Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bevor wir in unsereTagesordnung eintreten, bitte ich Sie, sich von den Plät-zen zu erheben.Der Deutsche Bundestag trauert um sein ehemaligesMitglied Dieter-Julius Cronenberg, der heute vor einerWoche, am 21. November, gestorben ist. Dieter-JuliusCronenberg war fast zwei Jahrzehnte lang unser Kollege.Er gehörte dem Deutschen Bundestag von 1976 bis 1994an. Seine politische Heimat fand er in der FDP, in der ersich ab 1961 engagierte, zunächst auf kommunalerEbene, dann als Mitglied des Bundestages in Bonn.Verantwortung hat Dieter-Julius Cronenberg frühübernommen – nicht nur politisch, sondern auch als Un-ternehmer. Er führte in Arnsberg ein mittelständischesFamilienunternehmen, das inzwischen auf eine über300-jährige Geschichte zurückblicken kann. Er war sichdabei immer bewusst, dass unternehmerischer Erfolg zu-gleich auch bedeutet, soziale und gesellschaftliche Ver-antwortung für die Menschen, für die Stadt und für dasLand zu übernehmen, in dem das Unternehmen erfolg-reich agieren kann.Vielleicht erklärt sich aus dieser Einstellung herausauch sein ausgeprägtes Interesse an Themen wie der So-zialpolitik, insbesondere der Alterssicherung. An denRentenreformen der damaligen Zeit hat er maßgeblichmitgewirkt. Gerade auf diesen Gebieten war er ein aner-kannter Experte seiner Fraktion und ein bei den Kolle-ginnen und Kollegen der anderen Fraktionen geschätzterFachmann. Mit dieser Fachkompetenz hat er zu vielensozialpolitischen Entscheidungen für unser Land bei-getragen.Fast zehn Jahre lang war Dieter-Julius CronenbergVizepräsident des Deutschen Bundestages. Dieses hoheAmt füllte er souverän und überparteilich aus. Er stellteseine große Erfahrung in den Dienst unseres Parlamen-tes. Ihm gebühren unser Respekt und unsere Dankbar-keit für alles, was er in diesem Haus, für dieses Parla-ment und für unsere Demokratie über viele Jahre hinweggeleistet hat.Wir werden ihm ein ehrendes Andenken bewahren.Seiner Witwe, seinen Kindern und allen Angehörigenspreche ich im Namen des ganzen Hauses unsere Anteil-nahme aus.Ich danke Ihnen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte Ihnenmitteilen, dass interfraktionell vereinbart worden ist, denAntrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit demTitel „Einsetzung von Ausschüssen“ als Zusatzpunkt 1aufzunehmen, zusammen mit Tagesordnungspunkt 1aufzurufen und diesen damit verbundenen Tagesord-nungspunkt mit einer Redezeit von jeweils fünf Minutenpro Fraktion zu debattieren.Nach dem Tagesordnungspunkt 6 soll darüber hinausals Zusatzpunkt 2 eine vereinbarte Debatte zum vorläu-figen Atomabkommen mit dem Iran im Umfang von30 Minuten stattfinden.Schließlich soll der Tagesordnungspunkt 13 abgesetztund stattdessen der Antrag der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen mit dem Titel „Operation Active Endeavour be-enden“ als Zusatzpunkt 3 aufgerufen werden.Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Wi-derspruch. Dann ist das so beschlossen.Wir kommen damit zu Tagesordnungspunkt 1 mitdem gerade vereinbarten Zusatzpunkt 1:1 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/CSU und SPDEinsetzung eines Hauptausschusses– Drucksache 18/101 –ZP 1 Beratung des Antrags der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENEinsetzung von Ausschüssen– Drucksache 18/102 –Interfraktionell ist eine Diskussionsrunde mit Beiträ-gen von jeweils fünf Minuten vereinbart worden. – Da-
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76 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Präsident Dr. Norbert Lammert
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rüber besteht offenkundig Einvernehmen, also könnenwir so verfahren.Ich erteile das Wort dem Kollegen Michael Grosse-Brömer für die CDU/CSU-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Seit Bestehen der Bundesrepublik Deutsch-
land gibt es nach Bundestagswahlen einen Zeitraum, in
dem sich die Regierung bildet. Wenn es keine absoluten
Mehrheiten gibt, dann werden Koalitionen gebildet.
Diese Koalitionen müssen vorbereitet sein. Mal ist die
Aufgabe einfach, mal ist sie schwieriger. Wenn man
nicht von Anfang an füreinander vorgesehen ist, ist sie
nicht einfach.
Manchmal dauert es deshalb auch länger.
Es war aber schon immer so, dass dieser Zeitraum ab-
gewartet wurde. Wenn man es klug macht – so wie wir –,
dann macht man zwischendurch Plenarsitzungen, damit
das Parlament handlungsfähig ist. So findet heute eine
Fragestunde statt, damit die Kontrolle der Regierung
durch das Parlament funktioniert. Insofern haben wir uns
fortentwickelt. Wir sind in den letzten Jahrzehnten bes-
ser geworden. Der Parlamentarismus hat in dieser Zeit
gewonnen.
Jetzt gibt es Kritik – wahrscheinlich musste man län-
ger darüber nachdenken, um überhaupt einen Kritik-
punkt zu finden –: Die Grünen und die Linken wollen
nun schon partout alle Ausschüsse bilden. Das hat es
noch nie gegeben.
– Die Linke will es gar nicht mehr; das ist gut.
Klüger zu werden, ist ein Bestreben, das man nie aufge-
ben sollte.
Es liegt heute jedenfalls ein Antrag der Linken
– Pardon! –, der Grünen vor, alle Ausschüsse einzuset-
zen, wohlwissend – ich glaube, jedes Mitglied der Frak-
tion der Grünen weiß das –, dass die Ausschussbildung
natürlich von der Ressortzuschneidung und natürlich
auch von der personellen Ausstattung der Bundesregie-
rung in all ihren Facetten abhängig ist.
Insofern ist der heute vorliegende Antrag, alle Aus-
schüsse zu bilden, jenseits jeglicher Parlamentspraxis.
Es gibt allerdings eine gute Lösung, um noch besser
zu werden und die Ausschussarbeit trotzdem in der Zwi-
schenzeit zu ermöglichen. Um nichts anderes geht es.
Um den Zeitraum zu überbrücken, bis die Regierung ge-
bildet ist, wollen wir heute einen Hauptausschuss einset-
zen. Einen solchen Ausschuss gab es bisher nicht. Es
wird ihn aber geben, damit der Parlamentarismus, damit
die parlamentarische Arbeit, damit die Ausschussarbeit
besser als in den letzten Jahrzehnten organisiert und
durchgeführt werden können.
Deswegen ist unser Vorschlag, einen Hauptausschuss
einzusetzen, eine wesentlich bessere Lösung, als – das
ist ja ein bisschen althergebracht – die Einsetzung aller
Ausschüsse zu beantragen, wo Sie doch selbst wissen,
dass dies zum aktuellen Zeitpunkt gar nicht geht.
Ich will Ihnen abschließend Folgendes sagen: Dieser
Hauptausschuss ermöglicht allen Fraktionen die effi-
ziente Mitarbeit bei der Gesetzesvorbereitung. Wir soll-
ten daher im Interesse der Handlungsfähigkeit dieses
Parlamentes, die sich bereits verbessert hat, die aber
durch den Hauptausschuss noch besser werden kann,
dem Wege der Vernunft folgen und nicht jetzt schon
verfrühten oppositionellen Reflexen verfallen. Frau
Haßelmann, noch können Sie den Antrag zurückziehen.
Zustimmen werden wir ihm nicht; denn auch in der Sa-
che ist das, was Sie da wollen, nicht begründbar.
Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun die Kollegin Petra Sitte für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Im Kernstreiten wir uns immer noch darüber, dass der Bundestagauch in der Phase der Bildung von Koalitionen undRegierungen verhandlungsfähig sein muss. Die Koali-tionsverhandlungen dauern an. Die SPD muss ihre Mit-gliederbefragung über die Bühne bekommen und der-gleichen mehr.
Im Wesentlichen geht es aber darum, dass der Bundestagauch in dieser Phase seinen Aufgaben nachkommenmuss.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 77
Dr. Petra Sitte
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Das ist zum einen Gesetzgebung, und das ist zum ande-ren natürlich Regierungskontrolle. Auch eine geschäfts-führend amtierende Bundesregierung will kontrolliertwerden. Frau Bundeskanzlerin hatte ja in der ersten Sit-zung ausdrücklich zugestimmt. Wir sind uns ausnahms-weise in diesem Punkt einig.
Nun ist allerdings die Frage der Umsetzung strittig.Das haben wir eben schon gemerkt. Herr Grosse-Brömerhat da ein bisschen was durcheinandergeworfen. Es gabschon einen Antrag der Linken. Wir hatten darin bean-tragt, die Ausschüsse einzusetzen, die im Grundgesetzals ständige Ausschüsse vorgesehen sind.
Wir hatten darin außerdem beantragt, die Ausschüsseeinzusetzen, die nach dem Haushaltsgesetz und nach derGeschäftsordnung des Bundestages vorgesehen sind.Das sind unter anderem der Petitionsausschuss, der Aus-wärtige Ausschuss, der Verteidigungsausschuss und derEuropaausschuss. Die Einsetzung von Innen-, Rechts-und Finanzausschuss hatten wir ebenfalls beantragt, weildiese Ausschüsse seit mindestens der dritten Legislatur-periode in genau diesem Zuschnitt existieren und weilsie damit als quasi ständige Ausschüsse die Neubildungder Regierung und auch die Neubildung der Ausschüsseim Bundestag überdauert hätten. Deshalb ist der Antragrechtskonform.
Nun wird seitens der SPD und der Union die Einset-zung eines Hauptausschusses beantragt. Wir haben über-haupt nichts dagegen, wenn Sie sich bemühen, dass derBundestag arbeitsfähig wird, aber es muss rechtskon-form geschehen. Dieser Hauptausschuss, so wie Sie ihnin Ihrem Einsetzungsantrag vorsehen, ist grundgesetz-widrig. Deshalb werden wir diesem Antrag auch nichtzustimmen.
Erstens. Er taucht weder im Grundgesetz noch in derGeschäftsordnung des Bundestages auf.Zweitens. Er ist singulär. Unsere Geschäftsordnungund das Grundgesetz sehen ausdrücklich vor, dass stän-dige Ausschüsse – Mehrzahl wohlgemerkt – einzusetzensind.Drittens. Er ist aber auch kein Sonderausschuss, weiler sich nicht um einzelne Fragen kümmert, wie es dieGeschäftsordnung vorsieht. An den Hauptausschuss sol-len vielmehr viele Gesetzesvorlagen und Anträge über-wiesen werden. Wir sehen das ja schon an der heutigenTagesordnung.Viertens. Es ist auch kein ständiger Ausschuss, denner soll mit der endgültigen Konstituierung der Aus-schüsse wieder aufgelöst werden. Das haben Sie ja be-reits gesagt.Das sind schon einmal vier Gründe, um dem Antragauf Einsetzung dieses Ausschusses nicht zuzustimmen.
Fünftens. Besonders gravierend ist für uns allerdings,dass dem Hauptausschuss Aufgaben zugewiesen wer-den, die ihm gemäß Grundgesetz gar keinen Spielraumlassen. Verteidigungsfragen sind im Verteidigungsaus-schuss zu behandeln. Haushaltsfragen sind im Haus-haltsausschuss zu behandeln und nicht in einem Haupt-ausschuss.Sechstens. Der Hauptausschuss verstößt allerdingsauch – meine Kollegin hatte vorhin schon einen entspre-chenden Einwurf gemacht – gegen die Ausübung desfreien Mandats. Nach § 57 der Geschäftsordnung stehtjedem Abgeordneten eine Mitarbeit in mindestens einemAusschuss zu. Das Grundgesetz spricht hierbei von glei-chen Rechten und Pflichten. Wenn aber gemäß IhremEinsetzungsverfahren nur 15 Prozent der Abgeordnetenmitwirken können, dann bleiben 85 Prozent außen vor.
Nach unserem Antrag wären immerhin 592 Abgeordnetein die Situation gekommen, hier mitzuwirken.Dies sind zwei weitere Gründe für die Ablehnung desAntrags.
Nun stellen die Bündnisgrünen einen Antrag, der soaussieht, als könnte er rechtskonform sein. Sie beantra-gen nämlich nichts anderes, als alle Ausschüsse der17. Wahlperiode einzusetzen. Das Problem ist,
dass auch dies keine ständigen Ausschüsse sind. DieGrünen sagen ja selbst, dass sie sich selbst auflösen sol-len, sobald der endgültige Zuschnitt der Ausschüsse fest-steht. Aufgrund dieses Punktes ist auch dieser Antragnicht rechtskonform.
Dieser Antrag hat mich auch deshalb ein wenig ge-wundert, weil in der Runde der Parlamentarischen Ge-schäftsführer vonseiten der Grünen gesagt wurde: DieGesetzentwürfe des Bundesrates sollten wir im Haupt-ausschuss beraten. – Okay, Sie müssen klären, welcherWiderspruch sich hier zeigt.
Fakt ist: Hätten Sie in der letzten Bundestagssitzungunserem Antrag zugestimmt, dann wäre der Bundestaglängst arbeitsfähig, und er wäre es demokratisch undrechtskonform.Danke.
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78 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
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Thomas Oppermann ist der nächste Redner für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Heute ist
der 28. November.
Gestern sind erfolgreich die Koalitionsverhandlungen
zwischen CDU/CSU und SPD abgeschlossen worden.
Bei normalem Verlauf der Dinge würde am morgigen
Freitag ein kleiner oder ein großer Parteitag über den
Koalitionsvertrag debattieren und entscheiden, und wir
könnten dann am Montag mit der Wahl der Bundeskanz-
lerin die Regierungsbildung einleiten und noch im Laufe
der Woche die Ausschüsse festlegen und konstituieren.
Dass es diesmal anders läuft, liegt nicht nur an den sehr
aufwendigen Sondierungsgesprächen, die den Koali-
tionsverhandlungen vorangegangen sind, sondern auch
daran, dass die SPD sich entschieden hat, über diesen
Koalitionsvertrag ihre Mitglieder entscheiden zu lassen.
Ich möchte bei Ihnen allen, Kollegen und Kollegin-
nen, um Verständnis dafür werben, dass wir ein solches
demokratisches Experiment eingehen. Das hat bisher
noch keine Partei so gemacht. Ich meine, das ist kein
Rückschlag für unsere Demokratie, sondern das ist eher
eine Bereicherung für unsere Demokratie.
Einen Parteitag mit 500 oder 600 Delegierten kann
man an einem Wochenende durchführen. Wenn aber
470 000 Mitglieder der SPD diese Entscheidung treffen
sollen, dann brauchen wir dafür zwei Wochen. Das sind
zwei Wochen für mehr innerparteiliche Demokratie.
– Frau Göring-Eckardt, vielleicht läuft das Ganze ja so-
gar so gut, dass Sie am Ende in vergleichbaren Situatio-
nen auch einmal Ihre Mitglieder entscheiden lassen wol-
len.
Vielleicht gibt es demnächst schon in Hessen eine Gele-
genheit, Ihre Mitglieder zur dortigen Koalition zu befra-
gen.
Jetzt für eine Übergangszeit von nur zwei Wochen
insgesamt 22 Ausschüsse mit 683 Mitgliedern bilden zu
müssen, stellt aus meiner Sicht einen unverhältnismäßi-
gen Aufwand dar; denn in zwei Wochen müssten wir das
wieder komplett neu organisieren. Es liegen in der Tat
Gesetzentwürfe vor, aber diese kann auch der Hauptaus-
schuss kompetent beraten.
Sie von den Grünen haben ja noch keinen einzigen
Gesetzentwurf eingebracht, der beraten werden könnte.
Die Linken haben immerhin einige Gesetzentwürfe vor-
gelegt; das muss man ja einmal feststellen.
Der Hauptausschuss ist natürlich nicht grundgesetz-
widrig. Das ist ein Ausschuss, in dem das Parlament
jetzt für einen kurzen Zeitraum entscheidet, wie es seine
Arbeit organisiert.
Im Grundgesetz ist vorgesehen, dass das Parlament auto-
nom ist, wenn es darum geht, seine eigene Arbeit zu re-
geln. Von dieser Autonomie machen wir jetzt Gebrauch.
Ich finde es gut, dass wir das Präsidium mit der Lei-
tung des Hauptausschusses beauftragen,
nicht nur, weil dann mit der Person unseres Präsidenten
auch eine kompetente Leitung des Hauptausschusses ge-
währleistet ist, sondern auch, weil die Vizepräsidenten
der Parteien, die hier im Bundestag möglicherweise
Oppositionsfraktionen sein werden, an der Leitung die-
ses Hauptausschusses beteiligt werden.
Wir haben in den Koalitionsverhandlungen zwischen
Union und SPD auch geklärt, dass wir die Minderheiten-
rechte in diesem Parlament zur Geltung bringen wollen.
Eine starke Demokratie braucht eine handlungsfähige
Opposition. Das werden wir in Gesprächen mit allen
Fraktionen in diesem Bundestag sicherstellen.
Seien Sie bitte so einsichtig und vernünftig, uns die
nächsten zwei Wochen mit dem Hauptausschuss leben
zu lassen. Wir können zusagen, dass wir die Ausschüsse
noch in diesem Jahr, noch vor Weihnachten, exakt defi-
nieren und einsetzen,
sodass sie dann im nächsten Jahr ihre Arbeit beginnen
können.
Vielen Dank.
Zum Schluss dieser Runde spricht die Kollegin BrittaHaßelmann für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 79
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Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Meine Damen und Herren! LieberThomas Oppermann, ich glaube, in Sachen Basisdemo-kratie brauchen die Grünen keine Belehrungen der SPD.
Mit dem Thema Urabstimmungen haben wir Erfahrun-gen, über die wir uns gerne austauschen können. Wir ha-ben zwei Urabstimmungen durchgeführt und können Ih-nen sagen, was das bedeutet.
In Hinblick auf Hessen sei an der Stelle kurz erwähnt:Auch die Grünen in Hessen brauchen die Ratschläge derSPD-Bundestagsfraktion nicht, denn in Hessen wird eineMitgliederversammlung über den Koalitionsvertrag ent-scheiden. Die Parteitage des Landesverbandes Hessensind nämlich immer Mitgliederversammlungen für diegesamte Mitgliedschaft.
Nun aber zum Thema. Herr Grosse-Brömer, Sie ha-ben sich gerade mit den beiden Plenarsitzungen und derFragestunde, die das Parlament abhält, gerühmt. MeineDamen und Herren, allen Abgeordneten, auch Ihnen vonder Union und von der SPD, muss es doch ein Anliegensein, dass wir als Parlament endlich unsere Arbeit auf-nehmen,
dass Sie Rechte und Pflichten haben, dass wir nicht län-ger im Stand-by-Modus bleiben
und darauf warten, dass die Koalitionsverhandlungenabgeschlossen werden. Dieser erste Schritt ist jetzt er-folgt. Der zweite Schritt ist: Wir warten auf Ressortzu-schnitte. Erst danach können wir vielleicht die Arbeitaufnehmen.Das Problem ist doch: Bisher ist kein Zeitplan,
den Sie der Parlamentarischen Geschäftsführerin derLinken und mir zugesagt haben, bisher ist nichts einge-halten worden. Wir hatten klar vereinbart: Wenn IhreKoalitionsverhandlungen abgeschlossen sind, dann ste-hen die Ressortzuschnitte, dann können wir über dieAusschüsse verhandeln. – Nichts davon ist der Fall. Ges-tern Abend haben wir erfahren, dass die Ressortzu-schnitte erst nach dem Mitgliederentscheid erfolgen. Dasheißt, wir sind weiterhin im Wartemodus, und das istfalsch,
und zwar für das gesamte Parlament, nicht nur für dieOppositionsfraktionen.Die Arbeitsfähigkeit des Bundestages muss herge-stellt werden.
Sie ist durch die Einrichtung des Hauptausschusses al-lein noch nicht gegeben. Wer hat denn die beiden Plenar-sitzungen, wer hat die Fragestunde beantragt? Wir habenden Präsidenten angeschrieben und beantragt, dass derDeutsche Bundestag tagt, sowohl am 18. November alsauch am 28. November.
Wir waren es, die wollten, dass endlich eine Fragestundestattfindet,
nicht die Unionsfraktion oder die SPD-Fraktion. So siehtes aus im Parlament, meine Damen und Herren. Sonsthätten Sie sich weiterhin nur mit sich selbst beschäftigt.
Bei allem Verständnis dafür, dass man für Koalitions-verhandlungen – auch wir haben diverse geführt – natür-lich eine gewisse Zeit braucht: Das, was da jetzt stattfin-det, ist ein absoluter Wirrwarr.
Erst hieß es: Wir brauchen eigentlich keinen Hauptaus-schuss. – Dann heißt es: Wir brauchen ihn jetzt doch. –Die Gesetzentwürfe aus dem Bundesrat, die wir dort ei-gentlich hätten beraten sollen, werden da gar nicht bera-ten. Sie werden nämlich heute vom Bundestag beratenund sollen, indem vom Hauptausschuss nur die vomHaushaltsausschuss zu erledigende Prüfung
durchgeführt werden soll, kurzerhand zur zweiten unddritten Lesung wieder an den Bundestag überwiesenwerden.
Das ist eine Geschichte, die wir immer wieder themati-siert haben. Wir wissen, dass es den Ländern sehr wich-tig ist, dass wir die Bundesratsinitiativen,
also das AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz und das Gesetzzur Änderung des Kinderbetreuungsfinanzierungsgeset-zes, noch in diesem Jahr verabschieden. Das ist für dieLänder bedeutend. Aber dafür nutzen Sie den Hauptaus-schuss gar nicht. Sie richten ihn als großes Sammelbe-cken für jede unliebsame Initiative ein.Das hat man doch am allerbesten an der NSA-Ge-schichte gesehen: SPD und Union waren sich über unse-ren Entschließungsantrag zum Thema NSA-Abhörskan-
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80 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Britta Haßelmann
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dal uneinig. Sie von der SPD haben hier flockige Redendarüber gehalten, was man alles tun muss und wie wahn-sinnig schwierig das alles ist. Am Ende waren Sie sichnicht darüber einig, wie man mit dem Antrag der Grünenumgeht, und versenken ihn in einem Hauptausschuss. Sosieht es aus. Dies jetzt als wahnsinnig guten Parlamenta-rismus zu verkaufen, führt doch völlig an der Sache vor-bei. Ich bitte Sie!
Wir haben die Koalitionsverhandlungen abgewartet,die jetzt abgeschlossen sind. Bis auf die fünf Abgeordne-ten meiner Fraktionen, die wir jetzt für den Hauptaus-schuss benennen dürfen,
müssen alle anderen warten, bis sie erfahren, wie sieAusschussarbeit, wie sie Parlamentsarbeit machen dür-fen.Im Übrigen wollen doch auch die vielen Abgeordne-ten Ihrer Fraktionen endlich wissen, wann der Ressort-zuschnitt steht. Er wird frühestens am 15. Dezember– der 16. Dezember wird uns genannt – stehen, weil erstdann der Mitgliederentscheid der SPD beendet ist. Beiallem Verständnis für Basisarbeit, Basisbefragungen undMitgliederentscheid – wie gesagt, da brauchen wir keineBelehrung –: Ich finde, das Parlament kann nicht solange warten. Wir wollen hier arbeiten, und wir wollennicht länger im Stand-by-Modus sein.
Lassen Sie mich am Schluss, Herr Präsident, mit IhrerErlaubnis, Sie selbst zitieren:Das Bemühen, das alles bis zur Kanzlerwahl zuvertagen, halte ich weder für plausibel noch für not-wendig …So sehen wir es auch, und deshalb haben wir den Antragauf Einsetzung der Ausschüsse gestellt.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zunächst zur Abstimmung über den An-trag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf der Druck-sache 18/102 mit dem Titel „Einsetzung von Ausschüs-sen“. Wer stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmtdagegen? – Wer enthält sich der Stimme? – Damit ist derAntrag mit den Stimmen der CDU/CSU und der SPD ge-gen die Stimmen von Bündnis 90/Die Grünen beiStimmenthaltung der Fraktion Die Linke abgelehnt.Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antragder Fraktionen der CDU/CSU und SPD auf der Drucksa-che 18/101 zur Einsetzung eines Hauptausschusses. Werstimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Damit ist dieser Antrag mit den Stimmender Antragsteller gegen die Stimmen der FraktionenBündnis 90/Die Grünen und Die Linke angenommen.Damit ist der Hauptausschuss eingesetzt.
Ich weise diejenigen, die von den Fraktionen dafür no-miniert sind, darauf hin, dass er sich heute Nachmittagum 13.30 Uhr konstituiert.Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 2 auf:Beratung des Antrags der BundesregierungFortsetzung der Beteiligung bewaffneterdeutscher Streitkräfte an der von den Verein-ten Nationen geführten Friedensmission inSüdsudan auf Grundlage der Re-solution 1996 des Sicherheitsrates derVereinten Nationen vom 8. Juli 2011 und Fol-geresolutionen, zuletzt 2109 vom11. Juli 2013– Drucksache 18/71 –Wir werden über den Antrag am Ende der Debatte na-mentlich abstimmen.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache unter Berücksichtigung der zwischenden Fraktionen vereinbarten Redezeiten insgesamt38 Minuten vorgesehen. Das ist eine etwas kunstvolleund untypische Größenordnung, an die wir uns vielleichtgewöhnen müssen. Gibt es dagegen Einwände? – Das istnicht der Fall. Dann können wir so verfahren.Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort zu-nächst dem Bundesminister der Verteidigung, Thomasde Maizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-teidigung:Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Im dritten Jahr seiner Unab-hängigkeit steht der Südsudan weiterhin vor großen He-rausforderungen. Humanitäre Notlagen sowie eineschwierige Sicherheitslage prägen nach wie vor das Bildin verschiedenen Regionen des Landes.Allein in diesem Jahr waren über 1,8 Millionen Men-schen auf Nahrungsmittelhilfe angewiesen. Insbeson-dere im Bereich des nordöstlichen Bundeslandes Jongleikommt es bei Auseinandersetzungen um Vieh und Wei-deland immer wieder zu bewaffneten Zusammenstößen.Circa 100 000 Menschen haben allein im letzten Jahr diebetroffenen Siedlungsgebiete aus Furcht vor Angriffenverlassen.Dauernder Frieden im Südsudan kann nur erreichtwerden, wenn die Grundursachen der dahinterliegendenKonflikte angegangen werden. Das ist ein schwierigerund ein langwieriger Weg nach 50 Jahren Bürgerkriegs-erfahrung.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 81
Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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Trotz aller Defizite und Mängel, die es auch gegen-über der Regierung des Südsudan klar anzusprechen gilt,sind heute, zweieinhalb Jahre nach der Staatengründung,auch erste kleinere Erfolge zu verzeichnen: Die Men-schenrechtssituation hat sich zumindest ansatzweise ver-bessert, auch wenn sie noch nicht annähernd so ist, wiewir sie uns erhoffen.Wie gefährlich der Einsatz ist, zeigt der BrennpunktJuba. In den letzten Monaten gab es dort viele Fälle, indenen UN-Personal und internationale Diplomaten vonmilitanten Kräften bedroht, verhaftet oder angegriffenworden sind. Dies sind Vorkommnisse, die nicht zu tole-rieren sind. Dass die internationale Gemeinschaft den-noch den richtigen Weg eingeschlagen hat, verdeutlichtdie kürzlich erfolgte Verurteilung von 92 südsudanesi-schen Soldaten wegen schwerer Menschenrechtsverlet-zungen. Mit Unterstützung von UNMISS, einer Missionunter dem Mandat der Vereinten Nationen, ist es zudemgelungen, ein Versöhnungsabkommen zwischen den eth-nischen Gruppen in der Region zu verhandeln. Diesesgilt es nun umzusetzen und zu überwachen. Die wirt-schaftliche Lage hat sich aufgrund des wieder zugelasse-nen Ölexports zwar stabilisiert; für eine Linderung derhumanitären Not kann die Regierung des Südsudan al-lerdings noch nicht annähernd eigenständig sorgen.Trotz dieser guten Ansätze gilt: Die Ausgangsbedin-gungen für den noch jungen Staat Südsudan sind schwie-rig, und er steht vor vielfältigen Herausforderungen. Diemilitärische Präsenz der VN-Mission im Südsudan bleibtdeshalb weiterhin unverzichtbar. Es gilt, den Bedrohun-gen vor Ort zu begegnen, vertrauensbildend in derFläche zu wirken und den Zugang für Personal der Ver-einten Nationen und humanitäre Organisationen zu ge-währleisten.Deutschland ist mit über 60 Nationen der internatio-nalen Völkergemeinschaft dabei. Das soll auch in Zu-kunft so bleiben. Wir sind mit zuletzt 16 Soldaten in denStäben vertreten. Durch den nicht ungefährlichen Ein-satz unserer Soldaten sowie der derzeit sechs Polizistenleistet Deutschland seinen Beitrag zur Friedenskonsoli-dierung und zum längerfristigen Staatsaufbau.Auch wenn sich Fortschritte nur langsam abzeichnen,gilt Folgendes:Erstens. UNMISS leistet einen wichtigen Beitrag zurStabilisierung und zum Aufbau des Südsudan.Zweitens. Die bloße Gegenwart, die große Präsenzder internationalen Gemeinschaft hat eine mäßigendeWirkung auf die Konfliktparteien und stabilisiert das ge-samte regionale Umfeld.Drittens. Unser Engagement ist notwendig, um einehumanitäre Verschärfung sowie eine weitere militärischeEskalation in dieser unruhigen Region zu verhindern.Deswegen bitten wir als Bundesregierung um IhreZustimmung zur weiteren Beteiligung an UNMISS mitbis zu 50 Soldatinnen und Soldaten.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich mit Blickauf die Debatte heute Nachmittag noch ein paar Wortezu UNAMID sagen, zu der Mission in Darfur. Kernauf-trag dieser Mission sind die Unterstützung des Friedens-prozesses, der Schutz von Zivilisten und die Sicherungdes Zugangs für humanitäre Hilfsorganisationen. Auchin Darfur leistet die UNO mit ihrer Mission, mitUNAMID, allein durch ihre Präsenz in Form von rund21 000 Soldatinnen und Soldaten sowie Polizistinnenund Polizisten einen Beitrag zur Verbesserung der huma-nitären Lage vor Ort. UNAMID schafft den notwendi-gen Rahmen, innerhalb dessen sich die politischenBemühungen um ein Ende der Krise in Darfur weiterent-wickeln können. Deshalb ist auch diese Mission unver-zichtbar.Mit unseren derzeit zehn Soldaten im Hauptquartierunterstützen wir als einziger westlicher Truppenstellerneben der Türkei die Auftragsdurchführung der Mission.Die bei dieser VN-Mission eingesetzten Soldatinnen undSoldaten arbeiten unter den schwierigsten denkbarenUmständen. Ich möchte an dieser Stelle den Soldatinnenund Soldaten bei UNMISS und bei UNAMID sowie dendort eingesetzten Polizistinnen und Polizisten meine undunsere Hochachtung für ihr bemerkenswertes Engage-ment und ihre Professionalität aussprechen.
Bitte unterstützen Sie daher heute Nachmittag auch denAntrag der Bundesregierung auf Fortsetzung der Mis-sion UNAMID in Darfur.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Christoph Strässer
für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Zu Beginneiner neuen Legislaturperiode als erstes Thema in derAußenpolitik gleich über einen Auslandseinsatz derBundeswehr im Rahmen eines Mandates der VereintenNationen zu debattieren und zu entscheiden, ist sicher-lich nicht das, was sich die meisten von uns wünschen.Gut aber ist, dass wir darüber hier im Deutschen Bun-destag debattieren, weil wir damit zum Ausdruck brin-gen, dass die Bundeswehr eine Parlamentsarmee ist undsich daran auch nichts ändern wird.
Der Antrag der Bundesregierung, mit dem wir unsheute auseinanderzusetzen haben, bezieht sich auf eineBeteiligung deutscher Streitkräfte an der von den Verein-ten Nationen geführten Friedensmission in Südsudan.Angesichts der Verantwortung der internationalen Ge-meinschaft für die Entwicklung in dieser Region, dieauch nach der Selbstständigkeit des Südsudan mehr alsfragil ist, halten wir die Fortsetzung dieser Mission nicht
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82 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Christoph Strässer
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nur für verantwortbar, sondern auch für notwendig. DieSPD-Fraktion wird dem Antrag daher zustimmen.Wir halten es für richtig, das UNMISS-Mandat bisEnde 2014 fortzuschreiben und eine Personalstärke vonbis zu 50 deutschen Soldaten zu ermöglichen, und zwarauch, weil das ein Signal an den Sudan, an den Süd-sudan, an die Afrikanische Union sowie an die interna-tionale Gemeinschaft ist, dass sich Deutschland weiterfür eine nachhaltige Stabilität in der Region einsetzt. Ge-genwärtig sind 16 deutsche Soldaten im Rahmen desMandats im Einsatz. Sie leisten dort unverzichtbare Ar-beit. Dafür danken wir ihnen wie auch den wenigen Poli-zisten und den vielen zivilen Helfern, die sich in derRegion für die Umsetzung von Menschenrechten enga-gieren.
Es ist schon bemerkenswert – ich weiß, dass das demAuftrag des Parlaments hinsichtlich des Bundeswehrein-satzes geschuldet ist –, dass wir hier nur über den Ein-satz von Soldaten debattieren. Wir haben in der letztenLegislaturperiode zwei interfraktionelle Anträge zumSudan eingebracht und in diesen eine nachhaltige, kohä-rente Menschenrechts- und Entwicklungspolitik gefor-dert. Davon sind wir nach jetzigem Stand im nationalenwie auch im internationalen Kontext leider noch weitentfernt trotz nicht unerheblicher Anstrengungen auchim Bereich der Entwicklungszusammenarbeit, wie sieauch im Mandatsantrag dargestellt werden.Die Ursachen für die anhaltende Instabilität sind viel-fältig und hängen eng zusammen mit den Entwicklun-gen, die seit der Unabhängigkeit des Sudan im Jahre1956 nicht beseitigt werden konnten. Da ist zum einendie Situation im Sudan insgesamt. Seit der Unabhängig-keit 1956 wird das Land von einem nur durch eine kurzePeriode unterbrochenen Bürgerkrieg zwischen demüberwiegend arabisch-islamischen Norden und dem Sü-den des Landes erschüttert, der formal erst durch dasumfassende Friedensabkommen von 2005 beendetwurde, das nur unter intensiver Beteiligung der interna-tionalen Gemeinschaft zustande kommen konnte. Letzt-lich gab es eine Volksabstimmung, die zur Unabhängig-keit des Südens führte.Hinzu kamen Auseinandersetzungen zwischen No-maden und sesshaften Farmern um Ressourcen, die auchbedingt durch den Klimawandel immer geringer werden.Der seit 2003 andauernde Konflikt in der westlichen Re-gion Darfur ist nur ein Brennpunkt für diese Entwick-lung, der aber zeigt, dass eine nachhaltige Befriedungnur bei Lösung aller Konflikte in dieser Region denkbarist. Hierzu bedarf es mehr als des UNMISS-Mandates.Hierzu bedarf es einer Fortschreibung des Länderkon-zeptes und engerer Zusammenarbeit im europäischenKontext, die wir von der nächsten Bundesregierungnachhaltig einfordern werden.Der zweite Konfliktherd ist die Situation zwischenSudan und Südsudan. Nach wie vor sind nicht alle Vor-gaben des umfassenden Friedensabkommens umgesetzt,insbesondere was den endgültigen Grenzverlauf und dieVerteilung der Einkünfte aus der Erdölförderung angeht.Immer wieder kommt es zu Truppenbewegungen undKämpfen zwischen den sudanesischen Streitkräften undder Sudanesischen Volksbefreiungsarmee, SPLA. Dieseimmer wieder auch kriegerischen Auseinandersetzungensind für die Menschen in der Grenzregion nicht mehr er-träglich. Auch die VN-mandatierte Grenzüberwachungdurch die Mission UNISFA kann dies nicht verhindern.Die humanitäre Situation wird immer schlimmer. An-haltende Kämpfe in den Staaten Blauer Nil und Süd-kordofan im Süden des Sudan führten zur Flucht vonmehr als 200 000 Menschen in den benachbarten Süd-sudan. Viele davon haben auf der Flucht ihr gesamtesHab und Gut zurücklassen müssen. Seit Juni 2012 leistetder Hohe Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationenim Norden des Südsudan Not- und Überlebenshilfe fürmehr als 115 000 Personen. Mehr als 400 000 Personensind vertrieben worden. Aufgrund andauernder bewaff-neter Konflikte sowie Nahrungsmittel- und Wasser-knappheit können Flüchtlinge den Sudan nicht verlas-sen, um sich in Sicherheit zu bringen.Auch die wirtschaftliche Situation ist prekär, nicht zu-letzt deshalb, weil der Streit unter anderem über die Nut-zung von Erdöl dazu geführt hat, dass sich Khartum Öl-felder im Süden angeeignet hat und dass der Südsudanzwischenzeitlich immer wieder beschlossen hat, die Erd-ölförderung zu unterbrechen. Vor allem die Zugehörig-keit der erdölreichen und landwirtschaftlich produktivenRegion Abyei ist nach wie vor nicht geklärt.Schließlich ist auch die Entwicklung im Südsudanselbst weit hinter den Erwartungen zurück, die mit demAbschluss des Friedensvertrages und der Selbstständig-keit verbunden waren. Das gilt für nahezu alle gesell-schaftlichen Bereiche. Es fehlt an vielem. Der Aufbaustaatlicher und rechtsstaatlicher Strukturen kommt nursehr langsam voran. Die ausreichende Versorgung mitNahrungsmitteln und insbesondere der Zugang zu saube-rem Wasser sind nach wie vor nicht immer und für alleGruppen der Bevölkerung gewährleistet. Auch gibt esimmer wieder Berichte über Menschenrechtsverletzun-gen durch die südsudanesischen Streitkräfte an der Zivil-bevölkerung. Es gibt Nachrichten über schwere Zusam-menstöße zwischen Gemeinschaften insbesondere in derProvinz Jonglei.All diese Tendenzen können natürlich nicht alleindurch die Mission UNMISS beseitigt werden. Aber wirsind davon überzeugt, dass UNMISS ein Teil einer Ent-wicklung ist, die wir unterstützen sollten. Wir fordernauch nachhaltig, dass eine verstärkte Umsetzung derEU-Länderstrategie erfolgt. Sie existiert seit Januar 2012und fordert in Zusammenarbeit mit UNMISS und natio-nalen wie internationalen Partnern den Einsatz für Kon-solidierung von Demokratie, Achtung der Menschen-rechte, Rechtsstaatlichkeit sowie verantwortungsvolleStaatsführung und Korruptionsbekämpfung.Was wir brauchen, ist eine außenpolitische Länder-strategie, die der Zweiteilung des Sudans und der Kom-plexität der Situation gerecht wird, eine Länderstrategie,die den Leitprinzipien von Demokratie, Achtung der
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Christoph Strässer
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Menschenrechte, Rechtsstaatlichkeit, verantwortungs-voller Staatsführung und Korruptionsbekämpfung ver-pflichtet ist. Aber wir brauchen mehr als theoretischeKonzepte. Wir brauchen vor allem deren Umsetzung.Deshalb steht für uns die Resolution 2046 des Sicher-heitsrates der Vereinten Nationen vom 2. Mai 2012 imMittelpunkt. Der Friedensfahrplan der AfrikanischenUnion zur Lösung der Konflikte muss tatkräftiger undmit mehr Mitteln unterstützt werden, als wir dies gegen-wärtig tun. Wir sollten uns im VN-Sicherheitsrat weiter-hin für robuste und der jeweiligen Situation angemes-sene Mandate starkmachen, um ein flexibles Eingreifender VN-Friedensmissionen vor Ort zu ermöglichen.Ich würde mir wünschen, dass über die RolleDeutschlands in diesem Zusammenhang in Zukunft in-tensiver und konkreter diskutiert wird. Unser friedens-und sicherheitspolitisches Engagement im Südsudan istdeutlich verbesserungsfähig und verbesserungswürdig.Wir sollten außerdem die internationale Hilfe für die Re-publiken Sudan und Südsudan stärker mit der Verpflich-tung zur Einhaltung von Menschenrechten sowie zur Be-kämpfung von Korruption verbinden und damit auchDrittstaaten wie China stärker in den politischen Dialogmit einbeziehen.Zu erreichen ist dieses Ziel für den Sudan, für denSüdsudan, für die gesamte ostafrikanische Region nurmit einer Politik, die den regionalen Besonderheiten ge-recht wird, die eine demokratische Staatsführung forciertund die Einhaltung der Menschenrechte als Schlüssel zueiner nachhaltigen Entwicklung begreift. Soldaten, Res-sourcenreichtum und wirtschaftliches Wachstum alleinkönnen eine solche Entwicklung nicht bewirken. Viel-mehr geht es darum, politische Rahmenbedingungen zuschaffen, mit denen sich für die Mehrheit der Bevölke-rung die Lebensbedingungen verbessern und die Armutverringern lassen. Armut ist nämlich nicht nur eineFolge von ungünstigen ökonomischen Rahmenbedin-gungen, sondern auch das Ergebnis mangelnder Partizi-pation und der Verletzung der Menschenrechte.Gerade die Menschen in Südsudan, die Zeit ihres Le-bens nichts als Krieg und Ausbeutung erlebt haben, müs-sen endlich erfahren, dass Frieden nicht nur formal ist,sondern auch ihre materiellen und sozialen Lebensbedin-gungen nachhaltig verbessert. Sie brauchen die ganzkonkrete Erfahrung und die Wirklichkeit einer soge-nannten Friedensdividende.Meine Damen und Herren, zum Schluss dieser etwasdunklen Darstellung der Situation in der Region möchteich aber auch noch etwas Positives mitteilen. Die Süd-deutsche Zeitung hat gestern berichtet, dass vor wenigenTagen zwei ostafrikanische Staaten erklärt haben, derUN-Kinderrechtskonvention beitreten zu wollen.
Neben Somalia tat dies auch der Südsudan. Das ist nichtnur ein formaler Akt. Vielmehr müsste und sollte ihretatsächliche Umsetzung auch zu einer erheblichen Ver-besserung der Situation von Kindern führen, insbeson-dere für solche, die immer noch als Kindersoldatenrekrutiert und ihr Leben lang traumatisiert werden. Ichglaube, wir sollten insbesondere das südsudanesischeParlament zu dieser Entscheidung auch von hier aus be-glückwünschen.
Nunmehr, meine Damen und Herren, gibt es unter denMitgliedstaaten der Vereinten Nationen nur noch einenStaat, der die Kinderrechtskonvention nicht ratifizierthat. Das sind – wer ahnt es? – die Vereinigten Staatenvon Amerika. Vielleicht können unsere Freunde jenseitsdes Atlantiks von dieser Entscheidung des südsudanesi-schen Parlaments etwas lernen; dann hätte diese Ent-scheidung eine noch größere Bedeutung als ohnehinschon.
Ich glaube, wir würden diesen Prozess von hier ausnachhaltig unterstützen.Herzlichen Dank.
Christine Buchholz ist die nächste Rednerin für die
Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Der ge-schäftsführende Verteidigungsminister, Herr de Maizière,hat gestern in unserer Fraktion für den Antrag der Bun-desregierung zur Fortsetzung des Bundeswehreinsatzesim Südsudan geworben. Das selbsterklärte Ziel der Mis-sion UNMISS ist es, die Regierung des Südsudans, dersich vor zwei Jahren vom Norden abgespalten hat, beider Friedenskonsolidierung zu unterstützen. Herr deMaizière hat gestern wörtlich gesagt: Für dieses Mandatgibt es seit der Bundestagsdebatte vor einem Jahr keinenneuen Sachstand, keine neuen Argumente.Dem widersprechen wir heftig.
Zum einen eskalierte der Konflikt zwischen Nord- undSüdsudan. Als Folge des Streits um die Aufteilung derÖlgewinne stellte der Südsudan mehr als ein Jahr langdie Ölproduktion ein. Das hatte dramatische Folgen:Beispielsweise bürdete die Regierung dem Südsudan einSpardiktat auf, das bis heute weiterbesteht und unter an-derem dazu führt, dass Lehrer und Krankenschwesternseit zwei Monaten kein Gehalt mehr bekommen.Schließlich eskalierte der bewaffnete Konflikt im Bun-desstaat Jonglei und in anderen Regionen. Selbst Jubaist, wie Herr de Maizière heute selbst gesagt hat, zu ei-
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Christine Buchholz
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nem Brennpunkt geworden, was vorher nicht der Fallgewesen war. Ist das kein neuer Sachstand?Ich glaube, wir können bei allen Bundeswehreinsät-zen ein und dasselbe Muster beobachten: Es wird keineehrliche Bilanz gezogen.
Das gilt für den Einsatz im Südsudan genauso wie fürden Einsatz in Afghanistan. Wir halten das für unverant-wortlich.
Kernaufgabe der Mission UNMISS ist, wie gesagt,die Unterstützung der südsudanesischen Regierung beider Friedenskonsolidierung. Die Bundesregierung ver-wischt dabei, dass die Armee der südsudanesischen Re-gierung, mit der der Frieden konsolidiert werden soll,selbst Teil des Problems ist.
Human Rights Watch hat 24 Vorfälle aus dem Bundes-staat Jonglei dokumentiert, in denen die südsudanesischeArmee zwischen Dezember 2012 und Juli 2013 nahezu100 Angehörige des Volks der Murle getötet hat, darun-ter Frauen und Kinder. Die südsudanesische Armee hatGebäude von Hilfsorganisationen und Schulen zerstörtund ganz nebenbei einen UN-Hubschrauber abgeschos-sen. Mit anderen Worten: UNMISS hat das, was dieBundesregierung als eine Kernaufgabe definiert, nichtim Entferntesten erreicht. Der Einsatz konsolidiert kei-nen Frieden. Das kann er auch nicht; denn Frieden kannnicht durch die Entsendung von Truppen von außen ge-bracht werden.
UNMISS besteht aus 7 000 Soldaten; die meisten vonihnen stammen selbst aus Entwicklungsländern. Der An-trag der Bundesregierung gibt keinerlei Auskunft da-rüber, was die Soldaten und auch die deutschen Stabs-offiziere genau machen; stattdessen wird lang und breitetwas zum Engagement der Entwicklungszusammen-arbeit ausgeführt. Das ist wieder so eine Nebelkerze;denn entwicklungspolitische Projekte – von denen dieLinke viele begrüßt – stehen hier überhaupt nicht zurAbstimmung. Zur Abstimmung steht die Beteiligungvon bewaffneten Streitkräften. Aber niemand brauchtSoldaten, um Wasser- und Bildungsprojekte durchzufüh-ren.
UNMISS ist im Kern eine Militärmission und kostetpro Jahr fast 1 Milliarde US-Dollar. Das ist viel Geld,das besser angelegt werden könnte. Ich gebe Ihnen einkleines Beispiel: Dieses Geld könnte angelegt werden ineinem Präventionsprogramm gegen die grassierendeFlusskrankheit – eine Krankheit, die zur Erblindungführt –, die ein großes Problem im Südsudan ist. DieseKrankheit ist nur eines von vielen fundamentalen Pro-blemen. Es gibt im gesamten Südsudan nur vier Augen-kliniken.Die Wahrheit ist: So wie Sie es anpacken, instrumen-talisieren Sie die Entwicklungshilfe, um die Entsendungvon Militär zu rechtfertigen. Mit Friedenssicherung hatdas nichts zu tun.
Das merken die Menschen im Südsudan auch. Studentenaus Juba sagten zum zweiten Jahrestag der Staatsgrün-dung im Juli 2013 – ich zitiere –: Wir sind jetzt frei; aberdas Leben hat sich nicht verbessert. Kriminalität hat inJuba zugenommen, Bildung und Gesundheitsdienstesind teurer geworden.Worum es tatsächlich geht, kann man auch im neuenKoalitionsvertrag nachlesen; hier herrscht ja größte Ein-tracht zwischen SPD und Union. Von einer „Kultur derZurückhaltung“, von der im schwarz-gelben Koalitions-vertrag vor vier Jahren zumindest noch zu lesen war, istheute keine Rede mehr. In ihrem Koalitionsvertrag spre-chen SPD und Union davon, die – Zitat – „globale Ord-nung aktiv mitgestalten“ zu wollen. Das ist nicht mehrund nicht weniger als eine diplomatische Umschreibungfür die Bereitschaft, in möglichst vielen Weltregionenmit Truppen dabei zu sein – ob mit Militärbeobachtern,mit Stabsoffizieren oder mit Kampfsoldaten. HerrSträsser hat das eben ja auch noch einmal gesagt, als ererwähnte, wir müssten uns in Zukunft für robuste undflexible Einsätze starkmachen.Das heißt im Klartext: Mit Schwarz-Rot wird es nochmehr Auslandseinsätze der Bundeswehr geben. DieLinke steht dafür, zivil zu helfen, statt Militär in alleWelt zu senden.
Die Kollegin Agnieszka Brugger ist die nächste Red-nerin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! DerSüdsudan steht am Scheideweg, und die internationaleGemeinschaft kann es sich nicht leisten, den jüngstenStaat der Welt scheitern zu sehen. Dieser Einschätzungvon Hilde Johnson, der Leiterin der UN-Mission imSüdsudan, können wir Grüne voll und ganz zustimmen;
denn die Menschen im Südsudan haben es verdient, dasswir sie auf dem Weg hin zu mehr Frieden, zu mehr Ent-wicklung und zu mehr Sicherheit nach Kräften unterstüt-zen.Dazu leistet UNMISS einen sehr wertvollen Beitrag.Die Mission hat die Aufgabe, die Zivilbevölkerung zuschützen, den Aufbau staatlicher Strukturen zu fördernund die Menschenrechte zu stärken. Seit der Staatsgrün-dung des Südsudan am 9. Juli 2011 konnte auf diesemWege bereits einiges erreicht werden, vieles leider aberauch noch nicht.
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Agnieszka Brugger
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Seit der Wiederaufnahme der Erdölförderung erholtsich die katastrophale wirtschaftliche Lage des Landessehr langsam, und 2012 sanken die Verbraucherpreisefür die Zivilbevölkerung endlich wieder. Aber auch beider Bekämpfung der Korruption hat sich einiges getan.Beispielsweise wurden 16 000 „Geisteroffiziere“ vonder Gehaltsliste der südsudanesischen Polizei gestrichen.Gleiches, so hat der Präsident öffentlich angekündigt,soll auch beim Militär geschehen. Hier muss UNMISSbei der Korruptionsbekämpfung weiter den Finger in dieWunde legen.Positiv war auch die diesjährige Zusammenarbeit dersüdsudanesischen Regierung mit den NGOs und denUN-Hilfsorganisationen bei der sich jährlich wiederho-lenden Flutkatastrophe im November. Dadurch konntefür knapp 140 000 notleidende Menschen die Versor-gung mit Lebensmitteln und Medizin gesichert werden.Meine Damen und Herren, natürlich können auchviele Schritte in die richtige Richtung keineswegs da-rüber hinwegtäuschen, dass es auch Rückschläge undberechtigten Anlass zur Sorge, aber eben auch zu deutli-cher Kritik gegenüber der südsudanesischen Regierungund ihren Sicherheitskräften gibt. So kam es beispiels-weise, wie Human Rights Watch berichtet, im BezirkPibor zu massiven Menschenrechtsverletzungen, verübtdurch die Soldaten der südsudanesischen Armee beiKämpfen gegen Rebellengruppen. Statt wie beauftragtdie Menschen zu beschützen, haben die Soldaten Zivilis-tinnen und Zivilisten getötet und Schulen zerstört.UNMISS hat daraufhin an diesen Orten seine Präsenzverstärkt und den geflohenen Menschen Schutz gebotenund sie aufgenommen. Wenn Sie den Bericht von Hu-man Rights Watch gelesen hätten, dann wüssten Sie,Kollegin Buchholz, dass sie nicht zu dem Schluss kom-men, dass UNMISS beendet werden sollte; vielmehrstellen sie fest, dass es UNMISS an Kapazitäten man-gelt.
Vorfälle wie diese dürfen nicht vertuscht werden; siemüssen konsequent verfolgt und geahndet werden.Wir können auch feststellen, dass es hier im Gegen-satz zu früher ein Umdenken gibt, dass nämlich Täterverfolgt und benannt werden, auch wenn es hierfür beider Justiz noch an den notwendigen Kapazitäten man-gelt.Ich finde, diese Vorfälle machen vor allem deutlich,dass der Fokus der Mission noch stärker auf die Wah-rung der Menschenrechte gelegt werden muss – ganz be-sonders im Hinblick auf die südsudanesische Armee undPolizei.Meine Damen und Herren, Staatsgründungen gesche-hen nun einmal nicht am Reißbrett. Leider! Ich finde, einechter Wille zur Unterstützung zeichnet sich dadurchaus, dass man nicht aufgibt, wenn es Rückschläge gibtund wenn einmal etwas nicht nach Plan läuft. Ich glaube,wir helfen den Menschen im Südsudan am besten undam meisten, wenn wir unsere Unterstützung ernsthaft,langfristig, verlässlich, aber eben auch kritisch gestalten.
Das gilt besonders im Hinblick auf die Parlaments-und Präsidentenwahlen in 2015; denn, um bei dem Bildvon Hilde Johnson zu bleiben: Damit der Südsudan amScheideweg die Richtung hin zu einem funktionierendenStaat einschlägt, braucht es auch weiterhin eine starkeUnterstützung durch die internationale Gemeinschaft.Wir Grüne begrüßen daher die breite Mehrheit für dasUNMISS-Mandat hier im Bundestag und werden ihmauch zustimmen.Der heutige Sitzungstag findet auf Antrag der Grü-nen-Bundestagsfraktion statt. Weil sich Union und SPDhier gemeinsamen Lösungen versperrt haben, haben wirnoch keinen wirklich arbeitsfähigen Bundestag. Bei denReden von Herrn Oppermann und Herrn Grosse-Brömervorhin konnte man den Eindruck gewinnen, das sei nichtweiter schlimm, das sei vielleicht sogar ganz lustig. – Ichfinde es bedauerlich, dass wir bei Mandaten über dieEntsendung der Bundeswehr statt der üblichen zwei De-batten im Parlament und intensiver Ausschussberatungnur die heutige Debatte, verbunden mit einer Sofortab-stimmung, haben. Ich halte das für falsch.
Denn die Entscheidungen über Auslandseinsätze sindimmer schwierig. Sie rühren, finde ich, mit am meistenan Herz und Gewissen der Abgeordneten. Ich glaube,dass wir dazu bestimmt nicht weniger, sondern tenden-ziell eher mehr Debatten und Diskussionen brauchen.
Das gilt nicht nur für die Debatten hier im Parlament,sondern auch für die Berichterstattungen der Medien.Gerade wenn es um Friedensmissionen der VereintenNationen geht, sucht man Meldungen und Berichte da-rüber häufig vergebens. Ich finde, diese Aufmerksamkeithaben nicht nur die Menschen verdient, die an eine fried-liche Zukunft im Südsudan glauben, sondern vor allemauch die zivilen und militärischen Kräfte, die wir unterdiesen schwierigen Bedingungen in einen Einsatz mitgroßen Herausforderungen schicken. Ihnen gilt auch un-ser Dank.Vielen Dank.
Das Wort hat nun der Kollege Philipp Mißfelder für
die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Wir verlängern heute ein Mandat, überdas in der Öffentlichkeit nicht so viel diskutiert wird wie
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Philipp Mißfelder
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über andere Mandate, zum Beispiel das Mandat für denEinsatz im Kosovo oder in Afghanistan, die häufig inden Medien große Beachtung finden.Bei der Herausforderung, die wir vor allem auf demafrikanischen Kontinent sehen, geht es hierbei um dasäußerste Mittel, das unserer Außenpolitik zur Verfügungsteht, nämlich den Einsatz von Soldaten. Das ist für unsdas äußerste Mittel, die Ultima Ratio. Deshalb ist eskeine leichte Entscheidung, Soldaten in den Südsudanoder auch nach Afghanistan oder in den Kosovo zu schi-cken.Ich bin deshalb froh, dass unsere Soldatinnen undSoldaten mit einer so großen und breiten Unterstützungin diese schwierige Mission geschickt werden, unddanke all denjenigen, die diesem Mandat verantwor-tungsbewusst zustimmen wollen. Ich kritisiere aufsSchärfste das, was vorhin hier von Frau Buchholz gesagtworden ist. Ich halte es für zynisch, wenn Sie über dasSchicksal der Menschen im Südsudan so reden, alswürde es hier um irgendwelche imperialistischen Vor-stellungen alter europäischer Kolonialmächte gehen.
Wir leisten mit unserem militärischen Einsatz an dieserStelle einen humanitären Beitrag. Deshalb sprechen wiruns nachdrücklich für die Verlängerung des Mandatsaus.
Der Minister hat es gesagt: Den meisten ist überhauptnicht bewusst, dass wir zwar über einen neuen Staat re-den, aber gleichzeitig über eine Region, in der seit50 Jahren Bürgerkrieg herrscht. Wir haben seit der Un-abhängigkeit des Südsudans am 9. Juli 2011 Schätzun-gen zufolge 1 500 Tote zu beklagen. Zehntausende Men-schen sind immer noch auf der Flucht oder obdachlos.Vor diesem Hintergrund ist jede Anstrengung, die wir imzivilen Bereich, im politischen Bereich oder auch im mi-litärischen Bereich leisten können, dringend notwendig.Es ist so, dass wir von Staatlichkeit weit entfernt sind,von Rechtsstaatlichkeit ohnedies. Auch fundamentaleVoraussetzungen für eine Gesellschaft gibt es nicht. DasWährungssystem ist zusammengebrochen. Es hat sicheine Tauschwirtschaft etabliert, wobei der Tauschhandelvor allem im Bereich der Viehwirtschaft stattfindet. Ge-rade weil die Zahl der Konflikte um Weideland – auchdas ist vorhin in der Debatte schon gesagt worden – oderauch um Vieh stark zunimmt, ist die Gefahr einer neuenEskalationsstufe riesig groß.Vor diesem Hintergrund ist es notwendig, dort auchmilitärisch präsent zu sein. Ich bin froh, dass so vieleNationen der Weltgemeinschaft bereit sind, den Südsu-dan zu unterstützen und hier Verantwortung zu überneh-men. Leider – so muss man sagen – hat sich seit Mittedieses Jahres die Situation verschlechtert; es wird vonregelmäßigen Übergriffen der Armee auf die Zivilbevöl-kerung berichtet.Es gibt auch zwischen den aktivsten Rebellentruppenund der südsudanesischen Regierung kein Friedensab-kommen. Das ist – natürlich neben dem, was wir dortmilitärisch leisten – eine unserer wichtigsten Aufgaben,nämlich zu versuchen, eine solche politische Lösung an-zustreben und uns dort zu engagieren.Wie in so vielen Debatten betone ich an dieser Stelle,dass wir unsere militärischen Einsätze immer in das ein-betten und entsprechend abstimmen, was wir im Bereichder Entwicklungszusammenarbeit leisten und was wirim Bereich der Außenpolitik koordiniert an diplomati-schen Vorschlägen einbringen. Deshalb ist dieses Man-dat Teil eines Gesamtkonzepts, das dringend notwendigist.Vor allem ist es, wie ich schon sagte, humanitär be-gründet. Die Berichterstatter und diejenigen, die sich mitdem Land ausführlich beschäftigen, wissen, dass von derFlut und der Überschwemmungskatastrophe in den letz-ten Wochen weit mehr als 150 000 Menschen direktbetroffen sind. Deshalb ist es richtig, die humanitärenAnstrengungen weiter voranzutreiben, statt sie zu igno-rieren. Die UNO leistet an dieser Stelle einen wichtigenBeitrag. Ich denke auch, dass der Rahmen eines UNO-Mandats der richtige ist.Deshalb eine grundsätzliche Anmerkung zu dem, wasvorhin zu der betreffenden Stelle im Koalitionsvertraggesagt worden ist: Selbstverständlich wollen wir globalmehr Verantwortung übernehmen. Mehr Verantwortungdrückt sich in verschiedenen Bereichen aus. Das kannals äußerstes Mittel, wie ich sagte, auch Militäreinsätzebedeuten. Aber für uns ist es wichtig, zu betonen: Wirsind davon überzeugt, dass kein Konflikt dieser Welt –auch nicht der Konflikt im Südsudan – militärisch gelöstwerden kann, sondern dass eine militärische Kompo-nente immer nur ein Beitrag zu einer politischen Lösungsein kann.
Deshalb ist es richtig, dass der Deutsche Bundestag beiBundeswehreinsätzen das letzte Wort hat. Dafür spre-chen wir uns im Koalitionsvertrag eindeutig aus.Meine Damen und Herren, wir wollen mit diesemMandat erreichen, dass im Südsudan Programme zurEntwaffnung, Demobilisierung und Reintegration sowiedas Entstehen von Rechtsstaatlichkeit überhaupt mög-lich werden. Dafür engagieren wir uns auch im Verfas-sungsgebungsprozess. Wir sollten uns aber auch weiter-hin mit großem Engagement dafür einsetzen, dass es zudiplomatischen und politischen Lösungen kommt, ge-rade was die Vermittlung zwischen Rebellengruppen undder südsudanesischen Regierung angeht.Das robuste Mandat ist notwendig. Es ist auch des-halb notwendig, weil die Gefahr eines Bürgerkriegesnach wie vor sehr groß ist bzw. täglich Menschen in Be-drängnis geraten. Deshalb werbe ich um die parlamenta-rische Zustimmung.Ich möchte nicht unterlassen, unseren Soldatinnenund Soldaten, den Entwicklungshelfern vor Ort und den
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Philipp Mißfelder
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Diplomaten, die in schwieriger Mission sind, zu dankenund ihnen allen eine gute Weihnachtszeit zu wünschen.Denn so sehr wir uns auch mit Afghanistan, Kosovo undanderen Ländern beschäftigen: Die 16 Soldaten, über dieder Minister vorhin gesprochen hat, sollten nicht in Ver-gessenheit geraten. Sie werden auch das Weihnachtsfestund andere wichtige Feiertage in einem Land verbrin-gen, das logistisch nicht so gut ausgestattet ist wie viel-leicht andere Länder, in denen Missionen stattfinden,über die wir häufiger reden. Deshalb wünsche ich denMenschen, die Dienst für unser Land leisten, und ihrenFamilien in den nächsten Wochen eine gute Zeit undwerbe auch um Verständnis für die Familien, die dieseMenschen unterstützen.Herzlichen Dank.
Bevor ich dem Kollegen Reinhard Brandl als letztem
Redner das Wort erteile, möchte ich die Kolleginnen und
Kollegen, die offensichtlich noch keinen Platz gefunden
haben, darauf aufmerksam machen, dass es tatsächlich
noch hinreichend viele freie Sitzplätze gibt.
Wir sollten im Übrigen am Beginn der Legislaturpe-
riode, in der es ja immer mal wieder namentliche Ab-
stimmungen gibt, uns vielleicht für diese Wahlperiode
ein etwas geordneteres Verfahren vornehmen.
Viele von Ihnen wissen auch von Ihren Besuchergrup-
pen, dass sowohl von den Besuchern hier im Hause als
auch von den Fernsehzuschauern immer wieder ver-
ständlicherweise kritisiert wird, dass sich zum Schluss
solcher Debatten, die mit namentlichen Abstimmungen
enden, eine beachtlich große Zahl von Kolleginnen und
Kollegen in den Gängen oder am Rande des Saales auf-
hält, die an den Beratungen erkennbar keinen Anteil
mehr nehmen, um anschließend aber selbstverständlich
abzustimmen. Das lässt sich ganz gewiss verbessern,
und das sollten wir versuchen.
Deswegen bitte ich jetzt noch einmal, dass die Kolle-
ginnen und Kollegen, die noch nicht sitzen, sich um ei-
nen solchen Sitzplatz bemühen. Ich versichere auch fei-
erlich: Es wird nicht eher abgestimmt, bevor der letzte
Redner fertig ist.
Jetzt hat der Kollege Brandl das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Ich freue mich besonders, dass wir zu so einem promi-nenten Zeitpunkt über einen Einsatz in einem Land spre-chen – nach dieser Debatte folgt die erste namentlicheAbstimmung in dieser Legislaturperiode –, das norma-lerweise nicht so sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehtund im Bewusstsein der Menschen verankert ist, näm-lich das Land Südsudan.Ich war letztes Jahr im Südsudan und habe dort mitvielen Menschen gesprochen, natürlich auch mit Vertre-tern der UN-Mission und mit Menschen außerhalb derStadt Juba. Ich muss feststellen: Das Land ist nahe beinull. Es gibt außerhalb der Städte fast keinerlei Infra-struktur. Viele Orte sind schwer oder gar nicht zu errei-chen. Schon allein deshalb tut sich die Regierung un-heimlich schwer, ihre Bevölkerung zu erreichen, ganz zuschweigen davon, für die Sicherheit der Bevölkerung zusorgen. Wenn ich an den Südsudan denke, dann sehe ichein Land vor mir, das ständig am Abgrund balanciert undbei dem die latente Gefahr besteht, abzustürzen und da-mit das bisher Erreichte zu verlieren.Es wurde viel erreicht; die Vorredner haben bereitsdarauf hingewiesen. Das Land hat einen jahrzehntelan-gen Bürgerkrieg hinter sich. 2005 gab es ein umfassen-des Friedensabkommen. Im Januar 2011 gab es das Re-ferendum über die Unabhängigkeit. Im Juli 2011 folgtedann die Unabhängigkeit vom Sudan, die weitgehendunblutig erreicht werden konnte. Nun steht das Land voreiner neuen großen Herausforderung. Es steht vor derHerausforderung, ein Staatswesen aufzubauen. Dabeimuss sich der Südsudan nicht nur vom Sudan mit seinerHauptstadt Khartoum abgrenzen. Die große Herausfor-derung besteht vielmehr darin, alle Gruppen und Ethnienim Land einzubinden.Trotz der großen Nähe zum Abgrund hat der Südsu-dan es in den letzten Jahren immer wieder geschafft– manchmal erst im letzten Moment –, die Kurve zu be-kommen. Aber das wäre ohne die große und wohlwol-lende Unterstützung – manchmal auch mit entsprechen-dem Druck – durch die Afrikanische Union und dieinternationale Gemeinschaft nicht möglich gewesen.Als ich im Südsudan war, hatte man ein paar Wochenzuvor beschlossen, die Ölförderung einzustellen, weilman sich mit dem Sudan, durch dessen Gebiet die Pipe-lines laufen, nicht über die Verteilung der Einnahmen ei-nigen konnte. Dabei hat der Südsudan billigend in Kaufgenommen, auf etwa 98 Prozent seiner Staatseinnahmenzu verzichten. Das hat natürlich auch uns bei unserenAnstrengungen im Rahmen der Entwicklungszusam-menarbeit zurückgeworfen.Aufgrund großen diplomatischen Drucks und interna-tionaler Anstrengungen wurde erreicht, dass sich beideLänder wieder an einen Tisch setzten. Im September undOktober dieses Jahres gab es Besuche und Gegenbesu-che der Präsidenten. Die Lage hat sich entspannt. Das Ölfließt wieder. Wir erleben, dass das Land schon nachkurzer Zeit wieder einen wirtschaftlichen Aufschwungerfährt. Aber ohne Druck, ohne internationale Unterstüt-zung und ohne das Engagement von UNMISS wäre diesnicht erreicht worden.UNMISS besteht aus einer zivilen Komponente– Diplomatie und Entwicklungszusammenarbeit – undeiner militärischen Komponente, die angesichts der Si-
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Dr. Reinhard Brandl
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cherheitslage – auch zum Schutz der Zivilbevölkerung –unerlässlich ist. Deutschland stellt von den insgesamtrund 7 000 Soldaten gerade einmal 16. Es handelt sichdabei um gut ausgebildete, hochprofessionelle Berufs-soldaten mit hohen Dienstgraden, deren Aufgabe im We-sentlichen darin besteht, Soldaten mit hohen Dienstgra-den in der südsudanesischen Armee zu beraten, ihnen zuhelfen, ihre Aufgaben zu erfüllen, und sie dabei zu unter-stützen, Strukturen aufzubauen, die Armee zahlenmäßigzu reduzieren und darauf zu achten, dass Menschen-rechte und Gesetze innerhalb der Armee eingehaltenwerden. UNMISS hat bei vielen negativen Vorfällen aufAufklärung gedrängt. Wohlgemerkt, wir stimmen heutenur über den Einsatz von 16 Soldaten, also über einenkleinen Teil von UNMISS, ab.Unsere Strategie für den Südsudan und den Sudangeht viel weiter. Wir haben im letzten Jahr über einenzehnseitigen interfraktionellen Antrag abgestimmt, indem wir seitens des Parlaments unsere Südsudan- undSudanpolitik umfassend dargestellt haben. Ich wünschemir eines: dass wir dieser Region auch in dieser Legisla-turperiode im Parlament einen so hohen Stellenwert ein-räumen. Das Land und die Menschen dort haben es ver-dient.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Wir kommen nun zur Abstimmung über den Antrag
der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung be-
waffneter deutscher Streitkräfte an der von den Verein-
ten Nationen geführten Friedensmission im Südsudan.
Über den Antrag auf der Drucksache 18/71 stimmen wir
namentlich ab. Ich bitte alle Kolleginnen und Kollegen,
insbesondere die langjährigen Kolleginnen und Kolle-
gen, darauf zu achten, dass Sie die aktuellen Stimmkar-
ten, also die der 18. Legislaturperiode, verwenden und
dass diese Stimmkarten Ihren Namen tragen.
Können mir bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer an den Urnen ein Signal geben, ob jeweils zwei
Schriftführerinnen und Schriftführer vorhanden sind? –
Das scheint der Fall zu sein. Dann eröffne ich hiermit die
Abstimmung.1)
Gibt es noch Kolleginnen und Kollegen, die im Saal
anwesend sind, aber ihre Stimmkarte nicht abgegeben
haben? – Nachdem die letzte Kollegin gerade ihre
Stimmkarte abgegeben hat, schließe ich hiermit die Ab-
stimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schrift-
führer, mit der Auszählung zu beginnen. Wir geben das
Ergebnis der Abstimmung im Laufe des nächsten Tages-
ordnungspunktes bekannt.2)
Ich möchte Sie bitten, wieder Platz zu nehmen, damit
wir in unserer Tagesordnung fortfahren können. – Ich
bitte noch einmal darum, wieder Platz zu nehmen. Wir
1) Erklärung zur Abstimmung nach § 31 GO BT siehe Anlage 2
2) Ergebnis Seite 90 D
hatten uns gerade darauf verständigt, dass die Beratun-
gen des Deutschen Bundestages in der Regel im Sitzen
stattfinden, während die Redner üblicherweise am Red-
nerpult stehen dürfen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 3 auf:
Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des
Gesetzes über Finanzhilfen des Bundes zum
Ausbau der Tagesbetreuung für Kinder und
zur Änderung des Kinderbetreuungsfinanzie-
rungsgesetzes
– Drucksache 18/69 –
Auch hier sind nach einer interfraktionellen Vereinba-
rung 38 Minuten für die Aussprache vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Also können wir so verfahren.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Dagmar Ziegler für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Der Kitaausbau in unserem Land ist in vollemGange. Hunderttausende von zusätzlichen Plätzen inKindertageseinrichtungen und in der Kindertagespflegehaben Länder, Gemeinden und Träger in den vergange-nen Jahren geschaffen.Ermöglicht wurde dies durch einen nationalen Kraft-akt und durch das Engagement des Bundes. Denn es warder Bund, der in der letzten Großen Koalition zum Krip-pengipfel eingeladen hatte, Bundesmittel zur Verfügunggestellt hat und mit dem Rechtsanspruch auf einen Kita-platz den Takt für den Ausbau von Bildung und Betreu-ung vorgab.
Wir müssen heute feststellen: Das Konzept ist aufge-gangen. Der Rechtsanspruch ist am 1. August 2013 inKraft getreten. Aber trotz all dieser Anstrengungen vonLändern, Kommunen und Trägern drohen Kitamitteljetzt zu verfallen; denn ein großer Teil dieser Mittel kannnicht mehr fristgerecht abgerufen werden, was ganz ver-schiedene Gründe hat: Es gibt den Bankrott von Bauun-ternehmen, es gibt Planungsunsicherheiten; auch dieFlutkatastrophe im Mai und Juni hat einiges dazu beige-tragen.Das Land Nordrhein-Westfalen hat die Initiative er-griffen, einen Gesetzesantrag zur Verlängerung der Fris-ten entwickelt und in den Bundesrat eingebracht. DieserGesetzesantrag hat dort eine große Mehrheit erhalten.Der entsprechende Gesetzentwurf des Bundesrates liegtuns heute zur Abstimmung vor, und wir werben für dieZustimmung zu diesem Gesetzentwurf. Die Fristverlän-gerungen müssen vorgenommen werden.Das betrifft zum einen das Investitionsprogramm2008 bis 2013. Dabei geht es um die Verlängerung derAbrufungsfristen um ein Jahr. Den Ländern soll es er-möglicht werden, die Mittel nicht nur bis zum 31. De-zember dieses Jahres, sondern bis zum 31. Dezember
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Dagmar Ziegler
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2014 abzurufen. Es geht zum anderen um das Investi-tionsprogramm 2013/2014. Es wird die Verlängerungder Frist bis zum 30. Juni 2016 verlangt. Das begrüßenwir. Das Geld soll nicht verfallen. Es soll auch nicht zurHaushaltskonsolidierung beitragen. Die neuen Fristensind auch so geplant, dass der Druck nicht nachlässt, wasden Kitaausbau angeht, und dass die Verantwortlichen inLändern und Kommunen weiterhin konzentriert amKitaausbau arbeiten müssen.Der Ausbau ist noch lange nicht abgeschlossen; daswissen wir. Alle Expertinnen und Experten sind sich ei-nig, dass die Nachfrage nach Kitaplätzen weiter zuneh-men wird. Meine Fraktion wird deshalb dem Gesetzent-wurf des Bundesrates heute zustimmen, und ich werbeauch bei allen anderen Fraktionen um diese Zustim-mung.Ich weiß, dass uns allen der Kitaausbau am Herzenliegt. In der Tat ist der Kitaausbau die einzige familien-politische Leistung, der die Gesamtevaluation der ehe-und familienbezogenen Leistungen durchweg ein exzel-lentes Zeugnis ausstellt.
Der Kitaausbau ist wichtig für bessere Bildungschancenund Integration, er ist wichtig für Vereinbarkeit von Be-ruf und Familie sowie für Gleichstellung, und er ist einwirkungsvolles Mittel gegen Kinder- und Familien-armut. Ich betone ganz ausdrücklich: für Familien, dieeinen Betreuungsplatz in Anspruch nehmen wollen.Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten ha-ben deshalb mit CDU und CSU im Koalitionsvertragvereinbart, den Kitaausbau weiter zu befördern. Natür-lich steht das unter dem Vorbehalt, dass unsere Mitglie-der dem Koalitionsvertrag zustimmen. In dieser Legisla-turperiode soll die Verbesserung der Qualität von Kitasund Kindertagespflege ganz oben auf der Tagesordnungstehen. Wir wollen Fragen der Personalausstattung, derQualifikation und Weiterbildung der Fachkräfte sowieFragen des Fachkräfteangebots und der Sprachbildungregeln.Damit die Länder gemeinsam mit den Kommunenden weiteren Ausbau bewältigen können, wird der Bundden Ländern in dieser Legislaturperiode 6 MilliardenEuro für den weiteren Ausbau im Bereich Bildung zurVerfügung stellen. Dabei geht es um Verbesserungen beiKitas, Schulen und Hochschulen. Ich bin davon über-zeugt, dass die Fristverlängerungen kein Thema für einegrößere politische Auseinandersetzung hier im HohenHause sein können.Vielen Dank.
Für die Bundesregierung erteile ich der Bundesfami-lienministerin Kristina Schröder das Wort.
Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-lie, Senioren, Frauen und Jugend:Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen! In wenigen Wochen enden die Fristen zum Abruf derFinanzierungshilfen des Bundes aus dem ersten Investi-tionsprogramm „Kinderbetreuungsfinanzierung“. Nachwie vor sind nicht alle Mittel abgerufen, und die meistenLänder haben signalisiert, dass sie es nicht schaffen wer-den, die Mittel bis zum Ende der Fristen komplett abzu-rufen.Deshalb beraten wir heute einen Gesetzentwurf zurÄnderung des Kinderbetreuungsfinanzierungsgesetzes.Es geht darum, dass die vom Bund bereitgestellten Mit-tel aus beiden Investitionsprogrammen länger als bishervorgesehen für den Bau von Kitas zur Verfügung stehenund die Kommunen dadurch mehr Zeit bekommen, umdie vom Bund geförderten Kitas fertigzustellen. Ich bitteSie um Unterstützung für dieses Anliegen.
Sie wissen, dass ich in den letzten Jahren immer wie-der zu Konflikten mit den Ländern bereit war, um Druckzu machen, damit wir pünktlich zum 1. August diesesJahres den Rechtsanspruch auf einen Kitaplatz erfüllenkönnen. Dieser Druck war auch nötig; denn wir alle hat-ten die Sorge, ob es gelingen wird, den Rechtsanspruchzum 1. August zu erfüllen. In so mancher Rede wie auchin den Medien wurden sogar Katastrophenszenarien überdas Scheitern der Erfüllung des Rechtsanspruchs herauf-beschworen.Aber der Druck hat sich gelohnt, liebe Kolleginnenund Kollegen. Die befürchtete Klagewelle ist ausgeblie-ben. Eltern, die sich einen Kitaplatz oder einen Platz beieiner Tagesmutter für ihr Kind wünschen, bekommen inaller Regel einen Platz angeboten, auch wenn es nachwie vor Unterschiede von Kommune zu Kommune,manchmal sogar von Stadtteil zu Stadtteil gibt. Nachdem erfolgreichen Inkrafttreten des Rechtsanspruchssind wir jetzt in der glücklichen Lage, den Ländern hin-sichtlich der noch nicht abgerufenen Mittel etwas mehrSpielraum einzuräumen. Das ist im Sinne der Familien,die nicht irgendwo irgendwelche Betreuungsplätze brau-chen, sondern gute Betreuungsplätze in ihrer Nähe.In den letzten Jahren habe ich in Deutschland unzäh-lige Kitas besucht, um mir ein Bild zu machen. Natürlichhabe ich mitbekommen, welche Probleme es beim Aus-bau gibt. Zum Beispiel hat der Marburger Bürgermeister– er ist übrigens von den Grünen – mir berichtet, dass beiihnen eine tolle neue Kita gebaut wird, und zwar in mo-derner Bauweise mit sehr viel Holz, aber dass durch dielang anhaltenden Regenfälle im Sommer die Trock-nungszeit außergewöhnlich lange war, viel länger alseingeplant. Natürlich hätte man stur nach Zeitplan wei-termachen können, aber dann hätte die Gefahr bestan-den, dass man die Kita in zwei Jahren wieder dichtma-chen muss, um die Mängel zu beseitigen.Das ist noch einer der harmloseren Fälle. In anderenStädten hat die Flutkatastrophe dieses Sommers Bauvor-haben um viele Monate zurückgeworfen. Es musstenüber Wochen Wasserschäden beseitigt werden, bevor
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Bundesministerin Dr. Kristina Schröder
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überhaupt weitergebaut werden konnte. Ich finde, es isteine Selbstverständlichkeit, dass wir den Kommunen indieser Situation helfen und für die Länder die Fristen fürdie Abrufung der Mittel verlängern.
Meine Damen und Herren, der Bund hat die Länderund die Kommunen in den letzten Jahren mit allen verfüg-baren Kräften und Mitteln beim Ausbau der Kinderbe-treuung unterstützt. Wir geben insgesamt 5,4 MilliardenEuro für den Ausbau der Kinderbetreuung. Gemeinsammit der KfW haben wir ein zusätzliches Förderpro-gramm mit einem Kreditvolumen von 550 MillionenEuro aufgelegt, durch das bis heute 27 000 zusätzlicheKitaplätze entstanden sind. Wo es Ausbauhemmnissegab, haben wir geholfen, diese zu beseitigen, nämlichmit dem 10-Punkte-Programm, das ich im Mai 2012 vor-gelegt habe.Es war ja keine Selbstverständlichkeit, dass derRechtsanspruch, so wie er 2007 konzipiert wurde, amEnde auch funktionieren würde. Da gab es manchesnachzuarbeiten, zum Beispiel beim Controlling, zumBeispiel beim Nachweis, dass die Länder auch wirklicheigene Gelder in die Hand genommen haben. Auch dieVerpflichtung der Länder, regelmäßig und zeitnah überdie Zahl der neugeschaffenen Plätze Bericht zu erstatten,war 2007 nicht vorgesehen. Da mussten wir nacharbei-ten.Wir haben die Länder über Jahre mit so viel Geld undAufwand unterstützt wegen der hohen Bedeutung einesguten Kinderbetreuungsangebots: für die Vereinbarkeitvon Familie und Beruf, für die Zukunftsperspektivenvon Kindern gerade aus bildungsfernen Familien und fürdie Zukunftsfähigkeit unseres Landes. Genau aus diesenGründen werden wir jetzt die Kommunen bei ihren Um-setzungsproblemen nicht im Stich lassen.
Aber auch Bund und Länder dürfen sich nicht aufdem bisher Erreichten ausruhen. Ja, es ist unser großergemeinsamer Erfolg, dass die Zahl der Kitaplätze für un-ter Dreijährige auf 800 000 gestiegen ist. Ja, es ist unsergemeinsamer Erfolg, dass es einen Rechtsanspruch gibt,auf den Eltern seit dem 1. August zählen können. Das al-les ist ein großer Erfolg für die Vereinbarkeit von Berufund Familie und für berufliche Chancen von Eltern, ins-besondere von Frauen.Bei allen Anstrengungen für den Kitaausbau dürfenwir unseren wichtigsten Maßstab aber nicht aus den Au-gen verlieren: das Wohlergehen der Kinder. Für dasWohlergehen der Kinder, die in Kitas betreut werden,zählt nur eines, nämlich die Qualität. Dafür braucht esGeld. Der Bund unterstützt die Länder und Kommunenbei der Verbesserung der Qualität mit rund 3 MilliardenEuro. Ab 2015 werden es jährlich 845 Millionen Eurosein.Außerdem braucht es gut qualifizierte Erzieherinnenund Erzieher, die dafür auch angemessen bezahlt wer-den. Natürlich hat der Bund da immer leicht reden; denndas ist Aufgabe der Kommunen. Wir können aber mitgutem Beispiel vorangehen, beispielsweise mit unserenBundesprogrammen. Bei der „Offensive Frühe Chan-cen“ bezahlen wir die Fachkräfte deutlich besser, um zuzeigen, welchen Wert diese Arbeit hat und welche ange-messene Bezahlung sie verdient.
Nicht zuletzt braucht es in ganz Deutschland gleich-wertige Qualitätsstandards. Mit dem Rechtsgutachten,das ich in diesem Zusammenhang auf den Weg gebrachthabe, haben wir bereits in diese Richtung vorgearbeitet.In jedem Fall wird die Frage der Qualität der Kinderbe-treuung in den nächsten Jahren im Mittelpunkt stehen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, diese entsprechen-den Maßnahmen umzusetzen, wird nicht mehr in meinerVerantwortung liegen. Diese Rede heute ist voraussicht-lich meine letzte Rede als Bundesfamilienministerin imDeutschen Bundestag. Rückblickend kann ich sagen:Die vielleicht größte Herausforderung dieses Amtes be-stand darin, sicherzustellen, dass Familienpolitik keineabgeleitete Arbeitsmarktpolitik ist, sondern dass es da-rauf ankommt, Familienpolitik an den Bedürfnissen undWünschen von Familien und nicht an den Erfordernissendes Arbeitsmarktes zu orientieren.
Dabei wünsche ich meiner Nachfolgerin oder meinemNachfolger eine glückliche Hand.
Ich möchte Ihnen das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichenAbstimmung über den Antrag der Bundesregierung zurFortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscherStreitkräfte an der Friedensmission im Südsudan mittei-len: abgegebene Stimmen 603. Mit Ja haben gestimmt541, mit Nein haben gestimmt 60. Zwei Kolleginnenoder Kollegen haben sich der Stimme enthalten. Damitist der Antrag angenommen, und damit hat der Bundes-tag seine Zustimmung zur Fortsetzung dieser Mission er-teilt.
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 602;davonja: 540nein: 60enthalten: 2JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. Andre BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannKlaus BrähmigMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserDr. Michael FuchsHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Peter GauweilerDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufJosef GöppelUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannMonika GrüttersDr. Herlind GundelachFritz GüntzlerChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Stefan HeckDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr. Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr. Franz Josef JungXaver JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumDr. Günter KringsRüdiger KruseDr. Roy KühneGünter LachUwe LagoskyAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallHans-Georg von der MarwitzAndreas MattfeldtReiner MeierDr. Michael MeisterDr. Angela MerkelJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringMarlene MortlerElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaEckhard PolsKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Ole SchröderDr. Kristina Schröder
Bernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino SorgeJens SpahnCarola StaucheDr. Frank SteffelDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax Straubinger
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Präsident Dr. Norbert Lammert
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Matthäus StreblKarin StrenzThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagSigmar GabrielMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseMichael GroßUli GrötschBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichMarcus HeldWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr. Eva HöglMatthias IlgenChristina JantzReinhold JostFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareDr. Bärbel KoflerDaniela Kolbe
Birgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerChristine LambrechtChristian Lange
Dr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastHilde MattheisDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingDr. Rolf MützenichAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Aydan ÖzoğuzMarkus PaschkeJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichBernd RützelJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne Schieder
Udo SchiefnerUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Carsten Schneider
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsFranz ThönnesWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitDirk VöpelUte VogtGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBrigitte ZypriesBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerStephan Kühn
Christian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan Mutlu
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 93
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Dr. Konstantin von NotzFriedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinJulia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. Andre HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJan KorteJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringNiema MovassatDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergKatrin WernerBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelSabine Zimmermann
Pia ZimmermannEnthaltenSPDDr. Ute Finckh-KrämerPetra Hinz
Ich erteile das Wort nun der Kollegin Diana Golze fürdie Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Alles hat sein Gutes, sogar lang an-dauernde Koalitionsverhandlungen. Auch wenn sie denNachteil haben, dass das Parlament, um es einmal diplo-matisch auszudrücken, nur sporadisch arbeiten darf, sohaben sie doch den Vorteil, dass eine geschäftsführendeMinisterin heute zu einem Thema Rede und Antwort ste-hen muss, bei dem es um die Fehler geht, die in der Ver-gangenheit beim Kitaausbau gemacht wurden.Die Fehler, die durch den Gesetzentwurf des Bundes-rates nun zum Teil ausgebügelt werden sollen, liegenhauptsächlich bei den beiden jüngsten Bundesregierun-gen. Die Fristverschiebung bezüglich der Finanzhilfendes Bundes ist natürlich der Kern dieses Gesetzentwur-fes. Diese Fristverschiebung ist vor allem für die Kom-munen wichtig, damit die Mittel länger abrufbar bleibenund die Bauvorhaben zu Ende geführt werden können.Doch geht es bei diesem Thema um mehr als nur umdiese Fristverschiebung. Es geht vielmehr um die Dar-stellung einer Politik des Ignorierens, des Wegduckensund des Herausstehlens aus der Verantwortung des Bun-des.
Schließlich war es der Bund, der es 2008 bei der Ein-richtung des Sondervermögens zum Kitaausbau ver-säumt hat, verbindliche Berichtspflichten über die Ver-wendung der Mittel in die Vereinbarung aufzunehmen.Nun wird dies als Hauptgrund für die noch fehlenden Ki-taplätze genannt. Fakt ist: Der Bund hat nicht nur dieseKontrollpflicht viel zu lange nicht wahrgenommen, son-dern hat sich auch aus der Verantwortung gegenüber denKommunen gestohlen, die für die Kitabauten in der Tatin Vorleistung getreten sind und dann den Rückzahlun-gen der Mittel teilweise über Jahre hinweg hinterherlau-fen mussten.Es war ebenfalls der Bund, der den Betreuungsbedarfquasi freihändig bei 35 Prozent festgeschrieben hat. Manging also davon aus, dass nur gut ein Drittel der Elterneinen vorhandenen Kitaplatz für ihre Kinder auch tat-sächlich in Anspruch nehmen würde. Aber schon damalsgab es Erhebungen, die davon ausgingen – sie warenauch glaubwürdig –, dass der Bedarf wesentlich höherliegen wird.Es war ebenfalls der Bund, der den Widerspruch zwi-schen diesem festgeschriebenen Ausbauziel und dem be-schlossenen Rechtsanspruch völlig ignoriert hat. Dennwenn man einen festgeschriebenen Rechtsanspruch hat,kann ein Ausbauziel doch nur eine Orientierung sein.Aber nein, über Jahre hinweg haben die beiden Ministe-rinnen, die dafür zuständig waren, dieses Ausbauziel wieein Naturgesetz vor sich hergetragen und waren nicht be-reit und willens, hier nachzusteuern und zusätzlichesGeld zu investieren. All dies kam zu spät. Auch das Aus-bauziel ist nur minimal auf 38 Prozent korrigiert worden.Fatal ist dabei: Es sind die Länder und vor allem dieKommunen, die mit den Folgen alleingelassen wurden.Ebenfalls alleingelassen wurden die Handelnden vorOrt im Hinblick auf den Mangel an Fachkräften. DassSie uns Linken nicht zugehört haben, mag die Macht derGewohnheit sein. Aber auch die zuständige Gewerk-
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Diana Golze
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schaft Erziehung und Wissenschaft hat wieder und wie-der gesagt: Wir brauchen zusätzliches Personal; es mussinvestiert werden. Bund, Länder und Kommunen müs-sen gemeinsam die Verantwortung für die Fachkräfte tra-gen. – Angesichts dessen frage ich mich: Warum ist die-ser Ruf ignoriert worden?Frau geschäftsführende Ministerin Schröder, Sie sa-gen, dass über das Bundesprogramm „Offensive FrüheChancen“ die Fachkräfte besser bezahlt werden. Sie dür-fen aber nicht verschweigen, dass es sich dabei nur umhalbe Stellen handelt, die von den Kommunen mit Stun-den aufgestockt werden müssen, damit die betroffenenMenschen überhaupt davon leben können. Es nütztnichts, wenn man halbe Stellen gut finanziert. Denn eshandelt sich hier in erster Linie um Frauen, die ihre Fa-milien ernähren müssen und die von halben Stellen nichtleben können.
Die Liste der Versäumnisse seitens des Bundes istlang. Die fehlende Debatte um Qualität war auch demUmstand geschuldet, dass im Bundesgesetz keine Min-deststandards festgeschrieben worden sind. Die nach wievor vorhandene Ungleichheit zwischen Kitas und Kin-dertagespflege hat ihre Ursachen auch darin, dass mannicht über bessere Arbeitsbedingungen und Verdienst-möglichkeiten reden wollte. Dann darf man sich nichtdarüber wundern, dass es nach wie vor nicht genügendTagespflegepersonen gibt.Nun schlägt der Bundesrat ein weiteres Mal die Kor-rektur eines Gesetzes der letzten Bundesregierung vor,das den Realitätstest nicht bestanden hat. Ich fürchte, daswird in Zukunft öfter der Fall sein. Ich fürchte es auchdeshalb, weil ich mir angeschaut habe, was alles in derNacht der langen Messer aus dem Entwurf des Koali-tionsvertrages gestrichen worden ist.
Die Kinder sind die Opfer dieser Nacht gewesen. Die an-gedachten Verbesserungen beim BAföG, das Ganztags-schulprogramm, das Qualitätsgesetz für Kitas, das ThemaKinderarmut, all das kommt nicht mit einem Wort vor.Kindergeld und Kinderzuschlag werden nicht erwähnt.Es gibt keine Verbesserungen beim Bildungs- und Teil-habepaket, keine Einbeziehung der Leistungen für Kin-der mit Behinderungen in die Jugendhilfe. Diese Listeließe sich fortsetzen. Hier ist noch einiges zu tun, vor al-lem für die Opposition.Vielen Dank.
Caren Marks hat nun das Wort für die SPD-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenKolleginnen und Kollegen! Meine sehr geehrten Damenund Herren! Lassen Sie mich noch einmal kurz in Erin-nerung rufen: Im Dezember des Jahres 2008 hat dieletzte Große Koalition ein wirklich wichtiges Gesetz füreine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, fürmehr Chancengleichheit und für eine bessere frühkindli-che Bildung und Betreuung auf den Weg gebracht: dasKinderförderungsgesetz, vielen unter KiföG bekannt.
In diesem Gesetz ist auch der Rechtsanspruch veran-kert, dass Eltern für ihre Kinder ab dem vollendeten ers-ten Lebensjahr einen Anspruch auf einen Bildungs- undBetreuungsplatz in einer Krippe oder bei einer Tages-pflegeperson haben. Wir alle wissen: Das war ein großerSchritt; denn wir hatten, was diesen Punkt angeht, imVergleich zu den meisten europäischen Nachbarländerneinen riesigen Nachholbedarf. Es war auch eine großeKraftanstrengung. Seit dem 1. August dieses Jahres giltdieser Rechtsanspruch, und zwar ohne Wenn und Aber.Das ist wirklich gut, richtig und notwendig.
Der Bund hat einige Milliarden Euro in die Hand ge-nommen, sowohl für die Investitionskosten, also bauli-che Maßnahmen, als auch – das will ich in diesemZusammenhang noch einmal erwähnen – für die Be-triebskosten, hinter denen sich in erster Linie die Perso-nalkosten verbergen. Das heißt, hinter der Höhe der Be-triebskosten verbirgt sich die Qualität.Die Mittel aus beiden Investitionsprogrammen sindüberwiegend bewilligt und abgeflossen. Ich denke, essollte unser gemeinsames Ziel sein, dass diese zum Auf-bau einer besseren frühkindlichen Bildung und Betreu-ung, für mehr Chancengerechtigkeit und für eine bessereVereinbarkeit von Familie und Beruf verabredeten Mittelauch weiterhin diesem Zweck zugutekommen und nichtirgendeiner Frist anheimfallen.
Darum begrüßen wir als SPD-Bundestagsfraktionausdrücklich die Bundesratsinitiative bezüglich derFristverlängerung. Es wurden schon einige gut nachvoll-ziehbare Gründe genannt, warum es zu Verzögerungenbeim Mittelabruf kam. Es ist gut, wenn wir heute imDeutschen Bundestag dafür Sorge tragen, dass die erfor-derliche Verlängerung ermöglicht wird. Zu Recht hat derBundesrat – auch das will ich an dieser Stelle noch ein-mal deutlich betonen – auf die Eilbedürftigkeit diesesGesetzentwurfes hingewiesen. Wir finden es nicht nurgut, sondern auch notwendig, dass dieser Gesetzentwurf,der von uns heute im Bundestag verabschiedet wird, dienoch im November stattfindende Bundesratssitzung er-reicht und somit auf einen guten Weg gebracht werdenkann, auf einen guten Weg im Sinne der Kinder und derEltern in unserem Land.Ich möchte an dieser Stelle ausdrücklich einen riesen-großen Dank an die Länder und an die Kommunen rich-ten; denn es war eine gemeinsame, große Kraftanstren-
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Caren Marks
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gung von Bund, Ländern und Kommunen. Wenn auchnoch nicht alles perfekt ist: Beim Thema „frühkindlicheBildung und Betreuung“ ist doch vieles gelungen. Dashat auch etwas mit dem großen Engagement von Lan-despolitikerinnen und -politikern und Kommunalpoliti-kerinnen und -politikern zu tun. Herzlichen Dank dafür!
Bedanken möchte ich mich aber auch bei den vielenengagierten Erzieherinnen und Erziehern und Tages-pflegepersonen. Ich finde, auch ihre Leistung kann beidiesem Tagesordnungspunkt in diesem Hohen Haus ge-würdigt werden; denn auch sie haben eine große Kraft-anstrengung unternommen.
Wir haben noch einiges vor uns, nicht nur was denAusbau angeht, sondern vor allem auch was die Quali-tätsoffensive angeht. Für diese Legislaturperiode habenwir uns gemeinsam mit den Ländern und Kommunenviel vorgenommen. Der Bund wird seiner Pflicht gerechtund nimmt 6 Milliarden Euro für eine Qualitätsoffensivein Kitas, Schulen und Hochschulen in die Hand. Ichdenke, das ist das richtige Signal für die Familien unddie Kinder in unserem Land und auch das richtige Unter-stützungssignal für die Länder und Kommunen. Herzli-chen Dank dafür!
Das Wort erhält nun die Kollegin Katja Dörner, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Mit dem heute vorliegenden Gesetzent-wurf werden Fristen verlängert, damit die Kommunendie Mittel aus dem Bundesprogramm für den U-3-Aus-bau vollständig abrufen können. Damit werden schwarz-gelbe Fehler der Vergangenheit korrigiert. Wir Grünewollen den zügigen Kitaausbau, und deshalb ist es füruns selbstverständlich, dass wir diesem Gesetzentwurfzustimmen werden.
Genügend Kitaplätze, Ganztagsbetreuungsplätze undnicht zuletzt eine gute Qualität der Angebote in den Ki-tas – eine moderne Gesellschaft muss genau das leisten.Das in Deutschland hinzubekommen, ist weiterhin eineZukunftsaufgabe, und das ganz klar auch für den Bund.Gute Kitas, in die Eltern ihre Kinder gerne geben – dafürleisten die Erzieherinnen und Erzieher in Deutschlandschon heute Großartiges. Aber wir sind eben bestenfallsauf halbem Wege. Wir entsprechen den Wünschen undden Bedürfnissen der Eltern noch lange nicht. BessereKitas stehen ganz oben auf der Wunschliste der Eltern,und da ist der Bund in der Pflicht.
Ein Blick in den Koalitionsvertrag verrät: Vor diesemgroßen Handlungsbedarf verschließt die Große Koalitionin spe komplett die Augen. Das nenne ich Arbeitsver-weigerung, liebe Kolleginnen und Kollegen von Unionund SPD. Wenn man sich den Koalitionsvertrag der ab-sehbaren Großen Koalition anschaut, dann sieht man:Eventuell, aber auch nur eventuell, soll es zusätzlicheMittel für Investitionen in U-3-Plätze geben, nämlichnur dann, wenn der Bedarf weiter steigt. Ich möchte andieser Stelle darauf hinweisen: Schon heute liegt der Be-darf weit über dem, was der Bund anteilig mitfinanziert.Zum Ausbau der Ganztagsbetreuung finden wir im Ver-trag kein einziges Wort. Ich möchte darauf hinweisen,dass der Ausbau der Ganztagsbetreuung ein ganz großesVersprechen der SPD im Wahlkampf war.Richtig wundert man sich, wenn man sich den Passuszu den Qualitätsstandards auf Bundesebene anschaut;alle Vorrednerinnen haben schon darauf Bezug genom-men. Diese Passage im Vertrag ist ein reines Placebo,weil mehr Qualität in den Kitas nicht zum Nulltarif zuhaben ist.
Geld für die Erfüllung der Qualitätsstandards soll es abernicht geben. Ob die schönen Worte zur Qualität in denKitas also einfach nur Lyrik bleiben oder die Kostendann einfach zu den Ländern und Kommunen verscho-ben werden, bleibt abzuwarten. Ich finde das völlig inak-zeptabel, liebe Kolleginnen und Kollegen; es ist ein Ar-mutszeugnis für die drei Parteien, die im Wahlkampfbeim Thema Kitaausbau den Hafen ganz schön weit auf-gerissen haben.
Man muss auch die Sorge haben – auch daraufmöchte ich hinweisen –, dass selbst das gute und wich-tige Sprachbildungsprogramm offensichtlich abgewi-ckelt werden soll. Anders als bei anderen vergleichbarenProgrammen des Familienministeriums fehlt nämlich imKoalitionsvertrag die klare Aussage, dass es fortgesetztwird, und es fehlt die konkrete Finanzierungszusageüber 2014 hinaus. Ich finde, das ist ein echtes Drama,liebe Kolleginnen und Kollegen. Jeder weiß, wie wichtiggute Sprachbildung ist. Dass das Programm „OffensiveFrühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas Sprache & Integra-tion“ en passant versenkt wird, macht mich richtig sauer.
Klar ist: Die Große Koalition hat offensichtlich nichtvor, in die Zukunft zu investieren. Es ist mehr als mick-rig, was Union und SPD für Kitas tun wollen. Im Koali-tionsvertrag steht kein Wort zur besseren materiellenAbsicherung von Familien und zur Bekämpfung vonKinderarmut, zudem gibt es im Hinblick auf die Kitasbestenfalls Placebos. Das ist völlig inakzeptabel, liebeKolleginnen und Kollegen. Da kritisiert der Familien-bund der Katholiken völlig zu Recht, dass die neue Bun-
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96 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Katja Dörner
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desregierung „mit einem Wortbruch in die neue Legisla-turperiode“ startet.
Das sind zwar harte Worte, liebe Kolleginnen und Kolle-gen,
aber ich finde, sie sind durchaus richtig gewählt.
Für die Kitas kommt wenig. Was bleibt? Das Betreu-ungsgeld. Es kostet bekanntlich 2 Milliarden Euro, diefür den Kitaausbau weiterhin fehlen werden. ManuelaSchwesig hat das Betreuungsgeld unlängst als „Irrsinn“bezeichnet. Wir müssen feststellen: Mit diesem Irrsinnsoll es offensichtlich weitergehen. Ich denke, dass dieFamilien in diesem Land wissen, bei wem sie sich dafürbedanken können.
Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, wir stimmenheute den Fristverlängerungen zu. Ich hoffe, die Kinderund Familien in Deutschland haben nicht das Pech, dassdie Miniänderungen von heute dank der Großen Koali-tion das Einzige bleiben, was in dieser Legislaturperiodebeim Kitaausbau passiert.Vielen Dank.
Letzte Rednerin zu diesem Tagesordnungspunkt ist
die Kollegin Dorothee Bär für die CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Meine Vorred-nerinnen haben ja bereits eingehend und detailliert dar-gelegt, wie sinnvoll der vorliegende Gesetzentwurf zurangestrebten Verlängerung der Fristen ist. Deswegenwerde ich das alles jetzt nicht wiederholen. Aber ichmöchte dennoch auf zwei meiner Vorrednerinnen einge-hen; denn manchmal fragt man sich schon: In welchemLand leben Sie eigentlich?Frau Golze, ich war immer der Meinung, man müssein Deutschland leben, um hier ein Mandat erringen zukönnen. Aber offensichtlich haben Sie von Deutschlandüberhaupt keine Ahnung. Bei Ihrer Rede hatte ich denEindruck, Sie sprechen von einem anderen Land, abernicht von den Realitäten in unserem Land, für das wir ei-gentlich zuständig sind. Sie leiden völlig an Realitätsver-lust.
Das war wirklich so was von unsäglich, das hat mit un-serer Lebensrealität null Komma null zu tun. Also: Will-kommen in Deutschland! Wenn Sie Politik für die Bür-gerinnen und Bürger machen wollen, dann sollten Siesich auch mal die Situation vor Ort anschauen.
– Nein, das glaube ich nicht. Wie man heute bei denGrünen mitbekommen hat, ist Wahlkreisarbeit offen-sichtlich nicht wichtig. Möglicherweise liegt das daran,dass sie keine Wahlkreise vertreten; aber das ist ein an-deres Thema.Frau Dörner, ich bin froh, dass die Menschen inDeutschland wissen, bei wem sie sich für das Betreu-ungsgeld zu bedanken haben; in diesem Punkt gebe ichIhnen völlig recht. Ich lade Sie gerne in mein Büro ein;dann kann ich Ihnen die meterlange Reihe von Ordnernzeigen, die Dankeszuschriften von Eltern enthalten.
Ich bin froh, dass das Betreuungsgeld bleibt; denn damitkönnen wir viel Gutes in unserem Land tun.
Lassen Sie mich meinen Blick darauf lenken, was derBund in den letzten Jahren getan hat. Wir haben in denletzten Jahren wirklich viel für den Ausbau der Betreu-ung getan. Die Rednerinnen der SPD haben es angespro-chen: Schon in der letzten Großen Koalition haben wirdafür gesorgt, dass der Ausbau von Kitaplätzen vorange-trieben wird. Damals haben wir auch den Rechts-anspruch durchgesetzt. Außerdem haben wir – oh Wun-der – seit dem 1. August nicht das Horrorszenario erlebt,das von den Linken und den Grünen die ganze Zeit be-schrieben wurde, dass nämlich die Zahl der Betreuungs-plätze nicht ausreicht und wir von einer Klagewelleüberrollt werden. Sie alle haben hier in den letzten Jah-ren in ihren Reden Schreckensszenarien verbreitet; daswar teilweise wirklich Wahnsinn. Wir haben nicht nureinen großartigen Endspurt hingelegt, sondern auch füreine flächendeckende Versorgung gesorgt, mit der voreinigen Jahren noch keiner rechnen konnte.
Spannend ist natürlich auch, dass die große Klage-welle ausgeblieben ist. Die Ministerin hat heute einengrünen Bürgermeister zitiert. Ich habe an dieser Stelle inden letzten Jahren viele SPD-Bürgermeister und -Ober-bürgermeister zitiert, die gesagt haben: Für uns ist daskein Problem. Unsere Kommunalpolitiker haben immerVerantwortung übernommen und wissen es zu schätzen,dass sich der Bund finanziell reingehängt hat, ohne dieoriginäre Zuständigkeit zu haben. – Mein Fraktionsvor-sitzender Volker Kauder hat mehrfach betont – nicht nurbei uns in der Fraktion, sondern auch hier im Plenum –,dass auch einmal anerkannt werden muss, dass derBund, weil er wusste, dass es die Länder und die Kom-munen nicht alleine schaffen, seiner Verantwortung ge-recht wird. Das hat er auch getan.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 97
Dorothee Bär
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Was sagt der Deutsche Städte- und Gemeindebunddazu? Bundesweit gab es noch nicht einmal 50 Klagen.Bei Engpässen konnten in vielen Fällen einvernehmlicheLösungen erzielt werden. Sogar SPD-Oberbürgermeisterhaben zu mir gesagt: Frau Bär, das ist kein Thema, dannschaffen wir eben noch zusätzliche Plätze oder sorgenfür Lösungen mit Tagesmüttern. Wir vor Ort sind flexi-bel genug, und wir kennen die Bedürfnisse unsererStädte und Gemeinden natürlich wesentlich besser, alsdas bei einer übergeordneten Stelle der Fall ist. Deswe-gen schaffen wir es auch, uns darum zu kümmern.Sogar in München, wo es im Vergleich zum Rest vonBayern mit der Kinderbetreuung immer noch etwasschwierig ist, wurden bislang maximal zehn Klagen ein-gereicht, zum Beispiel, weil die Eltern mit dem von derStadt vorgeschlagenen Krippenplatz nicht einverstandensind, weil die Entfernung zu groß ist.Der Ausbau der U-3-Plätze ist ein Riesenerfolg. Des-wegen kann ich an dieser Stelle einerseits sagen: Wir ha-ben unsere Hausaufgaben gemacht. Andererseits möchteich mich bei den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern vorOrt ganz herzlich bedanken. Hier gibt es sehr engagierteKräfte. Daher möchte ich allen denen, die in Kindergär-ten und in Kinderkrippen arbeiten, ein ganz herzlichesDankeschön und ein Vergelt’s Gott sagen. Jeder berufs-tätige Elternteil weiß, dass man ohne das Wissen, dassdie Kinder gut versorgt sind, dass sie gut betreut sind,dass sie gefördert und gefordert werden, seine Arbeitnicht gut verrichten könnte. Deshalb auch von meinerSeite ein ganz herzliches Dankeschön!
Natürlich wissen wir, dass der Ausbau noch nicht ab-geschlossen ist. Jedes Mal, wenn ein Rechtsanspruch inKraft tritt, erhöht sich der Bedarf. Das ist völlig klar; dassagt auch das Deutsche Jugendinstitut. Wir wissen auch,dass wir die Qualität noch weiter verbessern müssen. ImKoalitionsvertrag, der offensichtlich weder von den Lin-ken noch von den Grünen ordentlich gelesen wurde, ha-ben wir vereinbart, dass der Bund zur weiteren Realisie-rung des Rechtsanspruchs im Bereich U 3 ein drittesInvestitionsprogramm auflegen wird. Darüber hinausunterstützt der Bund die Länder – das ist bereits fest ver-einbart – jährlich mit 845 Millionen Euro bei der Finan-zierung der Betriebskosten, wozu auch die besonderswichtigen Personalkosten zählen. Das ist eine großeSumme, die die Länder auch in den nächsten Jahren er-halten werden.Wir haben noch andere Maßnahmen eingeleitet – icherwähne sie, damit deutlich wird, dass es nicht nur umden Ausbau und um das Personal geht –: Die Bundesre-gierung hat eine Arbeitsgruppe zum Thema Fachkräfte-gewinnung etabliert. Wir haben das AktionsprogrammKindertagespflege. Wir haben Lohnkostenzuschüsse.Wir haben ein Serviceprogramm „Anschwung für früheChancen“. Wir haben ein Bundesprogramm „LernortPraxis“. Wir haben die Initiative „Mehr Männer in Ki-tas“; dies ist ein wichtiger Baustein, um immer mehrMänner für die herausfordernden Berufe im Bereich derfrühkindlichen Erziehung und Bildung zu begeistern.Wir haben selbstverständlich auch die „Offensive FrüheChancen“, über die bis 2014 400 Millionen Euro zurVerfügung gestellt werden, um 4 000 Kitas in Deutsch-land zu Kitas mit dem Schwerpunkt Sprache und Inte-gration weiterzuentwickeln.Das ist nur ein kleiner Teil der Maßnahmen undInitiativen. Man könnte noch hundert andere Maßnah-men und Initiativen aufzählen, die zeigen, dass wir unsdie Förderung der Kinder in unserem Land ganz groß aufdie Fahnen geschrieben haben; denn sie sind uns amwichtigsten. Sie werden in dieser Legislaturperiode fest-stellen können, dass wir auf diesen Bereich einenSchwerpunkt legen werden.Ich sage aber auch Folgendes: Wir haben schon sehrviel für die unter Dreijährigen getan. Mir ist es wichtig,dass wir, wenn wir in dieser Legislaturperiode über dasThema Familie reden, über eine ganzheitliche Familien-politik reden. Dabei geht es nicht nur um U 3, auch nichtnur um Ü 3, sondern es geht um das ganze Leben, vonder Geburt bis zum letzten Lebensabschnitt. Zeitgleichleben vier Generationen. Das ist die Regel und nicht dieAusnahme. Das heißt, wir müssen uns auch um die dreianderen Generationen kümmern. Ich nenne in diesemZusammenhang nur das Stichwort „Pflege“. Wir habenalso viel zu tun.Ich freue mich riesig auf diese Legislaturperiode. Ichglaube, dies war meine erste Rede zur Familienpolitik inden letzten vier Jahren, in der Frau Marks keinen Zwi-schenruf gemacht hat. Das ist der Beginn einer wunder-baren Freundschaft.Danke schön.
Ich schließe die Aussprache.Hier werden noch viele wunderbare und überra-schende Freundschaften entstehen
und einzelne vielleicht auch zerbrechen. Das wollen wirin Ruhe der weiteren Entwicklung der Legislaturperiodeüberlassen.Wir kommen nun noch nicht sofort zur Abstimmung.Ich mache Sie darauf aufmerksam, dass die Fraktionender CDU/CSU, der SPD und der Linken fristgerecht be-antragt haben, gemäß § 80 Abs. 2 unserer Geschäftsord-nung ohne Ausschussüberweisung in die zweite Bera-tung einzutreten. Die zweite und dritte Beratung sollheute Nachmittag nach dem Tagesordnungspunkt 8 auf-gerufen werden. In der Zwischenzeit könnte der Haupt-ausschuss, den wir heute Nachmittag konstituieren, alsHaushaltsausschuss Gelegenheit zur Prüfung der Vor-lage gemäß § 96 Abs. 4 der Geschäftsordnung haben.
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98 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Präsident Dr. Norbert Lammert
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Das ist die Regelung, die sicherstellen soll, dass bei Ge-setzgebungsvorhaben vorher geprüft wird, ob dafürüberhaupt die haushaltsrechtlichen Voraussetzungen be-stehen.Zu diesem Antrag hat die Kollegin Haßelmann zurGeschäftsordnung das Wort gewünscht, das ich ihr hier-mit erteile.
Vielen herzlichen Dank, Herr Präsident! – Vielen
Dank auch für die kleinen Kommentierungen gleich am
Anfang.
Ich habe das Wort gewünscht, weil das, was Sie hier
vorführen, ein kleines Stück aus Absurdistan ist.
Das sage ich, ehrlich gesagt, auch in Richtung der Links-
fraktion. Ich bin überrascht, dass Sie diesen Antrag mit
eingebracht haben.
Um das einmal vorweg zu sagen: Ich bin dafür, und
unsere Fraktion ist dezidiert dafür – das haben wir in al-
len Gesprächen mit den Fraktionen deutlich gemacht –,
dass dieser Gesetzentwurf und auch der Gesetzentwurf,
über den wir nachher beraten, der Entwurf eines AIFM-
Steuer-Anpassungsgesetzes – beides sind Initiativen aus
dem Bundesrat –, noch in diesem Jahr verabschiedet
werden.
Die Länder legen ganz großen Wert darauf, dass das pas-
siert. Ich finde es richtig, diesem Wunsch zu entspre-
chen.
Wenn Sie aber einen Hauptausschuss einrichten, was
Sie heute mit Mehrheit von Union und SPD gemacht ha-
ben, dann ist es fragwürdig, wenn Sie nicht sagen: Diese
beiden Gesetzesinitiativen, die noch dieses Jahr verab-
schiedet werden müssen – das wollen auch wir –, kom-
men jetzt in diesen Hauptausschuss, und dort findet ein
gemäß der Geschäftsordnung ordentliches Beratungsver-
fahren statt. Das, Frau Kipping, ist nicht so.
Der Präsident hat darauf hingewiesen, dass der Haupt-
ausschuss die Vorlage heute nur als Haushaltsausschuss
gemäß § 96 der Geschäftsordnung prüfen wird. Das
heißt, Berichterstattung dazu ist in diesem Sinne so nicht
möglich.
Wir hatten uns in einer PGF-Runde schon darauf ver-
ständigt – ihr erinnert euch sicher, Sie erinnern sich si-
cher –, diese beiden Gesetzentwürfe in der Woche vom
16. Dezember bis zum 19. Dezember 2013 im Bundes-
tagsplenum in zweiter und dritter Lesung zu verabschie-
den, damit sie dann in den Bundesrat können. Das alles
wurde durch diesen Antrag über den Haufen geworfen.
Aus meiner Sicht gibt es keine sachliche Begründung
dafür, dass wir heute sozusagen nur die Begleitung durch
den Haushaltsausschuss vorsehen und nicht eine Bera-
tung im Hauptausschuss. Ich weiß, dass es für viele der
Zuhörerinnen und Zuhörer schwierig ist, dies alles nach-
zuvollziehen. Das Verfahren ist so, dass wir heute die
zweite und dritte Beratung direkt machen, obwohl wir
den Hauptausschuss eingesetzt haben. Das ist absolut
kritikwürdig, da wir die Gesetzentwürfe auch nach einer
Beratung noch in diesem Jahr verabschieden können.
Vielen Dank.
Thomas Oppermann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKollegin Haßelmann, bei diesem Gesetzentwurf geht esausschließlich darum, zu verhindern, dass die für dieLänder und Kommunen vorgesehenen Kitamittel amJahresende verfallen. Wir wollen erreichen, dass sieauch im nächsten Jahr verwendet werden können. Dasist das Einzige, um das es in diesem Gesetzentwurf geht.
Wir sind von allen rot-grünen Landesregierungen, vomrot-rot regierten Brandenburg und von allen sonstigenLandesregierungen inständig gebeten worden, den Ge-setzentwurf heute zu verabschieden.
– Der Ausschuss nimmt doch nachher Stellung zu die-sem Komplex. – Wir wollen den Gesetzentwurf heuteverabschieden und wollen deshalb keine Ausschussüber-weisung. Der Hauptausschuss befasst sich mit diesemGesetzentwurf und nimmt Stellung dazu, aber wir ma-chen keine Ausschussberatung, keine Anhörung odersonstige Dinge, weil der Gesetzentwurf noch heute ver-abschiedet werden soll, damit er noch im November imBundesrat endgültig beschlossen werden kann und damitdie Kommunen und die Länder diese Mittel für den Kita-ausbau weiter einplanen können. Nur darum geht es.Was Sie jetzt hier wollen, ist eine Förmelei und wider-spricht exakt dem, was die Grünen in den Ländern vonuns verlangt haben. Das halte ich nicht für angemessen,Frau Haßelmann.
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Frau Kollegin Sitte.
Es gibt Momente, Frau Haßelmann, in denen fällt
selbst mir nichts mehr ein.
Ich erinnere mich an unsere Beratungen als Parlamen-
tarische Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, in
denen wir über die Einsetzung eines Hauptausschusses
geredet haben. Da haben Sie gesagt, dass Sie dem
Hauptausschuss zustimmen, weil Sie in diesem Haupt-
ausschuss diese beiden Gesetzentwürfe beraten haben
wollen. Das findet heute statt; das ist das eine.
Das andere ist: Wir haben grundsätzliche Kritik an
dem Hauptausschuss geäußert; ich habe sie heute Mor-
gen hinlänglich begründet. Jetzt gibt es diesen Hauptaus-
schuss aber. Da kann man natürlich in eine Blockadehal-
tung verfallen und sagen: Wir schicken da keinen hin, wir
machen da nicht mit, das alles ist nicht unsere Sache. – Es
ist nun einmal so, dass sich der eine oder andere in die-
sem Haus demokratisch nicht durchsetzen kann. Das
kann man beklagen. Aber am Ende stellt sich die Frage:
Tun wir den Bürgerinnen und Bürgern damit einen Ge-
fallen?
Ich muss sagen: Dieser Gesetzentwurf muss, so wie er
jetzt ist, natürlich zum Jahresende verabschiedet werden.
Das macht die Kritik an dem Hauptausschuss nicht ge-
genstandslos. Das macht auch unsere Grundkritik, dass
der gesamte Kitaausbau schleppend vorangegangen ist,
nicht gegenstandslos. Vor diesem Hintergrund haben wir
allerdings beschlossen: Wir werden uns diesem Ansin-
nen von CDU/CSU und SPD anschließen. Wir wollen,
dass es eine zügige Beratung gibt und dass die Frist auf-
gehoben wird.
Wir haben hier die ganz außergewöhnliche Situation,
dass sich offensichtlich alle im Ziel einig sind, aber im
Verfahren nicht. Ich will nach sorgfältiger Prüfung der
Rechtslage drei knappe Bemerkungen dazu machen.
Erstens. Das im Antrag beantragte Verfahren ist zwei-
fellos außergewöhnlich. Seit der Reform der Geschäfts-
ordnung im Jahr 1980 hat es einen solchen Beschluss im
Deutschen Bundestag noch nicht gegeben.
Zweitens. Wir sind uns ganz sicher darin einig, dass
dieses Verfahren nicht das Modell der künftigen parla-
mentarischen Gesetzgebung hier im Hause sein kann.
Ich kann mir überhaupt nicht vorstellen, dass das irgend-
jemand ernsthaft in Erwägung ziehen könnte.
Drittens. Nach dem Wortlaut unserer Geschäftsord-
nung ist der Antrag aber nicht offensichtlich unzulässig.
Deswegen stimmen wir darüber jetzt ab. Wir werden si-
cher noch Gelegenheit haben, die damit verbundenen
grundsätzlichen und praktischen Fragen für die Zukunft
im Ältestenrat in Ruhe miteinander zu bereden.
Auch ihn wird es irgendwann demnächst ja sicher geben.
Dann greifen wir dieses Thema noch einmal auf.
Jetzt lasse ich über den eingebrachten Antrag der drei
genannten Fraktionen, die zweite und dritte Beratung
des gerade debattierten Gesetzentwurfes nach dem Ta-
gesordnungspunkt 8 als Zusatzpunkt 4 auf die Tagesord-
nung zu setzen, abstimmen. Wer diesem Antrag zustim-
men will, den bitte ich um das Handzeichen. – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Damit ist dieser
Geschäftsordnungsantrag, dieser Verfahrensantrag mit
den Stimmen der antragstellenden Fraktionen gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen beschlos-
sen. Es wird dann so verfahren.
Nun kommen wir zum Tagesordnungspunkt 4:
Erste Beratung des von den Abgeordneten
Matthias W. Birkwald, Sabine Zimmermann
, Katja Kipping, weiteren Abgeordne-
ten und der Fraktion DIE LINKE eingebrachten
Entwurfs eines Gesetzes zur Stabilisierung der
Beitragssätze in der gesetzlichen Rentenver-
sicherung
– Drucksache 18/52 –
Überweisungsvorschlag:
Hauptausschuss
Auch hier haben sich die Fraktionen auf eine Aus-
sprache mit der Dauer von 38 Minuten verständigt. –
Auch hierzu kann ich Einvernehmen feststellen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem
Kollegen Matthias Birkwald für die antragstellende
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Lassen Sie mich das rentenpolitische Ergebnis derKoalitionsverhandlungen einmal zusammenfassen: DieSPD hat die notwendigen Schritte im Kampf gegen dieAltersarmut und für mehr Rentengerechtigkeit demSparwahn von CDU und CSU geopfert. Wurde das dra-matische Absinken des Rentenniveaus gestoppt, wie vonder SPD im Wahlkampf versprochen? Nein, die Rentenwerden auch künftig weiter den Löhnen hinterherhinken.Das, meine Damen und Herren von der Koalition in spe,
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100 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Matthias W. Birkwald
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ist Ihre größte Unterlassungssünde. Das Rentenniveaumuss dringend wieder angehoben werden.
Aber damit nicht genug: Erstens. An der Rente erst ab67 wird nicht gerüttelt. Zweitens. Eine echte, armutsfreieMindestrente wird es nicht geben. Drittens. Die Anglei-chung der Renten im Osten an das Westniveau wird fastauf den Sankt-Nimmerleins-Tag verschoben.Deshalb ist der Koalitionsvertrag ein rentenpoliti-sches Armutszeugnis.
„Soziale Gerechtigkeit“, „Umverteilung von oben nachunten“, diese Worte kommen im Koalitionsvertrag keineinziges Mal vor. Das sollten sie aber; denn erst gesternhaben OECD und Statistisches Bundesamt eindringlichgemahnt: Erstens. Deutschland ist weltweit das Schluss-licht in der Alterssicherung von Geringverdienenden.Zweitens. Das Armutsrisiko der 55- bis 64-Jährigensteigt. – Das ist ein unhaltbarer Zustand.
Diesen Zustand wollen Sie, liebe Kolleginnen undKollegen von Union und SPD, bis 2017 einfach ignorie-ren. Erst in vier Jahren soll es einen flächendeckendenMindestlohn und eine sogenannte Lebensleistungsrentefür Geringverdienende geben – die ihren Namen nichtverdient. Vier Jahre verschenkt im Kampf gegen die Al-tersarmut! Das ist doch nicht zu fassen!
Die Erwerbsminderungsrenten für Kranke befindensich seit Jahren im Sinkflug. Das darf nicht so bleiben.Niemand wird freiwillig krank. Die neue Koalition willnun die Zurechnungszeiten in einem Rutsch um zweiJahre anheben. Immerhin, das bringt den Betroffenen35 bis 40 Euro mehr. Aber die Hälfte der Erwerbsminde-rungsrenten liegt unter dem Sozialhilfeniveau. Deshalbist Ihr Schritt zwar richtig; er greift aber viel zu kurz,weil Sie den 50-jährigen Busfahrer mit dem kaputtenRücken weiterhin mit völlig ungerechten Abschlägenbestrafen. Im Schnitt fehlen im Portemonnaie von Men-schen, die nicht mehr voll arbeiten können, Monat fürMonat rund 80 Euro. Darum fordere ich Sie auf, meineDamen und Herren von Union und SPD: Heben Sie dieZurechnungszeit um drei Jahre an und hören Sie auf diePräsidentin des Sozialverbandes VdK Deutschland,Ulrike Mascher! Sie hat gestern gesagt – ich zitiere –:Die Erwerbsminderungsrentner dürfen von CDU/CSU und SPD nicht weiterhin mit der Beibehaltungder Abschläge bestraft werden. Sie müssen gestri-chen werden!Recht hat Frau Mascher!
Nächstes Beispiel: die abschlagsfreie Rente ab 63nach 45 Beitragsjahren. Okay, gut, heute hilft das man-chen, vor allem Männern; aber in Zukunft wird wegender massenhaft gebrochenen Erwerbsbiografien nurnoch eine Minderheit 45 Beitragsjahre erreichen. Unddann heben Sie die Altersgrenze auch noch schrittweisewieder auf 65 Jahre an. Ist das die Handschrift der SPD,von der ständig die Rede ist? Nein, das ist der billige Er-satz der SPD
für die nicht erfolgte Aussetzung der Rente ab 67, unddas ist ein Skandal.
Es geht so weiter: Die Riester-Rente ist ein Flop; daswissen mittlerweile alle. Die Zinsen sind tief im Keller,und Sie wollen die private Altersvorsorge auch nochstärken. So ein Wahnsinn!Was ist jetzt zu tun? Derzeit müssen die Rentenversi-cherungsbeiträge gesenkt werden, wenn die Rentenkassegut gefüllt ist. Das ist unsinnig.
Deshalb wollen wir mit unserem Gesetzentwurf diesenZwang ein für alle Mal abschaffen.
Die Rentenversicherung braucht jeden Cent. Wenn wirauf die Absenkung der Beiträge verzichteten, könntenwir erstens das Rentenniveau stabilisieren, zweitens dieRente erst ab 67 abschaffen und drittens die Erwerbs-minderungsrenten deutlich verbessern. Das wäre derrichtige Weg.
Das alles können wir aber vergessen, wenn Sie diehöheren Mütterrenten aus Beiträgen finanzieren. DieMütterrenten sind eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.Darum dürfen sie nicht aus Beitragsmitteln finanziertwerden, sondern sie müssen aus Steuermitteln finanziertwerden.
Mit dieser Forderung befinden wir Linken uns in guterGesellschaft: Der DGB und alle Sozialverbände sehendas auch so. Die Spitzen sämtlicher Sozialversiche-rungsträger – das ist einmalig – haben Union und SPD ineinem gemeinsamen Appell aufgefordert, die Mütterren-ten ausschließlich aus Steuermitteln zu finanzieren; dennnur so erreicht man, dass sich auch Reiche, Beamtinnenund Beamte, Selbstständige und Abgeordnete an derFinanzierung der höheren Mütterrenten beteiligen. Daswäre nur gerecht.Herzlichen Dank.
Als Nächste spricht die Bundesministerin von derLeyen.
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Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin fürArbeit und Soziales:Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kol-legen! Die Deutsche Rentenversicherung ist keine kapi-talgedeckte individualisierte Versicherungsform, son-dern eine Sozialversicherung. Deshalb hat sie auchbesondere Merkmale. Ich möchte auf vier dieser beson-deren Merkmale eingehen, weil sich darin auch wider-spiegelt, was wir in der Rente warum verändern wollen– die Reihenfolge ist keine Wertung –:Erstens. Wir haben eine umlagefinanzierte Rente. Dasheißt, in dem Monat, in dem eingezahlt wird, wirdgleichzeitig auch die Rente an die ältere Generation aus-gezahlt. Das bedeutet im Klartext: Die Rente lebt vonKindern. Ohne Kinder keine Rente!
– „Kinder zahlen keine Beiträge“, aber Kinder sind dieBeitragszahlerinnen und Beitragszahler von morgen.Das heißt, wenn wir auch morgen eine Rente haben wol-len, dann müssen heute Kinder erzogen werden. Das warin der Vergangenheit so, und das wird in der Zukunft sosein. Das ist das zentrale Merkmal einer umlagefinan-zierten Rente.
Das ist auch einer der Gründe, warum wir die Mütter-rente verbessern.Die Deutsche Rentenversicherung hat gerade aktuelleZahlen herausgegeben. Wenn man sich die Zahlbeträgeanschaut, dann sieht man, dass Erziehende – das sindklassischerweise die Mütter – im Durchschnitt 50 Europro Kind weniger im Monat haben. Ein Teil dieser Dis-krepanz wird durch die Mütterrente gemindert, die übri-gens für die Vergangenheit und für die Gegenwart zu ei-nem Ausgleich führt. Selbstverständlich gibt es diesenAusgleich auch in der Zukunft; denn auch dann gibt esdie Mütterrente für die jetzt junge Generation.Zweites Merkmal einer Sozialversicherung: Alle, diesozialversicherungspflichtig arbeiten, müssen in dieRentenkasse einzahlen. Bis zur Beitragsbemessungs-grenze werden ihnen im Augenblick 9,45 Prozent desArbeitnehmerbruttolohns abgezogen. „Bis zur Beitrags-bemessungsgrenze“ heißt, dass insbesondere Menschenmit kleinem Einkommen ihren Beitrag zur Rentenversi-cherung leisten. Es bedeutet, dass diese Beiträge typi-scherweise die Steuern der „kleinen Leute“ sind. Je grö-ßer ein Einkommen ist, desto mehr wirkt dieBeitragsbemessungsgrenze dämpfend, da die Abzüge fürdie Menschen mit größerem Einkommen nicht so rele-vant sind.Das ist einer der Hauptgründe, warum es in einer So-zialversicherung selbstverständlich sein muss, dass sichauch Menschen mit kleinem Einkommen darauf verlas-sen können, dass sie, wenn sie ein Leben lang Pflichtbei-träge eingezahlt haben, am Ende des Tages auch eineRente haben, von der sie leben können. Das ist derzweite Punkt, den wir in diesem Koalitionsvertrag festverankert haben, nämlich die Einführung einer solidari-schen Lebensleistungsrente, die genau dieses Prinzip er-füllt.
Drittens. Die Rente ist keine Versicherungssumme,die einfach nur einmal ausbezahlt wird, sondern die ge-setzliche Rente ist eine Versicherungsleistung, die biszum letzten Lebenstag ausbezahlt wird. Das bedeutet füruns aber auch, dass wir als Gesellschaft klug einteilenmüssen – insbesondere wenn sich die Lebenserwartungerhöht: Wie viel Zeit wird in Arbeit investiert, sprich: indie Beitragszahlung, und wie viel Zeit ist für den wohl-verdienten Ruhestand da? Das ändert sich mit einer län-geren Lebenserwartung.Deshalb haben wir auch das schrittweise Zugehen aufdie Rente mit 67 bis zum Jahr 2029 eingeführt. Es gibtMenschen – und das wissen alle hier in diesem Raum –,bei denen der Berufseinstieg relativ spät erfolgt: Man be-sucht die Schule, man absolviert ein Studium, und esdauert eine ganze Weile, bevor man im Beruf ist und indie Rentenkasse einzahlt. Es gibt andere, die schon sehrviel früher arbeiten müssen – mit 16, 17, 18 Jahren.Diese haben typischerweise körperlich harte, anstren-gende, auszehrende Berufe.Weil das so ist und weil wir eine soziale Rentenver-sicherung haben, die einen Ausgleich zum Beispiel zwi-schen den Generationen, zwischen den verschiedenenFunktionen „Kindererziehung“ und „harte körperlicheArbeit“ und zwischen den Menschen mit großem undkleinem Einkommen schafft, werden wir die abschlags-freie Rente mit 63 Jahren einführen. Sie gilt genau fürdiese Menschen, die lange eingezahlt, hart körperlich ge-arbeitet und im Durchschnitt sehr viel mehr Beitrags-jahre haben, als das bei Akademikern oder Akademike-rinnen typischerweise der Fall ist. Für diese Menschenwollen wir in dieser Großen Koalition etwas tun.
Viertens. Es ist eine Selbstverständlichkeit: Wen dasSchicksal schwerer Krankheit ereilt, den lassen wir nichthängen. Das ist das Grundprinzip der Erwerbsminde-rungsrente. Wir wissen, dass es hier ein Defizit gibt unddass sie verbessert werden muss. Auch das werden wirin der Großen Koalition tun.Ja, das alles muss finanziert werden. Es musste in derVergangenheit finanziert werden, es muss heute finan-ziert werden und auch in Zukunft. Deshalb stabilisierenwir den Beitragssatz bei 18,9 Prozent. Deshalb wird esim Jahre 2018 zusätzlich zu den Bundesmitteln von80 Milliarden Euro, die es schon heute gibt, weitere2 Milliarden Euro zur Finanzierung der Mütterrente ge-ben. Deshalb wird die solidarische Lebensleistungsrentedurch Einsparungen bei der Grundsicherung im Alter
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102 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Bundesministerin Dr. Ursula von der Leyen
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– das ist Steuergeld – und die Abschmelzung des Wan-derungsausgleichs an die Bundesknappschaft finanziert.Das sage ich alles vor dem Hintergrund, dass heute inden rund 250 Milliarden Euro, die für die Rente ausge-geben werden, 80 Milliarden Euro Bundesmittel enthal-ten sind. Damit leistet der Bund schon heute einen we-sentlichen Beitrag zur Finanzierung der gesetzlichenRente.
Frau Ministerin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Dr. Ursula von der Leyen, Bundesministerin für
Arbeit und Soziales:
Das ist das Wichtigste, und das ist auch das Ende. All
das, was ich eben beschrieben habe, funktioniert nur,
wenn die Wirtschaft brummt und wenn die Menschen
eine gute Arbeit haben. Das ist das Entscheidende.
Heute sind die neuen Arbeitsmarktzahlen herausge-
kommen. Die Zahl der sozialversicherungspflichtigen
Erwerbstätigen liegt bei 29,8 Millionen. Das sind alleine
im Vergleich zum Vorjahresmonat 380 000 mehr. Das ist
das Entscheidende für solide Sozialkassen. Deshalb ist
das große Ziel dieser Großen Koalition, die Vollbeschäf-
tigung zu erreichen und den Menschen gute Arbeit und
mehr Arbeit zu ermöglichen. Denn das ist die Basis un-
seres Wohlstandes.
Vielen Dank.
Jetzt spricht die Kollegin Ferner.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich bin froh, dass wir im Gegensatz zur letzten Wahl-periode jetzt mit dieser Beitragssatzsenkerei Schluss ma-chen, die eigentlich viel zu kurz gesprungen war.
Wir werden die Beitragssätze im kommenden Jahrstabil halten und dann im Zusammenhang mit dem, wasim Koalitionsvertrag vereinbart worden ist, wenn dasMitgliedervotum der SPD positiv ausgeht, eine langfris-tige Entscheidung hinsichtlich der Bandbreite derSchwankungsreserve treffen, damit wir nicht jedes Jahrwieder diese Diskussion haben werden. Die gesetzlicheRentenversicherung braucht Stabilität. Diese hat sielange Jahre nicht gehabt. Wir werden ihr mit dieser Maß-nahme Stabilität geben.Noch einmal in Richtung der jüngeren Abgeordneten,insbesondere aus der CDU/CSU-Fraktion, die glauben,es sei nicht generationengerecht, jetzt die Rentenversi-cherungsbeiträge stabil zu halten. Nein, das Gegenteil istder Fall. Die jetzige rentennahe Generation zahlt durchdiese Maßnahme höhere Beiträge, als sie es nach gelten-der Rechtslage tun müsste, damit sie, wenn sie selber inRente geht – es werden in den kommenden Jahren im-mer mehr Menschen in Rente gehen –, ihre Rente be-kommt und gleichzeitig auf die dann zahlende Genera-tion nicht zu hohe Beitragssatzsprünge zukommen. Dasist die Folge stabiler Beitragssätze.
Wir haben, denke ich, bei den Verhandlungen ein sehrgutes Ergebnis erzielt. Herr Birkwald, wir haben keine,wie Sie sie gefordert haben, Rente von 1 100 Euro füralle ohne jede Bedingung, ohne jede Beitragszahlungund ohne Einkommensberechnung erreicht. Das wollenwir auch nicht.
Wir sind nämlich der Auffassung, dass ein andereswichtiges Prinzip der Rentenversicherung auch in Zu-kunft eingehalten werden muss. Dieses Prinzip heißtBeitragsbezogenheit. Es bedeutet, dass jeder, der Bei-träge in die Rentenversicherung eingezahlt hat, die Ge-wissheit hat, damit eine Rentenanwartschaft zu erwerbenund diese auch in Zukunft gesichert bleibt. Eine reinsteuerfinanzierte und einkommensunabhängige Rente,so wie Ihre Fraktion und Ihre Partei das will, würde imErgebnis zu einer Rente nach Kassenlage führen.
Das wollen wir definitiv nicht. Das würde eine der ältes-ten Sozialversicherungen wirklich in den Abgrund trei-ben.
– Nein, das ist keine Lüge. Sie haben das doch plakatiert.Ich habe doch im Wahlkampf nicht die Plakate aufge-hängt, auf denen Sie 1 100 Euro Rente für alle fordern.Das waren doch Sie.
– Ja gut, dann eben 1 050 Euro. Um die 50 Euro brau-chen wir uns, glaube ich, nicht weiter zu streiten.Wenn unser Mitgliedervotum positiv ausfällt, dannwird es für viele deutliche Verbesserungen im Renten-recht geben: für Mütter, für besonders langjährig Be-schäftigte und für Menschen mit gebrochenen Erwerbs-biografien. Das sind insbesondere Frauen, die wegenfehlender Kinderbetreuungseinrichtungen gebrocheneErwerbsbiografien haben und Teilzeit arbeiten mussten,auch wenn sie es nicht unbedingt wollten, und anschlie-ßend nicht wieder in einen Vollzeitjob hineingekommensind, aber auch Männer und Frauen aus Ostdeutschland,die in der Nachwendezeit häufig gebrochene Erwerbs-biografien haben.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 103
Elke Ferner
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Wir werden Verbesserungen für Erwerbsgemindertewie auch für diejenigen erzielen, die gleitende Über-gänge vom Erwerbsleben in die Rente brauchen. Außer-dem werden wir endlich, über 20 Jahre nach der deut-schen Wiedervereinigung, eine Angleichung der Ost- andie Westrenten bekommen.
Das sind zentrale Forderungen der SPD gewesen, unddie werden damit umgesetzt werden können.Die Mütterrente wird zum 1. Juli 2014 kommen. Dasbedeutet einen Entgeltpunkt mehr in der gesetzlichenRentenversicherung für diejenigen, die vor 1992 Kindergeboren haben. Wir hätten uns gewünscht, dass dabeiOstzeiten wie Westzeiten behandelt würden.
Wir hätten uns auch gewünscht, dass diese sozialpoli-tisch sinnvolle und notwendige Maßnahme steuerfinan-ziert worden wäre statt über die Sozialversicherungsbei-träge, wobei im Laufe dieser Wahlperiode noch2 Milliarden Euro zusätzlich für die Rentenversicherungvorgesehen sind. Aber nicht wir waren diejenigen, diekeine Steuererhöhungen bei den oberen 5 Prozent derEinkommensbezieher wollten, sondern die Union wargegen Steuererhöhungen.Deshalb bleibt, wenn man die Mütterrente will, nurdie Möglichkeit, sie über Beiträge zu finanzieren. Aberin der Zukunft wird noch die Möglichkeit bestehen, da-rüber zu reden, spätestens in der nächsten Wahlperiode.
Wir haben Verbesserungen bei der Erwerbsminde-rungsrente beschlossen, nämlich dass die Zurechnungs-zeit um zwei Jahre angehoben wird, und zwar auch zum1. Juli 2014. Das ist besonders wichtig, weil geradeMenschen, die wegen einer Erwerbsminderung in Er-werbsminderungsrente gehen müssen, ganz besondersvon Altersarmut betroffen sind.Wir werden außerdem eine Günstigerprüfung für dieletzten vier Jahre einführen. Auch das ist nicht zu ver-nachlässigen. Denn es bedeutet, dass die betroffenenMenschen im Hinblick auf Zeiten, in denen sie schonkrank waren und möglicherweise weniger Beiträge ge-zahlt haben, nach der Günstigerprüfung besser dastehenals bisher.Wir werden auch mehr Geld für Rehamaßnahmenausgeben, weil eine vernünftige Reha und vor allen Din-gen auch vernünftige Arbeitsbedingungen Voraussetzun-gen sind, um Erwerbsminderung zu vermeiden.
Wir haben darüber hinaus eine solidarische Lebens-leistungsrente vereinbart – wir haben sie im WahlkampfSolidarrente genannt; die Union hat sie Lebensleistungs-rente genannt; jetzt ist daraus die solidarische Lebens-leistungsrente geworden –, damit diejenigen, die heutevon Altersarmut betroffen sind und auf weniger als30 Entgeltpunkte – das sind 844 Euro – für ihr Altersein-kommen kommen, im Alter nicht trotz langjähriger Be-schäftigung in die Grundsicherung fallen.Dafür gibt es eine Übergangszeit bis zum Jahr 2023,in der 35 Beitragsjahre notwendig sind, um die solidari-sche Lebensleistungsrente zu bekommen. Das hilft ins-besondere Frauen: Frauen, die schlecht verdient haben,weil sie teilzeitbeschäftigt waren, Frauen, die schlechterbezahlt wurden als Männer, oder Frauen, die jemandengepflegt haben. Aber es hilft auch Arbeitslosen, weilZeiten von Arbeitslosigkeit bis zu fünf Jahren mit in dieBerechnung einfließen. Deshalb profitieren neben denFrauen im Westen auch insbesondere die Menschen inden neuen Bundesländern, weil auch sie häufig gebro-chene Erwerbsbiografien haben.
– Die Höhe dieser Rente wird davon abhängen, wie dieHöherwertung erfolgt und welche Zeiten mit einbezogenwerden. Es wird in einer zweiten Stufe eine bedarfsge-prüfte Grundsicherung im Alter geben, die dann aller-dings einkommensabhängig berechnet wird. HerrBirkwald, ich finde das in Ordnung. Wenn jemand einenPartner oder eine Partnerin mit Einkommen hat oderüber ein entsprechendes Alterseinkommen verfügt, dasandere möglicherweise nicht haben, muss aus Steuermit-teln nicht noch aufgestockt werden; denn dann ist eineausreichende Versorgung vorhanden. Es geht uns viel-mehr darum, diejenigen aus der Altersarmut herauszuho-len, die ohne die nun vorgesehene Maßnahme in dieGrundsicherung fallen würden.
Wir haben darüber hinaus erkannt – das wird heuteNachmittag noch Thema sein –, dass der Schlüssel füreine gute Rente eine gute Erwerbsbiografie ist. Vor die-sem Hintergrund ist die Einführung eines Mindestlohnsdas zentrale Thema, damit diejenigen, die heute im Nie-driglohnsektor arbeiten, zu besseren Renten kommen.Die bessere Tarifbindung, die wir vereinbart haben, trägtebenfalls zu einer Verbesserung der Renten bei. Die bes-sere Vereinbarkeit von Familie und Beruf wird sich ins-besondere für Frauen – auch in der Rente – auszahlen;denn Frauen werden durchgängiger und mehr erwerbstä-tig sein können, als das heute der Fall ist.Ein weiteres Thema ist die befristete Teilzeit. Wir er-möglichen es, nach einer befristeten Zeit wieder sicherauf die Vollzeitstelle bzw. auf die alte Stelle mit gleicherArbeitszeit wie zuvor zurückzukehren. Damit wird dieGefahr gebannt, in der Teilzeit gefangen zu sein und spä-ter auch nur eine Teilzeitrente zu beziehen.Ebenfalls ein wichtiger Punkt ist die Entgeltgleich-heit. Wenn Frauen für gleiche bzw. gleichwertige Arbeitgenauso viel bekommen wie Männer, werden sie amEnde bessere Renten beziehen.Das alles gehört zusammen, und das alles muss manauch zusammen sehen.
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Elke Ferner
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Wir haben des Weiteren eine Vereinbarung für beson-ders langjährig Beschäftigte getroffen. Es sind nichtviele, die 45 Beitragsjahre vorweisen können. Wir sen-ken das Renteneintrittsalter für diese Personen von heute65 Jahren auf 63 Jahre. Das wird parallel zum Renten-eintrittsalter wieder angehoben. Aber man kann zweiJahre früher abschlagsfrei in Rente gehen, als das ohnediese Regelung der Fall wäre. Dabei werden Zeiten derArbeitslosigkeit berücksichtigt, was derzeit nicht derFall ist. Insofern wird ein größerer Personenkreis davonprofitieren. Herr Birkwald, wenn Sie nun sagen: „Das istalles nichts“, dann kann ich nur festhalten: Es ist deut-lich besser als der Status quo.
Wir möchten im Gegensatz zu Ihnen Verbesserungen fürdie Menschen erreichen und nicht irgendwelche Grund-sätze vor uns hertragen, was im Ergebnis nicht dazuführt, dass es den Menschen besser geht.
Letzter Punkt, die Angleichung der Renten im Ostenan die im Westen. Ja, das hat lange gedauert. Ich binfroh, dass wir in dieser Wahlperiode ein Gesetz mit demschönen Namen „Rentenüberleitungsabschlussgesetz“verabschieden werden. Diejenigen, die häufig Scrabblespielen, werden wahrscheinlich eine riesige Punktzahlerreichen, wenn sie dieses Wort legen können. Auf jedenFall ist es für die Menschen in Ostdeutschland gut, zuwissen, dass spätestens wenn der Solidarpakt II ausläuft,die Renten in Ost und West gleich berechnet werden unddass es dann ein einheitliches Rentenrecht gibt. Das ist30 Jahre nach der deutschen Einheit mehr als überfällig.
Wenn ich unter das alles einen Strich ziehe, dannglaube ich, dass wir angesichts der Verbesserungen imRentenbereich getrost vor unsere Mitglieder treten kön-nen. Ich möchte an dieser Stelle Andrea Nahles und alldenjenigen, die auf unserer Seite in der Koalitionsar-beitsgruppe dafür gestritten haben, danken. Das ist einwirklich gutes Ergebnis.Schönen Dank für die Aufmerksamkeit.
Jetzt spricht der Kollege Markus Kurth.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Nun sieht es also so aus, dass alle Fraktionen imDeutschen Bundestag den Beitragssatz in der gesetzli-chen Rentenversicherung nicht weiter senken wollen.Bei näherem Hinsehen gibt es jedoch gewaltige Unter-schiede. Auf der einen Seite sieht die Fraktion Die Linkeausweislich der Begründung ihres Gesetzentwurfs dieAussetzung der Beitragssatzsenkung als Auftakt zu einerganzen Kette von Beitragssatzerhöhungen, um in Zu-kunft sämtliche rentenpolitischen Reformen nicht nur zuverändern, sondern gleich abzuschaffen. Auf der ande-ren Seite wollen Union und SPD mit den Geldern derBeitragszahler sozialpolitische Geschenke machen, dieeigentlich von der Allgemeinheit, das heißt von denSteuerzahlern, bezahlt werden müssen. Sie machenWeihnachtsgeschenke, die nur die Beitragszahlerinnenund Beitragszahler finanzieren müssen.
Nur wir, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, wollendie Gelder der Rücklage zusammenhalten und im Sinneder Versicherten einsetzen,
und zwar für abschlagsfreie Erwerbsminderungsrenten,um die Rente mit 67 vernünftig zu flankieren,
für ein angemessenes Rehabudget, weil „Reha vorRente“ sich rechnet und den Leuten ein längeres Verblei-ben im Erwerbsleben ermöglicht, und für eine Demogra-fierücklage, um den Beitragssatzanstieg ab 2018, denwir erwarten, abzufedern und für Generationengerech-tigkeit zu sorgen.
Wenn ich manches hier so verfolge, kommen mir Er-innerungen an meine Kindheit. Ich bin im Rheinland ge-boren, in Bonn. Dort gibt es Karnevalsumzüge, und amEnde des Karnevalszuges fährt der Prinzenwagen. Vonihm werden besonders viele Bonbons geworfen, und die-jenigen mit den stärksten Schultern und größten Beuteln,die sich vordrängeln, kriegen das meiste ab.
Wir erleben hier die Vorbeifahrt des rentenpolitischenPrinzenwagens, wir erleben, dass die Großkoalitionäremit vollen Händen das Geld der Beitragszahler an dieverteilen, die am lautesten schreien und sich vordrän-geln. Das ist das Problem.
Damit wir uns nicht falsch verstehen: Natürlich kannman über Dinge wie die sogenannte Mütterrente disku-tieren. Es ist klar: Stichtagsregelungen bringen immerUngerechtigkeiten mit sich. Einen Teil der Argumenta-tion von Frau von der Leyen kann ich auch nachvollzie-hen. Und natürlich kann man über einen abschlagsfreienRentenzugang mit 63 Jahren nach 45 Beitragsjahrensprechen. Aber dann muss man auch ehrlich darüber re-den, wie man das finanziert. Das muss man bilanzieren.Es sind 10 Milliarden Euro, die Sie in die Hand nehmen.Wir haben – das hat uns im Wahlkampf leider nichtimmer zum Wohle gereicht – vor unserem Wahlkampfgenau gerechnet, überlegt und mit Steuererhöhungen ar-gumentiert. Das haben Sie, meine Damen und Herrenvon der Union, sich erspart.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 105
Markus Kurth
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– Frau von der Leyen ruft mir von der Seite noch „Ja“zu. – Sie haben gesagt: Wir erhöhen keine Steuern. –Was Sie aber letzten Endes machen, ist, dass Sie die„Steuern der kleinen Leute“ erhöhen; genau so haben Sieeben die Beitragssätze genannt. Das ist unehrlich.
Sie loben sich, dass Sie auf Sicht fahren. Ja, das istimmer das Argument der Regierung Merkel gewesen.Nur, Ihr Sichtfeld ist furchtbar klein.
Sie sitzen nämlich krampfhaft am Lenkrad und schauennur auf das nächste Stück der Wegstrecke. Gerade beider Rentenversicherung würde es sich lohnen, den Blickzu heben, auf lange Sicht zu fahren und auch die Warn-schilder am Rand zu beachten, die sozialpolitischen unddie beitragssatzpolitischen Warnschilder.
Ist nicht erst letzte Woche am Mittwoch im Kabinettder Rentenversicherungsbericht der Bundesregierungverabschiedet worden? Ist denn nicht ganz klar, welcheBeitragssatzanstiege ab 2018 drohen? Das wissen Siedoch. Irgendwo auf dem Weg vom Kanzleramt zumWilly-Brandt-Haus muss der Rentenversicherungsbe-richt der Bundesregierung wohl abhanden gekommensein. Sonst könnten Sie so nicht handeln.
Sie von der SPD sprechen gern von der Koalition deskleinen Mannes. Frau Ferner, ich schätze Sie – Sie habenjetzt noch einmal alles aufgezählt –, aber, was die Koali-tion des kleinen Mannes betrifft, mal ehrlich: Der kleineMann, der jetzt zwölf Jahre alt ist,
der in vier Jahren die Berufsausbildung beginnt und dreiJahre später in das Berufsleben eintritt, wird sich für dieBeitragssatzerhöhung bedanken, die Sie ihm eingebrockthaben, und für die Beitragssatzerhöhungen, die Jahr fürJahr folgen werden.
Wenn ich das hier sehe, muss ich sagen: So vieleStimmen, die Sie haben, und so viel Mutlosigkeit; soviele Stimmen, die Sie haben, und so viel Feigheit vorder Zukunft.
Als Nächster spricht Max Straubinger.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Wir haben heute einen Gesetzentwurf der Linken zu be-raten. Ich bin versucht, zu sagen: Es geht in der 18. Le-gislaturperiode so weiter, wie die 17. Legislaturperiodebeendet worden ist. Herr Birkwald, Ihre Rede war letzt-endlich dieselbe wie immer. Es hat sich nichts geändert.
– Nein, es hat sich nichts geändert; denn Sie sind immernoch im rentenpolitischen Nirwana.
– Da kommt er nicht mehr heraus. Ganz genau, HerrKollege Zimmer.
Auf der einen Seite vorzuwerfen, dass die SPD demSparwahn der Union erlegen wäre, gleichzeitig aber zusagen, wir würden Weihnachtsgeschenke verteilen, wiees gerade auch der Kollege Kurth getan hat, ist wider-sprüchlich. Sie tadeln uns, weil wir notwendige Verbes-serungen in der Rentenversicherung vornehmen, und be-zeichnen das als Weihnachtsgeschenk; Sie selbst aberstellen Anträge für eine abschlagsfreie EM-Rente undfür die Aufhebung des Nachhaltigkeitsfaktors. Sie gei-ßeln uns dafür, dass wir den Beitragssatz nicht senken,sind aber eigentlich dafür, dass der Beitragssatz nicht ge-senkt wird.
Also, Herr Kollege Kurth, irgendwo sollte das, was Siehier als rentenpolitisches Konzept darlegen, zusammen-passen.
So zeigt sich sehr deutlich, dass die Linke und dieGrünen in diesem Haus in keinster Weise positive Vor-stellungen von der Zukunft der Alterssicherung derMenschen haben.
Zur Alterssicherung der Menschen besagt ein OECD-Bericht, der morgen veröffentlicht wird – Herr KollegeBirkwald, Sie haben ihn hier bemüht –, klar und deut-lich, dass die Nachhaltigkeit der deutschen Rentenversi-cherung die beste im Vergleich mit allen anderen Ren-tenversicherungssystemen der OECD-Länder ist, undzwar aufgrund der Maßnahmen, die wir in der Vergan-genheit ergriffen haben: einmal der Erhöhung des Ren-teneintrittsalters auf 67 bis zum Jahr 2029 – die FrauMinisterin hat es dargelegt – und darüber hinaus derEinführung des Nachhaltigkeitsfaktors. Das heißt, dieMenschen in Deutschland können sich auf die Stabilitätunseres Rentenversicherungssystems verlassen. Das istdie beste Auszeichnung, vor allen Dingen auch für dieBürgerinnen und Bürger.
Auf der anderen Seite gilt es, dieses verlässliche Ren-tenversicherungssystem, das wir für die Bürgerinnen undBürger über Jahrzehnte hinweg geschaffen haben, imSinne der Gerechtigkeitsfrage weiterzuentwickeln.Diese Frage lösen wir, indem wir die Pläne für eine
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106 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Max Straubinger
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Mütterrente umsetzen, wie wir, CDU/CSU, es im Wahl-kampf hervorgehoben haben. Damit gewähren wir abdem 1. Juli nächsten Jahres, nicht schon ab Weihnach-ten, einen zusätzlichen Rentenpunkt. Viele Mütter inDeutschland verbessern somit ihre Rentenanwartschaf-ten bzw. erhalten höhere aktive Renten. Ich bin der Mei-nung, das ist im besten Sinne des Gebots des Gerechtig-keitsausgleichs, der aus folgendem Grund erforderlichwurde: Für Kinder, die vor 1992 geboren worden sind,wird nur ein Rentenpunkt angerechnet, und für die nach1992 geborenen werden drei Rentenpunkte zugrunde ge-legt. Wir haben dies hier dargelegt. Ich bin dankbar, dasssich die zukünftigen Koalitionsfraktionen darauf geei-nigt haben.
Herr Kollege Straubinger, lassen Sie eine Zwischen-
frage des Kollegen Birkwald zu?
Ja, sehr gerne, natürlich. Das verlängert meine Rede-
zeit.
– Ja, sicherlich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin und Herr Kollege
Straubinger, dass Sie diese Zwischenfrage zulassen. –
Herr Kollege Straubinger, Sie haben eben insinuiert,
dass der OECD-Bericht von der Rentenversicherung in
Deutschland schwärmt, vor allen Dingen haben Sie insi-
nuiert, dass Geringverdienende eine auskömmliche
Rente hätten. Das Gegenteil ist der Fall. Das können Sie
in allen Zeitungen lesen. Ich zitiere jetzt einmal aus Ihrer
Lieblingszeitung; das ist die Bild.
Die kenne ich gar nicht.
Selbst in der Bild heißt es unter der Überschrift
„Feuer unterm Dach“:
Die Warnungen werden lauter, und sie kommen
nicht mehr nur aus Deutschland: Hunderttausenden
Geringverdienern droht im Alter der Absturz in
die Armut. … Deutschland, eine Wirtschafts-
Weltmacht, aber bei der Altersversorgung fast Ent-
wicklungsland – das passt nicht zusammen.
So die Bild-Zeitung.
Die Kollegin, die bei der OECD zuständig ist, sagt,
dass das Altersgeld von Geringverdienenden in Deutsch-
land so niedrig sei wie in kaum einem anderen OECD-
Land. Geringverdienende haben in Deutschland im
Schnitt netto 55 Prozent ihrer Bezüge, und in 27 OECD-
Ländern liegt der Durchschnitt bei 82 Prozent.
Also deutlich ist – das gilt auch für die Kollegin
Ferner –: Heute stellt sich das Rentenversicherungssys-
tem in Deutschland so dar, dass Geringverdienende sehr
schlecht abgesichert sind. Deswegen brauchen wir eine
„solidarische Mindestrente“, die den Namen auch ver-
dient und von der Menschen im Alter armutsfrei leben
können. Wir brauchen nicht irgendwelche „Geschich-
ten“, die deutlich niedriger liegen. Ich bitte Sie, zur
Kenntnis zu nehmen: Die OECD hat das Gegenteil von
dem gesagt, was Sie hier behauptet haben.
Herzlichen Dank.
Lieber Herr Kollege Birkwald, ich möchte Ihnen ent-gegensetzen – das kann dann die Bild-Zeitung auchschreiben –: In Deutschland gibt es Altersarmut nur insehr, sehr begrenztem Maß: Nur 2,6 Prozent sind aufGrundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung an-gewiesen.
Das zeigt sehr deutlich, dass die Alterssicherungssys-teme greifen. Sie ruhen ja auf drei Säulen. Sie reden im-mer nur von der gesetzlichen Rentenversicherung. Esgibt da auch noch die betriebliche Altersversorgung.
Genauso gibt es die private kapitalgedeckte Zusatzver-sorgung, die Sie aus ideologischen Gründen immer ab-lehnen, die aber unter dem Gesichtspunkt der Generatio-nengerechtigkeit eine verbesserte Situation herbeiführt.
– Natürlich, Frau Ferner! – Im Alter wird ein ausreichen-des Einkommen erzielt, wobei dies nicht allein die nach-folgende Generation zu leisten hat, weil vorher ja einAnsparvorgang stattgefunden hat. Bei der Rentenversi-cherung haben wir ein Umlagesystem. Das bedeutet,dass die im Erwerbsleben Stehenden für die Rentenleis-tungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung aufzu-kommen haben, während im anderen Fall ein Anspar-vorgang stattfindet.
90 Millionen Lebensversicherungsverträge und ausge-klügelte Altersversicherungssysteme in unseren Indus-triebetrieben in Deutschland sorgen dafür, dass im Altereine gute Grundlage gegeben ist.
Im OECD-Bericht wird dies alles nicht ausreichendberücksichtigt, Herr Kollege Birkwald.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 107
Max Straubinger
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Darüber hinaus kommt natürlich noch hinzu – bleibenSie bitte noch stehen, Herr Kollege; ich bin noch nichtfertig –, dass Folgendes in die Waagschale gelegt werdenmuss: Sie hantieren immer mit Prozentsätzen.
Herr Kollege Birkwald, das ist schon noch eine Ant-
wort. Stehen Sie bitte wieder auf!
Aber mir sind 56 Prozent von einem relativ hohen
Durchschnittsgehalt – das ist die Grundlage des OECD-
Berichts – lieber als ein höherer Prozentsatz von einem
sehr niedrigen Verdienst in anderen Ländern.
In Deutschland geht es den Menschen im Alter also weit
besser als in vielen anderen Ländern. Das ist letztendlich
das Wichtigste für unsere Menschen.
Werte Damen und Herren, wir nehmen Verbesserun-
gen vor. Das gilt auch in der Frage der Anerkennung von
langjährigen Beitragszahlungen. Das war schon Grund-
lage bei der Umsetzung der Rente mit 67, wo wir darauf
gedrängt haben, dass Menschen, die 45 Jahre Beiträge
gezahlt haben, ab dem 65. Lebensjahr – das gilt in der
Umsetzung seit 2002 – ohne Abschlag in Rente gehen
können. Es ist ein guter Kompromiss gefunden worden –
es ist ein gelungener Kompromiss –, dass jetzt bei
45 Jahren Beitragszahlungsdauer bereits ab einem Alter
von 63 Jahren – dann ansteigend – abschlagsfrei in
Rente gegangen werden kann. Das ist angemessen für
die Menschen, die in der gesetzlichen Rentenversiche-
rung besonders langjährig versichert waren. Wir stehen
dazu, und ich glaube, dass dies ein wichtiger Punkt ist.
Ein Letztes noch. Gerade beim Übergang von der Er-
werbstätigkeit in den Ruhestand gibt es derzeit einen
sehr starken Bruch. Wenn jemand vorzeitig Rente in An-
spruch nimmt, kann er nur ein geringfügiges Beschäfti-
gungsverhältnis eingehen. Viele angehende Rentnerin-
nen und Rentner wollen aber sozusagen gleitend in den
Ruhestand wechseln. Deshalb ist es richtig, wenn wir die
Hinzuverdienstmöglichkeiten bei vorzeitiger Inan-
spruchnahme von Rentenleistungen ausweiten. Das ha-
ben wir im Koalitionsvertrag vereinbart.
Ich glaube, das sind sehr viele positive Punkte. Ich
nehme an, dass auch die SPD-Mitglieder, die ja zur Ab-
stimmung aufgerufen sind, dem zustimmen können und
dass wir dementsprechend eine zukunftsorientierte Ren-
ten- und Sozialpolitik für unser Land gestalten können.
In diesem Sinne herzlichen Dank für die Aufmerk-
samkeit.
Jetzt spricht der Kollege Peter Weiß.
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-gen! Lassen Sie uns zum Abschluss dieser Debatte docheinmal zurückschauen, woher wir kommen. Vor vierJahren hatten wir einen Rentenversicherungsbeitrag von19,9 Prozent. Diesen haben wir in den vergangenen vierJahren um insgesamt 1 Prozentpunkt auf heute 18,9 Pro-zent absenken können.
Wir werden in dieser Legislaturperiode, so alle Progno-sen, diesen Beitrag weiter stabil bei 18,9 Prozent haltenkönnen.Gleichzeitig werden wir zum Ende dieses Jahres inder gesetzlichen Rentenversicherung voraussichtlicheine Rücklage – sprich: ein Guthaben – von über 31 Mil-liarden Euro haben, die höchste Rücklage seit überzwanzig Jahren. Man kann überall, in jeder Debatte, einHaar in der Suppe finden; aber ich meine, wir können ei-gentlich doch stolz darauf sein, dass wir in der Renten-versicherung einen relativ niedrigen Beitrag und gleich-zeitig die höchsten Rücklagen seit über zwanzig Jahrenhaben.
Das verdanken wir einer gut laufenden Wirtschaft,gut laufenden Unternehmen und einer wachsenden Zahlvon Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die mit ei-nem guten Lohn auch gute Sozialversicherungsbeiträgebezahlen. Wenn es ein Ziel zu Beginn einer neuen Legis-laturperiode gibt, das uns einen sollte, dann sollte es dassein, diese gute Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, inder Wirtschaft weiter zu beflügeln, damit unsere Renten-versicherung, der Kern des deutschen Sozialstaates, auchin Zukunft gut finanziert ist, nicht ins Minus läuft undtrotzdem die Beiträge für die Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer und die Unternehmen stabil bleiben. Dasmuss unser gemeinsames Ziel sein.
Verehrte Kolleginnen und Kollegen, ich finde es rich-tig und auch notwendig, dass wir in einer solch guten Si-tuation, in der wir uns befinden, die Handlungsmöglich-keiten nutzen, um allfällig notwendige Reformen imRentenrecht durchzuführen. Dazu gehört, dass wir dieLeistung derjenigen, die die Zukunft der Rentenversi-cherung gewährleisten, indem sie Kinder großziehen, inder Rente besser bewerten. Dafür war es höchste Zeit.Wir haben verabredet, das jetzt endlich zu machen.
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108 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Peter Weiß
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Der zweite Punkt. Gerade Menschen, die wegenKrankheit oder einem Unfall vorzeitig aus dem Erwerbs-leben ausscheiden müssen und die liebend gerne längergearbeitet hätten, sind heute in der Gefahr, dass sie mitder Erwerbsminderungsrente, die sie erhalten, nicht aus-kommen können.
Bereits 10 Prozent der Rentner in Deutschland, die Er-werbsminderungsrente erhalten, müssen ergänzendGrundsicherung beziehen. Deswegen ist es richtig, dasswir die Handlungsmöglichkeiten nutzen, durch ein bes-seres Berechnungsverfahren dafür zu sorgen, dass auchjemand, der vorzeitig wegen Krankheit oder Unfall ausdem Erwerbsleben ausscheiden muss, eine Rente erhält,die ihn möglichst nicht dazu zwingt, um zusätzlichestaatliche Stütze anstehen zu müssen.
Herr Kollege Weiß, gestatten Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Andreae?
Ja, bitte schön.
Herr Kollege Weiß, Sie haben vorhin davon gespro-
chen, dass die Beitragssätze bei 18,9 Prozent stabil ge-
halten werden können und die Rentenkasse mit 31 Mil-
liarden Euro voll ist. Sie sagten, es wäre jetzt an der Zeit,
die Mütterrente einzuführen. Sie wissen, dass, wenn Sie
die Mütterrente aus der Rentenkasse und damit aus den
Beiträgen der Beitragszahler finanzieren, die 31 Milliar-
den Euro schmelzen werden; denn Sie werden jedes Jahr
6 bis 7 Milliarden Euro für die Mütterrente ausgeben
müssen. Die Mütterrente ist definitiv eine versicherungs-
fremde Leistung. Sie hat mit den Beiträgen in die Ren-
tenkasse nichts zu tun. Wenn Sie die Mütterrente wollen,
dann müssen Sie sie – das ist zwingend logisch – über
Steuermittel finanzieren.
Ich möchte Sie noch auf ein Zitat aus einer Rede von
Ihnen von vor einem Jahr hinweisen:
Wenn ich die Rücklage aber verjubeln will,
– das haben Sie gesagt –
dann habe ich für die Rentenversicherung nichts
gewonnen, sondern werde sie auf alle Zeit mit hö-
heren Belastungen versehen und künftig immer
höhere Beiträge der Beitragszahlerinnen und Bei-
tragszahler erheben müssen.
Erklären Sie mir, warum Sie nicht in der Lage sind, zu
sagen: „Die Mütterrente muss zwingend logisch aus
Steuermitteln finanziert werden und hat mit den Bei-
tragszahlungen in die Rentenkasse nichts zu tun“!
Frau Kollegin Andreae, Frau Bundesministerin vonder Leyen hat in ihrer Rede bereits darauf hingewiesen,dass die gesetzliche Rentenversicherung schon heute ineinem hohen Maß, nämlich zu einem Drittel ihrer Aus-gaben, aus Steuermitteln finanziert ist.
Das heißt, die Beiträge der Beitragszahlerinnen und Bei-tragszahler bestreiten nur zwei Drittel der jährlichenAusgaben; ein Drittel kommt aus den Steuermitteln.
– Frau Ferner, dieser Betrag ist mehr als das, was wir fürsogenannte versicherungsfremde Leistungen aus derRentenversicherung ausgeben.Ich komme zu einem zweiten Punkt und möchte das,was die Frau Ministerin bereits vorgetragen hat, wieder-holen: Es ist verabredet, dass ein zusätzlicher Bundeszu-schuss in Höhe von 2 Milliarden Euro hinzukommensoll, um den Beitrag des Bundes zur Stabilisierung desRentenniveaus und zur Stabilisierung des Rentenbei-tragssatzes auch in Zukunft zu gewährleisten.
Ich finde: Zusammengerechnet ist es eine großartigeLeistung, die wir aus dem Steueraufkommen erbringen.Das macht es uns möglich, die Leistungen so auszuge-stalten, wie wir es im Koalitionsvertrag miteinander ver-abredet haben.
Weil wir hier über den Beitragssatz diskutieren undweil Sie, Frau Kollegin Andreae, sich als mittelstands-politische Sprecherin der Grünen gern bei Unternehmenin unserem Lande aufhalten,
möchte ich eines sagen: Für die Unternehmer in unseremLand ist eine Beitragssatzstabilität das Allerwichtigste,sodass sie wissen: Ich muss nicht mit Sprüngen nach un-ten oder nach oben rechnen, sondern kann stabil kalku-lieren.
Würden wir den Beitragssatz jetzt senken, dann wäreklar, dass er in wenigen Jahren wieder deutlich nachoben gehen würde. Deswegen ist alles, was wir tun, ei-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 109
Peter Weiß
(C)
(B)
nem Ziel verpflichtet: der Beitragssatzstabilität für dieUnternehmen und für die Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer in Deutschland.
Unsere Bundeskanzlerin hat gestern bei der Vorstel-lung des Koalitionsvertrages erklärt, dass es bei erfolg-reicher Umsetzung dieses Koalitionsvertrages eine guteChance gibt, dass es uns in vier Jahren, also 2017, bessergehen wird als heute. Diese Botschaft gilt uneinge-schränkt auch für die Rentenpolitik. Ja, wir wollen fürstabile Beiträge, eine ausreichende Finanzierung, Rück-lagen in der Rentenversicherung und dort, wo es not-wendig ist, für rentenpolitische Verbesserungen sorgen,damit es den Menschen 2017 besser geht als heute.Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, damit schließe ichdie Aussprache.Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/52 an den Hauptausschuss vor-geschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:Beratung des Antrags der Abgeordneten OliverKrischer, Bärbel Höhn, Annalena Baerbock,weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-NIS 90/DIE GRÜNENKlimakonferenz in Warschau – Ohne deut-sche Vorreiterrolle kein internationaler Kli-maschutz– Drucksache 18/96 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich rufe die erste Rednerin in dieser Runde auf: Dasist Annalena Baerbock. Sie haben das Wort!
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! 5 200 Tote und 3,5 Millionen vertrie-bene Philippinerinnen und Philippiner – die Mahnung andie Staaten der Welt vor der Weltklimakonferenz hättenicht mächtiger ausfallen können. Doch trotz aller Soli-daritätsbekundungen verdeutlichten die Staaten in War-schau, welch niedrigen Stellenwert sie dem Klimaschutzmittlerweile einräumen.Die – ohnehin als technische COP angesetzte – Kli-makonferenz war geprägt von einer Ambitionslosigkeitder Staaten, die ihresgleichen sucht. Japan und Austra-lien kippten schon vorab ihre Klimaambitionen. DerGastgeber Polen veranstaltete parallel zur Weltklima-konferenz einen Kohlegipfel, und Sie, Herr Altmaier,verdeutlichten mit Ihrer Stippvisite, welche Priorität derKlimawandel bei Ihnen hat. Sie haben lieber abends mitMaybrit Illner auf dem Sofa geplaudert, anstatt mit denChinesen ernsthaft über CO2-Reduktionsziele zu disku-tieren.
In Ihrer Rede erwähnten Sie ganz kurz: „Wir sindwieder da im Klimaschutz“. Ich fragte mich angesichtsdessen, dass Deutschland in Warschau beim Klimaindexgerade auf den beschämenden 19. Platz zurückgestuftwurde, was Sie mit „da“ eigentlich meinten. Der Koali-tionsvertrag gibt darauf jetzt eine Antwort. Mit „da“ warnicht die Vorreiterschaft im internationalen Klimaschutzgemeint, mit „da“ war gemeint: Wir sind wieder da imKohlezeitalter in Deutschland.
Von dem so wichtigen Klimaschutzgesetz, das Sie,liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, in mehre-ren Bundesländern gemeinsam mit den Grünen mittra-gen, findet sich keine Spur mehr im Koalitionsvertrag.Stattdessen heißt es in Ihrem Vertrag, die Braunkohle,also der Klimakiller Nummer eins, spiele nach wie voreine bedeutende Rolle und konventionelle Kraftwerkeseien auf absehbare Zeit unverzichtbar. Mit Blick aufden Fahrplan für ein neues Klimaabkommen in Paris2015, für den sich die EU in Warschau zu Recht sehrstarkgemacht hat, kann man angesichts dieser Vorhabennur hoffen, dass Ihr Koalitionsvertrag nicht so schnellins Englische übersetzt wird. Denn erklären Sie mir bitteeinmal, wie Sie die Entwicklungsländer dazu bewegenwollen, in den nächsten Monaten ambitionierte Reduk-tionsziele auf den Tisch zu legen, wenn Deutschland sel-ber weiter Klimakiller – wie bei mir in Brandenburg dasKraftwerk Jänschwalde, das mehr CO2 ausstößt als26 afrikanische Staaten zusammen – langfristig am Netzhalten will, sehr verehrte Damen und Herren von derSPD und der CDU/CSU.
Ihr Koalitionsvertrag mag Schritte in die richtigeRichtung enthalten. Man muss aber ganz klar sagen: Fürdie Energiewende und die internationale Klimapolitik ister ein Desaster. Während in Warschau eines der wirklichpositiven Signale war, dass vor Ort die erneuerbarenEnergien weiter ausgebaut werden, dass mittlerweile70 Prozent der weltweiten Investitionen der Energiein-dustrie in Erneuerbare gehen, deckeln Sie den Ausbauder erneuerbaren Energien in Deutschland. Die Be-schränkung des Ökostromanteils auf 45 Prozent bis 2025und bis 60 Prozent bis 2030 halbiert das heutige Aus-bautempo. Ich frage Sie sehr direkt, liebe Kolleginnenund Kollegen von SPD und CDU/CSU: Ist Ihnen eigent-lich klar, dass Ihre Pläne zur Windhöffigkeit bedeuten,dass in Zukunft südlich von Hannover so gut wie keinneues Windrad mehr gebaut werden kann? Ich frageauch Sie, lieber Herr Altmaier, wie Sie mit solchen Plä-
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Annalena Baerbock
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nen, die den Erneuerbaren die Flügel stutzen und demKlimaschutz „Made in Germany“ eine Absage erteilen,in den nächsten Monaten international ernsthaft für am-bitionierte Ziele werben wollen.Eine für ein neues Klimaschutzabkommen so wich-tige Vorreiterschaft hieße, über 80 Prozent der Bevölke-rung in unserem Land, die für die Energiewende stehen,und Millionen von Menschen, die die Energiewende miteigenen Solaranlagen auf ihren Dächern tagtäglich vo-rantreiben, nicht weiter vor den Kopf zu stoßen. Vorrei-ter sein hieße, die Warnungen der direkt vom Klima-wandel betroffenen Entwicklungsländer ernst zu nehmenund den jüngst veröffentlichten Sachstandsbericht desIPCC mit Maßnahmen zu untermauern. Vorreiter seinhieße, Mindestwirkungsgrade für fossile Kraftwerkefestzusetzen und den Aufschluss neuer Tagebaue durcheine Novelle zum Bergrecht auszuschließen. Vorreitersein hieße, sich auf europäischer Ebene bis zum Früh-jahrsgipfel der EU für ernsthafte und ambitionierte CO2-Reduktionsziele von mindestens 55 Prozent bis 2030einzusetzen.
Vorreiter sein hieße auch, meine sehr verehrten Damenund Herren, den Emissionshandel wieder zu einemscharfen Schwert des Klimaschutzes zu machen, indemwir eine Preisuntergrenze für CO2-Zertifikate einführenund für eine dauerhafte Marktverknappung sorgen.
Liebe Kollegin Baerbock, es gibt den Wunsch einer
Zwischenfrage aus den Reihen der CDU/CSU. Lassen
Sie sie zu?
Ja, fragen Sie ruhig.
Die Kollegin Baerbock lässt die Frage zu.
Bitte, Herr Kollege.
Frau Präsidentin! – Liebe Kollegin Baerbock, vielen
Dank, dass ich eine Zwischenfrage stellen darf. Ich hätte
sie auch am Ende der Rede stellen können. Da es aber
meine erste Zwischenfrage ist, stelle ich sie jetzt direkt.
Dies ist auch meine erste Rede; das trifft sich gut.
Sie haben in Ihrer sehr emotionalen Rede auf dieschreckliche Katastrophe auf den Philippinen abgeho-ben. Ihnen ist aber schon klar – das meine ich jetzt ohneZynismus –, dass der Taifun und seine schrecklichenAuswirkungen auf den Philippinen, wenn überhaupt, nursehr peripher etwas mit dem Klimawandel zu tun haben.
Ich beziehe mich dabei auf einen Fachartikel, der vor ei-niger Zeit im Tagesspiegel erschienen ist und in demsehr deutlich ausgeführt wurde, dass die jahrzehntelangeEntwaldung kombiniert mit dem massiven Bevölke-rungsanstieg mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit dieHauptursache für die schreckliche Dimension dieser Ka-tastrophe auf den Philippinen ist. Ich finde – das wäremeine Frage –, wir sollten in dieser Diskussion zu eineretwas sachlicheren Betrachtung solcher Ereignisse kom-men; denn es kann nicht sein, dass jeder Taifun – Taifunewird es auch in der Zukunft immer wieder geben; das istein Stück weit eine Zwangsläufigkeit – die Debatte be-fördert und damit Diskussionen, die wir auf einer sachli-chen und wirtschaftlich relevanten Basis führen müssen,ein Stück weit übertüncht werden.Vielen Dank.
Vielen Dank für Ihre Frage. – Ich hätte nicht gedacht,dass Sie den Koalitionsvertrag noch übertreffen können.Darin wird ja anerkannt, dass der Klimawandel vomMenschen gemacht ist. Das erkennt ja nicht nur die Bun-desregierung, sondern, wie ich glaube, so gut wie jederin diesem Land an. Wenn Sie das nicht anerkennen, danngehören Sie zu einer deutlichen Minderheit.
Natürlich kann man nie sagen, ob ein einzelner Taifunvom Klimawandel verursacht ist. Aber die Erderwär-mung und vor allen Dingen die Erwärmung der Meereführen dazu – lesen Sie das einmal genau nach –, dasssich die Wirbelstürme weltweit, nicht nur auf den Philip-pinen, sondern auch bei uns, verschärft haben. Ichglaube, es gibt doch fachliche Studien, die das untermau-ern.Sie haben die Entwaldung angesprochen, die ich zumEnde meiner Rede ohnehin erwähnt hätte. Wir sind ja inWarschau zum Glück dazu gekommen, dass das Wieder-aufforstungsprogramm REDD+ auf den Weg gebrachtwurde, dass Mittel bereitgestellt werden und dass wiruns weltweit für eine Eindämmung der Abholzung vonTropenwäldern einsetzen. Ein schöner Nebeneffekt war– dafür sind solche internationalen Konferenzen ja auchimmer gut –, dass indigene Völker jetzt erstmalig inter-national anerkannt werden, womit ihr Schutz einhergeht.In diesem Sinne war, glaube ich, der Taifun eine sehrgute Mahnung, sowohl in Richtung Klimawandel alsauch bezogen auf die Entwaldung, die global geradestattfindet.
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Annalena Baerbock
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Zum Schluss ist mir eines wahnsinnig wichtig: Ichglaube, alle, die gesehen haben, dass die Preise im Emis-sionshandel durch das Backloading eben nicht nach obengegangen sind, dass wir immer noch bei 5 Euro proTonne CO2 kreisen, obwohl wir eigentlich Preise von25 bis 30 Euro pro Tonne bräuchten, haben verstanden,dass wir dringend etwas tun müssen. Einige der Forde-rungen, gerade auch von anderen internationalen Dele-gationen, lauteten ja, dass die EU hier endlich handelnmuss. Daher fordern wir Sie in unserem Antrag dazu auf,sich in Vorbereitung des Frühjahrsgipfels auf EU-Ebenedafür einzusetzen, dass wir den Emissionshandel wiederzu dem machen, was er eigentlich sein sollte: ein schar-fes Schwert im Klimaschutz, das zu einer dauerhaftenMarktverknappung beim Emissionshandel führt.
Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
In diesem Sinne möchte ich bei Ihnen, liebe Parla-
mentarierinnen und Parlamentarier, dafür werben, dass
wir heute trotz dieses Koalitionsvertrages als Parlament
deutlich machen, dass Deutschland den Klimaschutz in
Zukunft nicht ersatzlos streichen will, sondern dass wir
mit ambitionierten Schritten auf dem Weg nach Paris vo-
ranschreiten. Dafür brauchen wir ambitionierte Maßnah-
men vonseiten Deutschlands und von der EU. Stimmen
Sie bitte deshalb unserem Antrag zu!
Herzlichen Dank.
Dies war die erste Rede der Kollegin Baerbock,
gleich mit einer Zwischenfrage. Herzlichen Glück-
wunsch!
Jetzt spricht der Bundesminister Altmaier.
Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Frau Kollegin Baerbock, auch ich gratuliere Ih-
nen herzlich zu Ihrer Jungfernrede und wünsche Ihnen
eine gute und interessante Arbeit im Deutschen Bundes-
tag.
Die Vereinbarungen von Warschau sind ein wichtiger
Zwischenschritt auf dem Weg zu einem großen Klima-
abkommen in Paris, das alles andere als sicher, aber
dringend notwendig ist; sie sind nicht mehr und auch
nicht weniger. Vor allen Dingen haben die getroffenen
Vereinbarungen – wie bei allen anderen Klimakonferen-
zen seit Kioto – die Hoffnungen von Millionen von
Menschen nicht erfüllt, die unter dem Klimawandel lei-
den oder die – wie wir in Deutschland, in Europa und in
anderen Ländern – hoffen, dass sich die Weltgemein-
schaft endlich einmal dazu aufrafft, etwas Durchgreifen-
des zu tun.
Trotzdem haben wir gemeinsam die Verantwortung,
die Fortschritte, die wir erreichen, und die Beiträge, die
wir leisten, nicht kleinzureden, so wie es heute hier und
auch in manchen Kommentaren geschehen ist; denn wir
befinden uns in einer Situation, in der es der Klima-
schutz weltweit schwerer hat als vor 10 oder 15 Jahren.
Die Banken- und Börsenkrise, die Staatsschuldenkrise,
die weltweite Wirtschaftskrise, all das hat dazu geführt,
dass eine Reihe von Staaten ihre Ambitionen zurückge-
schraubt haben und andere Staaten beim Eingehen von
Verpflichtungen vorsichtig sind. Wir haben die Situa-
tion, dass Länder wie Japan und Australien beim Klima-
schutz eher auf dem Rückmarsch sind und dass Schwel-
len- und Entwicklungsländer wie Indien, China und
Brasilien beim Eingehen von Verpflichtungen sehr vor-
sichtig sind, obwohl sie erkannt haben, dass sie mit wei-
terhin ungehemmt steigenden CO2-Emissionen den Ast
absägen, auf dem sie selber sitzen.
Vor diesem Hintergrund haben wir alle gemeinsam
die Verantwortung, dafür zu sorgen, dass es beim Klima-
schutz nicht rückwärts, sondern vorwärts geht und dass
wir in Paris im Jahre 2015 zum ersten Mal ein Abkom-
men erreichen, das nicht nur einige Industrieländer, son-
dern alle Länder auf dieser Welt verpflichtet, also für alle
Länder klare und nachvollziehbare Minderungsver-
pflichtungen festschreibt. Davon sind wir noch ein er-
hebliches Stück entfernt.
Herr Bundesminister, lassen Sie eine Zwischenfrage
der Kollegin Höhn zu?
Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit:
Von der Kollegin Höhn jederzeit.
Danke schön. – Herr Bundesumweltminister, ich habeIhren Koalitionsvertrag genau studiert. Darin haben Siesehr deutlich geschrieben, es müsse sichergestellt wer-den, dass es sich beim Backloading, für das Sie sich zuRecht eingesetzt haben – es ist jetzt auch auf EU-Ebenebeschlossen –, um eine einmalige Maßnahme handelt:Die Zertifikate müssen zurück in den Markt, und mehrgibt es auch nicht.Nun wissen Sie, dass Backloading nicht reicht. WennSie also, wie Sie eben gesagt haben, für einen ehrgeizi-gen Klimaschutz stehen, wenn Sie Länder wie Chinaund Indien dazu bringen wollen, etwas zu tun – auchChina muss etwas tun; der durchschnittliche CO2-Aus-stoß pro Kopf ist dort schon fast so hoch wie in Europa –,dann muss Europa vorangehen. Also: Backloading reichtnicht. Bedeutet dieser Koalitionsvertrag, dass Sie sichnicht für ein Set-aside und für eine Reduktion der CO2-Emissionen um 30 Prozent bis 2020 einsetzen werden?
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Bärbel Höhn
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Wie wollen Sie unter diesen Bedingungen die anderenLänder dazu bringen, etwas zu tun?Peter Altmaier, Bundesminister für Umwelt, Natur-schutz und Reaktorsicherheit:Frau Kollegin Höhn, ich kann mich erinnern: In denletzten anderthalb Jahren haben Sie mich eigentlich allevier Wochen gefragt, warum es beim Backloading nichtendlich einmal vorangeht; Sie haben uns alles Möglicheunterstellt. Nun ist die Bundestagswahl gerade einmalsechs Wochen vorüber, und wir haben das Backloadingim Ministerrat in Brüssel beschlossen; es ist auf dem al-lerbesten Weg. Da hätten Sie vielleicht wenigstens ein-mal anerkennend sagen können, dass wir in diesemPunkt partei- und fraktionsübergreifend einen Fortschritterzielt haben.
Das war der erste Punkt.Der zweite Punkt: Das Backloading findet einmaligstatt, weil es nicht ständig willkürliche Eingriffe in einHandelssystem geben kann, das nach marktwirtschaftli-chen Kriterien funktioniert. Aber das schließt nicht aus,dass wir uns in den nächsten Wochen, Monaten und Jah-ren auf eine strukturelle Reform des Emissionshandels-systems verständigen,
um ihn wirksamer und besser zu machen. Was niemandwill, ist, dass es je nach Kassenlage Eingriffe gibt, dieniemand voraussehen und kalkulieren kann. Wir brau-chen auch in diesem Bereich Beständigkeit und Verläss-lichkeit.
Es ist deshalb auch wichtig, meine sehr verehrten Da-men und Herren, dass wir uns im Koalitionsvertrag ein-deutig zu unseren Zielen beim Klimaschutz und bei denerneuerbaren Energien bekennen, die für die Bundes-regierung – für alle Bundesregierungen der letzten20 Jahre – maßgeblich waren. Das bedeutet, dass wirden Ausstoß von CO2 in Deutschland bis 2050 um 80 bis95 Prozent reduzieren wollen. Von diesem Ziel gehenwir nicht ab. Wir wollen, dass Europa insgesamt Vorrei-ter wird.
Wir haben uns im Koalitionsvertrag dazu bekannt, dasswir innerhalb der EU ein ambitioniertes Treibhausgas-minderungsziel von mindestens 40 Prozent für das Jahr2030 festsetzen und dass wir in einer Zieltrias darüberhinaus auch ambitionierte Ziele in Bezug auf erneuer-bare Energien und Energieeffizienz beschließen.All das macht deutlich, dass Deutschland auch inEuropa ein Vorreiter beim Klimaschutz bleibt. Aber esmacht auch deutlich, dass wir das mit Augenmaß tunund dass wir es so tun wollen, dass die Unternehmen unddie Arbeitsplätze in Deutschland erhalten bleiben, dasssie sich an die neuen Bedingungen anpassen können unddass wir unsere Vorreiterstellung, auch was die wirt-schaftliche Wettbewerbsfähigkeit und die Zahl von In-dustriearbeitsplätzen in Deutschland angeht, auch in Zu-kunft erhalten und verteidigen können. Das ist übrigensein wichtiges Ziel; denn es nützt gar nichts, liebe FrauKollegin Höhn, wenn wir hier in Deutschland diestrengsten Klimaschutzauflagen haben, aber gleichzei-tig die Unternehmen, die Stahl, Kupfer, Aluminium undanderes produzieren, in Ländern produzieren, in denenes diese Klimaschutzauflagen nicht gibt. Dann haben wiram Ende für den Klimaschutz nicht mehr, sondern weni-ger erreicht. Das ist der Grund, warum wir ein weltwei-tes Abkommen brauchen, das für alle Länder gleicher-maßen verbindlich ist.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich habe so-wohl in Warschau als auch an anderer Stelle nachdrück-lich betont, dass ich der Auffassung bin, dass sich auchjene Länder bewegen müssen, die schon damals in Ko-penhagen verhindert haben, dass wir ein notwendigesAbkommen beschließen konnten. Das sind vor allenDingen die großen Länder USA und China. In beidenFällen haben sich die politischen Führungen, PräsidentObama und die neue Staats- und Parteiführung in China,in den letzten Monaten klimapolitisch konstruktiv undpositiv geäußert. Wir finden aber, dass das noch nicht inausreichendem Maße das reflektiert, was auf internatio-nalen Klimaschutzkonferenzen möglich ist. Jedenfallshaben wir das in dieser Form in Warschau nicht vorge-funden.Es war wichtig, dass wir in Warschau einen Fahrplanfür Paris ausgearbeitet haben, der vorsieht, dass alle Län-der aufgefordert sind, deutlich vor der Konferenz, näm-lich bereits im März 2015, ihre eigenen Verpflichtungenund Beiträge vorzulegen und offenzulegen; denn dannkönnen wir einschätzen, ob die vorgesehenen Maßnah-men ausreichen, um das 2-Grad-Ziel zu erreichen. An-schließend werden wir darüber sprechen, inwieweit derErfolg der Beiträge, die in der Zeit, bevor das Abkom-men 2020 in Kraft tritt, geleistet werden, nachzuprüfenist. Sie sehen: Das ist alles hochkomplex und hochkom-pliziert.Wir haben in Bezug auf Deutschland im Übrigen auchklargemacht, dass wir zu unseren Zusagen zur interna-tionalen Klimafinanzierung stehen. Wir haben klarge-macht, dass wir zu unseren Zusagen für den GreenClimate Fund stehen. Wir haben klargemacht, dass wirzu unseren sonstigen Zusagen stehen. Aber es kann nichtsein, dass nur Norwegen, Schweden, Deutschland undeinige andere Länder diese Beiträge leisten. Wir erwar-ten, dass andere Länder in vergleichbarer Situation die-sem Beispiel folgen und ebenfalls ihre nationalen Bei-träge entsprechend erhöhen und ihre Zusagen einlösen.
Wir haben in einem Bereich – ich freue mich sehr,dass die Kollegin Baerbock das angesprochen hat – ei-nen wirklichen Durchbruch erzielt, und zwar beim Wald-schutz. Ich habe an der entsprechenden Konferenz in
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Bundesminister Peter Altmaier
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Warschau nicht nur teilgenommen, sondern auch nocheinmal die deutsche Position vertreten. Wir haben nichtnur die finanziellen Mittel für den Waldschutz erhöht,sondern wir haben vor allen Dingen zum ersten Mal mitdem Methodenhandbuch einen unabhängigen Überprü-fungsmechanismus für die erreichten Emissionsminde-rungen in Entwicklungsländern geschaffen. Es wird fürdie Industrieländer viel einfacher und viel attraktiversein, in den Waldschutz in Entwicklungsländern zu in-vestieren, wenn klar ist, dass die gesteckten Ziele tat-sächlich überprüfbar und verifizierbar sind; denn nurdann lohnt es sich im Endeffekt, entsprechende Geldereinzusetzen. Genau das haben wir erreicht, übrigens ge-meinsam mit unseren Kollegen und Freunden aus Groß-britannien und Norwegen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir werdenin den nächsten Wochen und Monaten harte Arbeit voruns haben. Wir werden mit der Reform des deutschenEEG, die wir im nächsten Jahr beginnen, deutlich ma-chen: Wir stehen zu den erneuerbaren Energien, aber siemüssen so bezahlbar werden, dass sie sich auch Länderwie China und Indien leisten können. Wir werden imFrühjahr deutlich machen, dass sich die EuropäischeUnion ein ambitioniertes Klimaschutzziel für das Jahr2030 gesetzt hat. Wir werden alle Kräfte einsetzen, da-mit der Klimaschutzgipfel in Paris im Jahre 2015 endlichein Klimaschutzgipfel wird, der diesen Namen auch ver-dient.In diesem Sinne: Die Anstrengungen lohnen sich. DerKollege, der die Zwischenfrage gestellt hat, die KolleginBaerbock und alle anderen in diesem Hause sind herz-lich eingeladen, die neue Bundesregierung in diesen An-strengungen zu unterstützen.Vielen Dank.
Als nächste Rednerin spricht jetzt die Kollegin
Bulling-Schröter.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn unsere Nachkommen eines Tages schauen, was inden Geschichtsbüchern über die Weltklimakrise steht,dann werden sie nur zu einem Schluss kommen können:mit Vollgas gegen die Wand. Der Warschauer Klimagip-fel – meine Vorredner haben ihn bereits angesprochen –,aber auch der Koalitionsvertrag von CDU, CSU undSPD weisen in diese Richtung. Ich glaube nicht, dass diekünftige Bundesregierung es wirklich ernst meint mitdem Klimaschutz, erst recht nicht unter der Ägide derMöchtegernklimakanzlerin Merkel. Der Klimagipfel inWarschau hat gezeigt, dass sich die Klimakrise weltweitweiter zuspitzt. Trotz aller Warnungen der Wissenschaftwird immer noch zu wenig gehandelt, auch und geradein Deutschland.
Die Gefahr des Klimawandels wird kollektiv ver-drängt. Damit meine ich nicht nur die Klimawandelleug-ner in der CDU, von denen sich einer vorhin zu Wort ge-meldet hat. Wir kennen die Arbeitsteilung von derletzten Großen Koalition: Die SPD schmeißt ihre Wahl-versprechen über Bord, um mit Volldampf Kurs aufmehr Braunkohletagebau und mehr Kohlekraftwerke zunehmen.
Verpufft ist auch Steinbrücks noch im August angekün-digte staatliche Strompreisaufsicht, mit deren HilfeEnergiearmut und Stromsperren verhindert und die Will-kür der Stromversorger bei der Preisbildung beendetwerden sollten. Wie steht es so schön im Koalitionsver-trag: Begrenzung der „Kostendynamik beim Ausbau dererneuerbaren Energien“, und man will „der Entwicklungder konventionellen Energiewirtschaft einen stabilenRahmen“ geben. Was hinter dieser Verklausulierungsteht, ist ja wohl klar: Der Ausbau der Erzeugung vonEnergie aus Wind und Sonne wird gebremst; schwarzwie Kohle ist die Zukunft.Damit hat Hannelore Kraft zum wiederholten Maleihre schützende Hand über die sogenannte fossile Ener-gieindustrie gehalten. Und die CDU? Die zieht mit.Wenn es dem Klima an den Kragen geht, dann ist dieUnion sogar noch besser. Ich nenne nur die Quandt-Spenden und Daimlers frisch gebackenen LobbychefEckart von Klaeden. Die Autolobby ist stark. Sie sorgtdafür, dass in Brüssel die Begrenzung des CO2-Aussto-ßes bei Pkw ausgebremst wird und durch eine Blockadeim Rat die Rechte des Europaparlaments infrage gestelltwerden. Das BMW-Mandat wird geflissentlich umge-setzt: Bloß keine Unternehmensinteressen antasten, we-der in Europa noch im Bund! Den Vorschlag der SPD,ein Klimaschutzgesetz auf den Weg zu bringen, habendie Herren von der CDU auch zu Fall gebracht. Der Kli-maexperte der SPD twitterte dazu: Klimaschutz im Ko-alitionsvertrag – Note drei minus. Mal sehen, ob dieSPD die Versetzung schafft. Klar ist, dass wir mehr Ar-beitsplätze brauchen; aber wir brauchen ökologische Ar-beitsplätze, mit weniger CO2-Ausstoß. Ich sage Ihnen:Das ist machbar.
Für Millionen von Menschen, die nicht erst seit heuteunter den Folgen der Gletscherschmelze, unter den Fol-gen von Überschwemmungen und Dürren leiden, wirdDeutschland unter dieser Großen Koalition – das ist einegroße Kohle- und Autokoalition – wenig Gutes bringen.Das hat natürlich mit Kapitalismus zu tun. Wir müssenNein sagen zu dieser Wirtschaft der Ausschließung undder Disparität der Einkommen,
und zwar nicht nur zwischen dem Bodensee und Rügen,sondern weltweit. Die Verweigerung der Regierungspar-teien, die freien Kräfte des Marktes an die Leine zu neh-men, ist nicht nur ein Beleg für die Beißhemmung der
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Eva Bulling-Schröter
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Politik gegenüber der Wirtschaft – dieser Vorwurf stimmteinfach –; aufs Spiel gesetzt wird die Atmosphäre desganzen Planeten. Ich sage Ihnen: Diese Wirtschaft,meine Damen und Herren, tötet. – Darüber regt sich janiemand auf. Das wundert mich.
Die Forderung nach weniger Egoismus und mehr Ge-rechtigkeit, gerade auch in Klimafragen, würde ich so-fort unterschreiben. Gestellt hat sie kein Geringerer alsPapst Franziskus in seiner jüngsten Erklärung zur Refor-mierung der katholischen Kirche. Sie arbeitet sogar aneiner Umweltenzyklika. Wenn selbst der Vatikan dassagt, dann, meine ich, sollten auch Sie ihm einmal zuhö-ren und nicht nur ich als alte Linke.
Zum Schluss noch: Es gibt im Internet ein BlaBlaMeter,das Texte auf ihren Aussagegehalt prüft und ganz unideo-logisch entlarvt, wie viel um den heißen Brei herumgeredetwird. Wir haben dort einmal die Klimavereinbarung ausdem Koalitionsvertrag eingegeben. Ich zitiere das Ergeb-nis: Ihr Text riecht schon deutlich nach heißer Luft. Siewollen hier wohl offensichtlich etwas verkaufen oder je-manden tief beeindrucken.
Liebe Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. – Die Linke sagt: Wir wol-
len eine gerechte Klimapolitik und eine Energiewende
ohne Stromsperren und Industrieprivilegien. Wir brau-
chen Klimagerechtigkeit weltweit. Nach 20 Jahren er-
folgloser Klimapolitik heißt das für uns auch, dass der
Status Klimaflüchtling in die UN-Flüchtlingskonvention
aufgenommen werden muss.
Es spricht jetzt der Kollege Frank Schwabe.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Zunächst einmal ganz herzlichen Dank an diejenigen,die für uns verhandelt haben, an die Mitarbeiterinnenund Mitarbeiter, an die Chefdiplomaten des Bundesum-weltministeriums und anderer deutscher Ministerien.Wir haben international wirklich einen guten Ruf. Ichglaube, den Dank dafür muss man aussprechen.
Ich will mich auch bei den Kolleginnen und Kollegenaus dem Bundestag bedanken. Es war gut, dass wir dortmit einer Delegation vertreten waren; denn so könnenwir besser verstehen, wie die internationalen Prozessejenseits der nackten Vertragstexte ablaufen. Es ist auchgut, dass wir die deutsche Position dort durchaus diffe-renziert darstellen konnten.Was die Ergebnisse dieser Klimakonferenz und auchdie Ergebnisse der Konferenzen der letzten Jahre betrifft,empfehle ich einen nüchternen Blick. Wir brauchendiese Klimakonferenzen; das ist meine Quintessenz derletzten Jahre. Wir haben gesehen, dass wir beim Wald-schutz und auch beim Umgang mit klimawandelbeding-ten Schäden durchaus Fortschritte erreicht haben. Das istdas eine. Wir brauchen also diesen Prozess; ich würdeihn nicht über Bord werfen. Aber wahr ist auch: Wirbrauchen ergänzende Prozesse. Wir brauchen, wie es in-ternational genannt wird, Vorreiterallianzen. Auch da istes gut, dass Deutschland im Rahmen von IKI-Projektenund anderen Projekten international eine Menge guterArbeit leistet. Allerdings – auch das will ich sagen – wardas, was wir in den letzten vier Jahren auf höchsterEbene, auf Ministerebene gesehen haben, zu schwach.Ich weiß bis heute nicht, was der Club der Energie-wende-Staaten eigentlich sein soll. Es wird Aufgabe derzukünftigen Koalition sein, Klarheit darüber zu schaffen.
Das ist meiner Meinung nach das, was gebrauchtwird. Deutschland hat eine große Verantwortung. DerBegriff der Energiewende ist – das war auf der Konfe-renz interessant – in der Tat ein Begriff, den alle durch-buchstabieren können; egal ob Chinesen, Menschen ausBangladesch, Nigeria, Peru oder Mexiko, alle konntenuns sagen, was Energiewende bedeutet. Auch wenn wirunterschiedliche Einschätzungen dazu haben, wer für dieEnergiewende verantwortlich ist und wer sie eher blo-ckiert, sind wir uns, glaube ich, einig, dass Deutschlanddiese Verantwortung hat. Dafür müssen wir unsere natio-nalen Aufgaben erledigen, und wir müssen europäischund international wieder zurück auf das Spielfeld. Wirbrauchen in Deutschland in den nächsten vier Jahreneine Renaissance einer ambitionierten Klimaschutzpoli-tik.
Ich jedenfalls finde, dass es in den letzten vier JahrenStillstand bis Rückschritt gegeben hat. Ich will auch auf-zeigen, wo der Rückschritt in den letzten Jahren statt-fand. Es gab in der Tat eine viel zu lange Blockade beimEmissionshandel, insbesondere beim Backloading, abernicht nur dort. Es gab eine Blockade im Bereich derEnergieeffizienz. Es gab eine Blockade bei den CO2-
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Frank Schwabe
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Grenzwerten bei Automobilen. Es gibt faktisch aucheine Blockade hinsichtlich eines Einfuhrstopps von Ölenaus Teersanden. Ich erwarte, dass eine neue deutscheBundesregierung diese Blockaden in den nächsten vierJahren auflöst.
Ich erwarte, dass die neue Koalition ihre Hausaufga-ben macht. Vor ihr liegen eine ganze Menge Aufgaben,und insbesondere drei Aufgaben müssen jetzt sehr kurz-fristig erledigt werden.Erstens. Wir brauchen einen klaren nationalen Rah-men, wie wir Klimaschutzpolitik eigentlich organisierenund kontrollieren wollen. Ich gebe zu – so kommt dieDrei minus zustande –, ich hätte mir ein Klimaschutzge-setz gewünscht, wie es andere Länder auf der Welt undBundesländer in Deutschland haben. Ich glaube, dashätte uns einen klaren Rahmen für die nationale Politikgegeben. Es hätte auch Orientierung für den internatio-nalen Prozess gegeben.
Ich bedaure, dass es ein solches Klimaschutzgesetz jetztnicht geben soll.Zum Klimaschutzplan. Meine Einschätzung ist, dasses den letzten vernünftigen Klimaschutzplan – so etwasÄhnliches hat es schon einmal gegeben – am 23. August2007 gegeben hat, nämlich das IEKP, das IntegrierteEnergie- und Klimaprogramm, die sogenannten Mese-berger Beschlüsse mit ihren 29 Punkten. Ich glaube, dasswir einen solchen Plan sehr schnell brauchen, noch deut-lich vor der Konferenz in Paris. Es wird nämlich auch in-ternational erwartet, dass wir auf den Tisch legen, waswir erreichen wollen, und ein vernünftiges Controllingder Maßnahmen beschließen.Zweitens. Wir werden im Hinblick auf die EU-2030-Ziele ganz schnell handlungsfähig werden müssen.Dabei begrüße ich es, dass im Koalitionsvertrag aus-drücklich steht, dass wir für das Jahr 2030 drei Zielehaben wollen – die sogenannte Zieltrias –: für die Re-duktion von Treibhausgasen, für den Ausbau im Bereichder erneuerbaren Energien und für die Energieeffizienz.Es ist vollkommen klar – egal wie man rechnet –: Wennwir die internationalen Verpflichtungen ernst nehmen,dann wird das Ziel, bis zum Jahr 2030 eine Treibhaus-gasreduktion um 40 Prozent zu erzielen, nicht ausrei-chen. Im Koalitionsvertrag steht „mindestens 40 Pro-zent“. Ich sage: Das Ganze wird sich mehr in Richtung50 Prozent bewegen müssen, wenn wir im Rahmen desinternationalen Prozesses überhaupt ernst genommenwerden wollen.
Drittens. Wir brauchen in der Tat – ich glaube, auchdas ist bei Bundesminister Altmaier zwischen den Zeilendeutlich geworden – eine Reform des Emissionshandels,die über das Backloading hinausgeht. Das, was imKoalitionsvertrag steht, ist – so würde ich das interpre-tieren – auf die aktuelle Situation bezogen.
Es wird zukünftig Vorschläge der Kommission geben.Ich habe die Vermutung, dass Deutschland diese Vor-schläge sehr fortschrittlich begleiten wird.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich gebe zu – dieSPD befindet sich ja gerade in einem Diskussionspro-zess, wie wir mit dieser Großen Koalition umgehen –:Ich bin kein Anhänger einer Großen Koalition. Aber ichglaube, dass wir in den Jahren 2005 bis 2009 im Bereichder Klimapolitik eine ordentliche Arbeit geleistet haben.Das ist auch unsere Aufgabe und unser Job für dienächsten vier Jahre. Ich freue mich dabei darauf, dass dieOpposition das, was wir in der Koalition machen wer-den, kontrollieren wird; so soll es sein. Ich freue michaber auch darauf, dass wir über die Fraktionsgrenzenhinaus eine sehr intensive Debatte über die RolleDeutschlands führen werden und dies auch auf interna-tionalen Konferenzen immer wieder deutlich wird.Glückauf!
Jetzt hat der Kollege Andreas Jung das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will vorweg betonen, was wir hier schon oft betonthaben: Für meine Fraktion gibt es keinen begründetenZweifel, dass der Klimawandel voranschreitet, dass erschneller voranschreitet, als wir alle gemeinsam be-fürchtet haben, dass er menschengemacht ist, dass er mitunserem Handeln, mit dem Ausstoß von CO2 zu tun hatund dass wir aus diesem Grund genau hier ansetzenmüssen und wirksame Maßnahmen und Erfolge brau-chen. Ich will auch angesichts der Herausforderungender Finanzkrise und der Wirtschaftskrise sagen: Klima-wandel und Klimaschutz sind die wichtigste globale He-rausforderung, die die Menschheit in diesem Jahrhunderthat. Deshalb müssen wir dies gemeinsam angehen.Selbstverständlich ist, gemessen an dieser Heraus-forderung, bei diesem Gipfel wenig, ernüchternd wenigherausgekommen. Selbstverständlich sind die Schritteimmer zu klein. Selbstverständlich verbindet uns des-halb der Wille: Da muss mehr passieren. Wir brauchenmehr Ambitionen. Wir müssen jetzt endlich den Durch-bruch erzielen. – Manche haben geglaubt – wir haben esgehofft –, Warschau könnte eine wichtige Station aufdem Weg nach Paris sein. Spätestens dann, wenn manmit dem Zug stundenlang nach Polen fährt, weiß man:Wer nach Paris will, für den ist Warschau bestenfalls einUmweg.
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Andreas Jung
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Trotzdem wäre es falsch, zu sagen: „Da ist gar nichtsherausgekommen, wir haben nichts erreicht“, und dashat hier auch niemand getan. Wir haben in Warschau ei-nige wichtige Schritte gemacht. Für mich der wichtigsteist der Durchbruch beim Waldschutz. Dieses Thema soll-ten wir nicht kleinreden; immerhin entsteht ein Drittelder weltweiten CO2-Emissionen durch Landnutzungsän-derungen, die allermeisten durch Rodungen. Deshalb istder Durchbruch beim Waldschutz ein großer Erfolg, aufdem wir aufbauen müssen.
Dafür hatte sich die Bundesregierung eingesetzt, ge-nauso wie für den Anpassungsfonds. Bundesumweltmi-nister Altmaier hat in seiner Rede den deutschen Beitragfür diesen Anpassungsfonds angekündigt. Das hat eineDynamik ausgelöst, die dazu geführt hat, dass der An-passungsfonds jetzt tatsächlich kommen wird, dass erfunktionieren wird. Das ist ein zweiter Punkt, an demwir vorangekommen sind. Darauf gilt es jetzt aufzu-bauen.Selbstverständlich müssen wir weiter die Vorreiter-rolle einnehmen, die wir in Deutschland immer für unsin Anspruch genommen und immer ausgefüllt haben. Ichglaube, wir können da auf etwas aufbauen, und das müs-sen wir auch. Worum geht es dabei? Es geht erstens umZiele. Weil über den Koalitionsvertrag gesprochenwurde, will ich sagen: Es ist falsch, wenn behauptetwird, der Koalitionsvertrag sei ein Weg ins Kohlezeital-ter. Wir bekennen uns in diesem Koalitionsvertrag zuden ehrgeizigen Klimazielen, die wir in Deutschlandhaben und die da heißen: bis 2020 Reduktion der CO2-Emissionen um 40 Prozent gegenüber 1990, bis 2050 so-gar um 80 bis 95 Prozent. Die Koalition bekennt sich zudiesem ehrgeizigen, ambitionierten Programm. DieseZiele müssen wir gemeinsam erreichen.
Die EU muss genauso ambitioniert vorangehen. Wirhaben formuliert, dass wir die CO2-Emissionen bis 2030um mindestens 40 Prozent reduzieren wollen. Ich will andieser Stelle betonen, dass das Wort „mindestens“ zeigt,dass es da noch Spielraum nach oben gibt; FrankSchwabe hat das ebenfalls gesagt. Gerade wir Klima-politiker werden darauf drängen, hier noch ambitionier-ter vorzugehen, und wir werden dieses Anliegen kraft-voll in die europäische Debatte einbringen.Das gilt auch für den Emissionshandel. Ich bin demBundesumweltminister ausdrücklich dankbar dafür, dasser sich vehement für das Backloading eingesetzt hat.Hier hat es in den letzten Wochen einen Erfolg gegeben.Wir konnten das Signal geben – da sind wir uns alle ei-nig –: Das ist ein wichtiger Schritt. Für mich ist auchklar: Es ist nur ein erster Schritt, wir müssen hier nochweiter gehen. Deshalb bin ich Peter Altmaier dankbar,dass er ausdrücklich gesagt hat, dass er diesen Schrittmit der Offenheit für strukturelle Reformen verbindet.Ich meine, die brauchen wir. Backloading war die Not-OP. Nach der Not-OP kommt die Reha. Wir müssen ge-meinsam daran arbeiten, dieses Instrument zu stabilisie-ren.
Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage aus
den Reihen von Bündnis 90/Die Grünen?
Gerne.
Herr Kollege Jung, Sie sprechen beim Backloading
jetzt von einer Notoperation und sagen, es müsse weiter-
gehen. Ich schaue in Ihren Koalitionsvertrag. Da steht
drin, das Backloading soll ein einmaliger Eingriff in das
System bleiben, es soll nichts weiter geschehen. Ich
kann diesen Koalitionsvertrag nur so interpretieren – die
ganze Welt tut das –, dass Sie am Emissionshandel
nichts weiter ändern wollen, dass Sie nichts weiter dafür
tun wollen, dass der Emissionshandel in Zukunft wieder
funktioniert, und sehenden Auges in Kauf nehmen
wollen, dass das einzige Instrument der europäischen
Energie- und Klimapolitik kaputtgeht.
Ich finde, es ist ein Unding, dass, obwohl Sie im
Koalitionsvertrag gestern etwas völlig anderes verein-
bart haben, Sie sich alle schön hier hinstellen und so tun,
als würden Sie beim Emissionshandel etwas machen
wollen. Da bitte ich doch um die Ehrlichkeit, zu sagen:
Diese Große Koalition hat nicht die Kraft, das zu tun,
was eigentlich erforderlich ist und was Sie hier einfor-
dern. Da bitte ich Sie um eine Erläuterung.
Herr Kollege, Sie behaupten, es werde nur so getan,als wolle man etwas machen, aber es passiere nichts.Diese Aussage ist durch die Fakten schon widerlegt.Noch bevor dieser Koalitionsvertrag überhaupt unter-schrieben war, noch bevor es grünes oder rotes Licht fürdiese Koalition gab, hat man sich darauf geeinigt, dieseHängepartie zu beenden. Es war in den letzten Monateneine Hängepartie, weil man sich bisher nicht darauf eini-gen konnte, dass man diesen Schritt zum Backloadinggeht. Der Bundesumweltminister wollte es, aber das warinsgesamt nicht durchsetzbar.Jetzt haben wir es quasi als Vorschuss geschafft, unsfür das Backloading auszusprechen. Wir sind uns einig,es war zu spät, es wäre besser gewesen, es wäre früherpassiert, aber das zeigt: Noch bevor die Koalition über-haupt in Kraft getreten ist und arbeiten konnte, ist dererste Schritt gemacht worden. – Dies wollte ich zuersteinmal in den Mittelpunkt stellen.Das eine ist also – hier will ich auf das verweisen, wasPeter Altmaier vorhin gesagt hat – die „Not-OP“, wie iches nenne, eine Ultima Ratio, die einen Markteingriffdarstellt. Wir alle würden uns wünschen, dass das nicht
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 117
Andreas Jung
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notwendig wäre und dass der Emissionshandel funktio-nieren würde, ohne dass man diesen außerordentlichenEingriff hätte machen müssen. Den hat man jetzt abergemacht. Das entlastet uns aber nicht davon, darübernachzudenken, wie wir beim Emissionshandel struktu-rell weiterkommen können und wie wir strukturell dieVoraussetzungen dafür schaffen, dass er seine Minde-rungswirkung erreicht und gleichzeitig Innovation-signale aussendet. Diese Diskussion steht wiederum imZusammenhang mit der Diskussion um die Erhöhungder EU-Klimaschutzziele, die in der EuropäischenUnion noch aussteht.Ich verspreche mir davon, dass uns beides gelingt,nämlich die Erhöhung der EU-Klimaschutzziele, wo-durch mehr Druck für den Emissionshandel entsteht, undam Ende ein gutes Ergebnis für den Klimaschutz.Herzlichen Dank.
Herr Kollege Jung, es gab noch den Wunsch nach ei-
ner zweiten Zwischenfrage, und zwar von der Kollegin
Bulling-Schröter.
Gerne, bitte.
Ich habe noch eine Bitte an den Kollegen Krischer.
Wir haben hier die, wie ich finde, gut eingeführte und
akzeptierte Regel, dass man bei der Beantwortung seiner
Frage stehen bleibt.
Frau Bulling-Schröter.
Das ist sehr nett, vielen Dank. – Kollege Jung, Sie ha-
ben von einer „Notoperation“ gesprochen. Wir beide
sind keine Ärzte. Wenn es ein Problem gibt und man
operieren muss, dann operiert man ja die ganze Wunde
und nicht nur ein Drittel. So sehe ich das auch beim Zer-
tifikatehandel.
Wir wissen, dass die Zertifikate durch das Backloa-
ding jetzt um 50 Cent teurer geworden sind. Wir
beide und zumindest alle Klimapolitiker wissen, dass die
Zertifikate einen wesentlich höheren Preis haben müss-
ten, damit sie relevant werden und Investitionen in den
Betrieben auslösen. Wir haben das im Umweltausschuss
oft diskutiert und waren uns über die Parteien hinweg
relativ einig, dass wir so viele Zertifikate wie möglich
– möglichst alle – stilllegen sollten, und zwar bleibend.
Es gibt faule Zertifikate im Zusammenhang mit dem
CDM; das ist nach vielen Jahren der Diskussion inzwi-
schen nicht mehr umstritten. Das hat aber doch nichts
mit der Marktwirtschaft zu tun. Wenn diese Zertifikate
stillgelegt wären, kann man in der EU und in der UN
entsprechende Kriterien und Regularien miteinander
vereinbaren, sodass es diese Überallokation und faulen
Zertifikate nicht mehr gibt.
Der erste Schritt wäre doch, das so auf die Reihe zu
bringen, dass es dann wirklich funktioniert.
Frau Kollegin, es ist ja das Ziel, das so zu auf die
Reihe zu bringen, dass es funktioniert. Das, was wir hier
diskutieren, können wir aber nicht von der europäischen
Diskussion loslösen.
Der Vorschlag, den die EU gemacht hat und der auf
dem Tisch lag, war das Backloading. Diesem Vorschlag
haben wir erst einmal zugestimmt. Auch auf europäi-
scher Ebene wird die Diskussion ganz sicher weiterge-
hen, und natürlich wird es dabei auch um CDM gehen.
Zum CDM will ich sagen: Selbstverständlich gab es
CDM-Zertifikate, bei denen die ökologische Integrität
nicht sichergestellt war. Dem ist zu einem großen Teil
schon der Riegel vorgeschoben worden. Es hat dort
Veränderungen gegeben, und es ist nicht mehr ohne Wei-
teres möglich, solche Projekte zu machen, wie das in der
Vergangenheit der Fall war.
Das sind zwei Beispiele dafür, dass die Debatte und
die Entscheidungen Schritt für Schritt erfolgen. Ich will
einfach die Botschaft aussenden: Für mich und für uns
ist diese Debatte nicht am Ende, und für uns ist der
Emissionshandel das Herzstück der EU-Klimapolitik.
Das gilt es zu bewahren, und dafür arbeiten wir.
Danke.
Als nächster Redner hat der Kollege Matthias
Miersch das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich bin den Grünen dankbar, dass sie diesen Antrag hiereingebracht haben, weil wir damit zu Beginn dieser Le-gislaturperiode die Möglichkeit haben, über eines derzentralen politischen Themen zu sprechen, die uns si-cherlich nicht nur die nächsten vier Jahre, sondern vieleJahrzehnte beschäftigen werden.Jeder, der schon einmal an einer Klimakonferenz teil-genommen hat, weiß, wie unterschiedlich die Interessenzwischen den Industriestaaten, zwischen den Entwick-lungsländern, zwischen den Schwellenländern sind, jaauch zwischen den Ländern der Europäischen Unionund, wie wir angesichts dieser Debatte auch wieder fest-stellen konnten, auch in diesem Haus. Hier hat eben einKollege von der CDU/CSU die Frage gestellt: Wie ist
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Dr. Matthias Miersch
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das mit dem Klimawandel und seine Auswirkungen aufdie Philippinen? Ich glaube, diese Frage illustriert, dassauch wir hier in diesem Parlament eigentlich noch nichtdie Voraussetzung dafür erfüllen, diese Menschheitsauf-gabe wirklich zu begreifen.Es ist leider immer so, dass in der Vergangenheit erstdie großen Katastrophen passieren mussten, bevor diePolitik gehandelt hat. Hier haben wir es mit einem Phä-nomen zu tun, bei dem wir als Politiker beweisen müs-sen, ob wir tatsächlich nachhaltig denken können, ob wirFolgen viel größeren Ausmaßes volkswirtschaftlicherArt heute verhindern und das kurzfristige Denken über-winden können. Insofern gehört der Klimaschutz natür-lich ins Zentrum unserer Überlegungen.Ja, in jeder Koalition gibt es Kompromisse. Ja, mögli-cherweise würde der Koalitionsvertrag völlig andersaussehen, wenn nur Umweltpolitiker an ihm gearbeitethätten. Ja, Frau Bulling-Schröter, es gibt auch bei denLinken Kohlebefürworter. Ich nenne hier beispielsweiseden brandenburgischen Wirtschaftsminister, der deutlichmacht, wie wichtig der Übergang vom fossilen ins er-neuerbare Zeitalter ist. Ich bin mir sicher, Sie stimmennicht mit allem überein.Das, was wir in den nächsten vier Jahren in dieserGroßen Koalition schaffen müssen, ist – das ist auch dieMesslatte, die wir uns alle gefallen lassen müssen –, obwir als Bundesrepublik Deutschland – da haben die Grü-nen recht, wenn sie sagen, man braucht nationale Vorbil-der – weiter ein nationales Vorbild darstellen. Das mussunsere Messlatte sein.
Dazu gehört, dass wir versuchen, mit einer Stimme zusprechen, Herr Kollege Altmaier. Die erste Große Koali-tion mit einem sozialdemokratischen Umweltministerhat bewiesen – das jedenfalls sagen alle großen Umwelt-organisationen –, dass diese vier Jahre für Klima- undUmweltschutz nicht schlecht gewesen sind. Aber das,was wir die letzten vier Jahre erlebt haben – nun hattenSie die Sozis nicht an Ihrer Seite –, war eben genau dasGegenteil. Wir haben diese Vorbildfunktion nicht längereinnehmen können, sondern wir haben uns hier als Bun-desrepublik Deutschland kein gutes Zeugnis ausgestellt,weil wir uns blockiert haben, weil Wirtschaftsministerund Umweltminister keine einheitliche Vorgehensweisehatten.Über den Koalitionsvertrag kann man an vielen Stel-len diskutieren.
– Das müssen wir, im Übrigen auch hier im Parlament,weil das Parlament nicht die Bundesregierung ist. Des-wegen müssen wir das Ganze an der einen oder anderenStelle auch vorantreiben, glaube ich. – Der Koalitions-vertrag gibt eines wieder: Es wird im Bereich Klima undEnergie eine Sprachregelung geben; Backloading ist danur ein kleiner Bereich. Ich bin froh, dass der BereichEffizienz ein ganzes Kapitel hat. Insofern: Nehmen wires heute als Auftakt, dieses Thema ganz oben auf die Ta-gesordnung zu setzen!
Wir werden, Herr Krischer, im Fachausschuss sicherlichüber diesen Antrag und über die Möglichkeiten, zu ge-meinsamen Empfehlungen zu kommen, sprechen; dennes geht darum, Lösungen gemeinsam zu entwickeln,weil es gerade im Bereich Energie und Umwelt wenigbringt, alle vier Jahre etwas Neues zu machen. LassenSie es uns deshalb als Auftakt nehmen. So verstehe ichdie Debatte heute. Vier Jahre liegen vor uns. Ich glaube,die Große Koalition kann durchaus auch im BereichKlima und Energie beweisen, dass Dinge positiv zu ver-ändern sind. In diesem Sinne freue ich mich auf einegute Zusammenarbeit von uns allen.Vielen Dank.
Als letzter Redner in dieser Runde spricht der Kollege
Göppel.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Aus gegebenemAnlass beginne ich mit der Schilderung des Besuchs ei-ner Schulklasse, den ich kürzlich machte. Es ging um dieFrage: „Kann der Mensch das Klima verändern, wo derHimmel doch so hoch ist?“ Die Arbeitsgruppe Klima indieser Schule hat die Erde so groß gestaltet wie einenFußball, und als Erdatmosphäre hat sie ihn mit einerdünnen Haut überzogen. Das war ein Millimeter auf die-sem Fußball, und dann beginnt der freie Weltraum. Esgab in dieser Klasse dann niemanden mehr, der nicht ge-glaubt hat, dass der Mensch das Klima beeinflussenkann. Das ist auch die Frage, vor der solche Konferenzenwie die in Warschau immer wieder stehen.Ich beginne mit einem der Erfolge. Die noch benötig-ten 100 Millionen US-Dollar für den Anpassungsfondsgegen den Klimawandel und zum Schutz von Küstenge-bieten sind überschritten. Das Ziel sind aber 100 Milliar-den US-Dollar bis zum Jahr 2020. Die 100 MillionenUS-Dollar konnten nur dadurch erreicht werden, dassDeutschland eine großzügige Zusage von 40 MillionenUS-Dollar gemacht hat. Aber bis zum Jahr 2020 sollen100 Milliarden US-Dollar – das ist tausendmal so viel –aufgebracht werden, damit bestimmte Teile der Erde be-wohnbar bleiben und riesige Flüchtlingsbewegungen invermeintlich sichere Zonen der Erde unterbleiben kön-nen.Damit wird deutlich, um welche Aufgabe es geht.Deswegen ist es wichtig, dass Deutschland wieder da ist.Das ist für den Umweltminister eine Herausforderung,aber auch für uns.Ich teile die Meinung des Kollegen Miersch, dass esin den nächsten Jahren sehr auch auf das Parlament an-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 119
Josef Göppel
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kommt, zum Beispiel bei der Frage, ob die nun verein-barten Ziele zum Ausbau der erneuerbaren Energiennoch mit unseren Klimaschutzzielen zusammenpassen.Wenn wir die Minderung des Klimagasausstoßes um80 bis 95 Prozent bis 2050 erreichen wollen, dann müs-sen wir den Anteil der erneuerbaren Energien pro Jahr-zehnt um 20 Prozent steigern. Denn niemand wird glau-ben, dass der Verkehr, die privaten Haushalte oder dasGewerbe so viel erbringen können, dass wir auf der an-deren Seite bei der Energieversorgung bzw. beim Zubauder erneuerbaren Energie zurückhinken können.Darin liegt eine wesentliche Aufgabe. Deswegen binich nach wie vor dafür, dass wir unsere Ziele, die in demerwähnten Klimaschutzplan niederzuschreiben sind, alsinternational sichtbares und glaubwürdiges Signal in ei-nem Gesetz niederlegen. Wir brauchen keine neuenZiele, sondern wir müssen die vorhandenen Ziele inter-national sichtbar und glaubwürdig verankern, damitauch die deutsche Wirtschaft und die deutsche Technikder bevorzugte Partner der Entwicklungsländer in derWelt bleiben und wir unsere Anstrengungen auch wirt-schaftlich verwerten können.
Dazu gehört auch eine CO2-Obergrenze für jede er-zeugte Kilowattstunde Strom. Anders wird es nicht ge-hen. Gute Beispiele dafür sind nicht nur Großbritannien,sondern auch die USA. Die Beseitigung der Konstruk-tionsfehler des europäischen Emissionshandels ist einlangwieriges Unterfangen. Deswegen plädiere ich fürnationale Maßnahmen, wie sie Großbritannien und dieUSA ergreifen. Das wird letztlich unserer Glaubwürdig-keit dienen, aber auch der Stellung der deutschen Wirt-schaft in der Welt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich schließe die
Aussprache.
Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen auf Drucksache 18/96. Die Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache.
Die Fraktionen der CDU/CSU und SPD sowie die Frak-
tion Die Linke wünschen Überweisung an den Haupt-
ausschuss. Wir stimmen nach ständiger Übung daher zu-
erst über den Antrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich
frage deshalb: Wer stimmt für die Überweisung an den
Ausschuss? – Wer stimmt gegen die beantragte Über-
weisung? – Wer enthält sich? – Damit ist der Antrag auf
Ausschussüberweisung mit den Stimmen der CDU/
CSU, der SPD und der Linken gegen die Stimmen von
Bündnis 90/Die Grünen angenommen worden. Damit ist
die Überweisung so beschlossen. Damit stimmen wir im
Übrigen heute über den Antrag auf Drucksache 18/96 in
der Sache nicht ab.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:
Fragestunde
– Drucksache 18/87 –
Für die Fragestunde haben wir anderthalb Stunden
vorgesehen. Unser Ziel ist, dass möglichst viele Fragen
beantwortet werden und dass möglichst viele zu Wort
kommen. Deswegen hatten wir uns in der letzten Legis-
laturperiode darauf geeinigt, dass für die ersten Antwor-
ten der Regierung jeweils zwei Minuten und für die fol-
genden jeweils eine Minute zur Verfügung stehen. Damit
das jeder, auch diejenigen, die nicht über ein entspre-
chendes Zeitgefühl verfügen, verfolgen kann, gibt es
Ampeln, die das farblich anzeigen. Die letzten 30 Sekun-
den werden durch gelbes Licht angezeigt. Wenn die Zeit
dann vorbei ist, leuchtet es rot. Wir bitten alle, sich mög-
lichst daran zu halten, auch wenn das nicht bei jeder Ma-
terie gleich gut gelingen kann.
Zuerst kommen wir zum Geschäftsbereich der Bun-
deskanzlerin und des Bundeskanzleramtes. Zur Beant-
wortung steht Frau Staatsministerin Professor Dr. Maria
Böhmer zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 der Abgeordneten Lisa Paus von
Bündnis 90/Die Grünen auf:
Inwieweit hat Staatsminister a. D. Eckart von Klaeden in
seiner Amtszeit Einfluss auf die Bearbeitung des Themas
Elektromobilität genommen, hier insbesondere auf den Natio-
nalen Entwicklungsplan Elektromobilität und die „Gemein-
same Geschäftsstelle Elektromobilität“ der Bundesregierung?
Frau Staatsministerin, bitte.
D
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Ich beantworte
die erste Frage der Abgeordneten Lisa Paus wie folgt:
Staatsminister a. D. von Klaeden war für das Thema
Elektromobilität nicht zuständig und hat nach Kenntnis
der Bundesregierung auch keinen Einfluss auf dessen
Bearbeitung genommen.
Eine Zusatzfrage? – Bitte, Frau Paus.
Frau Professor Böhmer, Sie hatten mir bereits aufmeine schriftliche Frage geantwortet, dass Herr vonKlaeden sehr wohl umfassende Kenntnis von internenVorlagen in Bezug auf die Regulierungsvorhaben aufeuropäischer Ebene hatte, die für den Daimler-Konzernvon zentraler Bedeutung sind. Sie sind jetzt dennoch da-von überzeugt, dass Herr von Klaeden nichts davon imRahmen seiner zahlreichen Treffen mit Daimler-Vertre-tern, über die Sie auch Auskunft gegeben haben, thema-tisiert hat. Können Sie mir doch noch einmal erläutern,wie Sie zu der Einschätzung kommen, dass er nicht überdieses Thema gesprochen und keinen Einfluss genom-men haben kann, obwohl es zahlreiche Treffen mitDaimler-Vertretern gab?
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120 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
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Frau Staatsministerin Böhmer, bitte.
D
Frau Kollegin Paus, ich hatte Ihnen bereits in meinem
Schreiben vom 14. November 2013 darauf geantwortet;
es ging um die schriftliche Frage 28. Ich zitiere: „Es ging
um allgemeine bundespolitische Themen und die Krise
im Euro-Raum.“
Wir kommen zur Frage 2 der Abgeordneten Lisa
Paus:
Welche Maßnahmen hat die Bundesregierung unternom-
men, um Loyalitätskonflikte des Staatsministers a. D. Eckart
von Klaeden im direkten dienstlichen Kontakt zu Christoph
Brand von der Investmentbank Goldman Sachs zu verhin-
dern?
D
Ich nehme Stellung zur zweiten Frage: Staatsminister
a. D. von Klaeden führte eine Vielzahl von Gesprächen
mit Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Verbänden auf
nationaler wie europäischer Ebene. Dies gehörte zu sei-
nen Aufgaben. Dabei verhielt er sich stets loyal gegen-
über den Pflichten seines Amtes und der Politik der Bun-
desregierung. Für irgendwelche Maßnahmen gab es
keinen Anlass.
Eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? – Bitte schön.
Es war aus den schriftlichen Antworten auch hervor-
gegangen, dass Herr von Klaeden zu dem EADS-Fall
18 Vorlagen gesehen hat – sie teilweise auch in Vertre-
tung von Herrn Pofalla bekommen hat – und dass Herr
von Klaeden sich 23-mal mit einem der zuständigen und
von Daimler beauftragten Partner von Goldman Sachs
getroffen hat. Können Sie mir erklären, welche dienstli-
chen Notwendigkeiten den Staatsminister im Bundes-
kanzleramt dazu führten, irgendwelche anderen Themen
mit einem Partner der weltweit größten Investmentbank
bei diesen 23 Terminen zu besprechen, wenn bei diesen
23 Terminen nicht ein einziges Mal über das Thema
EADS und die 18 Vorlagen gesprochen worden ist?
Frau Staatsministerin, bitte.
D
Frau Kollegin Paus, ich komme jetzt wieder auf mein
Schreiben vom 14. November 2013 zurück. Dort hatte
ich abschließend bei der Frage 30 formuliert:
Bei seinen Treffen mit Christoph Brand
– Sie fragten damals auch nach Dirk Notheis, deshalb
bin ich auch auf ihn eingegangen –
und Dirk Notheis hat Staatsminister a. D. Eckart
von Klaeden nicht über dieses Thema gesprochen.
Dem ist nichts hinzuzufügen.
Eine Frage dazu von Herrn Beck. Bitte.
Können Sie uns als Parlament die Gegenstände der
Gesprächsthemen – es waren ja offensichtlich eine ganze
Reihe von Terminen – hier kurz wiedergeben, damit wir
uns ein Bild machen können, wie plausibel die Antwort
ist, dass dieses Thema nicht ein einziges Mal behandelt
worden sein soll?
Frau Staatsministerin, bitte.
D
Herr Kollege Beck, darüber ist nichts bekannt.
– Herr Kollege Beck, ich habe es schon zweimal getan
und zitiere gerne noch einmal die schriftlichen Antwor-
ten, die ich gegeben habe. Das erste Zitat war aus der
Antwort auf die Frage 28; Sie können das gerne noch
einmal hören.
Es ging um allgemeine bundespolitische Themen
und die Krise im Euro-Raum.
Bei dem zweiten Zitat war die Formulierung, dass „nicht
über dieses Thema gesprochen“ worden ist. Das ist der
Stand der Dinge.
Die nächste Zusatzfrage hat der Kollege Schick.
Ich muss zugeben, dass ich jetzt Ihre Argumentationnicht verstanden habe, dass Sie eine Antwort auf dieFrage gegeben hätten, welche sonstigen dienstlichenGründe es gegeben habe. Nur dann wird die Sache japlausibel. Deswegen wäre ich dankbar für die Beantwor-tung der Frage und will sie an dieser Stelle um einenUnterpunkt ergänzen. Herr von Klaeden war auch derBund-Länder-Koordinator. Die Länder haben auchEADS-Anteile. Welchen Zusammenhang gibt es da?War es nicht sogar seine Aufgabe als Bund-Länder-Koordinator, genau diese Fragestellung zu bearbeiten,oder wer sonst hat es gemacht?
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 121
(C)
(B)
Frau Staatsministerin, ich bitte, zu antworten.
D
Ich rekurriere jetzt noch einmal auf die schriftlich
vorliegende Antwort vom 14. November zu der damals
gestellten Frage 30 – ich zitiere –:
Staatsminister a. D. Eckart von Klaeden hat in An-
gelegenheiten des Verkaufs der EADS-Anteile der
Daimler AG an die KfW Bankengruppe keine Ent-
scheidungen getroffen.
Gibt es weitere Fragen zu diesem Punkt? – Das ist
nicht der Fall. Dann bedanken wir uns herzlich bei der
Frau Staatsministerin.
Ich will den Zwischenruf des Kollegen Beck aufgrei-
fen. Das Parlament darf fragen, wie es das für richtig
hält, und die Regierung darf antworten, wie sie es für
richtig hält. Das ist die Regel in diesem Hause.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht Herr Parlamentarischer Staatssekre-
tär Ernst Burgbacher bereit. Ich rufe Frage 3 der Kolle-
gin Annette Groth von der Linken auf:
Welche konkreten Schritte wird die Bundesregierung un-
ternehmen, damit die Öffentlichkeit und der Deutsche Bun-
destag über den Stand der Verhandlungen über das geplante
Freihandelsabkommen USA – EU informiert werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Groth, die Bundesregierung setzt sich
dafür ein, dass die Verhandlungen über die Transatlanti-
sche Handels- und Investitionspartnerschaft möglichst
transparent verlaufen. Sie hat dies mehrfach gegenüber
der Europäischen Kommission eingefordert.
Sie fragen einmal nach der Information der Öffent-
lichkeit. Die Verhandlungen über dieses Abkommen
werden von der Europäischen Kommission geführt.
Sowohl die Europäische Kommission als auch die US-
Regierung haben im Vorfeld des Verhandlungsbeginns
öffentliche Konsultationen durchgeführt. Begleitend zu
den Verhandlungsrunden führt die EU-Kommission zu-
dem Anhörungen mit der Zivilgesellschaft, mit Verbän-
den durch, so zuletzt am 15. November in Brüssel im
Nachgang zur zweiten Verhandlungsrunde, die vom
11. bis 15. November erfolgte.
Der Bundesregierung ist die Einbindung der Zivilge-
sellschaft und der Verbände ein Kernanliegen. Das Bun-
desministerium für Wirtschaft und Technologie hat im
April und im November dieses Jahres eine Verbändean-
hörung zu den Verhandlungen durchgeführt und im
September 2013 Nichtregierungsorganisationen zu
einem Informationsgespräch über handelspolitische
Fragen mit dem Schwerpunkt TTIP eingeladen. Auch im
weiteren Verhandlungsverlauf sollen Verbände und
Nichtregierungsorganisationen eingebunden und infor-
miert werden. Die Europäische Kommission plant, die
Öffentlichkeit auch im weiteren Verfahren umfassend zu
informieren, natürlich auch über ihre Internetseite.
Schließlich zur Unterrichtung des Deutschen Bundes-
tages: Die Bundesregierung wird dem Deutschen Bun-
destag gemäß den Bestimmungen des EUZBBG, abhän-
gig von den Fortschritten der Verhandlungen, auch
weiterhin regelmäßig auf eigene Initiative und auf
Wunsch des Deutschen Bundestages unterrichten. Sämt-
liche einschlägigen Dokumente und Berichte werden an
den Bundestag übermittelt.
Recht herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. – Gibt es
dazu von der Kollegin Groth den Wunsch nach einer Zu-
satzfrage? – Bitte schön.
Vielen Dank. – Wenn das so ist, wie Sie es sagen,
dann wundert es mich, dass sämtliche Umweltverbände,
Gewerkschaften, andere Verbände und Organisationen
immer wieder nach den Dokumenten bei der EU fragen
und die EU deren Herausgabe verweigert. In den USA
bekommen die Berater der 600 größten international täti-
gen Unternehmen die Dokumente aus den Verhandlun-
gen, und sie schalten sich dann sofort ein, etwa indem
sie schriftlich vorbringen, was sie gerne noch verhandelt
haben möchten. Das ist den europäischen und den deut-
schen Umweltverbänden sowie anderen Organisationen
bislang nicht möglich gewesen.
Herr Staatssekretär, bitte.
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, ich habe ja gerade gesagt – darum gehtes übrigens auch in der Antwort auf die nächste Frage –:Verhandlungsführer ist die EU-Kommission; die EU in-formiert. Aber wir selbst, gerade das Bundesministeriumfür Wirtschaft und Technologie, haben in zwei Anhörun-gen und verschiedenen anderen Gesprächen Verbändeund die Zivilgesellschaft auf eigenes Betreiben hin infor-miert. Ich denke, das wird auch so fortgesetzt werden.
Metadaten/Kopzeile:
122 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
(C)
(B)
Schönen Dank. – Gibt es zu diesem Komplex weitere
Fragen? – Bitte schön, Kollege Lenkert von der Partei
Die Linke.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Es ist für die Öffent-
lichkeit sehr schwierig gewesen, zu erfahren, über wel-
che konkreten Bereiche man mit welchen Zielsetzungen
verhandelt. Mich würde also interessieren, welche
Themenbereiche komplett zur Verhandlung stehen und
welche Zielsetzungen die Bundesregierung in den jewei-
ligen Bereichen bei diesen Verhandlungen erreichen
will.
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, auch darüber haben wir ausführlich
informiert. Ich gehe davon aus, dass auch die nächste
Bundesregierung das tun wird. Wir haben das Parlament
informiert. Wir haben, wie gesagt, in zwei Anhörungen
informiert. Aber – das bezieht sich, wie gesagt, schon
auf die nächste Frage – das Verhandlungsmandat hat die
EU-Kommission. Wir sind natürlich auf den verschie-
densten Wegen ständig im Gespräch mit der EU-Kom-
mission.
Es gibt noch weitere Nachfragewünsche. Die erste
Nachfrage stellt der Kollege Ströbele, Bündnis 90/Die
Grünen, die nächste Frau Kollegin Hupach von der Frak-
tion Die Linke.
Herr Ströbele, bitte.
Herr Burgbacher, Sie haben gesagt: Der Deutsche
Bundestag wird informiert. Nun sind wir ja hier der
Deutsche Bundestag – immer noch.
Wen informieren Sie denn derzeit? Haben Sie etwa den
heute neu eingesetzten Ausschuss informiert, oder ver-
teilen Sie jetzt hier Ihre Unterlagen, oder was ist für Sie
„der Deutsche Bundestag“?
Herr Staatssekretär, bitte.
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Ströbele, Sie sind natürlich der Deut-
sche Bundestag, aber es gehören auch noch einige
andere dazu. Es ist auch eine besondere Situation, dass
der neue Deutsche Bundestag die alte Regierung befragt.
Wir haben in vielen Gesprächen informiert. Ob der
neu eingesetzte Hauptausschuss den Wunsch hat, infor-
miert zu werden, entzieht sich meiner Kenntnis; ich habe
darauf keine Hinweise. Aber selbstverständlich beant-
worten wir die Fragen, die Sie gestellt haben.
Ich habe die Frage danach beantwortet, was wir
gemacht haben, und ich betone noch einmal: Wir haben
auf eigene Initiative unseres Ministeriums informiert,
und es war der Bundesregierung insgesamt ein Anliegen,
zu informieren. Ich habe auch die gesetzlichen Grund-
lagen genannt, Herr Kollege Ströbele, wonach selbstver-
ständlich der Deutsche Bundestag auf seinen Wunsch
hin, aber auch auf Initiative der Bundesregierung infor-
miert wird.
Danke schön, Herr Staatssekretär. – Jetzt die Kollegin
Hupach von der Fraktion Die Linke und danach die Kol-
legin Hänsel von der Fraktion Die Linke, bitte.
Herr Staatssekretär, welche Auswirkungen könnte das
Freihandelsabkommen für den Bereich Kultur und Me-
dien und dessen Förderstrukturen in Deutschland haben?
Die Kulturverbände warnen und haben Angst, dass bei
Wegfall der tarifären oder nichttarifären Handelshemm-
nisse etwa die Buchpreisbindung oder der reduzierte
Mehrwertsteuersatz wegfallen könnten oder dass auch
Bereiche des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betrof-
fen sein könnten. Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, Sie wissen, dass der Bereich Kultur
und Medien eigentlich nicht einbezogen ist, dass die
Amerikaner aber den Versuch machen, ihn einzubezie-
hen. Darüber wird jetzt geredet. Ich gehe aber davon aus,
dass die Bedenken, die Sie geäußert haben, ganz schnell
zerstreut werden. Auch wir haben übrigens ein paar
Punkte, die wir noch hineinbringen wollen. Der Bereich
Kultur und Medien ist bisher nicht Verhandlungsgegen-
stand.
Schönen Dank. – Jetzt die Kollegin Frau Hänsel,
Fraktion Die Linke, und dann die Kollegin Frau
Haßelmann, Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Danke schön. – Ich habe eine Nachfrage, HerrBurgbacher, bezüglich der Information. Wie konkret in-formieren Sie denn den Bundestag und die Parlamenta-rierinnen und Parlamentarier? Ich habe nie eine Einla-dung zu einer Anhörung gesehen. Ich habe bisher nullZugang zu Informationen zu diesen Verhandlungen.Meine konkrete Frage: Können Sie sicherstellen, dassich, wenn ich Sie jetzt anschreibe, von Ihnen Informatio-nen über den derzeit aktuellsten Verhandlungsstand zu-geschickt bekomme?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 123
(B)
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Hänsel, ich habe auch die gesetzliche
Grundlage genannt. Wenn Sie die Bundesregierung an-
schreiben, werden Sie selbstverständlich die Informatio-
nen bekommen, die im Augenblick vorhanden sind. Das
ist ein Thema, was immer sehr offen gefahren wurde.
Wir sind auch mit der EU-Kommission im Gespräch.
Wir legen allergrößten Wert darauf, dass die Verhandlun-
gen sehr transparent laufen und gerade das Parlament in-
formiert wird.
Herzlichen Dank. – Frau Kollegin Haßelmann, Bünd-
nis 90/Die Grünen, bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Burgbacher, ich
möchte doch einmal nachfragen, was die Informations-
rechte der Abgeordneten und die Informationspflichten
gegenüber den Abgeordneten angeht. Meinem Kollegen
Ströbele hatten Sie gerade erklärt, dass Sie alle mögli-
chen Initiativen unternommen haben, die Abgeordneten
des Deutschen Bundestages zu informieren. Es könnte
sich ja um einen Einzelfall handeln, wenn Herr Ströbele
nichts gekriegt hat. Aber ich habe auch nichts gekriegt,
weder brieflich, noch per Mail, noch durch irgendeine
Unterrichtung. Deshalb möchte ich mich mit so einer
Aussage, wie Sie sie hier treffen: „Die Abgeordneten
sind ausreichend informiert“, nicht zufriedengeben, son-
dern möchte Sie jetzt fragen: Auf welche Art und Weise
haben Sie denn den Abgeordneten die entsprechenden
Informationen zukommen lassen?
Herr Staatssekretär, bitte.
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, es ist doch völlig klar, dass der Bun-
destag, wie es jetzt gerade geschieht, fragen kann und
wir antworten, dass wir dann, wenn ein Ausschuss an die
Bundesregierung herantritt,
entsprechend antworten werden
und dass der Bundestag nach dem EUZBBG ausdrück-
lich dieses Recht hat.
Wir stehen ja eigentlich erst am Anfang dieser Ver-
handlungen. Natürlich wird die Information erfolgen.
Die Bundesregierung wird es von sich aus tun; aber der
Bundestag hat jederzeit das Recht, diese Informationen
nachzufragen. Wenn das bisher geschehen ist, haben wir
auch geantwortet.
Die nächste Frage zu diesem Komplex hat Kollege
Ebner, Bündnis 90/Die Grünen.
Danke, Herr Präsident. – Herr Burgbacher, wie erklä-
ren Sie sich angesichts Ihrer Aussagen denn, dass die
Mitglieder des Bundestages, sowohl des alten als auch
des neuen Bundestages, nicht über den Inhalt des Ver-
handlungsmandates, das die EU-Kommission bekom-
men hat, informiert wurden, und dies, obwohl dies auch
Thema in den Ausschüssen der 17. Wahlperiode war?
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wir haben in der 17. Wahlperiode alle Anfragen be-
antwortet. Wir haben offengelegt, was offenzulegen war.
Ich kann nur sagen: Ich gehe davon aus, dass die neue
Bundesregierung das genau so tun wird.
Dieses Thema ist Gegenstand der ersten Sitzung; wir
antworten. Mehr kann ich für die neue Bundesregierung
heute allerdings nicht sagen. Dafür werden Sie Verständ-
nis haben.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. – Frau Kollegin
Pau.
Herr Staatssekretär, wir sind tatsächlich in einer Über-
gangsphase. Sie haben den Vorteil, dass Sie im Gegen-
satz zu Abgeordneten, die schon in der 17. Legislatur-
periode hier Mitglied waren, im Moment weder mit
Umzügen noch mit Sonstigem beschäftigt sind. Deshalb
gehe ich davon aus, dass in Ihrem wohlsortierten Haus
eine Übersicht darüber vorliegt, welches Gremium oder
welcher Abgeordnete der 17. Legislaturperiode an wel-
chem Tag mit welchem Inhalt zu diesen Vorgängen un-
terrichtet wurde. Sind Sie, wenn Sie das jetzt nicht dabei
haben, in der Lage, uns im Nachgang zu dieser Frage-
stunde diese Übersicht zuzustellen, damit wir dann ge-
zielt weiterarbeiten können?
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Pau, ich habe das wirklich nicht dabei.
Aber ich werde das selbstverständlich mitnehmen.
Danke.
Dann kommen wir zur Frage 4 der Kollegin Groth:Wer verhandelt für die EU das geplante Freihandelsab-kommen USA – EU, und wie ist die Bundesregierung in denVerhandlungsprozess integriert und informiert?
Metadaten/Kopzeile:
124 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Diese Frage wurde zwar immanent schon beantwor-tet, wir wollen sie natürlich dennoch aufrufen. HerrStaatssekretär, bitte zu Frage 4, auch wenn sie zum Teilschon behandelt wurde.E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sehr gerne. Es geht um die Frage, wer eigentlich die
Verhandlungen über TTIP auf europäischer Seite führt.
Ich habe das schon gesagt: Sie werden von der EU-Kom-
mission und dort von der Generaldirektion Handel ge-
führt. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union
haben der EU-Kommission ein entsprechendes Mandat
– auch darüber haben wir geredet – zur Führung der Ver-
handlungen mit den USA erteilt. Handelskommissar
Karel de Gucht ist der für die TTIP-Verhandlungen poli-
tisch verantwortliche EU-Kommissar. Ignacio Garcia
Bercero aus der Generaldirektion Handel ist Hauptver-
handlungsführer der Europäischen Kommission.
Die EU hat für die umfangreiche Zahl von Arbeits-
gruppen – es sind über 20 – jeweils Verhandlungsführer
benannt, deren Namen auf der Internetseite der EU-
Kommission abrufbar sind. Die Verhandlungsführer auf
EU-Seite werden themenabhängig von Fachexperten aus
den betroffenen Generaldirektionen der EU-Kommis-
sion und der Regulierungsbehörden begleitet.
Schönen Dank. – Haben Sie eine Zusatzfrage? – Bitte
schön, Frau Kollegin Groth.
Wir wissen aus Medienberichten sehr gut, wie sich
das in den USA abspielt. Ich kenne mich ja nun etwas in
Brüssel und mit den Lobbyverbänden aus. Daher frage
ich Sie noch einmal: Sind Businesseurope – das ist der
größte Unternehmerverband Europas – oder andere
Unternehmen, Gewerkschaften und Verbände direkt be-
teiligt? Wie sind diese Unternehmen und Verbände in
diesen Diskussions- und Verhandlungsprozess eingebun-
den?
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, ich sage es noch einmal: Wir machen
es auf deutscher Seite. Wir haben zwei Anhörungen im
BMWi gemacht, und zwar ausdrücklich mit zivilgesell-
schaftlichen Organisationen, mit den Verbänden. Natür-
lich gehe ich davon aus, dass die Verbände auf europäi-
scher Ebene genauso mit der Kommission in ständigem
Austausch sind.
Haben Sie noch eine Nachfrage?
Nein.
Wir haben viele Kollegen, die sich mit Fragen ein-
schalten. Das sind die Kollegin Hupach, der Kollege
Beck und dann der Kollege Lenkert. – Bitte, Frau Kolle-
gin Hupach, Fraktion Die Linke.
Danke. – Sehr geehrter Herr Burgbacher, Sie sagten
eben, dass die Verhandlungen im Kultur- und Medienbe-
reich noch in der Schwebe sind. Frau Herkes hatte aber
bereits im Juni Frankreich für das Veto in diesem Be-
reich kritisiert. Können wir also davon ausgehen, dass
sich die Bundesregierung im Verhandlungsprozess für
die Herausnahme des Kultur- und Medienbereichs ein-
setzt, oder ist das nicht der Fall?
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Präsident, wir kommen jetzt zurück zur ersten
Frage. Ich kann gerne etwas dazu sagen.
Das ist nicht ganz in Ordnung. Wir wollen aber heute
milde sein. Es wäre nett, wenn Sie trotzdem noch etwas
zu dieser Frage sagen würden.
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich habe es vorhin bereits gesagt: Die USA haben ei-
nen Text zu den Themen Audiovision und Kultur vorge-
legt. Dieser Bereich ist vom EU-Mandat ausgenommen.
Wir möchten etwa einen Annex zum Bereich Maschi-
nenbau hineinbringen. Dieser ist im Moment nicht ent-
halten. Das muss nun abgewartet werden. Wie gesagt:
Im Moment ist der Bereich Kultur noch ausgenommen.
Danke schön. – Der Kollege Beck, Bündnis 90/Die
Grünen, hat eine Frage dazu.
Nach § 4 Abs. 1 des EUZBBG ist die Bundesregie-
rung verpflichtet, das Parlament frühzeitig, umfassend
und fortlaufend über alle Vorhaben der Europäischen
Union zu unterrichten. Wann hat die Bundesregierung
den Deutschen Bundestag zum letzten Mal förmlich über
dieses Vorhaben der Europäischen Union unterrichtet?
Die Unterrichtung erfolgt in der Regel schriftlich und,
wie gesagt, fortlaufend und umfassend. Ich kann mir
nicht vorstellen, dass es seit Monaten keine neuen Ent-
wicklungen, die einen Bericht notwendig machen, gege-
ben hat.
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Beck, die Daten habe ich jetzt nicht beimir. Wir liefern sie aber gerne nach.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 125
(C)
(B)
Danke schön, Herr Staatssekretär. – Der Kollege
Lenkert von der Fraktion Die Linke hat noch eine Frage
zu diesem Komplex. – Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Burgbacher, Sie
sprachen davon, dass ein Verhandlungsmandat von der
Bundesregierung ausgesprochen ist. Dieses ist sicherlich
auch unterstützt worden. Ich würde von Ihnen gern wis-
sen, ob in diesem Verhandlungsmandat Regelungen zum
Investorenschutz nach dem Energiecharta-Vertrag und
den üblichen bilateralen Abkommen zum Investoren-
schutz enthalten sind und, wenn ja, ob sie sich auch auf
die Bereiche Landwirtschaft, Gentechnik und Fracking
erstrecken?
Herr Staatssekretär.
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, ich kann Ihnen sagen: Das Thema In-
vestorenschutz spielt natürlich eine große Rolle. Ich bitte
Sie aber um Verständnis dafür, dass ich die Details, die
ich jetzt nicht zur Hand habe, nachliefere. Denn diese la-
gen im Rahmen der Frage nicht auf dem Tisch.
Ich denke, so können wir uns verständigen.
Weitere Fragen zu diesem Komplex liegen nicht vor.
Herr Staatssekretär Burgbacher steht aber weiterhin zur
Beantwortung bereit.
Ich rufe Frage 5 des Kollegen Peter Meiwald, Bünd-
nis 90/Die Grünen, auf:
Wie hoch sind nach Kenntnis der Bundesregierung die
ökologischen und ökonomischen Schäden durch den Erd-
ölaustritt aus dem Kavernenfeld in Etzel vom 17. November
2013 zu beziffern, und welche konkreten Schritte zum Bei-
spiel im Bergrecht plant die Bundesregierung zur Verhinde-
rung zukünftiger Umweltschadensereignisse im Gefolge des
Betriebs von Kavernen zur Speicherung fossiler Brennstoffe?
Herr Staatssekretär, bitte.
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Meiwald, der Vollzug des Bergrechts
liegt in der ausschließlichen Zuständigkeit der Länder.
Die Bundesregierung ist dafür nicht zuständig und hat
von daher auch keine eigenen Kenntnisse über die Aus-
wirkung des Erdölaustritts. Nach Informationen der
Bundesregierung trat das Erdöl aus einer Leckage in einer
überirdischen Armatur aus. Die Ursache hierfür ist noch
nicht bekannt. Das Bundesberggesetz legt allgemein fest,
dass von Bergbaumaßnahmen keine gemeinschädlichen
Einwirkungen ausgehen dürfen, und ermächtigt die zu-
ständigen Landesbehörden mit umfassenden Erlaubnis-
und Kontrollzuständigkeiten. Die Bundesregierung sieht
momentan keinen Zusammenhang zwischen dem Ereig-
nis und den gesetzlichen Regelungen zum Bergrecht
oder zum Wasserschutz und plant vor dem Hintergrund
des Vorfalls keine konkreten Schritte.
Sie fragen dann – Sie sind ja neu im Bundestag –,
welche konkreten Schritte die Bundesregierung plant.
Wenn mir der Präsident eine Viertelstunde gibt, dann
schaue ich im Koalitionsvertrag nach, ob diesbezüglich
etwas drinsteht. – Das ist natürlich eine Sache, die dann
gemacht werden muss.
Eine Viertelstunde wird nicht genehmigt. – Haben Sie
eine Zusatzfrage, Herr Kollege Meiwald?
Gibt es Erkenntnisse, dass die Notwendigkeit besteht,
am Bergrecht insgesamt oder hinsichtlich der Bundeszu-
ständigkeit im Bergrecht etwas zu verändern, damit sol-
che Dinge zukünftig nicht mehr dem willkürlichen
Durchsetzen auf Landesebene unterliegen, und einen
Grundriegel vorzuschieben, demzufolge der Bund in
diesem Bereich Verantwortung hat und dieser entspre-
chend nachkommen muss?
Herr Staatssekretär.
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Meiwald, der Fall sieht im Augenblick
folgendermaßen aus: Circa 40 000 Liter Rohöl sind über
einen Zeitraum von 20 Stunden ausgetreten. Eine Ge-
fährdung des Wattenmeers oder des Trinkwassers
scheint nach bisherigem Stand ausgeschlossen. Für den
Fall zuständig ist die niedersächsische Landesregierung.
Der niedersächsische Wirtschaftsminister hat sich dem
jetzt angenommen und die Koordination des Schaden-
managements übernommen. Weitere Informationen lie-
gen im Moment nicht vor.
Nach unseren Erkenntnissen hat auch Niedersachsen
im Augenblick noch keine Informationen über die ei-
gentliche Ursache. Ich glaube, man sollte neue Informa-
tionen abwarten, bevor man über weitere Dinge nach-
denkt.
Vielen Dank, Herr Burgbacher. – Wir haben jetzt ei-
nen ganzen Schwung von Nachfragen. Als Erster Herr
Behrens, Fraktion Die Linke, dann Frau Zimmermann,
Fraktion Die Linke, und dann eine Kollegin von den
Grünen.
Wir haben gerade gehört, dass die Bundesregierung kei-nen Handlungsbedarf sieht. Gleichwohl sind 40 000 Liter,die oberirdisch abfließen, nicht nichts und besorgen diedortige Bevölkerung sehr stark.Meine Frage bezieht sich auf die besondere Situationder Betreibergesellschaft, der ehemals staatlichen Inves-titionsgesellschaft, IVG, die sich im Moment in Insol-
Metadaten/Kopzeile:
126 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Herbert Behrens
(C)
(B)
venz befindet: Welches Schadensregulierungsszenarioist aus Bundessicht eigentlich vorstellbar? Ich denke, dieBürgerinnen und Bürger haben es nicht verdient, dassman sie bei solchen Fragen alleinlässt.E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, es ist nicht so, dass wir leichtfertig da-
rüber hinweggehen. In der Bundesrepublik Deutschland
haben wir aber eine klare Verteilung der Kompetenz.
Diese liegt im Augenblick ganz klar bei der Landesre-
gierung des Landes Niedersachsen. Natürlich stehen wir
in engem Kontakt.
Die Frage hier war aber, was bergrechtlich zu tun ist.
Ich bin der Überzeugung, dass wir zunächst einmal nä-
here Informationen abwarten sollten. Diese hat die Lan-
desregierung Niedersachsen offenbar auch noch nicht.
Dann muss man natürlich alle weiteren Konsequenzen
mit dem Land Niedersachsen besprechen.
Schönen Dank. – Als Nächste die Kollegin
Zimmermann, Fraktion Die Linke. Bitte.
Herr Präsident! Ob des großen Schadens und der Wie-
derholbarkeit des Schadens bin ich der Meinung, dass
sich die Bundesregierung nicht ganz aus der Verantwor-
tung stehlen kann. Deshalb frage ich die Bundesregie-
rung bzw. Sie: Welche Maßnahmen sind vorgesehen?
Ich denke zum Beispiel an eine gesetzliche Regelung,
derzufolge Kavernenbesitzer und -betreiber in einen
Fonds einzahlen, um die Schäden wenigstens finanziell
zu kompensieren. Sind Maßnahmen ähnlicher Art vorge-
sehen?
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, selbst wenn ich Ihnen eine Antwort
geben könnte, würde es dem Stil des Hauses widerspre-
chen, wenn wir jetzt – ich sage das ganz bewusst als
Vertreter der bisherigen Bundesregierung – Dinge an-
kündigen, die in die Verantwortung einer neuen Bundes-
regierung fallen.
Ich habe gesagt, was wir im Augenblick machen. Es
gibt – das ist ganz klar – einen engen Kontakt zu Nieder-
sachsen, um zu sehen, wo es Handlungsbedarf gibt. Ge-
setzesänderungen sind aber wahrlich eine Sache der
neuen Bundesregierung. Es wäre ein schlechter Stil,
wenn wir uns dazu in irgendeiner Weise äußern würden.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. – Die nächste
Frage von Frau Kollegin Verlinden, Bündnis 90/Die
Grünen.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Burgbacher, ich
möchte noch einmal auf den Punkt Schadensregulierung
zurückkommen. Es ist so, dass der Mutterkonzern hoch
verschuldet ist. Es ist nicht ausgeschlossen, dass der
Staat einspringen muss, um die Schäden der Ölkatastro-
phe zu lindern. Deshalb noch einmal ganz explizit die
Frage an Sie: In welcher Höhe müsste im Fall des Falles
die Bundesrepublik oder das Land Niedersachsen eintre-
ten, wenn die Versicherung des Unternehmens nicht ein-
springt und das Unternehmen selbst die durch diese Ka-
tastrophe hervorgerufenen Schäden nicht regulieren
kann, weil das Geld dafür nicht da ist?
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin, noch einmal ganz deutlich: Wir neh-
men die Situation sehr ernst. Aber jetzt ist zunächst ein-
mal die Landesregierung Niedersachsen gefordert, hier
tätig zu werden. Ich gehe davon aus, dass das gemacht
wird. Wir haben klare Verteilungen, und wir werden na-
türlich mit dem Land Niedersachsen reden. Aber es wäre
falsch, wenn wir uns hier einmischen würden. Jetzt ist
Niedersachsen am Zug.
Herzlichen Dank. – Die nächste Frage hat noch ein-
mal der Kollege Lenkert, Fraktion Die Linke. Bitte.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär
Burgbacher, es droht die Insolvenz einer Firma, und die
Begleichung der Schäden droht auf die Steuerzahler zu-
rückzufallen. Nach Bundesberggesetz ist es möglich,
eine Verordnung zur Einrichtung eines Haftungsfonds zu
erlassen, in den jeder Bergwerksbetreiber vorsorglich
einzahlen muss, um in solchen Fällen Geldmittel zur
Verfügung zu haben.
Beabsichtigt die Bundesregierung in Anbetracht des
aktuellen Falles, eine solche Verordnung auf den Weg zu
bringen?
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich schließe noch einmal an meine vorherige Antwort
an: Es wäre schlechter Stil, wenn ich sagen würde, was
eine künftige Bundesregierung beabsichtigt. Deshalb
bitte ich um Verständnis, dass ich das jetzt nicht tun
werde.
Recht herzlichen Dank. – Die Frage 6 des KollegenKoenigs wird schriftlich beantwortet. Damit sind wir mitdiesem Komplex und dem Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Wirtschaft und Technologie fertig.Ich rufe den Geschäftsbereich des Auswärtigen Am-tes auf. Die Beantwortung übernimmt Frau Staatsminis-terin Cornelia Pieper.Die Fragen 7 und 8 des Kollegen Frithjof Schmidt,die Frage 9 der Kollegin Katja Keul und die Frage 10des Kollegen Omid Nouripour werden schriftlich beant-wortet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 127
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Ich rufe die Frage 11, gestellt von der KolleginAgnieszka Brugger, Bündnis 90/Die Grünen, auf:Wie stellt die Bundesregierung sicher, dass von US-Stütz-punkten in Deutschland keine Beteiligung an extralegalenHinrichtungen, die das Völkerrecht verletzen, erfolgt?Bitte, Frau Staatsministerin.C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Abgeordnete
Brugger, ich antworte für die Bundesregierung wie folgt:
Nach NATO-Truppenstatut und Zusatzabkommen zum
NATO-Truppenstatut sind die amerikanischen Streit-
kräfte auf deutschem Staatsgebiet verpflichtet, deutsches
Recht zu achten. Als Entsendestaat müssen die Vereinig-
ten Staaten von Amerika die dafür erforderlichen Maß-
nahmen treffen. Die Bundesregierung wird natürlich
auch in Zukunft auf die Einhaltung der rechtlichen Rah-
menbedingungen für die amerikanischen Streitkräfte in
Deutschland achten. Auch zu diesem Themenbereich
steht die Bundesregierung in einem engen Dialog mit der
Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika.
Haben Sie eine Zusatzfrage, Frau Kollegin? – Bitte.
Vielen Dank. – Mich würde interessieren – es gibt ja
viele Hinweise darauf; die ersten stammen aus dem Mai
und Juni dieses Jahres und waren wiederholt Gegenstand
verschiedener parlamentarischer Anfragen –, welche
Kenntnisse die Bundesregierung darüber hat, dass über
AFRICOM ein US-Stützpunkt maßgeblich an der
Durchführung von gezielten Tötungen durch Drohnen in
Afrika beteiligt ist.
Frau Staatsministerin, bitte.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, die Bundesregierung verfügt über
keine Erkenntnisse zu möglichen völkerrechtswidrigen
Handlungen durch Verbündete auf deutschem Boden.
Eine Stellungnahme zu hypothetischen Fragestellungen
gibt die Bundesregierung nicht ab. Sie wissen, dass es in
der Berichterstattung einiger Medien Hinweise darauf
gab. Eine Pflicht zur Einhaltung deutschen Rechts für
hier stationierte NATO-Truppen besteht, wie Sie wissen,
gemäß Art. II NATO-Truppenstatut. Für Taten, die nur
nach deutschem Recht strafbar sind, sind nach Art. VII
NATO-Truppenstatut deutsche Gerichte zuständig. Von
daher kann ich Ihnen dazu keine neuen Erkenntnisse der
Bundesregierung mitteilen.
Habe ich das richtig verstanden: Auch angesichts der
zahlreichen belastbaren Hinweise, die es gibt, hat die
Bundesregierung beschlossen, hier nicht noch einmal tä-
tig zu werden und sich eigene Kenntnisse zu beschaffen?
Und nicht noch einmal nachzufragen und sich über die-
sen Tatbestand zu informieren, um festzustellen, ob hier
eventuell von Deutschland aus Völkerrecht gebrochen
wird?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich kann nur wiederholen, dass der
Bundesregierung keine neuen Erkenntnisse zu mögli-
chen völkerrechtswidrigen Handlungen vorliegen.
Herzlichen Dank. – Frau Kollegin Hänsel von der
Linken und dann Frau Kollegin Keul von der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen. Frau Hänsel, bitte.
Danke. – Ich habe auch noch eine Nachfrage; denn
wir hatten dazu schon im Juni dieses Jahres eine Kleine
Anfrage gestellt. Damals gab es ja die ersten Berichte
bezüglich eines geheimen US-Drohnenkrieges, unter an-
derem von AFRICOM und Ramstein aus. Sie antworte-
ten für die Bundesregierung darauf, dass dies gegenüber
dem US-Präsidenten und dem US-Außenminister ange-
sprochen worden sei und Sie keinen Grund zu der An-
nahme hätten, dass durch in Deutschland stationierte
US-Streitkräfte deutsches Recht oder Völkerrecht ver-
letzt werde. Dann muss es doch zwischen den Regierun-
gen der USA und Deutschland Thema gewesen sein.
Deswegen meine Frage: Von wem haben Sie eine
Antwort bekommen? Wen haben Sie da konkret ange-
sprochen? Gibt es darauf noch einmal eine Reaktion von
Ihrer Seite? Denn es gibt ja neue Berichte vom Novem-
ber über diesen Drohnenkrieg.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, natürlich hat die Bundesregierung,
insbesondere der Außenminister, Herr Dr. Westerwelle,
dies auch im Interesse des Parlaments – wir nehmen Ihre
Anfragen sehr ernst – gegenüber Außenminister Kerry
und dem amerikanischen Präsidenten Obama ins Ge-
spräch gebracht. Uns ist von beiden Seiten zugesichert
worden, dass es an US-Stützpunkten in Deutschland
keine völkerrechtswidrige Beteiligung an extralegalen
Hinrichtungen gibt.
Herzlichen Dank. – Frau Kollegin Keul hat die
nächste Frage.
Vielen Dank. – Frau Staatsministerin, wie kann esdenn sein, dass der Generalbundesanwalt ermittelt, wennSie keinerlei Anhaltspunkte für derartige Geschehnissehaben? Hat er möglicherweise Erkenntnisse, die dieBundesregierung nicht hat? Wie gedenken Sie dieseLücke zu schließen?
Metadaten/Kopzeile:
128 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
(C)
(B)
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Tat prüft der Generalbundesanwalt derzeit im
Rahmen eines Beobachtungsvorganges, ob hinreichende
Anhaltspunkte für eine in seine Zuständigkeit fallende
Straftat vorliegen. Weiter gehende Erkenntnisse haben
wir dazu nicht.
Schönen Dank. – Herr van Aken, Fraktion Die Linke,
hat die nächste Frage. Danach kommen Herr Liebich
und Herr Beck. – Bitte.
Vielen Dank. – Frau Pieper, Sie haben jetzt einfach
geantwortet: Es liegen Ihnen keine Hinweise auf völker-
rechtswidrige Handlungen vor. Insofern stellt sich die
Frage: Was ist für Sie denn völkerrechtswidrig? Ich
frage ganz konkret: Liegen Ihnen unabhängig vom Be-
griff „völkerrechtswidrig“ – egal wie Sie es rechtlich
einschätzen – Hinweise darauf vor, dass von amerikani-
schen Stützpunkten auf deutschem Boden aus bewaff-
nete Drohnen anderswo in der Welt gesteuert werden? Ja
oder nein?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann es nur immer wiederho-
len: Uns liegen dazu keine Erkenntnisse vor. Sie wissen:
Diese Vorgänge können nur in Einzelfallprüfungen völ-
kerrechtlich bewertet werden. Diese würde die Bundes-
regierung gegebenenfalls vornehmen. Aber uns liegen
keine neuen Erkenntnisse vor.
Die nächste Frage stellt Herr Kollege Liebich, Frak-
tion Die Linke.
Frau Staatsministerin, trifft es zu, dass eine Institution
der Bundesregierung, nämlich die sogenannte Haupt-
stelle für Befragungswesen, Asylbewerberinnen und
Asylbewerber in Deutschland befragt hat, um Erkennt-
nisse zum Zielerfassungssystem für Drohneneinsätze zu
gewinnen?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das trifft nicht zu, Herr Abgeordneter.
Danke schön. – Die nächste Frage stellt der Kollege
Beck, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte.
Frau Staatsministerin, Sie nehmen für die Bundere-
gierung in Anspruch, bislang nichts über diese Vorgänge
zu wissen. Die Süddeutsche Zeitung berichtet heute über
einen Fall in Somalia, in dem der Vater eines Menschen,
den die Süddeutsche Zeitung als Salman Abdullahi
bezeichnet, im Februar 2012 durch Drohnen getötet
worden sein soll. Der Artikel legt nahe, dass die „kill
chain“ bis in die AFRICOM-Einheit in Deutschland
hineinreicht.
Hat die Bundesregierung die Absicht, diesem Fall
nachzugehen, also sowohl mit den dort genannten Quellen
zu reden als auch nachzuforschen, was der AFRICOM-
Verbindungsoffizier der Bundeswehr über diese Fragen
weiß, dessen Aufgabe die Sicherstellung des Informa-
tionsaustausches einschließlich der Pflege der bestehen-
den Informationsbeziehungen ist? Wenn Sie nichts da-
rüber wissen, sollten Sie Ihrem Unwissen in gewisser
Weise in Eigeninitiative abhelfen.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, in den Medien sind des Öfteren
Berichte über Drohneneinsätze, die scheinbar stattge-
funden haben, zu verzeichnen. Das ARD-Magazin
Panorama und die Süddeutsche Zeitung haben sich
mehrmals veranlasst gesehen, darüber zu berichten.
Natürlich nimmt man das ernst. Aber ich kann Ihnen nur
sagen: Der Bundesregierung liegen keine eigenen gesi-
cherten Erkenntnisse
zu den von US-Streitkräften in der Bundesrepublik
Deutschland geplanten oder durchgeführten Einsätzen
vor.
Ein regelmäßiger Informationsaustausch bezüglich der
laufenden Aktivitäten der US-Streitkräfte in Deutsch-
land findet nicht statt. Die Bundesregierung wird auch
nicht über alle Einsätze und Aktivitäten der genannten
US-Kommandos und -Einrichtungen informiert.
Frau Kollegin Kotting-Uhl von Bündnis 90/Die Grü-
nen stellt die nächste Frage zu dieser Thematik, danach
Herr Kollege Ströbele, ebenfalls Bündnis 90/Die Grü-
nen. Bitte schön, Frau Kotting-Uhl.
Frau Staatsministerin, im Zusammenhang mit der Be-antwortung der Frage von Frau Brugger war viel vonVölkerrecht die Rede. Ich würde sie gerne mit unseremGrundgesetz in Zusammenhang bringen.Unser Grundgesetz kennt keine Todesstrafe. Wennder Verdacht besteht, dass von deutschem Boden ausgezielte Hinrichtungen stattfinden, ist das für Sie nichtAnlass genug, anders nachzufragen bzw. sich anders zuinformieren, ob so etwas tatsächlich stattfindet, als esIhre Antworten hier suggerieren?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 129
(C)
(B)
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich kann Ihnen nur noch einmal versichern, Frau Ab-
geordnete, dass der Bundesregierung keine Erkenntnisse
über extralegale Hinrichtungen vorliegen.
Die nächste Frage stellt der Kollege Ströbele, Bünd-
nis 90/Die Grünen. Bitte.
Danke. – Frau Staatsministerin, ich habe dazu eine
sehr naheliegende Frage. AFRICOM heißt eine der
Kommandozentralen in Deutschland, in Stuttgart. Nun
liegt Deutschland ja nicht in Afrika, sondern Afrika ist
ein eigener Kontinent. Welche Erklärung hat eigentlich
die Bundesregierung dafür, dass eine Kommandozen-
trale, die für Afrika zuständig ist, ausgerechnet in
Deutschland, in Stuttgart, stationiert sein muss? Welche
Erklärung haben Sie – also nicht Sie persönlich, sondern
die Bundesregierung – dafür von den US-Behörden be-
kommen?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Ströbele, Sie wissen: AFRICOM
in Stuttgart ist eines von sechs regionalen Hauptquartie-
ren des US-Verteidigungsministeriums. Auftrag von
AFRICOM ist die Koordinierung der Aktivitäten des
US-Verteidigungsministeriums und anderer US-Ministe-
rien und -Behörden in Afrika. Die Aufstellung von
AFRICOM begann im Oktober 2007, also zu Zeiten der
vorletzten Bundesregierung, allerdings auch unter der
Ägide von U.S. EUCOM. Am 1. Oktober 2008 wurde es
dann als eigenständiges Kommando in Dienst gestellt.
AFRICOM verfügt derzeit über insgesamt 2 000 Dienst-
posten, die etwa zur Hälfte militärisch bzw. zivil besetzt
sind.
Sie sagten schon: Das Hauptquartier ist in Stuttgart.
Es war anfangs als Übergangsstandort vorgesehen. Im
Februar 2013 wurde uns bekannt, dass das Kommando
dort dauerhaft stationiert bleiben soll. Es gab Anfragen
bezüglich des Umzugs auf den afrikanischen Kontinent,
der aber von den meisten afrikanischen Staaten abge-
lehnt wurde.
Herzlichen Dank. – Die nächste Frage stellt der
Kollege Ebner von Bündnis 90/Die Grünen, danach der
Kollege Dr. Neu von der Fraktion Die Linke. Kollegen
Liebich möchte ich darauf hinweisen, dass er sein Nach-
fragerecht ausgeschöpft hat, weil er schon eine Frage ge-
stellt hat. Sie sind lange dabei und werden sich an das
Verfahren wieder erinnern. Es sollen ja möglichst viele
Kolleginnen und Kollegen eine Frage stellen können. –
Herr Ebner, bitte.
Danke, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin, ich
möchte auf die Nachfrage des Kollegen Beck zurück-
kommen, die Sie nicht beantwortet haben. Ich möchte
aber dringend darum bitten, dass Sie diese ernsthaft be-
antworten. Es geht um die Frage: Was macht die Bun-
desregierung, um den soeben geschilderten Fall, über
den heute in den Medien berichtet wurde, aufzuklären?
Geht die Bundesregierung dieser Sache überhaupt nach?
Ich denke, darauf sollten wir eine Antwort bekommen. –
Danke schön.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, natürlich wird die Bundesregie-
rung in Gesprächen mit den amerikanischen Regierungs-
behörden dem noch einmal nachgehen, aber ich kann
Ihnen nochmals versichern: Uns liegen keine neuen Er-
kenntnisse zu diesen Fällen vor.
Kollege Dr. Neu, Fraktion Die Linke.
Frau Staatsministerin Pieper, Sie hatten darauf hinge-
wiesen, dass die meisten afrikanischen Staaten eine
Stationierung von AFRICOM auf ihren Territorien
abgelehnt haben. Mit welcher Motivation haben Sie die
Stationierung von AFRICOM auf deutschem Territo-
rium zugelassen, und gab es seitens afrikanischer Staa-
ten Proteste gegenüber der Bundesregierung aufgrund
der Stationierung von AFRICOM auf deutschem Territo-
rium?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Zum letzten Teil Ihrer Frage: Mir sind seitens der afri-
kanischen Staaten keinerlei Proteste bekannt. Zum ersten
Teil Ihrer Frage: Ich darf Sie daran erinnern, dass diese
Entscheidung zu Zeiten der vorletzten Bundesregierung
getroffen worden ist. Die Entscheidung damals im
Kabinett haben der damalige Außenminister und für das
Verteidigungsministerium der Staatssekretär getroffen.
Herzlichen Dank. – Wir bleiben beim ThemaAFRICOM. Ich rufe die Frage 12 des AbgeordnetenUwe Kekeritz auf:Warum wurde der Deutsche Bundestag – vergleiche dieam 15. November 2013 erschienene Publikation GeheimerKrieg der Journalisten Christian Fuchs und John Goetz,Seite 30 bis 36 – nicht mit der 2007 getroffenen Entscheidungüber die Ansiedlung des US-Afrikakommandos – AFRICOM –in Deutschland befasst, und welche Mitglieder der Bundes-regierung, einschließlich Staatssekretärinnen/-sekretäre, ha-ben diese Entscheidung getroffen – bitte mit jeweiliger Be-gründung?
Metadaten/Kopzeile:
130 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Vizepräsident Peter Hintze
(C)
(B)
Ich bitte Frau Staatsministerin Pieper um die Beant-wortung der Frage.C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter,
wir bleiben bei dem Themenfeld. Bis zur Einrichtung
des regionalen US-amerikanischen Afrikakommandos,
AFRICOM, im Jahr 2007 war das in Stuttgart angesie-
delte amerikanische Europäische Kommando EUCOM
in der damaligen amerikanischen Streitkräftestruktur
auch für Afrika zuständig. Die Regierung der Vereinig-
ten Staaten von Amerika hat die Bundesregierung am
15. Januar 2007 über ihre organisatorische Maßnahme
unterrichtet, die entsprechende Zuständigkeit aus
EUCOM herauszulösen, ein neues, für Afrika zuständi-
ges regionales Militärkommando AFRICOM zu schaf-
fen und bis auf Weiteres ebenfalls in Stuttgart anzusie-
deln. Für Stuttgart sprach aus amerikanischer Sicht vor
allem, dass so die vorhandene Infrastruktur genutzt wer-
den konnte.
Ich will noch einmal bekräftigen: Die damalige Bun-
desregierung, also das Auswärtige Amt und das Bundes-
ministerium der Verteidigung, sah im Januar 2007 kei-
nen Anlass, die Zustimmung zur Einrichtung von
AFRICOM auf dieser Grundlage zu verweigern. Gleich-
falls sah die Bundesregierung aus den vorgenannten
Gründen keinen Anlass, den Deutschen Bundestag mit
dieser Entscheidung, die sie im Rahmen ihrer exekutiven
Eigenverantwortung getroffen hat, zu befassen. Wenn
ich mich recht entsinne, hatten wir 2007 eine Große Ko-
alition.
Möchten Sie eine Nachfrage stellen, Herr Kollege
Kekeritz?
Aber sicher doch.
Bitte.
Die Nachfrage erübrigt sich eigentlich, weil ich die
Antwort schon weiß: Es gibt keine Erkenntnisse. Aber
ich bin über Ihre Flexibilität sehr erstaunt. Sie haben
jetzt viermal geantwortet: Es gibt keine Erkenntnisse.
Dann haben Sie gesagt: Es gibt keine gesicherten Er-
kenntnisse. Dann sagten Sie: Es gibt keine neuen Er-
kenntnisse. – Was ist denn nun richtig: Sie haben keine
gesicherten Erkenntnisse? Sie haben Erkenntnisse? Ich
verstehe nicht, warum Sie die Erkenntnisse nicht haben,
obwohl doch allgemein bekannt ist – das steht in den
USA in den Blättern und wurde von der US-amerikani-
schen Regierung nie dementiert –, dass die Einrichtun-
gen in der Bundesrepublik Deutschland notwendig sind,
um solche Drohneneinsätze überhaupt fliegen zu kön-
nen. Warum sagen Sie hier, dass Sie keine Erkenntnisse
haben, obwohl das im Blätterwald nachzulesen ist und
von der US-amerikanischen Regierung nicht dementiert
wird? Was wollen Sie tun, um dieses Defizit zu beseiti-
gen?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Alle drei Formen der Erkenntnisse, die wir nicht ha-
ben, sind gültig und richtig.
Ich kann im Deutschen Bundestag auch nicht für die
amerikanischen Medien sprechen, Herr Abgeordneter.
Ich hoffe jetzt, das falsch verstanden zu haben; denn
das, was ich eben verstanden habe, ist: All die Erkennt-
nisse, die nicht vorliegen, sind richtig.
Gestatten Sie mir, dies als Zynismus zu qualifizieren. –
Danke schön.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, ich kann auf die Fragen, die Sie
immer wieder gleich stellen, nur die gleiche Antwort ge-
ben.
Wenn Sie diese anzweifeln, ist dies Ihr gutes Recht.
Aber ich glaube, Herr Präsident, es ist mein gutes Recht,
für die Bundesregierung die Antwort zu geben, die rich-
tig und auch gültig ist. Sie können davon ausgehen, dass
wir keine weiteren Erkenntnisse bisher haben.
Ich finde, wir können alle entspannt bleiben. Es gibt
noch weitere Fragen dazu, sodass das Thema sicherlich
noch vertieft behandelt wird. – Kollege Liebich von der
Fraktion Die Linke, danach Frau Kollegin Hänsel, eben-
falls von der Fraktion Die Linke. – Bitte schön, Kollege
Liebich.
Frau Staatsministerin Pieper, Sie haben vorhin aufmeine Frage gesagt, dass die sogenannte Hauptstelle fürdas Befragungswesen keine Befragungen für dieses Ziel-erfassungssystem von AFRICOM durchführen würde.Nun hat uns aber die Bundesregierung auf unsere An-frage hin bestätigt, dass Befragungen von Asylbewerbe-rinnen und Asylbewerbern durch die Hauptstelle für dasBefragungswesen durchgeführt werden. Mich würde in-teressieren, mit welchem Ziel eine Geheimdienstinstitu-tion der Bundesrepublik Deutschland Schutzsuchendehier in Deutschland befragt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 131
(C)
(B)
Frau Staatsministerin.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Erkenntnisse, die Ihnen vorliegen, liegen dem
Auswärtigen Amt so nicht vor.
Danke schön. – Frau Kollegin Hänsel von der Frak-
tion Die Linke. Bitte schön.
Frau Staatsministerin, es geht immer wieder um die
nicht vorliegenden Erkenntnisse der Bundesregierung.
Deshalb lautet meine Frage: Werden Sie heute Abend ab
21.45 Uhr die Sendungen in der ARD zum geheimen
Krieg, zu den US-Spezialeinheiten von AFRICOM, die
in Deutschland stationiert sind, und zu den US-Drohnen-
angriffen anschauen, um Ihre Erkenntnisse zu vertiefen?
Die Frage ist ungewöhnlich, aber wir bitten die
Staatsministerin, trotzdem darauf zu antworten.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich weiß die Informationsberichte der uns bekannten
Sendungen der öffentlich-rechtlichen Anstalten sehr zu
schätzen. Heute Abend habe ich jedoch andere Ver-
pflichtungen. Aber ich werde es mir dann gerne in der
Mediathek des entsprechenden Senders ansehen.
Herzlichen Dank. – Die Fragen 13 und 14 der Kolle-
gin Franziska Brantner werden schriftlich beantwortet.
Damit kommen wir zur Frage 15 des Abgeordneten
Hans-Christian Ströbele, Bündnis 90/Die Grünen:
Ist die Bundesregierung bereit und willens, dem Bundes-
tag all ihre völkerrechtlichen Vereinbarungen, bi- und multila-
teralen Abkommen nebst zugehöriger Protokolle, Verbalno-
ten, Verwaltungsvereinbarungen und Ähnliches mit den
ehemals westalliierten Stationierungsstaaten sowie zwischen
deutschen und deren Sicherheits- und Militärdienststellen
über deren Tun in oder bezüglich Deutschland kurzfristig zur
Überprüfung zugänglich zu machen – unter Angabe aller
deutschen Rechtsnormen –, welche unter Umständen die Ent-
sendestaaten nebst militärischem sowie zivilem Gefolge auf
deutschem Boden von uneingeschränkter Beachtung deut-
schen Rechts oder dessen Kontrolle befreien, und teilt die
die Entsendestaaten nebst militärischem sowie zivilem Ge-
folge auf deutschem Boden ihre Privilegien nicht zu mögli-
chen Kriegshandlungen und Geheimdienstausspähung miss-
brauchen, sondern uneingeschränkt deutsches Recht beachten
und dies überall kontrollieren lassen – kurzfristig ihr Kündi-
gungsrecht nutzen sollte bezüglich des letzteren – nach Auf-
fassung des oben genannten Bundesverwaltungsrichters
Dieter Deiseroth – entgegenstehenden Deutschland- und Auf-
enthaltsvertrags sowie des NATO-Truppenstatuts nebst
Zusatzabkommen aus den 50er-Jahren, womit die Bundesre-
gierung unter anderem die Einsetzung des US-Militärkom-
Frau Staatsministerin Pieper, bitte.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter Ströbele, die völkerrechtlichen
Übereinkünfte der Bundesrepublik Deutschland sind im
Bundesgesetzblatt Teil II veröffentlicht und damit allge-
mein zugänglich. Soweit sie dem Geheimschutz unter-
liegen, gelten, wie Sie wissen, die entsprechenden Rege-
lungen. Die genannten internationalen Verträge bieten
keine Rechtsgrundlage für die in Medienberichten be-
haupteten Vorgänge. Eine Kündigung und Neuverhand-
lung dieser Verträge wäre daher weder geeignet noch er-
forderlich, um Maßnahmen im Sinne Ihrer Fragestellung
zu ergreifen. Dies wäre auch außen- und sicherheitspoli-
tisch in keiner Weise wünschenswert.
Die Bundesregierung teilt daher nicht Ihre in der Fra-
gestellung zum Ausdruck kommende Auffassung. Viel-
mehr erwartet die Bundesregierung, dass die Entsende-
staaten auf deutschem Boden deutsches Recht einhalten.
Dies hat die Regierung der Vereinigten Staaten von
Amerika der Bundesregierung zugesichert, wie ich auch
schon bei der Beantwortung der vorhergehenden Fragen
erwähnte. Die Bundesregierung steht hierzu weiterhin in
intensivem Kontakt mit der Regierung der Vereinigten
Staaten von Amerika.
Herr Kollege Ströbele, Sie schauen so, als wollten Sie
eine Zusatzfrage stellen.
Da haben Sie vollkommen recht, Herr Präsident. –
Frau Staatsministerin, mir ist auch bekannt, dass die
USA immer wieder betonen und gerade im Zusammen-
hang mit der NSA-Spionageaffäre immer wieder betont
haben, dass sie in Deutschland deutsches Recht und Ge-
setz einhalten. Haben Sie nicht mit mir daran Zweifel,
dass sie das tatsächlich tun, oder können Sie mir eine
Bestimmung nach deutschem Recht oder Gesetz nennen,
die es zulässt, die Kanzlerin der Bundesrepublik
Deutschland durch einen US-Geheimdienst abzuhören?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung hat mit dem
Acht-Punkte-Programm der Bundeskanzlerin für einen
besseren Schutz der Privatsphäre sofort reagiert. So wur-
den im August 2013 durch das Auswärtige Amt zum
Beispiel die Verwaltungsvereinbarungen von 1968/69
mit der Französischen Republik, dem Vereinigten Kö-
nigreich Großbritannien und Nordirland und den Verei-
nigten Staaten von Amerika im gegenseitigen Einver-
nehmen aufgehoben. Ich denke, das ist ein Zeichen
dafür, dass wir gehandelt haben.
Eine zweite Zusatzfrage des Kollegen Ströbele. Bitteschön.
Metadaten/Kopzeile:
132 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
(C)
(B)
Frau Staatsministerin, Sie beantworten beharrlichmeine Fragen nicht, sondern lesen etwas ab, das auf Ih-rem Zettel steht. Ich frage Sie noch einmal ganz konkret:Können Sie nach dem, was ich in meiner ersten Fragedargestellt habe, bestätigen, dass die US-Regierung ge-genüber der deutschen Bundesregierung die Unwahrheitgesagt hat, wenn sie behauptet hat, dass die NSA, alsoder militärische Geheimdienst der Vereinigten Staatenvon Nordamerika, in Deutschland Gesetz und Recht ach-tet, weil es in Deutschland kein Gesetz und kein Rechtgibt, das es zulässt, die Bundeskanzlerin bzw. ihr Handyabzuhören?C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die amerikanischen Regierungsvertreter, die ich
schon nannte, bis hin zum Präsidenten haben uns zugesi-
chert, dass deutsches Recht eingehalten wird. Sie wis-
sen, dass die Durchsetzung des deutschen Rechts, auch
Strafrechts, insbesondere den Strafverfolgungsbehörden
und den deutschen Gerichten obliegt.
Eine weitere Frage wird von der Kollegin Keul,
Bündnis 90/Die Grünen, angemeldet. Bitte schön.
Frau Staatsministerin, es steht ja außer Frage, dass in
der Vergangenheit das Handy der Kanzlerin abgehört
wurde. Sind wir uns beide darüber einig, dass dies gegen
deutsches Recht verstößt?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
In der Tat hat die Bundesregierung natürlich auch ge-
genüber den amerikanischen Regierungsvertretern bis
hin zum Präsidenten – das konnten Sie in den Medien
verfolgen – ihre Verwunderung zum Ausdruck gebracht.
Wir arbeiten, wie Sie wissen, an internationalen Daten-
schutzabkommen. Ich glaube, das ist auch der richtige
Weg. Man sollte nicht auf Verunsicherung und hypothe-
tische Behauptungen setzen.
Herzlichen Dank. – Frau Kollegin Hänsel, Fraktion
Die Linke, stellt eine Zusatzfrage.
Danke schön. – Frau Staatsministerin, im Zusammen-
hang mit dem Skandal, dass das Handy der Kanzlerin
abgehört wurde, gab es auch Berichte, unter anderem im
Spiegel, über eine mögliche Abhörzentrale oder -anlage
auf dem Dach der US-Botschaft, 200 Meter Luftlinie
von uns entfernt. Meine Frage: Hat die Bundesregierung
oder haben Strafverfolgungsbehörden schon versucht,
sich Zugang zu dieser Abhöranlage zu verschaffen?
Wenn ja, wie war die Reaktion der US-Botschaft? War
es möglich, sie zu besichtigen? Wenn nein, weshalb
nicht?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, wie wahrscheinlich auch Sie wis-
sen, folgen solchen Dingen, die öffentlich sind und in
den Medien stehen, Untersuchungen des Bundesverfas-
sungsschutzes. Ich will aber ausdrücklich sagen, dass
Fragen der nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit im
Parlamentarischen Kontrollgremium behandelt werden
und nicht öffentlich hier im Bundestag.
Herzlichen Dank.
Wir kommen damit zur Frage 16, ebenfalls von der
Kollegin Hänsel, Die Linke:
In welcher Weise gedenkt die Bundesregierung den bereits
mehrfach gemachten Anschuldigungen von NDR und Süd-
stein aus US-Drohneneinsätze zur gezielten Tötung von Men-
schen in Afrika, zum Beispiel in Somalia und im Nahen Os-
ten, gesteuert und koordiniert werden?
Frau Staatsministerin.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Frau Hänsel, eigene gesicherte Erkenntnisse zu
von US-Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland
angeblich geplanten oder geführten Drohneneinsätzen
liegen der Bundesregierung nicht vor. Die Bundesregie-
rung steht jedoch auch hierzu mit den US-amerikani-
schen Partnern in einem kontinuierlichen Dialog. So hat
der amerikanische Außenminister John Kerry am
31. Mai 2013 dem Bundesminister des Auswärtigen
Dr. Guido Westerwelle versichert, dass jedwedes Han-
deln der Vereinigten Staaten von Amerika, auch von
deutschem Staatsgebiet aus, streng nach den Regeln des
Rechts erfolgt. Im Nachgang zum Deutschland-Besuch
von US-Präsident Barack Obama bestätigte die amerika-
nische Regierung, dass von US-Einrichtungen in
Deutschland bewaffnete Drohneneinsätze weder geflo-
gen noch befehligt werden.
Eine Nachfrage dazu? – Bitte schön.
Danke schön. – Frau Staatsministerin, in der Stuttgar-ter Zeitung vom 19. November 2013 war ein Interviewmit den Journalisten, die diese US-Drohnenangriffe öf-fentlich gemacht haben, zu lesen, unter anderem mitChristian Fuchs. Er sagte in diesem Interview, dass lautinternen Unterlagen des US-Verteidigungsministeriumssolche Drohnenangriffe spätestens seit dem Jahr 2011von Stuttgart aus koordiniert werden und nicht mehr dieCIA, sondern das Militär zuständig ist. Meine Frage: Ha-ben Sie Interesse an diesen US-Unterlagen, die den Jour-nalisten wohl vorliegen? Bemühen Sie sich darum, Ein-sicht in diese Unterlagen zu bekommen?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 133
(C)
(B)
Frau Staatsministerin.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sicher haben wir daran Interesse. Aber ich kann Ihnen
nur noch einmal versichern, Frau Abgeordnete, dass die
Bundesregierung ihre Erkenntnisse nicht auf Behauptun-
gen in Medienberichten und Interviews stützt.
Ich habe eine weitere Nachfrage. In diesem Interview
sagt der Journalist Christian Fuchs, dass er im Rahmen
seiner Ermittlungen bezüglich der NSA-Einrichtungen
auf diesen US-Militärbasen, unter anderem in Ramstein,
einen Anruf von der deutschen Polizei erhalten hat. Am
Ende des Gesprächs sei der Satz gefallen: „Passen Sie
auf, was Sie tun. In Guantánamo ist immer noch ein
Platz frei.“ Wie würden Sie solch einen Kommentar be-
werten?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie stellen hier schwerwiegende Vorwürfe in den
Raum. – Dazu liegen der Bundesregierung keine Er-
kenntnisse vor; aber wir sind gern bereit, dem nachzuge-
hen.
Recht herzlichen Dank!
Die Fragen 17 und 18 des Abgeordneten Andrej
Hunko werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zu Frage 19 der Abgeordneten
Inge Höger, Fraktion Die Linke:
Welche Anstrengungen hat die Bundesregierung in den
letzten sechs Monaten unternommen, damit die auf 2013 ver-
schobene internationale Konferenz für eine massenvernich-
tungswaffenfreie Zone Naher und Mittlerer Osten zeitnah
stattfinden kann, und inwiefern hat sie versucht, ihren Bünd-
nispartner Israel zur Teilnahme zu bewegen?
Frau Staatsministerin Pieper, bitte.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Frau Abgeordnete Höger, die Bundesregierung
hat die Verschiebung der Helsinki-Konferenz zur Errich-
tung einer von Massenvernichtungswaffen und Träger-
mitteln freien Zone im Nahen und Mittleren Osten ohne
Nennung eines neuen Termins sehr bedauert. Aus Sicht
der Bundesregierung sollte die Konferenz möglichst
noch vor der dritten und letzten Vorbereitungssitzung im
Überprüfungszyklus des Nuklearen Nichtverbreitungs-
vertrages im Frühjahr 2014 abgehalten werden.
Die Einigung auf diese Konferenz war ein wichtiges
Element bei der Verständigung auf ein Schlussdokument
bei der Überprüfungskonferenz des Nuklearen Nichtver-
breitungsvertrages 2010. Gemäß dem Schlussdokument
von 2010 sind die Staaten dazu aufgerufen, ohne Druck
von außen die Modalitäten des Prozesses selbst festzule-
gen. In enger Abstimmung mit dem Vermittler Jaakko
Laajava, den Ausrichtern sowie den EU-Partnern setzt
sich die Bundesregierung in bi- und multilateralen Ge-
sprächen mit den betroffenen Staaten aus der Region für
eine breite Teilnahme an dem Vorbereitungsprozess und
der Konferenz selbst ein.
Der Staat Israel ist nicht Mitglied des Nuklearen
Nichtverbreitungsvertrages. Bei ihren Gesprächen mit
israelischen Vertretern weist die Bundesregierung darauf
hin, dass eine erfolgreiche Konferenz den Nuklearen
Nichtverbreitungsvertrag stärken würde – wovon dann
natürlich auch Israel profitierte. Dementsprechend wirbt
die Bundesregierung aktiv für eine Teilnahme Israels an
der Helsinki-Konferenz sowie weiterhin für den Beitritt
Israels zum Nuklearen Nichtverbreitungsvertrag als
Nichtnuklearwaffenstaat.
Herzlichen Dank. – Eine Nachfrage, Frau Abgeord-
nete Höger?
Vielen Dank. – Frau Staatsministerin Pieper, ich
würde gerne noch wissen, ob Sie Erkenntnisse haben,
warum diese Konferenz in Helsinki 2012, die ja schon
anberaumt war, im Gegensatz zu dem Beschluss der
Überprüfungskonferenz von 2010 nicht zustande ge-
kommen ist. Sie haben gesagt, Sie wünschen sich, dass
sie bis Mai 2014 zustande kommt. Das ist nicht mehr
lange hin. Was unternimmt die Bundesregierung, um ein
schnellstmögliches Zustandekommen der Konferenz zu
erreichen?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will vielleicht noch einmal erwähnen, dass für
eine erfolgreiche Konferenz eine Dialog- und Kompro-
missbereitschaft auf allen Seiten erforderlich ist. Nur
dann kann die Konferenz der Auftakt zu einem Prozess
werden, der zu mehr Vertrauen zwischen den einzelnen
Akteuren und damit auch zu mehr Sicherheit in der Re-
gion sowie längerfristig auch zur Einrichtung einer mas-
senvernichtungswaffenfreien Zone führt. Die Bundes-
regierung wird natürlich weiterhin in Gesprächen auch
mit den Partnern, insbesondere mit der israelischen Re-
gierung, auf eine erfolgreiche Konferenz hinwirken.
Herzlichen Dank. – Frau Höger, Sie haben noch eine
zweite Nachfrage.
Frau Pieper, sehen Sie in den Ergebnissen des Ab-kommens mit dem Iran eine Chance für das Zustande-kommen einer Konferenz für eine massenvernichtungs-waffenfreie Zone im Nahen Osten?
Metadaten/Kopzeile:
134 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
(C)
(B)
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Ergebnisse der Gespräche mit dem Iran sind,
wenn auch ein erster wichtiger Schritt, sicher noch ein
kleines und junges Pflänzchen. Natürlich werden auch
sie dazu beitragen, dass wir dem Ziel, im Nahen und
Mittleren Osten eine massenvernichtungswaffenfreie
Zone einzurichten, näher kommen.
Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Wolfgang
Gehrcke sowie die Frage 22 des Abgeordneten Manuel
Sarrazin werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 23 der Kollegin Marieluise Beck,
Bündnis 90/Die Grünen, auf:
Wie sieht die Bundesregierung vor dem Vilnius-Gipfel die
Perspektive für die Östliche Partnerschaft angesichts der Tat-
sache, dass die Ukraine die Vorbereitung zur Unterzeichnung
des Assoziierungsabkommens mit der EU per präsidialem De-
kret gestoppt hat, das fast vollständig ausgehandelte Abkom-
men mit Armenien wegen der Entscheidung des Landes für
einen Beitritt zur Zollunion mit Russland, Belarus und Ka-
sachstan nicht mehr paraphiert werden kann und Aserbaid-
schan und Belarus derzeit die Voraussetzungen für eine Ver-
Bitte, Frau Staatsministerin.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Abgeordnete
Beck, das ist eine sehr aktuelle Frage, weil der Gipfel zur
Östlichen Partnerschaft, wie wir wissen, morgen stattfin-
det.
Die Östliche Partnerschaft der Europäischen Union
ist und bleibt ein Instrument europäischer Politik, das
unseren osteuropäischen Nachbarn eine völlig neue Qua-
lität der Annäherung an die EU bietet. Dass dieses In-
strument weiterhin attraktiv bleibt, zeigt sich auch daran,
dass neben der Republik Moldau und Georgien auch die
Ukraine, die Republik Armenien, die Republik Aserbai-
dschan und die Republik Belarus ihr großes Interesse an
einer fortgesetzten Zusammenarbeit auch weiterhin be-
kundet haben.
Es bleibt im strategischen Interesse Deutschlands und
der Europäischen Union, die Weiterentwicklung der
Länder der Östlichen Partnerschaft in Richtung Demo-
kratie, Rechtsstaatlichkeit und gute Regierungsführung
zu befördern und die wirtschaftliche Entwicklung dieser
Länder zu stärken.
Zu einer Zusatzfrage Frau Kollegin Beck, bitte.
Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN):
Frau Staatsministerin, die Bundeskanzlerin hat in ih-
rer Regierungserklärung explizit gesagt, dass die Östli-
che Partnerschaft keine Beitrittsperspektive eröffnen
soll. Teilt das Auswärtige Amt diese Einschätzung, und
kann die Bundeskanzlerin vor diesem Hintergrund tat-
sächlich von einem erfolgreichen Instrumentarium spre-
chen? Ich frage dies insbesondere aufgrund der Tatsa-
che, dass Länder wie Belarus und Armenien ganz
eindeutig in die Eurasische Union streben bzw. schon in
ihr sind, dass die Situation mit Blick auf die Ukraine
jetzt festgefahren ist, dass Aserbaidschan in keiner
Weise demokratischen oder rechtsstaatlichen Kriterien
genügt und dass Moldawien quasi einen Frozen Conflict
im eigenen Land hat, sodass wir eher vor einer Destabili-
sierung des gesamten östlichen europäischen Raums
Sorge haben müssen.
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Abgeordnete, ich kann Ihre Besorgnis verstehen
und auch nachvollziehen. Ich glaube aber, dass wir ein
Interesse daran haben müssen, dass die Östliche Partner-
schaft zu einem Erfolg der europäischen Transforma-
tionspolitik wird, und das ist auch das Bestreben der
Bundesregierung.
In der Tat steht eine EU-Beitrittsperspektive bei der
Östlichen Partnerschaft nicht auf der Agenda, wie die
Bundeskanzlerin das in ihrer Regierungserklärung auch
geäußert hat. Sie wissen aber auch, dass sich auf der Ba-
sis des Prinzips „More for more“ auch noch ganz andere
ambitionierte Möglichkeiten für die Partner in der Östli-
chen Partnerschaft zur Annäherung an die EU bieten.
Ich will hier nur einmal erwähnen, dass neben den
Assoziierungsabkommen, die ja zumindest mit Georgien
und Moldau erfolgreich paraphiert werden, auch ein Vi-
sumserleichterungsabkommen mit der Republik Aser-
baidschan abgeschlossen werden wird, und natürlich
steht auch der Ukraine auf der Konferenz in Vilnius wei-
terhin die Tür offen, das Assoziierungsabkommen zu un-
terschreiben, woran wir ein sehr großes Interesse haben.
Ich glaube, wichtig ist, dass man in der Östlichen
Partnerschaft weiterhin den Dialog führt und die Türen
offen hält; denn die Ukraine und Präsident Janukowitsch
haben erklärt, dass sie auch weiterhin Partner der Euro-
päischen Union sein wollen. Ich denke, daran müssen
wir weiter arbeiten.
Noch eine Zusatzfrage? – Frau Kollegin Beck, bitte.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Frau Staatsministerin, Sie haben in Ihrer Antwort aufmeine Frage zu der Beitrittsperspektive den Begriff„Agenda“ benutzt. Nun ist bekannt, dass die Antwort aufdie Frage, ob es sich hier um eine Beitrittsperspektivehandelt oder nicht, offengelassen wurde.Sie sagen jetzt, das stehe nicht auf der Agenda. Sollich das so verstehen, dass die Bundesregierung ihrerseitserklärt, dass diese Instrumente der Assoziierung nichtmit einer Beitrittsperspektive verbunden sein sollen?Das würde, wenn ich das noch ergänzen darf, den Willenund auch den Mut der Ukraine, dieses Abkommen zuunterzeichnen, angesichts der Politik Russlands – diese
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 135
Marieluise Beck
(C)
(B)
Politik spürt die Ukraine sehr deutlich, um es vorsichtigauszudrücken – meiner Einschätzung nach natürlichschwächen.C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihrem letzten Satz kann ich nur zustimmen. Ich
glaube, wir alle sollten ein Interesse daran haben, dass
die Ukraine weiterhin die Perspektive hat, mit der Euro-
päischen Union zusammenzuarbeiten, und dass sie vor
allen Dingen auch bereit ist, das Assoziierungsabkom-
men abzuschließen.
Ich kann nicht für die neue Bundesregierung sprechen
– das hat mein Kollege schon gesagt –; das würde zu
weit gehen. Aber die Kanzlerin hat eindeutig erklärt,
dass die Türen für ein Assoziierungsabkommen mit der
Ukraine weiterhin offen stehen und dass wir bereit sind,
über alle Schwierigkeiten zu sprechen. Ich glaube, dass
unsere Partner, die sich im Transformationsprozess be-
finden, also auch die Ukraine, diese Worte wohl hören
und dass sie bereit sein werden, weitere Verhandlungen
zu führen.
Ich sehe, wie auch Sie, mit großer Sorge, welcher
Druck von russischer Seite auf diese ehemaligen Sowjet-
republiken ausgeübt wird. Ich glaube, es liegt auch in
unserer Verantwortung, dass wir in Zukunft weiterhin
Gesprächspartner für die Mitgliedsländer der Östlichen
Partnerschaft bleiben, um sie nicht in die Arme einer
Diktatur zu treiben.
Herzlichen Dank. – Kollege Dr. Neu hat noch eine
Nachfrage. Bitte schön.
Der NATO-Generalsekretär hat seinerzeit einmal
kundgetan, dass eine Integration in die EU immer durch
eine Integration in die NATO-Strukturen begleitet wer-
den sollte. Wie weit werden die Assoziierungsgespräche
für Staaten wie Ukraine, Georgien, Serbien etc. durch
Perspektiven eines Beitritts zur NATO begleitet?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Das ist eine Frage des Einzelfalls. Man kann nicht alle
Länder der Östlichen Partnerschaft gleich behandeln,
weil es unterschiedlicher Voraussetzungen und Bedin-
gungen bedarf, um Mitgliedschaften in anderen Allian-
zen, wie zum Beispiel der NATO, eingehen zu können.
Neben dieser Einzelfallprüfung ist es auch wichtig, im
Gespräch zu bleiben. Diese Ergebnisoffenheit heißt aber
nicht, dass es schon endgültige Festlegungen gibt.
Herzlichen Dank. – Die nächste Nachfrage hat der
Kollege Ostendorff, Bündnis 90/Die Grünen. Bitte
schön.
Frau Staatsministerin, gestatten Sie mir eine prakti-
sche Frage. Zwischen der EU und der Ukraine wurden
Assoziierungsverhandlungen geführt. Die Bundesregie-
rung hat im Vorgriff auf das Ergebnis dieser Verhandlun-
gen und auf die Unterzeichnung des Abkommens weit-
reichende Hermesbürgschaften ausgereicht. Gerade der
Wirtschaftsminister, der Ihrer Partei angehört, hat hier
Türen geöffnet. Es sind in der Ukraine riesige Produk-
tionskapazitäten mit dem Ziel aufgebaut worden, dass
dann, wenn das Assoziierungsabkommen geschlossen
ist, die erzeugten Agrarprodukte zollfrei in die EU gelie-
fert werden.
Wir wissen gar nicht, woran wir jetzt sind. Hier hat
sich die bisherige Bundesregierung sehr stark engagiert.
Was ist der Stand der Dinge? Wie geht man jetzt mit der
neuen Situation hinsichtlich der Assoziierung um?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wie Sie wissen, Herr Abgeordneter, ist das Assoziie-
rungsabkommen mit der Ukraine in erster Linie ein Frei-
handelsabkommen. Von daher haben wir natürlich die
Bestrebung, dieses Abkommen wie auch die Fragen der
Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der guten
Regierungsführung, die uns in diesem Zusammenhang
auch wichtig sind, zum Erfolg zu führen. Auch wenn der
Prozess jetzt ins Stocken geraten ist, sind wir weiter be-
strebt, die Gespräche voranzutreiben. Ich sagte bereits,
dass die Bundesregierung hieran ein großes Interesse
hat.
Was den aktuellen Stand der Hermesbürgschaften an-
belangt, möchte ich Ihnen gerne die Informationen über
meine Kollegen im Bundeswirtschaftsministerium wei-
terreichen.
Recht herzlichen Dank. – Damit sind wir mit unsererFrageliste zum Geschäftsbereich des Auswärtigen Am-tes am Ende. Herzlichen Dank, Frau StaatsministerinPieper.Wir kommen jetzt zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fra-gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. OleSchröder bereit.Ich rufe die Frage 24 des Abgeordneten Ströbele auf:
Unternehmen Computer Sciences Corporation, CSC, bzw.Töchtern, unter anderem in Wiesbaden, welches aufgrund ei-nes Rahmenvertrags mit der CIA 2003 bis 2006 dessen Ent-führungsprogramm durchgeführt haben soll und dessen Agen-ten in Kriegsgebiete befördert haben soll, von 2009 bis 2013insgesamt 100 vor allem sensible IT-Aufträge für 25,5 Millio-nen Euro erteilte, seit 1990 gar für 180 Millionen Euro sowiedurch die Bundeswehr seither weitere 364 Aufträge für über115 Millionen Euro, und wird die Bundesregierung nun, nach-dem laut Fuchs/Goetz Associated Press schon im September2011 die Entführungsflüge der CSC-Gruppe publizierte, ihrenoch offenen Verträge mit dieser sonderkündigen, dieserkeine neuen Verträge erteilen sowie alle bisherigen Verträge
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Vizepräsident Peter Hintze
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dem Fragesteller und dem Deutschen Bundestag zugänglichmachen, um eine kritische Prüfung der Vertragsinhalte sowieder Angemessenheit der Dotierung zu ermöglichen?Ich bitte Herrn Staatssekretär Dr. Schröder um Beant-wortung.D
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, die Antwort ist
etwas länger. Die Frage ist allerdings fast genauso lang
und umfasst eigentlich drei Fragen. Ich beantworte sie
wie folgt:
Die Auftragsvergabe an die in Deutschland tätigen
Tochterfirmen von CSC war bereits wiederholt Gegen-
stand parlamentarischer Anfragen. Dabei handelte es
sich in erster Linie um IT-Unterstützungsdienstleistun-
gen. Sie finden umfassende Informationen in den Bun-
destagsdrucksachen aus der letzten Wahlperiode: Druck-
sachen 17/10305, 17/10352 und 17/14530, darin die
schriftlichen Fragen 10 und 21.
Die in Ihrer Frage enthaltenen Zahlen beruhen offen-
bar auf einer Auswertung der in den entsprechenden
Drucksachen enthaltenen Antworten mit Stand August
2013, die ich daher bestätigen kann. Für den Verteidi-
gungsbereich wurde hingegen seit 1990 eine Zahl von
424 Aufträgen im Wert von 146,2 Millionen Euro er-
fasst. Seit August 2013 wurden an Tochterunternehmen
von CSC weitere Aufträge erteilt bzw. weitere Abrufe
aus Rahmenverträgen getätigt. Somit erhöhen sich ent-
sprechend dem Ergebnis einer kurzfristig durchgeführ-
ten kursorischen Abfrage innerhalb der Bundesregierung
die genannten Zahlen um etwa 3 Millionen Euro.
Es ist nicht beabsichtigt, laufende Verträge – unab-
hängig davon, ob sie vor August 2013 oder später ge-
schlossen wurden – durch eine Sonderkündigung zu be-
endigen. Die Bundesregierung sieht zum jetzigen
Zeitpunkt keine Veranlassung, ihre Auftragsvergabepra-
xis in Bezug auf CSC zu ändern. Insbesondere sieht sie
keine Veranlassung für den Ausschluss der Firma CSC
aus dem reglementierten Verfahren zur Vergabe öffentli-
cher Aufträge.
Die Vergabe öffentlicher Aufträge unterliegt zudem
einem ab gewissen Schwellenwerten durch das Recht
der Europäischen Union vorgegebenen streng reglemen-
tierten Verfahren, das seitens des Bundes einzuhalten ist.
Das nationale Vergaberecht baut auf diesen europarecht-
lichen Vorgaben auf. Es garantiert zum Beispiel allen
potenziellen Bewerbern einen freien Zugang zu den Be-
schaffungsmärkten der öffentlichen Hand und sieht
Transparenz, insbesondere eine Veröffentlichung der
Ausschreibung, und eine Dokumentation des Verfahrens
vor. Aufträge dürfen nur an fachkundige, leistungsfähige
und zuverlässige Bieter vergeben werden.
Die Bundesregierung hat keine Anhaltspunkte dafür,
dass die Firma CSC Deutschland in irgendeiner Weise
gegen Sicherheits- oder Vertraulichkeitsauflagen versto-
ßen hat. Es bestehen insbesondere auch keinerlei An-
haltspunkte dafür, dass CSC Deutschland als selbststän-
dige Gesellschaft vertrauliche Informationen an die
amerikanische CSC weitergegeben hat, die von dort aus
in andere Hände gelangt sein können. Insofern bestehen
keine Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit von
CSC Deutschland im vergaberechtlichen Sinne. Es lie-
gen auch keine Erkenntnisse vor, dass sich Mitarbeiter
von CSC wegen Beteiligung an einer Verschleppung
strafbar gemacht haben.
Das parlamentarische Frage- und Informationsrecht
vermittelt keinen Anspruch auf Offenlegung oder Über-
sendung von Dokumenten an den Bundestag. Der Ver-
tragsgegenstand der dargestellten Verträge war über den
öffentlichen Ausschreibungstext der zugrunde liegen-
den Ausschreibung jedermann zugänglich. Die für einen
individualisierten Auftragnehmer anfallenden und abzu-
rechnenden Vertragsentgelte zählen hingegen zu dessen
Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen.
Die betreffenden Informationen sind nur einem sehr
beschränkten Personenkreis bekannt und werden auch
nach dem Willen der informierten Personen innerhalb
der Unternehmen nicht publiziert. Diese Vertragsent-
gelte dokumentieren den Umfang der mit bestimmten
Vertragspartnern in bestimmten Geschäftsfeldern in ei-
nem erkennbaren Zeitraum erzielten Umsetzung und be-
ruhen auf vertraulichen einzelvertraglichen Vereinbarun-
gen. Die Bundesregierung wird daher im Rahmen ihrer
verfassungsrechtlich gebotenen Auskunftspflicht dem
Bundestag auf entsprechende Fragen antworten, ihm
aber keine internen Unterlagen überlassen.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. Wir haben jetzt
alle einmal das rote Signal ignoriert, weil die Frage des
Kollegen Ströbele wirklich sehr lang und detailliert war.
Deswegen war es auch richtig, dass die Bundesregierung
auf die einzelnen Fragen konkret geantwortet hat.
Kollege Ströbele hat noch eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, um das eigentliche Problem ha-
ben Sie sich herumgedrückt. Deshalb stelle ich dazu eine
konkrete Nachfrage.
Im ersten Drittel meiner Frage wird gegen die Firma
Computer Sciences Corporation der Vorwurf erhoben,
dass diese Firma seit zehn Jahren oder länger an Entfüh-
rungsflügen, den sogenannten Renditions, beteiligt ge-
wesen sein soll, was bereits 2011 von Associated Press
veröffentlicht worden ist. Ist denn die Bundesregierung
dem ungeheuerlichen Verdacht einmal nachgegangen,
ob diese Firma solche Rendition-Flüge tatsächlich
durchgeführt hat, und hat sie darüber nachgedacht, ob
eine Firma, die so etwas macht und sich damit an völker-
rechtswidrigen Verbrechen beteiligt, weiterhin Vertrags-
partner sein kann?
Herr Staatssekretär, bitte.
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D
Wir gehen diesen Vorwürfen selbstverständlich nach.
Es stellt sich die Frage, inwieweit sich einzelne Mitar-
beiter von CSC strafbar gemacht haben könnten. Das
wird sicherlich auch die Staatsanwaltschaft München I
weiterhin untersuchen, die mit dem Fall ohnehin betraut
ist.
Eine weitere Zusatzfrage, Kollege Ströbele.
Darf ich Sie so verstehen, dass Sie bisher dieser Frage
nicht nachgegangen sind und deshalb keine Erkenntnisse
haben, und fragen, warum Sie Berichten über die Beteili-
gung an völkerrechtswidrigen Verbrechen nicht nachge-
gangen sind? Nicht einzelne Mitarbeiter, die vielleicht
einen Fehler gemacht haben, sind verantwortlich, son-
dern die Firma hat unter Billigung und Federführung der
Geschäftsführung diese Rendition-Flüge durchgeführt.
Im Rahmen dieser Flüge, die der Verbringung von Per-
sonen zur Folter in Gefängnisse dienen, ist auch ein
deutscher Staatsbürger vom Balkan nach Afghanistan in
ein Foltergefängnis verschleppt worden.
D
Die damit befasste Staatsanwaltschaft München I
wird sich der Sache sicherlich annehmen und unter Um-
ständen Zeugen befragen. Bei Abschluss der Rahmen-
verträge lagen keine Erkenntnisse vor. Wenn nun weitere
Erkenntnisse vorliegen, stellt sich vor allem die Frage,
wer dafür Verantwortung getragen hat. Was wusste ins-
besondere die Geschäftsleitung? Handelt es sich ledig-
lich um eine Dienstleistung wie die Beschaffung von
Flügen, oder war die Firma auch an der Durchführung
der Flüge beteiligt? All diese Fragen gilt es insbesondere
im Rahmen eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungs-
verfahrens zu klären.
Kollege Kekeritz von Bündnis 90/Die Grünen hat
eine Zusatzfrage. Bitte schön.
Danke schön. – Herr Schröder, Sie haben sehr viel ge-
meinsam mit Frau Staatssekretärin Pieper, die ebenfalls
nie Erkenntnisse hat.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass 2003 der von
der CIA entführte deutsche Staatsbürger Khaled el-
Masri in einem von der Computer Sciences Corporation
bereitgestellten Flugzeug verschleppt und gefoltert
wurde? Das war auch in der Presse zu lesen. Das ist all-
gemein bekannt. Ich nehme trotzdem an, dass die Bun-
desregierung nichts davon gehört hat.
D
Der Fall war auch Gegenstand eines Untersuchungs-
ausschusses des Deutschen Bundestages. Da hat die
Bundesregierung ihre Erkenntnisse sehr detailliert mit-
geteilt.
Die Konsequenzen sind wichtig. Welche gibt es?
Eine weitere Zusatzfrage dürfen Sie eigentlich nicht
mehr stellen, Herr Kekeritz. Ich nehme an, dass Sie be-
reits zu Ihrer Frage 26 überleiten. Ist es Ihnen recht, dass
wir diese Frage jetzt aufrufen? – Das scheint der Fall zu
sein.
Dann rufe ich die Frage 26 des Kollegen Uwe
Kekeritz auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass, wie in der am
15. November 2013 erschienenen Publikation Geheimer
Krieg der Journalisten Christian Fuchs und John Goetz auf
den Seiten 206 bis 212 dargestellt, der 2003 von der CIA ent-
führte deutsche Staatsbürger Khaled el-Masri in einem von
der Computer Sciences Corporation, CSC, bereitgestellten
Flugzeug verschleppt und gefoltert wurde, und welche Konse-
quenzen wird sie aus diesen Vorwürfen für ihre Auftragsver-
gabepraxis an die CSC und deren Tochterunternehmen zie-
hen?
Herr Staatssekretär, wenn Sie so nett wären, die Frage
26 des Kollegen Kekeritz, die den gleichen Sachverhalt
betrifft, zu beantworten. Dann sind wir gleich am Ende
der Fragestunde.
D
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Die Bundesregierung hat ihre Erkennt-
nisse über die Vorgänge im Zusammenhang mit der Ent-
führung von Khaled el-Masri im diesbezüglichen 1. Un-
tersuchungsausschuss der 16. Wahlperiode dargelegt.
Seitdem haben sich keine neuen Erkenntnisse ergeben.
Die Bundesregierung hat weiterhin keine Anhaltspunkte
dafür, dass sich Mitarbeiter von CSC wegen Verschlep-
pung strafbar gemacht haben. Die Bundesregierung sieht
derzeit keine Veranlassung, ihre Auftragsvergabe und
Konzessionspraxis in Bezug auf die Firma CSC zu än-
dern. Insbesondere sieht sie keine Veranlassung für ei-
nen Ausschluss der Firma CSC aus dem reglementierten
Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge bzw. Kon-
zessionen.
Eine Zusatzfrage, Kollege Kekeritz. Bitte schön.
Ich wollte gerne von Ihnen wissen, ob es schriftlichfixierte Kriterien für die Prüfung der Zuverlässigkeit pri-vater Dienstleister im Hinblick auf die Wahrung nationa-ler Sicherheits- und Datenschutzinteressen gibt, die beider Vergabe öffentlicher Aufträge durch die Bundesbe-hörden angewendet werden.
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Wann jemand nicht zuverlässig ist, ist justiziabel.
Dazu gibt es eine entsprechende Rechtsprechung.
Eine zweite Frage?
Ja. – Ich hätte gerne gewusst: Gibt es schriftlich
fixierte Kriterien, und können wir diese einsehen?
D
Natürlich können Sie die Vergabe einsehen. Da sind
die Kriterien, die zu erfüllen sind, bereits vorgegeben.
Insofern liegen diese innerhalb des Vergabeverfahrens
schriftlich vor.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amEnde der Fragestunde. Die restlichen Fragen werden ge-mäß unserer Geschäftsordnung schriftlich beantwortet.Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:Vereinbarte Debattezu dem vorläufigen Atomabkommen mit demIranNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre dazukeinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich erteile Herrn Bundesminister Dr. Westerwelle dasWort. Bitte schön.Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren Abgeordnete! Nach fast zehn Jahren sehr schwierigerVerhandlungen haben wir am vergangenen Wochenendeerstmals substanzielle Schritte mit dem Iran vereinbarenkönnen. Diese Genfer Vereinbarung markiert einensichtbaren Wendepunkt nach zehn Jahren Verhandlun-gen, auch Jahren des Stillstands und der Konfrontation.Ich will vorab sehr deutlich sagen: Das, was in Genfvereinbart worden ist, bringt uns unserem gemeinsamenZiel, eine atomare Bewaffnung des Iran zu verhindern,einen wichtigen und bedeutenden Schritt näher. Wir wol-len dieses Ziel mit diplomatischen, politischen Mittelnerreichen. Insoweit ist dieses zweifelsohne eine Wende-marke. Diejenigen, die in den letzten deutschen Bundes-tagen gewesen sind, wissen, dass wir viele Jahre einePhase der Sprachlosigkeit gehabt haben. Ich selbst habehier oft gestanden und zur iranischen Nuklearfrage ge-sprochen und immer wieder auf die Notwendigkeit einerpolitischen und diplomatischen Lösung hingewiesen.Diesem Ziel einer politisch-diplomatischen Lösung sindwir näher gekommen. Es gibt sie noch nicht, aber wirsind dieser Lösung näher gekommen.Insoweit ist diese Vereinbarung ein Erfolg für dieWelt, für die Sicherheitsarchitektur der Welt, für die Si-cherheit der Region und ausdrücklich auch für die Si-cherheit unseres wichtigen Partners Israel. Die Bundes-regierung sowie der gesamte Deutsche Bundestag – dasgilt auch für frühere Amtsperioden – haben bzw. hattendie Sicherheitsinteressen Israels und der gesamten Re-gion stets fest im Blick.Erstmals wird der weitere Ausbau des iranischenAtomprogramms gestoppt. Besonders kritische Bereichewerden eingestellt oder zurückgeführt. Ich möchte aus-drücklich diesen Verhandlungserfolg würdigen, nichtnur im Hinblick auf die Geschlossenheit der E3+3-Ver-handlungspartner, sondern auch im Hinblick auf diegeschickte Leitung der Hohen Vertreterin CatherineAshton. Das ist in meinen Augen eine wirklich guteLeistung gewesen, die vom Europäischen AuswärtigenDienst unter der Leitung von Catherine Ashton erbrachtworden ist. Es waren sehr schwierige Verhandlungen,die mit großem Geschick von der Hohen Vertreterin derEuropäischen Union geführt worden sind.Wichtig ist allerdings, festzuhalten, dass dieses einerster Schritt ist. Es ist nicht die finale Vereinbarung,sondern es sind Eckpunkte einer finalen Vereinbarungskizziert worden. Das heißt, die eigentliche Arbeit imDetail, die eigentliche Implementierung steht uns nochbevor. Deswegen will ich hier nur kursorisch einige As-pekte nennen:Iran setzt seine 20-prozentige Urananreicherung aus.Er verdünnt seinen Vorrat an 20-prozentigem Materialoder verarbeitet es weiter in Richtung zivil nutzbarenBrennstoffs. Auch hier ist es mir wichtig, deutlich zumachen: Das Recht Irans, die Atomkraft, die nukleareEnergie, für nachgewiesenermaßen zivile Zwecke zunutzen, ist von uns nie in Zweifel gezogen worden. Inso-weit ist es nicht zu kritisieren, dass eine solche Vereinba-rung getroffen werden konnte.Iran wird keine zusätzlichen oder leistungsfähigerenZentrifugen zur Urananreicherung installieren und inBetrieb nehmen. Der Ausbau des Plutoniumreaktors inArak kommt faktisch zum Stillstand. Das ist natürlichauch deshalb von besonderer Bedeutung, weil es ja zweiWege geben kann, um zu einer nuklearen Bewaffnung zugelangen, nämlich einmal den Weg der Anreicherungund auf der anderen Seite den Weg über den Schwerwas-serreaktor. Insofern war die Einbeziehung von Arak vongroßer Bedeutung. Übrigens war dies bis in die letztenStunden einer der wichtigsten und neuralgischen Punkteunserer Verhandlungen.Entscheidend ist, dass Iran sich im vereinbarten Ak-tionsplan zu sehr weitgehender Transparenz verpflichtethat. Die internationale Gemeinschaft braucht Iran alsonicht nur zu glauben, sondern sie wird auch vor Ortüberprüfen, ob die Zusagen eingehalten werden können.Tägliche Inspektionen sollen sicherstellen, dass Irankein militärisches Nuklearprogramm betreibt. Dies istauch vor dem Hintergrund einiger kritischer Bemerkun-gen wichtig, die nachzulesen waren; darauf möchte ichausdrücklich eingehen. Es ist Transparenz und es istKontrolle vereinbart worden. Insoweit ist das ein we-
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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sentlicher Fortschritt. Die Behauptung, man handele hierim guten Glauben oder man sei ausschließlich auf dasVertrauen angewiesen, trifft nicht zu. „Vertrauen ist gut,Kontrolle ist besser“, und deswegen ist die Kontrolle beiden Genfer Verhandlungen fest vereinbart worden.
– Ich weiß, dass Ihnen dieses Zitat von Lenin besondersgut gefällt.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Abge-ordnete, im Gegenzug haben die E3+3-Staaten IranSanktionslockerungen in Aussicht gestellt. Iran darf füreinen Zeitraum von sechs Monaten einen Anteil von ins-gesamt 4,2 Milliarden US-Dollar aus eingefrorenenErlösen seiner Ölverkäufe ausbezahlt bekommen. Au-ßerdem soll der Handel mit Edelmetallen und petroche-mischen Produkten sowie auf dem Automobilsektorgeöffnet werden. Die europäischen Obergrenzen für ge-nehmigungsfreien Handel mit Iran werden angehoben.Aber auch hier ist es wieder wichtig, auf das zu ach-ten, was wirklich vereinbart worden ist, und nicht aufdas, was oberflächlich darüber berichtet oder auch kriti-siert worden ist: Die Sanktionen werden suspendiert, je-doch nicht aufgehoben. Hält sich der Iran nicht an seineZusagen, treten die Sanktionen wieder vollständig inKraft, und der Kernbestand an Sanktionen, die Schlüs-selsanktionen, in den Bereichen Öl, Gas und Finanzenbleibt von der Vereinbarung vorerst unberührt, das heißtunangetastet.Wir haben in Genf einen wichtigen, aber eben nur ei-nen ersten Schritt mit einer Laufzeit von sechs Monatenvereinbart. Das ist nicht zu unterschätzen ob seiner Be-deutung für die Verbesserung der Sicherheitslage in dergesamten Region. Die Verhandlungen über eine ab-schließende Lösung im Atomstreit stehen noch aus. Siesollen binnen eines Jahres zum Abschluss gebracht wer-den. Es liegt jetzt an Iran, verlorenes Vertrauen zurück-zugewinnen. Entscheidend ist eine transparente, über-prüfbare Umsetzung der Vereinbarung, und es sind alleindie Erfolge bei der Umsetzung der Genfer Vereinbarung,die das politische Momentum für eine abschließende Lö-sung im Atomstreit bringen können.Ich möchte mit der Bemerkung schließen: Ich binnach wie vor fest davon überzeugt, dass eine dauerhafteLösung nur auf dem Verhandlungswege erzielt werdenkann. Die jetzt amtierende, noch geschäftsführend sichim Amt befindende Bundesregierung hat in der letztenLegislaturperiode immer darauf Wert gelegt, dass wireine politische und diplomatische Lösung finden. Wirwollen eine Verhandlungslösung.
Wir beteiligen uns nicht an militärischen Interventions-szenarien.
Ich glaube, das ist eine richtige Politik gewesen. Daswird unter anderem auch durch die Vereinbarung vonGenf noch einmal eindrucksvoll bestätigt.Eine Verhandlungslösung ist möglich. Sie ist nochnicht erreicht, aber wir sind in Genf einen wesentlichenSchritt, ein gutes Stück des Weges hin zu einer solchenVerhandlungslösung gegangen. Deswegen liegt diesesAbkommen meines Erachtens im Interesse unserer euro-päischen Überlegungen, im Interesse des Westens undder Welt insgesamt.Ich sage zum Schluss mit großem Nachdruck, meinesehr geehrten Damen und Herren Abgeordneten: Zuglauben, dass es hier „ausschließlich“ – ich setze das inAnführungsstriche – um die Sicherheitsinteressen einesLandes ginge, nämlich unseres engen Partners undFreundes Israel, geht fehl. Es geht um die Sicherheits-lage in der gesamten Region, es geht um die Sicherheits-architektur der gesamten Region.
Man kann hinzufügen: Jedem, der sich wirklich mit derSache befasst und mit der Frage, was es für Auswirkun-gen haben könnte, käme es zu einer militärischen Kon-frontation, wird klar: Es geht hier in Wahrheit um dieSicherheitsarchitektur und um die Sicherheits- und Frie-densinteressen der gesamten Welt.Deswegen ist die Genfer Vereinbarung
eine Vereinbarung, die man wirklich als guten Schritt be-zeichnen kann. Sie hat es meines Erachtens auch ver-dient, überparteilich die Würdigung in diesem Hause,aber auch außerhalb dieses Hauses bei anderen wichti-gen politischen Akteuren zu erhalten.Vielen Dank.
Als Nächster hat das Wort der Kollege Dr. Rolf
Mützenich von der SPD-Fraktion. – Bitte.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Die Vereinbarung zwischen der IslamischenRepublik Iran, den ständigen Mitgliedern des Sicher-heitsrates und Deutschland ist ein bedeutender Schrittauf dem Weg zu einer friedlichen Lösung der Atomkrise,aber noch kein abschließender Erfolg; der muss in dennächsten Monaten erarbeitet werden.Dennoch lassen sich nach meinem Dafürhalten ersteSchlussfolgerungen für die zukünftige Außenpolitik zie-hen:
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Dr. Rolf Mützenich
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Erstens. Diplomatie und Vertrauensbildung sind diebesten Instrumente zur Bewältigung internationaler Kri-sen.Zweitens. Die Europäische Union und deren Mitglie-der können gemeinsam etwas erreichen.Drittens. Die USA und Russland bleiben bei der Bear-beitung internationaler Konflikte aufeinander angewie-sen.Viertens. Das Zwischenabkommen und ein spätererVertrag können das Bindeglied für weitere Initiativensein.Fünftens. Die Verhaltensänderung des Iran ist Teil äu-ßeren und inneren Wandels.Sechstens. Weitere Abrüstung in Europa und im Na-hen Osten sowie präventive Rüstungskontrolle bleibenunerlässlich und können vorbildlich wirken.Ich möchte versuchen, zu diesen sechs Schlussfolge-rungen grundsätzliche Bemerkungen zu machen:Erstens. In der Tat, Herr Bundesaußenminister, Diplo-matie und Vertrauensbildung haben Vorrang, insbeson-dere deswegen, weil sie ein guter europäischer Erfah-rungsschatz sind. Mit Diplomatie und Vertrauensbildungist die Teilung in Europa überwunden worden, undgleichzeitig sind Spannungen abgebaut worden. Deswe-gen ist dieses Instrumentarium das Instrumentarium derersten Wahl.Mit dem Zwischenabkommen mit dem Iran stehenwir möglicherweise – ich will jetzt nicht unbedingtgroße historische Worte wählen – durchaus an einemWendepunkt, weil der Nahe und Mittlere Osten in denletzten Jahren immer wieder auch Schablone für soge-nannte große Pläne war und teilweise auch Interventio-nen von außen hat erdulden und erleiden müssen. Andieser Stelle ist möglicherweise sozusagen ein Wende-punkt in der internationalen Politik gegeben. Ich bin froh– so kann ich als Sozialdemokrat nur sagen –, dass ichMitglied einer Partei bin, die damals in Regierungsver-antwortung die Intervention im Irak gegen alle Wider-stände abgelehnt hat. Ich finde, das war damals einerichtige Entscheidung.
Wenn man vom zweiten Erfahrungsschatz spricht,geht es darum, aus den Erfahrungen der Entspannungs-politik zu lernen. Wir brauchen heute, in Zeiten neuerSpannungen, eine Entspannungspolitik – darüber habenwir, glaube ich, keine unterschiedlichen Auffassungen –,indem wir Realitäten zwar anerkennen, uns aber nichtmit ihnen abfinden. Das ist sozusagen der Kern von„Wandel durch Annäherung“. Ich glaube, dass dieser Er-fahrungsschatz durchaus Wirkung entfaltet, insbeson-dere dann, wenn Europa darum gebeten wird, an der Be-arbeitung internationaler Krisen mitzuarbeiten.Der andere Aspekt in dieser Frage ist nach meinemDafürhalten, dass die Umbrüche in der arabischen Weltdurchaus Instabilitäten aufzeigen, wahrscheinlich auchfür die nächsten Jahrzehnte, auch auf Europa bezogen.Aber die dortigen Machthaber wissen auch – ich glaube,einige sind klug genug –: Sie brauchen Wandel, Wandelim Äußeren und Wandel im Inneren. Das sollten wirnicht nur zur Kenntnis nehmen, sondern auch unterstüt-zen.Zur zweiten Anmerkung, die ich machen will. In derEuropäischen Union können wir gemeinsam zum Nut-zen vieler etwas erreichen. Ich finde, auch das wirddurch das Zwischenübereinkommen mit dem Iran deut-lich. Die Europäische Union hat mit ihrer vielgescholte-nen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik bewie-sen, dass Europa durchaus in der Lage ist, Instrumenteaus dem historischen Erfahrungsschatz anzubieten undsie zum Nutzen aller einzusetzen. Es waren Deutschland,Großbritannien und Frankreich, die 2003 diese Initiativegestartet haben. Ich danke allen Bundesregierungen undden Diplomatinnen und Diplomaten, dass sie so nachhal-tig und so beharrlich an der Erreichung dieses Zieles ge-arbeitet haben. Ich danke natürlich auch der amtierendenBundesregierung und Ihnen, Herr Bundesaußenminister.Darüber hinaus sollen hier aber auch Lady Ashtonund der im Aufbau befindliche Europäische AuswärtigeDienst genannt werden; denn deren aktuelles Handeln istein Bravourstück auf dem Weg zu einer Herausbildungeiner zukünftigen europäischen Gemeinsamen Außen-und Sicherheitspolitik. Ich bin froh, dass hierüber imParlament sozusagen Gemeinsamkeit besteht; schließ-lich haben wir in den vergangenen Jahren durchaus deneinen oder anderen Außenminister in Europa erlebt, dernicht immer Gutes über Lady Ashton gesagt hat.Im Rahmen meiner zweiten Anmerkung will ich auchden Deutschen Bundestag erwähnen. Ich glaube, jetztkommt es auch auf uns an, darauf, dass wir unsere Arbeitmachen. Wenn ich es richtig beobachte, dann könntendie Parlamente im Iran und offensichtlich auch in denUSA – der Kongress auf der einen, die Madschlis auf deranderen Seite – einer erfolgreichen Umsetzung des Ab-kommens möglicherweise den einen oder anderen Steinin den Weg legen. Ich finde, wir Parlamentarierinnenund Parlamentarier können eine Menge zur Vertrauens-bildung beitragen. Deswegen wäre ich froh, wenn von-seiten des deutschen Parlamentes Initiativen ausgingen,auch die Parlamentarierinnen und Parlamentarier im Iranvon diesem wichtigen Abkommen zu überzeugen.Ein weiterer Punkt. Es wird möglicherweise dazukommen, dass die Internationale Atomenergie-Organisa-tion, die ja im Zusammenhang mit der Überprüfung desIran wertvolle, aber zusätzliche Arbeit leisten müssenwird, mehr Finanzmittel braucht. Auch das muss vonsei-ten des Deutschen Bundestages positiv beantwortet wer-den.Zum dritten Punkt, den ich gerne ansprechen möchte.Wir haben gesehen, dass die USA und Russland weiter-hin unerlässliche Partner für die Bewältigung internatio-naler Konflikte sind. Ich finde, das eröffnet neue Chan-cen für die Genfer Konferenz über Syrien und imZusammenhang mit dem israelisch-palästinensischenKonflikt.
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Dr. Rolf Mützenich
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Deswegen sollten, wenn es denn gelingt, zwischenden USA und Russland zumindest bei internationalenKrisen neues Vertrauen aufzubauen, gerade vonseitender Europäischen Union, aber auch vonseiten seiner Mit-gliedsländer weitere Initiativen für eine gute Zusammen-arbeit mit Russland ausgehen. Es sollten aber auchdurchaus offene Worte über das, was uns hinsichtlich derAußenpolitik der Russischen Föderation nicht passt, ge-sagt werden. Europa ist aufgerufen, dieses Momentumeiner Zusammenarbeit zwischen Russland und den USAbei weiteren internationalen Krisen zu befördern.Europa sollte in diesem Zusammenhang aber auch dieVolksrepublik China an ihre wachsende Verantwortungerinnern. Sie ist Teil der Sechsergruppe gewesen; sieprofitiert immer noch sehr stark von den Erfolgen, wobeisie sich sozusagen in der zweiten oder dritten Reihe auf-hält. Die Volksrepublik China wird in Zukunft mehr Ver-antwortung tragen müssen. Ich glaube, Europa muss dasverlangen.Der vierte Aspekt. Die Zwischenvereinbarung könnteein Bindeglied für weitere Initiativen im Nahen undMittleren Osten sein. Es ist sinnvoll, auch vor dem Hin-tergrund des europäischen Erfahrungsschatzes, an denAufbau regionaler Sicherheitssysteme zu erinnern, umSpannungen abzubauen und Vertrauen zu schaffen, so-wie Abrüstung und Rüstungskontrolle als Instrument fürdiese Vertrauensbildung zu beschreiben. Insbesonderedürfen auch von Deutschland aus keine Rüstungsexportein Spannungsgebiete erfolgen.
Es gibt einen weiteren Aspekt – er ist eben angespro-chen worden; das ist mein fünfter Punkt –: Trotz allerEnttäuschung, dass es kein konkretes Datum im Hin-blick auf die Schaffung einer massenvernichtungswaf-fenfreien Zone im Nahen und Mittleren Osten gibt, müs-sen wir weiter daran arbeiten. In der Fragestunde habenwir gehört, dass die Bundesregierung hier weiterhin allesNotwendige unternehmen wird.Eines will ich deutlich machen: Wir können nicht im-mer nur sagen: „Wir können etwas einbringen“, sondernmüssen auch zur Kenntnis nehmen, wenn es positive Si-gnale in dieser Region gibt. Ich finde, der Appell vonsei-ten des Iran und der Türkei an die syrischen Gewalt-akteure, eine Waffenruhe zur Genfer Konferenz zuvereinbaren, ist nicht nur wichtig, sondern unerlässlich,auch wenn es ein nur kleiner Erfolg ist. Europa sollte daswürdigen. Deswegen bin ich der Meinung: Der Iran ge-hört mit an den Verhandlungstisch in Genf, wenn es umdie Frage der Beendigung des Bürgerkrieges in Syriengeht.
Eine Verhaltensänderung des Iran ist mit SicherheitTeil äußeren, aber auch inneren Wandels. Deswegen willich auch hier noch einmal deutlich sagen: Wir vomDeutschen Bundestag kritisieren und werden immer wie-der darauf hinweisen, dass es Menschenrechtsverletzun-gen im Iran gibt. Es ist an der iranischen Regierung, diejetzige Chance, wo der außenpolitische Druck mögli-cherweise geringer wird, zu nutzen, um im Inneren zu ei-nem Wandel beizutragen. Auch das war immer der An-satzpunkt einer Entspannungspolitik. Ich finde, dasgehört mit dazu.Möglicherweise, auch wenn das auf den ersten Blicknicht so erscheint, könnte die Situation der Instabilitätim Nahen und Mittleren Osten zu einem Umdenken imiranischen politischen System beigetragen haben. Eskönnte dazu geführt haben, dass geglaubt wird, dass einRegimesturz nicht mehr auf der Tagesordnung steht. Esist glaubhaft, was Präsident Obama gesagt hat; denn Prä-sident Obama ist eben nicht an weiteren Instabilitäten in-teressiert.Wir sollten dieses kleine Fenster des Umdenkensdurchaus nutzen, um Initiativen voranzubringen. Deswe-gen – das ist der sechste Punkt – glaube ich, dass wir inEuropa gehalten sind, mit gutem Vorbild voranzugehen.Wir müssen für Rüstungskontrolle und Abrüstung, fürkonventionelle Abrüstung, nukleare Abrüstung und vieleandere Dinge mehr eintreten. Wir müssen insbesonderedie Vertrauensbildung und die Maxime, die PräsidentObama eingeführt hat, nämlich dass Respekt in den in-ternationalen Beziehungen wichtig ist, voranbringen.Zum Abschluss, meine lieben Kolleginnen und Kolle-gen, möchte ich mich gerne bei Ihnen persönlich, HerrBundesaußenminister, für die faire und gute Zusammen-arbeit im Auswärtigen Ausschuss bedanken. Alles Gute!
Ich erteile als Nächstem das Wort dem Kollegen Jan
van Aken, Fraktion Die Linke.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrWesterwelle, das fand ich gut. Ich kann Ihnen eigentlichin fast allen Punkten zustimmen.
– In einem Punkt stimme ich nicht mit Ihnen überein;aber ansonsten kann ich wirklich fast alles teilen, wasSie gesagt haben. Denn ich kann mich von Herzen rich-tig über diese Einigung mit dem Iran freuen. Machen wiruns nichts vor: Das heißt doch, dass erstens die Kriegs-gefahr im Mittleren Osten tatsächlich ein kleines biss-chen geringer und dass zweitens die Gefahr eines nu-klear bewaffneten Iran tatsächlich deutlich geringergeworden ist. Das sind zwei gute Nachrichten.
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Jan van Aken
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Das ist auch ein Erfolg der Diplomatie. Ich fand essehr gut, dass Sie das ausdrücklich betont haben. Es istauch ein Erfolg der europäischen Diplomatie, der Diplo-matie von Frau Ashton; das müssen wir hier ganz deut-lich sagen. Danke auch an Herrn Mützenich dafür, dasser das gesagt hat. Wir müssen Frau Ashton von hier ausein großes Lob aussprechen.
Eines möchte ich vorwegsagen – vielleicht gibt es daeinen Dissens –: Ich halte es für völlig absurd, jetzt so zutun, als ob es die harten Sanktionen waren, die den Iranan den Verhandlungstisch bewegt haben. Ich halte dasfür völlig absurd. Das können Sie gleich vergessen.Denn auch vor einem Jahr waren die Sanktionen gegenden Iran hammerhart. Auch vor einem Jahr war die Wirt-schaftslage in Teheran völlig desolat, und trotzdem hates vor einem Jahr keine Einigung gegeben.Es ist völlig klar: Mit noch so harten Sanktionen er-zeugen Sie bei dieser Frage, die für den Iran eine Frageder nationalen Souveränität ist, überhaupt keinen Druck,um irgendeine Lösung herbeizuführen. Diese Lösung isterst durch zwei Wahlen möglich geworden. Die eine wardie Wiederwahl von Obama in den USA, der in derzweiten Amtszeit eine ganz andere Flexibilität hat. Diezweite war die Wahl des neuen iranischen PräsidentenRohani, der zeitgleich mit Obama zum ersten Mal seitJahren offensichtlich kompromiss- und verhandlungsbe-reiter ist, als es in den Jahren zuvor der Fall war.
Wenn alle Hardliner gewesen wären und weiter nachharten Sanktionen gerufen hätten, dann hätte es diese Ei-nigung nicht gegeben. Dies ist eine ganz klare Ansage anHerrn Mißfelder von der CDU, der immer wieder einemmilitärischen Angriff auf Iran das Wort geredet hat.Wenn Herr Mißfelder in Genf mit am Verhandlungstischgesessen hätte, dann hätte es diese Einigung nicht gege-ben. Ich bin froh, dass er nicht dabei war. Ich hoffe, erwird auch in Zukunft nicht dabei sein.
Diese Einigung im Atomstreit zeigt eines ganz deut-lich: Zwang funktioniert in der Außenpolitik nur ganz,ganz selten. Beim zivilen iranischen Atomprogrammfunktioniert es noch viel weniger. Denn es ist innerhalbdes Iran die zentrale Frage der nationalen Souveränität.Ein noch so moderater Präsident im Iran könnte niemalsan diese Frage herangehen, könnte nicht auf Druck vonaußen reagieren. Das funktioniert nicht, zumal – auchdas hat Herr Westerwelle richtigerweise gesagt – derIran nach dem Atomwaffensperrvertrag ein Recht aufein ziviles Atomprogramm hat. Er hat sogar das Rechtauf Urananreicherung. Ich persönlich finde das falsch.Von mir aus könnten wir schon heute einen weltweitenAtomausstieg beschließen. Aber das ist eine völlig an-dere Debatte.
Die Einigung in Genf ist gut, weil sie ausgeglichenist, weil beide Seiten zwar kleine, aber doch gleich langeSchritte aufeinander zugegangen sind.
Auf der einen Seite darf die Urananreicherung im Iranweitergehen, aber nur eingeschränkt und nicht mehr miteinem Anreicherungsgrad von 20 Prozent. Zudem gibtes einen Baustopp an den wichtigsten Anlagen, nicht nuram Schwerwasserreaktor, sondern auch an den Uranan-reicherungsanlagen. Auf der anderen Seite werden dieSanktionen etwas gelockert. Das ist für mich ein tragfä-higes Fundament für künftige Schritte.Aus meiner Sicht gibt es jetzt vier Dinge, die wir tunsollten – das richtet sich natürlich mehr an HerrnSteinmeier als an Herrn Westerwelle; es ist in die Zu-kunft gedacht –:Erstens. Das ist ganz wichtig: Ruhe bewahren. Ma-chen wir uns nichts vor: Es gibt genug Kräfte, die dieseEinigung nicht wollen. Es sind die Hardliner in Teheran,die jede Art der Verhandlung mit dem Erzfeind USA ab-lehnen. Es sind die Hardliner in Washington, die natür-lich jede Art der Einigung mit dem Erzfeind Iran ableh-nen. Und dann gibt es die unheilige Allianz zwischenIsrael und den Golfstaaten, die das Abkommen am liebs-ten torpedieren würden. Wir werden Provokationen erle-ben. Ich kann den 5+1-Staaten immer wieder nur sagen:Ruhe bewahren, sich nicht provozieren lassen und denGeist von Genf aufrechterhalten. Das wird in den nächs-ten sechs Monaten das Wichtigste sein.Zweitens. Sie sollten unbedingt und sofort in denLändern der Region für die Einigung werben. Ganz vornist hier natürlich Israel. Werben Sie in Israel dafür, dassdiese Einigung mehr Sicherheit für Israel bedeutet undnicht weniger. Auch das ist eine Aufgabe für einen künf-tigen deutschen Außenminister.
Drittens. Die versprochenen und beschlossenen Sank-tionserleichterungen müssen so schnell wie möglich undso großzügig wie möglich umgesetzt werden. Ich habees hier schon mehrfach gesagt: Es kostet nicht viel, aucheinmal zwei, drei Schritte in Vorleistung zu gehen. Esgeht dabei doch um Folgendes – das ist übrigens derDissens, den wir haben, Herr Westerwelle –: Es geht da-rum, Vertrauen auf beiden Seiten wiederherzustellen. Esgeht nicht nur darum, dass der Westen Vertrauen in denIran haben muss. Auch umgekehrt gibt es dort ein be-rechtigtes Misstrauen. Vertrauen muss auf beiden Seitenhergestellt werden. Dabei würde es helfen – ich kommedamit zum Schluss –, in den nächsten Wochen und Mo-naten die Sanktionserleichterungen sehr großzügigdurchzusetzen.Viertens und letztens. Wir sollten jetzt diese Chancenutzen, den Iran auch auf anderen Feldern einzubinden.Herr Mützenich hat es bereits gesagt: Dabei geht es zumBeispiel um Syrien. Aber auch der EU-Menschenrechts-dialog mit dem Iran könnte wieder aufgenommen wer-den. Dann könnten wir verhindern, dass die dramatische
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 143
Jan van Aken
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Menschenrechtslage im Iran zugunsten des Atomstreitsvernachlässigt wird.
Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Deutschlandkeine Waffen mehr exportieren sollte. Das gilt natürlichauch für den Iran, das gilt aber für alle Länder in dieserRegion, auch für Israel und die Golfstaaten.Danke schön.
Nächste Rednerin ist die Kollegin AgnieszkaBrugger, Bündnis 90/Die Grünen. – Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Einegroße Chance mit Risiken und vor allem auch ein Erfolgder Diplomatie, allerdings mit offenem Ausgang – solässt sich meiner Meinung nach das Übergangsabkom-men, das die fünf Vetomächte der Vereinten Nationenund Deutschland mit dem Iran in Genf verhandelt haben,am besten beschreiben. Der Iran verpflichtet sich, Teileseines Atomprogramms auszusetzen und mehr Inspek-tionen seiner Anlagen zuzulassen. Im Gegenzug soll einTeil der Sanktionen gelockert und sollen vorerst keineweiteren verhängt werden.Gemischt und sehr unterschiedlich wurde dieses Ab-kommen anschließend bewertet. Ich stehe immer nochunter dem Eindruck, dass Sie sich, Herr AußenministerWesterwelle, so einig mit dem Kollegen van Aken sind.Ich finde, das ist ein ganz besonderer Moment, und daszeigt auch, dass es hier einen großen Zuspruch für diesesVerhandlungsergebnis gibt.
Sie haben das Abkommen einen Wendepunkt ge-nannt. US-Außenminister Kerry twitterte, es sei ein ers-ter Schritt, die Welt sicherer zu machen. Der israelischeMinisterpräsident Netanjahu hat das Abkommen hinge-gen deutlich kritisiert. Allerdings zeigt die Debatte inIsrael nicht nur sehr nachvollziehbare Sorgen über dasiranische Atomprogramm, sondern auch sehr unter-schiedliche Ansichten und Bewertungen dieses Abkom-mens.Nach Jahren der Eskalation und des eisigen Still-stands, nach Jahren der mehr als berechtigten Sorge,dass der Iran in Zukunft über Atomwaffen verfügenkönnte, ist nun eine erste Vereinbarung getroffen wor-den, die allen Seiten, wie ich finde, durchaus große Zu-geständnisse abverlangt. Das ist ein großer Erfolg.
Ziel muss es jetzt sein, diesen Weg der Verhandlun-gen weiter zu beschreiten und die Vereinbarung zügigund schnell umzusetzen, um anschließend, nach den ver-einbarten sechs Monaten, in denen Transparenz geschaf-fen und Vertrauen erworben werden muss, ein belastba-res und verbindlicheres Abkommen zu erreichen. Wiediese sechs Monate genutzt werden und wie die Umset-zung dieser Vereinbarung ausfällt, wird dabei nicht nurfür die Entwicklung der nächsten Wochen und Monate,sondern für Jahre ausschlaggebend sein.Es liegt jetzt an der neuen Regierung in Teheran, derinternationalen Gemeinschaft glaubhaft zu beweisen,dass sie ernsthaft an einer langfristigen und tragbarenLösung des Atomkonflikts interessiert ist. Dazu mussder Iran nun schnell und transparent seine Vertrauens-würdigkeit unter Beweis stellen. Die Hochanreicherungvon Uran auf 20 Prozent muss gestoppt und die beste-henden Vorräte müssen in höchstens 5-prozentig ange-reichertes Uran umgewandelt werden. Auch die Aktivi-täten um den Schwerwasserreaktor Arak müssengestoppt und die Kontrolle durch die InternationaleAtomenergie-Organisation uneingeschränkt ermöglichtwerden. Denn nur durch die zügige und anhaltende Um-setzung dieser Vereinbarung kann der Iran die bestehen-den Zweifel, dass es sich um bloße Lippenbekenntnissehandeln könnte, langsam aus dem Weg räumen.Ziel der auferlegten Sanktionen war es, den Iran anden Verhandlungstisch zu bringen. Das ist gelungen.Nun muss die internationale Gemeinschaft im Gegenzugaber auch bereit sein, die Sanktionen zu lockern, wenndie iranische Seite ihren Verpflichtungen nachkommt.Dabei sollten vor allem die Sanktionen im Fokus stehen,die die Zivilbevölkerung treffen. Absolut kontraproduk-tiv sind an dieser Stelle die Stimmen der Republikaneraus den USA, die in der aktuellen Situation eine Ver-schärfung der Sanktionen fordern. Das würde ein auto-matisches Ende dieses Erfolges, ein automatisches Endeder Verhandlungen und Gespräche bedeuten.Meine Damen und Herren, wir sollten aber auch nichtin allzu große Euphorie verfallen. Denn es ist zu früh,von einer wirklichen Lösung des Atomkonflikts zu spre-chen, weil in diesen sechs Monaten viel passieren kann,zum Guten, aber eben auch zum Schlechten. Trotz desberechtigten Aufatmens aufgrund dieser Einigung musseines klar sein: Sie ist kein Anlass, die erschreckendeRhetorik des iranischen Regimes gegenüber Israel oderdie nach wie vor krassen und eklatanten Menschen-rechtsverletzungen im Iran oder die verheerende Rolle,die der Iran im blutigen Syrien-Konflikt spielt, auszu-blenden.Es ist aber auch klar: Das Übergangsabkommen isteben doch ein großer Erfolg der Diplomatie. Wer das be-streitet, muss sich klarmachen, dass die Alternativen, dieauf dem Tisch lagen – mit dieser Formulierung wurde jaimmer wieder über einen Militärschlag gesprochen –, inihren Auswirkungen katastrophal gewesen wären. Aufder einen Seite hätte nicht toleriert werden können, dassder Iran sein Atomprogramm in vollem Umfang weiter-betreibt, während immer schärfere Sanktionen die Zivil-bevölkerung treffen. Auf der anderen Seite hätte einemilitärische Eskalation dieses Konflikts unberechenbareFolgen für eine Region gehabt, die ohnehin schon durchzahlreiche Krisen und Konflikte destabilisiert ist.
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144 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Agnieszka Brugger
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Die Einigung ist bei allen berechtigten Zweifeln undUnwägbarkeiten durchaus ein Anlass, Hoffnung zu fas-sen, dass vielleicht ein Anfang gemacht wurde, diesenKonflikt auf diplomatischem Wege zu bearbeiten und ir-gendwann vielleicht wirklich lösen zu können. Wir soll-ten alles dafür tun, diesen Weg entschieden weiter zu be-schreiten.
Denn, liebe Kolleginnen und Kollegen, es bleibt dabei:
Ein nuklear bewaffneter Iran wäre eine Gefahr für die
gesamte Region und darüber hinaus. Den weltweiten Be-
mühungen um Abrüstung und Nonproliferation würde
ein schwerer Schaden zugefügt. Ein nukleares Wettrüs-
ten wäre die Folge: Saudi-Arabien, Ägypten und auch
die Türkei haben schon erkennen lassen, dass sie sich bei
einer atomaren Bewaffnung des Iran zum nuklearen
Nachrüsten gezwungen sähen.
Niemand spricht dem Iran das Recht auf die zivile
Nutzung der Atomenergie ab. Der Iran hat aber nach sei-
nen Verpflichtungen aus dem Nichtverbreitungsvertrag
kein Recht auf eine nukleare Bewaffnung. Eine iranische
Atombombe würde eine erhebliche Gefährdung des
Weltfriedens bedeuten und auch uns bedrohen. Schon
jetzt verfügt Teheran über Langstreckenraketen, die
Europa erreichen können. Wir müssen deshalb auch in
Zukunft verhindern, dass der Iran die Fähigkeit hat,
Atomwaffen herzustellen. Bis dahin halten wir – auch
die neue Koalition – an unserem doppelten Ansatz fest:
Verhandlungen und Sanktionsdruck. Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen, Außenminister
Westerwelle hat sich in den vergangenen vier Jahren mit
Verve für eine diplomatische Lösung des Konfliktes ein-
gesetzt. Herr Minister, die Vereinbarung von Genf ist
auch Ihr Erfolg. Dafür, für Ihren Dienst für unser Land
und für die stets gute und kollegiale Zusammenarbeit
möchte ich Ihnen im Namen der CDU/CSU-Fraktion un-
seren ganz besonderen Dank aussprechen.
Nächster Redner ist der Kollege Thomas Silberhorn
von der CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DasInterimsabkommen mit dem Iran bringt Bewegung inden Atomstreit: zum ersten Mal seit 2004 mit einem sub-stanziellen Fortschritt. Das ist nicht nur ein erfolgreicherZwischenschritt für alle Beteiligten, es ist insbesondereauch ein Verhandlungserfolg der Europäischen Union àla bonne heure.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 145
Thomas Silberhorn
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So stelle ich mir europäische Integration vor: dass wirin den wichtigen Fragen erfolgreich sind. Wenn wir denMenschen erklären wollen, warum europäische Integra-tion wichtig ist, dann ist es notwendig, dass die Europäi-sche Union die wichtigen Dinge anpackt und löst unduns nicht mit Belanglosigkeiten behelligt. Das ist ein gu-tes Beispiel für Integration.Ich will hinzufügen, dass sich auch das Format, indem verhandelt worden ist, bewährt hat und entwick-lungsfähig ist. Ich weiß nicht, wie viele Koalitionsver-träge es in den letzten Jahren gegeben hat, in denen steht,dass wir einen europäischen Sitz im Sicherheitsrat derVereinten Nationen anstreben und auch als Deutschebereit sind, enger mitzuarbeiten. Dieses Format der fünfständigen Mitglieder des Sicherheitsrates plus Deutsch-land wird den Gegebenheiten in besonderem Maße ge-recht, und weil es sich hier bewährt hat, glaube ich, dasses ein Format ist, das sich ausbauen lässt.Meine Damen und Herren, dieses Interimsabkommenist eine Chance für die internationale Gemeinschaft ge-nauso wie für den Iran. Wir wissen nicht, wann der Irandie Schwelle zur Atomwaffenfähigkeit überschrittenhätte. Aber es hätte in einem Zeitraum von sechs Mona-ten, auf den dieses Interimsabkommen ausgelegt ist,durchaus der Fall sein können. Dann wären wir vor einervöllig veränderten Situation gestanden. Jetzt haben wirzumindest eine Atempause.Das Interimsabkommen ist auch eine Chance für denIran, jetzt einen Kurswechsel vorzunehmen, wenngleichklar ist: Es ist ein erster Schritt, und der Weg zu einerdauerhaften Lösung ist noch weit. Darüber sind sich dieVerhandlungsparteien übrigens völlig im Klaren gewe-sen; denn in dem Text ist noch nicht einmal von einemersten Schritt die Rede, sondern von Elementen einesersten Schrittes. Das zeigt, dass man sich völlig im Kla-ren darüber ist, was noch zu tun ist.Eine Lehre kann man aus dem bisherigen Verhand-lungsprozess ziehen: Die Sanktionen der internationalenGemeinschaft haben gewirkt. Die Sanktionen sind einwirksames Instrument, wenn sie entschlossen von allendurchgesetzt werden. Auch das ist eine wichtige Bot-schaft an alle ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates.Dieses Instrument hat seine Wirkung gezeigt. Wenn nuneinzelne Sanktionen suspendiert werden und wenn ein-gefrorene Gelder durch die USA ausgezahlt werden,dann ist es wichtig, darauf hinzuweisen, dass dieseLeistungen nur Zug um Zug gegen die Umsetzung diesesInterimsabkommens erfolgen können.Es muss klar sein, dass Sanktionen sofort wiederverschärft werden müssen, wenn die Umsetzung diesesAbkommens nicht vorankommt. Deswegen ist es not-wendig, dass diese Inspektionen täglich durchgeführtwerden. Dass überhaupt umfassende Inspektionen ver-einbart worden sind, ist ein wichtiger Verhandlungsfort-schritt; denn anderenfalls hätte man gar nicht feststellenkönnen, wann der Iran die Schwelle zur Atomwaffen-fähigkeit überschreitet.Die internationale Gemeinschaft hat gleichwohl er-hebliche Vorleistungen erbracht. Ich darf daran erinnern,dass noch im Jahr 2004 selbst die Uranumwandlung ver-boten worden war. Jetzt ist auch eine – zeitlich nachgela-gerte – Anreicherung bis zu 5 Prozent zulässig, aber im-merhin gibt es die klare Verpflichtung, dass über5 Prozent angereichertes Uran zu verflüssigen oder zuoxidieren ist. Dieser Abbau der Vorräte bedeutet, dassdas Interimsabkommen mehr ist als eine bloße Still-standsverpflichtung. Es kann eine Vertrauensbasis füreine dauerhafte Lösung bieten, wenngleich man natür-lich feststellen muss, dass grundsätzlich alle Schritte re-versibel sein können. Wir können nicht ausschließen,dass sich der Iran wieder anders entscheidet, aber wirkönnen darauf hinwirken, dass die Sanktionen in einemsolchen Fall sofort wieder verschärft werden.Ich kann insofern die Skepsis mancher Beteiligter undmancher Dritter nachvollziehen. Dieses Abkommen bie-tet aber dennoch Anlass zu verhaltenem Optimismus. Eskann Vertrauen wachsen, wenn dieses Interimsabkom-men jetzt umgesetzt wird und wenn die Verhandlungenfür eine dauerhafte Lösung zügig fortgesetzt werden.Dabei werden die Fragen zum Schwerwasserreaktor inArak ebenso wie mögliche militärische Testversuche inParchin Gegenstand der Verhandlungen sein müssen.Wir müssen – damit will ich schließen – die Beden-ken Israels gleichwohl ernst nehmen. Ich teile nicht dieBewertung, dass dieses Zwischenabkommen ein histori-scher Fehler ist. Aber der Iran hat die Weltöffentlichkeitnun einmal oft genug enttäuscht. Deswegen ist es jetztSache des Iran, den Nachweis zu erbringen, dass hierkein taktischer Zeitgewinn erzielt worden ist, sondern esum eine ernsthafte Lösung dieses Problems geht. Immer-hin bietet dieses Interimsabkommen die Chance, dieVerschwörungstheoretiker zu widerlegen, die glaubenmachen wollen, dass alle es darauf angelegt haben, denIran zu isolieren.Es gibt eine Lösung. Es gibt keinen Konflikt, derhoffungslos und ohne Lösung wäre. Deswegen müssenwir die iranische Öffentlichkeit, insbesondere die jungeGeneration dieses Landes einbeziehen. Sie muss einePerspektive erhalten. Wir müssen auf wirtschaftlicheEntspannung achten und es der iranischen Führung er-möglichen, sichtbare Ergebnisse vorzuweisen und zuzeigen, dass sie es besser macht als die Vorgängerregie-rung in diesem Land.Vielen Dank.
Nach diesem Beitrag vom Kollegen Silberhornschließe ich die Aussprache.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 7 auf:Beratung des Antrags der BundesregierungFortsetzung der Beteiligung bewaffneterdeutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur auf Grund-lage der Resolution 1769 des Sicher-heitsrates der Vereinten Nationen vom
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146 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Vizepräsident Johannes Singhammer
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31. Juli 2007 und folgender Resolutionen, zu-letzt 2113 vom 30. Juli 2013– Drucksache 18/72 –Ich weise darauf hin, dass wir später über diesen An-trag namentlich abstimmen werden.Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist KollegePhilipp Mißfelder, CDU/CSU.
Herr Präsident! Eigentlich wollte auch ich dem Bun-desaußenminister danken, aber er ist leider nicht mehranwesend. Der Kollege Schockenhoff hat ihm ja schonausführlich gedankt. Im Namen der Arbeitsgruppe „Aus-wärtiges“ der CDU/CSU-Fraktion möchte ich dem Bun-desaußenminister aber dennoch dafür danken, dass erwährend seines vierjährigen Wirkens Deutschland alsFriedensmacht positioniert hat. Ich möchte ihm für seinEngagement in diesem Bereich danken. Auch im Namenvon Andreas Schockenhoff möchte ich das für unsereFraktion betonen. Dieses Lob kann man ihm ja vielleichtüberbringen.Meine Damen und Herren, wir beraten jetzt über einMandat – das ist ähnlich wie heute Vormittag bei der De-batte über den Einsatz im Südsudan –, das wenig Auf-merksamkeit findet, aber einen sehr ernsten Hintergrundhat. Wir sehen, dass die Lage im Sudan insgesamt nichtstabil ist. Trotz der Bemühungen des InternationalenStrafgerichtshofs in Den Haag stehen wir einer sehr gro-ßen Herausforderung gegenüber. Bei dem Machthaberim Sudan handelt es sich um jemanden, der des Völker-mords angeklagt ist und mit internationalem Haftbefehlgesucht wird. Allein die Tatsache, dass das Töten imLand weitergeht, sollte uns besorgen. Nach Angaben dersudanesischen Ärztevereinigung haben die Sicherheits-kräfte im September und Anfang Oktober mehr als200 Menschen getötet. Insgesamt 800 Menschen sollenverhaftet worden sein.Zum Hintergrund: Es wird zum Teil von einer Arabel-lion gesprochen, also von einem Vorgang, der mit demarabischen Frühling vergleichbar ist. Allerdings sind dieHintergründe in diesem vom Krieg zerriebenen Land na-türlich ganz anders als in Nordafrika, weswegen mandiesen Vergleich nicht so einfach führen kann. Es wirddort mit großer Brutalität vorgegangen. Seitens offiziel-ler Stellen gibt es nahezu täglich Meldungen, die unszeigen, dass die Menschenrechte nicht ernst genommenwerden und man auch nicht an einer friedlichenKooperation mit der Opposition interessiert ist.Der Informationsminister des Landes hat zum Bei-spiel vor ein paar Tagen zur Kenntnis gegeben, dass dieBilder, die uns aus dem Sudan erreicht haben, eigentlichaus Ägypten stammen würden und dass die Bilder vonOpfern Fälschungen seien. Allein das zeigt, dass dieRegierung im Land selbst nicht in der Lage ist, auf dip-lomatische Art und Weise mit uns umzugehen, sonderndass hier gelogen wird und dass die Öffentlichkeit ge-täuscht wird, um das Töten im eigenen Land zu vertu-schen.Die wirtschaftliche Situation ist spektakulär negativ.Der Staat hat kein Geld, die Inflation ist hoch, und dieArmee, deren Angehörige immer unzufriedener werden,verschlingt enorm viel Geld. In Ländern, die sich ineinem Konflikt befinden, ist es häufig so, dass sich dieArmee einen Großteil der Ressourcen des Landes ein-verleibt.Nach der Unabhängigkeit des Südsudan, über den wirheute Vormittag diskutiert haben, hat sich die Situationverschärft. Im Grunde müssten beide Länder kooperie-ren; denn der Süden hat das Öl, und der Norden hat diePipelines und die Durchleitungswege. Trotzdem ist esnicht möglich, ein vernünftiges Verhältnis auszubalan-cieren, bei dem beide Länder von den wirtschaftlichenVorteilen des Ölexports profitieren.Vorhin in der Diskussion ist schon über den wachsen-den Einfluss Chinas gesprochen worden. Auch an dieserStelle möchte ich darauf hinweisen, dass natürlich an-dere aufstrebende Mächte in der Region präsent sind undan der Lösung dieser Konflikte nicht immer unbedingtkonstruktiv mitwirken. Umso mehr befürworte ich unse-ren militärischen Beitrag, den wir an dieser Stelle leis-ten. Ich möchte auch darauf hinweisen, dass er sich breiteinbettet in ein ziviles Engagement, das wir massiv vo-rantreiben.Die humanitäre Lage ist aber trotz des zivilen Enga-gements dermaßen schlecht, dass eine militärische Prä-senz vonnöten ist. Unkontrollierte Waffenströme sorgenfür einen permanenten Nachschub für alle Milizen, füralle Regierungstruppen, die dort aktiv sind.
– Schön, dass Sie es reinrufen. – Deshalb bin ich froh,dass wir hinsichtlich der Waffenexporte eine tragfähigeLösung gefunden haben. Ich glaube, dass der DeutscheBundestag gut daran tut, die Waffenexporte, die aus un-serem Land herausgehen, stärker im Blick zu haben. Dasstellen wir mit der Koalitionsvereinbarung, die wir jetztauf den Weg bringen, sicher.
Ich möchte der Bundeswehr danken, die in dieserschwierigen Mission einen wichtigen Beitrag leistet. DieSituation dort ist nicht ungefährlich. Wir sind mit einergeringen Zahl Soldaten dort im Einsatz. Die maximaleObergrenze des Mandats beträgt 50 Personen. Aktuellsind neun Deutsche im Hauptquartier von UNAMIDeingesetzt. Wir haben vor ein paar Wochen erlebt, dassnigerianische Soldaten, die zur internationalen Schutz-truppe gehören, getötet wurden. Allein dieser spektaku-läre Angriff auf vier Soldaten aus Nigeria zeigt, dass dieSituation keineswegs harmlos ist, sondern brandgefähr-lich.
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Philipp Mißfelder
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Viele Leute vergessen, dass seit 2003 nach UNO-Schätzung insgesamt 300 000 Menschen getötet wordensind. Es handelt sich also um eine große Katastrophe.Deshalb werbe ich dafür, dass wir unsere Bemühungen,unter anderem zur Setzung von internationalen Normenim Rahmen des Internationalen Strafgerichtshofs, voran-treiben. Zur Durchsetzung des internationalen Rechtsmüssen wir diese UNO-Mission notwendigerweise un-terstützen. Ich bitte Sie daher im Namen meiner Fraktionum Zustimmung.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist der Kollege Rainer Arnold, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirdiskutieren jedes Jahr über die Verlängerung des Manda-tes, und manche fragen sich: Wir haben 10, 11, in derSpitze 13 Soldaten dort gehabt, muss das wirklich sein?
Ich meine ja, nicht nur aufgrund unseres parlamentari-schen Vorbehalts – ein wichtiges Recht des DeutschenBundestages, das an keiner Stelle angekratzt werden darf –,sondern auch weil es wichtig ist, dass Darfur und derSudan kein vergessener Konflikt werden. Das ist diegrößte humanitäre Katastrophe, die wir auf unseremGlobus seit vielen Jahren haben. Deutschland, Europaund die Vereinten Nationen können und dürfen nichtwegschauen. Mein Vorredner hat es schon gesagt: Esgab über 300 000 Tote, 2 Millionen Flüchtlinge, davon250 000 im Nachbarland Tschad. Auch dort herrschenunglaubliche Verhältnisse, die diese Region weiter de-stabilisieren.Dieser Konflikt ist im Jahre 2003 eskaliert; vorherwar er latent. Wir sehen heute: Es ist – trotz aller Versu-che in den Jahren 2011 und 2013 – nur bedingt gelungen,Friedensprozesse stärker zu implementieren; das ist ganzeindeutig. Wir mussten lernen: Zu den ursprünglich et-was klarer abschätzbaren Konflikten – auf der einenSeite die Regierung des Sudans, auf der anderen Seiteeine große Rebellengruppe – sind sehr große interneKonflikte auch unter den Aufständischen dazugekom-men. Das heißt, dieser Konflikt ist viel komplizierter ge-worden. Das Schlimme ist: Eigentlich gehören nicht nurder Präsident und einige seiner Minister aus dem Sudan,sondern auch Rebellenführer vor den InternationalenStrafgerichtshof in Den Haag. Dies wäre angesagt unddas notwendige Zeichen. Wir können nur hoffen, dassman ihrer habhaft wird.
Der seit 2012 laufende Doha Peace Process will auchdie anderen Rebellengruppen mit einbeziehen. Das istein mühsamer Prozess. Aber es ist auch Aufgabe derSoldaten, mandatiert durch die Vereinten Nationen unddie Afrikanische Union – deshalb diese Hybridmission –,diesen Friedensprozess trotz der komplexen Gemenge-lage voranzubringen.UNAMID verfügt im Augenblick wirklich über sehrwenige Soldaten. Insgesamt sind es aber immerhin fast15 000. Sie ist also durchaus eine UN-Mission, die Kraftentwickeln kann. Hinzu kommt, dass wir 4 500 Soldatenim Sudan haben. Ich möchte, obwohl wir die Bundes-wehr entsenden, nicht vergessen, auch die Polizisten zuerwähnen. Es sind und waren immer auch deutsche Poli-zisten in dieser schwierigen Lage in Darfur tätig. Sie ha-ben dabei geholfen, Polizeistrukturen aufzubauen, undleisten wichtige Ausbildungsarbeiten. Herzlichen Dankden Soldaten und Polizisten, die dort in unserem Auftragarbeiten!
Es wird ja immer wieder eine kritische Debatte überdie Fähigkeiten der Vereinten Nationen geführt: Könnensie solche Einsätze wirklich fahren? Haben sie die Füh-rungsfähigkeit? Ich glaube, entscheidend wird in dennächsten Jahren sein: Wenn man wirklich will, dass dasGewaltmonopol bei den Vereinten Nationen liegt, dannmuss man als Staatengemeinschaft auch stärker dafürsorgen, dass sie in der Lage sind, in solchen Missionentatkräftig eingesetzt zu werden und ihren Auftrag zu er-füllen.Insofern können wir nicht glücklich darüber sein, dasswir Deutsche mit zehn oder elf Soldaten dabei sind. Dasist immerhin ein erster Schritt. Aber im Grunde genom-men ist Deutschland im Augenblick das einzige westli-che Industrieland, das diese UN-Friedensmission über-haupt unterstützt. Im Rahmen der Polizeimission tun esdie Türken und die Deutschen; auch das ist zu wenig.Wir sollten uns darauf einstellen, dass wir uns, nachdemwir unsere Aufgabe in Afghanistan beendet haben, ver-stärkt um die internationalen Friedensmissionen der Ver-einten Nationen kümmern müssen; dies wird erwartet.Sie brauchen nicht in erster Linie Massen von Soldaten,sondern Beratung, Führungsfähigkeit und technischeUnterstützung. Es ist zum Teil schändlich, wie wir dieSoldaten gerade in Afrika im Stich lassen.
Heute Morgen haben wir schon über das andere Man-dat im Hinblick auf den Sudan diskutiert. Da wurde vonden Linken der übliche Satz gesagt – er kommt bei Ihnenin fast jeder Rede vor –: Mit Soldaten kann man keinenFrieden schaffen.
Frau Kollegin, das ist wohl wahr; das ist eine Binsen-weisheit. Es behauptet aber auch niemand, dass man dies
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Rainer Arnold
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könne. Die Soldaten sind aber oft nötig, weil es sonstüberhaupt keine andere Ordnungsmacht gibt. Es gibt indieser geplagten Region keine funktionierenden Poli-zeien und keine staatliche Ordnung. Ich würde mirwünschen, die Linken würden wenigstens bei diesemMandat, das doppelt legitimiert ist, mit dem zutiefst hu-manitäre Aufgaben erfüllt werden, durch das Menschengeschützt werden, durch das entwaffnet wird – auch dasist eine Aufgabe –, mit dem die Versorgung der Flücht-linge sichergestellt wird und bei dem die Deutschen mitzehn Soldaten vertreten sind, anfangen, ihre Position einbisschen zu reflektieren. Gerade Linke haben doch ei-gentlich eine internationale Sichtweise auf die Krisen-bewältigung; sie haben auch eine internationale Verant-wortung.
Die Sozialdemokraten stehen auch weiterhin zu die-ser Verantwortung: Wir stimmen diesem Mandat zu.Herzlichen Dank.
Nächste Rednerin ist die Kollegin Kathrin Vogler, Die
Linke.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Herr Arnold, ich weiß nicht, woher Siedie Nebelkerzen bekommen haben, die Sie da wieder ge-worfen haben. Reden wir doch einmal über das, worumes heute geht: Zum sechsten Mal wollen heute alle Frak-tionen außer der Linken den Bundeswehreinsatz im Rah-men von UNAMID im Sudan verlängern.Wieder behaupten Sie, dieser Einsatz sei ein wichti-ger Beitrag zum Frieden in Darfur. Schauen wir uns alsoan, wie es um den Frieden in Darfur steht! Seit dieserEinsatz 2007 begonnen wurde, gab es eine ganze Reihevon Friedensabkommen, die abgesichert werden sollten.All diese Abkommen haben eines gemeinsam: Kein ein-ziges Abkommen wurde eingehalten, weder vom suda-nesischen Militär noch von den verschiedenen Rebellen-gruppen. UNAMID kann schon deshalb keinefriedenssichernde Maßnahme sein, weil es keinen Frie-den gibt, den man sichern könnte.
Die Jagd auf Kriegsverbrecher – lieber KollegeArnold, das sollten Sie wissen! – ist nicht Aufgabe vonUNAMID.UNAMID kann noch nicht einmal die Zivilbevölke-rung schützen, weil jeder Schritt, jedes Eingreifen mitder sudanesischen Zentralregierung, also mit einer derKonfliktparteien, abgestimmt werden muss.
In den letzten Monaten haben die Kämpfe wiedermassiv zugenommen. Erst vor wenigen Wochen kam eszu Auseinandersetzungen mit unzähligen Todesopfern.Allein in diesem Jahr haben die Vereinten Nationen inDarfur 460 000 Flüchtlinge gezählt.
Da müssten Sie doch den Erfolg Ihrer Strategie, Militäreinzusetzen, einmal evaluieren und ehrliche Schlussfol-gerungen ziehen!
Denn die Gewalt – und damit das Leid von MillionenMenschen – geht doch unvermindert weiter.Warum ist die Situation in Darfur eigentlich so dra-matisch? Die Konflikte sind im Kern eine Folge ökologi-scher Verwüstungen, im wahrsten Sinne des Wortes:Dürre und Bodenerosion haben zu massenhaftemHunger geführt. Die hungernden Menschen sind mitsamtihrem Vieh in fruchtbarere Gegenden gezogen. Dort kames dann zu Kämpfen um Land und Wasser. Die sudanesi-sche Regierung hat dem nicht nur tatenlos zugesehen, siehat die verschiedenen Gruppen auch noch systematischgegeneinander ausgespielt. Auch ausländische Mächtehaben ihre Stellvertreter bewaffnet und damit die Desta-bilisierung der Region befeuert.Ich habe mich gefreut, als die Bundesregierung imApril dieses Jahres 16 Millionen Euro in Aussicht ge-stellt hat, mit denen die Ursachen des Hungers in Darfurbekämpft werden sollten. Nun lese ich, dass noch in die-sem Jahr mit der Umsetzung der Maßnahmen begonnenwerden soll. Da müssen Sie sich aber ein bisschen beei-len!
Ich hoffe nur, dass diese 16 Millionen Euro jetzt wirklicheingesetzt werden für Projekte, die Menschen Zugang zuWasser und Nahrung verschaffen und die damit nachhal-tig dem Frieden dienen – nachhaltiger jedenfalls alsUNAMID.
Obwohl Sie wissen, dass, wenn man Konflikte lösenwill, man die Ursachen bekämpfen muss und Konfliktenur politisch gelöst werden können, verlängern Sie allezusammen diesen kontraproduktiven Militäreinsatz einums andere Mal. Die Linke macht das nicht mit, wirwerden das auch weiterhin nicht mitmachen: Wir wer-den diesem Einsatz nicht zustimmen.
Nun argumentieren Sie, angesichts all des Leids dürftenwir doch nicht nichts tun. Ja, da stimme ich Ihnen zu.Aber das Militär ist in jedem Fall und so eben auch indiesem Fall das schlechteste Mittel. Ohne UNAMID hät-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 149
Kathrin Vogler
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ten wir jährlich 513 000 Euro mehr in der Staatskasse,die wir für zivile Hilfe einsetzen könnten.
Jetzt lese ich im Koalitionsvertrag von Union undSPD, dass die Krisenprävention und die Bearbeitung vonKonflikten mit zivilen Mitteln ein stärkeres Gewicht be-kommen sollen.
Das finde ich gut. Fangen Sie doch hier und heute damitan: Beenden Sie den Militäreinsatz, und verstärken Siedie Anstrengungen für eine Dialoglösung!
Und, liebe Kolleginnen und Kollegen, setzen Sie sichzuallererst dafür ein, dass die humanitäre Hilfe alle be-dürftigen Menschen erreicht und nicht von den Konflikt-parteien für eigene Interessen missbraucht wird.Gleichzeitig sagt der Koalitionsvertrag auch, dass Siekünftig noch stärker auf das Militär setzen wollen. Sienennen das – hier kommt wieder eine Nebelkerze – „glo-bale Verantwortung“ und meinen militärische Interven-tionen. Sie wollen Soldaten künftig öfter auch am Parla-ment vorbei einsetzen und planen dafür eine eigeneKommission, die das Parlamentsbeteiligungsgesetzaufweichen soll, und Sie wollen die zivilen Mittel nochstärker mit dem Militär verknüpfen.
Wir haben in Afghanistan ja gesehen, wohin dasführt: Wo das Militär das Sagen hat, da können Hilfsor-ganisationen nicht frei arbeiten.
Sie verlieren ihre Neutralität und werden behindert undgefährdet.Erst Anfang der Woche sind in Afghanistan siebenMitarbeiter einer französischen Hilfsorganisation getötetworden. Daraus sollten wir auch für den Sudan endlichKonsequenzen ziehen.Zivile Hilfe muss unabhängig vom Militär sein. WennSie wirklich helfen wollen, dann lassen Sie das Militärraus.
Nächste Rednerin ist Kollegin Katja Keul, Bünd-
nis 90/Die Grünen.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Vor zehn Jahren brach in der sudanischenRegion Darfur ein grauenhafter Bürgerkrieg um knapperwerdende Lebensgrundlagen wie Weideland und Wasseraus. Menschenrechtsverletzungen, Kriegsverbrechen undmassive Vertreibungen waren die Folge. Schätzungs-weise 300 000 Menschen verloren ihr Leben. 2 MillionenMenschen befinden sich bis heute allein innerhalb desLandes auf der Flucht.Eine nicht unerhebliche Ursache dieses Elends ist dervon uns mit verursachte Klimawandel. Schon deswegensind wir als Teil der internationalen Gemeinschaft mit inder Verantwortung. Wir können nur hoffen, dass die vonDürre, Krieg und Hunger geplagten Menschen von demDesaster in Warschau nicht zu viel mitbekommen haben.
Eine weitere Ursache ist die Brutalität des Regimes inKhartoum. Umar al-Baschir, gegen den ein Haftbefehldes Internationalen Gerichtshofs vorliegt, unterstütztnach wie vor Milizen, die mit äußerster Brutalität gegendie Zivilbevölkerung vorgehen, und behindert gleichzei-tig die Arbeit von Hilfsorganisationen.Vor sechs Jahren hat UNAMID die afrikanische Vor-gängermission AMISOM II abgelöst. Mit 19 700 Solda-ten, Militärbeobachtern und Polizisten ist sie eine dergrößten Friedensmissionen weltweit. Daran beteiligtsich Deutschland laut Mandat mit aktuell neun Soldatenund vier Polizisten. Mal ganz im Ernst, liebe Kollegin-nen und Kollegen von der Linken: An der übermäßigenBeteiligung Deutschlands liegt es mit Sicherheit nicht,dass sich das Waffenstillstandsabkommen bislang nichtumsetzen ließ.
An alle anderen auf der anderen Seite des Hauses:Wir sollten endlich die Kapazitäten für Peacekeeping-Missionen der UN verstärken, statt mit bis zu 700 Solda-tinnen und Soldaten im Mittelmeer Terroristen zu jagen.Beenden Sie endlich diesen Quatsch! Die NATO wird esverkraften, und die UNO dagegen kann durchaus mehrdeutsche Unterstützung gebrauchen.
Seit Anfang dieses Jahres konstatiert der UN-Gene-ralsekretär wieder eine Zunahme bewaffneter Auseinan-dersetzungen in Darfur. Allein 2013 wurden 300 000Menschen vertrieben und mindestens 800 getötet. Ange-sichts der aktuellen Herausforderung fordert der UN-Sicherheitsrat eine Stärkung der logistischen und opera-tiven Fähigkeiten von UNAMID.Was kann Deutschland im Rahmen der EU dazu bei-tragen? Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidi-gungspolitik ist der große Schwerpunkt des EU-Rates imDezember. Konkrete Vorschläge für die bessere Unter-stützung der Vereinten Nationen auf dem Gebiet derFriedenssicherung finden sich allerdings nicht auf derTagesordnung. Statt dessen beschäftigen sich die EU-Staatschefs lieber damit, wie der europäische Rüstungs-markt so gestaltet werden kann, dass die Rüstungsbe-triebe in Zukunft trotz der Überkapazitäten überlebenkönnen, und wie Europa endlich zu einer eigenenDrohne kommt.
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150 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Katja Keul
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Für die deutsche Rüstungsindustrie hat Merkel denWeg zu neuen zahlungskräftigen Kunden in aller Weltohnehin schon freigemacht. Dabei sind Waffenexporte inKrisenregionen immer eine Gefahr für den Frieden. ImSudan sind es vor allen Dingen China und Russland, diemit Waffenlieferungen Öl ins Feuer gießen. Nehmen Siealso den im Sommer von uns ratifizierten UN-Waffen-handelsvertrag ernst, und gehen Sie mit gutem Beispielvoran!Den Rüstungsexportbericht jetzt zweimal im Jahrvorzulegen, Herr Mißfelder, reicht dabei sicher nicht.Liebe Genossinnen und Genossen von der SPD, hierzuhatten wir im letzten Jahr schon ganz andere konkreteVorschläge auf dem Tisch liegen.
Wenn wir unseren Blick auf Darfur, auf die Regionund die Nachbarstaaten erweitern, fällt mir noch ein wei-teres Thema ein, das auf dem Gipfel im DezemberThema sein sollte. Der Nachbarstaat, die Zentralafrikani-sche Republik, versinkt derzeit in einer Welle der Gewaltund destabilisiert die gesamte Region. Manche Beobach-ter sprechen von einem drohenden Genozid. Es würdenbereits Macheten in der Bevölkerung verteilt.Was macht unsere zivile Krisenprävention? Was ma-chen denn unsere Frühwarnsysteme? Die Franzosen hat-ten es nach dem Putsch Anfang dieses Jahres dieses Malabgelehnt, die für Afrika zuständige Weltpolizei zu spie-len. Jetzt entsenden sie in diesen Tagen doch wieder1 000 Soldaten, um das Schlimmste zu verhindern. Woist denn da bitte die europäische Strategie? In einer sol-chen Situation kann man doch auf einem Gipfel zur Ge-meinsamen Sicherheits- und Verteidigungspolitik nichtallen Ernstes über die wirtschaftlichen Interessen der ei-genen Rüstungsindustrie sprechen.
Für die Menschen in Darfur hat UNAMID noch kei-nen Frieden sichern können, aber ohne UNAMID hättendie Hilfsorganisationen noch größere Schwierigkeiten,den Menschen die humanitäre Hilfe zukommen zu las-sen, die sie so dringend benötigen.
Den Mitarbeitern, die sich trotz der anhaltenden Gewaltvor Ort für UNAMID und die zivilen Hilfsorganisatio-nen einsetzen, gebührt unser aller Dank und Respekt.Meine Fraktion ist von der Sinnhaftigkeit von UNAMIDüberzeugt und wird dem Mandat wie auch in den vergange-nen Jahren die Zustimmung erteilen.
Vielen Dank.
Es spricht jetzt Kollege Florian Hahn, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Kolleginnen und Kolle-gen! Nachdem wir heute Vormittag das MandatUNMISS debattiert und verlängert haben – dabei ging esum den Südsudan –, geht es jetzt um das UNAMID-Mandat im Sudan. UNAMID ist eine Hybridmission vonVereinten Nationen und Afrikanischer Union. An dieserMission sind aktuell 46 Nationen beteiligt. Deutschlandals einziges EU-Land ist aktuell mit neun oder elf – dasvariiert ein wenig – Soldatinnen und Soldaten und vierPolizisten dabei.Die drei größten Truppensteller sind Ruanda mit3 200 Soldaten, Nigeria mit 2 600 Soldaten und Ägyptenmit 2 500 Soldaten. Daran zeigt sich der wichtige undessenzielle Ansatz, dass die Afrikaner selbst in die Lagekommen müssen, auf ihrem Kontinent für Sicherheit zusorgen. Wir wollen sie dabei unterstützen, dass sie dieseEigenverantwortung verstärkt übernehmen.Warum ist dieses Mandat für Sudan so wichtig? DieKämpfe – das haben schon viele Kollegen in ihrenBeiträgen zum Ausdruck gebracht – zwischen Rebellen,Milizen und Armee haben seit 2003 zu mehr als 300 000Toten und 2,5 Millionen Flüchtlingen geführt. Die Kon-flikte brechen immer wieder auf. Es geht dabei um Reli-gionskonflikte; es geht um ethnische Konflikte; es gehtauch um den Zugang zu wichtigen Rohstoffen.Es ist daher wichtig, die Umsetzung des Friedensab-kommens von 2006 und den Friedensprozess an sich zuunterstützen. Welchen Beitrag leistet UNAMID dabei?Erstens einen wichtigen Beitrag zur Stabilisierung undzum Aufbau, zweitens, die militärische Präsenz wirktmäßigend auf die Konfliktparteien, und drittens, dieMission verhindert eine weitere Verschlechterung derhumanitären Situation. Unsere Soldaten sind im Haupt-quartier eingesetzt, nämlich bei der Stabsfunktion imBereich Einsatzführung, Logistik, Ausbildung und Per-sonal.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte nocheinmal auf die Debatte von heute Vormittag zu demMandat UNMISS zurückkommen. Ich habe mich sehrgeärgert; denn die Kollegin Buchholz, die ich jetzt leidernicht sehe, hat dort gesagt:… niemand braucht Soldaten, um Wasser- und Bil-dungsprojekte durchzuführen.
Ich finde das wirklich zynisch. Das müssen Sie einmalden Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Hilfsorgani-sationen und deren Familien sagen.
Wir alle wissen ganz genau, dass diese Ziel massiverAngriffe vonseiten der Rebellen sind. Sie brauchen denSchutz von Sicherheitskräften. Wir sind im Übrigen
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Florian Hahn
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auch froh, dass UNAMID den Zugang für humanitäreHilfe überhaupt erst möglich macht.
Kolleginnen und Kollegen, dieser Einsatz genießtvielleicht nicht dieselbe Aufmerksamkeit wie beispiels-weise der Einsatz in Afghanistan. Das mag vielleicht derTatsache geschuldet sein, dass nur elf Soldaten von unsmit dabei sind. Ich bin unserem Minister de Maizièresehr dankbar dafür, dass er gestern in unserer Fraktion,aber auch heute in der Debatte zum UNMISS-Mandatdeutlich zum Ausdruck gebracht hat, welche Leistungenunsere Soldaten dort vollbringen, vor allem, wenn manbedenkt, unter welchen Voraussetzungen und unter wel-cher Gefährdung sie dort ihren Dienst versehen. Daskommt in der Öffentlichkeit ein bisschen zu kurz. Des-wegen möchte ich an dieser Stelle den Soldatinnen undSoldaten dort sehr herzlich danken und ihnen viel Er-folg, Gesundheit und Gottes Segen für die Aufgabenwünschen, die noch vor ihnen liegen.
Sehr geehrte Damen und Herren, UNAMID leistet ei-nen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der humanitärenSituation im Sudan. UNAMID bildet den Rahmen, derdie Bewältigung der politischen Konflikte überhaupt erstmöglich macht. Wir stehen für Verlässlichkeit und Bünd-nistreue. Wir wollen ein guter Partner bei der Gestaltungeiner gerechten Weltordnung sein. Daher müssen wirdiesem Mandat zustimmen.Herzlichen Dank.
Nächster Redner ist Dr. Sascha Raabe, SPD.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Im Sudan herrscht seit Jahren bittere Ar-mut. Die humanitäre Katastrophe ist zum Teil in Verges-senheit geraten, zum Teil leider immer nur dann imFokus der Öffentlichkeit, wenn wir darüber reden, obdeutsche Soldaten dort weiter an der richtigen und wich-tigen UNAMID-Mission teilnehmen sollen.Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass wirüber ein Land reden, das dauerhaft, auch wenn keineKameras auf es gerichtet sind, zu den ärmsten Ländernder Welt gehört. Es ist das Land mit der höchsten Müt-tersterblichkeitsrate der Welt. Mehr als die Hälfte derMenschen leben in bitterer Armut. Wir haben schon ge-hört, dass die Konfliktursachen dort vielfältig sind: DieKonflikte sind teils ethnisch-religiös, aber auch ganzstark verschärft durch mangelnden Zugang zu Wasserund Weideland. Sie sind auch dadurch bedingt, dass esbittere Armut gibt.Ich glaube, als Politiker im deutschen Parlament, dieüber einen großen Etat verfügen können, müssen wirmehr finanzielle Mittel aufbringen, um nicht nur inSudan dafür zu sorgen, dass dort, wo es Hunger und Notgibt, geholfen werden kann, sondern auch in den Nach-barländern Subsahara-Afrikas dafür zu sorgen, dass sichdort so etwas wie in Sudan nicht entwickeln kann. Dafürbitte ich Sie um Unterstützung.
Wir möchten deshalb nicht nur den Soldatinnen undSoldaten und den deutschen Polizeibeamten danken, diedort ihren Dienst tun, sondern auch all den Entwick-lungshelferinnen und Entwicklungshelfern, die unterganz schweren Bedingungen und auch unter Einsatzihres Lebens und ihrer Gesundheit dort tätig sind. Ihnenallen auch vom ganzen Hause ein herzliches Danke-schön!
Wir haben die Zahlen bereits gehört. Dieses Land istextrem gebeutelt: Es hat 300 000 Tote gegeben. Fast2 Millionen Menschen leben in Flüchtlingslagern. Beialler richtigen Betrachtungsweise der Konfliktursachen,auf die ich noch zu sprechen komme, kann ich als Ent-wicklungspolitiker – das sage ich ausdrücklich nicht alsVerteidigungspolitiker; denn ich bin mit Leib und Seeleseit vielen Jahren Mitglied des entwicklungspolitischenAusschusses – die Haltung der Linksfraktion nicht ver-stehen. Ich kann nicht verstehen, wie man sich, wennman weiß, dass es grausame Massenvergewaltigungen,brutale Überfalle und gewaltsame Plünderungen gibt,die den Alltag der Menschen dort bestimmen, dann einerMission verweigern kann, die versucht, den geschunde-nen Menschen, die in Flüchtlingslagern Schutz suchen,wenigstens ein bisschen zu helfen. Wie kann man sichverweigern, diese Lager und die armen Menschen auchmit militärischem Schutz zu sichern? Das ist schäbig undverantwortungslos, und es ist absolut nicht tolerierbar.
Man muss das eine tun, ohne das andere zu lassen.Natürlich kann das Militär diesen Konflikt nicht lösen.Ich gehöre zu denjenigen, die immer sagen – dafürwerbe ich auch –: Ja, wir brauchen Entwicklungspolitikals vorausschauende Friedenspolitik. Wir müssen dieMittel der zivilen Krisenprävention stärken. – Ich binfroh, dass wir dies genauso wie die Stärkung der Rolledes zivilen Friedensdienstes im Koalitionsvertrag festge-schrieben haben. Es ist auch gut, dass wir im Koalitions-vertrag festgelegt haben, den Fokus stärker auf die ärms-ten und die fragilen Staaten zu legen. Es war sicherlichein Fehler – das gilt im Hinblick auf die alte Regierung –,die Mittel für die Entwicklungszusammenarbeit in die-sem Jahr zu kürzen
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Dr. Sascha Raabe
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und sie gemäß der mittelfristigen Finanzplanung bis2017 weiter zu kürzen. Deshalb bin ich froh, dass wiruns in den Koalitionsverhandlungen durchsetzen konn-ten und dass in den nächsten vier Jahren ohne Finanzie-rungsvorbehalt wenigstens 2 Milliarden Euro mehr, so-zusagen als sicheres Geld, für die ärmsten Länder zurVerfügung stehen. Das ist ein erster wichtiger Erfolg.
Ich sage aber auch: Bei diesen zusätzlichen 2 Milliar-den Euro dürfen wir nicht stehen bleiben. Auf dem Wegzum 0,7-Prozent-Ziel, zu dessen Erreichen sich Deutsch-land verpflichtet hat, gilt es, mehr finanzielle Anstren-gungen zu unternehmen. Ich bitte auch die neuenKolleginnen und Kollegen im Parlament, sich partei-übergreifend in den Haushaltsberatungen, wenn es ir-gendwo noch Spielraum gibt – sei es durch die Einfüh-rung einer Finanztransaktionsteuer oder aufgrund vonzusätzlichen Geldern, die durch die Bekämpfung derSteuerflucht eingenommen werden –, dafür einzusetzen,dass endlich mehr Geld in den vier Jahren, also mehr alsdie zusätzlichen 2 Milliarden Euro, für die Entwick-lungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt wird. Dannbrauchen wir nicht mehr über teure Militäreinsätze zu re-den. Wir sparen viel mehr Geld, wenn wir jetzt den Men-schen dort, aber auch in den Nachbarstaaten Sudans inSubsahara-Afrika helfen, wo die Ärmsten der Armen le-ben. Entwicklungspolitik als vorausschauende Friedens-politik kann solche Konflikte wie den in Rede stehendenverhindern.In diesem Sinne bitte ich Sie heute um Zustimmungzu dieser Mission und in den nächsten Haushaltsberatun-gen – ich werde Sie daran erinnern – um Zustimmungzur Bereitstellung von wesentlich mehr Geld für die guteund präventive Entwicklungszusammenarbeit.Vielen Dank.
Letzter Redner in dieser Aussprache ist Kollege
Johannes Selle, CDU/CSU.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kollegen! Natür-lich würde ich jetzt lieber sagen: Wir brauchen nach sie-ben Jahren UNAMID diese Mission nicht mehr. Alles istfriedlich. Entwicklung kann stattfinden. – Aber bedauer-licherweise ist die humanitäre Lage in der Region pre-kär. Noch immer sind 1,9 Millionen Vertriebene inFlüchtlingslagern auf Nahrungsmittelhilfe und Unter-stützung durch die internationale Gemeinschaft ange-wiesen.Die Implementierung des 2011 in Doha beschlosse-nen Friedensabkommens hinkt dem Zeitplan hinterher.Die wichtigsten Rebellenorganisationen, das Justice andEquality Movement, JEM, sowie die beiden Gruppen umMinni Minnawi und Abdel Wahid, haben das Abkom-men zunächst abgelehnt. Der Beitritt des JEM zu diesemAbkommen im Jahr 2013 ist als wichtiger Erfolg zu wer-ten.Zwischen der sudanesischen Armee und Rebellen-gruppen wie auch zwischen den einzelnen Milizen selbstkommt es immer wieder zu blutigen Kämpfen. UNAMIDist daher auch sieben Jahre nach ihrem Beginn keine ein-fache Mission. Erst am vergangenen Sonntag wurde einruandischer Soldat tödlich verwundet. Es ist wichtig,dass wir die Arbeit der Soldaten würdigen. Am Sonn-abend letzter Woche traf ich den dienstältesten deut-schen Offizier, Oberst Simon, in Juba, der bei UNMISSdient. Er war außerordentlich erfreut über das Interessedes Parlaments an der Arbeit der Soldaten und übermit-telte die Grüße seiner Offizierskameraden, die ihn dazuausdrücklich aufforderten. Daher möchte auch ich allenSoldaten und Polizisten von UN-Friedenssicherungsmis-sionen danken. Sie bemühen sich um Sicherheit und Sta-bilität. Ganz besonders denken wir an die deutschen Ein-satzkontingente, die einen gefährlichen Dienst tun undauf die für uns selbstverständlichen Annehmlichkeitenverzichten müssen. Wir brauchen diesen Dienst, schät-zen ihn hoch ein und werden ihn unterstützen. Wir wün-schen den Soldaten und Polizisten eine sichere Advents-zeit.In der letzten Woche bat der sudanesische Innen-minister während seines Besuches in Deutschland umUnterstützung bei der Bewältigung der Folgen des enor-men Zustroms von Flüchtlingen aus Ostafrika, dem sichSudan gegenübersieht.Das ist ein Thema, das ohne Zweifel in unserem eige-nen Interesse liegt. Natürlich wurden von mir die wichti-gen Themen wie Schutz der Menschenrechte, das Ver-hältnis zum Südsudan und nicht zuletzt die Lage inDarfur angesprochen. Immer wieder muss klargemachtwerden, dass die Wahrung der Menschenrechte für unsoberste Priorität hat und dass die exzessive Gewaltan-wendung, wie sie sich zuletzt im September bei Demon-strationen in der Hauptstadt Khartoum manifestierte,völlig inakzeptabel ist. Wir sollten alle Bemühungen un-terstützen, die die Beilegung der Konflikte in diesemLand auf politischem Wege voranbringen.Ebenfalls im November befand sich eine hochrangigeDelegation der Sudan Revolutionary Front, des Zusam-menschlusses der einzelnen Rebellenorganisationen, aufEinladung des Auswärtigen Amtes in Berlin. Auch die-ses Gespräch wurde genutzt, um die einzelnen Organisa-tionen eindringlich auf ihre Verantwortung für Friedenund Schutz der Zivilbevölkerung hinzuweisen. Wichti-ger Punkt dabei war, dass sowohl Abdel Wahid als auchMinni Minnawi, die beiden verbliebenen Führer von Re-bellenorganisationen und Nichtunterzeichner des Doha-Abkommens, mit am Tisch saßen und sich, wenn auchverhalten, eine politische Lösung unter Führung der Su-dan Revolutionary Front vorstellen konnten. Wir sind inkleinen Schritten vorangekommen und waren noch nie
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 153
Johannes Selle
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so nahe an einer politischen Lösung. Deshalb müssenwir beharrlich in diese Richtung weitergehen.Deutschland genießt ein hohes Ansehen auch in dieserRegion. Deshalb gehört es zu unserer Verantwortung, un-sere relativ kleine personelle Beteiligung an UNAMIDfortzusetzen. Die zehn entsandten Bundeswehrsoldatenund fünf Polizisten leisten im UNAMID-Hauptquartieranerkannte und geschätzte Stabsarbeit. Deutschland istals einziges westliches Land an dieser Mission beteiligt.Bei UNAMID geht es nicht nur um die militärischeKomponente der Mission, sondern es geht auch um diepolitischen Anstrengungen zur Umsetzung des Doha-Friedensvertrages.Liebe Kollegen, die vom neuen MissionsleiterMohammed Ibn Chambas angekündigte Intensivierungder politischen Bemühungen UNAMIDs müssen wirdoch unterstützen. Die Kosten der Mission sind enorm,und mir wäre lieber, dass dieses Geld in konkrete Ent-wicklungsprojekte investiert würde. Aber ohne Sicher-heit kann es keine Entwicklung geben. Im Gegenteil:Vorhandene Infrastruktur wird bei den Kämpfen zerstört.UNAMID ist nur ein Teil unseres Ansatzes der ver-netzten Sicherheit, neben der humanitären Hilfe und denbereits erwähnten 16 Millionen Euro, die für Wiederauf-bauprojekte in diesem Jahr bereitgestellt werden. Letzte-res sollten wir als Parlament eng begleiten und vor allemauf Eile in der Umsetzung drängen. Ein klares Ja zurVerlängerung des Einsatzes ist ein klares Bekenntnis zuunserer Verantwortung für Frieden und Sicherheit in derWelt. Ein Ja ist auch ein klares Zeichen an die Afrikani-sche Union, dass wir sie nun, da sie sich verstärkt derVerantwortung für ihren eigenen Kontinent stellt, nichtim Stich lassen. Stimmen Sie deshalb dem Antrag zu!
Hiermit schließe ich die Aussprache.
Wir kommen jetzt zur Abstimmung über den Antrag
der Bundesregierung zur Fortsetzung der Beteiligung
bewaffneter deutscher Streitkräfte an der Operation in
Darfur UNAMID. Wir stimmen über den Antrag auf
Drucksache 18/72 namentlich ab. Ich bitte die Schrift-
führerinnen und Schriftführer, die vorgesehenen Plätze
einzunehmen.
Sind die Plätze an den Urnen besetzt? – Das ist jetzt
der Fall. Ich eröffne die Abstimmung über den Antrag
der Bundesregierung.
Ist noch ein Mitglied des Hauses anwesend, das seine
Stimme nicht abgegeben hat? – Ich habe den Eindruck,
dass jetzt alle, die ihre Stimme abgeben wollten, dies
auch getan haben. Dann schließe ich hiermit die Abstim-
mung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer,
mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der Ab-
stimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)
1) Ergebnis Seite 161 C
Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 8 auf:
– Erste Beratung des vom Bundesrat eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpassung des
Investmentsteuergesetzes und anderer Ge-
– Drucksache 18/68 –
– Zweite und dritte Beratung des vom Bundesrat
eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur An-
passung des Investmentsteuergesetzes und an-
derer Gesetze an das AIFM-Umsetzungsge-
– Bericht des Hauptausschusses gemäß § 96 der
Geschäftsordnung
– Drucksache 18/113 –
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind auch
für diese Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.
Ich eröffne hiermit die Aussprache. Erste Rednerin ist
Kollegin Ingrid Arndt-Brauer, SPD.
Frau Kollegin, bevor Sie das Wort ergreifen, darf ich
alle, die hier im Saal wichtige Gespräche führen, bitten,
diese Gespräche außerhalb des Plenarsaals fortzusetzen,
damit Sie als Rednerin uneingeschränkte Aufmerksam-
keit genießen können. – Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident. Ich habe ja ein Mikro-fon, und ich kann auch ein bisschen lauter reden.Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Meine sehr ge-ehrten Damen und Herren! Wir haben es in den nächsten30 Minuten mit einer etwas schwierigen Materie zu tun.Deswegen: Wer daran interessiert ist, muss ein bisschenzuhören. Es geht um das AIFM-Steuer-Anpassungsge-setz; das ist ein Gesetz über alternative Investmentfonds.Wir passen das Investmentsteuergesetz und andere Ge-setze an das AIFM-Umsetzungsgesetz an. Das ist nötiggeworden, weil Konzerne Verpflichtungen intern über-tragen können, zum Beispiel ihre Pensionsforderungen.Es können dafür Rückstellungen gebildet werden. Daskann bisher in einer bestimmten Art und Weise gehan-delt werden. Das geht – dazu komme ich gleich noch –demnächst nicht mehr. Kleine und mittlere Unternehmensind davon nicht betroffen; die können ihren Gesamtauf-wand weiterhin voll verrechnen.Wir haben heute die erste, zweite und dritte Lesung.Es ist das erste Mal, dass ich so etwas erlebe. Aber – wirhaben das schon heute Morgen gehört – es ist dringend;denn wir brauchen Rechtssicherheit bei der Investment-besteuerung. Wir haben am 14. Dezember 2011 einUrteil des Bundesfinanzhofs bekommen, das die bishe-rige Bilanzierungspraxis bei Pensionsrückstellungen ge-ändert hat. Die Veräußerung von Pensionsansprüchenwürde ohne gesetzliche Eingriffe beim Veräußerer soge-
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Ingrid Arndt-Brauer
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nannte stille Lasten heben, die auf einen Schlag zuerheblichen Steuerausfällen führten. Bei der Ausgliede-rung von Verpflichtungen realisiert der ÜbertragendeVerluste, sogenannte stille Lasten; der Erwerber reali-siert einen Gewinn. Für den Fall, dass wir nicht eingrei-fen, beziffern die Bundesländer die möglichen Steuer-ausfälle auf 15 Milliarden Euro. Wir müssen diesesGesetz bis zum 31. Dezember dieses Jahres verabschie-den, das heißt, es muss auch den Bundesrat noch recht-zeitig erreichen.Durch bereits in der Vergangenheit erfolgte Steuerge-staltungen, die manche Kreditinstitute auch gezielt ge-fördert haben, sind bisher schon Steuerausfälle vonknapp 4 Milliarden Euro entstanden. Das heißt, wir müs-sen jetzt dringend handeln. Wir alle wissen: Wir brau-chen Geld, nicht nur für die Umsetzung des Koalitions-vertrags, sondern auch für alles mögliche andere.Das Vermittlungsverfahren im Bundesrat hat sich einbisschen hingezogen; es ging über den Sommer, ist aberjetzt abgeschlossen. Der vorliegende Gesetzentwurf ent-spricht der Einigung im Bundesrat. Der gefundene Kom-promiss ist meiner Meinung nach für alle Seiten tragbar.Sowohl Verluste als auch Gewinne sollen steuerlich übereinen längeren Zeitraum verteilt werden, also nichtschlagartig realisiert werden können, was ja zu erhebli-chen Steuerausfällen führt. Verluste können steuerlichüber 15 Jahre verteilt werden. Damit sind die Steueraus-fälle erträglich. Die Regelung führt immer noch zu ge-ringen Mindereinnahmen, aber damit müssen wir leben.Es geht eben um Pensionsrückstellungen, und die sindsteuerlich geltend zu machen. Auf der Seite des erwer-benden Unternehmens werden die Gewinne nach der ge-setzlichen Neuregelung voll einbezogen, zeitlich unbe-grenzt. Das heißt, da findet eine Besteuerung statt. Aufdiese Weise kann die öffentliche Hand die Steuerausfälleinfolge der geltend gemachten Verluste weitestmöglichkompensieren.Für Altfälle, die vor dem Tag des BFH-Urteils ent-standen sind, also vor dem 14. Dezember 2011, wird– auch das war im Bundesrat lange sehr umstritten –Vertrauensschutz gewährt. In den Fällen kann der An-schaffungsertrag, der Gewinn, die Differenz zwischendem niedrigeren Steuerbilanzwert und dem höherenHandelsbilanzwert, steuerlich über 20 Jahre verteilt wer-den. Ich denke, das ist eine ganz gute Regelung; sie stelltden Vertrauensschutz sicher. Neben der Verhinderungvon Steuersparmodellen mittels Hebung dieser stillenLasten beinhaltet der Gesetzentwurf eine Reihe weitererwichtiger Neuregelungen. Mein Kollege Lothar Bindingwird dies noch detailliert ausführen. Ich will nur kurz an-deuten: Es gab die Diskussion, ob man Investmentkom-manditgesellschaften für Pensionsansprüche schaffensollte. Wir waren eher der Meinung, dies nicht zu tun;denn das führte nicht zu einer Steuervereinfachung. Hierkonnten wir uns aber nicht komplett durchsetzen. Jetzthaben wir eine strikte Zweckbindung der Investment-KG an die Abdeckung der betrieblichen Altersvorsorge-verpflichtungen. Es ist trotzdem noch relativ kompli-ziert. Aber wir hoffen, dass es sinnvoll ist.Des Weiteren wird es Regelungen geben, um dasFATCA-Abkommen zum Austausch von Steuerdatenmit den USA oder in Zukunft auch mit anderen Staatenzu ermöglichen. Auch hierfür bilden wir heute die ge-setzliche Grundlage. Details, auch zum Thema „Goldfin-ger“ – das hat nichts mit James Bond zu tun, ist aberauch recht interessant –, wird mein Kollege weiter aus-führen.Ich appelliere noch einmal an Sie alle, obwohl wir dieerste, zweite und dritte Lesung sehr kompakt machen:Stimmen Sie bitte zu! Es ist sehr wichtig, dass dieseSteuerausfälle nicht entstehen, dass wir dieser Steuerge-staltung Einhalt gebieten können.Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Es spricht jetzt für die Bundesregierung der Parla-
mentarische Staatssekretär Hartmut Koschyk.
H
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Frau Kollegin Arndt-Brauer hat es schon gesagt: EinZiel des AIFM-Steuer-Anpassungsgesetzes ist dasSchließen von Gestaltungslücken im Investmentsteuer-recht. Aber dieses Gesetz hat noch andere wichtige Bau-steine. Gleich zu Beginn möchte ich dem KollegenMichael Meister, unserem stellvertretenden Fraktions-vorsitzenden, aber auch dem nordrhein-westfälischen Fi-nanzminister, Herrn Walter-Borjans, dafür danken, dasssie im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bun-desrat diesen Gesetzentwurf durch hervorragende Arbeitvorbereitet haben.
Es hat keinen Sinn mehr, sich darüber den Kopf zuzerbrechen, warum dieser wunderbare Vermittlungsvor-schlag von Michael Meister und Minister Walter-Borjans das Parlament am letzten Sitzungstag der Legis-laturperiode nicht erreicht hat. Es ist müßig, darübernachzusinnen. Jetzt – die Kollegin Arndt-Brauer hat daszu Recht gesagt – müssen wir auch im Interesse des Er-halts von Steuersubstrat diesen Gesetzentwurf in Bun-destag und Bundesrat bis zum Jahresende beschließen.Ich gehe übrigens davon aus, nachdem dieser Gesetzent-wurf die Zustimmung aller Bundesländer im Bundesratgefunden hat, dass alle Fraktionen des Bundestages – siealle sind ja an Länderregierungen beteiligt, egal ob inForm von Rot-Rot oder in Form von Rot-Grün – diesemVorschlag des Bundesrates, der auf einem Ergebnis desVermittlungsausschusses beruht, zustimmen.Lassen Sie mich noch einmal die zentralen Inhaltedieses Gesetzentwurfes deutlich machen. Wir müssenaufgrund der AIFM-Richtlinie notwendige Anpassungenim Investmentsteuergesetz vornehmen. Wir wollen Ge-
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Parl. Staatssekretär Hartmut Koschyk
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staltungsspielräume im Investmentsteuerrecht beenden.Wir wollen allerdings auch im Sinne des StandortesDeutschland die steuerrechtlichen Rahmenbedingungenschaffen, um die grenzüberschreitende Bündelung vonAltersvorsorgevermögen auch in Deutschland zu ermög-lichen. Dafür gibt es einen schönen englischen Begriff:Pension Asset Pooling. Ich bin immer dafür, dass wir un-seren deutschen Mitbürgerinnen und Mitbürgern diedeutsche Übersetzung solcher schwierigen Begriffe er-klären, vor allem wenn der Kollege Singhammer heutedem Bundestag als Präsident vorsteht. Es geht also umdie grenzüberschreitende Bündelung von Altersvorsor-gevermögen, was auch im Interesse der pensionsberech-tigten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-land ist.Die Kollegin Arndt-Brauer hat es bereits gesagt: Wirhaben FATCA unterzeichnet, ein wichtiges Gesetz. Daszeigt, dass es trotz der Beschwernisse, die wir zu Rechtin Deutschland aufgrund der NSA-Ausspähaffäre haben,bei wichtigen deutsch-amerikanischen Gesetzesvorha-ben bezüglich eines gemeinsamen Vorgehens bei derSteuergestaltung vorangeht. Dann hat die KolleginArndt-Brauer gesagt, dass wir jetzt endlich dem Gestal-tungsmodell „Goldfinger“, was nichts mit James Bondzu tun hat, einen Riegel vorgeschoben haben. Diesbe-züglich haben wir aber auch schon mit einem vorausge-henden Gesetz gehandelt. Jetzt schließen wir das Ganzeab.Lassen Sie mich zu der Bündelung grenzüberschrei-tender Altersvorsorgevermögen kommen. Das ist wich-tig, damit auch die Altersvorsorgesysteme grenzüber-schreitend zusammengelegt werden können. Von denEffizienzgewinnen – ich habe es schon gesagt – profitie-ren am Schluss auch pensionsberechtigte Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer in Deutschland.Natürlich ist es wichtig – das war ja ein Begehr desBundesrates –, dass durch diese wichtige Maßnahme, diedem Investitionsstandort Deutschland dient, keine neuenGestaltungsspielräume entstehen. Deshalb haben wirdiese neue Möglichkeit so gestaltet, dass die Gestal-tungsspielräume, die auf der einen Seite geschlossenwerden, auf der anderen Seite nicht neu eröffnet werdenkönnen.Lassen Sie mich noch etwas zu FATCA sagen.
Das ist ein amerikanisches Gesetzeswerk, der soge-nannte Foreign Account Tax Compliance Act, durch denAmerika einen wichtigen Beitrag geleistet hat, um nicht-kooperationswillige Staaten, also Staaten, die nicht be-reit sind, Aufklärung bei auslandsbezogenen Steuersach-verhalten zu leisten, zum Einlenken zu bewegen.Insofern war es gut und richtig, dass Deutschland undandere EU-Staaten mit den USA dieses Abkommen ge-schlossen haben. Es eröffnet uns jetzt die Möglichkeit,an auslandsbezogene Sachverhalte in den USA heranzu-kommen. Aber solche Auskunftsersuchen beruhen im-mer auf Gegenseitigkeit. Wir wollen Informationen derAmerikaner zur Aufklärung von Auslandssachverhaltenim Steuerrecht; die Amerikaner wollen Informationenvon uns. Das Ganze muss auf gesetzlicher Grundlage er-folgen. Dabei muss man auch Belange des Datenschut-zes berücksichtigen. Das ist in einer Verordnung gere-gelt.Schließlich haben wir den „Goldfinger“-Sparmodel-len, die es ermöglicht haben, dass Steuerpflichtige durchden Kauf von Gold künstliche Verluste erzeugen undsich dadurch einer Besteuerung nach ihrer wahren Leis-tungsfähigkeit entziehen konnten, im Jahressteuergesetzden ersten Riegel vorgeschoben. Jetzt schieben wirdieser Gestaltung endgültig einen Riegel vor. Das zeigtübrigens, dass wir im Parlament immer, wenn wir erken-nen, dass es missbräuchliche Gestaltung gibt, in derLage sind, schnell zu reagieren. Das haben wir auch beidiesen Sachverhalten getan.Ich darf mich noch einmal bei Michael Meister undMinister Walter-Borjans bedanken. Wenn die nicht überden Sommer klug vorgearbeitet hätten,
könnten wir heute nicht einen so vorzüglichen Gesetz-entwurf beschließen.Jetzt würde ich sagen, liebe Vertreter der Grünen:Gebt euch einen Ruck und handelt genauso verantwor-tungsbewusst wie die Grünen, die in den Landesregie-rungen beteiligt sind, und kartet hier nicht nach! Wirwissen schon, an wem es gelegen hat, dass wir das in derletzten Wahlperiode nicht mehr haben beschließen kön-nen. Aber jetzt solltet ihr einmal verantwortungsbewussthandeln, auch als Opposition, und diesem guten Gesetz-entwurf eure Zustimmung nicht versagen.Herzlichen Dank.
Ich danke dem Staatssekretär, insbesondere für die
zusätzlichen, an das Präsidium gerichteten Erklärungen
und Erläuterungen.
Nächster Redner ist der Kollege Richard Pitterle, Die
Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr verehrte Kollegin-nen und Kollegen! Wir beraten heute ein Gesetz, das ei-nen sehr langen Namen trägt, vereinfacht: AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz. Mit diesem Gesetz sollen einigeSteuerschlupflöcher geschlossen werden. Das wird vonallen Seiten betont. Der Finanzminister der nordrhein-westfälischen rot-grünen Regierung befürchtet sogarMilliardenverluste für den Fiskus, wenn das Gesetzheute nicht beschlossen wird. So weit, so gut.Aber was mir auffällt, ist, dass auch die Lobbyisten-und Interessenverbände der Finanzindustrie dieses Ge-
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setz wollen und man fast keine Proteste aus dieser Rich-tung wahrnimmt. Bei jeder klitzekleinen Regulierungdes Finanzmarktes durch die verflossene schwarz-gelbeKoalition sah die Finanzindustrie eine Gefahr für dieWettbewerbsfähigkeit Deutschlands am Horizont. Ichfrage mich: Warum hier nicht? Mit diesem Gesetz wer-den zwar Steuerschlupflöcher gestopft; aber Teile des Ge-setzes ermöglichen der Finanzindustrie ein profitträchtigesGeschäftsmodell. Dort geht es um die betrieblichen Pen-sionskassen. Durch das Gesetz soll in Deutschland dassogenannte Pension Asset Pooling ermöglicht werden.Was bedeutet Pension Asset Pooling? MultinationaleKonzerne wollen das Pensionsvermögen der weltweitfür sie tätigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerbündeln und gemeinsam verwalten. Alle gesammeltenBeiträge für die Betriebsrente sollen also zentral ange-legt, zentral verwaltet und zentral gesteuert werden. Mitdieser Bündelung wird zwar einerseits ein höheres Anla-gevermögen erzielt, das zu höheren Zinssätzen angelegtsowie zu niedrigeren Kosten gemanagt werden kann;andererseits besteht die Gefahr, dass mit einer zentra-len Anlagepolitik die Vermögensanlagerisiken stärkerkonzentriert werden. So werden Risiken aus Wechsel-kursschwankungen oder Anlageausfällen zulasten derBeschäftigten erhöht. Uns erscheint eine dezentrale An-lagepolitik weniger riskant, weil damit im Hinblick aufdas gesamte weltweite Pensionsvermögen eine breitereund bessere Streuung der anzulegenden Mittel erreichtwerden kann.
Bisher scheitert das weltweite Pension Asset Poolingin Deutschland an den bestehenden steuerrechtlichenVorschriften. Zwar sehen wir auch, dass andere steuer-rechtliche Regelungen Vorteile aufweisen könnten. Dochfür wen? Sicher profitiert der Fiskus, wenn sich die mul-tinationalen Konzerne mit dem gebündelten Vermögendem Steuerregime im Lande unterwerfen. Aber auch dieFinanzindustrie – das ist unübersehbar – reibt sich schondie Hände. Nach einer Untersuchung der Personalbera-tung Towers Watson betrugen allein die von den DAX-30-Unternehmen angesammelten Pensionsvermögens-werte zum Jahresende 2012 circa 193 Milliarden Euro.Das Volumen aller für ein Pooling in Betracht kommen-den Pensionsvermögenswerte ist noch erheblich größer,wenn man die übrigen deutschen Unternehmen sowieausländische Unternehmen einbezieht.Die Linke sagt: Wenn es um die Pensionskassen derArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geht, dann kön-nen die Geschäftsinteressen der Finanzindustrie nicht dieentscheidende Leitlinie sein.
Daher können wir diesem Teil des Gesetzes nicht zu-stimmen.Wenn wir uns heute enthalten, dann deswegen, weildas Gesetz weitere Inhalte enthält, mit denen tatsächlichSteuerschlupflöcher geschlossen werden. Das betrifftzum Beispiel die Vermeidung von Steuerausfällen in ei-ner möglichen Höhe von 15 Milliarden Euro, indem manauf die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs zurunterschiedlichen Gewinnermittlung nach Handels- undSteuerrecht beim Verkauf von Betrieben reagiert. Hiersoll und muss dringend das Schlupfloch möglicher Steu-ergestaltungsmodelle geschlossen werden.Schließlich soll durch das Gesetz die Möglichkeit un-terbunden werden, mithilfe von Rohstoffkäufen, soge-nannten „Goldfinger“-Geschäften, Steuern zu sparen.Mit diesen Geschäften hatten gut betuchte Menschenüber Gold- und andere Rohstofffirmen nach britischemRecht ihre Steuerlast drücken können. Das soll künftigmit dem Gesetz unterbunden werden. Dem wollen wirnicht entgegentreten.
Nächster Redner ist Dr. Thomas Gambke, Bünd-nis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Keine Frage:Die Verabschiedung dieses Gesetzes ist unabdingbar.Aber das Gesetz ist handwerklich einfach nicht in Ord-nung. Ich werde Ihnen erläutern, warum wir uns nicht zueiner Enthaltung, sondern sogar zu einer Ablehnung ent-schieden haben.
– Weil wir nicht „hoffen“ wollen, Frau Arndt-Brauer,dass da etwas in Ordnung gebracht wird, wie Sie sichausgedrückt haben, sondern angesichts des Volumensund der Bedeutung „wissen“ wollen.
Richtig, der Gesetzentwurf wurde in der 17. Legisla-turperiode beraten; Frau Tillmann hat heute im Aus-schuss darauf hingewiesen. Aber, Frau Tillmann, dieSPD hatte ihn damals abgelehnt und der Bundesrat eben-falls.
Der Gesetzentwurf ging dann in den Vermittlungsaus-schuss, und zwar aus gutem Grund: Er musste überarbei-tet werden. Frau Arndt-Brauer hat das Problem geradeam Beispiel der stillen Lasten beschrieben. Es kamennoch andere wichtige Gesichtspunkte hinzu, zum Bei-spiel die „Goldfinger“-Regelung – darüber ist schon ge-sprochen worden –; aber es kam eben zu keiner Verab-schiedung. Ich war im Vermittlungsausschuss dabei, alswir den zentralen Punkt „Asset Pooling“ und die neueinzurichtende Kommanditgesellschaft besprochen ha-ben. Meine Damen und Herren von der Regierung, indiesem Punkt haben Sie versagt;
denn es hätte die Möglichkeit bestanden – und sie be-steht noch heute –, diesen fraglichen Aspekt getrennt zu
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Dr. Thomas Gambke
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verhandeln und den Rest, der unsere Zustimmung findenwürde, hier vorzutragen und zu verabschieden.Ich will erläutern, warum das so gefährlich ist – Kol-lege Pitterle hat darauf hingewiesen –: Das Volumen,über das wir hier reden, entspricht zwei Dritteln desBundeshaushaltes. Wir reden also über mehrere HundertMilliarden Euro, die in den Pools gesammelt werden.Wenn dann über eine transparente Besteuerung eineSteuergestaltung im Ausland ermöglicht wird – und inIhrem eigenen Umdruck Nr. 8 erwähnen Sie diese Mög-lichkeit –, woraufhin der Bundesrat in seine Begründungschreibt, es seien möglicherweise keine Korrekturen,sondern neue gesetzliche Vorhaben notwendig, um dievorhandenen Löcher zu stopfen, dann kann ich nicht ver-stehen, dass Sie dieses Gesetz heute in der vorliegendenForm verabschieden wollen.
Herr Koschyk, ein Wort zum Thema Länder. Die Län-der waren sich der Problematik bewusst. Angesichts desVolumens, um das es hier geht, haben die Länderfinanz-minister gesagt: Bei einem möglichen Streit können wirden Streitwert nicht schultern; das heißt, im Falle einergerichtlichen Auseinandersetzung könnten wir nicht denKlageweg beschreiten, weil der Streitwert zu hoch ist.Deshalb müssen wir das wieder zurück in die Verantwor-tung der Bundessteuerverwaltung geben. – So ist dasdann auch im Vermittlungsausschuss beschlossen wor-den. Das heißt: Nicht die Länder haben den SchwarzenPeter, sondern wir haben ihn wieder. Deshalb versteheich nicht, wie Sie aus Sicht des Bundes einer Übernahmeder Risiken zustimmen können.
Ich will noch einen Punkt ansprechen, der erst kürz-lich bekannt wurde und mich sehr betroffen gemacht hat.Es gibt Hinweise darauf – wir prüfen das zurzeit –, dassdieses Gesetz von einer internationalen Steuerkanzleiausgearbeitet wurde. Dabei wissen wir doch, dass dieAusarbeitung eines Gesetzesvorhabens durch eine Kanz-lei bedeutet, dass dieselbe Steuerkanzlei ihre Leistungengleich an einen Konzern verkaufen kann, und da sie sichim Grunde genommen besser mit Steuerschlupflöchernauskennt als die Finanzverwaltungen, trägt sie dannmöglicherweise dafür Sorge, dass nicht versteuerte Ge-winne ins Ausland transferiert werden können. Ich kanneinfach nicht verstehen, wie solch eine Gesetzesvorlagehier zur Abstimmung vorgelegt werden kann. Wie kön-nen Sie dafür Verantwortung übernehmen?
Der SPD kann ich nur sagen: Wir haben eine gewissegemeinsame Verantwortung in Bezug auf die Hedge-fonds. Warum haben Sie nicht aus den Fehlern gelernt?Wenn man einmal einen Fehler macht, dann ist das okay;aber Sie gehen ein zweites Mal ein so hohes Risiko ein.Ich verstehe nicht, wie Sie aus Ihrer Ablehnung auf ein-mal eine Zustimmung machen können.
Ganz zum Schluss möchte ich noch etwas zum Ver-fahren sagen. Es hätte die Möglichkeit gegeben, das Ge-setz in einen funktionierenden Ausschuss einzubringen.Heute Morgen haben wir darüber geredet. Wenn Sie dasThema „Pension Pooling“ abgetrennt hätten, hätten wirim Übrigen schon im Sommer ein Gesetz gehabt – ein-schließlich FATCA, „Goldfinger“ und all den anderenGestaltungsmöglichkeiten –, das wir hier in großer Ei-nigkeit in Ruhe hätten verabschieden können. SPD undUnion haben sich im Koalitionsvertrag sogar vorgenom-men – ich habe es gestern gelesen –, ein Investmentsteu-ergesetz auf den Weg zu bringen. Warum, um GottesWillen, haben Sie das nicht getan, sondern diesen kriti-schen Teil hineingebracht? Warum wollen Sie kein or-dentliches Gesetz verabschieden? Diesem Gesetz kön-nen wir so nicht zustimmen.Vielen Dank.
Es spricht jetzt Kollege Lothar Binding, SPD.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Sehr verehrte Damen und Herren! Auf die Verdächtigun-gen, die Thomas Gambke geäußert hat, möchte ich jetztnicht eingehen. Ich glaube, wir warten ab, bis sie belegtsind. Es ist natürlich sehr schwierig, das hier zu reflek-tieren. Ich finde es auch schwierig, das an diesem Ortvorzutragen, ohne Belege vorzulegen. Die Praktiker inden Ländern, auch die Praktiker der Grünen, irritiert das;denn sie sehen das offenbar anders. Ich habe so ein biss-chen den Eindruck, dass die Grünen ablehnen, weil dieZustimmung gesichert ist.Es ist verständlich, dass die Grünen diesen Gesetzent-wurf ablehnen wollen, weil er möglicherweise Fehlerenthält. Ich will gar nicht ausschließen, dass er Fehlerenthält. Der Gesetzentwurf kann Fehler enthalten. Wiralle behaupten nicht, absolut fehlerfrei zu arbeiten. Soselbstsicher sind wir nicht. Für die Korrektur von Feh-lern gibt es aber die Möglichkeit der Novellierung. DieGrünen lehnen aber noch viel mehr ab – ich will nur dieStichworte nennen –: Sie lehnen auch die Regelungengegen die internationale Gestaltung über Ausschüttungs-reihenfolgen ab; sie lehnen die Regelungen gegen dasBond-Stripping ab; sie lehnen die Regelungen gegen dieGestaltung über Werbekostenabzugsregelungen ab; sielehnen die Regelungen gegen die „Goldfinger“-Gestal-tungen ab. Durch eine Ablehnung würden der internatio-nalen Finanzindustrie Schlupflöcher ohne Ende geöffnet.Wollen Sie das?
Richard Pitterle hat gesagt, dass er den Aufschrei derFinanzindustrie vermisst. Ich finde, allein das Fehlen ei-ner Beschwerde seitens der Industrie oder einer gesell-schaftlichen Gruppe ist noch kein hinreichender Belegdafür, dass ein Gesetzentwurf schlecht ist. Es könnte ja
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auch sein, dass der Aufschrei ausbleibt, weil große Teilein Ordnung sind.Was wollen wir mit dem Gesetz erreichen? Das ist einInvestmentfondsbesteuerungsgesetz. Jetzt kann man sa-gen: Das haben wir doch schon geregelt. Wo ist eigent-lich das Problem? – Der eine Grund für diesen Gesetz-entwurf ist eine europäische Regelung. Der andereGrund ist, dass wir klassische Fonds schon immer sehrvorsichtig besteuert haben, weil die Erträge ihrer Kun-den an anderer Stelle besteuert werden. Der klassischeFonds sammelt Geld ein und investiert es. Dabei geht esaber nicht um ein Schiff oder die Filmindustrie. Derklassische Fonds ist auch kein Hedgefonds. Er engagiertsich nicht im Private-Equity-Bereich. Den grauen Marktwollen wir nicht schützen. Genau das ist das Problem,das wir heute lösen wollen: Wir wollen die guten Fondsin steuerlicher Hinsicht gewissermaßen schützen und diebösen erfassen. Die Grenze zwischen diesen beiden Sei-ten zu finden, ist natürlich extrem schwierig. Wo hört diereine Spekulation auf, und ab wann ist die Realwirt-schaft betroffen? Ziel ist es, diese Grenze zu definieren.Wir haben ein kleines Problem. Mit dem Kapitalanla-gegesetzbuch, das wir indiziert durch europäische Ge-setzgebung aufgelegt haben – in diesem Zusammenhangkümmern wir uns um Hedgefonds und solche Sachen –,ist das Investmentgesetz aufgehoben worden. Jetzt ist esdummerweise so, dass sich das Investmentsteuergesetzauf dieses Investmentgesetz bezieht, das es aber nichtmehr gibt. Das heißt, wir haben ein Gesetz, das sich aufein anderes bezieht, das es nicht mehr gibt. Jetzt hat derBundesfinanzminister gesagt: Das ist ein Problem. Wo-rauf beziehen wir uns, wenn es das Gesetz nicht mehrgibt? Wir legen ein BMF-Schreiben auf, also eine Richt-linie, die besagt, dass das Gesetz, das es nicht mehr gibt,doch noch in Kraft ist.
Das ist eine Hilfsmaßnahme, die zwar hilft, aber keineRechtssicherheit schafft. Wir wollen aber Rechtssicher-heit, eine vernünftige Basis für die Leute, die diese Ge-setze anwenden.
– Genau, nach dem Stichwort „Rechtssicherheit“ hätteApplaus kommen müssen. Das ist nämlich ein Haupt-ziel, das mit dem AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz ver-folgt wird. Es soll die Lücke schließen und das BMF-Schreiben, diese Richtlinie, überflüssig machen. Inso-fern hat dieser Gesetzentwurf heute Zustimmung ver-dient.
Man muss auch darauf hinweisen, warum heute Eilegeboten ist. Man könnte doch sagen: Das machen wirnächstes Jahr. Die Antwort ist einfach: Es geht um großeBeträge – das haben wir gehört –, und die meisten Kapi-talerträge werden bekanntlich am Jahresende besteuert.Wenn wir dieses Gesetz nicht mehr in diesem Jahr ver-abschieden, dann hätten alle Gestaltungsmöglichkeiten,die ich eingangs genannt habe, für dieses Jahr Rechts-gültigkeit.
Die Steuererträge wären weg. Das wäre auch mit Blickauf die Ausgabenwünsche der Grünen schade. Wir wol-len diese Steuereinnahmen sichern. Deshalb werden wirdieses Gesetz noch in diesem Jahr in Kraft treten lassen,damit das gesamte Jahr 2013 erfasst ist.
Deshalb steht auch in dem entsprechenden Paragra-fen, dass es auf das Wirtschaftsjahr anzuwenden ist.Vielleicht noch eine ganz kleine Formalie: Wer dieBegründung zu dem entsprechenden § 52 des Einkom-mensteuergesetzes liest, der findet etwas anderes. Dortsteht nämlich: „anzuwenden … nach dem Tag der Verab-schiedung“. Das ist ein kleiner Fehler, betrifft aber nurdie Begründung. Das können wir heute nicht mehr korri-gieren; dazu müsste ein Antrag gestellt werden. Wir wis-sen, dass wir die Begründung nicht beschließen und dasssich die Menschen bei der Gesetzesanwendung nicht aufeine Begründung beziehen, sondern auf das Gesetz, undim Gesetz steht es korrekt. Das wollte ich nur der Voll-ständigkeit halber auch für das Protokoll erwähnen; denndas ist für jemanden, der ein Gesetz puristisch liest, einekleine Auffälligkeit.Jetzt schaffen wir eine Investmentkommanditgesell-schaft, und man fragt sich, ob das klug ist oder nicht. Wirschaffen eine eigene Rechtsform, um letztendlich hierein Problem zu lösen, das an einer anderen Stelle ziem-lich kompliziert beschrieben ist. Die Antwort ist: Das istdeshalb nötig, weil wir für diese Fonds eine transparentzu besteuernde Gesellschaft brauchen. Was heißt eigent-lich „transparent“? Transparent heißt ja durchsichtig.Solch ein Unternehmen sieht der Finanzminister nicht,weil dieses Unternehmen überhaupt keine Steuern zahlt,sondern der Finanzminister sieht nur den Menschen,dem dieses Unternehmen gehört; dieser muss dann Steu-ern zahlen.Beim Pension Asset Pooling – darüber haben wirheute schon viel gelernt – ist es so, dass bestimmte steu-erliche Regelungen der USA in Deutschland nur fürtransparente Unternehmen gelten sollen. Deshalb wollenwir das einführen. Unsere Unternehmen sollen keineNachteile dadurch haben, dass die USA für nicht trans-parente Unternehmen in Deutschland, zum Beispiel Kör-perschaften, diese Regel nicht zulassen. Um diese Rege-lungskonformität international zu etablieren, brauchenwir diese Kommanditgesellschaft, diese IKG. Ihre Schaf-fung ist natürlich insofern ärgerlich, weil sie vielleichtneue Schlupflöcher eröffnet. Deshalb wollen wir es nurauf diesen einen Anwendungsfall konzentrieren.Jetzt könnte man noch fragen: Warum macht ihr jetzteigentlich so etwas Kompliziertes, ihr wollt das Invest-mentsteuerrecht doch sowieso im großen Stil korrigie-ren? Die Antwort ist, dass wir hier freundlich gegenüberdenjenigen sind, die sich in diesem Metier bewegen.Deshalb greifen wir mit dieser Spezialregelung vor. Wirwerden uns sicherlich vornehmen müssen, die Invest-
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mentbesteuerung in den nächsten Jahren noch einmalkomplett anzugehen, natürlich europarechtskonform, dasist klar. Aber als Vorgriff auf diese globale Lösung istdas heute ein sehr guter erster Schritt. Ich hoffe, dass Siemir da folgen können.Vielen Dank und alles Gute.
Abschließende Rednerin in dieser Aussprache ist die
Kollegin Antje Tillmann, CDU/CSU.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wirhaben heute Morgen darüber diskutiert, dass es schadeist, dass der Deutsche Bundestag jetzt schon seit mehre-ren Monaten in keinem geordneten Verfahren berät. DieDebatte zeigt, dass das nicht stimmt. Aber die Debatte zudiesem Gesetzentwurf zeigt auch, dass es auf keinen Fallan der künftigen Koalition liegt, dass in den vier Mona-ten, in denen keine regelmäßigen Sitzungswochen statt-fanden, keine Gesetze verabschiedet wurden. Denn wirhätten im September dieses Jahres sehr wohl das AIFM-Steuer-Anpassungsgesetz verabschiedet. Wir hatten dreiMonate Zeit, diesen Gesetzentwurf zu verhandeln. Wirhatten eine erste, zweite und dritte Lesung im Bundes-tag. Wir hatten im Vermittlungsausschuss darüber bera-ten. Wir hatten einen Kompromiss, der heute in dersel-ben Form wieder eingebracht wird, übrigens von der rot-grünen Landesregierung unterstützt, Herr Dr. Gambke.
Wir hätten den Bürgerinnen und Bürgern und denKleinanlegern schon drei Monate früher die Rechtssi-cherheit geben können, die wir ihnen heute geben wol-len. Herr Dr. Gambke, Sie sind der Einzige, den ichheute kritisieren darf. Mit den anderen sind wir ja künf-tig befreundet.
Diese Verzögerung hätten wir uns ersparen können. Vondaher hoffe ich, dass wir jetzt auf dem Weg sind, diesenGesetzentwurf zu verabschieden. Mein Kollege Bindinghat deutlich gesagt: Die Rechtssicherheit hätte eigentlichzum 1. Juli 2013 schon bestehen müssen, Rechtssicher-heit nicht in Bezug auf irgendwelche bizarren Finanzin-strumente, sondern für die Kleinanleger, für die Sparer,für diejenigen, die vielleicht ihre Altersvorsorge auch inFonds investieren und über denen jetzt noch das Damo-klesschwert der Besteuerung schwebt. Von daher ist eseilig. Ich glaube, es ist auch an der Zeit, dass wir uns ent-scheiden. Denn jedes Argument ist ausgetauscht, undwir haben, Gott sei Dank, heute in der Debatte nur dieKollegen, die die intensive Beratung im letzten Bundes-tag mitgemacht haben.Dieses Gesetz steht – das ist schon gesagt worden –ganz extrem unter der Überschrift „Kampf gegen Steuer-hinterziehung und Steuergestaltungen“. Wir gehen gegenBond-Stripping vor; diese ganzen Steuergestaltungenhaben ja schicke Namen. Wir verhindern, dass mit In-vesmentfonds in Anleihen Zinsscheine und Anleihenauseinandergenommen und voneinander getrennt in ver-schiedenen Geschäftsjahren besteuert werden; denndiese Steuergestaltung führt zu Steuerverlusten. DieserUmgehung schieben wir einen Riegel vor. Bond-Strip-ping ist mit dem Inkraftsetzen dieses Gesetzes nichtmehr möglich.Wir werden auch sicherstellen, dass nur die Wer-bungskosten abzugsfähig sind, bei denen Erträge inDeutschland versteuert werden. Diejenigen, die hier ver-steuern, dürfen damit zusammenhängende Aufwendun-gen natürlich abziehen. Aber wenn die Erträge inDeutschland steuerfrei sind, dürfen auch damit zusam-menhängende Aufwendungen künftig nicht mehr diedeutsche Steuer mindern.Das Gleiche machen wir bei der Ausschüttungsrei-henfolge. Wir regeln im Gesetz erstmalig die Ausschüt-tungsreihenfolge, um sicherzustellen, dass Erträge nichtüber Jahre durch dauerhafte Thesaurierung der Besteue-rung entzogen sind und damit in der Finanzplanung desFinanzministers keine Rolle spielen.Herr Dr. Gambke, ich weiß nicht, ob dieser Gesetz-entwurf von einer Rechtsanwalts- oder Steuerberatungs-kanzlei erstellt worden ist. Aber ich weiß, dass wir zu-mindest an zwei Punkten die Änderungsanträge selberformuliert haben:Die erste Frage lautete, ob wir OGAW genauso be-handeln wie alternative Investmentfonds. Da haben wirnämlich noch eine Verschärfung in den Gesetzentwurfhineingebracht. Selbst OGAW müssen sich der Kon-trolle unterziehen, ob der zugrundeliegende Zweck tat-sächlich förderfähig ist.Bei der zweiten Frage ging es um die Möglichkeit, inerneuerbare Energien zu investieren; das dürfte ja ei-gentlich Ihre Zustimmung finden. Diese Möglichkeit ha-ben wir in dem Gesetzentwurf zusätzlich geschaffen.Wir haben die Einschränkung selbst formuliert, dass dieneue Investment-KG ausschließlich auf Pensionsvermö-gen anwendbar ist. Der ursprüngliche Gesetzentwurfwar weitgehender. Da wir in den Beratungen die Mög-lichkeit erkannt haben, dass damit Steuergestaltungenvorgenommen werden, haben wir sie durch einen eige-nen Änderungsantrag eingeschränkt.Herr Pitterle, Sie haben gesagt, Sie möchten nicht,dass Pensionsvermögen zentralisiert in einzelne Anlage-formen fließt. Aber das ist ja gar nicht das Problem. Esist nicht das Problem, welche Investitionen man mit die-sen Anlagen tätigt, sondern wo sie verwaltet werden. Siealle tun, was die Risiken betrifft, so, als würden Pension-Asset-Fonds in der Welt nicht existieren. Doch, sie exis-tieren schon jetzt. Sie existieren heute an der deutschen
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Antje Tillmann
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Steuer vorbei. Sie existieren heute an der deutschen Auf-sicht vorbei.
Sie existieren als deutsches Altersvermögen, das ich sehrviel lieber unter deutscher Kontrolle und in deutscherVerwaltung hätte als in irgendeinem Schattenstaat, denwir überhaupt nicht kontrollieren können.
Aus meiner Sicht ist genau das Gegenteil richtig: Wirhaben mehr Kontrolle über die Altersvermögen der An-gestellten und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter derUnternehmen, indem wir es hier unter Aufsicht stellen.Wir haben ja schon im ersten Durchgang verabredet,dieses Modell selbstverständlich im Auge zu behalten.Jede größere Steuerrechtsänderung müssen wir nach ei-niger Zeit überprüfen. Wir müssen prüfen, ob die Fol-gen, die wir erwartet haben, auch eingetreten sind oderob andere, schädliche Folgen eingetreten sind. Deshalbwerden wir dieses Gesetz natürlich im Auge behaltenund überprüfen.Wir haben die Möglichkeit des transparenten Infor-mationsaustausches geschaffen. Das Wort „FATCA“ istschon gefallen, der Begriff „Goldfinger“ schon erklärtworden. Frau Arndt-Brauer hat auch die Pensionsver-pflichtungen angesprochen.Wir haben uns im Rahmen der Beratungen dieses Ge-setzentwurfes auch mit zwei fachfremden Themen be-fasst, die heute noch nicht angesprochen worden sind. Inder letzten Legislaturperiode haben wir in zwei Schrittenden Grundfreibetrag angehoben. Wir haben die Bürge-rinnen und Bürger in Deutschland um 2 Milliarden Euroentlastet, indem wir den Grundfreibetrag an die Inflationangepasst haben. Wir wollten keine Steuern einnehmen,die nur durch eine verringerte Kaufkraft entstanden wä-ren. Mit diesem Gesetzentwurf wollen wir bei den Un-terhaltsfreibeträgen nach § 33 des Einkommensteuerge-setzes in gleicher Höhe auch diejenigen begünstigen, dieandere Angehörige oder nahestehende Personen unter-halten. Das heißt, wir haben nicht nur diejenigen, die sel-ber Steuern zahlen, entlastet, sondern wir entlasten auchdiejenigen, die Hilfe leisten. Wir stärken damit Familien,den familiären Verbund und die Solidarität in den Fami-lien.Zu einem letzten Punkt, der ein bisschen klein daher-kommt. Wir haben für BrandunterstützungsvereineSicherheit geschaffen. In ganz vielen – über 100 – Verei-nen haben sich Firmen zu Brandunterstützungsvereinenzusammengetan, um sich gegen die Gefahr von Brändenabzusichern. Bei diesen Vereinen gab es hinsichtlich derVersteuerung große Unsicherheit. Auch für diese Ver-eine haben wir über einen Freibetrag Rechtssicherheitgeschaffen, wir erkennen das Engagement zugunsten derSicherheit von Betrieb und Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmern steuerlich an. Auch das ist ein Riesenvorteildieses Gesetzes, auch darauf warten Vereine und Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer. Deshalb ist es gut undrichtig, wenn wir dieses Gesetz heute verabschieden.Ich bin mir ziemlich sicher: Auch wenn wir das Ge-setz in dieser Fassung noch vier Wochen weiter diskutie-ren würden, würde Herr Dr. Gambke trotzdem nicht zu-stimmen. Also spricht nichts dagegen, es heute zuverabschieden. Wir schaffen damit Rechtssicherheit füralle Bürgerinnen und Bürger.Danke.
Hiermit schließe ich die Aussprache.Die Fraktionen der CDU/CSU, SPD und der Linkenhaben fristgemäß beantragt, gemäß § 80 Abs. 2 unsererGeschäftsordnung ohne Ausschussüberweisung in diezweite Beratung einzutreten. Die zweite und die dritteBeratung sollen jetzt gleich im Anschluss erfolgen.Wir kommen jetzt zunächst zur Abstimmung über dieVerfahrensweise in Form eines Geschäftsordnungsan-trags. Zur Annahme dieses Geschäftsordnungsantrags istwiederum eine Zweidrittelmehrheit der anwesendenMitglieder erforderlich. Deshalb frage ich jetzt zuerst– bitte Handzeichen geben –: Wer stimmt für den Ge-schäftsordnungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Werenthält sich? – Eine Zweidrittelmehrheit ist gegebendurch Zustimmung der Mitglieder der CDU/CSU undder SPD und einem Teil der Linksfraktion bei Gegen-stimmen der Grünen. Damit ist nach § 80 Abs. 2 der Ge-schäftsordnung diese Form der Abstimmung mit der er-forderlichen Mehrheit angenommen. Wir treten daherunmittelbar in die zweite und die dritte Beratung ein.Zur zweiten Beratung liegt der Bericht des Hauptaus-schusses als Haushaltsausschuss nach § 96 Abs. 4 derGeschäftsordnung auf Drucksache 18/113 vor.
Ich bitte nun diejenigen, die dem Gesetzentwurf aufDrucksache 18/68 zustimmen wollen, um dasHandzeichen. Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dage-gen? – Wer enthält sich? – Bei Zustimmung der Fraktionder CDU/CSU und der SPD und Gegenstimmen derFraktion der Grünen und bei Enthaltung der Fraktion derLinken ist dieser Gesetzentwurf damit in zweiter Bera-tung angenommen.Dritte Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Bei Zustim-mung der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD, beiGegenstimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen undEnthaltung der Linken ist dieser Gesetzentwurf damitangenommen.Ich gebe jetzt das von den Schriftführerinnen undSchriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen
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Vizepräsident Johannes Singhammer
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Abstimmung zum Antrag auf Fortsetzung der Beteili-gung bewaffneter deutscher Streitkräfte an der AU/UN-Hybrid-Operation in Darfur, UNAMID, bekannt: abge-gebene Stimmen 573. Mit Ja haben gestimmt 512. MitNein haben gestimmt 59. Enthalten haben sich 2 Mit-glieder des Hauses. Der Antrag ist damit angenommen.
Endgültiges ErgebnisAbgegebene Stimmen: 571;davonja: 511nein: 58enthalten: 2JaCDU/CSUStephan AlbaniKatrin AlbsteigerPeter AltmaierArtur AuernhammerDorothee BärThomas BareißNorbert BarthleJulia BartzGünter BaumannMaik BeermannManfred Behrens
Veronika BellmannSybille BenningDr. Andre BergheggerDr. Christoph BergnerUte BertramPeter BeyerSteffen BilgerClemens BinningerPeter BleserDr. Maria BöhmerWolfgang BosbachNorbert BrackmannMichael BrandDr. Reinhard BrandlHelmut BrandtDr. Ralf BrauksiepeDr. Helge BraunHeike BrehmerRalph BrinkhausCajus CaesarGitta ConnemannAlexandra Dinges-DierigAlexander DobrindtMichael DonthThomas DörflingerMarie-Luise DöttHansjörg DurzJutta EckenbachDr. Bernd FabritiusHermann FärberUwe FeilerDr. Thomas FeistEnak FerlemannIngrid FischbachDirk Fischer
Dr. Maria FlachsbarthKlaus-Peter FlosbachThorsten FreiDr. Astrid FreudensteinDr. Hans-Peter Friedrich
Michael FrieserHans-Joachim FuchtelAlexander FunkIngo GädechensDr. Thomas GebhartAlois GerigEberhard GiengerCemile GiousoufUrsula Groden-KranichHermann GröheKlaus-Dieter GröhlerMichael Grosse-BrömerAstrid GrotelüschenMarkus GrübelManfred GrundOliver GrundmannDr. Herlind GundelachMonika GrüttersFritz GüntzlerChristian HaaseFlorian HahnDr. Stephan HarbarthJürgen HardtGerda HasselfeldtMatthias HauerMark HauptmannDr. Matthias HeiderHelmut HeiderichMechthild HeilFrank Heinrich
Mark HelfrichJörg HellmuthRudolf HenkeMichael HennrichAnsgar HevelingPeter HintzeDr. Heribert HirteChristian HirteRobert HochbaumAlexander HoffmannKarl HolmeierFranz-Josef HolzenkampDr. Hendrik HoppenstedtMargaret HorbBettina HornhuesCharles M. HuberAnette HübingerHubert HüppeErich IrlstorferThomas JarzombekSylvia JörrißenDr. Franz Josef JungXaver JungAndreas Jung
Dr. Egon JüttnerBartholomäus KalbHans-Werner KammerSteffen KampeterSteffen KanitzAlois KarlAnja KarliczekBernhard KasterVolker KauderDr. Stefan KaufmannRoderich KiesewetterDr. Georg KippelsVolkmar KleinJürgen KlimkeAxel KnoerigJens KoeppenMarkus KoobCarsten KörberHartmut KoschykKordula KovacMichael KretschmerGunther KrichbaumRüdiger KruseDr. Roy KühneUwe LagoskyAndreas G. LämmelDr. Norbert LammertKatharina LandgrafUlrich LangeBarbara LanzingerDr. Silke LaunertPaul LehriederDr. Katja LeikertDr. Philipp LengsfeldDr. Andreas LenzPhilipp Graf LerchenfeldDr. Ursula von der LeyenAntje LeziusIngbert LiebingMatthias LietzAndrea LindholzDr. Carsten LinnemannPatricia LipsWilfried LorenzDr. Claudia Lücking-MichelDr. Jan-Marco LuczakDaniela LudwigKarin MaagYvonne MagwasThomas MahlbergDr. Thomas de MaizièreGisela ManderlaMatern von MarschallAndreas MattfeldtDr. Michael MeisterJan MetzlerMaria MichalkDr. h. c. Hans MichelbachDr. Mathias MiddelbergPhilipp MißfelderDietrich MonstadtKarsten MöringElisabeth MotschmannDr. Gerd MüllerCarsten Müller
Stefan Müller
Dr. Philipp MurmannDr. Andreas NickMichaela NollHelmut NowakWilfried OellersFlorian OßnerDr. Tim OstermannHenning OtteIngrid PahlmannSylvia PantelMartin PatzeltDr. Martin PätzoldUlrich PetzoldDr. Joachim PfeifferSibylle PfeifferRonald PofallaKerstin RadomskiAlexander RadwanAlois RainerDr. Peter RamsauerEckhardt RehbergKatherina Reiche
Lothar RiebsamenJosef RiefDr. Heinz RiesenhuberJohannes RöringDr. Norbert RöttgenErwin RüddelAlbert Rupprecht
Anita Schäfer
Dr. Wolfgang SchäubleDr. Annette SchavanKarl SchiewerlingJana SchimkeNorbert SchindlerTankred SchipanskiHeiko SchmelzleChristian Schmidt
Gabriele Schmidt
Patrick SchniederDr. Andreas SchockenhoffNadine Schön
Dr. Ole SchröderBernhard Schulte-DrüggelteDr. Klaus-Peter SchulzeUwe Schummer
Christina SchwarzerDetlef SeifJohannes SelleReinhold SendkerDr. Patrick SensburgBernd SiebertThomas SilberhornJohannes SinghammerTino Sorge
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162 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Jens SpahnCarola StaucheDr. Wolfgang StefingerAlbert StegemannPeter SteinErika SteinbachSebastian SteinekeJohannes SteinigerChristian Freiherr von StettenDieter StierRita StockhofeGero StorjohannStephan StrackeMax StraubingerMatthäus StreblThomas StritzlThomas Strobl
Lena StrothmannMichael StübgenDr. Sabine Sütterlin-WaackDr. Peter TauberAntje TillmannAstrid Timmermann-FechterDr. Volker UllrichArnold VaatzOswin VeithThomas ViesehonMichael VietzVolkmar Vogel
Sven VolmeringChristel Voßbeck-KayserKees de VriesDr. Johann WadephulMarco WanderwitzNina WarkenKai WegnerAlbert WeilerMarcus Weinberg
Dr. Anja WeisgerberPeter Weiß
Sabine Weiss
Ingo WellenreutherKarl-Georg WellmannMarian WendtKai WhittakerPeter WichtelAnnette Widmann-MauzHeinz Wiese
Klaus-Peter WillschElisabeth Winkelmeier-BeckerOliver WittkeDagmar G. WöhrlBarbara WoltmannTobias ZechHeinrich ZertikEmmi ZeulnerDr. Matthias ZimmerSPDNiels AnnenIngrid Arndt-BrauerRainer ArnoldHeike BaehrensUlrike BahrHeinz-Joachim BarchmannDr. Katarina BarleyDoris BarnettDr. Hans-Peter BartelsKlaus BarthelDr. Matthias BartkeSören BartolBärbel BasSabine Bätzing-LichtenthälerDirk BeckerUwe BeckmeyerLothar Binding
Burkhard BlienertWilli BraseDr. Karl-Heinz BrunnerDr. Lars CastellucciPetra CroneBernhard DaldrupDr. Daniela De RidderDr. Karamba DiabySabine DittmarMartin DörmannElvira Drobinski-WeißSiegmund EhrmannMichaela Engelmeier-HeiteDr. h. c. Gernot ErlerPetra ErnstbergerSaskia EskenKarin Evers-MeyerDr. Johannes FechnerDr. Fritz FelgentreuElke FernerGabriele FograscherDr. Edgar FrankeUlrich FreeseDagmar FreitagMichael GerdesMartin GersterIris GleickeUlrike GottschalckKerstin GrieseMichael GroßUli GrötschBettina HagedornRita Hagl-KehlMetin HakverdiUlrich HampelSebastian HartmannMichael Hartmann
Dirk HeidenblutHubertus Heil
Gabriela HeinrichWolfgang HellmichDr. Barbara HendricksHeidtrud HennGustav HerzogGabriele Hiller-OhmThomas HitschlerDr. Eva HöglChristina JantzReinhold JostFrank JungeJosip JuratovicThomas JurkOliver KaczmarekJohannes KahrsChristina KampmannRalf KapschackGabriele KatzmarekUlrich KelberMarina KermerCansel KiziltepeArno KlareDaniela Kolbe
Birgit KömpelAnette KrammeDr. Hans-Ulrich KrügerChristine LambrechtDr. Karl LauterbachSteffen-Claudio LemmeBurkhard LischkaGabriele Lösekrug-MöllerHiltrud LotzeKirsten LühmannDr. Birgit Malecha-NissenCaren MarksKatja MastDr. Matthias MierschKlaus MindrupSusanne MittagBettina MüllerMichelle MünteferingAndrea NahlesDietmar NietanUlli NissenThomas OppermannMahmut Özdemir
Markus PaschkeJeannine PflugradtDetlev PilgerSabine PoschmannJoachim PoßFlorian PostAchim Post
Dr. Wilhelm PriesmeierFlorian PronoldDr. Sascha RaabeDr. Simone RaatzMartin RabanusMechthild RawertStefan RebmannGerold ReichenbachDr. Carola ReimannAndreas RimkusSönke RixDennis RohdeDr. Martin RosemannRené RöspelDr. Ernst Dieter RossmannMichael Roth
Susann RüthrichJohann SaathoffAnnette SawadeDr. Hans-JoachimSchabedothAxel Schäfer
Dr. Nina ScheerMarianne Schieder
Udo SchiefnerUlla Schmidt
Matthias Schmidt
Dagmar Schmidt
Ursula SchulteSwen Schulz
Ewald SchurerFrank SchwabeStefan SchwartzeAndreas SchwarzRita Schwarzelühr-SutterDr. Carsten SielingRainer SpieringNorbert SpinrathSvenja StadlerMartina Stamm-FibichSonja SteffenPeer SteinbrückDr. Frank-Walter SteinmeierChristoph SträsserKerstin TackClaudia TausendMichael ThewsWolfgang TiefenseeCarsten TrägerRüdiger VeitDirk VöpelGabi WeberBernd WestphalAndrea WickleinDirk WieseGülistan YükselDagmar ZieglerStefan ZierkeDr. Jens ZimmermannManfred ZöllmerBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENLuise AmtsbergKerstin AndreaeAnnalena BaerbockMarieluise Beck
Volker Beck
Agnieszka BruggerEkin DeligözKatja DörnerKatharina DrögeHarald EbnerDr. Thomas GambkeMatthias GastelKai GehringKatrin Göring-EckardtAnja HajdukBritta HaßelmannDr. Anton HofreiterBärbel HöhnDieter JanecekUwe KekeritzKatja KeulSven-Christian KindlerMaria Klein-SchmeinkTom KoenigsSylvia Kotting-UhlOliver KrischerChristian Kühn
Renate KünastMarkus KurthMonika LazarSteffi LemkeDr. Tobias LindnerNicole MaischPeter MeiwaldIrene MihalicBeate Müller-GemmekeÖzcan MutluDr. Konstantin von Notz
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 163
Vizepräsident Johannes Singhammer
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Friedrich OstendorffCem ÖzdemirLisa PausBrigitte PothmerTabea RößnerClaudia Roth
Corinna RüfferManuel SarrazinElisabeth ScharfenbergUlle SchauwsDr. Gerhard SchickDr. Frithjof SchmidtHans-Christian StröbeleDr. Harald TerpeMarkus TresselJürgen TrittinJulia VerlindenDoris WagnerBeate Walter-RosenheimerDr. Valerie WilmsNeinDIE LINKEJan van AkenDr. Dietmar BartschHerbert BehrensMatthias W. BirkwaldHeidrun BluhmChristine BuchholzEva Bulling-SchröterRoland ClausSevim DağdelenDr. Diether DehmKlaus ErnstWolfgang GehrckeNicole GohlkeDiana GolzeAnnette GrothDr. Gregor GysiDr. Andre HahnHeike HänselDr. Rosemarie HeinInge HögerAndrej HunkoSigrid HupachUlla JelpkeSusanna KarawanskijKerstin KassnerKatja KippingJutta KrellmannKatrin KunertCaren LaySabine LeidigRalph LenkertMichael LeutertStefan LiebichDr. Gesine LötzschThomas LutzeCornelia MöhringDr. Alexander S. NeuThomas NordPetra PauHarald Petzold
Richard PitterleMartina RennerMichael SchlechtDr. Petra SitteKersten SteinkeDr. Kirsten TackmannAzize TankFrank TempelDr. Axel TroostKathrin VoglerDr. Sahra WagenknechtHalina WawzyniakHarald WeinbergBirgit WöllertJörn WunderlichHubertus ZdebelPia ZimmermannSabine Zimmermann
EnthaltenSPDDr. Ute Finckh-KrämerPetra Hinz
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 4 auf:– Zweite und dritte Beratung des vom Bundes-rat eingebrachten Entwurfs eines Gesetzeszur Änderung des Gesetzes über Finanz-hilfen des Bundes zum Ausbau der Tages-betreuung für Kinder und zur Änderungdes Kinderbetreuungsfinanzierungsgeset-zes– Drucksache 18/69 –– Bericht des Hauptausschusses gemäß § 96der Geschäftsordnung– Drucksache 18/112 –Wir haben heute Vormittag mit der nach § 80 Abs. 2unserer Geschäftsordnung erforderlichen Zweidrittel-mehrheit beschlossen, jetzt in die zweite und dritte Bera-tung des vom Bundesrat eingebrachten Entwurfs einesGesetzes zur Änderung des Gesetzes über Finanzhilfendes Bundes zum Ausbau der Tagesbetreuung für Kinderund zur Änderung des Kinderbetreuungsfinanzierungs-gesetzes einzutreten.Der Bericht des Hauptausschusses als Haushaltsaus-schuss gemäß § 96 Abs. 4 der Geschäftsordnung liegtauf Drucksache 18/112 vor.Wir kommen damit unmittelbar zur Abstimmung. Ichbitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf auf Drucksa-che 18/69 zustimmen wollen, um das Handzeichen. Werstimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthältsich? – Der Gesetzentwurf ist damit in zweiter Beratungmit Zustimmung aller Fraktionen angenommen.Wir kommen jetzt zurdritten Beratungund Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die demGesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-entwurf ist damit mit Zustimmung aller Fraktionen ange-nommen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 9 auf:Erste Beratung des von den Abgeordneten KlausErnst, Susanna Karawanskij, Katja Kipping,weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIELINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
– Drucksache 18/6 –Überweisungsvorschlag:HauptausschussNach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Erster Redner ist der Kol-lege Klaus Ernst, Die Linke.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir bringen heute einen Gesetzentwurf ein, derwortgleich dem Gesetzentwurf ist, der vom Bundesratam 1. März 2013 mit der Zustimmung der SPD, der Grü-nen und der Linken beschlossen wurde. Die Höhe desMindestlohns wird in diesem Gesetzentwurf auf8,50 Euro festgelegt. Wir wissen: Er schützt nicht vorAltersarmut. Ein Mindestlohn von 10 Euro wäre not-wendig, um eine Rente zu erhalten, mit der man im Alterüber der Grundsicherung läge, wenn man 45 Jahre langzu einem solchen Lohn gearbeitet hätte.Wir bringen diesen Gesetzentwurf trotzdem ein, weiles hier im Deutschen Bundestag eigentlich eine Mehr-
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Klaus Ernst
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heit dafür gibt. Die SPD, die Grünen und wir, wir allehaben im Wahlkampf massiv dafür geworben, einen ent-sprechenden Mindestlohn zu beschließen, und zwar imGegensatz zu dem, was im Koalitionsvertrag vereinbartwurde – ich sage das hier gleich –, für alle und nicht erstab 2017, sondern jetzt. Das steht im Gesetzentwurf desBundesrates.
Wir haben hier eine Mehrheit dafür und könntenwirklich das Unwesen stoppen, dass Menschen trotzVollzeitarbeit nicht von ihrem Lohn leben können undzum Amt gehen müssen, um aufzustocken. Ich sage Ih-nen: Ich habe den Eindruck, dass die Wähler – auch dieWähler der Sozialdemokratischen Partei –, nachdem wiralle im Wahlkampf dafür geworben haben und auch da-für gewählt wurden, nicht verstehen, warum es hier imDeutschen Bundestag eine Mehrheit dafür gibt, dieseMehrheit aber offensichtlich nicht zum Tragen kommtund wir nicht rasch einen Mindestlohn für alle verab-schieden.
Ich glaube, wenn es Schule macht, dass wir ohne Nottrotz Mehrheit diese Mehrheit nicht realisieren und ent-sprechende Gesetze beschließen, dann bekommen wir ir-gendwann das Problem, dass sich die Leute fragen, wa-rum sie eigentlich zur Wahl gehen,
wenn hinterher etwas ganz anderes herauskommt, als Siein Ihren Wahlprogrammen vereinbart und den Wählernversprochen haben. Meine Damen und Herren, Sie ha-ben jetzt die Möglichkeit, das zu korrigieren; das istdringend notwendig.In den Koalitionsverhandlungen haben Sie zuge-stimmt, dass die Mindestlöhne von 8,50 Euro erst ab2017 uneingeschränkt gelten. Das ist das Jahr, in demdie nächste Bundestagswahl stattfinden wird. Das ist diePosition, die Sie vereinbart haben.Im Übrigen: Für wen gelten diese Mindestlohnrege-lungen erst ab 2017? Ausgerechnet für die, die gewerk-schaftlich organisiert sind, weil Tarifverträge, in denenein Lohn unterhalb der Grenze von 8,50 Euro vereinbartwurde, bis 2017 weiter gelten sollen. Wissen Sie eigent-lich, was Sie hier machen? Ich weiß nicht, ob Ihnen dasbewusst ist. Sie stellen damit Gewerkschaftsmitgliederdeutlich schlechter als die anderen Beschäftigten. Fürdiese gilt der Mindestlohn. – Da brauchen Sie nicht mitdem Kopf zu schütteln. Lesen Sie doch einmal Ihren Ko-alitionsvertrag durch! Vielleicht hilft das in diesem Fall.Dann stellen Sie nämlich fest, dass für einen Teil der Be-schäftigten der Mindestlohn ab 2015 und für die anderenerst ab dem 1. Januar 2017 gelten soll.Das bedeutet: Eine ungelernte Verkäuferin im Flei-scherhandwerk in Sachsen-Anhalt erhält 5,53 Euro. Die-ser Lohn gilt weiter. Der Tariflohn im Gaststättenge-werbe im Saarland von 7,38 Euro gilt weiter. Wissen Sieeigentlich, was Sie da machen? Wissen Sie wirklich, wasSie da tun? Ich glaube das nicht.
Die CDU hat sich in dieser Frage möglicherweisedurchgesetzt. Dabei tun Sie immer so, als ob Sie die Ta-rifautonomie retten wollten. Wenn Sie Gewerkschafts-mitglieder schlechterstellen als die übrigen Beschäftig-ten, dann retten Sie nicht die Tarifautonomie. Siegefährden sie! Das ist das, was Sie wirklich wollen,meine Damen und Herren.
Eine weitere Formulierung lässt den Schluss zu, dassSie im Übrigen Saisonarbeiter von einem Mindestlohngenerell ausnehmen wollen. Es heißt im Grundgesetz:„Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Dort stehtnichts von der Würde des Deutschen.
Auch für ungarische, polnische oder sonstige Saisonar-beiter gilt das Grundgesetz. Von einem Lohn muss mananständig leben können. Unmöglich, was Sie da verein-bart haben.Und: Erst ab 1. Januar 2018 planen Sie eine erste Er-höhung der Mindestlöhne. Das bedeutet, dass der Min-destlohn von 8,50 Euro durch die Preissteigerung dannvielleicht nur noch 8 Euro wert ist. Damit erreichen Sienoch nicht einmal das, was Sie wirklich wollen, nämlichdass die Leute mit einer Arbeit nicht mehr aufstockenmüssen. Viele werden zu diesem Zeitpunkt wieder zuAufstockern werden, weil ihr Geld nicht reicht.Meine Damen und Herren, was als sozialdemokrati-sches Vorzeigeprojekt geplant war, ist ein purer Etiket-tenschwindel.
Herr Kollege.
Ich bin sofort fertig.
Herr Kollege Ernst, ich wollte Sie nur fragen, ob Sie
eine Zwischenfrage zulassen. Ich wollte nicht Ihre Rede-
zeit beschneiden.
Das finde ich sehr nett von Ihnen. Gerne lasse ich die
Zwischenfrage zu. Wer möchte mir denn eine Zwischen-
frage stellen?
Herr Abgeordneter Ernst, ich will in Ihre Begründunghinein nur zu meiner Vergewisserung die Frage stellen:Würden Sie mit diesem Gesetzentwurf tatsächlich wis-sentlich das Risiko eingehen, dass Sie eine ganze Reihevon jungen Unternehmern und Dienstleistern in struktur-schwachen Gebieten – ich weiß, wovon ich rede – in dieInsolvenz treiben oder zur Aufgabe ihres Unternehmenszwingen? Würden Sie gleichzeitig, da Sie immer für die
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 165
Martin Patzelt
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Arbeitnehmer eintreten, eine ganze Reihe, Hunderte, javielleicht Tausende Arbeitnehmer, die zumindest einenTeil ihres Lebensunterhaltes selber bestreiten und auchbestreiten wollen, dann in die völlige Abhängigkeit vonSozialtransfers schicken?
Herr Kollege Patzelt, danke für die Frage. Selbstver-
ständlich wollen wir eines nicht, dass tatsächlich abhän-
gig Beschäftigte durch die Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns ihren Job verlieren. Es gibt keine einzige
Studie in dieser Republik oder in Europa, die den Zu-
sammenhang herstellt, dass mit der Einführung eines
Mindestlohns Arbeitsplätze verloren gehen. Keine ein-
zige Studie!
Herr Kollege, Sie haben es wahrscheinlich nicht mit-
bekommen: Wir waren im letzten Jahr mit dem Aus-
schuss für Arbeit und Soziales in Österreich.
Dort gibt es einen faktischen Mindestlohn von 8,50
Euro. Die Arbeitslosigkeit, insbesondere auch die Ju-
gendarbeitslosigkeit, hat in Österreich dasselbe niedrige
Niveau wie hier, trotz eines faktischen Mindestlohns von
8,50 Euro. Es gibt also keinen Zusammenhang zwischen
der Höhe des Mindestlohns und der Beschäftigung. Im
Gegenteil, es gibt einen Zusammenhang, dass durch
mehr Kaufkraft bei den Beschäftigten, die gegenwärtig 4
oder 5 Euro verdienen, die Nachfrage steigen könnte,
was insbesondere dem Mittelstand und kleineren und
mittleren Unternehmen zugutekäme. Das ist der Zusam-
menhang. Ich hoffe, dass Sie sich den einmal wirklich
vor Augen führen.
Danke schön. Sie dürfen sich setzen.
Wollen Sie eine Zusatzfrage stellen?
Wenn Ihre Argumente stimmen: Warum wollen Sie
das Ganze jetzt mit einer Hauruckaktion durchziehen,
anstatt die Vereinbarung zwischen den Koalitionären ab-
zuwarten und dann in einem kontrollierten Zeitraum mit
abgefederten Folgen zu diesem Ziel zu kommen?
Auch das ist eine schöne Frage. Weil wir seit vier Jah-
ren, wenn nicht noch länger, in diesem Haus über die
Mindestlöhne diskutieren. Weil inzwischen in ganz Eu-
ropa um uns herum Mindestlöhne eingeführt worden
sind – teilweise fast 10 Euro; in Frankreich sind es über
9 Euro – und weil die Leute es endlich satt haben, dass
sie mit Billigstlöhnen abgespeist werden, von denen man
nicht leben kann. Deshalb ist es Zeit, dass wir das end-
lich beenden.
Zum Schluss, meine Damen und Herren – das sage
ich insbesondere der SPD –: Sie haben jetzt die Möglich-
keit, vor Ihren Wählern nicht das Gesicht zu verlieren.
Sie haben die Möglichkeit, Ihre Mitglieder mit dem, was
Sie vereinbart haben, nicht in Verzweiflung zu treiben,
und Sie haben vor allem die Möglichkeit, den Frauen
und Männern, die offensichtlich bis zur nächsten Bun-
destagswahl 2017 warten müssen, bis sie einen vernünf-
tigen Mindestlohn kriegen, jetzt vernünftige Löhne zu
verschaffen. Das ist wichtiger als Ministerämter im
Bündnis mit falschen Partnern und gegen Ihre Überzeu-
gung zu stimmen.
Danke fürs Zuhören.
Nächster Redner für die Fraktion von CDU/CSU ist
der Kollege Karl Schiewerling.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Herr Kollege Ernst, das warjetzt erhellend: Ihnen geht es um Mehrheit, uns geht esum Menschen.
Uns geht es darum, dass wir sachgerechte Lösungenfinden. Denn in der Frage des Mindestlohns und derFrage der Gestaltung des Arbeitsmarktes geht es nichtnur um theoretische Lösungen, sondern in der Tat auchdarum, wie was wirkt. Der neue Kollege aus Frankfurt/Oder hat seine Situation geschildert, die er offensichtlichtagtäglich in den neuen Ländern erlebt.Wenn Sie mit Mindestlöhnen aus dem europäischenAusland kommen: Natürlich haben wir in Österreich ei-nen Mindestlohn – von Tarifpartnern gefunden. Natür-lich haben wir in Frankreich einen Mindestlohn – mit derKonsequenz, dass die Jugendarbeitslosigkeit gestiegenist. Natürlich haben wir in Bulgarien einen Mindestlohn.Er liegt, glaube ich, jetzt bei 98 Cent. Natürlich habenwir in den USA einen Mindestlohn. Er liegt bei4,20 Dollar oder so.
Sie dürfen nicht ständig Birnen mit Äpfeln vergleichen.Ihr ganzes Ansinnen heute dient dazu, die SPD vorzu-führen, um sie dazu zu bringen, sich hier sozusagen zuentblößen. Das ist Ihr Interesse.
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166 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Karl Schiewerling
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Wenn es Ihnen wirklich um die Sache ginge, dann wür-den Sie mit anderen Argumenten kommen.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, einer dergroßen geistigen Väter der sozialen Marktwirtschaft,Professor Dr. Müller-Armack, lange Zeit, nämlich13
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Esist marktwirtschaftlich durchaus unproblematisch, einenMindestlohn einzuführen, solange der Gleichgewichts-lohn nicht gestört wird. Das ist volkswirtschaftlich sau-ber. Wer stellt aber den Gleichgewichtslohn fest? Gleich-gewichtslohn heißt, dass der Lohn nicht höher ist als dieProduktivität. Wer stellt das fest? Der Deutsche Bundes-tag?Deswegen hat sich in Deutschland die Tarifautonomieentwickelt, und deswegen haben Tarifpartner sich zu-sammengetan, weil sie sagen: Wir kennen unsere Bran-che. Wir wissen genau, wie die Produktivität aussieht.Wir wissen genau, wie sich die Dinge entwickeln. – Dasist der Grund gewesen, warum sich die CDU in diesemWahlkampf und in ihrem Wahlprogramm sehr deutlichfür Mindestlöhne eingesetzt hat, und zwar für tariflicheMindestlöhne, in Kenntnis dessen, dass die Marktzusam-menhänge so sind, wie sie sind.Meine sehr verehrten Damen und Herren von denLinken, wenn ich mir Ihr Programm ansehe und es damitvergleiche, was wir in unserem Wahlprogramm mit un-serem Mindestlohnkonzept und der Stärkung der Tarif-autonomie durch die erleichterte Erstreckung der Allge-meinverbindlicherklärung, durch die Erweiterung desArbeitnehmer-Entsendegesetzes für alle Branchen undandere Dinge mehr gefordert haben, will ich Ihnen sagen– das tut Ihnen vielleicht weh –: Wir haben für unserProgramm 41,5 Prozent Zustimmung der Bevölkerungbekommen, und Sie sind unter 10 Prozent gesackt.
Deswegen rate ich Ihnen sehr dringend, sich bei all denForderungen, die Sie hier äußern, zu fragen, ob Sie wirk-lich die Menschen erreichen und ihre Gefühlslage ge-troffen haben.
In der Tat, meine Damen und Herren: Wir haben inDeutschland in zwölf Branchen Mindestlöhne nach demEntsendegesetz – übrigens alle unter CDU-Kanzler-schaft eingeführt – sowie im Bereich der Zeitarbeit, undwir wollen nach dem Koalitionsvertrag noch weiterenBranchen den Weg über das Entsendegesetz öffnen, da-mit sie auf diesem Weg konform mit den Tarifpartnernzu entsprechenden Lösungen kommen.Wir haben gemeinsam mit der SPD im vorliegendenKoalitionsvertrag in der Tat vereinbart – jeder weiß, dasswir keine Freunde dieser Lösung sind; aber Koalitions-vertrag ist Koalitionsvertrag –, dass es ab dem Jahre2015 einen Mindestlohn gibt. Ab dem Jahre 2015 des-wegen, weil sich beispielsweise Regionen und Branchendarauf einstellen müssen. Ich will Ihnen einmal ganzdeutlich vor Augen führen, warum wir das so machen.Heute hat Spiegel Online die Nachricht verbreitet – ichbitte um Genehmigung, das kurz zu zitieren –:Ausgerechnet die „taz“ hat gerade erklärt, dass sieweder Mindestlohn für Volontäre noch Tarifgehaltfür ihre Redakteure zahlen kann. Wie verträgt sichdas mit dem Koalitionsvertrag?So fragt man sich dort: Wie sollen wir das hinbekom-men, wenn die Volontäre bei uns zukünftig 8,50 Eurostatt 5,50 Euro bekommen sollen?Sehen Sie, auch wir sind für gerechte Löhne. Deswe-gen haben wir mit unserem zukünftigen Koalitionspart-ner vereinbart, den Mindestlohn in Stufen einzuführen,sodass sich Branchen wie die oben genannte darauf ein-stellen können. Ich halte das für weitsichtig, für klug undfür ein gutes Ergebnis der Koalitionsgespräche, in denenmühsam darum gerungen wurde – das gestehe ich ein –,wir aber am Schluss zu einem fairen Ergebnis gekom-men sind, mit dem man leben kann. Das legt ganz nachMüller-Armack die Grundlage, dass die Menschen nichthinten herunterfallen, die letztlich davon leben müssen.
Lassen Sie mich auf einen weiteren Irrtum hinweisen,den Sie, Herr Ernst, hier vorgetragen haben. Sie habenbehauptet, man könne mit einem Mindestlohn die Auf-stocker tatsächlich davor bewahren, in Zukunft auf So-zialhilfe angewiesen zu sein. Das ist purer Unfug. Wennein Aufstocker als Alleinverdiener 8,50 Euro Mindest-lohn bekommt und drei Kinder zu versorgen hat, wird erweiterhin auf aufstockende Leistungen angewiesen sein.Sie glauben doch nicht im Ernst, allein über den Min-destlohn diese Probleme zu lösen. Die Regelung betref-fend die Grundsicherung für Arbeitsuchende sieht vor,dass die Regelsätze und die Bedarfssätze so angepasstwerden, dass beispielsweise die Inflation ausgeglichenwird und die Lebenshaltungskosten berücksichtigt wer-den. Wenn jemand wenig verdient und viele Kinder hat,wird er auch in Zukunft auf aufstockende Leistungen an-gewiesen sein. Ich sage Ihnen: Es ist nicht ehrenrührig,wenn der Staat den Familien hilft, in denen Vollzeit gear-beitet, Mindestlohn bezogen wird bzw. eine entspre-chende tarifliche Absicherung vorliegt, das Geld abertrotzdem nicht reicht, im Rahmen ihrer Möglichkeitenihre finanziellen Ausgaben zu bestreiten.Ich glaube, dass wir im Hinblick auf die Zukunft ins-gesamt gut aufgestellt sind und dass wir mit dem vorlie-genden Koalitionsvertrag in diesem Punkt eine gute Ent-scheidung getroffen haben, und zwar hinsichtlich derGesamtheit der entsprechenden Regelungen. Dazu ge-hört, dass wir den Abschluss von Allgemeinverbindlich-erklärungen erleichtern wollen. Das heißt, das 50-Pro-zent-Quorum wird wegfallen. Stattdessen muss dieAllgemeinverbindlicherklärung im öffentlichen Inte-
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Karl Schiewerling
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resse geboten erscheinen. All das ist vernünftig ausge-handelt und passt zueinander.Die eigentliche Botschaft lautet: Wir wollen denMenschen helfen und dafür sorgen, dass es fair zugeht,als auch die Tarifpartnerschaft stärken. Das ist die ei-gentliche Überschrift. Dafür stehen wir ein. Ich halte dasfür den richtigen Weg.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Schönen guten Abend
von meiner Seite aus. Ich wünsche uns zwei angenehme
Stunden.
Die nächste Rednerin ist Andrea Nahles von der SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ab 1. Januar 2015 gilt in Deutschland ein gesetzlicher
Mindestlohn von 8,50 Euro.
Damit verbessern wir sofort und auf einen Schlag das
Leben von Millionen Menschen. Zurzeit haben 6,9 Mil-
lionen Menschen einen Stundenlohn von weniger als
8,50 Euro. Wir haben als SPD zusammen mit den Ge-
werkschaften und vielen anderen jahrelang für die Ein-
führung eines Mindestlohns gestritten. Ich bin sehr
glücklich, dass wir das jetzt durchgekämpft haben und
dass nun der Mindestlohn kommt.
Wenn wir von einem Mindestlohn reden, dann mei-
nen wir damit einen gesetzlich festgelegten Mindest-
lohn, der dynamisiert wird. Wir haben dafür eine Min-
destlohnkommission geschaffen. Dann reden wir davon,
dass er flächendeckend gilt, für alle Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmer. Damit sind junge Menschen in Aus-
bildung nicht gemeint, um auch das zu sagen. Die sind
nämlich in einem Ausbildungsverhältnis. Dann reden
wir davon, dass es keinen Unterschied zwischen West
und Ost gibt, was uns sehr wichtig gewesen ist. Und
dann reden wir davon, dass wir tatsächlich keine Aus-
nahmen zulassen; das heißt, er gilt auch für Minijobber
und andere. Das ist ein ganz entscheidender Punkt.
Wir haben aber – das hat Kollege Schiewerling richtig
dargestellt –
keine Veranlassung gesehen, in bestehende Tarifverträge
einzugreifen. Es gibt zurzeit noch 41 Tarifverträge in
Deutschland, die Tariflöhne unter 8,50 Euro vorsehen.
Wir wollten jetzt nicht in das, was die Tarifpartner mitei-
nander ausgehandelt haben, hineingrätschen. In vielen
dieser Tarifverträge wurden ja übrigens auch Stufen ver-
abredet, sodass die Löhne irgendwann, manche erst ab
2016, bei 8,50 Euro landen werden. Diese Tarifverträge
sollen also die Chance haben, fortzubestehen. Wohlge-
merkt, es gilt aber auch hier: Ab 31. Dezember 2016
gilt überall, auch da, ein Mindestlohn von 8,50 Euro.
Frau Kollegin Nahles, sind Sie bereit, eine Zwischen-
frage zuzulassen?
Nein, momentan nicht. Ich möchte jetzt weiter aus-
führen.
Herr Schlecht, dann wird nichts daraus.
Darüber hinaus lassen wir auch zu, dass noch neueTarifverträge geschlossen werden. Warum auch nicht?Wir reden hier über Branchen und Regionen, in denenwir Tarifvertragswüsten haben, in denen die tarifvertrag-liche Abdeckung weniger als 40 Prozent beträgt. Warumsollten wir den Gewerkschaften jetzt nicht die Möglich-keit geben, neue Tarifverträge auszuhandeln, die zu-nächst weniger als 8,50 Euro vorsehen?
Es ist doch geradezu verrückt, daraus ein Problem zumachen. Das hat auch Michael Sommer, der das gesternkommentiert hat, klar gesagt – ich zitiere –: Wir sind be-reit, in diese Verhandlungen hereinzugehen, um man-chen Branchen zu ermöglichen, in den Mindestlohn hin-einzuwachsen. – Herr Ernst, Sie haben das eben alsgroßes Problem für die Gewerkschaften dargestellt. Dieaber wollen das und haben genau diese tarifliche Ausge-staltung gewünscht. Deswegen kann ich mir nicht vor-stellen, dass das eine Regelung gegen die Gewerkschaf-ten ist. Nein, im Gegenteil, es ist eine Regelung mit denGewerkschaften, die wir uns vorgenommen haben.
Wir müssen aber auch wirksame Kontrollen durchset-zen. Es darf uns nicht passieren, dass durch die Einfüh-rung von Mindestlöhnen Wettbewerbsverzerrungen ent-stehen, weil der eine Unternehmer sie zahlt, der andereaber nicht. Da haben wir eine ordnungspolitische Auf-gabe vor uns. Das heißt auch, dass wir den Zoll, der da-für zuständig ist, entsprechend personell ausstatten müs-sen.Wir müssen vor allem auch sicherstellen – das ist einewichtige Sache –, dass wir die Branchen, die sich dasmomentan noch nicht vorstellen können und Problemesehen, in den Dialog integrieren. Wir haben nur gesagt:Wir wollen mit den Branchen, in denen es Anpassungs-schwierigkeiten gibt, für die wir Übergangsregelungenbrauchen, ins Gespräch kommen und Lösungen suchen;denn das Ziel muss doch sein, dass es nachher funktio-niert, und zwar so, dass alle gut damit leben können und
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168 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Andrea Nahles
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es den Menschen nutzt. Das ist der Anspruch, den wir indiesem Koalitionsvertrag niedergelegt haben. Das wer-den wir auch hinbekommen. Da bin ich sehr sicher.
Es ist ja schön, Herr Ernst, dass Sie Ihre Spielchenspielen und Gesetzentwürfe einbringen. Damit sind Sievon Ihrer Forderung nach einem Mindestlohn von10 Euro ja sogar ohne Verhandlungen abgerückt. Sieschlagen ja in Ihrem Gesetzentwurf heute 8,50 Euro vor.Das finden wir klasse. Wir waren schon immer der Mei-nung, dass das eine vernünftige Lösung ist.
Wir vor allem haben kein Problem damit, dass das einKompromiss ist. Das ist nämlich etwas, was dazugehört,wenn man in einer Demokratie Mehrheiten bildet.
Das ist nichts, was mich belastet; das ist etwas, was ganznormal ist. Kompromiss bedeutet, dass man aufeinanderzugeht. Aber das Entscheidende ist: Es ist ein guterKompromiss geworden, vor allem für die Menschen inDeutschland. Das ist der entscheidende Punkt.
Ich möchte Ihnen sagen – das ist mir vor allem wich-tig –, dass wir nicht nur den Mindestlohn regeln, sonderndass wir ein Gesamtpaket schnüren. Eine so deutlicheErleichterung der Allgemeinverbindlicherklärung, wiewir es uns hier vorgenommen haben, bedeutet, dass inZukunft viele ganz normale Arbeitnehmer in Deutsch-land vielleicht wieder Weihnachtsgeld bekommen,30 statt 24 Urlaubstage haben. Bisher ist es so, dass Ar-beitnehmer da, wo es keine Tarifverträge gibt, das nichthaben. Wenn wir die Möglichkeit der Allgemeinverbind-licherklärung verbessern, dann tun wir auch für ganzviele Arbeitnehmer etwas, die mehr als den Mindestlohnverdienen. Wir wollen aber, dass es auch denen am Endebesser geht.
Es kann nicht in unserem Interesse sein, dass die Ta-rifpartnerschaft in Deutschland immer mehr unterhöhltund zum Flickenteppich wird. Warum? Gerade in derKrise, die wir vor einigen Jahren erlebt haben, hat sichdie Tarifpartnerschaft als Stabilitätsfaktor und Stärke un-seres Landes erwiesen. Die Vorschläge, die wir hier erar-beitet haben, werden einen riesigen Beitrag zur Fortset-zung dieser Entwicklung leisten.Es wird ja öffentlich kritisiert, die Große Koalitionstehe für viel Klein-Klein.
Mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns von8,50 Euro haben wir aber einen Durchbruch geschafft.Wenn das kein Meilenstein ist, dann frage ich mich: Wasist sonst ein Meilenstein?
Vielen Dank.
Danke, Frau Kollegin. – Ich erteile das Wort dem
Kollegen Klaus Ernst zu einer Kurzintervention. Andrea
Nahles, Sie haben anschließend die Möglichkeit, zu er-
widern.
Frau Nahles, ich habe den Eindruck, Ihr Beitragorientierte sich an dem Lied, das Sie hier einmal gesun-gen haben: „Ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.“
Ich möchte Sie darauf hinweisen, warum es in einigenBereichen tatsächlich so schlechte Tarifverträge, die Siejetzt auch noch fortschreiben wollen, gibt. Die Ursachedafür ist, dass Gewerkschaften dort noch Arbeitgebergefunden haben, die bereit waren, oft äußerst schlechteTarifverträge abzuschließen, um zumindest nochschlechtere Löhne zu verhindern. Die Gewerkschaftenhaben nie Tariflöhne in dieser Höhe gewollt. Kaum ein-mal kam in den Löhnen in diesen Bereichen die Leis-tungsfähigkeit, das Engagement der Beschäftigten zumAusdruck.Jetzt habe ich eine Frage an Sie. Wie wollen Sie es ei-gentlich jemandem erklären, dass für einen Beschäftig-ten, der in keiner Gewerkschaft und nicht tarifgebundenist, ab 1. Januar 2015 der Mindestlohn gilt, während erselber, der in einem anderen Betrieb der gleichen Bran-che, der womöglich auf der anderen Straßenseite liegtund in dem ein Tarifvertrag gilt, arbeitet, weniger Lohnbekommt, da die Neuregelung des Mindestlohns für ihnerst zwei Jahre später gilt?
– „Na und?“ Wenn das für Sie, Herr Kollege, kein Pro-blem ist, dann müssten Sie wirklich einmal über Ihr Ver-hältnis zu den Gewerkschaften nachdenken.Im Ergebnis stellen Sie mit Ihrer Politik – ich bleibedabei – die Gewerkschaften schlechter. Wenn Sie Ge-werkschaftsmitglieder schlechterstellen als diejenigen,die nicht in einer Gewerkschaft sind, für die also keinTarifvertrag gilt, dann ist das keine Beförderung, son-dern eine Gefährdung der Tarifautonomie.Ich möchte, bitte schön, wissen, wie Sie das beschrie-bene Dilemma auflösen wollen? Was wollen Sie denndem Arbeitnehmer sagen, der dieselbe Arbeit wie ein
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 169
Klaus Ernst
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Kollege macht, aber durch Ihre Regelung ab 2015 weni-ger verdient?
Frau Nahles, zur Erwiderung, bitte.
Herr Ernst, erstens möchte ich, bevor hier Gerüchte
aufkommen, einmal klarstellen: Durch diese Regelung
wird niemand weniger als vorher verdienen.
Das Gegenteil ist der Fall.
Zweitens. Ich möchte Ihnen sagen, dass wir ausdrück-
lich festgehalten haben, dass es um Verabredungen mit
repräsentativen Tarifpartnern geht. Wir haben unsere Er-
fahrungen mit der Leiharbeit gemacht, als nicht reprä-
sentative Gewerkschaften Dumpingtarife ausgehandelt
haben. Dass das nicht mehr möglich ist, werden wir mit
dieser Regelung klarstellen.
Drittens. Die Unternehmen konnten gegenüber den
Gewerkschaften oft deshalb schlechtere Löhne durch-
drücken, weil es in ganzen Regionen überhaupt keine
Tarifstrukturen mehr gibt. Das ist vor allem in Ost-
deutschland der Fall. Wenn wir das strukturell verbes-
sern können, dann haben die Arbeitnehmer auf Dauer et-
was von dieser Regelung.
Als Letztes möchte ich Ihnen sagen, dass wir ganz si-
cher sind, dass wir es schaffen werden, die von mir hier
bereits dargestellte Möglichkeit zur einfacheren All-
gemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen auch
schnell durchzusetzen.
Was wir da machen, das muss man zusammendenken.
Sie picken sich einen Punkt heraus. Es gibt aber ein Ge-
samtpaket. In der Kombination ist so eine deutliche Ver-
besserung da.
Im Übrigen: Letzter Termin ist der 31. Dezember
2016, Herr Ernst.
Dann gilt das Günstigkeitsprinzip für alle bestehenden
Tarifverträge, und dann haben wir einen Mindestlohn
von 8,50 Euro überall.
Das ist der Zusammenhang. Ich bitte Sie, das zur Kennt-
nis zu nehmen.
Vielen Dank. – Das Wort als nächste Rednerin hat
Brigitte Pothmer von Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin, vielleicht darf ich zunächst sagen:
Ich freue mich, dass ich unter Ihrer Amtsführung, –
Ich hoffe, das bleibt so.
– unter Ihrer großzügigen Amtsführung, von der ich
auch zu profitieren hoffe,
heute hier meine Rede halten darf.
Das wird Ihnen nicht auf die Redezeit angerechnet.
Ich will jetzt ganz deutlich sagen, Herr Ernst: Ichhalte es für einen großen gesellschaftlichen Fortschritt,dass es zukünftig auch in Deutschland einen flächende-ckenden Mindestlohn geben soll.
Ich halte es im Übrigen auch für einen Fortschritt – dassage ich einmal zur rechten Seite des Hauses –, dass esinzwischen offensichtlich doch Einigkeit darüber gibt,dass der Mindestlohn nicht der Untergang des Abend-lands ist, sondern ein sinnvolles Instrument, um Lohndum-ping und Armutslöhne zu bekämpfen.
Aber, liebe Frau Nahles, ich habe mir den Koalitions-vertrag zu dem Thema natürlich sehr genau angesehen.Ich gebe zu: Da war eine ganze Menge Ernüchterung da-bei. – Sie können nicht wegreden: Mindestens bei derEinführung des Mindestlohns haben Sie ein Zweiklas-sensystem. Für die einen gilt: Der Mindestlohn tritt 2015in Kraft. Ich will an dieser Stelle sehr deutlich sagen: Ichhalte es für notwendig, dass es eine Übergangsphasegibt; natürlich kann man einen Mindestlohn nicht vonheute auf morgen einführen. Aber warum soll das, wasfür die einen Betriebe möglich ist, sich nämlich bis 2015darauf einzustellen, für die anderen nicht möglich sein?
Frau Nahles, Sie werden gefragt werden. Wie wollenSie es zum Beispiel den Beschäftigten des Wach- undSicherheitsgewerbes, die nach einem repräsentativen Ta-rifvertrag 7,50 Euro verdienen, den Wäschereibeschäf-tigten, den Floristinnen, den Gärtnerinnen und den Tank-
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170 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Brigitte Pothmer
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warten erklären, dass sie noch zwei weitere Jahre fürDumpinglöhne arbeiten müssen? Ausgerechnet die – dahat Herr Ernst doch vollkommen recht –, die gewerk-schaftlich organisiert sind, deren Betriebe sich unter demDach der Tarifvereinigung befinden, werden jetzt be-straft. Das ist ein Problem. Das können Sie nicht vomTisch wischen.
Das ist keine Petitesse. Es ist auch keine kleine Gruppe.Es sind ungefähr 1 Million Menschen betroffen.Ich glaube nicht, Herr Schiewerling, dass Sie mit die-sem Konzept Tarifverträge attraktiver machen. Wenn dieBeschäftigten, die unter einen Tarifvertrag fallen, erle-ben, dass sie weniger verdienen als die, die in den soge-nannten weißen Flecken arbeiten, dann macht es dasnicht attraktiver, sich in diesem Bereich zu engagieren.
Einen weiteren Punkt finde ich problematisch. Siefrieren den Mindestlohn für vier Jahre ein.
– Genau. – Was heißt das denn konkret? Das heißt, dassder Mindestlohn 2018 real eigentlich nur noch 7,50 Eurobeträgt. 2018 haben wir, was den realen Wert angeht, ei-nen Mindestlohn von 7,50 Euro. Damit machen Sie aberIhre eigene Argumentation kaputt. Sie haben gesagt,8,50 Euro brauchen wir mindestens, damit ein alleinste-hender Vollzeitbeschäftigter von seinem Lohn lebenkann, ohne dass er zusätzlich Hartz IV bekommt. WennSie den Mindestlohn so einfrieren, dann schicken Sie da-mit 2018 alle wieder in die Jobcenter. Das ist ein Pro-blem.
Ich finde im Übrigen auch, dass Sie mit der Konstruk-tion der Mindestlohnkommission einen Riesenfehler be-gehen. Sie degradieren die Wissenschaftlerinnen undWissenschaftler, die in dieser Kommission mitarbeitensollen, zu stimmlosen Beratern. Das hat mit der Low PayCommission, die es in England gibt und die für denMindestlohn eine sehr große Akzeptanz geschaffen hat –auch im Arbeitgeberlager –, überhaupt nichts mehr zutun.
Wenn Sie die Mindestlohnkommission so lassen, wieSie sie konzipiert haben, dann prognostiziere ich Ihnen,dass es zu den alten Grabenkämpfen zwischen Arbeitge-berlager und Gewerkschaften kommt, wie wir sie jetztim Tarifausschuss haben. Das wird zum Stillstand füh-ren. Das wird uns nicht weiterbringen. Deswegen müs-sen wir etwas tun. Sie verpfuschen mit diesem Konzeptdie Mindestlohnkommission. Das ist ein großer Fehler.
Jetzt hoffe ich auf das Gesetzgebungsverfahren. Ichhoffe, dass wir in diesem Gesetzgebungsverfahren tat-sächlich die Chance erhalten, unsere guten, nachvoll-ziehbaren und sachlichen Argumente einzubringen, Siedamit zu überzeugen. Ich verspreche Ihnen: Wenn es umeinen guten Mindestlohn geht, dann machen wir jeder-zeit Überstunden.Ich danke Ihnen.
Danke, Frau Kollegin, liebe Brigitte Pothmer. – Als
nächster Redner hat das Wort Dr. Matthias Zimmer,
CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich ge-stehe, ich war sehr gespannt darauf, wie sich die Linke,diese Erben der geistigen Tradition eines Karl Marx, nunals stärkste Oppositionskraft im Deutschen Bundestagaufstellen würde. Würden wir intellektuelle Feuerwerkezu erwarten haben, tiefsinnige Einwände gegen einePolitik der Großen Koalition – dialektisch geschult –,zukunftsweisende Alternativvorschläge?
Als ich den Entwurf eines Gesetzes zur Einführungeines Mindestlohns in die Hand nahm, war ich danndoch etwas enttäuscht. Es ist eins zu eins der Gesetzent-wurf der SPD aus der letzten Legislaturperiode,
also ein reines Plagiat. Nun ist ein Plagiat häufig ja auchAusdruck einer besonderen Verehrung,
aber hier hatte ich eher den Eindruck: Es ist der Versuch,parlamentarische Spielchen zu treiben, wie ich sie imDeutschen Bundestag nicht vermutet hätte.
Und so drängt sich angesichts Ihrer Spielchen doch derVerdacht auf: Die einreichende Fraktion ist weniger inder intellektuellen Tradition von Karl Marx als in derSlapsticktradition von Groucho Marx.
Ich finde es schade, wie Sie dieses Thema missbrauchen.Das haben die Menschen, die auf Mindestlöhne ange-wiesen sind, nicht verdient.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 171
Dr. Matthias Zimmer
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Meine Damen und Herren, das Thema Mindestlohnhat uns in der letzten Legislaturperiode sehr beschäftigt.Ich darf an dieser Stelle an den verstorbenen KollegenOttmar Schreiner erinnern. Er hatte in einer seiner letz-ten Reden – auch zum Thema Mindestlohn – AdamSmith zitiert. Und Smith, dieser Stammvater des Kapita-lismus, hatte in seinem Buch über den Wohlstand derNationen – wohlgemerkt: den Wohlstand der Nationen,nicht den Reichtum Einzelner – den Begriff des gerech-ten Lohns geprägt. Smith hatte diesen definiert als einenLohn, den ein Arbeiter braucht, um sich und seine Fami-lie zu ernähren. Das Thema ist also schon über 200 Jahrealt.
Es ist im Übrigen auch in einer ganz ähnlichen Formu-lierung in der ersten großen Sozialenzyklika der katholi-schen Kirche von 1891 verwendet worden und seitherauch eines der Schmuckkästchen christlich-sozialer Tra-dition.Smith war zwar Ökonom, aber er war auch – daraufhat Ottmar Schreiner ebenfalls hingewiesen – Moralphi-losoph. Ihm war schon klar, dass der Markt kein Selbst-zweck ist, sondern dass er auf den Menschen bezogensein muss. Für Smith war deshalb klar: Der Mensch istMittelpunkt. Bei den modernen Ökonomen hat man bis-weilen den Eindruck: Der Mensch ist Mittel. Punkt! –Das kann und darf aber unser Anspruch in der Politiknicht sein.
Der Markt ist keine Naturgewalt, kein Schicksal. Erist, mit einem Wort von Werner Sombart, die Kulturleis-tung des Menschen zur Daseinsvorsorge. Weil es eineKulturleistung ist, muss der Markt auch geordnet werdenund die Werte widerspiegeln, die uns wichtig sind.
Ich sehe schon manchmal mit Sorge, wie normativblind die Vertreter der heutigen Volkswirtschaftslehresind. Unter dem Bild des Homo oeconomicus, einer imÜbrigen einzigen Beleidigung des Menschen, wird daPolitik beurteilt in einer Art und Weise, der das hörendeHerz völlig fehlt. Ich weiß beispielsweise nicht, woraufso mancher Ökonom seine Warnung gründet, ein Min-destlohn führe zum Abbau von Arbeitsplätzen.
Ich habe da zwei Einwände.Der erste Einwand ist ein moralischer. Professor Sinnhat einmal geschrieben, man müsse den Lohn nur weitgenug fallen lassen, dann bekomme jeder eine Arbeit.Das mag ökonomisch richtig sein. Es ist aber zynischund entspricht zumindest meinem Bild von einer Wirt-schaft in einer Demokratie nicht.
Der zweite Einwand ist ein ökonomischer. Ich kennekeine wissenschaftliche Studie – Herr Kollege Ernst, Siehatten das bereits in Ihrer Replik auf die Zwischenfrageerwähnt –, die einen Zusammenhang von Mindestlohnund Arbeitsplatzverlust schlüssig nachgewiesen hätte.Häufig ist sogar das Gegenteil der Fall. Deswegen rateich dazu, gerade an dieser Stelle den sogenannten öko-nomischen Sachverstand mit einer Prise Skepsis zu ge-nießen.
Meine Damen und Herren, ich bin froh, dass wir zumMindestlohn eine vernünftige Lösung gefunden haben,und ich wünsche mir, dass die intellektuelle Leistung derstärksten Oppositionspartei künftig in mehr bestehenmöge als in der Aneignung fremder Leistung.Danke schön.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Zimmer. – Als nächs-
ter Redner hat Hubertus Heil von der SPD das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin Claudia Roth! Meinesehr geehrten Damen und Herren! Sehr geehrte Damenund Herren von der Linkspartei, es mag ja Parteien indiesem Hause geben, die ohne ein gesundes Feindbildgegenüber politischen Mitbewerbern nicht durch denTag kommen. Ich finde, Ihre Rede und Ihre Art undWeise, wie Sie hier auftreten, entlarvt Sie selbst. Es gehtIhnen offensichtlich nicht mehr um die betroffenen Men-schen, für die wir den gesetzlichen Mindestlohn einfüh-ren, sondern es geht Ihnen darum, Ihr Profilchen zuschärfen. Das ist aber billig und hat mit der Sache nichtszu tun.
Das mag zum einen damit zu tun haben, dass es Ihnenmöglicherweise gefällt, Sozialdemokraten in Regie-rungsverantwortung wieder als Feindbild zu haben, unddass Sie so Ihre disparaten Truppen zusammenhaltenkönnen.Zum anderen mag das damit zu tun haben, Herr Ernst,dass Sie möglicherweise das Gefühl haben, dass Ihnenein Thema, was Sie nie wirklich richtig besetzt haben,ganz abhandenkommt, weil Sozialdemokraten nicht da-für sorgen, dass das in Resolutionen steht, sondern dasses für den Menschen auch in das Gesetz kommt.
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Hubertus Heil
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Ich möchte an dieser Stelle einmal sehr deutlich sa-gen: Die Mutter des Erfolgs ist meine Kollegin AndreaNahles. Liebe Andrea, ganz herzlichen Dank dafür.
Es ist der SPD unter der Leitung von Andrea Nahles ge-lungen, in der entsprechenden Arbeitsgruppe bei denKoalitionsverhandlungen dafür zu sorgen, dass zum1. Januar 2015 für Millionen von Menschen der gesetzli-che Mindestlohn endlich Realität wird. Um es deutlichzu sagen: Die kriegen mehr Geld. Sie tun ja gerade so,als würden sie weniger Geld bekommen. Das können Siean dieser Stelle doch einmal anerkennen und sollten esnicht schlechtreden, wenn es Ihnen wirklich um dieMenschen geht.
Zweitens. Ja, es gibt bis 2017 Übergangsregelungen.Wenn man allerdings genau in den Entwurf der Koali-tionsvereinbarung schaut, erkennt man, dass dies nichtdie Folgen hat, die Sie hier beschrieben haben. Sie habenbehauptet, dass der Mindestlohn dann beispielsweise fürganze Berufsgruppen nicht gelten wird. Das stimmtnicht. Auch Minijobber bekommen dann den Mindest-lohn.
Auch was die Saisonkräfte betrifft, sage ich Ihnen: Das,was Sie behaupten, stimmt nicht.Ich sage Ihnen etwas zu der Frage, wie es sich mitdenjenigen verhält, für die zwischen 2015 und dem31. Dezember 2016 tatsächlich noch abweichende Rege-lungen gelten: Das sind Menschen, bei denen es dieChance gibt, die Tarifbindung – gerade in Ostdeutsch-land – zu stärken.
Herr Ernst, Sie und ich sind Mitglied einer Gewerk-schaft, der IG Metall. Ich frage Sie an dieser Stelle:Wundern Sie sich nicht zumindest darüber, dass HartmutMeine, den wir beide gut kennen, den Mitgliedern mei-ner Partei bei dem anstehenden Mitgliedervotum eineZustimmung empfiehlt, gerade aus dem Grund, dass wir,ausdrücklich im Interesse der arbeitenden Menschen indiesem Land, die Tarifbindung mit dem Gesamtpaket– mit dieser Regelung zum gesetzlichen Mindestlohn,übrigens auch mit den Rentenregelungen – wieder stär-ken? Das tun übrigens die Vorsitzenden aller DGB-Ein-zelgewerkschaften. Wollen Sie die für bekloppt erklä-ren? Das frage ich an dieser Stelle einfach einmal unterKollegen.
Haben Sie das Gefühl, dass die Führungen der Gewerk-schaften keine Ahnung mehr von den arbeitenden Men-schen in diesem Land haben? Wollen Sie die Gewerk-schaftsbewegung in diesem Land diffamieren? Odergeht es Ihnen – das will ich Ihnen gar nicht unterstellen,weil Sie ein überzeugter Gewerkschafter sind – tatsäch-lich um das, was ich vorhin gesagt habe, nämlich darum,solch eine billige Aktion zu machen, die mit der Lebens-realität aber nichts zu tun hat?
Nachdem wir eben etwas über Philosophie gehört ha-ben, sage ich Ihnen: Es gibt einen Maßstab für gute Poli-tik, den Max Weber geprägt hat. Danach sind die dreiEigenschaften guter Politik die Bereitschaft, Verantwor-tung zu übernehmen – das tun wir mit dieser Regelung,für die Menschen, die sie brauchen –, eine leidenschaftli-che Überzeugung – in dieser Regelung steckt die sozial-demokratische Leidenschaft, dafür zu sorgen, dass Men-schen, die hart arbeiten, davon leben können, dieLeidenschaft, das Leben der Menschen konkret zu ver-bessern, die jetzt unter Armutslöhnen zu leiden haben –sowie das notwendige Augenmaß im politischen Han-deln. Augenmaß umfasst auch die Fähigkeit zu gutenKompromissen in der Demokratie.
Herr Kollege Ernst, ich spreche Ihnen eines nicht ab,nämlich dass Sie eine leidenschaftliche Überzeugung ha-ben; das ist auch in Ordnung. Was Ihnen fehlt, ist jedeFähigkeit zur Übernahme von Verantwortung und jedeFähigkeit, das richtige Augenmaß für einen politischenKompromiss zu finden. Das ist der Grund, warum Sie inder Opposition bleiben.
Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, die So-zialdemokraten haben Wort gehalten: Es wird den ge-setzlichen Mindestlohn geben. Wir sorgen dafür, dassMenschen, die hart arbeiten, von der Arbeit leben kön-nen. Wir sorgen dafür, dass vor allen Dingen eines indiesem Land wieder nach vorne kommt – denn unserZiel ist nicht, dass Menschen vom Mindestlohn lebenmüssen; unser Ziel ist, dass die Menschen wieder an-ständige Löhne bekommen –: Mit der Regelung, die wirgefunden haben, stärken wir die Tarifbindung, also das,was die soziale Marktwirtschaft in diesem Land einmalausgemacht hat, gerade auch in den Bereichen Ost-deutschlands, in denen sie nicht mehr Realität ist. Des-halb sage ich Ihnen: Wir sind stolz auf das, was wirdurchgesetzt haben.Herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege Hubertus Heil. – Ich gebe
Michael Schlecht von den Linken das Wort zu einer
Kurzintervention.
Herr Kollege Heil, ein Missverständnis muss manvielleicht gleich ausräumen: Ein Mindestlohn von8,50 Euro ist natürlich ein Fortschritt, auch wenn dieLinke meint, dass ein Mindestlohn von mindestens10 Euro, eher noch mehr – vor allen Dingen in der Zeit-
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 173
Michael Schlecht
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achse, die hier angedacht ist –, notwendig ist. – Ich sagedas nur, um diesen Punkt einmal klarzustellen.Viel wichtiger ist aber ein Punkt, auf den Sie jetztnicht eingegangen sind und den Frau Pothmer schon the-matisiert hat. Was sagen Sie eigentlich den MitgliedernIhrer Partei dazu, dass es zwar einen Mindestlohn von8,50 Euro zum 1. Januar 2015 geben wird, aber in derKoalitionsvereinbarung festgelegt ist, dass der Mindest-lohn von 8,50 Euro für mindestens drei Jahre festge-schrieben bleibt und möglichst erst Anfang 2018 korri-giert werden kann? Dabei ist vollkommen offen, wie derMechanismus ausgestaltet wird, der regelt, ob es dannwirklich einmal mehr wird. Was sagen Sie, wenn dasMitglied fragt, warum Sie sich darauf eingelassen haben,dass dort drei Jahre nichts passiert?Ich war 20 Jahre lang Tarifpolitiker. Ich hätte nie ei-nen Tarifabschluss getroffen, bei dem man sich für dreiJahre festlegt, und zwar im Lichte einer unabsehbarenInflation. Wenn Inflation stattfindet, dann sind die8,50 Euro im Jahr 2018 vermutlich nur noch so viel wertwie heute 7,50 Euro.Was sagen Sie Ihrem Mitglied, wenn es Sie fragt: Wa-rum trefft ihr diese Festlegung für drei Jahre, wenn esgleichzeitig im Deutschen Bundestag eine Mehrheit da-für gäbe, einen Mindestlohn von 8,50 Euro zum 1. Ja-nuar 2015 ohne eine derartige Festlegung zu vereinba-ren? Das ist doch wirklich ein großer Unterschied.
Hubertus Heil hat die Möglichkeit zu einer Antwort.
Lieber Kollege Schlecht, auch Sie waren und sind in
der Gewerkschaftsbewegung aktiv. Ich finde es ein biss-
chen schade, dass Sie nicht auf den Einwand eingegan-
gen sind, dass beispielsweise die Führung sämtlicher
Gewerkschaften des DGB unsere Vereinbarung unter-
stützt.
Aber ich will Ihre Frage beantworten. Sie haben mich
gefragt, was ich meinen Mitgliedern sagen würde. Ers-
tens. Da ich meine Mitglieder kenne – in der Sozialde-
mokratie sind verantwortliche Menschen –, weiß ich,
dass sie eines wissen: In Deutschland gibt es derzeit
1 Million Menschen, die weniger als 5 Euro in der
Stunde verdienen. Mit der Regelung, die wir gefunden
haben,
verbessern wir ab dem 1. Januar 2015 die Lebenssitua-
tion dieser Menschen auf einen Schlag. Darauf sind wir
Sozialdemokraten stolz.
Zweitens. Ja, diese Übergangszeit ist ein Kompro-
miss, und zwar, wie ich finde, kein fauler, sondern ein
angemessener. Wenn wir alleine auf der Welt wären,
würden wir das vielleicht anders machen, das sage ich
auch; aber der Kompromiss führt dazu, dass die Tarif-
bindung in unserem Land gestärkt wird.
Es stimmt übrigens schlicht und ergreifend nicht, dass
alle Tarifverträge bis zum 31. Dezember 2016 laufen; es
gibt auch einige, die vorher auslaufen. Wir bekommen
den Mindestlohn vor allen Dingen in den Bereichen, in
denen wir ihn dringend brauchen: in den weißen Flecken
nicht tarifgebundener Bereiche. Ich glaube – korrigiert
mich, liebe Kollegen –, in Ostdeutschland arbeiten mitt-
lerweile 40 Prozent der Beschäftigten in Bereichen, die
keine Tarifbindung mehr haben. Wir sorgen dafür, dass
auch sie zum 1. Januar 2015 auf einen Schlag den ge-
setzlichen Mindestlohn von 8,50 Euro bekommen.
Meine Antwort an Sie – Sie haben gefragt, wie meine
Mitglieder das finden – ist deshalb: Meine Mitglieder
wissen, dass wir das Leben von Millionen von Men-
schen zum 1. Januar 2015 konkret verbessern. Sie wis-
sen, dass ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn
kommt, dass es keine regionale Differenzierung mehr
gibt und dass ab 2017 für ganz Deutschland endgültig
der gesetzliche Mindestlohn von 8,50 Euro eingeführt
wird.
Frau Kollegin Pothmer, in diesem Zusammenhang
möchte ich darauf hinweisen: Die Low Pay Commission
wird dafür sorgen, dass die 8,50 Euro nicht das letzte
Wort sind, sondern dass es im Laufe der Geschichte na-
türlich Anpassungen geben wird. Auf diese Leistung für
die Menschen sind wir, wie gesagt, stolz.
Herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege. – Als letzten Redner in dieser
spannenden Debatte rufe ich Paul Lehrieder von der
CDU/CSU auf. Sie haben das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Mir ging es wie meinen Vorrednern. Als derGesetzentwurf der Linkspartei eingebracht wurde, warmir völlig klar: Wir diskutieren über einen Mindestlohnvon 10 Euro. Nichts anderes habe ich in den letzten Mo-naten hier in diesem Hohen Haus von Ihnen, Herr KlausErnst, und den Mitgliedern Ihrer Partei vernommen.Jetzt lese ich in Ihrem Gesetzentwurf in § 4:Der Mindestlohn beläuft sich auf mindestens8,50 Euro brutto …Sie haben bereits erklärt, dass Sie – Copy and Paste – ei-nen SPD-Antrag zugrunde gelegt haben. Aber bitteschön: Dann müssen Sie auch die Begründung überar-beiten.
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174 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Paul Lehrieder
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Im dritten Absatz Ihrer Begründung schreiben Sie:Besonders betroffen von Stundenlöhnen unter10 Euro sind in Deutschland Frauen.Wenn Sie also schon Anträge abschreiben, passen Siewenigstens die Begründung an; sonst sieht man, welcheLohnhöhe diese Leistung wert ist.
Sehr geehrte Damen und Herren, ich habe das Gefühl– Sie haben sich ja schon ein Stück weit entlarvt –, dasses Ihnen nicht um die Menschen in unserem Land geht.Ihnen haben Sie bis vor wenigen Wochen vorgegaukelt:Unter einem Stundenlohn von 10 Euro ist ein menschen-würdiges Leben nicht möglich. Jetzt kommen Sie, lieberKollege Klaus Ernst, und sagen: 8,50 Euro reichen auch.Das ist doch Trickserei. – Frau Präsidentin, Herr KollegeErnst will mir eine Frage stellen.
Wollen Sie antworten?
Ja, natürlich. Das ist abgesprochen, Frau Präsidentin;
ich räume es ein.
Ach, abgesprochen? Das könnten Sie mir ja vorher
sagen. Dann kann ich mich darauf einstellen. – Herr Kol-
lege Ernst, Sie haben also eine Frage.
Herr Kollege Lehrieder, ich wollte nur darauf hinwei-
sen: 8,50 Euro kommt vor 10 Euro.
So weit kann ich auch rechnen.
Ja, zur Volksschule müsste er vielleicht noch einmal
gehen, dann würde er auch merken, dass es bei der Rente
anders ist.
Meine Damen und Herren, ich will noch einmal da-
rauf hinweisen: 8,50 Euro ist eine Höhe, mit der gegen-
wärtig alle Parteien hier im Deutschen Bundestag ein-
verstanden sind; letztendlich haben alle im Bundesrat
einen entsprechenden Antrag gestellt, auch mit Zustim-
mung unserer Partei, die, wie Sie wissen, Regierungs-
partei in Brandenburg ist. Das bedeutet, wir hätten für
diesen Gesetzentwurf eine Mehrheit, wenn sich jede Par-
tei an das halten würde, was sie bei der Bundestagswahl
gesagt hat, und an das, wofür sie selber im Bundesrat ge-
stimmt hat.
Können Sie mir folgen, wenn ich sage, dass es aus
Sicht eines Menschen, der einen Mindestlohn von
10 Euro für richtiger hält, durchaus akzeptabel ist,
8,50 Euro zu fordern, wenn man dafür eine Mehrheit hat,
weil ja 8,50 Euro, wie gesagt, vor 10 Euro ist und das
deshalb ein richtiger Schritt wäre? Das ist unsere Posi-
tion, die wir hier eingebracht haben, Herr Lehrieder. Die
Bürgerinnen und Bürger in diesem Land fragen sich
doch Folgendes: Wenn es im Bundestag jetzt eine Mehr-
heit dafür gibt, einen Mindestlohn von 8,50 Euro einzu-
führen, und zwar ohne Ausnahme und nicht erst ab 2017,
warum führt man ihn dann nicht einfach ein? Wir haben
sie doch deswegen gewählt. – Können Sie sich das vor-
stellen?
Lieber Kollege, ich stelle eine Gegenfrage: Wofür ste-hen Sie jetzt eigentlich? Stehen Sie für einen Mindest-lohn von 10 Euro, den Sie noch vor wenigen Wochen fürrichtig gehalten haben,
oder ist ein Mindestlohn von 8,50 Euro aus Ihrer Sichtinzwischen ausreichend? Herr Kollege Ernst, ich unter-stelle Ihnen schlicht und ergreifend, dass Sie jetzt einenMindestlohn von 8,50 Euro fordern, um unsere neue Le-bensabschnittsgefährtin ein bisschen zu ärgern,
um die SPD ein bisschen in die Bredouille zu bringen,und nicht aus Überzeugung.
Lieber Kollege Klaus Ernst, nicht lachen, hören Sie mirlieber zu; das ist wichtig. Wenn es Ihnen um die Men-schen gegangen wäre, dann hätten Sie weiterhin 10 Eurogefordert. Ich stelle fest: Die Linkspartei hat das Ziel ei-nes Mindestlohns in Höhe von 10 Euro zumindest vo-rübergehend aufgegeben – Punkt. Das ist der Erkennt-nisgewinn dieses Abends.
Sie können sich setzen, Herr Ernst. Viel mehr gibt esdazu nicht zu sagen.Ich mache keinen Hehl daraus, dass ich persönlichkein großer Fan eines politisch festgesetzten Mindest-lohns bin und gerne bei unserem bisherigen, bewährtenModell geblieben wäre, nach dem die Lohnfindung al-lein Aufgabe der Tarifpartner war. Nicht mit einem poli-tischen Mindestlohn, sondern mit einer marktwirtschaft-lich organisierten Lohnuntergrenze sind wir in denletzten Jahren gut gefahren, wie die arbeitsmarkt- unddie sozialpolitische Bilanz der unionsgeführten Bundes-regierung ganz deutlich zeigt. Wir haben es trotz Krisegeschafft, die Arbeitslosigkeit zu halbieren. Wir haben
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 175
Paul Lehrieder
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es sogar geschafft, sie unter die 3-Millionen-Marke zubringen.
– Auch die Politik, Frau Kollegin Müller-Gemmeke.Klar ist allerdings auch, dass man in einer KoalitionKompromisse eingehen muss, insbesondere dann, wenndie Vorstellungen sehr weit auseinanderliegen, wie dasbei der Festsetzung von Lohnuntergrenzen der Fall war.Ich denke, wir haben mit dem gestern präsentierten Ko-alitionsvertrag von CDU, CSU und SPD einen guten undvor allem fairen Kompromiss gefunden, mit dem wir da-für Sorge tragen, dass es den Menschen in unserem Landbesser geht und neue Chancen entstehen. Wir haben zurKenntnis genommen, dass ein flächendeckender gesetz-licher Mindestlohn eine Herzensangelegenheit unseresPartners ist. Unter Führung unserer ArbeitsministerinFrau von der Leyen haben wir mit der sogenannten LowPay Commission, der Lohnfindungskommission – ichmöchte ein gutes deutsches Wort dafür benutzen –, eineMöglichkeit zur Stärkung der Tarifvertragsparteien ge-funden. Zum 1. Januar 2015 soll es einen flächendecken-den gesetzlichen Mindestlohn in Höhe von 8,50 Euro ge-ben. Die Höhe des jeweiligen Mindestlohns wird voneiner Kommission bestehend aus jeweils drei Vertreternvon Gewerkschaften – das sollte Sie freuen, Herr Ernst –und Arbeitgebern plus einem Vorsitzenden in regelmäßi-gen Abständen geprüft, gegebenenfalls angepasst undsodann mittels einer Rechtsverordnung staatlich er-streckt und somit allgemeinverbindlich. Jede Partei kannzusätzlich einen wissenschaftlichen Berater für die Min-destlohnkommission benennen, der jedoch kein Stimm-recht erhalten wird. Mit seinem Sachverstand soll er dieArbeit der Lohnfindungskommission begleiten.Ich sage aber auch ganz deutlich, dass durch die Ein-führung eines Mindestlohns keine Arbeitsplätze verlorengehen dürfen. Hierfür hat sich die Union mit aller Krafteingesetzt, und das wird sie auch zukünftig tun. FrauNahles, Sie haben ausgeführt, dass wir eine Regelungwollen, die allen Menschen nutzt. Dabei müssen wirauch an die denken, die möglicherweise durchs Rasterfallen, wenn der Mindestlohn zu schnell eingeführt wirdund deswegen in manchen Regionen oder Branchen tat-sächlich Arbeitsplätze vernichtet werden. Wir solltendeswegen genau hinsehen, wenn wir in das Gesetzge-bungsverfahren einsteigen. Ich bitte in diesem Zusam-menhang um die konstruktive Mitwirkung der Freundevon der Linkspartei. Mal sehen, was Sie da Gutes ein-bringen können.
Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens werden wireinige Aspekte zu berücksichtigen haben:Die Einführung eines bundesweiten Mindestlohnsohne regionale Ausnahmen bereitet mir insbesonderemit Blick auf die ostdeutschen Länder große Sorgen.Meiner Ansicht nach besteht die Gefahr, dass zahlreicheArbeitsplätze wegfallen. Denn in den neuen Bundeslän-dern arbeitet bekanntermaßen ein Viertel der Menschenfür weniger als 8,50 Euro pro Stunde; im Westen sind eslediglich 12 Prozent.Auch bei unserer europaweit gelobten dualen Ausbil-dung müssen wir ganz genau hinschauen. Da Lehrlingederzeit im Schnitt zwischen 670 und 740 Euro im Monatverdienen, sehe ich die Gefahr, dass Schulabgänger sichzunächst kurzfristig einen Mindestlohnjob suchen, beidem sie pro Stunde mehr als das Doppelte verdienen,statt eine Ausbildung zu beginnen. Auch dieses Risiko,diese Gefahr sollten wir in der Gesetzgebung berück-sichtigen. Wir sollten darüber nachdenken und uns inso-fern hier auch ehrlich machen.Schwierigkeiten können sich auch im Bereich derWerkverträge oder bei den sogenannten Niedriglöhnernergeben, die nicht zu einem festen Stundenlohn arbeiten.Hier besteht die Gefahr, dass der Mindestlohn umgangenwird und die Schwarzarbeit zunimmt.Durch den nun erstmalig kommenden einheitlichenflächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn verlierendie Tarifparteien – dies wurde bereits angesprochen –bedauerlicherweise an Einfluss. Das sollte auch IhnenSorge machen.
Allerdings konnten wir in den Verhandlungen erreichen,dass es den Tarifpartnern bis Ende 2016 weiterhin mög-lich ist, Übergangsfristen festzulegen, und dass derzeitgeltende Tarifverträge bis dahin fortgelten. Das heißtkonkret, dass die Tarifpartner bis zur endgültigen Ein-führung des Mindestlohns auch Abschlüsse vereinbarenkönnen, die unter 8,50 Euro liegen. Von den Vorrednernwurde bereits darauf hingewiesen.Unsere neue Vizepräsidentin gibt mir ein Zeichen,dass ich allmählich zum Ende kommen muss. – Ich bittealle Wohlmeinenden, alle, denen es um die Menschen imLand geht, beim anstehenden Gesetzgebungsverfahrenkonstruktiv mitzuwirken. Wir werden schon etwas Ge-scheites herauskriegen. Herr Ernst, Frau Nahles, daswerden wir schon hinbekommen.Herzlichen Dank.
Danke schön, Herr Kollege.Ich schließe damit die Aussprache. Interfraktionellwird Überweisung des Gesetzentwurfs auf Drucksache18/6 an den Hauptausschuss vorgeschlagen. Gibt es dazuandere Vorschläge? – Ich sehe und höre nichts. Das istalso nicht der Fall. Damit ist die Überweisung zur gro-ßen Freude der Kollegen bei der Linkspartei so beschlos-sen.
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Vizepräsidentin Claudia Roth
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Ich rufe die Tagesordnungspunkte 10 a und 10 b auf:a) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, AnnalenaBaerbock, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENRisiko und Haftung zusammenführen – Gläu-bigerbeteiligung nach EZB-Bankentest si-cherstellen– Drucksache 18/97 –b) Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Gerhard Schick, Kerstin Andreae, AnnalenaBaerbock, weiterer Abgeordneter und der Frak-tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNENGemeinsam die Haftung der Steuerzahlerin-nen und Steuerzahler beenden – Für eineneinheitlichen europäischen Restrukturie-rungsmechanismus– Drucksache 18/98 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre eini-ges, aber dazu keinen Widerspruch. Dann ist das so be-schlossen.Ich gebe das Wort Dr. Gerhard Schick von Bünd-nis 90/Die Grünen.
Liebe Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Meine Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die-sen Tagesordnungspunkt heute beantragt, weil auf euro-päischer Ebene gerade ein Thema von enormerWichtigkeit verhandelt wird und wir uns als deutschesParlament – Regierungsbildung hin oder her – dringenddamit beschäftigen müssen.
Ich zitiere Yves Mersch, Mitglied des Direktoriumsder Europäischen Zentralbank: Das Projekt Banken-union ist das vielleicht größte und wichtigste seit Grün-dung der Europäischen Währungsunion. – Ich finde, daskann man genau so sagen. Denn es geht um nicht mehrund nicht weniger als den Schutz der Steuerzahler vorerneuten Milliardenrisiken in Form der Übernahme vonBankschulden, die eigentlich mit dem Steuerzahlernichts zu tun haben sollten.Über fünf Jahre nach der Lehman-Pleite ist es immernoch nicht gesichert, dass, wenn eine Bank wackelt,nicht der Steuerzahler in die Pflicht genommen wird.Daran muss sich endlich etwas ändern. Wir in Deutsch-land haben das bei der Commerzbank, der IKB und derHypo Real Estate erlebt, und das gilt auch in Europa.Unsere Fraktion hat einmal nachrechnen lassen, wie vielSteuerzahlergeld umsonst – besser gesagt: fälschlicher-weise – aufgewendet wurde, um Bankschulden in Eu-ropa zu übernehmen. Das Ergebnis: Allein bei siebenBankenrettungen hätten über 35 Milliarden Euro Steuer-gelder in Zypern, in Spanien und in Griechenland ge-spart werden können. Spanien hätte wahrscheinlich keinRettungsprogramm gebraucht. Wir wollen, dass dasnicht noch einmal vorkommt.
Die Europäische Union hat das ja auch erkannt. SeitMitte 2012 stehen das Projekt Bankenunion und dasThema Bankenabwicklung fest auf der Agenda. Wäh-rend hier die Regierungsbildung stattfindet, währendhier das Parlament noch gar nicht richtig arbeitsfähig ist,verhandelt der Bundesfinanzminister auf europäischerEbene natürlich weiter über dieses Projekt. Insbesonderean zwei Punkten gilt es jetzt nachzusteuern, weil er daauf dem falschen Pfad ist, und das kann teuer kommen.Wir haben zwei Anträge eingebracht, die genau diesezwei Punkte behandeln.Der erste Aspekt ist folgender: Wir brauchen eineTrennung zwischen Banken und Nationalstaaten, weildiese Verknüpfung dazu geführt hat, dass, wenn eineBank wackelt, die Schulden auf den Staat übertragenwerden. So weit sind sich eigentlich alle einig. Doch imKoalitionsvertrag findet man dazu nur wackelige Formu-lierungen wie: „Künftig soll da etwas gemacht werden“oder: „Perspektivisch soll es einen Restrukturierungs-fonds geben“, und man versteckt sich erneut hinter recht-lichen Fragestellungen. De facto heißt das: Deutschlandsteht beim wichtigen Projekt eines europäischen Ab-wicklungsfonds, den die Banken finanzieren, auf derBremse. Das ist falsch.
Zweitens ist es falsch, dass die Entscheidung über dieAbwicklung einer Bank nach dem Vorschlag des Bun-desfinanzministers von den nationalen Regierungen zutreffen ist. Man muss doch daraus lernen, dass genaudiese Art von Verhandlungen zwischen den Regierungenin der Vergangenheit erst zu diesen Milliardenlasten ge-führt haben. Wir brauchen endlich eine Institution in Eu-ropa, deren klarer gesetzlicher Auftrag es ist, den Steuer-zahler vor neuen Lasten, die aus der Bankenrettungresultieren, zu schützen.
Es ist Eile geboten, jetzt den Steuerzahler zu schüt-zen. Denn aufgrund des Stresstests der EuropäischenZentralbank wird sich schon sehr bald die Frage stellen:Was machen wir, wenn neuer Kapitalbedarf besteht? –Der Ministerrat, der Ecofin, hat unter Mitwirkung dernoch amtierenden Bundesregierung vor zwei Wochendie Risiken für den Steuerzahler ganz nebenbei deutlicherhöht.
Noch im Sommer dieses Jahres sagte uns StaatssekretärSteffen im Rahmen einer Beratung im Finanzausschuss,bevor der Steuerzahler in die Pflicht genommen werde,müssten erst einmal mindestens 8 Prozent der Bilanz-summe von den Gläubigern getragen werden.
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Dr. Gerhard Schick
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In dem neuen Ecofin-Beschluss ist dieser Punkt nichtmehr enthalten.
An genau dieser Stelle haken wir ein und sagen: Hiermuss nachgesteuert werden. Es muss sichergestellt wer-den, dass als Erstes die Gläubiger zahlen müssen undnicht wieder auf den Steuerzahler Rekurs genommenwird. – Wenn man hinterher jammert, ist es zu spät. Jetztist es an der Zeit, die Bedingungen richtig festzulegen,damit nicht erneut die Steuerzahlerinnen und Steuerzah-ler in Europa in die Pflicht genommen werden. Das istunser Ziel.Danke schön.
Danke schön, Herr Kollege. Sie haben Ihre Redezeit
gar nicht ausgeschöpft; das kenne ich sonst anders. –
Nächster Redner ist Ralph Brinkhaus für die CDU/CSU.
Frau Bundestagspräsidentin! Vielleicht geht die Re-dezeit, die nicht ausgenutzt wird, ja an Sie über. Aber ichglaube, das ist nicht der Fall.Herr Schick, Sie haben ganz richtig gesagt, dass derZweck dieser Debatte wahrscheinlich nicht Ihre Anträgesind – sie halte ich nämlich für überflüssig –, sondern dieTatsache ist, dass sich die Welt zwischen Bundestags-wahl und Koalitionsbildung weitergedreht hat. Währendsich die Welt weitergedreht hat, haben sich auch die Fi-nanzmärkte weitergedreht. Auch die europäische Ge-setzgebung hat sich weitergedreht. Das heißt, es sindwichtige Entscheidungen getroffen worden. Wir sind beidem für den Verbraucherschutz so wichtigen ThemaMiFID weitergekommen. Wir sind bei dem für die Versi-cherungen so wichtigen Projekt Solvency weitergekom-men. Wir sind bei der zweiten Etappe im Hinblick aufdie Bankenunion auf der Zielgeraden. Insofern ist es gutund richtig, dass sich der Deutsche Bundestag hier undheute zu diesem Thema positioniert.
Wenn man in die 17. Legislaturperiode zurückblicktund sich die letzten vier Jahre vor Augen führt, stelltman fest: Wir haben mehr als 30 Gesetze und Initiativenauf den Weg gebracht, um die Finanzmärkte zwar nichtzu bändigen, sie aber ein wenig sicherer zu machen. Wirhaben dafür gesorgt, dass die Finanzinstitutionen weni-ger Risiken eingehen. Wir haben dafür gesorgt, dass dieRisikotragfähigkeit steigt. Wir haben dafür gesorgt, dasswir, zumindest auf nationaler Ebene, vernünftige Auf-sichtsstrukturen bekommen. Wir haben einen Restruktu-rierungsmechanismus erarbeitet. Wir haben ziemlichviel für den Verbraucherschutz getan.Meine Damen und Herren, wenn Sie sich ansehen,was im Koalitionsvertrag niedergelegt ist, stellen Siefest, dass dieser Weg weitergegangen wird und sich ei-gentlich gar nicht schrecklich viel geändert hat. Wir wer-den damit leben müssen, dass unsere – wie hat es PaulLehrieder eben genannt? – neue Lebensgefährtin – ichhoffe nicht, dass sie unsere neue Lebensrestbegleiterinist –
– unsere Lebensabschnittsbegleiterin, genau – sicherlichauch beim Thema Bankenregulierung einige sozialde-mokratische Akzente mit einbringen wird. Das heißt, dieRegelungen werden ein bisschen anders ausgestaltet.Aber die Grundlinie wird gleich bleiben. In der letztenLegislaturperiode haben wir ja erkannt, dass die Unter-schiede nicht so groß waren, und das ist auch gut so.Im Rahmen der Regulierung haben wir festgestellt,dass der nationale Gesetzgeber an Grenzen stößt. Wirhaben das festgestellt, als wir in einem nationalen Al-leingang Leerverkäufe verboten haben; wir waren froh,dass man das auf europäischer Ebene nachvollzogen hat.Wir haben das festgestellt, als wir als eines der erstenLänder den Hochfrequenzhandel reguliert haben; es istgut, dass das auch in der MiFID nachvollzogen wird.Wir haben das festgestellt, als wir als eines der erstenLänder ein Trennbankengesetz auf den Weg gebracht ha-ben. Ich glaube, das wird unter Berücksichtigung derLiikanen-Vorschläge auf europäischer Ebene noch vielwirkmächtiger.Wir haben festgestellt, meine Damen und Herren,dass das Restrukturierungsgesetz, das wir gemacht ha-ben, bestenfalls für größere national tätige Bankenreicht, aber nicht für international tätige Banken.
Das ist auch ganz normal, meine Damen und Herren:weil Finanzmärkte an nationalen Grenzen nicht haltma-chen. Die meisten Finanzinstitutionen agieren überregio-nal und über nationale Grenzen hinweg. Selbst Finanz-institutionen, die innerhalb nationaler Grenzen arbeiten,haben ein Schadenspotenzial, das über Landesgrenzenhinausreicht. Wir haben das in Spanien gesehen: DieCaixas – wahrlich nicht große Institute – hatten die Weltmit Produkten beglückt, die Schwierigkeiten machten.Das führte dazu, dass Spanien unter den ESM-Schirmschlüpfen musste.Insofern ist es gut und richtig, zu sagen: Wir habengelernt, wir brauchen internationale Regeln. – Die Re-
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Ralph Brinkhaus
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geln, die wir in den letzten vier Jahren eingeführt haben,waren gar nicht so schlecht. Wir brauchen aber auch in-ternationale Aufsichtsstrukturen, und wir brauchen inter-nationale Problemlösungsmechanismen. Das war genauder Punkt, an dem der Gipfel vom 29. Juni 2012 – es wa-ren die Morgenstunden des 29. Juni 2012 – angesetzt hatmit dem Bekenntnis: Ja, wir brauchen eine Banken-union.Wir stehen zu dieser Bankenunion. Diese Banken-union wird einen Überwachungsmechanismus, einenAufsichtsmechanismus, und einen Abwicklungsmecha-nismus umfassen. Wir werden uns im Rahmen der Ban-kenunion auch noch mit einer dritten Säule beschäftigenmüssen, nämlich einer harmonisierten Einlagensiche-rung.Bei dem gemeinsamen Aufsichtsmechanismus sindwir sehr weit gekommen: Die Europäische Zentralbankwird das übernehmen; sie wird Mitte nächsten Jahres anden Start gehen. Es laufen schon jetzt vorbereitende Ak-tionen, Belastungstests; das ist auch gut und richtig so.Es war nicht ganz einfach, das zu verhandeln, HerrSchick. Es gab große Probleme bei der Trennung derGeldpolitik von der Aufsichtspolitik im Rahmen der Eu-ropäischen Zentralbank. Wir waren auch nicht ganz ein-verstanden mit dem Vorschlag von Herrn Barnier, dasssich die europäische Aufsicht bis in die kleinsten Veräs-telungen des deutschen Finanzsystems erstrecken soll,dass die europäische Aufsichtsbehörde auch auf Spar-kassen, Volksbanken und kleine Privatbanken direktenZugriff bekommen soll. Wir haben uns erfolgreich dage-gen gewehrt. Ich glaube, wir sind uns darin einig, dassdies im Interesse der Menschen in Deutschland und imInteresse des Wirtschaftsstandorts Deutschland war.
Jetzt sind wir in der zweiten Etappe; da geht es umden Abwicklungsmechanismus. Es gibt eine große Über-einstimmung: Wir brauchen Abwicklungsregeln, wirbrauchen Abwicklungsinstitutionen, und wir brauchenGeld für die Abwicklung, einen Abwicklungsfonds.Wir sind uns bei den Abwicklungsregeln einig, dasswir eine Haftungskaskade brauchen. Wir wollen, dasszuerst die Eigentümer der Finanzinstitutionen haften.Wir wollen, dass danach die Gläubiger – diejenigen, diediesen Finanzinstitutionen Geld gegeben haben; Aus-nahme: Kleinanleger – haften. Wir wollen, dass dann einvon Banken gefütterter Fonds für die ganze Sache haftet.Jetzt kommen wir zu einem Punkt, an dem wir unter-schiedliche Vorstellungen haben: Wir wollen, dass dieNationalstaaten in der Verpflichtung bleiben, sich umihre Banken zu kümmern.
Erst wenn das passiert ist, soll der europäische Steuer-zahler eingreifen; das ist uns ganz wichtig.An diesem Punkt gibt es einen Bruch, an dem wir mo-mentan verhandeln. Sie sagen, die Nationalstaaten müss-ten aus der Haftungskaskade herausgenommen werden,weil, wenn wir eine europäische Regulierung haben,auch eine europäische Verantwortung besteht, also aucheuropäische Haftung nötig ist. Ich will Ihnen drei Bei-spiele nennen, die diesen Gedanken widerlegen: Der Er-folg einer Bank hängt nicht allein davon ab, ob die Re-gulierung erfolgreich ist. Wenn es, wie in Griechenland,keine funktionierende Administration gibt, dann schadetdas den lokalen Banken und erhöht das Insolvenzrisiko.Wenn, wie bei den Immobilien in Spanien, zugelassenwird, dass Blasen entstehen, dann schwächt das die Ban-ken. Es gibt also eine nationale Verantwortung. Wenn,wie in Frankreich, eine verfehlte Steuer- und Haushalts-politik gemacht wird, dann schwächt das die dortigenBanken und führt dazu, dass Risiken entstehen. Deswe-gen, meine Damen und Herren, ist es wichtig, dass wirdie Nationalstaaten bei der Rettung bzw. Abwicklungvon Banken nicht komplett aus der Verantwortung ent-lassen.
Sie haben behauptet, wir würden uns bei unserer Ab-lehnung eines europäischen Abwicklungsfonds hinterrechtlichen Begründungen verschanzen. Rechtlich, dashört sich für die Öffentlichkeit technisch an, so als ob je-mand das Richtige wolle, ihm aber irgendwelche Leutemit rechtlichen Bedenken einen Strich durch die Rech-nung machten. Fakt ist: Für einen gemeinsamen europäi-schen Abwicklungsfonds fehlt uns in den europäischenVerträgen momentan die Rechtsgrundlage. Jetzt kannman sagen: „Das ist nicht schlimm“; aber wir haben hierin Deutschland andere Erfahrungen gemacht. Wir habeneinige Kollegen hier im Haus – es gibt da auch einigeProfessoren –, die alle Regelungen gerne daraufhin über-prüfen, ob sie auch im Einklang mit dem Recht stehen.Sehen Sie es uns also bitte nach, dass wir beim Themaeuropäischer Abwicklungsfonds sehr vorsichtig sind undsagen: Solange wir dafür keine Rechtsgrundlage haben,brauchen wir ein System aus verschiedenen nationalenFonds, die einander ergänzen.Wir haben aber noch ein weiteres Problem mit dieserBankenunion. Als diese Veranstaltung am 29. Juni 2012zu Ende war, haben einige Staatschefs aus südeuropäi-schen Ländern und auch der von Irland gesagt: Prima,ich muss jetzt nur ganz schnell unterschreiben, dass ichmich einem Aufsichtsmechanismus unterwerfe, dannhabe ich eine Restmülldeponie für alle meine mit denBanken verbundenen Probleme gefunden. Alles, was ichfrüher in die Bankenrefinanzierung gesteckt und wofürich Schulden gemacht habe, kann ich jetzt dorthin verla-gern. Dann habe ich genug frisches Geld zur Verfügung,um meine unterkapitalisierten Banken zu stärken, unddann habe ich gegebenenfalls auch Geld, um die Ab-wicklung von Banken zu organisieren.Genau das wollen wir nicht. Wir wollen eine Banken-union, die nach vorne gerichtet ist und in die „saubere“Banken aufgenommen werden. Deswegen ist es auchwichtig, dass jetzt der Belastungstest erfolgt, bevor wirdamit starten. Das halte ich für gut und richtig.
Diese Punkte diskutieren wir auf europäischer Ebene.
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Ralph Brinkhaus
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Jetzt komme ich aber noch einmal zurück zu dem An-trag der Grünen. Der Antrag der Grünen steht in einerweniger guten Tradition der letzten vier Jahre.
Es wird nämlich ein Bruch konstruiert, den es wahr-scheinlich auch gibt. Die Grünen sagen: Wir wollen alsaufrechte Europäer möglichst europäische Lösungen,wir wollen den europäischen Institutionen ganz vielKompetenz geben und ihnen die notwendigen Mittel zurVerfügung stellen, während ihr von der CDU hier immerzurückhaltend seid. „Ihr bremst“, sagen Sie.Ganz ehrlich: Wir sind zurückhaltend, weil wir abwä-gen, ob es dem Subsidiaritätsgedanken entspricht, dasswir Dinge an die europäische Ebene abgeben,
und weil wir glauben, dass wir einige Dinge nationalbesser regeln können. Wir wägen ab, indem wir uns fra-gen: Was kostet das unseren Steuerzahlern? Welche Be-deutung hat das industriepolitisch? Was bedeutet das fürunsere Sparkassen, für unsere Volksbanken und für un-sere Mittelständler? Schließlich wägen wir ab, was dasfür die Menschen in diesem Land bedeutet, die dasGanze nicht nur verstehen, sondern auch bezahlen müs-sen. Wenn sie das nicht verstehen und nicht mitgenom-men werden, dann geben sie ihre Wählerstimmen – dashaben wir sehr deutlich gesehen – Rechtsradikalen, an-deren Radikalen, Euro-Skeptischen und sonstigen Par-teien, was wir alle nicht wollen. Daher sind wir zögerlichund bremsen manchmal gerne.Wir freuen uns auf die Auseinandersetzung in dieserWahlperiode. Ihre Anträge lehnen wir ab.
Danke, Herr Kollege Brinkhaus. – Als nächster Red-
ner spricht für die SPD Joachim Poß.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will mich zunächst an einen möglichen Lebensab-schnittspartner richten, an meinen Vorredner Brinkmann.
– „Brinkhaus“, Entschuldigung. Das war jetzt wirklichkeine Absicht.
– Ach so, Sie haben gleich assoziiert. Nein, diese Asso-ziation wollte ich hier nicht in den Raum stellen. Ich willIhnen aber Folgendes sagen:Erstens. Sie haben über die Kaskadenregelung ge-sprochen. Eines der größten Probleme für unsere Steuer-zahlerinnen und Steuerzahler ist sicherlich, dass dasnicht erst 2018, sondern schon 2015 kommt, um Risikenzu begrenzen. Das scheint mir eher das Thema zu sein,über das wir hier diskutieren sollten.Zweitens. Frau Merkel, die demnächst ja auch einemögliche Lebensabschnittspartnerin ist – je nachdem,was in meiner Partei dazu gesagt wird –
– eine Chefin gibt es ja nicht; wir alle sind frei gewählteAbgeordnete –, hatte am 29. Juni 2012 eine schwacheMinute. Das passiert ja jedem einmal. Sie hat damalseine Zusage gegeben, und wir versuchen jetzt gemein-schaftlich, das rückabzuwickeln – wenn wir hier ehrlichdiskutieren wollen, dann müssen wir auch sagen, dasswir das mit dem Koalitionsvertrag in der vorliegendenFassung ja versucht haben; Herr Schäuble hat das vorherim Grunde genommen auch schon versucht –, was durchdie Zusage von Frau Merkel am 29. Juni 2012 ausgelöstwurde.
Im laufenden Jahr sind die Finanzmärkte von drama-tischen Verwerfungen verschont geblieben. Trotzdemsollte niemand davon ausgehen, dass jetzt bereits allesgetan ist, um Crashs und Bank Runs für die Zukunft zuvermeiden. Noch steht die europäische Bankenunionnicht, noch sind erst Regeln für die europäische Aufsichtverabschiedet worden. Das Abwicklungsregime – Siehaben darauf hingewiesen – und die Einlagensicherungim europäischen Kontext sind noch nicht beschlossen,und die Zeit drängt.Wir wissen: Im nächsten Jahr, 2014, wird ein neuesEuropäisches Parlament gewählt, und es wird eine neueEU-Kommission geben. Die Bankenunion sollte vorherin trockenen Tüchern sein, sonst drohen Verzögerungen,die wir nicht wollen. Darüber besteht, glaube ich, imGroßen und Ganzen Einigkeit hier im Hohen Hause.Wir werden es also nur dann schaffen, zeitnah zur eu-ropäischen Bankenaufsicht ein europäisches Abwick-lungsregime zu etablieren, wenn das nicht mit einer Ver-tragsänderung einhergeht. Eine Änderung dereuropäischen Verträge braucht nach aller Erfahrung ihreZeit und würde nicht über Nacht durchzusetzen sein. ImEcofin, dem Rat der europäischen Wirtschafts- undFinanzminister, wird zurzeit noch darüber gestritten, wasim Rahmen der bestehenden Verträge geht und was nichtgeht. Da hat – warum sollte man das hier verschweigen –der geschäftsführende deutsche Finanzminister WolfgangSchäuble eine spezielle Rechtsauffassung, die von vielenanderen seiner Kollegen und von der EU-Kommissionnicht geteilt wird.
– Von der EZB auch nicht.
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Joachim Poß
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– Von der SPD wird diese Auffassung ebenfalls nicht ge-teilt. Es ist gut, dass Sie so nette Hinweise geben, HerrKollege.Wir erwarten, dass es hier bald zu einer einvernehmli-chen Lösung kommt. Im Koalitionsvertrag von CDU,CSU und SPD ist angesichts der Sachlage relativ klarformuliert, Herr Kollege Schick:Vor diesem Hintergrund unterstützen wir den zügi-gen Aufbau einer europäischen Abwicklungsbe-hörde … und eines einheitlichen europäischen Ab-wicklungsfonds, der perspektivisch vollständigdurch Bankenabgaben finanziert werden soll.Wenn man sich Ihren Antrag zum Restrukturierungs-mechanismus anschaut, dann muss man sagen: Er istauch nicht ganz widerspruchsfrei. Im Großen und Gan-zen haben wir, Grüne und SPD, in der Beurteilung diesesPolitikbereichs, etwa bei der Euro-Raum-Stabilisierungund bei der Finanzmarktregulierung, in der Vergangen-heit weitgehend übereingestimmt. Aber auch da scheintmir noch nicht alles ausformuliert zu sein. Ich will damitnur andeuten: Ich glaube, da sind noch alle Parteien,wenn man sich einmal bescheiden zurücknimmt, in ei-nem Prozess.
Herr Kollege, lassen Sie eine Frage von Gerhard
Schick zu?
Gerne.
Danke. – Gerhard Schick, bitte.
Herr Kollege, mich interessiert, was Sie denn von
dem Vorhaben des Bundesfinanzministers halten, dass
die nationalen Regierungen, deren Kompetenzen der
Kollege Brinkhaus gerade noch einmal deutlich geschil-
dert hat, gemeinsam über die Abwicklung einer Bank
verhandeln sollen, und was Sie von dem Vorschlag des
Bundesfinanzministers halten, dass es ein Netz von na-
tionalen Fonds in nationaler Verantwortung geben soll,
sodass im Zweifelsfall die Steuerzahler eines Landes he-
rangezogen werden könnten.
Das war bisher nicht die Position der SPD, wenn ich
das richtig verfolgt habe. Mich interessiert, was die neue
Koalition, wenn sie dann mit Ihnen gebildet wird, auf
europäischer Ebene verhandeln wird; denn es geht um
die Verhandlungen jetzt und nicht darum, was perspekti-
visch zu erwarten ist.
Herr Kollege Schick, das kann zu diesem Zeitpunkt
höchstens durch informelle Gespräche geschehen. Sie
wissen ja, wie das geht. Wir führen diese informellen
Gespräche mit dem geschäftsführenden Bundesfinanz-
minister und machen aus unseren Überzeugungen keinen
Hehl. Dazu gehört, dass wir einen europäischen Ansatz
einem Netzwerk auf nationaler Ebene vorziehen. Das
haben wir auch zu verstehen gegeben. Wir sind mitten in
einem Diskussionsprozess, soweit die Dinge nicht ganz
eindeutig durch die Koalitionsvereinbarungen festgelegt
sind.
Wir stimmen aber darin überein, auf einer starken Be-
teiligung der Bankengläubiger und Bankeneigner zu be-
stehen, bevor nationale staatliche Mittel oder vielleicht
sogar ESM-Mittel zur Bankenrestrukturierung oder -ab-
wicklung eingesetzt werden; das ist vollkommen richtig.
Ich denke, dass wir hierfür insgesamt in der Koalitions-
vereinbarung ein kluges Verständnis entwickelt haben.
Nachdem die Zusage am 29. Juni 2012 gemacht
wurde, wollen wir eine direkte Bankenrekapitalisierung
aus dem ESM nur unter äußerst restriktiven Bedingun-
gen und als Ultima Ratio überhaupt möglich machen.
Dies muss konditioniert geschehen, und zwar so, dass
dieses Instrument vermutlich eher nicht genutzt werden
wird. Gleichzeitig erhalten die Märkte das Signal, dass
wir in Europa nichts ausschließen, um die Finanzmarkt-
stabilität zu verteidigen und zu sichern.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Danke, Joachim Poß. – Jetzt kommt der nächste Red-
ner – kein Lebensabschnittspartner –, Dr. Axel Troost.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Für uns Linke bleibt die europäische Bankenunion vorallen Dingen eines: ein völlig unausgereiftes Konzept,das bisher mehr Fragen aufwirft als Antworten gibt.Wenn es wirklich stimmt, dass das Projekt eine ähnlicheBedeutung hat wie die Einführung des Euro, dann mussman sagen, dass hier sehr, sehr schlampig gearbeitetwird.
Erstens. Fangen wir mit der europäischen Bankenauf-sicht an, die der erste Schritt bzw. das Fundament ist. Esbleibt dabei: Die juristische Konstruktion, die mit derAnsiedlung einer europäischen Bankenaufsicht bei derEZB gefunden worden ist, ist und bleibt eine Notlösung.Sie ist juristisch umstritten und macht die EZB nichtstark für die Auseinandersetzung mit den Banken.Zweitens. Die Ansiedlung bei der EZB ist und bleibtfalsch. Die Brandmauer gegenüber der Geldpolitik istnicht zu errichten. Insofern bleibt es nicht nur eine Not-lösung, sondern es ist eine falsche Konstruktion.Drittens. Der Hintergrund der bekannten Ergebnissein der Nacht vom 27. auf den 28. Juli letzten Jahres bzw.das Motiv, das Ganze der EZB zu übertragen, ist, Ban-ken möglichst schnell einen Zugang zum ESM zu ver-schaffen.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 181
Dr. Axel Troost
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Deswegen muss ruck, zuck gehandelt werden.Wenn man sich das aber im Einzelnen anschaut, wirddeutlich: Es ist sehr vieles unklar. Die Bankenunion istsozusagen eine Euro-Zonen-Aufsicht. London als großerKapitalmarkt bleibt außen vor. Es ist völlig unklar, wiedie Schnittstellen funktionieren sollen. Es wird damit lo-gischerweise zu einer Rivalität mit der existierenden eu-ropäischen Bankenaufsicht, der EBA, kommen, und daswird auch so bleiben. Wir gehen weg von der Allfinanz-aufsicht, die wir bisher in Deutschland hatten. Die Kon-trollrechte des Europäischen Parlaments sind eher gerin-ger als die Kontrollrechte, die wir bei der BaFin haben.Insofern steht von diesem ganzen Konstrukt der Auf-sicht, obwohl so getan wird, als stände es schon, erstsehr wenig. Die BaFin hat sich auf dieses „sehr wenig“vorbereitet und stellt zusätzliches Personal ein, um dieseSchnittstelle erst einmal doppelt abzusichern, weil manAngst vor dem hat, was passiert.Jetzt aber zum zweiten Schritt der Bankenunion, un-serem eigentlichen Thema: dem europäischen Abwick-lungsregime und Abwicklungsfonds für Banken. EineBankenabwicklung, wenn sie wirklich erfolgt, mussquasi an einem Wochenende durchgeführt werden. Sonstdrohen Börsenchaos und ein Run auf andere Banken. Esist völlig unklar, welches Gremium solche Entscheidun-gen in kurzer Zeit fällen soll, insbesondere vor dem Hin-tergrund, dass wir 17 Euro-Staaten haben, die mit derAbwicklung beschäftigt sind, jede große Bank aber eineZweigstelle in London hat. Diese Zweigstellen sind abergerade nicht in das Abwicklungsregime einbezogen.Es bleibt das Problem des hohen Gläubigerschutzes.Natürlich ist es richtig, dass Eigentümer und Gläubigerbeteiligt werden sollen. Aber machen wir uns nichts vor:Clevere Gläubiger und clevere Eigentümer werden sichfrühzeitig verabschieden und sich damit eben nicht in diePflicht nehmen lassen.Aber selbst wenn das passiert, haben wir damit dieChance, vielleicht 30 Prozent oder, wenn es ganz hochkommt, 40 Prozent abzudecken. Der Rest bleibt bei gi-gantisch großen Banken. Sie sagen zumindest heute inder Debatte: Dann kommt die Bankenabgabe; dannkommt der Bankenfonds, und zwar nach deutschem Mo-dell.
Was bedeutet das deutsche Modell? Ich habe auf eineAnfrage beim Finanzministerium die Zahlen für 2013 er-halten: Das Aufkommen aus der Bankenabgabe beträgt520 Millionen Euro bei einem Rückgang des Aufkom-mens der privaten Großbanken um über 43 Prozent.Über drei Jahre hinweg haben wir den Fonds um1,8 Milliarden Euro aufgestockt. Sie sagen, Sie benöti-gen mindestens 70 Milliarden Euro. Dann brauchen wirnoch 113 Jahre, um diesen Fonds in Deutschland aufzu-bauen. Und Sie wollen jetzt allen sagen: Wenn wir die-ses Modell auf Europa übertragen, dann wird das eineErfolgsgeschichte. – Das ist pure Augenwischerei.
Wir werden bei dem gigantischen Volumen, das Ban-ken heute nach wie vor haben, mit so einer Bankenab-gabe keine Finanzierungsalternative haben. Insofernbleibt es dabei: Die Steuerzahlerinnen und Steuerzahlerwerden betroffen bleiben. Deswegen gibt es aus unsererSicht nur eines: Wir müssen die Banken verkleinern. Wirmüssen den Finanzsektor herunterfahren. Sonst gibt eskeine Chance, sich vor den Risiken zu schützen, die esnach wie vor dort gibt. Das ist ganz zentral.
Letzter Punkt. Liebe Kollegen von der SPD, wenn ichmir den Koalitionsvertrag im Bereich des ThemenfeldesFinanzmärkte genau anschaue, dann kann ich nicht wirk-lich erkennen, wo Ihr Eintritt in die Koalition Verände-rungen im Vergleich zur vorangegangenen Koalition vonCDU, CSU und FDP mit sich bringt. Ich kann keinewirklichen Veränderungen erkennen.Danke schön.
Danke schön, Herr Kollege. – Der nächste Redner in
dieser Debatte ist Dr. Hans Michelbach von der CDU/
CSU.
Frau Präsidentin, ich grüße Sie.
Grüß Gott. – Wir sind aus Bayern.
Frau Roth, Sie sind eine bayerische Landsfrau. Ich
hätte nie gedacht, dass Sie einmal Präsidentin werden.
Das habe ich auch nicht gedacht.
Aber das ist eine schöne Sache. Auf jeden Fall gratu-
liere ich Ihnen, Frau Präsidentin.
Danke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Unser neuer Koalitionsvertrag legt klare Re-geln für die Finanzmärkte fest. Der Grundsatz, dass inZukunft kein Finanzmarktakteur, kein Finanzproduktund kein Finanzmarkt ohne angemessene Regulierungbleiben darf, gilt weiterhin; das ist gut so.
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182 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Dr. h. c. Hans Michelbach
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Wir bekennen uns in der Koalition gemeinsam zustrengeren Eigenkapital- und Liquiditätsstandards fürBanken gemäß Basel III mit verbindlichen Schulden-obergrenzen, die den Risikogehalt der Geschäftsmodelleangemessen berücksichtigen. Wir bekennen uns zum be-währten Drei-Säulen-System der deutschen Kreditinsti-tute und werden seine Besonderheiten auch in Zukunftangemessen berücksichtigen.Wir unterstützen auf europäischer Ebene die Vor-schläge der Liikanen-Expertengruppe, die eine Regulie-rung der Schattenbanken vorsieht. Wir begrüßen dieBeibehaltung des Grundsatzes „Hilfe nur gegen Refor-men“ in der EU-Rettungspolitik einschließlich der Ab-wehr einer europäischen Gemeinschaftshaftung überEuro-Bonds, Schuldentilgungsfonds oder ein zentraleseuropäisches Einlagensicherungssystem.Wir haben klare Vorstellungen betreffend eine funk-tionierende Bankenunion. Eine solche Union muss auseiner einheitlichen Bankenaufsicht, einem einheitlichenRegelwerk und einem einheitlichen Mechanismus zurBankenabwicklung bestehen. Meine Damen und Herrenvon den Grünen, Nachhilfeunterricht durch die von Ih-nen vorgelegten Anträge benötigen wir nicht. Ihre An-träge sind obsolet und nichts anderes als grüner Finanz-marktpopanz. Es ist deutlich zu erkennen, dass wir dieFinanzmarktregulierung weit vorangebracht haben undauch in Zukunft weiter in die richtige Richtung voran-bringen werden.
Ich sage Ihnen zum Thema einheitlicher europäischerRestrukturierungsmechanismus: Wir wollen diesen Ab-wicklungsmechanismus auf einer rechtssicheren Grund-lage errichten, sodass Banken rechtzeitig, effektiv undeffizient abgewickelt werden können. Ein zentraler Ab-wicklungsfonds darf aber nicht gleichzeitig die Blau-pause für einen zentralisierten europäischen Einlagensi-cherungsfonds sein. Ich glaube, das wäre falsch.Ich teile die Auffassung, dass in der nächsten Krise,soweit es irgendwie möglich ist, nicht die Steuerzahler,sondern die privaten Eigentümer und Gläubiger, alsodiejenigen, die auch Gewinnchancen hatten, die Lastentragen. Risikohaftung ist auch Teil der sozialen Markt-wirtschaft. Daher unterstützen wir den zügigen Aufbaueiner Abwicklungsbehörde, insbesondere für die system-relevanten, grenzüberschreitend tätigen Banken. Dafürbedarf es einer rechtssicheren europäischen Grundlage;das ist das Wesentliche. Auf Basis der allgemeinen Bin-nenmarktkompetenz nach Art. 114 des AEUV wird nurein Netzwerk aus nationalen Fonds und nationalen Ban-kenabgaben möglich sein. Damit ist klar, dass die Er-richtung eines einheitlichen Fonds unter Berücksichti-gung der Verantwortung der betroffenen Mitgliedstaatensichergestellt werden muss. Es hilft aber nichts, die Haf-tung eines Staates durch die Haftung vieler Staaten zuersetzen. Das bringt nichts und löst nicht die Verqui-ckung von Banken und Staat auf. Wir brauchen die klareHaftungskaskade, von der wir immer gesprochen haben.Den Teufelskreis, in dem sich Pleitebanken und Ver-schuldungsstaaten befinden, wollen wir durchbrechen.
Angeschlagene Staaten und schwache Banken dürfeneben nicht in eine beschleunigte Abwärtsspirale kom-men.Klar ist, dass auch eine direkte Kreditvergabe desESM an den Bankenfonds abzulehnen ist. Hier bliebedie nationale Budgethoheit nicht ausreichend gewahrt.Das muss man klar sehen. Die Haftung von nur einemStaat würde auf andere Staaten verteilt werden. Das istnicht Sinn und Zweck einer gemeinsamen europäischenWährung.Kredite durch den ESM setzen keine Anreize füreinen Staat, Risiken im nationalen Bankensektor vonvornherein möglichst gering zu halten. Der Haftungs-grundsatz muss auch in der Bankenunion erhalten blei-ben. Das ist unsere wesentliche Botschaft für diesen Be-reich. Eine Bankenunion, in der nur national tätige,kleinere Banken für risikoreiche Institute haften, darf esebenfalls nicht geben.Deswegen müssen wir zum Thema Gläubigerbeteili-gung im Antrag der Grünen sagen: Sie verlangen eineMindestbeteiligung der Bankinvestoren in Höhe von8 Prozent der Bilanzsumme jeder Bank und unterstellen,dass aus der Erklärung des Ecofin nicht deutlich werde,in welchem Umfang eine Beteiligung privater Gläubigervor einer staatlichen Rekapitalisierung oder einem ESM-Programm erfolgen muss.Diese Annahme ist willkürlich, und sie ist falsch. DieErklärung des Ecofin vom 14. November dieses Jahresmacht das Gegenteil deutlich, nämlich dass erstens imFall einer Kapitallücke bei einem Stresstest nicht derSteuerzahler zahlen soll, dass zweitens eine Haftungs-kaskade gilt – für diese hatte sich unser Bundesfinanz-minister Wolfgang Schäuble eingesetzt – und dass drit-tens die Schließung der Kapitallücken durch die Bankenselbst erfolgen muss. Gelingt dies nicht, muss Beihilfe-recht mittels Einbeziehung von Gläubigern erfolgen, undzwar bevor öffentliche Mittel der Mitgliedstaaten einge-setzt werden dürfen.Dabei ist wichtig, zu beachten, dass das Beihilferechtfür Bail-in nur Mindestvorgaben macht, aber keineObergrenzen festsetzt. Will also ein Mitgliedstaat beimBail-in über die Mindestanforderungen hinausgehen, sokann er dies tun. Kann ein Mitgliedstaat verbleibendeKapitalisierungskosten nicht aus eigener Kraft decken,so kann er Hilfe beim ESM beantragen. Diese muss eraber als Mitgliedstaat beantragen. In der Ecofin-Erklä-rung wird festgelegt, dass vor einer Bereitstellung vonESM-Mitteln ein angemessenes Bail-in unter Beachtungdes Beihilferechts stattfinden muss. Auch hier gilt, dassdas Beihilferecht nur eine Mindestanforderung darstellt,über die man hinausgehen kann.Wir müssen hinsichtlich all dieser Entwicklungen beider Bankenunion deutlich machen, dass wir in der letz-ten Legislaturperiode gemeinsam durchgesetzt haben,dass der Deutsche Bundestag bei diesen Maßnahmen einfaktisches Vetorecht hat. Wir sollten selbstbewusst im-
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Dr. h. c. Hans Michelbach
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mer wieder deutlich machen, dass es einen Automatis-mus nicht gibt.
Lassen Sie mich zum Abschluss ein Fazit ziehen: DieAnzeichen eines wirtschaftlichen Aufschwungs imEuro-Raum werden immer deutlicher, und der Euro-Raum findet allmählich seinen Weg aus der Krise. Esgibt die notwendigen Reformen mit stärkeren Haushalts-konsolidierungen. Das ist gut so. Wir sind auf dem rich-tigen Weg. Wir haben die richtigen Fundamente gelegt.Deswegen: Lassen Sie uns gemeinsam mit der Finanz-marktregulierung fortfahren! Dann können wir alles da-für tun, dass die Steuerzahler nicht mehr an den Hilfs-maßnahmen beteiligt werden.Herzlichen Dank.
Danke, Herr Kollege Dr. Michelbach. – Der letzte
Redner in dieser Debatte ist Manfred Zöllmer von der
SPD.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist schon erstaunlich, zu erfahren, was der Chef derDeutschen Bank auf der Euro Finance Week von sich ge-geben hat. Er hat natürlich Regulierung kritisiert – dasgehört immer dazu –, und dann hat er gesagt, das Kon-zept von „too big to fail“ sei Unsinn, damit müsse nunSchluss sein. Lieber Herr Fitschen, „too big to fail“ istkein Unsinn, „too big to fail“ ist das Problem.
Es ist wirklich schon dreist, so unverfroren wieder diealte Melodie zu singen, dass Gewinne privatisiert undVerluste sozialisiert werden. Denn das ist die Konse-quenz.
Wir müssen feststellen, dass die wesentliche Ursacheder Euro-Krise die Finanzmarktkrise war. Sie hat dieStaaten in die Überschuldung getrieben – die Ausnahmewar Griechenland –, weil Banken, die überschuldet wa-ren, nicht den normalen marktwirtschaftlichen Gang indie Insolvenz antreten konnten. Hier könnte man HerrnFitschen einmal über den Ordnungsrahmen einer Markt-wirtschaft aufklären. Aber lassen wir das. Wenden wiruns jetzt Europa zu.Oberstes politisches Ziel der Sozialdemokratie ist es,zu verhindern, dass der Steuerzahler erneut bluten muss,und deswegen unterstützten wir von Anfang an die Ban-kenunion in Europa. Sie ist eine der zentralen Maßnah-men, um eine Wiederholung der Krise zu verhindern.Der geplante Stresstest der EZB soll sicherstellen, dassdie Altlasten im Bankensystem vor Eintritt in die Ban-kenunion bereinigt werden. Wir wissen nicht, wie großdiese Altlasten sind; aber wir haben Befürchtungen, dasssie einfach da sind. Sanierung und Rekapitalisierung vonBanken im europäischen Raum sind deshalb eine vor-dringliche Aufgabe.Wir haben über die Bankenaufsicht gesprochen. Ichwill wegen meiner begrenzten Redezeit da nicht in dieDetails gehen. Lieber Kollege Troost, darüber solltenwir noch einmal separat diskutieren. Es muss jetzt darumgehen, eine entsprechende Regelung für die Abwicklungund Restrukturierung von Banken zu treffen: Wer machtes? Wer entscheidet? Wer finanziert?Ein Abwicklungsverfahren für marode Banken inEuropa muss praktikabel sein – Herr Schick, ich stimmeIhnen zu, es muss über das Wochenende entschiedenwerden können; das ist völlig klar –; aber es muss auchrechtssicher sein. Warum rechtssicher? Weil in diesemBereich jede Entscheidung mit Sicherheit beklagt wird.Wenn man das Ganze auf einer unsicheren Rechtsgrund-lage durchführt, dann richtet man großes Chaos an.Nun gibt es unterschiedliche Rechtsauffassungen.Das muss man einfach konzedieren; das ist so. Ich binkein Jurist – zum Glück.
Aber wir müssen das zur Kenntnis nehmen. Und wirmüssen zur Kenntnis nehmen, dass der Bundesfinanz-minister eine ganz klare Rechtsauffassung hat, die er vonAnfang an geäußert hat. Er hat gesagt: Art. 114 AEUVist nicht ausreichend. – Es geht um die Frage: Ist es nochHarmonisierung, oder ist es schon Zentralisierung? Da-rüber streiten sich die Juristen. Wir können diesen Streitnicht entscheiden; aber wir müssen politisch fordern,dass wir eine wasserdichte Lösung finden, die Rechts-sicherheit gewährt, die also vor Gericht Bestand hat. Dasist unsere politische Forderung.Darüber hinaus brauchen wir eine Abwicklungs-behörde für die systemrelevanten grenzüberschreitendenBanken. Darüber, wie man das organisiert, gibt es ver-schiedene Vorschläge. Nun muss es darum gehen, in denVerhandlungen in Brüssel einen rechtssicheren Kompro-miss zu finden. Wenn das auf der Basis der bestehendenVerträge nicht möglich ist, dann muss es als Zwischen-lösung ein intergouvernementales Netzwerk mit nationa-len Bankenabgaben geben,
bis die rechtlichen Voraussetzungen für eine gemein-schaftliche Institution geschaffen sind. Bis dahin bleibendie Mitgliedstaaten in der Tat in der Verantwortung.Aber Ziel bleibt, eine gemeinsame europäische Ban-kenabgabe einzuführen. Das ist für uns Sozialdemokra-ten wichtig.
Denn das oberste Ziel ist es: Steuerzahler dürfen nichtnoch einmal herangezogen werden. Deshalb soll dieHaftungskaskade kommen; dazu ist schon einiges gesagtworden.
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Manfred Zöllmer
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Nun haben wir aber das Problem, dass die Frage,wann die Neuregelung eigentlich in Kraft tritt, noch un-beantwortet ist. Das ist ein entscheidender Punkt. Dieaktuellen Haftungsregeln gelten bisher bis 2018. DieNeuregelung muss aber vor Ablauf der aktuellen Haf-tungsregeln in Kraft treten. Das ist unsere politischeAuffassung. Das ist ein ganz wichtiges Ziel, das derMinister erreichen muss, damit wir hier vernünftigeStrukturen haben.Lieber Herr Schick, in Ihrem Antrag taucht so etwasnicht auf.
Wir sind bei Ihren Anträgen von der Qualität her eigent-lich mehr gewohnt. Was Sie uns mit diesen Anträgenpräsentieren, ist ein bisschen dünn.
– Gern,
aber dann ein bisschen substanzieller und auf den Sach-verhalt bezogen!
Zur Rekapitalisierung der Banken und zum ESM hatder Kollege Poß Entsprechendes gesagt. Da hat es dieZusage der Bundeskanzlerin im Juli gegeben, unterSchwarz-Gelb noch. Das können wir jetzt nicht vomTisch wischen. Was wir können, ist, dem Finanzministereine glückliche Hand bei den schwierigen Verhandlun-gen in Brüssel zu wünschen;
denn wir wissen: Wir müssen jetzt Nägel mit Köpfenmachen – ich komme zum Schluss –, durch die Europa-wahl verlieren wir sonst viel zu viel Zeit.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Kollege. – Damit schließe ich die Aus-
sprache.
Jetzt kommen wir zur Abstimmung über die Anträge
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf den Drucksa-
chen 18/97 und 18/98. Die Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen wünscht jeweils Abstimmung in der Sache; die
Fraktionen der CDU/CSU, der SPD und der Linken
wünschen jeweils die Überweisung an den Hauptaus-
schuss.
Jetzt möchte ich zuerst feststellen, ob es eine Mehr-
heit für die Ausschussüberweisungen gibt. Ich frage des-
halb: Wer stimmt für die beantragten Überweisungen? –
Wer stimmt dagegen? – Eigentlich kann sich jetzt nie-
mand mehr enthalten. Ich frage trotzdem: Wer enthält
sich? – Bei Zustimmung von CDU/CSU, SPD und Lin-
ken und Ablehnung durch Bündnis 90/Die Grünen sind
die Überweisungen so beschlossen. Deswegen stimmen
wir heute in der Sache nicht ab.
Vielen Dank für diese Debatte; ich habe viel gelernt.
Jetzt rufe ich den Tagesordnungspunkt 11 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zum Vor-
schlag für eine Verordnung des Rates über
das Programm „Europa für Bürgerinnen und
Bürger“ für den Zeitraum 2014–2020
– Drucksache 18/13 –
Überweisungsvorschlag:
Hauptausschuss
Auch hier wurde nach interfraktioneller Vereinbarung
für die Aussprache eine Zeit von 38 Minuten vorgese-
hen. – Ich sehe keinen Widerspruch. Ich sehe nur jeman-
den, der unbedingt ganz schnell reden will. Dann ist die
Zeit für die Aussprache sofort so beschlossen, und ich
gebe Markus Grübel das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Das Gesetz, das wir heute beraten, ist wirklich kurz. Esbesteht aus drei Sätzen. Im Verhältnis 2:1 werden dieseSätze auf zwei Artikel verteilt. Damit wird es wahr-scheinlich das kürzeste Gesetz sein, das wir in dieserWahlperiode beraten.
Das Gesetz schafft die Rechtsgrundlage für die Zu-stimmung des deutschen Vertreters im Rat zum Vor-schlag für eine Verordnung über die Fortführung desProgramms „Europa für Bürgerinnen und Bürger“, wiees etwas sperrig heißt. Diese europäische Verordnunghat nach einer langen Vorbemerkung 16 Artikel. Mankann das eigentlich zusammenfassen oder auf den Punktbringen mit: Das Programm will Europa erlebbar ma-chen.Es geht darum, über Ländergrenzen hinweg Bürgerin-nen und Bürger, insbesondere die Jugend, zusammenzu-bringen. Es geht darum, die europäische Idee zu bewer-ben und Europa den Menschen näherzubringen. DasProgramm setzt an der Zivilgesellschaft an und baut aufbürgerschaftliches Engagement. Es setzt auf die kleinenEinheiten, insbesondere auf Vereine und die Kommunen.Mit dem neuen Programm für den Zeitraum 2014 bis2020 soll ein breites Spektrum an unterschiedlichen Ak-tionen abgedeckt werden. Ein bunter Strauß von Maß-nahmen ist in dem Programm möglich. Es soll beispiels-
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Markus Grübel
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weise umfassen: Bürgerbegegnungen, Kontakte undDebatten zu Bürgerschaftsthemen, Veranstaltungen aufEbene der Europäischen Union, Initiativen zur Sensibili-sierung für Meilensteine in der Geschichte Europas so-wie Initiativen mit dem Ziel, den europäischen Bürgerin-nen und Bürgern, insbesondere der Jugend bei uns inEuropa, die Geschichte der Europäischen Union und dieFunktionsweise der Organe der Europäischen Union nä-herzubringen, und Debatten über europäische Themen.Dieses Programm passt gut zu dem, was wir, dieCDU/CSU, in unserem Regierungsprogramm zu Europaund zum Ehrenamt gesagt haben. Es findet sich auch imKoalitionsvertrag wieder.Für unser Gemeinwesen ist das Engagement der Bür-gerinnen und Bürger eine unverzichtbare Säule. Der Ge-danke des bürgerschaftlichen Engagements und Ehren-amts ist nicht nur für das Miteinander innerhalb unseresLandes von zentraler Bedeutung. Es dient auch dem Zu-sammenhalt und dem Miteinander innerhalb Europas.
Die Förderung von Projekten, mit denen gerade jun-gen Menschen die Geschichte und das Wertefundamentder Europäischen Union nähergebracht werden, ist wich-tig. Gerade in diesen Tagen, in Zeiten der Wirtschafts-und Finanzkrise – das zeigte auch der letzte Tagesord-nungspunkt – haben wir gemerkt, dass die EuropäischeUnion einen Ansehensverlust erlitten hat. Beim ThemaEuropa denken wir an den Euro, an Krisenstaaten undRettungspakete, aber viel zu wenig an die positiven As-pekte der europäischen Einigung. Gerade der Jugendsollte die Geschichte Europas – Kriege und Vertrei-bung einerseits sowie die Aussöhnung nach 1945 ande-rerseits – stärker bewusst gemacht werden.Sinnvoll ist daher, dass die Themen „europäischesGeschichtsbewusstsein“ und „demokratisches Engage-ment und Bürgerbeteiligung“ die inhaltlichen Schwer-punkte sein sollen. Die Jugend, die die deutsche Teilungund die Teilung Europas nicht erlebt hat und die wederKrieg noch Stau an der Zollstation auf dem Brenner er-lebt hat, für Europa zu begeistern, ist ein wichtiges An-liegen des Programms.
Darum ist es gut und richtig, Europa erlebbar zu ma-chen. Es ist gut und richtig, Europa positiv erlebbar zumachen.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Danke, Herr Kollege. – An den Stau am Brenner kann
ich mich auch noch erinnern.
Die nächste Rednerin ist Petra Crone für die SPD.
Frau Präsidentin, Glückwunsch zu Ihrer ersten Sit-zungsleitung! Meine lieben Kollegen und Kolleginnen!Meine Damen und Herren! Ich freue mich, dass einer derersten Tagesordnungspunkte der 18. Wahlperiode dasThema „Europa für Bürgerinnen und Bürger“ ist. DerGesetzentwurf der noch amtierenden Regierung mit demetwas sperrigen Titel – der Entwurf ist kurz, aber der Ti-tel ist sehr lang – „Gesetz zum Vorschlag für eine Ver-ordnung des Rates über das Programm ‚Europa für Bür-gerinnen und Bürger‘ für den Zeitraum 2014–2020“ solldie rechtlichen Voraussetzungen dafür schaffen, dass derdeutsche Vertreter oder die deutsche Vertreterin im Ratdem Vorschlag des Rates zustimmen kann. Das hört sichtechnisch an und ist auch weitgehend technisch. Die Vo-raussetzung aufgrund des Integrationsverantwortungsge-setzes ermöglicht es uns aber, eine inhaltliche Debattezum Thema „Europa und Bürgerbeteiligung“ zu führen.Das begrüßen wir, die SPD-Bundestagsfraktion, sehr.
„Europa für Bürgerinnen und Bürger“ – das hört sichgut an. Die zur Abstimmung stehende EU-Verordnungsoll die Themen „Europäisches Geschichtsbewusstsein“und „Demokratisches Engagement und Bürgerbeteili-gung“ zu inhaltlichen Schwerpunkten machen. Auch dashört sich gut an. Allerdings darf es nicht bei schönenWorten, aber wenig Taten bleiben.Der vorliegende Vorschlag des Rates ist zunächst eineAnsammlung schöner Worte, die einen angesichts derPolitik der EU-Kommission in den letzten Jahren zwei-feln lässt; denn es nützt überhaupt nichts, schöne Pro-gramme und Aktivitäten ins Leben zu rufen, wenn Eu-ropa von den Menschen vorwiegend mit Finanzen,Binnenmarkt, Ellenbogen, Sparbeschlüssen und Besser-wisserei des Nordens gegenüber dem Süden in Verbin-dung gebracht wird. Europa braucht mehr Solidarität,Respekt, Begegnung und Menschlichkeit.
Diese Werte schaffen wir nicht mit Aktionsprogrammen,sondern nur mit solidarischer, sozialer und weitsichtigerPolitik sowohl auf EU- als auch auf Bundesebene.Doch wäre es ungerecht, die Verordnung auf schöneWorte zu reduzieren; denn die Einzelziele „EuropäischesGeschichtsbewusstsein“ und „Demokratisches Engage-ment und Bürgerbeteiligung“ werden konkret mit Lebenerfüllt. Außerdem verstärken die genannten Programmedie Begegnung und die Solidarität von EU-Bürgerinnenund -Bürgern. Die EU-Verordnung soll das Lernen unddie Kooperationsaktivitäten von EU-Bürgern fördern,Kontaktstellen für das Programm einrichten und entspre-chende Analysen implementieren.Offen bleibt für die SPD-Bundestagsfraktion, wie dieEvaluierungen der Programme konkret erfolgen sollenund inwiefern die Nachhaltigkeit gesichert ist. Wir sehendoch, dass sich immer weniger eher einkommensschwa-che und bildungsfernere Bevölkerungsschichten ambürgerschaftlichen Engagement beteiligen. In diesemZusammenhang hätte ich mir vor allem einen sozioöko-
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Petra Crone
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nomischen Gradmesser für die Evaluierungen ge-wünscht. Auch die Aspekte Alter und Geschlecht wer-den lediglich vorgeschlagen. Dazu wird uns dieBundesregierung in den Ausschüssen noch mehr mittei-len müssen.In der 17. Wahlperiode ist leider die Chance verpasstworden, Engagementpolitik gemeinsam mit der Zivilge-sellschaft zukunftsfest weiterzuentwickeln. Insofernüberrascht es mich und freut es mich natürlich auch, dassdie Bundesregierung der EU-Verordnung im Rat zustim-men möchte.Bürgerschaftliches Engagement kann die staatli-chen Institutionen nur ergänzen, wenn es über dieentsprechenden Mittel und öffentlichen Räume ver-fügt.Diesen Worten von Wolfgang Thierse schließe ichmich an und freue mich, auf dieser Grundlage die kom-menden Gespräche zur Verordnung zu führen.Ich danke Ihnen.
Herzlichen Dank, liebe Petra Crone. – Nächster Red-
ner in dieser Debatte: Andrej Hunko von der Linken.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir re-den über das Programm „Europa für Bürgerinnen undBürger“ für die Jahre 2014 bis 2020. Für das Programmsind 229 Millionen Euro vorgesehen, mit dem Ziel der„Verbesserung der Voraussetzungen für eine demokrati-sche Bürgerbeteiligung“. Das hört sich schön an.Zur Verbesserung der Voraussetzungen für eine de-mokratische Bürgerbeteiligung wären allerdings vor al-lem mehr demokratische Rechte der Bürgerinnen undBürger angezeigt, wäre es angezeigt, das Demokratiede-fizit auf europäischer Ebene anzugehen. Ich rede hierunter anderem von der Europäischen Bürgerinitiative,die in der vorliegenden Ratsverordnung als „einzigartigeMöglichkeit, die Bürgerinnen und Bürger direkt an derGestaltung der EU-Rechtsvorschriften mitwirken zu las-sen“, dargestellt wird.Leider muss man sagen, dass die EBI eine einzigartigeingeschränkte Möglichkeit zur Mitwirkung ist, unteranderem, weil sie an die Umsetzung der bestehendenVerträge gebunden ist. Ich habe mir einmal die Liste dervon der Europäischen Kommission abgelehnten Bürger-initiativen der letzten Monate ausdrucken lassen. Dawurde zum Beispiel die Bildung einer öffentlichen Bankfür eine soziale, ökologische und solidarische Entwick-lung abgelehnt, weil sie nicht in den Verträgen vorgese-hen ist. Ein europaweiter Atomausstieg wurde wegenEuratom abgelehnt. Eine Initiative gegen die grausameBehandlung von Tieren wurde abgelehnt. Ein europa-weites Referendum, um demokratische Defizite aufzu-heben, wurde abgelehnt. Das ist leider die Realität.Die Linke fordert hier mehr Demokratie auf europäi-scher Ebene, damit solche Initiativen, in denen sich Bür-gerinnen und Bürger für europäische Themen engagie-ren, auch wirklich eine Chance haben.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ähnlich wie bei derEBI verhält es sich leider auch mit dem Programm „Eu-ropa für Bürgerinnen und Bürger“. Die Mittelvergabewird vorrangig an den „Bezug zu den Strategien derUnion“ gebunden. Die Strategie „Europa 2020“ als radi-kalisierte Fortsetzung der gescheiterten Lissabon-Strate-gie mit dem Dogma der EU als wettbewerbsfähigstemWirtschaftsraum der Welt wird damit zur praktischenRichtschnur für Projektanträge. Kritische Projektträger,die vielleicht alternative Europa-Visionen haben, dürftenes schwer haben. Völlig weltfremd wird es, wenn es inder Verordnung heißt – Zitat –:… die eindrucksvollen Errungenschaften in punctoFrieden und Stabilität in Europa, langfristiges nach-haltiges Wachstum … haben nicht immer zu einemstarken Zugehörigkeitsgefühl der Bürgerinnen undBürger zur EU geführt.Das ist ja auch eben angesprochen worden.Auf Deutsch: Viele Menschen, insbesondere in Süd-europa, wenden sich von der EU ab, misstrauen ihr, undzwar gerade wegen der Art und Weise, wie EU-Kommis-sion und EZB als Teil der Troika mit wirtschaftlichenund sozialen Problemen umgehen, nämlich durch Kür-zungen von sozialen Leistungen, von Löhnen, durch Per-sonalabbau im öffentlichen Dienst, durch Deregulierungund erzwungene Privatisierung bis hin zur Wasserver-sorgung. Eine solche Politik führt zur Entfremdung derBürgerinnen und Bürger von der EU.
Es ist jetzt leider auch zu befürchten, dass Projekte,die im Einklang mit der gegenwärtigen EU-Strategie ste-hen, bei der Mittelvergabe bevorzugt werden, währendkritische Projekte drohen leer auszugehen. Das lehnenwir ab.
Ein letzter, aber wichtiger Punkt: In der Ratsverord-nung ist von „europäischer Identität“ die Rede, im Kon-text des Gedenkens an die Verbrechen totalitärer Regimein Europa. Bis zu 20 Prozent der Mittel könnten für Pro-jekte abgerufen werden, die sich „mit den Ursachen fürdie totalitären Regime in der neueren Geschichte Euro-pas“ auseinandersetzen. So notwendig die Auseinander-setzung mit dem Naziregime in Deutschland einerseitsund dem Stalinismus in der Sowjetunion andererseits istund so notwendig es wäre, sich darüber hinaus mit demeuropäischen Kolonialismus und dem Ersten Weltkriegauseinanderzusetzen, so entschieden lehnen wir jedochdie Gleichsetzung von Naziregime und Stalinismus ab,wie sie in der fragwürdigen Totalitarismustheorie zumAusdruck kommt,
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Andrej Hunko
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nicht zuletzt, weil sie auch eine Relativierung des Holo-causts darstellt. Auf jeden Fall sollte die Frage des Sinnsund Unsinns einer Totalitarismustheorie Gegenstand derwissenschaftlichen Forschung sein und nicht zum Be-zugsmerkmal bei der Vergabe von Mitteln zum Beispielan Thinktanks oder Geschichtsvereine werden.Aus diesem Grund hat auch die Linksfraktion im Eu-ropäischen Parlament die entsprechende Verordnung ab-gelehnt. In ihrem Minderheitenvotum heißt es dazu:Wir haben gegen den Bericht gestimmt, weil wiruns für die folgenden Werte einsetzen:– die Vielfalt und Achtung der verschiedenen Kul-turen und Völker Europas– die Trennung von politischer Tätigkeit und derArbeit von Historikern und Forschern– die demokratischen Grundsätze, die Diskussionenund die Möglichkeit einer kritischen Sicht der Eu-ropäischen Union, ihres Aufbaus und ihrer Ge-schichte einschließen.Dem können wir uns hier im Bundestag nur anschließen.Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und bingespannt, wie qualifiziert sich der heute gegründeteHauptausschuss mit diesem Thema auseinandersetzenwird.Vielen Dank.
Danke schön, Herr Kollege. – Dann kommt jetzt ein
qualifizierter Beitrag unseres Kollegen Manuel Sarrazin,
Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Viel-leicht ein Wort zur Faktenlage: Über das Programm „Eu-ropa für Bürgerinnen und Bürger“ werden Städtepartner-schaften, Vereine, Bildungs-, Forschungs-, Kultur- undJugendeinrichtungen, Stiftungen und Gewerkschaftengefördert, und die geförderten Aktionen müssen grund-sätzlich transnational durchgeführt werden oder eine eu-ropäische Dimension haben.Ich dachte eigentlich, dass das Thema der internatio-nalen Begegnungsarbeit etwas wäre, das sogar mich mitden Idealen der Linkspartei verbindet.
Aber man kann natürlich, so wie Sie es tun, die finan-zielle Förderung dieses Bereichs mit fast 200 MillionenEuro ablehnen und hier irgendwelche geschichtspoliti-schen Ausführungen machen.
Vielleicht sollte man sich doch noch einmal vor Au-gen führen, verehrter Kollege Hunko, dass wir im nächs-ten Jahr verschiedenste Jahrestage haben, die auch vordem Hintergrund der Europawahl und gerade vor demHintergrund der Krise eine wunderbare Gelegenheit bie-ten, beim Thema Geschichtsbewusstsein etwas vorzule-ben.
– Wir haben nächstes Jahr den 100. Jahrestag des Be-ginns des Ersten Weltkrieges. Jetzt können wir einmalschauen, ob Ihnen auch die weiteren Jahrestage einfal-len. Zum Beispiel haben wir im August einen Jahrestag:75 Jahre Hitler-Stalin-Pakt. Das ist durchaus eine Gele-genheit, über die Geschichte Europas zu reden und auchdie Totalitarismen des 20. Jahrhunderts kritisch aufzu-greifen. Im Juni nächsten Jahres ist beispielsweise das25-jährige Jubiläum der ersten teildemokratischen Wah-len in der Volksrepublik Polen. Das ist ein wirklich gran-dioses Datum, um das Geschichtsbewusstsein zu stärkenund dabei die gesamteuropäische Dimension einzubezie-hen, die nicht klassisch westeuropäisch-links geprägt ist.Ich glaube, meine Damen und Herren, dass wir einesehr wichtige Debatte führen, nicht, weil dieses Pro-gramm etwa das wichtigste wäre, auch nicht, weil hierdie Flexibilitätsklausel angewandt wird und wir aktiv dieVerfassungsidentität unseres Grundgesetzes nach derLissabon-Rechtsprechung des Verfassungsgerichts le-ben, sondern weil es hier darum geht, Gelder freigebenzu können, damit die genannten Institutionen und dieStädtepartnerschaften so schnell wie möglich auf dieGelder zugreifen und Projekte durchführen können, da-mit sich Menschen in Europa treffen und begegnen kön-nen.Leider debattieren wir den Gesetzentwurf erst jetzt.Er wurde uns von der Bundesregierung so spät vorge-legt, obwohl zumindest politisch schon seit Monaten dieZahl, die am Ende der Haushaltsverhandlungen heraus-kommen würde, vorlag. Das Problem ist, dass wir es nunaller Wahrscheinlichkeit nach aufgrund des Gesetzge-bungsverfahrens in Deutschland im Zusammenhang mitdem Bundesrat und der erst dann folgenden Ratsbe-schlüsse nicht hinbekommen werden, dass tatsächlich abJanuar Mittel fließen können.Das heißt, das europäische Miteinander wird – zumin-dest zum 1. Januar des geschichtsträchtigen Jahres 2014,in dem sich der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939sowie die Osterweiterung 2004 jährt – erst einmal ausge-setzt, weil diese Regierung und auch dieses Parlamentaufgrund der langen Koalitionsverhandlungen nichtrechtzeitig aus dem Knick gekommen sind und weil sichdie alte Regierung nicht getraut hat, einfach einmal biszum Ende der Legislatur vorzudenken.Das andere ist: Wir sagen oft sehr allgemein, es gebeeine große, böse Sparpolitik in Europa. Hier bietet sicheine gute Gelegenheit, zu sagen, dass es wirklich schadeist, dass die Politik, die Schwarz-Gelb im Zuge der Ver-handlungen über den mehrjährigen Finanzrahmen in denletzten Jahren gemacht hat, zu allgemeinen Einsparun-gen im EU-Haushalt geführt hat, was wiederum dazuführt, dass dieses Programm zur Förderung von Städte-partnerschaften, das die Begegnung junger Menschenfördern soll, in der vorliegenden Fassung weniger Mittelzur Verfügung hat. Dem Programm wurden zwischen
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Manuel Sarrazin
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2013 und 2014 5 Millionen Euro gestrichen, und in dergesamten neuen Förderperiode stehen 30 Millionen Euroweniger zur Verfügung.Ich kann nur sagen: Da wurde der Rotstift an der fal-schen Stelle angesetzt. Dadurch fallen unserer Meinungnach wohlmeinende, lobenswerte und unterstützens-werte Projekte einem falschen Politikstil in Bezug aufdie Finanzierung der Europäischen Union zum Opfer.Meine Damen und Herren, wir üben nicht nur Kritik,wir haben auch Vorschläge, wie man das Programm kon-kret ausgestalten könnte. Die Grünen haben immer aufallen Ebenen Verbesserungsvorschläge gemacht, unsereeuropäische Fraktion hat diese auch vorgetragen. AmEnde haben wir dem vorliegenden Programm trotzdemzugestimmt, weil wir, im Gegensatz zur Linkspartei,meinen: Es ist gut, wenn sich junge Menschen treffen,wenn über Städtepartnerschaften und KulturinstitutionenMenschen miteinander über Geschichte und Politik insGespräch kommen.
Deswegen stimmen wir dem vorliegenden Gesetzent-wurf zu.Danke.
Danke schön, Herr Kollege Sarrazin. – Nächste Red-
nerin: Daniela Ludwig für die CDU/CSU.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Über den Inhalt des Programms, über das wir heute de-
battieren, ist bereits viel Richtiges gesagt worden. Sehen
Sie mir nach, dass ich das alles an dieser Stelle nicht
wiederholen möchte.
Ich glaube schon, dass das Programm jenseits der Kri-
tik, die man auch vorbringen möchte, eine gewisse Da-
seinsberechtigung hat, zum einen natürlich, weil es Ge-
nerationen und auch Institutionen über die Grenzen in
Europa hinweg verbinden soll, zum anderen aber – und
so verstehe ich es ein klein wenig –, weil es auch ge-
wisse Vorurteile gegenüber der Europäischen Union, die
gerade junge Menschen in sich tragen, beseitigen soll.
Wir alle wissen, dass es viele junge Menschen gibt,
die weder einen Krieg miterlebt haben noch die Teilung
Europas bewusst wahrgenommen haben. Für sie ist Eu-
ropa in allererster Linie nicht das, was es für uns ist,
nämlich ein gigantisches Friedenswerk, sondern für sie
ist es teilweise lästig. Sie nehmen Europa wahr als die
EU-Kommission, die mit sinnlosen Richtlinien und Ver-
ordnungen um sich wirft. Die Gurkenkrümmung ist ein
gern genanntes Beispiel. Ich weiß nicht, ob Sie wissen,
dass die Europäische Kommission bereits seit zehn Jah-
ren an einer Schnullerkettenverordnung arbeitet, um
möglichst viele Unfälle durch Schnullerketten zu verhin-
dern. Das ist das – so lustig es klingt –, was die Men-
schen wahrnehmen
und was letztlich dafür sorgt, dass sie etwas frustriert
sind, was die europäische Entwicklung angeht.
Umso wichtiger ist es, dass wir nicht nur mit Pro-
grammen wie diesem, über das wir heute debattieren,
dieser oftmals aufkeimenden Frustration gerade auch un-
ter jüngeren Menschen entgegenwirken, sondern dass
wir in unserer täglichen politischen Arbeit, für die wir
Verantwortung tragen, auch darauf hinwirken, dass Eu-
ropa transparenter, bürgerfreundlicher und an der einen
oder anderen Stelle demokratischer wird, und zwar nicht
nur dann, wenn wir das Europäische Parlament wählen.
Deswegen finde ich es gut, dass wir diesen Gesetzent-
wurf heute auf den Weg bringen. Dadurch werden gute
Initiativen finanziell gefördert. Diese Initiativen möge es
bitte auch weiterhin geben. Daran müssen wir alle ein
Interesse haben.
Wir müssen aber auch ein Interesse daran haben, dass
klar wird – auch dafür ist dieses Programm gut –, dass
Europa nicht irgendwo über uns ist, sondern dass es im-
mer bei uns, dass es zwischen uns ist.
Wir haben uns das Subsidiaritätsprinzip immer ganz
groß auf die Fahnen geschrieben: Es soll ein Europa der
Regionen sein. Es soll ein Mitmacheuropa werden; die
Menschen sollen Europa mitgestalten. – Die Menschen
können Europa am besten mitgestalten, wenn wir sie or-
dentlich darüber informieren, was Europa für ihr tägli-
ches Leben bedeutet, wie sie Europa positiv für sich nut-
zen können. Ich glaube, dass wir die bei den Menschen
vorhandene Skepsis gegenüber Europa nicht nur mithilfe
dieses Programms, sondern auch durch unser tägliches
politisches Handeln spürbar abbauen können. Deshalb
ist dieses Programm, wie ich finde, ein Schritt in die
richtige Richtung. Wir wollen nicht länger nur über die
Gurkenrichtlinie, über die Schnullerkettenverordnung
und über Euro-Rettungspakete sprechen, sondern auch
darüber, dass es ein Europa der Völkerverständigung
und insbesondere ein Europa der Jugend geben muss,
von dem alle Nationen profitieren.
Ich bin sehr froh, dass wir dieses Programm heute auf
den Weg bringen und die Bundesregierung zustimmen
will. Ich bin angesichts all der guten und konstruktiven
Vorschläge, die wir von den verschiedenen Seiten gehört
haben, sicher, dass wir einen guten Weg finden werden,
dieses Programm bei uns in Deutschland ordentlich um-
zusetzen.
Vielen herzlichen Dank.
Danke schön, Frau Kollegin Ludwig. – Nächste Red-nerin ist Kerstin Griese für die SPD.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 189
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist sehr sinnvoll, das Programm „Europa für Bürge-rinnen und Bürger“, das es schon eine Zeit lang gibt,weiterzuführen – das beschließen wir heute –; denn es istwichtig, Menschen für die europäische Idee zu begeis-tern. Das erreicht man übrigens am wenigsten, wennman mit platten Vorurteilen, mit krummen Gurken oderSchnullerketten argumentiert. Man muss die Menschenvielmehr für die europäische Idee begeistern,
man muss Europa erlebbar machen. Viele junge Men-schen, die ich kenne, erleben Europa in ihrem Alltag alseine Selbstverständlichkeit. Sie sind begeisterte undüberzeugte Europäerinnen und Europäer.
Deutschland stimmt diesem Programm als letzter EU-Mitgliedstaat zu. Deshalb ist die Angelegenheit ein biss-chen dringlich. Ich will ausdrücklich sagen, dass wir diebeiden Schwerpunkte des Programms unterstützen.Der erste Schwerpunkt ist schon genannt worden: Daseuropäische Geschichtsbewusstsein soll gestärkt wer-den. In einer Studie der FU Berlin aus dem Jahr 2012wurde festgestellt, dass nur die Hälfte der befragtenSchülerinnen und Schüler den NS-Staat und nur ein Drit-tel die DDR als Diktatur einordnen. In Sachen Ge-schichtswissen gibt es also noch einiges zu tun. Die Stu-die zeigt sehr deutlich, dass das Wissen über dieGeschichte Deutschlands und Europas verbessert wer-den muss; denn nur wenn man etwas über die Ge-schichte, auch über die eigene Geschichte weiß, kannman daraus lernen und mit diesem Wissen die Zukunftgestalten.Das ist auch deshalb wichtig, weil gerade in Zeitengroßer Angst oder wenn Ängste geschürt werden, Ge-schichtswissen oft verloren geht. Ich will nur ein Bei-spiel nennen: Es ist besorgniserregend, dass in Griechen-land die rechtsextreme, neofaschistische Partei GoldeneMorgenröte inzwischen mit fast 30 Abgeordneten imParlament sitzt. Das ist besorgniserregend und absolutgeschichtsvergessen.
Aber auch in Ländern wie Frankreich und Ungarn erhal-ten rechtspopulistische Parteien Zuspruch und werdenAngehörige der Roma-Minderheit verfolgt und diskrimi-niert. Um Diskriminierung und Gewalt zu verhindern, istes wichtig, dass in Europa ein Bewusstsein für die ge-meinsame Geschichte entwickelt wird. Den Menschenmusst bewusst sein, dass Europa für Frieden und für dassolidarische Miteinander der Völker steht.
Ich glaube, junge Menschen brauchen einen Kom-pass, um sich zurechtzufinden. Wenn sie in den Projek-ten, die über dieses Programm gefördert werden, Europaals eine Idee des Friedens begreifen, wenn sie lernen,dass die europäische Idee uns die längste Friedensphasegebracht hat, die wir je in Europa hatten, wenn sie einBewusstsein für diese Qualität Europas entwickeln, dannist das von besonderem Wert.Über dieses Programm sind bereits schöne Projektegefördert worden, zum Beispiel der Europäische Ge-schichtsweg. In einem niedersächsischen Ort haben Ju-gendliche aus Deutschland, Frankreich, den Niederlan-den und Polen gemeinsam die Geschichte untersucht.Sie haben Tafeln entworfen, auf denen in fünf Spracheneuropäische Themen behandelt werden, von den Römernüber Karl den Großen, die Reformation, die Erklärungder Menschen- und Bürgerrechte bis hin zu den beidenWeltkriegen.Man darf Geschichte lernen, beschreiben und auchvergleichen, aber man darf sie nicht gleichsetzen. Des-halb finde ich es wichtig, dass wir im nächsten Jahr den75. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkriegs bege-hen, dass wir an den Beginn dieses fürchterlichen Krie-ges erinnern, dass wir im nächsten Jahr aber auch an den25. Jahrestag des Falls der Mauer erinnern und diesesfreudige Ereignis begehen.
Der zweite Schwerpunkt des EU-Programms ist dieStärkung des demokratischen Engagements und der Bür-gerbeteiligung, also Europa wirklich von unten denken,den Bürgerinnen und Bürgern in Europa klarmachen,dass sie Macht und Einfluss haben. Wir haben in unsererKoalitionsvereinbarung, so sie denn von unseren Mit-gliedern unterstützt werden wird, dazu eine schöne Aus-sage, die ich Ihnen zitieren will:Die Herausbildung einer europäischen Zivilgesell-schaft ist eine essentielle Voraussetzung für einelebendige europäische Demokratie. Besonderswichtig ist es, dafür auch die Jugendpolitik weiter-zuentwickeln.Das sind zwei der guten Sätze in diesem Koalitionsver-trag.
Da zeigt sich auch ein Zusammenhang zwischen denbeiden Themenschwerpunkten: Das Lernen aus der Ge-schichte, um heute Demokratie engagiert gestalten zukönnen, ist besonders wichtig für die junge Generation,die Europa so erleben kann.Ich als Abgeordnete habe das große Glück – wann hatman das schon einmal? –, dass aus diesem Programm einProjekt in meinem Wahlkreis gefördert wurde. Nur2 Städte in Deutschland und 37 Städte europaweit wur-den bezüglich ihrer Städtepartnerschaften gefördert. DieStadt Velbert hat vor ein paar Tagen eine große Partner-schaftskonferenz mit ihren Partnerstädten durchgeführt,ein Partnerschaftsnetzwerk gegründet und wird vor derEuropawahl ein internationales Jugendcamp durchfüh-ren. Sie macht all das auch, um darauf aufmerksam zumachen, dass zu einem Europa der Bürgerinnen und
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Kerstin Griese
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Bürger gehört, dass möglichst viele Menschen zur Euro-pawahl gehen. Es sollte unser gemeinsames Anliegensein, klarzumachen, dass Demokratie zu Europa gehörtund die Europawahl eine bessere Wahlbeteiligung als inden letzten Jahren braucht.
Bei dieser Europawahl wird es zum ersten Mal mög-lich sein, einen europäischen Spitzenkandidaten zu wäh-len. Das ist für uns Sozialdemokraten eine tolle Sache,weil unser Spitzenkandidat Martin Schulz ist. Wir sindgroßer Hoffnung, dass er ein grandioses Ergebnis erzie-len wird.
Damit wird Europa ein Gesicht und eine Stimme gege-ben. Es ist oft so, dass Menschen Europa als fern wahr-nehmen. Da kann man einmal live und leibhaftig erle-ben, wie europäische Leidenschaft aussieht, und vorallem, wie sie sich anhört. Das beginnt im AachenerGrenzgebiet und geht bis nach ganz Europa. Insofernglaube ich: Europa muss praktisch erfahrbar werden. Esbleibt unsere Aufgabe, das den Menschen zu vermitteln.Die Europäische Bürgerinitiative ist schon genanntworden. Sie haben nur Negativbeispiele genannt. Ichwill sagen, dass ich es sehr erfreulich finde, dass die Eu-ropäische Bürgerinitiative „Wasser ist Menschenrecht“schon so erfolgreich war,
dass der Bereich Wasser aus der EU-Konzessionsrichtli-nie herausgenommen worden ist. Die Bürgerinnen undBürger Europas haben gesagt: Wasser ist ein Menschen-recht.Deshalb hoffe ich, dass möglichst viele Bürgerinnenund Bürger sowie engagierte Menschen aus Vereinen,Verbänden und Initiativen an diesem EU-Programm teil-haben können, dass sie zur Stärkung des europäischenGeschichtsbewusstseins und der europäischen Zivilge-sellschaft beitragen werden. Dafür wünsche ich allenviel Erfolg.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für
die Unionsfraktion.
Meine sehr verehrten Damen und Herren! Frau Präsi-dentin! Es ist zu Recht darauf hingewiesen worden, dasswir in Europa vor historischen Jahrestagen stehen. Vor100 Jahren ist Willy Brandt geboren worden. Ich möchtegroßkoalitionär mit einem Ausspruch von ihm, meinemschleswig-holsteinischen Landsmann, beginnen. WillyBrandt hat einmal gesagt:Mit den Europa-Verhandlungen ist es wie mit demLiebesspiel der Elefanten: Alles spielt sich auf ho-her Ebene ab, wirbelt viel Staub auf – und es dauertsehr lange, bis etwas dabei herauskommt.
Man hätte ihm diese zoologischen Kenntnisse gar nichtzugetraut, aber auch da hatte er wahrscheinlich recht.Wer verhandelt, der schlägt sich nicht. Das ist in Eu-ropa nicht immer selbstverständlich gewesen. Es wurdeschon darauf hingewiesen: Der Erste Weltkrieg brachvor 99 Jahren aus. Wir begehen im nächsten Jahr den100. Jahrestag. Auch auf den Angriff auf Polen ist hinge-wiesen worden. Das waren schlimme Zeiten. Auch aufdem Balkan hat es noch vor ganz kurzer Zeit Auseinan-dersetzungen gegeben. Deswegen, glaube ich, müssenwir, auch wenn es schwer ist und junge Menschen dasnicht sofort nachempfinden können – auch für uns liegendiese Ereignisse schon etliche Zeit zurück –, immer wie-der den jungen Menschen sagen, was für ein Frie-densprojekt Europa ist und wie dankbar wir sein können,dass wir dieses Europa haben
und dass Europa die richtige Lehre aus der Vergangen-heit ist. Insbesondere Deutschland muss da selbstkritischsein.Aber – auch das haben die Kollegen gesagt –: DieseEuropäische Union, dieses gemeinsame Europa darfkeine Kopfgeburt sein. Es darf keine Union sein, um de-ren Zukunft sich allein Politiker, Wissenschaftler oderVertreter wirtschaftlicher Interessen streiten. Sie muss inden Herzen der Menschen verankert werden. Da müssenwir uns schon kritisch fragen, ob uns das gelungen ist.Ich glaube, wir haben Fortschritte erzielt. Auf die Euro-pawahlen im nächsten Jahr ist hingewiesen worden.Wollen wir hoffen, dass die Wahlbeteiligung hoch seinwird und insbesondere solche Parteien gewählt werden,die Europa positiv gegenüberstehen,
die sich zwar streiten, aber, lieber Herr Hunko, Europawollen.Ich gebe Ihnen recht: Mehr Demokratie ist auf euro-päischer Ebene notwendig. Betrachtet man die Art undWeise, wie die Gesetzgebung auf europäischer Ebeneabläuft, muss man sagen: Das ist noch nicht die Demo-kratie, die wir uns vorstellen.
Deswegen brauchen wir mehr Europa und mehr Rechtefür das Europäische Parlament.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 191
Dr. Johann Wadephul
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Dann wird es auch leichter werden, Europa den Men-schen zu erläutern.
Ich möchte auf zwei Punkte eingehen, die geradeeben auch hier in der Diskussion eine Rolle gespielt ha-ben.Der erste Aspekt, Herr Hunko, betrifft die Euro-Skep-sis, die in Griechenland bzw. in Südeuropa insgesamtverbreitet ist. Sie haben sie darauf zurückgeführt, dassdie Troika im Rahmen der Staatsschuldenkrise Auflagengemacht hat, und gesagt, dass man dort deswegen nichtmehr so sehr für Europa ist. In der Tat: Es gibt in Grie-chenland von rechts und auch von ganz links Kräfte, dieantieuropäisch sind; das stimmt, und das kann man sehrschnell analysieren. Gefahr für eine freiheitliche Demo-kratie droht übrigens immer – das will ich Ihnen ganzoffen sagen; Sie werden es nicht gerne hören – von ganzrechts und von ganz links, lieber Herr Hunko.
Das müssen Sie zur Kenntnis nehmen; das ist so.Aber es gibt nicht nur in Griechenland Euro-Skepsis.Es gibt sie auch anderswo, beispielsweise in Großbritan-nien, und das, obwohl dieses Land noch nicht einmal zurEuro-Zone gehört. Hier kann man keinen ursächlichenZusammenhang mit der Staatsschuldenkrise oder mitAuflagen der Europäischen Union herstellen. Trotzdemgibt es auch dort Euro-Skepsis.Wenn wir ganz ehrlich sind: Auch bei der Bundes-tagswahl hat Euro-Skepsis eine Rolle gespielt. Die AfDist zwar an der Fünfprozentklausel gescheitert, aberEuro-Skepsis gibt es, wie gesagt, auch in Deutschlandund England. Es ist konsequent, dieser Skepsis insge-samt entgegenzutreten. Deswegen hat die Union dieAbsicht, mit einem europapolitisch positiven Programmund vor allen Dingen mit einem Politiker mit britischenWurzeln zur Europawahl anzutreten, der aus Schottlandkommt. Die Schotten sind proeuropäisch. DavidMcAllister ist der Richtige, der das verkörpert
und dafür sorgen wird, dass wir sicherlich wieder mit ei-ner starken CDU/CSU in der EVP-Gruppe vertreten seinwerden.Ich glaube, dieses Programm ist richtig. Es ist not-wendig, dass wir es hier und heute gesetzgeberisch aufden Weg bringen. Wir alle sollten auch bei uns zu Hauseeinen Beitrag leisten. Es gibt nichts Gutes, außer man tutes. Also: Lassen Sie uns alle gemeinsam jeden Tag auchbei uns zu Hause für Europa eintreten!Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird die Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 18/13 an den Hauptausschuss vor-
geschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –
Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-
schlossen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 12 auf:
Erste Beratung des von den Abgeordneten Klaus
Ernst, Susanna Karawanskij, Jutta Krellmann,
weiteren Abgeordneten und der Fraktion DIE
LINKE eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Abschaffung der sachgrundlosen Befris-
tung
– Drucksache 18/7 –
Überweisungsvorschlag:
Hauptausschuss
Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Jutta Krellmann für die Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Schade,dass wir heute erst so spät abends über das Thema„Sachgrundlose Befristung“ reden. Ich glaube nämlich,das ist ein sehr wichtiges, ein existenzielles Thema. Esist so wichtig, dass ich mir wünschen würde, diese De-batte und die Ergebnisse dieser Debatte kämen nochheute bei den Menschen im Lande an, damit man da-rüber reden kann.
Ich möchte mit einem Beispiel aus der Praxis, das ichgerade erlebt habe, beginnen. Vor einer Woche war ichGast bei der Betriebsversammlung eines Berliner Call-centers. Mehrere Hundert Mitarbeiterinnen und Mitar-beiter telefonieren und beraten dort, unter anderem fürdie Bundesagentur für Arbeit. Ich war schockiert, als ichhörte, wie viele engagierte Belegschaftsmitglieder in ei-nem unsicheren, befristeten Arbeitsverhältnis festhän-gen: sagenhafte 95 Prozent der Belegschaft. Nur 5 Pro-zent haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das istungeheuerlich.
Befristete Arbeitsverträge bedeuten für die Beschäftig-ten massiven Druck und unsichere Zukunftsperspekti-ven; das ist in besagtem Callcenter sehr deutlich ge-worden: Auf der Betriebsversammlung klagtenalleinerziehende Frauen, dass sie „freiwillig“ samstagsarbeiten sollen. Sie wissen nicht, wo sie ihre Kinderwährenddessen unterbringen können. Sie wissen abergenau: Wer samstags nicht arbeitet, bekommt bei derVerlängerung seines befristeten Arbeitsvertrages Pro-bleme. Was, bitte schön, soll daran freiwillig sein? Dasist doch Erpressung!
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192 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Jutta Krellmann
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Arbeitshetze, Überstunden, Arbeit am Wochenende undzu späten Zeiten: Durch befristete Verträge wird denBeschäftigten mit dem Entzug ihrer Existenzgrundlagegedroht. Hinzu kommt schlechte Bezahlung: Stunden-löhne von 7,90 Euro sind keine Seltenheit. Es gibt kei-nen Tarifvertrag, und der Arbeitsschutz ist mangelhaft.Das Problem ist: Das geschilderte Beispiel ist keinExotenbeispiel. Verhältnisse wie in diesem Callcenterfindet man in Tausenden von Betrieben. Trotzdem ste-hen viele der Beschäftigten zu ihrem Job und sind vondem Produkt, über das sie beraten, überzeugt. Die Be-schäftigten lassen sich trotz aller Widrigkeiten nicht un-terkriegen. In dem gleichen Callcenter haben die Be-schäftigten vor fünf Monaten einen Betriebsrat gewählt.Ich finde, unter den Bedingungen von massenhaften Be-fristungen ist es wirklich eine große Leistung, einen Be-triebsrat zu wählen. Das verdient unsere Anerkennung.
Dieser Betriebsrat muss wieder neu gewählt werden. Beifast der Hälfte der Betriebsratsmitglieder laufen dieVerträge aus oder sie sind noch nicht verlängert. DasProblem ist: Befristet Beschäftigte genießen keinenKündigungsschutz nach dem Kündigungsschutzgesetz.Befristet beschäftigte Betriebsräte genießen darüber hi-naus keinen besonderen Kündigungsschutz nach demBetriebsverfassungsgesetz. Das Unternehmen hat es inder Hand, unliebsame Beschäftigte und kritischeBetriebsräte problemlos loszuwerden; angesichts derBefristung der Arbeitsverträge ist das nur eine Frage derZeit.Das Schlimme ist: Die Unternehmen dürfen all dies;alles, was dort passiert, ist rechtlich zulässig. Deshalbmüssen die gesetzlichen Rahmenbedingungen jetztschnell geändert werden, und zwar noch vor der nächs-ten Betriebsratswahl im Frühjahr nächsten Jahres.
Belegschaften dürfen durch Befristungen nicht weiterdaran gehindert werden, ihre Rechte wahrzunehmen.Dieses Callcenter ist kein Einzelfall in Deutschland.Deswegen meine Bitte und meine Aufforderung an alle:Die Linke hat einen Gesetzentwurf vorgelegt, wie er inder letzten Legislaturperiode teilweise genau in ähnli-cher Form vorgeschlagen wurde von uns, von den Grü-nen und von der SPD. Zu sachgrundlosen Befristungensteht in den Koalitionsvereinbarungen kein Wort.
Das heißt für mich: Es kann keinen Grund geben, warumman unserem Antrag jetzt nicht zustimmt.
Tausende von Menschen bekämen eine Zukunftsper-spektive, bekämen Sicherheit für sich und ihre Familien,könnten für den Betriebsrat kandidieren. Deswegenmeine Bitte: Stimmen Sie zu, damit wir Beschäftigten,die in Befristungen festhängen, endlich eine Perspektivegeben können.Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion hat nun der Kollege
Dr. Carsten Linnemann das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen! Meine Herren! Wir spre-chen heute über das Arbeitsmarktinstrument „Sach-grundlose Befristung“. Das Ganze passiert im Lichte derKoalitionsverhandlungen, die wir gestern abgeschlossenhaben.Wir haben uns in den Koalitionsverhandlungen fak-tisch alle Arbeitsmarktinstrumente angesehen – immerunter der Überschrift: „Wo gibt es Schieflagen? Womüssen wir etwas ändern?“ Beim Thema Zeitarbeit ha-ben wir beispielsweise das Problem der Höchstüberlas-sungsdauer gelöst – ich persönlich hätte mir 24 Monategewünscht, aber wir haben uns auf 18 Monate geeinigt;so ist das mit Kompromissen –, bei den Werkverträgenhaben wir die Informationsrechte neu geregelt, und beider sachgrundlosen Befristung haben wir – vor allenDingen die Union – keinen Änderungsbedarf gesehen.Frau Krellmann, ich will Ihnen jetzt auch einmal sa-gen, warum nicht, und ich will all das, was Sie erklärthaben, ein bisschen relativieren:Erster Punkt. Sie müssen sich natürlich erst einmalansehen, wie viele Menschen in Deutschland ein befris-tetes und wie viele ein unbefristetes Angestelltenverhält-nis haben. Ich habe mir einmal die Zahlen vom IAB, ei-nem Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit– es ist also höchst unverdächtig –, angeschaut. Es sagt,dass der Anteil befristeter Arbeitsverhältnisse seit 2006mit unter 9 Prozent etwa gleichbleibend ist. Das heißt imUmkehrschluss: 91 Prozent der Menschen in Deutsch-land haben einen unbefristeten Arbeitsvertrag. Das isterst einmal eine gute Botschaft für dieses Land.
Zu den Neueinstellungen: Der Anteil der befristetenNeueinstellungen liegt seit 2005 in der Tat in einem Kor-ridor von 43 bis 47 Prozent; aktuell sind es 44 Prozent.Die entscheidende Kennziffer ist aber doch die Übernah-mequote. Es geht darum, dass die Menschen, die einenbefristeten Arbeitsvertrag bekommen, auch die Aussichtauf einen unbefristeten Arbeitsvertrag haben. DieseÜbernahmequote ist in den letzten Jahren signifikant ge-stiegen. 2009 wurden 30 Prozent von ihrem Arbeitgeberübernommen, jetzt liegt die Quote bei 39 Prozent, weilgerade auch die Arbeitgeber im Mittelstand, die kleinenund mittleren Betriebe, händeringend neue Beschäftigtesuchen und deshalb einen großen Anreiz haben, dieseMenschen möglichst schnell unbefristet einzustellen.
Das heißt, dieses Instrument ist eine Brücke in den Ar-beitsmarkt – gerade für Berufseinsteiger.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 193
Dr. Carsten Linnemann
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Frau Krellmann, lassen Sie mich der Fairness halberzweitens sagen: Sie sprachen von den Gewerkschaften.Interessant ist, dass die Gewerkschaften diese sach-grundlose Befristung einschränken bzw. abschaffen wol-len, während sie sie in den Tarifverträgen gleichzeitigselbst erlauben – gerade die DGB-Gewerkschaften –,und zwar nicht nur für 24 Monate, sondern sie nutzenauch die Öffnungsklausel und weiten diese sachgrund-lose Befristung auf 48 Monate aus.
Das hat die IG BCE, die Industriegewerkschaft Bergbau,Chemie, Energie, in fast allen Tarifverträgen so geregelt,
und auch für die IG Metall in Baden-Württemberg gel-ten diese 48 Monate in einigen Verträgen.Es macht deshalb keinen Sinn, dass der Gesetzgeberetwas verbietet, was bei vielen Tarifvertragsparteiengang und gäbe ist; und deswegen sehen wir hier auchkeinen Änderungsbedarf.
Kollege Linnemann, gestatten Sie eine Zwischenfrage
oder Bemerkung der Kollegin Krellmann?
Ich möchte meine Rede gerne zu Ende bringen; ich
bin sofort fertig.
Drittens. Das letzte Beispiel ist die Frage – Sie haben
das indirekt ja auch angesprochen –: Wo wird befristet?
Wo finden Befristungen statt? Interessant ist, dass die
Quote der befristeten Arbeitsverhältnisse in der Privat-
wirtschaft bei rund 7 Prozent liegt, während sie im öffent-
lichen Dienst mehr als doppelt so hoch ist. Im Bereich
„Erziehung und Unterrichtung“ liegt sie beispielsweise
bei 17 Prozent. Bei den Neueinstellungen wird das noch
deutlicher: Im Bereich „Erziehung und Unterricht“ – öf-
fentliche Verwaltung bzw. öffentliche Hand – beträgt die
Quote fast 80 Prozent, während es im Mittelstand rund
20 Prozent sind, zum Beispiel 23 Prozent im Bereich
„Baugewerbe, Information und Kommunikation“ usw.
Das heißt, der Staat als Arbeitgeber muss erst einmal
selbst seine Praxis überprüfen, bevor er überhaupt daran
denken kann, regulierend in den Markt einzugreifen, um
Mittelständler unter Druck zu setzen.
Der Grund für diese Unterschiede ist klar: Es gibt ei-
nen eigenen Sachgrund in der öffentlichen Verwaltung,
nämlich die Mittelbefristung. Diesen Sachgrund gibt es
im Mittelstand nicht. Es gibt keinen Sachgrund Auf-
tragslage oder Konjunkturlage. Wenn es ihn gäbe, dann
könnte man ja über alles reden, aber den gibt es nicht.
Deshalb halten wir an der sachgrundlosen Befristung
fest.
Wir sehen hier keinen Änderungsbedarf. Wir brau-
chen die flexiblen Arbeitsmarktinstrumente für die Er-
folge am Arbeitsmarkt, und deshalb lehnen wir Ihren
Antrag ab.
Herzlichen Dank.
Die Kollegin Krellmann hat zu einer Kurzinterven-
tion das Wort.
Herr Linnemann, ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist,
dass die Tarifverträge, von denen Sie gesprochen haben,
Tarifregelungen vorsehen, die in der Krise ganz bewusst
gemacht wurden, um zu verhindern, dass die Menschen
erwerbslos werden. Sie boten neben der Kurzarbeit eine
Möglichkeit, Menschen im Betrieb zu halten. Dieses In-
strument soll nicht in der Zeit genutzt werden, in der es
der Wirtschaft gut geht und wo man dieses Instrument
im Grunde gar nicht braucht, sondern einen Fachkräfte-
mangel beklagt.
Das Problem ist: Von befristeten Verträgen sind
2,7 Millionen Menschen betroffen. Das sind fast 10 Pro-
zent. Das heißt in der Konsequenz, 50 Prozent aller Neu-
einstellungen werden befristet eingestellt, obwohl es
eine Probezeit gibt, von der Sie eben gar nicht gespro-
chen haben. Für das, was Sie beschrieben haben, ist die
Probezeit da und nicht die Befristung von Beschäfti-
gungsverhältnissen.
Sie haben das Wort zur Erwiderung, Kollege
Linnemann.
Frau Krellmann, ich meine die laufenden Tarifver-träge. Sie sind nicht auf die Zeit von damals beschränkt,sondern es handelt sich um laufende Tarifverträge.
Ich war selber in der Arbeitsgruppe Arbeit und Sozia-les bei den Koalitionsverhandlungen dabei. Es ist öffent-lich – es ist auch nicht schlimm, das zu sagen –, wer dieGesprächspartner waren. Auf der anderen Seite warenzwei Vertreter der Gewerkschaft, die selbst als Chef ei-ner Gewerkschaft diese Tarifverträge unterschrieben ha-ben, die es noch immer gibt. Das ist einfach eine sachli-che Beschreibung.Noch einmal, Frau Krellmann: Die meisten befriste-ten Verträge gibt es im öffentlichen Dienst. Fangen wirdoch erst einmal da an, bevor wir versuchen, regulierendin den Markt, in den Mittelstand einzugreifen.Herzlichen Dank.
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Für die SPD-Fraktion hat die Kollegin Anette
Kramme das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Herr Dr. Linnemann und liebe Kolleginnenund Kollegen von der Union, die Große Koalition, dieim Raum steht, wird leider nichts daran ändern, dass wirin der einen oder anderen Frage dennoch unterschiedli-cher Meinung sind.
Das wird sich natürlich auch nicht so ohne Weiteres än-dern.Ich muss ausnahmsweise der Frau Krellmann von denLinken recht geben, dass uns das angesprochene Themabefristete Beschäftigung sehr am Herzen liegt. Dabeigeht es um die prekäre Beschäftigung insgesamt. Umwieder zum Koalitionsfrieden zurückzukommen: Ichfinde, wir haben gemeinsam in dem möglichen Vertrageine Menge erreicht, was dazu führen wird, dass die Zahlder prekären Beschäftigungsverhältnisse in der Bundes-republik Deutschland abnehmen wird.
Da haben wir das Thema Mindestlohn. Ab dem 1. Ja-nuar 2015 werden wir bundesweit einen flächendecken-den, einheitlichen Mindestlohn einführen. Ich finde, dasist ein großer Erfolg für Deutschland. Das ist geradezuein historisches Ereignis.
Wir gestatten es den Tarifvertragsparteien sogar, da-rüber hinauszugehen, zu sagen: Dieser gesetzliche Min-destlohn ist uns nicht hoch genug. Wir wollen über eineneigenen Mindestlohntarifvertrag einen noch höheren er-reichen. – Auch das ist eine gute Geschichte.Dann haben wir ein Thema aufgegriffen, von dem ichbehaupte: Es war in den letzten 20 oder 30 Jahren in die-sem Raume nicht einmal diskussionsfähig. Wir habengesagt: Wir gehen das Tarifvertragsgesetz an und refor-mieren die Allgemeinverbindlicherklärung. Für diejeni-gen, die es nicht so genau wissen: Die Allgemeinver-bindlicherklärung soll bewirken, dass in einer Brancheein Tarifvertrag wie ein Gesetz wirkt. Damit sollen mög-liche Missstände in einem Bereich beseitigt werden.Wir kümmern uns auch um das Thema Leiharbeit.Die Höchstüberlassungsdauer soll künftig bei lediglich18 Monaten liegen. Das ist eine prima Geschichte. Wirändern auch Kleinigkeiten – sie sind leider nicht hinrei-chend – beim Thema Equal Pay. Ich kann weitere Dingenennen, beispielsweise bei der Entgeltgleichheit, die ins-besondere Frauen betrifft. Ich finde es einen Skandal,dass Frauen in dieser Republik im Schnitt immer nochwesentlich weniger verdienen als Männer.
Wenn den Frauen künftig ein Auskunftsanspruch hilft,um Entgeltgleichheit durchzusetzen, dann ist das einegroßartige Geschichte.Meine Damen und Herren von der Union, lassen Siemich bei dieser Gelegenheit für die Art und Weise dan-ken, in der diese Koalitionsverhandlungen verlaufensind. Meine Erfahrung war: Es waren konstruktive undfachkundige Gespräche, und das ist richtig gut gelaufen.Aber jedem Vertrag ist immanent, dass ein Kompro-miss damit einhergeht. Ein Kompromiss beinhaltet ge-genseitiges Nachgeben. Es gibt sogar den gängigenSpruch: Ein guter Kompromiss liegt dann vor, wennbeide Seiten heftig über denselben schimpfen. Ich kannIhnen sicher sagen, dass wir als SPD dies an der einenoder anderen Stelle tun.Wenn wir über das Thema Maut reden, dann wird mirganz anders. Wenn wir über die Fortsetzung des Betreu-ungsgeldes reden, bin ich auch nicht gerade erfreut. Wirwären auch der Auffassung gewesen, dass wir für diesesLand Steuererhöhungen gebraucht hätten. Aber wir ha-ben diese nicht durchsetzen können. So ist auch dasThema sachgrundlose Befristung eines, das uns leidernicht zufriedenstellt.Es gibt eine Menge Fakten, die dafür sprechen, diesachgrundlose Befristung zu streichen. Fast 50 Prozentaller Neueinstellungen erfolgen befristet, wie erwähnt,gerade im öffentlichen Dienst, wobei meine persönlicheHaltung zu dem Thema ist, dass gerade der öffentlicheDienst eine Vorbildfunktion einnehmen müsste, was Be-schäftigungsverhältnisse angeht.
Daran können an sich alle hier im Raum mitwirken. Allesind in irgendwelchen Landesregierungen vertreten undhaben natürlich auch die Möglichkeit, mit den Kommu-nen zu reden. Ich finde, wir sollten dieses Thema ge-meinsam angehen.Leider sind mittlerweile fast 10 Prozent aller Arbeits-verhältnisse insgesamt befristet. Dabei gibt es einen As-pekt, der, finde ich, besonders betroffen macht. Es sindgerade die jungen Menschen, die von Befristungen be-troffen sind. 19 Prozent aller jungen Menschen bis34 Jahre haben einen befristeten Arbeitsvertrag. Das isteine Gruppe von Menschen, die in ihrer Lebensplanungeingeschränkt sind, und das in einem Alter, in dem ansich jede Menge Entscheidungen zu treffen sind, etwa obman eine Familie gründet, ob man Investitionen größererArt tätigt usw. Es geht also um die Lebensplanung.Befristete Beschäftigung hat auch etwas mit derDurchsetzung von Rechten zu tun. Umso häufiger sindbefristet Beschäftigte deshalb überdies von Niedriglöh-nen betroffen.Meine Damen und Herren von der Union, vielleichtüberlegen Sie sich das Ganze noch einmal. Sie habenjetzt jede Menge gute Argumente geliefert bekommen.
Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie-ßend Folgendes sagen: Der Koalitionsvertrag als solcher
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 195
Anette Kramme
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ändert nichts an unserer Haltung zu befristeter Beschäfti-gung, wobei wir weitergehend der Auffassung sind, dassman auch über die Sachgrundbefristung nachdenkenmüsste. Ein Beispiel sei an dieser Stelle genannt.In meinem Wahlkreis gibt es ein Klinikum mit über2 000 Beschäftigten. Dort gibt es auch immer wieder Er-ziehungszeitvertretungen. In einem solchen großenKrankenhaus gibt es jede Menge identischer Stationen:mehrere internistische Stationen, mehrere chirurgischeStationen, mehrere Intensivstationen usw. Statt jeweilsmit Sachgrundbefristungen zu arbeiten, könnte manauch wunderbar Springer einsetzen. Alle gemeinsammüssen also auf allen Ebenen mitwirken, damit auch dasbesser wird.Unsere Position ist nicht verändert. Deshalb sagt auchunsere Fraktion Ja zu diesem Koalitionsvertrag. Ich binmir sicher, unsere Mitglieder werden es auch tun. In demSinne hoffe ich, dass sich in den nächsten vier Jahren tat-sächlich etwas positiv für die Menschen in diesem Landewendet.Ganz herzlichen Dank.
Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat die Kol-legin Beate Müller-Gemmeke das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Mittlerweile hat fast jeder zweiteneue Job ein Verfallsdatum, Herr Linnemann; das ist dasProblem und nicht die absolute Zahl. Diese Entwicklungsehen wir mit großer Sorge. Deswegen haben wir in derletzten Wahlperiode einen fast identischen Antrag in denBundestag eingebracht – wie heute die Linke. Wir hattengehofft, dass sich die Große Koalition – anders alsSchwarz-Gelb – endlich mit diesem Problem befasst undsich ihm stellt. Im Koalitionsvertrag steht aber kein ein-ziges Wort zur sachgrundlosen Befristung. Ich finde, dasgeht überhaupt nicht. Ein Kapitel „Vollbeschäftigung,gute Arbeit und soziale Sicherheit“ ohne das Thema Be-fristung geht nicht; denn das ignoriert die Sorgen und dieÄngste der Menschen.
Ich bleibe ganz kurz beim Koalitionsvertrag, weil die-ser mehrfach angesprochen wurde. Natürlich sind Kom-promisse notwendig, und natürlich gibt es auch Verbes-serungen. Über den Mindestlohn haben wir schondiskutiert. Die Tarifautonomie wird gestärkt; das ist mirpersönlich ein besonderes Anliegen. Die Werkverträgewerden – ich sage mal – reguliert. Da sehen wir auch un-sere Vorschläge teilweise verwirklicht. Das heißt, hierstimmt die Richtung. Ich hoffe: Sie setzen das auchwirklich um.Bei anderen Themen haben wir aber heftige Kritik.Enttäuschend finde ich beispielsweise die Pläne bei derLeiharbeit. Equal Pay soll es erst nach neun Monaten ge-ben; das kennen wir eigentlich nur von der FDP. Dasgeht gar nicht. Die Begrenzung der Überlassungszeit istrichtig. Aber sie ist zu lang und muss vor allem an denArbeitsplatz gebunden werden. Das heißt, bei der Leih-arbeit werden wir uns noch viel streiten.
Ein weiterer Kritikpunkt betrifft die Minijobs. Hierfehlt die Rentenversicherungspflicht; das kann ich über-haupt nicht verstehen.
Eine Leerstelle gibt es insbesondere beim Beschäftigten-datenschutz. Hier brauchen wir endlich faire Regelungenzum Schutz der Beschäftigten.Das Kapitel „Gute Arbeit“ hat also etliche Lücken.Uns, der Opposition, wird die Arbeit nicht ausgehen. DieDiskussionen im Ausschuss gehen weiter.
Zurück zu den Befristungen; denn das Thema ist mirschon wichtig. Da es keine Koalitionspläne gibt, über dieman reden kann, werde ich – wie in den letzten vier Jah-ren – einfach die Situation beschreiben, damit hier end-lich etwas passiert. Die sachgrundlose Befristung hatsich in den letzten Jahren wie ein Virus ausgebreitet. DieArbeitgeber nutzen natürlich diesen Vorteil; denn das er-möglicht ihnen eine extrem flexible Personalpolitik. DerPreis für die Beschäftigten ist aber hoch, wir meinen: zuhoch.
Beschäftigte, die befristet angestellt sind, haben ein ho-hes Armutsrisiko. Sie werden viel häufiger arbeitslos alsregulär Beschäftigte. Sie können auch nicht über denTag hinaus planen. Die ständige Unsicherheit belastetdie Menschen. Viele machen sich Sorgen über dieZukunft und haben Angst vor Krankheit und Armut imAlter. Lebensqualität sieht anders aus.Wer weiterbeschäftigt werden will, verhält sich ruhigund wird nicht gerade auf seine Rechte pochen. Manverschlechtert ja nicht leichtfertig mögliche Chancen.Das wissen auch die Arbeitgeber. Deswegen sind dieArbeitsbedingungen häufig schlechter als bei regulärerBeschäftigung. Der Lohn ist niedriger, und es gibt wederAufstiegs- noch Weiterbildungsmöglichkeiten. Das alleszusammen ist für uns nicht akzeptabel.Dabei beschäftigt mich eine Entwicklung ganz beson-ders; Frau Kramme hat sie schon angesprochen: Geradejunge Menschen sind von Befristungen besonders starkbetroffen. Lebensplanung ist etwas, worüber viele jün-gere Beschäftigte nur noch müde lächeln können. Das istnicht nur ungerecht, sondern mit Blick auf den demogra-fischen Wandel auch verantwortungslos; denn gerade
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Beate Müller-Gemmeke
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junge Menschen brauchen ihren Platz in unserer älterwerdenden Gesellschaft. Auch deswegen wollen wir diesachgrundlose Befristung abschaffen.
Ich höre immer, Betriebe seien dann nicht mehr flexi-bel genug in ihrer Personalplanung. Dazu sage ich: Esgibt eine ausreichend lange Probezeit. Kleine Betriebesind vom Kündigungsschutz ganz befreit. Für die ande-ren gibt es noch immer die Befristung aus sachlichemGrund, beispielsweise für einen Zusatzauftrag, beiSaisonarbeiten oder für ein bestimmtes Projekt. Gleichesgilt bei Elternzeit, bei längerem Urlaub oder Krankheit.Wer gute Gründe hat, könnte also weiterhin befristen.Sachgrundlos, also einfach willkürlich, das soll aberkünftig nicht mehr möglich sein. Durch Befristungendarf das unternehmerische Risiko nicht einfach auf dieBeschäftigten übertragen werden. Auch der Kündi-gungsschutz darf nicht umgangen werden. Nur so wärees richtig und auch fair.
Unser Ziel ist es also, eine neue, eine gerechte Ba-lance herzustellen, die den Interessen der Arbeitgeberund der Beschäftigten gleichermaßen gerecht wird. Fle-xible Arbeitsverhältnisse dürfen keine Einbahnstraßesein; denn die Menschen brauchen soziale Sicherheit.Das Thema steht, wie ich schon gesagt habe, nicht imKoalitionsvertrag. Wir werden aber dranbleiben. Daskann ich Ihnen versichern.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Johann Wadephul für
die Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! In der Tat steht zur sachgrundlosen Befristungnichts im Koalitionsvertrag, und das hat seinen Grund,nämlich den, dass wir an den Regelungen nichts ändernwerden. Ich will Ihnen das kurz begründen.Die sachgrundlose Befristung von Arbeitsverhältnis-sen gibt es seit Mitte der 80er-Jahre. Eingeführt wurdesie von Arbeitsminister Norbert Blüm. Nachdem sieErfolge zeitigte und dafür gesorgt hat, dass es mehrBeschäftigung gegeben hat, war es Rot-Grün, Frau Kol-legin Müller-Gemmeke, die diese in das Teilzeit- undBefristungsgesetz überführt hat.
Es war die Abgeordnete Dr. Thea Dückert, die am26. Oktober 2000, damals der Fraktion Bündnis 90/DieGrünen angehörend, zur Einführung dieses Gesetzessagte:Im Ganzen wird die Befristung ohne sachlichenGrund weiterhin ermöglicht; das ist uns wichtig.
Ich muss sagen: Die Kollegin Dückert hatte recht.
Die Arbeitsmarktlage gibt ihr recht. Bleiben Sie dochbitte bei dem, was Sie selber erkannt haben. Das hat fürmehr Beschäftigung in Deutschland gesorgt.
Verabschieden Sie sich doch nicht von allen Reformen,die Sie durchgeführt haben! Es ist doch eine etwas schi-zophrene Situation: Wir werden europaweit dafürbewundert, uns wird dafür auf die Schultern geklopft. Dakommt man sich als Unionsmensch eigenartig vor: Wirwerden dafür gelobt, was Rot-Grün für sinnvolle Refor-men durchgeführt hat. Die mussten wir an manchen Stel-len – bei Hartz IV haben Sie die Kinder vergessen usw. –nachbessern. Das haben wir gemacht. Sie haben demauch zugestimmt. Sie haben notwendige Arbeitsmarktre-formen durchgeführt. Jetzt haben diese Erfolg. Aber dasSchizophrene ist, dass Sie diese wieder zurückdrehenwollen. Das ist völlig irrsinnig, und das werden wir nichtmachen.
Diese Reformen waren richtig und notwendig. Sie sor-gen für Arbeitsplätze, und deswegen bleibt es dabei.
Das ist keine Märchenstunde. Schauen Sie sich dochschlicht und ergreifend die Arbeitsmarktzahlen inDeutschland an.
Wir haben noch nie so viele sozialversicherungspflichtigBeschäftigte gehabt wie heute.
Wir haben eine exzellente Situation in allen Kassen.
– Liebe Kollegen der Linksfraktion, Sie merken – diesenVerhandlungserfolg kann die SPD in der Tat für sich ver-buchen –, dass Ihnen sozialpolitisch sämtliche Fellewegschwimmen.
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Dr. Johann Wadephul
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Deswegen fangen Sie in einer parlamentarischen Unge-duld an, diese Themen noch einmal hochzukochen. Esist schlicht und ergreifend in dem Bereich nicht mehr zuerreichen. Wir müssen bei dem bleiben, was sinnvoller-weise vereinbart worden ist.Ich möchte in dieser Debatte zumindest einmal – dashat der Kollege Linnemann vorhin auch schon gemacht –auf die Arbeitgeberseite zu sprechen kommen. Auch diegibt es. Nicht jeder Arbeitgeber, insbesondere der im be-troffenen Mittelstand, ist ein schlimmer Ausbeuter, derjungen Menschen, von denen Sie hier die ganze Zeit re-den, die Zukunft verbauen will. Wir reden doch prak-tisch über den Mittelstand. Befristete Arbeitsverhältnissehaben faktisch im Bereich der Kleinstbetriebe, das heißtin Betrieben mit bis zu zehn Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmern, gar keine Bedeutung, weil diese Betriebeohnehin jederzeit kündigen können. Da gilt das Kündi-gungsschutzgesetz überhaupt nicht.
Die Regelungen haben ebenso wenig Bedeutung beigrößeren, tarifgebundenen Unternehmen, wo es entwe-der Haustarifverträge oder die von dem KollegenDr. Linnemann schon erwähnten Tarifverträge gibt– Stichwort IG BCE –, die eine zum Teil noch viel län-gere sachgrundlose Befristung zulassen. Betroffen sinddie Betriebe, die sich in der schwierigen Sandwichposi-tion, also dazwischen, befinden, das heißt mehr als zehnArbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer haben, aber nochkein Großbetrieb sind, der ohnehin mitbestimmt ist, woes einen Betriebsrat gibt, wo es eine Gewerkschaft gibt,wo auf solche Sachen ohnehin mit Einstellungskriterienund mit einem Haustarifvertrag reagiert wird. Diese Be-triebe schaffen Arbeitsplätze in Deutschland. Sie brau-chen in diesem Haus einen Anwalt, und das werden dieUnionsfraktion und Personen wie Herr Dr. Linnemannals Vorsitzender unserer Mittelstands- und Wirtschafts-vereinigung sein. Menschen wie er sorgen dafür, dassdiese Betriebe weiterhin einen Anwalt im Bundestag ha-ben. Sie brauchen die Möglichkeit der sachgrundlosenBefristung, um atmen zu können.
Täuschen Sie sich nicht: Vermeintliche Sachgründewie „Wir haben jetzt einen Auftrag, und zur Abwicklungdieses Auftrages stellen wir befristet mehr Menschenein“ sind vor Arbeitsgerichten in Deutschland unsicher.Ich bin in diesem Bereich seit einigen Jahren beratendtätig. Als verantwortlicher Jurist wird man keinem Be-triebsinhaber sagen können: Mit dieser Begründungkannst du dich, wenn die Auftragslage schlechter wirdoder wenn dieser Auftrag abgewickelt ist, ohne Weiteresund ohne Abfindung wieder von den Arbeitnehmerntrennen. – Diese Trennung wollen die Arbeitgeber janicht, um den Arbeitnehmern irgendetwas Schlechtes zutun, sondern weil sie schlicht und ergreifend nicht mehrbezahlbar sind. Bevor Betriebe in die Gefahr kommen,notleidend zu werden oder sogar in die Insolvenz zu ge-hen, zumindest in eine ganz schwere Schieflage zu kom-men, müssen wir dem Mittelstand die Luft zum Atmengeben. Insofern ist es richtig, dass dieses Instrumenta-rium erhalten bleibt.Wenn man sich den Koalitionsvertrag insgesamt an-schaut – das ist in dieser Debatte etwas zu kurz gekom-men –, dann muss man sagen: Er ist nicht zu mittel-standslastig, sondern er ist gerade im sozialpolitischenBereich erheblicher Kritik aus dem Arbeitgeberlagerausgesetzt. Deswegen geht Ihre Kritik, dass wir die Inte-ressen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nichthinreichend gewürdigt hätten, vollkommen fehl. Das istein ausgewogener Koalitionsvertrag. Auch in diesemBereich werden wir ihn umsetzen und dafür sorgen, dasses noch mehr Beschäftigung in Deutschland gibt.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die
Unionsfraktion.
Sehr gehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Einmal mehr beschäftigen wir uns heute mitder sachgrundlosen Befristung, einem arbeitsrechtlichenInstrument, das sich bewährt hat und dessen Abschaf-fung unseren Arbeitsmarkt belasten würde; Vorrednerhaben bereits darauf hingewiesen.Die Lage auf dem hiesigen Arbeitsmarkt ist so gutwie noch nie. Wir haben so hohe Beschäftigungsquotenwie nie zuvor, mit Abstand die geringste Jugendarbeits-losigkeit innerhalb der EU, und unserer Wirtschaft gehtes ausgesprochen gut. Wir haben – das besagen die ak-tuellen Zahlen – über 300 000 mehr sozialversicherungs-pflichtige Beschäftigungsverhältnisse im Vergleich zumVorjahresniveau. Wir haben insgesamt so viele sozial-versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse wienoch nie auf deutschem Grund und Boden.
Großen Anteil an diesem Erfolg haben unsere flexi-blen Beschäftigungsformen; das gehört zur Wahrheit.Frau Kollegin Müller-Gemmeke, es war die rot-grüneBundesregierung, die das Teilzeit- und Befristungsge-setz, das zum 1. Januar 2001 in Kraft getreten ist, einge-führt hat. Das war angesichts des damaligen verkrustetenArbeitsmarkts richtig.Jetzt kommt Frau Kollegin Krellmann und sagt: Wirhaben aber jetzt Fachkräftemangel; es schaut wiederganz anders aus. – Frau Kollegin Krellmann, es gibt kei-nen Grund dazu, jetzt schon übermütig zu werden. Wirdrehen das, was damals an Lockerung auf dem Arbeits-markt gemacht worden ist, nicht zurück. Wir fahren un-sere Volkswirtschaft nicht mutwillig an die Wand, wie es
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Paul Lehrieder
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unsere westlichen Nachbarn in Frankreich derzeit im Be-griff sind zu tun.Lassen Sie uns nicht übermütig werden. Lassen Sieuns die probaten, die richtigen Instrumente, die Rot-Grün sinnvollerweise eingeführt hat, nutzen und nichtdas Kind mit dem Bade ausschütten. Wir sollten dieseInstrumente tatsächlich weiterentwickeln. Frau KolleginKramme hat darauf hingewiesen: Entsprechend sind wirbei der Leiharbeit vorgegangen; wir haben trotz unter-schiedlicher Vorstellungen Equal Pay eingeführt. Wirhaben etliches Gute, etliches Sinnvolle zur Einschrän-kung von Missbräuchen bei flexiblen arbeitsmarktpoliti-schen Instrumenten auf den Weg gebracht. Aber einkompletter Verzicht auf die sachgrundlose Befristungwürde den Arbeitsmarkt absolut kontraproduktiv belas-ten. Deshalb ist dieser Verzicht auch nicht im Koalitions-vertrag enthalten.Meine Damen und Herren, die aus diesen Instrumen-ten resultierende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes hatzu einem beachtlichen Beschäftigungszuwachs geführt.Darauf können wir zu Recht stolz sein. Daran habenmehrere Bundesregierungen über mehrere Legislaturpe-rioden mitgearbeitet. Wir sollten uns auch hüten, jetzt andiesen Bedingungen zu rütteln.Ihr Entwurf, liebe Kolleginnen und Kollegen der Lin-ken, ist aber genau solch ein Versuch. Mit der Abschaf-fung der sachgrundlosen Befristung von Arbeitsverhält-nissen würde ein bewährtes Instrument ersatzlosgestrichen, das für viele Unternehmen Anreize bietet,mehr Personal einzustellen, und das für die Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer eine wichtige Brücke ineine unbefristete Beschäftigung ist.
– Frau Kollegin Müller-Gemmeke, Sie haben doch si-cher dem Kollegen Linnemann aufmerksam zugehört. Erhat gesagt: Wenn 40 Prozent aus einem befristeten Ar-beitsverhältnis fest übernommen werden, dann sind das40 Prozent Chancen, dann erhalten 40 Prozent der Men-schen für ihre Lebensplanung eine Perspektive.
Das gehört zur Wahrheit dazu.
Die Abschaffung der sachgrundlosen Befristung wäreein Nachteil für die Beschäftigungssituation in Deutsch-land. Deshalb lehnen wir den Entwurf ab, meine Damenund Herren.Selbstverständlich würde auch ich mir wünschen,dass alle Menschen in unserem Land von Anfang an ei-nen unbefristeten Arbeitsvertrag erhalten. Das ist derIdealfall. Auf diesen arbeiten wir mit ganzer Kraft hin.Allerdings gibt es durchaus Situationen, in denen eineBefristung nicht nur sinnvoll, sondern geradezu gebotenist. Nur durch diese Flexibilisierung können wir mehrMenschen erfolgreich in Arbeit bringen. Das muss letzt-lich unser aller vorrangiges Ziel sein.Befristete Verträge haben hier eine wichtige Funktionund schaffen Anreize für Unternehmen, bei vorüberge-hend guter Auftragslage mehr Arbeitnehmer zu beschäf-tigen. Das schafft Jobs,
die viele Firmen nicht vergeben würden, wenn es dieMöglichkeit der Befristung nicht gäbe. Für die Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmer birgt dies zugleich dieChance, sich zu beweisen und nach guter verlässlicherArbeit einen unbefristeten Arbeitsvertrag zu erhalten.Ja, es ist richtig: Wir müssen schauen, was im öffent-lichen Dienst passiert. Frau Kollegin Kramme, wir beidekommen aus Bayern. Wir wissen: Das Bayerische Kin-derbildungs- und -betreuungsgesetz sieht vor, dass El-tern bei den Kindergärten immer nur jahresweise buchenkönnen. Dass da unbefristete Arbeitsverhältnisse für denTräger schwierig sind, liegt in der Natur der Sache. Wirwerden sehen müssen, dass wir für qualifizierte Jugend-erzieherinnen in stärkerem Maße unbefristete Arbeits-verhältnisse hinbekommen und mit Springern bzw. mitanderen flexiblen Arbeitsverhältnissen trotzdem etwasmehr Flexibilität erreichen können.Gerade in Zeiten, in denen es auf dem Arbeitsmarktso gut geht wie jetzt, sollten wir diese Instrumente – ichhabe es vorhin bereits ausgeführt – nicht verwerfen, son-dern uns darauf besinnen, warum wir derzeit so wenigArbeitslose haben.Sicherlich stimme ich mit Ihnen überein, dass sich ander konkreten Ausgestaltung weiter feilen lässt, um Un-gerechtigkeiten weitestgehend zu vermeiden und eventu-ellem Missbrauch wirksam entgegenzuwirken.
Unsere Lebensabschnittsgefährtin von der SPD hatbereits darauf hingewiesen, dass sie nicht locker lassenwerden, dass sie aufpassen werden, dass wir die richti-gen Maßnahmen zum richtigen Zeitpunkt machen. Aberich warne davor, zum jetzigen Zeitpunkt das Kind mitdem Bade auszuschütten, übermütig zu werden und diesinnvollen rot-grünen Reformen der Agenda 2010 inBausch und Bogen zu verdammen und über Bord zuwerfen. Liebe Frau Müller-Gemmeke, ihr habt das da-mals richtig gemacht. Wir machen richtig weiter. HelfenSie in der Legislaturperiode mit! Dann kriegen wir etwasGescheites hin.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
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Vizepräsidentin Petra Pau
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Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-wurfs auf Drucksache 18/7 an den Hauptausschuss vor-geschlagen. Gibt es dazu anderweitige Vorschläge? –Das ist nicht der Fall. Dann ist die Überweisung so be-schlossen.Ich rufe den Zusatzpunkt 3 auf:Beratung des Antrags der AbgeordnetenDr. Frithjof Schmidt, Omid Nouripour, AgnieszkaBrugger, weiterer Abgeordneter und der FraktionBÜNDNIS 90/DIE GRÜNENOperation Active Endeavour beenden– Drucksache 18/99 –Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind fürdie Aussprache 38 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-nen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der KollegeDr. Frithjof Schmidt für die Fraktion Bündnis 90/DieGrünen.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Es ist sicher schon spät, aber es ist notwendig, dass wiruns im Plenum mit diesem Bundeswehreinsatz noch vorEnde des Jahres beschäftigen.
Die Bundeswehr beteiligt sich seit über zehn Jahrenan der Operation Active Endeavour. Der Sinn dieser mi-litärischen Sondermission zur Aufklärung und Terrorbe-kämpfung im Mittelmeerraum ist schon seit langemmehr als fragwürdig. Die Begründung des Einsatzes mitdem NATO-Bündnisfall durch Art. 5 des Nordatlantik-vertrages als Reaktion auf die Angriffe auf das WorldTrade Center in New York ist inzwischen völkerrechtlichhochproblematisch, mindestens jedoch schon langeüberholt.
Der Bündnisfall gehört aufgehoben.
Genau das haben wir letztes Jahr beantragt und gegeneine Mandatserteilung gestimmt. Die Sozialdemokratenund die Linke waren ebenfalls dagegen.
Es ist eigentlich ein Grund zur Freude, wenn die ge-schäftsführende Bundesregierung darauf verzichtet, einneues Mandat zu beantragen. Es läuft dann nämlich zum31. Dezember dieses Jahres aus. Aber dann hört manAnkündigungen aus den Reihen von SPD und CDU,dass der Einsatz einfach ohne Mandat 2014 fortgesetztwerden soll. Jede Bundesregierung seit 2003 hat für die-sen Einsatz ein Mandat des Bundestages für notwendiggehalten. Herr de Maizière hat das hier vor elf Monatenso begründet:Wenngleich der Schwerpunkt der Operation in derPräsenz und Überwachung liegt, sieht der Opera-tionsplan … nach wie vor die Anwendung militäri-scher Gewalt zur Erfüllung des Auftrages vor, auchwenn die Anwendung der entsprechenden Befug-nisse in der Vergangenheit überwiegend nicht zumTragen gekommen ist. Die Mandatierung der deut-schen Beteiligung durch den Deutschen Bundestagbleibt aufgrund der exekutiven Anteile des Auftra-ges weiterhin erforderlich.
Recht hat er damit gehabt, der Herr de Maizière. Werin diesen Einsatz Soldaten schicken will, der braucht da-für ein Mandat.
Das war 2013 so, und das ist auch 2014 so. Weder dieLage noch der Operationsplan der NATO haben sich inzentralen Punkten verändert. Wenn aus SPD und CDU/CSU jetzt die Zustimmungspflichtigkeit durch den Bun-destag verneint wird, dann höhlen Sie die parlamentari-sche Kontrolle von Bundeswehreinsätzen im Kern ausund schaffen einen unseligen Präzedenzfall. Und deswe-gen muss hier klargestellt werden, was die Große Koali-tion vorhat. Ohne Mandat müssen Sie die deutsche Be-teiligung an OAE beenden. Ich frage Sie: Sind Sie bereitdazu, oder wollen Sie wirklich das Parlament für dasnächste Jahr umgehen? Wir alle wissen, dass Einsätzewie in Mali oder vor der Küste des Libanon durchaus inGrauzonen zwischen Polen wie Ausbildung oder Über-wachung und möglichen Kampfhandlungen angesiedeltsind. Seit langem gab es in diesem Haus eine Art Grund-konsens zwischen allen Fraktionen: Im Zweifel für dieMandatspflichtigkeit. Die Soldatinnen und Soldaten imEinsatz brauchen diese Klarheit des Mandates. Unter-schiedliche Rechtsinterpretationen zwischen den Frak-tionen des Bundestages dürfen nicht auf ihrem Rückenausgetragen werden. Im Zweifel braucht es ein Mandat.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Union und SPD,Sie haben das bisher gewusst und getragen. Es war gut,dass wir diesen Konsens hatten. Ich sage Ihnen: Ich magnicht glauben, dass ausgerechnet Sozialdemokraten dasjetzt infrage stellen und die Union zu einer Revision ih-rer bisher richtigen Grundsatzposition nötigen, nur weilsie ein taktisches Abstimmungsproblem in der GroßenKoalition kommen sehen.
Das wäre wirklich ein trauriges Versagen und ist der Pro-grammatik der Sozialdemokraten nicht würdig.
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Dr. Frithjof Schmidt
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Stellen Sie die Beteiligung an der Operation Active En-deavour ein! Wenn Sie dazu nicht die Kraft haben, dannverabschieden Sie mit Ihrer Mehrheit ein Mandat. Aberhören Sie auf, das Parlamentsbeteiligungsgesetz poli-tisch zu beschädigen!Danke für die Aufmerksamkeit.
Der Kollege Roderich Kiesewetter hat für die Unions-
fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und
Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Lieber Herr
Dr. Schmidt, ich glaube, einige Ihrer Fragen kann ich so-
gar so beantworten, dass Sie erstaunt und erfreut sein
werden. Ich denke, dass wir noch genügend Zeit für eine
ausreichende parlamentarische Befassung zu diesem
Thema haben werden.
Aber blicken wir kurz zurück: Es geht um das Mittel-
meer. Wenn wir das Mittelmeer betrachten, so wissen
wir, dass es eines der wichtigsten Transitrouten für den
weltweiten Wirtschafts- und Handelsverkehr ist, dass es
nicht nur aus handelspolitischer und wirtschaftspoliti-
scher Bedeutung eine ganz entscheidende Region ist.
Vielmehr geht es hier auch um den innereuropäischen
und den transpazifischen Handel; es geht um den trans-
atlantischen Handel.
Wir haben Anfang des letzten Jahrzehnts eine Ent-
scheidung getroffen, den Terrorismus zu bekämpfen, sei-
nerzeit in der Auffassung, hier Bündnisverteidigung leis-
ten zu müssen, und haben Art. 5 des NATO-Vertrages als
Begründung genommen.
Kollege Kiesewetter, gestatten Sie eine Frage oder
Bemerkung des Kollegen Gehrcke?
Ja, gerne, Herr Gehrcke. Wir haben ja Zeit.
Das hatten Sie ja bereits festgestellt, dass genügend
Zeit zur Verfügung steht. – Könnten Sie Ihre Aussage et-
was präzisieren? Dass noch genügend Zeit zur Verfü-
gung steht, hat niemand bestritten – bis zum 31. Dezem-
ber. Kann ich Ihre Aussage so interpretieren, dass Sie als
Teil der Mehrheitspartei der Koalition hier klarmachen:
„Es wird einen Mandatsantrag der Bundesregierung ge-
ben, und er wird rechtzeitig dem Parlament vorgelegt“?
Das heißt, noch im Dezember.
Ich will Ihnen ermöglichen, dass Sie sich wieder hin-setzen können. Ich werde im Laufe meiner Rede daraufeingehen. Sie bekommen eine Antwort.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, das Ent-scheidende ist, dass wir eine Weiterentwicklung dieserOperation erlebt haben. Diese Weiterentwicklung derOperation bedeutet: zusätzliche Lagebeurteilung, Kom-munikation und Kooperation mit Mittelmeeranrainern.Deshalb ist unsere Bundesregierung seit einigen Jahrenbemüht, in der NATO dafür zu werben, dass wir denArt.-5-Prozess überdenken.Herr Kollege Gehrcke, Sie werden eine Antwort aufIhre Frage bekommen, ich möchte aber zunächst auf denAntrag der Grünen eingehen.Herr Schmidt, Sie haben mit Ihrem Antrag zwei zen-trale Vorwürfe in den Raum gestellt, auf die ich eingehenmöchte. Zum einen sprechen Sie davon, dass es zumin-dest 2012 keine Mehrheit für den Einsatz gab, und leitendaraus ab, dass das auch weiterhin so ist. Zum anderenäußern Sie den Vorwurf, dass die Bundesregierung oderdie Mehrheitsfraktionen den Parlamentsvorbehalt umge-hen möchten.Zum ersten Punkt, zu den Mehrheiten, ist zu sagen,dass die parlamentarische Debatte 2012 durchaus andersverlaufen ist – Sie nicken –, als Sie es darstellen. DieOpposition, insbesondere SPD und Grüne, hat vor allemrechtliche Begründungen für das Abstimmungsverhaltenvorgebracht. Sie haben sich nicht politisch gegen denEinsatz maritimer Streitkräfte im Mittelmeer im Rahmender Operation Active Endeavour ausgesprochen. Siehaben die rechtliche Begründung abgelehnt. Mit derFeststellung des Bündnisfalls durch den Nordatlantikrat,damals im Sinne des Art. 5 NATO-Vertrag, warDeutschland im Rahmen der kollektiven Verteidigungaufgefordert, einen Beitrag zu leisten. Es gab auch ent-sprechende UNO-Resolutionen – die sind Ihnen be-kannt – von 2001, nämlich die Resolutionen 1368 und1373 des Weltsicherheitsrates.Wir sind uns in Deutschland, glaube ich, mittlerweileeinig, dass wir zu einer Weiterentwicklung über denArt. 5 NATO-Vertrag hinaus kommen müssen. Dafürsetzen wir uns auch bei unseren NATO-Partnern ein.Denn wir sollten gerade den kooperativen Ansatz vonSicherheit ausdehnen, indem wir zum Beispiel verstärktAnrainerstaaten wie Tunesien oder Algerien in dieseMission mit einbeziehen. Im Übrigen gibt es auch eineParlamentarische Versammlung der Union für den Mit-telmeerraum, wo wir solche Fragen diskutieren können.Ich möchte gerade bei den jüngeren Kolleginnen undKollegen, die erstmals hier im Bundestag sind, Werbungfür diese Parlamentarische Versammlung machen, dieunsere südliche Nachbarschaft intensiv einbezieht.Die sicherheitspolitische Notwendigkeit des Einsat-zes im Mittelmeer wird – das werden wir sehen – im Ja-nuar vielleicht weiterhin von einer breiten Mehrheit desParlaments getragen. Ich kann das auch aus den Koali-
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Roderich Kiesewetter
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tionsgesprächen bestätigen. In unserer Arbeitsgruppe„Außen, Verteidigung und Entwicklung“ haben wir in-tensiv darüber gesprochen. Wir wollen eine parlamenta-rische Absicherung.Aber ich möchte gerade deshalb auf Ihren zweiten,viel gewichtigeren Vorwurf eingehen: die mangelndeParlamentsbeteiligung.Wir haben im Koalitionsvertrag – die Mitglieder derSPD müssen ja noch zustimmen – eindeutig klarge-macht, dass eine Einschränkung des Parlamentsvorbe-halts bei Mandatsentscheidungen nicht infrage kommt.Wir werden bestimmte Fragen der Beteiligung in inter-nationalen Stäben über ein Jahr hinweg in einer unab-hängigen Kommission beraten und dann über die Ergeb-nisse diskutieren.Die Einsätze der Bundeswehr werden aber auch künf-tig vom Parlament entschieden. Die parlamentarischeBeteiligung ist, glaube ich, unbestritten, und wir werdenauch künftig dieses bewährte Mittel fortsetzen. Das Ver-fahren zur künftigen Fortführung des OAE-Mandats, dasSie ja angemahnt haben, Herr Dr. Schmidt, lässt an die-ser Grundhaltung keinen Zweifel. Ich möchte das gernenäher erläutern und komme damit auch auf Ihre Frage,Herr Gehrcke, zurück.Die Beteiligung deutscher Streitkräfte an der Opera-tion Active Endeavour wird in ihrer bisherigen Form am31. Dezember enden und wird im Jahre 2014 in geänder-ter Form fortgesetzt. Wie sieht das im Einzelnen aus?Die künftige Beteiligung deutscher Streitkräfte wird sichnur noch auf den bündnisgemeinsamen Beitrag im Rah-men der schwimmenden Verbände der NATO, also imständigen maritimen Einsatzverband und im Minen-abwehrverband, und der fliegenden Verbände, beiAWACS, beschränken. Die bisherige Beteiligung imRahmen des sogenannten Transits im Mittelmeer wirdentfallen.Was bedeutet das? Künftig werden deutsche Schiffeaußerhalb der ständigen Verbände keine Aufgaben derOperation Active Endeavour mehr übernehmen. Bisherwar es so, dass Schiffe, sobald sie ins Mittelmeer einfuh-ren, quasi die Flagge der OAE, der Operation ActiveEndeavour, gehisst haben und sich die deutschen Solda-ten auf den deutschen Schiffen gewissermaßen denMantel der Operation Active Endeavour angezogen ha-ben.
Diesen Mantel werden sie abstreifen; er wird bei Ein-fahrt künftig in der Kajüte bleiben. Früher wurde er erstbei Ausfahrt wieder abgelegt.Generell ist also festzuhalten, dass es bei der deut-schen Beteiligung an den ständigen Einsatzverbändenbleiben wird und wir in der NATO darauf hinwirkenwerden, dass die Operation modifiziert wird. Der Opera-tionsplan und die damit verbundenen Einsatzregelnsehen keine Maßnahmen mit irgendwelchen Eingriffsbe-fugnissen vor. Das hat sich gegenüber den ersten Manda-ten der Jahre von 2001 bis 2003 deutlich geändert. Eskommt hinzu, dass im Januar 2014, also im übernächstenMonat, keinerlei deutsche Einsätze bei NATO-integrier-ten maritimen und fliegenden Verbänden unter demMandat der OAE vorgesehen sind. Im Januar wird alsokein deutsches Schiff an einem ständigen Einsatzver-band der NATO teilnehmen.Über die Notwendigkeit einer Parlamentsentschei-dung kann deshalb nach dem Beschluss des Kabinetts imJanuar entschieden werden. Also wird es im Januar nacheiner Kabinettsentscheidung um die Frage gehen: Mussman das Parlament noch beteiligen oder nicht? – In je-dem Falle hört es auf, dass sich deutsche Schiffe derMarine, wann immer sie das Mittelmeer befahren, denMantel der Operation Active Endeavour überstreifen.Ich denke, liebe Kolleginnen und Kollegen von Bünd-nis 90/Die Grünen, damit ist Ihr Antrag in weiten Teilenobsolet.Meine Damen und Herren, lassen Sie mich abschlie-ßend drei Punkte zum Einsatz im Rahmen der OperationActive Endeavour ansprechen: zur Bedrohung, zu denPartnern und zur strategischen Bedeutung.Zunächst zur Bedrohung. Ich glaube, es ist auch aussicherheitspolitischen Gründen wichtig, dass es weiter-hin eine internationale Präsenz der NATO im Mittelmeergibt. Die Bedrohungen und Ereignisse sind bekannt: Esgeht um den internationalen Terrorismus, um Fragen derProliferation, um den Chemiewaffeneinsatz in Syrien; esgibt weitere negative Beispiele. Diese Bedrohungen undEreignisse sind real.
Kollege Kiesewetter, gestatten Sie eine Frage oder
Bemerkung der Kollegin Keul?
Ja, gerne.
Herr Kollege Kiesewetter, es ist eine sehr interessante
Wendung, die Sie hier in den letzten 24 Stunden vollzo-
gen haben. Nur zum besseren Verständnis – damit wir
wissen, was Sie uns gerade erklärt haben –: Was heißt
das für den Operationsplan, der nach wie vor exekutive
Bestandteile enthält? Wird der Operationsplan durch na-
tionale Vorbehalte eingeschränkt, oder wird er gar nicht
mehr Grundlage des Einsatzes der deutschen Streitkräfte
sein?
Frau Keul, es gibt keinen Grund, den Operationsplanzu ändern, weil wir unseren Beitrag bisher im Rahmeneiner NATO-Mission leisten.
– Das ist richtig; das ändert sich auch nicht. Der Opera-tionsplan ändert sich nicht dadurch, dass sich deutscheSchiffe nicht mehr als allein fahrende Schiffe an der
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Roderich Kiesewetter
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Operation beteiligen; der Operationsplan bleibt unverän-dert. Es ist eine Frage der Kabinettsentscheidung, obsich Deutschland weiter daran beteiligt. Diese Entschei-dung fällt im Januar, und dann sehen wir weiter. – VielenDank, Frau Keul.Viel wichtiger aber ist, dass der Einsatz im Rahmender Operation Active Endeavour in den anderen NATO-Mitgliedstaaten unumstritten ist. Das heißt, es kommtdarauf an, dass wir innerhalb der NATO für eine Fortent-wicklung werben. Wir wollen verlässliche Partner inner-halb der NATO sein; das haben wir heute auch bei denDiskussionen über UNAMID und UNMISS gezeigt.Hier können wir uns entsprechend einbringen.An das Thema Partner möchte ich anknüpfen.Deutschland kann aktuelle und auch künftige sicher-heitspolitische Herausforderungen nur in enger Abstim-mung mit den europäischen und transatlantischen Part-nern meistern. Die Verlängerung der OAE ist bei uns inder Diskussion, bei unseren Partnern insgesamt aber un-umstritten. Wir setzen auf Verlässlichkeit und Kontinui-tät und versuchen seit einigen Jahren, innerhalb derNATO dafür zu werben, den Anteil der Einsätze nachArt. 5 des NATO-Vertrages zu verändern. Wir werdensehen, was die nächsten Jahre bringen.Letztlich aber – das ist mein abschließender Punkt –geht es natürlich auch um die strategische Bedeutungnicht nur der Operation Active Endeavour, sondern derMittelmeerregion insgesamt. Die Operation ActiveEndeavour, die wir deutlich abgeschwächt haben und dieja wenig exekutive Anteile hat, ist ein Instrument zurVertrauensbildung und zur Kooperation mit unserenPartnern geworden. Wir dürfen die Lage vor Ort nichtunterschätzen, auch mit Blick auf die Beteiligung derStaaten in der südlichen Nachbarschaft. Mit demSchwerpunkt auf Aufklärung, Seeraumüberwachungund Lagefeststellung leistet die Operation ActiveEndeavour nun einmal einen wesentlichen Beitrag. DieFrage ist: Wie können wir das, was diese Operation leis-tet, in einer fortentwickelten Operation erhalten? Es istder Kooperationsgedanke, der hier, wie ich glaube, ganzwesentlich ist.Meine sehr geehrten Damen und Herren, lassen Sieuns gemeinsam darüber nachdenken, wie man dieseOperation weiterentwickeln kann. Ich denke, dass wiruns zumindest in den beiden möglicherweise bald regie-renden Parteien einig sind, dass dies nur in ganz engerAbstimmung mit der NATO geschehen kann.Lieber Herr Kollege Bartels, ich bin auf Ihren Beitraggespannt. Ich weiß, wie sehr die SPD gerungen hat. Ichglaube aber, dass wir nun gemeinsam eine Lösung ge-funden haben, mit der wir nicht nur gut leben können,sondern mit der wir auch in Brüssel unsere deutschePosition sehr gut vertreten und dafür werben können,dass die Operation Active Endeavour eine zunehmendkooperative Mission zur Beteiligung von Partnern in dersüdlichen Nachbarschaft wird.Aus diesen sehr nachvollziehbaren Gründen werdenwir den Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ablehnen.Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat der Kollege Dr. Hans-Peter Bartels für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Kollege Kiesewetter, es ist spannend, Ihnen zuzuhören.Sie gehörten ja schon einer Regierungsfraktion an.
Insofern haben Sie einen kleinen Informationsvor-sprung, den Sie uns hier dargelegt haben. Man wird dannim Kabinett noch diskutieren müssen – Sie haben es ge-sagt –, was konkret geschehen soll.Heute ist klar, Kollege Schmidt: Wir reden nicht übereine Mandatsverlängerung, sondern über das Auslaufendieses Mandats. Es gibt keinen Antrag auf Verlängerung.Sie haben den Antrag gestellt, das festzustellen. Das tunwir hier durch Wortbeiträge: Das Mandat läuft am31. Dezember dieses Jahres aus.Die SPD hat seit 2009 mit der Ablehnung von OEFauch OAE abgelehnt. Ab 2010 waren das eigenständigeMandate, die wir ebenfalls jeweils im Bundestag abge-lehnt haben. Im letzten Jahr haben wir festgestellt, dassauch bei den damaligen Regierungsfraktionen und denRednern der Regierung, Minister de Maizière undStaatsminister Link von der FDP, ein Nachdenken da-rüber eingesetzt hat, ob das eigentlich noch richtig ist,was wir da im Mittelmeer machen. Ich zitiere, wasMinister de Maizière in der Debatte vom 29. November2012 dazu gesagt hat. Er sagte, man müsse eine Diskus-sion führen über die Notwendigkeit der Beibehaltungdes Bündnisfalls, und diese Diskussion werde in derNATO von Deutschland initiiert. – Das war 2012. Staats-minister Michael Link sagte damals:Ja, die Bundesregierung setzt sich aktiv und enga-giert in der NATO dafür ein, dass der Bündnisfallals Grundlage für den OAE-Einsatz der NATO imMittelmeer künftig entfallen kann.Das ist bisher ohne Ergebnis geblieben. Insofern wirdman daran arbeiten müssen. Die Äußerungen warendamals schon im Sinne des Mandatsnamens: ActiveEndeavour – tätiges Bemühen. Es gab also auch in derNATO tätiges Bemühen, hier etwas zu ändern. Abernoch ist nichts passiert.Wir Sozialdemokraten stellen fest: Zwölf Jahre nach9/11 kann man nicht mehr so gut von Selbstverteidigungund Bündnisfall reden. Damals, als wir alle konkret vomTerror betroffen waren, war dies richtig. Wir mussten imRahmen des Bündnisses etwas tun, im Rahmen der Ope-ration Enduring Freedom, die zunächst keine NATO-Ak-tion war. Dies haben wir mandatiert; aber das Mandatläuft jetzt aus. So ist auch OAE zu einem Prüffall für dieneue Koalition geworden.Natürlich besteht auf der Welt noch immer Terrorge-fahr, auch für Deutschland. Zu bekämpfen ist der Terro-rismus in konkreten militärischen Missionen, sofern erüberhaupt militärisch bekämpft werden kann. So eine
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 203
Dr. Hans-Peter Bartels
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konkrete Mission haben wir in Afghanistan. Ansonstenist Terrorismus überall auf der Welt durch die Polizei zubekämpfen, insbesondere durch die internationale Zu-sammenarbeit der Polizei. Er ist dort zu bekämpfen, woer droht, aber nicht in erster, zweiter oder dritter Liniedurch ein NATO-Geschwader im Mittelmeer.
Die Mission im Mittelmeer ist heute eher symbolisch.Gleichzeitig wissen wir aber, dass die NATO im Mittel-meer präsent sein muss
und auch vorher schon im Mittelmeer präsent gewesenist,
und zwar mit Standing Naval Force. Wir haben zweiMaritime Groups mit Fregatten, und wir haben zwei Mi-nensuchverbände der NATO, davon jeweils einen Ver-band im Mittelmeer. An jeweils mindestens einem Ver-band beteiligt sich Deutschland. Insofern sind wir imMittelmeer immer mit eigenen Kräften vertreten.Diese ständigen NATO-Verbände sind auch der Kernvon OAE. OAE ist sozusagen keine Operation aus sichheraus. Es gibt quasi die Tradition, eine Operation zusein. Die längere Tradition hat aber die Standing NavalForce im Mittelmeer. Diese Forces sind Kern der jewei-ligen OAE-Mission, die einem eigenen Befehlshaber un-tersteht. Diese Forces wären aber auch ohne OAE dort.Auch wir wären ohne die Operation Active Endeavourdort.Ich habe mir von der Marine berichten lassen, was wirin den letzten zwei Jahren im Mittelmeer im Einsatz hat-ten: Wir waren mit 14 Fregatten, 3 Unterstützungsschif-fen, 4 Minenabwehreinheiten und einem U-Boot betei-ligt. – Nicht gleichzeitig. Kollege Gädechens rechnetschon die Größe der neuen Flotte aus, die mit der Gro-ßen Koalition kommt.
Das ist eine erhebliche Präsenz. Wir sind kontinuierlichvor Ort. Außerhalb von UNIFIL – östliches Mittelmeer –haben wir eine dauerhafte, ständige, erhebliche Präsenzdeutscher Marinestreitkräfte im Mittelmeer. Das sollauch so bleiben. Das ist sinnvoll. Das ist notwendig. Dasist auch vorher so gewesen. Aber ob wir dafür eine Ope-ration auf der Grundlage eines Bündnisfalls, auf derGrundlage von Art. 5 des NATO-Vertrages brauchen,stellen wir doch sehr in Zweifel. Wir freuen uns, dassdas unser Koalitionspartner in spe auch so sieht. Das istan den Äußerungen in der letzten Debatte und Ihren Äu-ßerungen heute abzulesen. Da ziehen wir am gleichenStrang.
Wir müssen die Sache in der NATO klären. Es gibtdrei Möglichkeiten: Entweder die OAE entfällt – danngibt es auch kein Mandatierungsproblem –, oder die exe-kutiven Befugnisse von OAE – Frau Kollegin Keul hatden Operationsplan angesprochen – entfallen. Dann wirddas eine reine Beobachtungsgeschichte sein: Man sichtetden Schiffsverkehr und meldet an irgendeine Zentrale.Das kann man ohne Mandat machen. Wenn das nicht derFall ist, wenn OAE bleibt, haben wir immer noch dasProblem bzw. die Frage zu klären, was mit AWACS ist;denn AWACS ist eine integrierte Verwendung. WennAWACS eingesetzt wird, dann können wir mit unserendeutschen Kräften an Bord der AWACS-Maschinen, dievon Geilenkirchen aus starten, im Zweifel die ganzeMission lahmlegen. Das ist nicht in unserem Interesse.Wir müssen darüber reden, ob das extra mandatiert wer-den muss. Ist der AWACS-Einsatz mandatspflichtig,wenn wir an der Operation ansonsten nicht teilnehmen,diesen Baustein aus dem NATO-Einsatz aber nicht he-rausnehmen wollen? Das muss das Kabinett klären,wenn wir endlich ein Kabinett haben, das handlungsfä-hig ist.Für uns ist klar – ich glaube, das kann ich für alle bis-herigen, künftigen und gern gesehenen Koalitionspartnersagen –: Es darf keinen Einsatz bewaffneter Streitkräftein bewaffneten Unternehmungen geben, ohne dass dasParlament darüber entschieden hat.
Dieser Grundsatz ist für uns nicht verhandelbar. Er giltauch für die Zukunft dieses Mandats, über die noch zuverhandeln sein wird. Es ist aber auch klar, dass es, wennes keine bewaffnete Unternehmung gibt, keine Manda-tierung durch das Parlament geben muss. Wir müssenden Parlamentsvorbehalt nicht ins Leere laufen lassen.Das alte Mandat läuft also aus. Ob es ein neues gebenwird, ist offen. Geklärt wird das von der neuen Regie-rung, auf die wir uns freuen.Schönen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Sevim Dağdelen für die
Fraktion Die Linke.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-ten Damen und Herren! Wir als Linke unterstützen denAntrag der Grünenfraktion, die jetzt laufende Mission zubeenden. Ich muss meinem Vorredner von der SPD unddem Vorredner von der CDU/CSU-Fraktion eines sagen:Ich finde, das, was Sie hier heute Abend präsentieren, istnichts weiter als eine Vernebelungsstrategie.
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204 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Sevim Dağdelen
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Der eine sagt: Das Mandat wird auslaufen; wir wer-den im neuen Jahr schauen, ob es ein neues modifiziertesMandat geben wird. Das wird dann das Kabinett eventu-ell beschließen, und dann wird es eventuell eine Behand-lung hier im Bundestag gemäß Parlamentsbeteiligungs-gesetz geben.
Das ist meiner Meinung nach ganz schön viel „eventu-ell“.
Der Kollege von der SPD sagt, wir müssten jetzt dreiDinge angehen, drei Fragen seien zentral. Man müssejetzt mit der NATO darüber sprechen, dass entwederOAE komplett entfällt oder eben die Exekutivbefugnisseentfallen, und darüber, wie die AWACS-Einsätze fortge-führt werden, wenn OAE weiterhin besteht.Ich finde, es ist wirklich mehr als fragwürdig, wie Siehier über einen eventuellen Einsatz bewaffneter Streit-kräfte, das heißt einen Bundeswehreinsatz im Ausland,reden. Sie haben hier heute Abend nur irgendwelcheTaschenspielertricks präsentiert.
Sie sagen, dass die Schiffe dann eine andere Fahne ha-ben werden, als ob es hier um eine bunte Segelregatta imMittelmeer geht.
Sie sagen uns hier, dass die deutschen Schiffe nach Endedes Jahres einfach eine andere Fahne hissen werden alsvorher, nämlich die NATO-Fahne OAE. Es geht bei die-ser Mission doch nicht nur um Fahnen, sondern um eineflächendeckende Überwachung des Mittelmeers. Das hatauch der noch geschäftsführende Verteidigungsministergestern Nachmittag der Linksfraktion bestätigt, als er zuden aktuellen drei Mandaten bei uns gesprochen hat.Hinzu kommt noch etwas. Ich würde Sie gern einmalfragen, ob das auch eine Rolle spielt. Bei der Missionsoll es jetzt auch darum gehen, dass NATO-Schiffe imMittelmeer zur Flüchtlingsjagd, zur Hetze gegen Flücht-linge, die aus dem Norden Afrikas kommen, eingesetztwerden sollen.
– Sie brauchen hier gar nicht so loszubrüllen. – MeineFrage an die zukünftigen Koalitionsfraktionen ist, ob dasBestandteil Ihrer bisherigen Diskussionen darüber ist,wie Sie ein neues modifiziertes Mandat im Mittelmeergestalten wollen, oder nicht.
Das ist eine berechtigte Frage. Es gibt Presseberichte,
dass NATO-Schiffe gegen Flüchtlinge eingesetzt werdensollen. Wenn Sie nicht so getroffen wären, würden Siehier nicht so brüllen.
Ich möchte eine Antwort auf die Frage haben, ob in demneuen Mandat möglicherweise auch Flüchtlingsbekämp-fung vorgesehen wird.
Das Zweite, was ich hier ansprechen möchte, ist – esist schon angesprochen worden – der NATO-Vertrag. Sowie ich es heute Abend gesehen habe, sind eigentlichalle Fraktionen dafür, dass der Bündnisfall nach Art. 5des NATO-Vertrages hier weg muss. Das würde heißen,dass es keine Beistandsverpflichtung mehr gibt, dass dasaufgehoben wird. Ich kann nur für meine Fraktion spre-chen: Wir würden es begrüßen und unterstützen, wennSie sagen, dass Art. 5 des NATO-Vertrages hier eigent-lich nicht mehr gilt. In diesem Zusammenhang wieder-hole ich unsere Aufforderung an Sie, an die künftigenKoalitionsfraktionen, hier keine Vernebelungsstrategiezu betreiben, sondern mit dem Parlament, mit den Oppo-sitionsfraktionen darüber zu sprechen, was genau Sie ei-gentlich planen.Ich sage Ihnen noch eines: Dieser Einsatz wird keineneinzigen Tag ohne Mandat des Bundestages stattfinden.Wir werden gegebenenfalls den Weg nach Karlsruhe ge-hen, wie vielfach zuvor. Darauf können Sie sich verlas-sen. Kein Tag ohne Parlamentsbeteiligung, ohne Manda-tierung für diesen Einsatz!
Das Wort hat die Kollegin Julia Bartz für die Unions-
fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnenund Kollegen! Den Vorwurf, dass deutsche SoldatenFlüchtlinge hetzen, weisen wir in diesem Haus entschie-den zurück.
Der Antrag der Grünen fordert de facto das sofortigeEnde der Beteiligung Deutschlands an der OperationActive Endeavour und somit den Rückzug deutscherTruppen aus dieser NATO-Operation.
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Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013 205
Julia Bartz
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Den Forderungen Ihres Antrags widerspreche ich deut-lich. Auch wenn eine nähere Betrachtung dieser Opera-tion lohnt, ziehe ich andere Schlüsse, als Sie es tun.Wir streben eine Fort- und Weiterentwicklung derOperation Active Endeavour an. Ihren Vorwurf, dass bis-lang noch nichts geschehen sei, lasse ich nicht gelten.Wir verfolgen bereits seit längerer Zeit die Umwandlungder Mission in eine nicht auf Art. 5 des NATO-Vertragesgestützte Mission. Ende April 2013 haben wir hierzu ei-nen NATO-Beschluss erreicht, der eine Perspektive für2014/2015 aufzeigt. Innerhalb der NATO, einer Kon-sensorganisation, verhandeln wir darüber mit 27 Bünd-nispartnern. Das braucht Zeit. Schnellschüsse habennoch nie zu einer robusten Lösung geführt.
Es gibt gute Gründe, die für eine Präsenz im Mittel-meer sprechen:Erstens. Das Mittelmeer gehört zu den wichtigsten in-terkontinentalen Seewegen weltweit und hat eine zuneh-mende sicherheitspolitische Relevanz. Angesichts unse-rer wirtschaftlichen Verflechtungen und unserer starkenAbhängigkeit von funktionierenden Seewegen liegt diesichere Nutzung des Mittelmeeres in unserem Interesse.Es ist für den innereuropäischen und transatlantischenHandel von geostrategisch vitaler Bedeutung. Rund einDrittel aller über See verschifften Güter und ein Viertelaller Öltransporte weltweit werden durch das Mittelmeergeleitet. Jährlich durchqueren es 220 000 Handels-schiffe. Zur sicheren Nutzung des Mittelmeeres leistetdie Operation Active Endeavour einen wichtigen Bei-trag.
Die Lage in Nordafrika hat sich im vergangenen Jahrnicht beruhigt. Die Instabilität dieser Region hat weitrei-chende Auswirkungen auf unsere europäische und deut-sche Sicherheitsarchitektur. Neben dem Menschen-,Drogen- und Waffenhandel nimmt die Zahl terroristi-scher Aktivitäten im gesamten nordafrikanischen Raumzu. Daher nimmt die Präsenz der NATO einen präventi-ven Ordnungsfaktor ein. Angesichts der Umwälzungenin der arabischen Welt brauchen wir ein aktuelles Lage-bild der Region. Der Charakter der Operation ActiveEndeavour ist deshalb zunehmend durch die Möglichkeitbestimmt, auf multinationale und ressortübergreifendeInformationsnetzwerke zurückzugreifen, den Datenaus-tausch mit zivilen Stellen zu forcieren und die Beteili-gung von Nicht-NATO-Staaten zu fördern. OAE gibt unsdank maritimer und fliegender Aufklärung ein dichtesLagebild über den gesamten Mittelmeerraum. Ein Aus-tritt aus diesem Informationsnetzwerk wäre töricht undfahrlässig.Zweitens. Die Bundesrepublik Deutschland ist seit2001 an der Operation Active Endeavour beteiligt. Alsdrittgrößter Truppensteller der OAE sind wir unserenBündnispartnern in ganz besonderer Weise verpflichtet.Wir müssen unserer Rolle in der NATO gerecht werden.Wir stehen in der Verantwortung. Gleichzeitig stellt dieweitere Beteiligung sicher, dass Deutschland den politi-schen Beistand im Sinne einer verlässlichen Bündnis-solidarität aufrechterhält. Zudem gewährleisten wir un-seren militärischen Beitrag im Rahmen der ständigenmaritimen Einsatzverbände der NATO. Ein unilateralerAusstieg aus der Operation Active Endeavour wäre miteinem erheblichen bündnis- und militärpolitischenSchaden verbunden. Vielmehr sollten wir die deutscheVerlässlichkeit im Bündnis und über das Bündnis hinausaufrechterhalten.Drittens. OAE ist keine reine NATO-Angelegenheit.Verschiedene Länder, darunter auch Russland, habensich an dieser Operation beteiligt. OAE hat sich in denvergangenen Jahren zu einer regelrechten Kooperations-plattform gewandelt, an der auch viele Mittelmeeranrai-ner mitwirken. Die Operation dient also neben densicherheitspolitischen Aspekten der Vertrauensbildungüber das Bündnis hinaus.Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, die Präsenz der NATO im Mittel-meerraum ist uns in vielerlei Hinsicht nützlich und dientder Sicherheitsvorsorge Deutschlands. Die InstabilitätNordafrikas, die Signalwirkung unserer internationalenZusammenarbeit und unsere bündnispolitische Verant-wortung sprechen für eine weitere Beteiligung.Abschließend möchte ich den Soldatinnen und Solda-ten der Bundeswehr danken, insbesondere all jenen, diebei der Operation Active Endeavour eingesetzt waren.Danke.
Kollegin Bartz, das war Ihre erste Rede hier im Ho-hen Hause. Ich gratuliere Ihnen nicht nur dazu, dass Siediese Rede für Ihre Fraktion gehalten haben, sondernauch dazu, dass Ihnen etwas gelungen ist, was den we-nigsten Kolleginnen und Kollegen bei ihrer ersten Redegelingt, nämlich die Redezeit nicht nur einzuhalten, son-dern sie sogar zu unterschreiten und damit das Präsidiumnicht in Probleme zu stürzen, wie es sich bei einer erstenRede verhalten soll. Wir wünschen Ihnen alles Gute fürIhre weitere Arbeit.
Ich schließe die Aussprache.Wir kommen zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 18/99. Die Fraktion Bünd-nis 90/Die Grünen wünscht Abstimmung in der Sache.Die Fraktionen der CDU/CSU und der SPD wünschenÜberweisung an den Hauptausschuss.Wir stimmen nach ständiger Übung zuerst über denAntrag auf Ausschussüberweisung ab. Ich frage deshalb:Wer stimmt für die beantragte Überweisung? – Werstimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dann ist dieÜberweisung mit den Stimmen der Unionsfraktion undder SPD-Fraktion gegen die Stimmen der antragstellen-den Fraktion, Bündnis 90/Die Grünen, und der Fraktion
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206 Deutscher Bundestag – 18. Wahlperiode – 3. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 28. November 2013
Vizepräsidentin Petra Pau
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Die Linke so beschlossen. Damit stimmen wir über denAntrag auf Drucksache 18/99 heute nicht in der Sacheab.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind damit amSchluss unserer heutigen Tagesordnung. Der Termin fürdie nächste Sitzung des Deutschen Bundestags wird Ih-nen rechtzeitig bekannt gegeben.Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen allesGute für Ihre sonstigen Vorhaben am heutigen Abend.