Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alleherzlich.Bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten,möchte ich dem Bundesminister der Finanzen,Dr. Wolfgang Schäuble, herzlich zu seinem 72. Ge-burtstag gratulieren.
Aus diesem Anlass hätten ein paar mehr Kollegen dasein können; aber sie konnten ja nicht damit rechnen,weil wir es nicht ausdrücklich auf die Tagesordnung ge-schrieben hatten.Ich will auch dem Kollegen Wilfried Lorenz, derebenfalls seinen 72. Geburtstag begangen hat, im Namendes Hauses herzlich gratulieren.
Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-nung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Zu-satzpunkte zu erweitern:ZP 1 Vereinbarte DebatteDeutschlands Beitrag zur Eindämmung derEbolaepidemie
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten KatharinaDröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weitererAbgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKeine Klageprivilegien für Konzerne –CETA-Vertragsentwurf ablehnenDrucksache 18/2620Überweisung/BeschlussfassungZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und desBerichts des Ausschusses für Wirtschaft undEnergie zu dem Antrag der Ab-geordneten Katharina Dröge, Katja Keul, BärbelHöhn, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENFür fairen Handel ohne Klageprivilegien fürKonzerneDrucksachen 18/1458, 18/2646ZP 4 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Franziska Brantner, Katja Dörner, TabeaRößner, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKinder schützen – Prävention stärkenDrucksache 18/2619Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachtenVerfahren
a) Beratung des Antrags der Abgeordneten MatthiasW. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina Wawzyniak,weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIELINKEWiedereingliederung fördern – Gefangene indie Renten-, Kranken- und Pflegeversiche-rung einbeziehenDrucksache 18/2606Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
InnenausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für GesundheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfeb) Beratung des Antrags der Abgeordneten TomKoenigs, Cem Özdemir, Annalena Baerbock,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENVerfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermordan den Rohingya verhindernDrucksache 18/2615
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4884 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschussc) Beratung des Antrags der Abgeordneten TomKoenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENMenschenrechtsförderung stärken – Gesetzli-che Grundlage für Deutsches Institut fürMenschenrechte schaffenDrucksache 18/2618Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger AusschussInnenausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der FraktionDIE LINKE:Humanitäre Katastrophe an der türkisch-syrischen Grenze – Nach dem militärischenAufmarsch des ISZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten CorneliaMöhring, Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann
, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKEPille danach jetzt aus der Rezeptpflicht ent-lassenDrucksache 18/2630Überweisung/BeschlussfassungZP 8 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Valerie Wilms, Stephan Kühn ,Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENReform der Wasser- und Schifffahrtsverwal-tung konsequent fortsetzenDrucksache 18/1341Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für TourismusHaushaltsausschussDabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun-gen, soweit erforderlich, abgewichen werden.Die Tagesordnungspunkte 9 und 15 werden abgesetzt.Anstelle des abgesetzten Tagesordnungspunktes 9 sollder Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache18/2630 mit dem Titel „Pille danach jetzt aus der Re-zeptpflicht entlassen“ und anstelle des Tagesordnungs-punktes 15 der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen auf Drucksache 18/1341 mit dem Titel „Reform derWasser- und Schifffahrtsverwaltung konsequent fortset-zen“ aufgerufen werden. Sind Sie mit diesen Verände-rungen in der Tagesordnung einverstanden? – Das ist of-fensichtlich der Fall. Dann können wir so verfahren.Wir kommen damit zu unseren Tagesordnungspunk-ten 3 a bis 3 d:a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-zung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäi-schen Parlaments und des Rates vom 15. Mai2014 zur Festlegung eines Rahmens für dieSanierung und Abwicklung von Kreditinstitu-ten und Wertpapierfirmen und zur Änderungder Richtlinie 82/891/EWG des Rates, derRichtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU,2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Ver-ordnungen Nr. 1093/2010 und (EU)Nr. 648/2012 des Europäischen Parlamentsund des Rates
Drucksachen 18/2575, 18/2626Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsauschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu demÜbereinkommen vom 21. Mai 2014 über dieÜbertragung von Beiträgen auf den einheitli-chen Abwicklungsfonds und über die gemein-same Nutzung dieser BeiträgeDrucksachen 18/2576, 18/2627Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsauschussc) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung des ESM-FinanzierungsgesetzesDrucksachen 18/2577, 18/2629Überweisungsvorschlag:Haushaltsauschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Uniond) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-rung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Ein-richtung des Europäischen Stabilitätsmecha-nismusDrucksachen 18/2580, 18/2628Überweisungsvorschlag:Haushaltsauschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazustelle ich Einvernehmen fest. Dann können wir so ver-fahren.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4885
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort demBundesfinanzminister.
Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-zen:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mitden vorliegenden vier Gesetzentwürfen schaffen wirwichtige Bausteine zum Aufbau der europäischen Ban-kenunion. Mit dieser Bankenunion ziehen wir die Lehreaus der Finanz- und Bankenkrise; denn die Finanz- undBankenkrise hat uns mit ihrer unglaublichen Dynamik jagezeigt, dass die Banken heute – jedenfalls alle großen,die global bzw. grenzüberschreitend tätig sind – mit ei-ner nationalen Aufsicht nicht mehr hinreichend zu be-aufsichtigen sind. Wir brauchen eine grenzüberschrei-tende Bankenaufsicht. Deswegen ist es richtig, dass wirmit der europäischen Bankenunion eine europäischeBankenaufsicht für die großen, systemrelevanten Ban-ken schaffen.Der zweite Grund für diese Bankenunion ist, dass esnotwendig ist, das Risiko auf dem Gebiet des Finanzsek-tors von der Reduzierung der Staatsverschuldung zutrennen. Diese Verbindung hat sich ja in den zurücklie-genden Jahren der Euro-Krise als ein besonders er-schwerendes Element bei der Überwindung der Kriseund der Rückgewinnung des Vertrauens in unsere euro-päische Währung erwiesen.Für diese Bankenunion konnten wir bei den gegebe-nen europäischen Verträgen die Aufsicht nur bei der Eu-ropäischen Zentralbank schaffen. Anderenfalls hättenwir eine neue europäische Institution schaffen müssen.Dafür braucht man eine Vertragsänderung; dafür brauchtman einstimmige Entscheidungen. Das war nicht mög-lich. Deswegen ist die Rechtsgrundlage nach dem Ver-trag über die Arbeitsweise der Europäischen UnionArtikel 127 Absatz 6, wonach durch einstimmigen Be-schluss im Zusammenhang mit der Bankenaufsicht Auf-gaben auf die EZB übertragen werden können.Ich erwähne das deswegen, weil es nicht ganz unpro-blematisch ist, geldpolitische Verantwortung und Ban-kenaufsicht in ein und derselben Institution anzusiedeln.Es ist ganz wichtig, dass beim Aufbau der Bankenauf-sicht innerhalb oder bei der EZB die Trennung zwischenbeiden Verantwortungsbereichen so strikt wie möglichdurchgeführt wird, um jeden Interessenkonflikt zu ver-meiden, ja, um auch den Anschein von möglichen Inte-ressenkonflikten zu vermeiden. Ich füge die Bemerkunghinzu: Auch vor diesem Hintergrund bin ich über diederzeit von der EZB begonnene Debatte über den etwai-gen Ankauf von Verbriefungsprodukten nicht besondersglücklich; genau dies könnte diese Diskussion bestärken.
Ich finde, man sollte das vorsichtig bedenken.In der europäischen Bankenaufsicht, mit deren Vorbe-reitung die EZB beschäftigt ist – am 4. November 2014soll diese Bankenaufsicht ihre Arbeit aufnehmen –, wer-den etwa 120 europäische Banken und Bankengruppen– die systemrelevanten; von jedem Mitgliedsland min-destens eine – der europäischen Bankenaufsicht unter-stellt. Sie umfassen etwa 85 Prozent der gesamtenBilanzsumme aller europäischen Finanzinstitute, sodassder Großteil der europäischen Banken der europäischenBankenaufsicht untersteht. Es sind auch rund 20 Bankenund Bankengruppen aus Deutschland dabei.Die kleineren Institute – das sind in insgesamt gegen-wärtig mehrere Tausend; davon stammt ein großer Teilaus Deutschland – unterliegen weiterhin der nationalenAufsicht. Auch das ist wichtig zu betonen. Die grenz-überschreitenden, systemrelevanten Institute werden dereuropäischen Bankenaufsicht unterstellt. Wie gesagt, diekleineren Institute unterstehen weiterhin der nationalenAufsicht. Im Übrigen führt die Übertragung der nationa-len Aufsichtsaufgaben auf die Europäische Zentralbankauch zu neuen Berichtspflichten der EZB gegenüber Rat,Europäischem Parlament und auch nationalen Parlamen-ten, soweit es die jeweiligen Banken anbetrifft. Auch dasist wichtig.Die Europäische Zentralbank führt derzeit die not-wendigen Vorbereitungen durch mit der Prüfung der Bi-lanzen aller zu übernehmenden Banken und mit den ent-sprechenden Stresstests, die sicherstellen sollen, dass dieBanken, die von der europäischen Bankenaufsicht über-nommen werden, genügend Kapital haben. Wir habendie Antragsfrist für den Soffin bis zum 31. Dezemberkommenden Jahres verlängert, damit wir, wenn deutscheBanken im Zusammenhang mit dem Stresstest Problemehaben sollten – derzeit zeichnet sich das nicht ab –, not-falls in der Lage wären, die entsprechenden Mittel, umhandeln zu können, zur Verfügung zu haben.Das Entscheidende beim BRRD-Umsetzungsgesetz,also bei der Umsetzung der europäischen Richtlinie, diedie Abwicklung und die Sanierung von Kreditinstitutenin Europa vorsieht – das ist übrigens eine Richtlinie, diein ganz Europa gilt, weil sie eine Frage des gemeinsa-men Binnenmarkts, also des europäischen Rechts ist –,ist, dass in Zukunft im Sanierungs- oder Abwicklungs-fall mindestens 8 Prozent von Eigentümern und Gläubi-gern getragen werden müssen. Das ist die in der EU-Re-strukturierungsrichtlinie vorgesehene Mindestvorschriftfür ein Bail-in, die umgesetzt werden muss. Wir schaffenauch für den Abwicklungsmechanismus, den sogenann-ten SRM, in der Euro-Zone eine entsprechende Vor-schrift.Nach diesen 8 Prozent der Bilanzsumme, die zu-nächst von Eigentümern und Gläubigern, den Anlegernder Banken, getragen werden müssen, müssen in derEuro-Zone dann die Banken selber, also die Banken, dieder europäischen Bankenaufsicht unterstellt werden, imRahmen eines Bankenfonds Vorsorge treffen, damit imFalle eines weiteren Finanzierungsbedarfs die Finanzin-dustrie selbst dafür aufkommen kann und eben nichtmehr, wie in der Finanzkrise, der Steuerzahler. Der Sinndes Ganzen ist, dass nicht mehr die Steuerzahler das Ri-siko tragen, sondern die Banken selber: zunächst die Ei-gentümer und Anleger und darüber hinaus die Bankenselber.
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4886 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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Dieser europäische Bankenfonds, dessen Einrichtungwir ebenfalls in den Gesetzentwurf aufgenommen ha-ben, soll innerhalb von acht Jahren auf eine Summe vonetwa 1 Prozent der gesicherten Einlagen des europäi-schen Bankensystems – das sind 55 Milliarden Euro –aufgefüllt werden. Die Banken müssen dazu entspre-chende Beiträge zahlen.Die Beiträge werden durch nationale Gesetze be-schlossen. Das ist deswegen wichtig, weil wir keineRechtsgrundlage für eine europäische Bankenabgabe ha-ben. Deswegen müssen nationale Gesetze nach einheitli-chem Maßstab erlassen werden. Die Einzelheiten, wiedie Beiträge genau ausgestaltet werden, liegen nochnicht fest. Aber es ist nach den Vorschlägen der Kom-mission jetzt schon klar, dass die kleineren Institute we-niger bezahlen müssen und dass der Hauptanteil derBankenabgabe von den großen, risikorelevanten Institu-ten – so entspricht es auch dem Sinn der Regelung – ge-tragen werden muss. Das ist der entscheidende Punkt.Wir haben übrigens auch sichergestellt, dass die Insti-tutssicherung der Bankengruppen, der Sparkassen,Raiffeisenbanken und der Kreditgenossenschaften alsInstitutssicherungen anerkannt werden, so wie wir auchin der Einlagensicherungsrichtlinie, die wir im nächstenJahr beraten und beschließen müssen – sie ist nicht Be-standteil dieses Pakets –, gewährleisten werden, dass dieEinlagensicherung nicht vergemeinschaftet wird. Esbleibt bei dem Einlagensicherungssystem. Die Einlagen-sicherungssysteme unserer Banken- und Sparkassen-gruppen bleiben anerkannt. Sie müssen allerdings nochleistungsfähiger werden, damit sie im Notfall in derLage sind, die Anforderungen zu erfüllen. Diese Bemer-kung füge ich im Hinblick auf aktuelle Sorgen hinzu.Die Bankenabgabe, die in diesen europäischen Fondsaufgrund nationaler Gesetze einbezahlt wird, wirdschrittweise vergemeinschaftet. Bis die Bankenabgabeinnerhalb von acht Jahren voll einbezahlt ist, haften dieMitgliedstaaten, die die Gesetze machen und die Gesetzevollziehen müssen, dafür, dass die Banken die Abgabezahlen. Das ist entscheidend. Wir haben auf europäi-scher Ebene keine Möglichkeit, die Zahlung dieser Ab-gabe durchzusetzen. Deswegen müssen die nationalenGesetzgeber und die nationalen Regierungen in der Ver-antwortung bleiben, dass diese Regelung nicht nur be-schlossen, sondern auch angewendet wird. Das ist in Eu-ropa immer ein großes Problem.
Bis zur vollen Einzahlung der Beiträge haften also dieMitgliedstaaten.Erst wenn die Beiträge voll einbezahlt sind, gibt esauch die Möglichkeit der direkten Bankenrekapitalisie-rung aus dem europäischen Rettungssystem. Diese di-rekte Bankenrekapitalisierung aus dem europäischenRettungssystem bleibt allerdings nachrangig. Es ist in je-dem Fall so: Zunächst müssen die Eigentümer und Gläu-biger die 8 Prozent der Bilanzsumme der Bank zahlen.Danach springt die Finanzindustrie selbst zur Bankensi-cherung ein, und dann gibt es noch die Möglichkeit– Voraussetzung dafür ist aber, dass der Mitgliedstaat ei-nen Antrag stellt –, dass mit dem Mitgliedstaat die ent-sprechenden Bedingungen, die Konditionalität, verein-bart wird. Es gibt keine Mittel aus dem europäischenRettungsschirm ohne einen Antrag des Mitgliedstaatesund ohne eine mit dem Mitgliedstaat zu vereinbarendeKonditionalität. Das ist das entscheidende Element, derGrund, warum der europäische Rettungsschirm so er-folgreich gewesen ist.Wir haben durchgesetzt, dass das auch bei der direk-ten Bankenrekapitalisierung gilt, die im Übrigen nurdann infrage kommt, wenn ein Mitgliedstaat zur indirek-ten Bankenrekapitalisierung nicht in der Lage ist. Ichsage ausdrücklich: Die direkte Bankenrekapitalisierungist nachrangig. Diese Haftungskaskade haben wir sicher-gestellt.Das Entscheidende bei allen europäischen Regulie-rungen ist: Wir müssen auf all das achten, solange unseregemeinsame Währung auf einer Währungsunion beruht,die eben nicht ihre Entsprechung in einer Finanz- undWirtschaftsunion bzw. in einer politischen Union hat. Esist das Grundprinzip der Konstruktion der europäischenWährung, dass die Währung vergemeinschaftet ist undwir eine gemeinsame Geldpolitik haben, weswegen sichdie Mitgliedstaaten an die Verabredungen für die Finanz-und Wirtschaftspolitik halten sollten. Das ist vielfachGegenstand aktueller Diskussionen. Würden sich alle andas, was vereinbart worden ist, halten, hätten wir weni-ger Probleme in Europa. Auch das muss man gelegent-lich sagen.
Weil dies so ist, müssen wir Fehlanreize in Europavermeiden. Deswegen muss klar sein: Es wird niemand– ich sage das auch im Hinblick auf eine aktuelle De-batte in einem anderen Zusammenhang – eine Chancehaben, ohne die Vereinbarung von Anpassungsprogram-men in den Mitgliedstaaten, die sogenannte Konditiona-lität, auf Mittel des europäischen Rettungsschirms Zu-griff zu bekommen. Die 80 Milliarden Euro, die wir inden europäischen Rettungsschirm einbezahlt haben, sindkeine Verfügungsmasse für alle möglichen kreativenIdeen an neuen Finanzierungsinstrumenten, sondern siesind eine Vorsorge dafür, dass die europäische Währungstabil bleibt und das Vertrauen der Finanzmärkte behält.Das haben wir erfolgreich eingeführt. Der Grund für dieEinführung dieses Rettungssystems war eigentlich, dassman es hat, ohne es zu brauchen.
Genau das ist der Sinn eines Sicherungssystems: dass esnicht immer gebraucht wird. Deswegen stehen diese80 Milliarden Euro auch nicht für alle möglichen kreati-ven Gestaltungsideen in Europa zur Verfügung.
Meine Damen und Herren, damit komme ich zu mei-ner letzten Bemerkung. Wir haben, obwohl die Kon-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4887
Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble
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struktion der europäischen Währung kompliziert ist undviele am Anfang gezweifelt haben, ob sie überhauptfunktioniert – die Debatte über die Frage „Kann eineGeldpolitik mit unterschiedlichen Finanz- und Wirt-schaftspolitiken klappen?“ haben viele Ökonomen überJahrzehnte geführt –, die Vertrauenskrise gut überwun-den, weil wir ganz konsequent an dem Grundsatz „Hilfeund Solidarität gegen Hilfe zur Selbsthilfe“ festgehaltenhaben. Es geht immer um Hilfe zur Selbsthilfe.Die Geschichte der fünf Länder, die Rettungspro-gramme bekommen haben, ist eine Erfolgsgeschichte.Sie alle haben die strukturellen Reformen umgesetzt undsind auf dem richtigen Weg. Diejenigen, die heuteProbleme haben, können aus dieser Erfolgsgeschichtelernen. Es führt kein Weg daran vorbei, dass jedes Mit-gliedsland seine eigenen Reformen und Strukturanpas-sungen durchführt. Dann werden wir alle gemeinsam inEuropa Erfolg haben.Die Bankenunion, die wir mit diesen vier Gesetzenschaffen, ist ein wichtiger Schritt, um in einer Zeit vollerUngewissheiten Europa noch ein Stück stabiler undhandlungsfähiger zu machen. Deswegen bitte ich Sie umsorgfältige Beratung und am Ende um Zustimmung zudiesen Gesetzentwürfen.
Für die Fraktion Die Linke erhält nun die Kollegin
Sahra Wagenknecht das Wort.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!Wenn man sich vergegenwärtigt, was Mitglieder derBundesregierung seit 2008 erzählen und was heute zurBeratung vorgelegt wurde, dann muss man sich nichtwundern, dass immer mehr Menschen jeden Glauben andie Demokratie verloren haben.
Herr Schäuble, Sie und die Bundesregierung habenversprochen, dass Steuerzahler nie wieder für waghal-sige Geschäfte der Bankster bluten müssen. Sie habenversprochen, dass auch für Banken irgendwann das gel-ten soll, was für jeden kleinen Handwerkerbetrieb eineSelbstverständlichkeit ist: dass man für Risiken, die maneingeht, selber haften muss. Sie haben hoch und heiligversprochen, dass es kein Geld aus den Mitteln des euro-päischen Rettungsschirms ESM direkt für die Bankengeben wird, für den der deutsche Steuerzahler mit im-merhin 200 Milliarden Euro geradesteht. Das ist etwadas 15-Fache dessen, was der Bund jährlich für Bildungund Forschung ausgibt.
Herr Schäuble, entweder haben Sie bewusst gelogen,um die Menschen zu täuschen, oder Sie haben Verspre-chungen gemacht, die Sie nicht einhalten konnten. Aufjeden Fall beraten wir heute Gesetzentwürfe, die dasexakte Gegenteil dessen enthalten, was Sie den Men-schen versprochen haben.
Der Steuerzahler soll weiter bluten, und in Zukunftsoll auch noch der europäische Rettungsschirm ESM di-rekt von den Banken angezapft werden können.
Denn genau das ist doch der eigentliche Sinn dieser gan-zen Bankenunion: dass die Banker künftig auch dannihren finanziellen Giftmüll auf den Schultern der Allge-meinheit abladen können, wenn die Kapazitäten des je-weiligen Nationalstaates überfordert wären.
Das heißt, künftig haftet der Spanier nicht nur für denIrrsinn der spanischen Banken und der Deutsche nichtnur für den Irrsinn von Hypo Real Estate, Commerzbankund Co, sondern alle europäischen Steuerzahler haftengemeinsam für den Irrsinn der europäischen Finanzma-fia. Das ist ein großartiger Fortschritt. Dazu kann mander Großbankerlobby nur gratulieren. Ganz nebenbeisollen zusätzlich über den Abwicklungsfonds, den vonIhnen erwähnten Bankenfonds, Banken mit einem soli-den Geschäftsmodell wie unsere Sparkassen und Genos-senschaftsbanken Mittel zur Deckung der Verluste derUnsoliden bereitstellen. Das ist ein Konstrukt, das dieLinke ablehnt. Deswegen werden wir dagegenstimmen.
Es kommt noch schlimmer: In Zukunft soll der Bun-destag noch nicht einmal mehr befasst werden, wenndeutsches Steuergeld fließt; denn nach Ihrem Gesetzwerden dann nur noch ein paar Mitglieder des Haus-haltsausschusses informiert, die auch noch zu strikterGeheimhaltung verpflichtet sind. Das heißt, hier im Bun-destag können Sie weiterhin von schwarzen Nullen undSchuldenbremsen fabulieren, während über die Banken-hilfen des ESM die Milliarden verbrannt werden, die wirhier für Infrastruktur, für Gesundheit, für Rente und fürsoziale Ausgaben brauchen würden.
Offenbar ist das die schöne neue Welt der marktkonfor-men Demokratie, von der Frau Merkel träumt. Die SPDgibt wie immer ihre Stimme dazu.
Deswegen: Hören Sie endlich auf, die Öffentlichkeitfür dumm zu verkaufen! Sie reden von Eigentümer- undGläubigerbeteiligung. Sie suggerieren, die Banken wür-den jetzt so richtig hart angefasst. Sie haben es selber er-wähnt: Die private Haftung ist faktisch auf 8 Prozent derBilanz beschränkt. Ich glaube, viele Familien in Deutsch-land wären Ihnen ganz dankbar, wenn der Staat sie ähn-lich hart anfassen würde. Eine Haftung von 8 Prozentheißt, dass eine Familie mit 10 000 Euro Schulden ganze800 Euro selber zurückzahlen müsste, und für den Rest
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4888 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Dr. Sahra Wagenknecht
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bürgt der großzügige Staat. Aber der Unterschied ist,dass in diesem Europa mit so viel Großzügigkeit immernur die Banken und nie die Bürgerinnen und Bürgerrechnen können. Das ist absolut inakzeptabel.
Herr Schäuble, Sie haben auch nicht erwähnt: Es gibtda noch eine Klausel in den Verträgen, mit der die ge-samte Haftungskaskade ausgesetzt werden kann, wennnämlich eine „schwere Störung der Volkswirtschaft“oder eine Notwendigkeit zur „Wahrung der Finanzstabi-lität“ besteht. Dann gibt es die Möglichkeit, dass Staats-knete sofort fließt, ohne jedwede Vorbedingung. Wersich erinnert, dass die deutsche Regierung einst einemögliche Pleite der kleinen IKB zum potenziellen Aus-löser einer Kernschmelze des Finanzsystems hochfanta-siert hat, ahnt, wie groß das Scheunentor für unser allerSteuergeld ist, das allein durch diese Klausel geöffnetwird.Wer glaubt, dass der ehemalige Goldman-Sachs-Boyund künftige Oberaufseher aller Banken, Herr Draghi,den Banken jetzt so richtig auf den Zahn fühlen wird, dermuss wirklich mit Naivität geschlagen sein. Es sind dochgerade Draghis Billiggeldinjektionen, dank derer dieSpekulation heute boomt wie nie zuvor und die Invest-mentbanker wieder Rekordgewinne machen, währendder Kleinsparer seine Ersparnisse wegen Niedrigzinsenwegschmelzen sieht.Ausgerechnet den Markt für Kreditverbriefungen– einer der Hauptauslöser der letzten Krise – will Draghijetzt auch noch mit einem milliardenschweren Kaufpro-gramm beleben. Man stelle sich einmal vor: Die Lebens-mittelüberwachung in Deutschland würde den Res-taurants, in deren Küchen die Kakerlaken feiern und dasGammelfleisch stinkt, den Ankauf aller verdorbenen Le-bensmittel anbieten, bevor ihre Kontrolleure das Hausbetreten. Genau das ist es, was der große Oberaufseheraller Banken Draghi jetzt macht: Er kauft den Banken ihrGammelfleisch ab, bevor die Kontrolleure kommen,sprich: bevor der Stresstest stattfindet, und zwar auf un-sere Rechnung. Wenn Sie sagen, dass Sie damit nichtglücklich sind, dann finde ich das zwar sehr erfreulich,aber dann frage ich mich, weshalb die Bundesregierungnicht endlich interveniert, wenn solche Pläne gemachtwerden.
Die große Finanzkrise mit ihren katastrophalen Fol-gen für Wohlstand, Arbeitsplätze und Staatsfinanzen hatvor mittlerweile fast sieben Jahren begonnen. Seit min-destens sieben Jahren weiß man, dass durch laxe Vor-schriften und blinde Aufsichtsbehörden gigantischeSpielhöllen hochgezüchtet wurden und hochgezüchtetwerden, deren Geschäfte niemand mehr ernsthaft über-wachen und die im Pleitefall auch niemand geordnet ab-wickeln kann.Spätestens seitdem weiß man, dass die internationaleVernetzung dieser Spielhöllen gefährliche Kettenreaktio-nen auslöst. Man weiß, dass es unverantwortlich ist, dieErsparnisse der Bürger und die Kreditversorgung derWirtschaft solchen Spekulanten zu überlassen. Manweiß das alles; aber getan wurde nichts dagegen. Es isteher noch schlimmer geworden. Die großen Finanzhäu-ser Europas haben mit der alten Idee von Banken alsDienern der Realwirtschaft vielleicht noch so viel zu tunwie das Terrornetzwerk „Islamischer Staat“ mit der Ideeeiner friedfertigen Religionsgemeinschaft, nämlich garnichts.
Sie verkaufen uns hier eine Bankenunion als großenDurchbruch, obwohl diese Union im Kern darin besteht,dass alles weiterläuft wie bisher, nur dass die Haftungder Allgemeinheit für diesen Wahnsinn europäisiertwird. Ich glaube, das ist wirklich unerträglich.Ja, Finanzstabilität ist ein öffentliches Gut. Ebendes-halb gehört sie nicht in die Hände zockender Investment-banker.
Wir brauchen Banken, die dem Gemeinwohl verpflichtetsind und die Investitionen finanzieren, nicht solche Ban-ken, die Kasino spielen. Dafür brauchen wir endlich einePolitik,
die das Kreuz hat, sich mit der Finanzmafia anzulegen,statt ihr aus der Hand zu fressen.
Die Gesetzentwürfe, die wir heute beraten, sind leiderein Beispiel für Letzteres, und deshalb lehnt die Linkesie ab.
Das Wort erhält nun der Kollege Carsten Schneider
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichhabe mich, als Sie, Frau Wagenknecht, zum Pult gegan-gen sind, gefragt, wie jetzt eigentlich die Kritiklinie derLinkspartei sein wird.
Ich habe vermutet, dass die Kritiklinie vielleicht die ei-ner aufgeklärten Linken ist, die sagt: „Global agierendeBanken müssen wir auch global reglementieren“, dievielleicht die Vorschläge, die hier gemacht werden, fürnicht ausreichend auf internationaler Ebene hält. Aberwas ich erleben musste, war purer Populismus und einRückfall in die Politik eines Nationalstaates.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4889
Carsten Schneider
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Frau Wagenknecht, Sie sind vollkommen fernab derwissenschaftlichen und ökonomischen Debatte, wenn esum die Kontrolle der Finanzmärkte und des Bankensek-tors geht. Wir sind froh, dass die AfD nicht hier im Bun-destag sitzt. Aber: Diese Rede hätte auch ein Funktionärder AfD halten können.
Warum beraten wir nicht erst seit heute, da wir dieseGesetzentwürfe im Bundestag haben, die Frage derFinanzstabilität, der Erpressbarkeit von Staaten, der Ret-tung von Banken in der Finanzkrise der Jahre 2008/2009 ff., sondern schon seit vier Jahren immer wieder?Weil sich gezeigt hat, dass wir im Bereich der Banken-aufsicht nur national organisiert waren, überall.Wir hatten es aber mit einem globalen Bankensektorzu tun – gerade bei den großen Banken! Ich rede nichtvon den Volksbanken und Sparkassen, sondern von denLandesbanken, der Hypo Real Estate, der DeutschenBank, der Commerzbank, der Société Générale und vonvielen anderen großen, international tätigen Banken undFinanzinstituten. Deren Aufsicht konnte eben nicht mehrwirksam von Deutschland aus oder von Irland aus, wo esim Übrigen eine sehr schwache Aufsicht gab, ausgeübtwerden.Insofern ist die Antwort auf einen europäischen Bin-nenmarkt, in dem Kapitalverkehrsfreiheit herrscht und indem umfangreiche Bankgeschäfte stattfinden – was auchin Ordnung ist – nicht das Zurück zum Nationalstaat,sondern das Hin zu einer europäischen Institution, dieaus europäischem Blickwinkel nach klaren Grundsätzen– Stichworte: Haftung, Frage nach der Verantwortung –beaufsichtigt und entscheidet. Genau diesen Weg gehenwir heute ein Stück weiter. Das ist gerade für eine aufge-klärte Linke, wenn Sie es denn sind, der richtige Weg.
Ich finde es auch fatal, mit der Angst der Menschenzu spielen. Auch ich habe meine Probleme mit der Mög-lichkeit der Direktrekapitalisierung von Banken; ichkomme darauf noch zurück. Aber wir haben den richti-gen Schritt hin zur gemeinsamen Bankenaufsicht bei derEuropäischen Zentralbank getan, bei allen Problemen,die der Minister genannt hat. Man muss in diesem Zu-sammenhang sicher auch über eine Vertragsänderungnachdenken. Denn die Banken, die europaweit vernetztwaren und sind, haben bisher in Europa Geschäfte ge-macht, die wir in Teilen gar nicht gesehen haben, weildie Aufsicht zersplittert war. Dass dieser Schritt richtigist, steht außer Frage. Ich kenne niemanden mit Sachver-stand, der sagt, dass der Schritt zu einer europäischenBankenaufsicht falsch ist. Frau Wagenknecht, Sie sindauf dem Holzweg.Der zweite Schritt – den zur Aufsicht haben wir schongemacht – ist dann, dass man Banken auch zur Rechen-schaft ziehen können muss, wenn sie Geschäfte machen,die zu große Verluste bringen. Wir hatten hier in heißenDebatten 2008/09 über die Frage der Verstaatlichung derHypo Real Estate zu entscheiden. Niemand von denjeni-gen, die damals zugestimmt haben, hat das mit großerFreude getan. Aber ein Institut mit 400 Milliarden EuroBilanzsumme war ein systemrelevantes Institut. Bei derIKB konnte man durchaus anderer Auffassung sein;richtig, aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Beider Hypo Real Estate jedenfalls war es so.Wir mussten – wenige Klagen dagegen sind noch an-hängig – diese Bank vom Markt nehmen, um sie geord-net abwickeln zu können. Wir waren rechtlich aber ge-zwungen, auch noch Entschädigungen an die Aktionärezu zahlen, weil wir keine gesetzliche Grundlage für dieAbwicklung von Banken hatten. Das war ein Fehler.
Diesen Fehler bereinigen wir jetzt, indem wir ein In-solvenzrecht für Banken schaffen, indem wir eine klareHaftungsreihenfolge festlegen, wer bei Verlusten bezah-len muss. Diese Haftungsreihenfolge ist schon genannt,aber auch bereits durchexerziert worden, letztlich aufDruck der SPD und des Deutschen Bundestages, näm-lich im Fall Zypern. Das ist die Blaupause für das, wasjetzt mit den Gesetzentwürfen, die wir beraten und be-schließen werden, umgesetzt werden soll.Danach gilt: Zuerst haften die Aktionäre. Deren Geldist weg, wenn Verluste zu decken sind. Nach ihnen haf-ten die nachrangigen Gläubiger, die den Banken Darle-hen gegeben haben und dafür Zinsen bekommen. An-schließend haften die vorrangigen Gläubiger und dannauch die Einleger ab einer Einlagenhöhe von über100 000 Euro. Es ist nicht hinnehmbar, dass jemandGeld, das er angelegt hat, quasi zu 100 Prozent wieder-bekommt, aber der Steuerzahler dafür zahlen müsste.Das geht nicht. Das passiert nicht mehr. Deswegen ma-chen wir einen Strich drunter: 100 000 Euro sind ge-schützt, mit dem Rest wird auch gehaftet.Wenn eine Bank dann immer noch Verluste hat, trittder Bankenhaftungsfonds ein, der gespeist wird übereine Bankenabgabe, die wir als Sozialdemokraten schon2009 gefordert haben. Hätten wir sie damals eingeführt,dann hätten wir zum Beispiel keine Verluste aus demFall der Hypo Real Estate zu tragen. Glücklicherweisegeht es dabei nicht um die damals befürchteten bis zu480 Milliarden Euro; in Summe werden wir am Endevielleicht über 20 oder 30 Milliarden Euro reden.Der Bankenhaftungsfonds wird ein gemeinsamer eu-ropäischer Fonds. Es ist auch richtig, diesen europäischaufzustellen und nicht national. Dafür haben wir Sozial-demokraten gekämpft, weil wir eine Trennung der Risi-ken aus dem Bankensektor von denen aus dem Staats-sektor haben wollen. Wir haben doch gesehen: Nur zueinem kleinen Teil schlug die Finanzmarktkrise in eineStaatsfinanzierungskrise um, zu einem großen Teil wares eine Bankenkrise, die nur dann zu einer Staatsfinan-zierungskrise geführt hat, weil die Länder durch dieBankenrettung überschuldet waren. Irland ist das besteBeispiel; bei Spanien trifft das nicht ganz zu. DieseTrennung ist extrem wichtig, um die Staaten künftig vor
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4890 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Carsten Schneider
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Verlusten aus dem Bankensektor zu schützen, um denSozialstaat erhalten zu können. Deswegen machen wirdas so.
Wir reden jetzt und in den nächsten Tagen viel überKonjunkturprogramme auf europäischer Ebene. Daswichtigste Konjunkturprogramm ist die Bereinigung desBankensektors von faulen Krediten, das Aufstellen derBanken mit genügend Eigenkapital, damit sie wiederkreditvergabefähig werden. Das passiert jetzt.Im Oktober, parallel zu unseren Beratungen, werdendie Anlagen und Portfolien aller Banken von der EZBgeprüft und verglichen. Dann wird es auch in Deutsch-land wohl noch Überraschungen geben. Es wird einStresstest durchgeführt und geprüft: Was passiert im Kri-senfall? Ist die Bank genügend stark? Wenn sie es nichtist, wird entschieden werden müssen, ob sie geschlossen,restrukturiert oder vielleicht rekapitalisiert wird.Ich will für Deutschland sagen: Ich kann mir nichtvorstellen, dass durch diesen Test, der sehr hart seinmuss, damit die EZB bei der Bankenaufsicht Glaubwür-digkeit gewinnt, alle Banken durchkommen. Wir hattendas schon ein- oder zweimal im Zusammenhang mitStresstests der EBA, in deren Folge die Probleme hoch-kamen. Ich habe Vertrauen in die Europäische Zentral-bank, dass sie das hart testen wird.
Wir werden im Bedarfsfall dann in Deutschland ent-scheiden müssen, welches Gesetz wir in der Übergangs-zeit anwenden, das zur Abwicklung bzw. Restrukturie-rung oder das zur Rekapitalisierung. Ich glaube, dass esdie eine oder andere Bank geben kann, bei der es imZweifel besser sein wird, sie abzuwickeln, wenn eintragfähiges Geschäftsmodell eben nicht da ist, als siekünstlich am Leben zu erhalten. Liebe Kolleginnen undKollegen, auch das wird uns in den nächsten zwei, dreiMonaten beschäftigen. Das wird ein Quantensprungwerden.
Dadurch wird mehr Klarheit über die Risiken des Ban-kensektors, mehr Stabilität im Finanzbereich und – dasist letztendlich der entscheidende Punkt – ein Schutz desStaates vor den Verlusten aus dem Bankensektor ge-schaffen.Ja, auch ich hätte mir vorstellen können, FrauWagenknecht, dass – das Europäische Parlament hat dieseRichtlinie verhandelt – die geschaffenen Möglichkeitenfür Direktrekapitalisierungen, aber auch zu Eingriffen derStaaten selbst nicht in der Form eröffnet worden wären.Das ist aber ein europäischer Kompromiss. Ein Bericht-erstatter im Europäischen Parlament ist auch sehr starkin diese Richtung gegangen. Daher werden wir das aufnationaler Ebene einführen bzw. ermöglichen müssen.Ja, auch ich bin sehr skeptisch, was das Instrumentder direkten Bankenrekapitalisierung betrifft. Aber auchin diesem Fall waren Ihre Zahlen falsch. Es geht nichtum 200 Milliarden Euro. Das wird gedeckelt auf maxi-mal 60 Milliarden Euro,
für die dann alle Länder gemäß dem geltenden ESM-Schlüssels haften. Aber über jede Einzelfallentscheidungwird im Bundestag beraten und entschieden werden.Und das wird so restriktiv gehandhabt werden, dass die-ses Instrument hoffentlich nie angewendet werden wird.Wegen mir bräuchte man das auch nicht. Es wird aberwohl so sein – das beraten wir derzeit –, dass die direkteBankenrekapitalisierung aus dem ESM wahrscheinlichnie angewendet wird. Wir werden jedenfalls im Einzel-nen darüber zu entscheiden haben.Zwei Punkte sind mir noch wichtig.Erstens – das ist ein ganz entscheidender Punkt – istes mir wichtig, zu mehr Integration auf europäischerEbene, zur Vervollständigung der Währungsunion auchin Richtung einer Wirtschafts- und Fiskalunion zu kom-men. Das, was wir hier machen, reicht nicht aus; es be-trifft nur den Finanzmarktsektor.Der zweite Punkt betrifft die Einnahmeseite. Ich binder Auffassung, dass wir mehr einheitliche bzw. gemein-same Politik auf europäischer Ebene brauchen, damitdas Steuerdumping und die Steuerhinterziehung aufhö-ren.Hinsichtlich der Bankenabgabe stellt sich allerdingsauch die Frage, wer diese in welcher Höhe und aufgrundwelcher Risiken zahlt. Wir sind dafür, dass die DeutscheBank grundsätzlich mehr zahlen muss als die Sparkas-sen, weil sie ein gefährlicheres Geschäftsmodell hat.Unbeantwortet bleibt hier in Teilen die Frage des „toobig to fail“ einer zu großen Bank. Dass aber die Banken-abgabe, die gezahlt wird, in Deutschland nicht steuerlichabzugsfähig ist – das heißt, der Steuerzahler zahlt bei ei-ner Inanspruchnahme letztendlich nicht ein Drittel durchein geringeres Körperschaftssteueraufkommen mit –, istrichtig. In anderen europäischen Ländern wird aber nichtso verfahren, sondern dort ist die gezahlte Bankenab-gabe steuerlich abzugsfähig. Es gibt zum Teil allerdingsauch höhere Bankenabgaben, beispielsweise in Öster-reich.Ich finde – das will ich für die SPD-Fraktion klar sa-gen –, dass es klar sein muss, dass, bevor es weitere Inte-grationsschritte gibt – auf der Ausgabenseite sind vieleLänder immer schnell dabei –, der Wettbewerb zulastender Steuerzahler um die niedrigsten Steuersätze aufhörenmuss. Dieser Wettbewerb muss gestoppt werden.
Deswegen, Herr Bundesfinanzminister, haben Sie dabeiunsere volle Unterstützung, was eine Vereinbarung aufdem G-20-Gipfel – ich nenne das Stichwort BEPS – be-trifft, was die Bankenabgabe betrifft, aber auch, was denKampf gegen diejenigen betrifft, die von den Rettungs-maßnahmen enorm profitiert haben, nämlich die Speku-lanten und ihre Spekulationsgeschäfte. Wir erwarten bis
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Carsten Schneider
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Ende des Jahres klare Schritte in Richtung einer Finanz-transaktionsteuer. Wenn dies nicht entscheidend voran-geht, dann müssen wir uns überlegen, diese national ein-zuführen.Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurfemanzipiert den Staat vom Bankensektor. Geschäfte indiesem Sektor werden sicherer werden. Diejenigen, diediese Geschäfte machen, werden weniger Gewinne er-zielen und im Zweifel für die Verluste haften. Ich finde,das tut einer sozialen Marktwirtschaft gut.Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nunder Kollege Gerhard Schick das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DerBundesfinanzminister hat seine Ausführungen mit demHinweis darauf begonnen, dass eines der Kernproblemebei der Euro-Staatsschuldenkrise war, dass die einzelnenMitgliedstaaten für die Rettung ihrer Banken zuständigwaren, dass also aus Bankenschulden Staatsschuldenwurden. Da stimme ich mit ihm völlig überein. Das istein zentrales Problem, das die Steuerzahlerinnen und dieSteuerzahler in Europa viele, viele Milliarden gekostethat, uns noch bis heute beschäftigt und die Haushalteauch noch zukünftig belasten wird.Man muss aber wissen, dass der Zusammenhang zwi-schen den Bankproblemen und den nationalen Haushal-ten in der Euro-Zone nicht zwangsläufig so hätte seinmüssen oder gar vom Himmel gefallen ist. Es war 2008vielmehr eine politische Entscheidung, dass es so seinsollte. Im Herbst 2008, als die Bankenkrise auf einen ih-rer Höhepunkte zusteuerte, hat die niederländische Re-gierung nämlich einen Vorschlag gemacht und eine euro-päische Lösung aufgezeigt, wie man ein gemeinsamesBollwerk gegen die wackeligen Finanzmärkte schaffenkönnte. Damals hat es viel Unterstützung für diesen Vor-schlag gegeben, aber eine Regierung hat Nein gesagt:die deutsche Bundesregierung unter Angela Merkel. Esist überliefert – sehr gut dargestellt in dem Buch vonCerstin Gammelin und Raimund Löw –, dass NikolasSarkozy bei den Verhandlungen Anfang Oktober 2008sehr enttäuscht über Angela Merkel und ihr Nein war– ich zitiere –:Bei der Verabschiedung … an den Stufen des Ély-sée lässt er seiner Enttäuschung freien Lauf: „Wennwir keine europäische Lösung zusammenbringen,dann wird das ein Debakel sein“, klagt Sarkozy …„Aber nicht meines, sondern Angelas Debakel …Und weiter:Angela Merkel habe im Élysée-Palast schlichtJohann Wolfgang Goethe zitiert: „Ein jeder kehr’vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier“.Das war die Logik 2008. Wir haben in den letztenJahren gesehen, wie sauber der Bankensektor in Europageworden ist. Bis heute ist er voll von Schmodder, weilman damals dem genannten Prinzip der deutschen Bun-desregierung gefolgt ist. Und dafür müssen Sie auchVerantwortung übernehmen.
Es ist ja toll, sich als Kanzlerin immer als große Ma-nagerin und Retterin und als Finanzminister als großerEuropäer darzustellen. An dieser Stelle haben Sie zumSchaden ganz Europas antieuropäisch gehandelt. Unddas belastet uns bis heute.
Jeder einzelne Staat sah sich nämlich gefangen in derLogik: Wenn ich meinen Banken kein Steuergeld gebe,dann fließt das Geld aus meinem Finanzsektor ab, unddann ist das für meine Wirtschaft ein großes Problem.Diese Logik hat alle Staaten gezwungen, entsprechendzu handeln. Wenn man dies anders gemacht hätte, wärevieles anders gelaufen.Nun kann man sagen: Das ist vergossene Milch. Aberdas Problem ist, dass Sie aus dem Fehler von damalsnichts gelernt haben, sondern in den Jahren bis 2012, alsdas ganze Desaster, das Nikolas Sarkozy vorhergesagthat – Angelas Desaster –, eingetroffen ist, immer nochgegen die Bankenunion gearbeitet haben und alles getanhaben, dass sie nicht kommt. 2012 sind sie nur durch denDruck der anderen europäischen Regierungen gezwun-gen worden, dem zuzustimmen, was Sie heute vorlegen.Sie haben das nie gewollt.
Es geht noch weiter: Sie haben nachher in den Ver-handlungen alles getan, damit man gemäß dieser fal-schen Logik weiterarbeitet. Die Bankenunion tritt auf-grund der Verhandlungen der Bundesregierung später inKraft, als sie in Kraft treten könnte. Deswegen bleibendie Steuerzahler noch länger im Risiko, als es nötigwäre. Auch das ist ein Fehler, der Ihnen anzukreiden ist.
Und Sie haben dafür gesorgt, dass der Abwicklungs-fonds noch viele Jahre, nämlich noch bis 2024, nationaleAbteilungen und nationale Verantwortung hat und damiterst später ein wirkliches europäisches Konstrukt ent-steht.Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehenlassen: Sie begannen Ihre Rede mit der Fehleranalyse,indem Sie sagten: Dass die nationalen Haushalte verant-wortlich sind für die Banken, ist eines der zentralen Pro-bleme. – In Verhandlungen haben Sie sich jedoch dafüreingesetzt, dass die nationalen Haushalte noch längerverantwortlich sind für die Bankenrettung. Das passtdoch überhaupt nicht zusammen.
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4892 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Dr. Gerhard Schick
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Sie bleiben aber auch, leider, bei dem Vorliegendenan ein paar Stellen in einer zweiten gefährlichen Logik.Wenn Banken Schwierigkeiten haben, kann man entwe-der sagen, man rettet sie – im Zweifelsfall mit Steuergel-dern –, oder, man wickelt sie ab. Der Grundsatz des jetztvorliegenden Gesetzentwurfes ist richtig. Wir wollen inZukunft abwickeln. Es gibt allerdings drei Stellen, an de-nen dieser Grundsatz leider nicht durchgesetzt wird, son-dern Sie in der alten, falschen Logik bleiben:Erstens. Es gibt eine Klausel – darauf ist schon hinge-wiesen worden –, die regelt, dass man, wenn es eine Ge-fahr für die Finanzmärkte gibt, doch wieder retten kann.Genau diese Begründung musste immer wieder für dieBankenrettungen in Irland, Spanien und Zypern herhal-ten. Insofern ist es eine sehr gefährliche Lücke.Zweitens bei der Frage der direkten Bankenkapitali-sierung. Es ist ja richtig, dass es irgendwo das gibt, wasExperten einen Backstop nennen, also sozusagen eineMöglichkeit, im Zweifelsfall noch einzugreifen. Aber dagibt es jetzt zwei verschiedene Wege: Der eine Wegwäre, eine Kreditlinie für den Abwicklungsfonds festzu-legen, sodass der ESM den Banken Geld ausleihen kann,das sie später zurückzahlen müssen. Die Verantwortungbliebe so bei den Banken. Vor allem bliebe man so in derLogik des Abwicklungsfonds und seiner Expertise, dassBanken wirklich abgewickelt würden. Oder man kann eswie Sie über die direkte Bankenkapitalisierung machen.Dann wird wieder Steuergeld ins Schaufenster gestellt.Das wollen wir nicht.
Da sind Sie in der alten, falschen Logik.Drittens wird der Grundsatz nicht auf nationalerEbene umgesetzt. Warum wird jetzt die Bankenrettungin Deutschland gemäß der alten Logik, dass man Steuer-geld ins Schaufenster stellt, noch einmal verlängert? Wa-rum denn? Sie haben doch gerade gesagt, dass es richtigist, Banken abzuwickeln. Warum wollen Sie in Deutsch-land noch einmal die Möglichkeit schaffen, im Zweifels-fall Steuergeld für die Bankenrettung einzusetzen? WirGrünen sind überzeugt: Das Prinzip „Wenn eine Bankein Problem hat, löst man es mit Steuergeld“ muss end-lich der Vergangenheit angehören.
Es gibt noch eine Reihe von Fragen zur Ausgestal-tung: Kann das Europäische Parlament überhaupt kon-trollieren, was dieser Fonds macht? Wie ist die Banken-abgabe im Einzelnen ausgestaltet? Das werden wirdiskutieren müssen.Insgesamt aber ist das Projekt einer europäischenBankenunion richtig. Wir Grüne haben das seit langemgefordert. Wir müssen heute feststellen, dass der Finanz-minister das, was er heute vorlegt, nie gewollt hat. Aberes ist gut, dass er sich nicht durchgesetzt hat.Danke schön.
Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Ralph
Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenschon eine drollige Opposition: Die Grünen zitierenNicolas Sarkozy als ihren Kronzeugen,
und die Linken halten eine Rede, die beim Kongress dereuropäischen Rechtspopulisten für viel Beifall gesorgthätte.
Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen las-sen.
Frau Wagenknecht, wenn Sie sagen, dass in den letz-ten fünf Jahren im Bereich der Regulierung nichts pas-siert ist, dann bedeutet dies, dass man entweder bewusstdie Wahrheit verschweigt oder dass man so redet, weilman in den vergangenen fünf Jahren verdammt oft ge-fehlt hat.
Dementsprechend kann ich Ihnen nur eines sagen: KeineRegierung hat so viel am Finanzmarkt reguliert wiediese Regierung und die Regierung davor – über 30Maßnahmen.Herr Schick, Sie sagen, Sie hätten es immer schon ge-wusst. Ich sage Ihnen: Wir waren die Ersten, die einBankenrestrukturierungsgesetz auf den Weg gebrachthaben, und zwar 2010
Dieses Restrukturierungsgesetz ist die Blaupause fürdas, was nun in Europa entwickelt worden ist. Wir habendamit Maßstäbe gesetzt.
Meine Damen und Herren, heute ist ein Tag, an demwir auf das kernsanierte Haus der europäischen Banken-regulierung das Dach setzen. Denn die Bankenunion istdas Dach; sie ist fürchterlich wichtig, denn ohne siefunktioniert das ganze System nicht. Ist das Dach un-dicht, dann ist auch das Haus nicht gut gebaut. Dement-sprechend freue ich mich, dass wir es geschafft haben,heute die entsprechenden Gesetzentwürfe in den Deut-schen Bundestag einzubringen.Aber die Begeisterung – wir haben es gehört – hältsich an vielen Stellen in Grenzen, aus ganz unterschied-
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Ralph Brinkhaus
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lichen Motiven. Aber dahinter steht etwas, was leider zueinem Grundaxiom der Politik am rechten und auch amlinken Rand geworden ist. Das ist etwas Neues, das istetwas anderes, das ist etwas Internationales, und – dasist, glaube ich, den Menschen gemein – etwas Neuessehe ich erst einmal skeptisch. Früher war doch eh allesbesser. Warum können wir nicht die schöne alte Weltvon früher zurückhaben? – Das hören wir in ganz vielenPolitikbereichen. Insbesondere die Rechten sagen: Frü-her war doch irgendwie alles viel einfacher. Da konnteman zwischen Gut und Böse unterscheiden. Griechen-land und Spanien waren höchstens relevant, wenn dasUrlaubswetter schlecht war. Der Fremde kam aus derNachbarschaft. Der Maschinenbauer hat maximal nachHolland geliefert. Alles war ganz fürchterlich einfach.Es wird nun suggeriert, dass wir diese einfache Weltwieder zurückbekommen könnten und dass wir uns aufden nationalen Bereich zurückziehen könnten. Dabeiwird verkannt, dass sich die Welt in der Zwischenzeitverändert hat, und zwar verdammt schnell.Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der Politik ist, denMenschen zu suggerieren, dass alles wieder wie früherund einfacher werden kann. Die Aufgabe der Politik istes vielmehr, sich den Herausforderungen dieser verän-derten Welt zu stellen. Genau das haben wir im Bereichder Finanzmarktregulierung gemacht. Wir haben ausdem gelernt, was 2008 passiert ist. Wir sind Schritt fürSchritt in die richtige Richtung gegangen. Heute setzenwir das Dach auf die ganze Geschichte; und das ist allerEhren wert. Man muss hinzufügen: All das ist in einerGeschwindigkeit vollzogen worden, die in der Ge-schichte der Regulierung weltweit ihresgleichen sucht.Auch das ist aller Ehren wert, und das sollte man an die-ser Stelle auch einmal sagen.
Dass sich die Welt verändert hat, das kann man amBeispiel Banken jedermann sehr gut und plastisch klar-machen. Früher war alles sehr einfach. Früher gab es diekleine Bank vor Ort. Der Sparkassendirektor wohnte inder Nachbarschaft. Die Kredite wurden an den Hand-werker oder Häuslebauer im Ort vergeben. Es gab keineDerivate, keinen Hochfrequenzhandel, keine internatio-nal agierenden Börsen. Alles war schön und einfach.Aber dann ist Folgendes passiert: Die Sparkassen undVolksbanken haben auf einmal so viel Geld eingesam-melt, dass sie es in ihren Städten und auch im Land nichtmehr unterbringen konnten, und sind dann an die inter-nationalen Kapitalmärkte gegangen. Dann hat der Mit-telständler irgendwo in den USA eine Tochtergesell-schaft gegründet; das musste bankenmäßig abgedecktwerden. Dann wurden Produkte in Länder exportiert, diewir vorher nicht kannten, und es mussten Devisen- undWährungsrisiken abgedeckt werden. Das war die neueWelt.Zur Wahrheit gehört dazu, zu sagen: Einige Leutesind auf die Idee gekommen, dass man mit Garantienund Derivaten auch handeln kann, ohne dass man denMittelständler und Häuslebauer braucht. Das war dieneue Bankenwelt, die am Ende des Tages entstanden ist.Dieser neuen Bankenwelt müssen wir uns stellen, hiermüssen wir für Regulierung sorgen. Das haben wir ge-macht. Nur zu sagen: „Da gibt es eine ganz einfache Lö-sung“, oder, um den Wagenknecht’schen Wortbaukastenzu verwenden: „Das sind Zombies und Zocker! Es gibtAbgründe“, das ist toll für Volksreden hier im DeutschenBundestag, aber das bringt uns kein Stück weiter.Ich würde mit Ihnen gerne über die Inhalte diskutie-ren. Sie haben es rudimentär angesprochen: Die 8 Pro-zent, die die Bail-in-fähigen Gruppen leisten müssen,sind Ihnen nicht genug. 8 Prozent hätten aber in der altenFinanzkrise in den meisten Fällen ausgereicht. Das ge-hört auch zur Wahrheit dazu.Lassen Sie uns uns doch einmal über die Mechanis-men unterhalten, wann wer wie wo einen Sanierungs-und Abwicklungsplan erstellen muss. Lassen Sie uns unsdoch einmal über die Mechanismen unterhalten, werwann wo wie was entscheidet.
Lassen Sie uns uns doch einmal über die Mechanismenunterhalten, wer wann wie wo feststellt, welcher Teil ei-ner Bank systemgefährdend ist und welcher Teil einerBank nicht systemgefährdend ist. Darüber müssen wiruns unterhalten. Genau hier anzusetzen, das wäre seriöseOppositionsarbeit. Aber es ist keine seriöse Oppositions-arbeit, wenn man hier Volksreden hält, die im Übrigennicht einmal richtig waren.
Ich will damit nicht sagen, dass das, was hier vor sichgeht, nicht zu kritisieren ist. Die entsprechenden Punktesind angesprochen worden, auch vom Finanzminister.Die EZB ist nicht sakrosankt. Es ist nicht alles richtig,was sie macht. Da kann man auch durchaus einmal sa-gen: Das passt uns nicht.Natürlich muss die EZB im Zuge dieses Aufsichts-prozesses Vertrauen aufbauen. Im Zusammenhang mitden Stresstests ist das nicht immer gut gelungen; das hatder eine oder andere Kollege bereits angesprochen. Na-türlich müssen wir uns immer wieder fragen – übrigensviel früher als heute hier im Bundestag –: Sind die ge-troffenen Regeln wirklich gut? Das haben wir gemacht.Wir haben gemeinsam mit den Kollegen der SPD inten-siv mit unseren europäischen Kollegen gesprochen, da-mit genau das nicht passiert, was befürchtet wird, näm-lich dass die Sparkassen und Volksbanken die Zechezahlen. Das ist unsere gemeinsame Initiative gewesen.Dafür haben wir gesorgt, meine Damen und Herren. Dawerden wir auch weiter dranbleiben.Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Regulierung,die wir vornehmen, immer besser wird. Es gibt ganzviele Ansatzpunkte für Kritik. Aber ich will dafür wer-ben, dass wir in der Sache kritisieren und uns auf Detailseinlassen. Denn eines haben wir im Zuge der Finanz-marktregulierung gelernt: Es gibt nicht den großen grü-nen Knopf, auf den man drückt, und dann wird alles gut,sondern es sind Hunderte von kleinen Maßnahmen nö-tig. Es handelt sich um Gesetzespakete, die 500 bis
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4894 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Ralph Brinkhaus
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600 Seiten umfassen, die man sich durchlesen muss undbei denen man an kleinen Schräubchen justieren muss.
All das vermisse ich bei ganz vielen von der Opposition.Ich kann Sie wirklich nur bitten: Nutzen Sie diesenGesetzgebungsprozess dazu, mit uns darüber zu disku-tieren, wie man die vier vorliegenden Gesetzentwürfegut bzw. besser machen kann. Nutzen Sie die Zeit aberauch dazu, zu überlegen, wie wir uns in all die Prozesseder europäischen Bankenregulierung noch stärker undfrüher einbringen können. Richtig ist nämlich auch: Einehundertprozentige Sicherheit haben wir nicht. Richtig istauch: Wir müssen noch ziemlich viel arbeiten, bis dieBankenregulierung so ausgestaltet ist, dass wir den Bür-gerinnen und Bürgern sagen können, dass sie als Steuer-zahler tatsächlich nicht mehr für Banken haften müssen,dass wir den Bürgerinnen und Bürgern sagen können,dass Banken ein ganz normaler Teil des Wirtschaftssys-tems wie die Automobilindustrie, der Handwerker undviele andere auch sind, dass wir den Bürgerinnen undBürgern sagen können: Ja, eine Bank kann in die Insol-venz und in die Abwicklung gehen, ohne dass dadurchdas gesamte Finanzsystem oder ganze Volkswirtschaftenin den Abgrund gerissen werden.Wir gehen heute einen ganz wichtigen Schritt in dieseRichtung. Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratun-gen in der Sache, und zwar ohne irgendwelche Volksre-den. Ich denke, das kriegen wir gut hin.Danke schön.
Axel Troost ist der nächste Redner für die Fraktion
Die Linke.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wiralle erinnern uns noch daran, wie wir vor ein paar Jahrenhier gestanden und ein Bankenrettungspaket nach demanderen durchgezogen haben. Sicherlich dienten dieheutigen Lobreden in Bezug auf das, was wir beratenund verabschieden sollen, auch dazu, noch einmal deut-lich zu machen, wie unwürdig das damalige Verfahrengewesen ist und dass sich nun alle bemühen, dass so et-was nicht mehr zustande kommt. Ich glaube auch, dasses sich heute keine Regierung und keine Regierungsfrak-tion mehr leisten kann, noch einmal so vorzugehen, wiedas damals der Fall war.
Wir haben gesehen, dass eine Bankenkrise in der Tatnicht allein auf nationaler Ebene zu lösen ist und dassbei Abwicklungen aufgrund verschiedener Regelungenin den jeweiligen Ländern natürlich erheblicher Abstim-mungsbedarf besteht. Insofern glaube ich, dass ein euro-päisches Abwicklungssystem vom Prinzip her erst ein-mal sinnvoll ist. Es muss aber eben auch funktionieren.Um im Bild vom Kollegen Brinkhaus zu bleiben: Wennam Schluss das Dach fehlerhaft ist, dann hat man ebeneinen Dachschaden.
Das könnte das Problem sein, über das wir hier noch re-den müssen.Ich möchte zumindest zwei Punkte aus einer Reihevon Punkten ansprechen, die für meine Begriffe völligungelöst sind:Erster Punkt. Einige Banken sind nach wie vor we-sentlich zu groß, zu komplex und zu vernetzt. Ichmöchte das am Beispiel der Deutschen Bank aufzeigen.Die Deutsche Bank hat sich innerhalb des Finanzsystemsmit 250 Milliarden Euro verschuldet. Sie hat ihrerseitsForderungen gegen andere Banken in einer Größenord-nung von 300 Milliarden Euro. Solche Forderungenkann man nicht vernünftig abwickeln, ohne dass manSchneeball- bzw. Dominoeffekte auslöst. Wenn man be-denkt, dass wir allein in der Euro-Zone zehn Banken ha-ben, die eine Bilanzsumme von über 1,5 Billionen Euroaufweisen, dann muss man an diese Banken heran undschauen, dass man sie auf ein vernünftiges Maß verklei-nert. Das muss man dann wirklich auch erzwingen.
Es handelt sich dabei in der Tat um einen kompliziertenProzess, bei dem man sich mit der Finanzbranche anle-gen muss. Darum kommt man aber nicht herum.Kollege Brinkhaus, wir beide waren damals in NewYork in der Filiale der Deutschen Bank und waren unseinig: Ein Konstrukt mit der Größenordnung wie dieDeutsche Bank kriegt man weder als kapitalistischesnoch als vergesellschaftetes Unternehmen vernünftig ge-managt. Insofern müssen wir an diese Größenordnungenheran. Denn man merkt, dass in der Branche die Zocke-rei schon wieder überall angefangen hat.
Zweiter Punkt. Die Idee eines europäischen Abwick-lungssystems hört sich gut an, wenn es auch alle Stand-orte erfasst. Von den 40 großen europäischen, grenzüber-schreitenden Bankengruppen agieren aber nur5 Bankengruppen in Staaten der Bankenunion. Im Rah-men unseres Besuches in Großbritannien haben uns Ver-treter der Finanzbranche und auch die Abgeordnetendort gesagt: Gute Idee mit der europäischen Banken-union. Aber nicht mit uns.
Zu Deutsch: All die Banken, die in London, dem größtenBörsenplatz, in erheblichem Umfang aktiv sind – dassind fast alle großen –, sind nicht in vollem Umfang imBereich der Bankenunion erfasst. Das heißt: In Krisen-fällen wird man vor dem Problem stehen, wie man dasbritische Geschäft vom Restgeschäft abgrenzt, um das
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4895
Dr. Axel Troost
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Risikogeschäft in den Griff zu bekommen. Insofernglaube ich, dass es noch erhebliche Schwächen gibt, dieaus dem hektischen Schritt resultieren, die EZB für dasGanze zuständig zu machen.Ein letzter Punkt, der für mich ganz zentral ist, ist dieFrage der Bankenabgabe, also des Aufbaus des Banken-rettungsfonds. Diesbezüglich ist noch nichts entschie-den, aber es zeichnet sich ab, dass in ganz erheblichemUmfang auch kleine Banken herangezogen werden, alsokleine Sparkassen und kleine Genossenschaftsbanken.Diese haben nichts mit diesem Fonds zu tun, weil sieerstens im Zweifelsfall überhaupt nicht gerettet, sondernabgewickelt würden, weil sie zweitens eigene Siche-rungssysteme haben, die aber einfach nicht zur Kenntnisgenommen werden, und weil sie drittens ein Geschäfts-modell haben, das dafür sorgt, dass sie solche Problemegar nicht erst bekommen. Ich spreche in diesem Zusam-menhang von den Sparkassen, nicht von den Landesban-ken.
– Das hat doch damit nichts zu tun. Die Landesbankensollen doch die Abgabe zahlen. Aber deswegen mussdoch nicht auch die kleine Sparkasse zahlen, die damitnichts zu tun hat.
Deswegen müssen auch wir als deutsches Parlamentnoch einmal deutlich machen, dass nicht die Falschenzur Finanzierung von Großzockerbanken herangezogenwerden dürfen, sondern die Kleinen weitestgehend be-freit werden müssen. Das ist ein ganz großes Anliegender Sparkassen und der Kreditgenossenschaften.Danke schön.
Herr Kollege, ich entnehme Ihrem Beitrag vor allen
Dingen die ermutigende Auskunft, dass gemeinsame
Dienstreisen von Ihnen und dem Kollegen Brinkhaus zur
Beförderung gemeinsamer Einsichten erheblich beitra-
gen können.
Nun hat der Kollege Zöllmer für die SPD-Fraktion
das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Einkluger Mann hat einmal gesagt: Für jedes komplexe Pro-blem gibt es eine einfache Lösung, und die ist falsch. –Liebe Frau Wagenknecht, mit billigem Talkshowpopu-lismus aus der Phrasendreschmaschine kann man kom-plexe Probleme nicht lösen.
Die Probleme, mit denen wir es zu tun haben, sindwirklich komplex. Ich darf noch einmal daran erinnern:Von 2008 bis 2012 musste das Finanzsystem in Europamit 1,5 Billionen Euro vor dem Kollaps bewahrt werden.Die Finanzkrise hat eine tiefe Rezession ausgelöst, derenFolgen in vielen Ländern im Süden bis heute nicht über-wunden sind. Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordniveaugestiegen. Viele Menschen haben dramatische Wohl-standseinbußen erlitten. Von der Finanzkrise ging esdann nahtlos über in die Staatsschuldenkrise. Das Ver-trauen in die Stabilität des Finanzsystems ist bei vielenMenschen nach wie vor erschüttert. Deswegen ist es sowichtig, Problemlösungen zu präsentieren.Die Lehre, die wir aus der Finanzkrise gezogen ha-ben, war: Eine solche Krise darf sich nicht wiederholen,die Finanzmärkte müssen eingefangen werden, sie brau-chen Leitplanken, und nie wieder soll der Steuerzahlerdie Zeche für die Gier von Bankern zahlen müssen.
Die Banken waren, wie man das auf Englisch sagt,„too big to fail“, also zu groß, um pleitezugehen, weildamit unkalkulierbare Risiken für das gesamte Finanz-system verbunden waren und damit Risiken für alleMenschen.
Das hat mit Marktwirtschaft nichts zu tun, aber viel mitzu großer wirtschaftlicher Macht. Diese Banken habensich der nationalen Kontrolle entzogen; denn sie agiereneuropaweit und weltweit. Wir hatten damals eine natio-nale Bankenaufsicht. Dies war nicht mehr vernünftig.Die Bankenaufsicht konnte die Funktion nicht adäquaterfüllen. Die Krise hat das mit aller Deutlichkeit gezeigt.Deshalb sollte, deshalb musste eine Bankenunion inEuropa errichtet werden. Das war von Anfang an dieForderung von uns Sozialdemokraten. Der KollegeSchick hat eben deutlich gemacht, dass der Weg dahinetwas holprig war, aber jetzt haben wir sie. Der Banken-sektor musste stabilisiert werden, damit die Folgen vonwirtschaftlichem Fehlverhalten beherrschbar bleiben.Nicht der Steuerzahler, sondern der Eigentümer und derGläubiger sollen und müssen zukünftig die finanziellenFolgen tragen. Das haben wir als Sozialdemokraten vonAnfang an gefordert.Mit dem vorliegenden Gesetzespaket soll diese For-derung nun schrittweise umgesetzt werden. Eine grund-legende Neugestaltung des Regulierungs- und Aufsichts-rahmens des Finanzsektors soll nun Realität werden. Esgeht dabei um eine gemeinsame Bankenaufsicht sowieum einen gemeinsamen Rahmen für die Sanierung undAbwicklung von Kreditinstituten.
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Manfred Zöllmer
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Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bankenunionist ein wirklicher Quantensprung der Integration derFinanzmärkte, ein neues Stück Europa,
eine wirkliche Integrationsrevolution. Sie war vor zehnJahren noch völlig undenkbar.Die Bankenaufsicht für systemrelevante große Insti-tute soll zukünftig von der EZB übernommen werden.Der Finanzminister hat eben ausgeführt, dass es nichtganz einfach ist, Geldpolitik und gleichzeitig Banken-aufsicht zu betreiben. Wir brauchen eine adäquate Tren-nung dieser beiden Bereiche, und wir brauchen die Per-spektive, dass die Bankenaufsicht in Zukunft wieder ausder EZB herausgelöst und in eine eigenständige Behördeüberführt wird.
Die Bankenaufsicht muss so gestaltet werden, dass sieschlagkräftig ist, dass sie leistungsfähiger ist und überden notwendigen Biss verfügt. Dazu ist eine enge Ko-operation mit den nationalen Aufsehern notwendig.Dazu brauchen wir klare Schnittstellen sowie klare Zu-ständigkeiten und Verantwortlichkeiten auf beiden Sei-ten. Das gilt für die EZB, das gilt in Deutschland für dieBaFin und genauso für die Bundesbank.Wer Banken sanieren und abwickeln muss und will,braucht dazu Geld, im Regelfall viel Geld. Wir wollen,dass dieses Geld zukünftig nicht mehr vom Steuerzahleraufgebracht wird. Ein zentrales Instrument in diesemZusammenhang ist der Bankenhaftungsfonds. Er sollvon Beiträgen der Banken gespeist werden. Der Fondssoll nach einer Übergangsfrist in acht Jahren mit einemVolumen von 55 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.Die Ausgestaltung der Beiträge, die die Banken zu leis-ten haben, wird durch einen delegierten Rechtsakt aufeuropäischer Ebene festgelegt. Ohne ein faires Systemder Bankenabgabe – das sage ich hier mit aller Deutlich-keit – wird es allerdings keine Zustimmung meiner Frak-tion zu dem Gesamtpaket geben. Das ist für uns ein ganzwichtiger Punkt.
Banken mit hohem Risiko müssen den Löwenanteilder Mittel aufbringen. Wer höhere Risiken hat, muss hö-here Abgaben zahlen. Das bedeutet auch, dass diese Bei-träge – ein Kollege hat vorhin darauf hingewiesen –nicht von der Steuer abgesetzt werden dürfen.
Auch hier muss die Eigenverantwortung der Instituteund darf nicht der Steuerzahler das Maß aller Dinge sein.Wir haben gehört, dass es eine Haftungskaskade gibt.Bevor diese Mittel in Anspruch genommen werden,müssen die Anteilseigner und Gläubiger die Verluste biszu einem Gesamtvolumen von 8 Prozent der gesamtenVerbindlichkeiten nebst Eigenmitteln tragen. Mit dieserHaftungskaskade wird das Ziel einer Entlastung desSteuerzahlers umgesetzt. In Deutschland wird dieFinanzmarktstabilisierungsanstalt die Sanierung und Ab-wicklung für eine Übergangszeit durchführen. Danachwird das Ganze in die BaFin überführt und dort als soge-nannte Anstalt in der Anstalt angesiedelt.Wir werden im Beratungsprozess dieser Gesetzent-würfe über eine ganze Reihe von Fragen zu diskutierenhaben. Dabei geht es um die Frage eines möglicherweisezwangsweisen Rechtsformwechsels in einer Krisensitua-tion. Das betrifft Sparkassen und Genossenschaftsban-ken. Wir werden uns mit diesem Thema intensiv aus-einandersetzen und dies prüfen müssen.Zusammenfassend möchte ich deutlich machen: Mitdiesem Gesetzespaket wird eine neue Ära eines refor-mierten Finanzsektors begonnen. Er wird sicherer undstabiler sein. Im Falle einer Krise werden zukünftig derEigentümer und der Gläubiger und wird nicht mehr derSteuerzahler zur Kasse gebeten. Auch Banken könnendann abgewickelt werden. Dieser Bereich wird dannkeine marktwirtschaftsfreie Zone mehr sein, und das istauch gut so.
Der Kollege Sarrazin bekommt als nächster Redner
das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Zunächst nachträglich herzlichen Glückwunschzum Geburtstag an Bundesminister Schäuble. Ichglaube, Ihnen auch zur Ausgestaltung der Bankenunionzu gratulieren, ist vielleicht richtig; Sie sind schon einechter Europäer. Aber Ihnen dazu zu gratulieren, dassSie den größten Anteil an der am Ende inhaltlich vielbesser gewordenen Ausgestaltung hatten, das wäre zuviel des Lobes. Sie haben bei diesem wichtigen Themalange Zeit zu bremsen versucht und allein darauf gedrun-gen, dass wir jetzt unter anderem einen Gesetzentwurfvorliegen haben, um eine völkerrechtliche Vereinbarungzur Ausgestaltung der Bankenunion, des Abwicklungs-fonds und des Abwicklungsmechanismus zu ratifizieren.Das haben Sie durchgesetzt mit einer Interpretationdes Gemeinschaftsrechts, die exklusiv Sie hatten. Sie ha-ben diesen Weg gewählt, um die Abgeordneten desEuropäischen Parlaments, die in diesem Fall durchge-setzt haben, dass nationale Bankenrettungsinteressennicht mehr Vorrang haben können vor europäischen Inte-ressen, auch Gläubiger zu beteiligen, in den Verhandlun-gen zu negieren. Das ist Ihnen nicht gelungen. Die euro-päischen Abgeordneten haben Ihnen mehr abverhandelt,als Sie wollten, und, ganz nebenbei, mehr als die 27 an-deren Finanzminister. Von daher gratuliere ich Ihnen,Herr Minister, zum Geburtstag, und ich gratuliere unse-ren Kollegen im Europäischen Parlament dazu, dassheute im Bundestag damit begonnen wird, etwas durch-zusetzen, an dem sie einen wichtigen Anteil hatten.
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Manuel Sarrazin
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Das Prinzip ist doch eigentlich ziemlich logisch: Wirbrauchen die Bankenunion auch, um die wirtschaftlicheErholung in den Ländern, in denen die Krise besondersschlimm zugeschlagen hat, voranzubringen. Wenn vorallem kleine und mittelständische Unternehmen nichtmehr Zugang zu den Finanzmärkten haben, nicht mehrKredite verlängern können, dann werden Menschen ar-beitslos. In Portugal sind 90 Prozent der Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer in Betrieben beschäftigt, indenen weniger als neun Menschen arbeiten. Geradediese Betriebe haben jetzt Probleme, an Kapital zu kom-men. Das führt dazu, dass Menschen nicht mehr in Ar-beit, nicht mehr in Ausbildung kommen. Deswegen istdie Bankenunion richtig.Aber eine Lehre aus der Krise muss doch auch sein,dass wir starke gemeinsame europäische Institutionenbrauchen, die unter Berücksichtigung nationaler Interes-sen, aber eben auch unter Berücksichtigung des europäi-schen Interesses entscheiden. Hier musste das Europäi-sche Parlament Ihnen abverhandeln, dass nicht dieNationalstaaten – vor allem Deutschland und Frankreich –etwas verhindern können, was im europäischen Interessewäre. Deswegen sind wir mit dem Verhandlungsergebniszur Bankenunion ganz zufrieden.Man muss aber sagen, dass das Verfahren im Hinblickauf diesen völkerrechtlichen Vertrag genau diesem Inte-resse in zweierlei Hinsicht massiv schadet:Erstens. Es ist unserer Meinung nach ein klaresRechtsprinzip, dass dort, wo eine europäische Kompe-tenz vorliegt, diese auch genutzt werden muss. Mankann nicht in einem Bereich, wo ein Mitentscheidungs-recht des Europäischen Parlaments vorliegt, eine völker-rechtliche Vereinbarung schließen – das wäre das aller-erste Mal –, auf die das Europäische Parlament imoffiziellen Verfahren keinen Einfluss mehr hat. Das istein Präzedenzfall, der, wenn dies Schule macht, zu einerErosion der demokratischen Verfasstheit der Europäi-schen Union beitragen kann. Denn man könnte sich da-rauf berufen: Einmal ging das, jetzt geht das immer.
Zweitens. Mit dieser komischen Konstruktion ma-chen Sie die Bankenunion auch nicht rechtssicherer. Zu-mindest wir sind davon überzeugt, dass die antieuropäi-schen Kläger aus Linkspartei und AfD und der KollegeGauweiler – der in dieser Hinsicht meistens die klügstenAngriffspunkte findet; inhaltlich hat er jedoch unrecht –genau auf diesen Punkt rekurrieren werden. Wir hättenuns gewünscht, dass Sie den Mut hätten, durch eine or-dentliche europäische Lösung und durch Bestätigung dereuropäischen Kompetenz – beispielsweise durch eineStellungnahme des Deutschen Bundestages, wie wir sieeingebracht haben – die Zweifel, die vielleicht in Karls-ruhe an der Legitimation aus Deutschland vorliegenkönnten, auszuräumen, statt einen Präzedenzfall zuschaffen, der dafür sorgt, dass das Europäische Parla-ment in Zukunft umgangen werden kann, wenn man dasmöchte.
Ich möchte eines hinzufügen: Ich persönlich habebeim Thema „direkte Bankenrekapitalisierung“ oftmalseine Meinung vertreten, die auch die SPD angegriffenhat. Ich glaube, dass wir einen Backstop brauchen, undich finde, man muss immer wieder offen darüber reden,ob man ein solches Instrument vielleicht braucht. Des-wegen haben wir Grüne auch offene Diskussionen da-rüber geführt.Ehrlich gesagt, haben wir mit der Bankenunion eineEntwicklung, bei der wir uns fragen: Warum integriertman diesen Backstop jetzt nicht in die Struktur der Ban-kenunion? Warum sorgt man für eine neue Struktur? Wa-rum gibt man jetzt dem ESM eine solche Kompetenz,anstatt zu sagen: „Bis das Geld vorhanden ist, organisie-ren wir den Backstop über eine Kreditlinie im ESM fürden Bankenabwicklungsfonds bzw. den Bankenabwick-lungsmechanismus, um so nicht wieder einen Wald vonRegeln zu schaffen, den am Ende keiner mehr versteht,sondern um das gemeinsame europäische Haus zu voll-enden und an dieser Stelle gut genug auszustatten“?Vielen Dank.
Die Kollegin Antje Tillmann erhält nun das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Sarrazin,Ihren Satz, dass die Bankenunion richtig ist, kann ich so-fort unterschreiben.
Anders als Sie sind wir aber der Meinung, dass es auchrichtig ist, dass Entscheidungen über das Geld des deut-schen Steuerzahlers – und darüber reden wir ja zum Bei-spiel beim Bankenabwicklungsfonds – im deutschenParlament getroffen werden. Die Kollegen im Europäi-schen Parlament sind gut unterwegs; die Zusammenar-beit ist hervorragend. Aber wenn wir über deutscheSteuergelder sprechen, dann sollten wir in diesem Parla-ment auch Rechenschaft gegenüber den deutschenSteuerzahlerinnen und Steuerzahlern ablegen. Deshalbglaube ich, dass Sie in diesem Punkt irren.
Die Bankenunion ist ein Teil eines Sicherheitskon-zepts, das wir seit 2008 nach und nach einpflocken.Finanzmärkte, Finanzakteure und Finanzinstrumente un-terliegen längst einer besseren Aufsicht. Neben den klas-sischen Instrumenten, wie dem Entzug der Bankzulas-sung oder der Abberufung von Vorständen, haben wirdie Eigenkapitalvorschriften für die Banken verschärft.Wir haben empfindliche Bußgelder bei fehlerhafter Be-ratung eingeführt, und wir haben, Herr Kollege Troost,durch das Trennbankengesetz immerhin sichergestellt,dass große Banken zwar nicht zwangsverkleinert wer-den, sie aber ihre riskanten Geschäfte von den weniger
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Antje Tillmann
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riskanten Geschäften abtrennen müssen; darüber werdenwir in diesem Gesetzgebungsverfahren noch diskutieren.Natürlich müssen wir auch hier sicherstellen, dass sichGroßbanken im Zusammenhang mit diesem Abwick-lungsmechanismus sicherer aufstellen, als sie es bishertun.Zu diesem Sicherheitssystem gehört auch der Fiskal-pakt. Ein Land, das selber eine solide Haushaltsführunghat, kann seine eigenen Banken natürlich sehr viel eherauf solide Füße stellen. Deshalb haben wir mit der Ein-führung der Schuldenbremse in Europa einen wesentli-chen Schritt dazu beigetragen, dass die Finanzmärkte si-cherer werden. Ich glaube, keiner von uns hätte damitgerechnet, dass eine Einigung so schnell erreicht werdenkann. Wir führen ja parallel die Haushaltsberatungen:Deutschland ist hier Vorreiter. Wir werden unsere Defi-zite reduzieren, und wir hoffen, dass die europäischenPartner Ähnliches tun; denn auch der Fiskalpakt ist einTeil der Sicherheit für die Steuerzahlerinnen und Steuer-zahler in Europa.Neben der Haushaltskonsolidierung haben wir alszweite Sicherheitsschwelle den Europäischen Stabilitäts-mechanismus eingeführt. Über den ESM kann jedeseuropäische Land, das in eine Krise gerät und aus dieserKrise nicht alleine herauskommt, Reformmaßnahmenfinanzieren. Das Land muss ein Sanierungsprogrammvorlegen und kann dann für eine Überganszeit Hilfen be-kommen. Dass das kein Kinderspiel ist, zeigt sich daran,dass sich viele Länder lange geweigert haben, überhauptunter den Rettungsschirm zu gehen. Dass dies aber zu ei-nem Erfolg führen kann, zeigen die Länder Irland, Portu-gal und Spanien, die über diese Hilfen auf einem gutenWeg sind, ihre Haushalte zu konsolidieren.
Für den Ernstfall vorbereitet zu sein, kann aber nichtunser primäres Ziel sein. Ziel muss es sein, den Ernstfallzu verhindern. Deswegen haben wir weitreichende Re-formen – höhere Eigenkapitalanforderungen, die Regu-lierung von Ratingagenturen und bisher außerbörslicherTermingeschäfte sowie die Stärkung der Finanzaufsicht –beschlossen. Wir wollen verhindern, dass Banken nurauf kurzfristigen Profit aus sind. Deshalb haben wir dieBanker-Boni beschränkt und einen längerfristigen Be-trachtungshorizont zugrunde gelegt. Außerdem habenwir strenge Strafen für solche Bankvorstände eingeführt,die ihr Institut bewusst in Schieflage bringen.Neben der Regulierung der Banken haben wir aberauch die nationalen Aufsichtsbehörden im Blick. Es istheute schon darauf hingewiesen worden, dass in der Ver-gangenheit nationale Aufsichten offensichtlich nicht sogut aufgestellt waren, dass sie Risiken rechtzeitig er-kannt haben, geschweige denn, dass sie sie hätten ver-hindern können. Am 4. November dieses Jahres, alsoübernächsten Monat, beginnt die europäische Banken-aufsicht für die größten europäischen Banken. Auch dasist ein Weg hin zu gemeinsamer europäischer Sicherheitauf den Finanzmärkten.Die Einlagensicherung haben wir europäisiert. DerKleinsparer in Europa kann sicher sein, dass er sein Gut-haben auch dann wiederbekommt, wenn er es nicht inDeutschland, sondern bei einer europäischen Bank an-legt, und zwar selbst dann, wenn diese Bank in Schwie-rigkeiten gerät.Was geschieht heute? Heute vollenden wir diese Si-cherheitsmaßnahmen für die Finanzmärkte mit der Ban-kenunion. Wir verhindern weitgehend, dass der europäi-sche Steuerzahler künftig ein weiteres Mal für bankrotteBanken zahlen muss, weil wir nämlich zunächst die Ei-gentümer haften lassen. Frau Wagenknecht, Ihre Aus-sage, dass nach 8 Prozent Eigentümerhaftung der deut-sche Steuerzahler zahlt, ist schlicht falsch. Sie habennämlich die Kreditgeber und den Bankenfonds, derebenfalls vor dem Steuerzahler zahlen und haften muss,völlig aus den Augen verloren.
Das ist sachlich falsch, das verunsichert die Bürgerinnenund Bürger, das ist unverantwortlich und stimmt einfachnicht.
Ja, im Rahmen der Gesetze, mit deren Beratung wirheute beginnen, ist auch die direkte Bankenrekapitalisie-rung ein Thema. Aber in der Vergangenheit hätte bis aufeinen Fall in allen Fällen der Bankenrettung und Ban-kenabwicklung das heutige Haftungssystem ausgereicht.Der ESM wäre für eine direkte Bankenrekapitalisierungüberhaupt nicht in Anspruch genommen worden. Eshätte ausgereicht, Eigentümer, Kreditgeber und den Ban-kenfonds zahlen zu lassen. Wir hätten den ESM nichtgebraucht. Trotzdem ist es richtig, dass als letzte Sicher-heitsmaßnahme auch der ESM für die direkte Banken-rekapitalisierung zur Verfügung steht, aber natürlich un-ter den gleichen Voraussetzungen, unter denen der ESMauch Länder finanzieren kann: mit ganz strengen Sanie-rungsauflagen und mit ganz strengen, nachvollziehbarenSanierungsprogrammen. Wir sind sehr optimistisch, dassein solcher Fall überhaupt nicht in Kraft treten wird.
Wir haben das Gesetzgebungsverfahren ganz bewusst– Herr Kollege Zöllmer, da sind wir uns einig – so ge-staltet, dass wir abwarten können, wie sich die Europäi-sche Kommission zur Bankenabgabe aufstellt. Wir be-schließen mit diesen Gesetzentwürfen, die im DeutschenBundestag zu verabschieden sind, dass die Bankenab-gabe auf jeden Fall größenorientiert und risikoabhängigsein muss. Damit haben wir einen ersten Pflock einge-schlagen, kleinere, nicht risikoorientierte Banken, zumBeispiel Genossenschaftsbanken und Sparkassen, nichtübermäßig zu belasten. Wir werden im weiteren Gesetz-gebungsverfahren abwarten, ob die Kommission ihrenVorschlag im Oktober dieses Jahres konkretisiert. Wirwerden dann reagieren und entscheiden, wie weit wirdiese Maßnahmen im Deutschen Bundestag unterstützenkönnen. Der Zeitplan sieht das vor, und wir werden inden weiteren Beratungen hierauf reagieren können.
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Antje Tillmann
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Axel Troost hat darauf hingewiesen – ich glaube, dasind wir uns einig –: Wir müssen uns europäisch aufstel-len und die europäische Situation im Auge behalten. –Deshalb kann es nicht bei jedem Einzelpunkt einen Son-derplan für Deutschland geben. Hier stehen wir alle aufeiner Seite. Kleine Banken, die nicht risikoorientiertsind, sollen nach Möglichkeit nicht für die Bankenab-gabe aufkommen müssen.
Die Bankenunion ist also auf einem guten Weg. Ich hattebei der Opposition nicht den Eindruck, dass es da großeBedenken gibt.Dass der Finanzminister keinen Glückwunsch be-kommen soll, Herr Sarrazin, ist ihm, glaube ich, egal.
Gut ist, dass Sie die Bankenunion positiv dargestellt ha-ben. Wir sind damit aber noch nicht am Ende. Wir wer-den nach der Bankenunion mit dem Einpflocken desSicherheitssystems bei Schattenbanken weitermachenmüssen. Was die Versicherungen angeht, werden wir imRahmen von Solvency II Maßnahmen einführen, die denFinanzsektor sicherer machen werden. Jede einzelne die-ser Maßnahmen bringt mehr Sicherheit auf den Finanz-märkten und einen größeren Schutz der Steuerzahlerin-nen und Steuerzahler. Wir sind auf einem guten Weg,aber natürlich noch nicht fertig. Wir sollten diesen Wegweiter beschreiten. Dazu fordere ich Sie herzlich auf.Danke.
Nächster Redner ist der Kollege Lothar Binding für
die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir ein paarWorte zu Sahra Wagenknecht. Sie haben gesagt: ImESM wird das Geld verbrannt, das hier für die Infra-struktur gebraucht wird. – Das hat uns natürlich aufmer-ken lassen; denn der ESM ist ja ein europäisches Kon-zept. In ihm ist übrigens nicht nur deutsches Geld,sondern auch das Geld vieler anderer Länder enthalten.Ihre Formulierung – das Geld, das hier gebraucht wird –deutet in einer gewissen Weise auf Deutschland hin undhat uns, wie gesagt, hellhörig gemacht.Ich möchte einen komplexen, volkswirtschaftlichenZusammenhang anhand eines Beispiels quantifiziert dar-stellen, und zwar so einfach, dass man ihn gut verstehenkann –
dies zeigt auch die Schnittstelle zwischen der AfD und derLinken, die immer mit der Vorstellung kommen, dass wirder größte Nettozahler sind und unser Geld in Europa ver-lieren –: 1 Euro fließt nach Europa. Dann kommt er inBrüssel an und ist weg. Jetzt kann man natürlich an die-ser Stelle aufhören, zu denken. Aber wir denken heuteausnahmsweise einmal weiter.
Die Spanier bekommen diesen Euro nur, wenn sie einenzweiten Euro hinzufügen. Mit diesen beiden Euros kau-fen die Spanier in Deutschland eine Straßenbauma-schine.
Beim Kauf dieser Maschine wird der eine Euro für dasMaterial ausgegeben und der andere Euro für die Löhne.Die Arbeitnehmer fahren dann mit diesen Löhnen nachSpanien in Urlaub. Jetzt merkt man plötzlich, wie sichein Geldkreislauf schließt.
Wenn man solche Sätze, wie Sie es getan haben, for-muliert, muss man also immer schauen, dass man nichteinem Irrtum aufsitzt, weil sich, wenn man in einem run-den Modell nur weit genug nach rechts oder nach linksgeht,
die Methoden verdächtig nahekommen.
Man muss sehr aufpassen, wenn man solche Sätze for-muliert.Schauen wir einmal vorsichtig, ob wir uns trotzdemannähern können, wenn wir eine gewisse Rationalitätwalten lassen. Sie wollen ja nicht, dass das Geld ver-brannt wird, obwohl Sie noch gar nicht erklärt haben,was das eigentlich bedeutet: Wer hat das Geld, wenn esirgendwo verschwindet? Irgendjemand hat es ja.Wir wollen, dass in der allergrößten Not zunächst ein-mal die Aktionäre, die auf eine Dividende gehofft haben,verantwortlich sind. Wären wir uns da einig? Die Aktio-näre sollen zahlen. Diese sind ja tendenziell ohnehin dieBösen. Sie zahlen zuerst. Dann kommen die Gläubiger– vorrangige und nachrangige –, die auch auf Gewinnegehofft haben. Auf der Grundlage einer solchen Haftungs-kaskade ist also klar, wer welche Verantwortung trägt.Wahrscheinlich wären wir da auch noch einig. Dann kom-men die Anleger mit Einlagen über 100 000 Euro. Dassind die, von denen wir wähnen, dass sie starke Schul-tern haben und ein solches Risiko eher tragen können alsdie, die vielleicht ihren Spargroschen abgegeben haben.Dann kommt der Bankenhaftungsfonds, bei dem es uns
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4900 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
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ganz wichtig war, dass er von den Banken gespeist wird.Ihr Zwischenruf lautete: Ja, wenn er denn mal voll ist! –Das stimmt. Er soll 55 Milliarden Euro umfassen. Daswird eine Weile dauern. Aber zumindest sind die Bankenverantwortlich dafür, 55 Milliarden Euro einzuzahlen.55 Milliarden Euro sind ja immerhin mehr als nichts.Dann kommen die Länder, und irgendwann kommt derESM ins Spiel.Sie sagen: Dort wird unser Geld verbrannt. Das sollennicht die Steuerzahler übernehmen. Meine Frage: Wasschlagen Sie vor? Wer soll dieses Risiko tragen? – Siegestikulieren; das ist aber die falsche Bewegung. Siemüssen sich fragen: Wer?
Wessen Geld will Frau Wagenknecht in dieser größtenNot einsetzen? Sie sagen: Ich weiß nicht, wer es bezah-len soll, aber jedenfalls nicht der Steuerzahler.Jetzt frage ich einmal ganz ehrlich: Wer, wenn wirnicht den Steuerzahler meinen, soll das in letzter Konse-quenz zahlen? Wer ist denn dann gemeint? Vielleicht derSparer, dessen Geld noch im System ist? Vielleicht dieVersicherung, die der Bank ihr Geld zum Anlegen gege-ben hat? Die Versicherung bekommt das Geld ja von denVersicherungsnehmern. Ich rede immerhin von 1 400 Mil-liarden Euro. Oder vielleicht derjenige, der sein Geld,das sich jetzt noch im Bankensystem findet, zur Alters-vorsorge angelegt hat? Würden die dann bezahlen? Wol-len Sie mir den Unterschied zwischen Steuerzahler undSparer noch erklären? Das wird eine komplizierte Ange-legenheit.
Kollege Binding, darf die Kollegin Wagenknecht Ih-
nen eine Zwischenfrage stellen?
Ja, darf sie.
– Nur wenn die richtige Handbewegung gemacht wird;
das ist klar.
Handbewegungen werden hier ja etwas seltsam ge-
deutet. – Bevor ich die Frage stelle, sage ich noch etwas
zu Ihrem Eingangsstatement. Sie haben gesagt: Das
Geld wird ja nicht verbrannt, sondern damit kaufen
Spanier Maschinen. – Sie sollten wissen: Wenn der ESM
Banken rekapitalisiert, ob in Spanien oder irgendwo
sonst, dann werden damit Altlasten oder Spekulations-
verluste abgedeckt, aber kein einziger Kredit für irgend-
eine Maschine bereitgestellt. Das wollte ich zunächst
einmal festhalten.
Zweitens. Wenn Sie fragen: „Wer soll es denn bezah-
len?“, dann muss ich sagen, dass das eine absurde Frage
ist. Wenn ein kleiner Handwerksbetrieb oder ein Mittel-
ständler pleitegeht, wer zahlt denn dann? Zahlt dann der
Staat? Natürlich zahlt nicht der Staat, sondern es zahlen
die Eigentümer und die Gläubiger, und zwar nicht gede-
ckelt auf 8 Prozent, sondern mit dem gesamten Volu-
men, das da ist.
Das Kernproblem ist ja – daran knüpft auch meine
Frage an, ob wir da auf einen gemeinsamen Nenner
kommen –: Solange man den Banken erlaubt, weiter so
zu spekulieren, wie sie es derzeit tun, wird sich nichts
ändern. Ich erinnere daran, dass allein die Deutsche
Bank – wir reden ja nicht nur über spanische Banken,
sondern auch über deutsche – mit einer Bilanzsumme
von etwa 2 000 Milliarden Euro und einem Eigenkapital
von 50 Milliarden Euro Derivate mit einem Nominalvo-
lumen von 55 000 Milliarden Euro in den Büchern hat.
Diese sind natürlich nicht ausgewiesen, aber man kann
das trotzdem berechnen. Also, mit 50 Milliarden Euro
Eigenkapital wird ein riesiges Rad gedreht, in dem Deri-
vate von 55 000 Milliarden Euro enthalten sind. Banken,
die solche absurden Geschäfte machen, haben natürlich
ein allgemeingefährliches Potenzial. Wenn Sie sagen,
dafür haften dann die Eigentümer und die Gläubiger
nicht, dann sollten Sie sich endlich einmal dafür einset-
zen, dass diese Regierung das Trennbankensystem nicht
weiter aufweicht, sondern dass man die Banken ver-
pflichtet, so viel Eigenkapital vorzuhalten, dass sie für
ihre Risiken selber haften können. Da wäre das Geld, da
ist die Verantwortung, da ist die Haftung – das ist nor-
male Marktwirtschaft. Alles andere, was Sie erzählen, ist
Unsinn.
Es ist immer klug, wenn man nur Vergleichbares mit-einander vergleicht. Eine Insolvenz ist natürlich eine In-solvenz. Aber die Insolvenz eines kleinen Handwerkersund die Insolvenz einer Bank sind eben nicht vergleich-bar, weil der Handwerker ja keiner ist, der als Geldsam-melstelle, als Dienstleister fungiert, dieses Geld klugoder dumm anzulegen. Hier handelt es sich um eine völ-lig andere Struktur. Die sind gar nicht miteinander ver-gleichbar.Sie haben gesagt: Der Handwerker trägt das Risiko. –Wer trägt denn bei der Bank das Risiko? Der Bankvor-stand? – Nein. Der Bankvorstand kann das Risiko dochgar nicht tragen, wenn er auch noch so viel verdient. DasRisiko tragen die Einleger, die Sparer, letztlich alle die,die ihr Geld der Bank geben. Die werden es verlieren.Deshalb ist es klug, sich darum zu kümmern, dass das indieser Weise nicht passiert, dass wir eine geordnete Haf-tungskaskade haben und dass der Bürger, der Sparer, derSteuerzahler zuallerletzt kommt. Alle die, die sich vondieser Bank Gewinne versprochen haben, sollen dannauch das Risiko tragen. So gehören Haftung und Risikozusammen.
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Lothar Binding
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Gleichwohl will ich Ihnen konzedieren, dass wir na-türlich regulieren müssen. Wir haben in der Regulierungauch Fehler gemacht. Es ist auch noch nicht alles regu-liert. Ich würde sogar sagen, Bankenregulierung ist einandauernder Prozess, vielleicht sogar ein Prozess, indem man permanent dazulernen muss. Aber dieser Auf-gabe müssen wir uns stellen. Deshalb ist es wichtig, zusagen, was man will, und nicht nur zu sagen, was mannicht will. Diesen Schritt haben Sie leider noch nicht ge-hen können, aber ich denke, wir sind gemeinsam auf ei-nem guten Weg, oder?
Wenn wir ganz ehrlich sind, glaube ich, müssen wirsagen, dass vor zwei Jahren keiner von uns gedachthätte, dass wir mit unserer Regulierung so weit kommenwürden. Auch diese Regulierung, auch dieser Abwick-lungsmechanismus, ist noch nicht perfekt. Das ist völligklar. Gerhard Schick hat doch einen ganz guten Vor-schlag gemacht, den man sogar hätte verfolgen können.Aber er hat ihn gemacht, ohne die Franzosen zu fragen,ohne die Italiener zu fragen, ohne die Spanier zu fragen.Die sind nicht dieser Meinung, dass wir das machenkönnen. Wenn man aber in Europa etwas machen will,ist man leider darauf angewiesen, dass andere mittun.Das ist im Moment noch nicht so weit, aber wir könnengemeinsam – auch parlamentarisch – die anderen Länderüberzeugen. Dann könnten wir vielleicht eines Tagesdiesen Weg gehen.Vor zehn Jahren hätte ich mir auch nicht vorstellenkönnen, dass wir so weit gehen müssen. Ich glaube, diemeisten, die hier sitzen, müssen sich eingestehen, wennsie ehrlich reflektieren, was vor zehn Jahren war, dasskeiner eine Vorstellung von der Dimension dessen hatte,was heute passiert und passieren muss.Wenn wir heute über die Banken reden, reden wir ei-gentlich über eine Funktion, die letztlich der Realwirt-schaft dient. Manfred Zöllmer und Carsten Schneiderhaben darauf hingewiesen: Eigentlich geht es darum,dass die Menschen in Europa wieder Arbeit finden, dasswir wieder investieren, und zwar nicht nur in Deutsch-land, sondern eben in ganz Europa. Wenn man mit Ame-rikanern spricht, dann hört man, dass die eine ganz an-dere Erwartung an Deutschland haben. Die sagen auch:Ihr müsst mehr investieren. Ihr mit eurer Schuldenpanik,das ist ein schwerer Fehler. Es kommt sofort das Wort„Austerität“. Sie sagen: Das ist die falsche Richtung. –Ich meine auch, dass das die falsche Richtung ist. Also,da müssen wir sicherlich noch sehr viel mehr überlegen.Gleichwohl: Mit dem, was wir heute machen, um dasBankensystem zu retten, schaffen wir etwas Wichtigesfür den Erhalt der Dienstleistungsfunktion der Banken,der Realwirtschaft zu dienen und letztlich auch das Ein-kommen der Familien zu sichern; denn ohne Arbeit keinEinkommen, ohne Einkommen keine Binnennachfrage,ohne Binnennachfrage keine Wirtschaftsdynamik. VomExport können wir nur so lange leben, wie diejenigen,die importieren, unsere Nachbarn, reich genug sind.Also, wir merken: Es ist immer der gesamte Kreislaufin den Blick zu nehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wirhier sehr viel mehr machen. Deshalb wollen wir einenfunktionierenden Bankensektor. Wir wollen so weit ge-hen, dass wir nicht nur eine Aufsicht haben; denn dasAufsichtsregime allein ist ohne Abwicklungsregime einstumpfes Schwert. Über dieses Abwicklungsregime re-den wir heute. Da sind wir mit dem jetzt vorgeschlage-nen Modell und der Haftungskaskade auf einem sehr gu-ten Weg. Ich bin gespannt, ob wir in zwei Jahren sagenkönnen: Wir haben ein seriöses Bankensystem und eineprosperierende Wirtschaft.Schönen Dank.
Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Ich glaube, diese heutige Debattezur europäischen Bankenunion ist eine gute Gelegenheit– das zeigen die Reden der Vorredner –, um uns nocheinmal zu vergewissern, wo wir in Europa eigentlich ste-hen; denn gerade die jüngsten Debatten und auch dieAuseinandersetzung zwischen Lothar Binding und SahraWagenknecht zeigen doch, dass es immer noch Euro-Skeptiker gibt, die versuchen, mit dieser Euro-Skepsisam linken oder rechten Rand des ParteienspektrumsStimmen zu fischen.
Zu beobachten, ob sich beide irgendwo treffen, ist schonein spannendes Momentum.
Wenn man sich die Situation vor Augen führt, mussman doch feststellen: Deutschland steht gut da. AuchEuropa steht deutlich besser da, als es noch vor zweiJahren von vielen vermutet wurde. Es ist noch nicht solange her, da wurde uns von ernst zu nehmenden Ökono-men vorhergesagt, dass es keine zwei oder drei Jahremehr dauern würde, bis der Euro weg sei, zerbröselt undals unsere gemeinsame Währung zu Grabe getragen wer-den müsse. Wo sind diese klugen Redner heute? Ich binfroh, sie nicht mehr sehen und hören zu müssen.Unsere Stabilisierungspolitik hat gewirkt, und siewirkt weiter. Die Hilfsprogramme für Spanien, für Irlandund für Portugal laufen ordnungsgemäß aus. Irland zahltbereits Kredite zurück; auch das ist ein Argument für un-sere Politik. Es wurde immer gesagt, diese Kredite seienverlorenes Geld. Sie werden bereits zurückgezahlt. Grie-chenland und Zypern sind zwar noch unter dem Ret-tungsschirm, aber in beiden Ländern geht es voran.
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4902 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Norbert Barthle
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Kein Mensch redet mehr von einem dritten Hilfspro-gramm für Griechenland. Herr Samaras, der diese Wo-che bei Angela Merkel zu Besuch war, sagt selbst: Auchin Griechenland will niemand mehr ein drittes Hilfspro-gramm. – Frau Wagenknecht, lesen Sie einmal Ihre Re-den nach. Dann werden Sie feststellen: Auch Sie habenan dieser Stelle geirrt. Griechenland begibt bereits zehn-jährige Anleihen an den Finanzmärkten, die mit wenigerals 5 Prozent rentieren. Das heißt, das Vertrauen der Ka-pitalmärkte in den Euro ist Schritt für Schritt zurückge-kehrt.Das ist ein Erfolg unserer Hilfsprogramme, die wirteilweise wirklich in hohem Tempo, im Schweinsgaloppdurch dieses Parlament gejagt haben. Aber aus dieserakuten Hilfe ist nach und nach eine neue Stabilitätsarchi-tektur in Europa entstanden, deren Pfeiler bereits be-nannt wurden: Der Fiskalvertrag steht. Der Stabilitäts-und Wachstumspakt wurde ausdifferenziert und durchSixpack und Twopack verbessert. Der ESM steht imRahmen von Notprogrammen zur Verfügung. Jetzt re-geln wir noch die Bankenunion. Damit haben wir dienotwendigen Pfeiler errichtet, um dieses europäischeHaus wirklich mit neuem Leben zu erfüllen.Wir haben eine neue Stabilitätsarchitektur geschaffen,die dabei hilft, dieses Haus, lieber Kollege RalphBrinkhaus – ich möchte dieses Bild noch einmal aufgrei-fen –, mit Leben zu erfüllen. Dafür brauchen wir eineneue Stabilitätskultur in Europa. Diese neue Stabilitäts-kultur neben der Regulierung der Finanzmärkte vermisseich noch etwas.Mit dem Reformeifer und dem Reformwillen ist es ineinigen Ländern noch nicht ganz so bestellt, wie mansich das wünscht. Ich erinnere mich da immer an die Ge-schichte von dem Möbelpacker, der seinem Freund er-zählt, wie furchtbar anstrengend sein Beruf mit derMöbelschlepperei sei. Als der Freund fragt: „Wie langemachst du das denn schon?“, ist die Antwort: Morgenfange ich an. – Mit den Reformen in Europa scheint dasähnlich zu sein.
Um noch einmal darauf zurückzukommen: Diese Sta-bilitätskultur setzt voraus, dass wir nicht kurzfristigeschuldenfinanzierte Impulse setzen, weder aus demESM noch sonst wo her; denn es hat sich herausgestellt,dass das der falsche Weg ist. Deshalb bin ich sehr froh,dass der Finanzminister klar und deutlich gesagt hat: DerESM steht nicht für kurzfristige Wachstumsprogrammezur Verfügung.
Das Geld liegt dort und ist für andere Zwecke vorgese-hen, und dort liegt es auch gut und soll dort liegen blei-ben.
Nun reden wir über zwei neue Instrumente innerhalbder Bankenunion. Das eine ist das Instrument der Ban-kenrekapitalisierung, das im Instrumentenkasten desESM Platz finden soll. Dieses Instrument ist nicht unge-fährlich. Darauf haben auch meine Vorredner hingewie-sen. Man muss vorsichtig damit umgehen. Es ist gut,dass es als letzte Option bzw. als Backstop gehandhabtwird. Denn wäre es nicht vorhanden, dann entstünde tat-sächlich die Situation, dass – Lothar Binding hat daraufhingewiesen – letztendlich der Staat bzw. die Steuerzah-ler für die Rekapitalisierung einer Bank einstehen müss-ten. Das ist ein nicht akzeptabler Weg, den wir vermei-den wollen.Deshalb ist es gut, dass uns dieses Instrument zur Ver-fügung steht, aber eben nur als letzte Option für denRückgriff oder sozusagen als letzter im Einzelfall not-wendiger Backstop.Was das zweite Instrument angeht, das wir einführen,muss man die Aussage der Frau Wagenknecht korrigie-ren. Wir werden das Ganze mit einer umfangreichen Par-lamentsbeteiligung ausgestalten. Es wird nichts im Hin-terzimmer gemauschelt und an der Öffentlichkeit vorbeigemacht, sondern das wird ganz offen im DeutschenBundestag ausgehandelt.
Denn der vorliegende Gesetzentwurf sieht folgendeKonstruktion vor: Wenn das Instrument der direktenBankenrekapitalisierung jemals zum Einsatz kommensollte, dann müsste das Plenum des Deutschen Bundes-tages immer vorher zustimmen, und die dafür notwendi-gen Informationen, um diese Zustimmung zu erreichen,liegen dann allen – auch Ihnen – vor. Das ist auch im Ge-setzentwurf unstrittig.Wir müssen allerdings noch im Detail regeln, wie wirmit streng vertraulichen Daten umgehen. Dafür ist bisherdas Sondergremium vorgesehen. Wir werden Wege,Möglichkeiten und Lösungen finden, um auch diesenWeg so auszugestalten, dass er vor den Richtern inKarlsruhe Bestand haben wird. Davon bin ich überzeugt.Das wird das Beratungsverfahren zu diesem Gesetz nochergeben.Insofern geschieht nichts hinter verschlossenen Tü-ren, sondern immer in der Verantwortung des DeutschenBundestages. Damit ist auch an der Stelle gewährleistet,dass die in diesem Bereich weit ausgestalteten parlamen-tarischen Beteiligungsrechte Bestand haben und auch inder Frage einer direkten Rekapitalisierung von Bankenoder einer Bank aus dem ESM angewandt werden kön-nen.Wenn ich das zusammenfasse, dann haben wir mit allden Maßnahmen – den vier Pfeilern, die ich beschriebenhabe – etwas erreicht, was die Voraussetzung für neuesVertrauen in Europa und in unsere Währung und damitdie Voraussetzung für Wachstum, Beschäftigung undWohlergehen schafft.Ich bedanke mich.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist derKollege Radwan für die CDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4903
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Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute dasThema Bankenunion, und die Bankenunion ist der logi-sche letzte Schritt auf einem Weg, der mit der Einfüh-rung des Euros und der Kreierung des Binnenmarkts1999 – damals ist es losgegangen, vor der Finanzmarkt-krise – begonnen hat. Jetzt folgt die Bankenunion, beider die europäische Aufsicht ein Kernelement ist.Die europäische Aufsicht der Europäischen Zentral-bank startet am 4. November dieses Jahres. Sie bereitetjetzt mit Stresstests die Daten vor, damit sie bereits amAnfang effektiv arbeiten kann und genau weiß, wo dieRisiken sind. In einem europäischen Binnenmarkt mitgrenzüberschreitend tätigen Banken und grenzüber-schreitendem Handel mit Produkten ist es wichtig, dasswir dies auch auf europäischer Ebene verfolgen können.Darum ist dieser Schritt nicht nur überfällig, sondernauch sehr zu begrüßen.Wir müssen dann in der Praxis auf europäischerEbene genau hinschauen. Es gibt den Zielkonflikt zwi-schen Aufsicht und Geldpolitik, den Minister Schäubleangesprochen hat. Wir müssen im Blick behalten, wel-che Modelle die Europäische Zentralbank anwendet, unddarauf achten, dass mehr auf Qualität als auf Quantitätgeachtet wird. Wir müssen bei den Vorgaben aus denThinktanks darauf achten, dass sie nicht zu stark angel-sächsisch geprägt sind.Wir werden im Deutschen Bundestag diesen Prozessentsprechend kritisch begleiten müssen. Ich hoffe, dassdie Vertreter der BaFin und der Bundesbank dies ge-nauso tun.Neben der Aufsicht stellt die bereits mehrfach ange-sprochene Haftungskaskade eine Neuerung dar. Neu istebenfalls der Bail-in. Das heißt, Gläubiger und Eigentü-mer werden im entsprechenden Fall herangezogen. Wirrichten einen Fonds ein, dessen Gesamtvolumen 1 Pro-zent der gedeckten Einlagen entspricht und sich schließ-lich auf 55 Milliarden Euro belaufen soll; das ist zu be-grüßen. Aber wir werden darauf achten müssen, werdiesen Fonds in welcher Form weiterentwickeln kannund wer dafür die Verantwortung hat.Im Mittelpunkt unserer Diskussion steht die Banken-abgabe. Die Europäische Kommission wird entspre-chende Vorschläge unterbreiten. Ich kann mich nur alldenjenigen Rednern anschließen, die gesagt haben, dasssie das IGA nur dann ratifizieren, wenn sie genau wis-sen, um welche Summen es hier geht, und wenn sicher-gestellt wird, dass insbesondere diejenigen, die an derFinanzmarktkrise nicht primär schuld sind wie Klein-banken und Regionalbanken, nicht in Mitleidenschaftgezogen werden. Diese haben schließlich zusätzlicheLeistungen bei den Aufsichtsvergütungen zu erbringen.Obwohl sie auf nationaler Ebene beaufsichtigt werden,müssen sie einen Beitrag zur EZB leisten. Die Lasten fürkleine Banken kumulieren sich also. Hier müssen wirdarauf achten, dass der Rahmen entsprechend der Risi-ken so gesteckt wird, dass es nicht zu einer Überlastungkommt. Die nun zur Diskussion stehende Grenze inHöhe von 300 Millionen Euro halte ich für zu niedrig.Es ist positiv, dass die Institutssicherung auf europäi-scher Ebene zumindest vom Grundsatz her akzeptiertwird. Das war ein harter Kampf; denn es musste zuersterklärt werden, was Institutssicherung bedeutet. Ichdanke Ihnen, Herr Minister Schäuble, dass das entspre-chend vorangetrieben wird. Wir sollten unsere Kollegenim Europäischen Parlament, die hier bereits vorstelligwerden, unterstützen, indem wir unser Votum im Hin-blick auf das weitere Vorgehen genau abstimmen.
Bei den nun anstehenden Beratungen werden wir denSpielraum, den uns Europa gibt, kreativ nutzen. Ich ge-höre zu denjenigen, die sich nicht zu sehr anleinen lassenmöchten. Wir werden intensiv über die nationalen Vor-gaben betreffend das Trennbankensystem, die Rolle derBaFin und der Bundesbank sowie die Rechtsformen beider Abwicklung der Institute debattieren müssen. Dannwerden wir beobachten, ob sich das alles in der Praxisbewährt. Den von mir bereits angedeuteten Kampf unddie Diskussion um das Drei-Säulen-Modell erleben wirnun bei der EZB in puncto Aufsicht. Das werden wirauch in den nächsten Jahren bei der weiteren Gesetzge-bung in Bezug auf die Regulierung erleben; AntjeTillmann hat in diesem Zusammenhang schon einigesangesprochen. Mir ist besonders wichtig, dass wir alsParlament darum kämpfen, unseren parlamentarischenEinfluss im Zusammenhang mit dem Komitologiever-fahren auf Level 2, wo BaFin und Bundesbank unsereVertreter sind, zu behalten. Hier ist das Selbstverständnisdes Deutschen Bundestages gefordert.Der Deutsche Bundestag muss klarmachen, dass esdarum geht, europäisches Recht durchzusetzen. Ich binein wenig verwundert über die Reden der Oppositions-vertreter in diesem Zusammenhang. Frau Wagenknecht,wir waren gemeinsam fünf Jahre in Brüssel. Wir habenuns zwar nicht so oft gesehen, obwohl wir im gleichenAusschuss waren. Aber Sie kennen zumindest die Me-chanismen auf europäischer Ebene.
Herr Schick, das, was Sie heute an die Adresse von HerrnSchäuble gesagt haben, kann ich nur so deuten: Entwederhaben Sie Frust über die erfolgreiche Politik der Bundes-regierung in Brüssel – dann würde ich das noch verste-hen –, oder Sie sind der Meinung – weil Herrn MinisterSchäuble ständig vorgeworfen wird, er sei auf Griechenund Portugiesen nicht ausreichend eingegangen –, dass esam besten gewesen wäre, wenn wir die Blaupausen vonGriechenland und Portugal übernommen hätten.
Aber dann hätten wir die deutsche Position nicht ent-sprechend zur Geltung gebracht und nicht dafür gesorgt,dass die deutsche Stabilitätspolitik im Währungsbereichund bei der Finanzmarktaufsicht europäisiert wird. Das
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Alexander Radwan
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ist uns nun gelungen, und das werden wir weiterhin um-setzen.
Nur dann, wenn Europa und die Mitgliedstaaten zu ei-ner entsprechenden Disziplinierung und Stabilitätspoli-tik kommen – das ist nicht in Ihrem Sinn; Sie wollen aufeuropäischer Ebene nicht sparen –, wird es möglichsein, die Europäische Zentralbank in ihrer Verantwor-tung für die Zinspolitik und die Aufkäufe von Anleihen– das ABS-Programm sehen wir sehr kritisch – zu ent-lasten. Die Politik muss die Verantwortung überneh-men und darf sie nicht bei der EZB abladen. Das ist eingutes Werk, um andere Staaten in die Verantwortung zunehmen. Herzlichen Dank an die Bundesregierung undviel Erfolg bei der Umsetzung!Besten Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/2575, 18/2626, 18/2576, 18/2627,
18/2577, 18/2629, 18/2580 und 18/2628 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Hat dagegen irgendjemand Einwände? – Das ist offen-
sichtlich nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.
Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie
die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:
4 a) Beratung der Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage der Abgeordneten
Klaus Ernst, Thomas Nord, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE
Soziale, ökologische, ökonomische und
politische Effekte des EU-USA-Freihan-
delsabkommens
Drucksachen 18/432, 18/2100
b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Klaus Ernst, Thomas Nord, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE
Freihandelsabkommen zwischen der EU
und Kanada CETA zurückweisen
Drucksache 18/2604
ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Keine Klageprivilegien für Konzerne –
CETA-Vertragsentwurf ablehnen
Drucksache 18/2620
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie zu dem Antrag der Abgeord-
neten Katharina Dröge, Katja Keul, Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für
Konzerne
Drucksachen 18/1458, 18/2646
Die Fraktion Die Linke hat zu der Antwort der Bundes-
regierung auf ihre Große Anfrage zwei Entschließungsan-
träge eingebracht, über die wir später namentlich abstim-
men werden. Auch über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie wird am Schluss
dieser Debatte namentlich abgestimmt. Diese drei na-
mentlichen Abstimmungen werden unmittelbar aufeinan-
der folgen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
für diese Aussprache eine Gesamtzeit von 96 Minuten
vorgesehen. – Dazu besteht offensichtlich Einverneh-
men. Also können wir so verfahren.
Ich erteile dem Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion
Die Linke das Wort.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Es ist gut, dass wir heute hier noch einmal überdie Handelsabkommen reden können. Es ist ebenfallsgut, dass in der Öffentlichkeit darüber eine sehr kritischeDiskussion stattfindet. Viele Fragen sind ungeklärt.Wir haben eine Große Anfrage an die Bundesregie-rung gerichtet und zum Beispiel gefragt: Warum werdendie Verhandlungen hinter dem Rücken der Menschengeführt? Was haben die Verhandler eigentlich zu verber-gen? Zweitens: Warum soll ein besonderes Konzernkla-gerecht an den nationalen Gerichtsbarkeiten vorbei ein-geführt werden?
– Was daran so lächerlich ist, kann ich mir nicht vorstel-len, Herr Pfeiffer. Die Position, die Sie hier vertreten, istdie des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Inso-fern kenne ich Ihre Argumente sehr gut.
Es besteht die Gefahr, dass es zu Absenkungen vondemokratisch beschlossenen Standards vom Arbeits-schutz bis zum Verbraucherschutz kommt. Wir wolltenKlarheit. Die Antwort der Bundesregierung fiel dagegeneher klein aus, und unsere Befürchtungen sind durch dieRealität bestätigt worden.
Zwei Beispiele: Wir fragten, was die Bundesregie-rung unternimmt, um Transparenz herzustellen. Die Ant-
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Klaus Ernst
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wort war, die Bundesregierung setze sich dafür ein.Nach wie vor sind aber nicht einmal die Verhandlungs-mandate, also die Zielsetzung, was überhaupt verhandeltwird, der Öffentlichkeit bekannt. Ist das unser Verständ-nis von Transparenz? Die Regierung verweist auf dieNotwendigkeit eines einstimmigen Ratsbeschlusses,wenn man das ändern wolle. Wenn unsere Bundesregie-rung wirklich mehr Transparenz will, wann hat sie danneinen solchen Beschluss beantragt, und wann wurde erabgelehnt? Ist es nicht schon unglaublich, dass wir überdas Ganze im Unklaren gelassen werden? Bezogen aufCETA weiß die Öffentlichkeit nicht einmal, was dasMandat der Europäischen Union ist.Zweites Beispiel: Hauptziel der Verhandlungen sollder Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse sein. Aufdie Frage, was denn nichttarifäre Handelshemmnisse ei-gentlich seien, bekamen wir die Antwort, es gebe keineDefinition. Wenn es gar keine Definition gibt, wohernimmt die Bundesregierung dann eigentlich ihre Sicher-heit, dass Arbeitsschutzvorschriften und Arbeitnehmer-schutzrechte keine nichttarifären Handelshemmnissesind und diese somit nicht betroffen sind? So geht es inder Antwort der Bundesregierung von Seite zu Seite.Aber es gibt etwas anderes, etwas Erhellendes, daszeigt, worum es wirklich geht. Das ist der Text des Han-delsabkommens mit Kanada, CETA, der inzwischen vor-liegt, natürlich auch geheim, nicht für die Öffentlichkeit,inzwischen aber Gott sei Dank im Netz veröffentlicht.Da kann man nachlesen, was wirklich ausgehandelt wor-den ist.Dieses Abkommen CETA ist deshalb so wichtig, weiles die Blaupause für das Abkommen mit den USA seinwird. Wer heute die Süddeutsche Zeitung gelesen hat,weiß, dass De Gucht, also der zuständige EU-Kommis-sar, das auch explizit so sieht. Er sagt: TTIP beruht letzt-endlich auf dem Abkommen CETA. – Was ist also inCETA drin, und was ist nicht drin?Obwohl uns die Bundesregierung in der Antwort aufdie Große Anfrage und auch sonst versichert, ein beson-derer Schutz von Investoren durch besondere privateSchiedsgerichte sei nicht notwendig, sie wolle das nicht,ist er im CETA-Abkommen drin. Die Süddeutsche Zei-tung zitiert aus einem internen Gesprächsprotokoll ausBrüssel. Danach haben die Vertreter Deutschlands er-klärt, dass Deutschland die Kapitel zum Investitions-schutz in der vorliegenden Textfassung nicht für zustim-mungsfähig hält.Meine Damen und Herren, das scheint die EU abernicht besonders zu interessieren. Schlagen Sie heute ein-mal die Süddeutsche Zeitung auf und schauen Sie nach,was De Gucht da sagt! Er sagt letztendlich, dass ihnüberhaupt nicht interessiert, welche Position wir hier ha-ben. Er erklärt: Wenn wir die Verhandlungen über CETAwieder neu öffnen, ist das Abkommen tot. – Er lehnt jedeVeränderung an dem Abkommen ab – jede Veränderung!Im Gegensatz zum Investorenschutz, der enthalten ist,sind nicht einmal die ILO-Kernarbeitsnormen als Grund-lage zur Regelung der Arbeitsbeziehungen aufgenom-men. Kanada hat nämlich die ILO-Bestimmungen nichtvollständig übernommen. Aber es soll ja nicht zum Ab-bau von Standards im Bereich der Arbeitsregelungenkommen. – Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.Übrigens ist nach wie vor auch die Frage offen, obwir hier zustimmen müssen, dürfen, können, wenn sol-che Abkommen abgeschlossen werden. Die EuropäischeUnion hat hier eine ganz andere Position als die Bundes-regierung.Auch in den Reihen der SPD wird der Widerstand im-mer größer; das ist schön. Es freut mich natürlich, dassdeshalb ein Parteikonvent der SPD beschlossen hat, dassdiesen Abkommen einige Giftzähne gezogen werdensollen. Ich halte es für vollkommen richtig, dass mandiese Giftzähne zieht. Dieser Beschluss Ihres Parteikon-vents nützt aber nichts, wenn er ein Parteibeschlussbleibt. Wenn er wirklich Wirksamkeit entfalten soll,muss das Beschlusslage in diesem Parlament werden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn das ge-lingt, dann haben Sie etwas Vernünftiges hingekriegt.
Meine Damen und Herren, was haben Sie in IhremBeschluss festgelegt? Sie haben festgelegt: kein Investo-renschutz und keine privaten Schiedsgerichte in diesenAbkommen. Sie haben festgelegt: Die ILO-Arbeitsnor-men müssen Grundlage sein. Sie haben festgelegt: öf-fentliche Daseinsvorsorge, parlamentarische Hoheit überdie Regelung von Standards usw.
Genau diesen Beschluss müssen wir hier fassen, wennman das Schlimmste verhindern will. Ich bin gespannt– das sage ich, weil ich gerade Ihre Zwischenrufe höre –,ob Sie Ihren Parteibeschluss wirklich ernst nehmen oderob das, was Sie auf Ihrem Parteikonvent beschlossen ha-ben, eine Luftnummer war. Wenn Sie das wirklich ernstmeinen, dann beschließen Sie es hier und nicht nur aufeinem Parteikonvent!
Ihr Beschluss heißt in aller Klarheit, dass das CETA-Abkommen in der jetzigen Form abgelehnt werdenmuss. Ihre Anforderungen und Ihre Haltelinien sind ge-nau nicht enthalten.
Wenn De Gucht sagt: „Das ist nicht mehr veränderbar“,das aber nicht enthalten ist, dann bleibt doch von der Lo-gik her gar nichts anderes übrig,
als diese Geschichten abzulehnen.Morgen schon soll auf dem EU-Kanada-Gipfel dasEnde der CETA-Verhandlungen verkündet werden.
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4906 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Klaus Ernst
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CETA hat Präjudizwirkung; ich habe es bereits gesagt.Glauben Sie wirklich, dass sich die Amerikaner mit we-niger abspeisen lassen, als Sie mit Kanada vereinbart ha-ben? Wenn Sie das, was Sie selber der Öffentlichkeitverkünden in der Frage, was Sie wollen, und auf einemParteikonvent beschließen, hier ablehnen, dann machenSie sich so vollständig unglaubwürdig; schlimmer kannman es sich eigentlich gar nicht vorstellen.
Ich möchte noch eine kurze Bemerkung zu dem Gut-achten machen, Sigmar Gabriel, das von Ihrem Hauseveröffentlicht wurde, nämlich zu der Wirksamkeit undNotwendigkeit dieser Schiedsverfahren. Wir haben daseinmal recherchiert. Es ist schon merkwürdig, dass derGutachter, der dieses Gutachten gemacht hat, selbstSchiedsrichter bei internationalen Schiedsverfahren ist.Wenn jemand als Gutachter sozusagen vor der Fragesteht: „Führe ich mich selber ad absurdum, oder sageich, dass ich notwendig bin?“, dann weiß man doch, washerauskommt.
Was das soll, das versteht doch kein Mensch.Jetzt möchte ich Ihnen noch ein Zitat des Gutachtersmitgeben und von Ihnen wissen, ob Sie das teilen. DerGutachter sagt: Bedenken gegen die Investitionsschutz-rechte gibt es nicht.Weiter sagt er: Schiedsgerichte sprechen Recht imNamen der Parteien und nicht im Namen der Völker undBürger. – Das sei der Vorteil.Weiter sagt er: Schiedsgerichte setzen Recht, indemsie normative Erwartungen generieren und stabilisieren.Damit üben sie ebenso wie internationale und nationaleGerichte öffentliche Gewalt aus.Meine Damen und Herren, ich möchte, dass öffentli-che Gewalt von öffentlichen Gremien ausgeübt wird,aber nicht privatisiert wird, was offensichtlich Ihr Gut-achter will. Lehnen Sie diese Geschichte ab. Dann ma-chen Sie etwas Vernünftiges.
Danke, Herr Kollege Ernst.Ich wünsche Ihnen allen und auch den Gästen auf derTribüne einen schönen guten Morgen.Nächster Redner ist Bundesminister Sigmar Gabriel.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-nächst möchte ich klären, was das für ein Gutachter war.Er ist ein Vertreter des Max-Planck-Instituts, der im Er-gebnis dazu kommt, Herr Klaus, dass das Schiedsge-richtsverfahren – –
– Herr Ernst. Sorry. Sonst duze ich dich ja immer, Klaus.Du darfst mich demnächst mit „Herr Sigmar“ anreden.
Kollege Ernst, der Gutachter sagt, der Investitions-schutz im europäisch-kanadischen Abkommen CETA seiso schlecht, dass er den kanadischen Investoren empfehle,sich lieber auf den deutschen Rechtsweg zu begeben, alsauf das Schiedsgerichtsverfahren zurückzugreifen. Dassagt jemand, der in solchen Schiedsgerichtsverfahrenvertreten ist und im Übrigen als Wissenschaftler desMax-Planck-Instituts unumstritten ist. Deswegen bitteich Sie, vollständig vorzutragen und nicht nur das, wasder Legende, die Sie stricken wollen, entspricht.
Meine Damen und Herren, 125 detaillierte Fragen hatdie Fraktion Die Linke gestellt. Diese haben wir nachbestem Wissen und Gewissen beantwortet. Ich fragemich allerdings – das will ich gleich am Anfang meinerRede an einigen Beispielen aus Ihrer Rede nachweisen –,ob Sie wirklich ein Interesse an der Sache haben oder obdas alles nur eine Showveranstaltung ist.
Herr Kollege Ernst, Sie fragen, an welchem Tag dennnun die Bundesregierung ihr prinzipielles Problem mitdem Investor-Staat-Schiedsverfahren deutlich gemachthabe und wann wir für die Veröffentlichung des Mandatseingetreten seien. Sie haben gesagt, wir würden vonTransparenz reden, aber gar nicht dafür Sorge tragen.Ich sage Ihnen das. In der Sitzung des Ausschussesder Ständigen Vertreter am 15. Mai hat die Bundesrepu-blik Deutschland die Veröffentlichung des Mandats be-antragt. Im Übrigen wäre es albern, es nicht zu veröf-fentlichen; denn es steht längst im Internet. Warum mandas vorher nicht gemacht hat, hat uns nicht überzeugt.Wir haben das aber nicht hinbekommen, weil dies eineseinstimmigen Beschlusses bedarf und elf Mitgliedstaa-ten der Europäischen Union dagegen gestimmt haben.Tun Sie doch bitte nicht so. Sie versuchen, uns in dieEcke zu drängen, wir redeten öffentlich anders, als wirtatsächlich handelten.
Ich werde nachher nachweisen, warum jeder hier imSaal guten Gewissens Ihren Antrag ablehnen kann. Be-reiten Sie sich schon einmal auf eine schwierige Lagevor; denn das, was Sie fordern, haben wir längst getan.Auch das werde ich Ihnen nachher vorlesen.Meine Damen und Herren, nach meinem Eindruck istdie Oppositionsfraktion Die Linke an einem transatlanti-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4907
Bundesminister Sigmar Gabriel
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schen Freihandelsabkommen ohnehin nicht interessiert.Dabei ist es vollkommen egal, was wir aushandeln.
Das Ganze passt Ihnen weder in Bezug auf die Frei-heit des Handels, noch passt es Ihnen in Richtung einestransatlantischen Bündnisses. Es ist ganz egal, was wirverhandeln. Am Ende werden Sie gegen jedes Abkom-men sein; denn Sie wollen weder das eine noch das an-dere.Im Grunde heißt Ihre Parole: Schotten dicht. – Das istaber keine Parole, die wir für unser Land, für Europa undfür den Welthandel als sinnvoll erachten. Im Gegenteil,das wäre ein Schritt zurück in Richtung Nationalismusund Provinzialismus.
– Anders als bei der Rede des Kollegen Ernst ist es beimeiner Rede ruhig. Jetzt sind Sie aber ganz aufgeregt– das verstehe ich –, weil Sie sich scheinbar getroffenfühlen.
Sie behaupten doch, Arbeitnehmerinteressen zu ver-treten. In unserem Land und in Europa arbeiten Millio-nen Menschen in der Industrie und im Dienstleistungs-bereich, die auf Freihandel angewiesen sind.
Hunderttausende von Menschen arbeiten in mittelständi-schen Unternehmen, für die es heute sehr schwer ist,zum Beispiel auf dem nordamerikanischen Markt Fuß zufassen und die dort kaum eine Chance haben.Sie sind natürlich dagegen, weil sie den Leuten denEindruck vermitteln, dass es besser ist, national ge-schützt zu bleiben. Übrigens: Wer sich noch einmal da-ran erinnert, wie Ihre Fraktion über Europa hergezogenist, hat eine Vorstellung vom nationalstaatlichen Denken,dem Protektionismus, der bei Ihnen zu Hause ist.
Sie sind mit dieser Position eine richtige Jobkillerparteiin Deutschland.
Herr Gabriel, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder
Bemerkung der Kollegin Binder?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Gerne.
Gut.
Herr Kollege Gabriel, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu
nehmen, dass meine Fraktion sehr wohl Kritik an der
Politik der EU äußert, aber keinesfalls gegen Europa
aufgestellt ist.
Wir verstehen uns als Internationalisten. Wir möch-
ten, dass die Menschen in diesem Europa etwas zu mel-
den haben. Unser Kritikpunkt ist die Politik, die über die
EU geführt wird. Das ist Wirtschaftspolitik. Da hat we-
der Soziales noch Arbeit bisher Einzug gehalten.
Würden Sie bitte stehen bleiben? Das gehört sich so,wenn der Herr Minister antwortet.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Ich versuche, aus Ihren Ausführungen eine Frage zudestillieren. Aus Ihrer Partei wurde ein Programment-wurf für die Europawahl vorgelegt, in dem Sie sich mas-siv gegen Europa gestellt haben. Als die EuropäischeUnion den Friedensnobelpreis bekommen hat, kam ausIhrer Partei die Behauptung, die Europäische Union seiein Kriegstreiber. Aus Ihrer Partei kamen Vorschläge,den Euro aufzulösen und ganz Südeuropa damit in dieKatastrophe zu schicken.
Es liegt auf einer Linie, dass Sie den Menschen etwasüber die Notwendigkeit von Europäisierung und Interna-tionalität vormachen. Hinter dem Vorhang treffen Siesich bei dieser Frage mit der AfD. So läuft das bei Ihnen.
Mit dem stolzen Internationalismus der Arbeiterbe-wegung hat das jedenfalls nichts zu tun. Dann halten sieSonntagsreden: Wir brauchen Regeln für die Globalisie-rung! – Beim ersten Versuch, mit dem Mutterland derGlobalisierung Regeln zu verhandeln, fordern Sie gleichden Abbruch der Verhandlungen. Wenn wir dem folgen,wäre nur meine Bitte: Nie wieder eine Rede über Globa-lisierungsregeln. Sie haben doch gar nicht den Mut, sichauf Verhandlungen einzulassen. Sie wollen sie liebervorher abbrechen, damit Sie nicht in öffentliche Erklä-rungsnot kommen. Das ist die Politik, die Sie betreiben.
Klar ist auch: Nichts ist unterschrieben, nicht einmaldas kanadische Abkommen. Deswegen ist es auch richtig,dass wir darüber reden. Weil die Verhandlungen offensind, haben der DGB und das Wirtschaftsministerium et-was ganz Einfaches getan. Wir haben Anforderungen andie Freihandelsgespräche zwischen der EU und den
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Bundesminister Sigmar Gabriel
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USA definiert. Natürlich sind das auch Anforderungen,die für CETA gelten müssen. Hier ist es nur deshalbschwerer – da hatte der Kollege Ernst recht –, weil ers-tens die Verhandlungen weit fortgeschritten sind undzweitens bei CETA – anders als bei TTIP – der Investi-tionsschutz im Mandat ohne Einschränkungen enthaltenist. Das ist bei TTIP nicht der Fall. Dort ist es optional,deswegen ist es dort schwieriger.Trotzdem sage ich Ihnen: Ich bin dagegen, dass Sieimmer Herrn De Gucht zitieren. Der ist auf dem Weg indie Rente. Der scheidet aus der Kommission aus. Ichwürde das lesen, was der neue Kommissionspräsident zudiesem Verfahren sagt. Das gibt Ihnen vielleicht ein biss-chen Hoffnung. Jean-Claude Juncker sagte am 15. Juli inseiner Erklärung gegenüber dem Europäischen Parla-ment: Das Abkommen wird nicht zu jedem Preisgeschlossen. Wir können nicht unsere Standards im Ge-sundheitsbereich senken. Wir können nicht unsere Stan-dards im Sozialbereich senken. Wir können nicht unsereDatenschutzstandards senken. Ich möchte nicht, dass derDatenschutz überhaupt Teil der Verhandlungen wird. Ichwill nicht, dass wir eine parallele Geheimgerichtsbarkeitschaffen.
Die Vereinigten Staaten wie Europa sind Rechtsstaaten.Wir wenden das Recht an. Wir werden die Verhandlun-gen mit maximaler Transparenz führen. –
Das sagt derjenige, der jetzt ins Amt kommt. Sie zitierendenjenigen, der aus dem Amt geht. Wir wollen lieber mitdem reden, der jetzt etwas zu sagen hat, und nicht mitdem, der in der Tat nichts mehr zu sagen hat. Da sageich: Es ist auch gut so, dass er nichts mehr zu sagen hat.
Ich zitiere noch einmal Jean-Claude Juncker:Ebenso wenig werde ich akzeptieren, dass dieRechtsprechung der Gerichte in den EU-Mitglied-staaten durch Sonderregelungen für Investorenkla-gen eingeschränkt wird. Rechtsstaatlichkeit undGleichheit vor dem Gesetz müssen auch in diesemKontext gelten.Das ist die Verhandlungsposition des neuen Kommis-sionspräsidenten. Ich finde, es ist die richtige Verhand-lungsposition; ihr wollen wir uns anschließen. Insofernsind die Dinge, die wir mit dem DGB verabredet haben,für mich in der Tat verbindliche Leitlinien für die Ge-spräche mit der Kommission.Gemeinsam haben BMWi und DGB zuerst die Chan-cen dieses Freihandelsabkommens beschrieben. Das istganz interessant: Sie beziehen sich in Ihrem Antrag amEnde darauf, wenn Sie sinngemäß sagen, wir sollten mitden Verhandlungen neu beginnen. Ich sage Ihnen: Ers-tens finde ich es doch ein bisschen komisch, dass, unmit-telbar nachdem wir das mit dem DGB vereinbart haben,Folgendes veröffentlicht wird – und zwar wird KlausErnst persönlich zitiert –:Linkspartei enttäuscht vom DGBFraktionsvize findet Gewerkschafts-Offenheit fürdas TTIP-Abkommen „unverständlich“
Und dann kommen Sie hierher und sagen zu uns, Siefänden es doch wunderbar, was der DGB mit uns verab-schiedet hat; wir sollten doch mal dazu stehen.
Herr Gabriel, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung
oder einen Kommentar von Klaus Ernst?
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Selbstverständlich.
Sehr geehrter Herr Minister, zum Thema Gewerk-
schaften will ich noch einmal etwas sagen.
Erstens. Ich weiß, dass es innerhalb der Gewerkschaf-
ten eine ganze Reihe unterschiedlicher Positionen gibt;
Sie wissen das auch. Die erste Gewerkschaft, die das
Abkommen sehr stark kritisiert hat, war die IG Metall;
aber darum geht es nicht. Auf der einen Seite gibt es eine
Verabredung zwischen Ihnen und den Gewerkschaften,
die, wie Sie wissen, innerhalb der Gewerkschaften sehr
kontrovers diskutiert wird. Auf der anderen Seite gibt es
jetzt einen Beschluss Ihres Parteikonvents. Das ist ein
bisschen etwas anderes.
Meine große Befürchtung ist, dass Sie diesen Beschluss
nicht ernst nehmen.
Würden Sie den Beschluss nämlich wirklich ernst neh-
men – auch Sie in der Fraktion –, dann müssten Sie ihn
hier beschließen. Wenn Sie den Beschluss auf dem Par-
teikonvent fassen, aber es hier lassen, dann bedeutet
dies, dass Sie am letzten Wochenende – das sage ich Ih-
nen – eine Luftnummer für die Öffentlichkeit abgezogen
haben. Das ist die Wahrheit.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:
Was?
Sie können sich darüber aufregen; wir werden ja se-hen, wie Sie abstimmen.
Zweitens: zur Öffentlichkeit. Sigmar Gabriel, ichhabe wirklich Probleme damit, dass Sie behaupten: Wir
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4909
Klaus Ernst
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machen alles öffentlich. – Als Bundesbürger wissen wirnicht einmal, um welchen Betrag es bei der Schadens-ersatzklage von Vattenfall geht, obwohl das Verfahrenbei uns in der Bundesrepublik geführt wird – das wissenwir nicht!
Ich sage Ihnen: Wir wissen es deshalb nicht, weil IhrMinisterium das für geheimhaltungswürdig hält und diedeutsche Öffentlichkeit nicht informiert. Sie tun so, alswürden Sie alles öffentlich machen; also bitte ich Sie,Ihr Verhalten zu ändern und die deutsche Öffentlichkeitausführlich darüber zu informieren, welche Nachteile siedurch solche Investorenschutzabkommen zu erwartenhat; denn es gibt schon welche.
Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Erstens. Ich stelle fest: Sie möchten gerne, dass derDeutsche Bundestag und die SPD-Fraktion einem Papierzustimmen, das ich mit den deutschen Gewerkschaftenerarbeitet habe und das Sie selber ablehnen und kritisie-ren.
– Na ja, Sie sagen, das Papier sei schlecht, und heute ma-chen Sie es zu einer Frage der Glaubwürdigkeit, ob wirdem zustimmen. Es ist zuerst einmal eine Frage derGlaubwürdigkeit, ob Sie dem zustimmen. Sie haben esnämlich bisher abgelehnt.
Zweitens. Ich weiß nicht, ob Sie Ihren Antrag kennen;ich lese ihn zur Sicherheit vor.
Darin steht – Drucksache 18/2611 –:Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-rung auf,das CETA-Verhandlungsergebnis zurückzuweisenund darauf hinzuwirken, dass die Verhandlungs-mandate der EU-Kommission für TTIP und CETAim Sinne der Mindestbedingungen geändert wer-den.Das ist doch Ihr Antrag, dem wir zustimmen sollen, oder?Dann sind wir glaubwürdig, oder? Einverstanden? –
– Passen Sie mal auf: Am 12. September 2014 hat dieBundesregierung über das Bundeswirtschaftsministe-rium folgende Erklärung zum Entwurf des CETA-Ver-trags abgegeben, im Drahtbericht dokumentiert:Deutschland unterstreicht, dass aus Sicht der Bundes-regierung Investitionsschutz in CETA nicht erforderlichist. Zwischen entwickelten Rechtssystemen wie Kanadaund EU braucht man keinen völkerrechtlichen Investiti-onsschutz. Jedenfalls müssen die Bedingungen aus deut-scher Sicht an wichtigen Stellen nachgebessert werden.Das Kapitel Investitionsschutz ist in der vorliegendenFassung der EU für Deutschland nicht zustimmungsfä-hig.
Sie fordern uns in Ihrem Antrag auf, etwas zurückzu-weisen. Aber das haben wir schon getan. Wissen Sie,warum wir Ihren Antrag ablehnen werden? Wir werdenihn aus zwei Gründen ablehnen. Erstens, weil er unehr-lich ist, da Sie das DGB-Abkommen kritisieren, undzweitens, weil er erledigt ist, weil wir das, was Sie for-dern, längst getan haben.
So, weiter in der Rede.Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Wenn Sie uns wirklich in Schwierigkeiten hätten brin-gen wollen – ein Tipp für die nächste Sitzung –,
dann hätten Sie den Mumm haben müssen, den gesam-ten mit dem DGB vereinbarten Text zur Abstimmung zustellen. Aber den Mut hatten Sie nicht, weil darin steht,dass die Gewerkschaften das Freihandelsabkommenprinzipiell für eine gute Sache halten. Der Unterschiedist: Die wissen, dass das Millionen von Jobs sichernkann, und Sie wissen das nicht.
Es ist völlig klar, dass wir das Investor-Staat-Schieds-verfahren ablehnen. Bei CETA haben wir das Problem,dass die Verfahren Teil des Verhandlungsmandats sind.Trotzdem bemühen wir uns, auch hier Veränderungenherbeizuführen. Das ist schwieriger als bei TTIP. Aberich bin sicher, dass die Debatte längst nicht zu Ende ist.Im Übrigen empfehle ich tatsächlich, das Mandatnachzulesen, auch TTIP; denn darin werden Sach-verhalte aufgegriffen, die in der öffentlichen Debatte im-mer infrage gestellt werden. Es steht zum Beispiel darin,dass das Abkommen auch Mechanismen zur Unterstüt-zung der Förderung menschenwürdiger Arbeit durch diewirksame interne Umsetzung der Kernarbeitsnormen derInternationalen Arbeitsorganisation umfassen wird. –Warum haben Sie das vorhin eigentlich nicht zitiert?
– Für TTIP gibt es doch gar keinen Verhandlungstext. Esist das Mandat, in dem steht: Ihr müsst die Kernarbeits-normen durchsetzen.
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4910 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Man merkt bei Ihnen relativ schnell, worum es geht.Sie nutzen Ängste – die in Teilen im Übrigen durchausberechtigt sind; ich kritisiere überhaupt nicht, dass Fra-gen gestellt werden – für Ihre ziemlich populistische undplatte Strategie, um Ihren Nationalismus und Ihren Pro-vinzialismus voranzubringen.
Sie finden in der Antwort der Bundesregierung vieleBeispiele dafür, dass die Bundesregierung und die Euro-päische Kommission schon jetzt mehr Transparenzschaffen, unter der neuen Kommissarin hoffentlich nochmehr. Die EU-Kommission informiert regelmäßig Zivil-gesellschaft und Verbände, auch der Deutsche Bundes-tag wird regelmäßig informiert. Das Bundesministeriumfür Wirtschaft und Energie hat im Mai außerdem einenBeirat für TTIP berufen – das gilt sicher auch für CETA –,dem Vertreter von Wirtschaft, Gewerkschaften, Sozial-,Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie desKulturbereichs angehören. Ich hoffe, dass das in der Eu-ropäischen Union Beispiel macht.Der Investitionsschutz ist schon von der alten Bun-desregierung in der Art, wie er jetzt geplant ist, nicht fürerforderlich gehalten worden. Daran hat sich nichts ge-ändert. Übrigens gibt es inzwischen auch in den USAund Kanada Freihandelsabkommen ohne solche Bestim-mungen, zum Beispiel zwischen den USA und Austra-lien, Singapur oder Israel. In jedem Fall muss der Hand-lungsspielraum des Gesetzgebers gewahrt bleiben.Darauf werden wir nicht nur bei den Verhandlungen mitden Vereinigten Staaten achten, sondern jetzt auch in derDebatte über das kanadische Abkommen, dessen Ausar-beitung leider viel weiter vorangeschritten ist.Es darf keine doppelten Standards geben. Es darfnicht sein, dass internationale Investoren vor Schiedsge-richten Rechte und Einflussmöglichkeiten erhalten, dienationale Unternehmen im eigenen Land nicht haben.Das macht deutlich, dass auch die Wettbewerbsgleich-heit notwendig ist.Im Verhandlungsmandat für TTIP ist kein Automatis-mus zur Einrichtung von Investor-Staat-Schiedsver-fahren vorgesehen. Deswegen ist es gut, dass die EU-Kommission die Verhandlungen darüber ausgesetzt hatund ein Konsultationsverfahren durchführt. Allerdingshaben die Kommission und der Europäische Rat beiCETA – ich glaube, im Jahr 2011 – das Europäische Par-lament ignoriert und Investor-Staat-Schiedsverfahren imMandat vorgesehen. Ich bin der Überzeugung: Auch beiCETA ist diese Form von Investor-Staat-Schiedsverfah-ren überflüssig. Deswegen habe ich Ihnen eben nocheinmal die Stellungnahme des Bundeswirtschaftsminis-teriums im handelspolitischen Ausschuss der EU am12. September 2014 vorgetragen. Darin steht, was Sievom Parlament verlangen, nämlich dass die Bundesre-gierung das Schiedsverfahren zurückweisen soll. Das isterfolgt. Ihr Antrag hat sich deshalb erledigt, sehr geehr-ter Herr Ernst.Das Kapitel zum Investitionsschutz ist laut Protokoll– ich zitiere – „in der vorliegenden Textfassung für DEUnicht zustimmungsfähig“. – Wir haben also klar Stellungbezogen. Ich bin der Auffassung, dass es im deutschenInteresse ist, CETA an dieser Stelle zu verändern undauch zum Erfolg zu bringen.Wir haben für Europa viel erreicht. Wir haben Zugangfür öffentliche Beschaffung bis hinab zur Ebene der Pro-vinzen erreicht. Produkt- und Herkunftsbezeichnungensind gesichert. CETA, meine Damen und Herren, ist eingutes Abkommen. Es wäre falsch, es jetzt grundsätzlichinfrage zu stellen oder sich bereits jetzt dagegen zu posi-tionieren. Wir müssen vielmehr versuchen, diesen kriti-schen Punkt mit der EU und mit Kanadaweiterzuverhandeln. Er ist viel zu unbedeutend – dassagt der Gutachter aus –, als dass wir deshalb das ge-samte Abkommen jetzt schon sozusagen in den Orkusschicken sollten. Ich glaube, dass das letzte Wort nochnicht gesprochen ist.Morgen wird die EU erklären, dass die Verhandlun-gen abgeschlossen sind. Das kann ich verstehen. DieKommission geht aus dem Amt und will noch etwasabliefern. Das ist aber am 18. Oktober 2013 schon ein-mal passiert, und danach ist trotzdem kräftig weiter-verhandelt worden. Wir werden vermutlich mindestensacht Monate brauchen, bis die Übersetzungen und dieVoraussetzungen für eine Unterzeichnung überhauptvorliegen. Wir sollten dringend alles dafür tun, in dieserZeit Mehrheiten für die deutsche Position, auch im Hin-blick auf CETA und das Investitionsschutzverfahren, zubekommen.Viel einfacher wäre es, wenn es Staat-zu-Staat-Schiedsverfahren gäbe. Somit würde man verhindern,dass Unternehmen einfach loslaufen und versuchen, ih-ren Interessen Geltung zu verschaffen. Ich weise aberauch darauf hin, dass der Gutachter vom Max-Planck-Institut der Überzeugung ist, dass das jetzige Abkom-men für die Investoren eigentlich zu schlechte Bedin-gungen schafft.So wichtig und notwendig es ist, die deutschen Posi-tionen zu beschreiben, so wichtig ist es auch, bei dieserDebatte auf Folgendes hinzuweisen: Wir reden hier überein europäisches Projekt. Man muss ein bisschen aufpas-sen, dass man nicht glaubt, ausländische Investorenhätten den Eindruck, überall in Europa seien ihre Inves-titionen so sicher wie in unserem Land. Es gibt ein paarMitgliedstaaten, in denen wir Verfahren führen und Her-mesbürgschaften für die Zukunft sperren, weil dort derInvestorenschutz nicht gegeben ist. Das heißt: Wennman beim Thema Investorenschutz den Blick nur aufDeutschland richtet, dann ist dieser natürlich verkürzt.Wir alle wissen: Es gibt Mitgliedstaaten der Europäi-schen Union, in denen die Unternehmen nicht immer vorWillkür geschützt sind und es eine politische Einfluss-nahme gibt, die es ihnen wirklich schwer macht. Des-wegen ist der Weg zum Freihandelsabkommen nicht soeinfach, wie das hier einige Kolleginnen und Kollegen inder Öffentlichkeit immer wieder gerne darstellen; somacht es auch die Linkspartei anhand ihrer Bemerkun-gen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4911
Bundesminister Sigmar Gabriel
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Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Freihandelbrauchen. Wir brauchen Freihandel aber nicht um jedenPreis. Er muss all das respektieren, was Jean-ClaudeJuncker in seiner Rede gesagt hat. Ich bin der festenÜberzeugung, dass wir keine Investor-Staat-Schiedsver-fahren, wie sie hier vorgeschlagen werden, brauchen. Ichbin auch der Überzeugung, dass wir reden und verhan-deln müssen. Es macht keinen Sinn, die Verhandlungenjetzt abzubrechen, somit Risiken für gegeben anzu-nehmen und Chancen auf Arbeitsplätze in Europa zuzerstören.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Sigmar Gabriel. – Der nächste Rednerin der Debatte ist Dr. Toni Hofreiter für Bündnis 90/DieGrünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrMinister Gabriel! Lieber Sigmar!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann vom ameri-kanischen Chlorhuhn halten, was man will. Das antibio-tikaverseuchte Hühnchen aus Europa ist sicher nicht bes-ser. Aber eines hat das Chlorhühnchen erreicht: Es hat esgeschafft, dass der Scheinwerfer auf die Verhandlungenzu TTIP und CETA gerichtet ist. Wir führen eine schöne,breite und öffentliche Debatte darüber. Aber man hat denEindruck, dass das vielen nicht gefällt. Die EU-Kommis-sion scheut die öffentliche Auseinandersetzung darüberoffensichtlich so sehr, dass sie eine Europäische Bürger-initiative dazu ablehnt, sie verhindert bzw. ausbremst.Haben die Befürworter von TTIP und CETA so wenigüberzeugende Argumente? Müssen sie die offene De-batte so sehr scheuen? Im Fall der Schiedsverfahren fürKonzerne stelle ich eindeutig fest: Ja.
Diese Schiedsverfahren stehen völlig zu Recht in derKritik. Hinterzimmergerichte urteilen, ob demokratischverfasste Gesetze den Gewinninteressen der Unterneh-men entgegenstehen. In der Konsequenz droht, dass Bür-gerinnen und Bürger mit ihren Steuergeldern Millionenund Milliarden als Schadensersatz zahlen müssen.Das ist keine rein theoretische Sache. Wir kennen sol-che Fälle bereits. Philip Morris zum Beispiel verklagtUruguay wegen Gesundheitsschutzmaßnahmen imBereich der Zigarettenindustrie auf Schadensersatz inMillionenhöhe. Oder Vattenfall: Vattenfall hat Hamburgund die Bundesrepublik Deutschland verklagt – im Fallder Klage gegen die Bundesrepublik Deutschlang wegendes Atomausstiegs. Dabei geht es um Milliardensum-men. Und diese Klagemöglichkeit wollen Sie jetzt nochausweiten? Herr Gabriel erzählt uns hier – das ist jaschön –, er wolle sie nicht wirklich ausweiten. Mir fälltda eine in einem ganz anderen Zusammenhang geäu-ßerte Formulierung ein: Verbale Aufgeschlossenheit beiweitgehender Verhaltensstarre.
Ich meine damit: Es ist ja schön, was Sie uns hier alleserzählen. Entscheidend ist aber nicht, was Sie uns hiererzählen, sondern die entscheidende Frage ist: Stimmtdie Bundesrepublik Deutschland am Ende einem Ab-kommen zu, in dem genau diese Klagemöglichkeit ent-halten ist? Das ist die entscheidende Frage, und das istdas, was wir von Ihnen wissen wollen.
Für Sie, Herr Gabriel, und für die SPD müsste es docheigentlich eine klare Sache sein, auf welcher Seite Siestehen. Aber eingeklemmt zwischen Frau Merkel unddem BDI auf der einen Seite und dem Widerstand derBürgerinnen und Bürger, der Umweltschutzbewegung,der Verbraucherschutzbewegung, der Kulturschaffendenund der mittelständischen Industrie haben Sie sich offen-sichtlich für so eine Art Eiertanz entschieden. Schauenwir uns an, was am Wochenende passiert ist: AmWochenende konnten wir ein schönes Schauspiel be-obachten. Wir konnten wunderschön beobachten, wiesich die SPD auf ihrem Parteikonvent unter Ausschlussder Öffentlichkeit, hinter verschlossenen Türen darüberaufgeregt hat, dass diese Verhandlungen im Rahmen derGeheimdiplomatie stattfinden, dass es bei diesen Ver-handlungen an Transparenz mangelt. Ist Ihnen das nichtselbst total absurd vorgekommen?
Am Ende haben Sie sich entschieden – damit sind Sieganz zufrieden und glücklich –, gegen diese Investitions-schutzverfahren zu sein. Aber was war 48 Stundenspäter, Herr Gabriel? 48 Stunden später haben Sie einGutachten veröffentlicht, nach dem diese Investitions-schutzklauseln gar nicht so schlimm sein sollen. Dassteht in einem von Ihnen bestellten Gutachten. Sie habenzu dem Gutachter schon einiges gesagt. Wissen Sie,auch wenn dieser Gutachter Wissenschaftler am Max-Planck-Institut ist und wir diesem Gutachter als Personnichts Schlechtes nachsagen wollen, sollten Sie sich ein-mal Folgendes überlegen: Der Gutachter arbeitet fürdiese Schiedsgerichte. Er ist nominiert für diese Schieds-gerichte. Und Sie erwarten von ihm, dass er dieseSchiedsgerichte neutral beurteilt? Das ist doch nichtwirklich Ihr Ernst?
Ich habe den Eindruck, dass Sie schlichtweg Ihr Einkni-cken vorbereiten.Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Siehaben eine ganz schöne Kampagne mit vielen buntenBildern für TTIP gestartet. Rauf und runter loben Sie dieChancen, die dadurch für den Mittelstand entstehen.
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4912 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Dr. Anton Hofreiter
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Hören wir uns doch einmal gemeinsam an, was der Mit-telstand selbst dazu sagt. Ich meine nicht das, was derMittelstand nach Meinung der CDU zu denken hat, son-dern das, was der Mittelstand selbst sagt. Eine guteQuelle ist der Bundesverband der mittelständischenWirtschaft. Er hat eine sehr klare Stellungnahme abgege-ben – ich darf zitieren –:Der Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus …ist in dem geplanten TTIP-Abkommen zwischender Europäischen Union und den USA überflüssigund strikt abzulehnen. Die geplanten Regelungenbenachteiligen die mittelständische Wirtschaft, he-beln die Rechtsstaatlichkeit aus und gehen so zuLasten der Mitgliedsstaaten der EU.Der Mittelstand fürchtet zu Recht, dass diese Verfah-ren nur den Großkonzernen nutzen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,hören Sie doch einfach auf den Mittelstand, anstatt ihmzu sagen, was er zu denken hat, und lehnen Sie dieseVerfahren doch einfach einmal ab!
Mich persönlich würde auch interessieren: Was ist ei-gentlich die Meinung der Bundesregierung? Die Mei-nungen der einzelnen Teile haben wir inzwischen gehört,aber es wäre doch schön, bei dieser wichtigen Frage zuhören, was die gemeinsame Meinung der Bundesregie-rung ist. Es ist doch vollkommen absurd, wie gespaltenSie hier auftreten.Zum Abschluss. Ja, wir wollen ein gutes Abkommen.Wir wollen ein Abkommen, das den Unternehmen undden Menschen nutzt. Wir wollen ein Abkommen, dasunnötige Bürokratie und Zölle abbaut. Wir wollen einAbkommen, das zu höchsten Standards führt und diesehöchstens Standards zur Regel werden lässt. Dazu sagenwir Ja. Aber wir sagen klar Nein zu einem Abkommenvoller Privilegien für die Konzerne und Nachteile für diemittelständische Wirtschaft, voller Risiken für Verbrau-cher und Umwelt.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Hofreiter. – Nächster Red-
ner in der Debatte: Dr. Peter Tauber für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wirdSie nicht verwundern: CDU und CSU sind für die Frei-handelsabkommen mit den USA und mit Kanada. Wirsind fest davon überzeugt, dass nicht nur die Wirtschaft,sondern auch die Menschen in unserem Land, die Men-schen in Europa und auch die Menschen in den USA undKanada von solchen Abkommen profitieren können.
So gerne ich mit Ihnen, auch mit Ihnen, lieber HerrHofreiter, in den kleinteiligen Disput eintrete, tut es not,dass wir uns noch einmal vergewissern, warum wir überFreihandelsabkommen reden. Es geht im Kern um dieFrage, ob wir als Europäer gemeinsam mit unserentransatlantischen Partnern bis weit in das 21. Jahrhunderthinein weltweit Standards setzen oder ob wir das nichttun und anderen überlassen. Das ist die zentrale Fragedabei, warum wir für oder gegen ein Freihandelsabkom-men sind. Sie haben sich entschieden, dagegen zu sein.Das muss man an dieser Stelle einmal festhalten. Dasbedeutet also: Sie sind bereit, darauf zu verzichten, dassdie Europäer, die Amerikaner und Kanadier gemeinsamdarüber reden, welche Standards wir weltweit setzenwollen. Das kann man zunächst einmal festhalten, bevorwir uns den Details nähern.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,zunächst einmal beglückwünsche ich Sie zu Ihrem Mut.Fragen zu stellen, ist ja nicht verkehrt; denn meistensdient es der Bewusstseinserweiterung und auch der Bil-dung. Das Ganze wird nur dann schwierig, wenn SieFragen stellen, bei denen man davon ausgehen kann,dass sie Ihnen weiterhelfen, Sie dann aber komplett dieAntworten, die die Bundesregierung Ihnen gegeben hat,ignorieren. Das hat man an der Debatte und an IhremBeitrag, lieber Herr Ernst, sehr deutlich gemerkt.Was haben Sie in der Vergangenheit getan, wenn überdie Freihandelsabkommen geredet wurde? Sie haben je-weils nach Symbolen gesucht, mit denen die Ängste undauch die kritischen Fragen von Menschen verstärkt wor-den sind. Sie haben sich an keiner Stelle in der Debattedarum bemüht, Ängste und Sorgen aufzugreifen und ih-nen positiv zu begegnen, indem Sie sagen: Wir versu-chen, dies im Sinne der Menschen umzusetzen, Sorgenaufzugreifen und eine Antwort zu geben. – Das Erstewar das Chlorhühnchen. Nachdem klar war, dass dasChlorhühnchen mit dem Freihandelsabkommen nichtkommt, haben Sie sich etwas Neues gesucht. Dann wares Fracking. Sie sagten, dass Fracking durch die Hinter-tür mit dem Freihandelsabkommen bei uns eingeführtwird. Als klar war, dass auch Fracking nicht durch dieHintertür mit dem Freihandelsabkommen kommt, habenSie als Nächstes gesagt: Es wird ja alles so geheim undintransparent verhandelt; man weiß gar nicht, was wirk-lich kommt.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4913
Dr. Peter Tauber
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Nachdem jetzt klar ist, dass sehr wohl für alle nachvoll-ziehbar ist, worüber wir da eigentlich reden, rudern Sieein bisschen herum.Am Ende kommen Sie zu einer grundlegenden Hal-tung. Bei den Linken ist diese noch durch einen tief ver-wurzelten Antiamerikanismus gespeist. Bei den Grünen,bei Ihnen, Herr Hofreiter, höre ich jetzt eine leichte Wen-dung heraus: Grundsätzlich ist man nicht dagegen.
Herr Kollege, würden Sie eine Rückfrage oder einen
Kommentar von Frau Höhn erlauben?
Jetzt bin ich gerade so schön im Redefluss, Frau Prä-
sidentin.
Also nicht.
Sie kann ja gerne nachher erwidern. Dann werde ichihre Anmerkungen gerne aufgreifen.
Schauen Sie sich einmal selber an, wie Sie sich dazu äu-ßern.An die Adresse der Linkspartei gerichtet muss mansagen: Sie haben klar gesagt, Sie wollen ein Freihandels-abkommen nicht positiv begleiten. Ich kann mich, ehr-lich gesagt, an keine politische Debatte in diesem HohenHause erinnern, in der die Linkspartei irgendein Projekt,das in die Zukunft weist, positiv begleitet hätte; insofernist diese Haltung nicht verwunderlich.
An die Adresse der Grünen: Vielleicht haben Sie gele-sen, was Ihr grüner Ministerpräsident, Herr Kretschmann,heute im Zeit-Interview gesagt hat, an Ihre eigene Adressegerichtet.
Er sagt in dem Interview: Warum geht meine Partei sodefensiv ran, mit so einer Abwehrhaltung? Da muss mandoch offensiv reingehen und das gestalten. – Das sagt IhrMinisterpräsident an Ihre Adresse gerichtet. Vielleichtnehmen Sie sich daran für die Zukunft mal ein Beispiel.Genau darum geht es bei dem Freihandelsabkommen.
Warum ist so ein Abkommen per se erst einmal einegute Sache? Wir müssen uns natürlich die Inhalte an-schauen und dann entscheiden – wobei Sie diese Ent-scheidung durch Ihre ablehnende Haltung schon vor-wegnehmen. Es kommt doch darauf an, dass wir dierichtigen Dinge hineinschreiben. Aber wenn wir unsdem positiv nähern, dann ist ja die spannende Frage:„Warum wollen wir dieses Abkommen?“, und es gibtviele, viele gute Gründe:Weltweit steht Deutschland auf Platz eins der Ländermit der dichtesten Vernetzung der Volkswirtschaften.Das heißt, wir sind ganz besonders darauf angewiesen,dass Handelshemmnisse abgebaut werden, für unsereWirtschaft, und zwar nicht nur, wie Sie suggerieren, fürdie großen Konzerne, sondern auch für die kleinen Un-ternehmen, für den Mittelstand, für viele KMU. Ich willIhnen da nachher gerne noch ein Beispiel näherbringen.Die University of Chicago hat in einer aktuellen Stu-die errechnet, dass der reale Wohlstand in Deutschlandohne diese zahlreichen Handelsbeziehungen nur halb sohoch wäre. Und da stellen Sie ernsthaft die grundsätzli-chen Vorteile eines solchen Abkommens infrage? Das istin der Tat nur schwer nachvollziehbar.
Jetzt geht es um die Frage: Was sind denn die auchvon der Bundesregierung an vielen Stellen schon formu-lierten roten Linien, was ist denn unsere Position in die-sen Verhandlungen? Natürlich haben wir klar gesagt,dass wir bei der Nachhaltigkeit, beim Gesundheits-, Ver-braucher- und auch Arbeitnehmerschutz, beim Waren-handel positive Impulse setzen wollen. Natürlich wollenwir keine Standards preisgeben. Sie suggerieren das im-mer; aber in der Antwort der Bundesregierung auf dieGroße Anfrage der Linken wird deutlich, dass wir diepositiven Impulse eines solchen Abkommens stärkenwollen. Dort heißt es – ich darf zitieren –:Der Verzicht auf ein solches Freihandelsabkommenzwischen den beiden größten Wirtschaftsräumender Welt – Europa und USA – würde zugleich denVerzicht auf Einflussnahme für internationale Stan-dards in den globalisierten Wirtschaftsbeziehungenbedeuten.Das heißt, es geht nicht nur um die wirtschaftlichen Be-ziehungen zu den USA, sondern wir greifen weit darüberhinaus, wenn es darum geht, unseren Standards bei dengenannten Punkten Verbraucherschutz, Umweltschutzweltweit zur Durchsetzung zu verhelfen.Dann gibt es eine zweite Legende, die Sie immer wie-der bemühen: Nur die großen Konzerne würden von sol-chen Abkommen profitieren. – Das ist nicht so. Es gibtdazu eine aktuelle Studie. Sie haben die Zahlen des ifo-
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4914 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Dr. Peter Tauber
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Instituts erwähnt. Wir haben darauf zurückgegriffen beiunserer Kampagne für ein Freihandelsabkommen; denndiese Zahlen zeigen genau das Gegenteil: dass, wenn wirdas Abkommen gut verhandeln, die normalen Bürgerin-nen und Bürger die Chance haben, davon zu profitieren.
Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, der in derDebatte von Ihnen völlig negiert wird.Sie behaupten ferner, das werde alles geheim verhan-delt und keiner wisse, was in dem Abkommen stehe. Ichfrage mich ernsthaft, was Sie für ein Selbstverständnisals Abgeordnete haben und was für eine Kollegialität Siehier zum Ausdruck bringen. Glauben Sie ernsthaft, dassdie Kollegen in unserer Fraktion, dass die Kollegen imEuropäischen Parlament – egal welcher Fraktion sie an-gehören – so ein Abkommen abnicken, ohne es sich an-zuschauen, ohne eigene Vorstellungen einzubringen?
– Es lässt tief blicken, was Ihr eigenes parlamentarischesSelbstverständnis angeht, wenn Sie Kolleginnen undKollegen so etwas unterstellen. Das ist zutiefst unkolle-gial und einfach nur billige Polemik für den kurzen Ef-fekt; mehr ist es nicht.
Was sind die Vorteile, auch für den Mittelstand?Wenn wir dieses Abkommen gut verhandeln, dann kön-nen in Europa mehr als 1 Million zusätzliche Arbeits-plätze entstehen. Sie appellieren doch immer, dass wirImpulse setzen für die Staaten in Süd-, Ost- und Mittel-europa. Selbst in Deutschland, das sagen Prognosen,könnten bei den richtigen Rahmenbedingungen 200 000zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.
Der deutsche Export in die USA könnte sich um 94 Pro-zent steigern.Das alles sind positive Chancen, die nicht von vorn-herein gegeben sind und die wir ergreifen müssen. Eskommt auf das Ergebnis an. Wenn wir immer nur daraufschauen, dass es nicht klappt, dann werden wir die Zu-kunft nicht gewinnen. Deswegen ist es so enorm wichtig,dass wir die richtigen Leitplanken einziehen und positivin diese Debatte gehen.Dasselbe gilt in Bezug auf die Steigerung der realenLöhne. Wenn das Abkommen richtig verhandelt ist,dann kann jedem Haushalt mit vier Personen am Endeein zusätzliches Einkommen von bis zu 545 Euro zurVerfügung stehen, ohne dass die Standards abgesenktwerden. Das ist eine gute und wichtige Botschaft.
Es gibt einen schönen Satz der Präsidentin des Ge-samtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie,in dem viele kleine und mittelständische Unternehmenzusammengeschlossen sind. Sie hat gesagt, es wäre ganzschön, wenn man dieses Thema „mal ohne GermanAngst“ diskutieren würde. Genau das müssen wir tun,und dazu sind Sie leider nicht in der Lage.
Sie erinnert uns daran, dass die deutsche Textil- undModeindustrie einen Jahresumsatz von 28 MilliardenEuro hat, und sie ist Weltmarktführer bei hochinnovati-ven technischen Textilien für Medizintechnik, Bautech-nik, Luft- und Verkehrstechnik. Aber: Für diese Branchegibt es Handelsschranken. Die Kosten für Einfuhrabfer-tigung und Einhaltung aller Vorschriften führen dazu,dass sich die Produkte um bis zu 20 Prozent verteuern.Es gibt in diesem Bereich eine Bürokratie, die wir drin-gend abbauen müssen, weil sie für kleine und mittelstän-dische Unternehmen schlichtweg nicht zu leisten ist.Wenn Sie einen Männeranorak, wesentlich aus Baum-wolle, in die USA exportieren wollen, dann zahlen Siedafür einen Zollsatz von 9,4 Prozent.
Wenn derselbe Anorak hauptsächlich aus Chemiefasernhergestellt ist, dann liegt der Zollsatz bei 27 Prozent.Das ist ein gutes und ganz lebensnahes Beispiel, wegvon Ihren Angstszenarien, die Sie aufbauen. Dieses Bei-spiel zeigt, warum wir ein solches Freihandelsabkom-men wollen. Davon profitieren nämlich auch die Bürge-rinnen und Bürger und nicht nur die Industrie, und esgilt, unseren Standards und Werten auch im Wirtschafts-bereich zur Durchsetzung zu verhelfen.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit.
Ich komme zum letzten Satz. – Es wäre schön, wenn
Sie sich dem nicht weiter verschließen, sondern einen
Beitrag dafür leisten würden,
dass unser Land dort eine Perspektive bekommt und wir
die transatlantische Partnerschaft auch in diesem Bereich
stärken. Das wollen und das können Sie aus ideologi-
schen Gründen nicht, und das ist sehr bedauerlich.
Danke, Herr Kollege. – Das Wort zu einer Kurzinter-vention hat die Kollegin Höhn.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4915
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Herr Kollege Tauber, Sie haben eben das Fracking im
Zusammenhang mit diesem Abkommen angesprochen.
Ich möchte Sie hier auf Folgendes hinweisen: Auf der
Grundlage der jetzigen Handelsabkommen klagt Lone
Pine gegen Quebec, und zwar deshalb, weil Quebec, ge-
nauso wie Nordrhein-Westfalen, ein Moratorium erlas-
sen hat. Quebec hat noch keine Lizenzen für das Fra-
cking an sich vergeben, sondern nur Lizenzen für
Probebohrungen, und jetzt haben sie dieses Moratorium
erlassen. Lone Pine klagt gegen Quebec auf einen Scha-
densersatz von 250 Millionen Kanadische Dollar.
Genau diese Möglichkeit eröffnet der Text zum
CETA, der uns momentan vorliegt, den Unternehmen.
Nordrhein-Westfalen hat auch ein solches Moratorium,
wie gesagt, erlassen. Welche Passage in den Texten, die
uns jetzt vorliegen, können Sie anführen, woraus hervor-
geht, dass eine solche Klage, die jetzt gegen Quebec ge-
führt wird, nicht auch Nordrhein-Westfalen droht? Nach
unseren Informationen ist sehr klar: Schadensersatzkla-
gen wie die gegen Quebec können aufgrund des CETA-
Textes zum Beispiel auch gegen Nordrhein-Westfalen
geführt werden. Nennen Sie mir bitte die Passage, die
das aus Ihrer Sicht nicht zulässt.
Danke, Frau Kollegin. – Herr Dr. Tauber.
Frau Kollegin, erstens kennen Sie die Haltung der
Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zum Fra-
cking im Rahmen der TTIP-Verhandlungen.
Zweitens kann man zu dem Verfahren, das Sie jetzt er-
wähnt haben, abschließend noch gar nichts sagen, weil
es noch nicht entschieden ist.
– Ich habe hier eine Menge Papier vor mir auf dem Tisch
liegen, aber diese entsprechende Passage leider nicht.
Vielleicht haben Sie das. Dann bringen Sie es mir, und
dann zeige ich es Ihnen ganz entspannt. – Das ändert
doch nichts an der Tatsache, dass Sie negieren, dass gel-
tendes Recht nicht geändert wird – und das gilt auch für
dieses Freihandelsabkommen.
Herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege Dr. Tauber. – Der Abgeordnete
Gabriel hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.
Danke, Frau Präsidentin. – Weil ich zur Sachaufklä-
rung beitragen kann, werde ich Frau Kollegin Höhn die
Passage aus dem europäisch-kanadischen Freihandels-
abkommen CETA übermitteln, in der steht, dass zur
Wahrung natürlicher Ressourcen Moratorien erlassen
werden können, und in der exakt das, was Sie befürch-
ten, wegen der Erfahrung, die Kanada in Quebec ge-
macht hat, ausgeschlossen wird. Wegen genau der Erfah-
rung, die Sie zu Recht geschildert haben, hat Kanada
dem Vorschlag, gerade zur Nutzung natürlicher Ressour-
cen Schutzvorschriften – für Kanada und auch für
Europa – zu erlassen, zugestimmt. Ich übermittle Ihnen
das gerne.
Danke, Herr Abgeordneter Gabriel.
– Melden Sie sich zu einer Kurzintervention?
– Gut. – Nach § 27 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung,
wie Sie sicher wissen, nun eine Kurzintervention von
Frau Dröge.
– Das Recht hat sie, liebe Kollegen. Das können auch
Sie machen.
Auch ich habe mich zu einer Kurzintervention gemel-det. Herr Gabriel wollte ja vermeintlich zur Aufklärungdes Sachverhaltes beitragen. Auch ich muss zur Aufklä-rung des Sachverhaltes beitragen, weil das, was Sie hierdargestellt haben, nicht ganz korrekt war.Auch wir haben – zusätzlich zu Ihrem Rechtsgutach-ten, Herr Gabriel – ein Rechtsgutachten in Auftrag gege-ben. Es besagt ganz eindeutig, dass das Investitions-schutzkapitel in CETA die öffentlichen Genehmigungennach Artikel 14 Grundgesetz so nicht schützt, dass zumBeispiel der Entzug von bereits genehmigten Fracking-Lizenzen, die es ja auch in Deutschland schon gibt,durch das Investitionsschutzkapitel in CETA so nicht ge-schützt ist und dass Klagen weiterhin möglich sind.
Deswegen kann es nicht einfach so stehen bleiben, dassSie hier den Eindruck erwecken, die Frage von Frau
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4916 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Katharina Dröge
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Höhn entspricht nicht den Tatsachen. Im Gegenteil:Unser Gutachten zeigt etwas anderes.
Wir machen jetzt mit der Debatte weiter.
Der nächste Redner in der Debatte ist Wolfgang
Tiefensee für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Wir diskutieren einmal mehr über TTIP und
über CETA. Diese Debatte ist gut, weil wir das, was in
der Öffentlichkeit diskutiert wird, sehr ernst nehmen. Ich
will ausdrücklich unterstreichen, dass wir diese öffent-
liche Debatte brauchen und all denjenigen, die sich kri-
tisch äußern, zurufen: Meldet euch! Wir wollen mit euch
diskutieren.
Was schlecht ist, ist die Grundlage der heutigen
Debatte, nämlich die drei uns vorliegenden Anträge.
Einer ist von der Fraktion Die Linke. Er zeichnet sich
dadurch aus, dass man das, was auf dem Parteikonvent
gesagt wurde, als Steinbruch genommen hat, sich genau
die Passagen herausgesucht hat, die einem passen, sie
zusammengeschrieben und zu einem Antrag formuliert
hat. Das, liebe Fraktion der Linken, ist Kindergarten,
große Gruppe.
Etwas einfach nur abzuschreiben, keine eigenen Ideen
vorzutragen und vor allen Dingen dann auch noch den
eigentlich entscheidenden Punkt wegzulassen, ist für ein
solches Haus eigentlich nicht akzeptabel. Das sollten Sie
in der Zukunft unterlassen.
Was meine ich damit? In der öffentlichen Debatte
kommt es zuallererst darauf an, zu berichten, warum wir
ein solches Abkommen überhaupt abschließen wollen,
warum es diese Verhandlungen gibt. Wir müssen
zunächst deutlich machen, dass wir die Handelsräume
zusammenführen, die sogenannten nichttarifären Han-
delshemmnisse, diese unsäglichen unterschiedlichen
Normen und Standards, abbauen und die Verfahren für
Mittelstand und Großindustrie erleichtern wollen. Wenn
wir das kommuniziert haben, dann sollten wir auch
sagen, wo die roten Linien sind. Genau das tun Sie nicht.
Sie suchen immer wieder Gelegenheiten und Sie suchen
– wie in einem Steinbruch – Textbausteine, um deutlich
zu machen: An dieser Stelle mit uns nicht. – Ich bitte
Sie, irgendwann ausdrücklich zu erklären: Wir wollen
keine Freihandelsabkommen. Wir wollen TTIP nicht.
Wir wollen CETA nicht.
In diesem Fall würde Ihr Antrag aus einem Satz beste-
hen. Dann könnte man ihn viel einfacher verstehen und
natürlich viel einfacher ablehnen.
Das Gleiche gilt im Übrigen aber auch für den Antrag
der Grünen. Ich habe in den Gesprächen, die wir nicht
zuletzt auch im Ausschuss miteinander geführt haben,
gelernt, dass Sie offensichtlich nicht zu der Fraktion ge-
hören, die Freihandelsabkommen grundsätzlich ablehnt.
– Willkommen im Klub! Das ist gut. – Sie machen das
Gegenteil von dem, was die Linke tut. Aus den roten
Linien, also dem, was wir in den Verhandlungen verhin-
dern wollen, greifen Sie sich nur einen Teil heraus –
wahrscheinlich den, der ganz besonders populär ist.
Sie sprechen nicht davon, dass wir verhandeln wol-
len, dass die ILO-Kernarbeitsnormen in einem Kapitel
ihren Widerhall finden müssen. Sie sprechen nicht da-
von, dass es uns um öffentliche Daseinsvorsorge geht.
Sie sprechen nicht davon, dass wir die Standards nicht
absenken wollen, sondern dass wir die US-Standards
und die europäischen Standards auf das jeweils höchste
Niveau heben wollen. Sie sprechen nicht davon, dass wir
bei Kultur und Medien aufpassen wollen, dass beispiels-
weise die Buchpreisbindung nicht unter die Räder gerät.
Das alles spielt keine Rolle, weil es in der Diskussion
kein so schlagkräftiges Argument ist. Sie beziehen sich
nur auf einen Teil. Deshalb also meine Bitte: Reden Sie
Klartext. Stehen Sie zu den Verhandlungen. Stehen Sie
dazu, dass wir die Vorteile für den Mittelstand, für die
Industrie, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
nutzen und dass wir alles Erdenkliche tun wollen, dass
diese Abkommen zum Abschluss kommen. Oder stellen
Sie sich auf die andere Seite, die alles grundsätzlich
ablehnt.
Ich will es hier noch einmal ganz deutlich sagen:
Aber kurz.
Die sozialdemokratische Fraktion wird alles dafürtun, dass sowohl CETA als auch TTIP keinen Investo-renschutz und keine Schiedsgerichtsklausel enthalten,dass die ILO-Kernarbeitsnormen ihre Verankerung fin-den, dass die Standards nicht abgesenkt werden, dass deröffentliche Dienst nicht gefährdet wird, dass es keinegenmanipulierten Nahrungsmittel gibt. Das sind unsereZiele. Diese werden wir durchsetzen, und zwar auf unse-rem Wege.Vielen Dank.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4917
(C)
(B)
Herr Kollege, erlauben Sie kurz vor Schluss noch eine
Zwischenfrage?
Sehr gerne. – Die ist nicht von mir bestellt; aber ich
freue mich über die Verlängerung der Redezeit.
Das glaube ich, dass die nicht von Ihnen bestellt ist. –
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Tiefensee. – Weil Sie ge-
rade sagten, dass die Abkommen gut für den Mittelstand
seien, wollte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass
der Bundesverband mittelständische Wirtschaft die Ver-
handlungen ablehnt.
Wenn Sie das wissen, wieso behaupten Sie dann hier das
Gegenteil?
Da fragen Sie jetzt gerade den Richtigen. Gemeinsam
mit Ihrem Kollegen Gysi und anderen – Cem Özdemir
zum Beispiel – habe ich die große Ehre, Mitglied im
politischen Beirat des BVMW zu sein. Ich sitze also als
Berater im Vorstand. Wir haben darüber diskutiert, wie
es um TTIP bestellt ist. Ich bin dem Wirtschaftsminister
sehr dankbar, dass er den BVMW an den Tisch des Bera-
terkreises geholt hat und dass er sich direkt mit ihm
austauscht. Die Situation stellt sich folgendermaßen dar:
Das Präsidium des BVMW sagt: Wir werden, genauso
wie das die Parteien der Koalition machen, auf eine
ganze Reihe von Dingen achten müssen. – Diese habe
ich vorhin aufgezählt. Wir erhoffen uns Vorteile bei der
Beseitigung nichttarifärer Hemmnisse.
Weil Sie mich danach fragen, Herr Ernst, darf ich ein
Beispiel nennen.
Herr Kollege, machen Sie es bitte kurz, sonst kriege
ich Ärger.
Wenn Sie eine Maschine bauen, die Zucker herstellt,
dann müssen Sie berücksichtigen, dass Zucker im letzten
Verfahrensschritt explosiv ist. Aus diesem Grund muss
die Maschine explosionssicher sein. Es gibt dafür einen
deutschen Standard. Der Maschinenbauer, der diese
Maschine baut und nach Amerika exportieren will, baut
sie zuvor noch einmal auseinander – andere Kabel,
andere Schellen, andere Einzelteile –, um sie dann, neu
zusammengebaut, nach Amerika zu liefern, damit die
Maschine dort den Test besteht. Genau das will der Mit-
telstand nicht. Genau das will der BVMW nicht. Diese
nichttarifären Handelshemmnisse müssen abgebaut
werden, damit Kosten gespart werden, Arbeitsplätze ent-
stehen bzw. Arbeitsplätze erhalten werden. Sie werden
sehen: Wenn wir all diese roten Linien nicht überschrei-
ten und die Vorteile in die Verhandlungen eingebracht
haben, werden am Ende der BVMW und der Mittelstand
genauso wie der DGB zustimmen.
Vielen Dank.
Danke, Herr Kollege Tiefensee. – Nächster Redner in
der Debatte: Alexander Ulrich für die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wir lassen da keinen Zweifel, Herr Tiefensee: Die Lin-ken lehnen CETA ab, und wir wollen, dass die Verhand-lungen zu TTIP abgebrochen werden – ohne Wenn undAber.
Wir lassen da keine Zweifel. Wir wollen Ihnen nur dieChance geben, zu erklären, ob Sie bereit sind, auch par-lamentarisch für die roten Linien zu kämpfen, die Sie amWochenende beschlossen haben.
Die heutige Debatte zeigt, dass Sie das nicht wollen.
Wir haben einen Wirtschaftsminister, der uns heuteerklärt, dass alle diejenigen, die Kritik an diesen Verfah-ren, an diesen Inhalten äußern, offensichtlich die Jobkil-ler Deutschlands sind.
Ich frage Sie, Herr Wirtschaftsminister: Haben Sie schoneinmal bemerkt, dass wir auch ohne diese Verträge sehrerfolgreich im Export sind?
Haben Sie denn schon gemerkt, dass Handel heute schonmöglich ist? Sie tun ja gerade so, als wären alle Kritikerdafür, den Handel zu verbieten. Das ist großer Unsinn,und es ist eigentlich für einen Wirtschaftsminister nichtrecht, sich hier so zu äußern.
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4918 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Alexander Ulrich
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(B)
Herr Gabriel, das, was Sie hier betrieben haben, ist jaschon ein bisschen Demagogie.
Sie legen ja großen Wert auf das,
was Sie scheinbar mit dem DGB beschlossen haben.
Ich möchte dazu einmal Herrn Wetzel von der IG Metallzitieren,
der Folgendes gesagt hat – am gleichen Tag, als Sie dasPapier veröffentlicht haben. Er sagt: Dieses Papier stehtunter einem Vorbehalt. Wortwörtlich:Die IG Metall erwartet, dass die Bundesregierungden aktuellen Entwurf zum HandelsabkommenCETA mit Kanada ablehnt und dies auch auf EU-Ebene durchsetzt. Das ist die Nagelprobe für dieGlaubwürdigkeit der Vereinbarung.
Herr Gabriel, morgen ist die Nagelprobe. Morgenwird in Ottawa etwas verkündet. Und wenn das dieNagelprobe ist, erwarte ich morgen von Ihnen, dass Sieöffentlich sagen: Unsere roten Linien sind nicht beachtetworden. Wir lehnen dieses Verhandlungsergebnis ab.Hier muss nachverhandelt werden. – Wenn Sie das mor-gen nicht tun, haben Sie nicht nur den DGB, sondern alleGewerkschaften enttäuscht.
Sie bleiben hier auch die Antworten schuldig. Sie er-klären uns, man bräuchte dem Antrag ja nicht zuzustim-men, denn das wäre ja schon umgesetzt. Dann frage ichSie in Ihrer Eigenschaft als SPD-Parteivorsitzender:Wenn das schon alles umgesetzt ist, warum haben Siedann am Wochenende so viel Mühe gehabt, das bei IhrenLeuten überhaupt durchzukriegen?
Offensichtlich ist ja noch nichts durchgesetzt.Herr Tiefensee erklärt uns hier: Investorenschutz sollaus TTIP heraus bzw. ist nicht Bestandteil. Gucken Siesich den Vertrag an, da steht drin: „soll“ und „kann“. Na-türlich: Jeder weiß doch, dass das, was morgen veröf-fentlicht wird, die Blaupause für TTIP ist. Oder glaubenSie ernsthaft, dass die Amerikaner mit der EuropäischenUnion eine schlechtere Vereinbarung schließen als dieKanadier?
Deshalb erwarten wir morgen eine klare Aussage,Herr Gabriel. Deshalb – so glaube ich – wird auch die IGMetall am Wochenende kundtun, dass hier jetzt etwas zuerwarten ist. Sonst ist das Papier wirklich nichts wert.Wenn Sie sich hier hinstellen und uns vorwerfen, wirwürden Arbeitsplätze gefährden, muss ich sagen: Dannfinden wir uns in einer richtig großen Runde vonUmweltverbänden, von Verbraucherschützern, kirchli-chen Organisationen, mittelständischen Unternehmenwieder. Auch viele Kommunalpolitiker mit CDU-, CSU-und mit SPD-Parteibuch gehören dazu. Das geht bis zuden Bierbrauern, Herr Kauder. Sie alle haben Angst vordem, was hier gemacht wird. Wenn diese ganzen Organi-sationen quasi Jobs gefährden, ja, dann muss ja etwasdaran sein, dass das wohl nicht so ist, wie Sie sagen.Oder glauben Sie wirklich, die IG Metall oder mittel-ständische Unternehmen würden Kritik äußern, weil sieJobs vernichten wollen?Offensichtlich ist die Bundesregierung nicht bereit,diese große Anzahl von Verbänden, Organisationen ernstzu nehmen. Sie will sie in eine Ecke stellen. So kannman zwar Politik betreiben, aber die SPD wird deshalbnie mehr einen Kanzler stellen.
Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit?
Ja, ich bin auch gleich am Ende. – Nur noch so viel,
weil immer wieder erzählt wird, wie viele Jobs entstün-
den: Gucken Sie sich einmal an, wie viele Jobs durch das
Abkommen NAFTA „entstanden“ sind. In den USA sind
1,2 Millionen Jobs verloren gegangen, in Mexiko über
1 Million allein in der Landwirtschaft. Es gibt kein
Abkommen in der Welt, das nicht Sozial- und die Um-
weltstandards gefährdet und nicht Jobs vernichtet hat.
Sie führen hier eine Debatte ums Goldene Kalb, nur um
die Interessen der Verbraucher und der Arbeitnehmer der
Wirtschaft zu opfern. Sie sind der verlängerte Arm der
Kapitalisten und Großkonzerne.
Danke, Herr Kollege. – Das Wort zu einer Kurzinter-
vention hat der Kollege Hubertus Heil.
Lieber Kollege, es gibt zwei Gründe, warum ich michaufgrund Ihres Redebeitrags zu einer Kurzinterventionbemüßigt sehe. Der erste Punkt ist eine prinzipielle Bitte– sie betrifft mich selbst und uns alle in diesem Parla-ment –: Mir ist aufgefallen, dass in den letzten Jahrenwir alle miteinander, die Vertreter aller Parteien – auchSie haben das getan –, in der Auseinandersetzung um
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4919
Hubertus Heil
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eine Sache in unseren Reden zunächst einmal das Zielverfolgen, dem politischen Mitbewerber die Glaubwür-digkeit abzusprechen. Wenn wir das alle miteinander im-mer wieder tun, dürfen wir uns über den Verlust anGlaubwürdigkeit von demokratischer Politik nicht wun-dern. Lassen Sie uns in der Sache ordentlich streiten.Aber dem anderen jedes Mal den moralischen Anspruch,das Beste für dieses Land und die Menschen zu wollen,mit unterschiedlichen Überzeugungen abzusprechen, be-schädigt das Ansehen demokratischer Politik. So billigdürfen Sie hier nicht agieren. Das ist meine herzlicheBitte.
Zur Sache selbst – das ist der zweite Punkt – will ichIhnen eines sagen. Ich als Sozialdemokrat vertrete hieraus Überzeugung die Position, dass wir als Exportnation,deren Arbeitsplätze davon abhängen – das sage ich auchals IG-Metall-Mitglied, lieber Kollege –, von einemFreihandel profitieren. Aber wir sagen auch: Freihandelnicht um jeden Preis. Wir haben klare Kriterien formu-liert. Sie haben die Bundesregierung für morgen zumHandeln aufgefordert. Es wird keine Abstimmung derEuropäischen Kommission geben; vielmehr wird sie nureine Erklärung abgeben, dass die Verhandlungen been-det sind. Es ist aber so, dass wir das, was Sie verlangen,schon getan haben. Die Bundesregierung hat den Inves-titionsschutz im CETA-Abkommen abgelehnt – der HerrMinister hat das vorhin deutlich gemacht – und gleich-zeitig zu Nachverhandlungen und weiteren Gesprächenaufgerufen. Dafür brauchen wir in Europa Verbündete.Das ist nicht leicht, gar keine Frage.Die Position, die wir vertreten, ist eindeutig. Deshalbsage ich Ihnen: Die Organisationen, die Sie genannt ha-ben, die die Debatte zu Recht kritisch führen, mit be-rechtigten, manchmal auch mit unberechtigten Beden-ken, für Ihre kleinkarierten parteipolitischen Interessenin Anspruch zu nehmen, wie Sie es hier tun, ist aus mei-ner Sicht nicht in Ordnung. In einer Auseinandersetzungsollten wir in diesem Haus über die Sache reden und unsnicht ständig die Glaubwürdigkeit absprechen.Herzlichen Dank.
Jetzt kann der Kollege Ulrich darauf antworten.
Herr Kollege, ich finde Ihren Wortbeitrag sehr bemer-
kenswert. Ich glaube aber, Sie haben nicht mich als
Adressaten gemeint, sondern wollten eigentlich Ihren
Wirtschaftsminister zur Ordnung rufen;
denn wenn heute jemand mit Demagogie vom Thema
abgelenkt hat, und zwar relativ früh, dann war es Herr
Gabriel.
Wir mussten uns anhören, wir wären, weil wir Kritik ge-
äußert haben, Nationalisten
und würden in großem Umfang Jobs gefährden. So ge-
hen Sie mit diesem wichtigen Thema um.
– Frau Wagenknecht hat heute zu diesem Thema nichts
gesagt. Wenn Sie etwas dazu gesagt hätte, hätte sie
wahrscheinlich eine gute Rede gehalten.
Noch einmal: Die Debatte verlassen hat meines Er-
achtens der Wirtschaftsminister, indem er die Kritik auf
eine andere Schiene gelenkt hat.
Ich sage es noch einmal: Ihre Argumentation, die Sie ge-
gen uns richten, richtet sich gleichsam gegen alle ande-
ren Organisationen, die Kritik gegenüber CETA und
TTIP äußern;
denn das, was wir fordern, ist Konsens innerhalb des
großen Bündnisses „TTIP verhindern“. Das heißt, das,
was wir hier vorbringen, ist keine parteipolitische Ideo-
logie, sondern die Auffassung vieler Organisationen, wie
man mit diesem Thema umgehen sollte.
Ich glaube, es wäre besser, Sie würden sich hier hin-
stellen und sagen: Es ist verkehrt, dass die EU-Kommis-
sion eine Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP ab-
lehnt. – Sie müssen zulassen, dass sich die Menschen
demokratisch zu Wort melden, und sollten vielleicht da-
bei sein, wenn am 11. Oktober die Menschen gegen
TTIP und CETA demonstrieren. Dann würden Sie wahr-
scheinlich etwas erreichen. Sich aber hier zu Wort zu
melden und uns mit unserer Position in die Ecke zu stel-
len, ist ein bisschen fade. Herr Gabriel, Sie können es
gerne nachlesen; aber Sie haben heute mit der Demago-
gie begonnen.
Jetzt gibt es nach § 43 unserer Geschäftsordnung– Recht auf jederzeitiges Gehör – den Wunsch, hier zusprechen. Es heißt dort:Die Mitglieder der Bundesregierung und des Bun-desrates sowie ihre Beauftragten müssen … auf ihrVerlangen jederzeit gehört werden.Dieser Wunsch wurde von Minister Sigmar Gabriel ge-äußert. Deswegen gebe ich ihm nach § 43 unserer Ge-schäftsordnung das Wort. Seine Redezeit wird von derder Sozialdemokraten abgezogen. – Herr Gabriel, bitte.
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4920 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
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Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft undEnergie:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich ma-che das deshalb, weil ich finde, dass wir gerade wegender großen Öffentlichkeit aufpassen müssen, dass keineLegenden in die Welt gesetzt werden.Herr Kollege, noch einmal in aller Klarheit: Morgenentscheidet nur die EU, und zwar die alte Kommission,darüber, dass, wie sie glaubt, die Verhandlungen beendetsind. Sie fordern mich in Ihrem Antrag auf – mit Bezugauf das Papier von SPD und DGB, das ich übrigenswörtlich mit dem Kollegen Wetzel abgesprochen habe –,dass ich das Verhandlungsergebnis mit dem Hinweis aufdas Investitionsschutzabkommen und anderes zurück-weisen soll.Ich habe Ihnen vorhin vorgetragen, dass wir am12. September gegenüber der Europäischen Kommissionexakt das getan haben.
Das ist im Drahtbericht der Bundesregierung nachzule-sen. Wir schicken Ihnen gerne meine Weisung an dieKollegen, die im Ausschuss der Ständigen Vertreter fürdas Bundeswirtschaftsministerium gesprochen haben,aber auch meine Weisung an den HandelspolitischenAusschuss. Dort ist exakt diese Stellungnahme längstabgegeben. Deswegen werden wir weiterverhandeln.Gestern hat das österreichische Parlament – ich glaube,mit einer Zweidrittelmehrheit – aus demselben Grundbeschlossen, dass sie ebenfalls weiterverhandeln wollen.Hören Sie erstens bitte auf, den Eindruck zu vermit-teln, es bedürfe Ihres Antrags! Dieser Antrag ist erledigtdurch Handeln der Bundesregierung.
Ich kann mir das übrigens deshalb so gut merken, weil esan meinem Geburtstag passiert ist; es war aber kein Ge-burtstagsgeschenk. Tun Sie zweitens bitte nicht so, alsgäbe es keinerlei Chance, weiter zu reden! Das tun dieÖsterreicher, das werden andere tun, und das werdenauch wir machen. Der letzte Satz in der Positionierungvom 12. September lautet: In der jetzigen Fassung ist dasAbkommen für Deutschland nicht zustimmungsfähig.Ich hoffe, dass Sie jetzt nie wieder die Behauptungaufstellen, wir hätten nichts getan. Das Problem ist, dassSie erstens viel zu spät kommen und zweitens nicht denMut hatten, das gesamte Papier mit dem DGB zum An-trag zu erheben, weil Sie gegen die Inhalte sind. Das ha-ben Sie dankenswerterweise auch gesagt. Wo die Ge-werkschaften erklärt haben, sie erhoffen sich Chancenfür Arbeitsplätze, haben Sie gesagt: Ich will die Ver-handlungen nicht; ich will sie abbrechen. – Diese Posi-tion des Deutschen Gewerkschaftsbundes teilen Sienicht, und deswegen ist der Vorwurf an Sie, dass Sie Ar-beitsplätze gefährden, berechtigt.
Ich will nur sagen: Wir haben eine bestimmte Rede-
zeit für heute. Irgendwann ist Mitternacht.
– Moment, ganz ruhig. Ja, wir haben eine Geschäftsord-
nung. Die kenne ich auch. Deswegen lasse ich jetzt noch
einmal eine Kurzintervention zu, und zwar auf die nach
§ 43 unserer Geschäftsordnung erfolgte Wortmeldung
von Herrn Gabriel.
Herr Gabriel, es freut uns, dass wir heute offensicht-
lich einen wunden Punkt getroffen haben.
Ohne die Anträge insbesondere meiner Fraktion und
auch der Grünen hätte es bis heute im Bundestag noch
keine einzige Debatte über CETA und TTIP gegeben,
weil Sie die gleiche Politik wie die EU-Kommission ma-
chen wollten.
Ich sage es Ihnen jetzt noch einmal: Wenn das alles
schon erledigt wäre, warum tun Sie sich dann stunden-
lange Debatten auf einem Parteikonvent an?
Wenn alles schon erledigt gewesen wäre, dann könnten
Sie sagen: Es ist doch schon alles erledigt. Sie wollen
schon wieder die Leute hinter die Fichte führen.
Noch etwas: Herr Wetzel hat am selben Tag – ich kann
Ihnen die Pressemitteilung der IG Metall zeigen – gesagt:
Das Papier ist den Inhalt nicht wert, wenn die Bundesregie-
rung das Verhandlungsergebnis zu CETA nicht zurück-
weist. Ich möchte nicht, dass Sie das irgendwo heimlich
machen. Die Öffentlichkeit erwartet morgen von Ihnen,
dass Sie sich an die Presse wenden und sagen: Wir leh-
nen dieses Verhandlungsergebnis ab. – Dann hätten Sie
einmal etwas getan, das auch bei den Bündnissen zu Ge-
hör kommt. Ein Brief nach Brüssel, von dem niemand
etwas mitbekommt, kann nachher wieder verschwinden.
Sagen Sie einfach als Wirtschaftsminister: „Das akzep-
tieren wir nicht, was morgen in Ottawa diskutiert wird“!
Sie sind auch heute trotz viermaliger Wortmeldungen
nicht in der Lage, das deutlich zum Ausdruck zu brin-
gen.
Danke, Herr Kollege Ulrich. – Jetzt kommt die andereSeite des Hauses wieder dran. Das Wort hat AndreasLämmel für die CDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4921
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Das ist schon ein Trauerspiel, was sich heutehier abspielt.
Nachdem ich die Beiträge vor allem von der Linksfrak-tion verfolgt habe, muss ich klarstellen: Es geht hiernicht um ein Beistands- und Freundschaftsabkommenzwischen sozialistischen Bruderländern, bei dem einerbestimmt, was zu tun ist, und den anderen ausplündert.Vielmehr diskutieren wir über Freihandelsabkommen,die für die Welt sehr wichtig sind.
Der Minister hat schon deutlich gemacht, wie wichtiggerade für Deutschland freier Welthandel ist. Natürlichwäre es uns tausendmal lieber, wenn wir im Rahmen derWelthandelsorganisation Abkommen schließen könn-ten, die weltweit gelten und praktisch alle Probleme,über die wir nun diskutieren, behandeln würden. Leiderist die Verhandlungsführung innerhalb der Welthandels-organisation im Moment kaum spürbar. Das letzte Ab-kommen, das im letzten Jahr auf Bali unter großen Mü-hen geschlossen wurde, wurde nun durch die indischeRegierung aufgekündigt, sodass nichts daraus wird.Herr Ernst, Sie haben sich hier aufgeplustert. Ich kannIhnen nur raten: Bleiben Sie ruhig! Ihr Blutdruck machtdas sonst nicht lange mit. Als vor zwei Jahren das letzteFreihandelsabkommen zwischen der Europäischen Unionund Südkorea geschlossen wurde, ist das an Ihnen wahr-scheinlich völlig vorbeigegangen. Das Thema Welthandelhat Sie damals überhaupt nicht interessiert. Auf jeden Fallist schon zwei Jahre nach Abschluss dieses Freihandelsab-kommens sichtbar, welche positiven Effekte es für beideSeiten hat, sowohl für die südkoreanische Wirtschaft alsauch in überproportionalem Maße für die deutsche Wirt-schaft.Dass nun die zwei wirtschaftsstärksten Räume derWelt, die Europäische Union und die Vereinigten Staa-ten, begonnen haben, über ein Freihandelsabkommen zuverhandeln, ist doch das Beste, was uns passieren kann.Es mag sein, dass Ihnen das nicht passt. Aber dass SieIhre Versuche, die Sie in den letzten Monaten unternom-men haben, um dieses Abkommen zu diskreditieren, nunals Willen der Bürger darstellen, ist schlimm. HerrHofreiter, hier kann ich Sie nicht herauslassen, auchwenn Sie nun sagen, dass Ihr Hinweis auf das Chlor-hühnchen nicht so ernst gemeint gewesen sei.
Tatsächlich haben Sie das Chlorhühnchen als Beispielgenutzt, um von Anfang an die Verhandlungen zwischenden Vereinigten Staaten und Europa zu diskreditieren.Nun bekommen Sie es mit der Angst zu tun, weil Sie of-fensichtlich die Geister, die Sie riefen, nicht mehr ein-fangen können.
Die Grünen positionieren sich wieder einmal ganz klarals eine Partei, die sich gegen alles stellt. Das ist nachwie vor Ihre Position. Ich warte ab, was Ihr heutiges „Ja,aber“ tatsächlich bedeuten wird.Mir sei die Frage gestattet, wie es sein kann, dass eineNGO in Deutschland 700 000 Unterschriften gegen einAbkommen sammelt,
das überhaupt nicht existiert. Sie haben doch die Men-schen belogen und ihnen gar nicht den Inhalt von TTIPerklären können. Was Sie in der Öffentlichkeit verbreitethaben, ist eine glatte Lüge. Es gibt überhaupt kein Ab-kommen, über das man heute entscheiden kann. Dassollten Sie den Menschen deutlich sagen. Dass man überdie Inhalte und die einzelnen Positionen diskutiert, istdoch selbstverständlich. Letztendlich wird kein Abkom-men geschlossen werden, wenn nicht beide Partner klardahinterstehen.Noch eine Anmerkung. Der DGB ist doch keine Ne-benregierung. Bei den Verhandlungen über das Freihan-delsabkommen spielt der DGB eine genauso wichtigeRolle wie die Vertretung der deutschen Wirtschaft. IhreDarstellung, dass mit Ihrem Antrag gleichzeitig die Mei-nung des DGB im Deutschen Bundestag zur Abstim-mung steht, ist doch völlig absurd, Herr Ernst.
Nun zu den Schiedsgerichten. Es wird so getan, als obSchiedsgerichte das Schlimmste auf der Welt wären.Schiedsgerichte sind aber keine neue Erfindung. Sie le-gen beispielsweise Nachbarschaftsstreitigkeiten überKnallerbsensträucher bei. Auch bei der Welthandelsor-ganisation und der Weltschifffahrtsorganisation gibt esSchiedsgerichte und Schiedsverfahren. Es gibt zum Bei-spiel ein großes Schiedsverfahren zwischen Airbus undBoeing wegen Subventionen im Bereich der Flugzeugin-dustrie.
Bei einem Schiedsgericht ist es doch erstens wichtig,dass man klar definiert, was denn überhaupt Gegenstandeines Schiedsverfahrens sein darf, zweitens, wie man dieSchiedsrichter beruft, und drittens, wie öffentlich so einVerfahren ist. Deswegen kann man aus meiner Sichtnicht von vornherein sagen, Schiedsgerichte seien defi-nitiv abzulehnen. Darauf hatte der Minister hingewiesen.Sie von der linken Seite stellen es so dar, als ob Deutsch-land Verhandlungsführer wäre. Das stimmt nicht. Damüssen Sie einmal die europäischen Verträge lesen. Sielesen aber nur die Passagen, die Ihnen irgendwie nütz-lich sein könnten. In den europäischen Verträgen stehtganz klar, dass die Mitgliedstaaten das Recht der Ver-handlungen an die Europäische Kommission abgetreten
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4922 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Andreas G. Lämmel
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haben. Die Bedingungen, über die wir hier diskutieren,sind natürlich nicht in allen europäischen Länderngleich. Rumänien und Bulgarien zum Beispiel sind Län-der, bei denen man nicht davon ausgehen kann, dass dasrechtliche System so gestaltet ist wie in Deutschland.Man muss bei diesen Verhandlungen natürlich schon dieSituation in allen europäischen Ländern im Auge haben.Die Freihandelsabkommen, die bisher geschlossenworden sind, sind ganz klar Abkommen zum Vorteil vonkleinen und mittleren Unternehmen. Das Hauptfeindbildder Linken und der Grünen sind die großen Konzerne,und es wird behauptet, diese würden den Staat und dieDemokratie aushebeln. Der Hauptadressat von Freihan-delsabkommen ist aber der Mittelstand, weil genau deres sich oftmals nicht leisten kann, zweite Prüfverfahrendurchzuführen oder sich neuen Normen zu unterwerfen.Das heißt, wir müssen diese Hemmnisse abbauen, damitsich auch kleine und mittlere Unternehmen frei auf denMärkten bewegen können. Darum geht es im Wesentli-chen.Ich habe auch noch nie gehört, dass Sie dagegenwären, dass wir zum Beispiel mit Japan ein weiteresFreihandelsabkommen aushandeln wollen oder dass wirmit den Mercosur-Ländern in Gesprächen über ein Frei-handelsabkommen sind. Sie sind in Ihrem Antiamerika-nismus ausschließlich gegen ein Abkommen mit denVereinigten Staaten.
Eines dürfte sehr wichtig sein: Wenn es gelingt, zwi-schen Europa und Amerika ein Freihandelsabkommenzu schließen, das höchste Standards hat – Sie behauptenimmer, in Amerika sei alles schlecht und die Standardswürden den europäischen Standards nicht entsprechen;das ist natürlich nur die halbe Wahrheit –, glauben Sie,dass dann in anderen Teilen der Welt Freihandelsabkom-men geschlossen werden könnten, die unter diesemNiveau liegen? Das heißt also, dass wir hier die Trend-setter sind. Genau deswegen ist es auch sehr wichtig,dass die zwei größten Wirtschaftsräume der WeltHandlungsfähigkeit beweisen.Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Ernst – Sie wollenvielleicht in Brandenburg wieder mitregieren; man kannnur hoffen, dass Ihr Wahlergebnis bei der nächsten Wahlnicht nur halbiert wird, sondern nur noch ein Zehntel be-trägt –:
Sie spielen immer mit den Ängsten der Leute und versu-chen, diese für sich politisch zu nutzen. Dass das nichtfunktioniert, müssten Sie anhand der letzten Wahler-gebnisse mitbekommen haben. Ich kann Ihnen nur emp-fehlen, Ihre Haltung dazu zu überdenken.Wir als CDU/CSU-Fraktion stehen zu den Verhand-lungen über das Freihandelsabkommen. Wir sind dafür,dass diese Verhandlungen in absehbarer Zeit zum Ab-schluss kommen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. – Nächste Red-
nerin in der Debatte ist Katharina Dröge für Bündnis 90/
Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich mussIhnen lassen: Sie sind ein guter Redner.
Die Rede, die Sie hier gehalten haben, war geschickt.Abgesehen von dem Teil, in dem Sie die Linke be-schimpft haben und den ich weder sonderlich gelungennoch sonderlich angemessen fand,
kann ich verstehen, dass Sie in dem Dilemma, in demSie gerade stecken, eine solche Rede gehalten haben. IhrProblem ist nur: Auch so eine Rede löst Ihr Dilemmanicht.
Sie sind Wirtschaftsminister, und Sie wollen die Frei-handelsabkommen zum Erfolg führen. Sie hoffen aufWachstum und Arbeitsplätze für Deutschland. Ich habeallerdings erhebliche Zweifel an den Wachstumsprogno-sen, insbesondere wenn man ernst nimmt, was Sie hierzum Schutz der Standards sagen. Wenn man die Gutach-ten liest, dann erkennt man: 90 Prozent der erwartetenWachstumseffekte sind auf den Abbau nichttarifärerHandelshemmnisse zurückzuführen. Schauen Sie sicheinmal ganz genau an, was unter nichttarifären Handels-hemmnissen zu verstehen ist! Wenn man gleichzeitigStandards schützen und Wachstum generieren will, dannhat man da ein Problem.
Ich will gerne eine Frage an die Kolleginnen und Kol-legen von der CSU richten, weil die CDU anscheinendeine wundersame Prognosefähigkeit besitzt. Sie ver-spricht im Internet, durch TTIP würden auf gar keinenFall Arbeitsplätze verloren gehen. Ich bin gespannt,liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wie Siedas den bayerischen Landwirten erklären werden, wennTTIP tatsächlich kommen sollte.
– Ja, das wird dann auch Ihr Problem sein.Unabhängig von den Zweifeln, die ich an den Wachs-tumsprognosen habe, kann ich verstehen, dass ein Wirt-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4923
Katharina Dröge
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schaftsminister gegenüber der Industrie das Signal gebenmöchte, dass die Vereinheitlichung technischer Stan-dards, beispielsweise bei Autospiegeln und Blinkerfar-ben, nicht an der deutschen Bundesregierung scheitert.Das Problem ist nur: Weder TTIP noch CETA be-schränkt sich auf solche Sachen, und das wissen Sieganz genau.
Ich nehme Ihnen als SPD-Parteivorsitzendem ab, dasses Ihnen nicht egal ist, dass die Zivilgesellschaft, die Ge-werkschaften, die Umweltverbände, die Kommunen undauch die mittelständische Wirtschaft erhebliche Beden-ken gegen diese Freihandelsabkommen haben. Ichnehme Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von derSPD, auch ab, dass Sie viele Kritikpunkte nachvollzie-hen können und einige der Kritikpunkte sogar teilen.Damit kommen wir zu dem Parteikonventsbeschluss,den Sie am Wochenende gefasst haben. Ich kann sagen:Darin sind viele richtige Punkte, denen wir auch zustim-men würden. Es ist jetzt Ihre Sache, liebe Kolleginnenund Kollegen von der SPD, wie Sie mit diesemBeschluss umgehen und was Sie damit dann hier im Ple-num machen; da werde ich Ihnen nicht reinreden.
Ihnen, Herr Gabriel, habe ich genau zugehört. Sie ha-ben hier vor wenigen Minuten gesagt, dass Sie diesePunkte zur Maxime Ihres Regierungshandelns machenwerden. Das Problem ist nur: All das, was Sie hier vor-getragen haben und was Sie aufgeschrieben haben, hatmit der Realität recht wenig zu tun.
Das hat mit den Protokollen, die wir von den TTIP-Verhandlungen zu lesen bekommen, und auch mit demCETA-Vertragsentwurf, der uns seit Anfang Augustvorliegt, wenig zu tun. Ich erwarte von Ihnen als Wirt-schaftsminister schon, dass Sie sich auch mit der Realitätauseinandersetzen.
Die Realität ist ein CETA-Abkommen, in dem einInvestitionsschutzkapitel und Klageprivilegien fürKonzerne enthalten sind, die es Großunternehmen er-möglichen, gegen die Bürger und gegen den Umwelt-schutz zu klagen. Dafür, dass das keine Erfindung vonuns ist, gibt es vielfältige Beispiele auf der ganzen Welt,die Sie sich sehr genau anschauen sollten, Herr Kauder.
Die Realität sind außerdem TTIP-Verhandlungen, indenen uns die Bundesregierung bislang keine einzigeklare Antwort darauf gegeben hat, wie das europäischeVorsorgeprinzip geschützt werden soll und wie garan-tiert werden kann, dass die Standards nicht abgesenktwerden. Ich bekomme von Ihnen Antworten überAntworten auf Kleine Anfragen, in denen steht: Auf garkeinen Fall wird die regulatorische Kooperation in TTIPdazu führen, dass die Standards gesenkt werden. – Nurauf die eine Frage, wie Sie das machen wollen, welcheVorstellungen Sie haben, das zu sichern, habe ich nochkeine einzige Antwort von Ihnen bekommen.
Dann noch zu Ihnen, Herr Tiefensee. Sie haben hiergesagt, wir Grünen hätten uns im Bundestag zu wenigpositioniert. Dazu hat mein Kollege von den Linkenschon etwas gesagt. Von der SPD und auch von derCDU/CSU ist in dieser Wahlperiode noch kein einzigerAntrag zu TTIP und CETA in den Deutschen Bundestageingebracht worden.
Von uns ist dazu schon eine ganze Reihe von Anträgenin den Deutschen Bundestag eingebracht worden,
und die Anträge haben Sie vor der Europawahl in dieAusschüsse versenkt.
Sie haben die Debatte nicht ermöglicht – zu einem Zeit-punkt, als das TTIP-Konsultationsverfahren noch liefund es notwendig und sinnvoll gewesen wäre, dass derDeutsche Bundestag Stellung nimmt, so wie es 150 000Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa getan haben.
Diese Chance hat der Deutsche Bundestag verpasst, weilSie die Anträge in die Ausschüsse versenkt haben unddie Frist nun abgelaufen ist.Jetzt noch ganz kurz Folgendes: Meine Fraktion hatsich die Entscheidung zu der Positionierung zu TTIP undCETA nicht leicht gemacht. Es gibt niemanden in mei-ner Fraktion, der sagt, dass gute Standards und ein fairerWelthandel nicht etwas sind, was wir Grünen fördernwollen und woran wir Grünen arbeiten. Wir haben unskonkret mit dem auseinandergesetzt, was hier vorliegt.Wir haben Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Wir ha-ben uns sogar noch einmal mit Ihrem Rechtsgutachtenauseinandergesetzt, Herr Gabriel. Heute haben wir einzweites Gutachten vorgestellt, in dem erhebliche Zweifeldaran geäußert werden, dass das, was Sie hier verspre-chen, nämlich dass das Investitionsschutzkapitel inCETA eine Lappalie sei, gegeben ist. Im Gegenteil: Wirsehen weiterhin erhebliche Risiken in dem Vorschlag,den Sie uns hier vorlegen.
Wir haben uns damit auseinandergesetzt und kommen zudem Ergebnis, dass es nicht verantwortbar ist, diese
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4924 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Katharina Dröge
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beiden Freihandelsabkommen in der aktuellen Fassungmitzutragen. Dies gilt insbesondere für die Ausgestal-tung der Investitionsschutzkapitel.Sie versprechen uns hier viel. Das Einzige aber, wasSie nicht machen, ist, sich festzulegen. Sie sagen immernur, dass Sie Investitionsschutz ablehnen. Wenn es aberzum Schwur kommt, wenn wir Anträge stellen, dannstimmen Sie nicht zu. Das wird auch heute leider so sein.Ich kann nur sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegenvon der SPD, wenn Sie das ernst meinen, was Sie amWochenende beschlossen haben, nämlich dass ein Inves-tor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren in jedem Fall abzu-lehnen ist, dann stimmen Sie unserem Antrag heute bittezu.
Bitte kommen Sie zum Schluss, Frau Kollegin.
Linke und Grüne haben in diesem Bundestag aktuell
leider keine Mehrheit, um das durchsetzen zu können.
Wenn Sie das ernst meinen, was Sie sagen, dann haben
Sie eine Mehrheit für Ihre Position im Deutschen
Bundestag. Wir würden uns freuen, wenn Sie den Weg
frei machen.
Danke, Frau Kollegin Dröge. – Nächster Redner in
der Debatte ist Dirk Wiese für die SPD.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-
ginnen und Kollegen! Zunächst drei Anmerkungen.
Erstens. Die von der Fraktion Die Linke vorgelegten
Entschließungsanträge sind vor allem eines:
Gysi-Plag im Deutschen Bundestag, alles abgeschrieben
und geklaut, Copy-and-Paste in Reinform, kein Zeugnis
von einer eigenen sachlichen und kritischen Auseinan-
dersetzung mit dem Thema.
Zweitens. Den Gegnern aufseiten der Linken geht es
doch nicht um Arbeitnehmerrechte, Sozialstandards und
Verbraucherschutz. Denn wenn es um ein Freihandels-
abkommen mit Putins Russland ginge, dann würde sich
Klaus Ernst als Erster eine Schürze umbinden und im
Bundestag Chlorhühnchen brutzeln.
Sie würden auf eine Vertragsunterzeichnung drängen.
Erlauben Sie eine Rückfrage vom „Chlorhühnchen“
Klaus Ernst?
Ja, selbstverständlich.
Es freut mich, dass Sie hier noch für Stimmung sor-
gen. Aber sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
es hier gar nicht um ein Handelsabkommen mit Russland
geht? Weil das so ist, möchte ich außerdem fragen:
Glauben Sie tatsächlich, dass ich als Oberbayer eine
ganz besondere Affinität zu Russland habe? Das müss-
ten Sie mir schon einmal nachweisen.
Ich möchte noch etwas sagen. Ich erlebe in dieser De-
batte permanent gegenseitige Diffamierungen, ohne dass
auf den Inhalt eingegangen wird. Da noch mehrere Red-
ner von der Koalition sprechen werden, möchte ich Sie
bitten, auch ein wenig zum Inhalt zu sagen. Ich habe
heute gehört, wir seien Nationalisten. Außerdem habe
ich gehört, wir seien fast so wie die AfD. Dann höre ich
berechtigterweise den Hinweis, man solle doch bitte
schön ein bisschen vorsichtig sein und auf die gegen-
seitige Glaubwürdigkeit achten. Glauben Sie nicht, dass
es angesichts der langen Redezeit, die den Regierungs-
fraktionen noch zur Verfügung steht, sodass wir Ihnen
noch zuhören dürfen, auch sinnvoll wäre, ein wenig auf
den Inhalt einzugehen und sich den Unfug mit Russland
zu sparen?
Sehr geehrter Kollege Ernst, ich nehme das gerne zurKenntnis. Ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass ichgerade einmal 37 Sekunden geredet habe. Insofernkomme ich auf die Inhalte noch zu sprechen. Deshalbbitte ich Sie an dieser Stelle um ein bisschen Geduld.Was ich mit diesem Vergleich deutlich machenmöchte – das sage ich hier ganz offen –, ist, dass esIhnen nicht um die Details des Abkommens geht.
Ihnen geht es nicht darum, was später drinstehen wird.Es geht Ihnen nur darum, mit wem das Abkommen ge-schlossen wird. Das ist ganz klar.
An dieser Stelle sind Sie geschlossen und geeint in IhrenReihen: Amerika ist schlecht. Mit den Amerikanernmacht man keine gemeinsame Sache. – Zu dieser Aus-sage stehe ich auch an dieser Stelle.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4925
Dirk Wiese
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Drittens. Selbst wenn wir bei den Abkommen – andieser Stelle werde ich polemisch – die sofortige Ver-staatlichung von Schlüsselindustrien und die Einführungdes Sozialismus beschließen würden, die Linke würdenicht zustimmen. Das Gleiche gilt beim Verbraucher-schutz. Hierzu nenne ich Ihnen ein Beispiel. FettigePommes aus Europa sind Ihres Erachtens gut – die essenSie auch –, fettige Pommes bei McDonald’s lehnen Sieaber ab. Dies ist nur ein Beispiel.
Es ist eigentlich sinnlos, auf die Vorwürfe und Ver-zerrungen der Opposition einzugehen. George Orwellhat aber einmal zu Recht gesagt:Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sienicht hören wollen.Das will ich als Mitglied des Ausschusses für Ernährungund Landwirtschaft gerne machen.In Europa gilt das Vorsorgeprinzip „farm to fork“. Inden USA gilt dieses Prinzip nicht. Meine klare Einschät-zung ist, dass wir hier nicht zusammenfinden; denn wasfür die Europäer ein amerikanisches Chlorhühnchen ist– da gebe ich Ihnen recht –, betrachten die Amerikanerbei uns zu Recht als europäisches Salmonellenhühnchen.Die finden unseres nicht gut, wir finden ihres nicht gut.Dann kommen wir nicht zusammen. Dann kommt eseben hier nicht auf den Teller und dort auch nicht. Ichpersönlich glaube, dass das Wort „Chlorhühnchen“ – ge-statten Sie mir an dieser Stelle die Anmerkung – 2014das Unwort des Jahres wird.Gerade im Bereich von Lebensmitteln und Landwirt-schaft wird der Markt für Chlorhühnchen, genveränderteLebensmittel oder hormonbehandeltes Rindfleisch zu-bleiben. Das führt aber in den Verhandlungen dazu, dasswir ein Geben und Nehmen haben. Wir müssenvielleicht darüber nachdenken, den Markt für nicht hor-monbehandeltes Rindfleisch zu öffnen oder den USA zusagen, dass Käse und Milch aus Europa gar nicht soschlecht sind; denn sie haben dort ein paar Vorurteile.Wichtig ist nur, dass es zu keiner Absenkung vonStandards kommt. Lassen Sie uns nicht immer von einerAbsenkung von Standards reden. Lassen Sie uns einmaldarüber reden: Warum setzen wir uns nicht alle gemein-sam dafür ein, unsere hohen europäischen Standardszum Exportschlager zu machen? Lassen Sie uns dieseDebatte einmal andersherum führen.
Glauben Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen derLinkspartei: Die gesamte SPD diskutiert sehr intensivüber ein Für und Wider des Abkommens. Viele berech-tigte Kritikpunkte finden sich im von Ihnen geklautenund zudem unvollständig vorgelegten Beschluss desParteikonvents. Wir sehen aber auch die Chancen. Wich-tig ist mir als Mitglied des Deutschen Bundestages – ichglaube, hier kann ich für alle Kolleginnen und Kollegensprechen –, dass es ein gemischtes Abkommen ist, dasswir am Ende mitentscheiden. Das ist das Wichtige. Wirtragen Mitverantwortung. Darauf kommt es mir an.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Wiese. – Nächster Redner
in der Debatte ist Dr. Hans-Peter Friedrich für die CDU/
CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Der Verlauf der Debatte zeigt, wiewichtig es ist, dass wir hier im Deutschen Bundestagsicher nicht zum letzten Mal über diese wichtige Fragereden. Bei diesem Abkommen mit den USA handelt essich um eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Ent-scheidungen, wahrscheinlich für die nächsten Jahre.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir solltenuns darüber im klaren sein – das wurde heute schonmehrfach gesagt –: Unsere Stärke, der Wohlstand unse-res Landes beruhen darauf, dass es offene Märkte gibt,dass es freien Handel gibt. Sie, Kollegen von den Lin-ken, sollten nach 25 Jahren langsam einmal lernen, dassman Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand nicht schafft,indem man Mauern um Länder baut, sondern indem manMärkte öffnet. Das ist der entscheidende Punkt, und des-wegen ist es hier so wichtig.
Wir haben eine Verantwortung, die über Deutschlandhinausgeht. 25, 26 Millionen Arbeitslose in Europahaben mit einem Freihandelsabkommen jetzt die Chanceauf geschätzt zwischen einer halben und anderthalbMillionen neue Arbeitsplätze. Ich glaube, diese Chancedürfen wir uns nicht entgehen lassen.Wir sind ein Land, das eine Exportquote von 40 Pro-zent hat. Kollege Tauber hat schon darauf hingewiesen:Experten haben ausgerechnet, wenn wir keine offenenMärkte hätten, dann hätten wir in Deutschland nur nochdie Hälfte unseres Wohlstands. Das heißt, jeder hätteMonat für Monat nur noch die Hälfte des Einkommensin der Tasche. Ich glaube, das zeigt, welche Bedeutungoffene Märkte und freier Handel haben.Lassen Sie mich ein Wort zu den Grünen sagen: Ichverstehe, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen,dass Sie keine richtigen Themen mehr haben. Die Kern-energie ist Ihnen weggenommen worden. Sie habenkeine Botschaft mehr. Ich bitte Sie, wenn Sie neue The-men suchen, nehmen Sie nicht die falschen. Werden Siebitte Ihrer Verantwortung gerecht. Hier geht es um vielfür die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für dieVerbraucherinnen und Verbraucher, für die Menschen inDeutschland und Europa. Ich bitte Sie um eine differen-zierte Diskussion und nicht um eine holzschnittartige,wie wir sie hier erlebt haben.
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4926 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Dr. Hans-Peter Friedrich
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Natürlich – der Bundeswirtschaftsminister hat daraufhingewiesen – gibt es im Zusammenhang mit diesemAbkommen auch Herausforderungen. Es ist natürlich einUnterschied, ob man ein Freihandelsabkommen mit ei-nem Entwicklungsland macht, wo die Strukturen relativeinfach, überschaubar sind, oder ob hochentwickelteIndustriegesellschaften zusammen ein Freihandels-abkommen machen, weil dort die Komplexität derNeben- und Auswirkungen viel größer ist. Deswegenmuss man da sorgfältig herangehen und differenziertdiskutieren. Deswegen ist der Stil und die Art undWeise, wie diskutiert wird – holzschnittartig, schwarzund weiß –, der falsche Weg. Wir müssen die Chancennutzen und die Risiken minimieren. Das ist auch unsereAufgabe als gewählte Parlamentarier in diesem Haus.
Ich möchte gerne auf den Kern dieses Freihandelsab-kommens – eigentlich jedes Freihandelsabkommens –eingehen. Es geht zum einen darum, dass keine Zöllemehr erhoben werden. Zölle führen dazu, dass dieVerbraucher in den Ländern, in die geliefert wird, mehrzahlen müssen und die Waren nicht in einem fairenWettbewerb stehen; das beste Produkt, das in der Regelaus Deutschland kommt, setzt sich vielleicht nicht durch,weil es durch Zölle benachteiligt wird. Deswegen ist derAbbau von Zöllen immer wichtig.Nun wird eingewendet – sicherlich zu Recht –, dieZölle in Richtung USA seien gar nicht so hoch. Aber wirhaben an dem Beispiel, das Kollege Tauber vorhin ge-nannt hat, gesehen: In einzelnen Branchen und Berei-chen sind die Zölle höchst relevant. Wenn die Zölle inder Summe 20 bis 27 Prozent betragen, dann sind sie füreine Branche natürlich ein Nachteil. Deswegen ist derAbbau von Zöllen wichtig.Der eigentliche Kern dieses Freihandelsabkommensbesteht aber in etwas anderem, nämlich in der Chance,dass Europa und Amerika künftig in der Lage sind, beineuen Technologien gemeinsam die Normen zu setzen,die dann weltweit gelten. In der EU und den USA lebengerade einmal gut 820 Millionen Menschen, aber dortwerden 50 Prozent des globalen Bruttoinlandsproduktserwirtschaftet. Diese 820 Millionen Menschen haben dieChance, die Standards für die restliche Welt – für China,Afrika, Südamerika – zu setzen, die dann dort befolgtwerden müssen. Diese Chance müssen wir wahrnehmen.Ein Experte hat einmal richtigerweise gesagt: Nor-men sind die Sprache des Welthandels, und wer dieNormen setzt, in dessen Sprache wird der Welthandelstattfinden. – Das ist ein ganz entscheidender Punkt.Wenn wir in Europa jetzt die Chance verpassen, zusam-men mit den USA die Normensetzer für neue Technolo-gien der Zukunft zu werden – da geht es gar nicht malum die bisher bestehenden Normen der Vergangenheit,sondern um neue Technologien, die tagein, tagaus erfun-den werden und häufig auch wichtig werden –, dann ma-chen wir einen entscheidenden und großen Fehler.
Ein deutscher Mittelständler hat es einmal so formu-liert: Die technischen Normen sind die Reisepässe fürWaren und Güter. – Wir, die Europäer, und die Amerika-ner können diejenigen sein, die die Reisepässe ausstel-len, und das ist ein Riesenvorteil auch für unsere mittel-ständischen Unternehmer. Das muss man dochbegreifen, anstatt immer über Konzerne zu schwadronie-ren; das ist der falsche Weg. Unsere Mittelständler wer-den von diesem Abkommen und der Normensetzung amallermeisten profitieren.
Es geht nicht um die Absenkung von Standards; dasist sowohl in den USA als auch in Europa immer wiedervon höchster Stelle erklärt worden. Meine Damen undHerren, weder die europäische noch die amerikanischeWirtschaft hat es nötig, Standards einzuführen, um damitDumping auf anderen Märkten zu betreiben; beide habenes nicht nötig, und beide brauchen es nicht.Im Übrigen: Bei Umfragen in den Vereinigten Staatensagen die Verbraucher dort, dass die amerikanischen Si-cherheits- und Gesundheitsstandards selbstverständlichviel höher als die europäischen sind. Sie können die Um-frage machen, wo Sie wollen: Jeder glaubt, dass er diehöchsten Standards hat. Wir werden in diesem Abkom-men keine Mechanismen akzeptieren, die zur Ab-senkung von Standards im Umweltbereich, im Sozial-bereich, im Gesundheitsbereich – wo auch immer –führen. Das ist, glaube ich, Konsens, auch in diesemHaus. Umgekehrt sage ich aber auch: Wir können nichterwarten, dass die Amerikaner akzeptieren werden, dassdas Betriebsverfassungsgesetz morgen auch in den USAgilt. Ich bitte darum, die Erwartungen, was das angeht,vielleicht etwas zu senken.Das Thema Dienstleistungen muss angesprochenwerden; denn Dienstleistungen machen inzwischen einDrittel des Handels zwischen Deutschland und den USAaus. Das ist ein wichtiger Punkt. Vor allem Logistik- undUnternehmensdienstleistungen sind zentrale Themen.Bitte hören Sie auf, zu behaupten, die Dienstleistungs-freiheit, die in diesem Abkommen vorgesehen ist, würdezur Privatisierung der Daseinsvorsorge führen. Solch ei-nen Unfug habe ich überhaupt noch nie gehört.
Handelsvorschriften führen nicht zu einem Zwang zurPrivatisierung. Wer so etwas behauptet, redet den Leuteneinfach Dinge ein; das hat einen Zweck, der nicht mitdem zu vereinbaren ist, was wir als Abgeordnete und alsParlamentarier letzten Endes zu verantworten haben.Ich will etwas zum Thema Finanzdienstleistungen sa-gen; das ist ein wichtiger Punkt. Beim Thema Finanz-dienstleistungen müssen wir sehr genau hinschauen, umzu wissen, worum es da geht. Den Rahmen – das hatKollege Lämmel vorhin angedeutet – bilden im Grundedie G 20; auf dieser Ebene wurden sehr viele Regulie-rungen im Bereich der Bankenaufsicht vorgenommen.Aber es gibt bisher noch wenig Konsistenz bei der Um-setzung. Wir könnten versuchen, gemeinsame Standardsder Vereinigten Staaten und Europas bei der Regulierungder Finanzmärkte und der Wertpapier- bzw. Bankenauf-sicht zu etablieren. Das kann eine große Chance sein.Auch hier gilt unser Credo: Wir werden keine Absen-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4927
Dr. Hans-Peter Friedrich
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kung und keine Lockerung der Regulierung und derStandards im Bereich Finanzdienstleistungen und Ban-ken zulassen.
Ein letztes Wort zum Investitionsschutzabkommen.Denklogisch ist es nicht notwendig, dass ein Freihan-delsabkommen ein Investitionsschutzabkommen hat.Man kann das eine ohne das andere machen; das istüberhaupt keine Frage. Auf der anderen Seite wissenSie, dass Deutschland die Investitionsschutzabkommenerfunden hat, weil man verhindern wollte, dass deut-sches Kapitel irgendwo im Ausland verschwindet unddeutsche Sparer enteignet werden.Die Bundesrepublik hat bereits über 130 Investitions-schutzabkommen abgeschlossen. In den über 3 000 Ab-kommen, die es weltweit gibt, sind Unzulänglichkeitenfestzustellen; darauf ist bereits hingewiesen worden. EinProblem ist die Intransparenz. Man weiß nicht genau,wie die Schiedsrichter ausgewählt werden. Das mussman ändern. Ein weiteres Problem ist, dass Kosten ent-stehen, die für Mittelständler untragbar sind. Man hatausgerechnet: Eine Klage kostet 8 Millionen Dollar.Eine solche Summe macht jeden Mittelständler platt. ImGrunde genommen steht er vor einer Rechtsverweige-rung.
Herr Kollege, Sie stehen vor dem Ende Ihrer Rede-
zeit.
All diese Dinge müssen berücksichtigt werden. Es be-
steht die Chance – wenn man das will und wenn man die
Kraft dazu hat –, dass man in einem Investitionsschutz-
abkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staa-
ten all diese offenen Fragen regelt. Aber das wird der
weitere Verlauf der Diskussion mit sich bringen.
Ich bitte Sie nur um eine differenzierte Diskussion.
Hören Sie auf, Schwarz-Weiß-Malerei und holz-
schnittartige Angstmache zu betreiben. Das entspricht
nicht der Wahrnehmung der Verantwortung von Parla-
mentariern.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege Friedrich. – Es stehen
noch drei Redner auf meiner Liste, und ich bitte Sie, die-
sen drei Rednern auch noch zuzuhören. Wir führen eine
sehr lebendige Parlamentsdebatte. Ich stelle fest, dass
immer mehr Zwischengespräche geführt werden. Sie
mögen interessant sein, aber ich bitte Sie: Führen Sie die
Gespräche nicht hier im Saal.
Nächster Redner ist Sascha Raabe für die SPD.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Eigentlich ist es schräg und missverständ-lich, dass die Debatte die Überschrift „Freihandels-abkommen“ trägt. Es wird so getan, als sei der Handelzurzeit nicht frei.
Ich sage: Der Handel ist einerseits im Bereich Arbeit-nehmerrechte und Menschenrechte leider zurzeit einsehr freier Handel. Andererseits gibt es technische Nor-men, die den Handel beschränken, zum Beispiel Zölle.Wir stehen vor einer verrückten Situation: Ein Auto-blinker, der die falsche Farbe hat, eine Banane, die nichtdie richtige Krümmung hat, dürfen in die EuropäischenUnion nicht eingeführt werden. Aber ein T-Shirt, an demBlut klebt, weil Näherinnen und Näher wie Sklavenausgebeutet werden, weil Fabriken einstürzen und dieMenschen bei lebendigem Leib verbrennen, darf in dieEuropäische Union eingeführt werden.Uns geht es bei dem Abkommen mit den USA des-halb darum, jetzt die entsprechenden Normen zu setzen.Herr Kollege Hans-Peter Friedrich, es kann dabei abernicht nur um technische Normen gehen, die aus europäi-scher Sicht weltweit gelten sollen. Wir müssen uns dafüreinsetzen, dass in den Freihandelsabkommen auch Nor-men in Bezug auf Arbeitnehmerrechte und Menschen-rechte verankert werden. Freihandel muss zukünftigFreiheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerbedeuten. Sie sollen frei und gut arbeiten können. Wirwollen Arbeitsplätze, und zwar gute Arbeitsplätze. Da-für setzen wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozial-demokraten ein.
Herr Kollege Tauber, Sie haben als Beispiel die Präsi-dentin des Gesamtverbandes der deutschen Textil- undModeindustrie angeführt, die gesagt hat, sie könne nachAbschluss von TTIP besser in die USA exportieren. Wirmüssen allerdings gerade auch im Hinblick auf dieTextilindustrie bedenken: Die Europäische Union ver-handelt derzeit ebenso Freihandelsabkommen mit Indienund Vietnam. Wenn wir jetzt ein Abkommen schließen,das fast die Hälfte des weltweiten Bruttosozialproduktsumfasst, dann ist es umso wichtiger, dass wir messer-scharf hineinschreiben, dass entsprechende Standardsgesetzt und die acht ILO-Kernarbeitsnormen sowohl imAbkommen mit Kanada als auch mit den USA verbind-lich verankert werden mit überprüfbaren und wirksamenSanktionsmechanismen, wie sie auch für die anderenKapitel gelten. Denn nur dann können wir auch den In-dern sagen, dass wir das Gleiche von ihnen erwarten.Denn wir wollen, dass die Globalisierung endlich denMenschen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,dient. Dafür werden wir uns in den Gesprächen zumFreihandelsabkommen einsetzen.
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Dr. Sascha Raabe
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Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister ausdrücklichdankbar dafür, dass er in dem Papier, das mit dem DGBerarbeitet wurde, und auch im Beschluss des Parteikon-vents, und zwar ganz am Anfang, ausdrücklich betont:Das Freihandelsabkommen „muss seinen Wert … darinbeweisen, dass es zu Fortschritten beim Schutz von Ar-beitnehmerrechten, dem Verbraucherschutz und nach-haltigem Wirtschaften im globalen Maßstab beiträgt. …Diese normsetzende Kraft des Abkommens kann zumHebel einer politischen Gestaltung der wirtschaftlichenGlobalisierung werden.“Genau darum geht es. So steht es auch an zwei Stellenim Koalitionsvertrag. Wir werden unseren Wirtschafts-minister dabei unterstützen, dass die Arbeitnehmerrechtevoll eingehalten werden. In dem Sinne brauchen wir kei-nen zusätzlichen Antrag, in dem gefordert wird, was wirselbst in den Koalitionsvertrag geschrieben haben undwas die SPD im Konvent beschlossen hat.Wenn die Kollegen bei der CDU sagen, sie habenProbleme mit dem Beschluss des Parteikonvents, dannkönnen sie im Koalitionsvertrag nachlesen, dass wir dieFreihandelsabkommen immer an die verbindliche Ver-pflichtung gebunden haben, die Kernarbeitsnormen derInternationalen Arbeitsorganisation einzuhalten undMenschenrechte sowie soziale und ökologische Stan-dards zu wahren. Dafür werden wir streiten. Wir habendie große Chance, als Parlamentarier die Globalisierungim Sinne der Menschen politisch zu gestalten.Vielen Dank.
Vielen Dank, Sascha Raabe. – Nächster Redner in der
Debatte ist Dr. Matthias Heider für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das ist heute schon eine sehr polarisierende Debatte. Ichglaube aber, dass es nicht sinnvoll ist, den Wert von Han-delsabkommen kleinzureden. Es ist unsere Aufgabe alsAbgeordnete, bei diesen Abkommen Chancen zu ermög-lichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition,ich kann heute nicht erkennen, dass Sie dazu beitragen.Sie wollen Deutschland auf Standby halten. Es kommtbei diesen Handelsabkommen aber auf mehr an. Dazusind Sie aber einfach nicht bereit.
Herr Kollege Ernst, es braucht zwei, um einen Tango zutanzen. Sie wollen ihn gerne allein tanzen. Das wird abernicht funktionieren.
Bisher hat es eine ganze Reihe von guten Argumentengegeben, auf deren Basis wir heute diskutiert haben. Wirhaben uns aber noch nicht so genau den kanadischenMarkt angesehen und geschaut, was wir da machen kön-nen. Ich glaube, dass die Dimension vielen Bürgerinnenund Bürgern draußen im Land auch nicht so bewusst ist.Kanada ist einer der wichtigsten Handelspartner der Eu-ropäischen Union. 2013 haben wir Exporte im Umfangvon „nur“ 31 Milliarden Euro nach Kanada geschickt.Zu den meistgehandelten Gütern aus der EU nach Ka-nada zählen Maschinen und Ausrüstungen – 22 Prozent –,Chemikalien – ungefähr genauso viel – und Autos undAutoteile mit fast 11 Prozent. Danach folgen Transport-materialien, Petroleum, Getränke und andere Dinge.Deutschland ist einer der wichtigsten Partner von Ka-nada. Insgesamt entfielen aber nur 9 Milliarden von die-sen 31 Milliarden Euro auf unseren Export. Da geht et-was mehr. Da ist mehr Umsatz und mehr Geschäft fürdeutsche Unternehmen drin. Es können Arbeitsplätzegeschaffen werden, weil Zölle abgeschafft und einheitli-che Standards erarbeitet werden. Freihandel bringt Vor-teile für unsere Unternehmen.Herr Kollege Hofreiter, jetzt hören Sie gut zu. Das be-trifft insbesondere die mittelständischen Unternehmen,die Sie vorhin angesprochen haben.
Gerade die Verfahren zur Zulassung von Produkten er-schweren den kleinen und mittelständischen Unterneh-men den Zugang zum amerikanischen und kanadischenMarkt. Da Sie gefragt haben, will ich Ihnen gern ein paarBeispiele mit auf den Weg geben:
In Deutschland müssen zum Beispiel im Maschinen-bau Notabschaltknöpfe in Höhe von 1,10 bis 1,30 Me-tern an Maschinen angebracht werden. In den USA sindes 90 Zentimeter bis 1,10 Meter. In der EU sind Neutral-leiterkabel in der Elektronik standardmäßig blau gefärbt.In den USA müssen die gleichen Kabel weiß sein. Pro-dukte wie Ventilatoren müssen in der EU zertifiziertwerden und erhalten das CE-Zeichen. Wenn Sie in dieUSA exportieren wollen, dann müssen Sie das gleicheVerfahren nach US-Norm noch einmal durchlaufen. Ineinem deutschen Unternehmen braucht es allein 15 Ent-wickler, um diese amerikanischen Standards abzubilden.Im chemischen Bereich führt die unterschiedliche Kenn-zeichnungspraxis dazu, dass viele Produkte für den Ver-kauf in die USA anders bezeichnet und anders etikettiertwerden müssen. Außerdem müssen Labore in der Che-mie und im Medizinbereich von zwei Behörden, sowohlvon der europäischen wie auch von der amerikanischenBehörde, zertifiziert werden.Ein weiterer Teil der Abkommen ist, dass viele Her-kunftsbezeichnungen, auch im landwirtschaftlichen Be-reich, betroffen sind. Ein Beispiel: Deutsche Brauereienwerden in den USA mit einer Reihe von bayerischenBieren konfrontiert, die überhaupt nicht aus Bayern
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4929
Dr. Matthias Heider
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stammen. Das Gleiche gilt für Schwarzwälder Schinken,für Spreewälder Gurken, für Kölsch und für DresdnerStollen. Die Pflicht zur Bezeichnung der geografischenHerkunft würde den Handel mit diesen Produkten enormfördern. Herr Hofreiter, das müssen Sie den mittelständi-schen Unternehmen in Ihrem Wahlkreis einmal erläu-tern. Ich habe die ganz herzliche Bitte an Sie, dass Siedieses Abkommen unterstützen und nicht pauschal dage-genreden.
Besonders pikant ist, dass Ihr Kollege Trittin zu diesemZeitpunkt ein Buch mit dem Titel „Stillstand made inGermany – Ein anderes Land ist möglich!“ vorstellt. Ichglaube, eindrucksvoller kann man seine Meinung nichtunter Beweis stellen.
Auch Investitionsschutzkapitel gehören zu den Streit-beilegungsverfahren. Im Freihandel sind sie notwendig.Sie entlasten nationale, ordentliche Gerichte von langenund schwierigen Verfahren. Dass solche Verfahren garnicht so häufig stattfinden, mögen Sie daran erkennen,dass es bisher weniger als fünf Verfahren dieser Art ge-gen Deutschland gegeben hat. Das Gutachten, das derBundeswirtschaftsminister vorhin zitiert hat, zeigt, dassdie Rechte, die kanadische Investoren beispielsweisedurch CETA bekommen, kaum über die nationalenRechte in Deutschland hinausgehen. Im Hinblick aufden Bestandsschutz getätigter Investitionen gegen ge-setzgeberische Eingriffe bleibt CETA sogar hinter dennationalen juristischen Möglichkeiten des ordentlichenRechts, aber auch des Verfassungsrechts und desUnionsrechts signifikant zurück. Das ist sicherlich einsehr spannender Punkt für viele Bürgerinnen und Bürger.Ich habe die Bitte: Sagen Sie in aller Klarheit, worum esdabei geht, anstatt in dieser Diskussion Nebelkerzen zuwerfen.
Meine Damen und Herren, ich möchte die drei großenIrrtümer, die hier hochgehalten werden, noch einmalbeim Namen nennen:Erstens. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Inves-titionsschutzkapitel keine Aufhebung von gesetzgeberi-schen Maßnahmen oder den Erlass neuer Maßnahmenbewirken. Auch hierzu heißt es in dem Gutachten – dassteht dort schwarz auf weiß –: Die Aufhebung oder derErlass gesetzgeberischer Maßnahmen kann nicht ver-langt werden.Der zweite Irrtum betrifft das angebliche Schaffen ei-ner Paralleljustiz. Das Wort hört sich an, als stamme esaus einem Science-Fiction-Film mit einer ganzen Reihevon Parallelwelten. Ich muss Sie enttäuschen: TTIP undCETA werden keine Parallelwelten aufbauen, auch wenndas in die Horrorgeschichte, die Sie im Rahmen IhrerKampagne erzählen, gut hineinpassen würde.Die Schiedsgerichtsverfahren sind mit einer Reihevon Neuerungen versehen. Das hängt mit der Transpa-renz zusammen und auch damit, dass die Besetzung die-ser Schiedsgerichte nach einem etwas anderen Schlüsselerfolgt. Im Übrigen werden verschiedene Schiedsge-richtsordnungen zur Wahl gestellt. Ich glaube, dass dasauch mit Blick auf die Entwicklung der Standards derSchiedsgerichtsbarkeit ein guter Schritt ist. Wir müssenaber daran mitwirken. Wenn wir uns dem verschließen,dann werden wir auf den Märkten keine Trends setzen,dann werden wir auch mit dem Abschluss dieser Ab-kommen keine Trends setzen.Dritter Irrtum. Dass wir soziale Standards und Um-weltstandards abschaffen oder verhindern würden, istvon meinen Vorrednern eindrucksvoll widerlegt worden.Das bedarf keiner weiteren Erläuterung.Deshalb lehnen wir Ihre Anträge ab. Sie wollen Chan-cen verhindern. Wir wollen sie ermöglichen. Deshalbsind diese Abkommen ein guter Weg. Die Zeit, die dortnoch für die Verifizierung, für das Verhandeln gebrauchtwird, wird genutzt werden. Ich glaube, dass wir da aufeinem hervorragenden Weg sind.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich möchte noch einmal
sehr ernsthaft darauf hinweisen, dass auch der letzte
Redner dieser Debatte das Recht hat, dass man ihm zu-
hört. Wer das nicht will, sondern sich unterhält, soll das
bitte draußen tun. Ich meine das sehr ernsthaft. Wenn
dies nicht geschieht, wird jetzt mit seiner Rede nicht an-
gefangen, und wir warten einfach so lange, bis die Kolle-
ginnen und Kollegen, die sich in den Gängen miteinan-
der unterhalten, nach draußen gehen.
Darf ich das noch einmal sagen? Ich sehe einige bei der
SPD. Bitte hören Sie Ihrem Kollegen zu, oder gehen Sie
raus. Auch er als letzter Redner in dieser Debatte hat das
Recht, dass ihm zugehört wird.
Ich gebe das Wort Peter Beyer.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dass intensive Wirtschaftsintegration, wie beim EU-Binnenmarkt gesehen, zu Wohlstandsgewinnen führt,das wissen wir, das wissen Volkswirtschaftler, aber nichtnur die. Das hat auch kürzlich wieder eine aktuellePrognos-Studie belegt. Die Schaffung des EU-Binnen-marktes ist seinerzeit, wenn wir uns erinnern, nicht ganzohne Kontroversen und auch nicht ohne Ängste und Sor-gen bei den Menschen vonstattengegangen.Das erinnert an die Situation, wie wir sie heute imHinblick auf TTIP und CETA haben. Dank einer weit-sichtigen, auf die Zukunft Europas ausgerichteten Politik
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wurde die wirtschaftliche Integration Europas damalsgut betrieben, und sie ist gut gelungen. Ziel einer transat-lantischen Wirtschaftsintegration ist zwar nicht dieSchaffung eines Binnenmarktes, wie wir ihn in der EUhaben; es geht dabei aber immerhin um nicht weniger alsum die Schaffung des größten Wirtschaftsraums derWelt und damit um die Steigerung des wirtschaftlichenWohlstands der Menschen in unserem Land, in den Ver-einigten Staaten und in der EU.Ich möchte ein bisschen weg von reinen Zahlen, Da-ten und Fakten; denn CETA und TTIP sind weit mehr alsein bloßes Zahlengerüst. Es geht über rein ökonomischeZiele hinaus. Ich möchte den Fokus auf die enorme stra-tegische und auf die geopolitische Bedeutung legen.TTIP wird nicht nur die bilateralen Wirtschaftsbeziehun-gen vertiefen, sondern auch die weltweite VorreiterrolleEuropas und der USA inmitten starker globaler Konkur-renz dauerhaft stärken. Überall auf der Welt gibt es imÜbrigen Bestrebungen, Handelsräume stärker zu inte-grieren, zusammenzulegen und den Warenaustausch zuvereinfachen.TTIP und CETA sichern der EU und damit der Bun-desrepublik und den Menschen, die hier leben, einewichtige Positionierung in einer multipolaren Weltord-nung. Diese Chance auf eine weitreichende Setzung vonStandards in dieser globalisierten Wirtschaftswelt solltenwir gerade jetzt ergreifen; denn sie bietet sich uns mit ei-nem Partner, der eine gleiche Wertebasis hat wie wir.Dabei muss es uns ein zentrales Anliegen sein, dass dasAbkommen die hohen europäischen Schutzniveaus mitdem geltenden europäischen Recht und den nationalenGesetzen sichert. Ein Verzicht auf TTIP und ein Verzichtauf CETA würden einem Verzicht auf die Einflussnahmebeim Setzen internationaler Standards gleichkommen.Wir würden damit das Spielfeld anderen überlassen, dienicht unsere Wertebasis haben. Ich halte das gerade alsParlamentarier für verantwortungslos.TTIP und CETA kann man auch nicht als isolierteProjekte behandeln, sondern sie müssen in einem euro-atlantischen Kontext gesehen werden. Wir müssen dabeiall das, was derzeit transatlantisch läuft, betrachten. DasMegaprojekt TTIP wird in einem Umfeld, in einer Zeitverhandelt, wo es um die transatlantischen Beziehungennicht gerade gut bestellt ist. 25 Jahre nach dem Fall derBerliner Mauer braucht die transatlantische Partner-schaft belebende Impulse und bedarf der Selbstver-gewisserung und der Stärkung. Wir müssen uns auf denWeg begeben, über das transatlantische Verhältnisgrundlegend nachzudenken. Ich bin dankbar, dass dieseDiskussion geführt wird.Angesichts des verloren gegangenen Vertrauens bietetTTIP eine wichtige Chance, zur Sacharbeit zurückzu-kehren und gegenseitiges Vertrauen wieder aufzubauen.Dabei müssen wir Partner auf Augenhöhe sein, meineDamen und Herren.Die gemeinsamen Werte, die ich bereits angesprochenhabe, und die gemeinsamen Interessen mit den Amerika-nern bilden dabei ein stabiles und belastbares Funda-ment. Uns verbinden nicht nur gemeinsame historischeErfahrungen, sondern auch die gemeinsamen Werte undPrinzipien wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit,Marktwirtschaft und auch der Respekt vor dem Indivi-duum – um das nicht als Letztes zu nennen.Natürlich dürfen wir nicht die Augen verschließenvor berechtigter Kritik und auch nicht vor den Ängstenund Sorgen der Menschen, die uns begegnen. Aber an-ders als andere halte ich es für schier verantwortungslos,in die Kerbe der Ängste und Sorgen der Menschen auchnoch hineinzuschlagen. Unsere Aufgabe als verantwor-tungsvoll handelnde Parlamentarier muss es doch viel-mehr sein, sich selbst auf einen Informationsstand zubringen, der es erlaubt, Menschen aufzuklären und mitihnen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Deswe-gen sind wir uns auch alle einig in diesem Haus, dass daseuropäische Schutzniveau in den Bereichen Umwelt,Verbraucherschutz, Arbeitsrecht, Gesundheit und auchProduktsicherheit nicht nach unten angepasst werdendarf. Wir werden alle keinem Abkommen zustimmen– weder bei CETA noch bei TTIP –, das diesen hoheneuropäischen Schutzstandards nicht Rechnung trägt.
Freihandelsabkommen sind ein wunderbares Beispieldafür, wie Bürokratieabbau – und zwar nicht nur im Klei-nen, sondern in wirklich bedeutsamem Maße – gelingenkann. Wir haben heute in der Debatte schon mehrfachBeispiele für Doppelzulassungsverfahren, Doppelkontrol-len gehört: immer dann, wenn es ähnliche Sicherheits-und Schutzstandards gibt. Diese Bürokratie führt zu einerVerschwendung von Ressourcen – beim Personaleinsatz,bei Zeit, bei Geld –, und diese Ressourcen stehen dannnicht für die wirklich wichtigen Dinge, für Innovation undtechnologischen Fortschritt, zur Verfügung. Auch aus die-sem Grund ist es für mich ein – wenn ich dieses neuedeutsche Wort benutzen darf – No-Brainer, TTIP undCETA zuzustimmen.Kurz noch zu Investitionsschutzklauseln: Es ist jaauch eine Sorge, dass eine geheime Paralleljustiz ent-steht, die gerade Großkonzerne begünstige. Zu diesemThema haben wir heute schon viel Richtiges gehört. Esdarf natürlich keine Einschränkung des politischenHandlungsspielraums von Staaten mit diesen Abkom-men einhergehen. In der Tat haben internationale Inves-tor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren so, wie wir sie heutekennen, ihre Schwächen. Viele alte Investitionsschutzab-kommen laden regelrecht zum Missbrauch ein. Deswe-gen muss es unser Ziel sein, dass wir ein reformiertesSchiedsgerichtsbarkeitssystem in CETA und TTIP hi-neinverhandeln, integrieren, welches Missbrauch einenRiegel vorschiebt. Das kann gelingen durch bessere Re-geln und Rahmenbedingungen, vor allen Dingen durchTransparenz des Verfahrens, durch einen Schutzmecha-nismus gegen ungerechtfertigte Klagen und auch durchdie Schaffung einer Revisionsinstanz.Meine Damen und Herren, ich versuche, die Zeit ein-zuhalten. Ich habe noch eine knappe Minute. Deswegenkomme ich zum Schluss. Ich möchte noch einmal, wieder Kollege Wiese es getan hat, darauf hinweisen, dasswir es bei CETA und bei TTIP mit gemischten Abkom-men zu tun haben. Deswegen müssen wir alle dafür
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4931
Peter Beyer
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kämpfen – ich appelliere insbesondere an die Adresseder Europäischen Kommission, der scheidenden wie derneuen –, dass die 28 nationalen Parlamente der Europäi-schen Union zustimmen müssen, dass sie ratifizierenmüssen, dass wir nicht außen vor sind. Das muss uns einwichtiges Anliegen sein, meine Damen und Herren. Des-wegen appelliere ich an Sie: Seien Sie für TTIP; das istetwas Gutes für die Menschen in diesem Lande. DieChance, die uns gerade jetzt geboten wird, dies auch tat-kräftig, positiv, konstruktiv zu begleiten, sollten wir nut-zen. Wir sollten nicht fragen: „Warum gerade jetzt?“,sondern sagen: Gerade jetzt!Vielen Dank.
Ich schließe die Aussprache.Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchteich darauf hinweisen, dass wir jetzt drei namentliche Ab-stimmungen nacheinander durchführen werden.Wir kommen zu den Abstimmungen über die beidenEntschließungsanträge der Fraktion Die Linke, zu denenjeweils namentliche Abstimmung verlangt wurde, undbeginnen mit dem Entschließungsantrag auf Drucksache18/2612.Zu dieser namentlichen Abstimmung wie auch zu denbeiden folgenden namentlichen Abstimmungen liegt mireine große Anzahl an Erklärungen nach § 31 unserer Ge-schäftsordnung vor. Entsprechend unseren Regeln neh-men wir diese ins Protokoll auf.1)Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, dievorgesehenen Plätze einzunehmen. – Liebe Kolleginnenund Kollegen, ich weiß, dass gestern Abend vieleSchriftführerinnen und Schriftführer mit dem Präsidiumdes Deutschen Bundestages über die Organisation derArbeit beraten haben. Dabei haben wir uns auch daraufgeeinigt, dass bei Aufruf einer namentlichen Abstim-mung an jeder Abstimmungsurne ein Schriftführer derOppositionsfraktionen und ein Schriftführer der die Ko-alition tragenden Fraktionen anwesend sind. Das scheintmir im Moment aber noch nicht der Fall zu sein. Auchhier vorne fehlen noch Schriftführer. – Sind alle Urnenbesetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die erste namentli-che Abstimmung. Es geht um den Entschließungsantragauf Drucksache 18/2612.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme nicht abgegeben hat? – Ich schließe die Abstim-mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,mit der Auszählung zu beginnen.Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag derFraktion Die Linke auf Drucksache 18/2611 namentlichab. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ih-ren Plätzen? – Das ist der Fall. Ich eröffne die zweite na-mentliche Abstimmung. Es geht um den Entschließungs-antrag auf Drucksache 18/2611.1) Anlagen 2 bis 12Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welchesbisher nicht an der zweiten namentlichen Abstimmungteilgenommen hat und dies noch tun will? – Haben alleMitglieder des Hauses an der zweiten namentlichen Ab-stimmung teilgenommen? – Ich schließe die Abstim-mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,mit der Auszählung zu beginnen.Wir kommen zum Zusatzpunkt 3: Abstimmung überdie Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt-schaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für fairen Handelohne Klageprivilegien für Konzerne“. Der Ausschussempfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-che 18/2646, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen auf Drucksache 18/1458 abzulehnen. Wir stim-men nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangender Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab.Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihremPlatz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die dritte namentli-che Abstimmung. Es geht um die Beschlussempfehlungzum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seineStimme zur dritten namentlichen Abstimmung nicht ab-gegeben hat? Ich mache darauf aufmerksam, dass dieAuszählung der Stimmen der ersten und zweiten na-mentlichen Abstimmung schon begonnen hat. Wir kön-nen also zu diesen Abstimmungen keine Stimmen mehrentgegennehmen. Ich möchte jetzt wissen, wer an derdritten namentlichen Abstimmung noch teilnehmenwill. – Ich schließe die Abstimmung und bitte dieSchriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-lung zu beginnen.Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungenwerden Ihnen später bekannt gegeben.2)Liebe Kollegen, da wir jetzt gleich weitere Abstim-mungen vorzunehmen haben, bitte ich Sie, uns zu er-möglichen, die Abstimmungsergebnisse auch festzustel-len. Dazu gehört, dass jeder, der hier am weiterenBetrieb teilnehmen möchte, sich bitte einen Sitzplatzwählt. Es sind nach unserem Überblick genügend Plätzevorhanden. – Liebe Kollegen, ich gestehe, dass ich michim Moment von Ihnen nicht ernst genommen fühle. Wirwerden nicht fortfahren, bevor wir nicht die notwendigeOrdnung im Saal hergestellt haben. Dazu gehört, dassdiejenigen, die an den weiteren Verhandlungen teilneh-men und die nachfolgenden Abstimmungen mit bestrei-ten wollen, sich bitte in den Reihen ihrer Fraktion odereiner Fraktion ihrer Wahl einen Sitzplatz suchen.Der guten Ordnung halber stelle ich noch einmal fest,dass Ihnen die Ergebnisse der drei namentlichen Abstim-mungen, die wir gerade absolviert haben, später bekanntgegeben werden.Wir kommen nun zu dem Antrag der Fraktion DieLinke auf Drucksache 18/2604 mit dem Titel „Freihan-delsabkommen zwischen der EU und Kanada CETA zu-rückweisen“. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstim-mung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und2) Ergebnis Seite 4933 D, 4936 A, 4938 B
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4932 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
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SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend anden Ausschuss für Wirtschaft und Energie und mitbera-tend an den Finanzausschuss, an den Ausschuss fürRecht und Verbraucherschutz sowie an den Ausschussfür die Angelegenheiten der Europäischen Union.Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über denAntrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieÜberweisung mit den Stimmen der Unionsfraktion undder SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so be-schlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag aufDrucksache 18/2604 nicht in der Sache ab.Zusatzpunkt 2. Wir kommen zur Abstimmung überden Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen aufDrucksache 18/2620 mit dem Titel „Keine Klageprivile-gien für Konzerne – CETA-Vertragsentwurf ablehnen“.Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstim-mung in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU undder SPD wünschen Überweisung, und zwar federführendan den Ausschuss für Wirtschaft und Energie und mitbe-ratend an den Finanzausschuss, an den Ausschuss fürRecht und Verbraucherschutz sowie an den Ausschussfür die Angelegenheiten der Europäischen Union.Wir stimmen nach ständiger Übung auch hier zuerstüber den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ichfrage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überwei-sung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen gegen die Stimmen der FraktionenBündnis 90/Die Grünen und Die Linke so beschlossen.Wir stimmen damit heute nicht über den Antrag aufDrucksache 18/2620 in der Sache ab.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie den Zusatz-punkt 4 auf:5 Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-nes … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz-buches – Umsetzung europäischer Vorgabenzum SexualstrafrechtDrucksache 18/2601Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Auswärtiger AusschussInnenausschussAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss Digitale AgendaZP 4 Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Franziska Brantner, Katja Dörner, TabeaRößner, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENKinder schützen – Prävention stärkenDrucksache 18/2619Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-minister der Justiz, Heiko Maas.
Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-braucherschutz:Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Im Dezember 2012 musste das OLGKoblenz einen Lehrer, der eine 14-jährige Schülerin ver-führt hatte, vom Vorwurf des Missbrauchs von Schutz-befohlenen freisprechen. Er hatte sich gezielt an dasMädchen herangemacht und es über fünf Monate zumSex gedrängt. Trotzdem: Der Mann konnte nicht verur-teilt werden. Der Grund: Er unterrichtete in der Klassedes Mädchens nicht regelmäßig, sondern er war nur Ver-tretungslehrer. Deshalb bestand kein sogenanntes Ob-hutsverhältnis zu der Neuntklässlerin. Diese Schutzlückewollen wir heute mit diesem Gesetz schließen. Niemandsoll seine Vertrauensstellung ungestraft missbrauchendürfen, egal ob er Klassenlehrer ist oder nur vertretungs-weise unterrichtet. Das wird durch dieses Gesetz jetztauch gewährleistet.
Wir verlängern des Weiteren die Verjährungsfristenbeim sexuellen Missbrauch. Denken Sie an die Vor-würfe, die im Zusammenhang mit der Odenwaldschuleoder auch kirchlichen Organisationen bekannt gewordensind. Ein Großteil der Taten war und ist bereits verjährt.Wir wissen heute von den Opfern, dass diese ihr Leidverdrängen, um überhaupt ein normales Leben führen zukönnen.Opfer brauchen Zeit – oftmals sehr viel Zeit –, umden Mut zu fassen, sich zu äußern. In Zukunft soll des-halb die Verjährung erst mit dem 30. Lebensjahr des Op-fers beginnen. Bei schweren Missbrauchsfällen tritt dieVerjährung erst mit dem 50. Lebensjahr des Opfers ein.Täter dürfen nicht länger davon profitieren, dass diegrausamen Folgen ihrer Tat, nämlich die Traumatisie-rung der Opfer, die Täter auch noch vor Strafverfolgungschützen, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Wichtig ist bei diesem Gesetzentwurf auch, dass wirden Katalog der Auslandsstraftaten erweitern. Wenn einDeutscher, der in Thailand lebt, dort einen sexuellenMissbrauch begeht, was leider noch viel zu häufig derFall ist, dann kommt es für die Strafbarkeit nach deut-schem Recht in einigen Fällen darauf an, ob das Opferseine Lebensgrundlage in Deutschland hat oder nicht.Das Unrecht einer solchen Tat hängt aber ganz sichernicht davon ab, ob ein Kind die deutsche Staatsbürger-schaft hat oder nicht. Der Missbrauch eines jeden Kindes
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4933
Bundesminister Heiko Maas
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durch einen Deutschen muss bestraft werden. Die bishergeltende Regelung werden wir jetzt ändern.
Wir schützen zukünftig insbesondere Kinder davor,dass von ihnen Nacktbilder, zum Beispiel im Internet,verbreitet werden. Niemand soll in Zukunft ungestraftmit den nackten Körpern von Kindern Geschäfte machenkönnen. Bislang waren nur Bilder strafbar, die Kinder inunnatürlicher, geschlechtsbetonter Haltung zeigten, diesogenannten Posingbilder. Diese Strafvorschriften wer-den seit vielen Jahren von Pädophilennetzwerken gezieltumgangen. Es gibt mittlerweile ganze Magazine und In-ternetseiten, die diese Schutzlücke ganz gezielt ausnut-zen. Es werden dann Nacktbilder von Kindern verbreitetund gehandelt, die scheinbar keinen sexuellen Bezug ha-ben. Auch das ist, finde ich, strafwürdig. Mit den nack-ten Körpern von Kindern sollen nicht mehr ungestraftGeschäfte gemacht werden. Deshalb werden wir dieseSchutzlücke ebenso schließen.
Eine weitere Schutzlücke, die wir mit diesem Gesetzschließen, ist die beim Cybermobbing. Welch schreckli-che Konsequenzen so etwas haben kann, zeigt das Bei-spiel eines jungen Mädchens namens Amanda. Sie warzwölf Jahre alt, als ein peinliches Foto von ihr entstand,das sie halbnackt zeigte. Es wurde im Internet verbreitetund war Anlass für jahrelanges Cybermobbing durchihre Mitschüler. Es folgten Schulwechsel, Selbstverlet-zungen und ein gescheiterter Suizidversuch. Ende 2012,im Alter von 15 Jahren, gelang es Amanda, sich das Le-ben zu nehmen. Solche Schicksale dürfen uns nichtgleichgültig lassen. Mit diesem Gesetz sorgen wir auchdafür, dass gegen Cybermobbing besser vorgegangenwerden kann. Das ist alles andere als ein Kavaliersdelikt.
Ich will aber auch ganz klar sagen, dass viele Be-fürchtungen, die in den letzten Tagen im Hinblick aufdie Vorlagen, die wir heute einbringen, geäußert wordensind, nicht gerechtfertigt sind:Erstens. Wir kriminalisieren nichts, was sozial völligüblich ist. Auch in Zukunft dürfen Eltern ihre Kindernackt beim Planschen im Urlaub am See fotografieren.Sie erfüllen schon den entsprechenden Tatbestand nicht;denn sie handeln nicht unbefugt. Ich will in Bezug aufdas eine oder andere, was ich in den letzten Tagen gele-sen habe, was zukünftig auf Kindergeburtstagen oderKindergartenfesten nicht mehr möglich sein soll, hinzu-fügen: Bei manchen, die diese Kritik verfasst haben,habe ich wirklich den Eindruck, dass sie schon langenicht mehr auf einem Kindergeburtstag oder in einemKindergarten gewesen sind. Die Lebenswirklichkeit isteine völlig andere.
Zweitens. Es muss auch niemand befürchten, dass esin Zukunft eine Flut von Ermittlungen geben wird.
Dieser Straftatbestand ist ein Antragsdelikt. Das heißt,die Staatsanwaltschaft wird in der Regel nicht von sichaus aktiv werden, sondern nur auf Antrag.Drittens. Es ist nichts unbefugt – auch das sei in allerDeutlichkeit gesagt –, was etwa vom Presserecht odervon der vom Grundgesetz garantierten Pressefreiheit ab-gedeckt ist. Die Presse kann und darf selbstverständlichauch in Zukunft von Prominenten unvorteilhafte Bilderschießen und sie abdrucken. Sie handelt nämlich in sol-chen Fällen nicht unbefugt, sondern sie nimmt einewichtige Gemeinschaftsaufgabe wahr. Ihre Freiheit wirddurch diese Vorschriften in keiner Weise eingeschränkt.Mit dem Gesetzentwurf ziehen wir auch die Konse-quenz aus dem technischen Wandel, der sich in den letz-ten Jahren ergeben hat. Digitalfotos können heute mit ei-nem Klick weltweit im Internet verbreitet werden.Manche Handyfotos werden sogar automatisch im Netzgespeichert. Wenn solche Fotos erst einmal veröffent-licht sind, kriegt man sie aus dem Internet kaum nochheraus. Sie bleiben über Jahre zugänglich, und dies zu-lasten von Kindern, Heranwachsenden und auch erwach-senen Personen.Deshalb meine ich, Kinder haben ein Recht darauf,dass sie dagegen geschützt werden. Und die technischeEntwicklung macht es notwendig, dass der Schutz unse-rer Kinder früher einsetzt, als das bisher der Fall gewe-sen ist. Ja, wir erwarten mehr Sorgfalt und Verantwor-tungsbewusstsein von allen im Umgang mit Kindern undihren Rechten. Ich finde, das ist nicht zu viel verlangt.Ich danke Ihnen.
Ich korrigiere: Das war natürlich der Bundesministerder Justiz und für Verbraucherschutz, damit das vollstän-dig festgehalten wird.Bevor wir mit der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnendie von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit-telten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungenbekannt.Erste namentliche Abstimmung zum Entschließungs-antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2612zur Beratung der Antwort der Bundesregierung auf dieGroße Anfrage der Fraktion Die Linke „Soziale, ökolo-gische, ökonomische und politische Effekte des EU-USA Freihandelsabkommens“: abgegebene Stimmen586. Mit Ja haben 114 Kolleginnen und Kollegen ge-stimmt, mit Nein 466, 6 haben sich enthalten. Der Ent-schließungsantrag ist damit abgelehnt.
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4934 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 585;davonja: 113nein: 466enthalten: 6JaDIE LINKEDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerMatthias GastelKai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerNeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul Lehrieder
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4935
Vizepräsidentin Petra Pau
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Dr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela EngelmeierDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelDr. Hans-Ulrich KrügerChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm Priesmeier
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4936 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
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Florian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesEnthaltenCDU/CSUDr. Peter GauweilerSPDMarco BülowBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDr. Thomas GambkeDieter JanecekCem ÖzdemirDr. Valerie WilmsZweite namentliche Abstimmung zum Entschließungs-antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2611zur Beratung der Antwort der Bundesregierung auf dieGroße Anfrage „Soziale, ökologische, ökonomische undpolitische Effekte des EU-USA Freihandelsabkom-mens“: Daran haben 576 Kolleginnen und Kollegen teil-genommen. Mit Ja haben 110 gestimmt, mit Nein 460,und 6 haben sich enthalten. Der Entschließungsantrag istabgelehnt.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 578;davonja: 112nein: 460enthalten: 6JaDIE LINKEDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerMatthias GastelKai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-Rosenheimer
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4937
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
NeinCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldPhilipp Graf LerchenfeldAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsThomas RachelAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de Vries
Metadaten/Kopzeile:
4938 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Dr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertPetra CroneBernhard DaldrupDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißMichaela EngelmeierDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelDr. Hans-Ulrich KrügerChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesEnthaltenCDU/CSUDr. Peter GauweilerSPDMarco BülowBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENDr. Thomas GambkeDieter JanecekCem ÖzdemirDr. Valerie WilmsDritte namentliche Abstimmung über die Beschluss-empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energiezu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen„Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Kon-zerne“: Hieran haben 581 Kolleginnen und Kollegen teil-genommen. Mit Ja haben 460 gestimmt, mit Nein 119,2 haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist da-mit angenommen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4939
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 583;davonja: 462nein: 119enthalten: 2JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. André BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufReinhard GrindelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerOlav GuttingChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichUda HellerJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeChristian HirteDr. Heribert HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenAndreas JungDr. Franz Josef JungXaver JungBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumRüdiger KruseBettina KudlaDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyDr. Karl A. LamersAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtStephan Mayer
Reiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakDr. Georg NüßleinWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferEckhard PolsThomas RachelAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergLothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert RupprechtAnita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Hans-Peter UhlDr. Volker UllrichArnold Vaatz
Metadaten/Kopzeile:
4940 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Oswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtWaldemar WestermayerKai WhittakerPeter WichtelHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerGudrun ZollnerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerEdelgard BulmahnMartin BurkertDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißMichaela EngelmeierDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerDr. Ute Finckh-KrämerChristian FlisekGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseGabriele GronebergMichael GroßUli GrötschWolfgang GunkelBettina HagedornMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannDirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmPetra Hinz
Thomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzFrank JungeOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareLars KlingbeilDr. Bärbel KoflerDaniela KolbeBirgit KömpelDr. Hans-Ulrich KrügerChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeChristian PetryJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne SchiederUdo SchiefnerDr. Dorothee SchlegelUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückKerstin TackMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerUte VogtDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseWaltraud Wolff
Gülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesNeinSPDMarco BülowClaudia TausendDIE LINKEDr. Dietmar BartschHerbert BehrensKarin BinderMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeDr. Gregor GysiDr. André HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostAlexander UlrichKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina Wawzyniak
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4941
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
Harald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Dr. Franziska BrantnerAgnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von NotzCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtKordula Schulz-AscheDr. Wolfgang Strengmann-KuhnHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinDr. Julia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsEnthaltenCDU/CSUDr. Peter GauweilerJosef Göppel
Wir kommen nun zurück zur Debatte zum Tagesord-nungspunkt 5. Das Wort hat die Kollegin HalinaWawzyniak für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Debatten zum Sexualstrafrecht zählen zuden schwierigsten. Sie eignen sich nicht für Polemik undnicht für Polterei. Deswegen sage ich sehr deutlich: JedeStraftat in diesem Bereich ist eine Straftat zu viel. Es gibtkeine Rechtfertigung.
Unser zentraler Ansatzpunkt bei der Bewertung desGesetzentwurfs ist Prävention. Ich bin sehr froh, dassdas Ministerium das Projekt „Kein Täter werden“ unter-stützt. Wir glauben, es ist notwendig, dass es einenRechtsanspruch auf Therapie in den Strafvollzugsgeset-zen gibt. Wir glauben, dass es zur Verhinderung vonRückfalltaten nötig ist, nach Verbüßung einer Freiheits-strafe umfassende Hilfe und Unterstützung bei der Reso-zialisierung anzubieten.
Strafrecht ist immer Ultima Ratio. Deswegen brauchtein rechtsstaatliches Strafrecht Straftatbestände, die demBestimmtheitsgebot entsprechen. Wir haben uns bei derBewertung des Gesetzentwurfes mit den einzelnen Maß-nahmen befasst und geschaut, ob sie unter rechtsstaatli-chen Gesichtspunkten erforderlich oder hilfreich sind,um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zuverhindern.Der Gesetzentwurf will – darauf ist hingewiesen wor-den – die Verlängerung der Ruhensvorschriften der Ver-jährung. Wir haben Verständnis für das Anliegen der Op-fer, auch noch zu einem recht späten Zeitpunkt eineStrafbarkeit der Täter zu ermöglichen. Trotzdem mussich Ihnen sagen: Mich persönlich überzeugt der Vor-schlag nicht. Die Mehrheit in diesem Haus hat im Jahr2013 mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Op-fern sexuellen Missbrauchs die strafrechtlichen Verjäh-rungsfristen verlängert. Eine Evaluation, was diese Ver-längerung gebracht hat, liegt uns nicht vor. Ich glaube,wir brauchen zuerst eine Evaluierung, bevor wir wiederVerjährungsfristen verlängern.
Es ist eine Binsenweisheit, dass es, je länger eineStraftat zurückliegt, desto schwieriger ist, mit rechts-staatlichen Mitteln eine solche Straftat nachzuweisen.Möglicherweise – ich bitte einfach nur, darüber nachzu-denken – führt eine Verlängerung der strafrechtlichenVerjährungsfristen dazu, dass wir die berechtigten Hoff-nungen von Opfern sexualisierter Gewalt enttäuschen,weil aufgrund der langen Zeit Straftaten rechtsstaatlichnicht mehr nachgewiesen werden können. Wenn wir dieHoffnungen der Opfer enttäuschen, dann schadet das amEnde auch dem Rechtsstaat.
In § 184 b StGB soll der Begriff der Kinderpornogra-fie erweitert werden. Es soll strafbar sein „die Wieder-gabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes inunnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“. Sie sel-ber weisen in der Gesetzesbegründung auch darauf hin,dass der BGH sagt, dass das bereits jetzt strafbar ist.Nach der Begründung sollen auch „unwillkürlich einge-nommene geschlechtsbetonte Körperhaltungen, etwadurch ein schlafendes Kind“, Kinderpornografie sein. Essoll „lediglich auf die Körperhaltung selbst“ ankommen.Ich verstehe auch hier das Anliegen hinter diesemVorschlag. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich hier er-hebliche Schwierigkeiten mit dem Bestimmtheitsgebot
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4942 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Halina Wawzyniak
(C)
(B)
sehe. Wir brauchen in diesem Bereich Rechtssicherheitund keine Rechtsunsicherheit.
Nach dem, was in der Begründung steht, weiß niemand,der ein schlafendes Kind fotografiert, ob er unter diesenStraftatbestand fällt oder nicht. Ich weiß, dass es um dasKindeswohl geht; und das Kindeswohl liegt uns am Her-zen. Aber ich glaube, dass dies der falsche Weg ist.
Nach der vorgesehenen Änderung des § 184 d sollauch der bestraft werden, „wer es unternimmt, einen kin-derpornographischen Inhalt mittels Telemedien abzuru-fen“. Soweit es um den Download geht, sind wir uns alleeinig, dass das strafbar ist und dass das strafbar bleibenmuss.
Wenn ich aber den Gesetzentwurf richtig gelesen undauch verstanden habe – das ist ja nicht immer dasselbe –,
wird mit dieser Formulierung allein der Aufruf und da-mit auch der unbeabsichtigte Aufruf unter Strafe gestellt.In der Gesetzesbegründung heißt es, „wobei der Abrufnicht die Speicherung des Werkes bei dem Abrufendenvoraussetzt“. Unsere europäischen Nachbarn verlangenfür ähnliche Straftatbestände eine bewusste Handlung,die sich zum Beispiel durch Speichern oder Bezahlenmanifestiert. Die entscheidende Frage an dieser Stellelautet, wie denn ein Aufruf, nur ein Aufruf, überhauptkontrolliert werden soll. Kann es möglicherweise sein,dass sich hier Befürworter der anlasslosen Vorratsdaten-speicherung ein Hintertürchen für die kommenden De-batten offen gelassen haben?
Das allergrößte Problem in Ihrem Gesetzentwurf ha-ben wir aber mit der Änderung des § 201 a StGB. Dashat nichts mehr mit dem Sexualstrafrecht zu tun. Nachdiesem Vorschlag soll sich künftig strafbar machen,„wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildauf-nahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildetenPerson erheblich zu schaden, oder unbefugt eine Bild-aufnahme einer unbekleideten anderen Person herstelltoder überträgt“. Nun ist in § 22 Kunsturhebergesetz ge-regelt, dass Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebil-deten verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werdendürfen. In § 23 sind Ausnahmen geregelt, zum Beispielfür Personen des öffentlichen Lebens. In § 23 Absatz 2gibt es wiederum Ausnahmen von der Ausnahme. DieVerbreitung ist ohne Einwilligung dann nicht erlaubt,wenn das berechtigte Interesse verletzt wird. Ein Verstoßgegen das Kunsturhebergesetz ist nach § 33 strafbar.Ich sehe, ehrlich gesagt, nicht die Regelungslücke, dieSie hier schließen wollen. Darüber hinaus ist eine Defi-nition von „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildetenPerson erheblich zu schaden“, die dem Bestimmtheitsge-bot in irgendeiner Weise entspricht, nicht erkennbar. Inder Gesetzesbegründung stellen Sie – das ist die Ur-sprungsformulierung aus dem Referentenentwurf – aufbloßstellende Bildaufnahmen ab. Darunter werden sol-che verstanden, „die die abgebildete Person in peinli-chen oder entwürdigenden Situationen oder in einemsolchen Zustand zeigen, und bei denen angenommenwerden kann, dass üblicherweise ein Interesse daran be-steht, dass sie nicht hergestellt, übertragen oder Drittenzugänglich gemacht werden“. Ich sage Ihnen: Anwältin-nen und Anwälte, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte,Richterinnen und Richter freuen sich schon jetzt auf dieBearbeitung all der Einzelfälle, in denen zu entscheidenist, ob die Aufnahme nun eine ist, die geeignet ist, demAnsehen der abgebildeten Person erheblichen Schadenzuzufügen. Das ist einfach nicht fassbar.
Um dem noch einen draufzusetzen – ich muss sagen:das ist aus meiner Sicht die Krone der Unvernunft –,wollen Sie die Herstellung solcher Bilder unter Strafestellen. Wenn also jemand findet, dass jemand ein Fotogemacht hat, welches geeignet ist, dem Ansehen der ab-gebildeten Person erheblich zu schaden, erstattet er odersie Anzeige. Dann wird ermittelt, ob der Tatbestand er-füllt ist, also ob das Foto wirklich geeignet ist, dem An-sehen erheblichen Schaden zuzufügen. Blöd nur, wenndas Foto schon wieder gelöscht wurde, ohne dass es ir-gendwo abgespeichert oder gar irgendwohin übertragenwurde. Was Sie erreichen – das sage ich Ihnen voraus –,ist eine Erhöhung der in der Kriminalstatistik erfasstenStraftaten. Was Sie erreichen, sind Ermittlungen gegenPersonen, die ein solches Foto machen. Ich sage Ihnen:Das ist eine Vergeudung von Ressourcen. Diese Mittelwären viel besser im Bereich der Prävention eingesetzt.
Die Kritik der Rechtswissenschaft an dieser Stelle istverheerend, und zwar zu Recht.Ich komme zum Schluss. Wenn ich Sie richtig ver-standen habe, sollten mit der zweiten Alternative Bild-aufnahmen unbekleideter Kinder erfasst werden. Im Ge-setzentwurf steht aber „Personen“. Das ist ungenau. Wirkönnen Sie nur dringend bitten: Ziehen Sie diesen Ge-setzentwurf zurück und überdenken Sie ihn! Er ist füruns in dieser Art und Weise nicht zustimmungsfähig.
Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege
Thomas Strobl.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Der Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutungund Gewalt ist für mich eines der wichtigsten Vorhabenin dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4943
Thomas Strobl
(C)
(B)
Heute gehen wir einen guten Schritt vorwärts, um dieSchwächsten in unserer Gesellschaft besser zu schützen.
Wir bringen heute zahlreiche Verbesserungen für dieOpfer sexueller Gewalt auf den Weg. Warum ist das sowichtig? Das ist deswegen so wichtig, weil die, um diees geht, sich selber nicht wehren können. Deswegenmüssen wir schnell handeln, und deswegen handelt dieseGroße Koalition heute.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wirganz klar: Der Handel mit Nacktbildern von Kindern istkriminell. Das ist kein Kavaliersdelikt, das ist keine Ord-nungswidrigkeit, das ist keine Bagatelltat, sondern dasist eine kriminelle Straftat.
Erstmals ist auch klar, dass weniger eindeutige Nackt-bilder – insofern beseitigen wir Auslegungsschwierig-keiten, Frau Kollegin – von Kindern nicht mehr geduldetsind. Ein Verstecken hinter schwierigen Abgrenzungs-fragen darf es in Zukunft nicht mehr geben. Ganz klarist: Mit Nacktbildern von Kindern macht man inDeutschland ab heute keine Geschäfte mehr.
Der Opferschutz, der Schutz von Kindern, meine Da-men und Herren, beruht auf drei Säulen: erstens auf Prä-vention, zweitens auf einem lückenlosen Strafrecht, drit-tens auf effektiven Strafverfolgungsmöglichkeiten.Zur Prävention: Männer mit pädophilen Fantasienvon Taten abzuhalten, hat sich die Initiative „Kein Täterwerden“ zur Aufgabe gemacht. Ich bin sehr froh – ichglaube, wir alle sind sehr froh –, dass wir in den aktuel-len Haushaltsberatungen die Förderung und damit dasFortbestehen dieser Einrichtung gesichert haben; dennwirksame Prävention in diesem Bereich ist Kinder-schutz.
Wir schließen mit diesem Gesetz aber auch im Straf-recht empfindliche Schutzlücken. Das Ziel lautet: keineGeschäfte mit Nacktbildern von Kindern, bessererSchutz vor Missbrauch. Die vorgelegten Änderungensind auch notwendig. Es ist bittertraurig, dass es inzwi-schen eine ganze Industrie gibt, die ihre Grundlage inunendlichem Leid der schwächsten Mitglieder der Ge-sellschaft hat. Deswegen ist es so notwendig und richtig,dass keine Geschäfte mehr mit Nacktaufnahmen vonKindern gemacht werden können. Es ist ein unerträgli-cher Zustand, dass es überhaupt so eine Industrie gibt.Wir werden auch das Tauschen von solchen Bildern ver-bieten; denn den Opfern ist es letztlich egal, ob es einEntgelt für die Bilder gibt oder ob sie nur getauscht wer-den.Bislang gibt es, Frau Kollegin, keine einheitlichestrafrechtliche Praxis bezüglich der Frage, welcheNacktbilder strafbar sind und welche nicht. Es kann pas-sieren, dass die Staatsanwaltschaft in München ein Ver-fahren wegen einer Nacktaufnahme einleitet und inHamburg die gleiche Nacktaufnahme als unbedenklicheingestuft wird. Die Zahl solcher Wertungs- und Ausle-gungsfragen wollen wir minimieren.Damit das klar wird – darauf hat der Bundesjustizmi-nister ja zu Recht hingewiesen –, sage ich auch noch ein-mal: Selbstverständlich dürfen Eltern ihre Kinder beimKindergeburtstag, ja, auch beim Spielen in der Bade-wanne und am Strand weiter fotografieren. Allerdingserlauben wir uns, allen Eltern den Rat zu geben, mit die-sen Bildern sorgfältig umzugehen und sie beispielsweisenicht achtlos in soziale Netzwerke zu stellen, auch wenndas nicht strafbar ist.
Unbefugt gemachte Nacktaufnahmen von Kindernohne eindeutigen sexuellen Bezug allerdings fallen künf-tig unter den ausgeweiteten Intimsphärenschutz, und dasist auch richtig so. Wenn ich vom Präsidenten des Deut-schen Anwaltvereins höre, das gehe ihm zu weit, erwolle lieber in einer freien Gesellschaft leben, dann kannich nur sagen: Es gibt keine Freiheit und kein Recht zumAnschauen von Nacktbildern fremder Kinder.
Freiheit auf Kosten der Schwächsten, das ist für unskeine Alternative.
Wir müssen sehen, meine Damen und Herren, dassgerade über die sozialen Netzwerke, über das Internetdiese Bilder in jeden Lebensbereich kommen. Rück-zugsgebiete gibt es nicht mehr. Was einmal im Netz ver-breitet wurde, das bleibt im Zweifel dort stehen. Hierhandeln wir. Es darf nicht sein, dass ein einziges Fotodas Leben eines jungen Menschen ein Leben lang belas-tet oder es sogar zerstört. Der Bundesjustizminister hathier ein schreckliches Beispiel eindrücklich geschildert.Die dramatische Wirkung einer Straftat über das In-ternet zeigt sich auch beim Thema Cybermobbing. DasThema Mobbing ist nicht neu. Ebenso wenig sind dieGründe neu, welche zu Mobbing führen. Die Dimensionvon Mobbing im Internet und dort speziell in den sozia-len Netzwerken ist aber aufgrund der damit verbundenenÖffentlichkeit noch um ein Vielfaches größer.Jemand, der über das Internet sexuelle Kontakte zu ei-nem Kind anbahnt, wird künftig ebenfalls einfacher be-langt werden können. Es ist richtig und notwendig, dasswir das Recht entsprechend angleichen.
Meine Damen und Herren, das Beispiel, das der Bun-desjustizminister Maas zu Beginn seiner Ausführungen
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Thomas Strobl
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genannt hat, ist bekannt. Es darf doch keinen Unter-schied machen, ob der Lehrer, der sich mit einer Schü-lerin sexuell einlässt, ein Vertretungslehrer oder einKlassenlehrer ist. Anderslautende Rechtsprechung hat esaber immer und immer wieder gegeben. Deswegen stel-len wir künftig sicher, dass sexuelle Kontakte zu Schüle-rinnen und Schülern für alle Lehrer strafrechtliche Kon-sequenzen haben. Für die Eltern und für die Opfer machtes nämlich keinen Unterschied, ob das ein Klassenlehreroder nur ein Vertretungslehrer ist.
Wir werden auch den Strafrahmen erweitern. Werkinderpornografisches Material hortet, muss künftig miteiner Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen.Diese Straferhöhung um ein Jahr ist in jedem Fall rich-tig; denn durch das Internet bieten wir Extremsammlerneine Plattform, auf der sie problemlos Hunderte, ja Tau-sende von solchen Bildern speichern und horten können.Diese Bildermessies müssen entsprechend bestraft wer-den. Wir dürfen nicht vergessen: Hinter jedem einzelnenBild steckt eine verletzte Kinderseele und die Gefahr ei-nes ruinierten Lebens.Meine Damen und Herren, es ist auch richtig, dasswir die Verjährungsfristen verlängern. Zahlreiche Opfersexueller Gewalt – das ist doch nachvollziehbar – sindpsychisch über Jahre hinweg traumatisiert und könnenerst nach vielen Jahren, manche erst nach vielen Jahr-zehnten über das Erlebte sprechen, sich jemandem an-vertrauen und dies dann auch entsprechend zur Anzeigebringen. Daher gestalten wir die Verjährung so, dass alleOpfer sexueller Gewalt künftig die Chance erhalten,dann, wenn sie dazu in der Lage sind, gegen ihre Peini-ger vorzugehen. Deswegen ruht die Verjährung künftigbis zum 30. Lebensjahr des Opfers und beginnt erst dannzu laufen.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, klar ist, mehrGesetze bringen nicht automatisch mehr Gerechtigkeitund weniger Straftaten und weniger Leid. Ich finde aber,wir haben heute ein gutes Paket auf den Weg gebracht,um den Opfern zu helfen – und darauf kommt es an. DieEinzelheiten werden wir uns im Gesetzgebungsverfah-ren anschauen. Sofern wir noch nachjustieren könnenund müssen, werden wir dies auch tun.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrMinister Maas! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehrgeehrte Damen und Herren! Bevor ich hier meine Kritikan diesem Gesetzentwurf darlege, will ich eines vorweg-schicken: Es ist eine großartige Veränderung in unsererGesellschaft, dass sexueller Missbrauch von Kindernnicht mehr geleugnet und verharmlost wird. Dass dieBetroffenen heute endlich angehört und ernst genommenwerden nach all den Jahrzehnten des Leids, ist für diemeisten eine echte Befreiung. Und wenn der Staat heuteseine Schutzpflichten gegenüber Kindern erst nehmenwill, dann sollten wir das nicht als bloße Prüderie abtun.
Wir begrüßen daher als Grüne die Klarstellungen imGesetz zu den Fällen des sogenannten Posing und Groo-ming, dem Anbahnen von sexuellen Kontakten zu Kin-dern im Internet. Die Verlängerung der Verjährungshem-mung auf das 30. Lebensjahr ist zwar unter Juristen nichtunumstritten, aber auch dabei gehen wir mit; denn dashat für die Opfer eine ganz zentrale Bedeutung: Zeit zuheilen und Kraft zu schöpfen ohne den Druck der dro-henden Verjährung.
Ansonsten muss ich Ihnen aber leider sagen: Gut ge-meint ist nicht immer gut gemacht. Zunächst als Beispielein Problem aus dem Bereich des eigentlichen Sexual-strafrechts: die Vorschrift zur Jugendpornografie. Es dürfteunstrittig sein, dass eine 19-Jährige mit einem 17-Jährigenein Verhältnis haben darf. Wenn sie aber mit seinemEinverständnis intime Fotos macht, soll das künftig au-tomatisch strafbar sein, ohne dass diese Fotos jemalsverbreitet oder veröffentlicht werden. Damit stellen Sieeinvernehmlich gemachte Bildaufnahmen von Jugendli-chen ebenso unter Strafe wie bei einem Kind, obwohlSexualkontakte mit Jugendlichen nicht per se Straftatensind. Falls dies ein Versehen gewesen sein sollte, dannändern Sie das doch bitte noch. Die Strafbarkeit muss andieser Stelle auf das Verbreiten von Aufnahmen be-schränkt werden.
Noch schlimmer ist die neue Vorschrift zum allgemei-nen Persönlichkeitsschutz, geregelt in § 201 a StGB. Da-nach soll jetzt strafbar werden die Herstellung einer„Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abge-bildeten Person erheblich zu schaden“. Ich will Ihnenzur Verdeutlichung einige Fallbeispiele anhand einesWochenverlaufs nennen, wie Sie ihn hoffentlich nie erle-ben müssen.Montag: Sie spazieren auf der Reeperbahn in Hamburgund machen einige Fotos von interessanten Fassaden.Plötzlich kommt, just als Sie den Auslöser betätigen, ausdem Hauseingang eines einschlägigen Etablissementsein bundesweit bekannter Politiker. Jetzt die Frage: Werhat sich gerade strafbar gemacht? – Genau: Das Bild istgeeignet, das Ansehen zu schädigen – ob es dazu ver-wendet wird, darauf kommt es nicht an. Mit der Herstel-lung selbst ist der Tatbestand erfüllt. Selbst die unver-zügliche Löschung des Fotos ändert daran nichts mehr.Am Montag haben Sie noch Glück: Der Kollege verzich-tet auf eine Strafanzeige.Dienstag. Sie beobachten zufällig, wie ein Fahrer ei-ner dunklen Limousine langsam neben einer Grundschü-
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Katja Keul
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lerin im Schritttempo herfährt, das Fenster herunterdrehtund dem verunsicherten Kind ein Gespräch aufdrängt.Sie haben ein ungutes Gefühl und nutzen Ihr iPhone, umschnell eine Aufnahme von der Szene zu machen – manweiß ja nie. Dummerweise hat der Fahrer Sie entdeckt,dreht nach der nächsten Ecke um und kommt zurück,während er die Polizei hinzuzieht. Wer hat jetzt ein Pro-blem mit dem Strafrecht? Sie oder er? – Irgendeine Aus-rede wird er schon haben, jedenfalls will er sicher nichtals potenzieller Pädophiler dargestellt werden. Sie mei-nen vielleicht, die Staatsanwaltschaft würde in einemsolchen Fall wohl nicht ermitteln. In einem Rechtsstaatist es allerdings so, dass die Frage von strafrechtlicherVerfolgung nicht im Ermessen der Behörden liegen darf,sondern gesetzlich bestimmt sein muss. Wenn ein Tat-verdacht besteht, muss die Staatsanwaltschaft ermitteln.Das nennt man Legalitätsprinzip.Mittwoch. Es läuft wirklich schlecht. Sie werden vonzwei brutalen Typen zusammengeschlagen, während eindritter das Ganze grinsend filmt. Der soll doch jetzt we-nigstens auch unter das neue Gesetz fallen, denken Sie.Sie sind aber weder unbekleidet noch schädigt es IhrenRuf, Opfer einer Straftat geworden zu sein. Merkwürdigfinden Sie das nach dem, was Ihnen am Vortag widerfah-ren ist.Donnerstag. Ein Kollege erzählt Ihnen, dass er regel-mäßig Nacktbilder von Kindern im Internet ankauft, dieaber keinesfalls pornografisch seien. Jetzt denken Sie:Den kriegen wir! – Weit gefehlt: Der Ausgangsfall fürdie ganze öffentliche Diskussion ist nach wie vor nichterfasst. Strafbar soll ausschließlich das Verbreiten undVeröffentlichen sein, nicht aber der Bezug von Bildern.Wir halten also fest: Das, was Sie erfassen wollten,erfasst das Gesetz nicht, dafür alle möglichen Konstella-tionen, die uns jeden Tag passieren können. Es gibt amEnde einen einzigen weiteren Fall, über den wir ernst-haft reden müssen.Freitag. Sie fahren mit Ihren Kindern an die Nordsee,um sich von der anstrengenden Woche zu erholen. Wäh-rend Ihre Kleinen nackt im Sand spielen, entdecken Sieplötzlich einen Herrn mit Sonnenbrille, der offensicht-lich mit seiner Digitalkamera hantiert. Diese Konstella-tion ist in der Tat bislang nicht vom Strafrecht erfasstund könnte eine Strafrechtsänderung rechtfertigen. Dazumüsste es Ihnen gelingen, einen Entwurf vorzulegen, dergenau diese Konstellation erfasst, ohne uns alle tagtäg-lich in die Illegalität zu treiben. Ich weiß, dass das keineleichte Aufgabe ist. Es ist aber der rechtsstaatliche Maß-stab, an dem Sie sich messen lassen müssen. Ihr Gesetzwird diesem Maßstab jedenfalls nicht gerecht.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege
Dr. Johannes Fechner.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Wir behandeln heute ein Thema, beidem es um den Schutz der Schwächsten und der Wehrlo-sesten in unserer Gesellschaft geht. Der Missbrauch vonKindern ist für mich eines der schwersten Verbrechenüberhaupt, weil er das ganze Leben der Opfer beein-trächtigt und beeinflusst. Genau deshalb dürfen wir alsStaat, als Gesellschaft, dürfen wir als Politikerinnen undPolitiker in diesem Bereich keine Strafbarkeitslückendulden.
Wir haben uns deshalb in der Großen Koalition vor-genommen, die inakzeptablen Lücken im Sexualstraf-recht zum Schutz der Kinder zu schließen. Auch kom-men wir damit einer EU-Richtlinie nach, die unsauffordert, eine Gesetzgebung zur Bekämpfung von Kin-desmissbrauch und sexueller Ausbeutung von Kindernzu schaffen. Dieser Aufforderung ist der Justizministermit dem vorliegenden Gesetzentwurf nachgekommen.Ich möchte mich ausdrücklich für diese konsequenteVorlage, für diesen konsequenten Gesetzestext bedan-ken, weil er viele Verbesserungen zum Schutz der Kin-der in Deutschland bringt. Ganz herzlichen Dank.
Ein paar Punkte möchte ich herausstellen. In der Tatwerden wir das Strafmaß für den Besitz von Kinderpor-nografie von zwei auf drei Jahre erhöhen. Wir werdendas Erstellen und vor allem das Verbreiten der sogenann-ten Posingbilder, also von Bildern, die Kinder in unna-türlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung zeigen, alsKinderpornografie definieren. Ich finde, wir schließenhier eine sehr bedenkliche Strafbarkeitslücke. Wir habenhier einen Grauzonenbereich, den wir nicht nur der Defi-nition der Rechtsprechung überlassen sollten, sondern wowir eine Rechtsregelung, einen Straftatbestand, schaffensollten, wenn wir – das müssen wir – den Handel mitBildern von nackten Kinderkörpern verhindern wollen.Das muss das Ziel sein.
Wir wollen den Straftatbestand des sexuellen Miss-brauchs von Schutzbefohlenen erweitern. Nach unserenPlänen sollen beispielsweise auch Stiefeltern oder derneue Lebenspartner eines Elternteils von dem Straftat-bestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohle-nen erfasst werden. Auch damit schließen wir eineLücke, die es bisher gab.Schließlich – das ist noch gar nicht angesprochenworden, aber es ist ganz wichtig – werden viele Kinderim Internet von Straftätern mit dem Ziel angesprochen,sexuelle Handlungen bei den Kindern zu provozieren;das ist das sogenannte Cybergrooming. Auch das wer-den wir mit einem eigenen Straftatbestand regeln.Weil viele Kinder – wie schon von einigen Vorred-nern gesagt – erst viele Jahre nach der Tat, als Erwach-sene, in der Lage sind, die erlittene Tat überhaupt zu
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Dr. Johannes Fechner
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verarbeiten, darüber zu sprechen und sie zur Strafan-zeige zu bringen, ist es richtig und wichtig, dass wir dieVerjährungsfrist erst ab dem 30. Lebensjahr des Opfersbeginnen lassen.Das alles sind wichtige Verbesserungen zum Schutzder Kinder. Dass wir hiermit richtigliegen, zeigt einBlick auf die Verbandsreaktionen: Wenn selbst dieGewerkschaft der Polizei, der Bund Deutscher Kriminal-beamter und – das ist für mich besonders wichtig – derDeutsche Kinderschutzbund diese Gesetzesinitiativeausdrücklich loben, dann ist das ein klares Zeichen da-für, dass wir hier einen wichtigen Beitrag zum Schutzvon Kindern vor sexuellem Missbrauch leisten.
Eines ist dabei auch klar: Mit Gesetzesverschärfun-gen allein ist es nicht getan. Die Strafverfolgungsbehör-den müssen natürlich auch personell und technisch in derLage sein, die Gesetze umzusetzen. Wir handeln auch indiesem Bereich. Im 2. Untersuchungsausschuss untersu-chen wir, ob das BKA in dieser Hinsicht technisch undpersonell ausreichend ausgerüstet ist. Länder wie Baden-Württemberg reagieren auch. Ich freue mich, dass inBaden-Württemberg im nächsten Haushalt keine einzigeStelle im Justizbereich wegfällt. Das sind wichtige Maß-nahmen.Ganz besonders wichtig ist uns als SPD-Fraktion, dasThema Prävention zu fördern. Beispielhaft für gelun-gene Präventionsprojekte möchte ich das vom Bundgeförderte Projekt „Kein Täter werden“ hier in Berlin ander Charité oder das Programm „Keine Gewalt- und Se-xualstraftat begehen“ in Baden-Württemberg nennen.Diese gelungenen Projekte zeigen: Gesetze verschärfenallein reicht nicht; der beste Opferschutz ist die Präven-tion, weil wir dadurch verhindern, dass diese schlimmenStraftaten überhaupt erst begangen werden, liebe Kolle-ginnen und Kollegen.
Ich komme zum Schluss. Wir müssen den Kindes-missbrauch in Deutschland bekämpfen. Dazu müssenwir Präventionsprojekte fördern, die technische undpersonelle Ausstattung der Strafverfolgungsbehördenverbessern und die im Moment bestehenden inakzepta-blen Strafbarkeitslücken im deutschen Strafrecht schlie-ßen.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für
die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Sehrgeehrter Herr Minister, ich bin sehr dankbar, dass Sieheute diesen Gesetzentwurf persönlich in die parlamen-tarische Beratung eingebracht haben; denn dies zeigt,wie wichtig uns allen dieses Gesetzgebungsprojekt ist.Dennoch möchte ich den von Ihnen eingangs geschil-derten Fall zum Anlass nehmen, Werbung für eine Re-form des § 177 StGB zu machen. Sie hatten vorhin denFall geschildert, dass ein Lehrer ein Mädchen zum Sexgezwungen hat. Sie hätten dann aber auch erklären müs-sen, warum man den Lehrer nicht nach § 177 StGB be-langen kann. Ich möchte hier den einen oder anderenSatz dazu verlieren, weil mir, mit Verlaub, die Haltungdes Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucher-schutz zum Bedarf einer Reform des § 177 StGBschlichtweg nicht nachvollziehbar erscheint.Zunächst einmal die Problemstellung, die uns allenbekannt ist: Die aktuelle Fassung des § 177 Absatz 1StGB setzt für eine Strafbarkeit voraus, dass der Täterdie Handlungen entweder mit Gewalt, durch Drohungmit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder un-ter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwir-kung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, durchführt.Eine Vornahme sexueller Handlungen nur gegen denWillen des Opfers reicht in Deutschland nicht zur Straf-barkeit aus. Sie wissen auch, dass die Rechtsprechunggerade Absatz 1 Ziffer 3 sehr restriktiv auslegt und eineObjektivierung der Zwangslage fordert.Damit komme ich zu einem Fall, wie er schon mehr-mals abgeurteilt worden ist: Eine Frau lebt in einerGewaltbeziehung. Ihr Mann kommt am Abend sturz-betrunken nach Hause und will den Beischlaf vollziehen.Sie will das nicht, sagt mehrmals Nein, und trotzdem ge-schieht das Ganze, während sie weinend unter ihm liegt,starr vor Schreck ist und sich nicht wehrt. – Denken wirdaran: Opferschutzverbände empfehlen Opfern, sich insolchen Situationen nicht zu wehren, weil die Lage tat-sächlich eskalieren könnte; er könnte sie grün und blauschlagen. Ein solcher Fall ist in Deutschland bis heutenicht strafbar, auch wenn der Ehemann morgen in dieKneipe geht und mit dem Geschehenen prahlt, die Frageder Beweisbarkeit also überhaupt kein Problem ist.Hinzu kommt, dass das Übereinkommen des Europa-rats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegenFrauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011, die so-genannte Istanbul-Konvention, in Artikel 36 Absatz 1explizit fordert – das haben auch wir vereinbart –, dasssonstige nicht einverständliche, sexuell bestimmteHandlungen mit einer anderen Person im Falle vorsätzli-chen Verhaltens unter Strafe zu stellen sind.Mit Verlaub: Vor diesem Hintergrund habe ich es alskühn empfunden, dass es auf Seite 23 des von IhremHaus vorgelegten Referentenentwurfs in der Fassungvom 7. April 2014 in Bezug auf § 177 StGB hieß, dasskein Handlungsbedarf bestehe. Wortwörtlich heißt es:„Artikel 36 der Istanbul-Konvention wird ebenfallsdurch § 177 StGB umgesetzt“. – Eine krasse Fehlein-schätzung. Umso dankbarer bin ich, dass im nun vorlie-genden Referentenentwurf ausdrücklich eine eingehendePrüfung des Reformbedarfs zugesagt wird.
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Alexander Hoffmann
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Meine Damen, meine Herren, dass wir uns nichtfalsch verstehen: Ich habe Verständnis dafür, dass es Zeitbraucht, eine tatbestandsmäßige Erfassung schwierigerFallkonstellationen zu formulieren, die mit einer erhebli-chen Beweisschwierigkeit verbunden sind. Aber ichhabe kein Verständnis dafür, dass erst viel Druck auf dasMinisterium aufgebaut werden muss, bis ein Umdenkenstattfindet – und das bei einer Sachlage, die meines Er-achtens völlig eindeutig ist.
Wir alle waren geschockt, als im Zuge der Edathy-Affäre – so will ich es einmal nennen – bekannt gewor-den ist, dass es mittlerweile einen ganzen Markt gibt, dermit gerade noch legalem Material handelt. SogenannteRegisseure drücken osteuropäischen Knaben 5 Euro indie Hand, damit sie nackt miteinander raufen. Dabeiwerden Nahaufnahmen von den Genitalien gemacht.Mittlerweile gibt es viele Händler und Tauschringe, esist fast eine ganze Branche, die Millionenumsätze macht.Wir alle waren uns einig, dass bereits in dieser Situationsexueller Missbrauch vorliegt. Wir alle hatten mit die-sem Reformprojekt sehr große Hoffnungen verbunden,und wir haben sie heute noch. Unser Ziel war eineNormierung der Strafbarkeit, die Schließung von Straf-barkeitslücken und die Trockenlegung des Marktes. Ichplädiere an dieser Stelle dafür, dass wir uns den Gesetz-entwurf im weiteren Verfahren sehr dezidiert vorneh-men; denn wir sind von dem uns gesteckten Ziel nochein ganzes Stück entfernt.Ich will Ihnen das zunächst anhand der im vorliegen-den Referentenentwurf neu formulierten § 184 b und cdes StGB deutlich machen. Ich hätte mir hier eine weit-reichendere Regelung gewünscht. In der Begründungheißt es, dass es sich nur um eine Klarstellung handelt.Es soll also nur das in Form gegossen werden, was ohne-hin gängige Rechtsprechung des BGH ist, nämlich dassdas Posieren in sexualbetonter Körperhaltung bereitsheute den Tatbestand der Kinder- und Jugendpornografieerfüllt.Den Fall, den ich eben geschildert habe, werden Siedurch die Neuregelung leider nicht fassen. Es wärewichtiger gewesen, zumindest den Versuch zu unterneh-men, auch Nahaufnahmen von Genitalien zu vorwiegendsexuellen Zwecken unter Strafe zu stellen – und das,ohne eine eigene Handlungskomponente des Opfers zufordern. Dann würde der geschilderte Fall nämlich er-fasst werden.Genau das fordert auch Artikel 20 Absatz 2 des Über-einkommens des Europarates zum Schutz von Kindernvor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch,landläufig Lanzarote-Konvention genannt. Der Un-rechtsgehalt einer solchen Tat – denken Sie bitte wiederan den Regisseur, der osteuropäischen Knaben 5 Euro indie Hand drückt, um sie in entsprechender Situation zufotografieren – rechtfertigt es nicht, wenn wir eine sol-che Tat am Ende lediglich in einen neu formulierten§ 201 a StGB fassen, sie also als bloße Verletzung despersönlichen Lebensbereichs aburteilen. Ich fordere da-her eine entsprechende Neuformulierung.Derzeit wird im Bundesrat ein, wie ich finde, sehr gu-ter Ansatz diskutiert. Wir müssen durch eine gesetzlicheRegelung deutlich machen, dass bereits dann ein Sexual-delikt vorliegt, wenn Nahaufnahmen der Genitalien vonKindern und Jugendlichen aus sexuellen Motiven gefer-tigt, getauscht oder gewerbsmäßig gehandelt werden.
Dabei darf es keinen Unterschied machen, ob das Kinddurch eigenes Handeln posiert oder in einem bestimmtenZustand, sei es raufend, gefesselt, schlafend oder be-wusstlos, abgelichtet wird.Am Ende noch einige Sätze zu § 201 a StGB. Wirmüssten uns einig sein, dass dies nicht ein bloßer Auf-fangtatbestand für eigentliche Sexualdelikte sein darf.Dafür ist die Norm am Ende untauglich. Ich will Ihnendas anhand verschiedener Beispiele zeigen:Denken Sie an die Eintragung im Bundeszentralregis-ter. Da wird die Norm bezeichnet und die Tatbezeich-nung niedergeschrieben. Am Schluss ist nicht ersicht-lich, ob die Tat mit Kindern bzw. mit sexuellerMotivation zu tun hatte oder ob es sich einfach nur umein unvorteilhaftes Foto eines betrunkenen Nackten ammallorquinischen Strand handelt. Denken Sie daran: Wasim Bundeszentralregister steht, steht am Schluss auch imFührungszeugnis. Was im Führungszeugnis steht, brau-chen wir für die Beurteilung der Frage, ob so jemand un-sere Kinder und Jugendlichen zum Beispiel als Übungs-leiter unterrichten darf.Ich will anmahnen, dass wir, wenn wir die Absichthaben, § 201 a StGB in diese Richtung zu formulieren,über Folgeänderungen des § 25 Absatz 1 Nummer 3Jugendarbeitsschutzgesetz nachdenken müssen. Das Be-schäftigungsverbot wäre eine zwingende Konsequenz,wenn die Tat im Zusammenhang mit Nacktaufnahmenvon Kindern und Jugendlichen steht. Die Straftat nach§ 201 a StGB ist zudem – das ist vorhin schon angeklun-gen – nur ein Antragsdelikt und kein Offizialdelikt. Ichbezweifle, dass das mit dem Unrechtsgehalt einer sol-chen Tat in Einklang zu bringen ist.Abschließend muss ich sagen: Der geplante Satz 2 in§ 201 a Absatz 1 StGB – die zweite Alternative – ist mirzu weit gefasst; denn er stellt die Aufnahme der Nackt-heit situationsunabhängig unter Strafe. Da haben wireinen Wertungswiderspruch: Im momentanen Wortlautstellt die Norm denjenigen, der abends den Sonnenunter-gang am FKK-Strand fotografiert und unbedachterweisezum Beispiel eine unbekannte nackte männliche Personauf dem Foto hat, mit demjenigen gleich, der als Regis-seur osteuropäischen Knaben 5 Euro in die Hand drückt,um sie nackt vor sich raufen zu lassen und dabei zu foto-grafieren.Zum Ende noch eine Bemerkung in Richtung der Lin-ken: Kollegin Wawzyniak, ich war schon erschrocken,dass Sie bei einem so wichtigen Thema vor allem wiederAngst vor einer verkappten Vorratsdatenspeicherung
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4948 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Alexander Hoffmann
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haben. Damit zeigen Sie doch ganz deutlich, welcheTäterschaft Sie – unbewusst, aber faktisch – mit Ihrerideologischen Verweigerungshaltung schützen.Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Wir brau-chen noch ein bisschen, bis wir eine trennscharfe – –
Kollege Hoffmann, die Ankündigung des Endes der
Rede ersetzt nicht den Schlusspunkt. Ich bitte Sie, zum
Ende zu kommen.
Das ist der Schlusssatz. – Sie sehen also, dass wir
noch lange brauchen, bis wir eine trennscharfe und funk-
tionierende Waffe, ein effektives Instrument gegen Kin-
derpornografie und für die Schließung der Strafbarkeits-
lücken geschaffen haben. Ich freue mich auf die weitere
Debatte. Ich freue mich vor allem auf die Anhörungen
und in diesem Sinne auf ein konstruktives Miteinander.
Vielen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-
legin Dr. Franziska Brantner das Wort.
Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung: Uns hat es etwas
überrascht, dass der Kollege Hoffmann § 177 StGB und
Artikel 36 der Istanbul-Konvention angesprochen hat.
Wir Grüne hatten einen Antrag eingebracht mit dem Ti-
tel: „Artikel 36 der Istanbul-Konvention umsetzen – Be-
stehende Strafbarkeitslücken bei sexueller Gewalt und
Vergewaltigung schließen“ und wollten ihn heute auf die
Tagesordnung setzen. Ihre Fraktion hat das ohne Grund
abgelehnt. Wir fanden es sehr erstaunlich, dass dieser
Antrag heute nicht mitbehandelt wurde.
Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kolle-
gen Hoffmann?
Ja.
Bitte.
Frau Kollegin, danke für den Hinweis. – Ist Ihnen be-kannt, dass wir dieses Thema eigentlich schon weit vorder Sommerpause und damit weit vor Ihnen aufgegriffenhaben? Ihr Antrag hat sich dem Grunde nach erledigt,
weil das Ministerium schon lange Reformbedarf in Be-zug auf § 177 StGB sieht und daran arbeitet. Deswegenmeine Frage, ob Sie das zur Kenntnis genommen undverstanden haben.
Sie warten also auf das Ministerium. Der Antrag istübrigens vom 2. Juli 2014.
Es ist nicht so, dass wir Grünen nicht schon länger darangearbeitet hätten. Wir haben gedacht, das hier ist ein gu-ter Zeitpunkt, diesen Antrag zu diskutieren.
Auch Sie haben dieses Thema gerade angesprochen. Sieselber haben gesagt, da gibt es noch Lücken. Warumsollten wir als Parlament darüber nicht diskutieren kön-nen, während das Ministerium vielleicht noch prüft?
Nun aber zum Thema Prävention. Wir haben es heute– das haben einige Kolleginnen und Kollegen schongesagt – mit einem sehr schwierigen Thema zu tun: se-xuelle Gewaltbilder, Missbrauchsabbildungen – „Nackt-bilder“ ist übrigens ein fast verharmlosender Ausdruck;es sind Missbrauchsabbildungen –, Cybergrooming,Sexting. Die Opfer leiden ihr Leben lang. Deswegen istes gut, dass bestehende Regelungslücken angegangenund geschlossen werden. Aber das reicht nicht. Wirbrauchen zusätzliche präventive Maßnahmen. Dafür ha-ben wir in unserem Antrag ein umfangreiches Paket vor-gelegt. Drei Punkte möchte ich gerne hervorheben:Erstens. Wir müssen Kinder in ihrem Selbstbewusst-sein stärken, Nein zu sagen, Grenzen aufzuzeigen undihre Rechte einzufordern. Aber dazu müssen sie dieseerst einmal kennen, zum Beispiel ihr Recht an ihremBild. In der Kinderkommission wurde gestern von Ex-perten die Kampagne „Jedes Mädchen und jeder Jungehat das Recht am eigenen Bild“ vorgeschlagen. Das isteine sehr gute Idee. Ich hoffe, sie wird aufgegriffen.
Damit sich Kinder über derart Schlimmes überhauptbeschweren können, müssen sie positive Erfahrungen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4949
Dr. Franziska Brantner
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damit gemacht haben, sich auch einmal über sehr vielweniger schlimme Dinge, zum Beispiel über schlechtesEssen, zu beschweren. Es muss Vertraute geben, an diesich Kinder wenden können. Das Fehlen eines guten Be-schwerdesystems in Deutschland bemängelt der UN-Kinderrechtsausschuss seit langem. Lassen Sie uns dasThema endlich angehen und die UN-Kinderrechtskon-vention einhalten.Die Aus- und Fortbildung all jener, die mit Kindernzu tun haben, muss dazu befähigen, Missbrauch undMisshandlungen zu erkennen und richtig damit umzuge-hen. Das gilt für alle Einrichtungen, von der Kita an.
Der zweite Punkt ist für uns die Stärkung der Medien-kompetenz. Wir haben schon von Cybergrooming ge-hört: Erwachsene nähern sich unter Vortäuschung fal-scher Identitäten Kindern und Jugendlichen im Internetund bahnen sexuelle Kontakte an. Die Antwort darauflautet immer pauschal, es müsse die Medienkompetenzgestärkt werden. Aber dies wird in jedem Bundeslandanders definiert. Zum Teil wird es sogar gar nicht defi-niert und gar nicht vermittelt. Wir brauchen deswegenein Netzwerk, eine Koordinierungsstelle, um endlicheinheitliche Standards für die Medienkompetenzförde-rung zu erarbeiten und diese dann auch zu vermitteln.
Drittens müssen wir jedem Kind und jedem Jugendli-chen, dem sexuelle Gewalt widerfahren ist oder dessenBilder missbraucht worden sind, und auch ihrem Umfeldhelfen. Dazu gehört die Arbeit mit Gruppen junger Men-schen, unter denen es zu Grenzverletzungen kam. Wirmüssen ihnen helfen, damit umzugehen. Dafür brauchenwir kompetente Beratungsstellen. Das kostet Geld. Dassollten uns die Kinder und Jugendlichen in unserer Ge-sellschaft aber wert sein.
Wir sind gern bereit, bei diesem Thema fraktions-übergreifend zu arbeiten. Wir freuen uns auf Ihre Unter-stützung für unseren Antrag. Am Ende möchte ich HerrnTsokos zitieren, der heute in der Zeit wie folgt zitiertwird: „Was wir brauchen, ist eine Kultur des Handelns.“Lassen Sie uns gemeinsam handeln.
Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Susann
Rüthrich.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Jedes Kind muss ein Recht darauf haben,ohne Gewalt und ohne Ausbeutung aufzuwachsen. Kin-der können ihre eigene Intimsphäre meist schwer selbstschützen, deswegen müssen wir alle das tun – zum einenüber eindeutige Gesetze, zum anderen über eine Gesell-schaft, die wirksame Prävention unterstützt. Beide Be-reiche greifen dabei ineinander.Der hier vorliegende Gesetzentwurf unterstreichtdeutlich, dass wir in unserer Gesellschaft sexuelle Ge-walt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichennicht dulden. Die Straftatbestände sind jetzt konkreterund klarer beschrieben. Das ist gut so, auch für diejeni-gen, die die Gesetze werden anwenden müssen. Hierbraucht es genügend Personal, damit wir uns darauf ver-lassen können, dass das Gesetz umgesetzt wird.Doch das Gesetz ist nur die eine Seite der Medaille.Was wir in der Gesellschaft zu tun bereit sind, um Kin-der zu schützen, das ist die andere Seite. Wir müssen unsdarüber im Klaren sein, dass ein pädophil geprägterMensch sich in den allerwenigsten Fällen von einemnoch so guten Gesetz allein abhalten lässt. Leider greifenGesetze erst dann, wenn es zu spät ist, nämlich wenn dieStraftat bereits begangen ist. Das ist für das betroffeneKind zu spät. Damit es erst gar nicht dazu kommt, brau-chen wir Prävention.
Das fängt bei den Kindern selbst an. Jedes Kind darf,ja soll und muss Nein sagen. Jedes Kind muss mitSelbstvertrauen die eigenen Bedürfnisse und die eigenenGrenzen kennen und diese ohne Scheu benennen kön-nen. Das fängt für mich bei dem aufgedrängten Kuss derTante bei einer Familienfeier an. Wenn das Kind an die-ser Stelle Nein sagt, dann haben wir das zu respektieren
und dürfen das Kind nicht dafür rügen, dass es unhöflichsei.Gerade dann, wenn sich ein Kind gefährdet fühlt oderOpfer wurde, braucht es verlässliche Vertrauensperso-nen. Diese müssen nicht nur etwas tun, sondern sie müs-sen das Richtige tun. Eltern, Erzieherinnen und Erzieher,Lehrerinnen und Lehrer etc. brauchen fachliche Unter-stützung, Begleitung und Leitfäden, alles, was ihnen Si-cherheit beim Erkennen und beim Reagieren gibt.Opferschutz bedeutet auch, aus potenziellen Täternund Täterinnen keine tatsächlichen werden zu lassen.Daher ist es richtig, Projekten wie „Kein Täter werden“mehr Geld zu geben. Ein Vertreter des Projektes wargestern bei uns in der Kinderkommission. Er bestätigte:Die Prävention muss so zeitig wie irgend möglich anfan-gen. Es ist möglich, Jugendliche bereits in der Pubertät,während sich die sexuelle Prägung ausbildet, zu beglei-ten und auch schon dort wirksam präventiv tätig zu wer-den.Wer kann noch helfen, das Richtige zu tun? Beispiels-weise die Betroffenen selbst. Zum Ende dieses Jahreswird Herr Rörig, der unabhängige Beauftragte für Fra-
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4950 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Susann Rüthrich
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gen des sexuellen Kindesmissbrauchs, einen Betroffe-nenbeirat einrichten. Wer wüsste besser als diese Men-schen, was ihnen wirklich geholfen hätte und was nurgut gemeint gewesen wäre? Nehmen wir diese Kompe-tenzen ernst und handeln entsprechend.
Als Kinderbeauftragte meiner Fraktion fordere ich dieEinsetzung eines Bundeskinderbeauftragten. Er oder siewürde darauf achten, dass Kinder durch Gesetze unddurch uns als Gesellschaft geschützt und gefördert wer-den.Vielen Dank.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Dr. Silke
Launert das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Zuckerbrotund Peitsche – leider muss ich bei meiner Rede zum Ent-wurf der Reform des Sexualstrafrechts heute nach dieserMethode vorgehen. Zunächst freut es mich außerordent-lich, dass der Bundesjustizminister den Fall Edathy zumAnlass genommen hat, dieses Thema schnell auf dieAgenda zu setzen. Er hat sein Ministerium einen Ent-wurf erarbeiten lassen mit dem Ziel, Gesetzeslückenbzw. Schutzlücken zu schließen und europäische Vorga-ben, die noch nicht ausreichend umgesetzt sind, vollstän-dig umzusetzen. Es ging zügig voran. Es freut mich,wenn schnell gehandelt wird.Es gibt wirklich sehr viele positive Aspekte. Der eineist, dass Sexualstraftaten gegenüber Personen unter30 Jahren länger strafrechtlich verfolgt werden können,weil die Verjährung bis zur Vollendung des 30. Lebens-jahres ruht; wir haben es schon mehrfach angesprochen.Frau Wawzyniak, ich brauche da keine Evaluation.Kommen Sie einfach zu mir, und ich erzähle Ihnen vonzig Fällen in der Praxis, die sich freuen, dass die Verjäh-rung jetzt nicht so früh eintritt.
Das hängt nicht nur mit möglicher Verdrängung zu-sammen oder damit, dass die Opfer einfach so viel Zeitbrauchen, weil es natürlich einen ganz intimen Bereichbetrifft. Vielmehr führt eine solche Tat gerade bei Klein-kindern – wenn man sich ein bisschen mit Psychologiebeschäftigt, weiß man das – zu einer Art Abkapselung.Sie können Fragen dazu gar nicht beantworten. DiesesTrauma wird frühzeitig in Form einer Abkapselung ver-drängt. Erst 20 Jahre später, im Erwachsenenalter, tauchtdie Erfahrung plötzlich auf – ich kann Ihnen auch dazukonkrete Beispiele nennen –, oft erst, wenn der Täterwieder als Trainer im Sportverein tätig ist, wieder mitkleinen Kindern umgeht. Plötzlich kommen dann diesealten Geschichten aus dem Nichts hervor.Wir wollen durch diesen Entwurf Gesetzeslückenschließen bei Vertretungslehrern, aber auch bei Perso-nen, die mit dem Kind in einem Haushalt leben. Einganz großer Anwendungsfall in der Praxis sind sexuelleÜbergriffe durch den Stiefvater oder die Großeltern.Auch da haben wir Schutzlücken geschlossen, und ichfreue mich sehr, dass wir da vorangehen.Ein weiterer Aspekt sind die sogenannten Posing-bilder, der eigentliche Anlass der Reform; so habe ich eszumindest empfunden. Ich gebe zu, da muss ich leiderein paar Kritikpunkte anbringen. Wir haben bei derStrafbarkeit wegen Kinder- und Jugendpornografie– § 184 b und c StGB – den Wortlaut erweitert: Bilder„einer ganz oder teilweise unbekleideten Person … inunnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ fallenjetzt auch darunter. Das ist aber – darauf haben wir früh-zeitig hingewiesen – keine phänomenale Erweiterunggegenüber der bisherigen Rechtsprechung. Sie haben na-türlich recht: Das macht wieder Abgrenzungsprobleme,auch wenn es jetzt das Auffangbecken „Verletzungendes Persönlichkeitsrechts“ gibt.Es macht schon einen Unterschied, ob Posingbilderals Kinderpornografie bestraft werden oder als bloßeVerletzungen des Persönlichkeitsrechts – § 201 a StGB –,worunter jetzt Nacktbilder von allen Personen, die unbe-fugt aufgenommen wurden – vor allem natürlich die vonKindern –, fallen sollen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Fürmich zählen dazu Nacktbilder von Kindern zu primär se-xuellen Zwecken. Das ist mein Hauptanliegen bei dieserReform. Das steht übrigens auch in der EU-Richtlinie,die wir umsetzen müssen. Da steht ganz eindeutig: Kin-derpornografie ist auch „jegliche Darstellung der Ge-schlechtsorgane eines Kindes für primär sexuelle Zwe-cke“.Da frage ich mich schon: Wieso können wir das nichtauch zur Kinderpornografie zählen? Ich bin auch Juris-tin, ich kenne die Gesetzessystematik, nur, ganz ehrlich:Wir sind der Gesetzgeber. Wir können die Gesetzessys-tematik ändern. Wir können die Überschrift „Straftatengegen sexuelle Selbstbestimmung und Kinderpornogra-fie“ nennen. Der entsprechende Paragraf beginnt dann:„Kinderpornografie ist …“, und dann formulieren wirdas so, wie es in der EU-Richtlinie steht. Ich persönlichmuss sagen: Je länger ich mich damit befasse, desto bes-ser finde ich die Formulierung in der EU-Richtlinie. Siehätte uns viele Abgrenzungsfragen erspart.Ich möchte noch kurz den Aspekt ansprechen, warumes gar nicht so falsch ist, Kinderpornografie bei den Se-xualstraftaten einzuordnen. Wenn es uns um die Posing-bilder – Nacktbilder von Kindern zu primär sexuellenZwecken – geht, dann gibt es natürlich einen Zusam-menhang mit den Sexualstraftaten. Mein Mann ist Straf-richter; ich selbst war auch Richterin und Staatsanwältin.Er kam eines Tages – das war drei Wochen vor dem FallEdathy – nach Hause und erzählte mir, dass er an jenemTag jemanden wegen Kindesmissbrauch verurteilt habe.Der Täter war vorbestraft wegen Kinderpornografie.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4951
Dr. Silke Launert
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Dann sagte mein Mann so schön abstrakt: Offensichtlichgibt es doch einen Zusammenhang. – Jetzt weiß ich na-türlich – wir hatten diesen Punkt in der Sachverständi-genanhörung –, dass das nicht immer so ist. In der Sach-verständigenanhörung hieß es auch, dazu gebe es keineStatistiken.Die Praktiker – zu denen ich mich zähle – haben aberein etwas anderes Gefühl: Dies trifft nicht bei jedem Tä-ter zu, definitiv nicht bei jedem, aber bei einigen. Das istja auch nur menschlich. Auch wenn, wie mir die Prakti-ker bei der AG Recht sagen, nicht 30 Prozent, sondern„nur“ 5 Prozent „schwach werden“ und ihre Sexualitätein einziges Mal ausleben wollen, dann sind das schon5 Prozent zu viel. Es wäre durchaus möglich gewesen– ob des Sachzusammenhangs oder unter dem Gesichts-punkt einer abstrakten Gefährdung –, Posingbilder dortmit einzuordnen und die Überschrift neu zu gestalten.Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass wir das nochändern.Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben,dass wir einen weiteren Punkt ändern; er betrifft eine derKonsequenzen der Einordnung der Nacktbilder beim all-gemeinen Persönlichkeitsrecht. Herr Hoffmann hat esangesprochen: Wenn ein Ersttäter nach dem neuen Ge-setzentwurf bestraft wird, bekommt er für den Besitzmehrerer Nacktbilder 50, 60, 70 Tagessätze, gilt abernicht als vorbestraft; somit steht nichts im Führungs-zeugnis. Im erweiterten Führungszeugnis würde es ste-hen, wenn die Nacktbilder kinderpornografisches Mate-rial wären. Das sind sie jetzt ja nicht. Also steht das nichtdarin.Stellen Sie sich vor, ein Kind von Ihnen ist im Sport-verein – ich habe zwei kleine Kinder –, und der Trainerist wegen des Besitzes sogenannter Posingbilder vonnackten Kindern vorbestraft, was aber nicht im erweiter-ten Führungszeugnis steht. Ich denke, hier können wirnoch nachbessern. Es wurde ja schon in vielen Punktennachgebessert, sodass ich hier die Hoffnung noch nichtaufgegeben habe.Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen muss, istdie Strafverschärfung. Ich habe mich sehr gefreut, als ichgehört habe, dass man den Strafrahmen für den Besitzund den Erwerb von kinderpornografischem Materialvon zwei auf drei Jahre erhöht hat. Kinderpornografi-sche Bilder sind Vergewaltigungsbilder oder harteNacktbilder. Bis jetzt betrug hier das Strafmaß maximalzwei Jahre. Das ist zu wenig. Drei Jahre sind besser, aberfür mich immer noch zu wenig. Die Höchststrafe für ei-nen Diebstahl beträgt fünf Jahre. Für mich stimmt hierdas Verhältnis immer noch nicht.
Zum Cybergrooming komme ich jetzt leider nichtmehr, weil meine Zeit abgelaufen ist, aber auch hier kön-nen wir noch ein bisschen nachbessern. Herr Minister,ich habe wirklich mit Freude zur Kenntnis genommen,dass im Vergleich zum ersten Entwurf an vielen Stellennachgebessert wurde. Ich hoffe, wir tun das weiterhin anden Stellen, an denen wir noch drehen können.Letztlich haben wir alle ein Ziel: den Schutz unsererKinder. Dazu brauchen wir das Gesetz, die Prävention– wie gesagt –, aber auch die Polizei.
Frau Kollegin Launert.
Ich komme zum Schluss. – Wir benötigen auch eine
gute Ausstattung des BKA; denn ganz ehrlich: Als
Staatsanwältin habe ich oft ein Jahr lang gewartet, bis
kinderpornografisches Material ausgewertet worden
war. Was kann da in der Zwischenzeit alles passiert
sein!?
Vielen Dank.
Eine kleine Korrektur: Natürlich ist nicht Ihre Zeit ab-gelaufen, sondern nur die Redezeit.
Sicherlich können die Dinge, die Sie hier nicht mehr an-bringen konnten, in der weiteren Antragsbearbeitungund -beratung hier im Hause noch diskutiert werden.Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen aufden Drucksachen 18/2601 und 18/2619 an die in der Ta-gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall Dannsind die Überweisungen so beschlossen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 g sowiedie Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf:25 a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem Vertrag vom 14. April 2014 zwischender Bundesrepublik Deutschland und derWeltgemeinschaft Reformierter Kirchen –Körperschaft des öffentlichen RechtsDrucksache 18/2587Überweisungsvorschlag:Innenausschussb) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem Abkommen vom 22. Juni 2010 zurzweiten Änderung des Partnerschaftsab-kommens zwischen den Mitgliedern derGruppe der Staaten in Afrika, im Karibi-schen Raum und im Pazifischen Ozeaneinerseits und der Europäischen Gemein-schaft und ihren Mitgliedstaaten anderer-
Drucksache 18/2591Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
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4952 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
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Entwicklung
Auswärtiger AusschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnionc) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zudem Internen Abkommen vom 24. Juni2013 zwischen den im Rat vereinigten Ver-tretern der Regierungen der Mitgliedstaa-ten der Europäischen Union über dieFinanzierung der im mehrjährigenFinanzrahmen für den Zeitraum 2014 bis2020 vorgesehenen Hilfe der EuropäischenUnion im Rahmen des AKP-EU-Partner-schaftsabkommens und über die Bereit-stellung von finanzieller Hilfe für die über-seeischen Länder und Gebiete, auf die dervierte Teil des Vertrags über die Arbeits-weise der Europäischen Union Anwen-dung findet
Drucksache 18/2588Überweisungsvorschlag:Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklung
Auswärtiger AusschussAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUniond) Beratung des Antrags der AbgeordnetenSylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin,Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneterund der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NENKündigung des bilateralen Atomabkom-mens mit BrasilienDrucksache 18/2610Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheit
Auswärtiger AusschussFederführung strittige) Beratung des Berichts des Ausschusses fürBildung, Forschung und Technikfolgenab-schätzung gemäß § 56 a derGeschäftsordnungTechnikfolgenabschätzung
Herausforderungen einer nachhaltigenWasserwirtschaftDrucksache 18/2085Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungf) Beratung der Unterrichtung durch die Deut-sche WelleEvaluationsbericht 2013 der DeutschenWelleDrucksache 17/14285Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger AusschussAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnionAusschuss Digitale AgendaHaushaltsauschussg) Beratung der Unterrichtung durch die Deut-sche WelleAufgabenplanung der Deutschen Welle2014 bis 2017Drucksache 18/2536Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Kultur und Medien
Auswärtiger AusschussAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungAusschuss für TourismusAusschuss für die Angelegenheiten der EuropäischenUnionAusschuss Digitale AgendaHaushaltsauschussZP 5 a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenMatthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, HalinaWawzyniak, weiterer Abgeordneter und derFraktion DIE LINKEWiedereingliederung fördern – Gefan-gene in die Renten-, Kranken- und Pflege-versicherung einbeziehenDrucksache 18/2606Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Arbeit und Soziales
InnenausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für GesundheitAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfeb) Beratung des Antrags der Abgeordneten TomKoenigs, Cem Özdemir, Annalena Baerbock,weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENVerfolgt, vertrieben, vergessen – Völker-mord an den Rohingya verhindernDrucksache 18/2615Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger Ausschussc) Beratung des Antrags der Abgeordneten TomKoenigs, Annalena Baerbock, MarieluiseBeck , weiterer Abgeordneter undder Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4953
Vizepräsidentin Petra Pau
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Menschenrechtsförderung stärken – Ge-setzliche Grundlage für Deutsches Institutfür Menschenrechte schaffenDrucksache 18/2618Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Auswärtiger AusschussInnenausschussAusschuss für Recht und VerbraucherschutzEs handelt sich um Überweisungen im vereinfach-ten Verfahren ohne Debatte.Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-sungen:Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c und 25 e bis 25 gsowie Zusatzpunkte 5 a bis 5 c. Interfraktionell wird vor-geschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnungaufgeführten Ausschüssen zu überweisen. Sind Sie da-mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind dieÜberweisungen so beschlossen.Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der dieFederführung strittig ist, und zwar Tagesordnungs-punkt 25 d: Interfraktionell wird Überweisung des An-trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Kündi-gung des bilateralen Atomabkommens mit Brasilien aufDrucksache 18/2610 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen.Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschenFederführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Ener-gie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Fe-derführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit.Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Fe-derführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,Bau und Reaktorsicherheit. Wer stimmt für diesen Über-weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit denStimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und derFraktion Die Linke gegen die Stimmen der FraktionBündnis 90/Die Grünen abgelehnt.Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, also Fe-derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie.Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei-sungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-tionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmender Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 i auf.Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.Tagesordnungspunkt 26 a:Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-zes zur Teilauflösung des Sondervermögens„Aufbauhilfe“ und zur Änderung der Auf-bauhilfeverordnungDrucksache 18/2230Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-haltsauschusses
Drucksache 18/2645Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-empfehlung auf Drucksache 18/2645, den Gesetzentwurfder Bundesregierung auf Drucksache 18/2230 anzuneh-men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf istdamit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion DieLinke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionengegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen,wobei eine Kollegin der Grünen dies aus den Reihen derUnionsfraktion bewerkstelligt hat.
Tagesordnungspunkte 26 b bis 26 i. Wir kommen zuden Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.Tagesordnungspunkt 26 b:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 83 zu PetitionenDrucksache 18/2508Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 83 ist einstimmig an-genommen.Tagesordnungspunkt 26 c:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 84 zu PetitionenDrucksache 18/2509Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Gibt esEnthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Sammelübersicht84 ist einstimmig angenommen.Tagesordnungspunkt 26 d:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 85 zu PetitionenDrucksache 18/2510Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 85 ist bei Enthaltungder Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ansonsten auch ein-stimmig angenommen.
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Vizepräsidentin Petra Pau
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Tagesordnungspunkt 26 e:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 86 zu PetitionenDrucksache 18/2511Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 86 ist einstimmig an-genommen.Tagesordnungspunkt 26 f:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 87 zu PetitionenDrucksache 18/2512Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 87 ist mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion DieLinke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen angenommen.Tagesordnungspunkt 26 g:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 88 zu PetitionenDrucksache 18/2513Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 88 ist mit den Stimmender Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-nommen.Tagesordnungspunkt 26 h:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 89 zu PetitionenDrucksache 18/2514Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 89 ist mit den Stim-men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen derFraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung derFraktion Die Linke angenommen.Tagesordnungspunkt 26 i:Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-tionsausschusses
Sammelübersicht 90 zu PetitionenDrucksache 18/2515Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-hält sich? – Die Sammelübersicht 90 ist mit den Stim-men der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen dieStimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen angenommen.Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion DIE LINKEHumanitäre Katastrophe an der türkisch-syrischen Grenze – Nach dem militärischenAufmarsch des ISIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-gin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Die Situation an der syrisch-türkischen Grenze istdramatisch. Deshalb hat meine Fraktion diese AktuelleStunde beantragt. Zehntausende in der Region, vor allemviele Kurden und Kurdinnen, sind auf der Flucht. Ichwar am Sonntag selbst vor Ort und konnte mit eigenenAugen sehen, wie das Erdogan-Regime die Grenze zuSyrien für kurdische Flüchtlinge, Familien und Kinder,die mit ihrem Hab und Gut am Stacheldrahtzaun saßen,geschlossen hatte. Sie fliehen vor den Terrorgruppen des„Islamischen Staates“. Die Dorfbevölkerung auf der tür-kischen Seite, die helfen wollte, wurde mit Tränengasbeschossen. Die Nahrungsmittel und die Zelte, die siemitgebracht hatten, wurden von türkischen Sicherheits-kräften zerstört.Wer vor Ort ist, bekommt ein ganz anderes Bild, alses hier in den Medien vermittelt wird, auch was diegroße Anzahl von Flüchtlingen betrifft, die jetzt angeb-lich über die Grenze gekommen sind. Ich habe sie nichtgesehen. Es gibt zweifelsohne sehr viele Flüchtlinge,aber sie werden eben bei weitem nicht alle über dieGrenze gelassen. Das ist in dieser Notsituation schlicht-weg kriminell. Die Türkei muss die Grenzen für dieseFlüchtlinge öffnen.
Wir brauchen viel mehr humanitäre Hilfe. Die UNoder der Rote Halbmond waren in dieser Region nichtvor Ort. Die gesamte Hilfe in der Grenzstadt Suruc wirdausschließlich von der kurdischen Zivilbevölkerung inder Türkei geleistet, die zum Teil selbst sehr arm ist.Was hat eigentlich die Bundesregierung gemacht? Ichhabe von Ihnen zu dieser Situation vor Ort nichts gehört.Sie haben nicht einmal den türkischen Botschafter einbe-stellt, um gegen diese Politik zu protestieren. Ich findedas beschämend.
Haben Sie ernsthaft versucht, auf die Türkei einzu-wirken, damit diese ihre Unterstützungspolitik für den„Islamischen Staat“ aufgibt und stattdessen die Grenzenfür die kurdischen Flüchtlinge öffnet? Es häufen sichnämlich Berichte, zum Beispiel auch in der New YorkTimes, über Rekrutierungen des „Islamischen Staates“ inder Türkei, von Krankenhausaufenthalten. Uns liegenzum Beispiel Berichte vor, dass IS-Kämpfer aus Kobanimittlerweile in Urfa im Krankenhaus behandelt werden,oder über Ölverkäufe des „Islamischen Staates“ an die
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4955
Heike Hänsel
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Türkei usw. Dass die türkische Grenze für IS-Kämpferoffen ist, aber für Flüchtlinge nicht, das ist inakzeptabel.
Die Bundesregierung betreibt eine Politik des organi-sierten Wegschauens. Hier könnten Sie internationaleVerantwortung zeigen. Aber Sie übersetzen das ja nurnoch mit Militärinterventionen, Waffenlieferungen undimperialer Einflussnahme. Sie, Herr Roth, waren in Zy-pern, um die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Tür-kei voranzutreiben. Ich bitte Sie wirklich: Erklären Siedies einmal der Öffentlichkeit hier im Land. Sie wollenausgerechnet jetzt die Beitrittsverhandlungen mit demErdogan-Regime intensivieren, das diese Mörder des„Islamischen Staates“ unterstützt hat und offenbar wei-terhin unterstützt. Ich frage mich: Sieht so Ihre angeblichwertegeleitete Außenpolitik aus? Wir brauchen endlicheinen Kurswechsel in der Außenpolitik.
Wir brauchen eine Außenpolitik, die Verantwortungernst nimmt und eben nicht mit den Sponsoren und Un-terstützern des „Islamischen Staates“ paktiert. Deshalbfordern wir auch, dass Rüstungsexporte in die Türkei ge-stoppt und die dort stationierten Patriot-Raketen undBundeswehrsoldaten abgezogen werden. Das wäre eindeutliches Zeichen.
Stattdessen kriminalisieren Sie hier in Deutschlandweiterhin ausgerechnet die kurdischen Organisationen,wie zum Beispiel die PKK, die im Norden Syriens undim Irak nachweislich die einzigen waren, die die verfolg-ten Jesiden verteidigten und die sich jetzt in Syrien ge-gen den „Islamischen Staat“ selbst verteidigen. DieLinke setzt sich für ein Ende des PKK-Verbots inDeutschland ein. Das ist überfällig.
Die USA bombardieren nun völkerrechtswidrigSyrien im Verbund mit den Golf-Diktaturen, ausgerech-net mit den Staaten, die zu den Brandstiftern im NahenOsten gehören. Die Kanzlerin rollt dem blutigen Dikta-tor Katars auch noch den roten Teppich in Berlin aus.Das ist wirklich nicht mehr zu übertreffen. Wir lehnenauch diese US-Bombardierungen ab. Sie bedeuten neueOpfer, neue Fluchtbewegungen. Das ist für uns keineLösung.
Die katastrophale Situation im Nahen Osten mit die-sen Millionen von Flüchtlingen, mit all dem Elend, istnämlich die Folge der zahlreichen militärischen Inter-ventionen in der Region: allen voran der Irakkrieg, derdie Menschen dort ethnisch und religiös gespalten hat,und die Politik der Destabilisierung des syrischen Staa-tes, diese massive Einmischung von außen, diese Re-gime-Change-Politik. Nun werden Sie diese Geister, dieSie riefen, nicht mehr los. Den Preis zahlen die Men-schen in der Region. Wir haben diese Politik von Anfangan abgelehnt.
Wir fordern eine außenpolitische Wende, verantwor-tungsvolle, friedliche Politik, die alle Akteure in der Re-gion einbezieht – auch den Iran, auch Russland –, die dieZivilbevölkerung im Rahmen einer neuen Syrien-Initia-tive für eine politische Lösung mit einbezieht, die füreine umfassende politische Lösung streitet. Dann kom-men wir vielleicht dazu, dass Menschen nicht mehr ausihren Ländern fliehen müssen.Danke.
Der Kollege Dr. Johann Wadephul hat für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich habe mich eigentlich gefreut, als die Links-fraktion das Thema der Flüchtlingssituation an derGrenze zwischen der Türkei und Syrien und auch an derGrenze zum Irak für die Aktuelle Stunde benannt hat.Das nicht deshalb, weil es schön wäre, darüber zu debat-tieren, sondern deshalb, weil es wichtig ist, über diesehumanitäre Katastrophe zu sprechen und sich Gedankenzu machen, welchen Beitrag Deutschland dazu leistenkann, das Leid der Menschen dort zu reduzieren. Das ist,glaube ich, unseres gedanklichen Einsatzes hier in die-sem Haus und letztlich auch des Einsatzes von allenMenschen, die dort in deutscher Verantwortung tätigwerden können, wert.Aber dass Sie das jetzt auf solch eine billige Art undWeise instrumentalisieren, Ihre wohlbekannte Kritik ander Türkei hier zu wiederholen und auch in einer verein-fachenden Art und Weise zu wiederholen und eineWende in der deutschen Außenpolitik zu fordern,
wobei Sie der deutschen Außenpolitik – das habe ich jabisher noch gar nicht gehört – eine imperiale Einfluss-nahme unterstellen, das stimmt heute noch trauriger alsdas Flüchtlingsschicksal. Das ist eine wirklich traurigeVorstellung.
Die Flüchtlingssituation ist wirklich beklemmend. Ichglaube, Deutschland leistet heute sehr viel. Wir habendarüber bei der Diskussion über Waffenlieferungen mit-einander gesprochen. Deutschland braucht sich im euro-päischen Konzert in keinster Weise zu verstecken. Dasheißt aber trotzdem nicht, dass wir Anlass zum Selbstlobhätten. Es ist einfach unser Selbstverständnis, dass wirals eine starke Volkswirtschaft das tun, was wir an Mög-lichkeiten haben, dort wirtschaftlich zu helfen und insbe-sondere die humanitäre Katastrophe abzuwenden. Daswird nicht vollends gelingen. Ich glaube auch nicht, dass
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4956 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Dr. Johann Wadephul
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wir am Ende unserer Möglichkeiten sind, meine liebenKolleginnen und Kollegen.
Ich glaube, wir sollten uns dafür einsetzen, die Mittel zuerhöhen. Bei allem Bekenntnis, zu dem ich stehe und dasja auch Grundlage unserer Koalitionsarbeit ist, dass wirkeine neuen Schulden machen wollen, müssen wir hier,glaube ich, neue Schwerpunkte setzen. Wir können nichtdie Augen davor verschließen, dass Menschen in diesemgroßen Umfang leiden, sterben, dahinsiechen. Da istDeutschland gefordert. Das glaube ich ganz sicher.
Wir müssen aber dennoch sehen, dass es hier keineeinfachen Rezepte gibt. Ich habe im Auswärtigen Aus-schuss von der Linksfraktion gehört, die Waffenlieferun-gen seien an die „falschen“ Kurden erfolgt.
Na gut. Darin wäre ja die Aussage enthalten, Waffenlie-ferungen an sich wären schon einmal richtig.
Wenn das jetzt Ihre Kehrtwende in der Außenpolitik ist,dann würde ich auch noch einmal bitten, die dem HohenHaus insgesamt zu erläutern, damit wir das Bild auchstimmig kriegen.
Aber es gibt doch niemanden im Deutschen Bundes-tag – darüber haben wir lange diskutiert –, der hier sagenwürde: Das ist die einzige Maßnahme, die hilft, die ein-zige Maßnahme, bei der wir zu 100 Prozent der Meinungsind, dass sie in dieser Situation richtig ist.Vielmehr müssen wir in unserer Hilflosigkeit einräu-men, dass es leider keine andere Möglichkeit gibt, umhier kurzfristig zumindest für eine geringe Entlastung zusorgen, und daher bedauerlicherweise ein militärischerEinsatz notwendig ist. Alle, die diesen Einsatz unterstüt-zen, tun das nicht, um imperiale Einflussnahme auszu-üben, sondern sie tun das, um in dieser ganz schwierigenSituation Menschenleben zu retten.
Alle, die das vor Ort tun, welcher Religion, welcher Na-tionalität und welchem Stamm auch immer sie angehö-ren, haben unseren Respekt und unsere Unterstützungverdient; denn sie helfen, Menschenleben zu retten.
Eine Aktuelle Stunde mit jeweils fünf Minuten fürden einzelnen Redner ist natürlich nicht geeignet, um dieThematik wirklich grundlegend zu erklären. Wir sind beider Analyse der Probleme mit dieser Organisation, diesich zu Unrecht, wie selbst alle führenden geistigen Füh-rer des Islam sagen, „Islamischer Staat“ nennt – wir soll-ten vielleicht aufhören, diese Organisation so zu nennen –,noch nicht am Ende. Aber wir müssen sicherlich nebeneiner militärischen Antwort auch noch viele andere Ant-worten geben. Darüber werden wir viel diskutieren.Ich möchte noch einen Aspekt aufwerfen, der sehr ak-tuell ist und den Sie angesprochen haben. Sie werfen unsvor, wir hätten für eine Destabilisierung des syrischenStaates gesorgt.
Das haben wir nicht. Ich bin auch dagegen, dass mansich jetzt hinstellt und einfach sagt: Weil sich Assad inletzter Zeit so verhält, wie er sich verhält, und diese isla-mistischen Krieger möglicherweise jetzt auch bekämpft,ist es nur logisch, zu sagen: Der Feind meines Feindes istmein Freund. – Das stimmt nicht.
Assad hat Giftwaffen eingesetzt. Sein Handeln dürfenwir nie unterstützen und legitimieren.
Auf der Seite solcher Regimeführer dürfen wir nie ste-hen. Den Eindruck haben Sie bedauerlicherweise er-weckt. Die Diskussion geht aber weiter.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth für die Frak-tion Bündnis 90/Die Grünen.Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! 140 000 Menschen in vier Tagen: 140 000Menschen, die aus Angst vor der Terrorherrschaft desISIS aus Syrien in die Türkei geflohen sind!140 000 Menschen sind mehr als die knapp 130 000Flüchtlinge, die im gesamten Jahr 2013 in DeutschlandAsyl beantragt haben. Damit erhöht sich die Zahl derFlüchtlinge, die seit über drei Jahren in der Türkei aufge-nommen worden sind, auf etwa 1,5 Millionen: Frauen,Männer und Kinder. Sie sind in Istanbul, in Ankara, inAntakya und auch und vor allem in der Stadt Midyat inder Provinz Mardin zu sehen, wo nicht nur Christen,sondern auch Jesiden aufgenommen worden sind.11,5 Millionen, über die Hälfte aller Syrerinnen undSyrer, sind auf der Flucht vor dem brutalen Krieg Assads– da gebe ich Ihnen absolut recht –, der jeden Tag wei-tergeht, und vor dem Terror des ISIS; Millionen vonFlüchtlingen in den Nachbarländern, im Libanon, in Jor-danien, in der Türkei, in Irakisch-Kurdistan sowie imIrak, und zusätzlich 1,8 Millionen Binnenvertriebene:Christen, Jesiden, Turkmenen, Schiiten und auch Sunni-ten. Die Realität ist ein Exodus, eine Vertreibung bibli-
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Claudia Roth
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schen Ausmaßes. Die Realität sind über 200 000 Tote,sind Folter, sind Misshandlungen, sind entgrenzte Ge-walt.Eigentlich fehlen mir die Worte, das Ausmaß der Tra-gödie zu beschreiben, das António Guterres, der HoheFlüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, undgestern auch Ban Ki-moon als die größte humanitäre Ka-tastrophe mit den höchsten Flüchtlingszahlen seit demZweiten Weltkrieg dramatisch beschrieben haben. Esfehlt buchstäblich an allem. Ich konnte mir zuletzt inDohuk ein Bild davon machen. Es fehlt an einer breitenund sehr viel größeren internationalen Unterstützung. Esbraucht eine humanitäre Offensive, um Menschenlebenzu retten und das Überleben vieler Menschen zu sichern,eine Unterstützung, die aber auf lange Zeit angelegt seinmuss; denn die Flüchtlinge können nicht so schnell inihre Heimat zurückkehren.Es fehlt an Lebensmitteln, an Kleidung und an Ge-sundheitsversorgung, um Epidemien zu verhindern. Wirhaben gestern im Ausschuss gehört, dass inzwischen imIrak Polio ausgebrochen ist. Es braucht Traumabehand-lung. Es braucht sanitäre Einrichtungen. Es braucht festeUnterkünfte. Denn nach der brütenden Hitze im Sommersteht jetzt der bitterkalte Winter vor der Tür.Wenn ich dazu auffordere, die UN-Organisationen,denen die Mittel ausgehen, zu unterstützen und auchHilfsorganisationen wie die Caritas, die Diakonie, dieWelthungerhilfe und medico international viel stärker zuunterstützen, dann ist das nicht nur die Einforderung hu-manitärer Verantwortung für Menschen in allergrößterNot, sondern das ist auch und vor allem der Versuch, zurpolitischen Stabilisierung der Aufnahmeländer, derNachbarländer Syriens, beizutragen, deren Infrastrukturunmittelbar zu kollabieren droht.Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständ-lich ist es unbedingt notwendig, dass die Grenzen derTürkei, Libanons, Jordaniens oder des Iraks für Schutz-suchende offenbleiben, damit sie sich vor Krieg, Gewaltund Verfolgung retten können. Aber ich rate sehr, nichtmit dem erhobenen Zeigefinger auf diese Länder zu zei-gen, bei aller Kritik über die Bilder, die wir auch gese-hen haben, und bei aller Kritik an der Syrien-Politik vonTayyip Erdogan.Denn wie sieht es mit der Aufnahme von syrischenund irakischen Flüchtlingen bei uns aus? Wie sieht esmit der Aufnahme von Flüchtlingen in der EuropäischenUnion aus? Deutschland nimmt zwar mehr Menschenauf als andere EU-Länder, und zwar 20 000 Menschenseit 2011; dem stehen aber 1,5 Millionen Menschen ge-genüber, die die Türkei aufnimmt. Das ist nicht einmalein Tropfen auf den heißen Stein. Es muss einen dochangesichts dieser großen Katastrophe beschämen, dassdie Europäische Union insgesamt ihrer Verantwortungnicht gerecht wird oder dass Deutschland zum Beispieldem EU-Fonds für Syrien nicht beitreten will.Wir unterstützen Innenminister de Maizière, wenn ereine europäische Flüchtlingspolitik einfordert. Das heißtdann aber auch, dass sie endlich menschenrechtskon-form werden muss: durch die Abschaffung des Dublin-Systems, eine Erleichterung der Familienzusammenfüh-rung, Visa aus humanitären Gründen für Menschen aufder Flucht, ein breit angelegtes Resettlement-Programmund eine sehr viel größere Zahl von Flüchtlingen, dieDeutschland und die Europäische Union aufnehmenmüssen.
Mich erreichen in diesen Tagen Briefe – sicherlichbekommen viele von Ihnen ähnliche Briefe – wie derBrief einer verzweifelten Frau aus Deutschland, die ver-sucht, ihre aus Kobani in die Türkei geflüchtete Cousinemit ihren drei Kindern nach Deutschland zu holen. Insolchen Fällen können wir zeigen, dass wir unsereSchutzverantwortung ernst nehmen.Ich danke Ihnen.
Das Wort hat der Kollege Niels Annen für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Meine sehr verehrtenDamen und Herren! Die erneute, von ISIS ausgelösteFlüchtlingswelle verschärft in der Tat die humanitäreKatastrophe in der Region. Ich glaube, es geht uns allenso: Die Berichte von den Flüchtlingen, die sich in dieTürkei retten konnten, sind erschütternd. Angesichts deranhaltenden Flüchtlingskatastrophe in der gesamten Re-gion – wir reden in der Tat über Syrien, Libanon, Jorda-nien und auch über den Iran und den Irak, weil alle dieseLänder auch innerhalb ihrer staatlichen Grenzen nocheinmal Flüchtlinge aufgenommen haben – ist die Lagedramatisch.Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber ich glaube,wir alle müssen angesichts dieser Bilder, die täglich überden Fernsehschirm flimmern, ein bisschen aufpassen,dass wir nicht abstumpfen gegenüber den Bildern, diedort auf uns einprasseln. Die Ermordung, Versklavungund Vertreibung von politischen Gegnern und Angehöri-gen anderer Glaubensgemeinschaften, die ISIS zu politi-schen Gegnern erklärt hat, ist ein Teil der perfiden Stra-tegie des sogenannten „Islamischen Staates“.Wenn wir, so wie es die Bundesregierung tut, denFlüchtlingen helfen, dann tun wir das aus humanitärerVerantwortung, aber auch deshalb – ich teile die Mei-nung der Kollegin Roth –, weil es ein Teil einer politi-schen Antwort auf den Krieg von ISIS ist.
Die Kämpfer von ISIS versuchen, ihre Ideologie undVorstellungen durch breitflächige Vertreibung durchzu-setzen und gleichzeitig mit den von ihnen ausgelösten
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Niels Annen
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Flüchtlingsströmen die Stabilität der gesamten Regionzu erschüttern und dabei ihren eigenen Machtbereichauszuweiten. Wir stellen dem die entschlossene Be-kämpfung von ISIS entgegen und sorgen gleichzeitig füreine Stärkung der Staatlichkeit; darum geht es letztlich.Zur Stärkung der Staatlichkeit gehört auch die Stärkungvon UN-Organisationen wie UNHCR, Welternährungs-programm, UNICEF sowie vielen privaten NGO, diesich engagieren und einen Teil zur Regierbarkeit dieserRegion beitragen.Es ist gut, dass wir wieder im Rahmen der VereintenNationen über die Probleme diskutieren. Es gibt nuneine Resolution gegen sogenannte Foreign Fighters. Esist ein Fortschritt, dass der Sicherheitsrat zu einer ein-stimmigen Empfehlung und einem Beschluss gekommenist. Der Gang vor die Vereinten Nationen ist der richtigeWeg. Ich möchte die Bundesregierung ermutigen, sichnoch stärker für die Aufwertung der UNO einzusetzen.Die SPD unterstützt die Bemühungen der Bundesregie-rung für eine inklusive Regierung in Bagdad und für einebreite regionalpolitische Allianz gegen ISIS. Hier habenwir Fortschritte erzielt.Frau Kollegin Hänsel, es gibt sicherlich viele Punkte,die an der Regierung Erdogan zu kritisieren sind. Ich binebenfalls der Meinung, dass in den letzten Monaten undJahren zu häufig die Abschnitte der Grenze zu Syrien of-fen waren, die eigentlich hätten geschlossen sein müs-sen, und dass ausgerechnet die Abschnitte der Grenzegeschlossen waren, die für humanitäre Hilfe hätten ge-öffnet sein müssen; das ist richtig. Aber die Art undWeise, wie Sie hier den plakativen Vorwurf gegen dietürkische Regierung ohne jegliche Unterlegung von Fak-ten erheben, den „Islamischen Staat“ zu unterstützen,
macht eine konstruktive Kritik nicht einfach. Ich glaube,es ist wichtig, dass sich die Bundesregierung in Dialogenund Zusammenarbeit engagiert. Im Übrigen will ich da-rauf hinweisen, dass Sie mit Ihrer Vorstellung, man seigut beraten, mit einem radikalen Schnitt bei den Bei-trittsverhandlungen für eine Änderung der Politik Anka-ras zu sorgen, auf dem Holzweg sind.
Wir haben in den letzten Monaten weitestgehend un-beobachtet von der Öffentlichkeit – ich bin der Bundes-regierung dafür dankbar – Fortschritte gemacht, auch beiden Beitrittsverhandlungen. Wir brauchen die Türkei.Wenn wir die Türkei als Teil eines regionalen Bündnis-ses brauchen, dann ist die Politik, die Sie uns empfehlen,kein Weg in die richtige Richtung. Es ist in den letztenJahren doch ein großer Verdienst der Regierung Erdogangewesen, Friedensgespräche mit der PKK zu führen. Dieaktuelle Situation zeigt, wie richtig und wichtig dieserWeg ist. Ich will Ihnen offen sagen, dass ich dafür bin,dort, wo es notwendig ist, Gespräche mit der PKK undihrem syrischen Ableger zu führen. Aber Sie blendenvollkommen aus, dass diese Organisation Terroran-schläge begangen hat, auch hier in Deutschland.
Es ist ebenfalls eine unverantwortliche Politik, auszu-blenden, dass es dort, wo der PKK-Ableger in Syrieneine regionale Machtbasis aufgebaut hat, keine politi-sche Alternative gibt. Reden Sie doch einmal mit denKurden, die in Opposition zu PYD stehen.
Es handelt sich dabei weiterhin um eine straff organi-sierte, autoritäre Partei. Ich finde es ein wenig irritie-rend, wie Sie hier mit unterschiedlichem Maß messen.
Ich glaube, wir sind insgesamt sehr verantwortlichmit einer ausgesprochen schwierigen Situation umge-gangen. Im Mittelpunkt unserer Bemühungen solltenicht die kurzfristige Suche nach einer Überschrift in dernächsten Ausgabe einer Zeitung stehen. Vielmehr solltendie Bemühungen im Mittelpunkt stehen, die humanitäreLage für die Menschen zu verbessern.Ich danke für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der
Kollege Dr. Bernd Fabritius.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Der Krieg des IS gegen diezivilisierte Welt führt zu einer humanitären Katastropheunvorstellbaren Ausmaßes. Tiefe Betroffenheit undEmpathie mit den Flüchtlingen wurden bereits deutlichartikuliert. Im Kampf gegen das Elend der Flüchtlingemüssen wir daher die Wurzel des Übels angehen. Dermarodierende und mordende IS muss zurückgedrängtwerden.Deutschland übernimmt in dieser schwierigen Situa-tion in vielfältiger Weise Verantwortung. Auch die Lie-ferung von Waffen an die kurdischen Peschmerga warrichtig. Das ist bestimmt keine imperiale Einflussnahme,Frau Kollegin Hänsel. Eine derartige Diktion hätte ichvon Ihnen eher bei der russischen Präsenz in der Ukraineerwartet.
Die Unterstützung der Weltgemeinschaft bei derBekämpfung des IS ist beachtlich. Auch beim NATO-Partner Türkei würde ich mir eine entschiedenere Posi-tionierung gegenüber dem IS wünschen. Die Türkei isteines der Hauptaufnahmeländer in der Region und hatfür die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingengroße Anerkennung verdient. Die Eindämmung der Ter-rorgruppe IS erfordert ebenfalls gemeinsame Anstren-
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Dr. Bernd Fabritius
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gungen, und gerade die Türkei als direkter Nachbarspielt eine entscheidende Rolle. Das gestrige Umdenkendes türkischen Präsidenten war überfällig.Aber auch wir in Deutschland müssen wachsam sein.Radikalisierung findet auch hier statt. Der Kampf gegenden IS beginnt in Deutschland. Wir müssen Radikalisie-rung bereits im Ansatz unterbinden. Dafür sind wir aufdie Unterstützung der muslimischen Gemeinschaft ange-wiesen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Islamverbändeam vergangenen Freitag deutlich gemacht haben, dassTerror und Hass nicht geduldet werden dürfen. Hier ste-hen die Verbände weiter in der Pflicht. Für schlechteScherze wie die Schariapolizei in Nordrhein-Westfalenhabe ich bei dem Ernst der Lage überhaupt kein Ver-ständnis.
Bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Regionnimmt Deutschland ganz deutlich Verantwortung wahr.Innerhalb Europas tragen wir – das wurde schon ge-sagt – den größten Anteil. Die Akzeptanz in der Bevöl-kerung und die Bereitschaft, zu helfen, sind hoch. Abergerade weil die Lage in der Region so dramatisch ist undwir mit weiteren Flüchtlingsströmen rechnen müssen, istes wichtig, diese hohe Akzeptanz nicht zu gefährden.Ein bedeutender Schritt in diese Richtung war die Be-stimmung sicherer Herkunftsländer. Dadurch werden inDeutschland dringend benötigte Kapazitäten frei, sodassdie wirklich Schutzbedürftigen wie die Flüchtlinge ausSyrien aufgenommen werden können.Ich möchte zur Vermeidung der Radikalisierung je-doch noch einen Schritt weitergehen. Es wird oft gefor-dert, Fremde sollten zwar integriert, aber nicht assimi-liert werden. Mit derartigen Aussagen machen wir es unszu einfach. Selbstverständlich sollen bei uns lebendeMenschen ihre kulturelle Identität behalten und gerneihre Bräuche pflegen. Ich fordere jedoch eine Assimilie-rung in unsere Wertegemeinschaft, an der wir festhaltenund die wir nicht preisgeben wollen.Die Bereitschaft, differenziert Verantwortung inEuropa zu übernehmen, ist leider nicht überall zu be-obachten. Wir müssen immer wieder feststellen, dass an-dere EU-Länder ihren Verpflichtungen, zum Beispiel imRahmen des Dublin-Verfahrens, nicht angemessen nach-kommen. Insbesondere beim Zustrom von Flüchtlingenüber das Mittelmeer kommt es oft zu Unregelmäßigkei-ten. Italien verzichtet auf eine Registrierung und lässt anseinen Küsten angelandete Flüchtlinge ungehindert wei-terreisen. Auch Österreich nimmt seine Verantwortungbei den entsprechenden Kontrollen häufig nicht ernst ge-nug. Sollten geltende EU-Prinzipien auch weiterhin aufdiese Art und Weise verletzt werden, sollten wir drin-gend über die Möglichkeit vorübergehender Grenzkon-trollen auch innerhalb des Schengen-Raums nachden-ken.
Der Schwerpunkt der Flüchtlingshilfe muss in denNachbarstaaten Syriens liegen. Dort kommen die meis-ten Flüchtlinge an. Deutschland hat seit 2012 rund einehalbe Milliarde Euro für humanitäre Hilfe und zurVerbesserung der Infrastruktur in den NachbarstaatenSyriens bereitgestellt.
Zudem ist das Technische Hilfswerk vor Ort und sorgtfür sauberes Trinkwasser in den Flüchtlingslagern. DieErfahrungen aus diesem Engagement haben deutlich ge-zeigt: Jeder Euro Hilfe vor Ort erreicht mehr Menschenals bei einer Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland.
Es muss letztlich unser oberstes Ziel sein, dass unsereHilfe so viele Menschen wie möglich erreicht.Vorhin sprach ich davon, die Wurzeln des Übels anzu-gehen. Die beste Lösung der humanitären Katastrophean der türkisch-syrischen Grenze ist die Befriedung imKrisengebiet. Die Eindämmung des IS sowie eineLösung des Syrien-Konflikts sind die Voraussetzungendafür, dass die zahllosen Flüchtlinge bald wieder in ihrHeimatland zurückkehren können. Das sollte unser allerZiel sein.Danke.
Der Kollege Andrej Hunko spricht jetzt für die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-lege Fabritius, Sie sprachen von der Wurzel des Übels,die angegangen werden muss. Diese Auffassung teilenwir. Wir diskutieren darüber, wie diese Wurzel angegan-gen werden muss. Was ich aber nicht akzeptieren kann,ist, dass die notwendige Flüchtlingshilfe, die wir auchhier leisten müssen, dem sozusagen gegenübergestelltwird, das gegeneinander ausgespielt wird. Das ist ange-sichts der Situation beschämend.
Gegenwärtig ist die Verteidigungsministerin von derLeyen in Arbil, um die Waffenübergabe an die kurdi-schen Peschmerga zu überwachen. Es ist Ihre Politik,liebe Kollegen von der Bundesregierung, die die Kurdenin gute Kurden und schlechte Kurden einteilt. Die Pesch-merga werden mit Waffen beliefert. Gleichzeitig gibt eskeine ernsthafte Stellungnahme Ihrerseits zu der Situa-tion an der türkisch-syrischen Grenze. Ich würde mirwünschen, dass ein Vertreter der Bundesregierung jetztkonkret zu dieser türkisch-syrischen Grenze fährt, umsich die Lage vor Ort anzuschauen.
Wir sprachen von der Wurzel des Übels. HerrFabritius, der IS, der sogenannte IS – ich mag den Be-griff auch nicht –, ist eine Erscheinungsform des Übels,aber nicht die Wurzel. Die Wurzel liegt in jahrzehntelan-
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Andrej Hunko
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ger kolonialer und imperialer Politik in dieser Region,besonders in Kriegen. Und da folgte ein Krieg nach demanderen: Irakkrieg 1991, Irakkrieg 2003 mit Hunderttau-senden Toten. Einige Truppenverbände des IS rekrutie-ren sich aus den sogenannten Revolutionsgarden vonSaddam Hussein, die aus diesem Krieg hervorgegangensind.
Die Wurzel des Übels liegt auch in der Politik, die inden letzten Jahren, leider auch vom Westen, in Syriengemacht worden ist.
Man war richtig besessen davon, Assad zu stürzen, undhat gar nicht mehr hingeschaut, welche Kräfte in Syrienunterstützt worden sind, darunter auch dschihadistischeKräfte.
Selbst in der Türkei wird das offen diskutiert. Ich willgar nicht mit dem Finger darauf zeigen; ich zitiere jetzteinfach einen türkischen Journalisten. Er schreibt:Das Duo Tayyip Erdogan – Ahmet Davutoglu hatregelrechte „Geburtshilfe“ bei der Geburt des „Isla-mischen Staats“ an der gesamten Südgrenze zu un-serem Land geleistet …Ich will einfach nur, dass die Bundesregierung klar sagt:Diese Unterstützung muss aufhören.
Wir reden über die Flüchtlinge aus der Region Rojavain Syrien. Das ist eine Region, die sich in den letztendrei Jahren weitgehend selbst verwaltet hat, in demokra-tischer Selbstverwaltung, wo der Versuch unternommenwird, alle Ethnien und Religionen der Region in einendemokratischen Prozess einzubeziehen. Es ist ein hoch-spannender Prozess. Für mich ist es einer der Hoff-nungsschimmer in der Region. Ich glaube, dieser Pro-zess sollte anerkannt und auch international diskutiertwerden; denn er könnte ein Modell sein für ein friedli-ches Zusammenleben der verschiedenen Ethnien undReligionen in der Region.
Auch da würde ich mir wünschen, dass das vonseiten derBundesregierung klar benannt wird.Wir hatten vor wenigen Wochen die Situation amBerg Schengal, wo Einheiten der syrischen Kurden, derYPG, zusammen mit der PKK Zehntausenden Jesidendas Leben gerettet haben. Wir hatten gleichzeitig inDeutschland die Gesetzeslage, dass die PKK verbotenwar, während zu dem Zeitpunkt der sogenannte „Islami-sche Staat“ noch erlaubt war. Es kam auf Demonstratio-nen zu der absurden Situation, dass Fahnen des „Islami-schen Staats“ erlaubt waren, während die Polizei beiFahnen der PKK einschreiten musste. Ich glaube, dassdiese Politik der Kriminalisierung eines Teils der Kurdenaufhören muss. Ich denke, das PKK-Verbot muss über-prüft werden. Auch die Listung der PKK auf der EU-Terrorliste muss überprüft werden.
Es gibt sehr konkrete Handlungsempfehlungen derKurden in Deutschland, konkret des kurdischen Zen-trums für Öffentlichkeitsarbeit, was die Situation an derGrenze angeht. Ich glaube, diese kann man unterstützen.Es geht um die vollständige Öffnung des Grenzüber-gangs Mürsitpinar für die grenzüberschreitende Not-hilfe. Es geht um die Unterbindung der Grenzübertrittefür IS-Mitglieder und Dschihadisten, die sich dem IS an-schließen wollen. Es geht um die Unterstützung allerkurdischen Gruppen, nicht nur bestimmter kurdischerGruppen. Es geht um die Anerkennung der demokra-tisch-autonomen Verwaltungen in Rojava. Es geht umdie Ausweitung der humanitären Hilfe. Ich unterstützenatürlich auch die Forderung, dass wir in dieser akutenSituation mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen.Einen letzten Punkt will ich noch ansprechen. MeineKollegin Heike Hänsel war am Wochenende vor Ort. Ichbitte Vertreter der anderen Fraktionen und der Bundesre-gierung, auch zur Grenze zu fahren und sich die Situa-tion vor Ort anzuschauen. Nicht alle Informationen, diewir hier bekommen, entsprechen den wirklichen Ereig-nissen vor Ort.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriela Heinrich
für die Sozialdemokraten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Rund 9 000Flüchtlinge haben in den ersten Monaten dieses Jahresdie Grenze überquert. Das Aufnahmeland muss dieseFlüchtlinge versorgen, medizinisch betreuen und men-schenwürdig unterbringen. Das ist unzweifelhaft einegroße Herausforderung für das Aufnahmeland. DieHerausforderung ist so groß, dass gedroht wurde, dieGrenze zu kontrollieren.Gemeint war die bayerisch-österreichische Grenze,um die Einreise von weiteren Flüchtlingen zu verhin-dern. Es war der bayerische Ministerpräsident, der dieRückkehr zu Grenzkontrollen forderte und angesichtsder Flüchtlingszahlen eine Überforderung Bayerns undDeutschlands beklagte.Meine Damen und Herren, es liegt mir völlig fern,mich mit diesem Vergleich lustig zu machen. Mir ist sehrwohl bewusst, welche Schwierigkeiten unsere Kommu-nen angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen bewälti-
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Gabriela Heinrich
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gen müssen. Ich gebe aber zu, dass ich genau daran den-ken musste, als angesichts der Zahlen, die wir aus Syriengehört haben, vor ein paar Tagen die Empörung über diezeitweilige Schließung der Grenzen in der Türkei hoch-kochte.
Meine Damen und Herren, Sie kennen die Zahlen.Die Kollegin Roth hat sie heute schon benannt.130 000 Menschen sind innerhalb weniger Tage ausSyrien in die Türkei geflohen. 1,5 Millionen syrischeFlüchtlinge befinden sich bereits in der Türkei. 3 Millio-nen Syrer sind in die Nachbarländer geflohen, neben derTürkei in den Libanon, nach Jordanien, nach Ägyptenund in den Irak. Nur 4 Prozent dieser syrischen Flücht-linge haben in Europa Asyl beantragt.Besonders schwierig ist die Situation der syrischenFrauen. Jede vierte syrische Flüchtlingsfamilie wird voneiner Frau geführt. Nur wenige werden von Verwandtenunterstützt. Sie sind meist völlig auf sich selbst gestellt,müssen ihre Familien irgendwie durchbringen und habenhäufig keine Chance auf eine existenzsichernde Arbeit.Ohne einen begleitenden Ehemann werden sie gedemü-tigt und belästigt. Sexuelle Übergriffe sind an der Tages-ordnung. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Natio-nen hat deswegen zur verstärkten Unterstützung dieserFrauen aufgerufen.Meine Damen und Herren, die Bundesregierungmacht mit der geplanten Flüchtlingskonferenz zur Hilfeder Anrainerstaaten deutlich, dass das Thema Flücht-linge ganz oben auf der politischen Agenda steht. DieProbleme der Frauen müssen Teil dieser Konferenz wer-den.
Es wurde bereits erwähnt, dass Deutschland aus hu-manitären Gründen 20 000 syrische Flüchtlinge aufge-nommen hat. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag. Es istauch richtig, wenn wir mehr Solidarität innerhalb derEuropäischen Union einfordern.Europa ist mehr als nur eine Wirtschaftsgemeinschaft.Wir müssen uns zuallererst als Wertegemeinschaft be-greifen, wenn wir eine gemeinsame Zukunft haben wol-len. Dazu gehört das Recht auf Asyl in den Ländern derEuropäischen Union. Aber welche Handlungen leitenwir von diesem Wert ab? Europa kann nicht von denNachbarländern Syriens erwarten, dass sie 3 MillionenFlüchtlinge angemessen versorgen, jedoch die Auf-nahme von Flüchtlingen weitgehend ablehnen.
Wir können es auch dann nicht erwarten, wenn wir vielGeld für die humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen.
Nehmen wir uns ein Beispiel an den Kommunen inDeutschland. Vielerorts bilden sich Unterstützerkreise,in denen sich Nachbarn und Kirchengemeinden um dieFlüchtlinge kümmern, Ärzte und Krankenschwesternhelfen, die Ankommenden medizinisch zu versorgen,wie in meiner Heimatstadt Nürnberg. Es gibt durchausviele, die verstanden haben, dass über 50 MillionenFlüchtlinge auf der Welt auch unseren Teil an Solidaritäteinfordern, und sie erwarten dies auch von unserer Poli-tik.
Die Wertegemeinschaft steht vor einer ungeheurenHerausforderung. Terrorismusbekämpfung und Massen-morde zu stoppen, ist die eine Seite, schnelle humanitäreHilfe ist die andere. Seit 2012 hat Deutschland die Kri-senregion mit über 600 Millionen Euro unterstützt. An-gesichts der aktuellen Flüchtlingsströme – nicht nur indie Türkei – ist der Bedarf an dieser Hilfe aber nicht we-niger, sondern mehr geworden. Deswegen setzt sich dieSPD in den Haushaltsberatungen für eine Aufstockungder humanitären Hilfe ein.
Wir haben heute gehört, dass dies in der Koalition Kon-sens ist.
Es muss uns gelingen, das Morden und Zerstören inSyrien und im Irak zu beenden. Die Weltgemeinschaftwird sich diesmal aber auch beim Wiederaufbau lang-fristig engagieren müssen, um die Weichen für einennachhaltigen Frieden zu stellen. Erinnern wir uns an dieSolidarität, die wir als Deutsche nach dem Zweiten Welt-krieg erfahren haben.Danke schön.
Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour
vom Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Barbaren von ISIS haben an diesem Wochenendein 48 Stunden 60 Dörfer erobert. Die Menschen, die indiesen Dörfern leben, hatten die unglaublichen Gräuelta-ten, die wir kennen, vor Augen. Allein die Zahl der jesi-dischen Frauen, die mittlerweile auf Sklavenmärktenverkauft worden sein sollen, liegt bei 5 000. Selbstver-ständlich sind die Menschen geflohen. Was blieb ihnendenn übrig? Die Zahl von 140 000, die über die türkischeGrenze geflohen sind, ist bereits genannt worden.Ja, es gab den Einsatz von Wasserwerfern und Trä-nengas durch türkische Sicherheitskräfte. Ja, es gabChaos. Ja, einiges, was Ankara macht, ist problematischbis hochambivalent. Ja, es ist ein Problem, wenn dieGrenzen zeitweise geschlossen werden. Ja, es ist ein gro-ßes Problem, dass es in der Vergangenheit für ISIS-
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4962 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Omid Nouripour
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Kämpfer tatsächlich freien Grenzverkehr gab. Ja, es istein Problem, wenn die humanitäre Hilfe an der Grenzesteckenbleibt. Ja, wir brauchen klare Worte RichtungAnkara. Aber trotzdem machen Sie es sich viel zu ein-fach, verehrte Kollegin Hänsel. Es ist einfach nicht dieZeit, um darüber zu sprechen, dass wir jetzt nicht mehrmit der Türkei reden, dass wir die Drähte kappen undmit der Türkei jetzt nicht mehr über einen Beitritt reden.Wir brauchen Richtung Türkei jetzt mehr Engagement.Wir dürfen nicht nur Vorwürfe machen, sondern müssendeutlich mehr Hilfe anbieten.
– Aber auch mehr Hilfe anbieten. Natürlich ist die Tür-kei überfordert. Welches Land wäre es nicht?
1,5 Millionen Menschen hat die Türkei schon aufgenom-men. Ganz ehrlich: Wir haben unsere Geschichte in die-sem Land mit der PKK. Man sollte der PKK jederzeitdie Möglichkeit geben, zu zeigen, dass sie sich veränderthat. Aber die PKK hat am Wochenende erklärt, dass siezum Kampf, und zwar zum grenzenlosen Kampf, auf-ruft. Wenn man die Geschichte der PKK kennt, dannkann man sich vorstellen, dass diese Erklärung nicht un-bedingt großes Vertrauen in Ankara ausgelöst hat. Des-halb muss man hier ein bisschen vorsichtiger agieren mitden Vorwürfen, die man in alle Richtungen von sich gibt.
Ich will nicht alles Gesagte zur humanitären Hilfehier wiederholen. Ich will auf einen einzigen Punkt hi-naus, der schon einmal genannt worden ist. Es gibt vie-les, was die Menschen brauchen. Die meisten Menschenfliehen von der einen zur anderen Minute mit nichts an-derem als dem, was sie am Körper tragen. Wir rennenjetzt auf den Winter zu; in acht Wochen wird in vielendieser Gegenden Schnee liegen. Deshalb, liebe Bundes-regierung: Reden Sie bitte mit den anderen Regierungender EU, schicken Sie feste Unterkünfte – Container,Container, Container!
Das ist das Notwendigste, was jetzt gebraucht wird. Bitteachten Sie darauf.Sämtliche Katastrophen an der Grenze, über die wirgerade sprechen, sind wirklich nur ein kleiner Ausschnittdes Horrors und des Grauens, nicht nur im Nordirak,sondern auch in ganz Syrien; dort reden wir mittlerweilevon bis zu 200 000 Toten, darunter viele Kinder. Wir re-den davon, dass mittlerweile die Hälfte der BevölkerungSyriens humanitäre Hilfe braucht. Wir reden über Hun-ger als Kriegswaffe; sie wird immer wieder von der Re-gierung Assad eingesetzt, in Yarmouk, in Sabadani, inHoms – oder dort, wo die Stadt Homs früher einmal war.Die UN haben es an bestimmten Punkten tatsächlichgeschafft, zu reagieren. Wir wissen, der Sicherheitsrat istblockiert, die Lage ist kompliziert; aber die Resolution2165 ist eindeutig. Es geht darum, dass geholfen wird,dass humanitäre Hilfe grenz- und frontübergreifend ge-leistet wird.In dieser Situation ist es alles andere als nachvollzieh-bar, dass die Europäische Union EU-Hilfsmittel für die-ses Jahr um die Hälfte streicht. Wenn mir dann aus Brüs-sel erzählt wird, dass Herr Schäuble derjenige sei, der daden meisten Druck gemacht habe, dann fehlen mir, ehr-lich gesagt, die Worte und jedes Verständnis dafür.Herr Fabritius sagt völlig zu Recht: Jeder Cent, denwir für die humanitäre Hilfe in den Grenzgebieten auf-wenden, ist ein großer Beitrag dazu, dass es den Men-schen besser geht. – Dazu kann ich nur sagen: Verfluchtnoch mal, schauen Sie doch mal in Ihren eigenen Haus-haltsentwurf für 2015! Sie kürzen die Mittel für humani-täre Hilfe um 38 Prozent, und das in einer Zeit, in der dieKatastrophen Tag für Tag größer und mehr werden.
Das hat mit den vielen schönen und hehren Worten, dieSie hier sprechen, nichts zu tun.Kollege Oppermann hat hier in der letzten großen De-batte, die wir hatten, das schöne Versprechen von sichgegeben, dass die SPD stets darauf achten wird, dass dieMittel für humanitäre Hilfe im Irak mindestens genausohoch sind wie die für militärische Hilfe, die zurzeit70 Millionen Euro betragen. Gestern haben wir aber imAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe er-fahren, dass die Mittel für humanitäre Hilfe nur 25 Mil-lionen Euro betragen.
Da kann ich die SPD nur dringend auffordern, mit ganzviel Nachdruck dafür zu sorgen, dass dieses Versprechentatsächlich erfüllt wird.
Alles andere wäre Augenwischerei.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Dagmar Wöhrl, CDU/CSU.
Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Hänsel, dass ichIhnen einmal Danke sagen sollte, hätte ich zwar nichtgedacht; aber ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die heutigeAktuelle Stunde initiiert haben.Auf der anderen Seite muss ich sagen: Herr KollegeHunko, dass Sie hier versuchen, den IS zu rechtfertigen,ist für mich unverständlich.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4963
Dagmar G. Wöhrl
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Es gibt keine Rechtfertigung für diese Terrororganisa-tion, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Es sind Monster. Sie töten unsere Frauen und Kin-der. Sie überziehen das ganze Land wie ein unauf-haltsames Krebsgeschwür.Das waren die Worte eines Flüchtlings, als er nach end-losen Strapazen endlich auf der anderen Seite derGrenze zur Türkei angekommen war. Das sind Worte,die einem im Gedächtnis bleiben, ebenso die dramati-schen, schrecklichen Szenen, die wir in den letzten Wo-chen immer wieder erleben. Der IS brüstet sich mit Mas-sakern, er stellt Videos davon ins Netz – brutalsteSzenen, wie wir sie uns nicht schlimmer vorstellen kön-nen. Er hat es geschafft, innerhalb von drei Tagen60 Dörfer zu überrollen. Alle jungen Männer über zwölfJahren wurden getötet. Die Frauen wurden vergewaltigtund misshandelt; es sollen insgesamt über 5 000 gewe-sen sein. Die Frauen haben nur eine Chance, wenn siebereit sind, sich zu bekehren, wenn sie bereit sind, die„Richtiggläubigen“ zu ehelichen. Ansonsten werden siezu Sklavendiensten missbraucht oder auf dem Marktverkauft; man spricht von einem Preis von 200 Dollar.Liebe Kolleginnen und Kollegen, für diese Men-schen, für die Frauen mit ihren Kindern bleibt nur dieFlucht. Wir sprechen heute von 140 000 Flüchtlingen,die innerhalb von drei Tagen über die syrisch-türkischeGrenze geflohen sind. Wenn es IS schafft, Kobani einzu-nehmen, was er ja vorhat, dann wird sich die Zahl derFlüchtlinge auf über 400 000 erhöhen.Man ist sprachlos. Wenn man das sieht und hört, weißman gar nicht, was man noch machen kann. Man ist ver-zweifelt. Es gibt nicht genügend grausame Worte, umüberhaupt zu beschreiben, was sich dort abspielt.Wir brauchen Lösungen. Es ist uns unverständlich,was für eine Anziehungskraft die Dschihadisten haben.Inzwischen soll es über 15 000 Foreign Fighters geben,das heißt junge Menschen aus dem Ausland, die in dasLand strömen, um die Dschihadisten und den IS zu un-terstützen.Wir brauchen Lösungen; denn die Hälfte aller Flücht-linge sind Kinder. Von der Krise in Syrien und seinenNachbarländern sind inzwischen 6,6 Millionen Kinderbetroffen, Zehntausende sind bereits gestorben.Ich bin froh, dass die internationale Gemeinschaftihre Verantwortung annimmt. Aber es muss noch mehrgetan werden. Auch wir versuchen, unserer Verantwor-tung durch humanitäre Hilfe gerecht zu werden. Wir un-terstützen UNICEF. Wir gewähren Soforthilfe. Unserezuständigen Minister stocken die Mittel für humanitäreHilfe auf. Sie wissen, dass es notwendig ist. HerrNouripour, ich bin auch froh: Es wird einen Nachtrags-haushalt für den Etat des Auswärtigen Amtes geben, da-mit die Mittel für humanitäre Hilfe aufgestockt werdenkönnen. Die Not zwingt uns dazu.Diejenigen von uns, die in den letzten Wochen undMonaten in Flüchtlingslagern gewesen sind – ob imLibanon, im Irak oder sonst wo –, haben eines festge-stellt: Die Flüchtlingscamps sind nicht mehr so wie frü-her.
Es sind Städte geworden, inzwischen auch mit Einkaufs-zentren. Die Menschen stellen sich darauf ein, dass sienicht von heute auf morgen wieder in ihre Heimat zu-rückkehren können. Das bedeutet auch, dass ihnen einelangfristige Zukunftsperspektive fehlt. Dadurch entstehtHoffnungslosigkeit. Kinder wachsen in Gewalt auf. Siekennen nichts anderes als dieses Umfeld. Das ist die Ge-fahr, die wir in diesem Zusammenhang sehen.Wir müssen ISIS zeigen, dass er verwundbar ist. Wirmüssen das auch den Menschen zeigen, damit sie dieAngst vor diesen Terroristen verlieren. In diesem Zu-sammenhang bin ich dankbar für die UN-Resolution, diegestern angenommen worden ist. Endlich sind alle Län-der der Vereinten Nationen verpflichtet, ein Gesetz zuerlassen, das das Reisen zu terroristischen Zwecken un-terbindet. Wir hoffen, dass sich dadurch wenigstens dieZahl der Foreign Fighters verringert.Wir dürfen nicht naiv sein. Wir wissen: Ohne militäri-sches Eingreifen kann die Weltgemeinschaft dieser Lagenicht Herr werden. Deswegen sind wir froh, dass dieUSA aktiv geworden sind. Wir sind froh, dass sie vonden Franzosen unterstützt werden. Wir sind froh, dasssie von arabischen Partnern unterstützt werden. Um dieNot der Menschen zu lindern, müssen wir diese militäri-schen Maßnahmen durch politische Intervention und hu-manitäre Hilfe ergänzen, wie wir es bisher schon getanhaben.Wir schulden der Türkei Dank für die Aufnahme derFlüchtlinge. Die Zahl ist immens, für uns unvorstellbar:1,6 Millionen. Das wird nicht das Ende der Fahnen-stange sein, das wissen wir. Wir müssen hier unterstüt-zen. Wir sind ebenfalls froh, dass sich Erdogan gesternin der UN-Vollversammlung zum ersten Mal dazu be-kannt hat, die internationale Gemeinschaft im Kampf ge-gen IS zu unterstützen. Es wurde auch Zeit. Das ist eineAussage, auf die wir lange, lange gewartet haben.
Frau Kollegin Wöhrl, denken Sie an die Redezeit?
Ja, danke schön. – Für uns war es nicht zu verstehen,dass Rekruten in der Türkei in Moscheen ausgebildetworden sind und dass Leute durch die Türkei in den Iranreisen konnten. Aber wir sind dankbar für seine Worte.Wir sind bereit, mit unseren internationalen Partnernin Zukunft gemeinsam vorzugehen. Unseren internatio-
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Dagmar G. Wöhrl
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nalen Partnerorganisationen, die vor Ort das Menschen-mögliche machen, gilt unser Dank. Wir hoffen, dass dieKinder dadurch eine Perspektive für die Zukunft haben.Vielen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ute Finckh-
Krämer für die Sozialdemokraten.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf derTribüne! Heute tagt – schon länger angekündigt – imAuswärtigen Amt der Koordinierungsausschuss Huma-nitäre Hilfe. Seit 20 Jahren bringt er mehrmals im JahrVertreter der Bundesregierung und der humanitärenNichtregierungsorganisationen zusammen. Seine heuti-gen Themen – unter anderem: Irak, Syrien und die Ebo-lakrise in Westafrika – sind brandaktuell.Ursprünglich war geplant, dass heute Mittag eine di-rekte Begegnung der Mitglieder des Bundestagsaus-schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe mitdiesem Koordinierungsausschuss stattfinden sollte. Lei-der haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von derLinken, genau in diese Mittagszeit zwei namentlicheAbstimmungen gelegt. Insofern musste das offizielleGespräch abgesetzt werden,
und ich konnte mich nur kürzer als erhofft darüber infor-mieren, was deutsche Hilfsorganisationen wie die Welt-hungerhilfe, medico international und der MalteserHilfsdienst derzeit im syrisch-türkischen Grenzgebietleisten. Ich möchte diesen Organisationen und den wei-teren Organisationen, die dort im Augenblick tätig sind,an dieser Stelle ausdrücklich für ihr professionelles En-gagement vor Ort danken.
Liebe Frau Hänsel, sowohl gestern im Ausschuss fürMenschenrechte und Humanitäre Hilfe als auch heute imKoordinierungsausschuss hat die Bundesregierung überdie Situation in der Grenzregion berichtet. Auch dieHilfsorganisationen, die heute vertreten waren, habenberichtet. Die Berichte entsprachen nicht ganz dem, wasSie eben vorgetragen haben.
Die Flüchtlinge kommen diesen Berichten zufolge zwarin der Tat nicht überall und sofort, aber doch sukzessiveüber die Grenze. Die meisten bleiben auch nicht in derunmittelbaren Grenzregion, sondern fahren in Ortschaf-ten weiter, in denen sie zum Beispiel bei Verwandten un-terkommen können.Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat – das hatGabriela Heinrich eben schon erwähnt – für den 28. Ok-tober 2014 nach Berlin zu einer Konferenz eingeladen,bei der über Hilfen für die Nachbarstaaten Syriens unddes Iraks beraten wird. Das begrüße ich sehr und möchtedem Außenminister an dieser Stelle ausdrücklich dafürdanken.
Deutschland muss einen weiteren substanziellen Bei-trag leisten, um seiner internationalen Verantwortung fürdie Flüchtlinge gerecht zu werden. Das betrifft sowohldie Haushaltsmittel für humanitäre Hilfe im laufendenJahr, die gegebenenfalls im Rahmen eines Nachtrags-haushaltes aufgestockt werden müssen, als auch die Mit-tel für 2015, die im vorliegenden Entwurf in der Tat vielzu niedrig angesetzt sind und daher im Rahmen der wei-teren Haushaltsberatungen massiv aufgestockt werdenmüssen, wie es mein Kollege Frank Schwabe bei der De-batte zur ersten Lesung des Bundeshaushaltes 2015 be-reits gefordert hat. Die Hilfsorganisationen und ihre lo-kalen Partner brauchen Planungssicherheit und dieFlüchtlinge die Gewissheit, dass sie so lange Hilfe erhal-ten, wie sie benötigen.Neben Geld für die schon länger in der Region tätigenHilfsorganisationen und für den UNHCR wird mögli-cherweise auch qualifizierte technische Hilfe nötig wer-den, wenn es darum geht, allen Flüchtlingen winterfesteUnterkünfte zur Verfügung zu stellen. Viele von uns Ab-geordneten haben sich am Dienstag beim TechnischenHilfswerk darüber informiert, was diese Organisationbeim Aufbau von Notunterkünften oder bei der Trink-wasserversorgung leisten kann – übrigens zu über98 Prozent durch den Einsatz von Freiwilligen, das heißtvon ehrenamtlich Tätigen. Wenn die Türkei konkreteHilfe in diesem Bereich bei der Bundesregierung oderbei der Europäischen Union anfordert, könnte das THWdiese, wie in der Vergangenheit in anderen Ländern,schnell und effektiv bereitstellen.Ich möchte im Zusammenhang mit der heutigen Dis-kussion an die Grundprinzipien der humanitären Hilfeerinnern: Neutralität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeitund Menschlichkeit. Sie dienen dem Schutz sowohl der-jenigen, die Hilfe leisten, als auch derjenigen, denen siezuteil wird. Sie verhindern, dass Konflikte durch einsei-tige Hilfeleistung entstehen oder eskalieren. HumanitäreHilfe darf nicht für politische Interessen instrumentali-siert werden.Besonders wichtig ist die Neutralität der humanitärenHilfe in bewaffneten Konflikten bzw. in deren unmittel-barer Nachbarschaft. Deutschland hat sich 2003 nichtam Angriffskrieg der USA gegen den Irak beteiligt undlehnt jetzt zu Recht die Beteiligung an den Luftangriffender USA auf den Irak und Syrien ab. Damit können deut-sche Hilfsorganisationen in der Region glaubwürdig alsunparteilich auftreten.Wir müssen uns über die humanitäre Hilfe hinaus Ge-danken machen, wie wir nicht nur mit Mitteln der Ent-
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Dr. Ute Finckh-Krämer
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wicklungszusammenarbeit, sondern auch mit friedens-fördernden Maßnahmen einen Beitrag dazu leistenkönnen, die Lebenssituation der Menschen in der Regionlangfristig zu verbessern. Daher wird die heutige Dis-kussion sicher nicht die letzte zum Thema Türkei, Sy-rien, Irak gewesen sein.Danke schön.
Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jörg Hell-
muth.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Als wir vor einigen Monaten die ersten Informa-
tionen über ISIS – damals sprach man noch von ISIS –
erhalten haben, war zu lesen, dass die militärische Basis
insbesondere aus ehemaligen Offizieren der irakischen
Armee besteht. Das hat mich schon seinerzeit mit Sorge
erfüllt. Diese Erkenntnis ist in den letzten Wochen etwas
in den Hintergrund geraten, nicht zuletzt aufgrund der
unglaublichen Gräueltaten. Aber nach wie vor, so denke
ich, bilden gut ausgebildete Offiziere der irakischen Ar-
mee die militärische Basis – eine Generation Enttäusch-
ter, die nur darauf sinnen, für ihren ehemaligen Diktator
Rache zu nehmen.
Herr Hunko, Sie haben Analyse und Aufarbeitung an-
gesprochen. Das ist sicherlich notwendig, heute und hier
ist aber nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ich möchte Ih-
nen Folgendes sagen: Ich musste vor knapp 40 Jahren in
meiner Lehrzeit unweit von Berlin, 50 Kilometer von
hier, Militär-Lkw zusammenbauen, von denen viele
– das war schon eine ordentliche Größenordnung – in
den Irak gegangen sind. Damals hat die DDR Militär-
berater, Militär-Lkw und andere Militärtechnik in den
Irak geliefert. Während es hier an allem Möglichen
fehlte, hat das System der DDR das irakische Militär mit
aufgebaut und unterstützt. Meine herzliche Bitte lautet:
Wenn Sie die Geschichte aufarbeiten bzw. analysieren,
dann vergessen Sie diesen Teil der Geschichte bitte
nicht.
Als wir vor einigen Wochen mit der Bundesministerin
der Verteidigung, Frau von der Leyen, in unserer Ar-
beitsgruppe die Situation erörtert haben, habe ich diese
Frage gestellt: Wie belastbar sind die Informationen über
diese Gräueltaten, über diese Zustände? Und: Ist das al-
les nicht noch viel schlimmer? In der Tat scheint es so zu
sein. In den letzten Tagen hat sich die Situation derma-
ßen zugespitzt, dass einem wirklich die Worte fehlen.
Frau Roth, man hätte es nicht für möglich gehalten, dass
so etwas im 21. Jahrhundert noch möglich ist.
Über die humanitäre Hilfe wurde hier schon viel ge-
sprochen. Das kann man nur ausdrücklich unterstützen.
Ich habe die Befürchtung, dass sich die Situation auf-
grund des bevorstehenden Winters zuspitzt und die Ma-
terialien nicht ausreichen. Hier ist nicht nur Deutschland
gefordert, sondern die EU und die ganze Welt sind ge-
fragt, alles Erdenkliche zu tun, um die humanitären
Hilfsleistungen in den nächsten Wochen zu verstärken.
Ich möchte auf den UN-Sicherheitsrat eingehen; Herr
Annen, Sie haben das erwähnt. Ich möchte das noch ein-
mal betonen: Es ist ein ermutigendes Signal, dass die
Resolution einstimmig beschlossen wurde. Wenn wir
uns zurückerinnern: Das hat es bei solchen Konflikten so
oft nicht gegeben. Das ist aber nur der erste Schritt.
Unser Außenminister ist, glaube ich, im ZDF gestern
Abend in einem Interview dazu befragt worden. Zwei
Fragen sind mir in Erinnerung geblieben.
Die erste Frage war: Wie wird die Hilfeleistung
Deutschlands eingeschätzt? Ist sie ausreichend? Er hat
im Rückblick auf die Gespräche geantwortet: Das ist
überhaupt nicht das Thema. Die Unterstützung und die
Hilfe finden bei der UN allergrößte Anerkennung. – Ich
denke, das sollte man an dieser Stelle auch einmal er-
wähnen.
Die zweite Frage war: Wie stellen Sie sich denn die
Umsetzung vor? Die ist doch nicht einfach. Unser Au-
ßenminister antwortete darauf: Daran werden wir noch
viele Wochen arbeiten. – Die Umsetzung wird noch ein
Stück Arbeit werden. Es gibt da ja eine Vielzahl von
Problemen. Trotzdem sehe ich diesen einstimmigen Be-
schluss als außerordentlich ermutigendes Signal.
Zum Schluss. Das Agieren der Türkei werden wir in
den nächsten Tagen und Wochen intensiv beobachten:
am Wochenende erst Grenzöffnung, dann wieder ein
Schließen der Grenzen, einerseits diese ominösen Ver-
handlungen, was die Freilassung der Geiseln betrifft, an-
dererseits gestern am Rande der UN-Vollversammlung
das Bekenntnis des türkischen Präsidenten, mit in die
Front zur ISIS-Bekämpfung einzusteigen. Wir werden
ihn in den nächsten Tagen und Wochen beim Wort neh-
men.
Vielen Dank.
Abschließender Redner in dieser Aktuellen Stunde ist
der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieBilder des Arabischen Frühlings und das, was wir damitverbunden haben, haben sich in Luft aufgelöst. Die ara-bische Welt und ihre Ordnung sind in der tiefsten Kriseseit dem 13. Jahrhundert. Das gilt nicht nur für die Län-der, auf die wir jetzt hauptsächlich den Fokus legen, fürden Irak und Syrien, sondern das gilt genauso für den Je-men und Libyen.
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4966 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Thorsten Frei
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Wenn wir uns anschauen, was sich in den vergange-nen Tagen an der türkisch-syrischen Grenze ereignet hat– es ist vielfach beschrieben worden –, dann sehen wir:Es ist in der Tat entsetzlich und kaum vorstellbar. Wenninnerhalb von wenigen Stunden 130 000 Menschen andie türkische Grenze gedrängt werden und in die Türkeifliehen, dann ist das für uns kaum vorstellbar. Es ist voll-kommen klar, dass wir in einer solchen Situation helfenmüssen. Uns muss auch klar sein, dass das in der Tatnicht das Ende der Fahnenstange ist. Angesichts von1,8 Millionen Binnenflüchtlingen im Irak und in Syriensteht uns noch einiges bevor.Ich möchte zum Schluss der Debatte vier wesentlicheAspekte benennen, die aus meiner Sicht hier nottun.Erstens. Natürlich müssen wir Flüchtlinge aufneh-men, selbstverständlich. Es erfüllt mich mit großem Re-spekt, wenn ich sehe, was beispielsweise in der Türkei,im Libanon und auch in Jordanien passiert. Die Länderdort vollbringen ganz enorme Leistungen.
Aber Fakt ist eben auch, dass außerhalb der Region keinanderes Land so viel tut, um Flüchtlinge aufzunehmen,wie Deutschland.Ich möchte an dieser Stelle eines sagen: Es kann,glaube ich, nicht das Ziel sein, dass wir so viele Flücht-linge wie möglich zu uns holen und hier aufnehmen.
Denn sie möchten ja nicht ihre Heimat verlassen.
Sie möchten nicht nach Deutschland und Europa. Siefliehen aus ihrer Heimat, weil sie vertrieben werden vonTerroristen, die völlig verroht sind, die sie aus ihrer Hei-mat vertreiben, massakrieren und abschlachten. Dortmüssen wir helfen. Wir müssen hier bei uns helfen, aberauch unmittelbar vor Ort. Es ist schon gesagt worden:Der Winter steht vor der Tür. Deshalb muss es schnelleHilfe geben. Ich bin dafür dankbar, dass wir die haus-haltspolitische Flexibilität haben, entsprechend daraufzu reagieren.Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt benennen. Esist in der Tat so, dass es nicht reicht, nur die Symptomezu bekämpfen –
man muss auch an die Wurzel des Übels. Deshalb ist esrichtig, die Terrororganisation IS mit allen Kräften zubekämpfen.Zweitens. Wir haben am 1. September hier im Bun-destag darum gerungen, ob wir den kurdischen Pesch-merga Waffen liefern wollen. Wenig danach hat unserAußenminister gesagt:Niemand ist so naiv, zu glauben, dass ein paar Ge-wehre für die Peschmerga das Problem ISIS aus derWelt bringen.Richtig, wir brauchen in der Tat eine international abge-stimmte Strategie. Da geht es darum, dass man Geld-ströme kappt. Da geht es darum, dass man die ethnischenund religiösen Gruppen in diesen Prozess integriert, dassman vor Ort die Akteure ertüchtigt, sich selbst zu helfen,so wie wir es im Nordirak getan haben.Aber, drittens, meine sehr verehrten Damen und Her-ren, ich warne auch davor, zum jetzigen Zeitpunkt allesandere auszuschließen. Ich glaube, es ist notwendig,dass die Amerikaner mit Luftschlägen versuchen, zu hel-fen, die Not dort zu bekämpfen, indem man IS unmittel-bar angeht.
Ich halte es für falsch, wenn wir, ohne die Lage abschlie-ßend beurteilen zu können, dieses grundsätzlich aus-schließen.
Es ist darüber hinaus fraglich, ob das ausreicht. Viel-leicht muss man noch sehr viel mehr tun, wenn mankeinen jahre- oder gar jahrzehntelangen Konflikt an die-ser Stelle haben möchte; auch das müssen wir bedenken.Als letzten, vierten Punkt will ich erwähnen: Es gehtaus meiner Sicht auch darum, die Sicherheit der Men-schen bei uns im Land zu gewährleisten, und die ist inder Tat in Gefahr. Wenn man sieht, dass 400 gewaltbe-reite Menschen aus Deutschland sich dem IS ange-schlossen haben, wenn wir davon ausgehen müssen, dassmindestens 25 kampferprobte Dschihadisten wieder zu-rückgekehrt sind nach Deutschland, dann müssen wir,glaube ich, auch in diesem Bereich den gesetzlichenRahmen voll ausschöpfen. Wir müssen Doppelstaatlern,die sich so weit vom Boden des Grundgesetzes und derfreiheitlich-demokratischen Grundordnung entfernt ha-ben, die Pässe entziehen. Wir müssen alles tun, um deut-lich zu machen, dass, wer so etwas tut, letztlich seinRückkehrrecht nach Deutschland verwirkt hat, meinesehr verehrten Damen und Herren.
Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: In der Tat, eskommt auf eine international abgestimmte Lösung an,die die Kräfte vor Ort integriert. Dazu gehört – ob unsdas gefällt oder nicht – auch der Iran. Richtig ist auch,dass die Türkei dabei eine zentrale Rolle spielen muss.Ich schließe mich insofern den Vorrednern an: Was wirin den letzten 48 Stunden von Staatspräsident Erdogangehört haben, ist ermutigend.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
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Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:a) Erste Beratung des von der Bundesregierungeingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-derung des Freizügigkeitsgesetzes/EU undweiterer VorschriftenDrucksache 18/2581Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionHaushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GOb) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungZwischenbericht des Staatssekretärsausschus-ses zu Rechtsfragen und Herausforderungenbei der Inanspruchnahme der sozialen Siche-rungssysteme durch Angehörige der EU-Mit-gliedstaatenDrucksache 18/960Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Unionc) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-gierungAbschlussbericht des Staatssekretärsausschus-ses zu „Rechtsfragen und Herausforderungenbei der Inanspruchnahme der sozialen Siche-rungssysteme durch Angehörige der EU-Mit-gliedstaaten“Drucksache 18/2470Überweisungsvorschlag:Innenausschuss
Ausschuss für Recht und VerbraucherschutzFinanzausschussAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Familie, Senioren, Frauen und JugendAusschuss für GesundheitAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für die Angelegenheiten der Europäischen UnionNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich hörekeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Damit eröffne ich die Aussprache.Erster Redner ist Bundesminister Dr. Thomas deMaizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! Ich bringe hiermit den Gesetzentwurf zur Änderungdes Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriftenein.Ich darf daran erinnern, dass wir Anfang des Jahres– auch angestoßen von der CSU – eine Debatte über dieFrage hatten: Wie gehen wir mit sogenannten Armutsmi-granten um, und wie groß ist das Problem? – Es war abernicht nur die CSU, die diese Debatte angestoßen hat:Kommunen und kommunale Spitzenverbände hattenihrerseits in dringlichen Appellen auf die Belastungenhingewiesen, die mit einer steigenden Zuwanderung ausder EU verbunden sind.Das Ergebnis unserer Arbeit ist in diesem Gesetzent-wurf und in dem Bericht des Staatssekretärsausschussesniedergelegt. Beides liegt dem Parlament vor. Das Er-gebnis lautet: Es gab und gibt in Deutschland kein flä-chendeckendes Problem damit. Es gibt aber eine Reihevon Kommunen – insbesondere Großstädte –, die durchdie Folgen eines stetig wachsenden Zuzuges aus weni-gen Mitgliedstaaten der Europäischen Union besondersbetroffen und belastet sind, und darauf reagieren wir mitden Maßnahmen, die jetzt hier anstehen.
Die Zuwanderung aus anderen Mitgliedstaaten derEuropäischen Union hat in den letzten Jahren zugenom-men. Das birgt für unser Land Chancen und viel Gutes.Der weit überwiegende Teil dieser Zuwanderer kommtzu uns, um hier eine Arbeit zu finden, eine Ausbildungzu beginnen oder ein Studium aufzunehmen. Diese Men-schen suchen für sich und ihre Familien bessere Chancenund tragen zu Wohlstand und Entwicklung in Deutsch-land bei. Angesichts unserer demografischen Entwick-lung sind wir natürlich auf die Zuwanderung derjenigen,die hier arbeiten können und wollen, angewiesen.Ich will auch keinen Zweifel daran lassen, dass dieFreizügigkeit in der Europäischen Union nach unsererAuffassung eine der großen Errungenschaften ist, dienicht zur Disposition stehen. Sie ist eine der großen Vor-züge Europas für seine Bürger und insbesondere auchfür uns Deutsche.
Gleichzeitig dürfen wir aber nicht die Augen davorverschließen, dass vor Ort mit einem wachsenden Zuzugaus bestimmten EU-Mitgliedstaaten Probleme verbun-den sind. Diese Städte und Gemeinden berichten übereine Verschärfung sozialer Probleme und über eine stei-gende Belastung ihrer Systeme der kommunalenDaseinsvorsorge. Das betrifft den Bereich Schule, dieVersorgung mit Wohnraum, die unangemessene undunberechtigte Inanspruchnahme sozialer Leistungenoder den Bereich Gesundheitsversorgung. Das müssenwir adressieren, und darüber dürfen wir ebenfalls nichthinwegsehen.
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4968 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Wenn wir heute eine Bilanz der Arbeit des Staats-sekretärsausschusses ziehen, können wir dreierlei fest-halten:Erstens. Der Abschlussbericht hat die Daten- undFaktenlage sowie die Rechtsfragen bewertet und damitzu einer Versachlichung der Debatte überall beigetragen.Ich glaube, das war gut und richtig.
Zweitens. Wir wollen die betroffenen Kommunensubstanziell entlasten. Der Bericht und der vorliegendeGesetzentwurf enthalten dazu eine Reihe von Maßnah-men. Ich nenne sie gleich kurz. Diese Entlastungen sol-len noch in diesem Jahr und in den Folgejahren wirksamwerden. Deswegen bitte ich auch um eine zügige Bera-tung dieses Gesetzentwurfs, damit die Kommunen nochin den Genuss der Fördermaßnahmen kommen können,die mit diesem Gesetzentwurf verbunden sind.Drittens. Wir wollen die Freizügigkeit in Europa er-halten und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft sichern.Gerade deshalb ist es wichtig, gegen einen Missbrauchdieses Rechts wirkungsvoll vorzugehen.Was heißt das? Die Unterstützung geschieht in Formeiner entsprechenden finanziellen Ausstattung des Städ-tebauförderprogramms „Soziale Stadt“ und der verschie-denen Programme aus europäischen Fonds. Wir stockendie Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft undHeizung im Sozialgesetzbuch II auf. Das Geld kannnoch in diesem Jahr – ich erwähnte es – an die Länderfließen, in denen die besonders betroffenen Städte undGemeinden liegen, damit es dann – das unterstreiche ichnoch einmal – an die Kommunen weitergegeben wird,und zwar so, wie das beabsichtigt ist.
Durch eine Änderung des SGB V werden künftig beiKindern und Jugendlichen aus EU-Staaten ohne geklär-ten Krankenversicherungsschutz die Impfkosten über-nommen.So weit zu den die Kommunen entlastenden Maßnah-men.
Zur Unterbindung von Missbrauch im Zusammen-hang mit dem Freizügigkeitsrecht sieht der vorliegendeGesetzentwurf eine Reihe von Maßnahmen aus den Zu-ständigkeitsbereichen verschiedener Ressorts vor:Im Freizügigkeitsrecht sollen befristete Wiederein-reisesperren im Falle eines Rechtsmissbrauchs oderBetrugs ermöglicht werden. Das Aufenthaltsrecht zurArbeitssuche soll in Übereinstimmung mit dem europäi-schen Recht auf sechs Monate befristet werden. DieErschleichung von Aufenthaltsbescheinigungen durchfalsche Angaben wird unter Strafe gestellt. Beim Kin-dergeld sollen Doppelzahlungen und Missbrauch unter-bunden werden. Künftig wird die Kindergeldzahlungvon der eindeutigen Identifikation von Antragstellernund Kindern durch Angabe der steuerlichen Identifika-tionsnummer abhängig sein. Wir wollen entschieden ge-gen Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit vorge-hen. Dazu sieht der vorliegende Gesetzentwurf eineRegelung vor, durch die die Zusammenarbeit mit der Fi-nanzkontrolle Schwarzarbeit intensiviert wird. Über denGesetzentwurf hinaus gibt es einige Maßnahmen, die aufdem Verordnungswege oder durch Verwaltungsvor-schriften erlassen werden sollen. So soll im Bereich derFamilienleistungen konkretisiert werden, in welchenFällen die Freizügigkeitsberechtigung von Antragstel-lern konsequent und genau zu prüfen ist. Auch Gewerbe-anzeigen werden künftig konsequent auf Anhaltspunktefür Scheinselbstständigkeit geprüft.Bevor gleich in der Debatte vorgetragen wird, das al-les seien Maßnahmen, die sich gegen Betroffene, diehierherkommen, richten könnten, will ich Folgendes sa-gen: Der Missbrauch, der hier betrieben wird, wird nichtallein durch diejenigen betrieben, die zu uns kommen,sondern überwiegend durch das kriminelle Handeln der-jenigen, die diese Menschen hierherlocken und ausbeu-ten. Wenn ein Vermieter in einem abbruchreifen Hauseine große Familie mit Luftmatratzen unterbringt unddafür 300 oder 400 Euro Miete nimmt, dann ist dasnichts anderes als eine Schweinerei.
Wenn jemand mit einem fertig ausgefüllten, in perfek-tem Deutsch formulierten Gewerbeantrag eine Gewerbe-erlaubnis beantragt, dann riecht das nach Scheinselbst-ständigkeit.
Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Beck?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Lassen Sie mich diesen Gedanken zu Ende führen;
dann darf gerne eine Zwischenfrage gestellt werden. –
Wenn Männer auf einem sogenannten Arbeitsstrich ste-
hen und für 1 bis 2 Euro pro Stunde Arbeit annehmen,
dann sind die Menschen, die ihnen Arbeit anbieten,
Schweinehunde. Wenn Frauen, die ihren Lebensunter-
halt nicht bestreiten können, auf den Strich geschickt
werden, dann ist es kriminell, diesen Missbrauch zu dul-
den. Deswegen ist alles, was wir tun, auch darauf gerich-
tet, denjenigen, die mit Armutsmigranten Geld verdie-
nen, den Hahn abzudrehen.
Jetzt hat der Kollege Volker Beck zu einer Zwischen-bemerkung das Wort.
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Was die Zielvorstellungen angeht, sind wir uns hun-
dertprozentig einig.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Das ist ja mal etwas. Das ist nicht immer so.
Nein, eben. – Ich würde gerne wissen, an welcher
Stelle die Frage beantwortet wurde, von der Sie gerade
gesagt haben, dass Sie sie beantworten wollen: Es geht
um arme Menschen, die im Rahmen der EU-Freizügig-
keit zu uns gekommen und zugewandert sind, die in
Wohnungen wohnen, in denen sie ausgebeutet werden,
oder die in Schrottimmobilien leben. Es gibt dazu eine
Regelung, und zwar in Nordrhein-Westfalen; die dortige
Landesregierung will die Kontrolle verstärken. Aber in
diesem Gesetzentwurf habe ich keinen Satz zu dieser
Problematik gelesen.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Abgeordneter Beck, dazu bedarf es auch keiner
neuen gesetzlichen Regelung. Wenn wir sonst über Ge-
setzesverschärfungen reden, sind Sie immer der Erste,
der sagt: Kümmert euch doch erst einmal um den Ver-
waltungsvollzug, bevor ihr Gesetze verschärft. – Hier ist
es genauso. Eine solche ausbeuterische Miete ist sitten-
widrig und nichtig. Derjenige, der ein solches Objekt
vermietet, macht sich möglicherweise auch strafbar. Je-
denfalls sollte man ihm die Hammelbeine langziehen.
Dazu bedarf es keines neuen Bundesgesetzes.
Auch für den Fall, dass jemand einen anderen zur
Scheinselbstständigkeit verleitet, brauchen wir keine zu-
sätzlichen Gesetze. Ich möchte mit den harten Worten,
die ich hier sage, erreichen, dass wir den Blick nicht nur
auf diejenigen, die sich in Deutschland aufhalten, und
auf die Lasten, die für die Kommunen damit verbunden
sind, richten, sondern auch auf diejenigen, die die Lage
dieser Menschen ausnutzen, in Bulgarien, in Rumänien
und in Deutschland.
Meine Damen und Herren, der Abschlussbericht, den
wir heute vorlegen, ist natürlich nicht der Endpunkt. Wir
haben noch einige Prüfbitten und Prüfungen vor uns.
Der erste Punkt ist sehr wichtig: Es ist zu prüfen, ob die
Höhe des Kindergeldes in Zukunft an die Lebenshal-
tungskosten am Wohnort des Kindes angepasst wird.
Das ist eine wichtige Frage, die viele Menschen in
Deutschland beschäftigt, die europarechtlich aber nicht
leicht zu beantworten ist. Wir werden sie weiter intensiv
prüfen.
Im Zusammenhang mit den Sozialleistungen insgesamt
stehen zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes an.
Wenn diese Urteile vorliegen, werden wir diesen Fall
und ähnliche Fälle zu bewerten haben und dann mögli-
cherweise noch Änderungen vornehmen. Schließlich
wollen wir unsere Arbeit evaluieren. Schon Ende 2014
wollen wir prüfen, ob die Maßnahmen ausreichen oder
ob weitergehende Maßnahmen geboten sind. Das Thema
bleibt sicher auf der Tagesordnung.
Ein wichtiger Schritt ist die Beratung und Verabschie-
dung des Gesetzes, das ich Ihnen heute vorstelle. Ich
bitte, wie eingangs begründet, um zügige Beratung und
eine möglichst große Zustimmung.
Vielen Dank, Herr Minister. – Nächste Rednerin ist
die Kollegin Ulla Jelpke für die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrMinister, seit über einem Jahr wird insbesondere vonsei-ten der CDU/CSU immer wieder über den angeblichenSozialhilfemissbrauch der Zuwanderer aus Osteuropageredet. Auch Sie haben es heute wieder so dargestellt.Wir erleben seit einem Jahr eine regelrecht hysterischeKampagne, die durch gar nichts gerechtfertigt ist.
Mit diesem Gesetzentwurf wird nur weiter Öl ins Feuergegossen. Sie schüren Vorurteile gegen Menschen ausOsteuropa, insbesondere gegen Roma. Indem Sie dieFreizügigkeit eingrenzen, entziehen Sie diesen Men-schen das Grundrecht auf europäische Freizügigkeit. Ichsage ganz klar: Nicht mit der Linken!
Die Linke hat, wenn das Bundesministerium von derUnion geführt wurde und von dem angeblichen Sozial-missbrauch die Rede war, immer wieder Kleine Anfra-gen gestellt. Die Bundesregierung musste zugeben, dassZahlen dazu überhaupt nicht vorliegen; auch die Bun-desagentur für Arbeit hat dies zugegeben. Auch der Be-richt der Staatsminister, die sich lange damit befasst ha-ben, hat keinerlei Beweise dafür gebracht. Trotzdemwird hier die Schlussfolgerung gezogen, dass man einsolches Gesetz braucht. Die Faktenlage beweist genaudas Gegenteil; das hat der Minister eben immerhin ge-sagt. Unter den Zuwanderern aus Rumänien hat jederVierte einen akademischen Abschluss. Die Arbeitslosen-quote in Deutschland unter Bulgaren und Rumänen istniedriger als unter den übrigen EU-Ausländern.Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages– Herr Minister, jetzt sollten Sie genau zuhören – hat ge-sagt: Nicht der Missbrauch von Sozialleistungen ist un-ser Problem. Unsere Hauptsorge ist, dass wir zu wenigGeld haben, um diese Menschen unterzubringen und zuintegrieren. – Von 267 000 Rumänen, die in Deutschland
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4970 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Ulla Jelpke
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leben, sind laut Polizeilicher Kriminalstatistik ganze 91verdächtig – verdächtig, nicht verurteilt –, Sozialleis-tungsbetrug begangen zu haben. Man muss sich wirklichan den Kopf fassen, wenn die CDU/CSU hier durch dieSprecherin der Landesgruppe der CSU verkünden lässt,man habe jetzt entscheidende Forderungen gegen denSozialbetrug bei der Armutszuwanderung durchgesetzt.Nein, das haben Sie nicht. Was Sie getan haben, ist, dieThemen Zuwanderung und Freizügigkeit willkürlich mitden Themen Missbrauch und Armut zu verrühren.
Genau das hat fatale Folgen. Sie fördern damit Ressenti-ments in der Gesellschaft, die sich vor allem gegen Sintiund Roma richten, auch wenn diese nur einen geringenTeil der Zuwanderer ausmachen. Eine Leipziger Studiehat uns Mitte des Jahres bestätigt, dass die Feindseligkeitgegenüber Roma immer weiter ansteigt. Dieses An-wachsen des Antiziganismus ist eine direkte Folge dervon der Union befeuerten Kampagne gegen vermeintli-che Betrüger.
Zuwanderer aus Osteuropa kommen nicht hierher, umSozialleistungen zu beziehen. Sie kommen hierher, umzu arbeiten. Das müssen Sie endlich einsehen. Hören Sieauf mit Ihrer unfairen Kampagne!
Arbeitslose EU-Bürger sollen jetzt nach sechs Mona-ten Aufenthalt ihr Aufenthaltsrecht verlieren, wenn siekeine Arbeit haben. Ich möchte einmal die Menschen se-hen, die das schaffen. In Einzelfällen soll sogar von derWiedereinreisesperre Gebrauch gemacht werden. DerKindergeldbezug soll schärfer geprüft werden usw. Daswiderspricht absolut dem Gedanken der europäischenFreizügigkeit. Das lehnen wir auch ganz klar ab.
Meine Damen und Herren, die Kommunen brauchenkeine neuen Gesetze, sondern vor allen Dingen Unter-stützung. Da wird jetzt auch einiges getan. Der Bundgibt Geld an die Kommunen, insbesondere an die, diebedürftig sind. Das ist gut und richtig. Wir schließen unsaber dem Deutschen Städtetag an, der gefordert hat: Wirbrauchen einen Rechtsanspruch auf Integrationskurseauch für EU-Bürger.Mein Appell an die Bundesregierung ist: Belassen Siees bei der Hilfe für die Kommunen! Versachlichen Siedie Debatte! Verzichten Sie auf Verschärfungen des Frei-zügigkeitsrechts! Treten Sie rassistischen Stimmungenentgegen! Nehmen Sie Antiziganismus endlich als Be-drohung in unserer Gesellschaft wahr, und gehen Sieentschlossen dagegen vor!Ich danke Ihnen.
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege
Dr. Lars Castellucci.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Uns liegen der Abschlussbericht des Staatssekretärsaus-schusses zur Zuwanderung und der Regierungsentwurf,mit dem das EU-Freizügigkeitsgesetz geändert werdensoll, vor. Ich möchte auch drei Punkte ansprechen, HerrBundesminister. Zwei Punkte sehen wir ähnlich. Das istgroßkoalitionär doch gar kein schlechter Schnitt.
Bei dem dritten Punkt ist es ein bisschen anders. Aberdas müssen wir miteinander aushalten.Erstens. Dieser Staatssekretärsausschuss war einesehr sinnvolle Einrichtung.
Er hat einen guten Bericht vorgelegt und zur Versachli-chung der Debatte beigetragen.Zweitens. In den Großstädten, in denen sich die Pro-bleme häufen, steht die Bundesregierung mit Hilfen ander Seite dieser Kommunen. Auch das ist eine guteNachricht.
Drittens. Mit diesem Bericht gibt die Bundesregie-rung im Prinzip Entwarnung. Er enthält nämlich keiner-lei Anhaltspunkte, die die Aufregung rechtfertigen wür-den,
die zur Einrichtung dieses Staatssekretärsausschussesgeführt haben.Ich zitiere einmal aus dem Bericht. Erstes Zitat:Die Bundesregierung steht zur Freizügigkeit undDeutschland profitiert davon.
– Applaus. Danke schön.
Guter Bericht. – Zweites Zitat:Diese Menschen sind bei uns willkommen.
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Dr. Lars Castellucci
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Drittes Zitat:Der größte Anteil der Zugewanderten sind Arbeit-nehmer. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt selbstund tragen damit zugleich zum Wohlstand in unse-rem Land bei.
– Das hat auch der Minister gesagt. – Ich würde jetzt amliebsten zehn Minuten lang diese Sätze wiederholen,
weil es mich manchmal in diesem Land etwas wahnsin-nig macht, dass wir wegen 5 Prozent, die vielleicht nichtoptimal sind, die 95 Prozent, die eigentlich gut sind, ausden Augen verlieren, und dass damit draußen Stimmunggemacht wird.
Also: Wir profitieren von Zuwanderung. Wir heißen dieMenschen willkommen, und gemeinsam bringen wirdieses Land voran. Wo es Probleme gibt, halten wir dieAugen offen und finden Lösungen. Das ist unser Weg.Zum Begriff „Versachlichung“. So sachlich, wie wirheute diskutiert haben, könnten wir die Debatte weiterführen. Wenn wir sie so sachlich führen würden, brauch-ten wir keine Staatssekretärsausschüsse, die zur Versach-lichung beitragen müssen.
Denn versachlichen muss man natürlich nur etwas, wasvorher unsachlich war. Dabei ist „unsachlich“ noch einefreundliche Formulierung für einige der Debattenbei-träge, die uns Anfang des Jahres zu Ohren gekommensind.
Es hat ja nicht einzelner Parteien bedurft, um uns aufdiese Probleme hinzuweisen. Vielmehr haben wir unsschon im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wirden betroffenen Städten und Gemeinden helfen müssen.Das ist eine richtige Entscheidung gewesen.Ich will jetzt nicht dieses geflügelte Wort ausspre-chen; aber ich möchte ein Beispiel nennen: Missbrauchder EU-Freizügigkeit. Was damit ausweislich des Be-richts gemeint ist, ist, dass Menschen zu uns kommen,dass also Zuwanderung stattfindet. Wenn aber die Men-schen zu uns kommen, dann missbrauchen sie nicht dieEU-Freizügigkeit, sondern machen von ihrem Recht aufFreizügigkeit Gebrauch.
Das ist so, als würden wir jemandem, der mit 17 oder18 Jahren die Fahrerlaubnis erhält, vorwerfen, dass eranschließend mit dem Auto fährt. Probleme bekommt erfreilich, wenn er über eine rote Ampel fährt. Das istschon richtig; das ist auch gut so. Aber gerade für einenMissbrauch oder zumindest für eine Rechtsverletzungwird mit diesem Bericht kein Datenmaterial vorgelegt.Ich finde, das muss hier klar gesagt werden;
denn das ist die Realität in diesem Lande, und von denrealen Gegebenheiten müssen wir ausgehen, sonst kön-nen wir keine vernünftige Politik machen. Deswegenmöchte auch ich dazu aufrufen, dass wir miteinandereine Rhetorik pflegen, die die Dinge klar benennt – dasist selbstverständlich –, aber gleichzeitig deutlich macht,dass die Menschen, die hier sind, und die Menschen, diezu uns kommen, miteinander auskommen müssen.
Wir werden ohnehin vielfältiger und bunter werden. Dasist nicht immer einfach.Als ich hier in Berlin kürzlich in einem großen Wohn-block war, habe ich im Fahrstuhl eine ältere Dame mitihrem Rollator getroffen, die mir sagte: Gott sei Danksieht man auch einmal wieder ein deutsches Gesicht.
Im Fahrstuhl hatte ich wenig Zeit für Differenzierungenund habe mich auch nicht persönlich vorgestellt.
Ich habe aber auch nicht den blöden Reflex gehabt,gleich zu denken, dass die Dame ausländerfeindlich ist.Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer nur inSchubladen denken.Ich habe mit Blick auf diese Dame folgende Ge-schichte vor Augen gehabt: Sie wohnt dort schon Jahr-zehnte, und ihr ganzes Umfeld verändert sich. Da sindLeute weggezogen, mit denen sie lange zusammenge-wohnt hat. Da sind vielleicht auch Leute verstorben, mitdenen sie befreundet war. Jetzt leben dort andere Men-schen. Da geht es plötzlich anders zu. Es gibt andereBräuche; es riecht vielleicht auch anders. Es ist in die-sem Hause vielleicht auch zu Zeiten laut, zu denen esvorher nicht laut war. Das alles führt zu Irritationen. DieVeränderungen müssen wir erst einmal annehmen undauch gestaltend wirken. Ich frage mich, ob in diesemHaus über die Hausordnung hinaus einmal jemand da-rangegangen ist, die Menschen neu miteinander in Be-ziehung zu setzen, dafür zu werben, dass man sich neue,gemeinsame Spielregeln gibt. Vielfalt, Recht und Gesetzund Spielregeln sind keine Gegensätze, sondern gehörenzusammen. Wir müssen also Vielfalt gestalten. Ich binder Überzeugung: Wenn wir Vielfalt gut gestalten wol-len, dann brauchen wir positive Zukunftsbilder.
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Dr. Lars Castellucci
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Ich probiere das einmal. Also: Deutschland hat60 Jahre Erfahrung mit Arbeitsmigration. Wir habenDinge falsch gemacht. Wir haben aber auch viele Dingegut gemacht. In jedem Fall haben wir eine Menge ge-lernt. Wir wissen jetzt, was gutes Zusammenleben för-dert und ausmacht. Wir wissen: Sprache ist der Schlüs-sel. Wer würde dem in diesem Haus widersprechen?
Wir wissen: Auf gute Bildung kommt es an. Gute Bil-dung führt dazu, dass die Menschen ihre Potenziale ent-wickeln und in die Gemeinschaft einbringen können. Ja,wir setzen jetzt eine Frist von sechs Monaten. Aber wirtun in diesen sechs Monaten alles, damit die Menschenin Arbeit kommen können, damit sie hier ihre Talenteeinbringen können; denn jedes Talent wird in einemLand gebraucht, in dem künftig weniger Menschen le-ben werden. Wir brauchen diese Menschen, um unserenWohlstand zu halten. Wir sehen die Sehnsucht der Men-schen, die Sehnsucht nach Aufstieg, nach einer gutenZukunft für sich selbst und ihre Kinder und vielleichtauch den Willen, denen, die zurückgeblieben sind, zuzeigen: Ja, wir haben etwas gewagt. Jetzt wollen wirauch gewinnen. – Wir machen uns diese Potenziale unddiese Kraft zunutze. Aus diesen individuellen Lebens-wegen erwächst ein Nutzen für Deutschland, wenn wirdas so wollen.Im Bericht heißt es: Wir heißen die Menschen will-kommen. Da heißt es nicht: Wir heißen die Menschen,die willkommen sind, willkommen. Frau Jelpke, das willich Ihnen so sagen. Wir heißen die Menschen willkom-men. Es finden sich in diesem Bericht keinerlei Hin-weise darauf, dass wir Unterscheidungen treffen. Eskann nämlich keine geteilte Willkommenskultur geben.Wenn wir die Willkommenskultur teilen, dann schaffenwir kein Willkommen, sondern stellen das Willkommenunter Vorbehalt. Damit schaffen wir keine Willkom-menskultur, sondern neue Vorbehalte.Natürlich kann man die Zuwanderung auch nicht ein-fach laufen lassen. Man muss sie steuern, man muss siegestalten. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzent-wurf zur Freizügigkeit. Wir können nicht alle Problemeder Welt lösen, schon gar nicht hier.
Deswegen ist mir in der aktuellen Situation, in der soviele Flüchtlinge zu uns kommen, weil sie vor Folter,Krieg und Vergewaltigung, vor Terror fliehen müssen,wichtig, dass wir die Aufnahmebereitschaft in der Be-völkerung erhalten. In meinem eigenen Wahlkreis gibt esOrtsteile, in denen ein Viertel der dort lebenden Men-schen Flüchtlinge sind. Das ist schwierig; aber es istauch toll, was ich dort an Hilfsbereitschaft erlebe. Ichmöchte, damit wir das nicht aufs Spiel setzen, dass wirdeutlich machen: Wir brauchen eine gesteuerte und ver-nünftige Zuwanderung. Wir können die Dinge nicht lau-fen lassen.Wir wollen unterschiedliche Wege nach Deutschlandoffenhalten, aus humanitären Gründen, für die Sicherungdes Fachkräftebedarfs usw.
Deswegen können wir es auch mittragen, dass eine Fristvon sechs Monaten eingeführt wird, die für EU-Bürgergilt, die zur Arbeitssuche einreisen; sie haben in diesensechs Monaten Zeit, Arbeit zu finden. Der EuropäischeGerichtshof räumt uns die Möglichkeit einer Befristungausdrücklich ein. Weiterhin wird der Einzelfall betrach-tet; es gibt keinen Automatismus. Es ist vorgesehen, dassjemand, der sich ernsthaft um Arbeit bemüht, weiterhierbleiben kann.Der Gesetzentwurf enthält auch manches, was sichSozialdemokraten alleine vielleicht nicht ausdenkenwürden. Aber er enthält auch kluge Vorschläge.Frau Jelpke, ich schätze Sie,
und Sie haben ein großes Herz. Das meine ich ernst.Aber selbst Sie wollen doch kein Kindergeld an Kinderzahlen, die es gar nicht gibt.
Deswegen ist es doch klug, wenn wir Vorkehrungen tref-fen, dass wir Kindergeld wirklich nur an diejenigen zah-len, die auch kindergeldberechtigt sind.
Es ist auch sinnvoll – der Bundesminister hat daraufhingewiesen –, dass wir prüfen, ob wir die Lebenshal-tungskosten in den Herkunftsländern betrachten, wenndie Kinder dort leben und nicht hier bei uns. Dass manSchwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit bekämpft, istauch im Interesse der Linken. Denn auch Sie wollen ge-meinsam mit uns für ordentliche Verhältnisse auf demArbeitsmarkt sorgen. Deswegen sind diese Regelungenim vorliegenden Gesetzentwurf ebenfalls sinnvoll.
Meine Damen und Herren, ich möchte mit demschließen, was ich eingangs gesagt habe. Wir haben Pro-bleme, die sich auf einige wenige große Kommunen be-ziehen. Dort müssen die Hilfen jetzt auch schnell an-kommen. Aber wir profitieren von Freizügigkeit. Wirheißen die Menschen hier willkommen, und wir wissenseit der Vorlage des Berichts des Staatssekretärsaus-schusses, dass der größte Anteil derjenigen, die zu unskommen, den Lebensunterhalt selbst finanzieren kannund zum Wohlstand in diesem Land beiträgt. Gute Nach-richten!Vielen Dank.
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Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Volker Beck.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! GuteRede, Herr Castellucci, vor allen Dingen der erste Teil,in dem Sie sich nicht zum Gesetzentwurf geäußert ha-ben.
Die Freizügigkeit in der EU ist eine der wichtigstenErrungenschaften des europäischen Einigungspro-zesses und einer der sichtbarsten Vorzüge Europasfür die Bürgerinnen und Bürger.So steht es im Gesetzentwurf. Das ist richtig, und so weitgehen ungefähr die Gemeinsamkeiten zwischen uns undden Vorstellungen der Koalition. Richtig ist auch: Sieentlasten die Kommunen mit 25 Millionen Euro im Jahr.Das ist aber bei weitem nicht ausreichend. Das ist ange-sichts der Problemlage eher ein Witz.
Aber dieser Gesetzentwurf – der Minister hat es ein-gangs erwähnt – hat eine Geschichte. Er ist die Konse-quenz der Kampagne der CSU unter dem Motto „Wer be-trügt, der fliegt“. Ich meine jetzt nicht Frau Haderthauer;ich meine die Bulgaren und Rumänen, denen Sie das un-terstellt haben. Damit haben Sie eine Kampagne betrie-ben und eine Welle gemacht, auf der die AfD locker indrei Landtage surfen konnte. Das gehört zu Ihrer politi-schen Verantwortung; denn die Fakten geben Ihre Kam-pagne nicht her.
Ich habe die Bundesregierung wiederholt gefragt, obsie jetzt Zahlen hat, weil sie nicht im Bericht stehen. DieBundesregierung hat geantwortet: Für das Jahr 2013wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik in SachenSozialversicherungsbetrug 10 Bulgaren und 50 Rumä-nen erfasst – als Tatverdächtige wohlgemerkt, nicht alsVerurteilte bzw. festgestellte Straftäter. In Bezug auf So-zialleistungsbetrug – Kindergeld gehört dazu – waren es44 Bulgaren und 91 Rumänen, wiederum als Tatver-dächtige.Im Gesetzentwurf finden wir eine Regelung zur Kin-dergeldzahlung, gegen die ich in der Sache nichts habe.Sie war übrigens schon einmal Gegenstand einer Frageder Kolleginnen Franziska Brantner und Lisa Paus, diesie in der Fragestunde an die Regierung gerichtet haben.Damals ging es aber nicht um Bulgaren und Rumänen.Es ging auch nicht um 40 oder 90 Tatverdächtige. Esging vielmehr um die Zahl von 2 400 Fällen mit einemSchaden von 6,5 Millionen Euro durch Kindergeldbe-trug. Laut Rechnungshofbericht von 2009 waren die Tä-ter deutsche Beamte. Es geht also nicht um eine Rege-lung, die die schlimmen Sozialbetrüger aus demeuropäischen Ausland betrifft, sondern um eine Rege-lung, die Sie machen mussten, weil es bei den Familien-kassen keine Ordnung und keinen Datenabgleich gibt.Es ist richtig, den Doppelbezug zu verhindern. Aber so-weit ich weiß, sind unter deutschen Beamten überwie-gend keine Rumänen und Bulgaren; das ergibt sich ausder Natur der Sache. Daher ist es infam, diesen EU-Bür-gern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das zeigt dieVerlogenheit der ganzen Debatte.
Genauso infam und absurd ist das, was Sie im Hin-blick auf das EU-Freizügigkeitsrecht vorschlagen. Siehaben wohlweislich die gegenwärtige Rechtslage als denRegelungsgehalt Ihres Gesetzentwurfs dargestellt. Dawäre ich bei Ihnen; denn die geltende Rechtslage ist ver-nünftig. Wer ernsthaft Arbeit sucht, darf bei uns längerals sechs Monate bleiben. Das kann die Ausländerbe-hörde relativ gut beurteilen. Sie muss nur darauf achten,was der Betreffende macht, um Arbeit zu finden. Wenner nichts tut, muss er schon nach heutiger RechtslageDeutschland verlassen, weil es ohne ernsthafte Arbeits-suche keinen Grund zum Aufenthalt gibt. Aber Sie ver-langen nun von den Ausländerämtern, was nur dieArbeitsagenturen leisten können. Die Ausländerämtersollen beurteilen, ob die Betreffenden mit Aussicht aufErfolg Arbeit suchen. Wie soll das der Jurist in derAusländerbehörde, der Paragrafen, aber nicht den Ar-beitsmarkt kennt, überhaupt beurteilen? Diese sinnloseRegelung wird zu vielen Prozessen und falschen Ent-scheidungen in der Sache führen.
Nun zum Erschleichen der Freizügigkeit. Herr deMaizière, ich weiß, dass Sie ein kluger Mann und einsehr guter Jurist sind – ich bin keiner – und sich ausken-nen. Warum Sie sich das von Herrn Seehofer in den Ge-setzentwurf haben diktieren lassen, ist mir schleierhaft.Sie wollen das Erschleichen der Freizügigkeit mitWiedereinreisesperren belegen und so Sozialbetrug be-kämpfen. Nun besagt die EU-Freizügigkeitsrichtlinie inArtikel 35 klipp und klar: Eine Entscheidung, die dieFreizügigkeit von Unionsbürgern beschränkt und nichtaus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit undGesundheit erlassen wird, darf nicht mit einem Einreise-verbot des Aufnahmemitgliedstaats einhergehen. – DieseRegel ist klipp und klar. Ihre Regelung ist also von vornebis hinten EU-rechtswidrig und verstößt gegen denWortlaut europäischen Rechts. Wie Sie wissen, sind öf-fentliche Ordnung und Sicherheit im europäischen Rechtnicht so zu verstehen wie im deutschen Polizeirecht.Dazu gibt es eine Rechtsprechung des Europäischen Ge-richtshofes. Dieser hat in einem Urteil gesagt: Die Tatsa-che einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sichallein nicht. – Dann genügt das falsche Ausfüllen einesSozialhilfeantrags oder eines ALG-II-Antrags erst rechtnicht. Ihre Regelung ist also Makulatur. Der EuGH musssie aufheben, wenn Sie nicht zu Verstand kommen. Ichverstehe nicht, wie Sie nach Ihrer Rede einen solcheneuroparechtswidrigen Unsinn mitmachen können. IhreRegelung dient nur dazu, die EU-Freizügigkeit in ihremBestand zu diskreditieren. Das sollten wir nicht tun. Im
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4974 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Volker Beck
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Gegenteil: Wir sollten sie verteidigen gegen die Ratten-fänger von der AfD.
Herr Kollege Beck, auch bei großzügigster Ausle-
gung ist die Redezeit limitiert.
Das ist schade. Aber im Wesentlichen bin ich fertig.
Streichen Sie aus Ihrem Gesetzentwurf den Teil be-
treffend die EU-Freizügigkeit! Über die Kindergeldrege-
lung – weil sie in einem anderen Zusammenhang richtig
ist – und die Hilfe für die Kommunen können Sie mit
uns jederzeit reden.
Bevor ich jetzt unserer Kollegin Andrea Lindholz für
die CDU/CSU das Wort erteile, möchte ich ihr herzlich
gratulieren, weil sie heute Geburtstag hat. Herzlichen
Glückwunsch und ein glückliches neues Lebensjahr!
Bitte, Frau Lindholz.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damenund Herren! Zuerst möchte ich dem Staatssekretärs-ausschuss für den detaillierten Bericht danken. Auf die-ser Basis können wir uns einer zentralen Fragestellungzuwenden: Wie kann die europäische Freizügigkeit mitden nationalen Sozialleistungssystemen in Einklanggebracht werden? Der Bericht zeigt uns, dass die Mi-grationsströme aus den EU-Staaten nach Deutschlandzunehmen. Die steigende Mobilität der Europäer istgrundsätzlich zu begrüßen und gewollt. Allerdings istdie wesentliche Ursache dieses Zuwachses die anhaltendschwierige wirtschaftliche Lage in Teilen Europas.Die nationalen Sicherungssysteme werden von jedemMitgliedstaat selbstständig gestaltet und finanziert.Deutschland ist durch seine Wirtschaftskraft in der Krisezum Stabilitätsanker für unzählige Europäer geworden,und darauf können wir stolz sein.
Natürlich profitiert Deutschland auch von der unkom-plizierten Zuwanderung im Rahmen der europäischenFreizügigkeit. Der Zuzug von Facharbeitern aus der EUmacht es gerade kleinen und mittleren Unternehmenleichter, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wir brau-chen zweifellos die Zuwanderung aus der EU. Aber dieeuropäische Freizügigkeit darf auch nicht sakrosanktsein. Wir dürfen nicht nur ihre Vorteile sehen, sondernwir müssen auch Probleme und Fehlentwicklungen an-sprechen, sachlich diskutieren und die Freizügigkeit beiBedarf neu ordnen.
Der Bericht belegt eindeutig, dass die Freizügigkeitauch Probleme verursacht. Binnen Jahresfrist ist dieZahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus Ru-mänien und Bulgarien in einigen deutschen Kommunenum 40 Prozent, 80 Prozent, ja sogar um 147 Prozent ge-stiegen. Vor allem in den strukturschwachen Regionenund den Großstädten führt das zu erheblichen Proble-men, und das bestätigen uns die betroffenen Kommunenauch immer wieder.Es ist daher nur konsequent, dass der Bund noch indiesem Jahr 35 Millionen Euro bereitstellen wird – unddas sind keine Peanuts –, um die Kommunen bei denKosten für Wohnung, Heizung und Gesundheitsvorsorgezu entlasten.
– Das mögen für Sie Peanuts sein, für mich sind es keinePeanuts.Ebenfalls werden Integrations- und Sprachkurse anBrennpunkten intensiviert. Der Bund stellt über das Pro-gramm „Soziale Stadt“ in den nächsten Jahren 200 Mil-lionen Euro zur Verfügung, die die Kommunen durch ei-gene, passgenaue Lösungen abfragen können. DieBundesregierung nimmt damit ihre Verantwortung ge-genüber den deutschen Kommunen und Europa gleicher-maßen wahr.Es wäre aber falsch, zu glauben, dass wir diesen He-rausforderungen, die die europäische Binnenmigrationmit sich bringt, alleine mit der Bereitstellung von Steuer-geldern begegnen könnten. Die Wahlergebnisse der letz-ten Monate zeigen, dass auch in Deutschland die öffent-liche Zustimmung für ein zusammenwachsendes Europakeine Selbstverständlichkeit ist. Als Bundespolitiker tra-gen wir besondere Verantwortung, das Vertrauen unsererBevölkerung in die Europäische Union zu stärken.
Wenn die europäische Freizügigkeit missbrauchtwird, um vom deutschen Sozialleistungssystem zu profi-tieren – da genügt ein einzelner Fall –, dann leidet ge-rade dieses Vertrauen. Betrug und Missbrauch dürfenwir nicht dulden; denn auch das schadet der europäi-schen Idee.
– Ich hatte sie nicht, Herr Kollege Beck. Ich bin erst seitSeptember letzten Jahres im Deutschen Bundestag.Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung desFreizügigkeitsgesetzes setzt ein wichtiges Signal: DieBundesregierung benennt Missstände im Rahmen der
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4975
Andrea Lindholz
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europäischen Integration und will sie auch beheben. DerGesetzentwurf stellt das Erschleichen von Aufenthalts-karten unter Strafe. Im Betrugsfall können Wiedereinrei-sesperren von bis zu fünf Jahren verhängt werden. DerAufenthalt zur Arbeitssuche wird generell auf sechs Mo-nate befristet. Wer nach einem halben Jahr keine begrün-dete Aussicht auf Arbeit hat, muss ausreisen. An dieserStelle möchte ich dem Kollegen Beck zustimmen: Auchnach meiner Auffassung sollten wir die begründete Aus-sicht in der Gesetzesbegründung an konkrete und über-prüfbare Kriterien knüpfen, um den Gerichten eine ein-heitliche Rechtsprechung zu ermöglichen. Vorschlägehierzu habe ich selbst unterbreitet.Die Behörden werden im Kampf gegen Schwarzar-beit und Scheinselbstständigkeit besser vernetzt. Die Ge-werbeämter sollen schon den ersten Verdachtsfall aufScheinselbstständigkeit prüfen und ihn direkt der Fi-nanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll melden. Schließ-lich werden durch die Steueridentifikationsnummer, diejetzt angegeben werden muss, Missbrauch und vor allenDingen Doppelzahlungen verhindert. Dieses Maßnah-menbündel stärkt das Vertrauen in Europa, und es zeigtauch, dass die Bundesregierung handelt.Ich sehe aber nicht nur eine Gefahr für die Zustim-mung zu Europa in Problemen oder im Missbrauch. ZumBeispiel wirft auch der legale Bezug von Kindergeld Ge-rechtigkeitsfragen auf, die wir nicht einfach ignorierensollten. Ich begrüße daher ausdrücklich den im Berichtenthaltenen Prüfauftrag. EU-Bürger, die in Deutschlandarbeiten, haben einen legalen Anspruch auf Kindergeld,egal ob ihr Kind in Deutschland oder im europäischenAusland lebt. Das ist dem Grunde nach auch richtig. Istes aber richtig, dass ein Kind, das zum Beispiel in Polenlebt, die gleichen 184 Euro Kindergeld erhält wie einKind in Deutschland? Laut Eurostat liegt das Preisni-veau für Lebensmittel in Polen um 45 Prozent unter demdeutschen Niveau.
Alle Kinder, die in Deutschland leben, werden damit imErgebnis schlechtergestellt, unabhängig davon, ob siedeutsche oder andere Staatsbürger sind.Daher bin ich der Auffassung, dass wir das Kinder-geld an die Lebenshaltungskosten am Wohnort anpassensollten.
Nicht umsonst bzw. aus gutem Grund haben wir einesolche Abstufung bereits im Unterhaltsrecht und im Ein-kommensteuerrecht beim Kinderfreibetrag. Das Kinder-geld dient ebenso wie der Kinderfreibetrag explizit derSicherung des steuerfreien Existenzminimums inDeutschland.Die Freizügigkeit ist ein großer Fortschritt. Ich willsie auch nicht infrage stellen, aber sie muss mit den na-tionalen Sozialleistungssystemen harmonieren. Ich binmir sicher, dass wir hier auf europäischer und nationalerEbene Handlungsspielräume haben, die wir nutzenkönnten. Jede Sozialleistung in einem Land hat dort einebestimmte nationale Zielvorgabe zu erfüllen. Eine Ab-stufung des Kindergelds wäre ein Signal für ein gemein-sames Europa, das auch in der Lage ist, offensichtlichenationale Unterschiede zu berücksichtigen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Damit
schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungs-
punkt.
Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/2581, 18/960 und 18/2470 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Weil sich kein Widerspruch erhebt, gehe ich
davon aus, dass Sie mit den Überweisungen einverstan-
den sind.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Friedrich Ostendorff, Steffi Lemke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Tierschutz ernst nehmen – Tierleid verhin-
dern
Drucksache 18/2616
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Nicole Maisch, Bündnis 90/Die Grü-
nen, das Wort.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Als Christian Schmidt, der Agrarminister, letzte Wocheseine Initiative für mehr Tierwohl vorgestellt hat, warich zunächst einmal überrascht, nicht darüber, dass er dieInitiative ergriffen hat – irgendwann in dieser Legislaturmusste ja einmal eine Initiative kommen –, sondern da-rüber, dass er dieses Werk „Eine Frage der Haltung“ ge-nannt hat. Das ist clever plagiiert. Das ist nämlich eingrüner Slogan, mit dem wir nicht zuletzt bei der Land-tagswahl in Niedersachsen Jahrzehnte schwarzer Agrar-politik abgelöst haben.
Aber bei Tierschutz führen wir keine Urheberrechtsde-batten. Da können Sie sich die Etiketten gern nehmen,wenn denn auch der Inhalt stimmt. Das ist in diesem Fall
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Nicole Maisch
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leider nicht so. Das ist ein Etikettenschwindel gegenüberder Bevölkerung in diesem Land.
Meine Damen und Herren, der Tierschutz brauchtklare Regeln, keine Lippenbekenntnisse, und das sehennach einer aktuellen Umfrage von PROVIEH 91 Prozentder Deutschen so. 91 Prozent der Deutschen möchtenklare Gesetze, bessere Gesetze zum Schutz der Tiere.Aber diese Bundesregierung und diese Koalition sind of-fensichtlich nicht dieser Meinung.Die Tierwohlinitiative des Ministers will ausschließ-lich freiwillige Verbindlichkeit. Das ist nicht nur seman-tisch interessant, sondern auch weitgehend wirkungslos.Sie spielen auf Zeit – und das auf Kosten der Tiere.
Für echten Tierschutz müssten Sie Haltung zeigen,müsste der Minister Haltung zeigen, und zwar vor allemgegenüber der eigenen Fraktion. Wer hat denn bei derletzten Tierschutznovelle auch noch die kleinste Verbes-serung kleingehäckselt? Das waren Abgeordnete derUnion. Das waren die eigenen Staatssekretäre von IlseAigner.Die Koalition sagt: informelle Gesprächsrunden zumTierschutz. Wir sagen: Dieses Parlament, dieser Raumhier ist der Ort, um über mehr Tierschutz zu debattieren.
Deshalb haben wir Ihnen einen Antrag vorgelegt, in demwir Ihnen das präsentieren wollen, was nicht nur dieGrünen, sondern auch Millionen von Bürgerinnen undBürgern in diesem Land von der Politik erwarten. Er-möglicht werden muss nämlich ein würdiges Dasein fürdie Tiere in diesem Land. Das bedeutet: Endlich Schlussmachen mit Qualzuchten!Ich sage Ihnen: Die Leute in diesem Land wollenkeine Puten mehr, die unter dem Gewicht ihres eigenenBrustfleischs zusammenbrechen. Die Leute wollen keineSauen mehr, die so viele Ferkel werfen, dass ein Teil da-von auf der Steilkante kaputtgeschlagen werden muss.Die Leute in diesem Land wollen auch keine Rasse-hunde, die so dicke Köpfe haben, dass die Welpen nichtmehr auf natürlichem Wege geworfen werden können,sondern dass der Tierarzt per Kaiserschnitt nachhelfenmuss. Das ist pervers. Das kann so nicht bleiben. Da-rüber muss man nicht lange reden, sondern das muss einEnde haben.
Ich sage Ihnen: Die Ställe in diesem Land müssensich den Bedürfnissen der Tiere anpassen, nicht die Tieremüssen den Bedürfnissen der Ställe gemäß zurechtge-schnippelt werden.Kühe haben Hörner, Hühner haben spitze Schnäbel,und Schweine haben Ringelschwänze. Eine Tierhal-tungsform, der dazu nichts anderes einfällt, als zu ampu-tieren und abzuschneiden, statt für Auslauf, Bewegungund Beschäftigung der Tiere zu sorgen, hat ihre ethischeLegitimation verspielt.
Der Minister tippt in seiner Tierwohlinitiative vielewichtige Themen an. Das muss man ihm lassen. Er hatdie richtigen Überschriften gesetzt. Wenn er aber im Zu-sammenhang mit dem illegalen Welpenhandel die Tier-schutzverbände zum runden Tisch einlädt, dann muss erauch darauf hören, was die Fachleute sagen. Diese sagenzum Beispiel, Hunde müssen gekennzeichnet werden.Das findet Staatssekretär Bleser aber überflüssig. Ichfinde, man braucht sich nicht zusammenzusetzen, um zureden, wenn man den Rat der Experten dann doch nichthören möchte.
Wenn man wirklich für mehr Tierwohl sorgenmöchte, dann muss man das vergurkte Tierschutzgesetzder vergangenen Legislaturperiode angehen. Das sagennicht nur die Grünen, sondern das sagt auch die EU-Tier-versuchsrichtlinie. Diese schreibt eine faire Abwägungzwischen Tierschutz- und Forschungsinteressen vor. Dassind zwei Interessen von Verfassungsrang, die gegenein-ander abgewogen werden müssen.Ich sage Ihnen: Wenn es immer noch so ist, dass fürdas Antifaltenmittel Botox jedes Jahr Tausende vonMäusen totgespritzt werden, dann stimmt doch irgendet-was nicht bei dieser Abwägung. Botox auf der einenSeite, Mäuse totspritzen auf der anderen Seite. Ist daswirklich eine faire Abwägung, wenn wir nicht einmal inder Lage sind, diese Praxis zu beenden? Schließlich gibtes schon tierversuchsfreie Alternativen.
Ich finde, dadurch wird sehr deutlich: Sie haben beider Tierschutznovelle Dinge verschlafen und schlechtumgesetzt. Weil im Zusammenhang mit dem Tierschutzin diesem Land so viel im Argen liegt, brauchen wirschlagkräftige Strukturen in Deutschland, um die Tierezu schützen.In einigen Bundesländern haben wir gute Erfahrun-gen mit dem Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisa-tionen gemacht. In Hessen und in Baden-Württemberghat man gute Erfahrungen mit einem Beauftragten bzw.mit einer Beauftragten für Tierschutz gemacht. Dasmöchten wir auch für die Bundesebene.
Meine Damen und Herren, Tierschutz ist eine Frageder Haltung. Damit hat der Minister recht. Wir werdenihn daran messen, ob er bei dieser Frage auch Rückgratbeweisen kann und wirklich etwas Substanzielles zumSchutz der Tiere in diesem Land erreichen wird.Ich danke Ihnen.
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Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU
der Kollege Dieter Stier.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beratenheute über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-nen mit dem Titel „Tierschutz ernst nehmen – Tierleidverhindern“.
Zunächst einmal bin ich den Fraktionsgeschäftsfüh-rern sehr dankbar, dass wir heute ein landwirtschaftli-ches Thema und damit ein Thema, das in großer Breiteden ländlichen Raum in unserem Land tangiert, nichtfünf Minuten vor Mitternacht, sondern jetzt debattierenkönnen.
Ich glaube im Übrigen, Agrarthemen haben es ver-dient, zur besten Sendezeit im Hohen Haus beraten zuwerden.
Wie ernst die Union das gesellschaftlich bedeutendeThema des Tierwohls nimmt und wie viel Aufmerksam-keit sie diesem Thema schenkt, das konnten wir mit dergerade von Ihnen zitierten Tierwohlinitiative unseresBundeslandwirtschaftsministers verdeutlichen,
die in der vorigen Woche einer breiten Öffentlichkeitvorgestellt wurde und die Sie gestern persönlich mit ihmim Agrarausschuss debattieren konnten. Herr Staatsse-kretär, ich bitte Sie, dem Minister noch einmal einenherzlichen Dank auszurichten.
Diese Große Koalition wird dem Tierwohl – das ha-ben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart – künftignoch mehr Bedeutung beimessen als bisher. Meine Da-men und Herren, wir leben in einem Land, das bereitsheute die höchsten Tierschutzstandards der Welt aufzu-weisen hat. Gleichwohl gibt es nichts, das man nichtnoch besser machen kann. Sie, liebe Antragsteller, ver-suchen nun, aufgeschreckt vom positiven Echo auf dieInitiative des Ministers, mit Ihrem eingebrachten Antragden erfolgreich eingeschlagenen Weg zu mehr Tierwohlwieder einmal öffentlich zu beschädigen, anstatt an kon-struktiven Lösungen mitzuwirken.
Liebe Frau Maisch, ich sage es Ihnen gleich zu Be-ginn: Ihr Kalkül mit dem Bemühen der grünen Angst-industrie wird nicht aufgehen. Eine verantwortungsbe-wusste Politik, geschätzte Kollegen der Opposition,erkennt man immer daran, dass man Lösungsmöglich-keiten aufzeigt, die realistisch und auch umsetzbar sind.
Diesem Ziel fühlen wir uns als Union verpflichtet.Wie diese Tierschutzvorstellungen in einer Gesell-schaft mit modernen landwirtschaftlichen Produktions-methoden, aber auch Verbraucher- und Tierschutzver-bandsinteressen in Einklang zu bringen sind, wird imEckpunktepapier von Minister Schmidt umfassend undin zehn Punkten fundiert festgeschrieben.
Es ist eine tragfähige, programmatisch dichte Tier-schutzkonzeption geworden, die uns über die Legislatur-periode hinaus verpflichtet. Der von uns befürworteteund mitgetragene Maßnahmenkatalog für mehr Tierwohlist ambitioniert, seine Vorhaben sind aber realistisch.Sehr geehrte Kollegen der Bündnisgrünen, nun zu ei-nigen Forderungen aus Ihrem Antrag im Detail. Wennich einen Blick in diesen Antrag werfe, muss ich mitEnttäuschung feststellen, dass Sie an den tatsächlichenErfordernissen eines zeitgemäßen Tierschutzes wiedereinmal völlig vorbei argumentieren. Ihre willkürlicheZusammenstellung und Auflistung alter Forderungenzeigt, dass Sie nicht willens sind, einen verantwortlichenund gesellschaftlich akzeptierbaren Beitrag zum Tier-schutz in Deutschland zu leisten, sondern dass Sie Emo-tionen schüren wollen. Das ist für mich persönlich ent-täuschend.
Drei Strukturelemente liegen Ihrem Antrag zugrunde:Unterstellungen, Fehleinschätzungen und überdies nochfachliche Unkenntnis. Lassen Sie mich hierzu nachfol-gend einige Beispiele herausgreifen, die das belegen undIhren Irrweg aufzeigen werden.Zuerst möchte ich auf Ihre Unterstellungen eingehen,mit denen Sie uns vorwerfen, nichts zu unternehmen, ob-wohl wir im Tierschutz erwiesenermaßen sehr aktivsind. Sie fordern in Ihrem Antrag, man müsse Tieren inder Landwirtschaft ein würdiges Dasein ermöglichen.Sie haben meine volle Zustimmung für diese Aussage.Der Punkt ist, dass dies bereits überwiegend der Fall ist.Mit der erst in der letzten Legislaturperiode erfolgtenNovellierung des Tierschutzgesetzes wurden weitereVerbesserungen auf den Weg gebracht.
– Dazu komme ich gleich noch.Mit der Novelle des Arzneimittelgesetzes wurde derAntibiotikaeinsatz bereits wirksam gesenkt. Ich bin auchüberzeugt, dass die Initiative der Branche weitereVerbesserungen bringen wird. Man kann nicht oft genugöffentlich feststellen, dass wir bereits über höchste Stan-
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dards, auch im europäischen und internationalen Maß-stab, verfügen.
Selbstverständlich gibt es auch schwarze Schafe.Die vorhandenen Sanktionsmechanismen unserer Tier-schutzgesetzgebung geben jedoch heute schon die Mög-lichkeit, die Verantwortlichen ohne Ansehen der Personzur Rechenschaft zu ziehen. Ich glaube, auch der Voll-zug in den Bundesländern muss hierzu einen Beitragleisten.Ich habe übrigens Vertrauen in unsere Behörden.Kontrollen und Sanktionen geschehen aber oft auchohne mediale Begleitung und reißerische Berichterstat-tung, sodass es von den ewigen Kritikern nicht wahrge-nommen wird.
Sie unterstellen weiter, wir würden einer ungeregeltenIntensivtierhaltung freien Lauf lassen. Das ist eines Ihrerabsoluten Lieblingsargumente. Erstens haben Sie uns bisheute keine Definition geliefert, was Sie unter den vonIhnen häufig gebrauchten Begriffen verstehen. Zweitenssage ich Ihnen: Jeder Stallneubau in diesem Land bringtVerbesserungen für das Tierwohl. Es wäre deshalb hilf-reich, diese Maßnahmen vor Ort nicht ständig zu verhin-dern.
Wir treten zielbewusst mit zahlreichen Maßnahmenan, um die Haltungsbedingungen weiter zu verbessern.Es gilt, sie den Bedürfnissen der Tiere weiter anzupas-sen.Die Tierwohlinitiative des Landwirtschaftsministerssieht dabei auch vor, einige nicht kurative Eingriffe beiNutztieren zu beenden. Dabei dürfen nach unserer Auf-fassung aber keine neuen Tierschutzprobleme entstehen.Wir setzen hier auf einen konsensstiftenden Dialog derbeteiligten Akteure. Sie wollen ausschließlich mit Ver-boten und Regulierungsinstrumenten gegen landwirt-schaftliche Betriebe zu Felde ziehen. Das unterscheidetuns.
Forderungen zu stellen, die kein landwirtschaftlicherBetrieb in der Praxis umsetzen kann, ohne seine ökono-mische Existenz und damit seine landwirtschaftlicheProduktion selbst aufs Spiel zu setzen, sind mit uns nichtzu machen.Meine Damen und Herren, wir schauen nicht weg,sondern stellen uns auch den hochkontroversen Tier-schutzthemen. Es ist uns klar, dass zum Beispiel die Tö-tung männlicher Küken in der jetzigen Form von derMehrheit der Gesellschaft keine Akzeptanz mehr erfährt.
Auch hier handeln wir entschlossen. Ergebnisse der For-schung zur Geschlechtsbestimmung an Hühnereiernwerden bereits Anfang 2015 vorliegen. Dank der Tier-wohlinitiative wird das BMEL die Umsetzung eines ge-eigneten Verfahrens zur Geschlechtsbestimmung am Eiin der Praxis begleiten und damit eine neue Lösung aufden Weg bringen. Das ist ein Beispiel, an dem deutlichwird, dass wir die aus der Gesellschaft an uns herange-tragenen Tierschutzvorstellungen sehr ernst nehmen.
Ich begrüße es, dass es in diesem Zusammenhang ei-nen Kompetenzkreis Tierwohl geben wird: Praktiker,Wissenschaftler und Vertreter von Tierschutzverbändenund berufsständischen Organisationen werden die Um-setzung politischer Maßnahmen kenntnisreich begleitenund sich mit eigenen Vorstellungen einbringen. Darüberhinaus haben wir, schon bevor die Tierwohlinitiativevorgestellt wurde, in beträchtlichem Maße neue For-schungsmittel in den Agrarhaushalt eingestellt, um diefinanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dasTierwohl zu stärken. Ihr Vorwurf, wir würden die Augenverschließen und den Nutztieren in der Landwirtschaftein würdiges Dasein verwehren, entbehrt jeder seriösenGrundlage.
Zweitens. Im Folgenden möchte ich auf den nächstengroßen Schwachpunkt Ihres Antrages, nämlich Ihre wie-derkehrende Neigung zu Fehleinschätzungen, eingehen.Richten wir hierfür unseren Blick einmal exemplarischauf die Tiere, die in deutschen Tierheimen untergebrachtsind. Sie verlangen in Ihrem Antrag, die Situation derTierheime zu verbessern.
Gut, dieser Forderung kann ich vorbehaltlos zustimmen.Das ist richtig, muss unterstützt werden und ist im Koali-tionsvertrag vereinbart; wir haben uns dazu bekannt.Doch dann wird es abenteuerlich: Sie fordern nämlich,die „Versorgung von abgegebenen oder entlaufenenHaustieren auch in Fällen überdurchschnittlicher Belas-tungen“ der Tierheime zu ermöglichen. Das klingt zu-nächst harmlos und tierlieb. Doch wissen Sie eigentlich,was das konkret heißt? Das ist das Gegenteil von Tier-schutz. Schlimmer noch: Es ist falsch verstandener Tier-schutz. Sie leisten damit einer unverantwortlichen Über-füllung von Tierheimen rücksichtslos Vorschub, undzwar auf Kosten von Tieren und Gesellschaft. Sie for-dern hier praktisch die Überbelegung.Wohin die fatalen, unsinnigen Forderungen führen,die Sie hier aufstellen, kann ich Ihnen heute aus meinerHeimatstadt Weißenfels brandaktuell – in der Mitteldeut-schen Zeitung vom Dienstag dieser Woche nachzulesen –berichten. Dort leitet eine nach Ihrem Verständnis be-
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geisterte Tierschützerin ein Tierheim, dem Ende des Jah-res die Schließung droht, und zwar weil die Leiterin dieForderung aus Ihrem Antrag wortwörtlich umgesetzthat. Die Mängelliste ist erschreckend: kein Buch überden Bestand an Katzen, Heim- und Quarantänezimmerüberbelegt, weder Büro noch Behandlungsraum vorhan-den, Leiterin ohne Befähigungsnachweis, und dieKatzen fristen ihr Dasein im Dunkeln, bei hygienischenProblemen und baulichen Mängeln. Die Tierheimleiterin– so kommuniziert es die Facebook-Community –sammle regelrecht Katzen, ohne dass sie auch nur eineherausrücke. Das, liebe Kollegen, ist nicht das, was wirwollen.Drittens. Zuletzt will ich auf den Aspekt der fachli-chen Unkenntnis eingehen. Selbstverständlich werde ichdas auch heute am Beispiel Ihrer erneuten Forderungnach dem Verbot des Schenkelbrandes, einer langjährigbewährten Methode der Kennzeichnung von Pferden,tun.
Hier fühle ich mich nicht nur als Landwirt, sondern auchals ausgebildeter Pferdewirtschaftsmeister berufen, Ih-nen einiges in Erinnerung zu rufen, was Sie offenbarschon vergessen haben.
Dass Sie dieses Thema wieder hervorholen, obwohl wires bereits in der letzten Legislaturperiode erschöpfendparlamentarisch beraten und abgeschlossen haben,
zeigt nur, dass Ihnen offenbar die Themen ausgehen. Esgab eine Anhörung im Agrarausschuss, die alle wesentli-chen Aspekte fachlich beleuchtete.
Das Parlament hat mit großer Mehrheit und nach klarer,reiflicher Überlegung und Abwägung der Argumenteentschieden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Siemich am Ende noch einmal grundsätzlich festhalten: Diewachsende Bedeutung der Tierschutzbelange in der Ge-sellschaft verlangt nach der richtigen Antwort, also nachunserer Tierwohlinitiative. Als Abgeordnete dieses Hau-ses unterstützen wir den Tierschutz mit ergänzendenMitteln. Wir werden das Thema kritisch begleiten, wo esuns geboten erscheint.Wir lehnen Ihren Antrag ab, weil wir den Tierschutzbereits sehr ernst nehmen, weil wir bereits Tierleid ver-hindern und – ich ergänze Ihre Überschrift – weil wiruns bereits heute für mehr Tierwohl einsetzen.Vielen Dank.
Für die Linke spricht jetzt der Kollege Hubertus
Zdebel.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen undHerren! Es ist sehr zu begrüßen, dass wieder verstärktüber Tierschutz und Tierwohl geredet und diskutiert wird,auch hier im Deutschen Bundestag. GesellschaftlicherDruck konnte zwar bereits einige Verbesserungen zumWohl der Tiere durchsetzen, doch wir sind noch weit voneinem wirksamen Tierschutz entfernt. Die Linke ist derMeinung, dass Tiere als Wesen zu akzeptieren sind undnicht wie Sachen behandelt werden dürfen.
Darüber haben wir in der Vergangenheit immer wie-der gestritten. In der vergangenen Legislaturperiode ha-ben wir viele Anträge dazu eingebracht, zum BeispielEindämmung von Megaställen, zum Ausstieg aus derQualzucht, zur Einführung eines Verbandsklagerechtsfür Tierschutzverbände und vieles mehr. Ich füge hinzu:Wäre in der vergangenen Legislaturperiode nur einer un-serer Vorschläge tatsächlich aufgegriffen worden, wärenwir, was das Tierwohl angeht, jetzt sicherlich ein erheb-liches Stück weiter.
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dassdie Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber der Agrar-und Lebensmittelindustrie schwindet.Eigentlicher Hintergrund für die heutige Diskussion– das ist deutlich geworden – ist die in der vergangenenWoche angekündigte sogenannte Tierwohlinitiative desLandwirtschaftsministers. Wir werden diese Tierwohl-initiative in den Punkten unterstützen, wo den Ankündi-gungen auch Taten folgen, die zu spürbaren Verbesse-rungen für das Tierwohl führen. Das ist völlig klar. Wirwerden den Minister aber auch scharf kritisieren undstellen, wenn es bei der jetzigen Ankündigungspolitikbleibt.
Wir finden es erst einmal gut, dass in dem Eckpunktepa-pier einige Probleme erkannt und angesprochen werden,aber dennoch gibt es von unserer Seite Kritik; denn die so-genannte Tierwohlinitiative droht zu einem Scheinrie-sen, vergleichbar mit dem bei Jim Knopf, zu werden: Jenäher man diesem Riesen kommt, desto kleiner wird er.Das Eckpunktepapier des Ministers setzt auf die Frei-willigkeit der Agrar- und Lebensmittelindustrie. Dassaber Modelle der freiwilligen Selbstverpflichtung nichtsbringen, zeigen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Da-für gibt es zahlreiche Beispiele, egal ob bei der Dispo-abzocke der Banken oder bei der Korruption im Gesund-heitswesen. Ohne vernünftige gesetzliche Regelungsetzen sich eben nicht jene Betriebe durch, die auf so-
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Hubertus Zdebel
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zial-ökologische Verantwortung setzen. Sie werdenschlicht von denjenigen verdrängt, die ausschließlichihre Profite im Blick haben.
Wir brauchen vernünftige – ich betone: vernünftige –gesetzliche Regelungen und wirksame Kontrollen, dochdiese sind in der Tierwohlinitiative nicht zu finden. Dietaz hat dies zu Recht mit „Warme Worte, keine Taten“kommentiert. In der Tat: Das Abschneiden von Schwän-zen bei Schweinen, das Kupieren von Schnäbeln bei Ge-flügel oder das millionenfache Töten männlicher Kükenwerden zwar angesprochen, aber gehandelt wird nicht.Mit dieser Tierquälerei muss aber sofort Schluss sein.
Daher ist der vorliegende Antrag der Grünen zu begrü-ßen, weil er konkrete gesetzliche Maßnahmen in diesemBereich vorschlägt.Interessant ist auch, was in der sogenannten Tier-wohlinitiative nicht erwähnt wird, etwa dass in deut-schen Tierfabriken millionenfach und ohne BetäubungFerkel kastriert werden oder dass Wildtiere in Wander-zirkussen unter nicht artgerechten Bedingungen gehaltenund eingesetzt werden. Diese Liste ließe sich weiter fort-setzen und zeigt: Wir brauchen endlich gesetzliche Schritteund Verbote statt Absichtserklärungen und Selbstver-pflichtungen.Auch bei der Eindämmung von Tierversuchenherrscht Zahnlosigkeit. Die jüngst heimlich gefilmte Do-kumentation der Folter von Menschenaffen am Max-Planck-Institut in Tübingen – leider geduldet durch einegrün-rote Landesregierung – zeigt: Das ist nur die Spitzedes Eisberges, mit der wir es im Moment zu tun haben.Laut Tierwohlinitiative soll nun die Ersatzmethoden-forschung ausgebaut werden, und der Landwirtschafts-minister erklärt, die Zahl der Versuchstiere eindämmenzu wollen. Konsequent wäre es aber, die Logik umzu-kehren, nämlich Tierversuche grundsätzlich zu verbietenund nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen.
Der Landwirtschaftsminister verweist auf die Verant-wortung der Verbraucherinnen und Verbraucher. DiesesArgument wird oft gebracht, wenn die Politik, wie auchjetzt, nicht oder nicht konsequent handelt. Doch von derVerantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucherzu reden und zugleich zu sinkenden Löhnen, Hartz IVund millionenfacher Armut in Deutschland zu schwei-gen, ist zynisch. Soziale Gerechtigkeit und nachhaltigesKaufverhalten müssen zusammen diskutiert werden.
Zusammengefasst: Die Tierwohlinitiative des Minis-ters ist eine Mischung aus Absichtserklärungen und wir-kungslosen Appellen an die Wirtschaft. Hier müssen Ta-ten folgen. Daran werden wir Sie messen. Ich freue michauf weitere spannende Diskussionen im Ausschuss unddarauf, dass wir es tatsächlich schaffen, in dieser Legis-laturperiode, an einigen Stellen vielleicht sogar gemein-sam, etwas Vernünftiges auf den Weg zu bringen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Christina Jantz ist jetzt die nächste
Rednerin für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Siemich gleich zu Beginn – und auch nicht zum ersten Malan dieser Stelle – sagen: Wir als SPD nehmen den Tier-schutz sehr ernst.
Unser Ziel ist es, entscheidende Verbesserungen beimTierschutz auf den Weg zu bringen.Als Tierschutzbeauftragte meiner Fraktion freue ichmich deshalb besonders, dass Sie, liebe Kolleginnen undKollegen von Bündnis 90/Die Grünen, uns bei dieserZielsetzung offensichtlich – das sieht man auch an IhremAntrag – grundsätzlich unterstützen wollen.
Ich denke, gemeinsam teilen wir die Einschätzung, dasswir jetzt handeln müssen.Der Antrag, den Sie vorgelegt haben, enthält vielegute Ziele. Darüber hinaus fordern Sie allerdings Dinge,die bereits Gegenstand unserer aktuellen Haushaltsbera-tungen sind. Lassen Sie mich hier beispielsweise dieHaushaltsmittel für die ZEBET nennen.
Zudem teile ich Ihre Kritik nicht, dass sich seit demJahr 2002 im Tierschutz praktisch nichts getan habe. ImGegenteil: Die Menschen haben ihre Einstellung gegen-über den Tieren geändert. Nicht nur im Konsumverhal-ten, sondern allgemein hat sich ein Bewusstsein für mehrTierschutz entwickelt.
Wir sehen diese Veränderung an ganz unterschiedlichenStellen. Ein gutes Beispiel sind die sich veränderndenKonsumentenwünsche. Jüngste Studien zeigen erneutsehr deutlich, dass die Verbraucher eine klarere Kenn-zeichnung von Lebensmitteln wollen. Dazu gehören na-türlich die Herkunftsangaben; dazu gehören aber auchAngaben zu den Lebensbedingungen der Tiere.Apropos Veränderungen: Wenn ich mir Ihren Antragund das Eckpunktepapier von Bundesminister Schmidtanschaue, denke ich: Wer hätte noch vor wenigen Jahrengedacht, dass die Grünen und ein Minister der CSU inSachen Tierschutz einmal an einem Strang ziehen wür-den!
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Christina Jantz
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Es gibt anscheinend einen überfraktionellen Konsens fürmehr Tierschutz.
Meine Damen und Herren, wir als SPD sind uns seitlangem unserer Verantwortung bewusst. Wir wollen ein-deutige Regelungen für den Tierschutz. Die SPD hat da-für das Fundament geschaffen. Wir haben dem ThemaTierschutz im Koalitionsvertrag viel Raum zugestanden.
Wir werden, wie der Minister angekündigt hat, in einemersten Schritt die Haltungsbedingungen sowohl derNutz- als auch der Haustiere verbessern. Wir sind ver-pflichtet, die sich verändernden gesellschaftlichen An-sprüche an eine moderne Tierhaltung aufzugreifen und– das sage ich auch klar – die erforderlichen gesetzlichenAnpassungen auf nationaler Ebene vorzunehmen, aberauch auf europäischer Ebene voranzutreiben.Auch wenn das Grundgesetz eine art- und verhaltens-gerechte Unterbringung und ausreichende Bewegungs-freiheit für Tiere vorsieht, sehen wir, dass Tierschutzstan-dards in der Landwirtschaft diesem Anspruch oftmalsnicht genügen. Ganz grundsätzlich möchte ich sagen:Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sind keine Kava-liersdelikte.
Unser Ziel ist es, Systeme zur Haltung landwirtschaft-licher Nutztiere an die arteigenen Bedürfnisse der Tiereanzupassen. Aber auch – ganz wichtig – die Heimtieredürfen wir hierbei nicht aus dem Blick verlieren.Zu Beginn der Woche haben wir seitens der SPD-Fraktion uns gemeinsam mit Experten aus Österreichund der Schweiz sowie Vertretern der Verbände undverschiedener NGOs genau zu diesem Thema – obliga-torische Prüf- und Zulassungsverfahren für artgerechte,praxisgerechte Haltungssysteme – ausgetauscht. Ein Er-gebnis war, dass einheitliche Systeme natürlich Vorteilefür alle Seiten bringen. Sie sind für die Tiere sowie dieTierhalter von Interesse; aber auch die Hersteller hättenendlich Investitions- und Rechtssicherheit. Dies ist je-doch nur ein Schritt. Wir brauchen zudem klare Vorga-ben für Betäubungseinrichtungen beim Schlachten sowieschärfere Vorgaben für die Tiertransporte.Ein weiteres Thema: Wir müssen die Qualzuchten be-enden.
Hier muss das Tierschutzgesetz konkretisiert werden.Zudem werden wir den Wildtierschutz verbessern. Im-porte von Wildfängen in der EU möchten wir grundsätz-lich verbieten, und gewerbliche Tierbörsen für exotischeTiere möchten wir untersagen. Diesen Zielen, insbeson-dere dem Tierschutz, fühlen wir uns verpflichtet.Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen, ich teile Ihre Ansicht, dass zu langediskutiert wurde und die Vorgängerregierung in vielentierschutzrelevanten Bereichen nicht gehandelt hat. Nunliegt aber ein Eckpunktepapier des Ministers für mehrTierschutz vor. Allerdings müssen Taten folgen.
Ich lade Sie daher ein, auf einer sachlichen Ebene mituns gemeinsam Lösungen zu erarbeiten; denn wir wollendas Beste für die Tiere erreichen.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Artur
Auernhammer, CDU/CSU-Fraktion.
Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Wer mit Tieren umgeht, der weiß, dass schnelle und hef-tige Bewegungen nicht zum Erfolg führen, sondern manruhig und sachlich an das Tier herantreten sollte. Dassollte auch für unsere Debatte über den Tierschutz gel-ten. Wenn wir zum Erfolg kommen wollen, dann müssenwir sachlich darüber diskutieren und die besten Lösun-gen finden.Die Frage der Haltung von Tieren, die Frage von Tier-schutz und Tierwohl, ist aber auch eine Frage der Ethik,eine Frage des Selbstverständnisses unserer Gesell-schaft. Der Kollege von den Linken hat gerade erwähnt,dass Tiere eigentlich ein Wirtschaftsgut sind und dasswir Tiere nicht als Wesen bezeichnen. Als Landwirtmuss ich dazu sagen: Für mich sind meine Tiere im StallWesen, mit denen ich gerne umgehe, die mich kennen,die ich alle beim Namen kenne.
Deshalb bitte ich, dass wir in der öffentlichen Diskus-sion die Leistungen unserer Landwirte, unserer Bäuerin-nen und Bauern nicht so diskreditieren.
Seit dem Jahr 2002 ist der Tierschutz als Staatsziel imGrundgesetz verankert. Dass wir weiter darüber disku-tieren müssen und wir hier weiterhin gemeinsam nachguten Lösungen suchen sollten, ist uns klar. MinisterSchmidt hat eine Tierwohlinitiative vorgelegt, die vonuns in der Regierungskoalition gemeinsam getragenwird; davon gehe ich aus. Meine sehr verehrten Damenund Herren von den Grünen, ich wäre dankbar, wenn Siemit uns über diese Initiative des Bundesministers disku-tieren würden. Ich sehe Ihren Antrag eigentlich als Dis-
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Artur Auernhammer
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kussionsgrundlage im Zusammenhang mit dieser Initia-tive.
Hinsichtlich der Zielvorstellungen gehen unsere Ansich-ten an der einen oder anderen Stelle allerdings auseinan-der.
Herr Abgeordneter Auernhammer, gestatten Sie eine
Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter von der
Fraktion Die Linke?
Ja, gerne.
Bitte schön.
Danke schön, Kollege Auernhammer. – Ich habe in
der Rede meines Kollegen nicht gehört, dass er die Bau-
ern diskreditiert hat. Auch Sie kennen sicher die Fern-
sehberichte, in denen gezeigt wird, wie eine Hilfskraft in
einer großen Agrarfabrik durch die Reihen geht, ein,
zwei Ferkel herausnimmt und erschlägt. Das ist nicht,
wie Herr Stier sagt, Meinungsmache. Wenn ich mich
recht erinnere, ging es um das Bundesland, aus dem er
kommt. Ferkel so zu töten, so etwas muss doch definitiv
abgeschafft werden.
Ich vermisse auch eine Diskussion über die Frage,
wie man dagegen vorgehen kann, dass die Preise von
großen Lebensmittelkonzernen diktiert werden. Die
Bauern – das sagen Sie zu Recht – lieben vielfach ihre
Tiere. Aus wirtschaftlichen Gründen können sie aber gar
nicht anders, als die Tiere so zu behandeln, wie sie es
tun. Mir fehlt eine Debatte darüber, dass Lebensmittel
etwas wert sein müssen, darüber, dass nicht zulasten der
Tiere Profit gemacht werden darf, darüber, dass kein
Tierleid produziert werden darf. Das wollte ich Ihnen ei-
gentlich nur sagen, und ich wollte Sie fragen, ob Sie
diesbezüglich meine Meinung teilen.
Sehr verehrte Frau Kollegin, warten Sie ab, bis ichmit meiner Rede zu Ende bin, dann werden Sie sicher-lich auch davon überzeugt sein, dass wir die eine oderandere Gemeinsamkeit haben. Große Missstände in gro-ßen Tieranlagen kenne ich aus der Zeit, aus der Ihre Par-tei eigentlich stammt. Das möchte ich hier noch erwähnthaben.
Wir wollen also gemeinsam darüber diskutieren, wiewir den Tierschutz weiter nach vorne bringen. In derletzten Legislaturperiode wurde hier bereits sehr massivüber die Ferkelkastration gestritten. Ich selbst habe inmeiner Ausbildungszeit auch Ferkel kastriert. Diese Fer-kel waren 15 bis 20 Kilo schwer. Das war weder für dasFerkel noch für den Lehrling eine angenehme Erfahrung.Heute werden Ferkel bereits am dritten oder vierten Le-benstag durch einen kurzen chirurgischen Einschnittkastriert. Nach der Kastration haben die Ferkel eigent-lich nur ein Ziel: Wie komme ich am schnellsten wiederzur Muttersau, damit ich an die gute Muttermilch heran-komme? Das ist jetzt die Situation in den Betrieben.Diese sollten wir unterstützen, und wir sollten nicht mitüberzogenen Auflagen noch mehr Bürokratie gerade fürdie kleinstrukturierten Betriebe schaffen.Wir sollten uns aber auch bewusst sein, dass Tierställekeine Streichelzoos sind. Tierställe sind nach wie vor diewirtschaftliche Grundlage für viele Bäuerinnen und Bau-ern und für viele Familienbetriebe. Deshalb sollten wirdie Sachlichkeit in der Diskussion wahren. Gerade imBereich der Rinderhaltung – da bin ich bei der kleinbäu-erlichen Struktur – wurden sehr viele neue Investitionenin sogenannten Kuhkomfort getätigt, wodurch eine Um-stellung von Anbindehaltung auf Laufstallhaltung er-folgt ist. Die Tiere haben mehr Platz. Sie können sich be-wegen. Sie fühlen sich wohl. Ich glaube, das ist gut so.Wenn wir hier mit Forderungen zu schnell vorangehen,werden wir gerade diese bäuerlichen Familienstrukturenzerstören und diese Betriebe zum Aufgeben zwingen.Das ist nicht meine Intention.
Gerade die Zuchtverbände und die Besamungsorgani-sationen arbeiten zum Beispiel intensiv daran, die Horn-losigkeit bei der Tierzucht voranzubringen, damit eineEnthornung von Kälbern nicht mehr notwendig ist. Ichhabe hier bereits gute Erfolge gesehen. Hier sind wir aufeinem sehr guten Weg. Diesen sollten wir weiterhin be-schreiten. Das gilt auch für andere Tierhaltungsformen.Die Zucht nach Hornlosigkeit wird sicherlich einen Bei-trag dazu leisten, dass unsere Tiere tiergerechter gehal-ten werden können.Ich darf hier auch erwähnen, dass gerade in derMilchviehhaltung seit den letzten Jahren verstärkt derFokus auf die Langlebigkeit, auf die Lebensleistung derTiere gelegt wird und nicht auf den schnellen Profit imersten Jahr. Ich glaube, hier sind wir in der Landwirt-schaft auf einem guten Weg. Auf diesem sollten wir unsweiter bewegen.Ich komme zum Thema Tiertransporte. Das ist natür-lich ein Lieblingsthema der Grünen. Tiertransportzeitensollten möglichst kurz gehalten werden. Ich bin aberauch ein Freund marktwirtschaftlicher Entscheidungen.Wenn ich meine Schlachttiere nur für eine bestimmteZeit transportieren darf, dann bin ich dazu verdonnert,meine Tiere zu bestimmten Abnehmern in der Nähe zuliefern. Würden Ihre Forderungen umgesetzt, könnte ichmir die Vermarktungsorganisation nicht aussuchen, weilder Transport dorthin vielleicht eine halbe Stunde zu
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4983
Artur Auernhammer
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lange dauert. Das kann keine tiergerechte Transportlö-sung sein.Die gesamte Tierschutzdebatte hat auch einen euro-päischen und vor allem einen internationalen Ansatz. Esmacht wenig Sinn, wenn wir – es ist bereits erwähntworden – in Deutschland die höchsten Tierschutzstan-dards haben und dann mit noch höheren Standards un-sere Tierhaltung herunterfahren, stilllegen, uns aus derTierhaltung verabschieden. Das soll nicht unsere Land-wirtschaftspolitik sein. Wir wollen mit unseren Tierhal-tungsformen in Deutschland Vorbild sein für andereStaaten, auch für die Kollegen in Holland, die das eineoder andere vielleicht nicht so freundlich machen, wie essein soll.
– Der Herr Kollege Ebner hat eine Frage, und bevor Siefragen, Frau Präsidentin: Ich möchte diese Frage zulas-sen.
Das entscheide immer noch ich.
Okay.
Bitte schön: Sie dürfen die Frage zulassen, und ich
entscheide, dass er jetzt reden darf.
Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege Auernhammer,
für die Schaffung der Aufmerksamkeit aufseiten des Prä-
sidiums.
Sie haben die bäuerlichen Betriebe angesprochen. Da
sind wir uns vollständig einig. Deshalb möchte ich Sie
jetzt fragen, ob Sie mit mir einer Meinung sind, dass
wir darüber nachdenken sollten, wie wir die Betriebe
bei einer schnelleren Umstellung auf tiergerechte Hal-
tung, für mehr Tierschutz, finanziell unterstützen kön-
nen – vielleicht fallen uns auch noch andere Arten der
Unterstützung ein; aber Geld ist immer das Erste, was
einem einfällt –, um, Sie haben das angesprochen, diese
Ungleichheit am Start zwischen größeren Betrieben und
den kleinen, bäuerlichen Familienstrukturen besser aus-
zugleichen.
Herr Kollege, da bitte ich Sie, einmal einen Blick auf
die bayerische Agrarpolitik zu werfen. Wir haben hier
sehr umfangreiche Stallfördermaßnahmen. Sicherlich
kann man hier das eine oder andere mehr tun. Aber In-
vestitionen gerade in Milchviehanlagen sind sehr teuer;
da reden wir sehr schnell von einer halben Million Euro.
Wir unterstützen das nach wie vor. Mir wäre es auch lie-
ber, wir könnten hier mehr Geld in die Hand nehmen.
Ich werde mich auch dafür einsetzen, um den Umbau
von der – ich sage es jetzt konkret – Anbindehaltung zur
kuhkomfortgerechten Laufstallhaltung zu ermöglichen.
Frau Präsidentin, habe ich jetzt noch Zeit?
Für den Schlusssatz haben Sie noch Zeit.
Wenn wir dann allerdings all diese gesellschaftlichen
Anforderungen erfüllen – mehr Tierschutz, mehr Tier-
wohl –, ist aber das Entscheidende: Honoriert uns das
auch der Verbraucher? – Da habe ich, das sage ich ganz
ehrlich, manchmal meine Zweifel.
Ich glaube aber nicht, dass es nur am Verbraucher
liegt – es liegt auch an den Strukturen in unserem Le-
bensmitteleinzelhandel.
Wenn wir heute hören, dass ganze 85 Prozent der Le-
bensmittel, die in Deutschland gehandelt werden, von
gerade einmal einer Handvoll Lebensmitteleinzelhändler
vermarktet werden, dann erkennen wir: Wir haben hier
eine große Aufgabe. Hier ist die Landwirtschaft gefor-
dert; aber auch wir, die Politik, sind gefordert, uns dage-
gen aufzustellen und die Vermarktungsstrukturen besser
zu begleiten.
Vielen Dank. Jetzt ist der Schlusssatz wirklich zu
Ende.
– Bitte schön. Wir waren jetzt wirklich großzügig.
Nächste Rednerin ist Ute Vogt, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Kollege Auernhammer hat es schon angesprochen:Wir haben in Artikel 20 a unseres Grundgesetzes – mitIhrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, zitiere ich – festge-schrieben:Der Staat schützt auch in Verantwortung für diekünftigen Generationen die natürlichen Lebens-grundlagen und die Tiere im Rahmen der verfas-sungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung …Wir haben uns damit als Haus mit einer deutlichenMehrheit – mit einer Zweidrittelmehrheit – eindeutig
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4984 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Ute Vogt
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verpflichtet. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ichdenke schon, dass wir dieser Verpflichtung durch diepraktische Gesetzgebung besser nachkommen müssen,als es bisher passiert ist.Herr Kollege Stier, ich bin aufgrund Ihres Redebei-trags etwas ernüchtert – so will ich es einmal sagen –,weil es jetzt nicht darum geht, dass es ein paar schwarzeSchafe gibt, die man irgendwie herausfinden und zurOrdnung rufen muss; bei diesem Thema geht es viel-mehr um eine grundsätzlich andere Einstellung.
Die Einstellung hat sich bei vielen Menschen – ge-rade auch bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchernin Deutschland – schon sehr verändert. Es geht darum,dass der angesprochene Lebensmitteleinzelhandel undeben auch die Landwirtschaft sowie die Erzeuger im Zu-sammenwirken mit uns entsprechend reagieren. Deshalbfinde ich es so bedauerlich, dass Sie so unsinnige und– ich sage es jetzt wirklich einmal so – quälerischeDinge wie den Schenkelbrand auch heute wieder vertei-digt haben.
Ich will Ihnen sagen: Wir haben jetzt eine andere Ko-alition als in der letzten Legislaturperiode.
Ich möchte nicht mehr erleben, dass es uns so ergeht wiebeim letzten Mal, als Frau Aigner etwas durchausBrauchbares vorgelegt hat, wovon am Ende praktischnichts mehr übrig geblieben ist.Wir sind wirklich fest entschlossen, MinisterChristian Schmidt in seinen Überlegungen mit vollerKraft zu unterstützen. Wir haben das im Koalitionsver-trag gemeinsam vereinbart, und es reicht nicht aus, wennSie sich jetzt darauf zurückziehen, im Grunde nur das zutun, was Sie auch in der letzten Legislaturperiode schonnicht tun wollten. Es muss also schon ein bisschen mehrsein. Es geht auch darum, dass wir das alles nicht zweiJahre lang hinauszögern dürfen. In vielen Bereichen lie-gen die Erkenntnisse vor und ist die Qual offensichtlich.Es ist unsere Aufgabe – auch nach dem, was uns dasGrundgesetz vorgibt –, hier zügig zu handeln.
Es geht uns darum, den Verbraucherinnen und Ver-brauchern die Chance zu geben, ihre Entscheidung aufder Grundlage der besten Information zu treffen. DerDeutsche Tierschutzbund hat gestern eine Kampagnemit dem Titel „Hinter billig steckt mehr als Sie denken“ins Leben gerufen. Mit dieser Kampagne sollen auch dieVerbraucherinnen und Verbraucher darauf aufmerksamgemacht werden, was es bedeutet, wenn man den Wertvon Tieren, von Mitgeschöpfen, nicht erkennt – übrigensauch zulasten der Landwirte – und einfach versucht, dieVerbraucherinnen und Verbraucher durch immer mehrDumpingpreise zu locken, wodurch noch mehr Elend inder Tierhaltung hervorgerufen wird.
Uns geht es darum, dieses Elend nicht nur zu reduzie-ren, sondern tatsächlich auch zu beenden. Ich denke, hiergeht es um eine Bewusstseinsänderung. Das können wirnicht nur einzelnen Tierschützern überlassen, die mitentsprechenden Kampagnen tätig werden,
sondern wir sind hier aufgefordert, die notwendigen ge-setzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen.
Ich glaube, die Bereitschaft in der Gesellschaft ist da. Ichsehe auch in der Landwirtschaft immer mehr verantwor-tungsvolle Menschen, die gerne einen anderen Weg mituns gehen wollen.
Deshalb will ich noch einmal sagen: Wir sollten mög-lichst schnell vorgehen und nicht bei jeder Maßnahmedie vorgesehene Dialogzeit von zwei Jahren ausnutzen.Wir müssen damit anfangen, das, was notwendig ist,Stück für Stück umzusetzen. Darauf freuen wir uns, undich glaube, wir können hier möglicherweise etwas errei-chen, hinter dem wieder, wie damals bei der Aufnahmedes Tierschutzes ins Grundgesetz, das ganze Haus steht.Das fände ich ideal; denn es geht um eine sehr ethischeBewertung dieser Themen und nicht nur um Streitereienzwischen den einzelnen Fraktionen.In diesem Sinne hoffe ich auf eine konstruktive Zu-sammenarbeit aller Fraktionen, aber vor allen Dingenauch auf eine zügige Umsetzung.
Vielen Dank. – Wir sind damit am Ende dieser De-batte.Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/2616 an die in der Tageordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist dieÜberweisung so beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:Erste Beratung des von den Fraktionen derCDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-nes … Gesetzes zur Änderung des Urheber-rechtsgesetzesDrucksache 18/2602Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
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Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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Ausschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Bildung, Forschung undTechnikfolgenabschätzungAusschuss für Kultur und MedienAusschuss Digitale AgendaNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat ChristianFlisek, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Ich möchte Ihnen heute einen Gesetzentwurf zurEntfristung einer Regelung im Urheberrechtsgesetz vor-stellen. Zusammen mit den Kolleginnen und Kollegender Union haben wir uns darauf verständigt, den § 52 aim Urheberrechtsgesetz in seinem Inhalt unangetastetund ohne weitere Befristung in den urheberrechtlichenNormenbestand zu übernehmen. Ich finde, auch mitsolch scheinbar kleinen Gesetzesänderungen kann manmanchmal Weitreichendes bewirken. Dieser Paragraf istvon großer Relevanz, wenn es um einen angemessenenund zeitgemäßen Zugang junger Menschen zu Bildungund Lehrmaterialien geht.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das an ei-nem Beispiel verdeutlichen. Stellen Sie sich die allge-meine Situation in einer Schule oder an einer Universitätvor: Studenten an einer Universität sollen für ein Semi-nar ein kurzes Kapitel aus einem Lehrbuch durcharbei-ten, oder Schüler sollen im Deutschunterricht ein be-stimmtes Gedicht aus einem Sammelband lesen, um esdann im Unterricht zu behandeln. Wie wird dieses Lehr-material heute den Schülerinnen und Schülern zur Verfü-gung gestellt?Wie den meisten von uns erging es auch mir so:Früher hat der Lehrer das kopiert und anschließendausgeteilt. Das hat sich geändert. Heute haben interneNetzwerke mit passwortgeschützten Zugängen für Schü-lerinnen und Schüler und für Studenten Einzug gehalten.Sie erleichtern auch das Leben aller Beteiligten. DieLehrkraft scannt die entsprechenden Seiten ein und stelltsie den Schülern und Studenten im Intranet der Schuleoder der Universität zur Verfügung. Die Schüler undStudenten laden sich das Unterrichtsmaterial einfach he-runter. Genau das erlaubt § 52 a des Urheberrechtsgeset-zes – jedoch nach geltender Rechtslage nur noch bis zumEnde dieses Jahres. Deshalb bringen wir heute den vor-liegenden Gesetzentwurf in den Bundestag ein. Wir nut-zen hiermit die Chancen der Digitalisierung und stellendie geschilderten, etablierten alltäglichen Arbeitsweisenin Schulen und Universitäten dauerhaft auf rechtlich sta-bile Füße.Und diejenigen, die sich in der Vergangenheit mit Ur-heberrechtsfragen beschäftigt haben, wissen: Der § 52 ades Urheberrechtsgesetzes hat eine Geschichte hintersich, genauer: eine über zehnjährige Geschichte. Mit be-fristeter Geltungsdauer ist er im Jahr 2003 erstmals ein-geführt worden. Die Befristung wurde dreimal verlän-gert. Aber die damaligen Koalitionen – auch das mussman sagen – konnten sich nicht dazu durchringen, dieseNorm endgültig zu entfristen, sehr zu meinem Unver-ständnis.Ich möchte anfügen, dass ein Gesetzentwurf meinerFraktion bereits in der letzten Legislaturperiode eine sol-che unbefristete Geltung vorgesehen hat. Dieser Stand-punkt fand damals allerdings leider keine Mehrheit. Des-halb bin ich froh, dass wir heute einen wesentlichenSchritt weiter sind und diesen Paragrafen hoffentlichohne größere Aufregung entfristen können. Das ist eingutes Zeichen an alle Bildungsträger, Lehrkräfte, Schü-ler und Studenten in unserem Land.
Diese Entfristung steht aber auch für das, was meinerFraktion in allen urheberrechtlich relevanten Fragen be-sonders wichtig ist. Es geht darum, die Rechte der kreati-ven Urheber und auch ihrer Verwerter in einem digitalenUmfeld zu stärken. Es geht auch darum, die Rechte derNutzer auf eine legale Nutzung digitaler Inhalte zu ei-nem angemessenen Ausgleich zu bringen.In diesem Zieldreieck von Kreativen, Verwertern undNutzern solch einen angemessenen Ausgleich herzustel-len, erfordert in vielen Detailfragen oft urheberrechtli-ches Fingerspitzengefühl, sehr viel Arbeit und sehr oftauch Geduld. Alle, die sich im parlamentarisch-politi-schen Umfeld mit Urheberrecht beschäftigen, wissen dasund können das sicherlich bestätigen.Das Urheberrecht belohnt den kreativen Urheber fürseine Kreativität grundsätzlich mit einem Monopol fürsein kreatives Schaffen. Nach den Vorstellungen des Ge-setzes entscheidet er selbst allein, ob er sein Werk veröf-fentlicht, wem er Rechte an diesem Werk einräumt undzu welchen Bedingungen dies geschieht. Der Alltag unddie Praxis vieler Kreativer in Deutschland sehen dage-gen gewiss anders aus. Sie sind froh, wenn sie ihr kreati-ves Schaffen in ein halbwegs planbares Einkommenverwandeln können. Bei dieser Sachlage sind nebenLizenzen vor allen Dingen vergütungspflichtige Schran-ken ein Mittel dafür, dass der Urheber und seine Verwer-ter ihre angemessene Vergütung erhalten und dem allge-meinen Interesse an einer Nutzung Rechnung getragenwerden kann. § 52 a des Urheberrechtsgesetzes ist einesolche Schranke, die sich in der Praxis bewährt hat, unddas sicherlich nicht zuletzt auch aufgrund der Konkreti-sierungen, die durch den Bundesgerichtshof in Urteilenvorgenommen worden sind.Lassen Sie mich aber auch etwas Allgemeines zu denSchranken sagen. Durch die Digitalisierung ist die Zahlder Ausgleichsschranken im Urheberrechtsgesetz gestie-gen. Es ist sicherlich kein Geheimnis, dass viele dieserSchranken mittlerweile unverständlich, komplex unddamit auch für den Rechtsalltag wenig praktikabel ge-worden sind. Wir werden es daher in dieser Legislatur-periode nicht bei der Entfristung des § 52 a belassen.Der Koalitionsvertrag sieht vor, eine einheitliche Bil-dungs- und Wissenschaftsschranke für das Urheberrechtzu regeln. Das bedeutet: Urheberrechtlich geschütztes
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Christian Flisek
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Material soll rechtssicher für Bildung und Wissenschaftgenutzt werden können. Zugleich sollen die Rechteinha-ber, also die Autoren und die Verlage, hierfür eine faireKompensation erhalten.Wir wollen die Schrankenregelungen im BereichBildung und Wissenschaft praktikabler und für alle An-wender verständlicher gestalten. Wir werden diese neueeinheitliche Schrankenregelung für Bildung und Wissen-schaft im Dialog mit allen Beteiligten entwickeln. Daswird keine leichte Aufgabe sein. Und dass dies alles un-ter den gegebenen europäischen Rahmenbedingungen zuerfolgen hat, macht die Angelegenheit sicherlich nichteinfacher. Für einen solchen Dialogprozess braucht esZeit. Und dass ein solcher größerer Entwurf bis Endedieses Jahres, also bis Ende 2014, sicherlich nicht zuleisten ist, liegt auf der Hand. Das ist auch der Grund,warum wir in einem ersten Schritt § 52 a entfristen: Umzu verhindern, dass er Ende dieses Jahres ersatzlos außerKraft tritt.Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen undKollegen, es ist durchaus kein kompliziertes Gesetz,welches wir hier im Entwurf vorlegen. Eine Regelung,die sich bewährt hat, soll dadurch entfristet werden, dassein Satz gestrichen wird, der da lautet: „§ 52 a ist mitAblauf des 31. Dezember 2014 nicht mehr anzuwen-den.“ Es ist aber ein wichtiges Gesetz. Die Träger vonSchulen, Hochschulen, also letztlich die Bundesländer,erhalten mit dieser Entfristung Planungssicherheit, umentsprechende Infrastrukturen für ihre Institutionen auf-zubauen, wo bisher Unsicherheit herrschte.Der Gesetzentwurf ist ein wichtiger Beitrag für dieweitere Entwicklung hin zu einem bildungs- und wissen-schaftsfreundlichen Urheberrecht. Meine Damen undHerren, ich glaube, manchmal können auch einfache Ge-setze wie dieses eine große Wirkung entfalten.Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und freuemich auf die Diskussion.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Halina
Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Als vor fünf Jahren meine Zeit als Bundestags-abgeordnete anfing, hofften noch einige Interessierte ausBildung und Wissenschaft, dass die damalige schwarz-gelbe Bundesregierung endlich den sogenannten DrittenKorb der Anfang des Jahrtausends angefangenen Urhe-berrechtsreform anpacken würde. Der Dritte Korb sollteausdrücklich den Bedürfnissen von Bildung und Wissen-schaft gewidmet sein. Ein großes Ziel dabei war diesogenannte Bildungs- und Wissenschaftsschranke, alsoBereichsausnahmen im Urheberrecht, die den Informa-tionsfluss zum Wohle von Lernen und Forschung er-leichtern. Passiert ist seitdem wenig. Immerhin, seit un-gefähr einem Dreivierteljahr, steht im Koalitionsvertrag– darauf wurde schon verwiesen –:Wir werden den wichtigen Belangen von Wissen-schaft, Forschung und Bildung stärker Rechnungtragen und eine Bildungs- und Wissenschafts-schranke einführen.Vorschläge, wie diese umzusetzen wäre, gibt es mehr alseinen. Schon länger bekannt sind beispielsweise die Vor-schläge der Allianz der Wissenschaftsorganisationen undder Kultusministerkonferenz. Anfang des Jahres legteeine Urheberrechtsexpertin von der Humboldt-Universi-tät, deren Nachname ungefähr einfach wie meiner ist,weswegen ich ihn hier nicht nennen kann,
einen Regelungsentwurf vor, dessen Erarbeitung auchnoch vom Bildungs- und Forschungsministerium geför-dert wurde. Als Reaktion darauf hat das Aktionsbündnis„Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ seinen äl-teren Vorschlag überarbeitet und aktualisiert.Kurzum, es gab und gibt eine sehr lange Debatte, esgibt diverse konkrete Vorschläge, wie in Sachen Urhe-berrecht, Lernen und Forschen zeitgemäße Lösungengefunden werden können, Lösungen, die Sie von derKoalition auch wollen.Aber was machen Sie jetzt mit dem Gesetzentwurf? –Sie schreiben in den heute zu diskutierenden Gesetzent-wurf zur Entfristung von § 52 a Urheberrechtsgesetzhinein, dass diese Gesetzesänderung notwendig wird,weil Sie eine – ich zitiere – „intensive rechtspolitischeDiskussion“ über die Bildungs- und Wissenschafts-schranke für erforderlich halten, die Sie dieses Jahr nichtmehr abgeschlossen bekommen.
– Das steht darin. Richtig.Man kann es ja so zusammenfassen: Einerseits wollenSie den wichtigen Belangen von Wissenschaft, For-schung, Bildung und Kultur stärker Rechnung tragen.Andererseits liegen aber genau aus diesen Bereichenkonkrete, ernst zu nehmende Gesetzesvorschläge vor. Esgibt eine lange Debatte. Auf die gehen Sie aber nicht ein.Sie nehmen diese Vorschläge nicht auf. Sie hätten ja ei-nen von diesen Vorschlägen aufnehmen können. Undweil Sie das nicht machen, also weil Sie diese Vor-schläge nicht aufnehmen, kommt es jetzt zur Entfristungdes § 52 a, der Regelung zur Zugänglichmachung vonkleinen Teilen von urheberrechtlich geschützten Werkenim Intranet von Hochschulen.Die Entfristung – das gebe ich Ihnen zu – ist mehr alsder Wegfall dieser kleinen Schranke und auch mehr alseine neuerliche Befristung. Aber eine wirkliche Verbes-serung, ein Ernstnehmen der wichtigen Belange von Bil-dung und Wissenschaft ist es eben nicht.
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Halina Wawzyniak
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Denn dank des Urteils des BGH vom vergangenenNovember ist die Schrankenwirkung bis zur Belang-losigkeit verkleinert. Es wurde eben höchstrichterlichder Lizenzvorrang festgestellt. Die Hochschulen müssenalso vor der Inanspruchnahme der Schrankenprivilegienzunächst prüfen, ob es ein Lizenzangebot der Verlagegibt, und dieses im Zweifelsfall annehmen. Die privat-wirtschaftlichen Interessen haben Vorrang vor der Aus-nahme im Urheberrecht, die dem Wohle der Lehre die-nen soll – eine Ausnahme, die wohlgemerkt immervergütungspflichtig gedacht war. Das bedeutet nicht nurmehr Aufwand und wohl auch mehr Kosten für jede ein-zelne Uni, nein, die geltende Auslegung des § 52 a trägtden wichtigen Belangen der Lehre gerade keine Rech-nung.Die Entfristung ist nicht verkehrt, aber es muss mehrals entfristet werden. Das, was die Koalition hier vor-schlägt, ist das Minimum, um eine unbefriedigende Si-tuation nicht noch schlechter werden zu lassen, aber derAnwendungsbereich muss so ausgeweitet werden, dassdie Hochschulen tatsächlich etwas davon haben. Er mussTeil einer allgemeinen Wissenschaftsschranke werden,wie sie die Linke und unzählige Wissenschaftsverbändeimmer wieder gefordert haben.Sie haben ja gesagt, Sie werden eine Diskussion unterEinbeziehung aller führen.
Dann freuen wir uns auf die Einladung und werdenselbstverständlich an den Gesprächen teilnehmen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Mitte dieser Woche hat zumindest kalendarisch derHerbst begonnen, und zwar am 23. September ziemlichgenau um 4.29 Uhr, als die Sonne exakt senkrecht überdem Äquator stand.
Der kalendarische Herbstanfang richtet sich nämlichnach dem Stand der Sonne. Was hat das nun mit § 52 ades Urheberrechtsgesetzes zu tun?
Auch die Gesetzgebung kennt ähnliche Phänomene,die sogenannte Sunset Legislation, nämlich eine durchden Gesetzgeber vorgesehene Auslaufklausel für Ge-setze. Das bedeutet, dass ein Gesetz nur bis zu einemfestgelegten Datum, also bis zum sinnbildlichen Sonnen-untergang, Gültigkeit besitzt. Der Gesetzgeber kanndiese Frist dann bei Bedarf verlängern. Lässt er die Fristeinfach verstreichen, läuft die Regelung aus. Rechtstech-nisch ist das also eine auflösende Bedingung. Formalgeht auch heute bei der ersten Beratung der Änderungdes § 52 a des Urheberrechtsgesetzes genau darum; dennder Sonnenuntergang dieser Vorschrift würde hier am31. Dezember eintreten.Verwehren wollen wir – so haben wir das in derKoalition entschieden – die Wissenschaftsschranke in§ 52 a des Urheberrechtsgesetzes allerdings auch nachdem Fristablauf niemandem. Deshalb haben wir, CDU/CSU und SPD, gemeinsam entschieden, durch die vor-geschlagene Regelung die mehr als zehn Jahre geltendeBefristung aufzuheben und die Vorschrift des § 52 a Ur-heberrechtsgesetz endgültig wirksam werden zu lassen.§ 52 a des Urheberrechtsgesetzes war 2003 inDeutschland die erste Urheberrechtsvorschrift über-haupt, die der Gesetzgeber als befristete Regelung einge-führt hat. Eine solche Sunset Legislation hatte es bis da-hin im deutschen Urheberrecht noch nie gegeben. Dassdas Gesetz befristet wurde, ist dem Umstand geschuldet,dass die Einführung der Schranke seinerzeit politischsehr umstritten war und sich der Gesetzgeber durch dieBefristung selbst zu disziplinieren gedachte, um Erfah-rungen aus der Anwendung der Vorschrift zur Grundlageder Entscheidung über die weitere Befristung oder dieEntfristung zu machen.Bestritten ist die Vorschrift jedenfalls über viele Jahreinsoweit gewesen, als sie über alle zivilrechtlichen In-stanzen hinweg Gegenstand gerichtlicher Auseinander-setzungen gewesen ist. Nunmehr hat die Rechtsprechungim vergangenen Jahr endgültig entschieden und damiteinige wichtige Hinweise zum Umfang, zur Geltung unddamit zur weiteren Ausgestaltung des § 52 a des Urhe-berrechtsgesetzes gegeben. In der Summe führen dieErkenntnisse nun dazu, dass die Regelung endgültig ent-fristet werden kann, da eine weitreichende Konturierungdurch die Rechtsprechung mittlerweile erfolgt ist.In zwei Verfahren ging es zum einen um die Defini-tion der Angabe „kleine Teile“ eines Werkes. Diese An-gabe hat der Bundesgerichtshof nun klar eingegrenzt:Eine Universität oder eine andere Forschungseinrichtungdarf ihren Studierenden ein urheberrechtlich geschütztesWerk in Teilen nur dann elektronisch zugänglich ma-chen, wenn diese Teile nicht mehr als 12 Prozent oder100 Seiten in der Summe ausmachen.Zum anderen – das ist, glaube ich, eine wichtigere Er-kenntnis – hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dassdiese Zugänglichmachung nicht geboten ist, wenn derRechteinhaber eine angemessene Lizenz für die Nutzungangeboten hat. Das heißt, der Bundesgerichtshof gehtganz klar davon aus, dass vertragliche Regelungen Vor-rang vor der Anwendung der Schranke haben. Die
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Ansgar Heveling
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Rechtsprechung räumt also einem angemessenen Li-zenzangebot eines Verlages den Vorrang ein.Es wäre jetzt die Frage gewesen, ob man diese Er-kenntnisse des Bundesgerichtshofes auch in das Gesetzhineinschreibt. Wir haben uns jedoch für eine reine Ent-fristung entschieden, da durch den Bundesgerichtshofnun klar konturiert ausgesprochen worden ist, wie manden § 52 a des Urheberrechtsgesetzes zu verstehen hat.Wir sollten uns bei allen Veränderungen und bei allemVeränderungsbedarf im Urheberrecht immer bewusstmachen: Ausgangspunkt, Dreh- und Angelpunkt desUrheberrechts ist Artikel 14 unseres Grundgesetzes. Ar-tikel 14 garantiert und schützt das Eigentum, sei es mate-rielles oder geistiges Eigentum. Beschränkungen diesesEigentumsrechts, also auch die sogenannten Schrankendes Urheberrechts, sind daher immer als Ausnahme zuverstehen und lassen sich nur durch die Interessen desAllgemeinwohls begründen. Vor diesem Hintergrundmüssen wir gesetzliche Änderungen im Urheberrechtimmer betrachten, und vor diesem Hintergrund müssensich auch diejenigen messen lassen, die eine Schranken-regelung für sich in Anspruch nehmen. In den beidenvergangenen großen Urheberrechtsreformen hat der Ge-setzgeber bereits umfassende Privilegien für den BereichWissenschaft geschaffen. Mit der Sunset Legislation,also der vorläufigen Befristung, wollte der Gesetzgeberden Befürchtungen aus dem Bereich der Wissenschafts-verlage vor unzumutbaren Beeinträchtigungen beikom-men.Die Schranken im Bereich Bildung und Wissenschaftsind schon seit vielen Jahren Gegenstand von Verhand-lungen zwischen Forschungs- und Bildungseinrichtun-gen auf der einen Seite und Wissenschaftlern und Verla-gen auf der anderen Seite. Mittlerweile ist zudem auchein recht unübersichtlich gewordener Flickenteppich anRegelungen entstanden, der bei den Beteiligten zuRechtsunsicherheit und damit auch bei der Rechtsan-wendung durchaus zu Problemen führen kann.Mit der endgültigen Entfristung von § 52 a Urheber-rechtsgesetz werden wir zumindest an dieser Stelleschon einmal für mehr Klarheit für alle Beteiligten sor-gen. Das ist ein erster Schritt. Denn im Koalitionsvertraghaben wir vereinbart, eine allgemeine Bildungs- undWissenschaftsschranke einzuführen, die diesen Flicken-teppich an Regelungen beseitigen und zusammenfassensoll, was zusammengehört. Dabei werden wir uns Zeitfür die Diskussion nehmen; denn das ist nötig. Frau Kol-legin Wawzyniak, wir sollten uns auch die Zeit nehmen,unter anderem, um das Gutachten von Frau Professor dela Durantaye intensiv zu diskutieren, und dann überle-gen, wie wir eine allgemeine Wissenschaftsschrankeausgestalten können. Dabei sollten wir darauf achten, ei-nen angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigtenInteressen der Verlage und denen der Wissenschaft zufinden, der sich dann auch entsprechend im Gesetz nie-derschlägt.Vor allem aber muss mit Blick auf § 52 a Urheber-rechtsgesetz gewährleistet sein, dass, wenn eine entspre-chende Schranke, wie sie dieser Paragraf darstellt, zurAnwendung kommt, die dann fälligen Vergütungen auchtatsächlich gezahlt werden. Hier ist der bisherigeUmgang mit § 52 a des Urheberrechtsgesetzes für dieBeteiligten sicherlich kein leuchtendes Beispiel oder alsBest Practice anzusehen. Denn auch das muss klar sein:Die Inanspruchnahme einer solchen Schranke ermög-licht zwar den freien Zugang zu Werkteilen, sie ist abernicht die Eintrittskarte für einen kostenfreien Zugang.Vielen Dank.
Vielen Dank auch. – Nächste Rednerin ist Renate
Künast, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als voreinigen Tagen der Gesetzentwurf der Koalition zur Än-derung des Urheberrechtsgesetzes auf die Tagesordnunggesetzt wurde, hat das gleich etwas bei mir im Büro aus-gelöst, nämlich einen vermehrten Eingang von Telefon-anrufen und Mails mit Anfragen, ob ich herausfindenkönnte, was die Koalition so regeln möchte, und ob diesder große Reformentwurf sei oder ob irgendwelche be-deutenden Änderungen vorgesehen seien. Dienstag-abend konnte ich dann alle diese Fragen beantworten: Esist eigentlich nichts – um es einmal ganz ehrlich zu sa-gen.
Na ja, der Berg kreißte und gebar eine Maus. Es war abereine kleine Maus.
– Immerhin. Es hätte auch gar nichts dabei herauskom-men können, kann ich der Kollegin jetzt noch zurufen.
Insofern fand ich den großen Gestus der schönen Redevon Herrn Flisek quasi reziprok proportional zum Inhalt.Aber Sie, Herr Flisek, haben Ihre Redezeit, ehrlich ge-sagt, auch damit gefüllt, über das zu reden, was nochkommen wird.
Mit dem, was im Gesetzentwurf steht, hätten Sie die sie-ben Minuten nicht füllen können.
– Ach so.Diese Entfristung ist durchaus richtig.
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Renate Künast
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– Das ist jetzt die höchste Form des Lobes, Herr Grosse-Brömer, zu der ich angesichts dieses Sachverhaltes inder Lage bin.
Wir haben es jetzt erlebt, dass im Gesetzentwurf viermaleine andere Frist genannt wurde. Im Gesetzentwurfstand mit vier unterschiedlichen Daten: Am 31. Dezem-ber des Jahres XY läuft das Ganze aus. Es ist klar, dassdas endlich ein Ende finden musste. Denn es war dochwidersprüchlich: Sie reden immer von der DigitalenAgenda und davon, dass jetzt alles anders wird, vonInnovationen und sonst was.
Gleichzeitig krepelt so ein Paragraf von Lebenszeit zuLebenszeit, sozusagen von Silvester zu Silvester vor sichhin. Das ist eine Praxis, die faktisch die digitale Ent-wicklung und Nutzung des Digitalen massiv behinderthat.
Klar ist doch: Wissenschaft und Bildung leben – dasbesagt auch das Grundgesetz – vom Austausch vonInformationen und vom Zugang zu Informationen. Sonsthandelt es sich nicht um Wissenschaft und Bildung. ZurBildung gehört ja auch, sich einem Sachverhalt zu wid-men, ihn zu analysieren und nachzuschauen, ob sichbereits jemand anderes Gedanken dazu gemacht hat.Zugang ist also das A und O von Wissenschaft und Bil-dung.Wir wissen aber auch – Herr Flisek hat das vorhinebenfalls gesagt –, dass der Großteil der Informationenin Werken eingebunden ist, die urheberrechtlich ge-schützt sind. Man kann also, weil andere davon lebenwollen und müssen, nicht einfach sagen: Ich nehme undnutze es. – Insofern ist die Erlaubnis in § 52 a Urheber-rechtsgesetz inhaltlich absolut richtig; denn sie wahrtzum einen die Interessen der Urheber, zum anderen er-möglicht sie auch einen einfachen Weg für Bildung undWissenschaft.Wir wissen ja, wie es funktioniert. Diese Regelung er-klärt es unter anderem für zulässig, kleine Teile einesWerkes, Werke geringen Umfangs sowie einzelneBeiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften zur Veran-schaulichung im Unterricht an bestimmten Einrichtun-gen öffentlich zugänglich zu machen, etwa im passwort-geschützten Intranet. Der Urheber muss also faktischnicht freigeben, dass sich alle Welt etwas kostenlos zu-gänglich macht, mit dem er Geld verdienen will. Zudemist der Personenkreis, der Zugang erhält, begrenzt.Jetzt kommt mein großes Aber: Obwohl uns die großeUrheberrechtsreform noch bevorsteht, hätte ich mirmehr als nur diesen minimalistischen Gesetzentwurf, derbloß eine Entfristung vorsieht, gewünscht. Wie wir allewissen, gibt es sprachliche Ungenauigkeiten und Un-stimmigkeiten durch die Rechtsprechung und deshalbimmer wieder Streit über den Umfang der Wissen-schaftsschranke. Der Widerspruch zum Wortlaut des§ 53 Absatz 3 des Urheberrechts hätte durch eine Neu-formulierung aufgelöst werden müssen. Statt „zur Veran-schaulichung im Unterricht“ hätte es zum Beispiel „zurVeranschaulichung für alle Zwecke des Unterrichts“ hei-ßen können.
Der Unterricht möchte ja auch vorbereitet sein. Es darfdurchaus sein, dass Schülerinnen und Schüler selber et-was analysieren und Selbststudium betreiben, um sichweiterzuentwickeln. Auch das ist ja Sinn und Zweck vonBildung. Insofern ist die nun vorgesehene Entfristungdas, was die Medizin einen minimalinvasiven Eingriffnennt.
Dieser Eingriff wird allerdings auch nur minimale Ände-rungen zur Folge haben.Meine Damen und Herren, ich will Ihnen klar sagen:Das ist ein kleiner, netter Schritt. Ich weiß, dass es nichteinfach ist, das Urheberrecht in die digitale Welt des21. Jahrhunderts zu transportieren. So höre ich mitFreude, dass Herr Flisek sagt, nun komme die große Dis-kussion. Ich habe aber auch einen Wunsch: Nach einemJahr unter einer 80-Prozent-Koalition wünsche ich mir,dass diese angekündigte große Diskussion im und umden Bundestag nach den Methoden des 21. Jahrhundertsdemokratisch und offen verläuft. Ich hoffe, dass es nichtwieder so wie in der Vergangenheit ist: Die Koalitionkreist um sich selber und führt interne Anhörungendurch. Wenn sie dann im letzten Augenblick ein Ergeb-nis erzielt, dann knallt sie es uns hin, und der Rest desParlaments muss es in wenigen Tagen durchzocken.Versuchen Sie also, im Bereich des Urheberrechtsganz neue Maßstäbe zu setzen! Hier könnte ein Meilen-stein gesetzt werden. Das ist aber nur möglich, wenneine offene Debatte geführt wird, an der im wahrstenSinne des Wortes alle beteiligt werden und bei der allemitdiskutierten können. So kann das Eigentumsrecht indas 21. Jahrhundert transportiert werden. Sie könntenmich überraschen.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Marianne
Schieder, SPD-Fraktion.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Mit der endgültigen Entfristung des § 52 a im
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4990 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Marianne Schieder
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Urheberrechtsgesetz – auch ich möchte dies ausdrück-lich betonen – machen wir uns endlich auf den Weg zueinem Urheberrecht, das den Herausforderungen undNotwendigkeiten in Bildung, Wissenschaft und For-schung gerecht wird. Auch ich weiß, liebe Frau Künast,dass dieser Schritt ein kleiner Schritt ist. Aber es ist einSchritt, der in die richtige Richtung geht, nämlich hin zueiner effektiven und zukunftsorientierten Bildungs- undWissenschaftsschranke.
Lange hat es gedauert – ich gebe zu: uns Sozialdemo-kraten zu lange –, bis die überfällige Entscheidung zurEntfristung endlich auf den Weg gebracht wurde. Es istimmerhin schon elf Jahre her, seit § 52 a in das Urheber-rechtsgesetz eingefügt wurde. Dann folgten Befristun-gen bis zum 31. Dezember 2006, bis Ende 2008, bisEnde 2012 und schließlich bis zum 31. Dezember 2014.In der Zwischenzeit gab es drei Evaluierungen und zweiEntscheidungen des Bundesgerichtshofs. Nicht zu ver-gessen ist auch ein Gesetzentwurf der SPD-Bundestags-fraktion – damals noch in der Opposition – auf dauer-hafte Entfristung. Leider wurde unser Vorschlag damalsohne überzeugende Argumente abgelehnt.
Aber, na ja, man kann sagen: Was lange währt, wird end-lich gut; wenigstens jetzt schaffen wir Klarheit für alle,die auf diesen § 52 a angewiesen sind.Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich den Kollegin-nen und Kollegen Rechtspolitikerinnen und Rechtspoli-tikern der Union dafür, dass es jetzt endlich geklappt hatund es zu dieser Entfristung kommt.
Ich sage aber gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kolle-gen: Das reicht bei weitem nicht aus, wenn es uns wirk-lich darum gehen soll, ein modernes, bildungs- und wis-senschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen. ImKoalitionsvertrag steht das, was wir wollen:Wir werden den wichtigen Belangen von Wissen-schaft, Forschung und Bildung stärker Rechnungtragen und eine Bildungs- und Wissenschafts-schranke einführen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen denKoalitionsvertrag ernst, und wir wollen umsetzen, wasdarin steht.
– Schauen wir einmal.Mit dem Anfang dieses Jahres vorgelegten Gutachtenzu dieser Thematik haben wir wirklich eine gute Grund-lage für die kommenden Debatten. Ich bin zuversicht-lich, dass es uns gelingen wird, die Interessen der Urhe-berinnen und Urheber zu wahren – das muss natürlichgewährleistet sein – und dennoch im Interesse der All-gemeinheit die Nutzung von urheberrechtlich geschütz-ten Werken in bestimmtem Umfang für Zwecke von Bil-dung und Wissenschaft zu ermöglichen.Selbstverständlich muss über entsprechende kollek-tive Vergütungsregelungen ein ausreichender Ausgleichfür die Urheber realisiert werden. Das, was wir jetzt ha-ben, nämlich Schrankenregelungen an verschiedenenStellen verstreut, unübersichtlich und wenig transparent,kleinteilig und zum Teil schon technisch überholt, kannso nicht bleiben.
Für uns als Sozialdemokraten ist klar: Stillstand imUrheberrecht blockiert Innovation, blockiert bessereVerbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und blo-ckiert moderne Lehr- und Lernmethoden. Deshalb müs-sen wir in der Sache endlich vorwärtskommen. Ich freuemich wirklich auf eine intensive Diskussion. FrauKünast, Sie können versichert sein: Diese Diskussionwird eine offene Diskussion sein. Ich bitte Sie aber: Ma-chen auch Sie Vorschläge, und zwar ein bisschen mehrals dieses kleine Detail, das Sie zum Thema Unterrichtangefügt haben.
Das war nicht einmal das Schwänzchen von dem Mäus-chen, das Sie uns vorwerfen.
Wenn wir etwas verbessern wollen, müssen wir alle mit-einander beherzt einsteigen.Vielen Dank fürs Zuhören.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Katrin
Albsteiger, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Politikmacht am meisten Spaß, wenn sie konkret wird. Heuteerleben wir eine Debatte, in der man anschaulich sehenkann, wie konkrete Verbesserungen tatsächlich einen un-mittelbaren Einfluss auf den Alltag der Menschen haben,und zwar einen positiven Einfluss. Als ehemalige Be-troffene kann ich das ganz gut nachempfinden. Ich habein Augsburg von 2003 bis 2008 Politikwissenschaft stu-diert. So lange ist das noch nicht her. Es kann außerdemnicht schaden, wenn man sich mit dem, was hier imHause passiert, vorher ein bisschen systematisch aus-einandersetzt.
Politikwissenschaft ist eine Diskussionswissenschaft.Bei einer Diskussionswissenschaft – im positiven Sinne
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4991
Katrin Albsteiger
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– geht es darum, dass man sich mit einer Vielzahl vonBeiträgen unterschiedlicher Art auseinandersetzt. Diesekommen in einer schier unendlichen Zahl von Mono-grafien, Handbüchern, Aufsatzsammlungen und Perio-dika vor. Da ist es ganz wichtig, dass es Semesterapparategibt, die diese Vielzahl von Themen, diese unterschiedli-chen Auffassungen auch tatsächlich abbilden.
Noch viel wichtiger ist es bei so vielen Studenten, diewir in unserem Land haben, dass diese Vielzahl vonThemen auch tatsächlich umfänglich abrufbar ist. Esgibt schließlich in einem Seminar 20 oder 30 Studentenoder heutzutage auch 500 oder 1 000 Studenten, diegleichzeitig auf einen Text oder eine Information zugrei-fen müssen. Genau deshalb reden wir hier über die Frageder Praktikabilität, wie der Zugriff auf Werke und wiedie Zusammenstellung wissenschaftlicher Werke er-leichtert werden kann. Genau für diese Erleichterungsorgen wir hier. Wohlgemerkt: nicht kommerziell undnur für einen bestimmten, abgegrenzten Nutzerkreis. Eserleichtert den Wissenschaftsbetrieb nämlich ungemein,dass wir in § 52 Urheberrechtsgesetz die Wissenschafts-schranke eingebaut haben. Das ist eine konkrete Erleich-terung für eine ganze Menge Menschen, nämlich zumBeispiel für über 2,5 Millionen Studenten und ihr Lehr-personal sowie, wohlgemerkt, natürlich auch für über700 000 Lehrer und über 11 Millionen Schüler inDeutschland. Das ist wirklich schön. So schön kannPolitik sein!Nun zu den Fakten – sie wurden zum Teil eben schongenannt –: Der Bundesgerichtshof hat sich mittlerweilezum § 52 a des Urheberrechtsgesetzes geäußert. SeineHauptbotschaft ist: Der § 52 a ist im Bildungs- und Wis-senschaftsbereich praktikabel anwendbar. – Damit bestehtRechtssicherheit, insbesondere auch deshalb, weil ent-scheidende unbestimmte Rechtsbegriffe, die die Norm tat-sächlich enthalten hat, weswegen sie befristet gewesen ist,nun klar definiert sind:Erstens. Der sogenannte kleine Teil wird jetzt mit ein-deutigen Werten definiert: maximal 12 Prozent einesWerkes und maximal insgesamt 100 Seiten.Zweitens. Es dürfen auch in Zukunft weiter PDF-Do-kumente verwertet werden.Drittens. Wer unter den – Zitat – „bestimmt abge-grenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern“ fällt, sagtder BGH ebenfalls klar: Erfasst ist jeder Student, der fürden Studiengang, in dem das entsprechende Werk zurAnwendung kommen soll, immatrikuliert ist. Ein weite-rer Kontrollmechanismus ist nicht notwendig. – Das istein relativ klares Urteil, weshalb keine Änderung not-wendig ist.In einem weiteren Urteil sieht der BGH aber auchganz klar den Vorrang von vertraglichen Angeboten,wenn diese angemessen sind. Ich kann mir vorstellen,dass die Universitäten hierüber nicht in Begeisterungs-stürme ausbrechen, weil die Angemessenheit natürlichim Einzelfall geprüft werden muss, was zugegebenerma-ßen manchmal zu einem größeren bürokratischen Auf-wand aufseiten der Hochschulen führen kann. Trotzdemglaube ich, dass wir dieses Urteil als durchaus nachvoll-ziehbar betrachten können. Es bestätigt schließlich diePolitik von CDU und CSU, so wie wir sie bisher betrie-ben haben. Es geht hier auch um einen Interessenaus-gleich. Es geht darum, dass wir einerseits dem, was derWissenschafts- und Bildungsbetrieb braucht, Rechnungtragen, andererseits diesen aber nicht gegen die Verlageausspielen. Es geht also um praktikable Lösungen undverantwortungsvolle Politik.Zusammenfassend: Der BGH hat beiden Seiten derPraxis konkrete Werte an die Hand gegeben, mit denenes sich gut arbeiten lässt. Aus diesem Grund schlagenwir vor, § 52 a Urheberrechtsgesetz zu entfristen. So be-kommen wir genügend Zeit und können ohne Zeitdruckan der Umsetzung einer Vereinbarung unseres Koali-tionsvertrags arbeiten, der Ausgestaltung einer allgemei-nen Bildungs- und Wissenschaftsschranke.Vielen herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist Tankred
Schipanski, CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hättenicht gedacht, dass ich mit Frau Schieder einmal einerMeinung bin.
Aber, liebe Frau Schieder, Sie haben ganz recht: DerVorschlag der Entfristung des § 52 a Urheberrechtsge-setz ist ein erster Schritt. Es ist ein richtiger Schritt.Liebe Frau Künast, weitere Schritte werden folgen.
Sie nehmen aus der Debatte heute mit, was noch allesfolgen wird.
Wenn Ihr Telefon wieder klingelt, können Sie, so hoffeich, berichten, was im Urheberrecht alles geplant ist.Hätten Sie vorher in den Koalitionsvertrag geschaut, hät-ten Sie das schon früher erkennen können.
Mit der Entfristung schaffen wir ein ganzes Stück mehrRechtssicherheit für alle betroffenen Akteure, ob Lehrer,Wissenschaftler, Forscher oder Bibliothekare, aber auchfür Autoren und Verleger. Gleichzeitig schränkt die vor-
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4992 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Tankred Schipanski
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gestellte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs diePraktikabilität des § 52 a für Wissenschaftler und For-scher ein; Ansgar Heveling und Katrin Albsteiger habendarauf zu Recht hingewiesen.Daher ist der Gesetzgeber jetzt gefragt, inwieweit erdieses Richterrecht ausformt oder abändert. Politisch ha-ben wir uns klar entschieden: Ziel ist es, die in § 52 a ge-regelten Ausnahmen zusammen mit den anderen urhe-berrechtlichen Regelungen in den Bereichen Unterrichtund Forschung zu einer einheitlichen Bildungs- undWissenschaftsschranke im Urheberrecht zusammenzu-führen.
Das haben wir im Koalitionsvertrag klar vereinbart. DieBundesregierung – Frau Künast hat darauf hingewie-sen – hat das auch ganz klar in der Digitalen Agenda for-muliert; darüber freue ich mich.Wir geben uns mit der Entfristung jetzt Zeit, mit dergebotenen Sorgfalt über die Ausgestaltung einer allge-meinen Wissenschaftsschranke zu diskutieren. DieseZeit brauchen wir auch. Die Kollegen, die schon eineWeile an diesem Thema dran sind, wissen, dass es ge-gensätzliche, aber gut begründbare Interessen gibt, dieaufeinanderprallen. Ein fairer Ausgleich lässt sich nichtin einem Hauruckverfahren erreichen.Dabei ist es mir wichtig, dass mit der allgemeinenWissenschaftsschranke auch die Bibliotheken und Ar-chive angemessen berücksichtigt werden. Auch für denBibliotheksbereich macht der Koalitionsvertrag klareVorgaben.Meine Damen und Herren, die Gestaltung einer allge-meinen Wissenschaftsschranke ist keine triviale Aufgabe;Kollege Flisek hat das dargestellt. Eine europarechtskon-forme Ausgestaltung, die sowohl den Interessen derRechteinhaber als auch den Interessen der Wissenschaftgerecht wird, ist nicht einfach zu erreichen.Daher ist es höchst erfreulich, dass das BMBF aktivgeworden ist und ein Gutachten in Auftrag gegeben hat,das meines Erachtens eine sehr gute Diskussionsgrund-lage darstellt. Dieses Gutachten – es wurde von FrauProfessorin de la Durantaye verfasst – wurde schon an-gesprochen. Sie hat innerhalb von eineinhalb Jahren eineLeitplanke für eine künftige Schrankenregelung entwi-ckelt, insbesondere mit Blick auf die Einordnung in in-ternationales Recht.Die derzeitige Rechtslage wurde nicht nur von dertechnischen Entwicklung überholt. Sie ist auch nichtsonderlich verständlich formuliert.
– Frau Wawzyniak, so ist es. – Wir wollen nicht, dassForscher und Bibliothekare ein Aufbaustudium im Urhe-berrecht benötigen, um rechtssicher mit wissenschaftli-chen Publikationen umgehen zu können.
Wir brauchen eine technologieoffene Regelung, die wirnicht nach jeder technischen Neuentwicklung anpassenmüssen. Wir brauchen eine lesbare und verständlicheRegelung sowie langfristige Rechtssicherheit für alleBeteiligten.Frau de la Durantaye schlägt eine schlanke und ele-gante Formel vor, die meines Erachtens eine sehr geeig-nete Diskussionsgrundlage ist. Für die Nutzung einerSchranke möchte sie selbstverständlich auch eine Vergü-tungspflicht einführen.An dieser Stelle muss ich dem Kollegen Heveling einbisschen Wasser in den Wein gießen. Es wurde gesagt,nach § 52 a des Urheberrechtsgesetzes fließe aktuell keineVergütung. Das muss man fairerweise dahin gehendrichtigstellen, dass die VG Wort die angebotenen Gelder– auch als Abschlagszahlung – bisher mit dem Hinweisauf die ungeklärte Rechtslage abgelehnt hat. Mit derAussage, dass kein Geld geflossen sei, werden also dieTatsachen etwas verdreht. Die Verhandlungen über einenRahmenvertrag stehen kurz vor dem Abschluss. Danachwird rückwirkend für die vergangenen Jahre gezahltwerden.In den bevorstehenden Verhandlungen zu einer ein-heitlichen Wissenschaftsschranke gilt es also, die Inte-ressen der Wissenschaft gegen die Interessen der Rechte-inhaber abzuwägen. Dabei muss es uns insbesonderegelingen, der wachsenden Bedeutung der elektronischenKommunikation für Wissenschaft und Forschung sowiefür die akademische Lehre Rechnung zu tragen. Nur sokönnen wir ein modernes, zeitgemäßes und nutzer-freundliches Urheberrecht schaffen.In diesem Sinne freue ich mich auf die vor uns lie-gende Arbeit und danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/2602 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist dieÜberweisung so beschlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenCornelia Möhring, Kathrin Vogler, SabineZimmermann , weiterer Abgeordneterund der Fraktion DIE LINKEPille danach jetzt aus der Rezeptpflicht ent-lassenDrucksache 18/2630Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat CorneliaMöhring, Fraktion Die Linke.
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Eigentlich sollten wir jetzt über den Antrag mit dem Ti-tel „Den Bundesratsbeschluss zur rezeptfreien ,Pille da-nach‘ schnell umsetzen“ diskutieren und darüber abstim-men. Eigentlich hätte der Gesundheitsausschuss gesterneine Beschlussempfehlung dazu beschließen können, da-mit wir heute zu einer Entscheidung im Plenum kom-men. Eigentlich hätte dann eine Mehrheit im Bundestagdie Chance gehabt, Minister Gröhe gemeinsam aufzufor-dern, seine Blockadehaltung aufzugeben und die Frei-gabe im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.
Nun hat aber die SPD noch Beratungsbedarf angemel-det und aus diesem Grund keine Beschlussempfehlungzugelassen, und das, obwohl ihr Kollege Lauterbach inder ersten Plenarwoche im Februar sehr überzeugend ar-gumentiert hat, warum der Freigabe nichts Vernünftigesentgegensteht. Der Beratungsbedarf scheint also eher anihrem Koalitionsgefängnis zu liegen.
Damit wir das „eigentlich“ in ein „trotzdem“ ändern,haben wir zu dem gleichen Thema einen neuen Antrageingebracht. Ich hoffe sehr, dass wir Ihren Beratungsbe-darf dadurch erheblich abkürzen können. Jetzt heißt derAntrag „Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht entlas-sen“. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt kei-nerlei vernünftige Gründe, eine rezeptfreie Abgabe derPille danach länger zu verhindern.
In diesem Zusammenhang muss man Folgendes zurKenntnis nehmen:Erstens. Der Wirkstoff Levonorgestrel ist medizinischunbedenklich.Zweitens. Es geht hier nicht um eine Abtreibungspilleund auch nicht um ein Dauerverhütungsmittel, sondernum eine Notfallverhütung.Drittens. Je früher diese Notfallverhütung eingenom-men wird, umso besser wirkt sie.Viertens. Wir wissen, dass es gerade am Wochenendefast unmöglich ist, eine Arztpraxis zur Beratung aufzu-suchen, wodurch erhebliche Verzögerungen entstehenkönnen.Fünftens. In immerhin weltweit 79 Ländern gibt esdie Pille danach rezeptfrei, und sie ist gut erprobt.Sechstens. Von der Weltgesundheitsorganisation biszum Sachverständigenausschuss für Verschreibungs-pflicht sind sich alle einig: Alle gesundheitspolitischenArgumente sind widerlegt.Und siebtens. Der Bundesrat hat die politische Ent-scheidung für die rezeptfreie Abgabe beschlossen, unddas zuletzt im Mai 2014.Wir haben sowohl im Bundestag als auch in den meis-ten Bundesländern dafür eine politische Mehrheit – ei-gentlich. Leider haben es hier im Hause noch nicht allebegriffen. Ich sage es noch einmal: Frauen sind in derLage, die Informationen zur Anwendung zu verstehen.Die Apotheker und Apothekerinnen haben in ihrem Stu-dium den Schwerpunkt Pharmazie und können beraten.Leider suchen wir die notwendige und sehr einfache Ver-kündung im Bundesanzeiger bisher vergeblich. HerrMinister Gröhe ist nicht anwesend, deshalb muss FrauStaatssekretärin Fischbach ihm dies weiterleiten: Ichfinde, das ist nicht hinnehmbar.
Für genauso wenig hinnehmbar halte ich es, dass Siein Ihren Antworten auf unsere Kleine Anfrage vom MärzFrauen – und Apotheker und Apothekerinnen gleich mit– für blöd erklären.
Denn laut Ihrer Aussage haben nur Ärzte aufgrund ihrerAusbildung besondere Kenntnisse über die – ich zitiere –„geistig-seelischen Eigenschaften des Menschen“. Ichfinde, solche Aussagen passen eher in eine Vorabendse-rie oder in einen Arztroman, aber bestimmt nicht in diePolitik.
Frau Staatsekretärin, werte Kollegen und Kolleginnender Regierungskoalition, noch einmal zum Mitschrei-ben: Frauen sind in der Lage, den Bedarf und die Folgeneiner Notfallverhütung – darum geht es – selbstbestimmteinzuschätzen. Apotheker und Apothekerinnen könnenüber den Wirkstoff und seine Wirkung kompetent bera-ten.Hand aufs Herz: Was, bitte schön, soll der Arzt oderdie Ärztin Außergewöhnliches verkünden, wenn derGummi geplatzt ist?
Soll er oder sie sagen: „Wenn Sie jetzt nicht ungewolltschwanger werden wollen, müssen Sie ausnahmsweisemal anders verhüten“? Hallo, das weiß die Frau schon,seitdem sie die Entscheidung traf, eine Arztpraxis aufzu-suchen.
Ich sage noch einmal: Es gibt keinen vernünftigenGrund, die Freigabe länger zu verhindern, es sei denn,Sie haben Lust auf die Bevormundung und Repressionvon Frauen.
Lassen Sie es sein. Zur Unterstützung möchte ich nocheinmal den Kollegen Lauterbach zitieren, der in der De-batte im Februar sehr treffend sagte – Zitat –:Ich komme zum Fazit: Es scheint hier so zu sein,dass Frauen in einer Notlage – das ist sicherlich im-
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Cornelia Möhring
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mer eine Notlage – das Recht auf Hilfe ohne guteBegründung, also willkürlich, vorenthalten werdensoll. Das ist nicht zeitgemäß.Da hat er völlig recht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ichwende mich explizit an Sie: Es war doch schon allesklar. Aus Ihrer Fraktion kamen sehr deutliche Worte.Deswegen finde ich jetzt Ihre stillschweigende Zustim-mung zur Haltung des Gesundheitsministers und Ihreneue Verhinderungstaktik unerträglich. Ich wäre Ihnenwirklich dankbar, wenn Sie diese Mithaftung für ein vor-sintflutliches Patriarchat beenden könnten.
Das ist doch im Kern die Wiederkehr einer Bevölke-rungspolitik, in der Selbstbestimmungsrechte von Frauenzum Spielball ganz anderer Interessen werden. Dabeikönnte mit der Lex Gröhe, der Verweigerung der rezept-freien Abgabe der Pille danach, sehr schnell Schlusssein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es wirklichin der Koalition krachen sollte, dann wäre es doch einwürdiger Anlass, wenn es bei der Frage der Fraueninte-ressen dazu käme.
Also, lassen Sie es krachen! Aber vielleicht haben Sie jaauch die Hoffnung, tatsächlich die Beratungsresistenz zudurchbrechen.Wenn es um das Recht der Selbstbestimmung vonFrauen über ihren Körper geht – dazu gehört eine selbst-bestimmte Familienplanung –, haben Vorschriften vomStaat, von einer Institution wie der Kirche oder auch vonanderen Menschen nichts zu suchen. Was eine Frau mitihrem Partner oder ihrer Partnerin in einer konfliktrei-chen Lebenslage entscheidet – es ist eine konfliktreicheLebenslage, wenn eine Schwangerschaft beginnt unddiese ungewollt ist –, ist allein ihre Sache.
Es ist auch allein ihre Sache, an wen sie sich wendet, umberaten zu werden, ob sie zur Apotheke geht oder eineArztpraxis aufsucht.Lassen Sie mich abschließend festhalten: Dass wirimmer noch über die Rezeptfreiheit der Pille danach dis-kutieren, ist leider Teil eines spürbaren Rollbacks hin-sichtlich sexueller und reproduktiver Rechte von Frauen,zu denen selbstverständlich auch eine selbstbestimmteFamilienplanung gehört.
Frau Kollegin.
Ich komme zum Ende. – Dieses Rollback, diese
Rückschritte – das wissen Sie alle – kommen mit wach-
senden homophoben Einschlägen, mit Machtgehabe ge-
genüber Frauen, mit Familienbildern aus dem 19. Jahr-
hundert daher. Ich bitte Sie sehr: Machen Sie da nicht
länger mit! Hier geht es lediglich um den unkomplizier-
ten Zugang zu einer selbstbestimmten Notfallschwan-
gerschaftsverhütung, und das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sollte im 21. Jahrhundert eine Selbstverständ-
lichkeit sein.
Danke.
Frau Kollegin Möhring, ich habe Ihre Redezeit schon
sehr großzügig ausgelegt und erst spät daran erinnert,
zum Schluss zu kommen. Ich darf daran erinnern, dass
wir alle miteinander die Redezeiten vereinbaren. Wenn
jeder oder jede anderthalb Minuten länger spricht, begin-
nen die nachfolgenden Debatten zu spät. Wir sind schon
großzügig, aber man darf es nicht übertreiben.
Nächste Rednerin ist jetzt Emmi Zeulner, CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Sehr geehrte Kollegin Möhring, eigentlichfühle ich mich in Deutschland selbstbestimmt, und nichtnur eigentlich, sondern ganz sicher entscheide ich selbst,was ich mit meinem Partner mache und was nicht.
Bereits im Februar haben wir die Rezeptfreiheit vonLevonorgestrel, kurz LNG, hier im Plenum des Bundes-tags diskutiert. Zwischenzeitlich hat eine öffentliche An-hörung dazu stattgefunden, und wir haben in den Ar-beitsgruppen und auch im Ausschuss darüber debattiert.Die Argumente auf beiden Seiten sind dieselben geblie-ben. Ich erkenne aber an, dass wir uns im Sinne derFrauengesundheit eine Entscheidung nicht leicht machendürfen, und respektiere den weiteren Diskussionsbedarfim demokratischen Sinne; dieses Anliegen eint uns wohlalle.Seien Sie versichert: Ich bin mir bei der ganzen Dis-kussion bewusst, dass wir sowohl das hohe Gut der Pa-tientensicherheit als auch das Recht auf Selbstbestim-mung berücksichtigen müssen. Bei einer Entscheidungüber die Freigabe von LNG muss beides abgewogenwerden.Die Fraktion Die Linke hat ihre Abwägung diesbe-züglich getroffen. Für mich sind die Verbesserungen, diesich durch die Freigabe von LNG für die Frauen einstel-len sollen, jedoch nicht so klar erkennbar. Laut IhremAntrag soll die Freigabe unter anderem einer Stigmati-sierung der betroffenen Frauen entgegenwirken. Dochich bitte Sie, nochmals genau hinzusehen, was die sub-jektive Wahrnehmung der Betroffenen angeht. Denn lauteiner aktuellen europäischen Studie fühlen sich 30 Pro-
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Emmi Zeulner
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zent der Frauen unwohl, stigmatisiert und bevormundet,wenn sie sich eine Notfallkontrazeption besorgen müs-sen, und das unabhängig davon, ob in den jeweiligenLändern die Rezeptfreiheit von LNG bereits eingeführtwurde oder nicht. Eine Stigmatisierung von Mädchenund Frauen, gerade in Notsituationen, möchte nicht nurich verhindern, sondern – da bin ich mir sicher – alle indiesem Saal Anwesenden.Wenn wir von der subjektiven Wahrnehmung derFrauen reden, müssen wir in diesem Zusammenhangauch die als unzureichend empfundene Aufklärung überdie Wirkung der Pille danach in den Fokus nehmen. Im-mer noch herrscht laut der bereits zitierten Studie ausdem Jahr 2014 gefährliche Unwissenheit über die Effi-zienz einer hormonellen Notfallkontrazeption. Dies hobauch Dr. Julia Bartley, Leiterin der Hormonsprechstundean der Charité, in ihrer Stellungnahme zu der öffentli-chen Anhörung hervor. Über 80 Prozent der befragtenFrauen wünschen sich demnach eine bessere Aufklärungüber die Pille danach. Davor dürfen wir in Deutschlandnicht die Augen verschließen; denn nur eine aufgeklärteFrau kann im Notfall zu einer informierten und selbstbe-stimmten Entscheidung kommen.
Über das Ziel sind wir uns somit alle einig: Frauen inDeutschland soll, wenn eine Notfallverhütung notwen-dig ist, rasche und umfassende Hilfe zuteilwerden. Un-eins hingegen sind wir uns über den Weg zu dieser Hilfeund über die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen.Die bewährten Rahmenbedingungen für die Pille da-nach dürfen wir durch eine Freigabe nicht etwa schmä-lern, sondern wir müssen sie weiter erhalten. Dies giltauch im Hinblick auf die Entscheidungen auf europäi-scher Ebene. In diesem Punkt stehe ich voll hinter un-serem Gesundheitsminister Hermann Gröhe, der ausnachvollziehbaren Gründen an der bewährten LinieDeutschlands in diesem Punkt festhält. Auch wenn dieEntscheidung der EU-Kommission über das PräparatUPA, die im November vorliegen soll, ihre Schatten vor-auswirft, muss es erst recht unser Anliegen sein, den be-troffenen Frauen in Deutschland eine fundierte Beratungzukommen zu lassen.
Auch die Konsultation des Internets, wie es einigenKollegen vorschwebt, ist für mich keine ausreichendeBeratungsgrundlage. Die Kompetenz von Ärzten solltenicht durch einen Fragebogen im Internet, wie es schonheute über die Seite DrEd möglich ist, oder durch einenbloßen Klick auf den Button „In den Einkaufswagen“ er-setzt werden. Kann Ihrer Meinung nach ein zweiminüti-ger Videoclip dasselbe leisten wie das Vieraugenge-spräch in einem geschützten Raum mit einemapprobierten Arzt?
– Hallo? Ich höre auch zu, wenn Sie sprechen. – Durchdas Geschäftsmodell von DrEd wird nicht nur das ärztli-che Berufsrecht, das Fernbehandlungen und Arzneimit-telverschreibungen ohne Patientenkontakt verbietet, un-terlaufen. Nein, hinzu kommt, dass die Kosten für dieBehandlungen, vor allem für die Folgebehandlungenaufgrund von Komplikationen oder Fehldiagnosen, dieSolidargemeinschaft in Deutschland tragen muss.Eine der Stärken unseres deutschen Gesundheitssys-tems ist es, dass wir den Arzt-Patienten-Kontakt als Vo-raussetzung für Erstverschreibungen von Arzneimittelnfestgelegt haben.
Um dieses System nicht zu unterlaufen, werden wir, wieim Koalitionsvertrag verankert, das Verbot von Online-konsultationen rechtlich fixieren. Weiterhin sehe ich essehr kritisch, dass bei einer Freigabe den Herstellern derWeg offen stünde, für ihr Produkt zu werben.Sowohl die Bundesärztekammer als auch der Deut-sche Apothekerverband sprechen sich ausdrücklich ge-gen Werbung für das Präparat LNG aus. Werbung für diePille danach würde ein falsches Signal senden; denn sieist kein Ersatz für die weiterhin verschreibungspflichtigeAntibabypille, sondern ein hochdosiertes Notfallmedika-ment.
Zusammenfassend möchte ich sagen: Für mich sindfolgende Argumente am treffendsten:Erstens müssen wir den Frauen eine Beratung in ei-nem geschützten Raum unter vier Augen gewähren;denn die Empfänger der Pille danach sind eben nicht nurFrauen, die mitten im Leben stehen, sondern auch Min-derjährige oder Frauen, denen Gewalt angetan wurde.Eine solche Beratung kann nachts am Apothekerfensteroder durch ein kurzes Onlinevideo meiner Ansicht nachnicht gewährleistet werden und entspricht auch nicht denBedürfnissen der Betroffenen.
Zweitens besteht für die Frauen nur im Rahmen desdirekten Arztkontaktes die Möglichkeit, im Notfall indi-viduell und fachkundig beraten zu werden. Ich sehe un-sere Verantwortung als Gesundheitspolitiker darin, imSinne und zum Wohl der Patienten zu entscheiden. DerArzt muss die zentrale Beratungsfigur bleiben; denn nurer kann im Zweifelsfall eine gynäkologische Untersu-chung sowie eine Nachsorge vornehmen, die der Ge-sundheit der Frauen gerecht wird.
Drittens hinkt der Vergleich mit anderen Ländern, wieSie ihn in Ihrem Antrag anstellen. Anhand der Aus-gangsbedingungen in Deutschland erkenne ich keineNotwendigkeit für eine Freigabe. Wir haben bestensqualifizierte Ärzte und eine hohe Dichte an niedergelas-
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Emmi Zeulner
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senen Gynäkologen. Auch außerhalb der regulären Öff-nungszeiten der Praxen ist durch den Ärztlichen Bereit-schaftsdienst, der dem Patienten rund um die Uhr zurVerfügung steht, eine Betreuung gewährleistet. Auchdank unseres funktionierenden Gesundheitssystems, dasauch die Rezeptpflicht von LNG umfasst, haben wir einebeispiellos niedrige Abtreibungsrate, die weiterhin rück-läufig ist.
Viertens. Ich sehe in dem Gang zum Arzt noch immerkeine Einschränkung meiner Selbstbestimmung. Dennwer fängt die Frau denn auf, wenn sie mit den Nebenwir-kungen der Pille danach zu kämpfen hat oder wenn Fra-gen auftauchen, die das DrEd-Video nicht in zwei Minu-ten zu beantworten geschafft hat?Ich komme zu dem Schluss: Das Recht auf Selbstbe-stimmung und das hohe Gut der Patientensicherheit
schließen sich nicht aus – sie ergänzen sich.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Kordula Schulz-Asche, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erneutfordern wir heute, die sogenannte Pille danach endlichaus der Rezeptpflicht zu entlassen, und erneut erlebenwir heute ein Trauerspiel der CDU/CSU. Sie steht gegendie Mehrheit dieses Hauses, die Mehrheit des Bundesra-tes und auch gegen die Vernunft.
Die Position der Union ist fachlich nicht haltbar, undihr fällt nicht einmal auf, dass sie sich instrumentalisie-ren lässt. Seit Jahren wird das Selbstbestimmungsrechtvon Frauen in Deutschland beschnitten, die befürchten,nach einem Geschlechtsverkehr ungewollt schwanger zuwerden. CDU und CSU verweigern diesen Frauen, wasin fast allen europäischen Ländern und den USA üblichePraxis ist: der direkte, rezeptfreie, schnelle Zugang zurNotfallverhütung mit dem Wirkstoff Levonorgestrel.Wenn es nach der Vernunft gehen würde, dürfte ihre Ver-hinderungsstrategie nicht länger greifen. Wir haben eshier mit einer kruden Mischung aus mindestens dreiPunkten zu tun: Erstens lässt die Union eine Bevormun-dung von Frauen zu und unterstellt ihnen, sie würdenoder könnten nicht verantwortungsvoll selbst entschei-den. Zweitens lässt sie sich vor den Karren von berufs-politischen Interessen sowie den Absatzinteressen eineseinzelnen Pharmaherstellers spannen.
Drittens ist die SPD in der Koalitionsdisziplin gefangen:Sie will zwar, aber sie kann nicht.Besonders pikant ist, dass die Union durch das Hörenauf einzelne Ärzteverbände den Hersteller des doppelt soteuren, in seinen Nebenwirkungen weniger bekanntenWirkstoffs Ulipristalacetat massiv fördert.
Das verwundert; denn dieses Arzneimittel entstammtderselben Wirkstoffklasse wie das Produkt Mifepriston,das für medizinisch induzierte Schwangerschaftsabbrü-che zugelassen ist. Eine abtreibende Wirkung kann alsonicht ausgeschlossen werden. Überspitzt formuliert heißtdas: Die Union fördert den Absatz einer Abtreibungs-anstelle einer Verhütungspille. Damit hätte ich übrigens– vermutlich im Gegensatz zu Ihnen – kein grundsätzli-ches Problem. Ich habe aber ein Problem damit, dassdeutsche Frauenärzte diesen Wirkstoff zum Standard er-klären wollen.
Das, meine Damen und Herren, steht im klaren Wider-spruch zur Bewertung des Bundesinstituts für Arznei-mittel und Medizinprodukte, das eine dem Gesundheits-ministerium untergeordnete Behörde ist.Das Geschmäckle wird verstärkt, wenn die treibendeKraft hinter den Empfehlungen der deutschen Frauen-arztverbände, den Wirkstoff Ulipristalacetat als Standardzu definieren, eindeutig in Interessenkonflikten steht. Sofindet man in internationalen Publikationen den Hinweisdarauf, dass diese treibende Kraft der Frauenärzte alsBerater von HRA, dem Hersteller des Wirkstoffs, tätigist. Hinzu kommt, dass die Empfehlung der Frauenarzt-verbände ausschließlich auf die Hotline und die Internet-seite dieses Herstellers verweist. Hinweise auf Seitenvon Herstellern der Pille danach mit dem Wirkstoff Le-vonorgestrel fehlen völlig. Dies ist übrigens vor allemim Interesse des Herstellers HRA; denn der Absatz sei-nes Produkts beschränkt sich faktisch ausschließlich aufDeutschland. In anderen Ländern der EU ist er gar nichtauf dem Markt. Auch das verstärkt das Gefühl, dass hierunerwünschte Interessenverquickungen vorliegen.
Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass Frauen das Rechthaben, nach einer Verhütungspanne selbstbestimmt einenicht gewollte Schwangerschaft zu verhindern, dass dasMedikament so schnell wie möglich zur Verfügungsteht, weil es dann besonders wirksam ist, und dassFrauen eine informierte Entscheidung treffen können.Dazu wollen wir die Beratung in den Apotheken stärken
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Kordula Schulz-Asche
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und Entscheidungshilfen im Internet anbieten. Daherfordern wir, die Rezeptfreiheit für die Pille danach mitdem Wirkstoff Levonorgestrel in Deutschland endlicheinzuführen.
Die Unionsabgeordneten und -abgeordnetinnen for-dere ich ausdrücklich auf, kritisch zu überprüfen, ob siesich von anderen vor den Karren spannen lassen wollen.Die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben.Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit,
gerade und besonders Ihnen ganz persönlich. Dankeschön.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Hilde Mattheis,
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Frau Möhring hat eingangs den Kollegen Lauterbach zi-
tiert. Ich glaube, Sie hätten viele von uns in der SPD-
Bundestagsfraktion zitieren können. Wir müssen uns
hier ja nichts vormachen: Das BfArM fordert die Re-
zeptfreiheit seit 2003, 2009 hat Spanien die Rezeptfrei-
heit als eines der letzten europäischen Länder durchge-
setzt, und 2010 hat auch die WHO diese Empfehlung
gegeben.
An die Debatte kann man unterschiedlich herangehen.
Man kann auch unterschiedliche Problemlösungsstrate-
gien fahren. Ich bin dafür, dass wir die Beratungszeit, die
wir vereinbart haben, vollumfänglich ausschöpfen, nach
dem Grundsatz: Beraten und Überzeugen.
Wir wollen überzeugen und deutlich machen, dass es na-
türlich um das Selbstbestimmungsrecht der Frau und da-
rum geht, Lösungen für Konfliktsituationen, für wirkli-
che Notsituationen zu finden. Am Wochenende zum
Beispiel kann eine solche Notsituation auftreten – wir
wissen um die Frist, die man einhalten muss, um eine
optimale Wirkung zu erzielen –, wenn die Beratung in
der Notfallstation erfolgt und zufällig kein Gynäkologe
anwesend ist. Wir versuchen auch, dahin gehend zu
überzeugen, dass auch Apotheker Beratungen vollum-
fänglich durchführen und Beratungssituationen profes-
sionell gestalten können.
Ich glaube, dass es wichtig ist, auf die europäische
Ebene zu schauen. Die Rezeptfreiheit des Wirkstoffs
Ulipristal ist eine Möglichkeit; darüber wird im Novem-
ber entschieden. Wir wissen aber alle, wie die Wirklich-
keit aussieht: Im Internet kann man mit zwei Klicks und
dem Ausfüllen eines kleinen Beratungsformulars für
25 Euro ein Rezept bekommen. Auch das ist die Wirk-
lichkeit.
Wir als SPD haben unsere Forderung im Koalitions-
vertrag nicht verankern können. Unsere Haltung ist ein-
deutig. Wir wollen natürlich das Beste und das Richtige
erreichen, nämlich die Selbstbestimmung der Frauen si-
cherstellen und eine optimale Beratungssituation. Wir
wollen auch klarmachen, dass wir alle miteinander hier
nicht über Empfängnisverhütung diskutieren; denn wir
wissen, dass die Pille danach alles andere ist. Wir disku-
tieren aber auch nicht über Schwangerschaftsabbrüche,
sondern wir diskutieren über die Rezeptfreiheit der Pille
danach. Das ist eine andere Ebene.
Lassen Sie uns das fachlich und sachgerecht, aber nicht
überdimensioniert angehen. Es geht um die Rezeptfrei-
heit.
Meine Fraktion hat in der letzten Legislaturperiode
einen Antrag eingebracht, in dem wir die unserer Mei-
nung nach wichtigen Bausteine formuliert haben. Dabei
geht es auch um die Datenerhebung; denn man braucht
eine fundierte Datengrundlage, um die richtigen Schluss-
folgerungen zu ziehen. Da geht es aber auch darum, dass
man sich die Beratungssituation genau anschaut, und,
und, und.
Frau Kollegin.
Ich finde, wir sollten dieses Thema hier mit der hin-
reichenden souveränen Gelassenheit angehen, die die-
sem Thema entspricht. Denn es geht darum, für Frauen
etwas zu erreichen. Wir wollen das, und wir schaffen das
gemeinsam mit einer nüchternen, ruhigen und sachli-
chen Beratung und Überzeugungsarbeit.
Ich danke.
Frau Kollegin Mattheis, gestatten Sie eine Zwischen-
frage der Kollegin Vogler, oder haben Sie gerade Ihre
Rede beendet?
Ich war jetzt gerade fertig.
Sie hatten noch Redezeit. Sie könnten also noch die
Zwischenfrage zulassen.
Ich war gerade fertig.Danke schön.
Metadaten/Kopzeile:
4998 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
(C)
(B)
Nächste Rednerin ist Karin Maag, CDU/CSU-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Linke ist offensichtlich nicht bereit, den Beratungs-bedarf, den unsere Kollegen aus der Koalition ange-mahnt haben, zu akzeptieren. Ich finde das schade. Ichfinde es mit Kollegin Mattheis wenig souverän, solcheDinge im Schweinsgalopp durch das Parlament zu peit-schen.
Wenn ich Kollegin Möhring oder auch Frau Vogler höre,dann wünsche ich mir tatsächlich Martina Bunge oderKathrin Senger-Schäfer zurück. Da war zumindest einverantwortungsvollerer Umgang mit Redezeit im Deut-schen Bundestag gewährleistet.
Wenn wir nun schon darüber reden, will ich gerne un-sere Positionen wiederholen. Ja, wir wollen die Rezept-pflicht für die Pille danach beibehalten, vor allem, weilwir den hohen Beratungsbedarf im geschützten Arzt-Pa-tientinnen-Gespräch sehen. Wenn Sie bei der Anhörungwaren oder das Protokoll der Anhörung gelesen haben,werden Sie viele Argumente gefunden haben, die diesePosition bestätigen.Warum wollen wir diese Beratung? Der Einzelsach-verständige Dr. Albring hat erneut bestätigt, dass insbe-sondere über die Wirkung von Levonorgestrel aufgeklärtwerden muss. Im Beratungsgespräch sollte zum Beispielvorab geklärt werden, ob überhaupt ein Notfallkontra-zeptivum genommen werden muss. Es gibt nämlich eineReihe von Zeiten im Zyklus, in denen die Pille danachgar nicht notwendig ist. In diesen Zeiten muss natürlicheine Patientin, eine Frau auch nicht das Risiko hoherHormongaben und Nebenwirkungen eingehen. Wenndann doch ein Notfallkontrazeptivum angezeigt seinsollte, geht es natürlich um das geeignete Präparat, aberzum Beispiel auch um die Frage, ob nicht die Kupferspi-rale, die höchste Sicherheit in der Notfallverhütung bie-tet – das hat übrigens auch eine Anhörung ergeben –,empfohlen werden muss.Beratungskapazität ist vorhanden. Wir haben inDeutschland – Kollegin Zeulner hat es bereits erwähnt –eine flächendeckende ärztliche Versorgung mit Bereit-schaftsdienst, mit Notdienst rund um die Uhr.
In Deutschland gibt es rund 10 000 niedergelasseneGynäkologen; auf einen dieser Gynäkologen kommen4 000 Patientinnen. Sie erwähnen gelegentlich Frank-reich und England. Da betreuen die Frauenärzte jeweilsdoppelt so viele Patientinnen. Das Argument, schnelle-ren Zugang zu haben, zieht also meines Erachtens nicht.
– Wir sprachen vorhin über Souveränität, aber ich sehe,dass ich diese nicht von jedem Mitglied dieses HohenHauses erwarten sollte.Wir haben in der Anhörung auch gehört, dass bei13 Prozent der deutschen Mädchen und 19 Prozent derMädchen mit Migrationshintergrund – das berichteteProfessorin Brucker – sexueller Kontakt gegen den Wil-len der Betroffenen stattfindet. Die Chance, dass diesesich nachts in der Apotheke, womöglich am Nachtschal-ter, öffnen, ist ungleich geringer als im vertraulichenArztgespräch.
– Wir sollten die Diskussion jetzt auch nicht ideologischüberfrachten.Ich, meine Fraktion und vielleicht auch die Kollegin-nen von der SPD sehen das sexuelle Selbstbestimmungs-recht der Frauen nicht in Gefahr.
Mir ganz persönlich geht es vor allem um eine infor-mierte Entscheidung. Mir geht es darum, dass die Ge-sundheit der betroffenen Frauen so wenig wie möglichbeeinträchtigt wird. Vielleicht sind Sie sogar mit mir derAnsicht – ich hoffe es bei Ihnen von den Linken nichtmehr –, dass Männer den Frauen, zum Beispiel im Falleeiner Verhütungspanne, die Entscheidung nicht alleineüberlassen müssen, dürfen, sollen, sondern dass der ge-meinsame Weg zum Arzt sinnvoller ist. Diese Gemein-samkeit wird eher bei einem Arztbesuch gewährleistet,als wenn Sie die Frau alleine in die Apotheke schicken.
Bei der Pille danach ist der Weg mit Rezeptpflichtmeines Erachtens der weniger belastende Weg. Es gibt inder Praxis bei rund 400 000 Verordnungen kaum Schwie-rigkeiten. In Deutschland ist die Zahl der Schwanger-schaftsabbrüche in den letzten Jahren um 39 Prozent zu-rückgegangen – auch eine Folge kompetenter Beratung.In Großbritannien ist die Pille danach seit zwölf Jahrenrezeptfrei erhältlich; die Abbruchraten sind seither um7,7 Prozent gestiegen, sie sind fünfmal so hoch wie inDeutschland. In Frankreich ist die Pille danach seit 1999rezeptfrei erhältlich; die Abbruchraten sind doppelt sohoch wie in Deutschland. Wir haben uns in der Anhö-rung mit Herrn Dr. Baumgärtel darüber unterhalten, dassdie Verkaufszahlen in Österreich seit der Abgabe ohneRezept um 50 Prozent gestiegen sind; die Zahl derSchwangerschaftsabbrüche ist dort, so Frau ProfessorDr. Brucker, viermal so hoch wie in Deutschland. Ichsehe deshalb wenig Grund, von unserem funktionieren-den System abzuweichen. Im Gegenteil, aus meinerSicht gibt es weiter zahlreiche gute Gründe, dies geradenicht zu tun.Jetzt komme ich zur Wirksamkeit. Zwei Wirkstoffesind im Moment in der Diskussion: Levonorgestrel undUlipristalacetat. Bei der Diskussion über die Entlassung
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Karin Maag
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von Levonorgestrel aus der Rezeptpflicht reden wir – ichzitiere jetzt Professor Dr. Wallwiener, auch aus der An-hörung im Juli – vom weniger effektiven Präparat. Wa-rum weniger effektiv? Auch darüber haben wir unsschon mehrfach unterhalten: Die Wirksamkeit ist abhän-gig vom Zeitpunkt der Einnahme. Bei Levonorgestrel istdie Wirksamkeit nach 72 Stunden nicht mehr ausrei-chend gegeben, bei Ulipristalacetat nach 120 Stundennicht mehr. Levonorgestrel verschiebt den Eisprung umfünf Tage; das funktioniert aber nur – so die Anhörung –bis Tag zwei vor dem Eisprung. Ob der Eisprung nunkurz bevorsteht, kann man, glaube ich, nicht in der Apo-theke klären; das sollte per Ultraschall festgestellt wer-den.
Die Wirkung von Levonorgestrel verändert sich beigleichzeitiger Einnahme von Antiepileptika, Antidepres-siva und Antibiotika. Ein Drittel der deutschen Frauenwiegt über 75 Kilogramm, da wirkt Levonorgestrel garnicht; auch dieses Argument wurde schon mehrfach ge-nannt.
Ich komme zu den Kosten und zum Werbeverbot.
Und bitte zum Schluss.
Versicherte bis zum vollendeten 20. Lebensjahr haben
Anspruch auf empfängnisverhütende Mittel, soweit sie
ärztlich verordnet werden. Ich glaube nicht, dass es den
Zugang zur Pille danach erleichtert, wenn die Jugendli-
chen dann 18 bis 35 Euro zahlen müssen. Das Publi-
kumswerbeverbot würde fallen; ich möchte aber auch
nicht erleben, dass im Kino, im Fernsehen oder am
Bahnhof für die Pille danach geworben wird.
Kurzum: Es sprechen weiterhin viele gute Gründe da-
für, die Pille danach verschreibungspflichtig zu lassen.
Ich bin aber gemeinsam mit den Kolleginnen aus der
SPD gerne bereit, weiter darüber zu diskutieren.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-
nungspunkt ist die Kollegin Mechthild Rawert, SPD-
Fraktion.
Liebe Frau Möhring, als Erstes möchte ich natürlich
feststellen, dass wir Parlamentarierinnen hier alle keine
Freigängerinnen aus dem Koalitionsgefängnis, sondern
frei gewählte Abgeordnete sind.
Frauen und Mädchen haben das Recht, selber über ih-
ren Körper und ihr Leben zu bestimmen. Niemand sonst.
Für dieses Menschenrecht hat sich die SPD immer ein-
gesetzt – in Deutschland und weltweit.
Bevor ich zu dem heute vorliegenden Antrag direkt
komme, möchte ich uns alle an etwas anderes erinnern:
1994 haben 179 Staaten – darunter Deutschland – auf
der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo die sexuel-
len Rechte und die sexuelle Selbstbestimmung der
Frauen zu einem Menschenrecht erklärt. Dieses Frauen-
recht umfasst – ich zitiere –
ihr Recht, frei von Zwang, Diskriminierung und
Gewalt über Angelegenheiten im Zusammenhang
mit ihrer Sexualität, einschließlich der sexuellen
und reproduktiven Gesundheit, bestimmen und frei
und eigenverantwortlich entscheiden zu können.
Kollegin Rawert, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Vogler?
Ja.
Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, FrauKollegin, dass Sie meine Zwischenbemerkung zulassen.Ich habe mich gerade ein bisschen über den Satz, denSie gesagt haben, gefreut, Sie seien keine Freigängerinaus dem Koalitionsknast, sondern eine frei gewählte Ab-geordnete.
An diese frei gewählte Abgeordnete und alle ihre Kolle-ginnen und Kollegen möchte ich gerne meinen Appellrichten, genau diese Tatsache im Blick zu behalten.
– Ich stelle keine Frage. Lesen Sie bitte die Geschäfts-ordnung. – Ich möchte Sie ermutigen, auch einmal überein anderes Verhalten als dem reflexartigen Ablehnenunserer Vorlagen nachzudenken, zumal unser Antragweitestgehend dem entspricht, was der Bundesrat schonmit SPD-Stimmen beschlossen hat.
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Kathrin Vogler
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Ich möchte Sie dazu mit den Worten der Abgeordne-ten Lisa Gnadl aus der Sitzung des Sozial- und Integra-tionspolitischen Ausschusses des Hessischen Landtagsam 11. September dieses Jahres ermutigen, in der sie ge-sagt hat – ich zitiere –:Für meine Begriffe kann man einen schnellen unddiskriminierungsfreien Zugang zur „Pille danach“nur gewährleisten, wenn sie rezeptfrei ist. In allenDebatten zu diesem Thema, auch im Bundestag,habe ich nie irgendwelche medizinischen Gründegehört, die gegen eine rezeptfreie „Pille danach“sprechen.
Diese SPD-Abgeordnete sagte weiter:Ich finde es wichtig, dass wir es begrüßen und un-terstützen, dass dieses Medikament aus der Ver-schreibungspflicht herausgenommen wird.
Ich verstehe nicht, warum Sie– damit wendet sie sich an Union und Grüne –sich um diesen Punkt so herumdrücken und diesenAntrag der LINKEN nicht unterstützen wollen.Ich glaube, viele Frauen draußen werden es auchnicht verstehen, wenn ihr, liebe Mechthild, diesen An-trag der Linken heute nicht unterstützt
und euch mit uns dafür einsetzt, dass das, was ihr jamehrfach dokumentiert habt und auch selber wollt,Wirklichkeit wird.
Herzlichen Dank für die Erinnerung, dass mit dieserDiskussion sowohl der Bundestag als auch der Bundes-rat befasst sind.
Zurück zu Kairo: Dieses Aktionsprogramm von Kairowurde vor drei Tagen noch einmal beschlossen.Wir Abgeordnete lassen eine Bundesregierung janicht unvorbereitet nach New York fahren.
Deswegen haben wir Abgeordnete von CDU, CSU undSPD unter anderem in einem Antrag im Vorfeld dieserSondertagung gefordert, dass jedem Menschen eineselbstverantwortliche und freie Entscheidung über Zeit-punkt und Anzahl der eigenen Kinder ermöglicht werdenmuss und dass der Zugang zu anerkannten und moder-nen Methoden und Leistungen der Familienplanung un-abhängig von der Zustimmung von Eltern und Ehepart-nern sowie vom Familienstand sicherzustellen ist. Wirhaben explizit den freien – ich zitiere –Zugang zu einer Bandbreite von sicheren, zuverläs-sigen, qualitativ hochwertigen und erschwinglichenVerhütungsmitteln, inklusive Notfallkontrazeptiva,gefordert.Und ich fordere für die Frauen in Deutschland dasGleiche, was wir für die Frauen in anderen Ländern auchwollen.
Es kann nicht sein, dass das, was in 79 Staaten – darun-ter die meisten europäischen Staaten – längst medizini-scher und pharmakologischer Alltag ist, uns hier inDeutschland verwehrt wird.Noch eines, Frau Zeulner: Aufklärung ja, aber Auf-klärung im Vorfeld, Hilfe allerdings beim geplatztenGummi, und das zügig und mit Rezeptfreiheit.
Frau Maag, die Kosten einer Kupferspirale liegen beimehreren Hundert Euro. Wir werden weiter über diesesThema debattieren. Wir haben Beratungsbedarf, weil wirselbstverständlich auch den Aspekt der Kosten der ein-zelnen Verhütungsmittel nicht außer Acht lassen wollen.Das betrifft auch den Vergleich zwischen der Pille da-nach auf UPA- und der auf LNG-Basis. Unsere Haltungist, dass wir die Frauen nicht mit Mehrkosten belastenwollen,
wenn es schon ein Rezept gibt, das millionenfach sicher-stellt, dass eine ungewollte Schwangerschaft verhindertwird.
Wir werden nach der europarechtlichen Entscheidungzur Pille auf UPA-Basis ernsthaft über diese Interessen-verquickungen reden. Wir werden auch die Unterschei-dung zwischen der Pille danach auf LNG-Basis und derauf UPA-Basis diskutieren. Wir werden somit also auchüber die freien Zugänge und die Rechte der Frauen dis-kutieren.Wir wissen: Die Pille danach, auch auf LNG-Basis– darüber brauchen wir gar kein Wort mehr zu verlieren –,ist für die Frauen nicht gesundheitsgefährdend, und sieist nebenwirkungsarm. Machen wir uns nichts vor – ma-chen wir uns in diesem Fall ehrlich –: Es geht hier weni-ger um die Pille danach als Medikament. Es geht umunterschiedliche Wertentscheidungen hinsichtlich derSelbstbestimmung und der Bevormundung von Frauen.Vor allen Dingen geht es – erst recht, wenn ich an dieDiskussionen im Rahmen des Bündnisses für sexuelleSelbstbestimmung vom vergangenen Wochenende denke –um den freien Zugang zu Rechten. Dafür stehen wir So-
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Mechthild Rawert
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zialdemokraten und Sozialdemokratinnen. Da machenwir weiter. Wir diskutieren intensiv weiter. Ich freuemich auf die Diskussion. Wir überzeugen Sie noch.
Vielen Dank. – Da es eben auf der von mir aus rech-ten Seite des Saales etwas Unruhe gegeben hat, möchte ichdarauf hinweisen, dass Zwischenfragen oder Zwischenbe-merkungen nach § 27 Absatz 2 unserer Geschäftsordnungdann erlaubt sind, wenn der Redner bzw. die Rednerinsie zulässt. Ich mache allerdings alle Kollegen, die vondiesem Instrument Gebrauch machen wollen, auch dieKollegin Vogler, darauf aufmerksam, dass in der Ge-schäftsordnung steht: Sie müssen kurz und präzise sein. –Das sage ich für die Zukunft.
Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion Die Linkeauf Drucksache 18/2630 mit dem Titel „Pille danachjetzt aus der Rezeptpflicht entlassen“. Die Fraktion DieLinke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktio-nen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überwei-sung, und zwar federführend an den Ausschuss für Ge-sundheit und mitberatend an den Ausschuss für Familie,Senioren, Frauen und Jugend.Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über denAntrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieÜberweisung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPDund gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen undder Fraktion Die Linke so beschlossen. Wir stimmen da-mit über den Antrag auf Drucksache 18/2630 heute nichtin der Sache ab.Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
auftragtenJahresbericht 2013
Drucksachen 18/300, 18/1917Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehrbe-auftragte des Deutschen Bundestages, HellmutKönigshaus. – Bitte schön.Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deut-schen Bundestages:Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren Abgeordneten! Ich glaube, spätestens seit denDarlegungen der Inspekteure gestern im Verteidigungs-ausschuss zur Situation in den Teilstreitkräften ist einesklar: Die Bundeswehr ist in weiten Bereichen in einembeklagenswerten Zustand. Das gilt insbesondere für diemilitärischen Großgeräte, aber auch für die vielfach ver-nachlässigte bauliche Infrastruktur. Der Inspekteur desHeeres hat ja vorgetragen, dass wie beispielsweise inHammelburg vielfach ein Boxer durch zwei Füchse er-setzt werden muss und dass das natürlich eine Problem-lage schafft. Inzwischen ist es ja so, dass selbst dieMinisterin durch zwei Staatssekretäre ersetzt werdenmuss. Das scheint also ein typisches Verhalten zu sein.
Im aktuellen Jahresbericht hatte ich ebenso wie be-reits in den Vorjahren dargestellt, dass die Rüstungspla-nung die sach- und zeitgerechte Deckung des Einsatzbe-darfes nicht gewährleistet. Das BMVg hat daraufhinzugesichert, die materielle Ausstattung habe mit Blickauf eine optimierte Einsatzfähigkeit und Auftragserfül-lung höchste Priorität. Meine Damen und Herren, daskann ich aber in der konkreten Situation nicht erkennen.Die jetzt öffentlich gewordene Techniksituation mitTechnikpannen und Defiziten in der Ausrüstung belegtdie Richtigkeit meiner damaligen Hinweise, die als maß-lose Übertreibung zurückgewiesen worden waren. Of-fenbar wurde eben nicht in ausreichendem Umfang Vor-sorge getroffen, um die vorhandenen Gerätschaften zuunterhalten, wie das BMVg seinerzeit kommentierte.Im Januar hatte ich mich von dieser Stelle aus mitdem Wunsch an die Ministerin gewandt, bei unseren An-geboten an die internationale Gemeinschaft mehr Auf-merksamkeit als bisher auf die Begrenztheit unserer Mit-tel zu lenken. Ich habe darauf hingewiesen, dass bei demgeradezu routinemäßig gegebenen Angebot von Sani-täts- und Lufttransportkapazitäten nicht berücksichtigtwerde, wie gering unsere Reserven in diesem Bereichbereits für den Regelbetrieb sind. Ich glaube, nun zeigtsich jedermann, wie begründet diese Mahnung war.Schon jetzt hat sich beispielsweise bei den Marineflie-gern der durchschnittliche Instandhaltungsaufwand füreine Flugstunde des großen Hubschraubers Sea Kingvon 50 auf 120 Stunden erhöht. Dies stellt eine nicht hin-nehmbare Überlastung für das verantwortliche Personaldar; denn die Personalausstattung wurde ja nicht verbes-sert, sondern im Gegenteil weiter reduziert.Dieser Aspekt führt mich zu einem weiteren Problem,das weiterhin ungelöst ist: die hohe und bis an die Gren-zen gehende Einsatzbelastung von Personal mit Schlüssel-qualifikationen, etwa beim Flugverkehrskontrolldienstoder bei den Luftumschlags- und Feuerwehrkräften.Viele Soldatinnen und Soldaten sind seit langer Zeit im-mer wieder mehr als 250 Tage pro Jahr einsatzbedingtvon zu Hause abwesend. Das gilt auch für die Marine.Das ist langfristig gesehen unzumutbar. Es ist für die Zu-kunft unzumutbar nach einem so langen Vorlauf.Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Aus-landseinsätze der Bundeswehr sind mit der derzeitigenAusstattung nicht weiter ausweitbar, schon gar nicht un-begrenzt. Es gibt nur zwei Optionen: Entweder werdendie Aufgaben an die personellen und materiellen Rah-menbedingungen angepasst oder aber die Rahmenbedin-gungen werden entsprechend angepasst.
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5002 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus
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Sorgen bereitet auch weiterhin die verfallende bauli-che Infrastruktur. Diese wurde an einer Reihe von Stand-orten über viele Jahre vernachlässigt. Das hat auch etwasmit der Frage zu tun, wo in Zukunft noch Standortsicher-heit gegeben ist. Das ist verständlich, erklärt aber nichtalles. Rost und Schimmelbefall, Kloakengeruch, defekteHeizkörper in Sanitärgebäuden – übrigens auch in denWintermonaten – sind niemandem zumutbar. Ich binfroh, dass die dafür zuständigen Stellen in Büchel, woich besonders erschreckende Verhältnisse vorfand,schnell reagiert haben. Aber das löst ja nicht das grund-sätzliche Problem. Wenn die Soldatinnen und Soldatensich, so wie die Ministerin das wollte, in ihren Dienst-stellen zu Hause fühlen sollen – das ist ja unser allerZiel –, dann muss noch viel investiert werden.Dabei wären die zusätzlich erforderlichen Mittel javerfügbar. Zuletzt wurden für das Haushaltsjahr 2013unter anderem wegen der von der Industrie nicht gelie-ferten Rüstungsgüter hohe Summen an das Bundes-ministerium der Finanzen zurückgegeben. Das ist imÜbrigen auch für das laufende Haushaltsjahr zu erwar-ten. Diese Mittel sollten in andere dringende Vorhabenumgeleitet werden. Hierfür muss das BMVg allerdingsausführungsreife Planungen vorhalten. Dringlicher Be-darf jedenfalls ist vorhanden.Nicht erst im Jahresbericht 2013, sondern bereits inden Berichten der Vorjahre hatte ich Maßnahmen zur At-traktivitätssteigerung, insbesondere nachhaltige Verbes-serungen bei der Vereinbarkeit von Dienst und Familiein der Bundeswehr eingefordert. Insoweit habe ich es alssehr wohltuend empfunden, dass sich die Bundesminis-terin, Frau Dr. von der Leyen, der besseren Vereinbarkeitdes Soldatenberufs mit dem Familienleben angenommenhat.Dabei sehe ich es auch durchaus als eine Bestätigungder Arbeit des Wehrbeauftragten und seiner Mitarbeite-rinnen und Mitarbeiter, dass sich in der Agenda und demArtikelgesetz eine Reihe von Anregungen aus meinenJahresberichten wiederfinden.Allerdings wird bereits bei den ersten von der Minis-terin angekündigten kleineren Maßnahmen deutlich, wo-ran so manche Veränderung schon im Ansatz zu schei-tern droht. Die Ministerin will beispielsweise in denStuben der Soldatinnen und Soldaten Kühlschränke auf-stellen lassen. Kaum angekündigt, melden sich bereitsdie Veterinäre der Bundeswehr und kündigen an, dass sieden Gebrauch der Kühlschränke unterbinden werden,wenn nicht zusätzliches Kontrollpersonal eingestelltwerde, um durch Überprüfung alle 14 Tage sicherzustel-len, dass die Kühlschränke von den Soldatinnen und Sol-daten sachgerecht genutzt und gereinigt werden. MeineDamen und Herren, so wird das natürlich nichts.
Unterstützung verdienen auch die Pläne der Ministe-rin, die tatsächliche Anzahl der Soldatinnen und Solda-ten an die im Personalstrukturmodell vorgesehene Zahlvon 185 000 Vollzeitstellen heranzuführen, die gegen-wärtig weit unterschritten ist. Nur so kann im Übrigenwie vorgesehen die Teilzeitarbeit ausgeweitet werden.Denn Teilzeitarbeit darf in den einzelnen Arbeitseinhei-ten nicht länger zu einer Mehrbelastung der übrigen Ka-meradinnen und Kameraden führen. Dies wurde bisherinsbesondere in Teilen des Sanitätsdienstes immer wie-der, und zwar völlig zu Recht, beklagt.Deshalb ist das in meinen Jahresberichten schonmehrfach angeregte Vakanzenmanagement für Teilzeit-arbeit und sonstige familienbedingte Ausfallzeiten un-verzichtbar.Ich bedauere in diesem Zusammenhang auch, dass diein der Koalitionsvereinbarung festgelegte Wahlfreiheitzwischen Umzugskostenvergütung und Trennungsgeldnun doch nicht in das Artikelgesetz aufgenommen wird.Ich glaube, hier ist der Gesetzgeber noch einmal selbergefordert, darüber nachzudenken, ob er diese Zusage inder Koalitionsvereinbarung nicht einhalten will.Kritisch betrachte ich ebenso, dass die geplanten Ver-besserungen bei der Übertragung von rentenrechtlichenAnwartschaften der ausscheidenden Zeitsoldaten im Ar-tikelgesetz keinen Niederschlag finden sollen. Die ange-kündigte Evaluation der Neuausrichtung böte nun dieGelegenheit, notwendige Verbesserungen vorzunehmen.Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, den Ab-geordneten des Deutschen Bundestags, ebenso wie derBundesministerin, dem Bundesministerium der Verteidi-gung insgesamt und natürlich der Bundeswehr insgesamtfür die Unterstützung meiner Arbeit und die vertrauens-volle Zusammenarbeit. Ein Dank, ein ganz besondererDank, geht natürlich auch an meine Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter bei uns im Amt.Ich glaube, wenn Sie einen Blick nach vorn werfen,dann werden Sie feststellen, dass wir inzwischen bei denReferatsleitungsstellen einen Frauenanteil von 50 Pro-zent erreicht haben.
Ein besonderer Dank gebührt von dieser Stelle ausaber natürlich den Soldatinnen und Soldaten der Bundes-wehr und ihren Angehörigen.
Die Soldatinnen und Soldaten müssen – ich habe daseben dargestellt – unter oftmals wirklich nicht optimalenBedingungen einen aufopferungsvollen und erfolgrei-chen Dienst für unser Land leisten. Sie tun das mit Enga-gement. Ich glaube, dafür sind wir alle ihnen zu Dankverpflichtet, nicht nur der Wehrbeauftragte.Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. HerzlichenDank.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anita Schäferdas Wort.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5003
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Die Ereignisse dervergangenen Monate haben uns den Wert eines in ge-meinsamer Sicherheit verbundenen friedlichen Europaseinmal mehr eindrücklich vor Augen geführt, und zwargerade deshalb, weil es an den Rändern Europas derzeitganz und gar nicht friedlich zugeht. Die Lage dort istdurch staatliche Instabilität und vieltausendfachesmenschliches Leid gekennzeichnet.Da ist der andauernde Bürgerkrieg in Syrien, der mitt-lerweile auf den Irak übergegriffen hat, was dazu geführthat, dass die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ ihreSchreckensherrschaft bis an die Grenzen des NATO-Partners Türkei ausgedehnt hat. Verteidigungsministerinvon der Leyen ist zurzeit im Irak, um sich ein Bild vonder Umsetzung des deutschen Engagements zum Schutzder Kurden, Jesiden und anderen von IS bedrohten Min-derheiten im Norden des Landes zu machen.Da sind weiterhin die Kämpfe zwischen Israelis undPalästinensern und zwischen verschiedenen Parteien inLibyen. Und da sind vor allem die russische Annexionder Krim und die Unterstützung der Separatisten in derOstukraine mit militärischen Mitteln. Es ist das ersteMal seit 1945, dass in Europa unter Androhung oder so-gar unter Einsatz von bewaffneter Gewalt staatlicheGrenzen verschoben worden sind.
Erst vor kurzem haben wir im Parlament des Beginnsdes Zweiten Weltkriegs gedacht, mit dem Deutschlandvor 75 Jahren Europa in die Katastrophe gestürzt hat.Dass der polnische Präsident heute als Vertreter einesNATO-Partnerstaates im Deutschen Bundestag die Be-deutung der Solidarität für ein sicheres Zusammenlebenunter Nachbarn hervorhebt, zeigt, wie weit wir gekom-men sind.
Es zeigt aber auch, dass wir den Frieden in Europanicht als selbstverständlich betrachten können. Es unter-streicht die Bedeutung eines Sicherheitsbündnisses wieder NATO für die Erhaltung des Friedens, zu der auchDeutschland mit seinen Streitkräften beitragen muss.Schon vor der Eskalation der Ukraine-Krise habenwir aktuelle Diskussionen über die Zukunft der Bundes-wehr geführt, die jede auf ihre Weise die Tätigkeit desWehrbeauftragten berührt haben. Es ging dabei vor-nehmlich um die Attraktivität des Dienstes einerseitsund die Ausrüstung der Truppe andererseits. Bei dieserGelegenheit möchte ich dem Wehrbeauftragten und sei-nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den Einsatz indiesen und vielen anderen Fragen hinsichtlich der Be-lange der Soldatinnen und Soldaten danken.
Dabei kann es nicht um ein Entweder-oder zwischenAttraktivität und Ausrüstung gehen. Beides ist wichtig.Wir als Deutscher Bundestag können unsere Soldatinnenund Soldaten nicht ohne die bestmögliche Ausrüstung indie Einsätze schicken, die wir mandatieren. Aber ohnezeitgemäße attraktive Dienstbedingungen werden wirunsere Soldatinnen und Soldaten nicht in der Freiwilli-genarmee Bundeswehr halten können. Beides wird Geldkosten.Lassen Sie mich auf diese eng verbundenen Bereicheetwas genauer eingehen. Das in diesem Jahr von derBundesverteidigungsministerin von der Leyen vorge-stellte neue Attraktivitätsprogramm für die Bundeswehrenthält viele weitere Detailverbesserungen für schwierigeThemen, um die wir uns schon seit längerem kümmernund bemühen, wie etwa Unterbringung, Kinderbetreuung,Teilzeit- und Telearbeitsmodelle sowie Kommunikationim Einsatz.Ich möchte einmal an einem Beispiel verdeutlichen,warum ich gerade die Vereinbarkeit von Familie undDienst hier an dieser Stelle und anderswo immer wiederso hervorgehoben habe. In meinem Wahlkreis liegt derBundeswehrstandort Zweibrücken mit Teilen der bishe-rigen Luftlandebrigade 26. Anfang des Jahres entstandhier das Problem, dass weiterverpflichtungswillige Sol-daten in der Region keine freien Dienstposten mehr fan-den, auf die sie sich hätten bewerben können. Dabei ginges zum Teil um einsatzerfahrene, hochengagierte Unter-offiziersdienstgrade. Von diesen Soldaten, die zu denBesten gehören, die die Bundeswehr zu bieten hat, habenviele lieber auf eine Weiterverpflichtung verzichtet, alseine Versetzung aus der Region in Kauf zu nehmen, weilsie und ihre Familien in ihrem sozialen Umfeld verwur-zelt sind. Das kann sich die Bundeswehr heute wenigerdenn je leisten.In diesem Fall ist mittlerweile durch eine Nachjustie-rung der Standortplanung und viel Flexibilität der Bun-deswehr eine Entspannung eingetreten. Bei allen, die andieser Lösung mitgewirkt haben, möchte ich mich andieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanken.
Das zeigt, wie viel bei gutem Willen möglich ist. Eszeigt aber auch, wie schwer die Bindung an Umfeld undFamilie heute bei Karriereentscheidungen wiegt. Vor dieWahl einer Versetzung mit Umzug der ganzen Familieoder einer Wochenendbeziehung gestellt, entscheidetsich so mancher dafür, gleich ganz auszusteigen.Wenn man sich vor Augen hält, dass ein Karrierepfadbislang alle zwei bis drei Jahre eine Versetzung erfordernkann, wird das Ausmaß des Problems klar. Deswegenempfinde ich den Ansatz des Attraktivitätsprogramms,die Häufigkeit von Versetzungen überhaupt zu reduzie-ren, als einen so großen Schritt. Künftig muss man nichtmehr alle bisherigen Verwendungen durchlaufen, umKarriere zu machen. Zudem soll am selben Standort dieBeförderung um bis zu drei Besoldungsstufen möglichwerden.Ab 2015 soll Personal in Führungsverwendungen dreistatt bisher zwei Jahre auf derselben Stelle bleiben; Spe-zialisten sollen für mindestens fünf Jahre bleiben. SoweitVersetzungen erforderlich sind, sollen diese ab 2016 nur
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5004 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Anita Schäfer
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noch an zwei festen Terminen im Jahr stattfinden, näm-lich zu Jahresbeginn und in den Sommerferien. Ichdenke, das ist sehr familienfreundlich.Meine Damen und Herren, damit möchte ich zu demzweiten der eingangs genannten Komplexe kommen: derAusrüstung. Der Ausrüstungszustand der Bundeswehrist nach unseren Bemühungen der letzten Jahre im We-sentlichen gut. Viele große Beschaffungsprojekte, diesich lange hingezogen haben, stehen mittlerweile in odervor der Umsetzung, etwa die für dieses Jahr geplanteEinführung des Transportflugzeugs A400M, das dietreue, aber betagte Transall ablösen wird. Das wird auchhöchste Zeit; denn die Verfügbarkeit der Transall-Flottesinkt. Auch der alte Schützenpanzer Marder wird nunbald durch den Puma abgelöst.Bei einigen neuen Systemen wie dem gepanzertenTransportfahrzeug Boxer oder den Hubschraubern Tigerund NH90 hat sich die Versorgung mit Ersatzteilen undÄhnlichem noch nicht eingespielt. Trotzdem haben siesich bereits im Einsatz bewiesen.In anderen Bereichen ist die Ablösung alten Gerätsnoch dringend erforderlich, wie sich gerade bei den Ma-rinehubschraubern gezeigt hat. Glücklicherweise ist auchhier die erste Beschaffung neuer Maschinen bereits ein-geleitet, auch wenn diese nur einen Teil des Bedarfs ab-decken wird. Gerade beim Fluggerät zeigen sich dieSpätfolgen von Sparmaßnahmen bei der Beschaffungvon Ersatzteilen vor einigen Jahren. Das zeigt, dass sichder Verteidigungshaushalt nicht als Steinbruch für Spar-maßnahmen eignet, weil kurzfristige Kürzungen lang-fristige Folgen haben werden.Wichtig ist aber, dass die Bundeswehr die ihr gestell-ten Aufgaben erfüllen kann. Das ist gegenwärtig derFall. Allerdings müssen wir dafür sorgen, dass dies sobleibt.In diesem Zusammenhang begrüße ich besonders,dass im BMVg nunmehr die Entscheidungen zur Neube-setzung der Stellen im Beschaffungsbereich ebenso wiezur Evaluierung des gesamten Bereichs getroffen wur-den. Ich hoffe, dass es hier nun zügig vorangeht.Angesichts neuer Herausforderungen sollte im Rah-men der Evaluierung auch an der einen oder anderenStelle noch einmal über Stückzahlen von Waffensyste-men nachgedacht werden. Die Ukraine-Krise hat inner-halb der NATO die Frage der Bündnisverteidigung wie-der stärker in den Fokus gerückt. Daher sollten wirprüfen, ob nicht doch alle mechanisierten Verbände stattder bislang geplanten Pool-Lösung eine Vollausstattungmit Kampffahrzeugen erhalten sollten.Hinzu kommt die Frage, inwieweit wir unsere osteu-ropäischen Verbündeten beim Aufbau eigener Fähigkei-ten unterstützen sollten, auch mit Ausrüstungsabgaben,die gleichzeitig der Modernisierung unseres eigenen Be-standes dienen können. Deutschland hat auf dem NATO-Gipfel in Wales bereits eine Initiative angestoßen, beider wir unsere Kooperation in einer Reihe von Feldernmit neuen Partnern langfristig vertiefen werden.Das sind zudem Schritte in Richtung echter europäi-scher Streitkräfte.
Es bedeutet aber nicht, dass wir Investitionen in die ge-meinsame Verteidigungsfähigkeit künftig anderen über-lassen dürfen. Gerade Deutschland als Nation, die denRahmen für solche Vorhaben bildet, muss vielmehr wei-terhin einen seiner Größe angemessenen Beitrag hierzuleisten.Meine Damen und Herren, abschließend möchte ichunseren Soldatinnen und Soldaten ganz herzlich danken,die ihren Dienst im In- und Ausland für unsere Sicher-heit leisten. Dabei möchte ich auch ihre Familien einbe-ziehen, die diesen wichtigen Dienst trotz aller Belastun-gen mittragen.Herzlichen Dank.
Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Christine
Buchholz.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-ehrter Herr Königshaus! Liebe Mitarbeiterinnen undMitarbeiter des Wehrbeauftragten! In diesen Tagen wirdvor allem über den schlechten Zustand des Bundeswehr-materials berichtet und diskutiert. Aber dank des Jahres-berichts des Wehrbeauftragten erfahren wir, dass auchdie Fürsorgepflicht der Bundeswehr gegenüber den eige-nen Soldatinnen und Soldaten deutliche Defizite auf-weist. Wir diskutieren heute über die Reaktion des Ver-teidigungsministeriums auf den Jahresbericht über dasJahr 2013. Erinnern wir uns: Das ist der Bericht, der soviele Beschwerden von Soldatinnen und Soldaten be-inhaltet wie noch nie.Wie fällt die Antwort des Verteidigungsministeriumszu den Problemen aus, die Herr Königshaus benannthat? Die Antwort ist im besten Fall unzureichend, imschlechtesten Fall zynisch. Hier einige Beispiele:Beispiel Afghanistan: In Kabul wurden deutsche Sol-daten im US-geführten Camp Eggers untergebracht. DieSanitäranlagen seien durch Rost und Schwarzschimmel-befall hygienisch nicht hinnehmbar. Die Antwort desVerteidigungsministeriums: Den Soldaten wurden Reini-gungsmittel und Farbe zur Verfügung gestellt.Beispiel Mali: Die deutschen Soldaten sind in einemMalariagebiet untergebracht. Doch passende Moskito-netze werden erst mit monatelanger Verspätung angelie-fert. Das ist unglaublich.Ministerin von der Leyen behauptet, die Bundeswehrzu einem familienfreundlichen Unternehmen machen zuwollen. Aber ich werde den Eindruck nicht los: VieleMaßnahmen sind vor allem eines: Fassade. Dort, wo dieRücksicht auf Familie der Einsatzfähigkeit im Weg steht,fällt die Fassade. So regte der Wehrbeauftragte erneutan, die Erziehung von Kindern unter drei Jahren durchalleinerziehende Soldatinnen und Soldaten als Einsatz-
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Christine Buchholz
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hinderungsgrund festzuschreiben. Aber das Ministeriumantwortete, das sei „nicht erforderlich“.
Doch, meine Damen und Herren, doch, das ist es!
Wie wenig es dem Ministerium um den Menschenund wie sehr es ihm um seine Verwendung im Auslands-einsatz geht, zeigt auch der Umgang mit einsatzbeding-ten psychischen Erkrankungen. Es geht weitgehend umeines: die Durchhaltefähigkeit vor und während des Ein-satzes zu stärken. Auf keinen Fall geht es darum, psy-chisch kranken Soldaten den Einsatz zu ersparen. So be-tont das Ministerium in seiner Antwort auf den Bericht,es werde weiterhin auch psychisch vorbelastete Soldatenin Auslandseinsätze schicken. Es sei „noch nicht hinrei-chend erforscht, welche psychischen Vorbelastungen dieindividuelle Einsatzverwendungsfähigkeit tatsächlicheinschränken können“. Das grenzt zumindest an Zynis-mus. Wenn die Soldaten aus dem Einsatz und der Bun-deswehr heraus sind, werden sie uninteressant. Wennsich Jahre später Traumata einstellen, dann erwartet deneinzelnen Soldaten ein Papierkrieg um die Anerkennungeiner Wehrdienstbeschädigung. Diese ist die Vorausset-zung, um die Chance auf eine vernünftige Therapie imRahmen der Bundeswehr zu erhalten. Das ist nicht hin-nehmbar.
Immer mehr Auslandseinsätze haben offenkundig zueiner Überdehnung der Kapazitäten der Bundeswehr injeglicher Hinsicht geführt. Das gilt sowohl für das Mate-rial, für dessen schlechten Zustand der Steuerzahler zu-künftig tiefer in die Tasche greifen muss – die KolleginSchäfer hat das vorhin angedeutet –, als auch für dieMenschen, die im Zweifelsfall ihren Kopf hinhalten fürdie politischen Entscheidungen, die hier im Bundestaggefällt werden, nämlich die Soldatinnen und Soldaten.Ich bin hier ganz bei Herrn Königshaus, auch wenn wirzu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Es gibtnur zwei Optionen. Entweder treiben Sie die Auf- undUmrüstung hin zur Einsatzarmee weiter voran, wie esauch der Wehrbeauftragte leider immer wieder fordert,und lassen die Steuerzahler sowie die Soldatinnen undSoldaten weiter für Ihre Interventionspolitik zahlen, oderSie entscheiden sich endlich für einen Kurswechsel. DieLinke sagt: Beenden Sie die Auslandseinsätze derBundeswehr! Bauen Sie endlich die zivile Hilfe massivaus, und holen Sie die Soldatinnen und Soldaten nachHause – besser heute als morgen!
Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Heidtrud
Henn.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrWehrbeauftragter! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ganz besonders grüße ich alle Angehörigen der Bundes-wehr. Um Sie geht es nämlich in dieser Debatte. In denletzten Tagen haben Sie lesen und hören müssen, welcheProbleme Ihr Arbeitgeber hat, dass die Ausstattungschlecht ist, dass die Ministerin Fehler macht. Überhauptist für einige Journalisten die Bundeswehr ein einzigerTrümmerhaufen.Beim Lesen der Pressemappe habe ich an die gestrigeEröffnung der Ausstellung „Operation Heimkehr“ ge-dacht. Herr Königshaus, Sie haben gestern im Paul-Löbe-Haus ein Grußwort dazu gesprochen. Die Berichteder Männer und Frauen, die im Kosovo, am Hindukusch,in Mali oder am Horn von Afrika ihren Dienst geleistethaben, prägen sich ein. Ich habe dieses besondere Buchgelesen. Ich lege auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kol-legen, ans Herz, es zu lesen. Die Erfahrungen, die unsereSoldatinnen und Soldaten gemacht haben, gehen unterdie Haut. Es ist nicht irgendein Buch, es ist ein Buchzum Nachdenken. Ich stellte mir die Frage, als ich es ge-lesen hatte: Wie gehen wir, unsere Gesellschaft, mit un-seren Mitbürgern und Mitbürgerinnen in Uniform um?Ich wünsche mir eine andere und eine objektivere Be-richterstattung über den Zustand unserer Bundeswehr,mehr Berichte über die Menschen in der Bundeswehr.Die Missstände bei der Bundeswehr sind uns bekannt.Erst gestern haben wir im Ausschuss ausführlich darübergesprochen. Im Rahmen der Haushaltsberatungen mussgeprüft werden, wo mehr Geld benötigt wird und woGeld anders verteilt werden muss. Eine ehrliche Debatteist mir dabei lieber als eine wohlfeile Bekundung. Faktist: Nur wer Probleme benennt, wer offen und ehrlichsagt, wo es klemmt, kann Probleme lösen. Ja, unsereBundeswehr braucht Geld, und wir können es eigentlichgar nicht zulassen, dass jedes Jahr Millionen zurückge-geben werden. Wir brauchen aber auch einen guten Um-gang mit dem Geld. Wir können von der Bevölkerungnicht Unterstützung erwarten, wenn sich der Eindruckeines Trümmerhaufens in den Köpfen festsetzt.Damit wir Abgeordnete unsere Aufgabe erledigenkönnen, legt uns der Wehrbeauftragte des Bundestagesseinen jährlichen Bericht vor. Der Bericht ist ehrlich undgilt als Mängelbericht. In diesem Bericht geht es um diematerielle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Ganz we-sentlich geht es hier aber auch um die Menschen in undbei der Bundeswehr. Die Statistik zum Bericht des Wehr-beauftragten zeigt mit 4 842 bearbeiteten Vorgängen fürdas Berichtsjahr 2013 eine enorm hohe Quote. Die meis-ten Probleme bezogen sich auf Menschenführung undsoldatische Ordnung. Mit dem Attraktivitätsprogrammund dem Gesetz zur Steigerung der Attraktivität desDienstes in der Bundeswehr wird sich an dieser Zahlhoffentlich viel ändern. Es ist an der Zeit.Lieber Herr Königshaus, wir beraten heute, Monatespäter als geplant, Ihren Bericht für das Jahr 2013. Sehrgeehrter Herr Wehrbeauftragter, Sie wissen, was nunkommt: Danke an Sie und an Ihre Mitarbeiterinnen undMitarbeiter dafür,
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5006 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Heidtrud Henn
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dass Sie uns Parlamentarier dabei unterstützen, unsereArbeit zu machen; denn ohne Sie könnten wir uns keinumfassendes Bild über die innere Lage der Bundeswehrmachen. Sie fassen zusammen, was die Soldatinnen undSoldaten bewegt. Sie zeigen keine Fotos wie die Aus-stellung „Operation Heimkehr“, aber Sie bilden ab, wasist, und treten engagiert für Soldatinnen und Soldatenein. Die Zusammenarbeit mit Ihnen schätze ich sehr, undich weiß, dass vielen Kolleginnen und Kollegen dasauch so geht.Ich war in der vergangenen Woche in Mayen. MeinZiel war das dort ansässige Zentrum Operative Kom-munikation der Bundeswehr. Hier arbeiten mehr als900 Angehörige der Bundeswehr für die Truppe im Ein-satz. Hier sendet das berühmte Radio Andernach, das indiesem Jahr 40 Jahre alt wird. Auch hier lohnt ein Be-such. Ich war sehr beeindruckt von der Leistungsbereit-schaft und – ja, ich möchte sagen – der Hingabe, mit derSoldatinnen und Soldaten und natürlich auch die zivilenMitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Dienst leisten.Auch in Mayen geht es darum, Bilder zu zeigen und zusagen, was im Auslandseinsatz los ist.Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müs-sen mehr und wir müssen anders über die Bundeswehrund über unsere sicherheits- und verteidigungspoliti-schen Gedanken sprechen. Wir können das Thema kei-ner kleinen Elite überlassen. Wir sprechen oft über He-rausforderungen, vor denen wir international stehen, undwir meinen dabei manchmal tatsächlich Gefahren.Wir müssen also darüber reden, was die Bundeswehrleisten kann und was sie leisten soll, am besten ohne Ab-kürzungen, sodass alle verstehen, worum es geht. Wirkönnen nicht davon ausgehen, dass uns viele Bürger viaFernseher oder Internet zu dieser Zeit zuschauen. Natür-lich wären wir froh, wenn bei der Beratung zum Berichtdes Wehrbeauftragten mehr Kolleginnen und Kollegenanwesend wären. Vielen Dank an Sie, die Sie anwesendsind!Wir müssen mit unserem politischen Fachthema zuden Bürgern und nicht umgekehrt.Die Truppe mit ihren Einsätzen im Ausland hat denWehrbeauftragten in seinem Bericht beschäftigt. Mankann sich nur schwer vorstellen, was es heißt, im Einsatzzu sein. Ein ganzes Kapitel nehmen die Auslandsein-sätze im Bericht des Wehrbeauftragten ein. Die Stellung-nahmen des BMVg dazu habe ich zur Kenntnis ge-nommen. Bei meinem Besuch in Masar-i-Scharif undTrabzon habe ich mir selbst ein kleines Bild von der Si-tuation machen können. An Trabzon denke ich oft. DieBundeswehr verschifft hier seit April 2013 Material ausdem Afghanistan-Einsatz zurück nach Deutschland. Esist eine logistische Meisterleistung, die die Soldatinnenund Soldaten dort vollbringen!Eine Verbesserung der Betreuungskommunikation imEinsatz wird es ebenso geben wie Verbesserungen beider Einsatz- und Beschädigtenversorgung. Natürlichmuss die persönliche Ausrüstung den Erfordernissen an-gemessen sein. Wir Sozialdemokraten werden bei denHaushaltsberatungen sagen, wo wir Handlungsbedarf se-hen und wie die Mittel dafür erwirtschaftet werden.Gerade die derzeit rund 3 470 Soldatinnen und Solda-ten der Bundeswehr im Einsatz, die gemeinsam mit un-seren internationalen Partnern im Ausland ausbilden,Wege sichern, schützen und auch beschützen, verdienenunsere besondere Anerkennung. Aber nicht nur das: DieSoldatinnen und Soldaten im Einsatz verdienen den be-sonderen Einsatz von uns Bundestagsabgeordneten,wenn es darum geht, dafür zu sorgen, dass sie ihre Arbeitgut und vor allem sicher erledigen können.
Für Sicherheit und Gesundheit im Ausland sorgt derSanitätsdienst. Hier geht es manchmal um Leben undTod und manchmal um ein Pflaster. Organisatorischmuss hier einiges passieren, wie die Eingaben an Sieganz deutlich zeigen.Auch wenn das Geld nicht alles ist: Die Stellenzula-gen in diesem Bereich sind aus meiner Sicht wichtig undsollten ausgeweitet werden; denn wer gut behandelnsoll, muss auch gut behandelt werden.Gerade und ganz besonders im Einsatz wird deutlich,wie wichtig und wie hervorragend ausgebildet die Män-ner und Frauen sind. In Gesprächen höre ich immer wie-der, dass der Sanitätsdienst im Einsatz tadellos funktio-niert. Wenn der Sanitätsbereich als Patient bezeichnetwird, dann deshalb, weil der Spagat, der zwischen In-lands- und Auslandseinsätzen zu absolvieren ist, nichtoptimal gelingen kann.Die primäre Aufgabe des Sanitätsdienstes ist die Un-terstützung der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.Aber es muss auch Sorge dafür getragen werden, dassunsere Soldatinnen und Soldaten zu Hause gut versorgtwerden. Soldatinnen und Soldaten sollten in Bundes-wehrkrankenhäusern immer die wichtigsten Patientensein. Kranke Soldatinnen und Soldaten im Inland solltenkeine gefühlten Weltreisen zu den regionalen Sanitäts-einrichtungen unternehmen müssen, um versorgt werdenzu können.Meine Damen und Herren, ich möchte unseren Solda-tinnen und Soldaten im Einsatz ganz liebe Grüße sendenund ihnen eine gesunde Rückkehr wünschen.Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit undwünsche uns allen Gottes Segen.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Doris Wagner
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrStaatssekretär! Verehrter Herr Königshaus! Werte Kolle-ginnen und Kollegen! Für Ministerin von der Leyenhätte dies eine richtig schöne Woche werden können.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5007
Doris Wagner
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Gestern der Kabinettsbeschluss und heute ein glänzenderAuftritt im Bundestag; viele Probleme, die der Wehrbe-richt aufwirft, gelöst. Unsere Soldatinnen und Soldatenhätten zufrieden sein können.Stattdessen hat sich aber die Bundesregierung auchnach Monaten der Beratung nicht auf das Artikelgesetzverständigt, das wesentlich zur Attraktivität des Dienstesin der Bundeswehr beitragen könnte. Das lässt nichtsGutes für die Zukunft erwarten. Ein großer Teil derMissstände, von denen Herr Königshaus berichtet, sindauf einen eklatanten Personalmangel zurückzuführen.Bei den Technikern, der Flugsicherung, im Sanitäts-dienst oder bei der Marine, wie wir gehört haben, ist dieLage längst dramatisch.Meine Fraktion hat die Attraktivitätsinitiativen derMinisterin deshalb ausdrücklich begrüßt. Doch nun müs-sen wir mit ansehen, wie sich die Ministerien im Streitüber die Details des geplanten Artikelgesetzes verhed-dern. Dabei brauchen wir doch jetzt eine wirkliche Ini-tiative.Was macht einen Job eigentlich attraktiv? Dies ist na-türlich zunächst einmal die Bezahlung. Vielleicht erin-nern Sie sich noch an die Berichte vom vergangenenJahr. Manche Soldatinnen und Soldaten heuern im Ur-laub tatsächlich mittlerweile bei privaten Sicherheitsfir-men an, um ihr Einkommen aufzubessern. Das kanndoch nicht wahr sein.Deshalb möchte die Ministerin die Stellenzulagen fürBundeswehrangehörige anheben. Doch der Innenminis-ter ist dagegen. Der öffentliche Dienst könnte ja dasGleiche fordern. Jetzt wird nur gekleckert. Die Erhöhungder Stellenzulage soll nur für einige wenige Bundes-wehrdienstposten gelten.Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, solch eineBeschränkung ist doch nicht zielführend, wenn wir dieBundeswehr insgesamt attraktiver machen wollen. Des-halb mein Appell an die Ministerin: Denken Sie dochbitte noch einmal über eine Erhöhung der Stellenzulagefür alle Bundeswehrangehörigen nach.
Was macht einen Job noch attraktiv? Dies ist natürlichauch die soziale Absicherung. Aber leider kleckert dieRegierung auch hier. Künftig werden drei von vier Sol-datinnen und Soldaten der Bundeswehr auf Zeit angehö-ren. Zudem werden die Verpflichtungszeiten immer län-ger.Eine gute Altersabsicherung dieser Soldatinnen undSoldaten trägt daher erheblich zur Attraktivität der Bun-deswehr bei. Doch jetzt, nach all dem Geschachere umdas Artikelgesetz, fällt die Erhöhung der gesetzlichenNachversicherung mehr als mager aus und trägt nichtdazu bei, den jungen Leuten, die heute zur Bundeswehrgehen, eine gute Altersversorgung zu bieten.Meine Damen und Herren, attraktiv ist wirklich etwasanderes. Ich hätte erwartet, dass die Ministerin einmalüber andere Modelle der Altersabsicherung nachdenkt,über Versorgungsanwartschaften oder über Möglichkei-ten einer betrieblichen Rentenabsicherung. Aber stattneue Wege zu beschreiten, speisen Sie die Soldatinnenund Soldaten mit Kleinkleckerles ab.Das Artikelgesetz wird also in vielen Punkten nichtder große Wurf, den Frau von der Leyen versprochenhat. Deshalb hoffe ich wirklich, dass wenigstens die At-traktivitätsagenda beherzt umgesetzt wird.Sie alle haben es im Wehrbericht gelesen: Ein weite-rer großer Teil der Beschwerden aus der Truppe beziehtsich auf das Führungsverhalten der Vorgesetzten. Malwerden Untergebene als „Schwuchteln“ oder „Mongos“bezeichnet, mal wird einem jungen SaZler eine Dienst-zeitverkürzung verweigert, wenn er eine Stelle im zivi-len Bereich antreten will. Nun soll es ein verpflichtendesindividuelles Coaching für das Spitzenpersonal geben;denn die Führungs- und Organisationskultur soll verbes-sert werden. Das Verteidigungsministerium ist derzeitdabei, diese Coachings zu konzipieren, und steht vor derEntscheidung, ob die Coachings ausschließlich von ex-ternen zivilen Coaches durchgeführt werden sollen oderob auch die bundeswehreigenen Coaches vom ZentrumInnere Führung beteiligt sein sollen. Ich hoffe wirklichsehr, dass sich die Ministerin entscheidet, auch die Bun-deswehrcoaches einzubinden. Denn wer sollte die solda-tischen Führungskräfte besser verstehen als ein Soldatoder eine Soldatin? Deshalb brauchen wir keine klang-vollen Beraternamen, sondern Coaches, die die Lage ih-res Gegenübers wirklich verstehen.
Aber eine grundsätzliche Veränderung des Bewusst-seins und des Führungsverhaltens in der Breite erreichenwir nicht, indem wir mal schnell die Spitzenkräfte einenTag lang zwangsanalysieren, so wie es jetzt angedachtist. Deshalb wünschen wir uns sehr: Lassen Sie es nichtdabei bewenden, Frau Ministerin. Binden Sie die bun-deswehrinternen Coaches in das Spitzencoaching ein.Aber mehr noch: Stärken Sie die Fähigkeit der Bundes-wehr zur Selbstreflexion nachhaltig, indem Sie die Zahlder Coaches im Zentrum Innere Führung erhöhen. Nurso werden wir die Probleme der Personalführung dauer-haft in den Griff bekommen.Meine Damen und Herren, angesichts der militäri-schen Konflikte in unserer Nachbarschaft ist es vielleichtverführerisch, die Beschwerden der Soldatinnen undSoldaten als Kinkerlitzchen abzutun. Davor möchte ichausdrücklich warnen. Dinge wie die unattraktive Bezah-lung – ich komme zum Schluss –, die unbefriedigendeAltersabsicherung und der rüde Umgang von Vorgesetz-ten mit Untergebenen sind keine Luxusprobleme.Lassen Sie die Chance, die sich mit dem Artikelgesetzund der Attraktivitätsagenda bietet, nicht verstreichen.Nicht kleckern, sondern klotzen!Vielen Dank.
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5008 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
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Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Reinhard
Brandl das Wort.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Lassen Sie
mich am Anfang Ihnen und Ihren Mitarbeitern für Ihre
Arbeit danken. Sie sind für uns im Verteidigungsaus-
schuss ein unverzichtbares Instrument. Sie sind unser
Ohr an der Truppe und geben uns und dem Ministerium
wichtige Hinweise, wo etwas schiefläuft und wo wir ge-
gebenenfalls politisch oder vonseiten des Ministeriums
nachsteuern müssen.
Ein Thema, das Sie in Ihrer Amtszeit immer wieder
aufgegriffen haben – das gefällt nicht jedem; das ist aber
wichtig –, ist die Frage der Ausrüstung. Ausrüstung ist
Teil der Attraktivität. Ausrüstung ist Teil der Verantwor-
tung des Dienstherrn und des Parlamentes. Eine gute
Ausrüstung ist auch eine sicherheitspolitische Notwen-
digkeit.
Wir erleben gerade eine unglaubliche Gleichzeitigkeit
von verschiedenen Krisenherden in der Welt. Dies macht
es notwendig, dass die Bundeswehr zum Beispiel im
Irak und bei der Bekämpfung von Ebola plötzlich und
schnell reagiert. Wir haben unsere Bundeswehr schon re-
duziert; das ist das Konzept „Breite vor Tiefe“. Wir ha-
ben aber die Breite vorgehalten. Damit dieses Konzept
funktioniert, ist es unerlässlich, dass die Ausrüstung, die
wir haben, funktioniert und für Einsatzzwecke zur Ver-
fügung steht. Lieber Herr Wehrbeauftragter, ich möchte
Ihnen dafür danken, dass Sie da den Finger in die Wunde
gelegt haben.
Es ist aber auch wichtig für uns im Parlament. Wir be-
schließen hier jedes Auslandsmandat der Bundeswehr.
Ein Auslandsmandat ist immer auch mit Risiken für Leib
und Leben der Soldaten verbunden. Wenn wir das be-
schließen, ist von unserer Seite damit die Verpflichtung
verbunden, dass wir den Soldaten die entsprechende
Ausrüstung zur Verfügung stellen, damit diese Risiken
für Leib und Leben minimiert werden.
Meine Damen und Herren, ich will in dem Zusam-
menhang auf eine Debatte hinweisen, die heute noch
nicht angesprochen worden ist, aber die der Wehrbeauf-
tragte vor der Sommerpause sehr intensiv geführt hat:
die Beschaffung von möglicherweise bewaffnungsfähi-
gen Drohnen. Sie ermöglichen auf der einen Seite bes-
sere Aufklärung, auf der anderen Seite, wenn es nötig
ist, einen zielgenaueren Waffeneinsatz, damit das Risiko
für die eigenen Soldaten und für möglicherweise betei-
ligte Zivilisten minimiert werden kann.
Wenn wir hier im Parlament mit Mehrheit einen Ein-
satz beschließen, dann ist es auch ethisch geboten, eine
angemessene Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Wir
haben gerade bei den Drohnen, aber auch bei anderen
Waffensystemen immer wieder diese Debatte geführt:
Verleiten wir die Soldaten zum Schießen oder vielleicht
auch zu unethischem Handeln, wenn wir solche Waffen-
systeme zur Verfügung stellen? Ich habe mir den Jahres-
bericht des Wehrbeauftragten unter diesem Gesichts-
punkt angesehen. Im Bericht des Wehrbeauftragten steht
viel drin; wir haben 200 000 Soldaten, und da läuft nicht
alles rund. Da gibt es manchmal Verfehlungen, auch im
persönlichen Bereich; Sie haben Verfehlungen im Füh-
rungsverhalten angesprochen. Es ist aber bezeichnend,
dass im Bericht des Wehrbeauftragten kein Satz, kein
Wort darüber steht, dass Soldaten bei der Anwendung
von militärischer Gewalt in irgendeiner Form verantwor-
tungslos oder völkerrechtswidrig gehandelt haben.
Ich kann Ihnen sagen: Die Soldaten sind hervorragende
Botschafter unseres Landes im Ausland. Sie verdienen
das Vertrauen, das wir ihnen hier im Parlament entge-
genbringen. Sie verdienen auch die bestmögliche Aus-
rüstung.
Wir haben in dieser Woche eine wichtige Debatte
zum Thema Einsatzbereitschaft geführt. Da gibt es The-
men, bei denen wir nachsteuern müssen. Für jeden ein-
zelnen Bereich gibt es immer Begründungen – die In-
spekteure haben viele Begründungen geliefert –, warum
dieses oder jenes nicht funktioniert. Aber in der Summe
ist es für uns natürlich unbefriedigend. Wir wollen eine
gut ausgerüstete Bundeswehr, die jederzeit einsatzbereit
ist. Dafür kämpft der Wehrbeauftragte, dafür kämpfen
wir.
Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe dieAussprache.Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi-gungsausschusses zu dem Jahresbericht 2013 des Wehr-beauftragten; das sind die Drucksachen 18/300 und18/1917. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Un-terrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmtfür diese Beschlussempfehlung? – Das sind die CDU/CSU, Bündnis 90/Die Grünen und die SPD. Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich? – Das ist die Linke. Damitist diese Beschlussempfehlung mit der Mehrheit derStimmen angenommen worden.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. ThomasGambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENMit Transparenz Steuervermeidung multina-tionaler Unternehmen eindämmen – Country-by-Country-Reporting einführenDrucksache 18/2617
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5009
Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Überweisungsvorschlag:Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Red-ner Herrn Dr. Thomas Gambke das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Sehr verehrte Zuhörer auf den Rängen!Zur späten Stunde reden wir darüber
– so spät ist es nicht; das ist richtig –: Unternehmensollen dort Steuern zahlen, wo ihre tatsächliche Wert-schöpfung stattfindet und öffentliche Güter in An-spruch genommen werden – ein Satz, den wohl jederhier unterschreiben wird. Die Praxis sieht anders aus:Multinationale Unternehmen verschieben heute ihreGewinne ganz legal in Niedrigsteuerländer, sie spie-len verschiedene Steuerrechtssysteme gegeneinanderaus. Gleichzeitig locken Staaten aktiv mit extremen steu-erlichen Sonderangeboten. Meine Damen und Herren,wir sind uns hoffentlich auch noch hier darüber einig,dass wir diesen Zustand dringend verändern müssen.
– Mich freut der Beifall über alle Fraktionen hinweg.Auch Frau Merkel und Herr Schäuble teilen dieseAuffassung. Sie haben der OECD im Rahmen der G 20den Auftrag erteilt, aktiv gegen Steuergestaltung vorzu-gehen. Denn unter dem Strich verlieren NationalstaatenSteuereinnahmen. Am Ende sind die kleinen und mittle-ren Unternehmen die Dummen; denn sie können dieSteuertricks der Großen nicht anwenden. Es gibt wissen-schaftliche Evidenz dahin gehend, dass multinationaleUnternehmen 30 Prozent weniger Steuern zahlen alskleine und mittlere Unternehmen. Da wird der Wettbe-werb massiv verzerrt, und deshalb müssen wir das än-dern.
Aber wie können wir das eindämmen? Wir müssenwissen, welche wirtschaftliche Aktivität, welche Wert-schöpfung das einzelne Unternehmen in einem Land hat.In der letzten Legislatur haben wir mit Ihnen, den Kolle-ginnen und Kollegen von der SPD, einen entsprechen-den Antrag zu länderbezogenen Offenlegungspflichtenhier in den Bundestag eingebracht. Jetzt gehe ich davonaus, dass Sie Ihre Kollegen von der Union dazu bewe-gen, mitzumachen.
Zeigen Sie, dass Sie es ernst meinen mit dem Kampf ge-gen Steuervermeidung!
Das Problem ist: Die Konzernberichterstattung istderzeit eine Blackbox. Sie sehen nur das zusammenge-fasste Ergebnis aller weltweiten Konzerngesellschaften,aber die länderbezogenen Angaben sehen Sie nicht. Siekönnen also nicht erkennen, ob der Konzern seine Ge-winne in Niedrigsteuerländer schleust und wie er dasmacht. Das ist einfach nicht in Ordnung. Das müssen wirändern.
Die OECD hat jetzt einen Vorschlag zu länderbezoge-nen Offenlegungspflichten gemacht, Country-by-Coun-try-Reporting genannt. Aber ist das wirklich der Durch-bruch? Nein! Denn die OECD schlägt vor, dass dieInformationen nur an die jeweiligen Finanzämter weiter-geleitet werden, also nicht öffentlich sind. Damit habenwir gar nichts gewonnen. Im schlimmsten Fall führt dassogar zu einem noch intensiveren Streit der nationalenSteuerbehörden, aber nicht zu einer Lösung des Pro-blems. Deshalb fordern wir Transparenz bei allen wichti-gen Eckdaten der Konzerne, also Öffentlichkeit.Es ist ganz simpel: Wir brauchen die öffentliche Kennt-nis über die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmenim Verhältnis zu ihren Steuerzahlungen, damit die Öf-fentlichkeit nachvollziehen kann, ob das einzelne Unter-nehmen seinen Obolus wirklich entrichtet. Wenn einMissverhältnis besteht, weil ein Unternehmen in erhebli-chem Maße wirtschaftlich tätig ist, aber keine Steuernzahlt oder wirtschaftlich nicht tätig ist, aber hohe Ge-winne anfallen, dann müssen wir handeln. Da muss öf-fentlicher Druck entstehen; denn nur dann werden dieStaaten bereit sein, ihre individuelle nationale Steuerge-setzgebung zu verändern. Deshalb brauchen wir dieTransparenz.
Aber wer blockiert das? Das sind natürlich die Kon-zerne, die befürchten, möglicherweise durch eine höhereSteuerquote belastet zu werden. Da müssen Sie sich fra-gen, Herr Brinkhaus:
Ist es wirklich richtig, die Frösche zu fragen, wenn Sieden Teich trockenlegen wollen? Fragen Sie einmal dieMittelständler! Fragen Sie kleine und mittlere Unterneh-men! Sie werden unsere Forderung unterstützen, dieseSteuerpraktiken endlich öffentlich zu machen.
Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.
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Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen,wir legen Ihnen heute einen sehr konstruktiven Vor-schlag zur Eindämmung von Steuergestaltung vor. DieSPD hat schon einmal zugestimmt. Machen Sie mit!Lassen Sie uns nicht nur reden, sondern auch handeln!Unterstützen Sie unseren Vorschlag, öffentliches Coun-try-by-Country-Reporting einzuführen.Danke schön.
Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Mathias
Middelberg das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LieberHerr Gambke, was die Zielsetzung angeht, wir sind unsja einig. Ich denke, wir alle im Haus verfolgen das Ziel,legale Steuervermeidung und die Verlagerung von Ge-winnen in beträchtlichem Ausmaß zu bekämpfen.Nun kann man einzelne Elemente herausgreifen undim Detail diskutieren, in diesem Fall das Country-by-Country-Reporting. Wir halten es aber für sinnvoller, einwirkliches Gesamtprogramm ins Werk zu setzen. Dennes ist ja nicht mit einzelnen Maßnahmen – ich will gleichgerne auf das Country-by-Country-Reporting eingehen –getan. Unser Bundesfinanzminister ist – das finde ichsehr richtig, und das möchte ich an dieser Stelle aus-drücklich loben – da wirklich beispielhaft in der Welt,indem er das Programm gegen Base Erosion and ProfitShifting, also gegen das Abschmelzen der Steuerbasisund das internationale Verschieben von Gewinnen, ganzmassiv mit gepusht hat.Am letzten Wochenende war das Finanzministertref-fen in Australien. Da ist ein umfassender Katalog,nämlich das OECD-Projekt BEPS, beraten worden.Die Finanzminister der OECD sind sich zunächst ein-mal, jedenfalls im Wesentlichen, wenigstens über siebenPunkte einig geworden. Es ist ein großer Katalog, einumfassendes Programm. Es gibt noch weitere Punkte,die da beraten werden. Das wird uns auch noch eine Zeitlang beschäftigen. Aber ich halte es für sinnvoll undauch für unumgänglich – sonst bekommen wir das Pro-blem der internationalen Gewinnverlagerung gar nicht inden Griff –, es im Rahmen eines großen, umfassendenPaketes anzugehen, bei dem wir Transparenz und aucheine Harmonisierung der Besteuerung anstreben. Dasmuss unser Ziel sein.
Jetzt möchte ich etwas zum Country-by-Country-Re-porting sagen. Auch dieser Ansatz ist ja nicht unvernünf-tig. Sie haben richtigerweise betont: Auch er ist Teil desBEPS-Kataloges. Da geht es um die Verrechnungspreis-dokumentation. Das ist überhaupt kein problematischerPunkt, sondern ein Punkt, den auch wir für sinnvoll undzweckmäßig halten. Wir halten es allerdings nicht nurfür ausreichend, sondern vor dem Hintergrund des inDeutschland immer noch geltenden Steuergeheimnissesauch für angebracht, dass hier ein sauberes Reportinggegenüber den Steuerbehörden stattfindet. Da soll dannsichergestellt werden – das kann auf diese Art und Weiseauch sichergestellt werden –, dass die Steueransprüchedurchgesetzt werden. Das ist der entscheidende Punkt.Wir halten nichts davon, einen Pranger zu errichten undeinzelne Unternehmen an diesen Pranger zu stellen. Wirsehen schon an der gegenwärtig stattfindenden Diskus-sion über große Unternehmen wie Google, Amazon undStarbucks – diese sind ja vielfach Gegenstand der Dis-kussion –, dass manche Steuerpraktiken völlig offen undoffensichtlich sind. Gleichwohl lassen sich diese Unter-nehmen davon nicht beeindrucken. Sie würden sich imZweifel auch von einem schlichten Reporting nicht be-eindrucken lassen.Wir müssen zum Kern der Sache kommen: Wir müs-sen mit den internationalen Partnern auf dem Verhand-lungswege eine wirkliche Harmonisierung der Besteue-rung erreichen. Das ist ein schwieriger Weg. Aber ichglaube, Wolfgang Schäuble ist da schon einige Schrittevorangekommen. Wir haben gute Erwartungen, dass wirauf diesem Weg weiterkommen werden. Aber wovon ichnichts halte, ist ein öffentlicher Pranger. Das kann nichtSinn der Sache sein.
Im Übrigen haben Sie den § 267 HGB erwähnt undsprechen in Ihrem Antrag von ziemlich großen Unter-nehmen. Wenn Sie sich einmal anschauen, was unter§ 267 HGB fällt, sehen Sie, dass das durchaus auch dieBreite des gehobenen Mittelstands umfasst. Da sind Siebei 38 Millionen Euro Umsatz und 250 Arbeitnehmern.Gleichzeitig fordern Sie weniger Bürokratie. Das wäreaber gerade ein Beitrag zu mehr Bürokratie. Zudem sinddas nun wirklich nicht die Patienten – um das einmal un-technisch zu sagen –, die uns beim Thema Steuerverla-gerung im großen internationalen Rahmen Probleme ma-chen. Auch das muss man einmal sagen.Ich halte nichts davon – das ist der letzte Punkt –,wenn wir in der Frage des Reportings an die gesamte Öf-fentlichkeit eine Vorreiterrolle einnehmen. Wir geben inden Verhandlungen, wenn wir auf der anderen Seite auchnehmen können. Unser Ziel muss es sein, eine wirkli-che Harmonisierung zu erreichen, eine gleichmäßigeBesteuerung auf internationaler Ebene. Dann werdenwir die Krankheit der Gewinnverlagerung und der Steu-ervermeidung heilen können. Das muss das Ziel sein.Mit BEPS und weiteren Initiativen sind wir auf einemguten Weg. Ende Oktober findet auf Einladung unseresBundesfinanzministers ein großes Treffen der Finanzminis-ter statt, auf dem 40 Staaten ein Abkommen unterzeichnenwerden, nach dem es ab 2017 einen automatischen Infor-mationsaustausch gibt. Das sind grundlegende Schritte.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5011
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Herr Kollege, auch Sie müssen jetzt zum Schluss
kommen.
Das sind Schritte in der Breite, mit denen wir wirklich
vorankommen.
Vielen Dank.
Als nächster Redner hat der Kollege Richard Pitterle
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Wirtschaftsminister Gabriel be-zeichnete die Steuervermeidungsstrategien der Konzernevon A wie Amazon oder Apple bis Z wie Zara – dieseListe ist längst nicht vollständig – kürzlich als „asozial“.Dazu kann ich nur sagen: Gut gebrüllt, Löwe! Nicht nurjede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer, auch jederHandwerker und jeder Inhaber eines mittelständischenBetriebs, also alle, die brav ihre Steuern zahlen, bekom-men zu Recht einen dicken Hals, wenn sie sehen, wie in-ternational tätige Unternehmen jedes, aber auch wirklichjedes Schlupfloch nutzen, um ihre Steuerzahlungen zuminimieren.
Das ist in der Tat ein Skandal.
Aber eines sollte klar sein: Die bekannten Konzernenutzen nur die Schlupflöcher, die ihnen die Politik, ins-besondere die Regierung, aber auch wir als Parlament,gelassen haben. Das Problem ist schon seit vielen Jahrenbekannt. Bislang können die international tätigen Unter-nehmen ihre Gewinne intern fröhlich von Land zu Landverschieben. Aus den Konzernbilanzen geht nämlichnicht genau hervor, welche Umsätze in welchem Landerzielt werden.Es ist an der Regierung, endlich zu handeln und dieseLöcher zu stopfen.
Dazu gehört in erster Linie, mehr Licht in den Dschun-gel der Rechnungslegung zu bringen. Die Bilanzen einesinternational tätigen Konzerns müssen künftig nach Län-dern gelistet werden. Diese Listen müssen die Gewinneund die in den Ländern gezahlten Steuern enthalten. Nurso können wir uns überhaupt einen Überblick über dieLeistungsfähigkeit, den wichtigsten Anknüpfungspunktfür eine gerechte Besteuerung, verschaffen.Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geht daher indie richtige Richtung. Die Linke unterstützt das Anlie-gen des Antrags ausdrücklich. Dort, wo die Wertschöp-fung der großen Unternehmen stattfindet, müssen sieauch Steuern zahlen.
Mehr Offenlegungspflichten sind zwar ein wichtigerSchritt, aber eben nur ein Schritt zur Bekämpfung derGewinnverschleierung.Interessant ist das Verhalten der Großen Koalition indieser Sache. In der letzten Legislaturperiode hat dieSPD noch gemeinsam mit den Grünen die Einführungdes Country-by-Country-Reportings, also die Offenle-gung, gefordert. Nun steht das sogar im Koalitionsver-trag, den die SPD mit der Union geschlossen hat. Ob dieUnion hier mitspielen wird, wage ich allerdings zu be-zweifeln.Lieber Herr Kollege Binding von der SPD,
Sie erklärten damals, die Ideen dieses Antrags zur Ver-hinderung von Steuervermeidung seien mutig und kon-sequent.
Lassen Sie, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen vonder SPD-Fraktion, diesen Worten doch auch Taten fol-gen, und setzen Sie diesen Antrag gemeinsam mit Grü-nen und Linken zur Not auch gegen die Union durch.
Nun zur Union. Ausgerechnet die CDU/CSU hat beidieser Debatte damals im Finanzausschuss – heute ist et-was Ähnliches bei dem Hinweis auf den Pranger ange-klungen – den Datenschutz vorgeschoben. Ich bitte Sie,das ist doch paradox: Dass die alltägliche Kommunika-tion der Bevölkerung durch ausländische Geheimdiensteüberwacht wird, ist aus Sicht der Union nicht weiter tra-gisch, aber wenn Konzerne ihre Daten offenlegen sollen,erfolgt der große Aufschrei. Ein Schelm, wer hier an In-teressenpolitik denkt.
Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von derUnionsfraktion, kommen Sie mir bitte nicht mit demSteuergeheimnis. Das gilt bekanntlich nur im Verhältniszwischen den Steuerpflichtigen und der Finanzverwal-tung. Im Antrag wird aber nicht verlangt, dass die Fi-nanzverwaltung die Zahlen herausgibt. Die Offenle-gungspflicht liegt bei den transnationalen Konzernen.Das ist durch das öffentliche Interesse an der Steuerge-rechtigkeit auch allemal gerechtfertigt.Vielen Dank.
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Als nächste Rednerin hat die Kollegin Cansel
Kiziltepe das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! HerrGambke, auch wenn ich in der letzten Legislaturperiodenoch nicht im Bundestag war, kenne ich den Antrag. Ichhätte mir, ehrlich gesagt, ein bisschen mehr Kreativitätgewünscht, als einfach den Antrag gleichlautend einzu-bringen und dabei die Fortschritte der letzten Monate zuverkennen.
– Doch, habe ich.
Auf jeden Fall finde ich es wichtig, dass wir heuteüber die Steuergestaltung global tätiger Großkonzernesprechen;
denn global tätige Unternehmen dürfen nicht wenigerSteuerbelastungen haben als andere. Wir wollen Ge-winnverschiebungsmethoden und den internationalenSteuersenkungswettlauf stoppen.
Beim Country-by-Country-Reporting handelt es sichum einen Aspekt in einem größeren Zusammenhang; daswurde vorhin schon zum Ausdruck gebracht. Der grö-ßere Zusammenhang ist der Aktionsplan gegen Gewinn-kürzungen und -verlagerungen, also gegen Base Erosionand Profit Shifting, kurz BEPS genannt, welcher eineReihe von Maßnahmen zur Bekämpfung aggressiverSteuerplanung und Gewinnverlagerung in Niedrigst-steuerländer vorsieht. Diese Gewinnverschiebungsme-thoden sind heute völlig legal. Das ist fatal.
Daher ist dieses Projekt die wichtigste internationaleSteuerreform seit 100 Jahren und ein Beitrag für mehrSteuergerechtigkeit. Großzügige Steuergeschenke kön-nen wir uns wahrlich nicht leisten. Das Country-by-Country-Reporting ist lediglich ein Teil des BEPS-Ak-tionsplans. Ihre Forderung nach einer Einführung desCountry-by-Country-Reportings allein in Deutschlandschafft vielleicht öffentliche Empörung; aber dieser Al-leingang beseitigt nicht das Problem der Niedriglohnbe-steuerung im Ausland.
Im vorliegenden Antrag wird eine VorreiterrolleDeutschlands für mehr Transparenz hinsichtlich derWertschöpfungsketten multinational tätiger Unterneh-men gefordert. Vorreiterrolle klingt gut. Wer ist nichtgerne Vorreiter?
– Ja. – Doch was bringt eine Vorreiterrolle Deutschlands,wenn niemand folgt?
Als Beispiel: Es gibt aktuell etwa 300 bilaterale Ver-träge, die nichts bringen. Die Verschiebebahnhöfe exis-tieren weiter. Die Einführung des Country-by-Country-Reportings ist zwar eine gute Idee – wir haben sie in derletzten Legislaturperiode bejaht –; aber der Alleingangwürde zu einer internationalen Asymmetrie führen. Wirhalten es deshalb für nicht sinnvoll und im Rahmen deraktuellen Verhandlungen sogar für eher schädlich.
Hier ist die internationale Staatengemeinschaft gefor-dert. In den vergangenen 15 Monaten haben wir hin-sichtlich des Aktionsplans, mit dem Steuerschlupflöcherfür global tätige Großkonzerne geschlossen werdensollen, erste substanzielle Fortschritte erzielt, auch hin-sichtlich des Country-by-Country-Reportings. Am ver-gangenen Wochenende haben sich die G-20-Staaten ver-pflichtet, einige Steuerschlupflöcher für multinationaleKonzerne zu schließen. Mittlerweile liegen die Richtli-nien hinsichtlich der Verrechnungspreisdokumentationvor. Diese Richtlinien der OECD sehen unter anderemeine jährliche Berichterstattung dieser Konzerne vor,zwar nicht in dem Maße, wie Sie es in Ihrem Antrag for-dern; aber das ist aus unserer Sicht in diesem internatio-nalen Zusammenhang nicht unbedingt notwendig, vorallem nicht in hochentwickelten Industriestaaten. Denneine gute solide Finanzverwaltung benötigt keinen zu-sätzlichen Druck der Öffentlichkeit.
Der von der OECD vorgesehene Austausch zwischenden Finanzbehörden wird funktionieren und zielführendsein.Wir teilen ja viele der Punkte in Ihrem Antrag – es istja nicht so, dass wir alles verneinen –, insbesondere dieAnalyse, die Sie vornehmen, um das Problem der Steu-ervermeidung internationaler Großkonzerne zu beseiti-gen. Wir unterstützen auch den Ansatz, dass wir hiereine internationale Zusammenarbeit brauchen. Die Er-gebnisse der letzten Monate sind aber Antworten aufIhre Forderungen. Mit einem nationalen Vorreitermo-
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Cansel Kiziltepe
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dell, das Sie fordern, kommen wir in diesem Punkt wirk-lich nicht weiter.
Stattdessen ist das gemeinschaftliche Vorgehen der mitt-lerweile 44 Staaten richtig. Gemeinsam hat man sich aufden Aktionsplan gegen Steuergestaltung und -vermei-dung verständigt, und nur gemeinsam wird man amEnde auch global erfolgreich sein.Wenn man über Country-by-Country-Reporting bzw.auch allgemein über Maßnahmen gegen BEPS redet,muss man eines betonen: Es geht hier – dieser Punkt istmir wirklich besonders wichtig – um Steuergerechtig-keit,
um Wettbewerbs- und Chancengleichheit für die Unter-nehmen, die sich dieser Methoden zur Verlagerung vonGewinnen nicht bedienen können. Durch die Steuerver-meidung der internationalen Großkonzerne haben deut-sche mittelständische Unternehmen einen gravierendenWettbewerbsnachteil, und das wollen wir beseitigen.
Ich möchte natürlich auch betonen, dass es sich beimKampf gegen die internationale Steuergestaltung in ers-ter Linie um den Kampf gegen ein skandalöses Verhaltenvon Unternehmen handelt. Dieses Verhalten gegenüberder Allgemeinheit ist wirklich abstoßend. Die Nutzungder staatlichen Infrastruktur wird als gegeben vorausge-setzt; an den Kosten will sich aber keiner beteiligen.Deshalb halten wir die Bekämpfung der Gewinnver-schiebungsmethoden und selbstverständlich auch dasCountry-by-Country-Reporting für notwendig. Es istklar: Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen unddürfen diese Methoden nicht dulden; denn wir sind aufdie Steuereinnahmen dringend angewiesen und wissen,wie schwierig es ist, mit wenig öffentlichen Mittelnstaatlich aktiv zu sein.Daher frage ich mich, was mit diesem Antrag erreichtwerden soll. Er ist zwar eindrucksvoll, bringt in der Sa-che aber nur wenig, und eine Beschleunigung des Ver-fahrens ist damit auch nicht zu erwarten. Angesichts des-sen, was bis jetzt bereits erreicht worden ist, finde ich esbeinahe fahrlässig, einen solchen Antrag zu stellen.Der Zeitplan ist klar: Er sieht die ersten sieben Maß-nahmen inklusive des Country-by-Country-Reportingsbis Ende des Jahres vor. Die Umsetzung der weiterenacht Maßnahmen soll bis Ende 2015 erreicht werden.Das Wichtigste ist: Es funktioniert. Bereits Ende desnächsten Jahres wird man evaluieren und gegebenenfallsnachsteuern.Daher bleibe ich bei meinen Fragen: Warum sollenwir vom internationalen Vorgehen abweichen? Warumlöst man eine einzelne Maßnahme aus insgesamt15 gleichwertigen heraus und präsentiert sie als Ei desKolumbus beim Vorgehen gegen Steuervermeidung undSteuerplanung?
Beides erschließt sich mir, ehrlich gesagt, nicht.
Daher bin ich gespannt auf die Behandlung und Bera-tung des Antrags im Ausschuss.Vielen Dank.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat Philipp
Lerchenfeld das Wort.
Verehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! VerehrteKolleginnen und Kollegen! Es ist schon mehrfach darge-stellt worden, welchen großartigen Verhandlungserfolgdie Finanzminister der G-20-Staaten in Australien errei-chen konnten.
Sieben Punkte wurden verabschiedet, und acht weiterePunkte, die die OECD ebenfalls vorgeschlagen hat, wer-den im kommenden Jahr verhandelt werden.Unter anderem ist in Australien über das von derOECD vorgeschlagene einheitliche Modell für Steuerer-klärungen von Unternehmen verhandelt worden. Hierbeigeht es um den Punkt Harmonisierung. Außerdem sollendie Unternehmen Auskunft über ihre Umsätze, Gewinne,Beschäftigten und die Steuern, die sie in den unter-schiedlichen Ländern zahlen, geben. Diese Erklärungensollen aber nicht veröffentlicht, sondern den Steuerbe-hörden anderer Länder übermittelt werden. Das ist einekluge Entscheidung.Inzwischen hat sich in vielen Ländern weitgehend dieMeinung durchgesetzt – sogar dort, wo Steuerflucht eineentsprechende Amassierung von Vermögen bringt –,dass man gegen Steuerflucht etwas unternehmen muss.Mit einem legalen Trick namens „Double Irish“ könnenGroßkonzerne aus Amerika wie Google und Microsoftihre Gewinne in zweistelliger Milliardenhöhe über Ir-land in die Karibik verschieben. Wenn sie es klug anstel-len, machen sie das Ganze mit dem „Dutch Sandwich“;das heißt, sie sparen auch noch die Quellensteuer in Ir-land. Auch die USA haben mittlerweile erkannt, dass ih-nen durch entsprechende Steuergesetze Milliardenge-winne, in etwa 1 Billion US-Dollar, entgehen. Insgesamtist erkennbar, dass aus diesen Gründen die Steuerbehör-den der meisten Länder Maßnahmen vorbereiten oderbereits ergriffen haben, um Steuerflucht zu verhindern.Sie, liebe Kollegen von den Grünen, fordern in IhremAntrag unter dem Mäntelchen der Transparenz die Of-
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Philipp Graf Lerchenfeld
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fenlegung der Steuerbelastung internationaler Konzernenach einzelnen Ländern. Das widerspricht erstens denVorschlägen der OECD und entspricht zweitens in kei-ner Weise dem in Deutschland Gott sei Dank immernoch geltenden Steuergeheimnis. Ich frage mich natür-lich: Wie soll man das gegen international bereits abge-stimmte OECD-Punkte eigentlich durchsetzen? WennSie sagen, Deutschland solle die Vorreiterrolle überneh-men, glauben Sie dann, dass alle hinterherlaufen? Da ha-ben Sie wohl ein bisschen zu viel von der Wirkung deut-scher Steuergesetze in der Welt erwartet.Ihr Antrag ist ziemlich populistisch. Sie wollen an-scheinend nur internationale Konzerne als Buhmänneran den Pranger stellen. Es geht Ihnen dabei nicht darum,Steuerflucht, die durch ein 15-Punkte-Programm derOECD ganz klar verhindert wird, zu verhindern.
Kollege Gambke, Sie haben vorhin beim Begriff„Steuergeheimnis“ so komisch geschaut. Ich hoffe, Sieverstehen, was ich damit meine. Das ist nämlich eine derwichtigsten Regelungen, die wir in Deutschland haben.Wir begrüßen auf jeden Fall den Verhandlungserfolg,den die Finanzminister in Australien erzielt haben. Wirlehnen Ihren Antrag ab, weil Ihr Vorschlag eines Coun-try-by-Country-Reporting das Steuergeheimnis in funda-mentaler Weise verletzt und die Verhandlungen über ver-nünftige OECD-Vorschläge auf jeden Fall erschwerenwürde.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/2617 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
– Zweite Beratung und Schlussabstimmung
des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zu dem Überein-
kommen der Vereinten Nationen vom
31. Oktober 2003 gegen Korruption
Drucksache 18/2138
– Zweite Beratung und Schlussabstimmung
des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zum Übereinkommen der Vereinten
Nationen gegen Korruption
Drucksache 18/478
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz
Drucksache 18/2643
Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/478 zum Übereinkommen der Ver-
einten Nationen gegen Korruption in seine Beschluss-
empfehlung mit einbezogen. Dieser Gesetzentwurf soll
jetzt ebenfalls beraten werden. – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden. Dann ist das so beschlossen.
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Staatssekre-
tär Christian Lange als erstem Redner das Wort.
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Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Der Bundestag entscheidet heute über die Zu-stimmung zum Übereinkommen der Vereinten Nationenvom 31. Oktober 2003 gegen Korruption. Korruptionuntergräbt das Vertrauen in die Integrität und Funktions-fähigkeit von Verwaltungen und Regierungen. Sie behin-dert einen freien und fairen Wettbewerb und verursachterhebliche volkswirtschaftliche Schäden. Die Verhinde-rung und Bekämpfung von Korruption in allen Ausprä-gungen gehört daher zu den zentralen staatlichen Aufga-ben.Korruption ist freilich kein nationales Phänomen. Siemacht vor staatlichen Grenzen bekanntlich nicht halt.Gründe hierfür sind die Öffnung von Grenzen, die engeZusammenarbeit vieler Staaten auf dem Weltmarkt unddie Globalisierung der Wirtschaft. Dem internationalenPhänomen Korruption ist deshalb auch durch ein inter-national abgestimmtes Vorgehen der Staatengemein-schaft entgegenzutreten.Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegenKorruption wurde am 31. Oktober 2003 von der Gene-ralversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet.Es ist das erste weltweite Regelungswerk zur Bekämp-fung der in- und ausländischen Korruption. Es wurdemittlerweile von 170 Vertragsstaaten ratifiziert und hatdamit bei einer Mitgliederzahl der Vereinten Nationenvon 193 Staaten nahezu universelle Geltung. Deutsch-land hat das Übereinkommen bereits am 9. Dezember2003 unterzeichnet und gehört damit zu den Erstunter-zeichnern des Übereinkommens.
In den vergangenen Jahren hat Deutschland erhebli-che Anstrengungen im Kampf gegen Korruption unter-nommen.
Bestechungsfälle im In- und Ausland können verfolgtwerden und werden verfolgt. Das Bewusstsein für die
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Parl. Staatssekretär Christian Lange
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Sozialschädlichkeit von Korruption ist heute sehr vielhöher als früher.In einem Punkt blieb Deutschland allerdings hinterden Vorgaben des Übereinkommens zurück: bei der Ab-geordnetenbestechung. Die Kritik, die dies, wie ichmeine, zu Recht hervorgerufen hat, dürfte uns allen wohlnoch in Erinnerung sein. Ich möchte an dieser Stelleganz bewusst keine inhaltlichen Ausführungen zumStraftatbestand der Abgeordnetenbestechung machen.Der Bundestag hat entschieden. Der erweiterte Straftat-bestand der Abgeordnetenbestechung ist seit dem1. September dieses Jahres in Kraft. Ich möchte die Ge-legenheit nutzen, den Koalitionsfraktionen für ihre Ini-tiative herzlich zu danken. Dadurch ist es möglich, dieVorgaben des Übereinkommens zu erfüllen. Das istheute der Fall. Heute geht es also darum, den Weg fürdie Ratifikation frei zu machen, damit Deutschland demÜbereinkommen der Vereinten Nationen als einem derwichtigsten internationalen Instrumente gegen Korrup-tion endlich angehören kann. Genau darum bitte ich Sieheute Abend.Herzlichen Dank.
Als nächster Redner spricht Frank Tempel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Während meiner Dienstzeit beim Landes-kriminalamt Thüringen war ich drei Jahre ausschließlichmit Korruptionsdelikten beschäftigt, drei Jahre, in denenich lernte, dass Deutschland beim Thema Korruptionkeinen Grund hat, auf andere Länder zu zeigen, da sichauch hier noch einiges im Argen befindet. Insofern be-steht hier im Haus wohl Einigkeit darüber, dass es eineabsolute Notwendigkeit ist, dass sich auch die Bundesre-publik an einem Übereinkommen beteiligt, bei dem esum so wichtige Punkte geht wie Vorschriften zur Kor-ruptionsprävention, Vereinbarungen zu Strafvorschrif-ten und Vereinbarungen zum Umgang mit durch Korrup-tion erlangten Vermögenswerten. Bis zu dieser Stellekönnen übrigens alle klatschen.
Dieses Übereinkommen der Vereinten Nationenwurde, wie gesagt, am 31. Oktober 2003 beschlossenund von Deutschland im selben Jahr unterzeichnet. Daswar im Jahr 2003, meine Damen und Herren. So vielzum Thema Erstunterzeichner; denn erst jetzt, 2014,kommen wir zur Ratifizierung dieses Abkommens. Dassdas so lange gedauert hat – die Gründe dafür hat meinVorredner bereits benannt –, lag unter anderem daran,dass es dem Bundestag nicht gelang, sich auf eine ent-sprechende Strafvorschrift zur Abgeordnetenbestechungzu einigen.Angesichts von rund 8 000 Korruptionsdelikten imJahr fällt auf, dass der Anteil der politischen Ebene rela-tiv gering ist. Das heißt aber nicht, dass Abgeordnete diebesseren Menschen sind. Das liegt vielmehr daran, dasses an entsprechenden Strafvorschriften fehlte.
Um diese Lücke zu schließen, haben wir vor der Som-merpause gemeinsam unsere Hausaufgabe gemacht.Doch zumindest die Lehrer hier im Haus werden wissen,dass es, um eine gute Note zu bekommen, nicht reicht,die Hausaufgaben einfach nur machen, sondern dassman sie auch richtig, gut und vor allem vollständig ma-chen muss. Für eine Eins oder eine Zwei reicht das indiesem Fall noch nicht ganz.
Ich darf Sie an dieser Stelle noch einmal an meineKritik zur sehr engen Fassung der Abgeordnetenbeste-chung erinnern. Die enge Bindung erlangter Vorteile anklar nachweisbare Anweisungen und Aufträge machtdiese Strafvorschrift fast unanwendbar. Die Linke hatdiesem Straftatbestand damals im Interesse der Ratifizie-rung dieses Übereinkommens zugestimmt, aber mit derklaren Ansage, dass wir natürlich eine Evaluierung derAnwendbarkeit der Strafvorschrift in der Praxis einfor-dern werden.
Wenn zum Beispiel ein Konzern einem AbgeordnetenGeld oder geldwerte Vorteile zukommen lässt und dafürnur allgemein ein Handeln in seinem Sinne erwartet undbekommt, ist das nach wie vor nicht strafbar. Es ist aberdefinitiv eine korruptive Verhaltensweise. Mehr als eineVier minus ist also für die Hausaufgabe „Straftatbestandder Abgeordnetenbestechung“ nicht zu vergeben. DieLinke wird dafür kämpfen, dass es einen wirksamenStraftatbestand auch in diesem Bereich geben wird.
Wir haben noch weitere Hausaufgaben, und ich sagteja, dass man die Hausaufgaben auch vollständig machenmuss. Seit 2009 kritisiert der Europarat mangelnde Vor-gaben zur Parteienfinanzierung. Auch das gehört dazu.Da geht es zum Beispiel um Fragen der Zulässigkeit vonDirektspenden an Abgeordnete oder um die hohenGrenzwerte bei der Veröffentlichung von Spenden an dieParteien. Auch das gehört zum Thema Korruptionsprä-vention, auch wenn Sie das nicht gern hören angesichtsder Spenden, die Sie bekommen.
– Ja, wenn Sie es finden. Ich würde auch gern etwas ab-haben wollen.
– Ja, ich habe einen Kreisverband, der immer bei plus/minus null liegt. Wir würden uns alle freuen, wenn die-
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Frank Tempel
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ses Geld dann auch vernünftigen Zwecken zugutekäme.Bloß, bisher ist es ja nicht zu finden.Einen Vorschlag von Transparency International soll-ten wir auch noch diskutieren, nämlich den Vorschlag,eine Wertgrenze von 150 Euro bei Einladungen und Ge-schenken an Abgeordnete vorzuschreiben. Im Europaratist das übrigens eine gängige Lösung. Diese Idee ist des-halb eine Diskussion wert, weil eine derartige Grenzedas Problem der korruptiven Einflussnahme lösenkönnte; denn wie gesagt: Der bisherige Straftatbestandder Abgeordnetenbestechung verhindert das nicht.Die Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korrup-tion ist also kein Anlass zum Schulterklopfen, sondernsollte uns Motivation sein, den Kampf gegen Korruptiongerade im politischen Bereich wirklich ernsthaft zu füh-ren. Scheinparagrafen gehören nicht dazu. Da die Lampevor mir blinkt, sage ich nur noch: Man darf eben nichtsagen, man habe Hausaufgaben gemacht, sondern manmuss sagen: Ich muss die Hausaufgaben besser machen,ich muss sie vollständig machen.Danke.
Als nächster Redner hat Ansgar Heveling das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich glaube, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.Wir haben unsere Hausaufgaben gut gemacht
und können heute mit der Zustimmung zu dem Entwurfeines Gesetzes zum Übereinkommen der Vereinten Na-tionen gegen Korruption einen langen Prozess, auch ei-nen langen Diskussionsprozess abschließen. Er findetdamit sein formales Ende.Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Zu-stimmung des Bundestages zur Ratifizierung des Über-einkommens der Vereinten Nationen vom 31. Oktober2003 vor, das im Dezember 2005 in Kraft getreten ist.Die Konvention ist der erste weltweit völkerrechtlichverbindliche Vertrag zur Bekämpfung der in- und aus-ländischen Korruption. Ich glaube, wir sind uns hier alleeinig, dass die Konvention viele sinnvolle Regelungen,beispielsweise zur Prävention und zur strafrechtlichenVerfolgung der Korruption und zur internationalen straf-rechtlichen Zusammenarbeit, enthält.Deutschland hat die Konvention bereits am 9. De-zember 2003 unterzeichnet, die Ratifikation im Folgen-den aber nicht eingeleitet, weil bei strafrechtlichenVorschriften Anpassungsbedarf bestanden hat. Der Par-lamentarische Staatssekretär beim Bundesminister derJustiz und für Verbraucherschutz hat darauf eben schonhingewiesen. Der Bundestag hat über die ganzen Jahreauch in den unterschiedlichsten Mehrheitskonstellatio-nen darum gerungen, eine Lösung zu finden.
Die Diskussion hat viel Zeit in Anspruch genommen.Jetzt sind wir aber weitergekommen.Das Übereinkommen ist zwischenzeitlich von170 Staaten ratifiziert worden. Deutschland wird nunbald auch dazugehören. Es sind dann nur noch wenigeLänder übrig – wie Saudi-Arabien, Sudan, Nordkoreaund Syrien –, die diese Konvention nicht gezeichnet ha-ben. Es war ja auch immer Gegenstand der Diskussio-nen, dass gesagt wurde: Mit diesen Staaten wollen wiruns nicht gemeinmachen.Jetzt ratifizieren wir das Übereinkommen und tretendamit in den Kreis der Staaten ein, die das Abkommenumgesetzt haben. Das ist, für sich genommen, natürlichnoch kein Garant dafür, dass gegen korruptive Verhal-tensweisen vorgegangen wird; denn zu den Staaten, diedie Konvention gezeichnet und umgesetzt haben, gehö-ren zum Beispiel Libyen, Venezuela und Paraguay,sicherlich keine Musterbeispiele, was das Thema Kor-ruptionsbekämpfung angeht. Bislang scheiterte die Rati-fizierung der UN-Konvention in Deutschland daran,dass es Änderungen im materiellen Strafrecht bedurfte,insbesondere die Erweiterung des Straftatbestandes derAbgeordnetenbestechung, gegen die lange erheblicheBedenken bestanden und um die sich eine lange Diskus-sion entsponnen hat.Für Deutschland ist die Bekämpfung der Korruptionaber ein wichtiges Anliegen. Deutschland verfügt schonseit vielen Jahren über ein hohes strafrechtliches Schutz-niveau bezüglich der Korruption. Wir hatten auch schonmit § 108 e StGB in alter Fassung einen Straftatbestand,der als Verbot des Stimmenkaufs oder -verkaufs die Ab-geordnetenbestechung im Ansatz geregelt hat.
Wir haben viele weitere Regelungen gegen korruptiveVerhaltensweisen in den §§ 331 ff. des Strafgesetzbu-ches.Darüber hinaus haben wir aber vor allem eine funk-tionierende, aktive und öffentliche Zivilgesellschaft. Dasist das viel Entscheidendere. Das Entscheidende ist, dasswir ein gesellschaftliches Klima der Transparenz haben,das dafür sorgt, dass korruptive Verhaltensweisen tat-sächlich ans Licht kommen. Damit wird Korruption inall ihren Formen am besten der Boden entzogen.
Da breche ich gerne eine Lanze für unsere funktionie-rende Zivilgesellschaft. Presse und Öffentlichkeit neh-men ihre Wächterfunktion wahr, wahrscheinlich besser,als es das Strafrecht je könnte.Gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode hat derBundestag ein Gesetz zur Verschärfung der Regelungengegen die Abgeordnetenbestechung, das am 1. Septem-
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Ansgar Heveling
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ber 2014 in Kraft getreten ist, verabschiedet. Damit sinddie erforderlichen Anpassungen bei der Abgeordneten-bestechung vorgenommen worden und die Vorausset-zungen geschaffen worden, die jetzt eine Ratifizierungermöglichen. Mithin haben wir den Weg beschritten, zu-nächst die erforderlichen materiell-rechtlichen straf-rechtlichen Anpassungen vorzunehmen und so die mate-riellen Voraussetzungen für die Ratifizierung geschaffen,statt durch eine Ratifizierung im Vorhinein unnötigDruck für eine zeitlich befristete Umsetzungspflicht zubegründen. Mit anderen Worten: Nachdem wir die mate-riellen Voraussetzungen geschaffen haben, schaffen wirnun mit diesem Gesetz die formellen Voraussetzungen,die UN-Konvention zu ratifizieren. Ich bitte daher umIhre Zustimmung.
Als nächster Redner spricht Hans-Christian Ströbele.
Guten Abend, Frau Präsidentin! Guten Abend, liebeKolleginnen und Kollegen! Ich bin aus dem Untersu-chungsausschuss schnell herübergelaufen, um hier ei-nige Bedenken zu äußern.
Ich fange erst einmal mit einem Lob an, wie ich dasbei diesem Thema jedes Mal mache. Vor elf Jahren gabes unter Rot-Grün eine sehr mutige Justizministerin. Siehat seinerzeit im Dezember 2003 – darauf haben einigeschon hingewiesen – gegen den Willen der Mehrheit derdamaligen Koalition und gegen den Willen der Mehrheitder Opposition diese Konvention unterschrieben, weilsie gesagt hat: In dieser Konvention steht so viel Richti-ges – das stellt uns vor große Herausforderungen –, dassman sie unterschreiben muss. – Allerdings ist danachnichts geschehen. Wir sind in der Reihe der Staaten, dieratifiziert haben, immer weiter nach hinten gerutscht.Heute sind wir auf Platz 170 in der Weltgemeinschaft– darauf ist schon hingewiesen worden –; das ist keinmedaillenverdächtiger Platz. Das lag daran – das mussman hier klar sagen –, dass sich die verschiedenen Ko-alitionen – Rot-Grün hat damals noch daran gearbeitet,ist aber nicht ganz fertig geworden – nicht darauf einigenkonnten, ein Gesetz gegen Abgeordnetenbestechung, dasdiesen Namen wirklich verdient hätte, zu verabschieden.Dieses Gesetz ist jetzt verabschiedet. Zur Note würdeich sagen: gerade noch ausreichend. Wir haben auch zu-gestimmt, damit überhaupt irgendetwas kommt. Abereine Note wie befriedigend oder gut würde ich dem nichtgeben.
Aber was überwiegend vergessen worden ist – von Ih-nen ist ein Punkt angesprochen worden –: In dieser Kon-vention ist noch vieles andere Richtige und Wichtigeenthalten. Das ist noch viel Arbeit für Sie, für uns, fürden ganzen Deutschen Bundestag. Von den Unterzeich-nern dieser Konvention wird zum Beispiel gefordert,dass Sie sich Gedanken machen und in einigen Berei-chen gesetzgeberisch tätig werden, die Sie bisher über-haupt nicht angehen wollten. Das ist erstens das Korrup-tionsregister. In jeder Legislaturperiode haben wir dasThema eingebracht. Unter Rot-Grün haben wir damalssogar schon ein Gesetz verabschiedet, das dann abernicht mehr zur Anwendung gekommen ist.Ein Korruptionsregister für Deutschland ist dringenderforderlich. Denn jeder Beamte – vor allem jeder undjede Stelle im öffentlichen Bereich, die Aufträge verge-ben – muss doch wissen, ob ein Unternehmen, das sichum einen Auftrag bewirbt, schon einmal mit Korruptionaufgefallen ist. Sonst kann man doch keine vernünftigeEntscheidung treffen. Das wollen Sie aber bisher nicht,obwohl die Konvention auch vorsieht, dass man sich da-rum kümmert.Ein zweiter Punkt ist: In dieser Konvention wird ge-fordert, dass die Transparenz der Parteienfinanzierungvervollständigt werden muss. Auch da können wir nochsehr viel leisten. Wir diskutieren das Thema immer wie-der im Deutschen Bundestag, sind aber mit dem, was wiralles erreichen müssen, noch lange nicht am Ende derFahnenstange.
Der dritte Punkt – das ist auch ein interessanter Punkt,Herr Kollege Lange; das trifft nämlich die Regierung –ist, dass für Regierungsmitglieder Karenzzeiten einge-führt werden sollen. Man soll gesetzgeberisch tätig wer-den und mit Karenzzeiten regeln, wann man nach Aus-scheiden aus dem Amt in der Industrie oder sonstirgendwo einen Job annehmen kann. Auch dafür wün-sche ich Ihnen viel Glück und viel Mut. Sie haben unsereUnterstützung, wenn etwas zustande kommt. Das istdringend erforderlich und muss sofort gemacht werden.
Jetzt komme ich abschließend zu meinem Lieb-lingsthema – auch das ist Gegenstand der Konvention –:die Whistleblower. In der Konvention ist nämlich vorge-sehen, dass gesetzliche Regelungen dafür getroffen wer-den, dass man, ob im öffentlichen Dienst, in einer Firmaoder bei einem anderen Arbeitgeber, straflos und ohneNachteile Missstände, Verbrechen oder mögliche Ge-sundheitsgefährdungen von großen Teilen der Bevölke-rung anzeigen kann, ohne dass man seinen Job verliertoder bestraft wird.
Damit bin ich jetzt wieder bei dem Thema, um das esauch im Untersuchungsausschuss geht, in den ich gleichwieder zurücklaufe. Natürlich muss auch in Deutschlandeine Regelung für Whistleblower her, die etwa Geheim-nisse verraten, wenn diese mit Tätigkeiten verbundensind, die strafbare Handlungen sind, die in Grundrechtevon Millionen von Menschen eingreifen.
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5018 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Hans-Christian Ströbele
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Das muss man straflos und möglicherweise mit dem No-belpreis oder dem Alternativen Nobelpreis belobigt tundürfen und sollen. Diesen Menschen müssen wir Mutmachen.Ich komme gerade aus den Vereinigten Staaten.
Herr Kollege Ströbele, ungeachtet der Bedeutung des
Themas muss ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen.
Das steht in der Konvention, was wir alles noch um-
setzen müssen, Frau Präsidentin.
– Genau. Wir haben auch eine Geschäftsordnung.
In den USA gibt es eine Whistleblower-Regelung.
Wir sollten uns im Deutschen Bundestag an die Arbeit
machen, dass wir möglichst bald auch in Deutschland so
etwas haben.
Als nächste Rednerin spricht Christina Jantz.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine in vieler-
lei Hinsicht historische Debatte strebt heute Abend tat-
sächlich ihrem Ende entgegen. Knapp elf Jahre, nachdem
die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen
der Vereinten Nationen gegen Korruption unterzeichnet
hat – nachdem Sie die grüne Justizministerin erwähnt
haben
– Entschuldigung, eine rote –, muss ich auch unseren ro-
ten Bundeskanzler, Gerhard Schröder, erwähnen, unter
dem das 2003 erfolgt ist –, können wir es nun ratifizie-
ren.
Wie wichtig die Bekämpfung von Korruption ist, hat
bereits der Staatssekretär Christian Lange ausgeführt,
und diese Meinung teile ich voll und ganz. Es ist für
mich selbstverständlich, dass Deutschland bei der Kor-
ruptionsbekämpfung international eine Vorreiterrolle
einnehmen sollte.
Deutschland gehörte schließlich – das wurde schon aus-
geführt – zu den Erstunterzeichnern. Ein Großteil der
deutschen Gesetzgebung genügte bereits damals den
Vorgaben des Übereinkommens. Doch die Ratifizierung
ließ sehr lange auf sich warten; denn jahrelang sträubte
sich Schwarz-Gelb, den Bereich der Abgeordnetenbeste-
chung als Grundlage für eine abschließende Verabschie-
dung des Vertragsgesetzes anzufassen. Während dieser
Zeit hagelte es Kritik aus den unterschiedlichsten Berei-
chen. Unter Federführung des damaligen Präsidenten der
Internationalen Handelskammer beschwerten sich fast
40 Vorsitzende großer, namhafter deutscher Konzerne.
Die fehlende Ratifizierung schade dem Ansehen der
deutschen Wirtschaft – so lautete ihre Aussage – im
Ausland.
Deutschland befindet sich in Gesellschaft von Staaten
wie dem Sudan, Nordkorea und Syrien. Bereits 170 Staa-
ten haben das Übereinkommen ratifiziert. Deutschland
stand und steht, wie gesagt, in der internationalen Kritik.
EU-weit ist unser Land, seit Tschechien das Überein-
kommen Ende 2012 als letzter EU-Mitgliedstaat umge-
setzt hat, Schlusslicht im Hinblick auf die Ratifizierung.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Erfreuli-
cherweise haben die Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU mit der SPD nun einen Koalitionspartner an
ihrer Seite, mit dem es endlich möglich war, die Erweite-
rung des Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung
umzusetzen.
Dank uns ist nun der Weg frei. Am 1. September trat
das Strafrechtsänderungsgesetz zur Abgeordnetenbeste-
chung in Kraft. Das vorliegende Vertragsgesetz kann
nun verabschiedet werden. Da dieses allerdings zustim-
mungsbedürftig ist, begrüße ich ausdrücklich, dass es
bereits am 10. Oktober dem Bundesrat vorgelegt werden
soll und zeitnah dem Bundespräsidenten zugeleitet wer-
den kann.
Die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf ist bedeut-
sam und liegt in unser aller Interesse. Durch die Ratifi-
zierung schaffen wir es, die Wirtschaft bei der Korrup-
tionsprävention zu unterstützen und gemeinsam mit
anderen Staaten noch entschiedener gegen Missstände
vorzugehen. Wir schließen ein Kapitel, das viel zu lange
offen war.
Vielen Dank.
Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege
Dr. Volker Ullrich das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Die heutige Debatte über das Korruptionsab-kommen der Vereinten Nationen eignet sich nicht zurHeldenverehrung und zur Geschichtsstunde. Es sei da-rauf hingewiesen, dass Rot-Grün zwischen 2003 und
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5019
Dr. Volker Ullrich
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2005 eineinhalb Jahre Zeit gehabt hätte, mit eigenerMehrheit die entsprechende Konvention in allen Punktenumzusetzen. Ja, es ist nicht unbedingt rühmlich für die-ses Haus, dass wir insgesamt elf Jahre gebraucht haben.
Allerdings hat dieser 18. Deutsche Bundestag unter Fe-derführung der Unionsfraktion gleich als allererstesGesetzesvorhaben die Regelung betreffend die Abgeord-netenbestechung angepackt und damit das Ratifizie-rungsabkommen ermöglicht. Dementsprechend gilt derDank den Kolleginnen und Kollegen, die dieses Vorha-ben unter CDU/CSU-Führung zum Abschluss gebrachthaben.
Es sei aber auch angesprochen, dass es bei der Kor-ruptionsbekämpfung nicht allein auf die Ratifizierungdieses Abkommens ankommt. Es gibt Staaten, die diesesAbkommen bereits wenige Monate oder Jahre danachunterzeichnet haben – diese Staaten nenne ich jetztnicht – und bei denen sich seit vielen Jahren nichts be-wegt hat. In Deutschland dagegen hat der Bund gemein-sam mit den Ländern über viele Jahre hinweg für einegrößere Sensibilisierung gegenüber Korruption im öf-fentlichen Bereich gesorgt. Es gibt entsprechende Schwer-punktstaatsanwaltschaften, und das Bundeskriminalamtgeht gezielt gegen Korruption vor. Deswegen mussDeutschland als Land, das beim Korruptionsindex glück-licherweise immer zu den Top-10- oder Top-20-Staatengehört, sich nicht vorhalten lassen, nicht genügend ge-gen Korruption zu tun.
Gleichwohl bleibt natürlich einiges auch in Zukunftanzuschieben.
Das ist gar keine Frage. Das wollen und werden wir ge-meinsam in dieser Großen Koalition tun. Ich spreche dasGesetz gegen Korruption und Bestechlichkeit im Ge-sundheitswesen an, welches die Koalition noch in die-sem Herbst auf den Weg bringen wird und welches wir2015 verabschieden werden, um damit in diesem großenBereich der Kliniken, der Krankenhäuser und derPharmaunternehmen die möglichen Ansatzpunkte fürkorruptives Verhalten zu begrenzen und Korruption ein-zudämmen. Das, meine ich, ist ein weiterer wichtigerSchritt zur Bekämpfung der Korruption in diesem Land.
Herr Kollege Ströbele, seien Sie versichert: Wir wer-den auch weitere Fragen, die sich stellen, sehr sorgsamund mit der notwendigen gesetzgeberischen Ernsthaftig-keit verfolgen und weitere Maßnahmen umsetzen.
Aber wichtig ist auch, dass es nicht allein – das hatder Kollege Ansgar Heveling sehr zutreffend ausge-führt – auf die staatlichen Stellen ankommt. Die Bekämp-fung der Korruption ist vielmehr eine gesamtgesellschaft-liche Aufgabe, die von jedem Einzelnen umsichtigesHandeln und auch Mut verlangt. In diesem Zusammen-hang sei ein italienischer Kämpfer gegen Korruption zi-tiert, Leoluca Orlando, der Bürgermeister von Palermo,der einmal gesagt hat: Die Chance für den Kampf gegenKorruption ist Zivilcourage und das Einstehen jedes Ein-zelnen. – So wollen wir gemeinsam auf der einen Seiteweiteres gesetzgeberisches Handeln voranbringen undauf der anderen Seite an die Bürgerinnen und Bürger indiesem Land appellieren, es nicht zuzulassen, dass eineHand die andere wäscht und dass man sich, weil mansich kennt, über die Grenzen des Rechts hinaus hilft. Indiesem Sinne ist die Verabschiedung dieses Gesetzesheute ein Schritt, aber wir werden weitere Schritte beimKampf gegen die Korruption folgen lassen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-mit kommen wir zur Abstimmung über den von derBundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzeszu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom31. Oktober 2003 gegen Korruption. Die damals zustän-dige Ministerin Brigitte Zypries ist auch dabei und wirdsicherlich mit großer Genugtuung diesen Beschlussheute mittragen, so wie alle anderen Kolleginnen undKollegen, die das in dieser Debatte ausdrücklich unter-strichen haben.
Ich glaube, es ist eine gute Entscheidung, die wir jetzthier treffen.Zweite Beratungund Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Recht undVerbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seinerBeschlussempfehlung auf Drucksache 18/2643, den Ge-setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/2138 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzzustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dage-gen? – Enthaltungen? – Es enthält sich niemand. Damitist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen wor-den. Das ist sehr erfreulich.
Ich komme zur Abstimmung über die Beschlussemp-fehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher-schutz zu dem Entwurf eines Gesetzes der FraktionBündnis 90/Die Grünen zum Übereinkommen der Ver-einten Nationen gegen Korruption auf Drucksache18/478. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2643, denGesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen fürerledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-empfehlung? – Das sind wieder alle Fraktionen. Gibt esjemanden, der dagegen stimmt? – Das ist nicht der Fall.
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Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn
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Damit ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmigangenommen worden. Es war niemand mehr da, der sichhätte enthalten können – nur um das klarzustellen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten SabineLeidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weitererAbgeordneter und der Fraktion DIE LINKERückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht-und Autoreisezügen stoppen – NachhaltigeReisekultur in Europa fördernDrucksache 18/2494Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für TourismusNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Sobald die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze ein-genommen haben, beginnen wir mit der Aussprache. –Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat dieKollegin Sabine Leidig das Wort.
Die Uhrzeit passt zum Thema, werte Kolleginnen undKollegen, Frau Präsidentin! Die Bahn schränkt von De-zember an ihr Angebot ein. Die Autoreisezüge sollenverschwinden und viele Nachtzüge auch. Zum Glückregt sich öffentlicher Widerstand dagegen. Es geht umrund 1 000 Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlierenwerden. Es geht um mehr: um die Zukunft der europäi-schen Reisekultur. Die müsste klimafreundlich werden.Wir Linken bestehen darauf, dass das Parlament sichnicht aus der Verantwortung stehlen kann. Das Grundge-setz gilt. Dort steht, dass der Bund als alleiniger Eigentü-mer der Deutschen Bahn AG nicht nur für die Schienen-infrastruktur verantwortlich ist, sondern auch dafür, dasses darauf ein Fernverkehrsangebot gibt, das den allge-meinen Verkehrsbedürfnissen entspricht.Nachtzüge gibt es in Deutschland seit 162 Jahren, Au-tozüge seit fast 60 Jahren. Beide sind feste Bestandteiledieses Angebots, und die Nachfrage zeigt deutlich, dassviele Familien, Geschäftsreisende, Leute mit Flugangstoder Handicaps und Umweltbewusste diesen Bedarf ha-ben. Deshalb sind wir alle gefordert, den geplantenKahlschlag zu verhindern.
Die Linke beantragt, dass die Kürzungen bei Auto-reise- und Nachtzügen zurückgenommen werden. Wirfordern ein mindestens zweijähriges Moratorium, damitin dieser Zeit sinnvolle Alternativen geprüft werden kön-nen. Wir verlangen eine Studie, die untersucht, wie manein gutes europäisches Zug- und Nachtzugnetz auf dieBeine stellen kann. Dabei setzen wir auf Kooperationstatt Konkurrenz zwischen den Bahnunternehmen.Ich bin überzeugt: Mit vernünftiger Planung und bes-seren Reisekonzepten könnten noch viel mehr Fahrgästefür die Schiene gewonnen werden.
Es gibt tolle Ideen. Es gibt übrigens auch ungeheuer vielKompetenz bei den Beschäftigten und auch bei enga-gierten Bahnexperten. Das Rad müsste nicht neu erfun-den werden. Zum Beispiel könnte man die komfortablenTalgo-Doppelstockzüge aufmöbeln, die derzeit auf demAbstellgleis in Hamm vergammeln. Kleine pfiffige Ein-zelkabinen kann man mit Klappelementen umbauen undflexibel nutzen. Man könnte auch Schlafwagen fürNachtfahrten anhängen usw. Ideen gibt es viele.Gestern haben die Beschäftigten, Kundinnen undKunden sowie Bürgerbahninitiativen hier in Berlin eineKundgebung veranstaltet. 7 000 Protestpostkarten sindam BahnTower übergeben worden.Ein Passant dort meinte: Ich frage mich, weshalb es inZeiten von Länderbahnen, Kaltem Krieg usw. möglichwar, Nachtzüge durch ganz Europa zu schicken, und imvereinten Europa des 21. Jahrhunderts soll das nichtmehr möglich sein.In einer Onlinepetition heißt es:Insbesondere die Streichung der Verbindung Ber-lin–Paris ist ein verheerendes Signal im Hinblickauf das Zusammenwachsen Europas und die Mobi-lität seiner Bürger. Diese Zugverbindung ist seitJahren viel genutzt und die Streichung durch nichtszu rechtfertigen! Die einzige direkte Zugverbin-dung zwischen beiden Hauptstädten muss als um-weltfreundlichstes Verkehrsmittel erhalten bleiben!Richtig!
Ich will am Schluss eine sehr konkrete Utopie benen-nen und um Ihre Unterstützung werben. Bei der Fußball-europameisterschaft 2000 in Belgien und den Niederlan-den und auch bei der WM 2006 in Deutschland sind dieNachtzüge der Deutschen Bahn von Fußballfans aus vie-len Ländern intensiv genutzt worden, weil die durch dasReisen in der Nacht einen Tag gewinnen wollten. Nun istdie Fußball-WM 2020 an 13 verschiedene Städte Euro-pas in 13 verschiedenen Ländern vergeben worden,
und die Fans werden vom Achtelfinale in Bilbao zumViertelfinale nach Baku und von dort weiter nach Lon-don reisen usw.; Kopenhagen, Glasgow, Budapest sindin der Liste. Wir wollen, dass nicht nur die Fluggesell-schaften in jenen Sommerwochen gute Geschäftemachen, sondern dass vor allem die europäischen Bahn-unternehmen und auch die Deutsche Bahn zu den Ge-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5021
Sabine Leidig
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winnern zählen, weil grenzüberschreitende Tages- undNachtverbindungen angeboten werden, die viel bessersind als heute. Wir Linke jedenfalls werden uns dafüreinsetzen, und zwar europaweit.Danke.
Als nächste Rednerin spricht Daniela Ludwig.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Wenn man den Antrag der Linken liest, möchte man
meinen, es bahnt sich eine sehr große Katastrophe im
Verkehrsbereich an, weil die Bahn die Nacht- und Auto-
reisezüge entweder streicht oder das Angebot zumindest
deutlich einschränkt.
Man muss einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass
sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten das Mo-
bilitätsverhalten jedes Einzelnen sehr deutlich verändert
hat. Wir leben nun einmal in einem Zeitalter, in dem man
in Europa sehr schnell mit dem Flugzeug von A nach B
reisen kann.
Die meisten Menschen suchen sich halt den bequemsten
und schnellsten Weg aus, aber nicht den Weg, der Ihnen
vielleicht am besten gefällt. Das möchte ich diesen Leu-
ten auch nicht untersagen.
Außerdem bestimmt auch bei der Frage, ob es weiterhin
Nacht- und Autoreisezüge gibt, die Nachfrage das Ange-
bot.
Ich weiß aber auch, dass Ihnen solche Mechanismen
fremd sind.
Es ist aber nun einmal nicht von der Hand zu weisen,
dass die Nachtreiseverkehre in den vergangenen Jahren
30 Prozent der Nachfrage eingebüßt haben. Ähnliches
gilt auch für die Autoreisezüge. Für beide Verkehre gilt:
Sie sind saisonal stark unterschiedlich ausgeprägt. Das
heißt, in den Sommermonaten kommt es zu einer massi-
ven Auslastung.
– Sie wollen das nicht lesen. Sie wollen das auch nicht
lernen. Das macht nichts. Ich rede trotzdem weiter.
Beide Verkehre sind im Sommer stark, im restlichen
Jahr aber fast gar nicht ausgelastet. Die Bahn muss sich
wie jeder andere in der freien Wirtschaft und im freien
Wettbewerb stehende Betrieb auch nach der Wirtschaft-
lichkeit und nach der Nachfrage richten.
Wenn dies aber nicht so gegeben ist, wie es sich der eine
oder andere wünscht, muss sich die Bahn überlegen, ob
sie ein Segment einstellt oder es gegebenenfalls umbaut.
Die Bahn stellt das Segment der Autoreisezüge nicht ein,
sondern baut es um. Künftig wird es das Angebot „Auto
plus Zug“ geben. Das läuft derzeit in einer Testphase.
Bis Ende des Jahres werden wir diesbezüglich deutlich
schlauer sein, ob es funktioniert und ob die Leute es
auch annehmen oder ob man nur aus einer gewissen Ver-
gangenheitsverliebtheit an einem Segment festhält, weil
– wie Sie es so schön schreiben – es den Auto- und den
Nachtreisezug seit 162 Jahren gibt, das nicht mehr wirt-
schaftlich ist und das die Leute auch nicht mehr nachfra-
gen. Ich meine, das sollte der Deutschen Bahn schon er-
laubt sein.
Sie haben die Fußballeuropameisterschaft angespro-
chen. Das sind aber auch nur vier Wochen. Dafür sollten
Segmente aufrechterhalten werden, die nicht funktionie-
ren?
Das erschließt sich mir schlicht und ergreifend nicht.
Deshalb muss die Bahn die Freiheit haben, die wir ihr
auch zubilligen, sodass sie auf Angebote verzichtet, die
nicht mehr nachgefragt werden. Das scheint mir in die-
sem Fall so zu sein.
– Ich nicht. Ich bitte Sie aber, die Testphase bis Ende des
Jahres zu nutzen. Fahren Sie fleißig „Auto plus Zug“,
damit es wenigstens das noch weiterhin gibt. Ich gehe
davon aus, dass Sie sich rege daran beteiligen.
Vielen Dank.
Als nächster Redner spricht Matthias Gastel.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Abend, liebeKolleginnen und Kollegen! Wie jeden Abend so auchheute wird Berlin in den nächsten Stunden durch sechsNachtzugverbindungen angefahren. Doch wie langenoch? Wie lange noch werden die deutschen Großstädtemit Nachtzügen miteinander verbunden? Wie lange nochwerden die europäischen Metropolen mit Nachtzügenmiteinander verbunden? Das wissen wir derzeit nochnicht. Wir wissen aber, dass es sich lohnt, für die Nacht-züge zu kämpfen.
Eine Ausdünnung oder gar Einstellung der Nachtzug-verbindungen wäre schlecht für die Fahrgäste, schlecht
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5022 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Matthias Gastel
(C)
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für die DB, schlecht für das System Schiene undschlecht für den Klimaschutz.
Warum lohnt es sich, im Interesse der Fahrgäste fürden Erhalt der Nachtzüge zu kämpfen? Der Nachtzug istpraktisch und beliebt. Reisen während des Schlafens, dieHotelübernachtung sparen, zu günstiger Morgenstundeam Reiseziel ankommen und mehr vom Tag haben. Ge-schäftsleute wie Familien nutzen dieses Angebot rege.Die meisten CNL-Verbindungen verfügen über rollstuhl-gerechte Liegeabteile. Meistens ist auch die Fahrradmit-nahme möglich.Liebe Frau Kollegin Ludwig, die Beliebtheit zeigtsich in der Auslastung. Wenn man genau hinschaut undeinmal versucht, ein Ticket zu ergattern, wird man fest-stellen: Der Nachtzug ist meistens schon Wochen im Vo-raus ausgebucht. Seit ich im Bundestag bin, also seit Ok-tober letzten Jahres, bin ich 15-mal mit dem Nachtzuggefahren. Ich wäre mindestens doppelt so oft gefahren,hätte ich noch eine Kabine gefunden, die frei ist. Wo-chen im Voraus sind diese Kabinen ausgebucht, weil die-ser Zug eine starke Nachfrage hat. Es gibt also einen An-gebotsengpass und keinen Nachfrageengpass. Das istdoch das Entscheidende.
Warum lohnt es sich, sich im Interesse der DB unddes gesamten Systems Schiene für den Nachtzug einzu-setzen? Befragungen der Deutschen Bahn, und zwar sehraktuelle, haben bestätigt: Die Kundenzufriedenheit mitdiesem Angebot ist hoch. Mindestens die Hälfte derKunden würde bei einer Streichung der Nachtzüge nichtauf andere Züge umsteigen, sondern beispielsweise aufdas Flugzeug. Das können wir alle gemeinsam nichtwollen. Ohne Nachtzüge würde die DB Fahrgäste verlie-ren. Darüber hinaus wäre das Schienennetz über den Tagbetrachtet ungleicher ausgelastet, als es derzeit der Fallist. Warum lohnt es sich, im Interesse des Klimaschutzesfür den Nachtzug zu kämpfen? Ganz einfach deshalb,weil die Bahn das effizienteste Verkehrsmittel ist und da-mit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet.
Leider aber wirkt die DB in Sachen Nachtzug lustlos,fantasielos und konzeptlos. Wir fordern von der DB eineBestandsgarantie der Nachtzugangebote für zwei Jahre.Die DB soll diese Zeit nutzen, zukunftsfähige fahrgast-gerechte Konzepte zu entwickeln und umzusetzen.Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie als Ei-gentümer der DB Einfluss nimmt auf das, was ich geradegesagt habe, dass nämlich keine weiteren Nachtzugange-bote gestrichen werden und dass die Konzeption, diedringend notwendig ist, geschaffen wird.
Die Bundesregierung muss darüber hinaus dafür sorgen,dass endlich Wettbewerbsgerechtigkeit geschaffen wird.Ich erinnere hier an die EEG-Umlage, die von der Gro-ßen Koalition verändert wurde. Die Belastung für dasSystem Schiene ist glatt verdoppelt worden. Das mussrückgängig gemacht werden. Das belastet die Schiene sowie kein anderes Verkehrsmittel. Es benachteiligt dasVerkehrsmittel Schiene im Gegensatz zum Flugzeugoder zu anderen Verkehrsmitteln völlig zu Unrecht undist ein großer Nachteil im Wettbewerb.
Darüber hinaus ist es so, dass alle Verkehrsträger undnicht allein die Schienenbahnen in den Emissionshandeleinbezogen werden müssen. Bahn und Flugzeug sollenauch bei der Mehrwertsteuer im grenzüberschreitendenVerkehr gleichbehandelt werden.Deswegen unser Appell an die DB und die Bundes-regierung: Machen Sie den Nachtzug nicht kaputt! Un-terstützen und entwickeln Sie zukunftsfähige Konzepte!Die Fahrgäste wollen das. Das Klima braucht es.
Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kirsten
Lühmann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-nen! Sehr verehrte Gäste! Haben Sie schon einmal mitfünf Personen und zwei Hunden eine Nacht in einemAbteil eines Autoreisezuges verbracht?
Wir haben das mehrere Jahre lang sehr erfolgreichund sehr gerne gemacht. Wir haben nette Bekanntschaf-ten geschlossen. Unsere Kinder haben das Ganze alsAbenteuer verstanden. Ich sage Ihnen: Auch damals wardieses Angebot schon sehr teuer. Wir haben das kompen-siert, indem wir am Urlaubsort gespart haben, indem wirauf einem Campingplatz untergekommen sind. Das ha-ben viele Menschen so gemacht. Aber wir müssen zurKenntnis nehmen, dass ein Umdenken stattgefunden hat,auch bei der Mobilität. Die Menschen wollen bei derReise sparen, um mehr Geld für den Komfort am Ur-laubsort zu haben. Die Bahn konnte lange Zeit die sin-kenden Reisendenzahlen kompensieren, weil sie das rol-lende Material zur Verfügung hat. Aber jetzt sind sieaufgrund gesetzlicher Normen gezwungen, aus Sicher-heitsgründen neue Autotransportwagen zu kaufen. Bei-des zusammen – sinkende Nutzendenzahlen und nötigerInvest; das kann man nicht wegdiskutieren – ist wirt-schaftlich einfach nicht zu bewältigen. Das wissen wirauch: Kostendeckende Preise will und kann kaum einerzahlen. Sosehr ich die Menschen, die hier in Berlin fürden Erhalt der Autoreisezüge demonstriert haben, auchaufgrund meiner Erfahrungen persönlich verstehe, kannich die Entscheidung der Deutschen Bahn nachvollzie-hen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5023
Kirsten Lühmann
(B)
Glücklicherweise sieht das bei den Nachtzügen an-ders aus. Das Ziel der Bahn war einmal, alle Fahrten absechs Stunden Fahrtzeit in die Nacht zu verlegen. Dahergab es 2002 auch 20 Nachtzugverbindungen europa-weit – also genauso, wie es im Antrag gefordert wird.Aber schon 2011 führte die Konkurrenz von Hochge-schwindigkeitszügen und Billigfliegern zu deutlichenVerlusten in dieser Sparte. Aus der Zeitung konnte ichentnehmen, dass zurzeit jährlich 48 Millionen Euro Ein-nahmen 60 Millionen Euro Kosten gegenüberstehen.Diese Verluste, liebe Kollegen und Kolleginnen, habensich in den letzten drei Jahren verdoppelt; die Fahrgast-zahlen gingen um etwa ein Drittel zurück.Jetzt will die Bahn drei besonders defizitäre Routenaufgeben. Dazu gehört leider auch die traditionelleRoute Berlin–Paris. Ich selber habe diese Route oft ge-nutzt, als sie noch über Brüssel führte. Aber schon da-mals konnte ich immer ohne Buchung einen Platz fin-den, und wenn ich einen Platz in einem Zweier- oderDreierabteil reserviert hatte, lag ich dort immer allein.Hinzu kam, dass die Kosten in den letzten Jahren deut-lich gestiegen sind, unter anderem durch extreme Tras-senpreiserhöhungen in Belgien und Frankreich. DieBahn hat jetzt zugesagt, die verbleibenden Verbindungenin den nächsten zwei Jahren auf neue Füße zu stellen,und zwar auch ohne ein Moratorium, wie es im Antraggefordert wird.Der vorliegende Antrag suggeriert jedoch auch, dassdas Grundgesetz von uns fordert, diese Zugarten auf-grund von Allgemeinwohl- und Verkehrsbedürfnissen zuerhalten. Wie bei vielen einfachen Lösungen lohnt essich auch hier, einmal genauer hinzuschauen. Ich möchtejetzt keine philosophische Debatte über die Defini-tion des Allgemeinwohls beginnen; kluge Köpfe vonAristoteles bis Habermas haben das zur Genüge getan.Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass di-verse Rechtsexperten festlegen: Das Allgemeinwohl istein unbestimmter Rechtsbegriff. Also ist es nicht so ein-deutig, wie uns dieser Antrag glauben machen will.Eindeutiger ist jedoch der Begriff des Verkehrsbe-dürfnisses. Zwar ist auch er nicht direkt definiert, aber esgibt diverse Gerichtsurteile, in denen festgestellt wird,dass zu einem Verkehrsbedürfnis auch die Möglichkeitgehört, dieses wirtschaftlich zu befriedigen. Zur Wirt-schaftlichkeit haben wir heute Abend schon einiges ge-hört. Also kommen wir mit dem Grundgesetz hier nichtweiter.Aber die Frage, die wir uns heute Abend stellen, gehtüber das Grundgesetz hinaus. Diese Frage lautet: Wollenund können wir Autoreisezüge und Nachtzugverbindun-gen, und zwar auch die defizitären, mit Steuermittelnsubventionieren? Ich will hier gar nicht beleuchten, obdie EU das beihilferechtlich befürworten würde odernicht. Mir geht es um etwas ganz anderes; mir geht esum unser Ziel. Unser Ziel muss sein, den Bahnverkehrinsgesamt auf sichere Füße zu stellen.
Dazu benötigen wir erstens ein leistungsfähigesSchienennetz. Dieses wollen wir mit der neuen Leis-tungs- und Finanzierungsvereinbarung zuverlässiger ma-chen. Dazu werden wir noch mehr Steuergelder investie-ren. Wir brauchen zweitens – das wurde heute Abendauch schon gesagt – in diesem guten Netz Wettbewerbs-möglichkeiten, um Güter- und Personenfernverkehreleistungsfähiger und effizienter zu machen. Drittensmüssen wir den Nahverkehr an die erhöhten Pendler-ströme insbesondere in den Ballungsräumen anpassen,ohne dabei die Erschließung der ländlichen Räume mitden geringer werdenden Bevölkerungen aus den Augenzu verlieren. Auch hierfür werden wir mehr Steuergelderbenötigen. Die Verhandlungen mit den Ländern dazulaufen gerade.Diesen Weg, liebe Kollegen und Kolleginnen, müssenwir weitergehen. Das ist es, was die Millionen Pendlerund Pendlerinnen von uns erwarten. Darüber hinaus aufdie Deutsche Bahn einzuwirken und sie bei ihren Bemü-hungen, ein zukunftsfähiges Konzept für die Nachtzug-verbindungen zu erstellen, zu begleiten und sie gegebe-nenfalls an ihr Versprechen zu erinnern, dass sie alles tunwill, um diese sinnvollen europäischen Verbindungen zuerhalten und sie nicht einzustellen, sind wir den Men-schen schuldig, die bewusst den Nachtzug dem Billigflie-ger vorziehen. Dieser Verpflichtung werden wir nach-kommen, auch ohne Ihren Antrag.Herzlichen Dank.
Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-
punkt ist der Kollege Michael Donth, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!„Orientexpress“, „Calais-Mediterranée-Express“, „DieBrück’ am Tay“, beim Lesen Ihres Antrags könnte sichbeinahe eine abenteuerromantische Stimmung in diesemHaus entfalten. Man könnte anfangen, zu träumen von ge-heimnisvollen Gestalten im Schummerlicht des Orient-expresses, der mit gleichmäßigem Rattern der Schienedurch ferne Steppen zieht. Man könnte versuchen, dieTräume festzuhalten und sie zu diesem Zweck in Ge-setze zu gießen. Dafür sind wir aber nicht hier.
Wir sind hier, um nach bestem Wissen und Gewissendie Entscheidungen zu treffen, die dem Wohl dieses Lan-des dienen. Unter diesen Voraussetzungen müssen wirdie Realität, die tatsächlichen Gegebenheiten zur Kennt-nis nehmen. Wir können nicht auf Basis unserer Wün-sche oder Träume handeln. Vor diesem Hintergrund soll-ten wir eigentlich auch Anträge stellen.
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5024 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Michael Donth
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Tatsache ist, dass das Geschäft im Bereich der Auto-reisezüge und der Nachtzüge bereits seit Jahren defizitärist.
In den vergangenen zehn Jahren – das haben wir auchschon gehört – sind die Fahrgastzahlen bei gleichblei-bendem Angebot zurückgegangen. Da die Nachfragenach Autoreise- und Nachtzügen bei einem Preis, der zuverlangen wäre, um kostendeckend zu arbeiten, zurück-geht – und sie dürfte noch weiter zurückgehen –, ist dochklar, dass es weniger Bedarf an solchen Zügen gibt.Artikel 87 e des Grundgesetzes, der auch schon ange-sprochen wurde, verpflichtet den Bund insbesondere,den Verkehrsbedürfnissen Rechnung zu tragen. Das istdurch das angepasste Verkehrsangebot der Bahn gewähr-leistet. Es gibt keinen Grund, in die Streckenentschei-dung der DB AG einzugreifen. Überdies ist es dem Bundals Eigentümer nach dem Aktiengesetz grundsätzlichauch nicht erlaubt, in unternehmerische Entscheidungenunmittelbar und im Detail Einfluss zu nehmen.
Mit dem Reduzieren der Nachtzugstrecken eine Spal-tung Europas heraufzubeschwören, wie Sie es in IhremAntrag tun, ist sogar noch abenteuerlicher als die Fahrtim Orientexpress. Das Gegenteil ist doch der Fall: Diesinkende Nachfrage nach Nachtzügen ist doch geradeeine Folge des Zusammenwachsens Europas.Die Mobilität der Europäer nimmt zu. Günstige Flug-angebote und neue Hochgeschwindigkeitsstrecken,Fernbusse und Mitfahrzentralen machen es möglich, inEuropa innerhalb weniger Stunden und preisgünstig vonA nach B zu kommen. Die Anzahl der Hotels hat zuge-nommen. Das Buchen über das Internet ist leichter ge-worden. Es ist verständlich, dass die Mehrzahl der Rei-senden lieber auf die heute bestehenden Möglichkeitenzurückgreift als auf lange Nachtzugreisen.
Die ehemalige Nachtzugstrecke Frankfurt–Paris bei-spielsweise kann heute mit dem ICE in nur dreidreivier-tel Stunden bewältigt werden.Die gegenwärtige Entwicklung entspricht demGrundgedanken und dem Ziel der europäischen Eini-gung, da durch sie der Binnenmarkt im Verkehrssektorbelebt wird. Auf dem Markt bestimmt die Nachfrage dasAngebot. Ein Rückgang bei der Nachfrage führt zu ei-nem Rückgang beim Angebot. Das nennt man übrigensMarktwirtschaft; ohne jemanden belehren zu wollen.
Es kann nicht unser Ziel sein, für ein paar Nostalgiker– wir sprechen lediglich über 0,5 Promille der Bahnrei-senden – ein defizitäres Angebot mit zweistelligen Milli-onensummen auf Kosten der anderen Reisenden zu sub-ventionieren.
Indem man Verbindungen durch Zuschüsse am Lebenerhält, kann man vielleicht ihren Tod verhindern; mankann auf diese Weise aber keine Genesung von Eisen-bahnunternehmen einleiten.
Um gesund zu sein, muss ein Unternehmen seineKräfte sammeln und nicht zerstreuen. Daher ist es rich-tig, dass die Deutsche Bahn AG als Wirtschaftsunterneh-men ihre Angebote regelmäßig überprüft, die Marktent-wicklung beobachtet und dann mit neuen Produktenreagiert, die die unrentablen Produkte ablösen.
Schließlich kann auch nur ein gesundes Unternehmenlangfristig Arbeitsplätze und Angebote sichern.Die meisten europäischen Nachbarbahnen haben imÜbrigen Gleiches getan. Ich räume ein: nicht alle. Sieführen im Antrag ausdrücklich die russischen Staatsbah-nen als Gegenbeispiel an. Deren Marktwirtschaftlichkeitund Konkurrenzsituation kann ich leider nicht beurtei-len.Die Behauptung im Antrag, dass die hochqualifizier-ten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der DB ERSmit einer Betriebsschließung arbeitslos werden, istfalsch. Sie sind alle in die DB-Beschäftigungssicherungintegriert und bekommen eine Weiterbeschäftigung in-nerhalb des Konzerns angeboten, wenngleich – dasräume ich ein – unter Umständen nicht in derselbenStadt und in einem anderen Betriebsteil. Dies ist eineVersorgung, von der Angestellte in vielen anderen Wirt-schaftsunternehmen manchmal nur träumen können.Meine Damen und Herren von den Linken, es gibtmanche, die der Meinung sind, ihre Fraktion sei eineSchlafwagengesellschaft.
Mit diesem Antrag haben Sie das bewiesen.Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages-ordnungspunkt.Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage aufDrucksache 18/2494 an die in der Tagesordnung aufge-führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Da ich keinen Wi-derspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie alle damiteinverstanden sind. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5025
Vizepräsident Johannes Singhammer
(C)
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Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf:Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-cherschutz zu demVorschlag für eine Verordnung des Europäi-schen Parlaments und des Rates zur Ände-rung der Verordnung Nr. 861/2007 desEuropäischen Parlaments und des Rates vom11. Juli 2007 zur Einführung eines europäi-schen Verfahrens für geringfügige Forderun-gen und der Verordnung Nr. 1896/2006des Europäischen Parlaments und des Ratesvom 12. Dezember 2006 zur Einführung einesEuropäischen MahnverfahrensKOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647Wie mir mitgeteilt worden ist, sollen die Reden zuProtokoll gegeben werden. – Ich sehe, dass Sie damiteinverstanden sind.
Wir beraten heute über den Änderungsvorschlagder Europäischen Kommission zur Verordnung überdas europäische Verfahren für geringfügige Forderun-gen in Zivil- und Handelssachen, die sogenannteSmall-Claims-Verordnung.Diese Verordnung gibt es bereits seit 2009, und mitihrer Hilfe sollen grenzüberschreitende Forderungenbis zu 2 000 Euro für Verbraucherinnen und Verbrau-cher sowie für kleine und mittlere Unternehmen besserdurchgesetzt werden können. Dabei kann zum Beispiellediglich mittels eines Formblattes Klage erhobenwerden, eine mündliche Verhandlung oder die Vertre-tung durch einen Rechtsanwalt ist nicht vorgesehen,und es gelten sehr kurze Fristen.Im Grundsatz ist der Ansatz aus Brüssel, das Ver-fahren bei Rechtsstreitigkeiten mit einem geringenStreitwert zu vereinfachen, zu begrüßen, weil hier-durch die Möglichkeit zur Durchsetzung von Rechtenund Forderungen für die Betroffenen gestärkt wird.Gerade innerhalb der heute geltenden Freizügigkeitauf dem europäischen Binnenmarkt müssen wir ein be-sonderes Interesse daran haben, dass unsere export-orientierten Unternehmen einen effektiveren Rechts-schutz erhalten. Die Vorschläge der EuropäischenKommission gehen jedoch weit über das hinaus, wasaus unserer Sicht die Effektivität und Vereinfachungdes Verfahrens ausmacht.Zunächst einmal ist festzustellen, dass das Small-Claims-Verfahren auch mehrere Jahre nach Anwen-dungsbeginn nur äußerst spärlich genutzt wird. Umdies zu ändern, soll nun der Anwendungsbereich derVerordnung massiv ausgeweitet werden. Bei der Be-gründung des Änderungsvorschlags geht die Kommis-sion davon aus, dass die Ursache im fehlenden Be-kanntheitsgrad sowie in Mängeln der Ausgestaltungder Verordnung liege.Bevor ich auf einzelne Vorschläge der Kommissioneingehe, lassen Sie mich zunächst anmerken, dass inder gesamten Europäischen Union hier offensichtlichein Informationsdefizit besteht. Es muss daher in ers-ter Linie dafür Sorge getragen werden, dass das Ver-fahren insbesondere bei den handelnden Personen wieRechtsanwälten und Richtern bekannter gemacht wird.Und zwar europaweit! Erst dann kann eine sorgfältigeund zuverlässige Evaluierung des Verfahrens erfolgen.Der gesetzgeberische Handlungsbedarf kann erstdann abgesteckt werden, wenn wir genau wissen, wodie Probleme liegen.Die Kommission möchte nun unter anderem dieStreitwertgrenze von 2 000 Euro auf 10 000 Euro an-heben und die Begriffsbestimmung für grenzüber-schreitende Rechtssachen deutlich erweitern. DieserVorschlag stößt jedoch auf erhebliche Bedenken. Erlässt nicht nur die Schutzbedürftigkeit der Prozesspar-teien außer Acht, sondern eröffnet zusätzlich eineBandbreite an Missbrauchsmöglichkeiten. Die auf dasFünffache angehobene Streitwertgrenze ist für Bürgersowie die meisten Unternehmen keine Bagatelle mehr– die Geringfügigkeitsgrenze in der ZPO liegt bekann-termaßen bei 600 Euro –, und die dahinter stehendenRechtsstreitigkeiten sind in der Regel auch keine einfa-chen Verfahren. Knapp zwei Drittel aller Verfahren vordeutschen Amtsgerichten haben einen Streitwert unter2 000 Euro und fallen damit schon jetzt unter dieseVerordnung. Bei der geplanten Erhöhung könnten fastalle deutschen Zivilprozesse im Anwendungsbereichder Verordnung liegen. Dieser Ansatz geht aus deut-scher Sicht zu weit und ist daher abzulehnen.Ebenso fragwürdig ist, dass der Änderungsvor-schlag auch keine Vertretung durch einen Rechtsanwaltvorsieht. Durch die Erhöhung der Streitwertgrenzewürden auch die Verfahren, die in die Zuständigkeitder Landgerichte fallen und damit dem Anwaltszwangunterliegen, davon betroffen sein. Das Anwaltserfor-dernis halten wir jedoch für ausgesprochen wichtig.Gerade in Prozessen mit höheren Streitwerten ist vordem Hintergrund einer effizienten Prozessführung undGerichtsorganisation die Beteiligung von Rechtsan-wälten mehr als zielführend. Durch den Wegfall desAnwaltserfordernisses wird weder die Attraktivitätdieses Verfahrens erhöht, noch ist den Verbraucherin-nen und Verbrauchern in Deutschland mit solch einerEinführung einer europäischen ZPO durch die Hinter-tür geholfen.Des Weiteren hat Brüssel den Begriff „grenzüber-schreitende Rechtssachen“ noch weiter gefasst als bis-her. Auch hier melden wir starke Bedenken an. Bislanglag eine „grenzüberschreitende Rechtssache“ imSinne der Verordnung nur vor, wenn eine der Parteienseinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in ei-nem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenenGerichts hatte. Nach dem Vorschlag der Kommissionwäre die Verordnung zukünftig auch auf rein inner-staatliche Sachverhalte anwendbar, wenn sich zumBeispiel lediglich der Ort einer eventuellen Vollstre-
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5026 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Sebastian Steineke
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ckung in einem anderen Mitgliedstaat befindet. Damitwürden rein nationale Fälle in den Regelungsbereichder Verordnung fallen. Die EU hat hierfür keine Rege-lungskompetenz.Durch die Vielzahl der zu berücksichtigenden Para-meter bei der Frage, ob die Verordnung anzuwendenist, wird das Gericht in vielen Fällen erst einmal damitbeschäftigt sein, erhebliche Aufklärungsarbeit zu be-treiben. Dies widerspricht dem Sinn dieser Verord-nung, die eine Vereinfachung des Gerichtsverfahrensanstrebt. Missbrauch und Umgehung wären hier zu-dem Tür und Tor geöffnet. Das geht eindeutig zu weitund kann von uns so nicht akzeptiert werden.Das Gleiche gilt für den Kostenansatz. Mit dem Vor-schlag der Kommission, die Gerichtsgebühren auf ma-ximal 10 Prozent des Streitwerts zu deckeln und dieMindestgebühr auf 35 Euro zu beschränken, wäre dasVerfahren in vielen Fällen deutlich günstiger als natio-nale Verfahren, obwohl es durch die grenzüberschrei-tenden Besonderheiten mehr Kosten verursachendürfte. Hier ist eine Berücksichtigung aller denRechtsstreit betreffenden Kosten angebracht. Die al-leinige Beschränkung der Kostenfrage auf die Ge-richtsgebühren lehnen wir daher ab.Ein letzter kritischer Punkt ist die Konkretisierungder Beratungs- und Informationspflichten durch dasGericht. Hier ist zwingend darauf zu achten, dass dieNeuregelungen mit den Grundsätzen des deutschenRechtsdienstleistungsgesetzes und der Neutralitäts-pflicht vereinbar sind. Gerade bei der Frage nach derZuständigkeit des Gerichtes und bei der praktischenHilfestellung beim Ausfüllen der notwendigen Form-blätter dürfen die Neuregelungen nicht dazu führen,dass die Klage durch derartige Beratungen und Aus-füllhilfen erst schlüssig gemacht wird.Aufgrund dieser zahlreichen Probleme freue ichmich, dass wir eine fraktionsübergreifende Beschluss-empfehlung erreicht haben. Dies zeigt, dass unserePositionen einen breiten Konsens im Parlament genie-ßen.
In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl derMenschen, die online einkaufen, mehr als verdoppelt.Heute kaufen bereits 45 Prozent der europäischen Ver-braucher über das Internet ein. Auch grenzüberschrei-tende Einkäufe erfreuen sich immer größerer Beliebt-heit. Allerdings besteht hier noch großes Potenzial –sowohl für Verbraucher als auch für die Wirtschaft.Denn durch die Wirtschaftskrise ist der grenzüber-schreitende Handel in den Jahren 2008 und 2009 deut-lich zurückgegangen, erholt sich aber bereits wieder.Ein erleichterter Zugang zu grenzüberschreitendenund Onlineangeboten kann diesen Trend verstärken.Denn dann haben Verbraucherinnen und Verbrauchermehr Auswahlmöglichkeiten, um das beste Angebot zufinden. Aber auch Unternehmen, insbesondere demMittelstand, eröffnet der grenzüberschreitende digitaleBinnenmarkt neue Möglichkeiten.Die Europäische Union fördert den Ausbau des di-gitalen Binnenmarktes seit Jahren, beispielsweisedurch die Verbraucherrechterichtlinie. Diese habe ichals Abgeordnete des Europäischen Parlaments aktivmitgestaltet. Durch die Richtlinie haben wir die Rechteder europäischen Verbraucherinnen und Verbraucherim grenzüberschreitenden Handel – besonders auch imOnlinehandel – gestärkt und europaweit einen einheit-lichen Rahmen entwickelt.Genauso wichtig wie die Stärkung der Verbraucher-sicherheit und -information ist eine Stärkung desRechtsschutzes für die Verbraucher – und natürlichauch für die Wirtschaft. Wo Menschen über Grenzenhinweg miteinander zu tun haben, muss es Regelungengeben, die den grenzüberschreitenden BesonderheitenRechnung tragen. Das unterstützt die Menschen darin,von den Möglichkeiten, die Europa ihnen eröffnet,auch tatsächlich Gebrauch zu machen.Aus diesem Grund hat die EU das Europäische Ver-fahren für geringfügige Forderungen, die sogenannteSmall-Claims-Verordnung, und das EuropäischeMahnverfahren eingeführt. Die Small-Claims-Verord-nung soll seit 2009 helfen, grenzüberschreitende ge-ringfügige Forderungen leichter geltend zu machen.Das hat einige Vorteile: Man kann die Forderungenschriftlich und im Heimatland stellen, man hat keineAnwaltskosten, und man muss nicht vor Gericht gehen.Obwohl das Verfahren sehr einfach, zeit- und kosten-sparend ist, ist es nur wenigen Verbrauchern bekannt.Lediglich 12 Prozent der EU-Bürger haben überhauptschon einmal etwas vom Europäischen Bagatellver-fahren gehört. Nur 1 Prozent hat das Verfahren ge-nutzt. Auch Kollegen aus der Anwaltschaft bestätigendas: Nur sehr wenige sind mit dem Verfahren schoneinmal in Berührung gekommen.Um dies zu ändern, will die EU-Kommission nunden Anwendungsbereich durch den vorliegendenÄnderungsvorschlag deutlich ausweiten. Es ist imGrundsatz zu begrüßen, dass die Kommission Rechts-streitigkeiten mit geringem Streitwert in grenzüber-schreitenden Fällen weiter vereinfachen möchte. Sokönnen die Attraktivität des Verfahrens erhöht und da-mit die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrau-chern gestärkt werden. Zudem kann sich das auch po-sitiv auf unsere Exportwirtschaft auswirken.Allerdings ist zweifelhaft, ob die Änderungsvor-schläge der Kommission in dem Maße angemessen underforderlich sind. Dies gilt insbesondere für die Erhö-hung des Schwellenwertes von 2 000 auf 10 000 Euround die Ausweitung der Definition für „grenzüber-schreitende Rechtssachen“. Bei Streitwerten über2 000 Euro handelt es sich nach deutschem Verständ-nis schon nicht mehr um geringfügige Forderungen.Zum Vergleich: Die in der deutschen Zivilprozessord-nung festgelegte Bagatellgrenze liegt bei 600 Euro.Eine Erhöhung der Streitwertgrenze würde damit dieZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5027
Dr. Anja Weisgerber
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Mehrheit der Zivilprozesse in Deutschland treffen.Während das nationale Recht bei Verfahren von in derRegel über 5 000 Euro einen Anwaltszwang vorsieht,besteht gemäß der Small-Claims-Verordnung keinePflicht zur anwaltlichen Vertretung. Eine Umsetzungwürde daher zu einer Senkung der Verfahrensstandardsführen. Die geplante Streitwertgrenze von 10 000 Euroist daher deutlich zu weitgehend und abzulehnen.Auch die Ausweitung der Definition für „grenzüber-schreitende Rechtssachen“ geht zu weit. Die massiveErweiterung – nach der ein grenzüberschreitender Be-zug ausreichen würde – hätte eine Verlagerung vonrein nationalen Fällen in den Anwendungsbereich derVerordnung zur Folge. Für Deutschland würde das be-deuten, dass sich die Zahl der Verfahren im Jahr 2012von 500 auf circa 60 000 Fälle erhöhen würde. EineAnhebung der Bagatellgrenze – in Verbindung mit dergeplanten Ausweitung der Definition für „grenzüber-schreitende Rechtssachen“ – birgt die Gefahr, dieIntensität des deutschen Rechtsschutzes zu senken. Da-her ist es fraglich, ob der Vorschlag der EU-Kommis-sion die Attraktivität des Verfahrens steigert und damitden deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchernhilft.Es freut mich daher, dass wir eine fraktionsüber-greifende Beschlussempfehlung erreicht haben, in derwir die Probleme hervorheben. Selbst für die Kommis-sion ist der Bekanntheitsgrad die Ursache für die ge-ringe Bedeutung in der Praxis. Es sollte doch zunächstan dieser Stelle angesetzt werden, anstatt den Anwen-dungsbereich der Verordnung so deutlich auszuweiten.Allein die Steigerung der Bekanntheit würde sicherlichdie Attraktivität des Verfahrens steigern. Hier könnteich mir gezielte Information und Aufklärung der Ver-braucherinnen und Verbraucher, Unternehmen, aberauch der Rechtsanwender vorstellen.
Seit dem 1. Januar 2009 können innerhalb der EUgrenzüberschreitende Streitigkeiten bei einem Streit-wert von bis zu 2 000 Euro durch ein spezielles Ge-richtsverfahren geltend gemacht werden, das in allenMitgliedstaaten bis auf Dänemark gilt. Dieses Verfah-ren für geringfügige Forderungen – oder im Engli-schen Small Claims Procedure genannt – erleichtertden Unionsbürgerinnen und -bürgern bei grenzüber-schreitenden Sachverhalten den Zugang zur Justiz.Rechtsstreitigkeiten in Zivil- und Handelssachenkönnen kostengünstiger und vor allem schneller beige-legt werden. Die Prozessparteien können mittels diesesVerfahrens innerhalb von nur wenigen Monaten zu ei-nem Titel gelangen. Denn bei dem Small-Claims-Ver-fahren handelt sich im Wesentlichen um ein schriftli-ches Verfahren mit kurzen Fristen, bei dem außerdemStandardformulare verwendet werden. Die Prozess-parteien und Zeugen können sich lange Wege in andereMitgliedstaaten und Anreisekosten ersparen, wennkeine mündliche Verhandlung durchgeführt wird. Dasist bei geringfügigen Forderungen durchaus effizientund sinnvoll.Die deutschen Bürgerinnen und Bürger können inFällen mit grenzüberschreitendem Bezug wählen, obsie vor einem deutschen Gericht klagen wollen oder obsie in diesen Fällen das Small-Claims-Verfahren nut-zen. Bisher ist das Verfahren in Deutschland und inden anderen Mitgliedstaaten wenig bekannt, wirdkaum genutzt.Das hat die Kommission zu dem Vorschlag veran-lasst, den Anwendungsbereich für das Small-Claims-Verfahren zu erweitern, um es zu etablieren und denBekanntheitsgrad zu steigern. Das wird von mirgrundsätzlich begrüßt.Trotzdem gibt es einige Punkte, an denen der Ver-ordnungsvorschlag meiner Ansicht nach noch verbes-sert werden kann. Deshalb haben wir eine Stellung-nahme erarbeitet, die heute hier zur Abstimmung steht.Ausdrücklich bedanke ich mich bei den beteiligtenKolleginnen und Kollegen für die gute und konstruk-tive Zusammenarbeit.Ich erläutere nun im Folgenden kurz einige wesent-liche Kritikpunkte an dem Verordnungsvorschlag:Erstens. Die Erhöhung der Streitwertgrenze auf10 000 Euro, die der Verordnungsvorschlag vorsieht,ist abzulehnen. Bei Streitwerten von mehr als2 000 Euro kann nach meiner Ansicht nicht mehr vongeringfügigen Forderungen gesprochen werden. DieErhöhung ist allein schon deswegen zu weitgehend,weil der Vorschlag auf das nach unserem Recht gel-tende und sinnvolle Anwaltserfordernis verzichtet.Denn in Deutschland finden Zivilprozesse bei einemStreitwert ab 5 000 Euro vor dem Landgericht statt.Laut § 78 Absatz 1 ZPO müssen sich die Parteien dannvon einem Rechtsanwalt vertreten lassen. Es hat sichin der Vergangenheit gezeigt, dass sowohl die Parteienals auch die Gerichte vom Sachverstand der Rechtsan-wälte profitieren und das Risiko zum Beispiel derFristversäumung etc. geringer ist. Eine Erhöhung derStreitwertgrenze auf 10 000 Euro würde dieser Syste-matik zuwiderlaufen.Aber auch im Bereich zwischen 2 000 und5 000 Euro wäre eine Vielzahl der Zivilprozesse vorden Amtsgerichten in Deutschland von der Absenkungder Verfahrensstandards betroffen. In unserer erwei-terten Stellungnahme haben wir uns deshalb klar dafürausgesprochen, dass das Small-Claims-Verfahren nurbis zu einer Streitwertgrenze von 2 000 Euro Anwen-dung finden soll.Zweitens. Erheblichen Bedenken unterliegt unsererAnsicht nach auch die geplante Erweiterung der Defi-nition für „grenzüberschreitende Rechtssachen“.Sachverhalte, bei denen beide Parteien aus einem Mit-gliedstaat stammen und bei denen ein grenzüber-schreitender Bezug dem Charakter des Vertragsver-hältnisses nicht entspricht, dürfen nicht demAnwendungsbereich des Small-Claims-Verfahrens un-Zu Protokoll gegebene Reden
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5028 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Dr. Johannes Fechner
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terfallen, um mitgliedstaatliche Verfahrensstandardszu erhalten.Drittens. Auch die im Verordnungsvorschlag vorge-sehene Deckelung der Gerichtsgebühren auf maximal10 Prozent des Streitwertes und die Beschränkung derMindestgebühr auf 35 Euro widersprechen dem deut-schen Gerichtskostensystem und wären mit erhebli-chen Kosten für die Bundesländer verbunden.Viertens. Neben der eben von mir dargestellten be-rechtigten Kritik begrüßen wir aber ausdrücklich denAnsatz, elektronische Fernkommunikation in Zivilpro-zessen verstärkt zu nutzen. Die Übertragung von Vi-deo- und Telekommunikationskonferenzen im Ge-richtsverfahren ist auch ein gutes Beispiel dafür, dassden Parteien die unter Umständen kosten- und zeitin-tensive Anreise erspart werden kann. Auf der anderenSeite sieht der Verordnungsvorschlag weiterhin dieMöglichkeit vor, dass eine mündliche Verhandlungdurchgeführt wird, wenn das Gericht sie für sachdien-lich erachtet oder die Parteien dies beantragen. Dasträgt dem Grundsatz der Mündlichkeit im ZivilprozessRechnung und ist ausdrücklich positiv zu werten.Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal ausdrück-lich sagen, dass die Harmonisierung der Zivilverfah-ren innerhalb der Europäischen Union ein erstrebens-wertes Anliegen ist.Es ist aber wichtig, dass die zuvor genannten be-rechtigten Kritikpunkte Gehör finden, ich bitte Sie da-her heute um Zustimmung zu unserer Stellungnahme.
Viele kleine und mittlere Unternehmen in der EU
kennen das folgende Problem: Man erfüllt einen Auf-
trag für ein größeres Unternehmen aus einem anderen
EU-Staat, und dieses lässt sich danach ewig Zeit, die
Rechnung zu bezahlen. Das Schlimme ist: Das kleine
Handwerksunternehmen oder der kleine Zulieferbe-
trieb kann dadurch schnell in eine finanzielle Schief-
lage geraten. Möglichkeiten zur Zwischenfinanzierung
gibt es für diese nämlich kaum, und auch Aufträge in
der Größenordnung von nur ein paar Tausend Euro
können hier von existenzieller Bedeutung sein. Im
schlimmsten Fall kann sogar die Pleite drohen.
Ein anderes Beispiel: Verbraucherinnen und Ver-
braucher bestellen sich immer mehr Waren online aus
allen Ecken der EU und bekommen diese per Post. Die
bezahlte Ware wird dann aus irgendeinem Grund re-
tourniert, und der gezahlte Kaufpreis muss von der
Verkäuferseite zurückerstattet werden. In manchen
Fällen passiert das aber leider nicht, und die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher gucken in die Röhre.
Sowohl das kleine Handwerksunternehmen als auch
die Verbraucherinnen und Verbraucher aus diesen
Beispielen könnten nun versuchen, ihren Anspruch
gerichtlich durchzusetzen. Aber das ist zumeist auf-
wendig und langwierig, gerade wenn es um grenz-
überschreitende Streitigkeiten geht. Insbesondere Ver-
braucherinnen und Verbraucher werden es sich zwei-
oder dreimal überlegen, ob sie diese Strapazen wirk-
lich wegen ein paar Hundert Euro auf sich nehmen
wollen.
Die vorgeschlagene Verordnung könnte für genau
solche Fälle zumindest ein Stück weit Abhilfe schaffen.
Gläubigerinnen und Gläubiger sollen im Europäi-
schen Mahnverfahren künftig einfacher an ihr Geld
gelangen. Zu diesem Zweck soll das Verfahren bei For-
derungen bis 10 000 Euro, statt wie bisher bis 2 000 Euro
anwendbar sein. Das kommt insbesondere kleinen und
mittleren Unternehmen entgegen.
Darüber hinaus sollen Telefon- und Videokonferen-
zen das persönliche Erscheinen bei mündlichen Ver-
handlungen überflüssig machen, was wiederum Reise-
kosten spart.
Zudem soll das Europäische Mahnverfahren künftig
bei deutlich mehr Streitigkeiten anwendbar sein, auch
zwischen inländischen Streitparteien, solange ein be-
stimmter Auslandsbezug besteht, zum Beispiel bei der
Vermietung eines Ferienhauses im Ausland.
Soweit die vorgeschlagene Verordnung hierdurch
dem kleinen Handwerksunternehmen oder den geprell-
ten Verbraucherinnen und Verbrauchern hilft, an ihr
Geld zu kommen, begrüße ich das ausdrücklich.
Allerdings gibt es auch hier zwei Seiten der Me-
daille. Was für die Gläubigerinnen und Gläubiger gut
ist, ist für die Schuldnerinnen und Schuldner naturge-
mäß eher schlecht. Das Mahnverfahren nach dem
deutschen Zivilrecht ist mehrstufig ausgestaltet und
bietet der Schuldnerseite daher mehr Reaktionsmög-
lichkeiten und somit mehr Schutz. Insbesondere wenn
auf Schuldnerseite Verbraucherinnen und Verbraucher
stehen, kann die im Europäischen Mahnverfahren
quasi automatisch folgende Vollstreckbarkeit der For-
derung unangemessen sein. Hier müsste noch nachge-
bessert werden.
Und bei dieser Gelegenheit noch einmal etwas ganz
Grundsätzliches, meine Damen und Herren von der
Bundesregierung: Das hehre Ziel, die Mühlen der Jus-
tiz schneller und reibungsloser laufen zu lassen, er-
reicht man nicht nur durch Verfahrensvereinfachun-
gen, die zudem irgendwann an die Grenzen der
Rechtsstaatlichkeit stoßen können. Der grundgesetz-
lich garantierte Zugang der Bürgerinnen und Bürger
zu den Gerichten darf nämlich keinesfalls missachtet
werden. Viel wichtiger ist daher eine endlich ausrei-
chende finanzielle und personelle Ausstattung der Ge-
richte und Justizbehörden. Und hier, sehr geehrter
Herr Maas, liegt leider noch ein ganzes Stück Arbeit
vor Ihnen und den Landesregierungen.
Die EU-Kommission will dem Small-Claims-Verfah-ren zu mehr Ruhm verhelfen und dafür den Anwendungs-bereich neu festlegen. Das Ansinnen, geringfügige For-derungen aus grenzüberschreitenden StreitigkeitenZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5029
Katja Keul
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leichter verfolgen zu können, ist ja grundsätzlich nichtschlecht. Es sollte kein Problem sein, vor ein Gerichtin einem anderen EU-Mitgliedstaat zu ziehen, umseine Forderung geltend zu machen. VerbindlicheStandards, gemeinsame Verfahrensregelungen undkostenreduzierende Videokonferenzen können hiersinnvolle Maßnahmen sein, um Hemmschwellen zusenken.Vor diesem Hintergrund enthält die Verordnung Ver-fahrenserleichterungen für Streitigkeiten mit einemStreitwert von bis zu 2 000 Euro. Allerdings hat sichherausgestellt, dass die Verordnung in der Praxiskaum angewendet wurde.Die schlichte Ausweitung des Anwendungsbereichsder Verordnung ins Uferlose, wie sie die Kommissionjetzt vorschlägt, ist aber keine gangbare Lösung. Ichbin froh, dass darüber hier im Haus Einigkeit besteht!Zum einen hat die Kommission offensichtlich merk-würdige Vorstellungen über „geringfügige Forde-rungen“. So soll der Grenzstreitwert von 2 000 auf10 000 Euro heraufgesetzt werden. Das werden diemeisten der Bürgerinnen und Bürger nicht als gering-wertig ansehen, und einem Großteil der kleinen undmittleren Unternehmen dürfte es genauso gehen.Bei Streitwerten von über 5 000 Euro gehen Verfah-ren in Deutschland bisher üblicherweise schon in ers-ter Instanz vor das Landgericht, und anwaltliche Ver-tretung ist zwingend vorgeschrieben. Ab 10 000 Eurokann schnell mal die Existenz auf dem Spiel stehen.Wenn die Pläne der Kommission Realität würden,dann könnten zudem auch rein innerstaatliche Sach-verhalte nach der Small-Claims-Verordnung behandeltwerden. Künftig muss nämlich nicht mehr einer derVertragspartner seinen Wohnsitz oder gewöhnlichenAufenthalt im EU-Ausland haben, sondern es soll rei-chen, wenn zum Beispiel der Ort der Vertragserfüllungim EU-Ausland liegt, wie beispielsweise bei Pauschal-reisen; und das selbst dann, wenn sie beim heimischenReiseanbieter um die Ecke buchen, der seinen Ge-schäftssitz im Inland hat.Sofern das Unternehmen dann gegenüber dem Ver-braucher aus Kostengründen das Small-Claims-Ver-fahren wählt, führt das nicht nur zu einer verringertengerichtlichen Prüfung. Auch eine mündliche Verhand-lung findet nur noch auf Antrag statt, wenn das Ge-richt sie für sachdienlich hält.Anwaltliche Vertretung soll nicht mehr erforderlichsein. Und dass in einem Bereich, in dem die Verbrau-cher typischerweise größeren Konzernen gegenüber-stehen und gemeinhin als besonders schutz-bedürftig angesehen werden.Das wahre Problem der bisherigen Regelung istdoch ein ganz anderes: Die Verordnung leidet schlicht-weg an ihrer Unbekanntheit. Da geht es ihr vielleichtähnlich wie einigen EU-Kommissaren – die das mitdieser Verordnung aber wahrscheinlich auch nichtwerden ändern können.Vermutlich wäre eine Werbekampagne eher geeig-net, die Verfahrenszahlen zu erhöhen, als eine Auswei-tung des Anwendungsbereichs.Die Vorstellungen der Kommission sind allerdingsohnehin utopisch: so sollen die Anzahl der Verfahrenvon 500 auf 60 000 steigen, was quasi 5 Prozent allerProzesse im Jahr unter einem Streitwert von10 000 Euro in Deutschland wären!Mit unserer interfraktionellen Stellungnahme ge-genüber der Bundesregierung haben wir deutlich ge-macht: Zivilprozesse dürfen nicht ausschließlich durchdie Brille der Wirtschaftlichkeit gesehen werden. Ge-ringerer Arbeitsaufwand ist nur dann erfreulich, wenndie Rechtsprechungsqualität nicht darunter leidet.Mündliche Verhandlungen und anwaltliche Vertretungschützen sowohl den Verbraucher als auch den Recht-suchenden und dürfen deshalb nicht zur Ausnahmewerden.Wir hoffen also darauf, dass die Bundesregierungunsere Stellungnahme nicht nur berücksichtigt, son-dern die genannten Punkte auch gegenüber der EU-Kommission durchsetzt.
Dann kommen wir zur Abstimmung über die Be-schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver-braucherschutz auf Drucksache 18/2647. Der Ausschussempfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschlie-ßung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzesanzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –Damit ist diese Beschlussempfehlung bei Enthaltung derFraktion Die Linke angenommen.Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 8 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. ValerieWilms, Stephan Kühn , Sven-ChristianKindler, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENReform der Wasser- und Schifffahrtsverwal-tung konsequent fortsetzenDrucksache 18/1341Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
InnenausschussAusschuss für Wirtschaft und EnergieAusschuss für Arbeit und SozialesAusschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitAusschuss für TourismusHaushaltsausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne hiermit die Aussprache und erteile dasWort der Kollegin Dr. Valerie Wilms, Bündnis 90/DieGrünen.
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5030 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
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Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei
meinen vielen Besuchen in den Wasser- und Schiff-
fahrtsämtern und bei Personalversammlungen erlebe ich
immer wieder, wie sich die Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter nach einer echten Reform sehnen, eben nach einer,
die diesen Namen auch verdient. Die Mitarbeiter vor Ort
– denken wir bitte daran, dass es unsere Mitarbeiter sind,
nämlich Mitarbeiter des Bundes – sollen die Verantwor-
tung für die Anlagen übernehmen.
Die Übernahme der notwendigen Verantwortung für
den Ressourceneinsatz, also für das Geld, wird ihnen
aber nicht zugetraut. Jeder Kleinkram muss bereits ab
50 000 Euro über den langen Verwaltungsweg beantragt
werden. So wird Frust geschaffen, aber keine Motivation
für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.
Diese sind es aber, die sich täglich für funktionierende
Wasserstraßen einsetzen.
Wortakrobatik statt echter Reformbereitschaft haben
wir in den letzten 20 Jahren schon oft genug gehört. Jetzt
muss gehandelt werden. Es darf nicht länger gewartet
werden.
Selbst der frühere Verkehrsminister Ramsauer hat ir-
gendwann eingesehen, dass er ohne eine Reform in sei-
nem eigenen Haus nicht auskommt. So weit, so gut.
Oder sollte ich besser sagen: „so schlecht“?
Heute koaliert die Union mit der SPD, und da sieht
manches schon wieder ganz anders aus. Die Union
wollte mal ein bisschen, und die SPD wollte noch nie so
richtig. Was dabei herauskommt, konnte man in einer
Pressemitteilung des BMVI vom 29. August 2014 lesen.
Ich zitiere eine Aussage von Minister Dobrindt:
Das enorme Reformprojekt der Neuausrichtung der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes …
steht kurz vor dem Abschluss …
Das ist schlichtweg falsch. Das Reformprojekt steht
nicht kurz vor dem Abschluss. Es muss jetzt endlich ein-
mal ernsthaft umgesetzt werden. Das ist der richtige
Weg.
Die Aussage hat mich insofern schon sehr verwundert,
Herr Kollege Ferlemann. Die Äußerung nährt bei mir
den Eindruck, das Ministerium möchte sich schnell ei-
nen schlanken Fuß machen. Es ist anscheinend froh,
wenn die Reform so schnell und geräuschlos wie mög-
lich abgeschlossen wird, egal mit welchem Ergebnis. Sie
dürfen sich jetzt nicht zurücklehnen und so tun, als ob al-
les schon erledigt sei. Das wäre fatal. Was wir brauchen,
ist eine echte Reform: weg von der Verwaltung der Was-
serstraßen, hin zu einem wirklichen Dienstleister für die
Schifffahrt.
Durch die Reform wird das System Wasserstraße ver-
bessert. Dafür müssen aber folgende Punkte umgesetzt
werden:
Erstens. Es braucht eine Budgetverantwortung direkt
in den Ämtern vor Ort.
Zweitens. Es braucht dringend eine vollständige Kos-
ten- und Leistungsrechnung für ein wirksames Control-
ling. Das ist eine Selbstverständlichkeit in jedem Wirt-
schaftsunternehmen; aber in der WSV ist es nicht zu
finden.
Drittens. Es braucht dringend eine Anlagenbuchhal-
tung für unsere Wasserstraßen. Damit erhält das Parla-
ment einen besseren Überblick über das Anlagevermö-
gen, das in den Wasserstraßen steckt. Vor allen Dingen
erfahren wir, wann wir in den Ersatz investieren müssen.
Das macht jeder ehrbare Kaufmann, und zwar nicht ohne
Grund.
Die Reform wird also noch ein paar Jährchen in An-
spruch nehmen. Insofern brauchen Sie noch mehr Re-
formeifer und vor allem Durchhaltevermögen. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zeigen Sie end-
lich Reformwillen. Die Mitarbeiter vor Ort werden es Ih-
nen danken,
und auch die Schifffahrtsbranche. Seien Sie endlich ein-
mal für die Wirtschaft da, wie es Ihr Vorsitzender aktuell
predigt.
Meine Botschaft an das Verkehrsministerium, das hier
sogar zu zweit vertreten ist, und an die Koalition der Re-
formbremser lautet: Die Reform steht nicht vor dem Ab-
schluss. Im Gegenteil: Jetzt muss es losgehen.
Herzlichen Dank.
Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamenta-
rische Staatssekretär Enak Ferlemann.
E
Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Selten habe ich einen Antrag der Grünengelesen, der so gut war. Frau Wilms, da haben Sie sichwirklich Mühe gegeben.
Hinsichtlich dessen, was Sie dort beschrieben haben,sind wir uns sehr einig, auch hinsichtlich dessen, was Siehier gesagt haben, mit zwei Ausnahmen:
Sie haben gesagt, wir seien noch gar nicht gestartet.Wenn man Ihren Antrag liest, ist man erstaunt; denn Siebeziehen sich auf den 5. Bericht. Sollte der Fraktion der
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5031
Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann
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Grünen entgangen sein, dass es schon längst einen 6. Be-richt gibt? Das wäre schade.
Frau Wilms, Sie haben gesagt, die Reform habe nochnicht begonnen. Sie läuft doch schon längst, und sie wirdauch fortgesetzt. Natürlich, bei einem so großen Reform-vorhaben wie der Reform der Wasser- und Schifffahrts-verwaltung, von der circa 14 000 Personen betroffensind, geht das nicht von heute auf morgen. Das ist einlangsamer und langwieriger Prozess, weil Sie die Men-schen mitnehmen müssen und weil Sie Verwaltungs-strukturen nicht abrupt zerschlagen können. Das wollenwir auch nicht. Sie müssen mit den Menschen gemein-sam arbeiten. Die Menschen müssen ja auch Vertrauenhaben.Ich stelle fest, dass wir eine hervorragend aufgestellteWasser- und Schifffahrtsverwaltung haben. Die Kolle-ginnen und Kollegen leisten eine hervorragende Arbeit.Gleichwohl – recht haben Sie –: Wir brauchen eine An-lagenbuchhaltung, und wir brauchen moderne kaufmän-nische Steuerungselemente und Steuerungssysteme. Dassieht die Reform auch so vor.Wir werden das sukzessive umsetzen, so wie wir esgesagt haben. Wir nehmen eine Entscheidungsebene he-raus, die Wasser- und Schifffahrtsdirektion, konzentrie-ren uns in der Führung auf die Generaldirektion Wasser-und Schifffahrt, ziehen dort auch Kompetenzen aus demMinisterium in die Mittelbehörde mit einer hohen Ent-scheidungskompetenz, aber natürlich auch mit Entschei-dungsverantwortung, und wir schaffen 18 Reviere, in de-nen dann Amtsleiter die regionale Verantwortungwahrnehmen, ausgestattet mit einer hohen Entschei-dungskompetenz.Ich glaube, dass diese Struktur, die mit dem 6. Berichtvorgeschlagen wird, ein sehr positives Echo gefundenhat, sowohl bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiternals auch bei den Ländern als auch bei der Wirtschaft.Deswegen glaube ich, dass wir diese Reform in diesemHerbst gemeinsam so auf das Gleis bringen, dass wir dasals Ministerium letztlich umsetzen können. Das wird ab1. Januar 2015 scharfgestellt, und dann beginnt sukzes-sive die Umwandlung.Dazu gehört auch die Einführung der Kosten- undLeistungsrechnung; denn auch die brauchen wir – dagebe ich Ihnen recht –, um kaufmännisch richtig steuernzu können. Das lässt sich aber nicht von heute auf mor-gen bewerkstelligen, wie Sie aus eigener Erfahrung undIhren vielen Besuchen bei den vielen Ämtern ja wissen.Insofern stelle ich fest: Die Grünen sind etwas hinterdem Mond bei dem Ansatz, wie weit wir schon sind. Ichfreue mich aber, dass Sie uns so unterstützen. Denn bis-her hat Sie ausgezeichnet, dass Sie uns bei diesem Re-formprozess aktiv unterstützt haben und wir gemeinsamin die richtige Richtung marschiert sind. Ich glaube, wirbekommen es hin.Ziel muss es sein, eine effiziente, hochleistungsfähigeund starke Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zu haben,die eine sehr hohe Kompetenz hat und, statt Aufträge zuvergeben, vieles auch selber erledigen kann. Manchmalist es effizienter, etwas selber zu machen. Nicht allesauszuschreiben, ist immer der richtige Weg. Man musseinen guten Mittelweg finden.Ich glaube, der Reformansatz, den wir gewählt haben,ist dafür richtig. Ich freue mich sehr, dass das auf die Zu-stimmung der Grünen stößt. Unterstützen Sie uns weiter.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der
Kollege Herbert Behrens.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! DieKolleginnen und Kollegen der Wasser- und Schifffahrts-verwaltung machen sich seit vielen Jahren große Sorgenum ihre Zukunft. Junge Auszubildende werden nichtübernommen. Ausscheidende Kolleginnen und Kollegenwerden nicht ersetzt. Die Belegschaft schrumpft seit Jah-ren. Zur gleichen Zeit beklagen die Verbände der Wirt-schaft den Zerfall der Bundeswasserstraßen. Die Sper-rung der Schifffahrt am Nord-Ostsee-Kanal kam unsteuer zu stehen, weil die maroden Schleusen ihren Geistaufgaben. Das ist nur eines von vielen Beispielen.Doch die CDU/CSU-geführte Regierung der vergan-genen Legislaturperiode, die zusammen mit der inzwi-schen ebenfalls vergangenen FDP regiert hat, war vomGeist der Privatisierung geprägt; man könnte es auch„umnebelt“ nennen. Statt darauf zu schauen, was die Bin-nen- und Küstenschifffahrt zu einem modernen, ökolo-gisch orientierten Verkehrssystem beitragen kann, nahmsich die Regierung die WSV als Apparat vor.Aber die ganze Geschichte ist schon älter. Zitat: Seit1995 befasst sich das Bundesverkehrsministerium mitder Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung desBundes. – Das schreibt der Bundesrechnungshof in sei-nem Bericht von 2010. Ich zitiere weiter: Mit der Re-form soll es auf die haushaltsgesetzliche Einsparquotebei den Dienstposten reagieren. – Genau darum geht es:Personalabbau als Maßstab von Reformen, das ist seit20 Jahren die Erfahrung der Beschäftigten bei der WSV.Der Begriff „Reform“ wird mit „Personalabbau“ über-setzt. Das akzeptieren wir nicht.
Außenämter zusammenlegen, Schleusen automatisie-ren, Bündelung von Dienstleistungen mit dem Ziel derPersonaleinsparung, das waren übrigens die gemeinsa-men politischen Ziele der Regierungen seit jener Zeit,und zwar in den unterschiedlichsten Zusammensetzun-gen. Doch die Kolleginnen und Kollegen vor Ort habengezeigt und zeigen noch heute, wie wichtig ihre Arbeitist. Sie fahren bei Wind und Wetter raus, um die Schleu-
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5032 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Herbert Behrens
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sen gangbar zu halten. Sie sind Tag und Nacht unter-wegs, wenn zu viel oder auch zu wenig Wasser da ist,um die Schifffahrt gangbar zu halten. Schnell und kom-petent reagieren sie, wenn es auf dem Wasser zu einemMalheur kommt, und sie beweisen mit ihrer täglichenArbeit auch, dass sie Dinge erhalten. Dadurch kommt esnur selten zu Malheurs. Die Zahl der Zwischenfälle lässtsich wirklich an wenigen Fingern abzählen, und dasselbst bei Anlagen, die Jahrzehnte, manche sogar einganzes Jahrhundert alt sind.Die Linke hat in den Jahren der letzten schwarz-gelbenKoalition die Belegschaft der Wasser- und Schifffahrts-verwaltung bei ihrem Kampf um den Erhalt einer funk-tionsfähigen Ausführungsverwaltung unterstützt. Heute,nachdem der ziellose Umbau der WSV halbwegs ge-stoppt werden konnte, beraten wir den Antrag „Reformder Wasser- und Schifffahrtsverwaltung konsequent fort-setzen“. Das haben die Kolleginnen und Kollegen derWSV nicht verdient. Sie brauchen keine WSV-Re-form II, nachdem die WSV-Reform I gescheitert ist.
Wir unterstützen die Aussagen im Antrag der Grünensehr wohl, in dem es heißt, dass neue Aufgaben, etwa imNatur- und Artenschutz, zu bewältigen sind und dass dieUnterhaltung der Flüsse nach ökologischen Kriterien anBedeutung gewinnt. Das alles ist richtig. Aber es hilftuns hier nicht weiter, an einem Umbau der WSV festzu-halten, der eben nicht an den neuen ökologischen Aufga-ben der WSV orientiert ist. Wir können doch nicht fort-setzen wollen, was von vornherein ausschließlich aufPersonalabbau ausgerichtet war und die Zerschlagungder WSV und die Privatisierung von Aufgaben zum Zielhatte.Die Linke unterstützt stattdessen die WSV-Beleg-schaft in ihrem Engagement für eine zukunftsfähigeBundesbehörde. Ihre Arbeit wird sich verändern. Werweiß das besser als die Betroffenen selber! Sie sind dochheute schon dabei, im Netzwerk zu arbeiten, und sie bil-den selbstständig arbeitende Inspektionstrupps, die Stö-rungen des Schiffsverkehrs erst gar nicht aufkommenlassen. Das tun sie mit guten Ingenieuren und gutenHandwerkern, wie wir zum Beispiel in Aurich haben se-hen können.
Es bleibt dabei: Eine Reform der Wasser- und Schiff-fahrtsverwaltung des Bundes muss die Behörde so mo-dernisieren, dass sie ihre Arbeit erledigen kann. Dafürbraucht sie qualifiziertes Personal, eine gute technischeAusstattung und einen klaren Auftrag. Dafür tragen wirdie Verantwortung. Mit einem Antrag, der die Unsicher-heit der Belegschaft verstärkt, kommen wir dieser Ver-antwortung nicht nach.
Nächster Redner ist der Kollege Gustav Herzog für
die Sozialdemokraten.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichwill uns freundlich einstimmen: Vielen Dank den Grü-nen für diesen Antrag! Er ist zwar etwas überholt – erwurde im Mai gestellt –, aber er gibt eine gute Gelegen-heit, hier im Plenum nicht nur über ein verkehrspoliti-sches Thema, sondern auch über ein Thema zu reden, beidem die Große Koalition schon nach kurzer Zeit einepositive Bilanz ziehen kann.
Ich kann Ihnen ankündigen: Wir werden als Koali-tionsfraktionen einen gemeinsamen Antrag einbringen,in dem wir insbesondere den 6. Bericht zur Reform derWSV aufgreifen. Lieber Kollege Hans-Werner Kammer,ich glaube, das wird nicht nur ein aktuellerer Antrag,sondern auch ein besserer Antrag als der von den Grü-nen.
Liebe Kollegin Wilms, im Text Ihres Antrags ist einkleiner Fehler. Nicht im Juni 2012 wurde die Reform an-gestoßen; vielmehr begann das Elend im Oktober 2010,in jenem berühmten Herbst der Entscheidungen, als dieFDP ihren großen Koalitionspartner dazu gebracht hat,im Haushaltsausschuss einen sehr verhängnisvollen Be-schluss zu fassen – lieber Kollege Behrens, in der erstenAbstimmung geschah das zusammen mit den Linken –
und das Ministerium aufzufordern, eine Reform durch-zuführen, die zu all dem geführt hat, was wir vier Jahrelang erlebt haben, nämlich zu einem echten Schlinger-kurs.Wenn ich an die Berichte 1 bis 5 denke, dann fällt mirauf, wie häufig wir über unterschiedliche Zahlen vonÄmtern geredet haben und wie häufig die Funktion derÄmter verändert worden ist. Außerdem denke ich dannan diesen wirklich unsäglichen Personalabbau von12 000 auf unter 10 000. Dahinter steckte die Ideologieder FDP, möglichst viel zu vergeben und möglichst we-nig selbst zu tun; das sei ganz gut. Die FDP wollte keineDurchführungsverwaltung mehr, sondern eine Gewähr-leistungsverwaltung.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hagelte damalsKritik. Ich rufe heute gerne in Erinnerung, dass auchsehr viel Kritik aus der Wirtschaft kam. Frau KolleginWilms, diejenigen aus der Wirtschaft, mit denen ich ge-sprochen habe – das waren nicht nur Vertreter der Ver-bände, sondern auch Menschen, die im Hafen und aufdem Schiff ihrer Arbeit nachgegangen sind –, haben dieWSV nie als eine Verwaltung, sondern immer als eineOrganisation verstanden, die ihnen bei all ihren Proble-men geholfen hat. Das war ein echter Erfolg. Die Leutehaben gute Arbeit geleistet.
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Gustav Herzog
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Die Beschäftigten waren aber so verunsichert, dass eszu einem Streik gekommen ist, der die Branche emp-findlich getroffen hat. Ich bin froh, Herr Staatssekretär,dass es eine klare Erklärung der drei beteiligten Ministe-rien gegeben hat, dass die weitere Reform wirklich so-zialverträglich umgesetzt wird.Aber auch die Länder haben heftig kritisiert. Minis-terpräsidenten der Union haben Briefe geschrieben unddas klare Signal gegeben, dass man mit dieser Reformscheitern wird. Auch deswegen wurde ein Gesetzent-wurf der alten Koalition zurückgezogen.Dann kamen die Bundestagswahl, die Koalitionsver-handlungen, ein Koalitionsvertrag – und es gab eine an-dere Situation. Wir haben klar festgelegt: Wir wollen beiden weiteren Reformschritten die Kompetenz derBeschäftigten mit einbinden, und wir wollen eine regio-nale Verankerung vornehmen. In beidem hat die Koali-tion – hier gilt mein ganz persönlicher Dank MinisterDobrindt – Wort gehalten.
Was vier Jahre nicht geklappt hat, haben wir in vierMonaten hinbekommen.
Es gibt eine klare Linie. Jetzt werden sich der Rech-nungsprüfungsausschuss und der Haushaltsausschussdamit beschäftigen. Mein besonderer Dank geht an un-sere Kollegen Bettina Hagedorn und Eckhardt Rehberg,die als Haushälter ein erstes Signal gesendet haben; dennschon jetzt können wir im Bereich der WSV mehr Perso-nal einstellen. Dieses Signal ist wichtig, weil wir als Ar-beitgeber in Anbetracht der Konkurrenz bestehen müs-sen. Wir brauchen kompetente Leute, die engagiert ihreArbeit machen. Eine Verwaltung jedoch, die zum Zielhat, Personal abzubauen, ist niemals ein attraktiver Ar-beitgeber.Von daher ist es gut, dass wir vier Botschaften aussen-den: Es wird keinen Personalabbau mehr geben. Wir gebendie unsägliche Idee der Trennung von Bau und Verkehr auf.Es wird in den Ämtern weiterhin einen Ansprechpartnergeben: für die Länder, für die Kommunen, für die Wirt-schaft. Alle Standorte werden erhalten bleiben.Insgesamt wird die WSV infolge dieser Konzentra-tion effizienter arbeiten. Es wird 18 Ämter geben, diekompetent, leistungsstark, zuverlässig und in der Regionverwurzelt ihre Arbeit tun. Dabei werden nicht alle Äm-ter alles machen. Es wird, abhängig von den unterschied-lichen Aufgaben in der Region, unterschiedliche Schwer-punkte geben. Sicherlich wird es auch Synergieeffektegeben, indem bestimmte Ämter Arbeiten für die gesamteWSV erledigen.In einem weiteren Schritt werden wir uns den Außen-bezirken, Revieren und Verkehrszentralen zuwenden,dies aber erst dann, wenn dieser Teil der Reform ausdem 6. Bericht umgesetzt worden ist. Frau KolleginWilms, dann wird es auch eine Kosten-Leistungs-Rech-nung geben.
Dann wird es auch einen klaren Vergabekatalog geben.Ich bin Minister Dobrindt sehr dankbar, dass er er-klärt hat: Wir wollen darauf achten, dass unsere Organi-sation, die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bun-des, ihre eigene Kompetenz behält und nicht vonMonopolen abhängig wird, die es in dem Markt, in demwir unsere Ausschreibungen machen, gibt.
Es gibt einen weiteren Punkt, in dem sich der 6. Be-richt sehr wohlwollend von den ersten fünf Berichtenunterscheidet: Wir wenden uns dem Personal zu. Wir sa-gen: Wir wollen mehr für Aus-, Fort- und Weiterbildungtun. Wir haben bei der Übernahme von Auszubildendenschon deutliche Verbesserungen erzielt. Von daher wie-derhole ich, was ich zu Beginn gesagt habe: Wir sindjetzt auf einem klaren Kurs.Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich blei-ben noch ein paar Fragen offen: Wie wird die Kompe-tenz vom Ministerium auf die Generaldirektion und aufdie Ämter abgeschichtet? Herr Staatssekretär, wo bleibtder Infrastrukturbericht? Wir sind nicht die Einzigen, diesagen: Wir wollen nicht warten, bis der Bundesverkehrs-wegeplan kommt, sondern wir hätten gern vorher klareAuskunft. – Wir werden uns intensiv mit dem Konzeptzum Wassertourismus beschäftigen; je früher es da ist,desto besser für alle Beteiligten.
Wir werden uns dem Spannungsfeld von Kategorisierun-gen und Priorisierungen im Bundesverkehrswegeplanzuwenden; die alten Kategorien können nicht die neuensein.
Ich denke, dieses Parlament sollte damit nicht bis April2015 warten, bis das Rechtsbereinigungsgesetz vorliegt.Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, aufdie Debatte im Ausschuss. Wir sehen uns dann zum glei-chen Thema hier im Plenum wieder.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist derKollege Hans-Werner Kammer, CDU/CSU.
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5034 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
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Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Bündnis 90/Die Grü-nen haben ja auch schon in der letzten Legislatur inten-siv und forsch für eine Reform der Wasser- und Schiff-fahrtsverwaltung geworben. Mit dem vorliegendenAntrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden,die Reform konsequent umzusetzen. Liebe FrauDr. Wilms, genau das tut die Koalition gemeinsam mitder Bundesregierung. Der Bundesverkehrsminister hatmit dem 6. Bericht zum Stand der Reform den Kurs klarvorgegeben.
Auch wenn über Details sicherlich noch zu reden ist,liegt das Konzept, mit dem die WSV zukunftsfest wird,auf dem Tisch. Den von Ihnen befürchteten Reformstauhat es nicht gegeben. Ich habe bei Ihren Beiträgen, FrauDr. Wilms und Herr Behrens, den Eindruck gehabt, dassSie diesen 6. Bericht bisher nicht gelesen haben. Uns istes in den letzten Wochen vielmehr gelungen, auch dieMitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bord zu holen. Daswar ein klarer Auftrag des Koalitionsvertrages, dem dasMinisterium in vollem Umfang Rechnung getragen hat.Insofern kann ich Sie, liebe Kollegen von den Grünen,beruhigen: Die Reform geht weiter.
Aber bei der konkreten Umsetzung, liebe FrauDr. Wilms, der Reform hören die Gemeinsamkeiten zwi-schen Koalition und Grünenfraktion auf. Ihr Antrag istabzulehnen. Sie haben leider zu Ihrem Antrag imGrunde kaum gesprochen. Ich möchte Ihnen deshalb sa-gen: Sie wollen eine andere WSV als wir und übrigensauch eine andere als die WSV-Beschäftigten und dieWirtschaft.
Das Thema Verkehrsinfrastruktur spielt bei Ihnen nurnoch eine zweite Geige. Stattdessen lese ich in IhremAntrag nur von Renaturierung, ökologischer Wiederher-stellung und dem Ausgleich zwischen Schifffahrt undÖkologie.Umweltschutz liegt uns allen am Herzen, aber dieWSV ist zuerst eine Verkehrsverwaltung. Die Effizienz-steigerungen und Einsparungen der Reform wollen Siefür Umweltmaßnahmen aufwenden. Das steht so in Ih-rem Antrag. Der bedenkliche Zustand vieler Bundeswas-serstraßen ist Ihnen sicherlich bekannt. Sie wollen dochnicht im Ernst den Nord-Ostsee-Kanal im Namen desUmweltschutzes verkommen lassen.
Ich finde es übrigens bemerkenswert, dass ich ausge-rechnet Sie daran erinnern muss, dass das Schiff immernoch das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist. Geradefür Massengüter und Schwerlastverkehr bietet das Schiffnoch viel Potenzial, das wir nutzen können, um andereVerkehrsträger zu entlasten.
Wer aber wie Sie den Verkehr von Straße und Schieneauf das Wasser holen will, darf die Bundeswasserstraßennicht zum Naturschutzgebiet machen.
Konsequent gehen Sie den Irrweg Ihres letzten Bun-destagswahlprogramms weiter.
Dort stand die Förderung der Binnenschifffahrt unterdem Vorbehalt, dass sich die Schiffe dem Fluss anpassenmüssen.
– Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln; das stand datatsächlich drin. – 2005 hat Ihr damaliger Umweltminis-ter Jürgen Trittin ein solches Schiff mit öffentlichen Mit-teln gefördert.
Die „RMS Kiel“ war jedoch ein Fehlschlag. Das hat so-gar der Bundesrechnungshof bestätigt.
Sie leben in einer Traumwelt, wenn Sie an eine Zu-kunft der Schifffahrt glauben, ohne dass bestehendeSchifffahrtswege ausgebaut werden. Wahrscheinlich se-hen Sie die Zukunft der Handelsschifffahrt so wie dieZukunft des Wassertourismus, nämlich muskelbetrieben.
Das geht aber an der Realität vorbei und ist mit uns nichtzu machen.
Das Verkehrsministerium hat in enger Abstimmungmit den Beschäftigten den richtigen Kurs eingeschlagen.Die Organisationsstruktur wird deutlich gestrafft. Diebestehenden Personalprobleme werden offensiv ange-gangen. So ist gewährleistet, dass die WSV in Zukunftnoch besser als bisher die Bundeswasserstraßen betreuenkann, ohne zentrale Aufgaben an Dritte vergeben zumüssen. Zu den Aufgaben der WSV wird es aber auchweiterhin gehören, Wasserwege gegebenenfalls auszu-bauen. Nur so kann das große Potenzial des Verkehrs-mittels Schiff genutzt werden, um die in Zukunft massivzunehmenden Verkehrsströme zu schultern.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5035
Hans-Werner Kammer
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Für die Koalition ist klar: Die WSV wird eine mo-derne Infrastrukturverwaltung und keine Naturschutzbe-hörde. Der Kollege Herzog hat ja bereits angekündigt,dass es einen entsprechenden Antrag der Koalition dazugeben wird. Diesem können Sie dann mit Begeisterungzustimmen.Herzlichen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages-
ordnungspunkt.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1341 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das
der Fall und die Überweisung somit beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf:
Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er-
leichterung der Umsetzung der Grundbuch-
amtsreform in Baden-Württemberg
Drucksache 18/70
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz
Drucksache 18/2644
Nach meiner Information sollen die Reden zu Proto-
koll gegeben werden. – Dagegen erhebt sich kein Wider-
spruch. Damit sind Sie einverstanden.
Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung denEntwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Umset-zung der Grundbuchamtsreform in Baden-Württem-berg. In Deutschland wird das Grundbuch zentral vonden Amtsgerichten geführt. Baden-Württembergweicht historisch bedingt hiervon ab. Das Grundbuchwird dort überwiegend von den Kommunen geführt.Die Notare oder Rechtspfleger werden von denRatschreibern unterstützt. Ratschreiber mit der Befä-higung zum höheren oder gehobenen Verwaltungs-oder Justizdienst sind befugt, grundbuchrechtliche Er-klärungen zu entwerfen und Erklärungen zu beurkun-den. In der Praxis werden Grundbucheintragungenderzeit von den Ratschreibern bis zur Eintragungsreifevorbereitet, die Eintragung selbst nimmt aber in derRegel ein Amtsnotar vor.Neben den kommunalen Grundbuchämtern gibt esauch staatliche Grundbuchämter. Sie sind mit Rechts-pflegern als Grundbuchbeamten und Beschlussferti-gern besetzt. Beschlussfertiger sind Beamte des mittle-ren Dienstes und bereiten Grundbuchanträge für denRechtspfleger unterschriftsreif vor.Baden-Württemberg hat über den Bundesrat denvorliegenden Gesetzentwurf eingebracht. Die 654kommunalen und staatlichen Grundbuchämter sollenaufgelöst und die Grundbuchaufgaben bis spätestensEnde 2017 dreizehn zentralen Amtsgerichten zugewie-sen werden.Eine amtsangemessene Weiterbeschäftigung derRatschreiber und der Beschlussfertiger wäre nach der-zeitiger Rechtslage nicht möglich. Auf ihre Mitarbeitwill das Land Baden-Württemberg aber auch in Zu-kunft nicht verzichten, einerseits wegen des grund-buchrechtlichen Fachwissens und ihrer praktischenErfahrung, andererseits, weil nach der Reform zusätz-licher Personalbedarf bei den Amtsgerichten entste-hen wird.Das Rechtspflegergesetz soll deshalb um einen § 35a ergänzt werden. Nach dem Gesetzentwurf dürfenRatschreiber mit der Befähigung zum gehobenen Ver-waltungs- oder Justizdienst, die das Amt mindestensdrei Jahre ausgeübt haben, die Aufgaben eines Rechts-pflegers in Grundbuchsachen wahrnehmen. Die fach-liche Qualifikation soll durch Fortbildungen sicherge-stellt werden.Der Gesetzentwurf sieht weiterhin vor, dass Be-schlussfertiger, die seit mindestens fünf Jahren im Jus-tizdienst beschäftigt sind, ebenfalls die Aufgaben einesRechtspflegers in Grundbuchsachen wahrnehmen dür-fen. Voraussetzung soll eine fachbezogene Fortbildungvon drei Monaten an einer Fachhochschule sein.Der Gesetzentwurf sorgte bei den Rechtspflegernfür Unmut. Hier steht man dem sogenannten „Be-reichsrechtspfleger“ kritisch gegenüber. Das Vorha-ben des Landes Baden-Württemberg stellt aus Sichtdes Bundes Deutscher Rechtspfleger einen statusrecht-lichen Angriff auf die Berufsgruppe der Rechtspflegerdar und sei wirtschaftlich und in der Sache nicht sinn-voll.Die Kritik des Verbandes ist verständlich. DerRechtspfleger als Beamter der Laufbahn des gehobe-nen Dienstes ist ein selbstständiges Organ der Rechts-pflege. Seine ihm übertragenen, ehemals richterlichenGeschäfte nimmt er eigenverantwortlich und in sachli-cher Unabhängigkeit wahr. Aufgrund dieser dem Rich-teramt ähnlichen Stellung wird er auch als die zweiteSäule der dritten Gewalt bezeichnet.Wer die hohe Hürde des Bewerbungsverfahrens alsRechtspfleger genommen hat, wird im Rahmen einesdreijährigen Vorbereitungsdienstes als Anwärter miteinem anspruchsvollen Studium an einer Fachhoch-schule in Theorie und Praxis auf die spätere Tätigkeitumfassend vorbereitet. Der angehende Rechtspflegersoll befähigt werden, vollkommen selbstständig Le-benssachverhalte zu erfassen, Rechtsfragen zu erken-nen und zu lösen und sachgerechte Entscheidungen zutreffen. Die fachtheoretische Ausbildung ist entspre-chend umfangreich und umfasst unter anderem dasBürgerliche Recht, einschließlich Familienrecht, Erb-recht, Immobiliarsachenrecht, das Zivilprozess- undZwangsvollstreckungsrecht, das Handelsrecht ein-schließlich Registerrecht sowie das Gesellschafts-
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5036 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Detlef Seif
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recht, das Grundbuchrecht, das Betreuungsrecht, dieFreiwillige Gerichtsbarkeit, das Zwangsversteige-rungsrecht, das Insolvenzrecht und das Kostenrecht.Zweifelsohne handelt es sich bei dem Grundbuch-wesen um einen besonders sensiblen Bereich. Hiergeht es um die Prüfung komplizierter Rechtsfragen,insbesondere um die rechtliche Beurteilung vonGrundstückskaufverträgen, die Eintragung neuerEigentümer in das Grundbuch, die Prüfung undEintragung von Grundstücksbelastungen wie Grund-schulden, Hypotheken, Wege- und Wohnrechten. Um-fassende Kenntnisse des materiellen Rechts sind un-umgänglich. Wegen des bestehenden öffentlichenGlaubens des Grundbuches nach § 892 BGB und derdamit verbundenen positiven und negativen Publizi-tätswirkung müssen Eintragungen unbedingt materi-ellrechtlich korrekt sein und dürfen nur von qualifi-zierten Grundbuchbeamten vorgenommen werden.Eine Sachverständigenanhörung im Rahmen eineserweiterten Berichterstattergesprächs brachte zurFrage des Umfangs der erforderlichen Zusatzausbil-dung der Beschlussfertiger kein eindeutiges Ergebnis.Während die einen Sachverständigen überhauptkeinen Weiterbildungsbedarf sehen bzw. die vorge-schlagene Ausbildungsdauer von drei Monaten fürausreichend halten, fordern andere entweder eine Voll-ausbildung der Beschlussfertiger in Form der dreijäh-rigen Rechtspflegerausbildung oder weiterhin nur denEinsatz im Bereich der grundbuchrechtlichen Vor- undNachbereitung.Sachverständige der Fachhochschulen kamen zudem Schluss, dass eine Aufgabenübertragung auf dieBeschlussfertiger dem Grunde nach möglich sei, dievorgesehene Mindestausbildungsdauer allerdings zuknapp bemessen sei. Die Auffassungen zur angemesse-nen Ausbildungsdauer schwankten zwischen sechs undzwölf Monaten.Einerseits galt es, die hohe Qualität im Grundbuch-wesen sicherzustellen, andererseits wollten wir demLand Baden-Württemberg grundsätzlich ermöglichen,das Personal auch weiterhin amtsangemessen einzu-setzen. Der gefundene Kompromiss der Koalitions-fraktionen führte in der Abwägung aller Umstände undder Ergebnisse der Sachverständigenanhörung zu ei-ner Anhebung der Ausbildungsdauer von drei Monatenauf 8 Monate.An die Adresse der Rechtspfleger gerichtet, ist eineszu betonen: Bei der gesetzlichen Regelung handelt essich um eine absolute Ausnahme. Es ist nicht beabsich-tigt, den sogenannten Bereichsrechtspfleger als Regel-fall einzuführen. Wir wissen, welch hochqualifizierteund gute Arbeit die Rechtspfleger in Deutschland leis-ten. Hieran soll sich auch in Zukunft nichts ändern.Mit dem Änderungsantrag finden zugleich auchzwei weitere Artikel im Rahmen eines Omnibusverfah-rens Eingang in den Gesetzentwurf. Mit ihnen sollenzwei Übergangsvorschriften verlängert werden.Der erste sieht eine Änderung in § 26 Nummer 8Satz 1 EGZPO vor. Nach dieser Vorschrift ist die Be-schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ge-mäß § 544 ZPO bis zum 31. Dezember 2014 nur bei ei-ner Beschwer von mindestens 20 000 Euro zulässig.Diese Übergangsfrist soll mit dem Gesetzentwurf umzwei Jahre verlängert werden.Die zweite Änderung betrifft § 62 Absatz 2 WEG.Hiernach ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassungder Revision ausgeschlossen, wenn die anzufechtendeEntscheidung vor dem 31. Dezember 2014 verkündetwurde. Nach dem Gesetzentwurf soll die Frist um einJahr verlängert werden.Mit der Verlängerung der Fristen will die Bundesre-gierung dem immensen Arbeitsaufkommen und der Ar-beitsüberlastung des Bundesgerichtshofs Rechnungtragen. Aber in der Begründung zum Gesetzentwurfvom 1. April 2011
führte die Bundesregierung aus, dass die Nichtzulas-sungsbeschwerde erforderlich sei, um einer Zersplitte-rung der Zivilrechtspflege entgegenzuwirken. Die Be-rufungsgerichte hatten nämlich von der Möglichkeitdes § 522 Absatz 2 ZPO, eine Berufung durch einstim-migen Beschluss zurückzuweisen, völlig unterschied-lich Gebrauch gemacht. Um dieser Zersplitterung derRechtspflege entgegenzuwirken, ist der Bundesjustiz-minister in der Pflicht, einen zielführenden Vorschlagzu machen. Es muss ausgeschlossen werden, dass dieÜbergangsfristen demnächst nochmals verlängertwerden müssen.Es wurde Kritik daran geübt, dass die vorgenanntenRegelungsvorschläge erst im Rahmen eines Omnibus-verfahrens nach der ersten Lesung des Gesetzes aufge-nommen wurden. Die Kritik greift hier aber nicht. Eshandelt sich nicht um komplizierte Fragestellungenoder komplexe Sachverhalte. Die Entscheidung, obÜbergangsvorschriften verlängert werden, ist ohne ei-nen intensiven Prüfungsumfang möglich. Lassen Sieuns deshalb heute das Gesetz in seinem komplettenUmfang beschließen.
Mit diesem Gesetz tragen wir dazu bei, dass dieGrundbuchanfragen und Grundbuchänderungsan-träge der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württem-berg künftig wieder zügiger und professionell bearbei-tet werden können. Viele von Ihnen werden bereitserfahren haben, dass das Grundbuchwesen in Baden-Württemberg grundlegend umstrukturiert wird. DieGrundbuchämter, die bisher überwiegend von denKommunen geführt wurden, werden bis 2018 in13 zentrale Grundbuchämter eingegliedert.Bei dieser Aufgabenverlagerung von der Kommuneauf das Land ist es absehbar, dass in den zentralenGrundbuchämtern ein erheblicher Personalbedarf anRechtspflegern in Grundbuchsachen entstehen wird,ein Personalbedarf, der allein durch die verstärkteAusbildung von Rechtspflegern in Baden-WürttembergZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5037
Dr. Johannes Fechner
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derzeit nicht gedeckt werden kann. Diesem Umstandträgt der Gesetzentwurf Rechnung.Der Gesetzentwurf sieht nämlich vor, dass diejeni-gen, die bisher in den kommunalen Grundbuchämternselbstständig und kompetent gearbeitet haben, anFortbildungsmaßnahmen teilnehmen und anschlie-ßend die Möglichkeit erhalten, als sogenannte Rechts-pfleger in Grundbuchsachen bei den neuen Grund-buchämtern zu arbeiten.Bei den im Gesetzentwurf vorgesehenen Personen-gruppen, den sogenannten Ratsschreibern und den Be-schlussfertigern, handelt es sich um besonders qualifi-zierte Beamte des gehobenen bzw. des mittlerenDienstes. Diese Beamten verfügen über langjährigeErfahrungen im Grundbuchbereich. Ihr Fachwissensoll durch entsprechend geeignete Weiterbildungsmaß-nahmen ergänzt und ausgebaut werden.Bei den Beamten des mittleren Dienstes sieht derGesetzentwurf explizit vor, dass eine Qualifizierung anFachhochschulen für Rechtspflege erfolgen soll, umsicherzustellen, dass die Beamten die Rechtsfragen imGrundbuchwesen in Zukunft kompetent und eigenver-antwortlich bearbeiten können. Die geplanten Lehr-veranstaltungen sind speziell darauf ausgerichtet, ver-tiefte Kenntnisse in allen relevanten Rechtsbereichenzu erwerben, die für die zukünftige Tätigkeit in denGrundbuchämtern notwendig sind.Damit die Qualität des Grundbuchwesens nicht ge-fährdet wird, sieht der Gesetzentwurf ausdrücklich vor,dass die Beamten acht Monate Zeit haben, sich inten-siv mit den unterschiedlichen relevanten Rechtsgebie-ten zu beschäftigen. Von einem Crashkurs kann bei ei-ner Ausbildungszeit von acht Monaten damit keineRede sein. Ich bin überzeugt, dass die Fortbildungs-maßnahmen mehr als geeignet sind, um die Beamtenauf ihre künftige Tätigkeit als Rechtspfleger in Grund-buchsachen umfassend vorzubereiten und um gleich-zeitig die hohe Qualität des baden-württembergischenGrundbuchwesens für die Bürgerinnen und Bürger zuerhalten.Wie Sie sehen, ist der Gesetzentwurf somit für beideSeiten vorteilhaft: Die Beamten erhalten die Möglich-keit, ihr praktisch erworbenes Fachwissen bei den zen-tralen Grundbuchämtern einzubringen, und dieGrundbuchämter können den erheblichen Mehrbedarfan Personal mit erfahrenen Beamten vorübergehendausgleichen. Letzteres ist auch deswegen so wichtig,weil bereits jetzt die Grundbuchämter mit der Bearbei-tung der Anfragen überlastet sind. Aus meiner Heimatin Emmendingen wird mir zum Beispiel berichtet, dasssich ein erheblicher Rückstau der Anfragen beimGrundbuchamt ergeben habe.Auch deswegen hoffe ich, dass viele Personen, diezurzeit in den kommunalen Grundbuchämtern tätigsind, die Möglichkeit der Fortbildung zum Rechtspfle-ger in Grundbuchsachen wahrnehmen werden.
Was ist uns eine qualifizierte Justiz wert? Der Lan-desregierung von Baden-Württemberg und der Bun-desregierung offenbar nicht viel. Denn dort sollen dieRatsschreiber und Beschlussfertiger aus den Gemein-den in die Amtsgerichte versetzt werden und dort diehochqualifizierten Aufgaben von Rechtspflegern imGrundbuchamt übernehmen. Das soll im Rahmen deranstehenden Grundbuchreform im „Ländle“ gesche-hen.Im Grundbuch werden bekanntlich die Eigentüme-rinnen und Eigentümer von Grundstücken, Häusernund Wohnungen eingetragen. Wer ein Haus oder eineWohnung kauft, wird im Grundbuch eingetragen. Wennjemand bei seiner Bank auf sein Haus einen Kreditaufnimmt, wird die Bank im Grundbuch als Gläubige-rin eingetragen und kann beispielsweise die Immobilieversteigern lassen, wenn der Kredit nicht mehr zurück-gezahlt wird, ohne lange irgendwelche Beweise vorzu-legen. Wir haben es hier also nicht mit irgendwelchenListen zu tun, die ein Gericht führt. Es ist ein amtlichesöffentliches Verzeichnis; Eintragungen im Grundbuchgenießen allerhöchstes Vertrauen. Der Inhalt desGrundbuchs gilt immer als richtig, auch dann, wenn ermal nicht richtig ist .Gerade deshalb sind korrekte Entscheidungen ganzwichtig. Und diese Entscheidungen treffen der Rechts-pfleger, die Rechtspflegerin. Ratsschreiber und Be-schlussfertiger haben bisher nur die Eintragungenvorgenommen – also ausführende Tätigkeiten. Die„Qualitätssicherung“ machen die Rechtspflegerinnenund Rechtspfleger. Ratsschreiber und Beschlussferti-ger als „Bereichsrechtspfleger“ und ihre Gleichstel-lung mit den Rechtspflegern geht an den Anforderun-gen der Rechtspraxis völlig vorbei.Die Qualifikation und das ausgewogene Urteil ei-nes juristisch ausreichend Ausgebildeten – sei es alsJustizangestellter, sei es als Rechtspfleger, sei es alsRichter – ist für mich ein hoher Wert, egal ob das imGrundbuchamt ist, im Nachlassgericht, im Handelsre-gister, im Vereinsregister. Daher führt nach meinerMeinung auch kein Weg an einer umfassenden Nach-qualifizierung der bisherigen Ratsschreiber und Be-schlussfertiger vorbei, damit die hohe Qualifikationder Justiz erhalten bleibt und wir nicht Verhältnissewie in vielen anderen europäischen Staaten bekom-men.Doch diese Nachqualifizierung soll es nicht geben;es sind lediglich einige Fortbildungen geplant, dieaber in keinster Weise an die gestellten Anforderungenfür Rechtspfleger herankommen.Und für wie viele Leute wird dieses Gesetz eigent-lich gemacht? Es geht hier nach Angaben des baden-württembergischen Justizministers um weniger als30 Personen. Dafür wäre auch eine andere Lösungmöglich. So wird aber ein Bundesgesetz geschaffen, eswerden Debatten geführt usw.Zu Protokoll gegebene Reden
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5038 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Richard Pitterle
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Mit diesem Gesetzentwurf wird ein weiterer Beitragzur Aushöhlung der Justiz geleistet. Außerdem wird einEinfallstor für andere Justizbereiche geöffnet, genausovorzugehen. Wir brauchen aber nicht immer mehr Spe-zialisten, die nur noch einen ganz engen Bereichdurchblicken und lediglich mehr oder weniger gut fürihr spezielles Arbeitsgebiet angelernt sind, aber keinenÜberblick mehr besitzen. Wohin das führt, kennen wirzur Genüge aus der Industrie oder dem Einzelhandel.Wir lehnen deshalb Ihren Gesetzentwurf ab.Und zum Abschluss des parlamentarischen Wegsdieses Gesetzentwurfs verwöhnt uns die Bundesregie-rung noch mit zwei Änderungen, die völlig andere Ge-setze betreffen, aber mit diesem Gesetzentwurf durchdie Hintertür durchgedrückt werden sollen – vielleichtmit der Hoffnung, dass es kaum jemand merkt. DieseUnsitte der Bundesregierung über ein sogenanntesOmnibusgesetz ganz andere Bereiche zu regulierenund dem Ausschuss ein nicht zustehendes Initiativrechtfür Gesetzgebung einzuräumen, hat die Linke früherals verfassungswidrig abgelehnt und lehnt es auchdiesmal ab.Denn was haben die geplanten Änderungen in derZivilprozessordnung und im Wohnungseigentums-gesetz mit der Grundrechtsreform in Baden-Württem-berg zu tun? Gar nichts. Zudem enthalten die Änderun-gen eine Rechtsmittelverkürzung, die wir ebenfallsablehnen. Ihre Vorgehensweise schafft nur ein Durch-einander in den Gesetzen. Arbeiten Sie nicht so chao-tisch, und achten Sie endlich die Vorgaben der Verfas-sung.Christian Kühn (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Grund und Boden gehören zu den Gütern, die nichtvermehrt werden können und aufgrund ihrer Knapp-heit zu den wertvollsten Gütern überhaupt zählen.Dem Eigentum an einem Grundstück kommt dahereine besondere Bedeutung zu – und natürlich auch denGrundbuchämtern. Denn in den Grundbüchernwerden die Rechtsverhältnisse eines Grundstücks zu-verlässig und verbindlich festgehalten. Jeden Tagwechseln Grundstücke ihre Eigentümerinnen und Ei-gentümer. Erst mit der Eintragung ins Grundbuch abergeht ein Grundstück in das Eigentum über. Deshalb istes wichtig, dass wir moderne, zuverlässige und effi-ziente Grundbuchämter haben.Abweichend von den anderen Bundesländernwerden die Grundbuchämter in Baden-Württembergüberwiegend bei den Kommunen geführt. Baden-Württemberg hat sich nun dazu entschlossen, dieGrundbuchverwaltung zu modernisieren. Infolge derGrundbuchamtsreform wird nun die Grundbuchfüh-rung den 13 zentralen Amtsgerichten zugewiesen undsoll ausschließlich von Rechtspflegerinnen undRechtspflegern vorgenommen werden. So wird dieStruktur des Grundbuchrechts derjenigen im übrigenBundesgebiet angeglichen. Wir begrüßen diese Verein-heitlichung der Grundbuchamtsführung in Deutsch-land.Heute ist ein guter Tag für die Grundbuchämter inBaden-Württemberg; denn mit der Grundbuchamts-reform sichert Baden-Württemberg die hohe Qualitätdes Grundbuchwesens. Hierfür ist es auch wichtig, denSachverstand der Menschen, die bisher in den kommu-nalen Grundbuchämtern arbeiten, nicht zu verlieren.In den badischen Grundbuchämtern arbeiten Beamtin-nen und Beamte im mittleren Dienst, sogenannteBeschlussfertiger. Diese sollen nach einer Weiter-bildung – der Gesetzentwurf in der Ausschussfassungsieht dafür acht Monate vor – als Beamtinnen undBeamte im Landesdienst die Aufgaben von Rechts-pflegerinnen und Rechtspflegern im Grundbuchamtwahrnehmen. Es ist richtig, dass das Land Baden-Württemberg den bisherigen Beschlussfertigern eineweitere Perspektive in den Grundbuchämtern gibt unddadurch weiterhin auf diesen Sachverstand zurück-greifen kann.Die Debatten, die wir hier im Bundestag geführt ha-ben, drehten sich weitestgehend um die Frage derLänge der Ausbildungsdauer. Die Landesregierunghatte hierfür ursprünglich drei Monate vorgesehen.Diese Ausbildungsdauer möchte der Bundestag nunauf mindestens acht Monate erweitern. Dadurchkönnen in den Lehrgang auch praktische Elemente derTätigkeit berücksichtigt werden. Wir unterstützen es,dass den Beschlussfertigern so Einblick in die prakti-sche Tätigkeit von Rechtspflegerinnen und Rechtspfle-gern im Grundbuchamt gegeben werden kann.Gerne hätten wir daher diesem Gesetzentwurf heutezugestimmt. Wieder einmal aber nutzt die GroßeKoalition das sogenannte Omnibusverfahren, um aneinen Gesetzentwurf sachfremde Themen anzuhängen.Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang, da das Grund-buchwesen in Baden-Württemberg, die Zivilprozess-ordnung und das Wohneigentumsgesetz nichts mitei-nander zu tun haben. Dieses Verfahren finden wirhochproblematisch. Die Große Koalition beeinträch-tigt hierdurch die Transparenz des Gesetzgebungspro-zesses erheblich. Nach dem EEG-Chaos ist es jetztschon das zweite Mal in diesem Jahr, dass Union undSPD im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutzdieses Verfahren anwenden. Sie wollen mit ihremÄnderungsantrag erreichen, dass die bisher bis zum31. Dezember 2014 befristete Regelung in § 26 Num-mer 8 EGZPO, wonach die Nichtzulässigkeits-beschwerde beim Bundesgerichtshof gegen eineRevision nur zulässig ist, wenn die Beschwerde 20 000Euro übersteigt um zwei Jahre verlängert wird. Wirhalten diese Regelung für falsch. Der Zugang zur Jus-tiz sollte nicht unnötig erschwert werden. Deshalb leh-nen wir auch die vorgeschlagene Verlängerung umzwei weitere Jahre ab. Aus demselben Grund lehnenwir auch die Verlängerung der Geltung des § 62 Ab-satz 2 WEG um ein weiteres Jahr ab.Aufgrund der nicht hinnehmbaren Verquickung vonZivilprozessordnung und Wohneigentumsgesetz mitZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5039
Christian Kühn
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dem Gesetz zur Erleichterung der Grundbuchamtsre-form in Baden-Württemberg werden wir dieses Gesetzheute ablehnen. Die Abgeordneten der Großen Koali-tion haben die Chance verspielt, eine breite Mehrheitfür die Grundbuchamtsreform im Plenum zu ermögli-chen.C
Ihnen liegt heute der Entwurf eines Gesetzes zur Er-
leichterung der Umsetzung der Grundbuchamtsreform
in Baden-Württemberg vor. In Baden-Württemberg
werden mit der Grundbuchamtsreform landesrechtli-
che Besonderheiten beseitigt und die gerichtlichen
Strukturen im Grundbuchbereich denen im übrigen
Bundesgebiet angeglichen. Die Grundbuchführung
wird demnach bis zum 1. Januar 2018 schrittweise auf
die Grundbuchabteilungen von landesweit 13 Amtsge-
richten übertragen. Mit der Auflösung der 654 bisheri-
gen dezentralen Grundbuchämter entfallen auch die
spezifischen Aufgaben der Ratsschreiber und Beschluss-
fertiger. Sie bereiteten bisher Grundbuchsachen bis
zur Entscheidungsreife vor. Ratsschreiber beurkunden
zudem selbstständig in bestimmten Konstellationen
Verträge, Bewilligungen und Auflassungen. Mit dem
Gesetzentwurf wird die Weiternutzung des grundbuch-
rechtlichen Fachwissens der Ratschreiber und Be-
schlussfertiger gewährleistet.
Den Ratsschreibern und Beschlussfertigern wird die
Möglichkeit eröffnet, Aufgaben eines Rechtspflegers in
Grundbuchsachen wahrzunehmen – jedoch, um die
hohe fachliche Qualität der Tätigkeit des Rechtspfle-
gers in Grundbuchsachen zu sichern, nur unter be-
stimmten Voraussetzungen.
Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses
sieht hierbei die Erhöhung der im ursprünglichen Ge-
setzentwurf vorgesehenen Dauer der Fortbildung für
Beschlussfertiger von drei auf acht Monate vor. Dies
dient der weiteren Qualitätssicherung der anspruchs-
vollen Sachbearbeitung im Grundbuchbereich.
Ich bin mir sicher: Die bisherigen Ratsschreiber
und Beschlussfertiger werden, unterstützt durch diese
Maßnahmen, ihrer neuen Verantwortung gerecht wer-
den und die ihnen neu zuwachsende Tätigkeit kompe-
tent erledigen.
Darüber hinaus sind in der Beschlussempfehlung
zwei Maßnahmen enthalten, mit denen auf eine akute
Belastungssituation beim Bundesgerichtshof reagiert
werden soll.
Mit der ersten Maßnahme wollen wir die geltende
Streitwertgrenze in Höhe von 20 000 Euro für Nichtzu-
lassungsbeschwerden in Zivilverfahren zum Bundesge-
richtshof um weitere zwei Jahre bis Ende 2016 verlän-
gern. Die Wertgrenze für Nichtzulassungsbeschwerden
hat sich grundsätzlich bewährt. Ohne sie wäre es
schon längst zu einer nicht mehr tragbaren Belastung
des Bundesgerichtshofs gekommen. Sie muss deshalb
auch über das Jahr 2014 hinaus fortgelten. In den letz-
ten drei Jahren ist die Zahl der beim Bundesgerichts-
hof eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden erheb-
lich gestiegen. Grund dafür ist die Änderung des § 522
der Zivilprozessordnung im November 2011. Seitdem
sind nicht nur die Urteile, sondern auch die Zurück-
weisungsbeschlüsse der Berufungsgerichte mit der
Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar. Das soll auch
so bleiben, führt aber zu einer schwierigen Belastungs-
situation bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs.
Deshalb muss die Höhe der Wertgrenze weiter über-
prüft werden, sodass eine Verlängerung der Geltung
um zwei Jahre sinnvoll erscheint. Wir werden dann se-
hen, ob sich die Eingangszahlen auf ein konstantes
Maß eingependelt haben.
Wir nehmen aber die aktuelle Belastung des Bun-
desgerichtshofs sehr ernst und suchen – zusammen mit
dem BGH – nach Lösungen. Das gestaltet sich nicht
einfach und benötigt Zeit.
Die geschilderte Belastungssituation beim Bundes-
gerichtshof ist auch der Anlass für eine weitere Ände-
rung des Gesetzentwurfs: Wir wollen die Frist, bis zu
deren Ablauf die Beschwerde gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in Wohnungseigentumssachen aus-
geschlossen ist, um ein Jahr bis zum 31. Dezember
2015 verlängern. Die Eingangsentwicklung in Woh-
nungseigentumssachen bei den Berufungsgerichten
steigt seit der WEG-Reform im Jahr 2007 stetig. Für
die Zulassung der Nichtzulassungsbeschwerde soll ab-
gewartet werden, auf welchem Niveau sich die Zahlen
stabilisieren. Auf einer soliden Datenbasis soll dann
entschieden werden, ob und gegebenenfalls unter wel-
chen Voraussetzungen auch für diese Streitigkeiten die
Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof
eröffnet werden kann. Ich bitte Sie daher um Ihre Zu-
stimmung.
Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss fürRecht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-schlussempfehlung auf Drucksache 18/2644, den Ge-setzentwurf des Bundesrats auf Drucksache 18/70 in derAusschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejeni-gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf istdamit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-tionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/DieGrünen und Die Linke angenommen.Wir kommen jetzt zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Niemand enthält sich. Damit istdieser Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmender Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linkenund von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.
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5040 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzeszur Änderung des Bundesfernstraßenmautge-setzesDrucksache 18/2444Überweisungsvorschlag:Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau undReaktorsicherheitHaushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GONach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdiese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Weil ichkeinen Widerspruch höre, ist das damit auch so be-schlossen.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort fürdie Bundesregierung der Parlamentarischen Staatssekre-tärin Katherina Reiche.
K
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Seit 2005 wird auf deutschen Autobahnen und seit
2012 zusätzlich auf bestimmten vier- und mehrstreifigen
Bundesstraßen eine Maut für Lkw ab 12 Tonnen zulässi-
gem Gesamtgewicht erhoben. Das geschieht ohne Ein-
griff in den Verkehrsfluss und weitgehend vollautoma-
tisch durch die intelligente Kombination aus Satelliten,
Navigation und Mobilfunk.
Die Lkw-Maut leistet einen wichtigen Beitrag zum
Ausbau und zum Erhalt unserer Verkehrsinfrastruktur.
Gemäß dem Bundesfernstraßenmautgesetz werden die
Einnahmen dem Verkehrshaushalt zugeführt. Sie werden
in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung
der Verkehrsinfrastruktur verwendet.
Die EU-Mitgliedstaaten müssen bei der Erhebung der
Maut die Vorgaben der Eurovignetten-Richtlinie beach-
ten. Danach müssen sich die gewogenen durchschnittli-
chen Infrastrukturgebühren an den Baukosten und an
den Kosten für Betrieb, Instandhaltung und Ausbau des
betreffenden Verkehrsweges orientieren. Die jeweils gel-
tenden Mautsätze werden durch wissenschaftlich fun-
dierte Wegekostengutachten ermittelt. Bislang gab es
zwei, und zwar 2002 und 2007. Das neue Wegekosten-
gutachten haben wir im März 2014 vorgestellt. Es deckt
den Zeitraum von 2013 bis 2017 ab.
Nun liegt der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes vor. Die
geltenden Mautsätze müssen an die Ergebnisse des We-
gekostengutachtens 2013 angepasst werden. Daraus er-
geben sich nun zukünftig geringere Mautsätze. Warum?
Die gegenüber der Erstellung des vorherigen Wegekos-
tengutachtens deutlich gesunkenen Zinskosten sind hier
die wesentliche Ursache. Das ist ein Vorteil für den
Bund, und dieser Vorteil muss an die Nutzer weitergege-
ben werden.
Das Wegekostengutachten 2013 dient auch als Grund-
lage für eine günstigere Mautkategorie für die besonders
schadstoffarmen Lkw der Euro-VI-Klasse. Zudem ent-
hält es auch Berechnungen zu den externen Kosten aus
Luftverschmutzung und Lärmbelastung, die seit einer
Änderung der Eurovignetten-Richtlinie aus dem Jahr
2011 zusätzlich angelastet werden können. Zunächst
sollen nur die Kosten für die Luftverschmutzung ange-
lastet werden. Die Anlastung aus der Lärmbelastung
wird später kommen, weil die Grundlagendaten hierzu
ganz neu erhoben werden müssen.
Durch die neuen Mautsätze ergeben sich im Zeitraum
2015 bis 2017 Mindereinnahmen gegenüber dem ur-
sprünglichen Finanzplan 2014 bis 2018 von insgesamt
460 Millionen Euro. Diese Einnahmelücke muss ge-
schlossen werden, um die notwendige Finanzierung der
Verkehrsinfrastruktur auch in Zukunft sicherzustellen.
Was ist hier geplant? Hierzu soll zum 1. Juli 2015 die
Mautpflicht auf weitere circa 1 100 Kilometer vierstrei-
fige Bundesstraßen ausgeweitet werden. Auch soll die
Mautpflichtgrenze von 12 Tonnen auf 7,5 Tonnen zuläs-
siges Gesamtgewicht abgesenkt werden. Diese Maßnah-
men sind, wie Sie wissen, noch nicht Gegenstand des
vorliegenden Gesetzentwurfs. Sie werden später in ei-
nem separaten Gesetz umgesetzt.
Eine der großen Aufgaben in dieser Legislaturperiode
wird es sein, eine leistungsfähige Infrastruktur in unse-
rem Land sicherzustellen. Wir wollen und müssen dafür
sorgen, dass der Finanzierungskreislauf Straße auch in
Zukunft funktioniert. Deshalb bitte ich Sie um Zustim-
mung.
Der Kollege Herbert Behrens spricht jetzt für die
Linke.
Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Womitlange nicht zu rechnen war, wird nun unversehens dochwahr: Ein Jahr nach der letzten Bundestagswahl legt derBundesverkehrsminister einen Gesetzentwurf zur Mautvor. Dass es sich dabei aber nicht um das Lieblingspro-jekt der CSU, nämlich die Ausländermaut handelt, lasseich einfach einmal beiseite. Angesichts des Stillstandesim Hause des Bundesverkehrsministers ist es schon er-staunlich, dass hier etwas passiert.
Dieser Stillstand lässt sich nur noch dadurch überde-cken, dass es ein Dauerfeuer in Sachen Pkw-Maut gibt,mit dem versucht wird, den Stillstand zu kaschieren.Aber genug der Vorrede.Ich will jetzt nicht in den Kanon der Kritiker einstim-men, die die starke Abhängigkeit der Wegekosten, überdie wir hier reden, vom Zinsniveau anprangern. Ich willIhnen auch nicht vorhalten, dass die EU-Wegekosten-richtlinie die Berücksichtigung einer Kapitalverzinsung
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5041
Herbert Behrens
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nicht zwingend vorschreibt; das können die Kolleginnenund Kollegen der Grünen sicherlich besser. Eine solcheHerangehensweise wäre zum einen unpolitisch; denn sieließe die Gründe für das niedrige Zinsniveau bzw. dieverzweifelt lockere Geldpolitik der EZB völlig außerAcht. Zum anderen sollte man sich insbesondere aus derökologischen Perspektive nicht allzu unkritisch auf dieWegekostenrichtlinie beziehen; denn diese ist bei nähe-rer Betrachtung eigentlich eine Wegekostenbegren-zungsrichtlinie.Was ich dem Verkehrsminister und auch seinemAmtsvorgänger und Parteifreund oder, besser gesagt,seinem Parteikollegen Peter Ramsauer ankreide, ist, dassbeide nichts unternommen haben, um die Lkw-Maut zueinem echten verkehrs- und umweltpolitischen Instru-ment zu machen. Seit Jahren liegen Vorschläge auf demTisch, wie man die externen Kosten des Straßenverkehrsin den Wegekosten abbilden kann. Passiert ist jedochwenig.Die neuen Mautsätze enthalten eine emissionsbezo-gene Umweltkomponente, aber wenn wir ehrlich sind,müssen wir feststellen, dass der damit verbundene finan-zielle Anreiz nicht groß genug ist, um mehr Verkehr vonder Straße auf die Schiene zu verlagern. Genau das istdas erklärte Ziel der EU und auch der Bundesregierung,zumindest wenn man die Sonntagsreden hört und dieHochglanzbroschüren liest.Noch schlechter ist es um die Lärmkosten bestellt.Hier ist in den letzten Jahren rein gar nichts passiert, ob-wohl klar ist, dass der Straßenverkehrslärm eines dergrößten Gesundheitsrisiken ist. Das haben wir schon ananderer Stelle diskutiert.Es ist schon eine Farce, dass die Bundesregierung imGesetzentwurf behauptet, dass – ich zitiere – „die techni-schen Voraussetzungen für eine Anlastung der Lärm-belastungskosten nur mit einem größeren zeitlichenVorlauf geschaffen werden können“. Das ist keine Frageder Technik. Sie differenzieren doch selber, welcherFahrzeugklasse beispielsweise welcher Anteil an denKosten für Lärmschutzwände zuzuschreiben ist. Warumziehen Sie das nicht heran, um eine Anlastung der Lärm-belastungskosten auf den Weg zu bringen?
Sie tun das deshalb nicht, weil dann klar werden würde,wie teuer uns der Straßengüterverkehr wirklich zu stehenkommt.Beim Thema Lkw-Maut hat die Bundesregierung inden letzten Jahren völlig versagt. Heute wird in den Me-dien gemeldet: Der Vertrag mit Toll Collect wird verlän-gert. Das ist nichts anderes als eine Kapitulation vor denGesellschaftern von Toll Collect, die es in den letztenJahren gut verstanden haben, durch das Verschleppendes Schiedsverfahrens dem Bund jeglichen Handlungs-spielraum zu nehmen. Es sollte hier allen klar sein, dassToll Collect den Bund mit Milliardensummen aus demSchiedsverfahren erpresst hat. Beim Ziehen der Call-Op-tion hätte man sie abschreiben müssen. Mit einem sol-chen Vertragspartner würde ich keine Geschäfte machen.
Aber in Zeiten von PPP-Knebelverträgen wie dem mitToll Collect kann man sich das wohl nicht mehr andersaussuchen.Dass die Bundesregierung durch die Vertragsverlän-gerung das selbstgesteckte Ziel der Ausweitung derMaut auf alle Bundesstraßen aufgibt, zeigt deutlich, werin Sachen Lkw-Maut die Hosen anhat. Der Bund ist esjedenfalls nicht.Der Verkehrsminister wäre gut beraten, jetzt sofortdie Call-Option zu ziehen und ein Lkw-Mautsystemnach Schweizer Vorbild zu installieren. Okay, das lässtdas EU-Recht heute noch nicht zu.
Aber das nimmt man an anderer Stelle ja auch nicht ganzso ernst. Das Schweizer Modell würde jedenfalls zumin-dest deutlich mehr Mittel für die maroden Verkehrswegebringen. Ihre Hochglanzbroschüren wären dann nichtmehr nur heiße Luft, und vor allem könnte der Verkehrs-minister endlich die Ausländermaut begraben; sie würdeihn nicht mehr um den Schlaf bringen
und vielleicht auch nicht um den Ministersessel.
Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege
Sebastian Hartmann.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Wir begrüßen die Vorlage des Ent-wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-fernstraßenmautgesetzes, und wir begrüßen insbeson-dere, dass der Entwurf es uns ermöglicht, den schon seiteiniger Zeit gesetzten europäischen Rahmen weiter alsbisher auszuschöpfen.Wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs ist zweifels-ohne, dass es zu einer Absenkung der Mautsätze für Lkwaufgrund des neuen Wegekostengutachtens für die Jahre2013 bis 2017 kommt. Das ist aber noch nicht alles.Kompensiert werden die daraus entstehenden Einnahme-ausfälle teilweise durch die erstmalige Anrechnung derKosten aus der Luftverschmutzung, die infolge der euro-parechtlichen Änderungen möglich wurde. Denn ein we-sentlicher Teil der Systematik der Mauterhebung beruhtbekanntlich auf der genauen Abbildung des langsamenVerschleißes von Infrastruktur durch Benutzung, also ei-nem Verursachungsprinzip: Wer fährt, verschleißt Stra-ßen und Wege. Ebenso bekannt ist, dass der Lkw diesviel stärker tut als der Pkw.
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5042 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Sebastian Hartmann
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Doch jenseits dieser Feststellung zählen tatsächlichauch ökologische Argumente. Es ist nicht zu bestreiten,dass vom motorisierten Verkehr auf den Straßen eine er-hebliche Belastung nicht nur der Straßen selbst, sondernauch der Umwelt ausgeht. Dazu gehören die Abgase undFeinstaube. Dazu gehört ebenfalls – wie bei Schiene undLuftverkehr – der Lärm, der den Anwohnern in der un-mittelbaren Umgebung unserer Straßen teilweise schwerzu schaffen macht. Das bestreitet niemand.Der notwendigen Anlastung von Immissionen ausSchadstoffen kommt in diesem Fall zu Hilfe, dass nachder EU-Richtlinie – die muss man im Zweifel genau le-sen – nur zwischen den innerörtlichen Straßen und denFernstraßen entsprechend differenziert wird, aber an-sonsten eine schlichte Berechnung der Gesamtmenge an-hand der eingebrachten Schadstoffe ausreicht, um sieden Wegekosten anzulasten. Eben das steht da drin.Die Richtlinie setzt aber in der Tat eine Obergrenzefür die anlastbaren Kosten. Wir bemängeln auch, dasslaut Gutachten – das ist da genau nachzulesen – die tat-sächlichen Kosten nur zu 13 Prozent anzulasten sind.Wir glauben, dass wir an der Stelle die europäischeRichtlinie noch weiterentwickeln müssen, damit wirzukünftig die tatsächlichen Kosten einfließen lassenkönnen.
Dieser Wert springt nun tatsächlich auf das Dreifache,weil eine weitere Schadstoffklasse einbezogen werdenkann. Das ist gewollt und auch notwendig, damit zu-künftig immer weniger Fahrzeuge unsere Umwelt durchentsprechende Luftschadstoffe belasten. Das ist das poli-tische Ziel, das wir verfolgen. Aber wir sagen auch in al-ler Klarheit – damit gehe ich auf die Kritikpunkte ein –,dass wir den Rechtsrahmen erweitern müssen. Wir wol-len diesen Rechtsrahmen ausnutzen und ihn erweitern,wenn es um die Luftbelastung geht.Was ist heute schon möglich? Die Einbeziehung vonKosten aus Lärmbelastung! Im Wegekostengutachtensteht allerdings ebenso deutlich drin – das weiß man,wenn man es gelesen hat –, dass wir mit den bisher erho-benen Daten die Belastungen durch Lärm eben nicht ab-bilden können, was wir zukünftig aber tun wollen. Daherkann das im vorliegenden Gesetzentwurf noch nicht ab-gebildet werden. Unsere Forderung ist – der Ministerkennt sie ja –, den gegebenen europäischen Rahmen zu-künftig dauerhaft auszuschöpfen, auch was den Lärmangeht. Aber dazu müssen im neuen Wegekostengutach-ten genauere Daten erhoben werden: Auf einem Rastervon 100 mal 100 Metern ist genau nachzuprüfen, wel-cher Lärm an welcher Stelle entsteht. Dann geht das, wasSie, liebe Kollegen von der Linken, wollen, tatsächlichund nicht nur theoretisch bzw. in einer Rede hier amPult. Das wird zukünftig also der Fall sein. Das garan-tiere ich Ihnen.
Die Anlastung der Wegekosten, die tatsächlich entste-hen, wird nicht nur mehr Einnahmen garantieren, sondernauch dafür sorgen, dass die Umwelt stärker geschützt wirdund auch die Anwohnerinnen und Anwohner vor mehrLärm stärker geschützt werden. Mehr wollen wir an die-ser Stelle auch nicht erreichen.Da wir schon bei den Ausblicken sind: Natürlichmuss man auf der europäischen Ebene über einen Punktgenau nachdenken. Wenn wir tatsächliche Wegekostenabbilden und dauerhafte Einnahmen für die Finanzie-rung unserer Infrastruktur erzielen wollen, sollten wiruns Gedanken darüber machen, ob wir das von einemZinsniveau abhängig machen müssen. Wir wollen eineverkehrsmengenabhängige Einnahme mit der Maut er-zielen. Aber wir erleben auch, dass diese zum Teil we-gen der Anrechnung der Zinskosten auf die Baukostenbzw. das Anlagevermögen auch anderen Steuerungs-effekten unterliegt. Zu entsprechenden Verzerrungenwird es sowohl in Niedrigzinsphasen als auch in Hoch-zinsphasen kommen. Deswegen würden wir es begrü-ßen, dass man das europäische Rechtsregime an dieserStelle weiterentwickelt, damit dauerhaft ein kalkulierba-rer Beitrag zur Finanzierung der deutschen Infrastrukturgeleistet wird, ohne das Speditionsgewerbe überzubelas-ten.
Bleiben wir beim Ausblick. In der Weiterentwicklungder Maut werden wir darauf zu achten haben, dass alleKostenfaktoren nach dem Verursacherprinzip angelastetwerden können. Den Hinweis auf die entsprechendeeuropäische Rahmenrichtlinie habe ich bereits gegeben.Aber ebenso wird entscheidend sein, zukünftig dieEinbeziehung der Lkw zwischen 7,5 und 12 Tonnen zuermöglichen und auch die Ausweitung auf 1 100 Kilo-meter zusätzliche Bundesstraßen – wie im Koalitions-vertrag vereinbart – tatsächlich zu erreichen.
Diese Aussage, die man auch dem Koalitionsvertrag un-schwer entnehmen kann, möchte ich, da sie angespro-chen wurde, nicht so einfach im Raum stehen lassen.Uns ist die rechtlich sehr diffizile Situation angesichtsder vertraglichen Beziehungen zu Toll Collect und desbevorstehenden Auslaufens des Vertrages sehr bewusst.Den Betreibervertrag jedoch einfach zu verlängern,schafft nicht zwangsläufig die gewünschte Klarheit, son-dern möglicherweise auch neue Verunsicherung.
Denn wir riskieren damit möglicherweise, dass durchKlagen abgewiesener Wettbewerber die Erzielung derdringend benötigten zusätzlichen Einnahmen aus der er-weiterten Mauterhebung verzögert wird.
Das bestreitet doch niemand. Wir haben im Koalitions-vertrag die Ausdehnung auf alle Bundesstraßen verein-bart. Das sollte nicht dadurch gefährdet werden, dass wirunnötigerweise zumindest kurzfristig auf das Ziehen derCall-Option verzichten. Wir wollen doch die Infrastruk-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5043
Sebastian Hartmann
(C)
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tur dauerhaft durch einen angemessenen Nutzerbeitragfinanzieren.Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für dieAufmerksamkeit.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Valerie Wilms,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ichfreue mich tatsächlich, heute hier in diesem Plenarsaalüber ein neues Mautgesetzt sprechen zu können. Ganzsicher kann man sich da ja nicht immer sein. Die Koali-tion sitzt Debatten in letzter Zeit auch gerne aus.Erst gestern haben die Damen und Herren der Koali-tion dafür gesorgt, dass der Verkehrsausschuss mundtotgemacht wurde. Mit ihrer Mehrheit haben sie eine De-batte mit Fachleuten über die unsägliche CSU-Maut, dasDobrindt’sche Pickerl,
verhindert, obwohl sie die Anhörung vorher selbst mit-beschlossen haben.
Die Koalition weiß, warum: Die CSU-Maut wird einerfachlichen Prüfung nicht standhalten.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nun zur Lkw-Maut. Sie soll durch den eingebrachten Gesetzentwurfgesenkt werden. Das ist eine völlig verkehrte Welt. SeitJahren beschäftigen sich Kommissionen mit fehlendenMitteln zum Erhalt der Verkehrswege. Die Infrastrukturals Basis unseres Wohlstands bröckelt weg. Lkw sind für98 Prozent der Straßenschäden verantwortlich. Sie ver-schleißen die Verkehrswege etwa 60 000-mal stärker alsPkw. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, wasdieser Verkehrsminister anrichtet.
Während Straßen und Brücken wegbröckeln, sollen dieHauptverursacher weniger zahlen. Das ist völlig absurdePolitik.
Sie machen die Probleme größer, statt sie zu lösen. DerVerkehrsminister macht es sich einfach, wenn er mitdem Finger auf Europa zeigt. Der Sinn der europäischenRichtlinie ist Kostenwahrheit. Nutzer von Verkehrswe-gen sollen für die Schäden zahlen, die sie verursachen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie Ihr Autoverleihen und es anschließend mit einer Beule zurückbe-kommen, dann holen Sie sich doch die Kosten für dieSchadensbeseitigung sicherlich vom Verursacher. Das istganz simpel und für jeden nachvollziehbar. Aber leiderhalten wir uns nicht daran, wenn es um öffentliches Ei-gentum geht. Als Eigentümer stellt die öffentliche Handein Verkehrsnetz zur Verfügung, und sie bezahlt auchnoch dafür, wenn es kaputtgefahren wurde. Das kannnicht funktionieren, hier muss sich etwas ändern, undzwar dringend.
Der Straßenverkehr verursacht durch Unfälle, Lärm,Luftverschmutzung und Klimawandel Schäden von etwa88 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Kosten werden zumgrößten Teil – auch Kollege Hartmann ist schon daraufeingegangen – nicht von den Verursachern, sondern vonder gesamten Gesellschaft getragen. Das können wirnicht weiter so hinnehmen.
Leider geht die Koalition mit dem vorliegenden Ge-setz genau den entgegengesetzten Weg. Es verursachthöhere Kosten für die Allgemeinheit, und es schadet derUmwelt und dem Klimaschutz, weil der klimaschäd-lichste Verkehrsträger billiger wird.
Dabei gibt es auch einen anderen Weg. Die EU-Richt-linie erlaubt ausdrücklich, einen Teil der externen Kos-ten bei der Mauthöhe zu berücksichtigen. Das ist seit2011, seit der letzten Wahlperiode, möglich. Aber auchdrei Jahre danach fehlen im Verkehrsministerium nochimmer die technischen Voraussetzungen zur Einbezie-hung der Lärmkosten. Man muss es sagen, wie es ist:Das Ministerium unter CSU-Führung macht einfach sei-nen Job nicht.
Es hat erstens bei der Berücksichtigung der Lärmkosteninnerhalb der Lkw-Maut gepennt, und es hat zweitensbei der Verlängerung des Vertrages mit dem Mauteintrei-ber Toll Collect gepennt. Im Ergebnis heißt das: DieLkw-Maut muss sinken und kann auf absehbare Zeitnicht auf alle Bundesstraßen ausgeweitet werden. Es isteine katastrophale Politik, die Sie hier zeigen.
Insgesamt gehen uns damit jährlich über 2 MilliardenEuro verloren. Das ist die Verantwortung der CSU-Minister Ramsauer und jetzt Dobrindt. Stattdessen redenSie seit Jahren von einer Pkw-Maut für Ausländer, dienicht funktionieren wird und kein Geld einbringt. Sieschaffen neue Probleme, statt bestehende zu lösen. Dasist leider die bittere Wahrheit.Danke.
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5044 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
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Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kol-
lege Karl Holmeier, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!Frau Wilms, ich weiß nicht, ob das eine Märchenstundewar. Ich will Ihnen aber sagen: Wir hatten einen gutenVerkehrsminister Ramsauer,
haben einen guten Verkehrsminister Dobrindt,
und wir machen eine gute Verkehrspolitik.
Wenn man sich die Misere anschaut und fragt, warumwir zu wenig Geld haben, dann muss man zehn Jahre zu-rückgehen. Als die Maut eingeführt wurde, hat man dieHaushaltsmittel reduziert. Das war die Ursache, und da-ran knabbern wir noch.
– Wir nicht!Im März dieses Jahres wurde das neue Wegekosten-gutachten zur Berechnung der Lkw-Mautsätze vorgelegt.Aufgrund gesunkener Zinskosten müssen die Lkw-Mautsätze im Vergleich zum Vorgängergutachten ausdem Jahr 2007 reduziert werden. Wir werden das umset-zen. An dieser Reduzierung führt kein Weg vorbei.Nach den vorliegenden Berechnungen werden durchdie Reduzierung der Mautsätze und nach der aktuellenGesetzeslage bis zum Jahr 2017 etwa 2 Milliarden Eurofehlen. Wir haben diese 2 Milliarden Euro natürlich ein-geplant. Wir werden das, was wir als Koalition im Be-reich der Verkehrsinfrastruktur versprochen haben, auchumsetzen.Blicken wir zurück: Im Jahr 2003 waren es noch4,65 Milliarden Euro Investitionsmittel für den BereichStraße. Im Jahr 2017 werden es 6,06 Milliarden Eurosein. Frau Wilms, das ist eine gewaltige Steigerung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehenzu den Ansprüchen, die wir selbst an unsere hervorra-gende Verkehrspolitik haben.
Es freut mich sehr – ich danke dem Finanzministerium –,dass nach Bekanntwerden der Mindereinnahmen bei derLkw-Maut der Bundesfinanzminister sofort zugesagthat: Diese Lücke werden wir aus dem Haushalt schlie-ßen. – Das ist eine ressortübergreifende hervorragendeInfrastrukturpolitik.
Das neue Wegekostengutachten wird uns verkehrs-politisch nicht ausbremsen. Der Koalitionsvertrag istgut, und wir werden ihn einhalten.
Wir halten ohne Wenn und Aber an den zugesagten5 Milliarden Euro mehr für Investitionen in die öffentli-che Verkehrsinfrastruktur in dieser Wahlperiode fest. Ichwiederhole: 5 Milliarden Euro zusätzlich für vier Jahre.
Man könnte sich natürlich mehr wünschen, aber diese5 Milliarden Euro sind ein riesiger Erfolg, ein Erfolg imHinblick auf die Investitionen.Ein Erfolg ist auch der Haushalt 2015, der nach 1969– denken Sie zurück! – erstmals ein Haushalt ohne neueSchulden ist. Wer war das damals? Ein Mann von derCSU: Franz Josef Strauß.
Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nehmen wir dieErgebnisse des Wegekostengutachtens auf. Wir entwi-ckeln die Lkw-Maut zukunftsfest und vor allem ökolo-gisch weiter. Bislang haben wir in Deutschland bei derBerechnung der Lkw-Maut lediglich die allgemeinen In-frastrukturkosten angelastet. Wir reformieren die Lkw-Maut im Einklang mit dem europäischen Recht. Nachdem Gesetzentwurf werden wir dem Schwerlastverkehrdie durch ihn verursachte Luftverschmutzung anlasten.Neben einer ökologischen Lenkungswirkung, nämlichhin zu verbrauchsärmeren Lkw, hat die Anlastung derLuftverschmutzung auch Mehreinnahmen zur Folge. Sokönnen wir die Mindereinnahmen bei der Lkw-Mautteilweise ausgleichen.Auch das wurde bereits angesprochen: Wir haben inder Finanzplanung 460 Millionen Euro zusätzliche Ein-nahmen vorgesehen. Bis zum Jahr 2017 wird sich dasauf insgesamt 1,08 Milliarden Euro erhöhen.Wir stärken den Umweltfaktor beim Lkw-Verkehr, in-dem wir eine eigene günstige Mautklasse für besondersumweltfreundliche Fahrzeuge einführen – das ist Um-weltpolitik –, und zwar für die Euro-6-Klasse.
So schaffen wir Anreize für unsere Speditionen, in einenmodernen verbrauchsarmen Fuhrpark zu investieren.Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt dieBundesregierung auch den Forderungen des Transport-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5045
Karl Holmeier
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gewerbes und der Handwerkerschaft im ländlichen Be-reich nach. Das aktuelle Wegekostengutachten sah fürBundesstraßen höhere Mautsätze vor als für Autobah-nen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ha-ben wir im Gesetzentwurf nicht übernommen. Die Maut-sätze auf Autobahnen und Bundesstraßen werden somitdie gleiche Höhe haben. Gerade das ist für den ländli-chen Raum von großer Bedeutung.Weitere Termine stehen an. Wir beabsichtigen, abdem 1. Juli 2015 die Mautpflicht auf weitere 1 000 Kilo-meter autobahnähnliche Bundesstraßen auszuweiten. Sokönnen bis 2017 Mehreinnahmen von rund 500 Millio-nen Euro erzielt werden.Schließlich planen wir, die Grenze, ab der die Lkw-Maut zu zahlen ist, zum 1. Oktober 2015 von 12 Tonnenauf 7,5 Tonnen zu senken. Die erwarteten Mehreinnah-men belaufen sich bis 2017 auf circa 200 MillionenEuro.Zum 1. Juli 2018 wird, wie es im Koalitionsvertragsteht, die Mautpflicht für Lkw auf alle Bundesstraßen inDeutschland ausgeweitet.Ich stelle fest – Frau Wilms, passen Sie auf –: UnserVerkehrsminister und die Große Koalition haben dienachhaltige Entwicklung einer ökologischen Lkw-Mautfest im Griff und auch im Blick. Wir werden die Lkw-Maut in Deutschland zukunftssicher weiterentwickeln.Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrteFrau Wilms, auch die Pkw-Vignette ist auf einem gutenWeg.Vielen Dank.
Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages-
ordnungspunkt.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/2444 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weil
ich keine anderen Vorschläge dazu feststellen kann, gehe
ich davon aus, dass Sie alle einverstanden sind. Somit ist
die Überweisung beschlossen.
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005
und des Bevölkerungsstatistikgesetzes
Drucksache 18/2141
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Nach meiner Information sollen die Reden dazu zu
Protokoll gegeben werden. – Dagegen erhebt sich kein
Widerspruch. Dann sind Sie damit einverstanden.
Franz Josef Strauß war bekannt für seinen scharf-züngigen Humor. Selbst die Statistiker waren vor sei-nen Sticheleien nicht sicher. So soll Strauß gespottethaben: Wenn man den Kopf in der Sauna hat und dieFüße im Kühlschrank, sprechen Statistiker von einerangenehmen mittleren Temperatur. – Dieses Zitatzeugt nicht nur von dem berüchtigten Humor desHerrn Strauß, sondern auch von dem etwas ambi-valenten Verhältnis, das die Politik gegenüber der Sta-tistik pflegt.Einerseits wird die Statistik gerne belächelt. Nurwenige interessieren sich dafür, wie unsere Statistikenentstehen. Andererseits berufen gerade wir Politikeruns ständig auf alle möglichen Statistiken. StatistischeErkenntnisse helfen uns dabei, Probleme zu erkennen,sie beeinflussen unseren Blick auf die Realität und un-termauern unsere Argumente. Statistik spielt also eineentscheidende und häufig unterschätzte Rolle im poli-tischen Diskurs.Angesichts des Einflusses, den gerade auch derMikrozensus auf die Politik hat, ist es zweifellos gebo-ten, sich die Hintergründe dieser Statistik genaueranzusehen. Seit 1957 liefert uns der MikrozensusInformationen über die Bevölkerungsstruktur, zurwirtschaftlichen und sozialen Lage der Menschen, zuFamilie und Lebenspartnerschaft, Arbeitsmarkt undErwerbstätigkeit, Beruf und Ausbildung. Im Gegensatzzum großen Zensus wird der Mikrozensus jedes Jahrerhoben. Ein Prozent der Gesamtbevölkerung, alsorund 830 000 Personen in 370 000 Haushalten, wer-den dafür befragt.Wer durch das Zufallsverfahren ausgewählt wurde,ist gesetzlich zur Teilnahme über mehrere Jahre hin-weg verpflichtet. Der Fragebogen des Mikrozensus2014, der zugleich der Stichprobenerhebung überArbeitskräfte in Europa dient, umfasst immerhin186 Fragen. Die Befragten müssen also in erhebli-chem Maße Zeit opfern. Das muss man berücksichti-gen.Mit der vorliegenden Gesetzesänderung werdennun auch mehrmalige Befragungen einer Person in-nerhalb eines Jahres eingeführt. Diese sogenanntenunterjährigen Befragungen können einen nicht uner-heblichen zeitlichen Mehraufwand für die Teilnehmerbedeuten. Hintergrund dieser Neuerung sind anste-hende Änderungen einer entsprechenden EU-Verord-nung.Ich begrüße es sehr, dass – parallel zum zeitlichenMehraufwand infolge der unterjährigen Befragungen –darauf geachtet wird, die Gesamtbelastung für dieTeilnehmer zu reduzieren. Dazu soll vor allem der ver-stärkte Einsatz elektronischer Befragungselemente,sprich Internet oder Telefon, dienen. Zudem sollen dieBefragten durch eine umfassende Reform der gesam-ten Haushaltserhebung entlastet werden. Wir müssennur darauf achten, dass die Entlastungen bei den Teil-nehmern effektiv ankommen.
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5046 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Andrea Lindholz
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Zweifellos lohnt sich die Mühe aber. Der Mikrozen-sus wurde sukzessive verfeinert. Die Weiterentwick-lung des Mikrozensus ist in gewisser Hinsicht ein Spie-gelbild der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung inDeutschland. Zum Beispiel unterschied der Mikrozen-sus bis 2005 lediglich zwischen Deutschen und Aus-ländern. Die Tatsache, dass inzwischen 20 Prozent derdeutschen Bevölkerung einen Migrationshintergrundhaben, fiel bis dato unter den Tisch. Gerade solcheZahlen sind aber entscheidend, wenn über die Fragediskutiert wird, ob Deutschland ein Einwanderungs-land ist oder nicht. Manch einer in Deutschland stelltdiese Tatsache ja immer noch infrage.Dank des modernen Mikrozensus können wir solcheDiskussionen beenden und uns den wirklich relevantenFragen zuwenden. Zum Beispiel: Wie wird Deutsch-land attraktiv für die dringend benötigten gut ausge-bildeten Migranten? Wie stellen wir deren Integrationsicher und erhalten die Akzeptanz für Migration inDeutschland? – Auch zu diesen Fragen liefert uns derMikrozensus immer wieder wichtige Anhaltspunkte.Die Weiterentwicklung des Mikrozensus mit demvorliegenden Gesetzentwurf ist daher zu begrüßen.
Wir leben bekanntermaßen in einer Wissensgesell-
schaft. In einer solchen Gesellschaft stellen Wissen und
Informationen zunehmend die Basis von politischen
Entscheidungen sowie des sozialen und ökonomischen
Zusammenlebens dar. Vor allem die Aufbereitung und
Organisation von Informationen in Statistiken haben
dabei eine große Bedeutung erlangt.
Kaum ein Lebensbereich kommt heute noch ohne
Statistiken aus. Dies fängt schon beim Lieblingssport
der Deutschen an: dem Fußball. Ohne Ballbesitzstatis-
tik, Gelaufene-Kilometer-Statistik, Passstatistik oder
die sogenannten Heatmaps scheint heute kein Fußball-
kommentator mehr seine Berichterstattung absolvie-
ren zu können. In den Profiklubs werden solche Statis-
tiken längst zur konsequenten Weiterentwicklung ihres
Spielvortrags genutzt.
Jedes Wirtschaftsunternehmen muss sich stark auf
statistische Werte stützen: Wie viele Produkte haben
wir in einem bestimmten Zeitraum abgesetzt? Wohin
setzen wir welchen Anteil unserer Produkte ab? Wie
stark ist die Resonanz auf unsere Werbestrategie? Wie
entwickeln sich die Kosten? Ohne diese Statistiken
lässt sich ein moderner wirtschaftlicher Betrieb nicht
mehr steuern. Die Unternehmen hätten keine belast-
bare Grundlage für ihre Geschäftsstrategie oder ihre
Investitionsentscheidungen.
Für die Politik spielen Statistiken ebenfalls eine
große Rolle. Nur mit der statistischen Erfassung von
Informationen können wirtschaftliche oder gesell-
schaftliche Trends überhaupt identifiziert werden.
Wenn bestimmte Entwicklungen negative Folgen nach
sich ziehen, kann die Politik entsprechende Gegen-
maßnahmen einleiten. Positive Entwicklungen können
verstärkt werden.
Ein Beispiel, das jedem sofort in den Sinn kommen
dürfte, ist der demografische Wandel. Nur durch die
statistische Erfassung der Geburten und der Lebenser-
wartung sind wir in der Lage, die problematische
Entwicklung schon jetzt zu identifizieren und gegenzu-
lenken.
Unverzichtbar ist jedoch die Qualität der Statisti-
ken; denn ansonsten würden Entscheidungen auf völ-
lig falscher Grundlage getroffen. Welche konkreten
Auswirkungen dies haben kann, haben wir erst kürz-
lich bei den Ergebnissen der Volkszählung betrachten
können. In allen Bundesländern wichen die tatsächli-
chen Bevölkerungszahlen derart ab, dass der Länder-
finanzausgleich völlig neu berechnet werden musste.
Um die Qualität der staatlichen Statistiken geht es
auch in unserem heutigen Gesetzentwurf, der aus zwei
Teilen besteht. Einerseits soll in das Mikrozensus-
gesetz, welches die Erhebung von Daten über unsere
Gesellschaft regelt, wie etwa die Bevölkerungsstruktur,
die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung
oder die Erwerbstätigkeit, eine Experimentierklausel
eingeführt werden. Hintergrund dieser Klausel ist die
Änderung einer EU-Verordnung, die Stichprobenerhe-
bungen über Arbeitskräfte regelt. Zur Vorbereitung auf
die Veränderungen soll bereits jetzt eine gewisse Zahl
an Erhebungen unter den veränderten Erhebungs-
bedingungen stattfinden. Dadurch können etwaige
Probleme in der Datenerhebung schon während der
Experimentierphase erkannt und behoben werden.
Der zweite Teil ist eine Änderung des Bevölkerungs-
statistikgesetzes, welches die Ermittlung der Zahl und
der Zusammensetzung der Bevölkerung regelt. Hier
hat sich gezeigt, dass weitere Hilfsmerkmale die Qua-
lität der Statistik verbessern können, insbesondere im
Hinblick auf die Bestimmung der Einwohnerzahl und
deren Fortschreibung. Dabei entsteht keine weiter ge-
hende Belastung der Bürger, da die Daten bereits in
verschiedenen Verwaltungsdatensätzen existieren. Sie
müssen lediglich dem Statistischen Bundesamt anony-
misiert zur Verfügung gestellt werden.
Ich sehe den Gesetzentwurf sehr positiv. Aus meiner
Sicht ist hier ein guter Gesetzentwurf gelungen, der
unmittelbare Verbesserungen für unsere staatlichen
Statistiken mit sich bringt. Nur wenn unsere statisti-
schen Grundlagen stimmen, kann die Politik Maßnah-
men zum Wohle der Gesellschaft ergreifen. Mit diesen
Gesetzesänderungen gehen wir einen weiteren Schritt
in die richtige Richtung.
Wir behandeln heute in erster Lesung einen Gesetz-entwurf zur Änderung des Mikrozensusgesetzes unddes Bevölkerungsstatistikgesetzes. Statistische Erhe-bungen sind die Grundlage für viele Lebensbereiche,die uns umgeben. Für den Kindergarten um die Ecke,für Schulen, Krankenhäuser oder sogar die TaktzeitenZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5047
Matthias Schmidt
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der Bahn. Sie sind die Basis für sämtliche Planungender Länder und Kommunen sowie auch für die Wirt-schaft. Das gesamte Gemeinwesen fußt auf dieser Zah-lengrundlage. Lassen Sie mich Ihnen das über folgen-des Szenario näherbringen:Stellen Sie sich einmal vor, wir würden auf Erhebun-gen, wie den Mikrozensus oder vergleichbare Statisti-ken verzichten. Wie Sie alle wissen, werden dafür beider Bevölkerung Daten erhoben, so zur Bevölkerungs-struktur, zur Familie und Lebenspartnerschaft, zu Be-ruf und Ausbildung, zu Erwerbsbeteiligung und Be-schäftigung, um nur einige der Daten zu nennen.Greifen wir uns die Daten zur Familie einmal heraus.Ohne die Daten zu der Anzahl der Familien inDeutschland, der Anzahl und dem Alter der Kinder,der Zahl der Frauen und Männer, die ihre Kinder al-leine erziehen, stünden wir familienpolitisch im Nebel.Wir wüssten dann nicht, wie hoch der Bedarf anHorten, Kitas, Grundschulen, Kinderärzten oderSpielplätzen ist. Wir müssten in den Kommunen „pimal Daumen“ Einrichtungen schaffen, um die Fami-lien zu versorgen. Ganze Stadtteile wären in Zeitenknapper Kassen tendenziell unterversorgt, und das mitdramatischen Folgen. Frauen könnten keiner Er-werbstätigkeit nachgehen, da sie keine Betreuung fürihre Kinder fänden. Die Kinder würden in ihrer Wohn-nähe keine Spiel- oder Abenteurerplätze finden, undwas wäre bei einer Erkrankung der Kleinen? Die Wegezu Kinderärzten oder Krankenhäusern wären mögli-cherweise mit langen Wegstrecken verbunden, weil dieKommunen nicht zielgenau planen konnten. Auchkönnten viele Kinder von der vorschulischen Bildungin den Kitas nicht profitieren und hätten damitschlechtere Ausgangschancen. Werfen wir auch einenBlick auf alleinerziehende Frauen. Wir wüssten garnicht, wie viele von ihnen einer besonderen Förderungbedürfen, und könnten unsere Arbeitsmarktpolitiknicht daran orientieren und entsprechend gestalten.Auch die Finanzausstattung der Länder wäre einLotteriespiel mit Konsequenzen. Ohne eine Einwoh-nerzahl könnten weder Länder noch Kommunen ver-nünftig planen. Nun stellen Sie sich einmal vor, wasdas für Berlin bedeuten würde: Straßen würden nichtgebaut, weil man den Finanzierungsaufwand scheuenmüsste, Wohnungen wohlmöglich gar abgerissen, weildie demografische Entwicklung nicht abgeschätzt wer-den könnte. Die Anzahl an Pflegeeinrichtungen würdeeinem Zufallsprodukt entsprechen.Auch privatwirtschaftliche Investitionen kämen zumErliegen. Unternehmen würden kein Kapital daraufverwenden, in eine unkalkulierbare geschäftliche Zu-kunft zu investieren. Neue Standorte, Expansionenoder die Entwicklung neuer Geschäftsbereiche stün-den infrage. Und davon wäre dann auch der Arbeits-markt betroffen. Welches Unternehmen würde schonausbilden oder einstellen, wenn die Entwicklung aufder Grundlage von statistischen Daten nicht planbarwäre? Das wiederum hätte verheerende Konsequenzenfür die gesamtwirtschaftliche Entwicklung unserer Ge-sellschaft.In einem Bereich würde auch uns Abgeordnete dasunmittelbar betreffen. Auf Basis der Bevölkerungs-anzahl werden die Wahlkreise zugeschnitten. Wer vonuns würde schon wollen, dass das ein Zufallsproduktwürde? Auch die wichtigen Aussagen der Wahlstatistikgingen verloren, und diese ist gesamtgesellschaftlichvon erheblicher Bedeutung. Wie ist es um unsere De-mokratie bestellt? Ohne Wahlstatistik muss dieseFrage offen bleiben. Die Szenarien ließen sich nochlange fortsetzen – alle mit einem beängstigenden Er-gebnis: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft würdenihre Entscheidungsgrundlage verlieren. Der Wert vonstatistischen Erhebungen ist beträchtlich – da sind wiruns sicher einig.Nun ist die Statistik tatsächlich auch in keiner Weisegefährdet – im Gegenteil. Mit den Ihnen vorliegendenÄnderungen im Mikrozensusgesetz und im Bevölke-rungstatistikgesetz werden wir sie vielmehr qualifizie-ren. Anlass ist die gemeinsam mit dem Mikrozensusdurchzuführende EU-Stichprobenerhebung für Ar-beitskräfte. Eine geplante Veränderung in der EU-Verordnung macht es erforderlich, dass auch die natio-nalen Gesetze verändert werden. So ist in dem Gesetz-entwurf vorgesehen, das Mikrozensusgesetz um eineExperimentierklausel zu ergänzen. Damit können neueErhebungsverfahren erprobt werden, um die Qualitätder Statistik zu verbessern. Eine damit verbundeneZielrichtung ist, befragte Bürgerinnen und Bürger zuentlasten, indem Erhebungen zusammengefasst wer-den. In der Bevölkerungsstatistik können durch die Ge-setzesänderung weitere Merkmale erhoben werden.Diese Änderung ist notwendig, weil mit dem Inkrafttre-ten des Bevölkerungsstatistikgesetzes am 1. Januar2014 einige „handwerkliche Mängel“ offenbar wur-den. Wir korrigieren diese nun und ermöglichen da-durch die Fortschreibung der Statistik. Es sind kleineÄnderungen mit viel Gewicht, die uns wie vielen ande-ren Stellen die Arbeit erleichtern. Wir werden dieseÄnderungen in den Ausschüssen erörtern.Lassen Sie mich am Ende noch einmal auf die Men-schen kommen, die tagtäglich an den Statistiken arbei-ten und diese fortentwickeln. Sie leisten mir ihrerArbeit einen überaus wichtigen gesellschaftlichen Bei-trag. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz herzlichfür den engagierten Einsatz danken, von dem wir alleprofitieren.Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen Dank. Ichfreue mich auf die Beratung mit Ihnen!
Mit dem hier heute zur Debatte stehenden Entwurfeines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes soll einerbevorstehenden Novellierung der EU-Verordnung
Nr. 577/98 des Rates vom 9. März 1998 ent-
sprochen werden. Durch die bereits 1968 erfolgteZu Protokoll gegebene Reden
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5048 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Jan Korte
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Kopplung des Mikrozensus mit der EU-Arbeitskräfte-erhebung erscheint eine entsprechende Anpassung fol-gerichtig. Die beabsichtigten Änderungen sind zwarübersichtlich, haben aber durchaus relevante Auswir-kungen.Worum geht es im Detail? Beim Mikrozensus wer-den vier Jahre lang jährlich circa 830 000 Bürgerin-nen und Bürger zu Auskünften auf detaillierte persön-liche Fragen verpflichtet, deren Beantwortung nachAngaben des Statistischen Bundesamtes je nach Fallrund eine halbe Stunde dauern soll. Zudem werden je-weils 200 000 Bürgerinnen und Bürger zu Auskünftenauf weitere Fragen verpflichtet, deren Beantwortungzusätzliche 15 Minuten in Anspruch nimmt. Wenn mansich der Beantwortung der Fragen verweigert, wirdman mit Zwangsgeldern von bis zu 5 000 Euro bzw. ge-gebenenfalls Beugehaft bestraft. Seit dem 15. März1998 schreibt die EU-Verordnung zur Durchführungeiner Stichprobenerhebung über Arbeitskräfte in derGemeinschaft ein sogenanntes unterjähriges Erhe-bungskonzept vor. Das heißt nichts anderes, als dassdie Betroffenen nicht einmal, sondern mehrmals jähr-lich befragt werden sollen. Das bis heute gültigeMikrozensusgesetz lässt bislang aber eine unterjährigeErhebung nicht zu. Übergangsweise konnte Deutsch-land bei seinem davon abweichenden Erhebungs-konzept bleiben. Damit soll nun aber Schluss sein. Zu-dem sollen die Erhebungen vermehrt elektronischdurchgeführt werden, zum Beispiel per Telefon oderInternet – ein aus Datenschutzsicht nicht unproblema-tisches Unterfangen. Dazu später mehr.Meine Fraktion hatte das Mikrozensusgesetz 2005abgelehnt, weil aus unserer Sicht und nach Auffassungvieler Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, seineNotwendigkeit nicht konkret nachgewiesen, der Um-fang der Datenabfrage ausufernd und teilweise unver-ständlich bis diskriminierend gewesen ist. An diesergrundsätzlichen Kritik halten wir fest. Doch selbstwenn man die Auffassung vertritt, dass der Mikrozen-sus zur Erfüllung legitimer Zwecke nötig und un-verzichtbar ist, dann erfordert die Verhältnismäßigkeiteben, dass es dann tatsächlich bei den Maßnahmenbleibt, die der jeweilige legitime Zweck, beispielsweisedie Organisation des Länderfinanzausgleichs, erfor-dert. Für die Organisation des Länderfinanzausgleichsmuss ich aber nicht wissen, welcher Religion der jewei-lige Bürger anhängt oder wer noch alles bei ihm in derWohnung lebt.Mir ist im Übrigen auch kein einziger politischerBereich bekannt, in dem es in letzter Zeit wegen fehlen-der „Daten“ zu problematischen Entscheidungen kam.Es ist zum Beispiel seit vielen Jahren hinreichend be-kannt, dass es hierzulande viel zu wenig Kinderbetreu-ung gibt. Konkret fehlt es eben nicht an Daten, sondernam politischen Willen, dieses Problem zu lösen. ThiloWeichert, der Landesbeauftragte für den Datenschutzin Schleswig-Holstein, hat das sehr richtig folgen-dermaßen ausgedrückt: „Politische Fehlplanungenbasieren nicht auf fehlenden Daten, sondern auf derfalschen Bewertung vorhandener Daten“.Aus unserer Sicht steht eine Zwangserhebung – unddarum geht es ja beim Mikrozensus – auch im Wider-spruch zum Recht auf informationelle Selbstbestim-mung. Hier muss man sich doch die Frage stellen, obder Staat und die Statistiker heutzutage nicht endlichauf die Mittel Auskunftszwang, Zwangsgelder undDrohbriefe verzichten können, wenn sie Informationenfür bestimmte Projekte brauchen. Ich zumindest emp-finde die gedankliche Unfähigkeit, Bürgerinnen undBürger zur freiwilligen Mitwirkung und Datenabgabebewegen zu wollen, tatsächlich als rückständig undnicht innovativ. Dass die „Datenqualität“ bei einerMikrozensuserhebung auf Freiwilligkeit nicht auf-rechterhalten werden könnte, halte ich zudem fürZweckpropaganda auf Basis unbewiesener Gerüchte.Wenn Sie jetzt im Mikrozensusgesetz eine sogenannte„Experimentierklausel“ einfügen wollen, dann zeigenSie doch auch mal etwas Mut und experimentieren Sieendlich mit einem ersten Freiwilligkeits-Praxistest.Worum geht es heute noch? Das noch frische Bevöl-kerungsstatistikgesetz soll nach Ihrem Willen gleichmit aufgebohrt werden. Im Gesetzentwurf heißt esdiesbezüglich: „Das Bevölkerungsstatistikgesetz istam 1. Januar 2014 in Kraft getreten. Bei der Vorberei-tung seiner Umsetzung hat sich herausgestellt, dassweitere Hilfsmerkmale erforderlich sind, um die Qua-lität der Statistik insbesondere im Hinblick auf die Ein-wohnerzahl und deren Fortschreibung zu sichern undzu verbessern.“Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß zwarnicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie so etwas lesen oderhören, aber bei mir führt das zu Zweierlei: Erstenslässt es kein allzu großes Vertrauen in die Verfasserwachsen, die derart schwerwiegende Probleme nichtvorher erkannt haben. Zweitens ist das genau das, wasimmer befürchtet wird: Zunächst wird ein Fuß in dieTür gestellt, alle beteuern Datensparsamkeit, und nurwenig später erweitert man dann die Datenerhebun-gen oder Verwendungszwecke über den ursprüngli-chen Zweck hinaus.§ 13 a Punkt 2 erlaubt die „vorübergehende“Zusammenführung von personenbezogenen Daten derBefragten mit deren weiteren Befra-gungsergebnissen . Zwar stehtdem die „Einwilligung der Betroffenen“ zuvor, aberdass die Aufhebung der Anonymisierung statistischerDaten im IT-System angelegt wird, besorgt mich undlässt mich grundsätzlich an der Sicherheit der Anony-misierung der Personendaten zweifeln. Rein sachlichgibt es ja gar keine Anonymisierung, sondern lediglicheine Pseudonymisierung. Dies ist aus meiner Sicht imJahr eins nach Snowden alles andere als ausreichend.An dieser Stelle möchte ich Sie mal fragen, wer vonIhnen schon einmal eine mehrjährige andauerndeMikrozensus-Befragung hinter sich gebracht hat. Daswürde mich wirklich interessieren. Vor allem aberZu Protokoll gegebene Reden
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5049
Jan Korte
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würde mich interessieren, ob diejenigen, die hier kei-nerlei Problem mit all dem erkennen lassen, auch frei-willig den 64 Seiten langen Fragebogen des derzeiti-gen Mikrozensus und seine 164 Fragen zu zahlreichendetaillierten persönlichen Angaben ausfüllen unddiese Daten den IT-Systemen des Statistischen Bundes-amtes übergeben würden. Ich glaube, bei dem aktuel-len Erhebungsdesign dürften das nicht allzu viele vonIhnen ehrlichen Herzens behaupten.Der Mikrozensus ist für viele von den BefragungenBetroffenen schon heute eine große Belastung. Die ge-plante mehrmalige Befragung der Leute pro Jahrmacht das noch viel schlimmer und erhöht den Druckauf die Menschen. Dann von „kein zusätzlicher Erfül-lungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger“ zu spre-chen, trifft es ja wohl nicht so ganz. Es sei denn, dassdie mehrmalige Befragung pro Jahr den gesamtenBefragungsprozess zeitlich reduzieren würde, wennalso zum Beispiel gleich viel Befragungen in zwei stattin vier oder fünf Jahren stattfinden. Ob das allerdingsbeabsichtigt ist, wird aus Ihrem Gesetzentwurf über-haupt nicht deutlich. So muss man wahrscheinlich vieleher davon ausgehen, dass die Befragungen stattdes-sen im Umfang erheblich ausgeweitet werden.Die Möglichkeit einer Ausweitung der elektroni-schen Befragungen zum Beispiel durch Telefoninter-views halte ich aus Datenschutzgründen ebenfalls fürschlecht. Wer kann garantieren, dass durch diesePraktiken nicht das Missbrauchsrisiko erheblichsteigt? Wer kann ernsthaft davon ausgehen, dass dieelektronisch erhobenen Daten angesichts immer neuerErkenntnisse über Überwachungs- und Ausspähprak-tiken staatlicher und privater Stellen sicher sind?Zu guter Letzt kommen wir zu den von Ihnen prog-nostizierten Kosten. Nach Kostenkalkulationen desStatistischen Bundesamtes sowie der statistischenÄmter der Länder sollen durch die beabsichtigten Än-derungen des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Be-völkerungsstatistikgesetzes bei Bund und Ländern ein-malig Kosten in Höhe von insgesamt 872 601 Euroentstehen. Beim Bevölkerungsstatistikgesetz entstehenzusätzlich bei den Ländern jährliche Mehrkosten inHöhe von mindestens 64 000 Euro. Außerdem heißt esim Gesetzentwurf zu Mehrkosten beim BevStatG: „Fürdie nach Landesrecht zuständigen Stellen, die durchdieses Gesetz zu Datenlieferungen verpflichtet werden,entstehen für die Anpassung von vorhandenen Soft-warelösungen gegebenenfalls einmalige Kosten, dieangesichts der unterschiedlichen Gestaltung derjeweiligen Fachverfahren nicht beziffert werdenkönnen.“ Das ist ja nun nicht gerade sehr informativ.Besitzen Sie denn nicht wenigstens eine Schätzung, mitwelchen Kosten die zuständigen Stellen zu rechnenhaben? Ohne wenigstens das annähernd absehen zukönnen, kann man doch so eine Änderung nicht seriösbeschließen.Zusammengefasst: Dieser Gesetzentwurf reiht sichin die voranschreitende Katalogisierung des Bürgersein. Er setzt auf die Herrschaft der Zahl statt aufQualitätspolitik. Meine Fraktion plädiert hingegen fürdas Prinzip der Freiwilligkeit bei Volkszählungenjeder Art und für den konkreten Nachweis der Erfor-derlichkeit von Zahlen für nachvollziehbare Zwecke.Ich würde mich freuen, wenn auch Sie sich zu einerUmkehr für mehr Freiheit, Datenschutz und Daten-sparsamkeit durchringen könnten.
Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werdeninsgesamt rund 830 000 Personen in etwa 370 000 pri-vaten Haushalten und Gemeinschaftsunterkünften stell-vertretend für die gesamte Bevölkerung zu ihren Le-bensbedingungen befragt.Was so lapidar unter dem Stichwort Befragungläuft, entpuppt sich für die davon Betroffenen oft alsein mittlerer Alptraum: Endlose Fragebögen mit sehrfein granulierten Fragen zu nahezu allen Lebensberei-chen, das Ganze bußgeldbewehrt. Die Datenschutzbe-hörden und auch die Abgeordneten des DeutschenBundestages wissen davon ein Lied zu singen: Keines-falls kann von einer allgemeinen Akzeptanz dieses Ver-fahrens in der Bevölkerung gesprochen werden, eineanhaltend hohe Zahl von Eingaben und Zuschriftender betroffenen Bürgerinnen und Bürger belegt dies.Richtig ist: Die offiziellen Statistiken unserer Be-hörden sorgen für eine informierte Politik. Sie stellendeshalb ein wichtiges Merkmal rationaler und infor-mierter Entscheidungsprozesse in Regierung wie imParlament dar. Wir erwarten aber, dass diese Verfah-ren grundrechtsschonend und im Hinblick auf die er-fassten Merkmale realitätsgerecht erfolgen.Verfassungsrechtlich wie datenschutzrechtlich bleibtes dabei: Wir haben es mit durchaus grundrechtsinten-siven Eingriffen zu tun, da die Befragung über eineAuskunftspflicht erzwungen wird und der Umfang derErhebungen zu sehr weitgehenden Profilen der betrof-fenen Bürgerinnen und Bürger führt.Die Rechtfertigungsanforderungen sind deshalbhochzuhalten: Die strenge Zweckbindung des Statistik-geheimnisses schützt vor unbefugten Weitergaben undZugriffen, die Datensätze verbleiben in ihrer primärenNutzbarkeit als primär anonymisierte Informations-quelle. Zusätzlich muss jedoch sichergestellt sein, dassder Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beim laufendenUmbau des Verfahrens, wie wir es nun seit Jahrenschon erleben, gleichbleibend ernsthaft angewandtwird.Der vorliegende Entwurf enthält einmal mehr– diesmal EU-bedingt – den Ausbau der zu erhebendenMerkmale, und bei den sogenannten unterjährigen Be-fragungen sattelt er zusätzlich auf: Die Betroffenensind nicht nur einmal jährlich, sondern mehrfach imJahr zu Angaben bezüglich ihrer Arbeitsverhältnisseverpflichtet. Die gesetzlich vorgesehene Experimen-tierklausel soll sicherstellen, dass die Statistikbehör-Zu Protokoll gegebene Reden
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5050 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014
Dr. Konstantin von Notz
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den nicht unvorbereitet in die demnächst verpflichtendzu realisierenden Erhebungsanforderungen gehen, daserscheint nachvollziehbar.Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Ankündi-gung der Bundesregierung, diese Befragungen so weitwie möglich reduzieren und auch insgesamt weitereEntlastungen der Betroffenen bewirken zu wollen. Wirerwarten von den Statistikbehörden, dass sie das ihnenMögliche tun, um sicherzustellen, dass das Verfahrendes Mikrozensus nicht uferlos weiter aufgeblasen wird,weil dies am Ende womöglich wieder in eine grund-sätzliche Auseinandersetzung zumindest über den obli-gatorischen Charakter dieses Verfahrens mündenkönnte.Lassen Sie mich noch zu einem Sonderpunkt kom-men, der zu unserer Linie der weiteren sachgerechtenDurchführung von Mikrozensen steht. Wenn schon Mi-krozensus, dann ohne selektive Brille:In der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Frak-tion zum Thema „Regenbogenfamilien in Deutsch-land“ gab die Bundesregierung zu, dass sie nichts vonder Lebensrealität von Regenbogenfamilien weiß. Ihreeinzigen Erkenntnisse basieren auf Erhebungen von2006 und können daher nicht ernsthaft als aktuell undausreichend bewertet werden.Mit der vorliegenden Novelle bekommt der Bundes-tag nun die Chance, die immer wachsende Zahl vonRegenbogenfamilien endlich auch in der Bevölke-rungsstatistik zu berücksichtigen.Bei Begründungen von Lebenspartnerschaften solldeshalb auch die Zahl der gemeinsamen Kinder derLebenspartnerinnen bzw. Lebenspartner übermitteltwerden. Dies kann relevant sein, wenn Kinder vor derBegründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaftim Ausland angenommen wurden.Auch bei Kindergeburten soll nicht nur die Angabeübermittelt werden, ob die Eltern des Kindes miteinan-der verheiratet sind, sondern auch, ob einer bzw. beideder Eltern in einer bzw. zwei Lebenspartnerschaftenleben.Und schließlich sollen Gerichte nicht nur bei ge-richtlichen Entscheidungen über Ehesachen den sta-tistischen Ämtern der Länder unter anderem die Zahlder lebenden gemeinschaftlichen minderjährigen Kin-der übermitteln. Auch bei Aufhebungen von Le-benspartnerschaften soll das entsprechend geschehen.Nur so werden wir der familiären Realität gerechtund können zukünftig auch Familien, bei denen Kinderbei zwei gleichgeschlechtlichen Partnern leben, auf ei-ner fundierten Basis in die Familienpolitik einbezie-hen.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/2141 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weil es
dazu keine anderweitigen Vorschläge gibt, ist die Über-
weisung damit beschlossen.
Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung. Ich danke Ihnen allen recht herzlich für die
konzentrierte Beratung in den vergangenen Stunden und
wünsche Ihnen einen weiterhin angenehmen Abend und
später eine gute Nacht.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Freitag, den 26. September 2014, 9 Uhr, ein
und schließe damit die Sitzung.