Protokoll:
18048

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 18

  • date_rangeSitzungsnummer: 48

  • date_rangeDatum: 1. September 2014

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 14:02 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 17:04 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 18/48 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 48. Sitzung Berlin, Montag, den 1. September 2014 I n h a l t : Erinnerung an den Beginn des Zweiten Welt- krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4417 A Tagesordnungspunkt 1: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4417 C Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 4417 D Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 4421 C Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 4424 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4427 C Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4429 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4432 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 4433 B Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4434 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4436 B Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4437 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4438 C Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4439 D Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 4441 A Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4442 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4443 A Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4444 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4446 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4447 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Baehrens, Doris Barnett, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Willi Brase, Edelgard Bulmahn, Martin Burkert, Petra Crone, Dr. Daniela De Ridder, Elvira Drobinski-Weiß, Siegmund Ehrmann, Michaela Engelmeier, Dr. h. c. Gernot Erler, Dr. Johannes Fechner, Elke Ferner, Metin Hakverdi, Sebastian Hartmann, Marcus Held, Christina Jantz, Frank Junge, Josip Juratovic, Oliver Kaczmarek, Dr. Bärbel Kofler, Daniela Kolbe, Birgit Kömpel, Helga Kühn-Mengel, Hiltrud Lotze, Katja Mast, Dr. Rolf Mützenich, Ulli Nissen, Christian Petry, Sabine Poschmann, Dr. Simone Raatz, Stefan Rebmann, Andreas Rimkus, Annette Sawade, Ewald Schurer, Frank Schwabe, Dr. Carsten Sieling, Norbert Spinrath, Martina Stamm-Fibich, Sonja Steffen, Michael Thews, Franz Thönnes, Carsten Träger, Ute Vogt, Dirk Vöpel, Gülistan Yüksel, Dagmar Ziegler (alle SPD) zur Ab- stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Re- gierungserklärung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschließungsantrag „Huma- nitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ . . . . 4448 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Mindrup und Swen Schulz (Spandau) (beide SPD) zur Abstimmung über den von Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschlie- ßungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flücht- linge im Irak und Kampf gegen die Terroror- ganisation IS“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4449 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Florian Post und Claudia Tausend (beide SPD) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschlie- ßungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flücht- linge im Irak und Kampf gegen die Terroror- ganisation IS“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4449 D Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungser- klärung durch die Bundeskanzlerin einge- brachten Entschließungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf ge- gen die Terrororganisation IS“ der Abgeord- neten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4450 B Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4450 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 4451 A Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4451 D Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 4452 B Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4453 A Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . 4453 B Cansel Kiziltepe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4454 B Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . 4455 B Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4455 D Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 4456 B Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . 4457 B Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4458 A Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4458 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4417 (A) (C) (D)(B) 48. Sitzung Berlin, Montag, den 1. September 2014 Beginn: 14.02 Uhr
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    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4447 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken van, Jan DIE LINKE 01.09.2014 Albsteiger, Katrin CDU/CSU 01.09.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 01.09.2014 Binder, Karin DIE LINKE 01.09.2014 Buchholz, Christine DIE LINKE 01.09.2014 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 01.09.2014 Dr. Castellucci, Lars SPD 01.09.2014 Connemann, Gitta CDU/CSU 01.09.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 01.09.2014 Dr. Diaby, Karamba SPD 01.09.2014 Dittmar, Sabine SPD 01.09.2014 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Färber, Hermann CDU/CSU 01.09.2014 Ferlemann, Enak CDU 01.09.2014 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 01.09.2014 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 01.09.2014 Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 01.09.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 01.09.2014 Griese, Kerstin SPD 01.09.2014 Groneberg, Gabriele SPD 01.09.2014 Gunkel, Wolfgang SPD 01.09.2014 Gutting, Olav CDU/CSU 01.09.2014 Hagl-Kehl, Rita SPD 01.09.2014 Hänsel, Heike DIE LINKE 01.09.2014 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 01.09.2014 Heil (Peine), Hubertus SPD 01.09.2014 Höger, Inge DIE LINKE 01.09.2014 Hupach, Sigrid DIE LINKE 01.09.2014 Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 01.09.2014 Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 01.09.2014 Koeppen, Jens CDU/CSU 01.09.2014 Körber, Carsten CDU/CSU 01.09.2014 Kretschmer, Michael CDU/CSU 01.09.2014 Krichbaum, Gunther CDU/CSU 01.09.2014 Dr. Kühne, Roy CDU/CSU 01.09.2014 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 01.09.2014 Lehrieder, Paul CDU/CSU 01.09.2014 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 01.09.2014 Möhring, Cornelia DIE LINKE 01.09.2014 Müller-Gemmeke, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 01.09.2014 Nord, Thomas DIE LINKE 01.09.2014 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Petzold, Ulrich CDU/CSU 01.09.2014 Rabanus, Martin SPD 01.09.2014 Reichenbach, Gerold SPD 01.09.2014 Roth (Heringen), Michael SPD 01.09.2014 Saathoff, Johann SPD 01.09.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 4448 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Baehrens, Doris Barnett, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Willi Brase, Edelgard Bulmahn, Martin Burkert, Petra Crone, Dr. Daniela De Ridder, Elvira Drobinski-Weiß, Siegmund Ehrmann, Michaela Engelmeier, Dr. h. c. Gernot Erler, Dr. Johannes Fechner, Elke Ferner, Metin Hakverdi, Sebastian Hartmann, Marcus Held, Christina Jantz, Frank Junge, Josip Juratovic, Oliver Kaczmarek, Dr. Bärbel Kofler, Daniela Kolbe, Birgit Kömpel, Helga Kühn-Mengel, Hiltrud Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Schieder, Marianne SPD 01.09.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 01.09.2014 Dr. Schlegel, Dorothee SPD 01.09.2014 Dr. Schröder (Wiesbaden), Kristina CDU/CSU 01.09.2014 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 01.09.2014 Spiering, Rainer SPD 01.09.2014 Steinbach, Erika CDU/CSU 01.09.2014 Strenz, Karin CDU/CSU 01.09.2014 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Dr. Verlinden, Julia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 01.09.2014 Weinberg, Harald DIE LINKE 01.09.2014 Wichtel, Peter CDU/CSU 01.09.2014 Wiese, Dirk SPD 01.09.2014 Wiese (Ehingen), Heinz CDU/CSU 01.09.2014 Willsch, Klaus-Peter CDU/CSU 01.09.2014 Woltmann, Barbara CDU/CSU 01.09.2014 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 01.09.2014 Zöllmer, Manfred SPD 01.09.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lotze, Katja Mast, Dr. Rolf Mützenich, Ulli Nissen, Christian Petry, Sabine Poschmann, Dr. Simone Raatz, Stefan Rebmann, Andreas Rimkus, Annette Sawade, Ewald Schurer, Frank Schwabe, Dr. Carsten Sieling, Norbert Spinrath, Martina Stamm-Fibich, Sonja Steffen, Michael Thews, Franz Thönnes, Carsten Träger, Ute Vogt, Dirk Vöpel, Gülistan Yüksel, Dagmar Ziegler (alle SPD) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschlie- ßungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisa- tion IS“ Wir sehen mit großer Sorge die Verschärfung der si- cherheitspolitischen und der humanitären Lage insbe- sondere im Norden des Irak. Nach neuesten Zahlen der Vereinten Nationen sind mittlerweile über 1,7 Millionen Menschen auf der Flucht, davon circa 1 Millionen im Gebiet der kurdischen Regionalregierung. Wir begrüßen ausdrücklich die umfängliche humani- täre Nothilfe der Bundesregierung für die Flüchtlinge, die unter schwierigsten Bedingungen ihre Heimat verlas- sen mussten und zum Teil nur ihr Leben retten konnten. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung mit circa 50 Millionen Euro diese Menschen unterstützt und eine weitere substanzielle Aufstockung dieser Mittel in Aus- sicht gestellt hat. Wir unterstreichen die bereits im Ent- schließungsantrag angesprochene Notwendigkeit, dass Deutschland und seine europäischen Partner großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen sein sollen. Die Bundesregierung hat nach einem verantwortungs- vollen Abwägungsprozess über die humanitäre Hilfe hi- naus beschlossen, auch Waffen zur Verteidigung gegen die militärisch überlegenen Truppen des ISIS in Abspra- che mit der Zentralregierung in Bagdad und in Abstim- mung mit Deutschlands Partnern an die kurdische Re- gionalregierung zu liefern. Wir betrachten die Lieferung von Waffen mit großer Skepsis, da sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in einem innerirakischen Konflikt zwischen den drei großen Volksgruppen zum Einsatz gebracht werden könnten oder an andere Grup- pen missbräuchlich gelangen könnten. Allerdings aner- kennen wir auch, dass die Bundesregierung die Augen vor diesen potenziellen Gefahren nicht verschließt, sondern bei ihren Entscheidungen einbezogen hat und entsprechende Maßnahmen – unter anderem Endver- bleibsregelung mit der kurdischen Regionalregierung – getroffen hat. Die Bundesregierung hat aufgrund einer außerge- wöhnlichen außen- und sicherheitpolitischen Lage eine Einzelentscheidung getroffen. Es handelt sich hierbei nicht um einen Paradigmenwechsel. Die Grundsätze der deutschen Rüstungsexportpolitik, keine Waffen in Span- nungsgebiete zu liefern, bleiben der Eckpfeiler deutscher Exportpolitik. Trotz unserer großen Skepsis gegenüber diesen Waf- fenlieferungen anerkennen wir, dass der Schwerpunkt deutscher und internationaler Politik auf der politischen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4449 (A) (C) (D)(B) Regelung des Konflikts im Irak liegt. Es ist unserer An- sicht nach wesentlich, dass der designierte irakische Mi- nisterpräsident eine Regierung bilden will, in der alle großen Volksgruppen des Irak repräsentiert sind. Dies würde auch die Chance erheblich vergrößern, dass die sunnitischen Stämme, die sich aufgrund der politischen Diskriminierung durch die Vorgängerregierung Maliki, dem ISIS zugewandt haben, sich wieder von ihm abwen- den und ihm die Unterstützung entziehen. Die Bundesre- gierung muss diesen politischen Prozess gemeinsam mit ihren Partnern aktiv unterstützen. Wichtig ist darüber hinaus, dass auch wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen – wie in der Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 15. August 2014 aufgeführt – gegen ISIS und seine Unterstützer umgesetzt werden. Darüber hinaus ist wesentlich, dass eine politische Strategie für die Region des Nahen und Mittleren Ostens gemeinsam mit den Regierungen vor Ort aufgesetzt wird. Deutschland will hierzu auch im Rahmen seines G-7-Vorsitzes weitere Initiativen starten, was wir aus- drücklich unterstützen. Nach Abwägung all dieser Umstände stimmen wir dem vorgelegten Entschließungsantrag der Koalitions- fraktionen zu, wenngleich wir weiterhin sehr skeptisch gegenüber den beschlossenen Waffenlieferungen blei- ben. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Mindrup und Swen Schulz (Spandau) (beide SPD) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklä- rung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschließungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Ter- rororganisation IS“ Wir lehnen den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regie- rungserklärung durch die Bundeskanzlerin „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Ter- rororganisation IS“, Drucksache 18/2459, ab. Wir sind der festen Überzeugung, dass der Terror- organisation „Islamischer Staat“ Einhalt geboten und dass den Flüchtlingen geholfen werden muss. Deutsch- land muss dabei nach Kräften mitwirken. Sosehr wir die in dem Antrag angesprochene humanitäre Hilfe begrü- ßen, halten wir die ebenfalls im Antrag unterstützten Waffenlieferungen für falsch. Die aktuelle Situation im Nordirak stellt uns vor schwierige Entscheidungen. Niemand kann beute mit Si- cherheit sagen, welche Haltung die richtige ist. Wir se- hen durchaus starke Argumente für Waffenlieferungen, bei uns jedoch überwiegen die Gegenargumente und of- fenen Fragen, von denen wir nur einige anführen möch- ten. Eine militärische Intervention könnte letztlich legitim und mit Aussicht auf nachhaltigen Erfolg nur durch die Vereinten Nationen veranlasst werden. Der Verbleib von Waffen und deren künftige Verwendung ist vollkommen unsicher. Es gibt viele Beispiele, in denen die Lieferan- ten von Waffen später genau diese Waffen gegen sich ge- richtet sehen – wie heute leider gerade im Nordirak zu sehen ist, wo die Terroristen sehr erfolgreich mit US- Waffen kämpfen. Die politischen Folgewirkungen der Waffenlieferungen für den Irak und im Zusammenhang mit den Nachbarstaaten Türkei und Syrien sowie mit Blick auf Bestrebungen zur Gründung eines Staates Kur- distan sind vollkommen ungeklärt, genauso wie wir eine politische Konzeption, die letztlich nur zur Lösung der dortigen Probleme führen kann, nicht sehen. Die Folge- wirkung dieser von einem verantwortlichen Mitglied der Bundesregierung als „Tabubruch“ bezeichneten Ent- scheidung, Waffen zu liefern, auf die Ausrichtung der Außenpolitik Deutschlands ist nicht absehbar. Weiterhin ist die Zulässigkeit der Waffenlieferungen – national wie völkerrechtlich – unsicher. Unabhängig von dieser inhaltlichen Position halten wir es für notwendig, das Verhältnis zwischen Bundes- tag und Bundesregierung bei Entscheidungen über den Export von Rüstungsgütern und Waffenlieferungen neu auszugestalten. Wir begrüßen ausdrücklich, dass eine Sondersitzung des Bundestages mit einer Regierungs- erklärung zu dieser Frage durchgeführt wird und dass auf dieser Sitzung Entschließungsanträge zur Abstim- mung stehen. Das ist deutlich mehr an Beteiligung der Volksvertretung, als die Bundesregierung von sich aus vorsah. Wir denken aber, dass künftig darüber hinausge- gangen werden sollte. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat in einem von Swen Schulz beauftragten Gutachten deutlich gemacht, dass er zwar derzeit keine Mandatierungspflicht für die geplanten Waffenlieferungen in den Nordirak erkennt, für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber diesbezüglich ein „Weiterentwicklungspotenzial“ sieht. Es sollte ein neues Verfahren gefunden werden, in dem der Bundestag bzw. ein Bundestagsausschuss schnell und umfassend über Waffenlieferungen informiert und mindestens mit einem Vetorecht ausgestattet wird. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Florian Post und Claudia Tausend (beide SPD) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschlie- ßungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisa- tion IS“ Die Organisation „Islamischer Staat“, IS, konnte durch ihren militärischen Vormarsch Teile des Irak unter ihre Kontrolle bringen. Dieses Vorgehen gefährdet nicht nur die staatliche Einheit des Irak und stellt eine interna- tionale Bedrohung dar, sondern hat unsagbares Leid über 4450 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) große Teile der Zivilbevölkerung gebracht. Vor allem Christen, Turkmenen und Jesiden bekamen die barbari- schen Methoden des IS zu spüren. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass Deutschland durch humanitäre Unterstüt- zung Verantwortung übernimmt und schnell Hilfe zur Verfügung stellt, um den Flüchtlingen in ihrer Not zu helfen. Bisher galt der Grundsatz bei deutschen Rüstungs- exporten, keine Waffen in Krisen- oder Spannungsge- biete zu liefern. Wir halten es für einen Fehler, diesen Grundsatz nun infrage zu stellen und Waffen in den Irak zu liefern. Es handelt sich vor allem um automatische Gewehre, Pistolen und Handgranaten in großer Zahl, deren Ver- bleib in keinster Weise kontrolliert werden kann. Diese Waffen sind leicht zu bedienen, können sehr schnell in die falschen Hände geraten und wiederum großes Leid anrichten. Insbesondere befürchten wir, dass diese Waf- fen möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in ei- nem Kampf für einen unabhängigen kurdischen Staat eingesetzt werden könnten. Hierbei sehen wir die Gefahr eines bewaffneten Konfliktes mit der Türkei, die NATO- Mitglied ist, weshalb die Bundesrepublik in einem Bündnisfall der Türkei militärischen Beistand leisten müsste. Das könnte bedeuten, dass genau diese Waffen in einem solchen Konflikt wiederum zum Einsatz kom- men. Dann möglicherweise auch gegen deutsche Solda- ten. Den IS zurückzudrängen und einen drohenden Geno- zid zu verhindern, kann ein militärisches Eingreifen der internationalen Gemeinschaft notwendig machen. Dies sollte aber durch die Vereinten Nationen geprüft und muss mandatiert werden. Ebenfalls ist nicht geklärt, wer und in welcher Form die Kämpfer der kurdischen Regionalregierung ausbil- det, die von Deutschland gelieferten Waffen zu bedie- nen. Das könnte die Entsendung von Soldaten notwen- dig machen. Aus diesen Gründen können wir dem Entschließungs- antrag, insbesondere der Waffenlieferung durch die Bun- desrepublik Deutschland, nicht zustimmen. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzle- rin eingebrachten Entschließungsantrag „Hu- manitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ Dirk Becker (SPD): Obwohl die Bundesregierung sich nach Abwägung aller Aspekte und Abstimmung mit der Regierung im Irak bereits gestern für Waffenliefe- rungen in den Nordirak ausgesprochen hat, begrüße ich es ausdrücklich, dass der Deutsche Bundestag heute öf- fentlich über diese Frage diskutiert und eine politische Abwägung vornimmt. Ich danke ausdrücklich Thomas Oppermann, der sich gegenüber dem Koalitionspartner für diese Debatte ein- gesetzt hat. In der SPD-Fraktion haben wir sehr sach- orientiert und verantwortungsvoll das Pro und Contra diskutiert, Risiken der Waffenlieferungen analysiert und auch beraten, was geschieht, wenn wir untätig bleiben. Die bestialischen Gräueltaten des ISIS machen auch mich sprachlos. Wir sehen Dörfer, in denen alle männli- chen Bewohner hingerichtet werden, ihre Köpfe aufge- spießt als Warnung ins Nachbardorf getragen werden; die Frauen werden verschleppt, verkauft oder zur Zwangsprostitution gezwungen. Jesiden sind wegen ih- rer Religion auf der Flucht oder wurden bereits massen- haft ermordet. Und dies alles in einem Staat, der aus sich heraus nicht in der Lage ist, gegen die Terroristen vorzu- gehen. Einzig der Regierung der autonomen Region Ira- kisch-Kurdistan gelingt es bisweilen, Widerstand zu leis- ten. Ich kann daher die Überlegung nachvollziehen, die- sen Kurden die Möglichkeit zur Selbstverteidigung zu geben und ihnen Waffen zu liefern. So respektiere ich die nach reiflicher Abwägung getroffene Entscheidung der SPD-Parteiführung und vieler Kolleginnen und Kol- legen, in Abweichung vom Grundsatz, keine Waffen in ein Krisengebiet zu liefern, hier eine abweichende Ent- scheidung in einem durchaus begründbaren Einzelfall zu treffen. Jedoch komme ich in meiner Abwägung zu einem an- deren Schluss und werde, deshalb dem Entschließungs- antrag nicht zustimmen können, auch wenn ich alle hu- manitären Forderungen des Antrags nahtlos teile bzw. darüber hinaus noch weiteres Engagement und die Auf- nahme von Flüchtlingen einfordere. Waffenlieferungen sehe ich hingegen nicht als eine zielführende Lösung an, zumal im Gegenzug auch der ISIS über ausreichend Nachschub an Waffen zu verfü- gen scheint und wir womöglich schon bald mit neuen Forderungen nach größeren Waffen konfrontiert sein werden. Alles unter dem Aspekt, dass es auch um euro- päische Sicherheitsinteressen geht. Auch die Frage der künftigen Verwendung der nun „gut gemeint“ gelieferten Waffen ist für mich ein wichtiges Argument gegen die Lieferung. Der bislang für uns Sozialdemokraten geltende Grundsatz, keine Waffen in ein Krisengebiet zu liefern, folgte der Erkenntnis, dass mehr Waffen nicht die Lö- sung sind, sondern bislang Konflikte verlängert haben. Außerdem drängen uns diese Waffenlieferungen an eine der Konfliktparteien in die Rolle eines Konfliktbeteilig- ten. Angesichts des Mordens und Leidens habe ich mir die Abwägung meiner Entscheidung nicht leicht gemacht und gestehe, dass meine Abwägungsentscheidung am Ende knapp ausgefallen ist. Wie sagte es ein Kollege in der Fraktion sehr treffend: Niemand weiß, ob wir das Richtige tun. Mich haben die Argumente für eine Waf- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4451 (A) (C) (D)(B) fenlieferung am Ende mit mehr Fragen als überzeugen- den Antworten zurückgelassen. Ich hätte mir im Gegenzug aber durchaus vorstellen können, im Rahmen eines UN-Mandats bewaffnete Truppen in den Nordirak zu entsenden, um die Bevölke- rung zu schützen und die Terroristen zu bekämpfen. Die Prognose, dass wegen des Ukraine-Konfliktes eine ge- meinsame Resolution des Sicherheitsrates mit den Stim- men Russlands und der USA mehr als unwahrscheinlich ist, darf keine Entschuldigung sein, dies nicht zumindest zu versuchen. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Zweiter Tabubruch der Bundesregierung: Die heutige Entscheidung, Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern, ist, nach der Unterstüt- zung einer Regierung in der Ukraine, an der Faschisten beteiligt sind, der zweite Tabubruch dieser Bundesregie- rung binnen kurzer Zeit. Die Bundesregierung hat damit eine imperialistische Wende in der Rüstungsexportpoli- tik vollzogen. Wie die USA, Großbritannien oder Frank- reich will sie die Entscheidung über Rüstungslieferun- gen allein von geostrategischen Interessen abhängig machen. Wie bei den Auslandseinsätzen der Bundes- wehr dienen auch hier die von ihr vorgebrachten Argu- mente des Humanismus für die Rüstungslieferung in den Irak alleine zur Rechtfertigung einer deutschen Einfluss- nahme mittels Waffenlieferung im Nahen Osten. Dass die Bundesregierung kein wirkliches Interesse daran hat, die internationale Mörderbande „Islamischer Staat“, IS, zu bekämpfen, lässt sich an der fortgesetzten militäri- schen Kooperation mit seinen Unterstützern und Spon- soren, wie der Türkei, Katar und Saudi-Arabien, ablesen. Die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, die vielen verfolg- ten Jesiden die Flucht mit ermöglicht hat, wird weiter in Deutschland und der EU als Terrororganisation verfolgt. Der IS dagegen, und dies ist der Gipfel der Heuchelei der Bundesregierung, ist nicht einmal eine verbotene Or- ganisation in Deutschland! Mit der heutigen Entscheidung bricht die Bundesre- gierung das Tabu einer Lieferung in Kriegsgebiete, das auch nach der Wiederbewaffnung 1955 die deutsche Politik sich als Selbstbeschränkung auferlegt hatte. Eine der Lehren deutscher Politik wird damit ausgerechnet am Antikriegstag, dem 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs, über Bord geworfen. Deutschland ist bereits jetzt der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Mit dieser Entscheidung wird der Boden für eine Aus- weitung weltweiter deutscher Waffenlieferungen gelegt. Auch deshalb stimme ich gegen den Antrag von Union und SPD, Waffen in den Irak zu liefern. Ich stimme heute auch gegen alle Versuche, eine neue US-Intervention im Irak unter dem Deckmantel der Ein- richtung einer UN-Schutzzone oder anderer militärischer Maßnahmen, die vom Sicherheitsrat mandatiert werden sollen, zu legitimieren. Der Nahe Osten braucht keine neue US-Intervention – auch keine mit UN-Mandat. Der IS ist das Produkt der Regime-Change-Politik der USA im Nahen Osten, die in Nibelungentreue von der Bun- desregierung mitgetragen wird. Ein erneutes militäri- sches Eingreifen der USA ist Teil des Problems. Statt auf Waffenlieferungen und UN-Militärinterven- tionen zu setzen, brauchen wir eine klare zivile, aber ent- schiedene Antwort auf den IS und die Schärfung einer friedlichen Außenpolitik: 1. ein Ende der militärischen Kooperation mit den Un- terstützern des IS, Türkei, Saudi-Arabien und Katar; zu- dem muss dem AKP-Regime verdeutlicht werden, dass eine Unterstützung des IS mit einer Fortführung der EU- Beitrittsverhandlungen unvereinbar ist; 2. humanitäre Hilfe auch in Gebiete, die nicht vom IS kontrolliert werden; 3. eine Aufkündigung des deutsch-emiratischen Treu- handfonds, der de facto den IS weiter stärkt; 4. ein Ende der Sanktionen gegen die syrische Bevölke- rung, die den IS weiter stärken; 5. ein Ende der Blockade der von der PKK gehaltenen Gebiete im Norden Syriens; 6. eine Anerkennung der PKK als politische Organisa- tion und ihre Streichung von der EU-Terrorliste; 7. ein Verbot des IS in Deutschland und Maßnahmen, die die Finanzströme des IS treffen; 8. die verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak und Visaerteilungen für nachzugsberechtigte Fami- lienangehörige nach Deutschland an allen Auslandsver- tretungen der Region ermöglichen und beschleunigen; 9. ein generelles Rüstungsexportverbot, damit deutsche Waffen nicht weiter weltweit mit morden; 10. ein Ende der deutschen Ausbildungs- und Ausstat- tungshilfe, durch die weltweit Bürgerkriege angeheizt werden. Saskia Esken (SPD): Die symbolische Abstimmung über die Frage, ob Deutschland Waffen in die Krisenre- gion des Nordirak exportieren soll, stellt mich und an- dere Abgeordnete vor eine schwierige Entscheidung. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung hat ge- schrieben, hier könne man sich nur falsch entscheiden. Am Ende werde auch ich mich für das geringere Übel entscheiden müssen. Die drastischen Bilder, die uns aus dem Norden des Irak und aus anderen Gebieten erreichen, sind nur schwer zu verdauen. Jeder, der sich den Truppen des „Islamischen Staates“, IS, nicht unterwirft, wird mit Mit- teln der schlimmsten Barbarei vernichtet. Wie gehen wir mit dieser Situation um? Reicht es für unser Gewissen aus, den betroffenen Menschen mit humanitärer Hilfe zur Seite zu stehen, auch wenn wir wissen, dass sie sich damit nicht gegen die Truppen des IS wehren können? Wie können wir das durchaus sinnvolle Waffenexport- verbot in Krisengebiete dagegen abwägen, dass die Be- völkerung im Nordirak, dass Schiiten, Jesiden und Christen sich schützen müssen – und dabei auch die Langzeitwirkungen der Waffenlieferungen nicht verges- sen? In dieser Frage gibt es keine einfache und keine ab- schließende Antwort. 4452 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) Ziel des IS ist die Errichtung eines barbarischen Kali- fats, das gegenüber Andersgläubigen keine Toleranz zeigt. Die Armee des IS hat im Nordirak zwar bei wei- tem keine Mehrheit und nur geringen bis keinen Rück- halt in der Bevölkerung. Diese Armee ist jedoch mit mo- dernster Waffentechnik ausgerüstet, und deshalb gelingt es ihr, ein menschenverachtendes Regime in der Region zu festigen. Selbst das sunnitische Saudi-Arabien wurde durch den IS mit der Zerstörung Mekkas bedroht. Ein riesiger Flüchtlingsstrom hat in der gesamten Re- gion des Nordirak eingesetzt. Die überfüllten Flücht- lingscamps, in denen sich Menschen aller Religionen aufhalten, werden momentan von kurdischen Truppen beschützt. Die kurdischen Truppen mit ihren veralteten Waffen sind momentan die einzigen Gegner des IS in der Region. Ob sie mit ihrer Ausrüstung den Truppen des IS noch lange standhalten können, ist mehr als fraglich. Werden die kurdischen Truppen besiegt, sind auch die Flüchtlingscamps der Gewalt und Brutalität der Terror- armee des IS ausgeliefert. Um diesen Menschen Schutz zu bieten, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak das klei- nere Übel sind. Wichtig ist es mir aber, deutlich zu machen, dass die wiederholte militärische Einmischung des Westens im arabischen Raum der Region nicht im Geringsten Frie- den oder auch nur Stabilität gebracht hat. Der IS besitzt diese modernen Waffensysteme, weil er oder irgendje- mand andere, damit ausgestattet wurde. Nicht nur wer hier aktiv eingreift, trägt Verantwortung. Auch wir soll- ten unsere Waffenexporte durchaus in einem kritischeren Licht betrachten. Wichtig ist auch die Frage, wie der Irak, wie der gesamte arabische Raum vor allem durch eigene Anstrengungen zu Frieden und Toleranz gegen- über Andersgläubigen finden kann. In der politischen Diskussion störe ich mich außer- dem daran, dass wir über eine mögliche Waffenlieferung diskutieren und entscheiden sollen, aber gleichzeitig nicht bereit sein wollen, zwischenmenschliche Hilfe in Form einer Aufnahme von Flüchtlingen in Europa und Deutschland zu leisten und auch dadurch Verantwortung zu übernehmen. Ich werde mich deshalb dafür einsetzen, dass Deutschland sich zur Aufnahme weiterer Flücht- linge bereit erklärt. Annette Groth (DIE LINKE): Die von der Bundesre- gierung bereits beschlossene Lieferung von Waffen in den Irak stellt eine neue Stufe in der stetigen Militarisie- rung der deutschen Außenpolitik dar. Dass der Bundes- tag ausgerechnet heute am Weltfriedenstag und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs zusammentritt, um dies nachträglich zu legitimieren, ist eine Schande, an der ich mich nicht beteiligen werde! Waffenlieferungen in Krisenregionen sind in Deutschland grundsätzlich verboten. Darauf möchte ich noch einmal ganz deutlich hinweisen, auch wenn mir be- wusst ist, dass sich weder die aktuelle Bundesregierung noch ihre Vorgängerinnen bisher daran gehalten haben. Die Region des Nahen Ostens ist überschwemmt mit Waffen. Nicht mehr Waffen können die zahlreichen Konflikte dort beilegen, sondern vielmehr müssen die Waffen in der Region massiv reduziert werden. Wie der Botschafter eines nordafrikanischen Landes mir gegen- über einmal forderte: Die Bundesregierung und die an- deren Staaten der Europäischen Union sollen genau wie die USA die Waffen, die sie hierhergebracht haben, end- lich wieder einsammeln! Selbstverständlich erkenne ich an, dass das Leid, das heute die Mörderbanden des „Islamischen Staats“ im Irak und in Syrien anrichten, unvorstellbar schlimm ist und dass die Opfer mit humanitärer Hilfe unterstützt und die Flüchtlinge in Sicherheit gebracht werden müssen. Hier ist die Bundesregierung gefragt. Dass nun wieder neue Kontingentobergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen festgelegt werden, ist äußerst beschämend. Es ist für den allergrößten Teil der Flüchtlinge aus dem Irak, aus Syrien und aus anderen Regionen der Welt fak- tisch unmöglich, legal nach Deutschland und in andere Staaten der EU zu gelangen. Sie werden dazu gezwun- gen, illegal und unter großen Gefahren hierherzukom- men, viele von ihnen bezahlen dafür mit ihrem Leben. Neben Menschenschmugglern, die sich teuer bezahlen lassen und denen das Leben der Flüchtlinge oft völlig egal ist, helfen immer wieder zum Beispiel Syrerinnen und Syrer in Deutschland ihren Familienangehörigen und Bekannten, hierherzukommen – und werden dann noch dafür bestraft, dass sie ihnen das Leben gerettet ha- ben. Das dürfen wir nicht hinnehmen! Nun sollen deutsche Waffen dabei helfen, die radika- len Kämpfer des „Islamischen Staats“ zu bekämpfen. Radikale, die in Deutschland, anderen EU-Staaten und den USA unbehelligt rekrutiert werden und ausreisen konnten und dann von der Türkei nicht nur ignoriert, sondern aktiv unterstützt und nach Syrien gelassen wor- den sind. Von der Türkei, in der deutsche Patriot-Rake- ten stationiert wurden, um unseren „Partner“ zu „schüt- zen“. Der „Islamische Staat“ kämpft nicht zuletzt auch mit Waffen, die aus Deutschland an Saudi-Arabien, Ka- tar oder die Türkei oder von anderen westlichen Ländern direkt nach Syrien geliefert worden sind. Mit diesen Waffen werden seit Jahren Massaker in Syrien verübt – an Jesiden, Christen, an Schiiten, dem „Erzfeind“ des „Islamischen Staats“, und an allen Muslimen, die sich weigern, den radikalen Islamisten die Treue zu schwö- ren. Die Invasion im Irak von 2003 durch die USA und ihre „Koalition der Willigen“ hat genauso erst die Vorbe- dingungen geschaffen, die den Vormarsch des „Islami- schen Staats“ ermöglicht haben, wie es die völlig einsei- tige, eine Verhandlungslösung letztlich verhindernde Politik der USA und der Staaten der EU in Syrien getan hat. Jetzt neu Waffen in die Region zu pumpen, anstatt endlich politische Lösungen und Versöhnungsprozesse zu fördern, ist zynisch und verlogen und wird nur neue Kriege und neues Leid verursachen. Keiner kann garan- tieren, dass die heute gelieferten Waffen nicht in die fal- schen Hände gelangen. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sollen heute über diese Waffenlieferungen abstimmen, über die ohnehin längst entschieden ist, und sollen so als Feigen- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4453 (A) (C) (D)(B) blatt für die Politik der Bundesregierung dienen, ohne dass das Ergebnis der Abstimmung bindend wäre. Ich werde nicht dafür stimmen. Michael Groß (SPD): Ich werde der Waffenlieferung in den Irak an die kurdischen Soldaten zustimmen. Das geschieht nach einem langen und schwierigen Abwä- gungsprozess. Die Lieferung der Waffen kann nicht das Ende von Diplomatie und der Suche nach einer Ausgangstür für die Konflikte in dieser Region und nicht nur im Irak be- deuten. Die Politik der Vergangenheit, insbesondere der USA, muss kritisiert werden, da sie diese Entwicklung provoziert hat. Aktuell werden Menschen willkürlich und barbarisch getötet, versklavt, gefoltert und gedemütigt. Es gibt kei- nen Verhandlungspartner, der verhandeln will und über eine gewisse Ratio verfügt. Nach meinem jetzigen Wis- sensstand kann nur humanitär geholfen werden, wenn die Opfer und die Helferorganisationen geschützt wer- den. Ich sehe mit großer Sorge die Verschärfung der si- cherheitspolitischen und der humanitären Lage insbe- sondere im Norden des Irak. Nach neuesten Zahlen der Vereinten Nationen sind mittlerweile über 1,7 Millionen Menschen auf der Flucht, davon circa 1 Million im Ge- biet der kurdischen Regionalregierung. Ich begrüße ausdrücklich die umfängliche humanitäre Nothilfe der Bundesregierung für die Flüchtlinge, die unter schwierigsten Bedingungen ihre Heimat verlassen mussten und zum Teil nur ihr Leben retten konnten. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung mit circa 50 Mil- lionen Euro diese Menschen unterstützt und eine weitere substanzielle Aufstockung dieser Mittel in Aussicht gestellt hat. Ich unterstreiche die bereits im Entschlie- ßungsantrag angesprochene Notwendigkeit, dass Deutschland und seine europäischen Partner großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen sein sollen. Darüber hinaus ist wesentlich, dass eine politische Strategie für die Region des Nahen und Mittleren Ostens gemeinsam mit den Regierungen vor Ort aufgesetzt wird. Deutschland will hierzu auch im Rahmen seines G-7-Vorsitzes weitere Initiativen starten, was ich aus- drücklich unterstütze. Ich habe mich im Fraktionsvorstand der SPD dafür ausgesprochen, dass wir eine langfristige Strategie für die Region brauchen, aber auch die humanitäre Unter- stützung – finanziell – gesteigert werden muss. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass eine Waffenlieferung aus Deutschland in Krisengebiete eine Ausnahme bleibt. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Heute müssen wir eine Entscheidung treffen. Eine Gewissens- entscheidung, die nicht im luftleeren Raum steht. Eine Entscheidung, bei der es kein einfaches Richtig und Falsch gibt. Wir müssen eine Antwort geben auf uner- messliches Leid von konkreten Menschen. Wir müssen eine Antwort geben auf die Gefährdung der internationa- len Sicherheit. Nicht zu entscheiden, geht nicht. Die Entscheidung hinauszögern? Machen wir uns nichts vor: Für etliche Menschen kommt unsere Hilfe schon jetzt zu spät. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“, IS, metzelt Menschen im Irak dahin. Christen, Je- siden und Muslime werden barbarisch gequält und er- mordet. Diesem menschenverachtenden Gebaren dürfen wir nicht länger zusehen. Der Grundsatz, an dem wir uns orientieren, gerade auch als Deutsche, muss weiterhin lauten: Humanitäre vor militärischen Lösungen können immer nur die Ul- tima Ratio sein. Daher hat die Bundesregierung angesichts der akuten humanitären Katastrophe im Nordirak umgehend mit der Bereitstellung von Hilfsleistungen in einer Höhe von bislang rund 50 Millionen Euro begonnen. Seit dem 15. August sind durch das Bundesministerium der Ver- teidigung, das Auswärtige Amt und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mehr als 150 Tonnen überlebenswichtige Nahrungsmittel und Güter sowie medizinisches Material bereitgestellt und in das sichere Gebiet der kurdischen Regionalregierung transportiert worden. Die Unterstützungsleistungen der Bundesregierung tragen zur Linderung der unmittelba- ren humanitären Katastrophe und zur Stabilisierung der Lage im Norden des Irak bei. Weitere Hilfen sind not- wendig. Die Bundesregierung hat diese zugesagt, und ich werde mich aktiv dafür einsetzen, dass wir den Men- schen in der Region zur Seite stehen. Auch brauchen wir eine langfristige Strategie zur Be- friedung des Nordirak. Daher unterstütze ich die Forde- rungen verschiedener NGOs und des Forums Ziviler Friedensdienst nach einer UN-Nahostkonferenz, ergänzt durch zivilgesellschaftliche Nahostkonferenzen unter Beteiligung der Religionsgemeinschaften. Ich unterstütze den politischen Ansatz der Bundesre- gierung, der darauf zielt, den Irak so zu stabilisieren, dass alle Bevölkerungsgruppen angemessen eingebun- den werden, und durch diplomatische Bemühungen auf internationaler Ebene auf eine nachhaltige politische Be- friedung der Region hinzuwirken. Auch ein weiteres En- gagement Deutschlands für die Vereinten Nationen und insbesondere bei der Aufnahme von Flüchtlingen ist nö- tig, und auch dafür werde ich mich einsetzen. Doch heute geht es nicht um ein Entweder-oder, son- dern um ein Sowohl-als-auch: um eine langfristige Per- spektive und um ein schnelles Handeln. Humanitäre Hilfe und ein militärisches Eingreifen, um den IS zu stoppen. Ohne militärische Intervention lässt sich der IS nicht aufhalten, die Morde gehen weiter. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen. Als Christ möchte ich mich dem Ratsvorsitzenden der EKD, Nikolaus Schneider, anschließen. Er hat gestern in einem Gastbeitrag für die ZEIT dazu auf Dietrich Bon- hoeffer verwiesen: „Das Evangelium gebietet aber nicht zuzusehen, wie andere gequält, geköpft, versklavt wer- 4454 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) den. Dietrich Bonhoeffer hat angesichts der Naziverbre- chen daraus den Schluss gezogen, dass es Situationen gibt, in denen es nicht ausreicht, die unter die Räder Ge- kommenen zu verbinden. Dem Rad muss auch in die Speichen gegriffen werden – und sei es mit Gewalt. Da- bei werden Menschen schuldig. Aber auch der Verzicht auf den Griff in die Speichen ist nicht schuldfrei.“ Wie kann dieses Eingreifen aussehen? Natürlich wäre eine Einsatztruppe der UNO das Ideal. Doch wie gesagt: Akute Notlagen erfordern schnelle Lösungen. Die Ret- tung der von dem IS im Nordirak barbarisch verfolgten Muslime, Christen und Jesiden ist vor allem den Kräften der kurdischen Regionalregierung, Peschmerga, und de- ren Unterstützung durch Luftschläge der Vereinigten Staaten zu verdanken, wie der Menschenrechtsbeauf- tragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, bestä- tigte. Deshalb hat das Bundesministerium der Verteidigung in Abstimmung mit den Ressorts auf Bitten der iraki- schen Zentralregierung und der kurdischen Regionalre- gierung bereits die Bereitstellung von nichtletaler Aus- rüstung eingeleitet. Dies erfolgt in Kenntnis des Bedarfs und in Abstimmung mit unseren europäischen und ame- rikanischen Partnern und Verbündeten. Zur Koordinie- rung vor Ort hat das Bundesministerium der Verteidi- gung bereits sechs Soldaten an das Generalkonsulat nach Arbil entsandt. Gestern wurde die Lieferung von weite- rer Munition, Waffen und militärischer Ausrüstung be- schlossen. Dieser Beschluss birgt Risiken: Militärisch – die Waf- fen könnten dem IS in die Hände fallen. Langfristig könnten die Waffen für andere Zwecke missbraucht wer- den. Politisch – die Glaubwürdigkeit im Dialog könnte Schaden nehmen. Dennoch werde ich heute diesem Be- schluss zustimmen, eben weil es gerade um das Sowohl- als-auch geht. Wir dürfen die Menschen nicht alleinelassen! Ich denke, wir müssen diese Risiken in Kauf nehmen, um schnelle Hilfen zu realisieren. Ist nicht das Risiko, dem Massensterben zuzusehen, größer? Ist nicht die Glaub- würdigkeit umso belasteter, wenn wir unsere Verantwor- tung verweigern? Cansel Kiziltepe (SPD): Die heutige Entscheidung stellt mich vor ein unauflösbares Dilemma. Auf der ei- nen Seite steht der Grundsatz, auf präventive Friedensar- beit und Diplomatie zu setzen und keine Waffen in Kri- sengebiete zu liefern. Andererseits können wir dem Morden nicht tatenlos zusehen. Eine mit unseren ethi- schen Grundsätzen zu vereinbarende widerspruchsfreie Lösung ist nicht möglich. Einerseits könnten Waffenlie- ferungen die Zeit des Mordens durch den IS verkürzen. Andererseits könnten Waffenlieferungen unüberschau- bare Konsequenzen haben und – wenn die Rüstungsgü- ter in falsche Hände geraten – neue Konflikte auslösen oder verschärfen. Konsens ist: Humanitäre Hilfe, diplo- matische Arbeit gegen die Versorgung des IS mit Geld und Waffen und die internationale Abstimmung unseres Handelns sind die entscheidenden Instrumente unserer Friedenspolitik. Gerade weil wir vor einem Dilemma stehen, respek- tiere ich das Abstimmungsverhalten aller Kolleginnen und Kollegen. Denn wir alle verfolgen das gleiche Ziel – das Morden in der Region zu beenden. Mit der heutigen Debatte und Abstimmung im Deut- schen Bundestag folgen wir einer wichtigen Forderung der Berliner SPD. Aufgrund der möglichen Konsequen- zen von Waffenlieferungen hat die Berliner SPD be- schlossen, dass die Lieferung von Rüstungsgütern in Krisengebiete eine den Auslandseinsätzen vergleichbar einschneidende Maßnahme darstellt. Folglich muss der Tragweite friedens- und sicherheitspolitisch bedeutsa- mer Interventionen – wie der Neuaufnahme von deut- schen Lieferungen von Rüstungsgütern an bzw. in Län- der, die sich in akuten oder potenziellen Konflikten befinden – mit einem Parlamentsvorbehalt Rechnung ge- tragen werden. Internationale Abstimmung – UN-Beschluss voran- treiben: Entscheidend für eine dauerhafte Konfliktlösung ist es, mit den Staaten in der Region ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen. Auch für die Lieferung von Rüstungsgütern sollte deshalb ein Beschluss des UN-Si- cherheitsrates angestrebt werden. Deutschland würde in diesem Falle seine Bereitschaft erklären, die Kämpfer gegen den IS mit Waffen zu unter- stützen – gemeinsam mit anderen Europäern und einem UN-Mandat. Gleichzeitig muss ein groß angelegtes hu- manitäres Hilfsprogramm zur Rettung der Flüchtlinge und Verletzten gestartet werden – vor Ort und auch hier in Europa. Da sich der IS offensichtlich jeglicher diplomatischen Erreichbarkeit entzieht, müssen wir auf jene Staaten ein- wirken, die den Zufluss von Geld und Waffen an den IS ermöglichen. Auch hier kann ein UN-Mandat helfen – internationale Abstimmung ist unverzichtbar. Wir appel- lieren an Russland, einen entsprechenden Beschluss mit- zutragen oder wenigstens zu tolerieren. Waffen geraten leicht in falsche Hände: Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass Waffen aus Deutschland ein wirksames und schnelles Mittel sein werden, den IS zu stoppen. Unsere Erfahrung lehrt, dass dies in vielen Fällen nicht auf Dauer gelingt. Aus guten Gründen hat die SPD-geführte Regierung sich nicht am Irakkrieg beteiligt. Diesen Weg, von der deutschen Bevölkerung auf breiter Basis getragen, soll- ten wir fortsetzen und Krisengebiete grundsätzlich nicht mit Waffen versorgen – einen Präzedenzfall, der diesen Grundsatz gefährdet, wollen wir nicht schaffen. Das beharrliche Bemühen von Außenminister Frank- Walter Steinmeier um diplomatische Lösungen und die Initiative des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel zur Begrenzung der Rüstungsexporte müssen weiter gestärkt werden. Integrierte Friedensstrategie: Nötig ist eine inte- grierte, präventive Friedensstrategie. Dies erfordert eine strikte Trennung von humanitärer und ziviler Hilfe ei- nerseits sowie militärischem Eingreifen und Waffenlie- ferungen andererseits. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4455 (A) (C) (D)(B) Deutsche humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in großem Stil: Nach allem, was wir aus den uns zugänglichen Quellen erfahren, geht der IS mit kaum zu überbietender Grausamkeit vor. Hunderttausende Flüchtlinge sind Op- fer einer humanitären Katastrophe. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Notwendig ist eine Politik der Deeskalation aus der Position eines glaubhaften und ehr- lichen Vermittlers heraus. Es ist eine wichtige Aufgabe für Deutschland, den Flüchtlingen im Nordirak zur Seite zu stehen. Deutsche humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge ist in wirklich großem Stil zu leisten. Geldquellen des Krieges austrocknen, Profiteure von Waffengeschäften und Kriegen ächten: Die Mischung aus religiösem Fanatismus und politischen Allmachts- fantasien des IS wurde erst durch den Zufluss von Geld und Waffen militärisch-terroristisch virulent. Hier rächt sich der weltweit außer Kontrolle geratene Waffenhan- del. Deshalb gilt es zunächst, diesen Zufluss von Geld und Waffen an den IS zu stoppen und auf die Geldgeber des IS einzuwirken, die finanzielle und materielle Unter- stützung des IS einzustellen. Zivilen Friedensdienst stärken: In der aktuellen De- batte betone ich besonders die Bedeutung der zivilen Konfliktbearbeitung wie die Stärkung des Zivilen Frie- densdienstes, ZFD. Dieser gilt als ein Erfolgsmodell der Kooperation von staatlichen und nichtstaatlichen Trä- gern der Entwicklungs- und Friedensarbeit. ZFD-Fach- kräfte unterstützen weltweit in Krisenregionen örtliche Partnerorganisationen dabei, Grundlagen für einen nach- haltigen Frieden zu schaffen. Das Dilemma, in dem wir uns zwischen „Keine Waf- fen in Krisengebiete und Friedensarbeit“ auf der einen und „Nicht zusehen, wie gemordet wird“ auf der anderen Seite befinden, können wir mit der anstehenden Ent- scheidung nicht auflösen. Im Augenblick sind wir eher Getriebene der Entwicklungen. Die Perspektive aber muss sein, eine präventive und von Diplomatie getra- gene Friedenspolitik zu gestalten. Für sein aktives Ein- treten für eine solche Politik danke ich unserem Außen- minister Frank-Walter Steinmeier. In Erwägung all dieser Gründe stimme ich dem Ent- schließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD zur Regierungserklärung „Humanitäre Hilfe für Flücht- linge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 1. September 2014 nicht zu. Dr. Matthias Miersch (SPD): Ich werde dem Ent- schließungsantrag von CDU/CSU und SPD nicht zu- stimmen und begründe mein Abstimmungsverhalten wie folgt: Erstens. Es gibt keine einfache Lösung in dieser Frage und wahrscheinlich auch kein Richtig oder Falsch. Zweitens. Die humanitäre Hilfe muss absolute Priori- tät haben. Das muss auch eine größere Bereitschaft be- deuten, Flüchtlinge aufzunehmen. Drittens. Mir fehlt im Rahmen der Entscheidung der Bundesregierung, in den Irak Waffen zu liefern, ein Ge- samtkonzept. Wir verlassen mit der länderspezifischen Entscheidung der Waffenlieferung den grundsätzlichen Ansatz, dass die Vereinten Nationen die Ebene sind, auf der internationale Konflikte zu regeln sind. Ich erkenne an, dass die Befürworter der Waffenlieferung auf die ak- tuelle Situation verweisen, wonach USA und Russland im Sicherheitsrat keine gemeinsame Haltung finden, während viele Menschen bedroht sind. Ich halte es aber für unerlässlich, an den Beschluss des Sicherheitsrates aus dem August 2014 anzuknüpfen, wonach der IS als eine Terrororganisation eingestuft wird. Möglicherweise wäre auch hier die Plattform, um angesichts der Krise in der Ukraine eine gemeinsame Haltung mit Russland zu entwickeln, da auch Russland kein Interesse an der wei- teren Destabilisierung haben kann. Für mich bedeutet das im Übrigen auch, im Falle eines UN-Mandats über eine deutsche Beteiligung nachzudenken. Ohne eine ent- sprechende Mandatierung fürchte ich jedoch eher eine weitere Eskalation. Viertens. Es ist nicht kontrollierbar, wo und wer mit den gelieferten Waffen in einigen Monaten oder Jahren kämpfen wird. Eine weitere Destabilisierung der Region wäre fatal. Fünftens. Es gibt bislang keine ausreichende Debatte über die Unterstützer des IS. Diese Organisation ist nicht vom Himmel gefallen. Zu einer wirkungsvollen Strate- gie muss es eine Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Länder Katar, Saudi-Arabien etc. geben. Ich finde es zum Beispiel unerträglich, dass weiter eine Fußball-WM in einem Land geplant wird, das eine klare Abgrenzung zum IS nicht vornimmt. Sechstens. Es muss befürchtet werden, dass künftig auch andere Gruppen in anderen Ländern entsprechende Waffenlieferungen anfordern. Die Vereinten Nationen haben angesichts des Völkermords in Ruanda den Grundsatz „Responsibility to protect“ entwickelt. Ich halte es für unerlässlich, diesem Grundsatz zum Durch- bruch zu verhelfen. Markus Paschke (SPD): Die Frage, ob deutsche Waffen in den Irak zur Unterstützung im Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“, IS, geliefert werden sollten oder nicht, ist für mich eine schwere poli- tische und ethische Entscheidung. Wir müssen entschei- den zwischen humanitärer Verantwortung für die ver- folgten Minderheiten im Irak und in Syrien und der Frage, was in einem Krisengebiet mit unseren geliefer- ten Waffen passiert. Es gibt keine Garantie, dass diese Waffen nicht in falsche Hände geraten und gegen Un- schuldige eingesetzt werden. Es gibt keine richtige oder falsche Entscheidung in dieser Frage. Für beide Entscheidungen gibt es gute Gründe. Die Bundesregierung hat nun nach einem ver- antwortungsvollen Abwägungsprozess über die humani- täre Hilfe hinaus beschlossen, auch Waffen zur Verteidi- gung gegen die militärisch überlegenen Truppen des IS in Absprache mit der Zentralregierung in Bagdad und in Abstimmung mit Deutschlands Partnern an die kurdi- sche Regionalregierung zu liefern. Ich betrachte die ge- planten Lieferungen von Waffen mit großer Skepsis, da 4456 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in ei- nem innerirakischen Konflikt zwischen den drei großen Volksgruppen zum Einsatz gebracht werden oder an an- dere Gruppen missbräuchlich gelangen könnten. Meine Auffassung ist, dass der Schwerpunkt deutscher Politik auf einer politischen Regelung des Konfliktes liegen muss. Deshalb begrüße ich auch ausdrücklich die umfängli- che humanitäre Nothilfe der Bundesregierung für die Flüchtlinge, die unter schwierigsten Bedingungen ihre Heimat verlassen mussten und zum Teil nur ihr Leben retten konnten. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung mit rund 50 Millionen Euro diese Menschen unterstützt und eine weitere substanzielle Aufstockung dieser Mittel in Aussicht stellt. Zudem unterstreiche ich die bereits im Entschließungsantrag angesprochene Notwendigkeit, dass sowohl Deutschland als auch seine europäischen Partner großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen sein soll- ten. Denn mit Blick auf das unendliche Leid im Irak ist die Weltgemeinschaft zum Handeln aufgerufen. Für mich ist auch klar, dass Deutschland in diesem leidvollen Konflikt nicht passiv bleiben kann. Meine persönliche Überzeugung jedoch ist, dass Waffenliefe- rungen in das Kriegsgebiet keine Lösung sind. Stattdes- sen erachte ich es für wichtig, dass die humanitäre Hilfe weiter intensiviert wird, mehr Flüchtlinge aufgenommen werden und eine UNO-Schutzzone eingerichtet wird, um einen Genozid zu verhindern. Wir haben in Nigeria, im Südsudan und an vielen anderen Orten der Welt ähnliche Konflikte. Wollen wir auch dorthin Waffen liefern, um die Zivilisten zu schützen? Wichtig ist darüber hinaus, dass auch wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen – wie in der Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 15. August 2014 aufgeführt – gegen den IS und seine Unterstützer umgesetzt werden. Meiner Auffassung nach besteht keine Notwendigkeit, dass sich Deutschland mit der Lieferung von Waffen im Kampf im Irak beteiligt, zumal viele andere Staaten ebenfalls Waffen liefern. Es ist eine wichtige Aufgabe für Deutschland, den Flüchtlingen im Nordirak zur Seite zu stehen. Umfangreiche humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge in großem Stil zu leisten, könnte ein spürba- res und wirksames Signal sein. Nach Abwägung all dieser Umstände kann ich dem vorgelegten Entschließungsantrag der Koalitionsfraktio- nen nicht zustimmen. Mechthild Rawert (SPD): Die heutige Entscheidung stellt mich vor ein unauflösbares Dilemma. Auf der ei- nen Seite steht der sozialdemokratische Grundsatz, auf präventive Friedensarbeit und Diplomatie zu setzen und keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Andererseits können wir dem Morden nicht tatenlos zusehen. Eine mit unseren ethischen Grundsätzen zu vereinbarende wi- derspruchsfreie Lösung ist nicht möglich. Einerseits könnten Waffenlieferungen die Zeit des Mordens durch den IS verkürzen. Andererseits könnten Waffenlieferun- gen unüberschaubare Konsequenzen haben und – wenn die Rüstungsgüter in falsche Hände geraten – neue Kon- flikte auslösen oder verschärfen. Konsens ist: Humani- täre Hilfe, diplomatische Arbeit gegen die Versorgung des IS mit Geld und Waffen und die internationale Ab- stimmung unseres Handelns sind die entscheidenden In- strumente unserer Friedenspolitik. Gerade weil wir vor einem Dilemma stehen, respek- tiere ich das Abstimmungsverhalten aller Kolleginnen und Kollegen. Denn wir alle verfolgen das gleiche Ziel – das Morden in der Region zu beenden. Mit der heutigen Debatte und Abstimmung im Deut- schen Bundestag folgen wir einer wichtigen Forderung der Berliner SPD. Aufgrund der möglichen Konsequen- zen von Waffenlieferungen hat die Berliner SPD be- schlossen, dass die Lieferung von Rüstungsgütern in Krisengebiete eine den Auslandseinsätzen vergleichbar einschneidende Maßnahme darstellt. Folglich muss der Tragweite friedens- und sicherheitspolitisch bedeutsa- mer Interventionen – wie der Neuaufnahme von deut- schen Lieferungen von Rüstungsgütern an bzw. in Län- der, die sich in akuten oder potenziellen Konflikten befinden – mit einem Parlamentsvorbehalt Rechnung ge- tragen werden. Internationale Abstimmung – UN-Beschluss voran- treiben: Entscheidend für eine dauerhafte Konfliktlösung ist es, mit den Staaten in der Region ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen. Auch für die Lieferung von Rüstungsgütern sollte deshalb ein Beschluss des UN-Si- cherheitsrates angestrebt werden. Deutschland würde in diesem Falle seine Bereitschaft erklären, die Kämpfer gegen den IS mit Waffen zu unterstützen – gemeinsam mit anderen Europäern und einem UN-Mandat. Gleich- zeitig muss ein groß angelegtes humanitäres Hilfspro- gramm zur Rettung der Flüchtlinge und Verletzten ge- startet werden – vor Ort und auch hier in Europa. Da sich der IS jeglicher diplomatischen Erreichbarkeit entzieht, müssen wir auf jene Staaten einwirken, die den Zufluss von Geld und Waffen an den IS ermöglichen. Auch hier kann ein UN-Mandat helfen – internationale Abstim- mung ist unverzichtbar. Wir appellieren an Russland, ei- nen entsprechenden Beschluss mitzutragen oder wenigs- tens zu tolerieren. Waffen geraten leicht in falsche Hände: Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass Waffen aus Deutschland ein wirksames und schnelles Mittel sein werden, den IS zu stoppen. Unsere Erfahrung lehrt, dass dies in vielen Fällen nicht auf Dauer gelingt. Aus guten Gründen hat die SPD-geführte Regierung sich nicht am Irakkrieg beteiligt. Diesen Weg, von der deutschen Bevölkerung auf breiter Basis getragen, soll- ten wir fortsetzen und Krisengebiete nicht mit Waffen versorgen – einen Präzedenzfall, der diesen Grundsatz gefährdet, wollen wir nicht schaffen. Das beharrliche Bemühen von Außenminister Frank- Walter Steinmeier um diplomatische Lösungen und die Initiative des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel zur Begrenzung der Rüstungsexporte müssen weiter gestärkt werden. Integrierte Friedensstrategie: Nötig ist eine integ- rierte, präventive Friedensstrategie. Dies erfordert eine strikte Trennung von humanitärer und ziviler Hilfe ei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4457 (A) (C) (D)(B) nerseits sowie militärischem Eingreifen und Waffenlie- ferungen andererseits. Deutsche humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in großem Stil: Nach allem, was wir aus den uns zugänglichen Quellen erfahren, geht der IS mit kaum zu überbietender Grausamkeit vor. Hunderttausende Flüchtlinge sind Op- fer einer humanitären Katastrophe. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Notwendig ist eine Politik der Deeskalation aus der Position eines glaubhaften und ehr- lichen Vermittlers heraus. Es ist eine wichtige Aufgabe für Deutschland, den Flüchtlingen im Nordirak zur Seite zu stehen. Deutsche humanitäre Hilfe für Flüchtlinge ist in wirklich großem Stil zu leisten. Geldquellen des Krieges austrocknen, Profiteure von Waffengeschäften und Kriegen ächten: Die Mischung aus religiösem Fanatismus und politischen Allmachts- fantasien des IS wurde erst durch den Zufluss von Geld und Waffen militärisch-terroristisch virulent. Hier rächt sich der weltweit außer Kontrolle geratene Waffenhan- del. Deshalb gilt es zunächst, diesen Zufluss von Geld und Waffen an den IS zu stoppen und auf die Geldgeber des IS einzuwirken, die finanzielle und materielle Unter- stützung des IS einzustellen. Zivilen Friedensdienst stärken: In der aktuellen De- batte betone ich besonders die Bedeutung der zivilen Konfliktbearbeitung wie die Stärkung des Zivilen Frie- densdienstes, ZFD. Dieser gilt als ein Erfolgsmodell der Kooperation von staatlichen und nichtstaatlichen Trä- gern der Entwicklungs- und Friedensarbeit. ZFD-Fach- kräfte unterstützen weltweit in Krisenregionen örtliche Partnerorganisationen dabei, Grundlagen für einen nach- haltigen Frieden zu schaffen. Das Dilemma, in dem wir uns zwischen „Keine Waf- fen in Krisengebiete und Friedensarbeit“ auf der einen und „Nicht zusehen, wie gemordet wird“ auf der anderen Seite befinden, können wir mit der anstehenden Ent- scheidung nicht auflösen. Im Augenblick sind wir eher Getriebene der Entwicklungen. Die Perspektive aber muss sein, eine präventive und von Diplomatie getra- gene Friedenspolitik zu gestalten. Für sein aktives Ein- treten für eine solche Politik danke ich unserem Außen- minister Frank-Walter Steinmeier. In Erwägung all dieser Gründe stimme ich dem Ent- schließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD zur Regierungserklärung „Humanitäre Hilfe für Flücht- linge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 1. September 2014 nicht zu. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Ich sehe mit großer Sorge die Verschärfung der sicherheitspolitischen und der humanitären Lage insbesondere im Norden des Irak. Nach neuesten Zahlen der Vereinten Nationen sind mittlerweile über 1,7 Millionen Menschen auf der Flucht, davon circa 1 Million im Gebiet der kurdischen Regionalregierung. Ich begrüße ausdrücklich die umfangreiche humani- täre Nothilfe der Bundesregierung für die Flüchtlinge, die unter schwierigsten Bedingungen ihre Heimat verlas- sen mussten und zum Teil nur ihr Leben retten konnten. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung bisher mit circa 50 Millionen Euro diese Menschen unterstützt und eine weitere substanzielle Aufstockung dieser Mittel in Aussicht gestellt hat. Ich begrüße ausdrücklich die Zu- sicherung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann in der Parlamentsdebatte, dass die Mittel für die humanitäre Hilfe dabei jeweils deutlich höher sein sollen als die Mittel für die begleitende Unterstützung durch Waffenlieferungen. Ich unterstütze auch die be- reits im Entschließungsantrag angesprochene Notwen- digkeit, dass Deutschland und seine europäischen Part- ner großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen sein sollen. Die Bundesregierung hat nach einem verantwortungs- vollen Abwägungsprozess über die humanitäre Hilfe hi- naus beschlossen, auch Waffen zur Verteidigung gegen die militärisch überlegenen Truppen des ISIS in Abspra- che mit der Zentralregierung in Bagdad und in Abstim- mung mit Deutschlands Partnern an die kurdische Re- gionalregierung zu liefern. Ich halte insbesondere für sehr wichtig, dass die Lieferung von Waffen, damit sie nicht möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in ei- nem innerirakischen Konflikt zwischen den drei großen Volksgruppen zum Einsatz gebracht werden könnten oder an andere Gruppen missbräuchlich gelangen könn- ten, ausdrücklich mit der Zustimmung der Zentralregie- rung und über die Zentralregierung an die Verantwortli- chen in der kurdischen Nordregion in den Irak geleitet werden. Die Bundesregierung hat die Augen vor den potenziellen Gefahren einer Weitergabe eben nicht ver- schlossen, sondern bei ihren Entscheidungen einbezogen und entsprechende Maßnahmen – unter anderem eine Endverbleibsregelung mit der kurdischen Regionalregie- rung – getroffen. Dies kann natürlich keine letzte Sicher- heit gegen einen Missbrauch geben, aber es ist eine für mich sehr wichtige Absicherung. Die Bundesregierung hat aufgrund einer außerge- wöhnlichen außen- und sicherheitspolitischen Lage eine Einzelentscheidung getroffen. Es handelt sich hierbei für mich ausdrücklich nicht um einen Wechsel in der grund- sätzlichen Politik oder gar einen Tabubruch. Der Grund- satz der deutschen Rüstungsexportpolitik, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern, bleibt der Eckpfeiler deutscher Exportpolitik. Der Schwerpunkt deutscher und internationaler Poli- tik muss weiter auf der politischen Regelung des Kon- fliktes im Irak liegen. Es ist für mich persönlich absolut notwendig, dass der designierte irakische Ministerpräsi- dent eine Regierung bildet, in der alle großen Volksgrup- pen des Irak repräsentiert sind. Dies würde auch die Chance erheblich vergrößern, dass die sunnitischen Stämme, die sich aufgrund der politischen Diskriminie- rung durch die Vorgängerregierung Maliki dem ISIS an- geschlossen haben, sich wieder vom ISIS abwenden und ihm die Unterstützung entziehen. Die Bundesregierung muss diesen politischen Prozess gemeinsam mit ihren Partnern aktiv unterstützen. Wichtig ist darüber hinaus, dass auch wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen – wie in der Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 15. August 2014 aufgeführt – gegen ISIS und seine Un- 4458 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) terstützer umgesetzt werden. Darüber hinaus ist wesent- lich, dass eine politische Strategie für die Region des Nahen und Mittleren Ostens gemeinsam mit den Regie- rungen vor Ort aufgesetzt wird. Dies erfordert auch klare Kritik und Einwirkung auf bisherige „stille“ und offene Unterstützer in der Region wie zum Beispiel die Türkei oder Saudi-Arabien. Deutschland muss hierzu auch im Rahmen seines G-7-Vorsitzes weitere Initiativen starten. Nach Abwägung aller Umstände stimme ich dem vor- gelegten Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu, weil er eine Entscheidung in einem sehr konkreten Einzelfall unterstützt, bei dem die Chance besteht, ele- mentare Menschenrechte für viele betroffene Menschen zu schützen. Dr. Nina Scheer (SPD): Wenn sich die Bundesregie- rung für Waffenlieferungen an die kurdische Regional- regierung im Nordirak ausspricht, ist dies von dem Bestreben getragen, Menschenleben von Verfolgten zu retten, hiermit auch einen Beitrag zum Schutz der Staat- lichkeit des Irak sowie für die Stabilität der gesamten Region zu leisten, die angesichts der IS-Terroristen in akuter Gefahr ist. Auch wenn ich dieses Bestreben teile, halte ich den- noch und gerade mit Blick auf die Stabilität der betref- fenden Region Waffenlieferungen für falsch. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die Waffen in die falschen Hände geraten oder den Konflikt ausweiten, statt die er- forderliche Selbstverteidigung zu gewährleisten. Richtigerweise leistet Deutschland humanitäre Hilfe. Auch eine Ausdehnung derselben halte ich für richtig. Es sollten alle humanitären Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die mit dem Tod bedrohte Zivilbevölkerung zu schützen. Ich begrüße zudem, dass sich alle 193 Staaten der Vereinten Nationen am 15. August 2014 verpflichtet ha- ben, Staaten, die die IS-Terrorgruppe unterstützen und sie mit Waffen ausrüsten, zu sanktionieren. Die gegenwärtige Situation im Irak verlangt darüber hinaus aber auch militärischen Schutz der verfolgten Zi- vilisten. Hierfür bedarf es eines UN-Mandats und des Einsatzes von UN-Friedenstruppen. Interventionen ohne UN-Resolution oder durch einzelne Staatenbünde ber- gen die Gefahr neuer Konflikte und Bewaffnung. Vor diesem Hintergrund können Waffenlieferungen die Aus- dehnung von Terror verstärken. Das drängendste Elend, das Deutschland und die Welt aufruft, akute Hilfe zu leisten, lautet selbstverständlich, Terror und Verfolgung zu bekämpfen. Unsere Maßnahmen dürfen aber nicht zur Verstärkung eines terroristischen Nährbodens führen. Dem Entschließungsantrag kann ich aufgrund der da- rin mitenthaltenen Unterstützung durch Waffenlieferun- gen nicht zustimmen, teile aber ausdrücklich die zu hu- manitären Hilfen getroffenen Aussagen. Offsetdruc sellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 K Marian Wendt (CDU/CSU): Dem heute vorliegen- den Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages zur Lieferung von militärischen und humanitären Aus- rüstungsgegenständen an die kurdische Regierung im Nordirak stimme ich zu und möchte dies wie folgt be- gründen: Erstens. In den letzten Jahren hat die Region Kurdis- tan im Irak eine stabile, sichere und friedvolle Entwick- lung vollzogen. Werte wie Meinungs-, Presse- und Reli- gionsfreiheit wurden entwickelt, bestätigt und finden dort im Alltag wirkliche Anwendung. Jedermann kann seine Meinung frei äußern; Minderheiten sind geschützt, egal ob es religiöse, ethnische oder andere Gruppen sind. Die Kurden sehen uns als Partner in der Region; dies muss so bleiben. Die Kurden sehen Europa, insbeson- dere Deutschland, als Partner an und hoffen auf unsere Unterstützung, da gemeinsame Werte geteilt werden. Wir haben hier enge Verbindungen mit vielen Kurden im Irak, da viele von ihnen in Deutschland gelebt und ge- wohnt haben. Sie sind mit uns sprachlich und kulturell verbunden. Zweitens. Wir brauchen in der Region Stabilität, nicht nur im kurdischen Teil, sondern auch darüber hinaus, vom Mittelmeer bis an den Persischen Golf. Wenn wir es zulassen, dass die IS-Milizen weiter vordringen und zur Destabilisierung des Irak und Syriens sowie der angren- zenden Länder beitragen, dann droht hier ein neuer, grö- ßerer Konfliktherd. So würde zum Beispiel auch das NATO-Mitgliedsland Türkei betroffen sein, und sollte hier ein Angriff geschehen, müssten wir nach Artikel 5 des NATO-Vertrags entsprechenden Beistand geben. Solch einer Entwicklung sollten wir deswegen mit unse- rer Unterstützung für die Peschmerga – kurdische Ar- mee – frühzeitig entgegenwirken. Die IS-Milizen müs- sen aufgehalten und der Konflikt hoffentlich alsbald beendet werden. Drittens. Wir sind eines der größten Exportländer, auch deshalb müssen wir Verantwortung für globale, ge- meinsame Aufgaben übernehmen. Hierunter zählen die Herstellung und die Gewährleistung von Frieden und Stabilität in den Regionen, wie hier in Irak und Syrien. Der beste Weg wäre, den Krieg zu verhindern, denn ei- nen gerechten oder friedlichen Krieg gibt es nicht. Im Krieg wird jeder irgendwann schuldig. Nun stelle ich mir die Frage: Wie machen wir uns mehr oder weniger schuldig? Aus meiner Sicht können wir durch die Unter- stützung mit Hilfsgütern und militärischem Gut unsere Partner vor Ort im Kampf gegen den marodierenden und mordenden IS effektiv unterstützen. Wir stärken mit un- serer Hilfe die kurdische Verteidigungsbereitschaft, und damit kann die Terrorgruppe IS und ihre knapp tausend europäischen Kämpfer zurückgedrängt werden. So han- deln wir sinnvoll und machen uns nicht durch „Nichts- tun“ schuldig. Anschließend müssen wir weiter den poli- tischen Weg zur Stabilisierung der Region gehen. kerei, Bessemerstraße 83–91, 1 öln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 22 48. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP1 Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zurSituation im Irak Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804800000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Meine Damen und
Herren, heute ist der Jahrestag des Beginns des Zwei-
ten Weltkrieges, der am 1. September 1939 durch den
völkerrechtswidrigen Einmarsch deutscher Truppen in
Polen begonnen hat. Wir werden in der nächsten Woche,
wie seit langem vereinbart, in einer eigenen Veranstal-
tung hier im Plenarsaal des Deutschen Bundestages zu-
sammen mit dem polnischen Staatspräsidenten an diese
Ereignisse und ihre historische und politische Bedeutung
erinnern.

Wir alle würden uns wünschen, dass nach den trau-
matischen Erfahrungen zweier Weltkriege, die Millionen
Tote zum Ergebnis hatten, aggressive militärische Ge-
walt für die Durchsetzung politischer Interessen ein für
alle Mal geächtet und aus dem Repertoire der Politik
verschwunden wäre und das Prinzip der territorialen In-
tegrität von Staaten allgemein akzeptiert und respektiert
würde.


(Beifall im ganzen Hause)


Tatsächlich machen wir die bittere Erfahrung, dass
weltweit weiter Kriege geführt werden, Waffenstillstände
gebrochen werden, Völkerrecht missachtet wird, Men-
schen verfolgt, terrorisiert und getötet werden – auch in
der Nachbarschaft der Europäischen Union –: in Israel
und in den palästinensischen Gebieten, wo in immer
wieder aufflammenden militärischen Auseinanderset-
zungen zuletzt über 2 000 Menschen zu Tode gekommen
sind; in der Ukraine, wo nach einer völkerrechtswidrigen
Annexion der Krim Russland durch massive Unterstüt-
zung von Separatisten mit eigenen Soldaten und schwe-
rem militärischem Gerät gegen einen souveränen Nach-
barstaat buchstäblich zu Felde zieht; in Syrien und im
Nordirak, wo Millionen Menschen aus ihrer angestamm-
ten Heimat vertrieben werden und auf der Flucht vor
brutalen Terrormilizen sind.

Wir sind heute zu dieser Sondersitzung des Deutschen
Bundestages zusammengekommen, um gemeinsam da-
rüber zu reden, auch miteinander zu ringen, wie wir un-
sere Verantwortung, die Verantwortung unseres Landes,
am besten wahrnehmen können; das ist das, wofür Parla-
mente gewählt und beauftragt sind.

Bevor wir das im Rahmen der vereinbarten Tagesord-
nung tun, möchte ich Sie bitten, sich als Zeichen der
Trauer um die Opfer und als Zeichen unseres Mitgefühls
für die Verfolgten und Bedrängten in den betroffenen
Regionen von Ihren Plätzen zu erheben.


(Die Anwesenden erheben sich)


– Vielen Dank.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, gemäß Artikel 39
Absatz 3 des Grundgesetzes habe ich den Deutschen
Bundestag zu der heutigen Sondersitzung im Einverneh-
men mit allen Fraktionen einberufen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:

Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und
Kampf gegen die Terrororganisation IS

Hierzu liegen ein Entschließungsantrag der Fraktio-
nen der CDU/CSU und SPD sowie ein Entschließungs-
antrag der Fraktion Die Linke und ein weiterer Ent-
schließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
vor, über die wir später abstimmen werden.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-
rung zwei Stunden, genau: 125 Minuten, vorgesehen. –
Ich darf dazu Einvernehmen feststellen. Dann können
wir so verfahren.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin, Frau Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1804800100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Werte Gäste dieser Debatte! Meine Damen
und Herren! Heute vor 75 Jahren begann der Zweite
Weltkrieg. Am 1. September 1939 überfiel Deutschland
Polen. Der von Deutschland entfesselte Krieg und die





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Verbrechen des Nationalsozialismus waren die Ursache
für Millionen von Toten und für unermessliches Leid
vieler Völker. 6 Millionen Juden und viele andere Men-
schen wurden in Ghettos und Vernichtungslagern oder
nahe ihrer Heimatorte ermordet. Das werden wir Deut-
schen niemals vergessen. Das ist Deutschlands immer-
währende geschichtliche Verantwortung, und zu dieser
Verantwortung bekennen wir uns.

Knapp sechs grausame Kriegsjahre dauerte es, bis den
Alliierten mit vereinten Kräften der Sieg über das natio-
nalsozialistische Deutschland gelang und die unmensch-
lichen Verbrechen ein Ende fanden. Damals schienen die
Gräben zwischen den Nationen unüberwindbar. Heute
sitzen wir, 28 Mitgliedstaaten, in der Europäischen
Union gemeinsam an einem Tisch. Aus Feinden sind
längst Freunde geworden, und mitten unter ihnen befin-
det sich unser Land, das einst seinen Nachbarn so viel
Leid gebracht hat. Deshalb haben wir 2007 anlässlich
von 50 Jahren Römischer Verträge gesagt: „Wir Euro-
päer, wir sind zu unserem Glück vereint.“

Weite Teile unserer Politik gestalten wir in enger Ab-
stimmung oder sogar gemeinsam. Wir meistern zusam-
men schwierige Herausforderungen wie etwa die inter-
nationale Finanzkrise und die Schuldenkrise im Euro-
Raum, und wir vertreten Seite an Seite unsere Werte,
Überzeugungen und Interessen in der Welt. Welches
Glück die europäische Einigung bedeutet, wird uns der-
zeit täglich vor Augen geführt. Geschichte und Gegen-
wart mahnen uns, dieses Glück für kommende Genera-
tionen zu schützen.

Ich freue mich, dass wir uns am vergangenen Samstag
beim Europäischen Rat mit Donald Tusk auf einen
neuen Präsidenten des Europäischen Rates einigen konn-
ten, von dem ich sicher bin, dass er mit aller Kraft seinen
Beitrag dazu leisten wird, dass Europa die anstehenden
Herausforderungen erfolgreich meistert, seien sie außen-
politischer oder wirtschafts- und finanzpolitischer Natur.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Als Donald Tusk 2010 mit dem Karlspreis ausge-
zeichnet wurde, habe ich mit Freude die Laudatio gehal-
ten. Damals habe ich gesagt – ich wiederhole es heute
gerne; ich zitiere –:

Europa braucht auch weiterhin mehr als alles an-
dere leidenschaftliche, überzeugte und überzeu-
gende Europäer, die unser gemeinsames Haus mit
Leben erfüllen, es ausbauen und erhalten. Donald
Tusk ist einer von ihnen.

Dass 25 Jahre nach der friedlichen Revolution in Mit-
tel- und Osteuropa ein Pole an der Spitze des Europäi-
schen Rates stehen wird, ist für mich – und ich glaube,
auch für viele andere – von hoher Symbolkraft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Von Danzig, der Heimatstadt von Donald Tusk, ging
mit der Solidarnosc-Bewegung ein, wenn nicht der ent-
scheidende Impuls für das Ende der Teilung Europas
aus. Ohne das Freiheitsstreben der Menschen gerade
auch in Polen, gerade auch von Menschen wie Donald
Tusk wäre die Überwindung der Teilung Europas und
Deutschlands undenkbar gewesen. Deutschland und
Polen sind sich heute so nah wie nie zuvor – als Nach-
barn und als Partner in Europa. Daran hat auch Donald
Tusk großen Anteil. Ich habe mit ihm als polnischem
Ministerpräsidenten intensiv, vertrauensvoll und freund-
schaftlich zusammengearbeitet. Ich freue mich auch auf
die Zusammenarbeit mit ihm als neuem ER-Präsidenten,
genauso wie ich mich auf die Zusammenarbeit mit dem
neuen Präsidenten der Kommission, Jean-Claude Juncker,
und mit der neu benannten Hohen Vertreterin der Euro-
päischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik,
Federica Mogherini, freue.

Das Amt des Hohen Vertreters steht für unsere Ge-
meinsame Außen- und Sicherheitspolitik in der Europäi-
schen Union. Gemeinsam mit der NATO-Mitgliedschaft
Deutschlands sind dies die beiden Pfeiler unserer inter-
nationalen Bündnispolitik in Fragen der Sicherheit.

Am Donnerstag und Freitag dieser Woche wird in
Wales der diesjährige NATO-Gipfel stattfinden. Ge-
meinsam mit unseren Bündnispartnern werden wir über
die verschiedenen globalen Konfliktherde sprechen und
uns über unser Vorgehen abstimmen. Neben der Situa-
tion im Irak und in Syrien geht es dabei derzeit vor allem
um die Lage in der Ukraine. An der Tagung der NATO-
Ukraine-Kommission wird der ukrainische Präsident
Poroschenko teilnehmen.

Was geschieht in diesen Tagen in der Ukraine? Russ-
land unternimmt den Versuch, bestehende Grenzen unter
Androhung oder sogar unter Einsatz von Gewalt zu ver-
schieben. Die territoriale Integrität eines souveränen
Landes wurde durch die Annexion der Krim in einem
eklatanten Bruch des Völkerrechts verletzt. Dies verletzt
die Grundfeste unserer europäischen Nachkriegsord-
nung, die territoriale Integrität jedes Landes anzuerken-
nen. Nur so konnte in Europa ein friedliches Zusammen-
leben entstehen.

Die jüngsten Berichte über ein Vordringen russischer
Soldaten auf ukrainisches Gebiet unterstreichen die Dra-
matik der augenblicklichen Situation. Es wird immer
klarer: Es handelte sich von Anfang an nicht um einen
Konflikt innerhalb der Ukraine, sondern um eine Aus-
einandersetzung zwischen Russland und der Ukraine.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir haben bereits deutlich gemacht, dass wir das rus-
sische Verhalten nicht tatenlos hinnehmen. In großer
Übereinstimmung zwischen der Europäischen Union
und den USA haben wir Sanktionsmaßnahmen beschlos-
sen. Ein Bruch des Völkerrechts darf nicht ohne Folgen
bleiben. Wir haben am Samstag angesichts der neuerli-
chen Eskalation die Kommission gebeten, innerhalb ei-
ner Woche weitere substanzielle Sanktionsschritte vor-
zubereiten.





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Dabei leitet die Bundesregierung die Überzeugung,
dass es eine militärische Lösung des Konflikts nicht ge-
ben wird. Darüber sind sich auch alle EU-Mitgliedstaa-
ten einig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Umso dringlicher sind unsere Bemühungen, eine politi-
sche Lösung zu erreichen. Für uns stehen ein schneller
Waffenstillstand und die Sicherung der Grenze im Vor-
dergrund. Dafür werden wir in all unseren Gesprächen
auch weiter werben, der Bundesaußenminister genauso
wie ich.

Durch das russische Verhalten ist die Sorge bei eini-
gen NATO-Partnern gewachsen, dass auch sie akut be-
droht sein könnten. Dies gilt zum Beispiel für die balti-
schen Staaten und genauso für Polen. Ich wiederhole
heute das, was ich auch bei meinem Besuch in Lettland
gesagt habe: Wir stehen zu unseren Bündnisverpflich-
tungen. Artikel 5 des NATO-Vertrages gilt für alle. – Das
werden auch unsere Beschlüsse in Wales noch einmal
unterstreichen. Wir werden Maßnahmen beschließen,
durch die die Reaktions- und Verteidigungsfähigkeit des
Bündnisses weiter gestärkt werden. Dabei ist es für
Deutschland wichtig, dass wir uns im Einklang mit der
NATO-Russland-Grundakte von 1997 bewegen. Sie ist
geprägt von der Einsicht, dass Sicherheit in Europa nicht
durch Konfrontation, sondern nur durch Kooperation zu
erreichen ist. Dies ist und bleibt unsere Überzeugung.
Wir werden weiter intensiv dafür werben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Wales werden wir auch die Gelegenheit haben,
kurz vor dem Ende der ISAF-Mission eine Bilanz des
Afghanistan-Einsatzes zu ziehen, aber auch nächste
Schritte zur Unterstützung des Landes zu besprechen.
Dazu gehören die Pläne für die Nachfolgemission „Re-
solute Support“ und die weitere Unterstützung, etwa der
afghanischen Sicherheitskräfte. Hier geht es uns darum,
das bisher Erreichte möglichst nachhaltig zu sichern.

Die innenpolitischen Auseinandersetzungen in Af-
ghanistan um die Nachfolge im Präsidentenamt und das
militärische Vorgehen der immer noch aktiven Taliban
zeigen, dass Afghanistan weiter Unterstützung der inter-
nationalen Staatengemeinschaft und damit auch unsere
Unterstützung braucht. Das Ende der ISAF-Mission
– ich habe das in der Vergangenheit wiederholt betont –
bedeutet nicht das Ende unseres Engagements für Af-
ghanistan und das afghanische Volk. Ich bin zuversicht-
lich, dass vom Gipfel in Wales erneut ein Signal der ge-
meinsamen Unterstützung ausgehen wird.

Die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen
sind von uns und auch unseren Partnern in Zeiten zuneh-
mend knapper Haushalte zu bewältigen. Daher werben
wir nachdrücklich dafür, unsere verteidigungspolitischen
Anstrengungen innerhalb der NATO und auch der EU
besser miteinander zu verknüpfen. Wir wollen daran ar-
beiten, die notwendigen Kapazitäten gemeinsam zu ent-
wickeln und vorzuhalten. Ich bin zuversichtlich, dass wir
auf dem Gipfel nächste Schritte dazu vereinbaren kön-
nen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Bundesre-
gierung ist dabei klar: Kein Konflikt der Welt lässt sich
allein militärisch lösen. Aber immer wieder standen wir
in den letzten Jahren vor Entscheidungen, bei denen
auch deutlich wurde: Es gibt Situationen, in denen nur
noch militärische Mittel helfen, um wieder eine politi-
sche Option zu haben. Jeder Konflikt hat seinen eigenen
Charakter; jedes Mal ist der Abwägungsprozess schwie-
rig; jedes Mal ringen wir, die Regierung, aber in vielen
Fragen auch die Abgeordneten hier im Parlament, um
den richtigen Weg.

Der Blick zurück bis in die 90er-Jahre des letzten
Jahrhunderts zeigt: Wir haben seitdem zahlreiche weit-
reichende Entscheidungen gefällt. Es gab kontroverse
Diskussionen, als Deutschland gefragt war, sich am
NATO-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien zu beteili-
gen. Es gab kontroverse Diskussionen, als es darum
ging, nach dem 11. September 2001 Kampftruppen nach
Afghanistan zu entsenden. Es gab kontroverse Diskus-
sionen über die Beteiligung an anderen militärischen
Missionen. Soldatinnen und Soldaten der deutschen
Bundeswehr sind nach wie vor auf dem Balkan, in Af-
ghanistan und auch in Afrika im Einsatz. Ich danke ih-
nen von Herzen für ihren Dienst, der mit hohen persönli-
chen Risiken für Leib, Seele und Leben verbunden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Bei der heute zu debattierenden Entscheidung geht es
nicht um den Einsatz von Soldaten. Aber auch das Lie-
fern von militärischer Ausrüstung an eine Konfliktpartei
ist eine Entscheidung, die sorgsam abzuwägen ist.

In den vergangenen Wochen sind wir Zeugen unfass-
barer Gräueltaten einer Terrorgruppe unter dem Namen
„Islamischer Staat“ in Irak und Syrien geworden. Maro-
dierend, plündernd, mordend sind ihre schwerbewaffne-
ten Milizen im Irak vorgerückt bis in die Nähe Bagdads
und zuletzt bis an die Schwelle zur kurdischen Autono-
mieregion im Norden des Irak. Alles, was nicht ihrem
Weltbild entspricht, räumen sie grausam aus dem Weg.

Besonders dramatisch ist die Bedrohung von religiö-
sen Minderheiten im Irak. Die Milizen stellen Mitglieder
christlicher Kirchen vor die Wahl, entweder zum Islam
zu konvertieren oder ihre Heimat und Existenzgrundlage
aufzugeben, andernfalls drohe ihnen der Tod. Die
Existenz einer gesamten Glaubensgemeinschaft, die der
Jesiden, war zeitweise gefährdet. Die dramatischen Bil-
der von der Situation auf dem Sindschar-Gebirge haben
wir alle noch vor Augen: die eingekesselte Menge, die
ums Überleben ringenden Männer und Frauen, die ver-
durstenden Kinder. Am Ende haben kurdische Kräfte
mutig eingegriffen, flankiert von entschlossener Luft-
unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika. Nur
so konnte einem Großteil der Jesiden die Flucht aus den
Bergen gelingen.

Aber nicht nur die Minderheiten sind bedroht, son-
dern auch schiitische Muslime und Sunniten, die sich





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

dem Terror entgegenstellen. Jeder, der sich gegen die
Terrorgruppe ISIS wehrt, muss mit dem Schlimmsten
rechnen. Hier wird eine Religion in furchtbarer Weise
missbraucht, um Mord, Terror und Herrschaftsanspruch
zu legitimieren.

Über 1 Million Menschen sind inzwischen auf der
Flucht vor dem Terror. Hunderttausende haben Schutz
im kurdischen Norden des Irak gefunden, aber auch in
Teilen Syriens und in der Türkei. Die kurdische Autono-
mieregierung stößt mit der immensen Zahl an Flüchtlin-
gen an ihre Grenzen. Es mangelt an allem. Es fehlen
Unterkünfte, Lebensmittel, medizinische Versorgung. Es
droht eine humanitäre Katastrophe.

Die Terrorgruppe ISIS demonstriert Tag für Tag und
Zug um Zug einen grenzüberschreitenden Herrschafts-
anspruch. Mit modernen Waffen und erbeuteten Finanz-
mitteln agiert ISIS in Syrien und im Irak inzwischen auf
einer Fläche, die größer als halb Deutschland ist, und die
Terrormilizen setzen ihren Vormarsch fort. ISIS schwebt
ein Kalifat vor, das bis zum Mittelmeer reichen soll und
Jerusalem einschließt. Die Terrorgruppe hat sich eigene
finanzielle Einnahmequellen geschaffen. Dies führt ent-
scheidend mit zu ihrer Stärke und macht sie so gefähr-
lich. Die Kämpfer gehen unvorstellbar grausam vor. UN-
Menschenrechtskommissarin Navi Pillay spricht von
Verbrechen gegen die Menschlichkeit; in den Gebieten,
in denen ISIS agiert, würden ethnische und religiöse
Säuberungen durchgeführt.

Darüber hinaus steht der Irak durch das expandie-
rende Terrorregime von ISIS vor einer Zerreißprobe. Es
droht eine weitere Destabilisierung der ohnehin schon
politisch fragilen Region. Längst spüren auch Libanon,
Jordanien und die Türkei die Auswirkungen des Terrors.
Eine so weitreichende Destabilisierung einer ganzen Re-
gion wirkt sich auch auf Deutschland und Europa aus.
Meine Damen und Herren, wenn Terroristen ein Gebiet
unterjochen, um dort ein stabiles Fundament für ihre
Schreckensherrschaft und einen Rückzugsort für sich
und andere Fanatiker zu schaffen, dann wächst auch für
uns die Gefahr; dann sind unsere Sicherheitsinteressen
betroffen.

Zudem schließen sich Dschihadisten aus vielen Län-
dern – auch aus europäischen Staaten – der Terrorgruppe
an. Mehr als 400 Deutsche sind mittlerweile in die
Region gereist. Schätzungen zufolge liegt die Zahl der
europäischen Kämpfer in den Reihen der ISIS insgesamt
im vierstelligen Bereich. Dies liegt in unserem Verant-
wortungsbereich. Wir müssen zudem befürchten, dass
diese Kämpfer eines Tages zurückkehren und unsere Si-
cherheit auch ganz unmittelbar bedrohen. Die Gefahr ist
seit Monaten ein Thema in der öffentlichen Diskussion.

Der ISIS-Terror kann uns deshalb in vielerlei Hinsicht
auf keinen Fall kaltlassen. Seine Expansion muss aufge-
halten werden. Darüber sind wir uns in der NATO und in
der Europäischen Union einig.

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am
15. August 2014 eine Resolution verabschiedet. Sie
brandmarkt die Terrorgruppe ISIS, verurteilt ihre Ge-
walttaten auf das Schärfste und sieht Maßnahmen zu ih-
rer Bekämpfung vor. In der von Deutschland mit einbe-
rufenen Sondersitzung der EU-Außenminister wurde die
Unterstützung durch einzelne Mitgliedstaaten für die
kurdischen Streitkräfte im Kampf gegen die Terror-
gruppe ISIS begrüßt.

Für die Bundesregierung ist klar: In erster Linie muss
die Not Hunderttausender Flüchtlinge gelindert werden.
Wir konnten dank der engen Koordination der Ressorts
schnell auf den Hilferuf der kurdischen Regionalregie-
rung reagieren. Bereits mehr als 150 Tonnen Hilfsgüter
wurden von der Bundeswehr nach Arbil in den Norden
Iraks ausgeflogen. Aktuell haben wir insgesamt rund
50 Millionen Euro an humanitärer Hilfe schon aufge-
wendet und neu zugesagt. Das ist dringend benötigte So-
forthilfe.

All dies ist wichtig, und dort, wo Menschen in Not
sind, werden wir helfen – auch durch die zusätzliche
Aufnahme von Flüchtlingen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Unsere Politik muss aber in erster Linie darauf abzielen,
dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben und dort in
Sicherheit leben können. Es gilt, die Not der Menschen
nicht nur zu lindern, sondern sie auch zu verhindern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Gemeinsam mit den Einheiten der irakischen Armee
und den USA versuchen die Peschmerga, das weitere
Vorrücken der Terrorgruppe ISIS abzuwehren. Wir kön-
nen dankbar dafür sein. Sie setzen sich hohen Risiken
aus, um etwas zu erreichen, das auch in unserem Inte-
resse ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ebenso wie einige unserer EU-Partner hat die Bun-
desregierung – auf Bitten der kurdischen Regionalregie-
rung und mit Zustimmung der irakischen Zentralregie-
rung – beschlossen, weitergehende, umfassende Hilfe zu
leisten. Wir stimmen uns dazu mit den EU-Mitgliedstaa-
ten, den USA und unseren anderen Partnern in der Welt
engstens ab. Es besteht dringender Bedarf an militäri-
scher Ausrüstung wie Schutzwesten, Helmen und Funk-
geräten. Darum kümmern wir uns, und wir sind auch be-
reit, in begrenztem Umfang und in enger Abstimmung
mit unseren Partnern den Streitkräften der autonomen
Region Irakisch-Kurdistan Waffen und Munition für den
Kampf gegen die ISIS-Terrormiliz bereitzustellen.

Um diese zu liefern, nutzen die zuständen Ressorts in-
nerhalb der Bundesregierung ihren politischen und
rechtlichen Spielraum. Es geht dabei um die Abgabe von
militärischer Ausrüstung, also von Fahrzeugen, Waffen
und Munition, aus vorhandenen Beständen der Bundes-
wehr. Die Abgabe erfolgt im Einverständnis mit der ira-
kischen Zentralregierung an die Streitkräfte der autono-
men Region Irakisch-Kurdistan. Die Einzelheiten dieser





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) (C)



(D)(B)

Hilfsleistungen haben wir Ihnen, liebe Kolleginnen und
Kollegen, gesondert übermittelt, und sie wurden im Ver-
teidigungsausschuss und auch im Auswärtigen Aus-
schuss vorgestellt.

Diese Entscheidung ist weitreichend. Wir haben sehr
sorgsam abgewogen und dabei sämtliche außen- und si-
cherheitspolitischen Aspekte beleuchtet. Wir standen vor
der Wahl, kein Risiko einzugehen, nicht zu liefern und
letztlich die Ausbreitung des Terrors hinzunehmen oder
diejenigen zu unterstützen, die verzweifelt, aber mutig
mit knappsten Ressourcen gegen den grausamen ISIS-
Terror kämpfen.

Uns sind die Risiken einer solchen Unterstützung be-
wusst. Wir haben sie natürlich bedacht. Umgekehrt ha-
ben wir aber auch gefragt: Was ist mit den akuten Risi-
ken, die von der Terrorgruppe ISIS ausgehen, wenn wir
jetzt keine Waffen und keine Munition liefern? Können
wir wirklich warten und hoffen, dass andere sich dieser
akuten Gefahr stellen? Nein. Dies entspricht nicht unse-
rer Vorstellung von Verantwortung in dieser Situation.
Das immense Leid vieler Menschen schreit zum Him-
mel, und unsere eigenen Sicherheitsinteressen sind be-
droht.

Das, was ist, wiegt in diesem Falle schwerer als das,
was sein könnte. Wir haben jetzt die Chance, mitzuhel-
fen, eine menschenverachtende Terrorgruppe zu stoppen
und ihre weitere Ausbreitung abzuwenden. Wir haben
jetzt die Chance, das Leben von Menschen zu retten und
weitere Massenmorde im Irak zu verhindern. Wir haben
jetzt die Chance, zu verhindern, dass Terroristen sich ei-
nen neuen, sicheren Rückzugsort schaffen und von dort
Hass und Gewalt in die Welt tragen. Diese Chance müs-
sen wir nutzen.

Ich betone noch einmal: Die Lieferung militärischer
Ausrüstung wird mit dem Einverständnis der irakischen
Zentralregierung erfolgen. Uns liegt es fern, zentrifugale
Kräfte im Irak zu unterstützen. Ganz im Gegenteil: Im
Kern geht es darum, das irakische Staatsgefüge vor ei-
nem Zerfall zu bewahren. Der entscheidende Schlüssel
dazu liegt in einem politischen Prozess, der alle Bevöl-
kerungsgruppen einbezieht.

Der Irak braucht einen Prozess der Aussöhnung. Die
Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung, allen
voran der Sunniten, muss aufhören. Es geht darum, den
enttäuschten sunnitischen Stämmen und anderen Grup-
pen einschließlich der Kurden einen angemessenen Platz
in ihrem Staats- und Gemeinwesen zu geben. Es geht da-
rum, dem Extremismus schon im Ansatz entgegenzuwir-
ken. Es geht auch darum, verfassungsrechtlich garan-
tierte Rechte, beispielsweise für die autonome kurdische
Regionalregierung, einzuhalten.

Dies sind große Herausforderungen für den designier-
ten irakischen Premierminister al-Abadi. Die Bundesre-
gierung steht bereit, den Irak bei der Bewältigung dieser
Herausforderungen zu unterstützen. Denn es bleibt da-
bei: Kein Konflikt dieser Welt lässt sich allein militä-
risch lösen. Wirklich dauerhaft lösen lassen sich Kon-
flikte nur politisch, so wie wir es in Europa erfahren
haben durch den europäischen Integrationsprozess nach
dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804800200

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-

nächst dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804800300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Prä-

sident, Sie haben zu Beginn an die Bedeutung des heuti-
gen Datums erinnert. Tatsächlich, der 1. September vor
75 Jahren war der Tag, an dem der schlimmste Krieg in
der Geschichte der Menschheit durch Deutschland be-
gonnen wurde, der Zweite Weltkrieg. Deshalb ist dieser
Tag zum Weltfriedenstag geworden. Ich muss Ihnen ehr-
lich sagen: Ich finde es mehr als stillos, gerade an einem
solchen Tag über die Lieferung von Waffen für einen
Krieg zu debattieren. Aber nun ist es so.


(Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben über den Zweiten
Weltkrieg, der von Hitler-Deutschland ausging, gespro-
chen. Aber ich finde, Sie haben eine notwendige Konse-
quenz nicht gezogen: Hätte Deutschland 1945 nicht sa-
gen müssen, dass wir nie wieder an Kriegen verdienen
wollen?


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sind der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Wenn
man der drittgrößte Waffenexporteur der Welt ist, ver-
dient man an jedem Krieg. Genau das steht uns nicht zu.
Wir sollten so schnell wie möglich wenigstens jetzt Waf-
fenexporte verbieten.


(Beifall bei der LINKEN)


Eine Sache ärgert mich – so wichtig und richtig ich,
abgesehen vom Datum, die Sondersitzung finde –: dass
wir nur debattieren, aber nicht entscheiden dürfen. Die
Bundesregierung hat nämlich schon verbindlich ent-
schieden, und ich finde, dass das bei einer Sondersitzung
nicht geht. Wir sind das höchste Verfassungsorgan, und
wir hätten auch entscheiden müssen. Das ist meines Er-
achtens das Mindeste.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich noch etwas zum völkerrechtlichen
Weg sagen. Um die terroristische Söldnerarmee, den
„Islamischen Staat“, den wir alle gemeinsam gleich ein-
schätzen, völkerrechtlich wirksam bekämpfen zu kön-
nen, brauchen wir den Sicherheitsrat der Vereinten Na-
tionen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Es geht nicht an, dass jede Regierung – die US-Regie-
rung, die deutsche Regierung und andere Regierungen –
für sich entscheidet, was sie dort treibt. Es gibt eine klare
Zuständigkeit. Diese liegt beim Sicherheitsrat, und er hat
auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen zu
entscheiden. Was wir dann machen, ist eine ganz andere
Frage. Aber die Entscheidung muss von der UNO ge-
troffen werden und nicht von der US-Regierung oder
von anderen einzelnen Regierungen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Übrigens war in der Charta der Vereinten Nationen
für solche Fälle eine eigene Truppe vorgesehen, aber sie
ist nie gebildet worden.


(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der hätten Sie ja wohl nicht zugestimmt! – Gegenruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD]: Das war doch ganz verlogen!)


Jetzt hat die Bundesrepublik leider keine weitere Sitzung
des Sicherheitsrates beantragt und auch keinen weiteren
Resolutionsentwurf erarbeitet, sondern sich entschieden,
Waffen zu liefern, was wir für völlig falsch halten. Dazu
komme ich noch.

Aber vielleicht rufen Sie den Sicherheitsrat wegen
des schlechten Verhältnisses zu Russland nicht an. Darf
ich daran erinnern, dass es vielleicht doch und schon
deshalb ein Fehler war, Russland zu isolieren und sich
gegenseitig mit Sanktionen hochzuschaukeln,


(Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Russland isoliert sich selber! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: So ist das!)


weil man Russland im Sicherheitsrat benötigt? Ich sage
Ihnen: Gespräche sind viel besser als Sanktionen. Sank-
tionen bringen uns auch in der Frage der Ukraine nie-
mals voran, ganz im Gegenteil.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wann stellt die Bundesregierung endlich einmal fest,
dass es der mit einer Kriegslüge begonnene Krieg der
USA und anderer Staaten 2003 gegen den Irak war, der
den Irak zerstört und den „Islamischen Staat“ überhaupt
erst ermöglicht hat? Das ist doch die Grundfeststellung,
die man treffen muss, bevor man über weitere Maßnah-
men nachdenkt.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt noch etwas, das mich stört – ich sage Ihnen
das ganz offen –: Mich stört die selektive Wahrnehmung
im Zusammenhang mit Opfern. Bei Kriegen oder Bür-
gerkriegen sind Sie sehr schnell dabei, aber bei anderen
gravierenden Menschenrechtsverletzungen nicht. Ich
nenne Ihnen ein Beispiel: Jährlich sterben auf der Erde
18 Millionen Menschen, darunter viele Kinder, an Hun-
ger oder an den Folgen von Hunger, obwohl wir welt-
weit eine Landwirtschaft haben, die die Menschheit
zweimal ernähren könnte. Wo sind da eigentlich Ihre Ini-
tiativen? Wo ist da eigentlich der Aufschrei? Wenn es
um Waffen geht, sind Sie sehr schnell, aber bei den an-
deren Themen überhaupt nicht. Es wird höchste Zeit,
dass man für alle Opfer etwas tut. Nur dann ist man
glaubwürdig.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn der Irak von etwas genug hat, dann sind das
Waffen. Die Peschmerga – ich sage das jetzt schon, da-
mit Sie sich später nicht wundern – überlassen nicht sel-
ten kampflos ihre Waffen, also dann auch der Organisa-
tion „Islamischer Staat“. Das wird dann auch mit
deutschen Waffen geschehen.

Noch etwas: Waffenexporte in Kriegsgebiete sind
nicht so neu, wie Sie gesagt haben. Die hat es schon ge-
geben, und zwar wurden an Israel auch dann Waffen ge-
liefert, wenn gerade ein Krieg im Gazastreifen stattfand.
Waffen wurden auch an Saudi-Arabien geliefert, als
Saudi-Arabien in Bahrain einmarschierte, und an die
Türkei, als sie gerade 10 000 Soldaten gegen die PKK
losschickte.

Neu ist aber, dass sie an Kampfverbände gehen, die
nicht der Regierung unterstehen. Das hat es noch nicht
gegeben, und das ist ein solches Novum, dass ich meine,
schon deshalb hätte der Bundestag darüber entscheiden
müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Übrigens hat es bei den Waffenlieferungen an Israel
auch die Grünen und die SPD nicht gestört, dass es sich
um ein Kriegsgebiet handelte. Ich meine, es ist das Min-
deste, dass wir aufhören, Waffen in den Nahen Osten zu
liefern. Ob an Saudi-Arabien, Katar, Algerien oder Is-
rael: Die Waffenlieferungen in den Nahen Osten müssen
beendet werden, und zwar so schnell wie möglich.


(Beifall bei der LINKEN)


Es gibt aber nicht nur die irakischen Peschmerga, son-
dern auch Einheiten der PKK und der syrischen PYD,
die ebenfalls der PKK nahesteht. Die Jesiden fühlen sich
– das wird man auch Ihnen gesagt gaben, Herr Kauder –
durch die Peschmerga nicht wirklich geschützt, und
zwar aus zwei Gründen nicht: Erstens sagen die
Peschmerga, dass die Jesiden zur eigenen Verteidigung
von ihnen keine einzige Waffe bekommen. Zweitens
sind die Peschmerga aus dem Gebirge abgezogen, wohin
die Jesiden geflüchtet waren. Nun kommt es: Wäre nicht
die PKK gewesen und hätte sie geschützt, hätte die terro-
ristische Söldnertruppe des „Islamischen Staats“ sie ver-
nichten können. Das ist die Wahrheit. Damit müssen wir
uns auseinandersetzen.

Nun haben Sie aber festgelegt: Wenn die Peschmerga
Waffen bekommen, dürfen sie nicht an die PKK und die
PYD weitergegeben werden. Abgesehen davon, dass das
überhaupt nicht kontrollierbar ist, ist es auch nicht nach-
vollziehbar. Denn die durch türkische und syrische Kur-
den, die der PKK nahestehen, geschaffene Schutzzone
hat das Leben von Christinnen und Christen sowie
Jesiden, aber auch von Schiiten und Sunniten – darauf
haben Sie zu Recht hingewiesen – tatsächlich gerettet.





Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, auch
wenn es Ihnen nicht passt.

Deshalb sage ich: Die Einschätzung der PKK als ter-
roristische Organisation und ihr Verbot müssen überprüft
und aufgehoben werden. Stattdessen muss endlich der
„Islamische Staat“ verboten werden. Der Hinweis da-
rauf, dass er hier keine Strukturen habe, ist falsch. Es
gibt über 300 Dschihadisten in Syrien, die aus Deutsch-
land kommen. Bei uns gibt es eine Unterstützerszene.
Also wird es höchste Zeit, den sogenannten „Islami-
schen Staat“ in Deutschland zu verbieten.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun befürchten Sie, dass die Waffen – auch die deut-
schen – später für einen Unabhängigkeitskampf der Kur-
den im Nordirak genutzt werden könnten. Sie sagen
aber, es gehe um heute und nicht um später. Dazu muss
ich Ihnen Folgendes sagen: Natürlich werden die Waffen
dazu genutzt werden. Ich glaube sogar, dass der Antrieb
der nordirakischen Regierung, die die Waffen haben
will, ist, uns indirekt zu binden und zu beteiligen. Aber
Sie haben völlig recht, Herr Steinmeier: Wenn sich der
Nordirak ohne Zustimmung der Zentralregierung und
des Zentralparlaments vom Irak loslöst, ist das völker-
rechtswidrig. Das war genauso bei der Krim und dem
Kosovo, wo Sie es allerdings nicht einsehen wollten.

Es gibt aber ein anderes Problem – das ist nachvoll-
ziehbar, und ich will es kurz begründen –: Hussein hat
die Kurdinnen und Kurden im Nordirak verfolgt und
Völkermord begangen. Die jetzige Regierung ist nicht in
der Lage, sie wirksam zu schützen. Wo soll da die Bin-
dung entstehen? Hinzu kommt folgende Erfahrung:
Wenn eine nationale Gruppe keinen eigenen Staat hat, ist
sie nicht geschützt. Tausende von Jahren wurden Jüdin-
nen und Juden diskriminiert und verfolgt. Erst seitdem
es den Staat Israel gibt, haben sie internationalen Schutz.
Wenn ich das sage, betone ich gleichzeitig: Es wird
höchste Zeit, dass der Staat Palästina gegründet wird, da-
mit auch die Palästinenserinnen und Palästinenser end-
lich entsprechenden Schutz haben.


(Beifall bei der LINKEN)


Vor diesem Hintergrund verstehe ich, dass die Kur-
dinnen und Kurden sagen, dass sie sich – ob in der Tür-
kei, im Iran oder wo auch immer – erst wirksam schüt-
zen, wenn sie einen eigenen Staat haben. Es gibt eine
Gruppe, für die das nicht gilt und die nie einen eigenen
Staat gründen kann: Das sind die Sinti und Roma. So
werden sie leider auch behandelt.

Wie gesagt, auf die Waffenverwendung haben Sie
keinen Einfluss. Aber es geht noch um etwas anderes:
Woher kommt eigentlich das Geld für den „Islamischen
Staat“? Die Organisation „Islamischer Staat“ verkauft
reichlich Erdöl. Frau Bundeskanzlerin, warum verhin-
dern Sie nicht mit internationalem Druck, dass dieses
Erdöl gekauft wird? Der IS darf kein Geld bekommen.


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem kommt Geld aus Saudi-Arabien, Katar und
der Türkei. Sie konnten doch die Konten bestimmter
Russen sperren. Warum können Sie dann nicht die Kon-
ten der betreffenden Familien aus Saudi-Arabien, Katar
und der Türkei sperren? Es wird höchste Zeit, dass das
geschieht.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Was machen Sie eigentlich mit der Türkei? Die Tür-
kei hat alle potenziellen Terroristen durchgelassen, und
zwar ohne jede Beeinträchtigung. Die Türkei hat die
Auslieferung deutscher und anderer Hilfsgüter in den
Nordirak behindert. Die Türkei hilft außerdem den
Flüchtlingen nicht. Dabei ist die Türkei unser NATO-
Partner. Wann üben Sie endlich Druck aus und sagen:
„So geht es nicht; mit der Türkei muss endlich ernsthaft
darüber gesprochen werden“? Dann gibt es noch ein
Embargo der Regierung im Nordirak und der Türkei ge-
genüber Syrien, sodass an die Flüchtlinge in Syrien und
die PYD nichts geliefert wird, nicht einmal Medika-
mente. Auch das ist völlig unmenschlich und muss end-
lich überwunden werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Warum vergessen Sie immer Syrien? Wir reden fast
nur über den Irak. Der IS herrscht genauso in Syrien und
marschiert auch dort voran. Er wird von den Kurdinnen
und Kurden und übrigens auch von den Assad-Truppen
bekämpft. Was denn nun? Ich will Assad weiß Gott nicht
schöner machen, als er ist, aber gar keine Gesprächskon-
takte mehr zu haben, war vielleicht doch ein Fehler, weil
man eben in bestimmten Situationen wieder miteinander
ins Gespräch kommen muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun sage ich Ihnen noch etwas: Sie müssen sich für
Gespräche zwischen allen Bevölkerungsteilen im Irak
einsetzen. Wir müssen endlich überall dafür kämpfen,
säkulare Staaten zu bekommen. Nicht eine Religion darf
das ganze Geschehen dominieren. Das muss endlich
überwunden werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir treten selbstverständlich für eine umfassende hu-
manitäre Hilfe ein, natürlich auch für die Aufnahme ei-
ner höheren Zahl von Flüchtlingen in ganz Europa, auch
in Deutschland. Aber ich sage Ihnen noch eines: Es gibt
ein krasses Missverhältnis. 70 Millionen Euro sind die
Waffen wert, die Sie liefern wollen, nur 50 Millionen
Euro die Hilfsgüter. – Das sagt eine Menge.

Dann will ich noch an Folgendes erinnern: Wer hat ei-
gentlich Solidarität mit den Kurdinnen und Kurden ge-
übt, als sie im Irak benachteiligt waren, aber auch in der
Türkei und im Iran? Vornehmlich die Grünen und die
Linken, die anderen Parteien so gut wie gar nicht, wenn
ich daran einmal erinnern darf. Wissen Sie, wann Sie
Ihre Solidarität entdeckt haben? Als die Kurden die Erd-
ölstadt Kirkuk eingenommen haben; mehr sage ich dazu
nicht. Wir haben Solidarität unabhängig davon geübt;
auch das muss ich Ihnen hier aufrichtig sagen.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)

Als Letztes lassen Sie mich Folgendes sagen: Die
Bundesregierung wirkt in der ganzen Situation hilflos.
Den Kalten Krieg hat der Westen gewonnen. Die Ord-
nung des Kalten Krieges wurde glücklicherweise über-
wunden, aber eine neue, friedenschaffende Ordnung ist
nicht entstanden. Weder die USA noch Russland noch
China, geschweige denn die EU, Frankreich und Groß-
britannien werden ihrer Verantwortung gerecht; aber es
ist ihre Verantwortung, dass endlich wieder eine frieden-
schaffende Ordnung weltweit entsteht.

Danke schön.


(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Kraut und Rüben!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804800400

Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Thomas Oppermann (SPD):
Rede ID: ID1804800500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute vor

75 Jahren hat Deutschland durch den Überfall auf Polen
den Zweiten Weltkrieg begonnen und damit die größte
Katastrophe des 20. Jahrhunderts verursacht. Das natio-
nalsozialistische Deutschland hat Demokratie, Freiheit
und Menschlichkeit in Europa ausgelöscht und unendli-
ches Leid über Millionen Menschen gebracht. Wir kön-
nen heute froh sein, dass uns nach dem Ende des Krieges
die Völkergemeinschaft wieder aufgenommen hat, und
wir sind dankbar, dass wir in einem friedlichen, verein-
ten Europa leben und die Politik einer Europäischen
Union mitgestalten dürfen, deren grundlegende Ziele
Demokratie, Frieden und Völkerverständigung sind.

Für die Außenpolitik unseres Landes hat das von An-
fang an eine fundamentale Konsequenz gehabt: die klare
Absage an jede Form nationalistischer Politik. Nationale
Alleingänge gehören endgültig der Vergangenheit an,
und wir dürfen nie wieder dahin zurückkehren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir stimmen unsere Politik mit unseren europäischen
Partnern ab und handeln Seite an Seite mit unseren Ver-
bündeten. Dass zu diesen Verbündeten heute neben
Frankreich auch Polen gehört, das ist ein großes Glück
für uns Deutsche. Wenn 75 Jahre nach dem Überfall auf
Polen unsere Nachbarn mit Blick auf die Annexion der
Krim und den von Russland unterstützten Krieg in der
Ostukraine wieder Angst um ihre Sicherheit und Unab-
hängigkeit haben, dann ist das nicht nur ein Problem für
Polen, sondern auch für Deutschland; denn Deutschland
kann nicht sicher leben, wenn nicht Polen in Sicherheit
und Frieden lebt. Deutsche und polnische Sicherheit sind
für uns untrennbar miteinander verbunden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Das gilt auch und gerade angesichts des Russland-
Ukraine-Konfliktes. Niemand hätte sich träumen lassen,
dass 25 Jahre nach dem Ende der Ost-West-Konfronta-
tion wieder Truppen mitten in Europa gegeneinander
stehen und aufeinander schießen. Russland stellt mit sei-
nen fortgesetzten Souveränitätsverletzungen die interna-
tionale Friedensordnung infrage. Das können und dürfen
Europa und die internationale Gemeinschaft nicht akzep-
tieren. Es ist eine Frage der Glaubwürdigkeit, darauf
eine deutliche Antwort zu geben.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Aber unsere Reaktion darf nicht so sein, dass wir in
eine Abwärtsspirale geraten und unsererseits selbst zur
weiteren Eskalation beitragen. Ich bin sehr dankbar für
die unermüdliche Arbeit und die immer neuen Ge-
sprächsinitiativen von Angela Merkel und Frank-Walter
Steinmeier. Es ist ihr Verdienst, dass wir in Europa in
dieser Frage bisher zusammengeblieben sind, und es ist
ihr Verdienst, dass wir bisher schlimmere Eskalationen
verhindert haben. Dafür vielen Dank!


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Ich bin auch froh, dass die Bundeskanzlerin eben
noch einmal klargestellt hat: Es gibt keine militärische
Lösung; es gibt keine militärische Option. Deshalb ist
auch eine Lieferung von Waffen in die Ukraine der fal-
sche Weg. Dieser Konflikt kann nicht mit militärischen
Mitteln, sondern nur mit politischen Mitteln gelöst wer-
den.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Aber die Welt scheint nicht nur in Osteuropa aus den
Fugen geraten zu sein. Im Nahen Osten lösen sich die
politischen Strukturen einer Gesamtregion auf, wie wir
es seit dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr erlebt
haben. In Gaza liegt ein ganzer Landstrich in Trümmern,
und ein dauerhafter Friede zwischen Israel und den Pa-
lästinensern ist in den letzten Wochen in noch weitere
Ferne gerückt, auch wenn die Vereinbarung der letzten
Woche ein kleiner Hoffnungsschimmer ist.

Libyen versinkt nicht nur in den Kämpfen islamisti-
scher Milizen gegen Regierungstruppen; auch die politi-
schen und staatlichen Strukturen sind völlig zusammen-
gebrochen. In Syrien tobt seit drei Jahren ein blutiger
Bürgerkrieg, bei dem bereits mehr als 170 000 Tote zu
beklagen sind. Mit einem schnellen Vormarsch haben
jetzt die Terrormilizen des „Islamischen Staates“ große
Teile Syriens und des Irak unter ihre Kontrolle gebracht.
Es droht der Zerfall des irakischen Staates. Wenn ISIS
jetzt auch noch Jordanien und den Libanon, wohin sich
Millionen Flüchtlinge aus dem syrischen Bürgerkrieg
gerettet haben, angreift und destabilisiert, dann brennt
eine ganze Region, dann droht eine humanitäre Katastro-
phe ungekannten Ausmaßes. Ich finde, in einer solchen
Situation nur passiv zuzuschauen und anderen die Ver-
antwortung zu überlassen, das wäre nicht angemessen.





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das zeigt auch ein Blick in die Geschichte. Ich zitiere:

Wir

– der Deutsche Bundestag –

bedauern daher auch nachdrücklich die wenig ent-
schiedene Rolle der internationalen Gemeinschaft,
die trotz vielfältiger Informationen über das mörde-
rische Handeln vor Ort nicht ausreichend versucht
hat, diese Gräuel zu beenden.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diese Worte, meine Damen und Herren, hat der Deut-
sche Bundestag, getragen von CDU/CSU, SPD und Grü-
nen, vor fast genau fünf Monaten im Gedenken an einen
grausamen Völkermord in Ruanda geäußert.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Genau!)


Es ist bitter, dass wir uns eingestehen mussten, dass die
internationale Gemeinschaft beim Völkermord in
Ruanda ihrer Verantwortung nicht ansatzweise gerecht
wurde. Trotz aller Unterschiede muss uns das eine Mah-
nung sein. Das sollten wir stets vor Augen haben, wenn
wir heute über die richtigen Antworten auf die Situation
im Nordirak debattieren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Dort spielt sich seit Wochen ein Drama ab, das in sei-
ner Brutalität und Grausamkeit in jüngster Zeit ohne
Beispiel ist. Die Terrorgruppe ISIS hinterlässt eine Spur
der Verwüstung, kontrolliert bald ein Gebiet so groß wie
die Bundesrepublik Deutschland. Eroberte Dörfer wer-
den zerstört, Hab und Gut geraubt, Fluchtwege bewusst
verstellt. Hunderttausende sind auf der Flucht, zum Teil
unter lebensbedrohlichen Umständen. ISIS vertreibt
ganze Volksgruppen und religiöse Minderheiten. Wer
sich nicht bedingungslos unterwirft, wird exekutiert.
Kinder werden gezwungen, öffentlichen Hinrichtungen
zuzuschauen. Frauen und Mädchen werden von der Ter-
rorgruppe wie eine Kriegsbeute behandelt, misshandelt,
vergewaltigt oder als Sklavinnen verkauft.

Die Vereinten Nationen – darauf wurde schon hinge-
wiesen – stufen diese Gräueltaten als Verbrechen gegen
die Menschlichkeit ein. Angesichts dieser dramatischen
Situation, meine Damen und Herren, müssen wir helfen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Im Vordergrund steht dabei für uns ganz klar die hu-
manitäre Hilfe, die massiv ausgeweitet werden muss, da-
mit die Flüchtlinge im Nordirak den kommenden Winter
überstehen können. Bisher sind 50 Millionen Euro für
humanitäre Hilfe vorgesehen. Was die Waffenhilfe an-
geht, Herr Gysi, werden übrigens in der ersten Tranche
nur Waffen im Wert von 30 Millionen Euro geliefert. Ich
sage hier ganz klar: Wir werden darauf achten, dass die
humanitäre Hilfe für diese Region immer deutlich höher
ist als die Waffenhilfe, die wir auch brauchen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Bundeswehr und internationale Organisationen
bringen Nahrungsmittel, Medikamente, Impfstoffe,
Zelte, Decken und andere Hilfsgüter zu den Flüchtlin-
gen. Allerdings ist das nur möglich, weil die kurdischen
Peschmerga mit Unterstützung der US-Luftwaffe den
Vormarsch des „Islamischen Staats“ vorerst gestoppt ha-
ben. Das war von ganz entscheidender Bedeutung; denn
humanitäre Hilfe setzt ein Mindestmaß an Sicherheit vo-
raus, einen militärisch abgesicherten Bereich. In den von
ISIS beherrschten Bereichen gibt es praktisch keine
Möglichkeit, zu helfen.

Ich habe heute einen Bericht gehört, wonach in diesen
Gebieten noch nie so viele Mitarbeiter von NGOs, von
humanitären Organisationen zu Tode gekommen sind
wie in diesem Jahr, und das sollte allen zu denken geben,
die für humanitäre Hilfe eintreten. Solange wir keine Lö-
sung haben, um die Hilfe auch zu den Menschen zu brin-
gen, werden am Ende diejenigen, die das Risiko auf sich
nehmen, trotzdem zu helfen, die ersten Opfer sein. Das
kann nicht richtig sein, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] und Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich möchte an dieser Stelle meinen Respekt für die
Tapferkeit der Kurden bekunden. Sie haben sich den Ter-
rormilizen mutig entgegengestellt und unschuldige Men-
schen verteidigt, während die irakische Armee flucht-
artig das Feld geräumt und ihre Ausrüstung ISIS
überlassen hat. Wir können froh darüber sein, dass es die
Kurden gibt und sie ihr im letzten Jahrzehnt aufgebautes
Gemeinwesen schützen und verteidigen. Aber ohne in-
ternationale Unterstützung, ohne unsere Waffen, um die
uns die Kurden ausdrücklich bitten, drohen sie überrannt
zu werden. Ohne unsere Hilfe wäre ihr Kampf mögli-
cherweise aussichtslos. Deshalb halten wir die Entschei-
dung der Bundesregierung für richtig, den Kurden auf
Bitten der irakischen Regierung neben militärischer
Schutzausrüstung auch dringend benötigte Waffen zu
liefern, damit sie die weiteren Angriffe der Terrormilizen
abwehren können.

Das, Herr Gysi, ist kein kommerzieller Rüstungs-
export, sondern das ist eine Nothilfe zur Rettung von
Menschenleben. Es ist eine Nothilfe, um Hunderttau-
sende von Flüchtlingen zu schützen, und kein kommer-
zieller Export von Kriegswaffen. Ich glaube, diesen Un-
terschied müssen Sie deutlich machen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Weil die Grünen eben nicht mitgeklatscht haben: Auch
der deutsch-iranische Schriftsteller Navid Kermani, dem
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, auch Sie von den





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)

Linken, vor wenigen Wochen hier im Hause noch be-
geistert applaudiert haben, fordert, dass wir uns einmi-
schen. Er veröffentlichte vor kurzem in der Berliner Zei-
tung einen Artikel mit der Überschrift „Stoppt den
Islamischen Staat!“. Er beschreibt darin ISIS als „Pol-
Pot-Version des Islam“ und appelliert an die Weltge-
meinschaft – das sind auch wir –, sich nicht damit abzu-
finden, dass eine Terrorgruppe wie ISIS brutale ethni-
sche und religiöse Säuberungen durchführt. Ich finde,
meine Damen und Herren, Navid Kermani hat recht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Handeln wir nicht, besteht die akute Gefahr eines
Völkermordes. Vor allem Christen, Jesiden, aber auch
die Schiiten und die Sunniten im Norden Iraks sind exis-
tenziell bedroht. Die Entstehung eines islamistischen
Terrorstaates hat aber nicht nur unübersehbare Folgen
für den gesamten Mittleren und Nahen Osten, sondern
wäre auch für uns und unsere Partner eine ganz unmittel-
bare Gefahr direkt an den Grenzen unseres NATO-Bünd-
nisses. Niemand zweifelt daran, dass ein solcher Staat
ein dauerhafter Anziehungspunkt und eine Ausbildungs-
stätte für Terroristen wäre, die Gewalt dann auch nach
Europa tragen. Schon jetzt beteiligen sich mehrere Hun-
dert deutsche Dschihadisten an den Massakern. Wenn sie
zurückkommen, dann drohen Terroranschläge auch in
Deutschland.

Trotz all dieser Argumente ist die Entscheidung über
eine Waffenlieferung an die Kurden keine einfache;
denn wir machen damit eine Ausnahme von dem Grund-
satz, keine Waffen in Spannungs- und Kriegsgebiete zu
liefern. Wir haben uns auch diese Entscheidung nicht
leicht gemacht; denn sie ist mit Risiken verbunden.
Diese Waffen haben keinen Rückholschein. Auch wenn
die Bundesregierung alles daransetzen wird, dass unsere
Waffen nicht in falsche Hände geraten, und durch Teil-
lieferungen Vorsorge trägt, dass im Nordirak keine Waf-
fenlager entstehen, keine Waffenvorräte angelegt wer-
den, wissen wir nicht zu 100 Prozent, was am Ende mit
ihnen passieren wird. Wer handelt, muss die Konsequen-
zen tragen.

Aber Verantwortung tragen nicht nur die, die handeln.
Verantwortung müssen wir auch tragen für unser Nicht-
handeln. Deshalb muss sich jeder hier im Hause der Ab-
wägung stellen. Für mich persönlich ist dabei die Gefahr
eines fortgesetzten Völkermordes und weiterer Verbre-
chen gegen die Menschlichkeit eindeutig höher zu bewer-
ten als das Risiko – das durchaus vorhandene Risiko –,
dass unsere Waffen in falsche Hände geraten. Deshalb
bin ich zutiefst davon überzeugt, dass die Bundesregie-
rung die richtige Entscheidung trifft, wenn sie in einer
Ausnahmesituation nicht nur humanitäre Hilfsgüter und
Schutzausrüstung, sondern als Nothilfe auch Waffen
über die irakische Regierung an die Kurden liefert.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)


Herr Gysi, Sie haben gesagt: Mit Protestbriefen wird
man ISIS nicht stoppen. – Als ich das gelesen habe, habe
ich gedacht, der Mann hat recht. Heute vertreten Sie eine
andere Position.


(Zuruf von der CDU/CSU: Innerhalb von drei Wochen!)


Was Sie da vorhin vorgetragen haben, war für mich so
durcheinander, dass ich feststellen kann: Eine klare Linie
haben Sie in dieser Frage nicht.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In dieser Situation für einen Kurdenstaat zu plädieren
und gleichzeitig zu sagen, dass die Anwendung der Waf-
fen in anderen Konflikten eine nicht auszuschließende
Gefahr ist,


(Katja Kipping [DIE LINKE]: Er hat auf den Widerspruch hingewiesen!)


das ist – ich will es einmal vorsichtig sagen – mindestens
ein Widerspruch. Bei den vielen Staaten, die nach Ihrer
Auffassung noch gegründet werden müssen, ist mir ei-
nes aufgefallen: Als die Kosovaren einen Staat gegrün-
det haben, um sich gegen Übergriffe der Serben zu
schützen, da haben Sie nicht nach einem eigenen Staat
gerufen.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wo waren Sie da, Herr Gysi? Es reicht auch nicht aus,
nur mit dem Finger auf andere zu zeigen und ihnen die
Schuld zuzuschieben. Richtig ist: Der Irakkrieg war ein
schwerer Fehler. Ich bin froh, dass wir 2003 mit Gerhard
Schröder einen Bundeskanzler hatten, der Deutschland
aus diesem Krieg herausgehalten hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und Joschka nicht vergessen!)


Aber den Menschen im Irak, die unter dem Terror von
ISIS leiden, ist in keiner Weise geholfen, wenn wir die
Verantwortung nur bei den USA suchen und selbst nichts
tun.

Die Entscheidung für Waffenlieferungen an die Kur-
den ändert auch nichts an den Politischen Grundsätzen
der Bundesregierung für Rüstungsexporte. Diese Politi-
schen Grundsätze verlangen von uns stets eine Entschei-
dung im Einzelfall. Dabei tritt der Grundsatz des Verbo-
tes von Waffenexporten in Kriegs- und Krisengebiete
zurück, wenn besondere, überragende außen- und sicher-
heitspolitische Interessen der Bundesrepublik Deutsch-
land ausnahmsweise für eine Genehmigung sprechen.
Unsere Grundsätze sehen also eine Ausnahme vor. Inso-
fern ist eine Ausnahme eine Ausnahme und kein Tabu-
bruch, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich finde, dass das fahrlässige und oberflächliche Ge-
rede vom Tabubruch aufhören sollte,





Thomas Oppermann


(A) (C)



(D)(B)


(Zuruf der Abg. Katja Kipping [DIE LINKE])


weil es uns bei dieser Frage nicht hilft, eine verantwortli-
che Entscheidung gut zu begründen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Ihre Verteidigungsministerin gesagt! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das müssen Sie Frau von der Leyen sagen!)


Rüstungsexporte in Krisenregionen aus rein wirtschaftli-
chem Interesse wird und darf es auch in Zukunft nicht
geben. Auch in Gebiete außerhalb von Krisenregionen
darf es keine Waffenlieferungen geben, wenn diese zur
Repression der eigenen Bevölkerung eingesetzt zu wer-
den drohen. Rüstungsexporte sind eben kein Instrument
der Wirtschaftspolitik. Den restriktiven Kurs dieser Bun-
desregierung unterstützen wir mit allem Nachdruck,
meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Waffenlieferungen sind zwar notwendig, aber sie
sind für eine friedliche Zukunft des Irak nicht ausrei-
chend. Denn mit Waffengewalt kann man vielleicht
Kriege gewinnen, aber keinen Frieden erreichen; das
geht nur mit politischen Mitteln. Deshalb muss die neue
Regierung der nationalen Einheit, wie sie der designierte
Premierminister al-Abadi anstrebt, Schiiten, Sunniten
und Kurden einbeziehen. Die gemäßigten Sunniten dür-
fen im Irak nicht länger ausgegrenzt werden. Diese Aus-
grenzung war einer der Hauptgründe für die vielen sun-
nitischen Überläufer. Nur wenn es gelingt, die politische
und religiöse Zersplitterung aufzuheben bzw. zu über-
winden, hat der Irak eine Chance auf Stabilisierung.

Zweitens muss dafür gesorgt werden, dass ISIS kei-
nerlei Unterstützung mehr erhält und von der internatio-
nalen Gemeinschaft konsequent geächtet wird. Ein erster
Schritt ist der Beschluss des UN-Sicherheitsrates. Aber
hier sind auch die Golfstaaten in besonderer Weise ge-
fordert. Ich finde es im Übrigen unerträglich, dass eine
Terrororganisation wie ISIS auf internationalen Märkten
ungehindert Einnahmen aus Ölverkäufen erzielen kann.
Das muss politisch gestoppt werden.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich fasse zusammen: Als wirtschaftlich starkes Land
in Europa, als ein Land, das dankbar ist für die Verant-
wortung, die andere Länder jahrzehntelang für uns über-
nommen haben, können wir nicht einfach wegschauen,
wenn sich im Nahen Osten eine neue Terrorherrschaft
etabliert, die Millionen von Menschen bedroht. Die Ent-
scheidung der Bundesregierung ist nicht im nationalen
Alleingang getroffen, sondern mit unseren Partnern ab-
gestimmt. Sie ist kein Präjudiz für künftige Fälle. Sie ist
keine Kehrtwende in unserer Außen- und Sicherheits-
politik und erst recht kein Tabubruch, sondern sie ist das
Ergebnis einer verantwortungsethisch und sicherheits-
politisch wohlbegründeten Abwägung in einem Ausnah-
mefall, wie ihn die Welt schon lange nicht mehr gesehen
hat. Deshalb, meine Damen und Herren, finde ich es
richtig, dass wir jetzt Verantwortung übernehmen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804800600

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen spricht nun

der Kollege Anton Hofreiter.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bun-
deskanzlerin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die
Lage in der Ostukraine spitzt sich gefährlich zu. Es ist
offenkundig, dass Russland die Separatisten nicht nur
militärisch unterstützt, sondern zunehmend selbst militä-
risch aktiv wird. Gleichzeitig tischt uns Putin unverfro-
ren Lügenmärchen auf. Diese Aggression Russlands darf
nicht folgenlos bleiben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Wir brauchen eine einheitliche, eine entschiedene Re-
aktion der EU. Weitere Sanktionen gegen Russland sind
dringend notwendig. Ich persönlich hätte mir vom EU-
Sondergipfel am letzten Samstag ein klareres Signal in
diese Richtung gewünscht.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Putin muss wissen, dass er für seine Doppelzüngigkeit
einen Preis zahlt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jedoch ist auch klar: Sanktionen allein werden die
Krise nicht lösen, erst recht nicht Militärmanöver, neu
formierte Eingreiftruppen oder irgendwelches Säbelge-
rassel. So schwer es einem angesichts der konstanten
Provokationen durch Putin auch fällt: Diese Krise kann
nur durch Verhandlungen und Diplomatie gelöst werden.
Gespräche müssen fortgesetzt, ja weiter intensiviert wer-
den.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Ostukraine ist leider nicht der einzige Krisenherd
dieser Tage. Jeden Tag erreichen uns schreckliche Nach-
richten aus dem Irak und aus Syrien. Die Terrormiliz
ISIS begeht unvorstellbare Grausamkeiten. Das kann
niemanden gleichgültig lassen.

Vor circa drei Wochen spitzte sich die Lage noch ein-
mal dramatisch zu. Es drohte die Ermordung von Zehn-
tausenden von Jesiden. Mithilfe der Kurden konnte der
weitere Vormarsch der Terrormiliz gestoppt werden. Es
war richtig und notwendig, dass die USA in dieser Situa-





Dr. Anton Hofreiter


(A)



(D)(B)

tion mit Luftschlägen militärisch gegen den ISIS vorge-
gangen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der SPD)


Doch die Situation bleibt dramatisch. Millionen von
Menschen sind auf der Flucht. Sie leben unter katastro-
phalen Bedingungen: Sie haben keine festen Unter-
künfte, und sie sind abgeschnitten von der Wasser- und
Lebensmittelversorgung.

Von dem ISIS geht weiterhin eine immense, eine töd-
liche Gefahr aus, insbesondere für die Menschen in Sy-
rien und im Irak. Die internationale Gemeinschaft darf
den Irak, darf die Kurden in dieser Situation nicht alleine
lassen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)


Es ist deshalb richtig, dass wir darüber diskutieren, was
Deutschland tun kann. Ja, es ist richtig, dass wir den Ein-
satz militärischer Gewalt prüfen.

Wir führen diese Debatte an einem historischen Da-
tum. Genau heute vor 75 Jahren begann der Zweite Welt-
krieg. Heute ist Weltfriedenstag. Vor 100 Jahren begann
der Erste Weltkrieg. Die Zurückhaltung vieler Menschen
in Deutschland gegenüber militärischen Einsätzen ist
eine der Lehren aus unserer Geschichte. Ich persönlich
weiß nicht, was daran schlecht sein soll.

Angesichts der schrecklichen Situation im Irak ver-
bieten sich manche Tonlagen, in denen die Debatte ge-
führt wird. Frau von der Leyen, ich weiß nicht, was Sie
in den letzten Wochen geritten hat. Es geht doch nicht
um die Frage, wie man ein Tabu brechen kann oder wie
es endlich gelingt, angebliche Scheren in den Köpfen der
Menschen zu beseitigen. Das ist doch eine reine Binnen-
sicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Die Lehren aus der Geschichte sind selten eindeutig.
Wir führen die Debatte um eine militärische Beteiligung
Deutschlands zur Verhinderung schwerster Menschen-
rechtsverletzungen nicht zum ersten Mal. Zurückhaltung
heißt nicht, sich militärisch in jedem Fall herauszuhal-
ten. Der Einsatz von militärischer Gewalt ist als letztes
Mittel in manchen Fällen sogar geboten. Das ist eine der
Lehren aus Srebrenica und aus Ruanda.

Es ist wichtig, die konkreten Hintergründe und Um-
stände jedes Einzelfalls zu betrachten. Die Dynamik und
die Folgen militärischer Interventionen sind meist sehr
viel komplexer und schwieriger, als zu Anfang gehofft.
Das sehen wir am Beispiel Afghanistans oder Libyens.
Die Situation, vor der wir nun im Irak stehen, ist selbst
eine Folge der Invasion der USA im Jahr 2003. Sie ha-
ben mit dieser Invasion einen Diktator gestürzt, aber da-
mit haben sie eine ganze Region destabilisiert. Fragen
wie die nach den mittel- und langfristigen Folgen, nach
dem Vorhandensein einer erfolgversprechenden politi-
schen Strategie oder nach realistischen Exitoptionen, lei-
ten sich daraus ab. Man wird diese Fragen nie hundert-
prozentig sicher beantworten können, aber es gilt, sie
gründlich abzuwägen, und zwar vor der Entscheidung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie schlagen uns nun vor, Waffen an die Kurden zu
liefern, um der Bedrohung durch ISIS Herr zu werden.
Erstmals in der Geschichte soll Deutschland Waffen di-
rekt in einen kriegerischen Konflikt liefern. Wir reden
von Tausenden Gewehren, Pistolen und Panzerfäusten.
Die meisten von Ihnen tun sich nicht leicht mit dieser
Entscheidung. Manche Ihrer Argumente kann ich nach-
vollziehen. Manche Ihrer Argumente können viele der
Kolleginnen und Kollegen aus meiner Fraktion durchaus
teilen. Aber wir kommen nach unserer Abwägung mehr-
heitlich zu einem anderen Ergebnis: Niemand kann kon-
trollieren, wo diese Waffen am Ende landen oder zu wel-
chem Zweck sie später eingesetzt werden. Die Kurden
werden diese Waffen nicht wieder zurückgeben. Diese
Waffen könnten der Treibstoff für zukünftige massive
innerirakische Konflikte zwischen Irakisch-Kurdistan
und der Zentralregierung werden. Waffen an eine Kon-
fliktpartei zu liefern, hat sich in der Vergangenheit be-
reits öfters als schwerer Fehler erwiesen. Die Humvees,
mit denen die ISIS-Kämpfer in der Wüste unterwegs
sind, sind ursprünglich aus den USA geliefert worden,
sicher nicht mit der Intention, dass der ISIS damit
kämpft. Die Waffen, die in den letzten Jahren nach Li-
byen geliefert wurden, sind nun, nach allem, was man
hört, teilweise in der Hand des ISIS. Ein Teil der Waffen
ist an Boko Haram gegangen. Angeblich sind sogar
MILAN-Panzerabwehrraketen dabei, die Frankreich ge-
liefert hat. Diese zukünftigen Risiken überwiegen aus
unserer Sicht gegenüber dem möglichen kurzfristigen
Nutzen, den die Lieferung dieser Waffen bringen kann.
Den Grundsatz, keine Waffen in Krisenregionen zu lie-
fern, sollten wir auch in diesem Fall aufrechterhalten.
Ihre Entscheidung halten wir deshalb für falsch.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir halten Ihren konkreten Vorschlag für falsch, nicht
Ihre Intention. Es braucht eine internationale Strategie
gegen diese Terrorgruppe. Wir brauchen eine internatio-
nale Strategie im Sinne der internationalen Schutzver-
antwortung, im Sinne von Responsibility to Protect.
Diese Strategie fehlt bisher. Das hat selbst der US-Präsi-
dent gerade eingeräumt. Nötig ist eine stärkere Einbezie-
hung der Vereinten Nationen; und dann müssen wir alle
Verantwortung übernehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Vor allem aber muss Deutschland eine humanitäre Of-
fensive starten: Luftbrücke, Lieferung humanitärer Gü-
ter. Das hilft den Menschen vor Ort sofort. Es sterben
jetzt schon Menschen wegen mangelhafter Versorgung.
Es ist gut, dass die Nothilfe jetzt anläuft, aber wir fürch-
ten, dass hier immer noch deutlich zu wenig geschieht.
Humanitäre Hilfe wird von viel zu vielen als selbstver-
ständlich und damit auch als gegeben vorausgesetzt. Da-

(C)






Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

bei reicht das Geld aus dem World Food Programme,
wie die Hilfsorganisationen berichten, gerade noch bis
Mitte September. Die Mittel für diese Hilfe müssen
schnell aufgestockt werden.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Merkel, wäre das nicht eine gute Gelegenheit für
die Bundesregierung, zu zeigen, dass sie dem Anspruch,
mehr internationale Verantwortung zu übernehmen, di-
rekt gerecht wird?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch hinsichtlich der Flüchtlingsaufnahme hören wir
sehr unterschiedliche Stimmen aus der Koalition. Herr
Kauder, Sie waren im Irak und sind mit dem Eindruck
wiedergekommen, dass Deutschland mehr Flüchtlinge
aufnehmen muss. Herr de Maizière, Sie glauben, von Ih-
rem Schreibtisch im Ministerium aus entscheiden zu
können, dass die Flüchtlinge im Irak viel besser aufge-
hoben sind. Wir erwarten von der Bundesregierung, dass
sie mehr und nicht weniger für die Flüchtlinge unter-
nimmt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es wäre ein Armutszeugnis, wenn wir als reiches, wohl-
habendes Land nicht schnell und unbürokratisch mehr
Menschen aus dieser Region aufnehmen könnten.

Auch politisch müssen wir mehr tun – und es kann
mehr getan werden –; denn ohne eine politische Lösung
wird die Region nicht zu stabilisieren sein. Dass der de-
signierte Ministerpräsident des Irak, al-Abadi, einen aus-
gleichenden Kurs verfolgt, ist zu begrüßen. Nur wenn
die neue irakische Regierung alle Volksgruppen in einem
fairen Ausgleich berücksichtigt, nur wenn es gelingt, die
sunnitischen Stämme aus dem Bündnis mit dem ISIS he-
rauszulösen, gibt es eine Chance für eine Stabilisierung.
Deutschland hat doch einen sehr guten Ruf in der Re-
gion. Wir sollten ihn stärker nutzen, als die Bundes-
regierung dies in der Vergangenheit getan hat.

Saudi-Arabien und Katar unterstützen vielleicht nicht
offiziell den ISIS, aber aus diesen Ländern ist viel Geld
an radikale Kräfte geflossen. Frau Merkel, sie haben Ka-
tar und Saudi-Arabien als Stabilitätsanker gelobt und mit
Waffen beliefert. Frau Merkel, wäre es nicht klüger, statt
Waffen an diese Länder zu liefern, Druck auf sie auszu-
üben, dass die Unterstützung mit Waffen und Geld für
den ISIS, die aus diesen Ländern stattfindet, unterbun-
den wird?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Auch höre ich bedauerlich wenig von der Bundes-
regierung zu dem Problem, dass der ISIS über die tür-
kisch-syrische Grenze hinweg unterstützt wird. Hier
braucht es mehr politischen Druck, damit unser NATO-
Partner Türkei die Grenze für die Unterstützer des ISIS
endlich schließt. All dies sind dringend notwendige poli-
tische Initiativen.

Während wir hier diskutieren, leiden die Menschen
im Irak weiter. Wir sollten deswegen alle Anstrengungen
unternehmen, um ihnen schnell und umfassend zu hel-
fen. Die UNO ist vor Ort; sie braucht unsere Unterstüt-
zung. Die Lage der Hundertausenden von Flüchtlingen
im Nordirak verbessern wir mit Lebensmitteln, mit Me-
dikamenten, mit Decken, mit Zelten und mit Wasserauf-
bereitung. Dieses Engagement ist wichtig. Viele von uns
haben Zweifel, ob dies alleine reicht. Aber so falsch es
ist, abseits zu stehen, so falsch ist es, zu handeln, ohne
die Konsequenzen des eigenen Handelns absehen und
verantworten zu können.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804800700

Das Wort erhält nun der Kollege Volker Kauder für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1804800800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Ich bin wieder einmal – es wird nicht überraschen – ganz
anderer Auffassung als Gregor Gysi.


(Zuruf von der CDU/CSU: Ich auch!)


Gerade an diesem Tag! Wir haben uns diesen Tag für
eine Debatte zunächst nicht ausgesucht, uns dann aber
bewusst entschieden, diese Debatte am 1. September zu
führen. Denn dies ist auch eine Botschaft. Sie lautet – im
Gegensatz zu dem, was Gregor Gysi sagt –: Wir alle
wollen heute miteinander – die Linke einmal ausge-
schlossen; ich beziehe die Grünen ein – einen Beitrag
dazu leisten – über das, was konkret gemacht werden
soll, reden wir noch –, dass Frieden entsteht und Krieg
gerade nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das ist die Botschaft des heutigen Tages.

Ja, Herr Hofreiter, während wir hier diskutieren, lei-
den Menschen in Syrien, im Irak und auch anderswo.
Aber sie haben auch auf die Entscheidung gewartet, die
gestern die zuständigen Ministerien getroffen haben, und
sie warten darauf, was wir heute im Deutschen Bundes-
tag sagen. Deswegen bin ich froh, dass von allen Grup-
pen, die in Syrien und im Irak betroffen sind, heute Ver-
treter auf unserer Ehrentribüne anwesend sind; wir
haben sie zu dieser Debatte am heutigen Tag eingeladen.


(Beifall im ganzen Hause)


Jesiden, Assyrer, chaldäische Katholiken, Aleviten und
auch Vertreter unserer Kirchen sind hier heute anwe-
send. Dies zeigt, dass dieses Thema doch sehr bewegt.

Die Frage, was wir jetzt tun können, um im Irak oder
auch in Syrien zu helfen, ist nicht ganz einfach zu beant-
worten. Deswegen ist es gut, wenn wir uns intensiver da-
mit befassen.





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

Herr Gysi, man kann zu unterschiedlichen Einschät-
zungen hinsichtlich der Ereignisse im Jahr 2003 im Irak
kommen; das will ich gar nicht bestreiten. Aber der ISIS
– damals hat er noch so geheißen – ist nicht im Irak ent-
standen, sondern in Syrien. Die ganze Welt hat zuge-
schaut, wie er dort immer stärker geworden ist.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist das Problem!)


Ich habe schon damals gesagt, Amerika müsse sich der
Sache annehmen, doch alle haben geschrien: Keine Ein-
mischung! – Der ISIS ist dann zum „Islamischen Staat“
geworden, als er, ermutigt durch die Erfolge in Syrien, in
den Irak eingefallen ist. Das ist die Verbindung. Die
These, weil die Amerikaner den Irak angegriffen haben,
sei der ISIS entstanden, ist grottenfalsch. Der ISIS ist in
Syrien entstanden.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Jetzt geht es darum, zu helfen. Vollkommen unabhän-
gig davon, wie die Situation entstanden ist, muss den
Menschen, die in konkreter Not sind, geholfen werden.
Eine Diskussion, bei der es um das Wann, Hätte und
Wäre geht, hilft nicht weiter. Hunderttausende Flücht-
linge leben in dramatischen Verhältnissen. Wir, die wir
in Arbil waren und uns dort umgesehen haben – das wa-
ren die Kollegen Schockenhoff, Mißfelder und ich –, ha-
ben das gesehen. Dort wurde uns gesagt, wir müssten
helfen, damit sich die ohnehin schon bestehende
menschliche Katastrophe nicht noch weiter verschärfe.
Der kurdische Präsident Barsani hat zu mir gesagt, sie
seien 5 Millionen Menschen, jetzt erwarteten sie, dass
bis zu 1,4 Millionen Flüchtlinge bei ihnen leben würden.
Das ist in etwa so, als wenn 20 bis 30 Millionen Flücht-
linge in die Bundesrepublik Deutschland kämen. Er
sagte, das könnten wir ihnen nicht alleine überlassen.
Deswegen bittet er mit Recht darum, dass wir humani-
täre Hilfe leisten.

Das hat die Bundesrepublik Deutschland getan; das
muss ich an dieser Stelle einmal sagen. Nicht irgendje-
mand ist dort hingeflogen, es war nicht ein Transporter
von irgendjemandem, sondern es waren Ursula von der
Leyen und ihr Kollege Steinmeier aus dem Auswärtigen
Amt, die den Transport der Güter dorthin begleitet ha-
ben. Herzlichen Dank dafür, dass Sie dies geleistet ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Roth, es ist richtig, dass die Hilfe nicht ausreicht
und dass noch mehr getan werden muss. Aber es wäre
völlig falsch, nun zu fordern, Deutschland solle an dieser
Ecke noch etwas mehr machen, Frankreich an jener usw.
Wir brauchen eine in Europa koordinierte Hilfe. Mir ha-
ben die Vertreterin von UNICEF, der Oberbürgermeister
von Arbil, ein Deutschkurde, und andere gesagt, dass sie
erwarten, dass Europa seine Hilfe koordiniert; denn sie
brauchen keine vielen kleineren Hilfspakete, deren Ver-
teilung sie vor Ort dann wieder organisieren müssen.
Worauf kommt es jetzt an? Natürlich geht es zum ei-
nen um Lebensmittelpakete. Aber vor allen Dingen müs-
sen jetzt die Voraussetzungen dafür geschaffen werden,
dass die Menschen durch den Winter kommen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


In Dohuk leben Zehntausende Menschen auf dem blan-
ken Boden, der, wenn es regnet, zu Schlamm wird. Sie
haben nur ein Zeltdach über sich, sonst nichts. In Arbil
leben die Menschen in nicht fertiggestellten Parkhäu-
sern, in nicht fertiggestellten Hochhäusern. Es gibt Tau-
sende von Kindern, die auf dem nackten Betonboden lie-
gen müssen, die dort leben müssen und in vielen Fällen
nicht einmal das Nötigste zum Überleben haben. Sie
brauchen jetzt Hilfe. Diese Hilfe kann vor Ort geleistet
werden. Man hat mir gesagt, man bräuchte für den Win-
ter Container, damit wenigstens die vielen Familien un-
tergebracht werden könnten. Wenn man bedenkt, was
ein solcher Container kostet, dann kommt man auf Ge-
samtkosten bei diesem Projekt von insgesamt 200 bis
300 Millionen Euro. Da kann ich nur sagen: Wenn dies
die europäische Gemeinschaft nicht hat, dann muss man
wirklich verzweifeln, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Dann müsste man verzweifeln.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Deshalb bin ich der Bundeskanzlerin und dem Außen-
minister auch dankbar, dass sie mithelfen, diese Mittel
auf europäischer Ebene zu mobilisieren. Sie sind ja da,
und die Container können vor Ort fertiggestellt werden.
Es bleiben dann acht Wochen.

Warum ist dies so wichtig? Wenn man eineinhalb
oder zwei Tage lang in einer solchen Region ist, kann
man, auch wenn man mit noch so vielen Menschen ge-
sprochen hat, nicht sagen: Ich habe mit den Menschen
gesprochen, und die Menschen haben mir dieses und je-
nes gesagt. – Wir haben schon mit vielen Menschen ge-
sprochen, und die Botschaft war: „Wir würden gerne
wieder in unsere Heimat zurück“; denn viele haben dort
etwas verloren. Sie hatten einen kleinen Handwerksbe-
trieb, sie hatten ein kleines Geschäft oder waren als Leh-
rer tätig, und sie sagen: Wir hatten ein kleines Häuschen
oder eine Wohnung, wir hatten also etwas. Dorthin wol-
len wir wieder zurück, aber natürlich nur, wenn ihr uns
beschützen könnt. – Im Augenblick ist es wohl kaum zu-
zusagen, dass die Menschen in ihre Heimat zurück und
dort auch beschützt werden können.

Übrigens – das macht das ganze menschliche Drama
deutlich –: Das bezieht sich teilweise auch auf das Ver-
hältnis zu den Nachbarn. Es wurde erzählt, dass man,
auch wenn man seit Jahrzehnten mit den Nachbarn zu-
sammengelebt hat, eines Morgens nach dem Aufwachen
feststellen musste, dass ein „N“ an der Türe stand. Die
Nachbarn haben sie überfallen und hinausgeworfen und
ihnen alles weggenommen.

Deswegen haben die Menschen Sorge davor, zurück-
zugehen, und deshalb sagen sie: Wir brauchen eine Sta-
bilisierung vor Ort. – Andere haben mir berichtet, sie





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

glaubten nicht mehr an eine Perspektive, und deshalb
wollen sie das Land verlassen. Beides gibt es. Deswegen
ist es richtig, mehr Flüchtlinge aufzunehmen.


(Beifall der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Es ist aber ein glatter Irrtum, zu glauben, nur damit,
Flüchtlinge aufzunehmen, sei das Problem gelöst. Wir
müssen vor Ort helfen, um den Menschen dort eine Per-
spektive zu geben.

Es hat mich sehr angerührt – Sie wissen, dass ich bei
solchen Fragen nicht so leicht sensibel reagiere –, dass
der Präsident zu mir gesagt hat: Herr Kauder, ich habe
mit allen gesprochen und sie gebeten, nicht zu gehen,
sondern zu bleiben. Wir kämpfen miteinander, wir ge-
winnen miteinander, oder wir sterben miteinander. Aber
wenn ihr jetzt geht, dann ist es, als ob man einem Körper
Arme und Beine abschneidet. – Er hat gesagt: Wenn alle
gehen würden, die jetzt betroffen sind, dann hätte der
„Islamische Staat“ sein Ziel erreicht. Deswegen sagte er:
Helft uns, damit die Menschen eine Perspektive in dieser
Region über den Winter hinaus haben. – Deshalb sage
ich Ja zur Aufnahme von Flüchtlingen, aber wir müssen
auch alles dafür tun, dass diese Region nicht jesidenfrei
und christenfrei wird. Das sind die angestammten Ge-
biete dieser Menschen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Diese Menschen haben dort, wie es formuliert worden
ist, ein Geburtsrecht.

Natürlich muss diese Region gesichert werden. Des-
wegen sind die Kurden, die das tun müssen, auch darauf
angewiesen, dass sie sich des „Islamischen Staates“ mit
seiner modernen Bewaffnung erwehren können. Selbst-
verständlich ist es wahr, dass die eingekesselten Jesiden
durch die amerikanische Luftwaffe und die Armee der
PKK einen Korridor zur Flucht bekommen haben. Aber
die Kurden haben mir erzählt, dass sie in den Zeitungen
gelesen haben, sie seien abgehauen und hätten alle im
Stich gelassen, als die IS-Miliz gekommen sei. Die mili-
tärische Führung hat mir dazu gesagt: Das war ganz
dramatisch. Wir haben mit unseren Waffen auf die ge-
panzerten Fahrzeuge des IS geschossen, und nichts ist
passiert. Wir haben weitergemacht. – Als die Soldaten
gemerkt haben, dass sie keine entsprechende Ausrüstung
hatten, um sich zu wehren, sind sie geflohen. Auch sie
wären lieber dort geblieben. Sie sagen: Jetzt helft uns
bitte, damit wir uns in Zukunft wehren können.


Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1804800900
Ich will nicht und
ich erwarte nicht, dass Ihre Söhne und Töchter bei uns
im Irak für uns und für unsere Glaubensbrüder kämpfen.
Aber ich erwarte schon, dass Sie mich in die Lage ver-
setzen, mich zu wehren, wenn die IS-Truppen weiter auf
dem Vormarsch sind. – Deshalb sind Waffenlieferungen
notwendig.

Natürlich kann man sagen, Herr Hofreiter: Wir wol-
len ein UNO-Mandat haben und dieses und jenes. – Nur:
Während wir hier diskutieren und einige ein UNO-Man-
dat verlangen, finden vor Ort Kämpfe statt. Für diese
Kämpfe brauchen die Menschen das notwendige Mate-
rial, und zwar jetzt und sofort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Deshalb ist die Entscheidung der zuständigen Minis-
terien völlig richtig. Damit nehmen wir unsere Verant-
wortung wahr. Ja, es ist auch richtig, den Blick darauf zu
richten, was in Zukunft geschehen soll: Die Kurden sind
durchaus pessimistisch, ob es gelingt, die sunnitischen
Stämme dazu zu bringen, den Weg der Gewalt wieder zu
verlassen; denn dass der IS im Irak so erfolgreich ist, ist
nur möglich, weil er die Unterstützung einer breiten Be-
völkerung findet.

Es war doch so: Als die IS-Truppen in die Stadt
Mosul – das ist eine große Stadt – eingefallen sind, hat
sich ein großer Teil der Bevölkerung versammelt, hat ih-
nen geholfen und sie freudig als Befreier von der schii-
tisch gefärbten Regierung begrüßt, die für sie nichts ge-
macht hat. Diese Menschen sagen: Bisher ist kein
Vertreter unserer eigenen Regierung aus Bagdad zu uns
in die Region gekommen und hat mit uns gesprochen
oder sich um uns gekümmert. – Übrigens ist bis zum
heutigen Tage der deutsche Außenminister der einzige
Minister, den die Menschen in Kurdistan gesehen haben.

Bei diesen Punkten muss man natürlich sagen: Da
muss sich in Zukunft etwas ändern. Aber zu glauben,
dass dies alles in kurzer Zeit geschehen kann, ist ein Irr-
tum. Solange sich der „Islamische Staat“ – jetzt kommt
ein Punkt, von dem ich weiß, dass er nicht einfach ist –
nach Syrien zurückziehen kann, wenn wir die Bedingun-
gen für ihn im Irak verschlechtern, so lange wird das
Problem nicht zu lösen sein.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ja!)


Bei allem, was wir für den Irak tun – das haben wir
doch erlebt –, dürfen wir nicht vergessen: Kaum hatten
die Amerikaner und die Peschmerga-Armee den Druck
erhöht, sind die IS-Truppen nach Syrien ausgewichen
und haben an einem einzigen Tag 700 Männer abge-
schlachtet – an einem einzigen Tag. Solange diese Trup-
pen die 1 000 Kilometer lange Grenze, die gar keine
Grenze mehr ist, nach Belieben überqueren können, so
lange wird das Problem nicht gelöst werden. Eine solche
Grenze – über dieses Thema muss man sich einmal
ernsthaft unterhalten – kann nur durch Drohnen kontrol-
liert werden und durch sonst nichts.


(Zuruf von der LINKEN: Super!)


– Ja, ja. – Wir müssen dafür sorgen, dass diese Terror-
gruppe nicht weiter wächst. Sie ist nicht nur eine Gefähr-
dung der Region dort, sondern – das hat die Bundes-
kanzlerin vorhin gesagt, und das haben auch schon viele
andere angesprochen – auch für unsere Region.

Es ist doch kaum zu fassen, dass Hunderte oder gar
Tausende von jungen Leuten aus ganz Europa sich dieser
Truppe anschließen und morden, schlachten, vergewalti-
gen und rauben. Das muss auch uns herausfordern, alles
zu tun, dass so etwas in unserem Land nicht geschieht.
Es kann auch nicht so weitergehen, dass radikale Salafis-





Volker Kauder


(A) (C)



(D)(B)

ten in unserem Land für den Heiligen Krieg in Syrien
und im Irak werben. Das darf nicht passieren, liebe Kol-
leginnen und Kollegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich bin außerordentlich dankbar – es hat zwar lange
gedauert, aber das ist jetzt egal –, dass der Vorsitzende
des Zentralrats der Muslime in Deutschland in diesen
Tagen klare Worte gefunden hat, indem er gesagt hat:
Die islamistische Terrorgruppe ISIS hat mit uns nichts
zu tun, und Unterstützung durch uns findet auch nicht
statt. – Für dieses klare Wort bin ich dankbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Plenum des
Deutschen Bundestages zeichnet sich ab, dass man
grundsätzlich der Meinung ist, es muss geholfen werden.
Draußen im Land findet noch die eine oder andere Dis-
kussion statt, ob man dies darf oder nicht. Mich hat ein
Satz von Rupert Neudeck besonders beeindruckt. Er hat
gesagt: „Ich möchte nicht, dass Menschen sterben für die
Reinheit meines Pazifismus.“

Es gibt tatsächlich Phasen und Zeiten, in denen man
sich auf den Weg machen muss, um sich anderen in den
Weg zu stellen. Der „Islamische Staat“ darf in unserer
Welt keinen Erfolg haben, weil er nämlich etwas zerstö-
ren will, was, gerade von diesem Tag, dem 1. September,
ausgehend, für uns sehr wichtig ist: eine Welt der Frei-
heit bzw. der Religions- und Glaubensfreiheit, eine Welt,
in der die Menschen selbst entscheiden können, wie sie
leben wollen, unbedrängt von Terroristen. Deswegen ist
es richtig, dass die Bundesregierung sich so klar positio-
niert hat und dass wir dieses Anliegen in unserem Antrag
entsprechend unterstützen und an ISIS oder den „Islami-
schen Staat“ die klare Botschaft senden: Wir lassen euch
nicht gewähren!

Herzlichen Dank.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU – Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804801000

Niels Annen ist der nächste Redner für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Niels Annen (SPD):
Rede ID: ID1804801100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Navid Kermani, der uns mit seiner Rede in die-
sem Hause zum Grundgesetz sehr berührt hat, sagte vor
wenigen Tagen über die Lage in Syrien und im Irak – ich
zitiere –:

Da geht jetzt eine Welt unter. … Im Nahen Osten
wird die multikulturelle Vielfalt erlöschen. Und
wenn diese Flamme einmal erloschen ist, wird man
sie nicht mehr beleben können.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Bilder der ver-
triebenen Jesiden oder der eingeschlossenen Turkmenen
bestätigen, wie recht er hat. Ich bin deswegen froh, dass
wir heute in diesem Hause diese Debatte führen. Denn
dieser Krieg betrifft auch uns. Er ist längst eine Bedro-
hung für die Staatlichkeit in der gesamten Region ge-
worden. Die betroffenen Länder drohen unter den
Flüchtlingsströmen und unter dem militärischen Druck
von ISIS zusammenzubrechen. Deutsche Staatsbürgerin-
nen und Staatsbürger, die jetzt für ISIS kämpfen, sind bei
ihrer Rückkehr eine Bedrohung für unsere Sicherheit.
Aber vor allem ist es eine Katastrophe für die betroffe-
nen Menschen: Über 1 Million Menschen sind auf der
Flucht. Die Gewalt hat Ausmaße angenommen, die auf-
grund ihrer barbarischen Abartigkeit schwer in Worte zu
fassen sind.

Ich habe in den letzten Monaten mehrfach Flücht-
lingslager besucht, zweimal im Libanon, einmal in Jor-
danien und zuletzt im Irak. Es sind Bilder, die sich tief
eingeprägt haben. Dem UNHCR sowie den vielen Helfe-
rinnen und Helfern gilt meine Hochachtung. Es ist gut,
dass die Bundesregierung die Mittel für die humanitäre
Hilfe auf über 50 Millionen Euro aufgestockt hat. Nur,
Herr Kollege Hofreiter, die Menschen, die dort helfen,
brauchen ein sicheres Umfeld, in dem sie agieren kön-
nen. Um diese Frage kann man sich doch nicht herum-
drücken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Von Teheran über Doha, von Ankara bis Riad, der
Schock über den Vormarsch von ISIS sitzt tief. Die
schlechte Nachricht über den atemberaubenden Vor-
marsch von ISIS eröffnet vielleicht auch die Chance, die
unterschiedlichen Protagonisten, die sich bedroht fühlen,
nun an einen Tisch zu bekommen. Deswegen ist es so
wichtig, dass wir einen politischen Prozess in Gang set-
zen. Zur Ehrlichkeit gehört, zuzugeben: Dass es über-
haupt so weit kommen konnte, ist auch unser Versagen,
das Versagen der internationalen Gemeinschaft; denn
ohne den syrischen Bürgerkrieg hätte die Bewegung „Is-
lamischer Staat“ vermutlich niemals einen solch starken
Zulauf gehabt. Ihn zu stoppen, haben wir bisher nicht
vermocht. Als es einen Krieg innerhalb des Bürgerkriegs
gab und sich islamistische Milizen gegenseitig bekämpft
haben, gab es den einen oder anderen Zyniker im Wes-
ten, der gesagt hat: Lasst sie sich doch gegenseitig ab-
schlachten! – Das hat sich als ein gravierender Fehler he-
rausgestellt; denn am Ende hat sich die brutalste und
rücksichtsloseste Strategie, die von ISIS, durchgesetzt.
Heute verfügt ISIS nicht nur über ein Territorium, son-
dern auch über die Ressourcen eines Staats. Es ist daher
höchste Zeit, alle Protagonisten unter dem Dach der
UNO an einen Tisch zu holen, ohne Vorbehalte und ohne
Rücksicht auf etablierte Politiken, wie sie leider auch die
EU praktiziert, etwa gegenüber der PKK.

Um die Orgie der Gewalt in Syrien und im Irak zu be-
enden, sollten wir bereit sein, miteinander zu reden. Die
Nachrichten über erste Gespräche zwischen Saudi Ara-





Niels Annen


(A) (C)



(D)(B)

bien und Katar stellen vielleicht einen Hoffnungsschim-
mer dar; denn eines ist doch auch richtig: ISIS ist nicht
unbesiegbar. Die geradezu widernatürliche Allianz zwi-
schen islamistischen Terroristen auf der einen Seite und
den ausgegrenzten Sunniten auf der anderen Seite hat
den Vormarsch von ISIS erst ermöglicht. Deshalb setzen
wir auf die neue Regierung al-Abadi und einen funk-
tionsfähigen irakischen Staat. Doch dieser Prozess wird
Zeit brauchen. Das wird nicht von heute auf morgen ge-
hen. Deswegen dürfen wir den Kurden kurzfristige Hilfe
nicht verwehren. Ein Zusammenbruch der irakisch-kur-
dischen Region hätte unabsehbare humanitäre, aber auch
politische Konsequenzen. Das können und dürfen wir
nicht zulassen.


(Beifall bei der SPD)


Navid Kermani hat uns aufgefordert – Thomas
Oppermann hat ihn bereits zitiert –, den „Islamischen
Staat“ zu stoppen. Allein, dafür bleibt uns nicht viel Zeit;
denn seine Kämpfer haben hochmoderne amerikanische
Waffen aus den Beständen der irakischen Armee erobert.
Wenn wir die kurdische Region und die vielen Hundert-
tausend Flüchtlinge, die sie beherbergt, schützen wollen,
müssen wir die kurdische Regionalregierung in die Lage
versetzen, sich zu verteidigen, auch mit den dazu not-
wendigen Waffen. Deshalb unterstütze ich die Initiative
der Bundesregierung und bitte um Zustimmung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804801200

Ulla Jelpke erhält nun das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804801300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Verehrte

Gäste! Seit 25 Jahren kenne ich die Region Kurdistan,
Türkei, Syrien, Irak sehr gut. Ich bin unmittelbar vor Ort
gewesen, als die jesidischen Flüchtlinge von der YPG
– das sind die Volkseinheiten in Syrien –, den Kurden
und der PKK befreit wurden.

Ich habe immer noch die schrecklichen Bilder vor
Augen. Ich habe gesehen, wie Zehntausende jesidische
Flüchtlinge vor den Mörderbanden des IS, des selbst-
ernannten „Islamischen Staats“, geflohen sind. Frauen
haben berichtet, wie ihre Ehemänner massakriert wur-
den, dass Gliedmaßen abgeschnitten und ihre Söhne hin-
gerichtet wurden. Es gab Hunderte und Tausende von
Kindern, die ihre ganze Familie verloren haben. Es gab
Massaker ohne Ende, Vergewaltigungen und Verschlep-
pungen von Tausenden von Frauen in die Sklaverei. Man
kann in wenigen Worten gar nicht wiedergeben, was wir
dort erlebt haben. Deswegen möchte ich Herrn
Oppermann und Herrn Kauder ganz deutlich sagen: Wir,
die Linke, sind die Allerletzten, die das Recht der Kur-
den bestreiten würden, sich gegen diese Mörderbanden
zu verteidigen und zur Wehr zu setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Dennoch möchte ich hier ganz deutlich sagen, dass
Waffenlieferungen in diese Region nicht der richtige
Weg sind. Es gibt dort reichlich Waffen. Ich will dafür
Beispiele bringen. Schon die Waffen, die von den USA
an die irakische Armee geliefert wurden, sind in die
Hände des IS, des Kalifats, gefallen, und der IS kämpft
nicht erst seit Monaten, wie hier suggeriert wird, sondern
seit Jahren. Man muss einfach sehr deutlich sagen, dass
diese Gotteskrieger auch in Deutschland und ganz
Europa immer als die Opposition bezeichnet wurden, als
die Rebellen. Damit hat sich auch Deutschland mitver-
antwortlich gemacht: Man hat über Jahre zugeschaut,
wie der IS stark wurde.

Ein zweites Beispiel: Die USA rüsten den Irak seit
langer Zeit auf. Erst im Juni sind die Waffen der iraki-
schen Armee in Mosul dem IS praktisch kampflos in die
Hände gefallen. Anfang August – das haben wir gerade
erlebt – haben die Peschmerga die Region Shingal ver-
lassen. Sie haben die Jesiden dort schutzlos dem IS über-
lassen. Es haben mir viele Flüchtlinge bestätigt, dass es
vor allem YPG und PKK gewesen sind, die den Korridor
für sie freigekämpft haben.

Wer heute Raketen an kurdische Truppen liefert, ris-
kiert sehenden Auges, dass diese Waffen bei den Dschi-
hadisten oder möglicherweise bei dem IS landen. Des-
wegen frage ich Sie: Können Sie überhaupt diese
Verantwortung übernehmen, können Sie überhaupt die
Waffenströme kontrollieren? Ich glaube nicht. Einen ent-
scheidenden Anteil am Kampf gegen den IS – das habe
ich schon gesagt – haben die Volksarmeeeinheiten aus
Syrien und die PKK und nicht die US-Luftwaffe, wie
hier suggeriert worden ist. Sie hat nicht Zehntausenden
Jesiden das Leben gerettet. Das hat vielmehr der Flucht-
korridor getan, der errichtet worden ist.

Ich will Herrn Oppermann und auch Herrn Kauder
ganz deutlich sagen: Natürlich dürfen wir nicht nur über
den Irak reden, sondern wir müssen auch über Syrien re-
den. Wer sich das Gebiet auf der Karte anschaut, kann
sehen: Ein Drittel des Irak und ein Drittel Syriens sind in
den Händen des IS. Diese Kämpfe finden schon, wie ge-
sagt, seit langer Zeit statt. Seit zwei Jahren verteidigen
die Kurden die Region Rojava gegen den IS. Diese Kur-
den sind einem Hungerembargo ausgesetzt, das ganz
restriktiv von der Türkei, aber leider auch von der
Barsani-Regierung durchgesetzt wird. Das heißt, wir ha-
ben es hier nicht mit einer einheitlichen Armee der Kur-
den zu tun, sondern nur mit einer Gruppierung.

Deswegen haben mir viele Kurden gesagt, dass sie
sich wünschen, dass mehr Druck auf Ankara ausgeübt
wird; denn Ankara unterstützt die Dschihadisten und den
IS. Zum Beispiel werden dort lastwagenweise Waffen
über die Grenze geschafft. Es gibt eigene Grenzüber-
gänge, die von dem IS und den Dschihadisten kontrol-
liert werden. Immer wieder werden Verwundete des IS
in türkischen Krankenhäusern versorgt. Ich kann die
gerne nennen, aber meine Zeit reicht dafür nicht aus. Ich
will hier einfach deutlich machen: Wenn man etwas ge-
gen den IS erreichen will, dann muss man als Erstes da-
für sorgen, dass die Zufuhr von Waffen an diese Leute
gestoppt wird. Die muss man kontrollieren.





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)

Dazu gehört auch, den NATO-Partner Türkei unter
Druck zu setzen, mit dieser Unterstützung endlich
Schluss zu machen.


(Beifall bei der LINKEN)


Selbst die Tagesthemen haben vor einigen Tagen berich-
tet, wie offen die türkische Grenze für den IS ist. Die tür-
kischen Grenzen müssen für diese Mörderbanden dicht-
gemacht werden. Ich habe es eben schon gesagt: Wer
den IS angesichts der Paktiererei des NATO-Mitglieds
Türkei mit den Terrorbanden wirklich glaubhaft be-
kämpfen will, muss erst einmal diese Nachschubwege
dichtmachen. Das bedeutet eben, keine Waffen mehr an
Staaten wie Saudi-Arabien, Katar oder die Türkei zu
schicken. Sie sind wirklich die Hauptunterstützer des IS.

Es ist doch wirklich unglaublich, meine Damen und
Herren, dass ausgerechnet hier in Deutschland der IS
nicht verboten ist, geschweige denn, dass er auf der EU-
Terrorliste steht, stattdessen aber die PKK, die ganz
offensichtlich Tausenden Menschen das Leben gerettet
hat. Es zeigt sich für mich hier eine enorme Heuchelei
dieser Politik, wenn jetzt plötzlich die Kurden entdeckt
werden und man ihnen Waffen geben will. Man muss
fragen: Warum sollen Waffen ausgerechnet nach Arbil,
an die Peschmerga-Kurden und an Barsani geliefert wer-
den?


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804801400

Frau Kollegin.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804801500

Man muss deutlich sagen: Es geht hier ums Öl, um

die Ölgeschäfte mit der Türkei. Schon jetzt liefert
Barsani gegen den Willen der Regierung in Bagdad Öl
an die Türkei. Ich denke, hier geht es wieder einmal
mehr um Öl und weniger um die Menschenrechte und
um die Menschen, wie es von Ihnen hier vorgegeben
wird.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Zum Abschluss möchte ich noch einmal deutlich ma-
chen: Natürlich unterstützen wir jede humanitäre Hilfe;
überhaupt keine Frage. Wir fordern sogar sehr viel mehr
für den Irak und für Syrien, als hier beschlossen worden
ist. Wir wollen vor allen Dingen, dass das Embargo ge-
gen die Kurden in Syrien aufgehoben wird. Das ist wirk-
lich ein Hungerembargo. Dadurch kommt dort nichts hi-
nein: keine Medikamente, kaum Hilfsgüter. Deswegen
wollen wir, dass dieses Embargo aufgehoben wird.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804801600

Frau Kollegin.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1804801700

Ich bitte Sie auch, ein Flüchtlingsaufnahmeprogramm

– es ist hier schon angesprochen worden, auch von Herrn
Kauder – aufzulegen. Ich halte es für dringend nötig,
dass Flüchtlinge in Deutschland aufgenommen werden.

Danke.


(Beifall bei der LINKEN)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804801800

Gerda Hasselfeldt ist die nächste Rednerin für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1804801900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Nach wie vor erreichen uns täglich beunruhigende Nach-
richten, erschreckende Bilder aus den Krisenregionen
der Welt, insbesondere aus dem Irak. Deshalb ist es rich-
tig, dass wir uns in dieser Sitzung ernsthaft mit der Be-
antwortung der Fragen auseinandersetzen: Was können
wir tun? Welchen Beitrag können wir, kann Deutsch-
land, kann Europa leisten, ja, welchen Beitrag müssen
wir in dieser Situation leisten, um das Leid dieser Men-
schen zu lindern, um ihnen zu helfen und um weiteres
Leid von ihnen abzuwenden?

Ich möchte den Mitgliedern der Bundesregierung sehr
herzlich danken für die Diskussion, die sie schon in den
vergangenen Wochen geführt haben. Dankbar bin ich
auch für die Diskussion mit den Kolleginnen und Kolle-
gen der zuständigen Ausschüsse. Sie waren immer infor-
miert; die Fraktionen wurden auf dem Laufenden gehal-
ten. Das ist in der Sommerpause nicht selbstverständlich.
Es war gut; es war hervorragend. Ich bedanke mich da-
für sehr herzlich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wozu die Terrormiliz ISIS in der Lage ist, das hat sie
gezeigt, nicht nur in der gezielten Jagd auf Jesiden und
Christen, sondern auch mit der Enthauptung des Journa-
listen Foley und der massenhaften Hinrichtung von Ge-
fangenen. Hunderttausende von Menschen waren und
sind auf der Flucht. Viele von ihnen mussten ihr Leben
lassen durch die Hand der Dschihadisten, teilweise aber
auch aus Mangel an Lebensmitteln und Wasser und zum
Teil einfach aus Erschöpfung. Wir hören aber auch von
Massenvergewaltigungen. Wir hören von Zwangskon-
vertierung und von Menschenhandel auf Sklavenmärk-
ten. Da können wir nicht einfach zuschauen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Aber mehr noch: Es sind nicht nur die Menschen be-
droht – ihre Menschenwürde und ihr Leben. Die Terror-
miliz ISIS ist eine Bedrohung für die Region insgesamt
und eine Bedrohung für Deutschland und Europa. Der
ISIS denkt totalitär. Er ist totalitär. Er handelt totalitär.
Totalitäre Regime, meine Damen und Herren, machen
nicht halt vor moralischen oder geografischen Grenzen.
Der ISIS will ein länderübergreifendes Kalifat. Er strebt
ohne Rücksicht auf eigene oder fremde Verluste nach
globaler Ausdehnung und bezieht sein unheilvolles
Potenzial aus der gefährlichen Mischung von menschen-
verachtender Ideologie, erheblichen finanziellen Mitteln
und modernen Waffen. Sie sehen also: Millionen von
Menschen sind bedroht. Bedroht ist aber auch die Stabi-
lität einer ganzen Region. Bedroht ist die Sicherheit in
Deutschland und in Europa.





Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

Wenn ich eines aus unserer eigenen Geschichte und
aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts gelernt habe,
dann ist es dies: Bei Völkermord, bei solchen Gräuelta-
ten, wie wir sie dort jeden Tag sehen müssen, dürfen wir
nicht einfach wegschauen, sondern müssen handeln,
müssen Verantwortung zeigen. Wir müssen diesem Wü-
ten des IS Grenzen setzen und entschieden entgegentre-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen und
von den Linken, es ist mir schon ein Bedürfnis, auf den
Widerspruch in Ihren Reden hinzuweisen. Es ist einfach
nicht glaubwürdig, wenn Sie auf der einen Seite sagen:
„Wir dürfen die Kurden nicht alleinlassen“, die ungeheu-
erlichen Gräueltaten, die Barbarei genauso erkennen wie
wir alle in diesem Haus, und auf der anderen Seite sa-
gen: Aber die Verantwortung für eine umfassende Hilfe,


(Katrin Göring-Eckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist jetzt daneben!)


nicht nur für eine humanitäre Hilfe, sondern für eine
Hilfe, die den IS wirklich stoppt in seinem Tun, verwei-
gern wir; dazu sind wir nicht in der Lage.


(Zurufe von der LINKEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist nicht richtig!)


Das ist für mich schwer verständlich und, mit Verlaub,
auch ein Stück inkonsequent.


(Beifall bei der CDU/CSU – Katrin GöringEckardt [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist eine Unterstellung!)


Die Bundesregierung hat sich entschieden, den Men-
schen im Irak zu helfen, ihnen beizustehen, in enger Ab-
stimmung mit der Regierung im Irak die Peschmerga
und ihren Kampf gegen den IS zu unterstützen. Dieser
Kurs ist richtig. Wir dürfen die Menschen in dieser au-
ßergewöhnlichen Notlage nicht alleinlassen.

Dabei steht im Vordergrund in der Tat die Hilfe für
die Menschen, die humanitäre Hilfe, die zivile Hilfe. Es
wurde bereits angesprochen: Deutschland gibt für diesen
gesamten Bereich mittlerweile schon 50 Millionen Euro.
Damit werden regionale UNHCR-Projekte und -Pro-
gramme unterstützt. Die Arbeit des Roten Kreuzes, die
Arbeit des Technischen Hilfswerks, die Arbeit der kirch-
lichen Organisationen und vieler anderer Organisationen
wird genauso unterstützt wie die Feldküchen des Welt-
ernährungsprogramms.

Es ist richtig, dass die Europäische Union auch in die-
ser Richtung aktiv ist, und zwar mit 17 Millionen Euro.
Es ist aber genauso richtig, dass hier noch eine ganze
Menge zu tun ist, insbesondere vor dem Hintergrund,
dass sich in wenigen Wochen die klimatischen Verhält-
nisse dort ändern, wir einen Winter vor uns haben und
die Menschen Medikamente, Decken, Zelte, medizini-
sche Hilfsgüter und vieles andere benötigen. Das wird
zwar heute schon dorthin geliefert; es reicht aber noch
nicht. Ich bin deshalb sehr dankbar dafür, dass gestern
Abend auch entschieden wurde, diese Hilfen kontinuier-
lich weiterzuentwickeln, für Nachhaltigkeit zu sorgen
und dieses ganz fest im Blick zu behalten. Dafür bin ich
sehr dankbar.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, ich möchte bei der Gele-
genheit auch den Helferinnen und Helfern der Organisa-
tionen vor Ort danken, die dort unter Einsatz ihres Le-
bens arbeiten und die unter schwierigsten Bedingungen
den Menschen – den Kurden, Christen und Jesiden – zur
Seite stehen, sie unterstützen und ihnen auch mit den
Hilfsgütern behilflich sind. Ihnen gebühren unser großer
Dank und unsere Anerkennung für diese Tätigkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es wurde vorhin von einigen Rednern erwähnt – ich
möchte es ausdrücklich unterstreichen –: Es geht darum,
die Menschen zu retten. Es geht aber auch darum, deren
Lebensraum zu retten. Wir müssen alles daransetzen,
dass die Menschen dort gar nicht erst zu Flüchtlingen
werden. Das wollen sie auch nicht. Volker Kauder hat
das auch aufgrund seiner Erfahrungen in den letzten Ta-
gen sehr eindringlich geschildert. Die Menschen wollen
nicht als Flüchtlinge in Deutschland sein, sondern als
freie Menschen selbstbestimmt in der angestammten
Heimat leben. Das ist das Interesse der Menschen dort
im Irak, und das ist nur allzu verständlich. Dafür müssen
wir Sorge tragen. Wir dürfen uns nicht zurücklehnen und
zu einer vermeintlich einfacheren Lösung kommen,
nämlich sie nur bei uns aufzunehmen. Das gehört auch
dazu. Aber es nicht das Einzige und hat nicht Priorität.
Die Menschen wollen in ihrem Lebensraum bleiben. Wir
müssen dafür sorgen, dass sie dies auch können.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Neben der rein zivilen Hilfe wurde auch schon vieles
in Richtung Verbesserung der Ausrüstungssituation ge-
tan. Ich bin der Verteidigungsministerin sehr dankbar für
die Arbeiten im Vorfeld in Bezug auf Schutzwesten,
Helme, Funkgeräte, Nachtsichtgeräte und Ähnliches.
Das wurde in den letzten Tagen vorbereitet; denn auch
das gehört dazu. Aber humanitäre Hilfe und Ausrüs-
tungshilfe können nur dann nachhaltig sein, wenn die
entsetzliche Barbarei des ISIS eingegrenzt und beendet
werden kann. So wichtig die humanitäre Seite der Hilfe
ist, sie würde verpuffen, wenn wir nicht helfen, den IS
grundsätzlich zu stoppen. Ich bin dankbar dafür, dass
auch die Kirchen bei uns im Land diese Meinung vertre-
ten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie der Abg. Christine Lambrecht [SPD])


Die Entscheidung, die die beteiligten Minister der
Bundesregierung gestern getroffen haben, war richtig.
Denn was helfen die Decken, Medikamente und Zelte
den Menschen, wenn sie in den Decken und Zelten ihre
Menschenwürde oder gar ihr Leben verlieren? Das müs-





Gerda Hasselfeldt


(A) (C)



(D)(B)

sen wir mit bedenken. Deshalb reicht die rein humani-
täre Hilfe in dieser ausgesprochenen Notsituation eben
nicht aus.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Natürlich kann man sich fragen: Brauchen wir mehr
Zeit? Brauchen wir eine internationale Strategie, wie es
vorhin angesprochen wurde? – Wenn wir noch ein biss-
chen mehr Zeit verstreichen lassen, dann brauchen wir
uns wahrscheinlich gar nicht mehr darüber zu unterhal-
ten, was noch notwendig ist, weil dann viele von denen,
die es zu retten gilt, gar nicht mehr da sind.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: So ist es!)


Deshalb haben wir hier eine große Verantwortung, eine
Aufgabe, bei der es sich wirklich lohnt, miteinander kon-
trovers zu diskutieren, sich auch die Meinung anderer
anzuhören, was wir heute tun, aber sich dann eben auch
der Verantwortung zu stellen und zu helfen.

Die Vorgaben dessen, was gestern entschieden wurde,
sind so eng gefasst, wie es in dieser Notlage nur möglich
ist: Erstens. Wir tun nichts alleine; wir tun alles in enger
Abstimmung mit den anderen Staaten. Zweitens. Es
geschieht auf die ausdrückliche Bitte der irakischen
Zentralregierung hin und in enger Abstimmung mit ihr.
Drittens. Für die Verteilung wird eine internationale Ko-
ordinierungsstelle eingerichtet. Viertens. Wir tun dies
nach bestem Wissen und Gewissen; die Unterstützung
geht an die irakische Zentralregierung und ist für die
Peschmerga-Kurden – und nur für sie – bestimmt.

Wir sind nicht blauäugig und wissen sehr wohl um die
Risiken; aber es geht in dieser Situation um das Abwä-
gen zwischen dem, was man zu verantworten hat, und
dem, was möglich ist.

Ich danke Ihnen, Frau Bundeskanzlerin, und den be-
teiligten Bundesministern sehr herzlich für die beson-
nene und gründliche Art und Weise der Vorbereitung
dieser Entscheidungen. Ich denke, dass die auf den Weg
gebrachten Entscheidungen zweierlei bedeuten: Sie sind
ein starkes Zeichen der Hilfe für die Menschen und der
Solidarität mit den Menschen im Irak. Gleichzeitig sind
sie ein klares Signal gegen Völkermord und Terror. Des-
halb unterstützen wir diese Entscheidung der Bundes-
regierung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804802000

Das Wort erhält nun der Kollege Omid Nouripour für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804802100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist eine unglaublich schwierige Entscheidung, und wir
wissen, dass die meisten in diesem Hohen Hause, die
sich mit der Frage beschäftigen, sehr mit sich ringen, wie
man die Barbaren des ISIS aufhalten kann. Wir sind uns
weitgehend einig – viele sind sich einig, ich gehöre dazu –,
dass das nur mit militärischen Mitteln geht. Aber zwei
Argumentationsstränge, die ich bisher gehört habe, kann
ich leider so nicht stehen lassen.

Erstens. Ich bin heute auf den Tag genau seit acht Jah-
ren im Deutschen Bundestag, und ich habe in acht Jah-
ren nicht ein einziges Mal einen solchen Antrag gesehen,
wie Sie ihn heute vorlegen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir diskutieren seit Wochen laut und heftig die Frage
der Waffenlieferungen, und dann bringen Sie einen An-
trag ein, in dem nicht einmal das Wort vorkommt. Wenn
Sie das machen wollen, dann reicht es nicht, wenn Sie
sich hier hinstellen und offensiv dafür werben – Herr
Kauder hat es getan, ein paar andere haben es getan; ich
bin für die Art und Weise, nicht für die Argumente, sehr
dankbar –, sondern dann müssen Sie es heute auch be-
schließen lassen. Das machen Sie aber nicht, weil Sie die
Debatte fürchten. Das wird der Ernsthaftigkeit des The-
mas nicht gerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zweitens. Es wird hier eine binäre Logik vertreten:
entweder 0 oder 1. Herr Steinmeier hat immer wieder
gesagt: Es geht bei den Waffenlieferungen um Handeln
oder Nichthandeln. – Herr Oppermann hat heute gesagt:
Man muss etwas tun. – Es gibt aber nicht nur Waffenlie-
ferungen oder Nichtstun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Ich habe heute Staatsbürger jesidischen Glaubens,
Unternehmer aus Köln, getroffen. Sie haben in der gro-
ßen Angst um ihre Glaubensbrüder und -schwestern in
den Bergen von Sindschar in ihrer Nachbarschaft in
Köln um Spenden gebeten und von ihren deutschen
Nachbarinnen und Nachbarn – dafür sind sie zutiefst
dankbar – tonnenweise humanitäre Güter bekommen.
100 Lkw voller Klamotten, Decken und Pharmazie ste-
hen seit drei Wochen an der Grenze zwischen der Türkei
und Syrien, am Grenzübergang in Ibrahim Khalil, und
die Türkei lässt diese humanitären Güter nicht durch. Es
ist nicht Nichtstun, mit einem NATO-Partner einmal ein
offenes und lautes Wort zu sprechen, dass diese Art von
Grenzmanagement, bei der ISIS freien Verkehr über die
Grenze hat, aber humanitäre Güter nicht durchkommen,
nicht akzeptabel ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es ist nicht Nichtstun, wenn man mit der Regierung in
Bagdad über die Notwendigkeit einer inklusiven Regie-
rungsführung spricht; denn die Sunniten fühlen sich dis-
kriminiert. Sie bemängeln seit dreieinhalb Jahren zu
Recht, dass sie keinen Anteil am immensen Reichtum
des Landes haben. Viele der Städte im Norden des Lan-
des sind beim Vormarsch des ISIS nach Mosul gefallen,
weil die Sunniten die Seiten gewechselt haben. Sie sa-
gen: Wir wollen ein Mindestmaß an Schutz. Wir wurden
unter al-Maliki beschossen, als wir zum Beispiel in Ra-
madi friedlich demonstriert haben. – Man muss diesen
Menschen entsprechende Signale geben. Die Situation





Omid Nouripour


(A) (C)



(D)(B)

klar und deutlich anzusprechen, das ist nicht Nichtstun.
Nur so kann man langfristig etwas gegen ISIS tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN)


Das Zeitargument, Herr Kauder, das Sie angeführt ha-
ben, ist sehr vage. ISIS ist nicht aus dem Nichts gekom-
men. ISIS hat vor über einem Jahr die gesamte riesige
Westprovinz Anbar erobert. In diesem Zusammenhang
ging es um die Situation der Sunniten. Man wusste nicht
genau, wie man sie schützen soll. Ich war Ende Mai des-
wegen in Bagdad. Die zentrale Frage aller Irakis war:
Wo seid ihr Deutschen? Wo ist euer politisches Engage-
ment? Wann redet ihr endlich einmal mit al-Maliki, der
Gott sei Dank inzwischen nicht mehr Ministerpräsident
ist, damit er etwas tut?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Sie haben die Finanziers angesprochen. Es ist nicht
Nichtstun, die Finanziers darauf hinzuweisen, dass durch
ISIS billiges Öl von den Ölfeldern von Ragga und an-
derswo zum Beispiel an Assad verkauft wird. Ich habe
am 2. Juni von der Bundesregierung die Information er-
halten, man wisse nichts davon, dass ISIS Ölfelder habe;
ich habe die Antwort hier. Es ist nicht Nichtstun, wenn
man genauer hinschaut. Dann braucht man auch nicht
plötzlich in Aktionismus zu verfallen, wie das derzeit
der Fall ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])


Es ist auch nicht Nichtstun, nach einem regionalen
Ansatz zu suchen, die Nachbarstaaten an einen Tisch zu
bringen und wirklich Druck zu machen, damit die ewige
Feindschaft zwischen Saudi-Arabien und Iran bei dem
Thema ISIS – da sind sich doch alle einig – endlich auf-
hört.

Frau Hasselfeldt, das, was Sie gesagt haben, kann ich
wirklich nicht so stehenlassen. Lesen Sie unseren Ent-
schließungsantrag. Dort steht eindeutig drin: Wir wollen,
dass sich Deutschland an die UN wendet, dort die Res-
ponsibility to Protect, die Schutzverantwortung, festge-
stellt wird und sich Deutschland dann gegebenenfalls an
der Umsetzung beteiligt. Wenn das für Sie Nichtstun ist,
dann verstehe ich, warum Sie in der von mir angespro-
chenen binären Sicht der Welt verhaftet sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Eine letzte Frage habe ich noch. Ich weiß noch immer
nicht, wer diese Waffen aus Deutschland bekommen
soll. Zunächst hieß es: die Kurden. Gestern hieß es, eine
konkrete Peschmerga-Brigade würde sie bekommen. Die
Peschmerga haben in Sindschar meines Wissens nicht
gekämpft, aber es kann ja Sinn machen. Wie gesagt: Ich
verstehe die Argumente der anderen Seite. Heute haben
wir im Ausschuss noch einmal nachgefragt: Sind das
PUK-Peschmerga oder PDK-Peschmerga? Ich habe bis-
her keine Antwort erhalten.
Frau Hasselfeldt, Sie haben sich im Übrigen nicht
ganz an die Wahrheit gehalten, als Sie gesagt haben, es
gehe darum, ISIS zu vertreiben. Es geht nicht darum,
dass die Peschmerga Mosul erobern. Die Kurden sagen
– ich verstehe ihre Sicht völlig –, sie wollten Kurdistan
verteidigen. Es geht nicht darum, ISIS in ganz Nordirak
zu bekämpfen. Deshalb kann man nicht sagen: Es geht
um Waffenlieferungen oder um gar nichts.

Ich bin sehr froh, dass auch Syrien genannt worden
ist. Das ist ein wahnsinnig wichtiges Thema, über das
wir in den nächsten Wochen intensiver diskutieren müs-
sen, als wir es bisher getan haben.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Anfang des Jahres wurde ein riesengroßer Aufschlag
gemacht. Es hieß, es gehe um mehr Verantwortung der
deutschen Außenpolitik, Deutschland sei zu groß, um an
der Seitenlinie zu stehen. Wenn das so ist, dann gilt es
aufgrund dieser Verantwortung, jetzt genau hinzu-
schauen und nicht erst dann zu reagieren, wenn es
brennt. Man muss bereit sein, die öffentliche Diskussion
anders zu führen, als Sie es bisher getan haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804802200

Ich erteile nun das Wort dem Kollegen Philipp

Mißfelder für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1804802300

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Zunächst einmal möchte ich, Herr Kollege Nouripour,
klarstellen, dass es in den vergangenen Jahren die
Unionsfraktion war, die das Thema Irak immer wieder
auf die Tagesordnung des Auswärtigen Ausschusses ge-
setzt hat. Ich meine, da waren Sie dabei. Ich möchte
auch betonen, dass ich den Kollegen van Aken von der
Linksfraktion dort als aktiveren Kollegen erlebt habe als
Sie. Deshalb ist die von Ihnen eben getroffene Pauscha-
lisierung, wir würden erst dann unserer Verantwortung
gerecht werden, wenn es brennt, absolut unzutreffend.


(Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich verweise auch darauf, dass in einer Zeit, als
viele Politiker aus diesem Hause in ihren Reden noch
an al-Maliki festgehalten und seine falsche Politik in
schönen Farben gemalt haben, unsere Bundeskanzlerin
als eine von wenigen Staats- und Regierungschefs bereit
war, den Präsidenten der autonomen Region Kurdistan,
Massud Barsani, zu empfangen. Das war im vergange-
nen Jahr. Premierminister Netschirwan Barsani hat sie
ebenfalls empfangen. Vor diesem Hintergrund möchte
ich deutlich sagen, dass die Hilfe, dass die Unterstüt-
zung, die die autonome Region Kurdistan seit Jahren aus
Deutschland erhält, keine Eintagsfliege ist, sondern Aus-
druck eines langfristigen Engagements. Das dokumen-
tieren wir sowohl durch den Antrag heute als auch durch





Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

die Entscheidung, die gestern gefallen ist, als auch durch
das, was Gerd Müller und sein Haus an langfristiger Un-
terstützung zugesagt haben, nämlich durch die Auswei-
tung des humanitären Beitrags. Diesen Dreiklang halte
ich für sehr wichtig und für zentral.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Was ist in Kurdistan, was ist im Nordirak passiert?
Noch vor einigen Wochen waren sich die Kurden sehr si-
cher, dass sie in der Lage wären, jederzeit mit ihren
Peschmerga-Einheiten den IS bzw. Daish zurückschla-
gen zu können. Diese Sicherheit hat sich als trügerisch
erwiesen. Dafür gibt es verschiedene Gründe, auf die
hier schon mehrere Redner eingegangen sind. Zu den
Gründen gehört sicherlich, dass die Motivation dieser
Bande ganz anders ist als die Motivation einer normalen
Armee. Im Grunde steht man einer Armee von Selbst-
mordattentätern gegenüber. Das hat sicherlich dazu ge-
führt, dass ein taktisches Ausweichen der Peschmerga
notwendig wurde, was sie politisch einen relativ hohen
Preis gekostet hat. Natürlich kam gerade bei den Jesiden
die Frage auf, warum die Peschmerga zurückgewichen
sind. Meine Erklärung dafür lautet: Dieses taktische
Ausweichen war notwendig, weil selbst die gut vorberei-
teten Kämpfer der Kurden nicht damit gerechnet haben,
dass ISIS so gut ausgestattet ist.

Das ist der zweite Punkt. ISIS ist so gut ausgestattet
wie kaum eine andere Terrorgruppierung. Das liegt da-
ran, dass sie Geld erobert haben, ihnen aber auch aus an-
deren Ecken des Nahen Ostens Geld zugeleitet wurde.
Darüber kann man jetzt lange spekulieren. Wenn mir je-
mand aus diesem Hause genau sagen kann, wer wann wo
ISIS unterstützt hat, bin ich natürlich sofort bereit, die
härtesten Maßnahmen, die der UNO-Sicherheitsrat vor
zwei Wochen beschlossen hat, anzuwenden. Aber die
konkreten Beweise liegen eben noch nicht vor. Deshalb
bitte ich Sie: Hören Sie auf, im Nebel herumzustochern
und zu sagen, man wüsste genau, wer was wann getan
hat. Das ist in diesem Zusammenhang nämlich nicht so
einfach, wie Sie das darstellen. Seien Sie versichert: Die
Bundesregierung und die ihr unterstehenden Behörden
beobachten das ganz genau. Sobald Beweise vorliegen,
wird natürlich der Beschluss des UNO-Sicherheitsrates
angewandt werden.

Eines ist klar – das ist aus meiner Sicht das größte
Problem –: Die Motivation dieser häufig sehr hoffnungs-
losen jungen Männer, die sich dieser Truppe angeschlos-
sen haben, ist mit Sicherheit die größte Gefahr, die von
ISIS ausgeht. Diese jungen Männer haben nichts zu ver-
lieren, und sie haben sich dieser Gruppierung in einer
Zeit angeschlossen, in der sie auf dem Vormarsch ist. Sie
schlagen mit viel größerer Brutalität zu als die anderen
Terrorgruppen zuvor. Das wird uns sicherlich längerfris-
tig beschäftigen. Ich glaube daher, dass die Lösung nicht
mit Waffengewalt allein erreicht werden kann, sondern
ein größerer politischer Ansatz notwendig ist. Gerade
deshalb haben Spitzenvertreter unserer Fraktion immer
wieder das Gespräch mit den Kurden gesucht. Volker
Kauder und Andreas Schockenhoff haben von den Ge-
sprächen berichtet.

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804802400

Der Kollege Ströbele würde gerne eine Zwischen-

frage stellen. Darf er das?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1804802500

Sehr gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804802600

Bitte schön.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege Mißfelder, Sie haben darauf hingewie-
sen, dass die Peschmerga Probleme hatten, die ISIS-
Truppen abzuwehren, und sich deshalb zurückgezogen
haben. Haben Sie auch zur Kenntnis genommen, dass
diejenigen, die tatsächlich Flüchtlinge gerettet haben,
überwiegend PKK-Kämpfer waren, die sich auch in der
Gegend dort aufhalten? Und was sagen Sie dazu, dass es
von den Eingeweihten – auch von denjenigen, die aus
Deutschland in den Irak reisen – mit großem Lob verse-
hen wird – übrigens auch von mir –, dass sich die PKK-
Kämpfer dort durchgesetzt und viele Flüchtlinge gerettet
haben, aber gleichzeitig die reine Mitgliedschaft in der
PKK in Deutschland dazu führt – solche Urteile werden
hier ständig gefällt –, dass man mehrere Jahre ins Ge-
fängnis kommt? Halten Sie es nicht für etwas sehr schi-
zophren oder pervers, die PKK auf der einen Seite, weil
sie dort Positives bewirkt hat, zu loben und sie auf der
anderen Seite hier strafrechtlich zu verfolgen?


Philipp Mißfelder (CDU):
Rede ID: ID1804802700

Nein, ich halte das nicht für pervers – so haben Sie es

bezeichnet –, sondern für eine Realität, wie sie allzu häu-
fig typisch für den Nahen Osten ist. Das, was Sie Positi-
ves über die PKK, genauer gesagt über den syrischen
Teil einer der PKK sehr nahestehenden Organisation ge-
sagt haben, ist ja richtig. Natürlich hat die PKK an der
einen oder anderen Stelle konstruktiv gewirkt. Sie hat
sich allerdings noch lange nicht von ihrem eigentlichen
Ziel losgesagt, auch gegen den Widerstand der Türkei
ein Großkurdistan errichten zu wollen.

Diese Diskussion über die Frage eines möglicher-
weise unabhängigen Kurdenstaates wird bei uns immer
vermischt. Aus der deutschen Perspektive wird allzu
häufig so getan, als ob das, was die autonome Regierung
in Arbil sagt, genau das Gleiche wäre wie das, was die
PKK proklamiert. Das ist nicht so. Deshalb war auch der
Appell an Ankara vorhin nicht falsch. Es ist doch eine
große politische Leistung gewesen, dass sich die Regie-
rung in Arbil mit Ankara ausgesöhnt hat. Das hat die
PKK nicht, Herr Ströbele. Solange das nicht der Fall ist
und solange die PKK weiterhin eine Terrorgefahr für ein
NATO-Land darstellt – sie hat auch versucht, diese Kon-
flikte in Deutschland auszutragen; das ist ja hinlänglich
bekannt –, bin ich der Meinung, dass die Einstufung der
PKK nach wie vor gerechtfertigt ist, egal ob sie in den
letzten Wochen Gutes oder Schlechtes getan hat.


(Beifall bei der CDU/CSU)






Philipp Mißfelder


(A) (C)



(D)(B)

Ich wollte auf den Punkt hinweisen, den Andreas
Schockenhoff und Volker Kauder herausgearbeitet ha-
ben. Natürlich stellt sich in einer solchen schwierigen
Abwägungssituation die Frage: Trifft man eine Entschei-
dung, bei der man sich zu 100 Prozent sicher ist, das
Richtige getan zu haben? Das wird man immer erst im
Rückblick beurteilen können. Aber in der Abwägungs-
entscheidung ist es so, dass wir gerade auf den Schutz
der Minderheiten achten müssen. Das beziehe ich nicht
nur auf assyrische Christen und auf Christen, die seit
langer Zeit dort leben, sondern explizit auf die Jesiden,
die knapp einem Völkermord entgangen sind, wobei die-
ser ja gerade schon angefangen hatte. Ich beziehe das
auch auf all diejenigen, die sich nicht Daish anschließen,
und auch auf die Sunniten, die in den Nordirak geflohen
sind.

Der Garant für die Sicherheit dieser Menschen ist ak-
tuell die autonome Regierung in Kurdistan und sind na-
türlich die Stämme, die dort die Verantwortung tragen,
egal ob es die PUK repräsentiert durch Talabani ist oder
Barsani mit der KDP. Das sind die Partner, die sich in
der Vergangenheit als sehr zuverlässige Partner heraus-
gestellt haben. Deshalb ist es in der Abwägungsentschei-
dung richtig – das beantwortet zum Teil auch die Fragen
von Herrn Nouripour –, gerade denjenigen die Waffen
zur Verfügung zu stellen, die sich als verlässlicher Part-
ner herausgestellt haben. Diesen Weg halte ich für gang-
bar und für vertretbar.

Eine Gewissheit zu 100 Prozent hat man natürlich nie.
Deshalb hat man sich ja auch regierungsintern mit der
Entscheidung schwergetan. Deshalb haben wir auch ei-
nige Zeit für diese schwierige Abwägungsdiskussion ge-
braucht – wir haben sie ja nicht über Nacht geführt –,
und wir haben einen Versuch unternommen, sie politisch
einzubetten.

Dazu möchte ich zum Abschluss auch noch etwas sa-
gen. Ich glaube, dass die Ein-Irak-Politik keine Mon-
stranz sein darf, die wir vor uns hertragen. Eine wirkli-
che Ein-Irak-Politik muss bedeuten, dass auch die
Schiiten, die die Macht in Bagdad haben, bereit sind, den
Wohlstand des Landes mit allen anderen Volksgruppen
zu teilen. Dazu waren sie in diesem Jahr nicht bereit.
Dies hat deutlich zu einer Verschärfung der Situation ge-
führt. Nicht ohne Grund haben sich so viele Sunniten,
die hoffnungslos in ihren Armutsghettos lebten, der
Daish angeschlossen und sind der Überzeugung, mit die-
ser Terrororganisation eine bessere Zukunft zu haben, als
sich weiter von Maliki und seinen Leuten unterdrücken
zu lassen. Vor dem Hintergrund ist es richtig, an die neue
irakische Regierung zu appellieren. Sie muss in deutli-
che Vorleistung treten und das erfüllen, was die Verfas-
sung vorschreibt: den Wohlstand teilen. Wenn wir die
Ein-Irak-Politik unterstützen sollen – das erwartet man
von uns –, dann muss sich Bagdad mehr bewegen. Das
hat Bagdad in der Vergangenheit nicht getan. Die Ver-
antwortlichen dort müssen endlich beginnen, sich zu
bewegen; denn sonst wird die Konsequenz sein, dass
dieses Land zerfällt. Das wollen wir nicht, weil wir glau-
ben, dass die Situation danach noch schwieriger sein
wird, als sie es heute ist. Aber Bagdad hat das zum Teil
selbst in der Hand.
Ich möchte zuallerletzt auf noch etwas hinweisen.
Hier ist ja auch über die Möglichkeiten eines politischen
Dialogs gesprochen worden. Ich bin relativ skeptisch,
was eine mögliche Versöhnung angeht. Volker Kauder
hat es gesagt: Gerade die besitzenden Christen sind ihres
Wohlstandes beraubt worden. Sie sind teilweise von ih-
ren Nachbarn in schlimmster Art und Weise verraten
worden. Ich kann mir nur sehr, sehr schwer vorstellen,
dass es in diesen zwölf Dörfern um Mosul herum, um
die es vor allem geht, zu einer einfachen Versöhnung
kommt. Ich glaube, das ist eine sehr große politische He-
rausforderung, die uns noch lange Zeit beschäftigen
wird; der Wohlstandsaspekt gehört definitiv dazu. Wirt-
schaftliche Aspekte wie auch die strukturelle Verbesse-
rung der humanitären Situation, die ebenfalls definitiv
dazugehört, werden uns über die Lieferung von Waffen
hinaus in der Irak-Politik über diesen Tag hinaus noch
weitaus stärker beschäftigen als bislang.

Ohne die Amerikaner, ohne deren entscheidendes
Eingreifen in den vergangenen Wochen und ohne das be-
herzte Zugreifen der Peschmerga in der zweiten Phase
der Auseinandersetzung mit ISIS wäre Kurdistan aller-
dings schon längst überrannt worden. Ich möchte des-
halb auch daran erinnern, was für eine schwierige Ge-
burt es war, bis unsere heutige Entscheidung geboren
wurde. Ohne die Amerikaner und ohne den Mut der Kur-
den selbst hätten wir nicht die Zeit gehabt, diese lange
Diskussion in Deutschland überhaupt zu führen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804802800

Frank Schwabe erhält nun das Wort für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1804802900

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren! Es

ist heute bereits mehrfach deutlich gemacht worden,
dass es durchaus ein Dilemma ist, in dem wir alle uns
befinden. Es ist aber auch deutlich geworden, dass keine
Haltung zur Frage der Waffenlieferungen am Ende auch
eine Antwort ist. Ich glaube, dass gerade mit Blick auf
die Menschenrechte Gewalt dann legitim und notwendig
ist – Waffenlieferungen sind ja so etwas wie Beihilfe zur
Gewalt –, wenn schlimmste humanitäre Katastrophen so,
wenn schon nicht verhindert, dann zumindest eingehegt
werden können. Wann das der Fall ist, ist wirklich
schwer zu sagen; das ist ein schmaler Grat. All die ent-
sprechenden Risiken sind heute diskutiert worden.

In der Abwägung komme ich trotzdem zu dem Ergeb-
nis, dass im Fall des Nordirak Waffenlieferungen richtig
und nachvollziehbar sind. Ich kann zugleich die Argu-
mente, die hier seitens der Grünen und teilweise auch
der Linkspartei gebracht worden sind, durchaus nach-
vollziehen, wenn nämlich gesagt wird, dass es eine Ge-
samtstrategie geben müsse, dass die Türkei einbezogen
werden müsse, oder wenn gefragt wird, warum IS ei-





Frank Schwabe


(A) (C)



(D)(B)

gentlich Öl verkaufen kann und wie es um die Unterstüt-
zung der Golfstaaten und anderer bestellt ist. Ich habe
trotzdem keine Antwort auf die Frage bekommen, ob
man nicht in einer ganz konkreten Notsituation, nämlich
dann, wenn Menschen unter schlimmsten Bedingungen
dahingemetzelt werden, zumindest den Angreifern in
den Arm fallen und den Opfern die Gelegenheit dazu ge-
ben sollte, sich zu verteidigen. Vor diesem Hintergrund
ist es richtig, dass wir heute beschließen, solche Waffen-
lieferungen zu tätigen. Ich finde es auch richtig, dass der
Deutsche Bundestag das hier so diskutiert.

Es ist jetzt viel über den Nordirak gesprochen wor-
den. Ich will versuchen, den Blick ein bisschen zu erwei-
tern. Wir sind wirklich in einer Welt, die in Unordnung
ist.


(Zurufe von der Besuchertribüne)


Wir sind in einer Welt, die in Unordnung ist, und es ist
auch nicht einfach, die nötige Ordnung entsprechend – –


(Unruhe auf der Besuchertribüne)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804803000

Herr Kollege Schwabe, bitte unterbrechen Sie einen

Augenblick Ihre Rede, damit die Situation auf der Besu-
chertribüne geklärt werden kann.

Für alle, die an den Debatten des Bundestages als Zu-
schauer teilnehmen wollen, gilt die Regel, dass es von
den Tribünen weder Zurufe geben darf noch Spruchbän-
der entrollt noch Flugblätter verteilt werden dürfen.

Die Situation ist offenkundig geklärt. Sie können wei-
tersprechen. Bitte schön, Herr Schwabe.


Frank Schwabe (SPD):
Rede ID: ID1804803100

Die Welt ist in der Tat in Unordnung. Die besten Mili-

tärs und die umfangreichsten Waffenlieferungen werden
die nötige Ordnung nicht wiederherstellen können. Wir
sind alle ziemlich fassungslos angesichts dessen, was in-
ternational passiert. Es ist eben nicht nur der Konflikt im
Nordirak, es sind auch die Konflikte in Syrien, im
Südsudan, in der Zentralafrikanischen Republik, in Mali,
in der Ukraine, vergessene Konflikte wie in Kolumbien
und anderswo, die uns beschäftigen. Ich will nur zwei
Zahlen nennen, die deutlich machen, was international
zurzeit los ist.

Die erste Zahl: Weltweit gibt es laut den Vereinten
Nationen über 50 Millionen Flüchtlinge. Das ist die
höchste Zahl seit dem Zweiten Weltkrieg.

Die zweite Zahl: Die Vereinten Nationen schätzen,
dass wir aufwachsend einen Bedarf bei der humanitären
Hilfe in Höhe von 17 Milliarden US-Dollar haben, und
zwar allein nur im Jahr 2014. Das ist eine Verdreifa-
chung gegenüber der Zahl aus dem Jahr 2006.

Das macht, wie ich finde, deutlich, was die Prioritäten
in der Debatte über die aktuelle Frage hinaus in den
nächsten Monaten und Jahren eigentlich sein müssen.

Das ist zum einen die Frage, wie wir im Bereich der
humanitären Hilfe einen Aufwuchs hinbekommen.
Deutschland tut eine ganze Menge, auch im aktuellen
Fall. Das wird aber nicht reichen. Es bedarf, wenn wir
eine Verdreifachung der Mittel im internationalen Kon-
text brauchen, eben auch einer Erhöhung in Deutsch-
land. Ich bin froh darüber, dass hier in der Debatte klar
geworden ist, dass auch, wenn wir Waffen liefern, der
finanzielle Umfang der humanitären Hilfe am Ende
deutlich über dem dieser Waffenlieferungen liegen muss,
und ich bin dankbar, dass der Fraktionsvorsitzende der
SPD das so auch noch einmal klargestellt hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zum anderen werden wir auch – ich bin dankbar da-
für, dass die Kanzlerin das deutlich gemacht hat – über
die Aufnahme von Flüchtlingen reden müssen. Dabei ist
vollkommen klar: Wir wollen, dass Jesiden, Christen
und andere eine Zukunft im Nordirak und in der ganzen
Region haben. Es kann aber nicht sein, dass am Ende die
Flüchtlingsprobleme in Jordanien, in der Türkei und an-
derswo gelöst werden müssen.

Ich war vor einigen Tagen in der Türkei. Die Situation
dort ist wirklich dramatisch. Man kann die Türkei an
vielen Stellen kritisieren, und man kann, wie ich finde,
die Türkei zunehmend auch hinsichtlich der Flüchtlings-
aufnahme kritisieren, weil Erdogan den Eindruck ver-
mittelt hat, dass er das schon alleine hinbekomme. Das
bekommt er aber nicht alleine hin. Dort sind mittlerweile
mehr als 1 Million Flüchtlinge, und selbst im Straßen-
bild von Istanbul ist das sichtbar. Frauen liegen dort mit
ihren Babys auf der Straße. Ich glaube, dafür muss es
eine Lösung geben, und das kann nur eine europäische
Lösung sein.


(Beifall der Abg. Stefan Rebmann [SPD] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Ich weiß, es ist schwierig, das in unseren Wahlkreisen
zu diskutieren. Die Belastungen in vielen Kommunen
sind hoch. Trotzdem muss man den Menschen die Wahr-
heit sagen: Wenn wir über die Krise im Nordirak reden,
dann reden wir auch darüber, dass wir zumindest vo-
rübergehend mehr Flüchtlinge bei uns in Deutschland
aufnehmen müssen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zwei kurze Bemerkungen zum Schluss.

Erstens. Ich glaube, es ist wichtig, dass in der Debatte
heute noch einmal klargestellt worden ist, dass es sich
um einen singulären Fall und um keinen Paradigmen-
wechsel oder anderes handelt. Ich denke, eine solche
Unterstellung beschwert die Debatte hier im Haus und in
der Öffentlichkeit nur unnötig.

Zweitens. Diese singulären Waffenlieferungen relati-
vieren nicht die Entscheidung von Bundesminister und
Vizekanzler Sigmar Gabriel zum Thema Rüstungs-
exporte; vielmehr ist das Gegenteil der Fall; das sind
zwei Seiten einer Medaille: Wir wollen ethisch begrün-
det in einem ganz bestimmten Fall Waffen liefern. In an-
deren Fällen wollen wir aus wirtschaftlichen Gründen





Frank Schwabe


(A) (C)



(D)(B)

keine Waffen in Spannungsgebiete liefern. Ich glaube,
das ist die richtige Entscheidung.

Wenn man in Deutschland entscheidet, Rüstungs-
exporte zu begrenzen, die humanitäre Hilfe zu stärken
und in einem ganz bestimmten begründeten Fall Waffen
zu liefern, dann ist das der richtige Weg, den dieses Haus
hier auch gehen sollte.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804803200

Henning Otte hat nun das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Henning Otte (CDU):
Rede ID: ID1804803300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Die Welt ist in Unruhe. Wir alle sind aufgefor-
dert, alles daranzusetzen, Krisen dort schnell und wirk-
sam einzudämmen, wo sie entstehen.

Die Lage im Nordirak ist mehr als besorgniserregend.
Eine terroristische IS-Miliz will einen Staat errichten,
eine Miliz, die eine Expansion durch Töten in barbari-
scher Weise betreibt. Der kurdischen Bevölkerung soll
das Heimatrecht entzogen werden. Jesiden und Christen
werden hingerichtet. Hier darf Deutschland nicht weg-
sehen. Das ist ein Gebot der Menschlichkeit, das ist Aus-
druck von Verantwortung, hier geht es um den Schutz
der Religionsfreiheit, und das ist auch eine Schutzmaß-
nahme der westlichen Welt und Deutschlands vor der
Etablierung islamistischer Terrorstrukturen.

Wir dürfen uns als Deutschland nicht abwenden. Die
Linke will den Menschen im Nordirak eine Ausrüstungs-
hilfe verweigern. Das ist skrupellos – nur, um die eigene
Ideologie aufrechtzuerhalten.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das glauben Sie selber nicht!)


Immer wenn es um reale Politik geht, ist die Linke am
Ende. Herr Gysi – er ist wegen eines Termins leider
schon gegangen – sagt erst, wir brauchen Waffen für die
Kurden, dann wird er von seiner eigenen Partei zurück-
gepfiffen wegen der Ideologie. Das erinnert mich an
seine Zeit als Wirtschaftssenator, als er auch einen Reali-
tätsschock erlitten hat.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Nun ist aber gut!)


Ich kann nur sagen: So kann man keinen Staat machen,
und deswegen dürfen Sie keine Regierungsverantwor-
tung übernehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie des Abg. Rainer Arnold [SPD] – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich habe Berichte von jesi-
dischen Teilen der Bevölkerung direkt aus meiner Hei-
matstadt Bergen und aus Celle erhalten. Das, was berich-
tet wurde, ist mehr als besorgniserregend; das ist
erschreckend. Das Recht darf dem Unrecht nicht wei-
chen. Daher darf Deutschland mit seinem Verständnis
von Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit und auch
vor dem historischen Hintergrund – unsere Bundeskanz-
lerin hat das dargestellt – solch ein Unrecht nicht dulden.

Deutschland hilft: auf Bitten der irakischen Regie-
rung mittels einer Anfrage an die Vereinten Nationen
– nach Abfrage der kurdischen Ausrüstungsdefizite –
durch Erstellung einer Liste verfügbaren Materials durch
das Verteidigungsministerium, in Abstimmung mit unse-
ren europäischen Partnern. Wir helfen also, Ausrüs-
tungsdefizite der kurdischen Peschmerga teilweise aus-
zugleichen. Ziel ist die Verbesserung des Schutzes
kurdischer Kämpfer: durch Verbesserung der Bewe-
gungsfreiheit, der Kommunikationsfreiheit und der
Durchsetzungsfähigkeit. Von daher ist Deutschland be-
reit, Helme, Nachtsichtgeräte, Fahrzeuge, Schutzwesten,
aber auch Waffen und Munition zu liefern.

Ich sage auch: Gut, dass Deutschland ein so breites
Fähigkeitspotenzial hat. Dadurch können wir politisch
die Maßnahmen auswählen, die wir für richtig halten
und die wir zur Verfügung stellen wollen.

Die Lieferung der Ausrüstungshilfe vollzieht sich da-
bei klar nach den üblichen Regeln des Außenwirtschafts-
gesetzes. Ich danke unserem Bundeswirtschaftsminister
Sigmar Gabriel für die unkomplizierte Sicherstellung
dieser Waffenlieferungen. Ein Verzögern nach der jetzi-
gen Entscheidung der zuständigen Ressorts würde in der
Völkergemeinschaft kein Verständnis finden. Hilfe in ei-
ner solchen Situation duldet keinen Aufschub.

Vor allem halte ich es für wichtig, eine Endverbleibszu-
sicherung durch die kurdische Peschmerga zu erhalten.
Ich danke deshalb unserer Bundesverteidigungsministerin
auch dafür, dass sie die Lieferung der Ausrüstungshilfe
in Tranchen zur Verfügung stellt, um eine Beobachtung
der Handhabung sicherzustellen und um zu verhindern,
dass Material geliefert wird, das nicht benötigt wird –
also ein Handeln immer in Anbetracht der Lage und der
aktuellen Situation vor Ort. Das ist die pragmatische,
verantwortungsvolle Politik der Großen Koalition. Da-
her unterstützen wir diese Ressortentscheidung.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Heute geht es um ein Gesamtpaket zur Eindämmung
der katastrophalen Situation im Nordirak. In einem Drei-
klang aus humanitärer Hilfe in Form von Nahrung und
Medikamenten, aus finanzieller Unterstützung der
Flüchtlinge und auch durch Ausrüstungshilfen; denn
letztendlich geht es darum, den kurdischen Flüchtlingen
nicht nur Nahrung zu übermitteln, sondern sie auch vor
der Ermordung zu schützen.

Es ist richtig und notwendig, diesen weitgehenden
Schritt der Lieferung von Waffen zu gehen, um die Ursa-
che zu bekämpfen und die Kurden selbst in die Lage zu
versetzen, sich zu verteidigen und sich zu erwehren. Da-
für bedarf es einer Waffengleichheit gegenüber der bes-
tens ausgestatteten IS-Miliz. Dies ist kein Grundsatz-
wechsel. Es ist vielmehr die Bereitstellung von Mitteln





Henning Otte


(A) (C)



(D)(B)

zur Hilfe zur Notwehr unter Beibehaltung der Subsidia-
rität. Es wird also dort Hilfe zur Verfügung gestellt, wo
sie gebraucht wird.

Im Norden Iraks werden wir einen Verband ausstat-
ten, der sich dann selbst verteidigen kann. Wer dies ab-
lehnt, der duldet den Völkermord vor Ort.


(Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie aber vor ein paar Tagen geschrieben!)


Jede Lage hat ein eigenes Gesicht. Daher ist dies
heute keine Grundsatzentscheidung oder gar ein Wech-
sel der deutschen Politik. Vielmehr bedarf es immer wie-
der einer Einzelfallbetrachtung.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oho!)


Vor allem bedarf es weiterhin eines vernetzten Ansatzes
durch die Bereitstellung von Hilfsgütern – 150 Tonnen –,
durch die Bereitstellung von finanziellen Mitteln
– 50 Millionen Euro – und durch diplomatische Anstren-
gungen – das gilt insbesondere für das Land Irak –, aber
eben auch, wenn es sein muss, durch die Bereitstellung
von Ausrüstungsmitteln.

Oft wird gefragt, ob nun auch die Ukraine mit Aus-
rüstungshilfe ausgestattet werden soll. Dies hat unsere
Bundeskanzlerin in einer klaren Argumentationslinie ab-
gelehnt. Auch ich sage hier: Jede Lage hat ihr eigenes
Gesicht. Jede Sicherheitsbedrohung muss einzeln bewer-
tet und abgewogen werden. In der Ukraine müssen wir
deeskalieren. Wir müssen Sanktionen weiter verschär-
fen, und wir dürfen den Gesprächsfaden nicht abreißen
lassen. Aber ich sage auch: Viel mehr noch müssen wir
unsere osteuropäischen NATO-Mitglieder in die Lage
versetzen und ausstatten, dass sie selbst einen so hohen
Schutzdeich aufbauen können, dass niemand es wagt,
ihn zu durchbrechen. Ansonsten greift Artikel 5 des
NATO-Vertrages; das muss Russland ganz deutlich wis-
sen.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist eine Kriegsdrohung!)


Meine Damen und Herren, ohne Sicherheit gibt es
keine Freiheit. Sicherheit ist aber nicht zum Nulltarif zu
haben. Daher bitte ich alle Kolleginnen und Kollegen
des Hohen Hauses, auch zu beachten, dass die Bundes-
wehr diese Hilfsflüge ermöglicht und bereit ist, diese
Mittel aus eigenen Beständen zur Verfügung zu stellen,
und dass diese auch wieder aufgefüllt werden müssen.
Ich sage auch: Gut, dass wir einen Staat haben, der eine
Armee hat.

Ich fasse zusammen: Humanitäre Hilfe, finanzielle
Hilfe, Ausrüstungshilfe – alle drei Maßnahmen sind not-
wendig und richtig – als ein Gebot der Menschlichkeit,
als ein Gebot der Verantwortung. Daher unterstützen wir
die Entscheidung der Ressorts zur Bereitstellung von
Ausrüstungshilfe.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804803400

Rainer Arnold ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1804803500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

gibt zwei gewichtige Gründe, warum auch die Bundesre-
publik Deutschland den Menschen im Irak beistehen
sollte und, wie ich meine, auch beistehen muss.

Der eine ist in der Tat die auch von Deutschland for-
cierte Idee, dass die Staatengemeinschaft und die Verein-
ten Nationen die Verpflichtung zum Schutz eines jeden
Staates haben. Es ist doch sichtbar: Der irakische Staat
schützt seine Bürger nicht, und die Staatengemeinschaft
will und kann aus unterschiedlichen Gründen zurzeit
auch nicht an die Stelle des irakischen Staates treten.
Also machen wir das, was wir im Übrigen auch in Af-
ghanistan, Mali und Somalia durch Ausbildung machen:
Wir helfen örtlichen Sicherheitskräften, dass sie mit den
Problemen in ihrem Land umgehen können. Darum geht
es, und das ist unsere Verpflichtung und unser Beitrag
zum Schutz.

Auch der zweite Grund ist ganz eindeutig – das ist
nicht kompliziert –: Wir haben ein elementares sicher-
heitspolitisches Interesse daran, dass diese Region, die
jetzt schon viel zu stark brennt, am Ende nicht noch lich-
terloh brennt, weil das unmittelbare Auswirkungen auf
die Stabilität und die Sicherheit auch bei uns in Deutsch-
land hätte.

Wir werden angesichts dieser von uns eingenomme-
nen Haltung nun häufig gefragt, warum jetzt dort gehol-
fen werden soll und warum wir bei dem Leid in vielen
anderen Staaten nicht ähnlich Verantwortung überneh-
men. Das ist jetzt aber ein ganz besonderer Fall. Es ist
deshalb ein besonderer Fall, weil die Milizen dort mit ei-
ner derartigen Brutalität vorgehen,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Stimmt!)


die – darin liegt auch eine Chance – gleichsam ein
Weckruf für die Staatengemeinschaft und auch für uns
darstellte. Ich glaube, wir brauchen eine Debatte da-
rüber, ob die Staatengemeinschaft und wir nicht an der
einen oder anderen Stelle zu lange zuwarten, bis der
Weckruf endlich deutlich genug ist. Darüber müssen wir
als eine Lehre aus den vergangenen Jahren sicherlich
auch einmal reden.

Aber wenn man jetzt daraus die Konsequenz zieht
und fragt, welche Ideologie dahintersteckt, die mit so
brutaler Macht vorgeht, dann wird deutlich, dass es kein
regional begrenzter Konflikt ist. Vielmehr hat der IS den
Anspruch, global zu agieren, die heiligen Stätten von
Saudi-Arabien bis möglicherweise Jerusalem unter seine
Kontrolle zu bekommen und gegen alle zu kämpfen, die
sich seiner Ideologie nicht erwehren. Deshalb haben wir
ein hohes sicherheitspolitisches Interesse.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804803600

Herr Kollege Arnold, es gab den Wunsch, eine Zwi-

schenfrage zu stellen. Ob Sie dem freundlicherweise zu-
stimmen? – Das scheint so zu sein.


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1804803700

Das machen wir gerne bei der Frau Kollegin.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804803800

Bitte schön.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1804803900

Vielen Dank, Herr Kollege Arnold. – Sie haben ge-

rade gesagt, es sei gar nichts Neues, wenn wir Waffen an
die Kurden lieferten, und haben unter anderem Mali als
Vergleich hinzugezogen und gesagt, dass wir dort ja
auch Ausbildungshilfe leisten. Das verstehe ich aber
nicht ganz. Es ist ja schließlich so, dass wir dort auf An-
frage der malischen Regierung staatliche Streitkräfte
ausbilden, und dann auch noch auf Grundlage eines UN-
Mandats.

Wenn ich es richtig verstehe – das steht so ja sogar
auch in Ihrem Entschließungsantrag –, dann ist Waffen-
lieferung an nichtstaatliche Akteure ausgeschlossen.
Aber wer sind denn die Peschmerga, denen wir die Waf-
fen liefern? Das ist doch nicht die irakische Armee. Das
sind doch auch nichtstaatliche Kräfte.

Ein UN-Mandat haben wir auch nicht, und mir ist
auch bislang noch keine Anfrage der irakischen Zentral-
regierung bekannt, obwohl eine solche mehrfach ange-
deutet wurde. Das kann ich auch aus deren Sicht verste-
hen. Denn sie haben sogar Waffen von den Amerikanern
bekommen, die für die Kurden bestimmt sind, geben sie
aber nicht frei. Wer will denn den Kurden erzählen, dass
sie diese Waffen dann wieder abgeben sollen, wenn es
um die Auseinandersetzung mit dem irakischen Zentral-
staat geht?


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das ist ja auch eine schwierige Frage!)


Den Widerspruch müssen Sie mir erklären.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1804804000

Die Regierung des irakischen Staats, die wir in der

Vergangenheit zu Recht nicht besonders gut fanden – wir
setzen und drängen darauf, dass dieses Land zukünftig
besser regiert wird –, hat die Staatengemeinschaft und
damit auch uns aufgefordert, hier unterstützend tätig zu
sein. Das ist das Erste.

Das Zweite ist – Sie wissen das genauso gut wie wir –:
Der Ukraine-Konflikt vereinfacht die Handlungsoptio-
nen im UNO-Sicherheitsrat nicht unbedingt, vorsichtig
gesagt. Dieser Wirklichkeit müssen wir uns stellen.

Das Dritte ist: Es ist ein großer Irrtum, zu glauben, die
Teilautonomie der Kurden im Nordirak sei illegal. Sie ist
Teil des irakischen Staats und somit legalisiert. Die
Peschmerga ist ein Teil der Sicherheitsarchitektur in die-
sem irakischen Staat.

Das alles ist nicht so, wie wir uns das idealtypisch
wünschen. Aber wir sind nicht in einer Situation, in der
wir uns die Lage idealtypisch malen können. Vielmehr
müssen wir mit der jetzigen Situation so umgehen, wie
sie ist. Wir dürfen die Menschen nicht im Stich lassen
mit den Argumenten „Ihr werdet schlecht regiert“ oder
„Die Amerikaner stehen besonders in Verantwortung“.
Das ist keine Antwort gegenüber den Kindern, die ver-
trieben und deren Eltern ermordet werden. Deshalb en-
gagieren wir uns so, wie wir es tun.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir alle wissen doch, dass kein Land alleine mit der
großen Herausforderung des fundamentalen islamisti-
schen Terrorismus umgehen kann. Deshalb sind wir sehr
froh, dass der Außenminister und die Bundesregierung
versuchen, die europäischen Partner, die Vereinigten
Staaten und andere insgesamt in Gleichklang zu bringen,
sodass gut abgestimmt dort vorgegangen werden kann.
Das ist auch aus folgendem Grund wichtig: Nur wenn
Deutschland ein verlässlicher Partner ist, werden wir
Deutschen an der einen oder anderen Stelle auch einmal
sagen können, dass wir es anders sehen. Auf die Debat-
ten, die gerade in der NATO geführt werden, kann
Deutschland nur mäßigend einwirken, wenn alle zu-
gleich wissen: Die Deutschen sind im Zweifelsfall auch
verlässlich. – Dies gehört zusammen. Deshalb sollten
wir nicht wie die Linke glauben, dass Deutschland mehr
Gewicht und Einfluss hätte und besser regulierend wir-
ken könnte, wenn es sich von internationalen Prozessen
abkoppelte. Dann hätten wir nichts mehr zu sagen, und
niemand würde mehr auf uns hören.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Dass ihr Einfluss habt, daran glauben wir sowieso nicht! Den habt ihr doch an der Garderobe abgegeben!)


In den letzten Tagen konnte man aufgrund der De-
batte den Eindruck gewinnen, dass es ausschließlich um
die Lieferung von Waffen geht. Nein, es geht um einen
Dreiklang.

Die erste Säule dabei ist die humanitäre Hilfe. Was
die beteiligten Ressorts in kurzer Zeit auf den Weg ge-
bracht haben, verdient unseren Respekt. Und was die
Soldaten auch operativ vor Ort und bei den Lieferungen
leisten, verdient unseren Dank.

Der zweite Ton im Dreiklang sind die politischen Pro-
zesse. Natürlich muss der Irak anders regiert werden.
Die arabische Welt muss erkennen, dass sich dieser Ter-
rorismus am Ende auch gegen sie richtet. Wir brauchen
eine breite Allianz gegen den Terror. Aber, Kollege
Nouripour, ich habe manchmal den Eindruck, dass Sie
nicht wahrgenommen haben, wen der deutsche Außen-
minister in den letzten Wochen alles empfangen hat.





Rainer Arnold


(A) (C)



(D)(B)


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, in den letzten zwei Wochen! – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Seien Sie sicher! Das hat Herr Nouripour sehr wohl wahrgenommen!)


Er hat mit seinen Besuchern vermutlich nicht nur Tee ge-
trunken. Sie haben offensichtlich auch nicht wahrge-
nommen, wohin er überall geflogen ist.


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vor zwei Wochen!)


Er ist nicht als Tourist geflogen, sondern hat versucht,
die Dinge in Bewegung zu halten. Deshalb ist die zweite,
politische Säule so wichtig.

Die dritte Säule ist die militärische Ausstattungshilfe
zum Schutz und zum Durchsetzen. Natürlich können
Peschmerga-Kämpfer mit Handfeuerwaffen an einer
Panzerstellung der Terroristen nicht vorbeikommen.
Deshalb brauchen sie entsprechendes Gerät. Jeder, der
hier in diesem Haus akzeptiert, dass man sich diesem
fundamentalen, brutalen Terror auch mit Waffengewalt
entgegenstellen muss, sollte darüber nachdenken, ob es
die ethisch verantwortbarere Haltung ist, zu sagen: Man
muss zwar gegen diese Terroristen kämpfen, aber das
sollen andere für uns tun, und andere sollen auch die
Ausstattung übernehmen. Damit ist man nicht auf der
moralisch sauberen Seite.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der CDU/CSU – Zurufe von Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Man ist auf der sauberen Seite, wenn man das tut, was
verantwortbar und möglich ist.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804804100

Lieber Herr Kollege Arnold!


Rainer Arnold (SPD):
Rede ID: ID1804804200

Ich komme zum Ende.

In der Politik gibt es immer Alternativen, ganz ein-
deutig. Niemand will – auch wir nicht – der UN und der
Staatengemeinschaft empfehlen, Soldaten dorthin zu
schicken. Die Alternative, andere liefern zu lassen, ist
nicht besonders moralisch. Wegschauen – das wäre die
letzte Alternative – will wahrscheinlich in diesem Haus
niemand; das unterstelle ich auch den Linken nicht.


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Da bin ich jetzt aber einmal froh!)


Aber wir müssen so langsam auch erkennen:


(Omid Nouripour [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer muss denn erkennen? Sie, oder?)


Selbst wer ein kaltes Herz hat, kann nicht mehr weg-
schauen. Diese Krise und dieser Konflikt haben Europa
und Deutschland in unterschiedlichen Facetten längst er-
reicht.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Inzwischen sind Sie bei Frau Hasselfeldt angekommen!)

Wenn wir die Krise jetzt nicht stoppen, werden die De-
batten, die wir in diesem Hause in den nächsten Jahren
führen müssen, nicht einfacher, sondern schwieriger, und
die Entscheidungen werden ernster, als sie im Augen-
blick ohnehin schon sind.

Recht herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804804300

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist die Kollegin

Sibylle Pfeiffer für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Sibylle Pfeiffer (CDU):
Rede ID: ID1804804400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was kann eigentlich eine Entwicklungspolitikerin zu
dieser Debatte beitragen?


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Viel!)


– Stimmt.


(Dr. Petra Sitte [DIE LINKE]: Kommt darauf an, was Sie sagen!)


– Genau so ist es.

Wir haben ganz viel über Waffenlieferungen gespro-
chen. Alle Redner haben sich auf die Waffenlieferungen
eingeschossen. Ich glaube, dass es zum jetzigen Zeit-
punkt richtig ist, so zu entscheiden, wie entschieden
worden ist.

Wir haben auch sehr eindrucksvolle Reden – lieber
Volker Kauder, vor allen Dingen deine – über das Elend,
das dort herrscht, die humanitäre Katastrophe vor Ort
gehört. Bei der Gelegenheit müssen wir, glaube ich, in
zwei Richtungen Dank aussprechen: zunächst gegenüber
dem Entwicklungshilfeminister, der ganz schnell Sofort-
hilfe zur Verfügung gestellt hat, aber wir müssen dann
vor allen Dingen denen danken, die diese Soforthilfe vor
Ort umsetzen, die mit den Nichtregierungsorganisatio-
nen in unserem Auftrag hervorragende Arbeit leisten.
Die gilt es zu unterstützen, und denen gilt vor allen Din-
gen auch unser Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Dr. Petra Sitte [DIE LINKE])


Entwicklungspolitiker müssen vor allen Dingen eines
tun: Sie müssen die Debatte über die Zukunft anstoßen.
Wie geht es im Irak eigentlich weiter? Was passiert,
wenn es uns hoffentlich gelingt, die militärische Macht
von ISIS zu brechen und deren Schreckensherrschaft zu
beenden?

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein kleines Déjà-vu
habe ich hier schon: 1994 Ruanda. Selbst wenn der Ver-
gleich ein kleines bisschen hinken mag, ist mir dieser
schreckliche Genozid sehr wohl noch präsent. Ich spre-
che von den zwei Gruppierungen der Hutu und der Tutsi,
die sich unversöhnlich gegenüberstanden. Aber ich





Sibylle Pfeiffer


(A) (C)



(D)(B)

glaube, wir haben aus Ruanda gelernt, oder wir sollten
zumindest daraus lernen, nämlich zwei Dinge:

Erstens, dass man einem Genozid nicht tatenlos zuse-
hen darf und dass wir notfalls auch bereit sein müssen,
unsere Zurückhaltung in Bezug auf militärische Liefe-
rungen zu überdenken und es damit eventuell anders zu
halten. Das tun wir heute, und das ist gut und richtig so.

Zweitens, glaube ich, ist es richtig, nach Ruanda zu
schauen; denn es gibt uns Hoffnung, nach Ruanda zu
schauen. Nach dem Völkermord hat sich nämlich dieses
Land trotz aller Zweifel stabil, sicher und wirtschaftlich
erfolgreich entwickelt. Dort leben Hutu und Tutsi sehr
wohl friedlich und in fröhlicher Eintracht zusammen.

Genau das ist es, was ich mir für den Irak wünsche.
Trotz aller Konfliktlinien hat das Land nämlich aller-
beste Voraussetzungen genau dafür. Es ist reich an
Bodenschätzen, es ist kulturell reich, und es kann auf be-
stehende Strukturen zurückgreifen. Das Potenzial ist ge-
waltig. Selbst wenn der Irak kein klassisches Entwick-
lungsland ist, mit dem wir zusammenarbeiten, auch kein
Partnerland, so können wir zumindest humanitäre Hilfe
und Ähnliches zur Verfügung stellen. Die Frage ist nur,
wie eine solche Hilfestellung aussieht, wie der Master-
plan für eine stabile und friedliche Zukunft für den Irak
aussehen kann. Es ist nicht einfach, darauf eine Antwort
zu geben.

Der Irak hat ja in den letzten Jahren innere und äußere
Konflikte austragen müssen. Schiiten und Sunniten ha-
ben um die Macht gerungen. Alle ausländischen Mächte,
die Einfluss nehmen wollten, sind grandios gescheitert.
Zugleich konnten die extremistischen Gruppen einen zu
großen Einfluss gewinnen. Alle Akteure wissen jetzt,
dass etwas getan werden muss. Das ist natürlich noch
kein politisches Kapital im engeren Sinne, aber es ist
eine Aussage. Daraus entsteht unter Umständen in Kürze
eine Chance, und diese Chance müssen wir nutzen, ob-
wohl es wahrscheinlich nicht einfach wird.

Die Voraussetzung dafür ist allerdings die Bereit-
schaft aller Akteure. Wenn ich sage „aller Akteure“,
dann schließe ich ausdrücklich den Iran, Saudi-Arabien
und Katar mit ein. Den notwendigen Rahmen kann ei-
gentlich nur eine einzige Organisation bieten: Das sind
die Vereinten Nationen. Die Vereinten Nationen verfü-
gen über die nötige Akzeptanz und haben die Möglich-
keiten, schwierige Prozesse in Gang zu setzen.

Das führt mich zwangsläufig zu der Frage, wie das
Ergebnis eines solchen Prozesses aussehen könnte. Wir
brauchen eine Gesamtstrategie für den Irak. Aber auch
dabei sind noch viele Fragen offen. Aus entwicklungs-
politischer Sicht stellt sich natürlich als Erstes die Frage
nach Governance.

In diesem Zusammenhang fallen mir zwei Herausfor-
derungen ein: zum einen die Begrenzung des Einflusses
der Religionen auf Staat und Politik und zum anderen
die Herstellung der politischen Machtbalance. In der
Vergangenheit galt oft das Recht des Stärkeren, und da-
mit verbunden war die Ausgrenzung einiger ethnischer
oder religiöser Gruppierungen. Der Konflikt zwischen
Schiiten und Sunniten ist immanent. Macht zu teilen, das
ist die Herausforderung der Zukunft.

Als Entwicklungspolitikerin weiß ich, dass es schwie-
rig ist, von außen gefestigte Strukturen im positiven
Sinne zu verändern oder auch nur darauf einzuwirken.
Das gilt erst recht, wenn jemand, der aus dem Westen
kommt, in einem muslimischen Land Entwicklungspoli-
tik zu machen versucht. Ich denke in diesem Zusammen-
hang zum Beispiel an Themen wie „Rolle der Frau“ oder
„Trennung von Staat und Religion“. Schnell unterliegt
man nämlich dem Verdacht, man wolle sich offensiv in
innere Angelegenheiten einmischen – jawohl, das will
man sicherlich auch –; aber hier geht es darum, dass wir
auch die Kultur und die Traditionen in unsere zukunfts-
orientierte Arbeit, in unsere Friedens- und Sicherheits-
politik mit einbeziehen. Wir haben dafür natürlich
unsere Instrumente – ich verweise gerne auf unsere poli-
tischen Stiftungen –, wenn es um Arbeit, Bildung und
Ausbildung geht. All diese Instrumente können wir sehr
wohl benutzen, ohne dass uns das Instrument der staatli-
chen Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung steht.

Die letzten Wochen und Monate haben gezeigt, was
passiert, wenn man ein Land wie den Irak nach einem
militärischen Eingreifen sich selber überlässt. Das darf
nicht sein; das kann nicht sein. Ich hoffe, wir machen
aufgrund dieser Erfahrungen gemeinsam einen Lernpro-
zess im Hinblick auf die Zukunft Afghanistans durch.

Wir dürfen das, was im Irak geschieht, nie wieder zu-
lassen. Darüber hinaus hoffe ich, dass wir die kleine
Chance mit den Instrumenten, die wir haben, nutzen.
Mehr dürfen wir derzeit nicht hoffen, weil die Schwie-
rigkeiten viel zu groß sind, wie ich Ihnen eben beschrie-
ben habe. Ich glaube, dass wir auf dem Gebiet der Stabi-
lisierung und der Befriedung des Irak erfolgreich sein
können. Das ist die Aufgabe der Entwicklungspolitik.
Wir wollen sie gerne erfüllen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1804804500

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen nun zu den Abstimmungen über die
Entschließungsanträge. Hierzu liegen mir zahlreiche
persönliche Erklärungen zur Abstimmung nach § 31 un-
serer Geschäftsordnung vor, die wir dem Protokoll bei-
fügen.1)

Wir stimmen zuerst über den Entschließungsantrag
der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD auf der
Drucksache 18/2459 ab. Wer stimmt für diesen Ent-
schließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich der Stimme? – Damit ist dieser Entschließungs-
antrag mit den Stimmen der beiden Antragsteller bei
wenigen Gegenstimmen aus den Reihen der SPD-Frak-
tion und bei wenigen Enthaltungen aus der Fraktion der

1) Anlagen 2 bis 5





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(B)

Grünen gegen die Stimmen der Fraktionen Die Linke
und Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der
Fraktion Die Linke auf der Drucksache 18/2457 ab. Wer
stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser Ent-
schließungsantrag abgelehnt.

Wir stimmen jetzt über den Entschließungsantrag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/2458
ab. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser
Entschließungsantrag abgelehnt.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung. Wir sehen uns spätestens in der nächsten Wo-
che wieder.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf Dienstag, den 9. September 2014, 10 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen.