Gesamtes Protokol
Einen schönen guten Tag! Bitte nehmen Sie Platz. Die
Sitzung ist eröffnet.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierung
2013 nach § 7 des Gesetzes zur Einsetzung eines Na-
tionalen Normenkontrollrates.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Staatsminister bei der Bundeskanzlerin Dr. Helge
Braun. – Bitte schön.
D
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Das Bundeskabinett hat heute den Berichtzum Bürokratieabbau 2013 behandelt und beschlossen.Das Gesetz zur Einsetzung eines Nationalen Normen-kontrollrates verpflichtet uns, jährlich einen solchen Be-richt abzugeben.Wenn Sie sich den Bericht ansehen, stellen Sie fest,dass sich seit 2006, als wir das Thema Bürokratieabbauinstitutionell auf den Weg gebracht haben, vieles verän-dert hat. Wir haben zahlreiche Verfahren etabliert. Dazugehören die Einsetzung des Normenkontrollrates und diedamit verbundene Bewertung aller neuen Gesetzesvor-haben. Hinzu kommt, dass wir – diese Regelung ist seitMärz 2013 in Kraft – alle neuen Gesetzesvorhaben nachAblauf von zwei Jahren einer Ex-post-Evaluierung un-terwerfen. Wir wollen uns schrittweise alle Gesetzesvor-haben ansehen, bei denen wir davon ausgehen, dass sieeinen Erfüllungsaufwand von über 1 Million Euro bedeu-ten. Auf diese Weise wollen wir auch in der Bestandsge-setzgebung vermeidbare Bürokratiekosten identifizierenund nach Möglichkeit beseitigen.Im Bericht sind viele Zahlen zu finden. Das liegt zumBeispiel daran, dass wir in den letzten Jahren den Büro-kratiekostenindex eingeführt haben, der die Bürokratie-kosten im engeren Sinne erfasst. Der Bürokratiekosten-index lag im Jahr 2012 bei einem Wert von 100,27, imJahr 2013 bei 100,31. Das ist eine Steigerung um 0,04.Das heißt, die Bürokratiekosten sind im Wesentlichenkonstant geblieben; es hat nur eine kleine Steigerung derlaufenden Belastungen gegeben.Wenn wir uns anschauen, was das in absoluten Zahlenheißt und wie sich die Entwicklung des Erfüllungsauf-wands auf die Wirtschaft, die Verwaltung und die Bürge-rinnen und Bürger auswirkt, stellen wir fest, dass dieWirtschaft im Jahr 2013 eine Zunahme ihres laufendenErfüllungsaufwands um 1,6 Milliarden Euro, die Ver-waltung um 245 Millionen Euro und die Bürgerinnenund Bürger um 472 Millionen Euro zu verzeichnen hat-ten.Wenn man sich ansieht, welcher der größte Brockeninnerhalb des Ganzen ist, dann stellt man fest, dass dieEnergieeinsparverordnung die größten Kosten verur-sacht hat. Man muss allerdings dazusagen, dass zum Er-füllungsaufwand nicht nur die Bürokratiekosten, son-dern auch die Investitions- und Maßnahmenkosten, diedurch dieses Gesetzgebungsverfahren entstehen, gehö-ren. Das heißt, dass zum Beispiel die Kosten, die sichdurch die energetische Sanierung von Gebäuden für dieWirtschaft ergeben, in die Berechnung einfließen. DieEnergieeinsparungen, die wir dadurch erzielen wollen,und der politische Zweck dieser Gesetzgebung stehenalso den Kosten gegenüber.In Zukunft wollen wir uns den verschiedenen Lebens-bereichen der Bürgerinnen und Bürger und der Wirt-schaft auch in Form eines Lebenslagenmodells nähern.Auf diese Weise wollen wir überprüfen, wie sich Le-benslagen, in denen die Bürger in besonderem Maße mitBürokratie konfrontiert werden, zum Beispiel beim Kaufeines Autos, bei einer Geburt oder im Falle eines Nach-lasses, auswirken und wie man die Bürokratie in solchenLebenslagen durch das Zusammenspiel unterschiedli-cher Rechtsakte reduzieren kann.Sie finden in dem Bericht auch zahlreiche Beispieleaus dem Bereich der Pflegeleistungen und anderer So-zialleistungen. Hier haben wir Projekte auf den Weg ge-bracht, mit denen Vereinfachungen bei der Gesetzge-
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Staatsminister Dr. Helge Braun
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bung erreicht werden sollen. Einige Projekte sind imJahre 2013 abgeschlossen worden; andere, die besonderserfolgreich waren, werden im Jahr 2014 fortgesetzt.Insofern kann man resümieren, dass es bei einer imJahr 2013 im Wesentlichen auf unverändertem Niveaufortgesetzten Belastung von Bürgern, Verwaltung undWirtschaft mit Bürokratie noch zahlreiche Projekte gibt,mit denen wir etwas verändern wollen. Aber natürlichgibt es auch neue Regelungsvorhaben, die den Bürokra-tieaufwand möglicherweise erhöhen. Die Bundesregie-rung wird im Mai ein Arbeitsprogramm verabschieden,mit dem wir weitere Projekte mit dem Ziel des Bürokra-tieabbaus auf den Weg bringen.
Ich bitte, zunächst Fragen zu dem Themenbereich zu
stellen, über den gerade berichtet wurde. Es hat sich der
Kollege Grund gemeldet. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Staatsminister, für Ihren Bericht
über die Arbeit des Normenkontrollrates und über die
Einsparungen, die für die Verwaltung, die Bürger und
die Wirtschaft damit verbunden sind. Wie muss man sich
das konkret vorstellen? Wie nimmt der Normenkontroll-
rat Einfluss auf ein Gesetzgebungsverfahren oder auf
dessen Ergebnis? Wie fließt dies wiederum in das Ge-
setzgebungsverfahren ein? Also: Wie sieht die Arbeit ei-
gentlich konkret aus?
D
Vielen Dank. – Die Bundesregierung hat Empfehlun-
gen für die einzelnen Ressorts herausgegeben. Jedes
Ressort muss jetzt bereits bei der Erstellung eines Ge-
setzgebungsverfahrens den Erfüllungsaufwand konkret
beziffern und diesen bei der Vorlage des Gesetzestextes
transparent machen. Darüber hinaus wird der Erfül-
lungsaufwand vor der Verabschiedung im Kabinett und
zukünftig auch nach der Verabschiedung im Bundestag
nachberechnet, sodass für jeden, der im Deutschen Bun-
destag eine Entscheidung trifft, aber auch für die Bevöl-
kerung transparent wird, wie hoch der Erfüllungsauf-
wand des jeweiligen Gesetzes ist. In der nächsten Woche
werden wir für den Deutschen Bundestag, die Mitarbei-
terinnen und Mitarbeiter der Abgeordneten wie auch die
Verwaltung, eine Veranstaltung durchführen, in der der
Normenkontrollrat, das Statistische Bundesamt und das
Bundeskanzleramt über die verschiedenen Berichts- und
Mitteilungsformen informieren, damit Sie als Abgeord-
nete diese Informationen in die Beratungen des Gesetz-
gebungsverfahrens und in Ihre Entscheidung einbezie-
hen können.
Vielen Dank. – Jetzt eine Frage des Kollegen
Dr. Gambke.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsminister,
Sie haben in Ihren Ausführungen davon gesprochen,
dass Bürokratie aufgebaut worden ist. Ich fand die ein-
leitenden Worte bemerkenswert; denn Sie haben die
Verfahren beschrieben, die wir gehabt haben. Ich als
Mittelstandsbeauftragter meiner Fraktion sage: Bürokra-
tieaufbau ist im Moment das Thema des Mittelstands.
Sie selber haben darauf hingewiesen, dass zu über
60 Prozent die Unternehmen betroffen sind.
Nun zu meiner Frage. Wir hatten 2007 das Ziel, die
Bürokratiekosten um 25 Prozent zu senken. Wie Sie
eben ausgeführt haben, hatten wir leider im letzten Jahr
einen Anstieg der Bürokratiekosten in Höhe von
1,5 Milliarden Euro. Hinzu kommt ein Erfüllungsauf-
wand, also ein Umstellungsaufwand, in Höhe von 4 Mil-
liarden Euro. Das ist eine erhebliche Summe. Meine
Frage an Sie: Hat die Bundesregierung sich mit der
Frage befasst, wie jetzt neue Ziele gesetzt werden kön-
nen? Wie lauten diese quantitativen Ziele, und für wel-
chen Zeitraum gelten sie?
D
Vielen Dank. – Sie haben richtig darauf hingewiesen,dass wir in den vergangenen Jahren den Erfüllungsauf-wand für die Wirtschaft um 25 Prozent reduziert haben.Das war eine große Anstrengung. Zu der Reduzierunghaben zwei Bereiche maßgeblich beigetragen: Der eineist der Bereich der Bilanzierungsregeln bei den Unter-nehmen, in dem eine Entlastung von über 2 MilliardenEuro stattgefunden hat. Der andere ist der Bereich derelektronischen Rechnungsstellung, wo ein Teil der Ent-lastung der Wirtschaft zwar frühzeitig mit der Gesetzge-bung bilanziert worden ist; aber die Entlastungwirkunghält in dem Maße an, wie die elektronische Rechnungs-stellung in der Realität der Unternehmen ankommt. Dasheißt, es gibt durch das Projekt der Reduzierung der Kos-ten aus gesetzlichen Informationspflichten um 25 Prozentbis heute Entlastungswirkungen.Wenn man in die Zukunft schaut, muss man mit Blickauf diejenigen, die sich mit Bürokratieabbau beschäfti-gen, eines sehr deutlich sagen: Man kann natürlich im-mer überlegen, ob ein Gesetz den jeweiligen Erfüllungs-aufwand rechtfertigt. So hat der Deutsche Bundestag dievon der Bundesregierung novellierte Energieeinsparver-ordnung befürwortet, weil wir Klimaziele und politischeZiele erfüllen wollen und das Ganze in der Sache fürrichtig halten. Dem Erfüllungsaufwand stehen – ganzabgesehen von den ökologischen Zielen – ökonomischeVorteile durch Energieeinsparung gegenüber. Insofern istes die Aufgabe derer, die sich mit dem Bürokratieabbaubeschäftigen, nicht alle Regelungen der Zukunft generellinfrage zu stellen, sondern zu schauen: Kann man denpolitisch erwünschten Zweck möglicherweise einfachererreichen? Nach dem deutlichen Abbau der Bürokratiein der Anfangszeit lautet die Aufgabe jetzt, in laufendenGesetzgebungsverfahren den Zuwachs an Bürokratienach Möglichkeit zu verhindern oder zu begrenzen.Neue Projekte, mit denen wir den Bürokratieaufwand
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Staatsminister Dr. Helge Braun
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der Unternehmen, deren Zukunft uns natürlich am Her-zen liegt, deutlich reduzieren wollen, werden wir dann indem neuen Arbeitsprogramm der Bundesregierung vor-stellen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Ich sehe keine
weiteren Fragen zu diesem Themenbereich.
– Herr Dr. Gambke.
Ich habe noch eine Frage. Ich stelle aber zunächst
fest, dass Sie meine Frage nach einem neuen quantitati-
ven Ziel nicht beantwortet haben.
Zu meiner Frage. Wir haben uns im Zusammenhang
mit dem Wachstumsbeschleunigungsgesetz auch mit
dem Thema der Hotelsteuer beschäftigt; unter diesem
Stichwort ging es um den verminderten Mehrwertsteuer-
satz für Übernachtungen. Wir wussten im Vorfeld, dass
das zu erheblichen Bürokratiekosten führt, sowohl für
die Gewerbetreibenden, also die Hotels, als auch für die
Bürger. Das konnte dadurch umgangen werden, dass die
Koalitionsfraktionen und nicht die Regierung dieses Ge-
setz eingebracht haben. Plant die Bundesregierung eine
Ausweitung des Auftrags des Normenkontrollrates auf
Gesetzentwürfe der Fraktionen, um in Zukunft zu ver-
hindern, dass Fraktionen den schönen Beschluss, Ge-
setze nach ihren Bürokratiekosten zu bewerten, umge-
hen können?
D
Der Normenkontrollrat ist ein Gremium zur Unter-
stützung der Bundesregierung. Natürlich kontrolliert
nicht die Bundesregierung den Bundestag, sondern um-
gekehrt. Aber ich habe eben angedeutet, dass wir – das
ist sicherlich in Ihrem Sinne – beabsichtigen, in Zukunft
den Erfüllungsaufwand von Gesetzen nach der endgülti-
gen Verabschiedung nochmals zu berechnen, um trans-
parent zu machen, welche Belastungen durch das rechts-
kräftige Gesetz tatsächlich für die Bürgerinnen und
Bürger, die Wirtschaft und die Verwaltung entstehen.
Vielen Dank. – Gibt es Fragen zu anderen Themen
der heutigen Kabinettssitzung? – Ich sehe, das ist nicht
der Fall. Damit beenden wir den Bereich der Themen der
heutigen Kabinettssitzung.
Gibt es darüber hinaus weitere Fragen an die Bundes-
regierung? –
Ich sehe, das ist auch nicht der Fall.
Dann unterbreche ich die Sitzung bis zur Fragestunde
um 13.35 Uhr.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die unterbrochene
Sitzung wird fortgesetzt.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksachen 18/814, 18/835
Zu Beginn der Fragestunde rufe ich gemäß Nr. 10 der
Richtlinien für die Fragestunde die dringlichen Fragen
auf Drucksache 18/835 auf.
Für den Geschäftsbereich des Auswärtigen Amts be-
antwortet heute der Staatsminister Michael Roth die Fra-
gen.
Ich rufe die dringliche Frage 1 des Abgeordneten
Hunko auf:
Welche Auswirkungen erwartet die Bundesregierung an-
gesichts des Ausgangs der Volksabstimmung über einen An-
schluss der Krim an Russland auf die Sicherheitslage in
Deutschland und durch die in diesem Zusammenhang ver-
hängten bzw. geplanten Sanktionen gegen Russland auf die
wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland, die Stabilität der
Euro-Zone bzw. die Volkswirtschaften der Europäischen
Union?
Herr Staatsminister Roth, bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin! – Lieber Herr Kollege
Hunko, ich will noch einmal daran erinnern, dass sich
die Europäische Union bei ihren Maßnahmen und Sank-
tionen auf ein dreistufiges Verfahren verständigt hat. Ge-
mäß dem jüngsten Beschluss vom 17. März 2014 greift
nun die Stufe 2, das heißt, gegen 21 Personen aus der
Ukraine und aus Russland sind Einreiseverbote ausge-
sprochen worden, und deren Vermögen wurden einge-
froren.
Die Bundesregierung sieht derzeit weder Beeinträch-
tigungen der Sicherheitslage in Deutschland noch nen-
nenswerte Auswirkungen auf die wirtschaftliche Ent-
wicklung in Deutschland, in der Euro-Zone oder in der
Europäischen Union.
Herr Kollege Hunko.
Vielen Dank. – Herr Kollege Roth, in der letzten Wo-che waren Außenminister von Staaten, die gerade ausder Krise herausgekommen sind oder bei denen es denAnschein hat, dass sie jetzt aus der Krise herauskom-men, zu Besuch hier im Bundestag, und sie haben dieseSorgen ebenfalls geäußert. Würden Sie auch ausschlie-ßen, dass es Auswirkungen auf die Stabilität in der Euro-Zone haben könnte, wenn es nach den jetzt umgesetztenSanktionen zu einer Sanktionsspirale käme und der Kon-flikt über diese Sanktionen weiter eskalieren würde, oderwäre das eine reale Gefahr?
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Es gibt keinen Sanktionsautomatismus, Herr Kollege
Hunko. Die Bundesregierung und die Europäische
Union insgesamt sind nach wie vor zuvörderst um eine
diplomatisch-politische Lösung bemüht. Wir wollen de-
eskalieren und nicht eskalieren.
Der nächste Europäische Rat am morgigen Donners-
tag wird im Lichte der jüngsten Entwicklung auf der
Krim, aber auch vor dem Hintergrund der russischen
Entscheidung, sich die Krim einzuverleiben, über wei-
tere Schritte nachdenken. Es gibt derzeit aber noch kei-
nerlei konkrete Überlegungen, Wirtschaftssanktionen
auszusprechen. Ich müsste hier also spekulieren, und das
möchte ich nicht.
Zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege Gehrcke
das Wort.
Schönen Dank. – Herr Staatsminister, ich möchte Sie
gerne fragen, ob aus Ihrer Sicht eine Aufkündigung der
Zusammenarbeit mit Russland bei der Vernichtung der
syrischen Chemiewaffen und Auswirkungen auf die Ver-
handlungen mit dem Iran über das Atomprogramm in
dem Sanktionskatalog vorgesehen sind und wie sich die
Bundesregierung dazu verhält.
Es gibt eine klare Priorität der Bundesregierung – da-
ran arbeiten wir Tag und Nacht –, nämlich auf politi-
schem Wege und auf diplomatischem Wege zur Deeska-
lation beizutragen. Wir haben auch das Ziel, dass
– unabhängig von weiteren Maßnahmen – die Ge-
sprächskanäle mit Russland offen gehalten werden. Ich
habe den Eindruck, dass diese Position innerhalb der
Europäischen Union auf große Zustimmung stößt.
Im Übrigen wissen Sie, dass wir für die Lösung von
einer Reihe von internationalen Problemen – Sie haben
einige angesprochen – weiterhin auf Russland angewie-
sen sind. Unabhängig davon gibt es aber ein klares, deut-
liches Signal der Bundesregierung und der Europäischen
Union: Was Russland bezüglich der Krim getan hat, ver-
stößt gegen das Völkerrecht und ist absolut inakzeptabel.
Kollege Krischer hat jetzt Gelegenheit, eine weitere
Frage zu stellen.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staats-
minister, es hat in der vergangenen Woche und in der
Woche davor zwei große Geschäfte von deutschen Un-
ternehmen gegeben: zum einen die Transaktion der
Firma Wintershall, die im Rahmen eines Asset-Tauschs
Gasspeicheranteile an Gazprom verkauft hat, und zum
anderen die Entscheidung von RWE, ihre Öl- und Gas-
fördertochter an einen russischen Investor zu verkaufen,
und zwar zu einem überraschend hohen Kaufpreis und
– wenn man die gesamte Verhandlungsdauer dieses
Kaufs betrachtet – zu einem interessanten Zeitpunkt.
Meine Frage ist: Welche Position hat die Bundes-
regierung zu diesem Thema, und erachtet sie es als not-
wendig, in irgendeiner Weise bei diesen Geschäften ein-
zugreifen, zu prüfen, zu handeln?
Unabhängig davon, wie wir zu solchen wirtschaftli-
chen Entscheidungen der Privatwirtschaft stehen, gibt es
für die Bundesregierung derzeit keine Möglichkeiten,
einzugreifen.
Frau Kollegin Keul.
Vielen Dank. – Wenn wir jetzt über Sanktionen oder
Einschränkungen im Handel sprechen, dann ist der erste
Bereich, der mir dazu einfällt, der Bereich der Rüstungs-
exporte. Jetzt frage ich: Gedenkt die Bundesregierung
die Lieferung eines gesamten Gefechtsübungszentrums
nach Russland durch die Firma Rheinmetall zu stoppen?
Ist dieses Geschäft möglicherweise durch eine Hermes-
bürgschaft abgesichert? Wie wird das dann in der Praxis
abgewickelt?
Liebe Frau Kollegin, auch wenn in der Öffentlichkeit
immer wieder anderes behauptet wird: Faktisch werden
bereits jetzt keinerlei Ausfuhrgenehmigungen für Rüs-
tungsgüter nach Russland mehr erteilt. Das gilt ins-
besondere auch für Dual-use-Güter mit einem mili-
tärischen Verwendungszweck. Darüber hinaus hat die
Bundesregierung eine Überprüfung der bislang schon er-
teilten Ausfuhrgenehmigungen eingeleitet und wird
dann, wenn dies erforderlich ist, die entsprechenden
Schritte einleiten. Das gilt auch für die konkreten Fälle,
die Sie eben benannt haben.
Frau Kollegin Beck.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Herr Staatsminister, angesichts des hohen Tempos der
Veränderungen in der Ukraine, mit denen kaum jemand
gerechnet hat, und der sich daraus ergebenden Tatsache,
dass wir die handelnden Personen und Parteien oft nicht
wirklich gut kennen, möchte ich Sie fragen, wie die Bun-
desregierung die Übergangsregierung in Kiew und die
Beteiligung der Partei Swoboda daran einschätzt. Haben
wir es dort mit faschistischen Kräften und einer Regie-
rung zu tun, der faschistische Parteien angehören?
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Die Bundesregierunghat wie die Europäische Union insgesamt ein Interessean einer möglichst inklusiven Regierung, die möglichstalle gesellschaftlichen Kräfte, die der Rechtsstaatlichkeit
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und der Demokratie verpflichtet sind, einbezieht. Ichweiß, dass es insbesondere in Deutschland eine kontro-verse Diskussion über die Rolle von Swoboda gibt.Diese Partei ist an der Regierung beteiligt und stellt zweiMinister. Nach den uns vorliegenden Erkenntnissenmöchte ich nicht von einer faschistischen Partei spre-chen. Es ist zweifellos eine rechtspopulistische, nationa-listische Partei, aber es ist keine faschistische, eindeutigantisemitische Partei. Im Übrigen – das wissen Sie; dateilt die Bundesregierung die Auffassung des Bundesta-ges – ist es deutsche Tradition: Wir verabscheuen undverurteilen den Antisemitismus überall. Wir setzen unsauch in der Ukraine für eine Aufklärung der Gewalttatenauf dem Maidan, aber auch anderswo ein. Swoboda istnach unseren Erkenntnissen – auch nach den Gesprächenmit der Zivilgesellschaft in der Ukraine, insbesonderemit den Vertretern der jüdischen Gemeinde – zwar einerechtspopulistische und nationalistische, aber keine fa-schistische Partei.
Herr Dr. Neu.
Herr Staatsminister, der Kollege Gehrcke hatte gerade
eine Frage gestellt, die Sie etwas unpräzise beantwortet
haben. Es geht darum, ob angesichts des Instrumenten-
köfferchens, in denen die gerade ausgearbeiteten Sank-
tionen enthalten sind, auch der Abzug aus Afghanistan,
bei dem Russland eine Rolle spielen wird, und der Iran
Thema sind. Ja oder nein?
Danke.
Herr Kollege Neu, wir befinden uns derzeit noch in
der Stufe 2 des sogenannten Sanktionsmechanismus. Die
Stufe 3, die Sie ansprechen, ist überhaupt noch nicht im
Gespräch. Wir befinden uns hier im spekulativen Be-
reich. Es bedürfte dafür auch eines gesonderten Be-
schlusses des Europäischen Rates.
Derzeit investieren wir unsere gesamte Kraft, unser
Engagement, aber auch unsere Kreativität darauf, wei-
tere Sanktionen zu verhindern. Ich habe auch den Ein-
druck, dass es darüber in der Europäischen Union eine
intensive Diskussion gibt. Denn wir müssen uns die
Frage stellen, wer welchen Preis für welche Sanktion
zahlt und ob wir das, was wir uns wünschen, mit den
entsprechenden Sanktionen wirklich erzielen können.
Insofern kann ich Ihnen noch nichts Konkretes sagen,
weil es diese konkrete Diskussion noch nicht gibt.
Einen Instrumentenkoffer mit Sanktionen, den Sie an-
gesprochen haben, gibt es weder bei der Bundesregie-
rung noch bei der Europäischen Union.
Herr Kollege Petzold.
Herr Staatsminister, habe ich Sie richtig verstanden,
dass es innerhalb der Bundesregierung noch gar keine
Vorstellung über die Stufe 3 gibt?
Es gibt selbstverständlich eine Reihe von Überlegun-
gen, aber es gibt noch keine Beschlüsse. Über die würde
ich Sie dann informieren, wenn sie anstehen. Derzeit ha-
ben wir eine klare Priorisierung. Wir wollen unter allen
Umständen vermeiden, dass es zu einer weiteren Eskala-
tion kommt. Denn die sogenannte dritte Stufe greift erst
dann, wenn die Eskalationsspirale sich weiterdreht. Ich
meine, dass es derzeit noch ein Fenster für diplomatische
Bemühungen gibt.
Herr Kollege Mützenich.
Danke schön. – Herr Staatsminister, wenn ich die Fra-
gen insbesondere der Vertreter der Linksfraktion richtig
verstehe, besteht ein großer Konsens im Haus, dass wir
daran mitwirken wollen, die Chemiewaffen in Syrien zu
vernichten. Wir werden wahrscheinlich in den nächsten
Wochen Gelegenheit haben, in diesem Zusammenhang
Äußerungen der Linksfraktion zu einer gemeinsamen
Haltung zu hören.
Ich würde gerne darauf Bezug nehmen, was Sie ge-
sagt haben. Es ist nicht nur Auffassung der Bundesregie-
rung, dass die Ereignisse auf der Krim in den letzten
Stunden und Tagen und die Handlungen unterschiedli-
cher Personen, aber auch von Institutionen in Russland
nicht nur nicht akzeptabel, sondern auch völkerrechts-
widrig sind. Vielleicht kann die Bundesregierung auch
hier noch einmal dokumentieren, dass dies keine Einzel-
meinung Deutschlands ist, sondern dass Russland mit
seiner Position und Haltung mittlerweile auch innerhalb
der Europäischen Union, des Europarats und insbeson-
dere – das ist für uns sehr wichtig – des Sicherheitsrats
der Vereinten Nationen isoliert ist.
Herr Kollege Mützenich, ich bin Ihnen dankbar fürdiesen Hinweis und die damit verbundene Frage, weilsie mir die Chance eröffnet, eines deutlich zu machen:Es geht nicht um die Position „Der Westen gegen Russ-land“. Ich will auch keinem unterstellen, in den Katego-rien des Kalten Krieges zu argumentieren. Sie habenvöllig recht: Russland ist aufgrund seines völkerrechts-widrigen Vorgehens gegen die Ukraine und insbesondereder Einverleibung der Krim völlig isoliert. Es gibt eineklare Positionierung des Sicherheitsrates. Es gibt eineklare Positionierung im Europarat. Es gibt derzeit – auchund gerade in dieser Stunde – Bemühungen in derOSZE. Es gibt nicht zuletzt eine klare, einmütige Posi-tionierung der Europäischen Union.Das alles macht deutlich: Es geht nicht um „den Wes-ten gegen Russland“, sondern um das Handeln der derDemokratie und der Rechtsstaatlichkeit verpflichteten
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Staatsminister Michael Roth
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Welt. Ich will das zwar nicht im Namen aller Mitglied-staaten der Vereinten Nationen sagen. Aber es gibt einklares Bekenntnis, das verdeutlicht, dass das, was Russ-land derzeit tut, auf deutlichen Widerspruch in der Welt-gemeinschaft stößt.
Vielen Dank.
Ich rufe nun die dringliche Frage 2 des Abgeordneten
Dr. Alexander S. Neu auf:
Welche Erkenntnisse besitzt die Bundesregierung über den
Einsatz einer nach Medienberichten am 13. oder 14. März
2014 über der Krim abgefangenen, auf einem Standort der
US-Armee in Bayern stationierten Drohne des Typs Hunter
MQ-5B, unter anderem darüber, aus welcher Quelle die öf-
fentlich gewordenen Informationen über diese angeblich ab-
gefangene Drohne ursprünglich stammten, wer diese den Me-
dien zugänglich machte, von wem die Drohne gegebenenfalls
abgefangen wurde, wo bzw. in wessen Gewahrsam sie sich
seither befindet, ob diese Drohne mit Aufklärungstechnik
ausgestattet bzw. ob sie waffenfähig bzw. bewaff-
net war, und war die Bundesregierung über diesen
Einsatz vorab informiert, bzw. welche weiteren Erkenntnisse
über diesen Einsatz hatte sie in dessen Vorfeld?
Bitte, Herr Staatsminister Roth.
Danke, Frau Präsidentin. – Ich möchte die dringlichen
Fragen 2 und 3 im Zusammenhang beantworten.
Sind Sie damit einverstanden, Herr Dr. Neu? – Dann
rufe ich auch noch die dringliche Frage 3 auf:
Sofern die Bundesregierung über einen dieser Aspekte
keine Erkenntnisse besitzt, was hat sie unternommen, um ent-
sprechende Erkenntnisse zu erlangen, bzw. sofern dies nicht
geschehen ist, aus welchem Grund wurde nicht versucht, Er-
kenntnisse zu erlangen?
Bitte, Herr Staatsminister Roth.
Herr Kollege Neu, um das den Kolleginnen und Kol-
legen zu erläutern, die nicht so im Bilde sind wie Sie:
Die Streitkräfte der Vereinigten Staaten betreiben auf
den Truppenübungsplätzen in Grafenwöhr und Hohen-
fels in Bayern zu Übungszwecken einige unbewaffnete,
unbemannte Flugzeuge des Typs Hunter, also Drohnen.
Diese haben eine Reichweite von 260 Kilometern. Um
von Bayern in die Ukraine zu kommen, müssten unge-
fähr 2 000 Kilometer zurückgelegt werden. Insofern
halte ich das deutliche und sofortige Dementi des US-
Verteidigungsministeriums, dass es sich dabei nicht um
Drohnen des Typs Hunter gehandelt haben kann, für
mehr als nachvollziehbar.
Herr Kollege Neu, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte.
Sie gehen also davon aus, dass diese Drohnen sozusa-
gen keinen Zwischenstopp in Polen, Rumänien oder Un-
garn machen können, um aufgetankt zu werden?
Uns liegt ein deutliches Dementi der Vereinigten
Staaten vor. Wir haben keine weiteren Erkenntnisse.
Meine Ingenieurskunst reicht nicht aus, um Ihre Frage so
zu beantworten, dass sie vielleicht in das Schema passt,
das Sie von mir erwarten.
– Die habe ich Ihnen auch gegeben.
Vielen Dank. – Das Wort zu einer Frage hat jetzt der
Kollege Ströbele.
Danke, Frau Präsidentin. – Sie gehen jetzt davon aus,
dass es sich um eine Drohne des Typs Hunter handelt.
Nehmen wir einmal an, dass es eine Drohne eines ande-
ren Typs war, möglicherweise sogar eine bewaffnete
Drohne. Geben Sie mir recht, dass eine solche Drohne in
Deutschland starten und auch bis in die Ukraine fliegen
könnte und dass es in der Vergangenheit schon vorge-
kommen ist, dass solche Drohnen von Deutschland aus
in eine andere Richtung, nämlich in Richtung Afrika,
eingesetzt worden sind?
Herr Kollege Ströbele, die Frage des Kollegen Neu
bezieht sich auf eine Information von The Voice of
Russia. Demzufolge soll die russische Rüstungsagentur
am 14. März behauptet haben, dass ein unbemanntes
US-Flugzeug des Typs Hunter bei einem Aufklärungs-
flug auf der Krim-Halbinsel abgefangen worden sei. Ich
habe nur darauf hingewiesen, dass in Bayern solche
Drohnen stationiert sind, dass es aber technisch unmög-
lich ist, bei einer Reichweite von 260 Kilometern von
Bayern in die Ukraine zu kommen. Insofern handelt es
sich hier um eine grobe Spekulation, die ich nicht weiter
befeuern möchte.
Frau Kollegin Beck.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Herr Staatsminister, angesichts der besorgniserregen-den militärischen Handlungen auf der Krim und der gro-ßen Sorge der internationalen Gemeinschaft, dass sichder nächste militärische Akt in der Ostukraine ereignet,frage ich Sie, ob Sie Informationen bestätigen können,dass im Dorf Strilkowe, also auf kontinental-ukraini-schem Gebiet, mehrere Kampfhubschrauber russischerHerkunft gelandet und gepanzerte Fahrzeuge russischerHerkunft einschließlich 60 Soldaten stationiert sind, dieeine Gasverdichtungsstation besetzt haben?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1693
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Sie wissen, Frau Kollegin Beck, dass die Lage insbe-
sondere in der Ostukraine, aber auch im Süden der
Ukraine mehr als instabil ist und dass es dort eine Reihe
von Gefährdungen gibt. Ich möchte mich jetzt ausdrück-
lich nicht auf Ihr Beispiel beziehen, weil mir die entspre-
chenden Erkenntnisse im Detail dazu fehlen.
Nicht zuletzt veranlasst uns diese doch sehr fragile,
gefährliche Lage dazu, nach Kräften dazu beizutragen,
dass es die entsprechende Monitoring-Kommission der
OSZE alsbald gibt – gerade heute finden die Verhand-
lungen statt –, um dafür Sorge zu tragen, dass mithilfe
der OSZE, eines Partners, der den Menschenrechten ver-
pflichtet ist, die derzeitige Lage vor Ort aufgeklärt wird,
damit wir nicht nur auf informelle Berichte angewiesen
sind.
Gelegenheit zu einer weiteren Frage hat jetzt die Kol-
legin Vogler.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsminister,
bereits seit über einer Woche erreichen uns immer wie-
der Berichte über verstärkte Aktivitäten von NATO-
Truppen im östlichen Polen, insbesondere in der masuri-
schen Region. In diesem Kontext würde mich schon in-
teressieren, was der genaue Auftrag dieser Truppen ist
und inwieweit und in welcher Form die Bundesregierung
diese Aktivitäten unterstützt.
Frau Kollegin, Sie haben zu Recht darauf hingewie-
sen, dass es sich um mögliche Aktivitäten der NATO in
Polen handelt und nicht in der Bundesrepublik Deutsch-
land. Insofern kann ich Ihre Frage nicht beantworten,
weil das nicht in den Zuständigkeitsbereich des Auswär-
tigen Amts fällt.
Kollege Krischer.
Herr Staatsminister, angesichts dieser auch von den
Kollegen beschriebenen militärischen Entwicklung
möchte ich noch einmal auf die Frage zurückkommen,
die Sie mir eben beantwortet haben. Sie sagten, dass Sie
keinerlei rechtliche Möglichkeit sehen, auf Geschäfte
der RWE oder der Wintershall AG Einfluss zu nehmen
oder in irgendeiner Weise aktiv zu werden. Deshalb
meine konkrete Nachfrage.
In § 4 des Außenwirtschaftsgesetzes wird eine ganze
Reihe von Gründen genannt, in denen die Bundesregie-
rung in Vertretung der Bundesrepublik aktiv werden
kann. Da ist zum Beispiel von einer Störung des friedli-
chen Zusammenlebens der Völker die Rede, da ist von
einer Störung der auswärtigen Beziehungen der Bundes-
republik die Rede. Meine Frage: Interpretiere ich Sie
richtig, dass diese Gründe, die in § 4 des Außenwirt-
schaftsgesetzes genannt werden, auf die Geschäfte der
RWE bzw. der Wintershall AG keine Anwendung fin-
den?
Herr Kollege, die Bundesregierung hat sich wieder-
holt für ein gemeinsames Vorgehen – ich hatte bislang
immer den Eindruck, dass dies auch von einer sehr brei-
ten Mehrheit im Deutschen Bundestag getragen wird –
und eine gemeinsame Strategie der Europäischen Union
ausgesprochen. Das heißt, das, was wir tun oder auch
nicht tun, ist in eine Strategie der Europäischen Union
eingebettet. Wir werden nicht zuletzt am kommenden
Donnerstag auf dem Europäischen Rat darüber sprechen
müssen, wie wir mit der jüngsten Entscheidung Russ-
lands umzugehen haben, ob wir im Bereich der zweiten
Stufe verbleiben.
Aber wir sind noch weit davon entfernt, über die
dritte Stufe konkret zu verhandeln, geschweige denn,
diese zu beschließen. Ich will wiederholen: Das setzt
nämlich einen weiteren dezidierten Beschluss des Euro-
päischen Rates voraus. Es geht also hier um eine ge-
meinsame Anstrengung, um gemeinsame Maßnahmen,
die von der Europäischen Union insgesamt verabredet
werden. Ich hielte es für nicht besonders überzeugend,
wenn hier einzelne Mitgliedstaaten vorpreschten und
einzelne, nationalstaatliche Maßnahmen ergreifen wür-
den.
Vielen Dank. – Ich sehe keine weiteren Nachfragewün-
sche. Damit sind auch die dringlichen Fragen 2 und 3 be-
antwortet.
Wir kommen zu den Fragen auf Drucksache 18/814.
Ich rufe sie in der üblichen Reihenfolge auf.
Als Erstes behandeln wir den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie. Zur Be-
antwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Uwe Beckmeyer zur Verfügung.
Zunächst rufe ich die Frage 1 des Abgeordneten
Oliver Krischer, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Welche Treffen gab es zwischen der Europäischen Kom-
mission und Vertretern der Bundesregierung bezüglich einer
europarechtskonformen Ausgestaltung der Besonderen Aus-
gleichsregelung im Erneuerbare-Energien-Gesetz, bitte nach
Inhalt und Terminen aufschlüsseln, und welchen inhaltlichen
Vorschlag zur europarechtskonformen Ausgestaltung hat die
Bundesregierung der Europäischen Kommission diesbezüg-
lich unterbreitet?
Herr Kollege Beckmeyer.
U
Ich beantworte die Frage wie folgt: Es gab und gibtzwischen der EU-Kommission und der Bundesregierungzahlreiche Gespräche bezüglich einer europarechtskon-formen Ausgestaltung der Besonderen Ausgleichs-regelung im EEG. Nähere Informationen zu Daten bzw.Gesprächsinhalten und zu inhaltlichen Vorschlägen derBundesregierung können nicht übermittelt werden, da
Metadaten/Kopzeile:
1694 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014
Parl. Staatssekretär Uwe Beckmeyer
(C)
(B)
die Verhandlungen der Bundesregierung noch nicht ab-geschlossen sind.
Herr Kollege Krischer.
Herr Kollege Beckmeyer, herzlichen Dank für die
Antwort. – Diese Antwort verwundert mich etwas. Denn
wenn man in Verhandlungen geht, hat man erst einmal
eine Position; das kennen wir alle aus dem Bereich der
Tarifverhandlungen. Deshalb erstaunt mich, dass die
Bundesregierung bei diesem Thema offensichtlich gar
keine Position zu haben scheint. Wenn man in eine Ver-
handlung geht, dann muss man doch eine Position ha-
ben. Mich würde interessieren, mit welcher konkreten
Position die Bundesregierung in die Verhandlungen ge-
gangen ist. Dass Sie über den Verhandlungsfortschritt
natürlich nicht im Detail berichten können, kann ich
nachvollziehen. Das ist sicherlich ein interner Prozess.
Aber mich interessiert die grundsätzliche Position.
Gestern gab es Medienberichte, wonach 65 Branchen
von der Ökostromumlage ausgenommen sein sollen.
Können Sie bestätigen oder dementieren, dass eine sol-
che Zahl im Raume steht und am Ende Teil einer Verein-
barung mit der EU-Kommission wird?
U
Herr Kollege Krischer, Sie haben danach gefragt,
welche Treffen es zwischen der Europäischen Kommis-
sion und den Vertretern der Bundesregierung gegeben
hat, um diese Ausgestaltung zu beraten. Meine Antwort
darauf habe ich Ihnen eben vorgetragen.
– Ich komme zum zweiten Teil.
Die Beratungen betreffen unter anderem die Inhalte des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes. In diesem Zusammen-
hang sind speziell das Thema „Besondere Ausgleichs-
regelung“, aber auch das Thema „Eigenverbrauch“ zu
nennen.
Sie haben mich außerdem gefragt, wie wir mögliche
Ausnahmen von der Ökostromumlage – Meldungen da-
rüber sind gestern durch wen auch immer an die Öffent-
lichkeit geraten – bewerten. Dabei geht es um ein Papier
der EU-Kommission, in dem Ausnahmen für bestimmte
Branchen vorgeschlagen werden. Wir werten diese Vor-
schläge zurzeit aus und beurteilen sie auch im deutschen
Interesse.
Herr Kollege Krischer.
Herr Kollege, dass es dabei um das EEG und die Be-
sondere Ausgleichsregelung geht, vermelden die Über-
schriften. Genauso ist es oft bei Tarifverhandlungen,
wenn vermeldet wird, dass es um Lohnpolitik und Ar-
beitszeiten geht. Überschriften dieser Art sagen aber
noch nichts über Ihre Position aus. Deshalb noch einmal
meine Frage: Mit welcher Position, mit welchen konkre-
ten Inhalten, mit welchem Ziel ist die Bundesregierung
in diese Verhandlungen gegangen?
U
Herr Kollege Krischer, wir haben uns ja bereits im
Ausschuss für Wirtschaft und Energie darüber unterhal-
ten. Es ist klar, dass das jetzige Erneuerbare-Energien-
Gesetz – zuletzt geändert 2012; das Gesetz, das von der
EU-Kommission im Grunde gestoppt worden ist – in
diesem Jahr novelliert werden soll; das ist erklärte Poli-
tik der Bundesregierung. Unser Zeitplan sieht vor, dass
der Entwurf der Novelle dem Kabinett Anfang April
vorliegt. Wir werden ihn danach im Plenum des Deut-
schen Bundestages beraten. Wir möchten gerne, dass
dieses Gesetz, nachdem wir es mit Ihnen zusammen be-
raten haben, am 1. August 2014 mit seiner Verkündung
im Bundesgesetzblatt in Kraft tritt.
Das Hinterfragen aller Inhalte des Ihnen bekannten Er-
neuerbare-Energien-Gesetzes – der Besonderen Aus-
gleichsregelung, einer Umlage auf Eigenstromverbrauch –
ist Teil der Verhandlungen, die wir mit der EU-Kommis-
sion aktuell führen. Da gibt es im Detail sehr viele ver-
schiedene Ansichten und Positionierungen. Ich bitte Sie,
den Abschluss der Gespräche abzuwarten. Danach wer-
den wir Ihnen einen entsprechenden Beschluss des Kabi-
netts vorlegen. Dann werden wir uns dazu inhaltlich
weiter auseinandersetzen können.
Herzlichen Dank.
Zu einer weiteren Frage erteile ich jetzt dem Kollegen
Petzold das Wort.
Herr Staatssekretär, ich möchte Sie trotzdem noch
einmal fragen, mit welcher Position die Bundesregie-
rung, was die Ausnahmeregelungen für Unternehmen
anbelangt, in diese Verhandlungen geht.
U
Wir sind bereits in den Verhandlungen. Diese Ver-
handlungen haben insbesondere zum Ziel, die deutsche
Wirtschaft im Zusammenhang mit dem Erneuerbare-
Energien-Gesetz und dessen Novelle international kon-
kurrenzfähig zu halten. Das ist eines der Hauptziele der
Bundesregierung bei diesen Verhandlungen mit der
Europäischen Kommission.
Ich sehe keine weiteren Wortmeldungen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1695
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
(B)
Die Frage 2 des Abgeordneten Oliver Krischer, dieFrage 3 der Abgeordneten Bärbel Höhn, die Fragen 4und 5 des Abgeordneten Klaus Ernst und die Frage 6 derAbgeordneten Agnieszka Brugger werden schriftlich be-antwortet.Damit sind wir am Ende der Fragen zu diesem Ge-schäftsbereich. Ich bedanke mich bei Herrn Staatssekre-tär Beckmeyer für die Beantwortung.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Auswär-tigen Amts. Zur Beantwortung steht StaatsministerMichael Roth zur Verfügung.Die Frage 7 der Abgeordneten Agnieszka Bruggerwird schriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 8 des Abgeordneten WolfgangGehrcke auf:Über welche Erkenntnisse und Hinweise verfügt die Bun-desregierung, dass die gegen jüdische Einrichtungen und Bür-ger jüdischen Glaubens gerichteten Angriffe in der Ukraine
vom russischen Geheimdienst, von anderen russischen Si-cherheitsorganen und/oder vom ukrainischen Geheimdienstoder von anderen ukrainischen Sicherheitsorganen organisiertund gesteuert wurden?
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Gehrcke, wir gemeinsam hier im Hohen Hause, aber
auch in der Bundesregierung verurteilen den Antisemi-
tismus auf das Schärfste – überall und selbstverständlich
auch in der Ukraine. Die Bundesregierung verfügt aber
über keine derartigen Erkenntnisse, wie Sie sie mit Ihrer
Frage insinuiert haben.
Sie können sich darauf verlassen: Wir stehen in engs-
tem Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern der jüdi-
schen Gemeinden in der Ukraine. Selbstverständlich ist
die Lage in der Ukraine ausgesprochen schwierig. Aber
alle Repräsentanten der jüdischen Gemeinden haben uns
gegenüber noch einmal bestätigt, dass man von einer all-
gemeinen Zunahme des Antisemitismus im Zusammen-
hang mit den jüngsten Unruhen in der Ukraine nicht
sprechen könne.
Ich will noch einen Punkt ergänzen, Herr Kollege
Gehrcke. Sie werden sich bestimmt an den offenen Brief
der jüdischen Gemeinden an Präsident Putin vom
5. März erinnern, in dem prominente Vertreter der ukrai-
nischen jüdischen Organisationen deutlich gemacht ha-
ben, dass das Argument Putins, es handele sich hier um
einen wüsten Antisemitismus, mit der Wirklichkeit rein
gar nichts zu tun hat.
Herr Kollege Gehrcke.
Ich muss ja nicht dem russischen Präsidenten Putin
helfen wollen; ich will der Bundesregierung helfen,
klare Erkenntnisse zu gewinnen und ihre Positionen, die
Sie beschrieben haben, in der Öffentlichkeit auch ener-
gisch genug vorzutragen.
Ich zitiere aus der israelischen Zeitung Haaretz; sie
ist bekannt, das ist eines der großen seriösen Blätter.
Dort war am 23. Februar zu lesen:
Aus Angst vor antisemitischen Übergriffen inmitten
des Chaos in Kiew fordert der ukrainische Rabbiner
Moshe Reuven Asman die Juden zum Verlassen der
Stadt auf.
„Ich habe meine Gemeinde aufgefordert, das Stadt-
zentrum und auch die ganze Stadt zu verlassen und
wenn möglich auszureisen.“
Das können Sie in der Haaretz nachlesen. So wird das in
Israel wahrgenommen.
Muss nicht die Bundesregierung angesichts solcher
Wahrnehmungen viel energischer deutlich machen:
„Man setzt sich nicht mit Nazis zusammen an einen
Tisch, man lässt sich nicht mit denen fotografieren, son-
dern man wird international die Ächtung betreiben“?
Ich muss das auf das Schärfste zurückweisen. Die
Bundesregierung setzt sich nicht mit Nazis und Faschis-
ten an einen Tisch. Sie können sich darauf verlassen,
dass wir im Rahmen unserer Möglichkeiten alles dafür
tun, um Jüdinnen und Juden in der Ukraine zu schützen.
Wir verlassen uns dabei nicht so sehr auf Medienbe-
richte, sondern in erster Linie auf unmittelbare Gesprä-
che mit Repräsentanten der jüdischen Gemeinden in der
Ukraine.
Ich möchte daran erinnern, dass heute, in dieser
Stunde, der Vorsitzende des Vereins Jüdischer Gemein-
den und Organisationen in der Ukraine, Herr Zissels, in
Berlin ist – ich bedanke mich auch noch einmal bei der
Kollegin Beck, die das offenkundig initiiert hat –, um
unter anderem mit den Vertreterinnen und Vertretern des
Menschenrechtsausschusses, aber auch mit dem Vorsit-
zenden des Auswärtigen Ausschusses über die Lage der
Juden in der Ukraine zu sprechen.
Wenn ich als Vertreter der Bundesregierung sage,
dass uns derzeit keine Erkenntnisse über eine Zunahme
des Antisemitismus in der Ukraine vorliegen, speist sich
das aus unmittelbaren Gesprächen mit Vertretern der jü-
dischen Gemeinden in der Ukraine.
Herr Kollege Gehrcke.
Auf die Quelle unmittelbarer Gespräche kann auchich zurückgreifen. Ich halte Ihnen aber noch einmal vor– ich möchte ja, dass sich die Bundesregierung bewegtund etwas tut –, wie Ihr Kollege Günter Verheugen, derehemalige EU-Erweiterungskommissar, der ja Ihrer Par-
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1696 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014
Wolfgang Gehrcke
(C)
(B)
tei angehört und nicht meiner – ich könnte jetzt sagen:bedauerlicherweise; aber das ist so –, die Lage beurteilt– ich zitiere –:Das Problem liegt eigentlich gar nicht in Moskauoder bei uns. Das Problem liegt ja in Kiew, wo wirdie erste europäische Regierung des 21. Jahrhun-derts haben, in der Faschisten sitzen.Ende des Zitates von Günter Verheugen, Mitglied derSPD, ehemaliger Erweiterungskommissar.
Diese Auffassung teilen wir so nicht. Ich will Ihnen
einfach einmal erklären, was wir bislang tun, um jeden
gewaltsamen Akt entschlossen und entschieden aufzu-
klären:
Erstens. Es gibt eine klare Zusage der derzeitigen
ukrainischen Regierung, in der sie ihre Bereitschaft zur
Zusammenarbeit mit internationalen Organisationen be-
kräftigt hat.
Zweitens hat sich eine Kommission in der Ukraine
gegründet unter starkem Einbezug der Zivilgesellschaft,
selbstverständlich auch unter Einbezug der jüdischen
Gemeinden.
Drittens hat der Europarat das sogenannte Internatio-
nal Advisory Panel etabliert, das an der Aufklärung von
Gewalttaten in der Ukraine aktiv beteiligt ist.
Nicht zuletzt war der Untergeneralsekretär für Men-
schenrechte der Vereinten Nationen jüngst in der
Ukraine und hat sich über die Menschenrechtssituation,
auch über die Gefährdung durch Antisemitismus, ein-
schlägig informiert. Wir sehen seinem unmittelbar aus
der Lage vor Ort gewonnenen Bericht mit großer Span-
nung entgegen.
Die Gelegenheit zu einer weiteren Frage hat der Kol-
lege Petzold.
Herr Staatsminister, ich möchte noch einmal nachfra-
gen, welche Rolle denn solche Erkenntnisse spielen
– diese sind ja auch im Internet oder in der Presse deut-
lich nachvollziehbar – wie die, dass führende Repräsen-
tanten der Swoboda-Partei eindeutige Posen zeigen, die
bei uns als verfassungswidrig gelten, und dass Führungs-
personal dieser Partei, dass Parlamentarier dieser Partei
an Veranstaltungen der rechtsextremen NPD in Deutsch-
land teilnehmen und teilgenommen haben. Welche Rolle
spielt das bei Ihrer Meinungsbildung? Das muss doch
die Alarmglocken bei Ihnen schrillen lassen.
Es gibt ja noch eine schriftlich eingereichte Frage zu
der möglichen Kooperation der NPD mit Swoboda oder
auch mit anderen Organisationen in der Ukraine. Ich will
dem aber durchaus einmal vorgreifen und eines deutlich
sagen: Aus den Erkenntnissen, die der Bundesregierung
zu Swoboda vorliegen, wird deutlich, dass es sich um
eine rechtspopulistische und nationalistische Partei han-
delt, aber um keine faschistische.
Sie haben darüber hinaus nachgefragt, wie die Koope-
rationen der NPD mit Swoboda oder auch mit Prawyj
Sektor – das ist ja eine andere Organisation, die aber de-
zidiert nicht der ukrainischen Regierung angehört – aus-
sehen. Uns liegen derzeit keinerlei Hinweise auf eine
finanzielle Zusammenarbeit vor. Es gibt auch kein klares
Bild. Ich will Ihnen einfach einmal ein paar Beispiele
nennen: Es ist durchaus richtig, dass sich die NPD be-
müht hat, entsprechende Kontakte in die Ukraine zu ver-
tiefen. Dafür spricht nicht zuletzt auch das Interview, das
ein Swoboda-Funktionär im Parteiorgan Deutsche
Stimme gegeben hat. Es gab auch den Besuch einer Swo-
boda-Delegation im Mai 2013 bei der NPD-Landtags-
fraktion in Sachsen. Der Vertreter des sogenannten
Rechten Sektors, des Prawyj Sektor, hat seine Teilnahme
am Europakongress der Jungen Nationaldemokraten im
März dieses Jahres inzwischen zurückgezogen.
Es gibt auch Äußerungen der NPD, die ich Ihnen
nicht vorenthalten möchte. Hier gibt es nämlich teil-
weise eine deutliche Parteiergreifung für die Position
Russlands. So wirft zum Beispiel die NPD in Mecklen-
burg-Vorpommern den USA und der Europäischen
Union in Bezug auf die Ukraine eine antirussische Ag-
gressionspolitik und die Destabilisierung durch Einfluss-
agenten vor. Eine klare Positionierung der NPD kann ich
hier nun beim besten Willen nicht erkennen.
Auf eines können Sie sich aber immer verlassen: Die
Bundesregierung wird immer uneingeschränkt gegen
Antisemitismus und Faschismus vorgehen – egal wo,
weltweit.
Herr Staatsminister, ich darf Sie im Hinblick auf die
Beantwortung der weiteren Fragen an die Einhaltung der
Redezeit erinnern.
Danke.
Der Herr Kollege Grund hat eine Frage.
Herr Staatsminister, ich möchte auf die Frage von
Herrn Kollegen Gehrcke zurückkommen und Sie und die
Bundesregierung fragen, ob Ihnen bekannt ist, dass meh-
rere Mitglieder des Übergangskabinetts in Kiew, so zum
Beispiel Ministerpräsident Jazenjuk, jüdische Wurzeln
haben und dass der vor kurzem ernannte Gouverneur
von Dnipropetrowsk, Kolomojskyj, Vorsitzender des Eu-
ropäischen Rats der Jüdischen Gemeinden, Präsident der
Europäischen Jüdischen Union und Leiter der Vereinten
Jüdischen Gemeinden der Ukraine ist?
Lieber Herr Kollege Grund, Sie haben völlig recht: Esgibt eine Reihe von politischen Repräsentanten jüdi-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1697
Staatsminister Michael Roth
(C)
(B)
schen Glaubens; Sie haben einige genannt. Auch derstellvertretende Premierminister, Herr Hrojsman, ist jü-dischen Glaubens. Darüber hinaus gibt es – das sind zu-mindest meine bisherigen Erkenntnisse – drei Gouver-neure, die ebenso jüdischen Glaubens sind.
Vielen Dank.
Ich rufe die Frage 9 des Kollegen Wolfgang Gehrcke
auf:
Welche Erkenntnisse liegen der Bundesregierung über die
organisatorische und finanzielle Zusammenarbeit zwischen
der ukrainischen Partei Swoboda und der Kampfgruppe Rech-
ter Sektor mit der deutschen NPD und anderen rechtsextre-
mistischen Organisationen in der Bundesrepublik Deutsch-
land vor?
Ich hatte diese Frage im Rahmen der Frage Ihres Kol-
legen eben schon weitgehend zu beantworten versucht.
Ich will das noch einmal kurz darstellen und erläutern:
Es ist gefragt worden, ob es eine finanzielle Zusammen-
arbeit zwischen Swoboda oder der sogenannten Kampf-
gruppe Rechter Sektor, Prawyj Sektor, zur NPD gebe.
Ich habe deutlich gemacht, dass es derzeit keinerlei Hin-
weise auf eine finanzielle Zusammenarbeit gibt. Das am-
bivalente Verhältnis zwischen der NPD einerseits und
diesen Gruppierungen andererseits habe ich bereits be-
schrieben.
Kollege Gehrcke.
Ich finde Ihre Unterscheidung zwischen einer faschis-
tischen Partei sowie einer nationalistischen und
rechtspopulistischen Partei schon interessant. Wenn die
Position der Bundesregierung etwas klarer und ent-
schlossener herüberkäme, würde ich gern mit Ihnen wei-
ter darüber diskutieren.
Ich möchte Ihnen einfach einmal ein paar Wahrneh-
mungen bezüglich der Swoboda-Partei schildern: Die
Denkfabrik, das ideologische Zentrum der Swoboda-
Partei, heißt „Joseph-Goebbels-Forschungszentrum für
Politik“. Ist das faschistisch oder rechtspopulistisch?
Das würde mich schon interessieren.
Viele der Anhänger dieser Partei laufen mit Armbin-
den herum, auf der die sogenannte Wolfsangel zu sehen
ist. Das war das Erkennungszeichen der Waffen-SS in
der Ukraine. Und was Waffen-SS in der Ukraine, gerade
in der Westukraine, bedeutet, ist bekannt.
Ist die Bundesregierung, was Swoboda angeht, we-
nigstens bereit, zu sagen, dass der Übergang von einer
faschistischen zu einer rechtspopulistischen Partei flie-
ßend ist und dass diese Partei eine Gefahr für die ukrai-
nische und europäische Demokratie ist?
Da mich die Präsidentin an meine Redezeit erinnert
hat, möchte ich Ihnen ausdrücklich das Angebot unter-
breiten, andernorts noch einmal intensiver gemeinsam
darüber zu diskutieren, wo die Unterschiede zwischen
einer rechtsnationalistischen und einer faschistischen
Partei liegen. Dies hat insbesondere etwas mit dem Par-
teiaufbau zu tun.
Ich habe Ihnen deutlich gemacht, wie die Bewertun-
gen der Bundesregierung bezogen auf Swoboda ausse-
hen. Ich finde es schon merkwürdig, dass hier insinuiert
werden könnte, wir würden faschistisches, antisemiti-
sches Gedankengut in irgendeiner Weise decken. Dies ist
mitnichten der Fall.
Ich will noch einmal eines deutlich unterstreichen:
Der weitaus größte Teil der Protestbewegung in der
Ukraine und auch deren Unterstützer haben mit Rechts-
nationalismus oder -populismus, mit Faschismus, mit
Antisemitismus überhaupt nichts am Hut. Insofern
möchte ich hier gerne eine Trennung vornehmen: Das
eine sind Entwicklungen, die auf unseren deutlichen Wi-
derstand stoßen. Wir werden das auch im Rahmen unse-
rer Möglichkeiten zum Thema machen und bekämpfen.
Das andere ist, dass nicht der Eindruck entstehen sollte,
dass die Protestbewegung auf dem Maidan in erster Li-
nie von Faschisten und Antisemiten unterwandert
wurde.
Herr Kollege Gehrcke.
Das ist überhaupt nicht mein Eindruck. Ganz im Ge-
genteil: Ich möchte Trennschärfe und Klarheit haben.
Ich stelle Ihnen einmal die Regierungsbeteiligung der
Swoboda-Partei dar: Sie stellt vier Minister: den stellver-
tretenden Premierminister, den Verteidigungsminister
– hier geht es um Waffen –, den Minister für Agrarpoli-
tik und Ernährung sowie den Minister für Umwelt und
Bodenschätze. Der Rechte Sektor stellt den Vorsitzenden
des Nationalen Sicherheitsrates, den Vizechef des Natio-
nalen Sicherheitsrates sowie den Generalstaatsanwalt.
Finden Sie es angemessen, gerade vor dem Hintergrund
Ihrer Analyse, dass diese Rechtspartei – ich finde, fa-
schistische Partei – einer Regierung so stark angehört?
Die Bundesregierung hat ein Interesse an einer mög-lichst – ich kann nur noch einmal wiederholen, was ichschon einmal gesagt habe – inklusiven ukrainischen Re-gierung, die alle der Demokratie und Rechtsstaatlichkeitverpflichteten Teile der ukrainischen Gesellschaft ange-messen einbezieht. Dieser Linie bleiben wir treu.Alle anderen Aspekte zur Situation und Bewertungvon Swoboda habe ich Ihnen deutlich geschildert. Dascheint es zwischen Ihrer Bewertung und der Bewertungder Bundesregierung einen Dissens zu geben. Sie kön-nen sich aber darauf verlassen, dass wir in dieser Fragesehr wachsam sein werden. Sollte es irgendeinen Anlassgeben, der Ihre Unterstellungen erhärten sollte, dannwird es darauf eine klare Antwort der EuropäischenUnion, aber auch der Bundesregierung geben.
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1698 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014
(C)
(B)
Frau Kollegin Vogler.
Herr Staatsminister, die Bundesregierung legt offen-
sichtlich großen Wert auf die Unterscheidung zwischen
rechtspopulistischen und faschistischen Kräften. Ich finde
es gut, wenn man dies sauber trennt. Deswegen würde
mich interessieren, worin aus Sicht der Bundesregierung
der Unterschied besteht zwischen der FPÖ eines Jörg
Haider in Österreich, die von allen hier im Hause vertre-
tenen Parteien ausgesprochen kritisch gesehen wurde
und mit deren Funktionären man eine Zusammenarbeit
aus gutem Grund gemieden hat, und der Swoboda, die,
wie der Kollege sagte, vier Minister, darunter den Vertei-
digungsminister, stellt, und warum Sie, wenn Sie eine
möglichst inklusive Regierung aller an Demokratie und
Rechtsstaatlichkeit orientierten Kräfte wollen, eine Par-
tei einbezogen sehen wollen, die ein Joseph-Goebbels-
Forschungszentrum unterhält?
Ich finde es erst einmal interessant, dass Sie ein Mit-
gliedsland der Europäischen Union, nämlich Österreich,
offenkundig mit der Ukraine gleichzusetzen versuchen.
Im Übrigen habe ich Ihnen deutlich klarzumachen
versucht, dass die Bundesregierung eine andere Defini-
tion von Faschismus und von einer faschistischen Partei
vornimmt als Sie. Daraus dürfen Sie aber nicht schlie-
ßen, dass die Bundesregierung nicht mit aller Entschlos-
senheit und Entschiedenheit gegen Faschismus und An-
tisemitismus in der Ukraine und weltweit vorgeht und
dagegen entschieden eintritt.
Herr Kollege Hunko.
Vielen Dank. – Herr Kollege Roth, Sie haben hier
Ihre Linie damit begründet, dass Sie Swoboda als
rechtspopulistisch und nicht als faschistisch einschät-
zen. Nun hat der Cheftheoretiker von Swoboda,
Mychaltschyschyn, persönlich das Kleine ABC des
Nationalsozialisten von Goebbels, das 25-Punkte-Pro-
gramm der NSDAP oder den Aufsatz Warum SA von
Ernst Röhm ins Ukrainische übersetzt und das mit der
Aktualität dieser Schriften begründet. Wenn Sie meine
Aussagen bestätigt sehen würden, würden Sie dann im-
mer noch davon ausgehen, dass es sich dabei um
Rechtspopulisten handelt, oder würden Sie dann nicht zu
der Einschätzung kommen, dass es sich doch um Fa-
schisten handelt?
Meine Antworten speisen sich aus den Informationen,
die mir derzeit vorliegen. Auf Grundlage dieser Informa-
tionen formuliere ich die Antworten, die ich Ihnen und
im Übrigen allen anderen Kolleginnen und Kollegen des
Deutschen Bundestages gebe.
Herr Kollege Grund.
Herr Staatsminister, teilen Sie meine Einschätzung,
dass die Bürgerbewegung in der Ukraine, die Protestbe-
wegung gegen das Anketten an Russland im russischen
Fernsehen und von den dortigen Nachrichtenagenturen
sehr stark – eigentlich fast ausschließlich – unter dem
Stichwort „Faschismus“ und in Bezug auf eine mögliche
faschistische Machtübernahme dargestellt wird und
diese Bürgerbewegung dadurch diskreditiert wird? Tei-
len Sie meine Einschätzung, dass früher die Sowjetunion
und heute Russland diesen Vorwurf sehr gerne nutzte
bzw. nutzt, wenn es um eigene Interessen ging bzw. geht,
etwa im Zusammenhang mit dem Bürger- und Arbeiter-
aufstand in der DDR am 17. Juni 1953, der von der so-
wjetischen Propaganda ebenso als faschistisch gesteuert
bezeichnet wurde, um das Eingreifen zu rechtfertigen?
Liegt das jetzige Verhalten möglicherweise auf einer sol-
chen Linie, die es schon in der Vergangenheit gab?
Herr Kollege Grund, die Bundesregierung – auch ich
persönlich – tut sich mit Gleichsetzungen mit Gescheh-
nissen der Vergangenheit immer schwer. Aber ich kann
Ihnen nur darin zustimmen, dass sowohl beim Aufstand
von 1953 als auch bei den Aufständen von 1956 in Un-
garn und 1968 in der Tschechoslowakei, in Prag, immer
von faschistischen Aufständen gesprochen wurde. Das
heißt aber nicht, dass ich jetzt eine Parallele zu der Pro-
paganda ziehen möchte, die offenkundig in Russland be-
trieben wird.
Ich will eines klarstellen: Nichts wiegt für die Bun-
desregierung schwerer als der Vorwurf des Antisemitis-
mus. Deshalb sind wir mit den Vertreterinnen und Ver-
tretern der jüdischen Gemeinden, aber auch mit den
Vertretern der Zivilgesellschaft sehr eng und intensiv im
Gespräch. Wenn uns die Vertreter der jüdischen Gemein-
den beispielsweise erklären, dass es aus ihrer Sicht zu
keinem Anstieg des Antisemitismus in der Ukraine ge-
kommen ist, dann liegt es mir fern, dem öffentlich oder
auch nichtöffentlich zu widersprechen.
Vielen Dank. – Frage 10 der Kollegin Dağdelen wirdschriftlich beantwortet.Damit kommen wir zum Ende dieses Geschäftsbe-reichs. Ich bedanke mich bei Herrn Staatsminister.Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-riums des Innern auf.Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentari-sche Staatssekretär Dr. Günter Krings zur Verfügung.Frage 11 der Kollegin Dağdelen wird schriftlich be-antwortet.Ich komme zur Frage 12 der Kollegin Wawzyniak. –Ich sehe die Kollegin nicht. Es wird verfahren, wie in derGeschäftsordnung vorgesehen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1699
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
(C)
(B)
Frage 13 des Kollegen Ströbele und die Fragen 14und 15 der Kollegin Jelpke werden schriftlich beantwor-tet.Dann kommen wir zur Frage 16 der AbgeordnetenLuise Amtsberg:Welche Schlussfolgerungen bzw. Konsequenzen zieht dieBundesregierung hinsichtlich der Situation von Flüchtlingenmit Behinderungen in Deutschland, insbesondere im Hinblickauf ihre Unterbringung und den Zugang zu Rehabilitations-maßnahmen, und sollten der Bundesregierung hierzu keineDaten vorliegen, plant sie, einen entsprechenden Forschungs-auftrag zu vergeben?D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Auf die Kollegin
Amtsberg ist Verlass; vielen Dank.
Bei Flüchtlingen handelt es sich um Personen, denen
internationaler Schutz zuerkannt wurde. Ihnen sind nach
Art. 29 und Art. 30 der Richtlinie 2011/95/EU Sozialhil-
feleistungen und medizinische Versorgung wie eigenen
Staatsangehörigen zu gewähren.
Eine Unterbringung von anerkannten Flüchtlingen, in
Unterkünften für Asylbewerber etwa, findet daher nicht
statt.
Haben Sie eine Nachfrage, Kollegin Amtsberg? – Das
ist nicht der Fall. Danke.
Die Fragen 17 und 18 der Kollegin Britta Haßelmann
werden schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende
dieses Geschäftsbereichs.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. Zur
Beantwortung der Fragen 19 bis 21 steht der Parlamenta-
rische Staatssekretär Christian Lange und für die
Frage 22 der Parlamentarische Staatssekretär Ulrich
Kelber zur Verfügung.
Die Frage 19 der Kollegin Ulle Schauws wird schrift-
lich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 der Abgeordneten Martina
Renner auf:
Sind durch das Bundesministerium der Justiz und für Ver-
braucherschutz sowie das Bundesministerium des Innern in-
zwischen Entwürfe für die Änderungen der Richtlinien für das
Strafverfahren und das Bußgeldverfahren und der einschlägi-
gen polizeilichen Dienstvorschriften fertiggestellt worden,
wie sie der Abschlussbericht des 2. Parlamentarischen Unter-
suchungsausschusses zum Nationalsozialistischen Untergrund,
NSU, vorgesehen hat, in dem die gemeinsame Empfehlung
der Obleute als Erstes die nachfolgende für den Bereich Poli-
zei fordert: „In allen Fällen von Gewaltkriminalität, die we-
gen der Person des Opfers einen rassistisch oder anderweitig
politisch motivierten Hintergrund haben könnten, muss dieser
eingehend geprüft und diese Prüfung an geeigneter Stelle
nachvollziehbar dokumentiert werden, wenn sich nicht aus
Zeugenaussagen, Tatortspuren und ersten Ermittlungen ein
hinreichend konkreter Tatverdacht in eine andere Richtung er-
gibt. Ein vom Opfer oder Zeugen angegebenes Motiv für die
Tat muss von der Polizei beziehungsweise der Staatsanwalt-
schaft verpflichtend aufgenommen und angemessen berück-
sichtigt werden. Es sollte beispielsweise auch immer geprüft
werden, ob es sinnvoll ist, den polizeilichen Staatsschutz zu
beteiligen und Informationen bei Verfassungsschutzbehörden
anzufragen. Dies sollte in die Richtlinien für das Straf- und
das Bußgeldverfahren sowie in die einschlägigen
polizeilichen Dienstvorschriften aufgenommen werden.“
?
Bitte schön.
C
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Die Empfehlung
Nr. 1 des NSU-Untersuchungsausschusses des Deut-
schen Bundestages betrifft Richtlinien und Dienstvor-
schriften bei Justiz und Polizei, also Bereichen, die über-
wiegend der Organisationshoheit der Länder obliegen.
Der Abschlussbericht des 2. Untersuchungsausschusses
der 17. Wahlperiode des Deutschen Bundestages war
deshalb auch Gegenstand unter anderem der Erörterun-
gen der 84. Konferenz der Justizministerinnen und Jus-
tizminister am 14. November 2013 in Berlin.
Die Justizministerinnen und Justizminister haben ih-
ren Strafrechtsausschuss beauftragt, unter Beteiligung
des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucher-
schutz den aus dem Abschlussbericht folgenden gesetz-
geberischen und sonstigen Handlungsbedarf, zum Bei-
spiel durch eine Änderung der Richtlinien für das
Strafverfahren und für das Bußgeldverfahren, RiStBV,
zu prüfen und der Konferenz über das Ergebnis zu be-
richten.
In Ausführung dieses Auftrags hat der Strafrechtsaus-
schuss der Justizministerkonferenz eine Arbeitsgruppe
eingerichtet, der Vertreterinnen und Vertreter der Lan-
desjustizverwaltungen sowie des Bundesministeriums
der Justiz und für Verbraucherschutz angehören. Die
konstituierende Sitzung der Arbeitsgruppe fand am
30. Januar dieses Jahres in Düsseldorf statt.
In der Auftaktsitzung der Arbeitsgruppe wurden die
Vorschläge zunächst einer ersten Bewertung unterzogen
und zu Themengebieten zusammengefasst. Anschlie-
ßend wurden die Zuständigkeiten für ihre Aufarbeitung
unter den Mitgliedern der Arbeitsgruppe aufgeteilt, um
zeitnah eine aus fachlicher Sicht umfassende Analyse
der Vorschläge nebst etwaigen Umsetzungsüberlegun-
gen vorlegen zu können, die in einer zweitägigen Sit-
zung der Arbeitsgruppe am 26. und 27. März 2014 erör-
tert werden sollen. Geplant ist, das Ergebnis und etwaige
Umsetzungsüberlegungen in einem Bericht an den Straf-
rechtsausschuss sowie des Weiteren an die Früh-
jahrskonferenz der Justizministerinnen und Justizminis-
ter vorzulegen, die im Juni 2014 tagen wird.
Frau Kollegin Renner.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, ichwürde gerne wissen, in welche Richtung jetzt weiter ver-fahren wird. Gibt es schon erste Textentwürfe zur Ände-rung der Richtlinie für das Strafverfahren? Können Sieuns Eckpunkte benennen oder gegebenenfalls nachrei-chen? Gibt es einen Konsens unter den Justizministern
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Martina Renner
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und -ministerinnen, dass an diesem Punkt den Empfeh-lungen des Untersuchungsausschusses Folge geleistetwird, oder gibt es auch Gegenargumente, die in dieserKommission gegebenenfalls vorgetragen wurden? Wennja, welche sind das?C
Frau Kollegin Renner, inhaltlich deckt sich Ihre
Nachfrage mit der von Ihnen eingereichten Frage 21, in
der Sie wissen wollten, wann entsprechende Entwürfe
für die Änderungen der RiStBV vorliegen und wie sich
die Justizministerkonferenz dazu verhält. – Wenn Sie ge-
statten, Frau Präsidentin, dann würde ich die Frage gerne
entsprechend beantworten.
Dann rufe ich die Frage 21 der Abgeordneten Martina
Renner auf:
Wann sollen die Entwürfe für die Änderungen der RiStBV
und der einschlägigen polizeilichen Dienstvorschriften der In-
nenministerkonferenz und der Justizministerkonferenz zur
Verabschiedung vorgelegt werden?
C
Über die Ergebnisse und den Fortgang des in der Ant-
wort zu Ihrer vorangegangenen Frage skizzierten Prüf-
und Analyseprozesses wird den Fachkonferenzen, der
JuMiKo und der Innenministerkonferenz, im Frühjahr
2014 berichtet werden. Diesen Fachkonferenzen und den
in ihnen vertretenen Justiz- und Innenressorts der Länder
obliegt die Entscheidung, ob bzw. in welcher Weise
Empfehlungen zur Ergänzung oder Änderungen der
Richtlinien und Dienstanweisungen aufgegriffen wer-
den.
Frau Kollegin Renner, da die beiden Fragen zusam-
mengezogen wurden, haben Sie die Möglichkeit, noch
drei Nachfragen zu stellen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ist damit zu rechnen,
dass noch in diesem Jahr eine Verabschiedung erfolgen
wird? Sie haben darauf verwiesen, wann die nächsten
Beratungen anstehen. Ich würde aber gerne wissen, ob
die Änderung der Vorschrift tatsächlich zum Jahresende
kommen wird?
C
Ich kann mich nur wiederholen, liebe Frau Kollegin
Renner: Die Entscheidung, ob bzw. in welcher Weise die
Länder das umzusetzen gedenken, obliegt ihnen und
nicht der Bundesregierung.
Möchten Sie eine weitere Nachfrage stellen?
Nein, danke.
Danke. – Ich sehe auch keine anderen Fragen. Ich be-
danke mich beim Herrn Parlamentarischen Staatssekre-
tär. Die Frage 22 des Abgeordneten Herbert Behrens
wird schriftlich beantwortet. Damit sind wir am Ende
des Geschäftsbereichs des Bundesministeriums der Jus-
tiz und für Verbraucherschutz.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums der Finanzen auf. Die Frage 23 der Abgeordneten
Dr. Franziska Brantner, die Fragen 24 und 25 des Abge-
ordneten Dr. Axel Troost, die Frage 26 des Abgeordne-
ten Hans-Christian Ströbele, die Frage 27 der Abgeord-
neten Lisa Paus und die Fragen 28 und 29 der
Abgeordneten Susanna Karawanskij werden alle schrift-
lich beantwortet. Damit ist auch dieser Geschäftsbereich
beendet.
Ich rufe den Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Arbeit und Soziales auf. Die Beantwortung der
Fragen übernimmt die Parlamentarische Staatssekretä-
rin Gabriele Lösekrug-Möller.
Die Frage 30 der Abgeordneten Tabea Rößner wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 31 der Kollegin Luise Amtsberg
auf:
Auf welche Weise bzw. an welchen Orten können sich
nach Kenntnis der Bundesregierung Flüchtlinge mit Behinde-
rungen bzw. behinderte Menschen, die schlecht oder nicht
deutsch sprechen, über sozialrechtliche Unterstützungsleis-
tungen für Menschen mit Behinderungen informieren, und
sollte die Bundesregierung hierzu keine Kenntnis haben, plant
sie, einen entsprechenden Forschungsauftrag zu vergeben?
G
Frau Präsidentin! Liebe Kollegin Amtsberg, IhreFrage beantworte ich gerne wie folgt: Flüchtlinge mitBehinderung sowie behinderte Personen mit Migrations-hintergrund, deren Kenntnisse der deutschen Sprachenicht ausreichend sind, um sich zumindest auf einfacheArt in deutscher Sprache zu verständigen, können sichüber die ihnen zustehenden Sozialleistungen und überdie aufenthaltsrechtlichen Voraussetzungen für eine Be-rechtigung zur Teilnahme an Integrationskursen grund-sätzlich bei jedem Sozialleistungsträger informieren.Außerhalb des Anwendungsbereichs des Asylbewerber-leistungsgesetzes, zum Beispiel bei Flüchtlingen, deneninternationaler Schutz zuerkannt worden ist, oder beiAusländern mit gesichertem Aufenthaltsstatus, bestehtfür die Sozialleistungsträger eine Pflicht zur Beratungund Auskunft. Am besten wendet sich ein Flüchtlingoder Ausländer, bei dem eine Behinderung vorliegt, andas für ihn örtlich zuständige Integrationsamt, das auchbei der Stellung eines Antrags auf Ausstellung einesSchwerbehindertenausweises helfen kann. Angesichtsder gebotenen Kürze der Antwort verzichte ich auf dieNennung der jeweiligen Rechtsgrundlage.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1701
Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
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Daneben können auch in den gemeinsamen Service-stellen der Rehaträger Auskünfte über die Zielsetzung,Zweckmäßigkeit und die Erfolgsaussicht hinsichtlich derGewährung möglicher Leistungen zur Teilhabe einge-holt werden. Es wird der individuelle Hilfebedarf ermit-telt und geklärt, welche Rehabilitationsträger für dieLeistung zuständig sind. Sind Leistungen verschiedenerRehaträger angezeigt, koordiniert die Rehaservicestelledie Zusammenarbeit dieser Träger.Behinderte Asylbewerberinnen und Asylbewerber,die in den Anwendungsbereich des Asylbewerberleis-tungsgesetzes fallen und Grundleistungen nach den§§ 3 ff. Asylbewerberleistungsgesetz beziehen, könnensich hinsichtlich der für sie in Betracht kommenden Un-terstützungsleistungen an den zuständigen Leistungsträ-ger nach dem Asylbewerberleistungsgesetz wenden. DieUnterbringung und Versorgung von Asylbewerbern fälltin den Zuständigkeitsbereich der Länder.Da Sie gefragt haben, ob ein Forschungsauftrag zuder Problematik geplant ist, will ich Ihnen antworten:Nein, das ist nicht geplant.
Frau Kollegin Amtsberg.
Ich möchte noch einmal nachfragen. Es ist ja so, dass
Flüchtlinge, die unter das Asylbewerberleistungsgesetz
fallen, in den ersten 48 Monaten nur bei akuten Schmer-
zen eine medizinische Versorgung bekommen. Das gilt
auch für Rehamaßnahmen. Die Frage ist, ob es mit der
Behindertenrechtskonvention vereinbar ist, wenn in vie-
len Fällen Anträgen auf eine Brille, einen Rollator oder
einen Rollstuhl nicht stattgegeben wird. Deshalb noch
einmal die Frage: Gibt es möglicherweise Maßnahmen,
die ergriffen werden müssen, um diese Menschen zu un-
terstützen?
G
Ich antworte gerne darauf. Ich beziehe mich auf die
Antwort, die ich Ihnen gerade gegeben habe. In meiner
Antwort habe ich den Unterschied herausgearbeitet: Be-
hinderte Asylbewerberinnen und Asylbewerber, die in
den Anwendungsbereich des Asylbewerberleistungsge-
setzes fallen, fallen hinsichtlich Versorgung und Unter-
bringung in die Zuständigkeit der Länder. Das ist der
Punkt, den ich hier herausarbeiten möchte. Deshalb be-
zieht sich Ihre Frage in erster Linie auf die Regelungen
der Länder. Darüber kann ich Ihnen keine Auskunft ge-
ben.
Kollegin Amtsberg?
Ja. – Das ist ja alles richtig. Der Punkt ist nur, dass
wir auf Bundesebene zumindest die Aufgabe haben, zu
schauen, wie die Länder mit einer solchen Situation um-
gehen. Deshalb habe ich auch danach gefragt, ob nicht
eine Evaluation der Situation vor Ort angemessen wäre.
Was mich noch interessiert, ist Folgendes: Entstehen
für die betroffenen Personen Kosten, bzw. kann es sein,
dass an irgendeiner Stelle Kosten entstehen? Ist das ei-
gentlich eine proaktive Geschichte? Wann erfährt ein
Betroffener, der eine Behinderung hat, davon, dass er die
Rechte, die Sie vorgetragen haben, tatsächlich hat?
G
Ich antworte gerne auf Ihre Frage. – Ich will Ihnen sa-
gen: An genau dieser Stelle kommt es darauf an, wel-
chen Personenkreis Sie mit Ihrer Frage meinen. Ich
möchte sie nicht interpretieren. Ich habe aber die Vermu-
tung, dass Sie jene Asylbewerberinnen und Asylbewer-
ber meinen, die Leistungen nach §§ 3 ff. Asylbewerber-
leistungsgesetz erhalten. Daher muss ich meine
Antwort leider wiederholen: Das ist in der Tat Sache
der Bundesländer. Selbstverständlich sind wir in vielen
Angelegenheiten mit den Bundesländern im Gespräch.
Aber natürlich ersetzt das nicht die Verschiebung von
Zuständigkeiten. Hier sind die Bundesländer gefragt. Ich
denke, in den jeweiligen Bundesländern gibt es entspre-
chende Regelungen.
Gelegenheit zu einer Nachfrage hat jetzt die Kollegin
Rüffer.
Es ist ja richtig, dass die Zuständigkeit für diesen Be-reich bei den Ländern liegt. Aber die Zuständigkeit fürdie Gesetzgebung liegt beim Bund. Insofern könnte mannatürlich darüber nachdenken, welche Änderungen ge-boten wären bzw. ob sogar ein Wegfall des Asylbewer-berleistungsgesetzes geboten wäre, um bestehendenHärten, die es in der Bundesrepublik jeden Tag gibt, ent-gegenzutreten, medizinische Leistungen auch Men-schen, die einen Flüchtlingsstatus haben oder als Asyl-bewerber in Deutschland sind, ihn also noch nicht haben,zu ermöglichen und ihnen Hilfsmittel wie Rollatoren,Rollstühle usw. zur Verfügung zu stellen. Es ist eineganz problematische Situation, dass das derzeit nicht ge-schieht.Die Beratung – gleich komme ich zu meiner Frage –ist gerade für Flüchtlinge mit Behinderung unglaublichwichtig. Diese Flüchtlinge haben es sehr schwer, die nö-tigen Informationen zu bekommen und damit Kenntnisdarüber zu erlangen, welche Hilfemöglichkeiten in derBundesrepublik, die für sie naturgemäß fremd ist, zurVerfügung stehen.Ich habe vor kurzem ein Gespräch mit Vertretern ei-ner Initiative in Berlin geführt, die sich auf genau dieseFälle spezialisiert hat, nämlich auf Asylbewerber,Flüchtlinge und Menschen mit Migrationshintergrundmit Behinderung. Ihr Problem besteht darin, dass ihre Fi-nanzierung überhaupt nicht gesichert ist. Diese Initiativearbeitet also, ohne zu wissen, ob sie nächstes Jahr nochwird beraten können. Meine Frage an die Bundesregie-
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Corinna Rüffer
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rung lautet: Planen Sie, Mittel zur Verfügung zu stellen,damit diese wichtige Beratungstätigkeit in Zukunft stabilausgeübt werden kann?G
Frau Kollegin Rüffer, Sie sprechen damit unter ande-
rem einen Personenkreis an, den ich anfangs abgegrenzt
habe, nämlich Flüchtlinge, denen internationaler Schutz
zuerkannt wurde, und Ausländer mit gesichertem Auf-
enthaltsstatus. Für diesen Personenkreis gelten andere
Regelungen als für jene Menschen, die Leistungen nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch nehmen.
Ich will Ihnen sagen – ich glaube, wir sind da einer
Meinung –: Personen mit Behinderung, die noch dazu
Flüchtlinge oder Asylbewerber sind, finden auch in
Deutschland erschwerte Bedingungen vor; diese Ein-
schätzung teilt die Bundesregierung mit Ihnen und dem
Parlament. Deshalb gibt es die Regelung, dass immer
dann, wenn der Schutz gewährt und der Status anerkannt
ist, sehr weit reichende Möglichkeiten bestehen, nicht
nur zur Beratung – diese muss schon nach den §§ 14 und 15
Erstes Buch Sozialgesetzbuch verpflichtend erfolgen –,
sondern auch im Hinblick auf entsprechende Leistungen.
Davon abzugrenzen – ich wiederhole meinen Vortrag –
sind jene Menschen, deren Status ein anderer ist. Für sie
gelten andere Regelungen.
Sie haben außerdem nach der finanziellen Absiche-
rung der Beratungsmöglichkeiten gefragt. Was die erste
Zielgruppe, die ich gerade erwähnt habe, betrifft, ist es
so, dass alle Einrichtungen, die es in Deutschland gibt,
die Pflicht zur Beratung haben. Erfolgt die Beratung
durch weitere Einrichtungen – vielleicht können Sie das
ja schriftlich konkretisieren –, müsste man prüfen, wie
ihre Situation, ihre finanzielle Lage und die entspre-
chende Förderung ist und ob man ihnen zukünftig helfen
kann. Da ich aber jetzt keine Einrichtung von Ihnen be-
nannt bekommen habe, kann ich dazu leider keine Aus-
kunft geben.
Ehe ich jetzt der Kollegin Klein-Schmeink das Wort
erteile, bitte ich noch mal alle Fragestellerinnen und Fra-
gesteller und alle Antwortenden, die vereinbarte Rede-
zeit zu beachten. Wir haben zu Ihrer Hilfe Lichtzeichen
an verschiedenen Stellen eingeführt. Ich mache noch
einmal darauf aufmerksam: Solange es grün ist, dürfen
Sie reden. Wenn es gelb ist, müssen Sie zum Schluss
kommen. Aber Rot bedeutet eindeutig: Ende der Rede-
zeit.
Frau Klein-Schmeink.
Ich möchte gern an die Frage anknüpfen. Es gibt ge-
rade bei den Menschen mit anerkanntem Aufenthaltssta-
tus sehr viele Menschen mit seelischer Behinderung,
auch aufgrund von Traumaerfahrungen in ihrem Her-
kunftsland oder aufgrund von Foltererfahrungen. Ich
habe dazu in der letzten Wahlperiode eine Kleine An-
frage gestellt. Damals wurde deutlich, dass die Bundes-
regierung, was die Versorgung dieser Personengruppe
angeht, über keinerlei Zahlen verfügte, vor allen Dingen
auch nicht darüber, ob ihnen Möglichkeiten der mutter-
sprachlichen Beratung und natürlich auch der Therapie
zur Verfügung standen. Daraus habe ich abgeleitet, dass
man dringend eine Untersuchung einleiten sollte, um zu
schauen, wo es Handlungsbedarf gibt, um dann eine
konkrete Grundlage zu haben. Würden Sie diese Sicht
der Dinge teilen, und was gedenken Sie dann zu tun?
G
Ich ermuntere Sie ausdrücklich, möglicherweise noch
einmal in dieser Hinsicht zu fragen. Wir sind uns einig,
dass gerade der Personenkreis mit zum Beispiel Post-
traumatischen Belastungsstörungen ein Personenkreis
ist, der ganz besonderer Hilfe bedarf; das gilt nicht nur
für den Personenkreis mit dem Status, den Sie gerade an-
gesprochen haben, sondern grundsätzlich. In den letzten
Jahren hat sich nicht nur bei der Diagnose, sondern ins-
besondere bei der Therapie viel getan. Wir wissen, dass
wir nicht nur für den hier angesprochenen Personen-
kreis, sondern grundsätzlich noch viel tun müssen, um
insgesamt zu einer adäquaten Leistung zu kommen. Da-
von profitiert dann auch der von Ihnen genannte Perso-
nenkreis. Ich bin mir sicher, dass wir genau diese Frage-
stellung erörtern werden. Letzten Endes wird die
Leistung aber auch im Zusammenhang mit einer Kran-
kenversicherung noch einmal zu erörtern sein.
Vielen Dank.
Die Fragen 32 und 33 des Kollegen Peter Meiwald
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt die Frage 34 der Abgeordneten Doris
Wagner auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, gegebe-
nenfalls in Zusammenarbeit mit den Bundesländern, um für
Eltern mit Behinderungen einen Rechtsanspruch auf Unter-
stützung bei der Wahrnehmung ihrer Elternrolle zu schaffen,
sofern sie zum Ausgleich ihrer Behinderung darauf angewie-
sen sind ?
G
Vielen Dank; ich beantworte diese Frage gerne.Frau Präsidentin, ich versuche wirklich, das in der ge-botenen Kürze zu tun, und hoffe, dass dann trotzdem dieTiefe nichts zu wünschen übrig lässt.Meine Antwort auf Ihre Frage, Frau Kollegin Wagner,lautet wie folgt: Nach dem Neunten Buch Sozialgesetz-buch ist bei der Entscheidung über Leistungen und beider Ausführung der Leistungen zur Teilhabe den beson-deren Bedürfnissen behinderter Mütter und Väter bei derErfüllung ihres Erziehungsauftrages sowie den besonde-ren Bedürfnissen behinderter Kinder Rechnung zu tra-gen.Die Bundesregierung schließt sich dem Ergebnis dereigens für diese Frage „Rechtsanspruch auf Elternassis-
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Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
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tenz: Mütter und Väter mit Behinderungen bei derErfüllung ihres Erziehungsauftrages unterstützen“ ein-gerichteten Arbeitsgruppe der Arbeits- und Sozialminis-terkonferenz an. Diese ist zu dem Ergebnis gelangt, dassnach dem bestehenden Recht alle Bedarfe von Eltern mitBehinderung durch vorrangige Leistungsgesetze wie ins-besondere gesetzliche Krankenversicherung und gesetz-liche Pflegeversicherung sowie durch das Achte und dasZwölfte Buch Sozialgesetzbuch gedeckt werden können.Unter dem Gesichtspunkt der Sicherstellung einer kon-kreten Bedarfsdeckung durch die jeweiligen Leistungs-gesetze im Einzelfall wird die Unterstützung von Elternmit Behinderungen ein wichtiger Diskussionspunkt beiden Überlegungen zur Schaffung eines Bundesteilhabe-gesetzes sein.
Frau Kollegin Wagner.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank für Ihre
Antwort, Frau Staatssekretärin. Leider ist es allerdings
so, dass es immer wieder zu gerichtlichen Auseinander-
setzungen über die Gewährung von Elternassistenz
kommt, obwohl es doch eigentlich unerheblich ist, dass
die Leistungen der Elternassistenz bei den Eingliede-
rungsleistungen nicht ausdrücklich genannt sind, da
diese Auflistung beispielhaft ist. Welche Möglichkeit
sieht die Bundesregierung, dies zu verhindern, um be-
hinderten Eltern einen unkomplizierten Weg zu den not-
wendigen Unterstützungsmöglichkeiten zu garantieren?
G
Ich beantworte Ihnen die Frage gerne. Wir leben in ei-
nem Rechtsstaat mit Gewaltenteilung. Jeder Antragstel-
ler hat das Recht, sein Recht auch auf dem Klagewege
noch einmal prüfen und entscheiden zu lassen; das steht
außer Frage. Gleichwohl habe ich darauf hingewiesen,
dass wir diesen Themenkomplex auch aufgreifen wer-
den, und es ist ja nicht ausgeschlossen, dass wir bei den
Überlegungen zur Schaffung eines Bundesteilhabegeset-
zes eben auch genau diese Fragen erörtern; ich trug das
eben vor. Ich denke, auch da werden wir uns solchen
Fragestellungen vertieft widmen. Ob das allerdings aus-
schließt, dass es auch späterhin – wenn denn ein solches
Gesetz in Kraft getreten ist – zu Klagen kommt, vermag
ich nicht zu sagen.
Vielen Dank. – Die Gelegenheit zu einer weiteren
Frage hat der Kollege Kurth.
Gerade die Zersplitterung des Leistungsrechts für
Menschen mit Behinderungen und die Verteilung der
verschiedenen Ansprüche über verschiedene Sozialge-
setzbücher, verbunden mit dem Unwillen der Leistungs-
träger, zu leisten, und dem Willen, sich stets für unzu-
ständig zu erklären, führen dazu, dass gerade Menschen
mit Behinderungen nicht nur hier, aber gerade auch hier,
häufig den Klageweg beschreiten müssen.
Hält die Bundesregierung das wirklich für zumutbar?
Wäre es, wenn man das erkannt hat und seit weit mehr
als zehn Jahren sieht, dass sich das eher verschlechtert
als verbessert, nicht sinnvoller, die verteilten Ansprüche
– zum Beispiel beim Recht auf Elternassistenz – zu bün-
deln, eindeutig, rechtssicher und klar zusammenzufassen
und einem einzelnen Leistungsträger verpflichtend zuzu-
ordnen, damit die Leistungsberechtigten nicht quasi rou-
tinemäßig auf den Klageweg verwiesen werden?
G
Herr Kollege Kurth, über den Unwillen der Leis-
tungsträger möchte sich die Bundesregierung an dieser
Stelle nicht äußern. Ihnen steht es zu, das so zu bewer-
ten.
Wir sind der Auffassung, dass es in der Tat sehr viele
Schnittstellen gibt, und halten das als Bundesregierung
für nicht zielführend. Genau deshalb planen wir, uns
diese Schnittstellen im Rahmen der Gestaltung eines
Bundesteilhabegesetzes noch einmal anzuschauen, um
im Ergebnis etwas zu erzielen, was, wie ich denke, einer
Zersplitterung, wie Sie das genannt haben, deutlich ent-
gegenwirkt.
Vielen Dank. – Ich rufe die Frage 35 der Abgeordne-
ten Wagner auf:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Ergebnissen der Studie „Strukturelle und finanzielle Hinder-
nisse bei der Umsetzung der interdisziplinären Frühförde-
rung“ durch das Institut für Sozialforschung und Gesell-
schaftspolitik, um eine bundeseinheitliche Umsetzung der
Komplexleistung „Frühförderung“ zu gewährleisten und
Schnittstellenprobleme abzubauen, und wann wird die Bun-
desregierung tätig werden?
G
Frau Kollegin Wagner, Ihre Frage beantworte ichwie folgt: Laut der Studie „Strukturelle und finanzielleHindernisse bei der Umsetzung der interdisziplinärenFrühförderung“ sind die Eltern unabhängig von derVersorgungsstruktur mit dem Leistungsgeschehen derFrühförderung überwiegend sehr zufrieden. Die Elternbeurteilen die Leistungen, die sie und ihr Kind durch dieFrühförderung erhalten, zu 97 Prozent positiv. Hinweiseauf Versorgungslücken oder unterversorgte Kinder lie-fert diese Studie nicht.Richtig ist allerdings, wie in der Studie auch ausge-führt, dass die Vereinbarung einer gemeinsamen Emp-fehlung gemäß § 13 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch aufder Grundlage einer freiwilligen Verpflichtung wegender Widerstände der beteiligten Leistungsträger nicht er-reicht werden konnte. Die Leistungsträger stützen sichdabei im Wesentlichen auf die unterschiedlich gewach-senen Strukturen und verweisen auf die nur mit erhebli-cher Mühe geschlossenen Landesrahmenvereinbarun-gen, welche die Probleme im Hinblick auf die wichtigen
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Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
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Abstimmungen und Regelungsbedarfe in den Ländernweitestgehend gelöst hätten.Im Kontext der Vorbereitung eines Bundesteilhabege-setzes wird die Bundesregierung dieses Thema in ihreÜberlegungen einbeziehen.
Frau Kollegin Wagner?
Vielen Dank.
Keine weiteren Fragen.
Ich rufe die Frage 36 der Abgeordneten Beate Müller-
Gemmeke auf:
Ist es aus Sicht der Bundesregierung geboten, die Arbeits-
stättenverordnung dergestalt zu überarbeiten, dass Betriebe
generell verpflichtet werden, Arbeitsstätten barrierefrei zu ge-
stalten und die Integrationsämter zur Übernahme der Kosten
in vollem Umfang zu verpflichten?
G
Vielen Dank. – Sehr geehrte, liebe Kollegin Müller-
Gemmeke, die Bundesregierung sieht derzeit keine Not-
wendigkeit, die Arbeitsstättenverordnung dahin gehend
zu ändern, dass eine Verpflichtung für den Arbeitgeber
zur generellen barrierefreien Gestaltung von Arbeitsstät-
ten eingeführt wird.
Die Bundesregierung hat mit § 3 a Abs. 2 Arbeitsstät-
tenverordnung geregelt, dass Arbeitgeber, die Menschen
mit Behinderungen beschäftigen, Arbeitsstätten so ein-
zurichten und zu betreiben haben, dass die besonderen
Belange dieser Beschäftigten im Hinblick auf Sicherheit
und Gesundheitsschutz berücksichtigt werden. Eine all-
gemeine, von jedem individuellen Bezug losgelöste
Verpflichtung zur Einrichtung und Unterhaltung barrie-
refreier Arbeitsplätze und Arbeitsstätten würde die Ar-
beitgeber in tatsächlicher wie auch in wirtschaftlicher
Hinsicht überfordern. Eine Änderung der Arbeitsstätten-
verordnung ist auch deshalb nicht erforderlich, da der
Stand der Barrierefreiheit in der Arbeitswelt für Men-
schen mit Behinderungen in Deutschland ein hohes Ni-
veau erreicht hat.
Um den Arbeitgeber jedoch bei seinen Verpflichtun-
gen zu unterstützen, hat der in § 7 Arbeitsstättenverord-
nung geregelte Ausschuss für Arbeitsstätten unter ande-
rem Gestaltungsvorschläge für das Einrichten und
Betreiben von barrierefreien Arbeitsstätten ermittelt.
Diese heißen „Technische Regeln für Arbeitsstätten“ mit
Maßnahmen für die barrierefreie Gestaltung von Ar-
beitsplätzen und mit Anforderungen zum Beispiel an be-
hindertengerechte Türen, Verkehrswege, Fluchtwege,
Notausgänge, Treppen, Orientierungssysteme und Toi-
lettenräume. Sie wurden im Gemeinsamen Ministerial-
blatt der Bundesregierung veröffentlicht.
Frau Kollegin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ich möchte gerne
nachfragen, weil ich glaube, dass noch ein paar mehr
Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt Chan-
cen haben sollten. Von daher möchte ich nachfragen:
Wenn Sie an der Arbeitsstättenverordnung nichts verän-
dern wollen, was wird die Bundesregierung stattdessen
unternehmen, um die Chancen von Menschen mit Be-
hinderung auf dem Arbeitsmarkt zu verbessern?
G
Darauf antworte ich sehr gerne. – In der Tat hat die
Bundesregierung ein großes Interesse daran, dass wir
mehr Menschen mit Behinderung einen Zugang zum ers-
ten Arbeitsmarkt erlauben. Das Stichwort ist dabei in-
klusiver Arbeitsmarkt. Daran werden wir in dieser Le-
gislaturperiode arbeiten und ganz sicher auch Ergebnisse
erzielen. Wir würden uns freuen, wenn wir gemeinsam
mit dem Parlament zu wirklichen Verbesserungen kom-
men.
Ihre Frage zielte jedoch auf Folgendes: Wollen wir
eine generell barrierefreie Gestaltung von Arbeitsstätten
einführen? – Das ist eine ganz grundsätzliche Sache. Sie
würde jeden Arbeitsplatz und jede Barriere betreffen.
Aus den von mir vorgetragenen Gründen halten wir das
nicht für zielführend.
Vielen Dank. – Ich möchte noch einmal nachfragen.
Hält es die Bundesregierung für sinnvoll, die Aus-
gleichsabgabe nach § 77 SGB IX zu erhöhen und damit
die Chancen für behinderte Menschen zu verbessern?
Wenn Sie etwas in dieser Richtung vorhaben: In welcher
Form und wann wird das passieren?
G
Vielen Dank auch für diese Frage, die ich ebenso
gerne beantworte. – Es besteht zurzeit nicht die Absicht,
die Ausgleichsabgabe zu erhöhen. In der Tat steht sie zur
Verfügung, um genau die genannten Maßnahmen zu un-
terstützen und voranzubringen. Wir gehen davon aus,
dass wir auskömmliche Mittel zur Verfügung haben.
Deshalb sehen wir zurzeit keine Notwendigkeit, die
Ausgleichsabgabe zu erhöhen.
Vielen Dank.Ich rufe die Frage 37 der Kollegin Beate Müller-Gemmeke auf:Wie viele Arbeits- und Ausbildungsplätze wurden durchdie „Initiative Inklusion“ bisher tatsächlich geschaffen, undwie viele der Menschen, die darüber einen Arbeits- bzw. Aus-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1705
Vizepräsidentin Ulla Schmidt
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bildungsplatz bekommen haben, sind derzeit noch dort be-schäftigt?G
Auch diese Frage beantworte ich sehr gerne, Kollegin
Müller-Gemmeke. – Die „Initiative Inklusion“ wird von
den Ländern in enger Kooperation mit dem Bundes-
ministerium für Arbeit und Soziales seit 2011 bis 2018
durchgeführt. Die Länder haben gemäß der Richtlinie
Initiative Inklusion dem Bundesministerium für Arbeit
und Soziales in Abstimmung mit den zuständigen Trä-
gern der Arbeitsverwaltung zu festgelegten Stichtagen
über den Stand der Umsetzung zu berichten. Die Länder
sind dieser Berichtspflicht zuletzt am 31. März vergan-
genen Jahres nachgekommen.
Demnach ergibt sich zum Stichtag 31. Dezem-
ber 2012 – das ist der aktuelle Bericht – Folgendes: 214
neue Ausbildungsplätze für schwerbehinderte Jugendli-
che in Betrieben und Dienststellen des allgemeinen Ar-
beitsmarktes; berichtet wurde in diesem Zusammenhang
von sechs Ausbildungsabbrüchen, sodass sich die Zahl
von 208 ergibt. 310 neue Arbeitsplätze für ältere schwer-
behinderte Menschen; Angaben zu Abbrüchen in diesem
Handlungsfeld werden erstmalig zum 30. Juni 2014 fäl-
lig. Deshalb können wir dazu noch keine Aussage ma-
chen.
Sie haben die Gelegenheit zu zwei Nachfragen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Ja, ich möchte gerne
nachfragen. Welche Vorteile bieten denn diese befriste-
ten Sonderprogramme, wie beispielsweise die „Initiative
Inklusion“ oder „Job 4000“, für die Arbeitgeber einer-
seits, aber auch für die arbeitsuchenden Menschen mit
Behinderung andererseits? Welche Vorteile haben sie ge-
genüber den Förderinstrumenten im SGB III?
G
Auch darauf antworte ich gerne. – Ich will das am
Beispiel der Förderung neuer Ausbildungsplätze aus den
Mitteln der „Initiative Inklusion“ aufzeigen, wobei ich
vorausschicken will, dass es grundsätzlich darum geht,
überhaupt eine bessere Motivationslage und eine höhere
Informationsdichte zu erreichen. Ich glaube, ich darf,
ohne Sie vereinnahmen zu wollen, sagen: Wir wissen,
dass wir in Deutschland hier noch viel tun können. Der
Arbeitsmarkt zeigt nicht annähernd die Aufgeschlossen-
heit und die Initiativbereitschaft, wie sich das die Bun-
desregierung zurzeit wünscht. Deshalb halte ich diese
Initiative für richtig.
Ich habe es schon dargestellt: Sie hat zwar bereits
2011 begonnen, aber wir wollen ihr mehr Nachdruck
verleihen. Wir sind also dabei, das voranzubringen. Inso-
fern haben wir, denke ich, neben der Unterstützung im
Einzelfall auch die ganz starke Zielsetzung in einer star-
ken öffentlichen Wirkung.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Befristete Sonderprogramme sind nun einmal genau
das: Sonderprogramme und befristet. Von daher möchte
ich nachfragen, wie die Förderinstrumente im SGB III
verbessert werden könnten und was die Bundesregierung
in nächster Zeit vorhat.
G
Liebe Kollegin Müller-Gemmeke, ich sprach schon
von der Zielsetzung der Bundesregierung, besonderes
Augenmerk auf den inklusiven Arbeitsmarkt zu legen.
Genau darauf zielt auch Ihre Frage, wenn man das in ei-
nem größeren Kontext behandelt.
Ich bin sicher, dass wir nach einer kritischen Analyse
der Instrumente, die wir derzeit haben, danach fragen
werden, wie sie zu bewerten sind und ob sie der Zielset-
zung entsprechen, die wir als Bundesregierung erklärter-
maßen haben, den Arbeitsmarkt in Deutschland inklusi-
ver zu gestalten.
Zu einer Nachfrage hat die Kollegin Klein-Schmeink
das Wort.
Ich habe eine Nachfrage zur „Initiative Inklusion“. In-
wieweit werden dort Menschen mit seelischer Behinde-
rung einbezogen? Haben Sie dazu Zahlen? Haben Sie
vor, das auch in den regulären Arbeitsmarktinstrumenten
verstärkt vorzusehen?
G
Auch darauf antworte ich gerne, wobei ich sagen
muss, dass ich die Zahlen nicht im Kopf habe. Ich kann
sie aber gerne schriftlich nachliefern. Grundsätzlich
muss man sehen, dass wir mit unseren Instrumente Men-
schen mit Behinderung nicht ausschließen wollen; wir
wollen ihnen und auch unserem Arbeitsmarkt vielmehr
die Möglichkeit geben, sozusagen inklusiver zu werden.
Erlauben Sie mir, dass ich das schriftlich nachliefere.
Denn ich denke, Sie wollen verlässliche Zahlen haben,
und wir haben ein Interesse, sie zu liefern.
Dann ist das so zugesagt und wird geschehen.Die Frage 38 der Kollegin Kerstin Andreae wirdschriftlich beantwortet.Wir kommen zur Frage 39 des Kollegen MarkusKurth:
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1706 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Welche Erfahrungen wurden aus Sicht der Bundesregie-rung bislang mit dem „Budget für Arbeit“ gemacht, und auswelchen Gründen hat sich die Bundesregierung dazu entschie-den, zur Erleichterung des Übergangs aus der Werkstatt fürMenschen mit Behinderung auf den ersten Arbeitsmarkt le-diglich Erfahrungen mit dem „Budget für Arbeit“ einzubezie-hen, obwohl die Landesregierungen hier weiter gehen und diegesetzliche Verankerung eines „Budgets für Arbeit“ in der er-
Bitte, Frau Staatssekretärin.G
Verehrter Kollege Kurth, auch hierauf gebe ich gerne
Antwort. In ihrem Koalitionsvertrag sprechen sich CDU,
CSU und SPD dafür aus, den Übergang zwischen Werk-
stätten für Menschen mit Behinderung und dem ersten
Arbeitsmarkt zu erleichtern und dabei die Erfahrungen
mit dem „Budget für Arbeit“ einzubeziehen. Den Erfah-
rungen mit dem Modell „Budget für Arbeit“ in Rhein-
land-Pfalz, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen
kommt aus der Sicht der Bundesregierung eine hohe Be-
deutung zu. Sie bestätigen in einer ganzen Reihe von
Einzelfällen, dass in einer von der Eingliederungshilfe
unterstützten Beschäftigung werkstattbedürftiger, dauer-
haft voll erwerbsgeminderter Menschen mit Behinde-
rung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt durchaus eine
Alternative zu einer Beschäftigung im Arbeitsbereich
anerkannter Werkstätten für behinderte Menschen gese-
hen werden kann, allerdings im Wesentlichen beschränkt
auf Personen, die zu den Leistungsträgern innerhalb der
Gruppe der werkstattbedürftigen Menschen mit Behin-
derung gehören.
Die Mehrheit der Werkstattbeschäftigten, die weniger
leistungsfähig ist, wäre aus Sicht der Bundesregierung
bei einer tariflich entlohnten Beschäftigung auf dem all-
gemeinen Arbeitsmarkt mit über Werkstattniveau liegen-
den Leistungsanforderungen überfordert. Eine derartige
Beschäftigung kann daher für diese Menschen keine
sinnvolle und in ihrem wohlverstandenen Interesse lie-
gende Alternative zu einer Beschäftigung in einer Werk-
statt für behinderte Menschen darstellen.
Vor dem Hintergrund dieser Bewertung, in der sich
die Bundesregierung und die Länder im Übrigen einig
sind, ist auch nicht daran gedacht, einen allgemeinen an-
spruchsbegründenden Leistungstatbestand „Budget für
Arbeit“ im Recht der Eingliederungshilfe zu verankern.
Vielmehr soll gerade den nachweislich zu einer Tätigkeit
auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befähigten Menschen
der Übergang von der Werkstatt für behinderte Men-
schen auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht
bzw. erleichtert werden, natürlich unter der Vorausset-
zung, dass die volle Minderung der Erwerbsfähigkeit auf
dem allgemeinen Arbeitsmarkt nach wie vor besteht.
In diesem Sinn wird die Bundesregierung bei den
Überlegungen zur Schaffung eines Bundesteilhabegeset-
zes auf Basis der Erfahrungen mit dem „Budget für Ar-
beit“ prüfen, wie ein Minderleistungsausgleich für werk-
stattbedürftige Menschen mit Behinderung, die zu einer
Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt befähigt
sind, auf eine sichere Rechtsgrundlage gestützt werden
kann.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Lösekrug-Möller, habe ich Sie richtig verstan-
den, dass die Bundesregierung keinen Rechtsanspruch
auf ein persönliches „Budget für Arbeit“ begründen will,
sodass es beantragt werden muss? Wie rechtfertigen Sie
dies angesichts der Tatsache, dass das persönliche Bud-
get nur eine andere Leistungsform darstellt, die nicht
mehr kostet und die es in anderen Leistungsbereichen
wie der Assistenz – da gibt es bereits einen Rechtsan-
spruch – längst gibt? Warum gibt es einen solchen An-
spruch im Bereich Arbeit nicht? Im wohlverstandenen
Interesse der Beschäftigten im Werkstattbereich liegt es,
dass diese nach ihrer eigenen Fähigkeitseinschätzung
entscheiden können. Das sollte nicht etwa vom jeweili-
gen Sozialhilfeträger verfügt werden.
G
Ihre Frage enthält mehrere Aspekte, auf die ich gerne
eingehe. Ich habe gesagt: Es geht nicht darum, einen all-
gemeinen, anspruchsbegründenden Leistungstatbestand
im Recht der Eingliederungshilfe zu verankern. Herr
Kurth, ich kenne Sie als einen sehr sachkundigen Exper-
ten. Wir beide wissen, dass es hier wirklich auf Details
ankommt; das wissen wir aus gemeinsamer politischer
Erfahrung.
Ich würde nicht unterstellen, dass hier andere etwas
über andere verfügen. Wir gehen sehr seriös mit der Ent-
wicklung um. Deshalb habe ich ja gesagt: Wir werden
die Erfahrungen einbeziehen und prüfen. Genau das
werden wir tun, und das Ergebnis werden wir Ihnen ganz
sicher in dem Augenblick, in dem wir eine gesicherte Er-
kenntnis haben und uns darüber im Klaren sind, wie wir
politisch vorgehen wollen, mitteilen und hier im Parla-
ment zur Diskussion stellen.
Ihre zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, erlauben Sie mir die Bemer-kung, dass ich der Auffassung bin, dass wir nach vielenJahren der Erfahrung mit dem persönlichen „Budget fürArbeit“ bereits über sehr viele Erkenntnisse verfügen.Angesichts der Tatsache, dass ein Bundesleistungsgesetzmöglicherweise erst in der nächsten Legislaturperiode inKraft treten wird – die finanzielle Entlastung wurde je-denfalls eher für 2018 und nicht früher in Aussicht ge-stellt –, also angesichts der Tatsache, dass es noch einigeJahre auf sich warten lassen wird: Hält es die Bundesre-gierung für denkbar, vorzeitig Regelungen speziell fürdas „Budget für Arbeit“ zu machen – wenn nur Mittelumgeschichtet werden, entstehen für die Kostenträgerkeine neuen finanziellen Belastungen –, sodass wir
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1707
Markus Kurth
(C)
(B)
schon im Vorgriff im Bereich des Übergangs zum allge-meinen Arbeitsmarkt Erfolge erzielen können?G
Unsere Aufgabe sehen wir darin, geltendes Recht im-
mer dann zu verbessern, wenn es zielführend erscheint.
Es ist eine Daueraufgabe einer Regierung, entspre-
chende Vorschläge zu machen und die Initiative zu er-
greifen.
Was Ihre Vorstellung über den Zeitraum, bis ein Bun-
desleistungs- bzw. Bundesteilhabegesetz kommt und in
Kraft tritt, angeht: Sie reden über längere Zeiträume, als
es die Bundesregierung im Augenblick in ihrer Planung
vorsieht.
Wir kommen damit zur Frage 40 des Kollegen
Markus Kurth:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Landesre-
gierungen, dass im Rahmen der Weiterentwicklung der Ein-
gliederungshilfe ein dauerhafter Lohnkostenzuschuss für we-
sentlich behinderte, erwerbsfähige Menschen im Sinne eines
gung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu verbessern, und
welche Gründe bzw. Erwägungen liegen der Einschätzung zu-
grunde?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
G
Sehr gerne. – In Ihrer Frage wird nicht die Auffassung
der Länder wiedergegeben. Diese teilen vielmehr unver-
ändert die Auffassung der Bundesregierung, dass die
Förderung der Teilhabe erwerbsfähiger Menschen mit
Behinderung am Arbeitsleben keine Aufgabe der Ein-
gliederungshilfe ist. Im Beschluss der 90. Arbeits- und
Sozialministerkonferenz wird ausdrücklich festgestellt,
dass Voraussetzung für ein „Budget für Arbeit“ grund-
sätzlich der Zugang über den Arbeitsbereich der Werk-
stätten für behinderte Menschen sein soll und damit das
„Budget für Arbeit“ nur den behinderten Menschen of-
fenstehen soll, die dauerhaft voll erwerbsgemindert sind.
Eine andere Darstellung der Positionierung der Länder
im Sinne der Fragestellung, die einer vorläufigen Proto-
kollfassung der 90. Sitzung der Arbeits- und Sozial-
ministerkonferenz zu entnehmen war, wurde mit der
Endfassung korrigiert.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Hält die Bundesregierung denn diese Grenzziehung
zwischen erwerbsfähig und nicht erwerbsfähig bzw. voll
erwerbsgemindert überhaupt noch für zielführend? Wäre
es nicht vielmehr viel sinnvoller, von einem Kontinuum
auszugehen, also von leichten Einschränkungen an ei-
nem Ende und schweren Einschränkungen am anderen
Ende, und die personenbezogene Leistung, die es nach
einer Veränderung der Eingliederungshilfe geben soll,
eben individuell zuzumessen und an der Stelle nicht nur
eine einfache Scheidelinie zu haben?
G
Als kundiger Thebaner wissen auch Sie, dass wir uns
mit allen Fragestellungen rund um Behinderung beschäf-
tigen und dass wir uns im Rahmen der Diskussion, die
wir nicht nur zum künftigen Bundesteilhabegesetz, son-
dern auch zur UN-Behindertenrechtskonvention haben,
genau mit dieser Frage beschäftigen. Deshalb haben wir
weder ein Denkverbot noch ein Entwicklungsverbot im
Hinblick auf die Fragestellung, die Sie gerade an mich
gerichtet haben.
Sie haben gewiss eine zweite Nachfrage. Bitte.
Ich habe noch eine weitere Nachfrage. In meiner
Frage bezog sich der dauerhafte Lohnkostenzuschuss
keineswegs nur auf den Kreis der Werkstattberechtigten.
Ich würde gerne die Bundesregierung fragen, ob das
Modell der sogenannten Integrationsfirmen – ein Modell
ist es ja gar nicht mehr; es gibt schon Hunderte von ih-
nen –, ob also nicht das Vorbild der Integrationsfirmen
und Integrationsabteilungen eine Blaupause sein kann,
um einen dauerhaften Lohnkostenzuschuss und auch
„Budgets für Arbeit“ zu implementieren. Hält die Bun-
desregierung es für denkbar und möglich, dies auch stär-
ker in die sogenannten normalen Firmen des ersten Ar-
beitsmarkts hineinzutragen?
G
Herr Kollege Kurth, der Erfolg von Integrationsfir-
men ist auch der Bundesregierung nicht verborgen ge-
blieben. Wir haben, glaube ich, in allen Bundesländern
sehr erfolgreiche Modelle. Die Bundesregierung hat in
der Vergangenheit nicht nur darauf geschaut, wie sie sich
entwickeln, sondern diese Modelle auch immer wieder
unterstützt. Deshalb ist das eine Möglichkeit, die wir
selbstverständlich in die Weiterentwicklung mit einbe-
ziehen.
Ich rufe die Frage 41 der Kollegin Brigitte Pothmer
auf:
Wie hat sich die Zahl schwerbehinderter Arbeitsloser und
schwerbehinderter arbeitsloser Akademikerinnen und Akade-
miker seit dem Jahr 2010 im Vergleich zum allgemeinen
Trend auf dem Arbeitsmarkt entwickelt – bitte Zahlen für je-
des Jahr getrennt nach Rechtskreisen angeben –, und wie be-
wertet die Bundesregierung diese Entwicklung?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
G
Sehr gerne. – Das ist jetzt ein anderer Themenschwer-punkt.
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1708 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014
Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
(C)
(B)
Verehrte Kollegin Pothmer, ich beantworte Ihre Fragewie folgt: Die Zahl der schwerbehinderten Arbeitslosenhat von 2010 auf 2013 um rund 2 Prozent auf etwa178 600 zugenommen, während die Arbeitslosigkeit ins-gesamt in diesem Zeitraum um 9 Prozent gesunken ist.Der Anteil der schwerbehinderten akademisch ausgebil-deten Arbeitslosen an allen akademisch ausgebildetenArbeitslosen hat sich von 3,5 Prozent auf 3,9 Prozent er-höht.Da die Darlegung der Entwicklung der Zahlenschwerbehinderter Arbeitsloser und schwerbehinderterarbeitsloser Akademikerinnen und Akademiker seit2010 im Vergleich zum allgemeinen Trend auf dem Ar-beitsmarkt für jedes Jahr getrennt nach Rechtskreisen– so haben Sie Ihre Frage ja auch formuliert – den hierzur Verfügung stehenden Zeitrahmen sprengen würde,möchte ich Ihnen gern die entsprechende von der Bun-desagentur für Arbeit erstellte Tabelle zusenden. Ichhabe sie dabei. Sie ist sehr schwer vorzulesen, schon garnicht in der mir zustehenden Zeit. Frau Präsidentin, IhreVorgängerin in der Sitzungsleitung hatte mich da ganzhart ermahnt.Die Entwicklung der Arbeitslosigkeit schwerbehin-derter Menschen ist stark von statistischen Effekten ge-prägt. Nachdem Ende 2007 Regelungen zum erleichter-ten Leistungsbezug für die Altersgruppe „58 Jahre undälter“ ausliefen, ist die Zahl arbeitsloser schwerbehin-derter Menschen in dieser Altersgruppe erheblich gestie-gen. Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit stiegihre Zahl von rund 9 300 im Jahr 2008 auf rund 45 400im Dezember 2013. Damit lag der Anteil dieser Alters-gruppe an allen arbeitslos gemeldeten schwerbehinder-ten Menschen Ende 2013 bei rund 26 Prozent. Bei ar-beitslosen schwerbehinderten Akademikerinnen undAkademikern war der Anteil mit rund 37 Prozent sogardeutlich höher.Zwar haben Lebensältere ein geringeres Risiko alsJüngere, arbeitslos zu werden, zugleich aber – das wis-sen wir aus dem allgemeinen Arbeitsmarkt – schlechtereChancen, die Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer Be-schäftigung wieder zu beenden.Bei der Kombination „Schwerbehinderung und höhe-res Lebensalter“ gestaltet sich eine Beschäftigungsauf-nahme zum Teil noch schwieriger. Gerade diese Kombi-nation ist aber für die Arbeitslosigkeit schwerbehinderterMenschen prägend.Oftmals ist auch aufgrund von Vorbehalten und feh-lenden Erfahrungen im Umgang mit behinderten Men-schen ein zurückhaltendes Einstellungsverhalten bei Ar-beitgebern festzustellen. Hier besteht aus Sicht derBundesregierung nach wie vor großer Handlungsbedarf.Aufklärung oder, wie es die UN-Behindertenrechtskon-vention bezeichnet, Bewusstseinsbildung sind wichtigeVoraussetzungen, um Vorbehalte abzubauen und mehrBeschäftigung schwerbehinderter Menschen zu realisie-ren. Auch das ist ein zentrales Ziel der vom Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales im Oktober 2013zusammen mit den maßgeblichen Arbeitsmarktpartnerngestalteten Inklusionsinitiative für Ausbildung und Be-schäftigung.
Ich vermag mir gar nicht auszumalen, was es noch an
Zeit gekostet hätte, wenn Sie die Tabelle mit vorgetragen
hätten.
Frau Pothmer, Sie haben das Wort zur ersten Nach-
frage.
Frau Staatssekretärin, zunächst einmal herzlichen
Dank für Ihre Rücksichtnahme auf das Publikum, aber
auch auf Sie selbst. Ich begrüße das.
Auch wenn Sie nicht alle Zahlen en détail vorgetra-
gen haben, ist deutlich geworden, dass der Rückgang
der Arbeitslosigkeit im Allgemeinen und der Anstieg
der Arbeitslosigkeit im Besonderen bei behinderten
Akademikerinnen und Akademikern wie eine Schere
auseinandergehen. Als einen Grund haben Sie statisti-
sche Effekte genannt, zum Beispiel die 58er-Regelung.
Diese Regelung betrifft nun nicht nur Menschen mit Be-
hinderung, sondern alle arbeitslosen Menschen. Sie kann
also keine Erklärung dafür sein; es können also nicht nur
statistische Effekte sein, die dieses Auseinandergehen
verursacht haben. Insofern noch einmal die Frage: Kön-
nen Sie die Gründe, warum die Schere so exorbitant aus-
einandergeht, deutlicher erläutern?
G
Frau Kollegin Pothmer, das tue ich gerne. Ich glaube,
dieser Effekt ist allerdings nicht unerheblich; von daher
möchte ich noch einmal auf ihn verweisen. Ich will
gerne schauen, ob wir Ihnen genauere Zahlen dazu lie-
fern können. Von diesem Effekt sind meines Erachtens
die Menschen mit Behinderung überproportional betrof-
fen.
Es ist so – ich will mich gerne wiederholen –, dass
wir einen dringenden Handlungsauftrag sehen, zumal
immer mehr Jahrgänge hochqualifizierter Menschen mit
Behinderung auf den Arbeitsmarkt kommen. Deshalb ist
es erklärtes Ziel der Bundesregierung, genau hier initia-
tiv zu werden.
Ich habe beschrieben, dass wir es besonders wichtig
finden, den Vorbehalten entgegenzutreten, die diese Per-
sonengruppe in keiner Weise verdient; vielmehr sollten
wir ermunternd und unterstützend darauf hinwirken,
dass diese Menschen einen Platz im ersten Arbeitsmarkt
finden.
Frau Pothmer, Sie haben das Wort zu einer zweiten
Nachfrage.
Angesichts der Dramatik, die sich in diesen Zahlen zeigt,scheint mir das Vorhaben, für mehr Aufklärung zu sor-gen, dem Problem wohl nicht ganz angemessen. Es gibtja eine ganze Reihe von Vorschlägen, auch aus den Be-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1709
Brigitte Pothmer
(C)
(B)
hindertenverbänden. Darin wird zum Beispiel deutlichhervorgehoben, dass sich die Bundesagentur für Arbeitin Bezug auf die Beratung von behinderten Menschensehr stark auf die Akquirierung von Arbeitsplätzen undnur noch sehr wenig auf die Betreuung von behindertenMenschen konzentriert. Das hat sehr viel damit zu tun,dass für die Statistik der Bundesagentur für Arbeit zählt,wenn ein Arbeitsloser einen Arbeitsplatz erhalten hat.Berücksichtigt wird dabei überhaupt nicht mehr dieFrage, wie lange die jeweilige Person ihren Arbeitsplatzbehalten konnte.Menschen mit Behinderung brauchen nicht nur einenArbeitsplatz. Wenn sie einen Arbeitsplatz bekommen ha-ben, brauchen sie darüber hinaus Unterstützung und Be-gleitung. Von Behindertenverbänden wird kontinuierlichangemahnt, dass das nicht der Fall ist. Haben Sie vor, daetwas zu verändern?G
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Pothmer, auch mir ist bekannt, dass Be-
hindertenverbände darauf hinweisen. Ich will gerne auf-
greifen, dass wir das auch mit der Bundesagentur für Ar-
beit erörtern. Ich teile aber nicht automatisch Ihre
Einschätzung, dass es da sozusagen einen Mangel an En-
gagement gibt. Das will ich hier ganz deutlich sagen. Ich
will aber der festen Meinung Ausdruck verleihen, dass
die Bundesregierung wirklich bereit ist, sich genau um
diese Personengruppe zu kümmern und da viel zu tun.
Insofern danke ich für Ihre Frage.
Sie zielte im Übrigen – wenn ich das noch ergänzen
darf; die Zeit reicht dafür ja auch noch – im Grunde ge-
nommen schon auf die nächste Frage, die ich gleich zu
beantworten gedenke.
Zuerst hat aber die Kollegin Rüffer eine Nachfrage.
Ich kann an die Frage von Frau Pothmer anschließen;
das passt dazu. – Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag
festgelegt, dass die Qualifizierung von Mitarbeitern im
Jobcenter sozusagen als Problemfeld gesehen wird.
Meine Frage ist mit Blick auf die Beratung von Men-
schen mit Behinderung und speziell mit Blick auf die
Beratung des in der Frage benannten Personenkreises:
Wann können wir mit einer Lösung rechnen und in wel-
chem Umfang?
G
Ich antworte gern, liebe Kollegin Rüffer. – Grundsätz-
lich sind wir daran interessiert, dass Mitarbeiter und Mit-
arbeiterinnen auf dem bestmöglichen Qualifikations-
stand sind. Das ist eine Daueraufgabe. Wir haben dies
noch einmal besonders hervorgehoben – Sie haben das
zu Recht zitiert und richtig zitiert –, weil wir wissen,
dass eine maximale Qualifizierung auch zu hohen Ar-
beitserfolgen in der Vermittlung führt. Das gilt übrigens
nicht nur für die Zielgruppe, über die wir gerade spre-
chen, sondern das gilt grundsätzlich.
Wenn Sie danach fragen, wann wir dazu Ergebnisse
haben werden, will ich Ihnen sagen: Wir sehen das im
Mittelpunkt der Aufgaben der nächsten Zeit. Sobald wir
Ergebnisse haben, werden wir das Plenum, aber ganz si-
cher den Fachausschuss Arbeit und Soziales unterrich-
ten.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin.
Kollegin Rüffer, als Hinweis für die Zukunft: Wir
bleiben im Allgemeinen stehen, wenn wir bei der Beant-
wortung von Fragen im Gespräch mit Personen auf der
Regierungsbank sind.
Ich rufe die Frage 42 der Kollegin Pothmer auf:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus der Ein-
schätzung des Deutschen Vereins der Blinden und Sehbehin-
derten in Studium und Beruf e. V., DVBS, hinsichtlich des
Reformbedarfs bei der Arbeitsvermittlung schwerbehinderter
Menschen und hinsichtlich der Rolle der Vermittlungsstelle
für besonders betroffene schwerbehinderte Akademikerinnen
und Akademiker in der Zentralen Auslands- und Fachvermitt-
lung, wie Dr. Heinz Willi Bach sie in seinem Beitrag in der
Zeitschrift horus darlegt (www.dvbs-on
line.de/horus/2014-1-5347.htm), und welche konkreten Maß-
nahmen plant die Bundesregierung zur Verbesserung der
Vermittlung schwerbehinderter Arbeitsloser und schwerbe-
hinderter arbeitsloser Akademikerinnen und Akademiker?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
G
Frau Präsidentin! Liebe Frau Pothmer, die Bundesre-gierung sieht keinen Reformbedarf hinsichtlich der Rolledes Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akademi-ker der Zentralen Auslands- und Fachvermittlung derBundesagentur für Arbeit; abgekürzt heißt die AG:SBZAV. Ich glaube, es ist besser, das auszusprechen.Der Arbeitgeberservice für schwerbehinderte Akade-miker ist eine konsequente Weiterentwicklung der übli-chen Praxis, arbeitgeber- und arbeitnehmerbezogeneProzesse strikt zu trennen. Die Weiterentwicklung ist an-gezeigt, um für diese Zielgruppe überregional zusätzli-che Arbeitsmöglichkeiten, insbesondere im öffentlichenSektor, zu erschließen.Der Arbeitgeberservice führt seine Vermittlungsakti-vitäten einerseits bewerberorientiert durch. Das heißt, eswerden, vom Kunden, also vom Arbeitnehmer, ausge-hend, Beschäftigungsmöglichkeiten gesucht. Dies er-folgt auf Basis vorhandener Stellenangebote. Es werdenandererseits Arbeitgeber initiativ angesprochen, um ge-eignete Stellen zu akquirieren. Auf dieser Grundlagewerden Informationsveranstaltungen oder Gruppenbera-tungen für schwerbehinderte Akademiker und Akademi-kerinnen sowie Stellen-Matchings organisiert, um so di-rekt für Bewerberinnen und Bewerber aktiv zu werden.Bezogen auf die Vermittlung wird der Arbeitgeberser-vice also für beide Marktseiten tätig. Das ist die Beson-derheit, die wir hier vorfinden.
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1710 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014
Parl. Staatssekretärin Gabriele Lösekrug-Möller
(C)
(B)
Der Service ist ausschließlich auf Personen ausge-richtet, die nach Art oder Schwere ihrer Behinderung imArbeitsleben besonders betroffen sind. Konkret handeltes sich um den Personenkreis besonders betroffenerschwerbehinderter Akademikerinnen und Akademikerim Sinne des § 72 Abs. 1 Nr. 1 Neuntes Buch Sozialge-setzbuch.Darüber hinaus wird der Arbeitgeberservice aufgrundeines Vermittlungsauftrags der Agenturen für Arbeit undder Jobcenter tätig. Das heißt, Arbeitsagenturen oderJobcenter entscheiden einzelfallbezogen über seine Ein-schaltung.Der vom Deutschen Verein der Blinden und Sehbe-hinderten in Studium und Beruf hergestellte Zusammen-hang, die Arbeitslosigkeit schwerbehinderter Menschensei wegen eines Konstruktionsfehlers des Arbeitgeber-service angestiegen, lässt sich vor diesem Hintergrundnicht herstellen. Die Bundesagentur für Arbeit erbringtihre Dienstleistungen – Beratung, Vermittlung, Förde-rung – auch für schwerbehinderte Arbeitslose sowie fürschwerbehinderte arbeitslose Akademikerinnen und Aka-demiker auf Grundlage des Zweiten, Dritten und Neun-ten Buchs Sozialgesetzbuch. Dabei haben Arbeitsagen-turen und Jobcenter umfangreiche Fördermöglichkeiten.Darüber hinaus hat das Bundesministerium Programmeinitiiert, die die Teilhabe schwerbehinderter Menschen amArbeitsleben verbessern sollen. Über die „Initiative In-klusion“ habe ich ja bereits heute Auskunft gegeben. Siewird in Verantwortung der Länder durchgeführt und um-fasst – ich will noch eine Zahl nachschieben – ein Mit-telvolumen von 140 Millionen Euro, finanziert – wirsprachen auch darüber – aus der Ausgleichsabgabe.Wir haben Ende 2013 ein neues Programm zur inten-sivierten Eingliederung und Beratung mit einer Laufzeitvon 2014 bis 2016 aufgelegt; es wird mit 50 Millionen,auch aus Mitteln des Ausgleichsfonds, finanziert. Damitsollen Konzepte gefördert werden, die bereits beste-hende Förderinstrumente und Maßnahmen ergänzen unddie berufliche Integration verstärken und anregen. DieZAV plant, hier ein Konzept zur Unterstützung der Ver-mittlung schwerbehinderter Akademikerinnen und Aka-demiker einzureichen.
Ich möchte die Bitte meiner Vorgängerin hier vorne
noch einmal wiederholen, doch in der verabredeten Ant-
wortzeit zu bleiben, damit noch möglichst viele Nachfra-
gen stellen können.
Sie, Frau Pothmer, haben das Wort zur ersten Nach-
frage.
Frau Staatssekretärin, die Behindertenverbände be-
richten immer wieder, dass insbesondere Arbeitgeber,
aber auch die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
Probleme mit der Sonderausstattung haben, die für man-
che behinderte Menschen notwendig ist, dass diese Son-
derausstattung erst sehr spät zur Verfügung gestellt wird.
Welche Möglichkeit sieht die Bundesregierung, da Ein-
fluss zu nehmen und diesen Prozess zu beschleunigen?
G
Ich versuche, Zeit aufzuholen. – Es ist denkbar, dass
das in Einzelfällen unter dem Optimum bleibt. Mir sind
jetzt aber keine Einzelfälle bekannt. Deshalb kann ich
darauf nicht antworten.
Ihre zweite Nachfrage.
Neben dem Problem der schlechten oder verspäteten
Ausstattung für Sonderarbeitsplätze wird immer wieder
auch bemängelt, dass der Verwaltungsaufwand, insbe-
sondere für Arbeitgeber, exorbitant hoch sei. Denkt die
Bundesregierung darüber nach, da Vereinfachungen vor-
zunehmen?
G
Die Bundesregierung ist nicht der Meinung, dass der
Verwaltungsaufwand exorbitant hoch ist. Wir haben als
Bundesregierung – so haben wir heute in der Befragung
der Bundesregierung gehört – ein großes Interesse an
Entbürokratisierung und Vereinfachung. Ich bin der fes-
ten Überzeugung, dass auch dieser Bereich dabei be-
trachtet und untersucht wird. Sofern da Vereinfachungen
möglich erscheinen, werden sie ganz sicher vorgenom-
men.
Der Kollege Kurth hat das Wort zu einer Nachfrage.
Wo es nun um das Thema Vermittlung geht, bietet essich an, noch einmal nach den sogenannten Integrations-fachdiensten zu fragen. Diese Integrationsfachdienstehat ja der Gesetzgeber 2001 eingerichtet, damit Arbeit-geber und auch Bewerber im Vorfeld beraten werdenkönnen, Bewerber vermittelt und danach auch betreutwerden können. Das sollte eine ganzheitliche Leistungsein; so hat es sich der Gesetzgeber jedenfalls vorge-stellt.Nun hat die vergangene Bundesregierung den Teilbe-reich der Vermittlung aus diesen Diensten einfach he-rausgebrochen und durch Ausschreibungsverfahren ver-geben. Das hatte zum Ergebnis eine zum Teilzersplitterte Leistungslandschaft. Das hat die damaligeOpposition kritisiert, und zwar vehement. Plant die jet-zige Bundesregierung, diese Fehlentscheidung der ver-gangenen Regierung wieder zurückzunehmen bzw. zukorrigieren und die Integrationsfachdienste wieder zudem zu machen, was der Gesetzgeber ursprünglichwollte?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1711
(C)
(B)
G
Herr Kollege Kurth, die amtierende Bundesregierung
sieht davon ab, Entscheidungen der vorangegangenen
Bundesregierung zu bewerten. Deshalb antworte ich Ih-
nen: Sollte es zu Schwierigkeiten gekommen sein, wird
die jetzige Bundesregierung ganz sicher mit einem ent-
sprechenden Problembewusstsein auch diese Fragestel-
lung betrachten. Sollte es erforderlich sein, hier Lösun-
gen zu finden, dann werden sie – da bin ich mir ziemlich
sicher – gesucht werden. Ich will Ihnen aber sagen, dass
ich erst einmal Ihre Vermutung, dass es negative Aus-
wirkungen gibt, so nicht bestätigen kann.
Die Fragen 43 und 44 des Kollegen Dr. Wolfgang
Strengmann-Kuhn, 45 und 46 der Kollegin Sabine
Zimmermann sowie 47 und 48 der Kollegin
Azize Tank zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Arbeit und Soziales werden schriftlich beant-
wortet. – Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Die
Frage 49 der Kollegin Bärbel Höhn, die Fragen 50 und
51 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann sowie 52 und 53
des Kollegen Harald Ebner werden ebenfalls schriftlich
beantwortet.
Dasselbe gilt für die Frage 54 des Kollegen Omid
Nouripour aus dem Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Verteidigung.
Der Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Familie, Senioren, Frauen und Jugend ist als Nächstes an
der Reihe. Zur Beantwortung der Fragen steht die Parla-
mentarische Staatssekretärin Caren Marks zur Verfü-
gung.
Die Frage 55 der Kollegin Tabea Rößner soll schrift-
lich beantwortet werden.
Ich rufe die Frage 56 der Kollegin Corinna Rüffer
auf:
Wann wird die Bundesregierung das in der UN-Behinder-
tenrechtskonvention verankerte Recht auf angemessene Vor-
kehrungen als Diskriminierungstatbestand in das Allgemeine
Gleichbehandlungsgesetz aufnehmen, und wie begründet sie
es, falls sie keine entsprechende Änderung plant?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
C
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnen
und Kollegen! Sehr geehrte Frau Kollegin Rüffer, Ihre
Frage beantworte ich gerne, und zwar wie folgt: Um die
Behindertenrechtskonvention umzusetzen, hat die Bun-
desregierung in der letzten Legislaturperiode einen Na-
tionalen Aktionsplan verabschiedet, der in der laufenden
Legislaturperiode weiterentwickelt wird. Dieser sieht
auch eine Evaluierung des Behindertengleichstellungs-
gesetzes vor. Im Rahmen dieser zurzeit stattfindenden
Evaluierung wird im Lichte der UN-Behindertenrechts-
konvention auch geprüft, ob es bezüglich des Begriffs
„angemessene Vorkehrungen“ gegebenenfalls Hand-
lungsbedarf gibt. Es ist derzeit nicht auszuschließen,
dass sich aus dem Ergebnis dieser Prüfung auch Auswir-
kungen zum Beispiel auf das Allgemeine Gleichbehand-
lungsgesetz ergeben können.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Gerne. – Ich bin etwas verwundert, weil die Antwort
auf die Frage sehr vorsichtig ausgefallen ist. Die Moni-
toring-Stelle zur Umsetzung der Behindertenrechtskon-
vention am Deutschen Institut für Menschenrechte
schreibt – ich zitiere –: „Solange es Barrierefreiheit nicht
gibt, helfen nur angemessene Vorkehrungen.“ Das ist
sehr eindeutig. Wie bewerten Sie diese Aussage, und se-
hen Sie jetzt vielleicht doch einen dringenderen Hand-
lungsbedarf?
C
Sehr geehrte Frau Kollegin Rüffer, ich kann mich an
dieser Stelle nur wiederholen: Wir warten die Evaluie-
rung ab. Wir werden sie auswerten und dann in der Bun-
desregierung zu einem Ergebnis kommen, das Auswir-
kungen auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz
haben könnte.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Das AGG enthält keine Umsetzungsvorschrift zu
Art. 5 der Richtlinie aus 2000/78/EG vom 27. November
2000, nach der Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber ver-
pflichtet werden sollen, angemessene Vorkehrungen für
Menschen mit Behinderungen zu gewährleisten, um ihre
Gleichberechtigung sicherzustellen. Wie bewerten Sie
das? Was haben Sie im Hinblick auf diesen Mangel vor?
C
Den Aspekt, den Sie angesprochen haben, Frau Kol-
legin, werden wir ganz gezielt angehen. Wir werden das
AGG in der jetzigen Ausgestaltung daraufhin prüfen. Es
kann durchaus sein, dass wir Handlungsbedarf sehen.
Das wird dann innerhalb der Bundesregierung abzustim-
men sein.
Wir kommen zur Frage 57 der Kollegin CorinnaRüffer:Welche Position vertritt die Bundesregierung zum vorlie-genden Entwurf der Fünften Antidiskriminierungsrichtlinieder EU, und welche Alternativen zum Schutz von Menschenmit Behinderungen sieht sie, falls sie den Entwurf weiterhin
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Metadaten/Kopzeile:
1712 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014
(C)
(B)
C
Diese Frage kann ich in wenigen Sekunden beant-
worten. Frau Kollegin Rüffer, ich kann Ihnen bezüglich
dieser Frage nur mitteilen, dass innerhalb der Bundesre-
gierung die Meinungsbildung zur Fünften Antidiskrimi-
nierungsrichtlinie noch nicht abgeschlossen ist.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Wie beurteilt die Bundesregierung in diesem Zusam-
menhang den von der EU-Kommission geplanten
Rechtsakt zur Barrierefreiheit von Waren und Dienstleis-
tungen?
C
Auch das wird grundsätzlich geprüft. Wie gesagt: Die
Frage, ob es Handlungsbedarf gibt, ist in der Regierung,
wenn es darum geht, wie die Antidiskriminierungsricht-
linie weiter ausgestaltet wird, noch nicht abschließend
beantwortet.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich pule jetzt noch ein bisschen weiter in der Wunde
herum.
C
Gerne.
Es tut mir leid, wenn das schmerzt. Mich interessiert
aber: Was müsste Ihren derzeitigen Absprachen nach mit
diesem Richtlinienentwurf passieren, damit es für Sie als
Bundesregierung möglich wird, zu handeln?
C
Es ist weder eine Wunde, noch schmerzt es; das kann
ich Ihnen von dieser Stelle aus versichern. Ich kann mich
nur wiederholen: Wir – dabei handelt es sich im Übrigen
um verschiedene Bundesministerien – warten mit der
Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention bzw.
der eventuellen Weiterentwicklung des AGG. Die Feder-
führung bei der Umsetzung der UN-Behindertenrechts-
konvention liegt im Hause des Ministeriums für Arbeit
und Soziales. Das Ministerium der Justiz und für Ver-
braucherschutz ist federführend beim Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetz. Zwischen all den Ministerien,
die mit dieser Frage maßgeblich betraut sind, wird es
nach der Evaluierung einen entsprechenden Austausch
geben, der dann zu einem Ergebnis führen wird.
Danke, Frau Staatssekretärin. – Wir sind damit am
Ende der Fragestunde, da die verabredete Zeit ausge-
schöpft ist. Mit den übrigen Fragen verfahren wir ent-
sprechend unserer Geschäftsordnung.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN
Haltung der Bundesregierung zur Verlänge-
rung von Laufzeiten für Atomkraftwerke in
Deutschland
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Sylvia Kotting-Uhl für die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen!Wer die Preise wieder senken will, muss zurück zurAtomkraft.Wir sind bayerische Irritationen gewohnt, so auch dasHü und Hott bei der Energiewende: Mal sind es dieNetze, dann ist es die Windkraft. Aber dieses Zitatstammt von einem, der nicht nur Bayer, sondern auchVorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Ener-gie ist. Deshalb kann man ihm das nicht so einfachdurchgehen lassen.
Ich zitiere ihn weiter – ich muss in der dritten Personreden, weil er offensichtlich nicht hier ist –:Die Energiewende zum Nulltarif ist eine Illusion,jeder Bürger wird einen hohen Preis zahlen.Von Nulltarif hat, glaube ich, niemand geredet.
Selbstverständlich ist eine Investition in die Zukunft, ineine unschlagbar günstige und sichere Energieversor-gung unserer Kinder und Kindeskinder nicht umsonst zuhaben. Das weiß nun wirklich jeder. Aber HerrRamsauer hatte genug Stichwortgeber, die die Energie-wende auf eine weitgehend faktenfremde Kostendebattereduziert haben. Ich frage mich, was dieses Schlechtre-den der Erneuerbaren am Ende bringen soll. Außer Ver-unsicherung wird nichts gewesen sein.Schließlich – schauen wir weiter, was Herr Ramsauergesagt hat – geht es ihm nicht um den Bürger, sondernum die Unternehmen, die weiterhin ihre Rabatte habensollen – zulasten des Bürgers; denn irgendwer muss dieausufernden Rabatte am Ende bezahlen, und das sind dieBürger. Wenn Herr Ramsauer meint, dass er als Vorsit-zender des Ausschusses für Wirtschaft und Energie sichhauptsächlich um die Belange der Wirtschaft kümmernmuss, dann ist das vielleicht das CSU-Verständnis einer
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Sylvia Kotting-Uhl
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solchen Funktion. Ich meine, als Mitglied des Bundesta-ges müsste er sich auch ein bisschen um die Volkswirt-schaft kümmern.Ich erinnere einmal an die WDR-Recherchen, nachdenen letzte Woche der volkswirtschaftliche Schadender teuersten Technologie, die die Menschheit je hervor-gebracht hat, der Atomtechnologie, mit 1 000 MilliardenDollar beziffert wurde. In diesem Betrag sind natürlichdie nicht unbeträchtlichen Folgekosten der Katastrophenin Tschernobyl und Fukushima enthalten. Aber auch inDeutschland sind wir mit atomaren Fehlinvestitionenund Zahlungen aufgrund der Folgen von Tschernobylmit 150 Milliarden Dollar dabei. – So viel zu dem billi-gen Atomstrom.
Wir reden wohlgemerkt nicht von den Kosten der Atom-energie als solcher, sondern von Geld, das ohne jedenGegenwert für die Atomkraft ausgegeben wurde bzw.ausgegeben werden musste. Mit dieser Summe sind wirnoch lange nicht am Ende.Falls Herr Ramsauer sogar an Neubauten denkt, dannempfehle ich ihm einen Blick nach Großbritannien, zumgeplanten Hinkley Point C, der die Bürger mit mehr als11 Cent für die Kilowattstunde für 35 Jahre beglückensoll. Das heißt: Auch 2050 sollen die Bürger von Groß-britannien über 11 Cent pro Kilowattstunde bezahlen,mehr als jeder Wind- oder Sonnenstrom dann kostenwird.Wenn wir über Atomkraft reden, müssen wir auchüber einen anderen Preis als den ökonomischen reden.Wir hatten heute Professor Kusnezow und Naoto Kan,den früheren Premier von Japan, im Umweltausschussund haben uns einmal erzählen lassen, wie es in diesenLändern aussieht, was die Folgen eines GAU für dieMenschen bedeuten: Verlust von Heimat, Verlust vonGesundheit, unbewohnte Landstriche und die Angst, diebleibt. Das ist ein hoher Preis. Weil unsere Bürger diesenPreis niemals zahlen sollen, steigen wir aus der Atom-kraft aus.
Ich grüße Sie, Herr Ramsauer. Entweder habe ich Sieübersehen oder Sie sind in der Zwischenzeit hereinge-kommen.
– Das freut mich.Auch Sie sind vielleicht noch lernbereit, HerrRamsauer. Die Produktion von Atomstrom verlangt auchVerantwortung für den Müll, und da sieht es in Bayernbisher ganz mau aus. Ihr Land ist nicht einmal bereit,eine Handvoll Castoren zurückzunehmen, und Sie sind– nach Niedersachsen – hauptverantwortlich für denMüll in 26 Castoren, der noch darauf wartet, aus Sella-field und La Hague zu uns zurückzukommen, nachdemwir ein Gesetz beschlossen haben, das regelt, dass ernicht mehr nach Gorleben darf. Anstatt jetzt der Produk-tion von noch mehr Atommüll das Wort zu reden, solltenSie in Bayern anfangen, Verantwortung für den bereitsproduzierten Atommüll aus Bayern zu übernehmen.
Ich gebe Ihnen den guten Rat: Vergessen Sie das dummeGerede von vor ein paar Tagen, und bieten Sie dafür dasZwischenlager Isar an! Reden Sie sich nicht mit Trans-portwegen heraus; denn diese haben Sie beim Transportdes Mülls nach La Hague und Sellafield und dann nachGorleben auch nicht gestört.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Georg Nüßlein für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ichbin nun auch schon eine Weile Mitglied dieses Hauses;aber die Debatte, die wir hier führen, ist schon einmalig.
Der Titel, den Sie ursprünglich für diese Aktuelle Stundevorgesehen hatten, lautet: Haltung der Bundesregierungzu Äußerungen des Bundesministers a. D. und Vorsit-zenden des Ausschusses für Wirtschaft und Energie,Dr. Peter Ramsauer, die Laufzeiten für Atomkraftwerkein Deutschland zu verlängern. – Sie wollen also über dieHaltung eines Mitglieds des Deutschen Bundestages zuden Laufzeiten reden.
Ich dachte bisher, dass es so läuft: Das Parlament kon-trolliert die Regierung. Sie sagen jetzt, die Bundesregie-rung müsse jede einzelne Äußerung eines Bundestagsab-geordneten kontrollieren.
Das ist eine neue Perspektive, die ich so nicht teilenkann. Ich nehme zur Kenntnis, dass Sie dem KollegenRamsauer aus Anlass seines 60. Geburtstages eine Son-derdebatte widmen wollten; das mag sein.
Ansonsten kann es nicht Ihr Ernst sein, dass wir uns ineiner Aktuellen Stunde mit einem Interview auseinan-dersetzen – wir tun es aber leider auf Ihren Antrag hin –,das in weiten Teilen so ist, dass man sogar in Ihren Krei-
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Dr. Georg Nüßlein
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sen nicht darüber diskutieren müsste, weil die Positionengeteilt werden.Wenn Sie es so wollen, kann ich dieses Interview ein-mal durchgehen:Die Energiewende zum Nulltarif ist eine Illusion,jeder Bürger wird einen hohen Preis zahlen. DasEinzige, was wir tun können, ist, den Anstieg zudämpfen.Ich habe hier noch keinen anderen Vorschlag gehört alsden, den Anstieg zu dämpfen. Dass die Energiewendeteuer ist, ist ja wohl Common Sense.
Wir arbeiten in der Koalition momentan intensiv an derFrage, wie man die Kosten einigermaßen in den Griffbekommt.Nun will ich gar nicht darauf eingehen, wie es so weitgekommen ist. Sonst müsste ich Ihnen vorhalten, wasich Ihnen hier schon manchmal vorgehalten habe, näm-lich dass Sie die Photovoltaik über das EEG zu früh anden Markt gebracht haben,
wodurch es zu teuer wurde, und dass die Hälfte derEEG-Umlage insbesondere grüner Ideologie geschuldetist. Das muss man einmal in aller Deutlichkeit sagen.
– Das EEG ist aber von Ihnen. Oder wollen Sie das etwaauch leugnen? Das glaube ich doch nicht.
Das war zu früh, und es war zu teuer. Es war nicht mach-bar, es rechtzeitig so zu gestalten, wie wir uns das vorge-stellt haben.Peter Ramsauer sagte weiter:Es darf keine Einschnitte für die Wirtschaft geben.Auch das müsste doch unsere gemeinsame Handlungs-grundlage sein. Das, was uns momentan aus Brüsseldroht, ist die Grundlage für eine Deindustrialisierungs-welle in Deutschland,
und die wollen wir alle nicht. Oder sind Sie da andererAuffassung?
Die Grünen haben bei Differenzkosten von 0,2 Centeine Härtefallregelung eingeführt. Jetzt liegen die Diffe-renzkosten bei 6,24 Cent.
Wenn der Vorsitzende des Wirtschaftsausschusses sagt:„Das ist sehr bedenklich, insbesondere, wenn Brüssel dieAusnahme kippen will“, dann ist das doch ehrenhaft.Das muss er in seinem Amt auch sagen dürfen, meineDamen und Herren.
Herr Ramsauer hat auch gesagt:Wer die Preise wieder senken will, muss zurück zurAtomkraft.Ich persönlich
teile das als politische Zielsetzung nicht.
Aber er beschreibt damit das, was wir ursprünglich getanhaben: Wir haben die Laufzeiten damals verlängert, weilwir wussten, dass die Energiewende teuer und zeitauf-wendig wird und dass wir Geld und Zeit brauchen, umsie umzusetzen.
Wir haben uns wohlweislich – da lassen wir uns von Ih-nen nichts anhängen – für einen anderen demokrati-schen Weg entschieden, weil die breite Mehrheit derBevölkerung, auch unsere Wählerinnen und Wähler,gesagt haben: Wir wollen keine Kernenergie. Aber wirhaben immer auf die Konsequenzen hingewiesen: teuer,schwierig, sehr komplex.
Sie haben uns immer als „Atomlobbyanhänger“ undwas weiß ich noch alles verunglimpft.
Sie haben so getan, als ginge die Energiewende kosten-los vonstatten, als wäre sie billig zu haben, als käme esauf Geld gar nicht an.
– Doch, ein großer Teil der Grünen hat so getan, als wäreeine hundertprozentige Erzeugung von Energie aus er-
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Dr. Georg Nüßlein
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neuerbaren Energien schon ab morgen möglich, als wärealles ganz einfach, als würde sie nicht mehr Geld kosten.
Sagen Sie doch, wie es ist: Sie kostet mehr Geld! Warumhaben Sie ein Problem damit, uns an dieser Stelle rechtzu geben?
All das heißt aber nicht, dass wir zurück zur Kern-energie wollen. Das heißt vielmehr, dass wir in einenkonstruktiven Dialog eintreten müssen, um zu klären,wie wir diese Energiewende so gestalten, dass unsereWirtschaft am Ende nicht am Boden liegt; denn sonstwird uns auf diesem Weg niemand folgen. Dann wäredie Energiewende in Deutschland eine Insellösung, dieniemanden interessiert.
Jeder wird über uns lachen. Das ist die Sorge unseresAusschussvorsitzenden Peter Ramsauer. Ich bitte Sie,das wohlwollend zur Kenntnis zu nehmen und wenigs-tens diese Ansicht zu teilen. Das wäre mir sehr wichtig.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Hubertus Zdebel für die
Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Sehr geehrte Damen und Herren! Herr Ramsauer, ichfreue mich, dass Sie persönlich anwesend sind, mussaber feststellen: Sie haben aus Fukushima offensichtlichnichts gelernt. Aus Fukushima zu lernen, heißt nicht:AKW müssen länger laufen. Das Gegenteil ist der Fall:AKW gehören abgeschaltet, und zwar unverzüglich.
Offenbar lernen vor allem jene Teile der Menschheit,denen Profite wichtiger sind als Menschen, nur bedingtdazu. Nach Tschernobyl trauten sich die Atomiker über20 Jahre nicht aus der Deckung. Nach dem Super-GAUvon Fukushima dauerte das gerade einmal zwei Jahre.Atomkraft und verlängerte Laufzeiten werden nicht erstjetzt ins Spiel gebracht. Das läuft bereits seit mehr als ei-nem Jahr, und die Atomlobby hat noch nicht einmal rich-tig losgelegt.Die Äußerungen von Ihnen, Herr Ramsauer, zur Ver-längerung der Laufzeiten von Atomkraftwerken undzum Ausstieg aus dem Ausstieg stehen nicht isoliert.Ähnlich haben sich Unionsfraktionsvize Michael Fuchsund der ehemalige Kanzler Gerhard Schröder geäußert.
Bei Ihnen fällt lediglich die Plattheit Ihrer Argumenta-tion in Bezug auf die Stromkosten auf, Herr Ramsauer– Zitat aus einem Spiegel-Interview –: „Wer die Preisewieder senken will, muss zurück zur Atomkraft.“
Dass Atomstrom billiger ist, ist blanker Unsinn.
Aber das hat in den Reihen von CDU/CSU auch schonvor Fukushima niemanden gestört, die Laufzeitverlänge-rung für deutsche Atommeiler zu beschließen. Atom-strom ist nicht billig, sondern unbezahlbar. Die Kostenfür die Atomenergie wurden mit milliardenschwerenSubventionen seit Jahrzehnten künstlich niedrig gehal-ten.Herr Ramsauer, in Ihrem Interview mit dem Spiegelbetonen Sie dutzendfach, wie sehr Ihnen die Wettbe-werbsfähigkeit Deutschlands am Herzen liegt. Dabeisind Atomkraftwerke, wie das Deutsche Institut für Wirt-schaftsforschung kürzlich wieder betonte, marktwirt-schaftlich nicht lebensfähig. Atomkraft ist in Deutsch-land von 1950 bis 2010 mit circa 204 Milliarden Eurosubventioniert worden.
Das ist das Ergebnis einer 2010 veröffentlichten Studiedes Forums Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft imAuftrag von Greenpeace. Die Kosten hat der Steuerzah-ler zu tragen, und das wird noch Jahre so weitergehen.Ein abgeschriebenes AKW bringt den Atomkonzernenin Deutschland pro Tag etwa eine halbe Million Euroein – mindestens.Der im Sommer 2011 verabschiedete Atomkompro-miss von Union, SPD, FDP und Grünen setzt elf weitereJahre auf die Atomkraft. Die Linke hat nachgewiesen,dass der Ausstieg deutlich zügiger und schneller möglichgewesen wäre.
Zwar wurden die sieben ältesten Atomkraftwerke sowiedas AKW Krümmel vom Netz genommen; die Betriebs-genehmigung der übrigen neun Atomkraftwerke erlischtjedoch nur schrittweise bis zum Ende des Jahres 2022.Sie produzieren täglich neuen Atommüll – trotz des un-verantwortlichen Risikos für die Bevölkerung. Wieschon beim von Rot-Grün im Jahr 2000 beschlossenenAtomausstieg richten sich die AKW-Restlaufzeiten nachden Profitinteressen der Betreiber. Das steht ausdrück-lich in der Begründung des Gesetzentwurfs aus dem Jahr2011, aus der ich hier kurz zitieren möchte – man kanndas nicht oft genug sagen –:
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Hubertus Zdebel
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Auch die nunmehr vorgesehene zeitliche Befristungder Berechtigung zum Leistungsbetrieb ist … soausgestaltet, dass die von dieser Regelung betroffe-nen Unternehmen nicht unverhältnismäßig belastetwerden und den Betreibern eine Amortisation derInvestitionen sowie die Erzielung eines angemesse-nen Gewinns weiterhin ermöglicht wird.Hinzu kommt: Deutschland ist nach wie vor globalerPlayer im nuklearen Exportgeschäft mit Atomkraftwerks-technik und Brennelementen sowie bei Investitionen inAKW in anderen Ländern. Die Linke fordert deshalb ei-nen unverzüglichen und unumkehrbaren Atomausstieg.Nur ein zurückgebautes Atomkraftwerk ist ein sicheresAtomkraftwerk.
Die Restlaufzeiten der neun noch laufenden Atomkraft-werke sollen deutlich verkürzt werden, möglichst nochinnerhalb dieser Wahlperiode. Daneben soll ein Verbotder friedlichen wie militärischen Nutzung der Atomener-gie im Grundgesetz verankert werden. Nur so kann ver-hindert werden, dass eine neue Parlamentsmehrheit denAusstiegsbeschluss einfach revidiert.
Für einen wirklichen Ausstieg aus der Atomwirtschaftmuss auch die Fertigung atomarer Brennelemente inGronau beendet werden. Die Zentrifugentechnik in derUrananreicherungsanlage in Gronau ist hochbrisant. Siekann auch zur Produktion von Atomwaffen genutzt wer-den.Handeln ist das Gebot der Stunde. Wir sollten nichtden Ramsauers dieser Welt folgen, sondern die richtigenKonsequenzen ziehen und den Ausstieg in Deutschlandkonsequent fortschreiben und wasserdicht machen.
Deshalb werde ich am Karfreitag mit vielen anderen Ak-tivistinnen und Aktivisten vor der Urananreicherungsan-lage in Gronau für den sofortigen Atomausstieg demons-trieren.Ich danke Ihnen.
Kollege Zdebel, das war Ihre erste Rede im Deut-
schen Bundestag. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg für
Ihre weitere Arbeit und sicherlich auch viele weitere Re-
den.
Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Miersch für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich bin dem Kollegen Ramsauer sehr dankbar für seineÄußerungen, weil sie dokumentieren, dass der Atomaus-stieg nichts Selbstverständliches ist. Wir werden sicher-lich immer wieder dafür streiten müssen. Manchmalist man ein bisschen belächelt worden, wenn man ineiner Podiumsdiskussion im Vorfeld der Bundestags-wahl gesagt hat: Das ist ein einfaches Gesetz, und eskann wieder aufgehoben werden. – Ich glaube, dass HerrRamsauer etwas ausgesprochen hat, was sicherlich nichtnur er allein denkt. Es ist ja ein mühseliger Prozess ge-wesen.Die SPD hat dafür mehrere Jahrzehnte gebraucht; dieCDU/CSU hatte diese Überzeugung vor zwei oder dreiJahren. Dass man dann hadert, ob das so richtig ist odernicht, ist verständlich. Deswegen werden wir, mögli-cherweise auch an anderer Stelle, immer wieder darüberdiskutieren müssen.Ute Vogt und ich haben überlegt, ob wir in unsererArbeitsgruppe darauf drängen sollten, dass in den Koali-tionsvertrag der Satz aufgenommen wird: Es bleibt beimbeschlossenen Atomausstieg. – Wir dachten, das ist eineSelbstverständlichkeit. Ich finde, es war richtig, das sodeutlich zu formulieren; denn das dokumentiert: In dennächsten dreieinhalb Jahren, in dieser Konstellation, beidieser Bundesregierung bleibt es bei dieser glasklarenAussage, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Der Kollege Ramsauer hat in seinem Spiegel-Inter-view gesagt – jeder kann sich die Zitate ansehen –:Welche Folgen die Energiewende für die Stromkos-ten hat, hätte man sich vorher überlegen müssen.Ich finde, damit spricht er etwas an, was auch für unsPolitiker ein entscheidendes Signal sein sollte, nämlichdie Frage der Verlässlichkeit und der Investitionssicher-heit. Dieses Thema hat nämlich nicht nur für die Wirt-schaft, die Sie vielleicht im Blick haben, Auswirkungen,sondern auch für die vielen Menschen, die seit Jahren,seit Jahrzehnten im Bereich der Erneuerbaren aktiv sind.Deswegen ist es, gerade auf einem Gebiet wie der Ener-giepolitik, tödlich, nach dem Motto „Rein in die Kartof-feln, raus aus den Kartoffeln“ zu verfahren.
Das, was wir in den letzten Jahren erlebt haben, darf esin Deutschland nie wieder geben. Man muss sich daraufverlassen können, dass es bei dieser Energiewendebleibt.
Hinzu kommt – in diesem Punkt sind wir überhauptnicht einer Meinung, Herr Kollege; die Vorredner habendas schon ein bisschen problematisiert –, dass Sie sagen,Atomstrom sei gleich billige Energie.
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Dr. Matthias Miersch
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Es werden im Augenblick mehrere Millionen Euro fürKampagnen zur Verfügung gestellt, es gibt großflächigePlakate, und es gibt große Anzeigen. Aber wir alle wis-sen, dass Atomstrom nie billig gewesen ist.
Es ist vielmehr eine Frage der politischen Steuerung– das gilt auch für die Energiewende –, die Energiekos-ten für Verbraucherinnen und Verbraucher, aber auch fürdie Wirtschaft so zu gestalten, dass sie akzeptabel sind;das ist unsere Aufgabe. Das hat man jahrzehntelang ge-macht. Warum sollte das im Zeitalter der Erneuerbarennicht gehen? Es geht, wenn man will. Davon bin ichüberzeugt, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich bin mir sicher, dass wir mit Barbara Hendrickseine Ministerin haben, die versucht, das voranzubringen,was für mich seit vielen Jahren die Grundlage dafür ist,einen Weg weg von der Atomkraft zu fordern. Ich finde– das muss immer, auch in einem solchen Interview,Herr Kollege Raumsauer, gesagt werden –, es handeltsich um eine hochunethische Technologie, wenn wir Ge-nerationen, die von diesen Energiepotenzialen null Nut-zen hatten, für Millionen Jahre Müll überlassen, vondem wir heute nicht sagen können, was damit zu machenist. Allein dieses Argument reicht für mich aus, um allesdaranzusetzen, aus dieser Technologie so schnell wiemöglich auszusteigen.
Sie haben natürlich das Recht, auch in diesem Hausimmer wieder Kritik zu üben und Fragen zu stellen; wiralle haben dieses Recht. Aber ich wünsche mir, dass wiralle zusammen an dem Kurs der Energiewende festhal-ten, sodass es in Deutschland nie wieder zu einem Rück-fall in das atomare Zeitalter kommt. Daran sollten wiralle arbeiten.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-
lege Oliver Krischer das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Nüßlein, wie nötig diese Debatte war, hat vor allenDingen Ihr Wortbeitrag gezeigt.
Damit haben Sie deutlich gemacht, dass Sie noch längstnicht da angekommen sind, wo viele andere schon langewaren und manche hingekommen sind; dass diese Fragefür Sie noch lange nicht geklärt ist.
Vor drei Jahren dachte ich, wir haben in diesem Parla-ment einen Konsens,
was die Atomkraft angeht. Bei dem, was der KollegeMiersch hier gerade gesagt hat, dachte ich: Dem kannsich eigentlich niemand verweigern. – Ihr minimaler bisnicht vorhandener Beifall zu diesen Äußerungen zeigtaber ganz deutlich, wie notwendig diese Debatte ist.
Ich habe eben im Wirtschaftsausschuss gehört, dassdie Äußerungen, die der Parlamentsnovize Ramsauer dagemacht hat, nicht so gemeint gewesen seien. HerrDr. Ramsauer, wer bei Ihrer Biografie – Bundesministerund, ich weiß nicht, die sechste Legislaturperiode imBundestag –
solche Sätze in einem Spiegel-Interview sagt, sagt dieganz bewusst, um eine Debatte anzustoßen, um eine De-batte loszutreten. Sie selber haben eben angedeutet, wiedie Debatte bei Ihnen intern läuft: dass das tatsächlicheine Frage ist, die im Raume steht.
Deshalb ist es notwendig, dass wir hier darüber diskutie-ren und das auch klar benennen.
Was ich besonders zynisch finde: Sie erwecken denEindruck – bei Menschen, die diese Botschaft aufneh-men –, dass Atomkraft billig sei, dass Atomkraft dazuführe, dass die Strompreise sinken. Sie alle hier in die-sem Hause wissen ganz genau, dass exakt das Gegenteilder Fall ist: Die Kosten der Atomkraft sind die höchstenim Vergleich zu allen anderen Formen der Energieerzeu-gung. Das muss hier noch einmal klar und deutlich ge-sagt sein, damit solche Äußerungen wie die Ihre nichtstehen bleiben.
Die Kosten, die spätere Generationen, unsere Kinderund Enkel, tragen müssen für das, was wir da hinterlas-sen, sind – der Kollege Miersch hat das beschrieben –noch nicht einmal eingerechnet. In meinem Wahlkreissteht ein Forschungsreaktor, der AVR Jülich, mit einerLeistung von 15 Megawatt; das entspricht irgendwiefünf Windkraftanlagen. Sein Rückbau hat bis heute700 Millionen Euro gekostet, und niemand zweifeltmehr daran, dass er am Ende 1 Milliarde Euro kostenwird. Die Endlagerung ist dabei noch nicht eingerechnet.Wie kann man da heute den Eindruck erwecken, Atom-
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Oliver Krischer
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kraft erzeuge billig Energie? Das ist absurd. Diese Bei-spiele kann man weiterdeklinieren: Die Asse wäre einweiteres Beispiel; auch dort werden Kosten in Milliar-denhöhe auf uns zukommen. Es gibt viele andere Bei-spiele mehr. Wie kann man da behaupten, Atomkraft seibillig?Der Unterschied ist – da liegt möglicherweise dasProblem –: Die Kosten der erneuerbaren Energien stehenauf der Stromrechnung. Das, was Sie und vorherige Poli-tikergenerationen mit der Atomkraft zu verantworten ha-ben, steht nicht auf der Stromrechnung. Das wird andersfinanziert. Das bezahlen wir alle über unsere Steuern.Das ist nicht transparent. Diese Kosten sind deutlich hö-her als die gesamten Kosten der Energiewende.
Ich sage Ihnen eines: Die Debatte, die wir führen, istein bisschen auch eine bayerische Debatte; HerrDr. Ramsauer kommt aus Bayern. Bei dem, was wir inden letzten Wochen aus Bayern gehört haben, kann ichnur sagen: Das ist energiepolitischer Irrsinn. – Wenn be-hauptet wird, die Förderung der erneuerbaren Energienführe zu einer Deindustrialisierung Deutschlands, mussich sagen: Das ist ein völlig blödsinniger und fahrlässi-ger Satz, der nur dazu dient, die Energiewende schlecht-zureden. – Wenn das gesagt wird, antworte ich Ihnen:Die personifizierte Gefahr einer DeindustrialisierungDeutschlands, das ist Herr Seehofer, das ist die Politik,die in Bayern gemacht wird.
– Schauen Sie sich doch einmal an, was die Kommunal-wahl an dieser Stelle gezeigt hat! – Was Sie machen, istdas Gegenteil von Verlässlichkeit, da gilt mittags schonnicht mehr, was vormittags energiepolitischer Grundsatzwar. Wer keine erneuerbaren Energien im eigenen Landwill, wer Stromtrassen ablehnt, der landet am Ende beieiner Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken – dawerden Ihre Worte, Herr Dr. Ramsauer, dann zur Self-fulfilling Prophecy; genau das ist die Politik, die im Frei-staat von der CSU betrieben wird, dem reden Sie letzt-endlich das Wort.
Meine Damen und Herren, ein letzter Punkt gerade inBezug auf die aktuelle außenpolitische Debatte. Auchwenn es um Unabhängigkeit und Energiesicherheit geht,kann die Antwort eigentlich nur eine sein: Wir müssenauf erneuerbare Energien und auf Energieeffizienz stattauf Risikotechnologien setzen, die uns von den Despo-ten dieser Welt abhängig machen. Wir wollen erneuer-bare Energien und Effizienz. Das ist die Antwort fürEnergiesicherheit und für die Zukunft. Hier und nicht imRückgriff auf angeblich billige Atomkraft liegt die Ver-antwortung für den Industriestandort Deutschland.Ich danke Ihnen.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat der Kollege Steffen
Kanitz das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Kollege Krischer, wenn Sie die Debatte nichtwollen, von der Sie glauben, dass Herr Ramsauer sie an-gestoßen hat, dann frage ich Sie: Warum führen Sie siedann hier? Ich behaupte einmal, das tun Sie, weil das dasEinzige ist, wozu Sie debattieren können, weil das daseinzige Thema ist, bei dem alte Reflexe bedient werdenund Sie glauben, damit in der Bevölkerung Widerhall zufinden.
„Haltung der Bundesregierung zur Verlängerung vonLaufzeiten für Atomkraftwerke in Deutschland“, das istder Titel der Aktuellen Stunde, den Sie angemeldet ha-ben. Gibt es irgendeine Äußerung eines Vertreters derBundesregierung, mit der er sich gegen den Ausstieg ausder Kernkraft ausspricht? Mir ist keine einzige bekannt.Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen von den Grünen,beziehen sich einzig und allein auf die Äußerung einesParlamentariers, den Sie dann auch noch verzerrt wie-dergeben.Damit – das hat Kollege Nüßlein gerade sehr schöndeutlich gemacht – offenbaren Sie ein aus meiner Sichtvöllig falsches Verständnis von der Zusammenarbeitzwischen Parlament und Regierung. Das Parlament kon-trolliert die Regierung – und nicht andersherum. Bei al-len Gesprächen, die wir zu Oppositionsrechten führen,dürfen Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von denGrünen, doch so selbstbewusst sein, diese Kontrollrechteauch ernsthaft gegenüber der Regierung wahrzunehmen.Unsere Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energiensind weltweit ehrgeizig und einmalig, und wir halten un-sere Ziele auch ein. Ein Viertel der deutschen Strom-erzeugung erwirtschaften wir schon heute aus erneuer-baren Quellen. Die Energiewende kann aber nur zumgesamtgesellschaftlichen Erfolg werden, wenn wir end-lich die steigenden Energiekosten in den Griff bekom-men. Nur so erhalten wir die notwendige Akzeptanz fürdie Energiewende.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1719
Steffen Kanitz
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Das gilt im Übrigen für die Bürgerinnen und Bürgerunseres Landes genauso wie für die Unternehmerinnenund Unternehmer, womit wir bei dem Grund für die heu-tige Aktuelle Stunde sind. Was hat Peter Ramsauer denngesagt? Die Energiekosten sind ein Standortfaktor. Zuhohe Energiekosten gefährden den WirtschaftsstandortDeutschland.
Auf diesen Zusammenhang hat er hingewiesen. Damitliegt er völlig richtig.
Hohe Strompreise sind aber auch eine soziale Frage. Ichkenne genug junge Familien aus Dortmund, denen diesteigenden Stromrechnungen zum Verhängnis werden
und die sagen: Wir haben damit zukünftig ein Problem. –Wir als Politik müssen es hinbekommen, dass beispiels-weise der Facharbeiter in den Zementunternehmen unse-rer Wahlkreise in die Lage versetzt wird, seine Strom-rechnungen zu bezahlen.Dieser Anspruch hat im Übrigen nichts mit der völligabsurden und falschen Unterstellung zu tun, in Deutsch-land wieder auf Kernenergie setzen zu wollen. Ganz imGegenteil: Weil wir uns in Deutschland im Konsens fürdas Ende des Atomzeitalters entschieden haben, müssenwir jetzt auch verantwortungsvoll dafür sorgen, dass dieEnergiewende bezahlbar bleibt.Natürlich muss das Erneuerbare-Energien-Gesetz ef-fizienter und marktwirtschaftlicher werden; denn dieEnergiewende ist eine Mammutaufgabe. Erste Erfolgesind sichtbar: Die EEG-Reform wird den Kostenanstiegder EEG-Umlage spürbar verlangsamen, bestehendeÜberförderungen bei der Einspeisevergütung werden ab-gebaut, und die Höhe der Förderung wird marktgerech-ter gestaltet.Auch wenn ich mir ein früheres Eintrittsdatum für dasAusschreibungsmodell wünschen würde, setzt die Bun-desregierung mit ihrem Kurs der Energiepolitik die rich-tigen Prioritäten.
Das gilt auch für die Ausgleichsregelung für strominten-sive Unternehmen. Dort müssen wir darauf achten,unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht zu gefährden. Auchhier habe ich Vertrauen in unseren Energieminister, derdie nationalen Interessen unseres IndustriestandortesDeutschland verantwortungsvoll vertritt.Wo würden wir denn heute mit einem grünen Um-weltminister stehen?
Sie hätten die Ausnahmen doch längst kampflos aufge-geben. Auch wenn Sie es nicht wahrhaben wollen: Auchdie EU-Kommission sieht mittlerweile ein, dass es sichbei einem Großteil der Ausnahmeregelungen nicht umeine ungerechtfertigte Subvention handelt, sondern dasswir hier in Deutschland für Wettbewerbsgleichheit imeuropäischen Kontext sorgen.
Spinnen wir diesen irrwitzigen Gedanken – zugege-benermaßen: das fällt mir schwer – einer Verantwortungder Grünen für die Energiewende doch einmal weiter.Sie wollen 100 Prozent erneuerbare Energien, Sie wol-len den Ausstieg aus Kohle, Sie wollen den Ausstieg ausÖl, und Sie wollen weiterhin eine hohe Förderung desStaates einzelner Erzeugungstechnologien, ohne diese zuhinterfragen. Meine Damen und Herren von den Grünen,Ihre Vorstellungen der Energiewende führen zu explo-dierenden Kosten.
Das ist übrigens der Grund, warum die Menschen uns– uns! – diese Aufgabe anvertrauen, nicht Ihnen.
Ihre Widersprüchlichkeit zeigt sich auch an der Um-setzung der Energiewende vor Ort. Einerseits unterstüt-zen Sie das Ende der Kernenergie. Aber neue hocheffi-ziente Kraftwerke wie die in Datteln verteufeln Sie undarbeiten aktiv gegen die Fertigstellung.
Um den ehemaligen Umweltminister Jürgen Trittin, deranwesend ist, zu zitieren: Wer mit uns koalieren will,muss sich darauf einstellen, dass diese Investition– nämlich Datteln IV – nicht zu Ende geführt wird. –Meine Damen und Herren von den Grünen, hören Sieendlich damit auf, die Energiewende in Sonntagsredenzu propagieren und vor Ort zu sabotieren.
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Steffen Kanitz
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Dafür, dass sich die grüne Opposition über die erfolg-reiche Politik der Bundesregierung ärgert, habe ich Ver-ständnis, aber kein Mitleid. Wir forcieren den Ausstiegund machen weiter mit der Energiewende. Der größteGarant für eine umweltfreundliche Energieversorgung,die sicher und bezahlbar ist, bleibt eine Regierungsver-antwortung von CDU und CSU.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Eva Bulling-Schröter für
die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich habe am Sonntagabend das Interview gelesen undgedacht: Ich bin einfach baff! – Dann habe ich gedacht:Irgendwo habe ich das schon gelesen. Ich habe dannüberlegt und verstanden, wo ich das gelesen habe: beider Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft.
Vorher wurde hier über soziale Strompreise gespro-chen. Ich möchte das mit dem, was im Interview steht, ineinen Zusammenhang bringen. Agenda 2010: Super!Wenn die Regierung etwas anderes macht, ist das einVerrat an Schröders Erbe. Keinen Schluck mehr aus derPulle der Sozialleistungen. Der Mindestlohn ist eherschlecht. Vor ihm wird gewarnt, weil das Auswirkungenauf das ganze Gefüge hat und weil das Ganze nicht derBeschäftigung dient. Rente mit 63 Jahren und Mütter-rente sind eigentlich auch schädlich für den Wettbewerbund für den Standort Deutschland.
Dann geht es um Strompreise: Wettbewerbsfähigkeitüber alles. Dann kommt der Satz: Wir müssen entschei-den, ob wir uns die Energiewende so leisten können undwollen.
Wir müssen entscheiden. – Wen er damit meint, sagt ernicht: sich, die CSU, die Unternehmen, die Konzerneoder Otto Normalverbraucher. „Wer die Preise wiedersenken will, der muss zurück zur Atomkraft.“ So steht eswortwörtlich im Spiegel.Hier wurde von alten Reflexen gesprochen. Esstimmt: Das sind die alten Reflexe der CSU, die da wie-der zum Vorschein kommen.
Komischerweise ist das Interview erst am Montag veröf-fentlicht worden, nicht an dem Wochenende davor; dennam Sonntag waren Kommunalwahlen in Bayern.Jetzt reden wir einmal über die Kosten der Atomkraftin Deutschland. Von 1950 bis 2010 wurde sie mit circa198 Milliarden Euro subventioniert. Das hat das ForumÖkologisch-Soziale Marktwirtschaft schon vor Jahrenerrechnet. Darin enthalten sind Steuervergünstigen, dieStilllegung von Meilern, Forschung inklusive Kernfusi-onsforschung und die Mitgliedschaft in internationalenOrganisationen wie Euratom. Würde man die Kostenkonventioneller Energie, also Kohle und Atomkraft,nach der Methode des Erneuerbare-Energien-Gesetzes inForm einer Umlage von den Stromverbrauchern bezah-len lassen, hätte diese Energieumlage im Jahre 2012 um-gerechnet 10,2 Cent pro Kilowattstunde betragen.Müssten die Betreiber von Atomkraftwerken eineHaftpflichtversicherung abschließen, wenn sie denn einebekämen, müssten sie für jedes Atomkraftwerk 72 Mil-liarden Euro jährlich bezahlen. Das haben Finanzmathe-matiker der Versicherungsbranche ausgerechnet. Der-zeit ist die Haftpflicht der Betreiber auf knapp250 Millionen Euro begrenzt. Ein weiterer Vorteil derAtombranche: Wenn etwas passiert, bezahlen es natür-lich die Verbraucher und die Steuerzahler; das ist klar.Auch Professor Hirschhausen vom Deutschen Institutfür Wirtschaftsforschung konstatiert:Atomkraft ist noch nie wettbewerbsfähig gewesenund wird es auch nie sein … Weder in Europa, nochan einem anderen Ort dieser Welt ist jemals einAtomkraftwerk unter marktwirtschaftlichen Bedin-gungen gebaut worden. … Übliche Kostenschät-zungen für Atomkraft beinhalten oft nicht denRückbau der Anlagen sowie die Endlagerung …,ganz zu schweigen von den enormen Kosten mögli-cher Großunfälle wie in Fukushima oder Tscherno-byl.– Darüber haben wir heute im Umweltausschuss Be-richte gehört. Sie waren erschütternd. –… Das finanzielle Risiko wird vom Staat, also unsallen getragen.Ende 2016 läuft die Brennelementesteuer aus. Dannwerden die Atomkraftwerke noch mehr zu Gelddruck-maschinen, und die Gewinne werden natürlich nicht um-verteilt, sondern die kassieren die großen Konzerne.Jetzt reden wir noch über die Störfälle in deutschenAKW. 2013 gab es in deutschen AKW 52 Störfälle. Dasist jede Woche einer. Ich zähle sie Ihnen auf. Brokdorf:6, Grafenrheinfeld: 3, Grohnde: 3, Gundremmingen B:3, Isar 2: 5, Emsland: 3, Neckar 2: 9, Philippsburg 2: 20.Das sind insgesamt 52 Störfälle. Erklären Sie bitte ein-mal den Menschen, dass ihr Strom vielleicht billigerwird, dass sie aber eventuell einen Störfall in Kauf neh-men müssen! Reden wir auch über Isar 2 in Ohu, daszurzeit heruntergefahren wird. Es gibt wieder einmalgroße Probleme, und die Menschen sind wieder verunsi-chert.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1721
Eva Bulling-Schröter
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Und dann wollen Sie in Gundremmingen in Bayerndie Kapazitäten hochfahren.
Es gibt genug Studien darüber, dass das Kernkraftwerkdas nicht aushält. Ich halte diese Politik für verantwor-tungslos, und ich bitte Sie und hoffe, dass Sie sich an dieKoalitionsvereinbarung und zumindest an das Gesetzzum Atomausstieg 2022 halten.Ich kann Ihnen nur sagen: Die Demonstrationen be-ginnen. Am Samstag gibt es die ersten.
– Das werden nicht die letzten sein. Das beginnt jetzterst, auch in Ihrem Gebiet. – Wir stehen dahinter. Wirunterstützen diese Initiativen, und wir sagen: Atomaus-stieg möglichst schnell! Wir müssen die Menschen vorsolchen Ideen bewahren.
Das Wort hat die Kollegin Hiltrud Lotze für die SPD-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich komme aus dem Wahlkreis Lüchow-Dan-nenberg – Lüneburg. In Lüchow-Dannenberg liegt Gor-leben, und in Gorleben befindet sich das oberirdische– ich betone ausdrücklich: das oberirdische – Transport-behälterlager für hochradioaktiven Atommüll. In denJahren 1995 bis 2011 sind dort 113 Castorbehälter abge-stellt worden. Sie stehen schön aufgereiht in einer eben-erdigen Halle aus Stahlbeton mit einem Dach aus Beton-platten. Im Volksmund wird sie Kartoffelscheunegenannt. Das gibt einen Hinweis darauf, dass das aufDauer nicht die richtige Behausung für die Castorbehäl-ter ist.In dieser Halle zu stehen, ist ein besonderes Erlebnis.Ich empfehle das allen. Man sieht diesen Behältern nichtan, welche tödliche Gefahr sich in ihnen verbirgt. Manriecht nichts. Man schmeckt nichts. Aber man spürt dieHitze, die von den Brennelementen ausgeht.Die Region Lüchow-Dannenberg trägt seit mehr alsdrei Jahrzehnten die größten Lasten aus der umstrittenenNutzung der Atomenergie in Deutschland. Die Men-schen dort haben das Hü und Hott über die Atompolitikgründlich satt. Sie sind auch zermürbt von dem jahrelan-gen Prozess, den sie dort erlebt haben, den Castortrans-porten und der strahlenden Gefahr, die sie vor der Haus-tür haben.Die Menschen dort sind aber mittlerweile Fachleutegeworden. Sie kennen die tödlichen Risiken, die von derunbeherrschbaren Technik der Atomkraft ausgehen. Siekennen die Bilder und die Schilderungen aus Tscherno-byl und Fukushima. Einige sind persönlich dort gewesenund haben sich einen Eindruck verschafft. In jedemSommer kommen krebskranke Kinder aus Tschernobylund der umliegenden Region nach Lüneburg und Lü-chow-Dannenberg, um sich in Deutschland für einigekurze Wochen zu erholen. Nicht nur in meinem Wahl-kreis, aber ganz besonders dort schütteln die Menschendeswegen in diesen Tagen verwundert den Kopf, sind er-schrocken oder – das gibt es auch – fühlen sich in ihremMisstrauen der Politik gegenüber bestätigt, wenn sie inder Zeitung lesen – übrigens nur wenige Tage nach demJahrestag von Fukushima –, dass in der Politik über eineRenaissance der Atomkraft nachgedacht wird.
Ich muss es so formulieren: Für mich, die ich da schonvorbelastet bin, ist es schon starker Tobak, wenn solcheÜberlegungen aus den Reihen unseres Koalitionspart-ners kommen.
Im Koalitionsvertrag, für den ich im Übrigen vehementgeworben habe, steht wortwörtlich:Wir wollen die Entwicklung zu einer Energiever-sorgung ohne Atomenergie und mit stetig wachsen-dem Anteil erneuerbarer Energien konsequent undplanvoll fortführen.Ich denke, das gilt ohne Wenn und Aber, auch für Bay-ern und die CSU.
Wir haben im Übrigen – das wurde schon erwähnt –auch die Endlagerfrage noch nicht gelöst. Daher verbie-tet es sich, darüber nachzudenken, die Atomkraft weiterzu nutzen und so weiteren Atommüll anzuhäufen, ganzabgesehen – darauf habe ich eben schon versucht hinzu-weisen – von den Gefahren, die von dieser Technik aus-gehen, und den verheerenden Auswirkungen auf Menschund Natur im Fall eines Unfalls.Die Überlegungen, Herr Ramsauer, die Sie angestellthaben, befeuern vielleicht die Debatte – das merken wirhier auch –, aber sie sind das falsche Signal. Ich emp-finde es so, dass sie Misstrauen säen, und das ausgerech-net in einer Phase, in der die Endlagersuchkommissionihre Arbeit beginnen soll und wir besonderes Vertrauenschaffen müssen, Vertrauen in die Verlässlichkeit vonpolitischen Beschlüssen, Vertrauen in die handelndenPersonen. Stattdessen wird hier ohne Not Vertrauen ver-spielt.
Schade auch, Herr Ramsauer, dass Sie heute nicht dieGelegenheit nutzen konnten, an der Sitzung des Um-
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1722 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014
Hiltrud Lotze
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weltausschusses teilzunehmen. Wir hatten eine öffentli-che Anhörung.
– Es tut mir leid, aber ich vermute, Ihr Büro wusste, dassdiese Sitzung stattfindet.
Aber ich glaube, dass die Sitzung aufgezeichnet wurde.Sie können es sich also noch nachträglich anschauen.Es wäre sicherlich sehr informativ gewesen, dortzuzuhören. Wir haben uns über Tschernobyl und Fuku-shima informiert. Wir haben vom ehemaligen japani-schen Ministerpräsidenten gehört, dass die hochentwi-ckelte und technisierte Nation Japan die Probleme inFukushima selbst drei Jahre nach dem Unfall nicht inden Griff bekommt. Herr Professor Kusnezow aus Russ-land hat uns die Probleme und die Situation in Tscherno-byl und Russland geschildert und gesagt, er verneigesich vor uns – das fand ich sehr beeindruckend –, weilwir den Atomausstieg besiegelt haben, und Deutschlandsei in diesem Prozess eine Lokomotive.
Ich bin froh, dass wir, die SPD, ein Teil dieser Regie-rung und damit ein Garant dafür sind, dass wir nicht wie-der den Ausstieg aus dem Ausstieg proben. Ich bin froh,dass wir mit Sigmar Gabriel einen Minister haben, derdie Energiewende mit Hochdruck vorantreibt. Ich binmir ganz sicher, dass unsere Kanzlerin aus ehrlicher undtiefer Überzeugung hinter der Energiewende und demAtomausstieg steht
und nicht erneut versucht, eine Volte zu schlagen. Ich binmir auch ganz sicher, dass Sie, liebe Kolleginnen undKollegen von der CSU, Ihre Glaubwürdigkeit in dieserFrage nicht verlieren wollen und natürlich genauso wiewir zum Atomausstieg stehen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, es ist schon mehr-fach in der heutigen Debatte gesagt worden: Der Aus-stieg ist beschlossen. Für mich als Sozialdemokratin undals Abgeordnete aus dem Wahlkreis, in dem Gorlebenliegt, ist unumstößlich, dass wir nie wieder zur Atom-kraft zurückkehren und dass diese Koalition für den end-gültigen Ausstieg steht. Ich möchte appellieren, dass wirunsere Energie ab heute noch viel stärker darauf verwen-den, für das Gelingen der Energiewende zu arbeiten,weil das ein Beitrag dazu ist, eine bezahlbare, sichereund ökologisch vernünftige Energieversorgung in derZukunft zu haben.Vielen Dank.
Kollegin Lotze, das war Ihre erste Rede im Deutschen
Bundestag. Wir wünschen Ihnen natürlich viel Erfolg für
Ihre Arbeit.
Wenn ich noch einen persönlichen Wunsch, auch im
Namen meiner Präsidiumskollegen, anschließen darf:
Achten Sie bitte beim nächsten Mal durchaus auch auf
die Zeichen für die Redezeit.
– Genau; es ist mir schon klar, dass das beim ersten Mal
so ist, aber ich bitte, in Zukunft darauf zu achten.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Christian Haase das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Frau Präsidentin, ich werde eswahrscheinlich nicht schaffen, die Zeit jetzt wieder he-reinzuholen, aber ich will mich bemühen.Die Energiewende in Deutschland kann nur Erfolghaben, wenn das Zieldreieck von Versorgungssicherheit,Nachhaltigkeit und Bezahlbarkeit eingehalten wird. Wasbezahlbar ist, dafür haben die knapp 41 Millionen Pri-vathaushalte in Deutschland ein sehr sicheres Gespür,und darauf sollte die Politik hören.Wenn Sie, liebe Oppositionskollegen von den Grünen– ich sehe, Sie sind noch zu neunt; so wichtig scheint dieDebatte für Sie heute nicht zu sein –,
einmal ein Ohr für die Bürgerinnen und Bürger in unse-rem Land hätten, dann wüssten Sie, dass es bei der Ener-giewende vor allem auf die Akzeptanz in der Bevölke-rung ankommt. Genau hierauf hat der Kollege Ramsauerhingewiesen. Er hat auf die Risiken hingewiesen, die dasZieldreieck gefährden könnten. Die Gefahren sind real,und es wäre töricht, sie aus ideologischen Gründen nichtzu bedenken.
Wir haben im Augenblick in der Bevölkerung eineZustimmung von 89 Prozent zur Energiewende. Dochdiese Stimmung kann auch kippen, wenn der Strom zumLuxusgut wird, wenn Unternehmen Arbeitsplätze insAusland verlagern oder wenn Stromausfälle das privateund öffentliche Leben beeinträchtigen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1723
Christian Haase
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Nach einer Umfrage des BDEW haben 70 Prozent derBevölkerung Angst vor steigenden Strompreisen.Ich war vor meinem Wechsel in den Bundestag Bür-germeister in Beverungen, einer ostwestfälischen Klein-stadt im Kreis Höxter. Von meinem Wohnhaus blicke ichauf das sich im Rückbau befindende Kernkraftwerk inWürgassen. Ich habe daher schon aus privaten und be-ruflichen Gründen eine sehr intensive Beziehung zumThema Energie. Sehr geehrte Frau Bulling-Schröter, ichkenne den Unterschied zwischen Störfällen und melde-pflichtigen Ereignissen. Vielleicht sollten Sie noch ein-mal recherchieren. Das waren meldepflichtige Ereig-nisse, die Sie eben angeführt hatten.
Nach dem Abschalten des Kernkraftwerkes 1996 ha-ben wir sukzessive den Ausbau regenerativer Energienbei uns vorangetrieben, dezentral, mit den Bürgerinnenund Bürgern, mit aktiven Stadtwerken und auch immermit dem Blick auf die regionale Wertschöpfung. Mittler-weile werden 60 Prozent des verbrauchten Stroms beiuns im Kreis Höxter regenerativ erzeugt: 200 Windkraft-anlagen, 5 000 Photovoltaikanlagen, 40 Biogasanlagen,40 Wasserkraftanlagen. Zurzeit wird ein Wasserspei-cherkraftwerk in meiner Heimatstadt geplant. Und dasalles mit breiter Zustimmung der Bevölkerung.
Warum? Weil wir die Bürgerinnen und Bürger mit-nehmen und nach den Prinzipien von Maß und Mitteagieren. Doch ich spüre: Auch bei uns ist die gute Stim-mung keine Dauergarantie. Die rot-grüne Landesregie-rung will uns mit dem Landesentwicklungsplan eineVerdoppelung der Windkraft verordnen.Es gibt keinen Schutz vor der bedrängenden Wirkungvon Windkraftanlagen, weil die Landesregierung schonangekündigt hat, die Länderöffnungsklausel nicht zunutzen. Im Nachbarkreis sorgen von einer Goldgräber-stimmung getriebene Windkraftinvestoren für Wild-wuchs, weil Gerichte kommunale Planungen reihenweisekippen. Jetzt stellt die Firma TenneT ihre Planungen fürdie Nord-Süd-Gleichstromtrasse SuedLink vor undmacht alle Anfängerfehler hinsichtlich einer guten Kom-munikation. Die Bürger gehen auf die Barrikaden undstemmen sich mit aller Macht gegen den Bau dieserTrasse.Ich möchte Ihnen mit dieser Schilderung verdeutli-chen: Es gibt keine Garantie, dass wir alle für die Versor-gungssicherheit notwendigen Leitungen rechtzeitig er-richten können. Die Planer des Stuttgarter Bahnhofslassen grüßen. Es gibt keine Garantie, dass der Ausbauregenerativer Energien so positiv vorangeht. Es gibtkeine Garantie, dass wir das Speicherproblem rechtzeitiglösen, und es gibt keine Garantie, dass wir Markt undKosten in einer Balance halten. Deshalb ist eine Energie-politik mit Maß und Mitte, wie wir sie im Koalitionsver-trag verankert haben und jetzt auch umsetzen, gefragt.Ideologische Debatten oder das Spiel mit Ängsten, wiemit der Beantragung dieser Aktuellen Stunde, sind dakontraproduktiv.
Meine Damen und Herren, machen Sie mit, anstatt mitNebelkerzen zu werfen!Abschließend, an den Kollegen Zdebel gerichtet: Kar-freitag muss das Motto nicht Demo, sondern Demut sein.Danke schön.
Kollege Haase, auch für Sie war das heute die erste
Rede im Deutschen Bundestag.
Ich möchte Ihnen ausdrücklich dazu gratulieren, dass Sie
die Redezeit nicht nur eingehalten, sondern sogar unter-
schritten haben.
Das Wort hat der Kollege Klaus Mindrup für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Es ist schon mehrfach erwähnt worden: HeuteVormittag hat im Umweltausschuss die Anhörung zu denFolgen der Atomkatastrophe in Tschernobyl und in Fu-kushima stattgefunden. Was da gesagt wurde, hat michpersönlich wirklich sehr tief erschüttert. Frau Lotze hateben schon auf das, was dort gesagt worden ist, hinge-wiesen. Ich kann jedem hier wirklich nur empfehlen:Schauen Sie sich die Aufzeichnungen an, oder lesen Siedas Protokoll! Das, was dort steht, ist etwas, worüber wirnachdenken müssen. Vor allen Dingen müssen wir unsmit den weiteren Gefahren beschäftigen, die uns dort vorAugen geführt worden sind. Ich denke vor allen Dingenan die Gefahren von Atomkraftwerken, die bereits einsehr kritisches Lebensalter erreicht haben.Meine Damen und Herren, auch wir in Deutschlandsollten nicht so arrogant sein, zu meinen, dass wir dieseTechnik beherrschen können. Insofern begrüße ich es,dass wir hier den Atomausstieg mit einem breiten Kon-sens beschlossen haben. Das Positive der Anhörungheute war: Uns wurde sowohl von japanischer als auchvon russischer Seite gesagt, dass wir, Deutschland, dasweltweite Vorbild für den Wandel hin zu erneuerbarenEnergien und Energieeffizienz sind.
Das müssen wir vorantreiben.Natürlich müssen wir auch über Kosten reden. Das istschon angesprochen worden; Kollege Miersch hat es ge-
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1724 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014
Klaus Mindrup
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sagt. Wenn man einen Vergleich zu atomaren und fossi-len Großkraftwerken zieht, muss man sich natürlich ehr-lich machen. Sich ehrlich machen bedeutet: Die externenKosten sind bei den bisher existierenden Kraftwerkennicht berücksichtigt worden; das Thema Versicherung istin diesem Zusammenhang schon angesprochen worden.Die zukünftigen Kosten werden nicht berücksichtigt.Die Subventionen in der Vergangenheit werden nicht be-rücksichtigt. Selten wird berücksichtigt, dass wir eineKonkurrenz zwischen abgeschriebenen bzw. abbezahltenKraftwerken und neuen Kraftwerken, die sich noch refi-nanzieren müssen – das betrifft übrigens auch effizienteGaskraftwerke –, haben. Man darf natürlich nicht nur aufden Strombereich schauen, sondern muss sich auch denWärmemarkt und den Transportsektor ansehen. Diesbe-züglich wird viel zu wenig über die Kosten geredet. Siesind nämlich stärker als im Strombereich gestiegen.Ich komme zurück zum Stromsektor. Wir alle ge-meinsam wissen – so besagt es auch der Koalitionsver-trag –, dass der Ausbau der Windkraft im Binnenlandund der Netzausbau zusammen die Energiewende erstbezahlbar machen. Insofern wundert es mich, dass ge-rade aus Bayern, aus der CSU, die beiden wesentlichenAspekte, nämlich Windkraft im Binnenland und Netz-ausbau, infrage gestellt werden.
Das ist unter den Gesichtspunkten von Kostengünstig-keit und Wirtschaftlichkeit nicht nachvollziehbar.
Der Kollege Haase hat es bereits betont: Es geht auchum Wertschöpfung – das ist mir persönlich sehr wich-tig –; es geht auch um die industrielle Substanz unseresLandes. Außerdem geht es darum, dass wir ein intelli-gentes System haben wollen. Die neue Energiewelt wirdeine dezentrale Energiewelt sein. Ich weiß das persön-lich: Unsere Genossenschaft hat hier in Berlin ein Block-heizkraftwerk im Keller und eine Photovoltaikanlage aufdem Dach. Übrigens stammt unser Blockheizkraftwerkaus Bayern – die Hersteller sind durch die Diskussiongerade etwas verunsichert –; vielleicht kann man auchsagen: Es kommt aus Franken. Dann wissen Sie, woheres kommt.Ein Aspekt spielt für mich in der Debatte eine noch zugeringe Rolle, nämlich dass wir das Internet und dieEnergiewende stärker miteinander kombinieren müs-sen – weg sozusagen von den unintelligenten Großkraft-werken. Die moderne Mess-, Steuer- und Regelungs-technik macht es uns nämlich möglich, die Strom- undWärmeerzeugung stärker miteinander zu kombinieren.Wenn wir heute hören: „Speicher sind sehr teuer“, mussich sagen: Das gilt nicht für Wärmespeicher, das giltnicht für die großen Fernwärmenetze, und das gilt auchnicht für die dezentrale Kraft-Wärme-Kopplung. ZumBeispiel die Anlage bei uns im Keller könnte man übereine intelligente Steuerung durchaus auch stromgeführtfahren. Man muss nur Anreize schaffen, anstatt imGrunde genommen die Wende hin zu dezentralen Syste-men zu verdammen.Wichtig sind noch die volkswirtschaftlichen Aspekte.Wir alle altern. Wenn ich in 20 Jahren – hoffentlich – imwohlverdienten Ruhestand bin, dann ist ein Großteil derInvestitionen in die Energiewende abbezahlt; wir habendann abgeschriebene Kraftwerke, und dann wird diesesLand sehr gut von der Wende zu den erneuerbaren Ener-gien leben können. Deswegen ist der Weg, den wir ge-meinsam eingeschlagen haben, richtig und zukunftswei-send.
Ich komme nun zurück zu dem Thema Atomenergie.Wir haben Sinne, die uns bei der Atomenergie, aber auchbeim Klimawandel im Stich lassen. Wir können hören,sehen, schmecken, riechen und tasten. Diese Sinne ver-sagen bei der Radioaktivität, und sie versagen beim Kli-mawandel. Deswegen sind wir da auch nicht so sehralarmiert. Wenn wir einen Sinn für radioaktive Strahlenund für den Klimawandel hätten, dann sähe die Gesell-schaft anders aus. Aber wir haben ja einen Kopf zumDenken bekommen.Wir sollten uns darüber klar sein, dass ein Windradauf dem Berg vielleicht die Landschaft verändert, abergleichzeitig unsere Wirtschaft und unsere natürlichenLebensgrundlagen sichert. Natürlich muss man Windrä-der vernünftig planen, gemeinsam mit den Bürgerinnenund Bürgern. Das Windrad auf dem Berg aber ist Zu-kunft; es ist nicht Vergangenheit.
Wir brauchen also die Atomkraft nicht. Daher möchteich ganz besonders mit Blick auf die Anhänger derAtomindustrie – glücklicherweise werden es immer we-niger – mit einem alten Indianersprichwort schließen:Spätestens wenn du merkst, dass das Pferd tot ist, das dureitest, solltest du absteigen.Danke schön.
Kollege Mindrup, auch Sie haben heute Ihre erste
Rede im Deutschen Bundestag gehalten. Ich wünsche
Ihnen als Berliner Kollegen alles Gute für Ihre weitere
Arbeit.
Für die CDU/CSU-Fraktion hat nun der Kollege
Andreas Jung das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Kollegin Lotze, ich gratuliere Ihnen zu Ihrer erstenRede im Deutschen Bundestag. Auf eines will ich aber
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1725
Andreas Jung
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doch eingehen. Weil Sie Ihr Bedauern darüber zum Aus-druck gebracht haben, dass der Kollege Dr. Ramsauerheute früh nicht an der Anhörung im Umweltausschussteilgenommen hat, will ich einfach darauf hinweisen,dass er, wie wir alle wissen, Vorsitzender des Wirt-schaftsausschusses ist; das ist ja auch der Aufhänger fürdiese Debatte. Wir wissen ferner, dass der Wirtschafts-ausschuss heute früh getagt hat. Wir alle ahnen, dassman einer Leitungsaufgabe dort nur nachkommen kann,wenn man tatsächlich da ist.
Ich kann Ihnen versichern: Trotz seines langjährigenWirkens in der Christlich-Sozialen Union ist dem Kolle-gen Ramsauer die Gnade der Bilokalität noch nicht er-wiesen worden.
Deshalb konnte er nicht an zwei Orten gleichzeitig sein.Ich denke, wir können ihn als entschuldigt betrachten.
Damit zur Sache. Es bestehen offenkundig Meinungs-unterschiede darüber, ob die heutige Debatte notwendigist oder nicht. Die Frage, die gestellt wird, ist jedenfallsschnell beantwortet. Sie richtet sich auf die Haltung derBundesregierung zur Verlängerung von Laufzeiten fürAtomkraftwerke. Die Antwort ist leicht zu finden. ImKoalitionsvertrag
auf Seite 43 links oben – dass es oben steht, ist gut; dasses links steht, ist Zufall; auch dieser Passus wird von al-len Teilen der Koalition mitgetragen –
steht in nicht zu übertreffender Eindeutigkeit: Es bleibtbeim Ausstieg aus der Kernenergie. – Es steht dort fer-ner: Das letzte Kernkraftwerk geht in Deutschland imJahr 2022 vom Netz. – Und: Wir werden in Europa fürdiese Energiewende werben.Meine sehr geehrten Damen und Herren, das ist be-schlossen, das ist gut und richtig so, und das bleibt so.
Ich will hinzufügen, dass es eine Entscheidung ist, dieja nach reiflicher Diskussion, nach langjähriger Debatteund am Ende auch nach einer sorgfältigen Abwägung,was die Umstände und den Zeitpunkt angeht, getroffenwurde. Auf Ratschlag der Ethik-Kommission SichereEnergieversorgung hat der Bundestag das mit der großenMehrheit von vier Fraktionen, nämlich denen vonUnion, SPD, Grünen und FDP, beschlossen, auch breitabgestützt in den Ländern und in der Gesellschaft.In dieser Kommission – ich finde es richtig, dass mandaran immer wieder erinnert – waren natürlich Vertreterder Kirchen, es waren auch Vertreter der Wirtschaft, derWissenschaft, der Gewerkschaften dabei, und damit sol-che, die sich mit der ethischen Frage beschäftigt haben,aber auch solche, die sich mit wirtschaftlichen und so-zialen Fragen beschäftigt haben. All diese haben amEnde gesagt: Es gibt eine ethische Begründung für die-sen Ausstieg. Wir haben Technologien, wir haben For-men der Energieerzeugung, die die Risiken, die dieKernenergie durch den Umgang mit bzw. die Verwen-dung und später die Endlagerung von radioaktivem Ma-terial hat, nicht mit sich bringen. Deshalb ist es richtigund notwendig, auszusteigen.Sie haben aber gleichzeitig auch in dieser Breite, alsoVertreter von Kirchen, von Gewerkschaften, gesagt – dassage ich an die Adresse der Vertreter der Linken, die teil-weise einen sofortigen Ausstieg gefordert haben –: Es istnicht möglich, das von heute auf morgen zu machen. Wirwollen es schneller machen, als es vereinbart war; wirwollen es sogar erheblich schneller machen. Aber wirbrauchen für dieses große Projekt ein Jahrzehnt. DieseZeit müssen wir uns nehmen, um tatsächlich den Umbauhin zu erneuerbaren Energien zu schaffen. Wenn wir esnämlich sofort machen würden – auch das haben sie ge-sagt –, dann würde es zu erheblichen sozialen Verwer-fungen kommen. Ich denke, auch das sollten Sie beden-ken, wenn Sie fordern, man solle sofort aussteigen.Damit würden wir, wie ich glaube, unserer Gesamtver-antwortung für Ökologie, Soziales und Wirtschaft nichtgerecht werden.Meine sehr geehrten Damen und Herren, dass das ineinem so breiten Konsens möglich war, schafft dochjetzt die Chance, gemeinsam, statt die Debatten von ges-tern zu führen – dieses Kapitel ist abgeschlossen –, nachvorne zu schauen. Die Frage ist nicht mehr: Kernenergieoder Erneuerbare? Die Frage ist vielmehr: Wie schaffenwir es, erneuerbare Energien so effizient zu fördern, dassdie Kosten möglichst gebremst werden? Wie schaffenwir es, dass wir wirtschaftlich davon Vorteile haben undes nicht dazu kommt, dass daraus ein Standortnachteiloder gar eine soziale Frage wegen steigender Preisewird? Ich glaube, das ist eine Aufgabe, der wir uns ge-meinsam annehmen sollten, immer mit dem Ziel vor Au-gen: Wir wollen eine vollständige Versorgung mit erneu-erbaren Energien erreichen. Wir wollen dabei so schnellwie möglich vorankommen. Und wir wollen dies so tun,dass der Klimaschutz weiterhin Priorität genießt.All das zusammen – Erneuerbare fördern, aus derKernenergie aussteigen, aber unter Berücksichtigung un-serer Klimaziele nicht den Weg zur Kohle einschlagen –sind die Herausforderungen, um die es jetzt geht.
Darüber sollten wir diskutieren.Herzlichen Dank.
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1726 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014
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Das Wort hat der Kollege Dr. Andreas Lenz für die
CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Worübersprechen wir eigentlich heute? Letztlich über ein Inter-view von Peter Ramsauer, in dem er auf Gefahren fürden Wirtschaftsstandort Deutschland hinweist. Ich meine,das steht dem Vorsitzenden des Wirtschaftsausschussesdurchaus zu.
Neuerdings scheint dies allerdings so außergewöhnlichzu sein, dass die Grünen dazu eine Aktuelle Stunde be-antragen.Was hat Peter Ramsauer eigentlich gesagt? Er hat ge-sagt: „Die Energiewende zum Nulltarif ist eine Illusion.“Und weiter – das ist wohl auch mit der Stein des Ansto-ßes –: „Wer die Preise wieder senken will, muss zurückzur Atomkraft.“ Peter Ramsauer hat nie gesagt, dass erdie Laufzeiten für Atomkraftwerke verlängern will.
Schon die in Ihrem Antrag für diese Aktuelle Stundeenthaltene Formulierung, „Äußerungen von Peter Ramsauer,die Laufzeiten für Atomkraftwerke in Deutschland zuverlängern“, entspringt also rein Ihrer blühenden Fanta-sie.
Peter Ramsauer drückt mit seiner Formulierung ge-rade aus, worum es im Kern bei der EEG-Novellierunggeht, nämlich um eine Begrenzung des Anstiegs derStromkosten.
Hätte Peter Ramsauer das mit bayerischem Idiom vor Ih-nen gesagt, hätte ich verstehen können, dass es nicht alleaus Ihrer Fraktion verstehen, obwohl der bayerische Dia-lekt Herrn Hofreiter geläufig sein sollte. Aber er istheute nicht anwesend.
So muss man Ihnen ein bewusstes Falsch-verstehen-Wollen unterstellen.
Trotzdem freut sich Peter Ramsauer über die im-mense Aufmerksamkeit und das politische Blitzcome-back, dass er so schnell wieder in das Zentrum der politi-schen Debatte gerückt ist, wobei die unfreiwilligeWerbung für den Spiegel sicher nicht in seinem Sinnewar.
Bei der anstehenden Reform des EEG geht es darum,dass die Kostendynamik bei den erneuerbaren Energiennicht aus dem Ruder läuft, sondern gebremst wird. Esgeht auch darum, den Industriestandort Deutschland unddamit Tausende von Arbeitsplätzen nicht zu gefährden.Und es geht darum, eine schleichende Abwanderung vonIndustriearbeitsplätzen zu verhindern.Der Weg zum Ausstieg aus der Atomkraft ist vorge-zeichnet. Die Termine für die Abschaltung der Kern-kraftwerke, wie zum Beispiel Grafenrheinfeld – Ende2015 – und Gundremmingen B – Ende 2017 –, stehenfest. Wir halten am Atomausstieg fest. Die Messe ist ge-lesen. Spätestens 2022 wird das letzte Kernkraftwerk inDeutschland abgeschaltet.Ja, die Energiewende bietet immer noch Chancen, ge-rade für die regionale Wertschöpfung. Bereits heutestammt rund ein Viertel des produzierten Stroms aus er-neuerbaren Energien. Der im Koalitionsvertrag festge-legte Ausbaukorridor steht mit 40 bis 45 Prozent Erneu-erbaren bis 2025 und 55 bis 60 Prozent bis 2035 fest.Mit dieser Zielsetzung unterscheiden wir uns grundle-gend von dem, was die Grünen in ihrer Regierungszeitgetan haben. Sie haben zwar den Ausstieg aus der Kern-energie beschlossen, jedoch keinen Weg aufgezeigt, wiedie Energieversorgung auf erneuerbare Energien umge-stellt werden kann.
Sie haben sich überhaupt nicht um die Preisentwicklung,den Netzausbau, den Speicherausbau und die Sicherheitder Versorgung gekümmert.
Sie haben vielmehr einseitig einen unkoordinierten undungebremsten Ausbau der erneuerbaren Energien betrie-ben. Das müssen und werden wir jetzt reparieren.
Es geht darum, den Ausgleich der wegfallenden Kern-kraftkapazitäten sicherzustellen. Die Grundlastfähigkeitmuss nun einmal gewährleistet werden.Auf diese Herausforderungen hat Peter Ramsauerhingewiesen. Auch seine Aussage, dass man den Men-schen keine sinkenden Strompreise versprechen sollte,ist nur ehrlich. Wir sind es und nicht Sie, die den Ausbauder erneuerbaren Energien wirtschaftlich vernünftig vo-rantreiben. Wir sind es und nicht Sie, die mehr Markt beider Energiewende umsetzen. Und wir sind es, die den In-dustriestandort Deutschland erhalten werden.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 22. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 19. März 2014 1727
Dr. Andreas Lenz
(C)
Wir kämpfen für den Erhalt der besonderen Aus-gleichsregelung. Die Befreiung von energieintensivenUnternehmen von der EEG-Umlage ist wirtschaftspoli-tisch geboten. Dies verdeutlicht folgendes Beispiel:Wenn die Ausnahmen für die Industrie wegfallen, würdeein privater Haushalt dadurch circa 55 Euro pro Jahr we-niger Stromkosten bezahlen. Wegen der zu erwartendenWohlstandsverluste würde das real verfügbare Einkom-men jedoch jährlich um circa 500 Euro sinken. Das, waswir verteilen, müssen wir erst erwirtschaften. Auch hierhat Peter Ramsauer recht.
Vor Ort erlebt man, dass es eine hohe Zustimmungzur Energiewende gibt. Über 80 Prozent der Menschenhalten die Energiewende für richtig. Nur ein umsichtiger,ehrlicher und realistischer Blick auf die Probleme, diemit der Energiewende verbunden sind, gewährleistetlangfristig deren Akzeptanz. Ich danke Peter Ramsauernoch einmal für seinen Beitrag zur Debatte.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das war der letzte Beitrag in dieser Aktuellen Stunde.
Sie ist damit beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 20. März 2014,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen erfolgreichen Tag.