Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung soll derJahresbericht 2012 des Wehrbeauftragten auf der Druck-sache 17/12050 aus der 17. Wahlperiode federführenddem Verteidigungsausschuss und zur Mitberatung demRechtsausschuss überwiesen werden. Sind Sie damiteinverstanden? – Ich höre keinen Widerspruch. Dann istso beschlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Migrationsbericht 2012.Das Wort für einen einleitenden fünfminütigen Be-richt hat der Bundesminister des Innern, HerrDr. Thomas de Maizière. – Herr Bundesminister, bitte.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DasKabinett hat heute den vom Innenminister vorgelegtenMigrationsbericht des Jahres 2012 beschlossen, den ichIhnen vorstellen will. Das Jahr 2013 ist strukturell nichtsehr viel anders verlaufen als das Jahr 2012. NeuereZahlen bis auf die eine oder andere Ausnahme liegennicht vor. Deswegen: Nehmen Sie bitte mit den Zahlenvon 2012 vorlieb.Der Bericht ist sehr umfangreich und aussagekräftigund somit für die zahlreichen Debatten, die wir im Be-reich der Integration, der Zuwanderung und im Zugevieler anderer Themen führen, hilfreich. Ich will versu-chen, Ihnen in der Kürze der Zeit einen kleinen Eindruckdavon zu geben.Der Migrationsbericht zeigt auf, dass Deutschland inEuropa nach wie vor ein Hauptzielland von Migration istund an Attraktivität gewonnen hat. Von 2012 bis 2013konnten wir einen deutlichen Anstieg der Zuwande-rungszahlen auf 1,08 Millionen Menschen verzeichnen.Wir haben aber auch einen Zuwachs bei der Anzahl derFortzüge zu verzeichnen, und zwar auf 712 000. Dasmacht insgesamt einen positiven Wanderungssaldo von370 000 Menschen.Ich muss kurz erläutern, wie diese Zahlen ermitteltwerden; sie stammen übrigens aus der amtlichen Wande-rungsstatistik. „Fortzug“ heißt: Jemand meldet sich abund hat keinen anderen Wohnsitz im Inland. „Zuzug“heißt: Er meldet sich hier an. – Was sich dahinter ver-birgt, ergibt sich daraus natürlich nicht per se. Deswegenwill ich anhand einiger Hilfsindizien zeigen, was dieZahlen verdeutlichen.Wenn wir eine große Zuwanderung haben, dann ha-ben wir immer auch eine große Abwanderung. Es han-delt sich dabei auch um dieselben Staaten, zum BeispielPolen. Das heißt: Wir haben in Deutschland eine sehrstarke Bewegung – herein und heraus –, was alle Formenvon Zuwanderung betrifft. Ein Hilfsindiz ist – das findenSie auch in dem Bericht –, dass sich mehr als zwei Drit-tel der fortgezogenen ausländischen Staatsangehörigenweniger als vier Jahre im Bundesgebiet aufgehalten ha-ben. Das heißt: Wir haben sehr viele kurzfristige Bewe-gungen, insbesondere durch Studenten, Asylbewerberoder durch diejenigen, die sich aus bestimmten Gründennur drei Monate hier aufhalten. Mit Blick auf den Be-richt müssen wir also zwischen kurzfristiger Zu- undAbwanderung, die sich innerhalb von drei, vier Jahrenabspielt, und langfristiger Zu- und Abwanderung unter-scheiden.Bei allen Herkunftsgebieten war der Wanderungs-saldo positiv. Vier von fünf zugewanderten Personen ka-men aus Europa. 64 Prozent kamen aus einem EU-Mit-gliedstaat und nur 3 Prozent aus Afrika. Auch das ist,wie ich glaube, ein Punkt, der für die politischen Debat-ten nicht ganz unwichtig ist.Wie in den vergangenen Jahren gehörten Polen, Ru-mänien und Bulgarien gefolgt von Ungarn, Italien, Spa-nien und Griechenland zu den Herkunftsländern mit demgrößten Anteil. Der positive Wanderungssaldo ist bei Po-len mit rund 70 000 am größten, dann folgen Rumänienmit einem Saldo von rund 50 000 sowie Bulgarien undUngarn mit einem Saldo von je rund 26 000.
Metadaten/Kopzeile:
332 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
(C)
(B)
Viele Jahre war es so, dass wir im Verhältnis zu denStaaten im Süden Europas, aus denen wir in den 70er-und 80er-Jahren Zuwanderung hatten, einen negativenWanderungssaldo zu verzeichnen hatten, also Menschenmehrheitlich zurückgegangen sind. Das ist – es hängt si-cherlich mit der EU-Krise zusammen – seit einigen Jah-ren anders: Wir haben Wanderungsüberschüsse gegen-über Griechenland – 20 000 –, Italien – 16 000 – undSpanien – 14 000 –; das ist eine neue Entwicklung.Ein Wort zur Zuwanderung zu Erwerbszwecken ausDrittstaaten; sie spielte ja auch immer eine große Rolle.Einschließlich der Blauen Karten, der sogenannten Blue-cards, betrug die Zahl dieser Zuwanderer 2012 fast37 000. Wir finden dort einen Anstieg. Die absolute Zahlist allerdings noch nicht sehr hoch. Bluecards erhieltenrund 13 000, davon 55 Prozent in Regelberufen und45 Prozent in Mangelberufen; auch das spielte vor demHintergrund der Vorrangsprüfung eine große Rolle.Wir hatten 2012 die bislang höchste Zahl an ausländi-schen Studienanfängern: rund 80 000, davon interessan-terweise 10 Prozent mit chinesischer Staatsangehörig-keit, also eine sehr große Zahl. Wir haben zugleich einesehr hohe Zahl von ausländischen Studenten, sogenann-ten Bildungsausländern, hier bei uns: 205 000. Wirweisen weltweit die dritt- oder viertgrößte Zahl an aus-ländischen Studierenden auf und sind im nicht englisch-sprachigen Bereich das Land, in das die meisten Studie-renden kommen.Hauptgründe für die Zuwanderung aus Drittstaatenwaren familiärer Art, so auch bei Zuwanderungen ausder Türkei. Die Türkei erreicht hier immer noch diehöchsten Zahlen, wobei es hier aber zum ersten Mal einesinkende Tendenz gibt.Lassen Sie mich zum Schluss etwas zu den Asylbe-werberzahlen sagen; auch das spielt eine Rolle. Wir hat-ten im Jahre 1992 die höchste Zahl von Asylbewerbernin der Bundesrepublik Deutschland – wir alle wissen,warum –: 438 000 innerhalb eines Jahres. Die niedrigsteZahl von Asylbewerbern, die wir je hatten, gab es imJahr 2007: 19 000. Es gibt also eine ziemliche Spann-weite. Jetzt gehen die Zahlen, wie Sie gehört haben, wie-der hoch: Es gab im Jahr 2012 einen Anstieg. Im Jahr2013 sind wir auf 109 000 Asylbewerber gekommen.Die Hauptherkunftsländer waren 2012 Serbien ge-folgt von Afghanistan und Syrien. Daran sieht man, dasses unterschiedliche Länder sind, über die man im Einzel-nen reden muss. Besonders auffällig ist der Anstieg derZahl der Asylbewerber aus Mazedonien, aus Bosnien-Herzegowina und auch aus Serbien. Das heißt, hinter derZahl der Asylbewerber verbergen sich ganz unterschied-liche Motive und Gründe. Das wird uns natürlich in denfolgenden Jahren beschäftigen.Herr Präsident, die Zeit ist, glaube ich, abgelaufen.Ich würde aber mit Ihrer Erlaubnis etwas zum Migra-tionshintergrund sagen. Darf ich das?
Ja.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Gut.
Die Zahlen zum Migrationshintergrund haben im
klassischen Sinne nicht direkt mit Zuwanderung zu tun.
Dazu muss ich sagen: Das Statistische Bundesamt ver-
wendet einen weiten Migrationsbegriff. Danach zählen
zu Personen mit Migrationshintergrund alle nach 1949
auf das heutige Gebiet der Bundesrepublik Deutschland
Zugewanderten – das sind ja Millionen – sowie alle in
Deutschland geborenen Ausländer und alle in Deutsch-
land als Deutsche Geborene mit zumindest einem zuge-
wanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen
Elternteil, das also zur ersten Generation der Zuwande-
rer gehört. Wenn man diese breite Definition zugrunde
legt, dann ergibt sich aus dem Migrationsbericht, dass im
Jahre 2012 von 81,9 Millionen Einwohnern etwa
16,3 Millionen einen Migrationshintergrund hatten, da-
von rund 9 Millionen Deutsche und 7,4 Millionen Aus-
länder. Der Anteil der Deutschen mit Migrationshinter-
grund an der Gesamtbevölkerung – wie gesagt: in
diesem weit verstandenen Sinne – beträgt 11 Prozent,
der Ausländeranteil 9 Prozent. Laut Mikrozensus 2012
beläuft sich der Anteil der Personen mit Migrationshin-
tergrund insgesamt auf 20 Prozent der Gesamtbevölke-
rung.
Gestatten Sie mir eine letzte Ergänzung. Laut Mikro-
zensus 2012 stellen Ausländer mit eigener Migrationser-
fahrung, das heißt, Ausländer, die nach Deutschland zu-
gewandert sind – das sind diejenigen, über die wir
meistens sprechen, wenn es, politisch gesehen, um Mi-
gration geht –, mit 35,9 Prozent die größte Gruppe. Das
sind 5,9 Millionen Personen. 9,2 Prozent der Personen
mit Migrationshintergrund sind Ausländer, die in
Deutschland geboren wurden, die also der zweiten und
dritten Generation angehören. Das sind 1,5 Millionen
Personen. Es besitzen also 45 Prozent der Personen mit
Migrationshintergrund nicht die deutsche Staatsangehö-
rigkeit.
Ich komme zum Schluss. Hinter dem Migrationsbe-
richt verbergen sich natürlich quantitative Aussagen.
Wenn man die entsprechenden Zahlen aber korreliert,
dann ergibt sich mit Blick auf die einzelnen Personen-
gruppen ein sehr differenziertes Bild über Zuwanderung
bzw. über Fort- und Zuzüge: von Studenten über Asylbe-
werber bis zu Hochqualifizierten, die in unser Land
kommen. Ich würde mich freuen, wenn wir auch die Dis-
kussion über dieses Thema differenziert führen.
Schönen Dank, Herr Bundesminister. – Weil wir vieleneue Kolleginnen und Kollegen haben, möchte ich kurzdie Regeln für die Regierungsbefragung erklären.Wir haben prinzipiell drei Frage- bzw. Diskussions-blöcke. Im ersten Block wird über einen Themenbereichberichtet, in diesem Fall über den Migrationsbericht.Dann gibt es Gelegenheit, auch zu anderen Themen derheutigen Kabinettssitzung Fragen zu stellen. Darüber
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 333
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
hinaus können auch allgemeine Fragen an die Bundesre-gierung gestellt werden.Wir haben uns auf eine 1-Minuten-Regel geeinigt.Das bedeutet, dass jeder Fragesteller versucht, seineFrage möglichst in 1 Minute zu stellen, und dass derBundesminister wiederum anstrebt, die Antwort in 1 Mi-nute zu geben, damit möglichst viel Dialog entstehenkann und möglichst viele Fragen beantwortet werdenkönnen. Dafür gibt es optische Hilfen. Die Uhren ober-halb der Hammelsprungtüren sowie rechts und linksoberhalb der Medienwände zeigen jeweils die verblei-bende Restredezeit in Sekunden an. Es gibt zudem einLichtsignal. Wenn es Grün leuchtet, ist alles im grünenBereich. In den letzten 30 Sekunden leuchtet es gelb – damuss man schon ein bisschen aufpassen –, nach dem Ab-lauf von 1 Minute wird es rot – das alles hat keine politi-sche Bedeutung –,
und dann soll man aufhören. So ist das Prozedere.Jetzt haben wir eine ganze Reihe von Fragestellerin-nen und Fragestellern. Die beiden ersten sind die Kolle-gin Kathrin Vogler von der Fraktion Die Linke und Kol-lege Volker Beck von Bündnis 90/Die Grünen. Bitte,Frau Kollegin Vogler.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Danke, Herr Minister.
Ich möchte gleich Ihre Anregung aufgreifen und zur Dif-
ferenzierung der Debatte beitragen. Ich wüsste gerne, in-
wieweit sich der Migrationsbericht der Bundesregierung
auch mit der Lage von Arbeitsmigrantinnen und Arbeits-
migranten aus osteuropäischen EU-Ländern beschäftigt,
die zum Beispiel im Baugewerbe und in der Fleischin-
dustrie häufig im Rahmen von Leiharbeits- und Werk-
vertragsverhältnissen prekär beschäftigt sind. Leiten Sie
daraus Maßnahmen ab, die es zu ergreifen gilt, um die
Situation für die betroffenen Menschen zu verbessern?
Herr Minister, bitte.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Frau Abgeordnete, die Antwort ist Nein. Es handelt
sich nicht um Analysen über Sozialstrukturen, über Er-
werbstätigkeit, über Arbeitslosigkeit oder über Zuwan-
derung in Sozialsysteme. Das alles wird in diesem Be-
reich nicht erfasst. Vielmehr geht es um die Frage: Wer
kommt, wer geht? Asylbewerber werden statistisch ge-
sondert erfasst. Auch die Qualifizierung mit Blick auf
Bildung wird nicht erfasst.
Sie sprechen ohne Frage einen sehr wichtigen Punkt
an, aber aus dem vorliegenden Migrationsbericht können
keine entsprechenden Maßnahmen abgeleitet werden.
Danke schön. – Die nächste Frage, Kollege Volker
Beck, Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, der Bericht enthält durchaus eine diffe-
renzierte Aufschlüsselung in Bezug auf Zuwanderungs-
gründe, Verweildauern und Qualifikation sowie die
Frage, aufgrund welcher Rechtsgrundlage die Arbeits-
migranten nach Deutschland einreisen.
Die Bundesregierung hat einen Staatssekretärs-
ausschuss eingesetzt, der die Frage klären soll, wie man
den Missbrauch von Sozialleistungen vermeiden kann.
Dazu sollen entsprechende Vorschläge entwickelt wer-
den. Daher frage ich Sie: Inwiefern gibt die Datenbasis
des Migrationsberichtes einen Hinweis darauf – ich habe
nichts gefunden –, dass das Problem in relevantem Maße
überhaupt besteht?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Beck, ich habe die Zahlen von 2012 genannt und
angedeutet, dass es sich mit den Zahlen von 2013 ähn-
lich verhält. Aus dem sehr positiven Wanderungssaldo
bezogen auf Rumänien und Bulgarien, den ich angespro-
chen habe – an der Spitze steht Polen; aber das ist ein
ganz anderes Themenfeld, wie wir beide wissen –, kann
man schlussfolgern, dass es an dieser Stelle ein besonde-
res Thema gibt. Das werden wir uns im Staatssekretärs-
ausschuss ansehen.
Richtig ist, dass vor der Lösung eine ordentliche
Sachverhaltsbeschreibung stehen muss. Dazu gehört das
Aufzeigen von rechtlichen Handlungsspielräumen auf
nationaler und europäischer Ebene. Das werden wir tun.
Herzlichen Dank. – Die nächsten Fragesteller sind
Kollege Wolfgang Gehrcke sowie die Kolleginnen
Martina Renner und Petra Pau von der Fraktion Die
Linke. – Kollege Gehrcke, bitte.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Sie, Herr Minis-
ter, bei diesem Thema auf der Regierungsbank – das ist
ein ganz ungewohntes Bild.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Daran müssen Sie sich jetzt gewöhnen.
Ja, Sie auch.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Ja. Ich habe mich fast schon umgewöhnt.
Okay. – Ich möchte erfahren, worüber die Bundes-regierung im Zusammenhang mit dem Bericht am Kabi-nettstisch oder im Umfeld debattiert hat. Zu einem Mi-grationsbericht gehört ja auch eine Bestandsaufnahmehinsichtlich der Willkommenskultur im eigenen Land.
Metadaten/Kopzeile:
334 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Wolfgang Gehrcke
(C)
(B)
Ansonsten wäre er sehr einseitig. Hat es eine Debatteüber die Willkommenskultur gegeben?Ich frage das voller Sorge, weil mir Ihr KollegeMinisterpräsident Koch mit seiner Kampagne, bei derman gegen Ausländer unterschreiben konnte, noch gut inErinnerung ist. Ebenso habe ich die Formulierung „Werbetrügt, der fliegt!“ im Kopf. Dazwischen lag HerrRüttgers, der in NRW mit der Losung „Kinder statt In-der!“ Wahlkampf gemacht hat. Das war sehr bedrückendund spricht nicht gerade für eine Willkommenskultur.Deswegen lautet meine Frage: Hat sich die Bundesregie-rung im Zusammenhang mit dem Thema Migration mitdiesem Thema auseinandergesetzt?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Abgeordneter, Sie haben drei Sachverhalte, diezeitlich ziemlich weit auseinanderliegen, in einen Zu-sammenhang gestellt. Das wissen Sie selbst.
Wir haben nicht über Willkommenskultur im engerenSinne gesprochen. Aber natürlich haben wir über einpaar Entwicklungen geredet. Ein Punkt ist: Ja, die An-reize, die wir in den vergangenen Jahren gesetzt haben– mit denen wollten wir zeigen, dass wir für Zuwande-rung offen sind, dass wir insbesondere Zuwanderungvon Frauen und Männern wünschen, die sich hier eineExistenz aufbauen, arbeiten und Steuern zahlen wollen,und dass Deutschland besonders attraktiv werden willfür Hochqualifizierte –, haben eine relativ gute Wirkungentfaltet. Das ist eine gute Nachricht.Unser Ausländerrecht bietet zwar kein hohes Maß anÜbersichtlichkeit – darüber wird vielleicht zu reden sein –,aber die Instrumente wurden im Prinzip richtig genutzt.Das zeigt sich bei den Themen Bluecard, Zuwanderungzu Erwerbszwecken und ausländische Studierende; ichhabe das schon angesprochen. Auch wenn viele nichthier bleiben – ob wir wollen, dass sie hierbleiben, ist einanderes Thema –, sind sie in gewisser Weise BotschafterDeutschlands. Diese Instrumente werden genutzt.Vieles von dem, was Sie unter dem Begriff „Willkom-menskultur“ verstehen, dass man zum Beispiel nicht nurauf den Fluren herumsitzt und schlecht behandelt wird,ist eine kommunale Angelegenheit. Wir müssen daranarbeiten. Aber ich habe nicht ohne Grund zur Differen-zierung gemahnt. Wenn wir von den Ausländern, denZuwanderern, den Asylbewerbern usw. sprechen,
dann werden wir dem differenzierten Sachverhalt, näm-lich dass unser Land auch ein Zuwanderungsland ist,nicht gerecht.
Schönen Dank für die Beantwortung. – Die Kollegin
Renner, Fraktion Die Linke, die Kollegin Pau, Fraktion
Die Linke, und danach die Kollegin Mihalic von Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident, ich möchte bei diesem Thema blei-
ben. Hat denn die Bundeskanzlerin oder haben Sie, Herr
Dr. de Maizière, in der gestrigen Fraktionssitzung den
Versuch unternommen, Teile der CSU von ihrer vorur-
teilsbeladenen Rhetorik abzubringen? Das frage ich auch
vor dem Hintergrund, dass ich der Meinung bin, dass die
Aspekte, die Herr Kollege Gehrcke eben angesprochen
hat, tatsächlich zusammengehören. Wir haben im Ab-
schlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses fest-
gestellt, dass es in den 90er-Jahren eine Verschränkung
von medialer Hetze gegen Flüchtlinge, Verstärkung der
politischen Forderungen im Bereich des Zuwanderungs-
rechts und rassistischer Mobilmachung und Gewalt gab.
Wir erleben derzeit die bedauerliche Entwicklung,
dass es landauf, landab, in Nord und Süd, in Stadt und
Land erneut – ich nenne es jetzt einmal so – eine auf-
kommende Stimmung gegen die Unterbringung von
Flüchtlingen gibt. Deswegen habe ich eine ganz kon-
krete Frage: Was tun Sie, um diesen Diskurs, der erneut
nur Wasser auf die Mühlen dieser rassistischen Propa-
ganda spült, zu unterbinden?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Zunächst möchte ich, weil Sie mich gefragt haben,
was wir in der Fraktionssitzung der Union besprochen
haben, auf Folgendes hinweisen: Hier findet jetzt die Be-
fragung der Bundesregierung statt. Ich habe nicht die
Absicht, aus Fraktionssitzungen der CDU/CSU vorzu-
tragen.
Zweitens. Dass Sie die Beiträge der CSU zu der De-
batte so qualifizieren, wie Sie es gemacht haben, weise
ich zurück. Das wird dem Anliegen der CSU nicht ge-
recht.
Drittens. Ich weiß, dass, wenn Asylbewerber in unse-
ren Wahlkreisen – in Anführungsstrichen – unterzubrin-
gen sind, alle Kolleginnen und Kollegen in diesem Haus
versuchen, das vernünftig zu machen und gegen manche
Vorurteile und gegen manche Protestaktionen, die es in
Berlin und anderswo gab, seriös und vernünftig vorzuge-
hen. Alle, die wir hier sind, machen das so, jeder auf
seine Weise. Deswegen glaube ich nicht, dass irgendje-
mand hier im Haus diesen Vorwurf verdient.
Sie fragen, was wir tun. Ich sage noch einmal: Am
besten reden wir differenziert über die Sachverhalte. Das
ist das beste Mittel gegen Vorurteile.
Die Frau Kollegin Pau hat als Nächste das Wort.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 335
(C)
(B)
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, nun erarbeitet
man ja solche Berichte nicht, damit man einen Bericht
hat, den man ins Regal stellen kann, sondern im Allge-
meinen zieht man daraus ja Schlussfolgerungen oder
nimmt sich etwas vor. Deshalb interessiert mich, was Sie
dazu heute im Kabinett beraten haben, und zwar ganz
konkret.
Sie haben heute in einer Pressemitteilung erklärt, dass
die Bundesrepublik mit den Integrationskursen und
sonstigen Integrationsangeboten über eine gute Infra-
struktur verfügt. Gleichzeitig hat die Bundesregierung
auf eine Anfrage meiner Fraktion vor kurzem mitgeteilt,
dass angesichts des zu erwartenden Bedarfs im Haushalt
mindestens 15 Millionen Euro für die Integrationskurse
fehlen. Planen Sie hier eine Aufstockung, und ist die
Bundesregierung bereit, gegebenenfalls auch parlamen-
tarische Initiativen zu diesem Thema zu unterstützen? Es
geht übrigens nicht nur um Aufstockung in dem Sinne,
dass die Integrationskurse besser ausgestattet werden.
Ich denke, wir müssen die Mittel auch aufstocken, um
die Kursleiter, Lehrer usw. angemessen zu bezahlen.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Frau Abgeordnete Pau, wir haben jetzt nicht umfäng-
lich über Konsequenzen aus diesem Bericht debattiert.
Das ist ein Bericht, der jedes Jahr vorgelegt wird. Ich
finde, er bietet eine sehr gute statistische Grundlage für
viele Debatten, unter anderem die, die Sie führen. Das
Parlament ist auch gut beraten, solche Berichte anzufor-
dern. Ein ordentlicher Sachverhalt dient ja auch manch-
mal der Lösung von Problemen.
Wir haben heute im Kabinett nicht über die Integra-
tionskurse diskutiert. Wie Sie wissen, befinden wir uns
im Vorfeld einer Haushaltsaufstellung. Das will ich jetzt
hier nicht vorwegnehmen. Ich glaube, im Haushalt ist
eine Summe von 204 Millionen Euro vorgesehen. Auch
das BMAS hat entsprechende Mittel. Ich könnte jetzt
lange Erwägungen darüber anstellen, wer dafür eigent-
lich zuständig ist, was die Länder tun und wie das alles
zu behandeln ist. Es gibt, wie Sie wissen, aus dem Bun-
desrat Anträge, die Berechtigung für den Zugang zu die-
sen Integrationskursen zu erweitern. All das wird uns be-
schäftigen, aber nicht heute.
Die Kollegin Mihalic, danach die Kollegin Amtsberg,
beide Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Minister, auch ich möchte auf den Themenkom-
plex Migration aus Rumänien und Bulgarien eingehen
und Sie fragen, ob aus Ihrer Sicht der Migrationsbericht
die Grundlage dafür bietet, Einschränkungen der Freizü-
gigkeit vorzunehmen, also Einschränkungen der Freizü-
gigkeit innerhalb der Europäischen Union gegebenen-
falls auch multilateral bzw. außerhalb der EU-Strukturen
durchzusetzen, wie es ja auch Ihr Amtsvorgänger gefor-
dert hat.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Nein, und das weise ich auch für meinen Amtsvor-
gänger zurück.
Die Freizügigkeit in der Europäischen Union ist ein ho-
hes Gut. Wir achten es und kämpfen dafür, dass es so
bleibt.
Das Thema, das Sie ansprechen, betrifft die Frage, ob
die Freizügigkeit – ich will es einmal neutral formulieren –
nicht dazu gebraucht wird, hier eine Erwerbstätigkeit
aufzunehmen, hier Menschen zu besuchen und einfach
als freier Europäer zu reisen, sondern dazu gebraucht
wird, um in Deutschland Sozialleistungen in Anspruch
zu nehmen, die es im Heimatland nicht gibt und die al-
lein Anreiz dafür sind, hier das Leben vielleicht besser
zu verbringen als in Bulgarien oder Rumänien.
Das ist wegen des Wohlstandsgefälles in der Europäi-
schen Union teilweise nicht über Nacht zu ändern. Aber
das ist mit der Freizügigkeit, die wir in Europa verteidi-
gen wollen, eigentlich nicht gemeint. Die Sozialsysteme
sind national organisiert. Deswegen entsteht hier ein
Konflikt – wir werden ja über den Sachverhalt, nach
dem Herr Beck gefragt hat, und die Dimension noch ge-
nauer reden –, der zumindest in einigen größeren Städten
zu nicht unerheblichen Problemen führt.
Dieses Problem kann man nicht mit dem Argument:
„Wir sind für Freizügigkeit“ leugnen, sondern wir müs-
sen über die Freizügigkeit und den Missbrauch von Frei-
zügigkeit – jedenfalls dann, wenn Menschen nach
Deutschland kommen, um hier Sozialleistungen in An-
spruch zu nehmen – ehrlich reden. Das ist keine leichte
Aufgabe.
Die nächste Frage hat die Kollegin Amtsberg, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Herr Minister, vielen Dank für Ihren Bericht. – ImZuge eines weiter gefassten Integrationsbegriffes: Gibtes Überlegungen der Bundesregierung, die Integrations-und Sprachkurse auch für Asylbewerber zu öffnen, undwenn ja, haben Sie eine zeitliche Vorstellung?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Ich habe das in der Antwort auf die Frage der Abge-ordneten Pau eben schon angedeutet: Wir kennen dieseAnträge; wir prüfen das. Ich sage Ihnen aber auchschnörkellos: Meine persönliche Auffassung ist, dassdiejenigen, die sich hier nicht legal aufhalten, auch nichtTeilnehmer von Integrationskursen werden sollten, weilja das Ziel ihres Aufenthalts in Deutschland gerade nichtdie Integration ist. Das war jetzt eine harte Antwort.
Metadaten/Kopzeile:
336 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
(B)
Was Duldungen und all das angeht, zeigt sich ein dif-ferenziertes Bild; das alles weiß ich. So enthält die Ko-alitionsvereinbarung eine Regelung zum Bleiberecht fürlangfristig Geduldete; darüber wird zu reden sein. Aberdie Auffassung, dass jeder, der hierherkommt, das Zielvon Integrationsbemühungen sein soll, habe ich nicht.
Die nächste Frage stellt Kollege Michael Hartmann,
SPD-Fraktion, danach folgt Volker Beck, Bündnis 90/
Die Grünen.
Herr Minister, bei Migration geht es um mehr als um
die sogenannten Armutsflüchtlinge, um mehr als um il-
legale Zuwanderung und um mehr als um die Debatte
über Bürgerkriegsflüchtlinge. Sind Sie wie ich der Mei-
nung, dass es im Sinne eines umfassenden Migrationsbe-
griffs und nach Analyse dieses Berichts für die neue
Bundesregierung jetzt und in Zukunft darauf ankommen
wird, sich auch mit den Fragen zu beschäftigen, welche
Vorteile Deutschland durch Migration genießt, warum so
viele Menschen aus anderen Ländern und Kulturen zu
uns gekommen sind, was sie uns alles an Wohlstand, an
positiver Entwicklung gebracht haben und wie sehr wir
sie brauchen, auch im Sinne eines guten gesellschaftli-
chen Miteinanders? Will die neue Bundesregierung auf
diese Debatten einen mindestens genauso großen
Schwerpunkt legen wie auf all die anderen unvermeidli-
chen Diskussionen, die leider auch sehr leicht benutzt
werden, um Hetze zu betreiben?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Abgeordneter Hartmann, diese Auffassung teile
ich uneingeschränkt. Ich habe auch in meinen einführen-
den Bemerkungen versucht, das deutlich zu machen.
Die Bemühungen im Hinblick auf die Zuwanderung
von Hochqualifizierten fruchten. Wir freuen uns über
ausländische Studenten, die hier studieren. Es ist, wie
gesagt, eine sehr hohe Zahl – unabhängig von der Frage,
ob sie bleiben oder nicht und ob wir uns das wünschen
sollten oder nicht; das ist eine ganz andere Debatte. Inte-
ressanterweise ist auch die Zahl deutscher Studenten, die
im Ausland studieren, hoch. Da findet natürlich einiges
in Amerika statt, aber auch sehr vieles in Europa, in der
EU. Die größte Zahl deutscher Studierender im Ausland
findet man in Österreich; jeder von uns weiß, woran das
liegt.
Von daher glaube ich, dass wir mit Blick auf die Will-
kommenskultur – davon war die Rede – nicht nur wegen
unserer demografischen Entwicklung, sondern auch we-
gen unserer Tradition als weltoffenes Land, wegen unse-
rer demokratischen Kultur, wegen der Einbindung Euro-
pas in die Welt dringend darauf angewiesen sind, dass
wir ein weltoffenes Land bleiben und die Zuwanderung
so organisieren, dass sie zu Erwerbstätigkeit, zu Fami-
liengründungen und auch zu Staatsbürgerschaften führt;
das ist ja das nächste Thema.Umso wichtiger ist, dass
wir klar adressieren, dass auch Menschen zu uns kom-
men, die diesem Kriterium nicht entsprechen. Das sind,
glaube ich, zwei Seiten einer Medaille, zwei Seiten einer
vernünftigen Zuwanderungs- und Migrationsdebatten-
kultur in Deutschland.
Kollege Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen, und
danach noch einmal Kollegin Petra Pau, Fraktion Die
Linke.
Herr Minister, ich will Ihnen eigentlich eine Frage zur
Staatsangehörigkeit stellen – das tue ich auch gleich –;
aber vorher wollte ich klären, ob ich Sie gerade richtig
verstanden habe: Sie sprachen vorhin von illegal Hier-
seienden, die keinen Zugang zu Integrationskursen ha-
ben. Es liegt eigentlich in der Natur der Sache, dass der
Illegale keinen Zugang zu einem Integrationskurs bean-
tragen wird, –
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Das ist aber beantragt worden – –
– weil er ansonsten vermutlich ausgewiesen würde.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Das ist trotzdem beantragt worden: vom Bundesrat.
Meinten Sie Personen ohne Aufenthaltserlaubnis?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Beide.
Ein Asylbewerber, der geduldet ist oder dergleichen
oder dessen Verfahren läuft, hat zwar noch keine Aufent-
haltserlaubnis, ist aber nicht illegal hier.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Beck, der Gesetzesantrag, den ich jetzt meine
– ich weiß nicht, ob er aus Hamburg stammt; aber er
stammt aus einem Bundesland –, bezieht sich meiner
Kenntnis nach auf beides.
Okay; das schaue ich mir dann noch einmal an.Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Ich auch.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 337
(C)
(B)
Zur Staatsangehörigkeit. Da fand ich eine Information
Ihres Berichtes besonders interessant, nämlich dass bei
der Einbürgerung inzwischen knapp über 50 Prozent die
doppelte Staatsangehörigkeit haben. Die Koalition hat
jetzt beschlossen – was ich sehr gut finde –, dass man im
Staatsangehörigkeitsrecht künftig auf die Optionspflicht
verzichten will. Meinen Sie denn, dass der bürokratische
Aufwand, den wir bei der Einbürgerung treiben, um zu
klären, ob wir bei jemandem die doppelte Staatsangehö-
rigkeit oder Mehrstaatigkeit hinnehmen, noch lohnt,
wenn der Befund lautet, dass bereits über 50 Prozent oh-
nehin die doppelte Staatsangehörigkeit haben? Wäre es
deshalb nicht an der Zeit, zu sagen: „Wir verzichten auf
diese Regelung, auch als Teil von Willkommenskultur.
Ein anderer Pass steht, wenn alle übrigen Kriterien
erfüllt sind, dem Erwerb der deutschen Staatsangehörig-
keit nicht entgegen“? Falls Sie da meiner Auffassung nä-
hertreten würden: Planen Sie, in diesem Zusammenhang
gesetzgeberisch initiativ zu werden?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Abgeordneter Beck, nun haben wir ja nicht mit
Ihnen Koalitionsverhandlungen geführt, sondern mit den
Sozialdemokraten. Dass das so ist, liegt auch wesentlich
an Ihnen.
Mit den Sozialdemokraten haben wir in den Koali-
tionsverhandlungen ein bestimmtes Ergebnis erzielt, das
manchen zu weit und anderen nicht weit genug geht;
aber so ist das bei Koalitionsvereinbarungen. Wir wer-
den zum Thema Optionspflicht sehr schnell, ohne
schuldhaftes Zögern, einen Gesetzentwurf vorlegen, mit
dem die Koalitionsvereinbarung exakt umgesetzt wird.
Da ist allerdings etwas zu regeln, was auch administrier-
bar ist; das weiß ich wohl. Aber insgesamt wird das sehr
schnell gehen.
Darüber hinausgehende Regelungen werden Sie von
uns nicht erwarten können. Sie werden entsprechende
Anträge in den Deutschen Bundestag einbringen, über
die wir dann debattieren werden. – Diese Antwort hat
Sie jetzt aber nicht wirklich überrascht.
Bitte keine Gegenfragen an die Kolleginnen und Kol-
legen, sonst wird es kompliziert.
Kollegin Pau, danach noch einmal Kollegin Vogler,
beide Fraktion Die Linke, und dann Kollege Özcan
Mutlu, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, ich möchte
die Gelegenheit nutzen, Sie zu einem Sachverhalt zu
fragen. Gestern hat der Präsident des Bundesamtes für
Migration und Flüchtlinge, Herr Dr. Manfred Schmidt,
in einem Interview mit der Zeitung Die Welt Wiederein-
reisesperren gefordert, und zwar – Zitat – „sowohl für
Einwanderer in die Sozialsysteme als auch für abge-
lehnte Flüchtlinge“. Ich gestehe, ich habe mir die Augen
gerieben und noch einmal nachgeschaut. Das geht ja
selbst über die Forderungen, die wir aus der CSU hören,
oder über die Dinge, die Sie im Koalitionsvertrag als
Prüfauftrag verankert haben, weit hinaus. Wie beurteilen
Sie die Einschätzung des Präsidenten des Bundesamtes
für Migration und Flüchtlinge? Rechtfertigt die Ableh-
nung eines Asylantrags oder ein Antrag auf Sozialleis-
tungen aus Ihrer Sicht tatsächlich die Verhängung eines
Wiedereinreiseverbotes?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Frau Abgeordnete Pau, ich habe den Wortlaut des
Interviews heute noch nicht lesen können. Wir werden
uns bei diesem Thema genau an die Koalitionsvereinba-
rungen halten. Dazu gehört, eine Regelung zu finden, die
europakompatibel ist, die den Missbrauch nach einer
Einreise verhindert. Das werden wir prüfen, auch im
Staatssekretärsausschuss, und dann entsprechend etwas
vorlegen.
Frau Kollegin Vogler, Fraktion Die Linke, bitte.
Vielen Dank. – Herr Minister, wir haben uns in derletzten Legislaturperiode hier in diesem Hause schon öf-ter mit der Situation in Syrien befasst und wissen, dassdort inzwischen mehrere Millionen Menschen auf derFlucht sind; teils sind sie Binnenflüchtlinge, teils flüch-ten sie in die Nachbarländer.Aus Ihrem Haus, aber auch aus den Landesregierun-gen hat es immer wieder Zusagen verschiedener Artgegeben. Dabei ging es um die Möglichkeit syrischerBürgerkriegsflüchtlinge, nach Deutschland einzureisen.Deswegen möchte ich Sie an dieser Stelle zum einenfragen: Welche Zahlen können Sie uns aus dem Migra-tionsbericht für 2012 diesbezüglich nennen? Zum ande-ren: Verfügen Sie darüber hinaus vielleicht auch überZahlen für 2013, sodass Sie uns sagen können, wie sichdie angekündigte unbürokratische Aufnahme vonFlüchtlingen aus Syrien konkret gestaltet?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Frau Abgeordnete, ich muss nachschauen, ob ich dieZahlen auf die Schnelle finde. – Wie Sie wissen, habenwir unsere Aufnahmebereitschaft für erst 5 000 unddann für insgesamt 10 000 syrische Flüchtlinge erklärt.Nach dem Stand vom 9. Januar sind etwa zwei Fünfteldes ersten Kontingents in Deutschland eingetroffen.
Metadaten/Kopzeile:
338 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
(C)
(B)
Wir sind bereit, pro Monat mehr aufzunehmen, undkönnen das auch. Tatsächlich ist es jedoch so, dass dielibanesische Sicherheitsbehörde monatlich weniger Aus-reisegenehmigungen im Rahmen der organisierten Grup-peneinreisen erteilt als erwünscht. Außerdem wird vonlogistischen Schwierigkeiten in der Krisenregion berich-tet, etwa dann, wenn die Flüchtlinge vom gefährlichenNorden des Libanon nach Beirut gebracht werden sollen.Hinzu kommt, dass die Bundesländer für die zweiten5 000 Flüchtlinge großen Wert darauf gelegt haben, dasses sich möglichst um Verwandte von hier lebenden Syrerhandelt, was auch aus humanitären Gründen ein sehrverständliches Anliegen ist. Die Feststellung von Ver-wandtschaftsverhältnissen dauert aber natürlich eine ge-wisse Zeit.Ich will hinzufügen, dass darüber hinaus seit Aus-bruch des Konflikts rund 25 000 syrische Staatsbürgeraußerhalb der Aufnahmeaktion nach Deutschland einge-reist sind. Jeden Monat gibt es derzeit circa 1 500 neueAsylanträge von Menschen aus Syrien. Ich kann berich-ten, dass andere europäische Staaten, deren Namen ichjetzt nicht nenne, gesagt haben, sie nähmen 500, 400oder 300 syrische Flüchtlinge auf. Von daher glaube ich,dass wir uns in der Europäischen Union mit unserem hu-manitären Engagement für Flüchtlinge aus Syrien sehenlassen können.
Der Kollege Mutlu hat die nächste Frage. Bitte.
Herr Minister, ich habe eine Frage, die in einer Regie-
rungsbefragung sicherlich nicht in aller Ausführlichkeit
erörtert werden kann. Nichtsdestotrotz: Welche Konse-
quenzen ziehen Sie aus diesem Migrationsbericht für
den Nationalen Integrationsplan, dessen Umsetzung Sie
sich ja in der letzten Legislaturperiode und vermutlich
auch in dieser zum Ziel gesetzt haben? Zusammen mit
den Bundesländern wollen Sie eine bessere Integration
der Menschen gewährleisten, die in unser Land einwan-
dern.
Dabei geht es insbesondere um Institutionen des Bil-
dungsbereichs, zum Beispiel die Schulen. Die Kommu-
nen vor Ort müssen die Zuwanderung – egal aus wel-
chen Gründen – irgendwie meistern und sind damit
überfordert, fehlende Schulräume, genügend Lehrkräfte
und auch muttersprachliches Personal bereitzustellen.
Welche Schritte gedenken Sie nach diesem Bericht dies-
bezüglich einzuleiten, um dem zu begegnen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Herr Abgeordneter, das ist ein Aufgabenpaket für die
ganze Legislaturperiode. Wir fangen dabei nicht bei null
an; Frau Böhmer sitzt neben mir, und auch Frau Böhmer
hatte Vorgängerinnen. Das Innenministerium, die Beauf-
tragte für Migration, Flüchtlinge und Integration und
auch alle anderen Häuser arbeiten an diesem Thema, um
es voranzubringen.
Es nützt nichts, wenn der Bund sagt, die Länder seien
für die Schulen zuständig – obwohl es so ist –, und es
nützt auch nichts, wenn die Länder sagen, der Bund solle
ihnen irgendwie helfen. Wir kommen hier nur voran,
wenn wir das gemeinsam tun – jeder in seiner Verant-
wortung.
Der Bund tut hier viel. In den Ländern werden
Deutschkurse an Schulen angeboten, die aus Beitrags-
mitteln der Bundesagentur für Arbeit finanziert werden.
Da kann man wirklich fragen, wer hierfür eigentlich zu-
ständig ist. Das machen wir, um die Arbeitsfähigkeit und
die Integration in den Arbeitsmarkt zu verbessern. Hier
gehen wir verfassungsrechtlich über eine ziemlich große
Brücke, aber integrationspolitisch ist das eine sehr wirk-
same und richtige Maßnahme. Da brauchen wir, glaube
ich, keine Nachhilfe.
Zur Beantwortung der Frage gehört auch, zu erwäh-
nen, dass die Situation in Deutschland sehr unterschied-
lich ist, etwa in Großstädten oder in Kleinstädten. Ich
komme aus Sachsen, wo der Ausländeranteil sehr viel
niedriger als in anderen Bundesländern ist. Wir haben
Städte, in denen die Integration sehr gut funktioniert,
und auch Städte, wo es nicht so gut funktioniert. Das
hängt auch mit Traditionen, mit Städtebau und Stadtent-
wicklung zusammen, auch mit Gruppen, die sich in be-
stimmten Gegenden niedergelassen haben.
Das ist eine große Aufgabe. Die Frage ist, ob und in
welcher Weise wir den Prozess des Integrationsplans
bzw. des Integrationsgipfels fortsetzen. Es spricht viel
dafür, dass wir dies tun. Aber geben Sie uns ein bisschen
Zeit. Das wird sicher bei unserem Treffen in Meseberg
auch ein Thema sein. Ich werde das mit der Kollegin
Özoğuz besprechen. Dann werden Sie dazu Vorschläge
vorgelegt bekommen.
Herzlichen Dank. – Als Nächster der Kollege Detlev
Pilger, SPD-Fraktion, und dann noch einmal Wolfgang
Gehrcke, Fraktion Die Linke. Herr Kollege Pilger.
Herr Präsident! Herr Minister, ich möchte gerne andas anknüpfen, was die Kollegin von Bündnis 90/DieGrünen eben angeregt hat, nämlich Sprachkurse fürAsylsuchende. Bei uns in Koblenz lebt eine Gruppe vonkoptischen Christen, 18 Menschen. Diese sind sehrdaran interessiert, mit der Bevölkerung in Kontakt zutreten und auch niederschwellige Arbeiten zu überneh-men, um sich zu beschäftigen. Dafür sind zumindest ge-ringe Sprachkenntnisse eine Voraussetzung.Ich möchte die Bundesregierung an dieser Stelledarum bitten, darüber nachzudenken, innerhalb des Ge-samtpakets Willkommenskultur Mittel für Sprachkursebereitzustellen. Diese werden sicherlich kein großesLoch in den Etat reißen. Sie könnten in der Tat ein unter-stützendes Moment sein, um für diese Menschen in derBevölkerung mehr Akzeptanz zu erzielen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 339
(C)
(B)
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Das war jetzt keine Frage, aber eine Bitte. Ich greifesie trotzdem gerne konstruktiv auf. Natürlich werden wirdas prüfen. Aber irgendwo sind die Haushaltsmittel auchbegrenzt.Als ich das erste Mal Innenminister war, haben wirdarüber schon einmal eine Debatte geführt. Dabei ginges um Fragen der Effektivität und darum, wie groß dieKurse sind und ob sich Träger innerhalb einer Stadt ab-sprechen können, damit man sich das Ganze aufteilt. Ichglaube, damals gab es hier sehr viele Reserven. Ich weißnicht genau, was in der Zwischenzeit passiert ist.Wir sind uns unserer Verantwortung für die Integra-tionskurse bewusst. Aber die Bäume wachsen auch nichtin den Himmel. Hier müssen wir eine vernünftige Lö-sung finden.
Schönen Dank. – Kollege Gehrcke, Fraktion Die
Linke.
Herr Minister, ich hatte mithilfe des Auswärtigen
Amts – das muss ich dazusagen – die Gelegenheit, einer
syrischen Flüchtlingsfrau zu helfen, aus einem Lager in
Beirut nach Deutschland zu kommen. Angesichts des
Elends in Syrien sind die Zahlen, die Sie hier für
Deutschland und für Europa vorgetragen haben, aus
meiner Sicht beschämend.
Könnte die Bundesregierung nicht eine Initiative er-
greifen, um der Genfer Syrienkonferenz einen humanitä-
ren Impuls zu geben, damit die Aufnahmebereitschaft in
der EU insgesamt erhöht wird? Würden Sie mit Ihren
EU-Partnern über diese Frage nicht intensiver verhan-
deln wollen?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-
nern:
Der erste informelle Rat der Innenminister findet
Ende Januar in Athen statt. Dabei wird dieses Thema
sicherlich eine Rolle spielen.
Ich will im Zusammenhang mit Ihrer Frage insbeson-
dere – das weiß ich noch aus meiner früheren Funktion –
das Engagement der Länder Libanon, Jordanien und
Türkei hier würdigen. Was sie an Flüchtlingslasten tra-
gen, ist international wirklich vorbildlich. Manche EU
Staaten – Stichwort „Dublin“ – könnten sich daran ein
Beispiel nehmen. Das will ich wirklich einmal sagen.
Mit „Dublin“ meine ich jetzt nicht das Land Irland, son-
dern das Dublin-System, damit hier kein Missverständ-
nis aufkommt.
Ich möchte allerdings auch darauf hinweisen, dass
sich Deutschland innerhalb der Europäischen Union
wirklich vorbildlich verhält. Das ganze Verfahren
kommt zwar schleppend in Gang, aber inzwischen haben
wir 5 000 Flüchtlinge aufgenommen und werden noch
einmal 5 000 Flüchtlinge aufnehmen. Darüber hinaus
sind etwa 13 000 Asylbewerber eingereist, pro Monat
sind es derzeit circa 1 500.
Unser Engagement in dieser Frage kann sich in Eu-
ropa wirklich sehen lassen. Wir wollen gerne dazu bei-
tragen, dass auch andere zusätzlich Flüchtlinge aufneh-
men; das will ich gerne tun und sicher auch Herr Kollege
Steinmeier. Das macht man aber am besten nicht, indem
man es laut im Deutschen Bundestag fordert, sondern
dadurch, dass man das direkt mit den Betroffenen erör-
tert.
Schönen Dank. – Und nun noch Dr. Karamba Diaby,
SPD-Fraktion. Bitte.
Herr Präsident! Herr Minister, Sie hatten in Ihrem Be-richt angedeutet, dass ein großer Teil der Zuwanderungauf Familienzusammenführung beruht, wenn ich Sierichtig verstanden habe. Wir haben aber immer noch diegesetzliche Regelung, dass die Einwanderung oder dieFamilienzusammenführung von der Belegung von Deutsch-kursen im Heimatland bzw. von Deutschkenntnissen ab-hängig ist. Ich möchte fragen, inwieweit Erkenntnisse imZusammenhang mit diesem Gesetz vorliegen, bevor diegesetzlichen Regelungen 2005 eingeschränkt wurden,und welchen Einfluss dieses Gesetz auf die Familienzu-sammenführung hat. Inwieweit gibt es Überlegungen,Verbesserungen zu erreichen?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister des In-nern:Herr Abgeordneter, das kann ich aufgrund der Kürzemeiner Amtszeit noch nicht sagen. Ich weiß nur, dass derErwerb von Deutschkenntnissen im Heimatland, insbe-sondere in der Türkei, für die Integration der dann Hier-herkommenden und zur Verhinderung von manchemMissbrauch, insbesondere im Zusammenhang mit jun-gen Mädchen in der Türkei, ein großer Fortschritt warund die Integration in Deutschland massiv erleichterthat.Ich weiß auch – das war am Anfang sehr umstritten;wir kennen solche Debatten –, dass es insbesondere inder Türkei bei den Betroffenen – Frau Böhmer nickt; ichhoffe, sie gibt mir recht – als große Ermutigung empfun-den wurde – auch als ein Stück Emanzipierung und Un-terstützung –, um dann auch in anderer Weise inDeutschland anzukommen und integriert zu werden.Diesen Fortschritt würde ich jetzt ungerne aufgeben, in-dem wir darauf verzichten. Es ist auch, glaube ich, in derKoalition dazu nichts Entsprechendes verabredet.Familiennachzug funktioniert am besten dann, wenner eine Familie wirklich zusammenführt und wenn er dieIntegration derer, die kommen und die schon hier sind,
Metadaten/Kopzeile:
340 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
(C)
(B)
stärkt, statt zusätzliche Probleme zu schaffen. Dafürsollte der Erwerb von Deutschkentnissen in den Heimat-ländern eine Hilfe sein. Das funktioniert auch überwie-gend. Deswegen ist, glaube ich, zumindest das Prinziprichtig.
Herzlichen Dank. – Wir haben jetzt die Zeit etwas
überzogen; aber der Sitzungsvorstand war der Meinung,
dass wir uns zu dem Thema der Migration, weil es ein
zentrales Thema der deutschen Politik ist, in Ruhe aus-
tauschen sollten. Ich danke Herrn Bundesminister de
Maizière.
Ich frage die Kollegen, ob sie sonstige Fragen zu den
Themen der Kabinettssitzung stellen wollen. – Frau
Vogler, Fraktion Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich weiß nicht, ob sich
das Kabinett heute damit beschäftigt hat; deswegen frage
ich nach. Gestern hat der zuständige Sachverständi-
genausschuss beim Bundesinstitut für Arzneimittel und
Medizinprodukte der Bundesregierung erneut empfoh-
len, die sogenannte Pille danach mit dem Wirkstoff Le-
vonorgestrel aus der Verschreibungspflicht zu entlassen.
Das hatten bereits der Bundesrat sowie die Fraktionen
der SPD, der Linken und der Grünen in der letzten Wahl-
periode gefordert. Dies würde vielen Frauen große Er-
leichterung verschaffen, wenn sie schnellen Zugang zu
diesem Notfallverhütungsmittel benötigen.
Nun ist offensichtlich in der Regierung eine Debatte
darüber losgebrochen. Es gibt offensichtlich Widerstand
aus der CDU/CSU, den ich eher für ideologisch als wis-
senschaftlich begründet halte. Deswegen möchte ich fra-
gen, ob Sie darüber gesprochen haben und bis wann die
Bundesregierung gedenkt diese wichtige Empfehlung
auf dem Verordnungswege in Kraft zu setzen.
Für die Bundesregierung antwortet der Staatsminister
im Kanzleramt, Herr Dr. Braun.
D
Liebe Frau Kollegin, das Thema war heute nicht Ge-
genstand der Kabinettssitzung, und einen konkreten
Zeitplan für etwaige Regelungen der Bundesregierung
zu diesem Thema gibt es noch nicht.
Schönen Dank. – Die nächste Frage hat der Kollege
Volker Beck.
Wir haben in den ersten Tagen dieses Jahres eine leb-
hafte Diskussion über die Frage erlebt, ob der ehemalige
Chef des Bundeskanzleramtes in den Vorstand der Deut-
schen Bahn AG geht. In diesem Zusammenhang wurde
auch vonseiten der Bundesregierung geäußert, dass man
sich Karenzzeiten vorstellen könnte. Selbst die Bundes-
kanzlerin hat, anders als im Fall von Herrn von Klaeden,
gesagt, dass sie zu solchen Karenzzeiten rät. Deshalb
frage ich: Plant die Bundesregierung nach dem Vorbild
der Europäischen Kommission für die ausscheidenden
Kommissare eine Regelung, nach der die Anschlussver-
wendung von Kabinettsmitgliedern künftig durch die
Bundesregierung genehmigungspflichtig wird, und an
welche Fristen denken Sie in diesem Zusammenhang?
Herr Staatsminister Dr. Braun.
D
Sehr geehrter Herr Kollege, auch das war nicht Ge-
genstand der heutigen Kabinettssitzung.
Insofern ist bisher noch nicht darüber entschieden, ob es
zu einer solchen Regelung kommt.
Das Thema Karenzzeiten ist morgen Gegenstand ei-
ner Debatte im Deutschen Bundestag, nur zur Informa-
tion.
– Es ist mir klar, Kollege Beck, dass Sie das wissen.
Aber ich weiß nicht, ob das alle wissen. Deswegen habe
ich das gesagt.
Wenn keine weiteren Fragen vorliegen, beendige ich
die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
Drucksache 18/267
Die ersten Fragen fallen in den Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern. Zur Beantwortung steht
der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder be-
reit.
Ich rufe die Frage 1 des Abgeordneten Dr. André
Hahn von der Fraktion Die Linke auf:
Welche Mitglieder der Bundesregierung werden nach der-
zeitiger Planung zu den Olympischen Winterspielen 2014
nach Sotschi reisen, und welche Mitglieder der Bundesregie-
rung zu den Paralympischen Spielen 2014?
Dann bitte ich den Staatssekretär um die Beantwor-
tung der Frage 1.
D
Sehr geehrter Abgeordneter, ich beantworte IhreFrage wie folgt: Nach derzeitiger Planung wird der fürden Spitzensport zuständige Bundesminister des Innernzu den Winterspielen nach Sotschi reisen. Es ist zum jet-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 341
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
(C)
(B)
zigen Zeitpunkt nicht auszuschließen, dass weitere Mit-glieder der Bundesregierung nach Sotschi reisen.
Haben Sie eine Nachfrage, Herr Kollege?
Herr Präsident, ich habe eine Nachfrage.
Bitte schön.
Der Spiegel und andere Medien meldeten am 8. De-
zember: Gauck boykottiert Olympische Spiele in Sot-
schi, um ein Zeichen gegen Menschenrechtsverletzun-
gen und Drangsalierung der Opposition in Russland zu
setzen. Am 14. Dezember meldeten Spiegel und andere
Medien, dass die Entscheidung Gaucks ein Alleingang
des Bundespräsidenten war und dass die Bundeskanzle-
rin darüber sauer ist und die Entscheidung für falsch
hält. – Es fahren nun auch Regierungsvertreter nach Sot-
schi. Daher lautet meine Nachfrage: Inwieweit stimmen
die Pressemeldungen, dass die Bundesregierung die Ent-
scheidung des Bundespräsidenten, nicht zu den Winter-
spielen nach Russland zu reisen, für falsch hält?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Die Bundesregierung kommentiert solche Entschei-
dungen des Bundespräsidenten nicht.
Aber anders als der Bundespräsident fahren Vertreter
der Bundesregierung nach Sotschi. Habe ich das richtig
verstanden?
D
Richtig.
Ich habe eine zweite Nachfrage. Warum fährt seitens
der Bundesregierung niemand – zumindest haben Sie
das so ausgeführt – zu den Paralympischen Spielen? Wa-
rum wird hier eine solche Differenzierung Ihrerseits vor-
genommen?
D
Eine solche Differenzierung nehmen wir nicht vor. Es
werden sicherlich auch Mitglieder der Bundesregierung
zu den Paralympischen Spielen fahren. Aber Sie haben
nach den Olympischen Winterspielen gefragt. Deshalb
habe ich nur Ihre diesbezügliche Frage beantwortet.
Schönen Dank. – Der Kollege Beck hat dazu noch
eine Frage.
Die Menschenrechtsorganisationen in Russland, aber
auch die internationalen Organisationen erwarten, dass,
wenn Regierungsvertreter nach Sotschi fahren, im Be-
suchsprogramm oder durch Aktionen zum Ausdruck ge-
bracht wird, dass man mit den Zuständen in Russland,
die die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte be-
treffen – ich nenne als Beispiel nur das Gesetz über die
Homopropaganda –, nicht einverstanden ist. Welche
Mitglieder der Bundesregierung fahren denn nach Sot-
schi, und inwiefern stellen sie in ihrem Programm sicher,
dass wir nicht Teil der Putin-Festspiele werden, sondern
einerseits deutlich machen, dass wir dem Sport unsere
Aufwartung machen, und andererseits den Dissens bei
dieser Gelegenheit dokumentieren, um uns mit der russi-
schen Regierung nicht gemein zu machen?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Diese Problematik wird bei der Reiseplanung sicher-
lich eine Rolle spielen und einbezogen werden. Wie ich
ausgeführt habe, ist sicher, dass der Bundesinnenminis-
ter reist. Inwieweit andere Mitglieder der Bundesregie-
rung reisen, ist noch nicht bekannt.
Danke schön. – Zu Frage 1 gibt es keine Nachfrage
mehr.
Wir kommen jetzt zu Frage 2, ebenfalls vom Kolle-
gen Abgeordneten Dr. André Hahn von der Fraktion Die
Linke:
Was wird die Bundesregierung tun, um gegebenenfalls
auch unabhängig von der Stiftung Deutsche Sporthilfe zu ge-
währleisten, dass die Leistungen und Ergebnisse der deut-
schen Sportlerinnen und Sportler der Paralympischen Winter-
spiele in Sotschi 2014 gleichermaßen gewürdigt werden wie
die der Sportlerinnen und Sportler der Olympischen Winter-
spiele?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Die Leistungen und Erfolge der paralympischenSportler werden – genauso wie die der olympischenSportler – durch individuelle Glückwünsche der Bundes-kanzlerin und des Bundesministers des Innern gewür-digt. Prämien an Sportlerinnen und Sportler wie durchdie Deutsche Sporthilfe werden von der Bundesregie-rung nicht gezahlt, da die Bundesregierung nach der gel-tenden Richtlinie die Förderung der Strukturen und derVerbände sowie des Leistungssportpersonals übernimmt.
Metadaten/Kopzeile:
342 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
(C)
(B)
Die direkte pekuniäre Unterstützung der Sportlerinnenund der Sportler erfolgt durch die Stiftung DeutscheSporthilfe im Rahmen der Autonomie des Sports.Um den paralympischen Sport gleichermaßen wieden olympischen Sport zu fördern, hat die Bundesre-gierung auch Prämien für Trainerinnen und Trainer imparalympischen Sport aufgelegt. Der Deutsche Behin-dertensportverband erhält ebenso wie die Bundessport-fachverbände entsprechend dem Leistungssportförder-programm des Bundesministeriums des Innern und dendazu erlassenen Richtlinien Zuwendungen, um allen amolympischen bzw. paralympischen Sport beteiligtenTrainern und Betreuern eine einvernehmlich abge-stimmte Erfolgsprämie gewähren zu können. Dies er-folgt unabhängig davon, ob ihre Tätigkeit unmittelbarmit Bundesmitteln gefördert wurde oder wird.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Herr Kollege Dr. Hahn?
Ja, sehr gern, Herr Präsident.
Bitte.
Die Deutsche Sporthilfe – Sie haben sie eben erwähnt –
hatte 2012 einen Etat von 19 Millionen Euro. Davon
wurden lediglich 10,6 Millionen Euro tatsächlich für die
direkte Sportförderung verwendet, davon nur 8 Prozent
für die Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen.
Die Sporthilfe ist eine unabhängige Stiftung – Sie haben
das eben angesprochen –, aber nicht ohne Grund hat das
Bundesinnenministerium einen festen Platz im Auf-
sichtsrat der Sporthilfe. Tatsache ist, dass es Kritik daran
gibt, dass zum Beispiel Goldmedaillengewinner bei den
Olympischen Spielen eine Prämie von 15 000 Euro er-
halten, jene bei den Paralympischen Spielen aber nur
7 500 Euro, wodurch der Eindruck entsteht, paralympi-
sche Medaillen seien nur die Hälfte wert. Dadurch füh-
len sich Sportlerinnen und Sportler mit Behinderungen
diskriminiert.
Dazu meine Nachfrage: Was hat der Vertreter der
Bundesregierung im Aufsichtsrat der Sporthilfe getan,
um eine Gleichbehandlung der behinderten Sportler bei
der Förderung durch die Sporthilfe zu erreichen, und
sieht die Bundesregierung einen Zusammenhang zwi-
schen der mit voraussichtlich 15 Teilnehmern extrem
kleinen deutschen Delegation zu den paralympischen
Spielen in Sotschi und den aktuellen Rahmenbedingun-
gen für diese Menschen zur Ausübung des Leistungs-
sports?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Diesen Zusammenhang sehen wir nicht. Wir sehen
auch keine Benachteiligung. Es wird lediglich in einer
anderen Form gefördert.
Gibt es weitere Fragen zu dieser Frage? Haben Sie
noch eine Nachfrage, Herr Kollege?
Ich habe noch eine Nachfrage.
Okay.
Wäre es theoretisch möglich, dass die Bundesregie-
rung mit Mitteln aus dem Bundeshaushalt – der Betrag
dürfte sich im unteren fünfstelligen Bereich bewegen –
die Differenz zwischen den Medaillenprämien bei den
Winterspielen in Sotschi ausgleicht, um eine Gleichbe-
handlung der Medaillengewinner bei den Paralympics zu
gewährleisten, und, wenn ja, wäre die Bundesregierung
dazu auch bereit?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Momentan ist es so, dass Prämien für die Sportler von
der Sporthilfe gezahlt werden, während wir gerade im
paralympischen Bereich die Prämien für die Betreuer
und Trainer direkt aus dem Bundeshaushalt zahlen. Da-
ran wollen wir entsprechend den Richtlinien festhalten.
Herzlichen Dank. – Ich sehe zu dieser Frage keine
Zusatzfragen.
Dann kommen wir zur Frage 3 des Abgeordneten
Harald Petzold , Fraktion Die Linke:
Wie gedenkt die Bundesregierung ihr verbales Lob für das
Sportlerinnen und Sportler weiterzuentwickeln, die in Zu-
kunft ihre bislang aus Furcht vor Ausgrenzung, Diskriminie-
rung oder Benachteiligung verheimlichte sexuelle Orientie-
rung öffentlich machen wollen?
Ich bitte Herrn Staatssekretär, darauf zu antworten.
D
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Homophobie imSport muss wie alle anderen Diskriminierungsformenbekämpft werden. Nach Einschätzung des für den Spit-zensport zuständigen Bundesministeriums des Innernhandelt es sich hierbei allerdings nicht um ein Problem
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 343
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
(C)
(B)
des Sports allein, sondern um eine gesamtgesellschaftli-che Frage.Der Sport hat eine wichtige gesellschaftliche Funk-tion beim Umgang mit Homosexualität, weil er einenstarken Vorbildcharakter hat und in nahezu allen gesell-schaftlichen Bereichen hohe Aufmerksamkeit genießt.Gerade wenn sich prominente Spitzensportler wieNadine Müller und Thomas Hitzlsperger öffentlich zuihrer Homosexualität bekennen, trägt dies zu einer grö-ßeren Akzeptanz bei. Gleichwohl ist der Sport nicht daseinzige Feld, auf dem gegen Homophobie vorgegangenwerden muss.Die Bundesregierung unterstützt bereits Aktivitätenim Zusammenhang mit dem Sport. Zu erwähnen ist hierzum Beispiel die von der Bundesrepublik, vertretendurch das Bundesministerium der Justiz, im Jahr 2011errichtete Bundesstiftung Magnus Hirschfeld mit ihremProjekt „Fußball für Vielfalt“ bzw. „Fußball gegen Ho-mophobie“. Dieses Projekt ist mit einer unter anderemvon den Bundesministern der Justiz, des Innern und fürFamilie, Senioren, Frauen und Jugend am 17. Juni 2013unterzeichneten „Berliner Erklärung: Gemeinsam gegenHomophobie. Für Vielfalt, Respekt und Akzeptanz imSport“ gestartet. Das Bundesinstitut für Sportwissen-schaft unterstützt zudem die Initiative der Robert-Enke-Stiftung „Mental gestärkt“. Ferner wirkte die unabhän-gige Diskriminierungsstelle des Bundes unter andereman der Broschüre des Deutschen Fußball-Bundes „Fuß-ball und Homosexualität“ im Jahr 2013 mit.Selbstverständlich bleibt ein Coming-out aus Sichtder Bundesregierung eine freiwillige Entscheidung. Essollte hierbei kein Druck auf die Sportler ausgeübt wer-den.
Schönen Dank, Herr Staatssekretär. – Herr Kollege
Petzold, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte schön.
Herr Präsident, vielen Dank. – Ich möchte es natür-
lich noch ein bisschen genauer wissen. Ich möchte des-
wegen nachfragen, inwieweit, mit welchen Maßnahmen
und vor allen Dingen in welcher materiellen Höhe die
Bundesregierung konkrete Unterstützung geleistet hat.
Zum Zweiten: Inwieweit arbeitet das Bundesministe-
rium des Innern mit dem DFB und anderen Sportorgani-
sationen bei diesem Thema konkret zusammen?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Wir sehen nicht, dass Thomas Hitzlsperger jetzt be-
sondere Unterstützung braucht; die will er auch gar
nicht. Deshalb sehen wir auch keine Notwendigkeit für
eine besondere finanzielle Unterstützung.
Haben Sie noch eine Nachfrage, Herr Kollege? –
Bitte.
Da meine Nachfrage nicht beantwortet worden ist,
frage ich noch einmal: Inwieweit arbeitet das Bundes-
ministerium des Innern mit dem DFB und anderen
Sportorganisationen zusammen?
Herr Staatssekretär, Sie können antworten. Bitte.
D
Ich hatte Ihnen ja bereits bei der Beantwortung Ihrer
ursprünglichen Frage gesagt, dass auch das Bundes-
ministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
und insbesondere die Antidiskriminierungsstelle eng mit
dem Deutschen Fußball-Bund zusammenarbeiten. Sie
haben beispielsweise die Broschüre „Fußball und Homo-
sexualität“ im Jahr 2013 mit auf den Weg gebracht.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. – Die nächsten
Zusatzfragen stellen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grü-
nen, und Katrin Werner, Fraktion Die Linke.
Bitte, Kollege Beck.
Ich finde
richtig, was Sie gerade gesagt haben, dass es nämlich
nicht nur eine Aufgabe des Sports, sondern eine gesamt-
gesellschaftliche Aufgabe ist, in allen Bereichen Diskri-
minierung und Homophobie zu bekämpfen. Insofern
frage ich mich, ob die Bundesregierung ihre Hausaufga-
ben gemacht hat.
Es ist immer noch so, dass im deutschen Recht Le-
benspartnerschaften benachteiligt werden. Im Koali-
tionsvertrag steht, dass man das beim Adoptionsrecht
auch so belassen will. Wie können Sie glaubwürdig ge-
gen Diskriminierung und Homophobie eintreten, wenn
Sie nicht endlich den Vorgaben des Verfassungsgerichts
folgen und die Lebenspartnerschaften der Ehe vollstän-
dig gleichstellen? Oder hat der Jubel aus der Bundesre-
gierung über das Coming-out von Herrn Hitzlsperger zu
einem Einstellungswandel geführt?
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Wichtig ist, dass wir Homophobie in allen Gesell-schaftsbereichen bekämpfen. Die Bundesregierung tuthier alles, damit es in unserer Gesellschaft keine Diskri-minierung gibt.
Metadaten/Kopzeile:
344 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
(C)
(B)
Das ist nicht nur Aufgabe der Bundesregierung, sondernauch Aufgabe der Länder, der Kommunen, aller gesell-schaftlich relevanten Gruppen.
Nun fragen Sie nach ganz konkreten Gesetzgebungs-maßnahmen im Bereich der Gleichstellung von homo-sexuellen Partnerschaften mit anderen Partnerschaften.Meines Erachtens ist die Tatsache, dass es noch Unter-schiede gibt, überhaupt keine Rechtfertigung dafür, dasses Homophobie gibt.
Die nächste Frage hat die Kollegin Katrin Werner,
Fraktion Die Linke. Bitte.
Danke. – Vielleicht konkretisiere ich die Frage mei-
nes Kollegen, bei der es um die finanzielle Unterstüt-
zung ging. Dabei ging es auf keinen Fall um die finan-
zielle Unterstützung des Fußballers Hitzlsperger,
sondern es wurde ganz gezielt gefragt, welche finanziel-
len Mittel die Bundesregierung zur Verfügung stellt. De-
batten dazu hatten wir auch schon in der vergangenen
Wahlperiode.
Ich mache es ganz konkret: Ist die Bundesregierung
der Meinung, dass 150 000 Euro pro Jahr für die Anti-
diskriminierungsstelle ausreichend sind? Sie soll sich
nämlich genau mit dem Thema Homophobie – nicht nur
im Sport, wie Sie selber sagen – befassen.
Sie sagen, dass Sie Erklärungen mit unterschreiben
und andere Dinge tun. Aber ich glaube, mit dem Unter-
schreiben von Erklärungen allein nimmt man sich des
Themas nicht genug an, und die Probleme, die es in den
vergangenen Jahren gerade bei der Antidiskriminie-
rungsstelle gab, sind auch nicht behoben oder einfach
wegzudiskutieren.
Von daher ganz konkret: Sind Sie der Meinung, dass
150 000 Euro pro Jahr ausreichend sind, um sich dieses
Themas wirklich anzunehmen, sich weiter gegen Homo-
phobie zu positionieren und wirklich etwas umzusetzen?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Die gute Arbeit der Antidiskriminierungsstelle zeigt
meines Erachtens, dass sie gut ausgestattet ist. Man kann
sich natürlich immer darüber unterhalten, ob die Aus-
stattung noch besser sein könnte, wie in vielen anderen
Bereichen auch. Ich bezweifle, dass allein mehr Geld
wirklich etwas beim Thema Homophobie bewirken
kann. Ich glaube, das muss sich vielmehr in den Köpfen
der Menschen abspielen. Deshalb sind solche Vorbilder
wie Hitzlsperger auch gut für unser Land.
Herzlichen Dank.
Die Frage 4 der Kollegin Dağdelen, die Frage 5 der
Kollegin Jelpke und die Frage 6 des Kollegen Hunko
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu den Fragen 7 und 8 der Kollegin Pau.
Zur Beantwortung steht weiterhin Herr Staatssekretär
Dr. Schröder bereit.
Frage 7:
Welche Fehleinschätzungen und Defizite bei der Wahr-
nehmung und Beurteilung der Gefahren durch den Rechts-
extremismus hat die Bundesregierung nach Kenntnisnahme
des Abschlussberichts des 2. Untersuchungsausschusses des
tung festgestellt, und welche Konsequenzen hat sie daraufhin
für Struktur, Ausstattung und Zuständigkeiten in den Bundes-
ministerien und Bundesbehörden gezogen?
Bitte, Herr Dr. Schröder.
D
Frau Präsidentin, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Die Bundesregierung hat diesbezügliche Einschät-
zungen und Bewertungen unmittelbar nach Bekanntwer-
den des NSU überprüft. Sie hat nach dem 4. November
2011 insgesamt umfangreiche Konsequenzen aus dem
NSU-Komplex gezogen, die sich unter anderem auch
auf Struktur, Ausstattung und Zuständigkeiten beziehen.
Diese Maßnahmen sind im Abschlussbericht, unter an-
derem auf Grundlage eines umfassenden Berichts der
Bundesregierung an den 2. Untersuchungsausschuss der
letzten Wahlperiode, dargelegt. Die Bundesregierung hat
die dort beschriebenen Neuerungen konsequent fortge-
führt und wird dies auch zukünftig tun.
Die im Abschlussbericht niedergelegten Bewertungen
des 2. Untersuchungsausschusses der 17. Wahlperiode
nimmt sie ernst. Gleiches gilt für die im gleichen Bericht
ausgesprochene Empfehlung, die sich die Bundesregie-
rung gemäß Koalitionsvertrag zu eigen macht und deren
zügige Umsetzung sie anstrebt.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin Pau? – Bitte schön.
Danke. – Herr Staatssekretär, wie Sie wissen, sind wirbeide Kenner des Abschlussberichts des Untersuchungs-ausschusses und der gemeinsam formulierten Schluss-folgerungen. In meiner Frage geht es um mehr als umKonsequenzen und Schlussfolgerungen im gesamten Be-reich der Sicherheitsarchitektur und des Bereichs, denich gern „Präventionsarchitektur“ nenne. Mir geht es
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 345
Petra Pau
(C)
(B)
konkret darum: Was ist beispielsweise im Bundesminis-terium des Innern, im Bundesministerium der Justiz, ge-gebenenfalls auch in anderen Bereichen geschehen? Hatman sich mit den im Untersuchungsbericht attestiertenFehleinschätzungen, auch zur Bedrohung für die Demo-kratie, für Leib und Leben von Bürgerinnen und Bürgerndurch Rechtsextremisten, befasst? Hat man so etwas wieeine Fehleranalyse gemacht, herausgefunden, warum so-wohl die Spitzen der Häuser, der Bundesministerien, alsauch die nachgeordneten Behörden zu solchen Fehlein-schätzungen gekommen sind? Wenn ja: Welche Vorkeh-rungen wurden getroffen, damit das nicht wieder ge-schieht?
Herr Dr. Schröder, bitte.
D
Die konkreten Maßnahmen in Bezug auf die Analyse-
fähigkeit besprechen wir gleich bei Ihrer nächsten Frage.
Da geht es darum, dass die Bundesregierung bereits eine
Datei für die Bekämpfung des Rechtsextremismus und
ein gemeinsames Analyse- und Lagezentrum gegen den
Rechtsextremismus auf den Weg gebracht hat.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag darauf geeinigt,
dass die im Untersuchungsausschuss festgestellten Defi-
zite konsequent angegangen werden. Das werden wir in
dieser Wahlperiode tun.
Viele Dinge sind bereits auf den Weg gebracht wor-
den. Wenn man sich die Liste einmal anguckt, stellt man
fest, dass sogar schon die meisten Dinge auf den Weg
gebracht worden sind. Was hier noch vor uns liegt, ist
die Erarbeitung eines Gesetzentwurfs zur Verbesserung
der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschut-
zes mit Regelungen unter anderem zur Stärkung der
Zentralstelle des Bundesamtes für Verfassungsschutz.
Das ist etwas, was in dieser Wahlperiode noch zu erar-
beiten ist.
Herr Staatssekretär, ich habe den Eindruck, dass sich
ein permanentes Missverständnis in unseren Debatten
der vergangenen Legislaturperioden und insbesondere
der letzten Legislaturperiode in Ihrer Beantwortung der
Frage gerade fortsetzt. Ich frage im Moment nicht nach
Strukturveränderungen im Bundesamt für Verfassungs-
schutz, nicht nach dem Errichten von Dateien usw., son-
dern ich frage danach, welche Vorkehrungen beispiels-
weise in Ihrem Haus getroffen wurden, um die Daten,
die erhoben werden, tatsächlich so zu analysieren, dass
man zu einer zutreffenden Lageeinschätzung, in dem
Fall der Einschätzung der Gefährlichkeit von Rechts-
extremismus, kommt und notwendige Maßnahmen er-
greifen kann.
Ich kann es konkret machen anhand der Bilanz, die
das Bundesamt für Verfassungsschutz für die Jahre 1990
bis 2011 vorgelegt hat: In diesem Zeitraum haben nach
dieser offiziellen Bilanz Rechtsextremisten 47 Tötungs-
delikte verübt, in 1996 Fällen haben sie Brandstiftungen
verübt, und es hat 46 Fälle der Herbeiführung von
Sprengstoffexplosionen gegeben. Wir wissen, dass die
tatsächlichen Zahlen noch viel höher sind; aber selbst
diese Zahlen sind doch beeindruckend. Wir haben im
Untersuchungsausschuss fraktionsübergreifend festge-
stellt, dass trotz dieser Zahlen keine Bedrohung für die
Demokratie, für das Gemeinwesen geschlussfolgert
wurde. Jetzt möchte ich wissen: Welche Vorkehrungen
sind getroffen und was ist gegebenenfalls zur Qualifizie-
rung unternommen worden, dass man nie wieder im
Bundesministerium des Innern, im Bundesministerium
der Justiz, in der Bundesregierung überhaupt zu einer
solchen Fehleinschätzung kommt, obwohl man solche
Befunde auf dem Tisch hat?
Herr Staatssekretär.
D
Alle Maßnahmen, die im Abschlussbericht des NSU-
Untersuchungsausschusses als notwendig festgeschrie-
ben wurden, wird die Bundesregierung jetzt auf den Weg
bringen. Die meisten Dinge sind, wie gesagt, schon auf
den Weg gebracht. Das Bundeskriminalamt überprüft
beispielsweise für die Vergangenheit alle ungeklärten
Straftaten, um noch einmal zu analysieren, ob es sich
nicht doch um rechtsextremistisch motivierte Straftaten
handelt. Natürlich machen wir auch im Bereich der Poli-
zeien das, was der Untersuchungsausschuss empfohlen
hat: Wir arbeiten daran, dass die Polizeibeamtinnen und
-beamten noch stärker sensibilisiert werden, auch in Be-
zug auf Migrationshintergründe, dass Vorverurteilungen
verhindert werden und dergleichen mehr.
Sie haben ja eingangs explizit gefragt, ob wir die
Strukturen ändern. Darauf habe ich Ihnen bereits geant-
wortet, dass wir das schon durch die Gründung eines
entsprechenden Abwehrzentrums getan haben. So stel-
len wir sicher, dass die unterschiedlichen Informationen,
auch aus den Ländern, zusammengeführt werden und
keine einzige Information verloren geht, damit wir dann
aufgrund des entsprechenden Lagebildes auch im Minis-
terium die richtigen Schlussfolgerungen ziehen können.
Herzlichen Dank. – Die beiden nächsten Fragen ha-
ben die Frau Kollegin Renner, Fraktion Die Linke, und
der Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte,
Frau Kollegin Renner.
Danke, Herr Präsident. – Herr Dr. Schröder, ich hätteeine ganz konkrete Nachfrage. Sie haben gesagt, diemeisten Dinge seien schon auf den Weg gebracht. Des-wegen noch einmal zu den gemeinsamen Schlussfol-gerungen aus dem NSU-Abschlussbericht: Hier ist javereinbart worden, dass in Zukunft bei schweren Ge-waltverbrechen bis hin zum Mord an Menschen mit Mi-grationshintergrund verpflichtend durch die Polizeienuntersucht werden soll, ob der Tat möglicherweise einrassistischer oder rechtsextremer Hintergrund zugrunde
Metadaten/Kopzeile:
346 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Martina Renner
(C)
liegt. Wenn man diesen ausschließen kann, soll das dannja auch durch die Polizeien nachweisbar in den Aktenvermerkt werden.Vor dem Hintergrund Ihrer Aussage, dass alles schonauf dem Weg ist und nur noch kleine Details geklärt wer-den müssen, meine Frage: Wann wird dieses Thema zumBeispiel auf die Tagesordnung der IMK gesetzt? Die Ko-operation mit den Landesinnenministern ist ja hierbeidurchaus angezeigt, weil eine solche Maßnahme gemäßden Schlussfolgerungen durchgängig von den Bundes-polizeibehörden bis hin zu den Polizeibehörden vor Ortumgesetzt werden sollte.
Herr Staatssekretär.
D
Das ist auch eine Maßnahme, die es noch auf den
Weg zu bringen gilt, wie zum Beispiel auch die Überprü-
fung der Verfassungskriterien zur Statistik politisch mo-
tivierter Kriminalität. All das geschieht mit dem Ziel, ein
klares Bild zu ermöglichen.
Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen, und da-
nach Kollege Tempel, Fraktion Die Linke. – Kollege
Ströbele, bitte.
Herr Staatssekretär, wir erinnern uns – jedenfalls die,
die im NSU-Untersuchungsausschuss gewesen sind –,
dass das Bundesamt für Verfassungsschutz seit 1999 alle
Jahre wieder eine katastrophale Fehleinschätzung gelie-
fert hat, indem es immer wieder fast gleichlautend ge-
schrieben hat, dass es in Deutschland kein Umfeld für
terroristische Gruppen im rechten Bereich gebe und dass
aus diesem Bereich auch keine Straftaten bekannt ge-
worden seien, dass insbesondere auch keine Straftaten
im Zusammenhang mit dem Trio, das zu jener Zeit im
Untergrund gewesen ist und das ausdrücklich erwähnt
wird, bekannt geworden seien. Welche konkreten Maß-
nahmen – das ist ja auch die Frage der Kollegin Pau –
haben Sie nach einer solchen katastrophalen Fehlein-
schätzung, die sich Jahr für Jahr fortgesetzt hat, be-
schlossen, damit es in Zukunft nicht mehr dazu kommen
kann? Das ist doch ein alarmierendes Thema.
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Die erste der beiden wichtigsten Maßnahmen, die wir
bereits unmittelbar nach Bekanntwerden des NSU-Ter-
rors, also noch durch den vorherigen Bundesinnenminis-
ter, auf den Weg gebracht haben, gerade zur Verbesse-
rung der Analysefähigkeit, ist die Einrichtung des
Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehr-
zentrums, damit das, was Sie eben beschrieben haben
– dass Informationen, die in den Ländern vorliegen,
nicht zusammengeführt werden und deshalb das Bundes-
amt für Verfassungsschutz zu einer solchen Fehlein-
schätzung kommt –, nicht noch einmal passiert. Die
zweite wichtige Maßnahme ist, dass wir eine entspre-
chende Datei zur Bekämpfung des Rechtsextremismus
brauchen, die analysefähig ist. Auch das haben wir be-
reits auf den Weg gebracht.
Herr Kollege Tempel, Fraktion Die Linke, bitte.
Herr Staatssekretär, Sie zielen immer wieder darauf
ab, dass Daten und Informationen gefehlt hätten. Ist Ih-
nen bekannt, dass das BKA am 17. September 2003 an
das BMI einen Bericht zum Ermittlungsverfahren gegen
Martin Wiese unter anderem wegen des Verdachts der
Bildung einer terroristischen Vereinigung schickte, in
dem das BKA über rechte Kameradschaften und über
Sprengstoff- und Waffenfunde bei Rechtsextremisten in
der Bundesrepublik im Zeitraum Januar 2000 bis Ende
Juli 2003 berichtet? Für diesen Zeitraum wurden
87 Fälle aufgelistet; in der Aufstellung wurden übrigens
nur schussfähige Waffen und Munition im Sinne des
Waffengesetzes aufgeführt. Unter anderem bezieht sich
der Bericht des BKA auf das Aktionsbündnis Süd und
die sogenannten Bombenbauer in Thüringen. Das heißt,
es lagen Fakten vor. Können Sie mir erklären, wie man
vor dem Hintergrund dessen damals in den bundesdeut-
schen Sicherheitsbehörden und auch auf der Leitungs-
ebene des BMI zu der Einschätzung kommen konnte,
dass es in Deutschland keine rechtsterroristische Gefahr
gibt?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Der Untersuchungsausschuss hat gut herausgearbei-
tet, dass es an einem realistischen Lagebild fehlte. Des-
halb ist man zu diesen Fehleinschätzungen gekommen.
Was Sie beschrieben haben, ist ja kein Widerspruch.
Herzlichen Dank. – Wir kommen dann zur Frage 8der Kollegin Abgeordneten Pau, ebenfalls zu diesemThemenkomplex:Mit welchen Maßnahmen hat die Bundesregierung dieAnalysefähigkeit der Bundessicherheitsbehörden und derBundesministerien so weit verbessert, dass die im Laufe derArbeit des 2. Untersuchungsausschusses des Deutschen Bun-destages der 17. Wahlperiode zutage getretenen offensichtli-chen dramatischen Fehleinschätzungen, die unter anderemzum Rücktritt des Präsidenten des Bundesamtes für Verfas-sungsschutz geführt haben, nicht mehr auftreten können, undwelche weiteren Maßnahmen sind im Laufe des Jahres 2014zu erwarten?Herr Staatssekretär, bitte.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 347
(C)
(B)
D
Ich kann zu dieser Frage auf das eben Gesagte ver-
weisen. Speziell die Verbesserung der Analysefähigkeit
der Sicherheitsbehörden betreffend sind die Einrichtung
des Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusab-
wehrzentrums, die Einrichtung einer Rechtsextremis-
musdatei sowie die parallel erwartete Nutzbarkeit der
Verbunddatei NADIS der Verfassungsschutzbehörden
besonders hervorzuheben. Über weitere Vorhaben wird
die Bundesregierung den Deutschen Bundestag im Ge-
setzgebungsverfahren in der üblichen Weise informie-
ren.
Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte, Frau Kollegin
Pau.
Ich habe noch eine oder gar zwei Fragen, Herr Präsi-
dent. Ich versuche es einfach noch einmal: Herr Staats-
sekretär, ich möchte gerne wissen, welche Schritte im
BMI auf Führungsebene eingeleitet wurden, um nach-
träglich zu analysieren, weshalb man in den Jahren 1998
bis 2011 zu solchen Fehlentscheidungen gekommen ist,
und welche Vorkehrungen getroffen wurden, dass das im
politisch verantwortlichen Haus nie wieder geschieht,
dass man also mit den Daten und Fakten, die Sie erheben
lassen, sachkundig umgeht.
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Wir haben unmittelbar nach Bekanntwerden des
NSU-Terrors eine entsprechende Arbeitsgruppe einge-
setzt, die die notwendigen Schlussfolgerungen gezogen
hat. Der Bericht dieser Arbeitsgruppe ist dem Untersu-
chungsausschuss zugeleitet worden, und der Untersu-
chungsausschuss hat das dann wiederum in seinen eige-
nen Bericht mit aufgenommen.
Haben Sie eine weitere Zusatzfrage?
Ja.
Bitte, Frau Kollegin Pau.
Ich gebe die Hoffnung nicht auf. – Wir sind beide,
denke ich jedenfalls, Kenner des Berichts. Natürlich
habe ich den Bericht, den die Bundesregierung dem
Ausschuss übermittelt hat, entsprechend studiert. Aber
Dinge, die dort nicht drinstehen, konnte der Untersu-
chungsausschuss auch nicht in seinen Bericht schreiben.
Im Übrigen konnte er auch nicht belobigen, dass Sie sol-
che Maßnahmen vielleicht schon eingeleitet haben. Des-
halb würde ich jetzt gern noch einmal wissen, ob es im
Bundesministerium des Innern inzwischen Anstrengun-
gen gegeben hat – und wenn ja, welche Ergebnisse sie
haben –, zu einer Neubewertung der Gefährlichkeit des
Phänomens Rechtsextremismus und des Rassismus in
der Bundesrepublik zu kommen.
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Diese Neubewertung wurde bereits vorgenommen,
und die Schlussfolgerungen sind im Untersuchungsaus-
schuss getroffen worden. Die Koalition hat sich darauf
verständigt, diese Schlussfolgerungen jetzt auch umzu-
setzen.
Dazu gibt es jetzt Gelegenheit, weil wir noch mehrere
Nachfragen haben, und zwar von der Frau Kollegin
Renner, Fraktion Die Linke, von Herrn Kollegen
Tempel, ebenfalls Fraktion Die Linke, und von Herrn
Kollegen Ströbele von der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen. – Als Erste Frau Kollegin Renner, bitte.
Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, ich habetatsächlich eine Nachfrage zur Analysefähigkeit. DieFehleinschätzungen in den entsprechenden Jahren beru-hen im Wesentlichen auf drei Bereichen:Erstens hat man den Umgang von Neonazis mit Waf-fen und Sprengstoff oftmals bagatellisiert. Man hat ge-sagt: Das sind junge Männer. Es ist in gewissen Szeneneben üblich, so etwas zu haben. Das ist harmlos.Zweitens hat man, auch in den Berichten des Bundes-amtes für Verfassungsschutz, bestimmte militante Netz-werke als subkulturelle Zusammenschlüsse ohne ideolo-gischen und politischen organisatorischen Hintergrundabqualifiziert; ich verweise hier zum Beispiel auf dasNetzwerk Blood & Honour.Drittens hat man die internationale Zusammenarbeitder Neonazis überhaupt nicht in den Blick genommen.Das gilt insbesondere für die Möglichkeit, dass An-schläge, wie sie im Ausland bereits stattgefunden hatten– ich erinnere an die Bajuwarische Befreiungsfront inÖsterreich oder aber an Combat 18 in Großbritannien –,möglicherweise zu Nachahmungseffekten in der Bun-desrepublik führen.Ganz konkret: Welche Veränderungen hat es im BMIgegeben, dass insbesondere bei der Analyse die BereicheUmgang mit Waffen und Sprengstoff, internationale Zu-sammenarbeit und Netzwerke, die militant ausgerichtetsind, eine andere Bewertung erfahren?
Metadaten/Kopzeile:
348 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
(C)
(B)
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Das Entscheidende ist, dass diese neue Datei für den
Kampf gegen Rechtsextremismus analysefähig ist. Das
heißt, es ist jetzt auch möglich, bestimmte Phänomene
dahin gehend zu überprüfen, ob es Überschneidungen in
Bezug auf bestimmte Waffen und bestimmte Aufent-
haltsorte und dergleichen, zum Beispiel regionaler Art,
gibt. Das ist der entscheidende Unterschied und der Vor-
teil, den wir im Bereich Rechtsextremismus haben.
Diese Analysefähigkeit haben wir im Bereich des Terro-
rismus und in sonstigen Bereichen noch nicht.
Herzlichen Dank. – Die nächste Frage stellt Kollege
Tempel, Fraktion Die Linke, und danach Kollege
Ströbele, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. – Kollege
Tempel, bitte.
Danke schön. – Herr Staatssekretär, im Gegensatz zur
Linken sind Sie nicht der Meinung, dass man im Bereich
Rechtsextremismus auf V-Leute verzichten kann, son-
dern nur Veränderungen vornehmen muss. Deswegen
frage ich: Welche konkreten Veränderungen hat es bis
jetzt bei der Auswahl von V-Leuten im Bereich des
Rechtsextremismus gegeben?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat im Bereich
der internen Reorganisation und der Neuorganisation be-
reits entsprechende Änderungen durchgeführt, auch im
Bereich der Auswahl von V-Leuten. Wichtig ist, dass wir
es, auch in Zusammenarbeit mit den Ländern, stärker
vereinheitlichen. Die V-Leute müssen einheitlich geführt
werden, sodass der eine weiß, ob es sich beim anderen
um einen V-Mann handelt.
Danke schön. – Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die
Grünen.
Herr Staatssekretär, meine Frage schließt daran an.
Auch ich frage nach personellen Konsequenzen. Wir ha-
ben alle mitbekommen, dass damals der Präsident des
Bundesamtes für Verfassungsschutz zurückgetreten ist.
Deshalb frage ich: Welche personellen Konsequenzen
sind damals in Ihrem Hause, also im Bundesinnenminis-
terium, oder im nachgeordneten Bundesamt für Verfas-
sungsschutz – abgesehen davon, dass dieser Präsident
des Bundesamtes jedenfalls nicht mehr da war – aus den
fürchterlichen Fehleinschätzungen gezogen worden, die
dort vorgekommen sind? Es kann ja nicht sein, dass nur
der Präsident Konsequenzen zieht, aber andere nicht.
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich mich hier
nun nicht zu den Landesämtern für Verfassungsschutz
äußern kann.
Aber im Bundesamt für Verfassungsschutz hat es eine
umfassende Neuorganisation gegeben. Insofern ist Ihre
Forderung hier erfüllt worden.
Herzlichen Dank. – Wir kommen jetzt zu den Fragen
9 und 10 der Kollegin Martina Renner, Fraktion Die
Linke.
Zunächst Frage 9 der Kollegin Renner:
Welche US-amerikanischen Behörden haben im Zeitraum
von 1998 bis zum November 2011 deutschen Sicherheitsbe-
hörden welche Informationen und Daten über die Angeklag-
ten im NSU-Prozess – NSU: Nationalsozialistischer Unter-
grund – vor dem Oberlandesgericht München zur Verfügung
gestellt?
Ich bitte Herrn Staatssekretär Dr. Schröder um Beant-
wortung.
D
Ich würde diese beiden Fragen gerne im Zusammen-
hang beantworten, weil sie sich lediglich darin unter-
scheiden, von wem bestimmte Informationen unter Um-
ständen weitergeleitet wurden.
Dann rufe ich zusätzlich Frage 10 der Kollegin
Renner auf:
Welche US-amerikanischen Telekommunikationsunter-
nehmen haben im Zeitraum von 1998 bis zum November
2012 deutschen Sicherheitsbehörden welche Informationen
und Daten über die Angeklagten im NSU-Prozess vor dem
Oberlandesgericht München zur Verfügung gestellt?
D
Es wird vorausgeschickt, dass eine umfassende Ak-tenprüfung durch die Bundessicherheitsbehörden und in-soweit eine abschließend belastbare Aussage aufgrundder Kürze der zur Verfügung stehenden Zeit nicht mög-lich war.Erste kursorische Prüfungen führten indes zu folgen-dem Ergebnis: Der Bundesregierung liegen keine Er-kenntnisse darüber vor, dass eine Informationsübermitt-lung im Sinne der Fragestellung und im angefragtenZeitraum durch US-amerikanische Behörden oder US-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 349
Parl. Staatssekretär Dr. Ole Schröder
(C)
(B)
amerikanische Telekommunikationsunternehmen andeutsche Sicherheitsbehörden, namentlich an das Bun-deskriminalamt, das Bundesamt für Verfassungsschutzoder den Bundesnachrichtendienst, erfolgt wäre.Allerdings ist von US-Seite justizielle Rechtshilfe ge-währt worden: Im Rahmen der Ermittlungsverfahren derBundesanwaltschaft beim Bundesgerichtshof im NSU-Komplex war Ende Januar 2012 ein Rechtshilfeersuchenzu Benutzerkonten eines Angeklagten bei US-amerika-nischen Diensteanbietern bzw. US-Telekommunikations-unternehmen an das US Department of Justice gerichtetworden. Diese Anfrage basierte auf von der Bundesan-waltschaft initiierten Beschlüssen des Ermittlungsrich-ters des Bundesgerichtshofs. Im Zeitraum von Mai bisSeptember 2012 erfolgten in Beantwortung des Rechts-hilfeersuchens entsprechende Datenübermittlungen desUS Department of Justice. Die vom US Department ofJustice übermittelten Daten sind in die von der Bundes-anwaltschaft geführten Ermittlungsverfahren im NSU-Komplex eingeflossen.In der Kürze der Zeit war es jedoch nicht möglich,beim Vorsitzenden des 6. Strafsenats des Oberlandesge-richts München anzufragen, ob das Gericht der Bundes-regierung gestattet, die gerichtsanhängigen Informatio-nen dem Parlament zur Verfügung zu stellen. KonkreteAuskünfte zu Art und Inhalt der übermittelten Informa-tionen und Daten können daher auch mit Blick auf dieProzessbefangenheit dieser Informationen derzeit nichterteilt werden. Das Bundesministerium der Justiz undfür Verbraucherschutz hat über die Bundesanwaltschafteine entsprechende Nachfrage beim OLG München ver-anlasst und wird dem Parlament bei positivem Bescheiddes OLG hierzu schriftlich nachberichten.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. – Frau Kollegin
Renner hat eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär Dr. Schröder, habe
ich Sie richtig verstanden, dass lediglich zu dem Ange-
klagten Ralf Wohlleben eine Datenübermittlung aus den
USA im Rahmen der Amtshilfe beantragt wurde?
Dann eine Nachfrage: Wieso wurden nach Ihrer
Kenntnis nicht auch zu weiteren Angeklagten in diesem
Verfahren Daten abgefragt, die möglicherweise bei Tele-
kommunikationsunternehmen oder auch bei Sicherheits-
behörden in den USA vorliegen?
Das war meine erste Zusatzfrage. Ich hätte noch eine
zweite, Herr Präsident.
Ja. – Herr Staatssekretär, bitte.
D
Das ist Sache der Staatsanwaltschaft bzw. der Ge-
richte. Dazu kann sich die Bundesregierung nicht äu-
ßern.
Frau Kollegin Renner.
Meine zweite Nachfrage: Lagen den bundesdeutschen
Sicherheitsbehörden nicht schon vor der Selbstenttar-
nung des NSU auch von US-amerikanischen Sicherheits-
behörden inklusive Geheimdiensten möglicherweise In-
formationen zu Personen aus dem NSU-Terrornetzwerk
vor? Hintergrund der Frage ist, dass aus einem Bericht
des italienischen Geheimdienstes hervorgeht, dass zum
Beispiel der Hauptangeklagte Ralf Wohlleben Kontakte
zu militanten Neonazis in Österreich hatte. Es ist ja nicht
auszuschließen, dass sich weitere ausländische Geheim-
dienste mit diesen Terrorbestrebungen hier in der Bun-
desrepublik beschäftigt haben.
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Dazu liegen uns keine Anhaltspunkte vor.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Komplex?
Wenn ich vielleicht eine Bitte äußern dürfte? Ist es
möglich, dass ich auf meine Fragen eine schriftliche
Antwort erhalte, wenn die abschließende Prüfung statt-
gefunden hat?
D
Das habe ich Ihnen bereits zugesagt.
Vielen Dank.
Wunderbar, damit sind die Fragen 9 und 10 der Kolle-gin Martina Renner behandelt. Wir bedanken uns beimVertreter des Bundesministers des Innern, HerrnDr. Schröder, für seine ruhige und gute Beantwortung al-ler Fragen.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz. DieFrage 11 des Kollegen Hans-Christian Ströbele wirdschriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortungsteht Frau Parlamentarische Staatssekretärin AnetteKramme bereit.Die Frage 12 des Kollegen Markus Kurth wirdschriftlich beantwortet.Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Brigitte Pothmervon Bündnis 90/Die Grünen auf:
Metadaten/Kopzeile:
350 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Bis wann plant die Bundesregierung einen Gesetzentwurfzur Einführung eines allgemeinen Mindestlohns vorzulegen,und wie ist die Position der Bundesregierung zu den geforder-ten Ausnahmen vom Mindestlohn zum Beispiel für Schüler,Praktikanten, Studenten, Rentner, Saisonarbeitnehmer, Taxi-
Bitte, Frau Staatssekretärin.A
Liebe Frau Pothmer, Ihre Frage besteht aus zwei Be-
standteilen. Zum ersten Teil Ihrer Frage. Sie können dem
Koalitionsvertrag entnehmen, dass verabredet ist, dass
das Gesetz zur Einführung eines gesetzlichen Mindest-
lohns zum 1. Januar 2015 in Kraft treten soll. Selbstver-
ständlich wird rechtzeitig vorher ein Gesetzentwurf erar-
beitet und dem Parlament vorgelegt.
Im zweiten Teil Ihrer Frage geht es um Ausnahmen
beim Mindestlohn. Es ist im Koalitionsvertrag verabre-
det, dass es Gespräche mit Arbeitgebern und Arbeitneh-
mern geben soll und dass diesbezügliche Probleme dis-
kutiert und besprochen werden sollen. Ich will an dieser
Stelle der Diskussion nicht vorgreifen.
Frau Pothmer, wären Sie so lieb, aufzustehen, wenn
Sie angesprochen werden? Es war ja Ihre Frage. – Sie
haben eine Nachfrage.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin Kramme, ich
danke Ihnen für Ihre Antwort. Leider war sie nicht sehr
ausführlich, deswegen meine Nachfrage.
Sie sind sicher darüber informiert, dass die CSU-Lan-
desgruppe in Wildbad Kreuth entschieden hat, be-
stimmte Gruppen, zum Beispiel Studentinnen und Stu-
denten, Rentnerinnen und Rentner, vom Mindestlohn
auszuschließen, weil diese das Geld sozusagen zusätz-
lich verdienen. Dahinter steckt die sogenannte Zubrot-
These. Meine Frage an Sie lautet daher: Ist es aus Ihrer
Sicht verfassungsrechtlich und europarechtlich über-
haupt möglich, die Zahlung eines Mindestlohnes an den
sozialen Status zu knüpfen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
A
Vielen Dank. – Wir werden selbstverständlich in die
juristische Prüfung einsteigen. Es ist richtig, dass bereits
Fragen bezüglich der europarechtlichen Zulässigkeit
auftreten. Möglicherweise müssen wir in diesem Zusam-
menhang über den Aspekt Altersdiskriminierung spre-
chen.
Haben Sie noch eine weitere Zusatzfrage? – Bitte,
Frau Kollegin Pothmer.
Meine weitere Zusatzfrage zielt auf die europarechtli-
che und verfassungsrechtliche Vereinbarkeit in Bezug
auf eine Einschränkung beim Mindestlohn ab. Glauben
Sie, dass es europarechtlich und verfassungsrechtlich
möglich ist, ganze Branchen, wie Taxifahrer, Zeitungs-
zusteller oder auch Saisonarbeiterinnen und -arbeiter,
vom Mindestlohn auszuschließen?
A
Auch diesbezüglich werden wir in die juristische Prü-
fung einsteigen. Ich kann an dieser Stelle nur noch ein-
mal darauf verweisen, dass es einen Dialog mit den
Arbeitgebern und Arbeitnehmern, sprich den Gewerk-
schaften, geben soll.
In meiner Frage ging es aber nicht um die Akzeptanz
der Arbeitgeber und Gewerkschaften, sondern um die
europa- und verfassungsrechtliche Seite.
Frau Kollegin, das war schon die dritte Zusatzfrage,
was eigentlich nicht zulässig ist, aber wir wollen einmal
milde darüber hinwegsehen.
A
Vielen Dank. Ich beantworte das gerne. Das soll kein
Problem sein. – Frau Pothmer, ich denke, ich habe Ihre
Frage bereits beantwortet. Ich habe darauf verwiesen,
dass wir in die verfassungsrechtliche und selbstverständ-
lich auch in die europarechtliche Prüfung einsteigen
werden.
Schönen Dank. – Zu diesem Komplex gibt es noch
Fragen der Kollegin Vogler, Fraktion Die Linke, und des
Kollegen Kurth, Bündnis 90/Die Grünen. – Erst einmal
Frau Kollegin Vogler, bitte.
Liebe Frau Kollegin, ich möchte an die zuvor ge-stellte Frage anschließen und fragen, wann die Bundes-regierung plant, die rechtliche Prüfung in Angriff zunehmen. Da zumindest ein Teil dieser Bundesregierungversprochen hat, dass es ab dem 1. Januar 2015 einen ge-setzlichen Mindestlohn in Deutschland gibt, müssten Siedoch langsam anfangen, rechtlich zu klären, für welcheBranchen dieser Mindestlohn gelten soll. Natürlich wäreman damit noch weit weg von einem wirklich flächende-ckenden Mindestlohn, von einem gesetzlichen Mindest-lohn für alle Branchen, wie er im Wahlprogramm derSPD stand. Aber wenn Sie zumindest den im Koalitions-vertrag vereinbarten Zeitplan einhalten wollen, müssenSie dann nicht langsam mal Gas geben?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 351
(C)
(B)
Frau Staatssekretärin.
A
Vielen Dank für die Frage. Ich verweise noch einmal
darauf, dass das Gesetz zum 1. Januar 2015 in Kraft tre-
ten soll. Die Ministerin hat dazu erklärt, dass sie grund-
sätzlich von keinen Ausnahmen ausgeht. Wir werden im
Zuge des Gesetzgebungsverfahrens – wie bereits er-
wähnt – den Dialog mit Arbeitgebern und Arbeitneh-
mern über diesbezügliche Probleme führen. Selbstver-
ständlich werden wir, gegebenenfalls im Zuge der
Erstellung eines Gesetzentwurfs, in die verfassungs-
rechtliche Prüfung einsteigen.
Schönen Dank. – Kollege Kurth, Bündnis 90/Die
Grünen.
Sehr geehrte Frau Staatssekretärin, wenn man all die
in Rede stehenden Ausnahmen berücksichtigt – insbe-
sondere Ihr Koalitionspartner nennt in der Diskussion
viele Ausnahmen –, wie viele Millionen Beschäftigte
wären dann von einer Ausnahmeregelung betroffen?
Frau Staatssekretärin.
A
Vielen Dank. – Hierzu gibt es selbstverständlich keine
Berechnungen, weil über Ausnahmen nicht entschieden
wurde. Ich kann nur noch einmal auf die Aussage der
Ministerin verweisen, die davon ausgeht, dass es keine
Ausnahmen geben wird.
Schönen Dank. – Frau Kollegin Leidig, Sie haben
noch eine Frage. – Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, ich möchte nachfragen, ob Sie
im Zusammenhang mit dem Mindestlohn prüfen, wie
mit Menschen mit Behinderungen umgegangen werden
soll, die in Werkstätten für Behinderte beschäftigt wer-
den. Ich frage insbesondere vor dem Hintergrund der
entsprechenden UN-Konvention.
A
Das wird sicherlich ein Diskussionspunkt sein, über
den wir im Hause beraten werden.
Es kommen weitere Fragen. – Kollege Gastel von
Bündnis 90/Die Grünen, bitte.
Wel-
chen Sinn machen denn mögliche Ausnahmen für Stu-
dierende und Rentnerinnen und Rentner?
A
Vielleicht ist es sinnvoll, diese Frage denjenigen zu
stellen, die die Ausnahmeregelungen in den Raum ge-
stellt haben. Ich verweise in diesem Zusammenhang da-
rauf, dass wir bezüglich der Studierenden sowieso nur
eine eingeschränkte Gesetzgebungskompetenz besitzen.
Sie wissen, dass die Gesetzgebungskompetenz für Prak-
tika, die in der Studienordnung vorgesehen sind, bei den
Ländern liegt.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Fragen in der Fragestunde richten sich immer an die
Bundesregierung und nicht an Dritte.
Der Kollege Behrens von der Fraktion Die Linke hat
noch eine Frage. – Bitte.
Frau Staatssekretärin, da Sie eine Notwendigkeit er-
kennen, über mögliche Ausnahmen zu debattieren, sehe
ich mich zu der Nachfrage veranlasst, ob Sie selber da-
bei sind, Beschäftigtengruppen zu identifizieren, bei de-
nen es aufgrund besonders komplizierter Verhältnisse
eine andere Regelung geben muss.
Wir haben hier schon über eine Reihe von möglichen
europarechtlichen, aber auch verfassungsrechtlichen
Ausnahmen, die geprüft werden müssen, gesprochen.
Haben Sie eine abschließende Liste, welche Themen,
welche Beschäftigungsgruppen überhaupt einmal auf
den Zettel genommen werden müssen, oder sind wir da-
rauf angewiesen, immer wieder nachzufragen, was mit
dieser oder jener Beschäftigtengruppe ist? Gibt es für Sie
eine Übersicht, die zeigt, wo besonders hingeguckt wer-
den muss, eine Auflistung, die im Vorfeld des Gesetzge-
bungsverfahrens zeigt, wer betroffen sein soll?
Frau Staatssekretärin, bitte.
A
Vielen Dank für die Frage. – Ich kann an dieser Stelle
nur noch einmal darauf verweisen, dass die Ministerin
davon ausgeht, dass es zu Ausnahmeregelungen nicht
kommen wird.
Schönen Dank. Wir sind mit der Frage 13 fertig.Ich rufe die Frage 14 des Kollegen Dr. FritzFelgentreu, SPD-Fraktion, auf:Welchen Zusammenhang sieht die Bundesregierung zwi-schen Arbeitslosigkeit und funktionalem Analphabetismus,von dem in Deutschland schätzungsweise 7,5 Millionen Men-
Metadaten/Kopzeile:
352 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
schen betroffen sind ,und wie beurteilt die Bundesregierung die Praxis der Agenturfür Arbeit, zur Integration in den Arbeitsmarkt notwendigeAlphabetisierungskurse nur in Einzelfällen zu finanzieren, ge-genüber dem eigenen Anspruch, der Dekade der Alphabetisie-rung gerecht zu werden?Bitte, Frau Staatssekretärin.A
Vielen Dank. – Es ist selbstverständlich, dass es einen
fundamentalen Zusammenhang zwischen der Tatsache,
ob jemand schreiben und lesen kann, und seinem Ar-
beitsmarkterfolg gibt. Es gibt die Studie „leo. – Level-
One“, die von 7,5 Millionen funktionalen Analphabeten
im erwerbsfähigen Alter ausgeht. Im Rahmen dieser Stu-
die ist festgestellt worden, dass 17 Prozent davon ar-
beitslos sind. Das ist also eine überdurchschnittliche Ar-
beitslosenquote.
Die Bundesregierung hat bereits im Jahr 2011 auf die
Ergebnisse dieser Studie reagiert und mit der Nationalen
Strategie für Alphabetisierung und Grundbildung Er-
wachsener in Deutschland Ziele und Maßnahmen be-
schlossen, um die Zahl erwachsener funktionaler An-
alphabeten in Deutschland zu reduzieren. Diese Strategie
soll ausgeweitet werden. Es gibt dazu Gespräche mit
dem federführenden Bundesbildungsministerium. Des-
halb können Einzelheiten bezüglich der Strategie an die-
ser Stelle noch nicht mitgeteilt werden.
Selbstverständlich ist es so, dass Arbeitsagenturen
und Jobcenter auf der Grundlage der arbeitsmarktpoliti-
schen Instrumente auch den Erwerb von Grundkompe-
tenzen und Alphabetisierung unterstützen können. Sie
können diesbezüglich auf Angebote des Bundes, der
Länder und der Kommunen zurückgreifen. Es bleibt
aber natürlich auch festzuhalten, dass die originäre Ver-
antwortung für Alphabetisierung nicht bei der Bundes-
agentur für Arbeit, sondern insbesondere bei den Län-
dern und bei den Kommunen liegt.
Herzlichen Dank. – Eine Nachfrage, Herr Kollege
Dr. Felgentreu? Bitte.
Selbstverständlich wird niemand infrage stellen, dass
die Verantwortung für die Alphabetisierung, insbeson-
dere in der Phase von Kindheit und Jugend, bei den Län-
dern bzw. bei den Kommunen liegt. Die Frage ist: Was
macht man mit Langzeitarbeitslosen, die ein dauerhaftes
Vermittlungshindernis haben, weil sie nicht lesen und
schreiben oder nicht richtig lesen und schreiben können?
Welche Auffassung vertritt hier die Bundesregierung? In
welcher Verantwortung sieht sie hier die Jobcenter und
die Arbeitsagentur?
Frau Staatssekretärin.
A
Vielen Dank. – Selbstverständlich gibt es auch eine
Verantwortung der Bundesagentur für Arbeit. Es gibt die
Möglichkeit, über die Arbeitsmarktinstrumente entspre-
chende Maßnahmen zu fördern. Zahlenmaterial dazu
existiert leider nicht. Aber, wie gesagt: Selbstverständ-
lich gibt es diese Verantwortung. Sie wissen, dass im
Koalitionsvertrag verabredet worden ist, sich in beson-
derer Weise um Langzeitarbeitslose, insbesondere im
Rahmen eines Bundesprogramms mit Mitteln aus dem
Europäischen Sozialfonds, zu kümmern. In diesem Zu-
sammenhang wird man sich natürlich auch mit den bei
Langzeitarbeitslosen vorhandenen multiplen Hindernis-
sen befassen.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage, Herr Kollege
Dr. Felgentreu?
Vielleicht nur noch eine kurze Frage. Inwieweit will
sich denn das Bundesministerium für Arbeit und Sozia-
les die Bekämpfung des Analphabetismus zu einem ei-
genen Anliegen machen?
A
Selbstverständlich macht sich das Bundesministerium
für Arbeit und Soziales dieses Anliegen auch zu einem
eigenen Anliegen. Wir sind in die Gespräche mit dem
Bundesbildungsministerium integriert. Selbstverständ-
lich wird das Bundesministerium für Arbeit und Soziales
auch eigene Vorschläge unterbreiten.
Herzlichen Dank. – Dann kommen wir zur Frage 15
der Kollegin Walter-Rosenheimer:
Inwiefern hält die Bundesregierung die öffentlich angesto-
ßene Debatte über die sogenannte Armutszuwanderung aus
europäischen Ländern für geeignet, um die Bemühungen des
Förderprogramms MobiPro-EU zu stärken, durch das Jugend-
liche aus Ländern der Europäischen Union mit hoher Jugend-
arbeitslosigkeit in Deutschland willkommen geheißen werden
sollen, und wie schätzt die Bundesregierung die Chancen ein,
dass Slogans wie „Wer betrügt, der fliegt“ den betroffenen Ju-
gendlichen, die nicht zuletzt auch zur Sicherung des Fachkräf-
tebedarfs in Deutschland angeworben werden sollen, ein Bild
der Willkommenskultur in Deutschland vermitteln?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
A
Vielen Dank. – Die Bundesregierung hat auch heutewieder zum Ausdruck gebracht, dass die Freizügigkeit inder Europäischen Union eine der wichtigen Errungen-schaften des europäischen Einigungsprozesses und na-türlich eine der wichtigen individuellen Freiheiten desEU-Bürgers ist. Unionsbürgerinnen und Unionsbürgerund ihre Familienangehörigen, die im Einklang mit denVerträgen nach Deutschland kommen und sich hier auf-halten, sind selbstverständlich willkommen. Allerdings
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 353
Parl. Staatssekretärin Anette Kramme
(C)
(B)
macht die steigende Inanspruchnahme des Förderpro-gramms MobiPro-EU deutlich, dass dies den europäi-schen Jugendlichen gleichermaßen sehr bewusst ist.
Zusatzfrage, Frau Kollegin?
Ja.
Bitte.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Ich habe eine
Zusatzfrage. Sie haben schon erwähnt, dass die Anzahl
der Jugendlichen und jungen Menschen, die das Förder-
programm in Anspruch nimmt, steigt. Haben Sie dazu
Zahlen? Wie viele sind das? Wie läuft das? Wie haben
Sie geplant, dieses Programm weiterzuführen?
A
Diese Frage kann ich Ihnen an dieser Stelle heute
nicht beantworten. Wir müssten diese Zahlen im Minis-
terium heraussuchen. Wir können sie Ihnen allerdings
schriftlich zukommen lassen.
Noch eine Zusatzfrage? – Bitte schön.
Vielen Dank. – Ich würde mich freuen, wenn Sie mir
die Zahlen zukommen ließen.
Haben Sie irgendwelche Pläne? Wird darüber disku-
tiert, die Willkommensstruktur zu verändern oder viel-
leicht auch etwas zu tun, um den Eindruck, der in Eu-
ropa entstanden ist, zu verändern?
A
Ich gestatte mir, freundlich darauf hinzuweisen, dass
die Bundesministerin für Arbeit und Soziales seit dem
17. Dezember 2013 im Amt ist. Wir sind derzeit im Haus
primär mit dem Gesetzgebungsvorhaben zur Rente, aber
selbstverständlich auch mit dem Vorhaben zum Mindest-
lohn beschäftigt, sodass noch keine Gelegenheit da war,
über dieses Thema im Detail zu diskutieren.
Herzlichen Dank. – Wir kommen dann zur Frage 16
des Kollegen Volker Beck, Bündnis 90/Die Grünen:
Aus welchen Gründen hält die Bundesregierung es für an-
Staatssekretärsausschuss zur Zuwanderung unter Beteiligung
von elf Bundesministerien einzurichten, und beabsichtigt sie,
dies bei Fragestellungen ähnlicher Komplexität künftig regel-
mäßig zu tun?
Frau Staatssekretärin, bitte die Antwort.
A
Lieber Volker Beck, ja, wir halten die Einrichtung ei-
nes Staatssekretärsausschusses an dieser Stelle selbstver-
ständlich für angemessen, und das ganz einfach vor dem
Hintergrund, dass das Themengebiet komplexer ist, als
man auf den ersten Blick vielleicht gedacht hat.
Es sind diverse Zuständigkeiten betroffen. Beispiels-
weise würde man zunächst sicher nicht denken, dass das
Landwirtschaftsministerium betroffen ist; es ist aber be-
troffen, und zwar wegen der Saisonarbeit. Beispiels-
weise würde man wahrscheinlich nicht darüber nachden-
ken, ob das Finanzministerium betroffen ist; es ist aber
betroffen, und zwar wegen des Kindergeldes. Auch das
Verkehrsministerium ist betroffen, unter anderem wegen
der Fortschreibung des Programms „Soziale Stadt“.
Es ist sicherlich so, dass von der Armutszuwanderung
durch Bulgaren und Rumänen nur einzelne Kommunen
betroffen sind. Es ist allerdings auch so, dass diese Kom-
munen sicherlich in besonderem Maße Hilfestellung
brauchen. Auch deshalb setzt sich dieser Staatssekretärs-
ausschuss zusammen. Ob es künftig derartige Staats-
sekretärsausschüsse zu anderen Themen geben wird, ist
natürlich eine Frage des Einzelfalls und wird dann zu
entscheiden sein.
Eine Nachfrage des Kollegen Beck. – Bitte.
Gestatten Sie mir, dass ich angesichts des Auftragesdieses Ausschusses trotzdem ein bisschen erstaunt bin.Denn da steht so etwas wie: Zu klären sei,welchen Anspruch auf welche Sozialleistungen Zu-wanderer in Deutschland haben.Dazu genügt übrigens ein Blick auf die Webseite derVertretung der Europäischen Kommission in Deutsch-land; da ist das alles haarklein aufgeschrieben. Vielleichtnimmt der Staatssekretärsausschuss das ja als Arbeits-grundlage.Ich frage mich trotzdem, was diese Veranstaltung soll.Mir kommt es ein bisschen so vor, als ob das ein Reso-nanzboden für bestimmte Kampagnen von an der Koali-tion beteiligten Parteien ist – Ihre Partei ist damit nichtgemeint –; denn alles, was angeblich strittig ist, wurdeerklärt.Ich würde gerne wissen, ob Sie die Auffassung derEuropäischen Kommission, die diese am 10. Januar die-ses Jahres veröffentlich hat, teilen. Unter der Überschrift„Klarstellung: Deutschland muss nicht allen arbeitslosen
Metadaten/Kopzeile:
354 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Volker Beck
(C)
(B)
EU-Bürgern hierzulande Sozialhilfe zahlen“ wurde ganzklar aufgerissen, dass unser deutsches Recht im Grund-satz mit dem europäischen Recht übereinstimmt, was dieDreimonatsregelung, die Gruppe derjenigen, die bis zufünf Jahre hier sind, und die Gruppe derjenigen, die län-ger als fünf Jahre hier sind, angeht. Außerdem wurdedeutlich gemacht, dass sich die Kritik, die gerade in demVerfahren vor dem Europäischen Gerichtshof geäußertwurde, eigentlich nur darauf bezieht, dass man pauschalvorgeht, also ohne Einzelfallprüfung und ohne zu prü-fen, warum jemand plötzlich in Not geraten ist, obwohler zuvor nachweisen konnte, dass er – weshalb er inDeutschland ja überhaupt erst eine Aufenthaltsberechti-gung als EU-Bürger bekommen hat – über die notwendi-gen Mittel zur Bestreitung seines Lebensunterhalts ver-fügt. Das wird da kritisiert. Ich verstehe ehrlich gesagtnicht, welche Frage Sie überhaupt klären wollen;schließlich liegt alles auf dem Tisch, und ein Blick insGesetz erleichtert die Rechtsfindung.
Frau Staatssekretärin.
A
Herr Beck, in Ihrer Fragestellung zitieren Sie selbst
aus der Begründung für die Einsetzung des Staatssekre-
tärsausschusses:
Auch benötigen die Kommunen für die Integration
ärmerer Zuwanderer möglicherweise Unterstüt-
zung, weil sie dies allein nicht leisten können.
Damit ist die ergänzende Fragestellung, die sich im Rah-
men des Staatssekretärsausschusses stellt, letztlich be-
antwortet.
Soweit Sie die Frage stellen, ob die Bundesregierung
die Meinung der Europäischen Union teilt, kann ich nur
auf die bestehende Gesetzeslage und die diesbezügliche
Auslegung durch Gerichte verweisen.
Das möchte ich jetzt doch genauer wissen. Weicht
denn Ihrer Ansicht nach die Gesetzeslage bzw. die Aus-
legung durch die Gerichte von dem ab, was die Europäi-
sche Kommission uns mitgeteilt hat, sieht also die Bun-
desregierung Bedarf, auf die Europäische Kommission
einzuwirken, in dieser Frage eine andere Position einzu-
nehmen? Oder hält die Bundesregierung diese Position
für angemessen und teilt sie? Wie begründen Sie Ihre
Haltung?
A
Im Koalitionsvertrag ist diesbezüglich kein Handeln
vorgesehen.
Sie dürfen gleich stehen bleiben, Herr Kollege Beck;
denn auch die nächste Frage, die Frage 17, ist von Ihnen
gestellt:
In wie vielen Fällen sind nach Kenntnis der Bundesregie-
rung von den vor deutschen Gerichten verhandelten Fällen, in
denen es um den Ausschluss von Unionsbürgern von Arbeits-
losengeld II gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 des
Zweiten Buches Sozialgesetzbuch geht, Staatsbürge-
rinnen und Staatsbürger aus den Staaten betroffen, die ab dem
Jahr 2004 der Europäischen Union beigetreten sind, und wie
viele der vor deutschen Gerichten verhandelten Fälle, in de-
nen es um den Ausschluss von Unionsbürgern von ALG II ge-
mäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 2 SGB II geht, sind auf den
von der Bundesregierung eingelegten Vorbehalt zum Europäi-
schen Fürsorgeübereinkommen zurückzuführen?
Auch hier steht wieder die Frau Staatssekretärin zur
Beantwortung bereit. Bitte schön.
A
Lieber Herr Beck, derzeit befassen sich mehrere Ge-
richte mit der europarechtlichen Zulässigkeit der in § 7
SGB II vorgesehenen Leistungsausschlüsse für Auslän-
der. Dabei geht es allerdings um unterschiedliche Sach-
verhalte. Betroffen sind sowohl Bürger aus Staaten, die
der Europäischen Union vor dem Jahr 2004 beigetreten
sind, als auch Bürger aus Staaten, die der Europäischen
Union nach 2004 beigetreten sind. Eine Statistik nach
Nationalitäten wird nicht geführt.
Nachfrage, Herr Kollege Beck?
Sie haben den zweiten Teil meiner Frage unbeantwor-
tet gelassen; er liegt Ihnen schriftlich vor.
A
Diesbezügliches Zahlenmaterial liegt uns in gleicher
Weise nicht vor.
Würden Sie aber bestätigen, dass ein Teil der europa-
rechtlichen Probleme, die wir haben, durch den Vorbe-
halt, den Deutschland beim Europäischen Fürsorgeüber-
einkommen geltend gemacht hat, entstanden ist, dass da
ein Zusammenhang besteht, dass wir uns das Problem
juristisch ein Stück weit selbst geschaffen haben?
A
Das kann ich aus dem Stegreif nicht beantworten. Sta-
tistisches Zahlenmaterial liegt uns, wie gesagt, nicht vor.
Das war jetzt eine Frage zu juristischen Hindernissen,
die da im Weg stehen, keine quantitative Frage. Könnten
Sie vielleicht im Nachgang zu dieser Fragestunde Ihr
Haus bitten, mir das schriftlich zukommen zu lassen?
A
Ja, das können wir sicherlich so machen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 355
Parl. Staatssekretärin Anette Kramme
(C)
(B)
So, das war eine leichte Überdehnung des Frage-
rechts; aber da es zur Befriedung dient, haben wir das
einmal zugelassen.
Frau Kollegin Pothmer dazu noch.
Frau Staatssekretärin, im Kontext dieser Debatte ist
deutlich geworden, dass die zur Verfügung stehenden
ESF-Mittel, die zur Integration von Arbeitsuchenden zur
Verfügung stehen, bei weitem nicht ausgeschöpft wer-
den. Was will die Bundesregierung tun, um das Poten-
zial, das vorhanden ist, um insbesondere den Kommu-
nen, die in Schwierigkeiten sind, zu helfen, zukünftig
auch auszuschöpfen?
A
Vielleicht ist der genannte Staatssekretärsausschuss
hilfreich? Wir werden das Thema dort sicherlich disku-
tieren.
Sie haben jetzt meine Frage mit einer Gegenfrage be-
antwortet.
Wir sind gerne bereit, unsere Kompetenz in dieser
Frage mit einzubringen.
A
Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass wir als BMAS das
Thema sicherlich im Staatssekretärsausschuss bespre-
chen werden.
So, das war die Frage 17. Sie hat sich ein bisschen dy-
namisch entwickelt; aber wir haben das alles einmal so
stehen lassen.
Ich rufe die Frage 18 der Kollegin Corinna Rüffer,
Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Welche rechtliche Stellung und welche Befugnisse wird
die designierte Beauftragte der Bundesregierung für die Be-
lange behinderter Menschen, Verena Bentele, vor dem Hinter-
grund, dass sie kein Mitglied des Deutschen Bundestages ist,
innerhalb der Bundesregierung und gegenüber dem Parlament
haben?
Frau Staatssekretärin steht zur Beantwortung bereit.
Bitte.
A
Danke. – Die Bestellung der oder des Beauftragten
der Bundesregierung für die Belange behinderter Men-
schen setzt nicht voraus, dass die beauftragte Person
Mitglied des Bundestages ist. Das ergibt sich aus § 14
des Behindertengleichstellungsgesetzes. Mit Frau
Bentele wird ein Arbeitsvertrag abgeschlossen werden.
Sie fragen des Weiteren nach der rechtlichen Stellung
und den Befugnissen der Behindertenbeauftragten. Auch
hierzu gibt es eine gesetzliche Regelung, nämlich den
§ 15 BGG. Selbstverständlich wird hiervon nicht abge-
wichen werden.
Haben Sie eine Nachfrage, Frau Kollegin Rüffer?
Ja. – Erst einmal herzlichen Dank, Frau Staatssekretä-
rin, für die Beantwortung der Frage, und natürlich habe
ich auch noch Rückfragen zu diesem Thema.
Die Behindertenbeauftragte wird die Aufgabe haben,
Bewusstsein für die Belange Behinderter zu wecken, für
ihre besonderen Nöte, Sorgen und Lebenssituationen.
Nun stellt sich natürlich die Frage, wie Frau Bentele die-
ser Aufgabe nachkommen kann. Eine ganz konkrete
Frage in diesem Zusammenhang ist: Wird sie das Recht
haben, vor diesem Parlament zu sprechen, was ihr in ih-
rer Funktion natürlich sehr weiterhelfen würde?
A
Herzlichen Dank. – Frau Bentele verfügt als unmittel-
bar Betroffene natürlich über eine entsprechende Le-
benserfahrung. Sie hat es als Mensch mit einem Seh-
handicap geschafft, Abitur zu machen und zu studieren,
und sie hat zwölf paralympische Medaillen gewonnen.
Ich denke, das ist hinreichend Beleg für ihre Qualifika-
tion und auch für die Überzeugungskraft, die sie bei
solch einer Aufgabe haben muss.
Bezüglich der Berechtigung, im Parlament zu reden:
Das ist eine Frage, die anhand des § 15 BGG zu beant-
worten ist. Ich kann Ihnen das aber aus dem Stegreif
nicht beantworten; das müssen wir ebenfalls über das
Haus klären lassen.
Aber wie gesagt: Das ist natürlich kein neuer Sach-
verhalt. Der bisherige Behindertenbeauftragte war ja zu-
mindest zeitweise auch nicht Mitglied des Bundestages.
Haben Sie noch eine Nachfrage dazu?
Aber selbstverständlich. – Ich will erst einmal klar-stellen: Wir stellen die Qualifikation von Frau Bentele inkeiner Weise infrage. Insofern war der erste Teil der Be-antwortung jedenfalls für mich unnötig.Ich möchte gerne, dass die Antwort darauf, welcheRechte sie haben wird – unter anderem, ob sie das Rechthaben wird, vor dem Parlament zu sprechen –, nachge-reicht wird.Zu einem zweiten Punkt frage ich sicherheitshalbernoch einmal nach: Sie haben gesagt, Sie werden einenArbeitsvertrag mit ihr abschließen, das heißt, die Funk-
Metadaten/Kopzeile:
356 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Corinna Rüffer
(C)
(B)
tion wird nicht ehrenamtlich ausgeführt werden. Zu die-sem Arbeitsvertrag hätte ich gerne noch nähere Informa-tionen. Welche rechtliche Grundlage wird dieser haben?A
Er basiert auf der gleichen rechtlichen Grundlage wie
der bisherige Arbeitsvertrag mit Herrn Hüppe.
Bezüglich der Rechte der Beauftragten der Bundesre-
gierung für die Belange behinderter Menschen kann ich
nur noch einmal auf die Regelung des § 15 BGG verwei-
sen. Wir stellen Ihnen die entsprechende Kommentie-
rung hinsichtlich der Rechte im Parlament selbstver-
ständlich gerne zur Verfügung.
Sie haben die Frage nicht beantwortet!
A
Doch.
Sie lautete konkret: Wird sie ehrenamtlich arbeiten
oder nicht?
A
Nein. Die Frage habe ich beantwortet. Es steht dort
ein Arbeitsvertrag im Raum – wie in der Vergangenheit
bei Herrn Hüppe auch.
Frau Rüffer, ich bitte Sie höflichst, nicht einfach
selbst das Wort zu ergreifen, auch wenn Sie mit der ei-
nen oder anderen Antwort der Bundesregierung nicht
ganz einverstanden sind, was im parlamentarischen Dis-
kurs schon einmal vorkommen kann.
Ich rufe die Frage 19 der Kollegin Rüffer auf:
Aus welchem Grund hat sich die Bundesregierung ent-
schieden, die Position nicht mit einer Abgeordneten zu beset-
zen?
Frau Staatssekretärin.
A
Das Kabinett hat heute der Ernennung von Frau
Bentele zur Beauftragten der Bundesregierung für die
Belange behinderter Menschen zugestimmt. An dieser
Stelle auch einen herzlichen Glückwunsch meinerseits.
Frau Bentele hat mit ihren herausragenden sportli-
chen Leistungen sowie ihrem bisherigen Ausbildungs-
und Berufsweg gezeigt, was Menschen mit Behinderung
erreichen können. Durch ihr Vorbild kann sie als Beauf-
tragte der Bundesregierung im Zusammenleben von
Menschen mit und ohne Behinderung sicherlich weitere
Hürden einreißen.
Eine Nachfrage dazu?
Ja, sehr gerne.
Bitte.
Das ist alles unbenommen, und ich möchte noch ein-
mal betonen, dass es hier nicht darum geht, die Qualifi-
kation von Frau Bentele infrage zu stellen. Wir sagen
ganz deutlich, dass wir es gut und längst überfällig fin-
den, dass der oder die Behindertenbeauftragte selber ein
Mensch mit Behinderung ist. Viele Leute haben teil-
weise jahrzehntelang professionell in diesen Strukturen,
in Verbänden usw. gearbeitet. Das ist etwas, was Frau
Bentele nicht vorzuweisen hat. Warum haben Sie sich
trotzdem für sie entschieden?
Frau Staatssekretärin.
A
Weil ihr Lebensweg nach Auffassung der Bundes-
regierung ein ganz besonderer ist. Es ist sehr selten, als
vollständig blind geborener Mensch Abitur zu machen,
ein Studium zu absolvieren und derart herausragende
sportlerische Leistungen zu zeigen. Ich denke, all das be-
legt, welcher Ehrgeiz bei Frau Bentele vorhanden ist.
Davon abgesehen: Sie war in der Vergangenheit poli-
tisch aktiv. Ich verweise darauf, dass sie Mitglied des
Kompetenzteams von Herrn Ude bei der Wahl in Bayern
war. Auch das belegt sicherlich, dass sie in die Thematik
eingearbeitet ist.
Haben Sie noch eine Zusatzfrage?
Ja.
Bitte.
Ich wüsste gerne, warum Sie Frau Benteles Vorgän-
ger, Hubert Hüppe, nicht erneut benannt haben. Auch er
hat sich große Verdienste erworben.
Frau Staatssekretärin.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 357
(C)
(B)
A
Die Ministerin hat sich für eine ganz besondere
Persönlichkeit der Bundesrepublik Deutschland ent-
schieden.
Jetzt gibt es eine Nachfrage von Frau Kollegin Griese,
SPD-Fraktion.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,
ich will angesichts des etwas eigenartigen Tons der bis-
herigen Fragen im Namen meiner Fraktion ausdrücklich
würdigen, wie sehr wir es anerkennen, dass die Ministe-
rin Frau Bentele als Behindertenbeauftragte vorgeschla-
gen hat, und möchte Sie bitten, noch einmal darzulegen,
wie Sie es geschafft haben, dass zum allerersten Mal
eine Persönlichkeit Behindertenbeauftragte ist, die sel-
ber von einer Behinderung betroffen ist und die, wie wir
alle wissen, der Öffentlichkeit durch herausragende
Leistungen bekannt geworden ist.
Meine Frage ist ferner, wie Sie die Vorbildwirkung in
einer solchen Funktion einschätzen, wenn sie ein selbst
betroffener Mensch wahrnimmt. Das verbinde ich mit
einem ausdrücklichen Glückwunsch zu dieser guten
Entscheidung und mit den besten Wünschen für Frau
Bentele für dieses Amt.
Frau Staatssekretärin, bitte.
A
Wir haben schlichtweg die Möglichkeiten des BGG
genutzt, haben abgewogen und sind zu der Entscheidung
gekommen, dass eine externe Besetzung sinnvoll ist.
Wir sind der festen Überzeugung, dass jemand, der
selbst Handicaps aufweist, auf ganz andere Art und
Weise Einschränkungen, beispielsweise in Bezug auf die
Barrierefreiheit, wahrnimmt und in ganz besonderem
Maße dafür sensibilisiert ist, welche gesellschaftlichen
Veränderungen erforderlich sind. All das spricht dafür,
eine unmittelbar Betroffene zu benennen, und nicht
einen Angehörigen von Betroffenen, wie es in der Ver-
gangenheit häufig der Fall war. Ich will nur noch einmal
unterstreichen: Frau Bentele weist mit Blick auf diese
Position einen exzellenten Lebensweg auf.
Schönen Dank. – Damit bedanken wir uns bei Frau
Staatsekretärin Kramme und kommen zum Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums für Ernährung und Land-
wirtschaft. Zur Beantwortung steht Frau Parlamentari-
sche Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth zur
Verfügung.
Die Fragen 20 und 21 der Abgeordneten Höhn wer-
den schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 22 des Kollegen Abgeordne-
ten Harald Ebner, Bündnis 90/Die Grünen:
Welche Schlussfolgerungen und Konsequenzen zieht die
Bundesregierung aus der Tatsache, dass sich der Umweltaus-
schuss des Europäischen Parlaments gegen den Vorschlag der
Europäischen Kommission zur Änderung der Honig-Richtli-
nie ausgesprochen hat, da dessen Umsetzung im Widerspruch
zum sogenannten Honig-Urteil des Europäischen Gerichtsho-
fes stünde, weil infolge der Änderung Honig ab 0,1 Prozent
GVO-Pollenanteil – GVO: gentechnisch veränderte Organis-
men – keinerlei Kennzeichnungspflicht unterworfen wäre,
und falls die Bundesregierung den Vorschlag der Europäi-
schen Kommission unterstützt, wie gedenkt die Bundesregie-
rung dann die Wahlfreiheit der Verbraucherinnen und Ver-
braucher zu wahren, die keinen Honig mit GVO-Pollen
kaufen möchten?
Frau Staatssekretärin, ich bitte um Ihre Beantwortung.
D
Herr Kollege Ebner, ich beantworte Ihre Frage gernwie folgt: Deutschland hat bei den Ratsverhandlungenzu der vorgesehenen Klarstellung im Kommissionsvor-schlag, dass Pollen ein natürlicher Bestandteil desHonigs und keine Lebensmittelzutat ist, vor allem ausfolgenden Gründen Zustimmung signalisiert: Bei Honighandelt es sich rechtlich und tatsächlich um ein Mono-produkt ohne Zutaten. Pollen ist ein natürlicher Bestand-teil des Honigs und Honig ein reines Naturprodukt.Die EU-Honig-Richtlinie und der für den internatio-nalen Handel wichtige Honig-Standard, der Codex Ali-mentarius, bestimmen daher, dass Honig keine Zutatenhinzugefügt werden dürfen. Zudem wird der Nachweisder Sortenreinheit von Honig insbesondere über dieBestimmung des Pollenspektrums geführt. Dies setzt vo-raus, dass Pollen ein natürlicher Bestandteil von Honigund keine Zutat ist.Mit dem Kommissionsvorschlag wird die gegenwär-tige Praxis in allen EU-Mitgliedstaaten, wonach Pollen,einschließlich gentechnisch veränderter Pollen, im Ho-nig nicht gekennzeichnet wird, rechtlich abgesichert.Dies schafft Rechtssicherheit für alle Marktteilnehmer.Außerdem ist eine Kennzeichnung von Honig mitgentechnisch verändertem Pollen in der Praxis nicht um-setzbar. Auch wegen der extrem geringen Mengen, umdie es sich hier handelt, gibt es keine Analysemethode,um zuverlässig den Anteil von gentechnisch veränder-tem Pollen am Gesamtpollen zu ermitteln. Auch bei al-len anderen Lebensmitteln werden geringfügige Spurenvon zugelassenen gentechnisch veränderten Stoffennicht gekennzeichnet. Mit dem Kommissionsvorschlagwird der Honig ebenso behandelt. Selbst bei Lebensmit-teln, die das Siegel „Ohne Gentechnik“ tragen, werdenin der Kontrollpraxis der Länder geringfügige Spurenvon gentechnisch veränderten Stoffen von bis zu0,1 Prozent akzeptiert.Das Plenum des Europäischen Parlaments stimmtvoraussichtlich am 15. Januar, also ungefähr zeitgleichmit unserer heutigen Debatte, über den Vorschlag der
Metadaten/Kopzeile:
358 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Parl. Staatssekretärin Dr. Maria Flachsbarth
(C)
(B)
EU-Kommission zur Änderung der Honig-Richtlinieund die vom Umweltausschuss des Europäischen Parla-ments vorgelegten Änderungsanträge ab.
Herzlichen Dank. – Eine Nachfrage, Kollege Ebner.
Ja. – Frau Staatssekretärin, herzlichen Dank. Über die
Frage, ob gentechnisch veränderter Pollen ein natürli-
cher Bestandteil von Honig ist, ließe sich trefflich strei-
ten. Ich möchte aber etwas anderes fragen, nämlich in-
wieweit die Bundesregierung der Auffassung ist, dass
eine Verunreinigung von sortenreinem Rapshonig – also
von Sortenhonig – mit Pollen aus gentechnisch verän-
derten Rapspflanzen noch zufällig und technisch unver-
meidbar ist, wie es in der Definition der einschlägigen
EU-Kennzeichnungsverordnung heißt, wenn die Bienen-
stände zur Erzeugung eines solchen Honigs beispiels-
weise gezielt in Feldern von gentechnisch verändertem
Raps positioniert werden oder ein solcher Sortenhonig
aus Kanada stammt, wo, wie wir wissen, fast ausschließ-
lich gentechnisch veränderter Raps angebaut wird. Es
stellt sich also die Frage: Was ist da noch Zufall und
technisch unvermeidbar?
Frau Staatssekretärin, bitte.
D
Herr Kollege Ebner, es stellt sich in diesem Zusam-
menhang tatsächlich immer wieder die Frage der Nach-
weisbarkeit. Da der Anteil von Pollen im Honig 0,1 bis
0,5 Prozent beträgt, ist der Nachweis im Rahmen einer
Analyse dann, wenn es sich um geringfügige Verunreini-
gungen handelt, ausgesprochen schwer möglich. Es ist
allerdings unumstritten, dass, wenn es sich in dem von
Ihnen genannten Zusammenhang um Pollen einer gen-
technisch veränderten Pflanze handelt, die in der EU
nicht zugelassen ist, der Honig selbstverständlich nicht
verkehrsfähig ist.
Noch eine Zusatzfrage, Kollege Ebner.
Danke schön. – Wir haben jetzt die bislang zugelasse-
nen Sorten diskutiert. Mich interessiert in diesem Zu-
sammenhang: Welche Maßnahmen wird die Regierung
im Fall von Anbauzulassungen für gentechnisch verän-
derte Organismen in der EU treffen, um die gentechnik-
freie Lebensmittelerzeugung einschließlich der Imkerei
in Deutschland wirksam vor gentechnischen Verunreini-
gungen zu schützen? Denn Vertreter der gentechnik-
freien Landwirtschaft und die Imker fürchten den erneu-
ten Anbau von GVOs, wie er derzeit im Raum steht. Wir
diskutieren auch über die Maislinie 1507, die die EU-
Kommission zulassen möchte.
Also: Was wird die Bundesregierung tun, um die gen-
technikfreie Landwirtschaft und Imkerei zu schützen,
und welche Vorbereitungen trifft sie für den Fall, dass
solche Zulassungen, wie jetzt absehbar, kommen?
Frau Staatssekretärin.
D
Herr Kollege, es ist nicht Sache der Bundesregierung,
zu spekulieren; es ist vielmehr Sache der Bundesregie-
rung, dann zu handeln, wenn klare Handlungsvorausset-
zungen vorliegen. Das ist derzeit noch nicht der Fall. Die
Bundesregierung wird selbstverständlich dann, wenn die
Voraussetzungen gegeben sind, handeln.
Kollege Ostendorff.
Frau Staatssekretärin, auch von mir herzlichen Glück-
wunsch zu Ihrer Ernennung. – Jetzt zur Frage. Der Bun-
desminister für Ernährung und Landwirtschaft, Herr
Friedrich, hat am 7. Januar erklärt, dass man beim An-
bau von gentechnisch veränderten Pflanzen den Aspekt
der nationalen Souveränität und Subsidiarität stärker be-
rücksichtigen müsse. Wenn eine solche Absichtserklä-
rung der Bundesregierung besteht, stellt sich für uns die
Frage, wie Minister Friedrich diese Absichtserklärung
auf EU-Ebene umsetzen will, welche Pläne, Ziele und
Überlegungen es in seinem Haus gibt, das zum nationa-
len Recht zu machen. Können Sie uns dazu Auskunft ge-
ben?
D
Sehr geehrter Herr Kollege Ostendorff, herzlichen
Dank für Ihre Glückwünsche. Ich freue mich sehr auf
eine gute, konstruktive Zusammenarbeit. – Nun zu Ihrer
Frage. Der Koalitionsvertrag ist in dieser Frage eindeu-
tig. Er besagt, dass es in Deutschland in weiten Teilen
der Bevölkerung eine ablehnende Haltung gegenüber
dem Anbau und dem In-Handel-Bringen von gentech-
nisch veränderten Organismen im Rahmen der Grünen
Gentechnik gibt. Der Minister hat diese Aussage aufge-
nommen. Es ist nun Sache der Bundesregierung, eine
Gesamtposition zu erarbeiten. Das geschieht.
Herzlichen Dank. – Noch eine Zusatzfrage des Kolle-
gen Lenkert, Fraktion Die Linke, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,ich habe eine Nachfrage bezüglich der Schadenersatzre-gelung. Wenn ein Imker durch Gentechnik verunreinig-ten Honig vernichten muss: Ist die Schadenersatzrege-lung nach Ansicht der Bundesregierung dann geklärt?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 359
Ralph Lenkert
(C)
(B)
Bleibt der Imker auf dem von ihm nicht verursachtenSchaden sitzen, oder muss derjenige, der gentechnischveränderte Pflanzen in Umlauf gebracht oder angebauthat und damit eine Verunreinigung erst ermöglichte, fürdie Schäden haften?
Frau Staatssekretärin.
D
Herr Kollege Lenkert, auch in diesem Zusammen-
hang möchte ich darauf hinweisen, dass die Nachweis-
grenzen bei der Analyse ausgesprochen problematisch
sind, weil Pollen nur einen sehr kleinen Bestandteil des
Honigs – ich wiederhole: 0,1 bis 0,5 Prozent – ausma-
chen. Ein so verunreinigter Honig wäre nur dann nicht
verkehrsfähig, wenn es sich um Pollen von Pflanzen
handelt, die keine EU-Zulassung besitzen. Auch bei die-
ser Frage finden wir uns sehr schnell im Bereich der
Spekulation wieder. Dazu möchte ich mich nicht äußern.
Damit kommen wir zu Frage 23 des Kollegen Harald
Ebner:
Welche Position vertritt die Bundesregierung bezüglich
der spätestens Anfang Februar 2014 anstehenden Entschei-
dung über den Antrag der Europäischen Kommission zur An-
bauzulassung für die gentechnisch veränderte Maislinie 1507,
und welche Position vertritt die Bundesregierung hinsichtlich
der im Ausschuss der Ständigen Vertreter der Regierungen der
EU-Mitgliedstaaten Mitte Januar 2014 anstehen-
den Entscheidung über die Art des Abstimmungsverfahrens
bezüglich des Zulassungsvorschlages für die Maislinie 1507?
Ich bitte die Frau Staatssekretärin, die Frage 23 zu be-
antworten.
D
Herr Kollege Ebner, in welcher Form und wann eine
Befassung des Ministerrats zum Vorschlag der Kommis-
sion für eine Anbauzulassung der gentechnisch verän-
derten Maislinie 1507 erfolgen wird, ist derzeit noch of-
fen, möglicherweise im Rahmen eines schriftlichen
Verfahrens. Die Entscheidung hierüber erfolgt mögli-
cherweise im Ausschuss der Ständigen Vertreter am
17. Januar dieses Jahres. Die Bundesregierung wird ihre
Position rechtzeitig vor einer möglichen Abstimmung
über den Anbauvorschlag im Ausschuss der Ständigen
Vertreter oder im Rat festlegen.
Eine Zusatzfrage, Herr Kollege Ebner.
Frau Staatssekretärin, Sie sagten, das Verfahren sei
derzeit noch offen, genauso wie der Zeitpunkt, wann
bzw. ob eine schriftliche Abstimmung erfolgt. Das ist
klar; darüber haben wir schon diskutiert. Frankreich wi-
derspricht einer schriftlichen Abstimmung. Deshalb
wird eine Abstimmung in einem Ausschuss oder in einer
Ratsversammlung notwendig werden. Das steht schon
auf der Tagesordnung von Ecofin am 28. Januar. Der
Raum für Spekulationen darüber, wann das kommt, ist
damit sehr klein geworden. Ich frage Sie daher, inwie-
weit die Bundesregierung garantieren kann, dass der
Bundestag, also dieses Parlament, rechtzeitig über den
Antrag von Bündnis 90/Die Grünen bezüglich des Zulas-
sungsvorschlags für die Maislinie 1507 abstimmen kann.
Schließlich wird über den entsprechenden Zulassungsan-
trag der EU-Kommission wahrscheinlich bereits, wie ge-
sagt, am 28. Januar, also vor der nächsten Plenarsitzung
des Bundestages, entschieden werden.
Frau Staatssekretärin.
D
Ich habe Ihnen zugesagt, dass die Bundesregierung
rechtzeitig entscheiden wird. Die Bundesregierung wird
sich dabei aller verfügbaren Informationen bedienen, die
eine Auswirkung der Anwendung des spezifisch gen-
technisch veränderten Organismus beschreiben. Sie wissen,
dass dabei hier bei uns in Deutschland unter anderem die
Stellungnahmen des Bundesamtes für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit, des Bundesinstituts für Ri-
sikobewertung, des Robert-Koch-Instituts, des Bundes-
amtes für Naturschutz und des Julius-Kühn-Instituts und
darüber hinaus selbstverständlich auch die Stellung-
nahmen anderer betroffener Institutionen wie auch des
Europäischen Parlaments einbezogen werden.
Im Übrigen ist das Recht, bestimmte Tagesordnungs-
punkte auf die Tagesordnung zu setzen, ein Recht des
Parlaments. Dazu hat sich die Bundesregierung nicht zu
äußern.
Noch eine Nachfrage? – Bitte schön.
Dann möchte ich von den Verfahrensfragen zu den In-halten kommen. Die Umweltverbände und auch die Im-ker sind sehr besorgt, was diese Maislinie angeht, undzwar aufgrund ihres besonders hohen Giftgehaltes. Sieproduziert nämlich ein Bacillus-thuringiensis-Toxin. DerGiftgehalt ist laut diversen Studien deutlich höher als beidem in Deutschland aus gutem Grund verbotenen gen-technisch veränderten Mais Mon810. Es stellt sich dieFrage, inwieweit Zielorganismen wie Bienen oderSchmetterlinge betroffen sind.Ich hatte schon gesagt, dass dieser Gehalt laut diver-sen Studien deutlich höher ist. Die Bundesregierungmuss sich jetzt fragen, warum sie dennoch auf meineexplizite Frage im Dezember keine einzige Quelle fürihre Position genannt hat, dass der Gehalt an Bt-Toxin inder neuen Maislinie 1507 im Durchschnitt niedriger seials bei Mon810, wohingegen alle anderen Quellen, dieuns zugänglich sind, das Gegenteil belegen. Mich würdeinteressieren, wann die Bundesregierung gedenkt, diese
Metadaten/Kopzeile:
360 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Harald Ebner
(C)
(B)
fehlenden Belege nachzureichen und ihre Quellen inklu-sive des bibliografischen Nachweises zu benennen.
Frau Staatssekretärin.
D
Herr Kollege, ich kann Ihnen nur sagen, dass die Bun-
desregierung die Daten verschiedenster international re-
nommierter Organisationen – einige nationale habe ich
Ihnen eben genannt –, auch der EFSA, der Europäischen
Behörde für Lebensmittelsicherheit, in ihre Entscheidun-
gen einbeziehen wird. Wenn Ihnen noch Daten nachge-
reicht werden müssen, werde ich das ohne Zweifel sehr
gerne veranlassen.
Eine Nachfrage des Kollegen Ostendorff, Bündnis 90/
Die Grünen. Bitte.
Frau Staatssekretärin, wie sollen wir damit umgehen?
Die EFSA hat deutlich gewarnt. Wann findet sich die
Warnung, die die EFSA ausgesprochen hat, im Vor-
schlag wieder? Wann wird sich der Bundesminister bzw.
das Bundesministerium einbringen und sagen: „Das
muss berücksichtigt werden“? Dafür haben wir die
EFSA. Es reicht nicht, zu sagen: Wir werden das mit ein-
beziehen. – Da muss konkreter geantwortet werden. Das
ist der Anspruch des Parlaments. Ich bitte Sie, konkret
zu beantworten, wie der Vorschlag der EFSA vonseiten
des zuständigen Fachministeriums der Bundesregierung
eingearbeitet wird.
Frau Staatssekretärin.
D
Herr Kollege Ostendorff, der Vorschlag wird einge-
arbeitet, indem die Bundesregierung mit dem im Fach-
ministerium vorhandenen Sachverstand diese Gutachten
würdigt. Letztendlich fragen Sie mich aber, wann das
endlich sein wird. Die Bundesregierung ist in diesem
Abstimmungsverfahren. Nur das kann ich Ihnen zu die-
ser Frage sagen.
Herzlichen Dank. – Damit verlassen wir den Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Ernährung
und Landwirtschaft. Wir danken Frau Staatssekretärin
Dr. Flachsbarth.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministers der Verteidigung. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe be-
reit.
Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Hans-
Christian Ströbele auf:
Inwieweit teilt die Bundesregierung die am 8. Januar 2014
geäußerte Auffassung des scheidenden Bundesministers der
bejahendenfalls, welche Bereiche der Bundeswehr außer de-
ren Rüstung sieht die Bundesregierung in besonderer Unord-
nung?
Herr Staatssekretär, bitte.
D
Sehr geehrter Kollege Ströbele, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Die Aussage des Bundesministers
Dr. Thomas de Maizière vom 8. Januar 2014 ist in ihrer
Gesamtheit zu sehen und lautet wie folgt – ich zitiere –:
In der Bundeswehr ist natürlich vieles nicht in Ord-
nung, nicht nur im Rüstungsbereich. Das ist normal
für Institutionen dieser Größenordnung.
Alle in der Bundeswehr identifizierten Defizite wer-
den unmittelbar angegangen. Dies gilt für alle erkannten
spezifizierten Mängel, wie sie zum Beispiel vom Wehr-
beauftragten benannt werden. Dasselbe gilt zum Beispiel
auch für durch den Bundesrechnungshof aufgeworfene
Fragestellungen, die ebenfalls als wertvolle Hinweise
und Anregungen für die Weiterentwicklung der Bundes-
wehr aufgenommen werden.
Im Übrigen wird in den Antworten des Bundesminis-
teriums der Verteidigung auf zahlreiche parlamentari-
sche Anfragen zu einzelnen Defizitvermutungen aus-
führlich Stellung genommen und dem Parlament
gegenüber Rechenschaft abgelegt. Auch bezogen auf die
Neuausrichtung der Bundeswehr war bereits von Beginn
an eine Evaluierung, also eine erste systematische Prü-
fung im Sinne der Entwicklung der Strukturen und Pro-
zesse, eingeplant. Diese wird nun im zweiten Jahr nach
der Einführung der Strukturen und Prozesse für die
Ebene des Bundesministeriums der Verteidigung und
dessen erste nachgeordnete Ebene durchgeführt. Zudem
nimmt sich die Bundesregierung der im Koalitionsver-
trag festgeschriebenen Aspekte, wie zum Beispiel der
Attraktivität des Dienstes und der Vereinbarkeit von Fa-
milie und Dienst, als Verpflichtungen an.
Eine Nachfrage, wie ich vermute, Herr KollegeStröbele.
Ich danke erst einmal für die Beantwortung meinerFrage. – Ich versuche einmal, zusammenzufassen: DieBundesregierung teilt also die Auffassung – darauf be-zog sich der Anfang meiner Frage –, die Herrde Maizière gegenüber Zeit Online zum Ausdruck ge-bracht hat; so verstehe ich das jedenfalls.Herr de Maizière hat ja die Rüstungsdefizite in derBundeswehr angesprochen. Meine etwas konkretere
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 361
Hans-Christian Ströbele
(C)
(B)
Nachfrage: Ist damit auch die offenbar doch sehrschlechte Qualität des Gewehrs G36 gemeint gewesen,das uns hier im Deutschen Bundestag schon mehrfachbeschäftigt hat? Hat die Bundesregierung für die Zu-kunft Pläne, vielleicht doch einen anderen Hersteller zubeauftragen? Oder bleibt es beim Gewehr G36?
Herr Staatssekretär.
D
Herr Kollege Ströbele, die Bundesregierung betrach-
tet die Aussage des Bundesministers Dr. de Maizière
nicht als interpretationsbedürftig. Ich kann sie Ihnen
gerne wiederholen. Sie enthält unter anderem den Satz:
„Das ist normal für Institutionen dieser Größenord-
nung.“
Sie wissen im Übrigen, dass es etablierte parlamenta-
rische Verfahren in diesen Bereichen gibt. Das Bundes-
ministerium der Verteidigung beantwortet fortlaufend
zahlreiche parlamentarische Anfragen zu konkreten Kri-
tikpunkten und legt damit regelmäßig Rechenschaft ge-
genüber dem Parlament ab, nicht nur, aber selbstver-
ständlich auch zu Rüstungsfragen. Ich denke, Sie
wissen, dass es auch im Bereich des Bundesministe-
riums der Verteidigung die sogenannten 25-Millionen-
Euro-Vorlagen gibt. Das heißt, dass bei solchen Vorha-
ben dem Haushaltsausschuss gegenüber eine besondere
Rechenschaft abgelegt wird. Das betrifft den Rüstungs-
bereich und auch andere Bereiche.
Herr Ströbele, Sie haben das Wort zu einer weiteren
Nachfrage.
Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, Sie ha-
ben einen Bereich angedeutet, der außer dem Rüstungs-
bereich in Betracht kommt: Das ist die Vereinbarkeit von
Dienst und Kindererziehung. Meine zweite Nachfrage
lautet: Gibt es noch andere Bereiche, die der Bundes-
minister möglicherweise im Auge oder im Kopf gehabt
hat?
D
Herr Kollege Ströbele, ich habe dies beispielhaft an-
geführt in der Hoffnung, damit Themen benennen zu
können, die auch auf Ihr Interesse stoßen.
Ich sage noch einmal: Diese Aussage des ehemaligen
Bundesministers der Verteidigung ist als solche nicht in-
terpretationsbedürftig. Sie ist im Übrigen insbesondere
kein Anlass für irgendwelchen Alarmismus. Es geht
auch nicht darum, in diesem Bereich nun einen beson-
ders großen Mangel festzustellen. Vielmehr haben wir es
nach der Aussetzung der Wehrpflicht mit einer Situation
zu tun, die dadurch gekennzeichnet ist, dass sich die
Bundeswehr, wie grundsätzlich jeder andere Arbeitgeber
auch, am Arbeitsmarkt um attraktive Arbeitskräfte be-
mühen muss. Das ist eine Herausforderung für die Bun-
deswehr als Arbeitgeber, und das ist neu im Vergleich zu
früheren Zeiten. Das bedeutet nicht, dass aus Sicht der
Bundesregierung die Zustände in diesem Bereich alar-
mierend und besonders schlecht wären. Aber es ist ein
Bereich, auf den man sicherlich sinnvollerweise einen
Blick wirft, wenn es darum geht, die Bundeswehr als Ar-
beitgeber attraktiver zu machen.
Herzlichen Dank. – Damit verlassen wir den Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums der Verteidigung
und danken Staatssekretär Brauksiepe.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend. Die Frage 25 der Kol-
legin Lazar wird schriftlich beantwortet.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ge-
sundheit. Die Frage 26 des Kollegen Terpe wird schrift-
lich beantwortet.
Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Ver-
kehr und digitale Infrastruktur. Zur Beantwortung steht
Frau Parlamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche
bereit.
Ich will zum weiteren Verlauf der Sitzung nur mittei-
len, dass wir um 15.35 Uhr mit der Aktuellen Stunde be-
ginnen und die restlichen Fragen dann schriftlich beant-
wortet werden. Wir haben also jetzt noch zehn Minuten
– plus/minus – für die Fragestunde.
Ich rufe die Frage 27 des Abgeordneten Stephan
Kühn, Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Wie ist der Stand der Genehmigung der Interimsflugrou-
ten für den Betrieb der Südbahn während der Sanierung der
Nordbahn am Flughafen Berlin Brandenburg durch die DFS
Deutsche Flugsicherung GmbH und das Bundesaufsichtsamt
für Flugsicherung, und ist eine Genehmigung bis zum von
dem Vorsitzenden der Geschäftsführung der Flughafen Berlin
Brandenburg GmbH, Hartmut Mehdorn, angekündigten Be-
ginn der Sanierung der Nordbahn zum 1. Juli 2014 sicherge-
stellt?
Ich bitte die Frau Staatssekretärin, die Frage zu beant-
worten.
K
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter,ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Flugverfahrenzur vorübergehenden Anbindung der Südbahn währendder Sanierung der nördlichen Start- und Landebahn desVerkehrsflughafens Berlin-Schönefeld wurden am18. November 2013 der örtlichen Fluglärmkommissionvorgestellt. Nach dort erfolgter Beschlussfassung legtedie DFS, die Deutsche Flugsicherung, dem Bundesauf-sichtsamt für Flugsicherung, dem BAF, im Dezember2013 die entsprechenden Unterlagen mit der Bitte vor,das für die Festlegung erforderliche Verfahren einzulei-ten. Dies wird nunmehr durch das Bundesaufsichtsamtfür Flugsicherung unter Einhaltung der einschlägigenVorgaben, insbesondere unter Beteiligung der gesetzlichvorgeschriebenen Behörden, durchgeführt.
Metadaten/Kopzeile:
362 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
(C)
(B)
Eine Nachfrage, Herr Kollege? – Bitte schön.
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Beantwor-
tung. – Wir haben nicht nur in Berlin einige Erfahrungen
mit dem Verfahren zur Festlegung von Flugrouten – da
gibt es ja eine Bürgerbeteiligung –; es ist ein sehr kom-
pliziertes Verfahren. Halten Sie es angesichts des jet-
zigen Verfahrensstandes und der Erfahrung bei der bis-
herigen Festlegung von Flugrouten für realistisch, dass
das Ziel von Hartmut Mehdorn, nämlich mit der Sanie-
rung der Nordbahn am 1. Juli dieses Jahres zu beginnen,
erreicht werden kann, dass also zum 1. Juli tatsächlich
bestandskräftige Interimsflugrouten vorliegen?
Frau Staatssekretärin, bitte schön.
K
Herr Abgeordneter, das sind zwei verschiedene Kom-
plexe. Sie fragen mich einmal, ob die Sanierung in dem
zur Verfügung stehenden oder angegebenen Zeitraum
erfolgen kann. Das müssen Sie das Land Brandenburg
respektive den Flughafenchef fragen. Zum anderen geht
es darum, ob in der zur Verfügung stehenden Zeit für
diesen Bereich die Flugrouten verhandelt werden kön-
nen. Diese Verfahren und die notwendige Beteiligung
sind zwar langwierig, aber wir gehen davon aus, dass
dies bis zum 1. Juli zu machen ist.
Noch eine Nachfrage? – Bitte, Herr Kollege Kühn.
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Aus meiner Sicht, Frau Staatssekretärin, gehören die
beiden Aspekte zusammen, weil es derzeit keine geneh-
migten Flugrouten für die Südbahn gibt. Wenn man die
Nordbahn sanieren will – das kann ja nicht während des
laufenden Betriebs erfolgen –, braucht man genehmigte
Flugrouten für die Südbahn, um den Verkehr dort abwi-
ckeln zu können. Aus meiner Sicht bedingen sich beide
Aspekte also. Für den Beginn der Nordbahnsanierung ist
Voraussetzung schlicht und ergreifend, dass es geneh-
migte Flugrouten für die Südbahn gibt. Insofern verstehe
ich die Aussage nicht ganz.
Frau Staatssekretärin.
K
Herr Kollege, die Genehmigung und der Betrieb von
Flughäfen erfolgen nun einmal durch die Länder im
Wege der Auftragsverwaltung. Insofern liegt die Verant-
wortung hier nicht beim Bund, sondern beim Land, in
dem Fall bei der Genehmigungsbehörde in Brandenburg.
Zum Stand von Bauvorhaben ist dann sicherlich der
Chef des Flughafens derjenige, der befragt werden muss.
Wir haben noch die Nachfrage des Kollegen Behrens,
Fraktion Die Linke. Bitte.
Frau Staatssekretärin, möglicherweise steht der noch
nicht rechtskonform umgesetzte Lärmschutz der Inbe-
triebnahme der Südbahn entgegen; das sagen zumindest
Medienberichte aus. Also: Die Nordbahnsanierung kann
erst dann erfolgen, wenn die Südbahn in Betrieb genom-
men werden kann, aber die Südbahn kann laut Planfest-
stellungsverfahren erst in Betrieb genommen werden,
wenn der rechtskonforme Schallschutz umgesetzt wor-
den ist. Insofern ist für mich die Frage, ob die Bundes-
regierung als Anteilseignerin davon ausgeht, dass das
Schallschutzprogramm bis zu dem Zeitpunkt, zu dem
Herr Mehdorn angekündigt hat, dass es zu einer Inbe-
triebnahme kommt, realisiert worden ist. Oder wie stel-
len Sie sich sonst die Inbetriebnahme der Südbahn als
Anteilseignerin vor?
Frau Staatssekretärin, bitte.
K
Grundsätzlich nimmt die Bundesregierung zu Medi-
enberichten keine Stellung. Was aber den Schutz vor
Fluglärm angeht, so erwarten wir einen den gesetzlichen
Vorgaben entsprechenden Schutz der Bürgerinnen und
Bürger.
Danke schön. – Wir kommen damit zur Frage 28,
ebenfalls des Abgeordneten Stephan Kühn, Bündnis 90/
Die Grünen:
Schließt der Flughafen Berlin-Tegel sechs Monate nach
Inbetriebnahme der Südbahn, wie im Planfeststellungsbe-
schluss vorgeschrieben, und falls nein, wie soll diese Rege-
lung außer Kraft gesetzt werden?
Frau Staatssekretärin, bitte.
K
Herr Kollege, wie schon in meiner Antwort eben ver-
weise ich auch hier auf den Zusammenhang. Mit der Ge-
nehmigung und dem Betrieb von Flughäfen werden die
Länder im Wege der Auftragsverwaltung in eigener Zu-
ständigkeit betraut und sind damit befasst. Vor dem Hin-
tergrund, dass die Zuständigkeiten dort wahrgenommen
werden, ist der Bund für die aufgeworfene Frage in der
Sache nicht zuständig.
Ich sehe Ihrem Gesicht den Wunsch nach einer Nach-frage an, Herr Kollege Kühn. Bitte schön.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 363
(C)
(B)
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Sie haben das richtig aus meinem Gesicht abge-lesen. – Meine Frage zielt darauf, wie aus Sicht derBundesregierung die Rechtslage eingeschätzt wird, obalso aus ihrer Sicht dann, wenn die Südbahn in Betriebgeht, so wie das zum 1. Juli dieses Jahres geplant ist, derPlanfeststellungsbeschluss greift, wonach – das ist in derReihenfolge so festgelegt – sechs Monaten später Tegelschließen muss. Dazu muss die Bundesregierung docheine Rechtsauffassung haben.K
Es gibt einen bestehenden Planfeststellungsbeschluss.
Dieser gilt und wird umgesetzt.
Ja, bitte, noch eine zweite Zusatzfrage.
Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):
Die zweite Zusatzfrage bezieht sich noch einmal auf
Tegel. Es gab ja Diskussionen, insbesondere vom Vor-
stand der Flughafengesellschaft, Herrn Mehdorn, ange-
regt, den Flughafen länger zu betreiben. Nun ist es so,
dass man eine sogenannte Lex Tegel gefunden hat, ge-
mäß der 2007 entschieden wurde, dass, da ja der Flugha-
fen in absehbarer Zeit schließen soll, keine zusätzlichen
Lärmschutzmaßnahmen erforderlich sind. Wenn jetzt der
Flughafen Tegel länger offen bleiben muss oder soll,
würde das bedeuten, dass zusätzlicher Lärmschutz erfor-
derlich ist. Können Sie bestätigen, dass dieser Zusam-
menhang besteht? Und gibt es nach Ihrer Kenntnis Be-
rechnungen, wie hoch die Kosten wären, die für
zusätzlichen Lärmschutz bei einem längeren Offenhalten
von Tegel anfallen würden?
Frau Staatssekretärin, bitte schön.
K
Herr Kollege, Ihre Fragen bewegen sich ja im rein
spekulativen Bereich, was wäre wenn. Noch einmal: Wir
haben einen bestehenden Planfeststellungsbeschluss, in
dem ein Zusammenhang zwischen dem Betrieb des BER
mit dem dann zu beendenden Betrieb von Tegel festge-
schrieben ist. Insofern basieren die von Ihnen aufgewor-
fenen Fragen auf Spekulationen und Hypothesen. Diese
kann, werde und will ich an dieser Stelle nicht beantwor-
ten.
Schönen Dank. – Wir kommen damit zur letzten
Frage in dieser Fragestunde, der Frage 29 des Abgeord-
neten Behrens:
Stimmt die Bundesregierung der Einschätzung zu, dass
gemäß der Bundeshaushaltsordnung die Einführung einer für
inländische Pkw-Halterinnen und Pkw-Halter kostenneutralen
Pkw-Maut – Vignette – nur dann zulässig ist, wenn die um die
Kompensationsleistungen für inländische Pkw-Halterinnen
und Pkw-Halter bereinigten Einnahmen aus der Pkw-Maut die
Mauterhebungskosten übersteigen, sprich: wenn die von aus-
ländischen Kfz-Halterinnen und Kfz-Haltern entrichteten
Mautzahlungen in Summe größer sind als die gesamten Erhe-
bungskosten – bitte begründen –, und sind nach Auffassung
der Bundesregierung die den Pkw-Halterinnen und Pkw-Hal-
tern entstehenden Befolgungs- und Entrichtungskosten der
bereits für 2015 avisierten Mautpflicht in die Berechnung der
Erhebungskosten einzubeziehen – bitte begründen?
Frau Staatssekretärin, bitte.
K
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Das primäre Ziel der Einführung einer Pkw-Maut ist, zu-
sätzliche Einnahmen für die Finanzierung der Verkehrs-
infrastruktur zu erlangen.
Zusatzfrage? – Bitte schön.
Ja, bei dieser kurzen Antwort war das anzunehmen. –
Ich möchte noch einmal auf den Inhalt meiner in der Tat
komplexen Frage hinaus. Wir haben jetzt von verschie-
denen Modellen gehört, auf deren Basis sich der Bun-
desverkehrsminister die Ausgestaltung einer künftigen
Pkw-Maut vorstellen könnte, ohne dass sie inländische
Autofahrer betrifft. Ein in sich schlüssiges Modell ist
aber noch nicht erkennbar, weil gegen alle Vorstellungen
europarechtliche Hindernisse geltend gemacht worden
sind. Uns kommt es jetzt darauf an, von Ihnen zu erfah-
ren: Wie sind die Konturen eines Modells, das ja mögli-
cherweise in der Pipeline ist, das wirklich dafür sorgt,
dass deutsche Autofahrerinnen und Autofahrer nicht zu-
sätzlich belastet werden?
Frau Staatssekretärin.
K
Herr Kollege, ich würde Ihnen gerne den Wortlaut derKoalitionsvereinbarung zwischen CDU, CSU und SPDin Erinnerung rufen.
Da heißt es:Diesem Ziel– sprich: einer leistungsfähigen Verkehrsinfrastruktur –dient … eine europarechtskonforme Pkw-Maut, mitder wir Halter von nicht in Deutschland zugelasse-nen Pkw an der Finanzierung zusätzlicher Ausga-
Metadaten/Kopzeile:
364 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
ben für das Autobahnnetz beteiligen wollen, ohneim Inland zugelassene Fahrzeuge höher als heute zubelasten.Sie haben gerade richtigerweise darauf hingewiesen,dass wir an einem Konzept arbeiten. Solange das derFall ist, kann über Details noch nichts gesagt werden.
Noch eine Zusatzfrage, Kollege Behrens? – Bitte.
Frau Staatssekretärin, gleichwohl sind Inhalte bzw.
Details bekannt geworden – in Medienberichten wiede-
rum; ich hoffe, dass Sie sich trotzdem dazu äußern wer-
den –, nämlich dass verschiedene Vorschläge gemacht
wurden, beispielsweise die Ergänzung, dass nicht nur
spezifische europarechtliche Fragen berücksichtigt wer-
den, sondern möglicherweise auch eine ökologische Di-
mension mit eingebracht wird, sodass unter Umständen
schadstoffarme Fahrzeuge in besonderer Weise behan-
delt werden können. Sind hinsichtlich dieser Forderung
momentan konkrete Ideen in der Diskussion?
Frau Staatssekretärin.
K
Herr Kollege, wir erarbeiten ein Konzept. Dieses hat
die von mir genannten Kriterien zu erfüllen. Zu weiteren
Spekulationen, Modellen, Ausgestaltungen, die nicht
durch das Ministerium und damit durch die Bundes-
regierung in die Öffentlichkeit gelangt sind, werde ich
nicht Stellung nehmen. Es ist jetzt die Aufgabe des
Ministeriums, einen Vorschlag zu unterbreiten, und das
werden wir im Laufe dieses Jahres tun.
Recht herzlichen Dank. – Wir haben damit die Zeit
für die Fragestunde ausgeschöpft. Die restlichen Fragen
werden nach den Vorschriften der Geschäftsordnung be-
handelt. Ich schließe damit diesen Tagesordnungspunkt.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE
Haltung der Bundesregierung zu den Ver-
handlungen über ein No-Spy-Abkommen zwi-
schen den USA und der Bundesrepublik
Deutschland
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Jan Korte für die Fraktion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Seit Juni vergangenen Jahres haben wir es mit einem dergrößten Datenschutz- und Grundrechteskandale in derGeschichte überhaupt zu tun. Das millionenfache Aus-spähen der Bevölkerung ist ein fundamentaler Angriffauf die Grundfeste der Demokratie, nämlich die freieKommunikation und das Kommunizieren frei von Kon-trolle. Das Hauptproblem bei dieser Affäre – weswegendie heutige Debatte so wichtig ist und von uns beantragtwurde – ist die Haltung der Bundesregierung in dieserFrage. Das muss sich endlich ändern, liebe Kolleginnenund Kollegen.
Was wurde seit Juni getan? Darüber müssen wir ein-mal sprechen. Zunächst wurde die Opposition von derdamaligen Bundesregierung als antiamerikanisch undnaiv beschimpft; das war der Kollege Friedrich. Dannwurde die Affäre von Herrn Pofalla für beendet erklärt;alle Verdächtigungen seien ausgeräumt. Dann wurde be-kannt, dass das Telefon der Kanzlerin ausspioniertwurde. Bei diesem Vorgang war die erste Gefühlsregungbei Ihnen feststellbar. In dieser Woche gibt es ein Inter-view mit dem ehemaligen Innenminister Friedrich, Zitat:Ich hatte wichtigere Themen. – Das ist dieser Affärenicht einmal im Ansatz angemessen. Das ist eine boden-lose Frechheit.
Dann wurde Folgendes gemacht: Man hat einen Fra-genkatalog versandt, von dem wir bis heute nicht wissen,ob die Fragen überhaupt beantwortet wurden und, wennja, wie. Dann fiel die Bundesregierung besonders als PR-Agentur für die US-Regierung auf, und dann gab es –jetzt wird es ganz toll – einen Anruf bei PräsidentObama durch die Kanzlerin, die darum bat – so konnteman der internationalen Presse entnehmen –, man mögedas Handy doch nicht mehr abhören. Sie sagte laut NewYork Times – ich zitiere –: „This is like the Stasi“. Das istalso das, was von der Kanzlerin dazu zu hören war. –Dann war Ihr Vorhaben, das Sie tatkräftig angehen woll-ten, ein No-Spy-Abkommen auf den Weg zu bringen.Nun kennen wir die Medienberichte. Wir wissenüberhaupt nicht, ob es zu einem No-Spy-Abkommenkommen wird
und, wenn ja, was drinsteht. Wir wissen auch nicht, ob esdabei nur um Regierungsmitglieder geht oder um die ge-samte Bevölkerung, was angemessen wäre. Folgendeswar diese Woche interessant: Selbst der Präsident desBND ist schwer verunsichert und nicht zufrieden. GanzeWeltbilder brechen bei den Kollegen Uhl und Mayer vonder CSU in sich zusammen; sie fragen sich, wie das dennsein kann. Das ist immerhin ein Indiz dafür, dass Sie et-was zur Kenntnis genommen haben. Ohne den Druckder Opposition und ohne den Druck und die Aufar-beitung von kritischen Medien würde hier nichts passie-ren.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 365
Jan Korte
(C)
(B)
Was macht die SPD? Sie kann sich mal wieder, wie sooft, nicht entscheiden zwischen Bürgerrechten – da gibtes leichte Ansätze beim neuen Bundesjustizminister –und einer völlig enthemmten Law-and-Order-Politik, fürdie Olaf Scholz und die Genossen in Hamburg stehen.Es ist wie immer: Auf die SPD ist kein Verlass. Sie ist indieser Debatte zu nichts zu gebrauchen. Auch das istsehr bedauerlich.
Ich will eines sagen: Wir dürfen nicht nur auf Groß-britannien und die Vereinigten Staaten gucken. Wir müs-sen vielmehr vor der eigenen Haustür kehren; denn dieDatensammelwütigen sind im eigenen Land, hier imBundestag. Wir brauchen da eine Umkehr, auch hier inDeutschland.
Sie werden sicherlich sagen: Mensch, der KollegeKorte von den Linken hat mit dem, was er hier vorträgt,recht. Aber was sollen wir denn konkret tun?
Deswegen möchte ich Ihnen einige ganz konkrete Vor-schläge machen und Empfehlungen geben, wie wir wei-terkommen und etwas verändern können.Erstens. Kündigen Sie umgehend die Verhandlungenzum transatlantischen Freihandelsabkommen auf! Dasist eine Sprache, wenn es um die Wirtschaft geht, dieauch die Vereinigten Staaten von Amerika verstehen.Das wäre etwas Konkretes, wo sie handeln würden.
Zweitens. Legen Sie alle Verträge und Abkommenzum Datenaustausch zwischen den Diensten offen – da-rauf haben die Menschen ein Anrecht –, und legen Siedas Fluggastdatenabkommen und den Bankdatenaus-tausch auf EU-Ebene mit den USA auf Eis! Werden Siein Europa aktiv!
Drittens. Berufen Sie einen Sonderermittler mit allennotwendigen Kompetenzen! Wir möchten einen konkre-ten Vorschlag machen – er wäre dafür sehr geeignet –:Bitten Sie Peter Schaar, den ehemaligen exzellentenBundesdatenschutzbeauftragten, diese Aufgabe zu über-nehmen! Das wäre die richtige Person und ein Zeichendafür, dass Sie handeln wollen.
Viertens. Beerdigen Sie endlich final die Vorratsda-tenspeicherung, und werden Sie auf EU-Ebene aktiv, da-mit sie nicht umgesetzt wird! Es ist an der Zeit. Auch dasist wichtig.
Letzter konkreter Vorschlag. Es gibt Botschaftsange-hörige, die hier spionieren. Wenn man eine fleißige undgute Spionageabwehr hat oder hätte, sollte es hin undwieder gelingen, dies rauszubekommen.
Erklären Sie diese Botschaftsangehörigen zu Personaenon gratae! Das wäre ein wichtiges Zeichen, um zu zei-gen, wie man mit so etwas umgehen muss. Für die CSUin ihre Sprache, die nicht meine ist, übersetzt, würde dasbedeuten: Wer spioniert, der fliegt. – Das wäre die rich-tige konsequente Antwort.
Ich komme zum Schluss. Ich bin fest davon über-zeugt, dass auch wir in der Bundesrepublik eine neueÄra von Bürgerrechten und Datenschutz brauchen. Wirmüssen vor der eigenen Haustür damit anfangen. AmFreitag will Präsident Obama zu diesen Vorgängen Stel-lung nehmen. Sie haben heute als Regierungsfraktionen– die Bundesregierung ist leider nicht unbedingt mit derersten Riege vertreten –,
die letzte Chance, hier klar Stellung zu beziehen und so-
wohl nach Washington als auch an die eigene Bevölke-
rung ein Zeichen zu senden. Es wird jetzt wirklich
höchste Zeit, dass Ihr Gepenne ein Ende hat.
Schönen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische Staatssekretär
Günter Krings.
D
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Man könnte jetzt auch sehr bescheiden sagen,dass die Bundesregierung ihre Redner an der Stelle einbisschen dem Redneraufgebot der Linksfraktion ange-passt hat.
Meine Damen und Herren, die Veröffentlichungen zuden Datensammlungen der US-amerikanischen NationalSecurity Agency haben bei vielen Bürgern – das ist klar –nicht nur berechtigte Fragen aufgeworfen, sondern ver-ständlicherweise auch große Sorgen und Verunsicherun-gen ausgelöst.
Metadaten/Kopzeile:
366 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
(C)
(B)
Die Bundesregierung hat schon zu einem Zeitpunkt, alsdas Ausmaß der Sammelaktionen noch nicht gänzlich er-kennbar war, reagiert.
Insbesondere hat sie die nötige Aufklärung eingefordert.Sie hat dies auch auf ministerieller Ebene getan, bis hinzu direkten Gesprächen zwischen der Bundeskanzlerinund Präsident Obama.
Ich mache keinen Hehl daraus: Das Antwortverhaltender USA ist bislang höchst unbefriedigend. Die wich-tigsten Fragen sind unbeantwortet geblieben. Es ist jaschön, wenn vertrauliches Material zum Teil deklassifi-ziert wird. Allerdings sind den mehr als 1 000 Seiten, diedeklassifiziert worden sind, keine relevanten Informatio-nen über Ausmaß und Umfang der Programme zu ent-nehmen.
Das Material vermittelt nicht mehr als einen Überblicküber die technischen Ansätze der Sicherheitsbehördender USA und ein Verständnis der rechtlichen Grund-lagen, auf die sich die USA beziehen. Das ist aus meinerSicht inakzeptabel.
Gerade deshalb müssen die Verhandlungen mit denAmerikanern über eine verbindliche Vereinbarung zunachrichtendienstlichen Tätigkeiten weitergeführt wer-den, und deshalb – da kann die Opposition ganz beruhigtsein – werden sie auch weitergeführt.Bereits in der letzten Legislaturperiode hat die Bun-desregierung Gespräche mit der amerikanischen Regie-rung aufgenommen, um sicherzustellen, dass die Grund-rechte deutscher Bürgerinnen und Bürger gewahrtwerden. Ziel dieser Gespräche war es von Anfang an, zueiner entsprechenden Vereinbarung zwischen dem Bun-desnachrichtendienst und der National Security Agencyzu gelangen. Die Gespräche wurden zunächst unmittel-bar zwischen den Nachrichtendiensten BND und NSAmit zwei Zielrichtungen geführt: zum einen die Rege-lung der Zusammenarbeit dort, wo wir gemeinsameInteressen definieren können, also zum Beispiel in sowichtigen Aufgabenfeldern wie Kampf gegen den inter-nationalen Terrorismus oder gegen die Verbreitung vonMassenvernichtungswaffen, zum anderen aber auch dieBerücksichtigung der Interessen der jeweils anderenSeite und die Wahrung der jeweiligen Rechtsordnung.Meine Damen und Herren, der Maßstab, dass auch fürunsere Partner und ihre Sicherheitsbehörden auf deut-schem Boden uneingeschränkt deutsches Recht zu geltenhat, ist für uns nicht verhandelbar.
Aber die Aufkündigung jedweder Zusammenarbeit mitden amerikanischen Behörden wäre ebenso keine verant-wortliche Alternative, weil sie unser Land ein ganzesStück unsicherer machen würde. Ich habe eben Teilender Fragestunde lauschen können und mit Interesse ge-hört, dass Abgeordnete der Linken danach fragen, wa-rum es bei der Aufarbeitung des NSU-Terrors nicht mehrErkenntnisse der NSA gegeben habe. Offenbar gehenalso auch Sie davon aus, dass diese Zusammenarbeitnotwendig und wichtig ist.
– Das stelle ich nur so fest. – Es ist daher gut, dass dieGespräche dazu beitragen können, das gegenseitige Ver-trauen und unsere Zusammenarbeit, die dringend erfor-derlich ist, zu verbessern. Genau aus diesem Grundemüssen die Gespräche zwischen BND und NSA weiter-gehen. Gerade weil es sich hier um hochsensibleThemen handelt, geht bei solchen Gesprächen ganz ein-deutig Gründlichkeit vor Schnelligkeit.Meine Damen und Herren, von manchen anderenStaaten, bei denen wir auch getrost von nachrichten-dienstlichen Aktivitäten gegen uns in Deutschland aus-gehen können, unterscheidet sich die USA in einem ganzwesentlichen Punkt: Sie ist ein freiheitlicher Rechtsstaat,eine Demokratie.
Anders als in anderen Ländern hat daher innerhalb derUSA eine ernsthafte Debatte über Möglichkeiten undGrenzen der Aufklärung, über die Frage der Verhältnis-mäßigkeit und über den Umgang mit Freunden und Ver-bündeten begonnen; es wäre schön, wenn eine solcheDebatte auch in anderen Ländern beginnen würde. Dieeinflussreiche demokratische Senatorin Dianne Feinstein,Vorsitzende des Kontrollgremiums des Senats, etwa hatklar gesagt, die Überwachung von BundeskanzlerinAngela Merkel und anderen Regierungschefs sei abzu-lehnen. Eine vollständige Überprüfung aller Geheim-dienstprogramme sei erforderlich, damit die Mitgliederdes Geheimdienstausschusses des Senats voll darüberunterrichtet sind, was die Dienste tatsächlich tun.
Auch in den USA erkennt ein größer werdender Teil derÖffentlichkeit, dass nicht jede Abhörmaßnahme, dietechnisch möglich ist, ethisch verantwortbar ist und da-mit auch rechtlich zulässig sein darf.Die Notwendigkeit einer seriösen Abwägung zwi-schen den Sicherheitsinteressen einerseits und dem
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 367
Parl. Staatssekretär Dr. Günter Krings
(C)
(B)
Schutz der Privatsphäre andererseits wird allmählichauch in der US-Regierung erkannt. US-Präsident Obamahat im August des letzten Jahres eine hochrangige Ex-pertengruppe beauftragt, Vorschläge zur Überprüfungder Arbeit der amerikanischen Nachrichtendienste zuunterbreiten. Er hat angekündigt, seine Schlussfolgerun-gen am nächsten Freitag der Öffentlichkeit vorzustellen.Die Überprüfung der Arbeit der Dienste erstreckt sichauch auf die sogenannte Auslandsaufklärung, also aufdie Themen, die uns hier besonders interessieren. DieBundesregierung begrüßt dieses Vorgehen. Es wäre auchfür das transatlantische Verhältnis wichtig, wenn mög-lichst viele der 46 Anregungen praktisch umgesetzt wür-den, etwa die verstärkte Berücksichtigung der Grund-rechte von Nicht-US-Bürgern und der Verzicht aufIndustriespionage. Meine Damen und Herren, wenn wirdiesen noch recht zähen Prozess des Umdenkens in denUSA fördern wollen, brauchen wir eine intelligenteReaktion und keine voreiligen Schlussfolgerungen. For-derungen nach der Aufkündigung von Datenübermitt-lungsabkommen oder der Aussetzung der Verhandlun-gen über das transatlantische Freihandelsabkommen sinddas Gegenteil von intelligent. Gerade vom letztgenann-ten Abkommen profitieren wir in Deutschland undEuropa nämlich mindestens ebenso stark wie die Ameri-kaner. Eine solche Selbstschädigung unter Verkennungder eigenen nationalen Interessen gehört wohl kaum zuden Reaktionsmitteln, die die amerikanische Seite dauer-haft beeindrucken können.
Mit Hilfe des TFTP-Abkommens, auch SWIFT-Abkommen genannt, konnte laut der Evaluation der EU-Kommission ein wichtiger Beitrag zur Bekämpfung derTerrorismusfinanzierung auch in Europa geleistet wer-den. Anders liegt die Sache beim sogenannten Safe-Harbor-Abkommen. Die Bundesregierung setzt sichdafür ein, dieses Abkommen für die Übermittlung vonpersonenbezogenen Daten an Drittstaaten im wirtschaft-lichen Bereich deutlich zu verbessern. Der Themenkom-plex muss im Kontext der Datenschutz-Grundverord-nung neu geregelt werden; unter anderem könnte maneine Meldepflicht für die Weitergabe von Daten in an-dere Staaten schaffen. Ziel ist es, die Individualrechteder Bürgerinnen und Bürger zu stärken und ihnenbessere Rechtsschutzmöglichkeiten zur Verfügung zustellen.Meine Damen und Herren, im Lichte der überborden-den NSA-Datensammlung ist die zentrale Aufgabe inDeutschland und Europa die Rückgewinnung der Souve-ränität über den Umgang mit unseren Daten. Dazu brau-chen wir sowohl rechtliche als auch technische Mittel.Digitalisierung braucht Vertrauen. Die Menschen inDeutschland müssen darauf vertrauen dürfen, sich auchim Cyberraum frei und sicher bewegen zu können. Wirwollen die Bürgerinnen und Bürger und auch die deut-schen Unternehmen im Netz schützen. Dieser Schutzmuss sich gegen jede Form der Verletzung der Informa-tionssicherheit richten, sei es gegen Cyberkriminelle, seies gegen organisierte Kriminalität oder auch gegenausländische Nachrichtendienste, gleich welchen Ur-sprungs.
Wer es ernst meint mit einem 360-Grad-Blick auf alleQuellen möglicher Bedrohungen der Vertraulichkeit undSicherheit unserer Datenkommunikation, darf eben denBlick nicht ausschließlich auf die Nachrichtendienste derUSA richten; denn wir müssen davon ausgehen, dassnicht nur die NSA, sondern auch andere Staaten Aus-spähprogramme unterhalten.
Den Schutz der Bürger und Unternehmen können wirnur gemeinsam bewältigen. Wirtschaft, Staat und Zivil-gesellschaft müssen hier zusammenwirken. Im Koali-tionsvertrag haben wir eine Reihe von sehr konkretenVorhaben vereinbart, die diesen Schutz voranbringen.
Ich denke dabei etwa an die Unterstützung für mehr undbessere Verschlüsselung der Datenkommunikation durchdie Nutzer und an die Förderung vertrauenswürdigerHersteller und Dienstleister in Deutschland, damit wirauf deren Technologien aufbauen können. Ich denke andas IT-Sicherheitsgesetz, mit dem wir die Betreiberkritischer Infrastrukturen ebenso in die Verantwortungnehmen wollen wie die Provider. Ich denke auch an diePrüfung von Möglichkeiten für ein europäisches Routingbzw. eine europäische oder deutsche Cloud.Wir werden die Daten- und Informationssicherheit zueinem Schwerpunkt unserer Arbeit machen und mit allenbeteiligten Ressorts, mit der Wirtschaft und mit der Zi-vilgesellschaft nach Lösungen suchen. All das erfordertnatürlich Investitionen in Technik und Experten, diediese Technik bedienen.
Mehr Sicherheit gibt es auch in der Datenkommunika-tion nicht zum Nulltarif.Die NSA-Debatte verlangt wie derzeit kein anderesThema, dass sich Deutschland und die USA auf einekluge Balance zwischen Freiheit und Sicherheit einigen.Das Vorhalten nachrichtendienstlicher Fähigkeiten istgerade im Zeitalter des Internets eine unabdingbarePflicht des Staates, um die Sicherheit seiner Bürger zugarantieren. Nur ist diese Sicherheit eben kein Selbst-zweck, sondern sie dient der Verwirklichung von Frei-heit. Wenn wir diese simple Zweck-Mittel-Relation aufbeiden Seiten des Atlantik beherzigen, dann muss klarsein, dass auch bei Datensammlungen klare Grenzen zuziehen sind. Das schaffen wir am besten durch klare ge-meinsame Regelungen und Vereinbarungen.
Vielen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
368 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
(C)
(B)
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat der Kol-lege Dr. Konstantin von Notz das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Nach monate-langer Verklärung und Vertuschung, nach Placebos undBeschwichtigungen im Wahlkampf, nach gänzlich er-gebnislosen Delegationsreisen und auch nach Ihrer et-was nebeligen Rede, sehr geehrter Herr Staatssekretär,stehen Sie, steht das Bundeskanzleramt, steht die Bun-desregierung unter Angela Merkel heute, ein Dreiviertel-jahr nach den Veröffentlichungen von Snowden, völligblank dar. Das ist der Skandal nach dem Skandal.
Das No-Spy-Abkommen als Antwort auf die Enthül-lungen von Snowden war von Anfang an nicht aus-reichend. Spionage ist eben nur ein Teilbereich derGesamtproblematik, nur ein Teilbereich dessen, wasSnowdens Veröffentlichungen ans Tageslicht gebrachthaben. Ihnen ging es von Anfang an nicht um die Bürge-rinnen und Bürger, nicht um die Bürgerrechte, nicht umdie Freiheit der Menschen in diesem Land. Das war unddas ist bis heute nicht Ihr Thema. Ihnen ging es um dieRegierungskommunikation, um das Merkel-Phone, umdas Handy der Kanzlerin.
Heute ist klar: Noch nicht einmal das können Sie schüt-zen.Gleichzeitig haben Sie mit Ihrem No-Spy-Abkom-men-Projekt, das offenbar gescheitert ist, ein gemein-sames Vorgehen der EU hintertrieben. Auf ein völker-rechtswidriges Vorgehen von mindestens fünf Nationenmit einem bilateralen Abkommen antworten zu wollen,ist von Anfang an ein untauglicher Versuch. Deswegenstehen Sie vor einem Scherbenhaufen.
Sie haben auch europapolitisch versagt, weil Sie dieEU-Datenschutzreform als einen wichtigen Baustein ei-nes besseren Datenschutzes in der Europäischen Unionnicht gestärkt haben. Sie haben diese Reform ge-schwächt und verzögert; sie wird in dieser Legislatur-periode des EPs nicht mehr kommen. Das steht in einemklaren Widerspruch zu Aussagen von Frau Merkelim Sommerinterview, in dem sie als Reaktion auf dieSnowden-Affäre gesagt hat, die Bundesregierung stehedafür, dieses EU-Datenschutzabkommen zu einem gutenAbschluss zu bringen. Wir haben versucht, dieses Vorha-ben voranzubringen. Dafür haben wir uns engagiert,auch in Brüssel. Sie tragen die Verantwortung dafür,dass dieses Vorhaben jetzt scheitert.
– Herr Binninger, das werden Sie aushalten müssen.
Wenn man in den letzten Tagen Zeitung gelesen hat,konnte man lesen, dass der ehemalige Bundesinnen-minister Friedrich im Rückblick auf seine Zeit im BMIgesagt hat – ich zitiere –:Ich hatte übrigens wichtigere Themen als die NSA-Affäre.
Das bringt es auf den Punkt. Sie haben als Bundesregie-rung damals wie heute nicht verstanden, worum es imKern geht. Die zentrale Frage ist: Kann es in einem frei-heitlichen Rechtsstaat eine anlasslose massenhafteErfassung von Kommunikations- und Bewegungsdatenaller Bürgerinnen und Bürger geben? Und die Antwortlautet: Nein, denn wer beobachtet wird, der ist nicht frei.
Wenn ein Innen- und Verfassungsminister wichtigereThemen hat als die Freiheit und die Bürgerrechte derMenschen in unserem Land und in Europa, dann stimmtan seiner Grundkonzeption etwas nicht. Vor diesem Hin-tergrund – das sage ich ganz klar in Richtung SPD –muss endlich und endgültig Abstand genommen werdenvon der Vorratsdatenspeicherung;
denn sie ist die massenhafte anlasslose Speicherung un-serer Kommunikations- und Bewegungsdaten. Deswe-gen ist sie aus unserer Sicht kein rechtsstaatliches Mittel.Ich will zum Schluss etwas versöhnlicher werden.
– Ja. – Wir werden genau verfolgen, ob diese Bundesre-gierung entschlossener, sinnhafter und bürgerrechts-freundlicher agieren wird als die letzte. Mit Interessehabe ich zur Kenntnis genommen, dass der neue Innen-minister, Herr de Maizière, gesagt hat, dass die Freiheitder Kommunikation im Internet ein Schwerpunkt seinerAmtszeit sein wird. Das finde ich gut. Aber im Koali-tionsvertrag steht, anders als Ihre Ausführungen es ver-muten lassen, Herr Krings, nichts Substanzielles dazu.Ich bin sehr gespannt, was da kommen wird. Auf dieAussage von Herrn de Maizière muss eine echte Kurs-änderung folgen. Das darf nicht nur eine rhetorischeKursänderung unter dem Druck der augenblicklichenDiskussion sein. Die Bürgerrechte und der Rechtsstaatim digitalen Zeitalter, das muss ein ganz zentralesThema für uns alle in der 18. Wahlperiode werden.Um das glaubwürdig gemeinsam voranzubringen,müssen wir jetzt einen Parlamentarischen Unter-suchungsausschuss mit einem ernsthaften und substan-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 369
Dr. Konstantin von Notz
(C)
(B)
ziellen Untersuchungsauftrag auf den Weg bringen. Dasheißt, wir müssen auch die Rolle der deutschen Diensteim internationalen Datenringtausch, den es offenbar gibt,aufklären und daraus die notwendigen Konsequenzenziehen. Wir brauchen die europäische Datenschutz-verordnung und eine durchgehende Ende-zu-Ende-Verschlüsselung der Kommunikation. Wir müssen PNR,SWIFT und Safe Harbor aussetzen, um wieder in dieDiskussion einsteigen zu können – ich bin gespannt, wieSie das sonst machen wollen –, und wir müssen uns mitdenen verbünden, mit denen wir für Bürgerrechte,Freiheit und ein Ende der Überwachung streiten. In derZivilgesellschaft und in der Wirtschaft gibt es solchePartner. Schriftstellerinnen wie Juli Zeh, der Nobelpreis-träger Günter Grass und auch andere europäische Ländersehen dieselbe Problematik. Parlamentarier in den USA,in Großbritannien und anderswo teilen unsere massiveKritik an der völlig maßlosen Überwachung. Daran,meine Damen und Herren von der Großen Koalition,werden wir Sie messen.Ganz herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Michael Hartmann für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Die Vereinigten Staaten von Amerika, schwererschüttert durch 9/11, die Ereignisse, die letztlich auchvon der Hamburger Zelle um Mohammed Atta ausgelöstwurden, haben es verdient, dass wir ihnen im Kampf ge-gen Terror und Gewalt zur Seite stehen.
Wir verstehen diesen Kampf, und wir verstehen die-sen Einsatz. Aber genauso müssen die Vereinigten Staa-ten von Amerika verstehen, dass es unsere patriotischePflicht ist, das Grundgesetz, die Bürgerrechte, die Frei-heit und die Daten der Menschen hier in Deutschland zuschützen.
Deshalb werden wir es niemals hinnehmen, wenn ausge-rechnet unser wichtigster Verbündeter glaubt, sich jetztund in Zukunft die Totalausspähung unserer Bürgerin-nen und Bürger erlauben zu können. Das hat nämlich mitKampf gegen den Terror nichts mehr zu tun.
Oder ist NSA-Chef Alexander der Meinung, dass dieKanzlerin einer Nähe zu al-Qaida verdächtig ist?
Der Kampf gegen den Terror darf nicht als Vehikel be-nutzt werden, um sich alles Interessierende und allestechnisch Mögliche an Daten hier in Deutschland ein-fach zu holen.
Schlimm genug, dass diese, so sollte man meinen,Selbstverständlichkeiten überhaupt der Verhandlungenbedürfen, dass über ein sogenanntes No-Spy-Abkom-men debattiert und diskutiert werden muss. Nochschlimmer wäre es, wenn dieses tatsächlich scheiternwürde. Ich bin mir gar nicht so sicher, dass es nicht wei-tergehen wird. Ich bin mir umgekehrt sicher, dass dieBundesregierung – jetzt kraftvoll unterstützt auch durchdie SPD –
kritisch und selbstbewusst weiterverhandeln wird, viel-leicht anders als in der Vergangenheit.
Jedenfalls werden Sie vom neuen Bundesinnenministernicht den Satz hören, dass das alles nur blanker Anti-amerikanismus sei.Wie dem auch sei, sollte es scheitern – das wollen wirnicht; wir werden deshalb auch mit Nachdruck weiter-verhandeln –, dann ist ganz klar, dass wir – entgegendem, was manche behaupten – keineswegs wehrlos sind.Wir müssen dann über das Safe-Harbor-Abkommen re-den. Wir müssen dann selbstverständlich darüber reden,ob die Passagierdaten weiterhin so ohne Weiteres in dieUSA gereicht werden.
Wir müssen dann ebenfalls über all das, was im Zusam-menhang mit den Verhandlungen über ein Freihandels-abkommen steht, sehr kritisch weiter diskutieren. Dennwarum sollten wir, über Verträge gebunden, Daten wei-tergeben, wenn man sich illegal durch die Hintertür nochviel mehr Daten holt und diese gegen unsere Interessenmissbraucht?
Warum sollen im Übrigen jene Firmen, die inDeutschland ihren Sitz haben, die mit uns hier inDeutschland in Verbindung stehen und aus Amerikastammen, jene Firmen, die offensichtlich Daten an dieNSA und andere Dienste weitergeben, weiterhin Auf-träge von der Bundesrepublik Deutschland oder nachge-ordneten Behörden unserer Ministerien erhalten? All das
Metadaten/Kopzeile:
370 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Michael Hartmann
(C)
(B)
kann und muss dann sehr konsequent und deutlich in-frage gestellt werden.Es wäre übrigens ein völliger Fehlschluss – manchebenutzen das ja gerne als Vehikel –, das Agieren derUSA zugleich zu einem Pfeil zu schmieden, der gegenunsere Dienste gerichtet ist. Ich bin mir sehr, sehr sicher,dass es, um den NSA-Skandal und die Folgen adäquataufarbeiten zu können, darauf ankommt, dass wir unsereDienste besser machen, und zwar im Bereich der Spio-nageabwehr und im Erzielen eigener Erkenntnisse. Waswir selbst mit den Mitteln des Rechtsstaates erhebenkönnen, müssen uns andere nicht geben.Damit ich nicht missverstanden werde: Ich wünschemir kein eingefrorenes Verhältnis in der Zusammen-arbeit mit den Sicherheitsbehörden der USA. Wir brau-chen uns wechselseitig. Die brauchen uns aber auch: imNahen Osten, in Afghanistan nach Abzug der Truppenund genauso auch bei der Fragestellung, wie wir diewichtigen US-Liegenschaften in Deutschland – mandenke an Ramstein – weiterhin schützen. Insofern gilt:Es gibt ein wechselseitiges Interesse, sich zu respektie-ren, und es gibt ein wechselseitiges Interesse, sich ebennicht auszuspionieren, sondern zu kooperieren. Dasmüssen die USA in den nächsten Wochen und Monatenvon uns und mit uns gemeinsam lernen, meine sehr ge-ehrten Damen und Herren.
Es ist übrigens ein großes Ärgernis, dass die lachen-den Dritten – Sie haben völlig recht, Herr KollegeKrings – derzeit Staaten im Osten sind, die jeden Tagmassenhaft Angriffe gegen unsere IT-Sicherheit fahren.Auch die müssen in Zukunft wieder stärker ins Blickfeldgenommen werden.In den USA selbst dreht sich der Wind. Deshalb istdem mutigen Herrn Snowden, der auch uns die Augengeöffnet hat, zu danken.
Wir werden jetzt in Verhandlungen und Gesprächen mitNachdruck deutlich machen, dass in den USA wie beiuns das Supergrundrecht der Freiheit besteht, und wirwerden klarmachen, dass diese Bundesregierung die Af-färe noch lange nicht als beendet ansieht.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Clemens Binninger für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Angesichts der Vorwürfe, die seit Frühjahr/Sommer2013 im Raum stehen – das muss man vorneweg festhal-ten –, ist das Informationsverhalten sowohl der amerika-nischen Dienste als auch der britischen Dienste in jederHinsicht unzureichend.
Diese Kritik können wir auch unseren Partnern nicht er-sparen. Wir haben klare Anforderungen an die amerika-nische Seite und auch an die britische Seite. Sie sind bis-lang nicht erfüllt. Auch das muss man in dieserNüchternheit festhalten.
Ich habe Ihnen, Herr Kollege von Notz, und auch Ih-nen, Herr Korte, aufmerksam zugehört. Aber glaubenSie wirklich, dass wir auch nur einen Zentimeter Verhal-tensänderung bei Amerikanern wie bei Briten erreichen,wenn 80 bis 90 Prozent Ihrer Redezeit eigentlich nurparteipolitisch geprägt sind?
Schuld ist die CSU, wahlweise die SPD oder die CDU.In Ihrer Rede, Herr von Notz, kam nicht einmal eine klarformulierte Kritik an der NSA vor. Das ist doch viel zuwenig, was Sie hier vorgetragen haben!
Ich habe fünf Minuten wirklich konzentriert zugehört,weil ich gedacht habe: Irgendwann wird er ja einmal et-was zur NSA sagen.
Nein, Minister Friedrich war das Thema, die SPD wardas Thema, die Vorratsdatenspeicherung war das Thema.Nur das Problem war nicht das Thema.
Insofern sollten Sie Ihre Argumentation etwas schärferam Problem ausrichten.
Ich habe aus gutem Grund mit Kritik an amerikani-scher und britischer Seite begonnen, weil ich schon der
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 371
Clemens Binninger
(C)
(B)
Meinung bin, dass wir ein gemeinsames Verständnis ha-ben, auch als deutsche Parlamentarier.
Das ist eine Frage, der wir uns auch stellen müssen. Wirdürfen nicht nur auf die Regierung zeigen und nicht nurauf die Dienste zeigen. Wir müssen uns auch die Fragestellen: Wie erreichen wir als deutsches Parlament, alsDeutscher Bundestag, bei den amerikanischen und briti-schen Kollegen einen Bewusstseinswandel?
Offenkundig ist es doch so, dass deren Grundverständ-nis von Terrorismusbekämpfung und Nachrichtendienstenund das Verständnis, das wir haben, weit auseinander lie-gen. Deshalb wären wir aufgefordert, zuallererst überunsere Gremien mit den amerikanischen Kollegen imKongress und im Senat zu reden und da für unsere Posi-tionen zu werben; das ist unsere Aufgabe.
Auch dazu kein Ton von Ihnen!
Das No-Spy-Abkommen ist nicht so weit, wie wir esgerne hätten. Es ist in einer Sackgasse;
das ist völlig zutreffend. Aber ich halte nichts davon,jetzt zu sagen: Wir brechen die Verhandlungen ab. – Da-mit wäre nichts gewonnen.Es ist auch fragwürdig, ob wir mit Drohungen etwaserreichen.
Ich glaube nicht, dass wir damit sehr viel weiter kom-men. Wovon ich aber gar nichts halte, ist, ausgerechnetsolche Abkommen auszusetzen, bei denen, wie uns einEU-Kommissar und ein Beauftragter der EU sagen, dieDatenschutzregeln von den Amerikanern eingehaltenwerden.
Bei den Passagierdaten und bei SWIFT wird der Daten-schutz so gehandhabt, wie es unserem Verständnis ent-spricht. Was bringt es, solche Abkommen auszusetzen,aber bei dem anderen Treiben zuzuschauen? Das wäredoch der völlig falsche Ansatz. Konzentrieren wir unsauf das Problem! Es muss unser vorrangiges Ziel sein,den Schutz der Kommunikation im Internet zu gewähr-leisten, vielleicht auch die Punkte zu benennen, bei de-nen wir gar nicht in der Lage sind, die Kommunikationzu schützen. Wir müssen hier all das tun, was wir tunkönnen; dazu gehören technischer Schutz, dezentraleNetze, europäische Cloud, bessere Zusammenarbeit mitder Wirtschaft.Wir müssen bei der amerikanischen Seite aber auchdafür werben, dass diese Art und Weise mit unseremVerständnis von Bürgerrechten und Datenschutz nichtübereinstimmt.Wir brauchen die Zusammenarbeit der Dienste. Werdiese aufgibt, gefährdet die Sicherheit unseres Landes.
Aber die Zusammenarbeit muss innerhalb eines klarengesetzlichen Rahmens erfolgen. Es muss rote Linien ge-ben, die nicht überschritten werden dürfen, und daraufmüssen sich auch ein amerikanischer Geheimdienst undein britischer verpflichten lassen. Das muss unser Zielsein, diese Position müssen wir erreichen. Dann ist Zu-sammenarbeit möglich. Anders wird es sehr, sehr schwie-rig.Wir müssen in der Debatte immer wieder darauf hin-weisen, dass wir ein anderes Grundverständnis haben,dass personenbezogene Daten bei uns nur bei Verdachterhoben und ausgewertet werden dürfen, dass bei uns einRichtervorbehalt gilt, dass bei uns nicht pauschal alleDaten aus der Cloud gezogen werden dürfen in der Hoff-nung, wir werden einen Verdacht schon finden. Das ent-spricht nicht unserem Verständnis.Deshalb ist es unsere Position, um Verständnis dafürzu werben, dass wir nur dort miteinander arbeiten kön-nen, wo beide Seiten bereit sind, Regeln zu akzeptieren,wo beide Seiten den gleichen Rahmen haben, wo geklärtist, wo die roten Linien sind: dass Partner einander nichtausspionieren – bis hin zu den Feldern, die hier kritisiertwurden. Das ist unsere Aufgabe als Parlament: mit denamerikanischen Kollegen zu sprechen.
Wir müssen das, was wir tun können, tun, um die Kom-munikation im Internet zu schützen. Wir werden dabeian Grenzen kommen; denn man kann im Netz nicht allesschützen, das geht gar nicht. Dennoch bleibt das unsereAufgabe. – In dieser Debatte kann man nicht abwech-selnd fragen und antworten; aber ich antworte nachhergerne bilateral auf Fragen. – Das sind unsere Aufgaben.Nur so wird es gelingen, Vertrauen zurückzugewinnen,was notwendig ist, damit die Bürger in unserem Land si-cher sein können, dass dieses Parlament und diese Re-gierung alles Mögliche tun, um die Kommunikation imNetz zu schützen, ohne dabei die Zusammenarbeit unddie Sicherheit dort, wo sie notwendig sind, zu gefährden.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
372 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
(C)
(B)
Das Wort hat der Kollege Stefan Liebich für die Frak-
tion Die Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!„Wir kriegen nichts“, hat ein mit dem Stand der Ver-handlungen vertrauter Experte der Süddeutschen Zeitunggesagt. Nichts, das ist nicht besonders viel, aber es istgenau so viel, wie wir erwartet haben. Wer ein Antispio-nageabkommen von Spionen verhandeln lässt, der musssich über ein solches Ergebnis nicht wundern.
Ausgerechnet NSA-Chef Alexander und BND-ChefSchindler sollen eine Beschränkung der Spitzelei verab-reden. Allein die Idee ist absurd.
Es wäre die Aufgabe von Regierungen, verbindlich– rechtsverbindlich – auszuschließen, dass man einanderbzw. seine Bürger ohne Verdacht abhört. Schlimm ist– da hat Herr Hartmann völlig recht –, dass es überhauptnötig geworden ist, dies auszuschließen.
Nun, da man auf die Nase zu fallen droht, passiert was?Herr Krings ist unzufrieden. Vielleicht gibt es einen bö-sen Blick, wenn die Bundeskanzlerin in Washington ist,vielleicht sagt sie: Wir finden, unter Partnern gehört sichso etwas nicht. – Da wird das Weiße Haus zittern.
Ein Gutes hätte ein Scheitern der Verhandlungen überein solches Abkommen: Immerhin würde uns die US-Regierung dann nicht mehr anlügen. Sie würde ehrlichsagen, dass sie auch weiterhin großflächig spionierenwird, bei der Kanzlerin bis hin zu Jugendlichen.So etwas kann die Bundesregierung doch nicht hin-nehmen! Man kann sich sicherlich darüber streiten, wieviel ein No-Spy-Abkommen überhaupt bringen wird;aber wenn wir sagen, dass wir Freunde sind, dann müs-sen wir uns auch wie Freunde benehmen. Was würdenwir mit einem Freund machen, der, nachdem wir ihn inunserem Wohnzimmer beim Schnüffeln in unserenE-Mails erwischt haben, sagt, dass er nicht garantierenkann, dass er das auch nicht wieder tut? Wir würden ihnwahrscheinlich aus der Wohnung werfen und unsereFreundschaft für beendet erklären. Nun sind Staaten undRegierungen keine Freunde; aber auch da müssen min-destens die Regeln des Anstands gewahrt bleiben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, es war schöndumm, sich auf rein deutsch-amerikanische Verhandlun-gen überhaupt einzulassen. Herr von Notz hat daraufhingewiesen – ich stimme ihm da ausdrücklich zu –,dass ein belastbares No-Spy-Abkommen europäisch-amerikanisch sein muss. Nicht nur Frau Merkel und Mil-lionen in Deutschland lebende Menschen sind betroffen,Betroffene gibt es auch in Frankreich, auch in Spanien,ja sogar im Vatikan. Großbritannien hat beim Schnüffelnsogar mitgemacht.
Wir Linke sind ja bekanntlich eine proeuropäische Par-tei, und deswegen denken wir nicht nur nationalegois-tisch an Deutschland.
Europäische Datenschutzstandards und Bürgerrechtesind an den jeweiligen nationalen Interessenlagen derRegierungen – das sage ich hier einmal den Vertreternder Regierung – gescheitert. Es geht nicht einfach umÜberschriften, sondern um konkretes europäisches Han-deln, und da patzen Sie.
Wir brauchen endlich einen europäischen Bürger-rechtsraum. Dieser muss Grundlage für eine gemein-same Reaktion gegenüber der US-Regierung sein. Na-türlich sind 500 Millionen Menschen in 28 Staatenstärker als nur die Bundesregierung, wenn es darumgeht, den USA entgegenzutreten. Die Nachjustierungoder bilaterale Abkommen, über die man hier spricht,nützen am Ende nur den Geheimdiensten auf beidenKontinenten.Ich will Herrn Krings in einem Punkt aber auch rechtgeben: Auch in den USA sind viele Menschen nichtmehr mit der grenzenlosen Schnüffelei einverstanden.Um die beiden prominentesten Beispiele zu nennen:Chelsea Manning sitzt im Knast, und Edward Snowdenmuss sich in Moskau verstecken. Hier könnte dieMerkel/Gabriel-Bundesregierung real handeln, indemsie sich für einen sicheren Aufenthalt von Snowden hierin Deutschland einsetzen würde. Das wäre die richtigeAntwort.
Aber auch Hollywoodstars wie Oliver Stone, JohnCusack, Maggy Gyllenhaal und andere haben sich unterder Überschrift „Stop Watching Us“ zu Wort gemeldet,und viele weitere Bürgerinnen und Bürger der USA sa-gen Nein. „The Day We Fight Back“ heißt die Netzkam-pagne gegen die NSA-Überwachung. Am 11. Februar2014 soll Druck auf den US-Kongress ausgeübt werden,die Rechte der Geheimdienste zu beschneiden, und auchim Kongress selbst – Herr Krings hat darauf hingewie-sen – ist das, was die Geheimdienste treiben, vielen Ab-geordneten inzwischen zu viel.Es gibt kein Problem zwischen unseren Ländern, son-dern es gibt ein Problem mit einer inakzeptablen Politikder US-Regierung und mit der Unfähigkeit unserer Re-gierung, angemessen darauf zu reagieren. Deshalb, Herr
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 373
Stefan Liebich
(C)
(B)
Binninger, haben wir auch so viel über die Bundesregie-rung gesprochen.
Mit all jenen in den USA, die Nein sagen, mit denBürgerrechts- und Datenschutzorganisationen, arbeitenwir gern und weiterhin zusammen. Diese Atlantikbrückezwischen Amerika und uns steht und ist stabil.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Burkhard Lischka für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich sage
es ganz deutlich: Die Meldung, die wir alle in diesen Ta-
gen lesen konnten, dass die USA möglicherweise nicht
bereit sind, ein Antispionageabkommen abzuschließen,
beunruhigt mich mindestens genauso wie der gesamte
Abhörskandal, der uns seit Monaten beinahe im Wo-
chentakt beschäftigt und immer neue Ungeheuerlichkei-
ten beschert. Ja, die USA sind unser wichtigster Bünd-
nispartner, aber Bündnispartner und Freunde behandelt
man eben nicht wie Gegner.
Wir stellen jetzt seit Monaten nicht nur von deutscher,
sondern auch von europäischer Seite berechtigte Fragen
an unsere amerikanischen Freunde, und unter Freunden
sollten eigentlich auch Antworten auf diese Fragen mög-
lich, ja sogar selbstverständlich sein. Es ist beunruhi-
gend, demütigend und vollkommen inakzeptabel, dass
wir seit Monaten keine belastbaren Antworten auf un-
sere berechtigten Fragen bekommen.
Im Übrigen: Wir sind ja nicht nur enge Bündnispart-
ner und Freunde, sondern wir teilen auch das gleiche
Wertefundament. Freiheit, Demokratie, die Wahrung
von Grund- und Menschenrechten, die Herrschaft des
Rechts, all das verbindet uns. Deshalb sagen wir auch
ganz deutlich: Die Überwachung von Millionen Bürge-
rinnen und Bürgern, das Aufbrechen von Privatsphäre
und die Unterwanderung von Telekommunikation und
Internet darf ein freiheitlicher demokratischer Rechts-
staat nicht hinnehmen. Das gilt in Deutschland genauso
wie in den USA.
Dieser Rechtsstaat und diese Demokratie würden zur
Fassade verkommen, wenn Grundrechte millionenfach
verletzt werden und die Politik einfach tatenlos zusehen
würde. Das Mindeste, was freiheitliche Demokratien ih-
ren Bürgern zusichern müssen, ist die Wahrung von
Grund- und Freiheitsrechten.
Meine Damen und Herren, Politik wird technische
Möglichkeiten nicht stoppen können. Aber diesen Mög-
lichkeiten Grenzen setzen, gerade zur Wahrung von
Grund- und Freiheitsrechten, das können wir. Dafür trägt
Politik und übrigens niemand sonst die Verantwortung.
Das gilt wiederum genauso hier in Deutschland wie in
ganz Europa und eben auch in den USA.
Wenn wir insoweit immer wieder auf den Abschluss
eines Antispionageabkommens drängen, dann geht es
hierbei nicht um eine Sonderbehandlung für Deutsch-
land, sondern es geht um einen ersten, aber auch notwen-
digen Schritt, dass Politik dieser Verantwortung gerecht
wird, hier in Deutschland, aber eben auch in den USA.
Es sind Grenzen überschritten worden, die ein
Rechtsstaat niemals überschreiten darf. Das beunruhigt
uns. Aber es soll uns auch nicht ohnmächtig werden las-
sen. Deshalb werden wir uns weiter für ein Antispiona-
geabkommen einsetzen – mit Nachdruck und mit not-
falls sehr langem Atem.
Recht herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Hans-Christian Ströbele fürdie Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Danke. – Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Unmittelbar vor dieser Debatte habe ich hierdraußen in der Lobby mit einem Abgeordnetenkollegenaus Island gesprochen. Er ist hierher nach Deutschlandgekommen, um sich bei mir zu erkundigen: Was machendenn jetzt die Deutschen gegen die NSA-Ausspähung? –Das beschäftigt offenbar nicht nur die Deutschen, son-dern auch das Parlament in Island.Nach meinem Besuch bei Snowden haben sich inzwi-schen bei mir Abgeordnete – zum Teil waren sie schonhier – aus sieben westeuropäischen Ländern gemeldetund haben gesagt: Wir müssen doch zusammenarbeiten. –Ein Senator aus Italien war dabei, mehrere Abgeordneteaus England waren dabei, ein Abgeordneter aus Öster-reich war dabei. Das zeigt doch: Das, was wir hier ha-ben, ist ein europäisches Problem. Ganz Europa, dieVölker und die Parlamente in Europa fühlen sich durchdie NSA bedroht, die von den USA aus oder auch hierund wo auch immer in der Welt die Daten der Bevölke-rung Europas abziehen, verwerten und speichern. Das istein europäisches Problem, und das muss auch euro-päisch gelöst werden.
Metadaten/Kopzeile:
374 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Hans-Christian Ströbele
(C)
(B)
Ich fand es nett, als ich heute Morgen im Radio gehörthabe, dass die Kanzlerin gestern in der Unionsfraktionoffenbar berichtet hat und gesagt hat, die Verhandlungengingen weiter und sie sei noch guten Mutes. So habe ichdas jedenfalls gehört, ich war ja nicht dabei.
Ich fände es noch netter, wenn die Bundeskanzlerin hierin diesem Saal endlich einmal zu dieser Affäre und dazu,was sie tun will, Stellung nehmen würde.
Das hat sie beim letzten Mal nicht getan; da saß sienoch hier; dieses Mal ist sie gar nicht hier.
Herr Kollege Binninger, sie soll mir erklären,
ob es wahr ist, dass die NSA der Bundesregierung imAugust vergangenen Jahres angeboten hat, ein No-Spy-Abkommen abzuschließen. So hat nämlich die Bundes-regierung auf eine Anfrage der SPD-Fraktion am14. August letzten Jahres geantwortet. Stimmt das? Da-rin stehen sogar die einzelnen Konditionen, unter denendie NSA dazu bereit sein soll. Stimmt es, was HerrPofalla gesagt hat, dass die NSA sich auch an ihn ge-wandt hat und gesagt hat, sie seien zu einem Abkommenbereit, und dass die Bundeskanzlerin gemeinsam mitdem französischen Präsidenten Hollande am 24. Oktober2013 vereinbart hat, dass man bis zum Ende des Jahres2013 ein Agreement mit den USA erreichen wolle? Daswill ich von der Kanzlerin hören, nicht von Ihnen; Siewissen das auch nicht. Die Bundesregierung muss hierher.
Die Kollegen Krings und Binninger haben zu Rechtdarauf hingewiesen – ich glaube, Herr Hartmann hat esauch getan –, dass wir bis heute überhaupt nicht infor-miert sind. Es gibt seit Juni vergangenen Jahres, also seitmehr als einem halben Jahr, Fragenkataloge zur NSA,aber auch zum britischen Geheimdienst, die von derBundesregierung verschickt worden sind, die aber bisheute nicht beantwortet sind. Eine einzige Frage ist be-antwortet worden. Das stellen Sie nun fest, schütteln denKopf und sagen: Kritisiert doch einmal die NSA! – Dastue ich fürwahr. Aber was tun Sie, damit sich das ändert?
Herr Binninger, wir haben uns im ParlamentarischenKontrollgremium, über dessen Beratungen ich nichtsprechen darf, mehrfach über diese Fragen unterhalten.Sie können etwas tun.
Sie können Herrn Snowden mit einem Beschluss desDeutschen Bundestages dazu verhelfen, dass er hierher-kommt und uns die Informationen gibt, die die NSA sel-ber nicht bereit ist zu geben.
Stimmen Sie zu, dass er hierherkommen kann und ei-nen sicheren Aufenthalt hat! Er hat mir gesagt, dass erdann hierherkommen wird. Deshalb diskutieren wir hier.Wir müssen einen Untersuchungsausschuss des Deut-schen Bundestages möglichst schnell auf den Weg brin-gen. Die Zeit läuft davon. Wir müssen im Februar einenentsprechenden Beschluss fassen, und wir brauchen deneinzigen Zeugen, den ich zurzeit weltweit sehe, der voreinem Untersuchungsausschuss aussagen kann und will.Den müssen wir hierherholen.
Sie alle müssen doch genauso wie ich davon ausge-hen – vor allen Dingen nach den letzten Nachrichten ausWashington –, dass die Spioniererei, während wir hierdiskutieren oder Sie hier mit Ihrem Handy spielen oderwenn Sie in Ihrem Büro sind, weitergeht. Wenn die sa-gen: „Wir werden mit euch kein No-Spy-Abkommen ab-schließen“, dann heißt das doch, sie machen das weiter.Sonst könnten sie doch ein solches Abkommen abschlie-ßen.Das heißt: Wir und die ganze deutsche Bevölkerungsind vielleicht nicht so wichtig; auch das Handy derKanzlerin ist vielleicht nicht das Entscheidende. Viel-mehr müssen Millionen deutsche Bundesbürger – wirwissen nicht, wie viele, ob 10 Millionen, 50 Millionenoder 80 Millionen – damit rechnen, dass derzeit ihr ge-samter Onlineverkehr, ihre Handytelefonate und die vonihnen verschickten SMS von der NSA weiter registriertwerden.Deshalb sage ich: Verhandlungen, ja! Es muss weiterverhandelt werden. Dafür muss Druck hergestellt wer-den.
Kollege Ströbele!
Herr Kollege Binninger, auch darüber haben wir uns
sogar schon verständigt: Wir, das deutsche Parlament,
müssen möglichst schnell in die USA fahren oder die
Kollegen im Kongress hierher einladen, um mit ihnen
möglichst zu einer gemeinsamen Linie zu kommen.
Kollege Ströbele, Sie müssen bitte zum Schluss kom-men.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 375
(C)
(B)
Wir müssen Verständnis füreinander suchen. So wieich es in England gemacht habe, müssen wir es auch inden USA machen.
Kollege Ströbele.
Entschuldigung! – Letzer Satz: Sie, Herr Grosse-
Brömer, haben das angekündigt. Inzwischen sind Mo-
nate vergangen. Haben Sie etwas gemacht, dass das Rea-
lität wird? Das hätte ich von Ihnen erwartet, und das
möchte ich von Ihnen wissen.
Das Wort hat der Kollege Stephan Mayer für die
Unionsfraktion.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Die Irritationen in Deutschlandüber das enorme Ausmaß der Abhörmaßnahmen auslän-discher und offenbar auch westlicher Nachrichtendienstein unserem Land waren und sind zu Recht und verständ-licherweise groß. Herr Kollege Ströbele, ich gebe Ihnenin einem Punkt völlig recht: Es gilt auch weiterhin, unse-rerseits den Finger dahin gehend in die Wunde zu legen,dass die Auskunfts- und auch die Aufklärungsbereit-schaft insbesondere der USA, aber auch Großbritanniensbislang unzureichend ist und so nicht hingenommenwerden kann.
Herr Kollege Ströbele, ich finde es aber nicht fair undauch nicht kollegial, wenn Sie wegen der Abwesenheitder Bundeskanzlerin heute unterstellen, die Bundeskanz-lerin würde sich bei diesem wichtigen Thema wegdu-cken. Sie wissen ganz genau, warum die Bundeskanzle-rin heute nicht anwesend sein kann. Das ist wirklichnicht fair.
Es waren nämlich die Bundeskanzlerin und die vorigeBundesregierung, die nach den Enthüllungen über dasAusmaß der Abhörmaßnahmen umgehend mit einemAcht-Punkte-Katalog gehandelt haben. Schon unter derfrüheren christlich-liberalen Koalition wurde damit be-gonnen, diesen Acht-Punkte-Katalog abzuarbeiten. Ichpersönlich finde es sehr gut, dass auch die neue GroßeKoalition bzw. die neue Bundesregierung es sich zurAufgabe gemacht haben, diesen Acht-Punkte-Plan wei-ter voranzutreiben und abzuarbeiten.
Natürlich wäre ein rechtsverbindliches Abkommenmit den USA wünschenswert, das zum Inhalt hat, dasswir uns gegenseitig nicht ausspionieren. Ich sage aberauch ganz offen: Wir dürfen dieses sogenannte No-Spy-Abkommen, insbesondere was dessen Bedeutung an-geht, nicht überbewerten.
Dieses Abkommen ist vor allem in atmosphärischer Hin-sicht notwendig. Es ist wichtig, dass sich beide Seitenklar dazu bekennen, dass sie sich gegenseitig nicht aus-spionieren. Es gibt klare Zusagen, die die US-Adminis-tration verschiedenen Stellen der Bundesregierung gege-ben hat. Ich erwarte, dass diese Zusagen eingehaltenwerden. Das Zustandekommen eines No-Spy-Abkom-mens ist aus meiner Sicht vor allem deshalb erforderlichund wünschenswert, weil damit in atmosphärischer Hin-sicht dazu beigetragen wird, verlorengegangenes Ver-trauen wiederherzustellen.Ich glaube nicht, dass wir mit der heutigen AktuellenStunde dazu beitragen, dass die Verhandlungen erfolg-reich verlaufen. Schließlich verhandeln Geheimdienste.
Lieber Herr Kollege Liebich, es ist richtig, dass diejeni-gen verhandeln, die in der Sache Bescheid wissen. Esliegt in der Natur der Sache, dass über ein No-Spy-Ab-kommen zwischen Deutschland und den USA hinter ver-schlossenen Türen verhandelt wird und dass man überdiese Verhandlungen den Basar der Öffentlichkeit nichtzu sehr informiert. Ich bin nach wie vor zuversichtlich,dass diese Verhandlungen ordentlich vorangetriebenwerden und – hoffentlich – zu einem erfolgreichen Ab-schluss kommen.Ich möchte deutlich darauf hinweisen, dass diesesNo-Spy-Abkommen nur ein Bestandteil in einem großenInstrumentenkasten sein kann, um zukünftig dafür zusorgen, dass unsere IT-Infrastruktur sicherer wird unddass sowohl Privatpersonen als auch die Wirtschaft unddie Behörden effektiver davor geschützt werden, ausge-späht zu werden. Deshalb ist es richtig, dass die neueBundesregierung klargemacht hat, dass unser Bestrebenist, alsbald ein IT-Sicherheitsgesetz auf den Weg zu brin-gen. Wir müssen dafür sorgen, dass kritische Infrastruk-turen effektiver geschützt werden. Dafür müssen wir inDeutschland einheitliche Sicherheitsstandards setzen.Wir müssen uns aber auch ganz unumwunden einge-stehen, dass wir seitens des Bundes mehr Geld für denSchutz unserer IT-Sicherheit ausgeben müssen. Nichtnur die Wirtschaft, sondern auch der Staat ist gefordertund muss mehr Geld ausgeben. Ich glaube, es ist erfor-derlich, das Bundesamt für Sicherheit in der Informa-tionstechnik aufzuwerten, sowohl personell als auch fi-nanziell.
Metadaten/Kopzeile:
376 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Stephan Mayer
(C)
(B)
Ich sehe aber auch die EU-Kommission in der Pflicht.Wichtiger als dieses No-Spy-Abkommen ist aus meinerSicht, das sogenannte Safe-Harbor-Abkommen einer kri-tischen Überprüfung zu unterziehen. Das Safe-Harbor-Abkommen gewährleistet einen massenhaften Daten-austausch zwischen Europa und den USA. Es liegt ins-besondere in der Verantwortung der EU-Kommission,dieses Abkommen einer kritischen Überprüfung zu un-terziehen und entsprechend nachzuverhandeln.Ich finde es gut, dass sich die neue Koalition im Ko-alitionsvertrag darauf verständig hat, die Spionageab-wehr zu stärken, insbesondere das Bundesamt für Ver-fassungsschutz.
Überfällig ist die Einführung einer Pflicht, der Europäi-schen Union Unternehmen zu melden, die Daten ohneEinwilligung ihrer Kundinnen und Kunden an Behördenin Drittstaaten übermitteln. Eine solche Meldepflicht ge-hört auch zum Safe-Harbor-Abkommen.Ich komme zum Schluss. Wir sind in der Verantwor-tung, allen Bürgerinnen und Bürgern klarzumachen, dasses hundertprozentige Sicherheit beim Telefonieren undbeim E-Mail-Verkehr nicht gibt. Jeder Bürger ist selbstin der Verantwortung, sich entsprechend zu schützen.Was den Bereich der Wirtschaft angeht, ist mehr finan-zieller Aufwand erforderlich. Ich wiederhole: Jeder Bür-ger ist selbst in der Verantwortung, Schutz zu betreibenund zur Sicherheit seiner personenbezogenen Daten bei-zutragen.Lassen Sie uns die Verhandlungen über das No-Spy-Abkommen in aller Ruhe fortführen. Ich bin nach wievor zuversichtlich, dass es hier zu einem erfolgreichenAbschluss kommt.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Lars Klingbeil hat für die SPD-Fraktion
das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich will damit beginnen, dass ich mich bei derLinkspartei bedanke, dass wir diese Debatte führen kön-nen.
Der Kollege von Notz hat vorhin gesagt, ein Dreivier-teljahr nach Beginn der NSA-Affäre hätten wir als Parla-ment eigentlich noch viel zu wenig darüber geredet. Dashatte sicherlich auch mit den Wahlen und der Konstituie-rung des Parlaments danach zu tun. Aber ich glaube– das habe ich auch in meiner letzten Rede gesagt –, dasses in der Tat eine riesige Aufgabe ist, die vor dem ge-samten Parlament liegt, nämlich mit dem NSA-Skandalumzugehen, Vertrauen wiederherzustellen oder zumin-dest daran zu arbeiten, dass Vertrauen wiederhergestelltwerden kann, aber auch, sich mit der Frage zu beschäfti-gen, ob wir als nationales Parlament noch ausreichendhandlungsfähig sind oder ob es nicht viel stärker um dieeuropäische und internationale Ebene gehen muss. Dazuhaben wir gemeinsam, egal ob Regierung oder Opposi-tionsfraktionen, ganz viele Fragen zu beantworten. Des-wegen wünsche ich mir auch, dass wir an manchen Stel-len viel sachlicher über dieses Thema diskutieren.Ich will Ihnen aber auch sagen, dass das Ausmaß anEnthüllungen, die wir in den letzten Monaten erlebt ha-ben, manches Mal meine Vorstellungskraft gesprengthat. Wir haben erlebt, dass Geheimdienste anscheinendvöllig aus dem Ruder gelaufen sind, dass sie autonomgehandelt haben, dass Dinge geschehen sind, die sichvöllig der politischen Kontrolle entzogen haben. Ichsage Ihnen ganz klar: Das muss ein Ende haben. Es mussendlich wieder ein Primat der Politik über das Handelnder Geheimdienste geben.
Als Parlamentarier und überzeugter Transatlantikerist das eine Situation, die schwer zu ertragen ist. Wirwarten hier in Deutschland seit Monaten auf die Beant-wortung von Fragenkatalogen, die noch die alte Bundes-regierung abgeschickt hat. Es geht um Antworten, dieden Umfang der weltweiten Kommunikationsüberwa-chung durch britische und amerikanische Geheimdienstedeutlich machen sollten. Wir hatten viele Fragen und ha-ben diese immer noch. Jetzt erleben wir gerade in diesenTagen – das besagen aktuelle Meldungen –, dass derWille zu einer ernsthaften Kooperation anscheinendnicht so stark ist, wie wir uns das wünschen.Ich sage Ihnen: Freundschaft braucht dann auch klareWorte. Freundschaft kann nicht bedeuten, dass die einenmachen können, was sie wollen, und die anderen alles zuakzeptieren haben.
Es ist deswegen richtig, dass wir über Instrumente reden,es ist richtig, dass wir über SWIFT und Safe Harborsprechen. Ich habe heute gelesen, dass der KollegeMißfelder in seiner neuen Funktion auch die Frage desFreihandelsabkommens angesprochen hat. Es ist richtig,dass wir über alle diese Instrumente reden und den Ame-rikanern deutlich machen: Wenn ihr nicht mit uns redenwollt, dann haben auch wir an vielen Stellen keinen Ge-sprächsbedarf. Wir wollen mit den Amerikanern kritischüber unsere Baustellen reden; Freundschaft bedeutet,dass beide Seiten handeln und sich beide Seiten vernünf-tig verhalten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 377
Lars Klingbeil
(C)
(B)
Ich bin mir sicher: Die Bundeskanzlerin wird bei ih-rem USA-Besuch auch deutliche Worte gegenüber demamerikanischen Präsidenten finden.
Sie wird dafür werben, dass dieses Abkommen kommt.Sie wird das in aller Deutlichkeit tun. Davon bin ich festüberzeugt. Aber noch einmal: Auch als Bundestag habenwir eine Aufgabe. Es ist Vertrauen zerstört worden,Vertrauen in Politik, Vertrauen in Bündnisse, in Institu-tionen, in Unternehmen, aber auch in Technik undKommunikationsinfrastruktur. Es ist unsere Aufgabe alsParlament, Vertrauen wiederherzustellen. Der Untersu-chungsausschuss ist verschiedentlich angesprochen wor-den. Ich gehe davon aus, dass er kommt und dass dieserUntersuchungsausschuss eine wichtige Arbeit leistenund eine gemeinsame Kraftanstrengung sein kann, umVertrauen wiederherzustellen.Die Koalitionsfraktionen haben im KoalitionsvertragVereinbarungen getroffen. Darauf ist verschiedentlichhingewiesen worden. Der Schutz der Bürgerinnen undBürger ist ganz zentral. Wir wollen ein belastbares Anti-spionageabkommen. Ich sage Ihnen: Das muss wirklichbelastbar und verbindlich sein. Es darf kein Stillhalteab-kommen zwischen Geheimdiensten sein, sondern esmuss ein Abkommen sein, das auch den Schutz der Bür-gerinnen und Bürger verbindlich politisch sichert. DasGanze muss politisch untermauert sein.
Wir als Parlament dürfen nicht akzeptieren, dass dasHandy der Kanzlerin abgehört wird, und wir dürfennicht akzeptieren, dass Kommunikation und Handys vonRegierungsmitgliedern abgehört werden. Wir als deut-sches Parlament müssen auch dafür sorgen, dass nichtrechtswidrig Daten aller Bürgerinnen und Bürger hier inDeutschland abgehört, gesammelt und ausgewertet wer-den. Das ist unsere Verantwortung, die wir als Parlamentinsgesamt haben.
Das Antispionageabkommen muss kommen. Aberdas ist kein Punkt, auf dem wir uns ausruhen können. Esgeht um viele andere Dinge. Auch das haben wir im Ko-alitionsvertrag geregelt. Es geht um die Frage der IT-Si-cherheit; hier werden wir Maßnahmen ergreifen. Dabeigeht es nicht um IT-Nationalismus, aber wenn wir eineehrliche Bestandsaufnahme machen, dann sehen wir,dass wir an vielen Stellen von amerikanischer oder asia-tischer Hard- und Software abhängig sind. Hier bedarf eseigener Initiativen im Bereich der Forschung und Ent-wicklung. Diese will die neue Regierung stärken. Eswird eine IT-Sicherheitsinfrastruktur aufgebaut werden,und wir werden gemeinsam auch dafür sorgen, dass esim Bereich der Verschlüsselungstechnologien zu Ent-wicklungen kommt. Das wollen wir als neue Regierungstärken.Lassen Sie mich zuletzt sagen: Sie wissen, dass ichpersönlich, dass meine Fraktion mit dem, was unterSchwarz-Gelb an Aufklärung passiert ist, nicht zufrie-den waren. Aber wir haben jetzt neue handelnde Perso-nen in dieser Regierung: Frank Steinmeier, Thomas deMaizière, Peter Altmaier. Sie alle sind jetzt in neuenFunktionen. Ich glaube, dass es Zeit für eine neue Politikist, wenn es darum geht, die NSA-Affäre aufzuklären.Ich habe ein großes Vertrauen, dass diese Bundesregie-rung das zustande bringt. Geben wir ihr die notwendigeZeit. Aber zu lange darf es nicht dauern.Vielen Dank fürs Zuhören.
Der Kollege Manfred Grund hat für die Unionsfrak-
tion das Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Freiheit und Sicherheit stehen in einem beson-deren Spannungsverhältnis. „Der Preis der Freiheit iststetige Wachsamkeit.“ Dies ist ein Zitat, das nicht vonirgendeinem Sicherheitsdienst kommt, sondern dasThomas Jefferson zugeschrieben wird, eigentlich demVater der modernen Tradition der Grund- und Freiheits-rechte. Unser Grundgesetz steht in dieser Tradition. Frei-heit ist ein hohes Gut. Sie ist eigentlich das höchste Gutunserer Verfassung. Bewusst bildet der Katalog der Frei-heitsrechte den Anfang des Grundgesetzes.Aber: Diese Freiheitsrechte müssen auch geschütztwerden, etwa gegen einen übermächtig werdendenÜberwachungsstaat, weil das Streben nach absoluterSicherheit zu Tyrannei und zu Unfreiheit führt. Um esnoch einmal mit einem Amerikaner zu sagen, mitBenjamin Franklin: Wer seine Freiheit für seine Sicher-heit aufgibt, wird weder Freiheit noch Sicherheit erlan-gen.Aber – noch einmal –: Freiheit muss verteidigt wer-den. Unsere freiheitliche Werteordnung hat entschiedeneGegner. Unsere Freiheit ist nicht in erster Linie durchamerikanische Nachrichtendienste bedroht. Schon garnicht haben wir Anlass, allen Nachrichtendiensten – daswar Gott sei Dank auch nicht Tenor der heutigen De-batte – pauschal zu misstrauen. Unsere deutschen Nach-richtendienste leisten einen wichtigen Beitrag für die Si-cherheit unserer Bürger im In- wie auch im Ausland.Wir dürfen Ursache und Wirkung nicht verwechseln:Unsere Sicherheit wird zunehmend von zwei anderenEntwicklungen bedroht:Erstens. Bedrohungen gehen zunehmend von Extre-misten aus, die aus ideologischen Gründen heraus Geg-ner der Freiheit sind, die aus dem Verborgenen herausagieren und angreifen. Unser wirksamstes – gelegentlichfast einziges – Mittel gegen diese Bedrohungen ist nach-richtendienstliche Aufklärung.
Metadaten/Kopzeile:
378 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Manfred Grund
(C)
(B)
Zweitens. Mit der modernen Mobilität und der mo-dernen Vernetzung werden solche Bedrohungen zuneh-mend globaler. Was heute in Waziristan oder auch in Sy-rien vor sich geht, kann uns morgen direkt zu Hausebetreffen. Diese Globalisierung der Bedrohungen effek-tiv zu verfolgen, übersteigt die Fähigkeiten nationalerNachrichtendienste.
Auch wenn wir andere Regeln für den Umgang mit un-seren Partnern anstreben, bleiben wir auf den Austauschgerade mit den großen amerikanischen Diensten ange-wiesen. Wir haben – noch – keinen Ersatz dafür.Denn egal ob als Tourist, als Handelsreisender, alsGeschäftsmann, als Entwicklungshelfer oder als Soldat,Deutsche sind heute in jedem Land der Welt unterwegs.Unsere Bürger sind dabei nicht nur terroristischen, son-dern zunehmend auch kriminellen Herausforderungenausgesetzt. So gab es seit dem Jahre 2000 mehr als90 Entführungen deutscher Bürger im Ausland.Im Jahr 2000 wurde die Familie Wallert in Malaysiaentführt und schließlich auf den Philippinen befreit.2003 wurden 16 deutsche Touristen in Algerien entführt.15 konnten gerettet werden. Eine deutsche Frau ist wäh-rend der Entführung umgekommen. 2005 wurden eineFrau im Irak und eine deutsche Familie im Jemen ent-führt. Im Jahr 2007 sind eine deutsche Staatsangehörigeund ihr Sohn im Irak entführt worden. Hier ist nur dieBefreiung der Mutter gelungen. Ebenfalls 2007 wurdenzwei deutsche Staatsangehörige in Afghanistan entführt.Einer konnte befreit werden; der andere wurde von denEntführern getötet. 2012 wurden unter anderem vierdeutsche Staatsangehörige in Äthiopien entführt. Zweikonnten gerettet werden, die übrigen wurden von denEntführern getötet. Und zuletzt: die Entführung von dreiMitarbeitern der „Grünhelme“ in Syrien, die alle wiederfreigekommen sind. Aufgrund ihres Einsatzes haben wirAnlass, den deutschen Diensten, aber auch den ausländi-schen Partnern für ihre Unterstützung zu danken.Besonders in Afghanistan hat der enge Austauschzwischen westlichen Nachrichtendiensten unmittelbarzum Schutz unserer Soldaten und Bürger beigetragen.Machen wir uns keine Illusionen: Wer diese Zusammen-arbeit mit verbündeten Nachrichtendiensten grundsätz-lich infrage stellt, riskiert das Leben deutscher Staatsbür-ger.
Unsere Bürger können sich in der Regel sicher fühlen– ob sie ins Ausland reisen, in ein Flugzeug steigen, mitdem Zug fahren. Das ist auch ein Ergebnis dieser nach-richtendienstlichen Zusammenarbeit mit internationalenPartnern.Wir haben gute Gründe, in Washington und auch inLondon auf einen anderen Umgang miteinander zu drän-gen. Aber ich plädiere für weniger Aufgeregtheit und fürein Abwägen unserer Interessen. Lassen Sie es mich mitBezug auf Charles de Gaulle sagen: Es sind nicht nurFreundschaften; es sind auch oder gerade Interessen, dieunserer Zusammenarbeit mit amerikanischen Partnernzugrunde liegen. Wir sollten diese unsere Interessennüchtern betrachten und beurteilen, und wir sollten mitJefferson bedenken: Der Preis der Freiheit ist auch ste-tige Wachsamkeit.Vielen Dank.
Der Kollege Armin Schuster hat für die Unionsfrak-
tion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Es wäre jetzt nicht besonders originell,wenn ich gerade hier im Parlament sagen würde: Mirfehlen die Worte.
Aber dieses „Ich bin sprachlos“ beschreibt vielleicht einwenig das Gefühl mancher Landsleute von uns ange-sichts dessen, was wir in dieser Geschichte erleben.Wir sprechen von einer tiefen deutsch-amerikani-schen Freundschaft. Ich finde gut, Herr Klingbeil, wasSie gesagt haben: Diese Freundschaft verlangt auch nachkraftvollen Worten, wo es notwendig ist.
Der Vertrauensbruch ist erheblich, und unter Freundenschafft man so etwas eigentlich schnell und konsequentaus der Welt.Symbolische Gesten reichen uns nicht aus. Das ist,glaube ich, das, was man im Moment anbietet. Es stelltsich nämlich die ernsthafte Frage, wenn wir es bei Sym-bolik belassen würden, wie wir uns künftig vertrauens-volle Zusammenarbeit zwischen Partnern in einemBündnis vorzustellen haben. Wie wir Deutsche uns dasseit Jahrzehnten vorstellen, kann ich ganz leicht be-schreiben, etwa beim Thema Spionage: In Pullach undKöln sucht man vergeblich nach Referaten, Abteilungenoder Operationen gegen unsere Freunde.
Das ist das, wie Deutschland sich Auslandsaufklärungund Spionageabwehr vorstellt – unter Freunden einNo-go. So verstehen wir es, und so halten wir es auch fürrichtig.
Wir verhandeln so lange wie möglich und so intensivwie möglich um dieses Abkommen, weil es uns etwaswert ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014 379
Armin Schuster
(C)
(B)
Leider ist dieser Wert den Amerikanern noch nicht ganzklar; da haben wir noch nachzulegen. Ein Weiter-so kannes für uns nicht geben. Das ist ganz einfach: Die Bundes-regierung und das Parlament haben die Pflicht, unsereBürgerinnen und Bürger zu schützen und auf die Einhal-tung unserer Gesetze zu achten. Insofern ist es auch nurfolgerichtig, dass die Bundesanwaltschaft prüft, ob sieein Ermittlungsverfahren einleitet.
Deutsches Recht auf deutschem Boden – da gibt eskeinen Ermessensspielraum. Das muss in einem Abkom-men deutlich werden. Da setze ich nicht auf amerikani-sche Geheimdienstchefs. Es gibt nämlich noch mehrChefs als Keith Alexander,
und die sind noch schwieriger. Ich setze – das sage ichganz offen – auf Obama und Kerry. Ich glaube, dass dieamerikanische Präsidentschaft unsere Chance ist, undich vertraue einmal darauf, dass das, was Obama amFreitag vortragen wird, uns einen großen Schritt weiter-bringt.Bei der bekannt gewordenen Intensität der NSA-Datensammlungen haben die – das kann man sagen –den lohnenden Punkt an Sicherheitsgewinn längst über-schritten. Wer in die Vergangenheit von Nachrichten-diensten guckt, weiß eigentlich, dass ein unbegrenztes„Nice to have“ noch nie einen Dienst effektiver gemachthat.
All unseren Partnern muss klar sein, was hier auf demSpiel steht: Schaffen wir kein „No spy“, spioniert jedergegen jeden und ermitteln wir künftig strafrechtlich ge-gen alle.Meine Damen und Herren, dieses Szenario wollen wirverhindern und damit gleichzeitig die Zukunft des Inter-nets schützen. Ich zitiere ungern Sascha Lobo, aber mitseinem Gedanken von gestern – ich meine, ihn verstan-den zu haben –
hat er recht. Wir – das ist jetzt kein direktes Zitat – ge-fährden das Internet und seine Zukunft, wenn wir diesesProblems nicht Herr werden. Das ist für uns – das sageich noch einmal in Richtung der Amerikaner – der großeWert dieses Abkommens: erstens Freiheit im Internetund zweitens Sicherheit, aber bitte unter Freunden auchauf die richtige Art und Weise.
Herr Korte, Sie haben, glaube ich, gegenüber derPresse gesagt, die Regierung stehe nackt da. Geradeeben haben Sie, Herr von Notz, gesagt, die Regierungstehe blank da. Alles Quatsch! Wir stehen allenfalls al-leine da.
Es wäre sehr schön, Herr Ströbele, bei aller Wert-schätzung für Ihre Person, wenn Sie den Kollegen ausÖsterreich, aus Island oder woher auch immer dieAdresse unserer Regierung durchgeben würden. Wirwürden uns freuen, wenn weitere im Gleichschritt mituns marschieren würden und verhandeln. Das möchteich auch als Grußadresse an die Europäische Unionschicken. Ich glaube, dass wir nur so eine starke Ver-handlungsposition einnehmen können.
Bitte nicht drohen und blockieren! Das ist verhandlungs-taktisch wirklich Unsinn.
Die Europäische Union hat sehr wertvolle Verhand-lungsoptionen; diese sollte man geschickt nutzen. Aberdafür, meine Damen und Herren, müssten wir erst ein-mal mit den Engländern klarkommen. Oder ist derGCHQ etwa auf einem anderen Weg als die NSA?
Ich glaube nicht, dass das der Fall ist. Das heißt, wir, dieParlamente wie die Regierungen, haben die Aufgabe,überhaupt erst einmal in Europa festzustellen, was dennPrivatsphäre heißt, was denn Spionage unter Freundenheißt etc. Das ist für uns der aus meiner Sicht wichtigsteAnsatzpunkt. Das würde auch Druck auf die USA erzeu-gen. Wir haben sie ja immerhin öffentlich in der Defen-sive; und dabei soll es auch bleiben. Ich bin dem Staats-sekretär sehr dankbar, dass er das deutlich gemacht hat.Meine Damen und Herren, das No-Spy-Abkommen,wenn wir es denn hätten, reicht nicht.
Denn das Vorgehen der USA stellt ja nur die Spitze desEisbergs dar. Wir diskutieren hier überhaupt nicht da-rüber, was die Chinesen können. Wir diskutieren nichtdarüber, was die Russen können und was sie tun.Machen wir uns also bitte nichts vor.
Worum geht es? Wir müssen unsere Nachrichten-dienste stärken und dürfen sie nicht abschaffen, HerrKorte und meine Damen und Herren von der gesamtenLinksfraktion.
Metadaten/Kopzeile:
380 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 7. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 15. Januar 2014
Armin Schuster
(C)
Diese Meinung ist ja geradezu grotesk. Wir müssen viel-mehr dafür sorgen, dass wir unsere Bürger schützen.
Das heißt, nicht über unsere Dienste herziehen, sondernsie stark machen. Das BSI stark machen, das ist diekommende Pflicht.Noch einmal: Ich bin nicht für jeder gegen jeden.Aber wenn die USA uns keine andere Chance ließen,wäre das dummerweise der Worst Case. Dann müsstenwir unsere Dienste noch einmal ganz anders betrachten.Das möchte ich nicht. Wir glauben, unter Freundenleben wir sicher. So wie es jetzt ist, so soll es bleiben.Deswegegen bitte mit größter Hartnäckigkeit und Aus-dauer dieses Abkommen verhandeln!Herzlichen Dank.
Wir sind am Ende der Aktuellen Stunde und damit
auch am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 16. Januar 2014,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
alles Gute für den Rest des Tages.