahmen des zivilen, unbewaffneten
Peacekeeping. Dazu teilt uns die Bundesregierung mit,
dass sie das eigentlich gar nicht unterstützen möchte.
Das finde ich sehr bedauerlich. Ich wünsche mir, dass
sich hier etwas verändert.
Herr Minister.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Mir ist schleierhaft, wie Sie meinen Ausführungen
entnehmen können, dass ich die Arbeit der NGOs hier
oder im Ausland in irgendeiner Weise unterschätze. Die
NGOs gehören zu unserer täglichen Arbeit. Wir arbeiten
mit Hunderten NGOs in Krisengebieten und solchen Ge-
bieten, die in nächster Zeit hoffentlich nicht zu Krisen-
gebieten werden, auf das Engste zusammen. Trotzdem
muss ich als zuständiger Minister letztendlich eine Ent-
scheidung fällen. Wenn meine Grundentscheidung ist,
dass wir auf die Ausprägung von Sicherheitsstrukturen
gerade in fragilen Gemeinwesen nicht völlig verzichten
können, dann sind sicherlich bestimmte Mittel gebun-
den, die wir nicht ohne Weiteres an NGOs weitergeben
können. Hier gibt es einen Zusammenhang; das ist rich-
tig. Dass es einen solchen Zusammenhang gibt, bedeutet
aber nicht, dass die Schwerpunkte, die nach unserer Ent-
scheidung gesetzt werden sollen, völlig falsch sind.
Ich hoffe, dass Sie die Entscheidungen, die wir getrof-
fen haben, nicht missverstehen, insbesondere nicht als
eine Minderbeachtung der Tätigkeit ziviler Organisatio-
nen. Das wäre jedenfalls ein völlig falscher Schluss.
Wenn Sie mit den entsprechenden Personen und Persön-
lichkeiten Kontakt haben, dann wissen Sie, dass ich erst
vor wenigen Tagen das IfA besucht und dort vorgetragen
habe.
Vielen Dank. – Die vorletzte Fragestellerin ist
Dr. Bärbel Kofler für die SPD.
Herzlichen Dank. – Ich möchte bei einem Punkt nach-
fragen. Herr Minister, während Ihrer Afrikareise haben
Sie auch Addis Abeba besucht und gesehen, was die
Afrikanische Union selbst tut, um zivile Kräfte auszubil-
den. Das Zentrum für Internationale Friedenseinsätze in
Berlin ist diesbezüglich sehr aktiv. Wenn ich die Aktivi-
täten dieses Zentrums richtig verstanden habe, dann wird
versucht, afrikanische Staaten zu ermuntern, selbst Frie-
denspersonal auszubilden. Können Sie in diesem Zu-
sammenhang noch einmal auf die Rolle des Auswärtigen
Amts eingehen? Wie kann man das Potenzial, das in
Afrika aufgrund der dortigen Aktivitäten entsteht, besser
nutzen und den damit verbundenen Prozess besser vo-
ranbringen?
Danke, Frau Kofler. – Herr Minister.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Ohne die Zusammenarbeit zwischen Auswärtigem
Amt und dem Deutschen Bundestag gäbe es das gar
nicht, was Sie eben beschrieben haben. Wir gehören zu
denjenigen, die überhaupt eine Einrichtung geschaffen
haben, in der Screening von entsprechenden Experten
betrieben und ein Pool von Personen aufgebaut wird, die
international beratend zur Verfügung stehen können und
die im Zweifel bei Regionalorganisationen – zum Teil
nur zeitweise – unterstützend tätig werden können, zum
Beispiel bei der Afrikanischen Union oder bei Unteror-
ganisationen der Afrikanischen Union. Das ist das Ver-
sprechen, das ich gegenüber der Präsidentin der AU letz-
tens abgegeben habe. Ich glaube, dazu können wir auch
stehen.
Die letzte Fragestellerin zu diesem Themenbereich istAgnieszka Brugger.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Außenminister,ich bin explizit sehr dankbar für den Hinweis des Kolle-gen Mützenich. Das war ein gemeinsames rot-grünesProjekt, das eine frühere Bundesregierung auf den Weggebracht hat; das war eine gemeinsame sehr gute Idee.Deshalb haben wir auch immer aus der Opposition he-raus den Anspruch, das weiterzuverfolgen und zu stär-ken.Jetzt ist in der Nachbetrachtung der letzten Jahre im-mer wieder das Thema Kohärenz aufgekommen. Die
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6078 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014
Agnieszka Brugger
(C)
(B)
Umsetzung des Aktionsplans erfolgt sehr stark über denRessortkreis „Zivile Krisenprävention“, wo die verschie-denen Ministerien unter Ihrer Federführung an einemTisch sitzen. Wir finden, man sollte diese gute gemein-same Idee politisch aufwerten. Deshalb wollte ich Siefragen, wie Sie zu der Idee stehen, das auf Staatssekre-tärsebene, also eine Ebene höher, anzusiedeln und einebessere Zusammenarbeit auf den Weg zu bringen.Ich will an dem Punkt darauf hinweisen: Ich teilezwar nicht die Ergebnisse, aber auch bei anderen The-men hat die Bundesregierung genau solche Maßnahmenergriffen, um solche Themen voranzubringen. Bei derFreizügigkeit teile ich, wie gesagt, nicht die Ergebnissedieses Ausschusses, aber da hat die Bundesregierungselber gesagt: Dieser Ausschuss an sich war ein Erfolgs-modell.
Herr Minister.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Ich kenne den Vorschlag. Er ist auch bei uns im Hause
diskutiert worden.
Erlauben Sie mir, dass ich ein bisschen Skepsis
streue. Wenn man jahrelang mit Großorganisationen ge-
arbeitet hat, dann weiß man, dass das Hochzoomen von
Aufgaben nicht unbedingt der intensiven Bearbeitung
dient; will sagen: Natürlich läuft bei den Staatssekretä-
ren im Augenblick ganz vieles zusammen, auch vieles
von dem, was im Augenblick aktuelles Krisenmanage-
ment ist. Ich weiß nicht, ob es der präventiven Krisenar-
beit und der Krisenvorsorge tatsächlich hilft, wenn wir
auch noch dieses Thema in die oberste Spitze der Orga-
nisation verlagern, wo es dann mit den ganzen tagespoli-
tischen Aufgaben konkurriert.
Ich habe gar nichts dagegen, auch darüber noch ein-
mal nachzudenken. Nur, ich glaube, wenn man das zu
Ende denkt, wird es der intensiveren Bearbeitung und
Vorbereitung dessen, was zur zivilen Krisenvorsorge zu
tun ist, nicht unbedingt dienlich sein. Das Hochzoomen
wird gerade bei solchen Fragen nicht unbedingt bessere
Ergebnisse produzieren.
Vielen Dank, Frank-Walter Steinmeier. – Wir sind
jetzt am Ende des Themenbereichs angekommen. Vielen
Dank auch an Sie, werter Herr Minister, dass wir länger
die Möglichkeit zu einem Dialog hatten.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Ka-
binettssitzung? – Ich sehe die Wortmeldung der Kollegin
Steffi Lemke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich
würde Sie gerne fragen, ob Sie es als sinnvoll erachten
würden, wenn dem Parlament in Zukunft die Tagesord-
nung der Kabinettssitzung zugehen würde, damit wir
diesen Teil der Fragestunde sinnvoll gestalten können.
Wir Parlamentarier verfügen gegenwärtig nicht über die
Tagesordnung der Kabinettssitzung. Es würde vielleicht
Sinn machen, wenn wir sie kennen würden. Vielleicht ist
es generell im 21. Jahrhundert dem Transparenzgedan-
ken nicht abträglich, wenn auch die Öffentlichkeit das
erfahren könnte.
Ich bin mir nicht sicher, Frau Kollegin, ob diese Frage
Thema der heutigen Kabinettssitzung war; denn danach
habe ich gefragt. Falls nicht, würde ich gleich zu den
sonstigen Fragen an die Bundesregierung überleiten. –
Frank-Walter Steinmeier, bitte.
Dr. Frank-Walter Steinmeier, Bundesminister des
Auswärtigen:
Es würde mich wundern, wenn Sie tatsächlich nicht
im Besitz von Kenntnissen über die heutigen Beratungen
im Kabinett sind. Aber ich nehme die Frage gerne mit.
Gibt es darüber hinaus weitere sonstige Fragen an die
Bundesregierung? – Die sehe ich nicht. Dann noch ein-
mal herzlichen Dank für die, wie ich finde, sehr inten-
sive Regierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/3103
Die Fragen werden in der üblichen Reihenfolge auf-
gerufen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Brugger auf:
Gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung aktive oder
ehemalige Bundeswehrangehörige bzw. Reservistinnen und
Reservisten, die ein taktisches Training oder eine Produktein-
weisung der CenturioGroup absolviert haben, und welche Er-
kenntnisse hat die Bundesregierung über ehemalige und ak-
tive Bundeswehrangehörige, die als Ausbilder an einem
taktischen Training oder einer Produkteinweisung der Centu-
rioGroup teilgenommen haben oder teilnehmen?
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau KolleginBrugger, ich antworte Ihnen wie folgt: Dem Bundes-ministerium der Verteidigung liegen derzeit keine Er-kenntnisse über die Teilnahme von aktiven Bundeswehr-angehörigen bzw. Reservistinnen und Reservisten alsTrainingsteilnehmer oder Ausbilder an einem taktischenTraining oder einer Produkteinweisung der Centurio-Group vor.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6079
(C)
(B)
Wie ich sehe, haben Sie, Frau Brugger, keine Nach-
fragen.
Frage 2 der Abgeordneten Katrin Kunert – Herkunft
der an Auslandseinsätzen der Bundeswehr teilnehmen-
den Soldaten – wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur
Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Ich rufe Frage 3 des Abgeordneten Matthias Gastel
auf:
Aus welchen Gründen hält die Bundesregierung ihre dem
Entwurf für die neue Leistungs- und Finanzierungsvereinba-
rung mit der Deutschen Bahn AG zu-
grunde liegenden Dividendenzahlungen durch die DB AG für
realistisch, obwohl die tatsächliche Dividendenzahlung für
LuFV II vorgesehenen Beträge des Bundes für die Ersatzin-
vestitionen an die DB AG, wenn die Dividendenerwartung
nicht erfüllt wird?
K
Frau Präsidentin! Herr Kollege, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Bei den eingeplanten Dividendenzah-
lungen handelt es sich um die Dividende auf Basis der
aktuellen Ergebnisplanung der Deutschen Bahn AG.
Diese Dividende soll künftig vollständig in die
Schieneninfrastruktur reinvestiert werden. Die neue
Dividendenregelung der LuFV II bedeutet, dass die
Nachsteuerergebnisse der bundeseigenen Eisenbahnin-
frastrukturunternehmungen an den Bund ausgeschüttet
werden und von dort vollständig wieder in die Schiene
investiert werden.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Herr Gastel, Sie
haben das Wort zu Ihrer ersten Nachfrage.
Vielen Dank für den Versuch einer Antwort. Das war
aber keine Antwort auf meine Frage; denn meine Frage
war ja: Hält die Bundesregierung die Annahmen über die
konkrete Höhe der Dividendenzahlungen für angemes-
sen und für realistisch aufgrund der Erfahrung aus dem
letzten Jahr, wo die Dividende deutlich niedriger ausfiel,
als sie von Finanzminister Schäuble im Haushalt einge-
plant war?
K
Ja, wir halten diese Dividende für realistisch.
Herr Gastel, Sie haben das Wort zu einer zweiten
Nachfrage.
Meine Nachfrage zu Ihrer Antwort: Ist es nicht zu be-
fürchten, dass die DB, um diese Dividende zu erwirt-
schaften, zusätzlichen Druck auf die Höhe der Trassen-
gebühren ausübt und dass die Trassengebühren, die ja
schon in den vergangenen Jahren oberhalb der Inflation
gestiegen sind, dann erst recht noch weiter steigen, wo-
durch die Länderetats entsprechend belastet werden?
K
Auch das befürchten wir nicht, weil unsere Annah-
men auf den Ergebnissen intensiver Verhandlungen mit
der Deutschen Bahn beruhen und weil wir uns die Pla-
nungszahlen genau angesehen haben. Im Übrigen weise
ich an dieser Stelle noch einmal auf den Qualitätssprung
hin, dass es erstmals möglich ist, die kompletten Bahndi-
videnden in die Infrastruktur zu reinvestieren. Zum Bei-
spiel fällt ab 2016 der Tatbestand weg, dass 53 Millionen
Euro in den allgemeinen Haushalt fließen, also dem
BMF zugutekommen, sodass wir den Bereich Schiene
tatsächlich als echten Finanzierungskreislauf darstellen
können.
Eine Nachfrage des Kollegen Behrens.
Fr
In-
wieweit ist eine Varianz vorgesehen? Von einer Summe,
die eine Dividendenausschüttung mit sich bringt, auszu-
gehen und danach die Berechnung vorzunehmen, ist das
eine; sich gleichwohl auf Abweichungen nach unten,
vielleicht aber auch nach oben vorzubereiten und vor
diesem Hintergrund zu bewerten, welche Ersatzinvesti-
tionen – die Summen waren für etwas anderes vorgese-
hen – sinnvoll sind, ist das andere. Ist da sowohl nach
oben als auch nach unten noch Luft vorhanden?
K
Sollte die Bahn die notwendigen Ergebnisse nicht er-
zielen, machen wir keine Abstriche bei der Qualität.
Dass wir solche Abstriche machen, ist, glaube ich, die
Hauptsorge. Sollte die Bahn mehr erwirtschaften, be-
kommt sie hierfür etwas zurück in Form von mehr Mög-
lichkeiten, in ihre Infrastruktur zu investieren.
Wir kommen zu Frage 4 des Abgeordneten MatthiasGastel:Weshalb sieht der Entwurf für die LuFV II vor, dass we-sentliche Aspekte bei den Bahnhöfen nicht jährlich in Formvon Qualitätskennziffern bewertet werden sollen, sondern nuralle zwei Jahre – Fahrtreppen –, alle drei Jahre – Hallen, Dä-cher, Bahnsteige und Unterführungen – oder alle vier Jahre– Beleuchtungsmasten –, obwohl die Zahlungen des Bundesan die DB AG jährlich erfolgen sollen und bei einer Laufzeitder neuen LuFV II von fünf Jahren manche Qualitätsmerk-male dann nur ein- oder zweimal erhoben werden?Frau Reiche, bitte.
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6080 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014
(C)
(B)
K
Herr Kollege Gastel, auf Anregung des Bundesrech-
nungshofes wurden die Regelzyklen für einzelne Objekt-
klassen, zum Beispiel für Bahnsteige, seitens des
Verkehrsministeriums in Abstimmung mit der DB Sta-
tion & Service AG im LuFV-II-Entwurf gegenüber der
LuFV I bereits verkürzt, sodass mindestens einmal wäh-
rend des LuFV-II-Zeitraums eine Zustandsbewertung er-
folgen muss.
Einer solchen Bewertung liegen zum Beispiel im Fall
der Hallen, Dächer und Unterführungen teilweise sehr
aufwendige Untersuchungen von Ingenieurbauwerken
zugrunde. Aus der Bewertung aller in einer Verkehrs-
station vorhandenen Instandhaltungsobjekte wird über
einen sehr komplizierten Algorithmus dann die Gesamt-
note einer Station gebildet. Grundsätzlich baut das Be-
wertungssystem LuFV dabei auf dem Bewertungs- und
Überwachungssystem für die Instandhaltung der DB
Station & Service AG auf, das auf technischen Erforder-
nissen beruht.
Angesichts von über 50 000 zu bewertenden Instand-
haltungsobjekten soll und muss auch hier die Verhältnis-
mäßigkeit zwischen Aufwand und Ergebnis gewahrt
bleiben. Zudem ist nicht davon auszugehen, dass sich je-
des einzelne Bewertungsergebnis innerhalb eines Jahres
verändert.
Vielen Dank, Frau Kollegin Reiche. – Matthias
Gastel.
Da muss ich natürlich nachfragen. Weil Sie sagten,
Sie hätten mit diesem Zyklus bereits auf eine Kritik des
Bundesrechnungshofes reagiert, frage ich mich schon,
weshalb der Bundesrechnungshof den Zyklus, wie Sie
ihn jetzt vorschlagen, so heftig kritisiert. Bei Fahrtrep-
pen zum Beispiel braucht man keinen großen Aufwand
zu treiben, um festzustellen, ob sie funktionieren oder
nicht, und sie funktionieren eben sehr häufig nicht. Wes-
halb also nicht die jährliche Bewertung beispielsweise
der Fahrtreppen? Es gibt jährlich Geld dafür, dass sie
funktionieren, und dann sollte auch jährlich nachgewie-
sen werden, dass sie funktionieren.
K
Wir bewerten die Fahrtreppen jetzt alle zwei Jahre;
darauf haben Sie in Ihrer Frage schon hingewiesen. Sie
stellen aber darauf ab, dass wir alle 50 000 einzelnen
Objekte einmal jährlich bewerten. Hier stehen Aufwand
und Nutzen in keinem Verhältnis. Das Ziel muss sein,
die Qualitätsstandards weiter zu erhöhen und auf Mängel
zu reagieren. Wir sind der Auffassung, dass die jetzt ge-
fundenen Zyklen definitiv eine Verbesserung sind, ohne
dass das Gesamtsystem überfordert wird.
Herr Gastel, Sie sind – –
K
Nicht zufrieden.
Aber Sie fragen jetzt nicht weiter nach, Herr Gastel? –
Gut.
Um die geschätzten Einnahmen aus der geplanten In-
frastrukturabgabe geht es in den Fragen 5 und 6 der Kol-
legin Dr. Valerie Wilms. Sie werden schriftlich beant-
wortet.
Wir kommen zur Frage 7 des Kollegen Herbert
Behrens:
Inwiefern ist es rechtlich abgesichert, dass in dem vom
Bundeskabinett am 5. November 2014 beschlossenen Gesetz-
entwurf für ein Drittes Gesetz zur Änderung des Bundesfern-
straßenmautgesetzes ein einheitlicher Mautteilsatz für die ver-
ursachten Luftverschmutzungskosten gleichermaßen für alle
Lkw-mautpflichtigen Fahrzeuge gilt, somit zukünftig also ein
7,5-Tonnen-Lkw den gleichen Aufschlag zu zahlen hat wie
ein 40-Tonnen-Lkw – bitte begründen –, und inwieweit teilt
die Bundesregierung die in seiner schriftlichen Stellungnahme
zum Gesetz geäußerten Bedenken des Bundesverbandes Gü-
terkraftverkehr Logistik und Entsorgung, BGL, e. V., dass
durch die geplante neue Differenzierung des Mautteilsatzes
für die Infrastrukturkosten zwischen vier- und fünfachsigen
Fahrzeugen ein fataler, weil sich selbst finanzierender Anreiz
zur Umrüstung des Fuhrparks von fünf- zu vierachsigen Fahr-
zeugen entsteht, was angesichts der im Vergleich zu den be-
schlossenen, ab dem 1. Januar 2015 geltenden Mautsätzen
– 0,131 Euro pro Kilometer – mit dem geplanten neuen Maut-
teilsatz für vierachsige Lkw – 0,117 Euro pro Kilometer – er-
hebliche Mindereinnahmen zur Folge haben könnte?
Frau Staatssekretärin.
K
Gerne, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Behrens, derMautteilsatz für die verursachten Luftverschmutzungs-kosten bleibt beim Dritten Gesetz zur Änderung desBundesfernstraßenmautgesetzes gegenüber dem ZweitenGesetz zur Änderung des Bundesfernstraßenmautgeset-zes unverändert. Die Eurovignetten-Richtlinie gibt dieHöchstbeträge für die Anlastung der Kosten der Luftver-schmutzung für alle Euroklassen vor. Die externenKosten der Luftverschmutzung wurden im Wegekos-tengutachten berechnet. Sie liegen oberhalb dieserHöchstbeträge, sodass die Maximalwerte gemäß EU-Richtlinie berücksichtigt sind.Die Bundesregierung teilt nicht die vom BGL, vomBundesverband Güterkraftverkehr Logistik und Entsor-gung, genannte Befürchtung, dass fünfachsige Lkw ingroßer Zahl durch vierachsige Lkw ersetzt werden, umMaut zu sparen. Insgesamt ist die Lkw-Maut für dieTransportunternehmen nur ein Kostenfaktor neben ande-ren wie zum Beispiel den Dieselpreisen oder den Perso-nalkosten. Die Unternehmen werden insoweit unter Be-rücksichtigung aller kostenrelevanten Faktoren ihrenFuhrpark und die Beladung optimieren. Allein die Maut-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6081
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
sätze dürften hier nicht zu nennenswerten Umstellungenführen.
Herr Kollege, haben Sie eine Rückfrage? – Das sieht
so aus, ja.
Das sieht der Bundesverband Güterkraftverkehr of-
fenbar anders.
Auch an anderer Stelle hat der BGL darauf hingewie-
sen, dass es Unstimmigkeiten bezüglich der Basismaut-
sätze für die 3,5-Tonner und die 7,5-Tonner gibt, weil
das Wegekostengutachten nicht zwischen 3,5- und
7,5-Tonnern differenziert. Im Gesetzentwurf ist die Rede
davon, dass sich die Gutachter dieses Problems noch
einmal annehmen wollen. Ist das bereits erfolgt? Oder
wann ist das zu erwarten? Was hat diese Aussage für
mich zu bedeuten?
K
Zunächst möchte ich darauf hinweisen, dass wir die
Mautklassen deutlich ausweiten. Wir haben in Zukunft
vier statt bisher zwei Achsklassen und sechs Schadstoff-
klassen; das heißt insgesamt 24 unterschiedliche Maut-
sätze. Das ist eine deutlich genauere, aber damit auch
kompliziertere Spreizung als bisher. Wir wollen damit
darauf reagieren, dass ja auch im Logistikverkehr indivi-
duelle Angebote üblich sind.
Allerdings kann ich Ihnen insofern recht geben, als es
bei pauschalen Regelungen immer Einzelfälle geben
kann, wo die Regelung in dem einen oder anderen Fall
ungerecht erscheint. Wir glauben aber, dass eine weitere
Differenzierung zu einer unnötigen Verkomplizierung
führen würde. Am Ende liefe es ja sozusagen darauf hi-
naus, gewichtsbezogen jedes einzelne Fahrzeug zu be-
werten. Ob das zu bewerkstelligen ist, wage ich zu be-
zweifeln. Insofern machen wir jetzt mit unserem Schritt
– vier verschiedene Achsklassen und sechs Schadstoff-
klassen – einen deutlichen Schritt nach vorne.
Dann kommen wir zur Frage 8 des Abgeordneten
Herbert Behrens:
Haften die Gesellschafter der Toll Collect GmbH für Scha-
densersatzansprüche aus dem Schiedsverfahren I – bis zu
7 Milliarden Euro; bitte begründen –, und, sollte ein derartiger
Haftungsdurchgriff in den Betreibervertrag nicht implemen-
tiert sein, welchen Einfluss hätte dies auf eine Neuausschrei-
bung der Anteile der Toll Collect GmbH zum Beispiel nach
dem Ziehen der Calloption, wenn Toll Collect GmbH dann in
Milliardenhöhe belastet wäre?
Frau Staatssekretärin.
K
Frau Präsidentin! Herr Kollege Behrens, die mit der
Mauterhebung beauftragte Projektgesellschaft Toll Col-
lect GmbH ist nicht Beklagte des vom Bund wegen des
verspäteten Starts der Erhebung streckenbezogener
Lkw-Maut und wegen anderer Verletzungen des Maut-
Betreibervertrages geführten Schiedsverfahrens. Die
Toll Collect GmbH wird daher auch durch einen für den
Bund günstigen Ausgang dieses Schiedsverfahrens nicht
belastet. Vielmehr richtet der Bund in diesem Schieds-
verfahren seine Ansprüche gegen die Toll Collect GbR
als Auftragnehmerin des Mautbetreibervertrags und de-
ren Gesellschafter Deutsche Telekom AG und Daimler
Financial Services AG. Die beklagte Toll Collect GbR
als Beklagte des Schiedsverfahrens ist nicht Betreiberin
des Mautsystems und wäre daher auch nicht Gegenstand
der Calloption oder einer möglichen Neuausschreibung.
Herr Kollege, Rückfrage.
Die Frage, welches Unternehmen zukünftig für die
Mauterhebung zuständig sein wird, wurde hier ja schon
mehrfach gestellt, bzw. es wurde nachgefragt, wie der
Stand der Dinge ist. Darum frage ich noch einmal nach
Toll Collect: Ist es zutreffend, dass es bereits zum jetzi-
gen Zeitpunkt eine Vertragsverlängerung für Toll Collect
gibt?
K
Das Ministerium prüft nach wie vor alle möglichen
Optionen. Eine endgültige Entscheidung ist nach wie vor
nicht gefällt.
Ich will vielleicht den Gästen auf den Tribünen nochsagen: Sie haben es natürlich schwer; denn Sie bekom-men nur die Antworten mit. Es wäre ja auch für Sie inte-ressant, zu wissen, wie die Frage lautete. Aber ich kannIhnen nicht die ganzen Fragen vorlesen; das würde denZeitrahmen sprengen. Aber so ungefähr werden Siewahrscheinlich aus den Antworten ermessen können,worum es geht.Der nächste Geschäftsbereich ist der Geschäftsbe-reich des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit. Hierzu ist der KollegePronold da.Frage 9 der Abgeordneten Annalena Baerbock musser nicht beantworten; sie wird schriftlich beantwortet.Wir kommen zur Frage 10 des Kollegen ChristianKühn:Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus denErgebnissen der Brandtests an Dämmstoffen, die die Baumi-nisterkonferenz in Auftrag gegeben hat und die SpiegelOnline und der NDR am 5. November dieses Jahres veröf-
Herr Pronold.
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6082 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014
(C)
(B)
Fl
Um es für die Zuschauer und die anderen Kolleginnen
und Kollegen, Frau Präsidentin, ein wenig zu erläutern:
Es geht um ein aktuelles Gutachten zum Thema Brand-
schutz in Bezug auf Wärmeverbundsysteme. Das ist ein
Bericht, der auf Veranlassung der Bauminister der Län-
der und der Bundesregierung kürzlich erstellt worden ist
und der am Freitag auch auf der Bauministerkonferenz
in Chemnitz Beratungsgegenstand sein wird.
Es war nun die Frage, welche Rückschlüsse die Bun-
desregierung aus diesem Bericht zieht und was sie zu tun
gedenkt. Es verhält sich so, dass Fragen des Brandschut-
zes allein in der Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenz
der Länder liegen. Wir haben dazu beigetragen, dass es
diesen Bericht gibt. Der Bericht beinhaltet im Kern, dass
es beim Brandschutz durchaus Schwierigkeiten mit Wär-
meverbundsystemen gibt. Es sind auch Verbesserungen
getestet worden. Nach meinem Kenntnisstand wird die
Bauministerkonferenz, deren Beschlüsse ich natürlich
nicht vorwegnehmen kann, höhere Anforderungen für
Neubauten beschließen, um den Brandschutz im Fassa-
denbereich zu verbessern.
Danke, Herr Pronold. – Christian Kühn.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Danke, Herr Pronold, für die ausführliche Beantwor-
tung und die Einordnung der Frage. Ist Ihnen bekannt,
welche Änderungen die Länder im Bereich des Brand-
schutzes denn im Augenblick prüfen und inwieweit die
Bundesregierung weitere Änderungen zum Beispiel in
die Bauordnung aufnehmen möchte?
Fl
Wenn ich darauf antworten darf: Soweit mir bekannt
ist, gibt es zwei unterschiedliche Arten von Bränden, die
die Fassade und damit die Wärmeverbundsysteme, die
sich an der Fassade befinden, betreffen können. Zum ei-
nen ist es der Zimmerbrand, der nach außen schlägt.
Zum anderen gibt es den Fall – das war das Neue an die-
sem Versuch –, dass eine Fassade von außen, zum Bei-
spiel durch brennende Mülltonnen, in Brand gesteckt
wird.
Der Bericht kam zu dem Ergebnis, dass bei den Au-
ßenbrandphänomenen die Sicherheitsbestimmungen bei
bestimmten Wärmedämmverbundsystemen nicht immer
ausreichend sind. Daher sollten auch am Sockel und in
circa 3 Meter Höhe zusätzliche Brandriegel angebracht
werden. Es soll außerdem noch andere Arten der Anbrin-
gungsweise dieser Verbundsysteme mit Schutzbrandrie-
geln dazwischen geben, damit der Brandschutz gewähr-
leistet ist. Mein Kenntnisstand ist, dass für die
zukünftige Errichtung von Neubauten genau diese Vor-
gabe vonseiten der Länder kommen soll.
Herr Kühn.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Danke.
Danke schön. – Dann kommen wir zur Frage 11 der
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl:
Welche konkreten Erkenntnisse hat die Bundesregierung
über den jeweiligen Planungsstand der Bundesländer bezüg-
lich der Ausweitung der Planungszonen für den nuklearen Ka-
haltlich der aktuelle Stand ihrer „Gespräche über die in der
Empfehlung der Strahlenschutzkommission vorgesehene Vor-
Herr Pronold, bitte.
Fl
Frau Präsidentin! Frau Kotting-Uhl, Sie haben eine
Nachfrage auf Basis Ihrer Frage in der letzten Sitzungs-
woche zum Thema „Jodblockade für Schwangere und
Kinder im Falle von atomaren Störfällen“ gestellt. Es
geht also um die Frage, wie wir im Falle nuklearer Kata-
strophen sehr schnell die Empfehlungen der Strahlen-
schutzkommission umsetzen.
Hierzu hat es ein erstes Bund-Länder-Gespräch am
8. Juli 2014 gegeben. Dabei ist unser Bestreben als
Bund, dass wir die Jodtabletten nicht mehr in zentralen
Einrichtungen lagern, sondern dass wir sie dezentral un-
terbringen, sodass eine schnelle Verteilung an mögli-
cherweise betroffene Personen gegeben ist und wir die
schnellstmögliche Versorgung der Bevölkerung im Not-
fall sicherstellen können.
Nach unserer Auffassung ist hier eine Länderverant-
wortung gegeben, weil die Vorsorge beim Katastrophen-
schutz im Bereich der Länder liegt. Insgesamt ist aus den
ersten Gesprächen zurückzumelden – es wird noch wei-
tere geben –, dass die Länder zunächst keine grundsätzli-
chen Einwände vorbrachten, dass es aber bei der Frage,
wer in Zukunft für die Übernahme der Kosten für die
Jodtabletten zuständig ist, bei den Ländern naturgemäß
die Auffassung gibt, dass dies weiterhin Sache des Bun-
des sei.
Vielen Dank, Herr Pronold. – Frau Kotting-Uhl.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr StaatssekretärPronold, vielen Dank für diese Auskunft. Ich würdegerne anfügen: Die dezentralste und damit beste Vertei-lung der Jodtabletten wäre, analog Frankreich, eine Ver-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6083
Sylvia Kotting-Uhl
(C)
(B)
teilung direkt an die Haushalte. Meine Frage ist: Wirdauch das überlegt?Ich hatte nicht nur nach der Jodblockade gefragt, son-dern auch nach den Planungen bezüglich der Evakuie-rungsausweitungen. Die SSK hat vorgeschlagen, die je-weiligen Zonen auszuweiten: die erste auf 5 Kilometer,die nächste dann auf 20 Kilometer und eine sogenannteAußenzone auf 100 Kilometer, die natürlich von derAusbreitungsrichtung abhängig wäre. Gibt es darüberGespräche mit den Ländern, und natürlich frage ichauch nach Ergebnissen?Fl
Das, was wir auf den ersten Teil Ihrer doppelten Frage
antworten können, ist: Wir haben bisher besprochen,
dass versucht wird, die dezentrale Unterbringung der
Jodtabletten so zu organisieren, dass beispielsweise für
Kinder die Austeilung der Tabletten in Krankenhäusern,
Schulen, Kindergärten usw. möglich ist. Wir haben aber
auch Bedarfsmeldungen bei den Ländern abgefragt. Wir
werden auf Basis der eingehenden Bedarfsmeldungen ei-
nen Länder-Soll-Ist-Vergleich vornehmen, um festzu-
stellen, ob der Bedarf gedeckt ist. Wir werden Anfang
2015 die Gespräche mit den Ländern fortsetzen, um uns
mit den Bundesländern auf das konkrete Verteilungskon-
zept zu einigen.
Mir ist nicht bekannt, dass in der vorliegenden Frage
auf die Abstände eingegangen wird; ich hoffe, ich habe
es nicht überlesen. Ich weiß aber, dass wir auch diesbe-
züglich in Gesprächen sind. Es geht um die Veränderung
der Zonen; auch das wird mit den Ländern besprochen.
Da geht es darum, dass die Zonen, für die bestimmte
Schutzmaßnahmen vorgesehen sind, auf 5, 20 und 100 Ki-
lometer – wenn ich es richtig im Kopf habe – ausgewei-
tet werden sollen; sie waren bisher enger festgesetzt.
Weil ich es nicht vorliegen habe, würde ich Ihnen anbie-
ten – vielleicht ist da etwas schiefgelaufen –, es schrift-
lich nachzureichen.
Einverstanden. – Frau Kollegin, noch eine Nach-
frage?
Ja.
Bitte schön.
Es ist natürlich immer ein gutes Angebot, die Antwort
schriftlich zu bekommen. Aber diese Frage war in der
Tat sogar im ersten Teil meiner Frage enthalten. Die bei-
den Fragenteile – Sie haben es „doppelte Frage“ genannt –
haben ihre gemeinsame Wurzel in den Empfehlungen
der SSK. Deshalb abschließend die Frage: Ist ein Zeit-
punkt vorgesehen, zu dem die Empfehlungen der SSK
tatsächlich umgesetzt sein sollen?
Herr Pronold.
Fl
Sie haben recht: Ich habe es überlesen; es ist in der
Frage enthalten. Ich bitte, das zu entschuldigen. – Wir
haben eine gemeinsame Taskforce auf europäischer
Ebene; das wissen Sie. Die Leiter der europäischen
Strahlenschutz- und Reaktorsicherheitsbehörden haben
am 22. Oktober 2014 eine gemeinsame Sitzung in Stock-
holm bestritten und erstmals ein europäisches Konzept
für die Bewältigung schwerer kerntechnischer Unfälle
beschlossen. Es geht darum, wie wir das umsetzen. 21 Ex-
perten für Reaktorsicherheit, Notfallschutz und Strahlen-
schutz aus 14 Ländern haben gesammelte Erfahrungen
dort zusammengetragen und bewertet. Das Bewertungs-
schema ist bewusst auf die wesentlichen Maßnahmen
der Evakuierung, des Aufenthalts in Gebäuden und der
Jodblockade reduziert. Dort ist vorgesehen, dass eine
Evakuierung im Bereich mit einem Abstand vom Kern-
kraftwerk von bis zu 5 Kilometern vorbereitet sein soll.
Für eine eventuelle Ausweitung auf bis zu 20 Kilometer
soll eine geeignete Strategie vorliegen. Die Sicherstel-
lung des Aufenthalts in Gebäuden und die Jodblockade
sind bis zu einer Entfernung von 20 Kilometern vorzube-
reiten. Für eine eventuelle Ausweitung auf bis zu 100 Kilo-
meter soll darüber hinaus eine geeignete Strategie erar-
beitet werden.
Was die Frage des Zeitplanes und die Bedeutung für
die nationale Ebene angeht, würde ich Sie bitten, Ihnen
das schriftlich nachzureichen zu dürfen; denn dazu steht
nichts in meinen Unterlagen.
Vielen Dank, Herr Kollege Pronold.Die Frage 12 des Abgeordneten Oliver Krischer – Ver-schiebung des angestrebten Klimaziels einer CO2-Re-duktion um 40 Prozent vom Jahr 2020 auf das Jahr 2025 –wird schriftlich beantwortet. Das entspricht den Richtli-nien, weil diese Frage das Thema einer Aktuellen Stundeist, die eine Ihnen bekannte Fraktion, Herr Krischer, be-antragt hat.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Wirtschaft und Energie. Ich begrüßeStaatssekretärin Iris Gleicke, die für die Beantwortungder Fragen bereitsteht.Wir kommen zur Frage 13 des Abgeordneten OliverKrischer:Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung ausdem am 4. November 2014 vorgestellten zweiten Entwurf desNetzentwicklungsplans, NEP, der Übertragungsnetzbetreiber– hier insbesondere Korridor C + D –, und in welchem Maßewird es nach Auffassung der Bundesregierung noch zu Ände-rungen am Ende des Energiedialogs „Plattform Energie Bayern“kommen, in dem es unter anderem heißt: „Die bayerischeStellungnahme wird von der Bundesregierung berücksichtigt
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6084 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014
(C)
(B)
I
Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Krischer, ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bun-
desregierung begrüßt, dass die Übertragungsnetzbetrei-
ber in ihrem zweiten Entwurf des Netzentwicklungs-
plans 2014, der das Zieljahr 2024 enthält, wie gesetzlich
vorgesehen die Ergebnisse aus der Konsultation zum
ersten Entwurf des Netzentwicklungsplans sowie Ände-
rungen der Rahmenbedingungen, die sich aus der EEG-
Reform 2014 ergeben, berücksichtigt haben.
Der daraus resultierende weiterhin hohe Transportbe-
darf in Nord-Süd-Richtung zeigt sehr deutlich, dass der
Netzausbau dringend erforderlich bleibt. Die vorgeschla-
genen, sich aus netztechnischen Rechnungen ergebenden
Verlagerungen von Endpunkten einzelner Leitungen
wird die Bundesnetzagentur im Folgenden prüfen. Im
Rahmen der noch folgenden öffentlichen Konsultationen
der Bundesnetzagentur können weitere Stellungnahmen,
zum Beispiel aus Bayern, eingebracht werden. Die Bun-
desnetzagentur wird diese Stellungnahmen bei der fina-
len Bestätigung des Netzentwicklungsplans 2014 be-
rücksichtigen.
Herr Kollege, Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank für die Aus-
führungen und die Darstellung des formalen Verfahrens. –
Sie haben gesagt – danach hatte ich gefragt –, dass die
Stellungnahme Bayerns berücksichtigt wird. Das Pro-
blem ist nur, dass Bayern – und es gibt keinen Grund,
anzunehmen, dass sich das fundamental ändert – sowohl
die Südost-Leitung als auch die Süd-Link-Leitung ab-
lehnt und damit die Begründung für den Netzausbau, die
Sie gerade dargestellt haben und die ich im Wesentlichen
teile, infrage stellt. Daher meine Frage: Wie wird die
Bundesregierung damit umgehen, wenn Bayern bei sei-
ner Position bleibt und zwei fundamentale Netzausbau-
projekte ablehnt? Wird sie diese trotzdem durchführen,
oder wird sie nach einer anderen Lösung suchen?
I
Herr Kollege Krischer, an dem jetzigen normalen
Verfahren ist die Bundesregierung nicht beteiligt. Die
Übertragungsnetzbetreiber haben einen ersten Entwurf
vorgelegt. Er ist öffentlich kommuniziert worden, und
jeder konnte seine Einwendungen machen. Nach dieser
Konsultation folgte ein zweiter Entwurf, der wiederum
öffentlich ausliegt. Auch hierzu können Stellungnahmen
abgegeben werden. Im Lichte der verschiedenen einge-
gangenen Stellungnahmen wird die Bundesnetzagentur
eine Entscheidung treffen. Diese werden wir als Bundes-
regierung zur Kenntnis nehmen und dann unsere Ent-
scheidungen treffen.
Nachfrage, Herr Krischer.
Dann muss ich andersherum fragen: Wie bewertet die
Bundesregierung die Positionen der Bayerischen Staats-
regierung? Mir wurde gestern ein Strategiepapier aus Ih-
rem Haus vorgelegt. Darin steht, dass in Süddeutschland
eine Leistung von 10 000 Megawatt neu errichtet wer-
den müsste, wenn die beiden eben genannten Leitungen
nicht gebaut werden.
I
Es ist völlig richtig, dass die Netzbaumaßnahmen, die
erforderlich sind und die sich im Netzentwicklungsplan
der Übertragungsnetzbetreiber niederschlagen, rein rech-
nerisch auch damit zusammenhängen, dass es große Zu-
baumaßnahmen im Bereich erneuerbare Energien in
Thüringen, Sachsen-Anhalt und Brandenburg usw. gibt.
Wir machen immer wieder darauf aufmerksam. Diese
Übertragungsnetze dienen natürlich auch der Versor-
gungssicherheit in Süddeutschland. Es ist die Position
der Bundesregierung, dass es wichtig ist, darauf immer
wieder aufmerksam zu machen.
Eine weitere Nachfrage von Christian Kühn.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Ich habe eine Frage zur Versorgungssicherheit in Süd-
deutschland, explizit in Baden-Württemberg und Bay-
ern: Halten Sie, falls die Trassen nicht gebaut werden
sollten, die Versorgungssicherheit in Süddeutschland für
gewährleistet?
I
Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass sich der
Bedarf an einem Ausbau der Netze rechnerisch am Zu-
bau in Sachsen-Anhalt, Thüringen, Brandenburg, aber
auch in Niedersachsen orientiert. Es gibt ja auch den
zweiten Korridor, den C-Korridor, den Herr Krischer in
seiner Frage erwähnt hat. Insofern müssen wir weiter da-
rüber reden – das steht auch so in der 10-Punkte-Ener-
gie-Agenda des Ministers –, welche Maßnahmen für den
Netzausbau in den Bundesbedarfsplan einzuarbeiten
sind. Das wird 2016 stattfinden. Im Moment gibt es kein
Problem bei der Versorgungssicherheit.
Vielen Dank. – Dann kommen wir zur Frage 14 der
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl:
Wie ist der aktuelle Zeitplan der Bundesregierung zur Er-
arbeitung der Erweiterung des 6. Energieforschungspro-
gramms, und welche konkreten Schritte sind diesbezüglich
bereits unternommen worden?
Frau Gleicke, bitte.
I
Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Frau Kolle-gin Kotting-Uhl, das 6. Energieforschungsprogramm
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6085
Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
(C)
(B)
wird derzeit umgesetzt und im Zuge dieser Umsetzungständig an die Erfordernisse der Energiewende angepasstund weiterentwickelt. Einen konkreten Zeitplan gibt esinsofern nicht.Das Bundeswirtschaftsministerium hat in seiner Eigen-schaft als Programmkoordinator für die Energieforschungim Februar 2014 Leitlinien zur Weiterentwicklung desEnergieforschungsprogramms mit dem Bundesministe-rium für Bildung und Forschung und dem Bundesminis-terium für Ernährung und Landwirtschaft abgestimmt.Danach werden künftig verstärkt systemübergreifendeForschungsansätze aufgenommen. Außerdem sollen dieeuropäische Vernetzung und die Zusammenarbeit mitden Bundesländern intensiviert werden.Zur Erweiterung der Maßnahmen des Energiefor-schungsprogramms hat das BMWi in einem erstenSchritt eine Förderbekanntmachung zu den anwendungs-bezogenen Forschungs- und Entwicklungsmaßnahmenvorbereitet, die noch in 2014 veröffentlicht wird und diedie beim BMWi zusammengeführten Themen neu grup-piert und in einen Gesamtzusammenhang stellt.Im Rahmen der Weiterentwicklung des Energiefor-schungsprogramms führt das BMWi zurzeit Konsulta-tionsgespräche mit Wirtschafts- und Wissenschaftsver-tretern zu verschiedenen Förderschwerpunkten, die imJahr 2015 fortgesetzt werden. Sie dienen unter anderemdazu, neue Förderinitiativen vorzubereiten und etablierteMaßnahmen programmatisch auszuweiten. Das BMBFhat bereits mit dem Start des Forschungsforums Energie-wende am 8. Mai 2013 einen Agendaprozess zur Samm-lung von strategischen, langfristig angelegten For-schungsthemen gestartet. Dieser Prozess ist fortlaufendund bindet alle relevanten Stakeholder aus Wissenschaft,Wirtschaft, Zivilgesellschaft, Bund, Ländern und Kom-munen ein. Das Forschungsforum Energiewende wirdeine „Strategische Forschungsagenda Energiewende“vorlegen, die in die Diskussion über die Weiterentwick-lung des 6. Energieforschungsprogramms einfließenwird.Zur Sammlung von Schlüsselthemen für die Energie-forschung nutzt das BMBF darüber hinaus weitere Ini-tiativen, zum Beispiel das 11. BMBF-Forum für Nach-haltigkeit – das hat im September stattgefunden – oderdie Green-Economy-Konferenz, die jetzt im Novemberstattfinden wird.
Frau Kollegin.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin Gleicke, für diese
sehr ausführliche Antwort. Ich hoffe, ich bekomme sie
auch schriftlich, weil alles das, was Sie gerade gesagt ha-
ben, nicht hängen bleibt.
Ich habe natürlich den Bericht des Wirtschaftsminis-
teriums zur Weiterführung der Energieforschung zur
Kenntnis genommen. Ich frage aus diesem Grund: Wir
stecken ja sozusagen immer noch in einem Energiefor-
schungsetat, der sich auf das 6. Energieforschungspro-
gramm bezieht, das ursprünglich für den Zeitraum 2011
bis 2014 ausgelegt war und eine ganz bestimmte Aus-
richtung hat. Diese Ausrichtung wurde noch vor der da-
mals beabsichtigten Laufzeitverlängerung festgelegt,
also noch im Sinne dieses Vorhabens. Es gibt eine starke
Ausrichtung auf die Kernfusion; das ist einer der Hinter-
gründe meiner Frage.
In den neuen Haushaltsentwürfen gibt es sowohl im
Etat für Energieeinsparung, also Energieeffizienz, als
auch im Etat für den Bereich der erneuerbaren Energien
einen deutlichen Aufwuchs – das ist sehr erfreulich –,
aber auch der Etat für den Bereich der Kernfusion
wächst, wenn auch im Verhältnis nur ein bisschen; aber
auch dieser Etat wächst kontinuierlich an. Meine kon-
krete Frage ist, ob es Gespräche darüber gibt, den Etat
für den Bereich der Kernfusion zurückzufahren; denn
die Kernfusion passt nicht zur Energiewende.
Frau Gleicke.
I
Die Antwort finden Sie natürlich im Protokoll. Ich
kann Ihnen die Antwort aber auch gerne gleich schrift-
lich in die Hand drücken; das ist gar kein Problem.
Frau Kotting-Uhl, ich habe ja gesagt, dass dieses
6. Energieforschungsprogramm – Sie haben es selbst er-
wähnt – von 2011 stammt und auf fünf Jahre angelegt
war; das ist immer der Rahmen. Wir müssen dieses Pro-
gramm natürlich an die neuen Erfordernisse der Energie-
wende anpassen. Deshalb gibt es Gespräche zwischen
den drei beteiligten Ressorts; auch das ist gar keine
Frage. Derzeit werden ungefähr 800 Millionen Euro aus-
gegeben. Das BMWi, also unser Haus, gibt circa 60 Pro-
zent dieser Mittel aus, das BMEL gibt für den Bereich
der Bioenergie circa 40 Millionen Euro aus, und der
Rest läuft über das BMBF. Natürlich müssen sich die
Ressorts untereinander abstimmen, um die geplanten
Forschungsthemen, die uns im Bereich der Energie-
wende jetzt interessieren, voranzutreiben.
Vielen Dank. – Ich komme zur Frage 15 der KolleginHöhn. Dabei geht es um Gespräche der Bundesregierungmit der Energiewirtschaft und den Gewerkschaften überdas perspektivische Ende der Kohleverstromung. Weildies das Thema der Aktuellen Stunde tangiert, wirddiese Frage schriftlich beantwortet.Genau das gleiche Verfahren wird bei Frage 16 derKollegin Höhn – sie betrifft die vorzeitige Abschaltungder ältesten Kohlekraftwerke – angewendet. Die Fragewird schriftlich beantwortet.Die Frage 17 – hierbei geht es um den Zeitpunkt derArbeitsaufnahme der Clearingstelle für Dual-Use-Güter –der Kollegin Brugger wird ebenfalls schriftlich beant-wortet.
Metadaten/Kopzeile:
6086 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
(C)
(B)
Auch Frage 18 der Kollegin Dağdelen zur Ausfuhrvon Maschinenpistolen des Typs „Solid 2“ nach Saudi-Arabien wird schriftlich beantwortet.Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Aus-wärtigen Amtes.Die Frage 19 der Kollegin Dağdelen nach der geplan-ten Befestigungsanlage an der ukrainisch-russischenGrenze wird schriftlich beantwortet.Die Frage 20 des Abgeordneten Volker Beck
nach der Gesetzgebung der selbsternannten Volksrepu-bliken Donezk und Luhansk bezüglich Homosexualitätwird schriftlich beantwortet.Die Frage 21 des Kollegen Hunko zur Ratifizierungder Assoziierungsabkommen der EU mit der Ukraine,Moldawien und Georgien wird schriftlich beantwortet.Auch die Frage 22 der Kollegin Jelpke zur politischenOrientierung der ukrainischen Sicherheitskräfte wirdschriftlich beantwortet.Die Frage 23 der Kollegin Hänsel zu den AufgabenKolumbiens beim Aufbau eines zivilen Sicherheitssek-tors in dem Einsatzplan für die GSVP-Mission EUAMUkraine wird schriftlich beantwortet.Die Frage 24 der Kollegin Hänsel bezüglich der Er-nennung des Vizekommandeurs des Freiwilligenbatail-lons Asow zum Chef der Miliz des Gebietes Kiew wirdschriftlich beantwortet.Die Frage 25 des Kollegen Movassat zur Rolle vonUS-Militärstandorten in Deutschland bei US-Drohnen-angriffen wird schriftlich beantwortet.Die Frage 26 des Kollegen Dr. André Hahn – sie be-trifft die Schaffung eines geordneten Staateninsolvenz-verfahrens gegen die „Hedgefonds-Resolution“ – sowiedie Frage 27 desselben Kollegen bezüglich US-Hedge-fonds werden schriftlich beantwortet.Die Frage 28 des Kollegen Tom Koenigs nach einerzugesagten Erhöhung der Mittel für humanitäre Hilfe imAusland im Jahr 2014 wird schriftlich beantwortet.Die Frage 29 des Kollegen Koenigs bezüglich derKürzung des Titels „Humanitäre Hilfe im Ausland“ imBundeshaushalt 2015 wird schriftlich beantwortet.Die Frage 30 des Kollegen Dr. Alexander Neu nachErkenntnissen der Bundesregierung bezüglich der Be-drohung von Fluchthelfern durch libysche Milizen sowieum deren Ausbildungshintergrund wird schriftlich be-antwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums des Innern.Die Frage 31 des Abgeordneten Dr. Alexander Neunach drohenden Landeverboten deutscher Fluggesell-schaften in Großbritannien und Mexiko, HerrDr. Krings, wird schriftlich beantwortet.Aber jetzt sind wir wieder live. Ich begrüße denStaatssekretär Dr. Günter Krings, der die Frage 32 desKollegen Hans-Christian Ströbele beantworten wird, dieich hiermit aufrufe:Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus demUmstand, dass die Software GnuPG, auf die nahezu alle freienund für Bürger und Unternehmen frei zugänglichen, vomBundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, BSI, aufseiner Website als besonders sicher empfohlenen, asymmetri-schen Verschlüsselungsverfahren für E-Mails aufbauen, voneiner Einzelperson in Düsseldorf allein auf Spendenbasis be-treut und gewartet wird , und ist dieBundesregierung angesichts der auch von ihr selbst anerkann-ten, allgemeinen Bedrohung der Datensicherheit der Gesamt-bevölkerung und der deutschen Wirtschaft durch massenhaf-ten Datendiebstahl, begangen von Unternehmen oderGeheimdiensten fremder Mächte, bereit, eine nachhaltige Fi-nanzierung und bessere personelle Ausstattung der Betreuungund Wartung dieser Software zu unterstützen, etwa durch För-derung über das BSI?D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Lieber Herr Kollege Ströbele! Zum krönenden
Abschluss dieser Fragestunde darf das Innenressorts
noch einmal auftreten. Ich bedanke mich, dass Sie – dies
ist die einzige mündlich zu beantwortende Frage – bei
der Stange geblieben sind.
Ich kann mit einer guten Nachricht aufwarten, lieber
Herr Ströbele; denn die von Ihnen in Ihrer Frage zitierte
Annahme des Linux-Magazins vom August 2014, dass
die – ich sage das einmal etwas salopp – Verschlüsse-
lungssoftware GnuPG ausschließlich von einer Einzel-
person in Düsseldorf auf Spendenbasis – so hieß es da –
betreut wird, ist glücklicherweise unzutreffend.
GnuPG ist die zentrale Komponente der umfassende-
ren Lösung Gpg4win, also einer Windows-Anwendung,
die wiederum vom Bundesamt für Sicherheit in der In-
formationstechnik, BSI, beauftragt wurde. Auftragneh-
mer dieses Entwicklungsvorhabens waren die deutschen
Unternehmen Intevation GmbH und g10 Code GmbH
sowie die schwedische KDAB. Darüber hinaus erfolgt
eine Weiterentwicklung und Pflege von Gpg4win und
GnuPG im Rahmen eines etablierten, funktionierenden
und verteilten Entwicklungsmodells für eine unter freier
Lizenz stehende quelloffene Software durch eine grö-
ßere Gemeinschaft, also das, was wir als Open-Source-
Community bezeichnen, Herr Ströbele.
Transparent dargestellt werden übrigens die kommer-
zielle Beauftragung, die Rolle des BSI sowie der mitwir-
kenden Unternehmen auf den Internetseiten des Pro-
jekts. Ich erspare mir jetzt, dies vorzulesen. Ich kann
Ihnen dies gerne gleich in die Hand geben, damit Sie
wissen, was Sie in Ihren Browser eingeben müssen, um
das im Einzelnen zu lesen.
Bei der vom Linux-Magazin genannten Einzelperson
handelt es sich um den Geschäftsführer der g10 Code
GmbH in Düsseldorf, die ebenfalls, wie gesagt, an den
oben genannten Beauftragungen beteiligt war.
Herr Ströbele, haben Sie eine Rückfrage? – Ja.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6087
(C)
(B)
Danke. – Herr Staatssekretär, wenn ich das richtigweiß, dann ist dieser Verschlüsselungsspezialist, -ex-perte, sage ich einmal, ja in der Vergangenheit bereitsdurch die Bundesregierung gefördert worden. Diese För-derung ist dann aber eingestellt worden. Ich erinneremich an die Erklärung des früheren InnenministersFriedrich – ich glaube, sogar im Bundestag, aber jeden-falls in der Öffentlichkeit – vom Juli 2013, dass die Bun-desbürger aufgefordert wurden, jeder einzelne, selber et-was gegen die Datenspionage, die Datenausspähung zutun und das nicht allein dem Staat zu überlassen.
Deshalb meine Frage:
Gibt es eine ganz konkrete Finanzierung der Weiterent-wicklung dieser Verschlüsselungssoftware, die nachmeiner Kenntnis von ein oder zwei Leuten in Düsseldorfbetrieben wird? Denn wir gehen doch alle davon aus,dass das eine ungeheuer wichtige Arbeit ist.
Herr Dr. Krings.
D
Vielen Dank. – Herr Ströbele, ich habe ja bereits aus-
geführt, dass es sich nicht um eine Einzelperson handelt,
sondern dass mehrere Unternehmen beteiligt sind. Der
Bund hat auch hier Fördermittel gegeben. Wir haben in
dem Zeitraum von 2004 bis 2014 insgesamt knapp
630 000 Euro inklusive Mehrwertsteuer in dieses Projekt
investiert. Es gibt noch eine Reihe anderer Projekte. Wir
haben im Gesamtetat, glaube ich, etwa 15 Millionen
Euro als Verpflichtungsermächtigungen für diesen Be-
reich der Entwicklungsvorhaben des BSI. Es gehört also
zu den Kernaufgaben des BSI, solche Förderungen vor-
zunehmen. Auch dieses Projekt hat in nennenswertem
Umfang Fördergelder bekommen.
Noch einmal: Der Open-Source-Gedanke ist, dass
auch von anderer Seite gefördert wird. In Ihrer Fraktion
gibt es wahrscheinlich noch größere Enthusiasten für die
Open-Source-Bewegung, als ich es bin. Insofern ist es
ganz normal, dass der Staat die Finanzierung nicht kom-
plett übernimmt, dass er diese Person nicht in einem Be-
amtenverhältnis beschäftigt, sondern den Open-Source-
Gedanken mit Beauftragung, mit Geldern fördert. Das ist
in der eben genannten Größenordnung erfolgt.
Unter anderem dieser Beitrag des Bundes zu dem
Projekt hat zu erheblichen Download-Zahlen dieses Pro-
gramms von etwa 30 000 Downloads pro Woche ge-
führt. Die Zahl der Downloads ist übrigens seit der
Snowden-Affäre gestiegen.
Ja. Ich habe noch eine weitere Frage, Frau Präsiden-
tin, wenn Sie gestatten.
Ich gestatte.
Können Sie denn Zahlen nennen, wie viel von den ei-
nigen Hundertausend Euro, die Sie genannt haben, im
Rahmen dieser Förderung an GnuPG gegangen sind,
konkret an diese Person bzw. seinen Helfer, und wie viel
an die anderen Firmen oder die anderen Abteilungen?
Ich stimme ja mit Ihnen völlig überein, dass es das Fal-
scheste wäre, daraus eine Beamtenbeauftragung zu ma-
chen. Das soll möglichst unabhängig sein, weil nur dann
für den Bürger etwas Vernünftiges dabei herauskommen
kann. Dies denke ich, nicht weil ich grundsätzlich Be-
denken gegen Beamtenarbeit habe, sondern weil es in
diesem Falle das Falscheste wäre, was man machen
könnte.
Herr Dr. Krings.
D
Ich lasse das einmal unkommentiert. Ich glaube, dass
es für alles sinnvolle Lösungen gibt. Das BSI macht eine
hervorragende Arbeit, übrigens mit Beamten, die wich-
tig und bei unserer Informationssicherheit nicht mehr
wegzudenken ist. Aber es gibt bei der Entwicklung von
Software, gerade mit offenem Quellcode, bestimmte
Punkte, bei denen in der Tat – da stimme ich Ihnen voll-
kommen zu; ich habe es eben gesagt – dieses Entwickeln
aus der Open-Source-Community einige Vorteile bietet.
Deshalb will ich es noch einmal etwas deutlicher ma-
chen – ich neige auch dazu, etwas zu schnell zu sprechen –:
GnuPG, also die Software, die Sie genannt haben, ist Teil
einer umfassenderen Lösung, die sich Gpg4win nennt.
Im Hinblick auf diese umfassendere Lösung, von der
GnuPG ein Teil ist, haben wir seitens des Bundes bzw.
durch das BSI im Zeitraum von 2004 bis 2014 zur Ent-
wicklung und Weiterentwicklung der Software insge-
samt 630 000 Euro inklusive Mehrwertsteuer ausgege-
ben.
Vielen herzlichen Dank. – Ich lese Ihnen jetzt dieThemen der Fragen, die wir schriftlich beantwortet be-kommen, vor. Das müsste ich zwar nicht tun. Aber dannhaben Sie ungefähr eine Vorstellung davon, womit sichdie Kolleginnen und Kollegen des Bundestages beschäf-tigen:Die Frage 33 des Kollegen Hunko nach gemeinsamenMaßnahmen im Zusammenhang mit sogenannten Fo-reign Fighters und gegen die Radikalisierung durch dasInternet wird schriftlich beantwortet.
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6088 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014
Vizepräsidentin Claudia Roth
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Die Frage 34 der Kollegin Renner nach dem Verhand-lungsstand zum Entwurf eines Polizeiabkommens mitÄgypten wird schriftlich beantwortet.Die Frage 35 von Jan Korte nach der Speicherung undVerarbeitung ermittlungsunterstützender Hinweise undnach der Abgrenzung zu personengebundenen Hinwei-sen wird schriftlich beantwortet.Die Frage 36 des Kollegen Korte nach der Zusam-menarbeit deutscher Sicherheitsbehörden mit der türki-schen Regierung bei der Neuinstallation von Systemenzur Grenzsicherung wird schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Finanzen.Die Frage 37 des Kollegen Thomas Gambke nach In-formationen des internationalen Konsortiums investiga-tiver Journalisten über Steuervergünstigungen der Lu-xemburger Steuerbehörden wird schriftlich beantwortet,weil dies gleich auch Thema der Aktuellen Stunde seinwird.Die Frage 38 des Kollegen Axel Troost nach der mul-tilateralen Vereinbarung zur Einführung des neuen Stan-dards für den automatischen Austausch von Steuerinfor-mationen wird schriftlich beantwortet.Die Frage 39 des Kollegen Troost nach der steuerli-chen Behandlung von Kosten für die Erstausbildungwird schriftlich beantwortet.Die Frage 40 des Kollegen Kai Gehring nach demAusschluss von Kosten der Erstausbildung von den Wer-bungskosten wird schriftlich beantwortet.Die Frage 41 der Kollegin Susanna Karawanskij nachder Berücksichtigung von Kindergeld bzw. Kinderfrei-beträgen bei der Integration des Solidaritätszuschlags inden Einkommensteuertarif wird schriftlich beantwortet.Die Frage 42 der Kollegin Karawanskij nach der An-hebung des Kinderfreibetrags und der Einführung einesgestaffelten Freibetrags für Alleinerziehende wirdschriftlich beantwortet.Die Frage 43 des Kollegen Richard Pitterle, DieLinke, nach der Besteuerung von Arbeitgebergutschei-nen wird schriftlich beantwortet.Auch die Frage 44 des Abgeordneten Richard Pitterlenach den Auswirkungen der Regelung des § 50 i desEinkommensteuergesetzes auf Familienunternehmenwird schriftlich beantwortet.Wir sind jetzt am Ende der Fragestunde angekom-men.Die Aktuelle Stunde ist für 15.35 Uhr angesetzt. Daich sie jetzt noch nicht aufrufen kann, gebe ich Ihneneine gute Dreiviertelstunde frei.Ich muss jetzt fürs Protokoll sagen: Damit ist die Sit-zung unterbrochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich darf Sie jetzt
bitten, wieder Platz zu nehmen. Die unterbrochene Sit-
zung wird fortgesetzt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zu den umstrit-
tenen Steuermodellen in Luxemburg und der
Rolle Jean-Claude Junckers
Erster Redner in der Debatte ist der Kollege Klaus
Ernst, Fraktion Die Linke. – Bitte schön.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich glaube, wir sollten uns erst einmal alle beidem Internationalen Konsortium Investigativer Journa-listen bedanken. Diese investigativen Journalisten habenuns dankenswerterweise darauf hingewiesen, was inLuxemburg los ist. Unsere Behörden wussten das in die-ser Deutlichkeit offensichtlich nicht.
Deswegen verdienen sie, wie ich glaube, den Dank allerAbgeordneten, meine sehr verehrten Damen und Herren.
– Dass die Union nicht mitklatscht, habe ich erwartet.Das zeigt auch, dass es dort beim Thema Steuerproble-matik offensichtlich noch einigen Nachholbedarf gibt.Die Dokumente, die wir jetzt vorliegen haben, bewei-sen, dass Luxemburg von 2002 bis 2010 offensichtlichals Steueroase fungierte. PricewaterhouseCoopers entwi-ckelte für internationale Konzerne geradezu Modelleund bot sie den Unternehmen an. Im Ergebnis ist es denUnternehmen gelungen, ihre Steuersätze, die inLuxemburg normalerweise bei 29 Prozent liegen wür-den, auf bis zu 1 Prozent zu reduzieren. Jeder normaleBürger, bei dem die Steuer vom Lohn abgezogen wird,muss sich angesichts der Verhältnisse, die wir in Europahaben, langsam als Volltrottel vorkommen.
Ganz besonders – das betrifft nicht nur Luxemburg;aber das betreffende Unternehmen ist hier allenthalbenbekannt; deswegen möchte ich es nennen – Ikea ist esgelungen, seine Steuerlast durch solche Modelle auf0,0001 Prozent des Gewinns zu reduzieren. Das ist einZustand, der unerträglich ist. Zu den weiteren Profi-teuren gehören – es sind auch Unternehmen aus der Bun-desrepublik Deutschland dabei –: Deutsche Bank, Eon,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6089
Klaus Ernst
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Ikea, Fresenius, Volkswagen, Heinz, iTunes, Procter &Gamble und Burberry. All diese Unternehmen habenhier mitgemischt und davon profitiert. Es geht nach derEinschätzung des Bundesvorsitzenden der DeutschenSteuer-Gewerkschaft, Thomas Eigenthaler, um jährlich10 Milliarden Euro allein in der BundesrepublikDeutschland. Der Verlust für Europa durch diese Steuer-modelle, bei denen sich Luxemburg offensichtlich ganzbesonders hervortut, wird von Gutachtern der EU aufinsgesamt 1 000 Milliarden Euro – 1 000 Milliar-den Euro! – geschätzt.Weil das ja Zahlen sind, die man gar nicht so recht be-greifen kann: Das ist mehr als dreimal so viel wie derStaatshaushalt der Bundesrepublik Deutschland undmehr als das Doppelte der 480 Milliarden Euro, die wirvor einigen Jahren für die Bankenrettung ausgegeben ha-ben. Wir hätten viele Probleme in der BundesrepublikDeutschland nicht: Die Mütterrente zum Beispiel wäremit ihren jährlichen Kosten von 6,7 Milliarden Euro lo-cker aus Steuergeldern finanzierbar, wenn wir dieseSteuerschlupflöcher nicht hätten.
Bemerkenswerterweise war ausgerechnet der Präsi-dent der Europäischen Kommission, Herr Juncker, in ge-nau der Zeit, in der diese Steuermodelle entwickelt wur-den, als Premier- und Finanzminister in Verantwortung.Das wirft natürlich Fragen auf, zum Beispiel die Frage,ob das etwas damit zu tun hat, dass das Fondsvermögenin Luxemburg, als Juncker angetreten ist, 53 Milliar-den Euro und es, als er abgetreten ist, 3 000 Milliar-den Euro betrug. Offensichtlich war das ein Geschäfts-modell. Wenn ich das lese, wundere ich mich überhauptnicht darüber, dass es uns in der Europäischen Union seitJahren nicht gelingt, diese Steueroasen auszutrocknen.Offensichtlich machen wir den Bock zum Gärtner. Dasist doch das Problem.
Ich kann in dem Zusammenhang die Kanzlerin nichtaus der Verantwortung nehmen. Sie war offensichtlichdiejenige, die Herrn Juncker massiv gefördert hat, damiter Präsident der Europäischen Kommission wird. Wiesoll er eigentlich glaubhaft gegen Steuervermeidung vor-gehen, wenn er selber in der Rolle, die er vorher spielte,offenbar massiv an solchen Dingen beteiligt war?Die Frage ist auch, warum die Bundesregierung nichtmehr gegen Steuerbetrug und Steuervermeidung getanhat. Erst 2012 wurde ein Doppelbesteuerungsabkommenmit Luxemburg abgeschlossen.
– Ich weiß gar nicht, warum Sie sich so aufregen. Sie ha-ben doch regiert. Es fand sich kein einziger Satz zumSteuervermeidungssystem in Luxemburg. Haben Sie dasalles nicht gewusst? Gut, dass wir Journalisten haben.Was sie getan haben, ist jedenfalls besser als das, was indieser Frage vonseiten der Bundesregierung gemachtwird.Die Bundesregierung hätte im Übrigen auch durchausMöglichkeiten, durch nationale Regelungen den Steuer-tricks Luxemburgs einen Riegel vorzuschieben. Schoneine Regelung, wonach Betriebsausgaben für Lizenz-oder Patentgebühren in der Bundesrepublik Deutschlandnicht mehr abzugsfähig sind, würde dazu beitragen, dasssich etwas ändert und die Gewinne hier versteuert wer-den müssten und nicht in Billigsteuerländer verschobenwerden könnten. Sie stehen in der Pflicht.Zum Schluss meiner Rede möchte ich den Tagesspie-gel zitieren:Möglich ist das allerdings nur, weil Europas regie-rende Finanzpolitiker seit Jahren die Initiativen derEU-Kommission und des EU-Parlaments zur Ein-dämmung der Steuervermeidung sabotieren, auchdie deutschen.So weit die deutsche Presse. Ich würde mich freuen,wenn Sie daran etwas ändern würden.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist der Kollege
Dr. Hans Michelbach, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In dieser Aktuellen Stunde sollten wir sachbezogen,ohne jemanden persönlich anzusprechen, die Steuermo-delle in Luxemburg und in anderen Ländern diskutieren.Für die Veröffentlichung können wir einerseits durch-aus dankbar sein. Andererseits sind uns die Verhältnissein Europa nicht unbekannt. Wir unternehmen seit länge-rem intensive Anstrengungen, um Steueroasen trocken-zulegen, um Steuerlockvogelangebote zu bekämpfen,um Steuertricksereien zu unterbinden und um einen fai-ren Steuerwettbewerb zu erreichen.Seit über 20 Jahren darf ich persönlich diese Überzeu-gung im Finanzausschuss vertreten und stelle mir immerwieder die Frage: Warum kommen wir in Europa nursehr langsam voran?
Für mich stellt sich der Sachstand wie folgt dar:
Erstens. Wir haben es hier – langsam! – mit interna-tionalen Beratungsgesellschaften zu tun,
die jedes noch so kleine Schlupfloch nutzen, um ihre ag-gressive Steuervermeidungsstrategie an interessierteGroßkonzerne zu verkaufen.
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6090 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014
Dr. h. c. Hans Michelbach
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Zweitens. Wir haben vor allem kleine Länder in Eu-ropa, die ein Geschäft mit diesen Steuerlockvogelange-boten betreiben und sich unsolidarisch gegenüber ande-ren europäischen Ländern verhalten. Dabei wird dasSteuersubstrat von Ländern abgesaugt, in denen ein Un-ternehmen die Gewinne erwirtschaftet.Drittens. Wir haben es so mit einer fragwürdigen Un-ternehmensstrategie zu tun, mit der man sich durch Ge-winnverlagerungen deutliche Wettbewerbsvorteile ver-schaffen will. Das ist für mich so etwas wie modernesRaubrittertum und beschwert die betroffenen Staaten,aber vor allem auch die kleinen und mittelständischenUnternehmen.
Diese haben in vielfacher Hinsicht eine Steuerbelastungvon 40 Prozent, die Großkonzerne nur 4 Prozent oderweniger. Das ist nicht nur eine Wettbewerbsverzerrung,sondern auch eine Art Vernichtungsstrategie gegenüberunserer Wirtschaftsstruktur. Diese Entwicklung müssenwir ernst nehmen.
Dagegen wollen wir vorgehen.
Deswegen müssen wir mit Luxemburg, den Niederlan-den, Irland und anderen Ländern intensiv reden, wohlwissend, dass der Schlüssel vor allem in Brüssel, bei derOECD und bei der G 20 liegt. Natürlich sagen alle dieseLänder: Das, was wir machen, ist legal; denn wir versto-ßen nicht gegen nationale Gesetzgebungen, und bei denSteuern in Europa gibt es keine Vergemeinschaftung.Ich halte diese Argumentation, die in diesen Tagen alsRechtfertigung in den Zeitungen steht, für Zynismus.Der Luxemburger Finanzminister wird heute in derPresse mit den Worten wiedergegeben – ich zitiere wört-lich –:Das Zusammenspiel der nationalen Regeln mit in-ternationalen Verträgen bringt mit sich, dass Unter-nehmen manchmal keine Steuern oder ganz wenigSteuern zahlen.Das hat natürlich mit einem fairen Steuerwettbewerb inEuropa nichts zu tun.Der Finanzminister macht uns auch beim Thema Ru-ling etwas vor. Das gebe es auch in Deutschland, sagt er.In Deutschland sieht Ruling so aus, dass der Steuer-pflichtige bei seinem Finanzamt Auskunft über seinesteuerlichen Verhältnisse erbitten kann. In Luxemburgbedeutet Ruling etwas ganz anderes: Es ist eine Abspra-che über Steuerrabatte für ausländisches Steuersubstrat.
Das ist Fakt. Das ist das Problem, mit dem wir uns aus-einandersetzen müssen. Das sind für mich illegaleStaatsbeihilfen, die nach dem EU-Wettbewerbsrecht ver-boten sind.
Deshalb hat die EU-Kommission nach mehreren An-mahnungen endlich ein Vertragsverletzungsverfahrengegen drei Länder eingeleitet. Das ist nicht neu, sonderndas ist Fakt. Ich danke dem Kommissar Almunia, dass erden Mut hatte, die drei Länder mit diesem Vertragsver-letzungsverfahren zu beharken.
Das bedeutet: Es wird vom Wettbewerbskommissarder Vorwurf der unerlaubten Beihilfe erhoben. Ich be-tone: Das ist im Moment ein Vorwurf. Jede steuerlichePräferenz ausländischer Konzerne in Form einer Gut-schrift ist nach dem Wettbewerbsrecht natürlich eine il-legale Staatsbeihilfe.Wir müssen deutlich machen, was wir davon halten.Wir werden uns darüber berichten lassen. Ich vertraueauf die Aufklärungsarbeit der EU-Kommission. Wir for-dern, dass die Rulings nach der Amtshilferichtlinie inden spontanen Informationsaustausch einbezogen wer-den. Dann werden wir weitersehen. Wir bleiben am Ballund müssen hier von niemandem belehrt werden.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner für Bündnis 90/DieGrünen ist der Kollege Dr. Gerhard Schick.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich fand es gut, wie der Kollege Ernst seine Rede ange-fangen hat, nämlich mit dem Dank an die Journalisten,die das Ganze recherchiert und veröffentlicht haben. Dasist extrem wichtig; denn sonst hätten wir keine Grund-lage, auf der wir heute diskutieren könnten. Für das, wasjedem, der die Augen aufmacht, bekannt sein müsste,gibt es jetzt klare Belege. Dafür danken wir den Journa-listen. Aber wir müssen in unseren Dank auch die Leuteeinbeziehen, die den Mut hatten, diese Informationen andie Öffentlichkeit zu geben; denn vor den Journalistengibt es die Whistleblower. An sie ein ganz herzlichesDankeschön!
– Ich finde, da könnten auch Sie von der Union klat-schen; denn auch Sie beziehen sich auf die Fakten.
Wir haben hier verschiedene Themen angesprochen.Der eine Punkt ist die Rolle des Kommissionspräsiden-ten. Ich finde nicht, wie der Finanzminister gesagt hat,
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6091
Dr. Gerhard Schick
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dass seine Rolle in Luxemburg und das, was er jetzt aufder Ebene der EU-Kommission zu verantworten hat,nichts miteinander zu tun hätten und dass er nicht be-schädigt sei. Nein, der Ruf ist natürlich infrage gestellt.Denn es geht um die Frage: Kann jemand an der Spitzeder Kommission stehen, der in seinem Staat ein Verhal-ten zu verantworten hatte, das für die Europäische Unioneindeutig schädlich ist? Die Europäische Union kannnicht funktionieren, wenn wir alle versuchen, dem ande-ren in die Tasche zu greifen.
Dazu hat Herr Juncker erst einmal einige Tage ge-schwiegen, was uns sehr irritiert hat. Heute hat er dannim Wesentlichen zwei Vorschläge gemacht, nämlich zumeinen den automatischen Informationsaustausch bei TaxRulings vorgeschlagen, der aber nur zwischen den Be-hörden gelten soll. Zum anderen hat er sich für eine ein-heitliche Bemessungsgrundlage bei der Körperschaft-steuer ausgesprochen, die schon lange auf europäischerEbene in einem mühsamen Verhandlungsprozess ist.Ich sage dazu sehr deutlich, Herr Juncker: Das reichtnicht. Wenn Sie weiter so herumeiern und halbherzigagieren, dann müssen Sie zurücktreten.
Denn es geht um die Frage, ob der Kommissionspräsi-dent ein Teil der Lösung oder ein Teil des Problems ist.Wir fordern ihn auf, ein Teil der Lösung zu werden undeuropafreundliche Vorschläge zu machen, die dafür sor-gen, dass diese Steuervermeidungsindustrie in Europa,wo ein Mitgliedstaat zulasten des anderen handelt undsich große Konzerne zulasten der Kleinen armrechnen,endlich beendet wird.
Ich finde aber, man darf nicht zu kurz springen undden Blick nur auf Luxemburg richten. Richtig ist, dassLuxemburg eine der beliebtesten Steueroasen ist. Aberes ist mitnichten die einzige Steueroase in Europa. Des-wegen sollten wir, finde ich, das gesamte Problem in denBlick nehmen. Es geht nicht nur darum, wie der SPD-Kollege Carsten Schneider gefordert hat, in Luxemburgaufzuklären. Es geht vielmehr darum, dass wir in Europaendlich faire Bedingungen haben, die dazu führen, dassdiejenigen, die nach dem Gesetz Steuern zahlen müssen,es auch tun und dass es keine Sondervereinbarungengibt. Und dann geht eben unser Blick dabei auch nach Ir-land, und er geht auch in die Niederlande, wo es nochdeutlich mehr internationale Unternehmen gibt. DieHälfte der 500 umsatzstärksten Unternehmen haben Fi-nanzholdings in den Niederlanden. Das ist mehr als inLuxemburg. Wir müssen auch den Chef der Euro-Gruppe, Herrn Dijsselbloem, in den Blick nehmen.
– Ich finde es gut, dass Sie klatschen, Herr Poß. Denn erist Ihr Parteifreund, Sozialdemokrat. Ich finde, dass aucheinmal die Frage gestellt werden muss, welche Rolle ei-gentlich ein sozialdemokratischer Finanzminister an derSpitze der Euro-Gruppe spielt. Ich finde, es passiert zuwenig, um bei diesen Skandalen aufzuräumen.
Was steht jetzt an? Es geht nicht darum, im Wesentli-chen nur über Personen zu reden, sondern es steht jetztan, wirklich aufzuräumen. Was wir von der Bundesre-gierung dazu hören, ist als Initiative auf europäischerEbene eindeutig zu wenig. Was es jetzt braucht, ist nichtnur, dass die Steuerbehörden untereinander Informa-tionen austauschen. Vielmehr müssen wir sicherstellen,dass Vereinbarungen mit den großen Unternehmen beidiesen Rulings öffentlich werden und dass sie registriertwerden. In Zukunft sollte es nicht von Whistleblowernabhängen, dass wir erfahren, was passiert, sondern hierist Transparenz erforderlich.
Wir sollten endlich das einführen, dem Sie sich insbe-sondere seitens der Union verweigert haben. Bei denBanken haben wir Grünen das auf europäischer Ebenemit vorantreiben und durchsetzen können. Es fehlt abernoch für die anderen Branchen und wäre in diesem Fallvöllig notwendig: Wir brauchen Transparenz darüber,wo die Gewinne stattfinden und wo sie versteuert wer-den, das sogenannte Country-by-Country-Reporting.Wir brauchen länderbezogene Transparenz bei den Steu-ern.Ich hoffe, dass Sie sich als Konsequenz aus diesenDaten endlich bewegen, damit wir in Europa Steuer-transparenz bekommen.
Herr Kollege Schick, kommen Sie bitte zum Schluss.
Ich komme zum Schluss. – Ich finde auch – daswurde zu Recht angesprochen –, dass die Beihilfekon-trolle ein wichtiges Instrument ist. Aber wir müssen esauch mit Vehemenz und Unterstützung betreiben. Ichglaube, dass wir im Deutschen Bundestag auch einenpolitischen Auftrag haben, mit unseren luxemburgischenund niederländischen Kollegen darüber zu diskutieren,wie ein Europa der Gerechtigkeit und Fairness aussehenkann, in dem nicht nur die Arbeitnehmer und kleinenUnternehmen die Last tragen, sondern auch große Kon-zerne ihren Teil dazu beitragen. Das ist gerade jetzt inder Krise ein ganz wichtiges Zeichen.Danke schön.
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6092 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014
Dr. Gerhard Schick
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Vielen Dank. – Nächster Redner ist Dr. Jens
Zimmermann, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben uns gerade, als Herr Schick überunseren sozialdemokratischen Kollegen gesprochen hat,gefragt, wie viele Finanzminister der Grünen es in Eu-ropa eigentlich gibt. Aber in Luxemburg sind die Grünenmittlerweile an der Regierung beteiligt. Vielleicht kön-nen Ihre Kollegen aus Luxemburg bei der Aufklärunghelfen.
– Es ist doch gut, wenn Sie sich einig sind.
Herr Ernst hat richtig gesagt: Dass ein vermeintlichschwedisches Möbelhaus im Jahr 2010 über 2 Milliar-den Euro Gewinn in Europa gemacht und darauf nur48 000 Euro Steuern gezahlt hat, ist nicht in Ordnung.Ich glaube, darüber sind wir uns alle hier im Hohen Hauseinig.
Dass Großunternehmen extrem niedrige Steuersätze vonteilweise unter 1 Prozent in Ländern wie Luxemburg, Ir-land und den Niederlanden zahlen, ist bekannt. Aber diemeisten Steuerpraktiken sind nach nationalem Recht lei-der legal; das ist ein Problem. Das ist uns Sozialdemo-kraten schon lange ein Dorn im Auge. Nun ist unter demBegriff „Luxemburg-Leaks“ öffentlich geworden, dasseine bekannte Beratungsgesellschaft im Auftrag von Un-ternehmen offensichtlich gezielt auf die Steuerabteilungin Luxemburg zugegangen ist. Das ist eine ganz neueQualität. Damit ist endgültig eine Grenze überschritten.Das ist nicht hinnehmbar.
Ich finde es gut, dass es endlich eine Diskussion überlegale und illegale Steuertricks gibt. Viele von uns ver-suchen seit Jahren, eine solche Diskussion in Gang zubringen. Bislang ist sie immer wieder im Sande verlau-fen. Aber es ist gut, dass die Kommission ein Beihilfe-verfahren gegen Luxemburg, Irland und die Niederlandeeingeleitet hat. Es wird geprüft werden, ob es sich umverbotene Beihilfen handelt. Genau das ist der Punkt:Geld, das man für Steuern nicht zahlen muss, kann – ichverweise in diesem Zusammenhang nur auf Amazon –investiert werden. Das ist ein Vorteil gegenüber Wettbe-werbern in anderen Ländern. Wir können die Wettbe-werbskommissarin an dieser Stelle nur ermutigen, diesesVerfahren engagiert voranzutreiben.Wichtig ist doch für uns in Europa: Wir müssen vondiesem Unterbietungswettbewerb wegkommen. Dieser„race to the bottom“ liegt im Interesse keines einzigenLandes in Europa. Wir brauchen Geld für Investitionen.Es ist ganz klar, woher das Geld dafür kommen muss.Der Steuerzahler hat darüber eine ganz klare Vorstel-lung. Bei jedem Arbeitnehmer wird die Einkommen-steuer einfach abgezogen. Der normale Mensch auf derStraße denkt: Wenn ein Unternehmen ordentlich Gewinnmacht, soll es auch ordentlich seine Steuern zahlen. Damüssen wir wieder hin.
Wenn Ikea nach dem Motto „Entdecke die Möglich-keiten“ versucht, jede Steuerlücke zu finden und auszu-nutzen, wenn sich europäische Staaten einen Unterbie-tungswettbewerb liefern und wenn Händler um die EckeSteuern zahlen, während Amazon so gut wie keine zahlt,dann ist das Verhältnis von Wirtschaft und Politik ausdem Gleichgewicht geraten.
Es ist verdammt noch mal unsere Aufgabe, das wiedergeradezurücken. Daran müssen wir dringend arbeiten.Wir müssen den Wettbewerb um niedrige Steuern be-kämpfen. Wir müssen in Europa auch Solidarität unter-einander zeigen. In der Krise war unsere Solidarität ge-fragt. Und an dieser Stelle kann man in meinen Augenauch Solidarität einfordern.
Steuern müssen dort gezahlt werden, wo Gewinne er-wirtschaftet werden. Die entscheidende Frage lautet,welche Schritte jetzt zu gehen sind. Am Wochenendefindet der G-20-Gipfel statt, auf dem es unter anderemum internationale Abkommen geht. Das ist richtig undwichtig; denn wir reden nicht nur über ein europäischesProblem. Wo befinden sich denn viele Steueroasen? Diemeisten befinden sich nicht in Europa, sondern irgendwoin der Karibik. Deswegen ist es wichtig, dass wir inter-national weiter vorangehen. Die BEPS-Initiative ist dochein sehr gutes Beispiel. Hier sind wir auf einem gutenWeg.
Wichtig ist aber auch, dass wir vor allem dem illega-len Handeln einen Riegel vorschieben. Wir können,finde ich, von unseren europäischen Partnern verlangen– das müssen wir auch bei uns selbst durchsetzen –, dassillegale Steuerpraktiken entsprechend verfolgt werdenund dass das für die betreffenden Unternehmen Konse-quenzen haben muss; das ist wichtig. Das laufende Bei-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6093
Dr. Jens Zimmermann
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hilfeverfahren betrifft die Länder, nicht aber die Unter-nehmen. Das ist nicht das, was wir wollen.
Um zum Schluss zu kommen: Diese ganze Debatte istdoch keine Debatte gegen Europa. Ich glaube, HerrJuncker ist doch derjenige, der das größte Interesse hat,das aufzuklären und an dieser Stelle klar Schiff zu ma-chen. Wir müssen in Europa endlich dahin kommen,dass wir uns in der Steuerpolitik besser abstimmen. Des-wegen ist doch an dieser Stelle einmal mehr richtig: Wirbrauchen mehr Europa und nicht weniger Europa.
Herr Kollege Zimmermann, ich darf Sie bitten, zum
Schluss zu kommen.
Lassen Sie mich ein Wort an die Unternehmen rich-
ten. Niemand will die Kavallerie ausrücken lassen, aber
seien Sie sich sicher: Die Pferde sind gesattelt.
Vielen Dank.
Vielen Dank. – Ich möchte darauf aufmerksam ma-
chen, dass nach unserer Geschäftsordnung in der Aktuel-
len Stunde die Redezeit fünf Minuten beträgt, also nicht
sechs Minuten. Das sage ich für alle anderen, die noch
reden.
Jetzt hat der Kollege Dr. Mathias Middelberg, CDU/
CSU-Fraktion, das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Manmuss es aussprechen, wenn es richtig ist: Ich finde essehr gut, dass die Linken dieses Thema heute auf die Ta-gesordnung gebracht haben.
Dafür mein Kompliment. Es ist ganz wichtig – das hatauch der Kollege Zimmermann betont –, dass wir beidiesem Thema noch mehr Tempo machen, noch mehrÖffentlichkeit herstellen und noch mehr Dynamik in die-ses Thema hineinbringen. Wir brauchen das; denn – dasstimmt genauso – wir können hier in Deutschland alleinedie Probleme gar nicht lösen.Mir ist wichtig, festzustellen: Es ist richtig, dass wirhier darüber diskutieren; aber der Adressat der Vorwürfewegen der Probleme, die wir haben, ist nicht die Bundes-republik Deutschland oder diese Bundesregierung, son-dern die Adressaten, die diese Probleme verursachen,sind diejenigen, die eben genannt wurden, nämlich dieBeteiligten, die teilweise in Europa oder auf den Cay-man Islands den Unternehmen und anderen steuerlicheSonderkonditionen anbieten – und das auch noch in ei-ner Weise, dass dies verdeckt bleibt. Das ist der Kern desProblems. Damit müssen wir uns auseinandersetzen.Zur Lösung des Problems haben Sie, Herr Ernst, hierleider gar nichts vorgetragen.
Ich möchte an den guten Beitrag des KollegenZimmermann anknüpfen. Der hat nämlich sehr schönauseinandergesetzt, wie die Lösung aussehen kann. Ge-rade was die Lösung angeht, sind wir hier überhauptnicht die Adressaten irgendeiner Belehrung. Ganz imGegenteil: Der Bundesfinanzminister, der heute in Formdes Staatssekretärs hier vorhanden ist
– man muss sich denken, er sei Wolfgang Schäuble –, istdoch wirklich federführend bei diesem Thema, und erhandelt auf den beiden entscheidenden Gleisen. Es giltdoch, zweierlei zu bekämpfen: den Steuerbetrug und dielegale Steuervermeidung. Denn neben dem – natürlichillegalen – Steuerbetrug haben wir die legale Steuerver-meidung, die Sie zu Recht angesprochen haben. Wirmüssen uns jetzt mit der Frage beschäftigen, wie wirdiese Probleme lösen.Das Thema Steuerbetrug sind wir schon ganz über-zeugend angegangen. Um es ganz klar zu sagen: Ab2017 kann es einen Fall Hoeneß oder Alice Schwarzernicht mehr geben. Der wird nicht mehr vorkommen, weilwir dann nämlich den automatischen Informationsaus-tausch haben. Auch die Schweiz wird bis dahin diesesAbkommen unterzeichnen. Wir haben jetzt schon über50 Staaten, die in der vorvergangenen Woche dieses Ab-kommen über den automatischen Informationsaustauschhier in Berlin im Bundesfinanzministerium unterzeich-net haben. In Zukunft gibt es automatisch Konteninfor-mationen über die verschiedenen Finanzkonten, dieBeteiligte in Europa und in anderen Staaten, die das Ab-kommen unterschrieben haben – darunter sind mehrereSteueroasen: Jersey, Guernsey und andere –, unterhalten.Dann wird es Fälle wie Hoeneß oder Schwarzer nichtmehr geben. Das ist auch das Verdienst der Initiative un-seres Finanzministers. Das muss man an dieser Stelleganz deutlich sagen.
Hier brauchen wir überhaupt keine Belehrung und keineMarschbefehle von irgendwem. Wir sind vielmehr genauin der richtigen Spur.Das andere Thema ist die legale Steuervermeidung.Es ist gut, dass die jetzt untersucht wird und das Bundes-zentralamt für Steuern überprüft, ob bei den Luxembur-
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Dr. Mathias Middelberg
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ger Fällen deutsches Steuerrecht verletzt worden ist. Esist auch gut, dass die EU-Kommission der Frage nach-geht, ob unter Umständen Beihilfevorschriften verletztoder missbraucht worden sind. Auch das ist richtig.Aber wenn wir an die Zukunft denken und die Fragestellen, wie wir dieses Themas systematisch Herr wer-den können, dann müssen wir uns intensiv mit demThema BEPS auseinandersetzen; das hat der KollegeZimmermann richtigerweise angesprochen. Der BEPS-Aktionsplan ist die entscheidende Initiative auf dem vonuns eingeschlagenen Weg. Punkt 5 dieses Aktionsplansist in diesem Zusammenhang ausschlaggebend; da gehtes nämlich um das Stichwort „steuerschädlicher Wettbe-werb“. Es geht also nicht um einen Steuerwettbewerb,wenn er fair, transparent und offen stattfindet. Dagegenhaben wir nichts; das ist völlig in Ordnung. Einen sol-chen Wettbewerb gibt es auch zwischen Kommunen inDeutschland: Die eine Kommune hat eine höhere, dieandere eine niedrigere Gewerbesteuer. Das darf esdurchaus geben; die Regeln müssen nicht überall gleichsein. Aber man muss offen, transparent und mit klarenInformationen miteinander umgehen.Die BEPS-Initiative, von Wolfgang Schäuble unddem britischen Finanzminister gemeinsam angestoßen,ist der entscheidende Hebel, um dieser Probleme jetztHerr zu werden. Richtigerweise wurde erwähnt, dassAngela Merkel an diesem Wochenende mit den anderenStaats- und Regierungschefs im G-20-Kontext diesesThema einen wesentlichen Schritt voranbringt, indem 7von 15 Punkten für klare steuerliche Bedingungen in derWelt vereinbart werden. Wir können nur auf der Ebenedes multilateralen Austauschs, der multilateralen Eini-gung vorankommen. Das ist die einzige Möglichkeit, umhier wirklich zu Ergebnissen zu kommen. Da hilft unsauch keine Kavallerie oder sonst etwas. National könnenwir dieses Problem nicht lösen; eine Lösung gibt es nurauf internationaler Ebene.Nicht unrichtig war auch der Satz, den Herr Schickgesagt hat. Auch ich erwarte jetzt, dass Herr Juncker Teilder Lösung wird. Das müssen wir alle von ihm in derFunktion eines Kommissionspräsidenten erwarten kön-nen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die Fraktion Die Linke erhält jetzt
das Wort der Kollege Richard Pitterle.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Mit den Luxemburg-Leaks hat diePresse den nächsten handfesten Steuerskandal aufge-deckt. Zwar sind die Bürgerinnen und Bürger schon eini-ges gewohnt, wenn es um Tricksereien großer Unterneh-men oder reicher Privatleute geht, aber dennoch sind dienun öffentlich gemachten Luxemburger Steuermodellenoch einmal ein herber Schlag in das Gesicht der ehrli-chen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.Meine Damen und Herren, es darf doch nicht sein,dass sich zum Beispiel die Deutsche Bank mit den Wirt-schaftsberatern von PricewaterhouseCoopers und denLuxemburger Steuerbehörden zusammensetzt und aus-klüngelt, wie man möglichst viel Geld am deutschen Fis-kus vorbeischleusen kann.
Den Berichten nach haben die an den Steuermodellenbeteiligten Unternehmen teils weniger als lächerliche1 Prozent Steuern auf ihre nach Luxemburg geleitetenGewinne gezahlt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, ichbitte Sie: Wie soll man den Leuten im Land, den kleinenHandwerksunternehmen oder den kleinen Zulieferern,die fleißig Steuern zahlen, erklären, dass große Kon-zerne wie die, die hier genannt worden sind – Amazon,Ikea, Eon oder eben die Deutsche Bank –, sich armrech-nen und ihre Gewinne nach Luxemburg verschieben, wosie dann wenig bis gar keine Steuern zahlen?Zu allem Überfluss nutzt sogar die Bundesregierungselbst den Finanzplatz Luxemburg. Das Bundesministe-rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwick-lung hat dort zusammen mit der Deutschen Bank und derKfW einen Fonds gegründet. Zur Begründung hieß esunter anderem, dass man dort keine Ertragsteuer zahlenmüsse und dass das Luxemburger Recht es erlaube, dassdie finanziellen Risiken vor allem von der Bundesregie-rung getragen werden. Im Klartext heißt das: Bei Verlus-ten des Fonds zahlt nicht nur die Deutsche Bank, son-dern zahlen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.Meine Damen und Herren, es wird weiter Vertrauen indie Politik zerstört, wenn wir nicht schnellstens handeln.Eigentlich müssten wir uns doch alle einig sein – sohabe ich das jetzt den Reden entnommen –: Solche Steu-ermodelle wie die in Luxemburg darf es nicht geben.Wir müssen dringend für mehr Transparenz bei der Un-ternehmensbesteuerung sorgen. Wir müssen gegen denschädlichen Steuerwettbewerb, der zwischen den Staatenbetrieben wird, vorgehen. Wir müssen dafür sorgen, dassSteuern grundsätzlich da gezahlt werden, wo auch dieWertschöpfung stattfindet.
Uns allen muss bewusst sein, dass es in der Verant-wortung des Gesetzgebers liegt, Rahmenbedingungen zuschaffen, die solche dreisten Vorgehensweisen wie beiden Luxemburger Steuermodellen ausschließen. Sie ha-ben vorhin gefragt: Was schlägt die Linke vor? Die Frak-tion Die Linke hat schon vor vielen Jahren vorgeschla-gen, eine generelle Anzeige- und Registrierungspflichtfür Steuergestaltungsmodelle zu schaffen. Das haben Siehier abgelehnt. Wären Eon und die Deutsche Bank schondamals gezwungen gewesen, ihr Luxemburger Modellanzuzeigen, hätten wir als Gesetzgeber schon deutlichfrüher darauf reagieren können und dem Staat wärenmöglicherweise erheblich weniger Verluste entstanden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6095
Richard Pitterle
(C)
(B)
Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,Sie müssen sich an dieser Stelle schon die Frage gefallenlassen, welche einzelnen Kenntnisse Sie zu welchemZeitpunkt über diese Steuermodelle hatten. Sie müssensich außerdem dazu erklären, was Sie zur Bekämpfungdieser konkreten Steuergestaltungen tun wollen, und Siemüssen vor allem zur Rolle des EU-Kommissionspräsi-denten endlich eindeutig Stellung beziehen.Kommen wir daher zu Jean-Claude Juncker. Seit kur-zem ist der Mann Präsident der EU-Kommission. Wir er-innern uns, dass die Bundeskanzlerin letztlich einen ent-scheidenden Anteil daran hatte. Zuvor war Juncker über20 Jahre lang Finanz- und Premierminister Luxemburgsund zeitweilig noch Vorsitzender der Euro-Gruppe – dasalles zu einer Zeit, in der auch die Luxemburger Steuer-modelle etabliert wurden. Meine Damen und Herren, beiallem Respekt: Es ist doch absurd, anzunehmen, dassJuncker von alledem nichts gewusst hat.
Es würde schon von großer Inkompetenz zeugen, wennein Finanzminister 20 Jahre lang nicht mitbekommt, wasin seinem Haus passiert, zumal Luxemburg nicht geradeunübersichtlich ist.
Viel wahrscheinlicher ist also, dass Juncker durchausKenntnis von den nun aufgedeckten Steuermodellenhatte. Dann müssen wir uns aber fragen, ob so jemandder Richtige für den Posten des EU-Kommissionspräsi-denten ist.
Wenn die EU-Kommission die Aufgabe hat, gerade ge-gen solche Steuervermeidungsstrategien vorzugehen, dannhätte man tatsächlich – darauf hat mein Kollege Ernsthingewiesen – den Bock zum Gärtner gemacht.Eine Sache noch zuletzt: Herr Juncker wird verschie-dentlich unter Hinweis auf die Unschuldsvermutung inSchutz genommen, so zum Beispiel seitens des CSU-Abgeordneten Ferber im Europaparlament. Der EU-Kom-missionspräsident ist aber nicht Angeklagter in einemStrafverfahren, für den dann selbstverständlich die Un-schuldsvermutung zu gelten hätte. Hier geht es viel-mehr um politische Verantwortung – ich komme zumSchluss –, und genau diese muss Herr Juncker für die inseiner Amtszeit etablierten Luxemburger Steuermodelleübernehmen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Für die Bundesregierung erhält jetzt
das Wort der Parlamentarische Staatssekretär Steffen
Kampeter.
S
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren!
Ja, es ist richtig: Diese Aktuelle Stunde tut not.
Sie tut not, weil die Rede des ersten Abgeordneten vonder Linken gezeigt hat, dass er in den letzten fünf Jahrenin der internationalen Steuerpolitik offensichtlich ge-schlafen hat;
zumindest hat er keine der Maßnahmen mitbekommen,die wir als Bundesregierung mit Wolfgang Schäuble an-geschoben haben, um die beklagenswerten Missständein Teilen Europas zu verändern.
– Ich weiß nicht, Herr Kollege Ernst, ob Sie mit IhremPorsche gerade zu irgendeiner internationalen Solidari-tätskundgebung unterwegs waren,
als Ecofin und Euro-Gruppe diese Fragen im Detail erör-tert haben, und Ihren parlamentarischen Unterrichtungs-bedarf ignoriert haben. Deswegen will ich an dieserStelle einmal die Position der Bundesregierung erläu-tern.Steuergerechtigkeit, Transparenz und Fairness habenselbstredend auch für internationale Konzerne zu gelten;dies wird keiner in diesem Hohen Hause infrage stellen.Diese müssen sich wie alle anderen auch an der Finan-zierung der öffentlichen Haushalte beteiligen.
Es ist ein Prinzip unserer Steuerpolitik, dass unterneh-merische Gewinne dort besteuert werden, wo die ent-sprechenden unternehmerischen Aktivitäten und die tat-sächliche Wertschöpfung stattfinden.
Daran kann überhaupt gar kein Zweifel bestehen, meinesehr verehrten Damen und Herren. Das war die steuer-politische Grundlinie der Politik in den letzten Jahren,und die wird von der Großen Koalition konsequent wei-terverfolgt.
Der Kollege Middelberg hat darauf hingewiesen, dasswir zwischen illegalen und möglicherweise illegitimenSteuerpraktiken unterscheiden müssen. Es bleibt aberrichtig, dass wir die Dinge nur durch internationale Zu-
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Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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sammenarbeit für mehr Fairness und für mehr Transpa-renz im Steuerbereich in den Griff bekommen. Deswe-gen will ich an dieser Stelle einmal hervorheben, wasden Kollegen der Linken offensichtlich entgangen ist,nämlich dass wir vor kurzem was den internationalen In-formationsaustausch angeht hier ein Treffen von mehrals 50 Finanzministern hatten, die eine Erklärung unter-zeichnet haben, nach der wir in diesen Steuerfragen zu-künftig kooperieren und Transparenz schaffen. Das istein grundlegender Qualitätsfortschritt. Das ist eine epo-chemachende Veränderung.Ich habe ja das Beispiel mit der Kavallerie nicht ange-sprochen; das war ein Kollege unseres Koalitionspart-ners.
Die Pferde sind in dieser Frage lange auf der Rennbahngewesen,
und mit der Unterzeichnung des automatischen Informa-tionsaustausches sind sie durch die Ziellinie gelaufen.Das ist ein Quantensprung für mehr Fairness in der Be-steuerung.
– Ihre Aufregung zeigt mir eigentlich nur, dass Sie of-fensichtlich wirklich gepennt haben.
Netter oder auch anders kann ich es nicht beschreiben,wenn Sie ignorieren, dass ein Tatbestand, den Sie hier zuRecht beklagen,
schon seit vielen Jahren von der Politik adressiert wird.
Manchmal ist der Fortschritt schneller, und manchmal istder Fortschritt langsamer. Die Richtung stimmt, und derautomatische Informationsaustausch ist ein wichtigerBereich.Der zweite Punkt: die BEPS-Initiative. Das klingt wieein Gummibärchen. Dabei geht es aber um nichts ande-res, als das Problem zu adressieren, dass internationaleKonzerne Gewinne nicht dort versteuern, wo sie entste-hen, sondern sie dorthin verschieben, wo sie präferen-ziell besonders privilegiert sind. Deswegen war es rich-tig, dass Wolfgang Schäuble nicht nur mit nationalerGesetzgebung etwas tut, sondern gemeinsam mit dembritischen Finanzminister – Sie haben ja freundlicher-weise darauf hingewiesen, Herr Kollege – Staaten einge-laden hat, dieses Problem in internationaler Kooperationanzugehen. Es ist nämlich unanständig, wenn man Ge-winne nicht dort versteuert, wo sie entstehen, sondern sieverlagert
und das Gemeinwesen damit um die Erträgnisse derWertschöpfung bringt. Aber anstatt es zu ignorieren, wieSie es in der Diskussion getan haben,
sind wir jetzt nicht nur national, sondern auch aufOECD-Ebene und G-20-Ebene auf dem Weg, Grund-prinzipien fairer Konzernbesteuerung voranzutreiben.Wenn wir damit zu einem Ende gekommen sind, wirddas ein weiterer wichtiger Quantensprung in der interna-tionalen Steuerpolitik zu mehr Fairness und Gerechtig-keit bei der Besteuerung von Konzernen sein. Das ist gutund richtig so.Das findet – ich will das an dieser Stelle auch einmalhervorheben – ja über die Grenzen der Koalition breiteAnerkennung. Das, was zum Beispiel von den Grünenim Europaparlament zu dieser internationalen Koopera-tion zu hören ist, ist zumindest wesentlich freundlicherund anerkennenswerter als das, was der Kollege Schickhier im Hohen Hause vorgetragen hat. Die Richtungstimmt auch in diesem Punkt. BEPS ist ein großes Pro-jekt von Wolfgang Schäuble.
Drittens. Es gibt eine weitere Sache – nicht, dass Sie,Herr Kollege Ernst sagen: Das habe ich noch nie gehört –,nämlich die sogenannten Patentboxen. Hier geht es umdie Frage, wie man gewisse Dinge steuerlich präferen-ziell berücksichtigt. Da ist in dieser Woche zwischenGroßbritannien und Deutschland ähnlich wie bei derBEPS-Kooperation eine wichtige Einigung erzielt wor-den, nämlich so etwas nur da zu privilegieren, wo auchdie tatsächliche Wertschöpfung stattfindet. Wenn wirdieses Projekt, das wir vorantreiben, in der nächsten Zeitzu einem Abschluss bringen, bedeutet dies einen weite-ren, einen dritten wichtigen Quantensprung für mehrFairness bei der Besteuerung im internationalen Kon-text.
Es ist vorhin schon einmal durch Zwischenruf daraufhingewiesen worden – möglicherweise auch von Ihnen,Frau Kollegin Paus –, dass das eine Sache ist, die nichtvon heute auf morgen geht. Ich will aber an dieser Stelledem Eindruck entgegentreten, wir wären erst durch diedankenswerte Veröffentlichung weniger Journalistenaufgeweckt worden;
vielmehr haben wir das Problem im Ecofin, in der Euro-Gruppe, in der OECD, auf G-5-, auf G-7- und auf G-20-Ebene adressiert und sind weitere große Schritte voran-gekommen. Wir werden in diesem Eintreten für einefaire Besteuerung nicht nachlassen, meine sehr verehrtenDamen und Herren. Daran wird sich auch die Große Ko-alition messen lassen können.
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Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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Es geht auch um so kleine Dinge, wie zum Beispiel,dass man sich jetzt über einen Verhaltenskodex auf euro-päischer Ebene unterhält, dass die Grenze zwischen Le-galität und Legitimität mit Verhaltensregeln schärfer for-muliert wird,
dass wir auch in vielen anderen Bereichen zu Vereinfa-chungen kommen müssen; denn ein transparentes Sys-tem kann auch ein einfaches System sein.Meine sehr verehrten Damen und Herren, dies sindwichtige Dinge, bei denen die Große KoalitionWolfgang Schäuble weiter unterstützen wird. Ich kannIhnen nur sagen: Wir lassen uns in diesem Projekt vonkeinem überholen. Wir sind Treiber der Entwicklung.Die Große Koalition sorgt für mehr Steuergerechtigkeitin Europa und weit darüber hinaus.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion hat jetzt
Andreas Schwarz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der vergan-genen Woche haben wir an dieser Stelle über die Fort-schritte im internationalen Datenaustausch und die Ver-schärfungen bei der strafbefreienden Selbstanzeigegesprochen. Es ist gut, dass wir uns gemeinsam darüberGedanken machen, wie wir Steuerbetrug und Steuerver-meidung – auch legale – unterbinden wollen. Unser ge-meinsames Ziel ist es, dafür zu sorgen, dass den staatli-chen Ebenen die ihnen zustehenden Haushaltsmittel fürHaushaltskonsolidierung und Zukunftsinvestitionen zu-fließen. Umso verständnisloser waren wir, als am ver-gangenen Donnerstag öffentlich wurde, dass Luxemburgoffenbar jahrelang eine äußerst befremdliche Steuerge-staltung als Standortpolitik betrieben hat.Wie kann es sein, dass ein Land wie Luxemburg überJahre hinweg unter Beauftragung einer BeratungsfirmaSteuersparmodelle entwickeln ließ, die jeden fairenSteuerwettbewerb ad absurdum führen? Wir haben nichtvergessen, was Jean-Claude Juncker als Spitzenkandidatder Europäischen Volkspartei im März 2014 im Spiegelantwortete, als ihn Martin Schulz zu mehr Transparenzaufforderte. Ich zitiere:Wir haben … unter meinem Vorsitz 1997 beschlos-sen, die Zinssteuern in Europa zu harmonisieren.Wir haben einen Kodex gegen unfairen Steuerwett-bewerb aufgestellt. Es ist eine Mär, dass es inLuxemburg im Unternehmensteuerrecht Sonderre-gelungen gibt.
Der Vorwurf der französischen Sozialisten, ichhätte aktiv Steuerflucht gefördert, ist eine unerhörteAttacke auf mein Land und auf meine Person. Ichwerde mir das nicht bieten lassen.Meine Kolleginnen und Kollegen, das muss jetzt lü-ckenlos aufgeklärt werden. Ganz besonders interessiertuns dabei natürlich die Rolle des heutigen EU-Kommis-sionspräsidenten bei der Ausgestaltung dieser Steuer-deals.
Wir fordern deshalb die neue Kommission auf, sich umdie Aufklärung dieser skandalösen Enthüllungen zukümmern und umgehend zu reagieren. Im Sinne derBürgerinnen und Bürger wäre es sinnvoll, wenn dieKommission nun eine umfangreiche Gesetzesinitiativezum Kampf gegen Steuervermeidung vorlegt. Dieserruinöse Steuerwettbewerb, wie er von Luxemburg be-trieben wurde – übrigens nicht nur von Luxemburg –,muss jetzt endlich aufhören.
Die Steueroasen, auch in Europa, müssen endlich tro-ckengelegt werden; denn Hilfe beim legalen Steuerbe-trug schadet uns allen.Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die jüngstenÄußerungen des luxemburgischen Finanzministers, derdas Vorgehen seines Landes zwar legal, aber zugleichethisch und moralisch nicht vertretbar findet. Er fügtehinzu – ich zitiere –:Da muss etwas dagegen gemacht werden, das kannaber nur international gemacht werden.Unabhängig davon, dass wir da Luxemburg auch aufnationaler Ebene in der Pflicht sehen, unterstreicht dieAufdeckung des Falles Luxemburg die Dringlichkeitder Bemühungen der Bundesregierung, auf nationaler,europäischer und globaler Ebene gegen Steuerbetrugund -vermeidung vorzugehen.
Übrigens: Die gleiche Beratungsfirma, Pricewater-houseCoopers, die offenbar im Auftrag Luxemburgsdiese überaus fragwürdigen, schädlichen und skandalö-sen Steuersparmodelle entwickelt hat, hat im Augustdieses Jahres in einem Papier Länder und Kommunen zuintensiveren Sparanstrengungen aufgefordert. Natürlichmüssen Länder und Kommunen sparen; aber sich dasvon Leuten erklären lassen zu müssen, die mit dafür sor-gen, dass genau diesen Ländern und Kommunen durchSteuertricksereien Milliarden an Steuereinnahmen verlo-ren gehen, geht dann doch ein bisschen zu weit.
Da ist die Grenze zur Doppelmoral weit überschritten.Wenn alle, Privatpersonen wie Unternehmen, ihrer Steu-erpflicht nachkommen und Unternehmer vor allem da
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Andreas Schwarz
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Steuern zahlen würden, wo sie am Markt tätig sind, dannmüsste die öffentliche Hand nicht ständig sparen, bis esquietscht, und dringliche Investitionen in die ferne Zu-kunft verschieben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumSchluss. Der Fall Luxemburg in seiner ganzen Dimen-sion zeigt, wie viel Arbeit noch vor uns liegt. Wirwerden die Bundesregierung weiter tatkräftig dabei un-terstützen, auf allen Ebenen gegen Steuerdumping und -be-trug vorzugehen. Maßnahmen zur Bekämpfung undVermeidung von Steuerflucht haben für die SPD-Bun-destagsfraktion absolute Priorität. Wir werden da nichtlockerlassen.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Dr. ThomasGambke, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herrenauf den Zuschauerrängen! Herr Kampeter, eine Sache är-gert mich – das habe ich schon letzte Woche gesagt –:Vor zwei Jahren haben Sie und die Union dafür ge-kämpft, dass das Deutsch-Schweizer Steuerabkommenzustande kommt. Wäre es zustande gekommen, hätte esdie anonyme Amnestie gegeben. Bei einem Treffen vonMitgliedern des Finanzausschusses – auch Kollegen vonder Union waren dabei – mit Luc Frieden hat dieser klargesagt: Wenn ihr das Abkommen mit der Schweizschließt – das hätte anonyme Amnestie bedeutet, nichtautomatischen Informationsaustausch; mithilfe der Kol-legen von der SPD haben wir das damals Gott sei Dankverhindert –, dann werden wir einer Erweiterung derZinsbesteuerungsrichtlinie nicht zustimmen. – Es wärealso ein bisschen mehr Bescheidenheit von Ihrer Seiteangebracht.
Herr Kampeter, Herr Zimmermann, Herr Middelberg,Herr Michelbach, Sie alle haben von der Bedeutung vonBEPS, von fairem Steuerwettbewerb und vom unsolida-rischen Verhalten kleiner Länder gesprochen. Aber Siemüssen doch auch einmal konkret werden und Maßnah-men benennen. Der Finanzminister von Hessen hat dieEinführung einer sogenannten Lizenzschranke verlangt,die dann greift, wenn im Empfängerland nicht eine Min-destbesteuerung von 25 Prozent erfolgt. Das ist ein kon-kreter Vorschlag, der allerdings aus wohl guten Gründenzurückgewiesen worden ist. Ich fordere Sie auf: MachenSie einen konkreten Vorschlag, nennen Sie Zahlen! Wirsagen: Unternehmen müssen einschließlich aller Lizen-zen und Patente mit mindestens 15 Prozent besteuertwerden. Das müssen wir in den Fokus rücken.Sie müssen bekennen: Was meinen Sie denn damit,wenn Sie sagen, dass unfairer Steuerwettbewerb be-kämpft werden soll? Man muss Zahlen nennen. Manmuss sich konkrete Ziele setzen, aber darf nicht nur ne-bulös sagen: Wir wollen einen fairen Steuerwettbewerb.Den gibt es nämlich nur dann, wenn wir einen entspre-chenden gesetzlichen Rahmen setzen, und das müssenwir tun.
Die Lizenz- und Patentbox gibt es nicht nur inLuxemburg, in den Niederlanden und auf Malta; sie wirdjetzt auch in Irland eingeführt. Irland hat zugesagt, einesder größten Loopholes, eines der größten Steuerschlupf-löcher, den Double Irish, zu stopfen. Aber was hat es ge-macht? Es kündigt eine Lizenzbox an. Alle Steuerberaterund auch die Steuerexperten der großen Konzerne sagenmir ganz klar: Solange es große Gefälle in der Besteue-rung gibt – und eine Lizenzbox mit einer Besteuerungvon 5 Prozent ist ein Riesengefälle –, werdet ihr Steuer-gestaltung haben. – Wenn sie das jetzt zusammen mitEngland und auch Deutschland einführen, dann werdenweiterhin Steuerschlupflöcher existieren. Es wird immernoch Steuergestaltung geben, und das ist nicht tragbar.
Als Mittelstandsbeauftragter meiner Fraktion be-komme ich die Meinung des Mittelstandes mit, der dieseMöglichkeiten nicht hat. Er wird keine vermindertenSteuersätze nutzen können, weil er außer dem eigenenKnow-how keine Patenteinnahmen zu verwerten hat.Mittelständische Unternehmen werden gegenüber denKonzernen schlechter gestellt. Ein böser Satz des Mittel-standes lautet: Die großen Konzerne brauchen die Steu-ernachlässe, weil sie ineffizienter sind. Wir im Mittel-stand sind effizient, aber wir müssen die Steuerlasttragen. – Das ist nicht tragbar.
Es wurde auf die Rolle der großen Wirtschaftsprü-fungsgesellschaften – ich will nicht nur die eine nennen –eingegangen. Wir müssen uns fragen, ob da wirklich aufAugenhöhe verhandelt wird. Ich habe heute Morgenschon im Finanzausschuss gesagt: Wir können Gruppen-anfragen machen. – Warum wird das nicht gemacht? Ichhabe nachgefragt. Der Finanzminister antwortete mir:Wir müssen das mit den Ländern abstimmen. – Schonseit zwei Jahren könnten Sie Gruppenanfragen machen.Das heißt, Sie könnten im Rahmen von Doppelbesteue-rungsabkommen Finanzbehörden in anderen Ländernfragen – ganz allgemein, Sie brauchen gar keinen kon-kreten Fall –: Was ist denn da los? – Sie tun das abernicht und sagen: Wir müssen das erst mit den Länder-finanzbehörden abstimmen.Wir haben den Vorschlag gemacht, eine Large TaxPayer Unit als eine Art Bundesbehörde – wie auch im-mer sie das organisatorisch machen wollen – einzurich-ten, um die Schwierigkeit, die wir in Deutschland durchdie verschiedenen Landesbehörden haben – sie arbeitennicht immer gut zusammen, es gibt unterschiedliche
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Dr. Thomas Gambke
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Software, möglicherweise andere kommunikative Pro-bleme –, anzugehen.Gehen Sie das Thema an und richten Sie endlich eineBundessteuerbehörde ein, die das leisten kann, was Sieverlangen, die auf Augenhöhe mit den großen Konzer-nen verhandeln kann.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Olav Gutting,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Luxemburg und andere bekannte Staaten haben in denletzten Jahren, ja Jahrzehnten immer wieder Steuerge-staltungs- und Steuervermeidungsmodelle angeboten.Das haben wir geahnt. Wir haben es vermutet, teilweisesogar gewusst. Also ist das Ganze hier keine Sensation.Eine Sensation aber ist, dass es jetzt zu gelingenscheint, dem Unwesen der internationalen Steuervermei-dungsstrategien peu à peu einen Riegel vorzuschieben.
Und dieser Fortschritt hat einen Namen: WolfgangSchäuble.
Dass es die BEPS-Initiative der OECD gibt, ist ein ganzwesentlicher Erfolg von Wolfgang Schäuble, zusammenmit dem britischen Finanzminister.Vor wenigen Tagen haben wir hier in Berlin im Rah-men der Berlin Tax Conference mit 51 Staaten Abkom-men zum automatischen Informationsaustausch in Steu-ersachen geschlossen. Das ist die Sensation. Dass esgelungen ist, zum Beispiel die Schweiz von der Notwen-digkeit einer solchen Vereinbarung zu überzeugen, ganzohne Kavallerie,
und dass es gelungen ist, Irland von der Abkehr vomDouble-Irish-Prinzip zu überzeugen, das sind die wichti-gen Meldungen dieser Tage. Das ist ein großer Erfolg.
Wissen Sie, es muss einen ja nicht verwundern, wennUnternehmen alle Möglichkeiten zum Steuersparen nut-zen.
Damit verhalten sie sich im Wesentlichen nicht andersals die meisten Privaten in diesem Land auch. In Ord-nung ist das aber nicht, und das müssen wir unserenNachbarn sagen, den Niederlanden, Luxemburg, derSchweiz und vielen anderen: Liebe Freunde, alles, waslegal ist, ist noch lange nicht legitim.Jetzt gilt es, den Blick nach vorne zu richten. Luxem-burg hat sich hinsichtlich der Weitergabe von Informa-tionen bisher nicht sonderlich kooperativ verhalten. Daswird jetzt zum Lackmustest für die Europäische Kom-mission. Ich erwarte, dass das eingeleitete Vertragsver-letzungsverfahren gegen Luxemburg jetzt konsequentdurchgezogen wird.
Ich erwarte, dass die Europäische Kommission ohneweitere Zeitverzögerungen – jetzt im Galopp – die fürdie beihilferechtlichen Prüfungen der Besteuerung vonUnternehmen notwendigen Informationen vonLuxemburg, aber auch von allen anderen betroffenenLändern erhält.Der angestrebte Austausch und die gegenseitige In-formation über die sogenannten Rulings – wir haben dasvorhin schon gehört – ist ein ganz zentraler Bestandteilder BEPS-Initiative. Unsere Bundesregierung ist derMotor in Europa. Sie wird sich, Herr Kollege Gambke,in wenigen Tagen in Brisbane beim G-20-Gipfel in Aus-tralien dafür einsetzen, dass die Arbeiten der OECD zumBEPS-Projekt bereits 2015 abgeschlossen werden. Dasbedeutet ganz konkret, Herr Kollege, eine länderspezifi-sche Berichterstattung. Das bedeutet Überprüfung derTax Rulings durch die Kommission. Das bedeutet eineBeschleunigung der Verfahren gegen Luxemburg, dieNiederlande, Malta, Gibraltar und Irland. Das bedeutetauch eine Pflicht zur Meldung von Steuergestaltungs-modellen. Das erste Mal seit vielen, vielen Jahren gibt esjetzt Fortschritte nicht nur im Kampf gegen Steuerhinter-ziehung, sondern auch im Kampf gegen Steuervermei-dungsmodelle.Ich bin bereits seit einigen Jahren in diesem Haus mitFinanzpolitik befasst. Ich kann mich noch gut an die vie-len Debatten erinnern, in denen wir darüber geredet ha-ben, wie wir Steuergestaltungsmodelle im internationa-len Bereich verhindern können. Ich kann mich guterinnern, dass das politische Handeln in der Regel aufder Strecke blieb. Mit Wolfgang Schäuble als Finanz-minister hat sich dies wohltuend geändert. Es ist nichtnur so, dass wir im nächsten Jahr zum ersten Mal seitüber 40 Jahren eine schwarze Null im Haushalt schrei-ben, sondern auch so, dass allein die Zahl der währendder Amtszeit von Wolfgang Schäuble abgeschlossenenOECD-Abkommen Bände spricht: weit über 50. Das,meine Damen und Herren, bedeutet mehr Steuergerech-tigkeit – gerade auch für unsere Mittelständler bzw. Fa-milienunternehmen, die nicht irgendwelche Rulings, Ab-kommen oder Tax Deals mit Luxemburg abschließenkönnen, sondern in Deutschland wirtschaften und hiersauber ihre Steuern bezahlen.
Unser Bundesfinanzminister Wolfgang Schäublekämpft erfolgreich gegen diese Steuervermeidungsmo-delle auf internationaler Ebene. Es gibt einen teilweiseruinösen Steuerwettbewerb unter den Staaten. Das zu
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Olav Gutting
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überwinden, darum geht es jetzt. Es gibt große Wider-stände. Wir sollten in unser aller Interesse WolfgangSchäuble, unseren Finanzminister, bei diesem gemeinsa-men Kampf unterstützen.
Vielen Dank. – Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der
Kollege Lothar Binding.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte erst etwasGutes über das BMF sagen. Es hat nämlich mit der Ein-richtung einer Arbeitsgruppe sehr schnell reagiert, umdie neuen Erkenntnisse hinsichtlich der deutschen Unter-nehmen zu untersuchen. Das war sehr gut. Allerdingsdenke ich, dass wir diese Aktivitäten von HerrnSchäuble nicht überhöht darstellen können. Denn manmuss schon sagen: Der lange Kampf um bilaterale Ab-kommen hat eigentlich die Bemühungen um internatio-nale Abkommen untergraben. Das war keine gute Ent-wicklung.
Im Finanzausschuss haben wir schon lange Vermu-tungen angestellt. Ich weiß, dass sich Joachim Poß seit15 Jahren kritisch mit den Luxemburger Verhältnissenauseinandersetzt. Auch haben wir viel gemacht. Wir ha-ben die Steuerhinterziehung bekämpft und für die Ab-schaffung bzw. das Schließen von Steuerschlupflöcherngekämpft. Unsere Aktivitäten münden jetzt in BEPS.Und doch ist viel hinter unserem Rücken passiert.Mich erschreckt, wie wenig wir wirklich gewusst –vermutet haben wir etwas – haben. Das gilt auch – wasuns zu denken gibt – für den Ecofin-Rat. Ebenfalls giltes für die Linke, die auch nichts gewusst hat. Deshalbsollte sie jetzt nicht simulieren und so tun, als habe siemehr Informationen verfügbar.
Deshalb müssen sich unsere Arbeitsabläufe ändern. DerEcofin-Rat muss mehr wissen. Seine Vertreter müssenim Ausschuss mehr sagen, und die Parlamente müssenbesser informiert werden.
Deshalb bin ich dem ICIJ sehr dankbar, dass er dieseUntersuchungen aufgenommen, die Whistleblower-In-formationen verwertet und von der Vermutung über denBeweis zur Erkenntnis gekommen ist. Das gibt uns inder Politik eine völlig andere Handhabe. Davon wollenwir dann auch Gebrauch machen.Wir sehen, dass es bei gut beratenen internationalenKonzernen absurde Steuergestaltungen gab. Es gab Kon-struktionen, die dazu führten, dass für Milliardenge-winne unter 1 Prozent Steuern gezahlt wurden. Das istinternational zu ächten. Wir glauben, dass es ein wirk-lich schwerer Fehler war – es widerspricht auch den Ein-drücken, die man hatte –, dass Luxemburg so etwas ganzoffiziell genehmigt hat.Wir haben so lange Vertrauen in die Finanzverwaltun-gen und in Regierungschefs, in Finanzminister und indie Expertise der Big Four, bis es enttäuscht oder zerstörtwird. Dann ist aber auch Schluss damit.Ich hoffe sehr, dass sich Jean-Claude Juncker nun alsvertrauenswürdiger Präsident erweist. Er hat auf be-stimmten Gebieten eine ganz besondere Expertise er-langt. Mit dieser Expertise kann er all das, was wir heutekritisieren, erfolgreich bekämpfen. Ich glaube, daransollten wir künftig seine Arbeit messen; denn ein guterEuropäer kann sich besonders im Amt des Kommis-sionspräsidenten beweisen. Wo sonst könnte er es besserals dort?
Er muss jetzt handeln, aufklären und korrigieren. Ichglaube, es darf nicht so bleiben, wie es jetzt ist. Gespanntbin ich, ob Jean-Claude Juncker das für sich selbst hin-bekommt.Wir haben schon viel von Tax Rulings gehört. Das be-deutet, dass die Luxemburger Steuerbehörde den Unter-nehmen mitteilt, welche Steuerlast auf sie zukommt. Siemüssen sich einen internationalen Konzern mit Milliar-denumsätzen und einem vermuteten Gewinn von Hun-derten Millionen Euro vorstellen. Der bekommt dannplötzlich einen Bescheid oder – so würden wir essagen – eine verbindliche Auskunft, obwohl das nichtsmit Tax Rulings zu tun hat. Jedenfalls bekommt er dieZusicherung, dass man davon ausgeht, dass – ohne Be-rücksichtigung des Ertrags – 6 bis 7 Millionen EuroSteuern anfallen. Das heißt, eine Steuer wird gewinnun-abhängig zugebilligt. Dieser Widerspruch kann rationalgar nicht aufgelöst werden. Da muss unbedingt sehr vielpassieren.Ich bin auch gespannt, ob die Luxemburger ihre Ge-setze nun hinreichend schnell ändern. Denn das war ja inLuxemburg rechtsförmlich. Da muss jetzt etwas passie-ren. Wir können es bei Appellen belassen, aber die Frageist: Was passiert da eigentlich rechtsförmlich in be-stimmten Staaten, auch in Großherzogtümern? Schließ-lich wollen wir nicht ständig über Amazon, Fiat usw. re-den. Es geht darum, welche Modelle – auch von derKPMG entwickelt – in Luxemburg legal akzeptiert wer-den. Deshalb haben wir die Anforderung an andere Län-der, diesen Steuerwettbewerb endlich zu beenden.
Das Besondere ist, dass diese Steuervereinbarungenentlang dieser Tax Rulings auf Annahmen beruhen, dienicht überprüft werden. Was ist das eigentlich für einRechtssystem, dass eine Steuerbehörde etwas annimmt,nicht überprüft, ob es überhaupt der Richtigkeit ent-
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Lothar Binding
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spricht oder gar irgendwie wirklichkeitsnah ist, und da-raufhin etwas ausgibt, das wir schon beinahe Steuer-bescheid nennen würden, also sozusagen einenSteuerbescheid im Voraus? Das ist eine völlig absurdeWelt.Ich muss ehrlich sagen, dass wir uns das so nicht ha-ben vorstellen können. Es mag ja sein, dass andere dasalles gewusst haben. Wir haben Vermutungen angestellt,aber das Wissen erst heute erlangt. Wir glauben, dass wirauf der Basis dessen, was wir heute wissen, bezogen aufdie Anforderungen an die Gesetzgebung auch in anderenLändern sehr viel klügere Europapolitik machen könnenals bisher. Insofern sind wir seit heute auf einem besse-ren Weg.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Jürgen Hardt,
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist an der Zeit, der Fraktion Die Linke dafür zu dan-ken, dass sie uns heute die Gelegenheit gibt, hier diewirklichen und wahrhaftigen Fortschritte mit Blick aufdie Politik für mehr Steuergerechtigkeit darzulegen.
Diese Debatte ist auch eine Gelegenheit, deutlich zu ma-chen, dass Europa, dass die Europäische Union einenwesentlichen Schlüssel zur Lösung von Steuerungerech-tigkeit für Unternehmen und für Privatleute auf der Weltdarstellt. Denn die Europäische Union ist genauso wiedie OECD eines der großen beiden Felder, auf denen wirmehr Steuergerechtigkeit erreichen können. Die deut-sche Bundesregierung ist dort im Driver’s Seat, wie manso schön sagt, sie ist eine der zentralen treibendenKräfte. Nicht umsonst hat die BEPS-Konferenz hier inBerlin stattgefunden. Dort ist das MCAA-Abkommengeschlossen worden, nach dem zukünftig Daten ausge-tauscht werden sollen.Steuerhinterziehung durch international geschicktePlatzierung von Gewinnen wird schwieriger denn je. Ichfreue mich auch, dass der Bundesfinanzminister gesternin einem Brief an den Kommissar Moscovici geforderthat, dass die Europäische Union mehr Transparenz beiden Regeln, bei diesen Rulings, also bei der Ausgestal-tung von entsprechenden Steuergestaltungsmöglichkei-ten, in den Mitgliedstaaten verlangt. Ich freue mich, dassder Präsident der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, vor wenigen Minuten bekannt gegebenhat, dass seine Kommission eine entsprechende Richtli-nienüberarbeitung vorbereitet, nach der es zukünftig not-wendig wird, dass ein Land, das unter bestimmten Vo-raussetzungen entsprechende Steuernachlässe gewährt,die Regeln, nach denen das erfolgt, und die Tatsache,dass es erfolgt, den anderen Mitgliedstaaten meldet, so-dass die Finanzbehörden der betroffenen Länder entspre-chend reagieren können.Es ist ja schon ein Ärgernis; das möchte ich ganz klarsagen. Wenn man in Luxemburg durch die UnterstadtGrund läuft, marschiert man an einem schönen Büro-gebäude vorbei. Viele von Ihnen kennen es, weil es aneinem der Wege liegt, die man entlanggeht, wenn mansich das schöne Luxemburg anschaut. Dort befindet sicheine Büroetage, in der auch ein paar Leute arbeiten. Ander Tür ist ein Schild, das besagt, dass sich dort dieEuropazentrale eines der größten Internetversandhan-delsunternehmen der Welt befindet. Dass dort nicht dasGeschäft abgewickelt wird, das das Unternehmen tat-sächlich repräsentiert, ist klar.Es gilt auch die Regel, dass zwar jeder seinen Unter-nehmenssitz wählen kann, wo er will, aber dass er natür-lich dort Steuern zu zahlen hat, wo der Aufwand stattfin-det. Die mittelständischen Unternehmen wie die großenUnternehmen in Deutschland wissen, dass sie, wenn sieZinsen für vom Mutterkonzern in einem anderen Landgeliehenes Geld zahlen oder wenn sie ganz konkret fürLizenzen zahlen müssen oder wenn sie Fabrikabgabe-preise für Unternehmen im Ausland haben, die ihre Gü-ter vertreiben, sehr gut aufpassen müssen, dass sie realis-tische, marktübliche Werte ansetzen und dass sie aufdiese Weise nicht Gewinne in Länder verschieben, in de-nen die Zinsen niedriger sind. Ich habe Vertrauen in diedeutsche Finanzverwaltung, dass das auch in hohemMaße so stattfindet.Mit Blick auf das, was jetzt in Luxemburg vorgefallenist, bin ich erstens sicher, dass die EU-Kommission, dieKommissarin für Wettbewerb, Frau Vestager, ganz ge-nau hinschauen wird, ob Verstöße gegen EU-Wettbe-werbsrecht vorliegen, und dass, wenn hier tatsächlichdas EU-Subventionsrecht verletzt worden ist, eine unge-schönte Rechnung an Luxemburg geschrieben wird.Ich glaube darüber hinaus, dass die Initiative derKommission, zukünftig für Transparenz zu sorgen, einwichtiger Schritt ist. Ich glaube aber auch, dass wir denSteuerwettbewerb insgesamt nicht ausschalten dürfen,weil er auch ein stabilisierendes, ein disziplinierendesInstrument für überbordende Staatssteuern ist.
Aber natürlich müssen die Leitplanken so gestaltet sein,dass es zu keinen ungerechten Verzerrungen innerhalbdes Steuersystems kommt. Das Belegenheitsprinzipmuss in der gesamten Europäischen Union stärker zurAnwendung kommen. Das wird uns helfen, dann auchgerecht zu besteuern.Es ist eine große Stunde und eine große Chance fürdie EU-Finanzpolitiker, auf der Basis dieser Diskus-sion im Hinblick auf die Rückendeckung der Öffent-lichkeit ein Stück weit voranzukommen. Es ist aucheine große Chance für einzelne Staaten wie zum Bei-spiel Luxemburg, was die Fähigkeit zur Einsicht angeht,dass sich im Land etwas ändern muss. Ich glaube, dass
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6102 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014
Jürgen Hardt
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wir aus dieser Diskussion insgesamt viele gute Impulsemitnehmen werden.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Margaret Horb,
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Worüber haben wir gerade geredet? Wir diskutierten
über legale, aber aggressive Steuervermeidungsmodelle
von Unternehmen im internationalen und nationalen Be-
reich. In Luxemburg sollen fast 350 Unternehmen soge-
nannte Tax Rulings genutzt haben, um ihre Steuerlast zu
senken. Tax Rulings sind verbindliche Zusagen einer
Finanzbehörde an ein Unternehmen zur Anwendung des
Steuerrechts, also Verwaltungsentscheidungen. Dass diese
Tax Rulings jedoch der dringenden Prüfung und Trans-
parenz bedürfen, geht aus Dokumenten hervor, die in der
vergangenen Woche veröffentlicht wurden. So weit die
Fakten.
Doch in der aktuellen Debatte geht es um weit mehr
als um Steuergestaltung. Es geht auch um Fairness und
Gerechtigkeit. Es zeichnet eine Marktwirtschaft aus,
dass Unternehmen Gewinne erzielen wollen und mitei-
nander im Wettbewerb stehen. Aber ein funktionierender
Wettbewerb, egal ob national oder international, braucht
Regeln und ein Spielfeld, das niemanden benachteiligt.
Ein Fußballspiel wäre höchst ungerecht, wenn der Fuß-
ballplatz an einem Hang liegen würde und eine Mann-
schaft immer bergauf spielen müsste.
Das Gleiche muss auch für den Steuerwettbewerb
gelten. Es kann also nicht sein, dass die Global Player
verschiedene nationale Steuerrechte gegeneinander
ausspielen und sich die Regeln aussuchen, nach denen
sie spielen wollen, während die Local Player, also unsere
Mittelständler, Handwerksmeister, Bäcker, Metzger vor
Ort diese Möglichkeit nicht haben. Die können nämlich
keine Tochtergesellschaften auf den Cayman Islands
oder in Luxemburg gründen, und – wahrlich und gottlob –
das wollen die auch nicht.
Beim Fußball gelten bei der Weltmeisterschaft auch
keine anderen Regeln als bei den Spielen in der Bezirks-
liga. Deshalb muss jeder Bürger und jede Bürgerin, jeder
Selbstständige, jeder Gewerbeleistende, jedes Unterneh-
men, egal ob groß oder klein, nach der steuerlichen Leis-
tungsfähigkeit seinen fairen Beitrag zur Finanzierung
unseres Gemeinwesens leisten. Das ist eine Selbstver-
ständlichkeit und sollte eine Selbstverständlichkeit sein.
Wenn wir dieses Prinzip nicht durchsetzen, dann
schadet das am Ende uns allen. Wir brauchen die Steuer-
einnahmen. Wir brauchen sie für unsere Straßen in den
Städten, Gemeinden und Ortschaften. Wir brauchen die
Steuereinnahmen für unsere Kinder, für die Kindergär-
ten, für die Schulen, für die Universitäten, für unser Ge-
sundheitswesen und für vieles mehr.
Es schadet im Übrigen nicht nur dem deutschen Staat,
sondern allen Staaten weltweit, wenn sie sich bei der Be-
steuerung von Großkonzernen gegeneinander ausspielen
lassen. Aggressive Steuergestaltung können wir in einer
globalisierten Welt nur durch internationale Abstim-
mung verhindern. Nationale Alleingänge gehören in das
19. Jahrhundert und somit der Vergangenheit an.
Kaum jemand treibt den Kampf gegen Steuerhinterzie-
hung und Steuervermeidung so voran wie wir, nicht nur
innerhalb der EU, sondern auch im Rahmen der OECD
und der G 20 weltweit. Daher geht auch mein Dank ganz
besonders an unseren Bundesfinanzminister Dr. Wolfgang
Schäuble.
Die Fragen, auf die eine Antwort zu geben ist, sind
komplex und alles andere als trivial: Wie verhindern wir,
dass Betriebsausgaben in zwei Ländern doppelt abgezo-
gen werden? Wie stellen wir sicher, dass Gewinne dort
versteuert werden, wo sie erwirtschaftet werden? Es geht
hier um Verrechnungspreise, hybride Gestaltungen und
um das Zusammenspiel ganz unterschiedlicher interna-
tionaler Steuersysteme. Etwas Komplizierteres im Steu-
errecht gibt es kaum.
Trotzdem haben wir in unglaublich schneller Zeit
schon erste Ergebnisse erreicht, weitere werden und
müssen folgen. Der G-20-Gipfel am kommenden Wo-
chenende in Brisbane wird gerade bei den Tax Rulings
für mehr Transparenz sorgen. Zum speziellen Fall dieser
Rulings in Luxemburg prüft die Bundesregierung, in-
wieweit deutsche Unternehmen involviert und betroffen
sind. Auch die EU-Kommission sieht sich die Unterla-
gen sehr genau an, und das ist gut so. Diese Prüfungen
werden wir abwarten und daraus unsere Konsequenzen
ziehen.
Wir haben in diesem Bereich der Steuerpolitik eine
ganz klare Linie: Steuerhinterziehung verhindern, Steu-
ervermeidung bekämpfen, internationale Abstimmung
mit unseren Partnern, Steuereinnahmen sichern – das
Ganze mit Beharrlichkeit und Konsequenz. Diese Linie
werden wir weiter fahren.
Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Frau Kollegin Horb. – Die AktuelleStunde ist beendet. Wir sind damit am Schluss unsererheutigen Tagesordnung angekommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 65. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 12. November 2014 6103
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-destages auf morgen, Donnerstag, den 13. November2014, 9 Uhr, ein.Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen alleneinen hoffentlich nicht zu arbeitsintensiven Restmitt-woch.