Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.Ich begrüße Sie alle herzlich, liebe Kolleginnen undKollegen, zu unserer 56. Sitzung und darf Ihnen zu-nächst eine amtliche Mitteilung vortragen.Interfraktionell ist vereinbart worden, die Unterrich-tung der Bundesregierung zur Stellungnahme des Bun-desrates und zur Gegenäußerung der Bundesregierungauf Drucksache 18/2709 zu dem bereits überwiesenenEntwurf eines Zwölften Gesetzes zur Änderung desBundes-Immissionsschutzgesetzes an den federführen-den Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reak-torsicherheit sowie zur Mitberatung an den Ausschussfür Recht und Verbraucherschutz, den Haushaltsaus-schuss, den Ausschuss für Wirtschaft und Energie sowieden Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur zuüberweisen.Ebenso soll die Stellungnahme des Bundesrates aufDrucksache 18/2657 zu dem bereits überwiesenen Ent-wurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-fernstraßenmautgesetzes an den federführenden Aus-schuss für Verkehr und digitale Infrastruktur und zurMitberatung an den Haushaltsausschuss sowie den Aus-schuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-heit überwiesen werden.Darf ich Ihr Einvernehmen zu diesen Überweisungs-vorschlägen feststellen? – Das sieht doch sehr danachaus. Dann haben wir das somit beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Maßnahmen im Baupla-nungsrecht zur Erleichterung der Unterbringungvon Flüchtlingen – Stellungnahme der Bundesregie-rung zum Gesetzentwurf des Bundesrates.Das Wort für einen einleitenden fünfminütigen Be-richt hat die Bundesministerin für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit, Frau Dr. Barbara Hendricks.Ich wäre ganz dankbar, soweit es bereits Wortmeldun-gen für Nachfragen gibt, wenn mir die Geschäftsführereinen Hinweis geben könnten. Dann kann man dieseschon sortieren. – Frau Ministerin.Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Flüchtlinge, die zu uns kommen, werden aus ethni-schen, religiösen oder politischen Gründen verfolgt undhäufig mit dem Tod bedroht. Es ist unser aller Aufgabe,dort zu helfen, wo wir helfen können, und zwar jede undjeder an der Stelle, wo wir es vermögen. Ich kann undwill dabei mithelfen, dass die Flüchtlinge schnell einDach über den Kopf bekommen. Ich möchte, dass wirsie so aufnehmen, dass sie in Würde bei uns leben kön-nen.Unser Bauplanungsrecht hält zwar schon auch jetzteine Vielzahl von Instrumenten bereit, die den Bau vonFlüchtlingsunterkünften auch kurzfristig ermöglichen. Inder jetzigen Situation können und wollen wir die Länderund Kommunen dabei unterstützen, noch schneller Hilfeleisten zu können.Ich habe heute dem Kabinett vorgeschlagen, der Bun-desratsinitiative vom 19. September 2014 zu folgen. Ei-nige Änderungen im Gesetzentwurf des Bundesrates sol-len allerdings aus meiner Sicht helfen, dem Anliegen inrechtlicher Hinsicht noch besser gerecht zu werden. Wirschlagen Ihnen also in der Stellungnahme zum Gesetz-entwurf des Bundesrates einige Änderungen vor; derBundestag wird sich selbstverständlich damit befassen.Dazu gehört, dass wir als Bundesregierung anstreben,dass die vorgesehenen Regelungen bundesweit gelten.Der Bundesrat war von landesgesetzlichen Anordnungenausgegangen. Mir liegt daran, dass das Baugesetzbuchvom Bund einheitlich weitergeführt wird. Wir wollenmit den Änderungen des Baugesetzbuches für Klarstel-lungen und auch für befristete Erleichterungen sorgen.Die Erleichterungen sollen, wie gesagt, befristet sein; dieKlarstellungen sollen natürlich auf Dauer helfen.
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Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Insgesamt sollen Kommunen von bestimmten Fest-setzungen des Bebauungsplanes abweichen können, umdie Flüchtlingsunterbringung unkomplizierter zu ermög-lichen. Wir wollen es zum Beispiel ermöglichen, Flücht-lingsunterkünfte im Innenbereich auch dann zuzulassen,wenn sie sich – anders als sonst im Bauplanungsrechtverlangt – nicht in die nähere Umgebung einfügen. Dasbetrifft beispielsweise Büro- oder Geschäftsgebäude, diedann als Unterkünfte dienen können. Außerdem wollenwir gestatten, dass Flüchtlinge auf Flächen untergebrachtwerden, die unmittelbar an einen bebauten Ortsteil an-schließen. Und wir wollen den Kommunen die Möglich-keit geben, Flüchtlingsunterkünfte eingeschränkt undbefristet in Gewerbegebieten einzurichten.Natürlich soll bei alldem darauf geachtet werden, dassdie Unterkünfte menschenwürdig sind. Bei weitem nichtjedes Gewerbegebiet eignet sich dazu, Menschen dortwohnen zu lassen. Die Prüfung muss in den Kommunensachgerecht vorgenommen werden.Es ist ausdrücklich vorgesehen, dass die Flüchtlings-unterbringung bei der Aufstellung von Bebauungsplänenzu berücksichtigen ist, und es wird klargestellt, dass dieUnterbringung von Flüchtlingen zu den Belangen desAllgemeinwohls gehört. Das macht die Unterbringungvor Ort tatsächlich leichter und sorgt dafür, dass die Kla-gemöglichkeiten, die die Anwohner sonst hätten, einge-schränkt werden.Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Gesetzgebungs-verfahren kann noch in diesem Jahr abgeschlossen wer-den. Damit wäre nicht nur den Ländern und Kommunengeholfen, sondern auch den Flüchtlingen. Es muss unserHauptaugenmerk darauf liegen, dass wir jedenfalls vordem Winter feste Unterkünfte für die Flüchtlinge habenund nicht hier oder da mit Zelten arbeiten müssen.Ich bin mir absolut der Tatsache bewusst, dass es dieLänder und Kommunen vor große Herausforderungenstellt, quasi über Nacht Flüchtlingsunterkünfte zur Ver-fügung stellen zu müssen und die menschenwürdige undangemessene Versorgung der Flüchtlinge sicherzustel-len. Ich will bei dieser Gelegenheit allen Verantwortli-chen in den Ländern und den Kommunen meinen herzli-chen Dank dafür aussprechen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Wir rufen jetzt zu-
nächst Nachfragen zu diesem Bericht auf. Als Erster er-
teile ich der Kollegin Kerstin Kassner das Wort.
Sehr geehrte Frau Ministerin, wir wissen: In der Bun-
desrepublik stehen circa 2 Millionen Wohnungen leer.
Vor diesem Hintergrund frage ich Sie: Teilt die Bundes-
regierung meine Auffassung, dass es angesichts dieser
Möglichkeiten viel besser wäre, Flüchtlingsfamilien und
traumatisierte Flüchtlinge dezentral unterzubringen, an-
statt sie in Gewerbegebieten oder sogar auf dem freien
Feld unterzubringen, wo vieles, was an Infrastruktur
dringend notwendig wäre, nur schwer zu organisieren
ist?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, ich teile Ihre Auffassung durchaus.
Wir haben aber in der Bundesrepublik Deutschland ei-
nen sehr unterschiedlich aufgestellten Wohnungsmarkt.
Ich bin in der Tat dafür, dass in den Kommunen, in de-
nen es leerstehende Wohnungen gibt, alle Möglichkeiten
genutzt werden, um insbesondere Flüchtlingsfamilien
dezentral, also in Wohnungen unterzubringen. Bei ein-
zelnen Flüchtlingen ist es wiederum anders; bei ihnen
bieten sich Gemeinschaftsunterkünfte möglicherweise
sogar als erste Wahl an. Das muss aber vor Ort entschie-
den werden.
Wir haben Ballungsräume und Ballungsrandzonen, in
denen es keinen Leerstand gibt. Den entsprechenden
Kommunen werden aber gleichzeitig auch Flüchtlinge
zur Aufnahme zugewiesen, sodass es nicht überall gelin-
gen kann, Flüchtlinge in Wohnungen unterzubringen.
Das ist in manchen Gegenden verhältnismäßig leicht
möglich, in manchen Gegenden hingegen praktisch un-
möglich.
Im Übrigen ist es aber nicht vorgesehen, Flüchtlinge
– wie Sie es gesagt haben – „auf dem freien Feld unter-
zubringen“, sondern allenfalls am Rande einer Bebau-
ung. Sie müssen sich das so vorstellen: An einem Orts-
rand gibt es auf der einen Straßenseite Bebauung, auf der
anderen Straßenseite beginnt der Geltungsbereich des
§ 35 Baugesetzbuch; dort ist zwar eigentlich freies Feld,
aber die Infrastruktur ist vorhanden. Unterkünfte können
nur in unmittelbarer Nähe einer Bebauung errichtet wer-
den; denn man muss für jede Unterkunft eine Infrastruk-
tur im Sinne von Versorgung mit Strom und Wasser und
Entsorgung von Abwasser usw. haben.
Niemand käme auf die Idee, Unterkünfte auf einem
freien Feld zu errichten, weil die entsprechende Infra-
struktur nicht vorhanden ist. Die Nutzung von Gewerbe-
gebieten ist natürlich nur dann möglich, wenn diese zum
Beispiel nicht mit besonderen Emissionen belastet sind.
Das muss vor Ort geprüft werden.
Ich bitte noch einmal, gelegentlich auf die Uhr zu gu-
cken. – Nächste Fragestellerin ist die Kollegin Luise
Amtsberg.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben eben aufdie regionalen Unterschiede hingewiesen. Es ist augen-scheinlich, dass es einen Unterschied macht, ob man dieMenschen auf dem Land oder in der Stadt unterbringt.Letzte Woche hat sich der grüne Ministerpräsidentdes Landes Baden-Württemberg an die Kanzlerin mitdem Vorschlag gewandt, einen nationalen Asylgipfeleinzurichten und dort Fragen, die eng mit diesem Thema
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5151
Luise Amtsberg
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verknüpft sind – beispielsweise die Aufstockung desPersonals beim Bundesamt für Migration und Flücht-linge, die aufgrund der regionalen Unterschiede notwen-dige Koordinierung, aber auch die Abschaffung desAsylbewerberleistungsgesetzes –, zu diskutieren. Vordiesem Hintergrund frage ich Sie, ob die Bundesregie-rung gesprächsbereit und bereit ist, auf diese einzelnenPunkte zur besseren Koordinierung einzugehen?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Was die einzelnen Punkte anbelangt, so ist die Bun-desregierung nicht untätig geblieben, zum Beispiel wirddas Personal des Bundesamts aufgestockt. Die Mittel da-für sind bereits im Haushaltsentwurf enthalten. Ob estatsächlich sinnvoll ist, einen sogenannten Asylgipfeleinzurichten – das sehe ich mit gewisser Skepsis. Nachmeiner Kenntnis hat gerade die grüne Fraktion früher die„Gipfelitis“ immer kritisiert.
Nächster Fragesteller: Christian Kühn.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Danke, Herr Präsident. – Meine Nachfrage bezieht
sich auf die Fragestellung, wie man es gewährleisten
kann, Menschen ein Dach über dem Kopf zu geben, und
zwar nicht nur in Gewerbegebieten, sondern auch in den
Städten und Kommunen, also dort, wo es Wohnungen
gibt.
Die BImA zum Beispiel verfügt über eine ganze
Reihe von Liegenschaften. Inwieweit plant die Bundes-
regierung weitere Liegenschaften – nicht nur Konversi-
onsliegenschaften, wie die Kaserne in Heidelberg – be-
reitzustellen, um Flüchtlinge jetzt in dieser konkreten
Notsituation unterzubringen?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege, die BImA bietet seit längerem für die
Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen den
betroffenen Kommunen und Landratsämtern grundsätz-
lich sämtliche freie Gebäude und Grundstücke an.
Grundlage hierfür ist eine seit 2012 fortlaufende Unter-
suchung ihres Immobilienbestandes darauf, ob und in-
wieweit Liegenschaften den kommunalen oder Landes-
behörden für die Notunterbringung des in Rede
stehenden Personenkreises zur Verfügung gestellt wer-
den können.
Standen dabei zunächst vor allem die ehemals von der
Bundeswehr genutzten Liegenschaften und die von den
Gaststreitkräften freigegebenen Areale im Fokus der
Prüfung, hat die BImA im Hinblick auf die veränderte
Situation in den vergangenen Wochen und Monaten ihr
Angebotsportfolio – in Anführungszeichen – „offensiv“
erweitert und bietet nunmehr grundsätzlich alle verfüg-
baren Immobilien, auch Freiflächen, als Asyl- und
Flüchtlingsunterkünfte an. Freiflächen können selbstver-
ständlich nur für die Aufstellung von Wohncontainern
genutzt werden und nicht für Zelte.
Frau Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie
haben eingangs die dramatische Situation der Flücht-
linge in Deutschland geschildert, insbesondere die Situa-
tion der Kommunen vor Ort, die Sie zu Ihrer Maßnahme
veranlasst. Meine Frage ist: Warum weigert sich die
Bundesregierung bis heute, über den Vorschlag unserer
Fraktion und Fraktionsvorsitzenden und auch des Minis-
terpräsidenten von Baden-Württemberg nachzudenken,
eine nationale Flüchtlingskonferenz unter Beteiligung
von Bund, Ländern und Gemeinden durchzuführen, um
endlich die Hilfe zu koordinieren?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ich komme zurück auf meine Beantwortung der Frage
Ihrer Kollegin. Auch die grüne Fraktion hat bis vor kur-
zer Zeit immer die sogenannte Gipfelitis kritisiert. Wir
sind in ständigen Gesprächen, sowohl mit den Ländern
als auch mit den kommunalen Spitzenverbänden. Die
Arbeiten gehen zügig voran.
Kollege Wunderlich.
Frau Ministerin Hendricks, vielen Dank. Sie habensich gerade dafür ausgesprochen, dass man nach allenMöglichkeiten suchen soll, gerade Familien, die trauma-tisiert nach Deutschland kommen – wir wissen alle, wasdie Flüchtlingsfamilien und insbesondere die Kinder er-lebt haben –, dezentral unterzubringen.Ich habe am Montag die ausdrückliche Erklärung derVerwaltung meiner Heimatstadt erhalten – sie soll mög-licherweise auch Flüchtlinge zugewiesen bekommen –,dass sie sich für eine dezentrale Unterbringung im kom-munalen Wohnraum starkmacht. Jetzt ist meine Frage:Ist denn geklärt bzw. gibt es dahin gehende Überlegun-gen, wie bei einer dezentralen Unterbringung mit denKosten für den erhöhten Personalbedarf – dabei geht essowohl um die psychosoziale Betreuung als auch um denSicherheitsdienst, um die Flüchtlinge vor den, so sageich es einmal, national Verwirrten zu schützen – umge-gangen werden soll? Soll für das Ganze seitens des Lan-des irgendein Ausgleich erfolgen, oder gar seitens desBundes?Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Herr Kollege, die Unterbringung von Flüchtlingenliegt nach unserer Rechtsordnung in der Verantwortungder Länder. Die Länder können das selbstverständlichnur in Zusammenarbeit mit den Kommunen, und so ge-schieht dies auch.
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Kollegin Amtsberg.
Frau Ministerin, mich hat die Antwort nicht zufrie-
dengestellt. Wir haben natürlich als grüne Fraktion Gip-
fel kritisiert, die keinen Sinn machen.
Mit unserer Forderung stehen wir aber nicht alleine, son-
dern es gibt prominente Unterstützer, zum Beispiel den
Deutschen Städtetag. Die Unterstützer sagen allesamt:
Es stimmt, dass die Kommunen momentan große
Schwierigkeiten haben, und sie brauchen eine Koordi-
nierung. Wir müssen flexible Lösungen finden.
Deshalb noch einmal die Frage: Gibt es wenigstens,
was die finanzielle Entlastung angeht, irgendwelche Pla-
nungen seitens der Bundesregierung, sich an der Finan-
zierung der Unterbringung der Flüchtlinge zu beteiligen?
Das ist das, was die Kommunen tatsächlich fordern.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ich weiß, dass die Kommunen das fordern. Überle-
gungen dazu sind in der Bundesregierung nicht abge-
schlossen. Im Übrigen wird sich die Innenministerkonfe-
renz zeitnah, nämlich nächste Woche, am 17. Oktober
2014, mit der Thematik befassen.
Kollege Kühn.
Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Auch ich kann Sie noch nicht rauslassen. Noch eine
Frage zur BImA: Plant die Bundesregierung, Wohnun-
gen, Grundstücke, Liegenschaften zu dem Zweck, den
Asylsuchenden, den Flüchtlingen ein Dach über dem
Kopf zu geben, verbilligt an die Kommunen abzugeben?
Gilt weiterhin das Höchstpreisgebot auch vor dem Hin-
tergrund dieser Notsituation, in der die Kommunen hän-
deringend nach Liegenschaften suchen? Gibt es eine ver-
billigte Abgabe, zum Beispiel für Kommunen, die sich
in einer Haushaltsnotsituation befinden? Ist vielleicht
geplant, die Grundstücke zu einer verbilligten Pacht ab-
zugeben?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege, in dieser Notsituation geht es nicht da-
rum, dass die BImA Immobilien veräußert, sondern die
BImA stellt den Kommunen Mietobjekte zur Verfügung.
Wir müssen davon ausgehen, dass Kommunen auf Dauer
zum Beispiel mit Kasernen nicht wirklich etwas anfan-
gen können. In manchen Ballungsgebieten kann man sie
sicherlich gut in Wohnraum umwandeln; dies ist aber
längst nicht überall dort der Fall, wo Kasernen von der
Bundeswehr oder von Gaststreitkräften freigemacht
wurden. Deshalb geht es hier nicht um Veräußerungen,
sondern allenfalls um Vermietung. Die BImA prüft das
regelmäßig mit gutem Ergebnis.
Gibt es weitere Wortmeldungen zu diesem Themen-
komplex? – Bitte schön.
Herr Präsident, ich würde gerne eine Nachfrage zu
der letzten Antwort stellen. Mich würde interessieren,
wie die Instandsetzungsarbeiten, die die Kommunen
vornehmen, vergütet, abgegolten oder gegengerechnet
werden. Das wäre ja sonst sozusagen ein Geschäft zu-
gunsten des Bundes, wenn er die Liegenschaften ledig-
lich vermietet.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege, ich glaube, dass es am besten ist, wenn
die Kommunen und die BImA sich im Einzelfall ver-
ständigen, auf welche Art und Weise die Kommunen
eine BImA-Liegenschaft übernehmen wollen. Der Re-
gelfall wird die Anmietung sein. Weiter gehende Frage-
stellungen zur Ausgestaltung der Verträge wird der Kol-
lege Meister sicherlich schriftlich beantworten.
Herzlichen Dank.
Die Begeisterung ist wechselseitig. – Ich darf fragen,
ob es zu anderen Themen der heutigen Kabinettssitzung
Fragen gibt. – Frau Haßelmann.
Nicht zur Kabinettssitzung, Entschuldigung, sondern
zu einem anderen Thema.
Nein, das machen wir der Reihe nach. – Also, gibt es
Fragen zu anderen Themen der heutigen Kabinettssit-
zung? – Herr Kekeritz, bitte schön.
Danke schön. – Ich hoffe, dass die Frage jetzt richtig
ist.
Sonst sage ich Ihnen das schon.
Ja. – Wir kennen ja die Situation in der Ostukraine.Minister Müller hat angekündigt, einen Konvoi in dieOstukraine zu schicken. Ich möchte wissen, ob das heuteim Kabinett Thema war. Ich möchte wissen, ob dies zwi-schen den einzelnen Ministerien, insbesondere zwischenAA und BMZ, abgesprochen war. Ich möchte gerne auchwissen, ob klar ist, wer das logistisch managt. Wenn man100 Lkw in die Ostukraine schickt, dann müssen ja sehr
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Uwe Kekeritz
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viele finanzielle Mittel dort hineinfließen. Ist das abge-sprochen worden, und woher kommt das Geld?
Frau Ministerin.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ich?
Ja, klar. Wir befinden uns immer noch in der Befra-
gung der Bundesregierung.
Befragung der Bundesregierung ist Befragung der Bun-
desregierung. Ich sehe im Augenblick nur ein Mitglied
der Bundesregierung auf der Regierungsbank.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege Kekeritz, ich bitte um Entschuldigung.
Ich war abgelenkt, weil ich nicht damit gerechnet habe,
diese Antwort geben zu müssen. Können Sie Ihre Frage
bitte wiederholen?
Ihr Kollege Müller plant einen Konvoi in die Ost-
ukraine. Ich wollte wissen: Ist das abgesprochen unter
den verschiedenen Ministerien, AA, BMZ und Finanz-
ministerium? Wer stellt die Logistik zur Verfügung? Wer
stellt das Geld zur Beladung dieser Lkw mit Gütern zur
Verfügung? Da scheint es doch um erhebliche Beträge
zu gehen. War das Thema im Kabinett?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege Kekeritz, das ist nicht Gegenstand der
heutigen Kabinettsberatung gewesen. Ich gehe aber da-
von aus, dass entsprechend der Geschäftsordnung der
Bundesregierung dieses ordnungsgemäß zwischen den
beteiligten Ministerien abgesprochen worden ist und
dass Haushaltsmittel dafür zur Verfügung stehen.
Weitere Fragen zur Kabinettssitzung sind mir hier
jetzt jedenfalls nicht angezeigt. Daher frage ich, ob es
sonstige Fragen an die Bundesregierung gibt. – Frau
Kollegin Haßelmann.
Noch einmal vielen Dank, Herr Präsident. Ich war
vorhin zu schnell. – Ich habe eine Frage an die Bundes-
regierung, und zwar an das Bundeskanzleramt: In
welchem Umfang und in welchem Zeitraum hat der
Bundesnachrichtendienst Kommunikationsdaten deut-
scher Staatsbürger an die NSA weitergegeben?
Herr Staatsminister.
D
Ich denke, Frau Kollegin, Sie sind mit mir einverstan-
den, dass wir Ihnen diese Frage schriftlich beantworten.
Nein, bin ich nicht. Denn diese Frage wurde Herrn
Ströbele in einer Fragestunde vor der Sommerpause
schon einmal beantwortet.
D
Gut, dann kann ich Ihnen die Antwort auf diese Frage
gerne übermitteln. Aber ich bin jetzt nicht in der Lage,
da wir die Frage vorher nicht kannten, Ihnen hier um-
fangreiche Informationen auch unter Berücksichtigung
aller Geheimschutzaspekte aus dem Kopf zu beantwor-
ten.
Dann beantrage ich hiermit, dass jemand aus der Bun-
desregierung, der diese Frage beantworten kann, hierher
kommt. – Vielen Dank.
Letzteres ist, wenn ich das richtig sehe, ein Antragzur Geschäftsordnung. Über diesen lasse ich jetzt ab-stimmen. Wer diesem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen – ich nehme an, dass Sie dies im Namen derFraktion beantragen – zustimmt, den bitte ich um dasHandzeichen. – Wer ist gegen diesen Antrag? – Das wareine knappe Mehrheit, jedenfalls deutlich knapper, als esden Mehrheitsverhältnissen im Deutschen Bundestagentspricht.Damit setzen wir die Befragung der Bundesregierungfort. Als nächste Wortmeldung habe ich die des KollegenFrithjof Schmidt notiert.
Ich habe eine Frage an das Auswärtige Amt. Staats-minister Roth ist ja anwesend. Es geht darum, dass dieitalienische Regierung angekündigt hat, dass die huma-nitäre Operation zur Aufnahme von Flüchtlingen imMittelmeer, „Mare Nostrum“, noch in diesem Monat be-endet wird. Auf europäischer Ebene gibt es keine ange-messene Ersatzoperation. Es werden zwei Frontex-Mis-sionen, die aber nicht das gleiche Operationsgebiethaben und nicht auf die humanitäre Aufnahme vonFlüchtlingen, die in Seenot sind, ausgerichtet sind, fort-
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Dr. Frithjof Schmidt
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gesetzt und zu einer Operation „Triton“ zusammenge-führt.Durch die Mission „Mare Nostrum“ sind im erstenHalbjahr im Mittelmeer 108 000 Menschen gerettet wor-den. Bis jetzt sind es etwa 140 000 Menschen. Wenndiese Mission de facto ersatzlos eingestellt wird undauch nur 10 Prozent der Menschen, die bislang aus See-not gerettet worden sind, ohne eine solche Operation er-trinken, dann können wir uns ausrechnen, dass in dennächsten Monaten im Mittelmeer mehr als 10 000 Men-schen ertrinken werden. Die Bundesregierung weiß das.Meine Frage lautet: Was gedenkt die Bundesregierungzu tun, um das zu verhindern? Um noch eine Zahl zunennen: Der Finanzierungsbedarf – –
Herr Kollege, die Minute ist längst überschritten.
Pardon.
Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Kollege, für die Frage. Sie wissen
– darüber haben wir uns schon mehrfach ausgetauscht –,
dass die Bundesregierung das Engagement der italieni-
schen Regierung im Rahmen von „Mare Nostrum“ sehr
zu schätzen weiß. Das ist als ein wesentlicher Beitrag
zur humanitären Lösung einer Tragödie zu sehen.
Ich persönlich habe mich in der vergangenen Woche
mit meinem italienischen Kollegen darüber ausge-
tauscht. Die Bundesregierung ist sehr daran interessiert,
dass die bislang rein national geführte und organisierte
Mission „Mare Nostrum“ im Rahmen eines EU-weiten
Mandats fortgesetzt wird. Die Möglichkeiten dafür sind
jedoch rechtlich gesehen begrenzt. Sie haben Frontex
angesprochen. Nichtsdestotrotz leisten wir zum Schutz
von Flüchtlingen auch weiterhin im Rahmen unserer
Möglichkeiten die humanitäre Hilfe, die nötig ist, auch
durch Kampf gegen Schlepperbanden.
Kollege Petzold.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe ebenfalls
eine Frage an das Auswärtige Amt. Gestern gab es ja den
Hilferuf des UN-Generalsekretärs im Zusammenhang
mit den Ereignissen in Syrien und Nordirak. Wie ge-
denkt die Bundesregierung auf diesen Hilferuf zu reagie-
ren?
Herr Kollege, da mir für die anschließende Frage-
stunde eine entsprechende Frage gestellt wurde, biete ich
Ihnen ausdrücklich an, die Frage nachher ausführlich zu
beantworten. Sowohl die Kollegin Hänsel als auch eine
Kollegin der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen haben
eine ähnliche Frage gestellt.
Kann man denn nicht zumindest den Kern der Frage
jetzt beantworten unter ausdrücklichem Hinweis auf eine
später noch detaillierter erfolgende Antwort? Mir leuch-
tet zwar der Verfahrensvorschlag ein; denn der Staats-
minister möchte sicherstellen, dass nicht schon jetzt die
Antwort auf eine Frage, die andere Kollegen gestellt ha-
ben, erfolgt.
– Auch Frau Hänsel wäre damit einverstanden, wenn
jetzt schon mal auf den Kern der Frage Bezug genom-
men würde.
Selbstverständlich leisten wir im Rahmen der huma-
nitären Hilfe alles, was in unseren Möglichkeiten steht.
Wir haben ja die Hilfen massiv aufgestockt. Derzeit sind
wir sehr stark engagiert, die Hilfsmaßnahmen auf die
von Ihnen genannte Region Kobane zu konzentrieren.
Die Bundesregierung – das wissen Sie – ist bisher
nicht angefragt worden, sich an Luftschlägen gegen den
IS auf syrischem Gebiet zu beteiligen. Bislang tun das
sechs Staaten unter Führung der Vereinigten Staaten von
Amerika. Die Frage nach einem Einsatz von Bodentrup-
pen stellt sich für uns auch nicht.
Herr Krischer.
Herzlichen Dank für die Möglichkeit, die Bundesre-
gierung hier zu einem Thema zu befragen, das in der Öf-
fentlichkeit breiten Raum einnimmt. – Der bayerische
Ministerpräsident und Parteivorsitzende der CSU hat
sich ja nicht nur zum Verlauf einer einzelnen geplanten
Stromleitung kritisch geäußert, sondern stellt den Netz-
ausbau insgesamt infrage. Meine Frage an die Bundes-
regierung wäre: Wie wird die Position des bayerischen
Ministerpräsidenten und Parteivorsitzenden eines Koali-
tionspartners hierzu bewertet?
Und weiter: Ich habe der Presse entnommen, dass auf
dem gestrigen Koalitionsgipfel hierzu keine Ergebnisse
erzielt worden sind, sondern dass es am Donnerstag ein
Privatissimegespräch zwischen Frau Aigner und Herrn
Gabriel geben wird. Meine Frage wäre: Was werden In-
halt und Ziel dieses Gespräches vonseiten der Bundes-
regierung sein?
Frau Ministerin.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5155
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Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:In der Tat hat dieses Thema gestern im Koalitionsaus-schuss eine Rolle gespielt. Ergebnis des gestrigen Ge-sprächs ist die Verabredung zu einem Gespräch mit demVizekanzler und Bundeswirtschaftsminister Gabriel,aber nicht ausschließlich mit Frau Aigner, sondern auchmit Herrn Ministerpräsidenten Seehofer. Dieses Ge-spräch wird morgen stattfinden. Vor Gesprächen wirddie Bundesregierung ihre Zielrichtung in den Gesprä-chen jedoch nicht öffentlich machen können.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatsminister
Roth, ich kann Ihre Betroffenheit sehr gut verstehen, ich
teile sie auch. Herr Schmidt hatte gefragt: Was konkret
tun wir? – Ich würde gerne wissen: Was konkret schlägt
die Bundesregierung zur Unterstützung der Rettungs-
aktion „Mare Nostrum“ vonseiten der europäischen Län-
der vor? Also a), ist Deutschland bereit, sich finanziell
an der Rettungsaktion „Mare Nostrum“ zu beteiligen?
Und b), wann, wo und wie wird Deutschland sich in
Brüssel für dieses Thema einsetzen? Dass Sie das allge-
mein gern tun, wissen wir; dennoch haben wir die Rück-
meldung aus Brüssel, dass auch Deutschland sich dort
nicht intensiv dafür einsetzt, dass Mare Nostrum fortge-
führt wird. Deshalb ganz konkret: Wir würden gerne die
Fakten kennen.
Die EU kann die Mission „Mare Nostrum“ nicht fort-
setzen, weil es sich bislang um eine rein nationale Mis-
sion handelt. Ich hatte schon deutlich gemacht, dass es
im großen Interesse der Bundesregierung ist, dass die
Europäische Union eine ähnlich gelagerte Hilfs- und
Schutzmaßnahme durchführt – im Interesse der Flücht-
linge, aber auch im Kampf gegen Schlepperbanden.
Sie werden sicherlich nicht erwarten, dass die Bun-
desrepublik Deutschland im Mittelmeer eine solche Mis-
sion aufnimmt. Unser Bemühen kann also nur sein, dass
wir im Rahmen unserer Zuständigkeiten auf die EU ein-
wirken und in der EU Überzeugungsarbeit leisten. Das
tun wir; es muss aber noch eine Reihe von Fragen ge-
klärt werden. Dabei geht es in erster Linie gar nicht nur
um finanzielle Fragen, es geht auch um rechtliche Fra-
gen. Es geht beispielsweise um die Frage, inwieweit
Frontex eine weiter gehende Aufgabe übernehmen
könnte. Diese Frage stellt sich aber derzeit nicht, weil
Frontex ein sehr begrenztes Mandat hat.
Diese Diskussionen laufen. Sie können sich darauf
verlassen, dass die Bundesregierung und auch ich per-
sönlich es nicht bei Beklagen und Bedauern belassen,
sondern wir wollen, dass den Flüchtlingen dort geholfen
wird. Wir brauchen dafür ein größeres, ein stärkeres und
auch ein erfolgversprechendes EU-Engagement. Dazu
ist Deutschland als ein Mitgliedsland von 28 im Rahmen
seiner Möglichkeiten bereit. Es geht hier nicht um natio-
nale Aktivitäten, es geht um eine EU-Mission, und da
sind wir in Gesprächen.
Der Kollege Dr. Feist hat das Wort.
Ich habe eine Frage an das Auswärtige Amt. Herr
Staatsminister, wir hatten vorhin die Flüchtlinge aus Sy-
rien thematisiert – das eigentliche Flüchtlingsdrama
spielt sich aber in den Nachbarländern Syriens ab. Nun
hatten wir im Unterausschuss Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik genau dazu ein Gespräch auch mit dem
Bundesaußenminister, in dem die für Kultur Zuständigen
signalisiert haben, dass sie in den Flüchtlingslagern in
den Nachbarländern Syriens etwas für diejenigen tun
könnten, die am meisten unter dem Krieg leiden: Das
sind die Kinder.
Meine Frage an Sie ist: Gibt es Überlegungen im Ge-
schäftsbereich des Auswärtigen Amts, sich auch in den
laufenden Haushaltsverhandlungen dafür einzusetzen,
die entsprechenden Etats anzuheben?
Vielen Dank, Herr Kollege. – Sie wissen, dass dieAuswärtige Kultur- und Bildungspolitik als dritte Säuleder Außenpolitik ganz besonders auch unserem Außen-minister am Herzen liegt und wir uns immer darum be-mühen, die notwendigen Mittel aufzustocken. Diese Ideestößt bei uns auf große Sympathie; aber Sympathiealleine reicht nicht, sondern wir brauchen auch eine ent-sprechende finanzielle Ausstattung. Ich sehe derzeitnicht, dass wir das aus den vorhandenen Haushaltsmit-teln werden schultern können; aber ich hoffe auf die Be-reitschaft des Deutschen Bundestages, uns auch hier an-gemessen zu unterstützen.Dazu ein paar Zahlen: Seit 2012 hat die Bundesregie-rung eine finanzielle Unterstützung für die Flüchtlinge– insbesondere aus Syrien – im Umfang von 622 Millio-nen Euro geleistet. Sie haben völlig recht: Das ist einegroße Tragödie. Während wir in Deutschland zwei Kon-tingente im Umfang von 20 000 Flüchtlingen plus dieAsylbewerberinnen und Asylbewerber, die aus Syrienkommen – hier müsste mir der Kollege helfen; es sindungefähr 37 000 –, aufgenommen haben, haben wir esmit 6 Millionen Flüchtlingen innerhalb und außerhalbSyriens zu tun.Bei aller gelegentlich auch nachvollziehbaren Kritikan der Türkei: Die Türkei hat bislang schon 820 000 of-fiziell registrierte Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen,und in den vergangenen Wochen ist diese Zahl durchkurdische Flüchtlinge noch einmal signifikant gestiegen.Die nicht registrierte Zahl liegt bei weit über 1 Million.Die Unterbringung der Flüchtlinge dort ist gut, während
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5156 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Staatsminister Michael Roth
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sie in Jordanien und im Libanon schlechter ist. Wir set-zen uns sehr dafür ein, dass dort mehr getan werdenkann.Wir sind dankbar für diesen Vorschlag. Wenn dieFinanzierung steht, dann werden wir das sicherlich auchumsetzen können. Derzeit sind die Haushaltsmittel aberkomplett ausgeschöpft.
Herr Kollege Kekeritz, Sie haben eine Frage.
Meine Kollegin ist mir zuvorgekommen und hat die
Frage im Wesentlichen gestellt.
Das erleichtert die Beantwortung; sie ist nämlich
schon erfolgt. – Kollegin Kotting-Uhl.
Danke, Herr Präsident. – Ich habe eine Frage an die
Bundesregierung zu der heute gefallenen Entscheidung
in der EU-Kommission, die staatlichen Beihilfen in
Großbritannien für den geplanten Neubau des Atom-
kraftwerks Hinkley Point C zu genehmigen.
Ich will meiner Frage vorausschicken, dass das eine
sehr eigenartige Entscheidung ist, nachdem die Kom-
mission das noch im März nicht genehmigen wollte. Sie
hatte gute Gründe dafür; denn die Beihilfe für Atom-
kraftwerke ist in den Beilhilferichtlinien gestrichen wor-
den. Meine Frage an die Bundesregierung ist, ob sie
diese Entscheidung durch Akzeptanz sozusagen guthei-
ßen möchte oder ob sie eine Nichtigkeitsklage dagegen
anstreben will, wie das Österreich bereits in Aussicht ge-
stellt hat.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ich will Ihnen ausdrücklich sagen, dass ich als Um-
weltministerin antworte, weil das, was ich jetzt sage,
nicht mit der Bundesregierung bzw. in der Bundesregie-
rung abgestimmt ist. Dazu hatte die Bundesregierung
noch keine Gelegenheit, und unter Verweis auf die Ge-
schäftsordnung kann ich demnach nicht für die Bundes-
regierung antworten, sondern ich antworte als Umwelt-
ministerin.
Ich halte diese Entscheidung der EU-Kommission für
grundfalsch und kann sehr gut verstehen, dass Österreich
schon eine Nichtigkeitsklage ins Auge gefasst hat. Ich
bin der gleichen Auffassung wie Sie, dass die EU-Kom-
mission in diesem Punkt in der Tat eine Kehrtwende
vollzogen hat. Insbesondere Kommissar Almunia hat
eine ganz andere Entscheidung als sonst getroffen; er ist
ganz anders vorgegangen, als er dies zum Beispiel in Be-
zug auf unser Erneuerbare-Energien-Gesetz getan hat.
Nach meinem Kenntnisstand sollen dem Atomkraft-
werk Hinkley Point C für mehr als 30 Jahre Preise ga-
rantiert werden, die weitaus höher liegen als unsere
garantierte Einspeisevergütung, welche sukzessive abge-
baut wird. Die Preise dort werden für mehr als 30 Jahre
fix zugesagt. Auf diese Weise wird sehr deutlich, dass
die Atomenergie im Vergleich zu den erneuerbaren
Energien nicht konkurrenzfähig ist; denn sonst müssten
die Preise nicht für 30 Jahre fix zugesagt werden.
Aus all diesen Gründen und auch, weil wir als Bun-
desregierung insgesamt – hier kann ich wieder für die
Bundesregierung sprechen – aus der Atomenergie aus-
steigen wollen, halte ich diese Entscheidung für falsch.
Herr Kollege Krischer.
Frau Bundesministerin Hendricks, Sie haben gerade
Ihre persönliche Auffassung bzw. Ihre Auffassung als
Bundesministerin zu der Subventionsentscheidung der
EU-Kommission betreffend Hinkley Point C dargelegt
und darauf hingewiesen, dass Sie nicht im Namen der
Bundesregierung dazu Stellung nehmen können. Des-
halb frage ich Sie als Bundesumweltministerin: Werden
Sie sich dafür einsetzen, dass die Bundesregierung eine
Nichtigkeitsklage einreicht und sich damit der Position
Österreichs anschließt?
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Ja, als Bundesumweltministerin werde ich mich dafür
einsetzen. Allerdings kann ich der Entscheidung der
Bundesregierung nicht vorgreifen und möchte deswegen
sagen: Sollte sich die Bundesregierung anders entschei-
den, sollten Sie das bitte nicht als meine persönliche
Niederlage werten.
Mir liegen noch zwei Fragewünsche vor. Danach be-
enden wir diesen Tagesordnungspunkt und kommen
dann zu Tagesordnungspunkt 2, zur Fragestunde.
Ich erteile der Kollegin Amtsberg das Wort.
Herr Staatsminister Roth, auch auf die Gefahr hin,dass ich mit meinen Fragen zu „Mare Nostrum“ nerve:Sie haben gerade gesagt, dass über zwei Sachverhaltediskutiert wird. Das eine ist die ureigene Aufgabe vonMare Nostrum, die Seenotrettung; andere Aktivitätenwaren ursprünglich nicht vorgesehen. Das andere ist dieAusweitung des Frontex-Mandats, bei der nicht nur dieSeenotrettung, sondern auch die Bekämpfung derSchleuserkriminalität eine Rolle spielen würde.Meine Frage lautet nun: Die vorgeschlagene Bekämp-fung der Schleuserkriminalität in Form von Identitäts-ermittlungen auf den Booten und schnellen Rückfüh-rungen von den Booten aus würde tatsächlich eineAusweitung des Frontex-Mandats darstellen. Die See-
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Luise Amtsberg
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notrettung ist aber die ureigene Aufgabe, die Frontex seitletztem Jahr erfüllen soll. Sollte man nicht zuerst überdiese Aufgabe von Frontex nachdenken und die Be-kämpfung der Schleuserkriminalität und die damit ver-bundene Ausweitung des Aufgabenbereichs von Frontexbeiseitelassen?
Frau Kollegin, ich will Ihnen nicht zu nahe treten,
aber Sie nerven überhaupt nicht. Vielmehr nutzen Sie Ihr
Recht als Parlamentarierin. Ich bin Ihr Diener.
Sie können mich so lange fragen, wie Sie wollen. Das
gilt im Übrigen auch für alle anderen Kolleginnen und
Kollegen. Aber das muss letztendlich der Präsident ent-
scheiden.
Tun Sie Frontex bitte kein Unrecht. Frontex leistet be-
reits humanitäre Hilfe und kümmert sich um Flüchtlinge,
die in Not sind; diese werden auch aufgenommen. Es
geht aber um ein neues Mandat und die Fortsetzung des
Einsatzes. Dabei müssen noch verschiedene Fragen ge-
klärt werden. Was bisher geleistet wird, reicht nicht aus.
Das war der Grund, warum die italienische Regierung in
eigener Verantwortung und mit eigenen Mitteln „Mare
Nostrum“ ins Leben gerufen hat. Diese Mission hat viel
Gutes bewirkt.
Ich sehe die Notwendigkeit – und das ist eine Auf-
gabe der Europäischen Union –, in zwei Bereichen zu
handeln: Der eine ist die Bekämpfung der Schleuserkri-
minalität. Der andere ist die Rettung von Menschen in
Not, die ansonsten vom Tode bedroht wären.
Abschließende Fragestellerin zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist die Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, ich
danke Ihnen für Ihre persönlichen Antworten als Um-
weltministerin auf die Fragen meiner Kollegen Kotting-
Uhl und Krischer betreffend die Unterstützung der EU-
Kommission für den Bau neuer Atomkraftwerke. Diese
Entscheidung war seit Tagen absehbar. Von daher bin ich
irritiert, dass die Bundesregierung dazu heute in der Be-
fragung der Bundesregierung keine Auffassung vertreten
kann; denn man wusste seit Tagen, dass es zu dieser Ent-
scheidung kommen würde. Anscheinend haben Sie sich
mit dieser Frage nicht befasst.
Ich bitte dennoch darum, dass die Bundesregierung
den Abgeordneten der Grünen-Fraktion in den nächsten
Tagen mitteilt, ob Deutschland, wie dies andere europäi-
sche Länder tun, eine Nichtigkeitsklage einreichen wird.
Oder beabsichtigen Sie als Bundesregierung das nicht?
Frau Hendricks, Ihre persönliche Auffassung haben Sie
uns ja dargelegt.
Danke.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin Haßelmann, das will ich Ihnen für das
Bundeskanzleramt, welches ja im Moment nicht antwor-
ten darf, gerne zusagen.
Dafür ist es aber notwendig, dass zunächst in der Bun-
desregierung ein Abstimmungsprozess stattfindet. Nach
der Geschäftsordnung der Bundesregierung gibt es dafür
geübte Verfahren, die nicht übers Wochenende aufgrund
von Zeitungsmeldungen durchgeführt werden.
Vielen Dank, Frau Bundesministerin.
Ich beende damit die Befragung der Bundesregierung.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
Drucksache 18/2702
Wir gehen nach der üblichen Reihenfolge vor. Das
heißt, wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amts. Für die Beantwortung steht Staatsminis-
ter Michael Roth zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Katja Keul auf:
Welche Konsequenzen wird die Bundesregierung ziehen,
falls sich die Türkei ohne Mandat des VN-Sicherheitsrates mit
Bodentruppen militärisch in Syrien engagieren sollte, und
welche Auswirkungen wird das auf die deutsche Beteiligung
an der NATO-Operation „Active Fence“ haben?
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich schlage vor, dass
ich die Frage der Kollegin Keul gemeinsam mit der
Frage der Kollegin Hänsel beantworte. Ich möchte die
Antworten nicht zweimal vortragen. Selbstverständlich
steht Ihnen die Möglichkeit offen, mir noch entspre-
chende Nachfragen zu stellen.
Dann rufe ich jetzt die Frage 2 der Abgeordneten
Heike Hänsel auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der Entscheidung des türkischen Parlaments für Militärein-
sätze in Syrien und Irak, und welche rechtlichen und politi-
schen Konsequenzen hat diese Entscheidung für die in der
Türkei stationierten Bundeswehrsoldaten?
Sie wissen, dass es seitens des türkischen Parlamentszwei Mandate gab: einmal zum grenzüberschreitendenEinsatz von Militär im Nordirak. Dieses Mandat gilt seit2007. Es gab dann noch einmal ein ähnlich gelagertesMandat seit 2012 für Syrien. Die türkische Nationalver-sammlung hat am 2. Oktober den Beschluss gefasst,diese beiden Mandate zusammenzufassen. Insofern hatsich an der Rechtslage nichts geändert.
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5158 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Staatsminister Michael Roth
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Es kommt aber ein entscheidender Punkt hinzu: Die-ses neue Mandat lässt jetzt auch die Bekämpfung vonISIS zu. Als weitere Elemente wurden die mögliche Sta-tionierung ausländischer Truppen und die Einräumungvon Nutzungsrechten an Flugplätzen bzw. Militärbasenin der Türkei aufgenommen.Die türkische Regierung befürwortet die Einrichtungvon Sicherheits- und Flugverbotszonen. Das aber istnicht Gegenstand des Beschlusses.Mit diesem Parlamentsbeschluss geht kein Automa-tismus einher. Die Bundesregierung geht vor diesemHintergrund davon aus, dass sich die Türkei in Syrienderzeit nicht militärisch engagieren wird. Da sich durchdie türkische Mandatsverlängerung auch die Sach- undRechtslage nicht geändert hat, sehen wir keine Konse-quenzen für die in der Türkei stationierten Bundes-wehrsoldaten.Ich will das noch einmal kurz erläutern: Es handeltsich dabei um die NATO-Mission „Active Fence“. Siehat ein rein defensives Mandat. Wir haben derzeit271 Soldatinnen und Soldaten sowie Patriot-Flugab-wehrraketen stationiert. Ort der Stationierung – ich warselber dort – ist Kahramanmaras. Er befindet sich100 Kilometer von der syrischen Grenze entfernt. DiesePatriot-Flugabwehrraketen können nicht in den syri-schen Luftraum eindringen. Insofern gibt es da keinenZusammenhang.
Frau Kollegin Keul, möchten Sie dazu noch eine Zu-
satzfrage stellen?
Ich bitte darum.
Dann haben Sie jetzt dazu die Möglichkeit – und im
Anschluss daran auch die Kollegin Hänsel.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für die Antwort. –
Sie haben gesagt, dass die Türkei jetzt – im Moment,
derzeit – nicht intervenieren wird. Zweifelsohne wird die
Bundesregierung aber sicherlich strategische Überlegun-
gen für den Fall des Falles anstellen; denn ich glaube
nicht, dass ein NATO-Partner über einen langen Zeit-
raum hinweg friedlich Seite an Seite mit ISIS leben
wird.
Ich frage Sie: Für den Fall, dass es zu bewaffneten
Auseinandersetzungen auf syrischem Territorium
kommt: Beschäftigt sich die Bundesregierung mit der
Frage, welche völkerrechtlichen Voraussetzungen für
eine etwaige Unterstützung von NATO-Einsätzen erfor-
derlich wären? Ich will Ihnen einen konkreten Punkt
nennen: Macht sich die Bundesregierung Gedanken da-
rüber, bei welchem Szenario gegebenenfalls auch Ge-
spräche mit Assad geführt werden müssen?
Frau Kollegin Keul, Sie können sich darauf verlassen,
dass sich die Bundesregierung fortwährend Gedanken
macht; denn wir sehen das ganze Drama nicht nur mit
großer Sorge, sondern wir bemühen uns auch um eine
Lösung. Wir leisten in erheblichem Maße humanitäre
Hilfe.
Wir haben auch eine klare Erwartungshaltung gegen-
über der türkischen Regierung. Selbstverständlich er-
warten wir, dass die Türkei, sollte sie denn im Rahmen
des Mandats einen Militäreinsatz planen, auch ihre
Bündnispartner in ihre Überlegungen einbezieht. Es gibt
aber derzeit keinen Anlass, weil es keinerlei konkrete
Signale der türkischen Regierung gibt. Es gibt dieses
Mandat, und es gibt derzeit Forderungen nach Flugver-
botszonen und Sicherheitszonen. Es gibt eine klare Er-
wartungshaltung, dass sich die internationale Gemein-
schaft daran beteiligt. Solange diese Diskussionen noch
laufen, sehe ich keinen entscheidenden Anhaltspunkt für
eine Absicht der türkischen Regierung, einen Militärein-
satz konkret umzusetzen, obwohl es seit dem 2. Oktober
ein entsprechendes Mandat bzw. eine entsprechende
Mandatsverlängerung gibt.
Sind damit alle Ihre Fragen beantwortet?
Nein.
Dann haben Sie noch eine Zusatzfrage.
Es ist bedauerlich, dass ich nur noch eine habe, weil
die Frage nach den Überlegungen, ob man Gespräche
mit Assad führt, noch nicht beantwortet ist. Ich will den-
noch die zweite Nachfrage stellen.
Ich wüsste gerne von der Bundesregierung, welche
Erkenntnisse sie darüber hat, dass die Türkei nach wie
vor Waffenlieferungen an den ISIS über die Grenze zu-
lässt und dass in türkischen Krankenhäusern ISIS-
Kämpfer behandelt werden. Was tut die Bundesregie-
rung gegenüber der Türkei, um diesem doppelten Spiel
ein Ende zu machen und Druck auszuüben?
Es gibt klare Beschlüsse auch der türkischen Regie-rung bereits im September 2013, wonach der IS als Ter-rororganisation eingestuft wird. Bei dem Besuch des tür-kischen Außenministers in Berlin ist auch deutlichgemacht worden, dass ISIS-Kämpfer ausgewiesen wor-den sind bzw. nicht in das Land einreisen dürfen. Es istein klares Statement abgegeben worden, dass man denIS ausdrücklich verurteilt und dass es keinerlei Unter-stützung gibt. Weitere Erkenntnisse dazu liegen der Bun-desregierung nicht vor.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5159
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(B)
Da auch die Frage der Kollegin Hänsel schon aufge-
rufen und beantwortet worden ist, haben Sie, Frau Kolle-
gin Hänsel, jetzt die Möglichkeit, eine erste Zusatzfrage
zu stellen.
Danke schön. – Ich möchte mich auf das Mandat be-
ziehen bzw. den Beschluss des türkischen Parlaments,
einen türkischen Einmarsch in Syrien oder militärische
Operationen im Irak zu ermöglichen. Sie sagen, Sie gin-
gen nicht davon aus. Aber Sie haben es überhaupt nicht
in der Hand, wann die türkische Regierung eventuell
– sie steht immerhin mit Panzern direkt an der Grenze zu
Syrien, keine 20 Meter entfernt – auf syrisches Gebiet
vordringt.
Die Ausrichtung der Bundeswehr ist eindeutig defen-
siv. Es geht um die mögliche Verteidigung gegen An-
griffe. Deshalb finde ich, dass Sie hier Kamikaze spie-
len, wenn Sie sagen: Es gibt diesen Beschluss; aber wir
gehen davon aus, dass er nicht umgesetzt wird, und des-
halb besteht kein Handlungsbedarf. – Nach unserer Mei-
nung muss die Bundeswehr sofort abgezogen werden.
Sie können nicht ausschließen, dass Sie in eine militäri-
sche Auseinandersetzung mit Syrien verwickelt werden,
zumal sich auch die syrische Regierung gegen diesen
Beschluss – er ist ohne völkerrechtliche Grundlage ge-
troffen worden –, möglicherweise nach Syrien vorzu-
dringen, verwahrt hat.
Liebe Frau Kollegin Hänsel, es gibt derzeit ein Man-
dat, beschlossen von der türkischen Nationalversamm-
lung. Aus diesem Mandat heraus ergibt sich kein Auto-
matismus.
Die türkische Regierung hat mehrfach bekundet, dass
ein militärisches Eingreifen in Syrien nicht auf der Ta-
gesordnung steht. Ich habe erläutert, dass unser Einsatz
im Rahmen von Active Fence, das heißt der Einsatz von
Patriot-Raketen, rein defensiv angelegt ist. Unsere Sol-
datinnen und Soldaten – in Kahramanmaras stationiert,
271 an der Zahl – sind ungefähr 100 Kilometer von der
syrischen Grenze entfernt.
Dieses Mandat kann auch in keiner Weise umgewid-
met werden. Das heißt, es bleibt ein defensives Mandat,
und es ist auch nichts anderes vorgesehen, zumal es
technisch auch gar nicht möglich wäre. Die Reichweite
der Raketen ist auch gar nicht ausreichend, um das syri-
sche Gebiet zu treffen. Insofern würde ich nicht zwei
Mandate miteinander vermengen, die nichts miteinander
zu tun haben.
Sie können gewiss sein, dass die Bundesregierung
stets Sorge für ihre Soldatinnen und Soldaten trägt, dass
sie sämtliche Entwicklungen aufmerksam verfolgt und
sie darüber hinaus die notwendigen Gespräche führt –
auch zum Schutze unserer Soldatinnen und Soldaten,
nicht nur in der Türkei, sondern darüber hinaus.
Frau Kollegin Hänsel, sind damit alle Ihre Fragen be-
antwortet?
Ich habe noch eine Nachfrage.
Bitte sehr.
Sie haben schon erwähnt: Es gibt Forderungen der
türkischen Regierung nach Schaffung einer Schutzzone
auf syrischer Seite in der Grenzregion. Eine solche
Schutzzone würde vor allem das autonome Kurdenge-
biet Rojawa betreffen. Da gibt es große Widerstände und
auch Befürchtungen vonseiten der Kurden und Kurdin-
nen. Meine Frage: Wie steht die Bundesregierung kon-
kret zu solch einer Forderung der türkischen Regierung?
Was macht sie konkret, um die Sorgen der Kurden und
Kurdinnen auszuräumen, dass es nicht zu einer militäri-
schen Besetzung dieser Region durch das türkische Mili-
tär kommt?
Die Bundesregierung konzentriert sich darauf, das un-
endliche Leid der Menschen in dieser Region zu lindern.
Ich habe schon dargestellt, wie die humanitären Hilfs-
leistungen derzeit, insbesondere für diese Region, ausse-
hen. Wir sind nicht gefragt worden, ob wir uns über die
humanitären Hilfsleistungen hinaus an einem Militärein-
satz beteiligen wollen. Wir haben bislang elf Staaten, die
unter Führung der Vereinigten Staaten von Amerika für
die Luftschläge verantwortlich zeichnen, um gegen den
IS zu kämpfen.
Das, was die türkische Regierung als Voraussetzung
einstuft, nämlich sogenannte Schutzzonen, setzt auch
Bodentruppen voraus. Ich sehe derzeit bei niemandem
die Bereitschaft, solche Truppen einzusetzen. Das Ganze
ist also eine sehr theoretische Konstruktion.
Für eine weitere Zusatzfrage in diesem Zusammen-
hang erteile ich das Wort jetzt dem Kollegen Ströbele.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Welchekonkreten Planungen oder mindestens Überlegungen hatdie Bundesregierung für den ja nicht unwahrscheinli-chen Fall, dass die türkische Regierung von dem Man-dat, das sie vom Parlament bekommen hat, Gebrauchmacht und mit Militär in Syrien einrückt? Könnte dasnach Auffassung der Bundesregierung dann der NATO-Verteidigungsfall sein? Wie verhalten sich die Patriot-Einheiten der Bundeswehr in dem Falle – auf dieses Pro-blem ist schon hingewiesen worden –, dass von Syrienaus die Assad-Truppen oder welche Truppen auch im-mer die Türkei angreifen oder von dort zurückschlagen,je nachdem, wie man das nennen will? Werden dann die
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5160 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Hans-Christian Ströbele
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(B)
deutschen Patriot-Raketen eingesetzt, um beispiels-weise Flugzeuge oder Raketen, die von Syrien aus aufdie Türkei fliegen, abzuwehren?
Herr Ströbele, Sie haben jetzt so viel spekuliert, dass
ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll. Ich glaube
auch, dass die Lage viel zu ernst ist, um sich in Spekula-
tionen zu ergehen. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich
Ihnen noch einmal die klare Rechtslage erklären soll,
weil ich mir ziemlich sicher bin, dass Sie sie kennen.
Sie haben noch einmal die besondere Verantwortung
der Türkei als NATO-Mitgliedsland erwähnt. Sollte es
zu einem Angriff auf die Türkei kommen, stellt sich die
Bündnisfrage. Aber es gibt überhaupt keinen Automatis-
mus, der sich aus Artikel 5 des NATO-Vertrags ergibt.
Sie wissen auch, dass der Bündnisfall bislang nur ein
einziges Mal eingetreten ist, nämlich im Rahmen von
9/11. Sollte die Türkei einen Antrag auf Bündnissolida-
rität stellen – das ist die Grundvoraussetzung –, dann
muss zwischen den 28 Mitgliedstaaten der NATO ein
Konsens erzielt werden. Das ist die rein rechtliche Situa-
tion. Wenn wir uns einmal die Wirklichkeit anschauen,
stellen wir fest: Dieser Fall ist in der Geschichte der
NATO bislang ein einziges Mal eingetreten.
Ansonsten können Sie sich darauf verlassen, dass wir
viele Gespräche führen. Ich habe Ihnen auch deutlich ge-
macht, wie das bisherige Mandat für die Operation „Ac-
tive Fence“ aussieht und welchen Beitrag unsere Solda-
tinnen und Soldaten dazu leisten.
Wir kommen damit zur Frage 3 der Kollegin Heike
Hänsel:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über das
Verhältnis zwischen der türkischen Regierung und dem soge-
nannten Islamischen Staat – IS –, und in welcher Weise hilft
die Bundesregierung der in der nordsyrischen Region Rojawa,
insbesondere der Stadt Kobane, von dem IS angegriffenen Be-
völkerung?
Vielen Dank. – Frau Kollegin Hänsel, seit dem
30. September 2013 – ich habe das eben schon einmal
erwähnt; deswegen wiederhole ich mich jetzt ein biss-
chen – stuft auch die türkische Regierung ISIS bzw. ISIL
als Terrororganisation ein. Im Übrigen hat kürzlich der
neue türkische Außenminister Berlin besucht und Ge-
spräche mit unserem Außenminister geführt. Dabei hat
die Türkei noch einmal deutlich darauf hingewiesen,
dass bereits jetzt 6 000 mutmaßliche Foreign Terrorist
Fighters auf eine Einreisesperrliste gesetzt worden sind
und dass schon 1 000 solcher Kämpfer aus der Türkei
ausgewiesen worden sind. Über den Parlamentsbe-
schluss vom 2. Oktober, der ein entschiedenes Vorgehen
gegen den IS ermöglicht, habe ich Sie ebenfalls schon
informiert.
Die Bundesregierung ist vor allem im Kampf gegen
ISIS um ein internationales Bündnis gegen den dschiha-
distischen Extremismus und gegen den Terror vom IS
bemüht. Dazu leisten wir im Rahmen unserer Möglich-
keiten den Beitrag, den man zu Recht von uns verlangen
kann. Die letzte Sitzung der Vereinten Nationen war ge-
rade auch von diesem Gesprächsthema geprägt. Unser
Außenminister hat sich in diesem Bereich sehr enga-
giert.
Vor dem Hintergrund der sich verschärfenden huma-
nitären Notlage der Menschen in Syrien und im Irak hat
die Bundesregierung am 1. Oktober die Mittel für huma-
nitäre Hilfsleistungen abermals um 10 Millionen Euro
aufgestockt. Hiermit sollen insbesondere Hilfsprogramme
des UNHCR, Nahrungsmittelhilfen des Welternährungs-
programms und auch Hilfsmaßnahmen humanitärer
Nichtregierungsorganisationen in der Türkei aufgrund
der aktuellen Flüchtlingssituation finanziert werden.
Ich möchte schon jetzt darauf hinweisen, dass am
28. Oktober auf Einladung von Außenminister Steinmeier
und unseres Hauses eine internationale Flüchtlingskon-
ferenz stattfinden wird. 40 Außenministerinnen und Au-
ßenminister sowie eine Reihe von Flüchtlingsorganisa-
tionen haben ihren Teilnahmewillen bekundet. Es geht
hier nicht allein um ein klares Zeichen der Solidarität,
sondern wir wollen gemeinsam auch überlegen: Was
können wir noch mehr tun, um die Lage der Flüchtlinge
zu verbessern?
Noch einmal die Zahl: Seit 2012 hat die Bundesregie-
rung 622 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Wir be-
mühen uns derzeit – auch das wissen Sie, liebe Kollegin-
nen und Kollegen – um eine Mittelaufstockung, aber wir
sind hier auf das Wohlwollen und auf die konkrete Un-
terstützungsbereitschaft des Deutschen Bundestages
zwingend angewiesen, weil unsere Haushaltsmittel kom-
plett aufgebraucht sind.
Bevor ich das Wort zur ersten Nachfrage erteile, ma-
che ich nur auf Folgendes aufmerksam: Wir haben uns
Regeln gegeben, was die Zeit für die Fragestellung und
auch für die Beantwortung der Fragen betrifft. Damit
man nicht im Eifer, möglichst viele Fakten rüberzubrin-
gen, über diese Zeit hinwegredet, haben wir hier ein op-
tisches Signal. Spätestens dann, wenn die Farbe Rot auf-
leuchtet, ist die Antwortzeit oder auch die Fragezeit
ausgeschöpft. Ich bitte, das im Interesse aller Kollegin-
nen und Kollegen zu beachten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Frau
Hänsel.
Danke schön. – Ich möchte noch einmal auf die Rolleder Türkei bezüglich der Unterstützung des sogenanntenIslamischen Staates zu sprechen kommen. Im Gegensatzzu Äußerungen, was Russland anbetrifft – da gab es jadie Aufforderung, dass Russland keine Kämpfer über dieGrenze zur Ostukraine durchlassen soll; da gibt es sogareinen Beschluss der G 7, in dem das thematisiert wirdund Russland dazu aufgefordert wird –, habe ich von Ih-nen bzw. von der Bundesregierung offiziell in keinerWeise eine ähnliche Aufforderung an die türkische Re-gierung gehört, dass sie hier eine ganz klare Rolle ein-nehmen und nachweisen müsse, dass sie den IS nicht un-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5161
Heike Hänsel
(C)
(B)
terstützt. Es gibt viele entsprechende Berichte vonAugenzeugen aus der Region an der türkisch-syrischenGrenze. Sie finden auch Berichte in der New York Times,in denen aus Obamas Administration schwere Vorwürfeerhoben werden.Was gedenkt die Bundesregierung aktiv gegenüberder türkischen Regierung zu tun, damit Unterstützungs-leistungen, die Bereitstellung von Rückzugsräumen usw.beendet werden? Das ist doch jetzt eine ganz dringendeAufgabe.
Bevor ich Ihre Frage beantworte, Frau Kollegin
Hänsel, gestatten Sie mir, Frau Präsidentin, noch ein
Wort in eigener Sache. Ich finde Ihren Hinweis bezüg-
lich der Geschäftsordnung zwar richtig, aber es kann
doch nicht angehen, dass auf der einen Seite die Kolle-
ginnen und Kollegen des Parlamentes die Regierung da-
für kritisieren, dass wir sehr kurze und vielleicht auch
nicht zureichende Antworten geben, und dann, wenn
man sich einmal darum bemüht, zureichend zu antwor-
ten und vielleicht auch den einen oder anderen Aspekt zu
benennen, ist es auch wieder nicht recht. Wenn Sie also
kurze Antworten von mir erwarten, dann werde ich das
zukünftig genau so tun.
Das gilt für beide Seiten, und ich denke, der Ort, um
das zu besprechen, ist der Ältestenrat. Wir haben uns aus
aktuellem Anlass in den vergangenen zwei Ältestenrats-
sitzungen genau damit befasst, und ich muss keine Pro-
phetin sein, um vorherzusagen, dass wir das auch mor-
gen wieder besprechen werden. Ich nehme an, dass Ihr
Kollege Helge Braun oder andere, die die Bundesregie-
rung dort vertreten, Ihr Anliegen mitbringen wird und
wir dort sicherlich auch einen entsprechenden Kompro-
miss finden. Ich bin gehalten, das hier völlig ohne Anse-
hen der Rednerinnen und Redner und ihrer Herkunft
durchzusetzen.
Danke für Ihr Verständnis, Frau Präsidentin. – Jetzt
beantworte ich die Frage der Kollegin Hänsel möglichst
kurz und ganz prägnant.
Ich hatte eingangs schon darauf hingewiesen, dass
sich die Bundesregierung sehr engagiert darum bemüht,
ein internationales Bündnis gegen IS zu schmieden.
Selbstverständlich spielt dabei die Türkei als unmittelba-
res Nachbarland von Syrien eine zentrale Rolle. Ich weiß
nicht, wie Sie auf die Idee kommen, dass es nicht ent-
sprechende klare Aussagen der Bundesregierung auf den
unterschiedlichsten Ebenen gegeben habe. Ich hatte Ih-
nen deutlich gemacht, wie die Antworten der türkischen
Regierung, auch gegenüber dem Auswärtigen Amt, auch
gegenüber unserem Außenminister, ausgesehen haben.
Weiter spekulieren möchte ich nicht.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Danke schön. – Sie hatten ja sehr allgemein erwähnt,
dass Sie umfassende humanitäre Hilfe leisten. Wir erin-
nern uns alle: Im Sommer, als es um die dramatische Si-
tuation der Jesiden ging, war die Bundesregierung sehr
aktiv und hat sich in vielfacher Weise in der Hinsicht ge-
äußert, die Jesiden müssten geschützt werden usw. Jetzt
einmal unabhängig davon, dass wir Waffenlieferungen
nicht unterstützen: Gibt es überhaupt Äußerungen der
Bundesregierung zur dramatischen Situation in Kobane
bzw. in Rojawa? Ich höre so gut wie nichts von der Bun-
desregierung. Etliche von uns waren mittlerweile an der
türkisch-syrischen Grenze. Die Grenze wurde vom Mili-
tär dichtgemacht. Dort stehen Panzer. Die türkische Re-
gierung verhindert zum Beispiel auch, dass Kurden bzw.
Kurdinnen wieder auf die syrische Seite kommen, um
dort Kobane zu verteidigen. Es gibt eine Blockadepolitik
der türkischen Regierung. So ist die Grenze vermint.
Was machen Sie denn eigentlich, um diese Blockade-
politik der Türkei gegenüber Kobane zu brechen?
Außerdem gab es allein gestern über 14 Tote bei Aus-
einandersetzungen im Rahmen von Demonstrationen in
der Türkei. 14 Tote unter den Kurden und Kurdinnen!
Was haben Sie daraufhin gemacht? Werden Sie den tür-
kischen Botschafter einbestellen? Dass es bei diesen De-
monstrationen 14 Tote gab, ist ja unglaublich!
Ich habe das Engagement der Bundesregierung imRahmen der humanitären Hilfe geschildert. Ich kann Ih-nen auch noch einmal – weil Sie bemängelt haben, es seinicht ausführlich genug gewesen – Zahlen nennen: Bis-lang sind 347,07 Millionen Euro an humanitärer Hilfegeflossen, 199,65 Millionen Euro an strukturbildenderÜbergangshilfe/bilateraler Unterstützung und dann nocheinmal 75,4 Millionen Euro für Krisenbewältigung. Dassind die drei wesentlichen Bereiche.Darüber hinaus kann ich Ihnen noch einmal versi-chern, dass wir selbstverständlich mit der Türkei, aberauch mit allen anderen Verantwortlichen im regelmäßi-gen Austausch darüber in Kontakt stehen, um ein inter-nationales Bündnis gegen IS zu schmieden. Derzeit gibtes keinerlei Anfragen an die Bundesregierung, weder zurBeteiligung an Bodentruppen noch zur Beteiligung anLuftschlägen. Ich glaube auch nicht, dass es sinnvollwäre, wenn alle dasselbe täten. Wir konzentrieren unsvor allem auf die humanitären Leistungen. Ich hatte auchdies mit einer Bitte an den Bundestag verbunden, näm-lich uns dabei zu helfen, dass wir mehr tun können. Wirkonzentrieren derzeit die humanitären Hilfsleistungenauf die von Ihnen genannte Region,
die besonders schlimmen Angriffen von IS ausgesetztist.
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5162 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
(C)
(B)
Zu einer Zusatzfrage hat der Kollege Volker Beck das
Wort.
Herr Staatsminister, vielleicht kommen Sie mit Ihrer
Zeit auch deshalb nicht zurecht, weil Sie zu der Frage
nichts sagen. Es geht hier nicht um Millionen für huma-
nitäre Hilfe, sondern es geht um die aktuelle humanitäre
Katastrophe von Kobane. Es geht zum Beispiel um die
Frage, ob man die Grenze zur Türkei öffnet, damit die
Menschen, wenn der IS die Stadt vollends überrennt,
rechtzeitig fliehen und sich in Sicherheit bringen kön-
nen. Das ist gegenwärtig nicht gewährleistet. Stattdessen
ist es offensichtlich so, dass IS-Kämpfer über die Grenze
kommen, um sich in die Türkei zurückzuziehen, und
dann auch wieder in Syrien eindringen können; das
nimmt die Türkei hin. Dabei geht es doch nicht um die
Frage, wie viel Geld wir ausgeben. Vielmehr geht es da-
rum, inwieweit Sie, da die Türkei NATO-Partner und auf
der Ebene der Europäischen Union Beitrittskandidat ist,
Ihre diplomatischen Möglichkeiten nutzen. Deshalb
finde ich die Frage von Kollegin Hänsel ausdrücklich
richtig. Warum bestellen Sie den Botschafter der Türkei
nicht ein, um diese Frage in einem deutlichen Gespräch
zu erörtern und klarzumachen, dass man im Sinne von
Responsibility to Protect alles tun muss, um die Men-
schen von Kobane zu retten? Wenn Sie nur zuschauen
und bis nächstes Jahr an einem Bündnis schmieden, hilft
das Kobane und den Menschen dort nicht mehr.
Was also tun Sie direkt? Oder können Sie es nicht sa-
gen? Dann müssen Sie hier die zuständigen Regierungs-
mitglieder präsentieren, die diesbezüglich auskunftsfä-
hig sind.
Das Wort hat der Staatsminister.
Sie können mich, Herr Kollege, gerne kritisieren.
Aber Sie sollten bei Ihrer massiven Kritik an der Türkei
vielleicht eines nicht außer Acht lassen: Die Türkei hat
bislang 820 000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen.
Zudem sagen Experten, es dürften realiter vermutlich
weit über 1 Million Flüchtlinge sein, die sich derzeit auf
türkischem Staatsgebiet aufhalten. Deshalb empfinde ich
es als etwas merkwürdig, wenn Sie der Türkei unterstel-
len, sie würde keinen Beitrag leisten, um menschliche
Not zu lindern.
– Ich habe Ihre Frage so beantwortet, wie ich sie beant-
worten möchte.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Katja
Keul das Wort.
He
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir wären die Letzten, die humanitäre
Hilfe nicht für äußerst wichtig hielten, und wenn Sie
diese aufstocken wollen, haben Sie natürlich unsere
volle Unterstützung. Aber das ändert doch nichts daran,
dass sich bezüglich der genannten Grenzsituation be-
rechtigte Fragen stellen. Sie haben noch einmal darge-
legt, wie ein Bündnisfall rechtlich eintreten kann. Aber
ich verstehe überhaupt nicht, dass Sie dann sagen, die
Frage des Kollegen Ströbele sei völlig spekulativ und
fiktiv. Wir alle, Sie, ich und wir alle, stehen fassungslos
vor dem, was in Kobane passiert. Es ist doch klar, dass
das Szenario, das Sie geschildert haben, nichts Fiktives,
auf dem Papier Stehendes ist, sondern etwas, was jeden
Tag eintreten kann. Dann interessiert sich auch niemand
mehr dafür, wann, wie und auf welchem Wege die An-
frage an die Bundesregierung kommt, sondern dann ha-
ben wir den Schlamassel und den Bündnisfall. Die Frage
ist: Wie bereitet sich die Bundesregierung darauf vor?
Was macht sie mit den in der Türkei stationierten Solda-
ten? Wie gedenkt sie sich in einer solchen Situation mit
den völkerrechtlichen Gegebenheiten auseinanderzuset-
zen? Das sind doch berechtigte Fragen.
Ich kann die Antworten aber nur aufgrund der Sach-
lage geben. Die Sachlage schildert sich folgendermaßen
– ich kann es gerne noch einmal wiederholen –: Es gibt
ein Mandat der türkischen Nationalversammlung. Die
türkische Regierung hat bislang erklärt, dass sie derzeit
nicht beabsichtigt, in Syrien militärisch einzugreifen. Sie
hat zwei Bedingungen genannt: Schutzzonen am Boden,
aber auch entsprechende Flugzonen. Diese beiden Be-
dingungen setzen ein internationales Engagement der
Koalition voraus. Bislang sind sechs Staaten unter Füh-
rung der Vereinigten Staaten von Amerika an Luftschlä-
gen beteiligt. Bislang liegt keine Anfrage an die deut-
sche Regierung vor, sich an diesen Luftschlägen zu
beteiligen. Es gibt auch keine Nachfrage und keine Bitte,
sich an Bodentruppen zu beteiligen. Es gibt aber unser
großes Bemühen, die humanitäre Situation zu verbes-
sern. Hier leisten wir das, was im Rahmen unsere Mög-
lichkeiten ist. Das sind die Fakten, Frau Kollegin.
Die letzte Nachfrage zur Frage 3 der Kollegin Hänselstellt der Kollege Wolfgang Gehrcke.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5163
(C)
(B)
Herr Staatsminister, die Situation ist dramatisch. Aber
wir fragen nach etwas anderem. Die Stiftung Wissen-
schaft und Politik sagt: Der Schlüssel liegt derzeitig in
der Türkei. Ihr Kollege, Herr Ederer, Staatssekretär im
Auswärtigen Amt, sagt das Gleiche. Jetzt stellen wir die
einfache Frage, ob die Bundesregierung bereit ist, der
Türkei zu sagen – wenn sie es noch nicht gemacht hat –:
Wir erwarten, dass die Grenze konsequent für ISIS-
Kämpfer geschlossen und für Flüchtlinge aufgemacht
wird. – Das ist doch eine einfache Frage, die Sie mit Ja
oder Nein beantworten können bzw. auf die Sie antwor-
ten können, wann Sie es gemacht haben oder machen
werden.
Ich habe schon mehrfach darauf hingewiesen, dass
das Hauptziel der Bundesregierung ist, ein internationa-
les Bündnis gegen IS zu schmieden. Dort spielt die Tür-
kei eine entscheidende Rolle. Selbstverständlich führen
wir auch Gespräche mit der Türkei, welchen Beitrag sie
zu leisten vermag, um gegen IS vorzugehen. Ansonsten
habe ich Ihnen auch geschildert, dass ich mich im Ge-
gensatz zu anderen schwertue, der Türkei zu unterstel-
len, sie würde nicht genügend für Flüchtlinge tun. Sie tut
viel für Flüchtlinge.
Zurzeit hat der Herr Staatsminister das Wort, es sei
denn, er ist am Ende seiner Antwort.
Zumindest bin ich am Ende dieser Antwort. Ja.
Da die Fragen 4 und 5 der Kollegin Dağdelen schrift-
lich beantwortet werden, danke ich dem Herrn Staatsmi-
nister. – Wir sind am Ende des Geschäftsbereichs des
Auswärtigen Amts.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole
Schröder zur Verfügung.
Die Frage 6 der Kollegin Martina Renner und die
Frage 7 des Kollegen Andrej Hunko sollen schriftlich
beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 8 des Kollegen Volker Beck auf:
Behörden des Bundes bzw. nach Kenntnis der Bundesregie-
Magazin Monitor vom 2. Oktober 2014), und inwiefern
hat die Bundesregierung den
Deutschen Bundestag über eine entsprechende Beschlusslage
der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren
der Länder, die die Billigung solcher Ausreisen vorsah, infor-
miert?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich beantworte die
Frage wie folgt: Ausreisen von gewaltbereiten Islamis-
ten, bei denen Tatsachen den Verdacht terroristischer
Aktivitäten stützen, fanden mit Billigung bzw. Zutun
von Behörden des Bundes nicht statt. Maßnahmen der
Gefahrenabwehr fallen in die originären Zuständigkeiten
der Länder und Kommunen.
Bei Bund und den für die Vollziehung von Gefahren-
abwehrmaßnahmen originär zuständigen Ländern und
Kommunen besteht seit langem Einvernehmen darüber,
dass Ausreisen von Personen verhindert werden, soweit
Hinweise auf eine Ausreiseabsicht im Zusammenhang
mit der Absicht und Planung konkreter Gewalttaten im
Ausland bestehen, und damit die rechtlichen Vorausset-
zungen für eine Ausreiseverhinderung vorliegen. Soweit
eine konkrete Absicht und Planung nicht in hinreichen-
dem Maße aufgeklärt werden kann, ergreifen die Länder
und Kommunen andere gefahrenabwehrende Maßnah-
men, die auch die Überprüfung des Aufenthaltsstatus be-
inhalten. Dabei unterliegt jeder Einzelfall einer sorgfälti-
gen Prüfung hinsichtlich der Anwendung der geeigneten
und rechtlich zulässigen Maßnahmen. Eine hiervon ab-
weichende Abstimmung oder Beschlusslage der Ständi-
gen Konferenz der Innenminister und -senatoren der
Länder ist nicht bekannt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich möchte Sie ganz konkret zu dem Fall von ErhanA. befragen, der sich gegenwärtig in Bayern in Abschie-behaft befindet. Er hat in der Presse öffentlich geäußert,dass er David G. aus Kempten beneidet habe, der imISIS-Kampf gestorben ist. Die bayerischen Stellen habenerklärt, dass eine Abschiebung von Erhan A. dennochbeabsichtigt ist.Die CSU ist sich sogar nicht zu schade, heute ein Piczu verbreiten, auf dem steht:„Jemand, der in aller Öffentlichkeit die Gräueltatender Terrormiliz Islamischer Staat gutheißt, das Köp-fen von Journalisten rechtfertigt und nicht davor zu-rückschreckt, seine eigene Familie zu töten, wennsie sich nicht an die islamischen Gesetze hält, hatbei uns nichts zu suchen.“Damit wird die harte Linie der CSU, so jemanden desLandes zu verweisen, ausdrücklich beworben. Das ver-stößt meines Erachtens gegen den Wortlaut und den Sinnder UN-Resolution zu Foreign Fighters. Danach sind wir
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5164 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Volker Beck
(C)
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gehalten, solche Personen in unserem Land festzuhaltenund sie gegebenenfalls mit Mitteln der Strafverfolgungfestzusetzen oder polizeilich zu überwachen. – Mir fehltjedes Verständnis für die Diskussionslage in der CSU.Völkerrechtlich ist die Bundesregierung gegenüberden Vereinten Nationen verantwortlich. Soweit ich weiß,wurde diese Resolution von Deutschland ausdrücklichunterstützt. Wie beurteilen Sie vor dem Hintergrund die-ser UN-Resolution die bevorstehende Abschiebung vonHerrn Erhan A. in die Türkei, wodurch eine Weiterreiseins Kampfgebiet ermöglicht wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Generell ist zu sagen, dass wir solche Personen, bei
denen eine konkrete Reiseabsicht, aber auch eine kon-
krete Terrorabsicht besteht, nicht ausreisen lassen, weil
wir nicht wollen, dass von deutschem Boden Terror und
Krieg ausgehen. Davon zu unterscheiden sind aber sol-
che Personen, die keine Terrorabsicht haben, aber ent-
sprechend agitieren, insbesondere Hassprediger, die ge-
rade junge Menschen dazu bringen könnten, nach Syrien
zu ziehen. Diese Personen wollen wir nicht im Land ha-
ben, weil wir insbesondere die dafür anfälligen Jugendli-
chen schützen wollen. Wir wollen nicht, dass solche
Hassprediger zum Beispiel in Moscheen in Deutschland
andere zu Terror anstiften; sie gehören selbstverständlich
ausgewiesen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich sehe das mit den Hasspredigern anders. Ich finde:
Wenn sie über YouTube ihre Botschaften aus dem
Kampfgebiet senden, hat das eine wesentlich verheeren-
dere Wirkung. Wenn sie wirklich Hass predigen, ist das
Strafrecht wegen Volksverhetzung in Anspruch zu neh-
men.
Ich komme konkret zum Fall des Erhan A. Er sagt
eindeutig, er beneide seinen Kumpel, der schon unten
war. Er unterstützt ausdrücklich alle Gewalttaten, die der
IS gegenwärtig begeht. Er hat lediglich noch nicht den
Satz gesagt: Ich will da jetzt auch hin. – Aber wer eins
und eins zusammenzählen kann, weiß, dass dieser Typ
das denkt. Würden Sie mir zustimmen, dass es ange-
sichts der UN-Resolution zu Foreign Fighters unzulässig
wäre, Erhan A. gegenwärtig in die Türkei auszuweisen?
Was haben Ihre diesbezüglichen Gespräche mit der Bay-
erischen Staatsregierung bislang ergeben? – Der Be-
schluss der IMK vom 5. Juni 2009 sieht ein hohes Maß
an Kommunikation der Sicherheitsbehörden bei solchen
Maßnahmen vor. Ich hoffe, das ist nicht nur Papier, son-
dern es gibt dieses Maß der Kommunikation.
D
Wir müssen im konkreten Einzelfall unterscheiden:
Ist das ein ausländischer Kämpfer? Will er im Ausland
Terrortaten begehen?
Dann verhindern wir die Ausreise. Wenn es eine Person
ist, die andere dazu bringen möchte, ins Ausland zu ge-
hen, die agitiert, die hier in Deutschland in Moscheen tä-
tig ist und insbesondere Jugendliche dazu bringen will,
nach Syrien zu gehen, um sich dort ISIS anzuschließen,
dann greifen ausländerrechtliche Instrumentarien, dann
ist es angezeigt, diese Person auszuweisen. – Das müs-
sen wir unterscheiden; das bringen Sie gerade durch-
einander.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Heike Hänsel das
Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich habe eine Frage zu den
aktuellen Auseinandersetzungen in Hamburg und Celle.
Salafistische Gruppen hatten über Facebook und Twitter
dazu aufgerufen, kurdische Kulturvereine zu überfallen.
Danach kam es zu schweren Ausschreitungen. Wie ge-
denkt die Bundesregierung, darauf zu reagieren?
D
Das ist eine sehr dynamische Lage. Auch in anderen
Städten gab es solche Vorfälle. Jetzt kommt es darauf an,
konkret mit den Sicherheitsbehörden vor Ort und auch
mit den unterschiedlichen Akteuren zu sprechen, damit
mögliche Demonstrationen gewaltfrei ablaufen.
Die Kollegin Haßelmann stellt die nächste Frage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr StaatssekretärSchröder, ich möchte Sie auffordern, auf die konkreteFrage meines Kollegen Beck zu antworten. Er hat keineallgemeine Frage zu der grundsätzlichen Politik des In-nenministeriums gestellt. Es ging ihm konkret um denWiderspruch zwischen den Aussagen des bayerischenInnenministeriums und der Ausreiseverfügung bezüglicheiner ganz konkreten Person und der Rechtslage und derAnwendung der Rechtsvorschriften entsprechend denöffentlichen Einlassungen, insbesondere zur Linie desInnenministeriums von de Maizière. Herr Beck hat Sieganz präzise und konkret gefragt. Sie haben aber, trotz
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5165
Britta Haßelmann
(C)
(B)
zweimaliger Nachfrage, nicht darauf geantwortet. Ichfordere Sie deshalb auf, konkret etwas zu dem FallErhan A. aus Bayern zu sagen.D
Ich habe ganz konkret geantwortet und erläutert, wel-
che Absprachen mit den Ländern in Bezug auf die Vor-
gehensweise getroffen wurden. Ich gehe davon aus, dass
auch dieser konkrete Fall gemäß den IMK-Beschlüssen
abgewickelt wurde. Aber natürlich kenne ich nicht die
konkrete Akte.
Wir sind immer noch im Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern. Ich rufe die Frage 9 der
Kollegin Luise Amtsberg auf:
Was soll nach Kenntnis der Bundesregierung der Aufga-
benbereich der geplanten
Frontex-Operation „Triton“ sein, und mit welcher Begrün-
dung setzt sich die Bundesregierung beim anstehenden EU-
Innenministerrat am 9. Oktober 2014 nicht für eine europäi-
sche Unterstützung der italienischen Marineoperation „Mare
Nostrum“ auch außerhalb italienischen Hoheitsgewässers ein,
die im vergangenen Jahr auf hoher See 100 000 Menschen ge-
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Der Einsatzplan
der gegenwärtig geplanten Frontex-koordinierten Opera-
tion „Triton“ ist der Bundesregierung noch nicht be-
kannt.
Nach bisherigem Kenntnisstand soll der Einsatz zur
Implementierung koordinierter operativer Aktivitäten
der EU-Mitgliedstaaten an den Seeaußengrenzen im zen-
tralen Mittelmeer beitragen. Im Ergebnis sollen die
grenzpolizeilichen Maßnahmen der zuständigen italieni-
schen Behörden durch Personal und technische Ausrüs-
tungsgegenstände anderer EU-Mitgliedstaaten unter-
stützt werden.
Ziel ist die grenzpolizeiliche Kontrolle von Migra-
tionsströmen in Richtung Europa und die Bekämpfung
von grenzüberschreitender Kriminalität. Darüber hinaus
sollen Seenotrettungsmaßnahmen der zuständigen italie-
nischen Behörden im Einsatzgebiet unterstützt werden.
Diese Einsatzziele sollen insbesondere durch Mittel der
Grenzüberwachung und gezielten Informationsgewin-
nung im Rahmen von Befragungen erreicht werden.
Die Höhe der dadurch entstehenden Einsatzkosten ist
der Bundesregierung nicht bekannt. Da es sich bei der
Operation „Triton“ um eine außerplanmäßige Maß-
nahme handelt, war sie nicht Gegenstand der Jahrespla-
nung 2014. Der zulässige Kostenrahmen ergibt sich je-
doch in erster Linie aus dem Frontex-Haushalt, also den
verfügbaren Mitteln, und dem Jahresarbeitsprogramm
der Agentur, also den durch den Verwaltungsrat ent-
schiedenen Aktivitäten der Agentur.
Zum zweiten Teil Ihrer Frage. Die Kooperation der
EU-Mitgliedstaaten erfolgt entsprechend den Mecha-
nismen im Rahmen der gemeinsamen polizeilichen
Grenzüberwachung. Hierzu verfügen die zuständigen
Mitgliedstaaten über gemeinsame Ausbildungs- und
Einsatzstandards, Rechtsgrundlagen, Einsatzkonzepte
und Einsatzmittel. Diese Kooperation hat sich auch im
Mittelmeer in den Frontex-koordinierten Operationen
„Hermes“ und „Aeneas“ bewährt.
Die Operation „Mare Nostrum“ ist eine militärische
Operation. Frontex hat hier weder das Mandat noch die
Mittel, Einsatzmaßnahmen nach dem Vorbild „Mare
Nostrum“ zu koordinieren. Um die vorhandenen Ein-
satzkapazitäten und notwendigen Ressourcen der Mit-
gliedstaaten kurzfristig nutzen zu können, sind Frontex-
koordinierte Grenzüberwachungseinsätze unabdingbar.
Die Erfahrungen der letzten Jahre haben gezeigt, dass
hierdurch Tausende Menschen gerettet und gleichzeitig
kriminelle Schleusungsorganisationen bekämpft werden.
Diese notwendige Verknüpfung des Rettungseinsatzes
mit der polizeilichen Bekämpfung von Schleusungskri-
minalität kann in einer militärisch geführten Operation
nicht gewährleistet werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank. – Wir wissen noch nicht viel über die
Bedarfsanforderungen seitens Frontex für diese Mission.
Das leuchtet mir ein. Da warten wir natürlich noch auf
weitere Informationen. Aber wir wissen schon, wie man
sich das ungefähr vorstellen kann. So sagt die italieni-
sche EU-Ratspräsidentschaft beispielsweise, dass das
Abnehmen von Fingerabdrücken auf hoher See, im
Zweifel auch mit Gewalt, legitimiert werden soll und
eine engere Zusammenarbeit – das wurde von unserem
Bundesinnenminister unterstützt – mit den Transit- und
Herkunftsländern stattfinden soll, unter anderem auch
mit Ländern am Horn von Afrika. Mich würde interes-
sieren, weil das Fragen sind, die die Menschenrechte be-
rühren, ob die Bundesregierung eine engere Kooperation
mit den Transit- und Herkunftsstaaten tatsächlich unter-
stützt und wie diese aussehen soll. Wenn die Bundesre-
gierung diese Forderung nicht teilt, möchte ich wissen,
wie sie gedenkt, diese Ausrichtung zu verhindern.
D
Morgen wird auf dem Innenministerrat über das Pa-pier der italienischen EU-Ratspräsidentschaft gespro-chen. Dieses Papier, das Sie eben angesprochen haben,sieht eine Stabilisierung der Herkunftsstaaten vor, insbe-sondere von Libyen und seinen Nachbarstaaten. Es gehtdarum, mit den Transitländern enger zusammenzuarbei-ten, um den Schleusern das Handwerk zu legen, aberauch, um humanitäre Aufnahmekapazitäten zu schaffen.
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5166 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
(C)
(B)
Dann geht es natürlich um den Schutz der Außengren-zen. Triton kann keine Fortsetzung von „Mare Nostrum“sein, weil „Mare Nostrum“ eine militärische Operationist und die EU keine militärischen Operationen zumGrenzschutz durchführt. Bei Triton geht es um einendurch Frontex gestützten Einsatz. Dieser soll natürlichauch dafür sorgen, dass Schiffbrüchige, also Menschenin Seenot, gerettet werden. Außerdem geht es der italie-nischen Ratspräsidentschaft vor allen Dingen darum,dass das gemeinsame europäische Asylsystem durchge-setzt wird, das heißt, dass unsere humanitären Standardseingehalten werden.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Vielleicht muss man das einfach einmal grundlegend
klären. Die Frage tauchte ja auch vorhin schon in der Re-
gierungsbefragung auf. Sind die Maßnahmen, die zur
Bekämpfung von Schleuserkriminalität ergriffen wer-
den, ausschließlich überwachungstechnischer Natur?
Wenn man es den Schleusern durch eine härtere Abgren-
zung also sozusagen unmöglich machen will, Menschen
nach Europa zu bringen, ist man dann auch bereit, da-
rüber nachzudenken, ob es andere Möglichkeiten gibt,
um den Schutzsuchenden, um die es ja geht, Wege nach
Europa zu eröffnen? Denkt die Bundesregierung darüber
nach?
D
Das machen wir aktiv. Denken Sie an unser Programm
zur Aufnahme von 20 000 besonders Schutzbedürftigen.
Diese Menschen haben wir aktiv nach Deutschland ge-
holt. Wir haben die Kommission aufgefordert, ein ent-
sprechendes Pledging-Verfahren durchzuführen, also die
anderen Mitgliedstaaten aufzufordern, ebenfalls weitere
Kapazitäten zu schaffen. Aber natürlich ist es auch not-
wendig, Schleuserkriminalität zu bekämpfen. Das er-
folgt nicht durch Abschottung. Das geht nach der Genfer
Flüchtlingskonvention überhaupt gar nicht. Wir sind ge-
halten – das entspricht auch unseren humanitären Stan-
dards –, jeden Flüchtling, der, egal auf welchem Weg, ob
auf dem Landweg oder auf dem Seeweg, kommt, aufzu-
nehmen, ihn nicht nur an Bord zu nehmen, sondern ihn
auch nach Europa zu holen. Aber natürlich ist es auch
notwendig, die Flüchtlinge zu befragen, wie sie denn
nach Europa gekommen sind, was sie dafür bezahlt ha-
ben, welche Route sie gewählt haben. Die dadurch ent-
stehenden Lagebilder sind wichtig, um Schleuserkrimi-
nalität zu bekämpfen.
Wir kommen damit zur Frage 10 der Kollegin Luise
Amtsberg:
Welche sind nach Kenntnis der Bundesregierung die un-
terschiedlichen Maßnahmen, die von der Europäischen Kom-
mission und den Mitgliedstaaten im Vorfeld des EU-Innenmi-
nistertreffens am 9. Oktober 2014 vorgeschlagen wurden, um
künftig ein faires und solidarisches System zur Aufnahme von
Schutzsuchenden in die EU zu gewährleisten, und wie beur-
teilt die Bundesregierung die von der EU-Ratspräsidentschaft
als Ausgleichsmaßnahme vorgeschlagene Intensivierung der
Familienzusammenführung und des Selbsteintrittsrechts im
Rahmen der Dublin-III-Verordnung?
D
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Nach Kenntnis
der Bundesregierung stellt die italienische EU-Ratspräsi-
dentschaft zurzeit Maßnahmen zusammen, um die an-
dauernden Flüchtlingsströme über das Mittelmeer nach
Europa besser bewältigen zu können. Die hierzu erfor-
derlichen Maßnahmen gehen über die Fragestellung ei-
nes fairen und solidarischen Systems zur Aufnahme von
Schutzsuchenden in der Europäischen Union hinaus.
Die Maßnahmen enthalten die sieben Punkte, die
Bundesminister Thomas de Maizière in seiner Haus-
haltsrede vor dem Deutschen Bundestag genannt hat:
verstärkte Zusammenarbeit der Europäischen Union mit
Transit- und Herkunftsstaaten, verstärkte Bekämpfung
von Schleuserbanden, bessere Überwachung der Außen-
grenzen und Migrationsströme der Europäischen Union,
konsequente Anwendung der Dublin- und Eurodac-Ver-
ordnungen, Einrichtung eines beschleunigten Prüfver-
fahrens für Asylanträge in den Fällen, in denen das
Bestehen eines Rechts auf Asyl wahrscheinlich ist, tem-
poräre Verteilung anerkannter Flüchtlinge in andere Mit-
gliedstaaten zur Unterstützung besonders belasteter Mit-
gliedstaaten auf freiwilliger Basis und in Anrechnung
der Lasten, die die Mitgliedstaaten bereits schultern, und
zuletzt Umsetzung einer koordinierten gemeinsamen
Rückführungspolitik.
Die 2013 neugefasste Dublin-III-Verordnung sieht er-
weiterte Regelungen der Familienzusammenführung so-
wie des Selbsteintrittsrechts gerade auch aus humanitä-
ren Gründen vor. Das Bundesamt für Migration und
Flüchtlinge wendet diese Regelungen bereits an.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. –
Den Medien konnte man ja entnehmen, dass sich Bun-
desminister de Maizière eigentlich kritisch zu der Dublin-
Verordnung und zum Dublin-Mechanismus geäußert hat.
Jetzt sagen Sie, dass an der Dublin-III-Verordnung fest-
gehalten werden soll, also an dem Mechanismus. Meine
Frage: Ist es da zu einer neuen Ausrichtung innerhalb
des Bundesinnenministeriums gekommen, oder denkt
man tatsächlich über eine Neuausrichtung oder einen an-
deren Verteilmechanismus innerhalb der Europäischen
Union bei der Flüchtlingsaufnahme nach?
D
Wir haben den Vorschlag gemacht, über eine zusätzli-che freiwillige Verteilung nachzudenken. Die Herausfor-derung besteht darin, dass Sie immer festlegen müssen,wer für das konkrete Asylverfahren zuständig ist. Dasmüssen Sie nach der neuen Dublin-III-Verordnung um-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5167
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
(C)
(B)
setzen. Wenn Sie jetzt einen Verteilungsmechanismuseinführen, der, wie Sie es vorschlagen, verpflichtend ist,dann haben Sie die gleiche Problematik der Durchset-zung. Das heißt, Sie lösen damit am Ende kein Problem.Deshalb sagen wir, dass wir für die Mitgliedstaaten,die momentan nicht die humanitären Standards erfüllenund an die wir zurzeit nicht nach dem Dublin-Verfahrenüberführen, zum Beispiel Griechenland, Anreize schaf-fen wollen. Wenn diese Länder die Standards erfüllen,die wir im Bereich des Flüchtlingsschutzes erwarten,dann sind wir im Gegenzug auch bereit, freiwillig zuhelfen. Da fordern wir natürlich vor allem die Mitglied-staaten auf, die bisher noch nicht solche großen Heraus-forderungen im Bereich des Flüchtlingsschutzes zuschultern haben.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nach-
frage. Bitte.
Erst einmal: Ich habe noch gar keinen Vorschlag für
einen Verteilungsmechanismus gemacht, sondern nur
gesagt, dass es Alternativen gibt. Über diese kann man ja
vielleicht einmal diskutieren; denn der Bundesminister
hat sehr starke Kritik an Italien geäußert, weil es die
Dublin-Verordnung sozusagen nicht in Gänze erfüllt.
Darüber hinaus ist es sozusagen eine Neuausrichtung,
wenn man – ich beziehe mich erneut auf eine Aussage
des Bundesinnenministers – über gewisse Obergrenzen
und ein Anreizsystem, von dem Sie gerade gesprochen
haben, nachdenkt. Deshalb lautete meine Frage vorhin
– ich frage jetzt explizit noch einmal nach –: Gibt es
Überlegungen, ein neues Modell einzuführen? Anreiz-
systeme für Staaten, zum Beispiel Griechenland, zu
schaffen, die Standards wieder anzuheben, begrüßen wir
ausdrücklich. Das würden wir immer unterstützen, weil
nur das der Weg zu einem gemeinsamen Asylsystem ist.
Aber meine Frage bezog sich tatsächlich auf die von
Bundesminister de Maizière getroffenen Aussagen dazu.
D
Zunächst einmal: Der Bundesinnenminister hat nie
von einer Obergrenze gesprochen. Das ist schlichtweg
falsch. Es bringt auch nichts, ihn immer wieder falsch zu
zitieren. Wir werden unserer humanitären Verpflichtung
im Rahmen des gemeinsamen europäischen Asylsystems
gerecht. Das Problem ist, dass sich einige Mitgliedstaa-
ten zurzeit an dieses gemeinsame europäische Asylsys-
tem nicht halten. Die Einhaltung muss aber durchgesetzt
werden. Dabei geht es auch um humanitäre Standards.
Das ist Aufgabe der Kommission. Nun überlegen wir,
wie wir zusätzliche Anreize schaffen, damit Mitglied-
staaten wie beispielsweise Griechenland ebenfalls die
Dublin-Standards erfüllen. Sie erwarten dann, dass sie
zusätzlich zu den finanziellen Hilfen durch Frontex von
allen Mitgliedstaaten freiwillig unterstützt werden. Das
ist im Übrigen keine neue Position. Das ist schon in ge-
meinsamen Papieren der EVP-Minister und EVP-Abge-
ordneten, die sich mit Innenpolitik beschäftigen, so aus-
geführt worden.
Die Kollegin Haßelmann hat zu einer weiteren Nach-
frage das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär
Schröder, wir haben im Zusammenhang mit dem Dublin-
III-Abkommen auch über das Stichwort „Familienzu-
sammenführung“ gesprochen. Bleibt es dabei, dass sich
die Bundesregierung weigert, gerade im Hinblick auf die
Notsituation Nordirak/Syrien über eine erleichterte Fa-
milienzusammenführung insbesondere von Menschen,
die fliehen oder in Flüchtlingslagern sind und Verwandte
in Deutschland haben, nachzudenken? Denken Sie mit
Blick auf diese Menschen über erleichterte Aufnahme-
bedingungen – ich denke da an die Verpflichtungserklä-
rung und viele andere Punkte, die zu Erschwernissen
führen – im Rahmen der Familienzusammenführung
nach?
D
Erstens bitte ich Sie, uns nicht etwas vorzuwerfen,
was wir nicht machen. Die Verpflichtungserklärungen,
von denen Sie sprechen, sind nicht eine Auflage in den
Bundesprogrammen, sondern eine Auflage in den Lan-
desprogrammen, insbesondere von Nordrhein-Westfa-
len. Also achten Sie bitte darauf, an wen Sie bestimmte
Vorwürfe richten.
Zweitens: Wir bemühen uns auch aktiv um eine Fami-
lienzusammenführung. Deshalb haben wir die Pro-
gramme zur aktiven Aufnahme auf den Weg gebracht.
Wir sprechen hier über insgesamt 20 000 Personen. Da
haben wir ganz speziell darauf geachtet, dass es auch um
Familienzusammenführung geht. Sie ist uns ganz beson-
ders wichtig. Die Länder haben im Rahmen ihrer Län-
deraufnahmeprogramme zusätzliche Familienzusam-
menführungen ermöglicht.
Es wurden bestimmte Personen aktiv aus dem Krisenge-
biet geholt. Dabei ging es nicht um Asyl; die Menschen
kommen ohnehin. Die Länder haben es zur Auflage ge-
macht – das war nicht der Bund, sondern die dafür zu-
ständigen Länder, und zwar im Rahmen der Länderpro-
gramme –, dass Verpflichtungserklärungen abgegeben
werden müssen.
Der Staatssekretär Schröder ist insofern nicht mehrgefragt, als es keine weiteren Nachfragen gibt. Herzli-chen Dank. Wir sind damit am Ende der Fragen zum Ge-schäftsbereich des Bundesministeriums des Innern.
Metadaten/Kopzeile:
5168 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Finanzen. Die Fragen 11 und 12 desAbgeordneten Dr. Axel Troost von den Linken, die Fra-gen 13 und 14 des Abgeordneten Richard Pitterle vonden Linken, die Frage 15 der Abgeordneten Lisa Pausvon den Grünen sowie die Fragen 16 und 17 der Abge-ordneten Susanna Karawanskij von den Linken sollenschriftlich beantwortet werden.Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Arbeit und Soziales. Die Fragen 18und 19 der Abgeordneten Sabine Zimmermann
von den Linken sollen schriftlich beantwortet werden.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Zur Be-antwortung der Fragen steht der ParlamentarischeStaatssekretär Peter Bleser zur Verfügung. Die Fragen20 und 21 der Abgeordneten Bärbel Höhn von den Grü-nen sowie die Fragen 22 und 23 des AbgeordnetenHarald Ebner von den Grünen sollen schriftlich beant-wortet werden.Ich rufe die Frage 24 des Kollegen FriedrichOstendorff von den Grünen auf:Wie hoch würden die zusätzlichen finanziellen Belastun-gen im Einzelplan 10 des Bundeshaushalts für die Zuschüssezur Alterssicherung der Landwirte ausfallen, wenn die Hofab-gabeklausel abgeschafft würde und die den Landwirten zuste-henden Rentenansprüche realisiert würden?Bitte, Herr Staatssekretär.P
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die Antwort auf die
Frage lautet wie folgt: Der Koalitionsvertrag von CDU,
CSU und SPD für die 18. Legislaturperiode des Deut-
schen Bundestages sieht vor, die Hofabgabeklausel neu
zu gestalten. Deren Abschaffung wird folglich nicht er-
wogen. Deshalb erübrigen sich auch Berechnungen über
die finanziellen Auswirkungen einer Abschaffung der
Hofabgabeklausel.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, das Ministerium hat allerdings
verlautbart, dass hier um die 20 Millionen Euro an zu-
sätzlichen Lasten auf den Bundeshaushalt zukämen; des-
halb überrascht die Antwort doch etwas. Worauf begrün-
den Sie diese Zahl? Zusätzliche Rentenansprüche
werden hier ja nicht erwirkt, sondern der Bundeshaus-
halt profitiert heute davon, dass etliche Betriebe ihre
Rentenanwartschaften nicht geltend gemacht haben; da-
mit haben sie den Bundeshaushalt letztlich entlastet. Von
daher kann man nicht von Mehrbelastungen reden, son-
dern müsste – würden Sie sich dem anschließen? – haus-
halterisch korrekt sagen, dass man denjenigen, die hier
Ansprüche hätten, danken sollte, und wir müssten, wenn
wir ehrlich wären, diese Ansprüche im Bundeshaushalt
berücksichtigen.
P
Herr Kollege Ostendorff, diese Zahl beruht auf einer
Schätzung, die unter bestimmten Voraussetzungen vor-
genommen worden ist. Da ich aber schon bei der Beant-
wortung Ihrer Frage gesagt habe, dass eine Abschaffung
der Hofabgabeklausel nicht zur Diskussion steht, steht
diese Zahl auch nicht im Raum.
Gut. Zur zweiten Frage: Ihr Minister, Herr Schmidt,
hat jetzt einen Vorschlag in die Debatte eingebracht, und
zwar, auf zwei Jahre terminiert die Rente um 50 Prozent
zu kürzen, wenn ein Hof von bis zu 16 Hektar weiter
bewirtschaftet wird. Dieser Vorschlag überrascht. Die
Frage für uns als Grüne wäre, warum man dem sehr aus-
gearbeiteten Gutachten der Bundesforschung – die ja
dem Minister untersteht – nicht folgt, die ausgerechnet
hat, dass es begründbar wäre, die Hofabgabeklausel fal-
len zu lassen und einen zehnprozentigen Rentenabschlag
vorzusehen. So ist es ja auch im übrigen Rentensystem:
Wer weiter arbeitet, hat mit Rentenabschlägen zu rech-
nen. Die Bundesforschung galt bisher in diesem Punkt
als diejenige, die ohne Fehl und Tadel und ohne Kritik
erklären kann, wie das Rentensicherungssystem der
Landwirtschaft funktioniert – das können ja nicht ganz
viele in diesem Land. Warum folgt Ihr Minister dieser
Empfehlung seiner eigenen Forschung nicht?
P
Ich habe ja schon berichtet, dass eine Abschaffung
der Hofabgabeklausel nicht zur Diskussion steht. Den
Vorschlag des Thünen-Institutes, eine Kürzung von
10 Prozent vorzunehmen, sehen wir rechtlich als proble-
matisch an, weil das Äquivalenzprinzip hier erheblich
beeinträchtigt wäre, und wir sehen rechtliche Konse-
quenzen, was die Gleichbehandlung angeht, damit ver-
bunden.
Damit kommen wir zur Frage 25 des Kollegen
Friedrich Ostendorff:
Welche Maßnahmen zur Stabilisierung des Milchpreises
und zum Schutz bäuerlicher Milcherzeuger beabsichtigt die
Bundesregierung angesichts des schlecht laufenden Absatzes
in China und der rasant anwachsenden weltweiten Erzeugung
Bitte, Herr Staatssekretär.
P
Die Bundesregierung unterstützt den Kurs einerMarktausrichtung der Milchwirtschaft; hierbei bildensich die Preise für Milcherzeugnisse und, zeitversetzt,für Rohmilch am Markt dem Verhältnis von Angebotund Nachfrage entsprechend. Dies schließt zyklischeund kurzfristige Preisschwankungen entlang des von denMarktexperten grundsätzlich positiv eingeschätzten
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5169
Parl. Staatssekretär Peter Bleser
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(B)
Trends allerdings nicht aus. Insofern unterscheidet sichder Milchmarkt nicht von anderen Märkten für landwirt-schaftliche Produkte. Die Bundesregierung hält das mitder Reform der Gemeinsamen Agrarpolitik gestärkte Si-cherheitsnetz für tragfähig. Für den Fall außergewöhnli-cher Marktrisiken kann die Europäische Kommissionerforderliche Maßnahmen ergreifen. Die von der Euro-päischen Kommission wegen des russischen Import-stopps getroffenen Maßnahmen werden von der Bundes-regierung unterstützt. Neue staatliche und halbstaatlicheMengenregelungen werden abgelehnt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Es ist zugegebenermaßen so, dass sich der Milchpreis
in den letzten zwei Jahren etwas stabilisiert hat und viele
Milcherzeuger und -erzeugerinnen wieder etwas Licht
am Ende des Tunnels sehen. Die Lage bleibt aber durch-
aus kritisch zu sehen: So sind die Möglichkeiten des Ex-
ports völlig überschätzt worden. Die Käsemenge, die
Russland jetzt nicht mehr abnimmt, hat dazu geführt,
dass der Milchpreis sehr unter Druck gekommen ist.
Statt der 37 Cent, die die Milchbauern und -bäuerinnen
im letzten Jahr pro Liter bekommen haben, tendiert die
Börse jetzt zu 27 Cent. Wenn Sie davon reden, dass die
S
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir sind da anderer Meinung. Wir
sehen hier schon einen düsteren Horizont und befürch-
ten, dass bei Auslaufen der Quote im nächsten Jahr bei
der jetzigen Entwicklung viele Milchviehbetriebe unter
einen massiven Existenzdruck geraten werden.
China nimmt nicht in dem Maße ab, wie es von Ihnen
immer prognostiziert wurde, und Neuseeland ist stärker
am Markt, als von allen prognostiziert worden ist. Ich
hätte deshalb gerne noch einmal nachgefragt, worauf Sie
den Optimismus real stützen, den Sie hier verbreiten.
Oder sind das nur Sonntagsreden?
P
Herr Kollege Ostendorff, auch in den vergangenen
Jahren hat es trotz der Milchquotenregelung starke
Marktveränderungen sowohl nach oben als auch nach
unten gegeben. Sie kennen sie sicher genauso gut wie
ich. Das hat mit der Milchquotenregelung speziell also
überhaupt nichts zu tun.
Die Märkte sind mittlerweile natürlich global, und wir
haben keine geschlossenen Außengrenzen, wodurch es
möglich wäre, den Binnenmarkt zu schützen. Insofern
setzen wir auf die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen
Milchproduktion und damit auch auf die Möglichkeit,
internationale Märkte zu bedienen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, teilen Sie die Auffassung von uns
Grünen, dass wir bei zukünftigen Stützungen und Förde-
rungen der landwirtschaftlichen Betriebe – hier: der
Milchviehbetriebe –, die sie gerade in den benachteilig-
ten Regionen dringend brauchen, darauf achten müssen,
dass eben nicht, wie bisher – das sind Zahlen aus Ihrem
Haus –, 0,56 Prozent der Betriebe 16,8 Prozent der För-
derung und Unterstützung erhalten, sondern dass gerade
denjenigen im Bereich der Milchwirtschaft eine ganz
konzentrierte Förderung zukommen muss, die im Be-
reich Grünland und in benachteiligten Regionen wirt-
schaften? Teilen Sie diese Einschätzung, und werden Sie
sich dafür einsetzen?
P
Das haben wir auch bisher schon getan, Herr Kollege
Ostendorff. Insbesondere durch die europäische Agrar-
politik und die Umsetzung in Deutschland haben wir in
den letzten Jahren die Förderung von Grünland der För-
derung von Ackerland gleichgestellt. Das dient insbe-
sondere den benachteiligten Gebieten.
Daneben haben wir die Umschichtung von 4,5 Pro-
zent der Ausgleichszahlungen auf die Länder, um in der
zweiten Säule auch Agrarumweltmaßnahmen zu finan-
zieren, auch deswegen vorgenommen, um gerade in die-
sen Regionen zusätzliche Möglichkeiten zu schaffen.
Es gibt eine weitere Nachfrage.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, ich habe noch
eine Nachfrage zur Zahl der Milchbetriebe, die wir in
den letzten zehn Jahren verloren haben. Sie haben das in
einer Antwort an den Kollegen Ostendorff ja dargelegt:
In den letzten zehn Jahren ist die Zahl der Milchbetriebe
von 121 000 auf 78 000 gesunken. Sie sagen, diesen Pro-
zess anzuhalten, sei weder möglich noch sinnvoll, stellen
sich also hinter diesen Strukturwandel.
Angesichts der Tatsache, dass Sie und der Agrar-
minister immer von der bäuerlichen Landwirtschaft
sprechen, würde ich Sie gerne fragen, was die von Ihnen
angestrebte Zahl an Milchbetrieben ist. Wie viele Be-
triebe sollen in diesem Strukturwandel also noch verlo-
ren gehen?
P
Sie werden von mir keine Zielzahl in Bezug auf dieverbleibenden Milchbetriebe hören, aber ich kann Ihnensagen, dass der Strukturwandel trotz der Marktregulie-rung, die wir in den letzten Jahren hatten, nicht beein-trächtigt worden ist, sondern ganz im Gegenteil! Sie ha-ben die Zahlen genannt. Ich habe Zahlen der letzten dreiJahre vorliegen: In den letzten drei Jahren reduzierte sichdie Anzahl der Milchbetriebe jeweils um durchschnitt-lich etwas über 9 Prozent. Die Anzahl der in den Betrie-
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5170 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Parl. Staatssekretär Peter Bleser
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(B)
ben gehaltenen Tiere ist in den letzten drei Jahren dage-gen um 9 Prozent gestiegen. Sie sehen also: DieVeränderung der Betriebsgrößen hat etwas mit Effizienz-steigerungen in der Produktion – es geht um technischeMöglichkeiten, Managementfähigkeiten, aber auchMöglichkeiten der Leistungssteigerung – zu tun. Inso-fern lässt sich so etwas weder aufhalten noch beschleuni-gen.Wir setzen aber darauf, dass wir die Milchwirtschaftmit den Maßnahmen, die Herr Ostendorff angesprochenhat, insbesondere in den benachteiligten Gebieten haltenkönnen.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir sind damit
am Ende Ihres Geschäftsbereichs. – Natürlich auch herz-
lichen Dank für die Nachfrage, Kollegin Maisch.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentari-
sche Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe zur Verfügung,
wobei die Fragen 26 und 27 des Kollegen Dr. Tobias
Lindner, die Fragen 28 und 29 des Kollegen Dr. Frithjof
Schmidt, die Fragen 30 und 31 der Kollegin Agnieszka
Brugger, die Frage 32 der Kollegin Britta Haßelmann,
die Fragen 33 und 34 des Kollegen Omid Nouripour und
die Fragen 35 und 36 des Kollegen Uwe Kekeritz auf-
grund unserer Richtlinien schriftlich beantwortet wer-
den. Für diejenigen, die uns hier zuhören und zuschauen:
In diesen Fragen werden Sachverhalte berührt, die an an-
derer Stelle auf der Tagesordnung unserer Sitzungswo-
che stehen und deshalb nicht in der Fragestunde behan-
delt werden.
Die Frage 37 des Kollegen Andrej Hunko soll eben-
falls schriftlich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 38 der Kollegin Katja Keul auf:
Was sind die Gründe für die absehbaren Mehrkosten in
Höhe von 255 Millionen Euro für den Abschluss der Entwick-
sen Mehrkosten etwaige Schadensersatzansprüche gegen die
mit dem Projekt betrauten Unternehmen entgegen, die das
BMVg auch geltend machen wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin, ich
antworte Ihnen wie folgt: Die im Jahre 2010 geschätzten
Entwicklungskosten umfassten eine reine Komponen-
tenentwicklung des ISIS-Missionssystems. Für die Ent-
wicklung eines serienreifen ISIS-Systems, das auf dem
derzeitigen technischen Stand aufbaut, einschließlich der
Beschaffung eines ersten Seriensystems werden weitere
Kosten in Höhe von circa 255 Millionen Euro abge-
schätzt. Diese Abschätzung wurde im Rahmen der Er-
stellung der Lösungsvorschläge für alternative Träger-
plattformen aktualisiert.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Diese Zahl ist
schon sehr erstaunlich, da uns am Ende des Euro-Hawk-
Untersuchungsausschusses gesagt wurde, dass die bis
dahin investierten 270 Millionen Euro gar nicht verloren
seien; denn dafür habe man quasi ein fertiges, technolo-
gisch funktionierendes System bekommen. Nun hören
wir aber, dass zur Vervollständigung dieses Systems
noch einmal 255 Millionen Euro erforderlich sind. Das
finde ich sehr erklärungsbedürftig. Als ich der Ministe-
rin heute im Verteidigungsausschuss diese Frage stellte,
kannte sie diese Zahl von 255 Millionen Euro gar nicht.
Wie kann das sein? Wer hat denn entschieden, dass hier
noch einmal 255 Millionen Euro investiert werden sol-
len?
D
Frau Kollegin, eine solche Entscheidung ist noch gar
nicht getroffen worden. Ich will Ihnen aber gerne den
Zusammenhang erläutern. Die von Ihnen angesprochene
Summe bezog sich – vereinfacht ausgedrückt – auf die
Entwicklung eines Prototyps nach dem damaligen Preis-
stand. Sie dürfen aber die Preisentwicklung und die be-
reits von mir angesprochenen technischen Entwicklun-
gen, die es seitdem gegeben hat, nicht vergessen. Ich
habe Ihnen bereits in meiner ersten Antwort gesagt, dass
die von Ihnen genannte und in Rede stehende Summe
auch die Kosten der Beschaffung eines ersten Seriensys-
tems einschließt. Die Überlegung ist, den Prototypen
ISIS zu Ende zu entwickeln und gleichzeitig ein erstes
Serienmodell mit abzunehmen. Auf diese Überlegung
bezieht sich die genannte Summe.
Wir befinden uns in entsprechenden Gesprächen mit
der Industrie. Es gibt noch keinen abgeschlossenen Ver-
trag. Es erscheint uns aber aus heutiger Sicht wirtschaft-
lich günstig, die Entwicklung des Prototyps mit der Ab-
nahme des ersten ISIS-Seriensystems zu kombinieren.
Sollte sich das im Zuge der Verhandlungen als weniger
günstig herausstellen, kann es auch andere Lösungen ge-
ben. Wie gesagt, es gibt noch keinen unterschriftsreifen
Vertrag. Wenn wir so weit sind, werden wir uns selbst-
verständlich mit einer 255-Millionen-Euro-Vorlage an
den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages
wenden und dann detailliert darlegen, was uns geboten
wird, was wir haben wollen und welcher Preis von uns
verlangt wird. Dann ist es Sache des Haushaltsausschus-
ses, darüber zu entscheiden.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage, bitte.
Ich stelle mir gerade vor, was geschehen würde, wennso etwas im privaten Bereich passierte. Sie haben an dieEuroHawk GmbH eine Viertelmilliarde Euro für einFlugzeug gezahlt, das nicht fliegt, und eine Viertelmilli-arde für eine Aufklärungstechnologie, die ebenfalls noch
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5171
Katja Keul
(C)
(B)
nicht funktioniert und die Investition des doppelten Be-trags benötigt, bis sie auch nur ansatzweise fertig entwi-ckelt ist. Sie haben des Weiteren keine Schadensersatz-ansprüche gegen EADS geltend gemacht, weil derVertrag offensichtlich so schlecht ist, dass Sie Angst ha-ben, dass er möglicherweise vor Gericht nicht besteht.Jedenfalls heißt es, die Prozessrisiken seien zu hoch.Jetzt will man also diesem Auftragnehmer mit diesemVertrag noch einmal eine Laufzeitverlängerung mit Kos-ten von 250 Millionen Euro geben. Ich frage Sie: Wirdman diesen Vertrag dann endlich um eine effektive Ge-währleistungsklausel ergänzen? Oder will man hierEADS weiter das Geld hinterherschießen?D
Frau Kollegin, den Vorwurf, dass wir jemandem Geld
hinterherschießen, weise ich namens der Bundesregie-
rung entschieden zurück. Es macht, glaube ich, Sinn,
sich etwas tiefer mit der Materie zu beschäftigen
– vielleicht macht es auch Sinn, den Staatssekretär ein-
mal ausreden zu lassen – und die verschiedenen Kompo-
nenten zu betrachten.
Sie sprachen von Prozessrisiken, die ja auch in einem
Gutachten beleuchtet worden sind. Dabei geht es um das
Projekt Euro Hawk insgesamt. Die damit zusammenhän-
genden Probleme sind bekannt. Gleichwohl wird auch
da vor den Prozessrisiken gewarnt. Dieser Einschätzung
hat sich die Bundesregierung angeschlossen. Aber dabei
geht es im Wesentlichen um das Trägersystem Euro
Hawk. Ihre Fragen beziehen sich auf ISIS. Das ist eine
ganz andere Komponente. Es gibt bei der Entwicklung
des Prototypen im Wesentlichen Preissteigerungen, wie
es sie auch in anderen Bereichen gibt. Inflation ist kein
Grund, ein Unternehmen zu verklagen.
Ich weise noch einmal darauf hin: Die Entwicklung
des Prototyps ist noch nicht abgeschlossen. Wir hatten
ursprünglich im Jahre 2010 geschätzte Entwicklungs-
kosten – die habe ich erwähnt – von circa 330 Millionen
Euro. Die betrafen zum Teil die Entwicklung des Proto-
typs, zum Teil die dort vorgesehenen Zielbefähigungen.
Es waren also nicht nur 230 Millionen.
Wir reden jetzt über zwei Systeme: Das betrifft ein-
mal die Zu-Ende-Entwicklung des Prototyps. Gleichzei-
tig geht es um das erste ISIS-Seriensystem. Das ist also
nicht mit den früheren Kalkulationen, die Sie zitiert ha-
ben, zu vergleichen.
Die Kollegin Haßelmann stellt die nächste Nachfrage.
Herr Brauksiepe, man braucht schon – nachdem der
von Ihrem Ministerium veranlasste KPMG-Bericht zu-
erst an die Presse und erst dann an das Parlament weiter-
gegeben wurde – ein bisschen Chuzpe, hier zu fordern,
wir sollten uns erst einmal in der Frage fachkundig ma-
chen. Vielen Dank für solche Hinweise. Die können wir
an der Stelle nicht gebrauchen. Sie sollten mit dem Par-
lament anders umgehen.
Ich würde Sie bitten, diese Zahlen, die jetzt bei Ihnen
auch ein bisschen durcheinandergeraten sind, noch ein-
mal genau – notfalls auch schriftlich – darzulegen. Es
gibt Mehrkosten von 255 Millionen Euro. Sie müssten
uns angesichts des Rüstungsdesasters, das wir im Rah-
men dieser Auftragsvergabe bei ISIS haben – eine Vier-
telmilliarde Euro für ein Flugzeug, das nicht fliegt, und
eine Viertelmilliarde für das Aufklärungsgerät –, diese
Zahlen noch einmal im Detail darlegen.
D
Frau Kollegin, ich denke, Sie haben, was das Gutach-ten und die Presse angeht, bewusst die passivische For-mulierung „wurde an die Presse gegeben“ gewählt. Ichkann mir nicht vorstellen, dass Sie dem Bundesministe-rium der Verteidigung hier ernsthaft einen Vorwurf ma-chen wollen. Von daher unterstreiche ich: Das war si-cherlich bewusst so gewählt.
Jetzt sage ich Ihnen noch einmal: Für die Entwick-lung des Prototypen ISIS sind bis September 2013 insge-samt circa 270 Millionen Euro ausgegeben worden. Siewissen, dass die Entwicklung dann gestoppt worden ist,und Sie wissen, dass es das von Ihnen angesprochene Gut-achten gibt, aus dem wir Konsequenzen ziehen wollen. Inihm steht, genau das zu tun, was ich hier schon erläuterthabe, nämlich für einen heute – Stand 8. Oktober – ge-schätzten Preis von 255 Millionen Euro a) diesen Prototy-pen zu Ende zu entwickeln und b) das erste ISIS-Serien-system zu beschaffen.Eine solche Kalkulation, die diese Beschaffung miteinschließt, ist in den von Ihnen genannten Zahlen nichtenthalten. Von daher kann man nicht von Mehrkosten indem Sinne sprechen, dass hier etwas aus dem Ruder ge-laufen wäre, sondern wir haben in der Tat – das ist sehrrichtig – für die bereits verausgabten 270 Millionen Euroeine Gegenleistung bekommen. Auch für die geschätz-ten 255 Millionen Euro ist eine konkrete Gegenleistungim Gespräch, nämlich die Zu-Ende-Entwicklung desPrototypen und das erste Seriensystem.
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5172 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
(C)
(B)
Die Zwischenrufe aus der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen werden sicherlich, wenn verständlich, im Proto-
koll auftauchen. Gleichwohl hat der Herr Staatssekretär
auf die gestellten Fragen geantwortet, wenn auch offen-
sichtlich nicht zur Zufriedenheit aller Fragesteller, aber
das wird dann an anderer Stelle weiter ausgetragen.
Herzlichen Dank. Wir sind am Ende dieses Ge-
schäftsbereichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr und digitale Infrastruktur. Zur
Beantwortung der Fragen steht die Parlamentarische
Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 39 des Kollegen Herbert Behrens
auf:
Mit welcher Begründung soll im Rahmen der Einführung
einer Pkw-Maut in Deutschland nur die Nutzung von Bundes-
auf das nachgeordnete Straßennetz sind nach Kenntnis der
Bundesregierung aufgrund dieser Tatsache zu erwarten, bitte
gegebenenfalls in Auftrag gegebene oder bekannte Studien
benennen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
K
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege, ich
beantworte Ihre Frage wie folgt: Anfang Juli hat der
Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur
sein Konzept zur Einführung einer Infrastrukturabgabe
vorgestellt. Dieses Konzept sieht eine Mautpflicht auf
dem gesamten Straßennetz vor. Das Bundesministerium
für Verkehr und digitale Infrastruktur prüft derzeit, ob
diesbezüglich Änderungen vorgenommen werden soll-
ten, um hierzu in den Grenzregionen geäußerten Beden-
ken Rechnung zu tragen. Eine abschließende Entschei-
dung ist noch nicht getroffen worden.
Nennenswerte Verkehrsverlagerungen werden insbe-
sondere auch aufgrund der moderaten Vignettenpreise
nicht erwartet. Studien zu möglichen Verkehrsverlage-
rungen, nach denen Sie gefragt haben, wurden deshalb
nicht in Auftrag gegeben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, wenn Sie sich gerade in der
Phase der Prüfung befinden, werden Sie sich sicherlich
unterschiedliche Szenarien angesehen haben, was die
Wirkung in den Grenzregionen anbetrifft. Sie sagen: Das
Ergebnis dieser Prüfung ist, dass es keine Verlagerungs-
effekte geben wird. – Habe ich das richtig verstanden?
K
Ich habe gesagt, dass wir keine Studien in Auftrag ge-
geben haben und dass der Preis der geplanten Vignette
sehr moderat ist. Aber den wichtigsten Punkt, Herr
Kollege, möchte ich noch einmal betonen: Da es keine
abschließende Entscheidung über das am Ende dann
tatsächlich mautpflichtige Straßennetz gibt, sind auch
Spekulationen über Verlagerungen und dergleichen nicht
angebracht.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Dann will ich ganz gerne einen Aspekt betrachten, der
den Prüfungsprozess und die Wirkung der Pkw-Maut auf
die Grenzregionen betrifft. Mit welchen Institutionen ha-
ben Sie sich abgestimmt, um Klarheit über die Wirkung
dieser Maut auf die Grenzregionen zu erhalten? Sind da-
bei auch die Fachkolleginnen und Fachkollegen der an-
grenzenden EU-Staaten in die Beratungen einbezogen
worden?
K
Wir gehen bei diesem Gesetzesvorhaben so vor wie
bei anderen Gesetzesvorhaben. Zunächst erfolgt eine Er-
arbeitung im Haus, dann eine Diskussion mit beteiligten
Ressorts, und dann geht es den Verfahrensgang, den
auch Sie kennen. Es ist aber auch bekannt, dass unser
Verkehrsminister, Herr Dobrindt, in verschiedenen Län-
dern gewesen ist, um Gespräche zu führen und um Zu-
stimmung dafür zu werben, dass wir das tun, was die EU
von uns verlangt, nämlich eine Ausweitung der Nutzerfi-
nanzierung unserer Straßen.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Krischer
das Wort.
Fr
Das Konzept ist zwar noch
nicht ganz klar, wir arbeiten noch daran, aber es wird
keine Verlagerungseffekte geben, weil die Maut so ge-
ring ist, dass sie in den Grenzregionen keine Rolle spielt. –
Ich fasse das einmal so zusammen. Sie wissen noch
nicht, was Sie genau machen, aber es ist schon klar, dass
das keine Effekte hat.
Ich bekomme sehr viel Post von Industrie- und Han-
delskammern – die sind nun wahrlich nicht als grüne
Vereinigungen bekannt –, die uns sehr wohl Berechnun-
gen und Gutachten vorlegen, in denen von immensen Ef-
fekten der Pkw-Maut in den Grenzregionen gesprochen
wird. Meine Frage: Berücksichtigen Sie das in irgendei-
ner Weise? Interessiert Sie das, oder spielt das alles bei
Ihren Überlegungen gar keine Rolle?
K
Herr Kollege Krischer, Sie können sicher sein, dassdie Lebensgewohnheiten, die Arbeitsgewohnheiten undauch die Wirtschaftsgewohnheiten in den Grenzregionen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5173
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
sehr wohl berücksichtigt werden und wir dies bei derAusgestaltung einer Infrastrukturabgabe sehr wohl inBetracht ziehen.
– Doch. Sie haben gefragt, ob wir das berücksichtigen.Natürlich!
Wir kommen damit zur Frage 40 des Kollegen
Herbert Behrens:
Soll die Einhaltung der Mautpflicht angesichts der geplan-
ten unentgeltlichen Nutzung des nachgeordneten Straßenver-
kehrsnetzes nur auf Bundesautobahnen sowie Bundesstraßen
kontrolliert werden, und sieht die Bundesregierung nunmehr
vor, dass Kfz-Halterinnen und -Halter, welche ihren Pkw in
Deutschland zugelassen haben und nur selten – oder gar nicht –
in der Baulast des Bundes befindliche Straßen nutzen, auch
Kurzzeitvignetten erwerben können, wie es Halterinnen und
Haltern von im Ausland zugelassenen Pkw ermöglicht wird –
bitte jeweils begründen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
K
Herr Kollege, wie schon gesagt, befindet sich das
Konzept derzeit in der Erarbeitung. Es sieht keine Kurz-
zeitvignetten für in Deutschland zugelassene Fahrzeuge
vor. Die Einhaltung einer Vignettenpflicht kann sinnvol-
lerweise nur auf dem mautpflichtigen Streckennetz kon-
trolliert werden.
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage.
Fra
Rede von: Unbekanntinfo_outline
dass es zu keiner Diskriminierung aufgrund der
Staatszugehörigkeit kommen darf. Wenn den Haltern
von nicht in Deutschland zugelassenen Autos Kurzzeit-
vignetten für die entsprechenden Straßen angeboten wer-
den sollen, so gilt das offenbar nicht für in Deutschland
zugelassene Fahrzeuge, weil deren Halter nämlich nicht
in der Lage sind, eine Kurzzeitvignette zu kaufen. Haben
Sie den Umstand geprüft, ob es sich bei dieser Tatsache
nicht auch um eine Diskriminierung der Halter von in
Deutschland zugelassenen Fahrzeugen handelt?
K
Die von Ihnen vermutete Diskriminierung können wir
in diesem Punkt sicherlich ausschließen, weil Halter von
in Deutschland Kfz-steuerpflichtigen Pkw eine Infra-
strukturabgabe entrichten müssen, und im Gegenzug er-
halten sie den Infrastrukturabgabenbescheid und die Pa-
piervignette.
Über alle anderen Fragen, die die Halter von Autos
betreffen, die nicht hier zugelassen sind, sind wir in in-
tensivem Kontakt mit der EU.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nach-
frage.
Dann haben Sie also beim Prüfen und Vorbereiten des
Gesetzentwurfes festgestellt, dass diese Variante zuläs-
sig ist, dass es eben die Jahresvignette für in Deutsch-
land zugelassene Fahrzeuge und gleichzeitig eine Entlas-
tung bei der Kfz-Steuer geben wird? Sie haben also den
Konflikt ausgeräumt, dass es sich dabei um eine unzu-
lässige Koppelung von Belastung auf der einen und Ent-
lastung auf der anderen Seite handelt, was ja nach Aus-
sage der EU-Kommission auf jeden Fall nicht EU-
rechtskonform wäre?
K
Herr Kollege, zur Erläuterung lassen Sie mich zitie-
ren, was uns die EU-Kommission dazu sagt. Die EU-
Kommission sagt ganz ausdrücklich, dass zwischen den
verschiedenen Säulen der Infrastrukturfinanzierung,
nämlich der Steuerfinanzierung über Kfz-Steuer oder
Mineralölsteuer einerseits und der Nutzerfinanzierung
durch Einführung einer Vignette andererseits, Verschie-
bungen für die Mitgliedstaaten möglich sind. Wir bewe-
gen uns in diesem Fall also sehr wohl in dem von der
EU-Kommission vorgegebenen Rahmen. Aber Sie kön-
nen sicher sein, dass ein endgültiger Gesetzentwurf die
Anforderungen erfüllen wird, die im Koalitionsvertrag
vorgegeben sind.
Herr Kollege Krischer hat das Wort zu einer Nach-
frage.
Frau Staatssekretärin, Sie haben uns erläutert, dassSie das Ganze noch überprüfen, daran noch arbeiten undverschiedene Varianten testen. Eine davon ist ja – daswar jedenfalls der Inhalt auch öffentlicher Äußerun-gen –, dass Landes- und Kreisstraßen nicht berücksich-tigt werden. Sie sollen zwar bemautet werden, aber dieMaut soll nicht erhoben werden; so habe ich es verstan-den. Offiziell soll also schon eine Maut erhoben werden,inoffiziell aber dann doch nicht. Abgesehen davon, wiedas laufen soll: So jedenfalls war die Kommunikationnach draußen.Mich würde interessieren – ich selber lebe in einerGrenzregion –, wie Sie Menschen aus dem europäischenAusland, die die Grenze nach Deutschland überschrei-ten, vermitteln wollen, auf welcher Straße sie sich ge-rade bewegen, ob auf einer Bundes-, Landes- oder Kreis-straße. Ich glaube, dass es vielen Menschen, die zumBeispiel in die Innenstadt von Aachen fahren, gar nichtklar ist, ob sie sich auf einer Bundes-, Landes- oder
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5174 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Oliver Krischer
(B)
Kreisstraße bewegen.Wenn es da zu einer Unterschei-dung kommt – bei Autobahnen ist das offensichtlich;aber die Unterscheidung zwischen Bundesstraßen aufder einen Seite und Kreis- und Landesstraßen auf der an-deren Seite wird hochproblematisch –, brauchen wirdann an unseren Landesgrenzen eine Landeskunde dazu,welche Straßen in Deutschland wie aussehen, oder wiewollen Sie dieses Problem lösen?K
Landeskunde, Herr Kollege, schadet nie. Aber zum
Kern Ihrer Frage, um sie im Ernst zu beantworten: Ihre
gesamten Ausführungen in 1 Minute und 14 Sekunden
beruhen auf Spekulationen in der Presse. Sie werden es
mir nachsehen, dass wir nicht zu jeder Spekulation in der
Presse Stellung nehmen. Wir sind gehalten, einen Ge-
setzentwurf vorzulegen, der den Anforderungen des Ko-
alitionsvertrags entspricht. Ich habe auch schon gesagt,
dass wir die Lebens-, Arbeits- und Wirtschaftsgewohn-
heiten in den Regionen berücksichtigen und einen ent-
sprechenden Gesetzentwurf vorlegen werden.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Haßelmann das Wort.
Frau Reiche, dies ist nicht der Ort, um über Landes-
kunde zu diskutieren.
K
Das habe ich auch nicht gemacht; das war der Kollege
Krischer.
Meine Frage: Können Sie uns bestätigen, dass die
Kommunalstraßen ausgenommen sind? Sie tun so, als
wären das alles nur Presseberichte. Ich möchte wissen:
Arbeitet das Ministerium daran, die Kommunalstraßen,
die bisher im Entwurf enthalten waren, herauszuneh-
men?
K
Wir arbeiten daran, dass wir einen Entwurf haben,
Frau Kollegin, der den Vorgaben des Koalitionsvertrags
entspricht.
– Doch, Frau Kollegin. – Das ist die Aufgabe. Sie bezie-
hen sich erneut auf Pressespekulationen.
Ich möchte auch zurückweisen, dass ich mich mit
Landeskunde beschäftige. Diese etwas provokante Frage
wurde vom Herrn Kollegen Krischer gestellt.
Aber da wir uns lange kennen, kann ich die ganz gut ein-
ordnen.
– Die habe ich auch konkret beantwortet.
Gut. Wir sind in der Situation, dass es offensichtlich
wechselseitig Unzufriedenheiten gibt. Das ändert nichts
daran, dass die Kollegin Kotting-Uhl noch eine Nach-
frage hat. Das ist dann auch die letzte Nachfrage zur
Frage 40.
Ich will vorausschicken, Frau Staatssekretärin, dass
ich Ihre Begründung dafür, dass Sie Fragen nicht beant-
worten – weil die bereits in der Presse zu Spekulationen
geführt haben –, schon sehr eigenartig finde. Zum einen
beantworten Sie hier Fragen der Abgeordneten nicht,
und zum anderen verweisen Sie darauf: Na ja, darüber
hat sich die Presse schon ausgelassen. – Das ist also
noch ein extra Grund, das hier nicht zu beantworten! Das
ist doch ein seltsames Verständnis von den Gepflogen-
heiten in unserer Drei-Gewalten-Demokratie, in der die
Presse bekanntermaßen die vierte Gewalt ist.
Ich will jetzt noch einmal ganz konkret fragen. Sie ha-
ben eben gesagt, Sie hätten die konkrete Frage der Kol-
legin Haßelmann konkret beantwortet. Ich habe es dann
überhört. Also wiederhole ich die konkrete Frage: Sind
die kommunalen Straßen ausgenommen?
K
Ich beantworte die Frage wie folgt: Eine abschlie-
ßende Entscheidung zum mautpflichtigen Streckennetz
ist noch nicht gefasst worden.
Die Fragen 41 und 42 der Kollegin Tabea Rößnerwerden gemäß unserer Richtlinien schriftlich beantwor-tet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5175
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Ich rufe die Frage 43 der Kollegin Sabine Leidig auf:Welche erweiterten Kontrollrechte wird der Bundesrech-nungshof gemäß dem Entwurf der neuen Leistungs- undFinanzierungsvereinbarung zwischen der Bundesregierungund der Deutschen Bahn AG erhalten, und inwiefern sind ver-stärkte Kontrollen durch das Eisenbahn-Bundesamt vorgese-hen?Bitte, Frau Staatssekretärin.K
Frau Kollegin Leidig, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Die Verhandlungen zur Leistungs- und Finanzie-
rungsvereinbarung – kurz: LuFV – befinden sich in der
Schlussabstimmung. Insofern können Aussagen zu ein-
zelnen Aspekten der LuFV II derzeit noch nicht getrof-
fen werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich möchte feststellen, dass diese Aussage aus meiner
Sicht nicht akzeptiert werden kann. Wenn die Verhand-
lungen weitgehend abgeschlossen sind, dann gibt es
auch schon konkrete Vereinbarungen, Punkte, über die
man sich geeinigt hat.
Wenn Sie nicht darüber sprechen wollen, über welche
Punkte eine konkrete Einigung stattgefunden hat, dann
frage ich jetzt umgekehrt: Worüber gibt es noch Dissens,
was die erweiterten Kontrollmöglichkeiten des Bundes-
rechnungshofes gegenüber der Deutschen Bahn AG be-
trifft, und gibt es schon konkrete Vereinbarungen über
die Kontrollaufträge, die das Eisenbahn-Bundesamt
übernehmen soll?
K
Frau Kollegin, es ist sicherlich nicht üblich, aus lau-
fenden Verhandlungen zwischen der Regierung und der
Deutschen Bahn AG zu berichten. Insofern bleiben wir
hier bei den Gepflogenheiten, wie sie auch schon bei der
LuFV I eingeübt wurden, nämlich dass dann, wenn ver-
handelt wurde und ein Abschluss vorliegt, die Fachaus-
schüsse informiert werden.
Ich möchte aber den zweiten Teil Ihrer Frage insofern
aufnehmen, als Sie wissen sollen, dass die Vorsitzende des
Rechnungsprüfungsausschusses, unsere Kollegin Frau
Hagedorn, und der Berichterstatter Herr Brackmann so-
wie der Bundesrechnungshof prüfen, ob die bisher ein-
geschränkte Vergabeprüfung des EBA durch eine umfas-
sende Prüfung durch den Jahresabschlussprüfer der DB
AG ersetzt werden kann. Aber auch hierzu gibt es noch
keinen Abschluss.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
In meiner zweiten Nachfrage möchte ich fragen, mit
welcher Verhandlungsposition die Bundesregierung in
diesen Diskurs mit der Bahn eintritt. Was sind ihre Vor-
stellungen davon, wie sichergestellt werden kann, dass
die Vereinbarungen der Leistungs- und Finanzierungs-
vereinbarung in Zukunft besser eingehalten werden, als
es in der Vergangenheit geschehen ist? Konkret: Welche
Vorstellungen hat die Bundesregierung davon, mit wel-
chen zusätzlichen Kontrollrechten Bundesrechnungshof
und Eisenbahn-Bundesamt ausgestattet werden sollen?
K
Frau Kollegin Leidig, wie Sie wissen, hat der Bundes-
rechnungshof ein gesetzliches und auch sehr umfängli-
ches Kontrollrecht. In der LuFV II sollen diese Kontroll-
rechte konkretisiert und hinsichtlich des Umfanges und
des Ausübens der Kontrollrechte im Einvernehmen zwi-
schen Bundesrechnungshof und DB AG konkreter be-
schrieben werden. Die konkreten Punkte – da wieder-
hole ich mich – legen wir Ihnen vor, wenn die gesamte
LuFV II am Ende vorliegt.
Es gibt noch eine Nachfrage des Kollegen Behrens.
Frau Staatssekretärin, in der Diskussion des Prüfungs-
berichtes des Bundesrechnungshofes bezüglich dieser
Frage haben wir uns sehr intensiv damit auseinanderge-
setzt, wo weitergehende Prüfrechte erforderlich sind. Ich
habe die Frage meiner Kollegin so verstanden: Hat sich
möglicherweise die Bundesregierung einzelne Kritik-
punkte zu eigen gemacht, und ist sie mit diesen in die
Verhandlungen über die neue Leistungs- und Finanzie-
rungsvereinbarung hineingegangen?
K
Herr Kollege, Sie wissen, dass es in der Vergangen-
heit immer wieder unterschiedliche Auffassungen zwi-
schen dem Bundesrechnungshof und auch uns hinsicht-
lich des Prüfumfanges gab, was auch viel mit Personal
und personellem Aufwand zu tun hat. Ich glaube, Ziel
muss es sein, größtmögliche Transparenz zu bekommen,
ohne das Eisenbahn-Bundesamt sowie Prüferinnen und
Prüfer zu überfordern. Auf diesem schmalen Grat zwi-
schen dem, was vom Parlament gewünscht wird, und
dem, was zugleich auch in den Behörden widergespie-
gelt werden muss, versuchen wir eine gute Lösung zu
finden.
Wir kommen damit zur Frage 44 der Kollegin SabineLeidig:In welcher Höhe soll die für das Jahr 2015 erwartete Divi-dendenzahlung der Deutschen Bahn AG in Höhe von 700 Mil-lionen Euro, die erstmals im Einzelplan 12 veranschlagt ist,für die Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung verwendetwerden, und wofür sollen gegebenenfalls die darüber hinaus-gehenden Einnahmen konkret verwendet werden?Bitte, Frau Staatssekretärin.
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5176 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
(C)
(B)
K
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin, im Regie-
rungsentwurf zum Bundeshaushalt 2015 ist im Haus-
haltsvermerk zum Titel „Gewinne aus Beteiligungen“
vorgesehen, dass über die Veranschlagung von 700 Mil-
lionen Euro hinausgehende zusätzliche Dividendenein-
nahmen zur Leistung von Mehrausgaben bei der Leis-
tungs- und Finanzierungsvereinbarung Schiene zu
dienen haben. Nach der Systematik der LuFV, der Out-
putorientierung, können die einzelnen Finanzierungsmit-
tel nicht mit konkreten Verwendungszwecken verbunden
und diesen zugeordnet werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, dann ha-
ben Sie gesagt, dass von den 700 Millionen Euro erwar-
tete Bahndividende – die ja noch gar nicht sicher sind,
weil immer erst im Frühjahr des nächsten Jahres darüber
entschieden wird, wie viel tatsächlich von der Bahn
überwiesen wird – kein Euro für die Infrastrukturfinan-
zierung, also die LuFV, verwendet werden soll.
K
Es ist nicht geplant, Dividenden, deren Höhe wir tat-
sächlich erst kennen, wenn es einen Jahresabschluss
gibt, im Haushalt 2015 in die Finanzierung der LuFV
fließen zu lassen. Sollten sich aber Mehreinnahmen er-
geben, was sich im Jahresverlauf herausstellen wird, ist
daran gedacht, darüber hinausgehende Mittel zurückflie-
ßen zu lassen, um dem System Finanzierungskreislauf
Schiene gerecht zu werden.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich würde gerne eine kleine Frage nachschieben. Die
Mittel für die LuFV, wie sie bisher existiert, wurden ver-
traglich für 2014 und 2015 um jeweils 250 Millionen
Euro aus nicht benötigten Bedarfsplanmitteln erhöht.
Das jedenfalls war die Aussage. Der neue Haushaltsan-
satz überschreitet mit 3,05 Milliarden Euro den betref-
fenden Betrag um 550 Millionen Euro. Meine Frage ist
jetzt: Woher kommen diese zusätzlichen 550 Millionen
Euro? Aus welchem Titel haben Sie sie genommen? Un-
sere Vermutung war, dass in diesen Betrag Dividenden
einfließen. Sie sagen, das ist nicht der Fall. Deshalb
meine Frage: Woher kommen die Mittel?
K
Das ist in der Tat nicht der Fall. Wir haben, wie Sie
wissen, ein zusätzliches Finanzvolumen über die ge-
samte Legislaturperiode von 5 Milliarden Euro. Dieses
umfasst Investitionsmittel nicht nur für die Straße, son-
dern auch für die Schiene. Ich möchte aber auch darauf
hinweisen, dass dies ein Entwurf ist, der im Haushalts-
ausschuss bestätigt oder verändert oder sogar aufgebes-
sert werden kann. Insofern warten wir jetzt ab, ob der
Entwurf in dieser Form durch den Haushaltsausschuss
bestätigt wird.
Danke, Frau Staatssekretärin. Wir sind damit am
Ende Ihres Geschäftsbereichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit. Die Fragen 45 der Kollegin Lemke, 46 und 47 der
Kollegin Baerbock, 48 und 49 des Kollegen Meiwald,
50 der Kollegin Dr. Verlinden und 51 der Kollegin
Kotting-Uhl werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Bildung und Forschung auf. Zur Beantwortung
der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekretär
Stefan Müller zur Verfügung.
Wir beginnen mit der Frage 52 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl:
Kann die Bundesregierung ausschließen – für den Fall ei-
nes geplanten US-Exports der hochradioaktiven Brennele-
mente aus dem Reaktor AVR Jülich –, dass eine Verwertung
des Kernbrennstoffs für
zivile Zwecke in den USA stattfindet, und welche Konse-
quenzen zieht die Bundesregierung, wenn nicht ausgeschlos-
sen werden kann, dass der Kernbrennstoff wiederaufbereitet
wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
S
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin
Kotting-Uhl, ich darf Ihre Frage folgendermaßen beant-
worten: Vorrangiges Ziel einer möglichen Rückführung
des uranhaltigen Kernbrennstoffs in die USA ist die Ab-
reicherung von hochangereichertem Uran im Rahmen
der Nonproliferation. Daran kann sich eine mögliche
schadlose Verwertung anschließen. Ob und inwieweit
die USA abgereichertes Uran im Rahmen der schadlosen
Verwertung einer anschließenden zivilen Nutzung zur
Energieerzeugung zuführen, unterliegt der dortigen Ent-
scheidungskompetenz. Ich darf Ihnen versichern: Die
Bundesregierung strebt an, die Verbringung vertraglich
an die auf zivile Zwecke beschränkte weitere Verwer-
tung des Kernbrennstoffs zu koppeln.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Herzlichen Dank,Herr Staatssekretär, für die Antwort. Es ist ja ein biss-chen, ich sage mal, Begriffsverschieberei, wenn mansagt: Nach der Abreicherung geht das in die schadloseVerwertung über. – Somit umgeht man den Begriff derWiederaufarbeitung. Ich würde schon gerne wissen, obSie sich dafür interessieren, ob die Gesetze, die wir unshier gegeben haben, in diesem Fall das Verbot der Wie-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5177
Sylvia Kotting-Uhl
(C)
(B)
deraufarbeitung auch im Ausland, eingehalten werden.Das ist Teil unserer Verantwortung. Ich finde nicht, dassman diese Verantwortung auf die USA schieben kann,die ein solches Gesetz nicht haben. Es ist unsere Verant-wortung, darauf zu achten, dass unsere Gesetze einge-halten werden. Deshalb möchte ich schon nachfragen, obSie denn ausschließen können, dass in dieser schadlosenVerwertung eine Wiederaufarbeitung eingeschlossen ist.S
Sie wissen ja, dass es derzeit drei mögliche Optionen
gibt, was mit den Kernbrennstoffen aus Jülich passieren
soll; wir haben schon in der Fragestunde vor zwei Wo-
chen darüber gesprochen. Die erste Option ist, dass sie in
Jülich verbleiben. Die zweite Option ist eine Zwischen-
lagerung in Ahaus. Die dritte Option ist die Verbringung
in die USA. Nachdem wir uns derzeit allenthalben in
Gesprächen befinden, aber weder über eine dieser drei
Optionen abschließend gesprochen oder entschieden
worden ist und demzufolge die Option der Verbringung
in die USA derzeit noch nicht beschlussreif ist, muss in-
sofern weder etwas ausgeschlossen noch bestätigt wer-
den.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja.
Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. – Der Weg scheint mir so, wie
den Schuh vor der Socke anzuziehen. Sie können nicht
erst etwas beschlussreif haben und dann schauen, wie
die Gegebenheiten sind. Bevor man den Beschluss fasst,
in die USA zu exportieren, muss man nach meinem Ver-
ständnis unserer Gesetze und Verbote wissen, was dort
geplant ist. Wenn es eine Wiederaufarbeitung ist, dann
kann es eben nicht beschlussreif werden, dass man ex-
portiert. Deswegen muss das vorher geklärt werden.
Ich möchte Sie noch einmal fragen: Haben Sie vor,
das vorher zu klären und im Falle einer doch nicht aus-
zuschließenden Wiederaufarbeitung von diesem Export
abzusehen?
S
Ich sage noch einmal: Das wird sicherlich auch Ge-
genstand der Gespräche sein, die nur dann zum Tragen
kommen, wenn tatsächlich diese Option abschließend
zum Tragen kommt. Ich möchte aber für den Fall, dass
weitere Nachfragen in Zukunft gestellt werden
– auch ich denke, dass wir uns hier noch öfter darüber
unterhalten werden –, vorsorglich darauf hinweisen, dass
sich die Frage einer Wiederaufarbeitung im rechtlichen
Sinne aus deutscher Sicht nicht stellt, weil das Wieder-
aufbereitungsverbot aus § 9 des Atomgesetzes hiervon
jedenfalls nicht betroffen wäre. Das hat die Bundesregie-
rung am 22. August 2014 auch schon in ihrer Antwort
auf die schriftliche Frage Ihres Kollegen Trittin entspre-
chend mitgeteilt. Nach meinem Informationsstand gibt
es keinen Anlass, von diesem Prüfungsergebnis abzurü-
cken.
Die nächste Zusatzfrage hat der Abgeordnete
Hubertus Zdebel von der Linken.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekre-
tär, Sie haben gerade von den drei Optionen bezüglich
des Jülicher Mülls gesprochen. Können Sie uns even-
tuell schon etwas zur Zeitschiene der Entscheidungsfin-
dung sagen? Auch mir ist das bisher sehr vage gewesen.
Sie können sich sicher sein, dass es weitere Nachfragen
zu dem Ganzen geben wird. Ich habe zum Beispiel wie-
der eine Kleine Anfrage aufgrund der Antwort der Bun-
desregierung in Vorbereitung, die Ihnen in den nächsten
Tagen zugehen wird. Dann können wir das noch einmal
vertiefen, auch bezüglich der Ausführungen von Sylvia
Kotting-Uhl gerade eben. Mich interessiert, ob Sie schon
etwas Konkretes zur Zeitschiene mitteilen können.
S
Wir haben, wie gesagt, die drei Optionen, die alle
weiter im Gespräch bleiben. Ausgangslage ist ja, dass es
eine Anordnung der Landesregierung von Nordrhein-
Westfalen gibt, dass die Kugeln, also die Brennstoffe,
aus Jülich entfernt werden müssen. Daraufhin war das
Forschungszentrum Jülich beauftragt, ein Konzept vor-
zulegen, wie das geschehen kann. Meines Wissens liegt
dieses Konzept vor und wird auch noch in den Gremien
des Forschungszentrums Jülich besprochen, bevor dazu
entschieden werden kann. Einer solchen Entscheidung
kann ich zum jetzigen Zeitpunkt natürlich nicht vorgrei-
fen.
Nächste Nachfrage vom Kollegen Oliver Krischer,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Staatssekretär, ich verstehe Ihre Ausführungenso, dass Sie sagen, weil das Ihrer Auffassung nach For-schungsmüll ist – wir teilen Ihre Auffassung nicht –, istdie weitere Verwendung des Kernbrennstoffes in denUSA, selbst wenn er in Leistungsreaktoren eingesetztwird, keine Wiederaufarbeitung. Technisch ist es, glaubeich, völlig dasselbe. Wenn man zum Ergebnis kommt,dass es gar kein Forschungsmüll ist, stellt sich die Frage:Ist es dann nach Ihrer Meinung eine klassische Wieder-
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5178 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Oliver Krischer
(C)
(B)
aufarbeitung in den USA, die in der entsprechenden An-lage in Savannah Rivers stattfindet?S
Ich fürchte, dass auch diese Fragestunde nicht dazu
beitragen wird, dass wir uns über die Frage verständigen,
ob es sich beim AVR in Jülich um einen Reaktor gehan-
delt hat, der Forschungszwecken diente oder einer ge-
werblichen Nutzung unterzogen war. Wir bleiben bei un-
serer Rechtsauffassung: Es war ein Forschungsreaktor.
Der Gesichtspunkt der Forschung war prägend für den
AVR.
Damit ist auch eine mögliche Verbringung in die Verei-
nigten Staaten grundsätzlich möglich.
Trotzdem hat die Regierung das Recht, so zu antwor-
ten, wie sie die Frage versteht und beantworten möch-
te. – Weitere Zusatzfragen dazu gibt es nicht.
Dann kommen wir zur Frage 53 des Abgeordneten
Kai Gehring, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Befunden der Prognos-Studie „Wissenschaftliche Untersu-
chung und Analyse der Auswirkungen der Einführung von
Projektpauschalen in die BMBF-Forschungsförderung auf die
Hochschulen in Deutschland“, die das Bundesministerium für
Bildung und Forschung, BMBF, in Auftrag gegeben hat und
die seit Mitte August 2014 vorliegt, wonach die Forderung
der Bundesregierung ungerechtfertigt sei, dass die Länder in
die direkte Mitfinanzierung der Programmpauschale einstei-
gen, da die Länder schon jetzt den weit überwiegenden Teil
Herr Staatssekretär.
S
Herr Kollege Gehring, ich darf Ihnen wie folgt ant-
worten: Die vom Bundesministerium für Bildung und
Forschung in Auftrag gegebene Studie zu den BMBF-
Projektpauschalen enthält – entgegen Ihrer Fragestel-
lung – keine Befunde, inwieweit Verhandlungspositio-
nen des Bundes in Bund-Länder-Verhandlungen gerecht-
fertigt sind.
Ich will daran erinnern: Grundlage der DFG-Pro-
grammpauschale ist die Verwaltungsvereinbarung zwi-
schen Bund und Ländern über den Hochschulpakt 2020,
der zufolge „über die weitere Ausgestaltung mit dem
Ziel der Verstetigung der Förderung und der Beteiligung
der Länder an der Finanzierung“ zu entscheiden ist.
Diese Vereinbarung läuft am 31. Dezember aus. Wir be-
finden uns dazu derzeit in Gesprächen mit den Ländern.
Der Bund setzt sich jedenfalls mit Nachdruck dafür
ein, dass Bund und Länder die Programmpauschale ge-
meinsam weiterführen. DFG-Projekte werden von Bund
und Ländern ebenso gemeinsam finanziert. Daher halten
jedenfalls wir es nur für konsequent, dass im Sinne einer
gemeinsamen Kooperationskultur auch die indirekten
Kosten gemeinsam zu tragen sind. Dies wird im Übrigen
auch vom Bundesrechnungshof und vom Rechnungsprü-
fungsausschuss des Deutschen Bundestages entspre-
chend gefordert.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege? – Bitte schön.
Vielen Dank. – Nach unserer Bewertung widerlegt
das Prognos-Gutachten die zentralen Kritikpunkte des
Bundesrechnungshofs. Ich möchte Sie darauf aufmerk-
sam machen, dass die Hochschulen in unserem Land
sehr beunruhigt und in großer Sorge darüber sind, dass
Sie als BMBF die Weiterfinanzierung der Programm-
pauschale zur Förderung der universitären Forschung
weiterhin infrage stellen. Können Sie Medienberichte
bestätigen oder dementieren, wonach das BMBF die
Vereinbarung zur dritten Phase des Bund-Länder-Hoch-
schulpakts nur dann abschließt, also den Hochschulpakt
nur dann fortsetzt, wenn sich die Länder an der Finanzie-
rung der Programmpauschale beteiligen?
S
Herr Kollege Gehring, ich will mich bei Ihnen aus-
drücklich dafür bedanken, dass Sie es mir ermöglichen,
den Deutschen Bundestag als Forum zu nutzen, um ein-
deutig klarzumachen: Der Bund, das Bundesministerium
für Bildung und Forschung und die Bundesregierung,
steht zur Programmpauschale, und es ist nicht beabsich-
tigt, die Programmpauschale in irgendeiner Art und
Weise einzustellen.
Wir sind – das habe ich gesagt – derzeit mit den Bun-
desländern im Gespräch über eine Fortsetzung, eine
dritte Phase des Hochschulpaktes. Der Hochschulpakt
hat zwei Säulen: Die eine Säule betrifft die finanzielle
Unterstützung der Länder bei der Schaffung von Studi-
enplätzen. Die zweite Säule betrifft die Programmpau-
schale. Wir haben vor – das ist beabsichtigt –, bei der
GWK am 30. Oktober dazu entsprechende Beschlüsse
zu fassen. Es gibt – insofern sind Medienberichte
korrekt – bei diesen Verhandlungen des Bundes mit den
Ländern in der Tat derzeit noch Gesprächsbedarf, was
die Frage einer gemeinsamen Finanzierung der Pro-
grammpauschale anbelangt. Diese Gespräche laufen
noch. Aber ich sage noch einmal ausdrücklich: Der
Bund wird seiner Verantwortung hier weiter gerecht
werden.
Noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege? – Bitte schön.
Herr Staatssekretär, mir ist durchaus bewusst, dassder Hochschulpakt auf zwei Säulen fußt. Was ich denMedien entnehme, ist, dass der Bund offensichtlich einneues Junktim setzt, nach dem Motto: Wir finanzieren
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5179
Kai Gehring
(C)
(B)
Studienplätze künftig nur noch mit, wenn die Länderkünftig bei der Programmpauschale einen deutlichenBeitrag leisten. – Das würde wiederum zulasten derGrundfinanzierung der Hochschulen in den Ländern ge-hen.Ich möchte Sie darauf aufmerksam machen, dass esim Zusammenhang mit dem 6-plus-3-Milliarden-Euro-Paket für Bildung und Forschung eine Verabredung gibt,die lautet:Zusätzliche Programme mit einem Kofinanzie-rungsbedarf können von den Ländern nur umge-setzt werden, wenn andere Ausgaben gekürzt wer-den.Deshalb möchte ich Sie einfach bitten, mir zu sagen,ob die Bundesregierung die von ihr geschlossene Verein-barung kennt und weiter zu ihr steht oder ob sie den Län-dern konkrete Vorschläge gemacht hat, wo sie bei derFinanzierung ihrer Wissenschaftshäuser und der Grund-finanzierung der Hochschulen kürzen sollen.S
Zunächst einmal, Herr Kollege Gehring, finde ich es
sehr interessant, dass Sie Verabredungen innerhalb der
Koalition interpretieren. Ich darf Sie aber auch darauf
hinweisen, dass mit der Bezeichnung „Programme“ in
dieser Vereinbarung jedenfalls nicht die Programmpau-
schale gemeint war, sondern es beispielsweise um zu-
sätzliche Förderprogramme geht.
Nun sind Sie wie ich schon einige Jahre hier im Deut-
schen Bundestag, und Sie wissen auch, wie politische
Verhandlungen aussehen. Eine Gesamtvereinbarung kann
es erst dann geben, wenn alle einzelnen Fragen in der
Sache vereinbart sind. Ich habe Ihnen schon gesagt, dass
wir bei der ersten Säule die Verhandlungen weitgehend
abgeschlossen, jedenfalls für die GWK am 30. Oktober
vorbereitet haben, dass es aber bei der zweiten Säule
noch einige Fragen gibt, die geklärt werden müssen, und
es dazu noch keine Vereinbarungen gibt. Ich sage es
noch einmal: Eine Gesamtvereinbarung kann es erst
dann geben, wenn alles miteinander vereinbart ist. Das
ist derzeit noch nicht der Fall.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung.
Die Frage 54 des Abgeordneten Niema Movassat
wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich der Bundeskanz-
lerin und des Bundeskanzleramtes. Zur Beantwortung
steht Staatssekretär Klaus-Dieter Fritsche bereit.
Ich rufe die Frage 55 der Abgeordneten Britta
Haßelmann auf:
In welchem Umfang und in welchem Zeitraum hat der
Bundesnachrichtendienst Kommunikationsdaten deutscher
Staatsbürger an die National Security Agency, NSA, weiterge-
geben?
Herr Staatssekretär, bitte.
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident! Sehr verehrte Frau Abgeordnete, ich
verstehe die Frage so, dass Sie mit Kommunikations-
daten deutscher Staatsangehöriger solche Daten meinen,
die durch eine G-10-Beschränkungsmaßnahme erhoben
wurden. Es kann sich dabei sowohl um Inhalts- als auch
um Verkehrsdaten handeln. Während unter Inhaltsdaten
insbesondere Gesprächsinhalte zu verstehen sind, be-
zeichnen die Verkehrsdaten, auch als Metadaten be-
zeichnet, sämtliche Umstände einer Kommunikation,
also zum Beispiel auch eine Telefonnummer.
Wenn Daten aus einer G-10-Beschränkungsmaßnahme
an andere Nachrichtendienste, etwa der USA, übermit-
telt werden, dann richtet sich diese Übermittlung unter
anderem nach den strengen Vorschriften des § 7 a G 10.
Ich zitiere:
Der Bundesnachrichtendienst darf durch Beschrän-
kungen nach § 5 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2, 3 und 7 erho-
bene personenbezogene Daten an die mit nachrich-
tendienstlichen Aufgaben betrauten ausländischen
öffentlichen Stellen übermitteln, soweit 1. die Über-
mittlung zur Wahrung außen- und sicherheitspoliti-
scher Belange der Bundesrepublik Deutschland
oder erheblicher Sicherheitsinteressen des ausländi-
schen Staates erforderlich ist, 2. überwiegende
schutzwürdige Interessen des Betroffenen nicht ent-
gegenstehen, insbesondere in dem ausländischen
Staat ein angemessenes Datenschutzniveau gewähr-
leistet ist sowie davon auszugehen ist, dass die
Verwendung der Daten durch den Empfänger im
Einklang mit grundlegenden rechtsstaatlichen Prin-
zipien erfolgt, und 3. das Prinzip der Gegenseitig-
keit gewahrt ist. Die Übermittlung bedarf der Zu-
stimmung des Bundeskanzleramts.
Nach § 7 a des Artikel-10-Gesetzes hat der BND im
Jahr 2012 zwei Übermittlungen an die USA durchge-
führt. Diese betrafen den Fall eines im Ausland entführ-
ten deutschen und US-amerikanischen Staatsbürgers.
Die beiden Übermittlungen betrafen Erkenntnisse zu
konkreten Umständen der Situation des Entführungsop-
fers. Ihre Weitergabe an die USA diente dazu, die Situa-
tion weiter aufzuklären und auf diese Weise Leib und
Leben des Entführungsopfers zu schützen. Die Über-
mittlungen waren notwendig, um die Umstände der Ent-
führung weiter aufzuhellen. Ziel der Übermittlungen
war, die Geisel möglichst unversehrt zu retten.
Frau Haßelmann, haben Sie eine Zusatzfrage?
Vielen Dank, Herr Präsident. – Auch Ihnen, HerrFritsche, vielen Dank für die Beantwortung. Sie habenam Anfang der Beantwortung meiner Frage eine Grund-annahme getroffen. Da sich meine Frage auf sämtlicheabgezapften Rohdaten bezieht, möchte ich nachfragen:Muss Ihre Antwort dann nicht noch ergänzt werden?Lassen Sie mich einen zweiten Aspekt ansprechen.Sie hatten meinem Kollegen Hans-Christian Ströbele mit
Metadaten/Kopzeile:
5180 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Britta Haßelmann
(C)
(B)
Datum vom 11. Juli auf eine entsprechende Frage geant-wortet – ich zitiere –:Der Bundesnachrichtendienst hat im angefragtenZeitraum weder selbst noch mit Hilfe des Betrei-bers DE-CIX … Rohdaten aus im Raum Frankfurterfassten Telekommunikationsverkehren automati-siert an die NSA weitergeleitet. Der in der zweitenTeilfrage suggerierte Zusammenhang besteht nicht.Das Letzte bezog sich auf einen anderen Sachverhalt.Nach den Presseberichten der Süddeutschen Zeitung,des SWR und des NDR ist jetzt bekannt geworden, dassunter dem Stichwort „Eikonal“ ein Austausch von Datenregelmäßig und über Jahre stattgefunden hat. Wie de-cken sich Ihre Aussage in der Beantwortung meinerFrage und die Aussage in der Beantwortung der Fragevon Hans-Christian Ströbele vom 11. Juli 2014 mit denVorwürfen und Behauptungen, die in der Pressebericht-erstattung über die Operation „Eikonal“ bekannt gege-ben wurden?
Herr Staatssekretär.
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zunächst einmal, Frau Abgeordnete, bedauere ich es
ausdrücklich, dass Unterlagen, die bis zu Streng Geheim
eingestuft waren und dem Untersuchungsausschuss von-
seiten der Bundesregierung zur Verfügung gestellt wor-
den sind, in kürzester Zeit in die Presse gekommen sind
und sie offensichtlich Hintergrund der Berichterstattung
in der Süddeutschen Zeitung waren.
Um auf die grundsätzliche Frage zurückzukommen,
die Sie einleitend gestellt haben: Es gibt nur zwei Mög-
lichkeiten für den BND, Kommunikationsdaten von
Deutschen oder über Deutsche weiterzugeben. Das ist
die von mir eingangs geschilderte G-10-Möglichkeit,
also die Möglichkeit nach den Regularien des Artikel-
10-Gesetzes. Die zweite Möglichkeit ist, dass Daten von
anderen Diensten, also auch Telekommunikationsdaten
von anderen Diensten bzw. von menschlichen Quellen,
die der BND führt, übermittelt werden. Diese Daten wer-
den ebenfalls auf einer rechtlichen Grundlage – dem
Bundesnachrichtendienstgesetz in Verbindung mit dem
Bundesverfassungsschutzgesetz – auch an öffentliche
ausländische Stellen, also auch an andere Dienste über-
mittelt. Nur diese beiden Möglichkeiten gibt es für eine
Datenübermittlung von Kommunikationsdaten Deut-
scher.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Haßelmann? – Bitte.
Vielen Dank. – Herr Fritsche, kann ich Ihren Aussa-
gen entnehmen, dass Sie definitiv davon ausgehen, dass
Kommunikationsdaten ausschließlich in den zwei Fäl-
len, die Sie hier skizziert haben, zwischen BND und
NSA weitergegeben worden sind und dass sämtliche
Sachverhalte, die, durch welche Indiskretion auch im-
mer, Gegenstand öffentlicher Berichterstattung waren,
somit nicht zutreffend sind? Schließen Sie aus, dass es
eine Weitergabe von Daten gegeben hat, dass es Verein-
barungen gegeben hat zwischen dem BND und der NSA
über die Frage des Austausches und der Weitergabe von
Telekommunikationsdaten?
K
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich beantworte die Frage wie
folgt: Ich schließe aus, dass es solche Abkommen zwi-
schen der NSA und dem BND gegeben hat, die sich über
die beiden Möglichkeiten, die ich eingangs geschildert
habe, hinweg zu einem Datenaustausch einlassen. Es
gibt die sogenannte Routineaufklärung – die keine G-10-
Aufklärung ist – des Bundesnachrichtendienstes. Sie be-
trifft Ausländer im Ausland. Hier hat der Bundesnach-
richtendienst entsprechende Schutzmaßnahmen, nämlich
Filtersysteme, eingebaut. Nach diesen Filtersystemen
werden, sollte ein deutscher Staatsangehöriger in diese
Ausland-Ausland-Aufklärung geraten, Daten herausge-
filtert. Damit können auch Daten, die hier weitergegeben
werden, keine Daten von deutschen Staatsangehörigen
enthalten.
Danke schön. Ich schließe damit die Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen DIE LINKE und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Reaktion der Bundesregierung auf den Rüs-
tungsbericht und die schwierige Situation des
Beschaffungswesens der Bundeswehr
Bevor wir in die Rednerfolge eintreten, gratuliere ich
im Namen des Präsidiums und hoffentlich des ganzen
Hauses unserer Bundesverteidigungsministerin zu ihrem
heutigen Geburtstag. – Frau von der Leyen, herzlichen
Glückwunsch!
Es ist ein Zeichen hohen Verantwortungsbewusstseins,
dass sie diesen Geburtstag mit uns verbringt, und ein
Zeichen der Freude an der Politik, dass sie auch an ihrem
Geburtstag an dieser wichtigen Debatte als Rednerin für
die Bundesregierung teilnimmt.
Ich eröffne die Aussprache und rufe als ersten Redner
den Kollegen Wolfgang Gehrcke, Fraktion Die Linke,
auf. – Bitte schön.
Schönen Dank, Herr Präsident. – Verehrte Kollegin-nen und Kollegen! Ich befürchte, dass ich mich mit mei-nem Beitrag nicht in die Schar der Gratulanten zum Ge-burtstag einreihen kann, sondern es etwas kantiger wird.
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Wolfgang Gehrcke
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– Genau so.Ich möchte zu Anfang ein Problem ansprechen, dasnur mittelbar mit der Frage zu tun hat, über die wir hierdebattieren. Vielleicht gibt es da eine Möglichkeit zurVerständigung; in Fragen der Rüstung und der Aufrüs-tung gibt es von mir keine Brücke.Ich habe die neuesten Informationen aus Kobane: ISist auf dem Rückzug. Wenn das stimmen sollte, solltedas uns alle glücklich machen. Ich möchte gern, dass wirzumindest gemeinsam Druck auf die Türkei entwickelnund der Türkei klipp und klar sagen: Die Grenzen müs-sen für Flüchtlinge auf- und für den IS zugemacht wer-den.
Auf dieses Minimum werden wir uns doch hier im Hausverständigen können.Jetzt möchte ich zu dem Bericht argumentieren. Ichhabe ihn voller Spannung gelesen. Es ist eigentlich einKrimi, der hier aufgeführt worden ist. Ich würde titeln:Kriminaltango, initiiert von der Ministerin von derLeyen. – Vom Stern wurde sie als „Kriegsministerin“ be-zeichnet. Das hat der Stern gemacht, nicht ich; ich wie-derhole das hier nur.
Ich möchte gern, dass man über zwei verschiedeneGrundrichtungen nachdenkt. Die Grundrichtung der Lin-ken ist: Wir wollen Sicherheit durch Abrüstung. DieGrundrichtung der Verteidigungsministerin und der Re-gierung ist: Sicherheit durch Aufrüstung. – Das wirdscheitern, und das geht nicht zusammen. Sicherheit istdurch Abrüstung zu erreichen.
Es geht nicht nur um Sicherheit. Ich möchte auch überandere Fragen reden, die immer verdrängt werden. Wennman den Bericht liest – es geht um neun große Rüstungs-projekte –, weiß man sofort: Es geht um Geld, um vielGeld. Wir reden über Sicherheit, und andere reden überProfite. Mit Rüstung werden ungeheure Profite gemacht.Darüber muss man sprechen. Ich möchte einmal imSinne von Transparenz aufgelistet haben, welche Rüs-tungsunternehmen an welchem Projekt wie viel verdienthaben. Während hier über Sicherheit gesprochen wird,geht es um Geld und Profit. Das Streben nach Profitsollte aber nicht unsere Politik aussteuern. Das gehört zudem Krimi.
Wir müssen auch über mafiöse Strukturen in diesemganzen Bereich reden. In meinem Jargon würde ichdiese Kooperation von Rüstung, von Rüstungsinteressenund Ministerium eher als militärisch-industriellen Kom-plex bezeichnen. Wer schreibt eigentlich die Vorschläge,was beschafft werden soll und von wem es geliefert wer-den soll? Jetzt hört und liest man, dass Verträge sogarvon denen geschrieben werden, die auf der anderen Seitedas Geld dadurch bekommen, und dass das Ministeriumselbst so oberflächlich auf die Dinge eingeht, dass dieBezeichnung Filz zwischen Politik und Militär durchausangebracht ist. Ich möchte über diesen Filz reden.
Ich möchte ein weiteres Problem ansprechen – FrauMinisterin, hier spreche ich Sie auch ganz direkt an –:Wäre es nicht möglich, etwas mehr Respekt vor demParlament – nicht vor einzelnen Abgeordneten – an denTag zu legen? Müssen Sie mit jeder Planung, so absurdsie auch im Einzelnen ist, sofort versuchen, Öffentlich-keitsarbeit zu betreiben?
An der russischen Westgrenze Drohnen aus Deutschlandund Soldaten aus Deutschland stationieren zu wollen, istso absurd und so gefährlich wie nur irgendwas.
Die OSZE will das gar nicht; das wissen Sie. Die OSZEhat nicht angefragt. Sie drängen sich hier auf.
Kann man das klären und hier sagen, dass wir als Deut-scher Bundestag das nicht wollen, es sollen keine Solda-ten dort stationiert werden, wo deutsche Soldaten einmalwaren? Das war die Politik und auch die Formulierungvon Herrn Kohl: keine deutschen Soldaten, wo deutscheSoldaten einmal waren.Muss der Bundestag aus den Medien erfahren, dassSie Ausbildungszentren im Nordirak einrichten wollen?Ich finde, diese Art des Umgangs mit dem Parlamentmacht viel kaputt und die deutsche Politik noch unseriö-ser, als sie sowieso schon ist.
Ich möchte nicht, dass mit dem Parlament in dieser Artund Weise umgegangen wird. Ich fordere Respekt fürdas Parlament. Ich finde, dass das Parlament die Ent-scheidung hat. Das sollte man auch in allen Fragen deut-lich machen und nicht vorab die Presse so hochschau-keln, dass es sich bereits wie Fakten liest.Keine deutschen Soldaten an die Westgrenze Russ-lands, das ist das Mindeste, was Sie aus der Geschichtelernen sollten.Danke sehr.
Für die Bundesregierung erteile ich das Wort FrauBundesministerin Dr. Ursula von der Leyen.
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Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin derVerteidigung:Vielen Dank für die Glückwünsche zum Geburtstag,Herr Gehrcke. – Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! 1 500 Seiten Gutachten zum Thema Rüstungsbe-schaffung liegen jetzt vor. Es ist eine schonungsloseAnalyse – wir haben in den vergangenen Tagen viel da-rüber geredet –, aber sie war nötig. Das Gutachtenkommt mitten in einer – nicht nur durch die äußerenUmstände – schwierigen Zeit. Die Krisen dieser Weltsind hochkomplex, sie nehmen zu, und wir stehen ge-meinsam mit unseren Partnern und Verbündeten vor ge-waltigen Herausforderungen. Deutschland ist gefordert,und Deutschland übernimmt auf diesen und vielen ande-ren Feldern seine Verantwortung.Zugleich haben wir ohne Zweifel mit Problemen imInneren zu kämpfen. Wir sehen einen Stau in der Rüs-tungsbeschaffung. Das, was bestellt worden ist, kommtJahre zu spät und weit überteuert. Deshalb haben wir dieVerpflichtung, mit dem Material, das wir haben, das be-währt, aber betagt ist, viel länger zu arbeiten. Das hat zurFolge, dass es bei Wartung, Instandhaltung und Ersatz-teilbeschaffung knirscht. Auch haben wir in den letztenzwei Wochen eine Serie von Pannen bei den Luftfahr-zeugen erlebt, die uns das Leben schwer machen.All das ist nicht neu, aber es ist im Augenblick hart,weil die Probleme geballt auf dem Tisch liegen, transpa-rent und ungeschminkt, aber das war auch der Sinn desGutachtens. Vieles, was wir jetzt sehen, gefällt uns garnicht, aber es kann und darf uns nicht dazu verführen,jetzt beiseitezuschauen, sondern wir müssen nach vorneschauen und die Probleme anpacken.Ist deswegen in der Bundeswehr alles schlecht? Über-haupt nicht! Die Bundeswehr ist auf einem Niveau derLeistung, um das uns die allermeisten Länder dieserWelt beneiden.
Dass das so ist, beweisen über 3 000 Soldatinnen undSoldaten jeden Tag weltweit im Auslandseinsatz, und esbeweisen über 270 000 Soldatinnen und Soldaten undZivilbeschäftigte jeden Tag hier in Deutschland. Ihnengebührt unser Dank.
Auch wenn die Probleme jetzt deutlich und transpa-rent auf dem Tisch liegen, sollten wir uns nicht darüberhinwegtäuschen lassen, dass es beim Materialerhalt undbei der Rüstungsbeschaffung knirscht. Sollten wir des-halb unsere Aktivitäten zurückfahren und einstellen?Auch da ist meine Antwort: keineswegs. Ein Kranken-haus, das mit seinen Röntgengeräten Probleme hat, wirddeswegen nicht die Intensivstation oder die Chirurgieschließen, sondern es wird die Röntgengeräte reparierenoder ersetzen. Genau diese Palette an Aufgaben stelltsich nun auch uns.Erstens. Ja, wir haben akute Probleme bei Hubschrau-bern und Flugzeugen, aber die sind auch erklärbar. Des-halb haben wir kurzfristig zwei Task Forces geschaffen,eine für die Hubschrauber, eine für die Flugzeuge, in de-nen wir ganz konkret fragen, was bei den einzelnen Luft-fahrzeugen falsch läuft, worin das Problem liegt und wowir helfen können. Die Inspekteure, die zuständig sind,sind dem Lenkungsausschuss zugeordnet, in dem diebeiden beamteten Staatssekretäre und der General-inspekteur vertreten sind, um diesen Problemen kurzfris-tig konkret an den Leib zu gehen. Wo es sinnvoll undnotwendig ist, werden wir für Ersatzflugzeuge sorgen.Zweitens. Ich habe eben angesprochen, dass wir dasbewährte, aber betagte Material weiterhin fliegen undfahren, aber auch zur See haben. Das bedeutet für uns,dass der Materialerhalt intensiviert werden muss. Andieser Stelle will ich sagen, dass wir in den vergangenenJahren zu Recht einen ganz starken Fokus auf den Ein-satz gelegt haben. Das war richtig so. Es ist uns gelun-gen, dass die Bundeswehr bei ihren Einsätzen mit hoch-modernem Material und Schutz alles das leisten kann,was wir als Parlament ihr auftragen. Die Konzentrationauf die Einsätze hat aber auch dazu geführt, dass imGrundbetrieb nicht genügend hingeschaut worden ist.Das wird jetzt umso deutlicher sichtbar, wo Landes- undBündnisverteidigung wieder eine wesentlich stärkereBedeutung erlangen. Also müssen wir sagen: Bei In-standhaltung und Wartung müssen wir die Prozesse in-tensivieren und mehr Geld in die Hand nehmen, um dortvoranzukommen.Drittens. Wir brauchen ein engeres, ein transparente-res, ein viel effizienteres Management der Rüstungspro-jekte. Wir haben in den vergangenen Tagen ausführlich,stundenlang darüber diskutiert. Das beginnt beim Ver-tragsmanagement, geht über die Risikobewertung bis hinzum Projektmanagement. Ein Beispiel: Projektleiterwissen ungeheuer viel, sehen viel, bemerken als erste,wenn etwas nicht rund läuft, aber sie dürfen nicht an derunendlich langen Meldekette verzweifeln, sondern siemüssen sofort einen Zugang zu der Leitung haben, umdie Probleme dort frühzeitig zu melden, damit die Pro-bleme erkannt und frühzeitig abgestellt werden. Dasspart Zeit und Geld. Diesen Weg werden wir jetzt ein-schlagen.Es geht uns insgesamt darum, stärker eine Kultur zuentwickeln, die viel mehr an den Lösungsvorschlägenals an der Problembeschreibung interessiert ist. Die Pro-blembeschreibung ist am Anfang notwendig, aber dannmüssen die Lösungsvorschläge aus derselben Hand, ausderselben Richtung kommen. Das heißt, wir müssenauch eine neue Fehlerkultur entwickeln, eine Fehlerkul-tur, in der es in Ordnung ist, zu sagen: „Da ist ein Ri-siko“, „Wir haben hier einen Fehler gemacht“, frühzei-tig, um dann auch gegensteuern zu können. Das istbisher keine Selbstverständlichkeit. Das ist eine Neue-rung, nicht nur für unser Haus und in der Leitung unse-res Hauses, sondern auch für uns als Parlament. DieFrage wird sein: Wie gehen wir in Zukunft mit Fehlernund Problemen, die auftauchen werden – ganz ohneZweifel –, um? Sanktionieren wir sofort? Machen wirsofort Aktionismus? Dann werden wir zurückfallen ineine Haltung, dass Fehler möglichst vertuscht werden,dass Risiken möglichst nicht frühzeitig angezeigt wer-
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Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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den – in der Hoffnung, dass sie von selber vergehen. Ichbin der Meinung, dass wir gemeinsam in der Verantwor-tung für unsere Parlamentsarmee viel stärker in dieseneue Form der Fehlerkultur hineingehen sollten, weil sietransparenter ist und zum Schluss zu besseren Ergebnis-sen führt.
Meine Damen und Herren, das Gutachten zeigt auch,dass viel politisch beeinflusst worden ist. Das ist per seweder falsch noch richtig – das will ich gleich sagen:Wir machen hier Politik, also ist politischer Einfluss nor-mal –; doch das muss Grenzen haben, wenn die Zielewillkürlich gesetzt werden. Deshalb möchte ich nocheinmal zitieren, was unser Koalitionsvertrag sagt:Die Bundeswehr beschafft, was sie braucht, undnicht, was ihr angeboten wird.Damit sind wir beim Thema „Priorisierung und Schlüs-seltechnologien“. Wir haben uns diese Frage im Vertei-digungsministerium aus Sicht des Bedarfes der Truppegestellt, vorweg. Die Frage ist: In welchen Bereichenwollen, ja müssen wir national beschaffen, um unserenmilitärischen Bedarf souverän zu sichern? Dahinter stehtder Gedanke der Unabhängigkeit.Zweitens. Wir brauchen Akzeptanz dafür, dass dieRessourcen begrenzt sind. Das heißt, wir müssen priori-sieren. Wenn wir alles zur Schlüsseltechnologie erklä-ren, können wir nicht mehr priorisieren; dann sinkt dasNiveau überall.Drittens. Wir brauchen – das betone ich ausdrück-lich – einen ressortübergreifenden Konsens. Wir habenjetzt begonnen, aus dem Verteidigungsministerium he-raus diese Diskussion zu führen, in den Domänen undDimensionen, die wir haben. Wirklich nationale Schlüs-seltechnologien können nur einige wenige sein. Eindeu-tig ist das für uns zum Beispiel bei Führung und Aufklä-rung; hier kommt es buchstäblich auf den Schlüssel an,mit dem wir unsere Souveränität dann auch verteidigenkönnen: Wenn andere unsere Verschlüsselung knackenkönnen, sind wir nicht mehr unabhängig; wir solltenVerschlüsselung also national beherrschen. Und es gehtum die Technologien in Führung und in Aufklärung, dieim 21. Jahrhundert einen ganz großen Bedeutungszu-wachs erfahren werden.Im Bereich der Wirkung sind die Dinge nicht so ein-eindeutig. Panzer, U-Boote, Handfeuerwaffen: hier mussdie Bundesregierung eine gemeinsame Antwort finden.Das sind die sogenannten grauen Bereiche. Wohlge-merkt: Grau kann auch grün werden; aber wir brauchendie Diskussion darüber. Hier geht es eben nicht nur umdie militärische Souveränität, sondern es geht auch umSicherheitspolitik. Das heißt, die zentrale Frage, aus derSicht der Bundesregierung, ist: Wollen wir unsere starkePosition – die deutschen Produkte sind in einigen dieserTechnologien bereits Weltspitze – nutzen für unseren si-cherheitspolitischen Einfluss in der Welt? Wenn das mitJa beantwortet wird, dann ist klar: Der Bedarf der Bun-deswehr reicht nicht aus für eine gesunde Industrie, son-dern hier ist auch die Frage nach dem Export zu stellen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Frak-tionsvorsitzenden von Bündnis 90/Die Grünen, dem Ab-geordneten Dr. Anton Hofreiter.
Sehr geehrte Frau Ministerin, erst einmal auch vonmeiner Seite alles, alles Gute zum Geburtstag!Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-gen! Wenn Anspruch und Wirklichkeit hart aufeinander-prallen, dann ist das schmerzhaft. Das, sehr geehrte FrauMinisterin, erfahren Sie gerade am eigenen Leib. Sie ha-ben laut nach mehr internationaler Verantwortung fürDeutschland gerufen. In New York schwärmten Sie da-von – ich zitiere –, Deutschland habe Schlüsselkapazitä-ten und Fähigkeiten, die andere Nationen so nicht haben.
Deutschland hat vor allem Flugzeuge und Hubschrauber,die nicht fliegen, und Panzer, die nicht fahren. Ja, das istschon ziemlich einzigartig.
Dem militärischen Begriff „Stillgestanden“ geben Siedamit eine ganz neue, ganz eigenartige und ganz einzig-artige Bedeutung.
Nun fliegen Ihnen Ihre Ankündigungen um die Oh-ren, und Sie versuchen jetzt, das mit Aktionismus zuüberspielen. Sie verkünden Einsätze im Irak und in derOstukraine – und das, bevor selbst das Außenministe-rium informiert ist, geschweige denn die ganze Bundes-regierung.
Statt eine Ankündigungspolitik zu betreiben, solltenSie endlich Ihre Arbeit tun und sich um eine bessereoder wenigstens eine funktionierende Ausrüstung küm-mern, um eine Ausrüstung, die die bestmögliche Sicher-heit für unsere Soldatinnen und Soldaten gewährleistet.Wie auch immer man zu einzelnen Mandaten stehenkann: Ich danke allen Soldatinnen und Soldaten für ihrenEinsatz. Über eines sollten wir uns hier doch alle einigsein, nämlich dass wir unseren Soldatinnen und Soldatenim Einsatz eine funktionierende Ausrüstung schuldigsind. Darin sollten wir uns auch mit der CDU einig sein.
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Dr. Anton Hofreiter
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, man mag nun ein-wenden: Na ja, Frau von der Leyen, Sie sind ja erst seiteinem Jahr im Amt. – Das stimmt, aber seit fast zehnJahren tragen nun CDU und CSU, die selbsternanntenParteien der Bundeswehr, die Verantwortung für dasVerteidigungsministerium.
Jung, Guttenberg, de Maizière und nun Frau von derLeyen: Was ist das Ergebnis? Das Ergebnis sind kaputteTransall-Maschinen, die zum Beispiel auf den Kanarenoder in Bulgarien festsitzen, und Schiffe, die ohne dieentsprechenden Hubschrauber in den Einsatz geschicktwerden müssen. Das Ergebnis ist eine Mängelliste, diedicker ist als jedes Telefonbuch.
Tiefgreifende Reformen sind deshalb unumgänglich.Das erfordert von Ihnen, Frau von der Leyen, ganz klarpolitische Kärrnerarbeit. Anstatt den Blick schön hinterTransalls herschweifen zu lassen, müssen Sie nun IhrAugenmerk auf die Niederungen der Beschaffungspoli-tik richten. Jetzt ist Schreibtisch statt PR-Fotos angesagt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wer trägt eigentlichdie Gesamtverantwortung für die Politik in Deutschlandin den letzten zehn Jahren? Ist das nicht die Bundeskanz-lerin? Ist das nicht Frau Merkel? Ihre Bilanz als Regie-rungschefin ist eine Bundeswehr, die nur noch bedingteinsatzfähig ist. Die Minister kamen und gingen, dieKanzlerin blieb. Das macht sie zur politischen Hauptver-antwortlichen für das Ausrüstungsdesaster bei der Bun-deswehr.
Seit der Machtübernahme von Frau Merkel hat dasVerteidigungsministerium circa 40 Milliarden Euro fürBeschaffung ausgegeben. Da fragt man sich: Was habenSie eigentlich mit dem ganzen Geld gemacht?
Sie haben es für Projekte verschwendet, die meist ver-spätet kamen, zu teuer waren und von schlechter Quali-tät sind.
Mein Verdacht ist: Diese Verschwendung ist nicht al-lein auf Inkompetenz zurückzuführen. Das allein wäreschon schlimm genug. Nein, es mangelt auch an profes-sioneller Distanz zwischen Bundeswehr und Ministe-rium auf der einen Seite und Rüstungsindustrie auf deranderen Seite,
mit dem Ergebnis, dass Sie Milliarden verplempert ha-ben und die Rüstungsindustrie dem Ministerium auf derNase herumtanzt. So geht es schlichtweg nicht weiter.
Vor diesem Hintergrund verbietet sich in meinen Au-gen auch jede Forderung nach mehr Geld. Im letztenJahr mussten Sie 1,3 Milliarden Euro an den Haushaltzurückgeben. Und jetzt wollen Sie das Problem mitmehr Geld lösen? Das ist doch nur noch bizarr.
Deshalb: Misten Sie endlich den Saustall im Beschaf-fungswesen aus! Setzen Sie Prioritäten! Die Bundeswehrmuss nicht alles können, aber das, was sie plant, musssie dann auch können. „Breite vor Tiefe“ als Motto istschlichtweg falsch.
Beenden Sie die teure und gefährliche Nähe zwischendem Ministerium und der Rüstungsindustrie,
und sorgen Sie für eine Bundeswehr, die DeutschlandsVerantwortung gegenüber den Partnern und insbeson-dere gegenüber den Vereinten Nationen endlich gerechtwerden kann.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Rainer Arnold, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Ich finde es interessant, dass wir über Rüstungsprodukte,Beschaffung und Instandsetzung auf Antrag der Linken
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Rainer Arnold
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diskutieren. Wir sollten vielmehr über Sicherheitspolitikdiskutieren, darüber, welche Interessen unser Land inder Welt hat und welche Verantwortung wir in der Welthaben, abgeleitet von unseren Werten, unserer Größeund unserer ökonomischen Bedeutung. Danach solltenwir darüber diskutieren, wie die Bundeswehr gestaltetwerden soll, damit sie das Instrument ist, das wir in derPolitik brauchen, und welches Gerät wir dafür brauchen.Dies wäre eigentlich die richtige Reihenfolge. Aber gut,wir diskutieren auch gern über Rüstungsprojekte.
Frau Ministerin, Sie haben die Probleme nicht verur-sacht; dies muss man immer wieder sagen, wenn manfair miteinander umgeht. Wir Parlamentarier haben dieProbleme ebenfalls nicht verursacht.
Viele von uns weisen seit Jahren auf Fehlentwicklungenhin. Aber ihnen wurde nicht zugehört. Deshalb findenwir es gut, dass nun eine Gesamtschau der Problemevorliegt und dass Sie zugehört haben. Obwohl die Pro-bleme im Einzelnen zumeist bekannt waren, eröffnetdiese Gesamtschau die Chance – es ist durchaus Ihr Ver-dienst, dass Sie den entsprechenden Prozess eingeleitethaben –, dass jeder begreift: Augen zu, Schönreden und„Weiter so“, das kann es nicht mehr geben. Sie erfahreneine große Unterstützung, wenn Sie nun die Prozesseverändern. Dafür braucht man sicherlich Kraft. Daswurde schon oft versucht. Aber bislang sind alle Versu-che im Sand verlaufen. Wir werden Sie in den nächstenJahren dabei unterstützen.
Natürlich muss man sich die Gründe genau an-schauen, nicht um zurückzublicken, sondern um dieFehlentwicklungen zu korrigieren. Es gibt drei Gründe:Erstens. Es gibt das Problem, dass die Wirtschaftnicht wirklich verlässlich gearbeitet und geliefert hat;das ist klar zu benennen. Wir müssen mittels Vertrags-recht und gegebenenfalls mittels Anwälten, die unsereInteressen durchsetzen, klarmachen, dass es so nichtweitergehen kann.Zweitens. Das Ministerium weist eine Struktur auf,die modernen Prozessen und der Komplexität der Rüs-tungsvorhaben nicht mehr gewachsen war und nichtmehr gewachsen ist. Diese Struktur muss verändert wer-den. Frau Ministerin, Sie und Ihre Staatssekretärin habenzu Recht mit uns darüber diskutiert, dass sich auch dieKultur verändern muss; es muss eine Fehlerkultur geben.Wir haben erlebt, dass zum Beispiel Leute, die schon vorJahren klar formuliert haben, was beim Euro Hawkschiefläuft, von ihren Schreibtischen vergrault wurdenund dass der entsprechende Bericht zurückgewiesenwurde. Die Kompetenz dieser Leute fehlt nun. In denletzten Jahren hatten wir die Kultur, dass all diejenigen,die Bedenken geäußert und Rat gegeben haben, als Stö-renfriede verstanden wurden. Dies entspricht nicht denGrundsätzen des modernen Managements. Es ist not-wendig und gut, dass Sie das nun ändern.
Der dritte Grund ist – damit sich etwas verändert,muss man auch ihn nennen –: Die Strukturreform IhresVorgängers hat die Probleme nicht gelöst, sondern ver-schärft, insbesondere im Bereich der Instandsetzung. Esist doch klar: Wer von vornherein eine Struktur wählt,die zum Ziel hat, sowohl die Zahl des Personals als auchdas Gerät zu reduzieren, und nach der Rasenmäherme-thode verfährt, anstatt zu prüfen, wo qualifiziertes Perso-nal an den richtigen Stellen benötigt wird, und dannnoch anordnet, dass 70 statt 100 Prozent des Geräts aus-reichend sind, darf sich nicht wundern, dass immer mehrtechnische Geräte ausfallen, weil sie zu viele Betriebs-stunden aufweisen, und dass eine kritische Größe bei be-stimmten Fähigkeiten erreicht wird. In dieser Situationbefinden wir uns nun.Um nicht falsch verstanden zu werden: Es ist wahr,dass die Bundeswehr leistungsfähig ist. Aber auch hiermuss man genau hinschauen. In der Bundeswehr gibt eshervorragende Bereiche, in denen sie im internationalenMaßstab führend ist. Das liegt auch an den Menschen,die dort arbeiten. Dann gibt es Bereiche, in denen dieBundeswehr einsatzfähig, aber nicht mehr durchhaltefä-hig ist. Die derzeit geplante Struktur sieht die Nicht-durchhaltefähigkeit konzeptionell vor; das ist so einge-plant. Es geht auf die Knochen der Soldatinnen undSoldaten, insbesondere der Spezialisten, wenn sie allzulange im Einsatz sind und nicht mehr wie gewünscht alsStaatsbürger in ihrem sozialen Umfeld leben können.Deshalb muss man an diese Fragen mit herangehen.Sie haben den Informationen aus dem Haus im Früh-jahr zu Recht nicht vertraut und einen externen Blick da-rauf geworfen. Der war notwendig. Das wird nicht dasOrdnungsprinzip der Zukunft sein; aber dieser Blick warhilfreich.Bei der Untersuchung der neuen Projekte – davonmöchte ich zwei ansprechen – geht es um Folgendes:Der Euro Hawk ist in hohem Grade politisch belastet,und es ist nicht einfach, das zu kommunizieren. Wir sindaber erstens der Auffassung, es ist klug, dieses teure Pro-jekt mit seiner herausragenden Fähigkeit nach Möglich-keit zum Erfolg zu führen und nicht für gleich viel odermehr Geld etwas deutlich Schlechteres zu beschaffen.Deshalb ist dies der richtige Weg.Zweitens sind wir der Meinung, wir haben im Bereichder bodengebundenen Luftverteidigung in Deutschlandherausragende Fähigkeiten. Die sollten wir nationalschützen, und wir sollten das auch in Auftrag geben. Da-mit komme ich zum Bereich der Schlüssel- oder Kernfä-higkeiten, Frau Ministerin.
Sie denken aber an die Zeit.
Ich komme zum Ende. – Frau Ministerin, wir müssendiese definieren. Das kann man selbstverständlich nicht
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Rainer Arnold
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der Wirtschaft überlassen. Wir haben aber eine Bitte:Wir sollten die Debatte nicht so führen, dass die Unter-nehmen, die jetzt bezüglich ihrer Fähigkeiten infragegestellt werden – dabei geht es um die Frage, ob dieseFähigkeiten zu den Kernfähigkeiten gehören –, sich kri-tischen Fragen ihrer Banker oder der Kapitalmärkte stel-len müssen. Wir haben da eine gemeinsame Verantwor-tung. Unser Anliegen ist eindeutig. Ich glaube, dass auchdie Sichtweise dazu in dieser Koalition mehrheitlich ein-deutig ist. Kernfähigkeiten waren für uns in der Vergan-genheit – sie sollen es auch in Zukunft sein – Fähigkei-ten, die dem nationalen Interesse entsprachen. Sie habendiese Fähigkeiten genannt: Verschlüsselungstechnik,Sensorik und Aufklärung. Kernfähigkeiten beruhen aberauch auf herausragenden technischen Fähigkeiten, wel-che die deutsche Rüstungswirtschaft erbringen kann. Dasind wir im Weltmaßstab spitze. Wir wollen sie nicht nurwegen der Arbeitsplätze bewahren, sondern das hat zumBeispiel auch bei MEADS, also der Luftverteidigung, et-was mit nationaler Souveränität zu tun, die wir schützenwollen.
Herr Kollege.
Deshalb muss Klarheit geschaffen werden. Bei Land-
systemen, U-Booten und Kleinwaffen hat die deutsche
Wirtschaft wirklich herausragende Fähigkeiten. Sie ge-
hören mit zu diesen Kernfähigkeiten.
Die Koalition, Frau Ministerin, steht – ich komme
zum Ende – an Ihrer Seite.
Herr Kollege.
Zuhören und handeln müssen Sie. Alles Gute dabei!
Lieber Herr Kollege Arnold, ich habe den Geburts-
tagsgruß schon von der Zeit abgezogen, damit Sie etwas
mehr Luft hatten.
– Die Technik, mehrfach zu versprechen, zum Ende zu
kommen, um dann fröhlich weiterzureden, ist verständ-
lich, wenn man von einem Thema viel versteht; aber es
wäre doch nett, wenn wir uns in der Aktuellen Stunde an
die Regeln halten würden. – Als Nächstem erteile ich
das Wort dem Kollegen Henning Otte, CDU/CSU-Frak-
tion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir haben den Auftrag, die Bundeswehr soauszurichten, dass sie auf jede sicherheitspolitische He-rausforderung eine Antwort geben kann. Die sicherheits-politische Lage ist angespannt. Wir haben eine hohe Be-teiligung an Auslandsmandaten, und wir haben großesicherheitspolitische Herausforderungen, die wir tagtäg-lich diskutieren.Deutschland muss einen Beitrag leisten. Deutschlandübernimmt Verantwortung. Deswegen brauchen wirauch ein ausgedehntes Fähigkeitsprofil, wir müssen aufjede Lage eine entsprechende Antwort geben können.Wir müssen Fähigkeiten anbieten können, von denen wirüberzeugt sind, dass wir sie auch gut abbilden können.Zur Erfüllung dieses Auftrages brauchen wir das not-wendige Material.Wir haben gesehen: Wenn sich eine Krise auftut, ist esimmer zuerst die Bundeswehr, die gerufen wird –
egal ob es sich um Auslandsmandate handelt, ob es umdie Ebolaseuche oder um Hochwasser geht. Das ist auchein Ausdruck von Vertrauen und eine Zuversicht in dieFähigkeiten der Bundeswehr. Weiter ist es auch die An-erkennung der Leistungen unserer Soldatinnen und Sol-daten. Das sollten Sie, bitte, auch einmal zur Kenntnisnehmen.
Dass wir diese Diskussion hier führen, ist auch einAusdruck dafür, dass wir unsere Fürsorge und auch un-ser sicherheitspolitisches Interesse wahrnehmen. Es gibtHerausforderungen und Probleme bei der Beschaffung,weil oftmals zu spät und nicht in der vereinbarten Quali-tät geliefert wird. Wir haben eine hohe Beanspruchungauch älteren Materials. Ich nenne in diesem Zusammen-hang beispielsweise die Transall. Deswegen greifen wirauch noch einmal vermehrt in die Substanz ein. Hierbeiwird offenkundig, dass es auch Probleme gibt.Lieber Herr Hofreiter, wenn Sie sich darüber echauf-fieren, dass in letzter Zeit so viel investiert worden ist,dann sage ich ganz deutlich: Wir machen Ihrem damali-gen grünen Außenminister keinen Vorwurf, dass er dieSoldatinnen und Soldaten in den Einsatz nach Afghani-stan geschickt hat. Aber wenn wir dann feststellen, dasswir nachrüsten müssen und mehr Schutzkomponentenbrauchen, dass wir also mehr investieren müssen,
dann sollten wir das als gemeinsame Aufgabe ansehenund das auch anerkennen.
Zu viel ist dadurch kompensiert worden, dass man inden Grundbetrieb eingegriffen hat. Das geht einmal, aberdas geht nicht auf Dauer. Die Neuausrichtung der Bun-deswehr, die vom damaligen VerteidigungsministerHerrn de Maizière angestoßen wurde, hatte zwei Ziel-richtungen: die Bundeswehr auf die Einsatzlage auszu-
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Henning Otte
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richten und die Beschaffungsprozesse zu beschleunigenund zu verbessern.Genau das hat unsere jetzige Verteidigungsministerin,Frau von der Leyen, aufgenommen und konsequent fort-geführt, indem sie sich alle Großprojekte hat vorstellenund sich den Istzustand hat berichten lassen und indemsie ein Gutachten in Auftrag gegeben hat, um genau he-rauszufinden, wie wir die Prozesse noch besser gestal-ten, noch mehr beschleunigen und verlässlicher machenkönnen. Deswegen sind wir Ihnen, liebe Frau Ministerin,für diese Arbeit sehr dankbar. Auch wenn noch viel Ar-beit vor uns liegt, so ist das der richtige und notwendigeSchritt, den wir gemeinsam in der Großen Koalition tun.
Dieses Gutachten muss aber auch aus sicherheitspoli-tischer Sicht ausgewertet werden. Welches Fähigkeits-profil brauchen wir? Viele Produkte und Fähigkeiten, diedie deutsche Industrie herstellt, verfügen über eine Spit-zenqualität. Das ist sowohl Ausdruck als auch Grund-lage von Souveränität und Sicherheit. Wenn aber solcheine Industrie erst einmal ins Ausland verlagert wird,dann ist es umso schwerer, diese Industrie zurückzuho-len. Oder, wie der Rheinländer sagt: Was fott is, is fott.Wer glaubt, dass wir von ausländischen Industrienbesser versorgt werden, der irrt. Ich stelle das in Zweifel.Wir haben eine Industrie, die ausgewiesene Fähigkeitenbei der Herstellung von Produkten für die Luft-, Land-und Seestreitkräfte hat und Spitzenprodukte liefert. Aberes muss noch eine bessere Abstimmung untereinandererfolgen. Dort, wo wir spitze sind, müssen wir spitzebleiben, und dort, wo wir noch nicht spitze sind, müssenwir spitze werden.
Am Ende eines oftmals langen Entwicklungs- undBeschaffungsprozesses, bei dem es natürlich Anpassun-gen aufgrund der Erfahrungen aus den Einsätzen oderaufgrund von Innovations- und Techniksprüngen gibt,steht meist das beste und modernste Produkt, das es gibt.Aber das dauert zu lange. Die Produkte kommen nicht soverlässlich, wie es unsere Soldatinnen und Soldaten imEinsatz brauchen.2013 sind 7 700 Verträge im Verteidigungsministe-rium geschlossen worden, wir haben 1 200 Beschaf-fungsprojekte, wir haben 100 sogenannte Über-25-Mil-lionen-Vorlagen und 15 Großvorhaben. Das zeigt, dasswir auch in der Vertragsgestaltung und in der Vertrags-auslegung sattelfest werden müssen; denn es geht auchdarum, dass wir am Anfang des Vertrages deutlich ma-chen, was wir wollen, damit wir am Ende auch das Pro-dukt geliefert bekommen, das wir wollen.Ich habe Vertrauen in die Wirtschaft, aber wir müssendeutlich machen, dass wir Verlässlichkeit und Pünktlich-keit wollen. Wir wollen vor allem unseren Soldatinnenund Soldaten das Gerät zur Verfügung stellen, das sie fürihren Einsatz brauchen, und das muss schneller, pünktli-cher und verlässlicher geschehen. Das muss uns die Si-cherheit unseres Landes wert sein.Herzlichen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich der Abgeordneten
Christine Buchholz, Fraktion Die Linke, das Wort.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir disku-tieren heute über den Rüstungsprüfbericht und den Um-gang von Frau von der Leyen mit demselben. MeineThese ist: Die Antworten, die Frau von der Leyen unddie Vertreter der Regierung geben, gehen an den eigent-lichen Problemen vorbei. Frau von der Leyen, Sie räu-men nicht auf, sondern Sie bedienen weiter die Profit-interessen der Rüstungsindustrie. Das hängt natürlich,Herr Arnold, damit zusammen, dass Sie gemeinsam dieBundeswehr auf Biegen und Brechen in globale Einsätzeschicken wollen.Schauen wir uns das Ganze genau an. Wir reden überdie Verträge, die das Bundesverteidigungsministeriummit der Rüstungsindustrie schließt. Es wird hier immerso technisch über die Verträge und die Vertragsstrafengeredet. Ich will es einmal konkret machen: Der Euro-fighter kostet den Steuerzahler am Ende 60 MilliardenEuro. Und an so vielen anderen Ecken und Enden fehltdas Geld! Nachdem der Preis pro Stück weiter explo-dierte, reduzierte das BMVg das Auftragsvolumen. DerWert der Bestellung blieb gleich; doch der Triebwerk-hersteller MTU erhielt im Dezember 2013 55 MillionenEuro Kompensationszahlungen für Triebwerke, die nie-mals gebaut worden sind. Airbus Defence fordert900 Millionen Euro als Ausgleich für die Reduzierungder georderten Stückzahl.Aber umgekehrt gilt das Ganze nicht. Wenn sich in-folge von Schwachstellen an den ersten 33 ausgeliefer-ten Flugzeugen die Lebensdauer verkürzt, dann werdendie Ansprüche an den Hersteller wegen der Vertragslagewomöglich nicht geltend gemacht werden. Meine Da-men und Herren, es kann nicht sein, dass mit Steuergeldso umgegangen wird.
Es ist nicht so, dass es in allererster Linie handwerkli-che Probleme gibt; nein, das Problem hat System:Erstens. In allen Projektgruppen, die diesen Beschaf-fungsprozess prägen, saßen von Anfang an Vertreter derRüstungsindustrie. Sie werden mit daran beteiligt, diesogenannten Fähigkeitslücken zu definieren. So war bei-spielsweise EADS Hauptauftragnehmer für die Erstel-lung der Systemkonzeptstudie zum Euro Hawk.Zweitens. Ministerium und Rüstungsindustrie teilendas Interesse, die Bundeswehr global in Einsatz zu brin-gen, und dies bei größtmöglicher Eigenständigkeit ge-genüber amerikanischen Partnern und russischen Riva-len.Drittens. Über Personen kann man das Ganze auchplastisch machen. Ich verweise auf den ehemaligenMinister für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
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Christine Buchholz
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wicklung Dirk Niebel, der nun Rüstungslobbyist beiRheinmetall wird, oder auf Tom Enders, den jetzigenVorstandsvorsitzenden der Airbus Group, der in der Ver-gangenheit als Beamter im Verteidigungsministeriumgewirkt hat und bis 2011 Mitglied der CSU war. Es wun-dert nicht, dass die Regelung der Regierung zu Karenz-zeiten ein zahnloser Tiger ist.
Wie geht die Rüstungsindustrie mit dem Bericht um?Sie jammert ja immer viel; dabei ist die Realität, dass de-ren Jahresumsatz 2013 knapp 30 Milliarden Euro betrug.Seit 2005 wächst die Rüstungsindustrie jährlich imSchnitt um 4,3 Prozent. Sie ist gierig. Sie verlangt mehr.Adamowitsch, der Hauptgeschäftsführer des Bundesver-bandes der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungs-industrie, fordert jetzt, dass die Deckelung von Gewinn-margen aufgebrochen wird. Meine Damen und Herren,das kann doch nicht wahr sein!
Frau von der Leyen produziert weiter Kosten für denSteuerzahler. Denn anstatt die ausufernden Kosten ein-zudämmen, kündigt das BMVg jetzt im Begleitschreibenzum KPMG-Bericht an, dass noch in diesem Jahr meh-rere wichtige Rüstungsbeschaffungsentscheidungen aufden Weg gebracht werden sollen.In diesem Zusammenhang kurz ein Wort zum EuroHawk: Ich halte es für eine absolute Schnapsidee, denEuro Hawk, der bereits eine halbe Milliarde Euro ver-schlungen hat, aus der Mottenkiste zu holen.
Die Kostenexplosion ist vorprogrammiert. Von daher:Ersparen Sie dem Steuerzahler dieses weitere Milliar-dengrab.
Die Regierung, Frau von der Leyen, die CDU nutzendie jetzige Debatte,
um eine weitere Diskussion voranzutreiben, nämlich dieüber die perspektivische Erhöhung des Rüstungsetats.Sie fordern mehr Geld für Rüstung in der Zukunft. Wirsagen Nein. Nutzen Sie jetzt nicht die Diskussion überdie aufgetretenen Mängel, um an dieser Stelle Druck zumachen. Eine Erhöhung des Rüstungsetats werden wir,die Linke, nie mitmachen.
Internationale Verantwortung bedeutet die Abkehrvon immer mehr militärischen Einsätzen. InternationaleVerantwortung heißt Abrüstung. Sie setzt auf zivile Kri-senlösungen. Internationale Verantwortung heißt auch,endlich den Filz zwischen Rüstungsindustrie und Politikaufzulösen.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Thomas Hitschler, SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich bin dem Verteidigungsministerium ausge-sprochen dankbar für diesen Bericht, auch wenn ichmich gefreut hätte, ihn vor der Presse zu Gesicht zu be-kommen; aber da bin ich vielleicht etwas zu altmodisch.Dass es beim Material der Bundeswehr Problemegibt, ist nicht neu, das Ausmaß der Herausforderung al-lerdings schon. Das haben die alarmierenden Nachrich-ten der letzten Wochen unterstrichen. Eine kritische undgleichzeitig schonungslose Analyse ist absolut notwen-dig, um diese Herausforderung zu meistern. Eine solcheAnalyse liegt jetzt vor und offenbart in manchen Berei-chen, dass in den letzten Jahren Fehlentscheidungen ge-troffen wurden.Ich will diese Aktuelle Stunde nutzen, um auf einenPunkt hinzuweisen, der in diesem Papier zu wenig Be-achtung findet. Baustellen gibt es nämlich nicht nur beiden Großprojekten; auch ein Blick auf die persönlicheAusstattung der Soldatinnen und Soldaten lohnt sich.Ich habe diesen Sommer genutzt, um viele Bundes-wehrstandorte in unserer Republik zu besuchen. Beson-ders erschreckt haben mich Berichte, die ich in der letz-ten Woche erhalten habe. Bei einem Einsatzverband imSüdwesten wurde mir ein Problem deutlich vor Augengeführt. Mir wurde berichtet, dass die materielle Einsatz-bereitschaft der Grundausstattung bei Teilen der Truppebei nur 20 Prozent liegt. Handfeuerwaffen und Nacht-sichtgeräte sind nur zum Teil verfügbar.Liebe Kolleginnen und Kollegen, aus dem Bericht,den die Soldaten mir vorgelegt haben, wurde deutlich,dass auch für die Ausbildung eine entsprechende Aus-rüstung dringend nötig ist. Nur wenn die Soldatinnenund Soldaten bestens ausgebildet sind, auch bei Tag undNacht mit der Ausrüstung üben können, können sie denhohen Grad an Einsatzbereitschaft zeigen, den wir allevon ihnen fordern. Das ist nämlich unser Auftrag, Kolle-ginnen und Kollegen, den wir den Soldatinnen und Sol-daten geben.Gerade bei den Fallschirmjägern haben sich großeProbleme gezeigt, also bei denen, die als Erste in denEinsatz geschickt werden und als Erste im Gefecht ste-hen. Die Situation ist, so meine ich, schlicht unzumutbarund auf dem schnellsten Wege zu ändern. Nur so könnenwir die Sicherheit unserer Soldatinnen und Soldaten ge-währleisten und auch unserer Verantwortung als Auf-traggeber nachkommen.Ich hoffe, hier handelt es sich nur um ein Verteilungs-problem und nicht um ein grundsätzliches Beschaffungs-problem. Die Kosten sind im Vergleich relativ gering.Deshalb bitte ich das Verteidigungsministerium, sichdieses Punktes unverzüglich anzunehmen.
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Thomas Hitschler
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Um ähnliche Probleme auch bei anderen Standortenauszumachen, brauchen wir zusätzliche Sachstandsbe-richte, Sachstandsberichte über die einzelnen Verbände.Der Ausrüstungsstand sollte überall bei 100 Prozent lie-gen. Das muss das ausgemachte Ziel sein, Kolleginnenund Kollegen.
Kritik zu äußern ist relativ einfach und bequem – dashaben wir heute schon mindestens zweimal gesehen –;Kritik anzunehmen, Lösungen zu erarbeiten und umzu-setzen ist eine andere Frage.
Die wichtigste Leistung dieses Berichts ist es, dieschlimmsten Mängel schonungslos offenzulegen. Damitmuss aber auch die Geheimhaltungs- und Verschleie-rungskultur der letzten Jahre ein Ende haben. Ein solcherKulturwechsel wäre wirklich der größte Erfolg diesesBerichts und für das Parlament unabdingbar.Neben der Analyse finden sich auch konkrete und,wie ich finde, meist vernünftige Handlungsempfehlun-gen in diesem Papier, die für uns auch die Ursachen auf-zeigen, und das heißt nicht automatisch: mehr Geld! Werreflexartig ausschließlich mehr Geld als Lösung fordert,der hat den Bericht entweder nicht gelesen oder nichtverstanden. Die massive Geldverschwendung bei denRüstungsprojekten ist doch gerade Teil des Problems,und damit muss jetzt Schluss sein, Kolleginnen und Kol-legen.
Dafür brauchen wir vor allem eines – das wurde inder Debatte wirklich deutlich –: Wir brauchen ein besse-res Management. „Besseres Management“ heißt fürmich: mehr Fachpersonal. Das Kaputtsparen bei den zi-vilen und militärischen Beschäftigten rechnet sich nicht;auch das zeigt der Bericht deutlich. Nur so können wirwieder auf Augenhöhe mit der Industrie verhandeln. Ei-gene Fachexpertise ist da dringend notwendig.Die Bundeswehr braucht, so meine ich, ein besseresPersonalmanagement mit nachhaltigen Personalentwick-lungsplänen und gezielten Förderprogrammen für dengesamten Personalkörper; denn der Arbeitgeber Bundes-wehr wird nur dann attraktiv, wenn wir den nachfolgen-den Generationen eine Perspektive aufzeigen. Wenn wirdas jetzt nicht anpacken, fällt uns der Fachkräftemangelin den nächsten Jahren deutlich und noch stärker auf dieFüße, und die Probleme werden noch größer.Auf den Prüfstand gehört ebenso das Konzept „Breitevor Tiefe“. Es hat sich weder bewährt, noch ist es zeitge-mäß. Der Debattenanstoß um Schlüsselqualifikationender Rüstungsindustrie ist daher wichtig. Dafür bin ichIhnen auch sehr dankbar.Wir werden also schauen müssen: Was können wirbesonders gut, auch und gerade mit Blick auf unsereVerbündeten? Die Entwicklung wird daher zwangsläufigin Richtung einer europäischen Armee gehen müssen. Esist schlicht ineffektiv und veraltet, im nationalen Klein-Klein jede Fähigkeit ein bisschen beherrschen zu wollen;noch schlimmer wäre es, eine Fähigkeit gar nicht zu be-herrschen. Wir müssen stattdessen Kernprofile schärfen,in denen die Bundeswehr Topleistungen bringt, unddiese dann auch mit den Topleistungen unserer Freundeund Partner kombinieren. So geht eine moderne, schlag-kräftige und effektive Verteidigungspolitik für Europa,liebe Kolleginnen und Kollegen.Dieser Bericht ist ein mutiger und wichtiger ersterSchritt. Den Ankündigungen müssen jetzt aber auch Ta-ten folgen. Die Handlungsempfehlungen müssen analy-siert werden, sie müssen in konkrete Vorhaben gegossenwerden, und sie müssen umgesetzt werden. Wir werdendiesen Prozess mit allen Kräften unterstützen. Und wirladen auch die Opposition ein: Auch Vorschläge von ihrsind hier gefragt, nicht nur unsachliche Kritik.Vielen Dank.
Als nächster Rednerin erteile ich das Wort der Abge-ordneten Agnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeFrau Ministerin von der Leyen, nicht nur weil Sie heuteGeburtstag haben, zu dem ich Ihnen natürlich auch ganzherzlich gratulieren möchte,
möchte ich einen Schritt zurücktreten von der üblichenOppositions-Regierungs-Logik; denn normalerweisesind ja Rüstungsdesaster, plump gesprochen, ein gefun-denes Fressen für die Opposition. Nein, ich wünsche mirwirklich, dass es Ihnen gelingt, das umzusetzen, woranall Ihre männlichen Vorgänger gescheitert sind, nämlichbeim Thema Rüstungsprojekte bei der Bundeswehr ein-mal ganz grundsätzlich aufzuräumen.
Es gibt gravierende Mängel, es gibt große Probleme,einerseits beim alten Material, andererseits aber auch beiden Projekten, die neu zulaufen. Sie müssen für die Lö-sung all dieser Probleme ein schlüssiges Gesamtkonzeptbringen. Sie müssen kurzfristige, aber auch langfristigeund strukturelle Lösungen jetzt endlich auf den Tisch le-gen.Viele Empfehlungen, wie das gehen könnte, wie mandurch Drehen an der einen oder anderen Schraube etwasverbessern könnte, stehen in dem Gutachten, das heuteschon erwähnt wurde und über das wir schon viel disku-tiert haben. Es hat 1,4 Millionen Euro gekostet, ist über1 000 Seiten dick und stellt dem Rüstungswesen bei der
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Agnieszka Brugger
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Bundeswehr, aber auch den Reformen, die Ihr Vorgängerde Maizière an dieser Stelle durchgeführt hat, ein ver-heerendes Zeugnis aus. Es ist deutlich: Es gibt viele Pro-bleme, es gibt Chaos bei der Projektsteuerung, schlechteVerträge, unübersichtliche Zuständigkeiten und wider-streitende Interessen.Frau von der Leyen, in Ihrem Haus weiß offensicht-lich die eine Hand nicht, was die andere tut. Beenden Siedieses Missmanagement und diese ineffizienten Struktu-ren! Sorgen Sie für mehr Transparenz und für eine of-fene und ehrliche Kommunikation in dieser Frage!
Denn es muss Schluss sein mit einer Kultur, bei der Pro-bleme immer wieder übersehen, vertuscht oder kleinge-redet werden.Sie haben aber jetzt schon – und das macht mich sehrskeptisch, dass Sie Ihre Ankündigungen wirklich umset-zen – so gut wie ausgeschlossen, dass Sie sich ganzgrundsätzlich an die Organisationsstruktur wagen. Damuss ich sagen: So ernst nehmen Sie also Ihr eigenesteures Gutachten! Ich würde sagen, Sie sollten es anneh-men und umsetzen, was Ihnen da ins Hausaufgabenheftgeschrieben worden ist.
Es gibt schon jetzt einige Zweifel daran, dass Sie wirk-lich das anpacken wollen, was Sie uns hier an dieserStelle vollmundig versprochen haben.Ich möchte ein anderes Beispiel nennen: Das Doku-ment sagt zu der Frage, wie es mit der Aufklärungs-drohne Euro Hawk, dem riesigen Flopprojekt aus demletzten Sommer, weitergehen soll, sehr klar: DieserPunkt ist noch nicht entscheidungsreif. – Da habe ichpersönlich schon sehr gestaunt, als ich Sie am Sonntag,also einen Tag bevor das Gutachten übergeben wurde,im Fernsehen gesehen habe und Sie wörtlich gesagt ha-ben – ich zitiere –:… für die Serienreife, also wenn wir dann in denNormalbetrieb gehen, werden wir ein anderes Flug-zeug nehmen, eine andere Drohne, die heißt Triton,die ist aus den USA.Und das, obwohl es die gleichen Probleme wie beimEuro Hawk geben wird! Wenn das die neue Beschaf-fungspolitik à la Frau von der Leyen sein soll, dann sageich nicht nur „Gute Nacht!“, sondern sage Ihnen auchvoraus: Da stolpern Sie sehenden Auges genau in dieFalle, in die Ihr Vorgänger de Maizière getappt ist.
Frau von der Leyen, Sie haben hier vorhin gesagt, essolle nicht nur um Problembeschreibungen gehen, jetztgehe es um Lösungsvorschläge. Aber dazu muss ich ehr-lich sagen: Ich habe bisher nicht viel gehört. Es wirdzwei Task Forces geben, einen Lenkungsausschuss; essoll eine neue Kultur geben. Ich glaube, da müssen Sienoch einmal viel grundsätzlicher ran und auch sagen,was Sie aus dem Gutachten an der Stelle umsetzen wol-len.Sie haben jetzt auch das Thema Rüstungsindustrie an-gesprochen. Sie haben die Schlüsselfähigkeiten, die diewehrtechnische Industrie in Deutschland haben sollte,benannt. Es ist sicherlich eine Grundursache für die Pro-bleme, die wir im Beschaffungsbereich haben – die sindja auch schon genannt worden –, dass viel zu oft indus-triepolitische Interessen Vorrang hatten vor außen- undsicherheitspolitischen Begründungen, Vorrang hatten vorden Notwendigkeiten für die Bundeswehr und auch denfinanziellen Rahmenbedingungen. Aber nach dem, wasder Kollege Otte und der Kollege Arnold gerade hier ge-sagt haben, habe ich auch an der Stelle große Skepsis,dass Sie Ihren Vorschlag so werden umsetzen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Verteidi-gungsausschuss, nach fünf Jahren in diesem Ausschussmuss ich sagen: Mir reicht es an dieser Stelle.
Ich finde, das Vertrauen ist an vielen Stellen grundsätz-lich beschädigt worden. Ich habe es, ehrlich gesagt, satt– ich habe auch viele Kollegen und Kolleginnen, egal obaus der Opposition oder aus der Regierung, so verstan-den –, dass wir als Abgeordnete von Skandalen oder be-stimmten Missständen nur erfahren, wenn wir mühsamund gezielt nachfragen, wenn die Presse es aufgedeckthat, wenn wir einen Hinweis aus der Truppe bekommenoder wenn der Bundesrechnungshof von explodierendenKosten bei bestimmten Waffensystemen schreibt.Ich finde, wir als Ausschuss – da haben Sie völligrecht, Herr Arnold – sind nicht verantwortlich für dieseProbleme. Wir können sicherlich auch nicht die Arbeitdes Ministeriums machen. Wir haben gesagt – das istrichtig –, wir wollen kontinuierlich über Materiallagerund Beschaffung unterrichtet werden, und wir wollenTransparenz herstellen. Aber ich finde, wir sollten dieKontrolle an dieser Stelle noch verschärfen. Wir solltenTransparenz noch härter einfordern. Deshalb bitte ichSie, liebe Kolleginnen und Kollegen – da appelliere ichauch an Ihr Selbstverständnis als Parlamentarierinnenund Parlamentarier –: Lassen Sie uns einen gemeinsa-men Unterausschuss zur Frage der Rüstungsprojekte aufden Weg bringen.
Auf diese Weise können wir als Parlament mehr Verant-wortung übernehmen.Die Probleme löst man nicht durch ein hektisches An-kündigungsstakkato oder dadurch, dass man halb gareVorschläge präsentiert, die sich nur auf den ersten Blickim Scheinwerferlicht gut verkaufen lassen. Es hilftnichts, an einer glamourösen Fassade zu werkeln, wenngleichzeitig die Risse im Fundament immer größer wer-den. Stattdessen braucht es jetzt eine kluge und durch-dachte Sicherheitspolitik. Das ist eine Kärrnerarbeit. Da-für müssen die Empfehlungen aus dem Gutachten ernstgenommen und umgesetzt werden; denn anders werdenwir der Probleme nicht Herr und Herrin werden.Vielen Dank.
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Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Ingo Gädechens, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Bundes-
ministerin der Verteidigung hat eine externe Unterneh-
mensberatung beauftragt, im Rahmen einer Studie eine
umfassende Bestandsaufnahme der großen Rüstungspro-
jekte vorzunehmen. Nun liegen die Ergebnisse vor, die
im Grunde genommen das bestätigen, was wir alle be-
reits seit längerem geahnt und sicherlich auch gespürt
haben, nämlich dass das Rüstungsmanagement deutlich
verbessert werden muss. Wichtige Schritte wurden be-
reits eingeleitet; weitere Schritte müssen folgen.
Nun hat uns die Studie zu einem Zeitpunkt erreicht,
an dem wir ohnehin intensiv über die materielle Einsatz-
bereitschaft der Bundeswehr diskutieren. Dadurch wird
der Auftrag an uns, Fehler beim Materialerhalt und in
der Beschaffung möglichst umgehend zu beheben, noch
deutlicher. Die Bundeswehr – wir hörten es mehrfach –
ist mittlerweile eine Einsatzarmee. Von der Verteidi-
gungsarmee über die Armee der Einheit ist die Bundes-
wehr zu einer Armee geworden, die im Einsatz steht und
mehr denn je auf modernstes Material angewiesen ist.
Wir können es uns nicht länger leisten, dass Rüstungs-
projekte aus dem vereinbarten Kostenrahmen entgleiten,
also immer teurer werden, vereinbarte Qualitätsmerk-
male nicht eingehalten werden und sich das Lieferdatum
immer weiter nach hinten verschiebt.
Durch das Gutachten haben wir auch ein gewaltiges
Aufgabenpensum mit auf den Weg bekommen. Nicht
alle Empfehlungen – das ist meine erste Einschätzung –
sollten wir eins zu eins umsetzen. Wohl aber muss der
Beschaffungsvorgang noch effektiver ausgestaltet wer-
den.
Meine Damen und Herren, die Kernaussage der Stu-
die bringt das eigentliche Problem auf den Punkt: Ein
funktionierendes Risikomanagement war nicht ausrei-
chend vorhanden. Erkannte Risiken wurden teils igno-
riert, verwässert oder versickerten in der Meldekette bis
zur Leitungsebene. Aus diesem Grund – die Ministerin
hat das sehr genau erkannt – benötigen wir klare Zustän-
digkeiten und Verantwortungsbereiche sowie ein ehrli-
ches und effektives Berichtswesen.
Schon bei der Vertragsgestaltung muss noch sauberer
gearbeitet werden, damit zum Beispiel berechtigte Re-
gressforderungen auch durchgesetzt werden können.
Mein Rat lautet deshalb: Die Industrie tut gut daran, ehr-
liche Verträge mit realistischen Wegmarken und erreich-
baren Zielvorgaben mit dem Bedarfsträger Bundeswehr
auszuhandeln, um dann die zugesagten Leistungen im
vereinbarten Kostenrahmen und zum zugesicherten Lie-
fertermin zu erbringen. Die Bundeswehr tut gut daran,
ihre Anforderungen an das technische Material noch kla-
rer zu definieren, um damit Ziele und Fristen mit mehr
Nachdruck verfolgen zu können.
Und auch wir, sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen, sind gefordert, die sicherheitspolitischen Anforde-
rungen an die Bundeswehr noch deutlicher zu definie-
ren, um sie dann mit ausreichenden Mitteln auszustatten,
die dann hoffentlich zeitgerecht und im entsprechenden
Haushaltsjahr abgerufen werden.
Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisen in der Welt
ist es wichtig, rasch zu handeln. Es ist heute nicht mehr
egal, ob eine Fregatte zwei oder zwölf Wochen zur Re-
paratur in einer Werft liegt. Es ist auch nicht egal, ob
sich der Zulauf eines hochwertigen Ersatzteils um drei
oder dreißig Monate verzögert. Wir müssen die Beschaf-
fung von neuem Gerät beschleunigen und dabei auch die
Materialerhaltung stärker in den Fokus rücken.
Parallel müssen wir uns Gedanken machen, welche
Schlüsselbereiche wir in unserer wehrtechnischen Indus-
trie erhalten wollen. Darüber wird es einen Diskussions-
prozess geben müssen. Es ist nicht nur die Frage, welche
wir erhalten wollen, sondern auch die Frage, welche wir
zur nationalen Sicherheitsvorsorge sogar erhalten müs-
sen. Für viele meiner Kollegen und für mich ist klar,
dass dazu selbstverständlich der Bau von Überwasser-
schiffen wie auch U-Booten gehört.
Alles andere sollte man mir dann angesichts dieses wett-
bewerbsverzerrten Marktes erst einmal plausibel begrün-
den.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe
auch die Wortbeiträge der Opposition sehr aufmerksam
verfolgt. Wir als CDU/CSU-Fraktion lassen uns nicht
auf ihre ideologischen Spielwiesen führen. Wir nehmen
den Auftrag an. Die Ministerin und die Koalitionäre
werden die Probleme anpacken, und wir werden sie lö-
sen.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Lars Klingbeil, SPD-Fraktion, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Frau Ministerin, auch von mir alles Gutezum Geburtstag.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will zu Beginnnoch einmal festhalten: Wir haben eine Parlamentsar-mee. Wir im Parlament entscheiden über die Einsätzeunserer Soldatinnen und Soldaten. Das erfordert von uns
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Lars Klingbeil
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nicht nur im Verteidigungsausschuss, sondern im gesam-ten Parlament, dass wir wachsam sind, wenn es um dieFragen der Bundeswehr geht, und dass wir sehr sorgsamsind, wenn es um die Frage der Einsätze, der Einsatzvor-bereitung, der Ausbildung, aber auch um die Sicherheitund den Schutz unserer Soldatinnen und Soldaten geht.Das ist eine hohe Verantwortung, die wir, egal ob Oppo-sition oder Regierung, hier im Haus haben. Ich bin derMeinung, der Bericht, den die Ministerin am Montagvorgelegt hat, sollte uns wachrütteln und sollte uns dazubringen, dass wir uns intensiv Gedanken machen, wiewir die Situation verbessern.Ich will zu Beginn auch sagen, dass ich der Ministerinausdrücklich dankbar dafür bin, dass es diesen Berichtgibt und wir mit der Arbeit jetzt beginnen können. Dassollten wir in der Aktuellen Stunde nicht vergessen: Eswar die Ministerin, die sich vor ein paar Wochen nichthat zufriedenstellen lassen mit den Zahlen, die geliefertwurden. Sie hat gesagt: Ich möchte extern prüfen lassenund möchte gründlich erstellte Zahlen haben, auf derenGrundlage eine Bewertung stattfinden kann. – Dafürherzlichen Dank, Frau Ministerin.
Ich frage mich die ganze Zeit, was die Linke mit dervon ihr beantragten Aktuellen Stunde eigentlich errei-chen will. Was ist Ihre Zielsetzung? Wenn Sie ehrlichsind, haben Sie zum aktuellen Thema gar nichts gesagt.
Es ging um ein paar Verschwörungstheorien und um dasVerhältnis von Politik und Rüstungsindustrie, es ging umgenerelle Kritik an der Bundeswehr und um das ThemaAuslandseinsätze. Aber die Linke hat hier heute garnichts Konstruktives zum Thema der Aktuellen Stundebeigetragen.
Darüber sollten Sie sich schon Gedanken machen.Ich kann Ihnen versprechen: Das, was Sie nicht wol-len, nämlich eine Stärkung der Bundeswehr, wird das Er-gebnis des Prozesses sein, den wir am Montag mit derVorlage der Studie eingeleitet haben. Die politischenKonsequenzen, die wir aus dieser Studie ziehen, werdenam Ende dazu führen, dass wir in Deutschland eine Bun-deswehr haben, die stärker ist, die besser ausgerüstet ist,in der die Soldaten gut vorbereitet werden und mit dersie sicher in die Einsätze gehen. Dafür werden wir sor-gen. Das wird Ihnen nicht gefallen. Ich freue mich aberauf die kritischen Diskussionen, die wir an vielen Stellendazu führen werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, was folgt jetzt ei-gentlich aus der Studie, aus der Analyse, die vorgestelltwurde? Ich sage, dass die Antwort „Mehr Geld“ viel zukurz greift; wir müssen uns auch über viele andere Dingeunterhalten.Der erste Punkt, den ich für sehr wichtig halte – erwurde schon von Frau Brugger und anderen angespro-chen –: Wir müssen dafür sorgen, dass es in der Bundes-wehr endlich eine andere Fehlerkultur gibt. Es kann unsParlamentarier, die wir alle Verantwortung tragen, dochüberhaupt nicht zufriedenstellen, dass es aus Teilen dermilitärischen Führung – wir erleben es immer wieder –Meldungen an uns im Ausschuss gibt, die sich nachhernicht als Wahrheit entpuppen. Wenn ich Verantwortungtrage, dann möchte ich gerne, dass man Probleme offenbenennt.Wir alle kennen die Situation, dass wir die Truppe be-suchen und uns an den Standorten Probleme vorgetragenwerden; aber nachher heißt es aus der militärischen Füh-rung: Das ist alles nicht so. – Das, was wir an vielen Or-ten gehört haben, hat sich jetzt mit der Studie bestätigt.Insofern haben Sie, Frau Ministerin, unsere volle Unter-stützung, wenn es darum geht, endlich die Fehlerkulturin der Bundeswehr zu verändern. Wir müssen wissen,was die Wahrheit ist. Damit können wir dann arbeiten.
Der zweite Punkt – auch das ist angesprochen worden –:Wir müssen die Prozesse anders definieren. Wir müssenschauen, wie Controlling, Vertragsabschlüsse und tech-nische Überprüfungen durchgeführt werden.Dazu gehört auch der dritte Punkt: die Personalfrage.Ich halte es für falsch, dass wir bei der Bundeswehr soviel Know-how im zivilen Bereich abgebaut haben undnoch abbauen wollen. Ich bitte dringend darum, dasnoch einmal zu überprüfen. Wir können es uns nicht leis-ten, dass so viel Know-how aus der Truppe abgezogenwird; wir brauchen dort eigene Kapazitäten.Der vierte Punkt, den ich ansprechen möchte: die De-batte über Schlüsseltechnologien; ich begrüße sie aus-drücklich. Ich glaube in der Tat: Wir müssen dieseDiskussion führen, und zwar aus einer sicherheitspoliti-schen Perspektive, wenngleich es auch eine wirtschafts-politische Perspektive gibt. Wir müssen als Parlamentgemeinsam verhindern, dass uns die Wirtschaft sagt, wasdie Schlüsseltechnologien sind. Wir müssen aber auchverhindern, dass die Wahlkreisabgeordneten uns sagen,was die Schlüsseltechnologien sind. Das ist etwas, waswir rein sicherheitspolitisch definieren müssen. Da freueich mich auf die Diskussionen in den kommenden Wo-chen und Monaten.Der letzte Punkt, den ich ansprechen will: Wir dürfenauf gar keinen Fall den Eindruck erwecken, unsere Bun-deswehr wäre nicht mehr einsatzbereit und leistungs-fähig. Wir sehen, dass die Bundeswehr den Einsatz inAfghanistan hervorragend leistet.Ich will aber auch sagen: Wir müssen sehr vorsichtigsein, wenn wir über weitere Auslandseinsätze diskutie-ren. Wenn an einem Tag die Meldung kommt: „Die Ma-terialausstattung ist schlecht“, am nächsten Tag die Mel-
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dung kommt: „Die Rüstungsvorhaben gelingen nichtoder nicht rechtzeitig“, und am dritten Tag in der Öffent-lichkeit über weitere Auslandseinsätze der Bundeswehrdiskutiert wird, dann geht davon ein falsches Signal andie Truppe aus. Hier mahne ich zu mehr Sensibilität. Ichglaube, das tut uns allen gut.
Frau Ministerin, lassen Sie mich am Ende sagen: Wirhaben einen schwierigen, einen steinigen Weg vor uns;Sie haben unsere Unterstützung. Ich hoffe, dass wir indrei Jahren sagen können: Es hat etwas gebracht; dieBundeswehr steht besser da.Herzlichen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Florian Hahn, CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Die sicherheitspolitischen Herausforderungen
Deutschlands haben sich in den letzten 20 Jahren drama-
tisch verändert, und die Geschwindigkeit der Zunahme
derselben gerade in den letzten Monaten ist überaus be-
sorgniserregend. Dieser Veränderung müssen wir ge-
recht werden und die Frage beantworten, welche Instru-
mente wir als Staat in Europa haben, um diese
Herausforderungen zu bewältigen, und wie diese Instru-
mente strukturiert sein müssen.
Ein wichtiges Instrument ist dabei unsere Bundes-
wehr, eine Riesenorganisation mit fast 250 000 Men-
schen, die tagtäglich meist Überdurchschnittliches leis-
ten, und dies oftmals – das sollten wir an dieser Stelle
einmal sagen – unter schwierigen Rahmenbedingungen.
Diese Menschen brauchen wir, wenn das Instrument
Bundeswehr an die Realität angepasst wird. Die Not-
wendigkeit dieser Anpassung haben wir nicht erst jetzt
erkannt, sondern sie war ausschlaggebend für die Re-
form, die Karl Theodor zu Guttenberg begonnen hat, die
Thomas de Maizière maßgeblich vorangebracht hat und
die nun Frau von der Leyen fortführen wird.
Der vorgelegte Rüstungsbericht bietet eine fundierte
Grundlage, um Entscheidungen im Bereich des Beschaf-
fungswesens zu treffen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich
möchte aber auch ausdrücklich sagen, dass die Hand-
lungsempfehlungen lediglich Empfehlungen und keine
Entscheidungen sind. Wir selbst müssen sie prüfen und
dann politisch entscheiden.
In der Diskussion über die Ausrüstung und Einsatzbe-
reitschaft unserer Bundeswehr ist deutlich geworden,
dass es zwei Aspekte gibt, die nicht zusammenpassen.
Auf der einen Seite mussten wir erkennen, dass die Bun-
deswehr nicht auf jedem Gebiet materiell in einem opti-
malen Zustand ist: Es fehlen neue Systeme, alte Systeme
müssen kostenintensiv sozusagen am Leben erhalten
werden, es fehlt an Ersatzteilen, und oftmals gibt es nicht
genug Stunden für Ausbildung und Training.
Auf der anderen Seite gelingt es uns nicht, das Geld,
das wir für Investitionen eingeplant haben, auch für In-
vestitionen auszugeben. In den letzten sechs Jahren ha-
ben wir fast 4 Milliarden Euro, die für Investitionen in
die Systeme unserer Bundeswehr vorgesehen waren,
nicht ausgegeben. Das ist ungefähr so: Sie haben ein
Auto, das Sie nie zur Inspektion geben, und stellen nach
ein paar Jahren fest, dass eine teure Reparatur notwendig
ist. Da hilft es auch nicht, wenn Sie in Fußmatten oder in
einen Neuanstrich der Garage investieren. Deswegen gilt
es, in Zukunft dafür zu sorgen, dass jeder Cent, der für
Investitionen in unsere Systeme geplant ist, auch dafür
ausgegeben wird.
Mittelfristig werden wir um eine Erhöhung des Wehr-
etats nicht herumkommen; denn wir haben nicht nur stei-
gende Fixkosten im Bereich Personal oder im Bereich
Mieten usw., sondern mit der Übernahme von mehr En-
gagement und mehr Verantwortung und durch mehr Ein-
sätze steigen auch die variablen Kosten. Lassen Sie mich
als Beispiel den letzten NATO-Gipfel nennen, auf dem
beschlossen wurde: Wir müssen mehr üben und neue
Strukturen aufbauen. – Diese Vorhaben sind im Haushalt
noch gar nicht abgebildet. Ich fasse zusammen: Stei-
gende Fixkosten und steigende variable Kosten bedeuten
die Notwendigkeit, mehr Geld zur Verfügung zu stellen.
Für mich ist selbstverständlich: Um unsere Landes-
und Bündnisverteidigung aufrechtzuerhalten und zu ge-
währleisten und um Einsätze bewältigen zu können,
brauchen unsere Soldatinnen und Soldaten die beste
Ausrüstung. Auch vor diesem Hintergrund kann ich nur
davor warnen, vorschnell und unüberlegt die technologi-
schen Fähigkeiten der wehrtechnischen Industrie in
Deutschland aufzugeben. In vielen Bereichen, zum Bei-
spiel in der bodengebundenen Luftverteidigung oder im
Bereich militärisches Fliegen, sind wir Weltmarktführer.
Das gilt ebenso für den maritimen Bereich und die Land-
systeme.
Die genannten Technologien ermöglichen es uns, un-
abhängig von anderen zu sein. Diese Unabhängigkeit
war übrigens unser Ziel, als wir in den 50er-Jahren ent-
schieden haben: Wir wollen diese Industrie in Deutsch-
land aufbauen. – Diese Technologien geben uns außer-
dem die Möglichkeit, Einfluss auf die globale
Sicherheitslage zu nehmen. Darüber hinaus sollte uns
die Tatsache, dass fast 300 000 Arbeitsplätze von dieser
Branche abhängen, nicht ganz unberührt lassen.
Vielen Dank.
Als nächstem Redner in der Debatte erteile ich dasWort dem Abgeordneten Jürgen Hardt, CDU/CSU-Frak-tion.
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5194 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
(C)
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirverdanken es der Entscheidung der Ministerin, dass dieneuen großen und in der Luft hängenden Rüstungspro-jekte der Bundeswehr durch eine externe Begutachtungeiner schonungslosen Analyse unterzogen wurden. EineListe der Mängel liegt öffentlich vor.Frau Brugger, Sie haben gesagt, Sie hätten es satt,dass wir es immer erst aus der Zeitung erfahren, wenn ir-gendwo etwas schiefgeht. Hier war es anders: DieMinisterin selbst hat dieses Gutachten, in dem die Män-gel der neuen großen Projekte angesprochen wurden,vorgelegt.
Das ist ein gutes Beispiel dafür, wie man es auch machenkann. Das, was Sie in diesem Zusammenhang gesagt ha-ben, war nicht passend.Was mich in der Diskussion der letzten Tage und Wo-chen schon ein bisschen beschwert – das geht uns viel-leicht allen so –: Wir müssen aufpassen, dass die Solda-tinnen und Soldaten der Bundeswehr, die einenhervorragenden Dienst leisten und die mit überwiegendhervorragenden Waffen ausgerüstet sind, nicht den Ein-druck bekommen, sie würden in einer Armee dienen, dieden anstehenden Herausforderungen nicht gewachsenist.Wir waren vor wenigen Tagen mit dem Verteidi-gungsausschuss in der Infanterieschule in Hammelburg.Dort haben wir zum Beispiel den Boxer und die Infante-rietruppe gesehen, Teile des Systems „Infanterist der Zu-kunft“. Das ist, was die Infanterie angeht, das Beste, wasdie NATO zu bieten hat. Hier verfügt die Bundeswehrüber komplett neues Gerät, das in den letzten Jahren zu-gelaufen ist. Wir haben im Mai in Afghanistan den Tigerund den NH90 im Einsatz gesehen. Der NH90 hat sichbewährt und wird von allen anderen NATO-Nationen alsfortschrittliches Waffensystem, als das Höchste, wasman zum gegenwärtigen Zeitpunkt bieten kann, bezeich-net.Die Vorstellung, dass die Bundeswehr in den letztenJahren an Schlagkraft verloren hat, ist meines Erachtensfalsch. Es gibt allerdings die angesprochenen Mängel.Diese Mängel sind nicht zuletzt darauf zurückzuführen,dass die Dinge seitens der Rüstungsindustrie länger dau-ern, als wir uns das wünschen. Die Transportflugzeuge– Transall – wären ja kein Thema, wenn wir mit demA400M fliegen könnten. Ich erinnere daran, dass wir vorfünf Jahren über den mangelnden Zulauf der Korvettendiskutiert haben. Es gab Probleme mit dem Getriebe,also Probleme aufseiten des Herstellers der Getriebe.Dafür konnte im Verteidigungsministerium niemand et-was. Man muss von daher berücksichtigen, dass ver-schiedene Dinge zusammenspielen.Das Gutachten ist ein wirtschaftliches Gutachten. Esmuss jetzt durch uns, durch das Ministerium und dasParlament, um die militärfachliche und die politische Di-mension ergänzt werden, die zusammen mit der wirt-schaftlichen Betrachtung das Gesamtbild abgeben, damitwir wissen, was wir ändern müssen, damit es besserwird. Dazu muss man ganz deutlich sagen: Dieses wirt-schaftliche Gutachten lässt die eine oder andere Frageoffen, die nur wir beantworten können, die ein externerGutachter nicht beantworten kann. Ich finde zum Bei-spiel, dass das Gutachten hinsichtlich der industriellenKernkompetenzen – was muss Deutschland bzw. Deutsch-lands Rüstungsindustrie für die Bundeswehr und dieNATO-Partner herstellen können? – etwas über das Zielhinausgeschossen ist. Ich kann in der Vergabe eines Auf-trags für ein Rüstungsprojekt an ein ausländischesUnternehmen kein Element der Beschleunigung er-kennen. Wir haben bei den multinationalen Projektendie gleichen Probleme wie bei Projekten, die reindeutsch abgewickelt werden. Wir müssen diese Frageneinfach beantworten. Meines Erachtens muss eine großeIndustrienation wie Deutschland in der Lage sein, eigeneKriegsschiffe, eigene U-Boote und eigene Panzer zubauen. Das gehört für mich dazu. Ob man das in jedemEinzelfall alleine machen muss, ist natürlich wieder eineandere Frage; aber die Kompetenz muss da sein.
Ich finde, dass es hinsichtlich der Struktur des Vertei-digungsministeriums und unseres Haushalts ein paargrundsätzliche Fragen gibt. Laut Gutachten gibt es allge-mein bei der Vertragsgestaltung erhebliche Mängel. Beiuns gilt folgender Grundsatz: Wenn man im öffentlichenDienst Beamter werden will, dann muss man ein Prädi-katsexamen in Jura haben. Ich stelle mir die Frage, ob esnicht besser wäre, wenn wir auch dort mehr Betriebs-wirte, mehr erfahrene Manager hätten. Wir haben ja jetzteine Managerin als Staatssekretärin; das ist ein schönesBeispiel. Vielleicht müssen wir an dieser Schraube dre-hen.Vielleicht müssen wir auch überlegen, ob es sinnvollist, die Stehzeiten für die soldatischen leitenden Beam-ten, die als Generäle oder Obristen Dienst tun, zu verlän-gern. Sie wechseln den Dienstposten relativ häufig. Wirmüssen überlegen, ob das für solche Projekte ein Nach-teil ist, ob der eine oder andere nicht länger dabei seinsollte, damit sein Wissen über den Gesamtprozess erhal-ten bleibt. Ich glaube, wir werden diesbezüglich nocheine ganze Menge Aufarbeitung betreiben müssen.Wenn wir uns Bundeswehrprojekte vornehmen, vondenen wir wissen, dass sie über viele Jahre laufen, dannsind wir durch das Haushaltsrecht, nach dem am 31. De-zember eines jeden Jahres die Mittel weg sind, extremeingeschränkt. Normalerweise, in der freien Wirtschaft,würde man, wenn im nächsten Jahr noch eine Rechnungzu bezahlen ist, eine Rückstellung bilden, und man hätteeine Gesamtübersicht über die Projektkosten. Ich glaube,wir müssen uns auch der Frage widmen, wie wir dasHaushaltsrecht mit Blick auf Rüstungsprojekte, viel-leicht auch mit Blick auf große Verkehrsprojekte etwasmodernisieren können, sodass die strenge Jährlichkeituns nicht behindert.Ich wünsche mir, dass wir das Ganze jetzt als Auf-bruch verstehen, um die Dinge zu ändern und zu verbes-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5195
Jürgen Hardt
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sern. Ich glaube, die Regierungskoalition ist gerne be-reit, die Ministerin dabei zu unterstützen.Danke schön.
Als letztem Redner in der Aktuellen Stunde erteile ich
das Wort dem Abgeordneten Wilfried Lorenz, CDU/
CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Die Mängel der Materialaus-stattung der Bundeswehr liegen spätestens seit der Ab-frage der Einsatzfähigkeit der Hauptwaffensysteme derStreitkräfte auf dem Tisch. Mit der Veröffentlichung derKPMG-Studie durch die Bundesministerin der Verteidi-gung gilt dies auch für die Defizite im Rüstungs- und imBeschaffungswesen.Ich sage dazu: Zum Glück herrscht jetzt Klarheit, zumGlück für unsere Soldatinnen und Soldaten, die trotz an-gespannter Materiallage im Inland und im Ausland her-vorragende Arbeit geleistet haben und immer noch leis-ten. Das wird auch international anerkannt.
Ich sage auch: zum Glück zur richtigen Zeit. Denn dieveränderte sicherheitspolitische Lage erfordert zügigesHandeln.Die Materiallage entspannen wir nur mit Ehrlichkeit,auf der Basis von Fakten und mit langfristigen Maßnah-men. Wir haben jetzt den Klarstand, auf dessen Grund-lage wir kurzfristig die Ausgaben des Bundes für Mate-rialerhaltung neu gewichten und dorthin umschichtenkönnen, wo sie am nötigsten gebraucht werden. ZumSchutz unserer Soldatinnen und Soldaten und um inter-nationale Verpflichtungen erfüllen zu können, werdenwir diesen Ansatz mittelfristig und auf lange Sicht wei-terverfolgen und den Verteidigungsetat erhöhen. Ja, Siehaben richtig gehört: erhöhen. Dies gilt vor allem für dieMittel für die Materialerhaltung. Denn neben der Be-schaffung ist die Materialerhaltung eine der tragendenSäulen der Einsatzfähigkeit unserer Streitkräfte. WennSie fragen, warum wir die Mittel erhöhen, dann möchteich wie folgt antworten:Erstens. Durch den verzögerten Zulauf neuer Systemesind ältere Geräte länger im Einsatz. Das führt zu höhe-rem Verschleiß und Überalterung der Ausrüstung. Da-durch erhöhen sich natürlich automatisch die Kosten fürWartung, Instandhaltung und Ersatzteile.Zweitens. Wir erhöhen den Etat, weil es derzeit Eng-pässe bei der Ersatzteilbeschaffung gibt. Die Ursachendafür sind auch bekannt: Einsparungen in der Vergan-genheit am falschen Objekt und Abschlüsse von Verträ-gen, die die Versorgung mit Ersatzteilen nicht langfristigsichergestellt haben. Diese Verträge sind zum Großteilälter als zehn Jahre; ich darf nur an das Jahr 2004 erin-nern. Wir reden hier allerdings nicht – ich formuliere eseinmal so – über Kamele, die durch ein Nadelöhr zuzwingen sind, sondern wir reden über lösbare Probleme.Diese Probleme sind nicht zuletzt deshalb lösbar, weildie Projektleitung für Beschaffung künftig der Staatsse-kretärin, zuständig für Rüstung, direkt zuarbeiten wird.Das heißt im Ergebnis: kürzere Entscheidungswege.Drittens. Wir steigern die Ausgaben, weil moderne,hochkomplexe Themen nicht zu Einsparungen bei derMaterialerhaltung führen. Im Gegenteil: Wartung undInstandhaltung kann die Bundeswehr zum Teil schonheute nicht mehr und in Zukunft schon gar nicht mehralleine leisten. Kooperationen mit der Wirtschaft, mitder Industrie sind notwendig. Das kann mehr Geld kos-ten, eröffnet aber auch die Möglichkeit, in partnerschaft-lichen Projekten gemeinsam Risiken und Chancen zuteilen.Nochmals: Wir brauchen eine deutliche und dauer-hafte Aufstockung der Verteidigungsausgaben, nicht alsSelbstzweck, sondern weil wir um unsere Geschichtewissen und in der Lage sein müssen, Frieden, Freiheitund unsere Menschenrechte weltweit zu schützen.
Dies haben andere Länder lange für Deutschland getan.Nun ist es natürlich auch an uns, bei der Bekämpfungvon Kriegen, von Terror und von Seuchen internationaleVerantwortung zu übernehmen.Herr Gehrcke, an diesem Punkt ein Hinweis an Sie:Wir alle teilen die Freude darüber, dass sich die mor-dende Verbrecherbande vom sogenannten IS zurück-zieht. Das haben aber nicht Friedenstauben erreicht, son-dern das haben militärische Einsätze erreicht. Das habenMenschen erreicht, die mit Todesmut dafür eintreten,diesen verbrecherischen Banden endlich das Handwerkzu legen.
Rüstungsgüter beschaffen wir, um unsere verfas-sungsrechtlichen und politischen Aufträge zu erfüllen.Nicht zuletzt schaffen wir durch die Verstetigung derMittel auch Verlässlichkeit, die die deutsche Sicherheits-und Verteidigungswirtschaft für Investitionen braucht.Frau Ministerin, Sie haben mit beiden Abfragen die ent-scheidenden Schritte getan, um den Fehlentwicklungenentgegenzutreten. Ihnen sind diese Entwicklungen auchnicht anzulasten.In der öffentlichen Debatte sind in letzter Zeit seiten-weise Häme und Spott ausgeschüttet worden. Aber ichfrage mich: Wo waren diejenigen, die das getan haben,als es die ersten Anzeichen für Probleme bei der Bundes-wehr gab? Das sind die, die jetzt die Schuld anderen zu-weisen, um von eigenen Fehlern abzulenken, die nichtbereit sind, persönliche Verantwortung für Tun oder
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5196 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Wilfried Lorenz
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Unterlassen zu übernehmen. Und es wurde schöngere-det, um die eigene Karriere nicht zu gefährden.
Frau Ministerin, Sie haben die Studie vorgestellt. Esist – das ist bereits gesagt worden – eine betriebswirt-schaftliche, juristische und technische Analyse, dieAnregungen für das künftige Management von Rüs-tungsprojekten liefert. Jetzt muss allerdings das Bundes-ministerium der Verteidigung eine Gesamtbewertungunter Berücksichtigung sicherheitspolitischer und militä-rischer Gesichtspunkte vornehmen und diese auch um-setzen. Dabei sind aus unserer Sicht international akzep-tierte Kompetenzen bei Rüstungsprojekten besonders zuberücksichtigen. Schon angesprochen wurden U-Boote,gepanzerte Fahrzeuge und Handwaffen.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich zumSchluss Folgendes sagen: Mehr denn je brauchen wirjetzt eine Kultur der Ehrlichkeit in der Bundeswehr, beiden politisch Verantwortlichen und auch in der öffentli-chen Debatte. Einfache, schnelle Lösungen wird es we-gen der Komplexität der Vorhaben und der einzelnenProjekte nicht geben. Statt Tarnen, Täuschen, Wegdu-cken heißt es jetzt: Ansprechen, Analysieren, Abarbei-ten.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Wir sind am Schluss der Aktuellen Stunde. Wir wün-
schen der Bundesministerin Frau von der Leyen noch ei-
nen schönen Geburtstagsabend. Die Aktuelle Stunde ist
beendet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen
Irland: Vorzeitige teilweise Rückzahlung von
IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustim-
menden Beschlusses des Deutschen Bundesta-
ges nach § 3 Absatz 2 Nummer 2 des Stabili-
sierungsmechanismusgesetzes
Drucksache 18/2683
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort für die Bundes-
regierung hat der Parlamentarische Staatssekretär beim
Bundesminister der Finanzen, Steffen Kampeter.
S
Herr Präsident Hintze! Meine lieben Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Vor vierJahren, im Herbst 2010, erlebten wir den Höhepunkt derKrise in der Euro-Zone. Auch Irland war damals in eineschwierige Staatsschuldenkrise geraten. Der Bankensek-tor hat die Volkswirtschaft vor große Herausforderungengestellt. Die Finanzstabilität der Euro-Zone war insge-samt gefährdet. Es drohten erhebliche zusätzliche Belas-tungen für die Weltwirtschaft.Irland hat damals 67,5 Milliarden Euro an externenFinanzhilfen erhalten. Im Gegenzug hat es sich dafür ei-nem strengen Anpassungsprogramm unterzogen. Andiesem Anpassungsprogramm hat sich auch der Interna-tionale Währungsfonds beteiligt, unter anderem mit fi-nanziellen Mitteln in Höhe von 22,5 Milliarden Euro.Heute, vier Jahre später, hat sich die Lage wesentlichverändert. Wer hätte das damals geglaubt? Heute beratenwir über den Antrag Irlands auf vorzeitige teilweiseRückzahlung erheblicher Finanzhilfen, nämlich des An-teils des Internationalen Währungsfonds in Höhe von18,3 Milliarden Euro.Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habegerade im Haushaltsausschuss den Antrag der Bundesre-gierung im Rahmen der Selbstbefassung vorgestellt. Esfreut mich, dass keine der dort anwesenden Fraktionendagegen gestimmt hat. Eine Fraktion hat sich mit aus ih-rer Sicht guten Gründen enthalten, aber die anderen sinddiesem Antrag gefolgt.Das ist ein großer Erfolg nicht nur für Irland, sondernfür Europa insgesamt. Das Land ist auf einem gutenWeg. Es hat das Programm, das wir ihm auferlegt haben,Ende 2013 erfolgreich beendet und dabei alle Auflagenerfüllt.Stichwort „Haushaltsdefizit“: Startpunkt 30 Prozent,jetzt voraussichtlich unter 5 Prozent. Konsequent umge-setzte Strukturreformen haben Irlands Wettbewerbsfä-higkeit entscheidend erhöht und seit 2009 zu einer er-heblichen Verbesserung der Lohnstückkosten – eine derstärksten Verbesserungen innerhalb der Euro-Zonen-Länder – geführt. Die Leistungsbilanz hat sich gedreht.Seit 2010 gibt es wieder Überschüsse, die sich auf etwa4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verstetigt haben.Und auch die Arbeitslosenquote ist in den letzten dreiJahren um 3 Prozent gesunken. Der irische Finanzmarkthat sich stabilisiert. Der irische Bankensektor ist erheb-lich restrukturiert. Auch bei der Bedienung notleidenderKredite gibt es Fortschritte. Der völlig überdimensio-nierte irische Bankensektor hat sich von 2008 bis 2013fast halbiert.Sowohl zum Abschluss des Hilfsprogramms für Ir-land Ende des letzten Jahres als auch bei der ersten Pro-grammüberprüfung im Frühjahr dieses Jahres hat dieTroika keinen akuten Kapitalbedarf bei den drei wich-tigsten Banken in Irland festgestellt. Zugleich wurdendie Kompetenzen der irischen Finanzaufsicht erweitert.Irland ist an den Kapitalmarkt zurückgekehrt, in demgesamten Laufzeitspektrum. Es finanziert sich seit 2014durch regelmäßige Emissionen von Staatsanleihen undSchatzbriefen vollständig selbst. Die Rendite von zehn-jährigen irischen Staatsanleihen liegt derzeit bei unter2 Prozent.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5197
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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Meine sehr verehrten Damen und Herren, Irland hateindrucksvoll gezeigt, dass der Kurs von Haushaltssa-nierung und Strukturreformen erfolgreich ist, und Irlandbekennt sich dazu, diesen Kurs konsequent fortzuführen.Dies ist ein Erfolg für Irland, und dies ist ein Erfolg fürdie europäische Stabilisierungspolitik.
Damit gibt Irland auch ein wichtiges Signal an die Län-der, bei denen das Programm noch aktiv ist – Griechen-land und Zypern –, und zwar das Signal: Reformen loh-nen sich, sie zahlen sich aus. Natürlich sind sie zunächsteine Belastung für Bevölkerung und Volkswirtschaft,aber am langen Ende ein positiver Beitrag für dasWachstum.Alle diejenigen, die nicht an den Erfolg dieser Pro-gramme geglaubt haben, sollten sich angesichts so er-folgreicher Daten und einer so positiven Entwicklungeinmal selbstkritisch fragen, ob sie mit ihren Unter-gangsszenarien, ihrer Behauptung, dass dieser Kursfalsch sei, richtig gelegen haben. Sie sollten sich viel-leicht bei dem einen oder anderen, der für diesen Kursgestanden hat und den sie persönlich angegangen sind,bei Gelegenheit auch einmal entschuldigen.
Heute reden wir über ein bestimmtes Detail, nämlichdie Proportionalität der entsprechenden finanziellen En-gagements. Der Grundsatz der Proportionalität ist imGrunde richtig; deswegen haben wir sie in den Rückzah-lungsregelungen der entsprechenden Verträge verankert.Im Falle Irlands – ich bitte Sie heute hier um Ihre Zu-stimmung – ist ein Abweichen von diesem Grundsatz,also eine Nichtanwendung der Parallelitätsklausel, je-doch gut begründet. Nicht nur wir haben uns das gründ-lich überlegt, das findet auch breite Unterstützung beiunseren EU-Partnern und bei denjenigen, die sich nebenuns – der EFSM –, aber auch bilateral – Großbritannien,Schweden und Dänemark – hier engagiert haben. DieAufhebung der Parallelität ist nicht nur im Interesse Ir-lands, sie ist im Interesse Europas und aller europäischenSteuerzahlerinnen und Steuerzahler; denn mit der wirt-schaftlichen Leistungsfähigkeit Irlands wird sich auchdie Fähigkeit Irlands, diese Kredite zurückzuzahlen – waswir technisch die Schuldentragfähigkeit nennen –, erhö-hen. Auch die Möglichkeiten, dass die europäischenSteuerzahler, bei denen wir im Wort stehen, von diesemirischen Engagement profitieren, werden durch die Teil-rückzahlung der irischen IWF-Kredite erhöht. Das ist inunserem Interesse, gleichzeitig aber auch im Interesseder Iren, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Ich will darauf hinweisen, dass der Internationale Wäh-rungsfonds trotz der Rückzahlung Irlands bei der soge-nannten Nachprogrammüberprüfung selbstverständlichim Boot bleibt; wir begrüßen das ausdrücklich. Gemein-sam mit der Europäischen Zentralbank und gemeinsammit der Europäischen Kommission werden wir auch inZukunft weiterhin überprüfen, ob und wie nachhaltig Ir-land die Reformanstrengungen, die Europa mit seinerSolidarität ermöglicht hat, fortführt. Europa hat sich ineiner für Irland sehr schwierigen Zeit solidarisch gezeigtund wird dies auch weiterhin sein. Das gilt auch fürDeutschland. Wir haben bilateral mit Irland Verbesse-rungen in bestimmten Bereichen erreicht, beispielsweiseVerbesserungen bei den Finanzierungsbedingungen fürkleine und mittlere Unternehmen. Die Kreditanstalt fürWiederaufbau hat sich hier außerordentlich engagiert.Aber ich füge hinzu: Solidarität ist keine Einbahn-straße. Wir erwarten auch von Irland in den nächstenJahren Solidarität mit seinen europäischen Partnern, bei-spielsweise in internationalen Steuerfragen. Deutschlandsetzt sich dafür ein – nicht zuletzt im Rahmen des BEPS-Projekts von OECD und G 20 –, dass die Möglichkeitenmultinational tätiger Unternehmen in der kreativen Steu-ergestaltung – die von vielen als unanständig empfundenwird –, durch Gewinnverlagerung und künstliche Ge-winnkürzung ihre Steuerlast auf ein Minimalmaß zu re-duzieren, abgestellt werden.
Das derzeitige irische Steuerrecht mit seinen Ansäs-sigkeitsregelungen führt im Zusammenspiel mit demamerikanischen und dem EU-Steuerrecht dazu, dassgroße internationale Unternehmen – zum wesentlichenTeil amerikanische – einen enormen Wettbewerbsvorteilgegenüber europäischen Unternehmen haben. Deswegenprüft nun auch die Europäische Kommission mit positi-ver deutscher Begleitung unter Beihilfegesichtspunktendie Steuerpraktiken der irischen Steuerbehörden zuguns-ten internationaler Großkonzerne.Ich begrüße in diesem Zusammenhang ausdrücklich,dass die irische Regierung damit begonnen hat, Ver-schärfungen ihrer steuerlichen Ansässigkeitsregelungenzu diskutieren. Unser Ziel sollte nicht die Abschaffungjeglichen Steuerwettbewerbs sein, sondern ein fairerSteuerwettbewerb für alle in Europa. Das ist das Leitbildder internationalen Steuerpolitik hier in Europa,
und das bedeutet, dass auch in Irland die effektiveSteuerlast der in Irland ansässigen Unternehmen imTrend höher sein wird.Auf lange Sicht tut sich Irland mit seiner bisherigenSteuerpolitik keinen Gefallen. Selbst die irischen Wirt-schaftsverbände warnen bereits, dass dies ein Reputa-tionsschaden ist.Meine sehr verehrten Damen und Herren, Irland istnoch nicht am Ziel. Der Weg ist noch lang, bis wir unsim Deutschen Bundestag keine Sorgen mehr über unsereeuropäischen Partner machen müssen. Trotzdem zahltsich dieses Stück konsequente Reformpolitik aus.Indem wir heute dem Antrag Irlands zustimmen, nut-zen wir die Möglichkeit, unsere irischen Partner weiterauf einem guten Weg zu unterstützen. Damit helfen wirnicht nur Irland, sondern damit helfen wir auch Deutsch-
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5198 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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land und Europa. In diesem Sinne werbe ich um Zustim-mung.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Richard Pitterle, Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen
und Kollegen! Irland hat zur Bewältigung der Finanz-
krise knapp 70 Milliarden Euro unter anderem vom IWF,
vom Euro-Rettungsfonds und von einzelnen Geberlän-
dern erhalten. Einen Teil davon will Irland nun vorzeitig
zurückzahlen. Das klingt gut, auch wenn vorerst nur an
den IWF zurückgezahlt werden soll.
Warum beschäftigt sich der Bundestag damit, wenn
uns das nicht betrifft? Der Grund dafür ist, dass Irland
eigentlich verpflichtet ist, an alle Gläubiger gleichmäßig
zu tilgen, also auch an den Euro-Rettungsfonds, für den
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland
und in Europa haften. Von dieser Verpflichtung will Ir-
land befreit werden und erst einmal nur den IWF-Kredit
abzahlen, um Zinsen zu sparen. Im Klartext: Die Steuer-
zahlerinnen und Steuerzahler in Deutschland haften über
den Euro-Rettungsfonds auch weiterhin für Irland.
Herr Kampeter hat gerade erklärt, das sei kein Risiko,
wenn die Entwicklung so verlaufe, wie sie vorgesehen
sei. Das klingt alles schön und gut. Es setzt aber voraus,
dass man ein Vertrauen zu den irischen Banken hat, das
mir aufgrund der Vergangenheit schlicht fehlt. Wer sagt
uns, dass diese das Land nicht wieder durch Zockerei an
den Abgrund bringen?
Eine irische Volksweisheit lautet:
Man kann das Heute nicht erkennen, wenn man das
Gestern nicht sehen will.
Lassen Sie mich daher einen Blick zurückwerfen: Bis
2007 hatte Irland nicht nur einen ausgeglichenen Haus-
halt, sondern sogar einen Haushaltsüberschuss. Dann
musste eine Bank nach der anderen verstaatlicht werden,
weil sie durch Zockerei auf den Finanzmärkten pleitege-
gangen sind. Irlands Staatsverschuldung ist dadurch ins
Unermessliche gestiegen. Die Refinanzierungskosten
waren nicht mehr zu tragen. Spekulanten haben auf Ir-
lands Staatspleite gewettet. In dieser Situation hatte die
irische Regierung Finanzhilfen beantragt.
Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler in Deutsch-
land und Europa mussten für die Zockerei der Banken
einspringen. Das lag im Übrigen auch im Interesse der
deutschen Großbanken, die, wie die FAZ berichtete, ge-
genüber irischen Schuldnerinnen und Schuldnern Forde-
rungen in Höhe von rund 138 Milliarden US-Dollar hat-
ten. Also war die Rettung Irlands nicht allein eine
solidarische Geste, sondern sie lag auch im Interesse der
deutschen Großbanken.
Es ist gut, dass sich die Lage in Irland nun zu stabili-
sieren scheint, aber wir müssen auch fragen: Stabilisie-
ren sich auch die Lebensverhältnisse der Menschen oder
nur die der Banken und der Vermögenden?
Die Realität sieht jedenfalls düster aus. Spiegel On-
line berichtete zum Beispiel über einen jungen Bauarbei-
ter, der seit vier Jahren arbeitslos ist und keine Besse-
rung erkennen kann. Der Familienvater lebt jetzt von
Gelegenheitsjobs und einem wöchentlichen Arbeitslo-
sengeld von 98 Euro. Ich frage Sie, meine Damen und
Herren: Was haben diese Menschen für eine Perspek-
tive? Den Berichten in den Medien nach machen die
Eckwerte der irischen Wirtschaft hier auch keinen gro-
ßen Mut. Durch die geplatzte Immobilienblase ist allein
in der Baubranche die Zahl der Beschäftigten von
270 000 auf 105 000 gesunken. Die Arbeitslosenrate
liegt deutlich über 10 Prozent. Wenn sie sinkt, dann vor
allem deshalb, weil Zehntausende junge Iren auf der
Jobsuche das Land verlassen.
Das nächste Riesenproblem ist die mangelnde Bin-
nennachfrage. Die Leute haben schlichtweg kein Geld.
Zum Beispiel sind allein 100 000 irische Hausbesitzerin-
nen und Hausbesitzer mit der Ratenzahlung bei ihren
Immobilienkrediten mehr als drei Monate im Rückstand.
Die private Verschuldung ist dementsprechend enorm
hoch. Hinzu kommen die von der Troika verordneten
Gehaltskürzungen im öffentlichen Dienst, weniger So-
zialausgaben und eine höhere Mehrwertsteuer. So sieht
die Realität der Irinnen und Iren aus.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen, die bishe-
rige Euro-Rettungspolitik ist nach wie vor falsch.
Sie ist undemokratisch, fördert Sozialabbau und spaltet
Europa. Für die Vergabe von Hilfskrediten müssen ein-
fach andere Bedingungen gestellt werden. Auch bei Ir-
land wäre zu erwarten, dass man fordert, dass über eine
Vermögensteuer diejenigen, die von der Zockerei profi-
tiert haben, zur Kasse gebeten werden. Man hätte Irland
zudem auferlegen müssen, die aggressive Niedrigsteuer-
politik bei der Körperschaftsteuer zu beenden. Doch wer
hat die Sparmaßnahmen in Irland letztlich auszubaden?
Wie immer die Bürgerinnen und Bürger, und das, meine
Damen und Herren von der Bundesregierung, ist leider
auch Ihnen zuzuschreiben.
Die Linke wird sich jedenfalls weiterhin für eine ge-
rechte Verteilung der Lasten der Euro-Krise und für eine
wirksame Regulierung der Finanzmärkte einsetzen.
Vielen Dank.
Als nächstem Redner in der Debatte erteile ich dasWort dem Abgeordneten Johannes Kahrs, SPD-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5199
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Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Der Kollege Steffen Kampeter hat eine Rede
gehalten, die, glaube ich, einige, die nach mir reden wer-
den, auch so hätten halten können.
Von der Sache her ist dem nicht mehr viel hinzuzufügen.
Wir alle haben festgestellt, dass die Haushaltslage in Ir-
land ausgesprochen schlecht war. Die Banken hatten
sich verzockt; das alles haben wir gehört. Europa hat ge-
holfen, auch Deutschland. Das war solidarisch und gut.
So stellt man sich Europa vor.
Gut ist auch, dass die Hilfe so genutzt wurde, dass es
Irland nun etwas besser geht. Irland ist wieder kreditfä-
hig und kann sich auf dem Finanzmarkt refinanzieren.
Dadurch ist die Schuldentragfähigkeit gegeben. Wenn Ir-
land den IWF-Kredit zum Teil ablöst, kann es aufgrund
der daraus resultierenden Zinsgewinne eine noch günsti-
gere Schuldentragfähigkeit erreichen. Das alles begrü-
ßen wir. Das ist ein Erfolg, zu dem auch wir in Deutsch-
land beigetragen haben, und zwar solidarisch und nicht,
wie die Linke behauptet, auf Kosten der deutschen Steu-
erzahler. Wir haben Kredite gegeben.
– Wenn Sie eben nicht hätten reden können, hätte ich auf
Ihren Zuruf reagiert. Da Sie aber eben geredet haben,
macht das keinen Sinn. – Im Ergebnis haben wir uns hier
in Deutschland solidarisch verhalten. Ich halte das für
richtig.
Der Kollege Pitterle hat in seiner Rede im Kern auch
nicht viel anderes gesagt. Er hat aber nicht gesagt, wie
sich die Linke heute verhalten will. Will sie zustimmen?
Will sie ablehnen? Es dürfte interessant sein, das zu er-
fahren.
– Alles gleichzeitig ist in diesem Fall ziemlich schwie-
rig. – Herr Pitterle, wenn Sie sich beklagen, sollten Sie
auch sagen, was Sie wollen.
Im Kern sind wir uns alle hier im Hause in der Ana-
lyse weitgehend einig. Wir alle haben es für richtig ge-
halten, Irland zu helfen. Jetzt kommt aber – Kollege
Kampeter hat es angesprochen, ich möchte es noch ein-
mal anführen – das große Aber: Die irische Regierung
sollte das Geld, das sie jetzt spart, dafür ausgeben, um
ihre Schuldenlast zu reduzieren. Wenn in Irland darüber
nachgedacht wird, ob zum Beispiel eine Steuersenkung
bei der Einkommensteuer vorgenommen werden soll,
muss man sich als Deutscher allerdings fragen, warum
das in Irland – und nicht vielleicht anderswo – stattfin-
det. Deswegen ist das, glaube ich, einer der Punkte, über
den wir mit den Iren reden müssen. Gleichzeitig müssen
wir uns auch das Thema „Unternehmensteuer/Steuerver-
meidung internationaler Konzerne in Irland“ anschauen;
denn es kann auch nicht sein, dass die irische Politik zu
einem Steuerwettbewerb in Europa führt, der am Ende
uns in Deutschland schadet.
Ich glaube, dass die Bundesregierung hier tätig werden
sollte. Es freut mich, dass der Kollege Steffen Kampeter
das angesprochen hat.
Irland kann nicht auf der einen Seite Solidarität ein-
fordern, die darin besteht, dass Europa in schweren Stun-
den hilft – das wollen wir; das haben wir auch getan –,
um dann, wenn diese Hilfe zum Erfolg geführt hat, das
Geld, welches durch Umschuldung und dadurch, dass
weniger an Zinsen gezahlt wird, zu nutzen, um sich sel-
ber wieder in eine steuerrechtlich vorteilhaftere Position
zu bringen, die den anderen Ländern in Europa schadet.
Das ist falsch verstandene Solidarität.
Um es kurz zusammenzufassen: Wir wollen solida-
risch sein, und wir waren solidarisch. Von den Iren er-
warten wir, dass sie mit dem Geld, welches sie einspa-
ren, weil wir zustimmen – ohne unsere Zustimmung geht
das nicht –, ihre Schuldenlast reduzieren, ihre Zukunfts-
fähigkeit und – im Ergebnis – ihre Bonität stärken, wäh-
rend sie gleichzeitig aber nicht dafür sorgen, dass wir,
die wir geholfen haben, Nachteile haben. Das wiederum
wäre unsolidarisch. Wir können das nicht gut finden.
Deswegen verstehe ich auch die Rede des Kollegen von
den Linken nicht. Das waren die üblichen Plattitüden.
Sie hatte null Inhalt, und es gab nicht einmal eine An-
sage, ob Sie zustimmen oder ablehnen wollen. Leider ist
die Linke immer so: Außer hohlen Worten nichts gewe-
sen!
Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-ordneten Sven-Christian Kindler, Bündnis 90/Die Grü-nen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wenn wir heute über die Staatsschulden in Ir-land reden, dürfen wir nicht vergessen, was die Ursachendafür sind. Jahrelang galt Irland bei den Konservativenund Neoliberalen, auch hier bei Union und FDP im Bun-destag, als das Musterland Europas. Irland hatte eine
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5200 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Sven-Christian Kindler
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sehr geringe Staatsverschuldung. Die Unternehmensteu-ern waren viel zu niedrig. In der Krise aber mussten wirlernen, dass es nicht nur um die Staatsverschuldung geht,sondern dass man sich auch die Gesamtverschuldung desStaates ansehen muss. Irland hatte ein großes Leistungs-bilanzdefizit. Es gab hohe Schulden im privaten Sektorund viel zu hohe Schulden in einem überdimensioniertenBankensektor.Diese Überschuldung führte in der Krise zu einer star-ken Belastung des Staatshaushaltes und zu extremenProblemen bei der Refinanzierung. Es musste dann einHilfspaket mit einem Umfang von 85 Milliarden Eurogeschnürt werden. Die Bankschulden wurden nachherStaatsschulden. Wir Grünen sagen für die Zukunft klar:Mit einer Bankenrettung über die Staatshaushalte bzw.die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler muss endlichSchluss sein in Europa!
Deswegen haben wir von Anfang an einen europäi-schen Abwicklungsmechanismus bzw. einen europäi-schen Restrukturierungsmechanismus für Banken gefor-dert und unterstützt. Die Bundesregierung hat das langeblockiert und ausgebremst. Lange hat sie auf die natio-nale Karte gesetzt. Wir haben von Anfang an die Ban-kenunion mit einer harten Gläubigerbeteiligung unter-stützt. Es war sehr gut, dass sich das EuropäischeParlament am Ende nach harten Verhandlungen – auchgegen den Europäischen Rat und Herrn Schäuble –durchgesetzt hat und dass es eine Bankenunion mit einerharten Gläubigerbeteiligung und der bekannten Abwick-lung gab. Das war sehr gut und sehr notwendig.
Diese Gläubigerbeteiligung wäre aus unserer Sichtaber auch schon 2010 möglich und notwendig gewesen.Irland hatte auch vorgeschlagen, dass es eine umfas-sende Gläubigerbeteiligung geben sollte. Die Troika, dieBundesregierung und andere nationale Regierungen inEuropa haben das nicht gewollt. Sie haben die Gläubigergeschont. Genau das war ein zentrales Problem, weil dasHilfsprogramm dadurch erst in diesem konkreten Aus-maß notwendig wurde. Mittlerweile ist ein Viertel deririschen Staatsschulden auf die Rettungsmaßnahmen imBankensektor zurückzuführen. Darunter leidet Irlandnoch heute.Es muss auch noch einmal festgestellt werden, dassdie Bundesregierung dafür nicht die alleinige Verantwor-tung, aber eine Mitverantwortung trägt. Das war damals,2010, ein schwerer Fehler auch der Bundesregierung.Wir werden daher heute nicht wegen der Politik derBundesregierung, sondern trotz der Politik der Bundes-regierung und trotz ihres Agierens der Rückzahlung derIWF-Kredite und der Umschuldung für Irland zustim-men; denn wir sagen: Das macht haushalterisch Sinn,das macht ökonomisch Sinn, und das ist im Interesse al-ler Beteiligten, auch im Interesse der europäischen Gläu-biger.Ich teile die Meinung des Kollegen Kahrs: Es kannnicht sein, dass weiterhin in Europa Steuerdumping be-trieben wird und Unternehmensteuern in Irland gesenktwerden. Wir glauben, dass es sinnvoll wäre, jetzt auch inIrland wichtige Investitionen anzustoßen, um die wirt-schaftliche Erholung voranzutreiben. Ich denke an In-vestitionen in Bildung, Klimaschutz und in den sozial-ökologischen Umbau. Klar ist auch: Wir brauchen in Eu-ropa insgesamt mehr Zukunftsinvestitionen. Wir brau-chen jetzt eine sozial-ökologische Investitionsstrategiefür Europa. Die ist dringend notwendig.
Ich finde, man muss das Bild von Irland differenziertbetrachten. Man darf es nicht schwarzmalen, man darf esaber auch nicht rosarotmalen, wie es der Herr KollegeStaatssekretär gemacht hat. Es gab in den letzten JahrenVerbesserungen. Irland ist wieder am Kapitalmarkt, dieStaatsverschuldung soll 2014 leicht auf 120 Prozent desBIP sinken, die Arbeitslosigkeit liegt nicht mehr bei14 Prozent, sondern bei 11 Prozent, und die Exporte ha-ben zugenommen. Das ist richtig, und wir Grüne erken-nen die Verbesserungen an. Wir sehen ganz klar, dass esgroße Anstrengungen in Irland gab.Aber man muss sich schon die Frage stellen, was inIrland wirklich los ist. Man muss sich ehrlich machen,und man darf sich keinen Illusionen hingeben. Die Ju-gendarbeitslosigkeit zum Beispiel liegt immer noch bei25 Prozent. Jeder zweite junge Mensch zwischen 18 und24 Jahren denkt darüber nach, auszuwandern, also dasLand zu verlassen. Das sind wichtige Arbeitskräfte, diein Irland nicht bleiben, weil sie keine Perspektive sehen.Heute verhandeln die Staats- und Regierungschefsund die Arbeitsministerinnen und Arbeitsminister inMailand über den Arbeitsmarkt. Ich meine: Dabei darfes nicht nur um wichtige und notwendige Strukturrefor-men gehen und darum, dass die Gelder der Jugendgaran-tie ausgegeben werden, sondern es muss perspektivischauch darum gehen, dass die EU und die Mitgliedsländerin ihren Haushalten mehr Geld für den Kampf gegen Ju-gendarbeitslosigkeit bereitstellen. Wir müssen alles tun,damit wir keine verlorene Generation in Europa haben.
Die Staatsverschuldung Irlands liegt immer noch bei120 Prozent des BIP. Wie gesagt, man muss sich die Ge-samtschuldenlast anschauen, also auch die Schulden derprivaten Haushalte und des Bankensektors. Die Gesamt-verschuldung lag schon 2007 bei 270 Prozent des Brut-toinlandsproduktes. Mittlerweile liegt sie bei 490 Pro-zent. Das ist trauriger Rekord weltweit. Das ist fünfmalso viel, wie die Wirtschaftsleistung beträgt. Das ist keinenachhaltige Schuldentragfähigkeit, das kann man nichtrosarotmalen. Das heißt, wir werden uns in Europa undim Bundestag weiter mit dem Problem der Überschul-dung im privaten Sektor, bei Unternehmen und den öf-fentlichen Haushalten beschäftigen. Wir müssen jetzt
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5201
Sven-Christian Kindler
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klar die schwierige Lage sehen und zu weiteren Verbes-serungen in Irland und Europa kommen.Vielen Dank.
Als nächstem Redner erteile ich dem Abgeordneten
Norbert Barthle, CDU/CSU-Fraktion, das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Die Daten, die Fakten und die Hin-tergründe des irischen Wunsches, den IWF-Kredit vor-zeitig ablösen zu dürfen, hat unser Staatssekretär SteffenKampeter hinreichend erklärt. Ich muss das nicht wie-derholen.Ich will aber einen Aspekt hervorheben. Die Tatsache,dass wir hier heute im Deutschen Bundestag nicht nurdarüber diskutieren, sondern darüber abstimmen, ob diedeutsche Bundesregierung diesem Ansinnen Irlands zu-stimmen darf oder nicht, haben wir der Krise zu verdan-ken und unserem Wunsch, die demokratischen Beteili-gungsrechte in diesem Zusammenhang zu stärken. Ichspreche vom sogenannten StabMechG. Für Deutschlandbedeutet das ein Mehr an Demokratie und für Europa– wir entscheiden über europäische Fragen hier im Deut-schen Bundestag – ebenfalls ein Mehr an Demokratie.Das will ich zunächst einmal positiv hervorheben.
Unsere Fraktion unterstützt diesen Antrag, weil wirdavon ausgehen, dass er einem europäischen Partner-land, nämlich Irland, nützt und uns nicht schlechterstellt. Damit sehe ich keinen Hinderungsgrund, diesemAntrag zuzustimmen. Im Übrigen bin ich der Auffas-sung, dass das Ansinnen Irlands, jetzt schon, ein Jahrnach dem Ausstieg aus dem Hilfsprogramm, fast einDrittel der Summe des gesamten Hilfsprogramms zu-rückzuzahlen, ein deutlicher Hinweis darauf ist, dassdieses Hilfsprogramm ein Erfolg war und ist.Irland muss am Markt Zinsen zahlen, die deutlichniedriger sind als die für seine Hilfskredite. Das zeigt,dass die Anpassungsmaßnahmen wirken. Das Land ern-tet heute sozusagen die Früchte seiner Anstrengungender vergangenen drei Jahre.
Diese Anstrengungen waren nicht unerheblich – dasmuss man mit allem Respekt eingestehen –; denn Irlandhat die notwendigen Strukturreformen vorangetrieben.Die Lohnstückkosten sind wesentlich gesunken. Das hatzum großen Teil zu den wirtschaftlichen Erfolgen beige-tragen, die das Land in Form eines Leistungsüberschus-ses jetzt Jahr für Jahr erzielt. Irland hat die notwendigenReformen auf dem Arbeitsmarkt vorangetrieben. ImZuge des Anpassungsprogramms wurden unter anderemMaßnahmen zur Aktivierung von Arbeitslosen umge-setzt. Der Kündigungsschutz wurde gelockert, und dieLohnfindung wird vermehrt auf die Ebene der Betriebeverlagert. Das Renteneintrittsalter wurde, natürlich inStufen, auf 68 Jahre erhöht. Das sind alles Maßnahmen,die nicht leicht umzusetzen sind; aber sie wirken. Kleineund mittelständische Unternehmen können sich leichterund besser finanzieren; sie werden auch beratend unter-stützt. Da leistet unsere KfW ebenfalls gute Arbeit.Was schließen wir daraus? Irland ist ein Beispiel da-für, dass bei konsequenter Haushaltskonsolidierung undkonsequenten Strukturreformen ein Land auch unterschwierigen Rahmenbedingungen – die globale Situa-tion ist ja keine einfache – vorankommen und eine nach-haltige wirtschaftliche Perspektive erhalten kann.Das sage ich ganz bewusst auch im Hinblick auf diederzeitige europäische Debatte. Einige von uns waren inder vergangenen Woche auf der Fiskalvertragskonferenzin Rom. Der Kollege Michelbach kann es bestätigen:Nahezu unisono wurde dort einer Politik das Wort gere-det, die in Nachfragepolitik endet; einseitige, nachfrage-orientierte Politik mit neuen Schulden, also mit frischemGeld, soll wirtschaftliches Wachstum erzeugen. Das istder falsche Weg. Irland ist ein Beleg dafür, dass ein rich-tiger Mix aus nachfrageorientierter Politik und angebots-orientierter Politik den Weg darstellt, der aus der Kriseführt. Beides gehört zusammen: Konsolidierung einer-seits, Strukturreformen andererseits. Wichtig sind außer-dem wachstumsfördernde Impulse. All das führt zum Er-folg; damit kommt man aus der Malaise heraus, undzwar nicht erst, wie viele auf europäischer Ebene be-haupten, in langen Zeiträumen; vielmehr wirkt ein sol-ches Vorgehen relativ schnell und vor allem nachhaltig.
Meine Vorredner haben bereits darauf hingewiesen,dass wir selbstverständlich die Erwartung haben, dass Ir-land die neuen Bewegungsspielräume finanzieller Naturnutzt, um sich weiter voranzubringen und nicht um Steu-ern zu senken oder ähnliche Dinge zu tun. Umschuldungheißt ja nicht Entschuldung. Die Entschuldung mussfortgeführt werden. Deshalb erwarten wir auch, dass derunfaire Steuerwettbewerb, den es in Irland nach wie vornoch gibt, Zug um Zug beendet wird. Unser Finanz-minister drängt darauf nicht erst seit gestern, sondernschon seit längerer Zeit, und er wird auch weiterhin da-rauf drängen, dass Irland auf diesem Weg voranschreitet.Ich darf abschließend feststellen: Wenn ich die De-batte richtig verfolgt habe, dann sind bis auf die Linkenalle dafür, Irland diesen Weg zu eröffnen. Die Linken ha-ben sich zu dieser Frage heute im Haushaltsausschussenthalten. Wenn die Linken den Iren diesen kleinen fi-nanziellen Vorteil nicht gönnen wollen, dann sagt dasaus meiner Sicht alles; da braucht man nichts mehr hin-zuzufügen.Danke.
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5202 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
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Als nächstem Redner erteile ich das Wort dem Abge-
ordneten Lothar Binding, SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich möchte zunächstfeststellen, dass ich mich freue, dass Birgit Kömpel hierist. Sie ist die Vorsitzende der Deutsch-Irischen Parla-mentariergruppe. Einerseits sind wir stolz auf die Er-folge der Iren, und andererseits haben wir noch ein paarAnliegen an die Iren. Wenn das transportiert wird, ist dassicher eine sehr gute Sache.Ich habe ohnehin immer eine positive Grundstim-mung, wenn ich an Irland denke; denn es gibt kein Landin Europa, das die Gesetze zum Passivraucherschutz amArbeitsplatz und in den Gaststätten so konsequent, sogut und so schnell umgesetzt hat wie Irland.
Ich muss sagen, dass wir da, bezogen auf die Arbeitsstät-tenverordnung in Deutschland, noch meilenweit hinter-herhinken. Ich hoffe darauf, dass unser Ministerium dieBeseitigung dieser Lücke jetzt endlich klug regelt. Wiejeder weiß, komme ich aus Heidelberg, wo das DeutscheKrebsforschungszentrum seinen Sitz hat. Deshalb be-fasse ich mich mit diesem Thema.Ebenso entschlossen und zielgerichtet wie die Maß-nahmen zum Thema Rauchen – jetzt kommen wir schonzum Stolz – haben die Iren auch die Reformanstrengun-gen zur Sanierung angepackt. Die Bankenlandschaft, derArbeitsmarkt, die Leistungsbilanz wurden verbessert.Makroökonomische Anpassungsprozesse wurden sehrgut auf den Weg gebracht, und die Schuldentragfähigkeitwurde erhöht. Insgesamt sind das sehr positive Zeichen.Irland hatte zuvor einen schweren Fehler gemacht. Ir-land hatte bei seinem überdimensionierten Finanzsektor– der war durch gezielte Politik der Iren entstanden – in-folge der Bankenkrise schwerwiegende Folgen zu kom-pensieren. Insofern merkt man, dass diese Art der Politikzu großen Problemen führt.Dazu gehörte auch – das ist schon ein paarmal gesagtworden –, dass die Iren die Unternehmensteuer so fest-gesetzt haben, dass man, vornehm formuliert, von „Steu-erdumping“ sprechen muss, und das ist in Europa keinevornehme Angelegenheit. Einen Körperschaftsteuersatzvon 12,5 Prozent oder steuerliche Ausnahmen, die welt-weit genutzt werden, um durch die Verlagerung von Un-ternehmenssitzen in großer Dimension Steuern zu sparen– das geschieht unter dem Stichwort „Double Irish“ oder„Dutch Sandwich“ –, dürfen wir nicht hinnehmen. JimStewart, ein irischer Ökonom, hat sogar gesagt: 40 Mil-liarden Euro, also ein Viertel der gesamten Wirtschafts-leistung Irlands, sind auf diesem Weg in Steueroasen inder Karibik transferiert worden. – Das ist auf dem Rü-cken der Freunde in Europa geschehen und keine vor-nehme Angelegenheit. Ich denke, das muss man unterFreunden auch sagen.
Dass die Iren in der schwersten Not die Hilfe der an-deren Staaten angenommen haben, zu Recht, das ist inOrdnung, und daran können wir erinnern; denn da habenwir gemeinsam etwas erreicht. Der gemeinsame Erfolgerlaubt jetzt die Rückkehr der Iren an den Kapitalmarkt.Der Erfolg hat viele Väter. Ein Vater ist die Hilfe derNachbarstaaten in Europa, der EU-Mitgliedstaaten. DerErfolg geht aber auch – das muss man sagen – auf An-strengungen der irischen Regierung und – das hat HerrPitterle erwähnt – auf Entbehrungen der Iren zurück.Allerdings ist es so, dass ein Niedergang der Wirt-schaft den armen Iren auch nicht helfen würde. Insoweitist es schon gut, wenn wir uns um ökonomische Stabili-tät und um eine gute Leistungsbilanz auch der Iren küm-mern; wenn das vorhanden ist, dann besteht auch einerealistische Chance, dass es dem Arbeitslosen bessergeht, dass er Arbeit findet, dass die Jugendarbeitslosig-keit überwunden wird.Dass gleichwohl mehr passieren muss, konzediere ichgern; Konjunkturprogramme zum Beispiel, Beschäfti-gungsprogramme. Wir könnten auch über ein Kurzarbei-termodell nachdenken; das wäre ein schöner Export-schlager. Die soziale Sicherung muss gestärkt werden.Allein, es bleibt die Frage: Wer finanziert das? Insofernist das, was wir heute beschließen wollen, sehr gut; denndamit sparen die Iren 2,1 Milliarden Euro Zinsen, unddas ist zunächst einmal eine Basis, um in dieser Rich-tung einen kleinen Impuls geben zu können.Damit sind wir noch nicht am Ziel, aber auf einemsehr guten Weg. Insofern merken wir, dass die europäi-sche Solidarität Geben und Nehmen ist. Auf der einenSeite Hilfe in Anspruch zu nehmen, ist in Ordnung; aberauf der anderen Seite erwarten wir, dass die Iren sich alsfaire Partner erweisen. Ich glaube, das ist ein ganz or-dentliches Angebot von Europa an Irland und hoffentlichauch ein Angebot von Irland an Europa; das macht dieZukunft aus.Insofern wollen wir hoffen, dass der Verstoß gegendas Fairnessprinzip überwunden wird. Wir sind auchfroh, dass manche Dinge schon werden. Das Programmder OECD gegen BEPS hat bereits dazu geführt, dassselbst die irischen Unternehmer sagen: Wir müssen auf-passen, dass der Steuerwettbewerb dem Investitions-standort Irland nicht schadet. – Es ist also nicht so, dassdas nur unsere Erkenntnis wäre; ich kann mich da sogarauf Unternehmerverbände in Irland berufen. Ich glaube,diese Erkenntnis gilt es europaweit salonfähig zu ma-chen.
Wenn uns das gelungen ist, dann sind wir in Europa alsGanzes einen ganz großen Schritt weiter.Eine abschließende Bemerkung – sie hat auch eine et-was selbstkritische Komponente –: Wenn wir den Irenund den Holländern vorwerfen, dass sie solche Sonder-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014 5203
Lothar Binding
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tatbestände schaffen, dann sollten wir nicht der Versu-chung erliegen, für Deutschland selbst so etwas wie viel-leicht eine „Patentbox“ zu überlegen;
denn das wäre der klassische Fall des berühmten „race tothe bottom“. Die Frage ist, wie das ausgeht. ZumSchluss kommen alle „bottom“ an, und das wollen wirvermeiden.
Das zeigt der Weg, den wir gehen wollen.Deshalb stimmen wir dem Antrag des Finanzministe-riums insgesamt zu.
Als letztem Redner in dieser Debatte erteile ich das
Wort dem Abgeordneten Alois Karl, CDU/CSU-Frak-
tion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Wenn wir uns heute und mit mir abschließend unterdiesem Tagesordnungspunkt mit der vorzeitigen teilwei-sen Rückzahlung von IWF-Finanzhilfen durch Irland be-fassen, dann hat das in der Tat fast etwas Einmaliges ansich. Zum einen müssen wir uns als Deutscher Bundes-tag nach dem Stabilisierungsmechanismusgesetz – duhast es angesprochen, lieber Norbert Barthle – damit be-fassen, um dem Bundesfinanzminister ausdrücklich einepositive Weisung mitzugeben. Eine Enthaltung würde jabedeuten, er müsste mit Nein stimmen; aber wir werdenheute große und breite Zustimmung geben. Herr Pitterle,vielleicht können auch Sie sich noch einen Ruck geben,und dann steht von Ihrer Seite heute Abend dem Genusseines Guinness in einem Irish Pub nichts mehr entgegen;das wäre doch durchaus auch angebracht.
– Auf Kosten von Kampeter, ja, du hast recht! – Zum an-deren erleben wir es erstmals, dass ein Staat, der unterdem Euro-Rettungsschirm steht, etwas zurückzahlt, undnicht wenig, immerhin 18,3 Milliarden Euro. Das ist ein-mal etwas ganz anderes.Wir haben uns ja in den letzten vier, fünf Jahren hierhäufig mit Euro-Rettungsschirmen befasst. Für Portugal,Spanien, Zypern, Griechenland, auch Irland musstenRettungsschirme aufgespannt werden, und diese Länderhaben in der Tat unendlich hohe Summen an Geld be-kommen, für die wir zum Teil gebürgt haben. Aber heuteist es etwas anderes. Irland kommt aus der Krise, undzwar mit Vehemenz. Das ist angesprochen worden.„Ireland on track“, heißt es in Irland. Ich selber warim letzten Bundestag im Europaausschuss Länderbe-richterstatter für Irland. Wenn man nach Irland kommt,merkt man in der Tat auch einen gewissen Optimismus.Es verhält sich anders, als Sie es gesagt haben, HerrKindler. Die Leute da gehen nicht in Sack und Asche;
sie sind stolz darauf, dass sie es erreicht haben, aus die-ser schwierigen Krise herauszukommen.
– Dazu, dass manche auswandern, muss man sagen: Dasist in Irland schon immer so gewesen. Es ist ja ein welt-offenes Land. Iren sind überall auf der Welt anzutreffen.Das ist nichts, was mit der Krise zu tun hätte.Meine Damen und Herren, dieses ehemals blühendeLand Irland – es ist ja mit dem deutschen Wirtschafts-wunder der 50er- und 60er-Jahre verglichen worden – istin diese Krise hineingekommen wegen der Weltwirt-schaftskrise, auch wegen eines unglaublichen Baubooms,der dort geherrscht hat. In Irland sind 90 000 Wohnun-gen im Jahr hergestellt worden, für die es keine Abneh-mer gab. Deutschland ist 16-mal größer als Irland.Auf uns übertragen, also um in Deutschland die glei-che Marge zu erreichen, würde das bedeuten, wir müss-ten 1,4 Millionen Wohnungen im Jahr bauen. Das istbei uns aber überhaupt nicht so. Wir haben gerade300 000 Wohnungen gebaut. Diese 90 000 Wohnungenpro Jahr, die in Irland ohne realen Hintergrund gebautwurden, sind von den Banken finanziert worden. Damithatte der Crash natürlich ganz tiefgreifende Folgen.Für Irland musste ein Rettungsschirm aufgespanntwerden, der etwa 85 Milliarden Euro umfasste. Schonbemerkenswert ist, Herr Pitterle, dass Irland 20 Prozentder Gesamtsumme des Rettungsschirmkapitals selbergetragen hat, nämlich 17,5 Milliarden Euro. Ich meine,wir haben damit, dass wir ebenfalls einen Beitrag geleis-tet haben, auch uns selbst genützt, weil wir damit unsereWährung, den Euro, stabilisiert haben.Jetzt geht es darum, einen Teil der 22,5 MilliardenEuro, die der IWF zur Verfügung gestellt hat, zurückzu-zahlen. Das ist deshalb vernünftig, weil Irland so einengroßen Zinsvorteil erlangt, weil Irland damit im Jahretwa 400 Millionen Euro und über die ganze Laufzeit2,1 Milliarden Euro ersparen kann. Das bedeutet im Um-kehrschluss wieder, dass die Schuldentragfähigkeit Ir-lands besser wird, dass das Ausfallrisiko zu unseren Las-ten geringer wird. Damit ist es ein Gebot der Vernunft,dass wir heute zustimmen. Ich denke, es ist auch deshalbein Gebot der Vernunft, weil wir keinerlei Schaden, weilwir keinerlei Nachteil aus dieser Besserstellung Irlandszu unseren Lasten erwarten.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich bitte Siealso ausdürcklich darum, dass wir den vom Finanzminis-ter eingebrachten Antrag der Bundesregierung unterstüt-zen. Es wäre natürlich besser gewesen, wenn die Paralleli-tätsklausel zur Anwendung gekommen wäre, also Irland,wenn es an den einen Schuldner zurückzahlt, auch an dieanderen zahlt. Aber wenn wir darauf bestehen würden,würde Irland gar nichts zurückzahlen. Für uns würde das
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5204 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 56. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 8. Oktober 2014
Alois Karl
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keinerlei Gewinn bedeuten; für unseren politischenFreund Irland allerdings wäre es ein gewaltiger Schaden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich denke,wir machen es wie all die anderen Staaten, die schon ge-fragt worden sind: Wir stimmen dem zu. Wir bestehennicht auf der Parallelitätsklausel, und wir freuen uns,wenn unsere Freunde in Irland wieder auf einen guten,soliden und sicheren Wachstumspfad kommen.Ich danke Ihnen sehr herzlich.
Ich schließe die Aussprache.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, dies ist ein beson-
derer Moment in der Geschichte des Bundestages, weil
wir jetzt zum ersten Mal nach dieser Vorschrift des Sta-
bilisierungsmechanismusgesetzes abstimmen.
Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag des
Bundesministers der Finanzen auf Drucksache 18/2683
mit dem Titel „Irland: Vorzeitige teilweise Rückzahlung
von IWF-Finanzhilfe; Einholung eines zustimmenden
Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Ab-
satz 2 Nummer 2 des Stabilisierungsmechanismusgeset-
zes “. Wer stimmt für diesen Antrag? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist der
Antrag mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und
von Bündnis 90/Die Grünen bei einer Gegenstimme aus
den Reihen der Union und Enthaltung der Fraktion Die
Linke so angenommen worden.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 9. Oktober 2014,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.