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    Plenarprotokoll 18/48 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 48. Sitzung Berlin, Montag, den 1. September 2014 I n h a l t : Erinnerung an den Beginn des Zweiten Welt- krieges . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4417 A Tagesordnungspunkt 1: Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4417 C Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . 4417 D Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 4421 C Thomas Oppermann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . 4424 A Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4427 C Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4429 C Niels Annen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4432 B Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . 4433 B Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4434 C Omid Nouripour (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4436 B Philipp Mißfelder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . 4437 D Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4438 C Frank Schwabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4439 D Henning Otte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . 4441 A Rainer Arnold (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4442 C Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4443 A Sibylle Pfeiffer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 4444 C Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4446 C Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 4447 A Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Baehrens, Doris Barnett, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Willi Brase, Edelgard Bulmahn, Martin Burkert, Petra Crone, Dr. Daniela De Ridder, Elvira Drobinski-Weiß, Siegmund Ehrmann, Michaela Engelmeier, Dr. h. c. Gernot Erler, Dr. Johannes Fechner, Elke Ferner, Metin Hakverdi, Sebastian Hartmann, Marcus Held, Christina Jantz, Frank Junge, Josip Juratovic, Oliver Kaczmarek, Dr. Bärbel Kofler, Daniela Kolbe, Birgit Kömpel, Helga Kühn-Mengel, Hiltrud Lotze, Katja Mast, Dr. Rolf Mützenich, Ulli Nissen, Christian Petry, Sabine Poschmann, Dr. Simone Raatz, Stefan Rebmann, Andreas Rimkus, Annette Sawade, Ewald Schurer, Frank Schwabe, Dr. Carsten Sieling, Norbert Spinrath, Martina Stamm-Fibich, Sonja Steffen, Michael Thews, Franz Thönnes, Carsten Träger, Ute Vogt, Dirk Vöpel, Gülistan Yüksel, Dagmar Ziegler (alle SPD) zur Ab- stimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Re- gierungserklärung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschließungsantrag „Huma- nitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ . . . . 4448 B Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Mindrup und Swen Schulz (Spandau) (beide SPD) zur Abstimmung über den von Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschlie- ßungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flücht- linge im Irak und Kampf gegen die Terroror- ganisation IS“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4449 A Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Florian Post und Claudia Tausend (beide SPD) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschlie- ßungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flücht- linge im Irak und Kampf gegen die Terroror- ganisation IS“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4449 D Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungser- klärung durch die Bundeskanzlerin einge- brachten Entschließungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf ge- gen die Terrororganisation IS“ der Abgeord- neten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4450 B Dirk Becker (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4450 B Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . 4451 A Saskia Esken (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4451 D Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . 4452 B Michael Groß (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4453 A Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU) . . . 4453 B Cansel Kiziltepe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4454 B Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . 4455 B Markus Paschke (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 4455 D Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . 4456 B Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD) . . . . . . . . 4457 B Dr. Nina Scheer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . 4458 A Marian Wendt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . 4458 C Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4417 (A) (C) (D)(B) 48. Sitzung Berlin, Montag, den 1. September 2014 Beginn: 14.02 Uhr
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    (D) Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4447 (A) (C) (B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten (D) Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Aken van, Jan DIE LINKE 01.09.2014 Albsteiger, Katrin CDU/CSU 01.09.2014 Alpers, Agnes DIE LINKE 01.09.2014 Binder, Karin DIE LINKE 01.09.2014 Buchholz, Christine DIE LINKE 01.09.2014 Bulling-Schröter, Eva DIE LINKE 01.09.2014 Dr. Castellucci, Lars SPD 01.09.2014 Connemann, Gitta CDU/CSU 01.09.2014 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 01.09.2014 Dr. Diaby, Karamba SPD 01.09.2014 Dittmar, Sabine SPD 01.09.2014 Dörner, Katja BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Ebner, Harald BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Färber, Hermann CDU/CSU 01.09.2014 Ferlemann, Enak CDU 01.09.2014 Fischer (Hamburg), Dirk CDU/CSU 01.09.2014 Fischer (Karlsruhe- Land), Axel E. CDU/CSU 01.09.2014 Flosbach, Klaus-Peter CDU/CSU 01.09.2014 Gohlke, Nicole DIE LINKE 01.09.2014 Griese, Kerstin SPD 01.09.2014 Groneberg, Gabriele SPD 01.09.2014 Gunkel, Wolfgang SPD 01.09.2014 Gutting, Olav CDU/CSU 01.09.2014 Hagl-Kehl, Rita SPD 01.09.2014 Hänsel, Heike DIE LINKE 01.09.2014 Hartmann (Wackernheim), Michael SPD 01.09.2014 Heil (Peine), Hubertus SPD 01.09.2014 Höger, Inge DIE LINKE 01.09.2014 Hupach, Sigrid DIE LINKE 01.09.2014 Dr. Jung, Franz Josef CDU/CSU 01.09.2014 Dr. Jüttner, Egon CDU/CSU 01.09.2014 Koeppen, Jens CDU/CSU 01.09.2014 Körber, Carsten CDU/CSU 01.09.2014 Kretschmer, Michael CDU/CSU 01.09.2014 Krichbaum, Gunther CDU/CSU 01.09.2014 Dr. Kühne, Roy CDU/CSU 01.09.2014 Lanzinger, Barbara CDU/CSU 01.09.2014 Lehrieder, Paul CDU/CSU 01.09.2014 Dr. h. c. Michelbach, Hans CDU/CSU 01.09.2014 Möhring, Cornelia DIE LINKE 01.09.2014 Müller-Gemmeke, Beate BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Dr. Neu, Alexander S. DIE LINKE 01.09.2014 Nord, Thomas DIE LINKE 01.09.2014 Ostendorff, Friedrich BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Petzold, Ulrich CDU/CSU 01.09.2014 Rabanus, Martin SPD 01.09.2014 Reichenbach, Gerold SPD 01.09.2014 Roth (Heringen), Michael SPD 01.09.2014 Saathoff, Johann SPD 01.09.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 4448 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Heike Baehrens, Doris Barnett, Dr. Matthias Bartke, Bärbel Bas, Willi Brase, Edelgard Bulmahn, Martin Burkert, Petra Crone, Dr. Daniela De Ridder, Elvira Drobinski-Weiß, Siegmund Ehrmann, Michaela Engelmeier, Dr. h. c. Gernot Erler, Dr. Johannes Fechner, Elke Ferner, Metin Hakverdi, Sebastian Hartmann, Marcus Held, Christina Jantz, Frank Junge, Josip Juratovic, Oliver Kaczmarek, Dr. Bärbel Kofler, Daniela Kolbe, Birgit Kömpel, Helga Kühn-Mengel, Hiltrud Scharfenberg, Elisabeth BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Schieder, Marianne SPD 01.09.2014 Schlecht, Michael DIE LINKE 01.09.2014 Dr. Schlegel, Dorothee SPD 01.09.2014 Dr. Schröder (Wiesbaden), Kristina CDU/CSU 01.09.2014 Schwarzelühr-Sutter, Rita SPD 01.09.2014 Spiering, Rainer SPD 01.09.2014 Steinbach, Erika CDU/CSU 01.09.2014 Strenz, Karin CDU/CSU 01.09.2014 Tressel, Markus BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Dr. Verlinden, Julia BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 01.09.2014 Dr. Wagenknecht, Sahra DIE LINKE 01.09.2014 Weinberg, Harald DIE LINKE 01.09.2014 Wichtel, Peter CDU/CSU 01.09.2014 Wiese, Dirk SPD 01.09.2014 Wiese (Ehingen), Heinz CDU/CSU 01.09.2014 Willsch, Klaus-Peter CDU/CSU 01.09.2014 Woltmann, Barbara CDU/CSU 01.09.2014 Wunderlich, Jörn DIE LINKE 01.09.2014 Zöllmer, Manfred SPD 01.09.2014 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Lotze, Katja Mast, Dr. Rolf Mützenich, Ulli Nissen, Christian Petry, Sabine Poschmann, Dr. Simone Raatz, Stefan Rebmann, Andreas Rimkus, Annette Sawade, Ewald Schurer, Frank Schwabe, Dr. Carsten Sieling, Norbert Spinrath, Martina Stamm-Fibich, Sonja Steffen, Michael Thews, Franz Thönnes, Carsten Träger, Ute Vogt, Dirk Vöpel, Gülistan Yüksel, Dagmar Ziegler (alle SPD) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschlie- ßungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisa- tion IS“ Wir sehen mit großer Sorge die Verschärfung der si- cherheitspolitischen und der humanitären Lage insbe- sondere im Norden des Irak. Nach neuesten Zahlen der Vereinten Nationen sind mittlerweile über 1,7 Millionen Menschen auf der Flucht, davon circa 1 Millionen im Gebiet der kurdischen Regionalregierung. Wir begrüßen ausdrücklich die umfängliche humani- täre Nothilfe der Bundesregierung für die Flüchtlinge, die unter schwierigsten Bedingungen ihre Heimat verlas- sen mussten und zum Teil nur ihr Leben retten konnten. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung mit circa 50 Millionen Euro diese Menschen unterstützt und eine weitere substanzielle Aufstockung dieser Mittel in Aus- sicht gestellt hat. Wir unterstreichen die bereits im Ent- schließungsantrag angesprochene Notwendigkeit, dass Deutschland und seine europäischen Partner großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen sein sollen. Die Bundesregierung hat nach einem verantwortungs- vollen Abwägungsprozess über die humanitäre Hilfe hi- naus beschlossen, auch Waffen zur Verteidigung gegen die militärisch überlegenen Truppen des ISIS in Abspra- che mit der Zentralregierung in Bagdad und in Abstim- mung mit Deutschlands Partnern an die kurdische Re- gionalregierung zu liefern. Wir betrachten die Lieferung von Waffen mit großer Skepsis, da sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in einem innerirakischen Konflikt zwischen den drei großen Volksgruppen zum Einsatz gebracht werden könnten oder an andere Grup- pen missbräuchlich gelangen könnten. Allerdings aner- kennen wir auch, dass die Bundesregierung die Augen vor diesen potenziellen Gefahren nicht verschließt, sondern bei ihren Entscheidungen einbezogen hat und entsprechende Maßnahmen – unter anderem Endver- bleibsregelung mit der kurdischen Regionalregierung – getroffen hat. Die Bundesregierung hat aufgrund einer außerge- wöhnlichen außen- und sicherheitpolitischen Lage eine Einzelentscheidung getroffen. Es handelt sich hierbei nicht um einen Paradigmenwechsel. Die Grundsätze der deutschen Rüstungsexportpolitik, keine Waffen in Span- nungsgebiete zu liefern, bleiben der Eckpfeiler deutscher Exportpolitik. Trotz unserer großen Skepsis gegenüber diesen Waf- fenlieferungen anerkennen wir, dass der Schwerpunkt deutscher und internationaler Politik auf der politischen Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4449 (A) (C) (D)(B) Regelung des Konflikts im Irak liegt. Es ist unserer An- sicht nach wesentlich, dass der designierte irakische Mi- nisterpräsident eine Regierung bilden will, in der alle großen Volksgruppen des Irak repräsentiert sind. Dies würde auch die Chance erheblich vergrößern, dass die sunnitischen Stämme, die sich aufgrund der politischen Diskriminierung durch die Vorgängerregierung Maliki, dem ISIS zugewandt haben, sich wieder von ihm abwen- den und ihm die Unterstützung entziehen. Die Bundesre- gierung muss diesen politischen Prozess gemeinsam mit ihren Partnern aktiv unterstützen. Wichtig ist darüber hinaus, dass auch wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen – wie in der Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 15. August 2014 aufgeführt – gegen ISIS und seine Unterstützer umgesetzt werden. Darüber hinaus ist wesentlich, dass eine politische Strategie für die Region des Nahen und Mittleren Ostens gemeinsam mit den Regierungen vor Ort aufgesetzt wird. Deutschland will hierzu auch im Rahmen seines G-7-Vorsitzes weitere Initiativen starten, was wir aus- drücklich unterstützen. Nach Abwägung all dieser Umstände stimmen wir dem vorgelegten Entschließungsantrag der Koalitions- fraktionen zu, wenngleich wir weiterhin sehr skeptisch gegenüber den beschlossenen Waffenlieferungen blei- ben. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Klaus Mindrup und Swen Schulz (Spandau) (beide SPD) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklä- rung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschließungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Ter- rororganisation IS“ Wir lehnen den Entschließungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regie- rungserklärung durch die Bundeskanzlerin „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Ter- rororganisation IS“, Drucksache 18/2459, ab. Wir sind der festen Überzeugung, dass der Terror- organisation „Islamischer Staat“ Einhalt geboten und dass den Flüchtlingen geholfen werden muss. Deutsch- land muss dabei nach Kräften mitwirken. Sosehr wir die in dem Antrag angesprochene humanitäre Hilfe begrü- ßen, halten wir die ebenfalls im Antrag unterstützten Waffenlieferungen für falsch. Die aktuelle Situation im Nordirak stellt uns vor schwierige Entscheidungen. Niemand kann beute mit Si- cherheit sagen, welche Haltung die richtige ist. Wir se- hen durchaus starke Argumente für Waffenlieferungen, bei uns jedoch überwiegen die Gegenargumente und of- fenen Fragen, von denen wir nur einige anführen möch- ten. Eine militärische Intervention könnte letztlich legitim und mit Aussicht auf nachhaltigen Erfolg nur durch die Vereinten Nationen veranlasst werden. Der Verbleib von Waffen und deren künftige Verwendung ist vollkommen unsicher. Es gibt viele Beispiele, in denen die Lieferan- ten von Waffen später genau diese Waffen gegen sich ge- richtet sehen – wie heute leider gerade im Nordirak zu sehen ist, wo die Terroristen sehr erfolgreich mit US- Waffen kämpfen. Die politischen Folgewirkungen der Waffenlieferungen für den Irak und im Zusammenhang mit den Nachbarstaaten Türkei und Syrien sowie mit Blick auf Bestrebungen zur Gründung eines Staates Kur- distan sind vollkommen ungeklärt, genauso wie wir eine politische Konzeption, die letztlich nur zur Lösung der dortigen Probleme führen kann, nicht sehen. Die Folge- wirkung dieser von einem verantwortlichen Mitglied der Bundesregierung als „Tabubruch“ bezeichneten Ent- scheidung, Waffen zu liefern, auf die Ausrichtung der Außenpolitik Deutschlands ist nicht absehbar. Weiterhin ist die Zulässigkeit der Waffenlieferungen – national wie völkerrechtlich – unsicher. Unabhängig von dieser inhaltlichen Position halten wir es für notwendig, das Verhältnis zwischen Bundes- tag und Bundesregierung bei Entscheidungen über den Export von Rüstungsgütern und Waffenlieferungen neu auszugestalten. Wir begrüßen ausdrücklich, dass eine Sondersitzung des Bundestages mit einer Regierungs- erklärung zu dieser Frage durchgeführt wird und dass auf dieser Sitzung Entschließungsanträge zur Abstim- mung stehen. Das ist deutlich mehr an Beteiligung der Volksvertretung, als die Bundesregierung von sich aus vorsah. Wir denken aber, dass künftig darüber hinausge- gangen werden sollte. Der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages hat in einem von Swen Schulz beauftragten Gutachten deutlich gemacht, dass er zwar derzeit keine Mandatierungspflicht für die geplanten Waffenlieferungen in den Nordirak erkennt, für die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber diesbezüglich ein „Weiterentwicklungspotenzial“ sieht. Es sollte ein neues Verfahren gefunden werden, in dem der Bundestag bzw. ein Bundestagsausschuss schnell und umfassend über Waffenlieferungen informiert und mindestens mit einem Vetorecht ausgestattet wird. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Florian Post und Claudia Tausend (beide SPD) zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin eingebrachten Entschlie- ßungsantrag „Humanitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisa- tion IS“ Die Organisation „Islamischer Staat“, IS, konnte durch ihren militärischen Vormarsch Teile des Irak unter ihre Kontrolle bringen. Dieses Vorgehen gefährdet nicht nur die staatliche Einheit des Irak und stellt eine interna- tionale Bedrohung dar, sondern hat unsagbares Leid über 4450 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) große Teile der Zivilbevölkerung gebracht. Vor allem Christen, Turkmenen und Jesiden bekamen die barbari- schen Methoden des IS zu spüren. Es ist daher sehr zu begrüßen, dass Deutschland durch humanitäre Unterstüt- zung Verantwortung übernimmt und schnell Hilfe zur Verfügung stellt, um den Flüchtlingen in ihrer Not zu helfen. Bisher galt der Grundsatz bei deutschen Rüstungs- exporten, keine Waffen in Krisen- oder Spannungsge- biete zu liefern. Wir halten es für einen Fehler, diesen Grundsatz nun infrage zu stellen und Waffen in den Irak zu liefern. Es handelt sich vor allem um automatische Gewehre, Pistolen und Handgranaten in großer Zahl, deren Ver- bleib in keinster Weise kontrolliert werden kann. Diese Waffen sind leicht zu bedienen, können sehr schnell in die falschen Hände geraten und wiederum großes Leid anrichten. Insbesondere befürchten wir, dass diese Waf- fen möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in ei- nem Kampf für einen unabhängigen kurdischen Staat eingesetzt werden könnten. Hierbei sehen wir die Gefahr eines bewaffneten Konfliktes mit der Türkei, die NATO- Mitglied ist, weshalb die Bundesrepublik in einem Bündnisfall der Türkei militärischen Beistand leisten müsste. Das könnte bedeuten, dass genau diese Waffen in einem solchen Konflikt wiederum zum Einsatz kom- men. Dann möglicherweise auch gegen deutsche Solda- ten. Den IS zurückzudrängen und einen drohenden Geno- zid zu verhindern, kann ein militärisches Eingreifen der internationalen Gemeinschaft notwendig machen. Dies sollte aber durch die Vereinten Nationen geprüft und muss mandatiert werden. Ebenfalls ist nicht geklärt, wer und in welcher Form die Kämpfer der kurdischen Regionalregierung ausbil- det, die von Deutschland gelieferten Waffen zu bedie- nen. Das könnte die Entsendung von Soldaten notwen- dig machen. Aus diesen Gründen können wir dem Entschließungs- antrag, insbesondere der Waffenlieferung durch die Bun- desrepublik Deutschland, nicht zustimmen. Anlage 5 Erklärungen nach § 31 GO zur Abstimmung über den von den Fraktionen der CDU/CSU und SPD zu der Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzle- rin eingebrachten Entschließungsantrag „Hu- manitäre Hilfe für Flüchtlinge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ Dirk Becker (SPD): Obwohl die Bundesregierung sich nach Abwägung aller Aspekte und Abstimmung mit der Regierung im Irak bereits gestern für Waffenliefe- rungen in den Nordirak ausgesprochen hat, begrüße ich es ausdrücklich, dass der Deutsche Bundestag heute öf- fentlich über diese Frage diskutiert und eine politische Abwägung vornimmt. Ich danke ausdrücklich Thomas Oppermann, der sich gegenüber dem Koalitionspartner für diese Debatte ein- gesetzt hat. In der SPD-Fraktion haben wir sehr sach- orientiert und verantwortungsvoll das Pro und Contra diskutiert, Risiken der Waffenlieferungen analysiert und auch beraten, was geschieht, wenn wir untätig bleiben. Die bestialischen Gräueltaten des ISIS machen auch mich sprachlos. Wir sehen Dörfer, in denen alle männli- chen Bewohner hingerichtet werden, ihre Köpfe aufge- spießt als Warnung ins Nachbardorf getragen werden; die Frauen werden verschleppt, verkauft oder zur Zwangsprostitution gezwungen. Jesiden sind wegen ih- rer Religion auf der Flucht oder wurden bereits massen- haft ermordet. Und dies alles in einem Staat, der aus sich heraus nicht in der Lage ist, gegen die Terroristen vorzu- gehen. Einzig der Regierung der autonomen Region Ira- kisch-Kurdistan gelingt es bisweilen, Widerstand zu leis- ten. Ich kann daher die Überlegung nachvollziehen, die- sen Kurden die Möglichkeit zur Selbstverteidigung zu geben und ihnen Waffen zu liefern. So respektiere ich die nach reiflicher Abwägung getroffene Entscheidung der SPD-Parteiführung und vieler Kolleginnen und Kol- legen, in Abweichung vom Grundsatz, keine Waffen in ein Krisengebiet zu liefern, hier eine abweichende Ent- scheidung in einem durchaus begründbaren Einzelfall zu treffen. Jedoch komme ich in meiner Abwägung zu einem an- deren Schluss und werde, deshalb dem Entschließungs- antrag nicht zustimmen können, auch wenn ich alle hu- manitären Forderungen des Antrags nahtlos teile bzw. darüber hinaus noch weiteres Engagement und die Auf- nahme von Flüchtlingen einfordere. Waffenlieferungen sehe ich hingegen nicht als eine zielführende Lösung an, zumal im Gegenzug auch der ISIS über ausreichend Nachschub an Waffen zu verfü- gen scheint und wir womöglich schon bald mit neuen Forderungen nach größeren Waffen konfrontiert sein werden. Alles unter dem Aspekt, dass es auch um euro- päische Sicherheitsinteressen geht. Auch die Frage der künftigen Verwendung der nun „gut gemeint“ gelieferten Waffen ist für mich ein wichtiges Argument gegen die Lieferung. Der bislang für uns Sozialdemokraten geltende Grundsatz, keine Waffen in ein Krisengebiet zu liefern, folgte der Erkenntnis, dass mehr Waffen nicht die Lö- sung sind, sondern bislang Konflikte verlängert haben. Außerdem drängen uns diese Waffenlieferungen an eine der Konfliktparteien in die Rolle eines Konfliktbeteilig- ten. Angesichts des Mordens und Leidens habe ich mir die Abwägung meiner Entscheidung nicht leicht gemacht und gestehe, dass meine Abwägungsentscheidung am Ende knapp ausgefallen ist. Wie sagte es ein Kollege in der Fraktion sehr treffend: Niemand weiß, ob wir das Richtige tun. Mich haben die Argumente für eine Waf- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4451 (A) (C) (D)(B) fenlieferung am Ende mit mehr Fragen als überzeugen- den Antworten zurückgelassen. Ich hätte mir im Gegenzug aber durchaus vorstellen können, im Rahmen eines UN-Mandats bewaffnete Truppen in den Nordirak zu entsenden, um die Bevölke- rung zu schützen und die Terroristen zu bekämpfen. Die Prognose, dass wegen des Ukraine-Konfliktes eine ge- meinsame Resolution des Sicherheitsrates mit den Stim- men Russlands und der USA mehr als unwahrscheinlich ist, darf keine Entschuldigung sein, dies nicht zumindest zu versuchen. Sevim Dağdelen (DIE LINKE): Zweiter Tabubruch der Bundesregierung: Die heutige Entscheidung, Waffen in ein Kriegsgebiet zu liefern, ist, nach der Unterstüt- zung einer Regierung in der Ukraine, an der Faschisten beteiligt sind, der zweite Tabubruch dieser Bundesregie- rung binnen kurzer Zeit. Die Bundesregierung hat damit eine imperialistische Wende in der Rüstungsexportpoli- tik vollzogen. Wie die USA, Großbritannien oder Frank- reich will sie die Entscheidung über Rüstungslieferun- gen allein von geostrategischen Interessen abhängig machen. Wie bei den Auslandseinsätzen der Bundes- wehr dienen auch hier die von ihr vorgebrachten Argu- mente des Humanismus für die Rüstungslieferung in den Irak alleine zur Rechtfertigung einer deutschen Einfluss- nahme mittels Waffenlieferung im Nahen Osten. Dass die Bundesregierung kein wirkliches Interesse daran hat, die internationale Mörderbande „Islamischer Staat“, IS, zu bekämpfen, lässt sich an der fortgesetzten militäri- schen Kooperation mit seinen Unterstützern und Spon- soren, wie der Türkei, Katar und Saudi-Arabien, ablesen. Die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, die vielen verfolg- ten Jesiden die Flucht mit ermöglicht hat, wird weiter in Deutschland und der EU als Terrororganisation verfolgt. Der IS dagegen, und dies ist der Gipfel der Heuchelei der Bundesregierung, ist nicht einmal eine verbotene Or- ganisation in Deutschland! Mit der heutigen Entscheidung bricht die Bundesre- gierung das Tabu einer Lieferung in Kriegsgebiete, das auch nach der Wiederbewaffnung 1955 die deutsche Politik sich als Selbstbeschränkung auferlegt hatte. Eine der Lehren deutscher Politik wird damit ausgerechnet am Antikriegstag, dem 75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs, über Bord geworfen. Deutschland ist bereits jetzt der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Mit dieser Entscheidung wird der Boden für eine Aus- weitung weltweiter deutscher Waffenlieferungen gelegt. Auch deshalb stimme ich gegen den Antrag von Union und SPD, Waffen in den Irak zu liefern. Ich stimme heute auch gegen alle Versuche, eine neue US-Intervention im Irak unter dem Deckmantel der Ein- richtung einer UN-Schutzzone oder anderer militärischer Maßnahmen, die vom Sicherheitsrat mandatiert werden sollen, zu legitimieren. Der Nahe Osten braucht keine neue US-Intervention – auch keine mit UN-Mandat. Der IS ist das Produkt der Regime-Change-Politik der USA im Nahen Osten, die in Nibelungentreue von der Bun- desregierung mitgetragen wird. Ein erneutes militäri- sches Eingreifen der USA ist Teil des Problems. Statt auf Waffenlieferungen und UN-Militärinterven- tionen zu setzen, brauchen wir eine klare zivile, aber ent- schiedene Antwort auf den IS und die Schärfung einer friedlichen Außenpolitik: 1. ein Ende der militärischen Kooperation mit den Un- terstützern des IS, Türkei, Saudi-Arabien und Katar; zu- dem muss dem AKP-Regime verdeutlicht werden, dass eine Unterstützung des IS mit einer Fortführung der EU- Beitrittsverhandlungen unvereinbar ist; 2. humanitäre Hilfe auch in Gebiete, die nicht vom IS kontrolliert werden; 3. eine Aufkündigung des deutsch-emiratischen Treu- handfonds, der de facto den IS weiter stärkt; 4. ein Ende der Sanktionen gegen die syrische Bevölke- rung, die den IS weiter stärken; 5. ein Ende der Blockade der von der PKK gehaltenen Gebiete im Norden Syriens; 6. eine Anerkennung der PKK als politische Organisa- tion und ihre Streichung von der EU-Terrorliste; 7. ein Verbot des IS in Deutschland und Maßnahmen, die die Finanzströme des IS treffen; 8. die verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen aus dem Irak und Visaerteilungen für nachzugsberechtigte Fami- lienangehörige nach Deutschland an allen Auslandsver- tretungen der Region ermöglichen und beschleunigen; 9. ein generelles Rüstungsexportverbot, damit deutsche Waffen nicht weiter weltweit mit morden; 10. ein Ende der deutschen Ausbildungs- und Ausstat- tungshilfe, durch die weltweit Bürgerkriege angeheizt werden. Saskia Esken (SPD): Die symbolische Abstimmung über die Frage, ob Deutschland Waffen in die Krisenre- gion des Nordirak exportieren soll, stellt mich und an- dere Abgeordnete vor eine schwierige Entscheidung. Heribert Prantl von der Süddeutschen Zeitung hat ge- schrieben, hier könne man sich nur falsch entscheiden. Am Ende werde auch ich mich für das geringere Übel entscheiden müssen. Die drastischen Bilder, die uns aus dem Norden des Irak und aus anderen Gebieten erreichen, sind nur schwer zu verdauen. Jeder, der sich den Truppen des „Islamischen Staates“, IS, nicht unterwirft, wird mit Mit- teln der schlimmsten Barbarei vernichtet. Wie gehen wir mit dieser Situation um? Reicht es für unser Gewissen aus, den betroffenen Menschen mit humanitärer Hilfe zur Seite zu stehen, auch wenn wir wissen, dass sie sich damit nicht gegen die Truppen des IS wehren können? Wie können wir das durchaus sinnvolle Waffenexport- verbot in Krisengebiete dagegen abwägen, dass die Be- völkerung im Nordirak, dass Schiiten, Jesiden und Christen sich schützen müssen – und dabei auch die Langzeitwirkungen der Waffenlieferungen nicht verges- sen? In dieser Frage gibt es keine einfache und keine ab- schließende Antwort. 4452 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) Ziel des IS ist die Errichtung eines barbarischen Kali- fats, das gegenüber Andersgläubigen keine Toleranz zeigt. Die Armee des IS hat im Nordirak zwar bei wei- tem keine Mehrheit und nur geringen bis keinen Rück- halt in der Bevölkerung. Diese Armee ist jedoch mit mo- dernster Waffentechnik ausgerüstet, und deshalb gelingt es ihr, ein menschenverachtendes Regime in der Region zu festigen. Selbst das sunnitische Saudi-Arabien wurde durch den IS mit der Zerstörung Mekkas bedroht. Ein riesiger Flüchtlingsstrom hat in der gesamten Re- gion des Nordirak eingesetzt. Die überfüllten Flücht- lingscamps, in denen sich Menschen aller Religionen aufhalten, werden momentan von kurdischen Truppen beschützt. Die kurdischen Truppen mit ihren veralteten Waffen sind momentan die einzigen Gegner des IS in der Region. Ob sie mit ihrer Ausrüstung den Truppen des IS noch lange standhalten können, ist mehr als fraglich. Werden die kurdischen Truppen besiegt, sind auch die Flüchtlingscamps der Gewalt und Brutalität der Terror- armee des IS ausgeliefert. Um diesen Menschen Schutz zu bieten, bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass Waffenlieferungen an die Kurden im Nordirak das klei- nere Übel sind. Wichtig ist es mir aber, deutlich zu machen, dass die wiederholte militärische Einmischung des Westens im arabischen Raum der Region nicht im Geringsten Frie- den oder auch nur Stabilität gebracht hat. Der IS besitzt diese modernen Waffensysteme, weil er oder irgendje- mand andere, damit ausgestattet wurde. Nicht nur wer hier aktiv eingreift, trägt Verantwortung. Auch wir soll- ten unsere Waffenexporte durchaus in einem kritischeren Licht betrachten. Wichtig ist auch die Frage, wie der Irak, wie der gesamte arabische Raum vor allem durch eigene Anstrengungen zu Frieden und Toleranz gegen- über Andersgläubigen finden kann. In der politischen Diskussion störe ich mich außer- dem daran, dass wir über eine mögliche Waffenlieferung diskutieren und entscheiden sollen, aber gleichzeitig nicht bereit sein wollen, zwischenmenschliche Hilfe in Form einer Aufnahme von Flüchtlingen in Europa und Deutschland zu leisten und auch dadurch Verantwortung zu übernehmen. Ich werde mich deshalb dafür einsetzen, dass Deutschland sich zur Aufnahme weiterer Flücht- linge bereit erklärt. Annette Groth (DIE LINKE): Die von der Bundesre- gierung bereits beschlossene Lieferung von Waffen in den Irak stellt eine neue Stufe in der stetigen Militarisie- rung der deutschen Außenpolitik dar. Dass der Bundes- tag ausgerechnet heute am Weltfriedenstag und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs zusammentritt, um dies nachträglich zu legitimieren, ist eine Schande, an der ich mich nicht beteiligen werde! Waffenlieferungen in Krisenregionen sind in Deutschland grundsätzlich verboten. Darauf möchte ich noch einmal ganz deutlich hinweisen, auch wenn mir be- wusst ist, dass sich weder die aktuelle Bundesregierung noch ihre Vorgängerinnen bisher daran gehalten haben. Die Region des Nahen Ostens ist überschwemmt mit Waffen. Nicht mehr Waffen können die zahlreichen Konflikte dort beilegen, sondern vielmehr müssen die Waffen in der Region massiv reduziert werden. Wie der Botschafter eines nordafrikanischen Landes mir gegen- über einmal forderte: Die Bundesregierung und die an- deren Staaten der Europäischen Union sollen genau wie die USA die Waffen, die sie hierhergebracht haben, end- lich wieder einsammeln! Selbstverständlich erkenne ich an, dass das Leid, das heute die Mörderbanden des „Islamischen Staats“ im Irak und in Syrien anrichten, unvorstellbar schlimm ist und dass die Opfer mit humanitärer Hilfe unterstützt und die Flüchtlinge in Sicherheit gebracht werden müssen. Hier ist die Bundesregierung gefragt. Dass nun wieder neue Kontingentobergrenzen für die Aufnahme von Flüchtlingen festgelegt werden, ist äußerst beschämend. Es ist für den allergrößten Teil der Flüchtlinge aus dem Irak, aus Syrien und aus anderen Regionen der Welt fak- tisch unmöglich, legal nach Deutschland und in andere Staaten der EU zu gelangen. Sie werden dazu gezwun- gen, illegal und unter großen Gefahren hierherzukom- men, viele von ihnen bezahlen dafür mit ihrem Leben. Neben Menschenschmugglern, die sich teuer bezahlen lassen und denen das Leben der Flüchtlinge oft völlig egal ist, helfen immer wieder zum Beispiel Syrerinnen und Syrer in Deutschland ihren Familienangehörigen und Bekannten, hierherzukommen – und werden dann noch dafür bestraft, dass sie ihnen das Leben gerettet ha- ben. Das dürfen wir nicht hinnehmen! Nun sollen deutsche Waffen dabei helfen, die radika- len Kämpfer des „Islamischen Staats“ zu bekämpfen. Radikale, die in Deutschland, anderen EU-Staaten und den USA unbehelligt rekrutiert werden und ausreisen konnten und dann von der Türkei nicht nur ignoriert, sondern aktiv unterstützt und nach Syrien gelassen wor- den sind. Von der Türkei, in der deutsche Patriot-Rake- ten stationiert wurden, um unseren „Partner“ zu „schüt- zen“. Der „Islamische Staat“ kämpft nicht zuletzt auch mit Waffen, die aus Deutschland an Saudi-Arabien, Ka- tar oder die Türkei oder von anderen westlichen Ländern direkt nach Syrien geliefert worden sind. Mit diesen Waffen werden seit Jahren Massaker in Syrien verübt – an Jesiden, Christen, an Schiiten, dem „Erzfeind“ des „Islamischen Staats“, und an allen Muslimen, die sich weigern, den radikalen Islamisten die Treue zu schwö- ren. Die Invasion im Irak von 2003 durch die USA und ihre „Koalition der Willigen“ hat genauso erst die Vorbe- dingungen geschaffen, die den Vormarsch des „Islami- schen Staats“ ermöglicht haben, wie es die völlig einsei- tige, eine Verhandlungslösung letztlich verhindernde Politik der USA und der Staaten der EU in Syrien getan hat. Jetzt neu Waffen in die Region zu pumpen, anstatt endlich politische Lösungen und Versöhnungsprozesse zu fördern, ist zynisch und verlogen und wird nur neue Kriege und neues Leid verursachen. Keiner kann garan- tieren, dass die heute gelieferten Waffen nicht in die fal- schen Hände gelangen. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sollen heute über diese Waffenlieferungen abstimmen, über die ohnehin längst entschieden ist, und sollen so als Feigen- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4453 (A) (C) (D)(B) blatt für die Politik der Bundesregierung dienen, ohne dass das Ergebnis der Abstimmung bindend wäre. Ich werde nicht dafür stimmen. Michael Groß (SPD): Ich werde der Waffenlieferung in den Irak an die kurdischen Soldaten zustimmen. Das geschieht nach einem langen und schwierigen Abwä- gungsprozess. Die Lieferung der Waffen kann nicht das Ende von Diplomatie und der Suche nach einer Ausgangstür für die Konflikte in dieser Region und nicht nur im Irak be- deuten. Die Politik der Vergangenheit, insbesondere der USA, muss kritisiert werden, da sie diese Entwicklung provoziert hat. Aktuell werden Menschen willkürlich und barbarisch getötet, versklavt, gefoltert und gedemütigt. Es gibt kei- nen Verhandlungspartner, der verhandeln will und über eine gewisse Ratio verfügt. Nach meinem jetzigen Wis- sensstand kann nur humanitär geholfen werden, wenn die Opfer und die Helferorganisationen geschützt wer- den. Ich sehe mit großer Sorge die Verschärfung der si- cherheitspolitischen und der humanitären Lage insbe- sondere im Norden des Irak. Nach neuesten Zahlen der Vereinten Nationen sind mittlerweile über 1,7 Millionen Menschen auf der Flucht, davon circa 1 Million im Ge- biet der kurdischen Regionalregierung. Ich begrüße ausdrücklich die umfängliche humanitäre Nothilfe der Bundesregierung für die Flüchtlinge, die unter schwierigsten Bedingungen ihre Heimat verlassen mussten und zum Teil nur ihr Leben retten konnten. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung mit circa 50 Mil- lionen Euro diese Menschen unterstützt und eine weitere substanzielle Aufstockung dieser Mittel in Aussicht gestellt hat. Ich unterstreiche die bereits im Entschlie- ßungsantrag angesprochene Notwendigkeit, dass Deutschland und seine europäischen Partner großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen sein sollen. Darüber hinaus ist wesentlich, dass eine politische Strategie für die Region des Nahen und Mittleren Ostens gemeinsam mit den Regierungen vor Ort aufgesetzt wird. Deutschland will hierzu auch im Rahmen seines G-7-Vorsitzes weitere Initiativen starten, was ich aus- drücklich unterstütze. Ich habe mich im Fraktionsvorstand der SPD dafür ausgesprochen, dass wir eine langfristige Strategie für die Region brauchen, aber auch die humanitäre Unter- stützung – finanziell – gesteigert werden muss. Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass eine Waffenlieferung aus Deutschland in Krisengebiete eine Ausnahme bleibt. Frank Heinrich (Chemnitz) (CDU/CSU): Heute müssen wir eine Entscheidung treffen. Eine Gewissens- entscheidung, die nicht im luftleeren Raum steht. Eine Entscheidung, bei der es kein einfaches Richtig und Falsch gibt. Wir müssen eine Antwort geben auf uner- messliches Leid von konkreten Menschen. Wir müssen eine Antwort geben auf die Gefährdung der internationa- len Sicherheit. Nicht zu entscheiden, geht nicht. Die Entscheidung hinauszögern? Machen wir uns nichts vor: Für etliche Menschen kommt unsere Hilfe schon jetzt zu spät. Die Terrororganisation „Islamischer Staat“, IS, metzelt Menschen im Irak dahin. Christen, Je- siden und Muslime werden barbarisch gequält und er- mordet. Diesem menschenverachtenden Gebaren dürfen wir nicht länger zusehen. Der Grundsatz, an dem wir uns orientieren, gerade auch als Deutsche, muss weiterhin lauten: Humanitäre vor militärischen Lösungen können immer nur die Ul- tima Ratio sein. Daher hat die Bundesregierung angesichts der akuten humanitären Katastrophe im Nordirak umgehend mit der Bereitstellung von Hilfsleistungen in einer Höhe von bislang rund 50 Millionen Euro begonnen. Seit dem 15. August sind durch das Bundesministerium der Ver- teidigung, das Auswärtige Amt und das Ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung mehr als 150 Tonnen überlebenswichtige Nahrungsmittel und Güter sowie medizinisches Material bereitgestellt und in das sichere Gebiet der kurdischen Regionalregierung transportiert worden. Die Unterstützungsleistungen der Bundesregierung tragen zur Linderung der unmittelba- ren humanitären Katastrophe und zur Stabilisierung der Lage im Norden des Irak bei. Weitere Hilfen sind not- wendig. Die Bundesregierung hat diese zugesagt, und ich werde mich aktiv dafür einsetzen, dass wir den Men- schen in der Region zur Seite stehen. Auch brauchen wir eine langfristige Strategie zur Be- friedung des Nordirak. Daher unterstütze ich die Forde- rungen verschiedener NGOs und des Forums Ziviler Friedensdienst nach einer UN-Nahostkonferenz, ergänzt durch zivilgesellschaftliche Nahostkonferenzen unter Beteiligung der Religionsgemeinschaften. Ich unterstütze den politischen Ansatz der Bundesre- gierung, der darauf zielt, den Irak so zu stabilisieren, dass alle Bevölkerungsgruppen angemessen eingebun- den werden, und durch diplomatische Bemühungen auf internationaler Ebene auf eine nachhaltige politische Be- friedung der Region hinzuwirken. Auch ein weiteres En- gagement Deutschlands für die Vereinten Nationen und insbesondere bei der Aufnahme von Flüchtlingen ist nö- tig, und auch dafür werde ich mich einsetzen. Doch heute geht es nicht um ein Entweder-oder, son- dern um ein Sowohl-als-auch: um eine langfristige Per- spektive und um ein schnelles Handeln. Humanitäre Hilfe und ein militärisches Eingreifen, um den IS zu stoppen. Ohne militärische Intervention lässt sich der IS nicht aufhalten, die Morde gehen weiter. Wir dürfen nicht tatenlos zusehen. Als Christ möchte ich mich dem Ratsvorsitzenden der EKD, Nikolaus Schneider, anschließen. Er hat gestern in einem Gastbeitrag für die ZEIT dazu auf Dietrich Bon- hoeffer verwiesen: „Das Evangelium gebietet aber nicht zuzusehen, wie andere gequält, geköpft, versklavt wer- 4454 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) den. Dietrich Bonhoeffer hat angesichts der Naziverbre- chen daraus den Schluss gezogen, dass es Situationen gibt, in denen es nicht ausreicht, die unter die Räder Ge- kommenen zu verbinden. Dem Rad muss auch in die Speichen gegriffen werden – und sei es mit Gewalt. Da- bei werden Menschen schuldig. Aber auch der Verzicht auf den Griff in die Speichen ist nicht schuldfrei.“ Wie kann dieses Eingreifen aussehen? Natürlich wäre eine Einsatztruppe der UNO das Ideal. Doch wie gesagt: Akute Notlagen erfordern schnelle Lösungen. Die Ret- tung der von dem IS im Nordirak barbarisch verfolgten Muslime, Christen und Jesiden ist vor allem den Kräften der kurdischen Regionalregierung, Peschmerga, und de- ren Unterstützung durch Luftschläge der Vereinigten Staaten zu verdanken, wie der Menschenrechtsbeauf- tragte der Bundesregierung, Christoph Strässer, bestä- tigte. Deshalb hat das Bundesministerium der Verteidigung in Abstimmung mit den Ressorts auf Bitten der iraki- schen Zentralregierung und der kurdischen Regionalre- gierung bereits die Bereitstellung von nichtletaler Aus- rüstung eingeleitet. Dies erfolgt in Kenntnis des Bedarfs und in Abstimmung mit unseren europäischen und ame- rikanischen Partnern und Verbündeten. Zur Koordinie- rung vor Ort hat das Bundesministerium der Verteidi- gung bereits sechs Soldaten an das Generalkonsulat nach Arbil entsandt. Gestern wurde die Lieferung von weite- rer Munition, Waffen und militärischer Ausrüstung be- schlossen. Dieser Beschluss birgt Risiken: Militärisch – die Waf- fen könnten dem IS in die Hände fallen. Langfristig könnten die Waffen für andere Zwecke missbraucht wer- den. Politisch – die Glaubwürdigkeit im Dialog könnte Schaden nehmen. Dennoch werde ich heute diesem Be- schluss zustimmen, eben weil es gerade um das Sowohl- als-auch geht. Wir dürfen die Menschen nicht alleinelassen! Ich denke, wir müssen diese Risiken in Kauf nehmen, um schnelle Hilfen zu realisieren. Ist nicht das Risiko, dem Massensterben zuzusehen, größer? Ist nicht die Glaub- würdigkeit umso belasteter, wenn wir unsere Verantwor- tung verweigern? Cansel Kiziltepe (SPD): Die heutige Entscheidung stellt mich vor ein unauflösbares Dilemma. Auf der ei- nen Seite steht der Grundsatz, auf präventive Friedensar- beit und Diplomatie zu setzen und keine Waffen in Kri- sengebiete zu liefern. Andererseits können wir dem Morden nicht tatenlos zusehen. Eine mit unseren ethi- schen Grundsätzen zu vereinbarende widerspruchsfreie Lösung ist nicht möglich. Einerseits könnten Waffenlie- ferungen die Zeit des Mordens durch den IS verkürzen. Andererseits könnten Waffenlieferungen unüberschau- bare Konsequenzen haben und – wenn die Rüstungsgü- ter in falsche Hände geraten – neue Konflikte auslösen oder verschärfen. Konsens ist: Humanitäre Hilfe, diplo- matische Arbeit gegen die Versorgung des IS mit Geld und Waffen und die internationale Abstimmung unseres Handelns sind die entscheidenden Instrumente unserer Friedenspolitik. Gerade weil wir vor einem Dilemma stehen, respek- tiere ich das Abstimmungsverhalten aller Kolleginnen und Kollegen. Denn wir alle verfolgen das gleiche Ziel – das Morden in der Region zu beenden. Mit der heutigen Debatte und Abstimmung im Deut- schen Bundestag folgen wir einer wichtigen Forderung der Berliner SPD. Aufgrund der möglichen Konsequen- zen von Waffenlieferungen hat die Berliner SPD be- schlossen, dass die Lieferung von Rüstungsgütern in Krisengebiete eine den Auslandseinsätzen vergleichbar einschneidende Maßnahme darstellt. Folglich muss der Tragweite friedens- und sicherheitspolitisch bedeutsa- mer Interventionen – wie der Neuaufnahme von deut- schen Lieferungen von Rüstungsgütern an bzw. in Län- der, die sich in akuten oder potenziellen Konflikten befinden – mit einem Parlamentsvorbehalt Rechnung ge- tragen werden. Internationale Abstimmung – UN-Beschluss voran- treiben: Entscheidend für eine dauerhafte Konfliktlösung ist es, mit den Staaten in der Region ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen. Auch für die Lieferung von Rüstungsgütern sollte deshalb ein Beschluss des UN-Si- cherheitsrates angestrebt werden. Deutschland würde in diesem Falle seine Bereitschaft erklären, die Kämpfer gegen den IS mit Waffen zu unter- stützen – gemeinsam mit anderen Europäern und einem UN-Mandat. Gleichzeitig muss ein groß angelegtes hu- manitäres Hilfsprogramm zur Rettung der Flüchtlinge und Verletzten gestartet werden – vor Ort und auch hier in Europa. Da sich der IS offensichtlich jeglicher diplomatischen Erreichbarkeit entzieht, müssen wir auf jene Staaten ein- wirken, die den Zufluss von Geld und Waffen an den IS ermöglichen. Auch hier kann ein UN-Mandat helfen – internationale Abstimmung ist unverzichtbar. Wir appel- lieren an Russland, einen entsprechenden Beschluss mit- zutragen oder wenigstens zu tolerieren. Waffen geraten leicht in falsche Hände: Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass Waffen aus Deutschland ein wirksames und schnelles Mittel sein werden, den IS zu stoppen. Unsere Erfahrung lehrt, dass dies in vielen Fällen nicht auf Dauer gelingt. Aus guten Gründen hat die SPD-geführte Regierung sich nicht am Irakkrieg beteiligt. Diesen Weg, von der deutschen Bevölkerung auf breiter Basis getragen, soll- ten wir fortsetzen und Krisengebiete grundsätzlich nicht mit Waffen versorgen – einen Präzedenzfall, der diesen Grundsatz gefährdet, wollen wir nicht schaffen. Das beharrliche Bemühen von Außenminister Frank- Walter Steinmeier um diplomatische Lösungen und die Initiative des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel zur Begrenzung der Rüstungsexporte müssen weiter gestärkt werden. Integrierte Friedensstrategie: Nötig ist eine inte- grierte, präventive Friedensstrategie. Dies erfordert eine strikte Trennung von humanitärer und ziviler Hilfe ei- nerseits sowie militärischem Eingreifen und Waffenlie- ferungen andererseits. Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4455 (A) (C) (D)(B) Deutsche humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in großem Stil: Nach allem, was wir aus den uns zugänglichen Quellen erfahren, geht der IS mit kaum zu überbietender Grausamkeit vor. Hunderttausende Flüchtlinge sind Op- fer einer humanitären Katastrophe. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Notwendig ist eine Politik der Deeskalation aus der Position eines glaubhaften und ehr- lichen Vermittlers heraus. Es ist eine wichtige Aufgabe für Deutschland, den Flüchtlingen im Nordirak zur Seite zu stehen. Deutsche humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge ist in wirklich großem Stil zu leisten. Geldquellen des Krieges austrocknen, Profiteure von Waffengeschäften und Kriegen ächten: Die Mischung aus religiösem Fanatismus und politischen Allmachts- fantasien des IS wurde erst durch den Zufluss von Geld und Waffen militärisch-terroristisch virulent. Hier rächt sich der weltweit außer Kontrolle geratene Waffenhan- del. Deshalb gilt es zunächst, diesen Zufluss von Geld und Waffen an den IS zu stoppen und auf die Geldgeber des IS einzuwirken, die finanzielle und materielle Unter- stützung des IS einzustellen. Zivilen Friedensdienst stärken: In der aktuellen De- batte betone ich besonders die Bedeutung der zivilen Konfliktbearbeitung wie die Stärkung des Zivilen Frie- densdienstes, ZFD. Dieser gilt als ein Erfolgsmodell der Kooperation von staatlichen und nichtstaatlichen Trä- gern der Entwicklungs- und Friedensarbeit. ZFD-Fach- kräfte unterstützen weltweit in Krisenregionen örtliche Partnerorganisationen dabei, Grundlagen für einen nach- haltigen Frieden zu schaffen. Das Dilemma, in dem wir uns zwischen „Keine Waf- fen in Krisengebiete und Friedensarbeit“ auf der einen und „Nicht zusehen, wie gemordet wird“ auf der anderen Seite befinden, können wir mit der anstehenden Ent- scheidung nicht auflösen. Im Augenblick sind wir eher Getriebene der Entwicklungen. Die Perspektive aber muss sein, eine präventive und von Diplomatie getra- gene Friedenspolitik zu gestalten. Für sein aktives Ein- treten für eine solche Politik danke ich unserem Außen- minister Frank-Walter Steinmeier. In Erwägung all dieser Gründe stimme ich dem Ent- schließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD zur Regierungserklärung „Humanitäre Hilfe für Flücht- linge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 1. September 2014 nicht zu. Dr. Matthias Miersch (SPD): Ich werde dem Ent- schließungsantrag von CDU/CSU und SPD nicht zu- stimmen und begründe mein Abstimmungsverhalten wie folgt: Erstens. Es gibt keine einfache Lösung in dieser Frage und wahrscheinlich auch kein Richtig oder Falsch. Zweitens. Die humanitäre Hilfe muss absolute Priori- tät haben. Das muss auch eine größere Bereitschaft be- deuten, Flüchtlinge aufzunehmen. Drittens. Mir fehlt im Rahmen der Entscheidung der Bundesregierung, in den Irak Waffen zu liefern, ein Ge- samtkonzept. Wir verlassen mit der länderspezifischen Entscheidung der Waffenlieferung den grundsätzlichen Ansatz, dass die Vereinten Nationen die Ebene sind, auf der internationale Konflikte zu regeln sind. Ich erkenne an, dass die Befürworter der Waffenlieferung auf die ak- tuelle Situation verweisen, wonach USA und Russland im Sicherheitsrat keine gemeinsame Haltung finden, während viele Menschen bedroht sind. Ich halte es aber für unerlässlich, an den Beschluss des Sicherheitsrates aus dem August 2014 anzuknüpfen, wonach der IS als eine Terrororganisation eingestuft wird. Möglicherweise wäre auch hier die Plattform, um angesichts der Krise in der Ukraine eine gemeinsame Haltung mit Russland zu entwickeln, da auch Russland kein Interesse an der wei- teren Destabilisierung haben kann. Für mich bedeutet das im Übrigen auch, im Falle eines UN-Mandats über eine deutsche Beteiligung nachzudenken. Ohne eine ent- sprechende Mandatierung fürchte ich jedoch eher eine weitere Eskalation. Viertens. Es ist nicht kontrollierbar, wo und wer mit den gelieferten Waffen in einigen Monaten oder Jahren kämpfen wird. Eine weitere Destabilisierung der Region wäre fatal. Fünftens. Es gibt bislang keine ausreichende Debatte über die Unterstützer des IS. Diese Organisation ist nicht vom Himmel gefallen. Zu einer wirkungsvollen Strate- gie muss es eine Auseinandersetzung mit dem Verhalten der Länder Katar, Saudi-Arabien etc. geben. Ich finde es zum Beispiel unerträglich, dass weiter eine Fußball-WM in einem Land geplant wird, das eine klare Abgrenzung zum IS nicht vornimmt. Sechstens. Es muss befürchtet werden, dass künftig auch andere Gruppen in anderen Ländern entsprechende Waffenlieferungen anfordern. Die Vereinten Nationen haben angesichts des Völkermords in Ruanda den Grundsatz „Responsibility to protect“ entwickelt. Ich halte es für unerlässlich, diesem Grundsatz zum Durch- bruch zu verhelfen. Markus Paschke (SPD): Die Frage, ob deutsche Waffen in den Irak zur Unterstützung im Kampf gegen die Terrororganisation „Islamischer Staat“, IS, geliefert werden sollten oder nicht, ist für mich eine schwere poli- tische und ethische Entscheidung. Wir müssen entschei- den zwischen humanitärer Verantwortung für die ver- folgten Minderheiten im Irak und in Syrien und der Frage, was in einem Krisengebiet mit unseren geliefer- ten Waffen passiert. Es gibt keine Garantie, dass diese Waffen nicht in falsche Hände geraten und gegen Un- schuldige eingesetzt werden. Es gibt keine richtige oder falsche Entscheidung in dieser Frage. Für beide Entscheidungen gibt es gute Gründe. Die Bundesregierung hat nun nach einem ver- antwortungsvollen Abwägungsprozess über die humani- täre Hilfe hinaus beschlossen, auch Waffen zur Verteidi- gung gegen die militärisch überlegenen Truppen des IS in Absprache mit der Zentralregierung in Bagdad und in Abstimmung mit Deutschlands Partnern an die kurdi- sche Regionalregierung zu liefern. Ich betrachte die ge- planten Lieferungen von Waffen mit großer Skepsis, da 4456 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) sie möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in ei- nem innerirakischen Konflikt zwischen den drei großen Volksgruppen zum Einsatz gebracht werden oder an an- dere Gruppen missbräuchlich gelangen könnten. Meine Auffassung ist, dass der Schwerpunkt deutscher Politik auf einer politischen Regelung des Konfliktes liegen muss. Deshalb begrüße ich auch ausdrücklich die umfängli- che humanitäre Nothilfe der Bundesregierung für die Flüchtlinge, die unter schwierigsten Bedingungen ihre Heimat verlassen mussten und zum Teil nur ihr Leben retten konnten. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung mit rund 50 Millionen Euro diese Menschen unterstützt und eine weitere substanzielle Aufstockung dieser Mittel in Aussicht stellt. Zudem unterstreiche ich die bereits im Entschließungsantrag angesprochene Notwendigkeit, dass sowohl Deutschland als auch seine europäischen Partner großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen sein soll- ten. Denn mit Blick auf das unendliche Leid im Irak ist die Weltgemeinschaft zum Handeln aufgerufen. Für mich ist auch klar, dass Deutschland in diesem leidvollen Konflikt nicht passiv bleiben kann. Meine persönliche Überzeugung jedoch ist, dass Waffenliefe- rungen in das Kriegsgebiet keine Lösung sind. Stattdes- sen erachte ich es für wichtig, dass die humanitäre Hilfe weiter intensiviert wird, mehr Flüchtlinge aufgenommen werden und eine UNO-Schutzzone eingerichtet wird, um einen Genozid zu verhindern. Wir haben in Nigeria, im Südsudan und an vielen anderen Orten der Welt ähnliche Konflikte. Wollen wir auch dorthin Waffen liefern, um die Zivilisten zu schützen? Wichtig ist darüber hinaus, dass auch wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen – wie in der Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 15. August 2014 aufgeführt – gegen den IS und seine Unterstützer umgesetzt werden. Meiner Auffassung nach besteht keine Notwendigkeit, dass sich Deutschland mit der Lieferung von Waffen im Kampf im Irak beteiligt, zumal viele andere Staaten ebenfalls Waffen liefern. Es ist eine wichtige Aufgabe für Deutschland, den Flüchtlingen im Nordirak zur Seite zu stehen. Umfangreiche humanitäre Hilfe für die Flüchtlinge in großem Stil zu leisten, könnte ein spürba- res und wirksames Signal sein. Nach Abwägung all dieser Umstände kann ich dem vorgelegten Entschließungsantrag der Koalitionsfraktio- nen nicht zustimmen. Mechthild Rawert (SPD): Die heutige Entscheidung stellt mich vor ein unauflösbares Dilemma. Auf der ei- nen Seite steht der sozialdemokratische Grundsatz, auf präventive Friedensarbeit und Diplomatie zu setzen und keine Waffen in Krisengebiete zu liefern. Andererseits können wir dem Morden nicht tatenlos zusehen. Eine mit unseren ethischen Grundsätzen zu vereinbarende wi- derspruchsfreie Lösung ist nicht möglich. Einerseits könnten Waffenlieferungen die Zeit des Mordens durch den IS verkürzen. Andererseits könnten Waffenlieferun- gen unüberschaubare Konsequenzen haben und – wenn die Rüstungsgüter in falsche Hände geraten – neue Kon- flikte auslösen oder verschärfen. Konsens ist: Humani- täre Hilfe, diplomatische Arbeit gegen die Versorgung des IS mit Geld und Waffen und die internationale Ab- stimmung unseres Handelns sind die entscheidenden In- strumente unserer Friedenspolitik. Gerade weil wir vor einem Dilemma stehen, respek- tiere ich das Abstimmungsverhalten aller Kolleginnen und Kollegen. Denn wir alle verfolgen das gleiche Ziel – das Morden in der Region zu beenden. Mit der heutigen Debatte und Abstimmung im Deut- schen Bundestag folgen wir einer wichtigen Forderung der Berliner SPD. Aufgrund der möglichen Konsequen- zen von Waffenlieferungen hat die Berliner SPD be- schlossen, dass die Lieferung von Rüstungsgütern in Krisengebiete eine den Auslandseinsätzen vergleichbar einschneidende Maßnahme darstellt. Folglich muss der Tragweite friedens- und sicherheitspolitisch bedeutsa- mer Interventionen – wie der Neuaufnahme von deut- schen Lieferungen von Rüstungsgütern an bzw. in Län- der, die sich in akuten oder potenziellen Konflikten befinden – mit einem Parlamentsvorbehalt Rechnung ge- tragen werden. Internationale Abstimmung – UN-Beschluss voran- treiben: Entscheidend für eine dauerhafte Konfliktlösung ist es, mit den Staaten in der Region ein gemeinsames Vorgehen abzustimmen. Auch für die Lieferung von Rüstungsgütern sollte deshalb ein Beschluss des UN-Si- cherheitsrates angestrebt werden. Deutschland würde in diesem Falle seine Bereitschaft erklären, die Kämpfer gegen den IS mit Waffen zu unterstützen – gemeinsam mit anderen Europäern und einem UN-Mandat. Gleich- zeitig muss ein groß angelegtes humanitäres Hilfspro- gramm zur Rettung der Flüchtlinge und Verletzten ge- startet werden – vor Ort und auch hier in Europa. Da sich der IS jeglicher diplomatischen Erreichbarkeit entzieht, müssen wir auf jene Staaten einwirken, die den Zufluss von Geld und Waffen an den IS ermöglichen. Auch hier kann ein UN-Mandat helfen – internationale Abstim- mung ist unverzichtbar. Wir appellieren an Russland, ei- nen entsprechenden Beschluss mitzutragen oder wenigs- tens zu tolerieren. Waffen geraten leicht in falsche Hände: Wir können nicht mit Sicherheit sagen, dass Waffen aus Deutschland ein wirksames und schnelles Mittel sein werden, den IS zu stoppen. Unsere Erfahrung lehrt, dass dies in vielen Fällen nicht auf Dauer gelingt. Aus guten Gründen hat die SPD-geführte Regierung sich nicht am Irakkrieg beteiligt. Diesen Weg, von der deutschen Bevölkerung auf breiter Basis getragen, soll- ten wir fortsetzen und Krisengebiete nicht mit Waffen versorgen – einen Präzedenzfall, der diesen Grundsatz gefährdet, wollen wir nicht schaffen. Das beharrliche Bemühen von Außenminister Frank- Walter Steinmeier um diplomatische Lösungen und die Initiative des Wirtschaftsministers Sigmar Gabriel zur Begrenzung der Rüstungsexporte müssen weiter gestärkt werden. Integrierte Friedensstrategie: Nötig ist eine integ- rierte, präventive Friedensstrategie. Dies erfordert eine strikte Trennung von humanitärer und ziviler Hilfe ei- Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 4457 (A) (C) (D)(B) nerseits sowie militärischem Eingreifen und Waffenlie- ferungen andererseits. Deutsche humanitäre Hilfe für Flüchtlinge in großem Stil: Nach allem, was wir aus den uns zugänglichen Quellen erfahren, geht der IS mit kaum zu überbietender Grausamkeit vor. Hunderttausende Flüchtlinge sind Op- fer einer humanitären Katastrophe. Davor dürfen wir die Augen nicht verschließen. Notwendig ist eine Politik der Deeskalation aus der Position eines glaubhaften und ehr- lichen Vermittlers heraus. Es ist eine wichtige Aufgabe für Deutschland, den Flüchtlingen im Nordirak zur Seite zu stehen. Deutsche humanitäre Hilfe für Flüchtlinge ist in wirklich großem Stil zu leisten. Geldquellen des Krieges austrocknen, Profiteure von Waffengeschäften und Kriegen ächten: Die Mischung aus religiösem Fanatismus und politischen Allmachts- fantasien des IS wurde erst durch den Zufluss von Geld und Waffen militärisch-terroristisch virulent. Hier rächt sich der weltweit außer Kontrolle geratene Waffenhan- del. Deshalb gilt es zunächst, diesen Zufluss von Geld und Waffen an den IS zu stoppen und auf die Geldgeber des IS einzuwirken, die finanzielle und materielle Unter- stützung des IS einzustellen. Zivilen Friedensdienst stärken: In der aktuellen De- batte betone ich besonders die Bedeutung der zivilen Konfliktbearbeitung wie die Stärkung des Zivilen Frie- densdienstes, ZFD. Dieser gilt als ein Erfolgsmodell der Kooperation von staatlichen und nichtstaatlichen Trä- gern der Entwicklungs- und Friedensarbeit. ZFD-Fach- kräfte unterstützen weltweit in Krisenregionen örtliche Partnerorganisationen dabei, Grundlagen für einen nach- haltigen Frieden zu schaffen. Das Dilemma, in dem wir uns zwischen „Keine Waf- fen in Krisengebiete und Friedensarbeit“ auf der einen und „Nicht zusehen, wie gemordet wird“ auf der anderen Seite befinden, können wir mit der anstehenden Ent- scheidung nicht auflösen. Im Augenblick sind wir eher Getriebene der Entwicklungen. Die Perspektive aber muss sein, eine präventive und von Diplomatie getra- gene Friedenspolitik zu gestalten. Für sein aktives Ein- treten für eine solche Politik danke ich unserem Außen- minister Frank-Walter Steinmeier. In Erwägung all dieser Gründe stimme ich dem Ent- schließungsantrag der Fraktionen CDU/CSU und SPD zur Regierungserklärung „Humanitäre Hilfe für Flücht- linge im Irak und Kampf gegen die Terrororganisation IS“ gemäß § 31 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages am 1. September 2014 nicht zu. Dr. Ernst Dieter Rossmann (SPD): Ich sehe mit großer Sorge die Verschärfung der sicherheitspolitischen und der humanitären Lage insbesondere im Norden des Irak. Nach neuesten Zahlen der Vereinten Nationen sind mittlerweile über 1,7 Millionen Menschen auf der Flucht, davon circa 1 Million im Gebiet der kurdischen Regionalregierung. Ich begrüße ausdrücklich die umfangreiche humani- täre Nothilfe der Bundesregierung für die Flüchtlinge, die unter schwierigsten Bedingungen ihre Heimat verlas- sen mussten und zum Teil nur ihr Leben retten konnten. Es ist wichtig, dass die Bundesregierung bisher mit circa 50 Millionen Euro diese Menschen unterstützt und eine weitere substanzielle Aufstockung dieser Mittel in Aussicht gestellt hat. Ich begrüße ausdrücklich die Zu- sicherung des SPD-Fraktionsvorsitzenden Thomas Oppermann in der Parlamentsdebatte, dass die Mittel für die humanitäre Hilfe dabei jeweils deutlich höher sein sollen als die Mittel für die begleitende Unterstützung durch Waffenlieferungen. Ich unterstütze auch die be- reits im Entschließungsantrag angesprochene Notwen- digkeit, dass Deutschland und seine europäischen Part- ner großzügig bei der Aufnahme von Flüchtlingen sein sollen. Die Bundesregierung hat nach einem verantwortungs- vollen Abwägungsprozess über die humanitäre Hilfe hi- naus beschlossen, auch Waffen zur Verteidigung gegen die militärisch überlegenen Truppen des ISIS in Abspra- che mit der Zentralregierung in Bagdad und in Abstim- mung mit Deutschlands Partnern an die kurdische Re- gionalregierung zu liefern. Ich halte insbesondere für sehr wichtig, dass die Lieferung von Waffen, damit sie nicht möglicherweise zu einem späteren Zeitpunkt in ei- nem innerirakischen Konflikt zwischen den drei großen Volksgruppen zum Einsatz gebracht werden könnten oder an andere Gruppen missbräuchlich gelangen könn- ten, ausdrücklich mit der Zustimmung der Zentralregie- rung und über die Zentralregierung an die Verantwortli- chen in der kurdischen Nordregion in den Irak geleitet werden. Die Bundesregierung hat die Augen vor den potenziellen Gefahren einer Weitergabe eben nicht ver- schlossen, sondern bei ihren Entscheidungen einbezogen und entsprechende Maßnahmen – unter anderem eine Endverbleibsregelung mit der kurdischen Regionalregie- rung – getroffen. Dies kann natürlich keine letzte Sicher- heit gegen einen Missbrauch geben, aber es ist eine für mich sehr wichtige Absicherung. Die Bundesregierung hat aufgrund einer außerge- wöhnlichen außen- und sicherheitspolitischen Lage eine Einzelentscheidung getroffen. Es handelt sich hierbei für mich ausdrücklich nicht um einen Wechsel in der grund- sätzlichen Politik oder gar einen Tabubruch. Der Grund- satz der deutschen Rüstungsexportpolitik, keine Waffen in Spannungsgebiete zu liefern, bleibt der Eckpfeiler deutscher Exportpolitik. Der Schwerpunkt deutscher und internationaler Poli- tik muss weiter auf der politischen Regelung des Kon- fliktes im Irak liegen. Es ist für mich persönlich absolut notwendig, dass der designierte irakische Ministerpräsi- dent eine Regierung bildet, in der alle großen Volksgrup- pen des Irak repräsentiert sind. Dies würde auch die Chance erheblich vergrößern, dass die sunnitischen Stämme, die sich aufgrund der politischen Diskriminie- rung durch die Vorgängerregierung Maliki dem ISIS an- geschlossen haben, sich wieder vom ISIS abwenden und ihm die Unterstützung entziehen. Die Bundesregierung muss diesen politischen Prozess gemeinsam mit ihren Partnern aktiv unterstützen. Wichtig ist darüber hinaus, dass auch wirtschaftliche und finanzielle Maßnahmen – wie in der Resolution des UN-Sicherheitsrates vom 15. August 2014 aufgeführt – gegen ISIS und seine Un- 4458 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 48. Sitzung. Berlin, Montag, den 1. September 2014 (A) (C) (D)(B) terstützer umgesetzt werden. Darüber hinaus ist wesent- lich, dass eine politische Strategie für die Region des Nahen und Mittleren Ostens gemeinsam mit den Regie- rungen vor Ort aufgesetzt wird. Dies erfordert auch klare Kritik und Einwirkung auf bisherige „stille“ und offene Unterstützer in der Region wie zum Beispiel die Türkei oder Saudi-Arabien. Deutschland muss hierzu auch im Rahmen seines G-7-Vorsitzes weitere Initiativen starten. Nach Abwägung aller Umstände stimme ich dem vor- gelegten Entschließungsantrag der Koalitionsfraktionen zu, weil er eine Entscheidung in einem sehr konkreten Einzelfall unterstützt, bei dem die Chance besteht, ele- mentare Menschenrechte für viele betroffene Menschen zu schützen. Dr. Nina Scheer (SPD): Wenn sich die Bundesregie- rung für Waffenlieferungen an die kurdische Regional- regierung im Nordirak ausspricht, ist dies von dem Bestreben getragen, Menschenleben von Verfolgten zu retten, hiermit auch einen Beitrag zum Schutz der Staat- lichkeit des Irak sowie für die Stabilität der gesamten Region zu leisten, die angesichts der IS-Terroristen in akuter Gefahr ist. Auch wenn ich dieses Bestreben teile, halte ich den- noch und gerade mit Blick auf die Stabilität der betref- fenden Region Waffenlieferungen für falsch. Es besteht die konkrete Gefahr, dass die Waffen in die falschen Hände geraten oder den Konflikt ausweiten, statt die er- forderliche Selbstverteidigung zu gewährleisten. Richtigerweise leistet Deutschland humanitäre Hilfe. Auch eine Ausdehnung derselben halte ich für richtig. Es sollten alle humanitären Möglichkeiten ausgeschöpft werden, um die mit dem Tod bedrohte Zivilbevölkerung zu schützen. Ich begrüße zudem, dass sich alle 193 Staaten der Vereinten Nationen am 15. August 2014 verpflichtet ha- ben, Staaten, die die IS-Terrorgruppe unterstützen und sie mit Waffen ausrüsten, zu sanktionieren. Die gegenwärtige Situation im Irak verlangt darüber hinaus aber auch militärischen Schutz der verfolgten Zi- vilisten. Hierfür bedarf es eines UN-Mandats und des Einsatzes von UN-Friedenstruppen. Interventionen ohne UN-Resolution oder durch einzelne Staatenbünde ber- gen die Gefahr neuer Konflikte und Bewaffnung. Vor diesem Hintergrund können Waffenlieferungen die Aus- dehnung von Terror verstärken. Das drängendste Elend, das Deutschland und die Welt aufruft, akute Hilfe zu leisten, lautet selbstverständlich, Terror und Verfolgung zu bekämpfen. Unsere Maßnahmen dürfen aber nicht zur Verstärkung eines terroristischen Nährbodens führen. Dem Entschließungsantrag kann ich aufgrund der da- rin mitenthaltenen Unterstützung durch Waffenlieferun- gen nicht zustimmen, teile aber ausdrücklich die zu hu- manitären Hilfen getroffenen Aussagen. Offsetdruc sellschaft mbH, Postfach 10 05 34, 50445 K Marian Wendt (CDU/CSU): Dem heute vorliegen- den Entschließungsantrag des Deutschen Bundestages zur Lieferung von militärischen und humanitären Aus- rüstungsgegenständen an die kurdische Regierung im Nordirak stimme ich zu und möchte dies wie folgt be- gründen: Erstens. In den letzten Jahren hat die Region Kurdis- tan im Irak eine stabile, sichere und friedvolle Entwick- lung vollzogen. Werte wie Meinungs-, Presse- und Reli- gionsfreiheit wurden entwickelt, bestätigt und finden dort im Alltag wirkliche Anwendung. Jedermann kann seine Meinung frei äußern; Minderheiten sind geschützt, egal ob es religiöse, ethnische oder andere Gruppen sind. Die Kurden sehen uns als Partner in der Region; dies muss so bleiben. Die Kurden sehen Europa, insbeson- dere Deutschland, als Partner an und hoffen auf unsere Unterstützung, da gemeinsame Werte geteilt werden. Wir haben hier enge Verbindungen mit vielen Kurden im Irak, da viele von ihnen in Deutschland gelebt und ge- wohnt haben. Sie sind mit uns sprachlich und kulturell verbunden. Zweitens. Wir brauchen in der Region Stabilität, nicht nur im kurdischen Teil, sondern auch darüber hinaus, vom Mittelmeer bis an den Persischen Golf. Wenn wir es zulassen, dass die IS-Milizen weiter vordringen und zur Destabilisierung des Irak und Syriens sowie der angren- zenden Länder beitragen, dann droht hier ein neuer, grö- ßerer Konfliktherd. So würde zum Beispiel auch das NATO-Mitgliedsland Türkei betroffen sein, und sollte hier ein Angriff geschehen, müssten wir nach Artikel 5 des NATO-Vertrags entsprechenden Beistand geben. Solch einer Entwicklung sollten wir deswegen mit unse- rer Unterstützung für die Peschmerga – kurdische Ar- mee – frühzeitig entgegenwirken. Die IS-Milizen müs- sen aufgehalten und der Konflikt hoffentlich alsbald beendet werden. Drittens. Wir sind eines der größten Exportländer, auch deshalb müssen wir Verantwortung für globale, ge- meinsame Aufgaben übernehmen. Hierunter zählen die Herstellung und die Gewährleistung von Frieden und Stabilität in den Regionen, wie hier in Irak und Syrien. Der beste Weg wäre, den Krieg zu verhindern, denn ei- nen gerechten oder friedlichen Krieg gibt es nicht. Im Krieg wird jeder irgendwann schuldig. Nun stelle ich mir die Frage: Wie machen wir uns mehr oder weniger schuldig? Aus meiner Sicht können wir durch die Unter- stützung mit Hilfsgütern und militärischem Gut unsere Partner vor Ort im Kampf gegen den marodierenden und mordenden IS effektiv unterstützen. Wir stärken mit un- serer Hilfe die kurdische Verteidigungsbereitschaft, und damit kann die Terrorgruppe IS und ihre knapp tausend europäischen Kämpfer zurückgedrängt werden. So han- deln wir sinnvoll und machen uns nicht durch „Nichts- tun“ schuldig. Anschließend müssen wir weiter den poli- tischen Weg zur Stabilisierung der Region gehen. kerei, Bessemerstraße 83–91, 1 öln, Telefon (02 21) 97 66 83 40, Fax (02 21) 97 66 83 44, www.betrifft-gesetze.de 22 48. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP1 Regierungserklärung der Bundeskanzlerin zurSituation im Irak Anlagen
  • insert_commentVorherige Rede als Kontext
    Rede von Dr. Angela Merkel


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)


    Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

    Kollegen! Werte Gäste dieser Debatte! Meine Damen
    und Herren! Heute vor 75 Jahren begann der Zweite
    Weltkrieg. Am 1. September 1939 überfiel Deutschland
    Polen. Der von Deutschland entfesselte Krieg und die





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Verbrechen des Nationalsozialismus waren die Ursache
    für Millionen von Toten und für unermessliches Leid
    vieler Völker. 6 Millionen Juden und viele andere Men-
    schen wurden in Ghettos und Vernichtungslagern oder
    nahe ihrer Heimatorte ermordet. Das werden wir Deut-
    schen niemals vergessen. Das ist Deutschlands immer-
    währende geschichtliche Verantwortung, und zu dieser
    Verantwortung bekennen wir uns.

    Knapp sechs grausame Kriegsjahre dauerte es, bis den
    Alliierten mit vereinten Kräften der Sieg über das natio-
    nalsozialistische Deutschland gelang und die unmensch-
    lichen Verbrechen ein Ende fanden. Damals schienen die
    Gräben zwischen den Nationen unüberwindbar. Heute
    sitzen wir, 28 Mitgliedstaaten, in der Europäischen
    Union gemeinsam an einem Tisch. Aus Feinden sind
    längst Freunde geworden, und mitten unter ihnen befin-
    det sich unser Land, das einst seinen Nachbarn so viel
    Leid gebracht hat. Deshalb haben wir 2007 anlässlich
    von 50 Jahren Römischer Verträge gesagt: „Wir Euro-
    päer, wir sind zu unserem Glück vereint.“

    Weite Teile unserer Politik gestalten wir in enger Ab-
    stimmung oder sogar gemeinsam. Wir meistern zusam-
    men schwierige Herausforderungen wie etwa die inter-
    nationale Finanzkrise und die Schuldenkrise im Euro-
    Raum, und wir vertreten Seite an Seite unsere Werte,
    Überzeugungen und Interessen in der Welt. Welches
    Glück die europäische Einigung bedeutet, wird uns der-
    zeit täglich vor Augen geführt. Geschichte und Gegen-
    wart mahnen uns, dieses Glück für kommende Genera-
    tionen zu schützen.

    Ich freue mich, dass wir uns am vergangenen Samstag
    beim Europäischen Rat mit Donald Tusk auf einen
    neuen Präsidenten des Europäischen Rates einigen konn-
    ten, von dem ich sicher bin, dass er mit aller Kraft seinen
    Beitrag dazu leisten wird, dass Europa die anstehenden
    Herausforderungen erfolgreich meistert, seien sie außen-
    politischer oder wirtschafts- und finanzpolitischer Natur.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Als Donald Tusk 2010 mit dem Karlspreis ausge-
    zeichnet wurde, habe ich mit Freude die Laudatio gehal-
    ten. Damals habe ich gesagt – ich wiederhole es heute
    gerne; ich zitiere –:

    Europa braucht auch weiterhin mehr als alles an-
    dere leidenschaftliche, überzeugte und überzeu-
    gende Europäer, die unser gemeinsames Haus mit
    Leben erfüllen, es ausbauen und erhalten. Donald
    Tusk ist einer von ihnen.

    Dass 25 Jahre nach der friedlichen Revolution in Mit-
    tel- und Osteuropa ein Pole an der Spitze des Europäi-
    schen Rates stehen wird, ist für mich – und ich glaube,
    auch für viele andere – von hoher Symbolkraft.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Von Danzig, der Heimatstadt von Donald Tusk, ging
    mit der Solidarnosc-Bewegung ein, wenn nicht der ent-
    scheidende Impuls für das Ende der Teilung Europas
    aus. Ohne das Freiheitsstreben der Menschen gerade
    auch in Polen, gerade auch von Menschen wie Donald
    Tusk wäre die Überwindung der Teilung Europas und
    Deutschlands undenkbar gewesen. Deutschland und
    Polen sind sich heute so nah wie nie zuvor – als Nach-
    barn und als Partner in Europa. Daran hat auch Donald
    Tusk großen Anteil. Ich habe mit ihm als polnischem
    Ministerpräsidenten intensiv, vertrauensvoll und freund-
    schaftlich zusammengearbeitet. Ich freue mich auch auf
    die Zusammenarbeit mit ihm als neuem ER-Präsidenten,
    genauso wie ich mich auf die Zusammenarbeit mit dem
    neuen Präsidenten der Kommission, Jean-Claude Juncker,
    und mit der neu benannten Hohen Vertreterin der Euro-
    päischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik,
    Federica Mogherini, freue.

    Das Amt des Hohen Vertreters steht für unsere Ge-
    meinsame Außen- und Sicherheitspolitik in der Europäi-
    schen Union. Gemeinsam mit der NATO-Mitgliedschaft
    Deutschlands sind dies die beiden Pfeiler unserer inter-
    nationalen Bündnispolitik in Fragen der Sicherheit.

    Am Donnerstag und Freitag dieser Woche wird in
    Wales der diesjährige NATO-Gipfel stattfinden. Ge-
    meinsam mit unseren Bündnispartnern werden wir über
    die verschiedenen globalen Konfliktherde sprechen und
    uns über unser Vorgehen abstimmen. Neben der Situa-
    tion im Irak und in Syrien geht es dabei derzeit vor allem
    um die Lage in der Ukraine. An der Tagung der NATO-
    Ukraine-Kommission wird der ukrainische Präsident
    Poroschenko teilnehmen.

    Was geschieht in diesen Tagen in der Ukraine? Russ-
    land unternimmt den Versuch, bestehende Grenzen unter
    Androhung oder sogar unter Einsatz von Gewalt zu ver-
    schieben. Die territoriale Integrität eines souveränen
    Landes wurde durch die Annexion der Krim in einem
    eklatanten Bruch des Völkerrechts verletzt. Dies verletzt
    die Grundfeste unserer europäischen Nachkriegsord-
    nung, die territoriale Integrität jedes Landes anzuerken-
    nen. Nur so konnte in Europa ein friedliches Zusammen-
    leben entstehen.

    Die jüngsten Berichte über ein Vordringen russischer
    Soldaten auf ukrainisches Gebiet unterstreichen die Dra-
    matik der augenblicklichen Situation. Es wird immer
    klarer: Es handelte sich von Anfang an nicht um einen
    Konflikt innerhalb der Ukraine, sondern um eine Aus-
    einandersetzung zwischen Russland und der Ukraine.


    (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Wir haben bereits deutlich gemacht, dass wir das rus-
    sische Verhalten nicht tatenlos hinnehmen. In großer
    Übereinstimmung zwischen der Europäischen Union
    und den USA haben wir Sanktionsmaßnahmen beschlos-
    sen. Ein Bruch des Völkerrechts darf nicht ohne Folgen
    bleiben. Wir haben am Samstag angesichts der neuerli-
    chen Eskalation die Kommission gebeten, innerhalb ei-
    ner Woche weitere substanzielle Sanktionsschritte vor-
    zubereiten.





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Dabei leitet die Bundesregierung die Überzeugung,
    dass es eine militärische Lösung des Konflikts nicht ge-
    ben wird. Darüber sind sich auch alle EU-Mitgliedstaa-
    ten einig.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Umso dringlicher sind unsere Bemühungen, eine politi-
    sche Lösung zu erreichen. Für uns stehen ein schneller
    Waffenstillstand und die Sicherung der Grenze im Vor-
    dergrund. Dafür werden wir in all unseren Gesprächen
    auch weiter werben, der Bundesaußenminister genauso
    wie ich.

    Durch das russische Verhalten ist die Sorge bei eini-
    gen NATO-Partnern gewachsen, dass auch sie akut be-
    droht sein könnten. Dies gilt zum Beispiel für die balti-
    schen Staaten und genauso für Polen. Ich wiederhole
    heute das, was ich auch bei meinem Besuch in Lettland
    gesagt habe: Wir stehen zu unseren Bündnisverpflich-
    tungen. Artikel 5 des NATO-Vertrages gilt für alle. – Das
    werden auch unsere Beschlüsse in Wales noch einmal
    unterstreichen. Wir werden Maßnahmen beschließen,
    durch die die Reaktions- und Verteidigungsfähigkeit des
    Bündnisses weiter gestärkt werden. Dabei ist es für
    Deutschland wichtig, dass wir uns im Einklang mit der
    NATO-Russland-Grundakte von 1997 bewegen. Sie ist
    geprägt von der Einsicht, dass Sicherheit in Europa nicht
    durch Konfrontation, sondern nur durch Kooperation zu
    erreichen ist. Dies ist und bleibt unsere Überzeugung.
    Wir werden weiter intensiv dafür werben.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    In Wales werden wir auch die Gelegenheit haben,
    kurz vor dem Ende der ISAF-Mission eine Bilanz des
    Afghanistan-Einsatzes zu ziehen, aber auch nächste
    Schritte zur Unterstützung des Landes zu besprechen.
    Dazu gehören die Pläne für die Nachfolgemission „Re-
    solute Support“ und die weitere Unterstützung, etwa der
    afghanischen Sicherheitskräfte. Hier geht es uns darum,
    das bisher Erreichte möglichst nachhaltig zu sichern.

    Die innenpolitischen Auseinandersetzungen in Af-
    ghanistan um die Nachfolge im Präsidentenamt und das
    militärische Vorgehen der immer noch aktiven Taliban
    zeigen, dass Afghanistan weiter Unterstützung der inter-
    nationalen Staatengemeinschaft und damit auch unsere
    Unterstützung braucht. Das Ende der ISAF-Mission
    – ich habe das in der Vergangenheit wiederholt betont –
    bedeutet nicht das Ende unseres Engagements für Af-
    ghanistan und das afghanische Volk. Ich bin zuversicht-
    lich, dass vom Gipfel in Wales erneut ein Signal der ge-
    meinsamen Unterstützung ausgehen wird.

    Die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen
    sind von uns und auch unseren Partnern in Zeiten zuneh-
    mend knapper Haushalte zu bewältigen. Daher werben
    wir nachdrücklich dafür, unsere verteidigungspolitischen
    Anstrengungen innerhalb der NATO und auch der EU
    besser miteinander zu verknüpfen. Wir wollen daran ar-
    beiten, die notwendigen Kapazitäten gemeinsam zu ent-
    wickeln und vorzuhalten. Ich bin zuversichtlich, dass wir
    auf dem Gipfel nächste Schritte dazu vereinbaren kön-
    nen.

    Liebe Kolleginnen und Kollegen, für die Bundesre-
    gierung ist dabei klar: Kein Konflikt der Welt lässt sich
    allein militärisch lösen. Aber immer wieder standen wir
    in den letzten Jahren vor Entscheidungen, bei denen
    auch deutlich wurde: Es gibt Situationen, in denen nur
    noch militärische Mittel helfen, um wieder eine politi-
    sche Option zu haben. Jeder Konflikt hat seinen eigenen
    Charakter; jedes Mal ist der Abwägungsprozess schwie-
    rig; jedes Mal ringen wir, die Regierung, aber in vielen
    Fragen auch die Abgeordneten hier im Parlament, um
    den richtigen Weg.

    Der Blick zurück bis in die 90er-Jahre des letzten
    Jahrhunderts zeigt: Wir haben seitdem zahlreiche weit-
    reichende Entscheidungen gefällt. Es gab kontroverse
    Diskussionen, als Deutschland gefragt war, sich am
    NATO-Einsatz im ehemaligen Jugoslawien zu beteili-
    gen. Es gab kontroverse Diskussionen, als es darum
    ging, nach dem 11. September 2001 Kampftruppen nach
    Afghanistan zu entsenden. Es gab kontroverse Diskus-
    sionen über die Beteiligung an anderen militärischen
    Missionen. Soldatinnen und Soldaten der deutschen
    Bundeswehr sind nach wie vor auf dem Balkan, in Af-
    ghanistan und auch in Afrika im Einsatz. Ich danke ih-
    nen von Herzen für ihren Dienst, der mit hohen persönli-
    chen Risiken für Leib, Seele und Leben verbunden ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


    Bei der heute zu debattierenden Entscheidung geht es
    nicht um den Einsatz von Soldaten. Aber auch das Lie-
    fern von militärischer Ausrüstung an eine Konfliktpartei
    ist eine Entscheidung, die sorgsam abzuwägen ist.

    In den vergangenen Wochen sind wir Zeugen unfass-
    barer Gräueltaten einer Terrorgruppe unter dem Namen
    „Islamischer Staat“ in Irak und Syrien geworden. Maro-
    dierend, plündernd, mordend sind ihre schwerbewaffne-
    ten Milizen im Irak vorgerückt bis in die Nähe Bagdads
    und zuletzt bis an die Schwelle zur kurdischen Autono-
    mieregion im Norden des Irak. Alles, was nicht ihrem
    Weltbild entspricht, räumen sie grausam aus dem Weg.

    Besonders dramatisch ist die Bedrohung von religiö-
    sen Minderheiten im Irak. Die Milizen stellen Mitglieder
    christlicher Kirchen vor die Wahl, entweder zum Islam
    zu konvertieren oder ihre Heimat und Existenzgrundlage
    aufzugeben, andernfalls drohe ihnen der Tod. Die
    Existenz einer gesamten Glaubensgemeinschaft, die der
    Jesiden, war zeitweise gefährdet. Die dramatischen Bil-
    der von der Situation auf dem Sindschar-Gebirge haben
    wir alle noch vor Augen: die eingekesselte Menge, die
    ums Überleben ringenden Männer und Frauen, die ver-
    durstenden Kinder. Am Ende haben kurdische Kräfte
    mutig eingegriffen, flankiert von entschlossener Luft-
    unterstützung der Vereinigten Staaten von Amerika. Nur
    so konnte einem Großteil der Jesiden die Flucht aus den
    Bergen gelingen.

    Aber nicht nur die Minderheiten sind bedroht, son-
    dern auch schiitische Muslime und Sunniten, die sich





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    dem Terror entgegenstellen. Jeder, der sich gegen die
    Terrorgruppe ISIS wehrt, muss mit dem Schlimmsten
    rechnen. Hier wird eine Religion in furchtbarer Weise
    missbraucht, um Mord, Terror und Herrschaftsanspruch
    zu legitimieren.

    Über 1 Million Menschen sind inzwischen auf der
    Flucht vor dem Terror. Hunderttausende haben Schutz
    im kurdischen Norden des Irak gefunden, aber auch in
    Teilen Syriens und in der Türkei. Die kurdische Autono-
    mieregierung stößt mit der immensen Zahl an Flüchtlin-
    gen an ihre Grenzen. Es mangelt an allem. Es fehlen
    Unterkünfte, Lebensmittel, medizinische Versorgung. Es
    droht eine humanitäre Katastrophe.

    Die Terrorgruppe ISIS demonstriert Tag für Tag und
    Zug um Zug einen grenzüberschreitenden Herrschafts-
    anspruch. Mit modernen Waffen und erbeuteten Finanz-
    mitteln agiert ISIS in Syrien und im Irak inzwischen auf
    einer Fläche, die größer als halb Deutschland ist, und die
    Terrormilizen setzen ihren Vormarsch fort. ISIS schwebt
    ein Kalifat vor, das bis zum Mittelmeer reichen soll und
    Jerusalem einschließt. Die Terrorgruppe hat sich eigene
    finanzielle Einnahmequellen geschaffen. Dies führt ent-
    scheidend mit zu ihrer Stärke und macht sie so gefähr-
    lich. Die Kämpfer gehen unvorstellbar grausam vor. UN-
    Menschenrechtskommissarin Navi Pillay spricht von
    Verbrechen gegen die Menschlichkeit; in den Gebieten,
    in denen ISIS agiert, würden ethnische und religiöse
    Säuberungen durchgeführt.

    Darüber hinaus steht der Irak durch das expandie-
    rende Terrorregime von ISIS vor einer Zerreißprobe. Es
    droht eine weitere Destabilisierung der ohnehin schon
    politisch fragilen Region. Längst spüren auch Libanon,
    Jordanien und die Türkei die Auswirkungen des Terrors.
    Eine so weitreichende Destabilisierung einer ganzen Re-
    gion wirkt sich auch auf Deutschland und Europa aus.
    Meine Damen und Herren, wenn Terroristen ein Gebiet
    unterjochen, um dort ein stabiles Fundament für ihre
    Schreckensherrschaft und einen Rückzugsort für sich
    und andere Fanatiker zu schaffen, dann wächst auch für
    uns die Gefahr; dann sind unsere Sicherheitsinteressen
    betroffen.

    Zudem schließen sich Dschihadisten aus vielen Län-
    dern – auch aus europäischen Staaten – der Terrorgruppe
    an. Mehr als 400 Deutsche sind mittlerweile in die
    Region gereist. Schätzungen zufolge liegt die Zahl der
    europäischen Kämpfer in den Reihen der ISIS insgesamt
    im vierstelligen Bereich. Dies liegt in unserem Verant-
    wortungsbereich. Wir müssen zudem befürchten, dass
    diese Kämpfer eines Tages zurückkehren und unsere Si-
    cherheit auch ganz unmittelbar bedrohen. Die Gefahr ist
    seit Monaten ein Thema in der öffentlichen Diskussion.

    Der ISIS-Terror kann uns deshalb in vielerlei Hinsicht
    auf keinen Fall kaltlassen. Seine Expansion muss aufge-
    halten werden. Darüber sind wir uns in der NATO und in
    der Europäischen Union einig.

    Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat am
    15. August 2014 eine Resolution verabschiedet. Sie
    brandmarkt die Terrorgruppe ISIS, verurteilt ihre Ge-
    walttaten auf das Schärfste und sieht Maßnahmen zu ih-
    rer Bekämpfung vor. In der von Deutschland mit einbe-
    rufenen Sondersitzung der EU-Außenminister wurde die
    Unterstützung durch einzelne Mitgliedstaaten für die
    kurdischen Streitkräfte im Kampf gegen die Terror-
    gruppe ISIS begrüßt.

    Für die Bundesregierung ist klar: In erster Linie muss
    die Not Hunderttausender Flüchtlinge gelindert werden.
    Wir konnten dank der engen Koordination der Ressorts
    schnell auf den Hilferuf der kurdischen Regionalregie-
    rung reagieren. Bereits mehr als 150 Tonnen Hilfsgüter
    wurden von der Bundeswehr nach Arbil in den Norden
    Iraks ausgeflogen. Aktuell haben wir insgesamt rund
    50 Millionen Euro an humanitärer Hilfe schon aufge-
    wendet und neu zugesagt. Das ist dringend benötigte So-
    forthilfe.

    All dies ist wichtig, und dort, wo Menschen in Not
    sind, werden wir helfen – auch durch die zusätzliche
    Aufnahme von Flüchtlingen.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Unsere Politik muss aber in erster Linie darauf abzielen,
    dass die Menschen in ihrer Heimat bleiben und dort in
    Sicherheit leben können. Es gilt, die Not der Menschen
    nicht nur zu lindern, sondern sie auch zu verhindern.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Gemeinsam mit den Einheiten der irakischen Armee
    und den USA versuchen die Peschmerga, das weitere
    Vorrücken der Terrorgruppe ISIS abzuwehren. Wir kön-
    nen dankbar dafür sein. Sie setzen sich hohen Risiken
    aus, um etwas zu erreichen, das auch in unserem Inte-
    resse ist.


    (Beifall bei der CDU/CSU und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Ebenso wie einige unserer EU-Partner hat die Bun-
    desregierung – auf Bitten der kurdischen Regionalregie-
    rung und mit Zustimmung der irakischen Zentralregie-
    rung – beschlossen, weitergehende, umfassende Hilfe zu
    leisten. Wir stimmen uns dazu mit den EU-Mitgliedstaa-
    ten, den USA und unseren anderen Partnern in der Welt
    engstens ab. Es besteht dringender Bedarf an militäri-
    scher Ausrüstung wie Schutzwesten, Helmen und Funk-
    geräten. Darum kümmern wir uns, und wir sind auch be-
    reit, in begrenztem Umfang und in enger Abstimmung
    mit unseren Partnern den Streitkräften der autonomen
    Region Irakisch-Kurdistan Waffen und Munition für den
    Kampf gegen die ISIS-Terrormiliz bereitzustellen.

    Um diese zu liefern, nutzen die zuständen Ressorts in-
    nerhalb der Bundesregierung ihren politischen und
    rechtlichen Spielraum. Es geht dabei um die Abgabe von
    militärischer Ausrüstung, also von Fahrzeugen, Waffen
    und Munition, aus vorhandenen Beständen der Bundes-
    wehr. Die Abgabe erfolgt im Einverständnis mit der ira-
    kischen Zentralregierung an die Streitkräfte der autono-
    men Region Irakisch-Kurdistan. Die Einzelheiten dieser





    Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


    (A) (C)



    (D)(B)

    Hilfsleistungen haben wir Ihnen, liebe Kolleginnen und
    Kollegen, gesondert übermittelt, und sie wurden im Ver-
    teidigungsausschuss und auch im Auswärtigen Aus-
    schuss vorgestellt.

    Diese Entscheidung ist weitreichend. Wir haben sehr
    sorgsam abgewogen und dabei sämtliche außen- und si-
    cherheitspolitischen Aspekte beleuchtet. Wir standen vor
    der Wahl, kein Risiko einzugehen, nicht zu liefern und
    letztlich die Ausbreitung des Terrors hinzunehmen oder
    diejenigen zu unterstützen, die verzweifelt, aber mutig
    mit knappsten Ressourcen gegen den grausamen ISIS-
    Terror kämpfen.

    Uns sind die Risiken einer solchen Unterstützung be-
    wusst. Wir haben sie natürlich bedacht. Umgekehrt ha-
    ben wir aber auch gefragt: Was ist mit den akuten Risi-
    ken, die von der Terrorgruppe ISIS ausgehen, wenn wir
    jetzt keine Waffen und keine Munition liefern? Können
    wir wirklich warten und hoffen, dass andere sich dieser
    akuten Gefahr stellen? Nein. Dies entspricht nicht unse-
    rer Vorstellung von Verantwortung in dieser Situation.
    Das immense Leid vieler Menschen schreit zum Him-
    mel, und unsere eigenen Sicherheitsinteressen sind be-
    droht.

    Das, was ist, wiegt in diesem Falle schwerer als das,
    was sein könnte. Wir haben jetzt die Chance, mitzuhel-
    fen, eine menschenverachtende Terrorgruppe zu stoppen
    und ihre weitere Ausbreitung abzuwenden. Wir haben
    jetzt die Chance, das Leben von Menschen zu retten und
    weitere Massenmorde im Irak zu verhindern. Wir haben
    jetzt die Chance, zu verhindern, dass Terroristen sich ei-
    nen neuen, sicheren Rückzugsort schaffen und von dort
    Hass und Gewalt in die Welt tragen. Diese Chance müs-
    sen wir nutzen.

    Ich betone noch einmal: Die Lieferung militärischer
    Ausrüstung wird mit dem Einverständnis der irakischen
    Zentralregierung erfolgen. Uns liegt es fern, zentrifugale
    Kräfte im Irak zu unterstützen. Ganz im Gegenteil: Im
    Kern geht es darum, das irakische Staatsgefüge vor ei-
    nem Zerfall zu bewahren. Der entscheidende Schlüssel
    dazu liegt in einem politischen Prozess, der alle Bevöl-
    kerungsgruppen einbezieht.

    Der Irak braucht einen Prozess der Aussöhnung. Die
    Marginalisierung großer Teile der Bevölkerung, allen
    voran der Sunniten, muss aufhören. Es geht darum, den
    enttäuschten sunnitischen Stämmen und anderen Grup-
    pen einschließlich der Kurden einen angemessenen Platz
    in ihrem Staats- und Gemeinwesen zu geben. Es geht da-
    rum, dem Extremismus schon im Ansatz entgegenzuwir-
    ken. Es geht auch darum, verfassungsrechtlich garan-
    tierte Rechte, beispielsweise für die autonome kurdische
    Regionalregierung, einzuhalten.

    Dies sind große Herausforderungen für den designier-
    ten irakischen Premierminister al-Abadi. Die Bundesre-
    gierung steht bereit, den Irak bei der Bewältigung dieser
    Herausforderungen zu unterstützen. Denn es bleibt da-
    bei: Kein Konflikt dieser Welt lässt sich allein militä-
    risch lösen. Wirklich dauerhaft lösen lassen sich Kon-
    flikte nur politisch, so wie wir es in Europa erfahren
    haben durch den europäischen Integrationsprozess nach
    dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

    Herzlichen Dank.


    (Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der SPD)




Rede von Dr. Norbert Lammert
  • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (CDU)
  • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (CDU)

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-

nächst dem Kollegen Gregor Gysi für die Fraktion Die
Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



  • insert_commentNächste Rede als Kontext
    Rede von Dr. Gregor Gysi


    • Parteizugehörigkeit zum Zeitpunkt der Rede: (DIE LINKE.)
    • Letzte offizielle eingetragene Parteizugehörigkeit: (DIE LINKE.)


    Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herr Prä-

    sident, Sie haben zu Beginn an die Bedeutung des heuti-
    gen Datums erinnert. Tatsächlich, der 1. September vor
    75 Jahren war der Tag, an dem der schlimmste Krieg in
    der Geschichte der Menschheit durch Deutschland be-
    gonnen wurde, der Zweite Weltkrieg. Deshalb ist dieser
    Tag zum Weltfriedenstag geworden. Ich muss Ihnen ehr-
    lich sagen: Ich finde es mehr als stillos, gerade an einem
    solchen Tag über die Lieferung von Waffen für einen
    Krieg zu debattieren. Aber nun ist es so.


    (Beifall bei der LINKEN – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


    Sie, Frau Bundeskanzlerin, haben über den Zweiten
    Weltkrieg, der von Hitler-Deutschland ausging, gespro-
    chen. Aber ich finde, Sie haben eine notwendige Konse-
    quenz nicht gezogen: Hätte Deutschland 1945 nicht sa-
    gen müssen, dass wir nie wieder an Kriegen verdienen
    wollen?


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wir sind der drittgrößte Waffenexporteur der Welt. Wenn
    man der drittgrößte Waffenexporteur der Welt ist, ver-
    dient man an jedem Krieg. Genau das steht uns nicht zu.
    Wir sollten so schnell wie möglich wenigstens jetzt Waf-
    fenexporte verbieten.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Eine Sache ärgert mich – so wichtig und richtig ich,
    abgesehen vom Datum, die Sondersitzung finde –: dass
    wir nur debattieren, aber nicht entscheiden dürfen. Die
    Bundesregierung hat nämlich schon verbindlich ent-
    schieden, und ich finde, dass das bei einer Sondersitzung
    nicht geht. Wir sind das höchste Verfassungsorgan, und
    wir hätten auch entscheiden müssen. Das ist meines Er-
    achtens das Mindeste.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Lassen Sie mich noch etwas zum völkerrechtlichen
    Weg sagen. Um die terroristische Söldnerarmee, den
    „Islamischen Staat“, den wir alle gemeinsam gleich ein-
    schätzen, völkerrechtlich wirksam bekämpfen zu kön-
    nen, brauchen wir den Sicherheitsrat der Vereinten Na-
    tionen.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






    Dr. Gregor Gysi


    (A) (C)



    (D)(B)

    Es geht nicht an, dass jede Regierung – die US-Regie-
    rung, die deutsche Regierung und andere Regierungen –
    für sich entscheidet, was sie dort treibt. Es gibt eine klare
    Zuständigkeit. Diese liegt beim Sicherheitsrat, und er hat
    auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen zu
    entscheiden. Was wir dann machen, ist eine ganz andere
    Frage. Aber die Entscheidung muss von der UNO ge-
    troffen werden und nicht von der US-Regierung oder
    von anderen einzelnen Regierungen.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Übrigens war in der Charta der Vereinten Nationen
    für solche Fälle eine eigene Truppe vorgesehen, aber sie
    ist nie gebildet worden.


    (Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Der hätten Sie ja wohl nicht zugestimmt! – Gegenruf des Abg. Thomas Oppermann [SPD]: Das war doch ganz verlogen!)


    Jetzt hat die Bundesrepublik leider keine weitere Sitzung
    des Sicherheitsrates beantragt und auch keinen weiteren
    Resolutionsentwurf erarbeitet, sondern sich entschieden,
    Waffen zu liefern, was wir für völlig falsch halten. Dazu
    komme ich noch.

    Aber vielleicht rufen Sie den Sicherheitsrat wegen
    des schlechten Verhältnisses zu Russland nicht an. Darf
    ich daran erinnern, dass es vielleicht doch und schon
    deshalb ein Fehler war, Russland zu isolieren und sich
    gegenseitig mit Sanktionen hochzuschaukeln,


    (Cem Özdemir [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Russland isoliert sich selber! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/ CSU]: So ist das!)


    weil man Russland im Sicherheitsrat benötigt? Ich sage
    Ihnen: Gespräche sind viel besser als Sanktionen. Sank-
    tionen bringen uns auch in der Frage der Ukraine nie-
    mals voran, ganz im Gegenteil.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


    Wann stellt die Bundesregierung endlich einmal fest,
    dass es der mit einer Kriegslüge begonnene Krieg der
    USA und anderer Staaten 2003 gegen den Irak war, der
    den Irak zerstört und den „Islamischen Staat“ überhaupt
    erst ermöglicht hat? Das ist doch die Grundfeststellung,
    die man treffen muss, bevor man über weitere Maßnah-
    men nachdenkt.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Es gibt noch etwas, das mich stört – ich sage Ihnen
    das ganz offen –: Mich stört die selektive Wahrnehmung
    im Zusammenhang mit Opfern. Bei Kriegen oder Bür-
    gerkriegen sind Sie sehr schnell dabei, aber bei anderen
    gravierenden Menschenrechtsverletzungen nicht. Ich
    nenne Ihnen ein Beispiel: Jährlich sterben auf der Erde
    18 Millionen Menschen, darunter viele Kinder, an Hun-
    ger oder an den Folgen von Hunger, obwohl wir welt-
    weit eine Landwirtschaft haben, die die Menschheit
    zweimal ernähren könnte. Wo sind da eigentlich Ihre Ini-
    tiativen? Wo ist da eigentlich der Aufschrei? Wenn es
    um Waffen geht, sind Sie sehr schnell, aber bei den an-
    deren Themen überhaupt nicht. Es wird höchste Zeit,
    dass man für alle Opfer etwas tut. Nur dann ist man
    glaubwürdig.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wenn der Irak von etwas genug hat, dann sind das
    Waffen. Die Peschmerga – ich sage das jetzt schon, da-
    mit Sie sich später nicht wundern – überlassen nicht sel-
    ten kampflos ihre Waffen, also dann auch der Organisa-
    tion „Islamischer Staat“. Das wird dann auch mit
    deutschen Waffen geschehen.

    Noch etwas: Waffenexporte in Kriegsgebiete sind
    nicht so neu, wie Sie gesagt haben. Die hat es schon ge-
    geben, und zwar wurden an Israel auch dann Waffen ge-
    liefert, wenn gerade ein Krieg im Gazastreifen stattfand.
    Waffen wurden auch an Saudi-Arabien geliefert, als
    Saudi-Arabien in Bahrain einmarschierte, und an die
    Türkei, als sie gerade 10 000 Soldaten gegen die PKK
    losschickte.

    Neu ist aber, dass sie an Kampfverbände gehen, die
    nicht der Regierung unterstehen. Das hat es noch nicht
    gegeben, und das ist ein solches Novum, dass ich meine,
    schon deshalb hätte der Bundestag darüber entscheiden
    müssen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Übrigens hat es bei den Waffenlieferungen an Israel
    auch die Grünen und die SPD nicht gestört, dass es sich
    um ein Kriegsgebiet handelte. Ich meine, es ist das Min-
    deste, dass wir aufhören, Waffen in den Nahen Osten zu
    liefern. Ob an Saudi-Arabien, Katar, Algerien oder Is-
    rael: Die Waffenlieferungen in den Nahen Osten müssen
    beendet werden, und zwar so schnell wie möglich.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Es gibt aber nicht nur die irakischen Peschmerga, son-
    dern auch Einheiten der PKK und der syrischen PYD,
    die ebenfalls der PKK nahesteht. Die Jesiden fühlen sich
    – das wird man auch Ihnen gesagt gaben, Herr Kauder –
    durch die Peschmerga nicht wirklich geschützt, und
    zwar aus zwei Gründen nicht: Erstens sagen die
    Peschmerga, dass die Jesiden zur eigenen Verteidigung
    von ihnen keine einzige Waffe bekommen. Zweitens
    sind die Peschmerga aus dem Gebirge abgezogen, wohin
    die Jesiden geflüchtet waren. Nun kommt es: Wäre nicht
    die PKK gewesen und hätte sie geschützt, hätte die terro-
    ristische Söldnertruppe des „Islamischen Staats“ sie ver-
    nichten können. Das ist die Wahrheit. Damit müssen wir
    uns auseinandersetzen.

    Nun haben Sie aber festgelegt: Wenn die Peschmerga
    Waffen bekommen, dürfen sie nicht an die PKK und die
    PYD weitergegeben werden. Abgesehen davon, dass das
    überhaupt nicht kontrollierbar ist, ist es auch nicht nach-
    vollziehbar. Denn die durch türkische und syrische Kur-
    den, die der PKK nahestehen, geschaffene Schutzzone
    hat das Leben von Christinnen und Christen sowie
    Jesiden, aber auch von Schiiten und Sunniten – darauf
    haben Sie zu Recht hingewiesen – tatsächlich gerettet.





    Dr. Gregor Gysi


    (A) (C)



    (D)(B)

    Das müssen wir einfach zur Kenntnis nehmen, auch
    wenn es Ihnen nicht passt.

    Deshalb sage ich: Die Einschätzung der PKK als ter-
    roristische Organisation und ihr Verbot müssen überprüft
    und aufgehoben werden. Stattdessen muss endlich der
    „Islamische Staat“ verboten werden. Der Hinweis da-
    rauf, dass er hier keine Strukturen habe, ist falsch. Es
    gibt über 300 Dschihadisten in Syrien, die aus Deutsch-
    land kommen. Bei uns gibt es eine Unterstützerszene.
    Also wird es höchste Zeit, den sogenannten „Islami-
    schen Staat“ in Deutschland zu verbieten.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Nun befürchten Sie, dass die Waffen – auch die deut-
    schen – später für einen Unabhängigkeitskampf der Kur-
    den im Nordirak genutzt werden könnten. Sie sagen
    aber, es gehe um heute und nicht um später. Dazu muss
    ich Ihnen Folgendes sagen: Natürlich werden die Waffen
    dazu genutzt werden. Ich glaube sogar, dass der Antrieb
    der nordirakischen Regierung, die die Waffen haben
    will, ist, uns indirekt zu binden und zu beteiligen. Aber
    Sie haben völlig recht, Herr Steinmeier: Wenn sich der
    Nordirak ohne Zustimmung der Zentralregierung und
    des Zentralparlaments vom Irak loslöst, ist das völker-
    rechtswidrig. Das war genauso bei der Krim und dem
    Kosovo, wo Sie es allerdings nicht einsehen wollten.

    Es gibt aber ein anderes Problem – das ist nachvoll-
    ziehbar, und ich will es kurz begründen –: Hussein hat
    die Kurdinnen und Kurden im Nordirak verfolgt und
    Völkermord begangen. Die jetzige Regierung ist nicht in
    der Lage, sie wirksam zu schützen. Wo soll da die Bin-
    dung entstehen? Hinzu kommt folgende Erfahrung:
    Wenn eine nationale Gruppe keinen eigenen Staat hat, ist
    sie nicht geschützt. Tausende von Jahren wurden Jüdin-
    nen und Juden diskriminiert und verfolgt. Erst seitdem
    es den Staat Israel gibt, haben sie internationalen Schutz.
    Wenn ich das sage, betone ich gleichzeitig: Es wird
    höchste Zeit, dass der Staat Palästina gegründet wird, da-
    mit auch die Palästinenserinnen und Palästinenser end-
    lich entsprechenden Schutz haben.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Vor diesem Hintergrund verstehe ich, dass die Kur-
    dinnen und Kurden sagen, dass sie sich – ob in der Tür-
    kei, im Iran oder wo auch immer – erst wirksam schüt-
    zen, wenn sie einen eigenen Staat haben. Es gibt eine
    Gruppe, für die das nicht gilt und die nie einen eigenen
    Staat gründen kann: Das sind die Sinti und Roma. So
    werden sie leider auch behandelt.

    Wie gesagt, auf die Waffenverwendung haben Sie
    keinen Einfluss. Aber es geht noch um etwas anderes:
    Woher kommt eigentlich das Geld für den „Islamischen
    Staat“? Die Organisation „Islamischer Staat“ verkauft
    reichlich Erdöl. Frau Bundeskanzlerin, warum verhin-
    dern Sie nicht mit internationalem Druck, dass dieses
    Erdöl gekauft wird? Der IS darf kein Geld bekommen.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Außerdem kommt Geld aus Saudi-Arabien, Katar und
    der Türkei. Sie konnten doch die Konten bestimmter
    Russen sperren. Warum können Sie dann nicht die Kon-
    ten der betreffenden Familien aus Saudi-Arabien, Katar
    und der Türkei sperren? Es wird höchste Zeit, dass das
    geschieht.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Was machen Sie eigentlich mit der Türkei? Die Tür-
    kei hat alle potenziellen Terroristen durchgelassen, und
    zwar ohne jede Beeinträchtigung. Die Türkei hat die
    Auslieferung deutscher und anderer Hilfsgüter in den
    Nordirak behindert. Die Türkei hilft außerdem den
    Flüchtlingen nicht. Dabei ist die Türkei unser NATO-
    Partner. Wann üben Sie endlich Druck aus und sagen:
    „So geht es nicht; mit der Türkei muss endlich ernsthaft
    darüber gesprochen werden“? Dann gibt es noch ein
    Embargo der Regierung im Nordirak und der Türkei ge-
    genüber Syrien, sodass an die Flüchtlinge in Syrien und
    die PYD nichts geliefert wird, nicht einmal Medika-
    mente. Auch das ist völlig unmenschlich und muss end-
    lich überwunden werden.


    (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


    Warum vergessen Sie immer Syrien? Wir reden fast
    nur über den Irak. Der IS herrscht genauso in Syrien und
    marschiert auch dort voran. Er wird von den Kurdinnen
    und Kurden und übrigens auch von den Assad-Truppen
    bekämpft. Was denn nun? Ich will Assad weiß Gott nicht
    schöner machen, als er ist, aber gar keine Gesprächskon-
    takte mehr zu haben, war vielleicht doch ein Fehler, weil
    man eben in bestimmten Situationen wieder miteinander
    ins Gespräch kommen muss.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Nun sage ich Ihnen noch etwas: Sie müssen sich für
    Gespräche zwischen allen Bevölkerungsteilen im Irak
    einsetzen. Wir müssen endlich überall dafür kämpfen,
    säkulare Staaten zu bekommen. Nicht eine Religion darf
    das ganze Geschehen dominieren. Das muss endlich
    überwunden werden.


    (Beifall bei der LINKEN)


    Wir treten selbstverständlich für eine umfassende hu-
    manitäre Hilfe ein, natürlich auch für die Aufnahme ei-
    ner höheren Zahl von Flüchtlingen in ganz Europa, auch
    in Deutschland. Aber ich sage Ihnen noch eines: Es gibt
    ein krasses Missverhältnis. 70 Millionen Euro sind die
    Waffen wert, die Sie liefern wollen, nur 50 Millionen
    Euro die Hilfsgüter. – Das sagt eine Menge.

    Dann will ich noch an Folgendes erinnern: Wer hat ei-
    gentlich Solidarität mit den Kurdinnen und Kurden ge-
    übt, als sie im Irak benachteiligt waren, aber auch in der
    Türkei und im Iran? Vornehmlich die Grünen und die
    Linken, die anderen Parteien so gut wie gar nicht, wenn
    ich daran einmal erinnern darf. Wissen Sie, wann Sie
    Ihre Solidarität entdeckt haben? Als die Kurden die Erd-
    ölstadt Kirkuk eingenommen haben; mehr sage ich dazu
    nicht. Wir haben Solidarität unabhängig davon geübt;
    auch das muss ich Ihnen hier aufrichtig sagen.


    (Beifall bei der LINKEN)






    Dr. Gregor Gysi


    (A) (C)



    (D)(B)

    Als Letztes lassen Sie mich Folgendes sagen: Die
    Bundesregierung wirkt in der ganzen Situation hilflos.
    Den Kalten Krieg hat der Westen gewonnen. Die Ord-
    nung des Kalten Krieges wurde glücklicherweise über-
    wunden, aber eine neue, friedenschaffende Ordnung ist
    nicht entstanden. Weder die USA noch Russland noch
    China, geschweige denn die EU, Frankreich und Groß-
    britannien werden ihrer Verantwortung gerecht; aber es
    ist ihre Verantwortung, dass endlich wieder eine frieden-
    schaffende Ordnung weltweit entsteht.

    Danke schön.


    (Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder [CDU/CSU]: Kraut und Rüben!)