Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Bericht zum Anerkennungs-gesetz. Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Be-richt hat die Bundesministerin für Bildung undForschung, Frau Dr. Johanna Wanka. – Bitte schön, FrauMinisterin.Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Danke schön. – Herr Präsident! Meine Damen undHerren! Wir haben heute im Kabinett den Bericht zumAnerkennungsgesetz vorgelegt. Das Anerkennungsge-setz ist ein relativ junges Gesetz. Es ist vor zwei Jahren,am 1. April 2012, in Kraft getreten. Es sorgt für etwas,was in Europa ganz ungewöhnlich ist: Jeder, der insLand kommt, hat den Rechtsanspruch darauf, dass seinBerufsabschluss bzw. akademischer Abschluss, den erim Ausland erworben hat, auf Anerkennung überprüftwird.Im Rahmen der Verabschiedung des Gesetzes habenwir vereinbart, dass es nicht nur nach einer bestimmtenFrist evaluiert wird, sondern durch Monitoring begleitetwird. Dieser Bericht enthält daher nicht nur statistischeDaten, sondern auch Befragungen und anderes.Der ersten amtlichen Statistik zufolge wurden in demDreivierteljahr von April 2012 bis Dezember 2012 be-reits 11 000 Verfahren von den Ländern gemeldet. Derüberwiegende Teil – 82 Prozent – dieser Verfahren en-dete mit der vollen Anerkennung der Gleichwertigkeit.Man muss sagen, dass dabei in ganz starkem Maße diemedizinischen Gesundheitsberufe vertreten waren, alsodie Berufe, bei denen wir einen hohen Bedarf an Fach-kräften haben.Wenn man sich die Altersstruktur derer, die einen An-trag auf Anerkennung gestellt haben, anschaut, dannstellt man fest, dass das vor allen Dingen junge Leutezwischen 20 und 40 Jahren sind. Dehnt man den Zeit-raum auf 20 bis 50 Jahre aus, dann zeigt sich, dass dieseAltersgruppe 92 Prozent all derjenigen ausmacht, dieden Wunsch haben, nach Deutschland zu kommen, inDeutschland zu leben und hier entsprechend ihrer Quali-fikation zu arbeiten.Zwei Drittel der Antragstellenden kommen aus Eu-ropa. Das Gesetz gilt aber auch für Drittstaaten. Diegrößte Gruppe derer, die einen Antrag gestellt haben, hatdie deutsche Staatsangehörigkeit. Darauf folgen Men-schen mit rumänischer, russischer, polnischer und unga-rischer Staatsangehörigkeit.Der Erfolg der Anerkennung – das zeigt sich bei die-sem Gesetz ganz deutlich – hängt sehr stark davon ab,wie man informiert und wie Informationen zu findensind. Es ist ein regelrechter Spagat. Einerseits will mankeinen großen Verwaltungsaufwand durch viele großeZentralstellen betreiben. Andererseits muss man die Ver-fahren natürlich optimieren. Man will aber vor allenDingen, dass die Menschen vor Ort die entsprechendenInformationen bekommen, und zwar da, wo sie norma-lerweise hingehen: zum Beispiel bei der Handwerks-kammer oder der Industrie- und Handelskammer.Wie wichtig eine gute Information ist, zeigt sichschon an den Besucherzahlen des Internetportals „Aner-kennung in Deutschland“. Im ersten Jahr, also 2012, gabes auf dieser Seite 260 000 Besucher. Im letzten Jahr hatsich diese Zahl verdoppelt: Da waren es 500 000. Imersten Monat des Jahres 2014 waren es schon über100 000 Besucher. Die Kurve geht also nach oben. WoInformationen zu finden sind, muss sich eben erst einStück weit herumsprechen. Deshalb haben wir im letztenJahr für diese Möglichkeit der Information geworben.Wir werden ab Mitte dieses Jahres außerdem eine inter-nationale Kampagne starten, um darauf aufmerksam zumachen, was in Deutschland jetzt möglich ist.Wir haben im Bereich der Kammern bundesweit einegute Versorgung und Arbeitsteilung. Bei den IHKs ha-ben wir die zentrale IHK in Nürnberg, die für derartigeFragen zuständig ist. Im Bereich der Handwerkskam-mern gibt es sogenannte Leitkammern. Die Handwerks-kammer in Frankfurt/Oder beispielsweise ist für alle Ab-schlüsse zuständig, die in Polen gemacht wurden.
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1948 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Es gibt einen weiteren Erfolg, den es im letzten Jahrnoch nicht gab: Das Anerkennungsgesetz gilt für die Be-rufe, bei denen der Bund die Kompetenz hat. Es gibtaber viele Berufe, bei denen die Kompetenz bei den Län-dern liegt. Dafür müssen die Länder Gesetze machen.Heute können wir sagen, dass bereits 13 Länder Gesetzein Kraft gesetzt haben. Die drei noch ausstehenden Län-der befinden sich im Gesetzgebungsverfahren.Kritisch zu sehen ist die Zentralisierung der Verfahreninsbesondere im Bereich der Gesundheitsberufe, bei de-nen es den größten Andrang gibt. Es gibt den Beschluss,dass man bei der KMK eine zentrale Stelle einrichtenwill. Das ist aber finanziell noch nicht geregelt. AusSicht des Bundes ist dies sehr wichtig.Wenn eine Anerkennung nicht voll gewährleistet wer-den kann, dann ist es bei den reglementierten BerufenPflicht, entsprechende Berufsqualifizierungen anzubie-ten. Dazu gab es in der letzten Zeit gemeinsame Bemü-hungen des Arbeitsministeriums, unseres Ministeriumsund der BA. Wir werden das Angebot von Ausgleichs-maßnahmen zum Erwerb der entsprechenden Qualifika-tion in dieser neuen Förderperiode zusätzlich mit ESF-Mitteln finanzieren, und zwar in einer Größenordnung,die dies flächendeckend ermöglicht.Insgesamt kann man sagen, dass das Anerkennungs-gesetz national, aber auch international gut wahrgenom-men wird. Sie wissen, dass man bei Einschätzungen derOECD den Background immer sehr genau anschauenmuss. Hier sagte die OECD, dass Deutschland zu denLändern gehört, in denen die Schwelle, aus dem Auslandzu kommen und eine Arbeit anzunehmen, am niedrigs-ten ist. Wir haben also ganz wenig Hindernisgründe. Wirsind ein sehr liberales Land. Ich denke, das macht dieEinschätzung des Anerkennungsgesetzes deutlich.Danke.
Herzlichen Dank, Frau Ministerin. – Als Erste hat
sich die Kollegin Cemile Giousouf, CDU/CSU-Fraktion,
gemeldet. Danach Frau Dr. Rosemarie Hein, Fraktion
Die Linke.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Ich habe zwei Fra-
gen. Die erste betrifft die statistischen Zahlen des Be-
richtes. Der Bericht legt die Zahlen für das Jahr 2012
vor. Gibt es aktuellere Zahlen? Können Sie sagen, ob die
Zahlen für eine Anerkennung der beruflichen Qualifika-
tion aus dem Ausland steigen oder fallen?
Die zweite Frage bezieht sich auf die Form der Bera-
tung. Sie haben gerade das Internetportal „Anerkennung
in Deutschland“ erwähnt. Darüber hinaus gibt es das Be-
ratungsnetzwerk des Förderprogramms „Integration
durch Qualifizierung“. Beim BAMF gibt es eine Hotline,
die ebenfalls informiert. Ist dies nicht etwas zersplittert?
Wäre es nicht sinnvoller, diese Beratungsstrukturen zu
bündeln?
Vielen Dank.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Zu den Zahlen. Im Herbst dieses Jahres werden wir in
einer amtlichen Statistik die Zahlen für das Jahr 2013 ha-
ben.
Zur Resonanz. Ich habe die Zahlen des Anerken-
nungsportals genannt. Dazu muss man sagen, dass
40 Prozent der Besucher aus dem Ausland sind, mit stei-
gender Tendenz. Auch bei der Telefonhotline, die beim
BAMF angesiedelt ist, stieg die Zahl der Anrufer von
Monat zu Monat. Ferner zeigen die 11 000 Verfahren,
dass die unterschiedlichen Angebote in Anspruch ge-
nommen werden und die Antragsteller entsprechende In-
formationen vor Ort finden. In diesem Zusammenhang
ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge natür-
lich eine wichtige Adresse. Wir sind also auf Bundes-
ebene sehr gut koordiniert, glauben aber, dass man im
Bereich der Länder die Informationen noch stärker bün-
deln kann. Die Anerkennung ist aber ein komplizierter
und komplexer Vorgang. Dort geht es nicht nur um die
formalrechtliche Bewertung, sondern um Zuwande-
rungsrechte, Sprachkenntnisse und vieles mehr. Deswe-
gen glauben wir, dass eine komplexe Beratung auch in
Zukunft notwendig ist.
Schönen Dank. – Als Nächste hat das Wort die Kolle-
gin Dr. Rosemarie Hein, die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, FrauMinisterin, für den Bericht. Auch ich habe zwei Fragen:Erstens. Sie hatten erwähnt, dass der größte Teil derAntragstellungen und auch der überaus größte Teil derBewilligungen aus dem Gesundheitsbereich stammen.Meine Frage ist: Warum sind die Berufe mit dualer Aus-bildung, bei denen wir auch ein erhebliches Fachkräfte-problem haben, so stark unterrepräsentiert?Die zweite Frage bezieht sich auf die Ländergesetze.Sie haben gesagt: 13 Länder haben schon entsprechendeGesetze. Wie schätzen Sie das ein: Deutet sich im Hin-blick auf die Ländergesetze, ähnlich wie in anderen Be-reichen der Bildungspolitik, eine Spreizung an? Sind dieGesetze dort auch so unterschiedlich, oder sind sie eherin der Substanz vergleichbar?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Das Antragsaufkommen konzentriert sich, wie schongesagt, sehr stark auf den Bereich der reglementiertenBerufe. Das ist logisch, weil man diese Berufe inDeutschland ohne Anerkennung nicht ausüben kann.Zu den Handwerkskammern. Wir haben mit denHandwerkskammern gesprochen und festgestellt, dasswir hier verstärkt informieren und werben müssen, weiles weniger bekannt ist, dass auch im nicht reglementier-ten Bereich gleichwertige Qualifikationen anerkanntwerden können. Im Bereich der Handwerkskammern ha-ben wir sehr viele Verfahren, in denen es gar nicht zur
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Anerkennung der Gleichwertigkeit kommt, weil es nichtnotwendig ist; denn schon im Laufe der Beratung ergibtsich, dass Qualifikationen vorliegen, die ausreichen, umden Betreffenden zu vermitteln. Das ist im Handwerknach Aussage des früheren Präsidenten des Zentralver-bandes des Deutschen Handwerks, Herrn Kentzler, insehr vielen Fällen geschehen.Wir wollen aber mit der Kampagne, die wir Mitte desJahres starten, international gerade auch für diese Berufestärker werben. Wir haben auch ein Projekt mit demDGB, bei dem wir versuchen, über Information und Sen-sibilisierung der Personalräte, aber auch der betriebli-chen Seite dafür zu sorgen, dass dies noch stärker ge-nutzt und propagiert wird. Dass die reglementiertenBerufe automatisch besonders stark nachgefragt sind,liegt aber in der Natur der Sache.Zu den Ländergesetzen. Man muss sagen, dass es inder Praxis gemäß dem Bericht leider eine ganze Reihevon Unterschieden bei der Wahrnehmung und Beurtei-lung gibt. Wir wollen keinen Anerkennungstourismus,bei dem man in einem Land einen Antrag auf Anerken-nung von Qualifikationen stellt, um den entsprechendenBeruf in einem anderen Land ausüben zu können. Des-wegen ist uns eine gewisse Zentralisierung sehr wichtig.Die Anträge müssen nicht an einer Stelle bearbeitet wer-den, aber die Bearbeitung soll vergleichbar sein.Ich nenne das Beispiel der Gesundheitsberufe. Da hatdie Kultusministerkonferenz schon vor vielen Jahreneine Zentralstelle zur Anerkennung der schulischen undakademischen Qualifikationen eingerichtet. Das heißt:Wenn sich jemand mit einem Abitur aus dem Kongo be-wirbt, dann muss man nicht in dem entsprechenden Bun-desland wissen, wie das einzuschätzen ist. Die Kultus-ministerkonferenz hat eine Stelle eingerichtet, die dieseEinschätzung als Service anbietet. Genau so sollte dasim Bereich der Gesundheitsberufe gemacht werden. Da-mit hätte man dann auch ein einheitlicheres Verfahren.Es ist jedenfalls ein Problem, das im Bericht dokumen-tiert ist.
Bevor ich die nächsten Wortmeldungen aufrufe,
möchte ich liebevoll darauf hinweisen: Jeder darf eine
Frage stellen. Ich hatte aber bei der CDU/CSU zwei Fra-
gen zugelassen. Deswegen habe ich bei der Linken auch
friedlich zwei Fragen zugelassen. Wir müssen ja fair
miteinander umgehen. Da es aber eine ganze Flut von
Fragen gibt, was sehr erfreulich ist, bitte ich die kom-
menden Fragesteller, sich jeweils an unsere Eine-Frage-
Regel zu halten.
Die nächsten Fragesteller sind Rudolf Henke, CDU/
CSU-Fraktion, und Volker Beck, Bündnis 90/Die Grü-
nen.
Frau Ministerin, meine Damen und Herren, ich
komme noch einmal auf die reglementierten Berufe, ins-
besondere im Gesundheitsbereich, zu sprechen. Die Re-
gierungschefs und Regierungschefinnen der Länder ha-
ben sich mehrfach dafür ausgesprochen, dass es
einheitliche, unbürokratische Regelungen zu den Aner-
kennungsverfahren von Bund und Ländern geben soll.
Jetzt scheint der Bericht darauf hinzudeuten, dass es so-
wohl zwischen dem Anerkennungsverfahren des Bundes
auf der einen Seite und der Länder auf der anderen Seite
als auch hinsichtlich der Anerkennungsverfahren unter-
schiedlicher Bundesländer Differenzen gibt. Die Frage
ist: Zeichnet sich dort zumindest ein Diskussionsprozess
ab, der darauf zielt, für Einheitlichkeit zu sorgen? Das
dürfte nicht nur die KMK betreffen; im Bereich der Ge-
sundheitsberufe müsste die GMK sicherlich mit einbezo-
gen werden. Die Sprachprüfungen und die Anerkennung
der Qualifikationen in den reglementierten Berufen wer-
den in den Ländern sehr unterschiedlich gehandhabt. Die
Frage ist also: Ist da ein Prozess der Vereinheitlichung
im Gange?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ja, es ist ein Diskussionsprozess mit dem Ziel einer
Vereinheitlichung im Gange. Was die Gesundheitsberufe
anbetrifft, muss nicht nur die KMK, sondern auch die
GMK die entsprechenden Beschlüsse fassen. Da wird in
Bezug auf die Struktur genau überlegt: Wie viel Personal
braucht man? Das alles befindet sich noch in der Umset-
zung. Vonseiten der Finanzminister muss jetzt noch die
Frage geklärt werden, woher die Stellen kommen. Aber
das ist eine überschaubare Größenordnung.
Was die Gesundheitsminister betrifft: Der Bund hat
seinen Beitrag zur Vereinheitlichung erbracht. Es gibt
jetzt eine neue Rechtsverordnung des Bundesgesund-
heitsministeriums zur Durchführung und zum Inhalt von
Anpassungsmaßnahmen in den Heilberufen des Bundes,
die am 1. Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist. Das
ist sozusagen die Basis.
Insgesamt lässt sich feststellen: Der Diskussionspro-
zess ist im Gange. Es war richtig, ein Monitoring durch-
zuführen und in diesem Bericht nicht nur zu rekapitu-
lieren, was gut und was schlecht ist, sondern auch
Hinweise darauf zu geben, wo Handlungsbedarf besteht.
Schönen Dank, Frau Ministerin. – Als Nächster hat
das Wort Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Vielen Dank, Frau Ministerin, für Ihren Bericht. Icherlaube mir, für meine Fraktion zwei Fragen zu stellen,wie das die ersten beiden Fragesteller aus den anderenFraktionen getan haben.Zu meiner ersten Frage. Der Sachverständigenratdeutscher Stiftungen für Integration und Migration kriti-siert, dass wir die Antragsberechtigten nicht ausreichenderreichen. Deshalb möchte ich von Ihnen wissen: Wieviele Antragsberechtigte gibt es in Deutschland? Wieviele Anträge wurden bis zum heutigen Tag bzw. biszum Datum Ihrer Berichterstellung tatsächlich einge-reicht? Das wäre gut zu wissen, um abschätzen zu kön-nen, inwiefern wir überhaupt die relevanten Teile derBevölkerung ansprechen.
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1950 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Volker Beck
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Zu meiner zweiten Frage. Was wollen Sie tun, damitdas Vorgehen in anderen Bereichen, zum Beispiel imtechnischen Bereich, bei den Ingenieurberufen, ähnlichgut funktioniert wie im Gesundheitsbereich? Das ist jaein Bereich, in dem wir Fachkräftemangel haben. Wenndas Gesetz in diesem Bereich nicht funktioniert, dannmuss es Gründe dafür geben. Was machen Sie, um dieseGründe zu beseitigen?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Die Zahl derer, die antragsberechtigt sind, ist sehrschwierig abzuschätzen. Im Mikrozensus – darauf hebenSie wahrscheinlich ab – wird die Zahl 280 000 genannt.Das bezog sich aber vor allem auf alle in Deutschlandlebenden Personen mit ausländischem Abschluss, dienicht in dem Bereich arbeiten, in dem sie ihren Ab-schluss gemacht haben. Jeder – zum Beispiel auch dertürkische Gemüsehändler, der trotz Qualifikation in sei-nem Heimatland in Deutschland schon seit 20 Jahren ineinem anderem Tätigkeitsfeld arbeitet – wurde dazuge-rechnet. Das heißt, wir haben keine belastbaren Zahlen.Wenn Sie sich die Altersverteilung ansehen, dannstellen Sie fest, dass es vor allen Dingen viele Jüngerebetrifft und nicht diejenigen, die schon viele Jahre inDeutschland eine Tätigkeit für sich gefunden haben undbei denen nicht der Anspruch besteht: Jetzt will ich mirmeinen alten Beruf anerkennen lassen, um in diesemvielleicht wieder tätig zu sein.11 000 Antragsteller – das ist die belastbare Zahl, dieuns für 2012 vorliegt.
– 11 000, definitiv. Wobei selbst die Statistischen Lan-desämter sagen, dass die Zahlen wahrscheinlich höhersind, weil viele Anerkennungsstellen noch nicht gemel-det haben oder nicht wissen, dass sie meldepflichtigsind. Hier ist also noch ein Lernprozess im Gange.Für den Bereich der Ingenieure gibt es keine Bundes-kompetenz. In dem Anerkennungsgesetz des Bundeswird alles für die Berufe geregelt, für die der Bund dieKompetenz hat. Es gibt aber viele Berufe, für die dieKompetenz bei den Ländern liegt, dazu gehören die In-genieure. Wenn Sie sich die Ländergesetze anschauen,dann stellen Sie fest, dass in nicht wenigen Gesetzendiese Gruppe gar nicht betrachtet wird, dass sie ausge-schlossen wird. Das gilt auch für Architekten oder an-dere Berufe. Über dieses Thema wird derzeit diskutiert.Das haben wir vonseiten des Bundes angeregt; denn ge-rade in diesem Bereich sind wir interessiert daran, quali-fizierte Zuwanderung zu ermöglichen.
Schönen Dank. – Kollege Dr. Thomas Feist, CDU/
CSU-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Ministerin, Sie
haben gesagt, dass die Nachfrage in den reglementierten
Berufen besonders hoch ist und dass die Zahl derer, die
über das entsprechende Internetportal Anfragen stellen,
sprunghaft wächst. Die Zahlen, die Sie genannt haben,
verdeutlichen das.
Meine Frage zielt in folgende Richtung: Im Auswär-
tigen Ausschuss beschäftigen wir uns gegenwärtig mit
der Frage, ob die deutschen Auslandsschulen ihr Profil
nicht in Richtung Berufsschulen erweitern sollten. Da-
mit würden wir schon vor Ort die Voraussetzung für eine
leichtere Anerkennung jener Berufe schaffen, die in
Deutschland reglementiert sind. Wie beurteilen Sie diese
Überlegungen? Würden Sie eine solche Profilerweite-
rung unterstützen? Das Modell der dualen Berufsausbil-
dung erfährt nicht nur in Deutschland eine hohe Nach-
frage. Dem sollten wir nachkommen.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Im Moment haben wir die erfreuliche Situation, dass
das Interesse an der deutschen Sprache weltweit gestie-
gen ist. Es gibt jetzt zum Beispiel circa 1 000 Schulen in
Indien, an denen die deutsche Sprache vermittelt wird.
Das war vor einigen Jahren noch ganz anders. Außerdem
besteht, auch bedingt durch die wirtschaftliche Situation
in Frankreich, Spanien und anderen Ländern, ein großes
Interesse an der dualen Ausbildung. Wir werben in den
entsprechenden Ländern für die duale Ausbildung und
geben Geld aus, um Wege zu finden, wie das System der
dualen Ausbildung in Ländern wie Spanien oder Grie-
chenland organisiert werden könnte, wenn die betreffen-
den Stellen vor Ort dieses System einführen wollen.
Zum Beispiel in Bezug auf Indien halte ich es gerade
vor dem Hintergrund des großen Interesses an der deut-
schen Sprache nicht für schlecht, die Frage zu themati-
sieren, ob man neben den deutschen Auslandsschulen
noch andere Institutionen unterhalten sollte. Bei diesem
Export der dualen Ausbildung – das sage ich in Anfüh-
rungsstrichen – sind wir immer sehr behutsam. Es geht
nicht darum, etwas von Deutschland eins zu eins wo-
andershin zu verpflanzen, sondern darum, zu schauen,
wie die positiven Elemente der dualen Ausbildung vor
dem Hintergrund der Bedingungen des entsprechenden
Landes zum Tragen kommen können, wenn vor Ort ein
Interesse daran besteht. Ich finde die Idee nicht schlecht.
Die nächsten beiden Fragesteller sind Kollege René
Röspel, SPD-Fraktion, und Özcan Mutlu, Bündnis 90/
Die Grünen. – Kollege Röspel, bitte.
Sehr verehrte Frau Ministerin, im Koalitionsvertragist vereinbart, Nachqualifizierungsmaßnahmen finan-ziell zu unterstützen. Was plant die Bundesregierung,und wie will sie das umsetzen?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Wie schon angedeutet, haben wir im Rahmen des IQ-Programms, Integration durch Qualifizierung, in 50 Mo-
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Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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dellprojekten einige Erfahrungen gesammelt. DiesesProgramm werden wir jetzt in beträchtlichem Maße aus-weiten, mit über 200 Millionen Euro einschließlich ESF-Mitteln, gemeinsam mit dem Arbeitsministerium undder BA. Wir glauben – das wird deutlich, wenn wir unsdie Zahlen ansehen –, dass man damit in großem Maßebundesweit etwas leisten kann. Das ist eine ganz hand-feste und millionenschwere Investition in diesem Be-reich.
Danke schön, Frau Ministerin. – Kollege Özcan
Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Ministerin, meine Frage lautet wie folgt: Ist nach
Auffassung der Bundesregierung die arbeitsmarktliche
Beratung nach § 29 SGB III sichergestellt, und besteht
nach Auffassung der Bundesregierung tatsächlich ein
flächendeckendes und ausreichendes Netz von Erstan-
laufstellen, Beratungsstellen, die die notwendige fachli-
che Qualifikation aufweisen, um erfolgreich beraten zu
können? Welche Qualitätsstandards gelten für diese
Erstanlaufstellen, und wird die Arbeit der Erstanlaufstel-
len evaluiert?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
In diesem Bericht befinden sich auch Informationen
über die Arbeit der Anlaufstellen und eine sehr positive
Einschätzung dessen, was im gesamten Kammerbereich,
also bei den Handwerkskammern und den Industrie- und
Handelskammern geleistet wird, aber auch im Bereich
der BA, wenn es um Auskünfte zur Sozialgesetzgebung
geht. Das Monitoring, das vonseiten des Bundes freiwil-
lig durchgeführt wird, zeigt im Einzelnen auf, wo es
noch Schwachstellen gibt, wo man noch mehr machen
muss. Nach dem Gesetz ist eine Evaluation geplant, die
auch diesen Bereich erfasst; denn die Erstberatung ist
ganz entscheidend. Die Erstberatung ist, wie eben schon
gesagt, ein komplexes Geschäft. Die ersten gesammelten
Erfahrungen sind in vielen Bereichen erfreulich.
Die nächsten beiden Fragen sind vom Kollegen
Dr. Ernst Dieter Rossmann und vom Kollegen Martin
Rabanus, beide SPD-Fraktion. – Herr Kollege
Dr. Rossmann, bitte.
Frau Ministerin, der Bericht enthält umfangreiche
Analysen in Bezug auf die Spreizung der Gebühren, die
sich je nach Landes-, Bundes- und Kammerregelungen
zwischen 100 und 1 000 Euro bewegen. Es findet sich
die Passage, dass Sie es für sinnvoll halten könnten, in
diesem Bereich zu einer Harmonisierung zu kommen. In
welcher Weise und mit welcher Zielrichtung wollen Sie
sich als Ministerin in Bezug auf die Gebührenfrage ein-
bringen? Ich frage auch nach den Vor- und Nachteilen.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Dass der Beratungsaufwand zum Teil sehr groß ist,
zeigen zum Beispiel die Erfahrungen der Handwerks-
kammern. In vielen Fällen geht es um 400 Euro. Diese
Gebühren decken bei weitem nicht die Kosten für das
Engagement der Kammern ab. Nach den ersten Erfah-
rungen diskutieren wir jetzt über die Frage, ob sich die
Größenordnung der Gebühren bewährt hat. Dann müs-
sen wir über Vorschläge nachdenken. Veränderungen
kann und will der Bund nicht erzwingen. Aber er hat die
Möglichkeit, unter anderem über die Sozialleistungen
Unterstützung zu leisten, wenn es um Antragsteller geht,
die die Gebühren nicht bezahlen können. In den Gesund-
heitsberufen, zum Beispiel bei den Apothekern oder bei
den Ärzten, ist die Bildungsrendite, die man erzielt,
wenn man in Deutschland eine Anstellung findet, natür-
lich sehr hoch. Ich kann Ihnen jetzt nicht sagen, dass wir
diese oder jene Größenordnung anstreben; denn auch
dieses Thema ist Teil des komplizierten Prozesses. Es
muss sich einspielen, und man sollte dann auch in der
Diskussion mit den Ländern versuchen, besser harmoni-
sierte Möglichkeiten zu finden.
Danke schön. – Als Nächster Herr Kollege Martin
Rabanus, SPD-Fraktion, dann noch einmal Volker Beck,
Bündnis 90/Die Grünen. Herr Rabanus, bitte.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, Sie haben ausgeführt,dass 82 Prozent der Anträge zur Anerkennung geführthaben. Das ist eine sehr erfreuliche Zahl. Dies heißt imUmkehrschluss aber auch, dass 18 Prozent der Anträgenicht dazu geführt haben. Mich würde interessieren, wasmit diesem Rest, mit diesen 18 Prozent ist. Sind das An-träge, die bis zum Stichtag schlicht nicht abgearbeitetwaren? Gibt es dort vielleicht Hinweise auf notwendigeNachqualifizierungen, also sind es vielleicht zurückge-stellte Anträge, und befinden sich darunter auch abge-lehnte Anträge? Ich fände es spannend, zu erfahren, obes Hauptgründe für das Versagen der Anerkennung gibt,die man sozusagen systematisch einordnen kann, odermuss man sich da tatsächlich jeden Einzelfall gesondertanschauen?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Im Bericht steht, dass im Durchschnitt insgesamt82 Prozent der Anträge zur Anerkennung führen; dieseZahl wurde eben genannt. Bei den reglementierten Beru-fen liegt die Bestätigung der vollen Gleichwertigkeit so-gar noch höher, nämlich bei fast 84 Prozent. Sie fragtennach dem Rest. Fast 13 Prozent der Antragsteller wirdzum Beispiel vorgeschlagen, noch eine Ausgleichsmaß-nahme zu machen oder mehr Berufserfahrung zu sam-meln. Direkte Ablehnungen gibt es bei nur 3,5 Prozentder Anträge; dies ist also ein geringer Prozentsatz. Überdie Ausgleichsmaßnahmen hatten wir ja gerade kurz ge-sprochen.
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1952 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
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Bei den nichtreglementierten Berufen, zum Beispielbei ganz vielen Handwerksberufen, ist der Anteil gerin-ger: Bei 66 Prozent wird die volle Gleichwertigkeit undbei ungefähr 10 Prozent die teilweise Gleichwertigkeitanerkannt. Die Erfahrung der Handwerkskammern ist,dass das oft sehr nützlich ist und schon ausreicht, um denBetreffenden zu vermitteln. Eine Ausgleichsmaßnahme,um noch eine Qualifikation nachzuholen, ist also oft we-niger sinnvoll als eine Bestätigung der Handwerkskam-mer, dass jemand über bestimmte Qualifikationen ver-fügt und wie diese einzuschätzen sind, um eine Arbeit zufinden. Die Zahl der Ablehnungen liegt hier bei 21 Pro-zent.Das Gesetz, das wir haben, ist eigentlich sehr weitge-hend. Wenn zum Beispiel Unterlagen nicht vollständigsind oder wenn man den Sachverhalt schlecht einschät-zen oder nicht aufklären kann, dann sind auch praktischeNachweise eine Möglichkeit, um die entsprechende An-erkennung in Deutschland zu erhalten. Das wird natür-lich noch nicht in dem Umfang genutzt, wie es möglichwäre. Da sehen wir einen wichtigen Bereich, in dem wirhandeln müssen.Im Bericht finden sich auch systematische Hinweise,zum Beispiel – auch mir war das nicht bekannt – dass esden Beruf des Altenpflegers – diese suchen wir inDeutschland besonders – nur bei uns als Ausbildungsbe-ruf gibt und sonst nirgendwo in Europa. Deswegen kom-men sehr viele gar nicht auf die Idee, hier in diesem Be-ruf zu arbeiten, oder sie versuchen, wenn sie in einemanderen Land als Krankenpfleger gearbeitet haben, ei-nen entsprechenden Nachweis darüber hier anerkennenzu lassen. Unter Umständen wäre es in solchen Fällenviel sinnvoller, von vornherein zu versuchen, in die Al-tenpflege zu gehen. Aufgrund des Berichtes sind wirjetzt daran interessiert, nicht nur individuelle Lösungender einzelnen Kammern oder wo auch immer zu finden,sondern auch zu überlegen, wie man das von unsererSeite durch Aufklärung systematisch unterstützen kann.
Danke schön. – Als Nächstem erteile ich das Wort
Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, danach
Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion, und Stephan Albani,
CDU/CSU-Fraktion. Kollege Beck, bitte.
Frau Ministerin, wie viel Prozent der 11 000 Antrag-
steller – dies ist eine fulminante Zahl – waren denn
Flüchtlinge oder Geduldete? Was macht die Bundesre-
gierung, damit auch Flüchtlinge und Geduldete von die-
sem Anerkennungsgesetz erfahren und davon Gebrauch
machen? Das ist ja vor allen Dingen im Hinblick auf die
von der Bundesregierung geplante Bleiberechtsregelung
nicht ganz ohne Belang.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Daten darüber, wie viele davon Flüchtlinge oder Ge-
duldete waren, liegen uns nicht vor. Das wird auch nicht
abgefragt. Was die Informationen gerade für diese
Gruppe von Menschen anbetrifft, gilt das vorhin Ge-
sagte. Die systematische Ausweitung der Informationen,
zum Beispiel beim Bundesamt für Migration und Flücht-
linge, wo die Telefonhotline angesiedelt ist, halten wir
für den richtigen Weg. Aber wir haben im Moment kei-
nen speziellen Plan, eine besondere Informationskampa-
gne für diese Gruppe aufzulegen. Vielmehr haben wir
ein breit angelegtes Informationsangebot, das wir noch
ausbauen.
– Ich habe es jetzt akustisch nicht verstanden. Entschul-
digung.
Ja, das ist auch verständlich, weil das Mikrofon nicht
angeschaltet ist.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Nein, nein! Ich habe Sie überhaupt nicht verstanden.
Ich schlage vor, wir machen das so: Herr Beck hat
sich nicht ganz an die Geschäftsordnung gehalten. Er er-
klärt es Ihnen hinterher noch einmal genau, und Sie ge-
hen dem Sachverhalt nach, Frau Ministerin.
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ja. – Also, ein Schulterzucken nicht als Antwort, son-
dern weil ich Sie akustisch nicht verstanden habe.
Ein Versuch der mimischen Fragestellung. – Nächster
ist Dr. Karamba Diaby, SPD-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich habe zwei Fra-gen. Die erste Frage bezieht sich auf das IQ Netzwerk;Sie haben es mehrfach erwähnt. Im Rahmen des IQNetzwerks gab es eine Fachgruppe Migration. Menschenmit Migrationshintergrund haben sich hier engagiert, umeinen Beitrag zur effektiven Umsetzung des BQFG zuleisten. Wie bewerten Sie diesen Beitrag der Menschenmit Migrationshintergrund in diesem Bereich?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1953
Dr. Karamba Diaby
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Meine zweite Frage ist: Welche Möglichkeiten siehtdie Bundesregierung, Sozialpartner und Betriebe bei derAnerkennung ausländischer Berufsabschlüsse zu unter-stützen, um auch in diesem Bereich potenzielle Mit-arbeiterinnen und Mitarbeiter zu gewinnen? Wenn wirgemeinsam mehrere gesellschaftliche Kräfte bündeln,haben wir mehr Erfolg; deshalb diese Frage.Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Zu der ersten Frage. Die Mitarbeit derer, die denLänderhintergrund kennen oder die spezielle Situation inDeutschland erfahren haben, ist sehr wertvoll. Das ist indie Überlegungen, das IQ-Förderprogramm finanziellbeträchtlich auszuweiten, mit eingeflossen. Jetzt weißman noch sehr viel mehr als anfangs: Welche sind dierichtigen Wege und Möglichkeiten? An dieser Stelle alsovielen Dank speziell für die Mitarbeit der Menschen mitMigrationshintergrund in den entsprechenden Arbeits-gruppen!Was die Sozialpartner anbetrifft, wird im Berichtdeutlich, dass die Betriebe davon noch viel zu wenigwissen und es viel zu wenig nutzen. Deswegen brauchenwir eine Sensibilisierung der Betriebe über die Kam-mern. Es gibt Einzelfälle, die zeigen – meine Mitarbeiterhaben mir das erzählt –: Wenn das geschehen ist, hatman sehr gute Lösungen gefunden, Menschen gut ver-mittelt, ihre Lebensleistung anerkannt und auch den ent-sprechenden Betrieben geholfen.Da wir der Meinung sind, dass auch die Personalrätebzw. die Betriebsräte ganz wichtig sind, haben wir einProjekt mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund auf denWeg gebracht, bei dem es darum geht, diesen PersonenInformationen zu geben und sie für dieses Thema zu sen-sibilisieren, sodass sie ihre Kenntnisse in das betriebli-che Geschehen einbringen können. Ende April diesesJahres werden wir eine große Fachtagung durchführen.Alle, die in diesem Bereich zu tun haben und an diesemThema interessiert sind, werden dort vertreten sein, na-türlich auch die Sozialpartner und die Arbeitgeber. Indiesem Rahmen werden wir detaillierter besprechen,was gut läuft und was verändert werden sollte, und eswerden Best-Practice-Beispiele vorgestellt.
Danke schön. – Als Nächstem erteile ich Stephan
Albani, CDU/CSU-Fraktion, das Wort, danach Frau Kol-
legin Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen.
Herzlichen Dank. – Frau Ministerin, was tut die Bun-
desregierung jenseits des Anerkennungsgesetzes, um die
Anerkennung ausländischer Fachkräfte in Deutschland
zu erleichtern und sie bei der Antragstellung zu unter-
stützen und zu begleiten?
Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:
Ich würde gern noch einmal auf das schon Genannte
hinweisen. Die OECD bescheinigt Deutschland im all-
gemeinen Sinne ein im Vergleich zu anderen Industrie-
staaten sehr liberales Zuwanderungsrecht. Rechtlich ist
das alles zwar sehr gut angelaufen, aber wir sind trotz-
dem der Meinung: Die Willkommenskultur sollte noch
ausgebaut werden. Deswegen gibt es in den entsprechen-
den Ländern Bemühungen, die Anlauf- und Beratungs-
stellen und die Begrüßungsstellen, die dort vorhanden
sind, noch sehr viel stärker zu unterstützen. Das Image,
das Deutschland viele Jahre hatte – dass wir an Zuwan-
derung nicht so interessiert sind –, können wir natürlich
nur gesamtgesellschaftlich verändern.
Darüber hinaus gibt es die Bluecard für Hochqualifi-
zierte, und es werden Informations- und Werbemaßnah-
men im Ausland durchgeführt. Das geschieht nicht nur
über das Anerkennungsportal, sondern auch im Rahmen
von Messen und auf vielfältigen anderen Wegen. Wir ha-
ben die Berufsbildungszusammenarbeit durch das Inte-
resse an der dualen Ausbildung. Darüber wollen wir in
verstärktem Maße Menschen gewinnen, gerade junge
Menschen. Zu denken ist etwa an das EU-Programm
oder an das Programm, mit dem die Mobilität von jun-
gen Auszubildenden gefördert wird. Das alles sind Maß-
nahmen, die zu dem Anerkennungsgesetz und dem, was
sich darum rankt, dazukommen.
Insgesamt muss man hier vor allen Dingen ein ande-
res Image gewinnen. Das dauert ein bisschen.
Als Letzter in der Runde erteile ich Kollegin Frau
Corinna Rüffer, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.
Vielen Dank. – Ich nutze die Gelegenheit, die Fragevon Volker Beck noch einmal aufzugreifen, die Sie, FrauWanka, leider nicht gehört haben, weil das Mikro abge-stellt war. Ich finde, diese Frage hat eine hohe Berechti-gung.Es geht noch einmal um die Gruppe der Geduldetenund/oder Asylbegehrenden. Diese Personen sind viel-fach, gerade in den ersten Monaten, in Sammelunter-künften, sogenannten Landeseinrichtungen, unterge-bracht. Da ist die Frage: Ist es tatsächlich lebensnah,anzunehmen, dass Personen dieser Gruppe, die zum Teil,und zwar zu einem nicht geringen Teil, sehr qualifiziertsind, Kenntnis davon haben können, dass es eine solcheHotline gibt? Haben sie wirklich die Möglichkeit, andiese Information zu kommen? Wäre es nicht sinnvoll,da noch ein bisschen nachzuhelfen?Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildungund Forschung:Das Letzte kann ich bejahen. Es ist immer sinnvoll,noch etwas zu verstärken. Insgesamt ist dieser Bera-tungsprozess ein sehr komplexer, und der Ansatz, dieVergleichbarkeitseinschätzung zentral, aber Sonstigesindividuell vor Ort zu regeln, ist der richtige.Wenn Sie jetzt speziell an diese Gruppe von Men-schen denken: Es gibt in den einschlägigen Stellen eingroßes Arsenal an entsprechenden Flyern in unterschied-
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1954 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Bundesministerin Dr. Johanna Wanka
(C)
(B)
lichen Landessprachen, in denen darauf aufmerksamgemacht wird, was in Deutschland möglich ist. Im Zu-sammenhang mit dem Thema „Sensibilisierung der Ar-beitgeber und der Betriebsräte“ müssen wir vielleichtnoch einmal stärker darüber nachdenken: Über welcheKanäle können wir die Ansprechpartner für diese Men-schen in noch stärkerem Maße dafür gewinnen, entspre-chend zu informieren? Das nehmen wir gern mit. Daskann man sicher noch besser machen. Aber es ist schonmit bedacht.
Schönen Dank.
Gibt es Fragen zu anderen Themen der heutigen Ka-
binettssitzung? – Das ist nicht der Fall.
Gibt es jetzt sonstige Fragen an die Bundesregierung? –
Das ist auch nicht der Fall. Dann schließen wir die Re-
gierungsbefragung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/947
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ge-
sundheit. Die Frage 1 der Abgeordneten Veronika
Bellmann wird schriftlich beantwortet.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur. Zur Beantwortung steht
der Staatssekretär Enak Ferlemann bereit.
Ich rufe die Frage 2 des Abgeordneten Herbert
Behrens, Fraktion Die Linke, auf:
Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung dem am
26. März 2014 vorgestellten Gutachten des Sachverständigen-
rates für Umweltfragen „Fluglärm reduzieren: Reform-
bedarf bei der Planung von Flughäfen und Flugrouten“ bei der
Erarbeitung ihres im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU
und SPD angekündigten Luftverkehrskonzeptes bei, und wie
wird der SRU konkret in diesen Arbeitsprozess eingebunden?
Herr Staatssekretär, bitte.
E
Sehr geschätzter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen
und Kollegen! Ich beantworte die Frage wie folgt: Die
Bundesregierung wird die umfangreichen Vorschläge
des sogenannten Gutachtens des Sachverständigenrates
sorgfältig prüfen. Dies gilt auch für die geforderte ver-
besserte Transparenz und die Beteiligung der Kommu-
nen und der Öffentlichkeit bei der Festlegung von Flug-
routen. Insofern werden die Handlungsempfehlungen in
die Ausarbeitung eines Luftverkehrskonzepts mit ein-
fließen.
Haben Sie dazu eine Nachfrage, Herr Kollege? –
Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
Sie haben gesagt, Sie würden auf jeden Fall diese Hand-
lungsempfehlungen des Sondergutachtens aufnehmen.
Sie haben also noch keine Teilbereiche aus diesem Gut-
achten identifiziert, die Ihnen dabei helfen, das Luftver-
kehrskonzept in der Frage der Fluglärmreduzierung zu
qualifizieren. Ist es ein Gutachten unter mehreren, oder
ist es das Gutachten, das Sie heranziehen werden?
E
Herr Kollege, ich beantworte das gerne. Es ist ein
Gutachten unter mehreren. Ein Luftverkehrskonzept be-
steht aus vielen Bestandteilen. Dieses Gutachten gibt für
einige Bestandteile eine Anregung. Es ist ein Gutachten,
das vor allem sehr juristische Empfehlungen enthält. In-
sofern werden wir es in die Erstellung des Luftverkehrs-
konzepts einbauen. Aber es wird nicht die einzige
Grundlage sein.
Herzlichen Dank. – Haben Sie noch eine Frage, Herr
Kollege?
Ja, ich habe noch eine zweite Frage dazu. – In dem
Gutachten wird darauf hingewiesen, dass es bezüglich
der Normierung von Fluglärm dazu kommen muss, dass
es verlässliche Werte gibt, die bereits in der Planfeststel-
lung berücksichtigt werden sollen. Ist das ein Punkt, den
Sie bei der Entwicklung eines Luftverkehrskonzeptes
auf jeden Fall aufnehmen werden?
E
Herr Kollege, ob wir das in das Luftverkehrskonzept
so aufnehmen werden, kann ich derzeit noch nicht beur-
teilen. Auf jeden Fall werden wir die Anregung mitbe-
denken.
Schönen Dank. – Als Nächstes eine Frage des Kolle-
gen Petzold, Fraktion Die Linke. Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich würde gerne wis-
sen, in welchem Zeitrahmen Sie die entsprechenden
konzeptionellen Überlegungen vorlegen werden.
E
Dazu kann ich noch keine konkrete Angabe machen,weil wir eine Fülle von Themen haben. Auch die Bun-desländer reichen uns eine große Anzahl an Anregungenein. Die Bundesländer müssen ja gerade beim Thema„Luftverkehrskonzept im Hinblick auf Flughäfen“ in ho-hem Maße beteiligt werden. Das, was geregelt werdenmuss, fällt größtenteils in die Kompetenz der Bundeslän-der. Insofern kann ich noch nicht abschließend sagen,wann wir dieses Konzept vorlegen werden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1955
(C)
(B)
Schönen Dank. – Die Fragen 3 und 4 des Abgeordne-
ten Stephan Kühn werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicher-
heit. Die Frage 5 der Abgeordneten Britta Haßelmann
und die Frage 6 des Abgeordneten Oliver Krischer wer-
den schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung. Die Frage 7
der Abgeordneten Veronika Bellmann wird schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Die Frage 8 der Abgeordneten Sylvia
Kotting-Uhl wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Beantwor-
tung steht Frau Parlamentarische Staatssekretärin Iris
Gleicke bereit.
Die Frage 9 des Abgeordneten Dr. André Hahn und
die Frage 10 der Abgeordneten Dr. Julia Verlinden wer-
den schriftlich beantwortet.
Ich rufe Frage 11 des Abgeordneten Dr. Thomas
Gambke, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung öffentlich erhobene
Forderungen nach
mehr deutschen Fracking-Pilotprojekten, und inwiefern zieht
die Bundesregierung in Betracht, das Verfahren zur Regulie-
rung der Fracking-Technologie in Anbetracht der weiterhin
erfolgenden Vergabe von Lizenzen, zum Beispiel in der Ober-
pfalz, zu beschleunigen?
I
Schönen Dank, Herr Präsident. – Lieber Kollege
Gambke, nach den Ergebnissen verschiedener Gutachten
und Studien ist die Aufsuchung und Gewinnung von
Erdgas aus unkonventionellen Quellen, insbesondere aus
Schiefergas und Kohleflözgas, an Lagerstätten mithilfe
von Verfahren zur hydraulischen Stimulierung des Ge-
steins, Fracking, mit erheblichen Risiken, insbesondere
für das Grundwasser und damit auch für die Trinkwas-
sergewinnung, verbunden.
Wie in der Koalitionsvereinbarung festgehalten, sol-
len zur Verbesserung des Trinkwasserschutzes sowie zur
Verbesserung der Öffentlichkeitsbeteiligung und Trans-
parenz das Wasserhaushaltsgesetz sowie die Verordnung
über die Umweltverträglichkeitsprüfung bergbaulicher
Vorhaben, UVP-V Bergbau, geändert werden.
Erst wenn diese verbesserten rechtlichen Grundlagen
geschaffen wurden und zweifelsfrei geklärt ist, dass eine
nachteilige Veränderung der Wasserbeschaffenheit nicht
zu befürchten ist, kann über mögliche weitere Schritte
gemeinsam mit den Ländern entschieden werden. Dies
soll, so der Wortlaut der Koalitionsvereinbarung, in ei-
nem transparenten Prozess im Dialog mit allen Beteilig-
ten und mit Begleitung von wissenschaftlicher Expertise
erfolgen.
Eine Nachfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau
Staatssekretärin, für Ihre Erläuterungen. Nun muss man
das aber im Lichte der jüngsten Äußerungen aus der Union
bewerten. Ich möchte Sie explizit bitten, die Äußerung zu
kommentieren, die Herr Fuchs, der stellvertretende Frak-
tionsvorsitzende der Union, und der Vorsitzende des Wirt-
schaftsausschusses, also zwei Persönlichkeiten, die sich
mit diesem Thema intensiv befassen, gemacht haben. Sie
deuten an, dass eine Änderung der Haltung der Bundes-
regierung bevorstehen könnte. Dies erscheint auch auf-
grund der Aussage der Kanzlerin möglich, vermehrt
Energie aus Nordamerika, die durch Fracking gewonnen
wird, zu importieren. Insofern meine Nachfrage: Halten
Sie die Äußerungen vonseiten der Union für gegen-
standslos?
I
Wir haben einen Koalitionsvertrag. Wir haben die
Maßnahmen verabredet, die ich Ihnen gerade erläutert
habe, und wir halten den Koalitionsvertrag ein.
Herr Kollege, Sie haben das Wort zu einer zweiten
Nachfrage. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Es ist in der Tat so,
wie Sie es beschrieben haben: Das Ganze ist von der
Umweltministerin praktisch als ein Moratorium be-
schrieben worden. Dennoch gab es Meldungen – Sie
wissen möglicherweise, dass ich bayerischer Abgeord-
neter bin –, die die Vermutung nahelegen, dass sehr
kurzfristig Pilotprojekte in Gang gesetzt werden. Ange-
sichts des von Ihnen beschriebenen, erst einmal relativ
umfänglichen Weges – ihn zu beschreiten, dürfte ein bis
zwei Jahre dauern – möchte ich fragen: Teilen Sie die
Auffassung, dass Pilotprojekte für die nächsten zwei
Jahre auszuschließen sind?
I
Kollege Gambke, im Koalitionsvertrag steht, dass wirdie verbesserten Bedingungen, was den Schutz desTrinkwassers und die UVP angeht, unverzüglich umset-zen wollen. Das heißt, es kann nicht von Jahren die Redesein. Wir streben den Sommer dieses Jahres an. Sie wis-sen, dass unser Haus gerade mit der EEG-Novelle undanderem heftig belastet ist. Was unseren Anteil an derUVP angeht, streben wir dennoch eine schnelle Lösungan. Wir sind mit dem Bundesumweltministerium natür-lich in Kontakt, was das Wasserhaushaltsgesetz angeht.Insofern werden wir zügig arbeiten.
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1956 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Parl. Staatssekretärin Iris Gleicke
(C)
(B)
Das Problem ist – das sprachen Sie indirekt an – dieLizenzvergabe. Sie fällt unter das Länderrecht: Die Län-der können Lizenzen vergeben. Aber aus dieser Lizenz-vergabe entsteht noch nicht das Recht für eine Betriebs-erlaubnis; das will ich noch einmal ausdrücklich sagen.Sie wissen, dass zum Beispiel die Länder Niedersachsenund Hessen ein klares Moratorium beschlossen haben.Wir werden jedenfalls zügig unsere Arbeit erledigen.
Eine Frage der Kollegin Kerstin Kassner, Fraktion
Die Linke. Bitte.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Gleicke, ist es
nicht so, dass die gegenwärtig laufenden Veränderungen
der Umweltverträglichkeitsprüfung hinsichtlich des
Bergrechts sozusagen Anlass dafür sind, die Möglichkeit
des Frackings auch vorzubereiten, und können Sie sich
vorstellen, dass das bei den Betroffenen gerade in touris-
tischen Regionen sehr große Verunsicherung auslöst?
I
Über Fracking wird schon seit vielen Jahren disku-
tiert. Wir kennen die Hinweise darauf, dass die einge-
brachten Chemikalien unter Umständen das Trinkwasser
gefährden können, und wissen, dass Fracking in touristi-
schen Regionen nicht gerade Beifallsstürme auslöst. Das
wissen wir beide, weil wir auch im Tourismusausschuss
miteinander arbeiten. Insofern nehme ich, nimmt die
Bundesregierung die Bedenken sehr ernst. Wir bleiben
aber dabei, dass das, was wir im Koalitionsvertrag mitei-
nander vereinbart haben – diese beiden Gesetzesände-
rungen zur Verbesserung der Situation der Betroffenen,
was Anhörungsverfahren usw. angeht –, abgearbeitet
werden muss. Dann haben wir eine gute Rechtsgrund-
lage.
Danke schön.
Dann kommen wir zu den Fragen des Kollegen
Andreas Mattfeldt, CDU/CSU-Fraktion, zunächst zu
Frage 14:
Hält die Bundesregierung vor dem Hintergrund der aktuel-
len politischen Lage im Verhältnis zu Russland den geplanten
Verkauf der RWE Dea AG an die Investmentgesellschaft Let-
ter One – hinter der der russische Oligarch Michail Fridman
steht; vergleiche Handelsblatt vom 16. März 2014: „RWE
gibt Dea-Zuschlag an russischen Oligarchen“ – mit den ver-
hängten und eventuell noch zu erwartenden weiteren Sanktio-
Frau Staatssekretärin, bitte.
I
Schönen Dank. – Herr Präsident, lieber Kollege
Mattfeldt, ich würde beide Fragen, weil sie im Zusam-
menhang stehen, gerne gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich noch die Frage 15 des Kollegen
Andreas Mattfeldt auf:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung
hieraus, bzw. welche Möglichkeiten sieht die Bundesregie-
rung, zu handeln?
I
Die Bundesrepublik Deutschland ist offen für Investi-
tionen aus dem Ausland, auch im Energiebereich. Die
Versorgungssicherheit in Deutschland wird durch den
geplanten Verkauf nicht gefährdet, da RWE Dea ein glo-
bal, auf dem Weltmarkt agierendes Unternehmen ist.
Auch steht nicht zu befürchten, dass die deutsche Förde-
rung durch den Verkauf beeinträchtigt wird. Da durch
das Erwerbsvorhaben die Versorgungssicherheit in
Deutschland nicht tangiert wird, kann in dieser Hinsicht
auch keine Gefährdung der öffentlichen Ordnung und
Sicherheit im Sinne des Außenwirtschaftsgesetzes ange-
nommen werden.
Im Übrigen ermöglicht das Außenwirtschaftsgesetz
die sektorenübergreifende Prüfung ausländischer Inves-
toren nur, soweit es sich um Erwerber handelt, die nicht
in der EU ansässig sind. Treten als Erwerber unionsan-
sässige Gesellschaften auf, kann eine Prüfung nur statt-
finden, wenn das Geschäft als Umgehungsgeschäft an-
zusehen ist. Ob ein solches Umgehungsgeschäft beim
Erwerb von RWE Dea vorliegt, kann erst beurteilt wer-
den, wenn vertraglich feststeht, welche juristische Per-
son letztendlich als Erwerber auftreten wird.
Die von der EU vor dem Hintergrund der Ukraine-
Krise bislang beschlossenen Sanktionsmaßnahmen ste-
hen einem eventuellen Verkauf nicht entgegen.
Zusatzfrage? – Kollege Mattfeldt.
Herzlichen Dank. – Frau Staatssekretärin, Sie könnensich vorstellen, dass sich in der Region, aus der ichkomme, wo bislang die RWE Dea Konzessionär des Ge-bietes war, in der Bevölkerung, ich sage jetzt mal, einegewisse Angst breitmacht. Wir haben eben über den Be-reich Fracking gesprochen. Die Erdgasförderung gehtaber in vielen Bereichen, liebe Kollegen von den Grü-nen, sehr viel weiter.Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, ich habe schon einwenig meine Probleme damit, wenn wir Sanktionen ge-gen Russland auch in den Medien immer wieder hand-fest verbal äußern, aber dann, wenn es um Detailfragengeht, wo Handeln gefragt ist, das Handeln doch ein we-nig anders aussieht bzw. es keine Sanktionen gibt. Des-halb meine Frage: Ist Ihnen bekannt, welche Mengen anGas die RWE Dea sich weltweit gesichert hat, nicht nurin Deutschland, sondern auch in Nordafrika, in Libyenund in Ägypten?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1957
(C)
(B)
I
Herr Mattfeldt, die genauen Zahlen kann ich Ihnen
jetzt so nicht nennen. Ich würde sie Ihnen gerne, so wir
die im Haus zur Verfügung haben, zukommen lassen.
Ich möchte aber noch einmal auf den Bereich Sank-
tionen zurückkommen. Sie wissen, dass die Sanktionen,
die in der EU beschlossen worden sind, sehr vorsichtige
Sanktionen sind. Es handelt sich nicht um Wirtschafts-
sanktionen; die sind ja die dritte Stufe, die erst dann dis-
kutiert wird, wenn Russland zur weiteren Destabilisie-
rung der Ukraine – zum Beispiel im Süden und im Osten
der Ukraine mit vornehmlich russisch sprechender Be-
völkerungsmehrheit – beiträgt. Wir raten hier allerdings
auch zu großer Vorsicht und Sorgfalt.
Demzufolge will ich noch einmal deutlich machen,
dass die Sanktionen, die jetzt beschlossen wurden, ganz
gezielt gegen Leute gerichtet sind, die persönlich Verant-
wortung für die Abspaltung der Krim haben. Zu diesen
Leuten gehört der Investor, der hinter dieser Gesellschaft
steht, nicht.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage? – Bitte schön, Kol-
lege Mattfeldt.
Ich habe noch eine Zusatzfrage, weil es viele Teile der
Bevölkerung nicht verstehen, dass wir in diesen Tagen
über den Ersatz von russischem Gas sprechen, während
es gleichzeitig noch einen weiteren Fall eines Tauschge-
schäftes gibt, nämlich die Übernahme des größten Erd-
gasspeichers in Deutschland durch die Firma Gazprom.
Es ist der Bevölkerung nur schwerlich zu erklären, wa-
rum wir verbal Ersatz für russisches Gas suchen, gleich-
zeitig aber dem zweitreichsten russischen Mann, dem
Oligarchen Fridman, unsere Energiespeicher verkaufen.
Deshalb lautet meine Frage ganz konkret: Wie viele
Erdgasspeicher sind derzeit betroffen, und wie lange
– vielleicht können Sie die Antwort auch schriftlich
nachreichen – könnte mit diesen Erdgasspeichern eine
Versorgungssicherheit in Deutschland gewährleistet
werden?
I
Herr Kollege Mattfeldt, ich will noch einmal darauf
hinweisen: Bei dem Verkauf der RWE Dea handelt es
sich um den Verkauf eines Unternehmens, das Erdgas
fördert.
Die Letter-One-Gruppe, um die es hier geht, ist ein
luxemburgisches Unternehmen. Sie gehört Herrn
Fridman, aber Herr Fridman steht nicht auf der Liste der
von Sanktionen Betroffenen. Das Außenwirtschaftsge-
setz gibt uns keine Handhabe, dieses in Europa ansässige
Unternehmen Letter One zu überprüfen.
Zum Asset-Tausch und zu den Gasspeichern will ich
noch einmal deutlich sagen, dass es sich hierbei um ein
Joint Venture handelt. Daran ist Gazprom Germania,
also auch ein in Europa ansässiges Unternehmen, betei-
ligt, und insofern gibt uns das Außenwirtschaftsrecht
auch dort keine Handhabe, Investitionen zu versagen.
Das wäre nur möglich, wenn die öffentliche Ordnung
und Sicherheit gefährdet wären.
Da diese Gasspeicher deutschem Recht unterliegen
und diskriminierungsfrei zugänglich sein müssen – die
Speicherunternehmen stellen zwar die Speicher zur Ver-
fügung, befüllt werden diese aber über Handelsgesell-
schaften –, sehen wir an dieser Stelle keine Gefahr hin-
sichtlich der Versorgungssicherheit.
Schönen Dank.
Damit verlassen wir den Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Energie und kom-
men zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts. Zur
Beantwortung steht Staatsminister Michael Roth bereit.
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Inge Höger, Frak-
tion Die Linke, auf:
Wie beurteilt die Bundesregierung angesichts der Verurtei-
lung von 529 Menschen zum Tode in einem einzigen Ge-
richtsprozess am 24. März 2014 die Rechtsstaatlichkeit Ägyp-
tens, und welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung
hinsichtlich ihrer Beziehungen zum ägyptischen Staat?
Bitte, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Höger,die Bundesregierung ist angesichts der Nachrichten überdie Todesurteile gegen Hunderte von Muslimbrüdernbzw. Anhängern der Muslimbruderschaft in der Arabi-schen Republik Ägypten außerordentlich beunruhigt.Sowohl die Urteile selbst als auch die Verfahren wider-sprechen nach dem Verständnis der Bundesregierung in-ternationalen rechtsstaatlichen Standards und menschen-rechtlichen Grundsätzen, zu denen sich auch Ägyptenverpflichtet hat. Diese Urteile sind zudem dazu geeignet,Ägypten in einer an sich schon schwierigen Phase, in derein inklusiver politischer Prozess und eine Politik der na-tionalen Verständigung und der Versöhnung notwendigwären, weiter zu destabilisieren.Im Übrigen ist die Bundesregierung der Auffassung:Die Todesstrafe ist eine unmenschliche Form der Bestra-fung. Wir lehnen sie ausdrücklich ab, und wir haben dieägyptischen Instanzen aufgefordert, das Urteil aufzuhe-ben, den Angeklagten faire Verfahren zu ermöglichenund weitere Massenverfahren auszusetzen. Hierzuwurde der ägyptische Botschafter am 26. März 2014 zueinem ausführlichen Gespräch ins Auswärtige Amt ge-beten.Die Bundesregierung weiß sich in ihrer Position imEinklang mit den europäischen Partnern und auch mitden Vereinten Nationen.
Metadaten/Kopzeile:
1958 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
(C)
(B)
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Herr Staatsminister Roth, gibt es vonseiten der Bun-
desregierung Konsequenzen, zum Beispiel in Sachen Si-
cherheitskooperation, der Zusammenarbeit bei der Poli-
zei, mit dem Militär und mit dem Geheimdienst, um die
ägyptische Regierung zu veranlassen, die Todesstrafen
auszusetzen und in Zukunft keine mehr zu verhängen?
Frau Kollegin Höger, die Zusammenarbeit mit Ägyp-
ten im gesamten Sicherheitsbereich inklusive der Polizei
ist bereits seit August 2013 vor dem Hintergrund der in-
nenpolitischen Lage, die wir genauso wie Sie kritisch
bewerten, ausgesetzt. Darüber hinaus achtet die Bundes-
regierung selbstverständlich die Schlussfolgerungen des
Rats für auswärtige Beziehungen.
Wir haben dazu seitens der Europäischen Union am
21. August 2013 eindeutig reagiert und entsprechende
Maßnahmen beschlossen. Diese setzen wir als Bundes-
regierung konsequent um. Das heißt, es gibt seitdem
keine Ausfuhrgenehmigungen für Rüstungsgüter sowie
genehmigungspflichtige Dual-Use-Güter, die zum Zwe-
cke der internen Repression verwendet werden könnten.
Darüber hinaus werden solche Güter nicht von Deutsch-
land aus in Richtung Ägypten zollamtlich abgefertigt. Es
gibt auch keinerlei Zusammenarbeit mehr im Bereich
der Terrorismusbekämpfung. Der einzige Bereich, in
dem wir noch Kontakte haben, ist der des nachrichten-
dienstlichen Informationsaustausches.
Ich will noch kurz darauf hinweisen, dass wir im Be-
reich der militärischen Ausbildungshilfe für dieses Jahr
13 Projekte geplant hatten. Es geht hier um die Spra-
chenfertigkeit. Zwei wurden abgebrochen, vier Maßnah-
men wurden beendet, und sieben Maßnahmen stehen
noch aus.
Noch eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Höger?
Unterstützt die Bundesregierung die Forderung von
Amnesty International nach einem Moratorium für
Ägypten?
Es wäre zu fragen, um welche Art des Moratoriums es
sich handelt. Ich habe ja schon darauf hingewiesen, dass
es im Bereich der gesamten Sicherheit keinerlei Koope-
ration mehr gibt. Ich gehe nicht davon aus, dass sich das
auch auf die entwicklungspolitische Kooperation, die
politische oder die rechtsstaatliche Kooperation bezieht.
Schönen Dank.
Die Frage 17 der Abgeordneten Inge Höger wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 der Abgeordneten Annette
Groth, Fraktion Die Linke, auf:
Welche konkreten Schritte hat die Bundesregierung unter-
nommen, um dem seit über 500 Tagen per Ausreisesperre in
Bahrain festgehaltenen deutschen Staatsbürger J. Z. konsula-
risch beizustehen?
Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Groth,
der deutsche Staatsangehörige wird seit September 2012
von der deutschen Botschaft in Manama konsularisch
betreut. Der Bürger beantragte, da er im Zuge der
Ausreisesperre über keinerlei eigene Einkünfte mehr
verfügte, zunächst Auslandssozialhilfe. Diese wurde
durch den zuständigen Sozialhilfeträger in Hamburg-
Wandsbek im September 2012 zugesagt. Wir haben das
über unsere Botschaft ausgezahlt. Im Februar dieses Jah-
res teilte der Bürger uns bzw. dem Sozialhilfeträger, aber
auch der deutschen Botschaft mit, dass er aufgrund einer
neuen beruflichen Tätigkeit im Königreich Bahrain
keine weiteren Sozialhilfezahlungen mehr benötige.
Wir haben uns über unsere Botschaft wiederholt mit
dem Verfahren vertraut gemacht. Wir haben uns mit dem
bestellten amtlichen Rechtsbeistand ausgetauscht, um
die Möglichkeiten einer möglichst raschen Entscheidung
und Aufhebung der Ausreisesperre zu klären. Die Bun-
desregierung hat sich auch in politischen Gesprächen für
die Aufhebung der Ausreisesperre eingesetzt. Im Sep-
tember 2013 fand dazu im Auswärtigen Amt ein Ge-
spräch mit dem Botschafter von Bahrain zur Lage des
Bürgers statt.
Die deutsche Botschafterin und der Beauftragte des
Auswärtigen Amts für Nah- und Mittelost und Maghreb
haben sich in zahlreichen bilateralen Gesprächen gegen-
über hochrangigen bahrainischen Regierungsmitgliedern
für eine baldige und umfassende Lösung eingesetzt.
Danke schön. – Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin
Groth? – Bitte.
Das ist ein ganz komplizierter und merkwürdiger Fall,
ehrlich gesagt. Vielleicht können Sie mir Folgendes er-
klären, was ich nicht verstehe: Mir liegen Informationen
vor, dass die deutsche Botschaft dem Bürger die nach
dem Konsulargesetz mögliche Rechtshilfe nicht erteilt
hat. Er kann das Land Bahrain immer noch nicht verlas-
sen. Wieso dauert das so lange? Was ist der Grund da-
für?
Das waren zwei Fragen in einer. Ich will sie Ihnenkurz beantworten. In Bahrain gibt es – wie im Übrigenauch in anderen Staaten der Golfregion – das Instrumentdes Travel Ban. Das ist eine ganz gängige Praxis in ge-richtlichen Streitverfahren aller Art, in die Ausländereinbezogen sind. Das heißt, es werden für die Dauer des
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1959
Staatsminister Michael Roth
(C)
(B)
jeweiligen Verfahrens Ausreisesperren zur Sicherungmöglicher Ansprüche vollzogen.Ihre zweite Frage war: Wie steht es um die Konsular-hilfe? Dem Bürger wurde in dem von ihm angestrengtenEilverfahren gegen die Ausreisesperre ein Rechtsbei-stand zur Seite gestellt. Die Kosten für diesen Rechtsbei-stand wurden vom bahrainischen Staat übernommen.Wir haben selbstverständlich den Antrag auf Konsular-hilfe geprüft. Aber die Voraussetzungen zur Kostenüber-nahme für die Bestellung des amtlichen Rechtsbeistan-des waren nicht gegeben, weil die Kosten vom StaatBahrain übernommen worden sind.
Sie haben noch eine zweite Zusatzfrage. Bitte.
Ich habe noch eine Frage zu den Kosten. Bahrain hat
in der Tat die Prozesskosten für das Eilverfahren gegen
den Travel Ban übernommen, aber nicht für das Haupt-
verfahren, in dem es um den Streit zwischen den beiden
Firmen geht. Deswegen darf er nämlich nicht ausreisen.
Insofern habe ich mich gefragt, was dahintersteckt.
Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. So be-
dauerlich das aus Ihrer Sicht und aus der Sicht der Bun-
desregierung ist: Dieser Fall des deutschen Bürgers ist in
Bahrain zwar ein Einzelfall, auch was die Dauer angeht,
aber es ist eine nicht nur in Bahrain übliche Praxis in den
Golfstaaten, die unserem Rechtsverständnis nicht ent-
spricht.
Wir kommen zu der damit im Zusammenhang stehen-
den Frage 19 der Kollegin Annette Groth:
Was hat die Bundesregierung in Sachen Ausreisesperren
auf Ebene der Europäischen Union unternommen?
Herr Staatsminister, bitte.
Ich habe eben bereits darauf hingewiesen, dass der
Bürger seit September 2012 von unserer Botschaft in
Manama konsularisch betreut wird. Das ist der erste
Punkt.
Der zweite Punkt: Das Thema Ausreisesperren wird
derzeit auf Ebene der Europäischen Union nicht ver-
folgt.
Warum wird das auf EU-Ebene nicht weiter verfolgt?
Mich interessiert, wie viele Bürgerinnen und Bürger der
EU-Mitgliedstaaten davon betroffen sind. Mir ist zum
Beispiel noch der Fall einer deutschen Journalistin be-
kannt, die zwei Jahre lang nicht aus Katar ausreisen
durfte.
Es ist in der Tat eine sehr schwierige und, für mich je-
denfalls, nicht nachvollziehbare Regelung, die Katar,
Bahrain und andere arabische Staaten verabschiedet ha-
ben. Ich denke, es ist im Interesse von uns allen, in die-
sem Zusammenhang etwas Licht ins Dunkel zu bringen,
wenn ich das so sagen darf.
Frau Kollegin Groth, ich kann Ihnen nur etwas zu den
Fällen deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger in
Bahrain sagen, und dieser Fall ist in Bahrain ein Einzel-
fall. Sie können sich sicher sein, dass sich die Bundes-
regierung in dem von Ihnen genannten Fall durch eine
Vielzahl politischer Kontakte mit der bahrainischen Re-
gierung dafür einsetzt, dass es zu einem möglichst ra-
schen Verfahrensabschluss kommt, um den Eingriff in
das Recht des Betroffenen auf Freizügigkeit unverzüg-
lich zu beenden.
Ich habe aber eben auch von einer Journalistin ge-
sprochen, die in Katar festgehalten wurde. Es mag sein,
dass der Betroffene in Bahrain ein Einzelfall ist. Das
weiß ich nicht genau. Aber es scheinen durchaus meh-
rere Bürgerinnen und Bürger von Travel Bans in diesen
Ländern betroffen zu sein.
Ich hatte Ihnen schon geschildert, dass dies ein übli-
ches Verfahren in den Golfanrainerstaaten ist. In der
Vorbereitung auf Ihre Fragen habe ich mich ausschließ-
lich mit dem Fall Bahrain beschäftigt. Dort ist dies
glücklicherweise ein Einzelfall. Wenn Sie weitere Fra-
gen zu anderen Staaten haben, steht es Ihnen frei, die
Bundesregierung noch einmal zu fragen.
Okay, danke schön.
Schönen Dank.
Damit kommen wir zur Frage 20 der Kollegin
Marieluise Beck von den Grünen:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus dem
Vertragsbruch des Budapester Memorandums durch Anne-
xion der Krim durch die Russische Förderation, und was be-
deutet nach Ansicht der Bundesregierung der Bruch dieses
Vertrags für die zukünftige atomare Abrüstungspolitik?
Herr Staatsminister, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Bundesregierunghat keinerlei Zweifel daran gelassen, dass das VorgehenRusslands auf der Krim völkerrechtswidrig und politischinakzeptabel ist. Die Europäische Union hat in dieser Si-tuation geschlossen, deutlich und rasch reagiert. DieBundesregierung hat sich zugleich gemeinsam mit ihrenPartnern in den letzten Wochen beharrlich um eine poli-tische Lösung bemüht. Sie können sich darauf verlassen:Das werden wir auch weiter tun.Russland missachtet seine Verpflichtungen sowohlaus dem allgemeinen Völkerrecht als auch aus dem 1994am Rande des Gipfels der Organisation für Sicherheit
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und Zusammenarbeit in Europa von den VereinigtenStaaten von Amerika, dem Vereinigten Königreich vonGroßbritannien und Nordirland und der Russischen Fö-deration unterzeichneten sogenannten Budapester Me-morandum. Das russische Vorgehen schwächt auch denNichtverbreitungsvertrag. Sowohl die Bundeskanzlerinals auch andere Vertreter der Bundesregierung habendies beim Gipfel für Nukleare Sicherheit am 24./25. März in Den Haag sehr deutlich angesprochen.Künftig – das ist unsere Sorge – könnten aus Sicht derBundesregierung Nichtkernwaffenstaaten somit begrün-deten Anlass haben, derartigen Erklärungen Russlandszu misstrauen. Dies könnte Rückwirkungen auch auf un-sere Bemühungen haben, zu konkreten Abrüstungsfort-schritten zu kommen.
Zusatzfrage, Frau Kollegin.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Herr Staatsminister, nun ist Russland, das den von
ihm selbst unterzeichneten Vertrag nicht achtet, auch
Partner in den Verhandlungen mit dem Iran, in denen es
darum geht, die Nachbarländer und die Staatengemein-
schaft davor zu bewahren, dass es dem Iran gelingt, eine
atomare Bombe zu erlangen. Wie kann ein Partner, der
so offensichtlich vertragsbrüchig geworden ist, ein hilf-
reicher Partner in diesen Verhandlungen sein?
In der Vergangenheit hat Russland sowohl bezogen
auf Syrien und die dortige Vernichtung der Chemiewaf-
fen als auch bezogen auf die massiven Probleme im Iran
eine konstruktive und verantwortungsvolle Rolle ge-
spielt. Wir erwarten auch zukünftig, dass Russland einen
Beitrag im Iran zu leisten versucht. Nichtsdestotrotz ist
das natürlich ein Vertrauensbruch und erleichtert die
Verhandlungen mit dem Iran sicherlich nicht.
Herzlichen Dank. – Die Fragen 21 und 22 des Abge-
ordneten Hans-Christian Ströbele und die Fragen 23 und 24
der Abgeordneten Christine Buchholz werden schriftlich
beantwortet.
Wir kommen zur Frage 25 der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, Fraktion Die Linke:
Welche Kenntnisse liegen der Bundesregierung über eine
auf YouTube online gestellte Audioaufnahme vor, bei der der
Außenminister Ahmet Davutoglu, Geheimdienstchef Hakan
Fidan, Unterstaatssekretär Feridun Hadi Sinirlioglu und Vize-
armeechef Yasar Güler über einen völkerrechtswidrigen An-
griffskrieg gegen Syrien und einen notfalls zu schaffenden
rechtfertigenden Grund für den Angriffskrieg beraten, wie
beispielsweise einen selbst vorgetäuschten Raketenbeschuss
die Bundesregierung vor dem Hintergrund der möglichen Vor-
bereitung eines Angriffskrieges aus völkerrechtlicher Sicht
auch für den Bundeswehreinsatz in der Türkei im Rahmen der
Patriot-Stationierung?
Bitte, Herr Staatsminister.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Die Bundesregierung
kann die Vollständigkeit, aber auch die Authentizität der
im Internet eingestellten Audioaufnahmen nicht ein-
schätzen. Wir nehmen grundsätzlich zu offensichtlich il-
legal beschafften Aufnahmen nicht Stellung.
Haben Sie zu dieser Antwort noch eine Zusatzfrage,
Frau Kollegin?
Herr Staatsminister, das ist vor dem Hintergrund, dass
die türkische Regierung selbst schon Teile dieses Videos
bestätigt hat, auch wenn es illegal erworben wurde, be-
merkenswert. Vor dem Hintergrund, dass sich deutsche
Bundeswehrsoldaten im Rahmen der Stationierung von
Patriot-Abwehrraketensystemen an der türkisch-syrischen
Grenze befinden, ist es auch bemerkenswert, dass die
deutsche Bundesregierung keine Stellung beziehen
möchte und sich hinter der Aussage versteckt, sie könne
die Authentizität nicht feststellen.
Deshalb meine Frage: Stimmen Sie mir zu, dass je-
mand, der die Vorbereitung für die Entfesselung eines
Angriffskrieges mit Vorwänden wie die für den Tonkin-
Zwischenfall 1964 oder das Racak-Massaker 1999 be-
treibt, vor den Strafgerichtshof gehört? Wird die Bun-
desregierung daher eine audioforensische Untersuchung,
die der Bestätigung der Authentizität dieses Videos
dient, in die Wege leiten, was übrigens nicht allzu viel
kostet?
Frau Kollegin, lassen Sie mich anführen, dass die
Türkei durch die Nachbarschaft zum Bürgerkriegsland
Syrien direkt von den Folgen des Konflikts betroffen ist.
Die Türkei hat sich in den vergangenen Monaten und
Jahren sehr besonnen verhalten, und das, obwohl 72 Zi-
vilisten durch syrische Angriffe zu Tode gekommen
sind. Auf Beschuss grenznahen türkischen Territoriums
hat sie immer nur reagiert.
Die Bundesregierung ist im ständigen Gespräch mit
der Türkei. Wir haben derzeit keinen Grund zu der An-
nahme, dass die Türkei diese Politik zu ändern beab-
sichtigt. Wir haben von Anfang an zu Besonnenheit
aufgerufen. Wir erwarten, dass sich die Türkei als
NATO-Mitgliedsland verantwortungsbewusst und be-
sonnen verhält, dass alle bündnisrelevanten Fragen mit
der NATO beratschlagt werden und dass die NATO bzw.
die Alliierten konsultiert werden. Dies haben wir in allen
Gesprächen mit der türkischen Seite immer wieder deut-
lich gemacht.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage dazu?
Ja, das habe ich, Herr Präsident.
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Bitte.
Ich möchte das kurz Revue passieren lassen. Herr
Minister, der türkische Außenminister, der türkische Ge-
heimdienstchef Fidan und der Vizegeneralstabschef tref-
fen sich, und der Geheimdienstchef sagt: Wenn es nötig
ist, kann ich vier Männer nach Syrien schicken. Ich
würde sie acht Granaten auf die türkische Seite abfeuern
lassen und so einen Vorwand für einen Krieg schaffen.
Wenn nötig, kann auch ein Angriff auf die Grabstätte er-
folgen. – Vor dem Hintergrund, dass Bundeswehrsolda-
ten im Rahmen der Stationierung der Patriot-Abwehrra-
ketensysteme und die NATO vor Ort sind, möchte ich
Sie gerne fragen – auch weil das Erdogan-Regime wie-
derholt versucht, einen Einmarsch nach Syrien zu legiti-
mieren, und weil die Bundesregierung aufgrund von
NATO-Berichten weiß, dass alle Vorwände der türki-
schen Regierung einschließlich der Grundlage für die
Stationierung der Patriot-Abwehrraketensysteme erlo-
gen sind –: Welche Konsequenzen könnte ein Krieg, der
von der türkischen Seite vom Zaun gebrochen wird, für
die Stationierung der Bundeswehr haben, und ist die
Bundesregierung dann gewillt, in diesen Krieg zu zie-
hen, der unter konstruierten Vorwänden von der türki-
schen Regierung ausgelöst wurde?
Ich hatte Ihnen schon mitgeteilt, dass die derzeitigen
Reaktionen der türkischen Regierung rein reaktiv und
defensiv sind, dass das NATO-Engagement – auch mit
Unterstützung der Bundesrepublik Deutschland – rein
defensiv ist, dass wir bislang keinen Zweifel an Politik
und Ausrichtung der Türkei hatten und dass wir in allen
Gesprächen mit der türkischen Regierung darauf hinge-
wiesen haben, dass wir erwarten, dass die Politik, die
rein defensiv ausgerichtet ist, auch so fortgesetzt wird.
Kollege Beck hat dazu eine Frage. Bitte.
Ich habe zwar Ihren Eingangsdiskurs nicht gehört,
aber Ihren Antworten entnehme ich, dass Sie noch keine
Bewertung zu dem abgegeben haben, was im Internet
veröffentlicht wurde. Unabhängig davon, dass ich den
Einsatz unterstütze und dass es sich um eine NATO-Ver-
pflichtung handelt, bei der die grundsätzliche defensive
Ausrichtung nicht infrage steht, frage ich Sie: Wie be-
wertet denn die Bundesregierung die Information, dass
es in der türkischen Regierung Gespräche gab, in denen
zumindest erörtert wurde, ob sich ein Angriff auf Syrien
von der Türkei sozusagen inszenieren ließe, um so, wenn
nicht klar wird, dass das gefaket ist, den Bündnisfall her-
vorzurufen? Kann die Bundesregierung sagen, dass
diese Information falsch ist, und wenn nicht, welchen
Stellenwert der Bewertung hat diese Information nach
Erkenntnissen unserer Dienste und der Bundesregie-
rung?
Herr Präsident, lieber Kollege Beck, ich hatte schon
in meinem Eingangsstatement darauf hingewiesen, dass
sich die Bundesregierung grundsätzlich nicht zu illegal
beschafften Aufnahmen äußert.
Es ist etwas komplizierter.
– Alles recht. Der Punkt ist nur: Es dient der Frage-
stunde, wenn alle Beteiligten den Fragenkomplex, zu
dem gefragt wird, auch von Anfang bis Ende verfolgen.
– Wir verteidigen alle Parlamentsrechte freudig und kon-
sequent. Deswegen geben wir jetzt dem Kollegen
Hunko, der sich gemeldet hat, gemäß dem Parlaments-
recht das Wort zu einer weiteren Frage.
Herr Staatsminister, wenn ein solcher Fall eintreten
würde, wie die – Sie sagen: illegal beschaffte – Tonband-
aufnahme vermuten lässt, wenn also ein Kriegsgrund in-
szeniert würde und Sie darüber Informationen hätten:
Welche Konsequenzen würden Sie daraus für die Statio-
nierung der „Patriot-Soldaten“ an der türkischen Grenze
ziehen? Es würde sich schließlich um einen ganz klaren
Fall von Völkerrechtsbruch handeln.
Herr Kollege Hunko, ich will noch einmal in Erinne-rung rufen, wie die derzeitige Situation in der Türkeiaussieht. Die Türkei ist ein unmittelbares Nachbarlanddes Bürgerkriegslandes Syrien. Bei den bisherigenGrenzzwischenfällen sind 72 türkische Zivilisten durchAngriffe aus Syrien umgekommen. Über 800 000 syri-sche Flüchtlinge leben derzeit auf dem türkischen Staats-gebiet und sind dort untergebracht. Die bisherige türki-sche Politik war auf eine rein defensive Reaktionausgerichtet. Die NATO hat die Verteidigung der Türkeientsprechend unterstützt und flankiert, unter anderemauch durch den Patriot-Einsatz. Wir weisen in allen Ge-
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Staatsminister Michael Roth
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sprächen mit der Türkei darauf hin, dass wir davon aus-gehen, dass es keinerlei Änderungen an der bisherigenPolitik gibt, die von uns als besonnen, verantwortungs-voll und verantwortungsbewusst eingestuft wird.
Schönen Dank. – Als Nächstes hat die Kollegin
Höger, Fraktion Die Linke, das Wort zu einer Nachfrage.
Herr Staatsminister Roth, ist Ihnen nicht bekannt,
dass die türkische Regierung schon seit längerem jiha-
distische Gruppen unterstützt, Waffenlieferungen über
die Grenze zulässt und ihnen die Türkei als Rückzugsge-
biet zur Verfügung stellt? Wie kann man da noch von ei-
ner neutralen Rolle der Türkei sprechen?
Ich habe nicht von einer neutralen Rolle der Türkei
gesprochen. Das ist auch schlechterdings nicht möglich,
weil die Türkei mehrfach und wiederholt vom syrischen
Staatsgebiet aus angegriffen wurde. Sie hat darauf re-
agiert, sie hat sich verteidigt, und sie wird im Rahmen
der Bündnisverpflichtungen auch dabei von NATO-Ein-
heiten unterstützt. Aber auch diese haben einen rein de-
fensiven Charakter.
Wir kommen zur Frage 26 der Abgeordneten Sevim
Dağdelen, die Linke:
aktuell über den Abschuss eines syrischen Kampfflugzeuges
am 23. März 2014 vor, das nach Angaben türkischer Behör-
den den türkischen Luftraum verletzt haben soll und auf syri-
die Bundesregierung analog zum vermeintlichen Abschuss ei-
nes türkischen Kampfflugzeuges vom Typ F-4 Phantom am
22. Juni 2012 auf die Angaben der türkischen Regierung ver-
deren ursprüngliche Darstellung des Zwischenfalls unzutref-
fend war , und in welcher Form war die
Integrierte Luftverteidigung der NATO – NATINADS – in
den Abschuss des syrischen Kampfflugzeuges involviert?
Herr Staatsminister, bitte.
Danke, Herr Präsident. – Frau Kollegin Dağdelen, am
23. März 2014 kam es zum Abschuss eines syrischen
Kampfflugzeuges durch türkische Luftverteidigungs-
kräfte unter nationaler türkischer Führung. Dazu liegen
der Bundesregierung keine eigenen Erkenntnisse vor.
Der in den Erklärungen des türkischen Außenministe-
riums bzw. des türkischen Generalstabs benannte Luft-
raum liegt außerhalb der Bereiche, die durch die Radar-
systeme der in Kahramanmaras stationierten deutschen
Patriot-Systeme erfasst werden können.
Schönen Dank. – Erste Nachfrage. Bitte schön, Frau
Kollegin Dağdelen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatsminister,
die integrierte Luftverteidigung der NATO beinhaltet
nicht nur die Stationierung deutscher Patriot-Einheiten.
Sie haben gesagt, dass Sie keine eigenen Erkenntnisse
haben. Normalerweise liegen auch geheimdienstliche In-
formationen vor, die die Bundesregierung, wenn sie In-
teresse hat, abrufen kann, was normalerweise der Fall
ist. Insofern möchte ich gerne wissen, inwieweit die inte-
grierte Luftverteidigung der NATO vorausgegangene
Flugbewegungen verfolgt hat und wem sie diese gemel-
det hat. Sie können mir gerne die Antworten nachrei-
chen, wenn Sie diese im Moment nicht geben können.
Herr Staatsminister, bitte.
Ich möchte versuchen, Ihnen zu antworten, Frau Kol-
legin Dağdelen. Für die Kolleginnen und Kollegen, die
mit dem Vorgang nicht so intensiv betraut sind, wieder-
hole ich: Eingangs hatte ich geschildert, dass am 23. März
die türkische Luftwaffe ein syrisches Kampfflugzeug ab-
geschossen hat. Nach offiziellen türkischen Angaben ha-
ben sich zwei syrische Kampfjets aus Richtung Mittel-
meer kommend dem türkischen Luftraum genähert. Die
türkische Luftwaffe habe die beiden Kampfjets viermal
gewarnt, in den Luftraum der Türkei einzudringen. Eine
der beiden Maschinen ist abgedreht. Die zweite Ma-
schine ist in den türkischen Luftraum vorgedrungen und
dabei abgeschossen worden. In meiner Beantwortung
kann ich mich nur auf die Informationen beziehen, die
die deutsche Bundeswehr durch ihr Engagement im Rah-
men des Patriot-Einsatzes vor Ort hat. Dort liegen uns
keine eigenen Erkenntnisse vor, weil unsere Radarsys-
teme darauf nicht ausgerichtet sind.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja.
Bitte.
Da man hier keine Antworten bekommt, wird manwieder gezwungen, Kleine Anfragen zu stellen. Damitgibt man der Bundesregierung etwas mehr Zeit, sich dieInformationen, nach denen ich gefragt habe, zu beschaf-fen.Ich habe nicht nach den deutschen Erkenntnissen ge-fragt, sondern nach denen der integrierten Luftverteidi-gung der NATO. Meines Wissens müsste es Berichte derNATO geben wie bei dem Zwischenfall im Juni 2012,
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Sevim Dağdelen
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als die Türken behauptet haben, ein türkisches Militär-flugzeug sei von Syrern abgeschossen worden. Daswurde von der NATO nicht bestätigt. Durch den Berichtder NATO wurden die Syrer entlastet. Deshalb trifft auchIhre Behauptung nicht zu, dass die Türken neben der Be-waffnung der Al-Qaida-Milizen bisher defensiv agierenwürden. Ich frage Sie noch einmal: Kann die Bundesre-gierung bezüglich des Zwischenfalls vom 23. März dieBerichte der NATO und dazu noch zusätzliche Geheim-dienstinformationen den Abgeordneten des Bundestageszur Verfügung stellen?
Ich habe Sie über den derzeitigen Kenntnisstand der
Bundesregierung informiert. Wenn Sie noch weitere Fra-
gen haben, stehe ich Ihnen selbstverständlich uneinge-
schränkt zur Verfügung. Wir werden dann andere Wege
finden, um Ihr Informationsbedürfnis zu stillen. Das tun
wir selbstverständlich gerne.
Es gibt eine Zusatzfrage des Kollegen Volker Beck,
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Herr Staatsminister! Die beiden Fra-
gen der Kollegin Dağdelen stehen in einem inneren Zu-
sammenhang. Wenn Sie hier keine eigenen Erkenntnisse
haben und Ihre Einschätzung auf den Informationen un-
seres Bündnispartners Türkei beruhen, dann ist die
Frage: Als wie glaubwürdig ist diese Information vor
dem Hintergrund der Frage 25 der Kollegin Dağdelen
einzuschätzen? Deshalb frage ich Sie noch einmal, und
zwar eindeutig – ich bitte, das mit einem Ja oder Nein zu
beantworten; denn bei der Frage sind keine Geheim-
schutzinteressen vorzuschieben –: Liegen der Bundesre-
gierung von unseren oder befreundeten Diensten Infor-
mationen über die Echtheit oder Nichtechtheit der
veröffentlichten Tonbandausschnitte vor? Ich frage Sie
nicht nach der Einschätzung; ich frage Sie: Liegen Ihnen
Erkenntnisse vor?
Ich habe die Frage schon mehrfach beantwortet,
und ich kann der bisherigen Beantwortung nichts weiter
hinzufügen, Herr Kollege Beck.
– Sie können mir, bei aller Wertschätzung Ihnen persön-
lich und dem Deutschen Bundestag gegenüber, gar nicht
vorschreiben, wie ich eine Frage zu beantworten habe.
Das müssen Sie dann schon mir selber überlassen.
Ich bitte um Nachsicht.
Lieber Kollege Beck, ich bitte zu beachten: Erstens
haben Sie eine Nachfrage zu Frage 25 gestellt.
Die Nachfrage war damit nicht zulässig. Wir sind schon
seit längerem bei Frage 26, bei der es gar nicht um ein
Audiodokument ging. Zweitens hat der Staatsminister
die Freiheit der Bundesregierung, was die Art der Beant-
wortung angeht, zutreffend angesprochen.
Ich rufe jetzt die Frage 27 des Abgeordneten Andrej
Hunko auf:
Wie hat sich die Bundesregierung gegenüber der türki-
schen Regierung zur Einschränkung von Twitter und YouTube
geäußert, mit der die türkische Regierung auf die Veröffentli-
chung von Vorwürfen über Korruption und die Beratung über
einen Militäreinsatz in Syrien und mögliche Rechtfertigungs-
gründe reagiert hat, und wie bewertet sie die Lage der Mei-
nungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit in der Türkei?
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Hunko,
die Bundesregierung hat bezüglich der Sperrung des In-
ternetdienstes Twitter in der Türkei unmissverständlich
klargestellt, dass es nicht ihrer Vorstellung von Mei-
nungsfreiheit entspricht, Kommunikationswege zu ver-
bieten oder auszuschließen. Ebenso hält die Bundesre-
gierung die Sperrung des Videoportals YouTube für eine
inakzeptable Reaktion. Dies gilt auch vor dem Hinter-
grund, dass die Europäische Union derzeit mit der Repu-
blik Türkei Beitrittsverhandlungen führt.
Die Bundesregierung stellt in der Türkei seit einiger
Zeit erhebliche Defizite bei der Presse- und Meinungs-
freiheit sowie der Versammlungsfreiheit fest. Aktuell be-
obachtet die Bundesregierung mit großer Sorge, dass die
innenpolitische Auseinandersetzung in der Türkei auf
Kosten der Medienfreiheit geht. Diese Defizite werden
von der Bundesregierung im Rahmen ihres politischen
Dialogs mit der Türkei angesprochen, unter anderem
auch bei Besuchen hochrangiger Vertreter, die in den
nächsten Wochen und Monaten anstehen.
Gibt es dazu eine Zusatzfrage? – Bitte schön, Herr
Hunko.
Vielen Dank. – Herr Kollege Roth, auch diese Fragesteht im Zusammenhang mit dem, was wir vorher disku-tiert hatten. Die YouTube-Sperrung war ja zum Beispieleine direkte Reaktion auf die Veröffentlichung des ge-nannten Tondokuments auf YouTube.Meine Frage: Glauben Sie, dass es das richtige Signalwar, das damit ausgesendet wurde, dass ziemlich baldnach der brutalen Niederschlagung der Gezi-Proteste imJuli letzten Jahres neue Kapitel in den Beitrittsverhand-
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Andrej Hunko
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lungen der EU mit der Türkei eröffnet wurden? Vor demHintergrund der neuen Vorfälle, also zum Beispiel derSperrung von Twitter und YouTube und auch der Re-aktionen der türkischen Regierung auf den Wahlaus-gang, frage ich Sie: Glauben Sie, dass es das richtige Si-gnal ist, das Sie damit aussenden, dass Sie jetzt sagen:„Wir führen hochrangige Gespräche“? Sie stellen dieseGespräche mit der Türkei auf höchster Ebene nicht in-frage. Glauben Sie wirklich, dass das angesichts derdrastischen Einschränkung der Meinungsfreiheit in derTürkei das richtige Signal ist?
Herr Kollege Hunko, es geht hier nicht um Glauben,
es geht hier um Wissen, und eines weiß ich: Die Ent-
wicklungen, die es derzeit in der Türkei gibt, erschweren
die Beitrittsverhandlungen. Wir als Bundesregierung set-
zen uns derzeit sehr engagiert dafür ein, die Europäische
Union nicht nur als einen funktionierenden Binnenmarkt
zu positionieren, sondern vor allem als eine Werteunion.
Hier gehören die Freiheitsrechte, die Grundrechte zum
essenziellen Kerngehalt unseres Werteverständnisses.
Insofern deckt sich das, was sich derzeit in der Türkei er-
eignet, nicht mit unseren Vorstellungen.
Wir wollen aber auch hier die türkische Regierung
nicht aus der Verantwortung nehmen. Deshalb drängt die
Bundesregierung darauf, dass wir jetzt gerade die Kapi-
tel eröffnen – nämlich Kapitel 23 und 24 –, in denen es
um Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und Korruptionsbe-
kämpfung geht. Wir wollen hier gerade jetzt, am Anfang
der Verhandlungen – wobei man ja bei der Türkei nicht
mehr vom Anfang der Verhandlungen sprechen kann –,
deutlich machen, dass diese zentralen Fragen in Gesprä-
chen mit der Türkei geklärt werden müssen, um die
größten Steine auf dem Weg zu einem möglichen Beitritt
der Türkei zur EU aus dem Weg räumen zu können. Ob
dies geschehen kann, ist derzeit noch ungewiss.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege
Hunko? – Bitte.
Vielen Dank. – Ich will klarstellen, dass wir grund-
sätzlich dafür sind, dass Beitrittsverhandlungen mit der
Türkei geführt werden, aber eben nach Maßgabe klarer
Kriterien. Die Frage ist, ob diese Kriterien gegenwärtig
gegeben sind.
Meine Frage an Sie lautet: Wo wäre Ihre rote Linie?
Was müsste in der Türkei passieren, dass Sie sagen: „Es
macht jetzt keinen Sinn, neue Kapitel zu eröffnen?“
Wann wären für Sie die Voraussetzungen in der Türkei
in puncto Menschenrechte und Meinungsfreiheit nicht
gegeben?
Herr Kollege Hunko, Sie haben eben davon gespro-
chen, dass eine Reihe von Kapiteln geöffnet wurde, es
gleichwohl keine substanziellen Fortschritte gegeben
habe. Deshalb will ich die Kolleginnen und Kollegen
noch einmal daran erinnern, dass es dreieinhalb Jahre
formal zu einem Verhandlungsstillstand gekommen ist
und dass es über das Kapitel 22 zur Regionalpolitik, das
Ende 2013 geöffnet wurde, hinaus keine weiteren
Öffnungen gegeben hat. Die Bundesregierung ist aber
nach wie vor davon überzeugt, dass es zur Klärung der
auch von Ihnen zu Recht angesprochenen Fragen essen-
ziell wäre, wenn wir über diese Fragen auch im Rahmen
von Beitrittsverhandlungen sprechen. Dazu gehört eben
die Öffnung der Kapitel 23 und 24.
Es gibt für die Türkei keinerlei politischen Rabatt.
Die Verhandlungen, die sich entlang der Kopenhagener
Kriterien bewegen, sind da, um zu prüfen, ob ein Land
überhaupt die Voraussetzungen mit sich bringt, der Eu-
ropäischen Union mit ihrem Wertefundament beizutre-
ten.
Danke schön. – Kollegin Dağdelen hat eine Frage
dazu.
Herr Staatsminister Roth, es ist ja nicht so, dass die
Kopenhagener Kriterien bei Abschluss eines Beitritts-
prozesses zu bewerten sind. Vielmehr müssen die Ko-
penhagener Kriterien bereits während der Beitrittsver-
handlungen erfüllt werden, was im Fall der Türkei auf
lange Zeit nicht absehbar ist.
Sie haben dann davon gesprochen, dass es über drei-
einhalb Jahre einen Stillstand gegeben hat. Dieser Still-
stand war ja berechtigt, und er ist es immer noch, weil
die Türkei zum Beispiel einen Mitgliedstaat, nämlich die
Republik Zypern, bis heute nicht anerkannt hat. Für die
Europäische Union ist das ja eigentlich nicht akzeptabel.
Eigentlich möchte ich Sie aber fragen: Wie bewerten
Sie den Beschluss der EU-Außenminister vom Oktober
letzten Jahres, neue Beitrittskapitel zu eröffnen und den
Beitrittsprozess zu intensivieren – übrigens war die
Linksfraktion die einzige Fraktion, die hierzu Kritik ge-
äußert hat –, vor dem Hintergrund, dass der türkische
Premier nach der blutigen Niederschlagung der Proteste
vor eine Polizeiakademie getreten ist und hat gesagt:
„Ihr seid die Helden der türkischen Demokratie!“? Au-
ßerdem möchte ich gerne von Ihnen wissen: Was, glau-
ben Sie, wird Erdogan machen, wenn die Beitrittsver-
handlungen noch intensiver geführt werden, nachdem er
schon jetzt angekündigt hat, dass er nach der Kommu-
nalwahl einen Rachefeldzug gegen die Opposition be-
ginnen möchte?
Ich will noch einmal darauf hinweisen: Kapitel, überdie verhandelt wird, können erst dann geschlossen wer-den, wenn die Kriterien, die diesem Kapitel zugrundeliegen, vollumfänglich erfüllt worden sind. Da zu Rechtnicht nur Mitglieder des Deutschen Bundestages, son-dern auch Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesell-schaft, aber auch die Bundesregierung als Ganzes denMenschenrechten, den Grundrechten und den Freiheits-rechten eine herausragende Bedeutung beimessen, legen
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wir allergrößten Wert darauf, gerade jetzt über diese zen-tralen Fragen zu verhandeln.Leider wird die Öffnung der Verhandlungskapitel 23und 24 von Zypern blockiert. Wir haben in Bezug daraufeine andere Auffassung. Wir hoffen, im Zuge der Ge-spräche mit der zyprischen Regierung einen Beitragdazu leisten zu können, damit die Frage der Menschen-rechte und der Werte stärker in den Mittelpunkt der der-zeitigen EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ge-rückt wird, als das bislang der Fall ist.
Schönen Dank. – Wir kommen jetzt zum Geschäfts-
bereich des Bundesministeriums des Innern. Zur Beant-
wortung steht bereit der Parlamentarische Staatssekretär
Dr. Ole Schröder.
Ich rufe die Frage 28 des Abgeordneten Andrej
Hunko auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung meine Ansicht, dass
die Nichtbeantwortung ihrer Eingaben vom 11. Juni 2013 an
die USA zu den ausufernden NSA-Spionageprogrammen so-
wie die Ergebnislosigkeit der zahlreichen weiteren Nach-
Bereitschaft geschuldet sein könnten, mehr Druck gegenüber
US-Repräsentanten auszuüben und aus meiner Sicht stattdes-
sen zu signalisieren, man sei letztlich einverstanden mit den
glaubt sie weiterhin daran, jemals Antworten auf die besagten
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre Frage wie
folgt: Vertreter der Bundesregierung haben sich in zahl-
reichen Gesprächen mit Vertretern der amerikanischen
Regierung für eine zeitnahe Beantwortung der übermit-
telten Fragenkataloge eingesetzt und im Rahmen dieser
Gespräche auch Sachverhalte erörtert, die Gegenstand
der Fragenkataloge waren. Entsprechende Gespräche
werden weiterhin geführt. Bei diesen Gesprächen und
sonstigen Begegnungen mit Vertretern der US-Regie-
rung wurde seitens der Bundesregierung die kritische
Haltung zu Umfang und Ausmaß der öffentlich bekannt
gewordenen Spionageaktivitäten der NSA deutlich zum
Ausdruck gebracht. So hatte der Bundesminister des In-
nern, Thomas de Maizière, am Rande der Münchener
Sicherheitskonferenz Anfang 2014 die Spionageaktivitä-
ten der NSA als maßlos und die Aufklärung seitens der
USA als unzureichend bezeichnet.
Die Verhandlungen über eine Kooperationsvereinba-
rung zwischen Deutschland und den USA werden in ver-
trauensvollen Gesprächen fortgeführt. Die Bundesregie-
rung hält die Sachverhaltsaufklärung weiterhin für eine
notwendige Konsequenz aus den Vorwürfen unverhält-
nismäßiger Datenerhebung durch ausländische Nach-
richtendienste. Daneben konzentriert sich die Bundesre-
gierung darauf, die richtigen Lehren für die Zukunft zu
ziehen und das Vertrauen in die globale elektronische
Kommunikation wiederherzustellen.
Letztlich darf nicht außer Acht gelassen werden, dass
der Austausch von nachrichtendienstlichen Informatio-
nen mit ausländischen Diensten, insbesondere mit den
Sicherheitsbehörden der USA, für die Gewährleistung
der Sicherheit in Deutschland von großer Bedeutung ist.
Insoweit ist es besonders wichtig, gemeinsam zukünftige
Lösungen zu finden.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Hunko? –
Bitte.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade die Auskünfte
der US-Seite als unzureichend bezeichnet bzw. Herrn de
Maizière zitiert, der das so bezeichnet hat. Die Frage
ging ja auch dahin, inwieweit nach dem Bekanntwerden
dieses unglaublichen Überwachungsskandals Ihrer Mei-
nung nach ausreichend Druck ausgeübt wurde. Sind Sie
wirklich der Meinung, dass von deutscher Seite genü-
gend Druck ausgeübt wird, um zur Aufklärung zu kom-
men? Es geht ja erst einmal nur um die Aufklärung. Die
Fragen, auch die Fragen der Bundesregierung, sind ja
von der US-Seite offensichtlich nicht beantwortet wor-
den.
D
Ja.
Noch eine Zusatzfrage?
Wenn Sie selbst jetzt schon sagen, dass das unzurei-
chend ist, frage ich Sie: Gehen Sie davon aus, dass Sie
jemals Antworten auf die gestellten Fragen bekommen
werden, oder glauben Sie, dass Sie die Antworten nicht
bekommen werden?
Herr Staatssekretär.
D
Ich bin eher skeptisch, dass wir unmittelbar von den
USA sämtliche Antworten bekommen und dass wir sie
dann auch dem Parlament öffentlich bekannt geben kön-
nen. Nichtsdestotrotz müssen wir dafür sorgen und alles
dafür tun, unsere Informations- und Kommunikations-
systeme so auszustatten, dass sie vor Spionage geschützt
sind.
Danke schön. – Dazu gibt es jetzt keine weiteren Fra-gen.
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Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Die Frage 29 des Abgeordneten Dr. Hahn und dieFrage 30 der Abgeordneten Jelpke werden schriftlich be-antwortet.Wir kommen dann zur Frage 31 des AbgeordnetenVolker Beck, Bündnis 90/Die Grünen:Wie viele Personen unterliegen jeweils in den kommendenJahren nach der Einigung zum Gesetzentwurf der Bundesre-gierung weiterhin der Options-pflicht, und inwiefern ist die Höhe des Verwaltungsaufwandesangesichts der Zahl derjenigen, die aufgrund der Options-pflicht die Staatsangehörigkeit verlieren würden, verhältnis-
Herr Staatssekretär, bitte.D
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Absicht der
Bundesregierung ist es, dass in Deutschland geborene
und aufgewachsene Kinder ausländischer Eltern in Zu-
kunft nicht mehr der Optionspflicht unterliegen. Damit
wird der Kreis derjenigen, die sich zwischen der deut-
schen Staatsangehörigkeit und der Staatsangehörigkeit
ihrer Eltern entscheiden müssen, wesentlich kleiner. Wie
viele Personen zukünftig von der Optionspflicht befreit
sein werden, lässt sich nicht zuverlässig sagen, da der
Bundesregierung keine entsprechenden statistischen Er-
hebungen vorliegen.
Die Bundesregierung geht jedoch davon aus, dass
sich der Verwaltungsaufwand im Vergleich zur derzeiti-
gen Rechtslage erheblich verringern dürfte, weil in Zu-
kunft nicht mehr jedes Jus-Soli-Kind angeschrieben und
ausführlich informiert werden muss. Die Prüfung, ob die
ausländische Staatsangehörigkeit aufgegeben worden ist
oder ob eine Beibehaltungsgenehmigung erteilt werden
muss, obliegt der Verwaltung künftig nur noch für eine
kleinere Gruppe von Jus-Soli-Kindern, die nicht in
Deutschland aufgewachsen sind. Die Prüfung, ob ein
Jus-Soli-Kind im Ausland aufgewachsen ist, wird regel-
mäßig durch das Abgleichen mit den bereits vorhande-
nen Meldedaten erfolgen können.
Zusatzfrage, Herr Kollege Beck?
Ja. – Ich muss jetzt vermuten, dass Ihre Kompromiss-
bildung sozusagen im luftleeren Raum stattgefunden hat
und Sie gar nicht wissen, also nicht empirisch erhoben
haben, ob es das Problem gibt, das Sie mit Ihrer kompli-
zierten Regelung lösen wollen. Es bleibt aber auch in
Zukunft dabei, dass Sie, wenn wir von 40 000 potenziell
Optionspflichtigen ausgehen, 40 000 Mal die melde-
rechtlichen Daten dahin gehend überprüfen müssen, ob
Sie den Fall näher anschauen müssen oder nicht. Auch
das ist ein Verwaltungsvorgang. Es kommt also weiter-
hin zu 40 000 Verwaltungsvorgängen.
Ich würde angesichts dieser Zahl schon erwarten, dass
Sie eine ungefähre Hausnummer nennen, wie viele Per-
sonen Ihrer neuen Regelung des Abs. 4 unterfallen, auf
die dann die Bestimmung, dass sie nicht in Deutschland
aufgewachsen seien, zutrifft. Mir scheint diese Regelung
bislang völlig willkürlich gegriffen. Deshalb möchte ich
für uns im Parlament ein Bild davon haben, damit wir
uns zu Ihrem Vorschlag eine Meinung bilden können.
Wie viele Optionspflichtige entstehen, und wie viel Pro-
zent von diesen Optionspflichtigen werden tatsächlich
mit einem Verlust der Staatsangehörigkeit bestraft? Mein
Verdacht ist – vielleicht können Sie ihn empirisch wider-
legen –, dass es bei 40 000 Fällen pro Jahrgang vielleicht
zu 50 Entziehungen der Staatsangehörigkeit kommt. Da
darf man schon einmal aus der Perspektive der Effizienz
fragen: Lohnen sich 40 000 Verwaltungsvorgänge für
diese schwarze Pädagogik der Unionsfraktion im Staats-
angehörigkeitsrecht?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Zunächst einmal bleibt die Optionspflicht bestehen.
Sie entfällt aber für die Kinder, die hier in Deutschland
aufgewachsen sind. Das haben wir entsprechend tatbe-
standlich gefasst. Wir gehen nicht von 40 000 Jus-Soli-
Kindern aus, wie Sie es gesagt haben, sondern eher von
30 000. Es ist zurzeit so, dass schätzungsweise 10 Pro-
zent der Jus-Soli-Kinder, die in Deutschland geboren
wurden, ins Ausland gehen. Damit haben Sie eine unge-
fähre Einschätzung, aber das ist, wie gesagt, nur eine
Einschätzung. Dazu haben wir keine statistisch belegten
Zahlen oder Erhebungen.
Sie müssen doch trotzdem einen Begriff davon haben.
Jemand, der für ein Jahr ins Ausland geht, der vielleicht
ein Auslandsschuljahr macht, erfüllt ja nicht per se die
Kriterien Ihrer Regelung. Wie viel von diesen 10 Prozent
reißen denn die Achtjahresgrenze?
D
Es ist unsere Einschätzung, dass etwa 10 Prozent ins
Ausland verziehen. Das wissen wir, weil wir schon jetzt
alle Jus-Soli-Kinder anschreiben müssen. Wenn diese ins
Ausland verzogen sind – das können wir aus den Melde-
daten erfassen –, dann werden sie ja im Ausland ange-
schrieben. Das sind also keine Personen, die nur einmal
ein Auslandsjahr gemacht haben, sondern diese Perso-
nen sind wirklich ins Ausland gezogen.
– Das habe ich doch gerade schon eingeschätzt.
Bitte keine Dialoge außerhalb unseres geschäftsord-nungsmäßig vorgezeichneten klugen Wegs.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1967
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Jetzt erst einmal Frau Dağdelen und dann Frau Kolle-gin Haßelmann.
Herr Schröder, ich habe eine Nachfrage zu der Frage
meines Kollegen Herrn Beck. Ich würde gerne wissen,
ob es Bestrebungen gibt, den bisher ausgebürgerten ur-
sprünglich deutschen Optionskindern – laut Auskunft
der Bundesregierung wurden 268 Deutsche aufgrund der
Optionspflicht zu Ausländern gemacht – wieder ihre
deutsche Staatsangehörigkeit zuteilwerden zu lassen,
und wenn ja, wie gedenken Sie das zu tun?
D
Die Personen, von denen Sie reden, sind nicht zu
Ausländern gemacht worden, sondern sie haben sich
nicht zugunsten der deutschen Staatsbürgerschaft ent-
schieden oder sich schlichtweg nicht gemeldet.
Aber sie sind nicht durch Nichtstun zu Ausländern ge-
macht worden. Denn niemandem kann die deutsche
Staatsbürgerschaft aufgrund von Nichtstun einfach ent-
zogen werden,
sondern sie müssten dann zumindest nicht erreichbar ge-
wesen sein.
Die vorgesehene Regelung – das sagt ja auch der Ko-
alitionsvertrag eindeutig aus – gilt für die Zukunft. Wie-
dereinbürgerungen können durch das bisherige Staats-
angehörigkeitsrecht dennoch vollzogen werden.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Haßelmann,
Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
weil Sie sich ja auf die schriftlichen Fragen vorbereiten
konnten, finde ich es sehr unbefriedigend, dass Sie so
schwammig geantwortet haben, nach dem Motto „circa
10 Prozent“, „vielleicht“, „wenn“, „doch“ und „aber“.
Deshalb würde ich Sie im Namen meiner Fraktion bit-
ten, uns die Zahlen schriftlich en détail vorzulegen.
D
Noch einmal: Wir haben dazu keine statistischen Er-
hebungen im Sinne der Fragestellung des Kollegen
Beck. Ich habe lediglich ausgeführt, wie viele der bishe-
rigen Optionspflichtigen ins Ausland verzogen sind. Das
ist eine andere Fragestellung als die des Kollegen Beck.
Ich habe das dennoch erwähnt, weil das für die nachge-
fragte Einschätzung von Relevanz ist.
Schönen Dank. – Die Frage 32 der Kollegin Kotting-
Uhl wird schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staats-
sekretär Ulrich Kelber bereit.
Ich rufe die Frage 33 des Kollegen Abgeordneten
Herbert Behrens, Fraktion Die Linke, auf:
Wird sich die Bundesregierung im Sinne des Koalitionsver-
trages zwischen CDU, CSU und SPD, in dem es heißt, dass sich
Deutschland bei „der Neuregelung der Fluggastrechteverord-
nung … für den Erhalt des bestehenden Schutzniveaus“ ein-
setzt, bei den Beratungen des Rates der Europäischen Union
über den Kommissionsvorschlag KOM(2013) 130 eindeutig
gegen das darin – im Vergleich zur geltenden Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofes zur bestehenden Fluggast-
rechteverordnung – vorgesehene Hochsetzen der Schwellen-
werte um – je nach Distanz – mindestens zwei Stunden für
Entschädigungsansprüche einsetzen ?
Herr Staatssekretär, bitte.
U
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Behrens,Sie mussten die Fragestunde in der letzten Sitzungswo-che ja für eine Ausschusssitzung verlassen. Deswegenhabe ich die Gelegenheit, Ihre Frage nach der schriftli-chen Beantwortung heute noch einmal mündlich zu be-antworten.Die EU-Kommission hat am 13. März des letzten Jah-res einen Vorschlag zur Änderung der Fluggastrechte-verordnungen vorgelegt. Das Europäische Parlament hatam 5. Februar dieses Jahres seine Stellungnahme zu die-sem Vorschlag beschlossen. Die Beratungen des Ratesder Europäischen Union zu dem Vorschlag dauern nochan. Die griechische Ratspräsidentschaft strebt eine allge-meine Ausrichtung im Ministerrat im Juni dieses Jahresan. Daran anschließen wird sich, vermutlich im Herbst,der Trilog zwischen EU-Kommission, EuropäischemParlament und Europäischem Rat.Bei der Beratung des Kommissionsvorschlags setztsich die Bundesregierung für einen Ausgleich der Inte-ressen von Fluggästen und Luftfahrtunternehmen ein,weil wir auf der einen Seite das erreichte Schutzniveaufür die Fluggäste sicherstellen, auf der anderen Seiteaber unzumutbare Belastungen für die Luftfahrtunter-nehmen vermeiden wollen, die auch zu unerwünschtenLeistungseinschränkungen oder Preisaufschlägen für diePassagiere und damit die Verbraucherinnen und Verbrau-
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1968 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Parl. Staatssekretär Ulrich Kelber
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(B)
cher führen könnten. Der Erhalt des Schutzniveaus be-stimmt sich dabei jedoch nicht nach der Regelung einereinzigen Bestimmung, sondern nach einer Gesamtschaualler mit der Änderungsverordnung geschaffenen Novel-lierungen.In der bisherigen Beratung des Rates wurden auch diezeitlichen Schwellenwerte für die Ankunftsverspätungthematisiert. Der Rechtsdienst des Rates hat in einer gut-achterlichen Stellungnahme vor dem Hintergrund derEntscheidung des Gerichtshofes der Europäischen Unionvon 2009 eine kohärente Regelung der Anspruchsvo-raussetzungen von Ankunftsverspätung und Annullie-rung empfohlen. Dem von der EU-Kommission mit demEntwurf der Änderungsverordnung vorgelegten Vor-schlag, die Zeitschwellen für die Ankunftsverspätungentfernungsabhängig auf fünf, neun und zwölf Stundenzu setzen, hat die Bundesregierung widersprochen. Siehat sich für die Herabsetzung dieser Zeitschwellen undeine ergebnisoffene Prüfung des Vorschlags des Europäi-schen Parlaments eingesetzt, der eine Stufung nach drei,fünf und sieben Stunden vorsieht. Ob sich diese Positiondurchsetzt, ist allerdings zweifelhaft, da eine deutlicheMehrheit der Mitgliedstaaten den Kommissionsvor-schlag unterstützt.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege? – Bitte
schön.
Vielen Dank, Herr Kelber. – Die Zusatzfrage bezieht
sich darauf, dass in der Presse zu lesen war, dass es of-
fenbar Unstimmigkeiten zwischen dem Staatssekretär im
Verbraucherschutzministerium, Herrn Billen, und dem
Verkehrsminister, Herrn Dobrindt, gibt. Herr Dobrindt
soll, was den gerechten Ausgleich zwischen den Interes-
sen der Luftverkehrsgesellschaften und den Passagier-
rechten anbetrifft, eine andere Auffassung vertreten. Sie
sagten gerade, die Position, die Stufung bei drei Stunden
Verspätung beginnen zu lassen, sei Gegenstand der Stel-
lungnahme der Bundesregierung. Habe ich das so richtig
verstanden? Gibt es keine Differenz zwischen Verkehrs-
ministerium und Verbraucherschutzministerium?
U
Herr Behrens, ich hatte Ihnen die gemeinsame Posi-
tion der Bundesregierung vorgetragen. Auch schon in
der letzten Sitzungswoche war die gemeinsame Position:
Widerspruch zu dem Vorschlag der Kommission, Vor-
schlag einer ergebnisoffenen Überprüfung und natürlich
Verfolgung einer Verhandlungsstrategie, mit der ver-
sucht werden sollte, für den deutschen Vorschlag eine
Mehrheit zu organisieren; es ging also nicht darum, ei-
nen Schaufenstervorschlag zu machen.
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte schön, Herr Kollege
Behrens.
Herr Kelber, die Auffassung der Bundesregierung
wird gestützt von der europäischen Rechtsprechung. Der
EuGH hat sich ja zu den Passagierrechten geäußert.
Inwieweit ist da nicht auch eine rechtlich kritisch zu
bewertende Entwicklung möglich? Halten Sie es für aus-
geschlossen, dass sich die EU-Kommission gegen ent-
sprechende Urteile des EuGH, was Passagierrechte an-
betrifft, wendet? Will man eigenes neues Recht setzen?
U
Die bisherige Fluggastrechteverordnung sieht keine
Entschädigung für den Fall von Ankunftsverspätungen
vor. Das Urteil des Europäischen Gerichtshofs hat eine
Kohärenz empfohlen zwischen den Regelungen für eine
Annullierung – in dem Fall muss eine Entschädigung ge-
zahlt werden, wenn der Start des Ersatzfluges um drei
Stunden von der ursprünglich vorgesehenen Flugzeit ab-
weicht – und den für Ankunftsverspätungen vorgesehe-
nen Lösungen. Auf Bitte auch der Bundesregierung ist
der juristische Dienst des Europäischen Rates tätig ge-
worden und hat geprüft, inwieweit solche Regelungen
mit Regelungen wie dem Montrealer Abkommen verein-
bar sind.
In der Tat würde es erstmalig auf Basis einer Verord-
nung und damit leicht durchsetzbar eine Entschädigung
bei einer Ankunftsverspätung geben. Deswegen hat sich
die Bundesregierung entschieden, einer deutlichen Ab-
weichung von dem, was bisher durch europäische Recht-
sprechung geschaffen wurde, zu widersprechen.
Herzlichen Dank.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung steht
Herr Staatssekretär Dr. Michael Meister bereit.
Die Frage 34 der Abgeordneten Katja Keul sowie die
Fragen 35 und 36 des Abgeordneten Dr. Axel Troost
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 37 der Abgeordneten Lisa
Paus, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche die Finanzverwaltung bindenden veröffentlichten
Regelungen – gemeint sind nicht unter das Steuergeheimnis
fallende Verwaltungsanweisungen wie Erlasse, BMF-Schrei-
ben etc. – sind der Bundesregierung bekannt, die sich auf die
Besteuerung von einzelnen steuerpflichtigen Personen, ver-
gleichbar dem Erlass des Niedersächsischen Finanzministe-
riums „Erlass betr. Umsatzsteuer; hier: Mitgliederbeiträge des
hinausgehen ?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Herr Präsident! Frau Kollegin Paus, bei dem Erlassdes Niedersächsischen Finanzministeriums vom19. März 1981, auf den Sie sich in Ihrer Frage beziehen,handelt es sich um eine verwaltungsinterne Anweisung
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1969
Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister
(C)
(B)
an die nachgeordneten Behörden des Landes Nieder-sachsen, mit der eine bundeseinheitlich abgestimmteVerwaltungsauffassung in einem steuerlichen Einzelfallumgesetzt wurde.Im Bereich der Umsatzsteuer gibt es keine zur amtli-chen Veröffentlichung bestimmten bundeseinheitlich ab-gestimmten Verwaltungsanweisungen, die die Besteue-rung einzelner Steuerpflichtiger regeln. Dies gilt auchfür die übrigen Besitz- und Verkehrsteuern.Am 5. September 2001 erging ein BMF-Schreiben zursteuerlichen Behandlung von Zuwendungen – sprich:Spenden – an die Stiftung „Erinnerung, Verantwortungund Zukunft“ mit Sitz in Berlin. Dieses BMF-Schreibensollte aber lediglich die Bedeutung der Stiftung verdeut-lichen und einen reibungslosen Ablauf des Spendenab-zugs innerhalb der Verwaltung sicherstellen.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Paus? – Bitte.
Herr Staatssekretär, es ist sozusagen das vierte Mal,
dass ich zu diesem Komplex nachfrage. Jetzt haben Sie
weitere Details genannt, aber nicht grundsätzlich geant-
wortet.
Meine Frage ist: Gibt es einen Einzelerlass für ein
Unternehmen, für einen Konzern oder für einen Verein –
jenseits des Erlasses, der für den ADAC gemacht wor-
den ist? Darauf haben Sie gesagt: im Umsatzsteuerrecht
nicht. Heute haben Sie neu gesagt: Für die genannte Stif-
tung hier in Berlin gibt es das. – Sie haben es damit für
eine weitere Steuer benannt. Sie haben aber immer noch
Steuern ausgespart.
Meine Frage ist grundsätzlich: Gibt es Einzelerlasse
– jenseits des Erlasses, der für den ADAC gemacht wor-
den ist – bezüglich sämtlicher Steuerarten für Unterneh-
men, Vereine oder Konzerne in Deutschland? Das war
von Anfang an meine Frage. Darauf möchte ich nach
wie vor eine Antwort.
D
Sie haben gehört, dass es für den speziellen Fall, auf
den Sie Bezug genommen haben, vom zuständigen Lan-
desministerium eine nicht zur Veröffentlichung bestimmte
Anweisung zur einheitlichen Verwaltungshandhabung ge-
geben hat. Da es sich um Landesbehörden handelt, die
solche Anweisungen verwaltungsintern und damit nicht
zur Veröffentlichung bestimmt erteilen, kann ich dazu
– Sie haben ja nach einzelnen Steuerpflichtigen gefragt –
keine weiteren Auskünfte geben.
Das ist nicht richtig. Ich habe nicht nach einzelnen
Steuerpflichtigen gefragt. Ich habe gefragt: Gibt es Ein-
zelerlasse? Ich habe nicht gefragt: „Für wen?“, sondern:
Gibt es in Deutschland grundsätzlich – jenseits des Fal-
les ADAC – einen Einzelerlass dieser Art? Ich will kei-
nen Namen von einem Unternehmen, Verein oder Kon-
zern wissen. Ich möchte nur wissen: Gibt es zu dieser
Praxis, dass es einen Einzelerlass zu einer Steuer gibt,
egal welcher, weitere Fälle in Deutschland?
D
Es gibt vom Bundesministerium der Finanzen die üb-
lichen Schreiben, sogenannte BMF-Schreiben, die der
einheitlichen Verwaltungspraxis und Verwaltungsausle-
gung von Steuergesetzen dienen. Diese beziehen sich al-
lerdings nicht auf einzelne Steuerpflichtige.
Darüber hinaus gibt es die Rechtspraxis, dass sich un-
terschiedliche Länderverwaltungen, die mit demselben
Steuerpflichtigen zu tun haben, auf eine einheitliche Ver-
waltungspraxis verständigen.
Frau Kollegin Haßelmann, Sie haben das Wort zu ei-
ner Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
können Sie für die Bundesregierung und das Bundes-
ministerium der Finanzen ausschließen, dass es in Bezug
auf sämtliche Steuerarten für einzelne Unternehmen Ein-
zelerlasse gibt?
D
Ich habe darauf hingewiesen, dass es zur Auslegung
von einzelnen Steuergesetzen BMF-Schreiben gibt.
Diese BMF-Schreiben werden auf der Basis von § 21 a
Finanzverwaltungsgesetz herausgegeben; darin enthal-
ten sind allgemeine Weisungen. Diese allgemeinen Wei-
sungen dienen der Vollzugsgleichheit bei den von den
Ländern im Auftrag des Bundes verwalteten Steuern.
Dies ist über Art. 3 des Grundgesetzes in Verbindung mit
§ 85 und § 88 der Abgabenordnung so gehalten, um eine
gleichmäßige Besteuerung vorzunehmen.
Die BMF-Schreiben sind seitens der Steuerverwal-
tung im Vollzug zu beachten. Sie werden im Übrigen im
Bundessteuerblatt, Teil I, veröffentlicht. Sie binden nur
die Finanzbehörden, nicht allerdings die Gerichte. Län-
dererlasse können demgegenüber eine zwischen Bund
und Ländern abgestimmte allgemeine Verwaltungsauf-
fassung in einem Einzelfall umsetzen.
Frau Dr. Brantner hat sich als Nächste zu einer Nach-frage gemeldet.
Herzlichen Dank. – Wie bewertet die Bundesregie-rung den ADAC-Erlass aus fachlicher Sicht, zumal die-ser Erlass seit über 30 Jahren offenkundig unverändertund womöglich auch ungeprüft eine Besteuerungsbasisfür einen Multimilliardenkonzern darstellt? Wann wirdder ADAC-Erlass überprüft?
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1970 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
(C)
(B)
D
Ich sehe mich aufgrund des Steuergeheimnisses au-
ßerstande, zu einzelnen Steuervorgängen hier öffentliche
Ausführungen zu tätigen.
Der Staatssekretär Dr. Meister hat nach meiner Emp-
findung die Fragen ausführlich beantwortet. Weitere Fra-
gewünsche liegen nicht vor.
– Sie haben sich schon einmal zu einer Nachfrage ge-
meldet, Frau Kollegin.
– Ja, das weiß ich doch. Dann kommen Sie zum Präsi-
dium!
Ich bitte die nächsten Fragesteller der Grünen, ihrer
Parlamentarischen Geschäftsführerin kurz die Gelegen-
heit zu geben, hier oben vorzusprechen. Wir machen
also eine kleine Pause.
So, herzlichen Dank für das Warten. – Ich rufe jetzt
die Frage 38 der Kollegin Lisa Paus, Bündnis 90/Die
Grünen, auf:
Wie viele Fälle von Steuerhinterziehung durch mehrfa-
chen Kindergeldbezug, zum Beispiel durch doppelte Kinder-
geldzahlungen verschiedener Bundesfamilienkassen, sind seit
welcher Höhe sind in diesen Fällen Steuern durch unrechtmä-
ßigen Mehrfachbezug von Kindergeld verkürzt worden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Herr Präsident, vielen Dank. – Frau Kollegin Paus,
für die Bearbeitung von Doppelzahlungsfällen sind die
jeweiligen Familienkassen zuständig. Das Bundeszen-
tralamt für Steuern führt darüber keine gesonderte Statistik.
Aus den vom Bundesrechnungshof und den Prüfungs-
ämtern des Bundes zum Themenfeld des mehrfachen
Kindergeldbezuges durchgeführten Erhebungen im Zeit-
raum 2009 bis 2011 hat das Bundeszentralamt für Steu-
ern die Rückabwicklung sowie die straf- und bußgeld-
rechtliche Aufarbeitung der aufgedeckten Fälle bei
37 Familienkassen fachaufsichtlich begleitet. Die Höhe
des Hinterziehungsbetrages schwankt zwischen mehre-
ren Hundert und mehreren Tausend Euro. Der Bundes-
rechnungshof und die Prüfungsämter des Bundes haben
bei ihren Erhebungen aber auch Hinterziehungszeit-
räume von bis zu 15 Jahren ermittelt.
Die Namen der 37 betroffenen Familienkassen nebst
Zeitraum und jeweiliger Höhe der verkürzten Steuern
leite ich Ihnen, wenn Sie einverstanden sind, Frau Paus,
zu. Dabei handelt es sich um die im Einzelnen bekannt
gewordenen Fälle. Wenn Sie wünschen, trage ich sie Ih-
nen gerne vor; das dauert dann allerdings ein bisschen.
Frau Kollegin Paus, haben Sie eine Nachfrage?
Ja. Danke, Frau Präsidentin. – Es reicht mir, Herr
Meister, wenn Sie mir das zuleiten.
Ich wollte aber trotzdem noch einmal nachfragen;
denn es geht ja nicht nur um das Problem im Zusammen-
hang mit den Bundesfamilienkassen, sondern auch um
den fehlenden Datenabgleich mit der Bundesagentur für
Arbeit. Der Bundesrechnungshof hat ja vor fünf Jahren
aufgedeckt, dass es hier ein strukturelles Problem gibt.
Es geht hier auch nicht – wie Sie es gerade ein bisschen
suggeriert haben – um 37 Fälle, sondern um Tausende
deutsche Beamte. Deswegen noch einmal meine Nach-
frage: Was hat die Bundesregierung unternommen, um
diese Betrugsfälle zu bekämpfen, und welcher finan-
zielle Schaden ist seither insgesamt entstanden?
D
Zunächst einmal, Frau Kollegin Paus: Ich habe nichtvon 37 Fällen, sondern von 37 Familienkassen gespro-chen.Wir haben lediglich Kenntnis über die Fälle, die beidiesen einzelnen Kassen nachverfolgt worden sind. Inso-fern kann ich Ihnen keine Zahlen nennen, die über dieseeinzelnen nachverfolgten, überprüften Fälle hinausge-hen.Eine Ursache, dass es zu Problemen kommen kann,ist aus unserer Sicht: Ist das Kind zur jeweils zustän-digen Familienkasse richtig zugeordnet, oder kommt esgegebenenfalls zu Mehrfachzuordnungen? Das kann eineUrsache sein, dass es zu falschen Zahlungen kommt.Zum Zweiten haben wir im Regelfall zwei Antragsbe-rechtigte, nämlich beide Elternteile; es kann allerdingsnur ein Antragsberechtigter rechtmäßig das Kindergeldbeziehen. Wenn jetzt, ohne dass das den zuständigenStellen auffällt, beide Antragsberechtigte unabhängigvoneinander bei unterschiedlichen Stellen den Antragstellen, kann es zu Mehrfachzahlungen kommen.Die Bundesregierung beabsichtigt, die Zuordnungvon Kindergeldzahlungen für ein bestimmtes Kind inZukunft grundsätzlich an einer Steueridentifikations-nummer festzumachen und damit einen Beitrag zu leis-ten, dass Doppelzahlungen weniger wahrscheinlich wer-den.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1971
(C)
(B)
Frau Kollegin Paus.
Ich entnehme Ihrer Beschreibung, dass Sie im Hin-
blick auf die bisherigen Betrugsfälle nichts unternom-
men haben und dass Sie auch keine Zahlen darüber ha-
ben. Ich frage trotzdem nach: In wie vielen Fällen haben
nach Informationen der Bundesregierung Beamte der
Leitungsebene in einer obersten Bundesbehörde seit
2009 unberechtigt mehrfach Kindergeld bezogen?
D
Wir haben Zahlen vorliegen – das habe ich mehrfach
erwähnt, und die gebe ich Ihnen nachher – zu den Fällen
bei den 37 Familienkassen, wo für uns sozusagen offen-
kundig wurde, dass es da tatsächlich zu Mehrfachleis-
tungen gekommen ist. Ob es auch andere Fälle gibt, ist
der Bundesregierung nicht bekannt; dazu gibt es auch
keine Statistik. Deshalb kann ich zu dieser Frage auch
nichts sagen.
Eine gesonderte Statistik über Mitarbeiter der obers-
ten Bundesbehörden, bei denen solche Mehrfachzahlun-
gen von Kindergeld stattgefunden haben, liegt uns nicht
vor.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Themenbereich? –
Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Dann komme ich jetzt zur Frage 39 der Kollegin
Dr. Franziska Brantner:
Auf welche genaue Höhe beläuft sich der finanzielle Scha-
Kindergeld von Zuwanderern aus EU-Staaten, und was unter-
nimmt die Bundesregierung, um diesen Schaden beziffern zu
können?
D
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Dr. Brantner, mögli-
cherweise zu Unrecht ausgezahltes Kindergeld wird von
den Familienkassen von Amts wegen zurückgefordert.
Der Anteil, der auf Zahlungen an Zuwanderer aus EU-
Staaten entfällt, wird statistisch nicht gesondert erfasst.
Frau Kollegin Brantner.
Wie berechnen Sie denn dann den Schaden? Wie wol-
len Sie das genau beziffern, wenn Sie den Unterschied
gar nicht erfassen können? Sie sagen, es werde keine
Unterscheidung zwischen Deutschen und EU-Auslän-
dern gemacht. Dann hätten Sie eigentlich gar keine Zah-
len liefern können.
D
Ich habe nach meiner Erinnerung eben auch keine
Zahlen genannt.
Nein, aber in dem Zwischenbericht wurden Zahlen
zum Kindergeld genannt. Mich würde interessieren, wie
Sie auf diese Zahlen kamen.
D
Dazu, woraus diese Zahlen abgeleitet sind, kann ich
Ihnen hier aus dem Stegreif keine Auskunft geben. Das
kann ich aber gerne recherchieren und nachreichen.
Vielen Dank. – Gibt es andere Fragen zu diesem The-
menbereich? – Das ist nicht der Fall.
Ich rufe Frage 40 der Abgeordneten Dr. Franziska
Brantner auf:
Wie hoch beziffert die Bundesregierung die Kosten für ihr
Vorhaben, zur Vermeidung von Missbrauch Antragstellern
künftig Kindergeld nur noch unter Angabe einer Steueridenti-
fikationsnummer auszuzahlen, und welche Berechnungen hat
die Bundesregierung angestellt, um zu klären, ob diese Kosten
auch in einem angemessenen Verhältnis zum beabsichtigten
Ziel der Missbrauchs- und Betrugsbekämpfung stehen?
Der Herr Kollege Meister wird wieder antworten.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin
Dr. Brantner, eine Umsetzung des Vorhabens wird vo-
raussichtlich einen Aufwand von rund 3,4 Millionen
Euro erzeugen. Die Bundesregierung hat keine eigenen
Berechnungen verlangt. Wir gehen davon aus, dass sich
der Aufwand von 3,4 Millionen Euro mittelfristig rentie-
ren wird.
Frau Kollegin Brantner.
Woher können Sie denn wissen, dass sich dieser Auf-
wand mittelfristig rentieren wird, wenn Sie keinerlei Ah-
nung über die wirklichen Schäden haben? In Ihrer Ant-
wort auf meine Frage 39 haben Sie vorhin gesagt, Sie
wüssten gar nicht, wie hoch der Schaden ist. Es ist inte-
ressant, dass Sie jetzt sagen können, dass sich das ren-
tiert.
D
Frau Kollegin Brantner, wir gehen davon aus, dass esbei Kindergeldfällen mit Auslandsbezug deshalb beson-ders schwierig ist, die Korrektheit nachzuweisen, weil eseben besonders schwierig ist, die korrekte Erfüllung der
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1972 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Parl. Staatssekretär Dr. Michael Meister
(C)
(B)
Anspruchsgrundlagen für eine Kindergeldzahlung nach-zuweisen. Deshalb ist natürlich das Risiko, dass es hierzu nicht korrekten Zahlungen kommt, höher als bei ei-nem Inlandssachverhalt, bei dem das Kind hier am Ortlebt und die Zahlungen eindeutig dem Kind zugeordnetwerden können.
Trotzdem möchte ich noch einmal nachfragen: Es gibtnatürlich immer viele Risiken, aber nicht jedes Risikomuss man durch einen Verwaltungsaufwand in Höhe vonmindestens 3,4 Millionen Euro absichern. Können Sievielleicht noch einmal schriftlich darlegen, wie hoch Siedas Risiko einschätzen, wie groß der Schaden ist, derwirklich entsteht, und ob er in einem angemessenen Ver-hältnis zu dem Generalverdacht gegen EU-Ausländerhinsichtlich eines Kindergeldbetrugs steht, warum er beiFällen mit einem Auslandsbezug höher liegen soll undworauf sich Ihre Annahme stützt, dass europäische Aus-länder generell eher betrügen als Deutsche?D
Wir unterstellen weder bei Inländern noch bei Aus-
ländern Betrug. Wir werden auch keine Sonderregeln für
Menschen, die im Ausland leben, schaffen, sondern wir
werden allgemeine Regeln aufstellen, die für alle Kinder
und den Kindergeldbezug anzuwenden sind.
Vornehmlich versuchen wir dort, wo es möglich ist,
anhand der vorhin angesprochenen Steueridentifikations-
nummer vorzugehen, weil wir dann einen Fall eindeutig
einer Nummer zuordnen können. Sollten also mehrere
Kindergeldzahlungen derselben Steueridentifikations-
nummer zugeordnet werden, dann kann man das relativ
leicht aufklären.
Wenn das nicht möglich ist, weil das Kind im Aus-
land lebt, der Antrag aber von einem im Inland an-
spruchsberechtigten Elternteil gestellt wird, werden wir
Unterlagen verlangen, die denen gleichgestellt sind, die
sie benötigen, wenn sie eine Steueridentifikationsnum-
mer beantragen.
Vielen Dank. – Gibt es weitere Fragen zu diesem The-
menschwerpunkt? – Ich sehe, das ist nicht der Fall.
Wir sind damit am Ende des Geschäftsbereichs des
Bundesministeriums der Finanzen.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales.
Die Fragen 41 und 42 der Abgeordneten Brigitte
Pothmer, die Fragen 43 und 44 des Abgeordneten
Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, die Frage 45 der Abge-
ordneten Ulla Jelpke, die Fragen 46 und 47 der Abgeord-
neten Sabine Zimmermann und die Fragen 48 und 49 des
Abgeordneten Markus Kurth werden schriftlich beant-
wortet.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Ernährung und Landwirtschaft.
Die Fragen 50 und 51 der Abgeordneten Bärbel Höhn
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Verteidigung.
Die Fragen 52 und 53 der Abgeordneten Agnieszka
Brugger werden schriftlich beantwortet.
Schließlich kommen wir zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und
Jugend.
Die Frage 54 der Abgeordneten Renate Künast wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende der heutigen Fragestunde an-
gelangt.
Ich unterbreche die Sitzung bis zur Aktuellen Stunde
um 15.35 Uhr, die dann aufgerufen wird.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrocheneSitzung wird fortgesetzt.Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIEGRÜNENKonsequenzen der Bundesregierung aus demIPCC-WeltklimaberichtIch eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Anton Hofreiter, Bündnis 90/Die Grünen.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der IPCC-Bericht lässt an Deutlichkeit nichtsvermissen. Die Wissenschaft ist sich inzwischen voll-kommen einig: Die Szenarien sind dramatisch. Wir brau-chen rasches und entschlossenes Handeln, um die Kli-makatastrophe – es geht schon gar nicht mehr darum, siezu verhindern – zumindest zu verzögern, sie abzumil-dern, sodass wir eine Chance haben, wenigstens einiger-maßen erträglich mit den Folgen umzugehen.Die Klimakatastrophe – es wirkt oft harmlos, wennman hört, es wird etwas wärmer – hat massive Auswir-kungen auf viele Menschen und auf viele Ökosysteme.Viele Menschen werden durch die Klimakatastrophe ihreHeimat verlassen müssen. Sie werden zur Flucht ge-zwungen werden. Es wird Wassermangel geben. Es wirdDürren geben. Die Zahl der Bürgerkriege wird zuneh-men. Das alles wird insbesondere in südlichen Regionender Fall sein. Das wird besonders Afrika und Ozeanienbetreffen, aber auch Australien. Aber auch wir hier inEuropa, in Deutschland, müssen damit rechnen, dass dieAnzahl der Hochwasserereignisse, die Anzahl der Dür-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1973
Dr. Anton Hofreiter
(C)
(B)
ren und die Anzahl instabiler Wetterlagen zunimmt undwir deshalb vor großen Problemen stehen.Wenn man den IPCC-Bericht genau liest, dann er-kennt man darin auch eine ermutigende Botschaft, eineHoffnung; denn noch haben wir die Chance, das 2-Grad-Ziel einzuhalten. Das wird nicht einfach, und dann istauch nicht alles gut, aber es wird zumindest nicht kata-strophal werden. Wir müssen jetzt handeln. Die Bundes-republik muss jetzt dringend handeln.
Was macht Merkel bei diesem schönen Thema?Merkel sitzt da und legt die Hände in den Schoß. Sie legtsie rautenförmig in den Schoß. Aus der Raute ist so eineArt Flaute geworden, was das Thema Klimaschutz an-geht.
Deutschland war einmal Vorreiter beim Thema Klima-schutz. Unter Schwarz-Gelb ist Deutschland dann zu-rückgefallen. Unter Schwarz-Rot laufen die Kohlekraft-werke auf Hochtouren. Der CO2-Ausstoß steigt. Wir sindnicht nur nicht mehr Vorreiter, wir sind auch nicht zu-rückgefallen, sondern wir sind inzwischen leider einerder Bremser beim Klimaschutz. Das darf so nicht sein.
Man hat oft den Eindruck: Je stärker der Handlungs-druck wird, desto ruhiger, entspannter und zurückhalten-der wird die Politik. Je notwendiger es wird, rasch zuhandeln, je alarmistischer, je besorgter die Prognosen derWissenschaft werden, desto handlungsärmer wird diePolitik, desto ruhiger sitzt Frau Merkel auf ihrem Stuhl.Aber wenn Realität und Politik miteinander in Konfliktgeraten, dann wird es am Ende für die Politik schwierigwerden. Der Klimawandel, die Klimakatastrophe istRealität. Sie wird nicht durch Aussitzen verschwinden.
Wir bräuchten also eine Kanzlerin, die sich wirklichum den Klimaschutz kümmert, eine Regierung, die sichum den Klimaschutz kümmert, und Regierungsfraktio-nen, die dafür sorgen, dass Klimaschutz Realität wird.Stattdessen haben wir eine Bundesumweltministerin, diedavon spricht, dass man die Kohle nicht verteufeln solle.Hat sie nicht verstanden, dass das Problem nicht im Ver-teufeln liegt, sondern dass das Problem das Verbrennender Kohle ist? Da fragt man sich: Warum ist sie dannBundesumweltministerin?
Was wir deshalb dringend brauchen, ist eine Regie-rung, die handelt. Wir brauchen dringend eine Regie-rung, die ein ambitioniertes Klimaschutzgesetz erlässt,das dafür sorgt, dass das Klima auch wirklich geschütztwird.Wir bräuchten eine Bundesregierung, die auf die EUDruck ausübt, damit diese wieder Vorreiter wird. Drin-gend notwendig sind drei Ziele: Wir brauchen ein Effi-zienzziel; denn die beste Energie ist immer noch die ge-sparte Energie. Wir brauchen ein Erneuerbare-Energien-Ziel. Wir brauchen ein ambitioniertes CO2-Reduk-tionsziel und eine Reparatur des Emissionshandels.Bei all dem hat man das Gefühl, dass die Bundesre-gierung im Bremserhäuschen sitzt und auf europäischerEbene eher ein Teil des Problems als ein Teil der Lösungist. Unterstützen Sie die Klimakommissarin, und hörenSie auf, auf Herrn Oettinger zu hören! Denn er hat diegrundlegenden Probleme nicht verstanden. Seien SieTeil der Lösung statt Teil des Problems!
Herr Kollege, bitte denken Sie an die Redezeit.
Was wir brauchen, ist Klimaschutz, eine EEG-No-
velle, die für Klimaschutz sorgt, und Mobilität ohne Öl.
Es ist höchste Zeit, zu handeln, und es wird höchste Zeit,
dass wir eine Bundesregierung haben, die diese Heraus-
forderung endlich annimmt.
Vielen Dank. – Es spricht jetzt für die CDU/CSU-
Fraktion der Kollege Andreas Jung.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Bevor ich zu den unterschiedlichen politischen Wertun-gen komme, die wir ohne Zweifel haben, lieber KollegeHofreiter, möchte ich zunächst einmal die Gemeinsam-keiten und die gemeinsame Wahrnehmung in den Mittel-punkt stellen. Die gemeinsame Wahrnehmung ist, dassder IPCC-Bericht hilfreich ist. Er knüpft an viele Be-richte an, die ihm vorausgegangen sind, und er führt unsvor Augen: Ja, der Klimawandel findet statt. Ja, es gibteine ganz reale Bedrohung, und ja, es gibt ganz erhebli-che Risiken, die von dieser Entwicklung ausgehen. Es istdringend Zeit, zu handeln, und wir müssen etwas tun.Wenn es uns nicht gelingt, dann werden die Auswir-kungen auf Mensch und Arten, auf die Natur insgesamtim wahrsten Sinne des Wortes fatal sein. Deshalb kannman nach meiner Überzeugung auch ohne Übertreibungsagen: Die Herausforderung des Klimawandels ist globalgesehen in diesem Jahrhundert die größte ökologische,ökonomische, soziale und humanitäre Herausforderungund hat im Übrigen auch sicherheitspolitische Dimensio-nen.Deshalb müssen wir handeln. Deshalb muss auf denUN-Konferenzen die Zeit des Redens in eine Ära desHandelns übergehen. Deshalb brauchen wir endlich ein
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1974 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Andreas Jung
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internationales und effizientes Klimaschutzabkommen,an dem alle Staaten beteiligt sind und bei dem alle mit-machen. Darum geht es in Lima als Weichenstellung.Darum geht es nächstes Jahr bei der Konferenz in Paris.Wir ermuntern die Bundesregierung und Sie, FrauUmweltministerin: Tun Sie alles, damit dieser Gipfelzum Erfolg wird! Ich bin sicher: Dabei haben Sie dieUnterstützung des ganzen Parlaments.
Wir wissen: Ob es am Ende gelingt, liegt nicht nur anuns. Das liegt maßgeblich daran, ob die großen Emitten-ten, die USA und China, ihre gegenseitige Blockadeüberwinden und tatsächlich bereit sind, sich ausgehendvon Maßnahmen, die sie schon durchführen, gegenüberder Staatengemeinschaft in einem internationalen Ab-kommen zu verpflichten. Es gibt Meldungen, die unsoptimistisch sein lassen. Aber es ist noch eine weiteStrecke zurückzulegen. Wir müssen beide, die USA undChina, in die Verantwortung nehmen. Ohne sie geht esnicht.Aber uns, der Europäischen Union und Deutschland,kommt in diesem Prozess eine wichtige Rolle zu. Wo-rum geht es? Wir müssen glaubwürdig die Vorreiterrolleausfüllen. Da, lieber Kollege Hofreiter, beginnt die un-terschiedliche Wertung. Deutschland und Europa werdennach wie vor als Vorreiter in diesem Prozess und alsStaaten wahrgenommen, die auf einen Erfolg drängen.Aber ich sage dazu auch: Jetzt müssen die Weichen ge-stellt werden, um diese Glaubwürdigkeit zu bewahren.Das gilt innerhalb der Europäischen Union. Es geht umehrgeizige Ziele und wirkungsvolle Instrumente.Wir bekennen uns als Regierungskoalition zu derZieltrias, also zu ehrgeizigen Zielen bei den erneuerba-ren Energien und bei der Energieeffizienz. Das hat dieEU noch zurückgestellt. Da brauchen wir ein ambitio-niertes Ziel. Ich finde es richtig, dass am Ende das he-rauskommt, was das Europaparlament befürwortet hat,nämlich ein Ziel von 40 Prozent im Bereich der Energie-effizienz. Das sollte Deutschland unterstützen.
Bei den Klimazielen ist der aktuelle Stand in der Eu-ropäischen Union: Minus 40 Prozent bis 2030 werdenals Ziel angestrebt. Dazu will ich sagen: Das ist die un-tere Grenze. Da ist Spielraum nach oben. Das sieht manschon im Koalitionsvertrag. Dort ist nämlich von einemZiel von mindestens minus 40 Prozent die Rede. Wennwir wollen, dass die Verhandlungen am Ende erfolgreichsind, dann bedarf es einer Dynamik. Dann müssen alleein Stück weit über das hinausgehen, was sie bisher ge-macht und vereinbart haben. Wenn ich „alle“ sage, dannmeine ich damit auch die Europäische Union. Wir soll-ten mit Offenheit in diesen Prozess gehen. Das bedeutetauch, dass er mit sich bringen kann, diese Zielvorgabe ineinem solchen Prozess und im Rahmen eines Klimaab-kommens noch einmal zu erhöhen. Das verstehe ich un-ter der Aussage „mindestens minus 40 Prozent“ imKoalitionsvertrag.
Ferner geht es darum, den Emissionshandel zu „repa-rieren“. Da sind wir uns in der Analyse einig. Wahr istim Übrigen, dass es diese Regierungskoalition war, diemit dem Backloading, also der Verknappung der Zertifi-kate, den ersten Schritt gemacht hat, um mehr Druck aufKohlekraftwerke und zugunsten des Klimaschutzes zuerzeugen. Wahr ist aber auch: Das reicht nicht. Wir brau-chen darüber hinaus eine strukturelle Reform. Das mussin der EU passieren. Bei uns in Deutschland geht es da-rum, dass wir unser ehrgeiziges Ziel von minus 40 Pro-zent bis 2020 erreichen. Die Bundesumweltministerinwill dafür Sofortmaßnahmen vorschlagen. Sie wirdnachher sicherlich dazu sprechen. Diese Diskussion wer-den wir als Union konstruktiv angehen. Wir wollen siezum Erfolg bringen. Das gilt für die gesamte Energie-wende. Wir setzen nicht auf Kernenergie, Fracking undKohle, sondern auf Erneuerbare, auf Energieeffizienzund auf Klimaschutz. Das ist unser Weg. Wir wollen ge-meinsam daran arbeiten, das zum Erfolg zu führen.
Vielen Dank. – Es spricht jetzt Eva Bulling-Schröter,
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Als Klimapolitikerin weiß ich, wie schwer vermittelbarglobale Erwärmung, Klimawandel sowie Folgen fürMensch und Natur sind. Ich sage „schwer vermittelbar“,weil spürbare Folgen verfehlter Energie- und Klimapoli-tik hierzulande nicht morgen oder übermorgen auftreten,sondern erst in 20, 30 oder gar 100 Jahren und weil Er-gebnisse guter Energie- und Klimapolitik eben nichtüber Niederlage und Sieg bei der nächsten Wahl ent-scheiden, sondern erst später, etwa im Jahr 2040, wennSchulkinder über diese Große Koalition, die bei derEnergiewende weiter auf die Bremse tritt, verständnislosden Kopf schütteln werden. So sieht es heute aus. Ge-rade wegen der Langfristigkeit ist es mir ein Anliegen,dass heute wirklich jedem hier im Haus und im Land, obin Bayern, Nordrhein-Westfalen, Brandenburg oderMecklenburg-Vorpommern, deutlich wird, warum es unsetwas angeht, wenn vom Klimawandel die Rede ist, undauf welcher Grundlage die Warnungen von uns Klima-politikern überhaupt fußen.Zur empirischen Datenlage. Noch nie war ein Berichtdes Weltklimarates sowohl bei Auswahl als auch beiBewertung von Datenmaterial, Studien und Modellie-rungen so sorgfältig, so detailliert und damit wissen-schaftlich so unangreifbar wie dieser Fünfte Sachstands-bericht. Allen Klimawandelskeptikern und Kohlefansbei Union, SPD und anderswo, denen es nur um Ver-harmlosung geht, sage ich deshalb: Noch nie in der Wis-senschaftsgeschichte der Menschheit haben Forscherin-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1975
Eva Bulling-Schröter
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nen und Forscher aller fünf Kontinente in gemeinsamerArbeit, Abstimmung und Fachdiskussion ein derart um-fangreiches Projekt in die Tat umgesetzt. Ihr For-schungsinteresse ist für uns alle von entscheidender Be-deutung,
nämlich der Erde eine verlässliche Diagnose über das insTaumeln geratene Weltklima abzuringen.Ja, die Klimaforscher sind Überbringer schlechterNachrichten, und sie sehen sich aus diesem Grund im-mer wieder öffentlichen Anfeindungen ausgesetzt.Selbst die wissenschaftliche Seriosität wird ihnen abge-sprochen. Ich finde, das geht überhaupt nicht.
Die Linke will der Klimaforschung an dieser Stelle ganzklar ihren Respekt und ausdrücklichen Dank ausspre-chen. Es geht immerhin um die Lebensgrundlage allerMenschen. Das, meine Damen und Herren, geht uns allean.
Der neueste Bericht des Weltklimarates zeigt wiedereinmal, wie tiefgreifend die Folgen des menschenge-machten Klimawandels wirklich sind. Ich will an dieserStelle nicht wieder die bekannten Bilder von Wirbelstür-men, Dürren, Überschwemmungen und Flüchtlingsströ-men bemühen. So viel aber ist klar: Die 2-Grad-Markeder Erderwärmung ist in der aktuellen Tendenz nicht zuschaffen. Die Forscher rechnen in Worst-Case-Szenariengar mit einer möglichen Erwärmung von 6,8 Grad Tem-peraturanstieg. Das ist einfach eine Katastrophe. Bald istes 4 Grad wärmer als vor der Industrialisierung. Die Kli-maerwärmung ist also Realität. Nun heißt es, sich an dieFolgen anzupassen, ohne aber die CO2-Reduktion ausden Augen zu verlieren. Auch das sage ich ganz klar.Wie erklärte gestern ein IPCC-Leitautor von der Ar-beitsgruppe 2 zu „Folgen, Anpassung und Verwundbar-keit“ so schön? Wir wissen nicht, ob bei einem vollge-laufenen Keller 50 Prozent vom Klimawandel kommenund 50 Prozent ganz normales Wetter ist. – Ganz richtig.Aber wenn das Haus unter Wasser steht oder das Dachweggeflogen ist, dann ist es den Bürgern eigentlichwurscht. Diese Zahlenspiele sind völlig egal. Da ist diePolitik gefragt.
Wir wissen um die Notwendigkeit der Anpassung.2009 wurde hier im Haus die deutsche Anpassungsstra-tegie verabschiedet. Alle Reden gingen zu Protokoll. Eindringendes Interesse in Öffentlichkeit und Politik fehltweiter. Darum finde ich diese Aktuelle Stunde so wich-tig, auch wenn wir den nächsten IPCC-Bericht noch hät-ten abwarten können. Ich finde es aber trotzdem gut,dass wir das diskutieren.Die größten Risiken des Klimawandels tragen – daskann man an dieser Stelle noch einmal sagen – Arme,Fischer, Bauern, Kleinsthändler. Die wirtschaftlicheLeistungsfähigkeit kann Schaden nehmen, überall, auchdie Gesundheit. Dann frage ich mich: Warum erkennenVersicherungen klimawandelinduzierte Schäden nichtan? Was ist mit der medizinischen Forschung zu Ge-sundheitsschäden durch Klimawandel? Warum gibt es inder UN-Flüchtlingskonvention keinen Status für Klima-flüchtlinge? Und warum rühmen sich Forschungs- undUmweltministerium? 250 Millionen Euro stehen für dieAnpassung in den Entwicklungsländern bereit.
Denken Sie an die Redezeit, bitte.
Letzter Satz. – Wissen Sie, was ein Deich kostet? Die
250 Millionen sind viel zu wenig. Allein auf den Philip-
pinen gibt es 36 000 Kilometer Küste. Der Betrag ist lä-
cherlich.
Wir erwarten von der Bundesregierung, dass sie in
vielerlei Hinsicht etwas tut. Wir haben die Themen ge-
nannt. Es muss jetzt wirklich etwas passieren. Es ist ei-
gentlich schon fünf nach zwölf.
Danke.
Für die Bundesregierung spricht jetzt Bundesministe-rin Dr. Barbara Hendricks.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Bericht des Weltklimarates IPCC ist erneut einWeckruf an uns alle, an die gesamte Menschheit, wennman so will. Wir wissen alle: Die Folgen des Klimawan-dels sind bereits heute mehr als deutlich zu beobachten.In den kommenden Jahrzehnten drohen durch Zunahmevon Hitze und Extremereignissen immer stärkere Nach-teile für Menschen und Ökosysteme. Ohne raschen undambitionierten Klimaschutz wäre ein globaler Tempera-turanstieg um durchschnittlich 4 Grad Celsius oder mehrwahrscheinlich. Das wäre eine Welt, in der wir uns garnicht vorstellen können zu leben. Deswegen ist natürlichdas Ziel, den Anstieg auf maximal 2 Grad zu begrenzen,das größte Ziel, das wir in diesem Zusammenhang ha-ben. Die Möglichkeiten zur Anpassung an den Klima-wandel würden bei einem Anstieg von 4 Grad nämlichschwinden oder sehr viel teurer werden. Es steigt auchdie Gefahr von abrupten, unumkehrbaren Klimaände-rungen, sogenannten Kipppunkten. Der IPCC betontauch, dass angesichts des zu erwartenden Klimawandelsdie gegenwärtigen Anpassungsmaßnahmen schon nichtmehr ausreichen.
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1976 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Für mich sind die politischen Konsequenzen aus denneuen IPCC-Berichten – einen Teilbericht haben wirheute vorliegen, und schon in anderthalb Wochen be-kommen wir hier in Berlin einen weiteren Teilberichtüberreicht – vollkommen klar: Eine verantwortungsvolleKlimapolitik muss immer auf zwei Säulen stehen: Siemuss erstens dafür sorgen, dass die Erderwärmung die2-Grad-Marke nicht übersteigt. Sie muss aber zweitensauch Risiken erkennen und sich auf die nicht vermeidba-ren Folgen von Klimaveränderungen vorbereiten undeinstellen.
Anpassung ist jedenfalls weder leichter noch billiger alsVermeidung. Trotzdem müssen wir auch an Anpassungs-strategien denken. Wir wissen aber, wie gesagt, dass An-passung ganz gewiss nicht leichter oder billiger ist alsVermeidung, im Gegenteil: Je zögerlicher die Staatenge-meinschaft bei der Minderung der Treibhausgase ist,desto mehr wird schließlich für Anpassungen zu zahlensein.Die IPCC-Ergebnisse sind eine Bestätigung für dieehrgeizigen Klimaschutzziele der Bundesregierung. Biszum Jahr 2050 wollen wir in der EU die Emissionen um80 bis 95 Prozent absenken, und wir in der Bundesrepu-blik Deutschland haben schon den Ehrgeiz, bei der Ab-senkung eher am oberen als am unteren Rand zu liegen,also eher an 95 Prozent zu kommen, als bei 80 Prozentzu verbleiben.Unser nächstes Etappenziel ist es, die Treibhausgas-emissionen hier in Deutschland bis 2020 um mindestens40 Prozent gegenüber 1990 zu senken.
Ich habe mir nach meinem Amtsantritt aufarbeiten las-sen, wo wir mit den bisher von der Bundesregierung be-schlossenen Maßnahmen stehen. Die nüchterne Eröff-nungsbilanz zu Beginn dieser Legislaturperiode ist, dasswir mit den Maßnahmen, die wir bislang ergriffen ha-ben, eine Minderung der Treibhausgase um etwa 33 bis35 Prozent bis zum Jahr 2020 erreichen können. Da ichmir eine verhältnismäßig schlechte Wirtschaftsentwick-lung, die dazu führen würde, dass wir die Reduzierungum 35 Prozent erreichen, nicht wünschen kann und ichnicht glaube, dass wir damit zu rechnen haben, müssenwir davon ausgehen, dass tatsächlich bis zum Jahr 2020eine Lücke von 7 Prozentpunkten verbleibt, die wir mitden bisher ergriffenen Maßnahmen nicht schließen kön-nen. Ich werde deswegen, wie schon angekündigt wurde– es wurde eben angesprochen –, auf der Basis dieserAusgangsanalyse, nach der wir noch 7 Prozentpunktemehr erreichen müssen, mit den Ressorts der Bundesre-gierung ein Sofortprogramm abstimmen, mit dem wirdie Politiklücke, die wir bisher offenbar haben, schließenkönnen. Dabei ist klar:Erstens. Das Umwelt- und Bauministerium kann,auch wenn es einen großen Teil erbringen kann, die zu-sätzlichen Minderungen nicht alleine erbringen. Wirbrauchen das Mittun aller Ressorts, die ihre Verantwor-tung für die jeweiligen Sektoren, für die sie zuständigsind, übernehmen müssen.
Jeder muss also zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen er-bringen.Zweitens. Wir dürfen uns und auch der Öffentlichkeitnichts schönrechnen. Die Minderungsmaßnahmen müs-sen geeignet sein, die notwendigen Erfolge zu bringen.Drittens. Auch ein Sofortprogramm gelingt leidernicht im Hauruckverfahren, sondern muss sorgfältig mitden betroffenen Ministerien ausgearbeitet werden.Ich werde noch vor Ostern erste Eckpunkte des Pro-gramms an die Ressorts versenden. In einer ressortüber-greifenden Arbeitsgruppe werden wir auf der Basis die-ser Eckpunkte die konkreten Maßnahmen verabreden.
Im Herbst sollten wir das Programm im Kabinett verab-schieden können. Ich glaube, dass wir dann endlich wie-der die Vorreiterrolle zurückerobert haben, die uns in derVergangenheit etwas abhandengekommen ist. Aber es istschon richtig: Wir gelten immer noch als beispielhaft.Nur, der Ehrgeiz hat in Europa insgesamt etwas nachge-lassen. Dann muss es unser Ziel sein, nicht nur selberwieder ehrgeiziger zu werden, sondern auch den Ehrgeizder anderen gleichsam mitzuziehen.
Ich will dem skizzierten Prozess nicht vorgreifen;aber es ist völlig klar – das haben der Bundeswirtschafts-minister und ich in den letzten Wochen immer wiedergesagt –, dass eine Reform des Emissionshandels einenbedeutenden Teil der zusätzlichen Minderungen ermög-lichen muss. Denn dieses Instrument steuert ja die Emis-sionsminderungen im gesamten Bereich der Energie-wirtschaft und der Industrie.Kollege Hofreiter, Sie machen es sich ein bisschen zuleicht, wenn Sie so tun, als würden alle Menschen, dieaus Nordrhein-Westfalen kommen, nicht begreifen, dassbeim Verbrennen von Kohle CO2 entsteht. Das wissenwir sehr wohl, keine Sorge.
– Herr Krischer kommt sogar aus dem Aachener Kohle-revier, ich nicht.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1977
Bundesministerin Dr. Barbara Hendricks
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Die Energiewende mit dem Ausbau der erneuerbarenEnergien und mehr Energieeffizienz kann nur in Kombi-nation mit einer solchen Reform des Emissionshandelsihre volle Wirksamkeit für den Klimaschutz erbringen.Selbstverständlich muss auch der Verkehrssektor seinenBeitrag für mehr Klimaschutz leisten. Und im Gebäude-bereich werden wir gemeinsam mit dem Energieministerunter anderem dafür sorgen, dass die bereitstehendenFördermittel eine maximale Wirksamkeit für den Klima-schutz erreichen. Im Übrigen ist dies auch die vernünf-tigste Strategie, um unsere Abhängigkeit von Gasimpor-ten zu mindern.
Ich bin in den letzten Tagen häufiger auf ein Inter-view angesprochen worden, das ich gegeben habe. Ichwill dazu nur so viel sagen: Ich weiß auch, dass wir dasKlima nicht dadurch retten, dass wir Pullover anziehen.
Aber ich weiß – und das wollte ich zum Ausdruck brin-gen; ich hoffe, dass das die meisten auch so verstandenhaben –, dass auch wir in Mitteleuropa unsere Lebens-weise überprüfen müssen. Es geht hier nicht allein umstaatliche Maßnahmen, die wir selbstverständlich brau-chen: Vorgaben im Ordnungsrecht, Fördermaßnahmenund vieles andere mehr. Es geht auch darum, dass wirunsere eigene Lebensweise überprüfen. Wir sollten nichtvergessen, dass die Menschen in den Tropen oder in denSubtropen ihr Leben sozusagen total auf den Kopf stel-len – oder es sogar verlieren. Im Gegensatz dazu sind dieAnpassungsmaßnahmen, die von uns erwartet werden,verhältnismäßig überschaubar.
In der EU setzen wir uns dafür ein, dass ehrgeizigeZiele für das Jahr 2030 beschlossen werden; das ist heuteschon angesprochen worden. Selbstverständlich setzenwir uns für die Zieltrias ein: 40 Prozent Emissionsmin-derung, Zunahme des Anteils der erneuerbaren Energienan der Stromversorgung um 30 Prozent und ein wirklichspürbares Ziel bei der Energieeffizienz.Es ist nicht so einfach, das in der Europäischen Unionzum Gemeingut zu machen, aber – Kollege Jung undandere haben darauf hingewiesen – dies ist unser ge-meinsames Ziel. Nur auf diese Weise können wir bei denVereinbarungen, die auf uns zukommen werden, voran-schreiten. Wir wissen ja, dass wir die Ziele auf europäi-scher Ebene erreichen müssen; denn nur durch unser ent-schlossenes Handeln auf europäischer Ebene können wirwiederum auf internationaler Ebene voranschreiten.Wir haben die Verantwortung, die KlimakonferenzEnde des Jahres 2015 zu einem Erfolg zu bringen. Dafürarbeiten wir auf allen Ebenen. Wir haben zum Beispielso etwas wie eine „Klimaaußenpolitik“ angestoßen. Ichbin meinem Kollegen Frank-Walter Steinmeier außeror-dentlich dankbar, dass er dafür gesorgt hat, dass sich die-jenigen, die sowieso für uns im Ausland tätig sind, näm-lich im Diplomatischen Dienst, dieses zu ihrer Aufgabegemacht haben und viele notwendige Gespräche führen.
Selbstverständlich geschieht das auch auf der Lei-tungsebene meines Ministeriums. Aber wir können na-türlich nicht in der ganzen Welt unterwegs sein; denn ir-gendwie müssen wir die Arbeit zu Hause auch nocherledigen. Diese Klimaaußenpolitik ist gerade im Hin-blick auf 2015 von hoher Bedeutung; denn die Interes-senlagen in der Welt sind nun mal außerordentlich unter-schiedlich.
Frau Ministerin, Sie haben eine ganz besondere Ver-
antwortung.
Dr. Barbara Hendricks, Bundesministerin für Um-
welt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit:
Danke. – Im Juli werden wir zum Petersberger Klima-
dialog einladen. Wir tun alles, um voranzuschreiten. Wir
wissen, dass wir das nicht alleine können. Wir sind da-
rauf angewiesen, dass die Weltgemeinschaft das ebenso
sieht wie wir. Wir sind auch auf das Verständnis und das
Engagement unserer Bürgerinnen und Bürger angewie-
sen.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die KolleginAnnalena Baerbock, Bündnis 90/Die Grünen.
Liebe Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damenund Herren! Meine Vorrednerinnen und -redner haben esschon erwähnt: Der IPCC-Bericht hat deutlich gemacht:Auch in Europa leben wir nicht auf einer Insel derGlückseligen. Dass jetzt alle drei bis fünf Jahre Jahrhun-derthochwasser mit Milliardenschäden kommen, hatdazu geführt, dass selbst in den Reihen der CDU/CSUgesagt wird, dass der Klimawandel ernsthaft angegangenwerden muss.Das Problem ist nur, dass die Maßnahmen aufgescho-ben werden. Der IPCC-Bericht richtet sich an all jene,die sagen: Erst einmal müssen wir an unsere Wirtschaftdenken, dann tun wir etwas für das Klima. – Der Berichtmacht deutlich: Je später wir handeln, desto teurer wirdes auch für die gesamte Wirtschaft in Europa und welt-weit.
Deswegen reicht es halt nicht, wenn man sagt: Wir er-greifen ein paar Maßnahmen, und irgendwann kommt
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1978 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Annalena Baerbock
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auch unser Sofortprogramm. – Vielmehr muss Klima-schutz in der Bundesrepublik Deutschland wiederToppriorität erhalten.Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD undUnion, müssen sich jetzt entscheiden: Wollen Sie Ihreinternationalen Klimaschutzverpflichtungen einhalten– CO2-Reduktion um mindestens 80 Prozent bis zurMitte des Jahrhunderts –, oder wollen Sie sagen: „DieEnergiewende ist viel zu teuer, wir können das unsererWirtschaft nicht antun, und sowieso müssen wir mal einStück langsamer fahren“? Das passt alles nicht zusam-men.
Wenn Sie sich dafür entscheiden, in der Debatte alleinauf die Kostenfrage zu setzen und zu sagen: „Wir dürfender Industrie nicht so viel aufbürden“, dann fahren Siebitte zusammen mit Frau Hendricks zum nächsten Welt-klimagipfel und sagen dort: Wir haben das mit unsereninternationalen Verpflichtungen nicht so gemeint; wir ar-beiten nicht mehr an einer Minderung des CO2-Aussto-ßes. – Dieses Sowohl-als-auch geht nun einmal nicht.Die Energiewende ist wie eine Schwangerschaft: Einbisschen Energiewende geht eben nicht.
Liebe Frau Hendricks, wir Grüne mögen Strickpullissehr gerne. Wir ziehen sie auch gerne an; im Sommervielleicht einen etwas dünneren. Diese Lebensstilfrageist aber keine Rechtfertigung dafür, dass man sich ausder politischen Verantwortung zurückzieht.
Wenn man sagt, dass die Menschen ihren Beitrag zumKlimaschutz leisten müssen, dann muss die Politik in ei-nem solchen Fall eben noch mehr tun. Das bedeutet ganzkonkret: Wenn Klimaschutz wieder Toppriorität erhaltensoll, dann müssen wir den Klimaschutz gesetzlich veran-kern. Wir brauchen ein Klimaschutzgesetz – wie es etli-che Länder vorgemacht haben.
Wenn Klimaschutz wieder Toppriorität erhalten soll,dann reicht ein Herumfrickeln am EEG eben nicht, son-dern dann muss man über das Strommarktdesign reden,und man muss den Bestandsschutz von Kohle infragestellen.
Wenn wir über Klimaschutz reden und das Topprioritäterhalten soll, dann darf man nicht bei einem Frühjahrs-gipfel der EU sagen: „Aufgrund der Ukraine verschiebenwir das Thema Klimaschutz auf die nächsten Ratssitzun-gen“; denn – das wurde zu Recht betont – wir müssenuns unabhängiger machen von Energieimporten. Washätte die Antwort auf dem Frühjahrsgipfel sein müssen?Sie hätte lauten müssen: Deswegen arbeiten wir nochambitionierter an den Klima- und Energiezielen für dasJahr 2030; deswegen arbeiten wir noch härter für einebessere Energieeffizienz. – Die Energieeffizienz ist dochder Schlüssel zu einer größeren Unabhängigkeit von Gas-importen aus aller Welt.
Wenn darauf verwiesen wird: „Die anderen europäi-schen Länder wollten nicht“, dann antworte ich mit demschönen Spruch von früher: Frieden fängt zu Hause an. –Das gilt auch für den Klimaschutz: Klimaschutz fängt zuHause an. Schauen wir einmal hin, was Deutschlandbeim Thema Energieeffizienz gemacht hat: Seit 2012sollte die Energieeffizienz-Richtlinie umgesetzt werden.Das ist sie bis heute nicht. Wir hatten uns dazu verpflich-tet, bis zum Jahr 2020 gegenüber dem Stand von 200820 Prozent Energie einzusparen. Wo stehen wir? NachZahlen von 2012 stehen wir bei 2,7 Prozent. Inwiefernist man da Vorreiter?
Wenn Klimaschutz Priorität haben soll, dann kommenSie auch um die Frage der Nutzung fossiler Energiennicht herum. So ist das halt: Wenn ein Drittel der welt-weiten CO2-Emissionen von fossilen Energieträgern ver-ursacht wird, dann müssen wir das angehen. Heutewurde bekannt, dass die Emissionen der 30 größtenKohlekraftwerke in Deutschland um 5 Prozent gestiegensind. Da kann man doch nicht einfach wegsehen, son-dern man muss wie NRW sagen: Ja, wir ziehen die Kon-sequenzen, wir überdenken unsere Braunkohlepläne,und wir steigen sukzessive aus. – Es redet niemand voneinem Sofortausstieg, auch nicht wir Grünen. Wir sagen:Wir dürfen nicht mit einer Braunkohlestrategie weiter-machen, nach der auch in den Jahren 2040 und 2050Kohle verstromt wird; denn dann erreichen wir die inter-nationalen Ziele definitiv nicht.
Liebe Linke, reden Sie bitte mit Ihren Kollegen inBrandenburg. Dort stellen Sie den Wirtschaftsminister.Just an dem Tag, an dem in NRW parlamentarisch ent-schieden werden soll, dass man den dritten Teilabschnittvon Garzweiler II nicht angeht, am 28. April 2014, willIhr Wirtschaftsminister in Cottbus die neuen Tagebau-pläne für Welzow-Süd II genehmigen. Das kann nichtsein, die Kohle muss bleiben, wo sie ist. Sie muss unterder Erde bleiben. Dafür müssen wir sorgen.Eine letzte Bemerkung zum ETS. Wir begrüßen es,dass der Emissionshandel reformiert werden soll. Aberdann stellen Sie das bitte auch im Haushalt entsprechenddar. Wir diskutieren in den nächsten Wochen über denHaushalt. Sie bezuschussen mit 655 Millionen Euro denEnergie- und Klimafonds, weil es keine Zahlungen ausdem ETS gibt. Zusätzlich stellen Sie 350 Millionen EuroSteuergeld für stromintensive Unternehmen bereit, dievom ETS nicht belastet werden, weil ohnehin zu vieleZertifikate im Markt sind und man damit sogar noch Ge-winne machen kann. Die Unternehmen, die von denniedrigen Börsenstrompreisen profitieren, bekommen
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1979
Annalena Baerbock
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also 350 Millionen Euro als Strompreiskompensations-geld obendrauf. So machen diese Unternehmen sogarnoch einen Gewinn damit, dass sie mehr CO2 ausgesto-ßen haben. So geht Klimaschutz definitiv nicht.Freuen Sie sich auf unsere Änderungsanträge zumHaushalt.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Ich möchte nur darum bitten, dass die
letzten Sätze nicht ganze Bücher werden. Dann kommen
wir auch mit der Redezeit hin. – Nächste Rednerin in der
Debatte ist Frau Dr. Anja Weisgerber, CDU/CSU-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Ob an Land oder im Meer, ob an den Po-len oder in der Wüste, die Auswirkungen des vom Men-schen verursachten Klimawandels sind überall zu spü-ren. Das ist unbestritten. Dennoch ist zu sagen: DieWissenschaftler sind mit ihren Aussagen deutlich vor-sichtiger geworden. Sie sehen die Auswirkungen diffe-renzierter, und sie nehmen sogar manche frühere Pro-gnose zurück oder schränken sie ein.
Und sie stellen fest, dass es auch erstmals Fortschritte invielen Ländern zu verzeichnen gibt. Deshalb dürfen wirjetzt den Kopf nicht in den Sand stecken und alles nurnegativ sehen, sondern wir müssen ganz deutlich sagen:Wir Deutsche müssen auch weiterhin weltweit eine Vor-reiterrolle beim Klimaschutz und bei der Nutzung der er-neuerbaren Energien einnehmen. – Und wir nehmen sieauch ein.
Deutschland allein kann das Klima nicht retten.Grenzüberschreitende Herausforderungen wie der Kli-maschutz lassen sich einfach nicht rein national lösen.Wir brauchen dafür auch die anderen Staaten in der Welt.Wir fordern daher ganz klar: Auch Länder wie die USAund China müssen bei der Verhandlung um die Fortset-zung des Kioto-Protokolls ihrer Verantwortung gerechtwerden.
Um unserer Verantwortung in der Welt gerecht zuwerden, gibt es jetzt neue Vorschläge der EU zu den eu-ropaweiten Klimazielen. Die Kommission schlägt vor,die CO2-Emissionen bis 2030 um 40 Prozent zu reduzie-ren und den Anteil der erneuerbaren Energien EU-weitauf mindestens 27 Prozent zu erhöhen. Für die einzelnenMitgliedstaaten gibt es zu den erneuerbaren Energienaber keine verbindlichen Ziele mehr. Da sage ich ganzklar: Wir müssen uns jetzt dafür einsetzen, dass wir zueiner gemeinsamen ehrgeizigen Position auf EU-Ebenekommen. Dann können wir als Europäer beim Weltkli-magipfel in Lima und beim dann entscheidenden Gipfelin Paris geschlossen und, basierend auf unseren Zielen,auch selbstbewusst auftreten.
Deswegen sage ich insbesondere mit Bezug auf dasZiel bei den erneuerbaren Energien: Die Vorschläge derEU-Kommission gehen mir als Klimapolitikerin undvielen von uns nicht weit genug.
Wir müssen als Bundesrepublik Deutschland einfordern,dass auf EU-Ebene an der bewährten Zieltrias festgehal-ten wird.
Darin möchten wir auch unsere Klimakanzlerin AngelaMerkel bestärken, die, Herr Hofreiter, nicht ihre Händein den Schoß legt, wie Sie es gerade formuliert haben,sondern auf EU-Ebene aktiv für diese Zieltrias einsteht.Wir sollten, statt uns ständig gegenseitig zu beschimp-fen, an dieser Stelle einfach einmal an einem Strang zie-hen. Dann können wir das vielleicht auch EU-weitdurchsetzen.
Es reicht eben nicht, dass nur das CO2-Ziel verbind-lich ist. Wir wollen nämlich nicht, dass einige Mitglied-staaten vor allem auf die Kernenergie setzen und sodurch die Hintertür zur CO2-Reduktion beitragen, ohnedabei die erneuerbaren Energien auszubauen. Denn dannmüssten einige Musterschüler wie Deutschland – wirsind beim Thema erneuerbare Energien Musterschüler;denn wir werden hier unsere Ziele übererfüllen – im Be-reich der erneuerbaren Energien die Arbeit der anderenMitgliedstaaten mitmachen. Das kann so auch nicht sein.
Wir brauchen auch klare Ziele beim Thema Energie-effizienz. Denn gerade im Gebäudebereich steckt vielEinsparpotenzial. Daher ist es unumgänglich, dass wir inDeutschland das Thema „steuerliche Absetzbarkeit vonInvestitionen bei der Gebäudesanierung“ angehen.
Wir Klimapolitiker sollten in der Diskussion mit denHaushalts- und Finanzpolitikern geeint und gestärkt auf-treten, damit wir das gemeinsam durchsetzen.
– Auch die Länder sollten mitmachen, genau.
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1980 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Dr. Anja Weisgerber
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Ein weiteres Instrument im Kampf gegen den Klima-wandel ist der Emissionshandel. Auch hier sind wir Eu-ropäer weltweit führend. Wir müssen einen funktionie-renden Emissionshandel als Chance sehen, und zwarnicht nur für die Klimapolitik, sondern auch für dieEnergiewende. Denn steigt der Preis für die Emissions-rechte, dann wird der derzeit günstige, aber klimaun-freundliche Kohlestrom teurer und weniger attraktiv alsder umweltfreundlichere Strom aus Gas und die erneuer-baren Energien. Deshalb brauchen wir eine nachhaltigeReform des Emissionshandels. Ein funktionierenderEmissionshandel steigert nämlich nicht nur die Energie-effizienz, sondern fördert auch die Innovationskraft derUnternehmen.
Ein Satz noch: Trotz allem muss der Emissionshandelein marktwirtschaftliches Instrument bleiben, und derPreis der Emissionsrechte darf nicht politisch verordnetwerden.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Das Wort hat jetzt die Kollegin Heike
Hänsel, Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Frau Baerbock, ich fand es ja richtig, die Linkefür das, was in Sachen Braunkohle in Brandenburg ge-schieht, zu kritisieren. Das kritisieren auch wir. Ich findees wichtig, sich da an die eigene Nase zu fassen. Ichkann Ihnen aber sagen: Vor 14 Tagen habe ich in Baden-Württemberg, am AKW Neckarwestheim, demonstriert.Da ist Rot-Grün an der Regierung. Auch da fordern wirnatürlich, dass die Atomkraftwerke schneller vom Netzgehen. Auch die Politik von EnBW kann man in vielerleiHinsicht kritisieren.
Es ist wichtig, dass alle, die an Umweltpolitik und Kli-mapolitik interessiert sind, immer auch in ihren eigenenReihen kritisieren. Das gilt aber für alle.
Jetzt möchte ich gerne zum Bericht des Klimarateskommen, der schon vielfach erwähnt wurde. Er zeigtdeutlich, dass das exzessive und unsoziale Wachstum derIndustriestaaten vor allem zulasten der Menschen im Sü-den geht; denn die Zerstörung der Ökosysteme betrifftdirekt die Welternährung und die Existenzgrundlagenvon Millionen von Menschen. Eine Erhöhung der globa-len Temperatur um mehr als nur 2 Grad Celsius wirddiese Risiken für Mensch und Natur weiterhin überpro-portional steigern. Der Bericht zeigt meines Erachtensauch ganz eindeutig, dass das existierende Weltwirt-schaftssystem Armut und Hunger produziert und unserenatürlichen Lebensgrundlagen zerstört. Genau deswegenmüssen wir uns auch fragen: In welchem Weltwirt-schaftssystem leben wir eigentlich?
Diese Diskussion haben wir jetzt; denn die Welt willsich nach 2015 neue global geltende Nachhaltigkeits-ziele geben, die sogenannten SDGs, die Sustainable De-velopment Goals. In der UNO werden diese Vorhabenmittlerweile in vielen Kreisen diskutiert; es wird vielentworfen. Aber gleichzeitig werden zum Beispiel in derEuropäischen Union wirtschafts- und handelspolitischWeichen gestellt und Fakten geschaffen, die den hehrenZielen von nachhaltiger Entwicklung und Wirtschafts-weise zuwiderlaufen, wodurch all diese Ziele unterlau-fen werden. Es geht um den nach wie vor stark gepush-ten Freihandel, um den sogenannten freien Markt, dergrenzenloses Wachstum und neue Wachstumsschübeverspricht, auch für die Europäische Union, und da vorallem aber natürlich für global agierende Konzerne, unddas auf Kosten von Millionen von Existenzen in denLändern des Südens und auf Kosten der Umwelt und desKlimaschutzes. Genau deswegen thematisieren wir diegrößte geplante Freihandelszone der Welt zwischen derEU und den USA, TTIP, aber auch alle anderen Freihan-delsabkommen mit den Ländern des Südens, ob in La-teinamerika, Afrika oder Asien. Wer ernsthaft Klima-politik machen will, der muss diese neoliberaleHandelspolitik grundsätzlich infrage stellen.
Wie wir gesehen haben, wurden Klimawandel undUmweltzerstörung trotz zahlreicher Entwicklungsgipfelin den letzten 20 Jahren, zum Beispiel in Rio 1992 und2012, nicht zurückgedrängt oder gestoppt, sondern – imGegenteil – sogar verstärkt. Der Anspruch einer nach-haltigen wirtschaftlichen Entwicklung vor allem in denLändern des Südens wurde dadurch ganz massiv gefähr-det.Die Menschen, die in den ärmsten Ländern dieserErde leben, haben die größten Risiken und Konsequen-zen zu tragen. Wir diskutieren das immer in unseren Ent-wicklungskreisen, aber es folgen nicht die entsprechen-den Konsequenzen für die Industriestaaten, für dieLänder des Nordens. Es braucht sehr viel Geld für An-passungsmaßnahmen. Ohne solche Maßnahmen – dassteht auch im Bericht – wird in vielen Regionen einRückgang der Erträge von Weizen, Reis und Soja um biszu einem Fünftel im Laufe des Jahrhunderts zu erwartensein. Deswegen sind wir hier in der Verantwortung. Esgeht um die Existenz von vielen Menschen.Wir müssen die Standards und die selbst formuliertenZiele zur CO2-Reduzierung einhalten. Wir müssen aberauch ganz konkret viel mehr Geld für die Finanzierungbereitstellen. 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr werdenallein für die Anpassungsmaßnahmen in den Länderndes Südens benötigt. Die Bundesregierung macht hier
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1981
Heike Hänsel
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sehr wenig. Wir haben gefordert, dass bei den VereintenNationen ein Fonds für Anpassungsmaßnahmen, aberauch für Wiedergutmachung eingerichtet wird.
Das soll kein Geld sein, das für die Entwicklungszusam-menarbeit bereitsteht; es muss extra Geld bereitgestelltwerden, weil es um eine Art der Kompensation, der Wie-dergutmachung geht. Das brauchen die Menschen in denLändern des Südens. Hier sind wir in der Verantwortung.Es gibt eine Initiative von Nobelpreisträgern, die for-dert: Wir müssen die Billionen von Rüstungsgeldernendlich umwidmen für Klimaschutz, für soziale Ent-wicklung weltweit. Das wäre dann auch eine gerechteKlimapolitik.
Vielen Dank. – Nächster Redner in der Debatte ist
Frank Schwabe, SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!In der Tat, mit dem neuen Weltklimabericht ist noch ein-mal deutlich geworden: Erstens. Der Klimawandel istexistent. Zweitens. Er ist menschengemacht. Drittens. Erhat gravierende Auswirkungen auf Mensch und Natur.Deswegen ist es richtig und wichtig, dass wir den Kampfgegen den Klimawandel intensivieren und das machen,was auch die Ministerin betont hat, nämlich Anpas-sungsmaßnahmen im Land vornehmen, aber auch inter-national finanzieren.Alle, die hier gesagt haben: „Es geht am Ende nurglobal; es geht nur weltweit“, haben vollkommen recht.Um das klarzumachen, reden gleich für uns auch nocheine Außenpolitikerin und eine Entwicklungspolitike-rin. Aber ich sage gleichzeitig: Hinter einer solchen Aus-sage kann man sich nicht verstecken.
Am Ende geht es darum, dass Länder und Regionen ihreBeiträge leisten.Ich will dazu deutlich sagen: Ich sehe mit etwas Sorgedie Debatte, die zurzeit innerhalb der EuropäischenUnion geführt wird. Ich will die Bundesregierung aus-drücklich loben – ich glaube, so wird das auch interna-tional und europäisch wahrgenommen –: Wir sind da amguten Ende der Debatte. Das, was ich ansonsten höre,halte ich eher für bedenklich. Wenn es wirklich so seinsollte, dass die Europäische Union ihre Ziele für einweltweites Klimaabkommen 2015 erst im Frühjahr desnächsten Jahres vorlegt, dann ist das definitiv zu spät.Ich denke, das ganze Haus erwartet von der Bundesre-gierung, von der Europäischen Union, dass wir durchset-zen, dass das eher geschieht, um eine entsprechende Dy-namik in die internationalen Verhandlungen zu bringen.
Jetzt geht es darum, Bilanz zu ziehen – das wollen jadie Grünen mit der von ihnen beantragten AktuellenStunde heute – über das, was in Deutschland gelaufenist. Da komme ich nicht umhin, zu sagen – ich habe dasin der letzten Debatte schon betont –: Aus meiner Sichthat es für den Klimaschutz in Deutschland leider vierverlorene Jahre gegeben. Ich habe das schon beim letz-ten Mal der hier nur noch imaginären FDP zugeschrie-ben, in der es einen „Mister No“ gab, der am Ende gegenjede Maßnahme in Deutschland, aber auch in Europavorgegangen ist. Wir haben hier ein nationales Hickhackerlebt. Wir waren zwischenzeitlich leider die europäi-schen Bremser und haben letztendlich wichtige Vorha-ben im Bereich des Emissionshandels, im Bereich derKraftstoffqualitätsrichtlinie blockiert.
Das kann man in den Zahlen auch nachlesen, HerrKrischer. Nachdem wir fast 20 Jahre Fortschritte ge-macht und die CO2-Emissionen in Deutschland abge-senkt haben, sind sie in den letzten zwei Jahren wiedergestiegen. Das ist eine falsche Entwicklung; dagegenmüssen wir angehen.
Ich betone noch einmal: Die neue Bundesregierungwird auch innerhalb der Europäischen Union als wohl-tuend wahrgenommen. Endlich sprechen die Umweltmi-nisterin und der Wirtschaftsminister mit einer Stimme;das war nicht immer selbstverständlich. Dass das jetzt soist, ist ein Riesenerfolg. Dass Umweltministerin, Wirt-schaftsminister und die Koalitionspartner mit einerStimme sprechen, hat unter anderem dazu geführt, dasswir beim Backloading richtige Signale gegeben habenund hinsichtlich der bis 2030 zu erreichenden Ziele derEuropäische Union gut aufgestellt sind; die Kolleginnenund Kollegen haben das schon betont. Es ist unsere festeErwartung, dass sich die ganze Bundesregierung, alsoauch die Bundeskanzlerin, in den entscheidenden Ver-handlungen auf europäischer Ebene entsprechend durch-setzt.Was brauchen wir in Deutschland? Auch das ist schonvom Kollegen Jung und anderen betont worden: Wir ha-ben die wohltuende Übereinkunft erzielt, die Treibhaus-gasemissionen in Deutschland um 40 Prozent reduzierenzu wollen. Es ist aber auch notwendig – das hat dieMinisterin gesagt –, dass wir uns ehrlich machen undklarstellen, wo wir eigentlich stehen. Wir dürfen unsnicht in die eigene Tasche lügen. Genau das war, glaubeich, in den letzten Jahren zu häufig der Fall. Da gab esdas eine und das andere Gutachten. So richtig war abernicht klar, inwieweit wir unsere Ziele erreicht haben.Heute müssen wir leider feststellen: Wir sind noch nichtauf dem richtigen Weg; wir müssen dringend umsteuern.
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1982 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Frank Schwabe
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Das gilt auf der einen Seite für den Bereich der Ener-giewirtschaft, insbesondere für den Bereich des Emis-sionshandels, den wir flottmachen wollen und zu dem esaus Deutschland jetzt ambitionierte Vorschläge gibt. Fürmich persönlich möchte ich aber sagen: Der europäischeEmissionshandel muss gelingen. Wenn er nicht gelingt,weiß ich jedenfalls nicht, wie wir zu einem wenigerCO2-intensiven Energiemix kommen sollen. Womög-lich müssten wir auch noch über andere Maßnahmen dis-kutieren; es hilft nichts, liebe Kolleginnen und Kollegen.Der Bereich Emissionshandel ist die eine Seite der Me-daille.Die zweite Seite der Medaille ist das, was wir auf na-tionaler Ebene umsetzen müssen; darauf hat die Ministe-rin gerade hingewiesen. Es ist richtig, ein Programm auf-zustellen, und zwar so, dass alle Ministerien in dieVerantwortung genommen werden. Klimaschutz ist ebennicht nur in der Verantwortung des Umweltministeri-ums. Klimaschutz ist eine Querschnittsaufgabe, bei deralle gefordert sind. Ich glaube, auch da hat die Ministerindie Unterstützung des gesamten Hauses.
Die Energieeffizienzrichtlinie wird im Übrigen, FrauKollegin Baerbock, in Kürze umgesetzt. Dass dies erstjetzt geschieht, kann man vielleicht ebenfalls dem ehe-maligen Bundeswirtschaftsminister in die Schuhe schie-ben. Herr Gabriel und Frau Hendricks haben schon deut-lich gemacht, dass diese Richtlinie in Kürze umgesetztwird.Ich glaube, dass wir, wie im Koalitionsvertrag veran-kert, einen langfristigen Klimaschutzplan mit gesetzge-berischen Komponenten, so will ich es einmal formulie-ren, brauchen. Wir haben die letzten Jahre erlebt, dasswir uns durchaus sehr gute, ambitionierte Ziele gesteckthaben, aber auf dem Weg der Zielerreichung eben nichtso weit gekommen sind, wie es nötig ist, weil die Über-prüfungsmechanismen nicht ordentlich funktioniert ha-ben. Insofern sage ich, an die Grünen gerichtet: Wirhaben eine neue Bundesregierung mit neuer Ernsthaftig-keit, neuen Ambitionen und neuem Schwung im Klima-schutz, und das sollte uns alle freuen.Ein herzliches Glückauf!
Vielen Dank. – Für die CDU/CSU hat jetzt
Dr. Thomas Gebhart das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! DerWeltklimarat hat seinen jüngsten Bericht vorgelegt. Erhat sehr anschaulich beschrieben, was die Auswirkungendes Klimawandels sind und sein werden. Die Risikensind enorm hoch, und es ist völlig klar: Der Klimawan-del ist und bleibt eine der größten Herausforderungendieser Zeit. Dieser Bericht mahnt uns, zwei Dinge zutun: auf der einen Seite Klimaschutz zu betreiben undauf der anderen Seite uns an die Folgen des Klimawan-dels anzupassen – hier in Deutschland, in Europa undinsbesondere in jenen Ländern, die schon heute in star-kem Maße von diesen Auswirkungen betroffen sind.Zum Klimaschutz. Wir wissen, er ist eine globale He-rausforderung. Ein einzelnes Land für sich kann diesesProblem nicht lösen. Deswegen ist es so wichtig, dassdie Welt kooperiert, dass wir eine gemeinsame Antwortfinden, und deswegen ist es so wichtig, dass es im nächs-ten Jahr, 2015, in Paris gelingt, endlich ein weltweites,möglichst ambitioniertes Abkommen über den Klima-schutz zu erreichen.
Ich habe als Teil der deutschen Delegation an mehre-ren Klimakonferenzen der letzten Jahre teilgenommen.Ich habe erlebt, wie unglaublich zäh dieser Verhand-lungsprozess ist. Ich habe erlebt, wie schwierig es ist, dieunterschiedlichen Interessen von 195 Ländern unter ei-nen Hut zu bringen, zumal bei diesen Verhandlungen dasEinstimmigkeitsprinzip gilt. Deswegen lautet meine Pro-gnose: So wichtig diese Verhandlungen sind und sowichtig es ist, dass wir daran arbeiten, ein möglichst gu-tes Abkommen zustande zu bringen, so sehr werdendiese Konferenzen und die Abkommen allein die Pro-bleme nicht lösen können. Es muss ein Zweites hinzu-kommen: Forschung, Entwicklung, technologische Inno-vation, die es ermöglicht, Wohlstand und Wachstum aufder einen Seite und Umwelt- und Klimaschutz auf deranderen Seite vernünftig in Einklang zu bringen.
Technologie wird am Ende ein Schlüssel sein – Effi-zienztechnologien, erneuerbare Energien, neue Antriebs-technologien und vieles mehr –, Technologie, die es er-möglicht, Wohlstand zu schaffen auf der einen Seite undden CO2-Ausstoß zu verringern auf der anderen Seite.
Deutschland hat sich mit der Energiewende auf denWeg gemacht. Es ist höchst interessant, zu beobachten– auch bei diesen Weltklimakonferenzen –, wie interna-tional auf Deutschland geschaut wird. Man beobachtetsehr genau, wie wir diese Energiewende angehen. Manspricht international von „the German Energiewende“;schon dies ist aussagekräftig. Das Interesse an dieserEnergiewende ist riesig. Genauso klar ist aber – das wirdin allen Diskussionen auf dieser Ebene deutlich –: Diedeutsche Energiewende wird nur dann zu einem Modell,das für andere Länder in der Zukunft attraktiv ist, wennwir es in Deutschland schaffen, diesen Umbau so zu or-ganisieren, dass die Energieversorgung sicher bleibt,dass auch die Preise bezahlbar bleiben und dass die In-dustrie eben nicht abwandert, meine Damen und Herren.
Wenn uns dies nicht gelingt, dann wird die Energie-wende mit Sicherheit nicht zu einem Modell für andere
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1983
Dr. Thomas Gebhart
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Länder werden und dann werden wir dem Klimaschutzinternational einen Bärendienst erweisen. Je besser dieEnergiewende gelingt, desto größer wird am Ende dieChance sein, dass sich Nachahmer finden, und destoeher können wir es schaffen, tatsächlich einen echten, ei-nen wichtigen Beitrag zum internationalen Klimaschutzzu leisten.Es geht heute um die Frage: Welche Konsequenzensind für unser Land aus dem Weltklimabericht zu zie-hen? Ich bin überzeugt, die wichtigste Konsequenz ist:Wir müssen die deutsche Energiewende zum Erfolgbringen. Erfolg bedeutet in diesem Fall: Wir müssen esschaffen, dass die Energiewende gelingt, unter Umwelt-schutzgesichtspunkten, genauso aber unter wirtschaftli-chen und sozialen Gesichtspunkten. Daran müssen wirarbeiten.Herzlichen Dank.
Vielen Dank. – Nächste Rednerin ist die Kollegin
Edelgard Bulmahn, SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Klimawandel findet statt – es gibt keineernsthaften wissenschaftlichen Zweifel mehr –, und erbetrifft uns alle. Er findet auf allen Kontinenten statt,und er findet auf allen Weltmeeren statt. – Das ist, inKurzfassung, die Kernaussage aus dem Bericht desWeltklimarates.Der Bericht enthält eine zweite Kernaussage: Es gibterfolgversprechende Gegenstrategien, um den Klima-wandel einzudämmen und um die dramatischen Auswir-kungen zu verringern. Genau darüber diskutieren wirheute. Acht Schlüsselrisiken hat der IPCC identifiziert.Angesichts dieser Dimension der Herausforderung, diein dem Bericht deutlich wird, fragen sich viele Men-schen: Kann Deutschland überhaupt etwas tun? IstDeutschland nicht viel zu klein, um tatsächlich spürbareVeränderungen zu bewirken, damit künftige Generatio-nen noch gute Lebensbedingungen vorfinden? Ja, esstimmt; Deutschland allein kann den Klimawandel nichtstoppen. Die Schlussfolgerung, dann könne sichDeutschland eine anspruchsvolle Klimaschutzpolitiksparen, wäre aber grundfalsch.
Deutschland verfügt wie nur wenige andere Nationenüber eine leistungsfähige industrielle Basis, über hervor-ragende Wissenschaftseinrichtungen und Forschungsein-richtungen, über erfolgversprechende Technologiestrate-gien, über erfolgversprechende ökonomische Strategien,um den Wechsel von einer ressourcenvernichtendenWirtschaftsweise zu einer ressourcenschonenden Wirt-schaftsweise zu vollziehen.
Das ist die eigentliche Herausforderung, vor der wir ste-hen. Die Bundesumweltministerin hat recht, wenn siesagt, das sei nicht allein ihre Aufgabe. Es ist eine Quer-schnittsaufgabe der ganzen Bundesregierung, es ist eineQuerschnittsaufgabe der Wirtschaft, und es ist eineQuerschnittsaufgabe eines jeden Menschen in unseremLand. Nur gemeinsam werden wir diese Herausforde-rung bewältigen.
Dreh- und Angelpunkt aller Klimaschutzstrategien istdie Begrenzung des Klimawandels und damit auch diedrastische Absenkung der anthropogen verursachtenTreibhausgasemissionen. Energieeinsparung und Res-sourcenwechsel sind die zentralen Elemente des Um-baus, den ich beschrieben habe, eines Umbaus, der sichim Übrigen nicht allein auf Stromerzeugung und Strom-verbrauch beschränken darf, sondern sich auf das ge-samte Energiesystem und auf unsere gesamte Volkswirt-schaft beziehen muss.
Natürlich ist es am besten – das ist klar –, Energie garnicht erst zu verbrauchen. Bereits die absehbaren und re-alisierbaren Einsparpotenziale sind enorm. Ich will eseinmal konkret machen: Rund zwei Drittel des Energie-verbrauchs in Gebäuden dienen der Warmwasserzube-reitung und der Raumtemperierung. Wir wollen deshalbdie Gebäudedämmung und die energetische Sanierungdes Altbaubestandes massiv vorantreiben. Ich bin sehrfroh, dass sich auch die Bundesumweltministerin dasZiel gesetzt hat, hier zu anspruchsvollen Programmenund Ergebnissen zu kommen. Passiv- oder Plusenergie-häuser sind keine technische Utopie; sie sind realisier-bar. Wir brauchen klare Zielmarken und auch Anreize,um gerade beim Altbaubestand voranzukommen.
Die Steigerung der Energieeffizienz ist ebenfalls einegroße Aufgabe, und zwar auf allen Ebenen: in unserenHaushalten durch verbrauchsärmere Geräte, bei unserenKraftfahrzeugen durch effizientere Motoren und andereAntriebskonzepte, durch ein verändertes Produktdesign,in der Industrie durch effizientere Produktionsverfahrenund die Rückgewinnung von Prozesswärme, in den Ge-bäuden durch die Verbindung von Energie- und Wär-meerzeugung, durch den Einsatz von neuen Materialienund durch den Einsatz einer modernen, effizienten Steu-erungstechnik. All das zeigt: Die Möglichkeiten sindgroß und bei weitem noch nicht ausgeschöpft. Das zeigtwiederum: Es ist eine Querschnittsaufgabe. Nur auf denKlimaschutz und nicht auf die ganzen anderen Bereichezu schauen, würde uns nicht wirklich weiterführen.Dann kämen wir nicht zu dem gewünschten Ziel unddem angestrebten Ergebnis.
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1984 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
Edelgard Bulmahn
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Es gehört auch dazu, dass wir die teilweise wider-sprüchlichen internationalen Vertrags- und Regelwerkezu einem kohärenten Regelsystem weiterentwickeln.Das gilt nicht nur in Bezug auf den Emissionshandel,sondern für viele Regelwerke wie WTO- und andere in-ternationale Verträge. Wir müssen immer wieder dafürwerben, dass sie kohärent auf Klimaschutzziele ausge-richtet werden.Gleiches gilt für die Energiewende. Die Vorredner ha-ben recht: Für das Gelingen der Energiewende ist ent-scheidend, ob wir es hier schaffen, einen spürbaren undwirksamen Beitrag zur Reduzierung des Klimawandelszu leisten. Ich bin sehr froh, dass die Koalition dieseAufgabe mit Nachdruck angeht, dass sie sich ambitio-nierte Ziele setzt, dass sie die Stellschrauben beschreibt,dass sie eine gezielte Technologieförderung betreibenwill, dass sie sich die Koordinierung der verschiedenenPolitikfelder vorgenommen hat und dass sie Überprü-fungsmechanismen einführen will, die wir tatsächlichbrauchen.Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass wir gesell-schaftliche und technologische Innovationen und nichtden Verzicht darauf brauchen und dass wir feststellenwerden, dass ein schonender und effizienter Umgang mitRessourcen die Schlüsselkompetenz zukunftsfähiger Ge-sellschaften sein wird. Wenn es Deutschland gelingt, zuzeigen, dass eine energieeffiziente, ressourcenschonendeVolkswirtschaft auch eine erfolgreiche Volkswirtschaftsein kann und dass eine Energiewende ohne drastischeWohlstandsverluste gelingen kann, dann ist das ein Mo-dell, das vielen anderen Ländern Mut machen wird unddem, so glaube ich, viele folgen werden.Vielen Dank.
Danke, Frau Bulmahn. – Herr Kollege Göppel, Sie
haben jetzt das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wie glaubwürdig ist das europäische Klimaziel einerSenkung der Treibhausgase um 40 Prozent? Das wargestern die Frage im Entwicklungsministerium bei demKongress „Zukunftscharta“ mit starker internationalerBeteiligung.Viele Länder des Südens haben mitbekommen, dassder europäische Emissionshandel nicht richtig funktio-niert. Von ihm geht kein Anreiz mehr zum Klimaschutzaus. Grund ist der Konstruktionsfehler, dass reale Sen-kungen des Klimagasausstoßes durch Innovationen oderauch durch langsamere wirtschaftliche Tätigkeit nichtautomatisch zu einer Verringerung der Zahl der Emis-sionszertifikate führen. Die entscheidende Frage ist jetzt:Werden wir bis zur Klimakonferenz in Paris die viel ver-langte Reform des Emissionshandels schaffen? Wennwir das nicht schaffen, dann werden wir als Europäer inParis nicht glaubwürdig auftreten können und sich an-dere mit Verweis auf das Versagen bei der Erreichungdes europäischen Klimaziels in ihren Anstrengungen zu-rückhalten. Letztlich würde auch diese Konferenz wie-der scheitern.Ich bin deswegen der Meinung, dass wir über Alter-nativen nachdenken müssen. Die konservative britischeRegierung hat vor ziemlich genau einem Jahr, am 1. April2013, einen Mindestpreis für Zertifikate eingezogen, derbei 16 Pfund je Tonne CO2 liegt; das wären 19,20 Euro.Solange der europäische Emissionshandel die19,20 Euro nicht erreicht, gilt der Basispreis. Ich meine,wir müssen die Idee einer Untergrenze ins Spiel bringen,um Deutschland und die deutsche Wirtschaft auf demInnovationspfad zu halten.
Es wird in der Tat viel für unsere Wettbewerbsfähig-keit getan; ich unterstütze das. Heute Abend wird HerrGabriel nach dem Treffen mit Herrn Almunia aus Brüs-sel heimkommen mit der Zusicherung für mehr Befrei-ungen für die Industrie statt mit weniger Befreiungen.Wir haben also sehr wohl ein Auge auf die Wettbewerbs-fähigkeit der Industrie. Aber da, wo die Gefahr besteht,dass unsere technologische Spitzenstellung in der Weltbedroht ist, müssen wir politisch handeln; denn letztlichist der Erfolg Deutschlands auf den Weltmärkten von derGlaubwürdigkeit unserer Technologien abhängig. Daswird langfristig auch Wohlstand und Arbeitsplätze inDeutschland sichern. Frau Hendricks, man spürt IhrEngagement als Umweltministerin. Sie sind eine Frau,die weiß, wie man Mehrheiten organisiert.
Darauf setzen wir.
Wir haben die Aussage der Kanzlerin bei der Entge-gennahme des Berichtes gehört. Sie hat gesagt: Wirbrauchen einen neuen Anlauf. – Liebe Kolleginnen undKollegen, daran möchte ich anknüpfen: Wir müssen ei-nen neuen Anlauf aus den Fraktionen heraus unterneh-men. Das betrifft die Union auf der Basis der Verantwor-tungsethik der sozialen Marktwirtschaft; das betrifft dieSozialdemokraten aufgrund ihrer ordnungspolitischenTraditionen. Gemeinsam müssen wir einen neuen politi-schen Anlauf bewirken; denn das ist notwendig, damitwir glaubwürdig bleiben. Nur so können wir die Klima-probleme lösen.Ich komme noch einmal auf die Konferenz gesternbei Minister Gerd Müller zu sprechen. Wer die Erwar-tungen und Hoffnungen der Menschen aus Afrika undSüdamerika auf die Hilfe durch deutsche Technik ge-spürt hat, der kann nur mit größter Energie daran arbei-ten, dass wir auf diesem Innovationspfad schneller vo-rangehen und die Zaghaftigkeit, die sich in den letztenMonaten eingeschlichen hat, überwinden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1985
(C)
(B)
Vielen Dank. – Frau Dr. Bärbel Kofler ist jetzt die
nächste Rednerin für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Ich bin froh, dass wir die Gelegenheit haben, über
den Weltklimabericht zu diskutieren, weil er – viele Vor-
redner haben es gesagt – eine sehr deutliche Sprache
spricht. Es gibt zwei Themenstränge. Das eine Thema
– es ist mehrfach angesprochen worden – ist die Vermei-
dung des CO2-Ausstoßes bei uns im eigenen Land mit
allen Strategien zur Energiewende und zum Emissions-
handel, wie meine Vorredner gerade ausgeführt haben.
Aber es geht auch um Vermeidungsstrategien weltweit.
Ich habe es in verschiedenen Reden betont und
möchte es auch heute noch einmal betonen: Wir leben in
einer Welt, in der weit mehr als 1 Milliarde Menschen
keinen Zugang zu Energie hat, mit allen Folgen für ihre
persönliche Entwicklung, für die Entwicklungschancen,
für die Bekämpfung von Armut und für die Industriali-
sierung und Entwicklung dieser Länder.
Wenn wir CO2-Ausstoß zukünftig vermeiden und
nachhaltig handeln wollen, dann ist es unabdingbar, dass
wir uns einer fossilfreien und CO2-mindernden Energie-
strategie zuwenden und eine nachholende Entwicklung
in den Entwicklungsländern ohne dieselben Fehler mög-
lich machen, die wir selbst bei unserer Industrialisierung
gemacht haben.
Zurzeit findet der EU-Afrika-Gipfel statt. Ich finde es
in diesem Zusammenhang wichtig, dass wir zum Bei-
spiel auch über die Energiepartnerschaft mit Afrika dis-
kutieren. Wenn versprochen wird, bis zum Jahr 2020 für
100 Millionen Afrikaner Zugang zu Energie zu schaffen,
dann kann das nur mit erneuerbaren Energien und einer
Verstärkung der Energieeffizienz geschehen. Denn nur
so trägt das zu einer nachhaltigen Entwicklung in diesen
Ländern bei.
Der Weltklimabericht spricht auch eine deutliche
Sprache, was Anpassungsmaßnahmen anbelangt. Das ist
die zweite Seite der Medaille: Dort, wo wir nicht mehr
umhinkönnen, müssen wir das, was bereits kaputt ist und
wo wir bereits versagt haben, an Schäden beheben.
Ich möchte ein paar Beispiele nennen, damit man sich
vorstellen kann, worum es geht. Es gibt deutliche Aussa-
gen, dass zum Beispiel schon bei einer Klimaerwärmung
um 1,5 Grad Celsius bis 2030 40 Prozent der Anbauflä-
chen dieser Erde für Mais vernichtet werden. Schon bei
einer so „geringen“ Erhöhung um 1,5 Grad Celsius wäre
es dann nicht mehr möglich, dort Mais anzubauen.
Wir alle wissen, was das für Folgen für die Menschen
in den Entwicklungsländern und für die Nahrungsmittel-
und Ernährungssicherheit hätte und was für eine un-
glaubliche Hungerkatastrophe auf uns zukommen wird,
wenn wir hier nicht rechtzeitig handeln.
Ähnliches gilt für die Trinkwasserversorgung und den
Zugang zu sauberem Wasser. Wer jemals in einem Land
war, das besonders vom Klimawandel betroffen ist, und
gesehen hat, was es bedeutet, wenn Böden versalzen und
das, was früher angebaut wurde, nicht mehr angebaut
werden kann, aber auch das Trinkwasser nicht mehr dort
zu finden ist, wo es früher geholt wurde, sodass man
– meistens im Übrigen die Frauen – stundenlang auf der
Suche nach Wasser durch die Gegend laufen muss, das
dann beileibe nicht sauber ist, der kann ermessen, was
das für eine Katastrophe für diese Länder und die Men-
schen dort ist.
Wenn wir dem entgegenwirken wollen, dann ist es,
finde ich – auch wenn es um die Nachhaltigkeitsziele
und die Verhandlungen darüber in der UN geht –, die
erste Voraussetzung, dass wir anerkennen: Es gibt eine
gemeinsame Verantwortung für den Klimawandel der
Länder dieser Erde, aber es gibt eine unterschiedliche
Verantwortung. Die historische Verantwortung für die,
die den Klimawandel verursacht haben, liegt bei den In-
dustrieländern und künftig auch bei den Schwellenlän-
dern, aber nicht bei den Entwicklungsländern, die jetzt
unter den Folgen des Klimawandels leiden.
Diese Anerkennung ist im Übrigen die Voraussetzung
dafür, dass wir Vertrauen auf den Klimakonferenzen der
nächsten Jahre gewinnen und hier Allianzen schmieden
können, die zu wirklich fortschrittlichen Klimaschutzab-
kommen weltweit führen.
Das hat auch Konsequenzen für die Finanzierung; das
muss man sehr deutlich sagen. Anpassungsmaßnahmen
haben – ich habe nur einen Teil dessen geschildert, was
notwendig sein wird – einen hohen Finanzierungsbedarf;
darüber müssen wir uns klar sein. Diesen Bedarf können
wir nicht mit den Ressourcen bewältigen, die bisher in
den Haushalt eingestellt sind.
Das betrifft nicht nur uns. In jedem nationalen Haushalt
sind weltweit zu wenige Mittel eingestellt, um die Ziele,
die wir anstreben, zu erreichen oder zumindest die Fol-
gen des Klimawandels abzumildern. Ein Satz der Hilfs-
organisation CARE beschreibt alles, was man dazu in
finanzieller Hinsicht sagen kann – ich finde ihn absolut
richtig –: „Bekämpfung des Klimawandels und Unter-
stützung bei Anpassungsmaßnahmen“ sind „kein Akt
der Barmherzigkeit, sondern eine Frage der Gerechtig-
keit“.
Vielen Dank. – Letzter Redner in der Debatte ist derKollege Carsten Müller, CDU/CSU-Fraktion.
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1986 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014
(C)
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Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Richtig ist: Der Klimawandel hat nicht nur dieseDebatte fest im Griff, sondern auch unseren gesamtenPlaneten. Das sehen wir an einer Anzahl dramatischerNaturereignisse gerade in jüngerer Vergangenheit.Schmelzende Gletscher, dramatische Hochwassersitua-tionen, ungewöhnlich lang anhaltende Dürreperioden ineinigen Teilen der Welt und Wetterextreme im Allgemei-nen beschäftigen uns und die Öffentlichkeit. Deutsch-land nimmt – das ist allerdings genauso wichtig – beimKlimaschutz ohne Zweifel eine Vorreiterposition ein.Mein Kollege Andreas Jung hat gleich eingangs der De-batte richtigerweise darauf hingewiesen. Eine Vielzahlvon Rednern in der Debatte hat auf den weiteren wichti-gen Punkt hingewiesen, dass eine ambitionierte Klima-schutzpolitik auch eine große Chance für unsere heimi-sche Industrie darstellt.
– Ich freue mich, dass die Kollegin Baerbock klatscht.Ich werde im weiteren Verlauf meiner Rede auf Sie viel-leicht noch zu sprechen kommen.
Ambitionierte Klimaschutzpolitik schafft Spitzen-technologie, und diese sichert Ausbildungs- und Arbeits-plätze sowie Steuerkraft.
Das ist für uns, die Union, eine sehr wichtige Gleichung.Ich persönlich freue mich sehr, dass sich diese Bun-desregierung unzweifelhaft zur Zieltrias bekannt hat,nämlich zu ambitionierten Zielen im Bereich des Aus-baus der erneuerbaren Energien genauso wie zu ambitio-nierten Zielen im Bereich der Treibhausgasreduktionund bei der Energieeffizienz. Nur so kann Klimaschutzwirksam umgesetzt werden. Das kann aber nur klappen,wenn wir mit großer Gestaltungskraft vorangehen.Ich will einen einzelnen Bereich besonders beleuch-ten, nämlich den Verkehrssektor. In den bisherigen Aus-führungen ist er kurz gestreift worden. Ich will uns ei-nige Zahlen, die wir im Verkehrssektor zu verzeichnenhaben, noch einmal vor Augen führen. Im Jahr 2012 kames durch den Verkehrssektor zu einem CO2-Ausstoß inder Größenordnung von 151 Millionen Tonnen. Das wa-ren rund 16 Prozent der gesamten Treibhausgasemissio-nen in Deutschland. Einen großen Anteil hat dabei derPkw- und Lkw-Verkehr. Aber richtig ist auch, dass dieGesamtemissionen im Zeitraum zwischen 1999 und2012 um insgesamt 31 Millionen Tonnen reduziert wer-den konnten. Es gibt also eine gewisse Aufteilung. Daszeigt uns, dass wir im Grundsatz auf dem richtigen Wegsind, dass aber noch eine Menge zu tun bleibt.Wir haben beim Pkw-Verkehr 9 Prozent wenigerTreibhausgase und Luftschadstoffe, die ausgestoßenwerden, im Vergleich zum Jahre 1995 zu verzeichnen.Wenn wir auf das Jahr 2006 blicken, stellen wir die guteEntwicklung fest, dass der Kohlendioxidausstoß beimPkw-Verkehr von im Durchschnitt rund 175 Gramm proKilometer auf 136 Gramm und damit um über 20 Pro-zent zurückgegangen ist. Ich habe die deutsche Industriebereits an anderer Stelle angesprochen. Über 500 Fahr-zeuge deutscher Automobilhersteller unterschreitenschon heute die Grenze von 120 Gramm CO2-Ausstoßpro Kilometer.
Beim Lkw-Verkehr haben wir bezogen auf die Fahr-zeuge sogar etwas bessere Ergebnisse, nämlich eineMinderung um rund 28 Prozent im selben Zeitraum.Aber wir haben folgendes Problem: Durch die Zunahmedes Transportvolumens und der Fahrleistung haben wirbedauerlicherweise eine Steigerung des CO2-Ausstoßesper saldo um 11 Prozent in den letzten 20 Jahren.Ich will etwas konkreter werden. Für uns gibt es einensehr konkreten Handlungsauftrag. Den haben wir als Re-gierungskoalition angenommen. Im Koalitionsvertraghaben wir uns dazu verpflichtet, künftig mehr Verkehrauf Schienen und Wasserstraßen zu verlagern. Ich per-sönlich halte das für den richtigen Weg. Als Koalitions-fraktionen werden wir unseren Beitrag bei der Diskus-sion des Bundesverkehrswegeplans 2015 leisten.
Frau Kollegin Baerbock, an dieser Stelle wollte ichetwas intensiver auf Sie eingehen. In Anbetracht der Zeitsetze ich darauf,
dass die Frau Präsidentin besondere Großzügigkeit wal-ten lässt, weil ich der letzte Redner bin.Meine Damen und Herren, uns kommt es auf Folgen-des an: Wie müssen eine sorgfältig austarierte Balancezwischen industriepolitischen Zielen und Klimaschutz-zielen finden. Es geht darum, dass wir ambitionierteZiele formulieren und diese dann erreichen. Aber wirdürfen diese Ziele nicht utopisch formulieren und damitdie Bevölkerung auf diesem wichtigen Weg zurücklas-sen. Das kann nicht richtig sein. Insofern, meine Damenund Herren, ist die Koalition auf dem richtigen Weg. Wirhaben einige wichtige Weichen gestellt.Abschließend nenne ich den Bereich der Elektromo-bilität. Gestatten Sie mir: Ich freue mich ganz besonders,dass in der vergangenen Woche ein Meilenstein im Be-reich der Elektromobilität erreicht worden ist. Induktivaufgeladene Linienbusse fahren in meiner HeimatstadtBraunschweig im Regelverkehr. Das ist ein besondererBeitrag. Wir freuen uns darüber, dass dies internationalBeachtung findet.
Ein letzter Satz – dies gestattet die Frau Präsidentinmit Sicherheit –: Ich habe etwas zu den Emissionen ge-sagt. Meine Damen und Herren, beim Durchblättern desEntwurfs des Haushaltsplans habe ich festgestellt, dassder Ansatz für die Nachrüstung von Rußpartikelfiltern
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 25. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 2. April 2014 1987
Carsten Müller
(C)
wahrscheinlich infolge eines bedauerlichen Versehensauf 0 Euro herabgesetzt wurde. Das ist deutlich zu we-nig. Wir als Unionsfraktion wollen kräftig Mittel nach-führen, damit wir mindestens den Stand der Vorjahre er-reichen.Ich freue mich unter anderem auf Ihre Unterstützungbei diesem wichtigen Vorhaben und bedanke mich fürdie Aufmerksamkeit.
Vielen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet. Wir sind damit am
Schluss der heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 3. April 2014,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.