Protokoll:
18054

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 54

  • date_rangeDatum: 25. September 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:01 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:12 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/54 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 54. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 I n h a l t : Glückwünsche zum Geburtstag der Abgeord- neten Dr. Wolfgang Schäuble und Wilfried Lorenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4883 A Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4883 B Absetzung der Tagesordnungspunkte 9 und 15. 4884 B Tagesordnungspunkt 3: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Umsetzung der Richtlinie 2014/ 59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanie- rung und Abwicklung von Kreditinstitu- ten und Wertpapierfirmen und zur Än- derung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/ 47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/EG, 2007/36/ EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/ 36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz) Drucksachen 18/2575, 18/2626 . . . . . . . . . 4884 C b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Ab- wicklungsfonds und über die gemein- same Nutzung dieser Beiträge Drucksachen 18/2576, 18/2627 . . . . . . . . . 4884 C c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des ESM-Finanzie- rungsgesetzes Drucksachen 18/2577, 18/2629 . . . . . . . . . 4884 D d) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung der Finanzhilfeinstru- mente nach Artikel 19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus Drucksachen 18/2580, 18/2628 . . . . . . . . 4884 D Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4885 A Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . 4887 B Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . 4888 D Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4891 A Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4892 C Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 4894 B Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4895 B Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4896 D Antje Tillmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4897 D Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . 4899 B Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . 4900 B Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4901 C Alexander Radwan (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 4903 A Tagesordnungspunkt 4: a) Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, Thomas Nord, Herbert Behrens, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Soziale, ökologi- sche, ökonomische und politische Effekte des EU-USA-Freihandelsabkommens Drucksachen 18/432, 18/2100. . . . . . . . . . 4904 B Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 b) Antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, Thomas Nord, Wolfgang Gehrcke, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Freihandelsabkommen zwi- schen der EU und Kanada CETA zu- rückweisen Drucksache 18/2604 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4904 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Keine Klageprivilegien für Kon- zerne – CETA-Vertragsentwurf ablehnen Drucksache 18/2620 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4904 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Energie zu dem Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, Katja Keul, Bärbel Höhn, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klage- privilegien für Konzerne Drucksachen 18/1458, 18/2646 . . . . . . . . . . . 4904 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 4904 C Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4906 B Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 4907 C Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 4908 C Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4911 A Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4912 B Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4915 A Dr. Peter Tauber (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4915 B Sigmar Gabriel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4915 C Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4915 D Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 4916 A Ralph Lenkert (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 4917 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 4917 C Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . 4918 D Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 4919 B Sigmar Gabriel, Bundesminister BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4920 A Alexander Ulrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 4920 C Andreas G. Lämmel (CDU/CSU) . . . . . . . . . 4921 A Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4922 C Dirk Wiese (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4924 B Klaus Ernst (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 4924 C Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4925 C Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4927 C Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 4928 B Peter Beyer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 4929 D Namentliche Abstimmungen. . . . . . . . . . . . . . 4931 B Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . 4933 D, 4936 A, 4938 B Tagesordnungspunkt 5: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Straf- gesetzbuches – Umsetzung europäischer Vorgaben zum Sexualstrafrecht Drucksache 18/2601 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4932 B in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 4: Antrag der Abgeordneten Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Tabea Rößner, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Kinder schützen – Prävention stärken Drucksache 18/2619 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4932 B Heiko Maas, Bundesminister BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4932 C Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 4941 A Thomas Strobl (Heilbronn) (CDU/CSU) . . . . 4942 D Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4944 B Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . . 4945 C Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 4946 B Dr. Franziska Brantner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4948 B Alexander Hoffmann (CDU/CSU) . . . . . . 4948 B Susann Rüthrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4949 B Dr. Silke Launert (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4950 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 III Tagesordnungspunkt 25: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Vertrag vom 14. April 2014 zwischen der Bundesrepublik Deutsch- land und der Weltgemeinschaft Refor- mierter Kirchen – Körperschaft des öf- fentlichen Rechts Drucksache 18/2587 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4951 D b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Abkommen vom 22. Juni 2010 zur zweiten Änderung des Part- nerschaftsabkommens zwischen den Mitgliedern der Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibischen Raum und im Pazifischen Ozean einerseits und der Europäischen Gemeinschaft und ihren Mitgliedstaaten andererseits (Zweites Änderungsabkommen zum AKP-EG- Partnerschaftsabkommen) Drucksache 18/2591 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4951 D c) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zu dem Internen Abkommen vom 24. Juni 2013 zwischen den im Rat ver- einigten Vertretern der Regierungen der Mitgliedstaaten der Europäischen Union über die Finanzierung der im mehrjährigen Finanzrahmen für den Zeitraum 2014 bis 2020 vorgesehenen Hilfe der Europäischen Union im Rah- men des AKP-EU-Partnerschaftsab- kommens und über die Bereitstellung von finanzieller Hilfe für die übersee- ischen Länder und Gebiete, auf die der vierte Teil des Vertrags über die Ar- beitsweise der Europäischen Union An- wendung findet (Internes Abkommen) Drucksache 18/2588 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4952 A d) Antrag der Abgeordneten Sylvia Kotting- Uhl, Jürgen Trittin, Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Kündi- gung des bilateralen Atomabkommens mit Brasilien Drucksache 18/2610 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4952 A e) Bericht des Ausschusses für Bildung, For- schung und Technikfolgenabschätzung gemäß § 56 a der Geschäftsordnung: Technikfolgenabschätzung (TA) – He- rausforderungen einer nachhaltigen Wasserwirtschaft Drucksache 18/2085 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4952 B f) Beratung der Unterrichtung durch die Deutsche Welle: Evaluationsbericht 2013 der Deutschen Welle Drucksache 17/14285 . . . . . . . . . . . . . . . . 4952 C g) Beratung der Unterrichtung durch die Deutsche Welle: Aufgabenplanung der Deutschen Welle 2014 bis 2017 Drucksache 18/2536 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4952 C Zusatztagesordnungspunkt 5: a) Antrag der Abgeordneten Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Wiedereingliederung för- dern – Gefangene in die Renten-, Kran- ken- und Pflegeversicherung einbezie- hen Drucksache 18/2606 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4952 D b) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Cem Özdemir, Annalena Baerbock, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord an den Rohingya verhindern Drucksache 18/2615 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4952 D c) Antrag der Abgeordneten Tom Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechtsförderung stärken – Gesetzliche Grundlage für Deutsches Institut für Menschenrechte schaffen Drucksache 18/2618 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4952 D Tagesordnungspunkt 26: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Teilauflösung des Sondervermögens „Aufbauhilfe“ und zur Änderung der Aufbauhilfeverord- nung Drucksachen 18/2230, 18/2645. . . . . . . . . 4953 B b)–i) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelübersichten 83, 84, 85, 86, 87, 88, 89 und 90 zu Peti- tionen Drucksachen 18/2508, 18/2509, 18/2510, 18/2511, 18/2512, 18/2513, 18/2514, 18/2515 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4953 D Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Humanitäre Katastrophe an der türkisch-syrischen Grenze – Nach dem militärischen Aufmarsch des IS . . . . . . . . . 4954 C Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . 4954 C Dr. Johann Wadephul (CDU/CSU) . . . . . . . . 4955 C IV Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4956 D Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4957 C Dr. Bernd Fabritius (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 4958 D Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 4959 D Gabriela Heinrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4960 D Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4961 D Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4962 D Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD) . . . . . . . . . . . . 4964 A Jörg Hellmuth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4965 A Thorsten Frei (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 4965 D Tagesordnungspunkt 6: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Änderung des Freizügigkeitsge- setzes/EU und weiterer Vorschriften Drucksache 18/2581 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4967 A b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zwischenbericht des Staatssekretärsaus- schusses zu Rechtsfragen und Herausfor- derungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Ange- hörige der EU-Mitgliedstaaten Drucksache 18/960 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4967 A c) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Abschlussbericht des Staatssekretärsaus- schusses zu „Rechtsfragen und Heraus- forderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedstaaten“ Drucksache 18/2470 . . . . . . . . . . . . . . . . . 4967 B Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4967 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4969 A Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 4969 C Dr. Lars Castellucci (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 4970 C Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4973 A Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4974 B Tagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Nicole Maisch, Friedrich Ostendorff, Steffi Lemke, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Tierschutz ernst nehmen – Tierleid verhindern Drucksache 18/2616 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4975 C Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4975 D Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 4977 A Hubertus Zdebel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 4979 C Christina Jantz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4980 C Artur Auernhammer (CDU/CSU) . . . . . . . . . 4981 C Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . 4982 A Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4983 B Ute Vogt (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4983 D Tagesordnungspunkt 8: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Urhe- berrechtsgesetzes Drucksache 18/2602 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4984 D Christian Flisek (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4985 A Halina Wawzyniak (DIE LINKE) . . . . . . . . . 4986 B Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4987 B Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4988 C Marianne Schieder (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 4989 D Katrin Albsteiger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 4990 D Tankred Schipanski (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 4991 D Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann (Zwi- ckau), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht entlassen Drucksache 18/2630 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4992 D Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 4993 A Emmi Zeulner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4994 C Kordula Schulz-Asche (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4996 B Hilde Mattheis (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4997 A Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 4998 A Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4999 B Kathrin Vogler (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 4999 D Tagesordnungspunkt 10: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2013 (55. Bericht) Drucksachen 18/300, 18/1917 . . . . . . . . . . . . 5001 B Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 V Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . 5001 B Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . . 5003 A Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . 5004 C Heidtrud Henn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5005 B Doris Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5006 D Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5008 A Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Abgeordneten Dr. Thomas Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Mit Transpa- renz Steuervermeidung multinationaler Unternehmen eindämmen – Country-by- Country-Reporting einführen Drucksache 18/2617 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5008 D Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5009 A Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . . 5010 A Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 5011 A Cansel Kiziltepe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5012 A Philipp Graf Lerchenfeld (CDU/CSU) . . . . . . 5013 C Tagesordnungspunkt 12: – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrach- ten Entwurfs eines Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Natio- nen vom 31. Oktober 2003 gegen Kor- ruption Drucksachen 18/2138, 18/2643 . . . . . . . . . 5014 B – Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Übereinkommen der Ver- einten Nationen gegen Korruption Drucksachen 18/478, 18/2643 . . . . . . . . . . 5014 B Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5014 C Frank Tempel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 5015 B Ansgar Heveling (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . 5016 B Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5017 A Christina Jantz (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5018 B Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5018 D Tagesordnungspunkt 13: Antrag der Abgeordneten Sabine Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Rück- zug der Deutschen Bahn AG bei Nacht- und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige Reisekultur in Europa fördern Drucksache 18/2494 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5020 A Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . 5020 A Daniela Ludwig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 5021 A Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5021 D Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5022 D Michael Donth (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5023 D Tagesordnungspunkt 14: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Recht und Verbraucherschutz zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Ein- führung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen und der Verord- nung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezem- ber 2006 zur Einführung eines Europäi- schen Mahnverfahrens KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13 Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647 . . . . . 5025 A Sebastian Steineke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . 5025 A Dr. Anja Weisgerber (CDU/CSU) . . . . . . . . 5026 B Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . . 5027 B Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5028 B Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5028 D Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn (Dresden), Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung konsequent fortsetzen Drucksache 18/1341 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5029 D Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5030 A Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5030 D Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5031 C Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5032 C Hans-Werner Kammer (CDU/CSU) . . . . . . . 5034 A VI Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 Tagesordnungspunkt 16: Zweite und dritte Beratung des vom Bundes- rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Erleichterung der Umsetzung der Grundbuchamtsreform in Baden-Würt- temberg Drucksachen 18/70, 18/2644. . . . . . . . . . . . . . 5035 A Detlef Seif (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . 5035 B Dr. Johannes Fechner (SPD) . . . . . . . . . . . 5036 D Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 5037 C Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5038 B Christian Lange, Parl. Staatssekretär BMJV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5039 A Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Bundesfernstraßen- mautgesetzes Drucksache 18/2444 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5040 A Katherina Reiche, Parl. Staatssekretärin BMVI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5040 A Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . 5040 D Sebastian Hartmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5041 D Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5043 A Karl Holmeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 5044 A Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Zweiten Geset- zes zur Änderung des Mikrozensusgeset- zes 2005 und des Bevölkerungsstatistikge- setzes Drucksache 18/2141 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5045 B Andrea Lindholz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 5045 C Dr. Tim Ostermann (CDU/CSU) . . . . . . . . . 5046 A Matthias Schmidt (Berlin) (SPD) . . . . . . . . 5046 D Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . 5047 D Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5049 C Nächste Sitzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5050 D Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . . 5051 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Bärbel Bas, Dr. Karl-Heinz Brunner, Martin Burkert, Dr. Lars Castellucci, Michela Engelmeier, Dr. h. c. Gernot Erler, Saskia Esken, Karin Evers-Meyer, Dr. Johannes Fechner, Christian Flisek, Gabriele Fograscher, Ulrich Freese, Dagmar Freitag, Michael Gerdes, Martin Gerster, Ulrike Gottschalck, Kerstin Griese, Gabriele Groneberg, Metin Hakverdi, Sebastian Hartmann, Gabriela Heinrich, Marcus Held, Petra Hinz (Essen), Christina Jantz, Frank Junge, Christina Kampmann, Gabriele Katzmarek, Birgit Kömpel, Dr. Hans- Ulrich Krüger, Steffen-Claudio Lemme, Caren Marks, Katja Mast, Jeannine Pflugradt, Detlev Pilger, Sabine Poschmann, Dr. Carola Reimann, Andreas Rimkus, Dr. Martin Rosemann, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Bernd Rützel, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Marianne Schieder, Udo Schiefner, Matthias Schmidt (Berlin), Ursula Schulte, Norbert Spinrath, Kerstin Tack, Franz Thönnes, Wolfgang Tiefensee, Carsten Träger, Dirk Vöpel, Gabi Weber, Bernd Westphal, Gülistan Yüksel, Dagmar Ziegler und Stefan Zierke zur namentlichen Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens (Tagesordnungspunkt 4 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 5051 C Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Ewald Schurer und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens (Tagesordnungspunkt 4 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 5052 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 VII Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michael Groß und Klaus Mindrup (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens (Tagesordnungspunkt 4 a) . . . . . . . . . . . . . . . . 5053 C Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens (Tagesordnungspunkt 4 a) Heike Baehrens (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5055 A Dr. Katarina Barley (SPD). . . . . . . . . . . . . . 5055 C Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD) . . . . . . 5056 B Lothar Binding (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5056 D Sabine Dittmar (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5057 C Elvira Drobinski-Weiß (SPD). . . . . . . . . . . . 5058 B Siegmund Ehrmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 5059 A Bettina Hagedorn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5059 C Cansel Kiziltepe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 5060 A Hilde Mattheis (SPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . 5060 C Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 5061 A Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 5061 C Susann Rüthrich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 5062 B Johann Saathoff (SPD). . . . . . . . . . . . . . . . . 5062 D Michael Thews (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5063 B Ute Vogt (SPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5063 D Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmungen über die Entschließungsanträge der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/2612, 18/2611 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens (Tagesordnungspunkt 4 a) Hiltrud Lotze (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5064 C Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 5065 B Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Uta Finckh-Krämer, Ralf Kapschack, Ulrich Hampel, Dr. Bärbel Kofler, Bettina Müller, Christian Petri, Sönke Rix, Dr. Dorothee Schlegel, Swen Schulz, Frank Schwabe, Stefan Schwartze, Dr. Carsten Sieling, Martina Stamm-Fibich zu der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens (Tagesordnungspunkt 4 a), zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . 5066 A VIII Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Daniela Kolbe und Dr. Matthias Miersch (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens (Tagesordnungspunkt 4 a), zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . 5066 C Anlage 9 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens (Tagesordnungspunkt 4 a), zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) Ulrich Kelber (SPD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5067 C Gerold Reichenbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . 5068 A Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Abstimmungen über die Entschließungsanträge der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/2612, 18/2611 – zu der Beratung der Antwort der Bundes- regierung auf die Große Anfrage der Abge- ordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und poli- tische Effekte des EU-USA-Freihandelsab- kommens (Tagesordnungspunkt 4 a), zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 5069 A Ulli Nissen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5069 A Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Ab- stimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . 5069 C Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Claudia Tausend (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordne- ten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) . . . . . . . . . . . . 5070 A Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 4883 (A) (C) (D)(B) 54. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 Beginn: 9.01 Uhr
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    Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5051 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich van Aken, Jan DIE LINKE 25.09.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 25.09.2014 Beckmeyer, Uwe SPD 25.09.2014 Dr. Braun, Helge CDU/CSU 25.09.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 25.09.2014 Dr. De Ridder, Daniela SPD 25.09.2014 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 25.09.2014 Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 25.09.2014 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.09.2014 Groth, Annette DIE LINKE 25.09.2014 Hagl-Kehl, Rita SPD 25.09.2014 Hardt, Jürgen CDU/CSU 25.09.2014 Hasselfeldt, Gerda CDU/CSU 25.09.2014 Dr. Hendricks, Barbara SPD 25.09.2014 Horb, Margaret CDU/CSU 25.09.2014 Korte, Jan DIE LINKE 25.09.2014 Dr. von der Leyen, Ursula CDU/CSU 25.09.2014 Dr. Malecha-Nissen, Birgit SPD 25.09.2014 Dr. Müller, Gerd CDU/CSU 25.09.2014 Nahles, Andrea SPD 25.09.2014 Nietan, Dietmar SPD 25.09.2014 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 25.09.2014 Radomski, Kerstin CDU/CSU 25.09.2014 Scheuer, Andreas CDU/CSU 25.09.2014 Stauche, Carola CDU/CSU 25.09.2014 Dr. Steinmeier, Frank- Walter SPD 25.09.2014 Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Ulrike Bahr, Bärbel Bas, Dr. Karl-Heinz Brunner, Martin Burkert, Dr. Lars Castellucci, Michela Engelmeier, Dr. h.c. Gernot Erler, Saskia Esken, Karin Evers-Meyer, Dr. Johannes Fechner, Christian Flisek, Gabriele Fograscher, Ulrich Freese, Dagmar Freitag, Michael Gerdes, Martin Gerster, Ulrike Gottschalck, Kerstin Griese, Gabriele Groneberg, Metin Hakverdi, Sebastian Hartmann, Gabriela Heinrich, Marcus Held, Petra Hinz (Essen), Christina Jantz, Frank Junge, Christina Kampmann, Gabriele Katzmarek, Birgit Kömpel, Dr. Hans- Ulrich Krüger, Steffen-Claudio Lemme, Caren Marks, Katja Mast, Jeannine Pflugradt, Detlev Pilger, Sabine Poschmann, Dr. Carola Reimann, Andreas Rimkus, Dr. Martin Rosemann, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Bernd Rützel, Dr. Hans-Joachim Schabedoth, Marianne Schieder, Udo Schiefner, Matthias Schmidt (Berlin), Ursula Schulte, Norbert Spinrath, Kerstin Tack, Franz Thönnes, Wolfgang Tiefensee, Carsten Träger, Dirk Vöpel, Gabi Weber, Bernd Westphal, Gülistan Yüksel, Dagmar Ziegler und Stefan Zierke zur nament- lichen Abstimmung über den Entschließungs- antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und politi- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- mens (Tagesordnungspunkt 4 a) Strässer, Christoph SPD 25.09.2014 Veit, Rüdiger SPD 25.09.2014 Weiss (Wesel I), Sabine CDU/CSU 25.09.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 5052 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 (A) (C) (D)(B) Wir stimmen mit unserer Fraktion gegen den Ent- schließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindest- anforderungen für die Verhandlungen für ein Freihan- delsabkommen mit den USA benannt. Diese „Mindest- anforderungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlungen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. September 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchten wir nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es uns wichtig, zu erklären, dass wir den Beschluss des Parteikonvents vom 20. Septem- ber 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlun- gen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/ 20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneinge- schränkt unterstützen und ihn uns zu eigen machen. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handels- kommissar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, in dem Umwelt-, Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingeladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vorrangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Handelshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zustimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm, Ewald Schurer und Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und politi- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- mens (Tagesordnungspunkt 4 a) Wir stimmen mit unserer Fraktion gegen den Ent- schließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- http://www.spd.de/presse/Pressemitteilun- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5053 (A) (C) (D)(B) gehen möchte wir nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es uns wichtig, zu erklären, dass wir den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/201409 20_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstützen und ihn uns zu eigen machen. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, in dem Umwelt-, Ver- braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- geladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Investitionsschutzvorschriften sind in einem Abkommen zwischen den USA und der EU grundsätzlich nicht erforderlich und sollten nicht mit TTIP eingeführt werden. In jedem Fall sind Investor- Staat-Schiedsverfahren und unklare Definitionen von Rechtsbergriffen wie „faire und gerechte Behandlung“ oder „indirekte Enteignung“ abzulehnen. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Michael Groß und Klaus Mindrup (beide SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeord- neter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und politi- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- mens (Tagesordnungspunkt 4 a) Wir stimmen mit unserer Fraktion gegen den Ent- schließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchten wir nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es uns wichtig, zu erklären, dass wir den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920 _beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstützen und ihn uns zu eigen machen. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine 5054 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 (A) (C) (D)(B) öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Fro- man sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Ber- lin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Ver- braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- geladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine gemeinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsab- kommen haben. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nach- haltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vorrangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Handels- hemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großin- dustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men sind sie entbehrlich. Wir schließen uns ausdrücklich der Begründung des Bundesverbandes Mittelständische Wirtschaft an, die In- vestor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren ablehnt: „Die grundlegende Idee hinter Investitionsschutzkapiteln und ISDS-Mechanismus ist die Gewährleistung hoher und hoheitlicher, rechtsstaatlicher Standards. Investoren sol- len so vor staatlicher Willkür und dem Verlust ihrer In- vestitionen geschützt werden. Mangelnde Rechtsstaat- lichkeit, korrupte Justizsysteme oder fehlendes Investorenvertrauen treffen auf zahlreiche Schwellen- und Entwicklungsländer zu, jedoch nicht auf die beiden Verhandlungsparteien, die USA und die Europäische Union. Die USA waren im vergangenen Jahr mit 313 Milliarden Euro der mit Abstand größte Direktin- vestor in der EU. Im Gegenzug flossen die meisten In- vestitionen aus der EU in die USA. Die EU-Mitglied- staaten hielten Ende 2011 circa 1 573 Milliarden US- Dollar an Investitionsbeständen in den USA, die US-Di- rektinvestitionen in der EU betrugen 2 094 Milliarden US-Dollar. Dies ist ein deutliches Zeichen für das gegen- seitige Vertrauen in die vorhandenen rechtlichen und de- mokratischen Rahmenbedingungen für Investitionen. Es besteht somit keine Notwendigkeit der Aufnahme eines ISDS-Mechanismus in das TTIP-Abkommen. Aufgrund der hohen durchschnittlichen Verfahrenskosten – die OECD geht von 8 Millionen Dollar pro Verfahren aus – können mittelständische Unternehmen den ISDS-Me- chanismus in der Praxis nicht nutzen. Der ISDS-Mecha- nismus begünstigt Großkonzerne, die so geltendes natio- nales Recht und die staatliche Gerichtsbarkeit umgehen können. Sollte ein entsprechender Mechanismus in der derzeit zur Diskussion stehenden Form in das TTIP-Ab- kommen integriert werden, würde dies massive negative Folgen für Mitgliedstaaten der Europäischen Union und für die mittelständische Wirtschaft nach sich ziehen. Die Erfahrungen aus den bisher stattgefundenen Schiedsver- fahren zeigen, dass es dem Verfahren an Transparenz und einer übergeordneten ständigen Berufungsinstanz mangelt. Es besteht nicht nur die Gefahr der Aushebe- lung der staatlichen Gerichtsbarkeit, sondern zudem eine mögliche indirekte Beeinflussung der staatlichen Regu- lierungspolitik.“ Die Kritik an Investor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren gilt für uns ausdrücklich auch für das Freihandelsabkom- men CETA zwischen Kanada und der EU. Es gibt eine enge wirtschaftliche Verflechtung zwischen den USA und Kanada. Erstens wäre mit einer derartigen Regelung „die Tür für derartige Verfahren offen“. Zweitens könnte man den USA kaum das verweigern, was man Kanada gestattet. Damit droht der bekannte „Rutschbahneffekt“. Es geht um die Bewahrung von Rechtsstaat und Demo- kratie und den Vorrang des öffentlichen Rechts auf der Basis unseres Grundgesetzes. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Ent- schließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und politi- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- mens (Tagesordnungspunkt 4 a) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5055 (A) (C) (D)(B) Heike Baehrens (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche – in wesentlichen Teilen – wortgleichen Anträge einbringen, anstatt eigene inhaltliche Positionen zu ent- wickeln. Einem solchen Versuch, eine Regierungsfrak- tion zu einer Vorfestlegung zu zwingen, werde ich nicht zustimmen. Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/2014092 0_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handels- kommissar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingeladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Handelsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel neben den Zöllen die nichttarifären Handelshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Dr. Katarina Barley (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindest- anforderungen für die Verhandlungen für ein Freihan- delsabkommen mit den USA benannt. Diese „Mindest- anforderungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlungen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. September 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/201409 20_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handels- kommissar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingeladen werden. http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_be- http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html 5056 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 (A) (C) (D)(B) Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zustimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Unter entwickelten Rechtsstaaten be- nötigen wir diese schlichtweg nicht. Sabine Bätzing-Lichtenthäler (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/201409 20_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handels- kommissar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingeladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Handelshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemein- same Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Be- schluss des SPD-Konvents unter vollständigem Verzicht http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.ht http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.ht Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5057 (A) (C) (D)(B) auf einen eigenen intellektuellen Beitrag Mindestanfor- derungen für die Verhandlungen für ein Freihandelsab- kommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanforde- rungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Es steht einer Oppositionsfraktion natürlich zu, ihre Ideenarmut durch kopierte Anträge zu kaschieren, um auf diese Art eine Regierungsfraktion – gebunden an einen Koalitionsvertrag – vorzuführen. Eine solch schlichte Taktik verdient Ablehnung. Deshalb stimme ich mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents der SPD vom 20. Septem- ber 2014 zu Anforderungen an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP unterstütze (http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/ 20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html). Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundesminister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öf- fentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- missar De Gucht und US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Verbrau- cher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerk- schaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingela- den werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion über die Freihandelsabkommen CETA und TTIP eine gemein- same Auffassung haben. Dabei gehe ich optimistisch da- von aus, dass die USA die schließlich verhandelten Ver- tragsinhalte und Verfahren auch einhalten werden. Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten – faire und nachhaltige Handels- beziehungen schließen Handel und Politik gegenüber den Ländern des Südens mit ein. Die Chancen solcher Abkommen zu entfalten und zu nutzen, umfasst neben transparenten Verfahren eine Reihe bestimmter Bedingungen als Voraussetzung für eine Zustimmung: – Hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzni- veau; dabei internationale Verständigung auf verbind- liche Normen wie vor allem die ILO-Kernarbeitsnor- men. – Hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge – mindestens auf dem Niveau der EU. – Garantierter Gestaltungsspielraum für die nationalen, regionalen und lokalen Gebietskörperschaften. – Keine Absenkung der bewährten deutschen und euro- päischen Standards. – Keine Investor-Staat-Schiedsverfahren in Verträgen zwischen Staaten mit entwickelten Rechtssystemen. Vorfestlegungen meines Abstimmungsverhaltens hin- sichtlich eines bisher nur fragmentarisch bekannten Vertragstextes über eine Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft – Transatlantic Trade and In- vestment Partnership – zwischen der EU und den USA sind mir nicht möglich. Sabine Dittmar (SPD): Ich stimme mit meiner Frak- tion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Wenn eine Oppositionsfraktion, ob nun aus Mangel an eigenen inhaltlichen Positionen oder aus purer Provo- kation, einen Beschluss eines Parteigremiums einer Re- gierungspartei wortgleich als Antrag in den Bundestag einbringt und auf diese Art versucht, diese Regierungs- fraktion vorzuführen, entspricht das meines Erachtens nicht den guten Gepflogenheiten der parlamentarischen Auseinandersetzung. Ein solch durchschaubares Vorge- hen werde ich nicht durch meine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920 _beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt un- terstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- missar De Gucht und US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Verbrau- cher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerk- schaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingela- den werden. http://www.spd.de/presse/Pressemitteilun- http://www.spd.de/presse/Pressemitteilun- 5058 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 (A) (C) (D)(B) Diese Initiative wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Elvira Drobinski-Weiß (SPD): Ich stimme mit mei- ner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Frak- tion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920 _beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, in dem Umwelt-, Ver- braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- geladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Mehr noch: Es muss gewährleistet werden, dass sie künftig angehoben werden können. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5059 (A) (C) (D)(B) Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für entbehrlich. Ich lehne sie ab. Siegmund Ehrmann (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/201409 20_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, in dem Umwelt-, Verbraucher-, Kultur- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern re- gelmäßig eingeladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Bettina Hagedorn (SPD): Ich lehne die Anträge der Linken ab: Erstens. Ich begrüße, dass Bundeswirtschaftsminister Gabriel unter anderem mit der Schaffung eines Beirates Transparenz und Beteiligungsmöglichkeiten der Zivilge- sellschaft in diesen komplexen Fragen ermöglicht hat. Die großen Herausforderungen der Zukunft werden nur mit internationalen Vereinbarungen gelöst werden kön- nen. Eine pauschale Ablehnung internationaler Abkom- men wäre hier nicht zielführend. Auf der anderen Seite dürfen entsprechende Abkommen nicht dazu genutzt werden, demokratische Grundprinzipien außer Kraft zu setzen. Zweitens. Ich vertrete die Auffassung, dass der Deut- sche Bundestag über die Freihandelsabkommen CETA und TTIP abstimmen muss. Aktuell liegt noch kein Ab- kommen vor, über das der Deutsche Bundestag abstim- men könnte. Drittens. Bundeswirtschaftsminister Gabriel und der DGB haben ein Positionspapier zum Freihandelsabkom- men TTIP veröffentlicht. Der SPD-Parteikonvent hat dieses Positionspapier am vergangenen Samstag eben- falls beschlossen und gleichzeitig die darin enthaltenen Aussagen und aufgezeigten roten Linien auf das Abkom- men mit Kanada, CETA, bezogen (www.spd.de/linkable- blob/123760/data/20140920_parteikonvent_beschluss_ ttip.pdf). Die darin getroffenen Aussagen teile ich voll- ständig. Viertens. Ein zentraler Punkt ist für mich die klare Ablehnung von Schiedsgerichten, die Unternehmen zum Beispiel Klagemöglichkeiten gegen Staaten im Zusam- menhang mit Investitionsschutz und vieles mehr ermög- lichen. Ich sehe in diesen Konstruktionen Versuche, de- mokratische Strukturen zu unterlaufen. http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html 5060 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 (A) (C) (D)(B) Cansel Kiziltepe (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlun- gen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/ 20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneinge- schränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Fro- man sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Ber- lin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, in dem Umwelt-, Ver- braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- geladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- tionale Übereinkünfte und Normen, wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel, müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men, wie sie in den EU-Mitgliedsländern vorhanden sind, halten wir sie für nicht erforderlich. Hilde Mattheis (SPD): Die Fraktion der Linken hat einen Entschließungsantrag eingebracht, der wortgleich mit dem Beschluss des SPD-Parteikonvents vom Sams- tag, dem 20. September 2014, ist. Dieses Verfahren ist für den Deutschen Bundestag ungewöhnlich. Für mich ist der Beschluss des Konvents maßgeblich. Die SPD hat beschlossen, dass der Bundeswirtschafts- minister die Verhandlungen zu den Freihandelsabkom- men TTIP und CETA nur unter festgelegten Bedingun- gen weiterführen kann. Diese Bedingungen bilden somit die Grenzen für die zukünftigen Verhandlungen. Sie müssen zwingend alle erfüllt sein, wenn die SPD-Bundestagsfraktion den Frei- handelsabkommen TTIP und CETA zustimmen soll. Ziel dieser Abkommen muss es sein, Handel fair und nachhaltig zu gestalten sowie Maßstäbe und Standards global zu setzen bzw. zu erhöhen. Stellen wir fest, dass im Gegenteil die Gefahr droht, dass EU-weite Standards geschleift und die Demokratie ausgehöhlt oder abgebaut wird, müssen TTIP und CETA auf jeden Fall verhindert werden. Die von der SPD formulierten Bedingungen wie die Ablehnung von Investor-Staat-Schiedsverfahren, die verbindliche Ratifizierung und Umsetzung der ILO- Kernarbeitsnormen durch alle Verhandlungspartner, die Ablehnung von sogenannten Ratchet- und Standstill- Klauseln sowie die Bewahrung aller Rechte und Pflich- ten demokratisch gewählter Parlamente und Regierun- gen, die nicht durch einen „Regulierungsrat“ einge- schränkt werden dürfen, werden sicherstellen, dass die verhandelten Freihandelsabkommen dem von der SPD formulierten Ziel gerecht werden. Es ist erfreulich, dass die Fraktion Die Linke unsere Ansicht in diesem Punkt teilt. Dennoch ist es äußerst un- üblich, dass der Deutsche Bundestag wortgleich einen Beschluss der SPD als seine Position übernehmen soll. Dieses Verfahren dient offensichtlich dazu, eine Regie- rungsfraktion vorzuführen. Obwohl ich dieses Verfahren http://www.spd.de/presse/Pressemitteilun- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5061 (A) (C) (D)(B) nicht mit einer Zustimmung befördern will, erhoffe ich mir von den Oppositionsfraktionen, dass sie die SPD in ihrem Kurs, die Verhandlungen zu den Freihandelsab- kommen kritisch und konstruktiv zu begleiten, unterstüt- zen werden. Markus Paschke (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. Derzeit verhandelt die Europäische Union, EU, die Freihandelsabkommen TTIP mit den USA sowie CETA mit Kanada. Die Handelsgespräche zwischen den großen Wirtschaftsräumen USA und EU, die in ein Freihandels- abkommen münden, eröffnen die Chance, die bilateralen Handelsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltiger zu gestalten. Das Abkommen kann auch dazu beitragen, faire und nachhaltige Handelsregeln glo- bal voranzutreiben. Es geht darum, zusätzlichen Wohl- stand tatsächlich breiten Bevölkerungsschichten zukom- men zu lassen, wirtschaftliche, soziale und ökologische Standards zu verbessern sowie faire Wettbewerbs- und gute Arbeitsbedingungen zu schaffen. Allerdings: Die Verhandlungen müssen so geführt werden, dass Geheimhaltungsvorschriften und Intrans- parenz eine öffentliche Debatte nicht verhindern. Zudem darf das Abkommen weder Arbeitnehmerrechte noch Verbraucherschutz- sowie Sozial- und Umweltstandards gefährden. Auch die hohe Qualität der öffentlichen Da- seinsvorsorge in der EU muss gewahrt bleiben. Wichtig ist zudem, dass hinsichtlich der Einhaltung von arbeitsrechtlichen, sozialen und tarifvertraglichen Regelungen in der EU das Ziellandprinzip festgeschrie- ben und von Anfang an bei allen entsandten Beschäftig- ten angewandt wird, sofern es für diese günstiger ist. Vor allem die Erfahrungen aus der jüngsten Weltwirtschafts- krise zeigen, dass eine Regulierung der Finanzmärkte notwendig ist. Entscheidend wird auch sein, dass TIPP nicht nur der Wirtschaft, sondern allen Bürgerinnen und Bürgern nutzt – und hier spielen die Interessen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer natürlich eine zentrale Rolle. Die vom SPD-Parteikonvent beschlossenen Eckpunkte müssen deshalb die Grundlage für weitere Gespräche auf euro- päischer Ebene, im sogenannten Handelspolitischen Ausschuss, sein, wo Deutschland vom Bundesministe- rium für Wirtschaft und Energie vertreten ist. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die die Voraussetzung für eine Zustimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucher- schutzniveau. Internationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen ent- sprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Barrieren wie Zölle und andere Handelshemmnisse sollen fallen – Umwelt-, Arbeits- und Verbraucher- schutzstandards hingegen nicht. Da die SPD Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA genannt hat und der Beschluss des SPD-Konvents auch auf ein gemeinsames Papier mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund hinweist, lehne ich den Antrag der Fraktion Die Linke ab. Letztendlich: Die hohe Qualität der öffentlichen Da- seinsvorsorge in der EU muss weiterhin gewahrt blei- ben. Den nationalen, regionalen und lokalen Gebietskör- perschaften muss ein umfassender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und euro- päischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Mechthild Rawert (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Frei- handelsabkommen CETA und TTIP (http://www.spd.de/ presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_ parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingeladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. http://www.spd.de/presse/Pressemitteilun- 5062 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 (A) (C) (D)(B) Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel neben den Zöllen die nichttarifären Handelshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha- ben „rote Linien“, die Voraussetzung für eine Zustim- mung sind. Für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbrau- cherschutzniveau. Internationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text fin- den. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU unter anderem im Gesundheitssektor muss ge- wahrt werden. Den nationalen, regionalen und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfassender Gestal- tungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Ich lehne sie ab. Susann Rüthrich (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindest- anforderungen für die Verhandlungen für ein Freihan- delsabkommen mit den USA benannt. Diese „Mindest- anforderungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlungen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. September 2014. Ich fühle mich an die Beschlusslage meiner Partei ge- bunden. Dementsprechend bedarf es für mich keiner nochmaligen Aufforderung durch die Opposition. Ich erkläre, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/ 123752/20140920_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Fro- man sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Ber- lin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Ver- braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- geladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind. Für mich als Sozialdemokratin zählt dazu ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Inter- nationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Ich bekräftige die von meiner Partei und Fraktion ge- äußerte Kritik an Investor-Staat-Schiedsverfahren. Zwi- schen entwickelten Rechtssystemen halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Johann Saathoff (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_parteikon Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5063 (A) (C) (D)(B) derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Ein solch durchschaubares Vorgehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Es ist mir wichtig, zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anfor- derungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihan- delsabkommen CETA und TTIP uneingeschränkt unter- stütze und ihn mir zu eigen mache. Partei und Fraktion haben eine gemeinsame Auffas- sung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihan- delsabkommen. Unsere Erwartungen an die transatlanti- schen Freihandelsgespräche sind primär von den Chancen geprägt und nicht von Misstrauen und Angst. Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Bedingungen für das Abkommen sind: Für uns Sozialdemokraten steht ein hohes Arbeits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau im Vordergrund. Internationale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Michael Thews (SPD): Ich stimme mit meiner Frak- tion gegen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Ver- weis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Min- destanforderungen für die Verhandlungen für ein Frei- handelsabkommen mit den USA benannt. Diese „Min- destanforderungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlungen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. September 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/201409 20_beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Partei und Fraktion haben eine gemeinsame Auffas- sung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihan- delsabkommen. Unsere Erwartungen an die transatlanti- schen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schafträumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- menhalten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Ute Vogt (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion ge- gen den Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke, Drucksache 18/2612. In dem Antrag werden unter ausdrücklichem Verweis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Mindestan- forderungen für die Verhandlungen für ein Freihandels- abkommen mit den USA benannt. Diese „Mindestanfor- derungen“ in dem Antrag sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen an die Verhandlun- gen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. Sep- tember 2014. Es ist ein rein taktisches Manöver, dass Oppositions- fraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und http://www.spd.de/presse/Pressemitteilun- http://www.spd.de/presse/Pressemitteilun- 5064 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 (A) (C) (D)(B) auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzu- führen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschau- bares Vorgehen möchte ich nicht durch eine Zustim- mung zu dem Antrag fördern. Allerdings ist es mir wichtig zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Frei- handelsabkommen CETA und TTIP (http://www.spd.de/ presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_ parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD ist in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Freihandelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Dis- kussionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handels- kommissar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Froman sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Berlin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Verbraucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Gewerkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig eingeladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Be- schluss des Parteikonvents gefunden, der auf Basis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschaftsministe- riums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt, aber wir begleiten sie kritisch und konstruktiv. Wesentlich ist für mich: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zustimmung sind. Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regiona- len und lokalen Gebietskörperschaften muss ein umfas- sender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich überflüssig. Anlage 6 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Abstimmungen über die Entschließungsanträge der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/2612, 18/2611 – zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und politi- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- mens (Tagesordnungspunkt 4 a) Hiltrud Lotze (SPD): Ich stimme mit meiner Frak- tion gegen die Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke, Drucksachen 18/2612 und 18/2611. In den Anträgen werden unter ausdrücklichem Ver- weis auf das gemeinsame Papier des BMWi und des DGB sowie auf den Beschluss des SPD-Konvents Min- destanforderungen für die Verhandlungen für ein Frei- handelsabkommen mit den USA benannt. Diese „Min- destanforderungen“ in dem Antrag, Drucksache 18/2612, sind identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anfor- derungen an die Verhandlungen aus dem Beschluss des SPD-Konvents vom 20. September 2014. Es ist höchst unüblich, dass Oppositionsfraktionen solche wortgleichen Anträge einbringen und auf diese Art versuchen, eine Regierungsfraktion vorzuführen. Eine eigene inhaltliche Position entwickelt die Fraktion Die Linke gerade nicht. Ein solch durchschaubares Vor- gehen möchte ich nicht durch eine Zustimmung zu den Anträgen fördern. Allerdings ist es mir wichtig, zu erklären, dass ich den Beschluss des Parteikonvents vom 20. September 2014 zu Anforderungen der SPD an die Verhandlungen zu den Freihandelsabkommen CETA und TTIP (http:// www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920 _beschluss_parteikonvent_ttip.html) uneingeschränkt unterstütze und ihn mir zu eigen mache. Die SPD sieht sich in dieser Debatte gut gerüstet. Erst mit der Amtsübernahme von Sigmar Gabriel als Bundes- minister für Wirtschaft und Energie wurde zu den Frei- handelsabkommen ein zivilgesellschaftlicher Diskus- sionsprozess gestartet. So fand im Mai 2014 eine öffentliche Veranstaltung zu TTIP mit EU-Handelskom- http://www.spd.de/presse/Pressemitteilungen/123752/20140920_beschluss_parteikonvent_tt Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5065 (A) (C) (D)(B) missar De Gucht sowie US-Chefverhandler Mike Fro- man sowie Unternehmens- und NGO-Vertretern in Ber- lin statt. Sigmar Gabriel hat im Frühjahr 2014 zudem einen Beirat zu TTIP eingerichtet, zu dem Umwelt-, Ver- braucher- und Sozialverbände neben den Kirchen, Ge- werkschaften und Wirtschaftsvertretern regelmäßig ein- geladen werden. Diese Initiativen wie auch die Debatten innerhalb der SPD-Bundestagsfraktion haben Eingang in den Beschluss des Parteikonvents gefunden, der auf Ba- sis eines gemeinsamen Papiers des Bundeswirtschafts- ministeriums mit dem DGB gefasst wurde. Es wurde deutlich, dass Partei und Fraktion eine ge- meinsame Auffassung über die Ziele und Anforderungen zu den Freihandelsabkommen haben. Unsere Erwartun- gen an die transatlantischen Freihandelsgespräche sind nicht primär von Misstrauen und Angst geprägt. Sie lauten im Wesentlichen: Freihandelsabkommen zwischen derart großen Wirt- schaftsräumen wie den Vereinigten Staaten von Amerika und der EU eröffnen die Chance, die bilateralen Han- delsbeziehungen zu intensivieren und dabei fair und nachhaltig zu gestalten. Handelsabkommen haben vor- rangig das Ziel, neben den Zöllen die nichttarifären Han- delshemmnisse abzubauen. Dies kommt neben der Großindustrie vor allem dem Mittelstand zugute. Auf der anderen Seite gilt es, eine Reihe von Bedin- gungen zu formulieren, die Voraussetzung für eine Zu- stimmung sind: Für uns Sozialdemokraten zählen dazu ein hohes Ar- beits-, Umwelt- und Verbraucherschutzniveau. Interna- tionale Übereinkünfte und Normen wie vor allem ein den ILO-Kernarbeitsnormen entsprechendes Kapitel müssen Eingang in den Text finden. Die hohe Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge in der EU muss gewahrt werden. Den nationalen, regionalen und lokalen Gebietskör- perschaften muss ein umfassender Gestaltungsspielraum garantiert werden. Die bewährten deutschen und europäischen Standards dürfen in einem Abkommen nicht abgesenkt werden. Wir bekräftigen unsere Kritik an Investor-Staat- Schiedsverfahren. Zwischen entwickelten Rechtssyste- men halten wir sie für grundsätzlich entbehrlich. Dr. Nina Scheer (SPD): Es bedarf einer umgehen- den öffentlich nachvollziehbaren Klarstellung des Ver- handlungsergebnisses bei CETA sowie aktueller Ver- handlungsgegenstände bei TTIP für eine konstruktive Auseinandersetzung mit den betreffenden Inhalten. Es ist weder für die Sache noch für die demokratische Kul- tur der EU förderlich, dass seit Monaten nur auf Grund- lage von Spekulationen und durchgesickerten Dokumen- ten über mögliche Vereinbarungen diskutiert wird. Demokratie lebt von Öffentlichkeit und Transparenz. Geheimhaltungen über Abkommen, die möglicherweise weitreichende Eingriffe in mitgliedstaatlich gewachsene Rahmenbedingungen für unsere Wirtschaft und etwa im Umgang mit Umweltschutz- und Gesundheitsstandards bedeuten, entsprechen nicht dem rechtsstaatlichen Ver- ständnis der Bürgerinnen und Bürger, sondern schüren Rechtspopulismus sowie Europafeindlichkeit. Am Beispiel Deutschlands ist zu erkennen, dass Ver- trauensschutz und damit auch Investitionsschutz im be- stehenden Rechtssystem bereits verankert ist und sich hier stets fortentwickelt. Gesonderte Investitionsschutz- abkommen als Bestandteil von Freihandelsabkommen werden dieser Rechtskultur nicht gerecht. Die Einrich- tung von Schiedsgerichten untergräbt darüber hinaus die ordentlichen Gerichtsbarkeiten der Mitgliedstaaten bzw. Vertragspartner. Vertragliche Schiedsgerichtsbarkeiten oder Investi- tionsschutz, wonach „das demokratische Recht, Rege- lungen zum Schutz von Gemeinwohlzeilen zu schaffen, gefährdet, ausgehebelt oder umgangen wird oder (dass) ein Marktzugang, der solchen Regeln widerspricht, ein- klagbar wird“ (SPD-Parteikonvent-Beschluss vom 22. September 2014), müssen ausgeschlossen werden. Freihandelsabkommen darf kein faktischer Vorrang gegenüber gesetzlichen Grenzen für Markt und Handel eingeräumt werden. Die betreffenden Vertragsverhandlungsergebnisse – CETA – lassen noch keine abschließende Aussage zu, ob letztlich ein Investitionsschutz enthalten sein wird. Insofern ist es wichtig und zu begrüßen, dass sich Bun- deswirtschaftsminister Sigmar Gabriel für eine Strei- chung von Investitionsschutzvorgaben im Rahmen von CETA einsetzt. Parallel gilt es, die Vertragsentwurfsin- halte – auch mit Blick auf die laufenden Verhandlungen zu TTIP – daraufhin zu überprüfen, welche Aussagen darin mit welchen Auswirkungen investitionsschützende Wirkungen entfalten können. Hierfür bedarf es einer ein- gehenden Prüfung und verbindlichen Übersetzung des Vertragsentwurfes. Eine pauschale Zurückweisung des CETA-Verhand- lungsergebnisses wie im Antrag der Linken – Drucksa- che 18/2611 – gefordert, wird dem gegebenen Aufklä- rungsinteresse nicht gerecht. In dem Antrag auf Drucksache 18/2612 erklärt die Fraktion Die Linke Mindestanforderungen für die Ver- handlungen um Freihandelsabkommen, die identisch bzw. wortgleich mit den Zielen und Anforderungen aus dem Beschluss des SPD-Parteikonvents vom 20. Sep- tember 2014 sind. Konventbeschlüsse einer koalitions- bildenden Partei sind nicht darauf angelegt Gegenstand von Beschlüssen einer Regierungskoalition zu werden. Insofern wird mit dem Antrag der Fraktion Die Linke of- fensichtlich eine vermeintliche Kontroverse zwischen der SPD und der SPD-Bundestagsfraktion gesucht und verfolgt. Eine solche lässt sich aber mit der klaren Posi- tionierung unserer Fraktion im Rahmen der Aussprache und auch des Bundeswirtschaftsministers Sigmar Gabriel nicht herleiten. Aus diesen Gründen verneine ich die betreffenden Anträge – Drucksachen 18/2611 und 18/2612. 5066 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 (A) (C) (D)(B) Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Uta Finckh-Krämer, Ralf Kapschack, Ulrich Hampel, Dr. Bärbel Kofler, Bettina Müller, Christian Petry, Sönke Rix, Dr. Dorothee Schlegel, Swen Schulz (Spandau), Frank Schwabe, Stefan Schwartze, Dr. Carsten Sieling, Martina Stamm-Fibich zu der nament- lichen Abstimmung über den Entschließungs- antrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage des Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE. – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und politi- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- mens (Tagesordnungspunkt 4 a), zu der namentlichen Abstimmung über den An- trag der Abgeordneten Katharina Dröge, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) Es ist das gute Recht der Opposition, Anträge zu stel- len, um die Regierungskoalition unter Zugzwang zu set- zen. Zudem gibt es auch die Möglichkeit, Passagen aus Wahlprogrammen anderer Parteien zu entnehmen und zur Abstimmung zu stellen, um einer Regierungsfraktion dann Unglaubwürdigkeit zu unterstellen. Der vorlie- gende Entschließungsantrag der Linken scheint dieses zu beabsichtigen. Alle Fraktionen im Deutschen Bundestag sind bereits einmal in Regierungsverantwortung gewe- sen und wissen sehr genau, dass in einer Koalition zu- nächst versucht wird, gemeinsame Lösungen und Kom- promisse zu entwickeln. Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen nehmen wir für uns das Recht eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 Absatz 1 des Grundgesetzes in Anspruch. Beschlüsse über Freihan- delsabkommen CETA und TTIP könnten entsprechende Abstimmungen sein. Heute wird nicht über die Abkom- men abgestimmt. Es liegen lediglich Anträge anderer Fraktionen vor, die zudem offenbar nicht inhaltlich moti- viert sind und nur das Ziel haben, eine Regierungspartei vorzuführen. Ein solches Vorgehen möchten wir nicht unterstützen. Deshalb erklären wir angesichts der heuti- gen Abstimmungen: Erstens. Zunächst begrüßen wir, dass Bundeswirt- schaftsminister Gabriel unter anderem mit der Schaffung eines Beirates Transparenz und Beteiligungsmöglichkei- ten der Zivilgesellschaft in diesen komplexen Fragen er- möglicht haben. Die großen Herausforderungen der Zu- kunft werden nur mit internationalen Vereinbarungen gelöst werden können. Eine pauschale Ablehnung inter- nationaler Abkommen wäre hier nicht zielführend. Auf der anderen Seite dürfen entsprechende Abkommen nicht dazu genutzt werden, demokratische Grundprinzi- pien außer Kraft zu setzen. Zweitens. Wir vertreten die Auffassung, dass der Deutsche Bundestag über die Freihandelsabkommen CETA und TTIP abstimmen muss. Aktuell liegt noch kein Abkommen vor, über das der Deutsche Bundestag abstimmen könnte. Drittens. Bundeswirtschaftsminister Gabriel und der DGB haben ein Positionspapier zum Freihandelsabkom- men TTIP veröffentlicht. Der SPD-Parteikonvent hat dieses Positionspapier am vergangenen Samstag eben- falls beschlossen und gleichzeitig die darin enthaltenen Aussagen und aufgezeigten roten Linien auf das Abkom- men mit Kanada, CETA, bezogen (www.spd.de/linkab- leblob/123760/data/2Q140920_parteikonvent_beschluss _ttip.pdf). Die darin getroffenen Aussagen teilen wir vollständig. Viertens. Ein zentraler Punkt ist für uns die klare Ab- lehnung von Schiedsgerichten, die Unternehmen zum Beispiel Klagemöglichkeiten gegen Staaten im Zusam- menhang mit Investitionsschutz und vielem mehr er- möglichen. Wir sehen in diesen Konstruktionen Versu- che, demokratische Strukturen zu unterlaufen. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Daniela Kolbe und Dr. Matthias Miersch (beide SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und politi- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- mens (Tagesordnungspunkt 4 a), zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) Es ist das gute Recht der Opposition, Anträge zu stellen, um die Regierungskoalition unter Zugzwang zu setzen. Zudem gibt es auch die Möglichkeit, Passagen http://www.spd.de/linkableblob/123760/data/2Q140920 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5067 (A) (C) (D)(B) aus Wahlprogrammen anderer Parteien zu entnehmen und zur Abstimmung zu stellen, um einer Regierungs- fraktion dann Unglaubwürdigkeit zu unterstellen. Der vorliegende Entschließungsantrag der Linken scheint dieses zu beabsichtigen. Alle Fraktionen im Deutschen Bundestag sind bereits einmal in Regierungsverantwor- tung gewesen und wissen sehr genau, dass zunächst in einer Koalition versucht wird, gemeinsame Lösungen und Kompromisse zu entwickeln. Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen nehmen wir für uns das Recht eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 Absatz 1 des Grundgesetzes in Anspruch. Beschlüsse über die Han- delsabkommen CETA und TTIP könnten entsprechende Abstimmungen sein. Heute wird nicht über die Abkom- men abgestimmt. Es liegen lediglich Anträge anderer Fraktionen vor, die zudem offenbar nicht inhaltlich moti- viert sind und nur das Ziel haben, eine Regierungspartei vorzuführen. Ein solches Vorgehen möchten wir gar nicht unterstützen. Deshalb erklären wir angesichts der heutigen Abstimmungen: Erstens: Zunächst begrüßen wir, dass Bundeswirt- schaftsminister Gabriel unter anderem mit der Schaffung eines Beirates Transparenz und Beteiligungsmöglich- keiten der Zivilgesellschaft in diesen komplexen Fragen ermöglicht hat. Die großen Herausforderungen der Zu- kunft werden nur mit internationalen Vereinbarungen ge- löst werden können. Eine pauschale Ablehnung interna- tionaler Abkommen wäre hier nicht zielführend. Auf der anderen Seite dürfen entsprechende Abkommen nicht dazu genutzt werden, demokratische Grundprinzipien außer Kraft zu setzen. Zweitens: Wir vertreten die Auffassung, dass der Deutsche Bundestag über die Handelsabkommen CETA und TTIP abstimmen muss. Aktuell liegt noch kein Ab- kommen vor, über das der Deutsche Bundestag abstim- men könnte. Drittens: Bundeswirtschaftsminister Gabriel und der DGB haben ein Positionspapier zum Handelsabkommen TTIP veröffentlicht. Der SPD-Parteikonvent hat dieses Positionspapier am vergangenen Samstag ebenfalls beschlossen und gleichzeitig die darin enthaltenen Aussa- gen und aufgezeigten roten Linien auf das Abkommen mit Kanada, CETA, bezogen (www.spd.de/linkablebiob/ 123760/data/2014092Q parteikonvent_beschluss_ttip.pdf). Die darin getroffenen Aussagen teilen wir vollständig. Viertens: Ein zentraler Punkt ist für uns die klare Ab- lehnung von Schiedsgerichten, die Unternehmen zum Beispiel Klagemöglichkeiten gegen Staaten im Zusam- menhang mit Investitionsschutz und vieles mehr ermög- lichen. Wir sehen in diesen Konstruktionen Versuche, demokratische Strukturen zu unterlaufen. Anlage 9 Erklärungen nach § 31 GO zu der namentlichen Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksache 18/2612 – zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und politi- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- mens (Tagesordnungspunkt 4 a), zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) Ulrich Kelber (SPD): Es ist das gute Recht der Op- position, Anträge zu stellen, um die Regierungskoalition unter Zugzwang zu setzen. Zudem gibt es auch die Möglichkeit, Passagen aus Wahlprogrammen anderer Parteien zu entnehmen und zur Abstimmung zu stellen, um einer Regierungsfraktion dann Unglaubwürdigkeit zu unterstellen. Der vorliegende Entschließungsantrag der Linken scheint dieses zu beabsichtigen. Alle Fraktio- nen im Deutschen Bundestag sind bereits einmal in Re- gierungsverantwortung gewesen und wissen sehr genau, dass in einer Koalition zunächst versucht wird, gemein- same Lösungen und Kompromisse zu entwickeln. Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen nehme ich für mich das Recht eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 Absatz 1 des Grundgesetzes in Anspruch. Beschlüsse über die Frei- handelsabkommen CETA und TTIP könnten entspre- chende Abstimmungen sein. Heute wird nicht über die Abkommen abgestimmt. Es liegen lediglich Anträge an- derer Fraktionen vor, die zudem offenbar nicht inhaltlich motiviert sind und nur das Ziel haben, eine Regierungs- partei vorzuführen. Ein solches Vorgehen möchte ich nicht unterstützen. Deshalb erkläre ich angesichts der heutigen Abstimmungen: Erstens: Zunächst begrüße ich, dass Bundeswirt- schaftsminister Gabriel unter anderem mit der Schaffung eines Beirates Transparenz und Beteiligungsmöglich- keiten der Zivilgesellschaft in diesen komplexen Fragen ermöglicht hat. Die großen Herausforderungen der Zu- kunft werden nur mit internationalen Vereinbarungen ge- löst werden können. Eine pauschale Ablehnung interna- tionaler Abkommen wäre hier nicht zielführend. Auf der anderen Seite dürfen entsprechende Abkommen nicht dazu genutzt werden, demokratische Grundprinzipien außer Kraft zu setzen. Zweitens: Ich vertrete die Auffassung, dass der Deut- sche Bundestag über die Freihandelsabkommen CETA und TTIP abstimmen muss. Aktuell liegt noch kein Ab- http://www.spd.de/linkablebiob/123760/data/2014092Q 5068 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 (A) (C) (D)(B) kommen vor, über das der Deutsche Bundestag abstim- men könnte. Drittens: Bundeswirtschaftsminister Gabriel und der DGB haben ein Positionspapier zum Freihandelsabkom- men TTIP veröffentlicht. Der SPD-Parteikonvent hat dieses Positionspapier am vergangenen Samstag ebenfalls beschlossen und gleichzeitig die darin enthalte- nen Aussagen und aufgezeigten roten Linien auf das Abkommen mit Kanada, CETA, bezogen (www.spd.de/ linkableblob/123760/data/20140920_parteikonvent_be schluss_ttip.pdf). Die darin getroffenen Aussagen teile ich vollständig. Der Antrag der Linken zitiert zwar einzelne Sätze des Positionspapiers, es fehlen aber we- sentliche Teile, weil die Linke diese Freihandelsabkom- men grundsätzlich ablehnt. Viertens: Ein zentraler Punkt ist für mich die klare Ablehnung von Schiedsgerichten, die Unternehmen zum Beispiel Klagemöglichkeiten gegen Staaten im Zusam- menhang mit Investitionsschutz und vielem mehr er- möglichen. Ich sehe in diesen Konstruktionen Versuche, demokratische Strukturen zu unterlaufen. Gerold Reichenbach (SPD): Es ist das gute Recht der Opposition, Anträge zu stellen, um die Regierungs- koalition unter Zugzwang zu setzen. Zudem gibt es auch die Möglichkeit, Passagen aus Wahlprogrammen anderer Parteien zu entnehmen und zur Abstimmung zu stellen, um einer Fraktion dann Unglaubwürdigkeit zu unterstel- len. Das ist die offensichtliche Motivation des Entschlie- ßungsantrags der Linken. Ihr geht es dabei ganz offen- kundig nicht um die Sache, zumal sie selbst die putative Ablehnung des Abkommens ohne Ansehung der endgül- tigen Inhalte fordert und auch jedem Versuch, die Inhalte im Rahmen weiterer Verhandlungen positiv zu gestalten, eine Absage erteilt. Alle Fraktionen im Deutschen Bundestag sind zumin- dest in einem Bundesland bereits einmal in Regierungs- verantwortung gewesen und wissen sehr genau, dass in einer Koalition zunächst versucht wird, gemeinsame Lö- sungen und Kompromisse zu entwickeln. Bei Abstimmungen mit erheblicher Reichweite oder auch bei Gewissensfragen nehme ich für mich das Recht eines jeden Abgeordneten nach Artikel 38 Absatz 1 des Grundgesetzes in Anspruch. Beschlüsse über die Freihandelsabkommen CETA und TTIP könnten entsprechende Abstimmungen sein. Heute wird jedoch nicht über die Abkommen abge- stimmt. Es liegen lediglich Anträge anderer Fraktionen vor, die lediglich das Ziel haben, eine Scheinentschei- dung propagandistisch auszunutzen. Unabhängig von meiner kritischen Einstellung gegenüber den Abkom- men werde ich ein solches Vorgehen nicht unterstützen. Eine pauschale bedingungslose Ablehnung internationa- ler Abkommen ohne Ansehung der Verhandlungsmög- lichkeit und des endgültigen Inhaltes ist nicht zielfüh- rend. Sie ist vielmehr Ausdruck politischer Gestaltungsunfähigkeit. Ich will die Verhandlungen kritisch begleiten und Einfluss nehmen. Darum begrüße ich, dass Bundeswirt- schaftsminister Gabriel und andere mit der Schaffung ei- nes Beirates Transparenz und Beteiligungsmöglichkei- ten der Zivilgesellschaft in diesen komplexen Fragen ermöglicht haben. Die großen Herausforderungen der Zukunft werden nur mit internationalen Vereinbarungen gelöst werden können. Auf der anderen Seite dürfen ent- sprechende Abkommen nicht dazu genutzt werden, de- mokratische Grundprinzipien außer Kraft zu setzen. Ich vertrete die Auffassung, dass der Deutsche Bun- destag über die Freihandelsabkommen CETA und TTIP abstimmen muss. Aktuell liegt noch kein Abkommen vor, über das der Deutsche Bundestag abstimmen könnte. Die Anforderungen, die ich für mich an eine Zustim- mung zu den Abkommen stelle, sind von Bundeswirt- schaftsminister Gabriel und dem DGB in einem Posi- tionspapier zum Freihandelsabkommen TTIP veröffentlicht. Der SPD-Parteikonvent hat dieses Posi- tionspapier am vergangenen Samstag ebenfalls beschlos- sen und gleichzeitig die darin enthaltenen Aussagen und aufgezeigten roten Linien auf das Abkommen mit Kanada, CETA, bezogen (www.spd.de/linkableblob/ 123760/data/20140920_parteikonvent_beschluss_ttip.pdf). Die darin getroffenen Aussagen teile ich vollständig. Meine Ablehnung der Anträge der Linken ist deshalb weder eine grundsätzliche Zustimmung zu den Abkom- men noch ein Verzicht auf die im Beschluss des Partei- konvents der SPD beschriebenen Bedingungen als Vo- raussetzung für eine Zustimmung. Anlage 10 Erklärungen nach § 31 GO zu den namentlichen Abstimmungen über die Entschließungsanträge der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/2612, 18/2611 – zu der Beratung der Antwort der Bundesregie- rung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Klaus Ernst, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE – Drucksachen 18/432, 18/2100 – Soziale, ökologische, ökonomische und politi- sche Effekte des EU-USA-Freihandelsabkom- mens (Tagesordnungspunkt 4 a), zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) http://www.spd.de/linkableblob/123760/data/20140920 http://www.spd.de/linkableblob/123760/data/20140920_parteikonvent_beschluss_ttip.pdf http://www.spd.de/linkableblob/123760/data/20140920_parteikonvent_beschluss_ttip.pdf Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 5069 (A) (C) (D)(B) Kirsten Lühmann (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen die Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke, Drucksachen 18/2612 und 18/2611, sowie dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, Drucksache 18/1458. Die Partei Die Linke bringt in der heutigen Abstim- mung einen Antrag ein, der identisch mit einem Be- schluss des SPD-Parteikonventes vom vergangenen Samstag ist. Mit diesem Parteikonventsbeschluss haben wir den SPD-Vorsitzenden und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel beauftragt, in die gemeinsamen Ver- handlungen mit unserem Koalitionspartner der CDU/ CSU Fraktion zu gehen, um die Position der SPD zu TTIP zu der Position der gesamten Bundesregierung zu machen. Mit der Zustimmung zu den Anträgen der Linksfraktion nähme ich Sigmar Gabriel die Chance, ei- nen Konsens in der Großen Koalition herzustellen, und riskierte, dass die Position der SPD nicht als Position Deutschlands in der Europäischen Union durchgesetzt werden kann. Für den Antrag der Grünen, der bei anderem Wortlaut einen ähnlichen Inhalt hat, gilt dasselbe. Ich stehe voll hinter dem Beschluss des SPD-Partei- konvents und werde mich in meiner parlamentarischen Arbeit für seine Umsetzung einsetzen. Ulli Nissen (SPD): Ich stimme mit meiner Fraktion gegen die Anträgeder Linken und gegen den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen. Der Parteikonvent der SPD hat am 20. September 2014 die Erwartungen an die transatlantischen Freihan- delsgespräche klar formuliert. Eine intensive Diskussion über die TTIP-Verhandlungen sowie auch über das ge- plante Freihandelsabkommen mit Kanada – CETA – ist in der Öffentlichkeit von zentraler Bedeutung. Zur Vor- bereitung politischer Entscheidungen muss die Möglich- keit zur Diskussion, Meinungsbildung und Mitsprache bestehen. In dem Diskussionsprozess muss es Raum dafür ge- ben, die Chancen der Freihandelsabkommen TTIP und CETA genauso zu thematisieren wie kritische Aspekte und Befürchtungen, die sich mit TTIP und CETA ver- binden. Wirtschaft und Handel müssen sich demokratischen Spielregeln unterwerfen. Wenn es mit TTIP und CETA gelingt, bessere Regeln für den transatlantischen Handel und die globale Wirtschaft zu entwickeln, wäre dies ein enormer Fortschritt in der politischen und demokrati- schen Gestaltung der wirtschaftlichen Globalisierung. Fest steht allerdings auch: Ein Freihandelsabkommen darf nicht dazu führen, dass europäische Standards etwa im Arbeits- und Umweltrecht, beim Daten- oder Ver- braucherschutz infrage gestellt werden oder Investoren vor internationalen Schiedsstellen rechtsstaatliche Stan- dards und demokratische politische Regelungen zum Schutz von Gemeinwohlzielen aushebeln können. Ich bin der Auffassung, dass es sich bei den beiden Freihandelsabkommen CETA und TTIP um gemischte Abkommen handelt. Diese müssen nicht nur vom Euro- päischen Parlament, sondern auch von den jeweiligen nationalen Parlamenten ratifiziert werden. Werden die Freihandelsabkommen den nationalen Parlamenten und damit auch dem Deutschen Bundestag vorgelegt, werde ich diese sehr genau prüfen. Eine Zustimmung werde ich davon abhängig machen, ob die europäischen Standards gewährleistet bleiben. Anlage 11 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) Die Aussage des betreffenden Antrags von Bündnis 90/ Die Grünen, wonach die Bundesregierung aufgefordert wird, sich „unverzüglich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass in TTIP kein Mechanismus zu außergerichtlichen Schiedsverfahren zwischen Investo- ren und Staaten aufgenommen wird, beziehungsweise ein Abkommen, das einen solche Streitbeilegungsme- chanismus vorsieht, abzulehnen“, sowie „sich unverzüg- lich im Rat der Europäischen Union dafür einzusetzen, dass in CETA kein Mechanismus zu außergerichtlichen Schiedsverfahren zwischen Investoren und Staaten auf- genommen wird, beziehungsweise ein Abkommen, das einen solchen Streitbeilegungsmechanismus vorsieht, abzulehnen“, teile ich inhaltlich. Der für Freihandelsabkommen federführend zustän- dige Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel hat be- reits darauf hingewiesen, dass er sich für die Heraus- nahme von Investitionsschutzvorgaben aus CETA einsetzen wird bzw. dass diese nicht in TTIP aufgenom- men werden. Diese Haltung hat er in seiner heutigen Rede, auch unter Bezugnahme auf den SPD-Parteikon- ventsbeschluss vom 20. September 2014, nochmals be- tont. Insofern bedarf es keiner Aufforderung der Bundes- regierung vonseiten des Deutschen Bundestages, sich hierfür im Rat der EU einzusetzen. Freihandelsabkommen, die Investitionsschutzvorga- ben, Schiedsgerichtsbarkeiten oder andere Elemente ent- halten, die geeignet sind, demokratische Strukturen bzw. Gestaltungshoheiten zu unterwandern, kann und werde ich im Zuge der Ratifizierung nicht zustimmen. Ich halte es für unerlässlich, dass die betreffenden Abkommen ei- nem solchen Ratifizierungsprozess durch die mitglied- staatlichen Parlamente unterzogen werden und zuvor umfassend eine Offenlegung der Vertragstexte mit ver- bindlichen Übersetzungen erfolgt. Eine Entscheidung über CETA bzw. TTIP durch den Deutschen Bundestag steht mit dem betreffenden Antrag 5070 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 54. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 25. September 2014 (A) (C) (B) nicht an, womit ich der Beschlussempfehlung zur Ableh- nung desselben folge. Anlage 12 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Claudia Tausend (SPD) zu der namentlichen Abstimmung über den Antrag der Abgeordneten Katharina Dröge, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Konzerne – Drucksachen 18/1458, 18/2646 – (Zusatztagesordnungspunkt 3) Ich habe versehentlich mit Nein gestimmt. Mein Votum lautet Ja. (D) 54. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3 Europäische Bankenunion TOP 4, ZP 2 u. 3 Freihandelsabkommen der EU mit USA und Kanada TOP 5, ZP 4 Änderung des Strafgesetzbuches- Sexualstrafrecht TOP 26 Abschließende Beratungen ohne Aussprache TOP 7 Tierschutz TOP 8 Änderung des Urheberrechtsgesetzes ZP 7 Rezeptpflicht der „Pille danach“ TOP 10 Jahresbericht 2013 des Wehrbeauftragten TOP 11 Steuergestaltung multinationaler Unternehmen TOP 12 VN-Übereinkommen gegen Korruption TOP 13 Abbau bei Nacht- und Autoreisezugverkehr TOP 14 Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens ZP 8 Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung TOP 16 Grundbuchamtsreform in Baden-Württemberg TOP 17 Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes TOP 18 Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005 Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805400000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich.

Bevor wir in unsere heutige Tagesordnung eintreten,
möchte ich dem Bundesminister der Finanzen,
Dr. Wolfgang Schäuble, herzlich zu seinem 72. Ge-
burtstag gratulieren.


(Beifall)


Aus diesem Anlass hätten ein paar mehr Kollegen da
sein können; aber sie konnten ja nicht damit rechnen,
weil wir es nicht ausdrücklich auf die Tagesordnung ge-
schrieben hatten.

Ich will auch dem Kollegen Wilfried Lorenz, der
ebenfalls seinen 72. Geburtstag begangen hat, im Namen
des Hauses herzlich gratulieren.


(Beifall)


Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-
nung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Zu-
satzpunkte zu erweitern:

ZP 1 Vereinbarte Debatte

Deutschlands Beitrag zur Eindämmung der
Ebolaepidemie

(siehe 53. Sitzung)


ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katharina
Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Keine Klageprivilegien für Konzerne –
CETA-Vertragsentwurf ablehnen

Drucksache 18/2620
Überweisung/Beschlussfassung

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Ab-
geordneten Katharina Dröge, Katja Keul, Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für
Konzerne

Drucksachen 18/1458, 18/2646

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Tabea
Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kinder schützen – Prävention stärken

Drucksache 18/2619
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

ZP 5 Weitere Überweisungen im vereinfachten
Verfahren

(Ergänzung zu TOP 25)


a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Matthias
W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina Wawzyniak,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Wiedereingliederung fördern – Gefangene in
die Renten-, Kranken- und Pflegeversiche-
rung einbeziehen

Drucksache 18/2606
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Cem Özdemir, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völkermord
an den Rohingya verhindern

Drucksache 18/2615





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechtsförderung stärken – Gesetzli-
che Grundlage für Deutsches Institut für
Menschenrechte schaffen

Drucksache 18/2618
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
DIE LINKE:

Humanitäre Katastrophe an der türkisch-
syrischen Grenze – Nach dem militärischen
Aufmarsch des IS

ZP 7 Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Kathrin Vogler, Sabine Zimmermann

(Zwickau), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion DIE LINKE

Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht ent-
lassen

Drucksache 18/2630
Überweisung/Beschlussfassung

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Valerie Wilms, Stephan Kühn (Dresden),
Sven-Christian Kindler, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwal-
tung konsequent fortsetzen

Drucksache 18/1341
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Dabei soll von der Frist für den Beginn der Beratun-
gen, soweit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 9 und 15 werden abgesetzt.
Anstelle des abgesetzten Tagesordnungspunktes 9 soll
der Antrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache
18/2630 mit dem Titel „Pille danach jetzt aus der Re-
zeptpflicht entlassen“ und anstelle des Tagesordnungs-
punktes 15 der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen auf Drucksache 18/1341 mit dem Titel „Reform der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung konsequent fortset-
zen“ aufgerufen werden. Sind Sie mit diesen Verände-
rungen in der Tagesordnung einverstanden? – Das ist of-
fensichtlich der Fall. Dann können wir so verfahren.
Wir kommen damit zu unseren Tagesordnungspunk-
ten 3 a bis 3 d:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Umset-
zung der Richtlinie 2014/59/EU des Europäi-
schen Parlaments und des Rates vom 15. Mai
2014 zur Festlegung eines Rahmens für die
Sanierung und Abwicklung von Kreditinstitu-
ten und Wertpapierfirmen und zur Änderung
der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der
Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/
EG, 2005/56/EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU,
2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Ver-
ordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU)
Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments
und des Rates (BRRD-Umsetzungsgesetz)

Drucksachen 18/2575, 18/2626
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsauschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu dem
Übereinkommen vom 21. Mai 2014 über die
Übertragung von Beiträgen auf den einheitli-
chen Abwicklungsfonds und über die gemein-
same Nutzung dieser Beiträge
Drucksachen 18/2576, 18/2627
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsauschuss

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung des ESM-Finanzierungsgesetzes
Drucksachen 18/2577, 18/2629
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsauschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

d) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Ände-
rung der Finanzhilfeinstrumente nach Artikel
19 des Vertrags vom 2. Februar 2012 zur Ein-
richtung des Europäischen Stabilitätsmecha-
nismus
Drucksachen 18/2580, 18/2628
Überweisungsvorschlag:
Haushaltsauschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 96 Minuten vorgesehen. – Auch dazu
stelle ich Einvernehmen fest. Dann können wir so ver-
fahren.





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Bundesfinanzminister.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dr. Wolfgang Schäuble, Bundesminister der Finan-
zen:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit
den vorliegenden vier Gesetzentwürfen schaffen wir
wichtige Bausteine zum Aufbau der europäischen Ban-
kenunion. Mit dieser Bankenunion ziehen wir die Lehre
aus der Finanz- und Bankenkrise; denn die Finanz- und
Bankenkrise hat uns mit ihrer unglaublichen Dynamik ja
gezeigt, dass die Banken heute – jedenfalls alle großen,
die global bzw. grenzüberschreitend tätig sind – mit ei-
ner nationalen Aufsicht nicht mehr hinreichend zu be-
aufsichtigen sind. Wir brauchen eine grenzüberschrei-
tende Bankenaufsicht. Deswegen ist es richtig, dass wir
mit der europäischen Bankenunion eine europäische
Bankenaufsicht für die großen, systemrelevanten Ban-
ken schaffen.

Der zweite Grund für diese Bankenunion ist, dass es
notwendig ist, das Risiko auf dem Gebiet des Finanzsek-
tors von der Reduzierung der Staatsverschuldung zu
trennen. Diese Verbindung hat sich ja in den zurücklie-
genden Jahren der Euro-Krise als ein besonders er-
schwerendes Element bei der Überwindung der Krise
und der Rückgewinnung des Vertrauens in unsere euro-
päische Währung erwiesen.

Für diese Bankenunion konnten wir bei den gegebe-
nen europäischen Verträgen die Aufsicht nur bei der Eu-
ropäischen Zentralbank schaffen. Anderenfalls hätten
wir eine neue europäische Institution schaffen müssen.
Dafür braucht man eine Vertragsänderung; dafür braucht
man einstimmige Entscheidungen. Das war nicht mög-
lich. Deswegen ist die Rechtsgrundlage nach dem Ver-
trag über die Arbeitsweise der Europäischen Union
Artikel 127 Absatz 6, wonach durch einstimmigen Be-
schluss im Zusammenhang mit der Bankenaufsicht Auf-
gaben auf die EZB übertragen werden können.

Ich erwähne das deswegen, weil es nicht ganz unpro-
blematisch ist, geldpolitische Verantwortung und Ban-
kenaufsicht in ein und derselben Institution anzusiedeln.
Es ist ganz wichtig, dass beim Aufbau der Bankenauf-
sicht innerhalb oder bei der EZB die Trennung zwischen
beiden Verantwortungsbereichen so strikt wie möglich
durchgeführt wird, um jeden Interessenkonflikt zu ver-
meiden, ja, um auch den Anschein von möglichen Inte-
ressenkonflikten zu vermeiden. Ich füge die Bemerkung
hinzu: Auch vor diesem Hintergrund bin ich über die
derzeit von der EZB begonnene Debatte über den etwai-
gen Ankauf von Verbriefungsprodukten nicht besonders
glücklich; genau dies könnte diese Diskussion bestärken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich finde, man sollte das vorsichtig bedenken.

In der europäischen Bankenaufsicht, mit deren Vorbe-
reitung die EZB beschäftigt ist – am 4. November 2014
soll diese Bankenaufsicht ihre Arbeit aufnehmen –, wer-
den etwa 120 europäische Banken und Bankengruppen
– die systemrelevanten; von jedem Mitgliedsland min-
destens eine – der europäischen Bankenaufsicht unter-
stellt. Sie umfassen etwa 85 Prozent der gesamten
Bilanzsumme aller europäischen Finanzinstitute, sodass
der Großteil der europäischen Banken der europäischen
Bankenaufsicht untersteht. Es sind auch rund 20 Banken
und Bankengruppen aus Deutschland dabei.

Die kleineren Institute – das sind in insgesamt gegen-
wärtig mehrere Tausend; davon stammt ein großer Teil
aus Deutschland – unterliegen weiterhin der nationalen
Aufsicht. Auch das ist wichtig zu betonen. Die grenz-
überschreitenden, systemrelevanten Institute werden der
europäischen Bankenaufsicht unterstellt. Wie gesagt, die
kleineren Institute unterstehen weiterhin der nationalen
Aufsicht. Im Übrigen führt die Übertragung der nationa-
len Aufsichtsaufgaben auf die Europäische Zentralbank
auch zu neuen Berichtspflichten der EZB gegenüber Rat,
Europäischem Parlament und auch nationalen Parlamen-
ten, soweit es die jeweiligen Banken anbetrifft. Auch das
ist wichtig.

Die Europäische Zentralbank führt derzeit die not-
wendigen Vorbereitungen durch mit der Prüfung der Bi-
lanzen aller zu übernehmenden Banken und mit den ent-
sprechenden Stresstests, die sicherstellen sollen, dass die
Banken, die von der europäischen Bankenaufsicht über-
nommen werden, genügend Kapital haben. Wir haben
die Antragsfrist für den Soffin bis zum 31. Dezember
kommenden Jahres verlängert, damit wir, wenn deutsche
Banken im Zusammenhang mit dem Stresstest Probleme
haben sollten – derzeit zeichnet sich das nicht ab –, not-
falls in der Lage wären, die entsprechenden Mittel, um
handeln zu können, zur Verfügung zu haben.

Das Entscheidende beim BRRD-Umsetzungsgesetz,
also bei der Umsetzung der europäischen Richtlinie, die
die Abwicklung und die Sanierung von Kreditinstituten
in Europa vorsieht – das ist übrigens eine Richtlinie, die
in ganz Europa gilt, weil sie eine Frage des gemeinsa-
men Binnenmarkts, also des europäischen Rechts ist –,
ist, dass in Zukunft im Sanierungs- oder Abwicklungs-
fall mindestens 8 Prozent von Eigentümern und Gläubi-
gern getragen werden müssen. Das ist die in der EU-Re-
strukturierungsrichtlinie vorgesehene Mindestvorschrift
für ein Bail-in, die umgesetzt werden muss. Wir schaffen
auch für den Abwicklungsmechanismus, den sogenann-
ten SRM, in der Euro-Zone eine entsprechende Vor-
schrift.

Nach diesen 8 Prozent der Bilanzsumme, die zu-
nächst von Eigentümern und Gläubigern, den Anlegern
der Banken, getragen werden müssen, müssen in der
Euro-Zone dann die Banken selber, also die Banken, die
der europäischen Bankenaufsicht unterstellt werden, im
Rahmen eines Bankenfonds Vorsorge treffen, damit im
Falle eines weiteren Finanzierungsbedarfs die Finanzin-
dustrie selbst dafür aufkommen kann und eben nicht
mehr, wie in der Finanzkrise, der Steuerzahler. Der Sinn
des Ganzen ist, dass nicht mehr die Steuerzahler das Ri-
siko tragen, sondern die Banken selber: zunächst die Ei-
gentümer und Anleger und darüber hinaus die Banken
selber.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)






Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) (C)



(D)(B)

Dieser europäische Bankenfonds, dessen Einrichtung
wir ebenfalls in den Gesetzentwurf aufgenommen ha-
ben, soll innerhalb von acht Jahren auf eine Summe von
etwa 1 Prozent der gesicherten Einlagen des europäi-
schen Bankensystems – das sind 55 Milliarden Euro –
aufgefüllt werden. Die Banken müssen dazu entspre-
chende Beiträge zahlen.

Die Beiträge werden durch nationale Gesetze be-
schlossen. Das ist deswegen wichtig, weil wir keine
Rechtsgrundlage für eine europäische Bankenabgabe ha-
ben. Deswegen müssen nationale Gesetze nach einheitli-
chem Maßstab erlassen werden. Die Einzelheiten, wie
die Beiträge genau ausgestaltet werden, liegen noch
nicht fest. Aber es ist nach den Vorschlägen der Kom-
mission jetzt schon klar, dass die kleineren Institute we-
niger bezahlen müssen und dass der Hauptanteil der
Bankenabgabe von den großen, risikorelevanten Institu-
ten – so entspricht es auch dem Sinn der Regelung – ge-
tragen werden muss. Das ist der entscheidende Punkt.

Wir haben übrigens auch sichergestellt, dass die Insti-
tutssicherung der Bankengruppen, der Sparkassen,
Raiffeisenbanken und der Kreditgenossenschaften als
Institutssicherungen anerkannt werden, so wie wir auch
in der Einlagensicherungsrichtlinie, die wir im nächsten
Jahr beraten und beschließen müssen – sie ist nicht Be-
standteil dieses Pakets –, gewährleisten werden, dass die
Einlagensicherung nicht vergemeinschaftet wird. Es
bleibt bei dem Einlagensicherungssystem. Die Einlagen-
sicherungssysteme unserer Banken- und Sparkassen-
gruppen bleiben anerkannt. Sie müssen allerdings noch
leistungsfähiger werden, damit sie im Notfall in der
Lage sind, die Anforderungen zu erfüllen. Diese Bemer-
kung füge ich im Hinblick auf aktuelle Sorgen hinzu.

Die Bankenabgabe, die in diesen europäischen Fonds
aufgrund nationaler Gesetze einbezahlt wird, wird
schrittweise vergemeinschaftet. Bis die Bankenabgabe
innerhalb von acht Jahren voll einbezahlt ist, haften die
Mitgliedstaaten, die die Gesetze machen und die Gesetze
vollziehen müssen, dafür, dass die Banken die Abgabe
zahlen. Das ist entscheidend. Wir haben auf europäi-
scher Ebene keine Möglichkeit, die Zahlung dieser Ab-
gabe durchzusetzen. Deswegen müssen die nationalen
Gesetzgeber und die nationalen Regierungen in der Ver-
antwortung bleiben, dass diese Regelung nicht nur be-
schlossen, sondern auch angewendet wird. Das ist in Eu-
ropa immer ein großes Problem.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bis zur vollen Einzahlung der Beiträge haften also die
Mitgliedstaaten.

Erst wenn die Beiträge voll einbezahlt sind, gibt es
auch die Möglichkeit der direkten Bankenrekapitalisie-
rung aus dem europäischen Rettungssystem. Diese di-
rekte Bankenrekapitalisierung aus dem europäischen
Rettungssystem bleibt allerdings nachrangig. Es ist in je-
dem Fall so: Zunächst müssen die Eigentümer und Gläu-
biger die 8 Prozent der Bilanzsumme der Bank zahlen.
Danach springt die Finanzindustrie selbst zur Bankensi-
cherung ein, und dann gibt es noch die Möglichkeit
– Voraussetzung dafür ist aber, dass der Mitgliedstaat ei-
nen Antrag stellt –, dass mit dem Mitgliedstaat die ent-
sprechenden Bedingungen, die Konditionalität, verein-
bart wird. Es gibt keine Mittel aus dem europäischen
Rettungsschirm ohne einen Antrag des Mitgliedstaates
und ohne eine mit dem Mitgliedstaat zu vereinbarende
Konditionalität. Das ist das entscheidende Element, der
Grund, warum der europäische Rettungsschirm so er-
folgreich gewesen ist.

Wir haben durchgesetzt, dass das auch bei der direk-
ten Bankenrekapitalisierung gilt, die im Übrigen nur
dann infrage kommt, wenn ein Mitgliedstaat zur indirek-
ten Bankenrekapitalisierung nicht in der Lage ist. Ich
sage ausdrücklich: Die direkte Bankenrekapitalisierung
ist nachrangig. Diese Haftungskaskade haben wir sicher-
gestellt.

Das Entscheidende bei allen europäischen Regulie-
rungen ist: Wir müssen auf all das achten, solange unsere
gemeinsame Währung auf einer Währungsunion beruht,
die eben nicht ihre Entsprechung in einer Finanz- und
Wirtschaftsunion bzw. in einer politischen Union hat. Es
ist das Grundprinzip der Konstruktion der europäischen
Währung, dass die Währung vergemeinschaftet ist und
wir eine gemeinsame Geldpolitik haben, weswegen sich
die Mitgliedstaaten an die Verabredungen für die Finanz-
und Wirtschaftspolitik halten sollten. Das ist vielfach
Gegenstand aktueller Diskussionen. Würden sich alle an
das, was vereinbart worden ist, halten, hätten wir weni-
ger Probleme in Europa. Auch das muss man gelegent-
lich sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Weil dies so ist, müssen wir Fehlanreize in Europa
vermeiden. Deswegen muss klar sein: Es wird niemand
– ich sage das auch im Hinblick auf eine aktuelle De-
batte in einem anderen Zusammenhang – eine Chance
haben, ohne die Vereinbarung von Anpassungsprogram-
men in den Mitgliedstaaten, die sogenannte Konditiona-
lität, auf Mittel des europäischen Rettungsschirms Zu-
griff zu bekommen. Die 80 Milliarden Euro, die wir in
den europäischen Rettungsschirm einbezahlt haben, sind
keine Verfügungsmasse für alle möglichen kreativen
Ideen an neuen Finanzierungsinstrumenten, sondern sie
sind eine Vorsorge dafür, dass die europäische Währung
stabil bleibt und das Vertrauen der Finanzmärkte behält.
Das haben wir erfolgreich eingeführt. Der Grund für die
Einführung dieses Rettungssystems war eigentlich, dass
man es hat, ohne es zu brauchen.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es! Wie bei der Feuerwehr!)


Genau das ist der Sinn eines Sicherungssystems: dass es
nicht immer gebraucht wird. Deswegen stehen diese
80 Milliarden Euro auch nicht für alle möglichen kreati-
ven Gestaltungsideen in Europa zur Verfügung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, damit komme ich zu mei-
ner letzten Bemerkung. Wir haben, obwohl die Kon-





Bundesminister Dr. Wolfgang Schäuble


(A) (C)



(D)(B)

struktion der europäischen Währung kompliziert ist und
viele am Anfang gezweifelt haben, ob sie überhaupt
funktioniert – die Debatte über die Frage „Kann eine
Geldpolitik mit unterschiedlichen Finanz- und Wirt-
schaftspolitiken klappen?“ haben viele Ökonomen über
Jahrzehnte geführt –, die Vertrauenskrise gut überwun-
den, weil wir ganz konsequent an dem Grundsatz „Hilfe
und Solidarität gegen Hilfe zur Selbsthilfe“ festgehalten
haben. Es geht immer um Hilfe zur Selbsthilfe.

Die Geschichte der fünf Länder, die Rettungspro-
gramme bekommen haben, ist eine Erfolgsgeschichte.
Sie alle haben die strukturellen Reformen umgesetzt und
sind auf dem richtigen Weg. Diejenigen, die heute
Probleme haben, können aus dieser Erfolgsgeschichte
lernen. Es führt kein Weg daran vorbei, dass jedes Mit-
gliedsland seine eigenen Reformen und Strukturanpas-
sungen durchführt. Dann werden wir alle gemeinsam in
Europa Erfolg haben.

Die Bankenunion, die wir mit diesen vier Gesetzen
schaffen, ist ein wichtiger Schritt, um in einer Zeit voller
Ungewissheiten Europa noch ein Stück stabiler und
handlungsfähiger zu machen. Deswegen bitte ich Sie um
sorgfältige Beratung und am Ende um Zustimmung zu
diesen Gesetzentwürfen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805400100

Für die Fraktion Die Linke erhält nun die Kollegin

Sahra Wagenknecht das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805400200

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!

Wenn man sich vergegenwärtigt, was Mitglieder der
Bundesregierung seit 2008 erzählen und was heute zur
Beratung vorgelegt wurde, dann muss man sich nicht
wundern, dass immer mehr Menschen jeden Glauben an
die Demokratie verloren haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Herr Schäuble, Sie und die Bundesregierung haben
versprochen, dass Steuerzahler nie wieder für waghal-
sige Geschäfte der Bankster bluten müssen. Sie haben
versprochen, dass auch für Banken irgendwann das gel-
ten soll, was für jeden kleinen Handwerkerbetrieb eine
Selbstverständlichkeit ist: dass man für Risiken, die man
eingeht, selber haften muss. Sie haben hoch und heilig
versprochen, dass es kein Geld aus den Mitteln des euro-
päischen Rettungsschirms ESM direkt für die Banken
geben wird, für den der deutsche Steuerzahler mit im-
merhin 200 Milliarden Euro geradesteht. Das ist etwa
das 15-Fache dessen, was der Bund jährlich für Bildung
und Forschung ausgibt.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)


Herr Schäuble, entweder haben Sie bewusst gelogen,
um die Menschen zu täuschen, oder Sie haben Verspre-
chungen gemacht, die Sie nicht einhalten konnten. Auf
jeden Fall beraten wir heute Gesetzentwürfe, die das
exakte Gegenteil dessen enthalten, was Sie den Men-
schen versprochen haben.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Der Steuerzahler soll weiter bluten, und in Zukunft
soll auch noch der europäische Rettungsschirm ESM di-
rekt von den Banken angezapft werden können.


(Thomas Oppermann [SPD]: Haben Sie eben nicht zugehört?)


Denn genau das ist doch der eigentliche Sinn dieser gan-
zen Bankenunion: dass die Banker künftig auch dann
ihren finanziellen Giftmüll auf den Schultern der Allge-
meinheit abladen können, wenn die Kapazitäten des je-
weiligen Nationalstaates überfordert wären.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)


Das heißt, künftig haftet der Spanier nicht nur für den
Irrsinn der spanischen Banken und der Deutsche nicht
nur für den Irrsinn von Hypo Real Estate, Commerzbank
und Co, sondern alle europäischen Steuerzahler haften
gemeinsam für den Irrsinn der europäischen Finanzma-
fia. Das ist ein großartiger Fortschritt. Dazu kann man
der Großbankerlobby nur gratulieren. Ganz nebenbei
sollen zusätzlich über den Abwicklungsfonds, den von
Ihnen erwähnten Bankenfonds, Banken mit einem soli-
den Geschäftsmodell wie unsere Sparkassen und Genos-
senschaftsbanken Mittel zur Deckung der Verluste der
Unsoliden bereitstellen. Das ist ein Konstrukt, das die
Linke ablehnt. Deswegen werden wir dagegenstimmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es kommt noch schlimmer: In Zukunft soll der Bun-
destag noch nicht einmal mehr befasst werden, wenn
deutsches Steuergeld fließt; denn nach Ihrem Gesetz
werden dann nur noch ein paar Mitglieder des Haus-
haltsausschusses informiert, die auch noch zu strikter
Geheimhaltung verpflichtet sind. Das heißt, hier im Bun-
destag können Sie weiterhin von schwarzen Nullen und
Schuldenbremsen fabulieren, während über die Banken-
hilfen des ESM die Milliarden verbrannt werden, die wir
hier für Infrastruktur, für Gesundheit, für Rente und für
soziale Ausgaben brauchen würden.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist doch Schwachsinn, was Sie da erzählen!)


Offenbar ist das die schöne neue Welt der marktkonfor-
men Demokratie, von der Frau Merkel träumt. Die SPD
gibt wie immer ihre Stimme dazu.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Frau Wagenknecht bringt wieder einiges durcheinander!)


Deswegen: Hören Sie endlich auf, die Öffentlichkeit
für dumm zu verkaufen! Sie reden von Eigentümer- und
Gläubigerbeteiligung. Sie suggerieren, die Banken wür-
den jetzt so richtig hart angefasst. Sie haben es selber er-
wähnt: Die private Haftung ist faktisch auf 8 Prozent der
Bilanz beschränkt. Ich glaube, viele Familien in Deutsch-
land wären Ihnen ganz dankbar, wenn der Staat sie ähn-
lich hart anfassen würde. Eine Haftung von 8 Prozent
heißt, dass eine Familie mit 10 000 Euro Schulden ganze
800 Euro selber zurückzahlen müsste, und für den Rest





Dr. Sahra Wagenknecht


(A) (C)



(D)(B)

bürgt der großzügige Staat. Aber der Unterschied ist,
dass in diesem Europa mit so viel Großzügigkeit immer
nur die Banken und nie die Bürgerinnen und Bürger
rechnen können. Das ist absolut inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Schäuble, Sie haben auch nicht erwähnt: Es gibt
da noch eine Klausel in den Verträgen, mit der die ge-
samte Haftungskaskade ausgesetzt werden kann, wenn
nämlich eine „schwere Störung der Volkswirtschaft“
oder eine Notwendigkeit zur „Wahrung der Finanzstabi-
lität“ besteht. Dann gibt es die Möglichkeit, dass Staats-
knete sofort fließt, ohne jedwede Vorbedingung. Wer
sich erinnert, dass die deutsche Regierung einst eine
mögliche Pleite der kleinen IKB zum potenziellen Aus-
löser einer Kernschmelze des Finanzsystems hochfanta-
siert hat, ahnt, wie groß das Scheunentor für unser aller
Steuergeld ist, das allein durch diese Klausel geöffnet
wird.

Wer glaubt, dass der ehemalige Goldman-Sachs-Boy
und künftige Oberaufseher aller Banken, Herr Draghi,
den Banken jetzt so richtig auf den Zahn fühlen wird, der
muss wirklich mit Naivität geschlagen sein. Es sind doch
gerade Draghis Billiggeldinjektionen, dank derer die
Spekulation heute boomt wie nie zuvor und die Invest-
mentbanker wieder Rekordgewinne machen, während
der Kleinsparer seine Ersparnisse wegen Niedrigzinsen
wegschmelzen sieht.

Ausgerechnet den Markt für Kreditverbriefungen
– einer der Hauptauslöser der letzten Krise – will Draghi
jetzt auch noch mit einem milliardenschweren Kaufpro-
gramm beleben. Man stelle sich einmal vor: Die Lebens-
mittelüberwachung in Deutschland würde den Res-
taurants, in deren Küchen die Kakerlaken feiern und das
Gammelfleisch stinkt, den Ankauf aller verdorbenen Le-
bensmittel anbieten, bevor ihre Kontrolleure das Haus
betreten. Genau das ist es, was der große Oberaufseher
aller Banken Draghi jetzt macht: Er kauft den Banken ihr
Gammelfleisch ab, bevor die Kontrolleure kommen,
sprich: bevor der Stresstest stattfindet, und zwar auf un-
sere Rechnung. Wenn Sie sagen, dass Sie damit nicht
glücklich sind, dann finde ich das zwar sehr erfreulich,
aber dann frage ich mich, weshalb die Bundesregierung
nicht endlich interveniert, wenn solche Pläne gemacht
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die große Finanzkrise mit ihren katastrophalen Fol-
gen für Wohlstand, Arbeitsplätze und Staatsfinanzen hat
vor mittlerweile fast sieben Jahren begonnen. Seit min-
destens sieben Jahren weiß man, dass durch laxe Vor-
schriften und blinde Aufsichtsbehörden gigantische
Spielhöllen hochgezüchtet wurden und hochgezüchtet
werden, deren Geschäfte niemand mehr ernsthaft über-
wachen und die im Pleitefall auch niemand geordnet ab-
wickeln kann.

Spätestens seitdem weiß man, dass die internationale
Vernetzung dieser Spielhöllen gefährliche Kettenreaktio-
nen auslöst. Man weiß, dass es unverantwortlich ist, die
Ersparnisse der Bürger und die Kreditversorgung der
Wirtschaft solchen Spekulanten zu überlassen. Man
weiß das alles; aber getan wurde nichts dagegen. Es ist
eher noch schlimmer geworden. Die großen Finanzhäu-
ser Europas haben mit der alten Idee von Banken als
Dienern der Realwirtschaft vielleicht noch so viel zu tun
wie das Terrornetzwerk „Islamischer Staat“ mit der Idee
einer friedfertigen Religionsgemeinschaft, nämlich gar
nichts.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie verkaufen uns hier eine Bankenunion als großen
Durchbruch, obwohl diese Union im Kern darin besteht,
dass alles weiterläuft wie bisher, nur dass die Haftung
der Allgemeinheit für diesen Wahnsinn europäisiert
wird. Ich glaube, das ist wirklich unerträglich.

Ja, Finanzstabilität ist ein öffentliches Gut. Ebendes-
halb gehört sie nicht in die Hände zockender Investment-
banker.


(Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Wir brauchen Banken, die dem Gemeinwohl verpflichtet
sind und die Investitionen finanzieren, nicht solche Ban-
ken, die Kasino spielen. Dafür brauchen wir endlich eine
Politik,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die alles verstaatlicht!)


die das Kreuz hat, sich mit der Finanzmafia anzulegen,
statt ihr aus der Hand zu fressen.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Gesetzentwürfe, die wir heute beraten, sind leider
ein Beispiel für Letzteres, und deshalb lehnt die Linke
sie ab.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805400300

Das Wort erhält nun der Kollege Carsten Schneider

für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1805400400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

habe mich, als Sie, Frau Wagenknecht, zum Pult gegan-
gen sind, gefragt, wie jetzt eigentlich die Kritiklinie der
Linkspartei sein wird.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie immer!)


Ich habe vermutet, dass die Kritiklinie vielleicht die ei-
ner aufgeklärten Linken ist, die sagt: „Global agierende
Banken müssen wir auch global reglementieren“, die
vielleicht die Vorschläge, die hier gemacht werden, für
nicht ausreichend auf internationaler Ebene hält. Aber
was ich erleben musste, war purer Populismus und ein
Rückfall in die Politik eines Nationalstaates.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Carsten Schneider (Erfurt)



(A) (C)



(D)(B)

Frau Wagenknecht, Sie sind vollkommen fernab der
wissenschaftlichen und ökonomischen Debatte, wenn es
um die Kontrolle der Finanzmärkte und des Bankensek-
tors geht. Wir sind froh, dass die AfD nicht hier im Bun-
destag sitzt. Aber: Diese Rede hätte auch ein Funktionär
der AfD halten können.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Genau so!)


Warum beraten wir nicht erst seit heute, da wir diese
Gesetzentwürfe im Bundestag haben, die Frage der
Finanzstabilität, der Erpressbarkeit von Staaten, der Ret-
tung von Banken in der Finanzkrise der Jahre 2008/
2009 ff., sondern schon seit vier Jahren immer wieder?
Weil sich gezeigt hat, dass wir im Bereich der Banken-
aufsicht nur national organisiert waren, überall.

Wir hatten es aber mit einem globalen Bankensektor
zu tun – gerade bei den großen Banken! Ich rede nicht
von den Volksbanken und Sparkassen, sondern von den
Landesbanken, der Hypo Real Estate, der Deutschen
Bank, der Commerzbank, der Société Générale und von
vielen anderen großen, international tätigen Banken und
Finanzinstituten. Deren Aufsicht konnte eben nicht mehr
wirksam von Deutschland aus oder von Irland aus, wo es
im Übrigen eine sehr schwache Aufsicht gab, ausgeübt
werden.

Insofern ist die Antwort auf einen europäischen Bin-
nenmarkt, in dem Kapitalverkehrsfreiheit herrscht und in
dem umfangreiche Bankgeschäfte stattfinden – was auch
in Ordnung ist – nicht das Zurück zum Nationalstaat,
sondern das Hin zu einer europäischen Institution, die
aus europäischem Blickwinkel nach klaren Grundsätzen
– Stichworte: Haftung, Frage nach der Verantwortung –
beaufsichtigt und entscheidet. Genau diesen Weg gehen
wir heute ein Stück weiter. Das ist gerade für eine aufge-
klärte Linke, wenn Sie es denn sind, der richtige Weg.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde es auch fatal, mit der Angst der Menschen
zu spielen. Auch ich habe meine Probleme mit der Mög-
lichkeit der Direktrekapitalisierung von Banken; ich
komme darauf noch zurück. Aber wir haben den richti-
gen Schritt hin zur gemeinsamen Bankenaufsicht bei der
Europäischen Zentralbank getan, bei allen Problemen,
die der Minister genannt hat. Man muss in diesem Zu-
sammenhang sicher auch über eine Vertragsänderung
nachdenken. Denn die Banken, die europaweit vernetzt
waren und sind, haben bisher in Europa Geschäfte ge-
macht, die wir in Teilen gar nicht gesehen haben, weil
die Aufsicht zersplittert war. Dass dieser Schritt richtig
ist, steht außer Frage. Ich kenne niemanden mit Sachver-
stand, der sagt, dass der Schritt zu einer europäischen
Bankenaufsicht falsch ist. Frau Wagenknecht, Sie sind
auf dem Holzweg.

Der zweite Schritt – den zur Aufsicht haben wir schon
gemacht – ist dann, dass man Banken auch zur Rechen-
schaft ziehen können muss, wenn sie Geschäfte machen,
die zu große Verluste bringen. Wir hatten hier in heißen
Debatten 2008/09 über die Frage der Verstaatlichung der
Hypo Real Estate zu entscheiden. Niemand von denjeni-
gen, die damals zugestimmt haben, hat das mit großer
Freude getan. Aber ein Institut mit 400 Milliarden Euro
Bilanzsumme war ein systemrelevantes Institut. Bei der
IKB konnte man durchaus anderer Auffassung sein;
richtig, aber im Nachhinein ist man immer schlauer. Bei
der Hypo Real Estate jedenfalls war es so.

Wir mussten – wenige Klagen dagegen sind noch an-
hängig – diese Bank vom Markt nehmen, um sie geord-
net abwickeln zu können. Wir waren rechtlich aber ge-
zwungen, auch noch Entschädigungen an die Aktionäre
zu zahlen, weil wir keine gesetzliche Grundlage für die
Abwicklung von Banken hatten. Das war ein Fehler.


(Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Weil Sie es blöd angestellt haben!)


Diesen Fehler bereinigen wir jetzt, indem wir ein In-
solvenzrecht für Banken schaffen, indem wir eine klare
Haftungsreihenfolge festlegen, wer bei Verlusten bezah-
len muss. Diese Haftungsreihenfolge ist schon genannt,
aber auch bereits durchexerziert worden, letztlich auf
Druck der SPD und des Deutschen Bundestages, näm-
lich im Fall Zypern. Das ist die Blaupause für das, was
jetzt mit den Gesetzentwürfen, die wir beraten und be-
schließen werden, umgesetzt werden soll.

Danach gilt: Zuerst haften die Aktionäre. Deren Geld
ist weg, wenn Verluste zu decken sind. Nach ihnen haf-
ten die nachrangigen Gläubiger, die den Banken Darle-
hen gegeben haben und dafür Zinsen bekommen. An-
schließend haften die vorrangigen Gläubiger und dann
auch die Einleger ab einer Einlagenhöhe von über
100 000 Euro. Es ist nicht hinnehmbar, dass jemand
Geld, das er angelegt hat, quasi zu 100 Prozent wieder-
bekommt, aber der Steuerzahler dafür zahlen müsste.
Das geht nicht. Das passiert nicht mehr. Deswegen ma-
chen wir einen Strich drunter: 100 000 Euro sind ge-
schützt, mit dem Rest wird auch gehaftet.

Wenn eine Bank dann immer noch Verluste hat, tritt
der Bankenhaftungsfonds ein, der gespeist wird über
eine Bankenabgabe, die wir als Sozialdemokraten schon
2009 gefordert haben. Hätten wir sie damals eingeführt,
dann hätten wir zum Beispiel keine Verluste aus dem
Fall der Hypo Real Estate zu tragen. Glücklicherweise
geht es dabei nicht um die damals befürchteten bis zu
480 Milliarden Euro; in Summe werden wir am Ende
vielleicht über 20 oder 30 Milliarden Euro reden.

Der Bankenhaftungsfonds wird ein gemeinsamer eu-
ropäischer Fonds. Es ist auch richtig, diesen europäisch
aufzustellen und nicht national. Dafür haben wir Sozial-
demokraten gekämpft, weil wir eine Trennung der Risi-
ken aus dem Bankensektor von denen aus dem Staats-
sektor haben wollen. Wir haben doch gesehen: Nur zu
einem kleinen Teil schlug die Finanzmarktkrise in eine
Staatsfinanzierungskrise um, zu einem großen Teil war
es eine Bankenkrise, die nur dann zu einer Staatsfinan-
zierungskrise geführt hat, weil die Länder durch die
Bankenrettung überschuldet waren. Irland ist das beste
Beispiel; bei Spanien trifft das nicht ganz zu. Diese
Trennung ist extrem wichtig, um die Staaten künftig vor





Carsten Schneider (Erfurt)



(A) (C)



(D)(B)

Verlusten aus dem Bankensektor zu schützen, um den
Sozialstaat erhalten zu können. Deswegen machen wir
das so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir reden jetzt und in den nächsten Tagen viel über
Konjunkturprogramme auf europäischer Ebene. Das
wichtigste Konjunkturprogramm ist die Bereinigung des
Bankensektors von faulen Krediten, das Aufstellen der
Banken mit genügend Eigenkapital, damit sie wieder
kreditvergabefähig werden. Das passiert jetzt.

Im Oktober, parallel zu unseren Beratungen, werden
die Anlagen und Portfolien aller Banken von der EZB
geprüft und verglichen. Dann wird es auch in Deutsch-
land wohl noch Überraschungen geben. Es wird ein
Stresstest durchgeführt und geprüft: Was passiert im Kri-
senfall? Ist die Bank genügend stark? Wenn sie es nicht
ist, wird entschieden werden müssen, ob sie geschlossen,
restrukturiert oder vielleicht rekapitalisiert wird.

Ich will für Deutschland sagen: Ich kann mir nicht
vorstellen, dass durch diesen Test, der sehr hart sein
muss, damit die EZB bei der Bankenaufsicht Glaubwür-
digkeit gewinnt, alle Banken durchkommen. Wir hatten
das schon ein- oder zweimal im Zusammenhang mit
Stresstests der EBA, in deren Folge die Probleme hoch-
kamen. Ich habe Vertrauen in die Europäische Zentral-
bank, dass sie das hart testen wird.


(Zuruf der Abg. Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE])


Wir werden im Bedarfsfall dann in Deutschland ent-
scheiden müssen, welches Gesetz wir in der Übergangs-
zeit anwenden, das zur Abwicklung bzw. Restrukturie-
rung oder das zur Rekapitalisierung. Ich glaube, dass es
die eine oder andere Bank geben kann, bei der es im
Zweifel besser sein wird, sie abzuwickeln, wenn ein
tragfähiges Geschäftsmodell eben nicht da ist, als sie
künstlich am Leben zu erhalten. Liebe Kolleginnen und
Kollegen, auch das wird uns in den nächsten zwei, drei
Monaten beschäftigen. Das wird ein Quantensprung
werden.


(Zurufe von den LINKEN: Oh!)


Dadurch wird mehr Klarheit über die Risiken des Ban-
kensektors, mehr Stabilität im Finanzbereich und – das
ist letztendlich der entscheidende Punkt – ein Schutz des
Staates vor den Verlusten aus dem Bankensektor ge-
schaffen.

Ja, auch ich hätte mir vorstellen können, Frau
Wagenknecht, dass – das Europäische Parlament hat diese
Richtlinie verhandelt – die geschaffenen Möglichkeiten
für Direktrekapitalisierungen, aber auch zu Eingriffen der
Staaten selbst nicht in der Form eröffnet worden wären.
Das ist aber ein europäischer Kompromiss. Ein Bericht-
erstatter im Europäischen Parlament ist auch sehr stark
in diese Richtung gegangen. Daher werden wir das auf
nationaler Ebene einführen bzw. ermöglichen müssen.

Ja, auch ich bin sehr skeptisch, was das Instrument
der direkten Bankenrekapitalisierung betrifft. Aber auch
in diesem Fall waren Ihre Zahlen falsch. Es geht nicht
um 200 Milliarden Euro. Das wird gedeckelt auf maxi-
mal 60 Milliarden Euro,


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Das macht es jetzt nicht besser!)


für die dann alle Länder gemäß dem geltenden ESM-
Schlüssels haften. Aber über jede Einzelfallentscheidung
wird im Bundestag beraten und entschieden werden.
Und das wird so restriktiv gehandhabt werden, dass die-
ses Instrument hoffentlich nie angewendet werden wird.
Wegen mir bräuchte man das auch nicht. Es wird aber
wohl so sein – das beraten wir derzeit –, dass die direkte
Bankenrekapitalisierung aus dem ESM wahrscheinlich
nie angewendet wird. Wir werden jedenfalls im Einzel-
nen darüber zu entscheiden haben.

Zwei Punkte sind mir noch wichtig.

Erstens – das ist ein ganz entscheidender Punkt – ist
es mir wichtig, zu mehr Integration auf europäischer
Ebene, zur Vervollständigung der Währungsunion auch
in Richtung einer Wirtschafts- und Fiskalunion zu kom-
men. Das, was wir hier machen, reicht nicht aus; es be-
trifft nur den Finanzmarktsektor.

Der zweite Punkt betrifft die Einnahmeseite. Ich bin
der Auffassung, dass wir mehr einheitliche bzw. gemein-
same Politik auf europäischer Ebene brauchen, damit
das Steuerdumping und die Steuerhinterziehung aufhö-
ren.

Hinsichtlich der Bankenabgabe stellt sich allerdings
auch die Frage, wer diese in welcher Höhe und aufgrund
welcher Risiken zahlt. Wir sind dafür, dass die Deutsche
Bank grundsätzlich mehr zahlen muss als die Sparkas-
sen, weil sie ein gefährlicheres Geschäftsmodell hat.

Unbeantwortet bleibt hier in Teilen die Frage des „too
big to fail“ einer zu großen Bank. Dass aber die Banken-
abgabe, die gezahlt wird, in Deutschland nicht steuerlich
abzugsfähig ist – das heißt, der Steuerzahler zahlt bei ei-
ner Inanspruchnahme letztendlich nicht ein Drittel durch
ein geringeres Körperschaftssteueraufkommen mit –, ist
richtig. In anderen europäischen Ländern wird aber nicht
so verfahren, sondern dort ist die gezahlte Bankenab-
gabe steuerlich abzugsfähig. Es gibt zum Teil allerdings
auch höhere Bankenabgaben, beispielsweise in Öster-
reich.

Ich finde – das will ich für die SPD-Fraktion klar sa-
gen –, dass es klar sein muss, dass, bevor es weitere Inte-
grationsschritte gibt – auf der Ausgabenseite sind viele
Länder immer schnell dabei –, der Wettbewerb zulasten
der Steuerzahler um die niedrigsten Steuersätze aufhören
muss. Dieser Wettbewerb muss gestoppt werden.


(Beifall bei der SPD)


Deswegen, Herr Bundesfinanzminister, haben Sie dabei
unsere volle Unterstützung, was eine Vereinbarung auf
dem G-20-Gipfel – ich nenne das Stichwort BEPS – be-
trifft, was die Bankenabgabe betrifft, aber auch, was den
Kampf gegen diejenigen betrifft, die von den Rettungs-
maßnahmen enorm profitiert haben, nämlich die Speku-
lanten und ihre Spekulationsgeschäfte. Wir erwarten bis





Carsten Schneider (Erfurt)



(A) (C)



(D)(B)

Ende des Jahres klare Schritte in Richtung einer Finanz-
transaktionsteuer. Wenn dies nicht entscheidend voran-
geht, dann müssen wir uns überlegen, diese national ein-
zuführen.

Meine Damen und Herren, dieser Gesetzentwurf
emanzipiert den Staat vom Bankensektor. Geschäfte in
diesem Sektor werden sicherer werden. Diejenigen, die
diese Geschäfte machen, werden weniger Gewinne er-
zielen und im Zweifel für die Verluste haften. Ich finde,
das tut einer sozialen Marktwirtschaft gut.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805400500

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen erhält nun

der Kollege Gerhard Schick das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Der
Bundesfinanzminister hat seine Ausführungen mit dem
Hinweis darauf begonnen, dass eines der Kernprobleme
bei der Euro-Staatsschuldenkrise war, dass die einzelnen
Mitgliedstaaten für die Rettung ihrer Banken zuständig
waren, dass also aus Bankenschulden Staatsschulden
wurden. Da stimme ich mit ihm völlig überein. Das ist
ein zentrales Problem, das die Steuerzahlerinnen und die
Steuerzahler in Europa viele, viele Milliarden gekostet
hat, uns noch bis heute beschäftigt und die Haushalte
auch noch zukünftig belasten wird.

Man muss aber wissen, dass der Zusammenhang zwi-
schen den Bankproblemen und den nationalen Haushal-
ten in der Euro-Zone nicht zwangsläufig so hätte sein
müssen oder gar vom Himmel gefallen ist. Es war 2008
vielmehr eine politische Entscheidung, dass es so sein
sollte. Im Herbst 2008, als die Bankenkrise auf einen ih-
rer Höhepunkte zusteuerte, hat die niederländische Re-
gierung nämlich einen Vorschlag gemacht und eine euro-
päische Lösung aufgezeigt, wie man ein gemeinsames
Bollwerk gegen die wackeligen Finanzmärkte schaffen
könnte. Damals hat es viel Unterstützung für diesen Vor-
schlag gegeben, aber eine Regierung hat Nein gesagt:
die deutsche Bundesregierung unter Angela Merkel. Es
ist überliefert – sehr gut dargestellt in dem Buch von
Cerstin Gammelin und Raimund Löw –, dass Nikolas
Sarkozy bei den Verhandlungen Anfang Oktober 2008
sehr enttäuscht über Angela Merkel und ihr Nein war
– ich zitiere –:

Bei der Verabschiedung … an den Stufen des Ély-
sée lässt er seiner Enttäuschung freien Lauf: „Wenn
wir keine europäische Lösung zusammenbringen,
dann wird das ein Debakel sein“, klagt Sarkozy …
„Aber nicht meines, sondern Angelas Debakel …

Und weiter:

Angela Merkel habe im Élysée-Palast schlicht
Johann Wolfgang Goethe zitiert: „Ein jeder kehr’
vor seiner Tür, und rein ist jedes Stadtquartier“.
Das war die Logik 2008. Wir haben in den letzten
Jahren gesehen, wie sauber der Bankensektor in Europa
geworden ist. Bis heute ist er voll von Schmodder, weil
man damals dem genannten Prinzip der deutschen Bun-
desregierung gefolgt ist. Und dafür müssen Sie auch
Verantwortung übernehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es ist ja toll, sich als Kanzlerin immer als große Ma-
nagerin und Retterin und als Finanzminister als großer
Europäer darzustellen. An dieser Stelle haben Sie zum
Schaden ganz Europas antieuropäisch gehandelt. Und
das belastet uns bis heute.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Dr. Axel Troost [DIE LINKE])


Jeder einzelne Staat sah sich nämlich gefangen in der
Logik: Wenn ich meinen Banken kein Steuergeld gebe,
dann fließt das Geld aus meinem Finanzsektor ab, und
dann ist das für meine Wirtschaft ein großes Problem.
Diese Logik hat alle Staaten gezwungen, entsprechend
zu handeln. Wenn man dies anders gemacht hätte, wäre
vieles anders gelaufen.

Nun kann man sagen: Das ist vergossene Milch. Aber
das Problem ist, dass Sie aus dem Fehler von damals
nichts gelernt haben, sondern in den Jahren bis 2012, als
das ganze Desaster, das Nikolas Sarkozy vorhergesagt
hat – Angelas Desaster –, eingetroffen ist, immer noch
gegen die Bankenunion gearbeitet haben und alles getan
haben, dass sie nicht kommt. 2012 sind sie nur durch den
Druck der anderen europäischen Regierungen gezwun-
gen worden, dem zuzustimmen, was Sie heute vorlegen.
Sie haben das nie gewollt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es geht noch weiter: Sie haben nachher in den Ver-
handlungen alles getan, damit man gemäß dieser fal-
schen Logik weiterarbeitet. Die Bankenunion tritt auf-
grund der Verhandlungen der Bundesregierung später in
Kraft, als sie in Kraft treten könnte. Deswegen bleiben
die Steuerzahler noch länger im Risiko, als es nötig
wäre. Auch das ist ein Fehler, der Ihnen anzukreiden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und Sie haben dafür gesorgt, dass der Abwicklungs-
fonds noch viele Jahre, nämlich noch bis 2024, nationale
Abteilungen und nationale Verantwortung hat und damit
erst später ein wirkliches europäisches Konstrukt ent-
steht.

Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen
lassen: Sie begannen Ihre Rede mit der Fehleranalyse,
indem Sie sagten: Dass die nationalen Haushalte verant-
wortlich sind für die Banken, ist eines der zentralen Pro-
bleme. – In Verhandlungen haben Sie sich jedoch dafür
eingesetzt, dass die nationalen Haushalte noch länger
verantwortlich sind für die Bankenrettung. Das passt
doch überhaupt nicht zusammen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)

Sie bleiben aber auch, leider, bei dem Vorliegenden
an ein paar Stellen in einer zweiten gefährlichen Logik.
Wenn Banken Schwierigkeiten haben, kann man entwe-
der sagen, man rettet sie – im Zweifelsfall mit Steuergel-
dern –, oder, man wickelt sie ab. Der Grundsatz des jetzt
vorliegenden Gesetzentwurfes ist richtig. Wir wollen in
Zukunft abwickeln. Es gibt allerdings drei Stellen, an de-
nen dieser Grundsatz leider nicht durchgesetzt wird, son-
dern Sie in der alten, falschen Logik bleiben:

Erstens. Es gibt eine Klausel – darauf ist schon hinge-
wiesen worden –, die regelt, dass man, wenn es eine Ge-
fahr für die Finanzmärkte gibt, doch wieder retten kann.
Genau diese Begründung musste immer wieder für die
Bankenrettungen in Irland, Spanien und Zypern herhal-
ten. Insofern ist es eine sehr gefährliche Lücke.

Zweitens bei der Frage der direkten Bankenkapitali-
sierung. Es ist ja richtig, dass es irgendwo das gibt, was
Experten einen Backstop nennen, also sozusagen eine
Möglichkeit, im Zweifelsfall noch einzugreifen. Aber da
gibt es jetzt zwei verschiedene Wege: Der eine Weg
wäre, eine Kreditlinie für den Abwicklungsfonds festzu-
legen, sodass der ESM den Banken Geld ausleihen kann,
das sie später zurückzahlen müssen. Die Verantwortung
bliebe so bei den Banken. Vor allem bliebe man so in der
Logik des Abwicklungsfonds und seiner Expertise, dass
Banken wirklich abgewickelt würden. Oder man kann es
wie Sie über die direkte Bankenkapitalisierung machen.
Dann wird wieder Steuergeld ins Schaufenster gestellt.
Das wollen wir nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Da sind Sie in der alten, falschen Logik.

Drittens wird der Grundsatz nicht auf nationaler
Ebene umgesetzt. Warum wird jetzt die Bankenrettung
in Deutschland gemäß der alten Logik, dass man Steuer-
geld ins Schaufenster stellt, noch einmal verlängert? Wa-
rum denn? Sie haben doch gerade gesagt, dass es richtig
ist, Banken abzuwickeln. Warum wollen Sie in Deutsch-
land noch einmal die Möglichkeit schaffen, im Zweifels-
fall Steuergeld für die Bankenrettung einzusetzen? Wir
Grünen sind überzeugt: Das Prinzip „Wenn eine Bank
ein Problem hat, löst man es mit Steuergeld“ muss end-
lich der Vergangenheit angehören.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt noch eine Reihe von Fragen zur Ausgestal-
tung: Kann das Europäische Parlament überhaupt kon-
trollieren, was dieser Fonds macht? Wie ist die Banken-
abgabe im Einzelnen ausgestaltet? Das werden wir
diskutieren müssen.

Insgesamt aber ist das Projekt einer europäischen
Bankenunion richtig. Wir Grüne haben das seit langem
gefordert. Wir müssen heute feststellen, dass der Finanz-
minister das, was er heute vorlegt, nie gewollt hat. Aber
es ist gut, dass er sich nicht durchgesetzt hat.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805400600

Ich erteile das Wort jetzt dem Kollegen Ralph

Brinkhaus für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1805400700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir haben

schon eine drollige Opposition: Die Grünen zitieren
Nicolas Sarkozy als ihren Kronzeugen,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und die Linken halten eine Rede, die beim Kongress der
europäischen Rechtspopulisten für viel Beifall gesorgt
hätte.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der LINKEN)


Das muss man sich einmal auf der Zunge zergehen las-
sen.


(Zurufe von der LINKEN)


Frau Wagenknecht, wenn Sie sagen, dass in den letz-
ten fünf Jahren im Bereich der Regulierung nichts pas-
siert ist, dann bedeutet dies, dass man entweder bewusst
die Wahrheit verschweigt oder dass man so redet, weil
man in den vergangenen fünf Jahren verdammt oft ge-
fehlt hat.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das stimmt! – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Beides trifft zu!)


Dementsprechend kann ich Ihnen nur eines sagen: Keine
Regierung hat so viel am Finanzmarkt reguliert wie
diese Regierung und die Regierung davor – über 30
Maßnahmen.

Herr Schick, Sie sagen, Sie hätten es immer schon ge-
wusst. Ich sage Ihnen: Wir waren die Ersten, die ein
Bankenrestrukturierungsgesetz auf den Weg gebracht
haben, und zwar 2010


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie vertrauen wohl nicht darauf! Sonst bräuchten Sie nicht den Soffin zu verlängern!)


Dieses Restrukturierungsgesetz ist die Blaupause für
das, was nun in Europa entwickelt worden ist. Wir haben
damit Maßstäbe gesetzt.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, heute ist ein Tag, an dem
wir auf das kernsanierte Haus der europäischen Banken-
regulierung das Dach setzen. Denn die Bankenunion ist
das Dach; sie ist fürchterlich wichtig, denn ohne sie
funktioniert das ganze System nicht. Ist das Dach un-
dicht, dann ist auch das Haus nicht gut gebaut. Dement-
sprechend freue ich mich, dass wir es geschafft haben,
heute die entsprechenden Gesetzentwürfe in den Deut-
schen Bundestag einzubringen.

Aber die Begeisterung – wir haben es gehört – hält
sich an vielen Stellen in Grenzen, aus ganz unterschied-





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)

lichen Motiven. Aber dahinter steht etwas, was leider zu
einem Grundaxiom der Politik am rechten und auch am
linken Rand geworden ist. Das ist etwas Neues, das ist
etwas anderes, das ist etwas Internationales, und – das
ist, glaube ich, den Menschen gemein – etwas Neues
sehe ich erst einmal skeptisch. Früher war doch eh alles
besser. Warum können wir nicht die schöne alte Welt
von früher zurückhaben? – Das hören wir in ganz vielen
Politikbereichen. Insbesondere die Rechten sagen: Frü-
her war doch irgendwie alles viel einfacher. Da konnte
man zwischen Gut und Böse unterscheiden. Griechen-
land und Spanien waren höchstens relevant, wenn das
Urlaubswetter schlecht war. Der Fremde kam aus der
Nachbarschaft. Der Maschinenbauer hat maximal nach
Holland geliefert. Alles war ganz fürchterlich einfach.

Es wird nun suggeriert, dass wir diese einfache Welt
wieder zurückbekommen könnten und dass wir uns auf
den nationalen Bereich zurückziehen könnten. Dabei
wird verkannt, dass sich die Welt in der Zwischenzeit
verändert hat, und zwar verdammt schnell.

Ich glaube nicht, dass es Aufgabe der Politik ist, den
Menschen zu suggerieren, dass alles wieder wie früher
und einfacher werden kann. Die Aufgabe der Politik ist
es vielmehr, sich den Herausforderungen dieser verän-
derten Welt zu stellen. Genau das haben wir im Bereich
der Finanzmarktregulierung gemacht. Wir haben aus
dem gelernt, was 2008 passiert ist. Wir sind Schritt für
Schritt in die richtige Richtung gegangen. Heute setzen
wir das Dach auf die ganze Geschichte; und das ist aller
Ehren wert. Man muss hinzufügen: All das ist in einer
Geschwindigkeit vollzogen worden, die in der Ge-
schichte der Regulierung weltweit ihresgleichen sucht.
Auch das ist aller Ehren wert, und das sollte man an die-
ser Stelle auch einmal sagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Dass sich die Welt verändert hat, das kann man am
Beispiel Banken jedermann sehr gut und plastisch klar-
machen. Früher war alles sehr einfach. Früher gab es die
kleine Bank vor Ort. Der Sparkassendirektor wohnte in
der Nachbarschaft. Die Kredite wurden an den Hand-
werker oder Häuslebauer im Ort vergeben. Es gab keine
Derivate, keinen Hochfrequenzhandel, keine internatio-
nal agierenden Börsen. Alles war schön und einfach.
Aber dann ist Folgendes passiert: Die Sparkassen und
Volksbanken haben auf einmal so viel Geld eingesam-
melt, dass sie es in ihren Städten und auch im Land nicht
mehr unterbringen konnten, und sind dann an die inter-
nationalen Kapitalmärkte gegangen. Dann hat der Mit-
telständler irgendwo in den USA eine Tochtergesell-
schaft gegründet; das musste bankenmäßig abgedeckt
werden. Dann wurden Produkte in Länder exportiert, die
wir vorher nicht kannten, und es mussten Devisen- und
Währungsrisiken abgedeckt werden. Das war die neue
Welt.

Zur Wahrheit gehört dazu, zu sagen: Einige Leute
sind auf die Idee gekommen, dass man mit Garantien
und Derivaten auch handeln kann, ohne dass man den
Mittelständler und Häuslebauer braucht. Das war die
neue Bankenwelt, die am Ende des Tages entstanden ist.
Dieser neuen Bankenwelt müssen wir uns stellen, hier
müssen wir für Regulierung sorgen. Das haben wir ge-
macht. Nur zu sagen: „Da gibt es eine ganz einfache Lö-
sung“, oder, um den Wagenknecht’schen Wortbaukasten
zu verwenden: „Das sind Zombies und Zocker! Es gibt
Abgründe“, das ist toll für Volksreden hier im Deutschen
Bundestag, aber das bringt uns kein Stück weiter.

Ich würde mit Ihnen gerne über die Inhalte diskutie-
ren. Sie haben es rudimentär angesprochen: Die 8 Pro-
zent, die die Bail-in-fähigen Gruppen leisten müssen,
sind Ihnen nicht genug. 8 Prozent hätten aber in der alten
Finanzkrise in den meisten Fällen ausgereicht. Das ge-
hört auch zur Wahrheit dazu.

Lassen Sie uns uns doch einmal über die Mechanis-
men unterhalten, wann wer wie wo einen Sanierungs-
und Abwicklungsplan erstellen muss. Lassen Sie uns uns
doch einmal über die Mechanismen unterhalten, wer
wann wo wie was entscheidet.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kompliziert genug!)


Lassen Sie uns uns doch einmal über die Mechanismen
unterhalten, wer wann wie wo feststellt, welcher Teil ei-
ner Bank systemgefährdend ist und welcher Teil einer
Bank nicht systemgefährdend ist. Darüber müssen wir
uns unterhalten. Genau hier anzusetzen, das wäre seriöse
Oppositionsarbeit. Aber es ist keine seriöse Oppositions-
arbeit, wenn man hier Volksreden hält, die im Übrigen
nicht einmal richtig waren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ich will damit nicht sagen, dass das, was hier vor sich
geht, nicht zu kritisieren ist. Die entsprechenden Punkte
sind angesprochen worden, auch vom Finanzminister.
Die EZB ist nicht sakrosankt. Es ist nicht alles richtig,
was sie macht. Da kann man auch durchaus einmal sa-
gen: Das passt uns nicht.

Natürlich muss die EZB im Zuge dieses Aufsichts-
prozesses Vertrauen aufbauen. Im Zusammenhang mit
den Stresstests ist das nicht immer gut gelungen; das hat
der eine oder andere Kollege bereits angesprochen. Na-
türlich müssen wir uns immer wieder fragen – übrigens
viel früher als heute hier im Bundestag –: Sind die ge-
troffenen Regeln wirklich gut? Das haben wir gemacht.
Wir haben gemeinsam mit den Kollegen der SPD inten-
siv mit unseren europäischen Kollegen gesprochen, da-
mit genau das nicht passiert, was befürchtet wird, näm-
lich dass die Sparkassen und Volksbanken die Zeche
zahlen. Das ist unsere gemeinsame Initiative gewesen.
Dafür haben wir gesorgt, meine Damen und Herren. Da
werden wir auch weiter dranbleiben.

Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Regulierung,
die wir vornehmen, immer besser wird. Es gibt ganz
viele Ansatzpunkte für Kritik. Aber ich will dafür wer-
ben, dass wir in der Sache kritisieren und uns auf Details
einlassen. Denn eines haben wir im Zuge der Finanz-
marktregulierung gelernt: Es gibt nicht den großen grü-
nen Knopf, auf den man drückt, und dann wird alles gut,
sondern es sind Hunderte von kleinen Maßnahmen nö-
tig. Es handelt sich um Gesetzespakete, die 500 bis





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)

600 Seiten umfassen, die man sich durchlesen muss und
bei denen man an kleinen Schräubchen justieren muss.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Verstehen muss man sie auch noch!)


All das vermisse ich bei ganz vielen von der Opposition.

Ich kann Sie wirklich nur bitten: Nutzen Sie diesen
Gesetzgebungsprozess dazu, mit uns darüber zu disku-
tieren, wie man die vier vorliegenden Gesetzentwürfe
gut bzw. besser machen kann. Nutzen Sie die Zeit aber
auch dazu, zu überlegen, wie wir uns in all die Prozesse
der europäischen Bankenregulierung noch stärker und
früher einbringen können. Richtig ist nämlich auch: Eine
hundertprozentige Sicherheit haben wir nicht. Richtig ist
auch: Wir müssen noch ziemlich viel arbeiten, bis die
Bankenregulierung so ausgestaltet ist, dass wir den Bür-
gerinnen und Bürgern sagen können, dass sie als Steuer-
zahler tatsächlich nicht mehr für Banken haften müssen,
dass wir den Bürgerinnen und Bürgern sagen können,
dass Banken ein ganz normaler Teil des Wirtschaftssys-
tems wie die Automobilindustrie, der Handwerker und
viele andere auch sind, dass wir den Bürgerinnen und
Bürgern sagen können: Ja, eine Bank kann in die Insol-
venz und in die Abwicklung gehen, ohne dass dadurch
das gesamte Finanzsystem oder ganze Volkswirtschaften
in den Abgrund gerissen werden.

Wir gehen heute einen ganz wichtigen Schritt in diese
Richtung. Ich freue mich auf die gemeinsamen Beratun-
gen in der Sache, und zwar ohne irgendwelche Volksre-
den. Ich denke, das kriegen wir gut hin.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805400800

Axel Troost ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805400900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

alle erinnern uns noch daran, wie wir vor ein paar Jahren
hier gestanden und ein Bankenrettungspaket nach dem
anderen durchgezogen haben. Sicherlich dienten die
heutigen Lobreden in Bezug auf das, was wir beraten
und verabschieden sollen, auch dazu, noch einmal deut-
lich zu machen, wie unwürdig das damalige Verfahren
gewesen ist und dass sich nun alle bemühen, dass so et-
was nicht mehr zustande kommt. Ich glaube auch, dass
es sich heute keine Regierung und keine Regierungsfrak-
tion mehr leisten kann, noch einmal so vorzugehen, wie
das damals der Fall war.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben gesehen, dass eine Bankenkrise in der Tat
nicht allein auf nationaler Ebene zu lösen ist und dass
bei Abwicklungen aufgrund verschiedener Regelungen
in den jeweiligen Ländern natürlich erheblicher Abstim-
mungsbedarf besteht. Insofern glaube ich, dass ein euro-
päisches Abwicklungssystem vom Prinzip her erst ein-
mal sinnvoll ist. Es muss aber eben auch funktionieren.
Um im Bild vom Kollegen Brinkhaus zu bleiben: Wenn
am Schluss das Dach fehlerhaft ist, dann hat man eben
einen Dachschaden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das könnte das Problem sein, über das wir hier noch re-
den müssen.

Ich möchte zumindest zwei Punkte aus einer Reihe
von Punkten ansprechen, die für meine Begriffe völlig
ungelöst sind:

Erster Punkt. Einige Banken sind nach wie vor we-
sentlich zu groß, zu komplex und zu vernetzt. Ich
möchte das am Beispiel der Deutschen Bank aufzeigen.
Die Deutsche Bank hat sich innerhalb des Finanzsystems
mit 250 Milliarden Euro verschuldet. Sie hat ihrerseits
Forderungen gegen andere Banken in einer Größenord-
nung von 300 Milliarden Euro. Solche Forderungen
kann man nicht vernünftig abwickeln, ohne dass man
Schneeball- bzw. Dominoeffekte auslöst. Wenn man be-
denkt, dass wir allein in der Euro-Zone zehn Banken ha-
ben, die eine Bilanzsumme von über 1,5 Billionen Euro
aufweisen, dann muss man an diese Banken heran und
schauen, dass man sie auf ein vernünftiges Maß verklei-
nert. Das muss man dann wirklich auch erzwingen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es handelt sich dabei in der Tat um einen komplizierten
Prozess, bei dem man sich mit der Finanzbranche anle-
gen muss. Darum kommt man aber nicht herum.

Kollege Brinkhaus, wir beide waren damals in New
York in der Filiale der Deutschen Bank und waren uns
einig: Ein Konstrukt mit der Größenordnung wie die
Deutsche Bank kriegt man weder als kapitalistisches
noch als vergesellschaftetes Unternehmen vernünftig ge-
managt. Insofern müssen wir an diese Größenordnungen
heran. Denn man merkt, dass in der Branche die Zocke-
rei schon wieder überall angefangen hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Zweiter Punkt. Die Idee eines europäischen Abwick-
lungssystems hört sich gut an, wenn es auch alle Stand-
orte erfasst. Von den 40 großen europäischen, grenzüber-
schreitenden Bankengruppen agieren aber nur
5 Bankengruppen in Staaten der Bankenunion. Im Rah-
men unseres Besuches in Großbritannien haben uns Ver-
treter der Finanzbranche und auch die Abgeordneten
dort gesagt: Gute Idee mit der europäischen Banken-
union. Aber nicht mit uns.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stimmen da genauso ab in der Fraktion!)


Zu Deutsch: All die Banken, die in London, dem größten
Börsenplatz, in erheblichem Umfang aktiv sind – das
sind fast alle großen –, sind nicht in vollem Umfang im
Bereich der Bankenunion erfasst. Das heißt: In Krisen-
fällen wird man vor dem Problem stehen, wie man das
britische Geschäft vom Restgeschäft abgrenzt, um das





Dr. Axel Troost


(C)



(D)(B)

Risikogeschäft in den Griff zu bekommen. Insofern
glaube ich, dass es noch erhebliche Schwächen gibt, die
aus dem hektischen Schritt resultieren, die EZB für das
Ganze zuständig zu machen.

Ein letzter Punkt, der für mich ganz zentral ist, ist die
Frage der Bankenabgabe, also des Aufbaus des Banken-
rettungsfonds. Diesbezüglich ist noch nichts entschie-
den, aber es zeichnet sich ab, dass in ganz erheblichem
Umfang auch kleine Banken herangezogen werden, also
kleine Sparkassen und kleine Genossenschaftsbanken.
Diese haben nichts mit diesem Fonds zu tun, weil sie
erstens im Zweifelsfall überhaupt nicht gerettet, sondern
abgewickelt würden, weil sie zweitens eigene Siche-
rungssysteme haben, die aber einfach nicht zur Kenntnis
genommen werden, und weil sie drittens ein Geschäfts-
modell haben, das dafür sorgt, dass sie solche Probleme
gar nicht erst bekommen. Ich spreche in diesem Zusam-
menhang von den Sparkassen, nicht von den Landesban-
ken.


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Und wer gibt das Geld den Landesbanken?)


– Das hat doch damit nichts zu tun. Die Landesbanken
sollen doch die Abgabe zahlen. Aber deswegen muss
doch nicht auch die kleine Sparkasse zahlen, die damit
nichts zu tun hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Deswegen müssen auch wir als deutsches Parlament
noch einmal deutlich machen, dass nicht die Falschen
zur Finanzierung von Großzockerbanken herangezogen
werden dürfen, sondern die Kleinen weitestgehend be-
freit werden müssen. Das ist ein ganz großes Anliegen
der Sparkassen und der Kreditgenossenschaften.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805401000

Herr Kollege, ich entnehme Ihrem Beitrag vor allen

Dingen die ermutigende Auskunft, dass gemeinsame
Dienstreisen von Ihnen und dem Kollegen Brinkhaus zur
Beförderung gemeinsamer Einsichten erheblich beitra-
gen können.


(Heiterkeit – Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Das stimmt! – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn jetzt noch mehr mitreisen dürften! Stellen Sie sich vor, es hätten mehr als zwei mitfahren dürfen, Herr Lammert! – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ich kriege jetzt keine Reisegenehmigung mehr nach der Nummer!)


Nun hat der Kollege Zöllmer für die SPD-Fraktion
das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1805401100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein

kluger Mann hat einmal gesagt: Für jedes komplexe Pro-
blem gibt es eine einfache Lösung, und die ist falsch. –
Liebe Frau Wagenknecht, mit billigem Talkshowpopu-
lismus aus der Phrasendreschmaschine kann man kom-
plexe Probleme nicht lösen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: So ist das!)


Die Probleme, mit denen wir es zu tun haben, sind
wirklich komplex. Ich darf noch einmal daran erinnern:
Von 2008 bis 2012 musste das Finanzsystem in Europa
mit 1,5 Billionen Euro vor dem Kollaps bewahrt werden.
Die Finanzkrise hat eine tiefe Rezession ausgelöst, deren
Folgen in vielen Ländern im Süden bis heute nicht über-
wunden sind. Die Arbeitslosigkeit ist auf Rekordniveau
gestiegen. Viele Menschen haben dramatische Wohl-
standseinbußen erlitten. Von der Finanzkrise ging es
dann nahtlos über in die Staatsschuldenkrise. Das Ver-
trauen in die Stabilität des Finanzsystems ist bei vielen
Menschen nach wie vor erschüttert. Deswegen ist es so
wichtig, Problemlösungen zu präsentieren.

Die Lehre, die wir aus der Finanzkrise gezogen ha-
ben, war: Eine solche Krise darf sich nicht wiederholen,
die Finanzmärkte müssen eingefangen werden, sie brau-
chen Leitplanken, und nie wieder soll der Steuerzahler
die Zeche für die Gier von Bankern zahlen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Dann stimmen Sie jetzt auch dagegen?)


Die Banken waren, wie man das auf Englisch sagt,
„too big to fail“, also zu groß, um pleitezugehen, weil
damit unkalkulierbare Risiken für das gesamte Finanz-
system verbunden waren und damit Risiken für alle
Menschen.


(Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Die sind doch heute noch größer!)


Das hat mit Marktwirtschaft nichts zu tun, aber viel mit
zu großer wirtschaftlicher Macht. Diese Banken haben
sich der nationalen Kontrolle entzogen; denn sie agieren
europaweit und weltweit. Wir hatten damals eine natio-
nale Bankenaufsicht. Dies war nicht mehr vernünftig.
Die Bankenaufsicht konnte die Funktion nicht adäquat
erfüllen. Die Krise hat das mit aller Deutlichkeit gezeigt.

Deshalb sollte, deshalb musste eine Bankenunion in
Europa errichtet werden. Das war von Anfang an die
Forderung von uns Sozialdemokraten. Der Kollege
Schick hat eben deutlich gemacht, dass der Weg dahin
etwas holprig war, aber jetzt haben wir sie. Der Banken-
sektor musste stabilisiert werden, damit die Folgen von
wirtschaftlichem Fehlverhalten beherrschbar bleiben.
Nicht der Steuerzahler, sondern der Eigentümer und der
Gläubiger sollen und müssen zukünftig die finanziellen
Folgen tragen. Das haben wir als Sozialdemokraten von
Anfang an gefordert.

Mit dem vorliegenden Gesetzespaket soll diese For-
derung nun schrittweise umgesetzt werden. Eine grund-
legende Neugestaltung des Regulierungs- und Aufsichts-
rahmens des Finanzsektors soll nun Realität werden. Es
geht dabei um eine gemeinsame Bankenaufsicht sowie
um einen gemeinsamen Rahmen für die Sanierung und
Abwicklung von Kreditinstituten.

(A)






Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese Bankenunion
ist ein wirklicher Quantensprung der Integration der
Finanzmärkte, ein neues Stück Europa,


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


eine wirkliche Integrationsrevolution. Sie war vor zehn
Jahren noch völlig undenkbar.

Die Bankenaufsicht für systemrelevante große Insti-
tute soll zukünftig von der EZB übernommen werden.
Der Finanzminister hat eben ausgeführt, dass es nicht
ganz einfach ist, Geldpolitik und gleichzeitig Banken-
aufsicht zu betreiben. Wir brauchen eine adäquate Tren-
nung dieser beiden Bereiche, und wir brauchen die Per-
spektive, dass die Bankenaufsicht in Zukunft wieder aus
der EZB herausgelöst und in eine eigenständige Behörde
überführt wird.


(Beifall bei der SPD)


Die Bankenaufsicht muss so gestaltet werden, dass sie
schlagkräftig ist, dass sie leistungsfähiger ist und über
den notwendigen Biss verfügt. Dazu ist eine enge Ko-
operation mit den nationalen Aufsehern notwendig.
Dazu brauchen wir klare Schnittstellen sowie klare Zu-
ständigkeiten und Verantwortlichkeiten auf beiden Sei-
ten. Das gilt für die EZB, das gilt in Deutschland für die
BaFin und genauso für die Bundesbank.

Wer Banken sanieren und abwickeln muss und will,
braucht dazu Geld, im Regelfall viel Geld. Wir wollen,
dass dieses Geld zukünftig nicht mehr vom Steuerzahler
aufgebracht wird. Ein zentrales Instrument in diesem
Zusammenhang ist der Bankenhaftungsfonds. Er soll
von Beiträgen der Banken gespeist werden. Der Fonds
soll nach einer Übergangsfrist in acht Jahren mit einem
Volumen von 55 Milliarden Euro zur Verfügung stehen.
Die Ausgestaltung der Beiträge, die die Banken zu leis-
ten haben, wird durch einen delegierten Rechtsakt auf
europäischer Ebene festgelegt. Ohne ein faires System
der Bankenabgabe – das sage ich hier mit aller Deutlich-
keit – wird es allerdings keine Zustimmung meiner Frak-
tion zu dem Gesamtpaket geben. Das ist für uns ein ganz
wichtiger Punkt.


(Beifall bei der SPD – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh, eine rote Linie!)


Banken mit hohem Risiko müssen den Löwenanteil
der Mittel aufbringen. Wer höhere Risiken hat, muss hö-
here Abgaben zahlen. Das bedeutet auch, dass diese Bei-
träge – ein Kollege hat vorhin darauf hingewiesen –
nicht von der Steuer abgesetzt werden dürfen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Auch hier muss die Eigenverantwortung der Institute
und darf nicht der Steuerzahler das Maß aller Dinge sein.

Wir haben gehört, dass es eine Haftungskaskade gibt.
Bevor diese Mittel in Anspruch genommen werden,
müssen die Anteilseigner und Gläubiger die Verluste bis
zu einem Gesamtvolumen von 8 Prozent der gesamten
Verbindlichkeiten nebst Eigenmitteln tragen. Mit dieser
Haftungskaskade wird das Ziel einer Entlastung des
Steuerzahlers umgesetzt. In Deutschland wird die
Finanzmarktstabilisierungsanstalt die Sanierung und Ab-
wicklung für eine Übergangszeit durchführen. Danach
wird das Ganze in die BaFin überführt und dort als soge-
nannte Anstalt in der Anstalt angesiedelt.

Wir werden im Beratungsprozess dieser Gesetzent-
würfe über eine ganze Reihe von Fragen zu diskutieren
haben. Dabei geht es um die Frage eines möglicherweise
zwangsweisen Rechtsformwechsels in einer Krisensitua-
tion. Das betrifft Sparkassen und Genossenschaftsban-
ken. Wir werden uns mit diesem Thema intensiv aus-
einandersetzen und dies prüfen müssen.

Zusammenfassend möchte ich deutlich machen: Mit
diesem Gesetzespaket wird eine neue Ära eines refor-
mierten Finanzsektors begonnen. Er wird sicherer und
stabiler sein. Im Falle einer Krise werden zukünftig der
Eigentümer und der Gläubiger und wird nicht mehr der
Steuerzahler zur Kasse gebeten. Auch Banken können
dann abgewickelt werden. Dieser Bereich wird dann
keine marktwirtschaftsfreie Zone mehr sein, und das ist
auch gut so.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805401200

Der Kollege Sarrazin bekommt als nächster Redner

das Wort für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Manuel Sarrazin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805401300

Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-

legen! Zunächst nachträglich herzlichen Glückwunsch
zum Geburtstag an Bundesminister Schäuble. Ich
glaube, Ihnen auch zur Ausgestaltung der Bankenunion
zu gratulieren, ist vielleicht richtig; Sie sind schon ein
echter Europäer. Aber Ihnen dazu zu gratulieren, dass
Sie den größten Anteil an der am Ende inhaltlich viel
besser gewordenen Ausgestaltung hatten, das wäre zu
viel des Lobes. Sie haben bei diesem wichtigen Thema
lange Zeit zu bremsen versucht und allein darauf gedrun-
gen, dass wir jetzt unter anderem einen Gesetzentwurf
vorliegen haben, um eine völkerrechtliche Vereinbarung
zur Ausgestaltung der Bankenunion, des Abwicklungs-
fonds und des Abwicklungsmechanismus zu ratifizieren.

Das haben Sie durchgesetzt mit einer Interpretation
des Gemeinschaftsrechts, die exklusiv Sie hatten. Sie ha-
ben diesen Weg gewählt, um die Abgeordneten des
Europäischen Parlaments, die in diesem Fall durchge-
setzt haben, dass nationale Bankenrettungsinteressen
nicht mehr Vorrang haben können vor europäischen Inte-
ressen, auch Gläubiger zu beteiligen, in den Verhandlun-
gen zu negieren. Das ist Ihnen nicht gelungen. Die euro-
päischen Abgeordneten haben Ihnen mehr abverhandelt,
als Sie wollten, und, ganz nebenbei, mehr als die 27 an-
deren Finanzminister. Von daher gratuliere ich Ihnen,
Herr Minister, zum Geburtstag, und ich gratuliere unse-
ren Kollegen im Europäischen Parlament dazu, dass
heute im Bundestag damit begonnen wird, etwas durch-
zusetzen, an dem sie einen wichtigen Anteil hatten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Manuel Sarrazin


(A)



(D)(B)

Das Prinzip ist doch eigentlich ziemlich logisch: Wir
brauchen die Bankenunion auch, um die wirtschaftliche
Erholung in den Ländern, in denen die Krise besonders
schlimm zugeschlagen hat, voranzubringen. Wenn vor
allem kleine und mittelständische Unternehmen nicht
mehr Zugang zu den Finanzmärkten haben, nicht mehr
Kredite verlängern können, dann werden Menschen ar-
beitslos. In Portugal sind 90 Prozent der Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer in Betrieben beschäftigt, in
denen weniger als neun Menschen arbeiten. Gerade
diese Betriebe haben jetzt Probleme, an Kapital zu kom-
men. Das führt dazu, dass Menschen nicht mehr in Ar-
beit, nicht mehr in Ausbildung kommen. Deswegen ist
die Bankenunion richtig.

Aber eine Lehre aus der Krise muss doch auch sein,
dass wir starke gemeinsame europäische Institutionen
brauchen, die unter Berücksichtigung nationaler Interes-
sen, aber eben auch unter Berücksichtigung des europäi-
schen Interesses entscheiden. Hier musste das Europäi-
sche Parlament Ihnen abverhandeln, dass nicht die
Nationalstaaten – vor allem Deutschland und Frankreich –
etwas verhindern können, was im europäischen Interesse
wäre. Deswegen sind wir mit dem Verhandlungsergebnis
zur Bankenunion ganz zufrieden.

Man muss aber sagen, dass das Verfahren im Hinblick
auf diesen völkerrechtlichen Vertrag genau diesem Inte-
resse in zweierlei Hinsicht massiv schadet:

Erstens. Es ist unserer Meinung nach ein klares
Rechtsprinzip, dass dort, wo eine europäische Kompe-
tenz vorliegt, diese auch genutzt werden muss. Man
kann nicht in einem Bereich, wo ein Mitentscheidungs-
recht des Europäischen Parlaments vorliegt, eine völker-
rechtliche Vereinbarung schließen – das wäre das aller-
erste Mal –, auf die das Europäische Parlament im
offiziellen Verfahren keinen Einfluss mehr hat. Das ist
ein Präzedenzfall, der, wenn dies Schule macht, zu einer
Erosion der demokratischen Verfasstheit der Europäi-
schen Union beitragen kann. Denn man könnte sich da-
rauf berufen: Einmal ging das, jetzt geht das immer.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Mit dieser komischen Konstruktion ma-
chen Sie die Bankenunion auch nicht rechtssicherer. Zu-
mindest wir sind davon überzeugt, dass die antieuropäi-
schen Kläger aus Linkspartei und AfD und der Kollege
Gauweiler – der in dieser Hinsicht meistens die klügsten
Angriffspunkte findet; inhaltlich hat er jedoch unrecht –
genau auf diesen Punkt rekurrieren werden. Wir hätten
uns gewünscht, dass Sie den Mut hätten, durch eine or-
dentliche europäische Lösung und durch Bestätigung der
europäischen Kompetenz – beispielsweise durch eine
Stellungnahme des Deutschen Bundestages, wie wir sie
eingebracht haben – die Zweifel, die vielleicht in Karls-
ruhe an der Legitimation aus Deutschland vorliegen
könnten, auszuräumen, statt einen Präzedenzfall zu
schaffen, der dafür sorgt, dass das Europäische Parla-
ment in Zukunft umgangen werden kann, wenn man das
möchte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich möchte eines hinzufügen: Ich persönlich habe
beim Thema „direkte Bankenrekapitalisierung“ oftmals
eine Meinung vertreten, die auch die SPD angegriffen
hat. Ich glaube, dass wir einen Backstop brauchen, und
ich finde, man muss immer wieder offen darüber reden,
ob man ein solches Instrument vielleicht braucht. Des-
wegen haben wir Grüne auch offene Diskussionen da-
rüber geführt.

Ehrlich gesagt, haben wir mit der Bankenunion eine
Entwicklung, bei der wir uns fragen: Warum integriert
man diesen Backstop jetzt nicht in die Struktur der Ban-
kenunion? Warum sorgt man für eine neue Struktur? Wa-
rum gibt man jetzt dem ESM eine solche Kompetenz,
anstatt zu sagen: „Bis das Geld vorhanden ist, organisie-
ren wir den Backstop über eine Kreditlinie im ESM für
den Bankenabwicklungsfonds bzw. den Bankenabwick-
lungsmechanismus, um so nicht wieder einen Wald von
Regeln zu schaffen, den am Ende keiner mehr versteht,
sondern um das gemeinsame europäische Haus zu voll-
enden und an dieser Stelle gut genug auszustatten“?

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805401400

Die Kollegin Antje Tillmann erhält nun das Wort für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Antje Tillmann (CDU):
Rede ID: ID1805401500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Kollege Sarrazin,
Ihren Satz, dass die Bankenunion richtig ist, kann ich so-
fort unterschreiben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Anders als Sie sind wir aber der Meinung, dass es auch
richtig ist, dass Entscheidungen über das Geld des deut-
schen Steuerzahlers – und darüber reden wir ja zum Bei-
spiel beim Bankenabwicklungsfonds – im deutschen
Parlament getroffen werden. Die Kollegen im Europäi-
schen Parlament sind gut unterwegs; die Zusammenar-
beit ist hervorragend. Aber wenn wir über deutsche
Steuergelder sprechen, dann sollten wir in diesem Parla-
ment auch Rechenschaft gegenüber den deutschen
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern ablegen. Deshalb
glaube ich, dass Sie in diesem Punkt irren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Die Bankenunion ist ein Teil eines Sicherheitskon-
zepts, das wir seit 2008 nach und nach einpflocken.
Finanzmärkte, Finanzakteure und Finanzinstrumente un-
terliegen längst einer besseren Aufsicht. Neben den klas-
sischen Instrumenten, wie dem Entzug der Bankzulas-
sung oder der Abberufung von Vorständen, haben wir
die Eigenkapitalvorschriften für die Banken verschärft.
Wir haben empfindliche Bußgelder bei fehlerhafter Be-
ratung eingeführt, und wir haben, Herr Kollege Troost,
durch das Trennbankengesetz immerhin sichergestellt,
dass große Banken zwar nicht zwangsverkleinert wer-
den, sie aber ihre riskanten Geschäfte von den weniger

(C)






Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)

riskanten Geschäften abtrennen müssen; darüber werden
wir in diesem Gesetzgebungsverfahren noch diskutieren.
Natürlich müssen wir auch hier sicherstellen, dass sich
Großbanken im Zusammenhang mit diesem Abwick-
lungsmechanismus sicherer aufstellen, als sie es bisher
tun.

Zu diesem Sicherheitssystem gehört auch der Fiskal-
pakt. Ein Land, das selber eine solide Haushaltsführung
hat, kann seine eigenen Banken natürlich sehr viel eher
auf solide Füße stellen. Deshalb haben wir mit der Ein-
führung der Schuldenbremse in Europa einen wesentli-
chen Schritt dazu beigetragen, dass die Finanzmärkte si-
cherer werden. Ich glaube, keiner von uns hätte damit
gerechnet, dass eine Einigung so schnell erreicht werden
kann. Wir führen ja parallel die Haushaltsberatungen:
Deutschland ist hier Vorreiter. Wir werden unsere Defi-
zite reduzieren, und wir hoffen, dass die europäischen
Partner Ähnliches tun; denn auch der Fiskalpakt ist ein
Teil der Sicherheit für die Steuerzahlerinnen und Steuer-
zahler in Europa.

Neben der Haushaltskonsolidierung haben wir als
zweite Sicherheitsschwelle den Europäischen Stabilitäts-
mechanismus eingeführt. Über den ESM kann jedes
europäische Land, das in eine Krise gerät und aus dieser
Krise nicht alleine herauskommt, Reformmaßnahmen
finanzieren. Das Land muss ein Sanierungsprogramm
vorlegen und kann dann für eine Überganszeit Hilfen be-
kommen. Dass das kein Kinderspiel ist, zeigt sich daran,
dass sich viele Länder lange geweigert haben, überhaupt
unter den Rettungsschirm zu gehen. Dass dies aber zu ei-
nem Erfolg führen kann, zeigen die Länder Irland, Portu-
gal und Spanien, die über diese Hilfen auf einem guten
Weg sind, ihre Haushalte zu konsolidieren.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Und was ist mit Griechenland?)


Für den Ernstfall vorbereitet zu sein, kann aber nicht
unser primäres Ziel sein. Ziel muss es sein, den Ernstfall
zu verhindern. Deswegen haben wir weitreichende Re-
formen – höhere Eigenkapitalanforderungen, die Regu-
lierung von Ratingagenturen und bisher außerbörslicher
Termingeschäfte sowie die Stärkung der Finanzaufsicht –
beschlossen. Wir wollen verhindern, dass Banken nur
auf kurzfristigen Profit aus sind. Deshalb haben wir die
Banker-Boni beschränkt und einen längerfristigen Be-
trachtungshorizont zugrunde gelegt. Außerdem haben
wir strenge Strafen für solche Bankvorstände eingeführt,
die ihr Institut bewusst in Schieflage bringen.

Neben der Regulierung der Banken haben wir aber
auch die nationalen Aufsichtsbehörden im Blick. Es ist
heute schon darauf hingewiesen worden, dass in der Ver-
gangenheit nationale Aufsichten offensichtlich nicht so
gut aufgestellt waren, dass sie Risiken rechtzeitig er-
kannt haben, geschweige denn, dass sie sie hätten ver-
hindern können. Am 4. November dieses Jahres, also
übernächsten Monat, beginnt die europäische Banken-
aufsicht für die größten europäischen Banken. Auch das
ist ein Weg hin zu gemeinsamer europäischer Sicherheit
auf den Finanzmärkten.
Die Einlagensicherung haben wir europäisiert. Der
Kleinsparer in Europa kann sicher sein, dass er sein Gut-
haben auch dann wiederbekommt, wenn er es nicht in
Deutschland, sondern bei einer europäischen Bank an-
legt, und zwar selbst dann, wenn diese Bank in Schwie-
rigkeiten gerät.

Was geschieht heute? Heute vollenden wir diese Si-
cherheitsmaßnahmen für die Finanzmärkte mit der Ban-
kenunion. Wir verhindern weitgehend, dass der europäi-
sche Steuerzahler künftig ein weiteres Mal für bankrotte
Banken zahlen muss, weil wir nämlich zunächst die Ei-
gentümer haften lassen. Frau Wagenknecht, Ihre Aus-
sage, dass nach 8 Prozent Eigentümerhaftung der deut-
sche Steuerzahler zahlt, ist schlicht falsch. Sie haben
nämlich die Kreditgeber und den Bankenfonds, der
ebenfalls vor dem Steuerzahler zahlen und haften muss,
völlig aus den Augen verloren.


(Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Ja, wenn er mal irgendwann gefüllt ist!)


Das ist sachlich falsch, das verunsichert die Bürgerinnen
und Bürger, das ist unverantwortlich und stimmt einfach
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Ja, im Rahmen der Gesetze, mit deren Beratung wir
heute beginnen, ist auch die direkte Bankenrekapitalisie-
rung ein Thema. Aber in der Vergangenheit hätte bis auf
einen Fall in allen Fällen der Bankenrettung und Ban-
kenabwicklung das heutige Haftungssystem ausgereicht.
Der ESM wäre für eine direkte Bankenrekapitalisierung
überhaupt nicht in Anspruch genommen worden. Es
hätte ausgereicht, Eigentümer, Kreditgeber und den Ban-
kenfonds zahlen zu lassen. Wir hätten den ESM nicht
gebraucht. Trotzdem ist es richtig, dass als letzte Sicher-
heitsmaßnahme auch der ESM für die direkte Banken-
rekapitalisierung zur Verfügung steht, aber natürlich un-
ter den gleichen Voraussetzungen, unter denen der ESM
auch Länder finanzieren kann: mit ganz strengen Sanie-
rungsauflagen und mit ganz strengen, nachvollziehbaren
Sanierungsprogrammen. Wir sind sehr optimistisch, dass
ein solcher Fall überhaupt nicht in Kraft treten wird.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Sehr schön!)


Wir haben das Gesetzgebungsverfahren ganz bewusst
– Herr Kollege Zöllmer, da sind wir uns einig – so ge-
staltet, dass wir abwarten können, wie sich die Europäi-
sche Kommission zur Bankenabgabe aufstellt. Wir be-
schließen mit diesen Gesetzentwürfen, die im Deutschen
Bundestag zu verabschieden sind, dass die Bankenab-
gabe auf jeden Fall größenorientiert und risikoabhängig
sein muss. Damit haben wir einen ersten Pflock einge-
schlagen, kleinere, nicht risikoorientierte Banken, zum
Beispiel Genossenschaftsbanken und Sparkassen, nicht
übermäßig zu belasten. Wir werden im weiteren Gesetz-
gebungsverfahren abwarten, ob die Kommission ihren
Vorschlag im Oktober dieses Jahres konkretisiert. Wir
werden dann reagieren und entscheiden, wie weit wir
diese Maßnahmen im Deutschen Bundestag unterstützen
können. Der Zeitplan sieht das vor, und wir werden in
den weiteren Beratungen hierauf reagieren können.





Antje Tillmann


(A) (C)



(D)(B)

Axel Troost hat darauf hingewiesen – ich glaube, da
sind wir uns einig –: Wir müssen uns europäisch aufstel-
len und die europäische Situation im Auge behalten. –
Deshalb kann es nicht bei jedem Einzelpunkt einen Son-
derplan für Deutschland geben. Hier stehen wir alle auf
einer Seite. Kleine Banken, die nicht risikoorientiert
sind, sollen nach Möglichkeit nicht für die Bankenab-
gabe aufkommen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Manfred Zöllmer [SPD])


Die Bankenunion ist also auf einem guten Weg. Ich hatte
bei der Opposition nicht den Eindruck, dass es da große
Bedenken gibt.

Dass der Finanzminister keinen Glückwunsch be-
kommen soll, Herr Sarrazin, ist ihm, glaube ich, egal.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na dann!)


Gut ist, dass Sie die Bankenunion positiv dargestellt ha-
ben. Wir sind damit aber noch nicht am Ende. Wir wer-
den nach der Bankenunion mit dem Einpflocken des
Sicherheitssystems bei Schattenbanken weitermachen
müssen. Was die Versicherungen angeht, werden wir im
Rahmen von Solvency II Maßnahmen einführen, die den
Finanzsektor sicherer machen werden. Jede einzelne die-
ser Maßnahmen bringt mehr Sicherheit auf den Finanz-
märkten und einen größeren Schutz der Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahler. Wir sind auf einem guten Weg,
aber natürlich noch nicht fertig. Wir sollten diesen Weg
weiter beschreiten. Dazu fordere ich Sie herzlich auf.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805401600

Nächster Redner ist der Kollege Lothar Binding für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1805401700

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Auch von mir ein paar
Worte zu Sahra Wagenknecht. Sie haben gesagt: Im
ESM wird das Geld verbrannt, das hier für die Infra-
struktur gebraucht wird. – Das hat uns natürlich aufmer-
ken lassen; denn der ESM ist ja ein europäisches Kon-
zept. In ihm ist übrigens nicht nur deutsches Geld,
sondern auch das Geld vieler anderer Länder enthalten.
Ihre Formulierung – das Geld, das hier gebraucht wird –
deutet in einer gewissen Weise auf Deutschland hin und
hat uns, wie gesagt, hellhörig gemacht.

Ich möchte einen komplexen, volkswirtschaftlichen
Zusammenhang anhand eines Beispiels quantifiziert dar-
stellen, und zwar so einfach, dass man ihn gut verstehen
kann –


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD)

dies zeigt auch die Schnittstelle zwischen der AfD und der
Linken, die immer mit der Vorstellung kommen, dass wir
der größte Nettozahler sind und unser Geld in Europa ver-
lieren –: 1 Euro fließt nach Europa. Dann kommt er in
Brüssel an und ist weg. Jetzt kann man natürlich an die-
ser Stelle aufhören, zu denken. Aber wir denken heute
ausnahmsweise einmal weiter.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Spanier bekommen diesen Euro nur, wenn sie einen
zweiten Euro hinzufügen. Mit diesen beiden Euros kau-
fen die Spanier in Deutschland eine Straßenbauma-
schine.


(Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Ich habe über Bankenrettung geredet und nicht über Investitionen!)


Beim Kauf dieser Maschine wird der eine Euro für das
Material ausgegeben und der andere Euro für die Löhne.
Die Arbeitnehmer fahren dann mit diesen Löhnen nach
Spanien in Urlaub. Jetzt merkt man plötzlich, wie sich
ein Geldkreislauf schließt.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Wir kritisieren ja, dass die Banken wirtschaftlich gar nicht angebunden sind!)


Wenn man solche Sätze, wie Sie es getan haben, for-
muliert, muss man also immer schauen, dass man nicht
einem Irrtum aufsitzt, weil sich, wenn man in einem run-
den Modell nur weit genug nach rechts oder nach links
geht,


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Oder nach Spanien!)


die Methoden verdächtig nahekommen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man muss sehr aufpassen, wenn man solche Sätze for-
muliert.

Schauen wir einmal vorsichtig, ob wir uns trotzdem
annähern können, wenn wir eine gewisse Rationalität
walten lassen. Sie wollen ja nicht, dass das Geld ver-
brannt wird, obwohl Sie noch gar nicht erklärt haben,
was das eigentlich bedeutet: Wer hat das Geld, wenn es
irgendwo verschwindet? Irgendjemand hat es ja.

Wir wollen, dass in der allergrößten Not zunächst ein-
mal die Aktionäre, die auf eine Dividende gehofft haben,
verantwortlich sind. Wären wir uns da einig? Die Aktio-
näre sollen zahlen. Diese sind ja tendenziell ohnehin die
Bösen. Sie zahlen zuerst. Dann kommen die Gläubiger
– vorrangige und nachrangige –, die auch auf Gewinne
gehofft haben. Auf der Grundlage einer solchen Haftungs-
kaskade ist also klar, wer welche Verantwortung trägt.
Wahrscheinlich wären wir da auch noch einig. Dann kom-
men die Anleger mit Einlagen über 100 000 Euro. Das
sind die, von denen wir wähnen, dass sie starke Schul-
tern haben und ein solches Risiko eher tragen können als
die, die vielleicht ihren Spargroschen abgegeben haben.
Dann kommt der Bankenhaftungsfonds, bei dem es uns





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)

ganz wichtig war, dass er von den Banken gespeist wird.
Ihr Zwischenruf lautete: Ja, wenn er denn mal voll ist! –
Das stimmt. Er soll 55 Milliarden Euro umfassen. Das
wird eine Weile dauern. Aber zumindest sind die Banken
verantwortlich dafür, 55 Milliarden Euro einzuzahlen.
55 Milliarden Euro sind ja immerhin mehr als nichts.
Dann kommen die Länder, und irgendwann kommt der
ESM ins Spiel.

Sie sagen: Dort wird unser Geld verbrannt. Das sollen
nicht die Steuerzahler übernehmen. Meine Frage: Was
schlagen Sie vor? Wer soll dieses Risiko tragen? – Sie
gestikulieren; das ist aber die falsche Bewegung. Sie
müssen sich fragen: Wer?


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wessen Geld will Frau Wagenknecht in dieser größten
Not einsetzen? Sie sagen: Ich weiß nicht, wer es bezah-
len soll, aber jedenfalls nicht der Steuerzahler.

Jetzt frage ich einmal ganz ehrlich: Wer, wenn wir
nicht den Steuerzahler meinen, soll das in letzter Konse-
quenz zahlen? Wer ist denn dann gemeint? Vielleicht der
Sparer, dessen Geld noch im System ist? Vielleicht die
Versicherung, die der Bank ihr Geld zum Anlegen gege-
ben hat? Die Versicherung bekommt das Geld ja von den
Versicherungsnehmern. Ich rede immerhin von 1 400 Mil-
liarden Euro. Oder vielleicht derjenige, der sein Geld,
das sich jetzt noch im Bankensystem findet, zur Alters-
vorsorge angelegt hat? Würden die dann bezahlen? Wol-
len Sie mir den Unterschied zwischen Steuerzahler und
Sparer noch erklären? Das wird eine komplizierte Ange-
legenheit.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805401800

Kollege Binding, darf die Kollegin Wagenknecht Ih-

nen eine Zwischenfrage stellen?


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1805401900

Ja, darf sie.


(Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur mit der richtigen Handbewegung!)


– Nur wenn die richtige Handbewegung gemacht wird;
das ist klar.


Dr. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805402000

Handbewegungen werden hier ja etwas seltsam ge-

deutet. – Bevor ich die Frage stelle, sage ich noch etwas
zu Ihrem Eingangsstatement. Sie haben gesagt: Das
Geld wird ja nicht verbrannt, sondern damit kaufen
Spanier Maschinen. – Sie sollten wissen: Wenn der ESM
Banken rekapitalisiert, ob in Spanien oder irgendwo
sonst, dann werden damit Altlasten oder Spekulations-
verluste abgedeckt, aber kein einziger Kredit für irgend-
eine Maschine bereitgestellt. Das wollte ich zunächst
einmal festhalten.


(Beifall bei der LINKEN)

Zweitens. Wenn Sie fragen: „Wer soll es denn bezah-
len?“, dann muss ich sagen, dass das eine absurde Frage
ist. Wenn ein kleiner Handwerksbetrieb oder ein Mittel-
ständler pleitegeht, wer zahlt denn dann? Zahlt dann der
Staat? Natürlich zahlt nicht der Staat, sondern es zahlen
die Eigentümer und die Gläubiger, und zwar nicht gede-
ckelt auf 8 Prozent, sondern mit dem gesamten Volu-
men, das da ist.

Das Kernproblem ist ja – daran knüpft auch meine
Frage an, ob wir da auf einen gemeinsamen Nenner
kommen –: Solange man den Banken erlaubt, weiter so
zu spekulieren, wie sie es derzeit tun, wird sich nichts
ändern. Ich erinnere daran, dass allein die Deutsche
Bank – wir reden ja nicht nur über spanische Banken,
sondern auch über deutsche – mit einer Bilanzsumme
von etwa 2 000 Milliarden Euro und einem Eigenkapital
von 50 Milliarden Euro Derivate mit einem Nominalvo-
lumen von 55 000 Milliarden Euro in den Büchern hat.


(Dagmar Ziegler [SPD]: Aber die Frage kommt noch?)


Diese sind natürlich nicht ausgewiesen, aber man kann
das trotzdem berechnen. Also, mit 50 Milliarden Euro
Eigenkapital wird ein riesiges Rad gedreht, in dem Deri-
vate von 55 000 Milliarden Euro enthalten sind. Banken,
die solche absurden Geschäfte machen, haben natürlich
ein allgemeingefährliches Potenzial. Wenn Sie sagen,
dafür haften dann die Eigentümer und die Gläubiger
nicht, dann sollten Sie sich endlich einmal dafür einset-
zen, dass diese Regierung das Trennbankensystem nicht
weiter aufweicht, sondern dass man die Banken ver-
pflichtet, so viel Eigenkapital vorzuhalten, dass sie für
ihre Risiken selber haften können. Da wäre das Geld, da
ist die Verantwortung, da ist die Haftung – das ist nor-
male Marktwirtschaft. Alles andere, was Sie erzählen, ist
Unsinn.


(Beifall bei der LINKEN)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1805402100

Es ist immer klug, wenn man nur Vergleichbares mit-

einander vergleicht. Eine Insolvenz ist natürlich eine In-
solvenz. Aber die Insolvenz eines kleinen Handwerkers
und die Insolvenz einer Bank sind eben nicht vergleich-
bar, weil der Handwerker ja keiner ist, der als Geldsam-
melstelle, als Dienstleister fungiert, dieses Geld klug
oder dumm anzulegen. Hier handelt es sich um eine völ-
lig andere Struktur. Die sind gar nicht miteinander ver-
gleichbar.

Sie haben gesagt: Der Handwerker trägt das Risiko. –
Wer trägt denn bei der Bank das Risiko? Der Bankvor-
stand? – Nein. Der Bankvorstand kann das Risiko doch
gar nicht tragen, wenn er auch noch so viel verdient. Das
Risiko tragen die Einleger, die Sparer, letztlich alle die,
die ihr Geld der Bank geben. Die werden es verlieren.
Deshalb ist es klug, sich darum zu kümmern, dass das in
dieser Weise nicht passiert, dass wir eine geordnete Haf-
tungskaskade haben und dass der Bürger, der Sparer, der
Steuerzahler zuallerletzt kommt. Alle die, die sich von
dieser Bank Gewinne versprochen haben, sollen dann
auch das Risiko tragen. So gehören Haftung und Risiko
zusammen.





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)

Gleichwohl will ich Ihnen konzedieren, dass wir na-
türlich regulieren müssen. Wir haben in der Regulierung
auch Fehler gemacht. Es ist auch noch nicht alles regu-
liert. Ich würde sogar sagen, Bankenregulierung ist ein
andauernder Prozess, vielleicht sogar ein Prozess, in
dem man permanent dazulernen muss. Aber dieser Auf-
gabe müssen wir uns stellen. Deshalb ist es wichtig, zu
sagen, was man will, und nicht nur zu sagen, was man
nicht will. Diesen Schritt haben Sie leider noch nicht ge-
hen können, aber ich denke, wir sind gemeinsam auf ei-
nem guten Weg, oder?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr wolltet ja einmal ein Trennbankensystem! Ist das noch aktuell?)


Wenn wir ganz ehrlich sind, glaube ich, müssen wir
sagen, dass vor zwei Jahren keiner von uns gedacht
hätte, dass wir mit unserer Regulierung so weit kommen
würden. Auch diese Regulierung, auch dieser Abwick-
lungsmechanismus, ist noch nicht perfekt. Das ist völlig
klar. Gerhard Schick hat doch einen ganz guten Vor-
schlag gemacht, den man sogar hätte verfolgen können.
Aber er hat ihn gemacht, ohne die Franzosen zu fragen,
ohne die Italiener zu fragen, ohne die Spanier zu fragen.
Die sind nicht dieser Meinung, dass wir das machen
können. Wenn man aber in Europa etwas machen will,
ist man leider darauf angewiesen, dass andere mittun.
Das ist im Moment noch nicht so weit, aber wir können
gemeinsam – auch parlamentarisch – die anderen Länder
überzeugen. Dann könnten wir vielleicht eines Tages
diesen Weg gehen.

Vor zehn Jahren hätte ich mir auch nicht vorstellen
können, dass wir so weit gehen müssen. Ich glaube, die
meisten, die hier sitzen, müssen sich eingestehen, wenn
sie ehrlich reflektieren, was vor zehn Jahren war, dass
keiner eine Vorstellung von der Dimension dessen hatte,
was heute passiert und passieren muss.

Wenn wir heute über die Banken reden, reden wir ei-
gentlich über eine Funktion, die letztlich der Realwirt-
schaft dient. Manfred Zöllmer und Carsten Schneider
haben darauf hingewiesen: Eigentlich geht es darum,
dass die Menschen in Europa wieder Arbeit finden, dass
wir wieder investieren, und zwar nicht nur in Deutsch-
land, sondern eben in ganz Europa. Wenn man mit Ame-
rikanern spricht, dann hört man, dass die eine ganz an-
dere Erwartung an Deutschland haben. Die sagen auch:
Ihr müsst mehr investieren. Ihr mit eurer Schuldenpanik,
das ist ein schwerer Fehler. Es kommt sofort das Wort
„Austerität“. Sie sagen: Das ist die falsche Richtung. –
Ich meine auch, dass das die falsche Richtung ist. Also,
da müssen wir sicherlich noch sehr viel mehr überlegen.

Gleichwohl: Mit dem, was wir heute machen, um das
Bankensystem zu retten, schaffen wir etwas Wichtiges
für den Erhalt der Dienstleistungsfunktion der Banken,
der Realwirtschaft zu dienen und letztlich auch das Ein-
kommen der Familien zu sichern; denn ohne Arbeit kein
Einkommen, ohne Einkommen keine Binnennachfrage,
ohne Binnennachfrage keine Wirtschaftsdynamik. Vom
Export können wir nur so lange leben, wie diejenigen,
die importieren, unsere Nachbarn, reich genug sind.
Also, wir merken: Es ist immer der gesamte Kreislauf
in den Blick zu nehmen. Deshalb ist es wichtig, dass wir
hier sehr viel mehr machen. Deshalb wollen wir einen
funktionierenden Bankensektor. Wir wollen so weit ge-
hen, dass wir nicht nur eine Aufsicht haben; denn das
Aufsichtsregime allein ist ohne Abwicklungsregime ein
stumpfes Schwert. Über dieses Abwicklungsregime re-
den wir heute. Da sind wir mit dem jetzt vorgeschlage-
nen Modell und der Haftungskaskade auf einem sehr gu-
ten Weg. Ich bin gespannt, ob wir in zwei Jahren sagen
können: Wir haben ein seriöses Bankensystem und eine
prosperierende Wirtschaft.

Schönen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805402200

Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1805402300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Ich glaube, diese heutige Debatte
zur europäischen Bankenunion ist eine gute Gelegenheit
– das zeigen die Reden der Vorredner –, um uns noch
einmal zu vergewissern, wo wir in Europa eigentlich ste-
hen; denn gerade die jüngsten Debatten und auch die
Auseinandersetzung zwischen Lothar Binding und Sahra
Wagenknecht zeigen doch, dass es immer noch Euro-
Skeptiker gibt, die versuchen, mit dieser Euro-Skepsis
am linken oder rechten Rand des Parteienspektrums
Stimmen zu fischen.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch in der Unionsfraktion! – Dr. Sahra Wagenknecht [DIE LINKE]: Gähn!)


Zu beobachten, ob sich beide irgendwo treffen, ist schon
ein spannendes Momentum.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wenn man sich die Situation vor Augen führt, muss
man doch feststellen: Deutschland steht gut da. Auch
Europa steht deutlich besser da, als es noch vor zwei
Jahren von vielen vermutet wurde. Es ist noch nicht so
lange her, da wurde uns von ernst zu nehmenden Ökono-
men vorhergesagt, dass es keine zwei oder drei Jahre
mehr dauern würde, bis der Euro weg sei, zerbröselt und
als unsere gemeinsame Währung zu Grabe getragen wer-
den müsse. Wo sind diese klugen Redner heute? Ich bin
froh, sie nicht mehr sehen und hören zu müssen.

Unsere Stabilisierungspolitik hat gewirkt, und sie
wirkt weiter. Die Hilfsprogramme für Spanien, für Irland
und für Portugal laufen ordnungsgemäß aus. Irland zahlt
bereits Kredite zurück; auch das ist ein Argument für un-
sere Politik. Es wurde immer gesagt, diese Kredite seien
verlorenes Geld. Sie werden bereits zurückgezahlt. Grie-
chenland und Zypern sind zwar noch unter dem Ret-
tungsschirm, aber in beiden Ländern geht es voran.





Norbert Barthle


(A) (C)



(D)(B)

Kein Mensch redet mehr von einem dritten Hilfspro-
gramm für Griechenland. Herr Samaras, der diese Wo-
che bei Angela Merkel zu Besuch war, sagt selbst: Auch
in Griechenland will niemand mehr ein drittes Hilfspro-
gramm. – Frau Wagenknecht, lesen Sie einmal Ihre Re-
den nach. Dann werden Sie feststellen: Auch Sie haben
an dieser Stelle geirrt. Griechenland begibt bereits zehn-
jährige Anleihen an den Finanzmärkten, die mit weniger
als 5 Prozent rentieren. Das heißt, das Vertrauen der Ka-
pitalmärkte in den Euro ist Schritt für Schritt zurückge-
kehrt.

Das ist ein Erfolg unserer Hilfsprogramme, die wir
teilweise wirklich in hohem Tempo, im Schweinsgalopp
durch dieses Parlament gejagt haben. Aber aus dieser
akuten Hilfe ist nach und nach eine neue Stabilitätsarchi-
tektur in Europa entstanden, deren Pfeiler bereits be-
nannt wurden: Der Fiskalvertrag steht. Der Stabilitäts-
und Wachstumspakt wurde ausdifferenziert und durch
Sixpack und Twopack verbessert. Der ESM steht im
Rahmen von Notprogrammen zur Verfügung. Jetzt re-
geln wir noch die Bankenunion. Damit haben wir die
notwendigen Pfeiler errichtet, um dieses europäische
Haus wirklich mit neuem Leben zu erfüllen.

Wir haben eine neue Stabilitätsarchitektur geschaffen,
die dabei hilft, dieses Haus, lieber Kollege Ralph
Brinkhaus – ich möchte dieses Bild noch einmal aufgrei-
fen –, mit Leben zu erfüllen. Dafür brauchen wir eine
neue Stabilitätskultur in Europa. Diese neue Stabilitäts-
kultur neben der Regulierung der Finanzmärkte vermisse
ich noch etwas.

Mit dem Reformeifer und dem Reformwillen ist es in
einigen Ländern noch nicht ganz so bestellt, wie man
sich das wünscht. Ich erinnere mich da immer an die Ge-
schichte von dem Möbelpacker, der seinem Freund er-
zählt, wie furchtbar anstrengend sein Beruf mit der
Möbelschlepperei sei. Als der Freund fragt: „Wie lange
machst du das denn schon?“, ist die Antwort: Morgen
fange ich an. – Mit den Reformen in Europa scheint das
ähnlich zu sein.


(Zuruf von der LINKEN: Toller Witz!)


Um noch einmal darauf zurückzukommen: Diese Sta-
bilitätskultur setzt voraus, dass wir nicht kurzfristige
schuldenfinanzierte Impulse setzen, weder aus dem
ESM noch sonst wo her; denn es hat sich herausgestellt,
dass das der falsche Weg ist. Deshalb bin ich sehr froh,
dass der Finanzminister klar und deutlich gesagt hat: Der
ESM steht nicht für kurzfristige Wachstumsprogramme
zur Verfügung.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Das Geld liegt dort und ist für andere Zwecke vorgese-
hen, und dort liegt es auch gut und soll dort liegen blei-
ben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nun reden wir über zwei neue Instrumente innerhalb
der Bankenunion. Das eine ist das Instrument der Ban-
kenrekapitalisierung, das im Instrumentenkasten des
ESM Platz finden soll. Dieses Instrument ist nicht unge-
fährlich. Darauf haben auch meine Vorredner hingewie-
sen. Man muss vorsichtig damit umgehen. Es ist gut,
dass es als letzte Option bzw. als Backstop gehandhabt
wird. Denn wäre es nicht vorhanden, dann entstünde tat-
sächlich die Situation, dass – Lothar Binding hat darauf
hingewiesen – letztendlich der Staat bzw. die Steuerzah-
ler für die Rekapitalisierung einer Bank einstehen müss-
ten. Das ist ein nicht akzeptabler Weg, den wir vermei-
den wollen.

Deshalb ist es gut, dass uns dieses Instrument zur Ver-
fügung steht, aber eben nur als letzte Option für den
Rückgriff oder sozusagen als letzter im Einzelfall not-
wendiger Backstop.

Was das zweite Instrument angeht, das wir einführen,
muss man die Aussage der Frau Wagenknecht korrigie-
ren. Wir werden das Ganze mit einer umfangreichen Par-
lamentsbeteiligung ausgestalten. Es wird nichts im Hin-
terzimmer gemauschelt und an der Öffentlichkeit vorbei
gemacht, sondern das wird ganz offen im Deutschen
Bundestag ausgehandelt.


(Widerspruch der Abg. Karin Binder [DIE LINKE])


Denn der vorliegende Gesetzentwurf sieht folgende
Konstruktion vor: Wenn das Instrument der direkten
Bankenrekapitalisierung jemals zum Einsatz kommen
sollte, dann müsste das Plenum des Deutschen Bundes-
tages immer vorher zustimmen, und die dafür notwendi-
gen Informationen, um diese Zustimmung zu erreichen,
liegen dann allen – auch Ihnen – vor. Das ist auch im Ge-
setzentwurf unstrittig.

Wir müssen allerdings noch im Detail regeln, wie wir
mit streng vertraulichen Daten umgehen. Dafür ist bisher
das Sondergremium vorgesehen. Wir werden Wege,
Möglichkeiten und Lösungen finden, um auch diesen
Weg so auszugestalten, dass er vor den Richtern in
Karlsruhe Bestand haben wird. Davon bin ich überzeugt.
Das wird das Beratungsverfahren zu diesem Gesetz noch
ergeben.

Insofern geschieht nichts hinter verschlossenen Tü-
ren, sondern immer in der Verantwortung des Deutschen
Bundestages. Damit ist auch an der Stelle gewährleistet,
dass die in diesem Bereich weit ausgestalteten parlamen-
tarischen Beteiligungsrechte Bestand haben und auch in
der Frage einer direkten Rekapitalisierung von Banken
oder einer Bank aus dem ESM angewandt werden kön-
nen.

Wenn ich das zusammenfasse, dann haben wir mit all
den Maßnahmen – den vier Pfeilern, die ich beschrieben
habe – etwas erreicht, was die Voraussetzung für neues
Vertrauen in Europa und in unsere Währung und damit
die Voraussetzung für Wachstum, Beschäftigung und
Wohlergehen schafft.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805402400

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Radwan für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Alexander Radwan (CSU):
Rede ID: ID1805402500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wir debattieren heute das
Thema Bankenunion, und die Bankenunion ist der logi-
sche letzte Schritt auf einem Weg, der mit der Einfüh-
rung des Euros und der Kreierung des Binnenmarkts
1999 – damals ist es losgegangen, vor der Finanzmarkt-
krise – begonnen hat. Jetzt folgt die Bankenunion, bei
der die europäische Aufsicht ein Kernelement ist.

Die europäische Aufsicht der Europäischen Zentral-
bank startet am 4. November dieses Jahres. Sie bereitet
jetzt mit Stresstests die Daten vor, damit sie bereits am
Anfang effektiv arbeiten kann und genau weiß, wo die
Risiken sind. In einem europäischen Binnenmarkt mit
grenzüberschreitend tätigen Banken und grenzüber-
schreitendem Handel mit Produkten ist es wichtig, dass
wir dies auch auf europäischer Ebene verfolgen können.
Darum ist dieser Schritt nicht nur überfällig, sondern
auch sehr zu begrüßen.

Wir müssen dann in der Praxis auf europäischer
Ebene genau hinschauen. Es gibt den Zielkonflikt zwi-
schen Aufsicht und Geldpolitik, den Minister Schäuble
angesprochen hat. Wir müssen im Blick behalten, wel-
che Modelle die Europäische Zentralbank anwendet, und
darauf achten, dass mehr auf Qualität als auf Quantität
geachtet wird. Wir müssen bei den Vorgaben aus den
Thinktanks darauf achten, dass sie nicht zu stark angel-
sächsisch geprägt sind.

Wir werden im Deutschen Bundestag diesen Prozess
entsprechend kritisch begleiten müssen. Ich hoffe, dass
die Vertreter der BaFin und der Bundesbank dies ge-
nauso tun.

Neben der Aufsicht stellt die bereits mehrfach ange-
sprochene Haftungskaskade eine Neuerung dar. Neu ist
ebenfalls der Bail-in. Das heißt, Gläubiger und Eigentü-
mer werden im entsprechenden Fall herangezogen. Wir
richten einen Fonds ein, dessen Gesamtvolumen 1 Pro-
zent der gedeckten Einlagen entspricht und sich schließ-
lich auf 55 Milliarden Euro belaufen soll; das ist zu be-
grüßen. Aber wir werden darauf achten müssen, wer
diesen Fonds in welcher Form weiterentwickeln kann
und wer dafür die Verantwortung hat.

Im Mittelpunkt unserer Diskussion steht die Banken-
abgabe. Die Europäische Kommission wird entspre-
chende Vorschläge unterbreiten. Ich kann mich nur all
denjenigen Rednern anschließen, die gesagt haben, dass
sie das IGA nur dann ratifizieren, wenn sie genau wis-
sen, um welche Summen es hier geht, und wenn sicher-
gestellt wird, dass insbesondere diejenigen, die an der
Finanzmarktkrise nicht primär schuld sind wie Klein-
banken und Regionalbanken, nicht in Mitleidenschaft
gezogen werden. Diese haben schließlich zusätzliche
Leistungen bei den Aufsichtsvergütungen zu erbringen.
Obwohl sie auf nationaler Ebene beaufsichtigt werden,
müssen sie einen Beitrag zur EZB leisten. Die Lasten für
kleine Banken kumulieren sich also. Hier müssen wir
darauf achten, dass der Rahmen entsprechend der Risi-
ken so gesteckt wird, dass es nicht zu einer Überlastung
kommt. Die nun zur Diskussion stehende Grenze in
Höhe von 300 Millionen Euro halte ich für zu niedrig.
Es ist positiv, dass die Institutssicherung auf europäi-
scher Ebene zumindest vom Grundsatz her akzeptiert
wird. Das war ein harter Kampf; denn es musste zuerst
erklärt werden, was Institutssicherung bedeutet. Ich
danke Ihnen, Herr Minister Schäuble, dass das entspre-
chend vorangetrieben wird. Wir sollten unsere Kollegen
im Europäischen Parlament, die hier bereits vorstellig
werden, unterstützen, indem wir unser Votum im Hin-
blick auf das weitere Vorgehen genau abstimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Bei den nun anstehenden Beratungen werden wir den
Spielraum, den uns Europa gibt, kreativ nutzen. Ich ge-
höre zu denjenigen, die sich nicht zu sehr anleinen lassen
möchten. Wir werden intensiv über die nationalen Vor-
gaben betreffend das Trennbankensystem, die Rolle der
BaFin und der Bundesbank sowie die Rechtsformen bei
der Abwicklung der Institute debattieren müssen. Dann
werden wir beobachten, ob sich das alles in der Praxis
bewährt. Den von mir bereits angedeuteten Kampf und
die Diskussion um das Drei-Säulen-Modell erleben wir
nun bei der EZB in puncto Aufsicht. Das werden wir
auch in den nächsten Jahren bei der weiteren Gesetzge-
bung in Bezug auf die Regulierung erleben; Antje
Tillmann hat in diesem Zusammenhang schon einiges
angesprochen. Mir ist besonders wichtig, dass wir als
Parlament darum kämpfen, unseren parlamentarischen
Einfluss im Zusammenhang mit dem Komitologiever-
fahren auf Level 2, wo BaFin und Bundesbank unsere
Vertreter sind, zu behalten. Hier ist das Selbstverständnis
des Deutschen Bundestages gefordert.

Der Deutsche Bundestag muss klarmachen, dass es
darum geht, europäisches Recht durchzusetzen. Ich bin
ein wenig verwundert über die Reden der Oppositions-
vertreter in diesem Zusammenhang. Frau Wagenknecht,
wir waren gemeinsam fünf Jahre in Brüssel. Wir haben
uns zwar nicht so oft gesehen, obwohl wir im gleichen
Ausschuss waren. Aber Sie kennen zumindest die Me-
chanismen auf europäischer Ebene.


(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU – Manuel Sarrazin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat es bezahlt? Der Steuerzahler, Herr Radwan!)


Herr Schick, das, was Sie heute an die Adresse von Herrn
Schäuble gesagt haben, kann ich nur so deuten: Entweder
haben Sie Frust über die erfolgreiche Politik der Bundes-
regierung in Brüssel – dann würde ich das noch verste-
hen –, oder Sie sind der Meinung – weil Herrn Minister
Schäuble ständig vorgeworfen wird, er sei auf Griechen
und Portugiesen nicht ausreichend eingegangen –, dass es
am besten gewesen wäre, wenn wir die Blaupausen von
Griechenland und Portugal übernommen hätten.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das war ein Vorschlag aus den Niederlanden! Sie stellen das völlig schief dar!)


Aber dann hätten wir die deutsche Position nicht ent-
sprechend zur Geltung gebracht und nicht dafür gesorgt,
dass die deutsche Stabilitätspolitik im Währungsbereich
und bei der Finanzmarktaufsicht europäisiert wird. Das





Alexander Radwan


(A) (C)



(D)(B)

ist uns nun gelungen, und das werden wir weiterhin um-
setzen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Nur dann, wenn Europa und die Mitgliedstaaten zu ei-
ner entsprechenden Disziplinierung und Stabilitätspoli-
tik kommen – das ist nicht in Ihrem Sinn; Sie wollen auf
europäischer Ebene nicht sparen –, wird es möglich
sein, die Europäische Zentralbank in ihrer Verantwor-
tung für die Zinspolitik und die Aufkäufe von Anleihen
– das ABS-Programm sehen wir sehr kritisch – zu ent-
lasten. Die Politik muss die Verantwortung überneh-
men und darf sie nicht bei der EZB abladen. Das ist ein
gutes Werk, um andere Staaten in die Verantwortung zu
nehmen. Herzlichen Dank an die Bundesregierung und
viel Erfolg bei der Umsetzung!

Besten Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1805402600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/2575, 18/2626, 18/2576, 18/2627,
18/2577, 18/2629, 18/2580 und 18/2628 an die in der
Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Hat dagegen irgendjemand Einwände? – Das ist offen-
sichtlich nicht der Fall. Dann sind die Überweisungen so
beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 4 a und 4 b sowie
die Zusatzpunkte 2 und 3 auf:

4 a) Beratung der Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage der Abgeordneten
Klaus Ernst, Thomas Nord, Herbert Behrens,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Soziale, ökologische, ökonomische und
politische Effekte des EU-USA-Freihan-
delsabkommens

Drucksachen 18/432, 18/2100

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Klaus Ernst, Thomas Nord, Wolfgang
Gehrcke, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Freihandelsabkommen zwischen der EU
und Kanada CETA zurückweisen

Drucksache 18/2604

ZP 2 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Katharina Dröge, Bärbel Höhn, Renate Künast,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Keine Klageprivilegien für Konzerne –
CETA-Vertragsentwurf ablehnen

Drucksache 18/2620
ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-
gie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeord-
neten Katharina Dröge, Katja Keul, Bärbel
Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für
Konzerne

Drucksachen 18/1458, 18/2646

Die Fraktion Die Linke hat zu der Antwort der Bundes-
regierung auf ihre Große Anfrage zwei Entschließungsan-
träge eingebracht, über die wir später namentlich abstim-
men werden. Auch über die Beschlussempfehlung des
Ausschusses für Wirtschaft und Energie wird am Schluss
dieser Debatte namentlich abgestimmt. Diese drei na-
mentlichen Abstimmungen werden unmittelbar aufeinan-
der folgen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist auch
für diese Aussprache eine Gesamtzeit von 96 Minuten
vorgesehen. – Dazu besteht offensichtlich Einverneh-
men. Also können wir so verfahren.

Ich erteile dem Kollegen Klaus Ernst für die Fraktion
Die Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805402700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist gut, dass wir heute hier noch einmal über
die Handelsabkommen reden können. Es ist ebenfalls
gut, dass in der Öffentlichkeit darüber eine sehr kritische
Diskussion stattfindet. Viele Fragen sind ungeklärt.

Wir haben eine Große Anfrage an die Bundesregie-
rung gerichtet und zum Beispiel gefragt: Warum werden
die Verhandlungen hinter dem Rücken der Menschen
geführt? Was haben die Verhandler eigentlich zu verber-
gen? Zweitens: Warum soll ein besonderes Konzernkla-
gerecht an den nationalen Gerichtsbarkeiten vorbei ein-
geführt werden?


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Was daran so lächerlich ist, kann ich mir nicht vorstel-
len, Herr Pfeiffer. Die Position, die Sie hier vertreten, ist
die des Bundesverbands der Deutschen Industrie. Inso-
fern kenne ich Ihre Argumente sehr gut.


(Max Straubinger [CDU/CSU]: Die Tarifverhandlungen der Gewerkschaften werden auch hinter dem Rücken der Öffentlichkeit geführt!)


Es besteht die Gefahr, dass es zu Absenkungen von
demokratisch beschlossenen Standards vom Arbeits-
schutz bis zum Verbraucherschutz kommt. Wir wollten
Klarheit. Die Antwort der Bundesregierung fiel dagegen
eher klein aus, und unsere Befürchtungen sind durch die
Realität bestätigt worden.


(Beifall bei der LINKEN)


Zwei Beispiele: Wir fragten, was die Bundesregie-
rung unternimmt, um Transparenz herzustellen. Die Ant-





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

wort war, die Bundesregierung setze sich dafür ein.
Nach wie vor sind aber nicht einmal die Verhandlungs-
mandate, also die Zielsetzung, was überhaupt verhandelt
wird, der Öffentlichkeit bekannt. Ist das unser Verständ-
nis von Transparenz? Die Regierung verweist auf die
Notwendigkeit eines einstimmigen Ratsbeschlusses,
wenn man das ändern wolle. Wenn unsere Bundesregie-
rung wirklich mehr Transparenz will, wann hat sie dann
einen solchen Beschluss beantragt, und wann wurde er
abgelehnt? Ist es nicht schon unglaublich, dass wir über
das Ganze im Unklaren gelassen werden? Bezogen auf
CETA weiß die Öffentlichkeit nicht einmal, was das
Mandat der Europäischen Union ist.

Zweites Beispiel: Hauptziel der Verhandlungen soll
der Abbau nichttarifärer Handelshemmnisse sein. Auf
die Frage, was denn nichttarifäre Handelshemmnisse ei-
gentlich seien, bekamen wir die Antwort, es gebe keine
Definition. Wenn es gar keine Definition gibt, woher
nimmt die Bundesregierung dann eigentlich ihre Sicher-
heit, dass Arbeitsschutzvorschriften und Arbeitnehmer-
schutzrechte keine nichttarifären Handelshemmnisse
sind und diese somit nicht betroffen sind? So geht es in
der Antwort der Bundesregierung von Seite zu Seite.

Aber es gibt etwas anderes, etwas Erhellendes, das
zeigt, worum es wirklich geht. Das ist der Text des Han-
delsabkommens mit Kanada, CETA, der inzwischen vor-
liegt, natürlich auch geheim, nicht für die Öffentlichkeit,
inzwischen aber Gott sei Dank im Netz veröffentlicht.
Da kann man nachlesen, was wirklich ausgehandelt wor-
den ist.

Dieses Abkommen CETA ist deshalb so wichtig, weil
es die Blaupause für das Abkommen mit den USA sein
wird. Wer heute die Süddeutsche Zeitung gelesen hat,
weiß, dass De Gucht, also der zuständige EU-Kommis-
sar, das auch explizit so sieht. Er sagt: TTIP beruht letzt-
endlich auf dem Abkommen CETA. – Was ist also in
CETA drin, und was ist nicht drin?

Obwohl uns die Bundesregierung in der Antwort auf
die Große Anfrage und auch sonst versichert, ein beson-
derer Schutz von Investoren durch besondere private
Schiedsgerichte sei nicht notwendig, sie wolle das nicht,
ist er im CETA-Abkommen drin. Die Süddeutsche Zei-
tung zitiert aus einem internen Gesprächsprotokoll aus
Brüssel. Danach haben die Vertreter Deutschlands er-
klärt, dass Deutschland die Kapitel zum Investitions-
schutz in der vorliegenden Textfassung nicht für zustim-
mungsfähig hält.

Meine Damen und Herren, das scheint die EU aber
nicht besonders zu interessieren. Schlagen Sie heute ein-
mal die Süddeutsche Zeitung auf und schauen Sie nach,
was De Gucht da sagt! Er sagt letztendlich, dass ihn
überhaupt nicht interessiert, welche Position wir hier ha-
ben. Er erklärt: Wenn wir die Verhandlungen über CETA
wieder neu öffnen, ist das Abkommen tot. – Er lehnt jede
Veränderung an dem Abkommen ab – jede Veränderung!

Im Gegensatz zum Investorenschutz, der enthalten ist,
sind nicht einmal die ILO-Kernarbeitsnormen als Grund-
lage zur Regelung der Arbeitsbeziehungen aufgenom-
men. Kanada hat nämlich die ILO-Bestimmungen nicht
vollständig übernommen. Aber es soll ja nicht zum Ab-
bau von Standards im Bereich der Arbeitsregelungen
kommen. – Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen.

Übrigens ist nach wie vor auch die Frage offen, ob
wir hier zustimmen müssen, dürfen, können, wenn sol-
che Abkommen abgeschlossen werden. Die Europäische
Union hat hier eine ganz andere Position als die Bundes-
regierung.

Auch in den Reihen der SPD wird der Widerstand im-
mer größer; das ist schön. Es freut mich natürlich, dass
deshalb ein Parteikonvent der SPD beschlossen hat, dass
diesen Abkommen einige Giftzähne gezogen werden
sollen. Ich halte es für vollkommen richtig, dass man
diese Giftzähne zieht. Dieser Beschluss Ihres Parteikon-
vents nützt aber nichts, wenn er ein Parteibeschluss
bleibt. Wenn er wirklich Wirksamkeit entfalten soll,
muss das Beschlusslage in diesem Parlament werden.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn das ge-
lingt, dann haben Sie etwas Vernünftiges hingekriegt.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Haben Sie denn eigene Vorschläge, oder können Sie nur rumschreien?)


Meine Damen und Herren, was haben Sie in Ihrem
Beschluss festgelegt? Sie haben festgelegt: kein Investo-
renschutz und keine privaten Schiedsgerichte in diesen
Abkommen. Sie haben festgelegt: Die ILO-Arbeitsnor-
men müssen Grundlage sein. Sie haben festgelegt: öf-
fentliche Daseinsvorsorge, parlamentarische Hoheit über
die Regelung von Standards usw.


(Zuruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Genau diesen Beschluss müssen wir hier fassen, wenn
man das Schlimmste verhindern will. Ich bin gespannt
– das sage ich, weil ich gerade Ihre Zwischenrufe höre –,
ob Sie Ihren Parteibeschluss wirklich ernst nehmen oder
ob das, was Sie auf Ihrem Parteikonvent beschlossen ha-
ben, eine Luftnummer war. Wenn Sie das wirklich ernst
meinen, dann beschließen Sie es hier und nicht nur auf
einem Parteikonvent!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Oh! Das ist aber eine geschickte Strategie!)


Ihr Beschluss heißt in aller Klarheit, dass das CETA-
Abkommen in der jetzigen Form abgelehnt werden
muss. Ihre Anforderungen und Ihre Haltelinien sind ge-
nau nicht enthalten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Was? Unglaublich!)


Wenn De Gucht sagt: „Das ist nicht mehr veränderbar“,
das aber nicht enthalten ist, dann bleibt doch von der Lo-
gik her gar nichts anderes übrig,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Als Ja zu sagen!)


als diese Geschichten abzulehnen.

Morgen schon soll auf dem EU-Kanada-Gipfel das
Ende der CETA-Verhandlungen verkündet werden.





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

CETA hat Präjudizwirkung; ich habe es bereits gesagt.
Glauben Sie wirklich, dass sich die Amerikaner mit we-
niger abspeisen lassen, als Sie mit Kanada vereinbart ha-
ben? Wenn Sie das, was Sie selber der Öffentlichkeit
verkünden in der Frage, was Sie wollen, und auf einem
Parteikonvent beschließen, hier ablehnen, dann machen
Sie sich so vollständig unglaubwürdig; schlimmer kann
man es sich eigentlich gar nicht vorstellen.


(Beifall bei der LINKEN – Max Straubinger [CDU/CSU]: Das ist wie bei den Linken!)


Ich möchte noch eine kurze Bemerkung zu dem Gut-
achten machen, Sigmar Gabriel, das von Ihrem Hause
veröffentlicht wurde, nämlich zu der Wirksamkeit und
Notwendigkeit dieser Schiedsverfahren. Wir haben das
einmal recherchiert. Es ist schon merkwürdig, dass der
Gutachter, der dieses Gutachten gemacht hat, selbst
Schiedsrichter bei internationalen Schiedsverfahren ist.
Wenn jemand als Gutachter sozusagen vor der Frage
steht: „Führe ich mich selber ad absurdum, oder sage
ich, dass ich notwendig bin?“, dann weiß man doch, was
herauskommt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was das soll, das versteht doch kein Mensch.

Jetzt möchte ich Ihnen noch ein Zitat des Gutachters
mitgeben und von Ihnen wissen, ob Sie das teilen. Der
Gutachter sagt: Bedenken gegen die Investitionsschutz-
rechte gibt es nicht.

Weiter sagt er: Schiedsgerichte sprechen Recht im
Namen der Parteien und nicht im Namen der Völker und
Bürger. – Das sei der Vorteil.

Weiter sagt er: Schiedsgerichte setzen Recht, indem
sie normative Erwartungen generieren und stabilisieren.
Damit üben sie ebenso wie internationale und nationale
Gerichte öffentliche Gewalt aus.

Meine Damen und Herren, ich möchte, dass öffentli-
che Gewalt von öffentlichen Gremien ausgeübt wird,
aber nicht privatisiert wird, was offensichtlich Ihr Gut-
achter will. Lehnen Sie diese Geschichte ab. Dann ma-
chen Sie etwas Vernünftiges.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805402800

Danke, Herr Kollege Ernst.

Ich wünsche Ihnen allen und auch den Gästen auf der
Tribüne einen schönen guten Morgen.

Nächster Redner ist Bundesminister Sigmar Gabriel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zu-
nächst möchte ich klären, was das für ein Gutachter war.
Er ist ein Vertreter des Max-Planck-Instituts, der im Er-
gebnis dazu kommt, Herr Klaus, dass das Schiedsge-
richtsverfahren – –


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Herr Claus ist gar nicht da!)


– Herr Ernst. Sorry. Sonst duze ich dich ja immer, Klaus.
Du darfst mich demnächst mit „Herr Sigmar“ anreden.


(Heiterkeit – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Er meint das auch nicht ernst!)


Kollege Ernst, der Gutachter sagt, der Investitions-
schutz im europäisch-kanadischen Abkommen CETA sei
so schlecht, dass er den kanadischen Investoren empfehle,
sich lieber auf den deutschen Rechtsweg zu begeben, als
auf das Schiedsgerichtsverfahren zurückzugreifen. Das
sagt jemand, der in solchen Schiedsgerichtsverfahren
vertreten ist und im Übrigen als Wissenschaftler des
Max-Planck-Instituts unumstritten ist. Deswegen bitte
ich Sie, vollständig vorzutragen und nicht nur das, was
der Legende, die Sie stricken wollen, entspricht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bei längerer Redezeit könnte ich das!)


Meine Damen und Herren, 125 detaillierte Fragen hat
die Fraktion Die Linke gestellt. Diese haben wir nach
bestem Wissen und Gewissen beantwortet. Ich frage
mich allerdings – das will ich gleich am Anfang meiner
Rede an einigen Beispielen aus Ihrer Rede nachweisen –,
ob Sie wirklich ein Interesse an der Sache haben oder ob
das alles nur eine Showveranstaltung ist.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Herr Kollege Ernst, Sie fragen, an welchem Tag denn
nun die Bundesregierung ihr prinzipielles Problem mit
dem Investor-Staat-Schiedsverfahren deutlich gemacht
habe und wann wir für die Veröffentlichung des Mandats
eingetreten seien. Sie haben gesagt, wir würden von
Transparenz reden, aber gar nicht dafür Sorge tragen.

Ich sage Ihnen das. In der Sitzung des Ausschusses
der Ständigen Vertreter am 15. Mai hat die Bundesrepu-
blik Deutschland die Veröffentlichung des Mandats be-
antragt. Im Übrigen wäre es albern, es nicht zu veröf-
fentlichen; denn es steht längst im Internet. Warum man
das vorher nicht gemacht hat, hat uns nicht überzeugt.
Wir haben das aber nicht hinbekommen, weil dies eines
einstimmigen Beschlusses bedarf und elf Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union dagegen gestimmt haben.

Tun Sie doch bitte nicht so. Sie versuchen, uns in die
Ecke zu drängen, wir redeten öffentlich anders, als wir
tatsächlich handelten.


(Zuruf von der LINKEN: Machen Sie auch!)


Ich werde nachher nachweisen, warum jeder hier im
Saal guten Gewissens Ihren Antrag ablehnen kann. Be-
reiten Sie sich schon einmal auf eine schwierige Lage
vor; denn das, was Sie fordern, haben wir längst getan.
Auch das werde ich Ihnen nachher vorlesen.

Meine Damen und Herren, nach meinem Eindruck ist
die Oppositionsfraktion Die Linke an einem transatlanti-





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

schen Freihandelsabkommen ohnehin nicht interessiert.
Dabei ist es vollkommen egal, was wir aushandeln.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das Ganze passt Ihnen weder in Bezug auf die Frei-
heit des Handels, noch passt es Ihnen in Richtung eines
transatlantischen Bündnisses. Es ist ganz egal, was wir
verhandeln. Am Ende werden Sie gegen jedes Abkom-
men sein; denn Sie wollen weder das eine noch das an-
dere.

Im Grunde heißt Ihre Parole: Schotten dicht. – Das ist
aber keine Parole, die wir für unser Land, für Europa und
für den Welthandel als sinnvoll erachten. Im Gegenteil,
das wäre ein Schritt zurück in Richtung Nationalismus
und Provinzialismus.


(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Haben Sie es nicht noch eine Nummer dicker? – Thomas Oppermann [SPD]: Nationale Linke!)


– Anders als bei der Rede des Kollegen Ernst ist es bei
meiner Rede ruhig. Jetzt sind Sie aber ganz aufgeregt
– das verstehe ich –, weil Sie sich scheinbar getroffen
fühlen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Sie behaupten doch, Arbeitnehmerinteressen zu ver-
treten. In unserem Land und in Europa arbeiten Millio-
nen Menschen in der Industrie und im Dienstleistungs-
bereich, die auf Freihandel angewiesen sind.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Hunderttausende von Menschen arbeiten in mittelständi-
schen Unternehmen, für die es heute sehr schwer ist,
zum Beispiel auf dem nordamerikanischen Markt Fuß zu
fassen und die dort kaum eine Chance haben.

Sie sind natürlich dagegen, weil sie den Leuten den
Eindruck vermitteln, dass es besser ist, national ge-
schützt zu bleiben. Übrigens: Wer sich noch einmal da-
ran erinnert, wie Ihre Fraktion über Europa hergezogen
ist, hat eine Vorstellung vom nationalstaatlichen Denken,
dem Protektionismus, der bei Ihnen zu Hause ist.


(Zuruf von der LINKEN)


Sie sind mit dieser Position eine richtige Jobkillerpartei
in Deutschland.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805402900

Herr Gabriel, erlauben Sie eine Zwischenfrage oder

Bemerkung der Kollegin Binder?

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Gerne.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805403000

Gut.

Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805403100

Herr Kollege Gabriel, ich bitte Sie, zur Kenntnis zu

nehmen, dass meine Fraktion sehr wohl Kritik an der
Politik der EU äußert, aber keinesfalls gegen Europa
aufgestellt ist.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU und der SPD)


Wir verstehen uns als Internationalisten. Wir möch-
ten, dass die Menschen in diesem Europa etwas zu mel-
den haben. Unser Kritikpunkt ist die Politik, die über die
EU geführt wird. Das ist Wirtschaftspolitik. Da hat we-
der Soziales noch Arbeit bisher Einzug gehalten.


(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Dieselbe Rhetorik wie bei der AfD!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805403200

Würden Sie bitte stehen bleiben? Das gehört sich so,

wenn der Herr Minister antwortet.

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Ich versuche, aus Ihren Ausführungen eine Frage zu
destillieren. Aus Ihrer Partei wurde ein Programment-
wurf für die Europawahl vorgelegt, in dem Sie sich mas-
siv gegen Europa gestellt haben. Als die Europäische
Union den Friedensnobelpreis bekommen hat, kam aus
Ihrer Partei die Behauptung, die Europäische Union sei
ein Kriegstreiber. Aus Ihrer Partei kamen Vorschläge,
den Euro aufzulösen und ganz Südeuropa damit in die
Katastrophe zu schicken.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Widerspruch bei der LINKEN)


Es liegt auf einer Linie, dass Sie den Menschen etwas
über die Notwendigkeit von Europäisierung und Interna-
tionalität vormachen. Hinter dem Vorhang treffen Sie
sich bei dieser Frage mit der AfD. So läuft das bei Ihnen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau so ist es!)


Mit dem stolzen Internationalismus der Arbeiterbe-
wegung hat das jedenfalls nichts zu tun. Dann halten sie
Sonntagsreden: Wir brauchen Regeln für die Globalisie-
rung! – Beim ersten Versuch, mit dem Mutterland der
Globalisierung Regeln zu verhandeln, fordern Sie gleich
den Abbruch der Verhandlungen. Wenn wir dem folgen,
wäre nur meine Bitte: Nie wieder eine Rede über Globa-
lisierungsregeln. Sie haben doch gar nicht den Mut, sich
auf Verhandlungen einzulassen. Sie wollen sie lieber
vorher abbrechen, damit Sie nicht in öffentliche Erklä-
rungsnot kommen. Das ist die Politik, die Sie betreiben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Klar ist auch: Nichts ist unterschrieben, nicht einmal
das kanadische Abkommen. Deswegen ist es auch richtig,
dass wir darüber reden. Weil die Verhandlungen offen
sind, haben der DGB und das Wirtschaftsministerium et-
was ganz Einfaches getan. Wir haben Anforderungen an
die Freihandelsgespräche zwischen der EU und den





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

USA definiert. Natürlich sind das auch Anforderungen,
die für CETA gelten müssen. Hier ist es nur deshalb
schwerer – da hatte der Kollege Ernst recht –, weil ers-
tens die Verhandlungen weit fortgeschritten sind und
zweitens bei CETA – anders als bei TTIP – der Investi-
tionsschutz im Mandat ohne Einschränkungen enthalten
ist. Das ist bei TTIP nicht der Fall. Dort ist es optional,
deswegen ist es dort schwieriger.

Trotzdem sage ich Ihnen: Ich bin dagegen, dass Sie
immer Herrn De Gucht zitieren. Der ist auf dem Weg in
die Rente. Der scheidet aus der Kommission aus. Ich
würde das lesen, was der neue Kommissionspräsident zu
diesem Verfahren sagt. Das gibt Ihnen vielleicht ein biss-
chen Hoffnung. Jean-Claude Juncker sagte am 15. Juli in
seiner Erklärung gegenüber dem Europäischen Parla-
ment: Das Abkommen wird nicht zu jedem Preis
geschlossen. Wir können nicht unsere Standards im Ge-
sundheitsbereich senken. Wir können nicht unsere Stan-
dards im Sozialbereich senken. Wir können nicht unsere
Datenschutzstandards senken. Ich möchte nicht, dass der
Datenschutz überhaupt Teil der Verhandlungen wird. Ich
will nicht, dass wir eine parallele Geheimgerichtsbarkeit
schaffen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die Vereinigten Staaten wie Europa sind Rechtsstaaten.
Wir wenden das Recht an. Wir werden die Verhandlun-
gen mit maximaler Transparenz führen. –


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Das sagt derjenige, der jetzt ins Amt kommt. Sie zitieren
denjenigen, der aus dem Amt geht. Wir wollen lieber mit
dem reden, der jetzt etwas zu sagen hat, und nicht mit
dem, der in der Tat nichts mehr zu sagen hat. Da sage
ich: Es ist auch gut so, dass er nichts mehr zu sagen hat.


(Beifall bei der SPD)


Ich zitiere noch einmal Jean-Claude Juncker:

Ebenso wenig werde ich akzeptieren, dass die
Rechtsprechung der Gerichte in den EU-Mitglied-
staaten durch Sonderregelungen für Investorenkla-
gen eingeschränkt wird. Rechtsstaatlichkeit und
Gleichheit vor dem Gesetz müssen auch in diesem
Kontext gelten.

Das ist die Verhandlungsposition des neuen Kommis-
sionspräsidenten. Ich finde, es ist die richtige Verhand-
lungsposition; ihr wollen wir uns anschließen. Insofern
sind die Dinge, die wir mit dem DGB verabredet haben,
für mich in der Tat verbindliche Leitlinien für die Ge-
spräche mit der Kommission.

Gemeinsam haben BMWi und DGB zuerst die Chan-
cen dieses Freihandelsabkommens beschrieben. Das ist
ganz interessant: Sie beziehen sich in Ihrem Antrag am
Ende darauf, wenn Sie sinngemäß sagen, wir sollten mit
den Verhandlungen neu beginnen. Ich sage Ihnen: Ers-
tens finde ich es doch ein bisschen komisch, dass, unmit-
telbar nachdem wir das mit dem DGB vereinbart haben,
Folgendes veröffentlicht wird – und zwar wird Klaus
Ernst persönlich zitiert –:

Linkspartei enttäuscht vom DGB
Fraktionsvize findet Gewerkschafts-Offenheit für
das TTIP-Abkommen „unverständlich“


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Und dann kommen Sie hierher und sagen zu uns, Sie
fänden es doch wunderbar, was der DGB mit uns verab-
schiedet hat; wir sollten doch mal dazu stehen.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805403300

Herr Gabriel, erlauben Sie eine Zwischenbemerkung

oder einen Kommentar von Klaus Ernst?

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Selbstverständlich.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805403400

Sehr geehrter Herr Minister, zum Thema Gewerk-

schaften will ich noch einmal etwas sagen.

Erstens. Ich weiß, dass es innerhalb der Gewerkschaf-
ten eine ganze Reihe unterschiedlicher Positionen gibt;
Sie wissen das auch. Die erste Gewerkschaft, die das
Abkommen sehr stark kritisiert hat, war die IG Metall;
aber darum geht es nicht. Auf der einen Seite gibt es eine
Verabredung zwischen Ihnen und den Gewerkschaften,
die, wie Sie wissen, innerhalb der Gewerkschaften sehr
kontrovers diskutiert wird. Auf der anderen Seite gibt es
jetzt einen Beschluss Ihres Parteikonvents. Das ist ein
bisschen etwas anderes.


(Zuruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD])


Meine große Befürchtung ist, dass Sie diesen Beschluss
nicht ernst nehmen.


(Widerspruch bei der SPD)


Würden Sie den Beschluss nämlich wirklich ernst neh-
men – auch Sie in der Fraktion –, dann müssten Sie ihn
hier beschließen. Wenn Sie den Beschluss auf dem Par-
teikonvent fassen, aber es hier lassen, dann bedeutet
dies, dass Sie am letzten Wochenende – das sage ich Ih-
nen – eine Luftnummer für die Öffentlichkeit abgezogen
haben. Das ist die Wahrheit.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei der SPD)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Was?


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805403500

Sie können sich darüber aufregen; wir werden ja se-

hen, wie Sie abstimmen.


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Sie haben es schon vorher abgelehnt!)


Zweitens: zur Öffentlichkeit. Sigmar Gabriel, ich
habe wirklich Probleme damit, dass Sie behaupten: Wir





Klaus Ernst


(A) (C)



(D)(B)

machen alles öffentlich. – Als Bundesbürger wissen wir
nicht einmal, um welchen Betrag es bei der Schadens-
ersatzklage von Vattenfall geht, obwohl das Verfahren
bei uns in der Bundesrepublik geführt wird – das wissen
wir nicht!


(Zuruf des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ich sage Ihnen: Wir wissen es deshalb nicht, weil Ihr
Ministerium das für geheimhaltungswürdig hält und die
deutsche Öffentlichkeit nicht informiert. Sie tun so, als
würden Sie alles öffentlich machen; also bitte ich Sie,
Ihr Verhalten zu ändern und die deutsche Öffentlichkeit
ausführlich darüber zu informieren, welche Nachteile sie
durch solche Investorenschutzabkommen zu erwarten
hat; denn es gibt schon welche.


(Beifall bei der LINKEN)


Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Erstens. Ich stelle fest: Sie möchten gerne, dass der
Deutsche Bundestag und die SPD-Fraktion einem Papier
zustimmen, das ich mit den deutschen Gewerkschaften
erarbeitet habe und das Sie selber ablehnen und kritisie-
ren.


(Lachen und Beifall bei der SPD – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


– Na ja, Sie sagen, das Papier sei schlecht, und heute ma-
chen Sie es zu einer Frage der Glaubwürdigkeit, ob wir
dem zustimmen. Es ist zuerst einmal eine Frage der
Glaubwürdigkeit, ob Sie dem zustimmen. Sie haben es
nämlich bisher abgelehnt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zweitens. Ich weiß nicht, ob Sie Ihren Antrag kennen;
ich lese ihn zur Sicherheit vor.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Darin steht – Drucksache 18/2611 –:

Der Deutsche Bundestag fordert die Bundesregie-
rung auf,

das CETA-Verhandlungsergebnis zurückzuweisen
und darauf hinzuwirken, dass die Verhandlungs-
mandate der EU-Kommission für TTIP und CETA
im Sinne der Mindestbedingungen geändert wer-
den.

Das ist doch Ihr Antrag, dem wir zustimmen sollen, oder?
Dann sind wir glaubwürdig, oder? Einverstanden? –


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Darüber haben Sie ja abgestimmt!)


– Passen Sie mal auf: Am 12. September 2014 hat die
Bundesregierung über das Bundeswirtschaftsministe-
rium folgende Erklärung zum Entwurf des CETA-Ver-
trags abgegeben, im Drahtbericht dokumentiert:
Deutschland unterstreicht, dass aus Sicht der Bundes-
regierung Investitionsschutz in CETA nicht erforderlich
ist. Zwischen entwickelten Rechtssystemen wie Kanada
und EU braucht man keinen völkerrechtlichen Investiti-
onsschutz. Jedenfalls müssen die Bedingungen aus deut-
scher Sicht an wichtigen Stellen nachgebessert werden.
Das Kapitel Investitionsschutz ist in der vorliegenden
Fassung der EU für Deutschland nicht zustimmungsfä-
hig.


(Beifall bei der SPD)


Sie fordern uns in Ihrem Antrag auf, etwas zurückzu-
weisen. Aber das haben wir schon getan. Wissen Sie,
warum wir Ihren Antrag ablehnen werden? Wir werden
ihn aus zwei Gründen ablehnen. Erstens, weil er unehr-
lich ist, da Sie das DGB-Abkommen kritisieren, und
zweitens, weil er erledigt ist, weil wir das, was Sie for-
dern, längst getan haben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805403600

So, weiter in der Rede.

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Wenn Sie uns wirklich in Schwierigkeiten hätten brin-
gen wollen – ein Tipp für die nächste Sitzung –,


(Heiterkeit bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


dann hätten Sie den Mumm haben müssen, den gesam-
ten mit dem DGB vereinbarten Text zur Abstimmung zu
stellen. Aber den Mut hatten Sie nicht, weil darin steht,
dass die Gewerkschaften das Freihandelsabkommen
prinzipiell für eine gute Sache halten. Der Unterschied
ist: Die wissen, dass das Millionen von Jobs sichern
kann, und Sie wissen das nicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Es ist völlig klar, dass wir das Investor-Staat-Schieds-
verfahren ablehnen. Bei CETA haben wir das Problem,
dass die Verfahren Teil des Verhandlungsmandats sind.
Trotzdem bemühen wir uns, auch hier Veränderungen
herbeizuführen. Das ist schwieriger als bei TTIP. Aber
ich bin sicher, dass die Debatte längst nicht zu Ende ist.

Im Übrigen empfehle ich tatsächlich, das Mandat
nachzulesen, auch TTIP; denn darin werden Sach-
verhalte aufgegriffen, die in der öffentlichen Debatte im-
mer infrage gestellt werden. Es steht zum Beispiel darin,
dass das Abkommen auch Mechanismen zur Unterstüt-
zung der Förderung menschenwürdiger Arbeit durch die
wirksame interne Umsetzung der Kernarbeitsnormen der
Internationalen Arbeitsorganisation umfassen wird. –
Warum haben Sie das vorhin eigentlich nicht zitiert?


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Weil es nicht drin ist!)


– Für TTIP gibt es doch gar keinen Verhandlungstext. Es
ist das Mandat, in dem steht: Ihr müsst die Kernarbeits-
normen durchsetzen.





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Man merkt bei Ihnen relativ schnell, worum es geht.
Sie nutzen Ängste – die in Teilen im Übrigen durchaus
berechtigt sind; ich kritisiere überhaupt nicht, dass Fra-
gen gestellt werden – für Ihre ziemlich populistische und
platte Strategie, um Ihren Nationalismus und Ihren Pro-
vinzialismus voranzubringen.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Schon wieder? Das ist eine Unverschämtheit! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist ja lächerlich!)


Sie finden in der Antwort der Bundesregierung viele
Beispiele dafür, dass die Bundesregierung und die Euro-
päische Kommission schon jetzt mehr Transparenz
schaffen, unter der neuen Kommissarin hoffentlich noch
mehr. Die EU-Kommission informiert regelmäßig Zivil-
gesellschaft und Verbände, auch der Deutsche Bundes-
tag wird regelmäßig informiert. Das Bundesministerium
für Wirtschaft und Energie hat im Mai außerdem einen
Beirat für TTIP berufen – das gilt sicher auch für CETA –,
dem Vertreter von Wirtschaft, Gewerkschaften, Sozial-,
Umwelt- und Verbraucherschutzverbänden sowie des
Kulturbereichs angehören. Ich hoffe, dass das in der Eu-
ropäischen Union Beispiel macht.

Der Investitionsschutz ist schon von der alten Bun-
desregierung in der Art, wie er jetzt geplant ist, nicht für
erforderlich gehalten worden. Daran hat sich nichts ge-
ändert. Übrigens gibt es inzwischen auch in den USA
und Kanada Freihandelsabkommen ohne solche Bestim-
mungen, zum Beispiel zwischen den USA und Austra-
lien, Singapur oder Israel. In jedem Fall muss der Hand-
lungsspielraum des Gesetzgebers gewahrt bleiben.
Darauf werden wir nicht nur bei den Verhandlungen mit
den Vereinigten Staaten achten, sondern jetzt auch in der
Debatte über das kanadische Abkommen, dessen Ausar-
beitung leider viel weiter vorangeschritten ist.

Es darf keine doppelten Standards geben. Es darf
nicht sein, dass internationale Investoren vor Schiedsge-
richten Rechte und Einflussmöglichkeiten erhalten, die
nationale Unternehmen im eigenen Land nicht haben.
Das macht deutlich, dass auch die Wettbewerbsgleich-
heit notwendig ist.

Im Verhandlungsmandat für TTIP ist kein Automatis-
mus zur Einrichtung von Investor-Staat-Schiedsver-
fahren vorgesehen. Deswegen ist es gut, dass die EU-
Kommission die Verhandlungen darüber ausgesetzt hat
und ein Konsultationsverfahren durchführt. Allerdings
haben die Kommission und der Europäische Rat bei
CETA – ich glaube, im Jahr 2011 – das Europäische Par-
lament ignoriert und Investor-Staat-Schiedsverfahren im
Mandat vorgesehen. Ich bin der Überzeugung: Auch bei
CETA ist diese Form von Investor-Staat-Schiedsverfah-
ren überflüssig. Deswegen habe ich Ihnen eben noch
einmal die Stellungnahme des Bundeswirtschaftsminis-
teriums im handelspolitischen Ausschuss der EU am
12. September 2014 vorgetragen. Darin steht, was Sie
vom Parlament verlangen, nämlich dass die Bundesre-
gierung das Schiedsverfahren zurückweisen soll. Das ist
erfolgt. Ihr Antrag hat sich deshalb erledigt, sehr geehr-
ter Herr Ernst.
Das Kapitel zum Investitionsschutz ist laut Protokoll
– ich zitiere – „in der vorliegenden Textfassung für DEU
nicht zustimmungsfähig“. – Wir haben also klar Stellung
bezogen. Ich bin der Auffassung, dass es im deutschen
Interesse ist, CETA an dieser Stelle zu verändern und
auch zum Erfolg zu bringen.

Wir haben für Europa viel erreicht. Wir haben Zugang
für öffentliche Beschaffung bis hinab zur Ebene der Pro-
vinzen erreicht. Produkt- und Herkunftsbezeichnungen
sind gesichert. CETA, meine Damen und Herren, ist ein
gutes Abkommen. Es wäre falsch, es jetzt grundsätzlich
infrage zu stellen oder sich bereits jetzt dagegen zu posi-
tionieren. Wir müssen vielmehr versuchen, diesen kriti-
schen Punkt mit der EU und mit Kanada
weiterzuverhandeln. Er ist viel zu unbedeutend – das
sagt der Gutachter aus –, als dass wir deshalb das ge-
samte Abkommen jetzt schon sozusagen in den Orkus
schicken sollten. Ich glaube, dass das letzte Wort noch
nicht gesprochen ist.

Morgen wird die EU erklären, dass die Verhandlun-
gen abgeschlossen sind. Das kann ich verstehen. Die
Kommission geht aus dem Amt und will noch etwas
abliefern. Das ist aber am 18. Oktober 2013 schon ein-
mal passiert, und danach ist trotzdem kräftig weiter-
verhandelt worden. Wir werden vermutlich mindestens
acht Monate brauchen, bis die Übersetzungen und die
Voraussetzungen für eine Unterzeichnung überhaupt
vorliegen. Wir sollten dringend alles dafür tun, in dieser
Zeit Mehrheiten für die deutsche Position, auch im Hin-
blick auf CETA und das Investitionsschutzverfahren, zu
bekommen.

Viel einfacher wäre es, wenn es Staat-zu-Staat-
Schiedsverfahren gäbe. Somit würde man verhindern,
dass Unternehmen einfach loslaufen und versuchen, ih-
ren Interessen Geltung zu verschaffen. Ich weise aber
auch darauf hin, dass der Gutachter vom Max-Planck-
Institut der Überzeugung ist, dass das jetzige Abkom-
men für die Investoren eigentlich zu schlechte Bedin-
gungen schafft.

So wichtig und notwendig es ist, die deutschen Posi-
tionen zu beschreiben, so wichtig ist es auch, bei dieser
Debatte auf Folgendes hinzuweisen: Wir reden hier über
ein europäisches Projekt. Man muss ein bisschen aufpas-
sen, dass man nicht glaubt, ausländische Investoren
hätten den Eindruck, überall in Europa seien ihre Inves-
titionen so sicher wie in unserem Land. Es gibt ein paar
Mitgliedstaaten, in denen wir Verfahren führen und Her-
mesbürgschaften für die Zukunft sperren, weil dort der
Investorenschutz nicht gegeben ist. Das heißt: Wenn
man beim Thema Investorenschutz den Blick nur auf
Deutschland richtet, dann ist dieser natürlich verkürzt.

Wir alle wissen: Es gibt Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Union, in denen die Unternehmen nicht immer vor
Willkür geschützt sind und es eine politische Einfluss-
nahme gibt, die es ihnen wirklich schwer macht. Des-
wegen ist der Weg zum Freihandelsabkommen nicht so
einfach, wie das hier einige Kolleginnen und Kollegen in
der Öffentlichkeit immer wieder gerne darstellen; so
macht es auch die Linkspartei anhand ihrer Bemerkun-
gen.





Bundesminister Sigmar Gabriel


(A) (C)



(D)(B)

Ich bin der festen Überzeugung, dass wir Freihandel
brauchen. Wir brauchen Freihandel aber nicht um jeden
Preis. Er muss all das respektieren, was Jean-Claude
Juncker in seiner Rede gesagt hat. Ich bin der festen
Überzeugung, dass wir keine Investor-Staat-Schiedsver-
fahren, wie sie hier vorgeschlagen werden, brauchen. Ich
bin auch der Überzeugung, dass wir reden und verhan-
deln müssen. Es macht keinen Sinn, die Verhandlungen
jetzt abzubrechen, somit Risiken für gegeben anzu-
nehmen und Chancen auf Arbeitsplätze in Europa zu
zerstören.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805403700

Vielen Dank, Sigmar Gabriel. – Der nächste Redner

in der Debatte ist Dr. Toni Hofreiter für Bündnis 90/Die
Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Minister Gabriel! Lieber Sigmar!


(Zurufe von der SPD: Oh! – Thomas Oppermann [SPD]: Fraternisierung!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man kann vom ameri-
kanischen Chlorhuhn halten, was man will. Das antibio-
tikaverseuchte Hühnchen aus Europa ist sicher nicht bes-
ser. Aber eines hat das Chlorhühnchen erreicht: Es hat es
geschafft, dass der Scheinwerfer auf die Verhandlungen
zu TTIP und CETA gerichtet ist. Wir führen eine schöne,
breite und öffentliche Debatte darüber. Aber man hat den
Eindruck, dass das vielen nicht gefällt. Die EU-Kommis-
sion scheut die öffentliche Auseinandersetzung darüber
offensichtlich so sehr, dass sie eine Europäische Bürger-
initiative dazu ablehnt, sie verhindert bzw. ausbremst.

Haben die Befürworter von TTIP und CETA so wenig
überzeugende Argumente? Müssen sie die offene De-
batte so sehr scheuen? Im Fall der Schiedsverfahren für
Konzerne stelle ich eindeutig fest: Ja.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Diese Schiedsverfahren stehen völlig zu Recht in der
Kritik. Hinterzimmergerichte urteilen, ob demokratisch
verfasste Gesetze den Gewinninteressen der Unterneh-
men entgegenstehen. In der Konsequenz droht, dass Bür-
gerinnen und Bürger mit ihren Steuergeldern Millionen
und Milliarden als Schadensersatz zahlen müssen.

Das ist keine rein theoretische Sache. Wir kennen sol-
che Fälle bereits. Philip Morris zum Beispiel verklagt
Uruguay wegen Gesundheitsschutzmaßnahmen im
Bereich der Zigarettenindustrie auf Schadensersatz in
Millionenhöhe. Oder Vattenfall: Vattenfall hat Hamburg
und die Bundesrepublik Deutschland verklagt – im Fall
der Klage gegen die Bundesrepublik Deutschlang wegen
des Atomausstiegs. Dabei geht es um Milliardensum-
men. Und diese Klagemöglichkeit wollen Sie jetzt noch
ausweiten? Herr Gabriel erzählt uns hier – das ist ja
schön –, er wolle sie nicht wirklich ausweiten. Mir fällt
da eine in einem ganz anderen Zusammenhang geäu-
ßerte Formulierung ein: Verbale Aufgeschlossenheit bei
weitgehender Verhaltensstarre.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich meine damit: Es ist ja schön, was Sie uns hier alles
erzählen. Entscheidend ist aber nicht, was Sie uns hier
erzählen, sondern die entscheidende Frage ist: Stimmt
die Bundesrepublik Deutschland am Ende einem Ab-
kommen zu, in dem genau diese Klagemöglichkeit ent-
halten ist? Das ist die entscheidende Frage, und das ist
das, was wir von Ihnen wissen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Für Sie, Herr Gabriel, und für die SPD müsste es doch
eigentlich eine klare Sache sein, auf welcher Seite Sie
stehen. Aber eingeklemmt zwischen Frau Merkel und
dem BDI auf der einen Seite und dem Widerstand der
Bürgerinnen und Bürger, der Umweltschutzbewegung,
der Verbraucherschutzbewegung, der Kulturschaffenden
und der mittelständischen Industrie haben Sie sich offen-
sichtlich für so eine Art Eiertanz entschieden. Schauen
wir uns an, was am Wochenende passiert ist: Am
Wochenende konnten wir ein schönes Schauspiel be-
obachten. Wir konnten wunderschön beobachten, wie
sich die SPD auf ihrem Parteikonvent unter Ausschluss
der Öffentlichkeit, hinter verschlossenen Türen darüber
aufgeregt hat, dass diese Verhandlungen im Rahmen der
Geheimdiplomatie stattfinden, dass es bei diesen Ver-
handlungen an Transparenz mangelt. Ist Ihnen das nicht
selbst total absurd vorgekommen?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Am Ende haben Sie sich entschieden – damit sind Sie
ganz zufrieden und glücklich –, gegen diese Investitions-
schutzverfahren zu sein. Aber was war 48 Stunden
später, Herr Gabriel? 48 Stunden später haben Sie ein
Gutachten veröffentlicht, nach dem diese Investitions-
schutzklauseln gar nicht so schlimm sein sollen. Das
steht in einem von Ihnen bestellten Gutachten. Sie haben
zu dem Gutachter schon einiges gesagt. Wissen Sie,
auch wenn dieser Gutachter Wissenschaftler am Max-
Planck-Institut ist und wir diesem Gutachter als Person
nichts Schlechtes nachsagen wollen, sollten Sie sich ein-
mal Folgendes überlegen: Der Gutachter arbeitet für
diese Schiedsgerichte. Er ist nominiert für diese Schieds-
gerichte. Und Sie erwarten von ihm, dass er diese
Schiedsgerichte neutral beurteilt? Das ist doch nicht
wirklich Ihr Ernst?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich habe den Eindruck, dass Sie schlichtweg Ihr Einkni-
cken vorbereiten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU, Sie
haben eine ganz schöne Kampagne mit vielen bunten
Bildern für TTIP gestartet. Rauf und runter loben Sie die
Chancen, die dadurch für den Mittelstand entstehen.





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

Hören wir uns doch einmal gemeinsam an, was der Mit-
telstand selbst dazu sagt. Ich meine nicht das, was der
Mittelstand nach Meinung der CDU zu denken hat, son-
dern das, was der Mittelstand selbst sagt. Eine gute
Quelle ist der Bundesverband der mittelständischen
Wirtschaft. Er hat eine sehr klare Stellungnahme abgege-
ben – ich darf zitieren –:

Der Investor-Staat-Streitbeilegungsmechanismus …
ist in dem geplanten TTIP-Abkommen zwischen
der Europäischen Union und den USA überflüssig
und strikt abzulehnen. Die geplanten Regelungen
benachteiligen die mittelständische Wirtschaft, he-
beln die Rechtsstaatlichkeit aus und gehen so zu
Lasten der Mitgliedsstaaten der EU.

Der Mittelstand fürchtet zu Recht, dass diese Verfah-
ren nur den Großkonzernen nutzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der CDU/CSU,
hören Sie doch einfach auf den Mittelstand, anstatt ihm
zu sagen, was er zu denken hat, und lehnen Sie diese
Verfahren doch einfach einmal ab!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Mich persönlich würde auch interessieren: Was ist ei-
gentlich die Meinung der Bundesregierung? Die Mei-
nungen der einzelnen Teile haben wir inzwischen gehört,
aber es wäre doch schön, bei dieser wichtigen Frage zu
hören, was die gemeinsame Meinung der Bundesregie-
rung ist. Es ist doch vollkommen absurd, wie gespalten
Sie hier auftreten.

Zum Abschluss. Ja, wir wollen ein gutes Abkommen.
Wir wollen ein Abkommen, das den Unternehmen und
den Menschen nutzt. Wir wollen ein Abkommen, das
unnötige Bürokratie und Zölle abbaut. Wir wollen ein
Abkommen, das zu höchsten Standards führt und diese
höchstens Standards zur Regel werden lässt. Dazu sagen
wir Ja. Aber wir sagen klar Nein zu einem Abkommen
voller Privilegien für die Konzerne und Nachteile für die
mittelständische Wirtschaft, voller Risiken für Verbrau-
cher und Umwelt.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805403800

Vielen Dank, Herr Kollege Hofreiter. – Nächster Red-

ner in der Debatte: Dr. Peter Tauber für die CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])



Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1805403900

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es wird
Sie nicht verwundern: CDU und CSU sind für die Frei-
handelsabkommen mit den USA und mit Kanada. Wir
sind fest davon überzeugt, dass nicht nur die Wirtschaft,
sondern auch die Menschen in unserem Land, die Men-
schen in Europa und auch die Menschen in den USA und
Kanada von solchen Abkommen profitieren können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD] – Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist mit dem Mittelstand?)


So gerne ich mit Ihnen, auch mit Ihnen, lieber Herr
Hofreiter, in den kleinteiligen Disput eintrete, tut es not,
dass wir uns noch einmal vergewissern, warum wir über
Freihandelsabkommen reden. Es geht im Kern um die
Frage, ob wir als Europäer gemeinsam mit unseren
transatlantischen Partnern bis weit in das 21. Jahrhundert
hinein weltweit Standards setzen oder ob wir das nicht
tun und anderen überlassen. Das ist die zentrale Frage
dabei, warum wir für oder gegen ein Freihandelsabkom-
men sind. Sie haben sich entschieden, dagegen zu sein.
Das muss man an dieser Stelle einmal festhalten. Das
bedeutet also: Sie sind bereit, darauf zu verzichten, dass
die Europäer, die Amerikaner und Kanadier gemeinsam
darüber reden, welche Standards wir weltweit setzen
wollen. Das kann man zunächst einmal festhalten, bevor
wir uns den Details nähern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei,
zunächst einmal beglückwünsche ich Sie zu Ihrem Mut.
Fragen zu stellen, ist ja nicht verkehrt; denn meistens
dient es der Bewusstseinserweiterung und auch der Bil-
dung. Das Ganze wird nur dann schwierig, wenn Sie
Fragen stellen, bei denen man davon ausgehen kann,
dass sie Ihnen weiterhelfen, Sie dann aber komplett die
Antworten, die die Bundesregierung Ihnen gegeben hat,
ignorieren. Das hat man an der Debatte und an Ihrem
Beitrag, lieber Herr Ernst, sehr deutlich gemerkt.

Was haben Sie in der Vergangenheit getan, wenn über
die Freihandelsabkommen geredet wurde? Sie haben je-
weils nach Symbolen gesucht, mit denen die Ängste und
auch die kritischen Fragen von Menschen verstärkt wor-
den sind. Sie haben sich an keiner Stelle in der Debatte
darum bemüht, Ängste und Sorgen aufzugreifen und ih-
nen positiv zu begegnen, indem Sie sagen: Wir versu-
chen, dies im Sinne der Menschen umzusetzen, Sorgen
aufzugreifen und eine Antwort zu geben. – Das Erste
war das Chlorhühnchen. Nachdem klar war, dass das
Chlorhühnchen mit dem Freihandelsabkommen nicht
kommt, haben Sie sich etwas Neues gesucht. Dann war
es Fracking. Sie sagten, dass Fracking durch die Hinter-
tür mit dem Freihandelsabkommen bei uns eingeführt
wird. Als klar war, dass auch Fracking nicht durch die
Hintertür mit dem Freihandelsabkommen kommt, haben
Sie als Nächstes gesagt: Es wird ja alles so geheim und
intransparent verhandelt; man weiß gar nicht, was wirk-
lich kommt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn das Ihre Argumente dafür sind, haben Sie nicht viel!)






Dr. Peter Tauber


(A) (C)



(D)(B)

Nachdem jetzt klar ist, dass sehr wohl für alle nachvoll-
ziehbar ist, worüber wir da eigentlich reden, rudern Sie
ein bisschen herum.

Am Ende kommen Sie zu einer grundlegenden Hal-
tung. Bei den Linken ist diese noch durch einen tief ver-
wurzelten Antiamerikanismus gespeist. Bei den Grünen,
bei Ihnen, Herr Hofreiter, höre ich jetzt eine leichte Wen-
dung heraus: Grundsätzlich ist man nicht dagegen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommt bei einem Vertrag immer auf den Inhalt des Vertrages an!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805404000

Herr Kollege, würden Sie eine Rückfrage oder einen

Kommentar von Frau Höhn erlauben?


Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1805404100

Jetzt bin ich gerade so schön im Redefluss, Frau Prä-

sidentin.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805404200

Also nicht.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)



Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1805404300

Sie kann ja gerne nachher erwidern. Dann werde ich

ihre Anmerkungen gerne aufgreifen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Angsthase! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das klingt nach wenig argumentativer Stärke, Herr Generalsekretär!)


Schauen Sie sich einmal selber an, wie Sie sich dazu äu-
ßern.

An die Adresse der Linkspartei gerichtet muss man
sagen: Sie haben klar gesagt, Sie wollen ein Freihandels-
abkommen nicht positiv begleiten. Ich kann mich, ehr-
lich gesagt, an keine politische Debatte in diesem Hohen
Hause erinnern, in der die Linkspartei irgendein Projekt,
das in die Zukunft weist, positiv begleitet hätte; insofern
ist diese Haltung nicht verwunderlich.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf von der LINKEN: Das ist bei Amnesie so!)


An die Adresse der Grünen: Vielleicht haben Sie gele-
sen, was Ihr grüner Ministerpräsident, Herr Kretschmann,
heute im Zeit-Interview gesagt hat, an Ihre eigene Adresse
gerichtet.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In welchem der beiden Zeit-Interviews: im autorisierten oder im nichtautorisierten?)


Er sagt in dem Interview: Warum geht meine Partei so
defensiv ran, mit so einer Abwehrhaltung? Da muss man
doch offensiv reingehen und das gestalten. – Das sagt Ihr
Ministerpräsident an Ihre Adresse gerichtet. Vielleicht
nehmen Sie sich daran für die Zukunft mal ein Beispiel.
Genau darum geht es bei dem Freihandelsabkommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Warum ist so ein Abkommen per se erst einmal eine
gute Sache? Wir müssen uns natürlich die Inhalte an-
schauen und dann entscheiden – wobei Sie diese Ent-
scheidung durch Ihre ablehnende Haltung schon vor-
wegnehmen. Es kommt doch darauf an, dass wir die
richtigen Dinge hineinschreiben. Aber wenn wir uns
dem positiv nähern, dann ist ja die spannende Frage:
„Warum wollen wir dieses Abkommen?“, und es gibt
viele, viele gute Gründe:

Weltweit steht Deutschland auf Platz eins der Länder
mit der dichtesten Vernetzung der Volkswirtschaften.
Das heißt, wir sind ganz besonders darauf angewiesen,
dass Handelshemmnisse abgebaut werden, für unsere
Wirtschaft, und zwar nicht nur, wie Sie suggerieren, für
die großen Konzerne, sondern auch für die kleinen Un-
ternehmen, für den Mittelstand, für viele KMU. Ich will
Ihnen da nachher gerne noch ein Beispiel näherbringen.

Die University of Chicago hat in einer aktuellen Stu-
die errechnet, dass der reale Wohlstand in Deutschland
ohne diese zahlreichen Handelsbeziehungen nur halb so
hoch wäre. Und da stellen Sie ernsthaft die grundsätzli-
chen Vorteile eines solchen Abkommens infrage? Das ist
in der Tat nur schwer nachvollziehbar.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Es geht nicht um die jetzigen Abkommen! Es geht um das TTIP-Abkommen!)


Jetzt geht es um die Frage: Was sind denn die auch
von der Bundesregierung an vielen Stellen schon formu-
lierten roten Linien, was ist denn unsere Position in die-
sen Verhandlungen? Natürlich haben wir klar gesagt,
dass wir bei der Nachhaltigkeit, beim Gesundheits-, Ver-
braucher- und auch Arbeitnehmerschutz, beim Waren-
handel positive Impulse setzen wollen. Natürlich wollen
wir keine Standards preisgeben. Sie suggerieren das im-
mer; aber in der Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage der Linken wird deutlich, dass wir die
positiven Impulse eines solchen Abkommens stärken
wollen. Dort heißt es – ich darf zitieren –:

Der Verzicht auf ein solches Freihandelsabkommen
zwischen den beiden größten Wirtschaftsräumen
der Welt – Europa und USA – würde zugleich den
Verzicht auf Einflussnahme für internationale Stan-
dards in den globalisierten Wirtschaftsbeziehungen
bedeuten.

Das heißt, es geht nicht nur um die wirtschaftlichen Be-
ziehungen zu den USA, sondern wir greifen weit darüber
hinaus, wenn es darum geht, unseren Standards bei den
genannten Punkten Verbraucherschutz, Umweltschutz
weltweit zur Durchsetzung zu verhelfen.

Dann gibt es eine zweite Legende, die Sie immer wie-
der bemühen: Nur die großen Konzerne würden von sol-
chen Abkommen profitieren. – Das ist nicht so. Es gibt
dazu eine aktuelle Studie. Sie haben die Zahlen des ifo-





Dr. Peter Tauber


(A) (C)



(D)(B)

Instituts erwähnt. Wir haben darauf zurückgegriffen bei
unserer Kampagne für ein Freihandelsabkommen; denn
diese Zahlen zeigen genau das Gegenteil: dass, wenn wir
das Abkommen gut verhandeln, die normalen Bürgerin-
nen und Bürger die Chance haben, davon zu profitieren.


(Thomas Lutze [DIE LINKE]: Wie denn?)


Das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt, der in der
Debatte von Ihnen völlig negiert wird.

Sie behaupten ferner, das werde alles geheim verhan-
delt und keiner wisse, was in dem Abkommen stehe. Ich
frage mich ernsthaft, was Sie für ein Selbstverständnis
als Abgeordnete haben und was für eine Kollegialität Sie
hier zum Ausdruck bringen. Glauben Sie ernsthaft, dass
die Kollegen in unserer Fraktion, dass die Kollegen im
Europäischen Parlament – egal welcher Fraktion sie an-
gehören – so ein Abkommen abnicken, ohne es sich an-
zuschauen, ohne eigene Vorstellungen einzubringen?


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Lachen und Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt ein Eigentor!)


– Es lässt tief blicken, was Ihr eigenes parlamentarisches
Selbstverständnis angeht, wenn Sie Kolleginnen und
Kollegen so etwas unterstellen. Das ist zutiefst unkolle-
gial und einfach nur billige Polemik für den kurzen Ef-
fekt; mehr ist es nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE] – Gegenruf des Abg. Peter Beyer [CDU/CSU]: Da muss man sich halt mal informieren!)


Was sind die Vorteile, auch für den Mittelstand?
Wenn wir dieses Abkommen gut verhandeln, dann kön-
nen in Europa mehr als 1 Million zusätzliche Arbeits-
plätze entstehen. Sie appellieren doch immer, dass wir
Impulse setzen für die Staaten in Süd-, Ost- und Mittel-
europa. Selbst in Deutschland, das sagen Prognosen,
könnten bei den richtigen Rahmenbedingungen 200 000
zusätzliche Arbeitsplätze entstehen.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Und wie viele gehen verloren? – Weitere Zurufe von der LINKEN)


Der deutsche Export in die USA könnte sich um 94 Pro-
zent steigern.

Das alles sind positive Chancen, die nicht von vorn-
herein gegeben sind und die wir ergreifen müssen. Es
kommt auf das Ergebnis an. Wenn wir immer nur darauf
schauen, dass es nicht klappt, dann werden wir die Zu-
kunft nicht gewinnen. Deswegen ist es so enorm wichtig,
dass wir die richtigen Leitplanken einziehen und positiv
in diese Debatte gehen.

Dasselbe gilt in Bezug auf die Steigerung der realen
Löhne. Wenn das Abkommen richtig verhandelt ist,
dann kann jedem Haushalt mit vier Personen am Ende
ein zusätzliches Einkommen von bis zu 545 Euro zur
Verfügung stehen, ohne dass die Standards abgesenkt
werden. Das ist eine gute und wichtige Botschaft.

(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Bis wann denn? – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: In welchem Zeitraum?)


Es gibt einen schönen Satz der Präsidentin des Ge-
samtverbandes der deutschen Textil- und Modeindustrie,
in dem viele kleine und mittelständische Unternehmen
zusammengeschlossen sind. Sie hat gesagt, es wäre ganz
schön, wenn man dieses Thema „mal ohne German
Angst“ diskutieren würde. Genau das müssen wir tun,
und dazu sind Sie leider nicht in der Lage.


(Lachen des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])


Sie erinnert uns daran, dass die deutsche Textil- und
Modeindustrie einen Jahresumsatz von 28 Milliarden
Euro hat, und sie ist Weltmarktführer bei hochinnovati-
ven technischen Textilien für Medizintechnik, Bautech-
nik, Luft- und Verkehrstechnik. Aber: Für diese Branche
gibt es Handelsschranken. Die Kosten für Einfuhrabfer-
tigung und Einhaltung aller Vorschriften führen dazu,
dass sich die Produkte um bis zu 20 Prozent verteuern.
Es gibt in diesem Bereich eine Bürokratie, die wir drin-
gend abbauen müssen, weil sie für kleine und mittelstän-
dische Unternehmen schlichtweg nicht zu leisten ist.

Wenn Sie einen Männeranorak, wesentlich aus Baum-
wolle, in die USA exportieren wollen, dann zahlen Sie
dafür einen Zollsatz von 9,4 Prozent.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wo kommt er her?)


Wenn derselbe Anorak hauptsächlich aus Chemiefasern
hergestellt ist, dann liegt der Zollsatz bei 27 Prozent.
Das ist ein gutes und ganz lebensnahes Beispiel, weg
von Ihren Angstszenarien, die Sie aufbauen. Dieses Bei-
spiel zeigt, warum wir ein solches Freihandelsabkom-
men wollen. Davon profitieren nämlich auch die Bürge-
rinnen und Bürger und nicht nur die Industrie, und es
gilt, unseren Standards und Werten auch im Wirtschafts-
bereich zur Durchsetzung zu verhelfen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805404400

Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit.


Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1805404500

Ich komme zum letzten Satz. – Es wäre schön, wenn

Sie sich dem nicht weiter verschließen, sondern einen
Beitrag dafür leisten würden,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Es wäre schön, wenn Sie die Frage zugelassen hätten!)


dass unser Land dort eine Perspektive bekommt und wir
die transatlantische Partnerschaft auch in diesem Bereich
stärken. Das wollen und das können Sie aus ideologi-
schen Gründen nicht, und das ist sehr bedauerlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805404600

Danke, Herr Kollege. – Das Wort zu einer Kurzinter-

vention hat die Kollegin Höhn.






(A)



(D)(B)


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805404700

Herr Kollege Tauber, Sie haben eben das Fracking im

Zusammenhang mit diesem Abkommen angesprochen.
Ich möchte Sie hier auf Folgendes hinweisen: Auf der
Grundlage der jetzigen Handelsabkommen klagt Lone
Pine gegen Quebec, und zwar deshalb, weil Quebec, ge-
nauso wie Nordrhein-Westfalen, ein Moratorium erlas-
sen hat. Quebec hat noch keine Lizenzen für das Fra-
cking an sich vergeben, sondern nur Lizenzen für
Probebohrungen, und jetzt haben sie dieses Moratorium
erlassen. Lone Pine klagt gegen Quebec auf einen Scha-
densersatz von 250 Millionen Kanadische Dollar.

Genau diese Möglichkeit eröffnet der Text zum
CETA, der uns momentan vorliegt, den Unternehmen.
Nordrhein-Westfalen hat auch ein solches Moratorium,
wie gesagt, erlassen. Welche Passage in den Texten, die
uns jetzt vorliegen, können Sie anführen, woraus hervor-
geht, dass eine solche Klage, die jetzt gegen Quebec ge-
führt wird, nicht auch Nordrhein-Westfalen droht? Nach
unseren Informationen ist sehr klar: Schadensersatzkla-
gen wie die gegen Quebec können aufgrund des CETA-
Textes zum Beispiel auch gegen Nordrhein-Westfalen
geführt werden. Nennen Sie mir bitte die Passage, die
das aus Ihrer Sicht nicht zulässt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805404800

Danke, Frau Kollegin. – Herr Dr. Tauber.


Dr. Peter Tauber (CDU):
Rede ID: ID1805404900

Frau Kollegin, erstens kennen Sie die Haltung der

Koalitionsfraktionen und der Bundesregierung zum Fra-
cking im Rahmen der TTIP-Verhandlungen.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Welche Haltung? – SvenChristian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie ist sie denn?)


Zweitens kann man zu dem Verfahren, das Sie jetzt er-
wähnt haben, abschließend noch gar nichts sagen, weil
es noch nicht entschieden ist.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Es geht um den gegenwärtigen Text! Das war der Gegenstand der Frage!)


– Ich habe hier eine Menge Papier vor mir auf dem Tisch
liegen, aber diese entsprechende Passage leider nicht.
Vielleicht haben Sie das. Dann bringen Sie es mir, und
dann zeige ich es Ihnen ganz entspannt. – Das ändert
doch nichts an der Tatsache, dass Sie negieren, dass gel-
tendes Recht nicht geändert wird – und das gilt auch für
dieses Freihandelsabkommen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805405000

Danke, Herr Kollege Dr. Tauber. – Der Abgeordnete

Gabriel hat sich zu einer Kurzintervention gemeldet.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Sigmar Gabriel (SPD):
Rede ID: ID1805405100

Danke, Frau Präsidentin. – Weil ich zur Sachaufklä-

rung beitragen kann, werde ich Frau Kollegin Höhn die
Passage aus dem europäisch-kanadischen Freihandels-
abkommen CETA übermitteln, in der steht, dass zur
Wahrung natürlicher Ressourcen Moratorien erlassen
werden können, und in der exakt das, was Sie befürch-
ten, wegen der Erfahrung, die Kanada in Quebec ge-
macht hat, ausgeschlossen wird. Wegen genau der Erfah-
rung, die Sie zu Recht geschildert haben, hat Kanada
dem Vorschlag, gerade zur Nutzung natürlicher Ressour-
cen Schutzvorschriften – für Kanada und auch für
Europa – zu erlassen, zugestimmt. Ich übermittle Ihnen
das gerne.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805405200

Danke, Herr Abgeordneter Gabriel.


(Abg. Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zur einer Kurzintervention)


– Melden Sie sich zu einer Kurzintervention?


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


– Gut. – Nach § 27 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung,
wie Sie sicher wissen, nun eine Kurzintervention von
Frau Dröge.


(Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Die redet doch noch!)


– Das Recht hat sie, liebe Kollegen. Das können auch
Sie machen.


(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805405300

Auch ich habe mich zu einer Kurzintervention gemel-

det. Herr Gabriel wollte ja vermeintlich zur Aufklärung
des Sachverhaltes beitragen. Auch ich muss zur Aufklä-
rung des Sachverhaltes beitragen, weil das, was Sie hier
dargestellt haben, nicht ganz korrekt war.

Auch wir haben – zusätzlich zu Ihrem Rechtsgutach-
ten, Herr Gabriel – ein Rechtsgutachten in Auftrag gege-
ben. Es besagt ganz eindeutig, dass das Investitions-
schutzkapitel in CETA die öffentlichen Genehmigungen
nach Artikel 14 Grundgesetz so nicht schützt, dass zum
Beispiel der Entzug von bereits genehmigten Fracking-
Lizenzen, die es ja auch in Deutschland schon gibt,
durch das Investitionsschutzkapitel in CETA so nicht ge-
schützt ist und dass Klagen weiterhin möglich sind.


(Sigmar Gabriel, Bundesminister: Ich schicke Ihnen einfach den Originaltext! – Dirk Wiese [SPD]: Zwei Juristen, drei Meinungen!)


Deswegen kann es nicht einfach so stehen bleiben, dass
Sie hier den Eindruck erwecken, die Frage von Frau

(C)






Katharina Dröge


(A) (C)



(D)(B)

Höhn entspricht nicht den Tatsachen. Im Gegenteil:
Unser Gutachten zeigt etwas anderes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Sigmar Gabriel, Bundesminister: Ich schicke Ihnen einfach den Originaltext!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805405400

Wir machen jetzt mit der Debatte weiter.

Der nächste Redner in der Debatte ist Wolfgang
Tiefensee für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1805405500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Wir diskutieren einmal mehr über TTIP und
über CETA. Diese Debatte ist gut, weil wir das, was in
der Öffentlichkeit diskutiert wird, sehr ernst nehmen. Ich
will ausdrücklich unterstreichen, dass wir diese öffent-
liche Debatte brauchen und all denjenigen, die sich kri-
tisch äußern, zurufen: Meldet euch! Wir wollen mit euch
diskutieren.

Was schlecht ist, ist die Grundlage der heutigen
Debatte, nämlich die drei uns vorliegenden Anträge.
Einer ist von der Fraktion Die Linke. Er zeichnet sich
dadurch aus, dass man das, was auf dem Parteikonvent
gesagt wurde, als Steinbruch genommen hat, sich genau
die Passagen herausgesucht hat, die einem passen, sie
zusammengeschrieben und zu einem Antrag formuliert
hat. Das, liebe Fraktion der Linken, ist Kindergarten,
große Gruppe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Etwas einfach nur abzuschreiben, keine eigenen Ideen
vorzutragen und vor allen Dingen dann auch noch den
eigentlich entscheidenden Punkt wegzulassen, ist für ein
solches Haus eigentlich nicht akzeptabel. Das sollten Sie
in der Zukunft unterlassen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was meine ich damit? In der öffentlichen Debatte
kommt es zuallererst darauf an, zu berichten, warum wir
ein solches Abkommen überhaupt abschließen wollen,
warum es diese Verhandlungen gibt. Wir müssen
zunächst deutlich machen, dass wir die Handelsräume
zusammenführen, die sogenannten nichttarifären Han-
delshemmnisse, diese unsäglichen unterschiedlichen
Normen und Standards, abbauen und die Verfahren für
Mittelstand und Großindustrie erleichtern wollen. Wenn
wir das kommuniziert haben, dann sollten wir auch
sagen, wo die roten Linien sind. Genau das tun Sie nicht.
Sie suchen immer wieder Gelegenheiten und Sie suchen
– wie in einem Steinbruch – Textbausteine, um deutlich
zu machen: An dieser Stelle mit uns nicht. – Ich bitte
Sie, irgendwann ausdrücklich zu erklären: Wir wollen
keine Freihandelsabkommen. Wir wollen TTIP nicht.
Wir wollen CETA nicht.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


In diesem Fall würde Ihr Antrag aus einem Satz beste-
hen. Dann könnte man ihn viel einfacher verstehen und
natürlich viel einfacher ablehnen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Das Gleiche gilt im Übrigen aber auch für den Antrag
der Grünen. Ich habe in den Gesprächen, die wir nicht
zuletzt auch im Ausschuss miteinander geführt haben,
gelernt, dass Sie offensichtlich nicht zu der Fraktion ge-
hören, die Freihandelsabkommen grundsätzlich ablehnt.


(Anja Hajduk [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


– Willkommen im Klub! Das ist gut. – Sie machen das
Gegenteil von dem, was die Linke tut. Aus den roten
Linien, also dem, was wir in den Verhandlungen verhin-
dern wollen, greifen Sie sich nur einen Teil heraus –
wahrscheinlich den, der ganz besonders populär ist.

Sie sprechen nicht davon, dass wir verhandeln wol-
len, dass die ILO-Kernarbeitsnormen in einem Kapitel
ihren Widerhall finden müssen. Sie sprechen nicht da-
von, dass es uns um öffentliche Daseinsvorsorge geht.
Sie sprechen nicht davon, dass wir die Standards nicht
absenken wollen, sondern dass wir die US-Standards
und die europäischen Standards auf das jeweils höchste
Niveau heben wollen. Sie sprechen nicht davon, dass wir
bei Kultur und Medien aufpassen wollen, dass beispiels-
weise die Buchpreisbindung nicht unter die Räder gerät.

Das alles spielt keine Rolle, weil es in der Diskussion
kein so schlagkräftiges Argument ist. Sie beziehen sich
nur auf einen Teil. Deshalb also meine Bitte: Reden Sie
Klartext. Stehen Sie zu den Verhandlungen. Stehen Sie
dazu, dass wir die Vorteile für den Mittelstand, für die
Industrie, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
nutzen und dass wir alles Erdenkliche tun wollen, dass
diese Abkommen zum Abschluss kommen. Oder stellen
Sie sich auf die andere Seite, die alles grundsätzlich
ablehnt.

Ich will es hier noch einmal ganz deutlich sagen:


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805405600

Aber kurz.


Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1805405700

Die sozialdemokratische Fraktion wird alles dafür

tun, dass sowohl CETA als auch TTIP keinen Investo-
renschutz und keine Schiedsgerichtsklausel enthalten,
dass die ILO-Kernarbeitsnormen ihre Verankerung fin-
den, dass die Standards nicht abgesenkt werden, dass der
öffentliche Dienst nicht gefährdet wird, dass es keine
genmanipulierten Nahrungsmittel gibt. Das sind unsere
Ziele. Diese werden wir durchsetzen, und zwar auf unse-
rem Wege.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805405800

Herr Kollege, erlauben Sie kurz vor Schluss noch eine

Zwischenfrage?


Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1805405900

Sehr gerne. – Die ist nicht von mir bestellt; aber ich

freue mich über die Verlängerung der Redezeit.


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805406000

Das glaube ich, dass die nicht von Ihnen bestellt ist. –

Bitte schön.


Ralph Lenkert (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805406100

Vielen Dank, Herr Kollege Tiefensee. – Weil Sie ge-

rade sagten, dass die Abkommen gut für den Mittelstand
seien, wollte ich Sie fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass
der Bundesverband mittelständische Wirtschaft die Ver-
handlungen ablehnt.


(Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Das hatten wir doch gerade gehört! Waren Sie da noch nicht im Plenum?)


Wenn Sie das wissen, wieso behaupten Sie dann hier das
Gegenteil?


(Beifall bei der LINKEN – Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Zuhören!)



Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1805406200

Da fragen Sie jetzt gerade den Richtigen. Gemeinsam

mit Ihrem Kollegen Gysi und anderen – Cem Özdemir
zum Beispiel – habe ich die große Ehre, Mitglied im
politischen Beirat des BVMW zu sein. Ich sitze also als
Berater im Vorstand. Wir haben darüber diskutiert, wie
es um TTIP bestellt ist. Ich bin dem Wirtschaftsminister
sehr dankbar, dass er den BVMW an den Tisch des Bera-
terkreises geholt hat und dass er sich direkt mit ihm
austauscht. Die Situation stellt sich folgendermaßen dar:
Das Präsidium des BVMW sagt: Wir werden, genauso
wie das die Parteien der Koalition machen, auf eine
ganze Reihe von Dingen achten müssen. – Diese habe
ich vorhin aufgezählt. Wir erhoffen uns Vorteile bei der
Beseitigung nichttarifärer Hemmnisse.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Was ist das denn?)


Weil Sie mich danach fragen, Herr Ernst, darf ich ein
Beispiel nennen.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805406300

Herr Kollege, machen Sie es bitte kurz, sonst kriege

ich Ärger.


(Thomas Oppermann [SPD]: Er hat doch eine Frage gestellt!)



Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1805406400

Wenn Sie eine Maschine bauen, die Zucker herstellt,

dann müssen Sie berücksichtigen, dass Zucker im letzten
Verfahrensschritt explosiv ist. Aus diesem Grund muss
die Maschine explosionssicher sein. Es gibt dafür einen
deutschen Standard. Der Maschinenbauer, der diese
Maschine baut und nach Amerika exportieren will, baut
sie zuvor noch einmal auseinander – andere Kabel,
andere Schellen, andere Einzelteile –, um sie dann, neu
zusammengebaut, nach Amerika zu liefern, damit die
Maschine dort den Test besteht. Genau das will der Mit-
telstand nicht. Genau das will der BVMW nicht. Diese
nichttarifären Handelshemmnisse müssen abgebaut
werden, damit Kosten gespart werden, Arbeitsplätze ent-
stehen bzw. Arbeitsplätze erhalten werden. Sie werden
sehen: Wenn wir all diese roten Linien nicht überschrei-
ten und die Vorteile in die Verhandlungen eingebracht
haben, werden am Ende der BVMW und der Mittelstand
genauso wie der DGB zustimmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805406500

Danke, Herr Kollege Tiefensee. – Nächster Redner in

der Debatte: Alexander Ulrich für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805406600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir lassen da keinen Zweifel, Herr Tiefensee: Die Lin-
ken lehnen CETA ab, und wir wollen, dass die Verhand-
lungen zu TTIP abgebrochen werden – ohne Wenn und
Aber.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Egal, was drinsteht!)


Wir lassen da keine Zweifel. Wir wollen Ihnen nur die
Chance geben, zu erklären, ob Sie bereit sind, auch par-
lamentarisch für die roten Linien zu kämpfen, die Sie am
Wochenende beschlossen haben.


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Das machen wir schon selber!)


Die heutige Debatte zeigt, dass Sie das nicht wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben einen Wirtschaftsminister, der uns heute
erklärt, dass alle diejenigen, die Kritik an diesen Verfah-
ren, an diesen Inhalten äußern, offensichtlich die Jobkil-
ler Deutschlands sind.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Ich frage Sie, Herr Wirtschaftsminister: Haben Sie schon
einmal bemerkt, dass wir auch ohne diese Verträge sehr
erfolgreich im Export sind?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber nicht mit Ihnen!)


Haben Sie denn schon gemerkt, dass Handel heute schon
möglich ist? Sie tun ja gerade so, als wären alle Kritiker
dafür, den Handel zu verbieten. Das ist großer Unsinn,
und es ist eigentlich für einen Wirtschaftsminister nicht
recht, sich hier so zu äußern.


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie meinen nicht mich?)






Alexander Ulrich


(A) (C)



(D)(B)

Herr Gabriel, das, was Sie hier betrieben haben, ist ja
schon ein bisschen Demagogie.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Jetzt reicht’s aber! – Wolfgang Tiefensee [SPD]: Vorsicht, Vorsicht!)


Sie legen ja großen Wert auf das,


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Das verdient schon fast einen Ordnungsruf!)


was Sie scheinbar mit dem DGB beschlossen haben.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: „Scheinbar“? Lesen können Sie auch nicht!)


Ich möchte dazu einmal Herrn Wetzel von der IG Metall
zitieren,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mein Vorsitzender!)


der Folgendes gesagt hat – am gleichen Tag, als Sie das
Papier veröffentlicht haben. Er sagt: Dieses Papier steht
unter einem Vorbehalt. Wortwörtlich:

Die IG Metall erwartet, dass die Bundesregierung
den aktuellen Entwurf zum Handelsabkommen
CETA mit Kanada ablehnt und dies auch auf EU-
Ebene durchsetzt. Das ist die Nagelprobe für die
Glaubwürdigkeit der Vereinbarung.


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Hat er doch!)


Herr Gabriel, morgen ist die Nagelprobe. Morgen
wird in Ottawa etwas verkündet. Und wenn das die
Nagelprobe ist, erwarte ich morgen von Ihnen, dass Sie
öffentlich sagen: Unsere roten Linien sind nicht beachtet
worden. Wir lehnen dieses Verhandlungsergebnis ab.
Hier muss nachverhandelt werden. – Wenn Sie das mor-
gen nicht tun, haben Sie nicht nur den DGB, sondern alle
Gewerkschaften enttäuscht.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie bleiben hier auch die Antworten schuldig. Sie er-
klären uns, man bräuchte dem Antrag ja nicht zuzustim-
men, denn das wäre ja schon umgesetzt. Dann frage ich
Sie in Ihrer Eigenschaft als SPD-Parteivorsitzender:
Wenn das schon alles umgesetzt ist, warum haben Sie
dann am Wochenende so viel Mühe gehabt, das bei Ihren
Leuten überhaupt durchzukriegen?


(Zuruf von der SPD: Waren Sie dabei?)


Offensichtlich ist ja noch nichts durchgesetzt.

Herr Tiefensee erklärt uns hier: Investorenschutz soll
aus TTIP heraus bzw. ist nicht Bestandteil. Gucken Sie
sich den Vertrag an, da steht drin: „soll“ und „kann“. Na-
türlich: Jeder weiß doch, dass das, was morgen veröf-
fentlicht wird, die Blaupause für TTIP ist. Oder glauben
Sie ernsthaft, dass die Amerikaner mit der Europäischen
Union eine schlechtere Vereinbarung schließen als die
Kanadier?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das heißt: Alles nicht!)

Deshalb erwarten wir morgen eine klare Aussage,
Herr Gabriel. Deshalb – so glaube ich – wird auch die IG
Metall am Wochenende kundtun, dass hier jetzt etwas zu
erwarten ist. Sonst ist das Papier wirklich nichts wert.

Wenn Sie sich hier hinstellen und uns vorwerfen, wir
würden Arbeitsplätze gefährden, muss ich sagen: Dann
finden wir uns in einer richtig großen Runde von
Umweltverbänden, von Verbraucherschützern, kirchli-
chen Organisationen, mittelständischen Unternehmen
wieder. Auch viele Kommunalpolitiker mit CDU-, CSU-
und mit SPD-Parteibuch gehören dazu. Das geht bis zu
den Bierbrauern, Herr Kauder. Sie alle haben Angst vor
dem, was hier gemacht wird. Wenn diese ganzen Organi-
sationen quasi Jobs gefährden, ja, dann muss ja etwas
daran sein, dass das wohl nicht so ist, wie Sie sagen.
Oder glauben Sie wirklich, die IG Metall oder mittel-
ständische Unternehmen würden Kritik äußern, weil sie
Jobs vernichten wollen?

Offensichtlich ist die Bundesregierung nicht bereit,
diese große Anzahl von Verbänden, Organisationen ernst
zu nehmen. Sie will sie in eine Ecke stellen. So kann
man zwar Politik betreiben, aber die SPD wird deshalb
nie mehr einen Kanzler stellen.


(Beifall bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805406700

Herr Kollege, denken Sie an Ihre Redezeit?


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805406800

Ja, ich bin auch gleich am Ende. – Nur noch so viel,

weil immer wieder erzählt wird, wie viele Jobs entstün-
den: Gucken Sie sich einmal an, wie viele Jobs durch das
Abkommen NAFTA „entstanden“ sind. In den USA sind
1,2 Millionen Jobs verloren gegangen, in Mexiko über
1 Million allein in der Landwirtschaft. Es gibt kein
Abkommen in der Welt, das nicht Sozial- und die Um-
weltstandards gefährdet und nicht Jobs vernichtet hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das Gegenteil ist der Fall!)


Sie führen hier eine Debatte ums Goldene Kalb, nur um
die Interessen der Verbraucher und der Arbeitnehmer der
Wirtschaft zu opfern. Sie sind der verlängerte Arm der
Kapitalisten und Großkonzerne.


(Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805406900

Danke, Herr Kollege. – Das Wort zu einer Kurzinter-

vention hat der Kollege Hubertus Heil.


Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1805407000

Lieber Kollege, es gibt zwei Gründe, warum ich mich

aufgrund Ihres Redebeitrags zu einer Kurzintervention
bemüßigt sehe. Der erste Punkt ist eine prinzipielle Bitte
– sie betrifft mich selbst und uns alle in diesem Parla-
ment –: Mir ist aufgefallen, dass in den letzten Jahren
wir alle miteinander, die Vertreter aller Parteien – auch
Sie haben das getan –, in der Auseinandersetzung um





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)

eine Sache in unseren Reden zunächst einmal das Ziel
verfolgen, dem politischen Mitbewerber die Glaubwür-
digkeit abzusprechen. Wenn wir das alle miteinander im-
mer wieder tun, dürfen wir uns über den Verlust an
Glaubwürdigkeit von demokratischer Politik nicht wun-
dern. Lassen Sie uns in der Sache ordentlich streiten.
Aber dem anderen jedes Mal den moralischen Anspruch,
das Beste für dieses Land und die Menschen zu wollen,
mit unterschiedlichen Überzeugungen abzusprechen, be-
schädigt das Ansehen demokratischer Politik. So billig
dürfen Sie hier nicht agieren. Das ist meine herzliche
Bitte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Ihr Parteivorsitzender hat uns beleidigt!)


Zur Sache selbst – das ist der zweite Punkt – will ich
Ihnen eines sagen. Ich als Sozialdemokrat vertrete hier
aus Überzeugung die Position, dass wir als Exportnation,
deren Arbeitsplätze davon abhängen – das sage ich auch
als IG-Metall-Mitglied, lieber Kollege –, von einem
Freihandel profitieren. Aber wir sagen auch: Freihandel
nicht um jeden Preis. Wir haben klare Kriterien formu-
liert. Sie haben die Bundesregierung für morgen zum
Handeln aufgefordert. Es wird keine Abstimmung der
Europäischen Kommission geben; vielmehr wird sie nur
eine Erklärung abgeben, dass die Verhandlungen been-
det sind. Es ist aber so, dass wir das, was Sie verlangen,
schon getan haben. Die Bundesregierung hat den Inves-
titionsschutz im CETA-Abkommen abgelehnt – der Herr
Minister hat das vorhin deutlich gemacht – und gleich-
zeitig zu Nachverhandlungen und weiteren Gesprächen
aufgerufen. Dafür brauchen wir in Europa Verbündete.
Das ist nicht leicht, gar keine Frage.

Die Position, die wir vertreten, ist eindeutig. Deshalb
sage ich Ihnen: Die Organisationen, die Sie genannt ha-
ben, die die Debatte zu Recht kritisch führen, mit be-
rechtigten, manchmal auch mit unberechtigten Beden-
ken, für Ihre kleinkarierten parteipolitischen Interessen
in Anspruch zu nehmen, wie Sie es hier tun, ist aus mei-
ner Sicht nicht in Ordnung. In einer Auseinandersetzung
sollten wir in diesem Haus über die Sache reden und uns
nicht ständig die Glaubwürdigkeit absprechen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805407100

Jetzt kann der Kollege Ulrich darauf antworten.


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805407200

Herr Kollege, ich finde Ihren Wortbeitrag sehr bemer-

kenswert. Ich glaube aber, Sie haben nicht mich als
Adressaten gemeint, sondern wollten eigentlich Ihren
Wirtschaftsminister zur Ordnung rufen;


(Beifall bei der LINKEN)


denn wenn heute jemand mit Demagogie vom Thema
abgelenkt hat, und zwar relativ früh, dann war es Herr
Gabriel.

(Beifall bei der LINKEN)


Wir mussten uns anhören, wir wären, weil wir Kritik ge-
äußert haben, Nationalisten


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Joachim Pfeiffer [CDU/CSU]: Das sind Sie doch auch!)


und würden in großem Umfang Jobs gefährden. So ge-
hen Sie mit diesem wichtigen Thema um.


(Zurufe von der SPD)


– Frau Wagenknecht hat heute zu diesem Thema nichts
gesagt. Wenn Sie etwas dazu gesagt hätte, hätte sie
wahrscheinlich eine gute Rede gehalten.

Noch einmal: Die Debatte verlassen hat meines Er-
achtens der Wirtschaftsminister, indem er die Kritik auf
eine andere Schiene gelenkt hat.


(Zuruf von der CDU/CSU: Er hat Ihnen den Spiegel vorgehalten!)


Ich sage es noch einmal: Ihre Argumentation, die Sie ge-
gen uns richten, richtet sich gleichsam gegen alle ande-
ren Organisationen, die Kritik gegenüber CETA und
TTIP äußern;


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein!)


denn das, was wir fordern, ist Konsens innerhalb des
großen Bündnisses „TTIP verhindern“. Das heißt, das,
was wir hier vorbringen, ist keine parteipolitische Ideo-
logie, sondern die Auffassung vieler Organisationen, wie
man mit diesem Thema umgehen sollte.

Ich glaube, es wäre besser, Sie würden sich hier hin-
stellen und sagen: Es ist verkehrt, dass die EU-Kommis-
sion eine Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP ab-
lehnt. – Sie müssen zulassen, dass sich die Menschen
demokratisch zu Wort melden, und sollten vielleicht da-
bei sein, wenn am 11. Oktober die Menschen gegen
TTIP und CETA demonstrieren. Dann würden Sie wahr-
scheinlich etwas erreichen. Sich aber hier zu Wort zu
melden und uns mit unserer Position in die Ecke zu stel-
len, ist ein bisschen fade. Herr Gabriel, Sie können es
gerne nachlesen; aber Sie haben heute mit der Demago-
gie begonnen.


(Beifall bei der LINKEN – Peter Beyer [CDU/ CSU]: Sie vertiefen die Ängste, anstatt Aufklärung zu betreiben!)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805407300

Jetzt gibt es nach § 43 unserer Geschäftsordnung

– Recht auf jederzeitiges Gehör – den Wunsch, hier zu
sprechen. Es heißt dort:

Die Mitglieder der Bundesregierung und des Bun-
desrates sowie ihre Beauftragten müssen … auf ihr
Verlangen jederzeit gehört werden.

Dieser Wunsch wurde von Minister Sigmar Gabriel ge-
äußert. Deswegen gebe ich ihm nach § 43 unserer Ge-
schäftsordnung das Wort. Seine Redezeit wird von der
der Sozialdemokraten abgezogen. – Herr Gabriel, bitte.






(A) (C)



(D)(B)

Sigmar Gabriel, Bundesminister für Wirtschaft und
Energie:

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich ma-
che das deshalb, weil ich finde, dass wir gerade wegen
der großen Öffentlichkeit aufpassen müssen, dass keine
Legenden in die Welt gesetzt werden.

Herr Kollege, noch einmal in aller Klarheit: Morgen
entscheidet nur die EU, und zwar die alte Kommission,
darüber, dass, wie sie glaubt, die Verhandlungen beendet
sind. Sie fordern mich in Ihrem Antrag auf – mit Bezug
auf das Papier von SPD und DGB, das ich übrigens
wörtlich mit dem Kollegen Wetzel abgesprochen habe –,
dass ich das Verhandlungsergebnis mit dem Hinweis auf
das Investitionsschutzabkommen und anderes zurück-
weisen soll.

Ich habe Ihnen vorhin vorgetragen, dass wir am
12. September gegenüber der Europäischen Kommission
exakt das getan haben.


(Beifall bei der SPD)


Das ist im Drahtbericht der Bundesregierung nachzule-
sen. Wir schicken Ihnen gerne meine Weisung an die
Kollegen, die im Ausschuss der Ständigen Vertreter für
das Bundeswirtschaftsministerium gesprochen haben,
aber auch meine Weisung an den Handelspolitischen
Ausschuss. Dort ist exakt diese Stellungnahme längst
abgegeben. Deswegen werden wir weiterverhandeln.
Gestern hat das österreichische Parlament – ich glaube,
mit einer Zweidrittelmehrheit – aus demselben Grund
beschlossen, dass sie ebenfalls weiterverhandeln wollen.

Hören Sie erstens bitte auf, den Eindruck zu vermit-
teln, es bedürfe Ihres Antrags! Dieser Antrag ist erledigt
durch Handeln der Bundesregierung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich kann mir das übrigens deshalb so gut merken, weil es
an meinem Geburtstag passiert ist; es war aber kein Ge-
burtstagsgeschenk. Tun Sie zweitens bitte nicht so, als
gäbe es keinerlei Chance, weiter zu reden! Das tun die
Österreicher, das werden andere tun, und das werden
auch wir machen. Der letzte Satz in der Positionierung
vom 12. September lautet: In der jetzigen Fassung ist das
Abkommen für Deutschland nicht zustimmungsfähig.

Ich hoffe, dass Sie jetzt nie wieder die Behauptung
aufstellen, wir hätten nichts getan. Das Problem ist, dass
Sie erstens viel zu spät kommen und zweitens nicht den
Mut hatten, das gesamte Papier mit dem DGB zum An-
trag zu erheben, weil Sie gegen die Inhalte sind. Das ha-
ben Sie dankenswerterweise auch gesagt. Wo die Ge-
werkschaften erklärt haben, sie erhoffen sich Chancen
für Arbeitsplätze, haben Sie gesagt: Ich will die Ver-
handlungen nicht; ich will sie abbrechen. – Diese Posi-
tion des Deutschen Gewerkschaftsbundes teilen Sie
nicht, und deswegen ist der Vorwurf an Sie, dass Sie Ar-
beitsplätze gefährden, berechtigt.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805407400

Ich will nur sagen: Wir haben eine bestimmte Rede-

zeit für heute. Irgendwann ist Mitternacht.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Wir haben auch eine Geschäftsordnung!)


– Moment, ganz ruhig. Ja, wir haben eine Geschäftsord-
nung. Die kenne ich auch. Deswegen lasse ich jetzt noch
einmal eine Kurzintervention zu, und zwar auf die nach
§ 43 unserer Geschäftsordnung erfolgte Wortmeldung
von Herrn Gabriel.


Alexander Ulrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805407500

Herr Gabriel, es freut uns, dass wir heute offensicht-

lich einen wunden Punkt getroffen haben.


(Widerspruch bei der SPD)


Ohne die Anträge insbesondere meiner Fraktion und
auch der Grünen hätte es bis heute im Bundestag noch
keine einzige Debatte über CETA und TTIP gegeben,
weil Sie die gleiche Politik wie die EU-Kommission ma-
chen wollten.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich sage es Ihnen jetzt noch einmal: Wenn das alles
schon erledigt wäre, warum tun Sie sich dann stunden-
lange Debatten auf einem Parteikonvent an?


(Beifall bei der LINKEN – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weil wir eine demokratische Partei sind!)


Wenn alles schon erledigt gewesen wäre, dann könnten
Sie sagen: Es ist doch schon alles erledigt. Sie wollen
schon wieder die Leute hinter die Fichte führen.


(Widerspruch bei der SPD)


Noch etwas: Herr Wetzel hat am selben Tag – ich kann
Ihnen die Pressemitteilung der IG Metall zeigen – gesagt:
Das Papier ist den Inhalt nicht wert, wenn die Bundesregie-
rung das Verhandlungsergebnis zu CETA nicht zurück-
weist. Ich möchte nicht, dass Sie das irgendwo heimlich
machen. Die Öffentlichkeit erwartet morgen von Ihnen,
dass Sie sich an die Presse wenden und sagen: Wir leh-
nen dieses Verhandlungsergebnis ab. – Dann hätten Sie
einmal etwas getan, das auch bei den Bündnissen zu Ge-
hör kommt. Ein Brief nach Brüssel, von dem niemand
etwas mitbekommt, kann nachher wieder verschwinden.
Sagen Sie einfach als Wirtschaftsminister: „Das akzep-
tieren wir nicht, was morgen in Ottawa diskutiert wird“!
Sie sind auch heute trotz viermaliger Wortmeldungen
nicht in der Lage, das deutlich zum Ausdruck zu brin-
gen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805407600

Danke, Herr Kollege Ulrich. – Jetzt kommt die andere

Seite des Hauses wieder dran. Das Wort hat Andreas
Lämmel für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Andreas G. Lämmel (CDU):
Rede ID: ID1805407700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Das ist schon ein Trauerspiel, was sich heute
hier abspielt.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, das ist mal eine lebendige Debatte! Das schadet nichts!)


Nachdem ich die Beiträge vor allem von der Linksfrak-
tion verfolgt habe, muss ich klarstellen: Es geht hier
nicht um ein Beistands- und Freundschaftsabkommen
zwischen sozialistischen Bruderländern, bei dem einer
bestimmt, was zu tun ist, und den anderen ausplündert.
Vielmehr diskutieren wir über Freihandelsabkommen,
die für die Welt sehr wichtig sind.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Minister hat schon deutlich gemacht, wie wichtig
gerade für Deutschland freier Welthandel ist. Natürlich
wäre es uns tausendmal lieber, wenn wir im Rahmen der
Welthandelsorganisation Abkommen schließen könn-
ten, die weltweit gelten und praktisch alle Probleme,
über die wir nun diskutieren, behandeln würden. Leider
ist die Verhandlungsführung innerhalb der Welthandels-
organisation im Moment kaum spürbar. Das letzte Ab-
kommen, das im letzten Jahr auf Bali unter großen Mü-
hen geschlossen wurde, wurde nun durch die indische
Regierung aufgekündigt, sodass nichts daraus wird.

Herr Ernst, Sie haben sich hier aufgeplustert. Ich kann
Ihnen nur raten: Bleiben Sie ruhig! Ihr Blutdruck macht
das sonst nicht lange mit. Als vor zwei Jahren das letzte
Freihandelsabkommen zwischen der Europäischen Union
und Südkorea geschlossen wurde, ist das an Ihnen wahr-
scheinlich völlig vorbeigegangen. Das Thema Welthandel
hat Sie damals überhaupt nicht interessiert. Auf jeden Fall
ist schon zwei Jahre nach Abschluss dieses Freihandelsab-
kommens sichtbar, welche positiven Effekte es für beide
Seiten hat, sowohl für die südkoreanische Wirtschaft als
auch in überproportionalem Maße für die deutsche Wirt-
schaft.

Dass nun die zwei wirtschaftsstärksten Räume der
Welt, die Europäische Union und die Vereinigten Staa-
ten, begonnen haben, über ein Freihandelsabkommen zu
verhandeln, ist doch das Beste, was uns passieren kann.
Es mag sein, dass Ihnen das nicht passt. Aber dass Sie
Ihre Versuche, die Sie in den letzten Monaten unternom-
men haben, um dieses Abkommen zu diskreditieren, nun
als Willen der Bürger darstellen, ist schlimm. Herr
Hofreiter, hier kann ich Sie nicht herauslassen, auch
wenn Sie nun sagen, dass Ihr Hinweis auf das Chlor-
hühnchen nicht so ernst gemeint gewesen sei.


(Katharina Dröge [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat er auch nicht gesagt! Sie müssen mal zuhören!)


Tatsächlich haben Sie das Chlorhühnchen als Beispiel
genutzt, um von Anfang an die Verhandlungen zwischen
den Vereinigten Staaten und Europa zu diskreditieren.
Nun bekommen Sie es mit der Angst zu tun, weil Sie of-
fensichtlich die Geister, die Sie riefen, nicht mehr ein-
fangen können.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn Sie zitieren, dann gefälligst richtig!)


Die Grünen positionieren sich wieder einmal ganz klar
als eine Partei, die sich gegen alles stellt. Das ist nach
wie vor Ihre Position. Ich warte ab, was Ihr heutiges „Ja,
aber“ tatsächlich bedeuten wird.

Mir sei die Frage gestattet, wie es sein kann, dass eine
NGO in Deutschland 700 000 Unterschriften gegen ein
Abkommen sammelt,


(Beifall des Abg. Alexander Ulrich [DIE LINKE])


das überhaupt nicht existiert. Sie haben doch die Men-
schen belogen und ihnen gar nicht den Inhalt von TTIP
erklären können. Was Sie in der Öffentlichkeit verbreitet
haben, ist eine glatte Lüge. Es gibt überhaupt kein Ab-
kommen, über das man heute entscheiden kann. Das
sollten Sie den Menschen deutlich sagen. Dass man über
die Inhalte und die einzelnen Positionen diskutiert, ist
doch selbstverständlich. Letztendlich wird kein Abkom-
men geschlossen werden, wenn nicht beide Partner klar
dahinterstehen.

Noch eine Anmerkung. Der DGB ist doch keine Ne-
benregierung. Bei den Verhandlungen über das Freihan-
delsabkommen spielt der DGB eine genauso wichtige
Rolle wie die Vertretung der deutschen Wirtschaft. Ihre
Darstellung, dass mit Ihrem Antrag gleichzeitig die Mei-
nung des DGB im Deutschen Bundestag zur Abstim-
mung steht, ist doch völlig absurd, Herr Ernst.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Warum?)


Nun zu den Schiedsgerichten. Es wird so getan, als ob
Schiedsgerichte das Schlimmste auf der Welt wären.
Schiedsgerichte sind aber keine neue Erfindung. Sie le-
gen beispielsweise Nachbarschaftsstreitigkeiten über
Knallerbsensträucher bei. Auch bei der Welthandelsor-
ganisation und der Weltschifffahrtsorganisation gibt es
Schiedsgerichte und Schiedsverfahren. Es gibt zum Bei-
spiel ein großes Schiedsverfahren zwischen Airbus und
Boeing wegen Subventionen im Bereich der Flugzeugin-
dustrie.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei einem Schiedsgericht ist es doch erstens wichtig,
dass man klar definiert, was denn überhaupt Gegenstand
eines Schiedsverfahrens sein darf, zweitens, wie man die
Schiedsrichter beruft, und drittens, wie öffentlich so ein
Verfahren ist. Deswegen kann man aus meiner Sicht
nicht von vornherein sagen, Schiedsgerichte seien defi-
nitiv abzulehnen. Darauf hatte der Minister hingewiesen.
Sie von der linken Seite stellen es so dar, als ob Deutsch-
land Verhandlungsführer wäre. Das stimmt nicht. Da
müssen Sie einmal die europäischen Verträge lesen. Sie
lesen aber nur die Passagen, die Ihnen irgendwie nütz-
lich sein könnten. In den europäischen Verträgen steht
ganz klar, dass die Mitgliedstaaten das Recht der Ver-
handlungen an die Europäische Kommission abgetreten





Andreas G. Lämmel


(A) (C)



(D)(B)

haben. Die Bedingungen, über die wir hier diskutieren,
sind natürlich nicht in allen europäischen Ländern
gleich. Rumänien und Bulgarien zum Beispiel sind Län-
der, bei denen man nicht davon ausgehen kann, dass das
rechtliche System so gestaltet ist wie in Deutschland.
Man muss bei diesen Verhandlungen natürlich schon die
Situation in allen europäischen Ländern im Auge haben.

Die Freihandelsabkommen, die bisher geschlossen
worden sind, sind ganz klar Abkommen zum Vorteil von
kleinen und mittleren Unternehmen. Das Hauptfeindbild
der Linken und der Grünen sind die großen Konzerne,
und es wird behauptet, diese würden den Staat und die
Demokratie aushebeln. Der Hauptadressat von Freihan-
delsabkommen ist aber der Mittelstand, weil genau der
es sich oftmals nicht leisten kann, zweite Prüfverfahren
durchzuführen oder sich neuen Normen zu unterwerfen.
Das heißt, wir müssen diese Hemmnisse abbauen, damit
sich auch kleine und mittlere Unternehmen frei auf den
Märkten bewegen können. Darum geht es im Wesentli-
chen.

Ich habe auch noch nie gehört, dass Sie dagegen
wären, dass wir zum Beispiel mit Japan ein weiteres
Freihandelsabkommen aushandeln wollen oder dass wir
mit den Mercosur-Ländern in Gesprächen über ein Frei-
handelsabkommen sind. Sie sind in Ihrem Antiamerika-
nismus ausschließlich gegen ein Abkommen mit den
Vereinigten Staaten.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Auch mit Kanada!)


Eines dürfte sehr wichtig sein: Wenn es gelingt, zwi-
schen Europa und Amerika ein Freihandelsabkommen
zu schließen, das höchste Standards hat – Sie behaupten
immer, in Amerika sei alles schlecht und die Standards
würden den europäischen Standards nicht entsprechen;
das ist natürlich nur die halbe Wahrheit –, glauben Sie,
dass dann in anderen Teilen der Welt Freihandelsabkom-
men geschlossen werden könnten, die unter diesem
Niveau liegen? Das heißt also, dass wir hier die Trend-
setter sind. Genau deswegen ist es auch sehr wichtig,
dass die zwei größten Wirtschaftsräume der Welt
Handlungsfähigkeit beweisen.

Ich kann Ihnen nur sagen, Herr Ernst – Sie wollen
vielleicht in Brandenburg wieder mitregieren; man kann
nur hoffen, dass Ihr Wahlergebnis bei der nächsten Wahl
nicht nur halbiert wird, sondern nur noch ein Zehntel be-
trägt –:


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: In Thüringen stellen wir erst mal den Ministerpräsidenten!)


Sie spielen immer mit den Ängsten der Leute und versu-
chen, diese für sich politisch zu nutzen. Dass das nicht
funktioniert, müssten Sie anhand der letzten Wahler-
gebnisse mitbekommen haben. Ich kann Ihnen nur emp-
fehlen, Ihre Haltung dazu zu überdenken.

Wir als CDU/CSU-Fraktion stehen zu den Verhand-
lungen über das Freihandelsabkommen. Wir sind dafür,
dass diese Verhandlungen in absehbarer Zeit zum Ab-
schluss kommen.
Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805407800

Vielen Dank, Herr Kollege Lämmel. – Nächste Red-

nerin in der Debatte ist Katharina Dröge für Bündnis 90/
Die Grünen.


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805407900

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrter Herr Minister Gabriel, ich muss
Ihnen lassen: Sie sind ein guter Redner.


(Beifall bei der SPD)


Die Rede, die Sie hier gehalten haben, war geschickt.
Abgesehen von dem Teil, in dem Sie die Linke be-
schimpft haben und den ich weder sonderlich gelungen
noch sonderlich angemessen fand,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


kann ich verstehen, dass Sie in dem Dilemma, in dem
Sie gerade stecken, eine solche Rede gehalten haben. Ihr
Problem ist nur: Auch so eine Rede löst Ihr Dilemma
nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Sie sind Wirtschaftsminister, und Sie wollen die Frei-
handelsabkommen zum Erfolg führen. Sie hoffen auf
Wachstum und Arbeitsplätze für Deutschland. Ich habe
allerdings erhebliche Zweifel an den Wachstumsprogno-
sen, insbesondere wenn man ernst nimmt, was Sie hier
zum Schutz der Standards sagen. Wenn man die Gutach-
ten liest, dann erkennt man: 90 Prozent der erwarteten
Wachstumseffekte sind auf den Abbau nichttarifärer
Handelshemmnisse zurückzuführen. Schauen Sie sich
einmal ganz genau an, was unter nichttarifären Handels-
hemmnissen zu verstehen ist! Wenn man gleichzeitig
Standards schützen und Wachstum generieren will, dann
hat man da ein Problem.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Man hat überhaupt kein Problem!)


Ich will gerne eine Frage an die Kolleginnen und Kol-
legen von der CSU richten, weil die CDU anscheinend
eine wundersame Prognosefähigkeit besitzt. Sie ver-
spricht im Internet, durch TTIP würden auf gar keinen
Fall Arbeitsplätze verloren gehen. Ich bin gespannt,
liebe Kolleginnen und Kollegen von der CSU, wie Sie
das den bayerischen Landwirten erklären werden, wenn
TTIP tatsächlich kommen sollte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Das lassen Sie mal unser Problem sein!)


– Ja, das wird dann auch Ihr Problem sein.

Unabhängig von den Zweifeln, die ich an den Wachs-
tumsprognosen habe, kann ich verstehen, dass ein Wirt-





Katharina Dröge


(A) (C)



(D)(B)

schaftsminister gegenüber der Industrie das Signal geben
möchte, dass die Vereinheitlichung technischer Stan-
dards, beispielsweise bei Autospiegeln und Blinkerfar-
ben, nicht an der deutschen Bundesregierung scheitert.
Das Problem ist nur: Weder TTIP noch CETA be-
schränkt sich auf solche Sachen, und das wissen Sie
ganz genau.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich nehme Ihnen als SPD-Parteivorsitzendem ab, dass
es Ihnen nicht egal ist, dass die Zivilgesellschaft, die Ge-
werkschaften, die Umweltverbände, die Kommunen und
auch die mittelständische Wirtschaft erhebliche Beden-
ken gegen diese Freihandelsabkommen haben. Ich
nehme Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
SPD, auch ab, dass Sie viele Kritikpunkte nachvollzie-
hen können und einige der Kritikpunkte sogar teilen.
Damit kommen wir zu dem Parteikonventsbeschluss,
den Sie am Wochenende gefasst haben. Ich kann sagen:
Darin sind viele richtige Punkte, denen wir auch zustim-
men würden. Es ist jetzt Ihre Sache, liebe Kolleginnen
und Kollegen von der SPD, wie Sie mit diesem
Beschluss umgehen und was Sie damit dann hier im Ple-
num machen; da werde ich Ihnen nicht reinreden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Ihnen, Herr Gabriel, habe ich genau zugehört. Sie ha-
ben hier vor wenigen Minuten gesagt, dass Sie diese
Punkte zur Maxime Ihres Regierungshandelns machen
werden. Das Problem ist nur: All das, was Sie hier vor-
getragen haben und was Sie aufgeschrieben haben, hat
mit der Realität recht wenig zu tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das hat mit den Protokollen, die wir von den TTIP-
Verhandlungen zu lesen bekommen, und auch mit dem
CETA-Vertragsentwurf, der uns seit Anfang August
vorliegt, wenig zu tun. Ich erwarte von Ihnen als Wirt-
schaftsminister schon, dass Sie sich auch mit der Realität
auseinandersetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: So eine Frechheit, Frau Dröge!)


Die Realität ist ein CETA-Abkommen, in dem ein
Investitionsschutzkapitel und Klageprivilegien für
Konzerne enthalten sind, die es Großunternehmen er-
möglichen, gegen die Bürger und gegen den Umwelt-
schutz zu klagen. Dafür, dass das keine Erfindung von
uns ist, gibt es vielfältige Beispiele auf der ganzen Welt,
die Sie sich sehr genau anschauen sollten, Herr Kauder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Realität sind außerdem TTIP-Verhandlungen, in
denen uns die Bundesregierung bislang keine einzige
klare Antwort darauf gegeben hat, wie das europäische
Vorsorgeprinzip geschützt werden soll und wie garan-
tiert werden kann, dass die Standards nicht abgesenkt
werden. Ich bekomme von Ihnen Antworten über
Antworten auf Kleine Anfragen, in denen steht: Auf gar
keinen Fall wird die regulatorische Kooperation in TTIP
dazu führen, dass die Standards gesenkt werden. – Nur
auf die eine Frage, wie Sie das machen wollen, welche
Vorstellungen Sie haben, das zu sichern, habe ich noch
keine einzige Antwort von Ihnen bekommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Frau Dröge, das sagen wir Ihnen rechtzeitig!)


Dann noch zu Ihnen, Herr Tiefensee. Sie haben hier
gesagt, wir Grünen hätten uns im Bundestag zu wenig
positioniert. Dazu hat mein Kollege von den Linken
schon etwas gesagt. Von der SPD und auch von der
CDU/CSU ist in dieser Wahlperiode noch kein einziger
Antrag zu TTIP und CETA in den Deutschen Bundestag
eingebracht worden.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Genau!)


Von uns ist dazu schon eine ganze Reihe von Anträgen
in den Deutschen Bundestag eingebracht worden,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


und die Anträge haben Sie vor der Europawahl in die
Ausschüsse versenkt.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das ist der Unterschied zwischen Regierung und Opposition!)


Sie haben die Debatte nicht ermöglicht – zu einem Zeit-
punkt, als das TTIP-Konsultationsverfahren noch lief
und es notwendig und sinnvoll gewesen wäre, dass der
Deutsche Bundestag Stellung nimmt, so wie es 150 000
Bürgerinnen und Bürger in ganz Europa getan haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Diese Chance hat der Deutsche Bundestag verpasst, weil
Sie die Anträge in die Ausschüsse versenkt haben und
die Frist nun abgelaufen ist.

Jetzt noch ganz kurz Folgendes: Meine Fraktion hat
sich die Entscheidung zu der Positionierung zu TTIP und
CETA nicht leicht gemacht. Es gibt niemanden in mei-
ner Fraktion, der sagt, dass gute Standards und ein fairer
Welthandel nicht etwas sind, was wir Grünen fördern
wollen und woran wir Grünen arbeiten. Wir haben uns
konkret mit dem auseinandergesetzt, was hier vorliegt.
Wir haben Rechtsgutachten in Auftrag gegeben. Wir ha-
ben uns sogar noch einmal mit Ihrem Rechtsgutachten
auseinandergesetzt, Herr Gabriel. Heute haben wir ein
zweites Gutachten vorgestellt, in dem erhebliche Zweifel
daran geäußert werden, dass das, was Sie hier verspre-
chen, nämlich dass das Investitionsschutzkapitel in
CETA eine Lappalie sei, gegeben ist. Im Gegenteil: Wir
sehen weiterhin erhebliche Risiken in dem Vorschlag,
den Sie uns hier vorlegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben uns damit auseinandergesetzt und kommen zu
dem Ergebnis, dass es nicht verantwortbar ist, diese





Katharina Dröge


(A) (C)



(D)(B)

beiden Freihandelsabkommen in der aktuellen Fassung
mitzutragen. Dies gilt insbesondere für die Ausgestal-
tung der Investitionsschutzkapitel.

Sie versprechen uns hier viel. Das Einzige aber, was
Sie nicht machen, ist, sich festzulegen. Sie sagen immer
nur, dass Sie Investitionsschutz ablehnen. Wenn es aber
zum Schwur kommt, wenn wir Anträge stellen, dann
stimmen Sie nicht zu. Das wird auch heute leider so sein.
Ich kann nur sagen: Liebe Kolleginnen und Kollegen
von der SPD, wenn Sie das ernst meinen, was Sie am
Wochenende beschlossen haben, nämlich dass ein Inves-
tor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren in jedem Fall abzu-
lehnen ist, dann stimmen Sie unserem Antrag heute bitte
zu.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805408000

Bitte kommen Sie zum Schluss, Frau Kollegin.


Katharina Dröge (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805408100

Linke und Grüne haben in diesem Bundestag aktuell

leider keine Mehrheit, um das durchsetzen zu können.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Gott sei Dank! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Gut für Deutschland!)


Wenn Sie das ernst meinen, was Sie sagen, dann haben
Sie eine Mehrheit für Ihre Position im Deutschen
Bundestag. Wir würden uns freuen, wenn Sie den Weg
frei machen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805408200

Danke, Frau Kollegin Dröge. – Nächster Redner in

der Debatte ist Dirk Wiese für die SPD.


(Beifall bei der SPD)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1805408300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-

ginnen und Kollegen! Zunächst drei Anmerkungen.
Erstens. Die von der Fraktion Die Linke vorgelegten
Entschließungsanträge sind vor allem eines:


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Gut!)


Gysi-Plag im Deutschen Bundestag, alles abgeschrieben
und geklaut, Copy-and-Paste in Reinform, kein Zeugnis
von einer eigenen sachlichen und kritischen Auseinan-
dersetzung mit dem Thema.


(Beifall bei der SPD)


Zweitens. Den Gegnern aufseiten der Linken geht es
doch nicht um Arbeitnehmerrechte, Sozialstandards und
Verbraucherschutz. Denn wenn es um ein Freihandels-
abkommen mit Putins Russland ginge, dann würde sich
Klaus Ernst als Erster eine Schürze umbinden und im
Bundestag Chlorhühnchen brutzeln.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie würden auf eine Vertragsunterzeichnung drängen.

Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805408400

Erlauben Sie eine Rückfrage vom „Chlorhühnchen“

Klaus Ernst?


(Heiterkeit)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1805408500

Ja, selbstverständlich.


Klaus Ernst (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805408600

Es freut mich, dass Sie hier noch für Stimmung sor-

gen. Aber sind Sie bereit, zur Kenntnis zu nehmen, dass
es hier gar nicht um ein Handelsabkommen mit Russland
geht? Weil das so ist, möchte ich außerdem fragen:
Glauben Sie tatsächlich, dass ich als Oberbayer eine
ganz besondere Affinität zu Russland habe? Das müss-
ten Sie mir schon einmal nachweisen.

Ich möchte noch etwas sagen. Ich erlebe in dieser De-
batte permanent gegenseitige Diffamierungen, ohne dass
auf den Inhalt eingegangen wird. Da noch mehrere Red-
ner von der Koalition sprechen werden, möchte ich Sie
bitten, auch ein wenig zum Inhalt zu sagen. Ich habe
heute gehört, wir seien Nationalisten. Außerdem habe
ich gehört, wir seien fast so wie die AfD. Dann höre ich
berechtigterweise den Hinweis, man solle doch bitte
schön ein bisschen vorsichtig sein und auf die gegen-
seitige Glaubwürdigkeit achten. Glauben Sie nicht, dass
es angesichts der langen Redezeit, die den Regierungs-
fraktionen noch zur Verfügung steht, sodass wir Ihnen
noch zuhören dürfen, auch sinnvoll wäre, ein wenig auf
den Inhalt einzugehen und sich den Unfug mit Russland
zu sparen?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dirk Wiese (SPD):
Rede ID: ID1805408700

Sehr geehrter Kollege Ernst, ich nehme das gerne zur

Kenntnis. Ich schaue auf die Uhr und stelle fest, dass ich
gerade einmal 37 Sekunden geredet habe. Insofern
komme ich auf die Inhalte noch zu sprechen. Deshalb
bitte ich Sie an dieser Stelle um ein bisschen Geduld.

Was ich mit diesem Vergleich deutlich machen
möchte – das sage ich hier ganz offen –, ist, dass es
Ihnen nicht um die Details des Abkommens geht.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Natürlich!)


Ihnen geht es nicht darum, was später drinstehen wird.
Es geht Ihnen nur darum, mit wem das Abkommen ge-
schlossen wird. Das ist ganz klar.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Sie fahren genauso fort, wie Sie begonnen haben!)


An dieser Stelle sind Sie geschlossen und geeint in Ihren
Reihen: Amerika ist schlecht. Mit den Amerikanern
macht man keine gemeinsame Sache. – Zu dieser Aus-
sage stehe ich auch an dieser Stelle.


(Beifall bei der SPD)






Dirk Wiese


(A) (C)



(D)(B)

Drittens. Selbst wenn wir bei den Abkommen – an
dieser Stelle werde ich polemisch – die sofortige Ver-
staatlichung von Schlüsselindustrien und die Einführung
des Sozialismus beschließen würden, die Linke würde
nicht zustimmen. Das Gleiche gilt beim Verbraucher-
schutz. Hierzu nenne ich Ihnen ein Beispiel. Fettige
Pommes aus Europa sind Ihres Erachtens gut – die essen
Sie auch –, fettige Pommes bei McDonald’s lehnen Sie
aber ab. Dies ist nur ein Beispiel.


(Beifall bei der SPD)


Es ist eigentlich sinnlos, auf die Vorwürfe und Ver-
zerrungen der Opposition einzugehen. George Orwell
hat aber einmal zu Recht gesagt:

Freiheit ist das Recht, anderen zu sagen, was sie
nicht hören wollen.

Das will ich als Mitglied des Ausschusses für Ernährung
und Landwirtschaft gerne machen.

In Europa gilt das Vorsorgeprinzip „farm to fork“. In
den USA gilt dieses Prinzip nicht. Meine klare Einschät-
zung ist, dass wir hier nicht zusammenfinden; denn was
für die Europäer ein amerikanisches Chlorhühnchen ist
– da gebe ich Ihnen recht –, betrachten die Amerikaner
bei uns zu Recht als europäisches Salmonellenhühnchen.
Die finden unseres nicht gut, wir finden ihres nicht gut.
Dann kommen wir nicht zusammen. Dann kommt es
eben hier nicht auf den Teller und dort auch nicht. Ich
persönlich glaube, dass das Wort „Chlorhühnchen“ – ge-
statten Sie mir an dieser Stelle die Anmerkung – 2014
das Unwort des Jahres wird.

Gerade im Bereich von Lebensmitteln und Landwirt-
schaft wird der Markt für Chlorhühnchen, genveränderte
Lebensmittel oder hormonbehandeltes Rindfleisch zu-
bleiben. Das führt aber in den Verhandlungen dazu, dass
wir ein Geben und Nehmen haben. Wir müssen
vielleicht darüber nachdenken, den Markt für nicht hor-
monbehandeltes Rindfleisch zu öffnen oder den USA zu
sagen, dass Käse und Milch aus Europa gar nicht so
schlecht sind; denn sie haben dort ein paar Vorurteile.

Wichtig ist nur, dass es zu keiner Absenkung von
Standards kommt. Lassen Sie uns nicht immer von einer
Absenkung von Standards reden. Lassen Sie uns einmal
darüber reden: Warum setzen wir uns nicht alle gemein-
sam dafür ein, unsere hohen europäischen Standards
zum Exportschlager zu machen? Lassen Sie uns diese
Debatte einmal andersherum führen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Glauben Sie mir, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Linkspartei: Die gesamte SPD diskutiert sehr intensiv
über ein Für und Wider des Abkommens. Viele berech-
tigte Kritikpunkte finden sich im von Ihnen geklauten
und zudem unvollständig vorgelegten Beschluss des
Parteikonvents. Wir sehen aber auch die Chancen. Wich-
tig ist mir als Mitglied des Deutschen Bundestages – ich
glaube, hier kann ich für alle Kolleginnen und Kollegen
sprechen –, dass es ein gemischtes Abkommen ist, dass
wir am Ende mitentscheiden. Das ist das Wichtige. Wir
tragen Mitverantwortung. Darauf kommt es mir an.
Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805408800

Vielen Dank, Herr Kollege Wiese. – Nächster Redner

in der Debatte ist Dr. Hans-Peter Friedrich für die CDU/
CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1805408900

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Der Verlauf der Debatte zeigt, wie
wichtig es ist, dass wir hier im Deutschen Bundestag
sicher nicht zum letzten Mal über diese wichtige Frage
reden. Bei diesem Abkommen mit den USA handelt es
sich um eine der wichtigsten wirtschaftspolitischen Ent-
scheidungen, wahrscheinlich für die nächsten Jahre.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sollten
uns darüber im klaren sein – das wurde heute schon
mehrfach gesagt –: Unsere Stärke, der Wohlstand unse-
res Landes beruhen darauf, dass es offene Märkte gibt,
dass es freien Handel gibt. Sie, Kollegen von den Lin-
ken, sollten nach 25 Jahren langsam einmal lernen, dass
man Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand nicht schafft,
indem man Mauern um Länder baut, sondern indem man
Märkte öffnet. Das ist der entscheidende Punkt, und des-
wegen ist es hier so wichtig.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben eine Verantwortung, die über Deutschland
hinausgeht. 25, 26 Millionen Arbeitslose in Europa
haben mit einem Freihandelsabkommen jetzt die Chance
auf geschätzt zwischen einer halben und anderthalb
Millionen neue Arbeitsplätze. Ich glaube, diese Chance
dürfen wir uns nicht entgehen lassen.

Wir sind ein Land, das eine Exportquote von 40 Pro-
zent hat. Kollege Tauber hat schon darauf hingewiesen:
Experten haben ausgerechnet, wenn wir keine offenen
Märkte hätten, dann hätten wir in Deutschland nur noch
die Hälfte unseres Wohlstands. Das heißt, jeder hätte
Monat für Monat nur noch die Hälfte des Einkommens
in der Tasche. Ich glaube, das zeigt, welche Bedeutung
offene Märkte und freier Handel haben.

Lassen Sie mich ein Wort zu den Grünen sagen: Ich
verstehe, liebe Kolleginnen und Kollegen der Grünen,
dass Sie keine richtigen Themen mehr haben. Die Kern-
energie ist Ihnen weggenommen worden. Sie haben
keine Botschaft mehr. Ich bitte Sie, wenn Sie neue The-
men suchen, nehmen Sie nicht die falschen. Werden Sie
bitte Ihrer Verantwortung gerecht. Hier geht es um viel
für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, für die
Verbraucherinnen und Verbraucher, für die Menschen in
Deutschland und Europa. Ich bitte Sie um eine differen-
zierte Diskussion und nicht um eine holzschnittartige,
wie wir sie hier erlebt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Wolfgang Tiefensee [SPD])






Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)



(A) (C)



(D)(B)

Natürlich – der Bundeswirtschaftsminister hat darauf
hingewiesen – gibt es im Zusammenhang mit diesem
Abkommen auch Herausforderungen. Es ist natürlich ein
Unterschied, ob man ein Freihandelsabkommen mit ei-
nem Entwicklungsland macht, wo die Strukturen relativ
einfach, überschaubar sind, oder ob hochentwickelte
Industriegesellschaften zusammen ein Freihandels-
abkommen machen, weil dort die Komplexität der
Neben- und Auswirkungen viel größer ist. Deswegen
muss man da sorgfältig herangehen und differenziert
diskutieren. Deswegen ist der Stil und die Art und
Weise, wie diskutiert wird – holzschnittartig, schwarz
und weiß –, der falsche Weg. Wir müssen die Chancen
nutzen und die Risiken minimieren. Das ist auch unsere
Aufgabe als gewählte Parlamentarier in diesem Haus.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ich möchte gerne auf den Kern dieses Freihandelsab-
kommens – eigentlich jedes Freihandelsabkommens –
eingehen. Es geht zum einen darum, dass keine Zölle
mehr erhoben werden. Zölle führen dazu, dass die
Verbraucher in den Ländern, in die geliefert wird, mehr
zahlen müssen und die Waren nicht in einem fairen
Wettbewerb stehen; das beste Produkt, das in der Regel
aus Deutschland kommt, setzt sich vielleicht nicht durch,
weil es durch Zölle benachteiligt wird. Deswegen ist der
Abbau von Zöllen immer wichtig.

Nun wird eingewendet – sicherlich zu Recht –, die
Zölle in Richtung USA seien gar nicht so hoch. Aber wir
haben an dem Beispiel, das Kollege Tauber vorhin ge-
nannt hat, gesehen: In einzelnen Branchen und Berei-
chen sind die Zölle höchst relevant. Wenn die Zölle in
der Summe 20 bis 27 Prozent betragen, dann sind sie für
eine Branche natürlich ein Nachteil. Deswegen ist der
Abbau von Zöllen wichtig.

Der eigentliche Kern dieses Freihandelsabkommens
besteht aber in etwas anderem, nämlich in der Chance,
dass Europa und Amerika künftig in der Lage sind, bei
neuen Technologien gemeinsam die Normen zu setzen,
die dann weltweit gelten. In der EU und den USA leben
gerade einmal gut 820 Millionen Menschen, aber dort
werden 50 Prozent des globalen Bruttoinlandsprodukts
erwirtschaftet. Diese 820 Millionen Menschen haben die
Chance, die Standards für die restliche Welt – für China,
Afrika, Südamerika – zu setzen, die dann dort befolgt
werden müssen. Diese Chance müssen wir wahrnehmen.

Ein Experte hat einmal richtigerweise gesagt: Nor-
men sind die Sprache des Welthandels, und wer die
Normen setzt, in dessen Sprache wird der Welthandel
stattfinden. – Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
Wenn wir in Europa jetzt die Chance verpassen, zusam-
men mit den USA die Normensetzer für neue Technolo-
gien der Zukunft zu werden – da geht es gar nicht mal
um die bisher bestehenden Normen der Vergangenheit,
sondern um neue Technologien, die tagein, tagaus erfun-
den werden und häufig auch wichtig werden –, dann ma-
chen wir einen entscheidenden und großen Fehler.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein deutscher Mittelständler hat es einmal so formu-
liert: Die technischen Normen sind die Reisepässe für
Waren und Güter. – Wir, die Europäer, und die Amerika-
ner können diejenigen sein, die die Reisepässe ausstel-
len, und das ist ein Riesenvorteil auch für unsere mittel-
ständischen Unternehmer. Das muss man doch
begreifen, anstatt immer über Konzerne zu schwadronie-
ren; das ist der falsche Weg. Unsere Mittelständler wer-
den von diesem Abkommen und der Normensetzung am
allermeisten profitieren.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Es geht nicht um die Absenkung von Standards; das
ist sowohl in den USA als auch in Europa immer wieder
von höchster Stelle erklärt worden. Meine Damen und
Herren, weder die europäische noch die amerikanische
Wirtschaft hat es nötig, Standards einzuführen, um damit
Dumping auf anderen Märkten zu betreiben; beide haben
es nicht nötig, und beide brauchen es nicht.

Im Übrigen: Bei Umfragen in den Vereinigten Staaten
sagen die Verbraucher dort, dass die amerikanischen Si-
cherheits- und Gesundheitsstandards selbstverständlich
viel höher als die europäischen sind. Sie können die Um-
frage machen, wo Sie wollen: Jeder glaubt, dass er die
höchsten Standards hat. Wir werden in diesem Abkom-
men keine Mechanismen akzeptieren, die zur Ab-
senkung von Standards im Umweltbereich, im Sozial-
bereich, im Gesundheitsbereich – wo auch immer –
führen. Das ist, glaube ich, Konsens, auch in diesem
Haus. Umgekehrt sage ich aber auch: Wir können nicht
erwarten, dass die Amerikaner akzeptieren werden, dass
das Betriebsverfassungsgesetz morgen auch in den USA
gilt. Ich bitte darum, die Erwartungen, was das angeht,
vielleicht etwas zu senken.

Das Thema Dienstleistungen muss angesprochen
werden; denn Dienstleistungen machen inzwischen ein
Drittel des Handels zwischen Deutschland und den USA
aus. Das ist ein wichtiger Punkt. Vor allem Logistik- und
Unternehmensdienstleistungen sind zentrale Themen.
Bitte hören Sie auf, zu behaupten, die Dienstleistungs-
freiheit, die in diesem Abkommen vorgesehen ist, würde
zur Privatisierung der Daseinsvorsorge führen. Solch ei-
nen Unfug habe ich überhaupt noch nie gehört.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Handelsvorschriften führen nicht zu einem Zwang zur
Privatisierung. Wer so etwas behauptet, redet den Leuten
einfach Dinge ein; das hat einen Zweck, der nicht mit
dem zu vereinbaren ist, was wir als Abgeordnete und als
Parlamentarier letzten Endes zu verantworten haben.

Ich will etwas zum Thema Finanzdienstleistungen sa-
gen; das ist ein wichtiger Punkt. Beim Thema Finanz-
dienstleistungen müssen wir sehr genau hinschauen, um
zu wissen, worum es da geht. Den Rahmen – das hat
Kollege Lämmel vorhin angedeutet – bilden im Grunde
die G 20; auf dieser Ebene wurden sehr viele Regulie-
rungen im Bereich der Bankenaufsicht vorgenommen.
Aber es gibt bisher noch wenig Konsistenz bei der Um-
setzung. Wir könnten versuchen, gemeinsame Standards
der Vereinigten Staaten und Europas bei der Regulierung
der Finanzmärkte und der Wertpapier- bzw. Bankenauf-
sicht zu etablieren. Das kann eine große Chance sein.
Auch hier gilt unser Credo: Wir werden keine Absen-





Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof)



(A) (C)



(D)(B)

kung und keine Lockerung der Regulierung und der
Standards im Bereich Finanzdienstleistungen und Ban-
ken zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Ein letztes Wort zum Investitionsschutzabkommen.
Denklogisch ist es nicht notwendig, dass ein Freihan-
delsabkommen ein Investitionsschutzabkommen hat.
Man kann das eine ohne das andere machen; das ist
überhaupt keine Frage. Auf der anderen Seite wissen
Sie, dass Deutschland die Investitionsschutzabkommen
erfunden hat, weil man verhindern wollte, dass deut-
sches Kapitel irgendwo im Ausland verschwindet und
deutsche Sparer enteignet werden.

Die Bundesrepublik hat bereits über 130 Investitions-
schutzabkommen abgeschlossen. In den über 3 000 Ab-
kommen, die es weltweit gibt, sind Unzulänglichkeiten
festzustellen; darauf ist bereits hingewiesen worden. Ein
Problem ist die Intransparenz. Man weiß nicht genau,
wie die Schiedsrichter ausgewählt werden. Das muss
man ändern. Ein weiteres Problem ist, dass Kosten ent-
stehen, die für Mittelständler untragbar sind. Man hat
ausgerechnet: Eine Klage kostet 8 Millionen Dollar.
Eine solche Summe macht jeden Mittelständler platt. Im
Grunde genommen steht er vor einer Rechtsverweige-
rung.


Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805409000

Herr Kollege, Sie stehen vor dem Ende Ihrer Rede-

zeit.


Dr. Hans-Peter Friedrich (CSU):
Rede ID: ID1805409100

All diese Dinge müssen berücksichtigt werden. Es be-

steht die Chance – wenn man das will und wenn man die
Kraft dazu hat –, dass man in einem Investitionsschutz-
abkommen zwischen Europa und den Vereinigten Staa-
ten all diese offenen Fragen regelt. Aber das wird der
weitere Verlauf der Diskussion mit sich bringen.

Ich bitte Sie nur um eine differenzierte Diskussion.
Hören Sie auf, Schwarz-Weiß-Malerei und holz-
schnittartige Angstmache zu betreiben. Das entspricht
nicht der Wahrnehmung der Verantwortung von Parla-
mentariern.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805409200

Vielen Dank, Herr Kollege Friedrich. – Es stehen

noch drei Redner auf meiner Liste, und ich bitte Sie, die-
sen drei Rednern auch noch zuzuhören. Wir führen eine
sehr lebendige Parlamentsdebatte. Ich stelle fest, dass
immer mehr Zwischengespräche geführt werden. Sie
mögen interessant sein, aber ich bitte Sie: Führen Sie die
Gespräche nicht hier im Saal.

Nächster Redner ist Sascha Raabe für die SPD.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1805409300

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Eigentlich ist es schräg und missverständ-
lich, dass die Debatte die Überschrift „Freihandels-
abkommen“ trägt. Es wird so getan, als sei der Handel
zurzeit nicht frei.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Ich sage: Der Handel ist einerseits im Bereich Arbeit-
nehmerrechte und Menschenrechte leider zurzeit ein
sehr freier Handel. Andererseits gibt es technische Nor-
men, die den Handel beschränken, zum Beispiel Zölle.

Wir stehen vor einer verrückten Situation: Ein Auto-
blinker, der die falsche Farbe hat, eine Banane, die nicht
die richtige Krümmung hat, dürfen in die Europäischen
Union nicht eingeführt werden. Aber ein T-Shirt, an dem
Blut klebt, weil Näherinnen und Näher wie Sklaven
ausgebeutet werden, weil Fabriken einstürzen und die
Menschen bei lebendigem Leib verbrennen, darf in die
Europäische Union eingeführt werden.

Uns geht es bei dem Abkommen mit den USA des-
halb darum, jetzt die entsprechenden Normen zu setzen.
Herr Kollege Hans-Peter Friedrich, es kann dabei aber
nicht nur um technische Normen gehen, die aus europäi-
scher Sicht weltweit gelten sollen. Wir müssen uns dafür
einsetzen, dass in den Freihandelsabkommen auch Nor-
men in Bezug auf Arbeitnehmerrechte und Menschen-
rechte verankert werden. Freihandel muss zukünftig
Freiheit für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
bedeuten. Sie sollen frei und gut arbeiten können. Wir
wollen Arbeitsplätze, und zwar gute Arbeitsplätze. Da-
für setzen wir uns als Sozialdemokratinnen und Sozial-
demokraten ein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Herr Kollege Tauber, Sie haben als Beispiel die Präsi-
dentin des Gesamtverbandes der deutschen Textil- und
Modeindustrie angeführt, die gesagt hat, sie könne nach
Abschluss von TTIP besser in die USA exportieren. Wir
müssen allerdings gerade auch im Hinblick auf die
Textilindustrie bedenken: Die Europäische Union ver-
handelt derzeit ebenso Freihandelsabkommen mit Indien
und Vietnam. Wenn wir jetzt ein Abkommen schließen,
das fast die Hälfte des weltweiten Bruttosozialprodukts
umfasst, dann ist es umso wichtiger, dass wir messer-
scharf hineinschreiben, dass entsprechende Standards
gesetzt und die acht ILO-Kernarbeitsnormen sowohl im
Abkommen mit Kanada als auch mit den USA verbind-
lich verankert werden mit überprüfbaren und wirksamen
Sanktionsmechanismen, wie sie auch für die anderen
Kapitel gelten. Denn nur dann können wir auch den In-
dern sagen, dass wir das Gleiche von ihnen erwarten.
Denn wir wollen, dass die Globalisierung endlich den
Menschen, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern,
dient. Dafür werden wir uns in den Gesprächen zum
Freihandelsabkommen einsetzen.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. HansPeter Friedrich [Hof] [CDU/CSU])






Dr. Sascha Raabe


(A) (C)



(D)(B)

Ich bin dem Bundeswirtschaftsminister ausdrücklich
dankbar dafür, dass er in dem Papier, das mit dem DGB
erarbeitet wurde, und auch im Beschluss des Parteikon-
vents, und zwar ganz am Anfang, ausdrücklich betont:
Das Freihandelsabkommen „muss seinen Wert … darin
beweisen, dass es zu Fortschritten beim Schutz von Ar-
beitnehmerrechten, dem Verbraucherschutz und nach-
haltigem Wirtschaften im globalen Maßstab beiträgt. …
Diese normsetzende Kraft des Abkommens kann zum
Hebel einer politischen Gestaltung der wirtschaftlichen
Globalisierung werden.“

Genau darum geht es. So steht es auch an zwei Stellen
im Koalitionsvertrag. Wir werden unseren Wirtschafts-
minister dabei unterstützen, dass die Arbeitnehmerrechte
voll eingehalten werden. In dem Sinne brauchen wir kei-
nen zusätzlichen Antrag, in dem gefordert wird, was wir
selbst in den Koalitionsvertrag geschrieben haben und
was die SPD im Konvent beschlossen hat.

Wenn die Kollegen bei der CDU sagen, sie haben
Probleme mit dem Beschluss des Parteikonvents, dann
können sie im Koalitionsvertrag nachlesen, dass wir die
Freihandelsabkommen immer an die verbindliche Ver-
pflichtung gebunden haben, die Kernarbeitsnormen der
Internationalen Arbeitsorganisation einzuhalten und
Menschenrechte sowie soziale und ökologische Stan-
dards zu wahren. Dafür werden wir streiten. Wir haben
die große Chance, als Parlamentarier die Globalisierung
im Sinne der Menschen politisch zu gestalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805409400

Vielen Dank, Sascha Raabe. – Nächster Redner in der

Debatte ist Dr. Matthias Heider für die CDU/CSU-Frak-
tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1805409500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Das ist heute schon eine sehr polarisierende Debatte. Ich
glaube aber, dass es nicht sinnvoll ist, den Wert von Han-
delsabkommen kleinzureden. Es ist unsere Aufgabe als
Abgeordnete, bei diesen Abkommen Chancen zu ermög-
lichen. Liebe Kolleginnen und Kollegen der Opposition,
ich kann heute nicht erkennen, dass Sie dazu beitragen.
Sie wollen Deutschland auf Standby halten. Es kommt
bei diesen Handelsabkommen aber auf mehr an. Dazu
sind Sie aber einfach nicht bereit.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Das ist wieder dieselbe Leier!)


Herr Kollege Ernst, es braucht zwei, um einen Tango zu
tanzen. Sie wollen ihn gerne allein tanzen. Das wird aber
nicht funktionieren.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ich tanze Lambada! Schuhplattler!)


Bisher hat es eine ganze Reihe von guten Argumenten
gegeben, auf deren Basis wir heute diskutiert haben. Wir
haben uns aber noch nicht so genau den kanadischen
Markt angesehen und geschaut, was wir da machen kön-
nen. Ich glaube, dass die Dimension vielen Bürgerinnen
und Bürgern draußen im Land auch nicht so bewusst ist.
Kanada ist einer der wichtigsten Handelspartner der Eu-
ropäischen Union. 2013 haben wir Exporte im Umfang
von „nur“ 31 Milliarden Euro nach Kanada geschickt.
Zu den meistgehandelten Gütern aus der EU nach Ka-
nada zählen Maschinen und Ausrüstungen – 22 Prozent –,
Chemikalien – ungefähr genauso viel – und Autos und
Autoteile mit fast 11 Prozent. Danach folgen Transport-
materialien, Petroleum, Getränke und andere Dinge.

Deutschland ist einer der wichtigsten Partner von Ka-
nada. Insgesamt entfielen aber nur 9 Milliarden von die-
sen 31 Milliarden Euro auf unseren Export. Da geht et-
was mehr. Da ist mehr Umsatz und mehr Geschäft für
deutsche Unternehmen drin. Es können Arbeitsplätze
geschaffen werden, weil Zölle abgeschafft und einheitli-
che Standards erarbeitet werden. Freihandel bringt Vor-
teile für unsere Unternehmen.

Herr Kollege Hofreiter, jetzt hören Sie gut zu. Das be-
trifft insbesondere die mittelständischen Unternehmen,
die Sie vorhin angesprochen haben.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe die mittelständischen Unternehmen zitiert!)


Gerade die Verfahren zur Zulassung von Produkten er-
schweren den kleinen und mittelständischen Unterneh-
men den Zugang zum amerikanischen und kanadischen
Markt. Da Sie gefragt haben, will ich Ihnen gern ein paar
Beispiele mit auf den Weg geben:


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie brauchen nicht mich zu überzeugen! Überzeugen Sie doch erst mal den Mittelstand davon!)


In Deutschland müssen zum Beispiel im Maschinen-
bau Notabschaltknöpfe in Höhe von 1,10 bis 1,30 Me-
tern an Maschinen angebracht werden. In den USA sind
es 90 Zentimeter bis 1,10 Meter. In der EU sind Neutral-
leiterkabel in der Elektronik standardmäßig blau gefärbt.
In den USA müssen die gleichen Kabel weiß sein. Pro-
dukte wie Ventilatoren müssen in der EU zertifiziert
werden und erhalten das CE-Zeichen. Wenn Sie in die
USA exportieren wollen, dann müssen Sie das gleiche
Verfahren nach US-Norm noch einmal durchlaufen. In
einem deutschen Unternehmen braucht es allein 15 Ent-
wickler, um diese amerikanischen Standards abzubilden.
Im chemischen Bereich führt die unterschiedliche Kenn-
zeichnungspraxis dazu, dass viele Produkte für den Ver-
kauf in die USA anders bezeichnet und anders etikettiert
werden müssen. Außerdem müssen Labore in der Che-
mie und im Medizinbereich von zwei Behörden, sowohl
von der europäischen wie auch von der amerikanischen
Behörde, zertifiziert werden.

Ein weiterer Teil der Abkommen ist, dass viele Her-
kunftsbezeichnungen, auch im landwirtschaftlichen Be-
reich, betroffen sind. Ein Beispiel: Deutsche Brauereien
werden in den USA mit einer Reihe von bayerischen
Bieren konfrontiert, die überhaupt nicht aus Bayern





Dr. Matthias Heider


(A) (C)



(D)(B)

stammen. Das Gleiche gilt für Schwarzwälder Schinken,
für Spreewälder Gurken, für Kölsch und für Dresdner
Stollen. Die Pflicht zur Bezeichnung der geografischen
Herkunft würde den Handel mit diesen Produkten enorm
fördern. Herr Hofreiter, das müssen Sie den mittelständi-
schen Unternehmen in Ihrem Wahlkreis einmal erläu-
tern. Ich habe die ganz herzliche Bitte an Sie, dass Sie
dieses Abkommen unterstützen und nicht pauschal dage-
genreden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Besonders pikant ist, dass Ihr Kollege Trittin zu diesem
Zeitpunkt ein Buch mit dem Titel „Stillstand made in
Germany – Ein anderes Land ist möglich!“ vorstellt. Ich
glaube, eindrucksvoller kann man seine Meinung nicht
unter Beweis stellen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Auch Investitionsschutzkapitel gehören zu den Streit-
beilegungsverfahren. Im Freihandel sind sie notwendig.
Sie entlasten nationale, ordentliche Gerichte von langen
und schwierigen Verfahren. Dass solche Verfahren gar
nicht so häufig stattfinden, mögen Sie daran erkennen,
dass es bisher weniger als fünf Verfahren dieser Art ge-
gen Deutschland gegeben hat. Das Gutachten, das der
Bundeswirtschaftsminister vorhin zitiert hat, zeigt, dass
die Rechte, die kanadische Investoren beispielsweise
durch CETA bekommen, kaum über die nationalen
Rechte in Deutschland hinausgehen. Im Hinblick auf
den Bestandsschutz getätigter Investitionen gegen ge-
setzgeberische Eingriffe bleibt CETA sogar hinter den
nationalen juristischen Möglichkeiten des ordentlichen
Rechts, aber auch des Verfassungsrechts und des
Unionsrechts signifikant zurück. Das ist sicherlich ein
sehr spannender Punkt für viele Bürgerinnen und Bürger.
Ich habe die Bitte: Sagen Sie in aller Klarheit, worum es
dabei geht, anstatt in dieser Diskussion Nebelkerzen zu
werfen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich möchte die drei großen
Irrtümer, die hier hochgehalten werden, noch einmal
beim Namen nennen:

Erstens. Ich möchte darauf hinweisen, dass die Inves-
titionsschutzkapitel keine Aufhebung von gesetzgeberi-
schen Maßnahmen oder den Erlass neuer Maßnahmen
bewirken. Auch hierzu heißt es in dem Gutachten – das
steht dort schwarz auf weiß –: Die Aufhebung oder der
Erlass gesetzgeberischer Maßnahmen kann nicht ver-
langt werden.

Der zweite Irrtum betrifft das angebliche Schaffen ei-
ner Paralleljustiz. Das Wort hört sich an, als stamme es
aus einem Science-Fiction-Film mit einer ganzen Reihe
von Parallelwelten. Ich muss Sie enttäuschen: TTIP und
CETA werden keine Parallelwelten aufbauen, auch wenn
das in die Horrorgeschichte, die Sie im Rahmen Ihrer
Kampagne erzählen, gut hineinpassen würde.

Die Schiedsgerichtsverfahren sind mit einer Reihe
von Neuerungen versehen. Das hängt mit der Transpa-
renz zusammen und auch damit, dass die Besetzung die-
ser Schiedsgerichte nach einem etwas anderen Schlüssel
erfolgt. Im Übrigen werden verschiedene Schiedsge-
richtsordnungen zur Wahl gestellt. Ich glaube, dass das
auch mit Blick auf die Entwicklung der Standards der
Schiedsgerichtsbarkeit ein guter Schritt ist. Wir müssen
aber daran mitwirken. Wenn wir uns dem verschließen,
dann werden wir auf den Märkten keine Trends setzen,
dann werden wir auch mit dem Abschluss dieser Ab-
kommen keine Trends setzen.

Dritter Irrtum. Dass wir soziale Standards und Um-
weltstandards abschaffen oder verhindern würden, ist
von meinen Vorrednern eindrucksvoll widerlegt worden.
Das bedarf keiner weiteren Erläuterung.

Deshalb lehnen wir Ihre Anträge ab. Sie wollen Chan-
cen verhindern. Wir wollen sie ermöglichen. Deshalb
sind diese Abkommen ein guter Weg. Die Zeit, die dort
noch für die Verifizierung, für das Verhandeln gebraucht
wird, wird genutzt werden. Ich glaube, dass wir da auf
einem hervorragenden Weg sind.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Claudia Roth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805409600

Vielen Dank, Herr Kollege. – Ich möchte noch einmal

sehr ernsthaft darauf hinweisen, dass auch der letzte
Redner dieser Debatte das Recht hat, dass man ihm zu-
hört. Wer das nicht will, sondern sich unterhält, soll das
bitte draußen tun. Ich meine das sehr ernsthaft. Wenn
dies nicht geschieht, wird jetzt mit seiner Rede nicht an-
gefangen, und wir warten einfach so lange, bis die Kolle-
ginnen und Kollegen, die sich in den Gängen miteinan-
der unterhalten, nach draußen gehen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Darf ich das noch einmal sagen? Ich sehe einige bei der
SPD. Bitte hören Sie Ihrem Kollegen zu, oder gehen Sie
raus. Auch er als letzter Redner in dieser Debatte hat das
Recht, dass ihm zugehört wird.

Ich gebe das Wort Peter Beyer.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Peter Beyer (CDU):
Rede ID: ID1805409700

Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Dass intensive Wirtschaftsintegration, wie beim EU-
Binnenmarkt gesehen, zu Wohlstandsgewinnen führt,
das wissen wir, das wissen Volkswirtschaftler, aber nicht
nur die. Das hat auch kürzlich wieder eine aktuelle
Prognos-Studie belegt. Die Schaffung des EU-Binnen-
marktes ist seinerzeit, wenn wir uns erinnern, nicht ganz
ohne Kontroversen und auch nicht ohne Ängste und Sor-
gen bei den Menschen vonstattengegangen.

Das erinnert an die Situation, wie wir sie heute im
Hinblick auf TTIP und CETA haben. Dank einer weit-
sichtigen, auf die Zukunft Europas ausgerichteten Politik





Peter Beyer


(A) (C)



(D)(B)

wurde die wirtschaftliche Integration Europas damals
gut betrieben, und sie ist gut gelungen. Ziel einer transat-
lantischen Wirtschaftsintegration ist zwar nicht die
Schaffung eines Binnenmarktes, wie wir ihn in der EU
haben; es geht dabei aber immerhin um nicht weniger als
um die Schaffung des größten Wirtschaftsraums der
Welt und damit um die Steigerung des wirtschaftlichen
Wohlstands der Menschen in unserem Land, in den Ver-
einigten Staaten und in der EU.

Ich möchte ein bisschen weg von reinen Zahlen, Da-
ten und Fakten; denn CETA und TTIP sind weit mehr als
ein bloßes Zahlengerüst. Es geht über rein ökonomische
Ziele hinaus. Ich möchte den Fokus auf die enorme stra-
tegische und auf die geopolitische Bedeutung legen.
TTIP wird nicht nur die bilateralen Wirtschaftsbeziehun-
gen vertiefen, sondern auch die weltweite Vorreiterrolle
Europas und der USA inmitten starker globaler Konkur-
renz dauerhaft stärken. Überall auf der Welt gibt es im
Übrigen Bestrebungen, Handelsräume stärker zu inte-
grieren, zusammenzulegen und den Warenaustausch zu
vereinfachen.

TTIP und CETA sichern der EU und damit der Bun-
desrepublik und den Menschen, die hier leben, eine
wichtige Positionierung in einer multipolaren Weltord-
nung. Diese Chance auf eine weitreichende Setzung von
Standards in dieser globalisierten Wirtschaftswelt sollten
wir gerade jetzt ergreifen; denn sie bietet sich uns mit ei-
nem Partner, der eine gleiche Wertebasis hat wie wir.
Dabei muss es uns ein zentrales Anliegen sein, dass das
Abkommen die hohen europäischen Schutzniveaus mit
dem geltenden europäischen Recht und den nationalen
Gesetzen sichert. Ein Verzicht auf TTIP und ein Verzicht
auf CETA würden einem Verzicht auf die Einflussnahme
beim Setzen internationaler Standards gleichkommen.
Wir würden damit das Spielfeld anderen überlassen, die
nicht unsere Wertebasis haben. Ich halte das gerade als
Parlamentarier für verantwortungslos.

TTIP und CETA kann man auch nicht als isolierte
Projekte behandeln, sondern sie müssen in einem euro-
atlantischen Kontext gesehen werden. Wir müssen dabei
all das, was derzeit transatlantisch läuft, betrachten. Das
Megaprojekt TTIP wird in einem Umfeld, in einer Zeit
verhandelt, wo es um die transatlantischen Beziehungen
nicht gerade gut bestellt ist. 25 Jahre nach dem Fall der
Berliner Mauer braucht die transatlantische Partner-
schaft belebende Impulse und bedarf der Selbstver-
gewisserung und der Stärkung. Wir müssen uns auf den
Weg begeben, über das transatlantische Verhältnis
grundlegend nachzudenken. Ich bin dankbar, dass diese
Diskussion geführt wird.

Angesichts des verloren gegangenen Vertrauens bietet
TTIP eine wichtige Chance, zur Sacharbeit zurückzu-
kehren und gegenseitiges Vertrauen wieder aufzubauen.
Dabei müssen wir Partner auf Augenhöhe sein, meine
Damen und Herren.

Die gemeinsamen Werte, die ich bereits angesprochen
habe, und die gemeinsamen Interessen mit den Amerika-
nern bilden dabei ein stabiles und belastbares Funda-
ment. Uns verbinden nicht nur gemeinsame historische
Erfahrungen, sondern auch die gemeinsamen Werte und
Prinzipien wie Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, Freiheit,
Marktwirtschaft und auch der Respekt vor dem Indivi-
duum – um das nicht als Letztes zu nennen.

Natürlich dürfen wir nicht die Augen verschließen
vor berechtigter Kritik und auch nicht vor den Ängsten
und Sorgen der Menschen, die uns begegnen. Aber an-
ders als andere halte ich es für schier verantwortungslos,
in die Kerbe der Ängste und Sorgen der Menschen auch
noch hineinzuschlagen. Unsere Aufgabe als verantwor-
tungsvoll handelnde Parlamentarier muss es doch viel-
mehr sein, sich selbst auf einen Informationsstand zu
bringen, der es erlaubt, Menschen aufzuklären und mit
ihnen nach gemeinsamen Lösungen zu suchen. Deswe-
gen sind wir uns auch alle einig in diesem Haus, dass das
europäische Schutzniveau in den Bereichen Umwelt,
Verbraucherschutz, Arbeitsrecht, Gesundheit und auch
Produktsicherheit nicht nach unten angepasst werden
darf. Wir werden alle keinem Abkommen zustimmen
– weder bei CETA noch bei TTIP –, das diesen hohen
europäischen Schutzstandards nicht Rechnung trägt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Freihandelsabkommen sind ein wunderbares Beispiel
dafür, wie Bürokratieabbau – und zwar nicht nur im Klei-
nen, sondern in wirklich bedeutsamem Maße – gelingen
kann. Wir haben heute in der Debatte schon mehrfach
Beispiele für Doppelzulassungsverfahren, Doppelkontrol-
len gehört: immer dann, wenn es ähnliche Sicherheits-
und Schutzstandards gibt. Diese Bürokratie führt zu einer
Verschwendung von Ressourcen – beim Personaleinsatz,
bei Zeit, bei Geld –, und diese Ressourcen stehen dann
nicht für die wirklich wichtigen Dinge, für Innovation und
technologischen Fortschritt, zur Verfügung. Auch aus die-
sem Grund ist es für mich ein – wenn ich dieses neue
deutsche Wort benutzen darf – No-Brainer, TTIP und
CETA zuzustimmen.

Kurz noch zu Investitionsschutzklauseln: Es ist ja
auch eine Sorge, dass eine geheime Paralleljustiz ent-
steht, die gerade Großkonzerne begünstige. Zu diesem
Thema haben wir heute schon viel Richtiges gehört. Es
darf natürlich keine Einschränkung des politischen
Handlungsspielraums von Staaten mit diesen Abkom-
men einhergehen. In der Tat haben internationale Inves-
tor-Staat-Schiedsgerichtsverfahren so, wie wir sie heute
kennen, ihre Schwächen. Viele alte Investitionsschutzab-
kommen laden regelrecht zum Missbrauch ein. Deswe-
gen muss es unser Ziel sein, dass wir ein reformiertes
Schiedsgerichtsbarkeitssystem in CETA und TTIP hi-
neinverhandeln, integrieren, welches Missbrauch einen
Riegel vorschiebt. Das kann gelingen durch bessere Re-
geln und Rahmenbedingungen, vor allen Dingen durch
Transparenz des Verfahrens, durch einen Schutzmecha-
nismus gegen ungerechtfertigte Klagen und auch durch
die Schaffung einer Revisionsinstanz.

Meine Damen und Herren, ich versuche, die Zeit ein-
zuhalten. Ich habe noch eine knappe Minute. Deswegen
komme ich zum Schluss. Ich möchte noch einmal, wie
der Kollege Wiese es getan hat, darauf hinweisen, dass
wir es bei CETA und bei TTIP mit gemischten Abkom-
men zu tun haben. Deswegen müssen wir alle dafür





Peter Beyer


(A) (C)



(D)(B)

kämpfen – ich appelliere insbesondere an die Adresse
der Europäischen Kommission, der scheidenden wie der
neuen –, dass die 28 nationalen Parlamente der Europäi-
schen Union zustimmen müssen, dass sie ratifizieren
müssen, dass wir nicht außen vor sind. Das muss uns ein
wichtiges Anliegen sein, meine Damen und Herren. Des-
wegen appelliere ich an Sie: Seien Sie für TTIP; das ist
etwas Gutes für die Menschen in diesem Lande. Die
Chance, die uns gerade jetzt geboten wird, dies auch tat-
kräftig, positiv, konstruktiv zu begleiten, sollten wir nut-
zen. Wir sollten nicht fragen: „Warum gerade jetzt?“,
sondern sagen: Gerade jetzt!

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805409800

Ich schließe die Aussprache.

Bevor wir zu den Abstimmungen kommen, möchte
ich darauf hinweisen, dass wir jetzt drei namentliche Ab-
stimmungen nacheinander durchführen werden.

Wir kommen zu den Abstimmungen über die beiden
Entschließungsanträge der Fraktion Die Linke, zu denen
jeweils namentliche Abstimmung verlangt wurde, und
beginnen mit dem Entschließungsantrag auf Drucksache
18/2612.

Zu dieser namentlichen Abstimmung wie auch zu den
beiden folgenden namentlichen Abstimmungen liegt mir
eine große Anzahl an Erklärungen nach § 31 unserer Ge-
schäftsordnung vor. Entsprechend unseren Regeln neh-
men wir diese ins Protokoll auf.1)

Ich bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, die
vorgesehenen Plätze einzunehmen. – Liebe Kolleginnen
und Kollegen, ich weiß, dass gestern Abend viele
Schriftführerinnen und Schriftführer mit dem Präsidium
des Deutschen Bundestages über die Organisation der
Arbeit beraten haben. Dabei haben wir uns auch darauf
geeinigt, dass bei Aufruf einer namentlichen Abstim-
mung an jeder Abstimmungsurne ein Schriftführer der
Oppositionsfraktionen und ein Schriftführer der die Ko-
alition tragenden Fraktionen anwesend sind. Das scheint
mir im Moment aber noch nicht der Fall zu sein. Auch
hier vorne fehlen noch Schriftführer. – Sind alle Urnen
besetzt? Das ist der Fall. Ich eröffne die erste namentli-
che Abstimmung. Es geht um den Entschließungsantrag
auf Drucksache 18/2612.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Ich schließe die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.

Wir stimmen nun über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2611 namentlich
ab. Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ih-
ren Plätzen? – Das ist der Fall. Ich eröffne die zweite na-
mentliche Abstimmung. Es geht um den Entschließungs-
antrag auf Drucksache 18/2611.

1) Anlagen 2 bis 12
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, welches
bisher nicht an der zweiten namentlichen Abstimmung
teilgenommen hat und dies noch tun will? – Haben alle
Mitglieder des Hauses an der zweiten namentlichen Ab-
stimmung teilgenommen? – Ich schließe die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen.

Wir kommen zum Zusatzpunkt 3: Abstimmung über
die Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirt-
schaft und Energie zu dem Antrag der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen mit dem Titel „Für fairen Handel
ohne Klageprivilegien für Konzerne“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 18/2646, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen auf Drucksache 18/1458 abzulehnen. Wir stim-
men nun über die Beschlussempfehlung auf Verlangen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen namentlich ab.
Sind alle Schriftführerinnen und Schriftführer an ihrem
Platz? – Das ist der Fall. Ich eröffne die dritte namentli-
che Abstimmung. Es geht um die Beschlussempfehlung
zum Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.

Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme zur dritten namentlichen Abstimmung nicht ab-
gegeben hat? Ich mache darauf aufmerksam, dass die
Auszählung der Stimmen der ersten und zweiten na-
mentlichen Abstimmung schon begonnen hat. Wir kön-
nen also zu diesen Abstimmungen keine Stimmen mehr
entgegennehmen. Ich möchte jetzt wissen, wer an der
dritten namentlichen Abstimmung noch teilnehmen
will. – Ich schließe die Abstimmung und bitte die
Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszäh-
lung zu beginnen.

Die Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen
werden Ihnen später bekannt gegeben.2)

Liebe Kollegen, da wir jetzt gleich weitere Abstim-
mungen vorzunehmen haben, bitte ich Sie, uns zu er-
möglichen, die Abstimmungsergebnisse auch festzustel-
len. Dazu gehört, dass jeder, der hier am weiteren
Betrieb teilnehmen möchte, sich bitte einen Sitzplatz
wählt. Es sind nach unserem Überblick genügend Plätze
vorhanden. – Liebe Kollegen, ich gestehe, dass ich mich
im Moment von Ihnen nicht ernst genommen fühle. Wir
werden nicht fortfahren, bevor wir nicht die notwendige
Ordnung im Saal hergestellt haben. Dazu gehört, dass
diejenigen, die an den weiteren Verhandlungen teilneh-
men und die nachfolgenden Abstimmungen mit bestrei-
ten wollen, sich bitte in den Reihen ihrer Fraktion oder
einer Fraktion ihrer Wahl einen Sitzplatz suchen.

Der guten Ordnung halber stelle ich noch einmal fest,
dass Ihnen die Ergebnisse der drei namentlichen Abstim-
mungen, die wir gerade absolviert haben, später bekannt
gegeben werden.

Wir kommen nun zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 18/2604 mit dem Titel „Freihan-
delsabkommen zwischen der EU und Kanada CETA zu-
rückweisen“. Die Fraktion Die Linke wünscht Abstim-
mung in der Sache. Die Fraktionen der CDU/CSU und

2) Ergebnis Seite 4933 D, 4936 A, 4938 B





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend an
den Ausschuss für Wirtschaft und Energie und mitbera-
tend an den Finanzausschuss, an den Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union.

Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist die
Überweisung mit den Stimmen der Unionsfraktion und
der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen so be-
schlossen. Damit stimmen wir heute über den Antrag auf
Drucksache 18/2604 nicht in der Sache ab.

Zusatzpunkt 2. Wir kommen zur Abstimmung über
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 18/2620 mit dem Titel „Keine Klageprivile-
gien für Konzerne – CETA-Vertragsentwurf ablehnen“.
Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Abstim-
mung in der Sache, die Fraktionen der CDU/CSU und
der SPD wünschen Überweisung, und zwar federführend
an den Ausschuss für Wirtschaft und Energie und mitbe-
ratend an den Finanzausschuss, an den Ausschuss für
Recht und Verbraucherschutz sowie an den Ausschuss
für die Angelegenheiten der Europäischen Union.

Wir stimmen nach ständiger Übung auch hier zuerst
über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich
frage deshalb: Wer stimmt für die beantragte Überwei-
sung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Dann ist die Überweisung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktionen
Bündnis 90/Die Grünen und Die Linke so beschlossen.
Wir stimmen damit heute nicht über den Antrag auf
Drucksache 18/2620 in der Sache ab.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 sowie den Zusatz-
punkt 4 auf:

5 Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes … Gesetzes zur Änderung des Strafgesetz-
buches – Umsetzung europäischer Vorgaben
zum Sexualstrafrecht

Drucksache 18/2601
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss Digitale Agenda

ZP 4 Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner, Katja Dörner, Tabea
Rößner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kinder schützen – Prävention stärken

Drucksache 18/2619
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 60 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Bundes-
minister der Justiz, Heiko Maas.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Heiko Maas, Bundesminister der Justiz und für Ver-
braucherschutz:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Im Dezember 2012 musste das OLG
Koblenz einen Lehrer, der eine 14-jährige Schülerin ver-
führt hatte, vom Vorwurf des Missbrauchs von Schutz-
befohlenen freisprechen. Er hatte sich gezielt an das
Mädchen herangemacht und es über fünf Monate zum
Sex gedrängt. Trotzdem: Der Mann konnte nicht verur-
teilt werden. Der Grund: Er unterrichtete in der Klasse
des Mädchens nicht regelmäßig, sondern er war nur Ver-
tretungslehrer. Deshalb bestand kein sogenanntes Ob-
hutsverhältnis zu der Neuntklässlerin. Diese Schutzlücke
wollen wir heute mit diesem Gesetz schließen. Niemand
soll seine Vertrauensstellung ungestraft missbrauchen
dürfen, egal ob er Klassenlehrer ist oder nur vertretungs-
weise unterrichtet. Das wird durch dieses Gesetz jetzt
auch gewährleistet.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir verlängern des Weiteren die Verjährungsfristen
beim sexuellen Missbrauch. Denken Sie an die Vor-
würfe, die im Zusammenhang mit der Odenwaldschule
oder auch kirchlichen Organisationen bekannt geworden
sind. Ein Großteil der Taten war und ist bereits verjährt.
Wir wissen heute von den Opfern, dass diese ihr Leid
verdrängen, um überhaupt ein normales Leben führen zu
können.

Opfer brauchen Zeit – oftmals sehr viel Zeit –, um
den Mut zu fassen, sich zu äußern. In Zukunft soll des-
halb die Verjährung erst mit dem 30. Lebensjahr des Op-
fers beginnen. Bei schweren Missbrauchsfällen tritt die
Verjährung erst mit dem 50. Lebensjahr des Opfers ein.
Täter dürfen nicht länger davon profitieren, dass die
grausamen Folgen ihrer Tat, nämlich die Traumatisie-
rung der Opfer, die Täter auch noch vor Strafverfolgung
schützen, meine sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wichtig ist bei diesem Gesetzentwurf auch, dass wir
den Katalog der Auslandsstraftaten erweitern. Wenn ein
Deutscher, der in Thailand lebt, dort einen sexuellen
Missbrauch begeht, was leider noch viel zu häufig der
Fall ist, dann kommt es für die Strafbarkeit nach deut-
schem Recht in einigen Fällen darauf an, ob das Opfer
seine Lebensgrundlage in Deutschland hat oder nicht.
Das Unrecht einer solchen Tat hängt aber ganz sicher
nicht davon ab, ob ein Kind die deutsche Staatsbürger-
schaft hat oder nicht. Der Missbrauch eines jeden Kindes





Bundesminister Heiko Maas


(A) (C)



(D)(B)

durch einen Deutschen muss bestraft werden. Die bisher
geltende Regelung werden wir jetzt ändern.


(Beifall im ganzen Hause)


Wir schützen zukünftig insbesondere Kinder davor,
dass von ihnen Nacktbilder, zum Beispiel im Internet,
verbreitet werden. Niemand soll in Zukunft ungestraft
mit den nackten Körpern von Kindern Geschäfte machen
können. Bislang waren nur Bilder strafbar, die Kinder in
unnatürlicher, geschlechtsbetonter Haltung zeigten, die
sogenannten Posingbilder. Diese Strafvorschriften wer-
den seit vielen Jahren von Pädophilennetzwerken gezielt
umgangen. Es gibt mittlerweile ganze Magazine und In-
ternetseiten, die diese Schutzlücke ganz gezielt ausnut-
zen. Es werden dann Nacktbilder von Kindern verbreitet
und gehandelt, die scheinbar keinen sexuellen Bezug ha-
ben. Auch das ist, finde ich, strafwürdig. Mit den nack-
ten Körpern von Kindern sollen nicht mehr ungestraft
Geschäfte gemacht werden. Deshalb werden wir diese
Schutzlücke ebenso schließen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eine weitere Schutzlücke, die wir mit diesem Gesetz
schließen, ist die beim Cybermobbing. Welch schreckli-
che Konsequenzen so etwas haben kann, zeigt das Bei-
spiel eines jungen Mädchens namens Amanda. Sie war
zwölf Jahre alt, als ein peinliches Foto von ihr entstand,
das sie halbnackt zeigte. Es wurde im Internet verbreitet
und war Anlass für jahrelanges Cybermobbing durch
ihre Mitschüler. Es folgten Schulwechsel, Selbstverlet-
zungen und ein gescheiterter Suizidversuch. Ende 2012,
im Alter von 15 Jahren, gelang es Amanda, sich das Le-
ben zu nehmen. Solche Schicksale dürfen uns nicht
gleichgültig lassen. Mit diesem Gesetz sorgen wir auch
dafür, dass gegen Cybermobbing besser vorgegangen
werden kann. Das ist alles andere als ein Kavaliersdelikt.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will aber auch ganz klar sagen, dass viele Be-
fürchtungen, die in den letzten Tagen im Hinblick auf
die Vorlagen, die wir heute einbringen, geäußert worden
sind, nicht gerechtfertigt sind:

Erstens. Wir kriminalisieren nichts, was sozial völlig
üblich ist. Auch in Zukunft dürfen Eltern ihre Kinder
nackt beim Planschen im Urlaub am See fotografieren.
Sie erfüllen schon den entsprechenden Tatbestand nicht;
denn sie handeln nicht unbefugt. Ich will in Bezug auf
das eine oder andere, was ich in den letzten Tagen gele-
sen habe, was zukünftig auf Kindergeburtstagen oder
Kindergartenfesten nicht mehr möglich sein soll, hinzu-
fügen: Bei manchen, die diese Kritik verfasst haben,
habe ich wirklich den Eindruck, dass sie schon lange
nicht mehr auf einem Kindergeburtstag oder in einem
Kindergarten gewesen sind. Die Lebenswirklichkeit ist
eine völlig andere.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Zweitens. Es muss auch niemand befürchten, dass es
in Zukunft eine Flut von Ermittlungen geben wird.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Doch!)


Dieser Straftatbestand ist ein Antragsdelikt. Das heißt,
die Staatsanwaltschaft wird in der Regel nicht von sich
aus aktiv werden, sondern nur auf Antrag.

Drittens. Es ist nichts unbefugt – auch das sei in aller
Deutlichkeit gesagt –, was etwa vom Presserecht oder
von der vom Grundgesetz garantierten Pressefreiheit ab-
gedeckt ist. Die Presse kann und darf selbstverständlich
auch in Zukunft von Prominenten unvorteilhafte Bilder
schießen und sie abdrucken. Sie handelt nämlich in sol-
chen Fällen nicht unbefugt, sondern sie nimmt eine
wichtige Gemeinschaftsaufgabe wahr. Ihre Freiheit wird
durch diese Vorschriften in keiner Weise eingeschränkt.

Mit dem Gesetzentwurf ziehen wir auch die Konse-
quenz aus dem technischen Wandel, der sich in den letz-
ten Jahren ergeben hat. Digitalfotos können heute mit ei-
nem Klick weltweit im Internet verbreitet werden.
Manche Handyfotos werden sogar automatisch im Netz
gespeichert. Wenn solche Fotos erst einmal veröffent-
licht sind, kriegt man sie aus dem Internet kaum noch
heraus. Sie bleiben über Jahre zugänglich, und dies zu-
lasten von Kindern, Heranwachsenden und auch erwach-
senen Personen.

Deshalb meine ich, Kinder haben ein Recht darauf,
dass sie dagegen geschützt werden. Und die technische
Entwicklung macht es notwendig, dass der Schutz unse-
rer Kinder früher einsetzt, als das bisher der Fall gewe-
sen ist. Ja, wir erwarten mehr Sorgfalt und Verantwor-
tungsbewusstsein von allen im Umgang mit Kindern und
ihren Rechten. Ich finde, das ist nicht zu viel verlangt.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805409900

Ich korrigiere: Das war natürlich der Bundesminister

der Justiz und für Verbraucherschutz, damit das vollstän-
dig festgehalten wird.

Bevor wir mit der Debatte fortfahren, gebe ich Ihnen
die von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermit-
telten Ergebnisse der namentlichen Abstimmungen
bekannt.

Erste namentliche Abstimmung zum Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2612
zur Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage der Fraktion Die Linke „Soziale, ökolo-
gische, ökonomische und politische Effekte des EU-
USA Freihandelsabkommens“: abgegebene Stimmen
586. Mit Ja haben 114 Kolleginnen und Kollegen ge-
stimmt, mit Nein 466, 6 haben sich enthalten. Der Ent-
schließungsantrag ist damit abgelehnt.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 585;
davon

ja: 113
nein: 466
enthalten: 6

Ja

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann
BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Siegmund Ehrmann
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(B)

Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Enthalten

CDU/CSU

Dr. Peter Gauweiler

SPD

Marco Bülow

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Dr. Thomas Gambke
Dieter Janecek
Cem Özdemir
Dr. Valerie Wilms
Zweite namentliche Abstimmung zum Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 18/2611
zur Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die
Große Anfrage „Soziale, ökologische, ökonomische und
politische Effekte des EU-USA Freihandelsabkom-
mens“: Daran haben 576 Kolleginnen und Kollegen teil-
genommen. Mit Ja haben 110 gestimmt, mit Nein 460,
und 6 haben sich enthalten. Der Entschließungsantrag ist
abgelehnt.

(D)


Endgültiges Ergebnis

Abgegebene Stimmen: 578;
davon

ja: 112
nein: 460
enthalten: 6

Ja

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak
Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Nein

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Josef Göppel
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Ronald Pofalla
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz
Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Kerstin Tack
Claudia Tausend
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Enthalten

CDU/CSU

Dr. Peter Gauweiler

SPD

Marco Bülow

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Dr. Thomas Gambke
Dieter Janecek
Cem Özdemir
Dr. Valerie Wilms
Dritte namentliche Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Wirtschaft und Energie
zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
„Für fairen Handel ohne Klageprivilegien für Kon-
zerne“: Hieran haben 581 Kolleginnen und Kollegen teil-
genommen. Mit Ja haben 460 gestimmt, mit Nein 119,
2 haben sich enthalten. Die Beschlussempfehlung ist da-
mit angenommen.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Endgültiges Ergebnis
Abgegebene Stimmen: 583;
davon

ja: 462
nein: 119
enthalten: 2

Ja

CDU/CSU

Stephan Albani
Katrin Albsteiger
Peter Altmaier
Artur Auernhammer
Thomas Bareiß
Norbert Barthle
Julia Bartz
Günter Baumann
Maik Beermann
Manfred Behrens (Börde)

Veronika Bellmann
Sybille Benning
Dr. André Berghegger
Dr. Christoph Bergner
Ute Bertram
Peter Beyer
Steffen Bilger
Clemens Binninger
Peter Bleser
Wolfgang Bosbach
Norbert Brackmann
Klaus Brähmig
Michael Brand
Dr. Reinhard Brandl
Helmut Brandt
Dr. Ralf Brauksiepe
Heike Brehmer
Ralph Brinkhaus
Cajus Caesar
Gitta Connemann
Alexandra Dinges-Dierig
Michael Donth
Thomas Dörflinger
Marie-Luise Dött
Hansjörg Durz
Jutta Eckenbach
Dr. Bernd Fabritius
Hermann Färber
Uwe Feiler
Dr. Thomas Feist
Enak Ferlemann
Ingrid Fischbach
Dirk Fischer (Hamburg)


(Karlsruhe Land)

Dr. Maria Flachsbarth
Thorsten Frei
Dr. Astrid Freudenstein
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Hans-Joachim Fuchtel
Alexander Funk
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Cemile Giousouf
Reinhard Grindel
Ursula Groden-Kranich
Hermann Gröhe
Klaus-Dieter Gröhler
Michael Grosse-Brömer
Astrid Grotelüschen
Markus Grübel
Manfred Grund
Oliver Grundmann
Monika Grütters
Dr. Herlind Gundelach
Fritz Güntzler
Olav Gutting
Christian Haase
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Matthias Hauer
Mark Hauptmann
Dr. Stefan Heck
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Frank Heinrich (Chemnitz)

Mark Helfrich
Uda Heller
Jörg Hellmuth
Rudolf Henke
Michael Hennrich
Ansgar Heveling
Peter Hintze
Christian Hirte
Dr. Heribert Hirte
Robert Hochbaum
Alexander Hoffmann
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Dr. Hendrik Hoppenstedt
Bettina Hornhues
Charles M. Huber
Anette Hübinger
Hubert Hüppe
Erich Irlstorfer
Thomas Jarzombek
Sylvia Jörrißen
Andreas Jung
Dr. Franz Josef Jung
Xaver Jung
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Steffen Kanitz
Alois Karl
Anja Karliczek
Bernhard Kaster
Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Dr. Georg Kippels
Volkmar Klein
Jürgen Klimke
Axel Knoerig
Jens Koeppen
Markus Koob
Carsten Körber
Hartmut Koschyk
Kordula Kovac
Michael Kretschmer
Gunther Krichbaum
Rüdiger Kruse
Bettina Kudla
Dr. Roy Kühne
Günter Lach
Uwe Lagosky
Dr. Karl A. Lamers
Andreas G. Lämmel
Dr. Norbert Lammert
Katharina Landgraf
Ulrich Lange
Barbara Lanzinger
Dr. Silke Launert
Paul Lehrieder
Dr. Katja Leikert
Dr. Philipp Lengsfeld
Dr. Andreas Lenz
Philipp Graf Lerchenfeld
Antje Lezius
Ingbert Liebing
Matthias Lietz
Andrea Lindholz
Dr. Carsten Linnemann
Patricia Lips
Wilfried Lorenz
Dr. Claudia Lücking-Michel
Dr. Jan-Marco Luczak
Daniela Ludwig
Karin Maag
Yvonne Magwas
Thomas Mahlberg
Dr. Thomas de Maizière
Gisela Manderla
Matern von Marschall
Hans-Georg von der Marwitz
Andreas Mattfeldt
Stephan Mayer (Altötting)

Reiner Meier
Dr. Michael Meister
Dr. Angela Merkel
Jan Metzler
Maria Michalk
Dr. Mathias Middelberg
Philipp Mißfelder
Dietrich Monstadt
Karsten Möring
Marlene Mortler
Elisabeth Motschmann
Carsten Müller


(Braunschweig)

Stefan Müller (Erlangen)

Dr. Philipp Murmann
Dr. Andreas Nick
Michaela Noll
Helmut Nowak
Dr. Georg Nüßlein
Wilfried Oellers
Florian Oßner
Dr. Tim Ostermann
Henning Otte
Ingrid Pahlmann
Sylvia Pantel
Martin Patzelt
Dr. Martin Pätzold
Ulrich Petzold
Dr. Joachim Pfeiffer
Sibylle Pfeiffer
Eckhard Pols
Thomas Rachel
Alexander Radwan
Alois Rainer
Dr. Peter Ramsauer
Eckhardt Rehberg
Lothar Riebsamen
Josef Rief
Dr. Heinz Riesenhuber
Johannes Röring
Dr. Norbert Röttgen
Erwin Rüddel
Albert Rupprecht
Anita Schäfer (Saalstadt)

Dr. Wolfgang Schäuble
Karl Schiewerling
Jana Schimke
Norbert Schindler
Tankred Schipanski
Heiko Schmelzle
Christian Schmidt (Fürth)

Gabriele Schmidt (Ühlingen)

Patrick Schnieder
Dr. Andreas Schockenhoff
Nadine Schön (St. Wendel)

Dr. Ole Schröder
Dr. Kristina Schröder


(Wiesbaden)

Bernhard Schulte-Drüggelte
Dr. Klaus-Peter Schulze
Uwe Schummer

(Weil am Rhein)

Christina Schwarzer
Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Thomas Silberhorn
Johannes Singhammer
Tino Sorge
Jens Spahn
Dr. Frank Steffel
Dr. Wolfgang Stefinger
Albert Stegemann
Peter Stein
Erika Steinbach
Sebastian Steineke
Johannes Steiniger
Christian Freiherr von Stetten
Dieter Stier
Rita Stockhofe
Gero Storjohann
Stephan Stracke
Max Straubinger
Matthäus Strebl
Karin Strenz
Thomas Stritzl
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Sabine Sütterlin-Waack
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Astrid Timmermann-Fechter
Dr. Hans-Peter Uhl
Dr. Volker Ullrich
Arnold Vaatz





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Oswin Veith
Thomas Viesehon
Michael Vietz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Sven Volmering
Christel Voßbeck-Kayser
Kees de Vries
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Nina Warken
Kai Wegner
Albert Weiler
Marcus Weinberg (Hamburg)

Dr. Anja Weisgerber
Peter Weiß (Emmendingen)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Marian Wendt
Waldemar Westermayer
Kai Whittaker
Peter Wichtel
Heinz Wiese (Ehingen)

Klaus-Peter Willsch
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Oliver Wittke
Dagmar G. Wöhrl
Barbara Woltmann
Tobias Zech
Heinrich Zertik
Emmi Zeulner
Dr. Matthias Zimmer
Gudrun Zollner

SPD

Niels Annen
Ingrid Arndt-Brauer
Rainer Arnold
Heike Baehrens
Ulrike Bahr
Heinz-Joachim Barchmann
Dr. Katarina Barley
Dr. Hans-Peter Bartels
Klaus Barthel
Dr. Matthias Bartke
Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Lothar Binding (Heidelberg)

Burkhard Blienert
Willi Brase
Dr. Karl-Heinz Brunner
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Dr. Lars Castellucci
Petra Crone
Bernhard Daldrup
Dr. Karamba Diaby
Sabine Dittmar
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Michaela Engelmeier
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Saskia Esken
Karin Evers-Meyer
Dr. Johannes Fechner
Dr. Fritz Felgentreu
Elke Ferner
Dr. Ute Finckh-Krämer
Christian Flisek
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Ulrich Freese
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Ulrike Gottschalck
Kerstin Griese
Gabriele Groneberg
Michael Groß
Uli Grötsch
Wolfgang Gunkel
Bettina Hagedorn
Metin Hakverdi
Ulrich Hampel
Sebastian Hartmann
Dirk Heidenblut
Hubertus Heil (Peine)

Gabriela Heinrich
Marcus Held
Wolfgang Hellmich
Heidtrud Henn
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Thomas Hitschler
Dr. Eva Högl
Matthias Ilgen
Christina Jantz
Frank Junge
Oliver Kaczmarek
Johannes Kahrs
Christina Kampmann
Ralf Kapschack
Gabriele Katzmarek
Ulrich Kelber
Marina Kermer
Cansel Kiziltepe
Arno Klare
Lars Klingbeil
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe
Birgit Kömpel
Dr. Hans-Ulrich Krüger
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Hiltrud Lotze
Kirsten Lühmann
Caren Marks
Katja Mast
Hilde Mattheis
Dr. Matthias Miersch
Klaus Mindrup
Susanne Mittag
Bettina Müller
Michelle Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Ulli Nissen
Thomas Oppermann
Mahmut Özdemir (Duisburg)

Aydan Özoğuz
Markus Paschke
Christian Petry
Jeannine Pflugradt
Detlev Pilger
Sabine Poschmann
Joachim Poß
Florian Post
Achim Post (Minden)

Dr. Wilhelm Priesmeier
Florian Pronold
Dr. Sascha Raabe
Dr. Simone Raatz
Martin Rabanus
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Gerold Reichenbach
Dr. Carola Reimann
Andreas Rimkus
Sönke Rix
Dennis Rohde
Dr. Martin Rosemann
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Michael Roth (Heringen)

Susann Rüthrich
Bernd Rützel
Johann Saathoff
Annette Sawade
Dr. Hans-Joachim

Schabedoth
Axel Schäfer (Bochum)

Dr. Nina Scheer
Marianne Schieder
Udo Schiefner
Dr. Dorothee Schlegel
Ulla Schmidt (Aachen)

Matthias Schmidt (Berlin)

Dagmar Schmidt (Wetzlar)

Carsten Schneider (Erfurt)

Ursula Schulte
Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Stefan Schwartze
Andreas Schwarz
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Rainer Spiering
Norbert Spinrath
Svenja Stadler
Martina Stamm-Fibich
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Kerstin Tack
Michael Thews
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Carsten Träger
Ute Vogt
Dirk Vöpel
Gabi Weber
Bernd Westphal
Andrea Wicklein
Dirk Wiese
Waltraud Wolff

(Wolmirstedt)


Gülistan Yüksel
Dagmar Ziegler
Stefan Zierke
Dr. Jens Zimmermann
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

Nein

SPD

Marco Bülow
Claudia Tausend

DIE LINKE

Dr. Dietmar Bartsch
Herbert Behrens
Karin Binder
Matthias W. Birkwald
Heidrun Bluhm
Christine Buchholz
Eva Bulling-Schröter
Roland Claus
Dr. Diether Dehm
Klaus Ernst
Wolfgang Gehrcke
Nicole Gohlke
Diana Golze
Dr. Gregor Gysi
Dr. André Hahn
Heike Hänsel
Dr. Rosemarie Hein
Inge Höger
Andrej Hunko
Sigrid Hupach
Ulla Jelpke
Susanna Karawanskij
Kerstin Kassner
Katja Kipping
Jutta Krellmann
Katrin Kunert
Caren Lay
Sabine Leidig
Ralph Lenkert
Stefan Liebich
Dr. Gesine Lötzsch
Thomas Lutze
Cornelia Möhring
Niema Movassat
Dr. Alexander S. Neu
Thomas Nord
Petra Pau
Harald Petzold (Havelland)

Richard Pitterle
Martina Renner
Michael Schlecht
Dr. Petra Sitte
Kersten Steinke
Dr. Kirsten Tackmann
Azize Tank
Frank Tempel
Dr. Axel Troost
Alexander Ulrich
Kathrin Vogler
Dr. Sahra Wagenknecht
Halina Wawzyniak





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(B)

Harald Weinberg
Katrin Werner
Birgit Wöllert
Jörn Wunderlich
Hubertus Zdebel
Pia Zimmermann

BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Luise Amtsberg
Kerstin Andreae
Annalena Baerbock
Marieluise Beck (Bremen)

Volker Beck (Köln)

Dr. Franziska Brantner
Agnieszka Brugger
Ekin Deligöz
Katja Dörner
Katharina Dröge
Harald Ebner
Dr. Thomas Gambke
Matthias Gastel
Kai Gehring
Anja Hajduk
Britta Haßelmann
Dr. Anton Hofreiter
Bärbel Höhn
Dieter Janecek
Uwe Kekeritz
Katja Keul
Sven-Christian Kindler
Maria Klein-Schmeink
Tom Koenigs
Sylvia Kotting-Uhl
Oliver Krischer
Stephan Kühn (Dresden)

Christian Kühn (Tübingen)

Renate Künast
Markus Kurth
Monika Lazar
Steffi Lemke
Dr. Tobias Lindner
Nicole Maisch
Peter Meiwald
Irene Mihalic
Beate Müller-Gemmeke
Özcan Mutlu
Dr. Konstantin von Notz
Cem Özdemir
Lisa Paus
Brigitte Pothmer
Tabea Rößner
Claudia Roth (Augsburg)

Corinna Rüffer
Manuel Sarrazin
Elisabeth Scharfenberg
Ulle Schauws
Dr. Gerhard Schick
Dr. Frithjof Schmidt
Kordula Schulz-Asche
Dr. Wolfgang Strengmann-

Kuhn
Hans-Christian Ströbele
Dr. Harald Terpe
Markus Tressel
Jürgen Trittin
Dr. Julia Verlinden
Doris Wagner
Beate Walter-Rosenheimer
Dr. Valerie Wilms

Enthalten

CDU/CSU

Dr. Peter Gauweiler
Josef Göppel

(D)

Wir kommen nun zurück zur Debatte zum Tagesord-
nungspunkt 5. Das Wort hat die Kollegin Halina
Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805410000

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen

und Kollegen! Debatten zum Sexualstrafrecht zählen zu
den schwierigsten. Sie eignen sich nicht für Polemik und
nicht für Polterei. Deswegen sage ich sehr deutlich: Jede
Straftat in diesem Bereich ist eine Straftat zu viel. Es gibt
keine Rechtfertigung.


(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Unser zentraler Ansatzpunkt bei der Bewertung des
Gesetzentwurfs ist Prävention. Ich bin sehr froh, dass
das Ministerium das Projekt „Kein Täter werden“ unter-
stützt. Wir glauben, es ist notwendig, dass es einen
Rechtsanspruch auf Therapie in den Strafvollzugsgeset-
zen gibt. Wir glauben, dass es zur Verhinderung von
Rückfalltaten nötig ist, nach Verbüßung einer Freiheits-
strafe umfassende Hilfe und Unterstützung bei der Reso-
zialisierung anzubieten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Strafrecht ist immer Ultima Ratio. Deswegen braucht
ein rechtsstaatliches Strafrecht Straftatbestände, die dem
Bestimmtheitsgebot entsprechen. Wir haben uns bei der
Bewertung des Gesetzentwurfes mit den einzelnen Maß-
nahmen befasst und geschaut, ob sie unter rechtsstaatli-
chen Gesichtspunkten erforderlich oder hilfreich sind,
um Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung zu
verhindern.

Der Gesetzentwurf will – darauf ist hingewiesen wor-
den – die Verlängerung der Ruhensvorschriften der Ver-
jährung. Wir haben Verständnis für das Anliegen der Op-
fer, auch noch zu einem recht späten Zeitpunkt eine
Strafbarkeit der Täter zu ermöglichen. Trotzdem muss
ich Ihnen sagen: Mich persönlich überzeugt der Vor-
schlag nicht. Die Mehrheit in diesem Haus hat im Jahr
2013 mit dem Gesetz zur Stärkung der Rechte von Op-
fern sexuellen Missbrauchs die strafrechtlichen Verjäh-
rungsfristen verlängert. Eine Evaluation, was diese Ver-
längerung gebracht hat, liegt uns nicht vor. Ich glaube,
wir brauchen zuerst eine Evaluierung, bevor wir wieder
Verjährungsfristen verlängern.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist eine Binsenweisheit, dass es, je länger eine
Straftat zurückliegt, desto schwieriger ist, mit rechts-
staatlichen Mitteln eine solche Straftat nachzuweisen.
Möglicherweise – ich bitte einfach nur, darüber nachzu-
denken – führt eine Verlängerung der strafrechtlichen
Verjährungsfristen dazu, dass wir die berechtigten Hoff-
nungen von Opfern sexualisierter Gewalt enttäuschen,
weil aufgrund der langen Zeit Straftaten rechtsstaatlich
nicht mehr nachgewiesen werden können. Wenn wir die
Hoffnungen der Opfer enttäuschen, dann schadet das am
Ende auch dem Rechtsstaat.


(Beifall bei der LINKEN)


In § 184 b StGB soll der Begriff der Kinderpornogra-
fie erweitert werden. Es soll strafbar sein „die Wieder-
gabe eines ganz oder teilweise unbekleideten Kindes in
unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“. Sie sel-
ber weisen in der Gesetzesbegründung auch darauf hin,
dass der BGH sagt, dass das bereits jetzt strafbar ist.
Nach der Begründung sollen auch „unwillkürlich einge-
nommene geschlechtsbetonte Körperhaltungen, etwa
durch ein schlafendes Kind“, Kinderpornografie sein. Es
soll „lediglich auf die Körperhaltung selbst“ ankommen.

Ich verstehe auch hier das Anliegen hinter diesem
Vorschlag. Aber ich muss Ihnen sagen, dass ich hier er-
hebliche Schwierigkeiten mit dem Bestimmtheitsgebot





Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)

sehe. Wir brauchen in diesem Bereich Rechtssicherheit
und keine Rechtsunsicherheit.


(Beifall bei der LINKEN)


Nach dem, was in der Begründung steht, weiß niemand,
der ein schlafendes Kind fotografiert, ob er unter diesen
Straftatbestand fällt oder nicht. Ich weiß, dass es um das
Kindeswohl geht; und das Kindeswohl liegt uns am Her-
zen. Aber ich glaube, dass dies der falsche Weg ist.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Nach der vorgesehenen Änderung des § 184 d soll
auch der bestraft werden, „wer es unternimmt, einen kin-
derpornographischen Inhalt mittels Telemedien abzuru-
fen“. Soweit es um den Download geht, sind wir uns alle
einig, dass das strafbar ist und dass das strafbar bleiben
muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn ich aber den Gesetzentwurf richtig gelesen und
auch verstanden habe – das ist ja nicht immer dasselbe –,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Wohl wahr!)


wird mit dieser Formulierung allein der Aufruf und da-
mit auch der unbeabsichtigte Aufruf unter Strafe gestellt.
In der Gesetzesbegründung heißt es, „wobei der Abruf
nicht die Speicherung des Werkes bei dem Abrufenden
voraussetzt“. Unsere europäischen Nachbarn verlangen
für ähnliche Straftatbestände eine bewusste Handlung,
die sich zum Beispiel durch Speichern oder Bezahlen
manifestiert. Die entscheidende Frage an dieser Stelle
lautet, wie denn ein Aufruf, nur ein Aufruf, überhaupt
kontrolliert werden soll. Kann es möglicherweise sein,
dass sich hier Befürworter der anlasslosen Vorratsdaten-
speicherung ein Hintertürchen für die kommenden De-
batten offen gelassen haben?


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch des Abg. Thomas Strobl [Heilbronn] [CDU/CSU])


Das allergrößte Problem in Ihrem Gesetzentwurf ha-
ben wir aber mit der Änderung des § 201 a StGB. Das
hat nichts mehr mit dem Sexualstrafrecht zu tun. Nach
diesem Vorschlag soll sich künftig strafbar machen,
„wer unbefugt von einer anderen Person eine Bildauf-
nahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten
Person erheblich zu schaden, oder unbefugt eine Bild-
aufnahme einer unbekleideten anderen Person herstellt
oder überträgt“. Nun ist in § 22 Kunsturhebergesetz ge-
regelt, dass Bildnisse nur mit Einwilligung des Abgebil-
deten verbreitet und öffentlich zur Schau gestellt werden
dürfen. In § 23 sind Ausnahmen geregelt, zum Beispiel
für Personen des öffentlichen Lebens. In § 23 Absatz 2
gibt es wiederum Ausnahmen von der Ausnahme. Die
Verbreitung ist ohne Einwilligung dann nicht erlaubt,
wenn das berechtigte Interesse verletzt wird. Ein Verstoß
gegen das Kunsturhebergesetz ist nach § 33 strafbar.

Ich sehe, ehrlich gesagt, nicht die Regelungslücke, die
Sie hier schließen wollen. Darüber hinaus ist eine Defi-
nition von „geeignet ist, dem Ansehen der abgebildeten
Person erheblich zu schaden“, die dem Bestimmtheitsge-
bot in irgendeiner Weise entspricht, nicht erkennbar. In
der Gesetzesbegründung stellen Sie – das ist die Ur-
sprungsformulierung aus dem Referentenentwurf – auf
bloßstellende Bildaufnahmen ab. Darunter werden sol-
che verstanden, „die die abgebildete Person in peinli-
chen oder entwürdigenden Situationen oder in einem
solchen Zustand zeigen, und bei denen angenommen
werden kann, dass üblicherweise ein Interesse daran be-
steht, dass sie nicht hergestellt, übertragen oder Dritten
zugänglich gemacht werden“. Ich sage Ihnen: Anwältin-
nen und Anwälte, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte,
Richterinnen und Richter freuen sich schon jetzt auf die
Bearbeitung all der Einzelfälle, in denen zu entscheiden
ist, ob die Aufnahme nun eine ist, die geeignet ist, dem
Ansehen der abgebildeten Person erheblichen Schaden
zuzufügen. Das ist einfach nicht fassbar.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Um dem noch einen draufzusetzen – ich muss sagen:
das ist aus meiner Sicht die Krone der Unvernunft –,
wollen Sie die Herstellung solcher Bilder unter Strafe
stellen. Wenn also jemand findet, dass jemand ein Foto
gemacht hat, welches geeignet ist, dem Ansehen der ab-
gebildeten Person erheblich zu schaden, erstattet er oder
sie Anzeige. Dann wird ermittelt, ob der Tatbestand er-
füllt ist, also ob das Foto wirklich geeignet ist, dem An-
sehen erheblichen Schaden zuzufügen. Blöd nur, wenn
das Foto schon wieder gelöscht wurde, ohne dass es ir-
gendwo abgespeichert oder gar irgendwohin übertragen
wurde. Was Sie erreichen – das sage ich Ihnen voraus –,
ist eine Erhöhung der in der Kriminalstatistik erfassten
Straftaten. Was Sie erreichen, sind Ermittlungen gegen
Personen, die ein solches Foto machen. Ich sage Ihnen:
Das ist eine Vergeudung von Ressourcen. Diese Mittel
wären viel besser im Bereich der Prävention eingesetzt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Kritik der Rechtswissenschaft an dieser Stelle ist
verheerend, und zwar zu Recht.

Ich komme zum Schluss. Wenn ich Sie richtig ver-
standen habe, sollten mit der zweiten Alternative Bild-
aufnahmen unbekleideter Kinder erfasst werden. Im Ge-
setzentwurf steht aber „Personen“. Das ist ungenau. Wir
können Sie nur dringend bitten: Ziehen Sie diesen Ge-
setzentwurf zurück und überdenken Sie ihn! Er ist für
uns in dieser Art und Weise nicht zustimmungsfähig.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805410100

Das Wort hat für die CDU/CSU-Fraktion der Kollege

Thomas Strobl.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thomas Strobl (CDU):
Rede ID: ID1805410200

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Der Schutz von Kindern vor sexueller Ausbeutung
und Gewalt ist für mich eines der wichtigsten Vorhaben
in dieser Legislaturperiode des Deutschen Bundestages.





Thomas Strobl (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)

Heute gehen wir einen guten Schritt vorwärts, um die
Schwächsten in unserer Gesellschaft besser zu schützen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir bringen heute zahlreiche Verbesserungen für die
Opfer sexueller Gewalt auf den Weg. Warum ist das so
wichtig? Das ist deswegen so wichtig, weil die, um die
es geht, sich selber nicht wehren können. Deswegen
müssen wir schnell handeln, und deswegen handelt diese
Große Koalition heute.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf machen wir
ganz klar: Der Handel mit Nacktbildern von Kindern ist
kriminell. Das ist kein Kavaliersdelikt, das ist keine Ord-
nungswidrigkeit, das ist keine Bagatelltat, sondern das
ist eine kriminelle Straftat.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Erstmals ist auch klar, dass weniger eindeutige Nackt-
bilder – insofern beseitigen wir Auslegungsschwierig-
keiten, Frau Kollegin – von Kindern nicht mehr geduldet
sind. Ein Verstecken hinter schwierigen Abgrenzungs-
fragen darf es in Zukunft nicht mehr geben. Ganz klar
ist: Mit Nacktbildern von Kindern macht man in
Deutschland ab heute keine Geschäfte mehr.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Opferschutz, der Schutz von Kindern, meine Da-
men und Herren, beruht auf drei Säulen: erstens auf Prä-
vention, zweitens auf einem lückenlosen Strafrecht, drit-
tens auf effektiven Strafverfolgungsmöglichkeiten.

Zur Prävention: Männer mit pädophilen Fantasien
von Taten abzuhalten, hat sich die Initiative „Kein Täter
werden“ zur Aufgabe gemacht. Ich bin sehr froh – ich
glaube, wir alle sind sehr froh –, dass wir in den aktuel-
len Haushaltsberatungen die Förderung und damit das
Fortbestehen dieser Einrichtung gesichert haben; denn
wirksame Prävention in diesem Bereich ist Kinder-
schutz.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir schließen mit diesem Gesetz aber auch im Straf-
recht empfindliche Schutzlücken. Das Ziel lautet: keine
Geschäfte mit Nacktbildern von Kindern, besserer
Schutz vor Missbrauch. Die vorgelegten Änderungen
sind auch notwendig. Es ist bittertraurig, dass es inzwi-
schen eine ganze Industrie gibt, die ihre Grundlage in
unendlichem Leid der schwächsten Mitglieder der Ge-
sellschaft hat. Deswegen ist es so notwendig und richtig,
dass keine Geschäfte mehr mit Nacktaufnahmen von
Kindern gemacht werden können. Es ist ein unerträgli-
cher Zustand, dass es überhaupt so eine Industrie gibt.
Wir werden auch das Tauschen von solchen Bildern ver-
bieten; denn den Opfern ist es letztlich egal, ob es ein
Entgelt für die Bilder gibt oder ob sie nur getauscht wer-
den.
Bislang gibt es, Frau Kollegin, keine einheitliche
strafrechtliche Praxis bezüglich der Frage, welche
Nacktbilder strafbar sind und welche nicht. Es kann pas-
sieren, dass die Staatsanwaltschaft in München ein Ver-
fahren wegen einer Nacktaufnahme einleitet und in
Hamburg die gleiche Nacktaufnahme als unbedenklich
eingestuft wird. Die Zahl solcher Wertungs- und Ausle-
gungsfragen wollen wir minimieren.

Damit das klar wird – darauf hat der Bundesjustizmi-
nister ja zu Recht hingewiesen –, sage ich auch noch ein-
mal: Selbstverständlich dürfen Eltern ihre Kinder beim
Kindergeburtstag, ja, auch beim Spielen in der Bade-
wanne und am Strand weiter fotografieren. Allerdings
erlauben wir uns, allen Eltern den Rat zu geben, mit die-
sen Bildern sorgfältig umzugehen und sie beispielsweise
nicht achtlos in soziale Netzwerke zu stellen, auch wenn
das nicht strafbar ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unbefugt gemachte Nacktaufnahmen von Kindern
ohne eindeutigen sexuellen Bezug allerdings fallen künf-
tig unter den ausgeweiteten Intimsphärenschutz, und das
ist auch richtig so. Wenn ich vom Präsidenten des Deut-
schen Anwaltvereins höre, das gehe ihm zu weit, er
wolle lieber in einer freien Gesellschaft leben, dann kann
ich nur sagen: Es gibt keine Freiheit und kein Recht zum
Anschauen von Nacktbildern fremder Kinder.


(Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hat er nicht gesagt!)


Freiheit auf Kosten der Schwächsten, das ist für uns
keine Alternative.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir müssen sehen, meine Damen und Herren, dass
gerade über die sozialen Netzwerke, über das Internet
diese Bilder in jeden Lebensbereich kommen. Rück-
zugsgebiete gibt es nicht mehr. Was einmal im Netz ver-
breitet wurde, das bleibt im Zweifel dort stehen. Hier
handeln wir. Es darf nicht sein, dass ein einziges Foto
das Leben eines jungen Menschen ein Leben lang belas-
tet oder es sogar zerstört. Der Bundesjustizminister hat
hier ein schreckliches Beispiel eindrücklich geschildert.

Die dramatische Wirkung einer Straftat über das In-
ternet zeigt sich auch beim Thema Cybermobbing. Das
Thema Mobbing ist nicht neu. Ebenso wenig sind die
Gründe neu, welche zu Mobbing führen. Die Dimension
von Mobbing im Internet und dort speziell in den sozia-
len Netzwerken ist aber aufgrund der damit verbundenen
Öffentlichkeit noch um ein Vielfaches größer.

Jemand, der über das Internet sexuelle Kontakte zu ei-
nem Kind anbahnt, wird künftig ebenfalls einfacher be-
langt werden können. Es ist richtig und notwendig, dass
wir das Recht entsprechend angleichen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, das Beispiel, das der Bun-
desjustizminister Maas zu Beginn seiner Ausführungen





Thomas Strobl (Heilbronn)



(A) (C)



(D)(B)

genannt hat, ist bekannt. Es darf doch keinen Unter-
schied machen, ob der Lehrer, der sich mit einer Schü-
lerin sexuell einlässt, ein Vertretungslehrer oder ein
Klassenlehrer ist. Anderslautende Rechtsprechung hat es
aber immer und immer wieder gegeben. Deswegen stel-
len wir künftig sicher, dass sexuelle Kontakte zu Schüle-
rinnen und Schülern für alle Lehrer strafrechtliche Kon-
sequenzen haben. Für die Eltern und für die Opfer macht
es nämlich keinen Unterschied, ob das ein Klassenlehrer
oder nur ein Vertretungslehrer ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir werden auch den Strafrahmen erweitern. Wer
kinderpornografisches Material hortet, muss künftig mit
einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen.
Diese Straferhöhung um ein Jahr ist in jedem Fall rich-
tig; denn durch das Internet bieten wir Extremsammlern
eine Plattform, auf der sie problemlos Hunderte, ja Tau-
sende von solchen Bildern speichern und horten können.
Diese Bildermessies müssen entsprechend bestraft wer-
den. Wir dürfen nicht vergessen: Hinter jedem einzelnen
Bild steckt eine verletzte Kinderseele und die Gefahr ei-
nes ruinierten Lebens.

Meine Damen und Herren, es ist auch richtig, dass
wir die Verjährungsfristen verlängern. Zahlreiche Opfer
sexueller Gewalt – das ist doch nachvollziehbar – sind
psychisch über Jahre hinweg traumatisiert und können
erst nach vielen Jahren, manche erst nach vielen Jahr-
zehnten über das Erlebte sprechen, sich jemandem an-
vertrauen und dies dann auch entsprechend zur Anzeige
bringen. Daher gestalten wir die Verjährung so, dass alle
Opfer sexueller Gewalt künftig die Chance erhalten,
dann, wenn sie dazu in der Lage sind, gegen ihre Peini-
ger vorzugehen. Deswegen ruht die Verjährung künftig
bis zum 30. Lebensjahr des Opfers und beginnt erst dann
zu laufen.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, klar ist, mehr
Gesetze bringen nicht automatisch mehr Gerechtigkeit
und weniger Straftaten und weniger Leid. Ich finde aber,
wir haben heute ein gutes Paket auf den Weg gebracht,
um den Opfern zu helfen – und darauf kommt es an. Die
Einzelheiten werden wir uns im Gesetzgebungsverfah-
ren anschauen. Sofern wir noch nachjustieren können
und müssen, werden wir dies auch tun.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805410300

Das Wort hat die Kollegin Katja Keul für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805410400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr

Minister Maas! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr
geehrte Damen und Herren! Bevor ich hier meine Kritik
an diesem Gesetzentwurf darlege, will ich eines vorweg-
schicken: Es ist eine großartige Veränderung in unserer
Gesellschaft, dass sexueller Missbrauch von Kindern
nicht mehr geleugnet und verharmlost wird. Dass die
Betroffenen heute endlich angehört und ernst genommen
werden nach all den Jahrzehnten des Leids, ist für die
meisten eine echte Befreiung. Und wenn der Staat heute
seine Schutzpflichten gegenüber Kindern erst nehmen
will, dann sollten wir das nicht als bloße Prüderie abtun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir begrüßen daher als Grüne die Klarstellungen im
Gesetz zu den Fällen des sogenannten Posing und Groo-
ming, dem Anbahnen von sexuellen Kontakten zu Kin-
dern im Internet. Die Verlängerung der Verjährungshem-
mung auf das 30. Lebensjahr ist zwar unter Juristen nicht
unumstritten, aber auch dabei gehen wir mit; denn das
hat für die Opfer eine ganz zentrale Bedeutung: Zeit zu
heilen und Kraft zu schöpfen ohne den Druck der dro-
henden Verjährung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Ansonsten muss ich Ihnen aber leider sagen: Gut ge-
meint ist nicht immer gut gemacht. Zunächst als Beispiel
ein Problem aus dem Bereich des eigentlichen Sexual-
strafrechts: die Vorschrift zur Jugendpornografie. Es dürfte
unstrittig sein, dass eine 19-Jährige mit einem 17-Jährigen
ein Verhältnis haben darf. Wenn sie aber mit seinem
Einverständnis intime Fotos macht, soll das künftig au-
tomatisch strafbar sein, ohne dass diese Fotos jemals
verbreitet oder veröffentlicht werden. Damit stellen Sie
einvernehmlich gemachte Bildaufnahmen von Jugendli-
chen ebenso unter Strafe wie bei einem Kind, obwohl
Sexualkontakte mit Jugendlichen nicht per se Straftaten
sind. Falls dies ein Versehen gewesen sein sollte, dann
ändern Sie das doch bitte noch. Die Strafbarkeit muss an
dieser Stelle auf das Verbreiten von Aufnahmen be-
schränkt werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch schlimmer ist die neue Vorschrift zum allgemei-
nen Persönlichkeitsschutz, geregelt in § 201 a StGB. Da-
nach soll jetzt strafbar werden die Herstellung einer
„Bildaufnahme, die geeignet ist, dem Ansehen der abge-
bildeten Person erheblich zu schaden“. Ich will Ihnen
zur Verdeutlichung einige Fallbeispiele anhand eines
Wochenverlaufs nennen, wie Sie ihn hoffentlich nie erle-
ben müssen.

Montag: Sie spazieren auf der Reeperbahn in Hamburg
und machen einige Fotos von interessanten Fassaden.
Plötzlich kommt, just als Sie den Auslöser betätigen, aus
dem Hauseingang eines einschlägigen Etablissements
ein bundesweit bekannter Politiker. Jetzt die Frage: Wer
hat sich gerade strafbar gemacht? – Genau: Das Bild ist
geeignet, das Ansehen zu schädigen – ob es dazu ver-
wendet wird, darauf kommt es nicht an. Mit der Herstel-
lung selbst ist der Tatbestand erfüllt. Selbst die unver-
zügliche Löschung des Fotos ändert daran nichts mehr.
Am Montag haben Sie noch Glück: Der Kollege verzich-
tet auf eine Strafanzeige.

Dienstag. Sie beobachten zufällig, wie ein Fahrer ei-
ner dunklen Limousine langsam neben einer Grundschü-





Katja Keul


(A) (C)



(D)(B)

lerin im Schritttempo herfährt, das Fenster herunterdreht
und dem verunsicherten Kind ein Gespräch aufdrängt.
Sie haben ein ungutes Gefühl und nutzen Ihr iPhone, um
schnell eine Aufnahme von der Szene zu machen – man
weiß ja nie. Dummerweise hat der Fahrer Sie entdeckt,
dreht nach der nächsten Ecke um und kommt zurück,
während er die Polizei hinzuzieht. Wer hat jetzt ein Pro-
blem mit dem Strafrecht? Sie oder er? – Irgendeine Aus-
rede wird er schon haben, jedenfalls will er sicher nicht
als potenzieller Pädophiler dargestellt werden. Sie mei-
nen vielleicht, die Staatsanwaltschaft würde in einem
solchen Fall wohl nicht ermitteln. In einem Rechtsstaat
ist es allerdings so, dass die Frage von strafrechtlicher
Verfolgung nicht im Ermessen der Behörden liegen darf,
sondern gesetzlich bestimmt sein muss. Wenn ein Tat-
verdacht besteht, muss die Staatsanwaltschaft ermitteln.
Das nennt man Legalitätsprinzip.

Mittwoch. Es läuft wirklich schlecht. Sie werden von
zwei brutalen Typen zusammengeschlagen, während ein
dritter das Ganze grinsend filmt. Der soll doch jetzt we-
nigstens auch unter das neue Gesetz fallen, denken Sie.
Sie sind aber weder unbekleidet noch schädigt es Ihren
Ruf, Opfer einer Straftat geworden zu sein. Merkwürdig
finden Sie das nach dem, was Ihnen am Vortag widerfah-
ren ist.

Donnerstag. Ein Kollege erzählt Ihnen, dass er regel-
mäßig Nacktbilder von Kindern im Internet ankauft, die
aber keinesfalls pornografisch seien. Jetzt denken Sie:
Den kriegen wir! – Weit gefehlt: Der Ausgangsfall für
die ganze öffentliche Diskussion ist nach wie vor nicht
erfasst. Strafbar soll ausschließlich das Verbreiten und
Veröffentlichen sein, nicht aber der Bezug von Bildern.

Wir halten also fest: Das, was Sie erfassen wollten,
erfasst das Gesetz nicht, dafür alle möglichen Konstella-
tionen, die uns jeden Tag passieren können. Es gibt am
Ende einen einzigen weiteren Fall, über den wir ernst-
haft reden müssen.

Freitag. Sie fahren mit Ihren Kindern an die Nordsee,
um sich von der anstrengenden Woche zu erholen. Wäh-
rend Ihre Kleinen nackt im Sand spielen, entdecken Sie
plötzlich einen Herrn mit Sonnenbrille, der offensicht-
lich mit seiner Digitalkamera hantiert. Diese Konstella-
tion ist in der Tat bislang nicht vom Strafrecht erfasst
und könnte eine Strafrechtsänderung rechtfertigen. Dazu
müsste es Ihnen gelingen, einen Entwurf vorzulegen, der
genau diese Konstellation erfasst, ohne uns alle tagtäg-
lich in die Illegalität zu treiben. Ich weiß, dass das keine
leichte Aufgabe ist. Es ist aber der rechtsstaatliche Maß-
stab, an dem Sie sich messen lassen müssen. Ihr Gesetz
wird diesem Maßstab jedenfalls nicht gerecht.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805410500

Für die SPD-Fraktion spricht nun der Kollege

Dr. Johannes Fechner.


(Beifall bei der SPD)


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1805410600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-

nen und Kollegen! Wir behandeln heute ein Thema, bei
dem es um den Schutz der Schwächsten und der Wehrlo-
sesten in unserer Gesellschaft geht. Der Missbrauch von
Kindern ist für mich eines der schwersten Verbrechen
überhaupt, weil er das ganze Leben der Opfer beein-
trächtigt und beeinflusst. Genau deshalb dürfen wir als
Staat, als Gesellschaft, dürfen wir als Politikerinnen und
Politiker in diesem Bereich keine Strafbarkeitslücken
dulden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Wir haben uns deshalb in der Großen Koalition vor-
genommen, die inakzeptablen Lücken im Sexualstraf-
recht zum Schutz der Kinder zu schließen. Auch kom-
men wir damit einer EU-Richtlinie nach, die uns
auffordert, eine Gesetzgebung zur Bekämpfung von Kin-
desmissbrauch und sexueller Ausbeutung von Kindern
zu schaffen. Dieser Aufforderung ist der Justizminister
mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nachgekommen.
Ich möchte mich ausdrücklich für diese konsequente
Vorlage, für diesen konsequenten Gesetzestext bedan-
ken, weil er viele Verbesserungen zum Schutz der Kin-
der in Deutschland bringt. Ganz herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ein paar Punkte möchte ich herausstellen. In der Tat
werden wir das Strafmaß für den Besitz von Kinderpor-
nografie von zwei auf drei Jahre erhöhen. Wir werden
das Erstellen und vor allem das Verbreiten der sogenann-
ten Posingbilder, also von Bildern, die Kinder in unna-
türlicher, geschlechtsbetonter Körperhaltung zeigen, als
Kinderpornografie definieren. Ich finde, wir schließen
hier eine sehr bedenkliche Strafbarkeitslücke. Wir haben
hier einen Grauzonenbereich, den wir nicht nur der Defi-
nition der Rechtsprechung überlassen sollten, sondern wo
wir eine Rechtsregelung, einen Straftatbestand, schaffen
sollten, wenn wir – das müssen wir – den Handel mit
Bildern von nackten Kinderkörpern verhindern wollen.
Das muss das Ziel sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen den Straftatbestand des sexuellen Miss-
brauchs von Schutzbefohlenen erweitern. Nach unseren
Plänen sollen beispielsweise auch Stiefeltern oder der
neue Lebenspartner eines Elternteils von dem Straftat-
bestand des sexuellen Missbrauchs von Schutzbefohle-
nen erfasst werden. Auch damit schließen wir eine
Lücke, die es bisher gab.

Schließlich – das ist noch gar nicht angesprochen
worden, aber es ist ganz wichtig – werden viele Kinder
im Internet von Straftätern mit dem Ziel angesprochen,
sexuelle Handlungen bei den Kindern zu provozieren;
das ist das sogenannte Cybergrooming. Auch das wer-
den wir mit einem eigenen Straftatbestand regeln.

Weil viele Kinder – wie schon von einigen Vorred-
nern gesagt – erst viele Jahre nach der Tat, als Erwach-
sene, in der Lage sind, die erlittene Tat überhaupt zu





Dr. Johannes Fechner


(A) (C)



(D)(B)

verarbeiten, darüber zu sprechen und sie zur Strafan-
zeige zu bringen, ist es richtig und wichtig, dass wir die
Verjährungsfrist erst ab dem 30. Lebensjahr des Opfers
beginnen lassen.

Das alles sind wichtige Verbesserungen zum Schutz
der Kinder. Dass wir hiermit richtigliegen, zeigt ein
Blick auf die Verbandsreaktionen: Wenn selbst die
Gewerkschaft der Polizei, der Bund Deutscher Kriminal-
beamter und – das ist für mich besonders wichtig – der
Deutsche Kinderschutzbund diese Gesetzesinitiative
ausdrücklich loben, dann ist das ein klares Zeichen da-
für, dass wir hier einen wichtigen Beitrag zum Schutz
von Kindern vor sexuellem Missbrauch leisten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Eines ist dabei auch klar: Mit Gesetzesverschärfun-
gen allein ist es nicht getan. Die Strafverfolgungsbehör-
den müssen natürlich auch personell und technisch in der
Lage sein, die Gesetze umzusetzen. Wir handeln auch in
diesem Bereich. Im 2. Untersuchungsausschuss untersu-
chen wir, ob das BKA in dieser Hinsicht technisch und
personell ausreichend ausgerüstet ist. Länder wie Baden-
Württemberg reagieren auch. Ich freue mich, dass in
Baden-Württemberg im nächsten Haushalt keine einzige
Stelle im Justizbereich wegfällt. Das sind wichtige Maß-
nahmen.

Ganz besonders wichtig ist uns als SPD-Fraktion, das
Thema Prävention zu fördern. Beispielhaft für gelun-
gene Präventionsprojekte möchte ich das vom Bund
geförderte Projekt „Kein Täter werden“ hier in Berlin an
der Charité oder das Programm „Keine Gewalt- und Se-
xualstraftat begehen“ in Baden-Württemberg nennen.
Diese gelungenen Projekte zeigen: Gesetze verschärfen
allein reicht nicht; der beste Opferschutz ist die Präven-
tion, weil wir dadurch verhindern, dass diese schlimmen
Straftaten überhaupt erst begangen werden, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich komme zum Schluss. Wir müssen den Kindes-
missbrauch in Deutschland bekämpfen. Dazu müssen
wir Präventionsprojekte fördern, die technische und
personelle Ausstattung der Strafverfolgungsbehörden
verbessern und die im Moment bestehenden inakzepta-
blen Strafbarkeitslücken im deutschen Strafrecht schlie-
ßen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805410700

Das Wort hat der Kollege Alexander Hoffmann für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1805410800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Geschätzte Kollegin-

nen und Kollegen! Meine Damen! Meine Herren! Sehr
geehrter Herr Minister, ich bin sehr dankbar, dass Sie
heute diesen Gesetzentwurf persönlich in die parlamen-
tarische Beratung eingebracht haben; denn dies zeigt,
wie wichtig uns allen dieses Gesetzgebungsprojekt ist.

Dennoch möchte ich den von Ihnen eingangs geschil-
derten Fall zum Anlass nehmen, Werbung für eine Re-
form des § 177 StGB zu machen. Sie hatten vorhin den
Fall geschildert, dass ein Lehrer ein Mädchen zum Sex
gezwungen hat. Sie hätten dann aber auch erklären müs-
sen, warum man den Lehrer nicht nach § 177 StGB be-
langen kann. Ich möchte hier den einen oder anderen
Satz dazu verlieren, weil mir, mit Verlaub, die Haltung
des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucher-
schutz zum Bedarf einer Reform des § 177 StGB
schlichtweg nicht nachvollziehbar erscheint.

Zunächst einmal die Problemstellung, die uns allen
bekannt ist: Die aktuelle Fassung des § 177 Absatz 1
StGB setzt für eine Strafbarkeit voraus, dass der Täter
die Handlungen entweder mit Gewalt, durch Drohung
mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben oder un-
ter Ausnutzung einer Lage, in der das Opfer der Einwir-
kung des Täters schutzlos ausgeliefert ist, durchführt.
Eine Vornahme sexueller Handlungen nur gegen den
Willen des Opfers reicht in Deutschland nicht zur Straf-
barkeit aus. Sie wissen auch, dass die Rechtsprechung
gerade Absatz 1 Ziffer 3 sehr restriktiv auslegt und eine
Objektivierung der Zwangslage fordert.

Damit komme ich zu einem Fall, wie er schon mehr-
mals abgeurteilt worden ist: Eine Frau lebt in einer
Gewaltbeziehung. Ihr Mann kommt am Abend sturz-
betrunken nach Hause und will den Beischlaf vollziehen.
Sie will das nicht, sagt mehrmals Nein, und trotzdem ge-
schieht das Ganze, während sie weinend unter ihm liegt,
starr vor Schreck ist und sich nicht wehrt. – Denken wir
daran: Opferschutzverbände empfehlen Opfern, sich in
solchen Situationen nicht zu wehren, weil die Lage tat-
sächlich eskalieren könnte; er könnte sie grün und blau
schlagen. Ein solcher Fall ist in Deutschland bis heute
nicht strafbar, auch wenn der Ehemann morgen in die
Kneipe geht und mit dem Geschehenen prahlt, die Frage
der Beweisbarkeit also überhaupt kein Problem ist.

Hinzu kommt, dass das Übereinkommen des Europa-
rats zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen
Frauen und häuslicher Gewalt vom 11. Mai 2011, die so-
genannte Istanbul-Konvention, in Artikel 36 Absatz 1
explizit fordert – das haben auch wir vereinbart –, dass
sonstige nicht einverständliche, sexuell bestimmte
Handlungen mit einer anderen Person im Falle vorsätzli-
chen Verhaltens unter Strafe zu stellen sind.

Mit Verlaub: Vor diesem Hintergrund habe ich es als
kühn empfunden, dass es auf Seite 23 des von Ihrem
Haus vorgelegten Referentenentwurfs in der Fassung
vom 7. April 2014 in Bezug auf § 177 StGB hieß, dass
kein Handlungsbedarf bestehe. Wortwörtlich heißt es:
„Artikel 36 der Istanbul-Konvention wird ebenfalls
durch § 177 StGB umgesetzt“. – Eine krasse Fehlein-
schätzung. Umso dankbarer bin ich, dass im nun vorlie-
genden Referentenentwurf ausdrücklich eine eingehende
Prüfung des Reformbedarfs zugesagt wird.





Alexander Hoffmann


(A) (C)



(D)(B)

Meine Damen, meine Herren, dass wir uns nicht
falsch verstehen: Ich habe Verständnis dafür, dass es Zeit
braucht, eine tatbestandsmäßige Erfassung schwieriger
Fallkonstellationen zu formulieren, die mit einer erhebli-
chen Beweisschwierigkeit verbunden sind. Aber ich
habe kein Verständnis dafür, dass erst viel Druck auf das
Ministerium aufgebaut werden muss, bis ein Umdenken
stattfindet – und das bei einer Sachlage, die meines Er-
achtens völlig eindeutig ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Uwe Kekeritz [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wir alle waren geschockt, als im Zuge der Edathy-
Affäre – so will ich es einmal nennen – bekannt gewor-
den ist, dass es mittlerweile einen ganzen Markt gibt, der
mit gerade noch legalem Material handelt. Sogenannte
Regisseure drücken osteuropäischen Knaben 5 Euro in
die Hand, damit sie nackt miteinander raufen. Dabei
werden Nahaufnahmen von den Genitalien gemacht.

Mittlerweile gibt es viele Händler und Tauschringe, es
ist fast eine ganze Branche, die Millionenumsätze macht.
Wir alle waren uns einig, dass bereits in dieser Situation
sexueller Missbrauch vorliegt. Wir alle hatten mit die-
sem Reformprojekt sehr große Hoffnungen verbunden,
und wir haben sie heute noch. Unser Ziel war eine
Normierung der Strafbarkeit, die Schließung von Straf-
barkeitslücken und die Trockenlegung des Marktes. Ich
plädiere an dieser Stelle dafür, dass wir uns den Gesetz-
entwurf im weiteren Verfahren sehr dezidiert vorneh-
men; denn wir sind von dem uns gesteckten Ziel noch
ein ganzes Stück entfernt.

Ich will Ihnen das zunächst anhand der im vorliegen-
den Referentenentwurf neu formulierten § 184 b und c
des StGB deutlich machen. Ich hätte mir hier eine weit-
reichendere Regelung gewünscht. In der Begründung
heißt es, dass es sich nur um eine Klarstellung handelt.
Es soll also nur das in Form gegossen werden, was ohne-
hin gängige Rechtsprechung des BGH ist, nämlich dass
das Posieren in sexualbetonter Körperhaltung bereits
heute den Tatbestand der Kinder- und Jugendpornografie
erfüllt.

Den Fall, den ich eben geschildert habe, werden Sie
durch die Neuregelung leider nicht fassen. Es wäre
wichtiger gewesen, zumindest den Versuch zu unterneh-
men, auch Nahaufnahmen von Genitalien zu vorwiegend
sexuellen Zwecken unter Strafe zu stellen – und das,
ohne eine eigene Handlungskomponente des Opfers zu
fordern. Dann würde der geschilderte Fall nämlich er-
fasst werden.

Genau das fordert auch Artikel 20 Absatz 2 des Über-
einkommens des Europarates zum Schutz von Kindern
vor sexueller Ausbeutung und sexuellem Missbrauch,
landläufig Lanzarote-Konvention genannt. Der Un-
rechtsgehalt einer solchen Tat – denken Sie bitte wieder
an den Regisseur, der osteuropäischen Knaben 5 Euro in
die Hand drückt, um sie in entsprechender Situation zu
fotografieren – rechtfertigt es nicht, wenn wir eine sol-
che Tat am Ende lediglich in einen neu formulierten
§ 201 a StGB fassen, sie also als bloße Verletzung des
persönlichen Lebensbereichs aburteilen. Ich fordere da-
her eine entsprechende Neuformulierung.

Derzeit wird im Bundesrat ein, wie ich finde, sehr gu-
ter Ansatz diskutiert. Wir müssen durch eine gesetzliche
Regelung deutlich machen, dass bereits dann ein Sexual-
delikt vorliegt, wenn Nahaufnahmen der Genitalien von
Kindern und Jugendlichen aus sexuellen Motiven gefer-
tigt, getauscht oder gewerbsmäßig gehandelt werden.


(Dr. Franziska Brantner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und erworben werden!)


Dabei darf es keinen Unterschied machen, ob das Kind
durch eigenes Handeln posiert oder in einem bestimmten
Zustand, sei es raufend, gefesselt, schlafend oder be-
wusstlos, abgelichtet wird.

Am Ende noch einige Sätze zu § 201 a StGB. Wir
müssten uns einig sein, dass dies nicht ein bloßer Auf-
fangtatbestand für eigentliche Sexualdelikte sein darf.
Dafür ist die Norm am Ende untauglich. Ich will Ihnen
das anhand verschiedener Beispiele zeigen:

Denken Sie an die Eintragung im Bundeszentralregis-
ter. Da wird die Norm bezeichnet und die Tatbezeich-
nung niedergeschrieben. Am Schluss ist nicht ersicht-
lich, ob die Tat mit Kindern bzw. mit sexueller
Motivation zu tun hatte oder ob es sich einfach nur um
ein unvorteilhaftes Foto eines betrunkenen Nackten am
mallorquinischen Strand handelt. Denken Sie daran: Was
im Bundeszentralregister steht, steht am Schluss auch im
Führungszeugnis. Was im Führungszeugnis steht, brau-
chen wir für die Beurteilung der Frage, ob so jemand un-
sere Kinder und Jugendlichen zum Beispiel als Übungs-
leiter unterrichten darf.

Ich will anmahnen, dass wir, wenn wir die Absicht
haben, § 201 a StGB in diese Richtung zu formulieren,
über Folgeänderungen des § 25 Absatz 1 Nummer 3
Jugendarbeitsschutzgesetz nachdenken müssen. Das Be-
schäftigungsverbot wäre eine zwingende Konsequenz,
wenn die Tat im Zusammenhang mit Nacktaufnahmen
von Kindern und Jugendlichen steht. Die Straftat nach
§ 201 a StGB ist zudem – das ist vorhin schon angeklun-
gen – nur ein Antragsdelikt und kein Offizialdelikt. Ich
bezweifle, dass das mit dem Unrechtsgehalt einer sol-
chen Tat in Einklang zu bringen ist.

Abschließend muss ich sagen: Der geplante Satz 2 in
§ 201 a Absatz 1 StGB – die zweite Alternative – ist mir
zu weit gefasst; denn er stellt die Aufnahme der Nackt-
heit situationsunabhängig unter Strafe. Da haben wir
einen Wertungswiderspruch: Im momentanen Wortlaut
stellt die Norm denjenigen, der abends den Sonnenunter-
gang am FKK-Strand fotografiert und unbedachterweise
zum Beispiel eine unbekannte nackte männliche Person
auf dem Foto hat, mit demjenigen gleich, der als Regis-
seur osteuropäischen Knaben 5 Euro in die Hand drückt,
um sie nackt vor sich raufen zu lassen und dabei zu foto-
grafieren.

Zum Ende noch eine Bemerkung in Richtung der Lin-
ken: Kollegin Wawzyniak, ich war schon erschrocken,
dass Sie bei einem so wichtigen Thema vor allem wieder
Angst vor einer verkappten Vorratsdatenspeicherung





Alexander Hoffmann


(A) (C)



(D)(B)

haben. Damit zeigen Sie doch ganz deutlich, welche
Täterschaft Sie – unbewusst, aber faktisch – mit Ihrer
ideologischen Verweigerungshaltung schützen.

Meine Damen und Herren, Sie sehen also: Wir brau-
chen noch ein bisschen, bis wir eine trennscharfe – –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805410900

Kollege Hoffmann, die Ankündigung des Endes der

Rede ersetzt nicht den Schlusspunkt. Ich bitte Sie, zum
Ende zu kommen.


(Beifall der Abg. Dr. Eva Högl [SPD] und Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])



Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1805411000

Das ist der Schlusssatz. – Sie sehen also, dass wir

noch lange brauchen, bis wir eine trennscharfe und funk-
tionierende Waffe, ein effektives Instrument gegen Kin-
derpornografie und für die Schließung der Strafbarkeits-
lücken geschaffen haben. Ich freue mich auf die weitere
Debatte. Ich freue mich vor allem auf die Anhörungen
und in diesem Sinne auf ein konstruktives Miteinander.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Eva Högl [SPD])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805411100

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-

legin Dr. Franziska Brantner das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Erlauben Sie mir eine Vorbemerkung: Uns hat es etwas
überrascht, dass der Kollege Hoffmann § 177 StGB und
Artikel 36 der Istanbul-Konvention angesprochen hat.
Wir Grüne hatten einen Antrag eingebracht mit dem Ti-
tel: „Artikel 36 der Istanbul-Konvention umsetzen – Be-
stehende Strafbarkeitslücken bei sexueller Gewalt und
Vergewaltigung schließen“ und wollten ihn heute auf die
Tagesordnung setzen. Ihre Fraktion hat das ohne Grund
abgelehnt. Wir fanden es sehr erstaunlich, dass dieser
Antrag heute nicht mitbehandelt wurde.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805411200

Gestatten Sie eine Frage oder Bemerkung des Kolle-

gen Hoffmann?


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ja.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805411300

Bitte.


Alexander Hoffmann (CSU):
Rede ID: ID1805411400

Frau Kollegin, danke für den Hinweis. – Ist Ihnen be-

kannt, dass wir dieses Thema eigentlich schon weit vor
der Sommerpause und damit weit vor Ihnen aufgegriffen
haben? Ihr Antrag hat sich dem Grunde nach erledigt,


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch Unsinn! Schon vom Verfahren her! Also wirklich! – Weitere Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


weil das Ministerium schon lange Reformbedarf in Be-
zug auf § 177 StGB sieht und daran arbeitet. Deswegen
meine Frage, ob Sie das zur Kenntnis genommen und
verstanden haben.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Total daneben!)



(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie warten also auf das Ministerium. Der Antrag ist
übrigens vom 2. Juli 2014.


(Alexander Hoffmann [CDU/CSU]: Ja! Da waren wir schon weit vorneweg!)


Es ist nicht so, dass wir Grünen nicht schon länger daran
gearbeitet hätten. Wir haben gedacht, das hier ist ein gu-
ter Zeitpunkt, diesen Antrag zu diskutieren.


(Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau! – Alexander Hoffmann [CDU/ CSU]: Das ist doch schon lange passiert! – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo ist denn Ihr Antrag?)


Auch Sie haben dieses Thema gerade angesprochen. Sie
selber haben gesagt, da gibt es noch Lücken. Warum
sollten wir als Parlament darüber nicht diskutieren kön-
nen, während das Ministerium vielleicht noch prüft?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun aber zum Thema Prävention. Wir haben es heute
– das haben einige Kolleginnen und Kollegen schon
gesagt – mit einem sehr schwierigen Thema zu tun: se-
xuelle Gewaltbilder, Missbrauchsabbildungen – „Nackt-
bilder“ ist übrigens ein fast verharmlosender Ausdruck;
es sind Missbrauchsabbildungen –, Cybergrooming,
Sexting. Die Opfer leiden ihr Leben lang. Deswegen ist
es gut, dass bestehende Regelungslücken angegangen
und geschlossen werden. Aber das reicht nicht. Wir
brauchen zusätzliche präventive Maßnahmen. Dafür ha-
ben wir in unserem Antrag ein umfangreiches Paket vor-
gelegt. Drei Punkte möchte ich gerne hervorheben:

Erstens. Wir müssen Kinder in ihrem Selbstbewusst-
sein stärken, Nein zu sagen, Grenzen aufzuzeigen und
ihre Rechte einzufordern. Aber dazu müssen sie diese
erst einmal kennen, zum Beispiel ihr Recht an ihrem
Bild. In der Kinderkommission wurde gestern von Ex-
perten die Kampagne „Jedes Mädchen und jeder Junge
hat das Recht am eigenen Bild“ vorgeschlagen. Das ist
eine sehr gute Idee. Ich hoffe, sie wird aufgegriffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Damit sich Kinder über derart Schlimmes überhaupt
beschweren können, müssen sie positive Erfahrungen





Dr. Franziska Brantner


(A) (C)



(D)(B)

damit gemacht haben, sich auch einmal über sehr viel
weniger schlimme Dinge, zum Beispiel über schlechtes
Essen, zu beschweren. Es muss Vertraute geben, an die
sich Kinder wenden können. Das Fehlen eines guten Be-
schwerdesystems in Deutschland bemängelt der UN-
Kinderrechtsausschuss seit langem. Lassen Sie uns das
Thema endlich angehen und die UN-Kinderrechtskon-
vention einhalten.

Die Aus- und Fortbildung all jener, die mit Kindern
zu tun haben, muss dazu befähigen, Missbrauch und
Misshandlungen zu erkennen und richtig damit umzuge-
hen. Das gilt für alle Einrichtungen, von der Kita an.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Der zweite Punkt ist für uns die Stärkung der Medien-
kompetenz. Wir haben schon von Cybergrooming ge-
hört: Erwachsene nähern sich unter Vortäuschung fal-
scher Identitäten Kindern und Jugendlichen im Internet
und bahnen sexuelle Kontakte an. Die Antwort darauf
lautet immer pauschal, es müsse die Medienkompetenz
gestärkt werden. Aber dies wird in jedem Bundesland
anders definiert. Zum Teil wird es sogar gar nicht defi-
niert und gar nicht vermittelt. Wir brauchen deswegen
ein Netzwerk, eine Koordinierungsstelle, um endlich
einheitliche Standards für die Medienkompetenzförde-
rung zu erarbeiten und diese dann auch zu vermitteln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Drittens müssen wir jedem Kind und jedem Jugendli-
chen, dem sexuelle Gewalt widerfahren ist oder dessen
Bilder missbraucht worden sind, und auch ihrem Umfeld
helfen. Dazu gehört die Arbeit mit Gruppen junger Men-
schen, unter denen es zu Grenzverletzungen kam. Wir
müssen ihnen helfen, damit umzugehen. Dafür brauchen
wir kompetente Beratungsstellen. Das kostet Geld. Das
sollten uns die Kinder und Jugendlichen in unserer Ge-
sellschaft aber wert sein.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind gern bereit, bei diesem Thema fraktions-
übergreifend zu arbeiten. Wir freuen uns auf Ihre Unter-
stützung für unseren Antrag. Am Ende möchte ich Herrn
Tsokos zitieren, der heute in der Zeit wie folgt zitiert
wird: „Was wir brauchen, ist eine Kultur des Handelns.“

Lassen Sie uns gemeinsam handeln.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Johannes Fechner [SPD] und Halina Wawzyniak [DIE LINKE])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805411500

Für die SPD-Fraktion spricht die Kollegin Susann

Rüthrich.


(Beifall bei der SPD)



Susann Rüthrich (SPD):
Rede ID: ID1805411600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Jedes Kind muss ein Recht darauf haben,
ohne Gewalt und ohne Ausbeutung aufzuwachsen. Kin-
der können ihre eigene Intimsphäre meist schwer selbst
schützen, deswegen müssen wir alle das tun – zum einen
über eindeutige Gesetze, zum anderen über eine Gesell-
schaft, die wirksame Prävention unterstützt. Beide Be-
reiche greifen dabei ineinander.

Der hier vorliegende Gesetzentwurf unterstreicht
deutlich, dass wir in unserer Gesellschaft sexuelle Ge-
walt und Ausbeutung von Kindern und Jugendlichen
nicht dulden. Die Straftatbestände sind jetzt konkreter
und klarer beschrieben. Das ist gut so, auch für diejeni-
gen, die die Gesetze werden anwenden müssen. Hier
braucht es genügend Personal, damit wir uns darauf ver-
lassen können, dass das Gesetz umgesetzt wird.

Doch das Gesetz ist nur die eine Seite der Medaille.
Was wir in der Gesellschaft zu tun bereit sind, um Kin-
der zu schützen, das ist die andere Seite. Wir müssen uns
darüber im Klaren sein, dass ein pädophil geprägter
Mensch sich in den allerwenigsten Fällen von einem
noch so guten Gesetz allein abhalten lässt. Leider greifen
Gesetze erst dann, wenn es zu spät ist, nämlich wenn die
Straftat bereits begangen ist. Das ist für das betroffene
Kind zu spät. Damit es erst gar nicht dazu kommt, brau-
chen wir Prävention.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das fängt bei den Kindern selbst an. Jedes Kind darf,
ja soll und muss Nein sagen. Jedes Kind muss mit
Selbstvertrauen die eigenen Bedürfnisse und die eigenen
Grenzen kennen und diese ohne Scheu benennen kön-
nen. Das fängt für mich bei dem aufgedrängten Kuss der
Tante bei einer Familienfeier an. Wenn das Kind an die-
ser Stelle Nein sagt, dann haben wir das zu respektieren


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


und dürfen das Kind nicht dafür rügen, dass es unhöflich
sei.

Gerade dann, wenn sich ein Kind gefährdet fühlt oder
Opfer wurde, braucht es verlässliche Vertrauensperso-
nen. Diese müssen nicht nur etwas tun, sondern sie müs-
sen das Richtige tun. Eltern, Erzieherinnen und Erzieher,
Lehrerinnen und Lehrer etc. brauchen fachliche Unter-
stützung, Begleitung und Leitfäden, alles, was ihnen Si-
cherheit beim Erkennen und beim Reagieren gibt.

Opferschutz bedeutet auch, aus potenziellen Tätern
und Täterinnen keine tatsächlichen werden zu lassen.
Daher ist es richtig, Projekten wie „Kein Täter werden“
mehr Geld zu geben. Ein Vertreter des Projektes war
gestern bei uns in der Kinderkommission. Er bestätigte:
Die Prävention muss so zeitig wie irgend möglich anfan-
gen. Es ist möglich, Jugendliche bereits in der Pubertät,
während sich die sexuelle Prägung ausbildet, zu beglei-
ten und auch schon dort wirksam präventiv tätig zu wer-
den.

Wer kann noch helfen, das Richtige zu tun? Beispiels-
weise die Betroffenen selbst. Zum Ende dieses Jahres
wird Herr Rörig, der unabhängige Beauftragte für Fra-





Susann Rüthrich


(A) (C)



(D)(B)

gen des sexuellen Kindesmissbrauchs, einen Betroffe-
nenbeirat einrichten. Wer wüsste besser als diese Men-
schen, was ihnen wirklich geholfen hätte und was nur
gut gemeint gewesen wäre? Nehmen wir diese Kompe-
tenzen ernst und handeln entsprechend.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Als Kinderbeauftragte meiner Fraktion fordere ich die
Einsetzung eines Bundeskinderbeauftragten. Er oder sie
würde darauf achten, dass Kinder durch Gesetze und
durch uns als Gesellschaft geschützt und gefördert wer-
den.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805411700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat die Kollegin Dr. Silke

Launert das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1805411800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren! Zuckerbrot
und Peitsche – leider muss ich bei meiner Rede zum Ent-
wurf der Reform des Sexualstrafrechts heute nach dieser
Methode vorgehen. Zunächst freut es mich außerordent-
lich, dass der Bundesjustizminister den Fall Edathy zum
Anlass genommen hat, dieses Thema schnell auf die
Agenda zu setzen. Er hat sein Ministerium einen Ent-
wurf erarbeiten lassen mit dem Ziel, Gesetzeslücken
bzw. Schutzlücken zu schließen und europäische Vorga-
ben, die noch nicht ausreichend umgesetzt sind, vollstän-
dig umzusetzen. Es ging zügig voran. Es freut mich,
wenn schnell gehandelt wird.

Es gibt wirklich sehr viele positive Aspekte. Der eine
ist, dass Sexualstraftaten gegenüber Personen unter
30 Jahren länger strafrechtlich verfolgt werden können,
weil die Verjährung bis zur Vollendung des 30. Lebens-
jahres ruht; wir haben es schon mehrfach angesprochen.
Frau Wawzyniak, ich brauche da keine Evaluation.
Kommen Sie einfach zu mir, und ich erzähle Ihnen von
zig Fällen in der Praxis, die sich freuen, dass die Verjäh-
rung jetzt nicht so früh eintritt.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das hängt nicht nur mit möglicher Verdrängung zu-
sammen oder damit, dass die Opfer einfach so viel Zeit
brauchen, weil es natürlich einen ganz intimen Bereich
betrifft. Vielmehr führt eine solche Tat gerade bei Klein-
kindern – wenn man sich ein bisschen mit Psychologie
beschäftigt, weiß man das – zu einer Art Abkapselung.
Sie können Fragen dazu gar nicht beantworten. Dieses
Trauma wird frühzeitig in Form einer Abkapselung ver-
drängt. Erst 20 Jahre später, im Erwachsenenalter, taucht
die Erfahrung plötzlich auf – ich kann Ihnen auch dazu
konkrete Beispiele nennen –, oft erst, wenn der Täter
wieder als Trainer im Sportverein tätig ist, wieder mit
kleinen Kindern umgeht. Plötzlich kommen dann diese
alten Geschichten aus dem Nichts hervor.

Wir wollen durch diesen Entwurf Gesetzeslücken
schließen bei Vertretungslehrern, aber auch bei Perso-
nen, die mit dem Kind in einem Haushalt leben. Ein
ganz großer Anwendungsfall in der Praxis sind sexuelle
Übergriffe durch den Stiefvater oder die Großeltern.
Auch da haben wir Schutzlücken geschlossen, und ich
freue mich sehr, dass wir da vorangehen.

Ein weiterer Aspekt sind die sogenannten Posing-
bilder, der eigentliche Anlass der Reform; so habe ich es
zumindest empfunden. Ich gebe zu, da muss ich leider
ein paar Kritikpunkte anbringen. Wir haben bei der
Strafbarkeit wegen Kinder- und Jugendpornografie
– § 184 b und c StGB – den Wortlaut erweitert: Bilder
„einer ganz oder teilweise unbekleideten Person … in
unnatürlich geschlechtsbetonter Körperhaltung“ fallen
jetzt auch darunter. Das ist aber – darauf haben wir früh-
zeitig hingewiesen – keine phänomenale Erweiterung
gegenüber der bisherigen Rechtsprechung. Sie haben na-
türlich recht: Das macht wieder Abgrenzungsprobleme,
auch wenn es jetzt das Auffangbecken „Verletzungen
des Persönlichkeitsrechts“ gibt.

Es macht schon einen Unterschied, ob Posingbilder
als Kinderpornografie bestraft werden oder als bloße
Verletzungen des Persönlichkeitsrechts – § 201 a StGB –,
worunter jetzt Nacktbilder von allen Personen, die unbe-
fugt aufgenommen wurden – vor allem natürlich die von
Kindern –, fallen sollen. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Für
mich zählen dazu Nacktbilder von Kindern zu primär se-
xuellen Zwecken. Das ist mein Hauptanliegen bei dieser
Reform. Das steht übrigens auch in der EU-Richtlinie,
die wir umsetzen müssen. Da steht ganz eindeutig: Kin-
derpornografie ist auch „jegliche Darstellung der Ge-
schlechtsorgane eines Kindes für primär sexuelle Zwe-
cke“.

Da frage ich mich schon: Wieso können wir das nicht
auch zur Kinderpornografie zählen? Ich bin auch Juris-
tin, ich kenne die Gesetzessystematik, nur, ganz ehrlich:
Wir sind der Gesetzgeber. Wir können die Gesetzessys-
tematik ändern. Wir können die Überschrift „Straftaten
gegen sexuelle Selbstbestimmung und Kinderpornogra-
fie“ nennen. Der entsprechende Paragraf beginnt dann:
„Kinderpornografie ist …“, und dann formulieren wir
das so, wie es in der EU-Richtlinie steht. Ich persönlich
muss sagen: Je länger ich mich damit befasse, desto bes-
ser finde ich die Formulierung in der EU-Richtlinie. Sie
hätte uns viele Abgrenzungsfragen erspart.

Ich möchte noch kurz den Aspekt ansprechen, warum
es gar nicht so falsch ist, Kinderpornografie bei den Se-
xualstraftaten einzuordnen. Wenn es uns um die Posing-
bilder – Nacktbilder von Kindern zu primär sexuellen
Zwecken – geht, dann gibt es natürlich einen Zusam-
menhang mit den Sexualstraftaten. Mein Mann ist Straf-
richter; ich selbst war auch Richterin und Staatsanwältin.
Er kam eines Tages – das war drei Wochen vor dem Fall
Edathy – nach Hause und erzählte mir, dass er an jenem
Tag jemanden wegen Kindesmissbrauch verurteilt habe.
Der Täter war vorbestraft wegen Kinderpornografie.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist doch kein zwingender Zusammenhang!)






Dr. Silke Launert


(A) (C)



(D)(B)

Dann sagte mein Mann so schön abstrakt: Offensichtlich
gibt es doch einen Zusammenhang. – Jetzt weiß ich na-
türlich – wir hatten diesen Punkt in der Sachverständi-
genanhörung –, dass das nicht immer so ist. In der Sach-
verständigenanhörung hieß es auch, dazu gebe es keine
Statistiken.

Die Praktiker – zu denen ich mich zähle – haben aber
ein etwas anderes Gefühl: Dies trifft nicht bei jedem Tä-
ter zu, definitiv nicht bei jedem, aber bei einigen. Das ist
ja auch nur menschlich. Auch wenn, wie mir die Prakti-
ker bei der AG Recht sagen, nicht 30 Prozent, sondern
„nur“ 5 Prozent „schwach werden“ und ihre Sexualität
ein einziges Mal ausleben wollen, dann sind das schon
5 Prozent zu viel. Es wäre durchaus möglich gewesen
– ob des Sachzusammenhangs oder unter dem Gesichts-
punkt einer abstrakten Gefährdung –, Posingbilder dort
mit einzuordnen und die Überschrift neu zu gestalten.
Ich habe die Hoffnung aufgegeben, dass wir das noch
ändern.

Aber ich habe die Hoffnung noch nicht aufgegeben,
dass wir einen weiteren Punkt ändern; er betrifft eine der
Konsequenzen der Einordnung der Nacktbilder beim all-
gemeinen Persönlichkeitsrecht. Herr Hoffmann hat es
angesprochen: Wenn ein Ersttäter nach dem neuen Ge-
setzentwurf bestraft wird, bekommt er für den Besitz
mehrerer Nacktbilder 50, 60, 70 Tagessätze, gilt aber
nicht als vorbestraft; somit steht nichts im Führungs-
zeugnis. Im erweiterten Führungszeugnis würde es ste-
hen, wenn die Nacktbilder kinderpornografisches Mate-
rial wären. Das sind sie jetzt ja nicht. Also steht das nicht
darin.

Stellen Sie sich vor, ein Kind von Ihnen ist im Sport-
verein – ich habe zwei kleine Kinder –, und der Trainer
ist wegen des Besitzes sogenannter Posingbilder von
nackten Kindern vorbestraft, was aber nicht im erweiter-
ten Führungszeugnis steht. Ich denke, hier können wir
noch nachbessern. Es wurde ja schon in vielen Punkten
nachgebessert, sodass ich hier die Hoffnung noch nicht
aufgegeben habe.

Ein weiterer Punkt, den ich noch ansprechen muss, ist
die Strafverschärfung. Ich habe mich sehr gefreut, als ich
gehört habe, dass man den Strafrahmen für den Besitz
und den Erwerb von kinderpornografischem Material
von zwei auf drei Jahre erhöht hat. Kinderpornografi-
sche Bilder sind Vergewaltigungsbilder oder harte
Nacktbilder. Bis jetzt betrug hier das Strafmaß maximal
zwei Jahre. Das ist zu wenig. Drei Jahre sind besser, aber
für mich immer noch zu wenig. Die Höchststrafe für ei-
nen Diebstahl beträgt fünf Jahre. Für mich stimmt hier
das Verhältnis immer noch nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zum Cybergrooming komme ich jetzt leider nicht
mehr, weil meine Zeit abgelaufen ist, aber auch hier kön-
nen wir noch ein bisschen nachbessern. Herr Minister,
ich habe wirklich mit Freude zur Kenntnis genommen,
dass im Vergleich zum ersten Entwurf an vielen Stellen
nachgebessert wurde. Ich hoffe, wir tun das weiterhin an
den Stellen, an denen wir noch drehen können.
Letztlich haben wir alle ein Ziel: den Schutz unserer
Kinder. Dazu brauchen wir das Gesetz, die Prävention
– wie gesagt –, aber auch die Polizei.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805411900

Frau Kollegin Launert.


Dr. Silke Launert (CSU):
Rede ID: ID1805412000

Ich komme zum Schluss. – Wir benötigen auch eine

gute Ausstattung des BKA; denn ganz ehrlich: Als
Staatsanwältin habe ich oft ein Jahr lang gewartet, bis
kinderpornografisches Material ausgewertet worden
war. Was kann da in der Zwischenzeit alles passiert
sein!?

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805412100

Eine kleine Korrektur: Natürlich ist nicht Ihre Zeit ab-

gelaufen, sondern nur die Redezeit.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Sicherlich können die Dinge, die Sie hier nicht mehr an-
bringen konnten, in der weiteren Antragsbearbeitung
und -beratung hier im Hause noch diskutiert werden.

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 18/2601 und 18/2619 an die in der Ta-
gesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen.
Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall Dann
sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 g sowie
die Zusatzpunkte 5 a bis 5 c auf:

25 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Vertrag vom 14. April 2014 zwischen
der Bundesrepublik Deutschland und der
Weltgemeinschaft Reformierter Kirchen –
Körperschaft des öffentlichen Rechts

Drucksache 18/2587
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Abkommen vom 22. Juni 2010 zur
zweiten Änderung des Partnerschaftsab-
kommens zwischen den Mitgliedern der
Gruppe der Staaten in Afrika, im Karibi-
schen Raum und im Pazifischen Ozean
einerseits und der Europäischen Gemein-
schaft und ihren Mitgliedstaaten anderer-

(Zweites Änderungsabkommen zum AKP-EG-Partnerschaftsabkommen)


Drucksache 18/2591
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

c) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zu
dem Internen Abkommen vom 24. Juni
2013 zwischen den im Rat vereinigten Ver-
tretern der Regierungen der Mitgliedstaa-
ten der Europäischen Union über die
Finanzierung der im mehrjährigen
Finanzrahmen für den Zeitraum 2014 bis
2020 vorgesehenen Hilfe der Europäischen
Union im Rahmen des AKP-EU-Partner-
schaftsabkommens und über die Bereit-
stellung von finanzieller Hilfe für die über-
seeischen Länder und Gebiete, auf die der
vierte Teil des Vertrags über die Arbeits-
weise der Europäischen Union Anwen-
dung findet (Internes Abkommen)


Drucksache 18/2588
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Sylvia Kotting-Uhl, Jürgen Trittin,
Agnieszka Brugger, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Kündigung des bilateralen Atomabkom-
mens mit Brasilien

Drucksache 18/2610
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit (f)

Auswärtiger Ausschuss
Federführung strittig

e) Beratung des Berichts des Ausschusses für
Bildung, Forschung und Technikfolgenab-
schätzung (18. Ausschuss) gemäß § 56 a der
Geschäftsordnung

Technikfolgenabschätzung (TA)


Herausforderungen einer nachhaltigen
Wasserwirtschaft

Drucksache 18/2085
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Energie (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
f) Beratung der Unterrichtung durch die Deut-
sche Welle

Evaluationsbericht 2013 der Deutschen
Welle

Drucksache 17/14285
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsauschuss

g) Beratung der Unterrichtung durch die Deut-
sche Welle

Aufgabenplanung der Deutschen Welle
2014 bis 2017

Drucksache 18/2536
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Kultur und Medien (f)

Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen
Union
Ausschuss Digitale Agenda
Haushaltsauschuss

ZP 5 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Matthias W. Birkwald, Ulla Jelpke, Halina
Wawzyniak, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion DIE LINKE

Wiedereingliederung fördern – Gefan-
gene in die Renten-, Kranken- und Pflege-
versicherung einbeziehen

Drucksache 18/2606
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Cem Özdemir, Annalena Baerbock,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Verfolgt, vertrieben, vergessen – Völker-
mord an den Rohingya verhindern

Drucksache 18/2615
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Tom
Koenigs, Annalena Baerbock, Marieluise
Beck (Bremen), weiterer Abgeordneter und
der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Menschenrechtsförderung stärken – Ge-
setzliche Grundlage für Deutsches Institut
für Menschenrechte schaffen

Drucksache 18/2618
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)

Auswärtiger Ausschuss
Innenausschuss
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Es handelt sich um Überweisungen im vereinfach-
ten Verfahren ohne Debatte.

Wir kommen zunächst zu den unstrittigen Überwei-
sungen:

Tagesordnungspunkte 25 a bis 25 c und 25 e bis 25 g
sowie Zusatzpunkte 5 a bis 5 c. Interfraktionell wird vor-
geschlagen, die Vorlagen an die in der Tagesordnung
aufgeführten Ausschüssen zu überweisen. Sind Sie da-
mit einverstanden? – Das ist der Fall. Dann sind die
Überweisungen so beschlossen.

Wir kommen nun zu einer Überweisung, bei der die
Federführung strittig ist, und zwar Tagesordnungs-
punkt 25 d: Interfraktionell wird Überweisung des An-
trags der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zur Kündi-
gung des bilateralen Atomabkommens mit Brasilien auf
Drucksache 18/2610 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen.

Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD wünschen
Federführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Ener-
gie. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen wünscht Fe-
derführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit.

Ich lasse zuerst abstimmen über den Überweisungs-
vorschlag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, also Fe-
derführung beim Ausschuss für Umwelt, Naturschutz,
Bau und Reaktorsicherheit. Wer stimmt für diesen Über-
weisungsvorschlag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Der Überweisungsvorschlag ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion, der SPD-Fraktion und der
Fraktion Die Linke gegen die Stimmen der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt.

Ich lasse nun abstimmen über den Überweisungsvor-
schlag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, also Fe-
derführung beim Ausschuss für Wirtschaft und Energie.
Wer stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Überwei-
sungsvorschlag ist mit den Stimmen der Koalitionsfrak-
tionen und der Fraktion Die Linke gegen die Stimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 26 a bis 26 i auf.
Es handelt sich um die Beschlussfassung zu Vorlagen,
zu denen keine Aussprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 26 a:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundes-
regierung eingebrachten Entwurfs eines Geset-
zes zur Teilauflösung des Sondervermögens
„Aufbauhilfe“ und zur Änderung der Auf-
bauhilfeverordnung

Drucksache 18/2230
Beschlussempfehlung und Bericht des Haus-
haltsauschusses (8. Ausschuss)


Drucksache 18/2645

Der Haushaltsausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 18/2645, den Gesetzentwurf
der Bundesregierung auf Drucksache 18/2230 anzuneh-
men. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen der Fraktion Die
Linke bei Enthaltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthal-
tung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen,
wobei eine Kollegin der Grünen dies aus den Reihen der
Unionsfraktion bewerkstelligt hat.


(Heiterkeit)


Tagesordnungspunkte 26 b bis 26 i. Wir kommen zu
den Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 26 b:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 83 zu Petitionen

Drucksache 18/2508

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 83 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 26 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 84 zu Petitionen

Drucksache 18/2509

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Gibt es
Enthaltungen? – Das ist nicht der Fall. Sammelübersicht
84 ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 26 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 85 zu Petitionen

Drucksache 18/2510

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 85 ist bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ansonsten auch ein-
stimmig angenommen.





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Tagesordnungspunkt 26 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 86 zu Petitionen

Drucksache 18/2511

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 86 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 26 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 87 zu Petitionen

Drucksache 18/2512

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 87 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die
Linke gegen die Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 26 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 88 zu Petitionen

Drucksache 18/2513

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 88 ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke ange-
nommen.

Tagesordnungspunkt 26 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 89 zu Petitionen

Drucksache 18/2514

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 89 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 26 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 90 zu Petitionen

Drucksache 18/2515

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 90 ist mit den Stim-
men der Unionsfraktion und der SPD-Fraktion gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.
Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Humanitäre Katastrophe an der türkisch-
syrischen Grenze – Nach dem militärischen
Aufmarsch des IS

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Heike Hänsel für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805412200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Die Situation an der syrisch-türkischen Grenze ist
dramatisch. Deshalb hat meine Fraktion diese Aktuelle
Stunde beantragt. Zehntausende in der Region, vor allem
viele Kurden und Kurdinnen, sind auf der Flucht. Ich
war am Sonntag selbst vor Ort und konnte mit eigenen
Augen sehen, wie das Erdogan-Regime die Grenze zu
Syrien für kurdische Flüchtlinge, Familien und Kinder,
die mit ihrem Hab und Gut am Stacheldrahtzaun saßen,
geschlossen hatte. Sie fliehen vor den Terrorgruppen des
„Islamischen Staates“. Die Dorfbevölkerung auf der tür-
kischen Seite, die helfen wollte, wurde mit Tränengas
beschossen. Die Nahrungsmittel und die Zelte, die sie
mitgebracht hatten, wurden von türkischen Sicherheits-
kräften zerstört.

Wer vor Ort ist, bekommt ein ganz anderes Bild, als
es hier in den Medien vermittelt wird, auch was die
große Anzahl von Flüchtlingen betrifft, die jetzt angeb-
lich über die Grenze gekommen sind. Ich habe sie nicht
gesehen. Es gibt zweifelsohne sehr viele Flüchtlinge,
aber sie werden eben bei weitem nicht alle über die
Grenze gelassen. Das ist in dieser Notsituation schlicht-
weg kriminell. Die Türkei muss die Grenzen für diese
Flüchtlinge öffnen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen viel mehr humanitäre Hilfe. Die UN
oder der Rote Halbmond waren in dieser Region nicht
vor Ort. Die gesamte Hilfe in der Grenzstadt Suruc wird
ausschließlich von der kurdischen Zivilbevölkerung in
der Türkei geleistet, die zum Teil selbst sehr arm ist.

Was hat eigentlich die Bundesregierung gemacht? Ich
habe von Ihnen zu dieser Situation vor Ort nichts gehört.
Sie haben nicht einmal den türkischen Botschafter einbe-
stellt, um gegen diese Politik zu protestieren. Ich finde
das beschämend.


(Beifall bei der LINKEN)


Haben Sie ernsthaft versucht, auf die Türkei einzu-
wirken, damit diese ihre Unterstützungspolitik für den
„Islamischen Staat“ aufgibt und stattdessen die Grenzen
für die kurdischen Flüchtlinge öffnet? Es häufen sich
nämlich Berichte, zum Beispiel auch in der New York
Times, über Rekrutierungen des „Islamischen Staates“ in
der Türkei, von Krankenhausaufenthalten. Uns liegen
zum Beispiel Berichte vor, dass IS-Kämpfer aus Kobani
mittlerweile in Urfa im Krankenhaus behandelt werden,
oder über Ölverkäufe des „Islamischen Staates“ an die





Heike Hänsel


(A) (C)



(D)(B)

Türkei usw. Dass die türkische Grenze für IS-Kämpfer
offen ist, aber für Flüchtlinge nicht, das ist inakzeptabel.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Bundesregierung betreibt eine Politik des organi-
sierten Wegschauens. Hier könnten Sie internationale
Verantwortung zeigen. Aber Sie übersetzen das ja nur
noch mit Militärinterventionen, Waffenlieferungen und
imperialer Einflussnahme. Sie, Herr Roth, waren in Zy-
pern, um die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Tür-
kei voranzutreiben. Ich bitte Sie wirklich: Erklären Sie
dies einmal der Öffentlichkeit hier im Land. Sie wollen
ausgerechnet jetzt die Beitrittsverhandlungen mit dem
Erdogan-Regime intensivieren, das diese Mörder des
„Islamischen Staates“ unterstützt hat und offenbar wei-
terhin unterstützt. Ich frage mich: Sieht so Ihre angeblich
wertegeleitete Außenpolitik aus? Wir brauchen endlich
einen Kurswechsel in der Außenpolitik.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen eine Außenpolitik, die Verantwortung
ernst nimmt und eben nicht mit den Sponsoren und Un-
terstützern des „Islamischen Staates“ paktiert. Deshalb
fordern wir auch, dass Rüstungsexporte in die Türkei ge-
stoppt und die dort stationierten Patriot-Raketen und
Bundeswehrsoldaten abgezogen werden. Das wäre ein
deutliches Zeichen.


(Beifall bei der LINKEN)


Stattdessen kriminalisieren Sie hier in Deutschland
weiterhin ausgerechnet die kurdischen Organisationen,
wie zum Beispiel die PKK, die im Norden Syriens und
im Irak nachweislich die einzigen waren, die die verfolg-
ten Jesiden verteidigten und die sich jetzt in Syrien ge-
gen den „Islamischen Staat“ selbst verteidigen. Die
Linke setzt sich für ein Ende des PKK-Verbots in
Deutschland ein. Das ist überfällig.


(Beifall bei der LINKEN)


Die USA bombardieren nun völkerrechtswidrig
Syrien im Verbund mit den Golf-Diktaturen, ausgerech-
net mit den Staaten, die zu den Brandstiftern im Nahen
Osten gehören. Die Kanzlerin rollt dem blutigen Dikta-
tor Katars auch noch den roten Teppich in Berlin aus.
Das ist wirklich nicht mehr zu übertreffen. Wir lehnen
auch diese US-Bombardierungen ab. Sie bedeuten neue
Opfer, neue Fluchtbewegungen. Das ist für uns keine
Lösung.


(Beifall bei der LINKEN)


Die katastrophale Situation im Nahen Osten mit die-
sen Millionen von Flüchtlingen, mit all dem Elend, ist
nämlich die Folge der zahlreichen militärischen Inter-
ventionen in der Region: allen voran der Irakkrieg, der
die Menschen dort ethnisch und religiös gespalten hat,
und die Politik der Destabilisierung des syrischen Staa-
tes, diese massive Einmischung von außen, diese Re-
gime-Change-Politik. Nun werden Sie diese Geister, die
Sie riefen, nicht mehr los. Den Preis zahlen die Men-
schen in der Region. Wir haben diese Politik von Anfang
an abgelehnt.


(Beifall bei der LINKEN)

Wir fordern eine außenpolitische Wende, verantwor-
tungsvolle, friedliche Politik, die alle Akteure in der Re-
gion einbezieht – auch den Iran, auch Russland –, die die
Zivilbevölkerung im Rahmen einer neuen Syrien-Initia-
tive für eine politische Lösung mit einbezieht, die für
eine umfassende politische Lösung streitet. Dann kom-
men wir vielleicht dazu, dass Menschen nicht mehr aus
ihren Ländern fliehen müssen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805412300

Der Kollege Dr. Johann Wadephul hat für die CDU/

CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Johann Wadephul (CDU):
Rede ID: ID1805412400

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich habe mich eigentlich gefreut, als die Links-
fraktion das Thema der Flüchtlingssituation an der
Grenze zwischen der Türkei und Syrien und auch an der
Grenze zum Irak für die Aktuelle Stunde benannt hat.
Das nicht deshalb, weil es schön wäre, darüber zu debat-
tieren, sondern deshalb, weil es wichtig ist, über diese
humanitäre Katastrophe zu sprechen und sich Gedanken
zu machen, welchen Beitrag Deutschland dazu leisten
kann, das Leid der Menschen dort zu reduzieren. Das ist,
glaube ich, unseres gedanklichen Einsatzes hier in die-
sem Haus und letztlich auch des Einsatzes von allen
Menschen, die dort in deutscher Verantwortung tätig
werden können, wert.

Aber dass Sie das jetzt auf solch eine billige Art und
Weise instrumentalisieren, Ihre wohlbekannte Kritik an
der Türkei hier zu wiederholen und auch in einer verein-
fachenden Art und Weise zu wiederholen und eine
Wende in der deutschen Außenpolitik zu fordern,


(Widerspruch der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


wobei Sie der deutschen Außenpolitik – das habe ich ja
bisher noch gar nicht gehört – eine imperiale Einfluss-
nahme unterstellen, das stimmt heute noch trauriger als
das Flüchtlingsschicksal. Das ist eine wirklich traurige
Vorstellung.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Die Flüchtlingssituation ist wirklich beklemmend. Ich
glaube, Deutschland leistet heute sehr viel. Wir haben
darüber bei der Diskussion über Waffenlieferungen mit-
einander gesprochen. Deutschland braucht sich im euro-
päischen Konzert in keinster Weise zu verstecken. Das
heißt aber trotzdem nicht, dass wir Anlass zum Selbstlob
hätten. Es ist einfach unser Selbstverständnis, dass wir
als eine starke Volkswirtschaft das tun, was wir an Mög-
lichkeiten haben, dort wirtschaftlich zu helfen und insbe-
sondere die humanitäre Katastrophe abzuwenden. Das
wird nicht vollends gelingen. Ich glaube auch nicht, dass





Dr. Johann Wadephul


(A) (C)



(D)(B)

wir am Ende unserer Möglichkeiten sind, meine lieben
Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, wir sollten uns dafür einsetzen, die Mittel zu
erhöhen. Bei allem Bekenntnis, zu dem ich stehe und das
ja auch Grundlage unserer Koalitionsarbeit ist, dass wir
keine neuen Schulden machen wollen, müssen wir hier,
glaube ich, neue Schwerpunkte setzen. Wir können nicht
die Augen davor verschließen, dass Menschen in diesem
großen Umfang leiden, sterben, dahinsiechen. Da ist
Deutschland gefordert. Das glaube ich ganz sicher.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen aber dennoch sehen, dass es hier keine
einfachen Rezepte gibt. Ich habe im Auswärtigen Aus-
schuss von der Linksfraktion gehört, die Waffenlieferun-
gen seien an die „falschen“ Kurden erfolgt.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Na gut. Darin wäre ja die Aussage enthalten, Waffenlie-
ferungen an sich wären schon einmal richtig.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Interessant!)


Wenn das jetzt Ihre Kehrtwende in der Außenpolitik ist,
dann würde ich auch noch einmal bitten, die dem Hohen
Haus insgesamt zu erläutern, damit wir das Bild auch
stimmig kriegen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, sehr gut!)


Aber es gibt doch niemanden im Deutschen Bundes-
tag – darüber haben wir lange diskutiert –, der hier sagen
würde: Das ist die einzige Maßnahme, die hilft, die ein-
zige Maßnahme, bei der wir zu 100 Prozent der Meinung
sind, dass sie in dieser Situation richtig ist.

Vielmehr müssen wir in unserer Hilflosigkeit einräu-
men, dass es leider keine andere Möglichkeit gibt, um
hier kurzfristig zumindest für eine geringe Entlastung zu
sorgen, und daher bedauerlicherweise ein militärischer
Einsatz notwendig ist. Alle, die diesen Einsatz unterstüt-
zen, tun das nicht, um imperiale Einflussnahme auszu-
üben, sondern sie tun das, um in dieser ganz schwierigen
Situation Menschenleben zu retten.


(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Alle, die das vor Ort tun, welcher Religion, welcher Na-
tionalität und welchem Stamm auch immer sie angehö-
ren, haben unseren Respekt und unsere Unterstützung
verdient; denn sie helfen, Menschenleben zu retten.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine Aktuelle Stunde mit jeweils fünf Minuten für
den einzelnen Redner ist natürlich nicht geeignet, um die
Thematik wirklich grundlegend zu erklären. Wir sind bei
der Analyse der Probleme mit dieser Organisation, die
sich zu Unrecht, wie selbst alle führenden geistigen Füh-
rer des Islam sagen, „Islamischer Staat“ nennt – wir soll-
ten vielleicht aufhören, diese Organisation so zu nennen –,
noch nicht am Ende. Aber wir müssen sicherlich neben
einer militärischen Antwort auch noch viele andere Ant-
worten geben. Darüber werden wir viel diskutieren.

Ich möchte noch einen Aspekt aufwerfen, der sehr ak-
tuell ist und den Sie angesprochen haben. Sie werfen uns
vor, wir hätten für eine Destabilisierung des syrischen
Staates gesorgt.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aberwitzig!)


Das haben wir nicht. Ich bin auch dagegen, dass man
sich jetzt hinstellt und einfach sagt: Weil sich Assad in
letzter Zeit so verhält, wie er sich verhält, und diese isla-
mistischen Krieger möglicherweise jetzt auch bekämpft,
ist es nur logisch, zu sagen: Der Feind meines Feindes ist
mein Freund. – Das stimmt nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Assad hat Giftwaffen eingesetzt. Sein Handeln dürfen
wir nie unterstützen und legitimieren.


(Zuruf der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Auf der Seite solcher Regimeführer dürfen wir nie ste-
hen. Den Eindruck haben Sie bedauerlicherweise er-
weckt. Die Diskussion geht aber weiter.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805412500

Das Wort hat die Kollegin Claudia Roth für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! 140 000 Menschen in vier Tagen: 140 000
Menschen, die aus Angst vor der Terrorherrschaft des
ISIS aus Syrien in die Türkei geflohen sind!
140 000 Menschen sind mehr als die knapp 130 000
Flüchtlinge, die im gesamten Jahr 2013 in Deutschland
Asyl beantragt haben. Damit erhöht sich die Zahl der
Flüchtlinge, die seit über drei Jahren in der Türkei aufge-
nommen worden sind, auf etwa 1,5 Millionen: Frauen,
Männer und Kinder. Sie sind in Istanbul, in Ankara, in
Antakya und auch und vor allem in der Stadt Midyat in
der Provinz Mardin zu sehen, wo nicht nur Christen,
sondern auch Jesiden aufgenommen worden sind.

11,5 Millionen, über die Hälfte aller Syrerinnen und
Syrer, sind auf der Flucht vor dem brutalen Krieg Assads
– da gebe ich Ihnen absolut recht –, der jeden Tag wei-
tergeht, und vor dem Terror des ISIS; Millionen von
Flüchtlingen in den Nachbarländern, im Libanon, in Jor-
danien, in der Türkei, in Irakisch-Kurdistan sowie im
Irak, und zusätzlich 1,8 Millionen Binnenvertriebene:
Christen, Jesiden, Turkmenen, Schiiten und auch Sunni-
ten. Die Realität ist ein Exodus, eine Vertreibung bibli-





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)

schen Ausmaßes. Die Realität sind über 200 000 Tote,
sind Folter, sind Misshandlungen, sind entgrenzte Ge-
walt.

Eigentlich fehlen mir die Worte, das Ausmaß der Tra-
gödie zu beschreiben, das António Guterres, der Hohe
Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen, und
gestern auch Ban Ki-moon als die größte humanitäre Ka-
tastrophe mit den höchsten Flüchtlingszahlen seit dem
Zweiten Weltkrieg dramatisch beschrieben haben. Es
fehlt buchstäblich an allem. Ich konnte mir zuletzt in
Dohuk ein Bild davon machen. Es fehlt an einer breiten
und sehr viel größeren internationalen Unterstützung. Es
braucht eine humanitäre Offensive, um Menschenleben
zu retten und das Überleben vieler Menschen zu sichern,
eine Unterstützung, die aber auf lange Zeit angelegt sein
muss; denn die Flüchtlinge können nicht so schnell in
ihre Heimat zurückkehren.

Es fehlt an Lebensmitteln, an Kleidung und an Ge-
sundheitsversorgung, um Epidemien zu verhindern. Wir
haben gestern im Ausschuss gehört, dass inzwischen im
Irak Polio ausgebrochen ist. Es braucht Traumabehand-
lung. Es braucht sanitäre Einrichtungen. Es braucht feste
Unterkünfte. Denn nach der brütenden Hitze im Sommer
steht jetzt der bitterkalte Winter vor der Tür.

Wenn ich dazu auffordere, die UN-Organisationen,
denen die Mittel ausgehen, zu unterstützen und auch
Hilfsorganisationen wie die Caritas, die Diakonie, die
Welthungerhilfe und medico international viel stärker zu
unterstützen, dann ist das nicht nur die Einforderung hu-
manitärer Verantwortung für Menschen in allergrößter
Not, sondern das ist auch und vor allem der Versuch, zur
politischen Stabilisierung der Aufnahmeländer, der
Nachbarländer Syriens, beizutragen, deren Infrastruktur
unmittelbar zu kollabieren droht.

Ja, liebe Kolleginnen und Kollegen, selbstverständ-
lich ist es unbedingt notwendig, dass die Grenzen der
Türkei, Libanons, Jordaniens oder des Iraks für Schutz-
suchende offenbleiben, damit sie sich vor Krieg, Gewalt
und Verfolgung retten können. Aber ich rate sehr, nicht
mit dem erhobenen Zeigefinger auf diese Länder zu zei-
gen, bei aller Kritik über die Bilder, die wir auch gese-
hen haben, und bei aller Kritik an der Syrien-Politik von
Tayyip Erdogan.

Denn wie sieht es mit der Aufnahme von syrischen
und irakischen Flüchtlingen bei uns aus? Wie sieht es
mit der Aufnahme von Flüchtlingen in der Europäischen
Union aus? Deutschland nimmt zwar mehr Menschen
auf als andere EU-Länder, und zwar 20 000 Menschen
seit 2011; dem stehen aber 1,5 Millionen Menschen ge-
genüber, die die Türkei aufnimmt. Das ist nicht einmal
ein Tropfen auf den heißen Stein. Es muss einen doch
angesichts dieser großen Katastrophe beschämen, dass
die Europäische Union insgesamt ihrer Verantwortung
nicht gerecht wird oder dass Deutschland zum Beispiel
dem EU-Fonds für Syrien nicht beitreten will.

Wir unterstützen Innenminister de Maizière, wenn er
eine europäische Flüchtlingspolitik einfordert. Das heißt
dann aber auch, dass sie endlich menschenrechtskon-
form werden muss: durch die Abschaffung des Dublin-
Systems, eine Erleichterung der Familienzusammenfüh-
rung, Visa aus humanitären Gründen für Menschen auf
der Flucht, ein breit angelegtes Resettlement-Programm
und eine sehr viel größere Zahl von Flüchtlingen, die
Deutschland und die Europäische Union aufnehmen
müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mich erreichen in diesen Tagen Briefe – sicherlich
bekommen viele von Ihnen ähnliche Briefe – wie der
Brief einer verzweifelten Frau aus Deutschland, die ver-
sucht, ihre aus Kobani in die Türkei geflüchtete Cousine
mit ihren drei Kindern nach Deutschland zu holen. In
solchen Fällen können wir zeigen, dass wir unsere
Schutzverantwortung ernst nehmen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805412600

Das Wort hat der Kollege Niels Annen für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1805412700

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Meine sehr verehrten

Damen und Herren! Die erneute, von ISIS ausgelöste
Flüchtlingswelle verschärft in der Tat die humanitäre
Katastrophe in der Region. Ich glaube, es geht uns allen
so: Die Berichte von den Flüchtlingen, die sich in die
Türkei retten konnten, sind erschütternd. Angesichts der
anhaltenden Flüchtlingskatastrophe in der gesamten Re-
gion – wir reden in der Tat über Syrien, Libanon, Jorda-
nien und auch über den Iran und den Irak, weil alle diese
Länder auch innerhalb ihrer staatlichen Grenzen noch
einmal Flüchtlinge aufgenommen haben – ist die Lage
dramatisch.

Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Aber ich glaube,
wir alle müssen angesichts dieser Bilder, die täglich über
den Fernsehschirm flimmern, ein bisschen aufpassen,
dass wir nicht abstumpfen gegenüber den Bildern, die
dort auf uns einprasseln. Die Ermordung, Versklavung
und Vertreibung von politischen Gegnern und Angehöri-
gen anderer Glaubensgemeinschaften, die ISIS zu politi-
schen Gegnern erklärt hat, ist ein Teil der perfiden Stra-
tegie des sogenannten „Islamischen Staates“.

Wenn wir, so wie es die Bundesregierung tut, den
Flüchtlingen helfen, dann tun wir das aus humanitärer
Verantwortung, aber auch deshalb – ich teile die Mei-
nung der Kollegin Roth –, weil es ein Teil einer politi-
schen Antwort auf den Krieg von ISIS ist.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Kämpfer von ISIS versuchen, ihre Ideologie und
Vorstellungen durch breitflächige Vertreibung durchzu-
setzen und gleichzeitig mit den von ihnen ausgelösten





Niels Annen


(A) (C)



(D)(B)

Flüchtlingsströmen die Stabilität der gesamten Region
zu erschüttern und dabei ihren eigenen Machtbereich
auszuweiten. Wir stellen dem die entschlossene Be-
kämpfung von ISIS entgegen und sorgen gleichzeitig für
eine Stärkung der Staatlichkeit; darum geht es letztlich.
Zur Stärkung der Staatlichkeit gehört auch die Stärkung
von UN-Organisationen wie UNHCR, Welternährungs-
programm, UNICEF sowie vielen privaten NGO, die
sich engagieren und einen Teil zur Regierbarkeit dieser
Region beitragen.

Es ist gut, dass wir wieder im Rahmen der Vereinten
Nationen über die Probleme diskutieren. Es gibt nun
eine Resolution gegen sogenannte Foreign Fighters. Es
ist ein Fortschritt, dass der Sicherheitsrat zu einer ein-
stimmigen Empfehlung und einem Beschluss gekommen
ist. Der Gang vor die Vereinten Nationen ist der richtige
Weg. Ich möchte die Bundesregierung ermutigen, sich
noch stärker für die Aufwertung der UNO einzusetzen.
Die SPD unterstützt die Bemühungen der Bundesregie-
rung für eine inklusive Regierung in Bagdad und für eine
breite regionalpolitische Allianz gegen ISIS. Hier haben
wir Fortschritte erzielt.

Frau Kollegin Hänsel, es gibt sicherlich viele Punkte,
die an der Regierung Erdogan zu kritisieren sind. Ich bin
ebenfalls der Meinung, dass in den letzten Monaten und
Jahren zu häufig die Abschnitte der Grenze zu Syrien of-
fen waren, die eigentlich hätten geschlossen sein müs-
sen, und dass ausgerechnet die Abschnitte der Grenze
geschlossen waren, die für humanitäre Hilfe hätten ge-
öffnet sein müssen; das ist richtig. Aber die Art und
Weise, wie Sie hier den plakativen Vorwurf gegen die
türkische Regierung ohne jegliche Unterlegung von Fak-
ten erheben, den „Islamischen Staat“ zu unterstützen,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das alles kann man in Zeitungen nachlesen!)


macht eine konstruktive Kritik nicht einfach. Ich glaube,
es ist wichtig, dass sich die Bundesregierung in Dialogen
und Zusammenarbeit engagiert. Im Übrigen will ich da-
rauf hinweisen, dass Sie mit Ihrer Vorstellung, man sei
gut beraten, mit einem radikalen Schnitt bei den Bei-
trittsverhandlungen für eine Änderung der Politik Anka-
ras zu sorgen, auf dem Holzweg sind.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben in den letzten Monaten weitestgehend un-
beobachtet von der Öffentlichkeit – ich bin der Bundes-
regierung dafür dankbar – Fortschritte gemacht, auch bei
den Beitrittsverhandlungen. Wir brauchen die Türkei.
Wenn wir die Türkei als Teil eines regionalen Bündnis-
ses brauchen, dann ist die Politik, die Sie uns empfehlen,
kein Weg in die richtige Richtung. Es ist in den letzten
Jahren doch ein großer Verdienst der Regierung Erdogan
gewesen, Friedensgespräche mit der PKK zu führen. Die
aktuelle Situation zeigt, wie richtig und wichtig dieser
Weg ist. Ich will Ihnen offen sagen, dass ich dafür bin,
dort, wo es notwendig ist, Gespräche mit der PKK und
ihrem syrischen Ableger zu führen. Aber Sie blenden
vollkommen aus, dass diese Organisation Terroran-
schläge begangen hat, auch hier in Deutschland.

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Welche Terroranschläge meinen Sie denn?)


Es ist ebenfalls eine unverantwortliche Politik, auszu-
blenden, dass es dort, wo der PKK-Ableger in Syrien
eine regionale Machtbasis aufgebaut hat, keine politi-
sche Alternative gibt. Reden Sie doch einmal mit den
Kurden, die in Opposition zu PYD stehen.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Es geht um den Friedensprozess!)


Es handelt sich dabei weiterhin um eine straff organi-
sierte, autoritäre Partei. Ich finde es ein wenig irritie-
rend, wie Sie hier mit unterschiedlichem Maß messen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich glaube, wir sind insgesamt sehr verantwortlich
mit einer ausgesprochen schwierigen Situation umge-
gangen. Im Mittelpunkt unserer Bemühungen sollte
nicht die kurzfristige Suche nach einer Überschrift in der
nächsten Ausgabe einer Zeitung stehen. Vielmehr sollten
die Bemühungen im Mittelpunkt stehen, die humanitäre
Lage für die Menschen zu verbessern.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805412800

Nächster Redner ist für die CDU/CSU-Fraktion der

Kollege Dr. Bernd Fabritius.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Dr. h.c. Bernd Fabritius (CSU):
Rede ID: ID1805412900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Der Krieg des IS gegen die
zivilisierte Welt führt zu einer humanitären Katastrophe
unvorstellbaren Ausmaßes. Tiefe Betroffenheit und
Empathie mit den Flüchtlingen wurden bereits deutlich
artikuliert. Im Kampf gegen das Elend der Flüchtlinge
müssen wir daher die Wurzel des Übels angehen. Der
marodierende und mordende IS muss zurückgedrängt
werden.

Deutschland übernimmt in dieser schwierigen Situa-
tion in vielfältiger Weise Verantwortung. Auch die Lie-
ferung von Waffen an die kurdischen Peschmerga war
richtig. Das ist bestimmt keine imperiale Einflussnahme,
Frau Kollegin Hänsel. Eine derartige Diktion hätte ich
von Ihnen eher bei der russischen Präsenz in der Ukraine
erwartet.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Unterstützung der Weltgemeinschaft bei der
Bekämpfung des IS ist beachtlich. Auch beim NATO-
Partner Türkei würde ich mir eine entschiedenere Posi-
tionierung gegenüber dem IS wünschen. Die Türkei ist
eines der Hauptaufnahmeländer in der Region und hat
für die Aufnahme und Versorgung von Flüchtlingen
große Anerkennung verdient. Die Eindämmung der Ter-
rorgruppe IS erfordert ebenfalls gemeinsame Anstren-





Dr. Bernd Fabritius


(A) (C)



(D)(B)

gungen, und gerade die Türkei als direkter Nachbar
spielt eine entscheidende Rolle. Das gestrige Umdenken
des türkischen Präsidenten war überfällig.

Aber auch wir in Deutschland müssen wachsam sein.
Radikalisierung findet auch hier statt. Der Kampf gegen
den IS beginnt in Deutschland. Wir müssen Radikalisie-
rung bereits im Ansatz unterbinden. Dafür sind wir auf
die Unterstützung der muslimischen Gemeinschaft ange-
wiesen. Ich bin sehr dankbar dafür, dass Islamverbände
am vergangenen Freitag deutlich gemacht haben, dass
Terror und Hass nicht geduldet werden dürfen. Hier ste-
hen die Verbände weiter in der Pflicht. Für schlechte
Scherze wie die Schariapolizei in Nordrhein-Westfalen
habe ich bei dem Ernst der Lage überhaupt kein Ver-
ständnis.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei der Aufnahme von Flüchtlingen aus der Region
nimmt Deutschland ganz deutlich Verantwortung wahr.
Innerhalb Europas tragen wir – das wurde schon ge-
sagt – den größten Anteil. Die Akzeptanz in der Bevöl-
kerung und die Bereitschaft, zu helfen, sind hoch. Aber
gerade weil die Lage in der Region so dramatisch ist und
wir mit weiteren Flüchtlingsströmen rechnen müssen, ist
es wichtig, diese hohe Akzeptanz nicht zu gefährden.
Ein bedeutender Schritt in diese Richtung war die Be-
stimmung sicherer Herkunftsländer. Dadurch werden in
Deutschland dringend benötigte Kapazitäten frei, sodass
die wirklich Schutzbedürftigen wie die Flüchtlinge aus
Syrien aufgenommen werden können.

Ich möchte zur Vermeidung der Radikalisierung je-
doch noch einen Schritt weitergehen. Es wird oft gefor-
dert, Fremde sollten zwar integriert, aber nicht assimi-
liert werden. Mit derartigen Aussagen machen wir es uns
zu einfach. Selbstverständlich sollen bei uns lebende
Menschen ihre kulturelle Identität behalten und gerne
ihre Bräuche pflegen. Ich fordere jedoch eine Assimilie-
rung in unsere Wertegemeinschaft, an der wir festhalten
und die wir nicht preisgeben wollen.

Die Bereitschaft, differenziert Verantwortung in
Europa zu übernehmen, ist leider nicht überall zu be-
obachten. Wir müssen immer wieder feststellen, dass an-
dere EU-Länder ihren Verpflichtungen, zum Beispiel im
Rahmen des Dublin-Verfahrens, nicht angemessen nach-
kommen. Insbesondere beim Zustrom von Flüchtlingen
über das Mittelmeer kommt es oft zu Unregelmäßigkei-
ten. Italien verzichtet auf eine Registrierung und lässt an
seinen Küsten angelandete Flüchtlinge ungehindert wei-
terreisen. Auch Österreich nimmt seine Verantwortung
bei den entsprechenden Kontrollen häufig nicht ernst ge-
nug. Sollten geltende EU-Prinzipien auch weiterhin auf
diese Art und Weise verletzt werden, sollten wir drin-
gend über die Möglichkeit vorübergehender Grenzkon-
trollen auch innerhalb des Schengen-Raums nachden-
ken.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Hey!)


Der Schwerpunkt der Flüchtlingshilfe muss in den
Nachbarstaaten Syriens liegen. Dort kommen die meis-
ten Flüchtlinge an. Deutschland hat seit 2012 rund eine
halbe Milliarde Euro für humanitäre Hilfe und zur
Verbesserung der Infrastruktur in den Nachbarstaaten
Syriens bereitgestellt.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Viel zu wenig!)


Zudem ist das Technische Hilfswerk vor Ort und sorgt
für sauberes Trinkwasser in den Flüchtlingslagern. Die
Erfahrungen aus diesem Engagement haben deutlich ge-
zeigt: Jeder Euro Hilfe vor Ort erreicht mehr Menschen
als bei einer Aufnahme der Flüchtlinge in Deutschland.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb kürzen Sie! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Falsch! Stimmt doch gar nicht!)


Es muss letztlich unser oberstes Ziel sein, dass unsere
Hilfe so viele Menschen wie möglich erreicht.

Vorhin sprach ich davon, die Wurzeln des Übels anzu-
gehen. Die beste Lösung der humanitären Katastrophe
an der türkisch-syrischen Grenze ist die Befriedung im
Krisengebiet. Die Eindämmung des IS sowie eine
Lösung des Syrien-Konflikts sind die Voraussetzungen
dafür, dass die zahllosen Flüchtlinge bald wieder in ihr
Heimatland zurückkehren können. Das sollte unser aller
Ziel sein.

Danke.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805413000

Der Kollege Andrej Hunko spricht jetzt für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805413100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Kol-

lege Fabritius, Sie sprachen von der Wurzel des Übels,
die angegangen werden muss. Diese Auffassung teilen
wir. Wir diskutieren darüber, wie diese Wurzel angegan-
gen werden muss. Was ich aber nicht akzeptieren kann,
ist, dass die notwendige Flüchtlingshilfe, die wir auch
hier leisten müssen, dem sozusagen gegenübergestellt
wird, das gegeneinander ausgespielt wird. Das ist ange-
sichts der Situation beschämend.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Luise Amtsberg [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Gegenwärtig ist die Verteidigungsministerin von der
Leyen in Arbil, um die Waffenübergabe an die kurdi-
schen Peschmerga zu überwachen. Es ist Ihre Politik,
liebe Kollegen von der Bundesregierung, die die Kurden
in gute Kurden und schlechte Kurden einteilt. Die Pesch-
merga werden mit Waffen beliefert. Gleichzeitig gibt es
keine ernsthafte Stellungnahme Ihrerseits zu der Situa-
tion an der türkisch-syrischen Grenze. Ich würde mir
wünschen, dass ein Vertreter der Bundesregierung jetzt
konkret zu dieser türkisch-syrischen Grenze fährt, um
sich die Lage vor Ort anzuschauen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sprachen von der Wurzel des Übels. Herr
Fabritius, der IS, der sogenannte IS – ich mag den Be-
griff auch nicht –, ist eine Erscheinungsform des Übels,
aber nicht die Wurzel. Die Wurzel liegt in jahrzehntelan-





Andrej Hunko


(A)



(D)(B)

ger kolonialer und imperialer Politik in dieser Region,
besonders in Kriegen. Und da folgte ein Krieg nach dem
anderen: Irakkrieg 1991, Irakkrieg 2003 mit Hunderttau-
senden Toten. Einige Truppenverbände des IS rekrutie-
ren sich aus den sogenannten Revolutionsgarden von
Saddam Hussein, die aus diesem Krieg hervorgegangen
sind.


(Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU]: Wie reißen wir dann die Wurzel raus? – Manfred Grund [CDU/CSU]: Das ist eine gute Erklärung, warum Köpfe abgeschlagen werden!)


Die Wurzel des Übels liegt auch in der Politik, die in
den letzten Jahren, leider auch vom Westen, in Syrien
gemacht worden ist.


(Dagmar G. Wöhrl [CDU/CSU]: Wo ist die Lösung?)


Man war richtig besessen davon, Assad zu stürzen, und
hat gar nicht mehr hingeschaut, welche Kräfte in Syrien
unterstützt worden sind, darunter auch dschihadistische
Kräfte.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Johann Wadephul [CDU/CSU]: Wer im Westen hat denn Dschihadisten unterstützt?)


Selbst in der Türkei wird das offen diskutiert. Ich will
gar nicht mit dem Finger darauf zeigen; ich zitiere jetzt
einfach einen türkischen Journalisten. Er schreibt:

Das Duo Tayyip Erdogan – Ahmet Davutoglu hat
regelrechte „Geburtshilfe“ bei der Geburt des „Isla-
mischen Staats“ an der gesamten Südgrenze zu un-
serem Land geleistet …

Ich will einfach nur, dass die Bundesregierung klar sagt:
Diese Unterstützung muss aufhören.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir reden über die Flüchtlinge aus der Region Rojava
in Syrien. Das ist eine Region, die sich in den letzten
drei Jahren weitgehend selbst verwaltet hat, in demokra-
tischer Selbstverwaltung, wo der Versuch unternommen
wird, alle Ethnien und Religionen der Region in einen
demokratischen Prozess einzubeziehen. Es ist ein hoch-
spannender Prozess. Für mich ist es einer der Hoff-
nungsschimmer in der Region. Ich glaube, dieser Pro-
zess sollte anerkannt und auch international diskutiert
werden; denn er könnte ein Modell sein für ein friedli-
ches Zusammenleben der verschiedenen Ethnien und
Religionen in der Region.


(Beifall bei der LINKEN)


Auch da würde ich mir wünschen, dass das vonseiten der
Bundesregierung klar benannt wird.

Wir hatten vor wenigen Wochen die Situation am
Berg Schengal, wo Einheiten der syrischen Kurden, der
YPG, zusammen mit der PKK Zehntausenden Jesiden
das Leben gerettet haben. Wir hatten gleichzeitig in
Deutschland die Gesetzeslage, dass die PKK verboten
war, während zu dem Zeitpunkt der sogenannte „Islami-
sche Staat“ noch erlaubt war. Es kam auf Demonstratio-
nen zu der absurden Situation, dass Fahnen des „Islami-
schen Staats“ erlaubt waren, während die Polizei bei
Fahnen der PKK einschreiten musste. Ich glaube, dass
diese Politik der Kriminalisierung eines Teils der Kurden
aufhören muss. Ich denke, das PKK-Verbot muss über-
prüft werden. Auch die Listung der PKK auf der EU-
Terrorliste muss überprüft werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt sehr konkrete Handlungsempfehlungen der
Kurden in Deutschland, konkret des kurdischen Zen-
trums für Öffentlichkeitsarbeit, was die Situation an der
Grenze angeht. Ich glaube, diese kann man unterstützen.

Es geht um die vollständige Öffnung des Grenzüber-
gangs Mürsitpinar für die grenzüberschreitende Not-
hilfe. Es geht um die Unterbindung der Grenzübertritte
für IS-Mitglieder und Dschihadisten, die sich dem IS an-
schließen wollen. Es geht um die Unterstützung aller
kurdischen Gruppen, nicht nur bestimmter kurdischer
Gruppen. Es geht um die Anerkennung der demokra-
tisch-autonomen Verwaltungen in Rojava. Es geht um
die Ausweitung der humanitären Hilfe. Ich unterstütze
natürlich auch die Forderung, dass wir in dieser akuten
Situation mehr Flüchtlinge aufnehmen müssen.

Einen letzten Punkt will ich noch ansprechen. Meine
Kollegin Heike Hänsel war am Wochenende vor Ort. Ich
bitte Vertreter der anderen Fraktionen und der Bundesre-
gierung, auch zur Grenze zu fahren und sich die Situa-
tion vor Ort anzuschauen. Nicht alle Informationen, die
wir hier bekommen, entsprechen den wirklichen Ereig-
nissen vor Ort.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805413200

Nächste Rednerin ist die Kollegin Gabriela Heinrich

für die Sozialdemokraten.


(Beifall bei der SPD)



Gabriela Heinrich (SPD):
Rede ID: ID1805413300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Liebe Kollegen und Kolleginnen! Rund 9 000
Flüchtlinge haben in den ersten Monaten dieses Jahres
die Grenze überquert. Das Aufnahmeland muss diese
Flüchtlinge versorgen, medizinisch betreuen und men-
schenwürdig unterbringen. Das ist unzweifelhaft eine
große Herausforderung für das Aufnahmeland. Die
Herausforderung ist so groß, dass gedroht wurde, die
Grenze zu kontrollieren.

Gemeint war die bayerisch-österreichische Grenze,
um die Einreise von weiteren Flüchtlingen zu verhin-
dern. Es war der bayerische Ministerpräsident, der die
Rückkehr zu Grenzkontrollen forderte und angesichts
der Flüchtlingszahlen eine Überforderung Bayerns und
Deutschlands beklagte.

Meine Damen und Herren, es liegt mir völlig fern,
mich mit diesem Vergleich lustig zu machen. Mir ist sehr
wohl bewusst, welche Schwierigkeiten unsere Kommu-
nen angesichts der steigenden Flüchtlingszahlen bewälti-

(C)






Gabriela Heinrich


(A) (C)



(D)(B)

gen müssen. Ich gebe aber zu, dass ich genau daran den-
ken musste, als angesichts der Zahlen, die wir aus Syrien
gehört haben, vor ein paar Tagen die Empörung über die
zeitweilige Schließung der Grenzen in der Türkei hoch-
kochte.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich auch!)


Meine Damen und Herren, Sie kennen die Zahlen.
Die Kollegin Roth hat sie heute schon benannt.
130 000 Menschen sind innerhalb weniger Tage aus
Syrien in die Türkei geflohen. 1,5 Millionen syrische
Flüchtlinge befinden sich bereits in der Türkei. 3 Millio-
nen Syrer sind in die Nachbarländer geflohen, neben der
Türkei in den Libanon, nach Jordanien, nach Ägypten
und in den Irak. Nur 4 Prozent dieser syrischen Flücht-
linge haben in Europa Asyl beantragt.

Besonders schwierig ist die Situation der syrischen
Frauen. Jede vierte syrische Flüchtlingsfamilie wird von
einer Frau geführt. Nur wenige werden von Verwandten
unterstützt. Sie sind meist völlig auf sich selbst gestellt,
müssen ihre Familien irgendwie durchbringen und haben
häufig keine Chance auf eine existenzsichernde Arbeit.
Ohne einen begleitenden Ehemann werden sie gedemü-
tigt und belästigt. Sexuelle Übergriffe sind an der Tages-
ordnung. Das Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Natio-
nen hat deswegen zur verstärkten Unterstützung dieser
Frauen aufgerufen.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung
macht mit der geplanten Flüchtlingskonferenz zur Hilfe
der Anrainerstaaten deutlich, dass das Thema Flücht-
linge ganz oben auf der politischen Agenda steht. Die
Probleme der Frauen müssen Teil dieser Konferenz wer-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es wurde bereits erwähnt, dass Deutschland aus hu-
manitären Gründen 20 000 syrische Flüchtlinge aufge-
nommen hat. Das ist ein ganz wichtiger Beitrag. Es ist
auch richtig, wenn wir mehr Solidarität innerhalb der
Europäischen Union einfordern.

Europa ist mehr als nur eine Wirtschaftsgemeinschaft.
Wir müssen uns zuallererst als Wertegemeinschaft be-
greifen, wenn wir eine gemeinsame Zukunft haben wol-
len. Dazu gehört das Recht auf Asyl in den Ländern der
Europäischen Union. Aber welche Handlungen leiten
wir von diesem Wert ab? Europa kann nicht von den
Nachbarländern Syriens erwarten, dass sie 3 Millionen
Flüchtlinge angemessen versorgen, jedoch die Auf-
nahme von Flüchtlingen weitgehend ablehnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir können es auch dann nicht erwarten, wenn wir viel
Geld für die humanitäre Hilfe zur Verfügung stellen.


(Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Nehmen wir uns ein Beispiel an den Kommunen in
Deutschland. Vielerorts bilden sich Unterstützerkreise,
in denen sich Nachbarn und Kirchengemeinden um die
Flüchtlinge kümmern, Ärzte und Krankenschwestern
helfen, die Ankommenden medizinisch zu versorgen,
wie in meiner Heimatstadt Nürnberg. Es gibt durchaus
viele, die verstanden haben, dass über 50 Millionen
Flüchtlinge auf der Welt auch unseren Teil an Solidarität
einfordern, und sie erwarten dies auch von unserer Poli-
tik.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Wertegemeinschaft steht vor einer ungeheuren
Herausforderung. Terrorismusbekämpfung und Massen-
morde zu stoppen, ist die eine Seite, schnelle humanitäre
Hilfe ist die andere. Seit 2012 hat Deutschland die Kri-
senregion mit über 600 Millionen Euro unterstützt. An-
gesichts der aktuellen Flüchtlingsströme – nicht nur in
die Türkei – ist der Bedarf an dieser Hilfe aber nicht we-
niger, sondern mehr geworden. Deswegen setzt sich die
SPD in den Haushaltsberatungen für eine Aufstockung
der humanitären Hilfe ein.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist nicht glaubwürdig!)


Wir haben heute gehört, dass dies in der Koalition Kon-
sens ist.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Darauf komme ich zurück!)


Es muss uns gelingen, das Morden und Zerstören in
Syrien und im Irak zu beenden. Die Weltgemeinschaft
wird sich diesmal aber auch beim Wiederaufbau lang-
fristig engagieren müssen, um die Weichen für einen
nachhaltigen Frieden zu stellen. Erinnern wir uns an die
Solidarität, die wir als Deutsche nach dem Zweiten Welt-
krieg erfahren haben.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805413400

Nächster Redner ist der Kollege Omid Nouripour

vom Bündnis 90/Die Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805413500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Barbaren von ISIS haben an diesem Wochenende
in 48 Stunden 60 Dörfer erobert. Die Menschen, die in
diesen Dörfern leben, hatten die unglaublichen Gräuelta-
ten, die wir kennen, vor Augen. Allein die Zahl der jesi-
dischen Frauen, die mittlerweile auf Sklavenmärkten
verkauft worden sein sollen, liegt bei 5 000. Selbstver-
ständlich sind die Menschen geflohen. Was blieb ihnen
denn übrig? Die Zahl von 140 000, die über die türkische
Grenze geflohen sind, ist bereits genannt worden.

Ja, es gab den Einsatz von Wasserwerfern und Trä-
nengas durch türkische Sicherheitskräfte. Ja, es gab
Chaos. Ja, einiges, was Ankara macht, ist problematisch
bis hochambivalent. Ja, es ist ein Problem, wenn die
Grenzen zeitweise geschlossen werden. Ja, es ist ein gro-
ßes Problem, dass es in der Vergangenheit für ISIS-





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)

Kämpfer tatsächlich freien Grenzverkehr gab. Ja, es ist
ein Problem, wenn die humanitäre Hilfe an der Grenze
steckenbleibt. Ja, wir brauchen klare Worte Richtung
Ankara. Aber trotzdem machen Sie es sich viel zu ein-
fach, verehrte Kollegin Hänsel. Es ist einfach nicht die
Zeit, um darüber zu sprechen, dass wir jetzt nicht mehr
mit der Türkei reden, dass wir die Drähte kappen und
mit der Türkei jetzt nicht mehr über einen Beitritt reden.
Wir brauchen Richtung Türkei jetzt mehr Engagement.
Wir dürfen nicht nur Vorwürfe machen, sondern müssen
deutlich mehr Hilfe anbieten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Mehr Gespräche, aber nicht mehr Verhandlungen!)


– Aber auch mehr Hilfe anbieten. Natürlich ist die Tür-
kei überfordert. Welches Land wäre es nicht?


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1,5 Millionen!)


1,5 Millionen Menschen hat die Türkei schon aufgenom-
men. Ganz ehrlich: Wir haben unsere Geschichte in die-
sem Land mit der PKK. Man sollte der PKK jederzeit
die Möglichkeit geben, zu zeigen, dass sie sich verändert
hat. Aber die PKK hat am Wochenende erklärt, dass sie
zum Kampf, und zwar zum grenzenlosen Kampf, auf-
ruft. Wenn man die Geschichte der PKK kennt, dann
kann man sich vorstellen, dass diese Erklärung nicht un-
bedingt großes Vertrauen in Ankara ausgelöst hat. Des-
halb muss man hier ein bisschen vorsichtiger agieren mit
den Vorwürfen, die man in alle Richtungen von sich gibt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich will nicht alles Gesagte zur humanitären Hilfe
hier wiederholen. Ich will auf einen einzigen Punkt hi-
naus, der schon einmal genannt worden ist. Es gibt vie-
les, was die Menschen brauchen. Die meisten Menschen
fliehen von der einen zur anderen Minute mit nichts an-
derem als dem, was sie am Körper tragen. Wir rennen
jetzt auf den Winter zu; in acht Wochen wird in vielen
dieser Gegenden Schnee liegen. Deshalb, liebe Bundes-
regierung: Reden Sie bitte mit den anderen Regierungen
der EU, schicken Sie feste Unterkünfte – Container,
Container, Container!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist das Notwendigste, was jetzt gebraucht wird. Bitte
achten Sie darauf.

Sämtliche Katastrophen an der Grenze, über die wir
gerade sprechen, sind wirklich nur ein kleiner Ausschnitt
des Horrors und des Grauens, nicht nur im Nordirak,
sondern auch in ganz Syrien; dort reden wir mittlerweile
von bis zu 200 000 Toten, darunter viele Kinder. Wir re-
den davon, dass mittlerweile die Hälfte der Bevölkerung
Syriens humanitäre Hilfe braucht. Wir reden über Hun-
ger als Kriegswaffe; sie wird immer wieder von der Re-
gierung Assad eingesetzt, in Yarmouk, in Sabadani, in
Homs – oder dort, wo die Stadt Homs früher einmal war.
Die UN haben es an bestimmten Punkten tatsächlich
geschafft, zu reagieren. Wir wissen, der Sicherheitsrat ist
blockiert, die Lage ist kompliziert; aber die Resolution
2165 ist eindeutig. Es geht darum, dass geholfen wird,
dass humanitäre Hilfe grenz- und frontübergreifend ge-
leistet wird.

In dieser Situation ist es alles andere als nachvollzieh-
bar, dass die Europäische Union EU-Hilfsmittel für die-
ses Jahr um die Hälfte streicht. Wenn mir dann aus Brüs-
sel erzählt wird, dass Herr Schäuble derjenige sei, der da
den meisten Druck gemacht habe, dann fehlen mir, ehr-
lich gesagt, die Worte und jedes Verständnis dafür.

Herr Fabritius sagt völlig zu Recht: Jeder Cent, den
wir für die humanitäre Hilfe in den Grenzgebieten auf-
wenden, ist ein großer Beitrag dazu, dass es den Men-
schen besser geht. – Dazu kann ich nur sagen: Verflucht
noch mal, schauen Sie doch mal in Ihren eigenen Haus-
haltsentwurf für 2015! Sie kürzen die Mittel für humani-
täre Hilfe um 38 Prozent, und das in einer Zeit, in der die
Katastrophen Tag für Tag größer und mehr werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das hat mit den vielen schönen und hehren Worten, die
Sie hier sprechen, nichts zu tun.

Kollege Oppermann hat hier in der letzten großen De-
batte, die wir hatten, das schöne Versprechen von sich
gegeben, dass die SPD stets darauf achten wird, dass die
Mittel für humanitäre Hilfe im Irak mindestens genauso
hoch sind wie die für militärische Hilfe, die zurzeit
70 Millionen Euro betragen. Gestern haben wir aber im
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe er-
fahren, dass die Mittel für humanitäre Hilfe nur 25 Mil-
lionen Euro betragen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Da kann ich die SPD nur dringend auffordern, mit ganz
viel Nachdruck dafür zu sorgen, dass dieses Versprechen
tatsächlich erfüllt wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Alles andere wäre Augenwischerei.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805413600

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin

Dagmar Wöhrl, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1805413700

Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Hänsel, dass ich

Ihnen einmal Danke sagen sollte, hätte ich zwar nicht
gedacht; aber ich bin Ihnen dankbar, dass Sie die heutige
Aktuelle Stunde initiiert haben.

Auf der anderen Seite muss ich sagen: Herr Kollege
Hunko, dass Sie hier versuchen, den IS zu rechtfertigen,
ist für mich unverständlich.





Dagmar G. Wöhrl


(A) (C)



(D)(B)


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Was? – Weiterer Zuruf von der LINKEN: Er hat ihn nicht gerechtfertigt!)


Es gibt keine Rechtfertigung für diese Terrororganisa-
tion, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Das hat er doch gar nicht gemacht!)


Es sind Monster. Sie töten unsere Frauen und Kin-
der. Sie überziehen das ganze Land wie ein unauf-
haltsames Krebsgeschwür.

Das waren die Worte eines Flüchtlings, als er nach end-
losen Strapazen endlich auf der anderen Seite der
Grenze zur Türkei angekommen war. Das sind Worte,
die einem im Gedächtnis bleiben, ebenso die dramati-
schen, schrecklichen Szenen, die wir in den letzten Wo-
chen immer wieder erleben. Der IS brüstet sich mit Mas-
sakern, er stellt Videos davon ins Netz – brutalste
Szenen, wie wir sie uns nicht schlimmer vorstellen kön-
nen. Er hat es geschafft, innerhalb von drei Tagen
60 Dörfer zu überrollen. Alle jungen Männer über zwölf
Jahren wurden getötet. Die Frauen wurden vergewaltigt
und misshandelt; es sollen insgesamt über 5 000 gewe-
sen sein. Die Frauen haben nur eine Chance, wenn sie
bereit sind, sich zu bekehren, wenn sie bereit sind, die
„Richtiggläubigen“ zu ehelichen. Ansonsten werden sie
zu Sklavendiensten missbraucht oder auf dem Markt
verkauft; man spricht von einem Preis von 200 Dollar.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für diese Men-
schen, für die Frauen mit ihren Kindern bleibt nur die
Flucht. Wir sprechen heute von 140 000 Flüchtlingen,
die innerhalb von drei Tagen über die syrisch-türkische
Grenze geflohen sind. Wenn es IS schafft, Kobani einzu-
nehmen, was er ja vorhat, dann wird sich die Zahl der
Flüchtlinge auf über 400 000 erhöhen.

Man ist sprachlos. Wenn man das sieht und hört, weiß
man gar nicht, was man noch machen kann. Man ist ver-
zweifelt. Es gibt nicht genügend grausame Worte, um
überhaupt zu beschreiben, was sich dort abspielt.

Wir brauchen Lösungen. Es ist uns unverständlich,
was für eine Anziehungskraft die Dschihadisten haben.
Inzwischen soll es über 15 000 Foreign Fighters geben,
das heißt junge Menschen aus dem Ausland, die in das
Land strömen, um die Dschihadisten und den IS zu un-
terstützen.

Wir brauchen Lösungen; denn die Hälfte aller Flücht-
linge sind Kinder. Von der Krise in Syrien und seinen
Nachbarländern sind inzwischen 6,6 Millionen Kinder
betroffen, Zehntausende sind bereits gestorben.

Ich bin froh, dass die internationale Gemeinschaft
ihre Verantwortung annimmt. Aber es muss noch mehr
getan werden. Auch wir versuchen, unserer Verantwor-
tung durch humanitäre Hilfe gerecht zu werden. Wir un-
terstützen UNICEF. Wir gewähren Soforthilfe. Unsere
zuständigen Minister stocken die Mittel für humanitäre
Hilfe auf. Sie wissen, dass es notwendig ist. Herr
Nouripour, ich bin auch froh: Es wird einen Nachtrags-
haushalt für den Etat des Auswärtigen Amtes geben, da-
mit die Mittel für humanitäre Hilfe aufgestockt werden
können. Die Not zwingt uns dazu.

Diejenigen von uns, die in den letzten Wochen und
Monaten in Flüchtlingslagern gewesen sind – ob im
Libanon, im Irak oder sonst wo –, haben eines festge-
stellt: Die Flüchtlingscamps sind nicht mehr so wie frü-
her.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, das stimmt!)


Es sind Städte geworden, inzwischen auch mit Einkaufs-
zentren. Die Menschen stellen sich darauf ein, dass sie
nicht von heute auf morgen wieder in ihre Heimat zu-
rückkehren können. Das bedeutet auch, dass ihnen eine
langfristige Zukunftsperspektive fehlt. Dadurch entsteht
Hoffnungslosigkeit. Kinder wachsen in Gewalt auf. Sie
kennen nichts anderes als dieses Umfeld. Das ist die Ge-
fahr, die wir in diesem Zusammenhang sehen.

Wir müssen ISIS zeigen, dass er verwundbar ist. Wir
müssen das auch den Menschen zeigen, damit sie die
Angst vor diesen Terroristen verlieren. In diesem Zu-
sammenhang bin ich dankbar für die UN-Resolution, die
gestern angenommen worden ist. Endlich sind alle Län-
der der Vereinten Nationen verpflichtet, ein Gesetz zu
erlassen, das das Reisen zu terroristischen Zwecken un-
terbindet. Wir hoffen, dass sich dadurch wenigstens die
Zahl der Foreign Fighters verringert.

Wir dürfen nicht naiv sein. Wir wissen: Ohne militäri-
sches Eingreifen kann die Weltgemeinschaft dieser Lage
nicht Herr werden. Deswegen sind wir froh, dass die
USA aktiv geworden sind. Wir sind froh, dass sie von
den Franzosen unterstützt werden. Wir sind froh, dass
sie von arabischen Partnern unterstützt werden. Um die
Not der Menschen zu lindern, müssen wir diese militäri-
schen Maßnahmen durch politische Intervention und hu-
manitäre Hilfe ergänzen, wie wir es bisher schon getan
haben.

Wir schulden der Türkei Dank für die Aufnahme der
Flüchtlinge. Die Zahl ist immens, für uns unvorstellbar:
1,6 Millionen. Das wird nicht das Ende der Fahnen-
stange sein, das wissen wir. Wir müssen hier unterstüt-
zen. Wir sind ebenfalls froh, dass sich Erdogan gestern
in der UN-Vollversammlung zum ersten Mal dazu be-
kannt hat, die internationale Gemeinschaft im Kampf ge-
gen IS zu unterstützen. Es wurde auch Zeit. Das ist eine
Aussage, auf die wir lange, lange gewartet haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Ute Finckh-Krämer [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805413800

Frau Kollegin Wöhrl, denken Sie an die Redezeit?


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1805413900

Ja, danke schön. – Für uns war es nicht zu verstehen,

dass Rekruten in der Türkei in Moscheen ausgebildet
worden sind und dass Leute durch die Türkei in den Iran
reisen konnten. Aber wir sind dankbar für seine Worte.

Wir sind bereit, mit unseren internationalen Partnern
in Zukunft gemeinsam vorzugehen. Unseren internatio-





Dagmar G. Wöhrl


(A) (C)



(D)(B)

nalen Partnerorganisationen, die vor Ort das Menschen-
mögliche machen, gilt unser Dank. Wir hoffen, dass die
Kinder dadurch eine Perspektive für die Zukunft haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805414000

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Ute Finckh-

Krämer für die Sozialdemokraten.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Ute Finckh-Krämer (SPD):
Rede ID: ID1805414100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer oben auf der
Tribüne! Heute tagt – schon länger angekündigt – im
Auswärtigen Amt der Koordinierungsausschuss Huma-
nitäre Hilfe. Seit 20 Jahren bringt er mehrmals im Jahr
Vertreter der Bundesregierung und der humanitären
Nichtregierungsorganisationen zusammen. Seine heuti-
gen Themen – unter anderem: Irak, Syrien und die Ebo-
lakrise in Westafrika – sind brandaktuell.

Ursprünglich war geplant, dass heute Mittag eine di-
rekte Begegnung der Mitglieder des Bundestagsaus-
schusses für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe mit
diesem Koordinierungsausschuss stattfinden sollte. Lei-
der haben Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der
Linken, genau in diese Mittagszeit zwei namentliche
Abstimmungen gelegt. Insofern musste das offizielle
Gespräch abgesetzt werden,


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: So ist das im Parlamentarismus!)


und ich konnte mich nur kürzer als erhofft darüber infor-
mieren, was deutsche Hilfsorganisationen wie die Welt-
hungerhilfe, medico international und der Malteser
Hilfsdienst derzeit im syrisch-türkischen Grenzgebiet
leisten. Ich möchte diesen Organisationen und den wei-
teren Organisationen, die dort im Augenblick tätig sind,
an dieser Stelle ausdrücklich für ihr professionelles En-
gagement vor Ort danken.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Frau Hänsel, sowohl gestern im Ausschuss für
Menschenrechte und Humanitäre Hilfe als auch heute im
Koordinierungsausschuss hat die Bundesregierung über
die Situation in der Grenzregion berichtet. Auch die
Hilfsorganisationen, die heute vertreten waren, haben
berichtet. Die Berichte entsprachen nicht ganz dem, was
Sie eben vorgetragen haben.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Weil die auch woanders sind!)


Die Flüchtlinge kommen diesen Berichten zufolge zwar
in der Tat nicht überall und sofort, aber doch sukzessive
über die Grenze. Die meisten bleiben auch nicht in der
unmittelbaren Grenzregion, sondern fahren in Ortschaf-
ten weiter, in denen sie zum Beispiel bei Verwandten un-
terkommen können.
Außenminister Frank-Walter Steinmeier hat – das hat
Gabriela Heinrich eben schon erwähnt – für den 28. Ok-
tober 2014 nach Berlin zu einer Konferenz eingeladen,
bei der über Hilfen für die Nachbarstaaten Syriens und
des Iraks beraten wird. Das begrüße ich sehr und möchte
dem Außenminister an dieser Stelle ausdrücklich dafür
danken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deutschland muss einen weiteren substanziellen Bei-
trag leisten, um seiner internationalen Verantwortung für
die Flüchtlinge gerecht zu werden. Das betrifft sowohl
die Haushaltsmittel für humanitäre Hilfe im laufenden
Jahr, die gegebenenfalls im Rahmen eines Nachtrags-
haushaltes aufgestockt werden müssen, als auch die Mit-
tel für 2015, die im vorliegenden Entwurf in der Tat viel
zu niedrig angesetzt sind und daher im Rahmen der wei-
teren Haushaltsberatungen massiv aufgestockt werden
müssen, wie es mein Kollege Frank Schwabe bei der De-
batte zur ersten Lesung des Bundeshaushaltes 2015 be-
reits gefordert hat. Die Hilfsorganisationen und ihre lo-
kalen Partner brauchen Planungssicherheit und die
Flüchtlinge die Gewissheit, dass sie so lange Hilfe erhal-
ten, wie sie benötigen.

Neben Geld für die schon länger in der Region tätigen
Hilfsorganisationen und für den UNHCR wird mögli-
cherweise auch qualifizierte technische Hilfe nötig wer-
den, wenn es darum geht, allen Flüchtlingen winterfeste
Unterkünfte zur Verfügung zu stellen. Viele von uns Ab-
geordneten haben sich am Dienstag beim Technischen
Hilfswerk darüber informiert, was diese Organisation
beim Aufbau von Notunterkünften oder bei der Trink-
wasserversorgung leisten kann – übrigens zu über
98 Prozent durch den Einsatz von Freiwilligen, das heißt
von ehrenamtlich Tätigen. Wenn die Türkei konkrete
Hilfe in diesem Bereich bei der Bundesregierung oder
bei der Europäischen Union anfordert, könnte das THW
diese, wie in der Vergangenheit in anderen Ländern,
schnell und effektiv bereitstellen.

Ich möchte im Zusammenhang mit der heutigen Dis-
kussion an die Grundprinzipien der humanitären Hilfe
erinnern: Neutralität, Unabhängigkeit, Unparteilichkeit
und Menschlichkeit. Sie dienen dem Schutz sowohl der-
jenigen, die Hilfe leisten, als auch derjenigen, denen sie
zuteil wird. Sie verhindern, dass Konflikte durch einsei-
tige Hilfeleistung entstehen oder eskalieren. Humanitäre
Hilfe darf nicht für politische Interessen instrumentali-
siert werden.

Besonders wichtig ist die Neutralität der humanitären
Hilfe in bewaffneten Konflikten bzw. in deren unmittel-
barer Nachbarschaft. Deutschland hat sich 2003 nicht
am Angriffskrieg der USA gegen den Irak beteiligt und
lehnt jetzt zu Recht die Beteiligung an den Luftangriffen
der USA auf den Irak und Syrien ab. Damit können deut-
sche Hilfsorganisationen in der Region glaubwürdig als
unparteilich auftreten.

Wir müssen uns über die humanitäre Hilfe hinaus Ge-
danken machen, wie wir nicht nur mit Mitteln der Ent-





Dr. Ute Finckh-Krämer


(A) (C)



(D)(B)

wicklungszusammenarbeit, sondern auch mit friedens-
fördernden Maßnahmen einen Beitrag dazu leisten
können, die Lebenssituation der Menschen in der Region
langfristig zu verbessern. Daher wird die heutige Dis-
kussion sicher nicht die letzte zum Thema Türkei, Sy-
rien, Irak gewesen sein.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805414200

Für die CDU/CSU spricht jetzt der Kollege Jörg Hell-

muth.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Jörg Hellmuth (CDU):
Rede ID: ID1805414300

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Als wir vor einigen Monaten die ersten Informa-
tionen über ISIS – damals sprach man noch von ISIS –
erhalten haben, war zu lesen, dass die militärische Basis
insbesondere aus ehemaligen Offizieren der irakischen
Armee besteht. Das hat mich schon seinerzeit mit Sorge
erfüllt. Diese Erkenntnis ist in den letzten Wochen etwas
in den Hintergrund geraten, nicht zuletzt aufgrund der
unglaublichen Gräueltaten. Aber nach wie vor, so denke
ich, bilden gut ausgebildete Offiziere der irakischen Ar-
mee die militärische Basis – eine Generation Enttäusch-
ter, die nur darauf sinnen, für ihren ehemaligen Diktator
Rache zu nehmen.

Herr Hunko, Sie haben Analyse und Aufarbeitung an-
gesprochen. Das ist sicherlich notwendig, heute und hier
ist aber nicht der richtige Zeitpunkt dafür. Ich möchte Ih-
nen Folgendes sagen: Ich musste vor knapp 40 Jahren in
meiner Lehrzeit unweit von Berlin, 50 Kilometer von
hier, Militär-Lkw zusammenbauen, von denen viele
– das war schon eine ordentliche Größenordnung – in
den Irak gegangen sind. Damals hat die DDR Militär-
berater, Militär-Lkw und andere Militärtechnik in den
Irak geliefert. Während es hier an allem Möglichen
fehlte, hat das System der DDR das irakische Militär mit
aufgebaut und unterstützt. Meine herzliche Bitte lautet:
Wenn Sie die Geschichte aufarbeiten bzw. analysieren,
dann vergessen Sie diesen Teil der Geschichte bitte
nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Als wir vor einigen Wochen mit der Bundesministerin
der Verteidigung, Frau von der Leyen, in unserer Ar-
beitsgruppe die Situation erörtert haben, habe ich diese
Frage gestellt: Wie belastbar sind die Informationen über
diese Gräueltaten, über diese Zustände? Und: Ist das al-
les nicht noch viel schlimmer? In der Tat scheint es so zu
sein. In den letzten Tagen hat sich die Situation derma-
ßen zugespitzt, dass einem wirklich die Worte fehlen.
Frau Roth, man hätte es nicht für möglich gehalten, dass
so etwas im 21. Jahrhundert noch möglich ist.

Über die humanitäre Hilfe wurde hier schon viel ge-
sprochen. Das kann man nur ausdrücklich unterstützen.
Ich habe die Befürchtung, dass sich die Situation auf-
grund des bevorstehenden Winters zuspitzt und die Ma-
terialien nicht ausreichen. Hier ist nicht nur Deutschland
gefordert, sondern die EU und die ganze Welt sind ge-
fragt, alles Erdenkliche zu tun, um die humanitären
Hilfsleistungen in den nächsten Wochen zu verstärken.

Ich möchte auf den UN-Sicherheitsrat eingehen; Herr
Annen, Sie haben das erwähnt. Ich möchte das noch ein-
mal betonen: Es ist ein ermutigendes Signal, dass die
Resolution einstimmig beschlossen wurde. Wenn wir
uns zurückerinnern: Das hat es bei solchen Konflikten so
oft nicht gegeben. Das ist aber nur der erste Schritt.

Unser Außenminister ist, glaube ich, im ZDF gestern
Abend in einem Interview dazu befragt worden. Zwei
Fragen sind mir in Erinnerung geblieben.

Die erste Frage war: Wie wird die Hilfeleistung
Deutschlands eingeschätzt? Ist sie ausreichend? Er hat
im Rückblick auf die Gespräche geantwortet: Das ist
überhaupt nicht das Thema. Die Unterstützung und die
Hilfe finden bei der UN allergrößte Anerkennung. – Ich
denke, das sollte man an dieser Stelle auch einmal er-
wähnen.

Die zweite Frage war: Wie stellen Sie sich denn die
Umsetzung vor? Die ist doch nicht einfach. Unser Au-
ßenminister antwortete darauf: Daran werden wir noch
viele Wochen arbeiten. – Die Umsetzung wird noch ein
Stück Arbeit werden. Es gibt da ja eine Vielzahl von
Problemen. Trotzdem sehe ich diesen einstimmigen Be-
schluss als außerordentlich ermutigendes Signal.

Zum Schluss. Das Agieren der Türkei werden wir in
den nächsten Tagen und Wochen intensiv beobachten:
am Wochenende erst Grenzöffnung, dann wieder ein
Schließen der Grenzen, einerseits diese ominösen Ver-
handlungen, was die Freilassung der Geiseln betrifft, an-
dererseits gestern am Rande der UN-Vollversammlung
das Bekenntnis des türkischen Präsidenten, mit in die
Front zur ISIS-Bekämpfung einzusteigen. Wir werden
ihn in den nächsten Tagen und Wochen beim Wort neh-
men.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805414400

Abschließender Redner in dieser Aktuellen Stunde ist

der Kollege Thorsten Frei, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Thorsten Frei (CDU):
Rede ID: ID1805414500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Bilder des Arabischen Frühlings und das, was wir damit
verbunden haben, haben sich in Luft aufgelöst. Die ara-
bische Welt und ihre Ordnung sind in der tiefsten Krise
seit dem 13. Jahrhundert. Das gilt nicht nur für die Län-
der, auf die wir jetzt hauptsächlich den Fokus legen, für
den Irak und Syrien, sondern das gilt genauso für den Je-
men und Libyen.


(Zuruf des Abg. Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])






Thorsten Frei


(A) (C)



(D)(B)

Wenn wir uns anschauen, was sich in den vergange-
nen Tagen an der türkisch-syrischen Grenze ereignet hat
– es ist vielfach beschrieben worden –, dann sehen wir:
Es ist in der Tat entsetzlich und kaum vorstellbar. Wenn
innerhalb von wenigen Stunden 130 000 Menschen an
die türkische Grenze gedrängt werden und in die Türkei
fliehen, dann ist das für uns kaum vorstellbar. Es ist voll-
kommen klar, dass wir in einer solchen Situation helfen
müssen. Uns muss auch klar sein, dass das in der Tat
nicht das Ende der Fahnenstange ist. Angesichts von
1,8 Millionen Binnenflüchtlingen im Irak und in Syrien
steht uns noch einiges bevor.

Ich möchte zum Schluss der Debatte vier wesentliche
Aspekte benennen, die aus meiner Sicht hier nottun.

Erstens. Natürlich müssen wir Flüchtlinge aufneh-
men, selbstverständlich. Es erfüllt mich mit großem Re-
spekt, wenn ich sehe, was beispielsweise in der Türkei,
im Libanon und auch in Jordanien passiert. Die Länder
dort vollbringen ganz enorme Leistungen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber Fakt ist eben auch, dass außerhalb der Region kein
anderes Land so viel tut, um Flüchtlinge aufzunehmen,
wie Deutschland.

Ich möchte an dieser Stelle eines sagen: Es kann,
glaube ich, nicht das Ziel sein, dass wir so viele Flücht-
linge wie möglich zu uns holen und hier aufnehmen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt ja auch keiner!)


Denn sie möchten ja nicht ihre Heimat verlassen.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Die haben keine Heimat mehr!)


Sie möchten nicht nach Deutschland und Europa. Sie
fliehen aus ihrer Heimat, weil sie vertrieben werden von
Terroristen, die völlig verroht sind, die sie aus ihrer Hei-
mat vertreiben, massakrieren und abschlachten. Dort
müssen wir helfen. Wir müssen hier bei uns helfen, aber
auch unmittelbar vor Ort. Es ist schon gesagt worden:
Der Winter steht vor der Tür. Deshalb muss es schnelle
Hilfe geben. Ich bin dafür dankbar, dass wir die haus-
haltspolitische Flexibilität haben, entsprechend darauf
zu reagieren.

Lassen Sie mich einen weiteren Aspekt benennen. Es
ist in der Tat so, dass es nicht reicht, nur die Symptome
zu bekämpfen –


(Tom Koenigs [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach?)


man muss auch an die Wurzel des Übels. Deshalb ist es
richtig, die Terrororganisation IS mit allen Kräften zu
bekämpfen.

Zweitens. Wir haben am 1. September hier im Bun-
destag darum gerungen, ob wir den kurdischen Pesch-
merga Waffen liefern wollen. Wenig danach hat unser
Außenminister gesagt:
Niemand ist so naiv, zu glauben, dass ein paar Ge-
wehre für die Peschmerga das Problem ISIS aus der
Welt bringen.

Richtig, wir brauchen in der Tat eine international abge-
stimmte Strategie. Da geht es darum, dass man Geld-
ströme kappt. Da geht es darum, dass man die ethnischen
und religiösen Gruppen in diesen Prozess integriert, dass
man vor Ort die Akteure ertüchtigt, sich selbst zu helfen,
so wie wir es im Nordirak getan haben.

Aber, drittens, meine sehr verehrten Damen und Her-
ren, ich warne auch davor, zum jetzigen Zeitpunkt alles
andere auszuschließen. Ich glaube, es ist notwendig,
dass die Amerikaner mit Luftschlägen versuchen, zu hel-
fen, die Not dort zu bekämpfen, indem man IS unmittel-
bar angeht.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Seit wann haben Bomben Not beseitigt?)


Ich halte es für falsch, wenn wir, ohne die Lage abschlie-
ßend beurteilen zu können, dieses grundsätzlich aus-
schließen.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Was heißt das denn jetzt?)


Es ist darüber hinaus fraglich, ob das ausreicht. Viel-
leicht muss man noch sehr viel mehr tun, wenn man
keinen jahre- oder gar jahrzehntelangen Konflikt an die-
ser Stelle haben möchte; auch das müssen wir bedenken.

Als letzten, vierten Punkt will ich erwähnen: Es geht
aus meiner Sicht auch darum, die Sicherheit der Men-
schen bei uns im Land zu gewährleisten, und die ist in
der Tat in Gefahr. Wenn man sieht, dass 400 gewaltbe-
reite Menschen aus Deutschland sich dem IS ange-
schlossen haben, wenn wir davon ausgehen müssen, dass
mindestens 25 kampferprobte Dschihadisten wieder zu-
rückgekehrt sind nach Deutschland, dann müssen wir,
glaube ich, auch in diesem Bereich den gesetzlichen
Rahmen voll ausschöpfen. Wir müssen Doppelstaatlern,
die sich so weit vom Boden des Grundgesetzes und der
freiheitlich-demokratischen Grundordnung entfernt ha-
ben, die Pässe entziehen. Wir müssen alles tun, um deut-
lich zu machen, dass, wer so etwas tut, letztlich sein
Rückkehrrecht nach Deutschland verwirkt hat, meine
sehr verehrten Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Kerstin Griese [SPD])


Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: In der Tat, es
kommt auf eine international abgestimmte Lösung an,
die die Kräfte vor Ort integriert. Dazu gehört – ob uns
das gefällt oder nicht – auch der Iran. Richtig ist auch,
dass die Türkei dabei eine zentrale Rolle spielen muss.
Ich schließe mich insofern den Vorrednern an: Was wir
in den letzten 48 Stunden von Staatspräsident Erdogan
gehört haben, ist ermutigend.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805414600

Die Aktuelle Stunde ist damit beendet.

Ich rufe jetzt die Tagesordnungspunkte 6 a bis 6 c auf:

a) Erste Beratung des von der Bundesregierung
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Än-
derung des Freizügigkeitsgesetzes/EU und
weiterer Vorschriften

Drucksache 18/2581
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union
Haushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Zwischenbericht des Staatssekretärsausschus-
ses zu Rechtsfragen und Herausforderungen
bei der Inanspruchnahme der sozialen Siche-
rungssysteme durch Angehörige der EU-Mit-
gliedstaaten

Drucksache 18/960
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

c) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Abschlussbericht des Staatssekretärsausschus-
ses zu „Rechtsfragen und Herausforderungen
bei der Inanspruchnahme der sozialen Siche-
rungssysteme durch Angehörige der EU-Mit-
gliedstaaten“

Drucksache 18/2470
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Damit eröffne ich die Aussprache.

Erster Redner ist Bundesminister Dr. Thomas de
Maizière.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich bringe hiermit den Gesetzentwurf zur Änderung
des Freizügigkeitsgesetzes/EU und weiterer Vorschriften
ein.

Ich darf daran erinnern, dass wir Anfang des Jahres
– auch angestoßen von der CSU – eine Debatte über die
Frage hatten: Wie gehen wir mit sogenannten Armutsmi-
granten um, und wie groß ist das Problem? – Es war aber
nicht nur die CSU, die diese Debatte angestoßen hat:
Kommunen und kommunale Spitzenverbände hatten
ihrerseits in dringlichen Appellen auf die Belastungen
hingewiesen, die mit einer steigenden Zuwanderung aus
der EU verbunden sind.

Das Ergebnis unserer Arbeit ist in diesem Gesetzent-
wurf und in dem Bericht des Staatssekretärsausschusses
niedergelegt. Beides liegt dem Parlament vor. Das Er-
gebnis lautet: Es gab und gibt in Deutschland kein flä-
chendeckendes Problem damit. Es gibt aber eine Reihe
von Kommunen – insbesondere Großstädte –, die durch
die Folgen eines stetig wachsenden Zuzuges aus weni-
gen Mitgliedstaaten der Europäischen Union besonders
betroffen und belastet sind, und darauf reagieren wir mit
den Maßnahmen, die jetzt hier anstehen.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Die Zuwanderung aus anderen Mitgliedstaaten der
Europäischen Union hat in den letzten Jahren zugenom-
men. Das birgt für unser Land Chancen und viel Gutes.
Der weit überwiegende Teil dieser Zuwanderer kommt
zu uns, um hier eine Arbeit zu finden, eine Ausbildung
zu beginnen oder ein Studium aufzunehmen. Diese Men-
schen suchen für sich und ihre Familien bessere Chancen
und tragen zu Wohlstand und Entwicklung in Deutsch-
land bei. Angesichts unserer demografischen Entwick-
lung sind wir natürlich auf die Zuwanderung derjenigen,
die hier arbeiten können und wollen, angewiesen.

Ich will auch keinen Zweifel daran lassen, dass die
Freizügigkeit in der Europäischen Union nach unserer
Auffassung eine der großen Errungenschaften ist, die
nicht zur Disposition stehen. Sie ist eine der großen Vor-
züge Europas für seine Bürger und insbesondere auch
für uns Deutsche.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Gleichzeitig dürfen wir aber nicht die Augen davor
verschließen, dass vor Ort mit einem wachsenden Zuzug
aus bestimmten EU-Mitgliedstaaten Probleme verbun-
den sind. Diese Städte und Gemeinden berichten über
eine Verschärfung sozialer Probleme und über eine stei-
gende Belastung ihrer Systeme der kommunalen
Daseinsvorsorge. Das betrifft den Bereich Schule, die
Versorgung mit Wohnraum, die unangemessene und
unberechtigte Inanspruchnahme sozialer Leistungen
oder den Bereich Gesundheitsversorgung. Das müssen
wir adressieren, und darüber dürfen wir ebenfalls nicht
hinwegsehen.





Bundesminister Dr. Thomas de Maizière


(A) (C)



(D)(B)

Wenn wir heute eine Bilanz der Arbeit des Staats-
sekretärsausschusses ziehen, können wir dreierlei fest-
halten:

Erstens. Der Abschlussbericht hat die Daten- und
Faktenlage sowie die Rechtsfragen bewertet und damit
zu einer Versachlichung der Debatte überall beigetragen.
Ich glaube, das war gut und richtig.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wenn man sich den Gesetzentwurf anschaut, dann kann man das nicht behaupten!)


Zweitens. Wir wollen die betroffenen Kommunen
substanziell entlasten. Der Bericht und der vorliegende
Gesetzentwurf enthalten dazu eine Reihe von Maßnah-
men. Ich nenne sie gleich kurz. Diese Entlastungen sol-
len noch in diesem Jahr und in den Folgejahren wirksam
werden. Deswegen bitte ich auch um eine zügige Bera-
tung dieses Gesetzentwurfs, damit die Kommunen noch
in den Genuss der Fördermaßnahmen kommen können,
die mit diesem Gesetzentwurf verbunden sind.

Drittens. Wir wollen die Freizügigkeit in Europa er-
halten und ihre Akzeptanz in der Gesellschaft sichern.
Gerade deshalb ist es wichtig, gegen einen Missbrauch
dieses Rechts wirkungsvoll vorzugehen.

Was heißt das? Die Unterstützung geschieht in Form
einer entsprechenden finanziellen Ausstattung des Städ-
tebauförderprogramms „Soziale Stadt“ und der verschie-
denen Programme aus europäischen Fonds. Wir stocken
die Bundesbeteiligung an den Kosten der Unterkunft und
Heizung im Sozialgesetzbuch II auf. Das Geld kann
noch in diesem Jahr – ich erwähnte es – an die Länder
fließen, in denen die besonders betroffenen Städte und
Gemeinden liegen, damit es dann – das unterstreiche ich
noch einmal – an die Kommunen weitergegeben wird,
und zwar so, wie das beabsichtigt ist.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Durch eine Änderung des SGB V werden künftig bei
Kindern und Jugendlichen aus EU-Staaten ohne geklär-
ten Krankenversicherungsschutz die Impfkosten über-
nommen.

So weit zu den die Kommunen entlastenden Maßnah-
men.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, das war es schon?)


Zur Unterbindung von Missbrauch im Zusammen-
hang mit dem Freizügigkeitsrecht sieht der vorliegende
Gesetzentwurf eine Reihe von Maßnahmen aus den Zu-
ständigkeitsbereichen verschiedener Ressorts vor:

Im Freizügigkeitsrecht sollen befristete Wiederein-
reisesperren im Falle eines Rechtsmissbrauchs oder
Betrugs ermöglicht werden. Das Aufenthaltsrecht zur
Arbeitssuche soll in Übereinstimmung mit dem europäi-
schen Recht auf sechs Monate befristet werden. Die
Erschleichung von Aufenthaltsbescheinigungen durch
falsche Angaben wird unter Strafe gestellt. Beim Kin-
dergeld sollen Doppelzahlungen und Missbrauch unter-
bunden werden. Künftig wird die Kindergeldzahlung
von der eindeutigen Identifikation von Antragstellern
und Kindern durch Angabe der steuerlichen Identifika-
tionsnummer abhängig sein. Wir wollen entschieden ge-
gen Scheinselbstständigkeit und Schwarzarbeit vorge-
hen. Dazu sieht der vorliegende Gesetzentwurf eine
Regelung vor, durch die die Zusammenarbeit mit der Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit intensiviert wird. Über den
Gesetzentwurf hinaus gibt es einige Maßnahmen, die auf
dem Verordnungswege oder durch Verwaltungsvor-
schriften erlassen werden sollen. So soll im Bereich der
Familienleistungen konkretisiert werden, in welchen
Fällen die Freizügigkeitsberechtigung von Antragstel-
lern konsequent und genau zu prüfen ist. Auch Gewerbe-
anzeigen werden künftig konsequent auf Anhaltspunkte
für Scheinselbstständigkeit geprüft.

Bevor gleich in der Debatte vorgetragen wird, das al-
les seien Maßnahmen, die sich gegen Betroffene, die
hierherkommen, richten könnten, will ich Folgendes sa-
gen: Der Missbrauch, der hier betrieben wird, wird nicht
allein durch diejenigen betrieben, die zu uns kommen,
sondern überwiegend durch das kriminelle Handeln der-
jenigen, die diese Menschen hierherlocken und ausbeu-
ten. Wenn ein Vermieter in einem abbruchreifen Haus
eine große Familie mit Luftmatratzen unterbringt und
dafür 300 oder 400 Euro Miete nimmt, dann ist das
nichts anderes als eine Schweinerei.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Wenn jemand mit einem fertig ausgefüllten, in perfek-
tem Deutsch formulierten Gewerbeantrag eine Gewerbe-
erlaubnis beantragt, dann riecht das nach Scheinselbst-
ständigkeit.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805414700

Herr Bundesminister, gestatten Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Beck?

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Lassen Sie mich diesen Gedanken zu Ende führen;
dann darf gerne eine Zwischenfrage gestellt werden. –
Wenn Männer auf einem sogenannten Arbeitsstrich ste-
hen und für 1 bis 2 Euro pro Stunde Arbeit annehmen,
dann sind die Menschen, die ihnen Arbeit anbieten,
Schweinehunde. Wenn Frauen, die ihren Lebensunter-
halt nicht bestreiten können, auf den Strich geschickt
werden, dann ist es kriminell, diesen Missbrauch zu dul-
den. Deswegen ist alles, was wir tun, auch darauf gerich-
tet, denjenigen, die mit Armutsmigranten Geld verdie-
nen, den Hahn abzudrehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805414800

Jetzt hat der Kollege Volker Beck zu einer Zwischen-

bemerkung das Wort.






(A) (C)



(D)(B)


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805414900

Was die Zielvorstellungen angeht, sind wir uns hun-

dertprozentig einig.

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Das ist ja mal etwas. Das ist nicht immer so.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805415000

Nein, eben. – Ich würde gerne wissen, an welcher

Stelle die Frage beantwortet wurde, von der Sie gerade
gesagt haben, dass Sie sie beantworten wollen: Es geht
um arme Menschen, die im Rahmen der EU-Freizügig-
keit zu uns gekommen und zugewandert sind, die in
Wohnungen wohnen, in denen sie ausgebeutet werden,
oder die in Schrottimmobilien leben. Es gibt dazu eine
Regelung, und zwar in Nordrhein-Westfalen; die dortige
Landesregierung will die Kontrolle verstärken. Aber in
diesem Gesetzentwurf habe ich keinen Satz zu dieser
Problematik gelesen.

Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:

Herr Abgeordneter Beck, dazu bedarf es auch keiner
neuen gesetzlichen Regelung. Wenn wir sonst über Ge-
setzesverschärfungen reden, sind Sie immer der Erste,
der sagt: Kümmert euch doch erst einmal um den Ver-
waltungsvollzug, bevor ihr Gesetze verschärft. – Hier ist
es genauso. Eine solche ausbeuterische Miete ist sitten-
widrig und nichtig. Derjenige, der ein solches Objekt
vermietet, macht sich möglicherweise auch strafbar. Je-
denfalls sollte man ihm die Hammelbeine langziehen.
Dazu bedarf es keines neuen Bundesgesetzes.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch für den Fall, dass jemand einen anderen zur
Scheinselbstständigkeit verleitet, brauchen wir keine zu-
sätzlichen Gesetze. Ich möchte mit den harten Worten,
die ich hier sage, erreichen, dass wir den Blick nicht nur
auf diejenigen, die sich in Deutschland aufhalten, und
auf die Lasten, die für die Kommunen damit verbunden
sind, richten, sondern auch auf diejenigen, die die Lage
dieser Menschen ausnutzen, in Bulgarien, in Rumänien
und in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielleicht muss man bei den Schrottimmobilien aber trotzdem mal etwas tun!)


Meine Damen und Herren, der Abschlussbericht, den
wir heute vorlegen, ist natürlich nicht der Endpunkt. Wir
haben noch einige Prüfbitten und Prüfungen vor uns.
Der erste Punkt ist sehr wichtig: Es ist zu prüfen, ob die
Höhe des Kindergeldes in Zukunft an die Lebenshal-
tungskosten am Wohnort des Kindes angepasst wird.
Das ist eine wichtige Frage, die viele Menschen in
Deutschland beschäftigt, die europarechtlich aber nicht
leicht zu beantworten ist. Wir werden sie weiter intensiv
prüfen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gibt es denn dann auch mehr Kindergeld?)

Im Zusammenhang mit den Sozialleistungen insgesamt
stehen zwei Urteile des Europäischen Gerichtshofes an.
Wenn diese Urteile vorliegen, werden wir diesen Fall
und ähnliche Fälle zu bewerten haben und dann mögli-
cherweise noch Änderungen vornehmen. Schließlich
wollen wir unsere Arbeit evaluieren. Schon Ende 2014
wollen wir prüfen, ob die Maßnahmen ausreichen oder
ob weitergehende Maßnahmen geboten sind. Das Thema
bleibt sicher auf der Tagesordnung.

Ein wichtiger Schritt ist die Beratung und Verabschie-
dung des Gesetzes, das ich Ihnen heute vorstelle. Ich
bitte, wie eingangs begründet, um zügige Beratung und
eine möglichst große Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805415100

Vielen Dank, Herr Minister. – Nächste Rednerin ist

die Kollegin Ulla Jelpke für die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805415200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr

Minister, seit über einem Jahr wird insbesondere vonsei-
ten der CDU/CSU immer wieder über den angeblichen
Sozialhilfemissbrauch der Zuwanderer aus Osteuropa
geredet. Auch Sie haben es heute wieder so dargestellt.
Wir erleben seit einem Jahr eine regelrecht hysterische
Kampagne, die durch gar nichts gerechtfertigt ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Mit diesem Gesetzentwurf wird nur weiter Öl ins Feuer
gegossen. Sie schüren Vorurteile gegen Menschen aus
Osteuropa, insbesondere gegen Roma. Indem Sie die
Freizügigkeit eingrenzen, entziehen Sie diesen Men-
schen das Grundrecht auf europäische Freizügigkeit. Ich
sage ganz klar: Nicht mit der Linken!


(Beifall bei der LINKEN – Oswin Veith [CDU/CSU]: So ein Quatsch!)


Die Linke hat, wenn das Bundesministerium von der
Union geführt wurde und von dem angeblichen Sozial-
missbrauch die Rede war, immer wieder Kleine Anfra-
gen gestellt. Die Bundesregierung musste zugeben, dass
Zahlen dazu überhaupt nicht vorliegen; auch die Bun-
desagentur für Arbeit hat dies zugegeben. Auch der Be-
richt der Staatsminister, die sich lange damit befasst ha-
ben, hat keinerlei Beweise dafür gebracht. Trotzdem
wird hier die Schlussfolgerung gezogen, dass man ein
solches Gesetz braucht. Die Faktenlage beweist genau
das Gegenteil; das hat der Minister eben immerhin ge-
sagt. Unter den Zuwanderern aus Rumänien hat jeder
Vierte einen akademischen Abschluss. Die Arbeitslosen-
quote in Deutschland unter Bulgaren und Rumänen ist
niedriger als unter den übrigen EU-Ausländern.

Der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages
– Herr Minister, jetzt sollten Sie genau zuhören – hat ge-
sagt: Nicht der Missbrauch von Sozialleistungen ist un-
ser Problem. Unsere Hauptsorge ist, dass wir zu wenig
Geld haben, um diese Menschen unterzubringen und zu
integrieren. – Von 267 000 Rumänen, die in Deutschland





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

leben, sind laut Polizeilicher Kriminalstatistik ganze 91
verdächtig – verdächtig, nicht verurteilt –, Sozialleis-
tungsbetrug begangen zu haben. Man muss sich wirklich
an den Kopf fassen, wenn die CDU/CSU hier durch die
Sprecherin der Landesgruppe der CSU verkünden lässt,
man habe jetzt entscheidende Forderungen gegen den
Sozialbetrug bei der Armutszuwanderung durchgesetzt.
Nein, das haben Sie nicht. Was Sie getan haben, ist, die
Themen Zuwanderung und Freizügigkeit willkürlich mit
den Themen Missbrauch und Armut zu verrühren.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Genau das hat fatale Folgen. Sie fördern damit Ressenti-
ments in der Gesellschaft, die sich vor allem gegen Sinti
und Roma richten, auch wenn diese nur einen geringen
Teil der Zuwanderer ausmachen. Eine Leipziger Studie
hat uns Mitte des Jahres bestätigt, dass die Feindseligkeit
gegenüber Roma immer weiter ansteigt. Dieses An-
wachsen des Antiziganismus ist eine direkte Folge der
von der Union befeuerten Kampagne gegen vermeintli-
che Betrüger.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Oswin Veith [CDU/CSU]: So ein Unsinn!)


Zuwanderer aus Osteuropa kommen nicht hierher, um
Sozialleistungen zu beziehen. Sie kommen hierher, um
zu arbeiten. Das müssen Sie endlich einsehen. Hören Sie
auf mit Ihrer unfairen Kampagne!


(Beifall bei der LINKEN)


Arbeitslose EU-Bürger sollen jetzt nach sechs Mona-
ten Aufenthalt ihr Aufenthaltsrecht verlieren, wenn sie
keine Arbeit haben. Ich möchte einmal die Menschen se-
hen, die das schaffen. In Einzelfällen soll sogar von der
Wiedereinreisesperre Gebrauch gemacht werden. Der
Kindergeldbezug soll schärfer geprüft werden usw. Das
widerspricht absolut dem Gedanken der europäischen
Freizügigkeit. Das lehnen wir auch ganz klar ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die Kommunen brauchen
keine neuen Gesetze, sondern vor allen Dingen Unter-
stützung. Da wird jetzt auch einiges getan. Der Bund
gibt Geld an die Kommunen, insbesondere an die, die
bedürftig sind. Das ist gut und richtig. Wir schließen uns
aber dem Deutschen Städtetag an, der gefordert hat: Wir
brauchen einen Rechtsanspruch auf Integrationskurse
auch für EU-Bürger.

Mein Appell an die Bundesregierung ist: Belassen Sie
es bei der Hilfe für die Kommunen! Versachlichen Sie
die Debatte! Verzichten Sie auf Verschärfungen des Frei-
zügigkeitsrechts! Treten Sie rassistischen Stimmungen
entgegen! Nehmen Sie Antiziganismus endlich als Be-
drohung in unserer Gesellschaft wahr, und gehen Sie
entschlossen dagegen vor!

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805415300

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege

Dr. Lars Castellucci.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Lars Castellucci (SPD):
Rede ID: ID1805415400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Uns liegen der Abschlussbericht des Staatssekretärsaus-
schusses zur Zuwanderung und der Regierungsentwurf,
mit dem das EU-Freizügigkeitsgesetz geändert werden
soll, vor. Ich möchte auch drei Punkte ansprechen, Herr
Bundesminister. Zwei Punkte sehen wir ähnlich. Das ist
großkoalitionär doch gar kein schlechter Schnitt.


(Heiterkeit beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Monika Lazar [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da klatscht niemand!)


Bei dem dritten Punkt ist es ein bisschen anders. Aber
das müssen wir miteinander aushalten.

Erstens. Dieser Staatssekretärsausschuss war eine
sehr sinnvolle Einrichtung.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dass Sie sich nicht genieren! Elf Staatssekretäre ein halbes Jahr lang!)


Er hat einen guten Bericht vorgelegt und zur Versachli-
chung der Debatte beigetragen.

Zweitens. In den Großstädten, in denen sich die Pro-
bleme häufen, steht die Bundesregierung mit Hilfen an
der Seite dieser Kommunen. Auch das ist eine gute
Nachricht.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 20 Millionen Euro sind dabei herausgekommen! Dafür brauchten wir den Staatssekretärsausschuss?)


Drittens. Mit diesem Bericht gibt die Bundesregie-
rung im Prinzip Entwarnung. Er enthält nämlich keiner-
lei Anhaltspunkte, die die Aufregung rechtfertigen wür-
den,


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum ändern Sie denn dann das Freizügigkeitsrecht?)


die zur Einrichtung dieses Staatssekretärsausschusses
geführt haben.

Ich zitiere einmal aus dem Bericht. Erstes Zitat:

Die Bundesregierung steht zur Freizügigkeit und
Deutschland profitiert davon.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Applaus. Danke schön.


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Bei Zitaten gibt es immer Applaus!)


Guter Bericht. – Zweites Zitat:

Diese Menschen sind bei uns willkommen.





Dr. Lars Castellucci


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Drittes Zitat:

Der größte Anteil der Zugewanderten sind Arbeit-
nehmer. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt selbst
und tragen damit zugleich zum Wohlstand in unse-
rem Land bei.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Clemens Binninger [CDU/ CSU]: Das hat auch der Minister gesagt!)


– Das hat auch der Minister gesagt. – Ich würde jetzt am
liebsten zehn Minuten lang diese Sätze wiederholen,


(Beifall der Abg. Ulla Jelpke [DIE LINKE])


weil es mich manchmal in diesem Land etwas wahnsin-
nig macht, dass wir wegen 5 Prozent, die vielleicht nicht
optimal sind, die 95 Prozent, die eigentlich gut sind, aus
den Augen verlieren, und dass damit draußen Stimmung
gemacht wird.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Also: Wir profitieren von Zuwanderung. Wir heißen die
Menschen willkommen, und gemeinsam bringen wir
dieses Land voran. Wo es Probleme gibt, halten wir die
Augen offen und finden Lösungen. Das ist unser Weg.

Zum Begriff „Versachlichung“. So sachlich, wie wir
heute diskutiert haben, könnten wir die Debatte weiter
führen. Wenn wir sie so sachlich führen würden, brauch-
ten wir keine Staatssekretärsausschüsse, die zur Versach-
lichung beitragen müssen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig!)


Denn versachlichen muss man natürlich nur etwas, was
vorher unsachlich war. Dabei ist „unsachlich“ noch eine
freundliche Formulierung für einige der Debattenbei-
träge, die uns Anfang des Jahres zu Ohren gekommen
sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es hat ja nicht einzelner Parteien bedurft, um uns auf
diese Probleme hinzuweisen. Vielmehr haben wir uns
schon im Koalitionsvertrag darauf verständigt, dass wir
den betroffenen Städten und Gemeinden helfen müssen.
Das ist eine richtige Entscheidung gewesen.

Ich will jetzt nicht dieses geflügelte Wort ausspre-
chen; aber ich möchte ein Beispiel nennen: Missbrauch
der EU-Freizügigkeit. Was damit ausweislich des Be-
richts gemeint ist, ist, dass Menschen zu uns kommen,
dass also Zuwanderung stattfindet. Wenn aber die Men-
schen zu uns kommen, dann missbrauchen sie nicht die
EU-Freizügigkeit, sondern machen von ihrem Recht auf
Freizügigkeit Gebrauch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)

Das ist so, als würden wir jemandem, der mit 17 oder
18 Jahren die Fahrerlaubnis erhält, vorwerfen, dass er
anschließend mit dem Auto fährt. Probleme bekommt er
freilich, wenn er über eine rote Ampel fährt. Das ist
schon richtig; das ist auch gut so. Aber gerade für einen
Missbrauch oder zumindest für eine Rechtsverletzung
wird mit diesem Bericht kein Datenmaterial vorgelegt.

Ich finde, das muss hier klar gesagt werden;


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


denn das ist die Realität in diesem Lande, und von den
realen Gegebenheiten müssen wir ausgehen, sonst kön-
nen wir keine vernünftige Politik machen. Deswegen
möchte auch ich dazu aufrufen, dass wir miteinander
eine Rhetorik pflegen, die die Dinge klar benennt – das
ist selbstverständlich –, aber gleichzeitig deutlich macht,
dass die Menschen, die hier sind, und die Menschen, die
zu uns kommen, miteinander auskommen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir werden ohnehin vielfältiger und bunter werden. Das
ist nicht immer einfach.

Als ich hier in Berlin kürzlich in einem großen Wohn-
block war, habe ich im Fahrstuhl eine ältere Dame mit
ihrem Rollator getroffen, die mir sagte: Gott sei Dank
sieht man auch einmal wieder ein deutsches Gesicht.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Fahrstuhl hatte ich wenig Zeit für Differenzierungen
und habe mich auch nicht persönlich vorgestellt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe aber auch nicht den blöden Reflex gehabt,
gleich zu denken, dass die Dame ausländerfeindlich ist.
Wir müssen aufpassen, dass wir nicht immer nur in
Schubladen denken.

Ich habe mit Blick auf diese Dame folgende Ge-
schichte vor Augen gehabt: Sie wohnt dort schon Jahr-
zehnte, und ihr ganzes Umfeld verändert sich. Da sind
Leute weggezogen, mit denen sie lange zusammenge-
wohnt hat. Da sind vielleicht auch Leute verstorben, mit
denen sie befreundet war. Jetzt leben dort andere Men-
schen. Da geht es plötzlich anders zu. Es gibt andere
Bräuche; es riecht vielleicht auch anders. Es ist in die-
sem Hause vielleicht auch zu Zeiten laut, zu denen es
vorher nicht laut war. Das alles führt zu Irritationen. Die
Veränderungen müssen wir erst einmal annehmen und
auch gestaltend wirken. Ich frage mich, ob in diesem
Haus über die Hausordnung hinaus einmal jemand da-
rangegangen ist, die Menschen neu miteinander in Be-
ziehung zu setzen, dafür zu werben, dass man sich neue,
gemeinsame Spielregeln gibt. Vielfalt, Recht und Gesetz
und Spielregeln sind keine Gegensätze, sondern gehören
zusammen. Wir müssen also Vielfalt gestalten. Ich bin
der Überzeugung: Wenn wir Vielfalt gut gestalten wol-
len, dann brauchen wir positive Zukunftsbilder.





Dr. Lars Castellucci


(A) (C)



(D)(B)

Ich probiere das einmal. Also: Deutschland hat
60 Jahre Erfahrung mit Arbeitsmigration. Wir haben
Dinge falsch gemacht. Wir haben aber auch viele Dinge
gut gemacht. In jedem Fall haben wir eine Menge ge-
lernt. Wir wissen jetzt, was gutes Zusammenleben för-
dert und ausmacht. Wir wissen: Sprache ist der Schlüs-
sel. Wer würde dem in diesem Haus widersprechen?


(Clemens Binninger [CDU/CSU]: Widerspruch dazu gab es eine ganze Zeit lang!)


Wir wissen: Auf gute Bildung kommt es an. Gute Bil-
dung führt dazu, dass die Menschen ihre Potenziale ent-
wickeln und in die Gemeinschaft einbringen können. Ja,
wir setzen jetzt eine Frist von sechs Monaten. Aber wir
tun in diesen sechs Monaten alles, damit die Menschen
in Arbeit kommen können, damit sie hier ihre Talente
einbringen können; denn jedes Talent wird in einem
Land gebraucht, in dem künftig weniger Menschen le-
ben werden. Wir brauchen diese Menschen, um unseren
Wohlstand zu halten. Wir sehen die Sehnsucht der Men-
schen, die Sehnsucht nach Aufstieg, nach einer guten
Zukunft für sich selbst und ihre Kinder und vielleicht
auch den Willen, denen, die zurückgeblieben sind, zu
zeigen: Ja, wir haben etwas gewagt. Jetzt wollen wir
auch gewinnen. – Wir machen uns diese Potenziale und
diese Kraft zunutze. Aus diesen individuellen Lebens-
wegen erwächst ein Nutzen für Deutschland, wenn wir
das so wollen.

Im Bericht heißt es: Wir heißen die Menschen will-
kommen. Da heißt es nicht: Wir heißen die Menschen,
die willkommen sind, willkommen. Frau Jelpke, das will
ich Ihnen so sagen. Wir heißen die Menschen willkom-
men. Es finden sich in diesem Bericht keinerlei Hin-
weise darauf, dass wir Unterscheidungen treffen. Es
kann nämlich keine geteilte Willkommenskultur geben.
Wenn wir die Willkommenskultur teilen, dann schaffen
wir kein Willkommen, sondern stellen das Willkommen
unter Vorbehalt. Damit schaffen wir keine Willkom-
menskultur, sondern neue Vorbehalte.

Natürlich kann man die Zuwanderung auch nicht ein-
fach laufen lassen. Man muss sie steuern, man muss sie
gestalten. Das tun wir mit dem vorliegenden Gesetzent-
wurf zur Freizügigkeit. Wir können nicht alle Probleme
der Welt lösen, schon gar nicht hier.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht alles in diesem Gesetz?)


Deswegen ist mir in der aktuellen Situation, in der so
viele Flüchtlinge zu uns kommen, weil sie vor Folter,
Krieg und Vergewaltigung, vor Terror fliehen müssen,
wichtig, dass wir die Aufnahmebereitschaft in der Be-
völkerung erhalten. In meinem eigenen Wahlkreis gibt es
Ortsteile, in denen ein Viertel der dort lebenden Men-
schen Flüchtlinge sind. Das ist schwierig; aber es ist
auch toll, was ich dort an Hilfsbereitschaft erlebe. Ich
möchte, damit wir das nicht aufs Spiel setzen, dass wir
deutlich machen: Wir brauchen eine gesteuerte und ver-
nünftige Zuwanderung. Wir können die Dinge nicht lau-
fen lassen.
Wir wollen unterschiedliche Wege nach Deutschland
offenhalten, aus humanitären Gründen, für die Sicherung
des Fachkräftebedarfs usw.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben das mit Europa noch nicht so richtig verstanden, glaube ich! Das ist anders gemeint!)


Deswegen können wir es auch mittragen, dass eine Frist
von sechs Monaten eingeführt wird, die für EU-Bürger
gilt, die zur Arbeitssuche einreisen; sie haben in diesen
sechs Monaten Zeit, Arbeit zu finden. Der Europäische
Gerichtshof räumt uns die Möglichkeit einer Befristung
ausdrücklich ein. Weiterhin wird der Einzelfall betrach-
tet; es gibt keinen Automatismus. Es ist vorgesehen, dass
jemand, der sich ernsthaft um Arbeit bemüht, weiter
hierbleiben kann.

Der Gesetzentwurf enthält auch manches, was sich
Sozialdemokraten alleine vielleicht nicht ausdenken
würden. Aber er enthält auch kluge Vorschläge.

Frau Jelpke, ich schätze Sie,

(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Wir haben zehn!)


und Sie haben ein großes Herz. Das meine ich ernst.
Aber selbst Sie wollen doch kein Kindergeld an Kinder
zahlen, die es gar nicht gibt.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Das ist so minimal, wenn es überhaupt so ist! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und inwiefern hat das jetzt mit Bulgaren und Rumänen zu tun? Das habe ich nicht verstanden!)


Deswegen ist es doch klug, wenn wir Vorkehrungen tref-
fen, dass wir Kindergeld wirklich nur an diejenigen zah-
len, die auch kindergeldberechtigt sind.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Damit wird doch auch wieder ein Vorurteil geschürt!)


Es ist auch sinnvoll – der Bundesminister hat darauf
hingewiesen –, dass wir prüfen, ob wir die Lebenshal-
tungskosten in den Herkunftsländern betrachten, wenn
die Kinder dort leben und nicht hier bei uns. Dass man
Schwarzarbeit und Scheinselbstständigkeit bekämpft, ist
auch im Interesse der Linken. Denn auch Sie wollen ge-
meinsam mit uns für ordentliche Verhältnisse auf dem
Arbeitsmarkt sorgen. Deswegen sind diese Regelungen
im vorliegenden Gesetzentwurf ebenfalls sinnvoll.


(Beifall bei der SPD)

Meine Damen und Herren, ich möchte mit dem

schließen, was ich eingangs gesagt habe. Wir haben Pro-
bleme, die sich auf einige wenige große Kommunen be-
ziehen. Dort müssen die Hilfen jetzt auch schnell an-
kommen. Aber wir profitieren von Freizügigkeit. Wir
heißen die Menschen hier willkommen, und wir wissen
seit der Vorlage des Berichts des Staatssekretärsaus-
schusses, dass der größte Anteil derjenigen, die zu uns
kommen, den Lebensunterhalt selbst finanzieren kann
und zum Wohlstand in diesem Land beiträgt. Gute Nach-
richten!

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805415500

Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege

Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805415600

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gute

Rede, Herr Castellucci, vor allen Dingen der erste Teil,
in dem Sie sich nicht zum Gesetzentwurf geäußert ha-
ben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Freizügigkeit in der EU ist eine der wichtigsten
Errungenschaften des europäischen Einigungspro-
zesses und einer der sichtbarsten Vorzüge Europas
für die Bürgerinnen und Bürger.

So steht es im Gesetzentwurf. Das ist richtig, und so weit
gehen ungefähr die Gemeinsamkeiten zwischen uns und
den Vorstellungen der Koalition. Richtig ist auch: Sie
entlasten die Kommunen mit 25 Millionen Euro im Jahr.
Das ist aber bei weitem nicht ausreichend. Das ist ange-
sichts der Problemlage eher ein Witz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber dieser Gesetzentwurf – der Minister hat es ein-
gangs erwähnt – hat eine Geschichte. Er ist die Konse-
quenz der Kampagne der CSU unter dem Motto „Wer be-
trügt, der fliegt“. Ich meine jetzt nicht Frau Haderthauer;
ich meine die Bulgaren und Rumänen, denen Sie das un-
terstellt haben. Damit haben Sie eine Kampagne betrie-
ben und eine Welle gemacht, auf der die AfD locker in
drei Landtage surfen konnte. Das gehört zu Ihrer politi-
schen Verantwortung; denn die Fakten geben Ihre Kam-
pagne nicht her.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Ich habe die Bundesregierung wiederholt gefragt, ob
sie jetzt Zahlen hat, weil sie nicht im Bericht stehen. Die
Bundesregierung hat geantwortet: Für das Jahr 2013
wurden in der Polizeilichen Kriminalstatistik in Sachen
Sozialversicherungsbetrug 10 Bulgaren und 50 Rumä-
nen erfasst – als Tatverdächtige wohlgemerkt, nicht als
Verurteilte bzw. festgestellte Straftäter. In Bezug auf So-
zialleistungsbetrug – Kindergeld gehört dazu – waren es
44 Bulgaren und 91 Rumänen, wiederum als Tatver-
dächtige.

Im Gesetzentwurf finden wir eine Regelung zur Kin-
dergeldzahlung, gegen die ich in der Sache nichts habe.
Sie war übrigens schon einmal Gegenstand einer Frage
der Kolleginnen Franziska Brantner und Lisa Paus, die
sie in der Fragestunde an die Regierung gerichtet haben.
Damals ging es aber nicht um Bulgaren und Rumänen.
Es ging auch nicht um 40 oder 90 Tatverdächtige. Es
ging vielmehr um die Zahl von 2 400 Fällen mit einem
Schaden von 6,5 Millionen Euro durch Kindergeldbe-
trug. Laut Rechnungshofbericht von 2009 waren die Tä-
ter deutsche Beamte. Es geht also nicht um eine Rege-
lung, die die schlimmen Sozialbetrüger aus dem
europäischen Ausland betrifft, sondern um eine Rege-
lung, die Sie machen mussten, weil es bei den Familien-
kassen keine Ordnung und keinen Datenabgleich gibt.
Es ist richtig, den Doppelbezug zu verhindern. Aber so-
weit ich weiß, sind unter deutschen Beamten überwie-
gend keine Rumänen und Bulgaren; das ergibt sich aus
der Natur der Sache. Daher ist es infam, diesen EU-Bür-
gern die Schuld in die Schuhe zu schieben. Das zeigt die
Verlogenheit der ganzen Debatte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Genauso infam und absurd ist das, was Sie im Hin-
blick auf das EU-Freizügigkeitsrecht vorschlagen. Sie
haben wohlweislich die gegenwärtige Rechtslage als den
Regelungsgehalt Ihres Gesetzentwurfs dargestellt. Da
wäre ich bei Ihnen; denn die geltende Rechtslage ist ver-
nünftig. Wer ernsthaft Arbeit sucht, darf bei uns länger
als sechs Monate bleiben. Das kann die Ausländerbe-
hörde relativ gut beurteilen. Sie muss nur darauf achten,
was der Betreffende macht, um Arbeit zu finden. Wenn
er nichts tut, muss er schon nach heutiger Rechtslage
Deutschland verlassen, weil es ohne ernsthafte Arbeits-
suche keinen Grund zum Aufenthalt gibt. Aber Sie ver-
langen nun von den Ausländerämtern, was nur die
Arbeitsagenturen leisten können. Die Ausländerämter
sollen beurteilen, ob die Betreffenden mit Aussicht auf
Erfolg Arbeit suchen. Wie soll das der Jurist in der
Ausländerbehörde, der Paragrafen, aber nicht den Ar-
beitsmarkt kennt, überhaupt beurteilen? Diese sinnlose
Regelung wird zu vielen Prozessen und falschen Ent-
scheidungen in der Sache führen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Nun zum Erschleichen der Freizügigkeit. Herr de
Maizière, ich weiß, dass Sie ein kluger Mann und ein
sehr guter Jurist sind – ich bin keiner – und sich ausken-
nen. Warum Sie sich das von Herrn Seehofer in den Ge-
setzentwurf haben diktieren lassen, ist mir schleierhaft.
Sie wollen das Erschleichen der Freizügigkeit mit
Wiedereinreisesperren belegen und so Sozialbetrug be-
kämpfen. Nun besagt die EU-Freizügigkeitsrichtlinie in
Artikel 35 klipp und klar: Eine Entscheidung, die die
Freizügigkeit von Unionsbürgern beschränkt und nicht
aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und
Gesundheit erlassen wird, darf nicht mit einem Einreise-
verbot des Aufnahmemitgliedstaats einhergehen. – Diese
Regel ist klipp und klar. Ihre Regelung ist also von vorne
bis hinten EU-rechtswidrig und verstößt gegen den
Wortlaut europäischen Rechts. Wie Sie wissen, sind öf-
fentliche Ordnung und Sicherheit im europäischen Recht
nicht so zu verstehen wie im deutschen Polizeirecht.
Dazu gibt es eine Rechtsprechung des Europäischen Ge-
richtshofes. Dieser hat in einem Urteil gesagt: Die Tatsa-
che einer strafrechtlichen Verurteilung genügt für sich
allein nicht. – Dann genügt das falsche Ausfüllen eines
Sozialhilfeantrags oder eines ALG-II-Antrags erst recht
nicht. Ihre Regelung ist also Makulatur. Der EuGH muss
sie aufheben, wenn Sie nicht zu Verstand kommen. Ich
verstehe nicht, wie Sie nach Ihrer Rede einen solchen
europarechtswidrigen Unsinn mitmachen können. Ihre
Regelung dient nur dazu, die EU-Freizügigkeit in ihrem
Bestand zu diskreditieren. Das sollten wir nicht tun. Im





Volker Beck (Köln)



(A) (C)



(D)(B)

Gegenteil: Wir sollten sie verteidigen gegen die Ratten-
fänger von der AfD.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805415700

Herr Kollege Beck, auch bei großzügigster Ausle-

gung ist die Redezeit limitiert.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805415800

Das ist schade. Aber im Wesentlichen bin ich fertig.

Streichen Sie aus Ihrem Gesetzentwurf den Teil be-
treffend die EU-Freizügigkeit! Über die Kindergeldrege-
lung – weil sie in einem anderen Zusammenhang richtig
ist – und die Hilfe für die Kommunen können Sie mit
uns jederzeit reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805415900

Bevor ich jetzt unserer Kollegin Andrea Lindholz für

die CDU/CSU das Wort erteile, möchte ich ihr herzlich
gratulieren, weil sie heute Geburtstag hat. Herzlichen
Glückwunsch und ein glückliches neues Lebensjahr!


(Beifall)


Bitte, Frau Lindholz.


Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1805416000

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Zuerst möchte ich dem Staatssekretärs-
ausschuss für den detaillierten Bericht danken. Auf die-
ser Basis können wir uns einer zentralen Fragestellung
zuwenden: Wie kann die europäische Freizügigkeit mit
den nationalen Sozialleistungssystemen in Einklang
gebracht werden? Der Bericht zeigt uns, dass die Mi-
grationsströme aus den EU-Staaten nach Deutschland
zunehmen. Die steigende Mobilität der Europäer ist
grundsätzlich zu begrüßen und gewollt. Allerdings ist
die wesentliche Ursache dieses Zuwachses die anhaltend
schwierige wirtschaftliche Lage in Teilen Europas.

Die nationalen Sicherungssysteme werden von jedem
Mitgliedstaat selbstständig gestaltet und finanziert.
Deutschland ist durch seine Wirtschaftskraft in der Krise
zum Stabilitätsanker für unzählige Europäer geworden,
und darauf können wir stolz sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Natürlich profitiert Deutschland auch von der unkom-
plizierten Zuwanderung im Rahmen der europäischen
Freizügigkeit. Der Zuzug von Facharbeitern aus der EU
macht es gerade kleinen und mittleren Unternehmen
leichter, dem Fachkräftemangel zu begegnen. Wir brau-
chen zweifellos die Zuwanderung aus der EU. Aber die
europäische Freizügigkeit darf auch nicht sakrosankt
sein. Wir dürfen nicht nur ihre Vorteile sehen, sondern
wir müssen auch Probleme und Fehlentwicklungen an-
sprechen, sachlich diskutieren und die Freizügigkeit bei
Bedarf neu ordnen.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Der Bericht belegt eindeutig, dass die Freizügigkeit
auch Probleme verursacht. Binnen Jahresfrist ist die
Zahl der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten aus Ru-
mänien und Bulgarien in einigen deutschen Kommunen
um 40 Prozent, 80 Prozent, ja sogar um 147 Prozent ge-
stiegen. Vor allem in den strukturschwachen Regionen
und den Großstädten führt das zu erheblichen Proble-
men, und das bestätigen uns die betroffenen Kommunen
auch immer wieder.

Es ist daher nur konsequent, dass der Bund noch in
diesem Jahr 35 Millionen Euro bereitstellen wird – und
das sind keine Peanuts –, um die Kommunen bei den
Kosten für Wohnung, Heizung und Gesundheitsvorsorge
zu entlasten.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, das sind Peanuts!)


– Das mögen für Sie Peanuts sein, für mich sind es keine
Peanuts.

Ebenfalls werden Integrations- und Sprachkurse an
Brennpunkten intensiviert. Der Bund stellt über das Pro-
gramm „Soziale Stadt“ in den nächsten Jahren 200 Mil-
lionen Euro zur Verfügung, die die Kommunen durch ei-
gene, passgenaue Lösungen abfragen können. Die
Bundesregierung nimmt damit ihre Verantwortung ge-
genüber den deutschen Kommunen und Europa gleicher-
maßen wahr.

Es wäre aber falsch, zu glauben, dass wir diesen He-
rausforderungen, die die europäische Binnenmigration
mit sich bringt, alleine mit der Bereitstellung von Steuer-
geldern begegnen könnten. Die Wahlergebnisse der letz-
ten Monate zeigen, dass auch in Deutschland die öffent-
liche Zustimmung für ein zusammenwachsendes Europa
keine Selbstverständlichkeit ist. Als Bundespolitiker tra-
gen wir besondere Verantwortung, das Vertrauen unserer
Bevölkerung in die Europäische Union zu stärken.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr richtig! Sagen Sie das mal der eigenen Partei!)


Wenn die europäische Freizügigkeit missbraucht
wird, um vom deutschen Sozialleistungssystem zu profi-
tieren – da genügt ein einzelner Fall –, dann leidet ge-
rade dieses Vertrauen. Betrug und Missbrauch dürfen
wir nicht dulden; denn auch das schadet der europäi-
schen Idee.


(Beifall bei der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bei deutschen Beamten hatten Sie fünf Jahre Zeit vom Rechnungshofbericht bis heute! Das ist bigott!)


– Ich hatte sie nicht, Herr Kollege Beck. Ich bin erst seit
September letzten Jahres im Deutschen Bundestag.

Der vorliegende Gesetzentwurf zur Änderung des
Freizügigkeitsgesetzes setzt ein wichtiges Signal: Die
Bundesregierung benennt Missstände im Rahmen der





Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

europäischen Integration und will sie auch beheben. Der
Gesetzentwurf stellt das Erschleichen von Aufenthalts-
karten unter Strafe. Im Betrugsfall können Wiedereinrei-
sesperren von bis zu fünf Jahren verhängt werden. Der
Aufenthalt zur Arbeitssuche wird generell auf sechs Mo-
nate befristet. Wer nach einem halben Jahr keine begrün-
dete Aussicht auf Arbeit hat, muss ausreisen. An dieser
Stelle möchte ich dem Kollegen Beck zustimmen: Auch
nach meiner Auffassung sollten wir die begründete Aus-
sicht in der Gesetzesbegründung an konkrete und über-
prüfbare Kriterien knüpfen, um den Gerichten eine ein-
heitliche Rechtsprechung zu ermöglichen. Vorschläge
hierzu habe ich selbst unterbreitet.

Die Behörden werden im Kampf gegen Schwarzar-
beit und Scheinselbstständigkeit besser vernetzt. Die Ge-
werbeämter sollen schon den ersten Verdachtsfall auf
Scheinselbstständigkeit prüfen und ihn direkt der Fi-
nanzkontrolle Schwarzarbeit beim Zoll melden. Schließ-
lich werden durch die Steueridentifikationsnummer, die
jetzt angegeben werden muss, Missbrauch und vor allen
Dingen Doppelzahlungen verhindert. Dieses Maßnah-
menbündel stärkt das Vertrauen in Europa, und es zeigt
auch, dass die Bundesregierung handelt.

Ich sehe aber nicht nur eine Gefahr für die Zustim-
mung zu Europa in Problemen oder im Missbrauch. Zum
Beispiel wirft auch der legale Bezug von Kindergeld Ge-
rechtigkeitsfragen auf, die wir nicht einfach ignorieren
sollten. Ich begrüße daher ausdrücklich den im Bericht
enthaltenen Prüfauftrag. EU-Bürger, die in Deutschland
arbeiten, haben einen legalen Anspruch auf Kindergeld,
egal ob ihr Kind in Deutschland oder im europäischen
Ausland lebt. Das ist dem Grunde nach auch richtig. Ist
es aber richtig, dass ein Kind, das zum Beispiel in Polen
lebt, die gleichen 184 Euro Kindergeld erhält wie ein
Kind in Deutschland? Laut Eurostat liegt das Preisni-
veau für Lebensmittel in Polen um 45 Prozent unter dem
deutschen Niveau.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist dann mit der Schweiz und mit Luxemburg?)


Alle Kinder, die in Deutschland leben, werden damit im
Ergebnis schlechtergestellt, unabhängig davon, ob sie
deutsche oder andere Staatsbürger sind.

Daher bin ich der Auffassung, dass wir das Kinder-
geld an die Lebenshaltungskosten am Wohnort anpassen
sollten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch in der Schweiz?)


Nicht umsonst bzw. aus gutem Grund haben wir eine
solche Abstufung bereits im Unterhaltsrecht und im Ein-
kommensteuerrecht beim Kinderfreibetrag. Das Kinder-
geld dient ebenso wie der Kinderfreibetrag explizit der
Sicherung des steuerfreien Existenzminimums in
Deutschland.

Die Freizügigkeit ist ein großer Fortschritt. Ich will
sie auch nicht infrage stellen, aber sie muss mit den na-
tionalen Sozialleistungssystemen harmonieren. Ich bin
mir sicher, dass wir hier auf europäischer und nationaler
Ebene Handlungsspielräume haben, die wir nutzen
könnten. Jede Sozialleistung in einem Land hat dort eine
bestimmte nationale Zielvorgabe zu erfüllen. Eine Ab-
stufung des Kindergelds wäre ein Signal für ein gemein-
sames Europa, das auch in der Lage ist, offensichtliche
nationale Unterschiede zu berücksichtigen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Lars Castellucci [SPD])



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805416100

Vielen Dank, Frau Kollegin Lindholz. – Damit

schließe ich die Aussprache zu diesem Tagesordnungs-
punkt.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 18/2581, 18/960 und 18/2470 an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorge-
schlagen. – Weil sich kein Widerspruch erhebt, gehe ich
davon aus, dass Sie mit den Überweisungen einverstan-
den sind.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Nicole
Maisch, Friedrich Ostendorff, Steffi Lemke, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Tierschutz ernst nehmen – Tierleid verhin-
dern

Drucksache 18/2616
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erster Red-
nerin der Kollegin Nicole Maisch, Bündnis 90/Die Grü-
nen, das Wort.


Nicole Maisch (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805416200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Als Christian Schmidt, der Agrarminister, letzte Woche
seine Initiative für mehr Tierwohl vorgestellt hat, war
ich zunächst einmal überrascht, nicht darüber, dass er die
Initiative ergriffen hat – irgendwann in dieser Legislatur
musste ja einmal eine Initiative kommen –, sondern da-
rüber, dass er dieses Werk „Eine Frage der Haltung“ ge-
nannt hat. Das ist clever plagiiert. Das ist nämlich ein
grüner Slogan, mit dem wir nicht zuletzt bei der Land-
tagswahl in Niedersachsen Jahrzehnte schwarzer Agrar-
politik abgelöst haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Mal sehen, wie lange das hält!)


Aber bei Tierschutz führen wir keine Urheberrechtsde-
batten. Da können Sie sich die Etiketten gern nehmen,
wenn denn auch der Inhalt stimmt. Das ist in diesem Fall





Nicole Maisch


(A) (C)



(D)(B)

leider nicht so. Das ist ein Etikettenschwindel gegenüber
der Bevölkerung in diesem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, der Tierschutz braucht
klare Regeln, keine Lippenbekenntnisse, und das sehen
nach einer aktuellen Umfrage von PROVIEH 91 Prozent
der Deutschen so. 91 Prozent der Deutschen möchten
klare Gesetze, bessere Gesetze zum Schutz der Tiere.
Aber diese Bundesregierung und diese Koalition sind of-
fensichtlich nicht dieser Meinung.

Die Tierwohlinitiative des Ministers will ausschließ-
lich freiwillige Verbindlichkeit. Das ist nicht nur seman-
tisch interessant, sondern auch weitgehend wirkungslos.
Sie spielen auf Zeit – und das auf Kosten der Tiere.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für echten Tierschutz müssten Sie Haltung zeigen,
müsste der Minister Haltung zeigen, und zwar vor allem
gegenüber der eigenen Fraktion. Wer hat denn bei der
letzten Tierschutznovelle auch noch die kleinste Verbes-
serung kleingehäckselt? Das waren Abgeordnete der
Union. Das waren die eigenen Staatssekretäre von Ilse
Aigner.

Die Koalition sagt: informelle Gesprächsrunden zum
Tierschutz. Wir sagen: Dieses Parlament, dieser Raum
hier ist der Ort, um über mehr Tierschutz zu debattieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deshalb haben wir Ihnen einen Antrag vorgelegt, in dem
wir Ihnen das präsentieren wollen, was nicht nur die
Grünen, sondern auch Millionen von Bürgerinnen und
Bürgern in diesem Land von der Politik erwarten. Er-
möglicht werden muss nämlich ein würdiges Dasein für
die Tiere in diesem Land. Das bedeutet: Endlich Schluss
machen mit Qualzuchten!

Ich sage Ihnen: Die Leute in diesem Land wollen
keine Puten mehr, die unter dem Gewicht ihres eigenen
Brustfleischs zusammenbrechen. Die Leute wollen keine
Sauen mehr, die so viele Ferkel werfen, dass ein Teil da-
von auf der Steilkante kaputtgeschlagen werden muss.
Die Leute in diesem Land wollen auch keine Rasse-
hunde, die so dicke Köpfe haben, dass die Welpen nicht
mehr auf natürlichem Wege geworfen werden können,
sondern dass der Tierarzt per Kaiserschnitt nachhelfen
muss. Das ist pervers. Das kann so nicht bleiben. Da-
rüber muss man nicht lange reden, sondern das muss ein
Ende haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich sage Ihnen: Die Ställe in diesem Land müssen
sich den Bedürfnissen der Tiere anpassen, nicht die Tiere
müssen den Bedürfnissen der Ställe gemäß zurechtge-
schnippelt werden.

Kühe haben Hörner, Hühner haben spitze Schnäbel,
und Schweine haben Ringelschwänze. Eine Tierhal-
tungsform, der dazu nichts anderes einfällt, als zu ampu-
tieren und abzuschneiden, statt für Auslauf, Bewegung
und Beschäftigung der Tiere zu sorgen, hat ihre ethische
Legitimation verspielt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ralph Lenkert [DIE LINKE] – Zuruf von der CDU/CSU: Keine Ahnung!)


Der Minister tippt in seiner Tierwohlinitiative viele
wichtige Themen an. Das muss man ihm lassen. Er hat
die richtigen Überschriften gesetzt. Wenn er aber im Zu-
sammenhang mit dem illegalen Welpenhandel die Tier-
schutzverbände zum runden Tisch einlädt, dann muss er
auch darauf hören, was die Fachleute sagen. Diese sagen
zum Beispiel, Hunde müssen gekennzeichnet werden.
Das findet Staatssekretär Bleser aber überflüssig. Ich
finde, man braucht sich nicht zusammenzusetzen, um zu
reden, wenn man den Rat der Experten dann doch nicht
hören möchte.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn man wirklich für mehr Tierwohl sorgen
möchte, dann muss man das vergurkte Tierschutzgesetz
der vergangenen Legislaturperiode angehen. Das sagen
nicht nur die Grünen, sondern das sagt auch die EU-Tier-
versuchsrichtlinie. Diese schreibt eine faire Abwägung
zwischen Tierschutz- und Forschungsinteressen vor. Das
sind zwei Interessen von Verfassungsrang, die gegenein-
ander abgewogen werden müssen.

Ich sage Ihnen: Wenn es immer noch so ist, dass für
das Antifaltenmittel Botox jedes Jahr Tausende von
Mäusen totgespritzt werden, dann stimmt doch irgendet-
was nicht bei dieser Abwägung. Botox auf der einen
Seite, Mäuse totspritzen auf der anderen Seite. Ist das
wirklich eine faire Abwägung, wenn wir nicht einmal in
der Lage sind, diese Praxis zu beenden? Schließlich gibt
es schon tierversuchsfreie Alternativen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, dadurch wird sehr deutlich: Sie haben bei
der Tierschutznovelle Dinge verschlafen und schlecht
umgesetzt. Weil im Zusammenhang mit dem Tierschutz
in diesem Land so viel im Argen liegt, brauchen wir
schlagkräftige Strukturen in Deutschland, um die Tiere
zu schützen.

In einigen Bundesländern haben wir gute Erfahrun-
gen mit dem Verbandsklagerecht für Tierschutzorganisa-
tionen gemacht. In Hessen und in Baden-Württemberg
hat man gute Erfahrungen mit einem Beauftragten bzw.
mit einer Beauftragten für Tierschutz gemacht. Das
möchten wir auch für die Bundesebene.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, Tierschutz ist eine Frage
der Haltung. Damit hat der Minister recht. Wir werden
ihn daran messen, ob er bei dieser Frage auch Rückgrat
beweisen kann und wirklich etwas Substanzielles zum
Schutz der Tiere in diesem Land erreichen wird.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805416300

Nächster Redner ist für die Fraktion der CDU/CSU

der Kollege Dieter Stier.


Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1805416400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beraten
heute über den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen mit dem Titel „Tierschutz ernst nehmen – Tierleid
verhindern“.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Sehr gut!)


Zunächst einmal bin ich den Fraktionsgeschäftsfüh-
rern sehr dankbar, dass wir heute ein landwirtschaftli-
ches Thema und damit ein Thema, das in großer Breite
den ländlichen Raum in unserem Land tangiert, nicht
fünf Minuten vor Mitternacht, sondern jetzt debattieren
können.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das liegt an uns!)


Ich glaube im Übrigen, Agrarthemen haben es ver-
dient, zur besten Sendezeit im Hohen Haus beraten zu
werden.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr hättet auch mal so was aufsetzen können!)


Wie ernst die Union das gesellschaftlich bedeutende
Thema des Tierwohls nimmt und wie viel Aufmerksam-
keit sie diesem Thema schenkt, das konnten wir mit der
gerade von Ihnen zitierten Tierwohlinitiative unseres
Bundeslandwirtschaftsministers verdeutlichen,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie die Kollegin schon sagte!)


die in der vorigen Woche einer breiten Öffentlichkeit
vorgestellt wurde und die Sie gestern persönlich mit ihm
im Agrarausschuss debattieren konnten. Herr Staatsse-
kretär, ich bitte Sie, dem Minister noch einmal einen
herzlichen Dank auszurichten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Große Koalition wird dem Tierwohl – das ha-
ben wir auch im Koalitionsvertrag vereinbart – künftig
noch mehr Bedeutung beimessen als bisher. Meine Da-
men und Herren, wir leben in einem Land, das bereits
heute die höchsten Tierschutzstandards der Welt aufzu-
weisen hat. Gleichwohl gibt es nichts, das man nicht
noch besser machen kann. Sie, liebe Antragsteller, ver-
suchen nun, aufgeschreckt vom positiven Echo auf die
Initiative des Ministers, mit Ihrem eingebrachten Antrag
den erfolgreich eingeschlagenen Weg zu mehr Tierwohl
wieder einmal öffentlich zu beschädigen, anstatt an kon-
struktiven Lösungen mitzuwirken.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Liebe Frau Maisch, ich sage es Ihnen gleich zu Be-
ginn: Ihr Kalkül mit dem Bemühen der grünen Angst-
industrie wird nicht aufgehen. Eine verantwortungsbe-
wusste Politik, geschätzte Kollegen der Opposition,
erkennt man immer daran, dass man Lösungsmöglich-
keiten aufzeigt, die realistisch und auch umsetzbar sind.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat die Kollegin gemacht!)


Diesem Ziel fühlen wir uns als Union verpflichtet.

Wie diese Tierschutzvorstellungen in einer Gesell-
schaft mit modernen landwirtschaftlichen Produktions-
methoden, aber auch Verbraucher- und Tierschutzver-
bandsinteressen in Einklang zu bringen sind, wird im
Eckpunktepapier von Minister Schmidt umfassend und
in zehn Punkten fundiert festgeschrieben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Produktionsmethoden! Und das von einer katholischen Partei!)


Es ist eine tragfähige, programmatisch dichte Tier-
schutzkonzeption geworden, die uns über die Legislatur-
periode hinaus verpflichtet. Der von uns befürwortete
und mitgetragene Maßnahmenkatalog für mehr Tierwohl
ist ambitioniert, seine Vorhaben sind aber realistisch.

Sehr geehrte Kollegen der Bündnisgrünen, nun zu ei-
nigen Forderungen aus Ihrem Antrag im Detail. Wenn
ich einen Blick in diesen Antrag werfe, muss ich mit
Enttäuschung feststellen, dass Sie an den tatsächlichen
Erfordernissen eines zeitgemäßen Tierschutzes wieder
einmal völlig vorbei argumentieren. Ihre willkürliche
Zusammenstellung und Auflistung alter Forderungen
zeigt, dass Sie nicht willens sind, einen verantwortlichen
und gesellschaftlich akzeptierbaren Beitrag zum Tier-
schutz in Deutschland zu leisten, sondern dass Sie Emo-
tionen schüren wollen. Das ist für mich persönlich ent-
täuschend.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Drei Strukturelemente liegen Ihrem Antrag zugrunde:
Unterstellungen, Fehleinschätzungen und überdies noch
fachliche Unkenntnis. Lassen Sie mich hierzu nachfol-
gend einige Beispiele herausgreifen, die das belegen und
Ihren Irrweg aufzeigen werden.

Zuerst möchte ich auf Ihre Unterstellungen eingehen,
mit denen Sie uns vorwerfen, nichts zu unternehmen, ob-
wohl wir im Tierschutz erwiesenermaßen sehr aktiv
sind. Sie fordern in Ihrem Antrag, man müsse Tieren in
der Landwirtschaft ein würdiges Dasein ermöglichen.
Sie haben meine volle Zustimmung für diese Aussage.
Der Punkt ist, dass dies bereits überwiegend der Fall ist.
Mit der erst in der letzten Legislaturperiode erfolgten
Novellierung des Tierschutzgesetzes wurden weitere
Verbesserungen auf den Weg gebracht.


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Ich sage gleich: Schenkelbrand!)


– Dazu komme ich gleich noch.

Mit der Novelle des Arzneimittelgesetzes wurde der
Antibiotikaeinsatz bereits wirksam gesenkt. Ich bin auch
überzeugt, dass die Initiative der Branche weitere
Verbesserungen bringen wird. Man kann nicht oft genug
öffentlich feststellen, dass wir bereits über höchste Stan-





Dieter Stier


(A) (C)



(D)(B)

dards, auch im europäischen und internationalen Maß-
stab, verfügen.


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum muss der Minister dann eine Initiative machen, wenn alles so gut ist?)


Selbstverständlich gibt es auch schwarze Schafe.
Die vorhandenen Sanktionsmechanismen unserer Tier-
schutzgesetzgebung geben jedoch heute schon die Mög-
lichkeit, die Verantwortlichen ohne Ansehen der Person
zur Rechenschaft zu ziehen. Ich glaube, auch der Voll-
zug in den Bundesländern muss hierzu einen Beitrag
leisten.

Ich habe übrigens Vertrauen in unsere Behörden.
Kontrollen und Sanktionen geschehen aber oft auch
ohne mediale Begleitung und reißerische Berichterstat-
tung, sodass es von den ewigen Kritikern nicht wahrge-
nommen wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Sie unterstellen weiter, wir würden einer ungeregelten
Intensivtierhaltung freien Lauf lassen. Das ist eines Ihrer
absoluten Lieblingsargumente. Erstens haben Sie uns bis
heute keine Definition geliefert, was Sie unter den von
Ihnen häufig gebrauchten Begriffen verstehen. Zweitens
sage ich Ihnen: Jeder Stallneubau in diesem Land bringt
Verbesserungen für das Tierwohl. Es wäre deshalb hilf-
reich, diese Maßnahmen vor Ort nicht ständig zu verhin-
dern.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber dann müsste mehr Geld in den tierschutzgerechten Umbau von Ställen!)


Wir treten zielbewusst mit zahlreichen Maßnahmen
an, um die Haltungsbedingungen weiter zu verbessern.
Es gilt, sie den Bedürfnissen der Tiere weiter anzupas-
sen.

Die Tierwohlinitiative des Landwirtschaftsministers
sieht dabei auch vor, einige nicht kurative Eingriffe bei
Nutztieren zu beenden. Dabei dürfen nach unserer Auf-
fassung aber keine neuen Tierschutzprobleme entstehen.
Wir setzen hier auf einen konsensstiftenden Dialog der
beteiligten Akteure. Sie wollen ausschließlich mit Ver-
boten und Regulierungsinstrumenten gegen landwirt-
schaftliche Betriebe zu Felde ziehen. Das unterscheidet
uns.


(Beifall bei der CDU/CSU – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und bis wann soll das passieren?)


Forderungen zu stellen, die kein landwirtschaftlicher
Betrieb in der Praxis umsetzen kann, ohne seine ökono-
mische Existenz und damit seine landwirtschaftliche
Produktion selbst aufs Spiel zu setzen, sind mit uns nicht
zu machen.

Meine Damen und Herren, wir schauen nicht weg,
sondern stellen uns auch den hochkontroversen Tier-
schutzthemen. Es ist uns klar, dass zum Beispiel die Tö-
tung männlicher Küken in der jetzigen Form von der
Mehrheit der Gesellschaft keine Akzeptanz mehr erfährt.

(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts anderes sagen wir!)


Auch hier handeln wir entschlossen. Ergebnisse der For-
schung zur Geschlechtsbestimmung an Hühnereiern
werden bereits Anfang 2015 vorliegen. Dank der Tier-
wohlinitiative wird das BMEL die Umsetzung eines ge-
eigneten Verfahrens zur Geschlechtsbestimmung am Ei
in der Praxis begleiten und damit eine neue Lösung auf
den Weg bringen. Das ist ein Beispiel, an dem deutlich
wird, dass wir die aus der Gesellschaft an uns herange-
tragenen Tierschutzvorstellungen sehr ernst nehmen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann ist es gut, dass wir darauf gedrängt haben!)


Ich begrüße es, dass es in diesem Zusammenhang ei-
nen Kompetenzkreis Tierwohl geben wird: Praktiker,
Wissenschaftler und Vertreter von Tierschutzverbänden
und berufsständischen Organisationen werden die Um-
setzung politischer Maßnahmen kenntnisreich begleiten
und sich mit eigenen Vorstellungen einbringen. Darüber
hinaus haben wir, schon bevor die Tierwohlinitiative
vorgestellt wurde, in beträchtlichem Maße neue For-
schungsmittel in den Agrarhaushalt eingestellt, um die
finanziellen Voraussetzungen dafür zu schaffen, das
Tierwohl zu stärken. Ihr Vorwurf, wir würden die Augen
verschließen und den Nutztieren in der Landwirtschaft
ein würdiges Dasein verwehren, entbehrt jeder seriösen
Grundlage.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zweitens. Im Folgenden möchte ich auf den nächsten
großen Schwachpunkt Ihres Antrages, nämlich Ihre wie-
derkehrende Neigung zu Fehleinschätzungen, eingehen.
Richten wir hierfür unseren Blick einmal exemplarisch
auf die Tiere, die in deutschen Tierheimen untergebracht
sind. Sie verlangen in Ihrem Antrag, die Situation der
Tierheime zu verbessern.


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das verlangt der Koalitionsvertrag auch!)


Gut, dieser Forderung kann ich vorbehaltlos zustimmen.
Das ist richtig, muss unterstützt werden und ist im Koali-
tionsvertrag vereinbart; wir haben uns dazu bekannt.
Doch dann wird es abenteuerlich: Sie fordern nämlich,
die „Versorgung von abgegebenen oder entlaufenen
Haustieren auch in Fällen überdurchschnittlicher Belas-
tungen“ der Tierheime zu ermöglichen. Das klingt zu-
nächst harmlos und tierlieb. Doch wissen Sie eigentlich,
was das konkret heißt? Das ist das Gegenteil von Tier-
schutz. Schlimmer noch: Es ist falsch verstandener Tier-
schutz. Sie leisten damit einer unverantwortlichen Über-
füllung von Tierheimen rücksichtslos Vorschub, und
zwar auf Kosten von Tieren und Gesellschaft. Sie for-
dern hier praktisch die Überbelegung.

Wohin die fatalen, unsinnigen Forderungen führen,
die Sie hier aufstellen, kann ich Ihnen heute aus meiner
Heimatstadt Weißenfels brandaktuell – in der Mitteldeut-
schen Zeitung vom Dienstag dieser Woche nachzulesen –
berichten. Dort leitet eine nach Ihrem Verständnis be-





Dieter Stier


(A) (C)



(D)(B)

geisterte Tierschützerin ein Tierheim, dem Ende des Jah-
res die Schließung droht, und zwar weil die Leiterin die
Forderung aus Ihrem Antrag wortwörtlich umgesetzt
hat. Die Mängelliste ist erschreckend: kein Buch über
den Bestand an Katzen, Heim- und Quarantänezimmer
überbelegt, weder Büro noch Behandlungsraum vorhan-
den, Leiterin ohne Befähigungsnachweis, und die
Katzen fristen ihr Dasein im Dunkeln, bei hygienischen
Problemen und baulichen Mängeln. Die Tierheimleiterin
– so kommuniziert es die Facebook-Community –
sammle regelrecht Katzen, ohne dass sie auch nur eine
herausrücke. Das, liebe Kollegen, ist nicht das, was wir
wollen.

Drittens. Zuletzt will ich auf den Aspekt der fachli-
chen Unkenntnis eingehen. Selbstverständlich werde ich
das auch heute am Beispiel Ihrer erneuten Forderung
nach dem Verbot des Schenkelbrandes, einer langjährig
bewährten Methode der Kennzeichnung von Pferden,
tun.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein heißes Eisen, Herr Kollege!)


Hier fühle ich mich nicht nur als Landwirt, sondern auch
als ausgebildeter Pferdewirtschaftsmeister berufen, Ih-
nen einiges in Erinnerung zu rufen, was Sie offenbar
schon vergessen haben.


(Ute Vogt [SPD]: Das kann man doch wohl nicht gutheißen!)


Dass Sie dieses Thema wieder hervorholen, obwohl wir
es bereits in der letzten Legislaturperiode erschöpfend
parlamentarisch beraten und abgeschlossen haben,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil! Gerade deshalb, Herr Kollege!)


zeigt nur, dass Ihnen offenbar die Themen ausgehen. Es
gab eine Anhörung im Agrarausschuss, die alle wesentli-
chen Aspekte fachlich beleuchtete.


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Ergebnisse haben Sie nicht interessiert!)


Das Parlament hat mit großer Mehrheit und nach klarer,
reiflicher Überlegung und Abwägung der Argumente
entschieden.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sie
mich am Ende noch einmal grundsätzlich festhalten: Die
wachsende Bedeutung der Tierschutzbelange in der Ge-
sellschaft verlangt nach der richtigen Antwort, also nach
unserer Tierwohlinitiative. Als Abgeordnete dieses Hau-
ses unterstützen wir den Tierschutz mit ergänzenden
Mitteln. Wir werden das Thema kritisch begleiten, wo es
uns geboten erscheint.

Wir lehnen Ihren Antrag ab, weil wir den Tierschutz
bereits sehr ernst nehmen, weil wir bereits Tierleid ver-
hindern und – ich ergänze Ihre Überschrift – weil wir
uns bereits heute für mehr Tierwohl einsetzen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805416500

Für die Linke spricht jetzt der Kollege Hubertus

Zdebel.


(Beifall bei der LINKEN)



Hubertus Zdebel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805416600

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und

Herren! Es ist sehr zu begrüßen, dass wieder verstärkt
über Tierschutz und Tierwohl geredet und diskutiert wird,
auch hier im Deutschen Bundestag. Gesellschaftlicher
Druck konnte zwar bereits einige Verbesserungen zum
Wohl der Tiere durchsetzen, doch wir sind noch weit von
einem wirksamen Tierschutz entfernt. Die Linke ist der
Meinung, dass Tiere als Wesen zu akzeptieren sind und
nicht wie Sachen behandelt werden dürfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Darüber haben wir in der Vergangenheit immer wie-
der gestritten. In der vergangenen Legislaturperiode ha-
ben wir viele Anträge dazu eingebracht, zum Beispiel
Eindämmung von Megaställen, zum Ausstieg aus der
Qualzucht, zur Einführung eines Verbandsklagerechts
für Tierschutzverbände und vieles mehr. Ich füge hinzu:
Wäre in der vergangenen Legislaturperiode nur einer un-
serer Vorschläge tatsächlich aufgegriffen worden, wären
wir, was das Tierwohl angeht, jetzt sicherlich ein erheb-
liches Stück weiter.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass
die Akzeptanz in der Bevölkerung gegenüber der Agrar-
und Lebensmittelindustrie schwindet.

Eigentlicher Hintergrund für die heutige Diskussion
– das ist deutlich geworden – ist die in der vergangenen
Woche angekündigte sogenannte Tierwohlinitiative des
Landwirtschaftsministers. Wir werden diese Tierwohl-
initiative in den Punkten unterstützen, wo den Ankündi-
gungen auch Taten folgen, die zu spürbaren Verbesse-
rungen für das Tierwohl führen. Das ist völlig klar. Wir
werden den Minister aber auch scharf kritisieren und
stellen, wenn es bei der jetzigen Ankündigungspolitik
bleibt.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir finden es erst einmal gut, dass in dem Eckpunktepa-
pier einige Probleme erkannt und angesprochen werden,
aber dennoch gibt es von unserer Seite Kritik; denn die so-
genannte Tierwohlinitiative droht zu einem Scheinrie-
sen, vergleichbar mit dem bei Jim Knopf, zu werden: Je
näher man diesem Riesen kommt, desto kleiner wird er.

Das Eckpunktepapier des Ministers setzt auf die Frei-
willigkeit der Agrar- und Lebensmittelindustrie. Dass
aber Modelle der freiwilligen Selbstverpflichtung nichts
bringen, zeigen Erfahrungen aus der Vergangenheit. Da-
für gibt es zahlreiche Beispiele, egal ob bei der Dispo-
abzocke der Banken oder bei der Korruption im Gesund-
heitswesen. Ohne vernünftige gesetzliche Regelung
setzen sich eben nicht jene Betriebe durch, die auf so-





Hubertus Zdebel


(A) (C)



(D)(B)

zial-ökologische Verantwortung setzen. Sie werden
schlicht von denjenigen verdrängt, die ausschließlich
ihre Profite im Blick haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen vernünftige – ich betone: vernünftige –
gesetzliche Regelungen und wirksame Kontrollen, doch
diese sind in der Tierwohlinitiative nicht zu finden. Die
taz hat dies zu Recht mit „Warme Worte, keine Taten“
kommentiert. In der Tat: Das Abschneiden von Schwän-
zen bei Schweinen, das Kupieren von Schnäbeln bei Ge-
flügel oder das millionenfache Töten männlicher Küken
werden zwar angesprochen, aber gehandelt wird nicht.
Mit dieser Tierquälerei muss aber sofort Schluss sein.


(Beifall bei der LINKEN)


Daher ist der vorliegende Antrag der Grünen zu begrü-
ßen, weil er konkrete gesetzliche Maßnahmen in diesem
Bereich vorschlägt.

Interessant ist auch, was in der sogenannten Tier-
wohlinitiative nicht erwähnt wird, etwa dass in deut-
schen Tierfabriken millionenfach und ohne Betäubung
Ferkel kastriert werden oder dass Wildtiere in Wander-
zirkussen unter nicht artgerechten Bedingungen gehalten
und eingesetzt werden. Diese Liste ließe sich weiter fort-
setzen und zeigt: Wir brauchen endlich gesetzliche Schritte
und Verbote statt Absichtserklärungen und Selbstver-
pflichtungen.

Auch bei der Eindämmung von Tierversuchen
herrscht Zahnlosigkeit. Die jüngst heimlich gefilmte Do-
kumentation der Folter von Menschenaffen am Max-
Planck-Institut in Tübingen – leider geduldet durch eine
grün-rote Landesregierung – zeigt: Das ist nur die Spitze
des Eisberges, mit der wir es im Moment zu tun haben.

Laut Tierwohlinitiative soll nun die Ersatzmethoden-
forschung ausgebaut werden, und der Landwirtschafts-
minister erklärt, die Zahl der Versuchstiere eindämmen
zu wollen. Konsequent wäre es aber, die Logik umzu-
kehren, nämlich Tierversuche grundsätzlich zu verbieten
und nur noch in Ausnahmefällen zuzulassen.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Landwirtschaftsminister verweist auf die Verant-
wortung der Verbraucherinnen und Verbraucher. Dieses
Argument wird oft gebracht, wenn die Politik, wie auch
jetzt, nicht oder nicht konsequent handelt. Doch von der
Verantwortung der Verbraucherinnen und Verbraucher
zu reden und zugleich zu sinkenden Löhnen, Hartz IV
und millionenfacher Armut in Deutschland zu schwei-
gen, ist zynisch. Soziale Gerechtigkeit und nachhaltiges
Kaufverhalten müssen zusammen diskutiert werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Zusammengefasst: Die Tierwohlinitiative des Minis-
ters ist eine Mischung aus Absichtserklärungen und wir-
kungslosen Appellen an die Wirtschaft. Hier müssen Ta-
ten folgen. Daran werden wir Sie messen. Ich freue mich
auf weitere spannende Diskussionen im Ausschuss und
darauf, dass wir es tatsächlich schaffen, in dieser Legis-
laturperiode, an einigen Stellen vielleicht sogar gemein-
sam, etwas Vernünftiges auf den Weg zu bringen.
Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805416700

Vielen Dank. – Christina Jantz ist jetzt die nächste

Rednerin für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1805416800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lassen Sie
mich gleich zu Beginn – und auch nicht zum ersten Mal
an dieser Stelle – sagen: Wir als SPD nehmen den Tier-
schutz sehr ernst.


(Beifall bei der SPD)


Unser Ziel ist es, entscheidende Verbesserungen beim
Tierschutz auf den Weg zu bringen.

Als Tierschutzbeauftragte meiner Fraktion freue ich
mich deshalb besonders, dass Sie, liebe Kolleginnen und
Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen, uns bei dieser
Zielsetzung offensichtlich – das sieht man auch an Ihrem
Antrag – grundsätzlich unterstützen wollen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, aber hallo!)


Ich denke, gemeinsam teilen wir die Einschätzung, dass
wir jetzt handeln müssen.

Der Antrag, den Sie vorgelegt haben, enthält viele
gute Ziele. Darüber hinaus fordern Sie allerdings Dinge,
die bereits Gegenstand unserer aktuellen Haushaltsbera-
tungen sind. Lassen Sie mich hier beispielsweise die
Haushaltsmittel für die ZEBET nennen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doppelt hält besser!)


Zudem teile ich Ihre Kritik nicht, dass sich seit dem
Jahr 2002 im Tierschutz praktisch nichts getan habe. Im
Gegenteil: Die Menschen haben ihre Einstellung gegen-
über den Tieren geändert. Nicht nur im Konsumverhal-
ten, sondern allgemein hat sich ein Bewusstsein für mehr
Tierschutz entwickelt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sehen diese Veränderung an ganz unterschiedlichen
Stellen. Ein gutes Beispiel sind die sich verändernden
Konsumentenwünsche. Jüngste Studien zeigen erneut
sehr deutlich, dass die Verbraucher eine klarere Kenn-
zeichnung von Lebensmitteln wollen. Dazu gehören na-
türlich die Herkunftsangaben; dazu gehören aber auch
Angaben zu den Lebensbedingungen der Tiere.

Apropos Veränderungen: Wenn ich mir Ihren Antrag
und das Eckpunktepapier von Bundesminister Schmidt
anschaue, denke ich: Wer hätte noch vor wenigen Jahren
gedacht, dass die Grünen und ein Minister der CSU in
Sachen Tierschutz einmal an einem Strang ziehen wür-
den!





Christina Jantz


(A) (C)



(D)(B)


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verbal sind wir schon so weit!)


Es gibt anscheinend einen überfraktionellen Konsens für
mehr Tierschutz.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, wir als SPD sind uns seit
langem unserer Verantwortung bewusst. Wir wollen ein-
deutige Regelungen für den Tierschutz. Die SPD hat da-
für das Fundament geschaffen. Wir haben dem Thema
Tierschutz im Koalitionsvertrag viel Raum zugestanden.


(Beifall bei der SPD)


Wir werden, wie der Minister angekündigt hat, in einem
ersten Schritt die Haltungsbedingungen sowohl der
Nutz- als auch der Haustiere verbessern. Wir sind ver-
pflichtet, die sich verändernden gesellschaftlichen An-
sprüche an eine moderne Tierhaltung aufzugreifen und
– das sage ich auch klar – die erforderlichen gesetzlichen
Anpassungen auf nationaler Ebene vorzunehmen, aber
auch auf europäischer Ebene voranzutreiben.

Auch wenn das Grundgesetz eine art- und verhaltens-
gerechte Unterbringung und ausreichende Bewegungs-
freiheit für Tiere vorsieht, sehen wir, dass Tierschutzstan-
dards in der Landwirtschaft diesem Anspruch oftmals
nicht genügen. Ganz grundsätzlich möchte ich sagen:
Verstöße gegen das Tierschutzgesetz sind keine Kava-
liersdelikte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unser Ziel ist es, Systeme zur Haltung landwirtschaft-
licher Nutztiere an die arteigenen Bedürfnisse der Tiere
anzupassen. Aber auch – ganz wichtig – die Heimtiere
dürfen wir hierbei nicht aus dem Blick verlieren.

Zu Beginn der Woche haben wir seitens der SPD-
Fraktion uns gemeinsam mit Experten aus Österreich
und der Schweiz sowie Vertretern der Verbände und
verschiedener NGOs genau zu diesem Thema – obliga-
torische Prüf- und Zulassungsverfahren für artgerechte,
praxisgerechte Haltungssysteme – ausgetauscht. Ein Er-
gebnis war, dass einheitliche Systeme natürlich Vorteile
für alle Seiten bringen. Sie sind für die Tiere sowie die
Tierhalter von Interesse; aber auch die Hersteller hätten
endlich Investitions- und Rechtssicherheit. Dies ist je-
doch nur ein Schritt. Wir brauchen zudem klare Vorga-
ben für Betäubungseinrichtungen beim Schlachten sowie
schärfere Vorgaben für die Tiertransporte.

Ein weiteres Thema: Wir müssen die Qualzuchten be-
enden.


(Beifall bei der SPD)


Hier muss das Tierschutzgesetz konkretisiert werden.
Zudem werden wir den Wildtierschutz verbessern. Im-
porte von Wildfängen in der EU möchten wir grundsätz-
lich verbieten, und gewerbliche Tierbörsen für exotische
Tiere möchten wir untersagen. Diesen Zielen, insbeson-
dere dem Tierschutz, fühlen wir uns verpflichtet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen, ich teile Ihre Ansicht, dass zu lange
diskutiert wurde und die Vorgängerregierung in vielen
tierschutzrelevanten Bereichen nicht gehandelt hat. Nun
liegt aber ein Eckpunktepapier des Ministers für mehr
Tierschutz vor. Allerdings müssen Taten folgen.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Petra Crone [SPD])


Ich lade Sie daher ein, auf einer sachlichen Ebene mit
uns gemeinsam Lösungen zu erarbeiten; denn wir wollen
das Beste für die Tiere erreichen.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805416900

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Artur

Auernhammer, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1805417000

Verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Wer mit Tieren umgeht, der weiß, dass schnelle und hef-
tige Bewegungen nicht zum Erfolg führen, sondern man
ruhig und sachlich an das Tier herantreten sollte. Das
sollte auch für unsere Debatte über den Tierschutz gel-
ten. Wenn wir zum Erfolg kommen wollen, dann müssen
wir sachlich darüber diskutieren und die besten Lösun-
gen finden.

Die Frage der Haltung von Tieren, die Frage von Tier-
schutz und Tierwohl, ist aber auch eine Frage der Ethik,
eine Frage des Selbstverständnisses unserer Gesell-
schaft. Der Kollege von den Linken hat gerade erwähnt,
dass Tiere eigentlich ein Wirtschaftsgut sind und dass
wir Tiere nicht als Wesen bezeichnen. Als Landwirt
muss ich dazu sagen: Für mich sind meine Tiere im Stall
Wesen, mit denen ich gerne umgehe, die mich kennen,
die ich alle beim Namen kenne.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum stehen sie dann im Stall?)


Deshalb bitte ich, dass wir in der öffentlichen Diskus-
sion die Leistungen unserer Landwirte, unserer Bäuerin-
nen und Bauern nicht so diskreditieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Seit dem Jahr 2002 ist der Tierschutz als Staatsziel im
Grundgesetz verankert. Dass wir weiter darüber disku-
tieren müssen und wir hier weiterhin gemeinsam nach
guten Lösungen suchen sollten, ist uns klar. Minister
Schmidt hat eine Tierwohlinitiative vorgelegt, die von
uns in der Regierungskoalition gemeinsam getragen
wird; davon gehe ich aus. Meine sehr verehrten Damen
und Herren von den Grünen, ich wäre dankbar, wenn Sie
mit uns über diese Initiative des Bundesministers disku-
tieren würden. Ich sehe Ihren Antrag eigentlich als Dis-





Artur Auernhammer


(A) (C)



(D)(B)

kussionsgrundlage im Zusammenhang mit dieser Initia-
tive.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke, Kollege! Genau so war es gedacht!)


Hinsichtlich der Zielvorstellungen gehen unsere Ansich-
ten an der einen oder anderen Stelle allerdings auseinan-
der.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805417100

Herr Abgeordneter Auernhammer, gestatten Sie eine

Zwischenfrage der Kollegin Bulling-Schröter von der
Fraktion Die Linke?


Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1805417200

Ja, gerne.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805417300

Bitte schön.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805417400

Danke schön, Kollege Auernhammer. – Ich habe in

der Rede meines Kollegen nicht gehört, dass er die Bau-
ern diskreditiert hat. Auch Sie kennen sicher die Fern-
sehberichte, in denen gezeigt wird, wie eine Hilfskraft in
einer großen Agrarfabrik durch die Reihen geht, ein,
zwei Ferkel herausnimmt und erschlägt. Das ist nicht,
wie Herr Stier sagt, Meinungsmache. Wenn ich mich
recht erinnere, ging es um das Bundesland, aus dem er
kommt. Ferkel so zu töten, so etwas muss doch definitiv
abgeschafft werden.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich vermisse auch eine Diskussion über die Frage,
wie man dagegen vorgehen kann, dass die Preise von
großen Lebensmittelkonzernen diktiert werden. Die
Bauern – das sagen Sie zu Recht – lieben vielfach ihre
Tiere. Aus wirtschaftlichen Gründen können sie aber gar
nicht anders, als die Tiere so zu behandeln, wie sie es
tun. Mir fehlt eine Debatte darüber, dass Lebensmittel
etwas wert sein müssen, darüber, dass nicht zulasten der
Tiere Profit gemacht werden darf, darüber, dass kein
Tierleid produziert werden darf. Das wollte ich Ihnen ei-
gentlich nur sagen, und ich wollte Sie fragen, ob Sie
diesbezüglich meine Meinung teilen.


Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1805417500

Sehr verehrte Frau Kollegin, warten Sie ab, bis ich

mit meiner Rede zu Ende bin, dann werden Sie sicher-
lich auch davon überzeugt sein, dass wir die eine oder
andere Gemeinsamkeit haben. Große Missstände in gro-
ßen Tieranlagen kenne ich aus der Zeit, aus der Ihre Par-
tei eigentlich stammt. Das möchte ich hier noch erwähnt
haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zurufe von der LINKEN: Oh! – Dagmar Ziegler [SPD]: Das ändert aber jetzt an der Wahrheit von heute auch nichts!)

Wir wollen also gemeinsam darüber diskutieren, wie
wir den Tierschutz weiter nach vorne bringen. In der
letzten Legislaturperiode wurde hier bereits sehr massiv
über die Ferkelkastration gestritten. Ich selbst habe in
meiner Ausbildungszeit auch Ferkel kastriert. Diese Fer-
kel waren 15 bis 20 Kilo schwer. Das war weder für das
Ferkel noch für den Lehrling eine angenehme Erfahrung.
Heute werden Ferkel bereits am dritten oder vierten Le-
benstag durch einen kurzen chirurgischen Einschnitt
kastriert. Nach der Kastration haben die Ferkel eigent-
lich nur ein Ziel: Wie komme ich am schnellsten wieder
zur Muttersau, damit ich an die gute Muttermilch heran-
komme? Das ist jetzt die Situation in den Betrieben.
Diese sollten wir unterstützen, und wir sollten nicht mit
überzogenen Auflagen noch mehr Bürokratie gerade für
die kleinstrukturierten Betriebe schaffen.

Wir sollten uns aber auch bewusst sein, dass Tierställe
keine Streichelzoos sind. Tierställe sind nach wie vor die
wirtschaftliche Grundlage für viele Bäuerinnen und Bau-
ern und für viele Familienbetriebe. Deshalb sollten wir
die Sachlichkeit in der Diskussion wahren. Gerade im
Bereich der Rinderhaltung – da bin ich bei der kleinbäu-
erlichen Struktur – wurden sehr viele neue Investitionen
in sogenannten Kuhkomfort getätigt, wodurch eine Um-
stellung von Anbindehaltung auf Laufstallhaltung er-
folgt ist. Die Tiere haben mehr Platz. Sie können sich be-
wegen. Sie fühlen sich wohl. Ich glaube, das ist gut so.
Wenn wir hier mit Forderungen zu schnell vorangehen,
werden wir gerade diese bäuerlichen Familienstrukturen
zerstören und diese Betriebe zum Aufgeben zwingen.
Das ist nicht meine Intention.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gerade die Zuchtverbände und die Besamungsorgani-
sationen arbeiten zum Beispiel intensiv daran, die Horn-
losigkeit bei der Tierzucht voranzubringen, damit eine
Enthornung von Kälbern nicht mehr notwendig ist. Ich
habe hier bereits gute Erfolge gesehen. Hier sind wir auf
einem sehr guten Weg. Diesen sollten wir weiterhin be-
schreiten. Das gilt auch für andere Tierhaltungsformen.
Die Zucht nach Hornlosigkeit wird sicherlich einen Bei-
trag dazu leisten, dass unsere Tiere tiergerechter gehal-
ten werden können.

Ich darf hier auch erwähnen, dass gerade in der
Milchviehhaltung seit den letzten Jahren verstärkt der
Fokus auf die Langlebigkeit, auf die Lebensleistung der
Tiere gelegt wird und nicht auf den schnellen Profit im
ersten Jahr. Ich glaube, hier sind wir in der Landwirt-
schaft auf einem guten Weg. Auf diesem sollten wir uns
weiter bewegen.

Ich komme zum Thema Tiertransporte. Das ist natür-
lich ein Lieblingsthema der Grünen. Tiertransportzeiten
sollten möglichst kurz gehalten werden. Ich bin aber
auch ein Freund marktwirtschaftlicher Entscheidungen.
Wenn ich meine Schlachttiere nur für eine bestimmte
Zeit transportieren darf, dann bin ich dazu verdonnert,
meine Tiere zu bestimmten Abnehmern in der Nähe zu
liefern. Würden Ihre Forderungen umgesetzt, könnte ich
mir die Vermarktungsorganisation nicht aussuchen, weil
der Transport dorthin vielleicht eine halbe Stunde zu





Artur Auernhammer


(A) (C)



(D)(B)

lange dauert. Das kann keine tiergerechte Transportlö-
sung sein.

Die gesamte Tierschutzdebatte hat auch einen euro-
päischen und vor allem einen internationalen Ansatz. Es
macht wenig Sinn, wenn wir – es ist bereits erwähnt
worden – in Deutschland die höchsten Tierschutzstan-
dards haben und dann mit noch höheren Standards un-
sere Tierhaltung herunterfahren, stilllegen, uns aus der
Tierhaltung verabschieden. Das soll nicht unsere Land-
wirtschaftspolitik sein. Wir wollen mit unseren Tierhal-
tungsformen in Deutschland Vorbild sein für andere
Staaten, auch für die Kollegen in Holland, die das eine
oder andere vielleicht nicht so freundlich machen, wie es
sein soll.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


– Der Herr Kollege Ebner hat eine Frage, und bevor Sie
fragen, Frau Präsidentin: Ich möchte diese Frage zulas-
sen.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805417600

Das entscheide immer noch ich.


(Heiterkeit – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/ CSU]: So ist es in Ordnung!)



Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1805417700

Okay.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805417800

Bitte schön: Sie dürfen die Frage zulassen, und ich

entscheide, dass er jetzt reden darf.


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805417900

Vielen herzlichen Dank, Herr Kollege Auernhammer,

für die Schaffung der Aufmerksamkeit aufseiten des Prä-
sidiums.

Sie haben die bäuerlichen Betriebe angesprochen. Da
sind wir uns vollständig einig. Deshalb möchte ich Sie
jetzt fragen, ob Sie mit mir einer Meinung sind, dass
wir darüber nachdenken sollten, wie wir die Betriebe
bei einer schnelleren Umstellung auf tiergerechte Hal-
tung, für mehr Tierschutz, finanziell unterstützen kön-
nen – vielleicht fallen uns auch noch andere Arten der
Unterstützung ein; aber Geld ist immer das Erste, was
einem einfällt –, um, Sie haben das angesprochen, diese
Ungleichheit am Start zwischen größeren Betrieben und
den kleinen, bäuerlichen Familienstrukturen besser aus-
zugleichen.


Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1805418000

Herr Kollege, da bitte ich Sie, einmal einen Blick auf

die bayerische Agrarpolitik zu werfen. Wir haben hier
sehr umfangreiche Stallfördermaßnahmen. Sicherlich
kann man hier das eine oder andere mehr tun. Aber In-
vestitionen gerade in Milchviehanlagen sind sehr teuer;
da reden wir sehr schnell von einer halben Million Euro.
Wir unterstützen das nach wie vor. Mir wäre es auch lie-
ber, wir könnten hier mehr Geld in die Hand nehmen.
Ich werde mich auch dafür einsetzen, um den Umbau
von der – ich sage es jetzt konkret – Anbindehaltung zur
kuhkomfortgerechten Laufstallhaltung zu ermöglichen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Frau Präsidentin, habe ich jetzt noch Zeit?


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805418100

Für den Schlusssatz haben Sie noch Zeit.


Artur Auernhammer (CSU):
Rede ID: ID1805418200

Wenn wir dann allerdings all diese gesellschaftlichen

Anforderungen erfüllen – mehr Tierschutz, mehr Tier-
wohl –, ist aber das Entscheidende: Honoriert uns das
auch der Verbraucher? – Da habe ich, das sage ich ganz
ehrlich, manchmal meine Zweifel.

Ich glaube aber nicht, dass es nur am Verbraucher
liegt – es liegt auch an den Strukturen in unserem Le-
bensmitteleinzelhandel.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wenn wir heute hören, dass ganze 85 Prozent der Le-
bensmittel, die in Deutschland gehandelt werden, von
gerade einmal einer Handvoll Lebensmitteleinzelhändler
vermarktet werden, dann erkennen wir: Wir haben hier
eine große Aufgabe. Hier ist die Landwirtschaft gefor-
dert; aber auch wir, die Politik, sind gefordert, uns dage-
gen aufzustellen und die Vermarktungsstrukturen besser
zu begleiten.


(Beifall der Abg. Petra Crone [SPD])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805418300

Vielen Dank. Jetzt ist der Schlusssatz wirklich zu

Ende.


(Abg. Artur Auernhammer [CDU/CSU] verneigt sich vor dem Präsidium – Heiterkeit – Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


– Bitte schön. Wir waren jetzt wirklich großzügig.

Nächste Rednerin ist Ute Vogt, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ute Vogt (SPD):
Rede ID: ID1805418400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der Kollege Auernhammer hat es schon angesprochen:
Wir haben in Artikel 20 a unseres Grundgesetzes – mit
Ihrer Erlaubnis, Frau Präsidentin, zitiere ich – festge-
schrieben:

Der Staat schützt auch in Verantwortung für die
künftigen Generationen die natürlichen Lebens-
grundlagen und die Tiere im Rahmen der verfas-
sungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung …

Wir haben uns damit als Haus mit einer deutlichen
Mehrheit – mit einer Zweidrittelmehrheit – eindeutig





Ute Vogt


(A) (C)



(D)(B)

verpflichtet. Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, ich
denke schon, dass wir dieser Verpflichtung durch die
praktische Gesetzgebung besser nachkommen müssen,
als es bisher passiert ist.

Herr Kollege Stier, ich bin aufgrund Ihres Redebei-
trags etwas ernüchtert – so will ich es einmal sagen –,
weil es jetzt nicht darum geht, dass es ein paar schwarze
Schafe gibt, die man irgendwie herausfinden und zur
Ordnung rufen muss; bei diesem Thema geht es viel-
mehr um eine grundsätzlich andere Einstellung.


(Beifall bei der SPD)


Die Einstellung hat sich bei vielen Menschen – ge-
rade auch bei vielen Verbraucherinnen und Verbrauchern
in Deutschland – schon sehr verändert. Es geht darum,
dass der angesprochene Lebensmitteleinzelhandel und
eben auch die Landwirtschaft sowie die Erzeuger im Zu-
sammenwirken mit uns entsprechend reagieren. Deshalb
finde ich es so bedauerlich, dass Sie so unsinnige und
– ich sage es jetzt wirklich einmal so – quälerische
Dinge wie den Schenkelbrand auch heute wieder vertei-
digt haben.


(Nicole Maisch [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist unerträglich! – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das Schächten ist viel schlimmer!)


Ich will Ihnen sagen: Wir haben jetzt eine andere Ko-
alition als in der letzten Legislaturperiode.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte nicht mehr erleben, dass es uns so ergeht wie
beim letzten Mal, als Frau Aigner etwas durchaus
Brauchbares vorgelegt hat, wovon am Ende praktisch
nichts mehr übrig geblieben ist.

Wir sind wirklich fest entschlossen, Minister
Christian Schmidt in seinen Überlegungen mit voller
Kraft zu unterstützen. Wir haben das im Koalitionsver-
trag gemeinsam vereinbart, und es reicht nicht aus, wenn
Sie sich jetzt darauf zurückziehen, im Grunde nur das zu
tun, was Sie auch in der letzten Legislaturperiode schon
nicht tun wollten. Es muss also schon ein bisschen mehr
sein. Es geht auch darum, dass wir das alles nicht zwei
Jahre lang hinauszögern dürfen. In vielen Bereichen lie-
gen die Erkenntnisse vor und ist die Qual offensichtlich.
Es ist unsere Aufgabe – auch nach dem, was uns das
Grundgesetz vorgibt –, hier zügig zu handeln.


(Hubertus Zdebel [DIE LINKE]: Dann können wir ja gemeinsam etwas tun!)


Es geht uns darum, den Verbraucherinnen und Ver-
brauchern die Chance zu geben, ihre Entscheidung auf
der Grundlage der besten Information zu treffen. Der
Deutsche Tierschutzbund hat gestern eine Kampagne
mit dem Titel „Hinter billig steckt mehr als Sie denken“
ins Leben gerufen. Mit dieser Kampagne sollen auch die
Verbraucherinnen und Verbraucher darauf aufmerksam
gemacht werden, was es bedeutet, wenn man den Wert
von Tieren, von Mitgeschöpfen, nicht erkennt – übrigens
auch zulasten der Landwirte – und einfach versucht, die
Verbraucherinnen und Verbraucher durch immer mehr
Dumpingpreise zu locken, wodurch noch mehr Elend in
der Tierhaltung hervorgerufen wird.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])


Uns geht es darum, dieses Elend nicht nur zu reduzie-
ren, sondern tatsächlich auch zu beenden. Ich denke, hier
geht es um eine Bewusstseinsänderung. Das können wir
nicht nur einzelnen Tierschützern überlassen, die mit
entsprechenden Kampagnen tätig werden,


(Gitta Connemann [CDU/CSU]: Ja!)


sondern wir sind hier aufgefordert, die notwendigen ge-
setzgeberischen Maßnahmen zu ergreifen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Gitta Connemann [CDU/CSU])


Ich glaube, die Bereitschaft in der Gesellschaft ist da. Ich
sehe auch in der Landwirtschaft immer mehr verantwor-
tungsvolle Menschen, die gerne einen anderen Weg mit
uns gehen wollen.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die meisten sind in der CDU!)


Deshalb will ich noch einmal sagen: Wir sollten mög-
lichst schnell vorgehen und nicht bei jeder Maßnahme
die vorgesehene Dialogzeit von zwei Jahren ausnutzen.
Wir müssen damit anfangen, das, was notwendig ist,
Stück für Stück umzusetzen. Darauf freuen wir uns, und
ich glaube, wir können hier möglicherweise etwas errei-
chen, hinter dem wieder, wie damals bei der Aufnahme
des Tierschutzes ins Grundgesetz, das ganze Haus steht.
Das fände ich ideal; denn es geht um eine sehr ethische
Bewertung dieser Themen und nicht nur um Streitereien
zwischen den einzelnen Fraktionen.

In diesem Sinne hoffe ich auf eine konstruktive Zu-
sammenarbeit aller Fraktionen, aber vor allen Dingen
auch auf eine zügige Umsetzung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805418500

Vielen Dank. – Wir sind damit am Ende dieser De-

batte.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/2616 an die in der Tageordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der
CDU/CSU und SPD eingebrachten Entwurfs ei-
nes … Gesetzes zur Änderung des Urheber-
rechtsgesetzes

Drucksache 18/2602
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz (f)






Vizepräsidentin Ulla Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für Kultur und Medien
Ausschuss Digitale Agenda

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Christian
Flisek, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Christian Flisek (SPD):
Rede ID: ID1805418600

Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-

legen! Ich möchte Ihnen heute einen Gesetzentwurf zur
Entfristung einer Regelung im Urheberrechtsgesetz vor-
stellen. Zusammen mit den Kolleginnen und Kollegen
der Union haben wir uns darauf verständigt, den § 52 a
im Urheberrechtsgesetz in seinem Inhalt unangetastet
und ohne weitere Befristung in den urheberrechtlichen
Normenbestand zu übernehmen. Ich finde, auch mit
solch scheinbar kleinen Gesetzesänderungen kann man
manchmal Weitreichendes bewirken. Dieser Paragraf ist
von großer Relevanz, wenn es um einen angemessenen
und zeitgemäßen Zugang junger Menschen zu Bildung
und Lehrmaterialien geht.

Meine Damen und Herren, lassen Sie mich das an ei-
nem Beispiel verdeutlichen. Stellen Sie sich die allge-
meine Situation in einer Schule oder an einer Universität
vor: Studenten an einer Universität sollen für ein Semi-
nar ein kurzes Kapitel aus einem Lehrbuch durcharbei-
ten, oder Schüler sollen im Deutschunterricht ein be-
stimmtes Gedicht aus einem Sammelband lesen, um es
dann im Unterricht zu behandeln. Wie wird dieses Lehr-
material heute den Schülerinnen und Schülern zur Verfü-
gung gestellt?

Wie den meisten von uns erging es auch mir so:
Früher hat der Lehrer das kopiert und anschließend
ausgeteilt. Das hat sich geändert. Heute haben interne
Netzwerke mit passwortgeschützten Zugängen für Schü-
lerinnen und Schüler und für Studenten Einzug gehalten.
Sie erleichtern auch das Leben aller Beteiligten. Die
Lehrkraft scannt die entsprechenden Seiten ein und stellt
sie den Schülern und Studenten im Intranet der Schule
oder der Universität zur Verfügung. Die Schüler und
Studenten laden sich das Unterrichtsmaterial einfach he-
runter. Genau das erlaubt § 52 a des Urheberrechtsgeset-
zes – jedoch nach geltender Rechtslage nur noch bis zum
Ende dieses Jahres. Deshalb bringen wir heute den vor-
liegenden Gesetzentwurf in den Bundestag ein. Wir nut-
zen hiermit die Chancen der Digitalisierung und stellen
die geschilderten, etablierten alltäglichen Arbeitsweisen
in Schulen und Universitäten dauerhaft auf rechtlich sta-
bile Füße.

Und diejenigen, die sich in der Vergangenheit mit Ur-
heberrechtsfragen beschäftigt haben, wissen: Der § 52 a
des Urheberrechtsgesetzes hat eine Geschichte hinter
sich, genauer: eine über zehnjährige Geschichte. Mit be-
fristeter Geltungsdauer ist er im Jahr 2003 erstmals ein-
geführt worden. Die Befristung wurde dreimal verlän-
gert. Aber die damaligen Koalitionen – auch das muss
man sagen – konnten sich nicht dazu durchringen, diese
Norm endgültig zu entfristen, sehr zu meinem Unver-
ständnis.

Ich möchte anfügen, dass ein Gesetzentwurf meiner
Fraktion bereits in der letzten Legislaturperiode eine sol-
che unbefristete Geltung vorgesehen hat. Dieser Stand-
punkt fand damals allerdings leider keine Mehrheit. Des-
halb bin ich froh, dass wir heute einen wesentlichen
Schritt weiter sind und diesen Paragrafen hoffentlich
ohne größere Aufregung entfristen können. Das ist ein
gutes Zeichen an alle Bildungsträger, Lehrkräfte, Schü-
ler und Studenten in unserem Land.


(Beifall bei der SPD)


Diese Entfristung steht aber auch für das, was meiner
Fraktion in allen urheberrechtlich relevanten Fragen be-
sonders wichtig ist. Es geht darum, die Rechte der kreati-
ven Urheber und auch ihrer Verwerter in einem digitalen
Umfeld zu stärken. Es geht auch darum, die Rechte der
Nutzer auf eine legale Nutzung digitaler Inhalte zu ei-
nem angemessenen Ausgleich zu bringen.

In diesem Zieldreieck von Kreativen, Verwertern und
Nutzern solch einen angemessenen Ausgleich herzustel-
len, erfordert in vielen Detailfragen oft urheberrechtli-
ches Fingerspitzengefühl, sehr viel Arbeit und sehr oft
auch Geduld. Alle, die sich im parlamentarisch-politi-
schen Umfeld mit Urheberrecht beschäftigen, wissen das
und können das sicherlich bestätigen.

Das Urheberrecht belohnt den kreativen Urheber für
seine Kreativität grundsätzlich mit einem Monopol für
sein kreatives Schaffen. Nach den Vorstellungen des Ge-
setzes entscheidet er selbst allein, ob er sein Werk veröf-
fentlicht, wem er Rechte an diesem Werk einräumt und
zu welchen Bedingungen dies geschieht. Der Alltag und
die Praxis vieler Kreativer in Deutschland sehen dage-
gen gewiss anders aus. Sie sind froh, wenn sie ihr kreati-
ves Schaffen in ein halbwegs planbares Einkommen
verwandeln können. Bei dieser Sachlage sind neben
Lizenzen vor allen Dingen vergütungspflichtige Schran-
ken ein Mittel dafür, dass der Urheber und seine Verwer-
ter ihre angemessene Vergütung erhalten und dem allge-
meinen Interesse an einer Nutzung Rechnung getragen
werden kann. § 52 a des Urheberrechtsgesetzes ist eine
solche Schranke, die sich in der Praxis bewährt hat, und
das sicherlich nicht zuletzt auch aufgrund der Konkreti-
sierungen, die durch den Bundesgerichtshof in Urteilen
vorgenommen worden sind.

Lassen Sie mich aber auch etwas Allgemeines zu den
Schranken sagen. Durch die Digitalisierung ist die Zahl
der Ausgleichsschranken im Urheberrechtsgesetz gestie-
gen. Es ist sicherlich kein Geheimnis, dass viele dieser
Schranken mittlerweile unverständlich, komplex und
damit auch für den Rechtsalltag wenig praktikabel ge-
worden sind. Wir werden es daher in dieser Legislatur-
periode nicht bei der Entfristung des § 52 a belassen.
Der Koalitionsvertrag sieht vor, eine einheitliche Bil-
dungs- und Wissenschaftsschranke für das Urheberrecht
zu regeln. Das bedeutet: Urheberrechtlich geschütztes





Christian Flisek


(A) (C)



(D)(B)

Material soll rechtssicher für Bildung und Wissenschaft
genutzt werden können. Zugleich sollen die Rechteinha-
ber, also die Autoren und die Verlage, hierfür eine faire
Kompensation erhalten.

Wir wollen die Schrankenregelungen im Bereich
Bildung und Wissenschaft praktikabler und für alle An-
wender verständlicher gestalten. Wir werden diese neue
einheitliche Schrankenregelung für Bildung und Wissen-
schaft im Dialog mit allen Beteiligten entwickeln. Das
wird keine leichte Aufgabe sein. Und dass dies alles un-
ter den gegebenen europäischen Rahmenbedingungen zu
erfolgen hat, macht die Angelegenheit sicherlich nicht
einfacher. Für einen solchen Dialogprozess braucht es
Zeit. Und dass ein solcher größerer Entwurf bis Ende
dieses Jahres, also bis Ende 2014, sicherlich nicht zu
leisten ist, liegt auf der Hand. Das ist auch der Grund,
warum wir in einem ersten Schritt § 52 a entfristen: Um
zu verhindern, dass er Ende dieses Jahres ersatzlos außer
Kraft tritt.

Meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und
Kollegen, es ist durchaus kein kompliziertes Gesetz,
welches wir hier im Entwurf vorlegen. Eine Regelung,
die sich bewährt hat, soll dadurch entfristet werden, dass
ein Satz gestrichen wird, der da lautet: „§ 52 a ist mit
Ablauf des 31. Dezember 2014 nicht mehr anzuwen-
den.“ Es ist aber ein wichtiges Gesetz. Die Träger von
Schulen, Hochschulen, also letztlich die Bundesländer,
erhalten mit dieser Entfristung Planungssicherheit, um
entsprechende Infrastrukturen für ihre Institutionen auf-
zubauen, wo bisher Unsicherheit herrschte.

Der Gesetzentwurf ist ein wichtiger Beitrag für die
weitere Entwicklung hin zu einem bildungs- und wissen-
schaftsfreundlichen Urheberrecht. Meine Damen und
Herren, ich glaube, manchmal können auch einfache Ge-
setze wie dieses eine große Wirkung entfalten.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit und freue
mich auf die Diskussion.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805418700

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Halina

Wawzyniak für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Halina Wawzyniak (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805418800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Als vor fünf Jahren meine Zeit als Bundestags-
abgeordnete anfing, hofften noch einige Interessierte aus
Bildung und Wissenschaft, dass die damalige schwarz-
gelbe Bundesregierung endlich den sogenannten Dritten
Korb der Anfang des Jahrtausends angefangenen Urhe-
berrechtsreform anpacken würde. Der Dritte Korb sollte
ausdrücklich den Bedürfnissen von Bildung und Wissen-
schaft gewidmet sein. Ein großes Ziel dabei war die
sogenannte Bildungs- und Wissenschaftsschranke, also
Bereichsausnahmen im Urheberrecht, die den Informa-
tionsfluss zum Wohle von Lernen und Forschung er-
leichtern. Passiert ist seitdem wenig. Immerhin, seit un-
gefähr einem Dreivierteljahr, steht im Koalitionsvertrag
– darauf wurde schon verwiesen –:

Wir werden den wichtigen Belangen von Wissen-
schaft, Forschung und Bildung stärker Rechnung
tragen und eine Bildungs- und Wissenschafts-
schranke einführen.

Vorschläge, wie diese umzusetzen wäre, gibt es mehr als
einen. Schon länger bekannt sind beispielsweise die Vor-
schläge der Allianz der Wissenschaftsorganisationen und
der Kultusministerkonferenz. Anfang des Jahres legte
eine Urheberrechtsexpertin von der Humboldt-Universi-
tät, deren Nachname ungefähr einfach wie meiner ist,
weswegen ich ihn hier nicht nennen kann,


(Heiterkeit des Abg. Christian Flisek [SPD])


einen Regelungsentwurf vor, dessen Erarbeitung auch
noch vom Bildungs- und Forschungsministerium geför-
dert wurde. Als Reaktion darauf hat das Aktionsbündnis
„Urheberrecht für Bildung und Wissenschaft“ seinen äl-
teren Vorschlag überarbeitet und aktualisiert.

Kurzum, es gab und gibt eine sehr lange Debatte, es
gibt diverse konkrete Vorschläge, wie in Sachen Urhe-
berrecht, Lernen und Forschen zeitgemäße Lösungen
gefunden werden können, Lösungen, die Sie von der
Koalition auch wollen.

Aber was machen Sie jetzt mit dem Gesetzentwurf? –
Sie schreiben in den heute zu diskutierenden Gesetzent-
wurf zur Entfristung von § 52 a Urheberrechtsgesetz
hinein, dass diese Gesetzesänderung notwendig wird,
weil Sie eine – ich zitiere – „intensive rechtspolitische
Diskussion“ über die Bildungs- und Wissenschafts-
schranke für erforderlich halten, die Sie dieses Jahr nicht
mehr abgeschlossen bekommen.


(Christian Flisek [SPD]: Ja, selbstverständlich! – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Das ist ja richtig!)


– Das steht darin. Richtig.

Man kann es ja so zusammenfassen: Einerseits wollen
Sie den wichtigen Belangen von Wissenschaft, For-
schung, Bildung und Kultur stärker Rechnung tragen.
Andererseits liegen aber genau aus diesen Bereichen
konkrete, ernst zu nehmende Gesetzesvorschläge vor. Es
gibt eine lange Debatte. Auf die gehen Sie aber nicht ein.
Sie nehmen diese Vorschläge nicht auf. Sie hätten ja ei-
nen von diesen Vorschlägen aufnehmen können. Und
weil Sie das nicht machen, also weil Sie diese Vor-
schläge nicht aufnehmen, kommt es jetzt zur Entfristung
des § 52 a, der Regelung zur Zugänglichmachung von
kleinen Teilen von urheberrechtlich geschützten Werken
im Intranet von Hochschulen.

Die Entfristung – das gebe ich Ihnen zu – ist mehr als
der Wegfall dieser kleinen Schranke und auch mehr als
eine neuerliche Befristung. Aber eine wirkliche Verbes-
serung, ein Ernstnehmen der wichtigen Belange von Bil-
dung und Wissenschaft ist es eben nicht.


(Marianne Schieder [SPD]: Na ja!)






Halina Wawzyniak


(A) (C)



(D)(B)

Denn dank des Urteils des BGH vom vergangenen
November ist die Schrankenwirkung bis zur Belang-
losigkeit verkleinert. Es wurde eben höchstrichterlich
der Lizenzvorrang festgestellt. Die Hochschulen müssen
also vor der Inanspruchnahme der Schrankenprivilegien
zunächst prüfen, ob es ein Lizenzangebot der Verlage
gibt, und dieses im Zweifelsfall annehmen. Die privat-
wirtschaftlichen Interessen haben Vorrang vor der Aus-
nahme im Urheberrecht, die dem Wohle der Lehre die-
nen soll – eine Ausnahme, die wohlgemerkt immer
vergütungspflichtig gedacht war. Das bedeutet nicht nur
mehr Aufwand und wohl auch mehr Kosten für jede ein-
zelne Uni, nein, die geltende Auslegung des § 52 a trägt
den wichtigen Belangen der Lehre gerade keine Rech-
nung.

Die Entfristung ist nicht verkehrt, aber es muss mehr
als entfristet werden. Das, was die Koalition hier vor-
schlägt, ist das Minimum, um eine unbefriedigende Si-
tuation nicht noch schlechter werden zu lassen, aber der
Anwendungsbereich muss so ausgeweitet werden, dass
die Hochschulen tatsächlich etwas davon haben. Er muss
Teil einer allgemeinen Wissenschaftsschranke werden,
wie sie die Linke und unzählige Wissenschaftsverbände
immer wieder gefordert haben.

Sie haben ja gesagt, Sie werden eine Diskussion unter
Einbeziehung aller führen.


(Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das wird auch Zeit!)


Dann freuen wir uns auf die Einladung und werden
selbstverständlich an den Gesprächen teilnehmen.


(Beifall bei der LINKEN – Marianne Schieder [SPD]: Na, hoffentlich! Vielen Dank. – Nächster Redner ist Ansgar Heveling, CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805418900


Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1805419000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mitte dieser Woche hat zumindest kalendarisch der
Herbst begonnen, und zwar am 23. September ziemlich
genau um 4.29 Uhr, als die Sonne exakt senkrecht über
dem Äquator stand.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist schon einmal ein guter Anfang!)


Der kalendarische Herbstanfang richtet sich nämlich
nach dem Stand der Sonne. Was hat das nun mit § 52 a
des Urheberrechtsgesetzes zu tun?


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD – Dr. Eva Högl [SPD]: Ja, das fragen wir uns gerade auch! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fragen wir uns auch!)

Auch die Gesetzgebung kennt ähnliche Phänomene,
die sogenannte Sunset Legislation, nämlich eine durch
den Gesetzgeber vorgesehene Auslaufklausel für Ge-
setze. Das bedeutet, dass ein Gesetz nur bis zu einem
festgelegten Datum, also bis zum sinnbildlichen Sonnen-
untergang, Gültigkeit besitzt. Der Gesetzgeber kann
diese Frist dann bei Bedarf verlängern. Lässt er die Frist
einfach verstreichen, läuft die Regelung aus. Rechtstech-
nisch ist das also eine auflösende Bedingung. Formal
geht auch heute bei der ersten Beratung der Änderung
des § 52 a des Urheberrechtsgesetzes genau darum; denn
der Sonnenuntergang dieser Vorschrift würde hier am
31. Dezember eintreten.

Verwehren wollen wir – so haben wir das in der
Koalition entschieden – die Wissenschaftsschranke in
§ 52 a des Urheberrechtsgesetzes allerdings auch nach
dem Fristablauf niemandem. Deshalb haben wir, CDU/
CSU und SPD, gemeinsam entschieden, durch die vor-
geschlagene Regelung die mehr als zehn Jahre geltende
Befristung aufzuheben und die Vorschrift des § 52 a Ur-
heberrechtsgesetz endgültig wirksam werden zu lassen.

§ 52 a des Urheberrechtsgesetzes war 2003 in
Deutschland die erste Urheberrechtsvorschrift über-
haupt, die der Gesetzgeber als befristete Regelung einge-
führt hat. Eine solche Sunset Legislation hatte es bis da-
hin im deutschen Urheberrecht noch nie gegeben. Dass
das Gesetz befristet wurde, ist dem Umstand geschuldet,
dass die Einführung der Schranke seinerzeit politisch
sehr umstritten war und sich der Gesetzgeber durch die
Befristung selbst zu disziplinieren gedachte, um Erfah-
rungen aus der Anwendung der Vorschrift zur Grundlage
der Entscheidung über die weitere Befristung oder die
Entfristung zu machen.

Bestritten ist die Vorschrift jedenfalls über viele Jahre
insoweit gewesen, als sie über alle zivilrechtlichen In-
stanzen hinweg Gegenstand gerichtlicher Auseinander-
setzungen gewesen ist. Nunmehr hat die Rechtsprechung
im vergangenen Jahr endgültig entschieden und damit
einige wichtige Hinweise zum Umfang, zur Geltung und
damit zur weiteren Ausgestaltung des § 52 a des Urhe-
berrechtsgesetzes gegeben. In der Summe führen die
Erkenntnisse nun dazu, dass die Regelung endgültig ent-
fristet werden kann, da eine weitreichende Konturierung
durch die Rechtsprechung mittlerweile erfolgt ist.

In zwei Verfahren ging es zum einen um die Defini-
tion der Angabe „kleine Teile“ eines Werkes. Diese An-
gabe hat der Bundesgerichtshof nun klar eingegrenzt:
Eine Universität oder eine andere Forschungseinrichtung
darf ihren Studierenden ein urheberrechtlich geschütztes
Werk in Teilen nur dann elektronisch zugänglich ma-
chen, wenn diese Teile nicht mehr als 12 Prozent oder
100 Seiten in der Summe ausmachen.

Zum anderen – das ist, glaube ich, eine wichtigere Er-
kenntnis – hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass
diese Zugänglichmachung nicht geboten ist, wenn der
Rechteinhaber eine angemessene Lizenz für die Nutzung
angeboten hat. Das heißt, der Bundesgerichtshof geht
ganz klar davon aus, dass vertragliche Regelungen Vor-
rang vor der Anwendung der Schranke haben. Die





Ansgar Heveling


(A) (C)



(D)(B)

Rechtsprechung räumt also einem angemessenen Li-
zenzangebot eines Verlages den Vorrang ein.

Es wäre jetzt die Frage gewesen, ob man diese Er-
kenntnisse des Bundesgerichtshofes auch in das Gesetz
hineinschreibt. Wir haben uns jedoch für eine reine Ent-
fristung entschieden, da durch den Bundesgerichtshof
nun klar konturiert ausgesprochen worden ist, wie man
den § 52 a des Urheberrechtsgesetzes zu verstehen hat.

Wir sollten uns bei allen Veränderungen und bei allem
Veränderungsbedarf im Urheberrecht immer bewusst
machen: Ausgangspunkt, Dreh- und Angelpunkt des
Urheberrechts ist Artikel 14 unseres Grundgesetzes. Ar-
tikel 14 garantiert und schützt das Eigentum, sei es mate-
rielles oder geistiges Eigentum. Beschränkungen dieses
Eigentumsrechts, also auch die sogenannten Schranken
des Urheberrechts, sind daher immer als Ausnahme zu
verstehen und lassen sich nur durch die Interessen des
Allgemeinwohls begründen. Vor diesem Hintergrund
müssen wir gesetzliche Änderungen im Urheberrecht
immer betrachten, und vor diesem Hintergrund müssen
sich auch diejenigen messen lassen, die eine Schranken-
regelung für sich in Anspruch nehmen. In den beiden
vergangenen großen Urheberrechtsreformen hat der Ge-
setzgeber bereits umfassende Privilegien für den Bereich
Wissenschaft geschaffen. Mit der Sunset Legislation,
also der vorläufigen Befristung, wollte der Gesetzgeber
den Befürchtungen aus dem Bereich der Wissenschafts-
verlage vor unzumutbaren Beeinträchtigungen beikom-
men.

Die Schranken im Bereich Bildung und Wissenschaft
sind schon seit vielen Jahren Gegenstand von Verhand-
lungen zwischen Forschungs- und Bildungseinrichtun-
gen auf der einen Seite und Wissenschaftlern und Verla-
gen auf der anderen Seite. Mittlerweile ist zudem auch
ein recht unübersichtlich gewordener Flickenteppich an
Regelungen entstanden, der bei den Beteiligten zu
Rechtsunsicherheit und damit auch bei der Rechtsan-
wendung durchaus zu Problemen führen kann.

Mit der endgültigen Entfristung von § 52 a Urheber-
rechtsgesetz werden wir zumindest an dieser Stelle
schon einmal für mehr Klarheit für alle Beteiligten sor-
gen. Das ist ein erster Schritt. Denn im Koalitionsvertrag
haben wir vereinbart, eine allgemeine Bildungs- und
Wissenschaftsschranke einzuführen, die diesen Flicken-
teppich an Regelungen beseitigen und zusammenfassen
soll, was zusammengehört. Dabei werden wir uns Zeit
für die Diskussion nehmen; denn das ist nötig. Frau Kol-
legin Wawzyniak, wir sollten uns auch die Zeit nehmen,
unter anderem, um das Gutachten von Frau Professor de
la Durantaye intensiv zu diskutieren, und dann überle-
gen, wie wir eine allgemeine Wissenschaftsschranke
ausgestalten können. Dabei sollten wir darauf achten, ei-
nen angemessenen Ausgleich zwischen den berechtigten
Interessen der Verlage und denen der Wissenschaft zu
finden, der sich dann auch entsprechend im Gesetz nie-
derschlägt.

Vor allem aber muss mit Blick auf § 52 a Urheber-
rechtsgesetz gewährleistet sein, dass, wenn eine entspre-
chende Schranke, wie sie dieser Paragraf darstellt, zur
Anwendung kommt, die dann fälligen Vergütungen auch
tatsächlich gezahlt werden. Hier ist der bisherige
Umgang mit § 52 a des Urheberrechtsgesetzes für die
Beteiligten sicherlich kein leuchtendes Beispiel oder als
Best Practice anzusehen. Denn auch das muss klar sein:
Die Inanspruchnahme einer solchen Schranke ermög-
licht zwar den freien Zugang zu Werkteilen, sie ist aber
nicht die Eintrittskarte für einen kostenfreien Zugang.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805419100

Vielen Dank auch. – Nächste Rednerin ist Renate

Künast, Bündnis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805419200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Als vor

einigen Tagen der Gesetzentwurf der Koalition zur Än-
derung des Urheberrechtsgesetzes auf die Tagesordnung
gesetzt wurde, hat das gleich etwas bei mir im Büro aus-
gelöst, nämlich einen vermehrten Eingang von Telefon-
anrufen und Mails mit Anfragen, ob ich herausfinden
könnte, was die Koalition so regeln möchte, und ob dies
der große Reformentwurf sei oder ob irgendwelche be-
deutenden Änderungen vorgesehen seien. Dienstag-
abend konnte ich dann alle diese Fragen beantworten: Es
ist eigentlich nichts – um es einmal ganz ehrlich zu sa-
gen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Na ja, der Berg kreißte und gebar eine Maus. Es war aber
eine kleine Maus.


(Marianne Schieder [SPD]: Immerhin!)


– Immerhin. Es hätte auch gar nichts dabei herauskom-
men können, kann ich der Kollegin jetzt noch zurufen.


(Marianne Schieder [SPD]: Eben! Dann hätten Sie gesagt: Nicht einmal das habt Ihr geschafft!)


Insofern fand ich den großen Gestus der schönen Rede
von Herrn Flisek quasi reziprok proportional zum Inhalt.
Aber Sie, Herr Flisek, haben Ihre Redezeit, ehrlich ge-
sagt, auch damit gefüllt, über das zu reden, was noch
kommen wird.


(Marianne Schieder [SPD]: Das ist doch auch gut!)


Mit dem, was im Gesetzentwurf steht, hätten Sie die sie-
ben Minuten nicht füllen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Christian Flisek [SPD]: Das ist Arbeitsverweigerung im Rechtsausschuss!)


– Ach so.

Diese Entfristung ist durchaus richtig.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das erste Lob! Es geht los!)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

– Das ist jetzt die höchste Form des Lobes, Herr Grosse-
Brömer, zu der ich angesichts dieses Sachverhaltes in
der Lage bin.


(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Jetzt wird es gefährlich! – Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: Ich bekomme auch gerade gute Laune!)


Wir haben es jetzt erlebt, dass im Gesetzentwurf viermal
eine andere Frist genannt wurde. Im Gesetzentwurf
stand mit vier unterschiedlichen Daten: Am 31. Dezem-
ber des Jahres XY läuft das Ganze aus. Es ist klar, dass
das endlich ein Ende finden musste. Denn es war doch
widersprüchlich: Sie reden immer von der Digitalen
Agenda und davon, dass jetzt alles anders wird, von
Innovationen und sonst was.


(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Gleichzeitig krepelt so ein Paragraf von Lebenszeit zu
Lebenszeit, sozusagen von Silvester zu Silvester vor sich
hin. Das ist eine Praxis, die faktisch die digitale Ent-
wicklung und Nutzung des Digitalen massiv behindert
hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Klar ist doch: Wissenschaft und Bildung leben – das
besagt auch das Grundgesetz – vom Austausch von
Informationen und vom Zugang zu Informationen. Sonst
handelt es sich nicht um Wissenschaft und Bildung. Zur
Bildung gehört ja auch, sich einem Sachverhalt zu wid-
men, ihn zu analysieren und nachzuschauen, ob sich
bereits jemand anderes Gedanken dazu gemacht hat.
Zugang ist also das A und O von Wissenschaft und Bil-
dung.

Wir wissen aber auch – Herr Flisek hat das vorhin
ebenfalls gesagt –, dass der Großteil der Informationen
in Werken eingebunden ist, die urheberrechtlich ge-
schützt sind. Man kann also, weil andere davon leben
wollen und müssen, nicht einfach sagen: Ich nehme und
nutze es. – Insofern ist die Erlaubnis in § 52 a Urheber-
rechtsgesetz inhaltlich absolut richtig; denn sie wahrt
zum einen die Interessen der Urheber, zum anderen er-
möglicht sie auch einen einfachen Weg für Bildung und
Wissenschaft.

Wir wissen ja, wie es funktioniert. Diese Regelung er-
klärt es unter anderem für zulässig, kleine Teile eines
Werkes, Werke geringen Umfangs sowie einzelne
Beiträge aus Zeitungen oder Zeitschriften zur Veran-
schaulichung im Unterricht an bestimmten Einrichtun-
gen öffentlich zugänglich zu machen, etwa im passwort-
geschützten Intranet. Der Urheber muss also faktisch
nicht freigeben, dass sich alle Welt etwas kostenlos zu-
gänglich macht, mit dem er Geld verdienen will. Zudem
ist der Personenkreis, der Zugang erhält, begrenzt.

Jetzt kommt mein großes Aber: Obwohl uns die große
Urheberrechtsreform noch bevorsteht, hätte ich mir
mehr als nur diesen minimalistischen Gesetzentwurf, der
bloß eine Entfristung vorsieht, gewünscht. Wie wir alle
wissen, gibt es sprachliche Ungenauigkeiten und Un-
stimmigkeiten durch die Rechtsprechung und deshalb
immer wieder Streit über den Umfang der Wissen-
schaftsschranke. Der Widerspruch zum Wortlaut des
§ 53 Absatz 3 des Urheberrechts hätte durch eine Neu-
formulierung aufgelöst werden müssen. Statt „zur Veran-
schaulichung im Unterricht“ hätte es zum Beispiel „zur
Veranschaulichung für alle Zwecke des Unterrichts“ hei-
ßen können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Der Unterricht möchte ja auch vorbereitet sein. Es darf
durchaus sein, dass Schülerinnen und Schüler selber et-
was analysieren und Selbststudium betreiben, um sich
weiterzuentwickeln. Auch das ist ja Sinn und Zweck von
Bildung. Insofern ist die nun vorgesehene Entfristung
das, was die Medizin einen minimalinvasiven Eingriff
nennt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das war schön vorsichtig!)


Dieser Eingriff wird allerdings auch nur minimale Ände-
rungen zur Folge haben.

Meine Damen und Herren, ich will Ihnen klar sagen:
Das ist ein kleiner, netter Schritt. Ich weiß, dass es nicht
einfach ist, das Urheberrecht in die digitale Welt des
21. Jahrhunderts zu transportieren. So höre ich mit
Freude, dass Herr Flisek sagt, nun komme die große Dis-
kussion. Ich habe aber auch einen Wunsch: Nach einem
Jahr unter einer 80-Prozent-Koalition wünsche ich mir,
dass diese angekündigte große Diskussion im und um
den Bundestag nach den Methoden des 21. Jahrhunderts
demokratisch und offen verläuft. Ich hoffe, dass es nicht
wieder so wie in der Vergangenheit ist: Die Koalition
kreist um sich selber und führt interne Anhörungen
durch. Wenn sie dann im letzten Augenblick ein Ergeb-
nis erzielt, dann knallt sie es uns hin, und der Rest des
Parlaments muss es in wenigen Tagen durchzocken.

Versuchen Sie also, im Bereich des Urheberrechts
ganz neue Maßstäbe zu setzen! Hier könnte ein Meilen-
stein gesetzt werden. Das ist aber nur möglich, wenn
eine offene Debatte geführt wird, an der im wahrsten
Sinne des Wortes alle beteiligt werden und bei der alle
mitdiskutierten können. So kann das Eigentumsrecht in
das 21. Jahrhundert transportiert werden. Sie könnten
mich überraschen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Nächstes Mal koalieren Sie mit uns! Dann haben Sie diese Probleme nicht!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805419300

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Marianne

Schieder, SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1805419400

Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Mit der endgültigen Entfristung des § 52 a im





Marianne Schieder


(A) (C)



(D)(B)

Urheberrechtsgesetz – auch ich möchte dies ausdrück-
lich betonen – machen wir uns endlich auf den Weg zu
einem Urheberrecht, das den Herausforderungen und
Notwendigkeiten in Bildung, Wissenschaft und For-
schung gerecht wird. Auch ich weiß, liebe Frau Künast,
dass dieser Schritt ein kleiner Schritt ist. Aber es ist ein
Schritt, der in die richtige Richtung geht, nämlich hin zu
einer effektiven und zukunftsorientierten Bildungs- und
Wissenschaftsschranke.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Lange hat es gedauert – ich gebe zu: uns Sozialdemo-
kraten zu lange –, bis die überfällige Entscheidung zur
Entfristung endlich auf den Weg gebracht wurde. Es ist
immerhin schon elf Jahre her, seit § 52 a in das Urheber-
rechtsgesetz eingefügt wurde. Dann folgten Befristun-
gen bis zum 31. Dezember 2006, bis Ende 2008, bis
Ende 2012 und schließlich bis zum 31. Dezember 2014.
In der Zwischenzeit gab es drei Evaluierungen und zwei
Entscheidungen des Bundesgerichtshofs. Nicht zu ver-
gessen ist auch ein Gesetzentwurf der SPD-Bundestags-
fraktion – damals noch in der Opposition – auf dauer-
hafte Entfristung. Leider wurde unser Vorschlag damals
ohne überzeugende Argumente abgelehnt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das stimmt so nicht!)


Aber, na ja, man kann sagen: Was lange währt, wird end-
lich gut; wenigstens jetzt schaffen wir Klarheit für alle,
die auf diesen § 52 a angewiesen sind.

Ich danke an dieser Stelle ausdrücklich den Kollegin-
nen und Kollegen Rechtspolitikerinnen und Rechtspoli-
tikern der Union dafür, dass es jetzt endlich geklappt hat
und es zu dieser Entfristung kommt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wenn wir euch einen Gefallen tun können!)


Ich sage aber gleichzeitig, liebe Kolleginnen und Kolle-
gen: Das reicht bei weitem nicht aus, wenn es uns wirk-
lich darum gehen soll, ein modernes, bildungs- und wis-
senschaftsfreundliches Urheberrecht zu schaffen. Im
Koalitionsvertrag steht das, was wir wollen:

Wir werden den wichtigen Belangen von Wissen-
schaft, Forschung und Bildung stärker Rechnung
tragen und eine Bildungs- und Wissenschafts-
schranke einführen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir nehmen den
Koalitionsvertrag ernst, und wir wollen umsetzen, was
darin steht.


(Beifall bei der SPD – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Und wir erst!)


– Schauen wir einmal.

Mit dem Anfang dieses Jahres vorgelegten Gutachten
zu dieser Thematik haben wir wirklich eine gute Grund-
lage für die kommenden Debatten. Ich bin zuversicht-
lich, dass es uns gelingen wird, die Interessen der Urhe-
berinnen und Urheber zu wahren – das muss natürlich
gewährleistet sein – und dennoch im Interesse der All-
gemeinheit die Nutzung von urheberrechtlich geschütz-
ten Werken in bestimmtem Umfang für Zwecke von Bil-
dung und Wissenschaft zu ermöglichen.

Selbstverständlich muss über entsprechende kollek-
tive Vergütungsregelungen ein ausreichender Ausgleich
für die Urheber realisiert werden. Das, was wir jetzt ha-
ben, nämlich Schrankenregelungen an verschiedenen
Stellen verstreut, unübersichtlich und wenig transparent,
kleinteilig und zum Teil schon technisch überholt, kann
so nicht bleiben.


(Beifall bei der SPD)

Für uns als Sozialdemokraten ist klar: Stillstand im

Urheberrecht blockiert Innovation, blockiert bessere
Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und blo-
ckiert moderne Lehr- und Lernmethoden. Deshalb müs-
sen wir in der Sache endlich vorwärtskommen. Ich freue
mich wirklich auf eine intensive Diskussion. Frau
Künast, Sie können versichert sein: Diese Diskussion
wird eine offene Diskussion sein. Ich bitte Sie aber: Ma-
chen auch Sie Vorschläge, und zwar ein bisschen mehr
als dieses kleine Detail, das Sie zum Thema Unterricht
angefügt haben.


(Zuruf der Abg. Halina Wawzyniak [DIE LINKE])


Das war nicht einmal das Schwänzchen von dem Mäus-
chen, das Sie uns vorwerfen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ihre Maus hat ja gar keinen Schwanz!)


Wenn wir etwas verbessern wollen, müssen wir alle mit-
einander beherzt einsteigen.

Vielen Dank fürs Zuhören.

(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805419500

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Katrin

Albsteiger, CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU)



Katrin Albsteiger (CSU):
Rede ID: ID1805419600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Politik

macht am meisten Spaß, wenn sie konkret wird. Heute
erleben wir eine Debatte, in der man anschaulich sehen
kann, wie konkrete Verbesserungen tatsächlich einen un-
mittelbaren Einfluss auf den Alltag der Menschen haben,
und zwar einen positiven Einfluss. Als ehemalige Be-
troffene kann ich das ganz gut nachempfinden. Ich habe
in Augsburg von 2003 bis 2008 Politikwissenschaft stu-
diert. So lange ist das noch nicht her. Es kann außerdem
nicht schaden, wenn man sich mit dem, was hier im
Hause passiert, vorher ein bisschen systematisch aus-
einandersetzt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Sehr gut! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange haben Sie studiert?)


Politikwissenschaft ist eine Diskussionswissenschaft.
Bei einer Diskussionswissenschaft – im positiven Sinne





Katrin Albsteiger


(A) (C)



(D)(B)

– geht es darum, dass man sich mit einer Vielzahl von
Beiträgen unterschiedlicher Art auseinandersetzt. Diese
kommen in einer schier unendlichen Zahl von Mono-
grafien, Handbüchern, Aufsatzsammlungen und Perio-
dika vor. Da ist es ganz wichtig, dass es Semesterapparate
gibt, die diese Vielzahl von Themen, diese unterschiedli-
chen Auffassungen auch tatsächlich abbilden.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Was wollen Sie uns eigentlich sagen? Kommen Sie zum Thema!)


Noch viel wichtiger ist es bei so vielen Studenten, die
wir in unserem Land haben, dass diese Vielzahl von
Themen auch tatsächlich umfänglich abrufbar ist. Es
gibt schließlich in einem Seminar 20 oder 30 Studenten
oder heutzutage auch 500 oder 1 000 Studenten, die
gleichzeitig auf einen Text oder eine Information zugrei-
fen müssen. Genau deshalb reden wir hier über die Frage
der Praktikabilität, wie der Zugriff auf Werke und wie
die Zusammenstellung wissenschaftlicher Werke er-
leichtert werden kann. Genau für diese Erleichterung
sorgen wir hier. Wohlgemerkt: nicht kommerziell und
nur für einen bestimmten, abgegrenzten Nutzerkreis. Es
erleichtert den Wissenschaftsbetrieb nämlich ungemein,
dass wir in § 52 Urheberrechtsgesetz die Wissenschafts-
schranke eingebaut haben. Das ist eine konkrete Erleich-
terung für eine ganze Menge Menschen, nämlich zum
Beispiel für über 2,5 Millionen Studenten und ihr Lehr-
personal sowie, wohlgemerkt, natürlich auch für über
700 000 Lehrer und über 11 Millionen Schüler in
Deutschland. Das ist wirklich schön. So schön kann
Politik sein!

Nun zu den Fakten – sie wurden zum Teil eben schon
genannt –: Der Bundesgerichtshof hat sich mittlerweile
zum § 52 a des Urheberrechtsgesetzes geäußert. Seine
Hauptbotschaft ist: Der § 52 a ist im Bildungs- und Wis-
senschaftsbereich praktikabel anwendbar. – Damit besteht
Rechtssicherheit, insbesondere auch deshalb, weil ent-
scheidende unbestimmte Rechtsbegriffe, die die Norm tat-
sächlich enthalten hat, weswegen sie befristet gewesen ist,
nun klar definiert sind:

Erstens. Der sogenannte kleine Teil wird jetzt mit ein-
deutigen Werten definiert: maximal 12 Prozent eines
Werkes und maximal insgesamt 100 Seiten.

Zweitens. Es dürfen auch in Zukunft weiter PDF-Do-
kumente verwertet werden.

Drittens. Wer unter den – Zitat – „bestimmt abge-
grenzten Kreis von Unterrichtsteilnehmern“ fällt, sagt
der BGH ebenfalls klar: Erfasst ist jeder Student, der für
den Studiengang, in dem das entsprechende Werk zur
Anwendung kommen soll, immatrikuliert ist. Ein weite-
rer Kontrollmechanismus ist nicht notwendig. – Das ist
ein relativ klares Urteil, weshalb keine Änderung not-
wendig ist.

In einem weiteren Urteil sieht der BGH aber auch
ganz klar den Vorrang von vertraglichen Angeboten,
wenn diese angemessen sind. Ich kann mir vorstellen,
dass die Universitäten hierüber nicht in Begeisterungs-
stürme ausbrechen, weil die Angemessenheit natürlich
im Einzelfall geprüft werden muss, was zugegebenerma-
ßen manchmal zu einem größeren bürokratischen Auf-
wand aufseiten der Hochschulen führen kann. Trotzdem
glaube ich, dass wir dieses Urteil als durchaus nachvoll-
ziehbar betrachten können. Es bestätigt schließlich die
Politik von CDU und CSU, so wie wir sie bisher betrie-
ben haben. Es geht hier auch um einen Interessenaus-
gleich. Es geht darum, dass wir einerseits dem, was der
Wissenschafts- und Bildungsbetrieb braucht, Rechnung
tragen, andererseits diesen aber nicht gegen die Verlage
ausspielen. Es geht also um praktikable Lösungen und
verantwortungsvolle Politik.

Zusammenfassend: Der BGH hat beiden Seiten der
Praxis konkrete Werte an die Hand gegeben, mit denen
es sich gut arbeiten lässt. Aus diesem Grund schlagen
wir vor, § 52 a Urheberrechtsgesetz zu entfristen. So be-
kommen wir genügend Zeit und können ohne Zeitdruck
an der Umsetzung einer Vereinbarung unseres Koali-
tionsvertrags arbeiten, der Ausgestaltung einer allgemei-
nen Bildungs- und Wissenschaftsschranke.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805419700

Vielen Dank. – Nächster Redner ist Tankred

Schipanski, CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Tankred Schipanski (CDU):
Rede ID: ID1805419800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich hätte

nicht gedacht, dass ich mit Frau Schieder einmal einer
Meinung bin.


(Marianne Schieder [SPD]: Da schau her: Es gibt Fortschritte bei Ihnen!)


Aber, liebe Frau Schieder, Sie haben ganz recht: Der
Vorschlag der Entfristung des § 52 a Urheberrechtsge-
setz ist ein erster Schritt. Es ist ein richtiger Schritt.
Liebe Frau Künast, weitere Schritte werden folgen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wann denn?)


Sie nehmen aus der Debatte heute mit, was noch alles
folgen wird.


(Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lange sagen Sie das noch? Wie lange kündigt die Union eigentlich schon eine Änderung des Urheberrechts an?)


Wenn Ihr Telefon wieder klingelt, können Sie, so hoffe
ich, berichten, was im Urheberrecht alles geplant ist.
Hätten Sie vorher in den Koalitionsvertrag geschaut, hät-
ten Sie das schon früher erkennen können.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Mit der Entfristung schaffen wir ein ganzes Stück mehr
Rechtssicherheit für alle betroffenen Akteure, ob Lehrer,
Wissenschaftler, Forscher oder Bibliothekare, aber auch
für Autoren und Verleger. Gleichzeitig schränkt die vor-





Tankred Schipanski


(A) (C)



(D)(B)

gestellte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs die
Praktikabilität des § 52 a für Wissenschaftler und For-
scher ein; Ansgar Heveling und Katrin Albsteiger haben
darauf zu Recht hingewiesen.

Daher ist der Gesetzgeber jetzt gefragt, inwieweit er
dieses Richterrecht ausformt oder abändert. Politisch ha-
ben wir uns klar entschieden: Ziel ist es, die in § 52 a ge-
regelten Ausnahmen zusammen mit den anderen urhe-
berrechtlichen Regelungen in den Bereichen Unterricht
und Forschung zu einer einheitlichen Bildungs- und
Wissenschaftsschranke im Urheberrecht zusammenzu-
führen.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Wann?)


Das haben wir im Koalitionsvertrag klar vereinbart. Die
Bundesregierung – Frau Künast hat darauf hingewie-
sen – hat das auch ganz klar in der Digitalen Agenda for-
muliert; darüber freue ich mich.

Wir geben uns mit der Entfristung jetzt Zeit, mit der
gebotenen Sorgfalt über die Ausgestaltung einer allge-
meinen Wissenschaftsschranke zu diskutieren. Diese
Zeit brauchen wir auch. Die Kollegen, die schon eine
Weile an diesem Thema dran sind, wissen, dass es ge-
gensätzliche, aber gut begründbare Interessen gibt, die
aufeinanderprallen. Ein fairer Ausgleich lässt sich nicht
in einem Hauruckverfahren erreichen.

Dabei ist es mir wichtig, dass mit der allgemeinen
Wissenschaftsschranke auch die Bibliotheken und Ar-
chive angemessen berücksichtigt werden. Auch für den
Bibliotheksbereich macht der Koalitionsvertrag klare
Vorgaben.

Meine Damen und Herren, die Gestaltung einer allge-
meinen Wissenschaftsschranke ist keine triviale Aufgabe;
Kollege Flisek hat das dargestellt. Eine europarechtskon-
forme Ausgestaltung, die sowohl den Interessen der
Rechteinhaber als auch den Interessen der Wissenschaft
gerecht wird, ist nicht einfach zu erreichen.

Daher ist es höchst erfreulich, dass das BMBF aktiv
geworden ist und ein Gutachten in Auftrag gegeben hat,
das meines Erachtens eine sehr gute Diskussionsgrund-
lage darstellt. Dieses Gutachten – es wurde von Frau
Professorin de la Durantaye verfasst – wurde schon an-
gesprochen. Sie hat innerhalb von eineinhalb Jahren eine
Leitplanke für eine künftige Schrankenregelung entwi-
ckelt, insbesondere mit Blick auf die Einordnung in in-
ternationales Recht.

Die derzeitige Rechtslage wurde nicht nur von der
technischen Entwicklung überholt. Sie ist auch nicht
sonderlich verständlich formuliert.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Oh, und Sie machen das besser?)


– Frau Wawzyniak, so ist es. – Wir wollen nicht, dass
Forscher und Bibliothekare ein Aufbaustudium im Urhe-
berrecht benötigen, um rechtssicher mit wissenschaftli-
chen Publikationen umgehen zu können.


(Halina Wawzyniak [DIE LINKE]: Das braucht man jetzt auch nicht!)

Wir brauchen eine technologieoffene Regelung, die wir
nicht nach jeder technischen Neuentwicklung anpassen
müssen. Wir brauchen eine lesbare und verständliche
Regelung sowie langfristige Rechtssicherheit für alle
Beteiligten.

Frau de la Durantaye schlägt eine schlanke und ele-
gante Formel vor, die meines Erachtens eine sehr geeig-
nete Diskussionsgrundlage ist. Für die Nutzung einer
Schranke möchte sie selbstverständlich auch eine Vergü-
tungspflicht einführen.

An dieser Stelle muss ich dem Kollegen Heveling ein
bisschen Wasser in den Wein gießen. Es wurde gesagt,
nach § 52 a des Urheberrechtsgesetzes fließe aktuell keine
Vergütung. Das muss man fairerweise dahin gehend
richtigstellen, dass die VG Wort die angebotenen Gelder
– auch als Abschlagszahlung – bisher mit dem Hinweis
auf die ungeklärte Rechtslage abgelehnt hat. Mit der
Aussage, dass kein Geld geflossen sei, werden also die
Tatsachen etwas verdreht. Die Verhandlungen über einen
Rahmenvertrag stehen kurz vor dem Abschluss. Danach
wird rückwirkend für die vergangenen Jahre gezahlt
werden.

In den bevorstehenden Verhandlungen zu einer ein-
heitlichen Wissenschaftsschranke gilt es also, die Inte-
ressen der Wissenschaft gegen die Interessen der Rechte-
inhaber abzuwägen. Dabei muss es uns insbesondere
gelingen, der wachsenden Bedeutung der elektronischen
Kommunikation für Wissenschaft und Forschung sowie
für die akademische Lehre Rechnung zu tragen. Nur so
können wir ein modernes, zeitgemäßes und nutzer-
freundliches Urheberrecht schaffen.

In diesem Sinne freue ich mich auf die vor uns lie-
gende Arbeit und danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805419900

Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/2602 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe, das ist der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 7 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Cornelia Möhring, Kathrin Vogler, Sabine
Zimmermann (Zwickau), weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht ent-
lassen
Drucksache 18/2630

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat Cornelia
Möhring, Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Cornelia Möhring (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805420000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Eigentlich sollten wir jetzt über den Antrag mit dem Ti-
tel „Den Bundesratsbeschluss zur rezeptfreien ,Pille da-
nach‘ schnell umsetzen“ diskutieren und darüber abstim-
men. Eigentlich hätte der Gesundheitsausschuss gestern
eine Beschlussempfehlung dazu beschließen können, da-
mit wir heute zu einer Entscheidung im Plenum kom-
men. Eigentlich hätte dann eine Mehrheit im Bundestag
die Chance gehabt, Minister Gröhe gemeinsam aufzufor-
dern, seine Blockadehaltung aufzugeben und die Frei-
gabe im Bundesanzeiger zu veröffentlichen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun hat aber die SPD noch Beratungsbedarf angemel-
det und aus diesem Grund keine Beschlussempfehlung
zugelassen, und das, obwohl ihr Kollege Lauterbach in
der ersten Plenarwoche im Februar sehr überzeugend ar-
gumentiert hat, warum der Freigabe nichts Vernünftiges
entgegensteht. Der Beratungsbedarf scheint also eher an
ihrem Koalitionsgefängnis zu liegen.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit wir das „eigentlich“ in ein „trotzdem“ ändern,
haben wir zu dem gleichen Thema einen neuen Antrag
eingebracht. Ich hoffe sehr, dass wir Ihren Beratungsbe-
darf dadurch erheblich abkürzen können. Jetzt heißt der
Antrag „Pille danach jetzt aus der Rezeptpflicht entlas-
sen“. Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt kei-
nerlei vernünftige Gründe, eine rezeptfreie Abgabe der
Pille danach länger zu verhindern.


(Beifall bei der LINKEN)


In diesem Zusammenhang muss man Folgendes zur
Kenntnis nehmen:

Erstens. Der Wirkstoff Levonorgestrel ist medizinisch
unbedenklich.

Zweitens. Es geht hier nicht um eine Abtreibungspille
und auch nicht um ein Dauerverhütungsmittel, sondern
um eine Notfallverhütung.

Drittens. Je früher diese Notfallverhütung eingenom-
men wird, umso besser wirkt sie.

Viertens. Wir wissen, dass es gerade am Wochenende
fast unmöglich ist, eine Arztpraxis zur Beratung aufzu-
suchen, wodurch erhebliche Verzögerungen entstehen
können.

Fünftens. In immerhin weltweit 79 Ländern gibt es
die Pille danach rezeptfrei, und sie ist gut erprobt.

Sechstens. Von der Weltgesundheitsorganisation bis
zum Sachverständigenausschuss für Verschreibungs-
pflicht sind sich alle einig: Alle gesundheitspolitischen
Argumente sind widerlegt.

Und siebtens. Der Bundesrat hat die politische Ent-
scheidung für die rezeptfreie Abgabe beschlossen, und
das zuletzt im Mai 2014.

Wir haben sowohl im Bundestag als auch in den meis-
ten Bundesländern dafür eine politische Mehrheit – ei-
gentlich. Leider haben es hier im Hause noch nicht alle
begriffen. Ich sage es noch einmal: Frauen sind in der
Lage, die Informationen zur Anwendung zu verstehen.
Die Apotheker und Apothekerinnen haben in ihrem Stu-
dium den Schwerpunkt Pharmazie und können beraten.
Leider suchen wir die notwendige und sehr einfache Ver-
kündung im Bundesanzeiger bisher vergeblich. Herr
Minister Gröhe ist nicht anwesend, deshalb muss Frau
Staatssekretärin Fischbach ihm dies weiterleiten: Ich
finde, das ist nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Für genauso wenig hinnehmbar halte ich es, dass Sie
in Ihren Antworten auf unsere Kleine Anfrage vom März
Frauen – und Apotheker und Apothekerinnen gleich mit
– für blöd erklären.


(Emmi Zeulner [CDU/CSU]: Das stimmt doch nicht!)


Denn laut Ihrer Aussage haben nur Ärzte aufgrund ihrer
Ausbildung besondere Kenntnisse über die – ich zitiere –
„geistig-seelischen Eigenschaften des Menschen“. Ich
finde, solche Aussagen passen eher in eine Vorabendse-
rie oder in einen Arztroman, aber bestimmt nicht in die
Politik.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Staatsekretärin, werte Kollegen und Kolleginnen
der Regierungskoalition, noch einmal zum Mitschrei-
ben: Frauen sind in der Lage, den Bedarf und die Folgen
einer Notfallverhütung – darum geht es – selbstbestimmt
einzuschätzen. Apotheker und Apothekerinnen können
über den Wirkstoff und seine Wirkung kompetent bera-
ten.

Hand aufs Herz: Was, bitte schön, soll der Arzt oder
die Ärztin Außergewöhnliches verkünden, wenn der
Gummi geplatzt ist?


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Soll er oder sie sagen: „Wenn Sie jetzt nicht ungewollt
schwanger werden wollen, müssen Sie ausnahmsweise
mal anders verhüten“? Hallo, das weiß die Frau schon,
seitdem sie die Entscheidung traf, eine Arztpraxis aufzu-
suchen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage noch einmal: Es gibt keinen vernünftigen
Grund, die Freigabe länger zu verhindern, es sei denn,
Sie haben Lust auf die Bevormundung und Repression
von Frauen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie es sein. Zur Unterstützung möchte ich noch
einmal den Kollegen Lauterbach zitieren, der in der De-
batte im Februar sehr treffend sagte – Zitat –:

Ich komme zum Fazit: Es scheint hier so zu sein,
dass Frauen in einer Notlage – das ist sicherlich im-





Cornelia Möhring


(A) (C)



(D)(B)

mer eine Notlage – das Recht auf Hilfe ohne gute
Begründung, also willkürlich, vorenthalten werden
soll. Das ist nicht zeitgemäß.

Da hat er völlig recht.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich
wende mich explizit an Sie: Es war doch schon alles
klar. Aus Ihrer Fraktion kamen sehr deutliche Worte.
Deswegen finde ich jetzt Ihre stillschweigende Zustim-
mung zur Haltung des Gesundheitsministers und Ihre
neue Verhinderungstaktik unerträglich. Ich wäre Ihnen
wirklich dankbar, wenn Sie diese Mithaftung für ein vor-
sintflutliches Patriarchat beenden könnten.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist doch im Kern die Wiederkehr einer Bevölke-
rungspolitik, in der Selbstbestimmungsrechte von Frauen
zum Spielball ganz anderer Interessen werden. Dabei
könnte mit der Lex Gröhe, der Verweigerung der rezept-
freien Abgabe der Pille danach, sehr schnell Schluss
sein. Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn es wirklich
in der Koalition krachen sollte, dann wäre es doch ein
würdiger Anlass, wenn es bei der Frage der Fraueninte-
ressen dazu käme.


(Beifall bei der LINKEN)


Also, lassen Sie es krachen! Aber vielleicht haben Sie ja
auch die Hoffnung, tatsächlich die Beratungsresistenz zu
durchbrechen.

Wenn es um das Recht der Selbstbestimmung von
Frauen über ihren Körper geht – dazu gehört eine selbst-
bestimmte Familienplanung –, haben Vorschriften vom
Staat, von einer Institution wie der Kirche oder auch von
anderen Menschen nichts zu suchen. Was eine Frau mit
ihrem Partner oder ihrer Partnerin in einer konfliktrei-
chen Lebenslage entscheidet – es ist eine konfliktreiche
Lebenslage, wenn eine Schwangerschaft beginnt und
diese ungewollt ist –, ist allein ihre Sache.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Es ist auch allein ihre Sache, an wen sie sich wendet, um
beraten zu werden, ob sie zur Apotheke geht oder eine
Arztpraxis aufsucht.

Lassen Sie mich abschließend festhalten: Dass wir
immer noch über die Rezeptfreiheit der Pille danach dis-
kutieren, ist leider Teil eines spürbaren Rollbacks hin-
sichtlich sexueller und reproduktiver Rechte von Frauen,
zu denen selbstverständlich auch eine selbstbestimmte
Familienplanung gehört.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805420100

Frau Kollegin.


Cornelia Möhring (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805420200

Ich komme zum Ende. – Dieses Rollback, diese

Rückschritte – das wissen Sie alle – kommen mit wach-
senden homophoben Einschlägen, mit Machtgehabe ge-
genüber Frauen, mit Familienbildern aus dem 19. Jahr-
hundert daher. Ich bitte Sie sehr: Machen Sie da nicht
länger mit! Hier geht es lediglich um den unkomplizier-
ten Zugang zu einer selbstbestimmten Notfallschwan-
gerschaftsverhütung, und das, liebe Kolleginnen und
Kollegen, sollte im 21. Jahrhundert eine Selbstverständ-
lichkeit sein.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805420300

Frau Kollegin Möhring, ich habe Ihre Redezeit schon

sehr großzügig ausgelegt und erst spät daran erinnert,
zum Schluss zu kommen. Ich darf daran erinnern, dass
wir alle miteinander die Redezeiten vereinbaren. Wenn
jeder oder jede anderthalb Minuten länger spricht, begin-
nen die nachfolgenden Debatten zu spät. Wir sind schon
großzügig, aber man darf es nicht übertreiben.

Nächste Rednerin ist jetzt Emmi Zeulner, CDU/CSU-
Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Emmi Zeulner (CSU):
Rede ID: ID1805420400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Sehr geehrte Kollegin Möhring, eigentlich
fühle ich mich in Deutschland selbstbestimmt, und nicht
nur eigentlich, sondern ganz sicher entscheide ich selbst,
was ich mit meinem Partner mache und was nicht.


(Kordula Schulz-Asche [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wollen wir aber auch hoffen!)


Bereits im Februar haben wir die Rezeptfreiheit von
Levonorgestrel, kurz LNG, hier im Plenum des Bundes-
tags diskutiert. Zwischenzeitlich hat eine öffentliche An-
hörung dazu stattgefunden, und wir haben in den Ar-
beitsgruppen und auch im Ausschuss darüber debattiert.
Die Argumente auf beiden Seiten sind dieselben geblie-
ben. Ich erkenne aber an, dass wir uns im Sinne der
Frauengesundheit eine Entscheidung nicht leicht machen
dürfen, und respektiere den weiteren Diskussionsbedarf
im demokratischen Sinne; dieses Anliegen eint uns wohl
alle.

Seien Sie versichert: Ich bin mir bei der ganzen Dis-
kussion bewusst, dass wir sowohl das hohe Gut der Pa-
tientensicherheit als auch das Recht auf Selbstbestim-
mung berücksichtigen müssen. Bei einer Entscheidung
über die Freigabe von LNG muss beides abgewogen
werden.

Die Fraktion Die Linke hat ihre Abwägung diesbe-
züglich getroffen. Für mich sind die Verbesserungen, die
sich durch die Freigabe von LNG für die Frauen einstel-
len sollen, jedoch nicht so klar erkennbar. Laut Ihrem
Antrag soll die Freigabe unter anderem einer Stigmati-
sierung der betroffenen Frauen entgegenwirken. Doch
ich bitte Sie, nochmals genau hinzusehen, was die sub-
jektive Wahrnehmung der Betroffenen angeht. Denn laut
einer aktuellen europäischen Studie fühlen sich 30 Pro-





Emmi Zeulner


(A) (C)



(D)(B)

zent der Frauen unwohl, stigmatisiert und bevormundet,
wenn sie sich eine Notfallkontrazeption besorgen müs-
sen, und das unabhängig davon, ob in den jeweiligen
Ländern die Rezeptfreiheit von LNG bereits eingeführt
wurde oder nicht. Eine Stigmatisierung von Mädchen
und Frauen, gerade in Notsituationen, möchte nicht nur
ich verhindern, sondern – da bin ich mir sicher – alle in
diesem Saal Anwesenden.

Wenn wir von der subjektiven Wahrnehmung der
Frauen reden, müssen wir in diesem Zusammenhang
auch die als unzureichend empfundene Aufklärung über
die Wirkung der Pille danach in den Fokus nehmen. Im-
mer noch herrscht laut der bereits zitierten Studie aus
dem Jahr 2014 gefährliche Unwissenheit über die Effi-
zienz einer hormonellen Notfallkontrazeption. Dies hob
auch Dr. Julia Bartley, Leiterin der Hormonsprechstunde
an der Charité, in ihrer Stellungnahme zu der öffentli-
chen Anhörung hervor. Über 80 Prozent der befragten
Frauen wünschen sich demnach eine bessere Aufklärung
über die Pille danach. Davor dürfen wir in Deutschland
nicht die Augen verschließen; denn nur eine aufgeklärte
Frau kann im Notfall zu einer informierten und selbstbe-
stimmten Entscheidung kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Über das Ziel sind wir uns somit alle einig: Frauen in
Deutschland soll, wenn eine Notfallverhütung notwen-
dig ist, rasche und umfassende Hilfe zuteilwerden. Un-
eins hingegen sind wir uns über den Weg zu dieser Hilfe
und über die Ausgestaltung der Rahmenbedingungen.

Die bewährten Rahmenbedingungen für die Pille da-
nach dürfen wir durch eine Freigabe nicht etwa schmä-
lern, sondern wir müssen sie weiter erhalten. Dies gilt
auch im Hinblick auf die Entscheidungen auf europäi-
scher Ebene. In diesem Punkt stehe ich voll hinter un-
serem Gesundheitsminister Hermann Gröhe, der aus
nachvollziehbaren Gründen an der bewährten Linie
Deutschlands in diesem Punkt festhält. Auch wenn die
Entscheidung der EU-Kommission über das Präparat
UPA, die im November vorliegen soll, ihre Schatten vor-
auswirft, muss es erst recht unser Anliegen sein, den be-
troffenen Frauen in Deutschland eine fundierte Beratung
zukommen zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Auch die Konsultation des Internets, wie es einigen
Kollegen vorschwebt, ist für mich keine ausreichende
Beratungsgrundlage. Die Kompetenz von Ärzten sollte
nicht durch einen Fragebogen im Internet, wie es schon
heute über die Seite DrEd möglich ist, oder durch einen
bloßen Klick auf den Button „In den Einkaufswagen“ er-
setzt werden. Kann Ihrer Meinung nach ein zweiminüti-
ger Videoclip dasselbe leisten wie das Vieraugenge-
spräch in einem geschützten Raum mit einem
approbierten Arzt?


(Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wie kann eine Frau so paternalistisch daherreden! Das ist fürchterlich!)


– Hallo? Ich höre auch zu, wenn Sie sprechen. – Durch
das Geschäftsmodell von DrEd wird nicht nur das ärztli-
che Berufsrecht, das Fernbehandlungen und Arzneimit-
telverschreibungen ohne Patientenkontakt verbietet, un-
terlaufen. Nein, hinzu kommt, dass die Kosten für die
Behandlungen, vor allem für die Folgebehandlungen
aufgrund von Komplikationen oder Fehldiagnosen, die
Solidargemeinschaft in Deutschland tragen muss.

Eine der Stärken unseres deutschen Gesundheitssys-
tems ist es, dass wir den Arzt-Patienten-Kontakt als Vo-
raussetzung für Erstverschreibungen von Arzneimitteln
festgelegt haben.


(Mechthild Rawert [SPD]: Kommt sehr auf das Medikament an! – Sabine Dittmar [SPD]: Aber nicht bei Diclofenac!)


Um dieses System nicht zu unterlaufen, werden wir, wie
im Koalitionsvertrag verankert, das Verbot von Online-
konsultationen rechtlich fixieren. Weiterhin sehe ich es
sehr kritisch, dass bei einer Freigabe den Herstellern der
Weg offen stünde, für ihr Produkt zu werben.

Sowohl die Bundesärztekammer als auch der Deut-
sche Apothekerverband sprechen sich ausdrücklich ge-
gen Werbung für das Präparat LNG aus. Werbung für die
Pille danach würde ein falsches Signal senden; denn sie
ist kein Ersatz für die weiterhin verschreibungspflichtige
Antibabypille, sondern ein hochdosiertes Notfallmedika-
ment.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zusammenfassend möchte ich sagen: Für mich sind
folgende Argumente am treffendsten:

Erstens müssen wir den Frauen eine Beratung in ei-
nem geschützten Raum unter vier Augen gewähren;
denn die Empfänger der Pille danach sind eben nicht nur
Frauen, die mitten im Leben stehen, sondern auch Min-
derjährige oder Frauen, denen Gewalt angetan wurde.
Eine solche Beratung kann nachts am Apothekerfenster
oder durch ein kurzes Onlinevideo meiner Ansicht nach
nicht gewährleistet werden und entspricht auch nicht den
Bedürfnissen der Betroffenen.


(Beifall bei der CDU/CSU – Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie mit den Frauen darüber gesprochen?)


Zweitens besteht für die Frauen nur im Rahmen des
direkten Arztkontaktes die Möglichkeit, im Notfall indi-
viduell und fachkundig beraten zu werden. Ich sehe un-
sere Verantwortung als Gesundheitspolitiker darin, im
Sinne und zum Wohl der Patienten zu entscheiden. Der
Arzt muss die zentrale Beratungsfigur bleiben; denn nur
er kann im Zweifelsfall eine gynäkologische Untersu-
chung sowie eine Nachsorge vornehmen, die der Ge-
sundheit der Frauen gerecht wird.


(Beifall bei der CDU/CSU – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Und am Wochenende kommt der Notarzt, der ein Orthopäde ist!)


Drittens hinkt der Vergleich mit anderen Ländern, wie
Sie ihn in Ihrem Antrag anstellen. Anhand der Aus-
gangsbedingungen in Deutschland erkenne ich keine
Notwendigkeit für eine Freigabe. Wir haben bestens
qualifizierte Ärzte und eine hohe Dichte an niedergelas-





Emmi Zeulner


(A) (C)



(D)(B)

senen Gynäkologen. Auch außerhalb der regulären Öff-
nungszeiten der Praxen ist durch den Ärztlichen Bereit-
schaftsdienst, der dem Patienten rund um die Uhr zur
Verfügung steht, eine Betreuung gewährleistet. Auch
dank unseres funktionierenden Gesundheitssystems, das
auch die Rezeptpflicht von LNG umfasst, haben wir eine
beispiellos niedrige Abtreibungsrate, die weiterhin rück-
läufig ist.


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer hat Ihnen denn diese Rede geschrieben?)


Viertens. Ich sehe in dem Gang zum Arzt noch immer
keine Einschränkung meiner Selbstbestimmung. Denn
wer fängt die Frau denn auf, wenn sie mit den Nebenwir-
kungen der Pille danach zu kämpfen hat oder wenn Fra-
gen auftauchen, die das DrEd-Video nicht in zwei Minu-
ten zu beantworten geschafft hat?

Ich komme zu dem Schluss: Das Recht auf Selbstbe-
stimmung und das hohe Gut der Patientensicherheit


(Ulle Schauws [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Patientinnensicherheit!)


schließen sich nicht aus – sie ergänzen sich.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie lebensfremd kann man eigentlich sein? – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Zu Risiken und Nebenwirkungen fragen Sie Ihren Arzt, aber bloß nicht Ihren Apotheker!)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805420500

Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt Kordula Schulz-

Asche, Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Erneut
fordern wir heute, die sogenannte Pille danach endlich
aus der Rezeptpflicht zu entlassen, und erneut erleben
wir heute ein Trauerspiel der CDU/CSU. Sie steht gegen
die Mehrheit dieses Hauses, die Mehrheit des Bundesra-
tes und auch gegen die Vernunft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Position der Union ist fachlich nicht haltbar, und
ihr fällt nicht einmal auf, dass sie sich instrumentalisie-
ren lässt. Seit Jahren wird das Selbstbestimmungsrecht
von Frauen in Deutschland beschnitten, die befürchten,
nach einem Geschlechtsverkehr ungewollt schwanger zu
werden. CDU und CSU verweigern diesen Frauen, was
in fast allen europäischen Ländern und den USA übliche
Praxis ist: der direkte, rezeptfreie, schnelle Zugang zur
Notfallverhütung mit dem Wirkstoff Levonorgestrel.
Wenn es nach der Vernunft gehen würde, dürfte ihre Ver-
hinderungsstrategie nicht länger greifen. Wir haben es
hier mit einer kruden Mischung aus mindestens drei
Punkten zu tun: Erstens lässt die Union eine Bevormun-
dung von Frauen zu und unterstellt ihnen, sie würden
oder könnten nicht verantwortungsvoll selbst entschei-
den. Zweitens lässt sie sich vor den Karren von berufs-
politischen Interessen sowie den Absatzinteressen eines
einzelnen Pharmaherstellers spannen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Drittens ist die SPD in der Koalitionsdisziplin gefangen:
Sie will zwar, aber sie kann nicht.

Besonders pikant ist, dass die Union durch das Hören
auf einzelne Ärzteverbände den Hersteller des doppelt so
teuren, in seinen Nebenwirkungen weniger bekannten
Wirkstoffs Ulipristalacetat massiv fördert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das verwundert; denn dieses Arzneimittel entstammt
derselben Wirkstoffklasse wie das Produkt Mifepriston,
das für medizinisch induzierte Schwangerschaftsabbrü-
che zugelassen ist. Eine abtreibende Wirkung kann also
nicht ausgeschlossen werden. Überspitzt formuliert heißt
das: Die Union fördert den Absatz einer Abtreibungs-
anstelle einer Verhütungspille. Damit hätte ich übrigens
– vermutlich im Gegensatz zu Ihnen – kein grundsätzli-
ches Problem. Ich habe aber ein Problem damit, dass
deutsche Frauenärzte diesen Wirkstoff zum Standard er-
klären wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das, meine Damen und Herren, steht im klaren Wider-
spruch zur Bewertung des Bundesinstituts für Arznei-
mittel und Medizinprodukte, das eine dem Gesundheits-
ministerium untergeordnete Behörde ist.

Das Geschmäckle wird verstärkt, wenn die treibende
Kraft hinter den Empfehlungen der deutschen Frauen-
arztverbände, den Wirkstoff Ulipristalacetat als Standard
zu definieren, eindeutig in Interessenkonflikten steht. So
findet man in internationalen Publikationen den Hinweis
darauf, dass diese treibende Kraft der Frauenärzte als
Berater von HRA, dem Hersteller des Wirkstoffs, tätig
ist. Hinzu kommt, dass die Empfehlung der Frauenarzt-
verbände ausschließlich auf die Hotline und die Internet-
seite dieses Herstellers verweist. Hinweise auf Seiten
von Herstellern der Pille danach mit dem Wirkstoff Le-
vonorgestrel fehlen völlig. Dies ist übrigens vor allem
im Interesse des Herstellers HRA; denn der Absatz sei-
nes Produkts beschränkt sich faktisch ausschließlich auf
Deutschland. In anderen Ländern der EU ist er gar nicht
auf dem Markt. Auch das verstärkt das Gefühl, dass hier
unerwünschte Interessenverquickungen vorliegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Wir Grüne setzen uns dafür ein, dass Frauen das Recht
haben, nach einer Verhütungspanne selbstbestimmt eine
nicht gewollte Schwangerschaft zu verhindern, dass das
Medikament so schnell wie möglich zur Verfügung
steht, weil es dann besonders wirksam ist, und dass
Frauen eine informierte Entscheidung treffen können.
Dazu wollen wir die Beratung in den Apotheken stärken





Kordula Schulz-Asche


(A) (C)



(D)(B)

und Entscheidungshilfen im Internet anbieten. Daher
fordern wir, die Rezeptfreiheit für die Pille danach mit
dem Wirkstoff Levonorgestrel in Deutschland endlich
einzuführen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Die Unionsabgeordneten und -abgeordnetinnen for-
dere ich ausdrücklich auf, kritisch zu überprüfen, ob sie
sich von anderen vor den Karren spannen lassen wollen.
Die Hoffnung habe ich noch nicht aufgegeben.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Manfred Grund [CDU/ CSU]: Nicht so abschätzig, Frau Kollegin! „Abgeordnetinnen“! Nicht so abschätzig, auch wenn Sie sie nicht leiden mögen!)


gerade und besonders Ihnen ganz persönlich. Danke
schön.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805420600

Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist Hilde Mattheis,

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1805420700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Möhring hat eingangs den Kollegen Lauterbach zi-
tiert. Ich glaube, Sie hätten viele von uns in der SPD-
Bundestagsfraktion zitieren können. Wir müssen uns
hier ja nichts vormachen: Das BfArM fordert die Re-
zeptfreiheit seit 2003, 2009 hat Spanien die Rezeptfrei-
heit als eines der letzten europäischen Länder durchge-
setzt, und 2010 hat auch die WHO diese Empfehlung
gegeben.

An die Debatte kann man unterschiedlich herangehen.
Man kann auch unterschiedliche Problemlösungsstrate-
gien fahren. Ich bin dafür, dass wir die Beratungszeit, die
wir vereinbart haben, vollumfänglich ausschöpfen, nach
dem Grundsatz: Beraten und Überzeugen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir wollen überzeugen und deutlich machen, dass es na-
türlich um das Selbstbestimmungsrecht der Frau und da-
rum geht, Lösungen für Konfliktsituationen, für wirkli-
che Notsituationen zu finden. Am Wochenende zum
Beispiel kann eine solche Notsituation auftreten – wir
wissen um die Frist, die man einhalten muss, um eine
optimale Wirkung zu erzielen –, wenn die Beratung in
der Notfallstation erfolgt und zufällig kein Gynäkologe
anwesend ist. Wir versuchen auch, dahin gehend zu
überzeugen, dass auch Apotheker Beratungen vollum-
fänglich durchführen und Beratungssituationen profes-
sionell gestalten können.

Ich glaube, dass es wichtig ist, auf die europäische
Ebene zu schauen. Die Rezeptfreiheit des Wirkstoffs
Ulipristal ist eine Möglichkeit; darüber wird im Novem-
ber entschieden. Wir wissen aber alle, wie die Wirklich-
keit aussieht: Im Internet kann man mit zwei Klicks und
dem Ausfüllen eines kleinen Beratungsformulars für
25 Euro ein Rezept bekommen. Auch das ist die Wirk-
lichkeit.

Wir als SPD haben unsere Forderung im Koalitions-
vertrag nicht verankern können. Unsere Haltung ist ein-
deutig. Wir wollen natürlich das Beste und das Richtige
erreichen, nämlich die Selbstbestimmung der Frauen si-
cherstellen und eine optimale Beratungssituation. Wir
wollen auch klarmachen, dass wir alle miteinander hier
nicht über Empfängnisverhütung diskutieren; denn wir
wissen, dass die Pille danach alles andere ist. Wir disku-
tieren aber auch nicht über Schwangerschaftsabbrüche,
sondern wir diskutieren über die Rezeptfreiheit der Pille
danach. Das ist eine andere Ebene.


(Beifall bei der SPD)


Lassen Sie uns das fachlich und sachgerecht, aber nicht
überdimensioniert angehen. Es geht um die Rezeptfrei-
heit.

Meine Fraktion hat in der letzten Legislaturperiode
einen Antrag eingebracht, in dem wir die unserer Mei-
nung nach wichtigen Bausteine formuliert haben. Dabei
geht es auch um die Datenerhebung; denn man braucht
eine fundierte Datengrundlage, um die richtigen Schluss-
folgerungen zu ziehen. Da geht es aber auch darum, dass
man sich die Beratungssituation genau anschaut, und,
und, und.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805420800

Frau Kollegin.


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1805420900

Ich finde, wir sollten dieses Thema hier mit der hin-

reichenden souveränen Gelassenheit angehen, die die-
sem Thema entspricht. Denn es geht darum, für Frauen
etwas zu erreichen. Wir wollen das, und wir schaffen das
gemeinsam mit einer nüchternen, ruhigen und sachli-
chen Beratung und Überzeugungsarbeit.

Ich danke.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805421000

Frau Kollegin Mattheis, gestatten Sie eine Zwischen-

frage der Kollegin Vogler, oder haben Sie gerade Ihre
Rede beendet?


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1805421100

Ich war jetzt gerade fertig.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805421200

Sie hatten noch Redezeit. Sie könnten also noch die

Zwischenfrage zulassen.


Hilde Mattheis (SPD):
Rede ID: ID1805421300

Ich war gerade fertig.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805421400

Nächste Rednerin ist Karin Maag, CDU/CSU-Frak-

tion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1805421500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Linke ist offensichtlich nicht bereit, den Beratungs-
bedarf, den unsere Kollegen aus der Koalition ange-
mahnt haben, zu akzeptieren. Ich finde das schade. Ich
finde es mit Kollegin Mattheis wenig souverän, solche
Dinge im Schweinsgalopp durch das Parlament zu peit-
schen.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wenn ich Kollegin Möhring oder auch Frau Vogler höre,
dann wünsche ich mir tatsächlich Martina Bunge oder
Kathrin Senger-Schäfer zurück. Da war zumindest ein
verantwortungsvollerer Umgang mit Redezeit im Deut-
schen Bundestag gewährleistet.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Dann wählen Sie uns! Vielleicht kommen sie dann wieder!)


Wenn wir nun schon darüber reden, will ich gerne un-
sere Positionen wiederholen. Ja, wir wollen die Rezept-
pflicht für die Pille danach beibehalten, vor allem, weil
wir den hohen Beratungsbedarf im geschützten Arzt-Pa-
tientinnen-Gespräch sehen. Wenn Sie bei der Anhörung
waren oder das Protokoll der Anhörung gelesen haben,
werden Sie viele Argumente gefunden haben, die diese
Position bestätigen.

Warum wollen wir diese Beratung? Der Einzelsach-
verständige Dr. Albring hat erneut bestätigt, dass insbe-
sondere über die Wirkung von Levonorgestrel aufgeklärt
werden muss. Im Beratungsgespräch sollte zum Beispiel
vorab geklärt werden, ob überhaupt ein Notfallkontra-
zeptivum genommen werden muss. Es gibt nämlich eine
Reihe von Zeiten im Zyklus, in denen die Pille danach
gar nicht notwendig ist. In diesen Zeiten muss natürlich
eine Patientin, eine Frau auch nicht das Risiko hoher
Hormongaben und Nebenwirkungen eingehen. Wenn
dann doch ein Notfallkontrazeptivum angezeigt sein
sollte, geht es natürlich um das geeignete Präparat, aber
zum Beispiel auch um die Frage, ob nicht die Kupferspi-
rale, die höchste Sicherheit in der Notfallverhütung bie-
tet – das hat übrigens auch eine Anhörung ergeben –,
empfohlen werden muss.

Beratungskapazität ist vorhanden. Wir haben in
Deutschland – Kollegin Zeulner hat es bereits erwähnt –
eine flächendeckende ärztliche Versorgung mit Bereit-
schaftsdienst, mit Notdienst rund um die Uhr.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Was?)


In Deutschland gibt es rund 10 000 niedergelassene
Gynäkologen; auf einen dieser Gynäkologen kommen
4 000 Patientinnen. Sie erwähnen gelegentlich Frank-
reich und England. Da betreuen die Frauenärzte jeweils
doppelt so viele Patientinnen. Das Argument, schnelle-
ren Zugang zu haben, zieht also meines Erachtens nicht.


(Zurufe von der LINKEN)

– Wir sprachen vorhin über Souveränität, aber ich sehe,
dass ich diese nicht von jedem Mitglied dieses Hohen
Hauses erwarten sollte.

Wir haben in der Anhörung auch gehört, dass bei
13 Prozent der deutschen Mädchen und 19 Prozent der
Mädchen mit Migrationshintergrund – das berichtete
Professorin Brucker – sexueller Kontakt gegen den Wil-
len der Betroffenen stattfindet. Die Chance, dass diese
sich nachts in der Apotheke, womöglich am Nachtschal-
ter, öffnen, ist ungleich geringer als im vertraulichen
Arztgespräch.


(Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Das wird doch nicht verboten dadurch! – Kathrin Vogler [DIE LINKE]: Wir halten die gar nicht davon ab, zum Arzt zu gehen! – Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


– Wir sollten die Diskussion jetzt auch nicht ideologisch
überfrachten.

Ich, meine Fraktion und vielleicht auch die Kollegin-
nen von der SPD sehen das sexuelle Selbstbestimmungs-
recht der Frauen nicht in Gefahr.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das ist es aber!)


Mir ganz persönlich geht es vor allem um eine infor-
mierte Entscheidung. Mir geht es darum, dass die Ge-
sundheit der betroffenen Frauen so wenig wie möglich
beeinträchtigt wird. Vielleicht sind Sie sogar mit mir der
Ansicht – ich hoffe es bei Ihnen von den Linken nicht
mehr –, dass Männer den Frauen, zum Beispiel im Falle
einer Verhütungspanne, die Entscheidung nicht alleine
überlassen müssen, dürfen, sollen, sondern dass der ge-
meinsame Weg zum Arzt sinnvoller ist. Diese Gemein-
samkeit wird eher bei einem Arztbesuch gewährleistet,
als wenn Sie die Frau alleine in die Apotheke schicken.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Bei der Pille danach ist der Weg mit Rezeptpflicht
meines Erachtens der weniger belastende Weg. Es gibt in
der Praxis bei rund 400 000 Verordnungen kaum Schwie-
rigkeiten. In Deutschland ist die Zahl der Schwanger-
schaftsabbrüche in den letzten Jahren um 39 Prozent zu-
rückgegangen – auch eine Folge kompetenter Beratung.
In Großbritannien ist die Pille danach seit zwölf Jahren
rezeptfrei erhältlich; die Abbruchraten sind seither um
7,7 Prozent gestiegen, sie sind fünfmal so hoch wie in
Deutschland. In Frankreich ist die Pille danach seit 1999
rezeptfrei erhältlich; die Abbruchraten sind doppelt so
hoch wie in Deutschland. Wir haben uns in der Anhö-
rung mit Herrn Dr. Baumgärtel darüber unterhalten, dass
die Verkaufszahlen in Österreich seit der Abgabe ohne
Rezept um 50 Prozent gestiegen sind; die Zahl der
Schwangerschaftsabbrüche ist dort, so Frau Professor
Dr. Brucker, viermal so hoch wie in Deutschland. Ich
sehe deshalb wenig Grund, von unserem funktionieren-
den System abzuweichen. Im Gegenteil, aus meiner
Sicht gibt es weiter zahlreiche gute Gründe, dies gerade
nicht zu tun.

Jetzt komme ich zur Wirksamkeit. Zwei Wirkstoffe
sind im Moment in der Diskussion: Levonorgestrel und
Ulipristalacetat. Bei der Diskussion über die Entlassung





Karin Maag


(A) (C)



(D)(B)

von Levonorgestrel aus der Rezeptpflicht reden wir – ich
zitiere jetzt Professor Dr. Wallwiener, auch aus der An-
hörung im Juli – vom weniger effektiven Präparat. Wa-
rum weniger effektiv? Auch darüber haben wir uns
schon mehrfach unterhalten: Die Wirksamkeit ist abhän-
gig vom Zeitpunkt der Einnahme. Bei Levonorgestrel ist
die Wirksamkeit nach 72 Stunden nicht mehr ausrei-
chend gegeben, bei Ulipristalacetat nach 120 Stunden
nicht mehr. Levonorgestrel verschiebt den Eisprung um
fünf Tage; das funktioniert aber nur – so die Anhörung –
bis Tag zwei vor dem Eisprung. Ob der Eisprung nun
kurz bevorsteht, kann man, glaube ich, nicht in der Apo-
theke klären; das sollte per Ultraschall festgestellt wer-
den.


(Hilde Mattheis [SPD]: Vom Orthopäden?)


Die Wirkung von Levonorgestrel verändert sich bei
gleichzeitiger Einnahme von Antiepileptika, Antidepres-
siva und Antibiotika. Ein Drittel der deutschen Frauen
wiegt über 75 Kilogramm, da wirkt Levonorgestrel gar
nicht; auch dieses Argument wurde schon mehrfach ge-
nannt.


(Mechthild Rawert [SPD]: Entkräftet!)


Ich komme zu den Kosten und zum Werbeverbot.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805421600

Und bitte zum Schluss.


Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1805421700

Versicherte bis zum vollendeten 20. Lebensjahr haben

Anspruch auf empfängnisverhütende Mittel, soweit sie
ärztlich verordnet werden. Ich glaube nicht, dass es den
Zugang zur Pille danach erleichtert, wenn die Jugendli-
chen dann 18 bis 35 Euro zahlen müssen. Das Publi-
kumswerbeverbot würde fallen; ich möchte aber auch
nicht erleben, dass im Kino, im Fernsehen oder am
Bahnhof für die Pille danach geworben wird.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Kurzum: Es sprechen weiterhin viele gute Gründe da-
für, die Pille danach verschreibungspflichtig zu lassen.
Ich bin aber gemeinsam mit den Kolleginnen aus der
SPD gerne bereit, weiter darüber zu diskutieren.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805421800

Vielen Dank. – Letzte Rednerin zu diesem Tagesord-

nungspunkt ist die Kollegin Mechthild Rawert, SPD-
Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1805421900

Liebe Frau Möhring, als Erstes möchte ich natürlich

feststellen, dass wir Parlamentarierinnen hier alle keine
Freigängerinnen aus dem Koalitionsgefängnis, sondern
frei gewählte Abgeordnete sind.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU – Cornelia Möhring [DIE LINKE]: Das ist schon einmal gut!)


Frauen und Mädchen haben das Recht, selber über ih-
ren Körper und ihr Leben zu bestimmen. Niemand sonst.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für dieses Menschenrecht hat sich die SPD immer ein-
gesetzt – in Deutschland und weltweit.

Bevor ich zu dem heute vorliegenden Antrag direkt
komme, möchte ich uns alle an etwas anderes erinnern:
1994 haben 179 Staaten – darunter Deutschland – auf
der UN-Weltbevölkerungskonferenz in Kairo die sexuel-
len Rechte und die sexuelle Selbstbestimmung der
Frauen zu einem Menschenrecht erklärt. Dieses Frauen-
recht umfasst – ich zitiere –

ihr Recht, frei von Zwang, Diskriminierung und
Gewalt über Angelegenheiten im Zusammenhang
mit ihrer Sexualität, einschließlich der sexuellen
und reproduktiven Gesundheit, bestimmen und frei
und eigenverantwortlich entscheiden zu können.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Emmi Zeulner [CDU/CSU])



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805422000

Kollegin Rawert, gestatten Sie eine Zwischenfrage

der Kollegin Vogler?


Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1805422100

Ja.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805422200

Bitte schön.


Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805422300

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Frau

Kollegin, dass Sie meine Zwischenbemerkung zulassen.

Ich habe mich gerade ein bisschen über den Satz, den
Sie gesagt haben, gefreut, Sie seien keine Freigängerin
aus dem Koalitionsknast, sondern eine frei gewählte Ab-
geordnete.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sie hat „Gefängnis“ und nicht „Knast“ gesagt!)


An diese frei gewählte Abgeordnete und alle ihre Kolle-
ginnen und Kollegen möchte ich gerne meinen Appell
richten, genau diese Tatsache im Blick zu behalten.


(Dietrich Monstadt [CDU/CSU]: Frage, Frau Präsidentin! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: Frage!)


– Ich stelle keine Frage. Lesen Sie bitte die Geschäfts-
ordnung. – Ich möchte Sie ermutigen, auch einmal über
ein anderes Verhalten als dem reflexartigen Ablehnen
unserer Vorlagen nachzudenken, zumal unser Antrag
weitestgehend dem entspricht, was der Bundesrat schon
mit SPD-Stimmen beschlossen hat.





Kathrin Vogler


(A) (C)



(D)(B)

Ich möchte Sie dazu mit den Worten der Abgeordne-
ten Lisa Gnadl aus der Sitzung des Sozial- und Integra-
tionspolitischen Ausschusses des Hessischen Landtags
am 11. September dieses Jahres ermutigen, in der sie ge-
sagt hat – ich zitiere –:

Für meine Begriffe kann man einen schnellen und
diskriminierungsfreien Zugang zur „Pille danach“
nur gewährleisten, wenn sie rezeptfrei ist. In allen
Debatten zu diesem Thema, auch im Bundestag,
habe ich nie irgendwelche medizinischen Gründe
gehört, die gegen eine rezeptfreie „Pille danach“
sprechen.


(Karin Maag [CDU/CSU]: Zuhören!)


Diese SPD-Abgeordnete sagte weiter:

Ich finde es wichtig, dass wir es begrüßen und un-
terstützen, dass dieses Medikament aus der Ver-
schreibungspflicht herausgenommen wird.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Das kann man doch im Protokoll auch nachlesen!)


Ich verstehe nicht, warum Sie

– damit wendet sie sich an Union und Grüne –

sich um diesen Punkt so herumdrücken und diesen
Antrag der LINKEN nicht unterstützen wollen.

Ich glaube, viele Frauen draußen werden es auch
nicht verstehen, wenn ihr, liebe Mechthild, diesen An-
trag der Linken heute nicht unterstützt


(Zuruf von der CDU/CSU: Redet jetzt die Linke?)


und euch mit uns dafür einsetzt, dass das, was ihr ja
mehrfach dokumentiert habt und auch selber wollt,
Wirklichkeit wird.


(Beifall bei der LINKEN)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1805422400

Herzlichen Dank für die Erinnerung, dass mit dieser

Diskussion sowohl der Bundestag als auch der Bundes-
rat befasst sind.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU)


Zurück zu Kairo: Dieses Aktionsprogramm von Kairo
wurde vor drei Tagen noch einmal beschlossen.

Wir Abgeordnete lassen eine Bundesregierung ja
nicht unvorbereitet nach New York fahren.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Deswegen haben wir Abgeordnete von CDU, CSU und
SPD unter anderem in einem Antrag im Vorfeld dieser
Sondertagung gefordert, dass jedem Menschen eine
selbstverantwortliche und freie Entscheidung über Zeit-
punkt und Anzahl der eigenen Kinder ermöglicht werden
muss und dass der Zugang zu anerkannten und moder-
nen Methoden und Leistungen der Familienplanung un-
abhängig von der Zustimmung von Eltern und Ehepart-
nern sowie vom Familienstand sicherzustellen ist. Wir
haben explizit den freien – ich zitiere –

Zugang zu einer Bandbreite von sicheren, zuverläs-
sigen, qualitativ hochwertigen und erschwinglichen
Verhütungsmitteln, inklusive Notfallkontrazeptiva,

gefordert.

Und ich fordere für die Frauen in Deutschland das
Gleiche, was wir für die Frauen in anderen Ländern auch
wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und der Abg. Karin Maag [CDU/ CSU])


Es kann nicht sein, dass das, was in 79 Staaten – darun-
ter die meisten europäischen Staaten – längst medizini-
scher und pharmakologischer Alltag ist, uns hier in
Deutschland verwehrt wird.

Noch eines, Frau Zeulner: Aufklärung ja, aber Auf-
klärung im Vorfeld, Hilfe allerdings beim geplatzten
Gummi, und das zügig und mit Rezeptfreiheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Frau Maag, die Kosten einer Kupferspirale liegen bei
mehreren Hundert Euro. Wir werden weiter über dieses
Thema debattieren. Wir haben Beratungsbedarf, weil wir
selbstverständlich auch den Aspekt der Kosten der ein-
zelnen Verhütungsmittel nicht außer Acht lassen wollen.
Das betrifft auch den Vergleich zwischen der Pille da-
nach auf UPA- und der auf LNG-Basis. Unsere Haltung
ist, dass wir die Frauen nicht mit Mehrkosten belasten
wollen,


(Karin Maag [CDU/CSU]: Ja, genau! Deswegen muss es rezeptpflichtig bleiben!)


wenn es schon ein Rezept gibt, das millionenfach sicher-
stellt, dass eine ungewollte Schwangerschaft verhindert
wird.


(Karin Maag [CDU/CSU]: Da sind wir uns ja wunderbar einig!)


Wir werden nach der europarechtlichen Entscheidung
zur Pille auf UPA-Basis ernsthaft über diese Interessen-
verquickungen reden. Wir werden auch die Unterschei-
dung zwischen der Pille danach auf LNG-Basis und der
auf UPA-Basis diskutieren. Wir werden somit also auch
über die freien Zugänge und die Rechte der Frauen dis-
kutieren.

Wir wissen: Die Pille danach, auch auf LNG-Basis
– darüber brauchen wir gar kein Wort mehr zu verlieren –,
ist für die Frauen nicht gesundheitsgefährdend, und sie
ist nebenwirkungsarm. Machen wir uns nichts vor – ma-
chen wir uns in diesem Fall ehrlich –: Es geht hier weni-
ger um die Pille danach als Medikament. Es geht um
unterschiedliche Wertentscheidungen hinsichtlich der
Selbstbestimmung und der Bevormundung von Frauen.
Vor allen Dingen geht es – erst recht, wenn ich an die
Diskussionen im Rahmen des Bündnisses für sexuelle
Selbstbestimmung vom vergangenen Wochenende denke –
um den freien Zugang zu Rechten. Dafür stehen wir So-





Mechthild Rawert


(A) (C)



(D)(B)

zialdemokraten und Sozialdemokratinnen. Da machen
wir weiter. Wir diskutieren intensiv weiter. Ich freue
mich auf die Diskussion. Wir überzeugen Sie noch.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805422500

Vielen Dank. – Da es eben auf der von mir aus rech-

ten Seite des Saales etwas Unruhe gegeben hat, möchte ich
darauf hinweisen, dass Zwischenfragen oder Zwischenbe-
merkungen nach § 27 Absatz 2 unserer Geschäftsordnung
dann erlaubt sind, wenn der Redner bzw. die Rednerin
sie zulässt. Ich mache allerdings alle Kollegen, die von
diesem Instrument Gebrauch machen wollen, auch die
Kollegin Vogler, darauf aufmerksam, dass in der Ge-
schäftsordnung steht: Sie müssen kurz und präzise sein. –
Das sage ich für die Zukunft.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Wir kommen nun zum Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 18/2630 mit dem Titel „Pille danach
jetzt aus der Rezeptpflicht entlassen“. Die Fraktion Die
Linke wünscht Abstimmung in der Sache. Die Fraktio-
nen der CDU/CSU und der SPD wünschen Überwei-
sung, und zwar federführend an den Ausschuss für Ge-
sundheit und mitberatend an den Ausschuss für Familie,
Senioren, Frauen und Jugend.

Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über den
Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:
Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist die
Überweisung mit den Stimmen von CDU/CSU und SPD
und gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen und
der Fraktion Die Linke so beschlossen. Wir stimmen da-
mit über den Antrag auf Drucksache 18/2630 heute nicht
in der Sache ab.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-

(12. Ausschuss)

auftragten

Jahresbericht 2013 (55. Bericht)


Drucksachen 18/300, 18/1917

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Wehrbe-
auftragte des Deutschen Bundestages, Hellmut
Königshaus. – Bitte schön.

Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deut-
schen Bundestages:

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren Abgeordneten! Ich glaube, spätestens seit den
Darlegungen der Inspekteure gestern im Verteidigungs-
ausschuss zur Situation in den Teilstreitkräften ist eines
klar: Die Bundeswehr ist in weiten Bereichen in einem
beklagenswerten Zustand. Das gilt insbesondere für die
militärischen Großgeräte, aber auch für die vielfach ver-
nachlässigte bauliche Infrastruktur. Der Inspekteur des
Heeres hat ja vorgetragen, dass wie beispielsweise in
Hammelburg vielfach ein Boxer durch zwei Füchse er-
setzt werden muss und dass das natürlich eine Problem-
lage schafft. Inzwischen ist es ja so, dass selbst die
Ministerin durch zwei Staatssekretäre ersetzt werden
muss. Das scheint also ein typisches Verhalten zu sein.


(Dr. Andreas Schockenhoff [CDU/CSU]: Die Ministerin ist unersetzbar!)


Im aktuellen Jahresbericht hatte ich ebenso wie be-
reits in den Vorjahren dargestellt, dass die Rüstungspla-
nung die sach- und zeitgerechte Deckung des Einsatzbe-
darfes nicht gewährleistet. Das BMVg hat daraufhin
zugesichert, die materielle Ausstattung habe mit Blick
auf eine optimierte Einsatzfähigkeit und Auftragserfül-
lung höchste Priorität. Meine Damen und Herren, das
kann ich aber in der konkreten Situation nicht erkennen.
Die jetzt öffentlich gewordene Techniksituation mit
Technikpannen und Defiziten in der Ausrüstung belegt
die Richtigkeit meiner damaligen Hinweise, die als maß-
lose Übertreibung zurückgewiesen worden waren. Of-
fenbar wurde eben nicht in ausreichendem Umfang Vor-
sorge getroffen, um die vorhandenen Gerätschaften zu
unterhalten, wie das BMVg seinerzeit kommentierte.

Im Januar hatte ich mich von dieser Stelle aus mit
dem Wunsch an die Ministerin gewandt, bei unseren An-
geboten an die internationale Gemeinschaft mehr Auf-
merksamkeit als bisher auf die Begrenztheit unserer Mit-
tel zu lenken. Ich habe darauf hingewiesen, dass bei dem
geradezu routinemäßig gegebenen Angebot von Sani-
täts- und Lufttransportkapazitäten nicht berücksichtigt
werde, wie gering unsere Reserven in diesem Bereich
bereits für den Regelbetrieb sind. Ich glaube, nun zeigt
sich jedermann, wie begründet diese Mahnung war.
Schon jetzt hat sich beispielsweise bei den Marineflie-
gern der durchschnittliche Instandhaltungsaufwand für
eine Flugstunde des großen Hubschraubers Sea King
von 50 auf 120 Stunden erhöht. Dies stellt eine nicht hin-
nehmbare Überlastung für das verantwortliche Personal
dar; denn die Personalausstattung wurde ja nicht verbes-
sert, sondern im Gegenteil weiter reduziert.

Dieser Aspekt führt mich zu einem weiteren Problem,
das weiterhin ungelöst ist: die hohe und bis an die Gren-
zen gehende Einsatzbelastung von Personal mit Schlüssel-
qualifikationen, etwa beim Flugverkehrskontrolldienst
oder bei den Luftumschlags- und Feuerwehrkräften.
Viele Soldatinnen und Soldaten sind seit langer Zeit im-
mer wieder mehr als 250 Tage pro Jahr einsatzbedingt
von zu Hause abwesend. Das gilt auch für die Marine.
Das ist langfristig gesehen unzumutbar. Es ist für die Zu-
kunft unzumutbar nach einem so langen Vorlauf.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, die Aus-
landseinsätze der Bundeswehr sind mit der derzeitigen
Ausstattung nicht weiter ausweitbar, schon gar nicht un-
begrenzt. Es gibt nur zwei Optionen: Entweder werden
die Aufgaben an die personellen und materiellen Rah-
menbedingungen angepasst oder aber die Rahmenbedin-
gungen werden entsprechend angepasst.





Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus


(A) (C)



(D)(B)

Sorgen bereitet auch weiterhin die verfallende bauli-
che Infrastruktur. Diese wurde an einer Reihe von Stand-
orten über viele Jahre vernachlässigt. Das hat auch etwas
mit der Frage zu tun, wo in Zukunft noch Standortsicher-
heit gegeben ist. Das ist verständlich, erklärt aber nicht
alles. Rost und Schimmelbefall, Kloakengeruch, defekte
Heizkörper in Sanitärgebäuden – übrigens auch in den
Wintermonaten – sind niemandem zumutbar. Ich bin
froh, dass die dafür zuständigen Stellen in Büchel, wo
ich besonders erschreckende Verhältnisse vorfand,
schnell reagiert haben. Aber das löst ja nicht das grund-
sätzliche Problem. Wenn die Soldatinnen und Soldaten
sich, so wie die Ministerin das wollte, in ihren Dienst-
stellen zu Hause fühlen sollen – das ist ja unser aller
Ziel –, dann muss noch viel investiert werden.

Dabei wären die zusätzlich erforderlichen Mittel ja
verfügbar. Zuletzt wurden für das Haushaltsjahr 2013
unter anderem wegen der von der Industrie nicht gelie-
ferten Rüstungsgüter hohe Summen an das Bundes-
ministerium der Finanzen zurückgegeben. Das ist im
Übrigen auch für das laufende Haushaltsjahr zu erwar-
ten. Diese Mittel sollten in andere dringende Vorhaben
umgeleitet werden. Hierfür muss das BMVg allerdings
ausführungsreife Planungen vorhalten. Dringlicher Be-
darf jedenfalls ist vorhanden.

Nicht erst im Jahresbericht 2013, sondern bereits in
den Berichten der Vorjahre hatte ich Maßnahmen zur At-
traktivitätssteigerung, insbesondere nachhaltige Verbes-
serungen bei der Vereinbarkeit von Dienst und Familie
in der Bundeswehr eingefordert. Insoweit habe ich es als
sehr wohltuend empfunden, dass sich die Bundesminis-
terin, Frau Dr. von der Leyen, der besseren Vereinbarkeit
des Soldatenberufs mit dem Familienleben angenommen
hat.

Dabei sehe ich es auch durchaus als eine Bestätigung
der Arbeit des Wehrbeauftragten und seiner Mitarbeite-
rinnen und Mitarbeiter, dass sich in der Agenda und dem
Artikelgesetz eine Reihe von Anregungen aus meinen
Jahresberichten wiederfinden.

Allerdings wird bereits bei den ersten von der Minis-
terin angekündigten kleineren Maßnahmen deutlich, wo-
ran so manche Veränderung schon im Ansatz zu schei-
tern droht. Die Ministerin will beispielsweise in den
Stuben der Soldatinnen und Soldaten Kühlschränke auf-
stellen lassen. Kaum angekündigt, melden sich bereits
die Veterinäre der Bundeswehr und kündigen an, dass sie
den Gebrauch der Kühlschränke unterbinden werden,
wenn nicht zusätzliches Kontrollpersonal eingestellt
werde, um durch Überprüfung alle 14 Tage sicherzustel-
len, dass die Kühlschränke von den Soldatinnen und Sol-
daten sachgerecht genutzt und gereinigt werden. Meine
Damen und Herren, so wird das natürlich nichts.


(Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU]: Nein!)


Unterstützung verdienen auch die Pläne der Ministe-
rin, die tatsächliche Anzahl der Soldatinnen und Solda-
ten an die im Personalstrukturmodell vorgesehene Zahl
von 185 000 Vollzeitstellen heranzuführen, die gegen-
wärtig weit unterschritten ist. Nur so kann im Übrigen
wie vorgesehen die Teilzeitarbeit ausgeweitet werden.
Denn Teilzeitarbeit darf in den einzelnen Arbeitseinhei-
ten nicht länger zu einer Mehrbelastung der übrigen Ka-
meradinnen und Kameraden führen. Dies wurde bisher
insbesondere in Teilen des Sanitätsdienstes immer wie-
der, und zwar völlig zu Recht, beklagt.

Deshalb ist das in meinen Jahresberichten schon
mehrfach angeregte Vakanzenmanagement für Teilzeit-
arbeit und sonstige familienbedingte Ausfallzeiten un-
verzichtbar.

Ich bedauere in diesem Zusammenhang auch, dass die
in der Koalitionsvereinbarung festgelegte Wahlfreiheit
zwischen Umzugskostenvergütung und Trennungsgeld
nun doch nicht in das Artikelgesetz aufgenommen wird.
Ich glaube, hier ist der Gesetzgeber noch einmal selber
gefordert, darüber nachzudenken, ob er diese Zusage in
der Koalitionsvereinbarung nicht einhalten will.

Kritisch betrachte ich ebenso, dass die geplanten Ver-
besserungen bei der Übertragung von rentenrechtlichen
Anwartschaften der ausscheidenden Zeitsoldaten im Ar-
tikelgesetz keinen Niederschlag finden sollen. Die ange-
kündigte Evaluation der Neuausrichtung böte nun die
Gelegenheit, notwendige Verbesserungen vorzunehmen.

Meine Damen und Herren, ich danke Ihnen, den Ab-
geordneten des Deutschen Bundestags, ebenso wie der
Bundesministerin, dem Bundesministerium der Verteidi-
gung insgesamt und natürlich der Bundeswehr insgesamt
für die Unterstützung meiner Arbeit und die vertrauens-
volle Zusammenarbeit. Ein Dank, ein ganz besonderer
Dank, geht natürlich auch an meine Mitarbeiterinnen
und Mitarbeiter bei uns im Amt.

Ich glaube, wenn Sie einen Blick nach vorn werfen,
dann werden Sie feststellen, dass wir inzwischen bei den
Referatsleitungsstellen einen Frauenanteil von 50 Pro-
zent erreicht haben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein besonderer Dank gebührt von dieser Stelle aus
aber natürlich den Soldatinnen und Soldaten der Bundes-
wehr und ihren Angehörigen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Soldatinnen und Soldaten müssen – ich habe das
eben dargestellt – unter oftmals wirklich nicht optimalen
Bedingungen einen aufopferungsvollen und erfolgrei-
chen Dienst für unser Land leisten. Sie tun das mit Enga-
gement. Ich glaube, dafür sind wir alle ihnen zu Dank
verpflichtet, nicht nur der Wehrbeauftragte.

Ihnen danke ich für Ihre Aufmerksamkeit. Herzlichen
Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805422600

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Anita Schäfer

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1805422700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Die Ereignisse der
vergangenen Monate haben uns den Wert eines in ge-
meinsamer Sicherheit verbundenen friedlichen Europas
einmal mehr eindrücklich vor Augen geführt, und zwar
gerade deshalb, weil es an den Rändern Europas derzeit
ganz und gar nicht friedlich zugeht. Die Lage dort ist
durch staatliche Instabilität und vieltausendfaches
menschliches Leid gekennzeichnet.

Da ist der andauernde Bürgerkrieg in Syrien, der mitt-
lerweile auf den Irak übergegriffen hat, was dazu geführt
hat, dass die Terrorgruppe „Islamischer Staat“ ihre
Schreckensherrschaft bis an die Grenzen des NATO-
Partners Türkei ausgedehnt hat. Verteidigungsministerin
von der Leyen ist zurzeit im Irak, um sich ein Bild von
der Umsetzung des deutschen Engagements zum Schutz
der Kurden, Jesiden und anderen von IS bedrohten Min-
derheiten im Norden des Landes zu machen.

Da sind weiterhin die Kämpfe zwischen Israelis und
Palästinensern und zwischen verschiedenen Parteien in
Libyen. Und da sind vor allem die russische Annexion
der Krim und die Unterstützung der Separatisten in der
Ostukraine mit militärischen Mitteln. Es ist das erste
Mal seit 1945, dass in Europa unter Androhung oder so-
gar unter Einsatz von bewaffneter Gewalt staatliche
Grenzen verschoben worden sind.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Falsch! Jugoslawien! Erzählen Sie keine Märchen!)


Erst vor kurzem haben wir im Parlament des Beginns
des Zweiten Weltkriegs gedacht, mit dem Deutschland
vor 75 Jahren Europa in die Katastrophe gestürzt hat.
Dass der polnische Präsident heute als Vertreter eines
NATO-Partnerstaates im Deutschen Bundestag die Be-
deutung der Solidarität für ein sicheres Zusammenleben
unter Nachbarn hervorhebt, zeigt, wie weit wir gekom-
men sind.


(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist wahr!)


Es zeigt aber auch, dass wir den Frieden in Europa
nicht als selbstverständlich betrachten können. Es unter-
streicht die Bedeutung eines Sicherheitsbündnisses wie
der NATO für die Erhaltung des Friedens, zu der auch
Deutschland mit seinen Streitkräften beitragen muss.

Schon vor der Eskalation der Ukraine-Krise haben
wir aktuelle Diskussionen über die Zukunft der Bundes-
wehr geführt, die jede auf ihre Weise die Tätigkeit des
Wehrbeauftragten berührt haben. Es ging dabei vor-
nehmlich um die Attraktivität des Dienstes einerseits
und die Ausrüstung der Truppe andererseits. Bei dieser
Gelegenheit möchte ich dem Wehrbeauftragten und sei-
nen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern für den Einsatz in
diesen und vielen anderen Fragen hinsichtlich der Be-
lange der Soldatinnen und Soldaten danken.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)


Dabei kann es nicht um ein Entweder-oder zwischen
Attraktivität und Ausrüstung gehen. Beides ist wichtig.
Wir als Deutscher Bundestag können unsere Soldatinnen
und Soldaten nicht ohne die bestmögliche Ausrüstung in
die Einsätze schicken, die wir mandatieren. Aber ohne
zeitgemäße attraktive Dienstbedingungen werden wir
unsere Soldatinnen und Soldaten nicht in der Freiwilli-
genarmee Bundeswehr halten können. Beides wird Geld
kosten.

Lassen Sie mich auf diese eng verbundenen Bereiche
etwas genauer eingehen. Das in diesem Jahr von der
Bundesverteidigungsministerin von der Leyen vorge-
stellte neue Attraktivitätsprogramm für die Bundeswehr
enthält viele weitere Detailverbesserungen für schwierige
Themen, um die wir uns schon seit längerem kümmern
und bemühen, wie etwa Unterbringung, Kinderbetreuung,
Teilzeit- und Telearbeitsmodelle sowie Kommunikation
im Einsatz.

Ich möchte einmal an einem Beispiel verdeutlichen,
warum ich gerade die Vereinbarkeit von Familie und
Dienst hier an dieser Stelle und anderswo immer wieder
so hervorgehoben habe. In meinem Wahlkreis liegt der
Bundeswehrstandort Zweibrücken mit Teilen der bishe-
rigen Luftlandebrigade 26. Anfang des Jahres entstand
hier das Problem, dass weiterverpflichtungswillige Sol-
daten in der Region keine freien Dienstposten mehr fan-
den, auf die sie sich hätten bewerben können. Dabei ging
es zum Teil um einsatzerfahrene, hochengagierte Unter-
offiziersdienstgrade. Von diesen Soldaten, die zu den
Besten gehören, die die Bundeswehr zu bieten hat, haben
viele lieber auf eine Weiterverpflichtung verzichtet, als
eine Versetzung aus der Region in Kauf zu nehmen, weil
sie und ihre Familien in ihrem sozialen Umfeld verwur-
zelt sind. Das kann sich die Bundeswehr heute weniger
denn je leisten.

In diesem Fall ist mittlerweile durch eine Nachjustie-
rung der Standortplanung und viel Flexibilität der Bun-
deswehr eine Entspannung eingetreten. Bei allen, die an
dieser Lösung mitgewirkt haben, möchte ich mich an
dieser Stelle noch einmal ganz herzlich bedanken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das zeigt, wie viel bei gutem Willen möglich ist. Es
zeigt aber auch, wie schwer die Bindung an Umfeld und
Familie heute bei Karriereentscheidungen wiegt. Vor die
Wahl einer Versetzung mit Umzug der ganzen Familie
oder einer Wochenendbeziehung gestellt, entscheidet
sich so mancher dafür, gleich ganz auszusteigen.

Wenn man sich vor Augen hält, dass ein Karrierepfad
bislang alle zwei bis drei Jahre eine Versetzung erfordern
kann, wird das Ausmaß des Problems klar. Deswegen
empfinde ich den Ansatz des Attraktivitätsprogramms,
die Häufigkeit von Versetzungen überhaupt zu reduzie-
ren, als einen so großen Schritt. Künftig muss man nicht
mehr alle bisherigen Verwendungen durchlaufen, um
Karriere zu machen. Zudem soll am selben Standort die
Beförderung um bis zu drei Besoldungsstufen möglich
werden.

Ab 2015 soll Personal in Führungsverwendungen drei
statt bisher zwei Jahre auf derselben Stelle bleiben; Spe-
zialisten sollen für mindestens fünf Jahre bleiben. Soweit
Versetzungen erforderlich sind, sollen diese ab 2016 nur





Anita Schäfer (Saalstadt)



(A) (C)



(D)(B)

noch an zwei festen Terminen im Jahr stattfinden, näm-
lich zu Jahresbeginn und in den Sommerferien. Ich
denke, das ist sehr familienfreundlich.

Meine Damen und Herren, damit möchte ich zu dem
zweiten der eingangs genannten Komplexe kommen: der
Ausrüstung. Der Ausrüstungszustand der Bundeswehr
ist nach unseren Bemühungen der letzten Jahre im We-
sentlichen gut. Viele große Beschaffungsprojekte, die
sich lange hingezogen haben, stehen mittlerweile in oder
vor der Umsetzung, etwa die für dieses Jahr geplante
Einführung des Transportflugzeugs A400M, das die
treue, aber betagte Transall ablösen wird. Das wird auch
höchste Zeit; denn die Verfügbarkeit der Transall-Flotte
sinkt. Auch der alte Schützenpanzer Marder wird nun
bald durch den Puma abgelöst.

Bei einigen neuen Systemen wie dem gepanzerten
Transportfahrzeug Boxer oder den Hubschraubern Tiger
und NH90 hat sich die Versorgung mit Ersatzteilen und
Ähnlichem noch nicht eingespielt. Trotzdem haben sie
sich bereits im Einsatz bewiesen.

In anderen Bereichen ist die Ablösung alten Geräts
noch dringend erforderlich, wie sich gerade bei den Ma-
rinehubschraubern gezeigt hat. Glücklicherweise ist auch
hier die erste Beschaffung neuer Maschinen bereits ein-
geleitet, auch wenn diese nur einen Teil des Bedarfs ab-
decken wird. Gerade beim Fluggerät zeigen sich die
Spätfolgen von Sparmaßnahmen bei der Beschaffung
von Ersatzteilen vor einigen Jahren. Das zeigt, dass sich
der Verteidigungshaushalt nicht als Steinbruch für Spar-
maßnahmen eignet, weil kurzfristige Kürzungen lang-
fristige Folgen haben werden.

Wichtig ist aber, dass die Bundeswehr die ihr gestell-
ten Aufgaben erfüllen kann. Das ist gegenwärtig der
Fall. Allerdings müssen wir dafür sorgen, dass dies so
bleibt.

In diesem Zusammenhang begrüße ich besonders,
dass im BMVg nunmehr die Entscheidungen zur Neube-
setzung der Stellen im Beschaffungsbereich ebenso wie
zur Evaluierung des gesamten Bereichs getroffen wur-
den. Ich hoffe, dass es hier nun zügig vorangeht.

Angesichts neuer Herausforderungen sollte im Rah-
men der Evaluierung auch an der einen oder anderen
Stelle noch einmal über Stückzahlen von Waffensyste-
men nachgedacht werden. Die Ukraine-Krise hat inner-
halb der NATO die Frage der Bündnisverteidigung wie-
der stärker in den Fokus gerückt. Daher sollten wir
prüfen, ob nicht doch alle mechanisierten Verbände statt
der bislang geplanten Pool-Lösung eine Vollausstattung
mit Kampffahrzeugen erhalten sollten.

Hinzu kommt die Frage, inwieweit wir unsere osteu-
ropäischen Verbündeten beim Aufbau eigener Fähigkei-
ten unterstützen sollten, auch mit Ausrüstungsabgaben,
die gleichzeitig der Modernisierung unseres eigenen Be-
standes dienen können. Deutschland hat auf dem NATO-
Gipfel in Wales bereits eine Initiative angestoßen, bei
der wir unsere Kooperation in einer Reihe von Feldern
mit neuen Partnern langfristig vertiefen werden.

Das sind zudem Schritte in Richtung echter europäi-
scher Streitkräfte.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es bedeutet aber nicht, dass wir Investitionen in die ge-
meinsame Verteidigungsfähigkeit künftig anderen über-
lassen dürfen. Gerade Deutschland als Nation, die den
Rahmen für solche Vorhaben bildet, muss vielmehr wei-
terhin einen seiner Größe angemessenen Beitrag hierzu
leisten.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich
unseren Soldatinnen und Soldaten ganz herzlich danken,
die ihren Dienst im In- und Ausland für unsere Sicher-
heit leisten. Dabei möchte ich auch ihre Familien einbe-
ziehen, die diesen wichtigen Dienst trotz aller Belastun-
gen mittragen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805422800

Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Christine

Buchholz.


(Beifall bei der LINKEN)



Christine Buchholz (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805422900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Sehr ge-

ehrter Herr Königshaus! Liebe Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter des Wehrbeauftragten! In diesen Tagen wird
vor allem über den schlechten Zustand des Bundeswehr-
materials berichtet und diskutiert. Aber dank des Jahres-
berichts des Wehrbeauftragten erfahren wir, dass auch
die Fürsorgepflicht der Bundeswehr gegenüber den eige-
nen Soldatinnen und Soldaten deutliche Defizite auf-
weist. Wir diskutieren heute über die Reaktion des Ver-
teidigungsministeriums auf den Jahresbericht über das
Jahr 2013. Erinnern wir uns: Das ist der Bericht, der so
viele Beschwerden von Soldatinnen und Soldaten be-
inhaltet wie noch nie.

Wie fällt die Antwort des Verteidigungsministeriums
zu den Problemen aus, die Herr Königshaus benannt
hat? Die Antwort ist im besten Fall unzureichend, im
schlechtesten Fall zynisch. Hier einige Beispiele:

Beispiel Afghanistan: In Kabul wurden deutsche Sol-
daten im US-geführten Camp Eggers untergebracht. Die
Sanitäranlagen seien durch Rost und Schwarzschimmel-
befall hygienisch nicht hinnehmbar. Die Antwort des
Verteidigungsministeriums: Den Soldaten wurden Reini-
gungsmittel und Farbe zur Verfügung gestellt.

Beispiel Mali: Die deutschen Soldaten sind in einem
Malariagebiet untergebracht. Doch passende Moskito-
netze werden erst mit monatelanger Verspätung angelie-
fert. Das ist unglaublich.

Ministerin von der Leyen behauptet, die Bundeswehr
zu einem familienfreundlichen Unternehmen machen zu
wollen. Aber ich werde den Eindruck nicht los: Viele
Maßnahmen sind vor allem eines: Fassade. Dort, wo die
Rücksicht auf Familie der Einsatzfähigkeit im Weg steht,
fällt die Fassade. So regte der Wehrbeauftragte erneut
an, die Erziehung von Kindern unter drei Jahren durch
alleinerziehende Soldatinnen und Soldaten als Einsatz-





Christine Buchholz


(A) (C)



(D)(B)

hinderungsgrund festzuschreiben. Aber das Ministerium
antwortete, das sei „nicht erforderlich“.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Unglaublich!)


Doch, meine Damen und Herren, doch, das ist es!


(Beifall bei der LINKEN)


Wie wenig es dem Ministerium um den Menschen
und wie sehr es ihm um seine Verwendung im Auslands-
einsatz geht, zeigt auch der Umgang mit einsatzbeding-
ten psychischen Erkrankungen. Es geht weitgehend um
eines: die Durchhaltefähigkeit vor und während des Ein-
satzes zu stärken. Auf keinen Fall geht es darum, psy-
chisch kranken Soldaten den Einsatz zu ersparen. So be-
tont das Ministerium in seiner Antwort auf den Bericht,
es werde weiterhin auch psychisch vorbelastete Soldaten
in Auslandseinsätze schicken. Es sei „noch nicht hinrei-
chend erforscht, welche psychischen Vorbelastungen die
individuelle Einsatzverwendungsfähigkeit tatsächlich
einschränken können“. Das grenzt zumindest an Zynis-
mus. Wenn die Soldaten aus dem Einsatz und der Bun-
deswehr heraus sind, werden sie uninteressant. Wenn
sich Jahre später Traumata einstellen, dann erwartet den
einzelnen Soldaten ein Papierkrieg um die Anerkennung
einer Wehrdienstbeschädigung. Diese ist die Vorausset-
zung, um die Chance auf eine vernünftige Therapie im
Rahmen der Bundeswehr zu erhalten. Das ist nicht hin-
nehmbar.


(Beifall bei der LINKEN)


Immer mehr Auslandseinsätze haben offenkundig zu
einer Überdehnung der Kapazitäten der Bundeswehr in
jeglicher Hinsicht geführt. Das gilt sowohl für das Mate-
rial, für dessen schlechten Zustand der Steuerzahler zu-
künftig tiefer in die Tasche greifen muss – die Kollegin
Schäfer hat das vorhin angedeutet –, als auch für die
Menschen, die im Zweifelsfall ihren Kopf hinhalten für
die politischen Entscheidungen, die hier im Bundestag
gefällt werden, nämlich die Soldatinnen und Soldaten.
Ich bin hier ganz bei Herrn Königshaus, auch wenn wir
zu unterschiedlichen Einschätzungen kommen. Es gibt
nur zwei Optionen. Entweder treiben Sie die Auf- und
Umrüstung hin zur Einsatzarmee weiter voran, wie es
auch der Wehrbeauftragte leider immer wieder fordert,
und lassen die Steuerzahler sowie die Soldatinnen und
Soldaten weiter für Ihre Interventionspolitik zahlen, oder
Sie entscheiden sich endlich für einen Kurswechsel. Die
Linke sagt: Beenden Sie die Auslandseinsätze der
Bundeswehr! Bauen Sie endlich die zivile Hilfe massiv
aus, und holen Sie die Soldatinnen und Soldaten nach
Hause – besser heute als morgen!


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805423000

Als nächste Rednerin spricht die Kollegin Heidtrud

Henn.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Heidtrud Henn (SPD):
Rede ID: ID1805423100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr

Wehrbeauftragter! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ganz besonders grüße ich alle Angehörigen der Bundes-
wehr. Um Sie geht es nämlich in dieser Debatte. In den
letzten Tagen haben Sie lesen und hören müssen, welche
Probleme Ihr Arbeitgeber hat, dass die Ausstattung
schlecht ist, dass die Ministerin Fehler macht. Überhaupt
ist für einige Journalisten die Bundeswehr ein einziger
Trümmerhaufen.

Beim Lesen der Pressemappe habe ich an die gestrige
Eröffnung der Ausstellung „Operation Heimkehr“ ge-
dacht. Herr Königshaus, Sie haben gestern im Paul-
Löbe-Haus ein Grußwort dazu gesprochen. Die Berichte
der Männer und Frauen, die im Kosovo, am Hindukusch,
in Mali oder am Horn von Afrika ihren Dienst geleistet
haben, prägen sich ein. Ich habe dieses besondere Buch
gelesen. Ich lege auch Ihnen, liebe Kolleginnen und Kol-
legen, ans Herz, es zu lesen. Die Erfahrungen, die unsere
Soldatinnen und Soldaten gemacht haben, gehen unter
die Haut. Es ist nicht irgendein Buch, es ist ein Buch
zum Nachdenken. Ich stellte mir die Frage, als ich es ge-
lesen hatte: Wie gehen wir, unsere Gesellschaft, mit un-
seren Mitbürgern und Mitbürgerinnen in Uniform um?
Ich wünsche mir eine andere und eine objektivere Be-
richterstattung über den Zustand unserer Bundeswehr,
mehr Berichte über die Menschen in der Bundeswehr.

Die Missstände bei der Bundeswehr sind uns bekannt.
Erst gestern haben wir im Ausschuss ausführlich darüber
gesprochen. Im Rahmen der Haushaltsberatungen muss
geprüft werden, wo mehr Geld benötigt wird und wo
Geld anders verteilt werden muss. Eine ehrliche Debatte
ist mir dabei lieber als eine wohlfeile Bekundung. Fakt
ist: Nur wer Probleme benennt, wer offen und ehrlich
sagt, wo es klemmt, kann Probleme lösen. Ja, unsere
Bundeswehr braucht Geld, und wir können es eigentlich
gar nicht zulassen, dass jedes Jahr Millionen zurückge-
geben werden. Wir brauchen aber auch einen guten Um-
gang mit dem Geld. Wir können von der Bevölkerung
nicht Unterstützung erwarten, wenn sich der Eindruck
eines Trümmerhaufens in den Köpfen festsetzt.

Damit wir Abgeordnete unsere Aufgabe erledigen
können, legt uns der Wehrbeauftragte des Bundestages
seinen jährlichen Bericht vor. Der Bericht ist ehrlich und
gilt als Mängelbericht. In diesem Bericht geht es um die
materielle Einsatzbereitschaft der Streitkräfte. Ganz we-
sentlich geht es hier aber auch um die Menschen in und
bei der Bundeswehr. Die Statistik zum Bericht des Wehr-
beauftragten zeigt mit 4 842 bearbeiteten Vorgängen für
das Berichtsjahr 2013 eine enorm hohe Quote. Die meis-
ten Probleme bezogen sich auf Menschenführung und
soldatische Ordnung. Mit dem Attraktivitätsprogramm
und dem Gesetz zur Steigerung der Attraktivität des
Dienstes in der Bundeswehr wird sich an dieser Zahl
hoffentlich viel ändern. Es ist an der Zeit.

Lieber Herr Königshaus, wir beraten heute, Monate
später als geplant, Ihren Bericht für das Jahr 2013. Sehr
geehrter Herr Wehrbeauftragter, Sie wissen, was nun
kommt: Danke an Sie und an Ihre Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter dafür,


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)






Heidtrud Henn


(A) (C)



(D)(B)

dass Sie uns Parlamentarier dabei unterstützen, unsere
Arbeit zu machen; denn ohne Sie könnten wir uns kein
umfassendes Bild über die innere Lage der Bundeswehr
machen. Sie fassen zusammen, was die Soldatinnen und
Soldaten bewegt. Sie zeigen keine Fotos wie die Aus-
stellung „Operation Heimkehr“, aber Sie bilden ab, was
ist, und treten engagiert für Soldatinnen und Soldaten
ein. Die Zusammenarbeit mit Ihnen schätze ich sehr, und
ich weiß, dass vielen Kolleginnen und Kollegen das
auch so geht.

Ich war in der vergangenen Woche in Mayen. Mein
Ziel war das dort ansässige Zentrum Operative Kom-
munikation der Bundeswehr. Hier arbeiten mehr als
900 Angehörige der Bundeswehr für die Truppe im Ein-
satz. Hier sendet das berühmte Radio Andernach, das in
diesem Jahr 40 Jahre alt wird. Auch hier lohnt ein Be-
such. Ich war sehr beeindruckt von der Leistungsbereit-
schaft und – ja, ich möchte sagen – der Hingabe, mit der
Soldatinnen und Soldaten und natürlich auch die zivilen
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ihren Dienst leisten.
Auch in Mayen geht es darum, Bilder zu zeigen und zu
sagen, was im Auslandseinsatz los ist.

Ich glaube, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir müs-
sen mehr und wir müssen anders über die Bundeswehr
und über unsere sicherheits- und verteidigungspoliti-
schen Gedanken sprechen. Wir können das Thema kei-
ner kleinen Elite überlassen. Wir sprechen oft über He-
rausforderungen, vor denen wir international stehen, und
wir meinen dabei manchmal tatsächlich Gefahren.

Wir müssen also darüber reden, was die Bundeswehr
leisten kann und was sie leisten soll, am besten ohne Ab-
kürzungen, sodass alle verstehen, worum es geht. Wir
können nicht davon ausgehen, dass uns viele Bürger via
Fernseher oder Internet zu dieser Zeit zuschauen. Natür-
lich wären wir froh, wenn bei der Beratung zum Bericht
des Wehrbeauftragten mehr Kolleginnen und Kollegen
anwesend wären. Vielen Dank an Sie, die Sie anwesend
sind!

Wir müssen mit unserem politischen Fachthema zu
den Bürgern und nicht umgekehrt.

Die Truppe mit ihren Einsätzen im Ausland hat den
Wehrbeauftragten in seinem Bericht beschäftigt. Man
kann sich nur schwer vorstellen, was es heißt, im Einsatz
zu sein. Ein ganzes Kapitel nehmen die Auslandsein-
sätze im Bericht des Wehrbeauftragten ein. Die Stellung-
nahmen des BMVg dazu habe ich zur Kenntnis ge-
nommen. Bei meinem Besuch in Masar-i-Scharif und
Trabzon habe ich mir selbst ein kleines Bild von der Si-
tuation machen können. An Trabzon denke ich oft. Die
Bundeswehr verschifft hier seit April 2013 Material aus
dem Afghanistan-Einsatz zurück nach Deutschland. Es
ist eine logistische Meisterleistung, die die Soldatinnen
und Soldaten dort vollbringen!

Eine Verbesserung der Betreuungskommunikation im
Einsatz wird es ebenso geben wie Verbesserungen bei
der Einsatz- und Beschädigtenversorgung. Natürlich
muss die persönliche Ausrüstung den Erfordernissen an-
gemessen sein. Wir Sozialdemokraten werden bei den
Haushaltsberatungen sagen, wo wir Handlungsbedarf se-
hen und wie die Mittel dafür erwirtschaftet werden.

Gerade die derzeit rund 3 470 Soldatinnen und Solda-
ten der Bundeswehr im Einsatz, die gemeinsam mit un-
seren internationalen Partnern im Ausland ausbilden,
Wege sichern, schützen und auch beschützen, verdienen
unsere besondere Anerkennung. Aber nicht nur das: Die
Soldatinnen und Soldaten im Einsatz verdienen den be-
sonderen Einsatz von uns Bundestagsabgeordneten,
wenn es darum geht, dafür zu sorgen, dass sie ihre Arbeit
gut und vor allem sicher erledigen können.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für Sicherheit und Gesundheit im Ausland sorgt der
Sanitätsdienst. Hier geht es manchmal um Leben und
Tod und manchmal um ein Pflaster. Organisatorisch
muss hier einiges passieren, wie die Eingaben an Sie
ganz deutlich zeigen.

Auch wenn das Geld nicht alles ist: Die Stellenzula-
gen in diesem Bereich sind aus meiner Sicht wichtig und
sollten ausgeweitet werden; denn wer gut behandeln
soll, muss auch gut behandelt werden.

Gerade und ganz besonders im Einsatz wird deutlich,
wie wichtig und wie hervorragend ausgebildet die Män-
ner und Frauen sind. In Gesprächen höre ich immer wie-
der, dass der Sanitätsdienst im Einsatz tadellos funktio-
niert. Wenn der Sanitätsbereich als Patient bezeichnet
wird, dann deshalb, weil der Spagat, der zwischen In-
lands- und Auslandseinsätzen zu absolvieren ist, nicht
optimal gelingen kann.

Die primäre Aufgabe des Sanitätsdienstes ist die Un-
terstützung der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz.
Aber es muss auch Sorge dafür getragen werden, dass
unsere Soldatinnen und Soldaten zu Hause gut versorgt
werden. Soldatinnen und Soldaten sollten in Bundes-
wehrkrankenhäusern immer die wichtigsten Patienten
sein. Kranke Soldatinnen und Soldaten im Inland sollten
keine gefühlten Weltreisen zu den regionalen Sanitäts-
einrichtungen unternehmen müssen, um versorgt werden
zu können.

Meine Damen und Herren, ich möchte unseren Solda-
tinnen und Soldaten im Einsatz ganz liebe Grüße senden
und ihnen eine gesunde Rückkehr wünschen.

Ich danke Ihnen allen für Ihre Aufmerksamkeit und
wünsche uns allen Gottes Segen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805423200

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Doris Wagner

das Wort.


Doris Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805423300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr

Staatssekretär! Verehrter Herr Königshaus! Werte Kolle-
ginnen und Kollegen! Für Ministerin von der Leyen
hätte dies eine richtig schöne Woche werden können.





Doris Wagner


(A) (C)



(D)(B)

Gestern der Kabinettsbeschluss und heute ein glänzender
Auftritt im Bundestag; viele Probleme, die der Wehrbe-
richt aufwirft, gelöst. Unsere Soldatinnen und Soldaten
hätten zufrieden sein können.

Stattdessen hat sich aber die Bundesregierung auch
nach Monaten der Beratung nicht auf das Artikelgesetz
verständigt, das wesentlich zur Attraktivität des Dienstes
in der Bundeswehr beitragen könnte. Das lässt nichts
Gutes für die Zukunft erwarten. Ein großer Teil der
Missstände, von denen Herr Königshaus berichtet, sind
auf einen eklatanten Personalmangel zurückzuführen.
Bei den Technikern, der Flugsicherung, im Sanitäts-
dienst oder bei der Marine, wie wir gehört haben, ist die
Lage längst dramatisch.

Meine Fraktion hat die Attraktivitätsinitiativen der
Ministerin deshalb ausdrücklich begrüßt. Doch nun müs-
sen wir mit ansehen, wie sich die Ministerien im Streit
über die Details des geplanten Artikelgesetzes verhed-
dern. Dabei brauchen wir doch jetzt eine wirkliche Ini-
tiative.

Was macht einen Job eigentlich attraktiv? Dies ist na-
türlich zunächst einmal die Bezahlung. Vielleicht erin-
nern Sie sich noch an die Berichte vom vergangenen
Jahr. Manche Soldatinnen und Soldaten heuern im Ur-
laub tatsächlich mittlerweile bei privaten Sicherheitsfir-
men an, um ihr Einkommen aufzubessern. Das kann
doch nicht wahr sein.

Deshalb möchte die Ministerin die Stellenzulagen für
Bundeswehrangehörige anheben. Doch der Innenminis-
ter ist dagegen. Der öffentliche Dienst könnte ja das
Gleiche fordern. Jetzt wird nur gekleckert. Die Erhöhung
der Stellenzulage soll nur für einige wenige Bundes-
wehrdienstposten gelten.

Aber, verehrte Kolleginnen und Kollegen, solch eine
Beschränkung ist doch nicht zielführend, wenn wir die
Bundeswehr insgesamt attraktiver machen wollen. Des-
halb mein Appell an die Ministerin: Denken Sie doch
bitte noch einmal über eine Erhöhung der Stellenzulage
für alle Bundeswehrangehörigen nach.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Was macht einen Job noch attraktiv? Dies ist natürlich
auch die soziale Absicherung. Aber leider kleckert die
Regierung auch hier. Künftig werden drei von vier Sol-
datinnen und Soldaten der Bundeswehr auf Zeit angehö-
ren. Zudem werden die Verpflichtungszeiten immer län-
ger.

Eine gute Altersabsicherung dieser Soldatinnen und
Soldaten trägt daher erheblich zur Attraktivität der Bun-
deswehr bei. Doch jetzt, nach all dem Geschachere um
das Artikelgesetz, fällt die Erhöhung der gesetzlichen
Nachversicherung mehr als mager aus und trägt nicht
dazu bei, den jungen Leuten, die heute zur Bundeswehr
gehen, eine gute Altersversorgung zu bieten.

Meine Damen und Herren, attraktiv ist wirklich etwas
anderes. Ich hätte erwartet, dass die Ministerin einmal
über andere Modelle der Altersabsicherung nachdenkt,
über Versorgungsanwartschaften oder über Möglichkei-
ten einer betrieblichen Rentenabsicherung. Aber statt
neue Wege zu beschreiten, speisen Sie die Soldatinnen
und Soldaten mit Kleinkleckerles ab.

Das Artikelgesetz wird also in vielen Punkten nicht
der große Wurf, den Frau von der Leyen versprochen
hat. Deshalb hoffe ich wirklich, dass wenigstens die At-
traktivitätsagenda beherzt umgesetzt wird.

Sie alle haben es im Wehrbericht gelesen: Ein weite-
rer großer Teil der Beschwerden aus der Truppe bezieht
sich auf das Führungsverhalten der Vorgesetzten. Mal
werden Untergebene als „Schwuchteln“ oder „Mongos“
bezeichnet, mal wird einem jungen SaZler eine Dienst-
zeitverkürzung verweigert, wenn er eine Stelle im zivi-
len Bereich antreten will. Nun soll es ein verpflichtendes
individuelles Coaching für das Spitzenpersonal geben;
denn die Führungs- und Organisationskultur soll verbes-
sert werden. Das Verteidigungsministerium ist derzeit
dabei, diese Coachings zu konzipieren, und steht vor der
Entscheidung, ob die Coachings ausschließlich von ex-
ternen zivilen Coaches durchgeführt werden sollen oder
ob auch die bundeswehreigenen Coaches vom Zentrum
Innere Führung beteiligt sein sollen. Ich hoffe wirklich
sehr, dass sich die Ministerin entscheidet, auch die Bun-
deswehrcoaches einzubinden. Denn wer sollte die solda-
tischen Führungskräfte besser verstehen als ein Soldat
oder eine Soldatin? Deshalb brauchen wir keine klang-
vollen Beraternamen, sondern Coaches, die die Lage ih-
res Gegenübers wirklich verstehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber eine grundsätzliche Veränderung des Bewusst-
seins und des Führungsverhaltens in der Breite erreichen
wir nicht, indem wir mal schnell die Spitzenkräfte einen
Tag lang zwangsanalysieren, so wie es jetzt angedacht
ist. Deshalb wünschen wir uns sehr: Lassen Sie es nicht
dabei bewenden, Frau Ministerin. Binden Sie die bun-
deswehrinternen Coaches in das Spitzencoaching ein.
Aber mehr noch: Stärken Sie die Fähigkeit der Bundes-
wehr zur Selbstreflexion nachhaltig, indem Sie die Zahl
der Coaches im Zentrum Innere Führung erhöhen. Nur
so werden wir die Probleme der Personalführung dauer-
haft in den Griff bekommen.

Meine Damen und Herren, angesichts der militäri-
schen Konflikte in unserer Nachbarschaft ist es vielleicht
verführerisch, die Beschwerden der Soldatinnen und
Soldaten als Kinkerlitzchen abzutun. Davor möchte ich
ausdrücklich warnen. Dinge wie die unattraktive Bezah-
lung – ich komme zum Schluss –, die unbefriedigende
Altersabsicherung und der rüde Umgang von Vorgesetz-
ten mit Untergebenen sind keine Luxusprobleme.

Lassen Sie die Chance, die sich mit dem Artikelgesetz
und der Attraktivitätsagenda bietet, nicht verstreichen.
Nicht kleckern, sondern klotzen!

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Ingo Gädechens [CDU/CSU]: Wir warten auf die Anträge zum Einzelplan 14!)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805423400

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Reinhard

Brandl das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1805423500

Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Lassen Sie
mich am Anfang Ihnen und Ihren Mitarbeitern für Ihre
Arbeit danken. Sie sind für uns im Verteidigungsaus-
schuss ein unverzichtbares Instrument. Sie sind unser
Ohr an der Truppe und geben uns und dem Ministerium
wichtige Hinweise, wo etwas schiefläuft und wo wir ge-
gebenenfalls politisch oder vonseiten des Ministeriums
nachsteuern müssen.

Ein Thema, das Sie in Ihrer Amtszeit immer wieder
aufgegriffen haben – das gefällt nicht jedem; das ist aber
wichtig –, ist die Frage der Ausrüstung. Ausrüstung ist
Teil der Attraktivität. Ausrüstung ist Teil der Verantwor-
tung des Dienstherrn und des Parlamentes. Eine gute
Ausrüstung ist auch eine sicherheitspolitische Notwen-
digkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Heidtrud Henn [SPD])


Wir erleben gerade eine unglaubliche Gleichzeitigkeit
von verschiedenen Krisenherden in der Welt. Dies macht
es notwendig, dass die Bundeswehr zum Beispiel im
Irak und bei der Bekämpfung von Ebola plötzlich und
schnell reagiert. Wir haben unsere Bundeswehr schon re-
duziert; das ist das Konzept „Breite vor Tiefe“. Wir ha-
ben aber die Breite vorgehalten. Damit dieses Konzept
funktioniert, ist es unerlässlich, dass die Ausrüstung, die
wir haben, funktioniert und für Einsatzzwecke zur Ver-
fügung steht. Lieber Herr Wehrbeauftragter, ich möchte
Ihnen dafür danken, dass Sie da den Finger in die Wunde
gelegt haben.

Es ist aber auch wichtig für uns im Parlament. Wir be-
schließen hier jedes Auslandsmandat der Bundeswehr.
Ein Auslandsmandat ist immer auch mit Risiken für Leib
und Leben der Soldaten verbunden. Wenn wir das be-
schließen, ist von unserer Seite damit die Verpflichtung
verbunden, dass wir den Soldaten die entsprechende
Ausrüstung zur Verfügung stellen, damit diese Risiken
für Leib und Leben minimiert werden.

Meine Damen und Herren, ich will in dem Zusam-
menhang auf eine Debatte hinweisen, die heute noch
nicht angesprochen worden ist, aber die der Wehrbeauf-
tragte vor der Sommerpause sehr intensiv geführt hat:
die Beschaffung von möglicherweise bewaffnungsfähi-
gen Drohnen. Sie ermöglichen auf der einen Seite bes-
sere Aufklärung, auf der anderen Seite, wenn es nötig
ist, einen zielgenaueren Waffeneinsatz, damit das Risiko
für die eigenen Soldaten und für möglicherweise betei-
ligte Zivilisten minimiert werden kann.

Wenn wir hier im Parlament mit Mehrheit einen Ein-
satz beschließen, dann ist es auch ethisch geboten, eine
angemessene Ausrüstung zur Verfügung zu stellen. Wir
haben gerade bei den Drohnen, aber auch bei anderen
Waffensystemen immer wieder diese Debatte geführt:
Verleiten wir die Soldaten zum Schießen oder vielleicht
auch zu unethischem Handeln, wenn wir solche Waffen-
systeme zur Verfügung stellen? Ich habe mir den Jahres-
bericht des Wehrbeauftragten unter diesem Gesichts-
punkt angesehen. Im Bericht des Wehrbeauftragten steht
viel drin; wir haben 200 000 Soldaten, und da läuft nicht
alles rund. Da gibt es manchmal Verfehlungen, auch im
persönlichen Bereich; Sie haben Verfehlungen im Füh-
rungsverhalten angesprochen. Es ist aber bezeichnend,
dass im Bericht des Wehrbeauftragten kein Satz, kein
Wort darüber steht, dass Soldaten bei der Anwendung
von militärischer Gewalt in irgendeiner Form verantwor-
tungslos oder völkerrechtswidrig gehandelt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann Ihnen sagen: Die Soldaten sind hervorragende
Botschafter unseres Landes im Ausland. Sie verdienen
das Vertrauen, das wir ihnen hier im Parlament entge-
genbringen. Sie verdienen auch die bestmögliche Aus-
rüstung.

Wir haben in dieser Woche eine wichtige Debatte
zum Thema Einsatzbereitschaft geführt. Da gibt es The-
men, bei denen wir nachsteuern müssen. Für jeden ein-
zelnen Bereich gibt es immer Begründungen – die In-
spekteure haben viele Begründungen geliefert –, warum
dieses oder jenes nicht funktioniert. Aber in der Summe
ist es für uns natürlich unbefriedigend. Wir wollen eine
gut ausgerüstete Bundeswehr, die jederzeit einsatzbereit
ist. Dafür kämpft der Wehrbeauftragte, dafür kämpfen
wir.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805423600

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Verteidi-
gungsausschusses zu dem Jahresbericht 2013 des Wehr-
beauftragten; das sind die Drucksachen 18/300 und
18/1917. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der Un-
terrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Das sind die CDU/
CSU, Bündnis 90/Die Grünen und die SPD. Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Das ist die Linke. Damit
ist diese Beschlussempfehlung mit der Mehrheit der
Stimmen angenommen worden.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 11 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Thomas
Gambke, Kerstin Andreae, Britta Haßelmann,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Mit Transparenz Steuervermeidung multina-
tionaler Unternehmen eindämmen – Country-
by-Country-Reporting einführen

Drucksache 18/2617





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazu
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe als erstem Red-
ner Herrn Dr. Thomas Gambke das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Sehr verehrte Zuhörer auf den Rängen!
Zur späten Stunde reden wir darüber


(Manfred Zöllmer [SPD]: So spät ist es ja nun auch nicht!)


– so spät ist es nicht; das ist richtig –: Unternehmen
sollen dort Steuern zahlen, wo ihre tatsächliche Wert-
schöpfung stattfindet und öffentliche Güter in An-
spruch genommen werden – ein Satz, den wohl jeder
hier unterschreiben wird. Die Praxis sieht anders aus:
Multinationale Unternehmen verschieben heute ihre
Gewinne ganz legal in Niedrigsteuerländer, sie spie-
len verschiedene Steuerrechtssysteme gegeneinander
aus. Gleichzeitig locken Staaten aktiv mit extremen steu-
erlichen Sonderangeboten. Meine Damen und Herren,
wir sind uns hoffentlich auch noch hier darüber einig,
dass wir diesen Zustand dringend verändern müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Mich freut der Beifall über alle Fraktionen hinweg.

Auch Frau Merkel und Herr Schäuble teilen diese
Auffassung. Sie haben der OECD im Rahmen der G 20
den Auftrag erteilt, aktiv gegen Steuergestaltung vorzu-
gehen. Denn unter dem Strich verlieren Nationalstaaten
Steuereinnahmen. Am Ende sind die kleinen und mittle-
ren Unternehmen die Dummen; denn sie können die
Steuertricks der Großen nicht anwenden. Es gibt wissen-
schaftliche Evidenz dahin gehend, dass multinationale
Unternehmen 30 Prozent weniger Steuern zahlen als
kleine und mittlere Unternehmen. Da wird der Wettbe-
werb massiv verzerrt, und deshalb müssen wir das än-
dern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wie können wir das eindämmen? Wir müssen
wissen, welche wirtschaftliche Aktivität, welche Wert-
schöpfung das einzelne Unternehmen in einem Land hat.
In der letzten Legislatur haben wir mit Ihnen, den Kolle-
ginnen und Kollegen von der SPD, einen entsprechen-
den Antrag zu länderbezogenen Offenlegungspflichten
hier in den Bundestag eingebracht. Jetzt gehe ich davon
aus, dass Sie Ihre Kollegen von der Union dazu bewe-
gen, mitzumachen.

(Manfred Zöllmer [SPD]: Wir sind dabei, Herr Kollege!)


Zeigen Sie, dass Sie es ernst meinen mit dem Kampf ge-
gen Steuervermeidung!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Problem ist: Die Konzernberichterstattung ist
derzeit eine Blackbox. Sie sehen nur das zusammenge-
fasste Ergebnis aller weltweiten Konzerngesellschaften,
aber die länderbezogenen Angaben sehen Sie nicht. Sie
können also nicht erkennen, ob der Konzern seine Ge-
winne in Niedrigsteuerländer schleust und wie er das
macht. Das ist einfach nicht in Ordnung. Das müssen wir
ändern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])


Die OECD hat jetzt einen Vorschlag zu länderbezoge-
nen Offenlegungspflichten gemacht, Country-by-Coun-
try-Reporting genannt. Aber ist das wirklich der Durch-
bruch? Nein! Denn die OECD schlägt vor, dass die
Informationen nur an die jeweiligen Finanzämter weiter-
geleitet werden, also nicht öffentlich sind. Damit haben
wir gar nichts gewonnen. Im schlimmsten Fall führt das
sogar zu einem noch intensiveren Streit der nationalen
Steuerbehörden, aber nicht zu einer Lösung des Pro-
blems. Deshalb fordern wir Transparenz bei allen wichti-
gen Eckdaten der Konzerne, also Öffentlichkeit.

Es ist ganz simpel: Wir brauchen die öffentliche Kennt-
nis über die wirtschaftliche Tätigkeit von Unternehmen
im Verhältnis zu ihren Steuerzahlungen, damit die Öf-
fentlichkeit nachvollziehen kann, ob das einzelne Unter-
nehmen seinen Obolus wirklich entrichtet. Wenn ein
Missverhältnis besteht, weil ein Unternehmen in erhebli-
chem Maße wirtschaftlich tätig ist, aber keine Steuern
zahlt oder wirtschaftlich nicht tätig ist, aber hohe Ge-
winne anfallen, dann müssen wir handeln. Da muss öf-
fentlicher Druck entstehen; denn nur dann werden die
Staaten bereit sein, ihre individuelle nationale Steuerge-
setzgebung zu verändern. Deshalb brauchen wir die
Transparenz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Also Finanzämter können auch für sich handeln, wenn sie das Wissen haben!)


Aber wer blockiert das? Das sind natürlich die Kon-
zerne, die befürchten, möglicherweise durch eine höhere
Steuerquote belastet zu werden. Da müssen Sie sich fra-
gen, Herr Brinkhaus:


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Ich?)


Ist es wirklich richtig, die Frösche zu fragen, wenn Sie
den Teich trockenlegen wollen? Fragen Sie einmal die
Mittelständler! Fragen Sie kleine und mittlere Unterneh-
men! Sie werden unsere Forderung unterstützen, diese
Steuerpraktiken endlich öffentlich zu machen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805423700

Herr Kollege, Sie müssen jetzt zum Schluss kommen.






(A) (C)



(D)(B)


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren der Regierungsfraktionen,
wir legen Ihnen heute einen sehr konstruktiven Vor-
schlag zur Eindämmung von Steuergestaltung vor. Die
SPD hat schon einmal zugestimmt. Machen Sie mit!
Lassen Sie uns nicht nur reden, sondern auch handeln!
Unterstützen Sie unseren Vorschlag, öffentliches Coun-
try-by-Country-Reporting einzuführen.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Richard Pitterle [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805423800

Als nächster Redner hat der Kollege Dr. Mathias

Middelberg das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1805423900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Lieber

Herr Gambke, was die Zielsetzung angeht, wir sind uns
ja einig. Ich denke, wir alle im Haus verfolgen das Ziel,
legale Steuervermeidung und die Verlagerung von Ge-
winnen in beträchtlichem Ausmaß zu bekämpfen.

Nun kann man einzelne Elemente herausgreifen und
im Detail diskutieren, in diesem Fall das Country-by-
Country-Reporting. Wir halten es aber für sinnvoller, ein
wirkliches Gesamtprogramm ins Werk zu setzen. Denn
es ist ja nicht mit einzelnen Maßnahmen – ich will gleich
gerne auf das Country-by-Country-Reporting eingehen –
getan. Unser Bundesfinanzminister ist – das finde ich
sehr richtig, und das möchte ich an dieser Stelle aus-
drücklich loben – da wirklich beispielhaft in der Welt,
indem er das Programm gegen Base Erosion and Profit
Shifting, also gegen das Abschmelzen der Steuerbasis
und das internationale Verschieben von Gewinnen, ganz
massiv mit gepusht hat.

Am letzten Wochenende war das Finanzministertref-
fen in Australien. Da ist ein umfassender Katalog,
nämlich das OECD-Projekt BEPS, beraten worden.
Die Finanzminister der OECD sind sich zunächst ein-
mal, jedenfalls im Wesentlichen, wenigstens über sieben
Punkte einig geworden. Es ist ein großer Katalog, ein
umfassendes Programm. Es gibt noch weitere Punkte,
die da beraten werden. Das wird uns auch noch eine Zeit
lang beschäftigen. Aber ich halte es für sinnvoll und
auch für unumgänglich – sonst bekommen wir das Pro-
blem der internationalen Gewinnverlagerung gar nicht in
den Griff –, es im Rahmen eines großen, umfassenden
Paketes anzugehen, bei dem wir Transparenz und auch
eine Harmonisierung der Besteuerung anstreben. Das
muss unser Ziel sein.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Jetzt möchte ich etwas zum Country-by-Country-Re-
porting sagen. Auch dieser Ansatz ist ja nicht unvernünf-
tig. Sie haben richtigerweise betont: Auch er ist Teil des
BEPS-Kataloges. Da geht es um die Verrechnungspreis-
dokumentation. Das ist überhaupt kein problematischer
Punkt, sondern ein Punkt, den auch wir für sinnvoll und
zweckmäßig halten. Wir halten es allerdings nicht nur
für ausreichend, sondern vor dem Hintergrund des in
Deutschland immer noch geltenden Steuergeheimnisses
auch für angebracht, dass hier ein sauberes Reporting
gegenüber den Steuerbehörden stattfindet. Da soll dann
sichergestellt werden – das kann auf diese Art und Weise
auch sichergestellt werden –, dass die Steueransprüche
durchgesetzt werden. Das ist der entscheidende Punkt.
Wir halten nichts davon, einen Pranger zu errichten und
einzelne Unternehmen an diesen Pranger zu stellen. Wir
sehen schon an der gegenwärtig stattfindenden Diskus-
sion über große Unternehmen wie Google, Amazon und
Starbucks – diese sind ja vielfach Gegenstand der Dis-
kussion –, dass manche Steuerpraktiken völlig offen und
offensichtlich sind. Gleichwohl lassen sich diese Unter-
nehmen davon nicht beeindrucken. Sie würden sich im
Zweifel auch von einem schlichten Reporting nicht be-
eindrucken lassen.

Wir müssen zum Kern der Sache kommen: Wir müs-
sen mit den internationalen Partnern auf dem Verhand-
lungswege eine wirkliche Harmonisierung der Besteue-
rung erreichen. Das ist ein schwieriger Weg. Aber ich
glaube, Wolfgang Schäuble ist da schon einige Schritte
vorangekommen. Wir haben gute Erwartungen, dass wir
auf diesem Weg weiterkommen werden. Aber wovon ich
nichts halte, ist ein öffentlicher Pranger. Das kann nicht
Sinn der Sache sein.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Unternehmensbilanz ist doch auch kein Pranger!)


Im Übrigen haben Sie den § 267 HGB erwähnt und
sprechen in Ihrem Antrag von ziemlich großen Unter-
nehmen. Wenn Sie sich einmal anschauen, was unter
§ 267 HGB fällt, sehen Sie, dass das durchaus auch die
Breite des gehobenen Mittelstands umfasst. Da sind Sie
bei 38 Millionen Euro Umsatz und 250 Arbeitnehmern.
Gleichzeitig fordern Sie weniger Bürokratie. Das wäre
aber gerade ein Beitrag zu mehr Bürokratie. Zudem sind
das nun wirklich nicht die Patienten – um das einmal un-
technisch zu sagen –, die uns beim Thema Steuerverla-
gerung im großen internationalen Rahmen Probleme ma-
chen. Auch das muss man einmal sagen.

Ich halte nichts davon – das ist der letzte Punkt –,
wenn wir in der Frage des Reportings an die gesamte Öf-
fentlichkeit eine Vorreiterrolle einnehmen. Wir geben in
den Verhandlungen, wenn wir auf der anderen Seite auch
nehmen können. Unser Ziel muss es sein, eine wirkli-
che Harmonisierung zu erreichen, eine gleichmäßige
Besteuerung auf internationaler Ebene. Dann werden
wir die Krankheit der Gewinnverlagerung und der Steu-
ervermeidung heilen können. Das muss das Ziel sein.
Mit BEPS und weiteren Initiativen sind wir auf einem
guten Weg. Ende Oktober findet auf Einladung unseres
Bundesfinanzministers ein großes Treffen der Finanzminis-
ter statt, auf dem 40 Staaten ein Abkommen unterzeichnen
werden, nach dem es ab 2017 einen automatischen Infor-
mationsaustausch gibt. Das sind grundlegende Schritte.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805424000

Herr Kollege, auch Sie müssen jetzt zum Schluss

kommen.


Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1805424100

Das sind Schritte in der Breite, mit denen wir wirklich

vorankommen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805424200

Als nächster Redner hat der Kollege Richard Pitterle

das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805424300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr verehrte Kolle-

ginnen und Kollegen! Wirtschaftsminister Gabriel be-
zeichnete die Steuervermeidungsstrategien der Konzerne
von A wie Amazon oder Apple bis Z wie Zara – diese
Liste ist längst nicht vollständig – kürzlich als „asozial“.
Dazu kann ich nur sagen: Gut gebrüllt, Löwe! Nicht nur
jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer, auch jeder
Handwerker und jeder Inhaber eines mittelständischen
Betriebs, also alle, die brav ihre Steuern zahlen, bekom-
men zu Recht einen dicken Hals, wenn sie sehen, wie in-
ternational tätige Unternehmen jedes, aber auch wirklich
jedes Schlupfloch nutzen, um ihre Steuerzahlungen zu
minimieren.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Zu Recht!)


Das ist in der Tat ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber eines sollte klar sein: Die bekannten Konzerne
nutzen nur die Schlupflöcher, die ihnen die Politik, ins-
besondere die Regierung, aber auch wir als Parlament,
gelassen haben. Das Problem ist schon seit vielen Jahren
bekannt. Bislang können die international tätigen Unter-
nehmen ihre Gewinne intern fröhlich von Land zu Land
verschieben. Aus den Konzernbilanzen geht nämlich
nicht genau hervor, welche Umsätze in welchem Land
erzielt werden.

Es ist an der Regierung, endlich zu handeln und diese
Löcher zu stopfen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dazu gehört in erster Linie, mehr Licht in den Dschun-
gel der Rechnungslegung zu bringen. Die Bilanzen eines
international tätigen Konzerns müssen künftig nach Län-
dern gelistet werden. Diese Listen müssen die Gewinne
und die in den Ländern gezahlten Steuern enthalten. Nur
so können wir uns überhaupt einen Überblick über die
Leistungsfähigkeit, den wichtigsten Anknüpfungspunkt
für eine gerechte Besteuerung, verschaffen.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen geht daher in
die richtige Richtung. Die Linke unterstützt das Anlie-
gen des Antrags ausdrücklich. Dort, wo die Wertschöp-
fung der großen Unternehmen stattfindet, müssen sie
auch Steuern zahlen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Mehr Offenlegungspflichten sind zwar ein wichtiger
Schritt, aber eben nur ein Schritt zur Bekämpfung der
Gewinnverschleierung.

Interessant ist das Verhalten der Großen Koalition in
dieser Sache. In der letzten Legislaturperiode hat die
SPD noch gemeinsam mit den Grünen die Einführung
des Country-by-Country-Reportings, also die Offenle-
gung, gefordert. Nun steht das sogar im Koalitionsver-
trag, den die SPD mit der Union geschlossen hat. Ob die
Union hier mitspielen wird, wage ich allerdings zu be-
zweifeln.

Lieber Herr Kollege Binding von der SPD,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja?)


Sie erklärten damals, die Ideen dieses Antrags zur Ver-
hinderung von Steuervermeidung seien mutig und kon-
sequent.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ja!)


Lassen Sie, sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von
der SPD-Fraktion, diesen Worten doch auch Taten fol-
gen, und setzen Sie diesen Antrag gemeinsam mit Grü-
nen und Linken zur Not auch gegen die Union durch.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun zur Union. Ausgerechnet die CDU/CSU hat bei
dieser Debatte damals im Finanzausschuss – heute ist et-
was Ähnliches bei dem Hinweis auf den Pranger ange-
klungen – den Datenschutz vorgeschoben. Ich bitte Sie,
das ist doch paradox: Dass die alltägliche Kommunika-
tion der Bevölkerung durch ausländische Geheimdienste
überwacht wird, ist aus Sicht der Union nicht weiter tra-
gisch, aber wenn Konzerne ihre Daten offenlegen sollen,
erfolgt der große Aufschrei. Ein Schelm, wer hier an In-
teressenpolitik denkt.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Manfred Zöllmer [SPD]: Das ist aber arg holzschnittartig!)


Sehr verehrte Kolleginnen und Kollegen von der
Unionsfraktion, kommen Sie mir bitte nicht mit dem
Steuergeheimnis. Das gilt bekanntlich nur im Verhältnis
zwischen den Steuerpflichtigen und der Finanzverwal-
tung. Im Antrag wird aber nicht verlangt, dass die Fi-
nanzverwaltung die Zahlen herausgibt. Die Offenle-
gungspflicht liegt bei den transnationalen Konzernen.
Das ist durch das öffentliche Interesse an der Steuerge-
rechtigkeit auch allemal gerechtfertigt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805424400

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Cansel

Kiziltepe das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Cansel Kiziltepe (SPD):
Rede ID: ID1805424500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr
Gambke, auch wenn ich in der letzten Legislaturperiode
noch nicht im Bundestag war, kenne ich den Antrag. Ich
hätte mir, ehrlich gesagt, ein bisschen mehr Kreativität
gewünscht, als einfach den Antrag gleichlautend einzu-
bringen und dabei die Fortschritte der letzten Monate zu
verkennen.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben ihn schon noch ergänzt! Sie haben ihn nicht gelesen!)


– Doch, habe ich.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht richtig!)


Auf jeden Fall finde ich es wichtig, dass wir heute
über die Steuergestaltung global tätiger Großkonzerne
sprechen;


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


denn global tätige Unternehmen dürfen nicht weniger
Steuerbelastungen haben als andere. Wir wollen Ge-
winnverschiebungsmethoden und den internationalen
Steuersenkungswettlauf stoppen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Beim Country-by-Country-Reporting handelt es sich
um einen Aspekt in einem größeren Zusammenhang; das
wurde vorhin schon zum Ausdruck gebracht. Der grö-
ßere Zusammenhang ist der Aktionsplan gegen Gewinn-
kürzungen und -verlagerungen, also gegen Base Erosion
and Profit Shifting, kurz BEPS genannt, welcher eine
Reihe von Maßnahmen zur Bekämpfung aggressiver
Steuerplanung und Gewinnverlagerung in Niedrigst-
steuerländer vorsieht. Diese Gewinnverschiebungsme-
thoden sind heute völlig legal. Das ist fatal.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der LINKEN)


Daher ist dieses Projekt die wichtigste internationale
Steuerreform seit 100 Jahren und ein Beitrag für mehr
Steuergerechtigkeit. Großzügige Steuergeschenke kön-
nen wir uns wahrlich nicht leisten. Das Country-by-
Country-Reporting ist lediglich ein Teil des BEPS-Ak-
tionsplans. Ihre Forderung nach einer Einführung des
Country-by-Country-Reportings allein in Deutschland
schafft vielleicht öffentliche Empörung; aber dieser Al-
leingang beseitigt nicht das Problem der Niedriglohnbe-
steuerung im Ausland.


(Beifall bei der SPD)

Im vorliegenden Antrag wird eine Vorreiterrolle
Deutschlands für mehr Transparenz hinsichtlich der
Wertschöpfungsketten multinational tätiger Unterneh-
men gefordert. Vorreiterrolle klingt gut. Wer ist nicht
gerne Vorreiter?


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Man braucht Mut dazu!)


– Ja. – Doch was bringt eine Vorreiterrolle Deutschlands,
wenn niemand folgt?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist ein schöner Satz! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Andere werden folgen!)


Als Beispiel: Es gibt aktuell etwa 300 bilaterale Ver-
träge, die nichts bringen. Die Verschiebebahnhöfe exis-
tieren weiter. Die Einführung des Country-by-Country-
Reportings ist zwar eine gute Idee – wir haben sie in der
letzten Legislaturperiode bejaht –; aber der Alleingang
würde zu einer internationalen Asymmetrie führen. Wir
halten es deshalb für nicht sinnvoll und im Rahmen der
aktuellen Verhandlungen sogar für eher schädlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier ist die internationale Staatengemeinschaft gefor-
dert. In den vergangenen 15 Monaten haben wir hin-
sichtlich des Aktionsplans, mit dem Steuerschlupflöcher
für global tätige Großkonzerne geschlossen werden
sollen, erste substanzielle Fortschritte erzielt, auch hin-
sichtlich des Country-by-Country-Reportings. Am ver-
gangenen Wochenende haben sich die G-20-Staaten ver-
pflichtet, einige Steuerschlupflöcher für multinationale
Konzerne zu schließen. Mittlerweile liegen die Richtli-
nien hinsichtlich der Verrechnungspreisdokumentation
vor. Diese Richtlinien der OECD sehen unter anderem
eine jährliche Berichterstattung dieser Konzerne vor,
zwar nicht in dem Maße, wie Sie es in Ihrem Antrag for-
dern; aber das ist aus unserer Sicht in diesem internatio-
nalen Zusammenhang nicht unbedingt notwendig, vor
allem nicht in hochentwickelten Industriestaaten. Denn
eine gute solide Finanzverwaltung benötigt keinen zu-
sätzlichen Druck der Öffentlichkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum bewegt sich dann nichts? Warum ist es so, wie es ist?)


Der von der OECD vorgesehene Austausch zwischen
den Finanzbehörden wird funktionieren und zielführend
sein.

Wir teilen ja viele der Punkte in Ihrem Antrag – es ist
ja nicht so, dass wir alles verneinen –, insbesondere die
Analyse, die Sie vornehmen, um das Problem der Steu-
ervermeidung internationaler Großkonzerne zu beseiti-
gen. Wir unterstützen auch den Ansatz, dass wir hier
eine internationale Zusammenarbeit brauchen. Die Er-
gebnisse der letzten Monate sind aber Antworten auf
Ihre Forderungen. Mit einem nationalen Vorreitermo-





Cansel Kiziltepe


(A) (C)



(D)(B)

dell, das Sie fordern, kommen wir in diesem Punkt wirk-
lich nicht weiter.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Stattdessen ist das gemeinschaftliche Vorgehen der mitt-
lerweile 44 Staaten richtig. Gemeinsam hat man sich auf
den Aktionsplan gegen Steuergestaltung und -vermei-
dung verständigt, und nur gemeinsam wird man am
Ende auch global erfolgreich sein.

Wenn man über Country-by-Country-Reporting bzw.
auch allgemein über Maßnahmen gegen BEPS redet,
muss man eines betonen: Es geht hier – dieser Punkt ist
mir wirklich besonders wichtig – um Steuergerechtig-
keit,


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Genau!)


um Wettbewerbs- und Chancengleichheit für die Unter-
nehmen, die sich dieser Methoden zur Verlagerung von
Gewinnen nicht bedienen können. Durch die Steuerver-
meidung der internationalen Großkonzerne haben deut-
sche mittelständische Unternehmen einen gravierenden
Wettbewerbsnachteil, und das wollen wir beseitigen.


(Beifall bei der SPD)


Ich möchte natürlich auch betonen, dass es sich beim
Kampf gegen die internationale Steuergestaltung in ers-
ter Linie um den Kampf gegen ein skandalöses Verhalten
von Unternehmen handelt. Dieses Verhalten gegenüber
der Allgemeinheit ist wirklich abstoßend. Die Nutzung
der staatlichen Infrastruktur wird als gegeben vorausge-
setzt; an den Kosten will sich aber keiner beteiligen.
Deshalb halten wir die Bekämpfung der Gewinnver-
schiebungsmethoden und selbstverständlich auch das
Country-by-Country-Reporting für notwendig. Es ist
klar: Wir müssen uns dieser Herausforderung stellen und
dürfen diese Methoden nicht dulden; denn wir sind auf
die Steuereinnahmen dringend angewiesen und wissen,
wie schwierig es ist, mit wenig öffentlichen Mitteln
staatlich aktiv zu sein.

Daher frage ich mich, was mit diesem Antrag erreicht
werden soll. Er ist zwar eindrucksvoll, bringt in der Sa-
che aber nur wenig, und eine Beschleunigung des Ver-
fahrens ist damit auch nicht zu erwarten. Angesichts des-
sen, was bis jetzt bereits erreicht worden ist, finde ich es
beinahe fahrlässig, einen solchen Antrag zu stellen.

Der Zeitplan ist klar: Er sieht die ersten sieben Maß-
nahmen inklusive des Country-by-Country-Reportings
bis Ende des Jahres vor. Die Umsetzung der weiteren
acht Maßnahmen soll bis Ende 2015 erreicht werden.
Das Wichtigste ist: Es funktioniert. Bereits Ende des
nächsten Jahres wird man evaluieren und gegebenenfalls
nachsteuern.

Daher bleibe ich bei meinen Fragen: Warum sollen
wir vom internationalen Vorgehen abweichen? Warum
löst man eine einzelne Maßnahme aus insgesamt
15 gleichwertigen heraus und präsentiert sie als Ei des
Kolumbus beim Vorgehen gegen Steuervermeidung und
Steuerplanung?

(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es kommen noch weitere Vorschläge!)


Beides erschließt sich mir, ehrlich gesagt, nicht.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Genau! Uns auch nicht!)


Daher bin ich gespannt auf die Behandlung und Bera-
tung des Antrags im Ausschuss.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805424600

Als letzter Redner in dieser Debatte hat Philipp

Lerchenfeld das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Graf Philipp Lerchenfeld (CSU):
Rede ID: ID1805424700

Verehrte Frau Präsidentin! Hohes Haus! Verehrte

Kolleginnen und Kollegen! Es ist schon mehrfach darge-
stellt worden, welchen großartigen Verhandlungserfolg
die Finanzminister der G-20-Staaten in Australien errei-
chen konnten.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keine Lizenzbox verhindert! Das ist schwierig! Gar nichts!)


Sieben Punkte wurden verabschiedet, und acht weitere
Punkte, die die OECD ebenfalls vorgeschlagen hat, wer-
den im kommenden Jahr verhandelt werden.

Unter anderem ist in Australien über das von der
OECD vorgeschlagene einheitliche Modell für Steuerer-
klärungen von Unternehmen verhandelt worden. Hierbei
geht es um den Punkt Harmonisierung. Außerdem sollen
die Unternehmen Auskunft über ihre Umsätze, Gewinne,
Beschäftigten und die Steuern, die sie in den unter-
schiedlichen Ländern zahlen, geben. Diese Erklärungen
sollen aber nicht veröffentlicht, sondern den Steuerbe-
hörden anderer Länder übermittelt werden. Das ist eine
kluge Entscheidung.

Inzwischen hat sich in vielen Ländern weitgehend die
Meinung durchgesetzt – sogar dort, wo Steuerflucht eine
entsprechende Amassierung von Vermögen bringt –,
dass man gegen Steuerflucht etwas unternehmen muss.
Mit einem legalen Trick namens „Double Irish“ können
Großkonzerne aus Amerika wie Google und Microsoft
ihre Gewinne in zweistelliger Milliardenhöhe über Ir-
land in die Karibik verschieben. Wenn sie es klug anstel-
len, machen sie das Ganze mit dem „Dutch Sandwich“;
das heißt, sie sparen auch noch die Quellensteuer in Ir-
land. Auch die USA haben mittlerweile erkannt, dass ih-
nen durch entsprechende Steuergesetze Milliardenge-
winne, in etwa 1 Billion US-Dollar, entgehen. Insgesamt
ist erkennbar, dass aus diesen Gründen die Steuerbehör-
den der meisten Länder Maßnahmen vorbereiten oder
bereits ergriffen haben, um Steuerflucht zu verhindern.

Sie, liebe Kollegen von den Grünen, fordern in Ihrem
Antrag unter dem Mäntelchen der Transparenz die Of-





Philipp Graf Lerchenfeld


(A) (C)



(B)

fenlegung der Steuerbelastung internationaler Konzerne
nach einzelnen Ländern. Das widerspricht erstens den
Vorschlägen der OECD und entspricht zweitens in kei-
ner Weise dem in Deutschland Gott sei Dank immer
noch geltenden Steuergeheimnis. Ich frage mich natür-
lich: Wie soll man das gegen international bereits abge-
stimmte OECD-Punkte eigentlich durchsetzen? Wenn
Sie sagen, Deutschland solle die Vorreiterrolle überneh-
men, glauben Sie dann, dass alle hinterherlaufen? Da ha-
ben Sie wohl ein bisschen zu viel von der Wirkung deut-
scher Steuergesetze in der Welt erwartet.

Ihr Antrag ist ziemlich populistisch. Sie wollen an-
scheinend nur internationale Konzerne als Buhmänner
an den Pranger stellen. Es geht Ihnen dabei nicht darum,
Steuerflucht, die durch ein 15-Punkte-Programm der
OECD ganz klar verhindert wird, zu verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Kollege Gambke, Sie haben vorhin beim Begriff
„Steuergeheimnis“ so komisch geschaut. Ich hoffe, Sie
verstehen, was ich damit meine. Das ist nämlich eine der
wichtigsten Regelungen, die wir in Deutschland haben.

Wir begrüßen auf jeden Fall den Verhandlungserfolg,
den die Finanzminister in Australien erzielt haben. Wir
lehnen Ihren Antrag ab, weil Ihr Vorschlag eines Coun-
try-by-Country-Reporting das Steuergeheimnis in funda-
mentaler Weise verletzt und die Verhandlungen über ver-
nünftige OECD-Vorschläge auf jeden Fall erschweren
würde.

Danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805424800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die

Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/2617 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung
des von der Bundesregierung eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zu dem Überein-
kommen der Vereinten Nationen vom
31. Oktober 2003 gegen Korruption

Drucksache 18/2138

– Zweite Beratung und Schlussabstimmung
des von der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zum Übereinkommen der Vereinten
Nationen gegen Korruption

Drucksache 18/478
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/2643

Der Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz hat
den Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
auf Drucksache 18/478 zum Übereinkommen der Ver-
einten Nationen gegen Korruption in seine Beschluss-
empfehlung mit einbezogen. Dieser Gesetzentwurf soll
jetzt ebenfalls beraten werden. – Ich sehe, Sie sind damit
einverstanden. Dann ist das so beschlossen.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist auch das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und gebe dem Staatssekre-
tär Christian Lange als erstem Redner das Wort.

C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1805424900


Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Der Bundestag entscheidet heute über die Zu-
stimmung zum Übereinkommen der Vereinten Nationen
vom 31. Oktober 2003 gegen Korruption. Korruption
untergräbt das Vertrauen in die Integrität und Funktions-
fähigkeit von Verwaltungen und Regierungen. Sie behin-
dert einen freien und fairen Wettbewerb und verursacht
erhebliche volkswirtschaftliche Schäden. Die Verhinde-
rung und Bekämpfung von Korruption in allen Ausprä-
gungen gehört daher zu den zentralen staatlichen Aufga-
ben.

Korruption ist freilich kein nationales Phänomen. Sie
macht vor staatlichen Grenzen bekanntlich nicht halt.
Gründe hierfür sind die Öffnung von Grenzen, die enge
Zusammenarbeit vieler Staaten auf dem Weltmarkt und
die Globalisierung der Wirtschaft. Dem internationalen
Phänomen Korruption ist deshalb auch durch ein inter-
national abgestimmtes Vorgehen der Staatengemein-
schaft entgegenzutreten.

Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen
Korruption wurde am 31. Oktober 2003 von der Gene-
ralversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet.
Es ist das erste weltweite Regelungswerk zur Bekämp-
fung der in- und ausländischen Korruption. Es wurde
mittlerweile von 170 Vertragsstaaten ratifiziert und hat
damit bei einer Mitgliederzahl der Vereinten Nationen
von 193 Staaten nahezu universelle Geltung. Deutsch-
land hat das Übereinkommen bereits am 9. Dezember
2003 unterzeichnet und gehört damit zu den Erstunter-
zeichnern des Übereinkommens.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


In den vergangenen Jahren hat Deutschland erhebli-
che Anstrengungen im Kampf gegen Korruption unter-
nommen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht ratifiziert!)


Bestechungsfälle im In- und Ausland können verfolgt
werden und werden verfolgt. Das Bewusstsein für die

(D)






Parl. Staatssekretär Christian Lange


(A) (C)



(D)(B)

Sozialschädlichkeit von Korruption ist heute sehr viel
höher als früher.

In einem Punkt blieb Deutschland allerdings hinter
den Vorgaben des Übereinkommens zurück: bei der Ab-
geordnetenbestechung. Die Kritik, die dies, wie ich
meine, zu Recht hervorgerufen hat, dürfte uns allen wohl
noch in Erinnerung sein. Ich möchte an dieser Stelle
ganz bewusst keine inhaltlichen Ausführungen zum
Straftatbestand der Abgeordnetenbestechung machen.
Der Bundestag hat entschieden. Der erweiterte Straftat-
bestand der Abgeordnetenbestechung ist seit dem
1. September dieses Jahres in Kraft. Ich möchte die Ge-
legenheit nutzen, den Koalitionsfraktionen für ihre Ini-
tiative herzlich zu danken. Dadurch ist es möglich, die
Vorgaben des Übereinkommens zu erfüllen. Das ist
heute der Fall. Heute geht es also darum, den Weg für
die Ratifikation frei zu machen, damit Deutschland dem
Übereinkommen der Vereinten Nationen als einem der
wichtigsten internationalen Instrumente gegen Korrup-
tion endlich angehören kann. Genau darum bitte ich Sie
heute Abend.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805425000

Als nächster Redner spricht Frank Tempel.


(Beifall bei der LINKEN)



Frank Tempel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805425100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Während meiner Dienstzeit beim Landes-
kriminalamt Thüringen war ich drei Jahre ausschließlich
mit Korruptionsdelikten beschäftigt, drei Jahre, in denen
ich lernte, dass Deutschland beim Thema Korruption
keinen Grund hat, auf andere Länder zu zeigen, da sich
auch hier noch einiges im Argen befindet. Insofern be-
steht hier im Haus wohl Einigkeit darüber, dass es eine
absolute Notwendigkeit ist, dass sich auch die Bundesre-
publik an einem Übereinkommen beteiligt, bei dem es
um so wichtige Punkte geht wie Vorschriften zur Kor-
ruptionsprävention, Vereinbarungen zu Strafvorschrif-
ten und Vereinbarungen zum Umgang mit durch Korrup-
tion erlangten Vermögenswerten. Bis zu dieser Stelle
können übrigens alle klatschen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Elisabeth Winkelmeier-Becker [CDU/CSU])


Dieses Übereinkommen der Vereinten Nationen
wurde, wie gesagt, am 31. Oktober 2003 beschlossen
und von Deutschland im selben Jahr unterzeichnet. Das
war im Jahr 2003, meine Damen und Herren. So viel
zum Thema Erstunterzeichner; denn erst jetzt, 2014,
kommen wir zur Ratifizierung dieses Abkommens. Dass
das so lange gedauert hat – die Gründe dafür hat mein
Vorredner bereits benannt –, lag unter anderem daran,
dass es dem Bundestag nicht gelang, sich auf eine ent-
sprechende Strafvorschrift zur Abgeordnetenbestechung
zu einigen.
Angesichts von rund 8 000 Korruptionsdelikten im
Jahr fällt auf, dass der Anteil der politischen Ebene rela-
tiv gering ist. Das heißt aber nicht, dass Abgeordnete die
besseren Menschen sind. Das liegt vielmehr daran, dass
es an entsprechenden Strafvorschriften fehlte.


(Dr. Volker Ullrich [CDU/CSU]: Und entsprechenden Taten!)


Um diese Lücke zu schließen, haben wir vor der Som-
merpause gemeinsam unsere Hausaufgabe gemacht.
Doch zumindest die Lehrer hier im Haus werden wissen,
dass es, um eine gute Note zu bekommen, nicht reicht,
die Hausaufgaben einfach nur machen, sondern dass
man sie auch richtig, gut und vor allem vollständig ma-
chen muss. Für eine Eins oder eine Zwei reicht das in
diesem Fall noch nicht ganz.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


Ich darf Sie an dieser Stelle noch einmal an meine
Kritik zur sehr engen Fassung der Abgeordnetenbeste-
chung erinnern. Die enge Bindung erlangter Vorteile an
klar nachweisbare Anweisungen und Aufträge macht
diese Strafvorschrift fast unanwendbar. Die Linke hat
diesem Straftatbestand damals im Interesse der Ratifizie-
rung dieses Übereinkommens zugestimmt, aber mit der
klaren Ansage, dass wir natürlich eine Evaluierung der
Anwendbarkeit der Strafvorschrift in der Praxis einfor-
dern werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn zum Beispiel ein Konzern einem Abgeordneten
Geld oder geldwerte Vorteile zukommen lässt und dafür
nur allgemein ein Handeln in seinem Sinne erwartet und
bekommt, ist das nach wie vor nicht strafbar. Es ist aber
definitiv eine korruptive Verhaltensweise. Mehr als eine
Vier minus ist also für die Hausaufgabe „Straftatbestand
der Abgeordnetenbestechung“ nicht zu vergeben. Die
Linke wird dafür kämpfen, dass es einen wirksamen
Straftatbestand auch in diesem Bereich geben wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir haben noch weitere Hausaufgaben, und ich sagte
ja, dass man die Hausaufgaben auch vollständig machen
muss. Seit 2009 kritisiert der Europarat mangelnde Vor-
gaben zur Parteienfinanzierung. Auch das gehört dazu.
Da geht es zum Beispiel um Fragen der Zulässigkeit von
Direktspenden an Abgeordnete oder um die hohen
Grenzwerte bei der Veröffentlichung von Spenden an die
Parteien. Auch das gehört zum Thema Korruptionsprä-
vention, auch wenn Sie das nicht gern hören angesichts
der Spenden, die Sie bekommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Und was ist mit dem SED-Vermögen?)


– Ja, wenn Sie es finden. Ich würde auch gern etwas ab-
haben wollen.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN – Lachen bei der CDU/CSU)


– Ja, ich habe einen Kreisverband, der immer bei plus/
minus null liegt. Wir würden uns alle freuen, wenn die-





Frank Tempel


(A) (C)



(D)(B)

ses Geld dann auch vernünftigen Zwecken zugutekäme.
Bloß, bisher ist es ja nicht zu finden.

Einen Vorschlag von Transparency International soll-
ten wir auch noch diskutieren, nämlich den Vorschlag,
eine Wertgrenze von 150 Euro bei Einladungen und Ge-
schenken an Abgeordnete vorzuschreiben. Im Europarat
ist das übrigens eine gängige Lösung. Diese Idee ist des-
halb eine Diskussion wert, weil eine derartige Grenze
das Problem der korruptiven Einflussnahme lösen
könnte; denn wie gesagt: Der bisherige Straftatbestand
der Abgeordnetenbestechung verhindert das nicht.

Die Ratifizierung der UN-Konvention gegen Korrup-
tion ist also kein Anlass zum Schulterklopfen, sondern
sollte uns Motivation sein, den Kampf gegen Korruption
gerade im politischen Bereich wirklich ernsthaft zu füh-
ren. Scheinparagrafen gehören nicht dazu. Da die Lampe
vor mir blinkt, sage ich nur noch: Man darf eben nicht
sagen, man habe Hausaufgaben gemacht, sondern man
muss sagen: Ich muss die Hausaufgaben besser machen,
ich muss sie vollständig machen.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805425200

Als nächster Redner hat Ansgar Heveling das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Ansgar Heveling (CDU):
Rede ID: ID1805425300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, wir haben unsere Hausaufgaben gemacht.
Wir haben unsere Hausaufgaben gut gemacht


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen wir mal die Lehrer!)


und können heute mit der Zustimmung zu dem Entwurf
eines Gesetzes zum Übereinkommen der Vereinten Na-
tionen gegen Korruption einen langen Prozess, auch ei-
nen langen Diskussionsprozess abschließen. Er findet
damit sein formales Ende.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht die Zu-
stimmung des Bundestages zur Ratifizierung des Über-
einkommens der Vereinten Nationen vom 31. Oktober
2003 vor, das im Dezember 2005 in Kraft getreten ist.
Die Konvention ist der erste weltweit völkerrechtlich
verbindliche Vertrag zur Bekämpfung der in- und aus-
ländischen Korruption. Ich glaube, wir sind uns hier alle
einig, dass die Konvention viele sinnvolle Regelungen,
beispielsweise zur Prävention und zur strafrechtlichen
Verfolgung der Korruption und zur internationalen straf-
rechtlichen Zusammenarbeit, enthält.

Deutschland hat die Konvention bereits am 9. De-
zember 2003 unterzeichnet, die Ratifikation im Folgen-
den aber nicht eingeleitet, weil bei strafrechtlichen
Vorschriften Anpassungsbedarf bestanden hat. Der Par-
lamentarische Staatssekretär beim Bundesminister der
Justiz und für Verbraucherschutz hat darauf eben schon
hingewiesen. Der Bundestag hat über die ganzen Jahre
auch in den unterschiedlichsten Mehrheitskonstellatio-
nen darum gerungen, eine Lösung zu finden.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht gefunden, weil Sie nicht wollten! Die Union hat sich geweigert!)


Die Diskussion hat viel Zeit in Anspruch genommen.
Jetzt sind wir aber weitergekommen.

Das Übereinkommen ist zwischenzeitlich von
170 Staaten ratifiziert worden. Deutschland wird nun
bald auch dazugehören. Es sind dann nur noch wenige
Länder übrig – wie Saudi-Arabien, Sudan, Nordkorea
und Syrien –, die diese Konvention nicht gezeichnet ha-
ben. Es war ja auch immer Gegenstand der Diskussio-
nen, dass gesagt wurde: Mit diesen Staaten wollen wir
uns nicht gemeinmachen.

Jetzt ratifizieren wir das Übereinkommen und treten
damit in den Kreis der Staaten ein, die das Abkommen
umgesetzt haben. Das ist, für sich genommen, natürlich
noch kein Garant dafür, dass gegen korruptive Verhal-
tensweisen vorgegangen wird; denn zu den Staaten, die
die Konvention gezeichnet und umgesetzt haben, gehö-
ren zum Beispiel Libyen, Venezuela und Paraguay,
sicherlich keine Musterbeispiele, was das Thema Kor-
ruptionsbekämpfung angeht. Bislang scheiterte die Rati-
fizierung der UN-Konvention in Deutschland daran,
dass es Änderungen im materiellen Strafrecht bedurfte,
insbesondere die Erweiterung des Straftatbestandes der
Abgeordnetenbestechung, gegen die lange erhebliche
Bedenken bestanden und um die sich eine lange Diskus-
sion entsponnen hat.

Für Deutschland ist die Bekämpfung der Korruption
aber ein wichtiges Anliegen. Deutschland verfügt schon
seit vielen Jahren über ein hohes strafrechtliches Schutz-
niveau bezüglich der Korruption. Wir hatten auch schon
mit § 108 e StGB in alter Fassung einen Straftatbestand,
der als Verbot des Stimmenkaufs oder -verkaufs die Ab-
geordnetenbestechung im Ansatz geregelt hat.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht ein Mal angewandt wurde!)


Wir haben viele weitere Regelungen gegen korruptive
Verhaltensweisen in den §§ 331 ff. des Strafgesetzbu-
ches.

Darüber hinaus haben wir aber vor allem eine funk-
tionierende, aktive und öffentliche Zivilgesellschaft. Das
ist das viel Entscheidendere. Das Entscheidende ist, dass
wir ein gesellschaftliches Klima der Transparenz haben,
das dafür sorgt, dass korruptive Verhaltensweisen tat-
sächlich ans Licht kommen. Damit wird Korruption in
all ihren Formen am besten der Boden entzogen.


(Beifall bei der CDU/CSU)

Da breche ich gerne eine Lanze für unsere funktionie-
rende Zivilgesellschaft. Presse und Öffentlichkeit neh-
men ihre Wächterfunktion wahr, wahrscheinlich besser,
als es das Strafrecht je könnte.

Gleich zu Beginn dieser Legislaturperiode hat der
Bundestag ein Gesetz zur Verschärfung der Regelungen
gegen die Abgeordnetenbestechung, das am 1. Septem-





Ansgar Heveling


(A) (C)



(D)(B)

ber 2014 in Kraft getreten ist, verabschiedet. Damit sind
die erforderlichen Anpassungen bei der Abgeordneten-
bestechung vorgenommen worden und die Vorausset-
zungen geschaffen worden, die jetzt eine Ratifizierung
ermöglichen. Mithin haben wir den Weg beschritten, zu-
nächst die erforderlichen materiell-rechtlichen straf-
rechtlichen Anpassungen vorzunehmen und so die mate-
riellen Voraussetzungen für die Ratifizierung geschaffen,
statt durch eine Ratifizierung im Vorhinein unnötig
Druck für eine zeitlich befristete Umsetzungspflicht zu
begründen. Mit anderen Worten: Nachdem wir die mate-
riellen Voraussetzungen geschaffen haben, schaffen wir
nun mit diesem Gesetz die formellen Voraussetzungen,
die UN-Konvention zu ratifizieren. Ich bitte daher um
Ihre Zustimmung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805425400

Als nächster Redner spricht Hans-Christian Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Guten Abend, Frau Präsidentin! Guten Abend, liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich bin aus dem Untersu-
chungsausschuss schnell herübergelaufen, um hier ei-
nige Bedenken zu äußern.


(Ansgar Heveling [CDU/CSU]: Das haben wir auch nicht anders erwartet!)


Ich fange erst einmal mit einem Lob an, wie ich das
bei diesem Thema jedes Mal mache. Vor elf Jahren gab
es unter Rot-Grün eine sehr mutige Justizministerin. Sie
hat seinerzeit im Dezember 2003 – darauf haben einige
schon hingewiesen – gegen den Willen der Mehrheit der
damaligen Koalition und gegen den Willen der Mehrheit
der Opposition diese Konvention unterschrieben, weil
sie gesagt hat: In dieser Konvention steht so viel Richti-
ges – das stellt uns vor große Herausforderungen –, dass
man sie unterschreiben muss. – Allerdings ist danach
nichts geschehen. Wir sind in der Reihe der Staaten, die
ratifiziert haben, immer weiter nach hinten gerutscht.
Heute sind wir auf Platz 170 in der Weltgemeinschaft
– darauf ist schon hingewiesen worden –; das ist kein
medaillenverdächtiger Platz. Das lag daran – das muss
man hier klar sagen –, dass sich die verschiedenen Ko-
alitionen – Rot-Grün hat damals noch daran gearbeitet,
ist aber nicht ganz fertig geworden – nicht darauf einigen
konnten, ein Gesetz gegen Abgeordnetenbestechung, das
diesen Namen wirklich verdient hätte, zu verabschieden.
Dieses Gesetz ist jetzt verabschiedet. Zur Note würde
ich sagen: gerade noch ausreichend. Wir haben auch zu-
gestimmt, damit überhaupt irgendetwas kommt. Aber
eine Note wie befriedigend oder gut würde ich dem nicht
geben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Aber was überwiegend vergessen worden ist – von Ih-
nen ist ein Punkt angesprochen worden –: In dieser Kon-
vention ist noch vieles andere Richtige und Wichtige
enthalten. Das ist noch viel Arbeit für Sie, für uns, für
den ganzen Deutschen Bundestag. Von den Unterzeich-
nern dieser Konvention wird zum Beispiel gefordert,
dass Sie sich Gedanken machen und in einigen Berei-
chen gesetzgeberisch tätig werden, die Sie bisher über-
haupt nicht angehen wollten. Das ist erstens das Korrup-
tionsregister. In jeder Legislaturperiode haben wir das
Thema eingebracht. Unter Rot-Grün haben wir damals
sogar schon ein Gesetz verabschiedet, das dann aber
nicht mehr zur Anwendung gekommen ist.

Ein Korruptionsregister für Deutschland ist dringend
erforderlich. Denn jeder Beamte – vor allem jeder und
jede Stelle im öffentlichen Bereich, die Aufträge verge-
ben – muss doch wissen, ob ein Unternehmen, das sich
um einen Auftrag bewirbt, schon einmal mit Korruption
aufgefallen ist. Sonst kann man doch keine vernünftige
Entscheidung treffen. Das wollen Sie aber bisher nicht,
obwohl die Konvention auch vorsieht, dass man sich da-
rum kümmert.

Ein zweiter Punkt ist: In dieser Konvention wird ge-
fordert, dass die Transparenz der Parteienfinanzierung
vervollständigt werden muss. Auch da können wir noch
sehr viel leisten. Wir diskutieren das Thema immer wie-
der im Deutschen Bundestag, sind aber mit dem, was wir
alles erreichen müssen, noch lange nicht am Ende der
Fahnenstange.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der dritte Punkt – das ist auch ein interessanter Punkt,
Herr Kollege Lange; das trifft nämlich die Regierung –
ist, dass für Regierungsmitglieder Karenzzeiten einge-
führt werden sollen. Man soll gesetzgeberisch tätig wer-
den und mit Karenzzeiten regeln, wann man nach Aus-
scheiden aus dem Amt in der Industrie oder sonst
irgendwo einen Job annehmen kann. Auch dafür wün-
sche ich Ihnen viel Glück und viel Mut. Sie haben unsere
Unterstützung, wenn etwas zustande kommt. Das ist
dringend erforderlich und muss sofort gemacht werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Jetzt komme ich abschließend zu meinem Lieb-
lingsthema – auch das ist Gegenstand der Konvention –:
die Whistleblower. In der Konvention ist nämlich vorge-
sehen, dass gesetzliche Regelungen dafür getroffen wer-
den, dass man, ob im öffentlichen Dienst, in einer Firma
oder bei einem anderen Arbeitgeber, straflos und ohne
Nachteile Missstände, Verbrechen oder mögliche Ge-
sundheitsgefährdungen von großen Teilen der Bevölke-
rung anzeigen kann, ohne dass man seinen Job verliert
oder bestraft wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Damit bin ich jetzt wieder bei dem Thema, um das es
auch im Untersuchungsausschuss geht, in den ich gleich
wieder zurücklaufe. Natürlich muss auch in Deutschland
eine Regelung für Whistleblower her, die etwa Geheim-
nisse verraten, wenn diese mit Tätigkeiten verbunden
sind, die strafbare Handlungen sind, die in Grundrechte
von Millionen von Menschen eingreifen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)






Hans-Christian Ströbele


(A) (C)



(D)(B)

Das muss man straflos und möglicherweise mit dem No-
belpreis oder dem Alternativen Nobelpreis belobigt tun
dürfen und sollen. Diesen Menschen müssen wir Mut
machen.

Ich komme gerade aus den Vereinigten Staaten.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805425500

Herr Kollege Ströbele, ungeachtet der Bedeutung des

Themas muss ich Sie bitten, zum Schluss zu kommen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das steht in der Konvention, was wir alles noch um-
setzen müssen, Frau Präsidentin.


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Aber nicht heute Abend!)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805425600

– Genau. Wir haben auch eine Geschäftsordnung.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In den USA gibt es eine Whistleblower-Regelung.
Wir sollten uns im Deutschen Bundestag an die Arbeit
machen, dass wir möglichst bald auch in Deutschland so
etwas haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805425700

Als nächste Rednerin spricht Christina Jantz.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Christina Jantz (SPD):
Rede ID: ID1805425800

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Eine in vieler-
lei Hinsicht historische Debatte strebt heute Abend tat-
sächlich ihrem Ende entgegen. Knapp elf Jahre, nachdem
die Bundesrepublik Deutschland das Übereinkommen
der Vereinten Nationen gegen Korruption unterzeichnet
hat – nachdem Sie die grüne Justizministerin erwähnt
haben


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war keine Grüne! Eine Genossin! Frau Zypries war das!)


– Entschuldigung, eine rote –, muss ich auch unseren ro-
ten Bundeskanzler, Gerhard Schröder, erwähnen, unter
dem das 2003 erfolgt ist –, können wir es nun ratifizie-
ren.

Wie wichtig die Bekämpfung von Korruption ist, hat
bereits der Staatssekretär Christian Lange ausgeführt,
und diese Meinung teile ich voll und ganz. Es ist für
mich selbstverständlich, dass Deutschland bei der Kor-
ruptionsbekämpfung international eine Vorreiterrolle
einnehmen sollte.


(Beifall bei der SPD)

Deutschland gehörte schließlich – das wurde schon aus-
geführt – zu den Erstunterzeichnern. Ein Großteil der
deutschen Gesetzgebung genügte bereits damals den
Vorgaben des Übereinkommens. Doch die Ratifizierung
ließ sehr lange auf sich warten; denn jahrelang sträubte
sich Schwarz-Gelb, den Bereich der Abgeordnetenbeste-
chung als Grundlage für eine abschließende Verabschie-
dung des Vertragsgesetzes anzufassen. Während dieser
Zeit hagelte es Kritik aus den unterschiedlichsten Berei-
chen. Unter Federführung des damaligen Präsidenten der
Internationalen Handelskammer beschwerten sich fast
40 Vorsitzende großer, namhafter deutscher Konzerne.
Die fehlende Ratifizierung schade dem Ansehen der
deutschen Wirtschaft – so lautete ihre Aussage – im
Ausland.

Deutschland befindet sich in Gesellschaft von Staaten
wie dem Sudan, Nordkorea und Syrien. Bereits 170 Staa-
ten haben das Übereinkommen ratifiziert. Deutschland
stand und steht, wie gesagt, in der internationalen Kritik.
EU-weit ist unser Land, seit Tschechien das Überein-
kommen Ende 2012 als letzter EU-Mitgliedstaat umge-
setzt hat, Schlusslicht im Hinblick auf die Ratifizierung.
Es besteht also dringender Handlungsbedarf. Erfreuli-
cherweise haben die Kolleginnen und Kollegen der
CDU/CSU mit der SPD nun einen Koalitionspartner an
ihrer Seite, mit dem es endlich möglich war, die Erweite-
rung des Straftatbestands der Abgeordnetenbestechung
umzusetzen.


(Beifall bei der SPD)


Dank uns ist nun der Weg frei. Am 1. September trat
das Strafrechtsänderungsgesetz zur Abgeordnetenbeste-
chung in Kraft. Das vorliegende Vertragsgesetz kann
nun verabschiedet werden. Da dieses allerdings zustim-
mungsbedürftig ist, begrüße ich ausdrücklich, dass es
bereits am 10. Oktober dem Bundesrat vorgelegt werden
soll und zeitnah dem Bundespräsidenten zugeleitet wer-
den kann.

Die Zustimmung zu dem Gesetzentwurf ist bedeut-
sam und liegt in unser aller Interesse. Durch die Ratifi-
zierung schaffen wir es, die Wirtschaft bei der Korrup-
tionsprävention zu unterstützen und gemeinsam mit
anderen Staaten noch entschiedener gegen Missstände
vorzugehen. Wir schließen ein Kapitel, das viel zu lange
offen war.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805425900

Als letzter Redner in dieser Debatte hat der Kollege

Dr. Volker Ullrich das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Volker Ullrich (CSU):
Rede ID: ID1805426000

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die heutige Debatte über das Korruptionsab-
kommen der Vereinten Nationen eignet sich nicht zur
Heldenverehrung und zur Geschichtsstunde. Es sei da-
rauf hingewiesen, dass Rot-Grün zwischen 2003 und





Dr. Volker Ullrich


(A) (C)



(D)(B)

2005 eineinhalb Jahre Zeit gehabt hätte, mit eigener
Mehrheit die entsprechende Konvention in allen Punkten
umzusetzen. Ja, es ist nicht unbedingt rühmlich für die-
ses Haus, dass wir insgesamt elf Jahre gebraucht haben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Union war leider auch dagegen!)


Allerdings hat dieser 18. Deutsche Bundestag unter Fe-
derführung der Unionsfraktion gleich als allererstes
Gesetzesvorhaben die Regelung betreffend die Abgeord-
netenbestechung angepackt und damit das Ratifizie-
rungsabkommen ermöglicht. Dementsprechend gilt der
Dank den Kolleginnen und Kollegen, die dieses Vorha-
ben unter CDU/CSU-Führung zum Abschluss gebracht
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Johannes Fechner [SPD]: Wir waren auch dabei!)


Es sei aber auch angesprochen, dass es bei der Kor-
ruptionsbekämpfung nicht allein auf die Ratifizierung
dieses Abkommens ankommt. Es gibt Staaten, die dieses
Abkommen bereits wenige Monate oder Jahre danach
unterzeichnet haben – diese Staaten nenne ich jetzt
nicht – und bei denen sich seit vielen Jahren nichts be-
wegt hat. In Deutschland dagegen hat der Bund gemein-
sam mit den Ländern über viele Jahre hinweg für eine
größere Sensibilisierung gegenüber Korruption im öf-
fentlichen Bereich gesorgt. Es gibt entsprechende Schwer-
punktstaatsanwaltschaften, und das Bundeskriminalamt
geht gezielt gegen Korruption vor. Deswegen muss
Deutschland als Land, das beim Korruptionsindex glück-
licherweise immer zu den Top-10- oder Top-20-Staaten
gehört, sich nicht vorhalten lassen, nicht genügend ge-
gen Korruption zu tun.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Gleichwohl bleibt natürlich einiges auch in Zukunft
anzuschieben.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Das ist gar keine Frage. Das wollen und werden wir ge-
meinsam in dieser Großen Koalition tun. Ich spreche das
Gesetz gegen Korruption und Bestechlichkeit im Ge-
sundheitswesen an, welches die Koalition noch in die-
sem Herbst auf den Weg bringen wird und welches wir
2015 verabschieden werden, um damit in diesem großen
Bereich der Kliniken, der Krankenhäuser und der
Pharmaunternehmen die möglichen Ansatzpunkte für
korruptives Verhalten zu begrenzen und Korruption ein-
zudämmen. Das, meine ich, ist ein weiterer wichtiger
Schritt zur Bekämpfung der Korruption in diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herr Kollege Ströbele, seien Sie versichert: Wir wer-
den auch weitere Fragen, die sich stellen, sehr sorgsam
und mit der notwendigen gesetzgeberischen Ernsthaftig-
keit verfolgen und weitere Maßnahmen umsetzen.


(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich bin gespannt!)

Aber wichtig ist auch, dass es nicht allein – das hat
der Kollege Ansgar Heveling sehr zutreffend ausge-
führt – auf die staatlichen Stellen ankommt. Die Bekämp-
fung der Korruption ist vielmehr eine gesamtgesellschaft-
liche Aufgabe, die von jedem Einzelnen umsichtiges
Handeln und auch Mut verlangt. In diesem Zusammen-
hang sei ein italienischer Kämpfer gegen Korruption zi-
tiert, Leoluca Orlando, der Bürgermeister von Palermo,
der einmal gesagt hat: Die Chance für den Kampf gegen
Korruption ist Zivilcourage und das Einstehen jedes Ein-
zelnen. – So wollen wir gemeinsam auf der einen Seite
weiteres gesetzgeberisches Handeln voranbringen und
auf der anderen Seite an die Bürgerinnen und Bürger in
diesem Land appellieren, es nicht zuzulassen, dass eine
Hand die andere wäscht und dass man sich, weil man
sich kennt, über die Grenzen des Rechts hinaus hilft. In
diesem Sinne ist die Verabschiedung dieses Gesetzes
heute ein Schritt, aber wir werden weitere Schritte beim
Kampf gegen die Korruption folgen lassen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805426100

Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, da-

mit kommen wir zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom
31. Oktober 2003 gegen Korruption. Die damals zustän-
dige Ministerin Brigitte Zypries ist auch dabei und wird
sicherlich mit großer Genugtuung diesen Beschluss
heute mittragen, so wie alle anderen Kolleginnen und
Kollegen, die das in dieser Debatte ausdrücklich unter-
strichen haben.


(Beifall des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE])


Ich glaube, es ist eine gute Entscheidung, die wir jetzt
hier treffen.

Zweite Beratung

und Schlussabstimmung. Der Ausschuss für Recht und
Verbraucherschutz empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2643, den Ge-
setzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache 18/
2138 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetz
zustimmen wollen, sich zu erheben. – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Es enthält sich niemand. Damit
ist dieser Gesetzentwurf einstimmig angenommen wor-
den. Das ist sehr erfreulich.


(Beifall im ganzen Hause)


Ich komme zur Abstimmung über die Beschlussemp-
fehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucher-
schutz zu dem Entwurf eines Gesetzes der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen zum Übereinkommen der Ver-
einten Nationen gegen Korruption auf Drucksache
18/478. Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe b sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 18/2643, den
Gesetzentwurf der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen für
erledigt zu erklären. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Das sind wieder alle Fraktionen. Gibt es
jemanden, der dagegen stimmt? – Das ist nicht der Fall.





Vizepräsidentin Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)

Damit ist auch diese Beschlussempfehlung einstimmig
angenommen worden. Es war niemand mehr da, der sich
hätte enthalten können – nur um das klarzustellen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 13 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Sabine
Leidig, Herbert Behrens, Caren Lay, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Rückzug der Deutschen Bahn AG bei Nacht-
und Autoreisezügen stoppen – Nachhaltige
Reisekultur in Europa fördern

Drucksache 18/2494
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Sobald die Kolleginnen und Kollegen ihre Plätze ein-
genommen haben, beginnen wir mit der Aussprache. –
Ich eröffne die Aussprache. Als erste Rednerin hat die
Kollegin Sabine Leidig das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805426200

Die Uhrzeit passt zum Thema, werte Kolleginnen und

Kollegen, Frau Präsidentin! Die Bahn schränkt von De-
zember an ihr Angebot ein. Die Autoreisezüge sollen
verschwinden und viele Nachtzüge auch. Zum Glück
regt sich öffentlicher Widerstand dagegen. Es geht um
rund 1 000 Beschäftigte, die ihren Arbeitsplatz verlieren
werden. Es geht um mehr: um die Zukunft der europäi-
schen Reisekultur. Die müsste klimafreundlich werden.

Wir Linken bestehen darauf, dass das Parlament sich
nicht aus der Verantwortung stehlen kann. Das Grundge-
setz gilt. Dort steht, dass der Bund als alleiniger Eigentü-
mer der Deutschen Bahn AG nicht nur für die Schienen-
infrastruktur verantwortlich ist, sondern auch dafür, dass
es darauf ein Fernverkehrsangebot gibt, das den allge-
meinen Verkehrsbedürfnissen entspricht.

Nachtzüge gibt es in Deutschland seit 162 Jahren, Au-
tozüge seit fast 60 Jahren. Beide sind feste Bestandteile
dieses Angebots, und die Nachfrage zeigt deutlich, dass
viele Familien, Geschäftsreisende, Leute mit Flugangst
oder Handicaps und Umweltbewusste diesen Bedarf ha-
ben. Deshalb sind wir alle gefordert, den geplanten
Kahlschlag zu verhindern.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Linke beantragt, dass die Kürzungen bei Auto-
reise- und Nachtzügen zurückgenommen werden. Wir
fordern ein mindestens zweijähriges Moratorium, damit
in dieser Zeit sinnvolle Alternativen geprüft werden kön-
nen. Wir verlangen eine Studie, die untersucht, wie man
ein gutes europäisches Zug- und Nachtzugnetz auf die
Beine stellen kann. Dabei setzen wir auf Kooperation
statt Konkurrenz zwischen den Bahnunternehmen.

Ich bin überzeugt: Mit vernünftiger Planung und bes-
seren Reisekonzepten könnten noch viel mehr Fahrgäste
für die Schiene gewonnen werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es gibt tolle Ideen. Es gibt übrigens auch ungeheuer viel
Kompetenz bei den Beschäftigten und auch bei enga-
gierten Bahnexperten. Das Rad müsste nicht neu erfun-
den werden. Zum Beispiel könnte man die komfortablen
Talgo-Doppelstockzüge aufmöbeln, die derzeit auf dem
Abstellgleis in Hamm vergammeln. Kleine pfiffige Ein-
zelkabinen kann man mit Klappelementen umbauen und
flexibel nutzen. Man könnte auch Schlafwagen für
Nachtfahrten anhängen usw. Ideen gibt es viele.

Gestern haben die Beschäftigten, Kundinnen und
Kunden sowie Bürgerbahninitiativen hier in Berlin eine
Kundgebung veranstaltet. 7 000 Protestpostkarten sind
am BahnTower übergeben worden.

Ein Passant dort meinte: Ich frage mich, weshalb es in
Zeiten von Länderbahnen, Kaltem Krieg usw. möglich
war, Nachtzüge durch ganz Europa zu schicken, und im
vereinten Europa des 21. Jahrhunderts soll das nicht
mehr möglich sein.

In einer Onlinepetition heißt es:

Insbesondere die Streichung der Verbindung Ber-
lin–Paris ist ein verheerendes Signal im Hinblick
auf das Zusammenwachsen Europas und die Mobi-
lität seiner Bürger. Diese Zugverbindung ist seit
Jahren viel genutzt und die Streichung durch nichts
zu rechtfertigen! Die einzige direkte Zugverbin-
dung zwischen beiden Hauptstädten muss als um-
weltfreundlichstes Verkehrsmittel erhalten bleiben!

Richtig!


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich will am Schluss eine sehr konkrete Utopie benen-
nen und um Ihre Unterstützung werben. Bei der Fußball-
europameisterschaft 2000 in Belgien und den Niederlan-
den und auch bei der WM 2006 in Deutschland sind die
Nachtzüge der Deutschen Bahn von Fußballfans aus vie-
len Ländern intensiv genutzt worden, weil die durch das
Reisen in der Nacht einen Tag gewinnen wollten. Nun ist
die Fußball-WM 2020 an 13 verschiedene Städte Euro-
pas in 13 verschiedenen Ländern vergeben worden,


(Hans-Werner Kammer [CDU/CSU]: Nein, nicht die WM!)


und die Fans werden vom Achtelfinale in Bilbao zum
Viertelfinale nach Baku und von dort weiter nach Lon-
don reisen usw.; Kopenhagen, Glasgow, Budapest sind
in der Liste. Wir wollen, dass nicht nur die Fluggesell-
schaften in jenen Sommerwochen gute Geschäfte
machen, sondern dass vor allem die europäischen Bahn-
unternehmen und auch die Deutsche Bahn zu den Ge-





Sabine Leidig


(A) (C)



(D)(B)

winnern zählen, weil grenzüberschreitende Tages- und
Nachtverbindungen angeboten werden, die viel besser
sind als heute. Wir Linke jedenfalls werden uns dafür
einsetzen, und zwar europaweit.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805426300

Als nächste Rednerin spricht Daniela Ludwig.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Daniela Raab (CSU):
Rede ID: ID1805426400

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wenn man den Antrag der Linken liest, möchte man
meinen, es bahnt sich eine sehr große Katastrophe im
Verkehrsbereich an, weil die Bahn die Nacht- und Auto-
reisezüge entweder streicht oder das Angebot zumindest
deutlich einschränkt.

Man muss einfach einmal zur Kenntnis nehmen, dass
sich in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten das Mo-
bilitätsverhalten jedes Einzelnen sehr deutlich verändert
hat. Wir leben nun einmal in einem Zeitalter, in dem man
in Europa sehr schnell mit dem Flugzeug von A nach B
reisen kann.


(Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Die meisten Menschen suchen sich halt den bequemsten
und schnellsten Weg aus, aber nicht den Weg, der Ihnen
vielleicht am besten gefällt. Das möchte ich diesen Leu-
ten auch nicht untersagen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Versuchen Sie einmal, den Nachtreisezug zu buchen!)


Außerdem bestimmt auch bei der Frage, ob es weiterhin
Nacht- und Autoreisezüge gibt, die Nachfrage das Ange-
bot.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Nachfrage ist hoch! Sie kriegen gar keine Plätze!)


Ich weiß aber auch, dass Ihnen solche Mechanismen
fremd sind.


(Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


Es ist aber nun einmal nicht von der Hand zu weisen,
dass die Nachtreiseverkehre in den vergangenen Jahren
30 Prozent der Nachfrage eingebüßt haben. Ähnliches
gilt auch für die Autoreisezüge. Für beide Verkehre gilt:
Sie sind saisonal stark unterschiedlich ausgeprägt. Das
heißt, in den Sommermonaten kommt es zu einer massi-
ven Auslastung.


(Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


– Sie wollen das nicht lesen. Sie wollen das auch nicht
lernen. Das macht nichts. Ich rede trotzdem weiter.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sie sollten einfach andere Zahlen heranziehen!)

Beide Verkehre sind im Sommer stark, im restlichen
Jahr aber fast gar nicht ausgelastet. Die Bahn muss sich
wie jeder andere in der freien Wirtschaft und im freien
Wettbewerb stehende Betrieb auch nach der Wirtschaft-
lichkeit und nach der Nachfrage richten.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Nachfrage ist da!)


Wenn dies aber nicht so gegeben ist, wie es sich der eine
oder andere wünscht, muss sich die Bahn überlegen, ob
sie ein Segment einstellt oder es gegebenenfalls umbaut.
Die Bahn stellt das Segment der Autoreisezüge nicht ein,
sondern baut es um. Künftig wird es das Angebot „Auto
plus Zug“ geben. Das läuft derzeit in einer Testphase.
Bis Ende des Jahres werden wir diesbezüglich deutlich
schlauer sein, ob es funktioniert und ob die Leute es
auch annehmen oder ob man nur aus einer gewissen Ver-
gangenheitsverliebtheit an einem Segment festhält, weil
– wie Sie es so schön schreiben – es den Auto- und den
Nachtreisezug seit 162 Jahren gibt, das nicht mehr wirt-
schaftlich ist und das die Leute auch nicht mehr nachfra-
gen. Ich meine, das sollte der Deutschen Bahn schon er-
laubt sein.

Sie haben die Fußballeuropameisterschaft angespro-
chen. Das sind aber auch nur vier Wochen. Dafür sollten
Segmente aufrechterhalten werden, die nicht funktionie-
ren?

Das erschließt sich mir schlicht und ergreifend nicht.
Deshalb muss die Bahn die Freiheit haben, die wir ihr
auch zubilligen, sodass sie auf Angebote verzichtet, die
nicht mehr nachgefragt werden. Das scheint mir in die-
sem Fall so zu sein.


(Zuruf von der LINKEN)


– Ich nicht. Ich bitte Sie aber, die Testphase bis Ende des
Jahres zu nutzen. Fahren Sie fleißig „Auto plus Zug“,
damit es wenigstens das noch weiterhin gibt. Ich gehe
davon aus, dass Sie sich rege daran beteiligen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805426500

Als nächster Redner spricht Matthias Gastel.


Matthias Gastel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805426600

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Guten Abend, liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wie jeden Abend so auch
heute wird Berlin in den nächsten Stunden durch sechs
Nachtzugverbindungen angefahren. Doch wie lange
noch? Wie lange noch werden die deutschen Großstädte
mit Nachtzügen miteinander verbunden? Wie lange noch
werden die europäischen Metropolen mit Nachtzügen
miteinander verbunden? Das wissen wir derzeit noch
nicht. Wir wissen aber, dass es sich lohnt, für die Nacht-
züge zu kämpfen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Eine Ausdünnung oder gar Einstellung der Nachtzug-
verbindungen wäre schlecht für die Fahrgäste, schlecht





Matthias Gastel


(A) (C)



(D)(B)

für die DB, schlecht für das System Schiene und
schlecht für den Klimaschutz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Warum lohnt es sich, im Interesse der Fahrgäste für
den Erhalt der Nachtzüge zu kämpfen? Der Nachtzug ist
praktisch und beliebt. Reisen während des Schlafens, die
Hotelübernachtung sparen, zu günstiger Morgenstunde
am Reiseziel ankommen und mehr vom Tag haben. Ge-
schäftsleute wie Familien nutzen dieses Angebot rege.
Die meisten CNL-Verbindungen verfügen über rollstuhl-
gerechte Liegeabteile. Meistens ist auch die Fahrradmit-
nahme möglich.

Liebe Frau Kollegin Ludwig, die Beliebtheit zeigt
sich in der Auslastung. Wenn man genau hinschaut und
einmal versucht, ein Ticket zu ergattern, wird man fest-
stellen: Der Nachtzug ist meistens schon Wochen im Vo-
raus ausgebucht. Seit ich im Bundestag bin, also seit Ok-
tober letzten Jahres, bin ich 15-mal mit dem Nachtzug
gefahren. Ich wäre mindestens doppelt so oft gefahren,
hätte ich noch eine Kabine gefunden, die frei ist. Wo-
chen im Voraus sind diese Kabinen ausgebucht, weil die-
ser Zug eine starke Nachfrage hat. Es gibt also einen An-
gebotsengpass und keinen Nachfrageengpass. Das ist
doch das Entscheidende.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Warum lohnt es sich, sich im Interesse der DB und
des gesamten Systems Schiene für den Nachtzug einzu-
setzen? Befragungen der Deutschen Bahn, und zwar sehr
aktuelle, haben bestätigt: Die Kundenzufriedenheit mit
diesem Angebot ist hoch. Mindestens die Hälfte der
Kunden würde bei einer Streichung der Nachtzüge nicht
auf andere Züge umsteigen, sondern beispielsweise auf
das Flugzeug. Das können wir alle gemeinsam nicht
wollen. Ohne Nachtzüge würde die DB Fahrgäste verlie-
ren. Darüber hinaus wäre das Schienennetz über den Tag
betrachtet ungleicher ausgelastet, als es derzeit der Fall
ist. Warum lohnt es sich, im Interesse des Klimaschutzes
für den Nachtzug zu kämpfen? Ganz einfach deshalb,
weil die Bahn das effizienteste Verkehrsmittel ist und da-
mit einen wichtigen Beitrag zum Klimaschutz leistet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Leider aber wirkt die DB in Sachen Nachtzug lustlos,
fantasielos und konzeptlos. Wir fordern von der DB eine
Bestandsgarantie der Nachtzugangebote für zwei Jahre.
Die DB soll diese Zeit nutzen, zukunftsfähige fahrgast-
gerechte Konzepte zu entwickeln und umzusetzen.

Wir fordern von der Bundesregierung, dass sie als Ei-
gentümer der DB Einfluss nimmt auf das, was ich gerade
gesagt habe, dass nämlich keine weiteren Nachtzugange-
bote gestrichen werden und dass die Konzeption, die
dringend notwendig ist, geschaffen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung muss darüber hinaus dafür sorgen,
dass endlich Wettbewerbsgerechtigkeit geschaffen wird.
Ich erinnere hier an die EEG-Umlage, die von der Gro-
ßen Koalition verändert wurde. Die Belastung für das
System Schiene ist glatt verdoppelt worden. Das muss
rückgängig gemacht werden. Das belastet die Schiene so
wie kein anderes Verkehrsmittel. Es benachteiligt das
Verkehrsmittel Schiene im Gegensatz zum Flugzeug
oder zu anderen Verkehrsmitteln völlig zu Unrecht und
ist ein großer Nachteil im Wettbewerb.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Darüber hinaus ist es so, dass alle Verkehrsträger und
nicht allein die Schienenbahnen in den Emissionshandel
einbezogen werden müssen. Bahn und Flugzeug sollen
auch bei der Mehrwertsteuer im grenzüberschreitenden
Verkehr gleichbehandelt werden.

Deswegen unser Appell an die DB und die Bundes-
regierung: Machen Sie den Nachtzug nicht kaputt! Un-
terstützen und entwickeln Sie zukunftsfähige Konzepte!
Die Fahrgäste wollen das. Das Klima braucht es.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1805426700

Als nächste Rednerin hat die Kollegin Kirsten

Lühmann das Wort.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1805426800

Frau Präsidentin! Liebe Kollegen! Liebe Kollegin-

nen! Sehr verehrte Gäste! Haben Sie schon einmal mit
fünf Personen und zwei Hunden eine Nacht in einem
Abteil eines Autoreisezuges verbracht?


(Gustav Herzog [SPD]: Nein!)


Wir haben das mehrere Jahre lang sehr erfolgreich
und sehr gerne gemacht. Wir haben nette Bekanntschaf-
ten geschlossen. Unsere Kinder haben das Ganze als
Abenteuer verstanden. Ich sage Ihnen: Auch damals war
dieses Angebot schon sehr teuer. Wir haben das kompen-
siert, indem wir am Urlaubsort gespart haben, indem wir
auf einem Campingplatz untergekommen sind. Das ha-
ben viele Menschen so gemacht. Aber wir müssen zur
Kenntnis nehmen, dass ein Umdenken stattgefunden hat,
auch bei der Mobilität. Die Menschen wollen bei der
Reise sparen, um mehr Geld für den Komfort am Ur-
laubsort zu haben. Die Bahn konnte lange Zeit die sin-
kenden Reisendenzahlen kompensieren, weil sie das rol-
lende Material zur Verfügung hat. Aber jetzt sind sie
aufgrund gesetzlicher Normen gezwungen, aus Sicher-
heitsgründen neue Autotransportwagen zu kaufen. Bei-
des zusammen – sinkende Nutzendenzahlen und nötiger
Invest; das kann man nicht wegdiskutieren – ist wirt-
schaftlich einfach nicht zu bewältigen. Das wissen wir
auch: Kostendeckende Preise will und kann kaum einer
zahlen. Sosehr ich die Menschen, die hier in Berlin für
den Erhalt der Autoreisezüge demonstriert haben, auch
aufgrund meiner Erfahrungen persönlich verstehe, kann
ich die Entscheidung der Deutschen Bahn nachvollzie-
hen.





Kirsten Lühmann


(C)



(D)(B)

Glücklicherweise sieht das bei den Nachtzügen an-
ders aus. Das Ziel der Bahn war einmal, alle Fahrten ab
sechs Stunden Fahrtzeit in die Nacht zu verlegen. Daher
gab es 2002 auch 20 Nachtzugverbindungen europa-
weit – also genauso, wie es im Antrag gefordert wird.
Aber schon 2011 führte die Konkurrenz von Hochge-
schwindigkeitszügen und Billigfliegern zu deutlichen
Verlusten in dieser Sparte. Aus der Zeitung konnte ich
entnehmen, dass zurzeit jährlich 48 Millionen Euro Ein-
nahmen 60 Millionen Euro Kosten gegenüberstehen.
Diese Verluste, liebe Kollegen und Kolleginnen, haben
sich in den letzten drei Jahren verdoppelt; die Fahrgast-
zahlen gingen um etwa ein Drittel zurück.

Jetzt will die Bahn drei besonders defizitäre Routen
aufgeben. Dazu gehört leider auch die traditionelle
Route Berlin–Paris. Ich selber habe diese Route oft ge-
nutzt, als sie noch über Brüssel führte. Aber schon da-
mals konnte ich immer ohne Buchung einen Platz fin-
den, und wenn ich einen Platz in einem Zweier- oder
Dreierabteil reserviert hatte, lag ich dort immer allein.
Hinzu kam, dass die Kosten in den letzten Jahren deut-
lich gestiegen sind, unter anderem durch extreme Tras-
senpreiserhöhungen in Belgien und Frankreich. Die
Bahn hat jetzt zugesagt, die verbleibenden Verbindungen
in den nächsten zwei Jahren auf neue Füße zu stellen,
und zwar auch ohne ein Moratorium, wie es im Antrag
gefordert wird.

Der vorliegende Antrag suggeriert jedoch auch, dass
das Grundgesetz von uns fordert, diese Zugarten auf-
grund von Allgemeinwohl- und Verkehrsbedürfnissen zu
erhalten. Wie bei vielen einfachen Lösungen lohnt es
sich auch hier, einmal genauer hinzuschauen. Ich möchte
jetzt keine philosophische Debatte über die Defini-
tion des Allgemeinwohls beginnen; kluge Köpfe von
Aristoteles bis Habermas haben das zur Genüge getan.
Vielleicht können wir uns darauf verständigen, dass di-
verse Rechtsexperten festlegen: Das Allgemeinwohl ist
ein unbestimmter Rechtsbegriff. Also ist es nicht so ein-
deutig, wie uns dieser Antrag glauben machen will.

Eindeutiger ist jedoch der Begriff des Verkehrsbe-
dürfnisses. Zwar ist auch er nicht direkt definiert, aber es
gibt diverse Gerichtsurteile, in denen festgestellt wird,
dass zu einem Verkehrsbedürfnis auch die Möglichkeit
gehört, dieses wirtschaftlich zu befriedigen. Zur Wirt-
schaftlichkeit haben wir heute Abend schon einiges ge-
hört. Also kommen wir mit dem Grundgesetz hier nicht
weiter.

Aber die Frage, die wir uns heute Abend stellen, geht
über das Grundgesetz hinaus. Diese Frage lautet: Wollen
und können wir Autoreisezüge und Nachtzugverbindun-
gen, und zwar auch die defizitären, mit Steuermitteln
subventionieren? Ich will hier gar nicht beleuchten, ob
die EU das beihilferechtlich befürworten würde oder
nicht. Mir geht es um etwas ganz anderes; mir geht es
um unser Ziel. Unser Ziel muss sein, den Bahnverkehr
insgesamt auf sichere Füße zu stellen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Dazu benötigen wir erstens ein leistungsfähiges
Schienennetz. Dieses wollen wir mit der neuen Leis-
tungs- und Finanzierungsvereinbarung zuverlässiger ma-
chen. Dazu werden wir noch mehr Steuergelder investie-
ren. Wir brauchen zweitens – das wurde heute Abend
auch schon gesagt – in diesem guten Netz Wettbewerbs-
möglichkeiten, um Güter- und Personenfernverkehre
leistungsfähiger und effizienter zu machen. Drittens
müssen wir den Nahverkehr an die erhöhten Pendler-
ströme insbesondere in den Ballungsräumen anpassen,
ohne dabei die Erschließung der ländlichen Räume mit
den geringer werdenden Bevölkerungen aus den Augen
zu verlieren. Auch hierfür werden wir mehr Steuergelder
benötigen. Die Verhandlungen mit den Ländern dazu
laufen gerade.

Diesen Weg, liebe Kollegen und Kolleginnen, müssen
wir weitergehen. Das ist es, was die Millionen Pendler
und Pendlerinnen von uns erwarten. Darüber hinaus auf
die Deutsche Bahn einzuwirken und sie bei ihren Bemü-
hungen, ein zukunftsfähiges Konzept für die Nachtzug-
verbindungen zu erstellen, zu begleiten und sie gegebe-
nenfalls an ihr Versprechen zu erinnern, dass sie alles tun
will, um diese sinnvollen europäischen Verbindungen zu
erhalten und sie nicht einzustellen, sind wir den Men-
schen schuldig, die bewusst den Nachtzug dem Billigflie-
ger vorziehen. Dieser Verpflichtung werden wir nach-
kommen, auch ohne Ihren Antrag.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805426900

Abschließender Redner zu diesem Tagesordnungs-

punkt ist der Kollege Michael Donth, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Michael Donth (CDU):
Rede ID: ID1805427000

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
„Orientexpress“, „Calais-Mediterranée-Express“, „Die
Brück’ am Tay“, beim Lesen Ihres Antrags könnte sich
beinahe eine abenteuerromantische Stimmung in diesem
Haus entfalten. Man könnte anfangen, zu träumen von ge-
heimnisvollen Gestalten im Schummerlicht des Orient-
expresses, der mit gleichmäßigem Rattern der Schiene
durch ferne Steppen zieht. Man könnte versuchen, die
Träume festzuhalten und sie zu diesem Zweck in Ge-
setze zu gießen. Dafür sind wir aber nicht hier.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Sie sind aber dafür, jedes Jahr 10 Milliarden in den Flugverkehr zu stecken!)


Wir sind hier, um nach bestem Wissen und Gewissen
die Entscheidungen zu treffen, die dem Wohl dieses Lan-
des dienen. Unter diesen Voraussetzungen müssen wir
die Realität, die tatsächlichen Gegebenheiten zur Kennt-
nis nehmen. Wir können nicht auf Basis unserer Wün-
sche oder Träume handeln. Vor diesem Hintergrund soll-
ten wir eigentlich auch Anträge stellen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


(A)






Michael Donth


(A) (C)



(D)(B)

Tatsache ist, dass das Geschäft im Bereich der Auto-
reisezüge und der Nachtzüge bereits seit Jahren defizitär
ist.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tatsache ist, dass die Züge gut ausgelastet sind!)


In den vergangenen zehn Jahren – das haben wir auch
schon gehört – sind die Fahrgastzahlen bei gleichblei-
bendem Angebot zurückgegangen. Da die Nachfrage
nach Autoreise- und Nachtzügen bei einem Preis, der zu
verlangen wäre, um kostendeckend zu arbeiten, zurück-
geht – und sie dürfte noch weiter zurückgehen –, ist doch
klar, dass es weniger Bedarf an solchen Zügen gibt.

Artikel 87 e des Grundgesetzes, der auch schon ange-
sprochen wurde, verpflichtet den Bund insbesondere,
den Verkehrsbedürfnissen Rechnung zu tragen. Das ist
durch das angepasste Verkehrsangebot der Bahn gewähr-
leistet. Es gibt keinen Grund, in die Streckenentschei-
dung der DB AG einzugreifen. Überdies ist es dem Bund
als Eigentümer nach dem Aktiengesetz grundsätzlich
auch nicht erlaubt, in unternehmerische Entscheidungen
unmittelbar und im Detail Einfluss zu nehmen.


(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Mit dem Reduzieren der Nachtzugstrecken eine Spal-
tung Europas heraufzubeschwören, wie Sie es in Ihrem
Antrag tun, ist sogar noch abenteuerlicher als die Fahrt
im Orientexpress. Das Gegenteil ist doch der Fall: Die
sinkende Nachfrage nach Nachtzügen ist doch gerade
eine Folge des Zusammenwachsens Europas.

Die Mobilität der Europäer nimmt zu. Günstige Flug-
angebote und neue Hochgeschwindigkeitsstrecken,
Fernbusse und Mitfahrzentralen machen es möglich, in
Europa innerhalb weniger Stunden und preisgünstig von
A nach B zu kommen. Die Anzahl der Hotels hat zuge-
nommen. Das Buchen über das Internet ist leichter ge-
worden. Es ist verständlich, dass die Mehrzahl der Rei-
senden lieber auf die heute bestehenden Möglichkeiten
zurückgreift als auf lange Nachtzugreisen.


(Ralph Lenkert [DIE LINKE]: Die anderen haben Pech gehabt!)


Die ehemalige Nachtzugstrecke Frankfurt–Paris bei-
spielsweise kann heute mit dem ICE in nur dreidreivier-
tel Stunden bewältigt werden.

Die gegenwärtige Entwicklung entspricht dem
Grundgedanken und dem Ziel der europäischen Eini-
gung, da durch sie der Binnenmarkt im Verkehrssektor
belebt wird. Auf dem Markt bestimmt die Nachfrage das
Angebot. Ein Rückgang bei der Nachfrage führt zu ei-
nem Rückgang beim Angebot. Das nennt man übrigens
Marktwirtschaft; ohne jemanden belehren zu wollen.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Ja, oder Umweltzerstörung!)


Es kann nicht unser Ziel sein, für ein paar Nostalgiker
– wir sprechen lediglich über 0,5 Promille der Bahnrei-
senden – ein defizitäres Angebot mit zweistelligen Milli-
onensummen auf Kosten der anderen Reisenden zu sub-
ventionieren.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weil man da lange nichts investiert hat!)


Indem man Verbindungen durch Zuschüsse am Leben
erhält, kann man vielleicht ihren Tod verhindern; man
kann auf diese Weise aber keine Genesung von Eisen-
bahnunternehmen einleiten.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Meine Güte!)


Um gesund zu sein, muss ein Unternehmen seine
Kräfte sammeln und nicht zerstreuen. Daher ist es rich-
tig, dass die Deutsche Bahn AG als Wirtschaftsunterneh-
men ihre Angebote regelmäßig überprüft, die Marktent-
wicklung beobachtet und dann mit neuen Produkten
reagiert, die die unrentablen Produkte ablösen.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleiben die neuen Produkte?)


Schließlich kann auch nur ein gesundes Unternehmen
langfristig Arbeitsplätze und Angebote sichern.

Die meisten europäischen Nachbarbahnen haben im
Übrigen Gleiches getan. Ich räume ein: nicht alle. Sie
führen im Antrag ausdrücklich die russischen Staatsbah-
nen als Gegenbeispiel an. Deren Marktwirtschaftlichkeit
und Konkurrenzsituation kann ich leider nicht beurtei-
len.

Die Behauptung im Antrag, dass die hochqualifizier-
ten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer der DB ERS
mit einer Betriebsschließung arbeitslos werden, ist
falsch. Sie sind alle in die DB-Beschäftigungssicherung
integriert und bekommen eine Weiterbeschäftigung in-
nerhalb des Konzerns angeboten, wenngleich – das
räume ich ein – unter Umständen nicht in derselben
Stadt und in einem anderen Betriebsteil. Dies ist eine
Versorgung, von der Angestellte in vielen anderen Wirt-
schaftsunternehmen manchmal nur träumen können.

Meine Damen und Herren von den Linken, es gibt
manche, die der Meinung sind, ihre Fraktion sei eine
Schlafwagengesellschaft.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Oh Gott!)


Mit diesem Antrag haben Sie das bewiesen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805427100

Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages-

ordnungspunkt.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/2494 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Da ich keinen Wi-
derspruch höre, gehe ich davon aus, dass Sie alle damit
einverstanden sind. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.





Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 14 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Recht und Verbrau-
cherschutz (6. Ausschuss) zu dem

Vorschlag für eine Verordnung des Europäi-
schen Parlaments und des Rates zur Ände-
rung der Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom
11. Juli 2007 zur Einführung eines europäi-
schen Verfahrens für geringfügige Forderun-
gen und der Verordnung (EG) Nr. 1896/2006
des Europäischen Parlaments und des Rates
vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines
Europäischen Mahnverfahrens
KOM(2013) 794 endg.; Ratsdok. 16749/13

Drucksachen 18/419 Nr. A.48, 18/2647

Wie mir mitgeteilt worden ist, sollen die Reden zu
Protokoll gegeben werden. – Ich sehe, dass Sie damit
einverstanden sind.


Sebastian Steineke (CDU):
Rede ID: ID1805427200

Wir beraten heute über den Änderungsvorschlag

der Europäischen Kommission zur Verordnung über
das europäische Verfahren für geringfügige Forderun-
gen in Zivil- und Handelssachen, die sogenannte
Small-Claims-Verordnung.

Diese Verordnung gibt es bereits seit 2009, und mit
ihrer Hilfe sollen grenzüberschreitende Forderungen
bis zu 2 000 Euro für Verbraucherinnen und Verbrau-
cher sowie für kleine und mittlere Unternehmen besser
durchgesetzt werden können. Dabei kann zum Beispiel
lediglich mittels eines Formblattes Klage erhoben
werden, eine mündliche Verhandlung oder die Vertre-
tung durch einen Rechtsanwalt ist nicht vorgesehen,
und es gelten sehr kurze Fristen.

Im Grundsatz ist der Ansatz aus Brüssel, das Ver-
fahren bei Rechtsstreitigkeiten mit einem geringen
Streitwert zu vereinfachen, zu begrüßen, weil hier-
durch die Möglichkeit zur Durchsetzung von Rechten
und Forderungen für die Betroffenen gestärkt wird.
Gerade innerhalb der heute geltenden Freizügigkeit
auf dem europäischen Binnenmarkt müssen wir ein be-
sonderes Interesse daran haben, dass unsere export-
orientierten Unternehmen einen effektiveren Rechts-
schutz erhalten. Die Vorschläge der Europäischen
Kommission gehen jedoch weit über das hinaus, was
aus unserer Sicht die Effektivität und Vereinfachung
des Verfahrens ausmacht.

Zunächst einmal ist festzustellen, dass das Small-
Claims-Verfahren auch mehrere Jahre nach Anwen-
dungsbeginn nur äußerst spärlich genutzt wird. Um
dies zu ändern, soll nun der Anwendungsbereich der
Verordnung massiv ausgeweitet werden. Bei der Be-
gründung des Änderungsvorschlags geht die Kommis-
sion davon aus, dass die Ursache im fehlenden Be-
kanntheitsgrad sowie in Mängeln der Ausgestaltung
der Verordnung liege.
Bevor ich auf einzelne Vorschläge der Kommission
eingehe, lassen Sie mich zunächst anmerken, dass in
der gesamten Europäischen Union hier offensichtlich
ein Informationsdefizit besteht. Es muss daher in ers-
ter Linie dafür Sorge getragen werden, dass das Ver-
fahren insbesondere bei den handelnden Personen wie
Rechtsanwälten und Richtern bekannter gemacht wird.
Und zwar europaweit! Erst dann kann eine sorgfältige
und zuverlässige Evaluierung des Verfahrens erfolgen.
Der gesetzgeberische Handlungsbedarf kann erst
dann abgesteckt werden, wenn wir genau wissen, wo
die Probleme liegen.

Die Kommission möchte nun unter anderem die
Streitwertgrenze von 2 000 Euro auf 10 000 Euro an-
heben und die Begriffsbestimmung für grenzüber-
schreitende Rechtssachen deutlich erweitern. Dieser
Vorschlag stößt jedoch auf erhebliche Bedenken. Er
lässt nicht nur die Schutzbedürftigkeit der Prozesspar-
teien außer Acht, sondern eröffnet zusätzlich eine
Bandbreite an Missbrauchsmöglichkeiten. Die auf das
Fünffache angehobene Streitwertgrenze ist für Bürger
sowie die meisten Unternehmen keine Bagatelle mehr
– die Geringfügigkeitsgrenze in der ZPO liegt bekann-
termaßen bei 600 Euro –, und die dahinter stehenden
Rechtsstreitigkeiten sind in der Regel auch keine einfa-
chen Verfahren. Knapp zwei Drittel aller Verfahren vor
deutschen Amtsgerichten haben einen Streitwert unter
2 000 Euro und fallen damit schon jetzt unter diese
Verordnung. Bei der geplanten Erhöhung könnten fast
alle deutschen Zivilprozesse im Anwendungsbereich
der Verordnung liegen. Dieser Ansatz geht aus deut-
scher Sicht zu weit und ist daher abzulehnen.

Ebenso fragwürdig ist, dass der Änderungsvor-
schlag auch keine Vertretung durch einen Rechtsanwalt
vorsieht. Durch die Erhöhung der Streitwertgrenze
würden auch die Verfahren, die in die Zuständigkeit
der Landgerichte fallen und damit dem Anwaltszwang
unterliegen, davon betroffen sein. Das Anwaltserfor-
dernis halten wir jedoch für ausgesprochen wichtig.
Gerade in Prozessen mit höheren Streitwerten ist vor
dem Hintergrund einer effizienten Prozessführung und
Gerichtsorganisation die Beteiligung von Rechtsan-
wälten mehr als zielführend. Durch den Wegfall des
Anwaltserfordernisses wird weder die Attraktivität
dieses Verfahrens erhöht, noch ist den Verbraucherin-
nen und Verbrauchern in Deutschland mit solch einer
Einführung einer europäischen ZPO durch die Hinter-
tür geholfen.

Des Weiteren hat Brüssel den Begriff „grenzüber-
schreitende Rechtssachen“ noch weiter gefasst als bis-
her. Auch hier melden wir starke Bedenken an. Bislang
lag eine „grenzüberschreitende Rechtssache“ im
Sinne der Verordnung nur vor, wenn eine der Parteien
seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in ei-
nem anderen Mitgliedstaat als dem des angerufenen
Gerichts hatte. Nach dem Vorschlag der Kommission
wäre die Verordnung zukünftig auch auf rein inner-
staatliche Sachverhalte anwendbar, wenn sich zum
Beispiel lediglich der Ort einer eventuellen Vollstre-





Sebastian Steineke


(A) (C)



(D)(B)

ckung in einem anderen Mitgliedstaat befindet. Damit
würden rein nationale Fälle in den Regelungsbereich
der Verordnung fallen. Die EU hat hierfür keine Rege-
lungskompetenz.

Durch die Vielzahl der zu berücksichtigenden Para-
meter bei der Frage, ob die Verordnung anzuwenden
ist, wird das Gericht in vielen Fällen erst einmal damit
beschäftigt sein, erhebliche Aufklärungsarbeit zu be-
treiben. Dies widerspricht dem Sinn dieser Verord-
nung, die eine Vereinfachung des Gerichtsverfahrens
anstrebt. Missbrauch und Umgehung wären hier zu-
dem Tür und Tor geöffnet. Das geht eindeutig zu weit
und kann von uns so nicht akzeptiert werden.

Das Gleiche gilt für den Kostenansatz. Mit dem Vor-
schlag der Kommission, die Gerichtsgebühren auf ma-
ximal 10 Prozent des Streitwerts zu deckeln und die
Mindestgebühr auf 35 Euro zu beschränken, wäre das
Verfahren in vielen Fällen deutlich günstiger als natio-
nale Verfahren, obwohl es durch die grenzüberschrei-
tenden Besonderheiten mehr Kosten verursachen
dürfte. Hier ist eine Berücksichtigung aller den
Rechtsstreit betreffenden Kosten angebracht. Die al-
leinige Beschränkung der Kostenfrage auf die Ge-
richtsgebühren lehnen wir daher ab.

Ein letzter kritischer Punkt ist die Konkretisierung
der Beratungs- und Informationspflichten durch das
Gericht. Hier ist zwingend darauf zu achten, dass die
Neuregelungen mit den Grundsätzen des deutschen
Rechtsdienstleistungsgesetzes und der Neutralitäts-
pflicht vereinbar sind. Gerade bei der Frage nach der
Zuständigkeit des Gerichtes und bei der praktischen
Hilfestellung beim Ausfüllen der notwendigen Form-
blätter dürfen die Neuregelungen nicht dazu führen,
dass die Klage durch derartige Beratungen und Aus-
füllhilfen erst schlüssig gemacht wird.

Aufgrund dieser zahlreichen Probleme freue ich
mich, dass wir eine fraktionsübergreifende Beschluss-
empfehlung erreicht haben. Dies zeigt, dass unsere
Positionen einen breiten Konsens im Parlament genie-
ßen.


Dr. Anja Weisgerber (CSU):
Rede ID: ID1805427300

In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl der

Menschen, die online einkaufen, mehr als verdoppelt.
Heute kaufen bereits 45 Prozent der europäischen Ver-
braucher über das Internet ein. Auch grenzüberschrei-
tende Einkäufe erfreuen sich immer größerer Beliebt-
heit. Allerdings besteht hier noch großes Potenzial –
sowohl für Verbraucher als auch für die Wirtschaft.
Denn durch die Wirtschaftskrise ist der grenzüber-
schreitende Handel in den Jahren 2008 und 2009 deut-
lich zurückgegangen, erholt sich aber bereits wieder.
Ein erleichterter Zugang zu grenzüberschreitenden
und Onlineangeboten kann diesen Trend verstärken.
Denn dann haben Verbraucherinnen und Verbraucher
mehr Auswahlmöglichkeiten, um das beste Angebot zu
finden. Aber auch Unternehmen, insbesondere dem
Mittelstand, eröffnet der grenzüberschreitende digitale
Binnenmarkt neue Möglichkeiten.

Die Europäische Union fördert den Ausbau des di-
gitalen Binnenmarktes seit Jahren, beispielsweise
durch die Verbraucherrechterichtlinie. Diese habe ich
als Abgeordnete des Europäischen Parlaments aktiv
mitgestaltet. Durch die Richtlinie haben wir die Rechte
der europäischen Verbraucherinnen und Verbraucher
im grenzüberschreitenden Handel – besonders auch im
Onlinehandel – gestärkt und europaweit einen einheit-
lichen Rahmen entwickelt.

Genauso wichtig wie die Stärkung der Verbraucher-
sicherheit und -information ist eine Stärkung des
Rechtsschutzes für die Verbraucher – und natürlich
auch für die Wirtschaft. Wo Menschen über Grenzen
hinweg miteinander zu tun haben, muss es Regelungen
geben, die den grenzüberschreitenden Besonderheiten
Rechnung tragen. Das unterstützt die Menschen darin,
von den Möglichkeiten, die Europa ihnen eröffnet,
auch tatsächlich Gebrauch zu machen.

Aus diesem Grund hat die EU das Europäische Ver-
fahren für geringfügige Forderungen, die sogenannte
Small-Claims-Verordnung, und das Europäische
Mahnverfahren eingeführt. Die Small-Claims-Verord-
nung soll seit 2009 helfen, grenzüberschreitende ge-
ringfügige Forderungen leichter geltend zu machen.
Das hat einige Vorteile: Man kann die Forderungen
schriftlich und im Heimatland stellen, man hat keine
Anwaltskosten, und man muss nicht vor Gericht gehen.
Obwohl das Verfahren sehr einfach, zeit- und kosten-
sparend ist, ist es nur wenigen Verbrauchern bekannt.
Lediglich 12 Prozent der EU-Bürger haben überhaupt
schon einmal etwas vom Europäischen Bagatellver-
fahren gehört. Nur 1 Prozent hat das Verfahren ge-
nutzt. Auch Kollegen aus der Anwaltschaft bestätigen
das: Nur sehr wenige sind mit dem Verfahren schon
einmal in Berührung gekommen.

Um dies zu ändern, will die EU-Kommission nun
den Anwendungsbereich durch den vorliegenden
Änderungsvorschlag deutlich ausweiten. Es ist im
Grundsatz zu begrüßen, dass die Kommission Rechts-
streitigkeiten mit geringem Streitwert in grenzüber-
schreitenden Fällen weiter vereinfachen möchte. So
können die Attraktivität des Verfahrens erhöht und da-
mit die Rechte von Verbraucherinnen und Verbrau-
chern gestärkt werden. Zudem kann sich das auch po-
sitiv auf unsere Exportwirtschaft auswirken.

Allerdings ist zweifelhaft, ob die Änderungsvor-
schläge der Kommission in dem Maße angemessen und
erforderlich sind. Dies gilt insbesondere für die Erhö-
hung des Schwellenwertes von 2 000 auf 10 000 Euro
und die Ausweitung der Definition für „grenzüber-
schreitende Rechtssachen“. Bei Streitwerten über
2 000 Euro handelt es sich nach deutschem Verständ-
nis schon nicht mehr um geringfügige Forderungen.
Zum Vergleich: Die in der deutschen Zivilprozessord-
nung festgelegte Bagatellgrenze liegt bei 600 Euro.
Eine Erhöhung der Streitwertgrenze würde damit die
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Anja Weisgerber


(A) (C)



(D)(B)

Mehrheit der Zivilprozesse in Deutschland treffen.
Während das nationale Recht bei Verfahren von in der
Regel über 5 000 Euro einen Anwaltszwang vorsieht,
besteht gemäß der Small-Claims-Verordnung keine
Pflicht zur anwaltlichen Vertretung. Eine Umsetzung
würde daher zu einer Senkung der Verfahrensstandards
führen. Die geplante Streitwertgrenze von 10 000 Euro
ist daher deutlich zu weitgehend und abzulehnen.

Auch die Ausweitung der Definition für „grenzüber-
schreitende Rechtssachen“ geht zu weit. Die massive
Erweiterung – nach der ein grenzüberschreitender Be-
zug ausreichen würde – hätte eine Verlagerung von
rein nationalen Fällen in den Anwendungsbereich der
Verordnung zur Folge. Für Deutschland würde das be-
deuten, dass sich die Zahl der Verfahren im Jahr 2012
von 500 auf circa 60 000 Fälle erhöhen würde. Eine
Anhebung der Bagatellgrenze – in Verbindung mit der
geplanten Ausweitung der Definition für „grenzüber-
schreitende Rechtssachen“ – birgt die Gefahr, die
Intensität des deutschen Rechtsschutzes zu senken. Da-
her ist es fraglich, ob der Vorschlag der EU-Kommis-
sion die Attraktivität des Verfahrens steigert und damit
den deutschen Verbraucherinnen und Verbrauchern
hilft.

Es freut mich daher, dass wir eine fraktionsüber-
greifende Beschlussempfehlung erreicht haben, in der
wir die Probleme hervorheben. Selbst für die Kommis-
sion ist der Bekanntheitsgrad die Ursache für die ge-
ringe Bedeutung in der Praxis. Es sollte doch zunächst
an dieser Stelle angesetzt werden, anstatt den Anwen-
dungsbereich der Verordnung so deutlich auszuweiten.
Allein die Steigerung der Bekanntheit würde sicherlich
die Attraktivität des Verfahrens steigern. Hier könnte
ich mir gezielte Information und Aufklärung der Ver-
braucherinnen und Verbraucher, Unternehmen, aber
auch der Rechtsanwender vorstellen.


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1805427400

Seit dem 1. Januar 2009 können innerhalb der EU

grenzüberschreitende Streitigkeiten bei einem Streit-
wert von bis zu 2 000 Euro durch ein spezielles Ge-
richtsverfahren geltend gemacht werden, das in allen
Mitgliedstaaten bis auf Dänemark gilt. Dieses Verfah-
ren für geringfügige Forderungen – oder im Engli-
schen Small Claims Procedure genannt – erleichtert
den Unionsbürgerinnen und -bürgern bei grenzüber-
schreitenden Sachverhalten den Zugang zur Justiz.

Rechtsstreitigkeiten in Zivil- und Handelssachen
können kostengünstiger und vor allem schneller beige-
legt werden. Die Prozessparteien können mittels dieses
Verfahrens innerhalb von nur wenigen Monaten zu ei-
nem Titel gelangen. Denn bei dem Small-Claims-Ver-
fahren handelt sich im Wesentlichen um ein schriftli-
ches Verfahren mit kurzen Fristen, bei dem außerdem
Standardformulare verwendet werden. Die Prozess-
parteien und Zeugen können sich lange Wege in andere
Mitgliedstaaten und Anreisekosten ersparen, wenn
keine mündliche Verhandlung durchgeführt wird. Das
ist bei geringfügigen Forderungen durchaus effizient
und sinnvoll.

Die deutschen Bürgerinnen und Bürger können in
Fällen mit grenzüberschreitendem Bezug wählen, ob
sie vor einem deutschen Gericht klagen wollen oder ob
sie in diesen Fällen das Small-Claims-Verfahren nut-
zen. Bisher ist das Verfahren in Deutschland und in
den anderen Mitgliedstaaten wenig bekannt, wird
kaum genutzt.

Das hat die Kommission zu dem Vorschlag veran-
lasst, den Anwendungsbereich für das Small-Claims-
Verfahren zu erweitern, um es zu etablieren und den
Bekanntheitsgrad zu steigern. Das wird von mir
grundsätzlich begrüßt.

Trotzdem gibt es einige Punkte, an denen der Ver-
ordnungsvorschlag meiner Ansicht nach noch verbes-
sert werden kann. Deshalb haben wir eine Stellung-
nahme erarbeitet, die heute hier zur Abstimmung steht.
Ausdrücklich bedanke ich mich bei den beteiligten
Kolleginnen und Kollegen für die gute und konstruk-
tive Zusammenarbeit.

Ich erläutere nun im Folgenden kurz einige wesent-
liche Kritikpunkte an dem Verordnungsvorschlag:
Erstens. Die Erhöhung der Streitwertgrenze auf
10 000 Euro, die der Verordnungsvorschlag vorsieht,
ist abzulehnen. Bei Streitwerten von mehr als
2 000 Euro kann nach meiner Ansicht nicht mehr von
geringfügigen Forderungen gesprochen werden. Die
Erhöhung ist allein schon deswegen zu weitgehend,
weil der Vorschlag auf das nach unserem Recht gel-
tende und sinnvolle Anwaltserfordernis verzichtet.
Denn in Deutschland finden Zivilprozesse bei einem
Streitwert ab 5 000 Euro vor dem Landgericht statt.
Laut § 78 Absatz 1 ZPO müssen sich die Parteien dann
von einem Rechtsanwalt vertreten lassen. Es hat sich
in der Vergangenheit gezeigt, dass sowohl die Parteien
als auch die Gerichte vom Sachverstand der Rechtsan-
wälte profitieren und das Risiko zum Beispiel der
Fristversäumung etc. geringer ist. Eine Erhöhung der
Streitwertgrenze auf 10 000 Euro würde dieser Syste-
matik zuwiderlaufen.

Aber auch im Bereich zwischen 2 000 und
5 000 Euro wäre eine Vielzahl der Zivilprozesse vor
den Amtsgerichten in Deutschland von der Absenkung
der Verfahrensstandards betroffen. In unserer erwei-
terten Stellungnahme haben wir uns deshalb klar dafür
ausgesprochen, dass das Small-Claims-Verfahren nur
bis zu einer Streitwertgrenze von 2 000 Euro Anwen-
dung finden soll.

Zweitens. Erheblichen Bedenken unterliegt unserer
Ansicht nach auch die geplante Erweiterung der Defi-
nition für „grenzüberschreitende Rechtssachen“.
Sachverhalte, bei denen beide Parteien aus einem Mit-
gliedstaat stammen und bei denen ein grenzüber-
schreitender Bezug dem Charakter des Vertragsver-
hältnisses nicht entspricht, dürfen nicht dem
Anwendungsbereich des Small-Claims-Verfahrens un-
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Johannes Fechner


(A) (C)



(D)(B)

terfallen, um mitgliedstaatliche Verfahrensstandards
zu erhalten.

Drittens. Auch die im Verordnungsvorschlag vorge-
sehene Deckelung der Gerichtsgebühren auf maximal
10 Prozent des Streitwertes und die Beschränkung der
Mindestgebühr auf 35 Euro widersprechen dem deut-
schen Gerichtskostensystem und wären mit erhebli-
chen Kosten für die Bundesländer verbunden.

Viertens. Neben der eben von mir dargestellten be-
rechtigten Kritik begrüßen wir aber ausdrücklich den
Ansatz, elektronische Fernkommunikation in Zivilpro-
zessen verstärkt zu nutzen. Die Übertragung von Vi-
deo- und Telekommunikationskonferenzen im Ge-
richtsverfahren ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass
den Parteien die unter Umständen kosten- und zeitin-
tensive Anreise erspart werden kann. Auf der anderen
Seite sieht der Verordnungsvorschlag weiterhin die
Möglichkeit vor, dass eine mündliche Verhandlung
durchgeführt wird, wenn das Gericht sie für sachdien-
lich erachtet oder die Parteien dies beantragen. Das
trägt dem Grundsatz der Mündlichkeit im Zivilprozess
Rechnung und ist ausdrücklich positiv zu werten.

Lassen Sie mich zum Schluss noch einmal ausdrück-
lich sagen, dass die Harmonisierung der Zivilverfah-
ren innerhalb der Europäischen Union ein erstrebens-
wertes Anliegen ist.

Es ist aber wichtig, dass die zuvor genannten be-
rechtigten Kritikpunkte Gehör finden, ich bitte Sie da-
her heute um Zustimmung zu unserer Stellungnahme.


Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805427500

Viele kleine und mittlere Unternehmen in der EU

kennen das folgende Problem: Man erfüllt einen Auf-
trag für ein größeres Unternehmen aus einem anderen
EU-Staat, und dieses lässt sich danach ewig Zeit, die
Rechnung zu bezahlen. Das Schlimme ist: Das kleine
Handwerksunternehmen oder der kleine Zulieferbe-
trieb kann dadurch schnell in eine finanzielle Schief-
lage geraten. Möglichkeiten zur Zwischenfinanzierung
gibt es für diese nämlich kaum, und auch Aufträge in
der Größenordnung von nur ein paar Tausend Euro
können hier von existenzieller Bedeutung sein. Im
schlimmsten Fall kann sogar die Pleite drohen.

Ein anderes Beispiel: Verbraucherinnen und Ver-
braucher bestellen sich immer mehr Waren online aus
allen Ecken der EU und bekommen diese per Post. Die
bezahlte Ware wird dann aus irgendeinem Grund re-
tourniert, und der gezahlte Kaufpreis muss von der
Verkäuferseite zurückerstattet werden. In manchen
Fällen passiert das aber leider nicht, und die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher gucken in die Röhre.

Sowohl das kleine Handwerksunternehmen als auch
die Verbraucherinnen und Verbraucher aus diesen
Beispielen könnten nun versuchen, ihren Anspruch
gerichtlich durchzusetzen. Aber das ist zumeist auf-
wendig und langwierig, gerade wenn es um grenz-
überschreitende Streitigkeiten geht. Insbesondere Ver-
braucherinnen und Verbraucher werden es sich zwei-
oder dreimal überlegen, ob sie diese Strapazen wirk-
lich wegen ein paar Hundert Euro auf sich nehmen
wollen.

Die vorgeschlagene Verordnung könnte für genau
solche Fälle zumindest ein Stück weit Abhilfe schaffen.
Gläubigerinnen und Gläubiger sollen im Europäi-
schen Mahnverfahren künftig einfacher an ihr Geld
gelangen. Zu diesem Zweck soll das Verfahren bei For-
derungen bis 10 000 Euro, statt wie bisher bis 2 000 Euro
anwendbar sein. Das kommt insbesondere kleinen und
mittleren Unternehmen entgegen.

Darüber hinaus sollen Telefon- und Videokonferen-
zen das persönliche Erscheinen bei mündlichen Ver-
handlungen überflüssig machen, was wiederum Reise-
kosten spart.

Zudem soll das Europäische Mahnverfahren künftig
bei deutlich mehr Streitigkeiten anwendbar sein, auch
zwischen inländischen Streitparteien, solange ein be-
stimmter Auslandsbezug besteht, zum Beispiel bei der
Vermietung eines Ferienhauses im Ausland.

Soweit die vorgeschlagene Verordnung hierdurch
dem kleinen Handwerksunternehmen oder den geprell-
ten Verbraucherinnen und Verbrauchern hilft, an ihr
Geld zu kommen, begrüße ich das ausdrücklich.

Allerdings gibt es auch hier zwei Seiten der Me-
daille. Was für die Gläubigerinnen und Gläubiger gut
ist, ist für die Schuldnerinnen und Schuldner naturge-
mäß eher schlecht. Das Mahnverfahren nach dem
deutschen Zivilrecht ist mehrstufig ausgestaltet und
bietet der Schuldnerseite daher mehr Reaktionsmög-
lichkeiten und somit mehr Schutz. Insbesondere wenn
auf Schuldnerseite Verbraucherinnen und Verbraucher
stehen, kann die im Europäischen Mahnverfahren
quasi automatisch folgende Vollstreckbarkeit der For-
derung unangemessen sein. Hier müsste noch nachge-
bessert werden.

Und bei dieser Gelegenheit noch einmal etwas ganz
Grundsätzliches, meine Damen und Herren von der
Bundesregierung: Das hehre Ziel, die Mühlen der Jus-
tiz schneller und reibungsloser laufen zu lassen, er-
reicht man nicht nur durch Verfahrensvereinfachun-
gen, die zudem irgendwann an die Grenzen der
Rechtsstaatlichkeit stoßen können. Der grundgesetz-
lich garantierte Zugang der Bürgerinnen und Bürger
zu den Gerichten darf nämlich keinesfalls missachtet
werden. Viel wichtiger ist daher eine endlich ausrei-
chende finanzielle und personelle Ausstattung der Ge-
richte und Justizbehörden. Und hier, sehr geehrter
Herr Maas, liegt leider noch ein ganzes Stück Arbeit
vor Ihnen und den Landesregierungen.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805427600

Die EU-Kommission will dem Small-Claims-Verfah-

ren zu mehr Ruhm verhelfen und dafür den Anwendungs-
bereich neu festlegen. Das Ansinnen, geringfügige For-
derungen aus grenzüberschreitenden Streitigkeiten
Zu Protokoll gegebene Reden





Katja Keul


(A) (C)



(D)(B)

leichter verfolgen zu können, ist ja grundsätzlich nicht
schlecht. Es sollte kein Problem sein, vor ein Gericht
in einem anderen EU-Mitgliedstaat zu ziehen, um
seine Forderung geltend zu machen. Verbindliche
Standards, gemeinsame Verfahrensregelungen und
kostenreduzierende Videokonferenzen können hier
sinnvolle Maßnahmen sein, um Hemmschwellen zu
senken.

Vor diesem Hintergrund enthält die Verordnung Ver-
fahrenserleichterungen für Streitigkeiten mit einem
Streitwert von bis zu 2 000 Euro. Allerdings hat sich
herausgestellt, dass die Verordnung in der Praxis
kaum angewendet wurde.

Die schlichte Ausweitung des Anwendungsbereichs
der Verordnung ins Uferlose, wie sie die Kommission
jetzt vorschlägt, ist aber keine gangbare Lösung. Ich
bin froh, dass darüber hier im Haus Einigkeit besteht!
Zum einen hat die Kommission offensichtlich merk-
würdige Vorstellungen über „geringfügige Forde-
rungen“. So soll der Grenzstreitwert von 2 000 auf
10 000 Euro heraufgesetzt werden. Das werden die
meisten der Bürgerinnen und Bürger nicht als gering-
wertig ansehen, und einem Großteil der kleinen und
mittleren Unternehmen dürfte es genauso gehen.

Bei Streitwerten von über 5 000 Euro gehen Verfah-
ren in Deutschland bisher üblicherweise schon in ers-
ter Instanz vor das Landgericht, und anwaltliche Ver-
tretung ist zwingend vorgeschrieben. Ab 10 000 Euro
kann schnell mal die Existenz auf dem Spiel stehen.

Wenn die Pläne der Kommission Realität würden,
dann könnten zudem auch rein innerstaatliche Sach-
verhalte nach der Small-Claims-Verordnung behandelt
werden. Künftig muss nämlich nicht mehr einer der
Vertragspartner seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen
Aufenthalt im EU-Ausland haben, sondern es soll rei-
chen, wenn zum Beispiel der Ort der Vertragserfüllung
im EU-Ausland liegt, wie beispielsweise bei Pauschal-
reisen; und das selbst dann, wenn sie beim heimischen
Reiseanbieter um die Ecke buchen, der seinen Ge-
schäftssitz im Inland hat.

Sofern das Unternehmen dann gegenüber dem Ver-
braucher aus Kostengründen das Small-Claims-Ver-
fahren wählt, führt das nicht nur zu einer verringerten
gerichtlichen Prüfung. Auch eine mündliche Verhand-
lung findet nur noch auf Antrag statt, wenn das Ge-
richt sie für sachdienlich hält.

Anwaltliche Vertretung soll nicht mehr erforderlich
sein. Und dass in einem Bereich, in dem die Verbrau-
cher typischerweise größeren Konzernen gegenüber-
stehen (TUI etc.) und gemeinhin als besonders schutz-
bedürftig angesehen werden.

Das wahre Problem der bisherigen Regelung ist
doch ein ganz anderes: Die Verordnung leidet schlicht-
weg an ihrer Unbekanntheit. Da geht es ihr vielleicht
ähnlich wie einigen EU-Kommissaren – die das mit
dieser Verordnung aber wahrscheinlich auch nicht
werden ändern können.
Vermutlich wäre eine Werbekampagne eher geeig-
net, die Verfahrenszahlen zu erhöhen, als eine Auswei-
tung des Anwendungsbereichs.

Die Vorstellungen der Kommission sind allerdings
ohnehin utopisch: so sollen die Anzahl der Verfahren
von 500 auf 60 000 steigen, was quasi 5 Prozent aller
Prozesse im Jahr unter einem Streitwert von
10 000 Euro in Deutschland wären!

Mit unserer interfraktionellen Stellungnahme ge-
genüber der Bundesregierung haben wir deutlich ge-
macht: Zivilprozesse dürfen nicht ausschließlich durch
die Brille der Wirtschaftlichkeit gesehen werden. Ge-
ringerer Arbeitsaufwand ist nur dann erfreulich, wenn
die Rechtsprechungsqualität nicht darunter leidet.
Mündliche Verhandlungen und anwaltliche Vertretung
schützen sowohl den Verbraucher als auch den Recht-
suchenden und dürfen deshalb nicht zur Ausnahme
werden.

Wir hoffen also darauf, dass die Bundesregierung
unsere Stellungnahme nicht nur berücksichtigt, son-
dern die genannten Punkte auch gegenüber der EU-
Kommission durchsetzt.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805427700

Dann kommen wir zur Abstimmung über die Be-

schlussempfehlung des Ausschusses für Recht und Ver-
braucherschutz auf Drucksache 18/2647. Der Ausschuss
empfiehlt, in Kenntnis der Unterrichtung eine Entschlie-
ßung gemäß Artikel 23 Absatz 3 des Grundgesetzes
anzunehmen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Damit ist diese Beschlussempfehlung bei Enthaltung der
Fraktion Die Linke angenommen.

Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Dr. Valerie
Wilms, Stephan Kühn (Dresden), Sven-Christian
Kindler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwal-
tung konsequent fortsetzen

Drucksache 18/1341
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Innenausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Energie
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Ausschuss für Tourismus
Haushaltsausschuss

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne hiermit die Aussprache und erteile das
Wort der Kollegin Dr. Valerie Wilms, Bündnis 90/Die
Grünen.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805427800

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Bei

meinen vielen Besuchen in den Wasser- und Schiff-
fahrtsämtern und bei Personalversammlungen erlebe ich
immer wieder, wie sich die Mitarbeiterinnen und Mitar-
beiter nach einer echten Reform sehnen, eben nach einer,
die diesen Namen auch verdient. Die Mitarbeiter vor Ort
– denken wir bitte daran, dass es unsere Mitarbeiter sind,
nämlich Mitarbeiter des Bundes – sollen die Verantwor-
tung für die Anlagen übernehmen.

Die Übernahme der notwendigen Verantwortung für
den Ressourceneinsatz, also für das Geld, wird ihnen
aber nicht zugetraut. Jeder Kleinkram muss bereits ab
50 000 Euro über den langen Verwaltungsweg beantragt
werden. So wird Frust geschaffen, aber keine Motivation
für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Diese sind es aber, die sich täglich für funktionierende
Wasserstraßen einsetzen.

Wortakrobatik statt echter Reformbereitschaft haben
wir in den letzten 20 Jahren schon oft genug gehört. Jetzt
muss gehandelt werden. Es darf nicht länger gewartet
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Selbst der frühere Verkehrsminister Ramsauer hat ir-
gendwann eingesehen, dass er ohne eine Reform in sei-
nem eigenen Haus nicht auskommt. So weit, so gut.
Oder sollte ich besser sagen: „so schlecht“?

Heute koaliert die Union mit der SPD, und da sieht
manches schon wieder ganz anders aus. Die Union
wollte mal ein bisschen, und die SPD wollte noch nie so
richtig. Was dabei herauskommt, konnte man in einer
Pressemitteilung des BMVI vom 29. August 2014 lesen.
Ich zitiere eine Aussage von Minister Dobrindt:

Das enorme Reformprojekt der Neuausrichtung der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes …
steht kurz vor dem Abschluss …

Das ist schlichtweg falsch. Das Reformprojekt steht
nicht kurz vor dem Abschluss. Es muss jetzt endlich ein-
mal ernsthaft umgesetzt werden. Das ist der richtige
Weg.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Aussage hat mich insofern schon sehr verwundert,
Herr Kollege Ferlemann. Die Äußerung nährt bei mir
den Eindruck, das Ministerium möchte sich schnell ei-
nen schlanken Fuß machen. Es ist anscheinend froh,
wenn die Reform so schnell und geräuschlos wie mög-
lich abgeschlossen wird, egal mit welchem Ergebnis. Sie
dürfen sich jetzt nicht zurücklehnen und so tun, als ob al-
les schon erledigt sei. Das wäre fatal. Was wir brauchen,
ist eine echte Reform: weg von der Verwaltung der Was-
serstraßen, hin zu einem wirklichen Dienstleister für die
Schifffahrt.

Durch die Reform wird das System Wasserstraße ver-
bessert. Dafür müssen aber folgende Punkte umgesetzt
werden:
Erstens. Es braucht eine Budgetverantwortung direkt
in den Ämtern vor Ort.

Zweitens. Es braucht dringend eine vollständige Kos-
ten- und Leistungsrechnung für ein wirksames Control-
ling. Das ist eine Selbstverständlichkeit in jedem Wirt-
schaftsunternehmen; aber in der WSV ist es nicht zu
finden.

Drittens. Es braucht dringend eine Anlagenbuchhal-
tung für unsere Wasserstraßen. Damit erhält das Parla-
ment einen besseren Überblick über das Anlagevermö-
gen, das in den Wasserstraßen steckt. Vor allen Dingen
erfahren wir, wann wir in den Ersatz investieren müssen.
Das macht jeder ehrbare Kaufmann, und zwar nicht ohne
Grund.

Die Reform wird also noch ein paar Jährchen in An-
spruch nehmen. Insofern brauchen Sie noch mehr Re-
formeifer und vor allem Durchhaltevermögen. Liebe
Kolleginnen und Kollegen von der SPD, zeigen Sie end-
lich Reformwillen. Die Mitarbeiter vor Ort werden es Ih-
nen danken,


(Gustav Herzog [SPD]: Das machen sie schon! Sie bedanken sich bei uns!)


und auch die Schifffahrtsbranche. Seien Sie endlich ein-
mal für die Wirtschaft da, wie es Ihr Vorsitzender aktuell
predigt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Botschaft an das Verkehrsministerium, das hier
sogar zu zweit vertreten ist, und an die Koalition der Re-
formbremser lautet: Die Reform steht nicht vor dem Ab-
schluss. Im Gegenteil: Jetzt muss es losgehen.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805427900

Für die Bundesregierung spricht jetzt der Parlamenta-

rische Staatssekretär Enak Ferlemann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1805428000


Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Selten habe ich einen Antrag der Grünen
gelesen, der so gut war. Frau Wilms, da haben Sie sich
wirklich Mühe gegeben.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! So muss das sein! Ich stimme zu!)


Hinsichtlich dessen, was Sie dort beschrieben haben,
sind wir uns sehr einig, auch hinsichtlich dessen, was Sie
hier gesagt haben, mit zwei Ausnahmen:


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na!)


Sie haben gesagt, wir seien noch gar nicht gestartet.
Wenn man Ihren Antrag liest, ist man erstaunt; denn Sie
beziehen sich auf den 5. Bericht. Sollte der Fraktion der





Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann


(A) (C)



(D)(B)

Grünen entgangen sein, dass es schon längst einen 6. Be-
richt gibt? Das wäre schade.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schauen Sie einmal drauf, wann der Antrag kam! Im Mai!)


Frau Wilms, Sie haben gesagt, die Reform habe noch
nicht begonnen. Sie läuft doch schon längst, und sie wird
auch fortgesetzt. Natürlich, bei einem so großen Reform-
vorhaben wie der Reform der Wasser- und Schifffahrts-
verwaltung, von der circa 14 000 Personen betroffen
sind, geht das nicht von heute auf morgen. Das ist ein
langsamer und langwieriger Prozess, weil Sie die Men-
schen mitnehmen müssen und weil Sie Verwaltungs-
strukturen nicht abrupt zerschlagen können. Das wollen
wir auch nicht. Sie müssen mit den Menschen gemein-
sam arbeiten. Die Menschen müssen ja auch Vertrauen
haben.

Ich stelle fest, dass wir eine hervorragend aufgestellte
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung haben. Die Kolle-
ginnen und Kollegen leisten eine hervorragende Arbeit.
Gleichwohl – recht haben Sie –: Wir brauchen eine An-
lagenbuchhaltung, und wir brauchen moderne kaufmän-
nische Steuerungselemente und Steuerungssysteme. Das
sieht die Reform auch so vor.

Wir werden das sukzessive umsetzen, so wie wir es
gesagt haben. Wir nehmen eine Entscheidungsebene he-
raus, die Wasser- und Schifffahrtsdirektion, konzentrie-
ren uns in der Führung auf die Generaldirektion Wasser-
und Schifffahrt, ziehen dort auch Kompetenzen aus dem
Ministerium in die Mittelbehörde mit einer hohen Ent-
scheidungskompetenz, aber natürlich auch mit Entschei-
dungsverantwortung, und wir schaffen 18 Reviere, in de-
nen dann Amtsleiter die regionale Verantwortung
wahrnehmen, ausgestattet mit einer hohen Entschei-
dungskompetenz.

Ich glaube, dass diese Struktur, die mit dem 6. Bericht
vorgeschlagen wird, ein sehr positives Echo gefunden
hat, sowohl bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
als auch bei den Ländern als auch bei der Wirtschaft.
Deswegen glaube ich, dass wir diese Reform in diesem
Herbst gemeinsam so auf das Gleis bringen, dass wir das
als Ministerium letztlich umsetzen können. Das wird ab
1. Januar 2015 scharfgestellt, und dann beginnt sukzes-
sive die Umwandlung.

Dazu gehört auch die Einführung der Kosten- und
Leistungsrechnung; denn auch die brauchen wir – da
gebe ich Ihnen recht –, um kaufmännisch richtig steuern
zu können. Das lässt sich aber nicht von heute auf mor-
gen bewerkstelligen, wie Sie aus eigener Erfahrung und
Ihren vielen Besuchen bei den vielen Ämtern ja wissen.
Insofern stelle ich fest: Die Grünen sind etwas hinter
dem Mond bei dem Ansatz, wie weit wir schon sind. Ich
freue mich aber, dass Sie uns so unterstützen. Denn bis-
her hat Sie ausgezeichnet, dass Sie uns bei diesem Re-
formprozess aktiv unterstützt haben und wir gemeinsam
in die richtige Richtung marschiert sind. Ich glaube, wir
bekommen es hin.

Ziel muss es sein, eine effiziente, hochleistungsfähige
und starke Wasser- und Schifffahrtsverwaltung zu haben,
die eine sehr hohe Kompetenz hat und, statt Aufträge zu
vergeben, vieles auch selber erledigen kann. Manchmal
ist es effizienter, etwas selber zu machen. Nicht alles
auszuschreiben, ist immer der richtige Weg. Man muss
einen guten Mittelweg finden.

Ich glaube, der Reformansatz, den wir gewählt haben,
ist dafür richtig. Ich freue mich sehr, dass das auf die Zu-
stimmung der Grünen stößt. Unterstützen Sie uns weiter.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unterstützen Sie unseren Antrag auch!)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805428100

Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke der

Kollege Herbert Behrens.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805428200

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die

Kolleginnen und Kollegen der Wasser- und Schifffahrts-
verwaltung machen sich seit vielen Jahren große Sorgen
um ihre Zukunft. Junge Auszubildende werden nicht
übernommen. Ausscheidende Kolleginnen und Kollegen
werden nicht ersetzt. Die Belegschaft schrumpft seit Jah-
ren. Zur gleichen Zeit beklagen die Verbände der Wirt-
schaft den Zerfall der Bundeswasserstraßen. Die Sper-
rung der Schifffahrt am Nord-Ostsee-Kanal kam uns
teuer zu stehen, weil die maroden Schleusen ihren Geist
aufgaben. Das ist nur eines von vielen Beispielen.

Doch die CDU/CSU-geführte Regierung der vergan-
genen Legislaturperiode, die zusammen mit der inzwi-
schen ebenfalls vergangenen FDP regiert hat, war vom
Geist der Privatisierung geprägt; man könnte es auch
„umnebelt“ nennen. Statt darauf zu schauen, was die Bin-
nen- und Küstenschifffahrt zu einem modernen, ökolo-
gisch orientierten Verkehrssystem beitragen kann, nahm
sich die Regierung die WSV als Apparat vor.

Aber die ganze Geschichte ist schon älter. Zitat: Seit
1995 befasst sich das Bundesverkehrsministerium mit
der Reform der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des
Bundes. – Das schreibt der Bundesrechnungshof in sei-
nem Bericht von 2010. Ich zitiere weiter: Mit der Re-
form soll es auf die haushaltsgesetzliche Einsparquote
bei den Dienstposten reagieren. – Genau darum geht es:
Personalabbau als Maßstab von Reformen, das ist seit
20 Jahren die Erfahrung der Beschäftigten bei der WSV.
Der Begriff „Reform“ wird mit „Personalabbau“ über-
setzt. Das akzeptieren wir nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Außenämter zusammenlegen, Schleusen automatisie-
ren, Bündelung von Dienstleistungen mit dem Ziel der
Personaleinsparung, das waren übrigens die gemeinsa-
men politischen Ziele der Regierungen seit jener Zeit,
und zwar in den unterschiedlichsten Zusammensetzun-
gen. Doch die Kolleginnen und Kollegen vor Ort haben
gezeigt und zeigen noch heute, wie wichtig ihre Arbeit
ist. Sie fahren bei Wind und Wetter raus, um die Schleu-





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)

sen gangbar zu halten. Sie sind Tag und Nacht unter-
wegs, wenn zu viel oder auch zu wenig Wasser da ist,
um die Schifffahrt gangbar zu halten. Schnell und kom-
petent reagieren sie, wenn es auf dem Wasser zu einem
Malheur kommt, und sie beweisen mit ihrer täglichen
Arbeit auch, dass sie Dinge erhalten. Dadurch kommt es
nur selten zu Malheurs. Die Zahl der Zwischenfälle lässt
sich wirklich an wenigen Fingern abzählen, und das
selbst bei Anlagen, die Jahrzehnte, manche sogar ein
ganzes Jahrhundert alt sind.

Die Linke hat in den Jahren der letzten schwarz-gelben
Koalition die Belegschaft der Wasser- und Schifffahrts-
verwaltung bei ihrem Kampf um den Erhalt einer funk-
tionsfähigen Ausführungsverwaltung unterstützt. Heute,
nachdem der ziellose Umbau der WSV halbwegs ge-
stoppt werden konnte, beraten wir den Antrag „Reform
der Wasser- und Schifffahrtsverwaltung konsequent fort-
setzen“. Das haben die Kolleginnen und Kollegen der
WSV nicht verdient. Sie brauchen keine WSV-Re-
form II, nachdem die WSV-Reform I gescheitert ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir unterstützen die Aussagen im Antrag der Grünen
sehr wohl, in dem es heißt, dass neue Aufgaben, etwa im
Natur- und Artenschutz, zu bewältigen sind und dass die
Unterhaltung der Flüsse nach ökologischen Kriterien an
Bedeutung gewinnt. Das alles ist richtig. Aber es hilft
uns hier nicht weiter, an einem Umbau der WSV festzu-
halten, der eben nicht an den neuen ökologischen Aufga-
ben der WSV orientiert ist. Wir können doch nicht fort-
setzen wollen, was von vornherein ausschließlich auf
Personalabbau ausgerichtet war und die Zerschlagung
der WSV und die Privatisierung von Aufgaben zum Ziel
hatte.

Die Linke unterstützt stattdessen die WSV-Beleg-
schaft in ihrem Engagement für eine zukunftsfähige
Bundesbehörde. Ihre Arbeit wird sich verändern. Wer
weiß das besser als die Betroffenen selber! Sie sind doch
heute schon dabei, im Netzwerk zu arbeiten, und sie bil-
den selbstständig arbeitende Inspektionstrupps, die Stö-
rungen des Schiffsverkehrs erst gar nicht aufkommen
lassen. Das tun sie mit guten Ingenieuren und guten
Handwerkern, wie wir zum Beispiel in Aurich haben se-
hen können.


(Beifall bei der LINKEN)


Es bleibt dabei: Eine Reform der Wasser- und Schiff-
fahrtsverwaltung des Bundes muss die Behörde so mo-
dernisieren, dass sie ihre Arbeit erledigen kann. Dafür
braucht sie qualifiziertes Personal, eine gute technische
Ausstattung und einen klaren Auftrag. Dafür tragen wir
die Verantwortung. Mit einem Antrag, der die Unsicher-
heit der Belegschaft verstärkt, kommen wir dieser Ver-
antwortung nicht nach.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805428300

Nächster Redner ist der Kollege Gustav Herzog für

die Sozialdemokraten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1805428400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich

will uns freundlich einstimmen: Vielen Dank den Grü-
nen für diesen Antrag! Er ist zwar etwas überholt – er
wurde im Mai gestellt –, aber er gibt eine gute Gelegen-
heit, hier im Plenum nicht nur über ein verkehrspoliti-
sches Thema, sondern auch über ein Thema zu reden, bei
dem die Große Koalition schon nach kurzer Zeit eine
positive Bilanz ziehen kann.


(Lachen der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich kann Ihnen ankündigen: Wir werden als Koali-
tionsfraktionen einen gemeinsamen Antrag einbringen,
in dem wir insbesondere den 6. Bericht zur Reform der
WSV aufgreifen. Lieber Kollege Hans-Werner Kammer,
ich glaube, das wird nicht nur ein aktuellerer Antrag,
sondern auch ein besserer Antrag als der von den Grü-
nen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann er gar nicht werden!)


Liebe Kollegin Wilms, im Text Ihres Antrags ist ein
kleiner Fehler. Nicht im Juni 2012 wurde die Reform an-
gestoßen; vielmehr begann das Elend im Oktober 2010,
in jenem berühmten Herbst der Entscheidungen, als die
FDP ihren großen Koalitionspartner dazu gebracht hat,
im Haushaltsausschuss einen sehr verhängnisvollen Be-
schluss zu fassen – lieber Kollege Behrens, in der ersten
Abstimmung geschah das zusammen mit den Linken –


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ja!)


und das Ministerium aufzufordern, eine Reform durch-
zuführen, die zu all dem geführt hat, was wir vier Jahre
lang erlebt haben, nämlich zu einem echten Schlinger-
kurs.

Wenn ich an die Berichte 1 bis 5 denke, dann fällt mir
auf, wie häufig wir über unterschiedliche Zahlen von
Ämtern geredet haben und wie häufig die Funktion der
Ämter verändert worden ist. Außerdem denke ich dann
an diesen wirklich unsäglichen Personalabbau von
12 000 auf unter 10 000. Dahinter steckte die Ideologie
der FDP, möglichst viel zu vergeben und möglichst we-
nig selbst zu tun; das sei ganz gut. Die FDP wollte keine
Durchführungsverwaltung mehr, sondern eine Gewähr-
leistungsverwaltung.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Und jetzt kommt die SPD!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es hagelte damals
Kritik. Ich rufe heute gerne in Erinnerung, dass auch
sehr viel Kritik aus der Wirtschaft kam. Frau Kollegin
Wilms, diejenigen aus der Wirtschaft, mit denen ich ge-
sprochen habe – das waren nicht nur Vertreter der Ver-
bände, sondern auch Menschen, die im Hafen und auf
dem Schiff ihrer Arbeit nachgegangen sind –, haben die
WSV nie als eine Verwaltung, sondern immer als eine
Organisation verstanden, die ihnen bei all ihren Proble-
men geholfen hat. Das war ein echter Erfolg. Die Leute
haben gute Arbeit geleistet.





Gustav Herzog


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Beschäftigten waren aber so verunsichert, dass es
zu einem Streik gekommen ist, der die Branche emp-
findlich getroffen hat. Ich bin froh, Herr Staatssekretär,
dass es eine klare Erklärung der drei beteiligten Ministe-
rien gegeben hat, dass die weitere Reform wirklich so-
zialverträglich umgesetzt wird.

Aber auch die Länder haben heftig kritisiert. Minis-
terpräsidenten der Union haben Briefe geschrieben und
das klare Signal gegeben, dass man mit dieser Reform
scheitern wird. Auch deswegen wurde ein Gesetzent-
wurf der alten Koalition zurückgezogen.

Dann kamen die Bundestagswahl, die Koalitionsver-
handlungen, ein Koalitionsvertrag – und es gab eine an-
dere Situation. Wir haben klar festgelegt: Wir wollen bei
den weiteren Reformschritten die Kompetenz der
Beschäftigten mit einbinden, und wir wollen eine regio-
nale Verankerung vornehmen. In beidem hat die Koali-
tion – hier gilt mein ganz persönlicher Dank Minister
Dobrindt – Wort gehalten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Was vier Jahre nicht geklappt hat, haben wir in vier
Monaten hinbekommen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von wegen! Verhindert habt ihr die Reform!)


Es gibt eine klare Linie. Jetzt werden sich der Rech-
nungsprüfungsausschuss und der Haushaltsausschuss
damit beschäftigen. Mein besonderer Dank geht an un-
sere Kollegen Bettina Hagedorn und Eckhardt Rehberg,
die als Haushälter ein erstes Signal gesendet haben; denn
schon jetzt können wir im Bereich der WSV mehr Perso-
nal einstellen. Dieses Signal ist wichtig, weil wir als Ar-
beitgeber in Anbetracht der Konkurrenz bestehen müs-
sen. Wir brauchen kompetente Leute, die engagiert ihre
Arbeit machen. Eine Verwaltung jedoch, die zum Ziel
hat, Personal abzubauen, ist niemals ein attraktiver Ar-
beitgeber.

Von daher ist es gut, dass wir vier Botschaften aussen-
den: Es wird keinen Personalabbau mehr geben. Wir geben
die unsägliche Idee der Trennung von Bau und Verkehr auf.
Es wird in den Ämtern weiterhin einen Ansprechpartner
geben: für die Länder, für die Kommunen, für die Wirt-
schaft. Alle Standorte werden erhalten bleiben.

Insgesamt wird die WSV infolge dieser Konzentra-
tion effizienter arbeiten. Es wird 18 Ämter geben, die
kompetent, leistungsstark, zuverlässig und in der Region
verwurzelt ihre Arbeit tun. Dabei werden nicht alle Äm-
ter alles machen. Es wird, abhängig von den unterschied-
lichen Aufgaben in der Region, unterschiedliche Schwer-
punkte geben. Sicherlich wird es auch Synergieeffekte
geben, indem bestimmte Ämter Arbeiten für die gesamte
WSV erledigen.

In einem weiteren Schritt werden wir uns den Außen-
bezirken, Revieren und Verkehrszentralen zuwenden,
dies aber erst dann, wenn dieser Teil der Reform aus
dem 6. Bericht umgesetzt worden ist. Frau Kollegin
Wilms, dann wird es auch eine Kosten-Leistungs-Rech-
nung geben.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich ja mal gespannt, ob das jemals kommen wird!)


Dann wird es auch einen klaren Vergabekatalog geben.

Ich bin Minister Dobrindt sehr dankbar, dass er er-
klärt hat: Wir wollen darauf achten, dass unsere Organi-
sation, die Wasser- und Schifffahrtsverwaltung des Bun-
des, ihre eigene Kompetenz behält und nicht von
Monopolen abhängig wird, die es in dem Markt, in dem
wir unsere Ausschreibungen machen, gibt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt einen weiteren Punkt, in dem sich der 6. Be-
richt sehr wohlwollend von den ersten fünf Berichten
unterscheidet: Wir wenden uns dem Personal zu. Wir sa-
gen: Wir wollen mehr für Aus-, Fort- und Weiterbildung
tun. Wir haben bei der Übernahme von Auszubildenden
schon deutliche Verbesserungen erzielt. Von daher wie-
derhole ich, was ich zu Beginn gesagt habe: Wir sind
jetzt auf einem klaren Kurs.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, natürlich blei-
ben noch ein paar Fragen offen: Wie wird die Kompe-
tenz vom Ministerium auf die Generaldirektion und auf
die Ämter abgeschichtet? Herr Staatssekretär, wo bleibt
der Infrastrukturbericht? Wir sind nicht die Einzigen, die
sagen: Wir wollen nicht warten, bis der Bundesverkehrs-
wegeplan kommt, sondern wir hätten gern vorher klare
Auskunft. – Wir werden uns intensiv mit dem Konzept
zum Wassertourismus beschäftigen; je früher es da ist,
desto besser für alle Beteiligten.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch noch aus der 16. Wahlperiode!)


Wir werden uns dem Spannungsfeld von Kategorisierun-
gen und Priorisierungen im Bundesverkehrswegeplan
zuwenden; die alten Kategorien können nicht die neuen
sein.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha! Also doch ein Ende der Reform?)


Ich denke, dieses Parlament sollte damit nicht bis April
2015 warten, bis das Rechtsbereinigungsgesetz vorliegt.

Ich freue mich, liebe Kolleginnen und Kollegen, auf
die Debatte im Ausschuss. Wir sehen uns dann zum glei-
chen Thema hier im Plenum wieder.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805428500

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Hans-Werner Kammer, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)


Hans-Werner Kammer (CDU):
Rede ID: ID1805428600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Sehr geehrte Damen und Herren! Bündnis 90/Die Grü-
nen haben ja auch schon in der letzten Legislatur inten-
siv und forsch für eine Reform der Wasser- und Schiff-
fahrtsverwaltung geworben. Mit dem vorliegenden
Antrag soll die Bundesregierung aufgefordert werden,
die Reform konsequent umzusetzen. Liebe Frau
Dr. Wilms, genau das tut die Koalition gemeinsam mit
der Bundesregierung. Der Bundesverkehrsminister hat
mit dem 6. Bericht zum Stand der Reform den Kurs klar
vorgegeben.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und sie für beendet erklärt!)


Auch wenn über Details sicherlich noch zu reden ist,
liegt das Konzept, mit dem die WSV zukunftsfest wird,
auf dem Tisch. Den von Ihnen befürchteten Reformstau
hat es nicht gegeben. Ich habe bei Ihren Beiträgen, Frau
Dr. Wilms und Herr Behrens, den Eindruck gehabt, dass
Sie diesen 6. Bericht bisher nicht gelesen haben. Uns ist
es in den letzten Wochen vielmehr gelungen, auch die
Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an Bord zu holen. Das
war ein klarer Auftrag des Koalitionsvertrages, dem das
Ministerium in vollem Umfang Rechnung getragen hat.
Insofern kann ich Sie, liebe Kollegen von den Grünen,
beruhigen: Die Reform geht weiter.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber der Minister erzählt etwas ganz anderes!)


Aber bei der konkreten Umsetzung, liebe Frau
Dr. Wilms, der Reform hören die Gemeinsamkeiten zwi-
schen Koalition und Grünenfraktion auf. Ihr Antrag ist
abzulehnen. Sie haben leider zu Ihrem Antrag im
Grunde kaum gesprochen. Ich möchte Ihnen deshalb sa-
gen: Sie wollen eine andere WSV als wir und übrigens
auch eine andere als die WSV-Beschäftigten und die
Wirtschaft.


(Widerspruch der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das Thema Verkehrsinfrastruktur spielt bei Ihnen nur
noch eine zweite Geige. Stattdessen lese ich in Ihrem
Antrag nur von Renaturierung, ökologischer Wiederher-
stellung und dem Ausgleich zwischen Schifffahrt und
Ökologie.

Umweltschutz liegt uns allen am Herzen, aber die
WSV ist zuerst eine Verkehrsverwaltung. Die Effizienz-
steigerungen und Einsparungen der Reform wollen Sie
für Umweltmaßnahmen aufwenden. Das steht so in Ih-
rem Antrag. Der bedenkliche Zustand vieler Bundeswas-
serstraßen ist Ihnen sicherlich bekannt. Sie wollen doch
nicht im Ernst den Nord-Ostsee-Kanal im Namen des
Umweltschutzes verkommen lassen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Steht da auch nicht drin!)


Ich finde es übrigens bemerkenswert, dass ich ausge-
rechnet Sie daran erinnern muss, dass das Schiff immer
noch das umweltfreundlichste Verkehrsmittel ist. Gerade
für Massengüter und Schwerlastverkehr bietet das Schiff
noch viel Potenzial, das wir nutzen können, um andere
Verkehrsträger zu entlasten.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie den Antrag gelesen?)


Wer aber wie Sie den Verkehr von Straße und Schiene
auf das Wasser holen will, darf die Bundeswasserstraßen
nicht zum Naturschutzgebiet machen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das überhaupt gelesen?)


Konsequent gehen Sie den Irrweg Ihres letzten Bun-
destagswahlprogramms weiter.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie müssen den Antrag lesen! Peinlich!)


Dort stand die Förderung der Binnenschifffahrt unter
dem Vorbehalt, dass sich die Schiffe dem Fluss anpassen
müssen.


(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Sie brauchen nicht den Kopf zu schütteln; das stand da
tatsächlich drin. – 2005 hat Ihr damaliger Umweltminis-
ter Jürgen Trittin ein solches Schiff mit öffentlichen Mit-
teln gefördert.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Kammer, kommen Sie einmal in die Realität zurück!)


Die „RMS Kiel“ war jedoch ein Fehlschlag. Das hat so-
gar der Bundesrechnungshof bestätigt.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kommen Sie in die Realität!)


Sie leben in einer Traumwelt, wenn Sie an eine Zu-
kunft der Schifffahrt glauben, ohne dass bestehende
Schifffahrtswege ausgebaut werden. Wahrscheinlich se-
hen Sie die Zukunft der Handelsschifffahrt so wie die
Zukunft des Wassertourismus, nämlich muskelbetrieben.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Oh!)


Das geht aber an der Realität vorbei und ist mit uns nicht
zu machen.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Rede ist auch schon 20 Jahre alt!)


Das Verkehrsministerium hat in enger Abstimmung
mit den Beschäftigten den richtigen Kurs eingeschlagen.
Die Organisationsstruktur wird deutlich gestrafft. Die
bestehenden Personalprobleme werden offensiv ange-
gangen. So ist gewährleistet, dass die WSV in Zukunft
noch besser als bisher die Bundeswasserstraßen betreuen
kann, ohne zentrale Aufgaben an Dritte vergeben zu
müssen. Zu den Aufgaben der WSV wird es aber auch
weiterhin gehören, Wasserwege gegebenenfalls auszu-
bauen. Nur so kann das große Potenzial des Verkehrs-
mittels Schiff genutzt werden, um die in Zukunft massiv
zunehmenden Verkehrsströme zu schultern.





Hans-Werner Kammer


(A) (C)



(D)(B)

Für die Koalition ist klar: Die WSV wird eine mo-
derne Infrastrukturverwaltung und keine Naturschutzbe-
hörde. Der Kollege Herzog hat ja bereits angekündigt,
dass es einen entsprechenden Antrag der Koalition dazu
geben wird. Diesem können Sie dann mit Begeisterung
zustimmen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805428700

Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages-

ordnungspunkt.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 18/1341 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Ich sehe keinen Widerspruch. Dann ist das
der Fall und die Überweisung somit beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 16 auf:

Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Er-
leichterung der Umsetzung der Grundbuch-
amtsreform in Baden-Württemberg
Drucksache 18/70
Beschlussempfehlung und Bericht des Aus-
schusses für Recht und Verbraucherschutz

(6. Ausschuss)


Drucksache 18/2644
Nach meiner Information sollen die Reden zu Proto-

koll gegeben werden. – Dagegen erhebt sich kein Wider-
spruch. Damit sind Sie einverstanden.


Detlef Seif (CDU):
Rede ID: ID1805428800

Wir beraten heute in zweiter und dritter Lesung den

Entwurf eines Gesetzes zur Erleichterung der Umset-
zung der Grundbuchamtsreform in Baden-Württem-
berg. In Deutschland wird das Grundbuch zentral von
den Amtsgerichten geführt. Baden-Württemberg
weicht historisch bedingt hiervon ab. Das Grundbuch
wird dort überwiegend von den Kommunen geführt.
Die Notare oder Rechtspfleger werden von den
Ratschreibern unterstützt. Ratschreiber mit der Befä-
higung zum höheren oder gehobenen Verwaltungs-
oder Justizdienst sind befugt, grundbuchrechtliche Er-
klärungen zu entwerfen und Erklärungen zu beurkun-
den. In der Praxis werden Grundbucheintragungen
derzeit von den Ratschreibern bis zur Eintragungsreife
vorbereitet, die Eintragung selbst nimmt aber in der
Regel ein Amtsnotar vor.

Neben den kommunalen Grundbuchämtern gibt es
auch staatliche Grundbuchämter. Sie sind mit Rechts-
pflegern als Grundbuchbeamten und Beschlussferti-
gern besetzt. Beschlussfertiger sind Beamte des mittle-
ren Dienstes und bereiten Grundbuchanträge für den
Rechtspfleger unterschriftsreif vor.

Baden-Württemberg hat über den Bundesrat den
vorliegenden Gesetzentwurf eingebracht. Die 654
kommunalen und staatlichen Grundbuchämter sollen
aufgelöst und die Grundbuchaufgaben bis spätestens
Ende 2017 dreizehn zentralen Amtsgerichten zugewie-
sen werden.

Eine amtsangemessene Weiterbeschäftigung der
Ratschreiber und der Beschlussfertiger wäre nach der-
zeitiger Rechtslage nicht möglich. Auf ihre Mitarbeit
will das Land Baden-Württemberg aber auch in Zu-
kunft nicht verzichten, einerseits wegen des grund-
buchrechtlichen Fachwissens und ihrer praktischen
Erfahrung, andererseits, weil nach der Reform zusätz-
licher Personalbedarf bei den Amtsgerichten entste-
hen wird.

Das Rechtspflegergesetz soll deshalb um einen § 35
a ergänzt werden. Nach dem Gesetzentwurf dürfen
Ratschreiber mit der Befähigung zum gehobenen Ver-
waltungs- oder Justizdienst, die das Amt mindestens
drei Jahre ausgeübt haben, die Aufgaben eines Rechts-
pflegers in Grundbuchsachen wahrnehmen. Die fach-
liche Qualifikation soll durch Fortbildungen sicherge-
stellt werden.

Der Gesetzentwurf sieht weiterhin vor, dass Be-
schlussfertiger, die seit mindestens fünf Jahren im Jus-
tizdienst beschäftigt sind, ebenfalls die Aufgaben eines
Rechtspflegers in Grundbuchsachen wahrnehmen dür-
fen. Voraussetzung soll eine fachbezogene Fortbildung
von drei Monaten an einer Fachhochschule sein.

Der Gesetzentwurf sorgte bei den Rechtspflegern
für Unmut. Hier steht man dem sogenannten „Be-
reichsrechtspfleger“ kritisch gegenüber. Das Vorha-
ben des Landes Baden-Württemberg stellt aus Sicht
des Bundes Deutscher Rechtspfleger einen statusrecht-
lichen Angriff auf die Berufsgruppe der Rechtspfleger
dar und sei wirtschaftlich und in der Sache nicht sinn-
voll.

Die Kritik des Verbandes ist verständlich. Der
Rechtspfleger als Beamter der Laufbahn des gehobe-
nen Dienstes ist ein selbstständiges Organ der Rechts-
pflege. Seine ihm übertragenen, ehemals richterlichen
Geschäfte nimmt er eigenverantwortlich und in sachli-
cher Unabhängigkeit wahr. Aufgrund dieser dem Rich-
teramt ähnlichen Stellung wird er auch als die zweite
Säule der dritten Gewalt bezeichnet.

Wer die hohe Hürde des Bewerbungsverfahrens als
Rechtspfleger genommen hat, wird im Rahmen eines
dreijährigen Vorbereitungsdienstes als Anwärter mit
einem anspruchsvollen Studium an einer Fachhoch-
schule in Theorie und Praxis auf die spätere Tätigkeit
umfassend vorbereitet. Der angehende Rechtspfleger
soll befähigt werden, vollkommen selbstständig Le-
benssachverhalte zu erfassen, Rechtsfragen zu erken-
nen und zu lösen und sachgerechte Entscheidungen zu
treffen. Die fachtheoretische Ausbildung ist entspre-
chend umfangreich und umfasst unter anderem das
Bürgerliche Recht, einschließlich Familienrecht, Erb-
recht, Immobiliarsachenrecht, das Zivilprozess- und
Zwangsvollstreckungsrecht, das Handelsrecht ein-
schließlich Registerrecht sowie das Gesellschafts-





Detlef Seif


(A) (C)



(D)(B)

recht, das Grundbuchrecht, das Betreuungsrecht, die
Freiwillige Gerichtsbarkeit, das Zwangsversteige-
rungsrecht, das Insolvenzrecht und das Kostenrecht.

Zweifelsohne handelt es sich bei dem Grundbuch-
wesen um einen besonders sensiblen Bereich. Hier
geht es um die Prüfung komplizierter Rechtsfragen,
insbesondere um die rechtliche Beurteilung von
Grundstückskaufverträgen, die Eintragung neuer
Eigentümer in das Grundbuch, die Prüfung und
Eintragung von Grundstücksbelastungen wie Grund-
schulden, Hypotheken, Wege- und Wohnrechten. Um-
fassende Kenntnisse des materiellen Rechts sind un-
umgänglich. Wegen des bestehenden öffentlichen
Glaubens des Grundbuches nach § 892 BGB und der
damit verbundenen positiven und negativen Publizi-
tätswirkung müssen Eintragungen unbedingt materi-
ellrechtlich korrekt sein und dürfen nur von qualifi-
zierten Grundbuchbeamten vorgenommen werden.

Eine Sachverständigenanhörung im Rahmen eines
erweiterten Berichterstattergesprächs brachte zur
Frage des Umfangs der erforderlichen Zusatzausbil-
dung der Beschlussfertiger kein eindeutiges Ergebnis.
Während die einen Sachverständigen überhaupt
keinen Weiterbildungsbedarf sehen bzw. die vorge-
schlagene Ausbildungsdauer von drei Monaten für
ausreichend halten, fordern andere entweder eine Voll-
ausbildung der Beschlussfertiger in Form der dreijäh-
rigen Rechtspflegerausbildung oder weiterhin nur den
Einsatz im Bereich der grundbuchrechtlichen Vor- und
Nachbereitung.

Sachverständige der Fachhochschulen kamen zu
dem Schluss, dass eine Aufgabenübertragung auf die
Beschlussfertiger dem Grunde nach möglich sei, die
vorgesehene Mindestausbildungsdauer allerdings zu
knapp bemessen sei. Die Auffassungen zur angemesse-
nen Ausbildungsdauer schwankten zwischen sechs und
zwölf Monaten.

Einerseits galt es, die hohe Qualität im Grundbuch-
wesen sicherzustellen, andererseits wollten wir dem
Land Baden-Württemberg grundsätzlich ermöglichen,
das Personal auch weiterhin amtsangemessen einzu-
setzen. Der gefundene Kompromiss der Koalitions-
fraktionen führte in der Abwägung aller Umstände und
der Ergebnisse der Sachverständigenanhörung zu ei-
ner Anhebung der Ausbildungsdauer von drei Monaten
auf 8 Monate.

An die Adresse der Rechtspfleger gerichtet, ist eines
zu betonen: Bei der gesetzlichen Regelung handelt es
sich um eine absolute Ausnahme. Es ist nicht beabsich-
tigt, den sogenannten Bereichsrechtspfleger als Regel-
fall einzuführen. Wir wissen, welch hochqualifizierte
und gute Arbeit die Rechtspfleger in Deutschland leis-
ten. Hieran soll sich auch in Zukunft nichts ändern.

Mit dem Änderungsantrag finden zugleich auch
zwei weitere Artikel im Rahmen eines Omnibusverfah-
rens Eingang in den Gesetzentwurf. Mit ihnen sollen
zwei Übergangsvorschriften verlängert werden.
Der erste sieht eine Änderung in § 26 Nummer 8
Satz 1 EGZPO vor. Nach dieser Vorschrift ist die Be-
schwerde gegen die Nichtzulassung der Revision ge-
mäß § 544 ZPO bis zum 31. Dezember 2014 nur bei ei-
ner Beschwer von mindestens 20 000 Euro zulässig.
Diese Übergangsfrist soll mit dem Gesetzentwurf um
zwei Jahre verlängert werden.

Die zweite Änderung betrifft § 62 Absatz 2 WEG.
Hiernach ist die Beschwerde gegen die Nichtzulassung
der Revision ausgeschlossen, wenn die anzufechtende
Entscheidung vor dem 31. Dezember 2014 verkündet
wurde. Nach dem Gesetzentwurf soll die Frist um ein
Jahr verlängert werden.

Mit der Verlängerung der Fristen will die Bundesre-
gierung dem immensen Arbeitsaufkommen und der Ar-
beitsüberlastung des Bundesgerichtshofs Rechnung
tragen. Aber in der Begründung zum Gesetzentwurf
vom 1. April 2011 (Bundestagsdrucksache 17/5334)

führte die Bundesregierung aus, dass die Nichtzulas-
sungsbeschwerde erforderlich sei, um einer Zersplitte-
rung der Zivilrechtspflege entgegenzuwirken. Die Be-
rufungsgerichte hatten nämlich von der Möglichkeit
des § 522 Absatz 2 ZPO, eine Berufung durch einstim-
migen Beschluss zurückzuweisen, völlig unterschied-
lich Gebrauch gemacht. Um dieser Zersplitterung der
Rechtspflege entgegenzuwirken, ist der Bundesjustiz-
minister in der Pflicht, einen zielführenden Vorschlag
zu machen. Es muss ausgeschlossen werden, dass die
Übergangsfristen demnächst nochmals verlängert
werden müssen.

Es wurde Kritik daran geübt, dass die vorgenannten
Regelungsvorschläge erst im Rahmen eines Omnibus-
verfahrens nach der ersten Lesung des Gesetzes aufge-
nommen wurden. Die Kritik greift hier aber nicht. Es
handelt sich nicht um komplizierte Fragestellungen
oder komplexe Sachverhalte. Die Entscheidung, ob
Übergangsvorschriften verlängert werden, ist ohne ei-
nen intensiven Prüfungsumfang möglich. Lassen Sie
uns deshalb heute das Gesetz in seinem kompletten
Umfang beschließen.


Dr. Johannes Fechner (SPD):
Rede ID: ID1805428900

Mit diesem Gesetz tragen wir dazu bei, dass die

Grundbuchanfragen und Grundbuchänderungsan-
träge der Bürgerinnen und Bürger in Baden-Württem-
berg künftig wieder zügiger und professionell bearbei-
tet werden können. Viele von Ihnen werden bereits
erfahren haben, dass das Grundbuchwesen in Baden-
Württemberg grundlegend umstrukturiert wird. Die
Grundbuchämter, die bisher überwiegend von den
Kommunen geführt wurden, werden bis 2018 in
13 zentrale Grundbuchämter eingegliedert.

Bei dieser Aufgabenverlagerung von der Kommune
auf das Land ist es absehbar, dass in den zentralen
Grundbuchämtern ein erheblicher Personalbedarf an
Rechtspflegern in Grundbuchsachen entstehen wird,
ein Personalbedarf, der allein durch die verstärkte
Ausbildung von Rechtspflegern in Baden-Württemberg
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Johannes Fechner


(A) (C)



(D)(B)

derzeit nicht gedeckt werden kann. Diesem Umstand
trägt der Gesetzentwurf Rechnung.

Der Gesetzentwurf sieht nämlich vor, dass diejeni-
gen, die bisher in den kommunalen Grundbuchämtern
selbstständig und kompetent gearbeitet haben, an
Fortbildungsmaßnahmen teilnehmen und anschlie-
ßend die Möglichkeit erhalten, als sogenannte Rechts-
pfleger in Grundbuchsachen bei den neuen Grund-
buchämtern zu arbeiten.

Bei den im Gesetzentwurf vorgesehenen Personen-
gruppen, den sogenannten Ratsschreibern und den Be-
schlussfertigern, handelt es sich um besonders qualifi-
zierte Beamte des gehobenen bzw. des mittleren
Dienstes. Diese Beamten verfügen über langjährige
Erfahrungen im Grundbuchbereich. Ihr Fachwissen
soll durch entsprechend geeignete Weiterbildungsmaß-
nahmen ergänzt und ausgebaut werden.

Bei den Beamten des mittleren Dienstes sieht der
Gesetzentwurf explizit vor, dass eine Qualifizierung an
Fachhochschulen für Rechtspflege erfolgen soll, um
sicherzustellen, dass die Beamten die Rechtsfragen im
Grundbuchwesen in Zukunft kompetent und eigenver-
antwortlich bearbeiten können. Die geplanten Lehr-
veranstaltungen sind speziell darauf ausgerichtet, ver-
tiefte Kenntnisse in allen relevanten Rechtsbereichen
zu erwerben, die für die zukünftige Tätigkeit in den
Grundbuchämtern notwendig sind.

Damit die Qualität des Grundbuchwesens nicht ge-
fährdet wird, sieht der Gesetzentwurf ausdrücklich vor,
dass die Beamten acht Monate Zeit haben, sich inten-
siv mit den unterschiedlichen relevanten Rechtsgebie-
ten zu beschäftigen. Von einem Crashkurs kann bei ei-
ner Ausbildungszeit von acht Monaten damit keine
Rede sein. Ich bin überzeugt, dass die Fortbildungs-
maßnahmen mehr als geeignet sind, um die Beamten
auf ihre künftige Tätigkeit als Rechtspfleger in Grund-
buchsachen umfassend vorzubereiten und um gleich-
zeitig die hohe Qualität des baden-württembergischen
Grundbuchwesens für die Bürgerinnen und Bürger zu
erhalten.

Wie Sie sehen, ist der Gesetzentwurf somit für beide
Seiten vorteilhaft: Die Beamten erhalten die Möglich-
keit, ihr praktisch erworbenes Fachwissen bei den zen-
tralen Grundbuchämtern einzubringen, und die
Grundbuchämter können den erheblichen Mehrbedarf
an Personal mit erfahrenen Beamten vorübergehend
ausgleichen. Letzteres ist auch deswegen so wichtig,
weil bereits jetzt die Grundbuchämter mit der Bearbei-
tung der Anfragen überlastet sind. Aus meiner Heimat
in Emmendingen wird mir zum Beispiel berichtet, dass
sich ein erheblicher Rückstau der Anfragen beim
Grundbuchamt ergeben habe.

Auch deswegen hoffe ich, dass viele Personen, die
zurzeit in den kommunalen Grundbuchämtern tätig
sind, die Möglichkeit der Fortbildung zum Rechtspfle-
ger in Grundbuchsachen wahrnehmen werden.

Richard Pitterle (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805429000

Was ist uns eine qualifizierte Justiz wert? Der Lan-

desregierung von Baden-Württemberg und der Bun-
desregierung offenbar nicht viel. Denn dort sollen die
Ratsschreiber und Beschlussfertiger aus den Gemein-
den in die Amtsgerichte versetzt werden und dort die
hochqualifizierten Aufgaben von Rechtspflegern im
Grundbuchamt übernehmen. Das soll im Rahmen der
anstehenden Grundbuchreform im „Ländle“ gesche-
hen.

Im Grundbuch werden bekanntlich die Eigentüme-
rinnen und Eigentümer von Grundstücken, Häusern
und Wohnungen eingetragen. Wer ein Haus oder eine
Wohnung kauft, wird im Grundbuch eingetragen. Wenn
jemand bei seiner Bank auf sein Haus einen Kredit
aufnimmt, wird die Bank im Grundbuch als Gläubige-
rin eingetragen und kann beispielsweise die Immobilie
versteigern lassen, wenn der Kredit nicht mehr zurück-
gezahlt wird, ohne lange irgendwelche Beweise vorzu-
legen. Wir haben es hier also nicht mit irgendwelchen
Listen zu tun, die ein Gericht führt. Es ist ein amtliches
öffentliches Verzeichnis; Eintragungen im Grundbuch
genießen allerhöchstes Vertrauen. Der Inhalt des
Grundbuchs gilt immer als richtig, auch dann, wenn er
mal nicht richtig ist (§ 892 BGB).

Gerade deshalb sind korrekte Entscheidungen ganz
wichtig. Und diese Entscheidungen treffen der Rechts-
pfleger, die Rechtspflegerin. Ratsschreiber und Be-
schlussfertiger haben bisher nur die Eintragungen
vorgenommen – also ausführende Tätigkeiten. Die
„Qualitätssicherung“ machen die Rechtspflegerinnen
und Rechtspfleger. Ratsschreiber und Beschlussferti-
ger als „Bereichsrechtspfleger“ und ihre Gleichstel-
lung mit den Rechtspflegern geht an den Anforderun-
gen der Rechtspraxis völlig vorbei.

Die Qualifikation und das ausgewogene Urteil ei-
nes juristisch ausreichend Ausgebildeten – sei es als
Justizangestellter, sei es als Rechtspfleger, sei es als
Richter – ist für mich ein hoher Wert, egal ob das im
Grundbuchamt ist, im Nachlassgericht, im Handelsre-
gister, im Vereinsregister. Daher führt nach meiner
Meinung auch kein Weg an einer umfassenden Nach-
qualifizierung der bisherigen Ratsschreiber und Be-
schlussfertiger vorbei, damit die hohe Qualifikation
der Justiz erhalten bleibt und wir nicht Verhältnisse
wie in vielen anderen europäischen Staaten bekom-
men.

Doch diese Nachqualifizierung soll es nicht geben;
es sind lediglich einige Fortbildungen geplant, die
aber in keinster Weise an die gestellten Anforderungen
für Rechtspfleger herankommen.

Und für wie viele Leute wird dieses Gesetz eigent-
lich gemacht? Es geht hier nach Angaben des baden-
württembergischen Justizministers um weniger als
30 Personen. Dafür wäre auch eine andere Lösung
möglich. So wird aber ein Bundesgesetz geschaffen, es
werden Debatten geführt usw.
Zu Protokoll gegebene Reden





Richard Pitterle


(A) (C)



(D)(B)

Mit diesem Gesetzentwurf wird ein weiterer Beitrag
zur Aushöhlung der Justiz geleistet. Außerdem wird ein
Einfallstor für andere Justizbereiche geöffnet, genauso
vorzugehen. Wir brauchen aber nicht immer mehr Spe-
zialisten, die nur noch einen ganz engen Bereich
durchblicken und lediglich mehr oder weniger gut für
ihr spezielles Arbeitsgebiet angelernt sind, aber keinen
Überblick mehr besitzen. Wohin das führt, kennen wir
zur Genüge aus der Industrie oder dem Einzelhandel.

Wir lehnen deshalb Ihren Gesetzentwurf ab.

Und zum Abschluss des parlamentarischen Wegs
dieses Gesetzentwurfs verwöhnt uns die Bundesregie-
rung noch mit zwei Änderungen, die völlig andere Ge-
setze betreffen, aber mit diesem Gesetzentwurf durch
die Hintertür durchgedrückt werden sollen – vielleicht
mit der Hoffnung, dass es kaum jemand merkt. Diese
Unsitte der Bundesregierung über ein sogenanntes
Omnibusgesetz ganz andere Bereiche zu regulieren
und dem Ausschuss ein nicht zustehendes Initiativrecht
für Gesetzgebung einzuräumen, hat die Linke früher
als verfassungswidrig abgelehnt und lehnt es auch
diesmal ab.

Denn was haben die geplanten Änderungen in der
Zivilprozessordnung und im Wohnungseigentums-
gesetz mit der Grundrechtsreform in Baden-Württem-
berg zu tun? Gar nichts. Zudem enthalten die Änderun-
gen eine Rechtsmittelverkürzung, die wir ebenfalls
ablehnen. Ihre Vorgehensweise schafft nur ein Durch-
einander in den Gesetzen. Arbeiten Sie nicht so chao-
tisch, und achten Sie endlich die Vorgaben der Verfas-
sung.

Christian Kühn (Tübingen) (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):

Grund und Boden gehören zu den Gütern, die nicht
vermehrt werden können und aufgrund ihrer Knapp-
heit zu den wertvollsten Gütern überhaupt zählen.
Dem Eigentum an einem Grundstück kommt daher
eine besondere Bedeutung zu – und natürlich auch den
Grundbuchämtern. Denn in den Grundbüchern
werden die Rechtsverhältnisse eines Grundstücks zu-
verlässig und verbindlich festgehalten. Jeden Tag
wechseln Grundstücke ihre Eigentümerinnen und Ei-
gentümer. Erst mit der Eintragung ins Grundbuch aber
geht ein Grundstück in das Eigentum über. Deshalb ist
es wichtig, dass wir moderne, zuverlässige und effi-
ziente Grundbuchämter haben.

Abweichend von den anderen Bundesländern
werden die Grundbuchämter in Baden-Württemberg
überwiegend bei den Kommunen geführt. Baden-
Württemberg hat sich nun dazu entschlossen, die
Grundbuchverwaltung zu modernisieren. Infolge der
Grundbuchamtsreform wird nun die Grundbuchfüh-
rung den 13 zentralen Amtsgerichten zugewiesen und
soll ausschließlich von Rechtspflegerinnen und
Rechtspflegern vorgenommen werden. So wird die
Struktur des Grundbuchrechts derjenigen im übrigen
Bundesgebiet angeglichen. Wir begrüßen diese Verein-
heitlichung der Grundbuchamtsführung in Deutsch-
land.

Heute ist ein guter Tag für die Grundbuchämter in
Baden-Württemberg; denn mit der Grundbuchamts-
reform sichert Baden-Württemberg die hohe Qualität
des Grundbuchwesens. Hierfür ist es auch wichtig, den
Sachverstand der Menschen, die bisher in den kommu-
nalen Grundbuchämtern arbeiten, nicht zu verlieren.
In den badischen Grundbuchämtern arbeiten Beamtin-
nen und Beamte im mittleren Dienst, sogenannte
Beschlussfertiger. Diese sollen nach einer Weiter-
bildung – der Gesetzentwurf in der Ausschussfassung
sieht dafür acht Monate vor – als Beamtinnen und
Beamte im Landesdienst die Aufgaben von Rechts-
pflegerinnen und Rechtspflegern im Grundbuchamt
wahrnehmen. Es ist richtig, dass das Land Baden-
Württemberg den bisherigen Beschlussfertigern eine
weitere Perspektive in den Grundbuchämtern gibt und
dadurch weiterhin auf diesen Sachverstand zurück-
greifen kann.

Die Debatten, die wir hier im Bundestag geführt ha-
ben, drehten sich weitestgehend um die Frage der
Länge der Ausbildungsdauer. Die Landesregierung
hatte hierfür ursprünglich drei Monate vorgesehen.
Diese Ausbildungsdauer möchte der Bundestag nun
auf mindestens acht Monate erweitern. Dadurch
können in den Lehrgang auch praktische Elemente der
Tätigkeit berücksichtigt werden. Wir unterstützen es,
dass den Beschlussfertigern so Einblick in die prakti-
sche Tätigkeit von Rechtspflegerinnen und Rechtspfle-
gern im Grundbuchamt gegeben werden kann.

Gerne hätten wir daher diesem Gesetzentwurf heute
zugestimmt. Wieder einmal aber nutzt die Große
Koalition das sogenannte Omnibusverfahren, um an
einen Gesetzentwurf sachfremde Themen anzuhängen.
Dies ist ein ungeheuerlicher Vorgang, da das Grund-
buchwesen in Baden-Württemberg, die Zivilprozess-
ordnung und das Wohneigentumsgesetz nichts mitei-
nander zu tun haben. Dieses Verfahren finden wir
hochproblematisch. Die Große Koalition beeinträch-
tigt hierdurch die Transparenz des Gesetzgebungspro-
zesses erheblich. Nach dem EEG-Chaos ist es jetzt
schon das zweite Mal in diesem Jahr, dass Union und
SPD im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz
dieses Verfahren anwenden. Sie wollen mit ihrem
Änderungsantrag erreichen, dass die bisher bis zum
31. Dezember 2014 befristete Regelung in § 26 Num-
mer 8 EGZPO, wonach die Nichtzulässigkeits-
beschwerde beim Bundesgerichtshof gegen eine
Revision nur zulässig ist, wenn die Beschwerde 20 000
Euro übersteigt um zwei Jahre verlängert wird. Wir
halten diese Regelung für falsch. Der Zugang zur Jus-
tiz sollte nicht unnötig erschwert werden. Deshalb leh-
nen wir auch die vorgeschlagene Verlängerung um
zwei weitere Jahre ab. Aus demselben Grund lehnen
wir auch die Verlängerung der Geltung des § 62 Ab-
satz 2 WEG um ein weiteres Jahr ab.

Aufgrund der nicht hinnehmbaren Verquickung von
Zivilprozessordnung und Wohneigentumsgesetz mit
Zu Protokoll gegebene Reden





Christian Kühn (Tübingen)



(A) (C)



(D)(B)

dem Gesetz zur Erleichterung der Grundbuchamtsre-
form in Baden-Württemberg werden wir dieses Gesetz
heute ablehnen. Die Abgeordneten der Großen Koali-
tion haben die Chance verspielt, eine breite Mehrheit
für die Grundbuchamtsreform im Plenum zu ermögli-
chen.

C
Christian Lange (SPD):
Rede ID: ID1805429100


Ihnen liegt heute der Entwurf eines Gesetzes zur Er-
leichterung der Umsetzung der Grundbuchamtsreform
in Baden-Württemberg vor. In Baden-Württemberg
werden mit der Grundbuchamtsreform landesrechtli-
che Besonderheiten beseitigt und die gerichtlichen
Strukturen im Grundbuchbereich denen im übrigen
Bundesgebiet angeglichen. Die Grundbuchführung
wird demnach bis zum 1. Januar 2018 schrittweise auf
die Grundbuchabteilungen von landesweit 13 Amtsge-
richten übertragen. Mit der Auflösung der 654 bisheri-
gen dezentralen Grundbuchämter entfallen auch die
spezifischen Aufgaben der Ratsschreiber und Beschluss-
fertiger. Sie bereiteten bisher Grundbuchsachen bis
zur Entscheidungsreife vor. Ratsschreiber beurkunden
zudem selbstständig in bestimmten Konstellationen
Verträge, Bewilligungen und Auflassungen. Mit dem
Gesetzentwurf wird die Weiternutzung des grundbuch-
rechtlichen Fachwissens der Ratschreiber und Be-
schlussfertiger gewährleistet.

Den Ratsschreibern und Beschlussfertigern wird die
Möglichkeit eröffnet, Aufgaben eines Rechtspflegers in
Grundbuchsachen wahrzunehmen – jedoch, um die
hohe fachliche Qualität der Tätigkeit des Rechtspfle-
gers in Grundbuchsachen zu sichern, nur unter be-
stimmten Voraussetzungen.

Die Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses
sieht hierbei die Erhöhung der im ursprünglichen Ge-
setzentwurf vorgesehenen Dauer der Fortbildung für
Beschlussfertiger von drei auf acht Monate vor. Dies
dient der weiteren Qualitätssicherung der anspruchs-
vollen Sachbearbeitung im Grundbuchbereich.

Ich bin mir sicher: Die bisherigen Ratsschreiber
und Beschlussfertiger werden, unterstützt durch diese
Maßnahmen, ihrer neuen Verantwortung gerecht wer-
den und die ihnen neu zuwachsende Tätigkeit kompe-
tent erledigen.

Darüber hinaus sind in der Beschlussempfehlung
zwei Maßnahmen enthalten, mit denen auf eine akute
Belastungssituation beim Bundesgerichtshof reagiert
werden soll.

Mit der ersten Maßnahme wollen wir die geltende
Streitwertgrenze in Höhe von 20 000 Euro für Nichtzu-
lassungsbeschwerden in Zivilverfahren zum Bundesge-
richtshof um weitere zwei Jahre bis Ende 2016 verlän-
gern. Die Wertgrenze für Nichtzulassungsbeschwerden
hat sich grundsätzlich bewährt. Ohne sie wäre es
schon längst zu einer nicht mehr tragbaren Belastung
des Bundesgerichtshofs gekommen. Sie muss deshalb
auch über das Jahr 2014 hinaus fortgelten. In den letz-
ten drei Jahren ist die Zahl der beim Bundesgerichts-
hof eingelegten Nichtzulassungsbeschwerden erheb-
lich gestiegen. Grund dafür ist die Änderung des § 522
der Zivilprozessordnung im November 2011. Seitdem
sind nicht nur die Urteile, sondern auch die Zurück-
weisungsbeschlüsse der Berufungsgerichte mit der
Nichtzulassungsbeschwerde anfechtbar. Das soll auch
so bleiben, führt aber zu einer schwierigen Belastungs-
situation bei den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs.
Deshalb muss die Höhe der Wertgrenze weiter über-
prüft werden, sodass eine Verlängerung der Geltung
um zwei Jahre sinnvoll erscheint. Wir werden dann se-
hen, ob sich die Eingangszahlen auf ein konstantes
Maß eingependelt haben.

Wir nehmen aber die aktuelle Belastung des Bun-
desgerichtshofs sehr ernst und suchen – zusammen mit
dem BGH – nach Lösungen. Das gestaltet sich nicht
einfach und benötigt Zeit.

Die geschilderte Belastungssituation beim Bundes-
gerichtshof ist auch der Anlass für eine weitere Ände-
rung des Gesetzentwurfs: Wir wollen die Frist, bis zu
deren Ablauf die Beschwerde gegen die Nichtzulas-
sung der Revision in Wohnungseigentumssachen aus-
geschlossen ist, um ein Jahr bis zum 31. Dezember
2015 verlängern. Die Eingangsentwicklung in Woh-
nungseigentumssachen bei den Berufungsgerichten
steigt seit der WEG-Reform im Jahr 2007 stetig. Für
die Zulassung der Nichtzulassungsbeschwerde soll ab-
gewartet werden, auf welchem Niveau sich die Zahlen
stabilisieren. Auf einer soliden Datenbasis soll dann
entschieden werden, ob und gegebenenfalls unter wel-
chen Voraussetzungen auch für diese Streitigkeiten die
Nichtzulassungsbeschwerde zum Bundesgerichtshof
eröffnet werden kann. Ich bitte Sie daher um Ihre Zu-
stimmung.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805429200

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Recht und Verbraucherschutz empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 18/2644, den Ge-
setzentwurf des Bundesrats auf Drucksache 18/70 in der
Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte jetzt diejeni-
gen, die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zu-
stimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt da-
gegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung mit den Stimmen der Koali-
tionsfraktionen gegen die Stimmen von Bündnis 90/Die
Grünen und Die Linke angenommen.

Wir kommen jetzt zur

dritten Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Niemand enthält sich. Damit ist
dieser Gesetzentwurf in dritter Lesung mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken
und von Bündnis 90/Die Grünen angenommen.





Vizepräsident Johannes Singhammer


(A) (C)



(D)(B)

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Bundesfernstraßenmautge-
setzes

Drucksache 18/2444
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr und digitale Infrastruktur (f)

Ausschuss für Umwelt, Naturschutz, Bau und
Reaktorsicherheit
Haushaltsauschuss mitberatend und gemäß § 96 der GO

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
diese Aussprache 25 Minuten vorgesehen. – Weil ich
keinen Widerspruch höre, ist das damit auch so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort für
die Bundesregierung der Parlamentarischen Staatssekre-
tärin Katherina Reiche.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


K
Katherina Reiche (CDU):
Rede ID: ID1805429300


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Seit 2005 wird auf deutschen Autobahnen und seit
2012 zusätzlich auf bestimmten vier- und mehrstreifigen
Bundesstraßen eine Maut für Lkw ab 12 Tonnen zulässi-
gem Gesamtgewicht erhoben. Das geschieht ohne Ein-
griff in den Verkehrsfluss und weitgehend vollautoma-
tisch durch die intelligente Kombination aus Satelliten,
Navigation und Mobilfunk.

Die Lkw-Maut leistet einen wichtigen Beitrag zum
Ausbau und zum Erhalt unserer Verkehrsinfrastruktur.
Gemäß dem Bundesfernstraßenmautgesetz werden die
Einnahmen dem Verkehrshaushalt zugeführt. Sie werden
in vollem Umfang zweckgebunden für die Verbesserung
der Verkehrsinfrastruktur verwendet.

Die EU-Mitgliedstaaten müssen bei der Erhebung der
Maut die Vorgaben der Eurovignetten-Richtlinie beach-
ten. Danach müssen sich die gewogenen durchschnittli-
chen Infrastrukturgebühren an den Baukosten und an
den Kosten für Betrieb, Instandhaltung und Ausbau des
betreffenden Verkehrsweges orientieren. Die jeweils gel-
tenden Mautsätze werden durch wissenschaftlich fun-
dierte Wegekostengutachten ermittelt. Bislang gab es
zwei, und zwar 2002 und 2007. Das neue Wegekosten-
gutachten haben wir im März 2014 vorgestellt. Es deckt
den Zeitraum von 2013 bis 2017 ab.

Nun liegt der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur
Änderung des Bundesfernstraßenmautgesetzes vor. Die
geltenden Mautsätze müssen an die Ergebnisse des We-
gekostengutachtens 2013 angepasst werden. Daraus er-
geben sich nun zukünftig geringere Mautsätze. Warum?
Die gegenüber der Erstellung des vorherigen Wegekos-
tengutachtens deutlich gesunkenen Zinskosten sind hier
die wesentliche Ursache. Das ist ein Vorteil für den
Bund, und dieser Vorteil muss an die Nutzer weitergege-
ben werden.
Das Wegekostengutachten 2013 dient auch als Grund-
lage für eine günstigere Mautkategorie für die besonders
schadstoffarmen Lkw der Euro-VI-Klasse. Zudem ent-
hält es auch Berechnungen zu den externen Kosten aus
Luftverschmutzung und Lärmbelastung, die seit einer
Änderung der Eurovignetten-Richtlinie aus dem Jahr
2011 zusätzlich angelastet werden können. Zunächst
sollen nur die Kosten für die Luftverschmutzung ange-
lastet werden. Die Anlastung aus der Lärmbelastung
wird später kommen, weil die Grundlagendaten hierzu
ganz neu erhoben werden müssen.

Durch die neuen Mautsätze ergeben sich im Zeitraum
2015 bis 2017 Mindereinnahmen gegenüber dem ur-
sprünglichen Finanzplan 2014 bis 2018 von insgesamt
460 Millionen Euro. Diese Einnahmelücke muss ge-
schlossen werden, um die notwendige Finanzierung der
Verkehrsinfrastruktur auch in Zukunft sicherzustellen.
Was ist hier geplant? Hierzu soll zum 1. Juli 2015 die
Mautpflicht auf weitere circa 1 100 Kilometer vierstrei-
fige Bundesstraßen ausgeweitet werden. Auch soll die
Mautpflichtgrenze von 12 Tonnen auf 7,5 Tonnen zuläs-
siges Gesamtgewicht abgesenkt werden. Diese Maßnah-
men sind, wie Sie wissen, noch nicht Gegenstand des
vorliegenden Gesetzentwurfs. Sie werden später in ei-
nem separaten Gesetz umgesetzt.

Eine der großen Aufgaben in dieser Legislaturperiode
wird es sein, eine leistungsfähige Infrastruktur in unse-
rem Land sicherzustellen. Wir wollen und müssen dafür
sorgen, dass der Finanzierungskreislauf Straße auch in
Zukunft funktioniert. Deshalb bitte ich Sie um Zustim-
mung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805429400

Der Kollege Herbert Behrens spricht jetzt für die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805429500

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Womit

lange nicht zu rechnen war, wird nun unversehens doch
wahr: Ein Jahr nach der letzten Bundestagswahl legt der
Bundesverkehrsminister einen Gesetzentwurf zur Maut
vor. Dass es sich dabei aber nicht um das Lieblingspro-
jekt der CSU, nämlich die Ausländermaut handelt, lasse
ich einfach einmal beiseite. Angesichts des Stillstandes
im Hause des Bundesverkehrsministers ist es schon er-
staunlich, dass hier etwas passiert.


(Zurufe von der CDU/CSU)


Dieser Stillstand lässt sich nur noch dadurch überde-
cken, dass es ein Dauerfeuer in Sachen Pkw-Maut gibt,
mit dem versucht wird, den Stillstand zu kaschieren.
Aber genug der Vorrede.

Ich will jetzt nicht in den Kanon der Kritiker einstim-
men, die die starke Abhängigkeit der Wegekosten, über
die wir hier reden, vom Zinsniveau anprangern. Ich will
Ihnen auch nicht vorhalten, dass die EU-Wegekosten-
richtlinie die Berücksichtigung einer Kapitalverzinsung





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)

nicht zwingend vorschreibt; das können die Kolleginnen
und Kollegen der Grünen sicherlich besser. Eine solche
Herangehensweise wäre zum einen unpolitisch; denn sie
ließe die Gründe für das niedrige Zinsniveau bzw. die
verzweifelt lockere Geldpolitik der EZB völlig außer
Acht. Zum anderen sollte man sich insbesondere aus der
ökologischen Perspektive nicht allzu unkritisch auf die
Wegekostenrichtlinie beziehen; denn diese ist bei nähe-
rer Betrachtung eigentlich eine Wegekostenbegren-
zungsrichtlinie.

Was ich dem Verkehrsminister und auch seinem
Amtsvorgänger und Parteifreund oder, besser gesagt,
seinem Parteikollegen Peter Ramsauer ankreide, ist, dass
beide nichts unternommen haben, um die Lkw-Maut zu
einem echten verkehrs- und umweltpolitischen Instru-
ment zu machen. Seit Jahren liegen Vorschläge auf dem
Tisch, wie man die externen Kosten des Straßenverkehrs
in den Wegekosten abbilden kann. Passiert ist jedoch
wenig.

Die neuen Mautsätze enthalten eine emissionsbezo-
gene Umweltkomponente, aber wenn wir ehrlich sind,
müssen wir feststellen, dass der damit verbundene finan-
zielle Anreiz nicht groß genug ist, um mehr Verkehr von
der Straße auf die Schiene zu verlagern. Genau das ist
das erklärte Ziel der EU und auch der Bundesregierung,
zumindest wenn man die Sonntagsreden hört und die
Hochglanzbroschüren liest.

Noch schlechter ist es um die Lärmkosten bestellt.
Hier ist in den letzten Jahren rein gar nichts passiert, ob-
wohl klar ist, dass der Straßenverkehrslärm eines der
größten Gesundheitsrisiken ist. Das haben wir schon an
anderer Stelle diskutiert.

Es ist schon eine Farce, dass die Bundesregierung im
Gesetzentwurf behauptet, dass – ich zitiere – „die techni-
schen Voraussetzungen für eine Anlastung der Lärm-
belastungskosten nur mit einem größeren zeitlichen
Vorlauf geschaffen werden können“. Das ist keine Frage
der Technik. Sie differenzieren doch selber, welcher
Fahrzeugklasse beispielsweise welcher Anteil an den
Kosten für Lärmschutzwände zuzuschreiben ist. Warum
ziehen Sie das nicht heran, um eine Anlastung der Lärm-
belastungskosten auf den Weg zu bringen?


(Beifall bei der LINKEN)


Sie tun das deshalb nicht, weil dann klar werden würde,
wie teuer uns der Straßengüterverkehr wirklich zu stehen
kommt.

Beim Thema Lkw-Maut hat die Bundesregierung in
den letzten Jahren völlig versagt. Heute wird in den Me-
dien gemeldet: Der Vertrag mit Toll Collect wird verlän-
gert. Das ist nichts anderes als eine Kapitulation vor den
Gesellschaftern von Toll Collect, die es in den letzten
Jahren gut verstanden haben, durch das Verschleppen
des Schiedsverfahrens dem Bund jeglichen Handlungs-
spielraum zu nehmen. Es sollte hier allen klar sein, dass
Toll Collect den Bund mit Milliardensummen aus dem
Schiedsverfahren erpresst hat. Beim Ziehen der Call-Op-
tion hätte man sie abschreiben müssen. Mit einem sol-
chen Vertragspartner würde ich keine Geschäfte machen.

(Beifall bei der LINKEN)


Aber in Zeiten von PPP-Knebelverträgen wie dem mit
Toll Collect kann man sich das wohl nicht mehr anders
aussuchen.

Dass die Bundesregierung durch die Vertragsverlän-
gerung das selbstgesteckte Ziel der Ausweitung der
Maut auf alle Bundesstraßen aufgibt, zeigt deutlich, wer
in Sachen Lkw-Maut die Hosen anhat. Der Bund ist es
jedenfalls nicht.

Der Verkehrsminister wäre gut beraten, jetzt sofort
die Call-Option zu ziehen und ein Lkw-Mautsystem
nach Schweizer Vorbild zu installieren. Okay, das lässt
das EU-Recht heute noch nicht zu.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Das ist ja nur eine Marginalie!)


Aber das nimmt man an anderer Stelle ja auch nicht ganz
so ernst. Das Schweizer Modell würde jedenfalls zumin-
dest deutlich mehr Mittel für die maroden Verkehrswege
bringen. Ihre Hochglanzbroschüren wären dann nicht
mehr nur heiße Luft, und vor allem könnte der Verkehrs-
minister endlich die Ausländermaut begraben; sie würde
ihn nicht mehr um den Schlaf bringen


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Der schläft schon gut! Keine Sorge!)


und vielleicht auch nicht um den Ministersessel.


(Beifall bei der LINKEN)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805429600

Für die Sozialdemokraten spricht jetzt der Kollege

Sebastian Hartmann.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Sebastian Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1805429700

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Wir begrüßen die Vorlage des Ent-
wurfs eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundes-
fernstraßenmautgesetzes, und wir begrüßen insbeson-
dere, dass der Entwurf es uns ermöglicht, den schon seit
einiger Zeit gesetzten europäischen Rahmen weiter als
bisher auszuschöpfen.

Wesentlicher Inhalt des Gesetzentwurfs ist zweifels-
ohne, dass es zu einer Absenkung der Mautsätze für Lkw
aufgrund des neuen Wegekostengutachtens für die Jahre
2013 bis 2017 kommt. Das ist aber noch nicht alles.
Kompensiert werden die daraus entstehenden Einnahme-
ausfälle teilweise durch die erstmalige Anrechnung der
Kosten aus der Luftverschmutzung, die infolge der euro-
parechtlichen Änderungen möglich wurde. Denn ein we-
sentlicher Teil der Systematik der Mauterhebung beruht
bekanntlich auf der genauen Abbildung des langsamen
Verschleißes von Infrastruktur durch Benutzung, also ei-
nem Verursachungsprinzip: Wer fährt, verschleißt Stra-
ßen und Wege. Ebenso bekannt ist, dass der Lkw dies
viel stärker tut als der Pkw.





Sebastian Hartmann


(A) (C)



(D)(B)

Doch jenseits dieser Feststellung zählen tatsächlich
auch ökologische Argumente. Es ist nicht zu bestreiten,
dass vom motorisierten Verkehr auf den Straßen eine er-
hebliche Belastung nicht nur der Straßen selbst, sondern
auch der Umwelt ausgeht. Dazu gehören die Abgase und
Feinstaube. Dazu gehört ebenfalls – wie bei Schiene und
Luftverkehr – der Lärm, der den Anwohnern in der un-
mittelbaren Umgebung unserer Straßen teilweise schwer
zu schaffen macht. Das bestreitet niemand.

Der notwendigen Anlastung von Immissionen aus
Schadstoffen kommt in diesem Fall zu Hilfe, dass nach
der EU-Richtlinie – die muss man im Zweifel genau le-
sen – nur zwischen den innerörtlichen Straßen und den
Fernstraßen entsprechend differenziert wird, aber an-
sonsten eine schlichte Berechnung der Gesamtmenge an-
hand der eingebrachten Schadstoffe ausreicht, um sie
den Wegekosten anzulasten. Eben das steht da drin.

Die Richtlinie setzt aber in der Tat eine Obergrenze
für die anlastbaren Kosten. Wir bemängeln auch, dass
laut Gutachten – das ist da genau nachzulesen – die tat-
sächlichen Kosten nur zu 13 Prozent anzulasten sind.
Wir glauben, dass wir an der Stelle die europäische
Richtlinie noch weiterentwickeln müssen, damit wir
zukünftig die tatsächlichen Kosten einfließen lassen
können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Dieser Wert springt nun tatsächlich auf das Dreifache,
weil eine weitere Schadstoffklasse einbezogen werden
kann. Das ist gewollt und auch notwendig, damit zu-
künftig immer weniger Fahrzeuge unsere Umwelt durch
entsprechende Luftschadstoffe belasten. Das ist das poli-
tische Ziel, das wir verfolgen. Aber wir sagen auch in al-
ler Klarheit – damit gehe ich auf die Kritikpunkte ein –,
dass wir den Rechtsrahmen erweitern müssen. Wir wol-
len diesen Rechtsrahmen ausnutzen und ihn erweitern,
wenn es um die Luftbelastung geht.

Was ist heute schon möglich? Die Einbeziehung von
Kosten aus Lärmbelastung! Im Wegekostengutachten
steht allerdings ebenso deutlich drin – das weiß man,
wenn man es gelesen hat –, dass wir mit den bisher erho-
benen Daten die Belastungen durch Lärm eben nicht ab-
bilden können, was wir zukünftig aber tun wollen. Daher
kann das im vorliegenden Gesetzentwurf noch nicht ab-
gebildet werden. Unsere Forderung ist – der Minister
kennt sie ja –, den gegebenen europäischen Rahmen zu-
künftig dauerhaft auszuschöpfen, auch was den Lärm
angeht. Aber dazu müssen im neuen Wegekostengutach-
ten genauere Daten erhoben werden: Auf einem Raster
von 100 mal 100 Metern ist genau nachzuprüfen, wel-
cher Lärm an welcher Stelle entsteht. Dann geht das, was
Sie, liebe Kollegen von der Linken, wollen, tatsächlich
und nicht nur theoretisch bzw. in einer Rede hier am
Pult. Das wird zukünftig also der Fall sein. Das garan-
tiere ich Ihnen.


(Beifall bei der SPD)


Die Anlastung der Wegekosten, die tatsächlich entste-
hen, wird nicht nur mehr Einnahmen garantieren, sondern
auch dafür sorgen, dass die Umwelt stärker geschützt wird
und auch die Anwohnerinnen und Anwohner vor mehr
Lärm stärker geschützt werden. Mehr wollen wir an die-
ser Stelle auch nicht erreichen.

Da wir schon bei den Ausblicken sind: Natürlich
muss man auf der europäischen Ebene über einen Punkt
genau nachdenken. Wenn wir tatsächliche Wegekosten
abbilden und dauerhafte Einnahmen für die Finanzie-
rung unserer Infrastruktur erzielen wollen, sollten wir
uns Gedanken darüber machen, ob wir das von einem
Zinsniveau abhängig machen müssen. Wir wollen eine
verkehrsmengenabhängige Einnahme mit der Maut er-
zielen. Aber wir erleben auch, dass diese zum Teil we-
gen der Anrechnung der Zinskosten auf die Baukosten
bzw. das Anlagevermögen auch anderen Steuerungs-
effekten unterliegt. Zu entsprechenden Verzerrungen
wird es sowohl in Niedrigzinsphasen als auch in Hoch-
zinsphasen kommen. Deswegen würden wir es begrü-
ßen, dass man das europäische Rechtsregime an dieser
Stelle weiterentwickelt, damit dauerhaft ein kalkulierba-
rer Beitrag zur Finanzierung der deutschen Infrastruktur
geleistet wird, ohne das Speditionsgewerbe überzubelas-
ten.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Bleiben wir beim Ausblick. In der Weiterentwicklung
der Maut werden wir darauf zu achten haben, dass alle
Kostenfaktoren nach dem Verursacherprinzip angelastet
werden können. Den Hinweis auf die entsprechende
europäische Rahmenrichtlinie habe ich bereits gegeben.
Aber ebenso wird entscheidend sein, zukünftig die
Einbeziehung der Lkw zwischen 7,5 und 12 Tonnen zu
ermöglichen und auch die Ausweitung auf 1 100 Kilo-
meter zusätzliche Bundesstraßen – wie im Koalitions-
vertrag vereinbart – tatsächlich zu erreichen.


(Beifall bei der SPD)


Diese Aussage, die man auch dem Koalitionsvertrag un-
schwer entnehmen kann, möchte ich, da sie angespro-
chen wurde, nicht so einfach im Raum stehen lassen.

Uns ist die rechtlich sehr diffizile Situation angesichts
der vertraglichen Beziehungen zu Toll Collect und des
bevorstehenden Auslaufens des Vertrages sehr bewusst.
Den Betreibervertrag jedoch einfach zu verlängern,
schafft nicht zwangsläufig die gewünschte Klarheit, son-
dern möglicherweise auch neue Verunsicherung.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Denn wir riskieren damit möglicherweise, dass durch
Klagen abgewiesener Wettbewerber die Erzielung der
dringend benötigten zusätzlichen Einnahmen aus der er-
weiterten Mauterhebung verzögert wird.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist wahr!)


Das bestreitet doch niemand. Wir haben im Koalitions-
vertrag die Ausdehnung auf alle Bundesstraßen verein-
bart. Das sollte nicht dadurch gefährdet werden, dass wir
unnötigerweise zumindest kurzfristig auf das Ziehen der
Call-Option verzichten. Wir wollen doch die Infrastruk-





Sebastian Hartmann


(A) (C)



(D)(B)

tur dauerhaft durch einen angemessenen Nutzerbeitrag
finanzieren.

Ich danke Ihnen, meine Damen und Herren, für die
Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805429800

Nächste Rednerin ist die Kollegin Dr. Valerie Wilms,

Bündnis 90/Die Grünen.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1805429900

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Ich

freue mich tatsächlich, heute hier in diesem Plenarsaal
über ein neues Mautgesetzt sprechen zu können. Ganz
sicher kann man sich da ja nicht immer sein. Die Koali-
tion sitzt Debatten in letzter Zeit auch gerne aus.

Erst gestern haben die Damen und Herren der Koali-
tion dafür gesorgt, dass der Verkehrsausschuss mundtot
gemacht wurde. Mit ihrer Mehrheit haben sie eine De-
batte mit Fachleuten über die unsägliche CSU-Maut, das
Dobrindt’sche Pickerl,


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


verhindert, obwohl sie die Anhörung vorher selbst mit-
beschlossen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN: Unglaublich!)


Die Koalition weiß, warum: Die CSU-Maut wird einer
fachlichen Prüfung nicht standhalten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Verehrte Kolleginnen und Kollegen, nun zur Lkw-
Maut. Sie soll durch den eingebrachten Gesetzentwurf
gesenkt werden. Das ist eine völlig verkehrte Welt. Seit
Jahren beschäftigen sich Kommissionen mit fehlenden
Mitteln zum Erhalt der Verkehrswege. Die Infrastruktur
als Basis unseres Wohlstands bröckelt weg. Lkw sind für
98 Prozent der Straßenschäden verantwortlich. Sie ver-
schleißen die Verkehrswege etwa 60 000-mal stärker als
Pkw. Man muss sich auf der Zunge zergehen lassen, was
dieser Verkehrsminister anrichtet.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)


Während Straßen und Brücken wegbröckeln, sollen die
Hauptverursacher weniger zahlen. Das ist völlig absurde
Politik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie machen die Probleme größer, statt sie zu lösen. Der
Verkehrsminister macht es sich einfach, wenn er mit
dem Finger auf Europa zeigt. Der Sinn der europäischen
Richtlinie ist Kostenwahrheit. Nutzer von Verkehrswe-
gen sollen für die Schäden zahlen, die sie verursachen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wenn Sie Ihr Auto
verleihen und es anschließend mit einer Beule zurückbe-
kommen, dann holen Sie sich doch die Kosten für die
Schadensbeseitigung sicherlich vom Verursacher. Das ist
ganz simpel und für jeden nachvollziehbar. Aber leider
halten wir uns nicht daran, wenn es um öffentliches Ei-
gentum geht. Als Eigentümer stellt die öffentliche Hand
ein Verkehrsnetz zur Verfügung, und sie bezahlt auch
noch dafür, wenn es kaputtgefahren wurde. Das kann
nicht funktionieren, hier muss sich etwas ändern, und
zwar dringend.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Der Straßenverkehr verursacht durch Unfälle, Lärm,
Luftverschmutzung und Klimawandel Schäden von etwa
88 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Kosten werden zum
größten Teil – auch Kollege Hartmann ist schon darauf
eingegangen – nicht von den Verursachern, sondern von
der gesamten Gesellschaft getragen. Das können wir
nicht weiter so hinnehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Leider geht die Koalition mit dem vorliegenden Ge-
setz genau den entgegengesetzten Weg. Es verursacht
höhere Kosten für die Allgemeinheit, und es schadet der
Umwelt und dem Klimaschutz, weil der klimaschäd-
lichste Verkehrsträger billiger wird.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Genau! Das ist der Punkt!)


Dabei gibt es auch einen anderen Weg. Die EU-Richt-
linie erlaubt ausdrücklich, einen Teil der externen Kos-
ten bei der Mauthöhe zu berücksichtigen. Das ist seit
2011, seit der letzten Wahlperiode, möglich. Aber auch
drei Jahre danach fehlen im Verkehrsministerium noch
immer die technischen Voraussetzungen zur Einbezie-
hung der Lärmkosten. Man muss es sagen, wie es ist:
Das Ministerium unter CSU-Führung macht einfach sei-
nen Job nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Es hat erstens bei der Berücksichtigung der Lärmkosten
innerhalb der Lkw-Maut gepennt, und es hat zweitens
bei der Verlängerung des Vertrages mit dem Mauteintrei-
ber Toll Collect gepennt. Im Ergebnis heißt das: Die
Lkw-Maut muss sinken und kann auf absehbare Zeit
nicht auf alle Bundesstraßen ausgeweitet werden. Es ist
eine katastrophale Politik, die Sie hier zeigen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Insgesamt gehen uns damit jährlich über 2 Milliarden
Euro verloren. Das ist die Verantwortung der CSU-
Minister Ramsauer und jetzt Dobrindt. Stattdessen reden
Sie seit Jahren von einer Pkw-Maut für Ausländer, die
nicht funktionieren wird und kein Geld einbringt. Sie
schaffen neue Probleme, statt bestehende zu lösen. Das
ist leider die bittere Wahrheit.

Danke.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805430000

Abschließender Redner in dieser Debatte ist der Kol-

lege Karl Holmeier, CDU/CSU.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karl Holmeier (CSU):
Rede ID: ID1805430100

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Frau Wilms, ich weiß nicht, ob das eine Märchenstunde
war. Ich will Ihnen aber sagen: Wir hatten einen guten
Verkehrsminister Ramsauer,


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


haben einen guten Verkehrsminister Dobrindt,


(Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na ja!)


und wir machen eine gute Verkehrspolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Na ja!)


Wenn man sich die Misere anschaut und fragt, warum
wir zu wenig Geld haben, dann muss man zehn Jahre zu-
rückgehen. Als die Maut eingeführt wurde, hat man die
Haushaltsmittel reduziert. Das war die Ursache, und da-
ran knabbern wir noch.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war denn im Jahr 2005 in der Regierung? – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Die Große Koalition!)


– Wir nicht!

Im März dieses Jahres wurde das neue Wegekosten-
gutachten zur Berechnung der Lkw-Mautsätze vorgelegt.
Aufgrund gesunkener Zinskosten müssen die Lkw-
Mautsätze im Vergleich zum Vorgängergutachten aus
dem Jahr 2007 reduziert werden. Wir werden das umset-
zen. An dieser Reduzierung führt kein Weg vorbei.

Nach den vorliegenden Berechnungen werden durch
die Reduzierung der Mautsätze und nach der aktuellen
Gesetzeslage bis zum Jahr 2017 etwa 2 Milliarden Euro
fehlen. Wir haben diese 2 Milliarden Euro natürlich ein-
geplant. Wir werden das, was wir als Koalition im Be-
reich der Verkehrsinfrastruktur versprochen haben, auch
umsetzen.

Blicken wir zurück: Im Jahr 2003 waren es noch
4,65 Milliarden Euro Investitionsmittel für den Bereich
Straße. Im Jahr 2017 werden es 6,06 Milliarden Euro
sein. Frau Wilms, das ist eine gewaltige Steigerung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehen
zu den Ansprüchen, die wir selbst an unsere hervorra-
gende Verkehrspolitik haben.


(Lachen beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der LINKEN: Oh! – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nur Bröckelbrücken!)


Es freut mich sehr – ich danke dem Finanzministerium –,
dass nach Bekanntwerden der Mindereinnahmen bei der
Lkw-Maut der Bundesfinanzminister sofort zugesagt
hat: Diese Lücke werden wir aus dem Haushalt schlie-
ßen. – Das ist eine ressortübergreifende hervorragende
Infrastrukturpolitik.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Das neue Wegekostengutachten wird uns verkehrs-
politisch nicht ausbremsen. Der Koalitionsvertrag ist
gut, und wir werden ihn einhalten.


(Matthias Gastel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Alles super!)


Wir halten ohne Wenn und Aber an den zugesagten
5 Milliarden Euro mehr für Investitionen in die öffentli-
che Verkehrsinfrastruktur in dieser Wahlperiode fest. Ich
wiederhole: 5 Milliarden Euro zusätzlich für vier Jahre.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da müsste man die Mindereinnahmen gegenrechnen!)


Man könnte sich natürlich mehr wünschen, aber diese
5 Milliarden Euro sind ein riesiger Erfolg, ein Erfolg im
Hinblick auf die Investitionen.

Ein Erfolg ist auch der Haushalt 2015, der nach 1969
– denken Sie zurück! – erstmals ein Haushalt ohne neue
Schulden ist. Wer war das damals? Ein Mann von der
CSU: Franz Josef Strauß.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. André Hahn [DIE LINKE]: Wer wohl sonst!)


Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf nehmen wir die
Ergebnisse des Wegekostengutachtens auf. Wir entwi-
ckeln die Lkw-Maut zukunftsfest und vor allem ökolo-
gisch weiter. Bislang haben wir in Deutschland bei der
Berechnung der Lkw-Maut lediglich die allgemeinen In-
frastrukturkosten angelastet. Wir reformieren die Lkw-
Maut im Einklang mit dem europäischen Recht. Nach
dem Gesetzentwurf werden wir dem Schwerlastverkehr
die durch ihn verursachte Luftverschmutzung anlasten.
Neben einer ökologischen Lenkungswirkung, nämlich
hin zu verbrauchsärmeren Lkw, hat die Anlastung der
Luftverschmutzung auch Mehreinnahmen zur Folge. So
können wir die Mindereinnahmen bei der Lkw-Maut
teilweise ausgleichen.

Auch das wurde bereits angesprochen: Wir haben in
der Finanzplanung 460 Millionen Euro zusätzliche Ein-
nahmen vorgesehen. Bis zum Jahr 2017 wird sich das
auf insgesamt 1,08 Milliarden Euro erhöhen.

Wir stärken den Umweltfaktor beim Lkw-Verkehr, in-
dem wir eine eigene günstige Mautklasse für besonders
umweltfreundliche Fahrzeuge einführen – das ist Um-
weltpolitik –, und zwar für die Euro-6-Klasse.


(Stephan Kühn [Dresden] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hätte Ramsauer schon machen müssen!)


So schaffen wir Anreize für unsere Speditionen, in einen
modernen verbrauchsarmen Fuhrpark zu investieren.

Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf kommt die
Bundesregierung auch den Forderungen des Transport-





Karl Holmeier


(A) (C)



(D)(B)

gewerbes und der Handwerkerschaft im ländlichen Be-
reich nach. Das aktuelle Wegekostengutachten sah für
Bundesstraßen höhere Mautsätze vor als für Autobah-
nen. Das, meine sehr verehrten Damen und Herren, ha-
ben wir im Gesetzentwurf nicht übernommen. Die Maut-
sätze auf Autobahnen und Bundesstraßen werden somit
die gleiche Höhe haben. Gerade das ist für den ländli-
chen Raum von großer Bedeutung.

Weitere Termine stehen an. Wir beabsichtigen, ab
dem 1. Juli 2015 die Mautpflicht auf weitere 1 000 Kilo-
meter autobahnähnliche Bundesstraßen auszuweiten. So
können bis 2017 Mehreinnahmen von rund 500 Millio-
nen Euro erzielt werden.

Schließlich planen wir, die Grenze, ab der die Lkw-
Maut zu zahlen ist, zum 1. Oktober 2015 von 12 Tonnen
auf 7,5 Tonnen zu senken. Die erwarteten Mehreinnah-
men belaufen sich bis 2017 auf circa 200 Millionen
Euro.

Zum 1. Juli 2018 wird, wie es im Koalitionsvertrag
steht, die Mautpflicht für Lkw auf alle Bundesstraßen in
Deutschland ausgeweitet.

Ich stelle fest – Frau Wilms, passen Sie auf –: Unser
Verkehrsminister und die Große Koalition haben die
nachhaltige Entwicklung einer ökologischen Lkw-Maut
fest im Griff und auch im Blick. Wir werden die Lkw-
Maut in Deutschland zukunftssicher weiterentwickeln.
Deshalb bitte ich um Ihre Zustimmung.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, verehrte
Frau Wilms, auch die Pkw-Vignette ist auf einem guten
Weg.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da bin ich aber gespannt! In welchem Jahr denn?)



Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805430200

Damit schließe ich die Aussprache zu diesem Tages-

ordnungspunkt.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/2444 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weil
ich keine anderen Vorschläge dazu feststellen kann, gehe
ich davon aus, dass Sie alle einverstanden sind. Somit ist
die Überweisung beschlossen.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Zweiten Gesetzes
zur Änderung des Mikrozensusgesetzes 2005
und des Bevölkerungsstatistikgesetzes

Drucksache 18/2141
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)

Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz

Nach meiner Information sollen die Reden dazu zu
Protokoll gegeben werden. – Dagegen erhebt sich kein
Widerspruch. Dann sind Sie damit einverstanden.

Andrea Lindholz (CSU):
Rede ID: ID1805430300

Franz Josef Strauß war bekannt für seinen scharf-

züngigen Humor. Selbst die Statistiker waren vor sei-
nen Sticheleien nicht sicher. So soll Strauß gespottet
haben: Wenn man den Kopf in der Sauna hat und die
Füße im Kühlschrank, sprechen Statistiker von einer
angenehmen mittleren Temperatur. – Dieses Zitat
zeugt nicht nur von dem berüchtigten Humor des
Herrn Strauß, sondern auch von dem etwas ambi-
valenten Verhältnis, das die Politik gegenüber der Sta-
tistik pflegt.

Einerseits wird die Statistik gerne belächelt. Nur
wenige interessieren sich dafür, wie unsere Statistiken
entstehen. Andererseits berufen gerade wir Politiker
uns ständig auf alle möglichen Statistiken. Statistische
Erkenntnisse helfen uns dabei, Probleme zu erkennen,
sie beeinflussen unseren Blick auf die Realität und un-
termauern unsere Argumente. Statistik spielt also eine
entscheidende und häufig unterschätzte Rolle im poli-
tischen Diskurs.

Angesichts des Einflusses, den gerade auch der
Mikrozensus auf die Politik hat, ist es zweifellos gebo-
ten, sich die Hintergründe dieser Statistik genauer
anzusehen. Seit 1957 liefert uns der Mikrozensus
Informationen über die Bevölkerungsstruktur, zur
wirtschaftlichen und sozialen Lage der Menschen, zu
Familie und Lebenspartnerschaft, Arbeitsmarkt und
Erwerbstätigkeit, Beruf und Ausbildung. Im Gegensatz
zum großen Zensus wird der Mikrozensus jedes Jahr
erhoben. Ein Prozent der Gesamtbevölkerung, also
rund 830 000 Personen in 370 000 Haushalten, wer-
den dafür befragt.

Wer durch das Zufallsverfahren ausgewählt wurde,
ist gesetzlich zur Teilnahme über mehrere Jahre hin-
weg verpflichtet. Der Fragebogen des Mikrozensus
2014, der zugleich der Stichprobenerhebung über
Arbeitskräfte in Europa dient, umfasst immerhin
186 Fragen. Die Befragten müssen also in erhebli-
chem Maße Zeit opfern. Das muss man berücksichti-
gen.

Mit der vorliegenden Gesetzesänderung werden
nun auch mehrmalige Befragungen einer Person in-
nerhalb eines Jahres eingeführt. Diese sogenannten
unterjährigen Befragungen können einen nicht uner-
heblichen zeitlichen Mehraufwand für die Teilnehmer
bedeuten. Hintergrund dieser Neuerung sind anste-
hende Änderungen einer entsprechenden EU-Verord-
nung.

Ich begrüße es sehr, dass – parallel zum zeitlichen
Mehraufwand infolge der unterjährigen Befragungen –
darauf geachtet wird, die Gesamtbelastung für die
Teilnehmer zu reduzieren. Dazu soll vor allem der ver-
stärkte Einsatz elektronischer Befragungselemente,
sprich Internet oder Telefon, dienen. Zudem sollen die
Befragten durch eine umfassende Reform der gesam-
ten Haushaltserhebung entlastet werden. Wir müssen
nur darauf achten, dass die Entlastungen bei den Teil-
nehmern effektiv ankommen.





Andrea Lindholz


(A) (C)



(D)(B)

Zweifellos lohnt sich die Mühe aber. Der Mikrozen-
sus wurde sukzessive verfeinert. Die Weiterentwick-
lung des Mikrozensus ist in gewisser Hinsicht ein Spie-
gelbild der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in
Deutschland. Zum Beispiel unterschied der Mikrozen-
sus bis 2005 lediglich zwischen Deutschen und Aus-
ländern. Die Tatsache, dass inzwischen 20 Prozent der
deutschen Bevölkerung einen Migrationshintergrund
haben, fiel bis dato unter den Tisch. Gerade solche
Zahlen sind aber entscheidend, wenn über die Frage
diskutiert wird, ob Deutschland ein Einwanderungs-
land ist oder nicht. Manch einer in Deutschland stellt
diese Tatsache ja immer noch infrage.

Dank des modernen Mikrozensus können wir solche
Diskussionen beenden und uns den wirklich relevanten
Fragen zuwenden. Zum Beispiel: Wie wird Deutsch-
land attraktiv für die dringend benötigten gut ausge-
bildeten Migranten? Wie stellen wir deren Integration
sicher und erhalten die Akzeptanz für Migration in
Deutschland? – Auch zu diesen Fragen liefert uns der
Mikrozensus immer wieder wichtige Anhaltspunkte.

Die Weiterentwicklung des Mikrozensus mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf ist daher zu begrüßen.


Dr. Tim Ostermann (CDU):
Rede ID: ID1805430400

Wir leben bekanntermaßen in einer Wissensgesell-

schaft. In einer solchen Gesellschaft stellen Wissen und
Informationen zunehmend die Basis von politischen
Entscheidungen sowie des sozialen und ökonomischen
Zusammenlebens dar. Vor allem die Aufbereitung und
Organisation von Informationen in Statistiken haben
dabei eine große Bedeutung erlangt.

Kaum ein Lebensbereich kommt heute noch ohne
Statistiken aus. Dies fängt schon beim Lieblingssport
der Deutschen an: dem Fußball. Ohne Ballbesitzstatis-
tik, Gelaufene-Kilometer-Statistik, Passstatistik oder
die sogenannten Heatmaps scheint heute kein Fußball-
kommentator mehr seine Berichterstattung absolvie-
ren zu können. In den Profiklubs werden solche Statis-
tiken längst zur konsequenten Weiterentwicklung ihres
Spielvortrags genutzt.

Jedes Wirtschaftsunternehmen muss sich stark auf
statistische Werte stützen: Wie viele Produkte haben
wir in einem bestimmten Zeitraum abgesetzt? Wohin
setzen wir welchen Anteil unserer Produkte ab? Wie
stark ist die Resonanz auf unsere Werbestrategie? Wie
entwickeln sich die Kosten? Ohne diese Statistiken
lässt sich ein moderner wirtschaftlicher Betrieb nicht
mehr steuern. Die Unternehmen hätten keine belast-
bare Grundlage für ihre Geschäftsstrategie oder ihre
Investitionsentscheidungen.

Für die Politik spielen Statistiken ebenfalls eine
große Rolle. Nur mit der statistischen Erfassung von
Informationen können wirtschaftliche oder gesell-
schaftliche Trends überhaupt identifiziert werden.
Wenn bestimmte Entwicklungen negative Folgen nach
sich ziehen, kann die Politik entsprechende Gegen-
maßnahmen einleiten. Positive Entwicklungen können
verstärkt werden.

Ein Beispiel, das jedem sofort in den Sinn kommen
dürfte, ist der demografische Wandel. Nur durch die
statistische Erfassung der Geburten und der Lebenser-
wartung sind wir in der Lage, die problematische
Entwicklung schon jetzt zu identifizieren und gegenzu-
lenken.

Unverzichtbar ist jedoch die Qualität der Statisti-
ken; denn ansonsten würden Entscheidungen auf völ-
lig falscher Grundlage getroffen. Welche konkreten
Auswirkungen dies haben kann, haben wir erst kürz-
lich bei den Ergebnissen der Volkszählung betrachten
können. In allen Bundesländern wichen die tatsächli-
chen Bevölkerungszahlen derart ab, dass der Länder-
finanzausgleich völlig neu berechnet werden musste.

Um die Qualität der staatlichen Statistiken geht es
auch in unserem heutigen Gesetzentwurf, der aus zwei
Teilen besteht. Einerseits soll in das Mikrozensus-
gesetz, welches die Erhebung von Daten über unsere
Gesellschaft regelt, wie etwa die Bevölkerungsstruktur,
die wirtschaftliche und soziale Lage der Bevölkerung
oder die Erwerbstätigkeit, eine Experimentierklausel
eingeführt werden. Hintergrund dieser Klausel ist die
Änderung einer EU-Verordnung, die Stichprobenerhe-
bungen über Arbeitskräfte regelt. Zur Vorbereitung auf
die Veränderungen soll bereits jetzt eine gewisse Zahl
an Erhebungen unter den veränderten Erhebungs-
bedingungen stattfinden. Dadurch können etwaige
Probleme in der Datenerhebung schon während der
Experimentierphase erkannt und behoben werden.

Der zweite Teil ist eine Änderung des Bevölkerungs-
statistikgesetzes, welches die Ermittlung der Zahl und
der Zusammensetzung der Bevölkerung regelt. Hier
hat sich gezeigt, dass weitere Hilfsmerkmale die Qua-
lität der Statistik verbessern können, insbesondere im
Hinblick auf die Bestimmung der Einwohnerzahl und
deren Fortschreibung. Dabei entsteht keine weiter ge-
hende Belastung der Bürger, da die Daten bereits in
verschiedenen Verwaltungsdatensätzen existieren. Sie
müssen lediglich dem Statistischen Bundesamt anony-
misiert zur Verfügung gestellt werden.

Ich sehe den Gesetzentwurf sehr positiv. Aus meiner
Sicht ist hier ein guter Gesetzentwurf gelungen, der
unmittelbare Verbesserungen für unsere staatlichen
Statistiken mit sich bringt. Nur wenn unsere statisti-
schen Grundlagen stimmen, kann die Politik Maßnah-
men zum Wohle der Gesellschaft ergreifen. Mit diesen
Gesetzesänderungen gehen wir einen weiteren Schritt
in die richtige Richtung.


Matthias Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1805430500

Wir behandeln heute in erster Lesung einen Gesetz-

entwurf zur Änderung des Mikrozensusgesetzes und
des Bevölkerungsstatistikgesetzes. Statistische Erhe-
bungen sind die Grundlage für viele Lebensbereiche,
die uns umgeben. Für den Kindergarten um die Ecke,
für Schulen, Krankenhäuser oder sogar die Taktzeiten
Zu Protokoll gegebene Reden





Matthias Schmidt (Berlin)



(A) (C)



(D)(B)

der Bahn. Sie sind die Basis für sämtliche Planungen
der Länder und Kommunen sowie auch für die Wirt-
schaft. Das gesamte Gemeinwesen fußt auf dieser Zah-
lengrundlage. Lassen Sie mich Ihnen das über folgen-
des Szenario näherbringen:

Stellen Sie sich einmal vor, wir würden auf Erhebun-
gen, wie den Mikrozensus oder vergleichbare Statisti-
ken verzichten. Wie Sie alle wissen, werden dafür bei
der Bevölkerung Daten erhoben, so zur Bevölkerungs-
struktur, zur Familie und Lebenspartnerschaft, zu Be-
ruf und Ausbildung, zu Erwerbsbeteiligung und Be-
schäftigung, um nur einige der Daten zu nennen.
Greifen wir uns die Daten zur Familie einmal heraus.
Ohne die Daten zu der Anzahl der Familien in
Deutschland, der Anzahl und dem Alter der Kinder,
der Zahl der Frauen und Männer, die ihre Kinder al-
leine erziehen, stünden wir familienpolitisch im Nebel.

Wir wüssten dann nicht, wie hoch der Bedarf an
Horten, Kitas, Grundschulen, Kinderärzten oder
Spielplätzen ist. Wir müssten in den Kommunen „pi
mal Daumen“ Einrichtungen schaffen, um die Fami-
lien zu versorgen. Ganze Stadtteile wären in Zeiten
knapper Kassen tendenziell unterversorgt, und das mit
dramatischen Folgen. Frauen könnten keiner Er-
werbstätigkeit nachgehen, da sie keine Betreuung für
ihre Kinder fänden. Die Kinder würden in ihrer Wohn-
nähe keine Spiel- oder Abenteurerplätze finden, und
was wäre bei einer Erkrankung der Kleinen? Die Wege
zu Kinderärzten oder Krankenhäusern wären mögli-
cherweise mit langen Wegstrecken verbunden, weil die
Kommunen nicht zielgenau planen konnten. Auch
könnten viele Kinder von der vorschulischen Bildung
in den Kitas nicht profitieren und hätten damit
schlechtere Ausgangschancen. Werfen wir auch einen
Blick auf alleinerziehende Frauen. Wir wüssten gar
nicht, wie viele von ihnen einer besonderen Förderung
bedürfen, und könnten unsere Arbeitsmarktpolitik
nicht daran orientieren und entsprechend gestalten.

Auch die Finanzausstattung der Länder wäre ein
Lotteriespiel mit Konsequenzen. Ohne eine Einwoh-
nerzahl könnten weder Länder noch Kommunen ver-
nünftig planen. Nun stellen Sie sich einmal vor, was
das für Berlin bedeuten würde: Straßen würden nicht
gebaut, weil man den Finanzierungsaufwand scheuen
müsste, Wohnungen wohlmöglich gar abgerissen, weil
die demografische Entwicklung nicht abgeschätzt wer-
den könnte. Die Anzahl an Pflegeeinrichtungen würde
einem Zufallsprodukt entsprechen.

Auch privatwirtschaftliche Investitionen kämen zum
Erliegen. Unternehmen würden kein Kapital darauf
verwenden, in eine unkalkulierbare geschäftliche Zu-
kunft zu investieren. Neue Standorte, Expansionen
oder die Entwicklung neuer Geschäftsbereiche stün-
den infrage. Und davon wäre dann auch der Arbeits-
markt betroffen. Welches Unternehmen würde schon
ausbilden oder einstellen, wenn die Entwicklung auf
der Grundlage von statistischen Daten nicht planbar
wäre? Das wiederum hätte verheerende Konsequenzen
für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung unserer Ge-
sellschaft.

In einem Bereich würde auch uns Abgeordnete das
unmittelbar betreffen. Auf Basis der Bevölkerungs-
anzahl werden die Wahlkreise zugeschnitten. Wer von
uns würde schon wollen, dass das ein Zufallsprodukt
würde? Auch die wichtigen Aussagen der Wahlstatistik
gingen verloren, und diese ist gesamtgesellschaftlich
von erheblicher Bedeutung. Wie ist es um unsere De-
mokratie bestellt? Ohne Wahlstatistik muss diese
Frage offen bleiben. Die Szenarien ließen sich noch
lange fortsetzen – alle mit einem beängstigenden Er-
gebnis: Politik, Wirtschaft und Gesellschaft würden
ihre Entscheidungsgrundlage verlieren. Der Wert von
statistischen Erhebungen ist beträchtlich – da sind wir
uns sicher einig.

Nun ist die Statistik tatsächlich auch in keiner Weise
gefährdet – im Gegenteil. Mit den Ihnen vorliegenden
Änderungen im Mikrozensusgesetz und im Bevölke-
rungstatistikgesetz werden wir sie vielmehr qualifizie-
ren. Anlass ist die gemeinsam mit dem Mikrozensus
durchzuführende EU-Stichprobenerhebung für Ar-
beitskräfte. Eine geplante Veränderung in der EU-
Verordnung macht es erforderlich, dass auch die natio-
nalen Gesetze verändert werden. So ist in dem Gesetz-
entwurf vorgesehen, das Mikrozensusgesetz um eine
Experimentierklausel zu ergänzen. Damit können neue
Erhebungsverfahren erprobt werden, um die Qualität
der Statistik zu verbessern. Eine damit verbundene
Zielrichtung ist, befragte Bürgerinnen und Bürger zu
entlasten, indem Erhebungen zusammengefasst wer-
den. In der Bevölkerungsstatistik können durch die Ge-
setzesänderung weitere Merkmale erhoben werden.
Diese Änderung ist notwendig, weil mit dem Inkrafttre-
ten des Bevölkerungsstatistikgesetzes am 1. Januar
2014 einige „handwerkliche Mängel“ offenbar wur-
den. Wir korrigieren diese nun und ermöglichen da-
durch die Fortschreibung der Statistik. Es sind kleine
Änderungen mit viel Gewicht, die uns wie vielen ande-
ren Stellen die Arbeit erleichtern. Wir werden diese
Änderungen in den Ausschüssen erörtern.

Lassen Sie mich am Ende noch einmal auf die Men-
schen kommen, die tagtäglich an den Statistiken arbei-
ten und diese fortentwickeln. Sie leisten mir ihrer
Arbeit einen überaus wichtigen gesellschaftlichen Bei-
trag. Ihnen möchte ich an dieser Stelle ganz herzlich
für den engagierten Einsatz danken, von dem wir alle
profitieren.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, vielen Dank. Ich
freue mich auf die Beratung mit Ihnen!


Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1805430600

Mit dem hier heute zur Debatte stehenden Entwurf

eines Gesetzes zur Änderung des Mikrozensusgesetzes
2005 und des Bevölkerungsstatistikgesetzes soll einer
bevorstehenden Novellierung der EU-Verordnung

(EG) Nr. 577/98 des Rates vom 9. März 1998 ent-

sprochen werden. Durch die bereits 1968 erfolgte
Zu Protokoll gegebene Reden





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)

Kopplung des Mikrozensus mit der EU-Arbeitskräfte-
erhebung erscheint eine entsprechende Anpassung fol-
gerichtig. Die beabsichtigten Änderungen sind zwar
übersichtlich, haben aber durchaus relevante Auswir-
kungen.

Worum geht es im Detail? Beim Mikrozensus wer-
den vier Jahre lang jährlich circa 830 000 Bürgerin-
nen und Bürger zu Auskünften auf detaillierte persön-
liche Fragen verpflichtet, deren Beantwortung nach
Angaben des Statistischen Bundesamtes je nach Fall
rund eine halbe Stunde dauern soll. Zudem werden je-
weils 200 000 Bürgerinnen und Bürger zu Auskünften
auf weitere Fragen verpflichtet, deren Beantwortung
zusätzliche 15 Minuten in Anspruch nimmt. Wenn man
sich der Beantwortung der Fragen verweigert, wird
man mit Zwangsgeldern von bis zu 5 000 Euro bzw. ge-
gebenenfalls Beugehaft bestraft. Seit dem 15. März
1998 schreibt die EU-Verordnung zur Durchführung
einer Stichprobenerhebung über Arbeitskräfte in der
Gemeinschaft ein sogenanntes unterjähriges Erhe-
bungskonzept vor. Das heißt nichts anderes, als dass
die Betroffenen nicht einmal, sondern mehrmals jähr-
lich befragt werden sollen. Das bis heute gültige
Mikrozensusgesetz lässt bislang aber eine unterjährige
Erhebung nicht zu. Übergangsweise konnte Deutsch-
land bei seinem davon abweichenden Erhebungs-
konzept bleiben. Damit soll nun aber Schluss sein. Zu-
dem sollen die Erhebungen vermehrt elektronisch
durchgeführt werden, zum Beispiel per Telefon oder
Internet – ein aus Datenschutzsicht nicht unproblema-
tisches Unterfangen. Dazu später mehr.

Meine Fraktion hatte das Mikrozensusgesetz 2005
abgelehnt, weil aus unserer Sicht und nach Auffassung
vieler Bürgerrechtlerinnen und Bürgerrechtler, seine
Notwendigkeit nicht konkret nachgewiesen, der Um-
fang der Datenabfrage ausufernd und teilweise unver-
ständlich bis diskriminierend gewesen ist. An dieser
grundsätzlichen Kritik halten wir fest. Doch selbst
wenn man die Auffassung vertritt, dass der Mikrozen-
sus zur Erfüllung legitimer Zwecke nötig und un-
verzichtbar ist, dann erfordert die Verhältnismäßigkeit
eben, dass es dann tatsächlich bei den Maßnahmen
bleibt, die der jeweilige legitime Zweck, beispielsweise
die Organisation des Länderfinanzausgleichs, erfor-
dert. Für die Organisation des Länderfinanzausgleichs
muss ich aber nicht wissen, welcher Religion der jewei-
lige Bürger anhängt oder wer noch alles bei ihm in der
Wohnung lebt.

Mir ist im Übrigen auch kein einziger politischer
Bereich bekannt, in dem es in letzter Zeit wegen fehlen-
der „Daten“ zu problematischen Entscheidungen kam.
Es ist zum Beispiel seit vielen Jahren hinreichend be-
kannt, dass es hierzulande viel zu wenig Kinderbetreu-
ung gibt. Konkret fehlt es eben nicht an Daten, sondern
am politischen Willen, dieses Problem zu lösen. Thilo
Weichert, der Landesbeauftragte für den Datenschutz
in Schleswig-Holstein, hat das sehr richtig folgen-
dermaßen ausgedrückt: „Politische Fehlplanungen
basieren nicht auf fehlenden Daten, sondern auf der
falschen Bewertung vorhandener Daten“.

Aus unserer Sicht steht eine Zwangserhebung – und
darum geht es ja beim Mikrozensus – auch im Wider-
spruch zum Recht auf informationelle Selbstbestim-
mung. Hier muss man sich doch die Frage stellen, ob
der Staat und die Statistiker heutzutage nicht endlich
auf die Mittel Auskunftszwang, Zwangsgelder und
Drohbriefe verzichten können, wenn sie Informationen
für bestimmte Projekte brauchen. Ich zumindest emp-
finde die gedankliche Unfähigkeit, Bürgerinnen und
Bürger zur freiwilligen Mitwirkung und Datenabgabe
bewegen zu wollen, tatsächlich als rückständig und
nicht innovativ. Dass die „Datenqualität“ bei einer
Mikrozensuserhebung auf Freiwilligkeit nicht auf-
rechterhalten werden könnte, halte ich zudem für
Zweckpropaganda auf Basis unbewiesener Gerüchte.
Wenn Sie jetzt im Mikrozensusgesetz eine sogenannte
„Experimentierklausel“ einfügen wollen, dann zeigen
Sie doch auch mal etwas Mut und experimentieren Sie
endlich mit einem ersten Freiwilligkeits-Praxistest.

Worum geht es heute noch? Das noch frische Bevöl-
kerungsstatistikgesetz soll nach Ihrem Willen gleich
mit aufgebohrt werden. Im Gesetzentwurf heißt es
diesbezüglich: „Das Bevölkerungsstatistikgesetz ist
am 1. Januar 2014 in Kraft getreten. Bei der Vorberei-
tung seiner Umsetzung hat sich herausgestellt, dass
weitere Hilfsmerkmale erforderlich sind, um die Qua-
lität der Statistik insbesondere im Hinblick auf die Ein-
wohnerzahl und deren Fortschreibung zu sichern und
zu verbessern.“

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich weiß zwar
nicht, wie es Ihnen geht, wenn Sie so etwas lesen oder
hören, aber bei mir führt das zu Zweierlei: Erstens
lässt es kein allzu großes Vertrauen in die Verfasser
wachsen, die derart schwerwiegende Probleme nicht
vorher erkannt haben. Zweitens ist das genau das, was
immer befürchtet wird: Zunächst wird ein Fuß in die
Tür gestellt, alle beteuern Datensparsamkeit, und nur
wenig später erweitert man dann die Datenerhebun-
gen oder Verwendungszwecke über den ursprüngli-
chen Zweck hinaus.

§ 13 a (1) Punkt 2 erlaubt die „vorübergehende“
Zusammenführung von personenbezogenen Daten der
Befragten (Hilfsmerkmale) mit deren weiteren Befra-
gungsergebnissen (Erhebungsmerkmalen). Zwar steht
dem die „Einwilligung der Betroffenen“ zuvor, aber
dass die Aufhebung der Anonymisierung statistischer
Daten im IT-System angelegt wird, besorgt mich und
lässt mich grundsätzlich an der Sicherheit der Anony-
misierung der Personendaten zweifeln. Rein sachlich
gibt es ja gar keine Anonymisierung, sondern lediglich
eine Pseudonymisierung. Dies ist aus meiner Sicht im
Jahr eins nach Snowden alles andere als ausreichend.

An dieser Stelle möchte ich Sie mal fragen, wer von
Ihnen schon einmal eine mehrjährige andauernde
Mikrozensus-Befragung hinter sich gebracht hat. Das
würde mich wirklich interessieren. Vor allem aber
Zu Protokoll gegebene Reden





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)

würde mich interessieren, ob diejenigen, die hier kei-
nerlei Problem mit all dem erkennen lassen, auch frei-
willig den 64 Seiten langen Fragebogen des derzeiti-
gen Mikrozensus und seine 164 Fragen zu zahlreichen
detaillierten persönlichen Angaben ausfüllen und
diese Daten den IT-Systemen des Statistischen Bundes-
amtes übergeben würden. Ich glaube, bei dem aktuel-
len Erhebungsdesign dürften das nicht allzu viele von
Ihnen ehrlichen Herzens behaupten.

Der Mikrozensus ist für viele von den Befragungen
Betroffenen schon heute eine große Belastung. Die ge-
plante mehrmalige Befragung der Leute pro Jahr
macht das noch viel schlimmer und erhöht den Druck
auf die Menschen. Dann von „kein zusätzlicher Erfül-
lungsaufwand für Bürgerinnen und Bürger“ zu spre-
chen, trifft es ja wohl nicht so ganz. Es sei denn, dass
die mehrmalige Befragung pro Jahr den gesamten
Befragungsprozess zeitlich reduzieren würde, wenn
also zum Beispiel gleich viel Befragungen in zwei statt
in vier oder fünf Jahren stattfinden. Ob das allerdings
beabsichtigt ist, wird aus Ihrem Gesetzentwurf über-
haupt nicht deutlich. So muss man wahrscheinlich viel
eher davon ausgehen, dass die Befragungen stattdes-
sen im Umfang erheblich ausgeweitet werden.

Die Möglichkeit einer Ausweitung der elektroni-
schen Befragungen zum Beispiel durch Telefoninter-
views halte ich aus Datenschutzgründen ebenfalls für
schlecht. Wer kann garantieren, dass durch diese
Praktiken nicht das Missbrauchsrisiko erheblich
steigt? Wer kann ernsthaft davon ausgehen, dass die
elektronisch erhobenen Daten angesichts immer neuer
Erkenntnisse über Überwachungs- und Ausspähprak-
tiken staatlicher und privater Stellen sicher sind?

Zu guter Letzt kommen wir zu den von Ihnen prog-
nostizierten Kosten. Nach Kostenkalkulationen des
Statistischen Bundesamtes sowie der statistischen
Ämter der Länder sollen durch die beabsichtigten Än-
derungen des Mikrozensusgesetzes 2005 und des Be-
völkerungsstatistikgesetzes bei Bund und Ländern ein-
malig Kosten in Höhe von insgesamt 872 601 Euro
entstehen. Beim Bevölkerungsstatistikgesetz entstehen
zusätzlich bei den Ländern jährliche Mehrkosten in
Höhe von mindestens 64 000 Euro. Außerdem heißt es
im Gesetzentwurf zu Mehrkosten beim BevStatG: „Für
die nach Landesrecht zuständigen Stellen, die durch
dieses Gesetz zu Datenlieferungen verpflichtet werden,
entstehen für die Anpassung von vorhandenen Soft-
warelösungen gegebenenfalls einmalige Kosten, die
angesichts der unterschiedlichen Gestaltung der
jeweiligen Fachverfahren nicht beziffert werden
können.“ Das ist ja nun nicht gerade sehr informativ.
Besitzen Sie denn nicht wenigstens eine Schätzung, mit
welchen Kosten die zuständigen Stellen zu rechnen
haben? Ohne wenigstens das annähernd absehen zu
können, kann man doch so eine Änderung nicht seriös
beschließen.

Zusammengefasst: Dieser Gesetzentwurf reiht sich
in die voranschreitende Katalogisierung des Bürgers
ein. Er setzt auf die Herrschaft der Zahl statt auf
Qualitätspolitik. Meine Fraktion plädiert hingegen für
das Prinzip der Freiwilligkeit bei Volkszählungen
jeder Art und für den konkreten Nachweis der Erfor-
derlichkeit von Zahlen für nachvollziehbare Zwecke.
Ich würde mich freuen, wenn auch Sie sich zu einer
Umkehr für mehr Freiheit, Datenschutz und Daten-
sparsamkeit durchringen könnten.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes werden
insgesamt rund 830 000 Personen in etwa 370 000 pri-
vaten Haushalten und Gemeinschaftsunterkünften stell-
vertretend für die gesamte Bevölkerung zu ihren Le-
bensbedingungen befragt.

Was so lapidar unter dem Stichwort Befragung
läuft, entpuppt sich für die davon Betroffenen oft als
ein mittlerer Alptraum: Endlose Fragebögen mit sehr
fein granulierten Fragen zu nahezu allen Lebensberei-
chen, das Ganze bußgeldbewehrt. Die Datenschutzbe-
hörden und auch die Abgeordneten des Deutschen
Bundestages wissen davon ein Lied zu singen: Keines-
falls kann von einer allgemeinen Akzeptanz dieses Ver-
fahrens in der Bevölkerung gesprochen werden, eine
anhaltend hohe Zahl von Eingaben und Zuschriften
der betroffenen Bürgerinnen und Bürger belegt dies.

Richtig ist: Die offiziellen Statistiken unserer Be-
hörden sorgen für eine informierte Politik. Sie stellen
deshalb ein wichtiges Merkmal rationaler und infor-
mierter Entscheidungsprozesse in Regierung wie im
Parlament dar. Wir erwarten aber, dass diese Verfah-
ren grundrechtsschonend und im Hinblick auf die er-
fassten Merkmale realitätsgerecht erfolgen.

Verfassungsrechtlich wie datenschutzrechtlich bleibt
es dabei: Wir haben es mit durchaus grundrechtsinten-
siven Eingriffen zu tun, da die Befragung über eine
Auskunftspflicht erzwungen wird und der Umfang der
Erhebungen zu sehr weitgehenden Profilen der betrof-
fenen Bürgerinnen und Bürger führt.

Die Rechtfertigungsanforderungen sind deshalb
hochzuhalten: Die strenge Zweckbindung des Statistik-
geheimnisses schützt vor unbefugten Weitergaben und
Zugriffen, die Datensätze verbleiben in ihrer primären
Nutzbarkeit als primär anonymisierte Informations-
quelle. Zusätzlich muss jedoch sichergestellt sein, dass
der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beim laufenden
Umbau des Verfahrens, wie wir es nun seit Jahren
schon erleben, gleichbleibend ernsthaft angewandt
wird.

Der vorliegende Entwurf enthält einmal mehr
– diesmal EU-bedingt – den Ausbau der zu erhebenden
Merkmale, und bei den sogenannten unterjährigen Be-
fragungen sattelt er zusätzlich auf: Die Betroffenen
sind nicht nur einmal jährlich, sondern mehrfach im
Jahr zu Angaben bezüglich ihrer Arbeitsverhältnisse
verpflichtet. Die gesetzlich vorgesehene Experimen-
tierklausel soll sicherstellen, dass die Statistikbehör-
Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)

den nicht unvorbereitet in die demnächst verpflichtend
zu realisierenden Erhebungsanforderungen gehen, das
erscheint nachvollziehbar.

Vor diesem Hintergrund begrüßen wir die Ankündi-
gung der Bundesregierung, diese Befragungen so weit
wie möglich reduzieren und auch insgesamt weitere
Entlastungen der Betroffenen bewirken zu wollen. Wir
erwarten von den Statistikbehörden, dass sie das ihnen
Mögliche tun, um sicherzustellen, dass das Verfahren
des Mikrozensus nicht uferlos weiter aufgeblasen wird,
weil dies am Ende womöglich wieder in eine grund-
sätzliche Auseinandersetzung zumindest über den obli-
gatorischen Charakter dieses Verfahrens münden
könnte.

Lassen Sie mich noch zu einem Sonderpunkt kom-
men, der zu unserer Linie der weiteren sachgerechten
Durchführung von Mikrozensen steht. Wenn schon Mi-
krozensus, dann ohne selektive Brille:

In der Antwort auf die Kleine Anfrage meiner Frak-
tion zum Thema „Regenbogenfamilien in Deutsch-
land“ gab die Bundesregierung zu, dass sie nichts von
der Lebensrealität von Regenbogenfamilien weiß. Ihre
einzigen Erkenntnisse basieren auf Erhebungen von
2006 und können daher nicht ernsthaft als aktuell und
ausreichend bewertet werden.

Mit der vorliegenden Novelle bekommt der Bundes-
tag nun die Chance, die immer wachsende Zahl von
Regenbogenfamilien endlich auch in der Bevölke-
rungsstatistik zu berücksichtigen.

Bei Begründungen von Lebenspartnerschaften soll
deshalb auch die Zahl der gemeinsamen Kinder der
Lebenspartnerinnen bzw. Lebenspartner übermittelt
werden. Dies kann relevant sein, wenn Kinder vor der
Begründung einer eingetragenen Lebenspartnerschaft
im Ausland angenommen wurden.

Auch bei Kindergeburten soll nicht nur die Angabe
übermittelt werden, ob die Eltern des Kindes miteinan-
der verheiratet sind, sondern auch, ob einer bzw. beide
der Eltern in einer bzw. zwei Lebenspartnerschaften
leben.

Und schließlich sollen Gerichte nicht nur bei ge-
richtlichen Entscheidungen über Ehesachen den sta-
tistischen Ämtern der Länder unter anderem die Zahl
der lebenden gemeinschaftlichen minderjährigen Kin-
der übermitteln. Auch bei Aufhebungen von Le-
benspartnerschaften soll das entsprechend geschehen.

Nur so werden wir der familiären Realität gerecht
und können zukünftig auch Familien, bei denen Kinder
bei zwei gleichgeschlechtlichen Partnern leben, auf ei-
ner fundierten Basis in die Familienpolitik einbezie-
hen.


Johannes Singhammer (CSU):
Rede ID: ID1805430700

Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-

wurfs auf Drucksache 18/2141 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. – Weil es
dazu keine anderweitigen Vorschläge gibt, ist die Über-
weisung damit beschlossen.

Damit sind wir am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung. Ich danke Ihnen allen recht herzlich für die
konzentrierte Beratung in den vergangenen Stunden und
wünsche Ihnen einen weiterhin angenehmen Abend und
später eine gute Nacht.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Freitag, den 26. September 2014, 9 Uhr, ein
und schließe damit die Sitzung.