Protokoll:
17231

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 231

  • date_rangeDatum: 21. März 2013

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 09:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 22:50 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/231 Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 231. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 I n h a l t : Wahl der Frau Petra Morawe als Mitglied in den Beirat beim Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdiens- tes der ehemaligen DDR . . . . . . . . . . . . . . . . Erweiterung und Abwicklung der Tagesord- nung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Absetzung der Tagesordnungspunkte 9, 16 und 19 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 3: a) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Zukunftsprojekte der Hightech-Strate- gie – (HTS-Aktionsplan) (Drucksache 17/9261) . . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses – zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel, Lothar Binding (Heidelberg), Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Innovative kleine und mittlere Unternehmen stärken – Ein nach- haltiges steuerliches Forschungs- und Entwicklungs-Förderkonzept (FuE- Förderkonzept) vorlegen – zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz (Herborn), Kerstin Andreae, Dr. Thomas Gambke, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Innovations- kraft von kleinen und mittleren Unternehmen durch Steuergutschrift für Forschung stärken (Drucksachen 17/247, 17/130, 17/1600) . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte, Dr. Martina Bunge, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Soziale Innovationen und Dienstleis- tungsinnovationen erforschen und för- dern (Drucksachen 17/8952, 17/12812) . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 2: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten René Röspel, Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Starke Fach- hochschulen für Innovationen in Gesell- schaft und Wirtschaft  (Drucksachen 17/9574, 17/12813) . . . . . . . . . Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin  BMBF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . . Dr. Petra Sitte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Albert Rupprecht (Weiden) (CDU/CSU) . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Gerdes (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28765 B 28765 B 28767 A 28767 A 28767 B 28767 B 28767 C 28767 D 28770 B 28772 D 28774 B 28776 B 28777 D 28778 D 28779 D Inhaltsverzeichnis II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 Birgit Homburger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinz Riesenhuber (CDU/CSU) . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Axel Knoerig (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kretschmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Eva Bulling- Schröter, Dorothée Menzner, Caren Lay, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Stromsteuer senken für eine konsequent sozial-ökologische Ener- giewende (Drucksache 17/12840) . . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Ralph Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energiewende so- zial gestalten – Bezahlbare Strompreise gewährleisten (Drucksachen 17/10800, 17/11704) . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Technolo- gie zu dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay, Dr. Barbara Höll, Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Energiewende so- zial gestalten – Stromsperren gesetzlich untersagen (Drucksachen 17/11655, 17/12767) . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 3: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Entschließungsantrag der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD zu der Bera- tung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann, Dirk Becker, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Die Energiewende – Kosten für Verbraucherinnen, Verbraucher und Unternehmen  (Drucksachen 17/10366, 17/12246, 17/12538, 17/12874) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Lay (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Bareiß (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Waltraud Wolff (Wolmirstedt) (SPD) . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rolf Hempelmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Horst Meierhofer (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Schindler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Ulrich Kelber (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz Obermeier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 36: a) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Neuregelung des gesetzlichen Messwesens (Drucksache 17/12727) . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Beratung des von der Bundesregie- rung eingebrachten Entwurfs eines Geset- zes zur Anpassung von Rechtsvorschrif- ten des Bundes infolge des Beitritts der Republik Kroatien zur Europäischen Union (Drucksachen 17/12769, 17/12852) . . . . . c) Antrag der Abgeordneten Dietmar Nietan, Axel Schäfer (Bochum), Michael Roth (Heringen), weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Manuel Sarrazin, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck (Bremen), weiterer Abge- ordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ 28781 B 28782 D 28783 D 28785 B 28786 C 28788 A 28789 C 28789 C 28789 C 28789 D 28790 A 28791 B 28792 A 28794 C 28796 B 28796 C 28797 B 28798 C 28799 A 28799 B 28800 C 28802 C 28802 D 28803 B 28805 A 28807 B 28808 B 28809 D 28811 A 28812 A 28813 C 28815 A 28816 B 28816 C 28817 B 28817 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 III DIE GRÜNEN: Zivilgesellschaft stärker an EU-Beitrittsprozessen beteiligen (Drucksache 17/12821) . . . . . . . . . . . . . . . d) Antrag der Abgeordneten Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel, Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeord- neten Volker Beck (Köln), Ute Koczy, Tom Koenigs, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Menschenrechtslage und humanitäre Si- tuation in der Westsahara verbessern und Klärung des völkerrechtlichen Sta- tus voranbringen (Drucksache 17/12822) . . . . . . . . . . . . . . . e) Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Dr. Martina Bunge, Agnes Alpers, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Abhängigen helfen – Substitu- tionstherapie erleichtern (Drucksache 17/12825) . . . . . . . . . . . . . . . f) Antrag der Abgeordneten Frank Tempel, Dr. Martina Bunge, Karin Binder, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: WHO-Tabakrahmenkonvention umset- zen – Vollständiges Tabakwerbeverbot einführen (Drucksache 17/12838) . . . . . . . . . . . . . . . g) Antrag der Abgeordneten Uwe Kekeritz, Markus Kurth, Thilo Hoppe, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Rechte von Menschen mit Behinderungen in der deutschen Entwicklungszusammenarbeit sichern und Inklusion weltweit ermöglichen (Drucksache 17/12844) . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 4: a) Antrag der Abgeordneten Elvira Drobinski- Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm, Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Kennzeichnung von Honig mit Gentech-Pollen sicher- stellen – Schutz der Imkerei vor GVO- Verunreinigungen gewährleisten (Drucksache 17/12839) . . . . . . . . . . . . . . . b) Antrag der Abgeordneten Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Keine Waffenlieferungen an Syrien (Drucksache 17/12824) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 37: a) – Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zur Abschaffung des Branntweinmonopols (Brannt- weinmonopolabschaffungsgesetz) (Drucksachen 17/12301, 17/12765) . . – Bericht des Haushaltsausschusses ge- mäß § 96 der Geschäftsordnung (Drucksache 17/12766) . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit zu der Verordnung der Bundesregierung: Zweite Verordnung zur Änderung der Deponieverordnung (Drucksachen 17/12454, 17/12583,  17/12853) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c)–k) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelüber- sichten 553, 554, 555, 556, 557, 558, 559, 560 und 561 zu Petitionen (Drucksachen 17/12713, 17/12714, 17/12715, 17/12716, 17/12717, 17/12718, 17/12719, 17/12720, 17/12721) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 5: a)–j) Beratung der Beschlussempfehlungen des Petitionsausschusses: Sammelüber- sichten 562, 563, 564, 565, 566, 567, 568, 569, 570 und 571 zu Petitionen (Drucksachen 17/12860, 17/12861, 17/12862, 17/12863, 17/12864, 17/12865, 17/12866, 17/12867, 17/12868, 17/12869) . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 6: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE: Sicherheit der Sparguthaben in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Volker Wissing (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Sieling (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . 28817 B 28817 C 28817 D 28817 D 28817 D 28818 A 28818 A 28818 B 28818 C 28818 C 28818 D 28819 D 28820 C 28820 D 28822 B 28823 C 28824 C 28826 A 28827 A 28828 B 28829 C 28830 B 28831 B IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . Ralph Brinkhaus (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verordnung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie: Verordnung zur Markttransparenzstelle für Kraftstoffe (MTS-Kraftstoff-Verordnung) (Drucksachen 17/12390, 17/12441 Nr. 2.5, 17/12746) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Ingo Egloff (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Johanna Voß (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) . . . . . . . . . Klaus Breil (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Heider (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Mechthild Heil (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Beratung der Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Ulla Schmidt (Aachen), Rainer Arnold, Sabine Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Paradigmenwech- sel im Konzept zur Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik des Auswärtigen Am- tes vom September 2011 (Drucksachen 17/9839, 17/11981) . . . . . . . . . Ulla Schmidt (Aachen) (SPD) . . . . . . . . . . . . Ruprecht Polenz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Jürgen Koppelin (FDP) . . . . . . . . . . . Cornelia Pieper, Staatsministerin  AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Gauweiler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Edelgard Bulmahn (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . Dagmar Freitag (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Monika Grütters (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwangere und zur Rege- lung der vertraulichen Geburt (Drucksache 17/12814) . . . . . . . . . . . . . . b) Beratung der Unterrichtung durch den Deutschen Ethikrat: Stellungnahme des Deutschen Ethikrates – Das Problem der anonymen Kindesabgabe (Drucksache 17/190) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin  BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Caren Marks (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Gruß (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Diana Golze (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Norbert Geis (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 8: a) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Tierge- rechte Legehennenhaltung stärken (Drucksache 17/12842) . . . . . . . . . . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Nicole Maisch, Cornelia Behm, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN: Kennzeichnungs- pflicht auf verarbeitete Eier ausweiten (Drucksachen 17/9170, 17/9973) . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dieter Stier (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Heinz Paula (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Erdel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Josef Rief (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 11: Antrag der Fraktionen der CDU/CSU und FDP: Unterstützung der Initiative der G 20 28832 B 28833 C 28834 D 28835 A 28836 A 28837 C 28838 D 28840 C 28841 B 28841 C 28843 C 28844 B 28845 A 28846 B 28847 D 28848 A 28849 B 28849 C 28851 A 28852 B 28852 C 28854 A 28855 D 28857 C 28859 A 28860 A 28861 A 28862 B 28862 C 28862 D 28863 D 28865 A 28866 B 28867 A 28868 A 28869 A 28869 B 28869 C 28870 C 28872 D 28873 D 28875 A 28876 A 28877 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 V und der OECD zur Bekämpfung der Aus- höhlung der Steuerbemessungsgrundlage und der Gewinnverschiebung internationa- ler Konzerne (Drucksache 17/12827) . . . . . . . . . . . . . . . . . in Verbindung mit Zusatztagesordnungspunkt 7: Antrag der Fraktion der SPD: Aggressive Steuerplanung und Steuervermeidung in- ternationaler Konzerne bekämpfen (Drucksache 17/12819) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) . . . . Dr. Daniel Volk (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Tagesordnungspunkt 10: Antrag der Abgeordneten Josip Juratovic, Anette Kramme, Gabriele Hiller-Ohm, weite- rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten erhal- ten – Psychische Belastungen in der Ar- beitswelt reduzieren (Drucksache 17/12818) . . . . . . . . . . . . . . . . . Josip Juratovic (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Beate Müller-Gemmeke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 13: a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Schlichtung im Luft- verkehr (Drucksachen 17/11210, 17/12876) . . . . . b) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Ulrike Gottschalck, Heinz Paula, Sören Bartol, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion der SPD: Schlichtung für Luftfahrtunternehmen verkehrsträ- gerübergreifend einführen (Drucksachen 17/7337, 17/9228) . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses zu dem Antrag der Ab- geordneten Caren Lay, Herbert Behrens, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Fluggastrechte stärken (Drucksachen 17/2021, 17/4125) . . . . . . . Judith Skudelny (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Marianne Schieder (Schwandorf) (SPD) . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Marco Wanderwitz (CDU/CSU) . . . . . . . . Judith Skudelny (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . Marlene Mortler (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 12: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales – zu dem Antrag der Fraktionen SPD und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Renten- zahlungen für Beschäftigungen in ei- nem Getto rückwirkend ab 1997 ermög- lichen – zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke, Matthias W. Birkwald, Diana Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Renten für Leistungsbe- rechtigte des Getto-Rentengesetzes ab dem Jahr 1997 nachträglich auszahlen (Drucksachen 17/10094, 17/7985, 17/12870) Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU) . . . Anton Schaaf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Heinrich L. Kolb (FDP) . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn  (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 15: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Telekommuni- 28878 B 28878 B 28878 C 28879 D 28880 C 28882 A 28883 C 28884 B 28885 B 28886 B 28886 C 28888 A 28889 A 28889 C 28890 D 28891 C 28892 C 28892 D 28892 D 28893 A 28894 A 28895 A 28896 D 28897 C 28898 C 28899 B 28900 A 28900 C 28901 B 28903 A 28903 B 28904 B 28905 B 28906 C 28907 C 28908 C VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 kationsgesetzes und zur Neuregelung der Bestandsdatenauskunft (Drucksachen 17/12034, 17/12879) . . . . . . . . Armin Schuster (Weil am Rhein) (CDU/CSU) Michael Hartmann (Wackernheim) (SPD) . . . Gisela Piltz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Korte (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 14: Antrag der Abgeordneten Cornelia Möhring, Yvonne Ploetz, Diana Golze, weiterer Abge- ordneter und der Fraktion DIE LINKE: Ver- bandsklagerecht im Allgemeinen Gleichbe- handlungsgesetz implementieren (Drucksache 17/11590) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 17: Erste Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neuordnung der Regulierung im Eisen- bahnbereich (Drucksache 17/12726) . . . . . . . . . . . . . . . . . Enak Ferlemann, Parl. Staatssekretär  BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Leidig (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dirk Fischer (Hamburg) (CDU/CSU) . . . . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Katja Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN: Rückkehrrecht auf Vollzeit gesetzlich verankern (Drucksache 17/12843) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 18: Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze (Drucksache 17/12815) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 20: Zweite und dritte Beratung des von der Bun- desregierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes über Intelligente Verkehrssysteme im Straßenverkehr und deren Schnittstel- len zu anderen Verkehrsträgern (Intelli- gente-Verkehrssysteme-Gesetz – IVSG) (Drucksachen 17/12371, 17/12768) . . . . . . . . Ulrich Lange (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Gero Storjohann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Petra Müller (Aachen) (FDP) . . . . . . . . . . . Herbert Behrens (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Harald Ebner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 21: Antrag der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig), Gabriele Fograscher, Wolfgang Gunkel, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus weiterentwickeln (Drucksache 17/9975) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Frieser (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) . . . . . . . . . . Serkan Tören (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Monika Lazar (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 22: Zweite Beratung und Schlussabstimmung des von der Bundesregierung eingebrachten Ent- wurfs eines Gesetzes zu dem Handelsüber- einkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mit- gliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits (Drucksachen 17/12354, 17/12810, 17/12875) . Klaus Barthel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Erich G. Fritz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Ernst Hinsken (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Sascha Raabe (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . 28909 D 28910 A 28912 C 28913 C 28915 A 28916 C 28917 D 28918 A 28918 A 28919 A 28920 A 28921 A 28922 A 28923 A 28923 D 28924 D 28925 C 28926 A 28926 A 28926 B 28927 B 28927 D 28928 D 28929 C 28930 B 28931 B 28931 B 28932 C 28934 A 28934 D 28936 C 28937 C 28938 A 28939 A 28941 A 28941 C 28942 D 28943 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 VII Zusatztagesordnungspunkt 9: Antrag der Abgeordneten Rüdiger Veit, Rainer Arnold, Klaus Barthel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Syrische Flücht- linge schützen (Drucksache 17/12820) . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 23: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Bildung, Forschung und Tech- nikfolgenabschätzung zu dem Antrag der Ab- geordneten Nicole Gohlke, Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeordneter und der Frak- tion DIE LINKE: Keine Rüstungsforschung an öffentlichen Hochschulen und For- schungseinrichtungen – Forschung und Lehre für zivile Zwecke sicherstellen (Drucksachen 17/9979, 17/12800) . . . . . . . . . Florian Hahn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . René Röspel (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Neumann (Lausitz) (FDP) . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 24: Zweite und dritte Beratung des von den Abge- ordneten Krista Sager, Wolfgang Wieland, Kai Gehring, weiteren Abgeordneten und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN einge- brachten Entwurfs eines Gesetzes zur Strei- chung des Doktorgrades aus dem Passge- setz, dem Gesetz über Personalausweise und den elektronischen Identitätsnachweis, der Personalausweisverordnung sowie dem Aufenthaltsgesetz und der Aufenthaltsver- ordnung (Drucksachen 17/8128, 17/11908) . . . . . . . . . Clemens Binninger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Gabriele Fograscher (SPD) . . . . . . . . . . . . . Manuel Höferlin (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Krista Sager (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 25: Antrag der Abgeordneten Katja Kipping, Diana Golze, Matthias W. Birkwald, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Verschleierung verhindern – Berichterstat- tung über Armut und Reichtum auf eine unabhängige Kommission übertragen (Drucksache 17/12709) . . . . . . . . . . . . . . . . . Max Straubinger (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Matthias W. Birkwald (DIE LINKE) . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 26: Beschlussempfehlung und Bericht des Fi- nanzausschusses zu dem Antrag der Abgeord- neten Thilo Hoppe, Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für die Ein- führung eines transparenten und unabhän- gigen Staateninsolvenzverfahrens  (Drucksachen 17/8162, 17/10031) . . . . . . . . . Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Holger Krestel (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Axel Troost (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 27: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses zu dem Antrag der Abge- ordneten Kornelia Möller, Inge Höger, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE: Luft-Boden- Schießplatz Siegenburg schließen (Drucksachen 17/5757, 17/8388) . . . . . . . . . . Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU) . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Joachim Spatz (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Thomas Gambke (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 28: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung zu dem Antrag der Abgeord- neten Ute Koczy, Tom Koenigs, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Entwicklungs- politische Zusammenarbeit fit machen für die Kooperation mit fragilen Staaten (Drucksachen 17/10791, 17/11961) . . . . . . . . 28944 D 28945 A 28945 A 28946 A 28947 A 28947 D 28949 A 28949 D 28950 A 28951 A 28951 D 28952 B 28952 D 28953 C 28953 D 28954 C 28955 C 28956 A 28957 A 28957 D 28958 D 28959 A 28960 B 28961 B 28962 A 28963 A 28964 B 28964 B 28965 A 28965 D 28966 C 28967 A 28968 A 28969 A VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 Dagmar G. Wöhrl (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Stefan Rebmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Joachim Günther (Plauen) (FDP) . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Ute Koczy (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 29: Beschlussempfehlung und Bericht des Aus- schusses für Arbeit und Soziales zu dem An- trag der Abgeordneten Markus Kurth, Ulrich Schneider, Katrin Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Zweckgebundene und steu- erfreie Übungsleiterpauschalen und Auf- wandsentschädigungen für bürgerschaftli- ches Engagement nicht auf Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialge- setzbuch anrechnen (Drucksachen 17/9950, 17/11253 Buchstabe c) . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . Angelika Krüger-Leißner (SPD) . . . . . . . . . . Dr. Birgit Reinemund (FDP) . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Markus Kurth (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Berichtigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Verbandsklagerecht im Allge- meinen Gleichbehandlungsgesetz implemen- tieren (Tagesordnungspunkt 14 ) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU) . . . . . . . Sonja Steffen (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nicole Bracht-Bendt (FDP) . . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Cornelia Möhring (DIE LINKE) . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wie- deraufbau und weiterer Gesetze (Tagesord- nungspunkt 18) Peter Aumer (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Bettina Kudla (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Manfred Zöllmer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Björn Sänger (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Handels- übereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitglied- staaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits (Tagesordnungspunkt 22) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rückkehrrecht auf Vollzeit gesetzlich verankern (Zusatztagesordnungspunkt 8) Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP) . . . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Katja Dörner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Syrische Flüchtlinge schützen (Zusatztagesordnungspunkt 9) Reinhard Grindel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Rüdiger Veit (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP) . . . . . . . Ulla Jelpke (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28969 B 28970 C 28971 C 28972 C 28973 B 28974 B 28974 C 28975 B 28976 A 28976 D 28977 C 28979 A 28980 C 28980 C 28981 A 28981 D 28983 C 28984 C 28984 D 28985 C 28986 B 28987 B 28988 A 28989 A 28989 C 28990 B 28990 D 28991 C 28992 B 28993 D 28994 C 28995 B 28996 A 28996 C 28998 B 28999 C 29000 C 29001 B Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28765 (A) (C) (D)(B) 231. Sitzung Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 Beginn: 9.00 Uhr
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    Berichtigung 230. Sitzung, Seite 28744 B, letzter Absatz, zweiter Satz ist wie folgt zu lesen: „Es ist passiert, dass Peter Ramsauer ins Amt gekommen ist.“ Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28981 (A) (C) (D)(B) Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten * für die Teilnahme an der 128. Jahreskonferenz der Interparlamenta- rischen Union Anlage 2 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Verbandsklagerecht im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz im- plementieren (Tagesordnungspunkt 14) Dr. Jan-Marco Luczak (CDU/CSU): Wir debattie- ren heute über den Antrag der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Verbandsklagerecht im Allgemeinen Gleich- behandlungsgesetz implementieren“. Mit dem Antrag fordert Die Linke ergänzend zur indi- viduellen Klagemöglichkeit von Einzelpersonen, auch Verbänden ein Klagerecht einzuräumen. Mit einem sol- chen Verbandsklagerecht möchte Die Linke einen effek- tiveren Abbau von Diskriminierungen erreichen und macht dies am Beispiel der Entlohnung zwischen Frauen und Männern fest. Pünktlich zum heutigen Equal-Pay-Day entdeckt Die Linke das Thema der Ungleichbehandlung bei der Ent- lohnung zwischen Mann und Frau. Mir kommt es ein bisschen so vor, als ob die Linke alles versucht, um Öf- fentlichkeit zu erheischen: Mal gratuliert die Parteispitze Fidel Castro zum Geburtstag, mal trauert Die Linke „im Geiste der SED“ – wie es eine große deutsche Tageszei- tung auf den Punkt gebracht hat – um den kürzlich ver- storbenen Diktator Venezuelas, Hugo Chavez. Das ist Politik für das Schaufenster. Das hat aber nichts mit sachlicher Arbeit zu tun.  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bleser, Peter CDU/CSU 21.03.2013 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 21.03.2013 Bosbach, Wolfgang CDU/CSU 21.03.2013 Canel, Sylvia FDP 21.03.2013 Goldmann, Hans- Michael FDP 21.03.2013 Günther (Plauen), Joachim FDP 21.03.2013 Dr. Happach-Kasan, Christel FDP 21.03.2013 Dr. Jochimsen, Lukrezia DIE LINKE 21.03.2013 Krumwiede, Agnes BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.03.2013 Kühn, Stephan BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.03.2013 Laurischk, Sibylle FDP 21.03.2013 Maisch, Nicole BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.03.2013 Mayer (Altötting), Stephan CDU/CSU 21.03.2013 Menzner, Dorothée DIE LINKE 21.03.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 21.03.2013 Nešković, Wolfgang fraktionslos 21.03.2013 Paus, Lisa BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.03.2013 Dr. Pfeiffer, Joachim CDU/CSU 21.03.2013 Rebmann, Stefan SPD 21.03.2013 Reiche (Potsdam), Katherina CDU/CSU 21.03.2013 Dr. Reimann, Carola SPD 21.03.2013 Remmers, Ingrid DIE LINKE 21.03.2013 Schlecht, Michael DIE LINKE 21.03.2013 Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 21.03.2013 Schreiner, Ottmar SPD 21.03.2013 Dr. Schwanholz, Martin SPD 21.03.2013 Simmling, Werner FDP 21.03.2013 Strothmann, Lena CDU/CSU 21.03.2013 Süßmair, Alexander DIE LINKE 21.03.2013 Winkler, Josef Philip BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 21.03.2013*  Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Anlagen 28982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) Denn wenn es der Linken tatsächlich um die Gleich- behandlung von Mann und Frau bei der Entlohnung ginge, dann hätte sie Gelegenheit gehabt, hier etwas zu tun. Sie hätte nämlich dem Antrag der Fraktionen von CDU/CSU und FDP mit dem Titel „Entgeltgleichheit für Frauen und Männer verwirklichen – Familienfreundliche Unternehmen als Beitrag zur Gleichstellung der Ge- schlechter“ zustimmen können. Den haben wir vor einer Woche im Rechtsausschuss beraten – Zustimmung von der linken Seite des Hauses haben wir dafür allerdings nicht bekommen! Ich finde das bedauerlich. Denn in der Sache ist meine Fraktion wie auch ich persönlich sehr für die glei- che Bezahlung von Frauen und Männern. Das ist ein ganz einfaches Prinzip: gleiche Leistung – gleiche Be- zahlung! Das in der gesellschaftlichen Realität umzuset- zen, ist ein wichtiges politisches und gesellschaftliches Ziel, ein Ziel, das auch und gerade die christlich-liberale Koalition mit allem Nachdruck verfolgt. Denn es ist schon bemerkenswert: Nach den Ge- haltsstatistiken des Statistischen Bundesamtes verdienen Frauen beim Einstieg in den Beruf fast genauso viel wie männliche Berufseinsteiger. Die Lücke beträgt etwa zwei Prozent. Dann passiert aber Merkwürdiges: Bei den 25- bis 29-Jährigen beträgt die Lücke schon 8 Prozent, und bei den 35- bis 39-Jährigen liegt sie schließlich bei über 20 Prozent. Im Durchschnitt verdienen Frauen knapp 22 Prozent weniger als Männer, eine bemerkenswerte Zahl. Zwar wird dieser Lohnunterschied ein wenig relativiert, wenn man sich das statistische Hintergrundmaterial genauer ansieht. Denn in dieser Zahl kommt nicht zum Aus- druck, dass es sich hierbei um Durchschnittswerte für alle berufstätigen Frauen und Männer handelt, unabhän- gig von der Qualifikation, der Berufserfahrung, der Posi- tion und der Ausbildung. Ein erheblicher Teil der Lohn- lücke erklärt sich neben der hohen Teilzeitquote bei Frauen dadurch, dass Frauen und Männer unterschied- liche Studienfächer und unterschiedliche Ausbildungs- berufe wählen: So sind über 70 Prozent der Studien- anfänger in den Kultur- und Sprachwissenschaften weiblich, während der Frauenanteil in den Ingenieurwis- senschaften bei 20 Prozent liegt. Das wirkt sich natürlich auch auf die Durchschnittsgehälter aus. Ein Ingenieur wird in der Regel besser bezahlt als eine Germanistin – eine Ingenieurin aber eben auch. Aber dennoch: Eines kann man sehr deutlich an den Durchschnittszahlen ablesen: Eine der wesentlichen Ur- sachen für schlechtere Einkommensperspektiven von Frauen ist, dass viele Frauen irgendwann Mütter werden. Die Lebensrealität vieler Mütter ist dann, dass sie, wenn sie beruflich einmal pausiert haben oder wegen der Fa- milie in Teilzeit arbeiten wollen, keine gleichwertigen Jobs mehr bekommen. Hier wird Zeit für Familie mit schlechteren Chancen bestraft – das ist die Ungerechtig- keit, die es zu beseitigen gilt! Wir müssen uns fragen: Ist das, was die Linke uns hier vorschlägt, ein allgemeines Verbandsklagerecht im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zu verankern, das richtige Instrument dafür? Und da muss man ganz klar sagen: Nein! Das ist nicht das richtige Instrument. Denn mit Verbandsklagen ändern Sie nichts, rein gar nichts an den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Ur- sachen für die unterschiedliche Entlohnung. Sie be- kämpfen lediglich Symptome. Damit ist den betroffenen Frauen aber in keiner Weise geholfen. Sie, meine Damen und Herren von den Linken, schießen also mit ihrer Ini- tiative völlig am Ziel vorbei, deshalb werden wir das nicht mitmachen! Aber nicht nur, weil es sich bei der Initiative der Lin- ken mit Blick auf das Ziel der Verwirklichung der Ent- geltgleichheit um einen untauglichen Versuch handelt, werden wir diesen nicht mittragen, in Bezug auf das von der Linken geforderte Verbandsklagerecht bei der Ent- geltgleichheit würde dem Missbrauch Tür und Tor geöff- net. Es würde Unfrieden in Betriebe tragen, wenn über- motivierte Verbände im Extremfall auch gegen den Willen des Betroffenen klagen könnten. Die Situation, dass Verbände gegen den Willen der Betroffenen klagen können, wird dann besonders absurd, wenn sich der oder die Beschäftigte bereits mit dem Arbeitgeber geeinigt und den Konflikt einvernehmlich gelöst hat. Oder was ist, wenn ein Betroffener zunächst noch nicht klagen möchte, die Klage aber bereits ohne sein Wissen von einem Verband erhoben worden ist? Ist das mit dem verfassungsrechtlichen Anspruch auf rechtli- ches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 des Grundgesetzes ver- einbar? Das sind Fragen, auf die Die Linke keine Ant- worten in ihrem Antrag präsentiert – vielleicht weil sie diese Punkte gar nicht bedacht hat? Das ist alles nicht schlüssig und nicht bis ans Ende durchdacht. Neben diesen Fragen lassen sich gegen allgemeine Verbandsklagerechte weitere sehr grundsätzliche Argu- mente anführen, die selbst den europäischen Gesetzgeber bei den vier maßgebenden Richtlinien zur Antidiskrimi- nierung aus den Jahren 2000 bis 2004 dazu bewogen ha- ben, ein europaweites Verbandsklagerecht gerade nicht einzuführen. Verbandsklagen sind grundsätzlich ein Fremdkörper im deutschen Verfahrensrecht. Unsere Prozessordnun- gen gehen von dem Prinzip des individuellen Rechts- schutzes aus – nur wenn jemand selbst betroffen, also in eigenen Rechten verletzt ist, kann er klagen. Dieses Prin- zip hat sich bewährt. Damit werden missbräuchliche Klagen verhindert. Verbandsklagen aber durchbrechen dieses Prinzip und sind daher grundsätzlich sehr kritisch zu betrachten. Weiterhin besteht bei Verbandsklagen allgemein die Gefahr, dass sich eine unheilvolle Dynamik entwickelt: Geklagt wird nicht mehr um der Rechtsdurchsetzung willen, sondern weil wirtschaftliche Interessen im Vor- dergrund stehen. Denn klar ist: Jeder Verband muss sich irgendwo durch seine Tätigkeiten selbst legitimieren. Klagen sind da ein gutes Mittel, um sich selbst in der Öf- fentlichkeit zu inszenieren. Da kann es sehr fraglich sein, ob wirklich die Interessen der Betroffenen im Vorder- grund stehen. Verbandsklagen gehen häufig mit einer öffentlich- keitswirksamen medialen Kampagne des klagenden Ver- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28983 (A) (C) (D)(B) bandes gegen das vermeintlich rechtswidrig handelnde Unternehmen einher. Dies führt bereits vor einem rich- terlichen Urteilsspruch zu einer erheblichen Rufschädi- gung des betroffenen Unternehmens. Insbesondere bei kleineren und mittleren Unternehmen bestehen ange- sichts der mitunter existenzbedrohenden Folgen insofern große Befürchtungen. Viele Unternehmen werden daher bemüht sein, Kla- gen auf dem Vergleichswege beizulegen, selbst wenn die zugrunde liegenden materiellen Ansprüche mehr als fraglich sind. Die Unternehmen werden quasi genötigt, alles zu tun, um das Verfahren so schnell und geräusch- los wie möglich zu einem Ende zu bringen. Sie werden auf diese Weise teilweise zu unangemessenen und sach- lich nicht begründeten Zahlungen gedrängt, um weitere Prozess-, insbesondere Anwaltskosten und weiteren Imageschaden zu vermeiden. All das kann leider auch kaum wirksam gesetzlich durch Schutzvorkehrungen ausgeschlossen werden. Folge ist zudem, dass Streitfälle im Vergleichsfall nicht ausgeurteilt werden und somit keine rechtliche Signalwirkung für vergleichbare Fälle erzeugt wird. Eine richterliche Rechtsfortbildung ist damit nur noch sehr eingeschränkt möglich. Für die Union ist die richterliche Rechtsfortbildung aber ein ganz wesentlicher Faktor des deutschen Rechtssystems. Wir wollen daher die richter- liche Rechtsfortbildung erhalten und stärken. Deswegen ist es nach meiner Auffassung richtig, dass kollektive Rechtsschutzinstrumente wie Verbandskla- gen Ausnahmen bleiben und das bewährte System unse- rer Prozessordnungen des individuellen Rechtsschutzes nicht unterminieren. Es muss stets genau bestimmt sein, wer aus welchem Rechtsgrund zu klagen berechtigt ist – denn die Prozessordnungen sind dazu da, materielles Recht durchzusetzen und nicht, um daraus wirtschaftli- che Vorteile zu ziehen. Es gibt eine Vielzahl von Argumenten, die gegen die Einführung einer allgemeinen Verbandsklagebefugnis im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz sprechen. Die Linke hat sich mit diesen Argumenten in keiner Weise auseinandergesetzt, geschweige denn sie entkräftet. Im Gegenteil: In ihrer Antragsbegründung liefert sie noch Argumente, die an der Sache vorbeigehen und evident falsch sind. Als Argument für eine Verbandsklage führt sie etwa an, dass eine Individualklage im Gegensatz zur Ver- bandsklage das finanzielle Risiko auf die Schultern der klagenden Frau lege. Gerade im Arbeitsrecht trifft dies aber gar nicht zu: Zum einen ist die gerichtliche Aus- einandersetzung vor deutschen Arbeitsgerichten grund- sätzlich mit sehr überschaubaren Kosten verbunden. An- ders als zum Beispiel in Bauprozessen müssen in der Regel auch keine teuren Sachverständigen gehört wer- den. Zum anderen trägt gerade – anders als in einem zivil- gerichtlichen Verfahren – jede Partei im arbeitsgerichtli- chen Verfahren ihre gerichtlichen und außergerichtlichen Anwaltskosten selbst, ganz unabhängig davon, ob sie den Rechtsstreit gewonnen oder verloren hat. Ziel dieser Regelung ist es, zu verhindern, dass die wirtschaftlich in aller Regel schwächeren Arbeitnehmer von der Durch- setzung ihrer Ansprüche aufgrund des Kostenrisikos ab- sehen. Hier steht der Schutz der Arbeitnehmer an erster Stelle – egal, ob es sich um eine Frau oder einen Mann handelt. Das ist gelebte Gleichberechtigung! Ich komme zum Schluss: Das Ziel des Antrags der Linken, Männer und Frauen bei gleicher Leistung gleich zu entlohnen, teile ich vollständig. Das Instrument der Verbandsklage im Allgemeinen Gleichbehandlungsge- setz ist dafür aber untauglich und ist auch aus grundsätz- lichen rechtspolitischen Erwägungen abzulehnen. Des- wegen werden wir Ihren Antrag nicht mittragen. Ich kann Sie nur auffordern, stimmen Sie beim nächsten Mal unseren Anträgen zu, damit erreichen Sie dann, anders als mit ihren Schaufensteranträgen, auch wirklich etwas! Sonja Steffen (SPD): Wir beraten heute über einen Antrag der Fraktion Die Linke. Mit diesem Antrag soll das Verbandsklagerecht in das AGG eingefügt werden. Das Verbandsklagerecht ist dem deutschen Recht nicht besonders vertraut. Denn nach unserem öffentli- chen Recht gilt das System des Individualrechtsschutzes. Es soll nur derjenige klagen dürfen, der durch die öffent- liche Gewalt in eigenen Rechten verletzt ist. In den letz- ten Jahren sind wir von diesem Grundsatz allerdings – aus guten Gründen – häufiger abgewichen: 2002 haben wir im Naturschutzrecht eine Verbandsklage ermöglicht. Damit können anerkannte Naturschutzverbände gegen Entscheidungen von Bundesbehörden klagen. Seit 2006 wurde die Position der Umweltverbände durch das Umwelt-Rechtsbehelfsgesetz entscheidend ge- stärkt. Auch das Gesetz zur Gleichstellung behinderter Men- schen enthält ein Verbandsklagerecht, nach dem ein anerkannter Behindertenschutzverband Klage erheben kann auf Feststellung eines Verstoßes gegen bestimmte behindertenschutzrechtliche Vorschriften. Schließlich können auch Verbraucherschutzverbände auf Unterlassung oder Widerruf zur Durchsetzung von Verbraucherschutzvorschriften Klage erheben. Das AGG bietet den betroffenen Menschen die Mög- lichkeit der Individualklage, wenn eine Benachteiligung aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinde- rung, des Alters oder der sexuellen Identität vorliegt. Die meisten Fälle des Allgemeinen Gleichbehand- lungsgesetzes beschäftigen sich mit Diskriminierungen wegen einer Behinderung oder wegen des Geschlechts, je ein Fünftel der Beschwerden erfolgen aufgrund des Alters oder der ethnischen Herkunft. Es folgen Anfragen wegen einer Benachteiligung aufgrund sexueller Identi- tät und aufgrund von Religion oder Weltanschauung. Der Bundesgerichtshof hat beispielsweise eine Ent- scheidung zur Altersdiskriminierung getroffen: Ein frü- herer Kölner Klinikchef hat Anspruch auf eine hohe Ent- schädigung, weil er wegen seines Alters keinen neuen Vertrag bekam. 28984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) Ein anderer Kläger machte erfolgreich Entschädi- gungsansprüche gegen den Betreiber einer Diskothek geltend, weil der Türsteher ihm wegen seiner Hautfarbe und seines Geschlechts den Eintritt verweigerte. Einer schwerbehinderten Bewerberin um ein Richter- amt steht eine Entschädigung nach dem AGG zu, weil sie nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde. Erfolgreich geklagt hat auch ein Arbeitnehmer, der in einem Warenhaus als Ladenhilfe tätig war. Er sah sich aufgrund seines muslimischen Glaubens gehindert, die Weisung des Arbeitgebers zu befolgen und Alkoholika einzuräumen. Das AG Halle verurteilte einen Betrieb wegen einer Diskriminierung einer weiblichen Führungskraft als Frau und Mutter. Nach Rückkehr aus der Elternzeit hatte der Arbeitgeber der Klägerin mitgeteilt, weibliche Füh- rungskräfte mit zwei kleinen Kindern hätten ein zu ho- hes Ausfallrisiko und kündigte ihr betriebsbedingt. Das im AGG geregelte „eingeschränkte Verbandskla- gerecht“, das den Betriebsräten und Gewerkschaften nun ermöglicht, bei grobem Verstoß des Arbeitgebers für Kollegen und Kolleginnen bei Gericht ein Verfahren an- zustrengen, um den Arbeitgeber zu einem diskriminie- rungsfreien Vorgehen zu verpflichten, hat sich unlängst erstmals beim AG Hamburg bewährt. Bisher sind aller- dings nur einige hundert Fälle vor Gericht gelandet. Eine Umfrage hat darüber hinaus ergeben, dass nur ein Drittel der Befragten das AGG – und damit verbunden ihre Rechte – überhaupt kennen. Das wirft natürlich Fragen auf: Warum kennen viele Menschen ihre Rechte gar nicht? Scheuen sie den Weg der Individualklage? Das AGG bietet zwar theoretisch die rechtlichen Mit- tel, um gegen erlebte Diskriminierung vorzugehen. Diese bleiben aber wirkungslos, weil sie praktische Mängel aufweisen. Darum ist tatsächlich eine Weiterent- wicklung des AGG notwendig. Die SPD-Bundestagsfraktion hat einen Aktionsplan für die tatsächliche Gleichstellung von Frauen und Män- nern erstellt. Dieser Plan enthält wichtige Forderungen wie das Entgeltgleichheitsgesetz: Die Entgeltlücke zwi- schen Frauen und Männern muss geschlossen werden. Auch die Frauenquote für die Besetzung der Aufsichts- räte und Vorstände bedarf einer gesetzlichen Regelung, weil freiwillige Vereinbarungen zwischen Bundesregie- rung und Wirtschaft leider keine nennenswerten Fort- schritte gebracht haben. Der Plan setzt sich auch mit der Weiterentwicklung des AGG auseinander. Hier ist zu prüfen, ob die Beweislastregeln konform mit den Richt- linien der EU sind. Betroffene, die sich auf eine Benach- teiligung berufen, müssen nämlich zunächst den Vollbe- weis führen, dass sie gegenüber einer anderen Person ungünstiger behandelt worden sind. Nach EU-Gesetzge- bung reicht hier jedoch bereits die Glaubhaftmachung. Darüber hinaus sollten die Verbände in der Tat stärker beteiligt werden, und auch die Einführung einer Ver- bandsklage sollten wir gründlich prüfen. Nicole Bracht-Bendt (FDP): Die FDP verurteilt jede Diskriminierung wegen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Religion oder der Welt- anschauung, wegen Behinderung, des Alters oder der sexuellen Orientierung. Der Schutz vor Diskriminierung ist ein Menschenrecht und wesentliches Element einer je- den demokratischen Gesellschaft. Freiheit zu garantieren, heißt auch, die Rechte von Minderheiten zu schützen. Das Grundgesetz enthält in Art. 3 sowohl einen Schutz vor Be- nachteiligung als auch das Gebot, grundsätzlich alle Menschen gleichzubehandeln. Auch Art. 14 der Euro- päischen Menschenrechtskonvention und das darin ent- haltene Diskriminierungsverbot sind eine Verpflichtung. Gerade in der europäischen Wertegemeinschaft müs- sen Benachteiligungen beseitigt und die Rechte von Minderheiten gestärkt werden. Diesem Ziel fühlt sich die FDP seit jeher in besonde- rer Weise verpflichtet. Der Abbau von Diskriminierungen lässt sich aber nicht per Gesetz verordnen. Er ist eine gesamtgesell- schaftliche Aufgabe und beginnt bei der Erziehung zur Toleranz und nicht mit der Schaffung von Verbands- klagerechten. Die FDP hält die vorhandenen rechtlichen Möglich- keiten, gegen Diskriminierungen vorzugehen, für ausrei- chend. Daher lehnen wir die Initiative der Linken ab. Das AGG bietet Antidiskriminierungsverbänden nach § 23 AGG bereits die Möglichkeit, Benachteiligte in ge- richtlichen Verfahren als Beistand in der Verhandlung zu unterstützen. Die im Arbeits- und allgemeinen Zivilrecht geregelten Rechte sind weithin Individualansprüche. Der Benachteiligte entscheidet selbst, ob und wie er seine Rechte verfolgt. Das im Antrag benannte „strukturelle Ungleichgewicht“ besteht für Kläger in jedem Rechtsge- biet, seien ihre Klagen auch noch so berechtigt. Dass Kläger in der Regel die Beweislast tragen, ist unserem Rechtssystem immanent und dient der Rechtssicherheit, vor allem der Sicherheit vor grundlosen Klagen. Im Übrigen sind in anderen Bereichen, zum Beispiel im Arbeitsrecht, weit höhere strukturelle Ungleichge- wichte vorzufinden als bei Klagen nach dem AGG. Ein Verbandsklagerecht lehnen wir aus rechtspoliti- schen Erwägungen ab. Die Linken schildern in ihrem Antrag übrigens nicht, wie sie ein Verbandsklagerecht ausgestalten wollen, ins- besondere nicht, ob es ein Abtretungsrecht geben soll, wie dies im ADG-E vorgesehen war. Hierbei wäre auch zu befürchteten, dass die Verbände aus eigenem Inte- resse Klagen „akquirieren“. Das Ziel wäre dann, Scha- denersatz einzuklagen, um die finanzielle Situation des Verbandes zu verbessern und nicht die Situation des Dis- kriminierten. Das derzeitige AGG stellt einen sinnvollen Kompro- miss der betroffenen Interessen dar und bedarf daher un- seres Erachtens keiner Novellierung. Pascal Kober (FDP): Wahrscheinlich ist es kein Zu- fall, dass die Fraktion Die Linke den Antrag zum Thema Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28985 (A) (C) (D)(B) „Verbandsklagerecht im Allgemeinen Gleichbehand- lungsgesetz implementieren“ heute am sogenannten Equal Pay Day zur Debatte gestellt hat, der allerdings heute gar nicht stattfindet, weil sich die Organisatoren verrechnet haben. Richtig ist, dass es in Deutschland noch Unterschiede in der Bezahlung von Männern und Frauen gibt. Diese hängen jedoch fast vollständig von den durchschnittli- chen Lohnhöhen in den gewählten Berufen ab. Es ist noch immer so, dass Berufe, in denen verstärkt Frauen arbeiten, schlechter bezahlt sind als solche, in denen ver- stärkt Männer arbeiten. Oder anders ausgedrückt: In der Automobilbranche verdient man mehr als eine Friseurin. Interessant bei den Gründen für die Unterschiede ist, dass Frauen auch viel weniger in Gewerkschaften orga- nisiert sind, und es daher gerade in typischen Frauenbe- rufen einen geringeren Organisationsgrad gibt, der dann auch in schlechteren Tarifabschlüssen seinen Ausdruck findet. Daher sollten Sie, liebe Kolleginnen und Kolle- gen, vielleicht lieber Frauen ermuntern, Mitglied einer Gewerkschaft zu werden und sich für ihre Interessen ein- zusetzen, statt hier Anträge einzubringen, die in die fal- sche Richtung führen. Betrachtet man den sogenannten bereinigten Gender Pay Gap, also die Lohnunterschiede, die sich nicht auf erklärbare strukturelle Unterschiede, wie zum Beispiel die unterschiedlichen Durchschnittslöhne in unterschied- lichen Branchen, begründen, liegt der Gender Pay Gap bei 6 Prozent. Das ist die Zahl, bei der es möglicher- weise Verstöße gegen das Allgemeine Gleichbehand- lungsgesetz gibt, nicht, wie von Ihnen angesprochen, die über 20 Prozent. Sie fordern in Ihrem Antrag, dass auch im Allgemei- nen Gleichbehandlungsgesetz die Möglichkeit zur Ver- bandsklage geschaffen wird. Ich halte dies für einen fal- schen Ansatz. Das deutsche Recht ist aus gutem Grund als ein Indi- vidualklagerecht gewachsen. Die Klagegründe der Klä- ger sind bisher sehr unterschiedlich und jeweils spezifi- sche Einzelfälle. Es ist ja gerade nicht so, dass ein kompletter Tarifvertrag gegen das Allgemeine Gleichbe- handlungsgesetz verstößt – dann hätten die Tarifpartner versagt –, sondern, dass, wenn es zu Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz kommt, dies individuelle Fälle sind. Von daher würde eine Verbands- klage gar keinen Sinn ergeben. Wenn es Ihnen aber darum geht, dass ein Verband ei- nen einzelnen Fall beklagen können soll, dann sage ich Ihnen, dass es dafür nicht eines Verbandsklagerechts be- darf. Schon heute können Verbände auf freiwilliger Basis die Rechtskosten von Klägern übernehmen. Die Einzel- person klagt und ihre Kosten werden von einem Ver- band, Verein oder einer Gewerkschaft übernommen. Hinzu kommt, dass gerade Gewerkschaften ihren Mit- gliedern Rechtsschutz anbieten. Ihr Antrag ist überflüssig und scheint mir reine Sym- bolpolitik für den heutigen Tag. Bei Verstößen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz gibt es schon heute ausreichend Möglichkeiten, dagegen vorzugehen. Wir sollten daher unsere Rechtstradition nicht verän- dern. Cornelia Möhring (DIE LINKE): Wir fordern mit unserem hier vorliegenden Antrag ein Verbandsklage- recht in das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, AGG, aufzunehmen, also das Recht von Verbänden – Umwelt- verbänden, Frauenverbänden, Gewerkschaften –, stell- vertretend für die Einzelnen, die von Diskriminierung betroffen sind, zu klagen. Ich möchte am Beispiel der Entgeltdiskriminierung begründen, warum ein Verbandsklagerecht dringend er- forderlich ist. Warum wollen wir eine solche Regelung im Allge- meinen Gleichbehandlungsgesetz – kurz AGG – aufneh- men? Eben dort heißt es, dass Benachteiligungen wegen des Geschlechts in Bezug auf Arbeitsbedingungen ein- schließlich Arbeitsentgelt unzulässig sind und verhindert oder beseitigt werden müssen: § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG. Wie sieht es aber in der Praxis aus? Meist werden die einzelnen Personen, die von Entgeltdiskriminierung be- troffen sind, darauf verwiesen, dass sie doch eine indivi- duelle Beschwerde oder Klage einreichen können. Das ist aber ein Weg, der sich als völlig ungeeignet erwiesen hat. Sehr wenige Beschäftigte trauen sich zu, alleine ge- gen den eigenen Arbeitgeber vor Gericht zu ziehen. Das hat eine Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft be- reits 2008 nachgewiesen. Ich finde es auch mehr als ver- ständlich angesichts des Drucks in den Betrieben und der ständigen Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes. Ich vermute, das wird sich auch erst ändern, wenn die Menschen wieder angstfrei in unserem Land leben kön- nen, ohne ständige Existenzsorgen. Zu der Angst um den Arbeitsplatz kommen erhebli- che finanzielle Risiken dazu. Denn ein individueller Kla- geweg dauert lange und kostet. Das können sich die We- nigsten leisten. Eine einzelne Person hat zudem meist keinen Zugang zu den Unterlagen, die eine strukturelle Benachteiligung gerichtsfest nachweisen. Es gab einmal eine erfolgreiche Klägerin, die bei der GEMA beschäf- tigt war. Sie konnte den Beweis der Benachteiligung von Frauen im Unternehmen nur erbringen, weil sie im Per- sonalbereich tätig war und dadurch Einsicht in die Akten hatte. Und selbst wenn es den einen oder anderen erfolgrei- chen Klagefall gibt, bleiben die zugrunde liegenden dis- kriminierenden Entlohnungssysteme und Tarifvertrags- strukturen erhalten, weil die Urteile keine Breitenwirkung entfalten. Heute ist der Equal Pay Day. Und wieder stellen wir fest: Frauen erhalten 22 Prozent weniger Lohn als Män- ner. Sie müssen 80 Tage länger arbeiten als ihre männli- chen Kollegen, um gleich viel Lohn zu erhalten. Deutsch- 28986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) land ist damit immer noch an drittletzter Stelle der 27 EU-Mitgliedstaaten. Ich habe ihnen bereits einmal hier im Plenum vorge- rechnet, welche Ausmaße dieser „tolerierte“ Lohnraub ganz konkret annimmt. Immerhin geht es um Beträge, die sich im Laufe eines Berufslebens locker auf den Gegen- wert eines Einfamilienhauses hochrechnen lassen. Eine Folge dieser Diskriminierung von Frauen zeigt sich dra- matisch in der Differenz der durchschnittlichen Rente: Während eine Frau heute eine durchschnittliche Rente von 645 Euro erhält, liegt die durchschnittliche Rente ei- nes Mannes bei 1 595 Euro. Das sind immerhin 59,6 Pro- zent Unterschied und eine nicht unwesentliche struktu- relle Diskriminierung. Davon kann eigentlich niemand die Augen verschließen. Ich finde, dies sind sehr deutliche Beispiele für eine zwar verbotene, aber tatsächlich existierende Ungleich- behandlung von Frauen und Männern. Und es darf nicht länger tatenlos zugesehen werden. Wir haben ein echtes Defizit im Diskriminierungs- schutz, und diese Lücke möchten wir mit unserem An- trag verkleinern. Ein Schritt wäre eben, neben diversen notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung der Diskrimi- nierung, Rechtsschutz herzustellen. Entgeltdiskriminie- rung ist nun mal kein Einzelschicksal, sondern eine strukturelle Benachteiligung. Mit der Aufnahme des Verbandsklagerechts in das AGG könnten Verbände genau gegen diese Benachteili- gung Vieler vorgehen. Werte Koalitionskolleginnen und -kollegen, Ihre Re- gierung müsste nicht mal, wie üblich, einen Haufen Prüfaufträge auslösen, weil die Situation völlig eindeutig ist. Und eine Formulierung für die Aufnahme des Ver- bandsklagerechts bekommen sie sicherlich in kürzester Zeit beim Juristinnenbund, DJB. Liebe Kolleginnen und Kollegen von SPD und Grünen, ich gehe einmal davon aus, dass Sie zustimmen, es sei denn, Sie nehmen Ihre Forderungen aus Ihren Anträgen zur Entgeltgleichheit nicht wirklich ernst. Wir könnten also gemeinsam einen wesentlichen Schritt gegen die Fortsetzung von Diskriminierungen und für mehr Demokratie schaffen und noch in dieser Legislaturperiode den Arbeitsauftrag an die Regierung für eine entsprechende Gesetzesänderung auslösen. Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Sieben Jahre nach Inkrafttreten des Allgemeinen Gleich- behandlungsgesetzes ist es Zeit für eine Bestandsauf- nahme und eine Evaluation. Welche Erfolge hat das Ge- setz zum Kampf gegen Diskriminierung beigetragen, und welche der Befürchtungen der Gegner sind eingetre- ten? Diese Evaluation sollten wir in der nächsten Legis- laturperiode angehen und entsprechend Nachbesserun- gen beim Gesetz vornehmen. Gewisse Tendenzen lassen sich aber schon feststellen: Es gab spektakuläre Urteile, die aufgrund des AGG ge- fällt wurden. Da war das Urteil des Landesarbeitsgerich- tes Düsseldorf, das die Altersgrenze für Flugbegleiter aufgehoben hat. Oder das Oberlandesgericht Stuttgart, das einem Mann Schadensersatz zugestand, weil er allein wegen seiner Hautfarbe bei einer Diskothek abge- wiesen wurde. Und wir alle haben das Urteil des Bun- desarbeitsgerichtes mittlerweile umgesetzt, wonach jün- geren Angestellten nicht weniger Urlaubstage zustehen als älteren. Das alles sind Entwicklungen, die Ungerech- tigkeiten beseitigen helfen und die den Betroffenen von Diskriminierung die Handhabe geben, dagegen vorzuge- hen. Das AGG ist rechtliches Empowerment und damit eine Erfolgsgeschichte. Das sieht ja mittlerweile auch die Bundesregierung so. Maria Böhmer, die zuständige Integrationsbeauf- tragte sagte zum fünfjährigen Jubiläum vor zwei Jahren, dass „das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz in den fünf Jahren seines Bestehens eine wichtige Säule für ein tolerantes und gleichberechtigtes Zusammenleben in un- serem Land geworden“ sei. Hubert Hüppe, der Beauf- tragte der Bundesregierung für Behinderte, sagt: „Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz stärkt die Rechte von Menschen mit Behinderung. Es schützt sie vor Diskriminierungen in wichtigen Lebensbereichen.“ Christian Ahrendt, der Vizepräsident des Bundesrech- nungshofes und damals noch Parlamentarischer Ge- schäftsführer der FDP hier im Bundestag, sagte: „Der rechtspolitische Ansatz des Allgemeinen Gleichbehand- lungsgesetzes ist der Schritt in die richtige Richtung.“ Es gibt also in allen Fraktionen dieses Hauses Aner- kennung und Zuspruch zum Allgemeinen Gleichbehand- lungsgesetz. Das ist erst einmal positiv. Dennoch halte ich das AGG in verschiedenen Punk- ten für nachbesserungsbedürftig. Das betrifft die zu kur- zen Klagefristen ebenso wie die Formulierungen zur Beweislastumkehr. Vor allem müssen wir auch eine ernsthafte Debatte führen, ob die Kirchenklausel des AGG, die den Religionsgemeinschaften sehr weitge- hende Ausnahmen zugesteht, noch zeitgemäß ist. Die Fraktion der Linken beantragt heute die Einfüh- rung eines Verbandsklagerechts im Allgemeinen Gleich- behandlungsgesetz. Für meine Fraktion kann ich diese Forderung nur unterstützen. Wir haben dies auch bereits an verschiedenen Stellen hier im Bundestag gefordert, zuletzt in unserem Antrag zur Entgeltgleichheit, den wir vor einem Jahr debattiert haben. Das Verbandsklagerecht lenkt den Fokus darauf, dass Diskriminierung nicht nur ein individuelles Problem ist. Es gibt in unserer Gesell- schaft strukturelle Diskriminierung. Es ist klar, dass Opfer von Diskriminierung hohe emotionale Hürden übersprin- gen müssen, bevor sie etwa ihre Arbeitgeber verklagen. Die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes, fehlende Rechtsberatung oder schlicht die Prozesskosten sind nur einige der Gründe. Häufig fehlen aber schlicht die Daten und die Kenntnisse, um eine Diskriminierung im Sinne des AGG mit Indizien untermauern zu können. Deswegen ist es notwendig, dass die Beschäftigten, die Betriebs- oder Personalräte sowie die Mitarbeiterver- tretungen und die zuständigen Gewerkschaften grund- sätzlich in die Lage versetzt werden, gegen Diskriminie- rungen rechtlich vorgehen zu können. Der bisher mögliche individuelle Klageweg ist für die Beschäftig- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28987 (A) (C) (D)(B) ten risikoreich und unüberschaubar. Daher wird gar nicht oder erst zum Ende des Beschäftigungsverhältnisses ge- klagt. Und selbst wenn die Klage erfolgreich war, bedeu- tet das nicht, dass andere Beschäftigte davon profitieren. Das Verbandsklagerecht könnte zu mehr Musterklagen führen, die grundsätzliche Rechtssicherheit und -ver- bindlichkeit schaffen. All denjenigen, die nun erneut die Sorge vor Klagewellen und Bürokratiekosten vor sich hertragen, sage ich: Diese Klagewellen sind nach dem Erlass des AGG ausgeblieben, und sie werden auch jetzt nicht kommen. Von einem Verbandsklagerecht und mehr Musterkla- gen profitieren nicht nur die Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer. Auch für die Unternehmen ist es doch von Interesse, klare Regeln zu haben, die nicht diskriminie- ren. Denn natürlich findet Diskriminierung am Arbeits- platz heutzutage nur noch selten aus einer bewussten Entscheidung heraus statt. Dazu haben die Debatten um Diversity – Vielfalt – als Bestandteil der Unternehmens- kultur der letzten Jahrzehnte beigetragen. Nein – Diskri- minierung, etwa bei der Entgeltungleichheit, ist struktu- rell begründet, durch falsche Eingruppierungen oder Geringschätzung von Teilzeitarbeit. Der Antrag der Fraktion der Linken steht heute zur ersten Lesung an. Angesichts der wenigen verbleibenden Sitzungswochen in dieser Legislaturperiode sollten wir das Thema schnell in den Ausschüssen debattieren. Nach der Bundestagswahl brauchen wir eine umfassende Evaluation des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes und eine Stärkung der Rechte der von Diskriminierung betroffenen Menschen. Dabei wird ein Verbandsklage- recht ein zentraler Baustein sein. Anlage 3 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze (Tages- ordnungspunkt 18) Peter Aumer (CDU/CSU): Gegründet in wirtschaft- lich schwierigen Zeiten nach dem Zweiten Weltkrieg im Jahre 1948 mit dem Ziel, die deutsche Wirtschaft mit den Mitteln aus dem Marshallplan wiederaufzubauen, ist die Kreditanstalt für Wiederaufbau heute ein einzigarti- ges Beispiel eines bestens funktionierenden staatlichen Förderinstituts. In 60 Jahren Geschichte hat die KfW bis heute etwa fast 1 Billion Euro an Darlehen vergeben. Sie ist heute die weltweit größte staatliche Förder- bank und hat sich in den letzen Jahren, mit einer Bilanz- summe von derzeit etwa 500 Milliarden Euro, zur dritt- größten Bank in ganz Deutschland entwickelt. Vielen Staaten dient die KfW heute als Vorbild für den Aufbau eines eigenen Förderinstituts. Für Deutschland ist die KfW ein unverzichtbarer Be- standteil unserer staatlichen Förderpolitik geworden. Im Rahmen ihres Auftrags, der ihr durch das KfW-Gesetz vorgegeben ist, ist sie vor allem zuständig für die Förde- rung des technischen Fortschritts und von Innovationen, des Mittelstands, der Wohnungswirtschaft, der Finanzie- rung von höherer Bildung, der Entwicklungspolitik und von vielen weiteren Feldern. Insbesondere ist die KfW ein unverzichtbarer Partner, um die Herausforderungen der Energiewende zu meis- tern. Sie unterstützt die Bereiche, die für eine erfolgrei- che Wende notwendig sind, nämlich erneuerbare Ener- gien ausbauen, Energie effizient nutzen und Energie effizient erzeugen. Die KfW ist außerdem ein nachhaltig und verantwor- tungsvoll handelndes Institut. Im Lichte der Finanz- marktkrise erscheint es dennoch sinnvoll, die zentralen bankenaufsichtsrechtlichen Standards, die etwa die Min- destanforderungen an das Risikomanagement, die Ei- genmittelanforderungen und die Vorgaben für das Kre- ditgeschäft betreffen, auch auf die KfW anzuwenden. Bereits heute hält die KfW wesentliche Aufsichtsvor- schriften freiwillig ein, soweit sie mit ihrem Geschäfts- modell und dem daraus resultierenden Förderauftrag zu vereinbaren sind. Mit dem Entwurf des KfW-Änderungsgesetzes, wel- chen wir heute in erster Lesung beraten, kommen wir den Ansprüchen einer effektiven Beaufsichtigung der KfW nach und legen rechtsverbindliche und transparente Vorschriften fest, an die sich die KfW in Zukunft halten muss. Im Rahmen dessen wird das Bundesministerium der Finanzen gesetzlich ermächtigt, im Benehmen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie durch Rechtsverordnung festzulegen, welche bankenauf- sichtsrechtlichen Vorschriften von der KfW beziehungs- weise der KfW-Gruppe entsprechend anzuwenden sind. Dabei muss auch zukünftig die besondere Rolle der KfW berücksichtigt werden. Der Gesetzentwurf ändert daher nichts daran, dass die KfW auch weiterhin kein Kreditinstitut und kein Finanzdienstleistungsinstitut im Sinne von § 2 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 6 Nr. 2 KWG ist und auch weiterhin von den bankenaufsichtsrechtlichen Regelungen der Europäischen Union ausgenommen wird. Die KfW gehört ferner zu den „Einrichtungen des öffentlichen Bereichs“ gemäß § 1 Abs. 30 Satz 2 KWG. Das Geschäftsmodell und der besondere Förderauftrag der KfW werden also in ausreichendem Maße beachtet. Gerade durch das Instrument der Verordnungser- mächtigung kann sichergestellt werden, welche Regeln für die KfW im Einzelnen sinnvoll sind und verbindlich gelten sollten. Zudem kann somit flexibel auf Verände- rungen der bankenaufsichtsrechtlichen Vorschriften, ins- besondere auf europäischer Ebene, und auf Veränderun- gen der deutschen Förderlandschaft reagiert werden. Die Aufsicht wird in Zukunft in bewährter Weise durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und die Deutsche Bundesbank übernommen. Die KfW ist ein für Deutschland extrem wichtiges Förderinstitut. Mit den Regelungen, die wir heute in ers- ter Lesung beraten, schaffen wir die Grundlage für eine künftig weitere exzellente Stabilität des Instituts. 28988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) Bettina Kudla (CDU/CSU): Mit dem Gesetzentwurf zur Änderung des Gesetzes über die Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer Gesetze schafft die Koalition mehr Rechtssicherheit und Transparenz in Bezug auf die Einhaltung bankenaufsichtsrechtlicher Vorschriften durch die KfW. Das dient einer effektiven Aufsicht wie auch dem zu Beaufsichtigenden. Kern des Entwurfs ist die Verordnungsermächtigung für das Bundesfinanzministe- rium, entsprechend gesetzgeberisch tätig zu werden. Die Details der Ermächtigung sind dargelegt im neu einzufü- genden § 12 a des Gesetzes über die KfW. Bei der Kreditanstalt für Wiederaufbau handelt es sich um eine Anstalt öffentlichen Rechts mit speziellem staatlichen Auftrag. Die KfW gilt daher nach § 2 Abs. 1 des Kreditwesengesetzes – unabhängig von den Ge- schäften, die sie tatsächlich betreibt – nicht als Kredit- institut oder Finanzdienstleistungsinstitut im Sinne des KWG und ist daher im Sinne des § 2 Abs. 2 des Kredit- wesengesetzes von Vorschriften ausgenommen. Sie ist grundsätzlich nicht mit Kreditinstituten des privatrechtli- chen, genossenschaftlichen oder öffentlich-rechtlichen Sektors zu vergleichen. Das besondere Geschäftsmodell liegt in ihrem festge- legten staatlichen Förderauftrag gemäß § 2 des Gesetzes über die KfW. Dieser umfasst insbesondere die Finanzie- rung in den Bereichen Mittelstand – also kleine und mitt- lere Unternehmen – und Existenzgründungen, Wohnungs- wirtschaft, Umweltschutz, Bildungsförderung für private Kunden, international vereinbarte Förderprogramme in Transformations- und Entwicklungsländern sowie Ex- port- und Projektfinanzierung – auch Projekte im Inte- resse der Europäischen Union. Die Geschäftstätigkeit der KfW erstreckt sich somit über Deutschland, Europa und die Welt. Hierzu unterhält die Kreditanstalt weltweit Vertretungen. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist zwar kein Kre- ditinstitut im eigentlichen Sinne, jedoch entspricht ihre Tätigkeit im Grunde denen einer klassischen Bank. Mit einer Bilanzsumme von 450 Milliarden Euro gehört sie zu den drei größten Banken in Deutschland und gehört heute zu 80 Prozent dem Bund und zu 20 Prozent den Bundesländern. Die KfW refinanziert sich fast aus- schließlich über die internationalen Kapitalmärkte; allein im Jahr 2011 mit rund 79 Milliarden Euro, da sie weder klassische Filialen noch Kundeneinlagen hat. Bei dieser Größenordnung der Bank selbst und der Tätigkeit an den Kapitalmärkten sowie aufgrund des Geschäftsmodells der Kreditvergabe kann man durchaus von einer gewis- sen Systemrelevanz sprechen, weshalb eine effektive, rechtssichere Aufsicht Sinn macht. Die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist im Rahmen ih- res Förderauftrags herkömmlichen Bankenrisiken ausge- setzt. „Im inländischen Förderkreditgeschäft liegen die Risikoschwerpunkte im Bereich der Finanzierung von Gründern von mittelständischen Unternehmen und von Beteiligungen, da die KfW insbesondere in diesen Seg- menten der inländischen Förderung auch Endkreditneh- merrisiken trägt …“, heißt es im Finanzbericht 2011 der Kreditanstalt. Hieraus wird ersichtlich, dass eine effek- tive Aufsicht auch im Interesse der Förderbegünstigten ist. Um ihren Auftrag sachgerecht und weitgehend risiko- vorbeugend wahrnehmen und möglichst effektiv fördern zu können, hält die KfW bereits heute wesentliche Aufsichts- vorschriften freiwillig ein. Diese sollen nun gesetzlich in Wort und Schrift durch das Bundesfinanzministerium im Benehmen mit dem Bundeswirtschaftsministerium rechtssicher formuliert werden. Hieraus sollen Klarheit und Sicherheit für alle Beteiligten, das heißt für die Kre- ditanstalt und deren Aufsicht, entstehen. Neben einigen eher redaktionellen Änderungen im Gesetz über die KfW ist der neu einzufügende § 12 a das Kernstück des Gesetzentwurfs und enthält die Verord- nungsermächtigung für das Bundesfinanzministerium sowie die Anforderungsbefugnis. Das heißt, das BMF wird im Benehmen mit dem Bundeswirtschaftsministe- rium gesetzlich ermächtigt, durch Rechtsverordnung festzulegen, welche bankenaufsichtsrechtlichen Vor- schriften von der KfW bzw. der KfW-Gruppe entspre- chend anzuwenden sind. Das Instrument der Verordnung bringt die geeignete Flexibilität und Fallspezifität mit. Die KfW ist auch weiterhin kein Kreditinstitut und kein Finanzdienstleistungsinstitut. Die KfW bleibt daher von bestimmten bankenaufsichtsrechtlichen Regelun- gen der EU ausgenommen. Bisher steht die Kreditanstalt für Wiederaufbau unter der Aufsicht des Bundesfinanzministeriums. Ein Bun- desministerium kann eine wirksame Aufsicht über ein solch großes Kreditinstitut nicht mehr gewährleisten – schließlich handelt es sich um ein Kreditvolumen von fast 500 Milliarden Euro. Die Überwachungsinstrumente der BaFin sind ein wirksamer Schutz. Die Aufsicht wird in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank ge- mäß den Vorgaben aus dem Kreditwesengesetz erfolgen. Wichtig ist, dass eine klar abgegrenzte Aufgabenvertei- lung erfolgt, damit es keine Informationsverluste gibt. Die Rechtsgrundlage für die Aufsicht durch die BaFin ergibt sich aus § 6 KWG, die Rechtsgrundlage zur Zu- sammenarbeit mit der Deutschen Bundesbank aus § 7 KWG. Die Hauptziele der BaFin – so die Bundesanstalt selbst – bestehen darin, „Missständen im Kreditwesen entgegenzuwirken, die die Sicherheit der den Instituten anvertrauten Vermögenswerte gefährden, die ordnungs- gemäße Durchführung der Bankgeschäfte beeinträchti- gen oder erhebliche Nachteile für die Gesamtwirtschaft nach sich ziehen können“. Hierzu unterzieht die BaFin die betroffenen Institute der Solvenzaufsicht, der sogenannten laufenden Auf- sicht. Diese umfasst insbesondere die Überprüfung einer angemessenen Ausstattung mit Eigenmitteln – deren er- forderliche Mindesthöhe abhängig ist von den eingegan- genen Risiken – und einer ausreichenden Liquidität, die jederzeit die Zahlungsfähigkeit eines Instituts gewähr- leisten soll. Darüber hinaus prüft die BaFin die Risiken, welche nicht nach der Solvabilitätsverordnung mit Ei- genmitteln zu unterlegen sind, und prüft, ob das Institut über ein geeignetes Risikomanagement verfügt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28989 (A) (C) (D)(B) Als Arbeitsgrundlage dienen der BaFin die Jahresab- schlüsse und Prüfungsberichte sowie die sogenannten Monatsausweise – Kurzbilanzen, die die beaufsichtigten Institute monatlich bei der BaFin einreichen müssen. Da- neben gibt es eine Reihe von Meldepflichten, beispiels- weise für Bilanzverluste, Veränderungen in der Ge- schäftsleitung oder bei Beteiligungen ab 10 Prozent. Meldepflichtig sind ferner Groß- und Millionenkredite. Zudem darf sich die BaFin angemeldete wie unangemel- dete Prüfungen vor Ort vorbehalten. Auch in ihrer weitreichenden Befugnis, greift die BaFin nicht in die Geschäftspolitik der Institute ein, son- dern achtet die Grundpfeiler unserer Wirtschaftsord- nung. Lassen Sie mich zum Schluss kommen. Das Gesetz ist gut. Es fügt sich ein in den neuen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte. Ein Mehr an Aufsicht stärkt das Vertrauen in die Kreditanstalt für Wiederaufbau. Für die „Kunden“ der KfW wird der „Hafen KfW“ noch sicherer gemacht. Nicht zuletzt profitiert die KfW selbst von ei- ner effektiven Aufsicht. Manfred Zöllmer (SPD): Die Kreditanstalt für Wie- deraufbau gilt heutzutage nicht als Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut gemäß dem Kreditwesen- gesetz. Dies muss schon verwundern, angesichts der Tat- sache, dass sie nach der Bilanzsumme die drittgrößte Bank Deutschlands ist. Die Geschichte dieser Bank geht zurück auf das Jahr 1948. Sie ist die größte nationale Förderbank der Welt und eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Damit hat sie ein besonderes Geschäftsmodell und unterscheidet sich fundamental von den normalen Universalbanken. Wir haben durch die Finanzmarktkrise erlebt, dass Probleme der Bankenaufsicht nicht unwesentlich zur Krise beigetragen haben. In Deutschland sind die BaFin und die Bundesbank für die Bankenaufsicht zuständig. Zukünftig soll mit der Errichtung der Bankenunion in Europa die Beaufsichtigung systemrelevanter, grenz- überschreitender Banken durch die Europäische Zentral- bank erfolgen. Die ordnungsgemäße Anwendung der bankenauf- sichtsrechtlichen Regelungen soll durch die BaFin be- aufsichtigt werden. Die BaFin nimmt diese Aufgabe auch bei anderen Förderbanken wahr. Die KfW hält rele- vante Aufsichtsvorschriften schon jetzt freiwillig ein. Eine vollständige Übertragung der aufsichtsrechtlichen Vorschriften für Geschäftsbanken allerdings ist unsinnig, da das besondere Geschäftsmodell und der Förderauftrag der KfW dies nicht zulassen. Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung will nun festschreiben, welche bankenaufsichtsrechtli- chen Standards in Zukunft von der KfW verbindlich ein- zuhalten sind. Dies soll zukünftig mit einer Rechtsver- ordnung des Bundesministeriums der Finanzen und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie ge- regelt werden. Wir begrüßen im Prinzip den vorliegenden Gesetzent- wurf. Es macht Sinn, auch die KfW verbindlichen auf- sichtsrechtlichen Verpflichtungen zu unterwerfen. Es gibt allerdings ein Problem. Die Details der aufsichts- rechtlichen Verpflichtungen sollen erst nach der Verab- schiedung des Gesetzes in der angesprochenen Verord- nung geregelt werden. In dieser Rechtsverordnung soll geregelt werden, wie zum Beispiel die Eigenmittelanforderungen, die Min- destanforderungen an das Risikomanagement und die Vorgaben für das Kreditgeschäft von der KfW entspre- chend anzuwenden sind. Wir kennen aber den Inhalt oder einen konkreten Entwurf der Rechtsverordnung nicht. Deshalb ist es uns zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht möglich, eine inhaltliche Prüfung der Vorschläge jenseits einer grundsätzlichen Zustimmung zu dem Vor- haben durchzuführen. Entscheidend für uns ist es, dass das Geschäftsmodell der KfW als Förderbank des Bundes vollständig erhalten bleibt. Es bleibt deshalb die Notwendigkeit, die offenen Fragen im Gesetzgebungsverfahren zu klären. Björn Sänger (FDP): Die FDP-Fraktion steht die- sem Gesetzesvorhaben durchaus positiv gegenüber. Auch stimmen wir dem Vorhaben zu, die staatliche För- derbank KfW auch weiterhin nicht unter die geplante europäische Bankenkontrolle fallen zu lassen. Demge- genüber sieht das Gesetzesvorhaben vor, die Bankge- schäfte des von Bund und Ländern getragenen Instituts künftig strenger von der Finanzaufsicht BaFin zusam- men mit der Bundesbank überwachen zu lassen. Diese Überwachung ist wichtig und richtig. Bei der geplanten Bankenaufsicht durch die Europäi- sche Zentralbank, EZB, sollen Förderinstitute ausge- nommen werden. Die KfW zählt nicht nur zu den größ- ten Geldhäusern in Deutschland. Mit einem Gewinn von voraussichtlich erneut mehr als 2 Milliarden Euro 2012 ist sie auch an die Spitze der ertragsstärksten Banken Deutschlands gerückt – noch vor der Deutschen Bank. Als Anstalt öffentlichen Rechts unterliegt die KfW bis- her aber trotzdem nicht der normalen Bankenaufsicht. Wesentliche bankrechtliche Regeln setzt die KfW aller- dings bereits auf freiwilliger Basis um. Insofern ist es nur vernünftig, dass die KfW ange- sichts von Größe und Komplexität der Geschäfte künftig der BaFin-Aufsicht und teils dem KWG unterstellt wer- den soll. Wie eine Geschäftsbank dürfte sie regelmäßig über Eigenmittel und Liquidität an die Finanzaufsicht berichten. Die BaFin nimmt diese Aufgabe auch bei an- deren Förderbanken wahr und ist dafür am besten geeig- net. Mit dem Gesetzentwurf soll diese Praxis also erwei- tert, kodifiziert und transparent gemacht werden. Die Regelungen werden damit verbindlich. Zentrale banken- aufsichtsrechtliche Standards des Kreditwesengesetzes, KWG, werden entsprechend auf die KfW angewendet. Die KfW ist auch in Zukunft kein normales Kreditinsti- tut im Sinne des Kreditwesengesetzes. 28990 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) Was die KfW jedoch somit ist, ist systemrelevant. Als solche birgt sie auch Gefahren und Risiken. Die FDP-Fraktion sieht hier eine Möglichkeit, die Ri- siken jedenfalls teilweise umzuwandeln; die Gewinne gereichen dabei wieder dem eigentlichen Zweck der KfW. Die KfW könnte künftig mehr Projekte in der Ent- wicklungshilfe, beim Straßen- und Netzausbau sowie in der Energiepolitik finanzieren, die der Bund bisher di- rekt aus seinem Etat bestreitet. Diese Umverteilung darf natürlich nicht die Förderfähigkeit der KfW gefährden. Mit dem Instrument der Verordnungsermächtigung wird sichergestellt, dass der Verordnungsgeber die we- sentlichen Aufsichtsvorschriften detailliert und spezi- fisch im Hinblick auf die KfW prüfen und nur solche Regelungen verbindlich für entsprechend anwendbar er- klären kann, die dem gesetzlichen Förderauftrag und dem Fördergeschäft der KfW nicht widersprechen. Zu- dem ist das Instrument der Verordnungsermächtigung geeignet, flexibel auf Veränderungen der bankenauf- sichtsrechtlichen Vorschriften, insbesondere auf europäi- scher Ebene, und auf Veränderungen der deutschen För- derlandschaft zu reagieren. Vor diesem Hintergrund wird in der Rechtsverord- nung geregelt werden, dass zum Beispiel die Eigen- mittelanforderungen, die Mindestanforderungen an das Risikomanagement und die Vorgaben für das Kreditge- schäft von der KfW entsprechend anzuwenden sind. Bei der Auswahl und Anwendung der im Einzelnen gelten- den Rechtsvorschriften müssen der staatliche Förderauf- trag und das besondere Geschäftsmodell der KfW Be- rücksichtigung finden. Am Gewinnausschüttungsverbot ändert sich durch das KfW-Änderungsgesetz nichts. Wir können aufgrund der aufgezeigten Aufsichtsmaß- nahmen und Kontrollmechanismen ein ausgewogenes Verhältnis von marktwirtschaftlicher Freiheit und Kon- trolle erkennen und können dieses Gesetzesvorhaben so- mit befürworten. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Wir können von Glück reden, dass sich die FDP und die Marktradikalen in der CDU/CSU bei diesem Gesetzentwurf nicht durch- gesetzt haben. Für diese Kreise ist die staatliche Förder- bank ein rotes Tuch. Für uns ist es eine Bank, die sich positiv von den Zockerbanken unterscheidet. Die KfW versteht sich mit ihren Programmen als Dienstleister für Bürgerinnen und Bürger und Unternehmen. Ich möchte hier nur den altersgerechten Umbau von Wohnungen hervorheben. Ich will daran erinnern, dass die KfW auch eine wich- tige Rolle zur Bekämpfung der Finanz- und Wirtschafts- krise von 2008 spielte. Auf Verlangen der Linken hat die Bundesregierung von CDU/CSU und SPD – nach lan- gem Zaudern – ein umfangreiches Konjunkturprogramm aufgelegt, das von der KfW umgesetzt wurde. Als Mitglied des Bundestages und des Verwaltungsrats der KfW war ich besorgt, als die Koalition von CDU/CSU und FDP den Griff in die Kasse der KfW plante. Sie wollte das gesetzlich vorgeschriebene Gewinnausschüt- tungsverbot aufheben. 1 Milliarde Euro wollte die Koali- tion an Gewinnen abschöpfen, um ihre eigene Haus- haltsbilanz aufzupolieren. Offensichtlich konnte dieser Angriff auf die KfW abgewehrt werden. Das ist erfreu- lich. Aber: Der Gesetzentwurf hat schwere Mängel. Der Finanzminister versucht mit diesem Gesetz den Bundes- tag und den Verwaltungsrat der KfW zu schwächen und seinen eigenen Einfluss zu erhöhen. Er will mit Verord- nungsermächtigungen die KfW an die kurze Leine neh- men. Der Minister könnte als Vorsitzender des Verwal- tungsrats, ohne Rücksprache mit dem Verwaltungsrat, gegenüber dem KfW-Vorstand den Willen des Verwal- tungsrats vertreten. Das ist gefährlich. So kann die öffentlich-rechtliche Bank zum Spielball von politischen Interessen werden. Das ist keine gute Entwicklung. Die teilweise Kontrolle durch die BaFin ist sinnvoll, wenn der Verwaltungsrat einbezogen wird. Das ist bisher nicht geregelt. Wir bevorzugen das französische Modell. In Frank- reich muss die Bankenaufsicht bei Problemen mit der Förderbank den Verwaltungsrat der Bank einschalten. Der Verwaltungsrat kann dann die notwendigen Maß- nahmen ergreifen. Das Modell des Finanzministers sieht dagegen den Direkteingriff der BaFin vor. Das wäre eine Entmachtung des Verwaltungsrats. Dem Gesetzentwurf sieht man an, dass sich die Koali- tionsparteien nur noch gegenseitig blockieren. Es gibt Regelungsbedarf, doch CDU/CSU und FDP haben kein Interesse. Ich nenne nur ein Beispiel. In der FAZ vom 17. März 2013 wird behauptet, dass der Ver- waltungsrat über die Gehälter der KfW-Vorstände ent- scheidet. Das ist nicht der Fall. Der sehr kleine Präsidial- ausschuss entscheidet darüber. Es ist schon verlogen, wenn die Bundesregierung über die Begrenzung der Ma- nagergehälter öffentlich debattiert und die Aktionärsver- sammlung über die Gehälter der Vorstände abstimmen lassen will und gleichzeitig bei der staatlichen Förder- bank den Verwaltungsrat vor die Tür setzt, wenn es um die Gehälter der KfW-Vorstände geht. Der neue KfW-Chefökonom Jörg Zeuner hat in einem Interview (Berliner Zeitung; 2/3. März 2013) Investitio- nen von 30 bis 40 Milliarden Euro pro Jahr gefordert. Diese Forderung teilt unsere Fraktion. Die KfW könnte bei einem solchen Investitionsprogramm eine zentrale Rolle spielen. Doch die Bundesregierung hat in ihrem Haushaltsentwurf für 2014 die Investitionen ge- kürzt. Das ist der falsche Weg. Der Gesetzentwurf muss unbedingt ausführlich bera- ten werden, um die handwerklichen Fehler zu beseitigen, aber vor allem, um die Entmachtung des Bundestages und des Verwaltungsrats zu verhindern. Dr. Gerhard Schick (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist nach Deutscher Bank und Commerzbank das drittgrößte Geldinstitut in Deutschland. Ihre Bilanzsumme ist mit 500 Milliarden Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28991 (A) (C) (D)(B) Euro fast doppelt so groß wie der Bundeshaushalt. Des- wegen muss man dafür sorgen, dass hier keine Fehler passieren. Denn der Bund haftet für die Verbindlichkei- ten der KfW. Viel wichtiger ist daher eine effektive Be- aufsichtigung, die allerdings bisher nicht gewährleistet ist. Denn die KfW untersteht weder wie normale Banken der Aufsicht von Bundesbank und BaFin, noch gelten für sie die Regeln des Kreditwesengesetzes. Vielmehr sind Wirtschafts- und Finanzministerium dafür zustän- dig, auf die KfW aufzupassen. Nicht nur wir Grünen haben in den vergangenen Jah- ren deshalb immer wieder auf die bisher unzureichende Beaufsichtigung der KfW hingewiesen. Auch der Bun- desrechungshof rügte die aus seiner Sicht unzureichende Aufsichtspraxis. So konnte der Rechnungshof „eine ak- tive Wahrnehmung der gesetzlich geregelten Aufsichts- möglichkeiten gegenüber der KfW durch das BMWi nicht nachvollziehen“ und sah Interessenkonflikte beim BMF. Richtig ist also der Grundsatz, die KfW stärker zu be- aufsichtigen. Richtig ist auch, dass man die KfW nicht einfach dem Kreditwesengesetz und der Bankenaufsicht unterwerfen sollte, als wäre sie eine ganz normale Ge- schäftsbank. Denn das ist die KfW nicht. Sie hat als För- derinstitut Aufgaben in der Entwicklungszusammen- arbeit und bei der Durchführung von Transaktionen für den Bund, was sie deutlich von normalen Banken unter- scheidet. Falsch ist allerdings, dass Sie die konkreten Anwen- dungsbereiche des künftig durch die KfW zu erfüllenden Bankenaufsichtsrechts auf ungewisse Zukunft verschie- ben und per Ermächtigung des Bundesfinanzministe- riums – also vorbei an Bundestag und Bundesrat – regeln wollen. Offenbar wollen Sie mit dem Gesetzentwurf nach außen vor allem Ihren Koalitionsvertrag abarbei- ten, sind sich intern aber gar nicht einig darüber, welche konkreten Regelungen nach dem Kreditwesengesetz die KfW künftig überhaupt erfüllen soll. Das eigentlich Inte- ressante und Wichtige, welchen Regeln denn die KfW unterworfen werden soll, steht also in dem Gesetzent- wurf gar nicht drin. Offenbar herrscht bei Ihnen noch nicht einmal da- rüber Konsens, die KfW künftig der Aufsicht von BaFin und Bundesbank zu unterstellen. Denn ansonsten wür- den Sie diesen Weg ja hier per Gesetz gehen und nicht nur eine entsprechende Ermächtigung für die Bundesre- gierung schaffen. Dass die schwarz-gelbe Koalition für diesen Gesetz- entwurf dreieinhalb Jahre gebraucht hat, ist eine schwa- che Leistung. Vor allem aber verschiebt sie die Verant- wortung aus dem Bundestag heraus hin zur Regierung. Warum sollten wir Parlamentarier das nach den Er- fahrungen mit der unzureichenden Beaufsichtigung der KfW durch die Ministerien tun? Auch die Neuregelungen zum Verwaltungsrat sind vor allem fragwürdig und schwächen dieses wichtige Kontrollorgan eher, als dass sie es stärken. So kann der Verwaltungsrat künftig nur noch allgemeine und keine besonderen Weisungen mehr an den Vorstand erlassen. Auch darf der Verwaltungsrat künftig nicht mehr eines seiner Mitglieder in den Vorstand abordnen. Außerdem werden Sie dem Anspruch Ihres Koalitionsvertrags, die Verwaltungs- und Aufsichtsstrukturen der KfW deutlich zu straffen, nicht gerecht. Dazu wäre dann wohl eine Verkleinerung des Verwaltungsrats erforderlich. Warum macht die Koalition denn da gar nichts? Gilt Ihr Koali- tionsvertrag schon nicht mehr? Die eigenen Ziele zu erreichen, übersteigt immer wie- der die Kraft dieser Koalition. Der vorliegende Gesetz- entwurf ist ein weiterer Beleg dieses Befundes. Sie liefern gerade noch die richtigen Überschriften. Aber die konkreten Inhalte sind – wie schon so oft – schlicht man- gelhaft. Anlage 4 Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung des Entwurfs eines Gesetzes zu dem Handelsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits sowie Kolumbien und Peru andererseits (Tagesordnungspunkt 22) Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP): Der von der Bundesregierung eingebrachte Entwurf eines Gesetzes zu dem Handelsübereinkommen zwischen der Europäi- schen Union sowie Kolumbien und Peru birgt immense wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenziale. Frei- handel und der Abbau von tarifären sowie nichttarifären Handelshemmnissen führt ohne Zweifel für alle Akteure zu mehr Wohlstand. Es ist ein klares Zeichen gegen Pro- tektionismus und Rückwärtsgewandheit. Die Ausgestaltung des Freihandelsabkommens zwi- schen der Europäischen Union und Peru und Kolumbien wurde einvernehmlich vereinbart und führt zu einer Ver- tiefung der Handelsbeziehungen. Das Abkommen schafft stabile Regeln und einen institutionellen Rahmen, der die wirtschaftlichen und sozialen Umstände substanziell ver- bessert. Allein durch die sukzessive Abschaffung von Zollbarrieren tun sich bis zu 500 Millionen Euro Ein- sparpotenziale auf. Deshalb wurde das Ratifizierungsge- setz zur Zustimmung zum bilateralen Abkommen auch ohne Einwände einstimmig am 1. Februar 2013 im Bun- desrat beschlossen. Und auch das Europäische Parla- ment hat dem mit großer Mehrheit zugestimmt. Ausnah- men bildeten lediglich die Linken und Grünen. Das Handelsabkommen gewährt Peru und Kolumbien einseitige Übergangsfristen bis zur vollständigen Ab- schaffung von Zöllen. Insbesondere empfindliche Er- zeugnisse des Agrarsektors werden berücksichtigt und genießen einen angemessenen Schutz durch längere Übergangszeiten, Zollkontingente und weitere Maßnah- men, wenn es zu übermäßigen Einfuhren kommt. Unsere Wirtschaftspolitik eröffnet den beiden Ländern die Möglichkeit, in einem geeigneten Anpassungsprozess ihre Chancen zu nutzen und mithilfe der Europäischen Union ihre Wirtschaftskraft stetig weiterzuentwickeln. Die Befürchtungen einiger NGOs und Gewerkschafts- 28992 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) verbände der betreffenden Länder, dass es im eigenen Markt zu Benachteiligungen kommt, sind somit nicht haltbar. Die inhaltliche Ausgestaltung unseres Gesetzentwurfs ist in ihrer Form einmalig und geht weit über die Anfor- derungen der WTO-Übereinkommen hinaus. Art. 1 und 8 des Vertrages besagen, dass bei Verstößen gegen Men- schenrechte und Rechtsstaatlichkeit konkrete Maßnah- men ergriffen werden können, die letztlich auch zu einer Aufhebung des Vertrages führen können. Art. 23 setzt außerdem fundamentale Standards bezüglich der Ar- beitsrechte. Die populistischen Anwürfe der Opposition gehen somit ins Leere und sind eindeutig widerlegt. Festzuhalten ist, dass das Handelsübereinkommen in unserer vorgelegten Form zu einer erheblichen Transpa- renz und Verfahrenssicherheit für alle beteiligten Ak- teure führt, auch für die Zivilgesellschaft. Mit einem effizienten Streitschlichtungs- und Mediationsmechanis- mus wurde die Basis geschaffen, auch politische Be- lange zu thematisieren und zu schnellen und einver- nehmlichen Lösungen zu kommen. Der konstruktive Austausch während des Verhandlungsprozesses und die Entwicklung der Roadmaps für Menschenrechte, Ar- beitsrechte und Umweltschutz zeigen die Entschlossen- heit Perus und Kolumbiens. Die Bemühungen und zahl- reichen Zugeständnisse der Regierungen, um ihre zugegebenermaßen schwierige innenpolitische Situation zu bewältigen, muss auch die Opposition anerkennen. Deshalb ist die Haltung der Opposition nicht nach- vollziehbar, die unternommenen Anstrengungen der bei- den Länder nicht zu honorieren. Wir geben ihnen mit dem Handelsabkommen die Chance, durch freien Zu- gang zum europäischen Markt zu mehr Wohlstand zu kommen und sich gesellschaftlich zu entwickeln. Pater- nalistische Bevormundung, wie sie Linke und Grüne in diesem Haus mit ihrem neokolonialistischen Gebaren immer wieder betreiben, ist vor allem im Rahmen eines Handelsabkommens völlig deplatziert. Demgegenüber erkennen wir Peru und Kolumbien als souveräne und selbstbewusste Staaten an, die gerade in ihrer Region in den letzten Jahren eine große Erfolgsge- schichte geschrieben haben. Das Übereinkommen setzt nicht nur auf eine Ausweitung von Handelsbeziehungen zwischen Südamerika und Europa, sondern bietet vor al- lem einen institutionellen Rahmen, eine echte Partner- schaft einzugehen. Anlage 5 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Rückkehrrecht auf Vollzeit gesetzlich verankern (Zusatztagesord- nungspunkt 8) Paul Lehrieder (CDU/CSU): Die Familienpolitik spielt in der CSU seit jeher eine große Rolle. Die Familie ist und bleibt die tragende Säule unserer Gesellschaft. Zentraler Grundsatz christlich-sozialer Politik ist es, die Institution Familie zu schützen, zu fördern und deren Werte zu bewahren. Getreu unseres Grundsatzes „näher am Menschen“ stellt sich die Familie als ein Ort dar, wo Werte und Einstellungen geprägt und Respekt und Ver- antwortung für unsere Mitmenschen vorgelebt werden. Der Zusammenhalt der verschiedenen Generationen wird bei uns großgeschrieben. Daher wollen wir eine Familienpolitik, die alle Fami- lien in jeder Hinsicht verlässlich unterstützt, ihnen je- doch gleichzeitig auch genügend Freiheit zur eigenen Entfaltung bietet. Wir möchten die Kinder- und Familienfreundlichkeit in Deutschland weiter voranbringen. Dies beinhaltet aber auch, dass das Verständnis für die jeweiligen Situa- tionen innerhalb der Familien in der Arbeitswelt Berück- sichtigung findet. Das Arbeitsumfeld muss den Bedürf- nissen der Familien gerecht werden, statt umgekehrt zunehmend eine Anpassung der Familien zu fordern. Neben flexiblen Arbeitszeitmodellen, mehr Anerken- nung für Väter in Elternzeit und mehr Frauen in Füh- rungspositionen gehört in diese Aufzählung auch – und da bin ich Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, für Ihren Diskussions- beitrag sehr dankbar – die Auseinandersetzung mit ei- nem Rückkehrrecht auf einen Vollzeitjob für Väter und Mütter, die wegen Kindererziehung ihre Arbeitszeit ver- kürzt haben. Nicht nur zur Unterstützung der Familien, sondern gerade auch vor dem Hintergrund des drohenden Fach- kräftemangels muss das berufliche Engagement von Müttern gesteigert werden. Die heutige Generation der jungen Frauen ist so gut ausgebildet wie keine Genera- tion vor ihr. In der heutigen Zeit steht nicht mehr die Entscheidung „Familie oder Beruf“ an, sondern es muss ganz selbstverständlich die Entscheidung „Familie und Beruf“ getroffen werden können, ohne hierdurch Nach- teile zu erleiden. Der bereits eingeführte Rechtsanspruch auf Teilzeit hat dazu beigetragen, nicht nur die Vereinbarkeit von Fa- milie und Beruf zu erleichtern und Eltern für ihre ver- schiedenen Lebensphasen das passende Modell bereitzu- stellen, sondern auch dafür Sorge getragen, dass wir im Bereich der Beschäftigungsquote bei Müttern an zweiter Stelle in Europa stehen. Die Entscheidung für die Teilzeit ist eine Entschei- dung für die Familie und muss als Ausdruck der Wahl- freiheit der Familien geschützt und gefördert werden. Gerade im Hinblick auf Art. 6 Abs. 1 GG werden dafür auch in gewissem Rahmen wirtschaftliche Belastungen für den Arbeitgeber gerechtfertigt. Dieser Tatsache wurde mit dem Bundeselterngeld- und Elternzeitgesetz, BEEG, Rechnung getragen. Dem- nach haben Eltern bis zur Vollendung des dritten Le- bensjahres des Kindes einen Anspruch auf Elternzeit. Diese kann auch in einer Vereinbarung zur Verringerung der Arbeitszeit bestehen. Somit haben Eltern im Rahmen der Elternzeit einen Anspruch auf Teilzeitarbeit. Zudem haben Arbeitnehmer in Teilzeit bereits heute ein Recht auf Verlängerung ihrer Arbeitszeit. § 9 Teilzeit- und Befristungsgesetz, TzBfG, begründet ein solches Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28993 (A) (C) (D)(B) Recht, wenn sie diese ihrem Arbeitgeber anzeigen und keine dringenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Damit wurde die EU-Richtlinie 97/81/EG umgesetzt, die einen Anspruch auf vorzugsweise Befriedigung von Ar- beitnehmern vorsieht, die einen Teilzeitwunsch geltend gemacht haben und ihre Arbeitszeit wieder erhöhen wol- len. Des Weiteren muss der Arbeitgeber nach § 106 GewO bei der Bestimmung der Zeit der Arbeitsleistung billiges Ermessen walten lassen. Damit ist heute bereits sichergestellt, dass der Arbeitgeber Arbeitszeiten nicht einseitig und willkürlich bestimmt. In Deutschland arbeiten momentan 81 Prozent der Männer und 71 Prozent der Frauen zwischen 20 und 64 Jahren. 45 Prozent der Frauen arbeiten in Teilzeit; hier liegt der EU-Durchschnitt bei 32 Prozent – lediglich die Niederlande haben mit 76 Prozent eine höhere Teil- zeitquote bei Frauen. Allerdings darf eine Beschäftigung in Teilzeit nicht – wie es jedoch leider noch zu oft der Fall ist – in einen Dauerzustand münden. Oft wird der Arbeitnehmer und noch öfter die Arbeitnehmerin in Teilzeit auf einen ge- ringer qualifizierten und weniger ambitionierten Arbeits- platz versetzt. Hier wird oft sehr präsenzorientiert ge- dacht. Gefragt sind hier auch in erster Linie die Unterneh- men, die in ihrem eigenen Interesse Eltern den Übergang von einer Teilzeitstelle hin zu einer Vollzeitstelle erleich- tern sollten. Im Rahmen der besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf muss meiner Ansicht nach auch die Wirtschaft beispielsweise durch den verstärkten Aufbau von sogenannten Betriebskitas in die Pflicht genommen werden. Auch die Sozialpartner und Tarifpartner müssen sich verstärkt um Umsetzung von diesbezüglichen Vereinba- rungen bemühen. Unser Ziel ist es, dass auf lange Sicht die Entschei- dung zwischen Karriere und Familie überflüssig wird und beides Hand in Hand geht. Als weiterer Schritt in diese Richtung muss natürlich auch die gesetzliche Regelung der Rückkehr zur Vollzeit angedacht und diskutiert und überprüft werden, ob das geltende Teilzeitrecht noch den Anforderungen unserer modernen Arbeitsgesellschaft in ausreichendem Maße Rechnung trägt. Eltern dürfen keine Angst haben, durch den Wunsch, das eigene Kind zu betreuen und aufwach- sen zu sehen, die Chance auf berufliches Voranschreiten nach der Teilzeit verspielt zu haben. Eine gesetzliche Regelung zur Rückkehr in die Voll- zeit muss eindeutig Rechte und Pflichten sowohl von Ar- beitgeber als auch Arbeitnehmer beinhalten. Hier muss ein gerechter Interessenausgleich gefunden werden. So ist es einerseits, wie bereits festgestellt, dem Arbeitneh- mer nicht zuzumuten, durch die Elternzeit auf ein Ab- stellgleis zu geraten, andererseits kann auch der Arbeit- geber nicht über Jahre genau diesen einen Arbeitsplatz frei halten. Flexibilität und Planungssicherheit sowohl für Arbeitnehmer wie Arbeitgeber sind zur nachhaltigen Problemlösung die zentralen Eckpunkte. Der im europäischen Vergleich sehr hohe Anteil an teil- zeitbeschäftigten Frauen bei einer gleichzeitig geringen durchschnittlichen Wochenarbeitszeit von 18,5 Stunden spricht für einen Handlungsbedarf zur Fortentwicklung des Teilzeitrechts. Gerade im Zuge des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels könnten hierdurch zusätzliche Vollzeitstellen geschaffen werden. Unterneh- men, die keine flexiblen und zeitlich begrenzten Teilzeit- möglichkeiten anbieten, laufen Gefahr, die dringend be- nötigten Fachkräfte sowie auch die Investitionen in die Qualifizierung der Mitarbeiter zu verlieren. Die Tatsache, dass Teilzeitarbeit als Haupterwerbstä- tigkeit für einen langen Zeitraum im Hinblick auf den weiteren Erwerbsverlauf und eine Absicherung im Alter negative Auswirkungen hat, darf ebenfalls nicht außer Betracht bleiben – vom geringen Bruttoeinkommen wird nur ein geringer Betrag in die Rentenkasse abgeführt. Mit der Möglichkeit der Inanspruchnahme der Teil- zeit nicht nur für eine unbestimmte Zeit, sondern auch für eine zeitlich begrenzte Dauer und der Möglichkeit, anschließend automatisch zur früheren Arbeitszeit zu- rückzukehren, erhalten Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer mehr Flexibilität bezüglich der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Hierdurch hätten die Arbeitgeber zusätzlich Planungssicherheit, wären nicht unzumutbar belastet und könnten die jeweiligen Fachkräfte im Unter- nehmen halten. Auf dem Weg zur besseren Vereinbarkeit von Familie und Beruf sind neben den bereits durch die christlich-li- berale Koalition auf den Weg gebrachten Verbesserun- gen weitere möglich. Ich bin davon überzeugt, dass wir bei den Überlegun- gen für eine mögliche Weiterentwicklung des Teilzeit- rechts einen ausgewogenen Ausgleich der Interessen der Arbeitgeber und Arbeitnehmer erreichen werden. Sie sind herzlich eingeladen, uns hierbei weiter durch konstruktive Diskussionsbeiträge zu unterstützen. Gabriele Lösekrug-Möller (SPD): Unser Ziel ist, dass Menschen selbst über ihr Leben entscheiden – so, wie sie es für richtig halten. Ja, dafür braucht es eine in- dividuelle und effektivere Gestaltung von Arbeitsweise, Arbeitszeit und Arbeitsort. Nur mit einer neuen Arbeits- kultur und mit flexiblen Karrierewegen werden Frei- räume geschaffen, die alle brauchen – hier und jetzt und im Laufe des Lebens. Mehr Zeit für sich und seine bzw. ihre Familie ist die wichtigste Voraussetzung für indivi- duelle Zufriedenheit und gesellschaftlichen Zusammen- halt. Und ja, der Antrag der Grünen greift eine Facette die- ses großen Themas auf. Sozialdemokratinnen und So- zialdemokraten sind allerdings davon überzeugt, dass gute Lösungen nur in einem abgestimmten Gesamtkon- zept ihre positiven Wirkungen entfalten können. Um die Voraussetzungen dafür schaffen zu können, müssen unterschiedliche Maßnahmen ineinandergreifen. 28994 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) Gern erläutere ich unseren Ansatz: Wir wollen ein umfas- sendes Konzept für Arbeitszeitmodelle. Denn Menschen haben in unterschiedlichen Abschnitten ihres Lebens verschiedene Zeitbedürfnisse. Daher brauchen wir recht- liche Regelungen, um eine bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie und mehr Partnerschaftlichkeit zu er- möglichen. Dazu gehören: Ein Recht auf Teilzeit, das sich besser durchsetzen lässt. Dabei geht es vor allem auch um geschlechtergerechte Teilzeitmodelle von 30 Wochenstunden. Ein Rechtsanspruch auf befristete Teilzeit, der den Wechsel von Teilzeit- in Vollzeitbe- schäftigung erleichtert. Damit gilt für Arbeitnehmerin- nen und Arbeitnehmer nach einer bestimmten Zeit in Teilzeit wieder ihre alte Arbeitszeit. So kann verhindert werden, dass eine Reduzierung der Arbeitszeit in eine „Teilzeitfalle“ mündet. Arbeitnehmerinnen und Arbeit- nehmer sollen die befristete Arbeitszeitreduzierung auch verlängern können. Auch ein Rückkehranspruch auf Vollzeit muss gesetzlich verankert werden. Eine klare Regelung, wie der Anspruch auf Aufstockung der Ar- beitszeit verwirklicht werden kann. Vorgaben für Ar- beitszeitkonten. Dadurch werden kurzzeitige Arbeits- unterbrechungen beispielsweise zur Organisation von Pflege und Betreuung möglich. Anreizsysteme für Be- triebe, um Optionszeiten – Erziehungs-, Bildungs- oder Pflegezeit oder auch andere Formen sozialer Arbeit –, Flexibilisierungsmodelle und Lebensarbeitszeitkonten einzuführen. Wir brauchen ein neues Konzept zur Wo- chenarbeitszeit. Es soll an einem Runden Tisch mit den Sozialpartnern erarbeitet werden. Wir wollen die Verein- barkeit von Ausbildung und Familie verbessern – in al- len Lebensphasen. Ausbildung muss auch in Teilzeit möglich sein. Ein „Erwachsenen-BAföG“ und die Auf- hebung von Altersbegrenzungen für Ausbildungen und Stipendien sind vonnöten. Wir wollen eine geschlechter- gerechte Arbeitsmarktpolitik. Dazu gehört die Einfüh- rung eines flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohns von 8,50 Euro die Stunde. Auch die Entgeltgleichheit für Männer und Frauen muss verwirklicht werden. Die sach- grundlose Befristung muss abgeschafft werden. Und wir brauchen eine gendersensible Betreuung durch Arbeits- agenturen und Jobcenter. Ich könnte hier noch viele weitere Punkte aufführen, weit über die Arbeitsmarktpolitik hinaus. Denn Fragen der Betreuung und Bildung unserer Kinder gehören ge- nauso dazu wie Regelungen im Bereich der Pflege. Ein Hinweis ist mir besonders wichtig. Ganz Deutschland diskutiert zurzeit den bestehenden und wei- ter drohenden Fachkräftemangel. In den SAGE-Berufen und manchem MINT-Beruf haben wir tatsächlich bereits so lange Vakanzzeiten, dass wir von einem Mangel spre- chen müssen. Die SPD-Bundestagsfraktion hat dazu ein schlüssiges Konzept vorgelegt, dessen Lektüre ich allen empfehlen kann. Neben vielen guten Ansätzen ist ein zentraler Lösungsansatz die Verbesserung der Vollzeit- beschäftigungsquote von Frauen. Aus der Teilzeit in die Vollzeit ist eine der größten und am schnellsten zu reali- sierende Ressource. Blockiert wird dieser Lösungsweg aber häufig durch fehlende Betreuungsangebote für Kin- der und zu betreuende Familienangehörige. Auch hier hat diese Bundesregierung versagt. Gern komme ich zurück auf den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Er greift die Ankündigungs- politik von Familienministerin Schröder auf. Oft genug lässt uns diese Ministerin teilhaben an ihren gewonnen Erkenntnissen aus dem Alltag von Frauen und Familien. Aber weder halten diese Erkenntnisse vor – man/frau kann nur vermuten, dass sie das Kurzzeitgedächtnis nicht überstehen –, es folgt auch ganz konsequent kei- nerlei Tat. Über fehlende Durchsetzungskraft mag ich nicht mehr philosophieren; denn das würde Handlungs- absicht voraussetzen. Ich fasse zusammen: guter Antrag, weitgehende Übereinstimmung und deshalb Zustimmung. Johannes Vogel (Lüdenscheid) (FDP): Niemand, aber auch wirklich niemand – denke ich zumindest, für meine Fraktion jedenfalls kann ich das bestätigen – hält das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ nicht für ein zentrales. Mal abgesehen davon, dass es uns im- mer darum gehen sollte, die Rahmenbedingungen für El- tern und ihre Kinder möglichst sinnvoll auszugestalten, gibt es auch eine ganz schlichte arbeitsmarktpolitische Notwendigkeit, und die nennt sich Fachkräftemangel. Wir dürfen uns nicht mehr ein gesellschaftliches Klima und ein rechtliches Gerüst leisten, das im Grunde den vollständigen Rückzug aus der Arbeitswelt für zumin- dest ein Elternteil nahelegt, sobald erst einmal ein Kind da ist. Stattdessen brauchen wir ein gesellschaftliches Klima und ein rechtliches Gerüst, das den Eltern die Freiheit lässt, eine Lösung gemäß ihren individuellen Bedürfnissen zu finden. Im Ergebnis – da bin ich mir si- cher – hätten wir dann einen geringeren Rückzug aus der Arbeitswelt, weil für ganz viele Menschen Arbeit zu Recht mehr bedeutet als Broterwerb, nämlich Teilhabe, Selbstverwirklichung und Lebensqualität. Und dies än- dert sich auch nicht, nur weil ein Mann oder eine Frau dann auch Vater oder Mutter ist. Deswegen ist es extrem wichtig, dass wir uns intensiv und breit mit dem Thema Vereinbarkeit beschäftigen. Dass die Bundesregierung dies auch tut, steht glückli- cherweise außer Zweifel. Die beiden Ministerinnen Schröder und von der Leyen haben ja gerade ein Eck- punktepapier zu einem bestimmten Teilaspekt der Ge- samtproblematik vorgestellt, nämlich zu der Frage, wie eine einmal reduzierte Arbeitszeit wieder ausgedehnt werden kann und ob es dazu einer Änderung bestehender Gesetze bedarf. Die Ministerinnen haben dazu Vor- schläge gemacht, und – da spreche ich zumindest für un- sere liberale Bundestagsfraktion – wir werden das breit und differenziert diskutieren: erstens, weil wir der Über- zeugung sind, dass ein breiter und differenzierter Ansatz sinnvoll ist, und zweitens, weil Schnellschüsse über- haupt nichts bringen. Damit, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grü- nen, bin ich bei Ihrem Antrag angekommen. Der kam ja ganz schnell, und wenn man ihn mal liest, dann weiß man auch, warum. Es steht nämlich so gut wie nichts drin, nur ein mickriger Satz, mit dem die Bundesregie- rung aufgefordert wird, einen Gesetzentwurf vorzulegen, mit dem der gesetzliche Anspruch auf Reduzierung der Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28995 (A) (C) (D)(B) Arbeitszeit, der Teilzeitanspruch, mit einem gesetzlichen Anspruch auf Ausdehnung der zuvor reduzierten Ar- beitszeit ergänzt werden soll. Sie nennen das „Rückkehr- recht auf Vollzeit“. Einfacher hätten Sie es sich nicht machen können, und deshalb sage ich Ihnen auch: Sie machen es sich zu einfach, viel zu einfach. Jeder Mensch weiß, dass man Arbeitszeiten nicht einfach so heute run- ter- und morgen wieder hochschrauben kann. Denken Sie denn beispielsweise gar nicht an Ihre Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen? Sie sind als Abgeordnete doch alle selbst Arbeitgeber. Da frage ich mich doch schon, wie Sie sich das vorstellen. Einer ihrer Mitarbeiter redu- ziert seine Arbeitszeit, Sie stellen dafür eine weitere Mit- arbeiterin ein, die aber sofort wieder gefeuert werden muss, wenn der Mitarbeiter Nummer eins seine Vollzeit- stelle wieder zurückhaben möchte, oder wie? Und bitte lassen Sie doch auch diese vollkommen unlogischen und unnötigen Spielereien, und schreiben Sie nicht mehr in Ihre Anträge, dass beispielsweise Minijobs eine eigen- ständige Existenzsicherung von Frauen verhindern. Das tut nämlich nicht der Minijob – bei Frauen nicht und bei Männern auch nicht –, sondern eine eigenständige Exis- tenzsicherung wird allein durch ein zu geringes Einkom- men oder Arbeitslosigkeit verhindert. Jeder wünscht sich, dass beispielsweise in Teilzeit beschäftigte Frauen ihre Arbeitszeit ausdehnen, wenn sie es denn wollen. Aber die Hürden liegen hier nun wirklich nicht im Mini- job begründet, sondern ganz woanders. Klar sind also zwei Dinge: Das Thema „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ ist enorm wichtig, und für Ihren Antrag gilt das Gegenteil. Wir diskutieren das mit der gebotenen Sorgfalt, und wir werden da zu einer umfas- senden Position kommen. Das schulden wir auch den Arbeitnehmerinnen, Arbeitnehmern und den Unterneh- mern und Unternehmerinnen im Land. Wenn wir alle in- tensiv nachdenken und dann an einem Strang ziehen, wird es uns gelingen, zu passgenauen Lösungen zu kom- men. Wenn Sie jetzt völlig einseitig die Brechstange an- setzen, lösen Sie gar nichts, sondern machen allenfalls etwas kaputt. Jutta Krellmann (DIE LINKE): 39 Prozent der Frauen und 28 Prozent der Männer bereuen, dass sie El- ternzeit genommen haben! Da müssen doch bei uns allen die Alarmglocken läuten, was ist denn da los? Was pas- siert, wenn diese Menschen zurück an ihren Arbeitsplatz kommen? Wegen Elternschaft in Teilzeit zu gehen ist inzwi- schen in den meisten Betrieben kein Problem mehr, zu- mindest für die Frauen. Für Männer ist es nach wie vor ein ungewöhnlicher Schritt und sie werden oft schief an- geguckt. Die Linke sagt: Das Recht auf Teilzeitarbeit muss uneingeschränkt für alle gelten. Der Wechsel von Voll- in Teilzeit ist in den meisten Betrieben/Fällen mög- lich, aber einmal drin in der Teilzeitfalle, kommen die wenigsten wieder heraus. Teilzeit ist allerdings auch Karrierekiller Nummer eins in Deutschland, sagt man. Das erschließt sich auch jedem, wenn man an die Unternehmenskultur in Deutschland denkt. Denn als fleißig gilt derjenige, der um 19 Uhr noch im Büro sitzt, und nicht vielleicht derje- nige, der schon um 16 Uhr gegangen ist, weil er effizien- ter gearbeitet hat. Wer in Teilzeit arbeitet, der ist bei wichtigen Besprechungen oft nicht mehr da, der ist abends auch nicht mehr dabei, wenn noch gemeinsam das eine oder andere besprochen wird, der wird auch nicht auf Dienstreise geschickt und bekommt die Beför- derung nicht. Arbeitszeit muss so gestaltet werden, dass Mütter und Väter die Möglichkeit haben, sowohl erwerbstätig zu sein als auch ihren Beruf mit der Familie zu vereinbaren. Die Linke fordert deshalb eine kürzere Vollzeit bei vol- lem Lohnausgleich für alle. Das wäre durchaus machbar, wenn Arbeit umverteilt würde und nicht auf der einen Seite Beschäftigte mit Burn-out vor lauter Überstunden zusammenbrechen würden und auf der anderen Seite Menschen wegen Ihrer Erwerbslosigkeit Depressionen bekämen und Ihre Existenz verlören. Die Linke sagt: Es ist wichtig, dass Eltern einen ver- besserten Kündigungsschutz erhalten. Denn oft werden Beschäftigte nach der Elternzeit oder in der Erziehungs- phase gekündigt. Der besondere Kündigungsschutz sollte deswegen bis zur Vollendung des sechsten Lebens- jahres des Kindes ausgeweitet werden. Stellt eigentlich auch jemand mal die Frage, ob der Wechsel in Teilzeit freiwillig ist oder ob er einfach man- gelnden Betreuungsplätzen für Kinder geschuldet ist? Wie viele Väter und Mütter würden in Teilzeit gehen, wenn es für alle Kinder die Möglichkeit gäbe, qualitativ hochwertig und gebührenfrei ganztags betreut zu wer- den? Wir werden es wohl erst mal nicht erfahren, denn die Bundesregierung hat es nach wie vor nicht geschafft, diese notwendigen Kitaplätze zu schaffen, nicht mal für ein Drittel der Kinder unter drei Jahren! Und was ist mit den Schulkindern, für die es keine Hortplätze gibt? Der beste Weg, unfreiwillige Teilzeit abzubauen, ist der Ausbau von qualitativ hochwertigen, gebührenfreien Kinderbetreuungseinrichtungen! Aber was machen wir mit den Menschen, die gerne für ihre Kinder in Teilzeit gegangen sind und später wie- der Vollzeit arbeiten möchten? Gerade Frauen wird das oft nicht ermöglicht. Die gesetzliche Verankerung des Rückkehranspruchs von Teilzeit auf Vollzeit ist deshalb eine richtige und wichtige Forderung, die auch von der Linken voll unterstützt wird. Die FDP sitzt das Problem mal wieder aus und möchte es am liebsten zum Privatproblem der einzelnen Familie machen, anstatt eine vernünftige gesetzliche Re- gelung zu machen. Frau Schröder von der CDU hat wie- der viele warme Worte für Familien, aber passieren wird mal wieder gar nichts. Anstatt sich das teure und unsägliche Betreuungsgeld zu leisten, sollten Sie das Geld mal lieber in den Ausbau der Kinderbetreuung stecken. Dann hätten wir dieses Problem sicher nicht mehr in dem Ausmaß. Und Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von den Grünen, die nun diesen Antrag einbringen, hätten schon oft die Möglichkeit gehabt, unseren inhaltlich identi- 28996 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) schen Anträgen zuzustimmen. Warum machen Sie das eigentlich nicht einfach mal? Alleine diese Woche haben wir hier einen Antrag unserer Fraktion zur Verbesserung der Lage Alleinerziehender diskutiert, in dem genau diese Forderung enthalten war. Sie haben ihn abgelehnt! Das ist doch scheinheilig! Der Linken geht es um In- halte, deshalb stimmen wir Ihrem Antrag natürlich trotz- dem zu. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Es ist immer gut, dazuzulernen. Es ist gut, sich eine Sachlage anzugucken und den Handlungsbedarf anzuerkennen. Es ist nie gut, vollmundige Ankündigungen zu machen und nichts umzusetzen. Es ist auch nie gut, es angeblich bes- ser zu wissen, sich aber hinter einem unwilligen Koali- tionspartner zu verstecken. Um welche Sachlage geht es? Es geht um die Verein- barkeit von Familie und Beruf. Es geht um familien- freundliche Arbeitszeiten. Es geht konkret darum, zu verhindern, dass Teilzeit für Frauen zur Falle wird. Und es geht darum, die partnerschaftliche Aufteilung von Fa- milienarbeit und Erwerbsarbeit zu befördern. Um sowohl Familie als auch Beruf gerecht zu wer- den, arbeiten zurzeit vor allem Frauen in Teilzeit. Das ist ihr gutes Recht. Aber diese Frauen wollen meist nur phasenweise Teilzeit arbeiten … Die Rea- lität sieht jedoch zurzeit so aus, dass viele Frauen ungewollt auf der Teilzeitstelle sitzen bleiben. Das schlägt sich lebenslang auf die Entgelthöhe und die Altersversorgung nieder … Unser Ziel ist es daher, Teilzeitarbeit attraktiver zu machen – für Frauen und Männer … Dazu gehört die Förderung von Füh- rungspositionen in Teilzeit. Aber vor allem der Rechtsanspruch, nach einer phasenweisen Teilzeit- stelle in die Vollzeitberufstätigkeit zurückzukehren. Das war ein Zitat, und zwar nicht einer grünen Fami- lienministerin oder unserer Fraktionsvorsitzenden, son- dern aus einer Pressemitteilung der geschätzten Kollegin Dorothee Bär, herausgegeben zum Internationalen Frau- entag am 8. März dieses Jahres. Dem ist wenig hinzuzufügen, wohl aber, dass das Rückkehrrecht auf Vollzeit auch große Bedeutung für Männer und insbesondere für junge Väter hat, weil viele Männer auch deshalb heute nicht für einen befristeten Zeitraum in Teilzeit gehen, weil viele auch deshalb nicht in Elternzeit gehen, weil sie befürchten müssen, nicht in Vollzeit zurückkehren zu können. Deshalb ist das Rück- kehrrecht auf Vollzeit ganz zentral für Frauen wie für Männer. Aber es ist nicht nur Frau Bär, die eine wichtige Maß- nahme einfordert, aber keinerlei Bemühungen zeigt, ein solches Rückkehrrecht auch tatsächlich durchzusetzen. Ich zitiere Frau von der Leyen aus dem Focus: „Ich möchte das Teilzeitgesetz so ändern, dass es ein verläss- liches Rückkehrrecht in Vollzeit gibt.“ Ein entsprechen- der Gesetzentwurf sei sogar schon fertig. Auch Fami- lienministerin Schröder geht mit der Forderung nach einem Rückkehrrecht auf Vollzeit hausieren. Ich finde es bezeichnend, dass die Regierungsmehr- heit unseren Verfahrensvorschlag ablehnt, den Antrag direkt abzustimmen. Es ist mehr als durchsichtig – es ist regelrecht billig, sich wenige Monate vor der Bundes- tagswahl eine familienpolitisch so wichtige Forderung wie das Rückkehrrecht auf Vollzeit zu eigen zu machen, aber nichts für dessen Umsetzung zu tun. Zwei Fachmi- nisterinnen, die da einer Meinung sind, lassen sich von einer Splitterpartei wie der FDP auf der Nase herumtan- zen. Das ist nicht nur peinlich; es ist vor allem völlig in- akzeptabel, den Frauen und Männern, die auf eine Um- setzung eines solchen Rechtsanspruchs hoffen und auch darauf angewiesen sind, Sand in die Augen zu streuen. Deshalb heißt es mit unserem Antrag: Butter bei die Fische! An die Adresse der Kolleginnen und Kollegen aus der Union sage ich: Nehmen Sie Ihre eigene Ankün- digung ernst! Veräppeln Sie die Bürgerinnen und Bürger nicht! Stimmen Sie unserem Antrag zu! Anlage 6 Zu Protokoll gegebene Reden zur Beratung des Antrags: Syrische Flüchtlinge schützen (Zusatztagesordnungspunkt 9) Reinhard Grindel (CDU/CSU): Die aktuelle politi- sche Lage hat die Inhalte des SPD-Antrags längst über- holt. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat nach intensiven Gesprächen mit den Innenpolitikern der Ko- alitionsfraktionen entschieden, dass wir in den kommen- den Monaten insgesamt 5 000 syrischen Bürgerkriegs- flüchtlingen in Deutschland Zuflucht bieten werden. Wir werden im Sommer etwa 3 000 Menschen eine vorüber- gehende Bleibeperspektive in unserem Land geben und dann im Herbst noch einmal 2 000. Deutschland kommt damit innerhalb der Europäi- schen Union bei dieser wichtigen humanitären Frage eine Vorbildfunktion zu. Kein anderes europäisches Land hat bereits in der Vergangenheit so viel für syrische Flüchtlinge getan und wird in den kommenden Monaten so viel Verantwortung für syrische Flüchtlinge überneh- men wie Deutschland. Ich gratuliere dem Bundesinnen- minister zu dieser großherzigen humanitären Geste. CDU und CSU unterstützen das nachdrücklich und sa- gen ihm dafür Dank und Anerkennung. Anders als es heute in einer großen deutschen Tages- zeitung geschrieben steht, hat der Zeitpunkt der Ent- scheidung überhaupt nichts mit dem Drängen der Oppo- sition zu tun. Der Zeitpunkt erklärt sich aus dem Verhalten des UN-Flüchtlingskommissars und der tat- sächlichen Lage vor Ort in den Flüchtlingslagern in Jor- danien und im Libanon. Ich will hier ausdrücklich kri- tisch anmerken, dass wir eigentlich bis zum heutigen Tage kein klares Wort des UNHCR hören und keine klare Linie des UNHCR erkennen können, was die Auf- nahme von Flüchtlingen aus Syrien anbelangt. Wir haben nicht weil wir humanitär hartherzig gewe- sen wären in den letzten Wochen und Monaten eine Auf- nahme von Syrern eher kritisch gesehen, sondern weil Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28997 (A) (C) (D)(B) der UNHCR ausdrücklich erklärt hat, dass er etwaige Übernahmeaktionen nicht unterstützt, sondern nach wie vor die Hoffnung hat, den Flüchtlingen eine vorläufige Bleibe in Nachbarstaaten Syriens bieten zu können, um dann ihre rasche Rückkehr in ihr Heimatland zu ermögli- chen. Der UNHCR hat offenbar die Situation in Syrien und den ganz erheblich wachsenden Flüchtlingsdruck aus diesem armen Land völlig falsch eingeschätzt. Nunmehr müssen wir im Lichte der tatsächlichen Ent- wicklung handeln. Die tatsächliche Entwicklung bedeu- tet, dass über 1 Million vor dem Bürgerkrieg fliehende Syrer sich jetzt in die Nachbarstaaten gerettet haben und dass mehrere Millionen weiterer innerhalb ihres Landes auf der Flucht sind. Die Situation in den Flüchtlingslagern wird immer dramatischer. Eine humanitär vertretbare Unterbringung ist dort kaum noch gewährleistet. Deshalb heißt es jetzt, so wie wir das etwa im Fall der irakischen Flüchtlinge auch schon getan haben, gerade denjenigen Zuflucht zu geben, die besonders schutzbedürftig sind. Das ist der Grund, weshalb wir vor allem der Auffas- sung sind, dass wir Flüchtlingen christlichen Glaubens eine Aufnahme in Deutschland ermöglichen sollten. Ich will in diesem Zusammenhang nur auf die Lage der Christen im Irak hinweisen, die sich einem unglaubli- chen Verfolgungsdruck ausgesetzt sehen. Selbst wenn sich die Lage im Irak unter militärischen Gesichtspunk- ten etwas beruhigen sollte, heißt das noch lange nicht, dass eine Rückkehr von Flüchtlingen in ihre alte Heimat möglich ist, weil sie dort nach wie vor an Leib und Le- ben bedroht sind, nicht durch den Bürgerkrieg, aber durch religiöse Fanatiker, die ihnen nach dem Leben trachten. Eine solche Entwicklung kann man leider auch langfristig in Syrien nicht ausschließen, sondern sie ist sogar leider eher wahrscheinlich. Und weil wir wissen, dass in vielen Fällen Bürger- kriegsflüchtlinge, die wir nach Deutschland geholt ha- ben, sich in unserem Land wesentlich länger aufhalten, als dieses ursprünglich beabsichtigt war, macht es gerade auch unter integrationspolitischen Gesichtspunkten gro- ßen Sinn, vor allem solche vom Flüchtlingselend betrof- fene Menschen zu uns zu holen, die aller Voraussicht nach in unserem Land leben werden. Insofern geht die Twitter-Botschaft des SPD-Vorsit- zenden, von der ich heute in einer Zeitung gelesen habe, völlig am Thema vorbei, wenn er geradezu kritisiert, dass wir vor allem Flüchtlinge christlichen Glaubens in Deutschland aufnehmen wollen. Ich erwarte, dass auch SPD und Grüne endlich einmal zur Kenntnis nehmen, wie sehr Christen im arabischen Raum, der angeblich von einem demokratischen Frühling durchweht wird, an Leib und Leben bedroht sind. Ihnen eine neue Heim- stätte oder zumindest eine langfristig sichere Fluchtper- spektive zu geben, ist eine humanitäre Verantwortung, die wir wahrnehmen und bei der auch Sozialdemokraten und Grüne nicht beiseitestehen sollten. Es ist auch integrationspolitisch sinnvoll, weil wir da- von ausgehen können, dass sich diese Familien christli- chen Glaubens sehr schnell in unserer Gesellschaft ein- gliedern und zurechtfinden werden, nicht nur, weil sie hoffentlich in den christlichen Kirchengemeinden eine gute Aufnahme finden; viele Familienmitglieder dieser Flüchtlinge leben bereits in Deutschland und können ih- ren Landsleuten dementsprechend helfen, sich schnell und gut in unserem Land einzuleben. CDU und CSU unterstützen auch die angekündigte Ini- tiative unseres Bundesinnenministers, auf europäischer Ebene für ein gemeinsames Vorgehen in der Flüchtlings- frage und für eine koordinierte Aufnahmeaktion der euro- päischen Länder zu sorgen. Es wäre nun wirklich höchste Zeit, wenn der Hohe Flüchtlingskommissar der UN endlich einen offiziellen Hilfsappell an die EU rich- ten würde, der dazu beitragen muss, dass sich unserer Hilfsaktion auch andere Länder anschließen und sich zu einer Aufnahme syrischer Flüchtlinge entschließen. Ich habe das bereits erwähnt und will das mit Zahlen noch einmal hervorheben. Deutschland hat in der Vergan- genheit einer Vielzahl von Syrern Schutz geboten. Die Asylanträge aus Syrien sind in den letzten Jahren deutlich angestiegen. Waren es 2010 nur rund 2 000 Asylantrag- steller, so waren es bereits 2012 fast 8 000 Asylbewer- ber, die zu uns gekommen sind, und alleine in den ersten zwei Monaten des Jahres 2013 sind es noch einmal deut- lich über 1 800 asylsuchende Menschen gewesen, die sich bei unseren Behörden in Deutschland gemeldet ha- ben. Wir wollen jetzt mit unserer humanitären Hilfsaktion neben den besonders schutzbedürftigen Christen auch denjenigen Familien helfen, die Kinder haben und ge- rade deshalb besonders auf eine Hilfe angewiesen sind, um ihnen das Leben erträglicher zu machen und den Kindern eine neue Lebensperspektive zu geben. Darüber hinaus hat Deutschland weitere Maßnahmen ergriffen, um die Einreise von syrischen Staatsangehöri- gen zu erleichtern. Deutschland hat den Ehegattennach- zug für syrische Staatsangehörige bereits dadurch ver- einfacht, dass die Auslandsvertretungen angewiesen sind, syrischen Staatsangehörigen auch dann ein Visum zum Ehegattennachzug zu erteilen, wenn der an sich er- forderliche Nachweis deutscher Sprachkenntnisse noch nicht erbracht wurde. Selbstverständlich wollen wir auch nicht, dass Menschen in der jetzt schwierigen Lage ihres Heimatlandes nach Syrien abgeschoben werden. Der amtierende Vorsitzende der Innenministerkonfe- renz, Minister Pistorius aus Niedersachsen, hat Mitte März den Bundesinnenminister um eine Verlängerung des Abschiebestopps um weitere sechs Monate gebeten. Unser Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat dazu sein Einvernehmen erteilt. Insofern ist auch dieser Teil des SPD-Antrages erfüllt. CDU und CSU nehmen ihre humanitäre Verantwor- tung für die von Flucht und Verfolgung so stark betroffe- nen Bürger wahr. Dieses will ich hier ausdrücklich noch einmal festhalten. Ich will auch noch einmal unterstrei- chen, dass in den Fällen, wo bei geduldeten syrischen Staatsangehörigen absehbar ist, etwa wegen ihrer Zuge- hörigkeit zu einer religiösen Minderheit, dass sie auf Dauer wohl nicht nach Syrien zurückkehren können, die 28998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) Ausländerbehörden selbstverständlich angehalten sind, nicht nur eine Duldung auszusprechen, die eine Abschie- bung verhindert, sondern aus besonderen humanitären Gründen im Einzelfall auch eine Aufenthaltserlaubnis zu erteilen, die dann auch zahlreiche Integrationsperspekti- ven eröffnet und diesen Menschen eine Eingliederung in unserem Land erleichtert, bis hin dazu, hier natürlich auch arbeiten zu können. Das schließt selbstverständlich auch ein, dass wir die bei uns lebenden durchaus zahlreichen syrischen Studen- ten nicht indirekt zu Opfern der Entwicklung in ihrem Heimatland werden lassen, indem wir ihren Aufenthalts- status wegen ausbleibender finanzieller Unterstützung aus ihrer Heimat infrage stellen. Hier müssen vor Ort die Behörden und auch die Studentenwerke prüfen, inwie- weit den Studenten aus Syrien geholfen werden kann. Ich will nochmals mit Blick auf diese Twitter-Botschaft des SPD-Vorsitzenden betonen, dass ja offenbar alle The- men, mit denen wir uns hier im Deutschen Bundestag be- schäftigen, von der Opposition aus Wahlkampfgründen zugespitzt werden und dass versucht wird, hier Gegen- sätze aufzubauen bis hin dazu, dem anderen abzuspre- chen, in dieser Frage von Humanität politisch zuverläs- sig zu sein. Dafür haben die Menschen in unseren Wahlkreisen kein Verständnis. Ich glaube, dass sie nicht wollen, dass auf dem Rücken der syrischen Flüchtlinge billige und kleinkarierte politische Süppchen gekocht werden, sondern dass sie erwarten, dass alle Demokraten im Deutschen Bundestag kraftvoll und nachhaltig daran arbeiten, das Schicksal der syrischen Flüchtlinge mit ge- eigneten Mitteln zu bekämpfen. Das gilt zum einen für die Bekämpfung der eigentli- chen Fluchtursache. Das ist der Bürgerkrieg in Syrien, der schleunigst beendet werden muss und wozu die Staa- tengemeinschaft noch kraftvollere Beiträge leisten muss. Aber es bezieht sich eben auch auf die Verpflichtung, das in unserer Kraft Stehende in Deutschland durch eine Aufnahmeaktion auch zu leisten und – ich wiederhole das – vor allem Menschen christlichen Glaubens hier in Deutschland eine Heimstätte zu geben, nicht weil wir sie aus religiösen Gründen privilegieren, sondern weil sie wegen ihres Glaubens eben besonders schutzbedürftig sind. Ich rufe uns alle dazu auf, gemeinsam den syri- schen Flüchtlingen Hilfe und Menschlichkeit nicht zu verweigern. Rüdiger Veit (SPD): Am 8. November 2012 habe ich anlässlich der Beratung der Anträge der Kolleginnen und Kollegen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen „Flüchtlinge aus Syrien aufnehmen“, Bundestagsdrucksache 17/10638, und der Fraktion Die Linke „Für einen wirksamen Schutz und die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in der Europäischen Union und in Deutschland“, Bundestags- drucksache 17/10786, gesagt, dass sich zu diesem Zeit- punkt rund 340 000 Menschen aus Syrien auf der Flucht befinden. Heute, knapp fünf Monate später, hat die Zahl der syrischen Flüchtlinge die Millionengrenze über- schritten. Im Antrag „Syrische Flüchtlinge nicht im Stich lassen“ der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vom 27. Februar 2013 haben die Kolleginnen und Kollegen noch geschrieben, dass nach Schätzungen der Vereinten Nationen die Zahl der Flüchtlinge bis Juni 2013 auf 1,1 Millionen ansteigen wird. Das ist nun jetzt schon, vier Monate vorher, der Fall. Nach Angaben von UNHCR er- reichen täglich circa 8 000 neue Flüchtlinge die syri- schen Nachbarstaaten. Diese leisten täglich Großes, sind aber mittlerweile stark überlastet und benötigen drin- gend internationale Unterstützung. So werden für das ohnehin belastete Jordanien 1 Mil- lion Flüchtlinge erwartet. Im Libanon halten sich derzeit rund 350 000 Syrer auf, was zu einem Anstieg der Ein- wohnerzahl im Libanon insgesamt um 10 Prozent in nur einem Jahr geführt hat. Der Hohe Flüchtlingskommissar schätzt heute, dass die Zahl der Syrienflüchtlinge bis Ende des Jahres die 3-Millionen-Grenze erreicht haben wird. Diese Zahlen verdeutlichen das Ausmaß der Katastro- phe und die Dringlichkeit von Hilfsmaßnahmen; das Ausmaß des menschlichen Elends vermögen wir den- noch nicht zu erfassen. Ohne Zweifel ist die weitere Hilfe vor Ort absolut notwendig. Aber die Situation in den überfüllten Auf- nahmelagern in den syrischen Grenzstaaten erfordert jetzt und heute unsere Solidarität. Wir müssen handeln. Dabei wäre eine gemeinsame europäische Initiative zur Aufnahme syrischer Flüchtlinge vorrangig erstre- bens- und wünschenswert – was wir auch so in unserem vorliegenden Antrag fordern –, wenn aber erkenntlich wird, dass es auf EU-Ebene nicht schnell zu einer Eini- gung kommen wird, dann muss die Bundesrepublik al- leine handeln und Flüchtlinge aufnehmen. Entscheidendes Aufnahmekriterium sollte dabei die besondere Schutzbedürftigkeit des jeweiligen Flücht- lings sein, die wir zum Beispiel bei Angehörigen religiö- ser Minderheiten, Folteropfern, alleinstehenden Frauen, Kindern, Alten und Kranken für gegeben ansehen. Ver- wandtschaftsbeziehungen zu sich bereits in einem euro- päischen Mitgliedstaat aufhaltenden Familienangehöri- gen müssen berücksichtigt werden. Wir freuen uns daher, dass der Innenminister am Mitt- woch ganz in unserem Sinne angekündigt hat, Deutsch- land wolle nicht länger warten und mit der Aufnahme von syrischen Flüchtlingen beginnen. Eine deutsche Delegation solle gemeinsam mit dem UNHCR in den Flüchtlingslagern eine Auswahl treffen. Dabei sei Hauptkriterium die Schutzbedürftigkeit des Flüchtlings, so der Innenminister. Das ist auch unserer Ansicht nach das zentrale Kriterium. Eine solche sei vor allem bei Fa- milien mit Kindern und Kindern, die sich allein in Flüchtlingslagern aufhalten, aber auch bei Christen, die einem besonderen Verfolgungsdruck ausgesetzt seien, anzunehmen. Wenn das die Kriterien sind, dann sind sie gut. Bereits Anfang November letzten Jahres sagte der Kol- lege Ruprecht Polenz in Phoenix – vor Ort, er begrüße Überlegungen, syrische Bürgerkriegsflüchtlinge bei An- gehörigen in Deutschland aufzunehmen: „Es wäre eine Möglichkeit, wirklich zu prüfen, ob man diese Art der vorübergehenden Familienzusammenführung nicht er- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 28999 (A) (C) (D)(B) möglichen könnte. Das würde wahrscheinlich auch ein paar Tausend Syrern helfen, und sie wären hier bei ihren Familienangehörigen in Deutschland untergebracht.“ Diesen Gedanken würde ich gerne aufgreifen und kon- kretisieren. In der jetzigen Situation macht es Sinn, da- rüber nachzudenken, ob in Deutschland lebende Syrer nicht dazu aufgerufen werden sollten, ihre sich in Flücht- lingslagern aufhaltenden Verwandten nach Deutschland einzuladen. Flankierend dazu könnten die Visaantrags- stellen angewiesen werden, diese Anträge großzügig und schnell zu bearbeiten. Ohne komplizierte Verteilungs- strategien würden diese Flüchtlinge dann bestmöglich von Familienangehörigen aufgenommen. Aufgenommen werden soll nach den Worten des In- nenministers ein Kontingent von 5 000 Syrienflüchtlin- gen. Das ist immerhin etwas. Auch wenn seit Ausbruch des Bürgerkrieges bislang rund 8 000 Asylbewerber aus Syrien nach Deutschland geflohen und damit zwei Drit- tel aller aus Syrien nach Europa geflüchteten Menschen in Deutschland und Schweden untergekommen sind, so ist das angesichts von 4 Millionen Menschen, die sich insgesamt durch die Kriegshandlungen in Syrien auf der Flucht befinden, ein Schritt in die richtige Richtung, aber letztendlich nicht ausreichend. Aufgrund der anhaltenden Kampfhandlungen in Sy- rien erhalten viele syrische Studenten keine Unterstüt- zung mehr von ihren Familien, was zu einer Gefährdung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis zu Studien- zwecken führen kann, da die Studierenden das Erforder- nis der Lebensunterhaltssicherung nicht mehr erfüllen können. In solchen Fällen fordern wir die Bundesregie- rung auf, den Studenten eine Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen zu erteilen. Insgesamt fordern wir die Bundesregierung des Wei- teren auf, sich gegenüber den Ländern dafür einzusetzen, dass Möglichkeiten zur Erteilung von humanitären Blei- berechten für sich bereits hier aufhaltende Syrer großzü- gig genutzt und der Abschiebestopp nach Syrien verlän- gert wird. Die Bundesrepublik soll zudem dafür sorgen, dass keine Abschiebungen von syrischen Flüchtlingen gemäß der Dublin-II-Verordnung in einen Mitgliedstaat der EU erfolgen, der nach Syrien weiterschiebt. Bereits 2010 haben wir in unserem Antrag „Syrien – Abschiebungen beenden, politischen Dialog fortführen“, Bundestagsdrucksache 17/525, die Bundesregierung auf- grund der massiven Verletzung von Menschenrechten in Syrien dazu aufgefordert, einen Abschiebestopp nach Syrien zu erlassen und das bilaterale Rückübernahmeab- kommen mit Syrien zu kündigen. Das ist angesichts der dramatisch verschlechterten Zustände heute erst recht weiterhin unsere Forderung. Wir alle hier sind der Meinung, dass wir die Nachbar- länder Syriens bei der Aufnahme und Betreuung der Flüchtlinge unterstützen müssen und der Druck in den Aufnahmeländern zu groß ist; wir alle sind der Meinung, dass wir das Flüchtlingselend lindern müssen. Lassen Sie uns das auch tun. Hartfrid Wolff (Rems-Murr) (FDP): Die syrische Re- gierung bekämpft ihr eigenes Volk. Der Bürgerkrieg bedroht alle Menschen in dem Land. Die Menschen- rechtslage in Syrien hat sich in den vergangenen Mona- ten weiter dramatisch verschärft. Schon lange gab es schwerwiegende Probleme: Meinungs- und Versamm- lungsfreiheit waren nicht gegeben; die Inlandsopposition war starken Repressionen ausgesetzt. Dies hat die Bun- desregierung ebenso wie ihre Vorgängerin deutlich be- nannt. Es ist wichtig, dass wir über die Lage der syri- schen Flüchtlinge sprechen. Je länger der Konflikt dort dauert, desto schwieriger wird die Situation der betroffe- nen Menschen. Der Antrag der SPD-Fraktion hat sich aber in Teilen bereits wieder überholt: So hat der Bundesinnenminister am 20. März 2013 angekündigt, dass die Bundesrepublik Deutschland im Vorgriff auf eine europäische Aufnah- meaktion 5 000 Flüchtlinge aufnehmen werde. Dies er- folgt selbstverständlich in enger Abstimmung und Über- einstimmung mit den Ländern. Die FDP unterstützt die konsequente Haltung des Bundesinnenministers. Die Bundesregierung hat bereits in den letzten Monaten immer wieder betont, dass eine verstärkte Aufnahme von Flüchtlingen aus Syrien nicht ausgeschlossen wird. Neben dem Bundesinnenminister haben insbesondere der Bundesaußenminister und die Bundesjustizministerin auf die deutsche Verantwortung und Bereitschaft immer wieder hingewiesen. Zudem ist der Abschiebestopp der Länder soeben um weitere sechs Monate verlängert worden. Hinweise von der Opposition, wie angesichts der humanitären Lage sy- rischer Flüchtlinge verantwortungsvoll agiert werden soll, hat die Koalition aus Union und FDP nicht nötig. Die SPD fordert die Aufkündigung des deutsch-syri- schen Rückübernahmeabkommens. Hat die SPD noch in Erinnerung, wer für den Abschluss verantwortlich war? Das war die SPD. Das Abkommen war bereits in Zeiten der Verhandlung heftiger Kritik ausgesetzt. Es war die Vorgängerregierung mit Außenminister Steinmeier und dem jetzigen SPD-Kanzlerkandidaten Steinbrück, die sich dennoch für ein Abkommen mit Syrien entschieden hat. Ein Wort der Selbstkritik angesichts dieser Forderung wäre durchaus angebracht gewesen. Stattdessen ver- schweigen Sie lieber die Genese unter Beteiligung der SPD. Ein Rückübernahmeabkommen regelt die Proze- duren, wie und wann jemand zurückgeführt werden soll und kann. Aktuell wird jedoch niemand nach Syrien ab- geschoben. Das Rückübernahmeabkommen hat insofern aktuell gar keine Bedeutung. Die SPD versucht krampf- haft, ein Haar in der Suppe zu finden. Doch die christ- lich-liberale Koalitionsregierung handelt verantwor- tungsbewusst, und der SPD fällt nichts mehr ein. Wir alle hoffen, dass der Bürgerkrieg in Syrien mög- lichst bald beendet wird. Die Kündigung des Abkom- mens könnte auch so verstanden werden, dass wir nicht mehr an einen baldigen Frieden in Syrien glauben. Wir sollten, meine ich, alles vermeiden, was als Zeichen der Hoffnungslosigkeit gedeutet werden könnte. An der 29000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) Sachlage, dass wir nicht nach Syrien abschieben, ändert sich durch die geforderte Kündigung ohnehin nichts. Deutschland leistet auch vor Ort in der Krisenregion einen wichtigen Beitrag: Deutschland ist nach den USA weltweit der zweitgrößte Geldgeber für die Flüchtlings- hilfe in der Region. Und das ist gut so. Es wäre nur schön, wenn auch Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, einmal anerkennen könnten, dass das ein wichtiger Beitrag ist. Der Ansatz der Bundesregierung ist richtig, den Men- schen nach Möglichkeit vor Ort zu helfen. Denn entge- gen dem, was auch von den Kolleginnen und Kollegen suggeriert wird, wünschen sich die meisten Flüchtlinge nicht eine Aufnahme in Deutschland, sondern eine Rückkehr in ein friedliches Syrien. Für die FDP steht auch weiterhin die persönliche Schutzbedürftigkeit eines Flüchtlings im Vordergrund, nicht kollektive Gruppenmerkmale wie etwa die Reli- gionszugehörigkeit. Religiöse Verfolgung kann ein Grund für Schutzbedürftigkeit sein, ist aber sicher nicht der einzige. Auch in Bezug auf die syrischen Studenten kann ich Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Rot-Grün, beruhigen. Keiner von uns will, dass sie ihr Studium in Deutschland abbrechen müssen, nur weil sie aufgrund der furchtbaren Situation in ihrem Heimatland keine finanzielle Unterstützung mehr erhalten können. Daher wird aktuell bereits eine Anordnung nach § 23 Abs. 1 AufenthG mit den Ländern abgestimmt. So soll die Er- teilung eines humanitären Aufenthaltstitels ermöglicht werden, damit der BAföG-Bezug möglich wird. Wir haben gestern vereinbart, dass die Berichterstatter des Innenausschusses zu einem Gespräch zusammen- kommen. Es ist unser aller Anliegen, dass wir als Parla- mentarier über dieses Thema auf dem Laufenden gehal- ten werden. Ich erwarte aber, dass die Opposition die positiven Punkte, die heute und auch schon öfter zuvor angespro- chen worden sind und auch im Berichterstattergespräch Thema sein werden, auch anerkennen wird. Dass immer mehr und alles schneller gehen könnte, kann von der Op- position immer gefordert werden. Aber das Thema ist zu wichtig für parteipolitische Profilierung. Deshalb, liebe Oppositionskolleginnen und -kollegen: Seien Sie so fair und gestehen uns auch zu, was wir schon für die Opfer des syrischen Bürgerkriegs tun. Und wenn Sie kritisieren und Kursänderungen wol- len, verschweigen Sie nicht, was Sie selbst einst einge- führt haben – und heute nicht mehr für richtig halten. Über das Entsetzen über die humanitäre Lage dort sind wir uns hier im Haus einig, über die grundsätzlichen Ziele auch. Über das Vorgehen im Detail, wann welches politische Instrument die beste Wirkung bringt, nicht im- mer. Die Frage, wie wir den Flüchtlingen helfen können, müssen wir uns immer wieder stellen. Syrien darf nicht aus unserem Blickfeld geraten. Wir Liberalen setzen uns jedenfalls beständig dafür ein, die Entwicklung sensibel zu begleiten und alle Mög- lichkeiten der Unterstützung für die Opfer offenzuhalten. Ulla Jelpke (DIE LINKE): Die Bundesregierung hat in den vergangenen Wochen ein wahres Trauerspiel um die Frage der Aufnahme syrischer Flüchtlinge gegeben. Forderungen nach einer Aufnahme von Flüchtlingen, er- leichtertem Familiennachzug nach Deutschland, einer Öffnung der europäischen Grenzen wurden notorisch mit dem Verweis auf die humanitäre Hilfe vor Ort zu- rückgewiesen. Diese Linie wurde erst in dieser Woche aufgeweicht. Die Länderinnenminister haben eine Verlängerung des Abschiebestopps für syrische Staatsangehörige angekün- digt. Und Bundesinnenminister Friedrich hat die Auf- nahme von 5 000 besonders schutzbedürftigen Flüchtlin- gen noch in diesem Jahr angekündigt. Dabei sollte das einzige Kriterium für die Aufnahme die besondere Schutzbedürftigkeit sein. Ob es sich bei den Betroffenen um Christen handelt oder nicht, kann kein sinnvolles Kriterium sein. Auch der UNHCR hat sich in der Ver- gangenheit immer wieder dagegen verwahrt, von den Aufnahmestaaten zusätzliche Aufnahmekriterien diktiert zu bekommen. Die genannten Schritte kommen viel zu spät und blei- ben weit hinter den Erfordernissen zurück. Die Verlän- gerung des Abschiebestopps für geduldete Syrer reicht nicht aus. Wegen der Lage im Land können sie ohnehin nicht abgeschoben werden. Die Betroffenen brauchen endlich ein sicheres und dauerhaftes Bleiberecht. Die Pläne von Innenminister Friedrich sind nur ein Tropfen auf den heißen Stein. 5 000 ist allein die Zahl der Flücht- linge, die jeden Tag in die Nachbarstaaten Syriens flie- hen; an manchen Tagen sind es bis zu 10 000. Bislang ist der Bundesinnenminister auch noch nicht der Forderung aus allen Fraktionen des Bundestages ge- folgt, Flüchtlingen die Aufnahme bei ihren Verwandten in Deutschland zu ermöglichen. Tausende in Deutsch- land lebende Syrerinnen und Syrer wären bereit, für ihre Verwandten aufzukommen, wenn diese nur endlich kommen könnten. Wir alle haben solche Fälle in unseren Wahlkreisen. An mich hat sich unter anderem ein Mann gewandt, der zwei seiner Schwägerinnen nach Deutschland geholt hat. Er kann ihren Aufenthalt aus eigenen Mitteln finan- zieren. Sie hatten Glück und haben noch ein Visum be- kommen, nun auch eine Verlängerung für drei Monate. Doch dann werden sie Asyl beantragen müssen, um nicht in die Illegalität zu rutschen. Das eigentlich überflüssige Asylverfahren wird die beiden Frauen noch einmal aus der Bahn werfen; denn dann droht die Einweisung in eine Erstaufnahmestelle, sodann die Weiterverteilung inner- halb Deutschlands in eine andere Unterkunft. Dieses für die Betroffenen belastende Verfahren ist außerdem noch mit Kosten für die Behörden und Sozial- leistungen verbunden. Dies wäre alles vermeidbar, wenn die Regelungen für die Erteilung von Visa und Aufent- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 29001 (A) (C) (D)(B) haltserlaubnissen in diesen Konstellationen entspre- chend gelockert würden. So könnte die Bundesrepublik vielen Flüchtlingen schnell und unbürokratisch helfen. Stattdessen sind auch diese Menschen auf die kostspie- lige Hilfe von Schleusern angewiesen, wenn sie nach Deutschland kommen wollen. In den Debatten der letzten Monate hat die Koalition immer wieder darauf hingewiesen, dass Deutschland oh- nehin zu den Hauptaufnahmestaaten von Asylsuchenden aus Syrien innerhalb der EU zähle. Das ist sicherlich richtig. Aber zugleich erhält die Bundesregierung den Druck auf Griechenland aufrecht, seine Grenze gegen sogenannte illegale Einwanderer dichtzumachen. Die Folgen dieser Politik sind verheerend. In der vergange- nen Woche ist ein Boot mit zehn syrischen Flüchtlingen in der Ostägäis gekentert. Leichen von zwei Kindern und einer Frau sind auf der Insel Lesbos an den Strand ge- spült worden. Es gab nur einen Überlebenden. Nach Berichten der Flüchtlingshilfsorganisation Pro Asyl versuchen immer mehr Flüchtlinge, mit untaugli- chen Booten die Meerenge bei Lesbos zu überqueren, weil die Landgrenze zwischen der Türkei und Griechen- land mittlerweile komplett abgeschottet ist. Die Politik der Abschottung fordert immer mehr Todesopfer. Sie muss endlich beendet werden. Dieser Punkt fehlt im Antrag der SPD-Fraktion leider völlig. Inzwischen ist er auch von den Ereignissen der letzten Tage überholt worden. Nur ein Punkt ist noch nicht erfüllt: die Forderung nach Kündigung des Abschiebeab- kommens mit Syrien. Dieser Forderung schließt sich meine Fraktion voll und ganz an. Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): „Meine Botschaft an die Welt? Stoppt den Krieg in Syrien, damit wir wieder in unser Land zurückkehren können.“ – Dieser Appell an die internationale Staaten- gemeinschaft stammt von dem sechsjährigen Nidal, ab- gedruckt in dem am 13. März 2013 veröffentlichten Be- richt „Kinder im Kreuzfeuer“ von Save the Children. Diesen Appell hätte ich nicht kürzer und zugleich ein- dringlicher und treffender formulieren können. Vor genau zwei Jahren, im März 2011, haben die friedlichen Demonstrationen in Syrien begonnen. Diese friedliche Revolution ist gekapert worden. Syrien befin- det sich zwei Jahre nach Beginn des Aufstandes im Bür- gerkrieg. Das syrische Regime macht sich verant- wortlich für Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Baschar al-Assad befehligt die Tö- tung von unschuldigen Kindern, Frauen und Männern, die Bombardierung von Wohngebieten, verhindert den Zugang zu humanitärer Hilfe und billigt offenbar Folter, sexuelle Gewalt und Misshandlungen, auch an Kindern. Auch die bewaffneten Oppositionsgruppen begehen Kriegsverbrechen. Syrerinnen und Syrer zahlen einen hohen Preis für ih- ren Wunsch nach Freiheit, Menschenrechten und Demo- kratie. Bisher sind nach Angaben der Vereinten Nationen mehr als 70 000 Menschen während des gewaltsamen Konflikts in Syrien ums Leben gekommen. 4 Millionen Menschen sind in Syrien von humanitärer Hilfe abhän- gig. Über 1 Million Syrerinnen und Syrer – ganz genau 1 145 423 – mussten ihre Heimat verlassen und in Nach- barstaaten fliehen. Der Bürgerkrieg in Syrien hat die schlimmsten Be- fürchtungen übertroffen. Schon jetzt ist die Marke von 1 Million Flüchtlinge, die die Vereinten Nationen für den Sommer 2013 angenommen hatten, erreicht. Mehr als die Hälfte von ihnen sind Kinder und Jugendliche. 70 000 Tote, 1,1 Millionen Flüchtlinge, 4 Millionen Menschen abhängig von humanitärer Hilfe, um zu über- leben: Das sind schier unvorstellbare Zahlen. Doch hin- ter jeder Zahl steht ein Schicksal: das Schicksal eines Opfers und das Schicksal ganzer Familien. Die Berichte von UNICEF und Save the Children helfen, diese Zahlen greifbar zu machen, den Zahlen ein Gesicht zu geben und die Geschichten der Opfer zum Teil auf erschre- ckende Art und Weise in den Fokus unserer Aufmerk- samkeit zu rücken. Es sind Berichte, die uns aufrütteln. Und die internationale Gemeinschaft verdient es, aufge- rüttelt zu werden. Je länger der bewaffnete Konflikt an- dauert, desto größer wird das Leid der Kinder. Jeder wei- tere Monat Bürgerkrieg in Syrien kostet 5 000 Menschen das Leben. Obwohl die Ereignisse in Syrien Entsetzen und Ab- scheu hervorrufen, ist der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen gelähmt. Alle Resolutionen sind bisher am Veto von Russland und China gescheitert, die damit nicht nur den Menschen in Syrien in den Rücken fallen – sie stellen sich gegen die Freiheitsbewegungen in der arabischen Welt insgesamt. Das ist ein Hohn auf die Menschenrechte. Es werden nun immer mehr Stimmen laut, das Waffen- embargo der Europäischen Union gegen Syrien aufzu- heben. So dringend ein Handeln der internationalen Ge- meinschaft angesichts der Ohnmacht und Hilfslosigkeit gegenüber den schweren Menschenrechtsverbrechen in Syrien notwendig ist, so falsch wären nun Lieferungen von Waffen in dieses Bürgerkriegsgebiet: zu unübersichtlich die Lage, zu unsicher, in welchen Hände diese – unsere – Waffen letztendlich landen könnten. Wer Kriegsgerät nach Syrien liefert, rüstet automatisch extremistische Is- lamistengruppen auf. Anstatt also den Blick auf Waffenlieferungen nach Sy- rien zu richten, sollte die internationale Gemeinschaft, da- runter Deutschland, ihre humanitäre Hilfe für Syrien erhö- hen. Die Vereinten Nationen – insbesondere UNOCHA und der UNHCR –, das Internationale Komitee vom Ro- ten Kreuz und der Rote Halbmond benötigen dringend Unterstützung. Bisher sind die von den Vereinten Natio- nen benötigten Mittel für Syrien nur zu 21 Prozent ge- deckt. Die Türkei, Jordanien, der Libanon und Irak stoßen mit der Aufnahme und Versorgung der syrischen Flücht- linge an ihre Grenzen. Diese vier Staaten allein haben bisher 1 092 403 syrische Flüchtlinge aufgenommen – 29002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 231. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 21. März 2013 (A) (C) (D)(B) also mehr als 1 Million Menschen. Bei solchen Zahlen frage ich mich, wo wir in Deutschland mit unseren Maß- stäben bei der Aufnahme von Flüchtlingen bleiben. Uns erreichen tagtäglich verzweifelte Anrufe und Briefe von in Deutschland lebenden Syrern, die ihre Fa- milien aus Syrien bei sich aufnehmen möchten. Diese private und individuelle Unterstützung scheitert an der deutschen Visumspolitik. Es stimmt, dass die meisten der syrischen Flüchtlinge so schnell wie möglich in ihre Heimat zurückkehren möchten. Es stimmt aber auch, dass eine Lösung des Bürgerkrieges in absehbarer Zeit leider nicht in Sicht ist. Und es stimmt, dass syrische Flüchtlinge nicht auf Dauer in Lagern leben können. Besonders für Kinder ist die Si- tuation dort schwierig. Der Vorschlag von Bundesinnenminister Friedrich, eine größere Anzahl von syrischen Flüchtlingen in Deutschland aufzunehmen, ist zu begrüßen und der rich- tige Schritt in die richtige Richtung. Wir hoffen, dass diesem Schritt weitere folgen und alle Religionsgemein- schaften, Ethnien und sonstigen Gruppen in ein solches Aufnahmeprogramm einbezogen werden. Entscheidend für die Aufnahme von Flüchtlingen ist ihr Fluchtgrund. Leider gibt es in Syrien viele davon. 231. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 3, ZP 2 Förderung von Forschung und Innovation TOP 4, ZP 3 Soziale Gestaltung der Energiewende TOP 36, ZP 4 Überweisungen im vereinfachten Verfahren TOP 37, ZP 5 Abschließende Beratungen ohne Aussprache ZP 6 Aktuelle Stunde zur Sicherheit der Sparguthaben in Europa TOP 5 Markttransparenzstelle für Kraftstoffe TOP 6 Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik TOP 7 Regelung der vertraulichen Geburt TOP 8 Legehennenhaltung und Kennzeichnungspflicht TOP 11, ZP 7 Besteuerung multinationaler Unternehmen TOP 10 Psychische Belastungen in der Arbeitswelt TOP 13 Schlichtung im Luftverkehr und Fluggastrechte TOP 12 Rentenzahlungen nach dem Ghetto-Rentengesetz TOP 15 Telekommunikationsrecht TOP 14 Verbandsklagerecht im Gleichbehandlungsgesetz TOP 17 Regulierung im Eisenbahnbereich ZP 8 Rückkehrrecht auf Vollzeit TOP 18 Gesetz über die Kreditanstalt für Wiederaufbau TOP 20 Intelligente Verkehrssysteme im Straßenverkehr TOP 21 Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus TOP 22 Handelsübereinkommen mit Kolumbien und Peru ZP 9 Schutz syrischer Flüchtlinge TOP 23 Rüstungsforschung an öffentlichen Hochschulen TOP 24 Streichung des Doktorgrades in Ausweisdokumenten TOP 25 Armuts- und Reichtumsberichterstattung TOP 26 Staateninsolvenzverfahren TOP 27 Luft-Boden-Schießplatz Siegenburg TOP 28 Zusammenarbeit mit fragilen Staaten TOP 29 Anrechnung steuerfreier Übungsleiterpauschalen Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723100000

Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.


(Zurufe von der SPD: Guten Morgen, Herr Präsident!)


Guten Morgen, liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich
bedanke mich für die vielen liebenswürdigen Begrüßun-
gen und mache Sie darauf aufmerksam, dass wir vor
Eintritt in die Tagesordnung wieder einmal eine Wahl
durchführen müssen.

Für die neue Amtszeit des Beirats beim Bundesbeauf-
tragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes
der ehemaligen DDR gemäß § 39 Abs. 1 des Stasi-
Unterlagen-Gesetzes schlägt die Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen vor, Frau Petra Morawe als Mitglied zu
wählen. – Hierzu stelle ich keinen Widerspruch fest.
Dann ist Frau Morawe als Mitglied gewählt.

Interfraktionell ist vereinbart worden, die Tagesord-
nung um die in der Zusatzpunktliste aufgeführten Punkte
zu erweitern:

ZP 1 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der
SPD:

Probleme beim Nord-Ostsee-Kanal – Auswir-
kungen der Politik von Bundesverkehrsminis-
ter Dr. Ramsauer auf den maritimen Wirt-
schaftsstandort


(siehe 230. Sitzung)


ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Starke Fachhochschulen für Innovationen in
Gesellschaft und Wirtschaft

– Drucksachen 17/9574, 17/12813 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Axel Knoerig

Oliver Kaczmarek
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Dr. Petra Sitte
Krista Sager

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Entschließungsan-
trag der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter,
Rolf Hempelmann, Hubertus Heil (Peine), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu
der Beratung der Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage der Abgeordneten Rita
Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann, Dirk
Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Die Energiewende – Kosten für Verbrauche-
rinnen, Verbraucher und Unternehmen

– Drucksachen 17/10366, 17/12246, 17/12538,
17/12874 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Bareiß

ZP 4 Weitere Überweisungen im vereinfachten Verfahren

Ergänzung zu TOP 36

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm,
Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kennzeichnung von Honig mit Gentech-Pollen
sicherstellen – Schutz der Imkerei vor GVO-
Verunreinigungen gewährleisten

– Drucksache 17/12839 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit 
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


b) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Wolfgang Gehrcke, Jan van Aken, Christine
Buchholz, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion DIE LINKE

Keine Waffenlieferungen an Syrien

– Drucksache 17/12824 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss

ZP 5 Weitere abschließende Beratungen ohne Aus-
sprache

Ergänzung zu TOP 37

a) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 562 zu Petitionen

– Drucksache 17/12860 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 563 zu Petitionen

– Drucksache 17/12861 –

c) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 564 zu Petitionen

– Drucksache 17/12862 –

d) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 565 zu Petitionen

– Drucksache 17/12863 –

e) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 566 zu Petitionen

– Drucksache 17/12864 –

f) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 567 zu Petitionen

– Drucksache 17/12865 –

g) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 568 zu Petitionen

– Drucksache 17/12866 –

h) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 569 zu Petitionen

– Drucksache 17/12867 –

i) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 570 zu Petitionen

– Drucksache 17/12868 –

j) Beratung der Beschlussempfehlung des Peti-
tionsausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 571 zu Petitionen

– Drucksache 17/12869 –

ZP 6 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion DIE
LINKE:

Sicherheit der Sparguthaben in Europa

ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Aggressive Steuerplanung und Steuervermei-
dung internationaler Konzerne bekämpfen

– Drucksache 17/12819 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 8 Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Rückkehrrecht auf Vollzeit gesetzlich veran-
kern

– Drucksache 17/12843 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Federführung strittig

ZP 9 Beratung des Antrags der Abgeordneten Rüdiger
Veit, Rainer Arnold, Klaus Barthel, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD

Syrische Flüchtlinge schützen

– Drucksache 17/12820 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss 
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

ZP 10 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms,
Dr. Gerhard Schick, Bettina Herlitzius, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Europäische Tonnagesteuer statt Steuerspar-
modell

– Drucksachen 17/12697, 17/12878 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Mathias Middelberg
Lothar Binding (Heidelberg)
Dr. Gerhard Schick





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


ZP 11 Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN:

Umverteilungspläne der Koalition und Aus-
wirkungen auf Durchschnittsverdiener und
sozial Benachteiligte – Schuldenfinanzierte
Steuersenkungen und Rente mit 69

Von der Frist für den Beginn der Beratungen soll, so-
weit erforderlich, abgewichen werden.

Die Tagesordnungspunkte 9, 16 und 19 werden abge-
setzt.

Darüber hinaus kommt es zu den in der Zusatzpunkt-
liste dargestellten weiteren Änderungen des Ablaufs.

Darf ich auch zu diesen Vereinbarungen Ihr Einver-
ständnis feststellen? – Das ist offensichtlich der Fall.
Dann haben wir das so vereinbart.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 3 a bis 3 c sowie
den Zusatzpunkt 2 auf:

3 a) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Zukunftsprojekte der Hightech-Strategie

(HTS-Aktionsplan)


– Drucksache 17/9261 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung 
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 
Ausschuss für Tourismus

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Finanzausschusses (7. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Abgeordneten René
Röspel, Lothar Binding (Heidelberg),
Dr. Ernst Dieter Rossmann, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion der SPD

Innovative kleine und mittlere Unterneh-
men stärken – Ein nachhaltiges steuerliches
Forschungs- und Entwicklungs-Förderkon-
zept (FuE-Förderkonzept) vorlegen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Priska Hinz

(Herborn), Kerstin Andreae, Dr. Thomas

Gambke, weiterer Abgeordneter und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Innovationskraft von kleinen und mittleren
Unternehmen durch Steuergutschrift für
Forschung stärken

– Drucksachen 17/247, 17/130, 17/1600 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Frank Steffel
Lothar Binding (Heidelberg)
Dr. Birgit Reinemund 
Dr. Thomas Gambke

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)


zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Petra Sitte,
Dr. Martina Bunge, Jan Korte, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion DIE LINKE

Soziale Innovationen und Dienstleistungsinno-
vationen erforschen und fördern

– Drucksachen 17/8952, 17/12812 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dr. Thomas Feist
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Dr. Petra Sitte
Krista Sager

ZP 2 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten René Röspel,
Dr. Ernst Dieter Rossmann, Willi Brase, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Starke Fachhochschulen für Innovationen in
Gesellschaft und Wirtschaft

– Drucksachen 17/9574, 17/12813 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Axel Knoerig
Oliver Kaczmarek
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Dr. Petra Sitte
Krista Sager

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre kei-
nen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort erhält die Bun-
desministerin für Bildung und Forschung, Frau Profes-
sor Wanka.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Die deutsche Volkswirtschaft ist heute die viert-
größte – nach den USA, China und Japan. Das ist die
Basis für unseren Wohlstand, für unsere Lebensqualität.
Viertgrößte Volkswirtschaft – das muss man in Relation
zum Anteil Deutschlands an der Weltbevölkerung sehen:
Bei uns in der Bundesrepublik Deutschland leben nur
1,2 Prozent der Weltbevölkerung. Im Zuge der demogra-
fischen Entwicklung wird dieser Anteil auf 0,7 oder
0,8 Prozent sinken.

Was ist die Ursache dafür, dass wir so gut sind? Wa-
rum sind wir eine so starke Industrienation? Die Ursa-
chen sind eigentlich die Entdeckerfreude und der Erfin-
dergeist der Menschen und die Innovationsfähigkeit der
Bundesrepublik Deutschland. Deutschland gehört zu den
innovativsten Ländern weltweit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])






Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)


Dass das so ist, zeigen uns zahlreiche Rankings. Ran-
kings sind aber immer nur gut, wenn man selber vorne
ist. Insofern sind sie sehr relativ. Deswegen ist es gut,
auch auf andere Indikatoren und Zahlen zu schauen: Der
deutsche Anteil am Welthandel mit forschungs- und ent-
wicklungsintensiven Gütern beträgt 12 Prozent – das ist
ein Spitzenplatz –, und jedes zehnte weltmarktrelevante
Patent kommt aus Deutschland. Das sind Daten, die zei-
gen, dass wir wirklich eine Spitzenposition innehaben,
dass wir einen Vorsprung haben.

Diesen Vorsprung muss man halten. Deswegen muss
der Bereich Forschung und Entwicklung im politischen
Geschäft weiterhin Priorität haben. Das ist außerordent-
lich wichtig. Wenn wir uns die Prioritätensetzung an-
schauen, wenn wir uns anschauen, was der Bund ge-
macht hat, dann stellen wir fest, dass auf Bundesebene in
den letzten Jahren so viel wie noch nie für Forschung
und Entwicklung ausgegeben worden ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


2005 wurden für diesen Bereich 9 Milliarden Euro aus-
gegeben, im vergangenen Jahr waren es über 13 Milliar-
den Euro. Messlatte ist das Bruttoinlandsprodukt – auch
wenn man darüber diskutieren kann, wie relativ dieser
Wert ist: Die Zielmarke bei den Ausgaben für Forschung
und Entwicklung lag bei 3 Prozent des Bruttoinlandspro-
dukts. Wir liegen bei 2,9 Prozent. Deutschland gehört
damit zu den wenigen Ländern, die mehr als 2,5 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts für Forschung und Entwick-
lung ausgeben. Damit liegen wir auch weit über dem eu-
ropäischen Schnitt.

Die Erfolge der Strategie Deutschlands in den letzten
Jahren wurden auch in dem Gutachten der Expertenkom-
mission Forschung und Innovation, EFI, gewürdigt.
Aber EFI hat auch deutlich gemacht, dass wir, wenn wir
zu den innovationsstärksten Nationen gehören wollen,
weiter gehen müssen. Deswegen gibt es von dieser Seite
aus die Empfehlung, bis zum Jahr 2020 eine Steigerung
auf 3,5 Prozent herbeizuführen und dann diesen hohen
Level – es kann nicht unendlich gesteigert werden – zu
halten. Ich denke, das ist eine sehr wichtige Messlatte,
die uns dabei hilft, die Prioritätensetzung in entspre-
chende Effekte umzuwandeln. Damit meine ich nicht
nur Geld, sondern auch Rahmenbedingungen. Jetzt sind
es 2,9 Prozent des Bruttoinlandsprodukts, die wir für
Forschung und Entwicklung ausgeben, und die Ziel-
marke liegt bei 3,5 Prozent.

Ich habe bereits gesagt, dass von der Bundesregierung
noch nie so viel Geld für Forschung und Innovation aus-
gegeben wurde wie in den letzten Jahren. Das gilt aber
auch für die Wirtschaft, die an den 2,9 Prozent ihren An-
teil hat. Beim Geld geht es jedoch nicht nur um die
Menge, sondern besonders um die Frage, wie es einge-
setzt wird. Es ist nicht so, dass Innovation allein dadurch
erreicht wird, dass man im Max-Planck-Institut oder an
anderer Stelle eine gute Erfindung macht. Vielmehr geht
es auch um den Transfer, um eine Umsetzung in Ge-
schäftsideen bzw. Produkte. Das ist ein außerordentlich
komplizierter Prozess.

Die nationale Innovationsstrategie – die Hightech-
Strategie 2020 –, zu der wir heute eine Zwischenbilanz
ziehen, ist ein Instrument, das dazu dient, auch die Wirt-
schaft und die Bundesländer einzubeziehen. „Hightech-
Strategie 2020“ ist ein toller Name. Aber wie gut diese
Strategie ist, zeigt sich daran, dass sie sich auch auf die
europäischen Strategien ausgewirkt hat. Die europäische
Innovationsstrategie ist in ganz starkem Maße von der
Hightech-Strategie 2020 angeregt und beeinflusst wor-
den. Auch im Forschungsrahmenprogramm sind viele
Komponenten davon übernommen worden. Der Chef
der EFI-Kommission sagte mir – ich kann das jetzt nicht
verifizieren –, dass die Amerikaner versuchen, aus die-
sem Konzept Honig zu saugen und es amerikanischen
Verhältnissen anzupassen.

Was ist das Besondere an dieser Hightech-Strategie?
Was ist das, was in den nächsten Jahren Erfolge bringen
wird? Für eine erfolgreiche Durchführung der Hightech-
Strategie sind drei Punkte entscheidend: Innovation,
Qualifikation und Kooperation. Lassen Sie mich zu je-
dem dieser Punkte kurz sagen, was beabsichtigt war, was
schon geschafft wurde und – das ist ja eine besonders in-
teressante Frage – was noch vor uns liegt, welche Aufga-
ben noch bewältigt werden müssen.

Der erste Punkt ist Innovation; sie hat erste Priorität.
In der Hightech-Strategie sind fünf große Felder defi-
niert worden. Sie alle kennen sie, beispielsweise Klima,
Mobilität und Sicherheit. Man braucht freie Forschung,
bei diesen Größenordnungen aber auch Prioritätenset-
zung. Bei der Prioritätensetzung geht es nicht nur um
Geld, sondern sie muss sich auch auf die Industrie rich-
ten. Und natürlich müssen die Rahmenbedingungen für
die einzelnen Felder entsprechend günstig gestaltet wer-
den.

Ich greife zwei dieser Felder heraus, zunächst die Ge-
sundheit. Das, was in den letzten Jahren mit den Deut-
schen Zentren der Gesundheitsforschung erreicht wurde,
stellt im Bereich der Gesundheit eine kleine Revolution
dar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das Ziel war es, die großen Volkskrankheiten zu erfor-
schen sowie Bekämpfungsstrategien zu entwickeln. Die
Idee war es, Gesundheitsforschungszentren – bestehend
aus exzellenten universitären und außeruniversitären
Einrichtungen – einzurichten. Das sollte die Struktur
sein. Mittlerweile sind alle Gesundheitszentren in der
Phase, in der sie sich etablieren. Das war ein sehr inte-
ressanter und sehr transparenter Prozess der Entschei-
dung. Wir haben in dieser Zeit auch viel getan, was die
Projektförderung im Bereich der Lebenswissenschaften
anbetrifft. Jetzt kommt es, da die Struktur, die man hat,
richtig und gut ist – natürlich kann man immer darüber
reden, ob man noch ein oder zwei Gesundheitszentren
mehr braucht –, vor allen Dingen auf die Translation an.
Das heißt, wir müssen die Ergebnisse der Forschung, die
in den verschiedenen Bereichen mit den Strategien, die
man verfolgt, betrieben wird, möglichst schnell ans
Krankenbett bringen bzw. diese Phase verkürzen.





Bundesministerin Dr. Johanna Wanka


(A) (C)



(D)(B)


Ich will ein Beispiel nennen. Es gibt ein Deutsches
Zentrum für Infektionsforschung. Beteiligt ist unter an-
derem das Helmholtz-Zentrum Braunschweig, beteiligt
ist allerdings auch die TiHo, die Tierärztliche Hoch-
schule Hannover. In diesem Rahmen befasst man sich
auch mit dem gesamten Feld von Krankheiten, die von
Tieren auf den Menschen übertragen werden können,
und betreibt sehr weitgehende Forschung. Hier stellt sich
die Frage: Wie können die Forschungsergebnisse ange-
sichts sich wandelnder und neuer Krankheitsbilder mög-
lichst schnell umgesetzt werden? Ein weiterer bedeuten-
der Aspekt ist die individualisierte Medizin. Ganz
wichtig ist aber auch das Thema Prävention. Diese The-
men sind, was die Gesundheitszentren angeht, Quer-
schnittsthemen. Das sind die Aufgaben, die sich uns auf
diesem Feld jetzt stellen.

Ein zweiter Punkt, den ich herausgreifen möchte
– das ist ein Zukunftsprojekt, das ich genial finde –, ist
das Projekt Industrie 4.0. Wir alle haben in der Schule
etwas über die industrielle Revolution gelernt. Wir wis-
sen, was damals passierte, Stichwort „Energie“. Wir wis-
sen auch, was in den 70er-Jahren geschah. Aufgrund der
Möglichkeiten, die das Internet bietet, was die Interak-
tion und die Kommunikation zwischen Maschinen be-
trifft, hat man heutzutage die Chance, auf ganz andere
Art zu produzieren. Man kann individualisiert produzie-
ren und große Produktionssysteme nutzen, mit denen
man aber sehr individuell und sehr flexibel reagieren
kann. Das ist die Idee hinter dem Projekt Industrie 4.0.
Das ist ein Zukunftskonzept, das hier gefördert wird.

Ich glaube, hier hat Deutschland, hat die deutsche In-
dustrie die Chance, eine Spitzenposition einzunehmen.
Deutschland hat eine gute industrielle Basis. In Deutsch-
land wurden in diesem Bereich Gott sei Dank kaum Ar-
beitsplätze abgebaut. Deutschland hat seit vielen Jahren
seine Stärken in der Maschinenbau-, der Verarbeitungs-
und der Verfahrenstechnik. Jetzt geht es darum, dies mit-
einander zu kombinieren. Deswegen ist dieser Bereich
gerade für Deutschland sehr wichtig. Hier eröffnen sich
Chancen. Im Vergleich zu China und anderen Ländern
ist Deutschland immer unterlegen, wenn es um die Mas-
senproduktion geht. Unsere große Stärke sind vernetzte
Strukturen, ist systemisches Denken. Genau dies wird im
Rahmen des Projekts Industrie 4.0 gefördert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich weiß ja nicht, ob Sie das immer alles kapieren.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Die SPD kapiert meistens nichts!)


Manches, was man von Ihnen hört, klingt ja eher wie
Science-Fiction oder Ähnliches; ich jedenfalls habe die-
sen Eindruck. Auf der CeBIT wurde all das, damit man
sich besser vorstellen kann, wie das überhaupt funktio-
nieren soll, an einem sehr schönen Beispiel veranschau-
licht. Es ist in der Tat noch viel Science-Fiction dabei.
Das Vorhaben befindet sich aber schon im industriellen
Prozess.

Der industrielle Prozess ist, was das Projekt Indus-
trie 4.0 betrifft, das eine. Etwas anderes ist aber genauso
wichtig: das Thema Geschäftsideen. Es geht um die Fra-

gen: Wie ist das verwertbar? Wie kann diese ganz neue
Industriekultur verwertet und zum Erfolg geführt wer-
den? Das ist nicht nur unsere Aufgabe für die Zukunft,
sondern wir müssen uns schon jetzt fragen: Was bedeutet
all das für die Arbeitswelt, für die Arbeitsorganisation?
Da ich vorhin von „Revolution“ sprach, möchte ich zum
Ausdruck bringen: Dadurch verändert sich die Arbeits-
welt total. Deswegen ist es im Zusammenhang mit der
Hightech-Strategie sehr wichtig, dass auch in diesem
Bereich von Anfang an geforscht wird. Hierbei handelt
es sich nämlich nicht um ein Schreckgespenst, nach dem
Motto: Jetzt müssen alle Arbeitnehmer flexibel sein, nur
noch von zu Hause aus arbeiten etc. Vielmehr geht es um
den Aspekt: Bedeutet das nicht auch ein großes Plus für
unsere Lebensqualität? Kann es nicht sogar positiv sein,
dass wir jetzt ganz andere Arbeitsstrukturen haben, die
auch einen ganz anderen Lebensrhythmus ermöglichen?

Ich habe zu zwei der fünf großen Bedarfsfelder Bei-
spiele genannt. Ich könnte das jetzt anhand anderer Bei-
spiele wie dem Thema Energie ähnlich durchdeklinie-
ren; das ist aber zeitlich nicht möglich.

Zweiter Punkt: Qualifikation. Ich erinnere mich sehr
gut: Als ich in den 90er-Jahren Rektorin war, wurden wir
in der KMK gescholten; Herr Oppermann auch noch im
Jahre 2000 und danach. Es hieß: Viele Studenten verlas-
sen Deutschland, keiner will in Deutschland studieren,
Deutschland ist nicht attraktiv genug etc.

Diese Situation hat sich total gewandelt. Alle OECD-
Vergleiche zeigen: Deutschland gehört zu den Nationen,
in denen die Zustimmung der Studenten am größten ist.
Deutschland belegt, wenn nach den begehrtesten Län-
dern gefragt wird, einen der Spitzenplätze und landet im-
mer auf Rang drei oder vier. Die Hälfte der gut ausgebil-
deten Wissenschaftler an unseren Max-Planck-Instituten
kommt aus dem Ausland. Deutschland ist ein attraktiver
Standort. Die Studienanfängerzahlen liegen bei über
50 Prozent; 2005 waren es gerade einmal 36 Prozent. Es
wird sogar schon darüber diskutiert, ob die Studienan-
fängerzahlen nicht zu hoch sind. Es besteht vor allen
Dingen der Bedarf, den Deckel beim Hochschulpakt an-
zuheben. Die Bedingungen für ausländische Fachkräfte
müssen noch weiter verbessert werden; hier ist aller-
dings schon einiges getan worden. Mein letzter Satz
dazu: Wir müssen die Ressource Frau besser nutzen. Die
Potenziale, die Frauen haben, werden in diesem Prozess
dringend gebraucht. Sonst haben wir beim Thema Quali-
fikation keine Chance.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Thomas Oppermann [SPD] und Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Letzter Punkt – ganz kurz, weil die Anzeige am Red-
nerpult blinkt.


(Heiterkeit – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ja, so ist das bei uns!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723100100

Ich bin ja immer schon dankbar, wenn das bemerkt

wird.


(Heiterkeit)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Dritter Punkt: Kooperation. Ich war immer ein Fan
unseres Systems der Kooperation zwischen Hochschulen
und außeruniversitären Einrichtungen etc. Aber die Ko-
operation muss funktionieren. Mit vielen neuen Forma-
ten wie der Exzellenzinitiative – oder zum Beispiel mit
dem Spitzencluster-Wettbewerb, der im Rahmen der
Hightech-Strategie mitläuft – haben wir in den letzten
Jahren Enormes erreicht, um die Dinge, bei denen wir
wissen, dass wir in zehn Jahren Weltmarktführer sind,
richtig zu pushen. Oder nehmen Sie das Kooperations-
modell Forschungscampus oder die Fraunhofer-Anwen-
dungszentren. Es geht darum, in die Fläche zu gehen mit
Innovation, damit auch kleine und mittelständische Un-
ternehmen davon profitieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die ersten drei Fraunhofer-Anwendungszentren – das
sage ich aus lokalpatriotischem Interesse – sind in Nie-
dersachsen entstanden; auch die Länder müssen sich
nämlich entsprechend engagieren.

Einen wirklich letzten Satz zur Kooperation: Wenn
Deutschland im Wissenschaftsbereich gut sein soll, dann
müssen nicht nur die Hochschulen als Herzstück des
Wissenschaftssystems gut ausgestattet sein – das können
die Länder ja machen, wenn sie wollen –, sondern dann
muss auch der Bund Einfluss haben. Wir können nicht
eine Industrienation der Entdecker und Erfinder sein,
wenn der Bund keinerlei Einfluss auf das Herzstück des
Wissenschaftssystems hat. Das ist völlig unabhängig
vom Geld; das wäre auch so, wenn die Länder ganz viel
Geld für diesen Bereich bereitstellten. Es ist aus prinzi-
piellen Gründen töricht, die Möglichkeiten, die es jetzt
gibt und an deren Schaffung Annette Schavan und diese
Bundesregierung ihren Anteil hatten, nicht dazu zu nut-
zen, die Kooperation mit den Hochschulen zu stärken;
denn wir brauchen diese Kooperation.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723100200

Frau Wanka, Sie hatten vor geraumer Zeit schon ei-

nen letzten Satz angekündigt.

Dr. Johanna Wanka, Bundesministerin für Bildung
und Forschung:

Danke schön.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723100300

Nächster Redner ist der Kollege René Röspel für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1723100400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Werte Frau Wanka, ich hatte mich schon gefragt,
warum in der Kernzeit – der wichtigsten Zeit einer Ple-
narwoche – eine Debatte über eine ein Jahr alte Unter-
richtung der Bundesregierung zur Hightech-Strategie

vorgesehen ist, ja was daran eigentlich so berichtenswert
sein soll.

Ich habe die Auflösung gerade bekommen: Sie haben
nur einige wenige Worte dazu gemacht, die individuali-
sierte Medizin gerade eben erwähnt; aber zu der Unter-
richtung haben Sie eigentlich nichts gesagt. Sie wollen
eine Generaldebatte zu Bildung und Forschung. Die kön-
nen Sie gerne bekommen – auch wenn ich gerne ein paar
Fragen gestellt hätte, zum Beispiel wie Sie eigentlich die
Kritik der Expertenkommission Forschung und Innova-
tion aufnehmen. Sie feiern die Hightech-Strategie mit
schönen neuen Worten; aber gleichzeitig hat die Bundes-
regierung im letzten Haushalt so wichtige Technologieti-
tel wie Mikrosystemtechnologie, neue Technologien,
neue Materialien, neue Werkstoffe, optische Technolo-
gien, Arbeits- und Dienstleistungsforschung gekürzt. Sie
haben das Thema „Industrie 4.0“, mit einem neuen Etikett
versehen, gerade genannt.

Bei dem, was wir als SPD seit Jahren fordern – mehr
in Dienstleistungs- und Arbeitsforschung zu investie-
ren –, gehen Sie genau den anderen Weg: Sie kürzen die
Mittel dafür real auf Werte von 2009. Dazu hätte ich
gerne ein paar Antworten gehabt; aber das ist ja heute of-
fenbar nicht Thema.

Ich hätte auch gerne gefragt, wie wesentliche Be-
standteile dieser Hightech-Strategie, die ja sinnvoll sind
– klimaangepasste Stadt –, denn finanziert werden sol-
len.

Wenn man sich diese Unterrichtung durchliest, sieht
man als kleine Fußnote, fast wie in einem Vertrag: „Das
ausgewiesene Budget enthält Mittel des Energie- und
Klimafonds …“ – wie auf einem Beipackzettel steht: Bei
nicht sachgerechter Anwendung können Kopfschmerzen
auftreten.

Auch bei dem wichtigen Titel Elektromobilität steht
wieder diese kleine Fußnote: „Das ausgewiesene Budget
enthält Mittel des Energie- und Klimafonds …“ Auch bei
der wichtigen Frage des Umbaus der Energieversorgung
– genau genommen heißt es: intelligenter Umbau der
Energieversorgung – findet sich der Hinweis auf eine Fi-
nanzierung außerhalb des Bildungs- und Forschungsetats,
wieder über den Energie- und Klimafonds.

Dieser Energie- und Klimafonds, meine Damen und
Herren, soll sich aus den Erlösen aus dem Handel mit
CO2-Zertifikaten speisen. Wir wissen schon heute, dass
die Erwartungen nicht erfüllt werden: Schon jetzt fehlen
da 400 Millionen Euro.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wenn Sie über die Hightech-Strategie reden, wäre es
eigentlich an der Zeit gewesen, auch zu sagen, wie Sie
das, was Sie da hineinschreiben, finanzieren wollen.
Aber gut, Sie wollen nicht darüber reden. Ich knülle
mein Konzept zur Hightech-Strategie jetzt zusammen
und schmeiße es weg. Wir machen eine Generaldebatte;
das hätten Sie gerne.

Ich muss zugeben: Eigentlich ist es nicht fair, wie der
Finanzminister Sie als neue Ministerin behandelt;


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Was?)






René Röspel


(A) (C)



(D)(B)


denn mit Ihrem Namen, Frau Wanka, wird das Ende von
15 Jahren guter und vernünftiger Forschungs- und Bil-
dungspolitik in Deutschland verbunden sein.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP: Oh!)


– Das Protokoll verzeichnet den Sturm der Regierungs-
koalition, aber er bleibt im Wasserglas stecken. – Ich
werde Ihnen das auch kurz begründen:

Diese gute Zeit der Forschungs- und Bildungspolitik
über übrigens drei Koalitionen hinweg hat 1998 begon-
nen, als Rot-Grün endlich wieder Bildungs- und For-
schungspolitik auf Bundesebene verantwortet hat.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Genau das Gegenteil ist der Fall!)


– Das trifft Sie offenbar. – Wir haben nämlich erstmals
nach Jahren der Stagnation wieder mehr Geld in Bildung
und Forschung investiert – und nicht nur mehr Geld,
sondern wir haben auch Impulse gesetzt, die wichtig wa-
ren für das Land.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Sie haben geredet, sonst nichts!)


In ein Ganztagsschulprogramm, das von Ihnen be-
kämpft wurde – mittlerweile schweigen Sie dazu –, ha-
ben wir 4 Milliarden Euro investiert.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Forschungsdebatte!)


Von allen Kommunen und Eltern wissen Sie, wie wich-
tig das für die Kinder und deren schulische Entwicklung
war.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir waren es, die den Pakt für Forschung und Innova-
tion, eine verlässliche Finanzierung der Forschung, auf
den Weg gebracht haben.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Diskutiert haben Sie!)


Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in Deutsch-
land wissen wieder, dass es Aufwüchse und verlässlich
mehr Geld in Deutschland gibt, um Forschung zu betrei-
ben.

Auch die Exzellenzinitiative, die viel Bewegung in
den Wissenschaftssektor gebracht hat, ist eine sozialde-
mokratische Initiative und auch Innovation gewesen.
Das hat wichtige Impulse gesetzt.

Wir können übrigens alle gemeinsam froh sein, dass
Deutschland wieder ein weltweit beachteter guter Stand-
ort für Forschung und Wissenschaft ist. Die jungen Wis-
senschaftler kommen auch aus dem Ausland wieder zu
uns zurück. Ich glaube, das ist etwas, was wir uns alle
auf die Fahnen schreiben können.


(Beifall bei der SPD)


Was Sie als schwarz-gelbe Koalition seit 2009 richti-
gerweise fortgesetzt bzw. gemacht haben, ist dieser Mit-
telaufwuchs bzw. die Tatsache, dass Sie an finanziellen
Mitteln noch eine Schippe draufgelegt haben.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Eine Schippe draufgelegt?)


Kompliment und Lob, dass Sie das fortgesetzt haben!
Sie haben im Wissenschaftsbereich zwar keine neuen
Impulse gesetzt – Sie haben ja gleich noch Redezeit und
können uns allen das erklären –, aber Sie haben richti-
gerweise mehr Geld in das System gesteckt.

Ich bin allerdings gespannt, was Sie gleich auf die
Frage, wo das Geld eigentlich herkam, antworten wer-
den. Auch hier kann ich es Ihnen nicht ersparen, zu sa-
gen, dass das nicht Ihre Initiative war, sondern dass Sie
die Früchte einer Arbeit ernten, die die SPD gemacht
hat.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU und der FDP – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Da müssen Sie ja selber lachen!)


– Ja. Sie können gleich Ihre Argumente vorbringen.

Ich erinnere mich sehr genau, dass die SPD eine der
größten Steuersubventionen dieser Republik angegrif-
fen und seit Jahren gesagt hat: Wir müssen diese Sub-
vention beseitigen und in die Köpfe von Kindern und in
Bildung und Forschung investieren. Sie können gleich
sagen, welche Subvention Sie abgeschafft haben.

Beim Stichwort „Subvention“ fällt mir nur ein, dass
Sie einen neuen Tatbestand geschaffen haben. Sie haben
nämlich die Mövenpick-Steuer und damit die Erleichte-
rung für Hotels eingeführt.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Mein Gott! – Jörg van Essen [FDP]: Und damit das Tourismus-Programm der SPD umgesetzt!)


– Ja. Das kostet mein Land NRW jedes Jahr 400 Millio-
nen Euro, die weniger für Bildung und Forschung zur
Verfügung stehen.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die SPD hat sich immer gegen die Eigenheimzulage
ausgesprochen. Erst 2005 ist es uns in der Großen Koali-
tion gelungen, diese größte Einzelsubvention in diesem
Land zum Januar 2006 abzuschaffen, zu beenden. Ich
will daran erinnern – Sie können die letzten drei Subven-
tionsberichte der Bundesregierung gerne lesen –: Im Jahr
2006 hat der Staat den Menschen noch 9,2 Milliarden
Euro gegeben, die das gerne als zusätzliches Salär entge-
gengenommen haben, um ein Haus auf der grünen Wiese
zu bauen. Vielleicht für die Zuschauer:


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das sind Zuhörer!)


Wenn Sie als Ehepaar 140 000 Euro verdient haben,
dann haben Sie noch ein paar Tausend Euro vom Staat





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)


bekommen, um sich das Haus auf der grünen Wiese zu
leisten.


(Uwe Schummer [CDU/CSU]: Reden Sie mal zum Thema!)


Wir haben gesagt: „Das ist keine Subvention, die wir
uns leisten können; wir wollen in Bildung und For-
schung investieren“, und haben es geschafft, diese Sub-
vention abzubauen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie liegt heute bei über 1,6 Milliarden Euro; 700 Millio-
nen Euro davon trägt der Bund.

Die Abschaffung der Subvention hat in dem Zeitraum
seit 2006 für den Bundesfinanzminister zu Entlastungen
in Höhe von etwa 14 Milliarden Euro geführt. Es ist
richtig, dass er diese Spielräume genutzt hat, um in Bil-
dung und Forschung zu investieren. Das war eine gute
Tat, und das war wichtig. Aber es war nicht Ihre Idee,
diese Subvention abzuschaffen


(Beifall bei der SPD)


und Steuermittel für Bildung und Forschung zur Verfü-
gung zu stellen, sondern das geht auf die Idee und das
Handeln der SPD zurück.

Aber diese Zitrone ist ausgepresst. In zwei Jahren
wird aus dieser Quelle kein Geld mehr kommen. Jetzt ist
die Frage an Sie: Woher werden Sie das Geld für weitere
Forschungs- und Bildungsinvestitionen nehmen? Man
sieht es am Haushalt, dass Sie keine Ideen haben. Für
das Jahr 2013 sind 13,7 Milliarden Euro für den Bil-
dungs- und Forschungsetat vorgesehen. 2014 – es ist
Wahlkampf – legen Sie noch eine Schippe drauf


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das mit der Schippe hatten Sie schon!)


und stellen 13,8 Milliarden Euro bereit. Dann aber sinkt
dieser Etat das erste Mal seit 15 Jahren auf 13,5 Milliar-
den Euro, und da bleibt er.

Woher nehmen Sie das Geld? Wo planen Sie die Mit-
tel für den Hochschulpakt ein, die wir jetzt schon brau-
chen? Die sind in der mittelfristigen Finanzplanung nicht
vorgesehen. Sie versprechen als CDU sogar noch einen
Aufwuchs von 5 Prozent für den Pakt für Forschung und
Innovation. Woher nehmen Sie das Geld? Ich bin auf die
Antworten, die Sie gleich geben werden, gespannt.


(Beifall des Abg. Dr. Ernst Dieter Rossmann [SPD])


Weitere Subventionserlöse gibt es nicht mehr. Die
Antwort der CSU darauf, Herr Rupprecht: Sie wollen die
Eigenheimzulage wieder einführen. Sie wollen dafür
wieder Geld ausgeben.


(Thomas Oppermann [SPD]: Geld, das Sie gar nicht haben!)


Ich bin gespannt, woher Sie das nehmen wollen.

Die Bürger werden im September die Entscheidung
zu treffen haben, wie es weitergeht. Die große Lüge üb-

rigens ist: Sie erhöhen zwar den Etat um 100 Millionen
Euro für das nächste Jahr, aber die globale Minderaus-
gabe wird auf 620 Millionen Euro festgelegt. Das ist so,
als würde ich meinen Kindern sagen: Ich erhöhe euer Ta-
schengeld von 10 auf 11 Euro, aber hinzu kommt eine
globale Minderausgabe von 3 Euro.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dann werden meine Kinder fragen: Was ist das denn?
Meine Antwort: Ihr dürft nur 8 Euro ausgeben; 3 Euro
müsst ihr mir zurückgeben. Dann werden meine Kinder
sagen: Das ist aber Betrug! – Da haben sie recht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mit dieser globalen Minderausgabe schreiben Sie
schon heute vor, dass die Mittel für Forschungsorganisa-
tionen und Projekte gekürzt werden. Auch hier bin ich
sehr gespannt auf Ihre Antworten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir als Sozialdemokraten sagen: Wir wollen mehr in
Bildung und Forschung investieren. Das wird Geld kos-
ten. Deswegen sagen wir, dass diejenigen, die als Verhei-
ratete 200 000 Euro im Jahr verdienen, einen höheren
Spitzensteuersatz bezahlen müssen, weil sich diese In-
vestitionen lohnen und die Stärkeren besser an dieser ge-
sellschaftlichen Aufgabe beteiligt werden. Ich bin sehr
gespannt, wie Sie Ihre Versprechen einhalten wollen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723100500

Der Kollege Martin Neumann ist der nächste Redner

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Martin Neumann (FDP):
Rede ID: ID1723100600

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es war schon abenteuerlich, lieber Kollege
Röspel, was Sie hier für einen unterirdischen Debatten-
beitrag abgeliefert haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich könnte zu all den Fragen, die Sie hier aufgeworfen
haben, sagen, welche Antworten diese Koalition darauf
hat; leider fehlt mir die Zeit dazu.


(René Röspel [SPD]: Sagen Sie doch mal: Wo kommt das Geld her?)


Forschung und Innovation sind Grundlage für den
wirtschaftlichen Erfolg, für Wirtschaftswachstum, Be-
schäftigung und Wohlstand. Die Ressourcen Bildung
und Wissenschaft – das haben wir in den Debatten ge-
meinsam immer wieder betont – garantieren als Einziges
den wirtschaftlichen Erfolg unserer Republik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)






Dr. Martin Neumann (Lausitz)



(A) (C)



(D)(B)


Die Hightech-Strategie hat wesentliche Impulse für
Wirtschaft und Wissenschaft gegeben. Dieser Erfolg ist
dieser Koalition zu verdanken. Es war nicht die SPD, lie-
ber Kollege Röspel,


(Ulla Burchardt [SPD]: Ach, da waren Sie doch noch gar nicht da!)


die in dieser Legislatur die Hightech-Strategie 2020 wei-
terentwickelt hat. Sie brüsten sich zwar damit, die High-
tech-Strategie erfunden zu haben.


(Ulla Burchardt [SPD]: Sie wissen ja gar nicht, wovon Sie reden!)


Tatsächlich aber haben erst FDP und Union die High-
tech-Strategie aus dem Wirrwarr dieser einzelnen Maß-
nahmen zu einem Gesamtkonzept von Forschung und
Innovation gemacht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulla Burchardt [SPD]: Da waren Sie gar nicht an der Regierung, als die Hightech-Strategie begründet wurde!)


Es war die christlich-liberale Koalition, die die High-
tech-Strategie genau auf diese fünf zentralen Handlungs-
felder zugeschnitten hat. Es war auch die christlich-libe-
rale Koalition, die den Schwerpunkt der Hightech-
Strategie auf die Förderung von kleinen und mittelstän-
dischen Unternehmen gelegt hat. Dafür dürfen Sie uns
gern loben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Schließlich bestätigt auch die Expertenkommission
Forschung und Innovation, kurz EFI genannt, in ihrem
Jahresbericht 2012, dass die Weiterentwicklung der
Hightech-Strategie gelungen sei. Auch im EFI-Bericht
2013 wird unsere Missionsorientierung – darauf kommt
es an –, die Bündelung, diese klare Transparenz auf den
Forschungsfeldern, gelobt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich betone an dieser Stelle ganz deutlich, dass die
EFI-Kommission eine weitere Schärfung gefordert hat.
Dieser Forderung kommen wir mit der Auswahl von
zehn Zukunftsprojekten nach. Das ist genau das, was in
Zukunft den Erfolg der Hightech-Strategie ausmachen
wird.

In den Bereichen Klima und Energie, Gesundheit und
Ernährung, Kommunikation, Mobilität und Sicherheit
konzentrieren sich etwa drei Viertel der Forschungs- und
Entwicklungsaufwendungen der Wirtschaft. In diesen
fünf Schlüsselsektoren überwiegen die Kooperationsbe-
ziehungen zwischen Wirtschaft und Wissenschaft sowie
zwischen den Wissenschaftseinrichtungen. Es war ge-
radezu ein Gebot der Hightech-Strategie, die Missions-
orientierung fortzuführen. Dass wir mit dieser Ausrich-
tung auf dem richtigen Weg sind, zeigt uns vor allen
Dingen der Vergleich in Europa. So wurde im 8. For-
schungsrahmenprogramm genau das, was wir beispiel-
haft gefordert haben, übernommen. Was kann es denn
für eine größere Bestätigung geben, als dass man sich in

Europa ein Beispiel an unseren Programmen nimmt?
Wir sollten uns als europäische Innovationstreiber weiter-
entwickeln.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wie überall, in Europa und in den westlichen Indus-
trienationen, müssen wir uns auf unsere eigenen Stärken
konzentrieren. Überall geht man dazu über, die Stärken
zu fokussieren, sich auf die zentralen Spitzentechnolo-
giefelder zu konzentrieren und – das ist ganz wichtig –
eine aktive Innovationsstrategie zu verfolgen. Ich ver-
weise in diesem Zusammenhang gern – jetzt kommen
Beispiele, Kollege Röspel; hören Sie genau zu – auf die
Projekte, die vom BMBF auf den Weg gebracht wurden.
Ich nenne das Projekt „Kooperation international“. Hier
kann man sich auf einer Internetplattform die zentralen
Felder, Programme und Strategien anschauen und sehen,
was andere in Europa machen.

Ich muss nicht betonen, dass wir uns in einem interna-
tionalen Wettlauf befinden und gerade auf dem Sektor
der Hochtechnologien gefordert werden. Wir haben in
Deutschland früher als alle anderen die richtigen Wei-
chen gestellt. Wir werden also auch in Zukunft mit der
von uns geprägten Hightech-Strategie Erfolg haben.

Neben der Hightech-Strategie haben wir weitere
wichtige Impulse in das Wissenschaftssystem gegeben.
Ich sage es deutlich: Von der Opposition kamen an die-
ser Stelle keine Impulse. Ich kenne keine Programme der
Opposition, wohl aber die aus dem BMBF. Ich nenne als
Beispiel das Projekt „Nationale Forschungsstrategie
BioÖkonomie 2030“.


(René Röspel [SPD]: Alter Wein in neuen Schläuchen!)


Hier gab es unter der letzten rot-grünen Regierung, also
zu Zeiten von Technik- und Industriefeindlichkeit, ein
nur in Ansätzen existentes Rahmenprogramm Biotech-
nologie.


(Lachen des Abg. René Röspel [SPD])


Das Rahmenprogramm Gesundheitsforschung wurde
2010 von uns aufgelegt und ragt mit seinen rund
5,5 Milliarden Euro Fördervolumen deutlich über alles
hinaus, was Rot-Grün im Haushalt 2005 für Forschung
und Entwicklung insgesamt eingesetzt hat.

Es gibt weitere Programme wie den Aktionsplan Na-
notechnologie 2015, das Rahmenprogramm „Forschung
für die zivile Sicherheit“ oder – darüber haben wir jüngst
diskutiert – die Forschungsagenda zum demografischen
Wandel mit dem Titel „Das Alter hat Zukunft“. Ich
könnte diese Auflistung beliebig fortsetzen.

Ich stelle fest: Die Erfolge dieser Koalition sind sicht-
bar.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Nur Sie, meine Damen und Herren von der Opposition,
sind für diese Erfolge blind. Das wollen Sie wahrschein-
lich auch sein. Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Wir lassen
uns unsere Erfolge und guten Ansätze nicht kaputtdisku-
tieren. Wir haben die vier Regierungsjahre genutzt und





Dr. Martin Neumann (Lausitz)



(A) (C)



(D)(B)


den Haushalt auf 13,8 Milliarden Euro aufgestockt. In
diesen vier Jahren haben wir 13 Milliarden Euro mehr in
Bildung und Forschung im Vergleich zu Rot-Grün inves-
tiert – hören Sie gut zu! –, welche seinerzeit nur
900 Millionen Euro eingesetzt haben. Hier sieht man den
großen Unterschied.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Im Gegensatz zu Ihnen haben wir Bildung und For-
schung wirklich wieder in den Mittelpunkt der Politik
gerückt.

Zum Schluss: Der gravierende Unterschied zu Ihnen
ist, dass wir nicht große Reden schwingen, sondern Prio-
ritäten setzen


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Wie finanzieren Sie das denn? Sagen Sie es mal!)


und neben der Haushaltskonsolidierung eine klare und
konsistente Strategie verfolgen.

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Einsparen und mehr ausgeben: Das ist kein Konzept!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723100700

Petra Sitte ist die nächste Rednerin für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723100800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir wol-

len mit 1,2 Prozent der Weltbevölkerung unsere Rolle
als viertgrößte Industrienation und unseren Wohlstand
bewahren. – Wie Sie sich vorstellen können, stammt die-
ser Satz nicht von mir,


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Wollen Sie das nicht?)


sondern von der Forschungsministerin Frau Wanka. Er
wirft neben einer für mich sehr eigenartigen Subbot-
schaft unweigerlich die Frage auf, was Wohlstand für
das 21. Jahrhundert eigentlich bedeutet und welchen
Beitrag Forschung zu diesem Wohlstand leisten kann.
Die Hightech-Strategie gibt weder in der alten noch in
der neuen Fassung überzeugende Antworten. Die Zu-
kunftsprojekte dieser Strategie, so wird es in der Einlei-
tung des Aktionsplans gesagt, sollen sich an den Bedürf-
nissen der Menschen ausrichten. Klingt toll, das sagen
aber alle hier in diesem Haus.

Welche Bedürfnisse haben denn Menschen, die einer
Hightech-Strategie dieses Zuschnitts bedürfen? Die
Bundesregierung, so scheint mir, wird es nicht herausge-
funden haben; denn Sie stecken seit Jahren in dieses Pro-
gramm Milliarden Euro, ohne dass Menschen mit ihrem
Alltagswissen und ihren Erfahrungen wirklich in die in-
haltliche Ausrichtung des Programms eingebunden wor-
den wären. Demzufolge bleiben dann eben auch soziale,
soziologische, kulturelle und auch viele Alltagsfragen in

diesem Programm unberücksichtigt. Unter „nah am
Menschen“ verstehe ich etwas anderes.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Das alles glauben Sie mir jetzt wieder nicht, und des-
halb habe ich mir ein paar Beispiele herausgesucht. Teil
der Hightech-Strategie ist auch das Zukunftsprojekt mit
dem klingenden Namen „Auch im Alter ein selbstbe-
stimmtes Leben führen“. Das will natürlich jede und je-
der in diesem Land, und das ist auch richtig.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber warum konzentrieren Sie sich einseitig auf die
technische Unterstützung von Seniorinnen und Senioren
und von zu Pflegenden? Da werden Sensoren für alle
Wohnräume und Betten entwickelt, die Daten gehen
dann an Pflegepersonen und Ärzte, Ältere sollen mit Na-
vigationssystemen ausgestattet werden, die ihnen den
Weg durch den Verkehrsdschungel zeigen, Pflegende
sollen durch Roboter unterstützt werden, ganze Wohnun-
gen sollen mit digitalen Steuerungs- und Kontrollsyste-
men ausgestattet werden. Das alles klingt ganz toll, aber
im Alltag sind diese Technologien überhaupt nicht ange-
kommen. Ihnen fehlen nämlich die technikbegeisterten
und vor allem die zahlungskräftigen Abnehmerinnen
und Abnehmer für solche Technologien. So viel Un-
dankbarkeit am Ende aber auch!


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Da hat das Ministerium nun aber sofort reagiert, es
hat das messerscharf erkannt und letzten Freitag einen
neuen Plan veröffentlicht. Es wird eine neue Förderaus-
schreibung herausgegeben, noch eine zu den 19 000.
Man will jetzt kommunale Beratungsstellen einrichten
mit dem Titel „Besser Leben im Alter durch Technik“.
Dem Unwissen über Assistenzsysteme soll durch Auf-
klärung bei der Zielgruppe zu Leibe gerückt werden –
super.

Fällt eigentlich niemandem von den Koalitionsfrak-
tionen auf, dass Sie das Pferd von hinten aufzäumen?
Müsste nicht vielmehr gefragt werden, was ältere Men-
schen brauchen, um sicherer, gesünder und sorgenfreier
zu leben? Vermutlich würde jetzt die Hälfte der Bevölke-
rung sowieso sagen: Als Erstes brauche ich eine sichere
Rente. – Aber das kommt in den Hightechträumen gar
nicht vor.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir sagen: Wer wissen will, was Menschen brauchen,
muss mit ihnen und ihren Interessenvertretungen reden
und darf sich nicht als Erstes an die Vorstandsetagen von
Technologieunternehmen wenden. Da kann man doch
gleich den Storch vor den Krötentunnel setzen. Lassen
Sie endlich Sozial- und Behindertenverbände, lassen Sie
Umweltorganisationen, lassen Sie Gewerkschaften und
Kirchen mit an Ihren grünen Tisch. Neues wird so viel
eher an den tatsächlichen Bedürfnissen entwickelt, und
es wird dann auch von den Leuten angenommen.

Ein zweites Beispiel. Die Hightech-Strategie will
nachhaltige Mobilität sichern. Auch das klingt super.





Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Das ist auch gut!)


1 Million Elektrofahrzeuge soll auf Deutschlands Stra-
ßen bis 2020 fahren. Seit 2008 gab es alleine für dieses
Programm eine fette Milliarde. Hersteller wie Daimler
und BMW konnten sich über großzügige Fördermittel
freuen. Das Problem ist aber: Bis heute düsen kaum
Elektroautos über die Straßen. Ups – wieso das denn? Zu
viele technische Probleme sind ungelöst: Wie bitte schön
soll ein Großstadtbewohner im vierten Stock seine Auto-
batterie laden? Infrastruktur zum Laden des Autos deckt
die Milliarde gerade nicht ab. Und vor dem alltäglichen
Stauwahnsinn hilft eben auch kein Elektroauto. Außer-
dem muss man das neue Schmuckstück ja auch ir-
gendwo parken – großartig für die Städte.

Dabei kommt dann genau das heraus, was ich vorhin
schon angesprochen habe: Wenn man nur eine Seite
fragt, dann wird es einseitig. Die Expertenkommission
für Forschung und Innovation hat Ihnen das ja auch
schon aufgeschrieben; sie hat kritisiert, dass sich diese
Hightech-Strategie zu sehr an „kurzfristigen kommer-
ziellen Interessen“ orientiert. Eine solche Förderpolitik
ist – um es zu wiederholen – nicht nachhaltig, sondern
bleibt einseitig.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, wir haben in unserem An-
trag „Soziale Innovationen und Dienstleistungsinnova-
tionen erforschen und fördern“ gezeigt – so viel, Herr
Neumann, zu dem Punkt, dass die Opposition ja nichts
einbringe –,


(Zuruf von der CDU/CSU: Ein ganz schlechter Antrag!)


worin neue Ansätze bestehen könnten. Der Antrag ist
nicht der Weisheit letzter Schluss, aber wir sollten über
diese Fragen reden.

Wir fassen den Innovationsbegriff weiter: Unter Inno-
vation verstehen wir eben nicht nur neue Technik, auch
wenn sie natürlich an vielen Stellen hilfreich sein kann;
das ist überhaupt keine Frage. Denn Innovationen sollten
für alle Lebensbereiche und aus allen Lebensbereichen
gedacht werden. Die Lösungen sind dann ebenso vielfäl-
tig wie manchmal auch verblüffend einfach, und gerade
durch diese Einfachheit sind sie oft besonders innovativ.
Das kann dann durchaus auch mal bedeuten, dass viel-
leicht Verkehrs- und Alltagslotsen aus Fleisch und Blut
viel sinnvoller sind. Sie tauchen im Stadtbild als Helfe-
rinnen und Helfer auf, sind ansprechbar und können ge-
meinsam mit Technik viel flexibler helfen.


(Beifall bei der LINKEN)


Technik – das wissen wir alle; diese Erfahrung haben
wir auch in unseren Familien gemacht – kann Ältere,
insbesondere natürlich auch Menschen mit Demenz, viel
eher einschüchtern, als dass sie ihnen hilft. Andere Län-
der sind längst auf solche Ideen gekommen, aber in
Deutschland, nein, in Deutschland setzt man immer noch
auf wunderschöne dicke Bedienungsanleitungen.

Innovationen, meine Damen und Herren, gehören
aber vor allem in den Bereich Dienstleistungen. Wer
über Arbeitsplätze und Wohlstand in diesem Land
spricht, der kommt an diesem Sektor gar nicht vorbei.
Knapp drei Viertel der Beschäftigten arbeiten in diesem
Sektor, und drei Viertel der Wertschöpfung aus unserem
Land kommen aus diesem Bereich. Wissen wird dabei
natürlich immer wichtiger. Wissensintensive Dienstleis-
tungen sind mit einem Anteil von 37 Prozent viel bedeu-
tender als forschungsintensive Industrieprodukte. Diese
haben nämlich nur einen Anteil von 14 Prozent an der
Wertschöpfung.

Ob nun Klimawandel oder Energiewende, ob Nach-
haltigkeit im Verkehrs- oder Gesundheitswesen – ohne
moderne öffentliche und private Dienstleistungen wer-
den wir keine dieser Herausforderungen bewältigen.
Aber was macht unsere teure Bundesregierung? Sie
spart. Genau in den Förderprogrammen, wo es um
Dienstleistungen gehen müsste, steckt fast nichts drin.
Da haben Sie sich überhaupt nicht engagiert. Jeder von
uns will einen modernen, leistungsfähigen Staat. Des-
halb müssen wir unser Gemeinwesen konditionieren.
Das tun Sie aber nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Dabei, meine Damen und Herren, erleben wir jeden
Tag den Innovationsstau im Dienstleistungsbereich.
Denken Sie an die Deutsche Bahn! Da fallen mir auf An-
hieb 100 Ideen ein, wie Betriebsabläufe, wie Ausstattung
oder wie der Service zu verbessern wären. Oder denken
Sie an Ihr kommunales Krankenhaus, an die Jugendäm-
ter, die tagtäglich klug und umsichtig handeln müssen,
um schwierige Familienprobleme zu lösen.

Diese Dienstleistungen müssen Sie genauso fördern.
Es geht dabei um bessere Arbeitsabläufe für Bürgerin-
nen und Bürger, aber es geht natürlich auch um gute Ar-
beitsbedingungen für die Beschäftigten. Die Verwaltung
zu modernisieren, heißt nicht, einfach Tausende Leute zu
entlassen und den Effektivitätsdruck zu erhöhen. Dienst-
leistungen sind nicht das notwendige Übel der Informa-
tionsgesellschaft, sondern sie sind ihr Kerngeschäft. Darin
drückt sich lebendiges Gemeinwesen aus. Wir fordern
seit Jahren bessere Förderung und sind damit nicht al-
lein. Gewerkschaften wie Verdi haben dazu Konzepte
entwickelt, aber auch die vorhin schon zitierte Experten-
kommission Forschung und Innovation hat dazu aufge-
rufen.

Wie kann nun das neue Wissen beschafft werden? Wir
haben in unserem Antrag folgenden Vorschlag unterbrei-
tet: Man könnte den Zugriff auf Innovationsgutscheine
– das Bundeswirtschaftsministerium gibt sie bereits he-
raus und stellt sie kleinen und mittleren Unternehmen
bereit – auf öffentliche Dienstleistungsbereiche auswei-
ten. Dann könnten eben auch Universitäten und Hoch-
schulen von solchen Aufträgen profitieren. Warum sol-
len das kommunale Krankenhaus, die Arbeitsagentur,
Kitaträger oder Nahverkehrsunternehmen nicht ebensol-
che Aufträge zu ihrer eigenen Innovation auslösen?


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Petra Sitte


(A) (C)



(D)(B)


Meine Damen und Herren, wir haben es trotzdem mit
einer Innovationsblockade der neueren Art zu tun. Die
Bundesregierung kündigt seit Jahren die steuerliche For-
schungsförderung an. Seit Jahren wird darüber heiß ge-
stritten. Der Nutzen dieser steuerlichen Forschungsför-
derung ist überhaupt nicht erwiesen. Es gibt dazu ganz
unterschiedliche Aussagen. Was aber geblieben ist: Die
Unternehmerverbände bohren.

So kann man auf der Basis dieser unsicheren Sach-
lage feststellen, dass beispielsweise Österreich mit ei-
nem solchen Steuerbonus in diesem Bereich einen Auf-
schwung zu verzeichnen hat. Aber es gibt auch Beispiele
dafür, dass Länder, etwa Großbritannien, Frankreich
oder die Niederlande, trotz des Steuerbonus in den letz-
ten Jahren in der Forschungstätigkeit eingebrochen sind.
Die Besten in Europa, Schweden, die Schweiz und Finn-
land, kommen gänzlich ohne eine solche Forschungsför-
derung aus.

Hier ist der steuerliche Bonus vor allem daran ge-
scheitert, dass es kein Gegenfinanzierungskonzept gibt.
Was ich nun gar nicht verstehe: Sie wollen diesen Bonus
nach dem Gießkannenprinzip verteilen. Das Hauptanlie-
gen der FDP war doch immer: Bloß kein öffentliches
Geld nach dem Gießkannenprinzip ausgeben. Sehr ei-
genartig!


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Das haben Sie falsch verstanden, Frau Sitte! Völlig falsch verstanden! – René Röspel [SPD]: Sie wollen ihre Klientel bedienen!)


– Ach, das habe ich wohl wieder falsch verstanden; alles
klar.

Kurzum, wir wollen keine Steuergeschenke. Wir wol-
len bei einer zielgerichteten Forschungsförderung blei-
ben. – Oh ja, Herr Präsident, meine Redezeit. Es folgt
mein letzter Satz.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723100900

Die Ankündigung „Kurzum“ war die ideale Überlei-

tung zum Schluss.


Dr. Petra Sitte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723101000

Meine Damen und Herren, auch Forschungspolitik

muss man modernisieren. Das Wissen von morgen wird
eben nur dann im Morgen ankommen, wenn es heute of-
fen und demokratisch gewonnen wird. Schließlich wol-
len wir Wissen von allen für alle entwickeln.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. René Röspel [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723101100

Nächste Rednerin ist die Kollegin Krista Sager,

Bündnis 90/Die Grünen.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723101200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die inte-

ressante Frage heute ist doch: Was meint die neue Bun-
desministerin Wanka, wie es zukünftig in der For-

schungspolitik in Deutschland weitergehen soll? Eine
Antwort darauf bekommen wir sicher nicht aus einer
Drucksache der Bundesregierung vom März letzten Jah-
res über Aktivitäten, die sich noch auf die Zeit davor be-
ziehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Aber zu ihrer zukünftigen Forschungspolitik hat die
neue Bundesministerin Wanka so wenig gesagt, dass nur
der Schluss bleibt, dass sie selbst davon ausgeht, dass sie
im Herbst ihre Zukunft schon hinter sich hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Bitterböse!)


Meine Damen und Herren, da bleibt doch nur noch die
alte Fußballerregel: Die Wahrheit ist auf dem Platz.

Wo ist der Platz, der zeigt, wie es um die Zukunft be-
stellt ist? In den neuen Daten zum Etat der neuen Minis-
terin! Ein Blick auf diese neuen Daten zeigt: Schon 2014
soll es mit plus 0,5 Prozent Haushaltsmitteln nicht ein-
mal mehr einen Inflationsausgleich geben. Das ist
schlechter als die meisten Verträge, die die Länder mit
ihren eigenen Hochschulen gemacht haben.

Frau Wanka, Sie haben zu Recht gesagt: Vorsprung
muss man halten. Wenn aber nicht einmal ein Inflations-
ausgleich gewährt wird, gelingt das mit Sicherheit nicht.
Schon 2014 sollen Ausgabenkürzungen in der Größen-
ordnung von fast 5 Prozent des Budgets umgesetzt wer-
den. Wenn man sich die mittelfristige Finanzplanung
anschaut, erkennt man, dass weitere Kürzungen und
Minderausgaben vorgesehen sind. Wenn man den Partei-
tagsbeschluss der CDU einspeist, dass es zukünftig wei-
terhin jedes Jahr Aufwüchse um 5 Prozent für den Pakt
für Forschung und Innovation geben soll, dann ergibt
sich bereits im Jahr 2017 ein Einsparbedarf von über
1 Milliarde Euro. Das sind die Tatsachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Keiner bestreitet hier, dass Sie in den letzten Jahren
erhebliche Mittel in das Wissenschaftssystem einge-
speist haben.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Das verdient doch ein Bravo!)


Aber wie nachhaltig ist das? Sie haben in den letzten
Jahren ein Riesenfeuerwerk veranstaltet, das sich jetzt
als Strohfeuer herausstellt, weil Sie es nicht durchhalten
können. Was haben Sie im Hinblick auf das 3-Prozent-
Ziel – Sie haben zu Recht davon gesprochen, Frau
Wanka – vor? Wollen Sie das 3-Prozent-Ziel nur einmal
kurz antippen, und dann gehen die Mittel wieder nach
unten? So wie Sie Ihren Haushaltsplan angelegt haben,
werden Sie das 3-Prozent-Ziel mit Sicherheit nicht in
Richtung 3,5 Prozent überschreiten, sondern Sie werden
die Mittel wieder nach unten fahren. So sieht das nach
Ihrer bisherigen Planung aus!





Krista Sager


(A) (C)



(D)(B)


Frau Wanka, Sie haben gestern im Ausschuss gesagt,
wir sollten uns mal keine Sorgen darum machen. Wenn
man als wenig verwöhnte Landesministerin auf die Bun-
desebene kommt, hat man vielleicht erst einmal den Ein-
druck, man sei reich ausgestattet; da werde schon genü-
gend Luft sein. Die Frage ist: Wo sehen Sie den Speck,
aus dem zukünftig der Hochschulpakt, die von Ihnen an-
gekündigte gründliche BAföG-Reform und die Betreu-
ungsprämie geschnitten werden sollen? Dazu haben Sie
uns gestern nichts gesagt, und dazu haben Sie uns auch
heute nichts gesagt.


(René Röspel [SPD]: Das schwarze Loch!)


Ich habe den Eindruck, dass Sie bei Ihrem Parteitags-
beschluss – weitere 5 Prozent jedes Jahr für den Pakt für
Forschung und Innovation, eine große BAföG-Reform –
mit ungedeckten Schecks herumwedeln


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


und sich ausschließlich darauf verlassen, dass die Ver-
handlungen mit den klammen Bundesländern sich so
schwierig gestalten, dass Sie gar nicht in die Verlegen-
heit kommen, Ihre ungedeckten Schecks am Ende auch
einlösen zu müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Eine besondere Erwähnung verdient an dieser Stelle
durchaus auch das Projekt Betreuungsprämie. Wir kön-
nen feststellen, dass dieses Projekt den Etat für Bildung
und Forschung im nächsten Jahr schon mit 51 Millionen
Euro und 2015 mit jährlich 100 Millionen Euro belastet.
Zu diesem Projekt haben nicht nur die Bildungsforscher,
sondern auch die Expertenkommission für Forschung
und Innovation der Bundesregierung gesagt, dass es für
unsere Zukunft ausgesprochen schädlich ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie finanzieren also ein schädliches Projekt zulasten von
Bildung und Forschung und zulasten der Zukunft.

Das unterstreicht noch einmal das ausgeprägte Talent
der Bundesregierung, immer wieder die falschen Priori-
täten zu setzen. Opfer dieses Talents, immer wieder die
falschen Prioritäten zu setzen, wird jetzt auch ein Kern-
projekt dieser Regierung, nämlich die steuerliche For-
schungsförderung.


(Jörg van Essen [FDP]: Das machen wir schon noch!)


Die CDU/CSU liebte die Betreuungsprämie mehr, die
FDP wollte lieber Hotels subventionieren,


(Jörg van Essen [FDP]: Weder – noch! Das war doch das grüne Programm! Die Grünen haben 7 Prozent gefordert! – Willi Brase [SPD]: Mövenpick!)


und gemeinsam haben sie sich an ein Modell geklam-
mert, das hauptsächlich Großkonzerne beglücken sollte
und sich letztlich als unbezahlbar herausgestellt hat.

Interessant ist, dass in den letzten Tagen der Kollege
Neumann von der FDP den grünen Vorschlag wieder zur
Sprache gebracht hat,


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Was? Was ist da los? Martin!)


nämlich die steuerliche Forschungsförderung auf kleine
und mittlere Unternehmen zu konzentrieren, die nicht
unbedingt von der Projektförderung profitieren. Das
Blöde ist nur, dass das nicht die Stimme der Vernunft in
einer lieblosen Auslaufehe ist,


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Na, na, na!)


sondern dass es hier wie in vielen gescheiterten Bezie-
hungen offensichtlich nur noch um Schuldzuweisung
geht, also darum, wer am Ende die Verantwortung dafür
übernehmen muss, dass ein Projekt doch nichts wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Lachen des Abg. Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP])


– Eine Lösung haben Sie bisher nicht angeboten.

Meine Damen und Herren, ich glaube, dass deutlich
ist, dass sowohl von der Regierungsseite als auch von
der Fraktionsseite dieses Beziehungsmodell tatsächlich
gescheitert ist und dass wir von dieser Koalition für die
Forschungspolitik in Zukunft leider auch nichts mehr zu
erwarten haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723101300

Der Kollege Rupprecht hat nun für die CDU/CSU-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1723101400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Herr Röspel, Frau Sager, das ist hier je-
des Jahr dieselbe Veranstaltung. Es wird gesagt: Der
Haushalt ist dramatisch; es wird hier und dort gespart. –
Aber im Ergebnis haben Sie schlichtweg nie recht behal-
ten.

Sie haben am Anfang der Legislatur gesagt, dass wir
die angekündigten zusätzlichen 12 Milliarden Euro nie
und nimmer schaffen werden. Das Ergebnis ist, dass wir
mit 13 Milliarden Euro das Ziel von 12 Milliarden Euro
übertroffen haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sehr geehrte Damen und Herren, die linken Parteien
streiten wieder einmal wie die Kesselflicker über Sinn
und Unsinn der Hartz-IV-Reformen. Einige behaupten,
die Hartz-IV-Reformen seien die zentrale Ursache für
die Stärke und den wirtschaftlichen Erfolg Deutschlands.
Das ist natürlich vollkommener Unsinn. Wirtschaftlich
ist Deutschland deswegen so erfolgreich und so stark,
weil wir Spitzenunternehmen mit Spitzenprodukten in
Deutschland haben, die die gesamte Welt nachfragt und





Albert Rupprecht (Weiden)



(A) (C)



(D)(B)


braucht. Wegen Hartz IV gibt es keine zusätzlichen Ar-
beitsplätze. Wegen Hartz IV gibt es kein einziges zusätz-
liches Patent, und es gibt wegen Hartz IV keinen Euro
Umsatz mehr.


(Nicole Gohlke [DIE LINKE]: Dann können Sie Hartz IV ja abschaffen!)


Entscheidend für die wirtschaftliche Stärke ist die Inno-
vationskraft unserer Unternehmen in diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die deutschen Unternehmen liefern deswegen Spit-
zenprodukte in die Welt, weil sie eine Infrastruktur in
Deutschland vorfinden, die ihnen das ermöglicht.
Deutschland hat eine herausragende Forschungsinfra-
struktur. Ich versuche, dies an einem konkreten Beispiel
darzustellen. Ähnliche Beispiele ließen sich überall in
Deutschland finden.

Siemens Medizintechnik am Standort Kemnath in
Nordostbayern ist Weltmarktführer im Bereich der Com-
putertomografie. Dort arbeiten 1 400 Beschäftigte, 140 Be-
schäftigte ausschließlich in der Entwicklung. Klar ist,
dass sie mit ihren Entwicklungen immer zwei Jahre Vor-
sprung haben müssen. Die Innovationsgeschwindigkeit
ist außerordentlich dynamisch. Die Weltmärkte erzwin-
gen diese Geschwindigkeit. Dieser Vorsprung ist deswe-
gen möglich, weil es eine Forschungsinfrastruktur re-
gionaler Art gibt, die eine Verzahnung ermöglicht mit
Forschungseinrichtungen, mit der Forschungscommunity
– Medizincluster in Erlangen; Hochschulen in Erlangen,
Nürnberg, München und Weiden – sowie mit kleinen mit-
telständischen Unternehmen, die im Forschungsverbund
mitarbeiten und als Zulieferer innovative Produkte lie-
fern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Diese gute Forschungsinfrastruktur ist der Grund, wa-
rum Deutschland so gut dasteht. Die Menschen, die in
diesem Bereich zusammenarbeiten, müssen sich kennen-
lernen und zueinander Vertrauen haben. Dies ist nicht
über das Internet zu machen. Regionale und nationale
Cluster ermöglichen dies. Ohne diese Forschungsinfra-
struktur gäbe es Siemens Medizintechnik an diesem
Standort nicht. Ohne diese Forschungsinfrastruktur gäbe
es auch die Arbeitsplätze bei den Zulieferern im Mittel-
stand nicht.


(René Röspel [SPD]: Das ist unumstritten!)


Deswegen: Nicht Hartz IV, sondern Innovationskraft ist
das Zauberwort für Wohlstand und Arbeitsplätze in
Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es stellt sich dann die Frage: Was trägt der Bund dazu
bei? In den vergangenen Jahren haben wir massiv in die
Forschungsinfrastruktur investiert. Die Zahlen wurden
angesprochen. Wir haben das 3-Prozent-Ziel mit derzeit
2,9 Prozent fast erreicht. Wir haben erstmals die USA
überholt. Deutschland ist das zweitwichtigste Zielland
für Forschungsinvestitionen multinationaler Unterneh-
men weltweit. 570 000 Menschen sind in Deutschland
im Bereich Forschung und Entwicklung beschäftigt. Das

ist gegenüber 2005, als wir an die Regierung gekommen
sind, ein Zuwachs um sagenhafte 19 Prozent. Das ist
eine großartige Entwicklung, auf die wir sehr stolz sein
können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bund, Länder und Wirtschaft zusammen finanzierten
im Jahr 2011 Forschung und Entwicklung mit 75 Mil-
liarden Euro – ein Spitzenwert. Das ist gegenüber 2005
ein Anstieg um 34 Prozent. Das machen die Unterneh-
men nicht aus Liebe zum Standort Deutschland, sondern
weil wir mit staatlichen Mitteln eine attraktive For-
schungsinfrastruktur aufgebaut haben. Die Bundespoli-
tik hat daran einen substanziellen Anteil. Ich sage sogar:
Die Bundespolitik ist bei diesem Thema Vorreiter und
Taktgeber zugleich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben den Haushalt des Forschungsministeriums
gegenüber 2005 um sage und schreibe 82 Prozent er-
höht. Die Zuwachsraten im Bundeshaushalt sind wesent-
lich höher als die in allen Landeshaushalten und der
Wirtschaft. Deswegen schneiden wir auch bei allen In-
novationsindikatoren weltweit gut ab. Egal, welchen Sie
nehmen: Wir sind immer in der Spitzengruppe vertreten.
Diese Gruppe besteht aus den USA, der Schweiz, aus
nordeuropäischen Ländern wie Finnland, Schweden und
Dänemark sowie aus asiatischen Ländern wie Japan,
Singapur und Korea. Ich finde, dass das ein Grund ist,
stolz zu sein; dieses gute Abschneiden fällt nicht vom
Himmel, sondern es war und ist für die Bundespolitik
ein riesiger Kraftakt.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723101500

Kollege Röspel würde Ihnen gerne eine Zwischen-

frage stellen.


(Michael Kretschmer [CDU/CSU]: Der hat doch schon gesprochen!)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1723101600

Gerne.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1723101700

Vielen Dank, Herr Rupprecht. – Ich habe in meiner

Rede gerade versucht, zu erklären, woher die finanziel-
len Spielräume, über die wir uns alle in den letzten
Jahren gefreut haben, gekommen sind. Nun sind Sie mit
Ihrer Regierung aufgefordert – der Bundesfinanzminis-
ter hat das mehrfach bekräftigt –, den Haushalt zu kon-
solidieren, also einzusparen. Gleichzeitig schlägt die
CSU eine neue Subvention, eine Eigenheimzulage, vor.


(Thomas Oppermann [SPD]: Ja!)


Sie wollen – was richtig ist – weiter in Bildung und
Forschung investieren, also mehr ausgeben. Auch wenn
ich nur einen Kaufmannsgehilfenbrief habe, habe ich
aber gelernt: Einsparen und gleichzeitig mehr ausgeben
ist nicht möglich.

Sie können uns als SPD politisch dafür schelten, dass
wir die Reichen in diesem Land mit höheren Steuersät-





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)


zen belasten wollen, damit wir in Bildung und For-
schung investieren können. Aber Sie müssen als Regie-
rung dann auch sagen, wie Sie all das, was Sie hier
versprechen, alternativ finanzieren wollen,


(Birgit Homburger [FDP]: So wie bisher auch!)


woher das Geld dafür kommen soll. Die Menschen in
diesem Land haben eine Antwort auf diese Frage ver-
dient.


(Beifall bei der SPD)



Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1723101800

Herr Kollege Röspel, ich beantworte diese Frage

gerne. Im Gegensatz zu Ihnen, die Sie milliardenschwere
Steuererhöhungen planen, gilt bei uns das Prinzip der
Prioritätensetzung. Das wird in der Zukunft gelten, und
das haben wir auch in den letzten Jahren so gehandhabt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In der Großen Koalition haben wir die Schulden-
bremse gemeinsam beschlossen. Es ist unabdingbar,
dass wir diese Schuldenbremse in Zeiten der internatio-
nalen Krisen, der europäischen Haushaltskrise auch ein-
halten.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das ist keine Erklärung! Er hat Ihnen doch eine Frage gestellt!)


Deswegen führt kein Weg daran vorbei, Prioritäten zu
setzen. Das haben wir in den vergangenen Jahren auch
getan. Deswegen geht es in unserem Koalitionsvertrag
nicht um höhere Steuern, sondern um Prioritäten bei
Forschung und Bildung. Genau das haben wir in den
letzten Jahren auch gelebt, Herr Kollege Röspel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das EFI-Gutachten besagt im Kern, dass wir keine
Radikalreformen brauchen, weil wir auf dem richtigen
Weg sind, weil die Richtung stimmt. Das EFI-Gutachten
gibt uns allerdings punktuell Aufträge und Ideen mit auf
den Weg. Ich teile diese Bewertung, und deswegen geht
es in einer so grundsätzlichen Debatte wie der heutigen
natürlich auch darum, wohin die Reise gehen soll.

Wichtig ist beispielsweise die Frage des Mittelauf-
wuchses; letztendlich geht es also wieder um die Frage
des Geldes. Frau Ministerin hat bereits angesprochen,
dass sich natürlich die Frage stellt, wie es weitergeht,
wenn wir das 3-Prozent-Ziel erreicht haben. Wir werden
uns dafür verwenden, 3,5 Prozent als Ziel festzuschrei-
ben. Das wird ohne Zweifel ein Kraftakt werden, aber
das werden wir uns gemeinsam vornehmen.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Finanzpolitiker bremsen das dann aus!)


Wir beabsichtigen außerdem, den Pakt für Forschung
und Innovation fortzuführen und einen Mittelaufwuchs
von 5 Prozent für die außeruniversitären Forschungsein-
richtungen zu realisieren.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Wo kommt das Geld her?)


Ich möchte abschließend die steuerliche Forschungs-
förderung ansprechen. Das, Frau Sager, ist in der Tat das
einzige substanzielle Thema aus unserem Koalitionsver-
trag, das wir in dieser Legislaturperiode nicht geschultert
haben. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass eine entspre-
chende Initiative im Moment überhaupt keinen Sinn
machen würde, weil der rot-grün dominierte Bundesrat
keinerlei Bereitschaft zeigen würde, ihr zuzustimmen.

Frau Sager, Sie reden davon, in der nächsten Legis-
laturperiode die steuerliche Forschungsförderung aus-
zubauen. Gleichzeitig haben aber sowohl Sie als auch
die SPD Steuererhöhungen in Milliardenhöhe für die
nächste Legislaturperiode angekündigt.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Staatsvernichtungsprogramm!)


Sie wollen den Unternehmen, denen Sie auf der einen
Seite durch steuerliche Forschungsförderung Eigenkapi-
tal für Investitionen in Innovationen und Forschung zur
Verfügung stellen wollen, auf der anderen Seite Milliar-
den aus der Tasche ziehen.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: So ist es!)


Sie lassen in Ihrer Steuererhöhungsdiskussion praktisch
keine Steuerart – Einkommensteuer, Vermögensteuer,
Erbschaftsteuer – aus. Das läuft auf das Prinzip „linke
Tasche – rechte Tasche“ hinaus. Sie entziehen den Un-
ternehmen die Substanz und geben ihnen dafür ein paar
Krümel. Das ist verlogen und falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723101900

Herr Kollege.


Albert Rupprecht (CSU):
Rede ID: ID1723102000

Liebe Frau Sager und liebe Kollegen von der SPD,

solange Sie an diesen Steuererhöhungsplänen festhalten,
ist all das, was Sie über steuerliche Forschungsförderung
schwadronieren, unglaubwürdig.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723102100

Michael Gerdes bekommt nun das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Michael Gerdes (SPD):
Rede ID: ID1723102200

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Wir diskutieren hier heute an prominenter Stelle ein
Dokument, das ein Jahr lang keine Beachtung fand. Man
könnte meinen, Schwarz-Gelb fände, der Inhalt der vor-
liegenden Unterrichtung sei nicht der Rede wert, und
ganz abwegig ist der Gedanke ja wohl nicht. Hier
werden Vorhaben und Aktionspläne vollmundig an-





Michael Gerdes


(A) (C)



(D)(B)


gekündigt. Es geht um eine gute Zukunft für unsere Ge-
sellschaft. Es geht um nachhaltiges Wachstum, Beschäf-
tigung und Wohlstand für Deutschland, und das ist die
politische Botschaft, die wir alle unterschreiben. Kon-
kret fassbar werden die Vorhaben der Hightech-Strategie
allerdings nur selten.

Zahlen allein sagen nicht alles aus. Schauen wir zum
Beispiel auf das Projekt „Intelligenter Umbau der Ener-
gieversorgung“. Bei der Zielsetzung sind wir uns absolut
einig: Wir alle wollen in naher Zukunft eine saubere,
sichere und bezahlbare Energieversorgung. Die Frage ist
aber: Wie kommen wir da hin? Welche Forschungsakti-
vitäten sind nötig? Wo und wie führen wir Ideen zusam-
men?

Deutschland ist Europas stärkstes Industrieland und
gleichzeitig der größte Energieverbraucher in der EU.
Vor diesem Hintergrund haben wir uns den kompletten
Umbau der Energieinfrastruktur vorgenommen. Das Ziel
ist ambitioniert. Es zu erreichen, erfordert einerseits ein
schlüssiges, gut koordiniertes Konzept. Andererseits
brauchen wir dafür eine starke, leistungsfähige und breit
aufgestellte Forschungslandschaft. Wir brauchen alle
klugen Köpfe, um neue Technologien, neue Materialien
und neue Energiedienstleistungen zu entwickeln, und ge-
nau hier sehe ich das Problem.

Das 6. Energieforschungsprogramm ist zwar seit Sep-
tember 2011 in Kraft; aber es wird der Tragweite und
Bedeutung der Energiewende nicht gerecht, schon allein
deshalb, weil die Energieforschung zerstückelt ist. Zu
viele Ressorts wollen mitmischen. Das führt dazu, dass
die Wissenschaft nur schwer erkennen kann: Welches
Ministerium hat den Hut auf, und wer kann gegebenen-
falls Forschungsgelder verteilen?


(Beifall bei der SPD)


Gerade die kleinen Unternehmen mit wenigen Mitarbei-
tern haben es hier, nebenbei bemerkt, noch schwerer. Sie
haben zwar gute Ideen, aber es fehlt an Kapazitäten, um
die Bürokratie des Förderdschungels zu durchdringen.

Darüber hinaus verhindert die Zerstückelung der For-
schungsprogramme notwendige Synergien. Wir brau-
chen einen ganzheitlichen Blick, damit die Umgestal-
tung der Energieversorgung gelingt. Die vielen kleinen
Forschungsprojekte müssen zusammengeführt werden,
damit sich ein neues System entwickelt.


(Beifall bei der SPD)


Zu dieser Einschätzung komme ich übrigens nicht, weil
ich derzeit Oppositionspolitiker bin. Nein, das sagen
auch die Berater der Bundesregierung. Herr Kollege
Neumann, auch ich darf die Expertenkommission For-
schung und Innovation, EFI, zitieren. In ihrem aktuellen
Gutachten steht auch: „Die Fragmentierung der Zustän-
digkeiten für die Energieforschung in Deutschland ist
bizarr.“


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Das meinen bei der Bildung ja auch viele!)


Vor wenigen Tagen hat sich nun unsere neue Ministe-
rin, Frau Wanka, die Kritik der Experten zu Herzen

genommen: Sie hat der Öffentlichkeit die Nationale For-
schungsplattform Energiewende vorgestellt.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Da können Sie hier auch mal loben!)


Hier sollen Energien und Ideen gebündelt werden. – Und
jetzt lobe ich: Ich begrüße diesen Ansatz.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


– Klatschen Sie nicht zu früh. – Schade ist nur, dass be-
reits so viel Zeit vergangen ist; denn diese Plattform ist
bereits vor eineinhalb Jahren angekündigt worden.

Jetzt kommen wir zum größten Fehler des 6. Energie-
forschungsprogramms: Es ist die mangelhafte finanzielle
Ausstattung der Energieforschung. Schwarz-Gelb baut
auf das Sondervermögen „Energie- und Klimafonds“.
Wir alle kennen die Zahlen: Der Preis der CO2-Zertifi-
kate ist deutlich geringer als erwartet. Somit fehlt das
Geld bei der Energieforschung. Der Spiegel berichtet
aktuell von einer Streichliste im Ressort von Herrn
Altmaier. Demnach stehen die Förderprogramme zur
Elektromobilität und zur Erforschung von Stromspei-
chern vor dem Aus. Das sind zentrale Bausteine der
Energiewende. Mit diesen Förderschwerpunkten haben
sich Union und FDP gerühmt, und nun findet die For-
schungsförderung in diesem Sektor nicht statt. – So viel
zum Thema Prioritätensetzung.

Das zeigt mir: Diese Regierung hat bei der Energie-
wende keinen Plan.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident, meine Damen und Herren, ich möchte
noch einen anderen Teil der Hightech-Strategie anspre-
chen. Unter dem Stichwort „Industrie 4.0“ – Frau Minis-
terin, Sie sprachen es an – kann man lesen, wie sich die
Arbeitswelt immer mehr automatisiert und wie sehr
Informations- und Kommunikationstechnologien die
Produktion der Zukunft bestimmen; das ist so weit rich-
tig. Unsere Wettbewerbsfähigkeit hängt davon ab, wie
effektiv und effizient Arbeitsprozesse ablaufen. Compu-
ter machen alles smart: das Handy, die Fabrik oder die
Produktion. Wer aber in den Ausführungen der Bundes-
regierung deutlich zu kurz kommt, ist der Mensch.


(Beifall des Abg. Willi Brase [SPD])


Gute und innovative Produkte gibt es nur mit gut ausge-
bildeten Menschen.


(Swen Schulz [Spandau] [SPD]: Sehr richtig!)


Da stellt sich die Frage: Wie werden die Arbeitneh-
mer in den Fabriken auf die neuen Technologien vorbe-
reitet? Was bietet die Bundesregierung an, um Aus- und
Weiterbildung zu verbessern? Wie wird auf neue Berufs-
bilder reagiert?

Hier muss einerseits die Forschung zur Zukunft der
Arbeit und Humanisierung der Arbeitswelt verstärkt
werden. Andererseits brauchen wir eine Bildungs- und
Qualifikationsoffensive. Die Industrieprozesse sind
zunehmend wissensbasiert. Unsere Chancen sind hoch-





Michael Gerdes


(A) (C)



(D)(B)


qualifizierte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit
produktionsbezogenem Know-how und großem Fach-
wissen. Das Wissen der Menschen muss durch gute
Bildungsprogramme gesichert und weiterentwickelt
werden. In diesem Zusammenhang wäre es sinnvoll, den
Übergang zwischen beruflicher Bildung und Hochschule
zu verbessern, zum Beispiel durch den Ausbau der Auf-
stiegsstipendien.


(Beifall bei der SPD)


Deutschland ist ein Industrieland. Damit das so bleibt,
müssen wir auf die grundlegenden Herausforderungen
unserer Zeit reagieren.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Damit das so bleibt, muss die SPD in der Opposition bleiben!)


Globalisierung, Umwelt- und Klimaschutz, Rohstoff-
verknappung, technologische Innovation und demografi-
sche Entwicklung werden die Industrie weiter ver-
ändern. Es kommt deshalb auf die Zusammenarbeit der
kreativen Köpfe in Industrie, Dienstleistungen und
Wissenschaft an.

Aufgabe der Politik muss es sein, die Gestaltung der
Arbeitswelt von morgen aktiv zu begleiten. Wissen und
Information sind notwendige Bedingungen für den wirt-
schaftlichen Erfolg von Unternehmen und die berufli-
chen Perspektiven der Beschäftigten.

Wir müssen alles tun, um die Möglichkeiten unserer
Gesellschaft zu verbessern. Dazu gehört die gezielte
Einwanderung von Fachkräften. Dazu gehört die Chance
auf Ausbildung. Dazu gehört die höhere Durchlässigkeit
des Bildungssystems. Dazu gehören auch Anreize für
berufsbegleitende Qualifizierungsmaßnahmen.

Herzlichen Dank. Glück auf!


(Beifall bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Wir fahren hier nicht in den Berg!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723102300

Das Wort erhält nun die Kollegin Birgit Homburger

für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Birgit Homburger (FDP):
Rede ID: ID1723102400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Diskussion heute Morgen gibt uns die Gelegenheit, die
Leistungen der Koalition in dieser Legislaturperiode
Revue passieren zu lassen. Um es gleich zu Beginn zu
sagen: Wir haben den Haushalt für Forschung und Ent-
wicklung im Bund in der Legislaturperiode auf rund
14 Milliarden Euro erhöht. Das ist der höchste Betrag,
den wir je für diesen Bereich zur Verfügung gestellt
haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben in dieser Legislaturperiode im Bereich Bil-
dung und Forschung rund 13 Milliarden Euro zusätzlich

bereitgestellt. Wir haben 2,9 Prozent des BIP in For-
schung investiert. Damit haben wir das 3-Prozent-Ziel
nahezu erreicht. In dieser Legislaturperiode wurden ei-
nige Vorhaben massiv vorangetrieben, und zwar durch
die Schwerpunktsetzungen, die diese Koalition vorge-
nommen hat.

Herr Röspel, vorhin haben Sie alles Erreichte für die
SPD in Anspruch genommen. Ich sage Ihnen dazu eines:
Sie haben gar nichts erreicht. Sie haben davon nur ge-
träumt, wir haben es umgesetzt. Wachen Sie endlich auf!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Wovon ich träume, verrate ich Ihnen nicht! – Gegenruf des Abg. Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Wir setzen Ihre Träume um! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU]: Wir machen Ihre Träume wahr! – Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Einige zentrale Themenfelder der Hightech-Strategie
wurden genannt. Es ist unglaublich wichtig, dass wir
beispielsweise im Zuge des Projekts Industrie 4.0 – der
vierten industriellen Revolution; die Frau Ministerin hat
das hier sehr ausführlich vorgetragen – den Bereich der
Dienstleistungen gezielt fördern. Aber in anderen Berei-
chen haben wir sehr wohl den gesamten industriellen
Bereich mit einbezogen, weil wir der Auffassung sind,
dass wir in Deutschland weiterhin industrielle Produk-
tion brauchen, dass das dazugehört, wenn wir erfolgreich
sein wollen. Dass wir das ausgerechnet der SPD beibrin-
gen müssen, das ist schon bemerkenswert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Zentraler Aspekt der von uns eingebrachten Änderun-
gen ist vor allen Dingen, dass wir in dieser Legislatur-
periode großen Wert auf eine Verbindung zwischen Wis-
senschaft und Wirtschaft gelegt haben. Wir haben dafür
gesorgt, dass diese Verbindung gestärkt wird. Wir sind
auf Ideen und neue wissenschaftliche Erkenntnisse ange-
wiesen; denn das führt am Ende zu mehr Innovationen,
und zwar zu Produkt- und Prozessinnovationen. Diese
Innovationen bringen uns den nötigen Erfolg. Das si-
chert den Wohlstand unseres Landes. Deshalb werden
wir weiterhin darauf drängen, dass es eine enge Verzah-
nung zwischen Wissenschaft und Wirtschaft gibt. Wir
halten das schlicht für notwendig.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich möchte an dieser Stelle eines deutlich machen:
Wir sind der Meinung, dass die Förderung von
Forschung entsprechende Unterstützung braucht. Dafür
haben wir im Zuge der Exzellenzinitiative gesorgt. Aber
die Exzellenzinitiative kann so nicht weitergeführt
werden, weil wir ein Problem mit der Finanzierung ha-
ben, Stichwort: Grundgesetz. Wir haben eine Änderung
des Art. 91 b Grundgesetz auf den Weg gebracht, weil
wir vonseiten des Bundes sagen: Wir wollen die Länder
bei der Finanzierung der Wissenschaftseinrichtungen
weiterhin unterstützen. Dies ist uns ein Anliegen; wir
wollen das tun, und dafür muss der Art. 91 b geändert
werden. Das wird augenblicklich von Ihnen im Bundes-





Birgit Homburger


(A) (C)



(D)(B)


rat blockiert. Wenn Sie sagen, dass Sie Unterstützung
haben wollen, dann müssen Sie die Frage beantworten,
warum Sie dieses Gesetz im Bundesrat blockieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Dafür gibt es einen einzigen Grund – –


(René Röspel [SPD]: Weil es um ein paar wenige Spitzenuniversitäten geht!)


– Ach, Herr Röspel, es geht doch nicht um ein paar we-
nige Spitzenuniversitäten; es geht darum, dass in diesem
Land Exzellenz erhalten bleibt. Dafür müssen Sie auch
Exzellenz fördern.


(René Röspel [SPD]: Sie ist breiter gestreut, als die FDP glaubt!)


Der einzige Grund, warum Sie das blockieren, sind
kleinkarierte Eigeninteressen der Länder, die in einer Art
Erpressermanier versuchen, mehr Geld vom Bund zu be-
kommen, als wir schon angeboten haben. Das ist der
Grund, warum Sie diese Änderung blockieren. Riskieren
Sie nicht weiterhin die Finanzierung der Forschungsein-
richtungen!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Ich glaube, Sie wissen gar nicht, worüber Sie reden! Die Forschungseinrichtungen werden finanziert! Sie wissen nicht, worum es geht!)


Die Innovationsindikatoren zeigen deutlich: Wir sind
weiter ganz vorne mit dabei. Aber wenn wir diese Posi-
tion halten wollen, dann müssen wir auch weiterhin die
Verschränkung von Wissenschaft und Wirtschaft fördern.
Wir haben das beispielsweise über das Innovationskon-
zept des Bundesministeriums für Wirtschaft getan. Wir
haben dies sehr konkret getan, indem wir beispielsweise
im Bereich des Mittelstands die Mittel für das Projekt
„Zentrales Innovationsprogramm Mittelstand“ aufge-
stockt, es ausgebaut, umgebaut und es praxisorientiert
und erfolgreich gemacht haben. Dass wir mit unserer
Politik konsequent auf kleine und mittlere Unternehmen
auch in diesem Bereich setzen, trägt dazu bei, dass wir
so erfolgreich sind.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Es bleibt – das will ich Ihnen an dieser Stelle auch sa-
gen – auf unserer Agenda, dass wir das Förderinstru-
mentarium, das wir haben, ergänzen. Wir haben es in
dieser Legislaturperiode beispielsweise durch das
„Kompetenzzentrum innovative Beschaffung“ ergänzt,
weil wir aus anderen Ländern wissen, dass auch im Be-
reich der öffentlichen Beschaffung Schwerpunkte ge-
setzt werden können und Unterstützung für Innovationen
gegeben werden kann. Wir wollen dies auch weiterhin
tun, indem wir die steuerliche Forschungsförderung
noch auf den Weg bringen. Wir sind der Meinung, dass
es gut wäre, unser Forschungsinstrumentarium dadurch
zu ergänzen.


(René Röspel [SPD]: Das sagen Sie seit drei Jahren, und nichts passiert! – Florian Pronold [SPD]: Am Abend werden die Faulen fleißig, oder was?)


– Sie brauchen hier gar nicht dazwischenzurufen. In den
Programmen der SPD steht dies seit 1994. Seither haben
Sie ein paarmal regiert, und nichts haben Sie auf die
Reihe gekriegt – gar nichts! –,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Sie waren wohl auf einer längeren Auslandsreise!)


und das unter Finanzbedingungen, die besser waren, als
wir sie in dieser Legislaturperiode hatten.


(René Röspel [SPD]: Sie haben es doch nicht gemacht!)


Ich sage Ihnen: Wir haben in dieser Legislaturperiode
an der einen oder anderen Stelle unsere Schwerpunktset-
zungen ein Stück weit zurücknehmen müssen, weil neue
Herausforderungen auf uns zukamen. Ich nenne nur
die Stichworte „Euro-Krise“ und „Haushaltskonsolidie-
rung“.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hotelsubventionierung!)


Weil wir insoweit etwas machen mussten, konnten wir
nicht alles umsetzen, was wir wollten. Aber Sie können
sicher sein: Wir werden an dem Thema der steuerlichen
Forschungsförderung weiter arbeiten,


(René Röspel [SPD]: Die nächsten 100 Jahre!)


weil wir der Auffassung sind, dass es einer weiteren Er-
gänzung des Instrumentariums bedarf, weil wir wollen,
dass Innovationen in diesem Land eine Chance haben.
Dazu gehört auch, dass wir, dass diese Koalition nicht
nur über Risiken redet, sondern auch über die Chancen
der Forschungspolitik – ganz im Gegensatz zur linken
Seite dieses Hauses.


(René Röspel [SPD]: BASF ist in Ihrer Regierungszeit abgewandert, nicht in unserer!)


Wenn wir weiter Innovationen fördern wollen, brau-
chen wir auch ein gesundes gesellschaftliches Klima. Zu
diesem Klima müssen auch Sie beitragen, zum Beispiel
dadurch, dass Sie auch einmal über die Chancen und
nicht nur über die Risiken von neuen Technologien spre-
chen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – René Röspel [SPD]: Machen Sie eine Initiative!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723102500

Tobias Lindner vom Bündnis 90/Die Grünen ist der

nächste Redner.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren! Albert Einstein sagte einmal:

Viel mehr als die Vergangenheit interessiert mich
die Zukunft, denn in ihr gedenke ich zu leben.

Wenn ich mir die heutige Debatte anschaue, die sich
dadurch beschreiben lässt, dass die Redner der Koalition





Dr. Tobias Lindner


(A) (C)



(D)(B)


vielfach Salböl über ihre Politik der letzten vier Jahre ge-
gossen haben und wir relativ wenig über die Hightech-
Strategie der Bundesregierung gehört haben, frage ich
mich schon, wann wir einmal über die Zukunft der For-
schungspolitik in Deutschland miteinander diskutieren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Volker Kauder [CDU/ CSU]: Das stimmt ja gar nicht! Haben Sie geschlafen, als Frau Wanka gesprochen hat? – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Sie haben wohl auf Ihren Ohren gesessen! – Zurufe von der FDP)


Schauen wir uns einmal Ihre Hightech-Strategie an.
Sie ist vielfach eine Sammlung von Allgemeinplätzen.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Na, na!)


Es gibt auch Dinge, die andere Teile dieses Hauses in ei-
nigen Punkten durchaus unterstützen würden. Aber
wenn man den Rest Ihrer Politik danebenlegt, wenn man
sich anschaut, wie das Ganze finanziert werden soll,
dann fällt eine große Inkonsistenz auf.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Das ist völliger Quatsch!)


Ich nenne Ihnen dazu zwei einfache Beispiele:

Erstens. Sie haben viel darüber gesprochen, dass Sie
die Ausgaben im Einzelplan 30, die Ausgaben für Bil-
dung und Forschung, erhöht haben. Ja, das ist richtig,
diese Ausgaben sind gestiegen, und im kommenden Jahr
möchten Sie die Mittel für den Einzelplan 30 – so der
Eckwertebeschluss – um 287 Millionen Euro erhöhen.
Frau Ministerin, Sie haben davon gesprochen, dass man
Prioritäten setzen muss, dass man sich konzentrieren
muss, dass man dem Ganzen eine Richtung geben muss.
Sie erhöhen auf der einen Seite zwar den Etat um
287 Millionen Euro, schrauben aber gleichzeitig die glo-
bale Minderausgabe um etwa 370 Millionen Euro hoch.
Wenn diese globale Minderausgabe erwirtschaftet wird,
ist das zum einen alles andere als ein Mittelaufwuchs
und zum anderen auch alles andere als eine Priorisie-
rung. Sie verraten nicht, woher das Geld kommen soll.
Das ist alles andere als eine klare Richtung in der For-
schungspolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. René Röspel [SPD])


Zweitens. Lassen Sie mich etwas zum Thema Energie-
forschung sagen. Die Energiewende ist die größte
Herausforderung für Deutschland seit der Wiederverei-
nigung in den Bereichen Wirtschafts- und Infrastruktur-
politik. In Ihrer Hightech-Strategie nennen Sie einige
Maßnahmen. Schauen wir uns einmal die projektbezo-
gene Energieforschung an: Darin enthalten sind zwar
viele Projekte aus dem Bereich der Erneuerbaren; aber
die Mittel, die Sie dafür bereitstellen, sind gerade einmal
halb so hoch wie die Mittel, die im Bereich der Kernfor-
schung ausgegeben werden. Auch an dieser Stelle geben
Sie Ihrer Forschungspolitik eine falsche Richtung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Frau Homburger, Sie haben darüber gesprochen, dass
man Wissenschaft bzw. Forschung und Wirtschaft ver-
zahnen muss. Im Zusammenhang mit der Energiewende
in Deutschland ist Ihnen das Gegenteil gelungen. Viele
Unternehmen, mit denen ich spreche – ich rede nicht nur
über Unternehmen aus dem Bereich der erneuerbaren
Energien; ich rede über ganz konventionelle Energie-
konzerne –, sagen mir: Mit ihrem Zickzackkurs beim
Ausbau des Bereichs der erneuerbaren Energien, mit die-
sem Hickhack sorgt diese Bundesregierung für Verun-
sicherung; so schafft sie keine stabilen Rahmenbedin-
gungen. – So erreichen Sie das Gegenteil von einer
guten Verbindung zwischen Wirtschaft und Wissen-
schaft im Bereich der Energiepolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte einen letzten Punkt ansprechen – man
könnte ihn überschreiben mit: „Die Botschaft hör ich
wohl, allein mir fehlt der Glaube“ –, die steuerliche For-
schungsförderung. Heute liegt ein Antrag meiner Frak-
tion vor, in dem die Bundesregierung aufgefordert wird,
eine steuerliche Forschungsförderung in Höhe von
15 Prozent bei kleinen und mittleren Unternehmen auf
den Weg zu bringen. Sie haben über enge Spielräume im
Haushalt gesprochen. Ja, die Spielräume im Haushalt
sind eng. Haushalten hat aber auch etwas mit Priorisie-
ren zu tun. Wenn Sie sich für die Mövenpick-Steuer oder
die Herdprämie entscheiden und gegen eine steuerliche
Forschungsförderung, dann ist das auch eine Art von
Priorisierung. Diese Priorisierung hat mit Hightech
nichts zu tun.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Bernd Neumann [Bremen] [CDU/CSU]: Schauen Sie einmal in Ihr eigenes Wahlprogramm!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723102600

Nun erhält der Kollege Heinz Riesenhuber für die

CDU/CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1723102700

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Lindner,
Sie haben mit einer erfreulichen Leidenschaft und mit
Freude über eine gute Sache, über die steuerliche For-
schungsförderung, gesprochen. Ich bin sehr dankbar,
dass die Grünen und die SPD hierzu wegweisende An-
träge gestellt haben. Es war nicht immer so, dass diesbe-
züglich herzliche Einmütigkeit zwischen uns herrschte.

Die steuerliche Forschungsförderung ist eines der dicken
Bretter, an denen wir bohren. Als wir vor 25 Jahren zum
ersten Mal dieses Thema durchzusetzen trachteten, kam
die deutsche Einheit, und die Prioritäten hatten sich ver-
ändert. Dann gab es eine Zeit, in der Sie regiert haben,
vielleicht nicht Sie persönlich, aber die Grünen zusam-
men mit der SPD. Auch damals wurde das nicht zu-
stande gebracht. Dann hatten wir die Große Koalition.





Dr. Heinz Riesenhuber


(A) (C)



(D)(B)


Ich erinnere mich an die herzlichen, konspirativen Ge-
spräche, die wir geführt haben.


(Heiterkeit)


So ganz ist es uns damals nicht geglückt.

Und auch in dieser Periode haben wir das noch nicht
geschafft. Aber, Freunde, wir stellen die Notwendigkeit
dieses Instruments jetzt so einmütig fest, wie das noch
nie der Fall war.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der Deutsche Bundestag, die Industrie, die Verbände
und auch der Mittelstand stehen dazu. Wir alle sind der
Überzeugung, dass jetzt die große Chance besteht, tech-
nikoffen in einer komplexen Welt die Erfindungskraft
des Einzelnen freizusetzen und den Mittelstand zu för-
dern.

Frau Sager, Sie sagen, das alles sei vor allem für die
Großkonzerne.


(Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr Modell! Es ist unbezahlbar! 5 Milliarden!)


Wir haben hierzu ein Konzept, das streng geheim ist;
deshalb kennen es alle.


(Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Darin steht, dass der Mittelstand dreimal mehr gefördert
werden soll als die Großunternehmen. Weiter steht darin,
dass die Personalkosten steuerlich gefördert werden –
und nicht die Investitionskosten, die bei der Forschung
in großen Unternehmen höher sind.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben auch hier die Strategie, den innovativen Mit-
telstand mit seiner Begeisterung für das Neue, den Welt-
meister in den Nischen, den Meister der technischen
Systeme und die Zusammenführung der unterschied-
lichen Techniken so zu fördern, dass der Schwung in
eine neue Welt führt. – Das bezog sich auf die steuer-
liche Forschungsförderung.

Es gab einen zweiten Punkt, bei dem die Opposition
sich nachdenklich gefragt hat, ob sie die Welt noch rich-
tig versteht. Ich glaube, Frau Sager, Sie haben ihn ange-
sprochen. Ich muss nachschauen. – Nein, Frau Sitte war
es. Schön, mit Ihnen reden zu können, Frau Sitte.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Jederzeit!)


Sie haben die Frage gestellt: Was heißt Wohlstand im
21. Jahrhundert? Was trägt Forschung dazu bei?


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Sie hat gefragt: „Was ist Wohlstand?“!)


Wir haben mit dem HTS-Aktionsplan ein ziemlich ein-
zigartiges Dokument von beachtlicher Intelligenz. Wie
ist der Weg dahin gewesen?

Erstens hat man geschaut, was die prioritären Felder
sind, in denen wir Probleme lösen müssen. Das sind die
Gesundheit, die Energie, das Klima, die Sicherheit unse-
rer Datensysteme, die Kommunikation und die Mobili-

tät. Die Probleme auf diesen Gebieten müssen wir lösen,
um auf lange Sicht menschliches Zusammenleben zu si-
chern. Auf diesen Gebieten werden aber auch die großen
Märkte entstehen. Das sind die Gebiete, auf denen die
Chancen für die Unternehmen entstehen werden.

Von diesen Gebieten ausgehend haben wir das Ganze
dann zweitens im Rahmen eines komplexen Prozesses
auf die zehn Zukunftsprojekte heruntergebrochen. Sie
adressieren in konkreter Weise die Dinge, bei denen es
operativ wird. Die wiederum sind auf die einzelnen Be-
reiche bzw. Einzelprojekte wie die der Energieforschung
und der Altersforschung heruntergebrochen worden. Bei
der Altersforschung geht es übrigens nicht nur um die
Technologie. Wir haben die soziale Altersforschung seit
25 Jahren in vernünftiger Weise integriert, mit den Ko-
horten, mit den Fragen der Teilhabe, des Zusammenle-
bens und der eigenständigen Gestaltung.

Manche von uns sind etwas älter geworden.


(Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nur manche! – Volker Kauder [CDU/CSU]: Aber nur marginal!)


Dass wir in Fröhlichkeit und mit Eigenständigkeit in ei-
ner komplexen Welt leben, ist eine begeisternswerte Tat-
sache, an der wir uns alle erfreuen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, daraus ist
eine neue Strategie entstanden. Das ist nicht die klassi-
sche Strategie eines Technology Push, mit dem hier si-
cher eine Lösung gefunden werden kann. Es gibt heute
so viele Techniken und Erfindungen, dass es überhaupt
keinen Zweck hat, zu versuchen, dabei die Gewinner he-
rauszupicken. Vielmehr ist es so, dass wir, weil wir eine
solche Fülle von neuem Wissen und neuer Technik ha-
ben, auf die Ziele, die Probleme und die Herausforde-
rung hindenken, eine Welt zu gestalten, in der auf lange
Sicht eine große Zahl von Menschen in Frieden und
Nachhaltigkeit leben kann. Das ist eine Strategie, die
überzeugt.

Verschiedene Kollegen haben darauf hingewiesen,
dass Europa dies als Denkprinzip übernommen hat. Und
es scheint sich zu bewähren. Das heißt, wir haben hier
insgesamt eine überzeugende Strategie aufgebaut. Es
heißt nicht, dass wir hier alles „targetten“. Das heißt
nicht, dass wir glauben, planen zu können, was Innova-
tionsgeist erzeugen kann. Das heißt nicht, dass wir keinen
großen Freiraum haben. Wir sprachen über die steuer-
liche Forschungsförderung, mit der technikoffen und
durch Erfindungskraft des Einzelnen neue Produkte für
neue Märkte und neue Problemlösungen geschaffen wer-
den können.

Auf der anderen Seite heißt das auch, dass wir in Ver-
antwortung für eine verletzliche Welt von der Zukunft
her denken müssen. Wir müssen überlegen, wie uns die
Fülle der Möglichkeiten eine humane Gestaltung der
Welt erlauben kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Dr. Heinz Riesenhuber


(A) (C)



(D)(B)


Wenn wir in diesem Geist an die Sache herangehen,
mit einer frohgemuten Zuversicht, mit dem Unterneh-
mungsgeist, der dem ganzen Deutschen Bundestag zu ei-
gen ist, mit der fröhlichen Gestaltungskraft, die auf die
Zukunft vertraut, in einem Geist, der nicht die Probleme
problematisiert, sondern sich für Lösungen begeistert –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723102800

Und mit gelegentlichem Blick auf die Uhr.


Dr. Heinz Riesenhuber (CDU):
Rede ID: ID1723102900

– und wenn der Bundestagspräsident mir noch diesen

einen Satz zu sagen erlaubt –,


(Heiterkeit)


wenn wir also in einem solchen Geist an die Sache he-
rangehen, getragen von der Zustimmung des Bundes-
tagspräsidenten,


(Heiterkeit)


dann, Freunde, werden wir Deutschland in eine Zukunft
führen, an der wir alle Freude haben werden, auch die
Menschen, die gestalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723103000

Die Verpflichtung zur Überparteilichkeit, Herr Kol-

lege Riesenhuber, verbietet mir, die schiere Begeisterung
über die Schlussempfehlung zum Ausdruck zu bringen.
Das behalten wir jetzt für uns.


(Heiterkeit)


Nächster Redner ist der Kollege Lothar Binding für
die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1723103100

Herr Präsident! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Riesenhuber, ich
gebe Ihnen recht: Ich glaube, das ganze Haus hat hin-
sichtlich Forschung und Entwicklung die Einsichten, die
es braucht. Wir alle sind davon überzeugt, dass dieser
Bereich gefördert werden muss. Wir haben also kein Er-
kenntnisproblem. Aber wir haben ein Umsetzungspro-
blem. Die Umsetzung ist natürlich Aufgabe der Regie-
rung. Da die Umsetzung fehlt, ist die Regierung das
Problem. Das ist unser Problem.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich will, bevor ich als Finanzpolitiker zum eigentli-
chen Thema spreche, zu einem relativ kalten Begriff
kommen. Er lautet: Industrie 4.0. Er klingt modern. Es
ist auch in Ordnung, dass wir diesen Begriff benutzen.
Allerdings hat Siggi Ehrmann vorhin, als Ministerin
Wanka diesen Begriff in ihrem Vortrag etwas leichtfüßig
benutzt hat, einen leisen Zwischenruf gemacht. Er rief:
„Richard Sennett! Der flexible Mensch!“ Ich denke, dass
es einer Bildungs- und Forschungsministerin gut ange-

standen hätte, sie hätte auch ein wenig darüber geredet,
was eigentlich mit den Menschen passiert.


(Beifall bei der SPD)


Die Menschen werden in Prozesse ausgelagert, um
dieses Stichwort zu nennen, und sie werden individuali-
siert. Möglicherweise können Sie den dritten Punkt so-
gar selber sehr gut nachvollziehen: Wir leiden auch unter
einem gewissen Kommunikationsterror.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sprechen Sie jetzt gerade von den Reden der SPD?)


Das sind drei Begriffe, die wir mitdenken müssen, wenn
wir den Begriff „Industrie 4.0“ benutzen. Ich hatte ge-
dacht, dass sich einer Ministerin, die für Bildung und
Forschung zuständig ist, auch diese kulturelle und so-
ziale Dimension des Problems erschlossen hätte.


(Beifall des Abg. René Röspel [SPD])


Nach dieser Vorbemerkung darf ich nun über das
Thema Geld reden. Ich meine, im Vergleich zu vielen
anderen Ländern hat Deutschland eine ganz gut ausge-
baute Projektförderung. Offen gestanden hat da auch die
Regierung, wie ich meine, in den letzten Jahren nicht
viel kaputtgemacht.


(Lachen des Abg. Dr. Thomas Feist [CDU/ CSU])


– Das war jetzt aber eine relativ neutrale Bemerkung.


(René Röspel [SPD]: Das war ja fast ein Lob! – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Ach ja? Das war relativ neutral? – Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Na ja! Ich hätte es anders ausgedrückt!)


Es ist möglich, Projektförderung zielgerichtet und ef-
fizient zu betreiben. Aber man muss zugeben, dass Pro-
jektförderung gerade für kleine und mittlere Unterneh-
men oft extrem verwaltungsaufwendig und damit
schwierig ist. Deshalb müssen wir uns auf diesen Punkt
konzentrieren. Wir müssen dort hinschauen, wo die Si-
tuation schwierig ist. Das gilt insbesondere für kleine
und mittlere Unternehmen. Ihnen wollen wir helfen.
Deshalb denken wir, dass man hier eine steuerliche För-
derung organisieren muss, um das große Innovations-
potenzial zu fördern.


(Beifall bei der SPD)


Dass die Grundlagenforschung daneben natürlich eine
öffentliche Aufgabe ist und bleibt, ist selbstverständlich.

Jetzt komme ich zu einem interessanten Punkt: zur
steuerlichen Forschungsförderung. Auch hier haben wir
kein Erkenntnisproblem. Das wissen auch Sie; das weiß
die Koalition. Deshalb haben Sie die steuerliche For-
schungsförderung – das fanden wir gut – in Ihrem Koali-
tionsvertrag erwähnt. Jetzt fragen wir uns natürlich:
Wurden Sie Ihren Ansprüchen gerecht? Haben Sie Ihre
Ankündigungen eingehalten? Wurden Ihre Versprechun-
gen umgesetzt? Dazu haben wir einiges gehört. Sie ha-
ben sich dieses Vorhaben, glaube ich, für die Zukunft
vorgenommen.





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)


Interessant ist: Sogar die Wirtschaft hilft Ihnen bei der
Suche.


(Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Jetzt reden Sie doch mal über Geld! Ich sage nur: 12 Milliarden!)


Sie sucht und sucht und sucht, wo die Versprechen, die
Sie in Ihrem Koalitionsvertrag formuliert haben, umge-
setzt wurden. Auch wir helfen Ihnen bei der Suche, fin-
den aber nichts. Sogar Sie selber suchen noch, finden
aber auch nichts. Ich glaube, schon jetzt merken wir: Das
ist ein Umsetzungsproblem. Die Umsetzung ist aller-
dings Aufgabe der Regierung. Damit haben wir das Pro-
blem vollständig beschrieben.


(Beifall bei der SPD)


Die Ministerin hat gerade gesagt: Es wurde noch nie
so viel Geld ausgegeben wie jetzt. – Das stimmt. Aber
Geld ausgeben ist kein Eigenwert. Geld ausgeben ist
keine Qualität an sich. Die Frage ist, ob die Verknüpfung
mit den Anforderungen zur Bewältigung der Zukunfts-
aufgaben gelingt. Da hat Michael Gerdes, übrigens auch
bezogen auf die Situation „Mensch in der Ausbildung“,
schon wichtige Bedarfsfelder genannt – immer unter
dem Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit –: Klima-, Ener-
gie-, Speicherforschung, Übertragungstechnik, Kommu-
nikation usw. Dazu finden wir bei der Regierung nicht
viel. Ich habe mir hier aufgeschrieben: „Fehlanzeige“,
und ich glaube, diese Diagnose stimmt.

Man kann vielleicht einfach ein paar Zahlen nennen.
Sie behaupten, Sie strengen sich in der Forschung immer
mehr an und das wird immer wichtiger. Angenommen,
Sie projektieren für 2015 die richtige Zahl, und zwar
13,6. In der Projektion für 2016 steigern Sie das auf
13,6, in der Projektion für 2017 steigern Sie das noch
einmal auf 13,6. – In unserer Sprache heißt so etwas
nicht Steigerung, sondern Stagnation; aber vielleicht se-
hen Sie das ja anders.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Dr. Tobias Lindner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir glauben, dass Sie eine weitere wichtige Dimen-
sion nicht erschlossen haben; sie wird mit dem engli-
schen Begriff „level playing field“ beschrieben. Damit
soll ausgedrückt werden, dass man darauf achten muss,
dass die Bedingungen, die in Europa herrschen, so be-
schaffen sind, dass es unserem Mittelstand möglich ist,
konkurrenzfähig zu sein. So etwas bedarf einer intensi-
ven Europapolitik, einer Außenpolitik, die Sorge trägt
dafür, dass für die anderen wie für uns ähnliche Regeln
gelten. Mit Blick auf die Außenpolitik ist diese Regie-
rung, das muss man leider sagen, ein Totalausfall.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Na, na, na!)


Ich will mit Blick auf die Zukunft zitieren, was Ingrid
Arndt-Brauer gesagt hat: Wer keine Zukunft hat, be-
schäftigt sich mit der Vergangenheit. – Dass die Koali-
tion heute diese Unterrichtung durch die Bundesregie-
rung auf die Tagesordnung gesetzt hat, war, glaube ich,
genau das.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Thomas Feist [CDU/CSU]: Sie glauben zu viel!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723103200

Der Kollege Axel Knoerig hat jetzt das Wort für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Axel Knoerig (CDU):
Rede ID: ID1723103300

Sehr geehrter Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen

und Kollegen! Meine sehr verehrten Damen und Herren!
Die heutige Grundsatzdebatte zum Aktionsplan „High-
tech-Strategie“ macht deutlich, dass CDU/CSU und FDP
in der Innovationsförderung mit der Förderung von
Schlüsseltechnologien den richtigen Weg gegangen sind.
Wir vertrauen auf Forschung; sie ist die Grundlage für
unseren Wohlstand und sichert die Zukunft des Wirt-
schaftsstandortes Deutschland.

Das Jahresgutachten der Expertenkommission For-
schung und Innovation 2013 bestärkt uns, Frau Professor
Schavan, dass unser Weg in der Forschungsförderung,
durch die Hightech-Strategie auf eine Kooperation zwi-
schen Wissenschaft und Wirtschaft zu setzen, richtig ge-
wesen ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es wird deutlich, dass durch Forschung gewonnene
Schlüsseltechnologien nicht sofort innovative Produkte
und Dienstleistungen vorantreiben. Vielmehr muss der
Nutzen dieser Schlüsseltechnologien unmittelbar in wirt-
schaftliche Anwendungen überführt werden, Herr Binding.
Für diesen Wissens- und Technologietransfer stehen in
dieser Wahlperiode drei Instrumente der Hightech-Strate-
gie zur Verfügung:

Erstens: die dritte Runde der Exzellenzinitiative für
Spitzenforschung, bei der im Sommer 2012 elf Universi-
täten mit Exzellenzclustern ausgewählt wurden.

Zweitens: die Validierung. Das heißt, es geht um den
Nachweis, dass im Forschungsprozess von Anfang an
auch die Verwertbarkeit des Produktes berücksichtigt
wird. Der Forscher ist gleichzeitig auch Unternehmer.
Das erhöht die Chancen der Platzierung des Produktes
am Markt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Jörg van Essen [FDP])


Drittens: das Programm „Forschungscampus“, bei
dem öffentliche und private Forschung miteinander ko-
operieren und von den Universitäten und der Industrie fi-
nanziert werden.

Der Wissens- und Technologietransfer zeigt sich in
Patenten, in Ausgründungen aus der Wissenschaft und in
der Platzierung der Produkte am Markt. Es ist, denke
ich, erfreulich, dass wir dafür in diesem Jahr einen Bei-
trag von 170 Millionen Euro zur Verfügung stellen.





Axel Knoerig


(A) (C)



(D)(B)


Das Ganze spitzt sich zu: Mit dem im März 2012
beschlossenen Aktionsplan „Hightech-Strategie“, der
Speerspitze der Innovationsförderung, stellen wir zwi-
schen 2012 und 2015 insgesamt 8,4 Milliarden Euro für
Zukunftsprojekte zur Verfügung


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin schon ziemlich verwundert, meine lieben Kol-
legen von der Opposition, mit welch verstaubten Anträ-
gen Sie hier in die Grundsatzdebatte dieses Tagesord-
nungspunktes eingestiegen sind. Die Anträge der Grünen
und der SPD für steuerliche Forschungsförderung kennen
wir bereits seit Herbst 2009. Ich frage Sie: Warum wird
die Regierung mit einem rückwärtsgewandten Bewer-
tungsstand aus dem Jahr 2009 gemessen?


(René Röspel [SPD]: Setzen Sie diese Anträge einfach um! Wir haben Vorschläge gemacht! – Krista Sager [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie kriegen ja nichts hin!)


– Herr Kollege, Sie lassen die Erfolge, die in den letzten
drei Jahren erzielt worden sind, völlig außer Acht.


(René Röspel [SPD]: Welche? Es ist ja nichts passiert!)


Noch mehr ärgert mich, dass uns von der Opposition in
einer derart verkürzten und falschen Darstellung vorge-
halten wird, dass die steuerliche Förderung von For-
schung und Entwicklung nicht zustande gekommen ist.


(René Röspel [SPD]: Es ist doch nichts passiert!)


Die Opposition macht jegliche Anstrengungen in diesem
Bereich zunichte. Sie blockieren doch im Bundesrat!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die SPD verhindert dort doch die Reform des Art. 91 b
des Grundgesetzes!

Wir von der Union sagen klipp und klar: Wer nicht
einmal die Kooperation von Universitäten mit außeruni-
versitären Instituten fördern möchte, der verhält sich im
Grunde genommen forschungsfeindlich.


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: So ist es! – Lachen des Abg. René Röspel [SPD])


Diese Blockade ist verantwortungslos und gefährdet das
Gemeinwohl.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Der ist ja lustig! Darf ich den Witz weitererzählen?)


Mit dem Motto „Die Hightech-Strategie nach Europa
tragen“ sind wir Schrittmacher für die Kooperation von
Wissenschaft und Wirtschaft in der europäischen For-
schungspolitik. Frau Ministerin Wanka hat das auch vor-
trefflich formuliert.

Wir haben das Rahmenprogramm „Horizont 2020“
für die kommende EU-Periode aufgenommen. Die guten

Erfahrungen mit dem Wissens- und Technologietransfer
aus der Hightech-Strategie sind im Wesentlichen aufge-
nommen und in der Programmförderung berücksichtigt
worden. Wir sind damit langfristig erfolgreich, wenn wir
Forschungsnetzwerke und Cluster miteinander verbin-
den.

In Gesprächen in meinem Wahlkreis Diepholz –
Nienburg I


(René Röspel [SPD]: Wie heißt der?)


– Diepholz – Nienburg I, Herr Röspel;


(René Röspel [SPD]: Ach so!)


ich sage es gerne noch einmal –


(René Röspel [SPD]: Ich wollte Ihnen die Gelegenheit geben, das noch einmal zu wiederholen!)


merke ich das immer wieder: Sie nutzen diese Wissen-
schaftscluster, sie kooperieren dort, und sie knüpfen vor
allem europäische und internationale Kontakte. Dazu
müssen wir wissen, wie sich die Wirtschafts- und die Ar-
beitswelt durch die Globalisierung verändern; denn wir
wissen, dass dieser Wandel nicht aufzuhalten ist, aber
wir können ihn erforschen und seine Auswirkungen be-
rechenbarer machen.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: So ist es!)


Deshalb setzt die Hightech-Strategie im Bereich der In-
formations- und Kommunikationstechnologie darauf,
Deutschlands Stärken in den Kernbranchen auszubauen
und neue Anwendungsfelder zu erschließen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nehmen Sie deswegen bitte diese drei Punkte zur
Kenntnis, die bis heute zu 2 Millionen Arbeitslosen we-
niger als noch vor vier Jahren geführt haben:


(Albert Rupprecht [Weiden] [CDU/CSU]: Eben!)


Erstens. Wir als CDU/CSU-Bundestagsfraktion set-
zen auf beides, auf öffentlich-rechtliche und auf öffent-
lich-private Partnerschaften in der Forschungskoopera-
tion.

Zweitens. Wir haben Produkte und Dienstleistungen
vom Forschungsprogramm bis zum fertigen Produkt auf
ihren Marktwert überprüft.


(René Röspel [SPD]: Das hat nichts mit dem Abbau der Arbeitslosen zu tun!)


Drittens. Wir verstärken mit der Hightech-Strategie
die Internationalisierung der kleinen und mittelständi-
schen Unternehmen. Wir wissen, dass diese Unterneh-
men in unseren Wahlkreisen bis zu 80 Prozent der Ar-
beits- und Ausbildungsplätze vorhalten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Sie können sich noch so viele fremde Federn anstecken, Sie werden kein Häuptling!)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723103400

Der Kollege Michael Kretschmer ist nun der letzte

Redner zu diesem Tagesordnungspunkt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1723103500

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Nicht weil wir ein wirtschaftlich so starkes Land
sind, geben wir so viel Geld für Forschung und Entwick-
lung aus, sondern weil wir so viel Geld für Forschung,
für Wissenschaft, für Entwicklung und für neue Techno-
logien ausgeben, sind wir ein so starkes Land,


(René Röspel [SPD]: Auch das, ja!)


haben wir ein so hohes Wohlstandsniveau,


(René Röspel [SPD]: Wir haben auch gute Facharbeiter!)


sind wir so gut durch diese wirtschaftliche Krise gekom-
men. Das ist das Ergebnis dieser Koalition, die jetzt re-
giert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Willi Brase [SPD]: Nein, nein, nein!)


Wir haben die Mittel für den Einzelplan 30 seit 2005
um 80 Prozent gesteigert und geben damit 80 Prozent
mehr für Bildung, Wissenschaft und Forschung aus –
und das in einer Zeit der Haushaltskonsolidierung. Das
ist der große Unterschied zur linken Opposition in die-
sem Land und auch zu den linksregierten Ländern in der
Bundesrepublik Deutschland.


(René Röspel [SPD]: Aber 2005 war die SPD dabei!)


Eine Nachhaltigkeit dieser Zukunftsinvestitionen für
Bildung und Forschung entsteht nur, wenn sie auf einem
soliden Haushalt aufgebaut sind. Es ist kein guter Weg,
wenn man dies über Steuererhöhungen oder Einmalin-
vestitionen macht. Das ist ein Strohfeuer und nimmt, wie
es schon gesagt worden ist, den Unternehmen die Sub-
stanz, die dann nicht vorhanden ist, um tatsächlich For-
schung und Technologieentwicklung zu betreiben.


(René Röspel [SPD]: Wie finanzieren Sie das denn? Sagen Sie das doch einmal!)


Sie haben zu Recht ein schlechtes Gewissen,


(René Röspel [SPD]: Nein!)


weil Sie in Ihrer Regierungszeit, in der Zeit von Rot-
Grün, genau das gemacht haben. Der Vertrauensverlust,
der in den 2000er-Jahren entstanden ist, als Rot-Grün die
Haushalte ohne Vorankündigung überrollt und „Stop and
go“ betrieben hat, wirkt auch noch heute in der Wissen-
schaft nach,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


und es ist richtig, dass Ihnen das auch heute noch pein-
lich ist.

Wir haben in der Zeit, in der wir regieren, eine andere
Politik gemacht.


(Dr. Martin Neumann [Lausitz] [FDP]: Jawohl!)


Wir haben in der ersten Legislaturperiode 6 Milliarden
Euro und in dieser Legislaturperiode über 13 Milliarden
Euro


(René Röspel [SPD]: Und jetzt nichts!)


für die Zukunftsthemen in diesem Land ausgegeben: für
die Bildung und für ein besseres Leben, für neue Tech-
nologien, für ein wirtschaftliches Wachstum mit der
Hightech-Strategie. Das ist eine große Sache.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben immer gesagt, dass die Universitäten im
Zentrum, im Mittelpunkt des Wissenschaftssystems ste-
hen. Deswegen haben wir alle unsere Maßnahmen da-
rauf ausgerichtet, die Universitäten zu stärken. Es wäre
eine große Sache, wenn Sie sich nicht nur in diesem
Parlament echauffieren würden, sondern tatsächlich im
realen Leben in den von Ihnen regierten Ländern dafür
sorgen würden, dass dort nicht die Haushalte für Bildung
gekürzt werden, sondern dass das zusätzliche Geld, das
wir bereitstellen, wirklich zusätzlich genutzt wird, an-
statt es als Ersatz von Landesmitteln zu nehmen, die in
den rot-grünen Haushalten eingespart werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben nach der Regierungsübernahme auf der
ersten Dienstreise mit Annette Schavan die Hightech-
Strategie in Japan und in Südkorea erklärt; der eine oder
andere im Haus war mit dabei. Diese Länder haben ge-
staunt, dass die Bundesrepublik Deutschland mit der
Aussage antritt: Wir wollen wieder nach vorne an die
Spitze. – Diese Länder haben sich sicherlich gefragt, ob
wir das ernst meinen. Heute schauen all diese Länder auf
uns und sind beeindruckt, wie man in einer wirtschaftli-
chen Krise durch Prioritätensetzung im Haushalt mehr
Geld für Bildung, für Forschung, für Wissenschaft be-
reitstellen kann. Die Ergebnisse können sich in der Tat
sehen lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist eine überzeugende Aussage, wenn wir jetzt er-
klären: Wir wollen auch in Zukunft die Investitionen in
die außeruniversitären Forschungseinrichtungen, für den
Hochschulpakt, für den Pakt für Forschung und Innova-
tion um 5 Prozent erhöhen, damit es auch in Zukunft in
einer guten Kooperation vorangeht. Es wäre gut gewe-
sen, wenn Sie dafür gesorgt hätten, dass die Grund-
gesetzänderung, die von jeder Wissenschaftseinrichtung
und die von den meisten Wissenschaftsministern in die-
sem Land gefordert wird, am Ende Wirklichkeit würde.
Es ist Ihr Versäumnis, dass Sie hier nicht mitgemacht
haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – René Röspel [SPD]: Sagen Sie doch mal, wo das Geld herkommt!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723103600

Herr Kollege Kretschmer.






(A) (C)



(D)(B)



Michael Kretschmer (CDU):
Rede ID: ID1723103700

Wenn wir auch in Zukunft sagen: „Wir wollen nicht

nur 3 Prozent, sondern 3,5 Prozent des Bruttoinlands-
produkts in die Forschung investieren“, dann ist das die
nächste Ansage, die in der Welt gehört wird. Damit ist
verbunden, dass wir unseren Beitrag dazu leisten, dass
nicht nur Deutschland, sondern auch die Europäische
Union insgesamt nach vorn gebracht wird. Dazu wollen
wir beitragen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723103800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf der
Drucksache 17/9261 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Unter dem Tagesordnungspunkt 3 b kommen wir zur
Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Finanz-
ausschusses auf der Drucksache 17/1600. Der Ausschuss
empfiehlt unter Buchstabe a seiner Beschlussempfeh-
lung die Ablehnung des Antrages der Fraktion der SPD
auf Drucksache 17/247 mit dem Titel „Innovative kleine
und mittlere Unternehmen stärken – Ein nachhaltiges
steuerliches Forschungs- und Entwicklungs-Förder-
konzept (FuE-Förderkonzept) vorlegen“. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit
Mehrheit angenommen.

Unter Buchstabe b seiner Beschlussempfehlung emp-
fiehlt der Ausschuss die Ablehnung des Antrags der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/130
mit dem Titel „Innovationskraft von kleinen und mittle-
ren Unternehmen durch Steuergutvorschrift für For-
schungen stärken“. Wer stimmt für diese Beschlussemp-
fehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Auch diese Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit ange-
nommen.

Unter Tagesordnungspunkt 3 c stimmen wir über die
Beschlussempfehlung des Ausschusses für Bildung, For-
schung und Technikfolgenabschätzung zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8952 mit dem
Titel „Soziale Innovationen und Dienstleistungsinno-
vationen erforschen und fördern“ ab. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Druck-
sache 17/12812, den Antrag der Fraktion Die Linke ab-
zulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung zu? –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch diese
Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.

Ich rufe nun den Zusatzpunkt 2 zur Abstimmung auf.
Hier geht es um die Beschlussempfehlung des Ausschus-
ses für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschät-
zung zu dem Antrag der SPD-Fraktion mit dem Titel
„Starke Fachhochschulen für Innovationen in Gesell-
schaft und Wirtschaft“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf der Drucksache 17/12813,

den Antrag der SPD-Fraktion auf Drucksache 17/9574
abzulehnen. Wer stimmt dieser Beschlussempfehlung
zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die
Beschlussempfehlung ist mit Mehrheit angenommen.

Nun rufe ich die Tagesordnungspunkte 4 a bis 4 c so-
wie den Zusatzpunkt 3 auf:

4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Eva
Bulling-Schröter, Dorothée Menzner, Caren Lay,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Stromsteuer senken für eine konsequent so-
zial-ökologische Energiewende

– Drucksache 17/12840 –

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abge-
ordneten Caren Lay, Eva Bulling-Schröter, Ralph
Lenkert, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Energiewende sozial gestalten – Bezahlbare
Strompreise gewährleisten

– Drucksachen 17/10800, 17/11704 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Dr. Georg Nüßlein

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und
Technologie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der
Abgeordneten Caren Lay, Dr. Barbara Höll,
Dr. Kirsten Tackmann, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Energiewende sozial gestalten – Stromsperren
gesetzlich untersagen

– Drucksachen 17/11655, 17/12767 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Bareiß

ZP 3 Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu dem Entschließungsan-
trag der Abgeordneten Rita Schwarzelühr-Sutter,
Rolf Hempelmann, Hubertus Heil (Peine), weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD zu
der Beratung der Antwort der Bundesregierung
auf die Große Anfrage der Abgeordneten Rita
Schwarzelühr-Sutter, Rolf Hempelmann, Dirk
Becker, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Die Energiewende – Kosten für Verbrauche-
rinnen, Verbraucher und Unternehmen

– Drucksachen 17/10366, 17/12246, 17/12538,
17/12874 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Thomas Bareiß





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache wiederum 90 Minuten vorgesehen. – Wi-
derspruch höre ich nicht. Dann können wir so verfahren.

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort der
Kollegin Caren Lay für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Caren Lay (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723103900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! In der letzten Woche konnten wir der Presse
entnehmen, dass der Stromkonzern Eon im vergangenen
Jahr einen Gewinn von 2,6 Milliarden Euro eingefahren
hat. Das ist zweifellos gut für Eon-Chef Johannes
Teyssen. Er wird nicht am Hungertuch nagen müssen;
denn er gönnte sich eine Gehaltserhöhung, die sich
gewaschen hat. Der Arme musste bislang mit einem
Jahresgehalt von 4,5 Millionen Euro auskommen.


(Zurufe von der Linken: Oh! Oh!)


Jetzt soll sein Einkommen auf 5,7 Millionen Euro jähr-
lich steigen.


(Zurufe von der Linken: Ah! Ah!)


Immerhin wird er sich zukünftig keine Sorgen darüber
machen müssen, wie er die Stromrechnung bezahlt.
Ganz anders sieht das für die Beschäftigten aus, die Eon
zuvor entlassen hat. Ganz anders sieht es auch für die
Hunderttausenden Menschen in diesem Land aus, denen
der Strom im vergangenen Jahr abgestellt wurde. Das
darf nicht sein. Das ist eine soziale Schieflage in der
Energiewende, die wir als Linke so nicht hinnehmen
können.


(Beifall bei der LINKEN)


Dann stellt sich Eon-Chef Teyssen auch noch hin und
fürchtet sich öffentlich vor schwierigen Zeiten für sein
Unternehmen. Da kann ich nur sagen: Wenn er auf seine
Gehaltserhöhung verzichten würde, dann hätte er schon
so manchen Arbeitsplatz in seinem Unternehmen sichern
können.


(Beifall bei der LINKEN)


Nehmen wir als Beispiel Berlin. Hier lebt jeder
Sechste von Hartz IV. Die steigenden Strompreise wer-
den für diese Menschen, aber auch für Geringverdiener
zu einem massiven Problem. Die steigenden Kosten für
Gas und Heizung kommen hinzu. Nach Angaben der
Verbraucherverbände steigt die Zahl derjenigen, die Be-
ratung wegen explodierender Strom- und Gaspreise
brauchen, enorm an. Deswegen sagen wir als Linke: Es
muss endlich etwas passieren, um den rasanten Anstieg
der Energiekosten, der Strom-, der Heiz- und der Gas-
kosten, zu reduzieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Und siehe da! Selbst die Bundesregierung hat dieses
Problem erkannt und will eine Strompreisbremse nach-
liefern. Heute Nachmittag findet der sogenannte Ener-
giegipfel im Kanzleramt statt. Ich kann nur sagen: Die-
sen Alarmismus hätten Sie sich sparen können, wenn Sie
hier in diesem Hohen Hause vor zweieinhalb Jahren un-

seren linken Vorschlägen für eine effektive Strompreis-
bremse zugestimmt hätten. Sie haben sie abgelehnt. Sie
haben jedes Jahr abgelehnt, wenn wir ein Strompreis-
moratorium gefordert haben. Das muss an dieser Stelle
gesagt werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Vorschläge, die Union und FDP bisher vorgelegt
haben, sind nichts anderes als ein weiterer Frontalangriff
gegen die erneuerbaren Energien. Sie sagen Strompreis-
bremse, meinen aber Erneuerbare-Energien-Bremse.
Das muss an dieser Stelle ganz deutlich gesagt werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das ist der Unterschied zwischen unserer und Ihrer
Energiepolitik: Wir wollen verhindern, dass sich die
Chefs der vier großen Energiekonzerne weiterhin auf
Kosten der Verbraucherinnen und Verbraucher die Ta-
schen vollstopfen. Sie betreiben Propaganda gegen die
Solar- und Windkraftbranche.

Es ist doch paradox: Ausgerechnet diese schwarz-
gelbe Koalition, die sich ansonsten so gerne wirtschafts-
nah gibt, lässt die Solarbranche einfach den Bach runter-
gehen. Allein in meinem Wahlkreis sind in den letzten
Monaten drei Solarfirmen pleitegegangen. Viele Stadt-
werke hatten den Bau von Solaranlagen geplant und
wollten neue Solarfelder erschließen. Aber durch das Hü
und Hott in Ihrer Förderpolitik sind diese Vorhaben ein-
fach nicht mehr realisiert worden. Ich finde, so kann man
mit einer Zukunftsbranche nicht umgehen. Das kann
doch nicht wahr sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Während Sie der Solar- und Windkraftbranche einen
Frontalangriff bereiten, sorgen Sie gleichzeitig dafür,
dass ausgerechnet diejenigen Industriebetriebe, die viel
Strom verbrauchen, auch noch von der Öffentlichkeit
unterstützt werden, weil wir als Verbraucher oder als
Steuerzahler deren Stromrechnung mit bezahlen. Das ist
doch völlig absurd.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist unerhört!)


Diese Industrierabatte sind massiv angestiegen. Vor zwei
Jahren lagen sie noch bei 8 Milliarden Euro. Im letzten
Jahr waren es schon 10 Milliarden Euro. In diesem Jahr
werden es schätzungsweise etwa 16 Milliarden Euro
sein, Milliarden, die wir als Steuerzahler und Verbrau-
cher für die Industrie mit bezahlen. Das kann so nicht
weitergehen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es wäre so einfach, die Strompreise zu senken. Die
deutliche Reduzierung der Industrierabatte ist das eine.
Ich kann wirklich nicht erkennen, warum Flughäfen, Ge-
flügelzüchter und Saunaanlagen von diesen Stromkosten
befreit werden sollen, und das auf Kosten der Allge-
meinheit.





Caren Lay


(A) (C)



(D)(B)


Ein zweites Beispiel. Sie haben 2007 ohne Not die
Strompreisaufsicht der Länder abgeschafft. Seitdem stei-
gen die Preise noch mehr. Deswegen sagen wir als
Linke: Wir wollen eine effektive staatliche Preisaufsicht,
die die Preise auch wirklich genehmigt und die eingrei-
fen kann. Das ist etwas ganz anderes als die Markttrans-
parenzstelle, die nur beschreiben soll und über die wir
gleich noch diskutieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Drittens sagen wir: Die Energiewende ist notwendig,
aber sie darf nicht auf Kosten der Schwachen in dieser
Gesellschaft gehen. Deshalb wollen wir die Stromsteuer
– besser bekannt als Ökosteuer – senken. Wir als Linke
haben schon immer kritisiert, dass sie völlig unsozial ist.
Warum soll denn eine vierköpfige Familie mehr Strom-
steuer bezahlen als ein Singlehaushalt, der vielleicht bes-
serverdienend ist? Ich frage mich sowieso, was an dieser
Stromsteuer eigentlich öko ist. Dahinter steht doch der
Gedanke: Wir machen den Strom teuer, und dann wird
nicht so viel verbraucht. – Das ist großer Unsinn und un-
sozial noch dazu.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Da müssen Sie die Grünen fragen!)


Als wir als Linke die Senkung der Stromsteuer vor
ein paar Monaten vorgeschlagen haben, haben viele an-
dere gesagt: Schon wieder ein absurder linker Vorschlag. –
Ich freue mich, dass diese Forderung – so kann ich es der
Presse entnehmen – jetzt wenigstens auch von der SPD
mit unterstützt wird. Ich freue mich immer, wenn gute
Ideen der Linken übernommen werden.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Davon gibt es nicht viele!)


Ich hoffe, dass auch die Grünen jetzt über ihren Schatten
springen und diese alten Zöpfe tatsächlich abschneiden.

Ein allerletzter Punkt. Wir als Linke wollen die un-
säglichen Stromsperren endlich verbieten. Stellen Sie
sich das doch einmal vor bei diesem Wetter, bei 20 Zen-
timetern Schnee: Das Licht geht nicht an, Sie können
sich keinen Tee und keine warme Suppe kochen. So
kann es einfach nicht weitergehen. Das ist einfach un-
menschlich. Deswegen sagen wir: Folgen wir doch bitte
dem Beispiel von Frankreich, folgen wir dem Beispiel
von Belgien, und lassen Sie uns diese Stromsperren ver-
bieten, wenigstens im Winter.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723104000

Das Wort erhält nun der Kollege Thomas Bareiß für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1723104100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen! Meine

Herren! Liebe Frau Lay, Ihr Redebeitrag hat wieder ein-

mal bewiesen, dass die Linke immer noch nicht in der
sozialen Marktwirtschaft angekommen ist.


(Widerspruch bei der LINKEN)


Er zeigt aber noch eines, nämlich dass die Linke am
Problem vorbeiredet und nur eine Verteilungsdebatte
führt, aber nicht das wirkliche Problem adressiert. Sie
müssen sich doch die Struktur der Strompreise an-
schauen. Wir haben in den letzten Jahren erlebt, dass die
EEG-Umlage massiv gestiegen ist. Im letzten Jahr hat
eine vierköpfige Familie eine EEG-Umlage in Höhe von
160 Euro gezahlt.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wer regiert hier eigentlich?)


In diesem Jahr zahlt eine vierköpfige Familie eine EEG-
Umlage in Höhe von 240 Euro. Wenn wir nicht aufpas-
sen, dann werden wir im nächsten Jahr eine Erhöhung
um weitere 75 Euro erleben und bei 315 Euro liegen.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch an der Regierung, Herr Bareiß! Sie sind nicht in der Opposition! Regieren!)


– Wir sind dabei, zu reagieren. – Deshalb muss man die
Strukturen des EEG anpacken, mit Instrumenten des
Markts und des Wettbewerbs. Dann werden wir auch die
Strompreise wieder in den Griff bekommen. Wir
brauchen aber keine Verteilungsdebatten wie die, die Sie
angestoßen haben.

Die Senkung der Stromsteuer, die anscheinend jetzt
einhellig von Rot-Grün gefordert wird,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und von Brüderle!)


führt zu einer Ersparnis von nur 22 Euro für eine vier-
köpfige Familie. Die Strompreiserhöhung durch die
EEG-Umlage droht aber im Herbst. Diese wird 75 Euro
betragen. Die Senkung der Stromsteuer wird also durch
diese Erhöhung der Umlage komplett aufgefressen. Des-
halb ist auch das keine Lösung. Wir brauchen eine
grundsätzliche Lösung. Deshalb liegt jetzt die Strom-
preisbremse auf dem Tisch.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch eine Ablenkung, Herr Bareiß! – Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist keine Lösung!)


Darüber wird heute debattiert. Deshalb werden wir
grundsätzliche Fragen aufwerfen,


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was ist das für eine grundsätzliche Frage?)


zu denen auch Sie einmal Stellung beziehen müssen. Wir
stellen die grundsätzlichen Fragen, aber Sie präsentieren
nur unterschiedliche Positionen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie sind in der Regierung! Sie müssen keine Fragen stellen! Wo ist Ihr Vorschlag?)


Wenn man an das EEG herangeht und die Frage stellt,
wie das EEG zukünftig aussehen soll, dann antwortete





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)


Sigmar Gabriel: Das EEG muss grundsätzlich reformiert
werden. – So hat er es vor kurzem getan. Aber Herr
Kelber aus Ihrer Fraktion hat vor zwei Wochen gesagt,
das EEG sei genau richtig und dürfe nicht reformiert
werden; es müsse so bleiben, wie es ist. Das ist keine
Lösung, meine sehr verehrten Damen und Herren.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723104200

Herr Kollege Bareiß, darf die Kollegin Wolff Ihnen

eine Zwischenfrage stellen?


Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1723104300

Ja, gerne.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1723104400

Bitte sehr.


Waltraud Wolff (SPD):
Rede ID: ID1723104500

Herr Kollege Bareiß, Sie haben gesagt, Sie müssen

die Strompreisbremse einführen, weil Sie das Problem
grundlegend lösen wollen. Sind Sie mit mir gemeinsam
der Auffassung, dass wir die großen Energieversorger
auffordern sollten, die billigen Strompreise am Spot-
Markt – sie sind so billig wie nie zuvor – erst mal an die
Verbraucherinnen und Verbraucher weiterzugeben?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der FDP: Spottpreise!)



Thomas Bareiß (CDU):
Rede ID: ID1723104600

Verehrte Kollegin, ich weiß nicht, ob Sie das wissen:

Über den Spot-Markt werden circa 20 bis 30 Prozent des
Stromhandels abgewickelt. Es gibt noch viele andere
Märkte, etwa die Futures-Märkte, an denen die Zahlen
wesentlich anders sind. Deshalb sind die Einzelzahlen,
die hier herausgepickt werden, für das Gesamtbild über-
haupt nicht maßgebend. Maßgeblich ist in der Tat, dass
der Börsenpreis leicht nach unten geht – nämlich um
1 Cent pro Kilowattstunde –, aber die EEG-Umlage al-
lein im letzten Jahr um 1,7 Cent angestiegen ist. Und im
nächsten Jahr wird sie wahrscheinlich wieder um
1,7 Cent ansteigen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat doch mit den niedrigen Preisen an der Börse zu tun, Herr Bareiß! Das ist der Hauptpunkt!)


Das heißt, diese kleine Reduktion beim Börsenpreis, die
es im Schnitt gab, wird innerhalb von einem Jahr kom-
plett aufgefressen. Diese Situation wird sich in den
nächsten Jahren sogar noch dramatisch verschlimmern.
Deshalb kann das auch keine Lösung sein.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie doch mal, dass das mit den niedrigen Preisen an der Börse zu tun hat!)


Wir müssen – auch da sind sich die Experten ja
einig – grundsätzlich an das EEG herangehen. Die Idee,
die EEG-Umlage für die nächsten zwei Jahre einzufrie-
ren, um aufzuzeigen, wo wir in den nächsten Jahren
investieren können und wollen, in welchen Bereichen

Investitionen am wirtschaftlichsten sind, bietet den rich-
tigen Ansatz dafür, in den nächsten Jahren wirtschaftlich
und marktkonform zu agieren.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen das ausbremsen, nicht mehr und nicht weniger!)


Ein weiterer Punkt, der zeigt, wie unterschiedlich die
Opposition in die Debatte geht, ist die Befreiung der In-
dustrie von der EEG-Umlage, die, wie wir gerade gehört
haben, angepackt werden soll, die aber laut Frau Lay in
manchen Bereichen komplett gestrichen werden soll.
Frau Kraft macht sich zur Vorkämpferin für die Indus-
trie.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Was ist denn Ihre Meinung?)


Die SPD-Fraktion hier lamentiert etwas herum, und die
Grünen wollen am liebsten mit der Axt an die Befreiung
der Industrie von der EEG-Umlage heran. Wir haben in
den letzten zwei Jahren den industriellen Mittelstand,
der im Wettbewerb steht,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Den wollen Sie jetzt rasieren!)


massiv von der EEG-Umlage befreit und damit Arbeits-
plätze gesichert und neue Arbeitsplätze möglich ge-
macht.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 4 Prozent der Unternehmen! Was ist das denn für ein Mittelstand? Der zahlt mehr, der Mittelstand!)


Das ist eine Industriepolitik, die wettbewerbsfreundlich
ist und dafür sorgt, dass die Energiewende nicht zum Ar-
beitsplatzkiller wird, sondern zum Arbeitsplatzschaffer.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie vernichten Arbeitsplätze im Mittelstand mit Ihrer Politik, Herr Bareiß, das wissen Sie auch!)


Ich möchte noch an einem weiteren Beispiel zeigen,
wie unterschiedlich die Opposition hier in die Debatte
geht – das hat mich irritiert –:


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wissen nicht, was Sie wollen! – Gegenruf des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Stromabwärts!)


Gestern hatten wir eine große Debatte im Wirtschafts-
ausschuss, in der sich gezeigt hat, dass die SPD anschei-
nend die Stromsteuersenkung will. Die Grünen haben
gestern im Wirtschaftsausschuss noch gegen die Strom-
steuersenkung gestimmt.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Wir haben keine Koalition! Ihr müsst euch einigen!)


Heute muss ich im Tagesspiegel lesen: SPD und Grüne
wollen die Stromsteuersenkung.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Im Gesamtpaket!)






Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, mit diesem
Hin und Her werden wir die Energiewende nicht schaf-
fen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Für das Hin und Her seid ihr zuständig!)


Wir brauchen endlich auch von Ihrer Seite Vorschläge,
die umsetzbar sind und uns ein klares Bild liefern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Für das Hin und Her und das Hü und Hott seid ihr zuständig!)


Wir haben im Gegensatz zu Ihnen in den letzten drei
Jahren ganz entscheidende Weichen im EEG gestellt.
Wir haben das EEG weiterentwickelt. Wir haben es in-
telligenter und vor allem auch bezahlbar gemacht.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Verändert und dann wieder nicht!)


Gegen Ihren Widerstand haben wir das EEG im Bereich
der Solarenergie reformiert. Wir haben im Bereich der
Solarenergie eine Reduktion der EEG-Vergütung um
70 Prozent erreicht – von 43 auf 16 Cent. Damit entlas-
ten wir die Verbraucher in den kommenden 20 Jahren
um 2 Milliarden Euro. Das ist ein großer Erfolg.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch das Verdienst der Industrie, Herr Bareiß! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch ein Vorteil des Instruments des EEG und nicht Ihr Verdienst!)


Wir haben einen „atmenden Deckel“ eingeführt, der
die Vergütung intelligent nach Höhe des Zubaus anpasst
und sie entsprechend reduziert, wenn der Zubau zu hoch
wird. Diese Maßnahmen haben Sie immer bekämpft.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So wie Sie es gemacht haben, war das auch schädlich!)


Sie haben immer den Untergang der Solarbranche gese-
hen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch Zehntausende von Arbeitsplätzen vernichtet in der Solarindustrie!)


Das Gegenteil war der Fall. In den letzten drei Jahren
gab es Rekordwerte bei den Zubauraten, die es in kei-
nem anderen Land auf dieser Welt gibt.

Wir haben Effizienz und Einsparungen ermöglicht.
Wir haben – Frau Lay, hören Sie zu! – für einkommens-
schwache Haushalte ganz konkret Stromsparmaßnah-
men durchgeführt. Wir haben Beratungen gemacht.
80 000 Haushalte haben davon profiziert; 86 Euro im
Schnitt hat jeder dieser Haushalte pro Jahr gespart. Das
sind ganz konkrete Maßnahmen, bei denen wir den Men-
schen als mündigen Bürger ansehen, der in die Lage ver-
setzt werden muss, seine Stromrechnung selbst zu be-
zahlen und sich stromsparend zu verhalten.

Wir haben die Energieeffizienz im Bereich des Ge-
bäudebestandes wie keine andere Regierung vor uns vor-
angebracht.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo denn? Wo ist denn noch Geld im Energieund Klimafonds?)


1,8 Milliarden Euro haben wir über das CO2-Gebäude-
sanierungsprogramm in den Gebäudebestand investiert,
und wir haben dafür gesorgt, dass die Gebäudesanie-
rungsrate Stück für Stück nach oben geht. Die Energie-
effizienzwerte erreichen auch hier ein Rekordniveau.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie haben gekürzt!)


Wir haben mehr Transparenz für die Verbraucher ge-
schaffen. Verbraucher können unter so vielen Stromlie-
feranten wie noch nie auswählen.


(Klaus Breil [FDP]: So ist es!)


Allein dieses Jahr kann jeder im Schnitt unter 50 Strom-
anbietern auswählen. Das sind 25 Prozent mehr als noch
vor zehn Jahren.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die europäische Richtlinie haben Sie auch nicht gemacht!)


Wir haben die Bedingungen für einen Wechsel wesent-
lich erleichtert. Wir haben die Fristen verkürzt. Wenn
heute ein Verbraucher den Stromanbieter wechselt und
zum günstigsten Anbieter geht, kann er im Schnitt
200 Euro sparen. Das sind Zeichen dafür, dass Markt
und Wettbewerb funktionieren. Dies sollte beispielhaft
für andere Gebiete sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich möchte
noch einen anderen Bereich ansprechen, der mir sehr
wichtig ist, nämlich den Industriestandort Deutschland.
Mit Blick darauf müssen wir dafür sorgen, dass wir bei
der Energiewende keine Arbeitsplätze verlieren, sondern
gewinnen. Deutschland hat einen Industrieanteil von
26 Prozent, Großbritannien von 13 Prozent, Frankreich
von 12 Prozent. Das zeigt, dass wir ein ganz besonderes
Augenmerk auf unsere Industrie richten müssen.

Die Industrie hat heute schon einen großen Anteil am
EEG-Bereich: 6 Milliarden Euro zahlt die deutsche In-
dustrie. 5,7 Millionen Menschen haben in diesem Sektor
einen Arbeitsplatz. Deshalb ist unser Anliegen, dafür zu
sorgen, dass gerade diejenige Industrie, die im Wettbe-
werb steht, nicht über Gebühr belastet wird. Auch diese
Balance werden wir mit der Strompreisbremse entspre-
chend hinbekommen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich glaube,
das Wichtigste wird sein, dass wir uns, aufbauend auf
der Strompreisbremse, über die langfristige Ausgestal-
tung des EEG unterhalten. Die ersten 20 Prozent waren
mit dem EEG sicherlich machbar. Es war das richtige In-
strument, den Markteintritt zu gestalten. Um aber die
nächsten 20 Prozent zu erreichen, brauchen wir eine
neue Rahmensetzung.





Thomas Bareiß


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Bareiß, wir brauchen 80 Prozent!)


Da werden vor allen Dingen Sie gefordert sein; denn Sie
müssen dann die Anzahl der heiligen Kühe, die Sie über-
all haben – ich verweise auf die Subventionsmaschine-
rie, die Sie losgetreten haben –, auf ein gesundes Maß re-
duzieren.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie doch gemacht! Sie haben doch die ganzen Subventionen ausgeweitet, Herr Bareiß! Was erzählen Sie denn jetzt für Märchen!)


Sie müssen Wettbewerb und Markt im Bereich der er-
neuerbaren Energien zulassen. Das können die erneuer-
baren Energien auch leisten, und wir sollten es ihnen zu-
trauen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Wenn ihr einen Vorschlag auf den Tisch legen würdet, könnten wir auch konkreter werden!)


Wir brauchen eine Synchronisation von Netzausbau
und erneuerbaren Energien. Wir brauchen die Verknüp-
fung von konventionellen Kraftwerkparks mit den er-
neuerbaren Energien.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Machen Sie mal einen Vorschlag, wie das läuft!)


Wir brauchen mehr Eigenverantwortung, gerade im Be-
reich der erneuerbaren Energien, Eigenverantwortung
für mehr Markt und Wettbewerb.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sagen Sie nicht immer, was wir brauchen! Machen Sie mal was!)


Wir haben konkrete Vorschläge.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist denn der Gesetzentwurf zu all dem, was Sie da erzählen? Heiße Luft! – Gegenruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Lass ihn doch mal reden, Mensch!)


Die Frage ist, inwieweit Sie dabei in den nächsten Jahren
mitmachen.

Wir brauchen mehr Europa; auch das ist ein wichtiger
Punkt. Das wird in den nächsten Jahren eine ganz, ganz
große Rolle spielen. Da wird sich zeigen, inwiefern Sie
bei der Energiewende mitmachen und dafür sorgen, dass
sie nicht nur eine Subventionsmaschine wird, sondern
auch ein Erfolgsfaktor für Deutschland und damit lang-
fristig Arbeitsplätze sichert.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723104700

Für die SPD-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Hubertus Heil.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1723104800

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ohne Zweifel ist die Energiewende eine der größten
Herausforderungen, vor denen unser Land, vor denen
unsere Wirtschaft, vor denen unsere Gesellschaft steht.
Aber, Herr Bareiß, meine Damen und Herren, dafür
muss man nicht solche Reden halten. Wenn man in der
Regierungsverantwortung ist – noch sind Sie ja Teil der
Regierungsfraktionen –, dann darf man nicht solche Re-
den halten, sondern man muss Gesetzentwürfe vorlegen.
Dazu sind Sie nicht in der Lage.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Klaus Breil [FDP]: Genau das haben wir gemacht!)


– Nein. Zu den Themen, die hier angesprochen wurden,
haben Sie keinen einzigen Vorschlag gemacht. Wir reden
über Dinge – ich komme gleich darauf zurück –, die
heute im Gespräch zwischen der Bundeskanzlerin und
den Ministerpräsidentinnen und den Ministerpräsidenten
eine Rolle spielen.

Sie, meine Damen und Herren von der Koalition, ha-
ben den Menschen nach Fukushima eine saubere, eine
sichere und eine bezahlbare Energiewende versprochen,
und Sie sind es, die diese drei Versprechen im Moment
brechen. Aus der Verantwortung werden wir Sie nicht
entlassen.


(Beifall bei der SPD)


Insofern muss man in dieser Debatte eines klarma-
chen: Die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land ma-
chen sich massiv Sorgen über steigende Energiepreise
und auch über steigende Strompreise, die ein Teil der
Energiekosten sind, die auf sie zukommen. In dem Be-
fund sind wir uns möglicherweise einig.

Weil diese Regierung diese Sorge drei, vier Jahre lang
ignoriert hat, weil sie das Gefühl hat, dass ihr das bei den
Wahlen auf die Füße fallen könnte, kommt Herr
Altmaier kurz vor Toresschluss mit der Wundertüte
„Strompreisbremse“ um die Ecke. Herr Bundesumwelt-
minister Altmaier,


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Guter Mann!)


jemand, der sich mit dieser Materie auskennt – das will
ich Ihnen mal ein bisschen unterstellen –, weiß, dass das,
was Sie vorgeschlagen haben, das Eingeständnis dieser
Koalition ist, dass sie in dieser Legislaturperiode nicht
mehr in der Lage ist, die grundlegenden Fragen der
Energiewende anzugehen. Was notwendig ist für den
Netzausbau – eine neue Ordnung des Strommarkts, ein
neues Strommarktdesign –, was notwendig ist, um die
Energiewende besser zu managen, all das findet sich
nicht in Ihren Vorschlägen. Deshalb ist die Strompreis-
bremse im Wesentlichen erst einmal Überschriftenpoli-
tik, nichts anderes.

Wenn man dann unter diese Überschriften guckt,
kommt man zu dem Schluss: Es ist zweifelhaft, ob das,
was Sie vorschlagen, die Energiekosten bremst; aber es
ist sicher, dass das, was Sie vorschlagen, die Energie-
wende bremst, meine Damen und Herren.





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Sie wissen ganz genau, dass Sie Vorschläge gemacht ha-
ben, die nicht nur im Bereich der erneuerbaren Energien,
sondern in der gesamten deutschen Wirtschaft zu Kopf-
schütteln führen. Wie man glauben kann, Investoren
würden dadurch nicht verunsichert, wenn man in den
Altbestand eingreift, und das Vertrauen in den Industrie-
standort Deutschland würde nicht unterminiert, das kann
mir keiner vernünftig erklären, und Sie wissen auch ganz
genau, dass dieser Unsinn nicht zu machen ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Reden wir doch einmal über das, was heute miteinan-
der möglich ist! Wenn diese Koalition einräumen muss
– ich beklage das –, dass wir dem Grunde nach die we-
sentlichen Entscheidungen dafür, dass die Energiewende
wieder vom Kopf auf die Füße kommt, leider erst im
Herbst dieses Jahres, nach der Bundestagswahl, angehen
können, dann sind wir durchaus bereit, über kurzfristige
Maßnahmen zu reden. Wenn ich von „wir“ spreche,
dann meine ich die rot-grün geführten Bundesländer, So-
zialdemokraten und Bündnis 90/Die Grünen gemeinsam.
Wir haben Ihnen vorgeschlagen, dass wir über drei Be-
reiche reden:

Wir sollten erstens über die Frage reden: Was kann
kurzfristig innerhalb des EEG passieren? Da gibt es
durchaus kleinere Maßnahmen, über die man reden
kann, die nicht die gesamte Branche verunsichern, die
aber die Möglichkeit schaffen, den Anstieg der EEG-
Umlage zu bremsen. Wir können über die Marktprämie
reden. Wir können über bestimmte Boni reden, die Sie in
vielen Bereichen eingeführt haben.

Wir sollten zweitens auch über die Frage reden: Wie
gehen wir in Deutschland mit energieintensiven Betrie-
ben um? Dazu habe ich heute in der Zeitung gelesen,
dass Herr Ramsauer, der gerade den Saal verlassen hat,
einen offenen Brief an den Bundesminister Altmaier
schreibt. Was ist denn das für ein Vorgang, Herr
Altmaier? Rösler, Altmaier und Ramsauer, die drei von
der Zankstelle! „Ressortabstimmung“ ist ein Fremdwort
in dieser Regierung. Das ist ein Teil des Problems.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich habe also in der Zeitung gelesen, dass Herr
Ramsauer beklagt, dass der Altmaier der Deutschen
Bahn AG Hunderte von Millionen entziehen will. Er will
in diesem Bereich tatsächlich auch die Bahn belasten.
Was ist eigentlich die Haltung der Bundeskanzlerin in
dieser Frage? Gibt es überhaupt einen Standpunkt dieser
Regierung? Das würde uns als Opposition interessieren,
und die Öffentlichkeit auch.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir haben Ihnen vorgeschlagen, dass wir im Bereich
der energieintensiven Unternehmen nicht um einzelne
Branchen feilschen, sondern dass wir uns auf die Syste-

matik konzentrieren. Die Systematik ist, dass energiein-
tensive Unternehmen, die Effizienzmaßnahmen ergriffen
haben und die im internationalen Wettbewerb stehen,
weiterhin zu Recht befreit sind, damit wir Arbeitsplätze
und Wertschöpfung in Deutschland halten, aber dass wir
Maßnahmen ergreifen müssen, damit Trittbrettfahrer, die
nicht im internationalen Wettbewerb stehen, da raus-
kommen. Lassen Sie uns über die Systematik reden und
dieses unwürdige Gefeilsche zwischen Bundesministern
beenden, meine Damen und Herren!


(Beifall bei der SPD)


Wir haben Ihnen drittens vorgeschlagen, dass wir,
wenn im Bereich der erneuerbaren Energien etwas getan
werden kann und muss, wenn im Bereich der energiein-
tensiven Betriebe etwas getan werden muss, auch über
uns, über den Staat, reden. Tatsache ist, dass Bundes-
finanzminister Wolfgang Schäuble über die gestiegene
EEG-Umlage ungeplant pro Jahr 1 Milliarde Euro mehr
an Mehrwertsteuer einnimmt. Deshalb ist unser Vor-
schlag, im Bereich der Stromsteuer etwas zu tun, nur
fair. Wenn alle einen Beitrag leisten sollen, dann sollte
auch der Bundeshaushalt einen solchen Beitrag leisten.
Angesichts der Tatsache, dass der Anteil der erneuerba-
ren Energien in Deutschland mittlerweile – Gott sei
Dank – 25 Prozent beträgt, ist es vernünftig, entspre-
chend die Stromsteuer in Deutschland zu senken.

Warum, meine Damen und Herren von der FDP, höre
ich eigentlich Einzelstimmen, darunter Ihren Spitzen-
kandidaten Brüderle, die das gut finden, Herr Breil?


(Klaus Breil [FDP]: Genau!)


Die Sächsische Staatsregierung findet das gut. Ich höre
Sympathien aus Bayern an dieser Stelle. Aber die
Blockierer sitzen auf der Regierungsbank. Die Bundes-
kanzlerin ist heute nicht einmal bereit und in der Lage,
über das Thema Stromsteuer zu sprechen. Das ist ein
Teil des Problems. Sie sind die Blockadekoalition an
diesem Punkt.


(Beifall bei der SPD – Zurufe von der CDU/ CSU: Oh!)


Wir wollen etwas tun, um die Verbraucherinnen und Ver-
braucher kurzfristig zu entlasten.

Herr Altmaier, der heutige Artikel im Tagesspiegel
mit der Überschrift „Stromabwärts“ beschreibt, was im
Moment passiert. Sie sind durchaus ein eloquenter Kerl.
Als Parlamentarischer Geschäftsführer haben wir Sie
durchaus durch Ihre humorige Art schätzen gelernt.
Aber dass Sie ein richtiger Trickser sind, haben wir in
den letzten Monaten erlebt.


(Zuruf von der FDP: Na! Na!)


Man muss neidlos anerkennen, dass Ihnen mit dem
Thema Strompreisbremse ein medialer Coup gelungen
ist. Einige Tage später haben Sie mit der Aussage, dass
die Energiewende 1 Billion Euro kosten kann, einen
Klops gelandet. Diese Zahlen haben Sie heute nicht ver-
nünftig belegt. Dies ist keine seriöse Debatte. Wir be-
kommen die wahren Probleme nicht in den Griff, wenn
wir die Menschen mit solchen Fantasiezahlen verunsi-





Hubertus Heil (Peine)



(A) (C)



(D)(B)


chern. Wir müssen Klarheit bekommen, was die Zahlen
betrifft. Und wir müssen das tun, was wir tun können.

Herr Altmaier, für Sie gilt deshalb der alte Satz von
Abraham Lincoln – ich darf zitieren –:

Man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täu-
schen, und das ganze Volk einen Teil der Zeit, aber
man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit täu-
schen!

Das, meine Damen und Herren, wird heute offensicht-
lich werden. Wir sind bereit für kurzfristige Maßnah-
men. Wir wollen aber vor allen Dingen dafür sorgen,
dass die Energiewende kein wirtschaftliches und sozia-
les Risiko ist, sondern ein wirtschaftlicher und sozialer
Erfolg für Deutschland. Lassen Sie uns in diesem Haus
darüber streiten und die Menschen mit diesen Ablen-
kungsdebatten nicht weiter verunsichern. Wir sind be-
reit, Verantwortung zu übernehmen. Die SPD-geführten
Bundesländer haben Vorschläge gemacht. Sie wollen im
Wesentlichen Überschriften produzieren. Das ist der Un-
terschied und das Problem in Deutschland. Energie-
wende geht anders. Der Unterschied zwischen Ihnen,
zwischen Herrn Altmaier und Herrn Rösler, und uns ist:
Wir können Energiewende und Sie nicht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der SPD – Lachen bei der CDU/ CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723104900

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Klaus Breil.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1723105000

Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Frau Lay, kurz zu Ihrer Bemerkung über die Ge-
winne von Eon: Wenn Sie diese im Verhältnis zum Um-
satz des Konzerns sehen, dann kommen auch Sie zu der
Frage, ob sie genug verdienen, um Erhaltungsinvestitio-
nen tätigen zu können. Das müssen Sie sich einmal ge-
nau ansehen.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eigentlich verdienen die wahrscheinlich ziemlich wenig, nicht? – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Mir kommen die Tränen!)


Meine Damen und Herren, dieser Debatte liegen vier
rote Anträge zugrunde, wie sie idealistischer nicht sein
könnten. In dreien will die Linke einerseits für die Bei-
behaltung des EEG in seiner jetzigen Form eintreten,
also für einen tendenziell höheren Strompreis, und ande-
rerseits die Stromsperren verbieten. Sie möchte uns
weismachen, sie hätte Ahnung von Energiepolitik. Gar
nichts haben Sie!


(Caren Lay [DIE LINKE]: Ah!)


Wer soll das alles bezahlen? Die FDP hat sich als
erste und einzige Partei mit dem Thema „Bezahlbarkeit
von Strom“ beschäftigt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen bei der SPD – Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist ja lächerlich!)


Meine Damen und Herren, wir haben in der Sommer-
pause eine Arbeitsgruppe eingesetzt,


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Wenn ich nicht mehr weiter weiß, dann gründe ich einen Arbeitskreis!)


an der ich ebenso wie meine Kollegen Michael Kauch
und Horst Meierhofer intensiv teilgenommen habe. Ge-
meinsam mit weiteren Kolleginnen und Kollegen aus
den Ländern haben wir ein dreistufiges Verfahren ausge-
arbeitet. Mit diesem Verfahren wollen wir die Energie-
wende, das Energiekonzept dieser Bundesregierung,
auch bei bezahlbaren Strompreisen zum Erfolg führen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723105100

Herr Kollege Breil, die Frau Kollegin Bulling-

Schröter möchte Ihnen eine Zwischenfrage stellen.


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1723105200

Ja.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723105300

Danke schön, Kollege Breil. – Sie haben jetzt behaup-

tet, dass die Linke dafür ist, dass der Strompreis steigt.
Ich frage Sie: Ist Ihnen bekannt, dass nur ein Drittel der
Strompreiserhöhung auf die EEG-Umlage zurückzufüh-
ren ist? Zweitens: Ist Ihnen bekannt, dass die energiein-
tensiven Unternehmen zurzeit mit 16 Milliarden Euro
subventioniert werden? Die FDP ist eine Partei, die nicht
so sehr für die soziale Marktwirtschaft eintritt, sondern
für den Wettbewerb.


(Zuruf von der FDP: Das kann nur eine Kommunistin so sehen!)


Die 16 Milliarden Euro sind schon ein bisschen viel.
Also behaupten Sie nicht gleich wieder: „Die Linke will
Arbeitsplätze vernichten“, sondern erklären bitte, warum
Otto Normalverbraucher und die kleinen Unternehmen
– die FDP ist sehr für sie – keine Ausnahmen bekom-
men.


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1723105400

Danke für die Frage, Frau Kollegin Bulling-Schröter. –

Auf Ihre erste Frage kann ich Ihnen antworten, dass ich
die Struktur der Strompreise in Deutschland und übri-
gens auch ihr Zustandekommen sehr genau kenne. Auf
Ihre zweite Frage kann ich Ihnen sagen: Ich komme
gleich darauf zu sprechen. Hören Sie einfach einmal zu!
Dann gewinnen Sie vielleicht neue Erkenntnisse.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Antwort!)


Herr Kollege Heil, Sie werden jetzt eine weitere
Stimme unter vielen vernehmen; Sie haben ja gerade die
Stimme unseres Fraktionsvorsitzenden, Rainer Brüderle,
angesprochen. Unser Vorschlag zur kurzfristigen Entlas-
tung der privaten Stromverbraucher war es, die Strom-





Klaus Breil


(A) (C)



(D)(B)


steuer in Höhe der zusätzlichen Mehrwertsteuereinnahmen
infolge der Anhebung der EEG-Umlage zu reduzieren.


(Beifall des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD] – Ulrich Kelber [SPD]: Machen das Ihre Bundesminister mit?)


Das entspräche in etwa einem Windfall Profit in Höhe
von 500 Millionen Euro. Darauf könnte der Staat zu-
gunsten der Kaufkraft der Bürger verzichten.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja, macht mal!)


Das betrifft Einnahmen, die zuvor in keinem Haushalt
budgetiert gewesen sind.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Richtig!)


Ein ähnliches Volumen würde sich bei der Anwendung
des verminderten Mehrwertsteuersatzes von 7 Prozent
anstelle von 19 Prozent auf die gesamte EEG-Umlage
ergeben.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Da kommt doch nichts von euch! Wo sind denn eure Vorschläge? Ihr regiert doch!)


Ich will nur sagen, dass es mehrere Optionen gibt.

In einem weiteren Schritt wollen wir dann mehr Anla-
gen zur Gewinnung erneuerbarer Energien in die Direkt-
vermarktung überführen. Letzten Endes wollen wir den
Energieversorgern und Stadtwerken einen von Jahr zu
Jahr steigenden Anteil aus erneuerbaren Energien er-
zeugten Stroms in ihrem Portfolio vorgeben. Das ent-
spricht dem Mengenmodell.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723105500

Herr Kollege Breil, wollen Sie eine Zwischenfrage

des Kollegen Heil zulassen?


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1723105600

Ja, gerne.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723105700

Bitte schön, Herr Heil.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Aber dieses Mal eine Antwort!)



Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1723105800

Lieber Kollege Breil, wenn doch eine große Mehrheit

in diesem Hause von ganz links bis zur FDP – wie die
Position der Union dazu ist, weiß ich jetzt nicht – der Mei-
nung ist, dass wir die Stromsteuer senken könnten, wa-
rum machen wir es dann nicht? Ist die Position, die Sie
hier beschreiben, wirklich die Position der Regierung,
oder ist das Ihre Privatmeinung? Meine letzte Frage: Ken-
nen Sie den schönen Satz von Erich Kästner: „Es gibt
nichts Gutes, außer: Man tut es.“?


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1723105900

Ich fange einmal mit der letzten Frage an: Ja, den

kenne ich.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gut, endlich eine Antwort!)


Im Übrigen vertrete ich hier die Position der FDP.


(Beifall bei der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Ja, ihr seid aber in der Regierung!)


Sie haben meinen Fraktionsvorsitzenden, Herrn
Brüderle, angesprochen. Außerdem ist das von Anfang an
auch meine Meinung gewesen; im Juli des vergangenen
Jahres habe ich das möglicherweise als Erster gefordert.
Ich fordere das auch weiterhin, und dieser Vorschlag ist
auch Teil der Erörterungen, die heute Nachmittag stattfin-
den werden.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Aber ihr setzt euch irgendwie nicht durch!)


Mal sehen, was dabei herauskommt.


(Beifall bei der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Eben nicht! Eben nicht!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723106000

Herr Kollege Breil, der Kollege Fell würde Ihnen

gerne noch eine Zwischenfrage stellen.


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1723106100

Ich wollte meine Ausführungen jetzt eigentlich fort-

setzen; denn sonst komme ich aus dem Rhythmus.

Jener Vorschlag garantiert, dass mit dem Geld der
Verbraucher nur die Stromerzeugungsarten ausgebaut
werden, die auch kosteneffizient Strom liefern. Vielen
von Ihnen, meine Damen und Herren von der Opposi-
tion, muss immer wieder gesagt werden: Wir reden hier
über die Verwendung von Geld, das nicht uns, sondern
den Stromverbrauchern gehört.

Bis auf den letzten Schritt, bei dem wir bereits sehr
visionär an die Regierungszeit der christlich-liberalen
Koalition nach der Bundestagswahl gedacht haben,


(Dr. Kirsten Tackmann [DIE LINKE]: Wozu denn? – Rolf Hempelmann [SPD]: Nicht visionär, sondern illusionär!)


waren unsere Vorschläge nicht so weit von denen ent-
fernt, die Bundesminister Peter Altmaier Anfang des
Jahres vorgestellt hat. Daher war es für mich auch nicht
verwunderlich, wie schnell die beiden Minister Peter
Altmaier und Philipp Rösler sich auf eine gemeinsame
Lösung einigen konnten. Mit dem Ergebnis konnte ich
– abgesehen von den zuletzt besprochenen Eingriffen in
bestehende Verträge – leben. Mit Eingriffen in beste-
hende Verträge kann ich natürlich nicht leben.

Jeder soll seinen Beitrag zur Energiewende leisten,
aber auch dazu, dass die Kosten im Rahmen bleiben. Wir
sollten davon niemanden ausnehmen – weder die kom-
plette Industrie noch die Branche der erneuerbaren Ener-
gien. Deshalb ist in den Vorschlägen auch vorgesehen,
einige Branchen aus der besonderen Ausgleichsregelung
herauszunehmen; Sie wissen das.

Dabei müssen wir beachten, dass die Strompreise bei
uns im internationalen Vergleich der Industriestaaten ex-





Klaus Breil


(A) (C)



(D)(B)


trem hoch sind. Unternehmen, die im internationalen
Wettbewerb stehen, fällen ständig und teils subtil Stand-
ortentscheidungen. Laut Angaben der statistischen Bei-
hefte zu den Monatsberichten der Deutschen Bundes-
bank sind die Umsätze der deutschen Industrie an ihren
Standorten im Ausland ebenso hoch wie im Inland. Sta-
tistisch gesehen, geht es also bei jeder Standortentschei-
dung eines Unternehmens um die Frage: Machen wir das
im Inland, oder machen wir das im Ausland?

EU-Kommissar Günther Oettinger hat recht, wenn er
immer wieder vor der schleichenden Deindustrialisie-
rung warnt.


(Zuruf der Abg. Caren Lay [DIE LINKE])


Es lässt sich auch durch das geflissentliche Ignorieren
der Opposition nicht kaputtrechnen, dass die Industrie


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ihr regiert doch! Ihr werdet von der Industrie dafür kritisiert!)


einen bedeutenden Beitrag zu unserem Bruttoinlands-
produkt leistet und dass dieser Beitrag die Basis für un-
seren Wohlstand, für den Erhalt unseres Steueraufkom-
mens und des Sozialversicherungssystems ist.

Meine Damen und Herren, im Zusammenhang mit
der Strompreisbremse ist des Weiteren vorgesehen, die
Vergütung für Neuanlagen bestimmter Energieträger an-
zupassen.

Bis gestern sah ich das Unternehmen „Strompreis-
bremse“ noch auf einem guten Weg.


(Rolf Hempelmann [SPD]: „Unternehmen“? Oh!)


Allerdings war ich sehr überrascht, als ich lesen musste,
dass einige Mitglieder der Opposition, ohne dass sie
überhaupt Teil der Bund-Länder-Arbeitsgruppe waren,
die Verhandlungen zur Strompreisbremse für gescheitert
erklärt haben. Frau Höhn, Ihre Erklärung dazu kann ich
nur als höhnisch auffassen.


(Zuruf von der SPD: Ha, ha, ha! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist aber ein scharfes Beil!)


Ich appelliere daher an die Ministerpräsidenten der
A-Länder, die heute mit der Kanzlerin am Verhandlungs-
tisch sitzen: Lassen Sie die Interessen der Verbraucher
nicht außer Acht,


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Thomas Bareiß [CDU/CSU])


und entlassen Sie die erneuerbaren Energien nicht aus
der Pflicht, ihren Beitrag zur Bezahlbarkeit der Energie-
wende zu leisten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723106200

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Hans-Josef Fell.


Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723106300

Herr Kollege Breil, Sie haben meine Zwischenfrage

nicht zugelassen. Deswegen bedanke ich mich beim Prä-
sidenten für die Zulassung dieser Kurzintervention.

Herr Breil, Sie haben von den drei Punkten, die die
FDP vorschlägt, um die Energiepreise in den Griff zu be-
kommen, vor allem einen genannt: Sie nennen es „Men-
genmodell“. Sie haben damit einen Vorschlag aufgegrif-
fen, den wir schon seit vielen Monaten immer wieder
von Wirtschaftsminister Rösler hören: Sie wollen die
Grundfesten des Erneuerbare-Energien-Gesetzes mit sei-
ner garantierten Einspeisevergütung verändern und ei-
nen völlig anderen Mechanismus einführen. Dieser Me-
chanismus des Quoten- und Mengenmodells wird in
anderen europäischen Ländern – besser muss ich sagen:
wurde – bereits praktiziert, beispielsweise in Großbritan-
nien.

In Großbritannien gab es dieses Mengenmodell, mit
sehr vielen Ausschreibungen. Es hat dazu geführt, dass
die Windkraftinvestitionen in Großbritannien nur 20 Pro-
zent des deutschen Niveaus erreicht haben, obwohl in
Großbritannien wesentlich mehr Wind weht als in
Deutschland. In Großbritannien kostet Windenergie etwa
13 Cent pro Kilowattstunde, in Deutschland hingegen nur
7 Cent, wohlgemerkt, obwohl Großbritannien viel wind-
reicher ist.

Das bedeutet im Klartext, dass das Mengenmodell
zum einen für einen guten Ausbau der erneuerbaren
Energien nicht tauglich ist und zum anderen wesentlich
teurer ist.


(Jens Ackermann [FDP]: Was machen Sie denn?)


Das heißt, Sie machen einen Vorschlag, der eine Verteue-
rung der Energiewende bedeutet.

Wenn Sie nicht glauben, dass dies am Beispiel von
Großbritannien genügend gut nachzuvollziehen ist
– Großbritannien hat deswegen übrigens einen Instru-
mentenwechsel hin zur Einspeisevergütung vorgenom-
men –, dann bitte ich Sie, einen Beschluss des Industrie-
ausschusses des Europäischen Parlaments vom Montag
dieser Woche zur Kenntnis zu nehmen. Der Industrieaus-
schuss hat dort eine vom Abgeordneten Reul von der
CDU unterstützte Entschließung zurückgewiesen, die
eine europaweite Einführung eines Quotensystems vor-
sieht. Der Ausschuss hat einen weiteren Beschluss ge-
fasst: Der Kommission soll kein Quotenmodell vorge-
schlagen werden, sondern die europaweite Einführung
einer Einspeisevergütung; denn sie ist effizienter und
eben auch viel erfolgreicher.

Ich frage Sie deswegen – ich kann es nicht verstehen
–, wie Sie an den alten Vorschlägen, deren Untauglich-
keit längst bewiesen wurde und von denen zudem das
Europaparlament in seiner Mehrheit sagt, dass sie un-
tauglich sind, festhalten können, die reine Planwirtschaft
bedeuten. Denn ein Mengenmodell bedeutet: Der Staat
legt die Quoten fest – niemand anderes –,


(Birgit Homburger [FDP]: Nein!)






Hans-Josef Fell


(A) (C)



(D)(B)


und die Staatsbeamten machen Ausschreibungen dazu.
So etwas kenne ich nur aus der chinesischen Planwirt-
schaft, aber nicht aus einer Marktwirtschaft. Deswegen
kann ich nicht nachvollziehen, dass Sie immer noch an
einem Mengenmodell festhalten; denn dieses ist untaug-
lich, ineffizient und bietet letztendlich keine Chance für
den Ausbau erneuerbarer Energien.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723106400

Herr Kollege Breil zur Antwort, bitte.


Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1723106500

Herr Kollege Fell, es war ja ein tolles Plädoyer, das

Sie da gehalten haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sie sollten aber zwischen Mengen- und Quotenmodell
unterscheiden; denn das ging bei Ihnen durcheinander.
Sie sollten vielleicht einmal nachlesen, was wir dazu ge-
sagt haben.

Im Übrigen haben Sie selber davon gesprochen, dass
dieses alte Modell vielleicht nicht mehr ganz up to date
ist, dass man es hätte erneuern müssen. Wir jedenfalls
wollen einen modernen Ansatz. Wir wollen ein Mengen-
modell und kein Quotenmodell. Ich bin davon über-
zeugt, dass wir damit ein funktionierendes Modell haben
werden, mit dem wir unsere Ziele erreichen können.

Danke.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber schwach!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723106600

Das Wort hat jetzt der Kollege Dr. Thomas Gambke

vom Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Eine Debatte über die Ener-
giewende ist immer sehr wichtig; denn die Energie-
wende ist ein zentrales Projekt. Aber anstatt über die
wirklich großen Herausforderungen sachlich zu debattie-
ren, reden wir hier über die schöne Erfindung „Strom-
preisbremse“.

Um es gleich ganz deutlich zu sagen und Fehlinter-
pretationen vorzubeugen: Wir Grüne nehmen die aktuel-
len Kostensteigerungen durchaus ernst. Aber wir müssen
in diesem Zusammenhang auch die sozialen Verwerfun-
gen in den Blick nehmen, die aktuell in Deutschland und
auch in Europa zu verzeichnen sind. Lassen Sie mich auf
folgende Tatsache hinweisen: Dass viele Menschen die
Energiekosten, insbesondere die Stromkosten, als eine
nicht mehr zumutbare Kostenbelastung sehen, spielt sich
vor dem Hintergrund ab, dass ganze Gruppen in der Be-
völkerung durch Minijobs, durch fehlenden Mindest-
lohn, durch die fehlende Infrastruktur für Bildung abge-

hängt werden. Das ist das eigentliche soziale Problem;
es sind nicht nur die Energiekosten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zur Industrie. Ich kenne einen namhaften Hersteller
in Rheinland-Pfalz, der gerade ein Verwaltungsgebäude
errichtet und in Betrieb genommen hat. Mehr als
100 Prozent des Energieverbrauches deckt er durch er-
neuerbare Energien ab. Obwohl sich dieses familienge-
führte Unternehmen in einem sehr harten Wettbewerb
befindet, ist das möglich,


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Politisch subventioniert!)


und zwar dank dem EEG.

Ich kenne ein weiteres Unternehmen, einen Zulieferer
bei mir in Bayern, mit einem wunderschönen Dach, auf
dem man eine tolle Photovoltaikanlage installieren
könnte. Aber hinter dem Unternehmen steht ein Finanz-
investor, der sagt: Alle meine Investitionen müssen sich
innerhalb von drei Jahren rechnen. – Obwohl wir mehr-
fach vorstellig geworden sind, sagt er: Nein, es gibt
keine Photovoltaikanlage auf dem Dach; denn ich habe
keine Investitionssicherheit mehr.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Der kann nicht rechnen!)


Das zentrale Problem, das Sie heute zu verantworten
haben, Herr Umweltminister, ist dieses Hin und Her.
Dabei denke ich nur an Ihren Kardinalfehler, indem Sie
versucht haben, rückwirkend in Verträge einzugreifen.
Sie mögen jetzt zurückrudern und sagen: Es gibt auch
andere Möglichkeiten. Wenn die erfüllt sind, dann ma-
chen wir das nicht. – Aber Sie werden das nicht mehr
hinbekommen; da werden alle Dementis und alle
Ankündigungen nicht mehr helfen. Sie haben eine tiefe
Verunsicherung bei der Industrie herbeigeführt. Sie wird
sich in Zukunft sehr genau überlegen, ob sie nachhaltig,
das heißt langfristig, Investitionen in erneuerbare Ener-
gien vornimmt, und das haben Sie zu verantworten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir müssen die Strompreiserhöhung in den richtigen
Kontext stellen. Das wahre Problem der Energiekosten
liegt doch im Anstieg der Kosten für alle endlichen Res-
sourcen, insbesondere für Öl.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Steinkohle!)


Keiner redet heute über die Heizkostensteigerung durch
die Preissteigerung bei fossilen Brennstoffen. Es ist doch
schon eine recht dreiste Lüge – dies ist mehrfach nach-
gewiesen worden –, den erneuerbaren Energien den
Stromkostenanstieg in die Schuhe zu schieben.

Meine Damen und Herren, diese Koalition hat seit
drei Jahren die Energiepolitik zu verantworten, und wir
haben mit großer Mehrheit, mit uns, den Ausstieg aus
der Atomenergie entschieden. Herr Breil sagt jetzt, dass
die FDP im letzten August eine Arbeitsgruppe gegründet
hat.





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)



(Klaus Breil [FDP]: Ja! Aber wir haben sie nicht gegründet!)


Herr Breil, das Thema Energiewende liegt seit drei Jah-
ren in Ihrer Verantwortung; in der Verantwortung von
uns allen ist es seit mindestens zehn Jahren. In dieser
Zeit haben wir gearbeitet; das EEG wurde beschlossen.


(Klaus Breil [FDP]: Aber keine Netzplanung! Da haben Sie gar nichts gemacht!)


Jetzt geht es doch darum, diese drei Dinge – Ausbau der
erneuerbaren Energien, Energieeffizienz und Energieein-
sparung – endlich umzusetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Thomas Bareiß [CDU/ CSU]: Da sind wir doch dran! Das machen wir doch! 1,8 Milliarden Euro im Bereich Energieeffizienz!)


Wir müssen uns doch ehrlich machen.

Herr Nüßlein, wir gehören beide der Enquete-
Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“
an. Wir müssen uns doch einfach einmal damit auseinan-
dersetzen, dass die Ressourcen endlich sind und dass wir
1,6 Erden – die Deutschen sogar 2,5 Erden – pro Jahr
verbrauchen.


(Waltraud Wolff [Wolmirstedt] [SPD]: Alle, aber doch nicht Herr Nüßlein!)


– Nein, Herr Nüßlein nicht. – Angesichts dessen wollen
wir jetzt Preissenkungen vornehmen? Wir wissen doch
von dem von Experten als Rebound-Effekt bezeichneten
Phänomen, dass der Verbrauch steigt, wenn wir die
Kosten senken. Was wir brauchen, ist, dass die Energie-
zertifikate endlich wieder zur Wirksamkeit gebracht
werden. Wir müssen anfangen, eine verlässliche Politik
zu machen, damit die Industrie weiß, worauf es hinaus-
läuft; wir dürfen nicht so herumeiern, wie wir es im
Moment erleben.

Meine Damen und Herren, ich fasse mich kurz: Diese
Koalition ist leider im Begriff, die Energiewende an die
Wand zu fahren. Ich vertraue darauf, dass bei den Bür-
gern nach wie vor eine hohe Zustimmung zur Energie-
wende besteht. Gott sei Dank sind Sie nur noch kurz in
der Regierung. Danach werden wir das Thema richtig
anpacken.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Zuruf von der FDP: Das werden wir noch sehen! Bei dem, was Sie in der Vergangenheit gemacht haben, habe ich nicht viel Hoffnung!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723106700

Für die CDU/CSU-Fraktion spricht jetzt Herr Kollege

Dr. Georg Nüßlein.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1723106800

Herr Präsident! Meine Damen! Meine Herren! Wir

diskutieren hier das wirtschaftspolitische Thema
schlechthin, nämlich die Energiewende. Selbstverständ-
lich hat Wirtschaftspolitik immer auch eine soziale
Dimension. Aber ich kann Ihnen sagen: Es geht hier
überhaupt nicht um Verteilungsfragen. Zunächst einmal
geht es um die Frage, wie wir die Energiewende schaf-
fen, ohne unsere Industrie und unser Gewerbe zu be-
schädigen. Diese sind in einer schwierigen Situation,
weil die Energiepreise steigen. Wenn man über soziale
Themen diskutiert, muss man daher über diese Frage
diskutieren. Sozial ist, was Arbeit schafft – das ist das
Entscheidende, nicht die Frage, ob man Sozialtarife ein-
führt und was man für den unteren Einkommensbereich
machen kann.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich sage das ganz explizit, weil bei uns mittlerweile
die Mittelschicht – damit meine ich nicht nur den ge-
werblichen Mittelstand, sondern auch die Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer – in allen Bereichen in eine
Zangenbewegung gerät, ganz gleich, ob es um Ihre Steu-
erpläne geht oder das, was wir im Bereich der Energie-
wende machen. Man entlastet die ganz oben und die
ganz unten, und die in der Mitte zahlen die Zeche. Wenn
wir darüber diskutieren, bin ich eng bei Ihnen und disku-
tiere gerne mit. Ich verteidige aber auch ganz explizit die
Befreiungen im Bereich der Industrie, die wir bei der
letzten Novellierung des EEG vorgenommen haben; sie
waren wohlüberlegt. Es ging darum, den Mittelstand an
dieser Stelle einzubeziehen. Mich ärgert, was insbeson-
dere von den Grünen hierzu an Meldungen gekommen
ist. Trittins Behauptung, wir hätten sogar Golfplätze be-
freit, ist reine Polemik, ist erstunken und erlogen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Trotzdem hat das ein Journalist vom anderen abgeschrie-
ben, und so wurde es weitergetragen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Natürlich haben Sie die bei den Netzentgelten befreit! Was erzählen Sie denn?)


Es ging Ihnen doch darum, so zu tun, als ob die EEG-
Umlage in Höhe von 5,277 Cent pro Kilowattstunde
schlicht und einfach der Tatsache geschuldet war, dass
wir zusätzliche Befreiungen eingeführt haben. Das ist
aber eben nicht wahr. Die Befreiungen gelten für ins-
gesamt 94 Terawattstunden; die sind privilegiert. Den
erheblichen Teil dieser Privilegierung hat im Übrigen
Rot-Grün wohlüberlegt beschlossen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Warum? Weil wir es vernünftig gemacht haben!)


Nur 5,2 Terawattstunden sind hinzugekommen. Jetzt
sind es 94 Terawattstunden. Das muss man sich einmal
überlegen. Sie versuchen, hier einen komplett anderen
Eindruck zu erwecken. Wenn es Ihnen ernst ist mit der
Energiewende, wenn Sie das Thema unterstützen





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


wollen, dann bitte ich Sie dringend: Hören Sie auf, die
Tatsachen zu verdrehen!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Hören Sie mal auf die Europäische Kommission!)


Als Sie diese Befreiungen eingeführt haben, ging es
um eine Differenz bei den Kosten von 0,2 Cent. So war
das bei Einführung des EEG. Diese Differenz ist per-
manent größer geworden. Warum? Weil der Bereich der
erneuerbaren Energien stark ausgebaut wurde – in der
Tat –, aber auch, weil es uns nicht gelungen ist, die Ent-
wicklung auf dem Markt im EEG abzubilden.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Warum macht ihr es nicht? – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum habt ihr es nicht gemacht? Ihr seid doch seit sieben Jahren dran!)


Das ist die zentrale Schwäche des EEG, das ich im
Übrigen immer verteidige. Die zentrale Schwäche be-
steht darin, dass die Politik ständig nachsteuern muss.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist Ihr Reformvorschlag?)


– Bundesminister Altmaier hat einen Reformvorschlag
unterbreitet. Er hat Sie doch erst wachgerüttelt. Hat man
vorher etwas über Diskussionen in der SPD über die
Kosten gehört, Herr Heil? Sie sind auf einen fahrenden
Zug aufgesprungen. Sie haben den Zug gerade noch er-
wischt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Rolf Hempelmann [SPD]: Wo ist der Vorschlag? Sie sind in der Regierung!)


Sie haben quasi gerufen: Halt! Davon sind ja auch un-
sere Leute betroffen. Die, die in der Industrie arbeiten,
müssen die Zeche zahlen. – Jetzt hängen Sie sich dran
und sagen: Wir waren schon immer dabei.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Oh Gott, oh Gott! Das ist peinlich! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie sind peinlich!)


Das gilt im Übrigen für die ganze linke Seite dieses Hau-
ses.

Ich sage Ihnen ganz offen: Wir haben zum Thema
Energiewende immer klar gesagt, dass sie nicht zum
Nulltarif zu haben ist, dass das eine teure Operation
wird. Mich ärgert heute noch, dass ich mich von Ihnen
allen immer wieder als Lobbyist der Atomwirtschaft
habe beschimpfen lassen müssen,


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!)


zum Beispiel, wenn es darum ging, RWE und anderen zu
helfen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ist ja gut, dass Sie das selber erwähnen! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie strahlen ja immer noch!)


Uns ging es um den Wirtschaftsstandort, uns ging es um
die Strompreise. Darum ging es uns. Wir haben genau im
Blick gehabt, was an der Stelle passiert.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Um zu vermeiden, dass gleich das übliche Spielchen
gespielt wird und behauptet wird: „Der stellt die Ener-
giewende infrage“, sage ich: Ich stelle die Energiewende
überhaupt nicht infrage, in keiner Weise. Da ich den Be-
reich der erneuerbaren Energien und das EEG immer
protegiert habe,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Und die Atomkraft!)


kann man mir das nicht unterstellen. Es ist schon ein
Skandal sondergleichen, wenn Sie jetzt so tun, als hätten
sich die Kosten ganz anders entwickelt, wenn Sie in den
letzten drei Jahren die Verantwortung getragen hätten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! Das wäre anders gelaufen!)


Das ist scheinheilig bis zum Anschlag.

Ich nenne Ihnen beispielhaft einen Punkt, an dem wir
jetzt nachsteuern müssen: die Windkraft. Ich halte es für
vernünftig, hier zu einer Spreizung zu kommen. Es gibt
Verträge, nach denen Landwirte 50 000 bis 80 000 Euro
Pacht für 2 000 bzw. 3 000 Quadratmeter Grund bekom-
men sollen, damit auf diesem Land ein Windrad gebaut
werden kann. Das sind Hyperrenditen – das kann man
gar nicht genauer in einen Vertrag schreiben –; das sieht
ein Blinder mit Krückstock. An dieser Stelle müssen wir
nachsteuern. Wir müssen auf der einen Seite kostengüns-
tig mit Wind Strom produzieren können, auf der anderen
Seite aber auch den regionalen Ausgleich im Blick ha-
ben. Ich halte eine Spreizung für einen sehr guten und
sehr richtigen Weg, Herr Umweltminister. Das kann man
auf alle Fälle mittragen.

Vorhin wurde grundsätzlich über das Thema EEG
diskutiert. Ich kann nicht erkennen, ob es eine bessere
Alternative gegeben hätte. Zum Quotenmodell hat der
Kollege Fell Richtiges und Wichtiges gesagt. Ich sehe
das ganz genauso.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Quotenmodell ist in der Theorie eine gute Ge-
schichte. Da der Markt aber nicht funktioniert, sondern
von einem Oligopol gekennzeichnet ist, ist das keine Al-
ternative. Wenn er funktionieren würde, wäre das ein
diskutabler Weg.


(Zuruf des Abg. Klaus Barthel [SPD])


Weil Sie hier so schreien, sage ich: Ich bin gespannt,
wie Ihre Handreichung aussehen wird. Ich bin gespannt,
wie Sie das, was Herr Altmaier vorgeschlagen hat, mit-
gestalten werden,


(Ulrich Kelber [SPD]: Die Bundeskanzlerin hat doch vorgeschlagen, heute gar nichts zu beschließen, mit Altmaier!)






Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


wie Sie zeigen werden, dass Sie das Thema wirklich
ernst nehmen. Darüber wird mit den Ländern gespro-
chen werden. Die Öffentlichkeit muss wissen, dass es
immer die Länder sind – Stichwort „Mehrheit im Bun-
desrat“ –, die bremsen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Sie beschimpfen Bayern! Das ist auch ein Land!)


– Ich beschimpfe Bayern nicht. Machen Sie sich keine
Sorgen! Auch das ist eine bodenlose Unterstellung. Sie
wissen ganz genau, wie ich an der Stelle positioniert bin.
Die Bayern haben immer die richtigen Vorschläge zur
richtigen Zeit gemacht


(Lachen bei der SPD – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Die waren ja schon gegen das Grundgesetz!)


und das Thema sauber mitgestaltet. Im Übrigen sind wir,
wenn es um die erneuerbaren Energien geht, schon viel,
viel weiter als manches andere Bundesland.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723106900

Herr Kollege Nüßein, der Kollege Kelber würde

gerne eine Zwischenfrage stellen.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1723107000

Herr Präsident, ich habe nur noch eine gute Minute.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723107100

Das wird Ihnen nicht angerechnet. – Sie wollen nicht?


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1723107200

Sonst immer gern. Lassen Sie mich aber noch die we-

sentlichen Dinge nennen, von denen ich meine, dass sie
nach der Wahl ganz entscheidend sein werden.

Dabei geht es auch um das neue Marktdesign, für das
wir lastflexible Preise brauchen. Speicherung und Last
können am Ende nur über lastflexible Preise gesteuert
werden. Da besteht für den Staat, was seinen Teil angeht,
in der Tat die Notwendigkeit, über die Belastung durch
den Strompreis – unabhängig vom Stromaufkommen und
von der Stromnachfrage – nachzudenken. Deshalb bitte
ich, an der Stelle auch die Vorschläge der FDP zur
Strompreisbremse im Blick zu haben und darüber nach-
zudenken, wie man über die Steuerseite, aber auch über
die Liquiditätsreserve kurzfristig einen Beitrag dazu leis-
ten kann, dass die Preise nicht weiter steigen. Ich bin
auch dafür, Kollege Breil, dass wir uns dabei sehr stark
an der Mehrwertsteuer orientieren; denn da sind die Län-
der mit im Boot. Die Herrschaften können dann wieder
einmal deutlich zeigen, wie ernst sie es meinen. Wahr-
scheinlich wird das Gleiche wie bei der Energieeffizienz
passieren.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Macht es doch mal! Macht mal einen Vorschlag!)


Wenn es darauf ankommt, werden Sie die Hosentaschen
herausziehen und sagen: Da ist nichts drin.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie machen doch gar nichts bei der Energieeffizienz!)


Wir haben lange genug in unseren Ländern schlecht ge-
wirtschaftet; wir können keinen Beitrag zur Energie-
wende leisten, weil wir nichts mehr haben bzw. weil wir
das Geld verpulvert haben. – Das werden wir an der
Stelle erleben.

Meine Damen und Herren, wir brauchen einen Leis-
tungsmarkt. Dafür sind umfangreiche Umstellungen not-
wendig. Ich glaube, dass die rechte Seite des Hauses
nicht nur die Kraft, sondern auch den ökonomischen
Verstand hat, das sinnvoll und vor allem ideologiefrei zu
machen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Glaubt weiter!)


Deshalb bin ich überzeugt, dass die Wählerinnen und
Wähler wissen, wem sie das Thema in Zeiten, die wirt-
schaftlich wieder ein bisschen schwieriger werden könn-
ten, an die Hand geben sollten.

In diesem Sinne vielen herzlichen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723107300

Zu einer Kurzintervention erteile ich das Wort dem

Kollegen Ulrich Kelber.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1723107400

Herr Kollege Nüßlein, Sie haben versucht, das Mär-

chen von den durchgerechneten Vorschlägen des Um-
weltministers zu erzählen, bei denen man nur hoffen
könne, dass die Länder mitspielen. Ist Ihnen eigentlich
bekannt, dass heute bei dem Treffen der Ministerpräsi-
denten mit der Kanzlerin die von SPD und Grünen re-
gierten Länder ein Maßnahmenpaket vorlegen werden,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Mit Zahlen!)


dass aber der Umweltminister zusammen mit der Kanz-
lerin den Ländern einen Beschlussvorschlag übermittelt
hat, der lautet: „Lasst uns heute nichts beschließen und
bis Sommer weiterverhandeln“? Dabei geht es um zwei
Absätze.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das können wir Ihnen auch vorlesen! Aber Sie kennen die wahrscheinlich nicht! Wichtig, dass wir darüber geredet haben!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723107500

Herr Kollege Nüßlein hat das Wort zur Erwiderung.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1723107600

Herr Kollege Kelber, ich bin überhaupt nicht im

Bilde,


(Lachen und Beifall bei der SPD)


was von Ihrer Seite da vorgeschlagen werden könnte. Es
ist aber auch nicht mein Job als Abgeordneter, das in Er-
fahrung zu bringen. Ich sage Ihnen aber ganz klar, dass
ich erwarte, dass von Ihrer Seite Vorschläge kommen,





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


die in diese Richtung gehen und mit denen dafür Sorge
getragen wird, dass wir am Schluss eine Strompreis-
bremse hinbekommen. Wenn Sie das ausbremsen wollen
– wovon ich jetzt ausgehe –, habe ich meine Probleme
damit. Ich kann nicht erkennen, dass es auf unserer Seite
keinen Einigungswillen gibt.

Weil Sie vorhin das Thema Bayern angesprochen ha-
ben, sage ich Ihnen ganz klar: Bestandseingriffe werden
natürlich nicht kommen.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh!)


Sie waren aus unserer Sicht – aus Sicht der CSU – nie
Thema. Es ging um die Verhandlungsmasse, damit Sie
etwas haben, an dem Sie sich festbeißen können. Auf un-
serer Seite gab es aber nie eine Diskussion darüber, in ir-
gendeiner Weise Bestandseingriffe zuzulassen. Wir wer-
den aber – das ist ganz klar – über die anderen Punkte
verhandeln, die darin aufgeführt sind. Ich bin gespannt,
wie Sie sich beim Thema Windkraft aufstellen, ob Sie
sich da dem anschließen, was ich vorhin vorgetragen
habe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Es ist ein Armutszeugnis, Dinge vorzuschlagen, die man nicht so meint!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723107700

Das Wort hat jetzt der Kollege Rolf Hempelmann von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rolf Hempelmann (SPD):
Rede ID: ID1723107800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!

Vor ein paar Tagen hat Herr Minister Altmaier ein für
ihn neues Thema entdeckt, und zwar die Kosten der
Energiewende. Die SPD-Bundestagsfraktion befasst sich
seit längerem mit diesem Thema.


(Klaus Breil [FDP]: Hört! Hört!)


Im Juni 2012 hat sie dazu eine Große Anfrage an die
Bundesregierung gestellt. – Wenn die Mitarbeiter Herrn
Altmaier die Chance geben würden, zumindest als Zuhö-
rer an dieser Debatte teilzunehmen, wäre das schön. –
Sieben Monate hat es gedauert, bis die Bundesregierung
geantwortet hat.


(Gisela Piltz [FDP]: Das ist doch normal! Das war bei Ihnen auch nicht anders!)


Diese sieben Monate haben wir ihr gegönnt; denn wir
haben erwartet, dass dann eine wirklich substanzielle
Antwort kommt. Wenn man sich die Antworten der Bun-
desregierung anschaut, kann man sich allerdings nur
wundern.

Auf die Frage, wie sich die Kosten entwickelt hätten,
wenn wir nur in konventionelle Kraftwerke investiert
hätten – was ja zeitweilig durchaus der Plan der Bundes-
regierung war –, wurde geantwortet: Es gibt keine Be-
rechnungen. – Man muss doch wissen, wie hoch die Kos-
ten ohne Energiewende wären! Aber die Antwort lautete:

Es gibt dazu keine Berechnungen. – Auf die Frage, wie
sich der CO2-Preis entwickelt hätte, wenn man nur auf
konventionelle Kraftwerke gesetzt hätte, wurde geant-
wortet: Es gibt dazu keine Erkenntnisse. – Auf die Frage
nach der Entwicklung der Primärenergiepreise und der
Importe in den nächsten Jahren wurde geantwortet: Es
gibt dazu keine Erkenntnisse. – Auf die Frage nach den
externen Kosten gerade beim Heizen mit Öl und Gas lau-
tete die Antwort der Bundesregierung: Dazu wären um-
fangreiche Studien notwendig. – Ich weiß gar nicht, wa-
rum wir der Bundesregierung sieben Monate Zeit
gegeben haben. Auf die Frage nach den Auswirkungen
der erneuerbaren Energien auf die Börsenpreise antwor-
tete die Bundesregierung: Es gibt dazu keine Berechnun-
gen. – Außerdem heißt es: „Die Bundesregierung ver-
folgt die Diskussion …“


(Heiterkeit bei der SPD)


Ich könnte Ihnen weitere Beispiele nennen, will Sie
damit aber nicht quälen. Es ist für Sie ja nur noch pein-
lich, wenn man sieht, dass Sie nach sieben Monaten
nicht in der Lage sind, zu den Kosten der Energiewende
Substanzielles zu sagen. Das ist offenbar deswegen so,
weil Sie an der Kostenfrage nie wirklich interessiert wa-
ren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Im Februar dieses Jahres stellte Minister Altmaier auf
einmal öffentlich fest:


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: 1 Billion!)


Ich weiß jetzt Bescheid; die Energiewende kostet 1 Bil-
lion Euro. –


(Heiterkeit des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])


Er hat zwar nicht genau erklärt, woher diese Erkenntnis
gekommen ist,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Vom Heiligen Geist!)


und er hat auch nicht aufgeschlüsselt, welche Kosten-
positionen es im Einzelnen gibt; aber jetzt steht der Be-
trag von 1 Billion Euro im Raum. Ich meine, so geht es
nicht: dass man auf der einen Seite die offizielle Große
Anfrage einer Fraktion mit Unkenntnis „beantwortet“
und auf der anderen Seite öffentlich den Betrag von
1 Billion Euro ins Spiel bringt.

Wenn man einen Blick auf die Website der Bundesre-
gierung wagt, kann man interessanterweise auch dort
eine Zahl lesen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Jetzt lieber zuhören, Herr Altmaier!)


Da steht nämlich: Die Energiewende wird bis zum Jahre
2050 550 Milliarden Euro kosten. – Dort ist also von ei-
ner halben Billion Euro die Rede. Da ist Altmaier also
mal eben halbiert worden.


(Heiterkeit des Abg. Hubertus Heil [Peine] [SPD])






Rolf Hempelmann


(A) (C)



(D)(B)


Gut, das wäre nicht so schlimm;


(Heiterkeit bei der SPD)


ich meine die halbe Billion Euro. Das ist aber immer
noch ein ordentlicher Betrag.

Wenn man sich die Website genauer anschaut – Herr
Altmaier, auch Sie werden das in der Zwischenzeit ja
einmal getan haben –, stellt man fest, dass dort auch
steht: Das sind ungefähr 15 Milliarden Euro jährlich. –
Das ist eine Zahl, die ein bisschen überschaubarer ist; da
bekommt man keinen ganz so großen Schrecken. Außer-
dem steht da: Die Einsparungen bei den Rohstoffkosten
betragen schon jetzt – schon jetzt, also bei einem Anteil
des Stroms aus erneuerbaren Energien in Höhe von
25 Prozent – 5,8 Milliarden Euro im Jahr.


(Horst Meierhofer [FDP]: Aber das wird ja irgendwann weniger!)


Das ist eine schöne Sache. Darüber reden Sie aber gar
nicht öffentlich, wenn es darum geht, die Kosten brem-
sen zu wollen; denn das könnte in der Debatte eventuell
schädlich für Sie sein.

Die Einsparungen bei den Rohstoffkosten betragen
also schon jetzt 5,8 Milliarden Euro pro Jahr. Das muss
man einmal hochrechnen.


(Zuruf von der SPD: Vielleicht kriegen wir irgendwann ja sogar noch was raus!)


Stellen Sie sich vor, der Anteil der erneuerbaren Ener-
gien würde irgendwann einmal 50 Prozent betragen. Wie
viel Geld würden wir dann bei den Rohstoffimporten
einsparen? Kann es am Ende vielleicht sogar passieren,
dass daraus ein Plusgeschäft wird? Darüber dürfen Sie
aber nicht reden; denn dann könnten Sie die Strompreise
ja nicht mehr bremsen.

Lieber Herr Minister, ich sage es einmal so: Anschei-
nend verfügt die Bundesregierung ja doch über ein paar
Erkenntnisse. Es wäre ganz nützlich, wenn sie in die De-
batte eingebracht würden. Wie ich sehe, unterhalten Sie
sich gerade schon angeregt mit dem Parlamentarischen
Geschäftsführer Ihrer Fraktion. Das ist ja vielleicht ein
erster positiver Effekt.


(Beifall bei der SPD)


Zurück zur Website der Bundesregierung. Wahrschein-
lich ist der Minister Snookerspieler und schaut hin und
wieder Fernsehen. Da gibt es nämlich immer die soge-
nannten FAQ, die Frequently Asked Questions. Die
Bundesregierung hat sich wohl gedacht: Das machen wir
auch. Schließlich spielt jeder zweite Deutsche Snooker,
und wir wollen ja die Mehrheit der Bevölkerung errei-
chen. Wir stellen uns jetzt einmal selber Fragen. – Unter
anderem stellt sich die Bundesregierung die Frage, Herr
Nüßlein: Verteuern die erneuerbaren Energien die Ener-
giewende? – Wissen Sie, was die Bundesregierung sich
selber als Antwort gibt? Sie sagt: Nein.


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen den Anstieg der Strompreise wegen der er-
neuerbaren Energien bremsen; aber die Bundesregierung
selber sagt, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien
die Strompreise gar nicht verteuert. Was ist das denn? Da
steht: Es gibt diesen Effekt an der Börse – nach dem wir
übrigens in unserer Großen Anfrage gefragt haben, wo-
rauf wir noch keine Antwort bekommen haben. Jetzt
weiß Herr Altmaier: Da gibt es diesen Börsenpreiseffekt,
und deswegen ist das alles gar nicht so schlimm.

An einer Stelle weisen Sie dann auf einen kleinen
Schlenker hin: Die Maßnahmen schlagen auf die Haus-
haltsstrompreise nicht richtig durch. – Das ist richtig.
Deswegen sagen wir ja auch: Wir müssen an das System
ran. Wir müssen uns sehr genau anschauen, wie der För-
derrahmen für die erneuerbaren Energien aussehen
muss. Das Gleiche gilt für den Marktrahmen für konven-
tionelle Stromerzeugung.


(Beifall bei der SPD)


Genau da gehen Sie nicht ran. Warum? Weil es kompli-
ziert ist. Es genügt nicht, mal eben eine Überschrift zu
formulieren, sondern darüber muss man richtig nachden-
ken, und man muss auch ein bisschen Expertise einho-
len. Das haben Sie, bisher jedenfalls, nicht getan.

Die Redner der Koalition haben heute wieder nur An-
kündigungen gemacht.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Quatsch! Wir bringen doch Vorschläge!)


Sie haben nach den Vorschlägen der Opposition zum
EEG und zur konventionellen Stromerzeugung gefragt.
Wer, bitte schön, stellt denn die Bundesregierung? Sie
haben dreieinhalb Jahre Zeit gehabt, und Sie haben zwei
Jahre Zeit gehabt nach Einleitung der Energiewende. Es
gibt von Ihnen immer noch keinen konkreten Vorschlag.


(Zuruf von der FDP: Was?)


Wir möchten diese Fragen mit Ihnen konstruktiv lösen.
Davor drücken Sie sich; deswegen machen Sie diese Ab-
lenkungsmanöver und reden lieber über Kurzfristmaß-
nahmen, denen wir uns, das sei noch einmal gesagt,
nicht verschließen.


(Thomas Bareiß [CDU/CSU]: Da bin ich gespannt!)


– Sie werden es morgen in den Zeitungen lesen. Heute
werden die A-Länder – die SPD-mitregierten Länder, die
rot-grünen Länder – einen konstruktiven Vorschlag ma-
chen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf der Abg. Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE])


– Und die rot-roten Länder.

Die Koalition sperrt sich, weil sie im Grunde genom-
men nur einen Mediencoup im Auge gehabt hat. Meine
Damen und Herren, auf diese Art und Weise werden wir
die Energiewende nicht hinbekommen.

Wenn sich Herr Altmaier jetzt mit Frau Höhn be-
spricht und mir seine Rückseite zuwendet, hat das si-
cherlich auch seine Vorzüge. Von der anderen Seite ist





Rolf Hempelmann


(A) (C)



(D)(B)


die Teilnahme an der Debatte natürlich leichter. Mir
würde dazu einiges einfallen; aber ich will jetzt nicht
allzu bildlich werden. Ich schließe lieber meine Rede
und danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723107900

Für die FDP-Fraktion hat jetzt das Wort der Kollege

Horst Meierhofer.


(Beifall bei der FDP)



Horst Meierhofer (FDP):
Rede ID: ID1723108000

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Es geht der SPD hauptsächlich um die
Stromsteuer; das war ja einer der zentralen Punkte im
SPD-Papier. Diesen Vorschlag machen wir selbst seit
langem. Wenn man, wie Sie das vorgeschlagen haben,
nur an der Stromsteuer ansetzt – mit 25 Prozent –, hilft
das nicht viel. Ansonsten kommt von Ihnen gar nichts an
Vorschlägen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nein! Zuhören! Die verhandeln doch gerade mit der Kanzlerin!)


Sie müssen lesen, was Ihre Leute machen; kein Einziger
davon sitzt hier. Am Nachmittag sitzen dann alle im
Bundesrat und blockieren alles. Ihnen geht es nur darum,
Wahlkampf zu machen, anstatt zu einer Lösung zu kom-
men.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Stephan Weil hat gesagt, er lehne das alles grundweg ab,
er wolle Strompreissenkungen, sonst gar nichts.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das stimmt doch gar nicht! Lesen Sie doch mal! Die Lesekompetenz fehlt Ihnen offensichtlich!)


– Natürlich! Lesen Sie es doch durch! Also das ist wirk-
lich köstlich.

Kollege Heil, ich erkläre Ihnen einmal, warum wir
heute hier stehen: Das ist die logische Folge Ihrer Politik
von 1999, eine Stromsteuer einzuführen. Die Strom-
steuer, Herr Heil – das wissen Sie alle –, haben Sie in der
rot-grünen Koalition eingeführt.


(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Das musste mal erwähnt werden!)


Jetzt wollen Sie Gott sei Dank, dass die Stromsteuer
endlich gesenkt wird. Sie fordern von uns, die Strom-
steuer zu senken.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Machen Sie es doch einfach! – Gegenrufe von der FDP)


Dabei ist die Stromsteuer von Ihnen eingeführt worden.
Ich sage Ihnen noch, warum Sie sie eingeführt haben:
Die Begründung in dem Gesetz war:

Energie ist ein knappes und endliches Gut. Die
Preise für seine Nutzung sind in Deutschland zu
niedrig.


(Zuruf von der FDP: Was?)


Sie bieten zu wenig Anreize, vorhandene Energie-
sparpotentiale auszuschöpfen, erneuerbare Energie
stärker auszubauen und energiesparende und res-
sourcenschonende Produkte und Produktionsver-
fahren zu entwickeln.


(Zuruf von der FDP: Ist ja unerhört!)


Das ist das, was Sie in Ihr Gesetz geschrieben haben.
Herzlichen Glückwunsch! Sie haben Ihr Ziel erreicht:
Der Strompreis geht durch die Decke.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Sie haben das erreicht! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gehen Sie mal zum Arzt!)


Ich möchte einmal kurz darauf hinweisen, was wir in
den letzten Jahren bei einzelnen Industrien, bei einzel-
nen Branchen an Senkungen bei der EEG-Umlage er-
reicht haben: Allein im Bereich der Photovoltaik wurde
die Umlage um über 50 Prozent reduziert. Hans-Josef
Fell als letzter aufrechter Lobbyist der Photovoltaik wird
wahrscheinlich am Jüngsten Tag noch sagen: Die Photo-
voltaik wird zu wenig gefördert; dafür muss mehr Geld
bereitgestellt werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Selbst die Grünen geben mittlerweile aber zu, dass man
genügend Geld eingespart hat und das auch weiterhin
tun könnte.

Es ärgert mich sehr, dass kein einziger konkreter Vor-
schlag dafür kommt, wie man das besser machen könnte.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unser Vorschlag liegt auf dem Tisch!)


Sie blockieren nur und sagen: Nein, wir waschen unsere
Hände in Unschuld. Wir haben überhaupt kein Interesse
daran, irgendjemandem irgendetwas wegzunehmen. –
Glauben Sie, dass es für uns besonders angenehm war,
dass wir nach den Vorschlägen und Konsensen, die wir
mit Herrn Altmaier und Herrn Rösler hatten, in den letz-
ten Jahren 50 Prozent weniger für die Photovoltaik gege-
ben haben? Das hat ihnen wirklich wehgetan.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat in der Branche Zehntausende Arbeitsplätze gekostet!)


Trotzdem haben wir so viel ausgebaut wie noch nie.
Es wurde noch nie so viel ausgebaut wie in den letzten
Jahren; das sage ich in jeder Debatte. Ihr Höhepunkt war
ein Ausbau um 800 Megawatt im Jahr. Bei uns waren es
immer mindestens 7 200 Megawatt.


(Jens Ackermann [FDP]: Hört! Hört!)


Das ist der Unterschied zwischen Ihrem Handeln und Ih-
rem Gewäsch, das Sie verbreiten, ohne inhaltlich tat-





Horst Meierhofer


(A) (C)



(D)(B)


sächlich etwas geleistet zu haben, außer die Kosten nach
oben zu treiben


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Franz Obermeier [CDU/CSU])


und uns regelmäßig darauf hinzuweisen, dass wir das
Geld des Verbrauchers ausgeben. Das ärgert mich furcht-
bar, weil das sehr geheuchelt ist. Sie haben hier keinen
einzigen sinnvollen Vorschlag und lehnen unsere einfach
nur ab.

Ich finde Ihre Große Anfrage mit dem Titel „Die
Energiewende – Kosten für Verbraucherinnen, Verbrau-
cher und Unternehmen“ köstlich. Sie halten uns vor
– der Herr Heil ist jetzt gegangen –, dass man hier die
Kosten dämpfen muss, und fordern die Bundesregierung
auf, zur kurzfristigen Dämpfung der Kosten eine Ver-
ständigung mit den Ländern und der politischen Opposi-
tion herbeizuführen. Das ist natürlich wirklich ganz kon-
kret.

Zur Erarbeitung eines neuen Strommarkts sei zu-
nächst eine belastbare Datenbasis in Bezug auf die Ener-
giekosten herzustellen und eine neue Governance-Struk-
tur aufzubauen. Liebe Freunde, das ist doch wirklich
nicht das Problem, das wir jetzt haben. Wir müssen uns
damit beschäftigen, wie hoch die Kosten sind und wie
wir sie senken können.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Dadurch!)


Mit Blabla werden Sie die Kosten nicht senken, sondern
können Sie nur Papier bedrucken. Mehr erreichen Sie als
Rot und Grün damit ganz bestimmt nicht.


(Beifall bei der FDP)


Jedes Mal, wenn es hinsichtlich der Kostensenkung
konkret wird, kommen Sie mit gegenteiligen Vorschlä-
gen und sagen: Nein, wir wollen keinen neuen Netzaus-
bau. – Das könnten Sie übrigens auch einmal erklären,
denn die Netzkosten spielen eine entscheidende Rolle;
man kann sich hier nicht nur über den Strompreis unter-
halten. Das führt ja übrigens dazu, dass die Differenz
zum Börsenstrompreis noch größer wird, wodurch ein
Teil des Effekts wieder aufgefressen wird. Damit errei-
chen Sie vielleicht, dass wir weniger Geld im Bundes-
haushalt haben, aber ansonsten kommt von Ihnen leider
nur extrem wenig.

Eine solche Schmalspurantwort darauf zu geben, dass
uns die Kosten aus dem Ruder gelaufen sind: Das kann
man vielleicht in einer drei- bis fünfminütigen Rede tun.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Schmalspur ist nun wirklich Ihre Spezialität!)


Wir haben dagegen jetzt wirklich circa 15 ganz konkrete
Vorschläge zum Thema Wind, zum Thema Biomasse,
zum Thema Biogas, zum Thema Wasserkraft und zur
Frage, wie man den Netzausbau weiter betreiben kann,
gemacht. Diese Punkte tun allen auch weh; das gebe ich
gerne zu.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie greifen in das Eigentum ein!)


Dass Sie als Opposition nicht bereit sind, sich an den
Kosten und damit auch an den Belastungen, die man den
Bürgern und der Industrie zum Teil aufbürdet, zu beteili-
gen und mit uns dafür einzustehen, ist Ihr gutes Recht als
Opposition,


(Zuruf von der SPD: Was wollen Sie uns sagen?)


aber dann tun Sie bitte nicht so, als hätten Sie auch nur
das geringste Interesse daran, die Kosten in den Griff zu
kriegen. Das haben Sie nämlich mit Sicherheit nicht.


(Beifall bei der FDP – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unsere Vorschläge gehen doch weiter als Ihre!)


Ob die Kosten in den Griff zu kriegen sind, mag den
Grünen, Frau Höhn, völlig egal sein. Das hat ja der ge-
schätzte Kollege Gabriel gestern in der Zeit ganz schön
zusammengefasst. Zu den Grünen und dazu, wie sie mit
den Strompreisen umgehen, hat er gesagt:

Die Grünen werden nie verstehen, wie eine Verkäu-
ferin bei Aldi denkt. Mit einem B-3-Gehalt versteht
man auch nicht, warum einer Krankenschwester
nicht egal ist, wie viel der Strom kostet.

Das ist Ihr Koalitionspartner. Was sagen Sie denn
dazu?


(Rolf Hempelmann [SPD]: Die Koalitionspartner seid ihr! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Was sagt denn Ihr Koalitionspartner? Hat der Mann recht? – Der Mann hat an dieser Stelle vollkommen recht. Es ist Ihnen egal. Es mag für Ihre Kernzielgruppe auch schnurzpiepegal sein, ob der Strom im Jahr 200 Euro mehr kostet oder nicht. (Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Uns ist das nicht egal!)


Im Gegenteil! Vielleicht hat derjenige sogar das Gefühl,
damit noch etwas Gutes zu tun. Geholfen haben Sie den
Leuten aber nicht.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Thomas Bareiß [CDU/CSU])


Herr Gambke, ich habe vorhin gehört, der Mittelstand
hätte jetzt die Möglichkeit, etwas zu produzieren. Natür-
lich! Deswegen haben wir übrigens genau darauf geach-
tet, dass der Mittelstand nicht schlechter gestellt wird als
die Großindustrie.


(Beifall bei der FDP)


Das, was Ihr geschätzter Vorgänger Trittin gemacht
hat, war, ausschließlich die Großindustrie von der Um-
lage zu befreien –


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)


alles auf Kosten des kleinen Mannes, des kleinen Hand-
werkers, des Mittelstandes und vor allem des Verbrau-
chers. Aber Herr Gabriel hat ja gesagt: Wenn jeder, der





Horst Meierhofer


(A) (C)



(D)(B)


sich bei den Grünen aufhält, mit B 3 besoldet ist, dann
ist das für Sie natürlich vollkommen egal.

Bei uns betragen die Kosten – das ist auch dem Mit-
telstand zu entnehmen – 0,1 bis 0,2 Cent pro Kilowatt-
stunde. Herr Trittin hatte 0,8 bis 0,9 Cent pro Kilowatt-
stunde beschlossen. Das ist der Unterschied zwischen
dem, was Sie gemacht haben, und dem, was wir machen.

Es ist deswegen immer wieder schön, wenn Sie hier
Ihre dünnen Vorschläge machen.


(Lachen bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Sie sind aber nicht bereit, in eine wirkliche Diskussion
mit dem Ziel einzutreten, Ergebnisse zu erhalten.

Es ist hier doch vollkommen klar, dass wir als FDP
und in der Koalition mit der CDU/CSU am Schluss nicht
alles durchsetzen werden. Wir haben gesagt, dass wir
keine rückwirkenden Eingriffe wollen. Wir haben ge-
sagt, dass wir beim Thema Güllebonus jederzeit ge-
sprächsbereit sind. Sie sind nicht gesprächsbereit.


(Ulrich Kelber [SPD]: Das sind doch unsere Vorschläge!)


Es kann doch nicht die Grundlage für eine Debatte sein,
dass Sie sich darüber beschweren, dass wir hier nicht al-
les alleine entscheiden.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie legen doch gar nichts vor! – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Meierhofer, Sie sind verzweifelt!)


– Geben Sie doch dem Herrn Kelber einmal Redezeit.
Das wäre mir lieber; denn er quatscht die ganze Zeit da-
zwischen, ohne tatsächlich etwas Vernünftiges beizutra-
gen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Was sind denn Ihre Vorschläge? Sie legen doch keine vor, schriftlich! Schriftlich und nachprüfbar!)


Bitte schön, versuchen Sie endlich einmal, sich für ei-
nen Kompromiss zu öffnen. Vielleicht schaffen das Ihre
Ländervertreter besser als Sie. Ansonsten wird wieder
nichts passieren. Das Ergebnis wäre dann, dass die Men-
schen 6,5 oder 7 Cent pro Kilowattstunde EEG-Umlage
bezahlen. Schuld sind dann leider Sie.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Meierhofer, sind Ihnen die Argumente ausgegangen?)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723108100

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort die Kol-

legin Eva Bulling-Schröter.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723108200

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Na klar, die Energiewende kostet Geld. Aller-

dings relativieren sich die Aufwendungen dann, wenn
wir auch die Kosten für die Erzeugung von Strom aus
Kohle und Atomkraft betrachten, die auf keiner Strom-
rechnung stehen. Darüber hat heute fast niemand etwas
gesagt. Stichworte sind hier Klimawandel, Gesundheits-
kosten, Störung des Wasserhaushalts oder atomare Ver-
strahlung. Das ist zwar seit langem bekannt, aber ich
denke, man muss es immer wieder erwähnen; denn Ihre
Wählerinnen und Wähler vergessen das.

Der geschätzte Kollege der CSU, Josef Göppel, hat
nicht umsonst in der Strompreisdebatte eine „gezielte
Kampagne, um die Energiewende madig zu machen“ ge-
sehen. Das ist nachzulesen auf der Webseite klimaret-
ter.info; sehr informativ.

Die Bundesregierung gibt solche externen Kosten in
ihrer Antwort auf die Große Anfrage mit 40 bis
120 Euro je Tonne CO2 an. Würde das in den Strompreis
eingerechnet, kämen wir auf Zusatzkosten von bis zu
12 Cent je Kilowattstunde. Darin sind die Langzeitrisi-
ken nicht einmal berücksichtigt. Ich finde, die EEG-Um-
lage von 5,3 Cent erscheint da in einem ganz anderen
Licht. Aber natürlich muss die Energiewende zunächst
ganz irdisch bezahlt werden, und zwar jeden Monat von
den Menschen und von den Firmen.

Die Frage ist doch einfach: Wer bezahlt wie viel? Es
ist leider so, dass nach wie vor einige wenige Unterneh-
men und Aktionäre an der Energieerzeugung Milliarden
verdienen, während Bürgerinnen und Bürger immer
draufzahlen. Noch einmal: Eon und RWE erwarten für
2012 einen astronomischen Gewinn von insgesamt über
19 Milliarden Euro. Das sind 3 Milliarden Euro mehr als
die gesamte Förderumlage für Ökostrom.

Seit der Einführung des Emissionshandels 2005 ha-
ben die vier großen Konzerne noch einmal leistungslos
rund 30 Milliarden Euro Extraprofite gemacht. Sie haben
die CO2-Zertifikate geschenkt bekommen; das wissen
Sie. Solche Gewinne ausgerechnet mit einem Klima-
schutzinstrument! Damit machen sie einen Riesenge-
winn. Jetzt jammern diese Unternehmen, weil sich ei-
nige Gaskraftwerke angeblich nicht mehr rechnen.

Jetzt könnte man einmal auf den Einfall kommen,
dass davon oder von dem Gewinn von 19 Milliarden aus
2012 ein paar Milliönchen abfallen dürften, um das
Geschäftsfeld Gasturbine, das wir brauchen, zeitweise
querzusubventionieren – das wäre doch einmal ein Vor-
schlag –,


(Beifall bei der LINKEN)


etwa so, wie es jedes vernünftige Stadtwerk mit seinem
ÖPNV macht. Aber da höre ich Sie schon: Um Gottes
willen, das wäre ja ein kommunistischer Eingriff in den
heiligen Markt. – Radikal marktwirtschaftlich wird es
dagegen sein, den Unternehmen künftig zusätzliches
Geld in den Rachen zu werfen, damit sie ihre Anlagen
nur nicht abschalten. Ich denke, Wirtschaftshistoriker
werden sich später darüber auf die Schenkel klopfen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will überhaupt
nicht so tun, als wenn Energie in einer gerechten Welt
überhaupt nichts kosten würde und als wenn es einfach





Eva Bulling-Schröter


(A) (C)



(D)(B)


wäre, ein Energiesystem radikal umzubauen. Aber so,
wie es die Bundesregierung organisiert, wird die Akzep-
tanz verspielt. Bei den Einkommensschwachen geht es
ganz konkret um Energiearmut. Sie wollen nichts än-
dern. Die FDP hat heute wieder über die Strompreiser-
höhungen gejammert. Ausgerechnet die Partei, die per-
manent privatisieren und prekäre Beschäftigung immer
mehr ausweiten will sowie Altersarmut befördert, will
sich um diejenigen kümmern, die die Strompreise nicht
mehr zahlen können. Darüber können alle nur lachen.


(Beifall bei der LINKEN)


Was ist denn mit den Privilegien für energieintensive
Unternehmen und beim Eigenverbrauch? Da wollen Sie
magere 700 Millionen Euro streichen. Das ist nur ein
Achtel dessen, was durch die Industrieprivilegien bei der
EEG-Umlage anfällt. Der Stromsektor ist nur der An-
fang. Wir brauchen Gelder für die Gebäudesanierung und
im Verkehrsbereich. Dort erwarten uns große Herausfor-
derungen, wie wir alle wissen. Da haben wir große Pro-
bleme. Wie Sie alle wissen, fehlt uns im Energie- und
Klimafonds sehr viel Geld, um beispielsweise die Ener-
gieeffizienz zu fördern. Hier herrscht einfach Ebbe im
Topf, weil die Bundesregierung den Emissionshandel
zerschossen hat. Die CO2-Preise liegen am Boden.


(Zuruf des Abg. Horst Meierhofer [FDP])


– Sie brauchen gar nicht zu brüllen, Kollege Meierhofer.
Ihre Fraktion ist es, die in der EU blockiert.

Minister Altmaier wäre bereit, hier etwas zu tun; zu-
mindest sagt er das immer. Aber Sie zerschießen den
Emissionshandel. Was Sie tun, ist nicht marktwirtschaft-
lich.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723108300

Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.


Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723108400

Ihnen geht es nur um die Profite der großen Kon-

zerne, nichts anderes. Die Kleinen sollen immer nur be-
zahlen.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723108500

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin

Bärbel Höhn.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723108600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Heute Nachmittag findet das große Energiegipfeltreffen
mit den Ministerpräsidenten bei der Kanzlerin statt. Es
geht um die Kosten der Energiewende. Aus unserer
Sicht wäre es notwendig, für eine faire Kostenverteilung
zu werben,


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


um die Verbraucherinnen und Verbraucher und den Mit-
telstand zu entlasten. Diesen werden bislang die Kosten,

Herr Meierhofer, überproportional aufgebürdet. Das
wollen wir beenden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Wer soll das bezahlen?)


Die Minister Rösler und Altmaier haben einen Vor-
schlag gemacht, der eine Entlastung in Höhe von
1,8 Milliarden Euro vorsieht. Aber dieser Vorschlag
dient nicht einer fairen Kostenverteilung, sondern aus-
schließlich dazu, die Erneuerbaren auszubremsen. Einen
solchen Vorschlag werden wir nicht unterstützen. Das ist
eindeutig und klar.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich war über die Rede von Herrn Nüßlein entsetzt. Er
stellt sich einfach hier hin und sagt, der Vorschlag von
Herrn Altmaier, bei der Förderung der Bestandsanlagen
einzugreifen, sei Verhandlungsmasse.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Für euch!)


Wer solche Vorschläge macht, der sorgt dafür, dass die
Investitionstätigkeit bei den erneuerbaren Energien in
den Keller geht, weil es keine Planungssicherheit mehr
gibt. Einen solchen Vorschlag als Verhandlungsmasse zu
bezeichnen, ist absolut unverschämt; denn er gefährdet
Arbeitsplätze in diesem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverantwortlich!)


Herr Nüßlein, Sie selber haben in Ihrer Rede eben ge-
sagt: Sozial ist, was Arbeit schafft. – Ihr Minister hat ei-
nen Vorschlag gemacht, der Arbeitsplätze gefährdet,
nach Ihren eigenen Maßstäben also einen unsozialen
Vorschlag. Das halten wir hier fest. So wenig interessie-
ren Sie sich für die Beschäftigten und die Arbeitsplätze
in diesem Land.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU]: So einfach ist die Welt!)


Wir Grüne haben schon sehr früh, nämlich im letzten
Herbst, Vorschläge gemacht, aus denen hervorgeht, wie
sich 4 Milliarden Euro einsparen lassen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was denn? Wo denn?)


Alle unsere Vorschläge liegen Ihnen vor. Deren Einspar-
volumen ist mehr als doppelt so hoch wie das des Vor-
schlags der Minister Rösler und Altmaier, ohne dabei die
erneuerbaren Energien auszubremsen. Das wollen wir
weiter verfolgen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was denn?)


– Ich komme gern auf Sie zurück, Herr Nüßlein.

Wir haben darauf hingewiesen, dass es nicht in Ord-
nung ist, dass Golfplätze von Netzdurchleitungsgebüh-
ren entlastet werden.





Bärbel Höhn


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wo sind die denn? Sagen Sie, wo!)


Sie haben sich eben hingestellt und haben gesagt, das sei
falsch. Richtig ist: Uns hat der Betreiber eines Golfplat-
zes angeschrieben und aufgefordert: Ihr Grünen, stellt
doch bitte einmal richtig, dass wir nicht zu 100 Prozent,
sondern nur zu 80 Prozent von den Netzdurchleitungsge-
bühren befreit werden. – Das stellen wir gerne richtig.
Aber diese 80 Prozent Befreiung sind auch nicht in Ord-
nung, weil sie zulasten der Verbraucher und des Mittel-
standes gehen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Stimmt doch alles nicht!)


Wir reden jetzt über eine Entlastung der Stromver-
braucher in Höhe von 1,8 Milliarden Euro. Ich finde, wir
sollten in diesem Zusammenhang auch darüber reden,
was das alles bedeutet. Ist das nicht in Wirklichkeit ein
Ablenkungsmanöver? Wenn wir – zu Recht – davon re-
den, dass Verbraucherinnen und Verbraucher von Ener-
giekosten entlastet werden sollen, dann müssen wir über
die Gesamtenergiekosten der Haushalte reden. Diese set-
zen sich aus den Kosten für Wärme, Sprit und schließ-
lich für Strom zusammen. Wir müssen über alle drei Be-
reiche reden; denn sie alle belasten die Haushalte.

Aber Sie reden vor allem über die Stromkosten. Das
finde ich schon spannend. Sie reden über eine Entlastung
von 1,8 Milliarden Euro. Die haben die beiden Minister
auf den Tisch gelegt. Das bedeutet für eine drei- bis vier-
köpfige Familie mit einem normalen Stromverbrauch
eine Entlastung von 1,5 Euro im Monat. Nach einem so
kalten Winter, den wir in diesem Jahr haben, müssen wir
aber auch über die Heizkosten reden, darüber, wie wir
endlich dahin kommen, Energie einzusparen. Nur dann,
wenn wir Energie einsparen, werden wir die Leute auf
Dauer entlasten. Alles andere sind nur vorübergehende
Maßnahmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Die schwarz-gelbe Regierung hat in ihrer Zeit erheb-
lich zu der Stromkostenerhöhung beigetragen. Jetzt re-
den wir über das EEG, aber Sie sind 2009 ins Amt ge-
kommen. Von 2009 bis jetzt ist der Strompreis um
6 Cent gestiegen. Im Zusammenhang mit den 1,8 Mil-
liarden Euro reden wir über eine Entlastung um
0,5 Cent. Deshalb sage ich: Lassen Sie uns auch über die
6 Cent sprechen, um die sich während Ihrer Regierungs-
zeit die Kosten erhöht haben. So einfach lassen wir Sie
nicht davonkommen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es geht eindeutig und klar um Energieeffizienz. Da
sehe ich von dieser Bundesregierung nichts. Sie müssten
sich für einen ehrgeizigeren Klimaschutz einsetzen. Sie
müssen dafür sorgen, dass wir mehr Einnahmen über
Klimazertifikate erzielen, Sie müssen dafür sorgen, dass

wir Dämmmaßnahmen ergreifen können, schließlich
müssen Sie dafür sorgen, dass die Antieffizienzpolitik,
die Sie momentan betreiben und die die Energiekosten
hochtreibt, endlich gestoppt wird. Das wollen wir näm-
lich nicht mehr mitmachen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Heute gibt es ein Verfahren vor dem EuGH. Gaskun-
den klagen dagegen, dass die Gaspreise in vier Jahren
um 50 Prozent erhöht worden sind. Darum müssen wir
uns kümmern. Das ist auch eine soziale Frage. Die hat-
ten wir allemal früher als Sie, Herr Breil, im Auge. Der
Antrag der Grünen ist schon 2008 im Bundestag behan-
delt worden. Unsere Vorschläge liegen schon Jahre auf
dem Tisch. Ich bin dafür, dass wir diesen Familien hel-
fen, aber nicht nur bei den Stromkosten und durch Sym-
bolpolitik, sondern auch bei den Kosten für Wärme und
Sprit; denn alles zusammen belastet die Familien. Des-
halb müssen wir ein Gesamtpaket schnüren.

Die Lösung ist nicht, gegen erneuerbare Energien
vorzugehen, sondern die Lösung des Problems besteht
darin, auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz zu
setzen. Das ist die Lösung, um die Energiekosten in den
Griff zu bekommen. Da sollten wir ansetzen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723108700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege

Norbert Schindler das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1723108800

Danke schön, Herr Präsident. – Liebe Gäste auf der

Tribüne! Liebe Kolleginnen und liebe Kollegen hier im
Plenum! Der Antrag behandelt eigentlich die Stromsteu-
ersenkung, aber die Generaldebatte betrifft natürlich die
gesamte Belastung, die durch die Stromsteuer, aber auch
durch das EEG entstanden ist.

Wie hat es angefangen? 2000/2001 wurde die Öko-
steuer eingeführt. Trittin hat damals für eine Erhöhung
auf über 2 Cent pro Kilowattstunde geworben. Vorge-
schlagen hat er Ausnahmen beispielsweise für Alumini-
umwerke und für Betriebe, die nicht von der Entlastung
durch die Senkung der Lohnnebenkosten profitieren
können. Das war die Ausgangslage, um den Wirtschafts-
standort Deutschland zu stärken.

Die EEG-Umlage, die damals beschlossen wurde,
hatte einen Anteil von 0,1 bis 0,2 Cent pro Kilowatt-
stunde. Heute sind wir schon – damit hat niemand ge-
rechnet – bei 5,7 Cent.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 5,2 Cent!)


– 5,7 Cent pro Kilowattstunde.


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: 5,27!)






Norbert Schindler


(A) (C)



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– Danke. Sie haben recht. – Im nächsten Jahr sind wir
bei 7,2 Cent oder noch mehr bei der Geschwindigkeit
des Ausbaus.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


– Streiten wir uns doch nicht über die Entwicklung drau-
ßen, die können wir derzeit nicht aufhalten – genauso
wenig wie das Schneewetter heute.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Hätten Sie mal vorher gehandelt!)


Welcher Vorwurf wird gegenüber Herrn Altmaier er-
hoben? – Wir alle wissen, wenn wir das so laufen lassen
– das sehen auch die Länder so –, dann haben wir im
nächsten Jahr wieder einen hohen Anstieg des Strom-
preises. In der Debatte reden die Fraktionen der Linken
und auch der SPD über eine Absenkung um 0,5 Cent pro
Kilowattstunde der Stromsteuer für alle; das wären Min-
dereinnahmen von 1 Milliarde Euro. Dies muss im Bun-
deshaushalt dann irgendwo gegenfinanziert werden.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Da haben wir einen Vorschlag gemacht: zusätzliche Einnahmen aus der Mehrwertsteuer! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Aber Sie haben nicht mehr Geld bei der Mehrwertsteuer!)


Und dieser Bundeshaushalt, liebe Gäste, liebe Freunde,
wird zu 40 Prozent von den Leistungsträgern im Ein-
kommensteuer- und Lohnsteuerbereich finanziert.

Jetzt kann man darüber reden, ob wir 500 Millionen
Euro aus der Mehrwertsteuer nehmen und sie gezielt ir-
gendwo einsetzen. Die Stromsteuer generell linear von
2,05 Cent auf 1,5 Cent pro Kilowattstunde abzusenken,
wäre der leichteste Weg. Wie das heute Nachmittag oder
heute Abend läuft, weiß ich nicht – ich bin auch nicht in
Gottes Hand –, aber man versucht hoffentlich, einen
Kompromiss zu erreichen.

Ein Vorwurf gegenüber Peter Altmaier war, er wolle
in Besitzstände aus der Vergangenheit eingreifen; und
auch Dr. Nüßlein wurde vorgeführt – Stichwort Poker-
spiel.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das hat er gesagt!)


Natürlich muss man mit den Ländern darüber reden,
welche Ideen im politischen Kompromiss umsetzbar
sind. Da vermisse ich von der Opposition schon kon-
krete Vorschläge.


(Rolf Hempelmann [SPD]: International sind wir mittlerweile zur Bananenrepublik geworden! – Ulrich Kelber [SPD]: Zeitung lesen!)


Noch ein ernstes Wort an die SPD: Lieber Herr Heil,
Ihre Klientel ist ja in der Hauptsache mit davon betrof-
fen, wenn Investoren wie meine Person Geld in die Hand
nehmen, mit Kollegen ein Windrad auf einem Wind-
standort von 6,0 auf Nabenhöhe bauen, das im achten
Jahr bezahlt ist. Im neunten Jahr unterhalten wir fünf
oder sechs uns dann darüber, wie wir die Gewinne ver-

teilen. Wollen wir dies auf Dauer bei der garantierten
Summe halten?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nö!)


Ich habe hier einen Vertragsentwurf – Sie können das
nachlesen –


(Der Redner hält ein Papier hoch)


von einem mir sehr gut bekannten Unternehmen über die
Miete für einen Windstandort dabei. Vertragspartner ist
ein Grundeigentümer. Der Vertragsentwurf ist drei Wo-
chen alt. Er wird wahrscheinlich unterschrieben werden.
Im ersten Jahr ist eine Miete von 47 000 Euro für den
Standort – da geht es um ein halbes Hektar – garantiert.
Wenn der Stromertrag besser ist, dann beträgt die Miete
7,5 Prozent vom Nettostromertrag. Nach dem elften Be-
triebsjahr erhöht sich die Miete für dieses Grundstück
auf 53 000 Euro. Ich gebe den Vertrag gerne einmal wei-
ter.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das kennen wir doch!)


– Ich will nur auf die Verzerrungen hinweisen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie ist Ihr Vorschlag?)


Dann hat Peter Altmaier doch recht. Bei solchen Sub-
ventionierungen und Kapitalzuteilungen der besonderen
Art wird mit 9 Cent pro Kilowattstunde an normal guten
Windstandorten richtig Geld verdient. Das ist eine Geld-
druckmaschine.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Macht doch den Vorschlag für die Absenkung!)


Ich bin Windmüller, ich kann die Kalkulation im neun-
ten Jahr bestens nachvollziehen. Wer bei einer Windge-
schwindigkeit von 6,0 Metern pro Sekunde ein Windrad
hat, der hat zwar nicht ausgesorgt, aber das ist wie bei
guten Photovoltaikstandorten eine Gelddruckmaschine.


(Rolf Hempelmann [SPD]:Also macht doch einen Vorschlag!)


Es ist der Ansatz von Herrn Altmaier, in Zukunft bei die-
sen Garantien den Preis abzusenken.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Bei Neuanlagen! Das macht Sinn! Aber nicht beim Bestand!)


Das hat doch eine Logik! Aber Sie lehnen das einfach ab
und reden von einem Stopp. Das ist genau das gleiche
Horrorszenario wie vor einem Jahr bei der Absenkung
der Photovoltaikvergütung. Und was haben wir seit 2009
nicht alles probiert, Frau Höhn!


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist doch völlig in Ordnung bei Neuanlagen! – Weiterer Zuruf von der SPD)


– In meinem Wahlkreis Vorderpfalz.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723108900

Herr Kollege Schindler, entschuldigen Sie, dass ich

Sie unterbreche. Der Kollege Kelber würde gerne eine
Zwischenfrage stellen.






(A) (C)



(D)(B)



Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1723109000

Die Uhr wird aber angehalten.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist doch immer so!)


Bitte.


Ulrich Kelber (SPD):
Rede ID: ID1723109100

Vielen Dank für die Möglichkeit zur Zwischenfrage.

Der Vorschlag von dem Kollegen Altmaier zur Ab-
senkung bezog sich ja keineswegs auf so gute Standorte,
an denen der Abgeordnete Schindler anscheinend Geld
verdient, sondern er wollte eine allgemeine Absenkung,
unabhängig vom Standort – wenig an den richtig guten,
aber zu viel für die schlechteren. Das war nicht beson-
ders intelligent, und genau dazu macht Ihnen die Oppo-
sition einen anderen Vorschlag.


Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1723109200
Ausgerechnet der größte
Lobbyist im Haus!)

Ich möchte noch eine Frage stellen. Sie haben erzählt,
man könne bei den erneuerbaren Energien Gewinne ma-
chen. Das sei Ihnen gegönnt. Aber ist nicht das größere
Problem, dass unter Schwarz-Gelb, als sich die Aus-
schüttungen an die Betreiber von Erneuerbare-Energien-
Anlagen nur um etwa 80 bis 90 Prozent erhöht haben,
300 Prozent mehr Umlage bei den Verbraucherinnen und
Verbrauchern eingesammelt worden sind, weil Ihre Kon-
struktion des EEG wegen der Ausnahmen, wegen fal-
scher Berechnungsmethoden immer weiter kaputtgegan-
gen ist? Sie haben viermal so viel Geld eingesammelt,
ohne es für erneuerbare Energien auszugeben.


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1723109300

Herr Kollege Kelber, Sie kennen doch selbst die

Liste, Stichwort „Automatismus“, die ebenfalls von Rot-
Grün 2001 vorgelegt wurde; ich habe sie da.


(Hans-Josef Fell [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, nein! Das ist 2009 novelliert worden! Das mit dem Automatismus stammt von euch!)


– Ja. Da gab es Verbesserungen und Verschlechterungen,
Herr Kollege Fell. – Aber beim EEG hatten wir eine
Rückvergütung von 5,3 Milliarden Euro. Allein bei der
Stromsteuer, um die es heute geht, hatten wir eine Rück-
vergütung von 3,8 Milliarden Euro. Dieses Geld haben
wir der Wirtschaft zurückgegeben.

Auf die Stromsteuer insgesamt entfallen 10,8 Milliar-
den Euro. Was die 3,8 Milliarden Euro Rückvergütung
bei der Stromsteuer angeht: Allein auf den Spitzenaus-
gleich entfielen 2,1 Milliarden Euro. Auf das EEG – be-
züglich der Kraft-Wärme-Kopplung verweise ich auf
das, was uns die Europäische Union gerade genehmigt
hat – entfällt ein Anteil von 2,3 Milliarden Euro.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie sprechen über die Stromsteuer! Falsches Thema!)


– Hier will ich nur entgegnen: Siehe, was Peter Altmaier
macht. Es geht um die Frage der Empfindlichkeit, auch
gegenüber meinen Bauern; ich weiß das schon. Bei be-

stimmten Mietverträgen wird jeder schwach, nicht nur
ein Bürgermeister.

Wenn eine Kürzung von 4 Prozent ins laufende Ge-
schäft hineingekommen wäre, wäre keiner bankrottge-
gangen. Ich rede nicht vom Güllebonus und Sondervor-
fällen. Man bedenke, was im laufenden Geschäft bei
einem Standort mit 6,0 Metern pro Sekunde, einem
schwachen Standort in der Pfalz, geschieht. Wenn man
da Angebote von 50 000 Euro pro Windrad auf einer be-
stimmten Fläche macht, dann muss ich doch feststellen:
Diese soziale Geldverschiebung kann diese Republik auf
Dauer nicht aushalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


– Ist es anders?

Wir reden über Ausnahmen im Stromsteuerbereich.
Es geht zum Schluss um 1 Milliarde Euro oder eine
halbe Milliarde Euro mehr oder weniger. Es gilt, einen
vernünftigen Kompromiss zustande zu bringen, damit
die Stromkosten für Lieschen Müller genauso wie für die
Oma, die eine geringe Rente hat, auf Dauer finanzierbar
sind. Da müssen Sie uns folgen, liebe Kolleginnen und
Kollegen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stellen wir doch gar nicht infrage!)


– Doch. Das eine hängt mit dem anderen unmittelbar zu-
sammen, Frau Kollegin Höhn; Sie wissen es doch. Wer
hat denn mit diesen Ausnahmen den Fluch der guten Tat
verursacht?


(Rolf Hempelmann [SPD]: Bei uns sind die nie beklagt worden!)


Das wart doch ihr.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Bei Ihnen ist ein Urteil des OLG Düsseldorf ergangen!)


Wer hat denn voriges Jahr bei der Kürzung der Photo-
voltaikförderung den Untergang des Abendlandes pro-
phezeit?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Trotz dieser Kürzungen gab es im letzten Jahr noch ge-
nügend Photovoltaikunternehmen. Auch jetzt noch über-
legen Landwirte in meiner Heimatregion, in Photovol-
taik auf ihren Dächern zu investieren. Das machen sie
nicht, um Verluste zu machen, sondern weil sie wissen,
dass sie ihre Erträge damit steigern.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723109400

Kollege Schindler, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung der Kollegin Höhn?


(Ulrich Kelber [SPD]: Er antwortet auf die Fragen gar nicht!)



Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1723109500

Ja, gerne. Wir streiten auch sonst, ohne Mikro.


(Heiterkeit)







(A) (C)



(D)(B)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723109600

Diesmal sollen alle daran teilhaben. Deswegen benut-

zen Sie bitte das Mikrofon.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723109700

Danke schön. – Herr Schindler, Sie haben eben ge-

sagt, für diese ganzen Ausnahmen sei Rot-Grün verant-
wortlich. Ist Ihnen bekannt, dass vor wenigen Wochen
das Oberlandesgericht Düsseldorf ein Urteil zu den
Netzdurchleitungsgebühren gefällt hat? Einige hatten
geklagt, und das Gericht hat festgestellt: Die Ausnah-
men, die die jetzige Regierung, Schwarz-Gelb, geschaf-
fen hat, sind überbordend, und deshalb müssen wir sie
stoppen. Ist Ihnen das bekannt?


(Beifall der Abg. Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])



Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1723109800

Ja.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723109900

Ist Ihnen bekannt, dass die EU jetzt ein Beihilfever-

fahren gegen die Bundesregierung wegen der Ausnah-
men bei den Netzgebühren gestartet hat, weil die unter
Schwarz-Gelb geschaffenen und ausgeweiteten Ausnah-
men der EU zu weit gehen?

Sind Ihnen diese beiden Vorgänge bekannt?


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1723110000

Ist Ihnen bekannt, Frau Kollegin Höhn,


(Zurufe von der SPD: Antworten!)


dass Peter Altmaier auch mit Blick auf die Besitzstände
der Industrie Reduzierungsvorschläge gemacht hat?


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ja, nachträglich! Wer hat den Brand erst gelegt?)


– Das war vor diesem Gerichtsurteil. Die zeitliche Ab-
folge war so. Ich habe noch kein Alzheimer.


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Schindler, Sie wissen es nicht! – Rolf Hempelmann [SPD]: Er wusste ja, was kam!)


Ich will abschließend sagen – das gilt für jeden Inves-
tor; ich verweise darauf nicht nur wegen der Kostenbe-
lastung insgesamt –:


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Erst Feuer legen und dann Feuerwehr spielen!)


Man sollte die Finger von Investitionen in Anlagen an
einem Standort unter 6 Metern pro Sekunde lassen. Aber
die Verkäufer dieser Anlagen haben keine Hemmungen
– in der Sprache des Landwirts –, die letzte Kuh in Zah-
lung zu nehmen, um die Melkmaschine zu verkaufen.
Darum geht es in der Debatte.

Nun zu dem, was wir in den Ländern draußen erleben.
Da gibt es ja sogar rot-grüne Vorwürfe gegenüber Berlin.
Ich verweise nur auf Rheinland-Pfalz und Baden-
Württemberg; ich bleibe bei den beiden Bundesländern,

die ich über den Rhein hinweg sehe; da wohne ich. Ba-
den-Württemberg schlägt zur Energiewende vor: 70 Pro-
zent Biomasse. Rheinland-Pfalz schlägt vor: 17 Prozent.
Rheinland-Pfalz schlägt im Bereich Windenergie vor:
60 bis 70 Prozent. Baden-Württemberg dagegen: 9 bis
10 Prozent.

Nun kommt also Rot-Grün – bei 16 Programmen der
Bundesländer! –


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Bayern auch! – Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist die jetzige Situation, weil Sie nicht koordinieren!)


und wirft Peter Altmaier oder der Bundesregierung vor,
kein Konzept zu haben. Mit diesen Vorschlägen erzeugt
ihr mehr Durcheinander, als in einem unruhigen Kinder-
garten herrscht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Sie koordinieren ja nicht! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Eure Schuld, weil ihr keine Führung habt! Bayern will autark werden bei der Energie! Was für ein Unsinn! Sagen Sie mal was dazu!)


Das Gleiche haben wir in Schleswig-Holstein erlebt.
Schleswig-Holstein will die Stromerzeugung aus Wind-
energie auf das Siebenfache ausbauen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist denn der Vorschlag des Bundes?)


Herr Heil, dann sorgen Sie aber auch dafür, dass die
Genehmigungsverfahren für die Durchleitungsrechte
durchgeführt werden!


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Kehren Sie mal vor der eigenen Haustür, in Bayern beispielsweise!)


Wer hat denn die Subventionierung entlang der Auto-
bahnen und sonstigen Verkehrsstrecken 2008 unter
Sigmar Gabriel maßgeblich durchgesetzt, gegen meinen
persönlichen Widerstand?


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Keine Koordinierung! Sie koordinieren gar nichts! Sie machen nur kaputt!)


Das war die schwarz-rote Koalition. Die Bundesländer
nutzen das jetzt aus.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Weil Sie nicht koordinieren!)


Daraus können Sie mir doch keinen Vorwurf machen.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das machen wir doch nicht!)


Betriebswirtschaftlich hat jeder richtig investiert, ob in
Photovoltaik oder in Windräder, weil er einen Ertrag
hatte. So haben es die Bundesländer vor Ort auch umge-
setzt. Jetzt den Vorwurf zu erheben, Peter Altmaier habe
kein Konzept,


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Ja! – Rolf Hempelmann [SPD]: Das ist kein Vorwurf, das ist Tatsache!)






Norbert Schindler


(A) (C)



(D)(B)


das geht nicht. Wenn wir uns jetzt nicht an einer gemein-
samen Linie orientieren, steigen im nächsten und über-
nächsten Jahr die Strompreise allein durch die EEG-
Umlage, unabhängig von der Stromsteuer,


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ihr Werk!)


auf über 7 oder 8 oder 9 Cent. Und was machen wir
dann? Dann dreht sich die gesamte Stimmung.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wo ist das ressortabgestimmte Konzept? – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wo ist der Vorschlag für die Grundprobleme? – Ulrich Kelber [SPD]: Kein Konzept!)


– Die Vorschläge hat Peter Altmaier gemacht.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723110100

Kollege Schindler, ich unterbreche den Austausch

zwischen Ihnen und Herrn Heil nur ungern, aber Sie
müssen zum Schluss kommen.


Norbert Schindler (CDU):
Rede ID: ID1723110200

Ich komme zum Schluss. – Ich hoffe, die Vernunft der

Bundesländer wird heute Abend bei der gemeinsamen
Debatte und der Lösungsfindung zum Tragen kommen.
Was wir für wenige Investoren, die große Profite haben,
Lieschen Müller bei der EEG-Umlage zumuten, kann
man durch die Stromsteuerabsenkung – das macht
0,5 Cent pro Kilowattstunde aus – nicht ausgleichen.


(Dr. Hermann E. Ott [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unfassbar! – Ulrich Kelber [SPD]: Unfassbar!)


Das ist absolut nicht der richtige Weg, weil dann wieder
die Leistungsträger – es sind nur 38 bis 40 Prozent, die
Steuern zahlen – das schultern müssen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Du sagst absichtlich die Unwahrheit, Norbert!)


Das ist wieder genau der Neideffekt. Den hatten wir
auch schon, als es um Maßnahmen gegen die kalte Pro-
gression ging. Wir können doch nicht gegen besseres
Wissen argumentieren.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das tun Sie gerade, Herr Abgeordneter! – Ulrich Kelber [SPD]: Absichtlich die Unwahrheit gesagt! Herr Altmaier hat vorgeschlagen, heute nichts zu beschließen! Das hat er den Ländern schon zugeschickt! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Nichts will die Bundeskanzlerin heute beschließen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723110300

Das Wort hat die Kollegin Gabriele Groneberg für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1723110400

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrte Damen und Herren! Herr
Schindler, ich schätze Sie sehr,


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist gut!)


aber: Dieses Engagement, das Sie gerade gezeigt haben,
würde ich mir von Ihnen wünschen, wenn es darum geht,
dass trotz der hohen Gewinne der Stromkonzerne, die
Atomkraftwerke betreiben, der Steuerzahler letztendlich
die Entsorgungskosten finanzieren muss. Die Entsor-
gung wird ja nicht von den Energiekonzernen gemacht.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/ CSU]: Die Gesetze sind 40 Jahre alt!)


Ich weiß, dass das Thema „Energie und Energiesi-
cherheit“ bei Ihnen mittlerweile überaus unbeliebt ist,
weil das kein Feld ist, auf dem Sie sich profilieren kön-
nen, und kein Thema, mit dem Sie gewinnen. Es ist wie
immer in den letzten Wochen, wenn wir an diesem
Thema gearbeitet haben: Sie sagen, dass Sie die Energie-
wende wollen. Sie beklagen die hohen Strompreise.
Aber Sie handeln nicht. Offensichtlich sind Sie wirklich
nicht willens und nicht in der Lage, zu handeln. Im
Zweifelsfall streiten Sie lieber untereinander, und die
Strompreise steigen derweil. Sie haben auch gleich einen
Sündenbock dafür gefunden. Sie verunglimpfen das
EEG als Preistreiber – und das in dem Wissen, dass das,
was Sie hier erzählen, so nicht richtig ist. Man nehme
nur Ihre eigenen Aussagen aus den Fragestunden oder
das, was der Kollege Hempelmann vorhin aus dem Inter-
netauftritt des Bundesministeriums für Umwelt ganz an-
schaulich geschildert hat.

Neuerdings ziehen Sie durch das Land und sagen, Sie
wollen die Ausnahmeregelungen für die Industrie zur
Befreiung der EEG-Umlage überprüfen und eine Strom-
preisbremse einführen. Gut, die Worte höre ich wohl,
allein mir fehlt der Glaube. Ist es nicht so, dass Sie im
Oktober letzten Jahres verkündet haben, ein Forschungs-
vorhaben in Auftrag zu geben, welches bis zum 31. Juli
2014 – wohlgemerkt: 2014 – abgeschlossen sein soll, um
festzustellen, wie es sich mit den ganzen Ausnahmerege-
lungen verhält? Bis dahin ist es noch lange hin. Im Zwei-
felsfall werden Sie nicht mehr regieren.

Das es nicht hilft, wenn wir Ihnen dies vorhalten, zi-
tiere ich aus der Rede von Sven Morlok, Staatsminister
in Sachsen, nicht unserer Fraktion zugehörig,


(Zuruf von der LINKEN: FDP!)


sondern eher auf der Regierungsseite zu finden. Im Ok-
tober letzten Jahres sagte er im Deutschen Bundestag:

An die Adresse der Bundesregierung möchte ich
folgende Worte richten: Herr Altmaier, ich habe
Ihren Maßnahmenplan gelesen. Ich muss jedoch
deutlich sagen: Verschonen Sie uns mit neuen Gut-
achten auf Kosten der Steuerzahler. Diese brauchen
wir nicht mehr.

Jetzt kommt es ganz dicke:





Gabriele Groneberg


(A) (C)



(D)(B)


Die Bundesregierung leidet nicht an einem Mangel
an Gutachten, sondern an einem Mangel an Ein-
sicht.

Dem ist ja wohl nichts mehr hinzuzufügen.


(Beifall bei der SPD – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Hört! Hört!)


Herr Meierhofer, im Gegensatz zu Ihnen haben wir
Vorschläge gemacht. Leider fehlt uns zurzeit die Mehr-
heit in diesem Hause.


(Klaus Breil [FDP]: Kriegen Sie auch nicht!)


Wenn Sie an eigenen Vorschlägen nicht arbeiten oder
nicht arbeiten können, so können Sie unsere nehmen.
Wir haben nichts dagegen. Wir würden denen dann sogar
gerne zustimmen. Offensichtlich sind die Regierungs-
koalitionen aus CDU/CSU und FDP in den Ländern re-
alistischer als diese Bundesregierung. Wir werden sehen,
was heute dabei herauskommt, auch wenn dem schon
vorgegriffen wurde, indem Herr Altmaier sagte: Heute
kommt nichts heraus.

Ich zitiere an dieser Stelle noch einmal aus der Rede
d
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1723110500


Als Sofortmaßnahme muss die Stromsteuer zum
1. Januar 2013

– mittlerweile abgelaufen –

reduziert werden, und zwar auf das europäische
Mindestniveau.

Na bitte, unsere Vorschläge gehen auch in diese Rich-
tung. Warum machen Sie das nicht hier?


(Beifall bei der SPD)


Es ist doch so, dass der Staat zurzeit rund 1 Milliarde
Euro Mehreinnahmen pro Jahr über die Stromsteuer ge-
neriert. Da wäre es doch vernünftig, dieses Geld den
Verbraucherinnen und Verbrauchern im Energiebereich
zurückzugeben.

Der Anlass der heutigen Debatte sind jedoch drei An-
träge der Linken sowie unsere Große Anfrage zur Ener-
giewende und deren Kosten für die Verbraucherinnen
und Verbraucher. Es ist richtig, es gibt in Deutschland
immer mehr Haushalte, denen der Strom gesperrt wird,
weil sie nicht zahlen können. Gründe für die Zahlungs-
unfähigkeit sind zum einen sicherlich in den hohen Ener-
giekosten zu finde, aber eben nicht ausschließlich. Ihre
Vorschläge, liebe Kolleginnen und Kollegen von den
Linken, um diese Misere zu beheben, halten wir zumin-
dest in großen Teilen für nicht zielführend. Im Aus-
schuss haben wir über diese Vorschläge diskutiert und
sie abgelehnt. Wir lehnen sie deshalb ab, weil wir dage-
gen sind, neue und vor allen Dingen komplexe Subven-
tionstatbestände einzuführen. Sie sind nicht zielführend.
Man sollte sich das gründlich überlegen. Ich berufe mich
auf ein Gutachten von Prognos, aus dem ich auch zitie-
ren möchte:

Einkommensschwache Haushalte werden mit bis zu
8,3 % des verfügbaren Nettoeinkommens stärker

durch Haushaltsenergiekosten belastet als Haus-
halte mit durchschnittlichem und überdurchschnitt-
lichem Einkommen. …

Sozialtarife …

– das ist die Konsequenz, die daraus gezogen wird –

haben sich in der Praxis jedoch nicht bewährt. Die
Privatisierung des Strommarkts und die zuneh-
mende Anzahl von Anbietern, die ausschließlich
über das Internet kommunizieren, erschwert Verein-
barungen mit sämtlichen Stromanbietern eines
Netzgebiets zugunsten von einkommensschwachen
Personen.

Viele sind ja auch – das sage ich Ihnen – gar nicht
mehr in der Lage, diesen Markt mit rund 1 000 Strom-
anbietern und 800 Gasanbietern überhaupt noch zu
überblicken. Wer soll das denn noch übersehen können?

Darüber hinaus wurden mangelnde Anreize zu
Energieeinsparung und Klimaschutz durch Sozial-
tarife kritisiert.

Diese Argumente sind zu erwägen. Sozialtarife kann
man nicht einsetzen, wenn man keine Spartarife verwen-
det.

Deswegen plädiert unsere Fraktion dafür, dass man
gerade für den Bereich der einkommensschwachen
Haushalte Wert auf Energieberatung legt. Es macht
Sinn, solche Projekte, wie sie zum Beispiel von der Ca-
ritas gemacht werden, zu unterstützen und zu fördern.
Das ist sicherlich zielführender, als von vornherein nur
auf eine reine Subventionierung der Strompreise hin-
auszuwollen.

Es ist im Übrigen nicht der Strompreis allein, der den
Menschen zu schaffen macht, sondern es sind auch die
übrigen Kosten, etwa für Heizung oder für Mobilität.
Diese werden vor allen Dingen durch konventionelle
Energieträger verursacht. Deren Preis steigt genauso
massiv, und das hat mit den erneuerbaren Energien
nichts zu tun.

Herr Nüßlein, ich finde das, was Sie in Ihrer Rede im
November des letzten Jahres gesagt haben, dass nämlich
die Energiekosten die Sozialhilfeträger übernehmen soll-
ten, viel zu billig. Was ist das denn schon wieder für ein
Verschiebebahnhof? Sollen die Kommunen, die schon
genug Schwierigkeiten haben, ihre Infrastruktur auf-
rechtzuerhalten, in Zukunft auch noch dafür zahlen, dass
die Bundesregierung nicht in der Lage ist, Maßnahmen
zu ergreifen, damit der Strompreis nicht übermäßig
steigt?

Ich bin der Ansicht: Wir brauchen eine andere Regie-
rung. Daran werden wir arbeiten. Sie sind offensichtlich
nach wie vor konzeptionslos. Sie sind nicht bereit, Ener-
gieeffizienz zu unterstützen, energieeffiziente Geräte
und Fahrzeuge auf dem Markt zu platzieren bzw. erst
einmal deren Entwicklung bis zur Einsatzreife zu unter-
stützen.





Gabriele Groneberg


(A) (C)



(D)(B)


Ich setze meine Hoffnungen auf den Bundesrat mit
seiner starken rot-grünen Mehrheit, denn hier im Bun-
destag ist in der Beziehung mit Ihnen absolut kein Staat
zu machen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723110600

Letzter Redner in dieser Debatte ist der Kollege Franz

Obermeier für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1723110700

Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Ich

möchte versuchen, zusammenzufassen, was heute debat-
tiert wurde.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird schwierig! Das können wir nicht akzeptieren!)


Als Erstes möchte ich dem Kollegen Norbert
Schindler ausdrücklich danken,


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Ja, er hat recht gehabt!)


dass er das System der Umverteilung von unten nach
oben plastisch dargestellt hat. Vielen Dank!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Rolf Hempelmann [SPD]: Er ist oben!)


– Norbert Schindler ist in diesem Fall als Unternehmer
oben.

Zweitens. Uns gelingt es nicht, diese Dinge so in den
Griff zu bekommen, dass man sie vernünftigerweise
verantworten kann.

Ich will nur daran erinnern, welche Horrorbotschaften
die Opposition in den zurückliegenden Jahren ausge-
sandt hat, als wir gesagt haben, dass wir die Vergütungs-
sätze kappen bzw. herunterfahren müssen, weil sie für
die deutsche Volkswirtschaft nicht mehr finanzierbar
sind. Jetzt haben wir einen Umlagesatz von 5,27 Cent
pro Kilowattstunde, und alle klagen über die hohen
Preise. Dabei wird viel zu wenig diskutiert, dass der
Preisanstieg im Prinzip systemimmanent ist; er liegt im
System.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ja! Deswegen müssen wir ja daran arbeiten!)


Herr Bundesumweltminister, wir müssen es schaffen,
diesen systembedingten Mangel so zu korrigieren, dass
die Preise nicht weiter so rasch ansteigen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ja!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das Problem besteht
schlicht und einfach darin, dass der Ausbau der erneuer-
baren Energien jedenfalls in den vergangenen zwei
Jahren viel zu rasch vorangeschritten ist und wir bei der
vernünftigen Nutzung des aus erneuerbaren Energien er-
zeugten Stroms nicht nachgekommen sind. Die Bürge-

rinnen und Bürger unseres Landes haben kein Verständ-
nis dafür, dass wir den Ökostrom teilweise an Polen und
die Beneluxstaaten verschenken, mitunter sogar dafür
zahlen, dass sie uns den Strom abnehmen, und die Kos-
ten auf die Verbraucher hierzulande umgelegt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das ist ein Missstand, dem wir gemeinsam abhelfen
müssen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ja! Und das sind genau die Themen, mit denen sich die Bundesregierung nicht befasst!)


Das, was Sie als Opposition hier leisten, stellt allerdings
keinen Beitrag zur Problemlösung dar.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Es ist enorm, was wir leisten!)


Kolleginnen und Kollegen, ich will bei der Gelegen-
heit noch darauf hinweisen, dass es bei diesem Thema
keine Tabus geben darf.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollten doch nur zusammenfassen!)


Dass wir zum Beispiel heute noch jedem, der gemäß
EEG einen Antrag zur Förderung von Strom aus erneu-
erbaren Energien stellt, die Einspeisevergütung für
20 Jahre garantieren, müssen wir zur Diskussion stellen.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Ändert es doch! Macht einen Vorschlag!)


– Sie sagen, wir sollten es ändern. Ich erinnere an all das,
was beim Bundesrat liegt und was Sie dort über Monate
aus rein parteipolitischen Gründen blockieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Lachen des Abg. Rolf Hempelmann [SPD])


Und dann reden Sie mir hier ins Gewissen und sagen,
wir sollten einen Vorschlag einbringen! Der Vorschlag
würde im Bundesrat seitens der Opposition aus wahl-
kampftechnischen Gründen sofort abgelehnt.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Ich habe doch gerade Ihren Staatsminister zitiert, nicht unseren!)


Kolleginnen und Kollegen, ich appelliere auch vor ei-
nem anderen Hintergrund an die Opposition: Das, was
wir heute diskutieren, nämlich der weitere Aufwuchs bei
den Vergütungen nach dem EEG, zu dem es wahrschein-
lich im Herbst kommt,


(Rolf Hempelmann [SPD]: Schon wieder ein halbes Jahr verschenkt!)


ist nur ein Teil dessen, was uns in den nächsten Monaten
noch erhebliche Sorgen machen wird. Es geht hier auch
um die Umlage bei den Netzentgelten. Ich führe jetzt
nicht die Scheindebatte – sie kommt hauptsächlich von
den Grünen –, dass wir die ganzen Strompreisexzesse
mit den Befreiungen von der Umlage auslösen. Die Lü-
gen, Frau Höhn, die die Grünen über Wochen im deut-
schen Volk und in den Medien verbreitet haben,





Franz Obermeier


(A) (C)



(D)(B)



(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unverschämt! Das nehmen Sie zurück!)


sind längst widerlegt.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich will vielmehr darauf zu sprechen kommen, dass es
durch den Ausbau der Übertragungsnetze und der Ver-
teilnetze zu einem weiteren Aufwuchs beim Strompreis
kommen wird.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723110800

Kollege Obermeier, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung der Kollegin Höhn?


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1723110900

Nein. Frau Höhn hat ihre Ansprache schon gehalten.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie kann nachher eine Intervention machen.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann mache ich eine Intervention!)


Ich will nur sagen: Wenn es uns nicht rasch gelingt,
den Aufwuchs bei den EEG-Vergütungen und bei den
Netznutzungsentgelten so zu begrenzen, dass es zu kei-
nem volkswirtschaftlichen Schaden kommt, der über den
hinausgeht, der schon angerichtet ist, dann werden wir
unser Ziel der Gesundung der öffentlichen Haushalte
bald infrage stellen müssen. Wenn es dazu kommt, liebe
Kolleginnen und Kollegen von der Opposition,


(Rolf Hempelmann [SPD]: Nee, nee! Richten Sie das mal an sich selbst!)


dann nutzt es Ihnen nichts; das nutzt auch den Koali-
tionsfraktionen nichts. Der Geschädigte wird das deut-
sche Volk sein.


(Rolf Hempelmann [SPD]: Das war ja schon fast ein Geständnis!)


Wir haben uns verpflichtet, die Dinge vernünftig zu
regeln, und das gilt auch für die Opposition, vor allem
dann, wenn sie im Bundesrat eine Mehrheit hat.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723111000

Die Kollegin Bärbel Höhn hat das Wort zu einer

Kurzintervention.


Bärbel Höhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723111100

Herr Obermeier, Sie haben eben über mich als Person

gesagt, ich sei eine Lügnerin, ich hätte gelogen. Ich er-
warte von Ihnen, dass Sie sich hier in diesem Moment
entweder entschuldigen oder aber klar aufzeigen, wo ich
gelogen haben soll. Wir haben alle Ausnahmetatbe-
stände in allen Unterlagen klar dargestellt. Die entspre-
chenden Listen sind öffentlich. Sie wollen die Tatsachen

nicht hören. Dass Sie mich dann hier einfach der Lüge
bezichtigen, das weise ich zurück.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es ist eine Unverschämtheit, nicht einmal meine Zwi-
schenfrage oder Bemerkung zuzulassen, obwohl Sie sel-
ber hier Vorwürfe gegen mich erheben, die nicht begrün-
det sind.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723111200

Kollege Obermeier, wünschen Sie das Wort? – Dann

haben Sie es jetzt.


Franz Obermeier (CSU):
Rede ID: ID1723111300

Frau Höhn, da haben Sie sicher etwas missverstan-

den.


(Widerspruch bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich habe mich vorhin auf die Lüge der Grünen bezogen


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein, nein!)


– auch auf Ihre Äußerungen –, dass die Befreiung von
Teilen der deutschen Wirtschaft von der Zahlung der
Umlage für den Aufwuchs der Strompreise, für die Ent-
wicklung in diesem Bereich relevant ist.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Was soll der Quatsch? – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Steht alles im Protokoll!)


Das war meine Aussage. Alles andere haben Sie frei er-
funden. Vielleicht plagt Sie das Gewissen.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Da hat er recht!)


Danke schön.


(Beifall des Abg. Ernst Hinsken [CDU/CSU] – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Also keine Lügen! – Rolf Hempelmann [SPD]: Eiertanz!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723111400

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/12840 mit dem
Titel „Stromsteuer senken für eine konsequent sozial-
ökologische Energiewende“. Wer stimmt für diesen An-
trag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der
Antrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen,
der SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grü-
nen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abge-
lehnt.


(Caren Lay [DIE LINKE]: Das ist ja eigenartig! Vorhin waren alle dafür!)


Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu dem Antrag
der Fraktion Die Linke mit dem Titel „Energiewende so-
zial gestalten – Bezahlbare Strompreise gewährleisten“.
Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


auf Drucksache 17/11704, den Antrag der Fraktion Die
Linke auf Drucksache 17/10800 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion
gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Ent-
haltung der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.

Beschlussempfehlung des Ausschusses für Wirtschaft
und Technologie zu dem Antrag der Fraktion Die Linke
mit dem Titel „Energiewende sozial gestalten – Strom-
sperren gesetzlich untersagen“. Der Ausschuss empfiehlt
in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12767,
den Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache
17/11655 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? –
Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der
Unionsfraktion, der FDP-Fraktion und der SPD-Fraktion
gegen die Fraktion Die Linke bei Enthaltung der Frak-
tion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 3: Beschlussempfehlung des Ausschusses
für Wirtschaft und Technologie zu dem Entschließungs-
antrag der Fraktion der SPD zur Antwort der Bundesre-
gierung auf die Große Anfrage der Fraktion der SPD mit
dem Titel „Die Energiewende – Kosten für Verbrauche-
rinnen, Verbraucher und Unternehmen“. Der Ausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache
17/12874, den Entschließungsantrag der Fraktion der
SPD auf Drucksache 17/12538 abzulehnen. Wer stimmt
für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Wer enthält sich? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Unionsfraktion und der FDP-Fraktion gegen
die Stimmen der SPD-Fraktion bei Enthaltung der Frak-
tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 36 a bis 36 g sowie
die Zusatzpunkte 4 a und 4 b auf:

36 a) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neure-
gelung des gesetzlichen Messwesens

– Drucksache 17/12727 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie (f)
Rechtsausschuss 
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Anpas-
sung von Rechtsvorschriften des Bundes in-
folge des Beitritts der Republik Kroatien zur
Europäischen Union

– Drucksachen 17/12769, 17/12852 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)
Innenausschuss 
Rechtsausschuss 
Ausschuss für Arbeit und Soziales

c) Beratung des Antrags der Abgeordneten Dietmar
Nietan, Axel Schäfer (Bochum), Michael Roth


(Heringen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion der SPD sowie der Abgeordneten Manuel
Sarrazin, Volker Beck (Köln), Marieluise Beck

(Bremen), weiterer Abgeordneter und der Frak-

tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zivilgesellschaft stärker an EU-Beitrittspro-
zessen beteiligen

– Drucksache 17/12821 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union (f)
Auswärtiger Ausschuss

d) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Angelika Graf (Rosenheim), Wolfgang Gunkel,
Dr. h. c. Gernot Erler, weiterer Abgeordneter und
der Fraktion der SPD sowie der Abgeordneten
Volker Beck (Köln), Ute Koczy, Tom Koenigs,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Menschenrechtslage und humanitäre Situa-
tion in der Westsahara verbessern und Klä-
rung des völkerrechtlichen Status voranbrin-
gen

– Drucksache 17/12822 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe (f)
Auswärtiger Ausschuss 
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung 
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

e) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Tempel, Dr. Martina Bunge, Agnes Alpers, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Abhängigen helfen – Substitutionstherapie er-
leichtern

– Drucksache 17/12825 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit

f) Beratung des Antrags der Abgeordneten Frank
Tempel, Dr. Martina Bunge, Karin Binder, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

WHO-Tabakrahmenkonvention umsetzen –
Vollständiges Tabakwerbeverbot einführen

– Drucksache 17/12838 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

g) Beratung des Antrags der Abgeordneten Uwe
Kekeritz, Markus Kurth, Thilo Hoppe, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/
DIE GRÜNEN

Rechte von Menschen mit Behinderungen in
der deutschen Entwicklungszusammenarbeit
sichern und Inklusion weltweit ermöglichen

– Drucksache 17/12844 –





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung (f)
Ausschuss für Arbeit und Soziales 
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe

ZP 4 a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Elvira
Drobinski-Weiß, Willi Brase, Petra Crone, weite-
rer Abgeordneter und der Fraktion der SPD sowie
der Abgeordneten Harald Ebner, Cornelia Behm,
Bärbel Höhn, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Kennzeichnung von Honig mit Gentech-Pollen
sicherstellen – Schutz der Imkerei vor GVO-
Verunreinigungen gewährleisten

– Drucksache 17/12839 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Gesundheit 
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit 
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Wolfgang
Gehrcke, Jan van Aken, Christine Buchholz, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Keine Waffenlieferungen an Syrien

– Drucksache 17/12824 –
Überweisungsvorschlag:
Auswärtiger Ausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Verteidigungsausschuss

Es handelt sich hier um Überweisungen im verein-
fachten Verfahren ohne Debatte.

Interfraktionell wird vorgeschlagen, die Vorlagen an
die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse zu
überweisen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der
Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 37 a bis 37 k sowie
die Zusatzpunkte 5 a bis 5 j auf. Es handelt sich um die
Beschlussfassung zu Vorlagen, zu denen keine Aus-
sprache vorgesehen ist.

Tagesordnungspunkt 37 a:

– Zweite und dritte Beratung des von der Bun-
desregierung eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zur Abschaffung des Branntwein-

(Branntweinmonopolabschaffungsgesetz)


– Drucksache 17/12301 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Finanz-
ausschusses (7. Ausschuss)


– Drucksache 17/12765 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Patricia Lips
Dr. Thomas Gambke


(8. Ausschuss)


– Drucksache 17/12766 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Norbert Brackmann
Carsten Schneider (Erfurt)
Otto Fricke
Dr. Gesine Lötzsch
Dr. Tobias Lindner

Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/12765, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12301 an-
zunehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf
zustimmen wollen, um das Handzeichen. – Wer stimmt
dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetzentwurf ist
damit in zweiter Beratung einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem
Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Gesetz-
entwurf ist einstimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 b:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz
und Reaktorsicherheit (16. Ausschuss) zu der
Verordnung der Bundesregierung

Zweite Verordnung zur Änderung der Depo-
nieverordnung

– Drucksachen 17/12454, 17/12583, 17/12853 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Michael Brand
Gerd Bollmann
Horst Meierhofer
Ralph Lenkert
Dorothea Steiner

Der Ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfeh-
lung auf Drucksache 17/12853, der Verordnung der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/12454 zuzustimmen.
Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschluss-
empfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen und der SPD-Fraktion gegen die Stimmen der Frak-
tion Die Linke und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
angenommen.

Tagesordnungspunkte 37 c bis 37 k sowie Zusatz-
punkte 5 a bis 5 j. Wir kommen damit zu den Beschluss-
empfehlungen des Petitionsausschusses.

Tagesordnungspunkt 37 c:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 553 zu Petitionen

– Drucksache 17/12713 –





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 553 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 37 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 554 zu Petitionen

– Drucksache 17/12714 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 554 ist ebenfalls ein-
stimmig angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 555 zu Petitionen

– Drucksache 17/12715 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 555 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion ge-
gen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 556 zu Petitionen

– Drucksache 17/12716 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 556 ist einstimmig an-
genommen.

Tagesordnungspunkt 37 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 557 zu Petitionen

– Drucksache 17/12717 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 557 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen, der SPD-Fraktion, der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der
Fraktion Die Linke angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 558 zu Petitionen

– Drucksache 17/12718 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 558 ist gegen die
Stimmen der SPD-Fraktion angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 i:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 559 zu Petitionen
– Drucksache 17/12719 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 559 ist gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Zustimmung der übrigen Fraktio-
nen angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 j:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 560 zu Petitionen
– Drucksache 17/12720 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 560 ist gegen die
Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Tagesordnungspunkt 37 k:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 561 zu Petitionen
– Drucksache 17/12721 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 561 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen angenommen.

Zusatzpunkt 5 a:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 562 zu Petitionen
– Drucksache 17/12860 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 562 ist einstimmig an-
genommen.

Zusatzpunkt 5 b:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 563 zu Petitionen
– Drucksache 17/12861 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 563 ist gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke bei Enthaltung der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 5 c:
Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)

Sammelübersicht 564 zu Petitionen
– Drucksache 17/12862 –





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)


Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 564 ist einstimmig an-
genommen.

Zusatzpunkt 5 d:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 565 zu Petitionen

– Drucksache 17/12863 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 565 ist gegen die
Stimmen der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen angenom-
men.

Zusatzpunkt 5 e:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 566 zu Petitionen

– Drucksache 17/12864 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 566 ist gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke angenommen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Ich habe mich enthalten!)


Zusatzpunkt 5 f:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 567 zu Petitionen

– Drucksache 17/12865 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 567 ist gegen die
Stimmen der Fraktion Die Linke und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen bei Zustimmung der übrigen Fraktio-
nen angenommen.

Zusatzpunkt 5 g:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 568 zu Petitionen

– Drucksache 17/12866 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 568 ist gegen die
Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen angenommen.

Zusatzpunkt 5 h:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 569 zu Petitionen

– Drucksache 17/12867 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 569 ist gegen die

Stimmen der SPD-Fraktion und der Fraktion Die Linke
angenommen.

Zusatzpunkt 5 i:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 570 zu Petitionen

– Drucksache 17/12868 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 570 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
SPD-Fraktion und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
bei Enthaltung der Fraktion Die Linke angenommen.

Zusatzpunkt 5 j:

Beratung der Beschlussempfehlung des Petitions-
ausschusses (2. Ausschuss)


Sammelübersicht 571 zu Petitionen

– Drucksache 17/12869 –

Wer stimmt dafür? – Wer stimmt dagegen? – Wer ent-
hält sich? – Die Sammelübersicht 571 ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der
Oppositionsfraktionen angenommen.

Ich rufe den Zusatzpunkt 6 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion DIE LINKE

Sicherheit der Sparguthaben in Europa

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Gregor Gysi für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723111500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Was die

Bundesregierung in Bezug auf Zypern angerichtet hat,
ist eine politische Katastrophe, und zwar nicht nur eine
finanzpolitische, sondern auch eine allgemeinpolitische
Katastrophe.


(Beifall bei der LINKEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Um Gottes willen! Das glauben Sie ja selbst nicht!)


Sie haben das Vertrauen der Europäerinnen und Euro-
päer, auch das der Deutschen, hinsichtlich der Spargut-
haben schwer zerstört.

Das Problem besteht darin, dass auf einer Tagung, an
der auch Bundesfinanzminister Schäuble teilgenommen
hat, en détail abgesprochen wurde, dass alle Kleinspare-
rinnen und Kleinsparer 6,75 Prozent zu bezahlen hätten
und die Besitzer etwas größerer Sparkonten 9,9 Prozent.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das hat aber nicht Schäuble gewollt! Sie unterstellen das!)


– Wie bitte?


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Das hat Schäuble nicht vorgeschlagen!)






Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


– Ich sage nicht, dass er das vorgeschlagen hat, aber er
hat das genehmigt und gebilligt.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das hat er auch bei uns erklärt. Weil er das genehmigt
und gebilligt hat, musste später eine Telefonkonferenz
der EU-Finanzminister stattfinden, um sich auf etwas
anderes zu einigen. Wenn man Zypern gleich gesagt
hätte: „Den Weg müsst ihr alleine finden“, wäre das ja
gar nicht nötig gewesen. Aber genau das hat man eben
nicht gesagt. Man hat das bis ins Detail vereinbart. Da-
mit hat die Bundesregierung auch allen Sparerinnen und
Sparern in Deutschland, egal ob sie bei der Raiffeisen-
bank, der Sparkasse oder wo auch immer sind, gesagt:
Es kann euch passieren, dass wir euch an einem Wo-
chenende 7 oder auch 10 Prozent von euren Spargutha-
ben abziehen. – Das ist eine Katastrophe.


(Beifall bei der LINKEN – Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Dummes Zeug! – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Bei der Einführung der D-Mark im Osten haben wir doch auch Abschläge gemacht! Das wissen Sie doch auch! Weil ihr den Staat gegen die Wand gefahren habt!)


Die Bundesregierung hat dadurch nicht nur, wie sie das
immer nennt, das Vertrauen in die Märkte untergraben,
sondern auch das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger
insgesamt, und zwar, wie gesagt, nicht nur in Zypern.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wie war es denn bei der Einführung der D-Mark im Osten?)


Ich bin übrigens sehr zufrieden damit, dass die Men-
schen in Zypern Widerstand an den Tag legen. Dass
nicht nur die Linke dagegen gestimmt hat – das war ja
klar –, sondern sich auch die Konservativen nicht getraut
haben, dafür zu stimmen – sie haben sich der Stimme
enthalten –, das finde ich gut.


(Beifall bei der LINKEN)


Sie finden das bedauerlich. Sie hätten den Sparerinnen
und Sparern gerne das Geld abgezogen. Wir nicht. Das
ist der Unterschied, meine Damen und Herren von der
FDP.


(Beifall bei der LINKEN – Holger Krestel [FDP]: Wie kann man nur so frech lügen, wie Sie das tun! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU und der FDP)


– Ich wusste, dass Sie sich so aufregen, aber ich kann
doch nichts für Ihre Schandtaten. Sie müssten sich über
sich selbst aufregen, nicht über uns.


(Beifall bei der LINKEN)


Herr Schäuble – das müssen Sie sich einmal überle-
gen – sagte im Fernsehen: Wir mussten das am Wochen-
ende machen, damit man vorher nichts erfährt. – Was
sagt er denn damit? Damit sagt er den Sparerinnen und
Sparern: Wenn es kommt, kommt es für euch völlig

überraschend. Ihr werdet es vorher nicht erfahren, damit
niemand etwas abhebt.


(Holger Krestel [FDP]: Wer so viel Dreck am Stecken hat wie Sie, sollte sich zurückhalten!)


Was soll denn jetzt die Schlussfolgerung für die Spa-
rerinnen und Sparer sein? Sie werden sich sehr genau
überlegen, wo sie ihr Geld künftig anlegen. Das Ver-
trauen in die Banken war schon verspielt, jetzt ist auch
das Vertrauen in die Politik verspielt. Sie sind mit die-
sem Ansinnen gescheitert.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das müssen ausgerechnet Sie sagen!)


Nun wissen wir nicht, wie das Neue aussehen wird;
aber man kann es ahnen. Es gibt eine Agenturmeldung.
Danach ist Folgendes geplant: Es soll ein Fonds für
Staatsanleihen gebildet werden. Diesen Fonds sollen die
Kirchen, die Pensionskassen und andere Organisationen
bezahlen. Das heißt, es sollen – wenn ich das richtig ver-
stehe – Schulden gemacht werden, um Schulden zu be-
gleichen. Dann haftet man gegenüber den Kirchen, den
Pensionskassen und anderen Einrichtungen. Die Staats-
anleihen müssen auch erst einmal verkauft werden. Da-
hinter setze ich noch ein Fragezeichen. Ich lasse das aber
alles dahingestellt sein. Dann sollen Inhaber von Spar-
guthaben von über 100 000 Euro – so heißt es jetzt; das
betrifft also nicht mehr die ganz kleinen Sparerinnen und
Sparer, sondern die etwas größeren Sparguthaben – zur
Kasse gebeten werden.

Ich frage Sie: Wie wollen Sie das eigentlich juristisch
erklären? Man schließt doch einen Vertrag mit der Bank.
In dem steht, dass die Bank mein Geld gut aufbewahrt,
dass ich sogar ein bisschen Zinsen bekomme. Nun heißt
es übers Wochenende: Pustekuchen, du bekommst
nichts, wir ziehen 10 Prozent von deinem Geld ab. – Das
klingt nach Bananenrepublik,


(Holger Krestel [FDP]: Nach DDR!)


obwohl ich diese Art der Beleidigung Afrikas generell
ablehne.


(Beifall bei der LINKEN)


Es ist überhaupt nicht zu fassen, was hier läuft.

Dann stellen Sie wieder Bedingungen. Mit einer Be-
dingung will ich mich auseinandersetzen: Zypern muss
die Häfen und die Telekommunikationseinrichtungen
verkaufen. Es gibt bloß ein Problem: Das sind Unterneh-
men, mit denen Zypern jedes Jahr Geld macht. Die sind
nicht etwa marode. Nun zwingen Sie Zypern zum Ver-
kauf – natürlich zu ganz billigen Preisen; das ist ja klar,
wenn man sie zwingt. Damit verliert Zypern seine jährli-
chen Einnahmen.

Wir müssten ganz andere Wege gehen. Ich sehe aber,
dass meine Zeit gleich herum ist. Deshalb sage ich Ihnen
nur so viel:

Erstens. Wir müssten uns trauen, die beiden großen
Banken in Insolvenz gehen zu lassen.


(Beifall bei der LINKEN)






Dr. Gregor Gysi


(A) (C)



(D)(B)


Zweitens. Wir müssten die Großaktionäre heranzie-
hen. Das sind nämlich die Eigentümer der Banken.
Wieso werden die immer geschont?


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Das können nicht wir entscheiden!)


Wieso retten wir jede Bank, aber nie die Steuerzahlerin-
nen und Steuerzahler bzw. die Sparerinnen und Sparer?

Drittens. Wir könnten dann das isländische Modell
wagen und sagen: Wir frieren in Zypern große Spargut-
haben aus dem Ausland erst einmal ein. Dann prüfen
wir, wer da was warum angelegt hat. Es gibt übrigens
dort nicht nur die Oligarchen aus Russland, sondern
auch die Oligarchen aus Großbritannien.


(Joachim Poß [SPD]: Da hat er recht! Und da sind auch ein paar Deutsche!)


Sie vergessen immer, die zu erwähnen. Da sind also
Wege offen.

Gehen Sie doch endlich einmal an die Nutznießer der
Krise heran. Ziehen Sie denen das Geld ab! Verlangen
Sie das nicht von den Steuerzahlerinnen und Steuerzah-
lern und den kleinen Sparerinnen und Sparern.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723111600

Peter Aumer hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Aumer (CSU):
Rede ID: ID1723111700

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Lieber Herr Gysi, was Sie gerade gemacht ha-
ben, widerspricht eigentlich dem, was Sie mit der Ak-
tuellen Stunde beantragt haben. Sie haben beantragt,
über die Sicherheit der Sparguthaben in Europa zu re-
den. Ich habe aber kein Wort darüber gehört.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Dann haben Sie aber nicht zugehört!)


Wir machen hier verantwortungsvolle Politik und kei-
nen Populismus, so wie Sie, Herr Gysi, es tun.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben – auch wenn Ihre Fraktion in voller Mann-
stärke vertreten ist – keinen einzigen konstruktiven Vor-
schlag gemacht, wie man die Sparguthaben in Europa si-
chern kann.


(Karin Binder [DIE LINKE]: Zuhören!)


Sie haben über etwas gesprochen, was uns diese Woche
sehr intensiv beschäftigt hat, Herr Gysi. Da gebe ich Ih-
nen vollkommen recht.

Ich habe noch den Zwischenruf einer Kollegin von
den Grünen im Ohr, die vorhin gesagt hat: Für Sie gilt je-
des Argument, und Sie kämpfen gegen die Märkte. –
Aber Sie sprechen in der heutigen Aktuellen Stunde da-
von, dass man das Vertrauen in die Märkte sichern muss.
Herr Dr. Gysi, die Linken widersprechen sich bei allem,

was sie fordern. Ich glaube, das ist keine wirklich verant-
wortungsvolle Politik.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Einfach mal zuhören!)


– Ich glaube, ich habe sehr wohl und sehr gut zugehört.
Ich weiß, was Sie gefordert haben.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Na ja! Das muss man nicht so sehen!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir Finanz-
politiker arbeiten sehr intensiv daran, die Einlagen in
Europa zu sichern.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach ja? Keine Ahnung haben Sie!)


Wir haben das im europäischen Dialog gemacht und die
entsprechende Regelung in Deutschland angepasst. Die
Spareinlagen sind, so wie es die Kanzlerin versprochen
hat, sicher, in Deutschland, aber auch in Europa. Wir
wollen dafür sorgen, dass auch Zypern seinen Beitrag
leisten kann, um diese Krise zu überstehen, und zwar
verantwortungsvoll zu überstehen, nicht so, wie Sie,
Herr Dr. Gysi, sich bei Ihrer Rede verhalten haben.

Zum Hilfsantrag für Zypern. 18 Milliarden Euro, die-
ser Betrag entspricht der Wirtschaftsleistung Zyperns;
nur so viel kann die Volkswirtschaft Zyperns überhaupt
leisten. Es ist doch selbstverständlich, dass ein Land
nicht allein aus Gründen der Solidarität in Europa
18 Milliarden Euro zur Verfügung gestellt bekommt,
wenn die Schuldentragfähigkeit nicht gegeben ist.

Ich habe die Aussagen einiger Politiker, die der Op-
position im Deutschen Bundestag angehören, gelesen.
Manche von ihnen haben gesagt – Herr Dr. Schick, Sie
schauen mich gerade an; das gilt auch für Sie –, dass
man auch die Bevölkerung von Zypern


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Zyprioten heißen die!)


– herzlichen Dank für diese Korrektur – und die dortigen
Sparerinnen und Sparer mit heranziehen muss.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja! Aber erst über 100 000 Euro!)


Ich glaube, es ist wichtig, dass man die Bevölkerung be-
teiligt, damit ein entsprechendes Bewusstsein wächst.

Da Sie gerade den Bundesfinanzminister angespro-
chen haben: Die Grenze von 100 000 Euro war bei der
Tagung der Finanzminister ein Thema. Man hat sich ent-
schieden, Einkommen und vor allem Spareinlagen der
Bevölkerung unterhalb einer Grenze von 100 000 Euro
nicht anzutasten. Ich denke, dieser Aspekt hat in der
deutschen Diskussion eher dem Populismus und dem
Wahlkampf als einer konstruktiven Diskussion gedient.

In der Vorbereitung auf meine Rede habe ich gelesen,
dass der Kanzlerkandidat der SPD in der Fraktionssit-
zung trotz dieses so wichtigen Themas nicht einmal an-
wesend war. Wenn diese Information stimmt, dann frage





Peter Aumer


(A) (C)



(D)(B)


ich mich schon, ob die deutsche Opposition verantwor-
tungsvolle Politik für Europa macht.


(Lachen des Abg. Manfred Zöllmer [SPD] – Joachim Poß [SPD]: Oh! Das ist ja ein gewichtiges Argument! Das zeugt von intellektueller Schwere! Meine Güte!)


Das wird Ihrer Verantwortung nicht gerecht.

Die Bundeskanzlerin und der Bundesfinanzminister
haben vorgelegt, verantwortungsvolle Politik für unser
Land gemacht und gezeigt, wie wichtig es für Europa
und in Europa ist, die Solidarität aufrechtzuerhalten.
Gleichzeitig haben sie allerdings gefordert, dass die Zy-
prioten auch selbst einen Beitrag leisten. Wir müssen in
Europa die Balance zwischen Solidarität und Solidität
halten.

Ich kann den Wählerinnen und Wählern in meinem
Wahlkreis nicht erklären, warum man die Menschen in
Zypern von der Verantwortung völlig ausnehmen sollte.
Schauen wir uns nur die Höhe der Zinssätze an: In
Deutschland bekam man für zweijährige Anlagen zuletzt
circa 1,5 Prozent Zinsen, in Zypern über 4 Prozent. Da
gilt der Markt, Herr Gysi. Wenn man, bedingt durch hö-
here Zinssätze, höhere Einkommen hat, muss man natür-
lich auch das Risiko entsprechend berücksichtigen. Das
tut die Bundesregierung.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ein Unsinn!)


– Das ist kein Unsinn.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Doch! Absoluter Unsinn!)


Das sind wirtschaftliche Daten. Das ist Markt. Aber den
Markt haben Sie, meine sehr geehrten Damen und Her-
ren von der Linken, noch nie verstanden.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach was! Sie schwätzen doch nur! Es sind die Steueroasen, die Sie schützen wollen!)


Wir wollen unserer Verantwortung im Sinne der so-
zialen Marktwirtschaft nachkommen. Wir schützen die
Sparerinnen und Sparer in unserem Land.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nein! Die Steueroasen!)


Wir schützen auch die Sparer in Europa; das ist unsere
Aufgabe, und das ist der Auftrag, den wir haben.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das hat man ja bei der Bayerischen Landesbank gesehen!)


– Das machen wir auch in Bayern.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ja, ja! Hypo Alpe Adria!)


Deswegen geht es uns in Bayern ja auch so gut: weil wir
der Verantwortung für die Menschen in unserem Land
nachkommen.


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Nebelkerzen! Seit sieben Jahren tun Sie nichts anderes, als die Steueroasen zu schützen!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, wenn Sie
eine Aktuelle Stunde beantragen, dann reden Sie doch
bitte auch zur Sache, und lassen Sie den Populismus
weg! Das wird den Menschen und der Wichtigkeit des
Themas nämlich nicht gerecht.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723111800

Das Wort hat der Kollege Manfred Zöllmer für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1723111900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Aumer, ich will einmal versuchen, zu erklären, wo-
rum es geht und wo die Probleme liegen.

Ludwig Erhard hat einmal gesagt: „Wirtschaft ist zu
50 Prozent Psychologie.“ Eigentlich ist das falsch; denn
der Prozentsatz liegt deutlich höher. Im Bereich der Ban-
ken und im Zusammenhang mit dem Geld der Sparerin-
nen und Sparer sind es nach meiner Einschätzung
100 Prozent.

Im Jahre 2008 haben die Bundeskanzlerin und der da-
malige Finanzminister Peer Steinbrück eine öffentliche
Erklärung abgegeben, die lautete: Die Spareinlagen der
deutschen Sparer sind sicher; wir garantieren dies. –
Dieses Versprechen hat auch gewirkt: Es ist nicht zu dem
befürchteten Bank-Run gekommen, sondern die Situa-
tion hat sich beruhigt.

Schaut man sich die Einlagensituation in Deutschland
an, stellt man fest, dass bei der Kreditwirtschaft insge-
samt Einlagen in Höhe von 2,9 Billionen Euro liegen.
Ein solches Versprechen – „Die Spareinlagen sind si-
cher“ – kann nur dann funktionieren, wenn die Men-
schen es auch glauben, wenn ein entsprechendes Ver-
trauen da ist.

Worauf beruht die Einlagensicherung eigentlich? In
allen entwickelten Ländern bestehen gesetzliche Rege-
lungen. In der EU sind die Mindestanforderungen durch
eine Reihe von Richtlinien geregelt, in Deutschland
durch das Einlagensicherungs- und Anlegerentschädi-
gungsgesetz. Seit Dezember 2010 sind 100 Prozent der
Einlagen bis 100 000 Euro pro Person geschützt. Dane-
ben gibt es Einlagensicherungssysteme der Banken; bei
den Sparkassen sind es Institutssicherungssysteme.

Nun hat es aber im Zusammenhang mit der Zypern-
Krise einen Tabubruch gegeben, der letztendlich verant-
wortlich war für das Scheitern des Rettungspaketes. Das
Ergebnis stundenlanger – man kann auch sagen: nächte-
langer – Verhandlungen in Brüssel sah vor, dass alle
Kunden zyprischer Banken sich an der Rettungsaktion zu
beteiligen haben. Sparer mit Einlagen bis 100 000 Euro
sollten mit einer Zwangsabgabe zur Kasse gebeten wer-
den. Dass Sparer mit einer Einlage über 100 000 Euro
entsprechend herangezogen werden, versteht sich im
Fall von Zypern, glaube ich, von selbst, wenn man sich
einfach einmal anschaut: Wer legt dort an?





Manfred Zöllmer


(A) (C)



(D)(B)


Die Reaktion der Kanzlerin laut Spiegel Online – ich
zitiere wörtlich –:

Damit werden die Verantwortlichen zum Teil mit
einbezogen und nicht nur die Steuerzahler anderer
Länder. Ich finde, das ist richtig.

Anschließend gab es eine heftige Diskussion, weil der
Eindruck entstanden war: Die Einlagensicherung gilt für
Kleinsparer in Zypern nicht. – Wir haben dann vonseiten
der Bundesregierung ein einzigartiges Schauspiel erlebt,
das Schauspiel der zwei Verantwortlichkeiten.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: So ist es!)


Diese Bundesregierung in der Person von Kanzlerin
Merkel und Finanzminister Schäuble feiert sich ja gerne
selbst als Euro-Retter. Ich erinnere mich noch sehr genau
an die legendären Worte von Herrn Kauder: „Jetzt wird
in Europa Deutsch gesprochen.“


(Bettina Hagedorn [SPD]: Ja!)


Erstaunlicherweise hört man nach dem Zypern-Debakel
nun eine andere Geschichte, die da lautet: Im Fall von
Zypern wird in Europa Griechisch gesprochen.

Mit diesem Ergebnis hatten die Bundeskanzlerin und
der Finanzminister angeblich überhaupt nichts zu tun.
Herr Schäuble legt in seinen Interviews größten Wert auf
die Feststellung, alles sei nur der Wunsch der Zyprer ge-
wesen. Nur, wer einmal genauer hinschaut, stellt fest: Es
war an dem entsprechenden Tag eine Schlussrunde unter
Beteiligung des deutschen Finanzministers, in der diese
Bedingungen beschlossen worden sind. Er wird sich ab-
gestimmt haben mit der Bundeskanzlerin; er saß sozusa-
gen stellvertretend für sie mit am Tisch. Das heißt, Herr
Schäuble hat den Vorschlag Zyperns, auch die Klein-
sparer zu schröpfen, akzeptiert.


(Zuruf von der LINKEN: Richtig!)


Ohne eine deutsche Zustimmung hätte es diesen im End-
effekt desaströsen Vorschlag nicht gegeben.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die politische Verantwortung dafür tragen Frau Merkel
und Herr Schäuble.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Diese Verantwortung bezieht sich nicht nur auf das
Desaster in Zypern. Die Euro-Krise ist dadurch leider
auf einen Schlag mit voller Wucht wieder zurückge-
kehrt. Mit der Akzeptanz dieses Vorschlags wurden Kol-
lateralschäden weit über Zypern hinaus verursacht: Das
Vertrauen der europäischen Sparerinnen und Sparer in
die Einlagensicherung wurde nachhaltig beschädigt. Wer
garantiert eigentlich den Menschen in Spanien, dass in
kurzer Zeit nicht auch dort die Kleinsparer für marode
Banken haften müssen?

Auch in Deutschland hat es aufgeregte Diskussionen
gegeben. Das Krisengerede ist auch in Deutschland zu-
rück. Dies hat die Bundesregierung zu verantworten.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Nein, Sie sind dafür verantwortlich!)


Das Wichtigste ist Vertrauen. Dieses Vertrauen hat die
Bundesregierung durch dilettantisches Verhandeln nach-
haltig beschädigt.


(Beifall bei der SPD – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Unfug! Das macht doch die Troika!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723112000

Der Kollege Dr. Volker Wissing hat das Wort für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1723112100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Ich glaube, es ist notwendig, dass wir den Menschen in
Deutschland sagen, worum es geht, und nicht Nebelker-
zen zünden und irgendwelche Geschichten erfinden.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie der Abg. Marie-Luise Dött [CDU/CSU])


Ich finde es unverantwortlich, in einer Krise, in der Ver-
trauen so viel zählt, durch falsche Äußerungen zu versu-
chen, Vertrauen zu zerstören.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Schöne Erkenntnis! – Joachim Poß [SPD]: Sie sind ja auch so vertrauenerweckend!)


Viele Bürgerinnen und Bürger schauen uns zu und
fragen sich: Was ist jetzt mit den Spareinlagen? Deswe-
gen sage ich ganz klar: Die Spareinlagen in Deutschland
sind sicher.


(Joachim Poß [SPD]: Herr Wissing ist die Vertrauensperson an sich!)


Die Einlagensicherung ist in der Bundesrepublik
Deutschland selbstverständlich voll gewährleistet.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Haften Sie persönlich?)


Wir haben eine Einlagensicherung, die europäisch ge-
regelt ist. Damit sind bis zu 100 000 Euro pro Anleger
abgesichert. In Deutschland gibt es dafür die Entschädi-
gungseinrichtung der deutschen Banken für die Privat-
banken, es gibt die Entschädigungseinrichtung des Bun-
desverbandes Öffentlicher Banken Deutschlands, und
die Sparkassen und Genossenschaftsbanken haften in ih-
ren Verbünden gegenseitig für die Spareinlagen.

Deswegen gibt es überhaupt keinen Grund, einen
Zweifel daran zu haben, dass in Deutschland bis zu
100 000 Euro pro Anleger sicher sind. Dahinter steht
auch noch der deutsche Staat, die Bundesrepublik
Deutschland, die die beste Bonität und jederzeit Zugang
zu den Kapitalmärkten hat und zum Glück auch eine
Regierung, die den Haushalt konsolidiert und mit wachs-
tumsfreundlicher Politik Rekordsteuereinnahmen ermög-
licht.





Dr. Volker Wissing


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen muss sich in Deutschland keiner Sorgen
um seine Spareinlagen machen.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Aber in anderen europäischen Ländern! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Niemand hat die Absicht, einen Kleinsparer zu schröpfen!)


– Wenn Sie Unsinn in dieses Plenum hineinrufen


(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Niemand hat die Absicht!)


und in der Öffentlichkeit Unsinn verbreiten, dann sind
Sie diejenigen, die meinen, Trittbrett fahren und hier
Vertrauen zerstören zu können,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Und Ängste zu schüren! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das haben doch Sie gemacht!)


um billigen Populismus zu betreiben.


(Joachim Poß [SPD]: Populismus ist Ihnen fremd, Herr Kollege Wissing!)


Das ist schäbig und unverantwortlich. Das werden Ihnen
die Bürgerinnen und Bürger nicht honorieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Holger Krestel [FDP]: Schäbig und gefährlich!)


Ich komme jetzt zu Zypern. Liebe Bürgerinnen und
Bürger, die Sie uns auch an den Bildschirmen zu-
schauen, was ist in Zypern los? Das Land braucht Fi-
nanzhilfen in Höhe von 17 Milliarden Euro, die es sich
am Kapitalmarkt nicht mehr leihen kann. Warum nicht?
Weil die Märkte kein Vertrauen mehr in Zypern haben.
Das Land hat einen maroden Bankensektor, der im Übri-
gen exorbitant hohe Zinsen gezahlt hat und damit in er-
heblichem Maße Einlagenkapital in das Land gezogen
hat. Wer in Zypern Geld angelegt hat, konnte seit 2008
allein durch Spareinlagen 31 Prozent Gewinn machen.
Seit Beginn der Finanzkrise konnte man in Zypern
31 Prozent Gewinn durch Sparzinsen erreichen!

Jetzt stehen die Banken in einer Schieflage. Das Land
kann nicht helfen, weil es keinen Zugang zum Kapital-
markt hat. Zypern bekommt die 17 Milliarden Euro
nicht.

Dafür haben wir in Europa vorausschauend Vorsorge
getroffen. Wir haben ein Sicherungssystem, das in die-
sen Fällen einem Land, das keinen Zugang zum Kapital-
markt hat, Hilfe leisten kann. Diese Hilfe kann aber nur
in Form eines Kredits geleistet werden. Eine Vorausset-
zung für Hilfen an Zypern ist, dass Zypern durch diese
Kredite seine Schuldentragfähigkeit nicht verliert.

Die Experten vom IWF, von der EZB und auch von
der Europäischen Kommission haben berechnet, dass
Zypern einen Kredit von maximal weiteren 10 Milliar-
den Euro bekommen kann. Es bleibt eine Lücke von
7 Milliarden Euro. Diese Lücke muss Zypern jetzt aus

eigener Kraft schließen. Das Land kann kein Geld
drucken; das ist im Euro-System verboten. Das Land
kann diese Lücke von 7 Milliarden Euro nur schließen,
indem es Steuern erhebt.

Von Zypern selbst kam der Vorschlag – Herr Gysi, es
ist nicht wahr, dass der Vorschlag von Deutschland oder
sonst jemandem kam –,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Bettina Hagedorn [SPD]: Er ist von Schäuble akzeptiert worden!)


diese Lücke von 7 Milliarden Euro durch Steuern zu
schließen, nämlich einmal durch eine Kapitalertrag-
steuer, die etwa 1 Milliarde Euro bringt, und durch eine
Vermögensteuer auf Spareinlagen. Das ist übrigens ein
Konzept für die Vermögensteuer, die die Linken auch für
Deutschland vorschlagen.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Ganz genau! – Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Ich bitte Sie!)


Damit erreicht man in der Summe die fehlenden 7 Mil-
liarden Euro.

Dann hat Zypern gefragt: Seid ihr als Euro-Gruppe
einverstanden, dass wir diese 7 Milliarden Euro durch
Steuern, die wir in Zypern selbst festlegen, erbringen?
Dagegen kann niemand etwas haben. Wie die Steuern er-
hoben werden und von wem diese Steuern erhoben wer-
den, das entscheidet jeder souveräne Staat selbst.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Deswegen war das eine Entscheidung der zyprischen
Regierung. Es war die zyprische Regierung, die diesen
Vorschlag in das dortige Parlament eingebracht hat, und
niemand sonst in Europa.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Jetzt hat das dortige Parlament den Vorschlag der ei-
genen Regierung abgelehnt. Damit sind wir wieder da,
wo wir waren. Wir dürfen einen Kredit von maximal
10 Milliarden Euro geben, 7 Milliarden Euro fehlen also.
Damit steht die Hilfe für Zypern infrage. Das ist die Si-
tuation. Wir können nicht mehr als 10 Milliarden Euro
erbringen, weil ansonsten die Schuldentragfähigkeit nicht
mehr gegeben ist.

Jetzt ist Zypern am Zug. Wie und von wem das Land
Steuern erhebt, muss es selbst entscheiden. Wir können
dabei Ratschläge geben. Wir sind der Auffassung, dass
man bei Kleinsparern eine Ausnahme machen sollte, ge-
nauso wie es das europäische Einlagensicherungssystem
vorsieht. Das hat dann natürlich zur Folge, dass man die
Abgabe für die Vermögenderen erhöhen muss.


(Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: Genau!)


Diese kann nicht bei 9,9 Prozent bleiben, sondern dann
käme man auf 15 oder 16 Prozent. Das würden wir ge-
rechter finden. Aber Zypern muss in eigener Souveräni-
tät, in eigener Zuständigkeit seine Steuergesetze be-
schließen.






(A) (C)



(D)(B)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723112200

Herr Wissing.


Dr. Volker Wissing (FDP):
Rede ID: ID1723112300

Das ist nicht unsere Aufgabe. Das ist die Wahrheit. Es

wäre gut gewesen, Sie hätten sie den Deutschen gesagt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723112400

Der Kollege Dr. Gerhard Schick hat jetzt das Wort für

die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Fakt ist nun einmal, dass es Unsicherheit in Deutschland
gibt. Deswegen hat sich der Kollege Wissing bemüßigt
gefühlt, deutlich zu sagen, dass die Einlagen in Deutsch-
land sicher sind. Deswegen hat auch der Regierungs-
sprecher für die Kanzlerin in den letzten Tagen noch ein-
mal deutlich gemacht: Die Garantie von 2008 gilt.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Klar!)


Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass sich
seit 2008 zum ersten Mal eine Regierung bemüßigt fühlt,
darauf hinzuweisen, dass die Einlagen in Deutschland si-
cher sind. Damals ging es um die Entscheidung in den
USA, die Bank Lehman Brothers pleitegehen zu lassen.
Es ist auch in diesem Hause immer wieder kritisiert wor-
den, dass ein amerikanischer Finanzminister zugelassen
hat, dass die Menschen Angst um ihre Einlagen haben.

Jetzt haben wir eine ähnliche Situation, die bedingt,
dass man über die Sicherheit der Einlagen reden muss.
Aber diesmal ist es kein US-amerikanischer Finanz-
minister, sondern ein deutscher Finanzminister, der mit
am Tisch saß. Deswegen müssen wir hier darüber reden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Schäbig!)


Niemand, der diese Debatte seriös führt, würde be-
haupten, dass der Vorschlag der konkreten Aufteilung
der Belastungen in Zypern von der deutschen Bundesre-
gierung kam. Das zu sagen, wäre falsch. Aber richtig ist
auch – dieser Verantwortung müssen Sie sich stellen –:
Der Bundesfinanzminister war in der entscheidenden
kleinen Runde mit wenigen Personen aus der Euro-
Gruppe, aus der EZB –


(Klaus-Peter Flosbach [CDU/CSU]: Der Europäischen Kommission!)


– auch Vertreter der Europäischen Kommission sind bei
dieser Troika dabei – mit dabei. Er selber hat uns in den
Fraktionen erklärt, wie dieser Vorschlag zustande kam.


(Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Nein, er hat zugestimmt!)


Dann muss man auch die Frage gelten lassen, wer hier
eigentlich die Verantwortung trägt. Ich zitiere – damit
Sie nicht meinen, das sei nur Parteipolitik – den CDU-

Europaabgeordneten Werner Langen. Er spricht von ei-
ner unverantwortlichen Nacht-und-Nebel-Aktion und
sagt: Es bleibt rätselhaft, warum der Beschluss von ein-
zelnen Finanzministern nicht blockiert worden ist.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Genau das ist die Frage, die wir hier stellen: Warum hat
der Bundesfinanzminister diesen Beschluss nicht verhin-
dert?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Weil Zypern ein souveräner Staat ist!)


Aus dieser Verantwortung kommen Sie nicht heraus.
Dabei können Sie nicht auf Zypern verweisen, sondern
am Ende des Tages steht man in der Verantwortung, da-
für zu sorgen, dass die Situation im Euro-Raum stabil ist.
Warum ist das eben nicht nur eine einseitige Sache? Weil
es Auswirkungen hat. Deswegen ist darüber in dieser
Diskussionsrunde abschließend beraten worden. Aus
dieser Verantwortung kann man sich nicht davonstehlen,
so wie Sie das tun.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es gibt noch eine zweite Ebene der Verantwortung.
Warum wird eigentlich monatelang in solchen Runden
über Bankenrettungen in Europa diskutiert? Warum ha-
ben wir eigentlich noch immer kein Krisenmanagement,
das in der Lage ist, Banken so zu stabilisieren oder ab-
zuwickeln, dass es eben nicht zu Marktturbulenzen
kommt? Die Banken, über die wir nun reden, haben eine
ähnliche Größenordnung wie Banken in den USA, die
völlig geräuschlos geschlossen wurden und deren ge-
samte Einlagen für die Kunden sicher waren.

So ist in den USA die IndyMac im November 2008
geschlossen worden. Die Bilanzsumme belief sich auf
32 Milliarden Dollar. Die Einlagen wurden von der dor-
tigen Einlagensicherung gesichert. Es gab keinerlei
Marktturbulenzen. Die Laiki Bank in Zypern hat mit
31 Milliarden Euro in etwa die gleiche Größenordnung.
Warum schafft das bei uns Turbulenzen, und warum ha-
ben die Sparer in Europa Angst, während in den USA
solche Banken ohne große Verwerfungen geschlossen
werden können? Weil es dort ein anständiges Krisen-
management und eine funktionierende Einlagensiche-
rung gibt. Warum haben wir das in Europa nicht? Weil
das Krisenmanagement, für das diese Bundesregierung
zentrale Verantwortung hat, einen entsprechenden Ban-
kenabwicklungsfonds bislang nicht gegründet hat. Aus
dieser Verantwortung kommen Sie nicht heraus.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Widerspruch des Abg. Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU])


Da wir schon bei der Frage sind, wer eigentlich die
Lasten in dieser Krise tragen sollte: Wir Grüne sind der
Meinung, dass es richtig ist, Bankanleihen heranzuzie-
hen. Es ist auch richtig, dort, wo die gesetzliche Siche-
rung nicht mehr greift, Großanleger, deren Vermögen





Dr. Gerhard Schick


(A) (C)



(D)(B)


sich auf über 100 000 Euro beläuft, heranzuziehen. Alle
anderen Einlagen sind zu schützen.

Was passiert aber wirklich in dieser Krise? Die Men-
schen, die in Deutschland ihr Geld zur Sparkasse oder
zur Volksbank tragen, bekommen einen Zinssatz, der un-
ter der Inflationsrate liegt. Sie zahlen also für diese
Krise, nicht mit einer konkreten Abgabe, sondern schlei-
chend und kontinuierlich. Der Vorschlag der Grünen
sieht eine Abgabe auf große Vermögen vor, damit wir
zielgerichtet Schulden abbauen können und damit nicht
die kleinen Leute die Kosten dieser Krise tragen müssen.
Hier sieht man genau, wo die Unterschiede im Krisen-
management in Europa sind. Wir sind für stabile euro-
päische Strukturen, damit wir nicht mehr in eine solche
Situation kommen. Wir sind für eine faire Verteilung der
Lasten.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723112500

Norbert Barthle hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1723112600

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Lieber Kollege Schick, dass Sie die Bundes-
regierung für die Regelung angreifen, für die sich eigent-
lich die Zyprioten entschieden haben, ist erstaunlich.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie eigentlich zugehört?)


Das weise ich in aller Form zurück. Ich erinnere Sie da-
ran, dass Ihr Parteivorsitzender Cem Özdemir die Rege-
lung sogar für Kleinsparer mit Einlagen von unter
100 000 Euro gebilligt und gutgeheißen hat. Das können
Sie in den Agenturmeldungen der vergangenen Tage
nachlesen.

Herr Gysi, Sie haben in Ihrer Rede gefragt, welche
Schlussfolgerungen zu ziehen sind. Ich nenne Ihnen eine
ganz klare: Bei der nächsten Bundestagswahl auf keinen
Fall eine linke Partei wählen! Denn wer links wählt,
wählt die Unsicherheit bei den Sparvermögen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD)


Alle, egal ob Linke, SPD oder Grüne, sehen in ihren
Wahlprogrammen die Erhebung einer Vermögensabgabe
oder einer Vermögensteuer vor. Sie unterscheiden sich
zwar bei den Vermögensgrenzen, aber das ist nur eine
Frage der Größenordnung, nicht des Prinzips. Das ist
nichts anderes als ein Zugriff auf die Sparguthaben von
Menschen, die ihr Vermögen bei einer Bank liegen ha-
ben. Das sollten Sie einmal zur Kenntnis nehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


Dass Sie von der Linken diese Aktuelle Stunde bean-
tragt haben, ist höchst bedenklich; denn Sie schüren
damit völlig unbegründete Ängste bei den Menschen.


(Beifall des Abg. Dr. Volker Wissing [FDP])


Sie als Jurist müssten wissen, Herr Gysi, dass die Erhe-
bung einer Steuer oder Abgabe nichts mit der Einlagen-
sicherung zu tun hat. Die Einlagensicherung greift erst
dann, wenn ein Institut in den Konkurs geht. Alles, was
wir auf europäischer Ebene machen, dient dazu, gerade
dies mithilfe des Europäischen Stabilitätsmechanismus
zu verhindern. Wir wollen eben nicht, dass die Banken
pleitegehen. Wir wollen, dass weder die kleinen noch
die großen Anleger ihre Einlagen möglicherweise zu
100 Prozent verlieren. Wir suchen nach Lösungen, die
einen Staatsbankrott Zyperns verhindern und das Land
in die Lage versetzen, aus eigener Kraft wieder auf die
Beine zu kommen.

In den Reigen derer, die dieses Thema innenpolitisch
ausschlachten wollen, reiht sich leider auch die SPD ein.
Herr Gabriel sagte vor kurzem, Merkel sei mitverant-
wortlich dafür, dass in Zypern Kleinsparer die Zeche
zahlen sollen, aber die Bankeigentümer ungeschoren da-
vonkommen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN – Gunther Krichbaum [CDU/CSU]: So ein Schwachsinn!)


Das ist doppelt falsch; denn erstens war es nicht die
Entscheidung von Angela Merkel oder Wolfgang
Schäuble, dass auch diejenigen mit einer Einlage von
unter 100 000 Euro herangezogen werden sollten – das
war eine Entscheidung der Zyprioten –, und zweitens
steht in den Papieren klipp und klar, dass auch die Gläu-
biger und Anteilseigner der Banken herangezogen
werden sollen. Man muss die Papiere nur lesen. Einen
schönen Gruß an Herrn Gabriel: Lesen macht schlau.
Dann erzählt man nicht einen solchen Mist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ihr habt doch keine Ahnung von Geld!)


Im Übrigen hat vor kurzem auch der Kollege Carsten
Schneider gemeint, Eigentümer, Gläubiger und Kunden
der Banken müssten einen maßgeblichen Beitrag leisten:
Wenn die 10 Milliarden Euro brauchen, dann sollen sie
10 Milliarden Euro dort holen, sagte er in der Welt vor
wenigen Tagen. Genau das hat man gemacht. Jetzt
schreien Sie: So haben wir das aber nicht gemeint.

Dann heißt es: Die Grenze von 100 000 Euro haben
wir nicht im Blick gehabt. – Jetzt springen Sie auf den
fahrenden Zug auf und versuchen, aus diesen Vorgängen
innenpolitisch Profit zu schlagen. Ich halte das für schä-
big. Sie reihen sich ein bei denen, die ein Merkel- und
Schäuble-Bashing betreiben. Das war eben von den Lin-
ken zu hören, das ist ebenfalls von der SPD zu hören,
und das hörte man sogar eben von Herrn Schick.

Merkel- und Schäuble-Bashing: Wissen Sie, was Sie
tun? Sie stellen sich an die Seite der zypriotischen Politi-
ker, die ihrem Volk genau dasselbe erzählen. Ob Sie gut





Norbert Barthle


(A) (C)



(D)(B)


beraten sind, dieses Bashing zu betreiben, wage ich in
Zweifel zu ziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Denn die Menschen draußen spüren sehr genau, wer sich
für die Interessen unseres Landes einsetzt und wer aus
billiger Parteipolemik heraus ein Bashing betreibt, das
völlig unangemessen und in der Sache falsch ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich kann nur an diejenigen, die in ihrem Partei-
programm eine Vermögensteuer stehen haben, appellie-
ren, diese zu streichen. Die SPD sagt, das normale Einfa-
milienhaus werde davon ausgenommen. Sagen Sie den
Menschen die Wahrheit! Was ist ein normales Einfami-
lienhaus?


(Zuruf des Abg. Joachim Poß [SPD])


Ist das ein Haus an der nordöstlichen deutschen Grenze,
das man für 150 000 Euro kaufen kann, oder ist das ein
Haus in München, das 1 Million Euro kostet? Was ist bei
Ihnen ein normales Einfamilienhaus? Nennen Sie eine
Größenordnung.

Die Grünen wollen 100 Milliarden Euro durch eine
Vermögensabgabe einnehmen und sagen, dass es aber
keine Vermögen bis zu 1 Million Euro treffen soll. Sie
nehmen aber die Betriebe nicht aus. Diejenigen, die ein
Vermögen von 1 Million Euro haben, liebe Freunde von
den Grünen, sind Ihre Wählerinnen und Wähler, diejeni-
gen, die in den Halbhöhenlagen von Stuttgart wohnen.
Da kostet so ein Haus 1 Million Euro und mehr. Das
sollten Sie sich einmal zu Herzen nehmen.


(Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Leute draußen müssen genau wissen: Wer am
22. September eine dieser Parteien wählt, der wählt den
Zugriff auf die Sparkonten von Menschen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723112700

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Dr. Carsten

Sieling das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Carsten Sieling (SPD):
Rede ID: ID1723112800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr verehrten Damen und Herren! Der letzte Bei-
trag passt in eine Aktuelle Stunde,


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!)


wenn man das Ziel hat, die Leute zu verwirren, und
wirklich alles durcheinanderwirft.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Kollege, ich darf sagen, dass Sie für Ihre Arbeit
in diesem Hause durchaus Wertschätzung genießen – für

Ihre Arbeit, nicht immer für Ihre Haltung und Ihre Posi-
tionen. Aber wenn Sie sich hier hinstellen und uns, den
Sozialdemokraten und den Grünen, vorwerfen, dass die
Pläne für eine Vermögensteuer, bei denen es um Frei-
beträge von über 1 Million Euro geht, mit dem Plan zu
vergleichen sei, dem die Bundeskanzlerin und der Bun-
desfinanzminister zugestimmt haben und demzufolge
auch Leute mit 1 000, 2 000 oder auch 5 000 Euro be-
langt werden, dann ist das unredlich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)


Deshalb will ich hier sehr deutlich sagen: Wir sind
eindeutig dafür, dass Einleger mit einem hohen Volumen
herangezogen werden. Das muss auch für Zypern gelten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es ist unverantwortlich, was die zypriotische Regierung
dort geboten hat; gar keine Frage.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Aber es kommt sehr auf die Grenzen an. Da sage ich
mit allem Stolz und aller Gewissheit – ich nehme gerne
das auf, was Sie gesagt haben –: Wenn wir Sozialdemo-
kraten an die Regierung kommen und die Vermögen-
steuer eingeführt wird, dann wird das im Bereich der pri-
vaten Vermögensteuer mit Freibeträgen von deutlich
über 1 Million Euro pro Person


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Was ist mit Betriebsvermögen?)


bzw. von deutlich über 2 Millionen Euro bei Verheirate-
ten einhergehen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt.

Wir sagen deshalb in Bezug auf die Einlagensiche-
rung ganz eindeutig, dass gewährleistet werden muss,
dass alle Einlagen unter 100 000 Euro sicher sind. Der
Kollege Wissing hat sich ja sogar hier hingestellt und an
der Stelle von einer Vermögensbeteiligung gesprochen.
Sie wollen vielleicht mit einer Vermögensbeteiligung
Kleinsparer und kleine Leute heranziehen – wir werden
das nicht machen, meine Damen und Herren.

Uns geht es in der Tat auch um die Frage, wo in der
Debatte um die Stabilisierung des Euro eigentlich die
Bundeskanzlerin gewesen ist.


(Bettina Kudla [CDU/CSU]: Gestern im Europaausschuss!)


– Gestern ist sie aufgetreten, aber nicht in den letzten Ta-
gen während dieses Prozesses.


(Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Sie war beim Papst in Rom! – Weitere Zurufe von der CDU/ CSU: Nehmen Sie die Frage zurück! So ein Blödsinn! Sie waren wohl im Urlaub!)


Der normale Ablauf ist folgendermaßen: große Insze-
nierung, Krisengipfel, vorher im Deutschen Bundestag
eine Regierungserklärung, dann eine Reise nach Brüssel,
auf einem Gipfel bis 4 Uhr morgens tagen, herauskom-





Dr. Carsten Sieling


(A) (C)



(D)(B)


men und niemanden vor vollendete Tatsachen stellen,
sondern nur Bedingungen formulieren.

Dieses Mal: Nichts! Die Bundeskanzlerin war nicht
da, aber sie hat den Bundesfinanzminister machen las-
sen. Am Freitag war die Bundeskanzlerin da, nachdem
sie sich vorher natürlich eingemischt hatte. Sie hat die
ganz klare Orientierung gegeben: Man kann auf die
Einlagen zugreifen. – Sie hat das erlaubt. Damit ist eine
Unsicherheit in Europa entstanden, die auch nach
Deutschland kommt. Wir müssen uns Sorgen machen
und uns fragen, ob diese Bundesregierung nicht auch
willens und in der Lage wäre, in anderen Ländern – in
Spanien, in Portugal; das wächst sich auch bis Nordeu-
ropa aus – den Zugriff auf Spareinlagen zuzulassen.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Solange Ihr Kasperletheater läuft, brauchen wir uns keine Sorgen zu machen!)


– Da können Sie schreien, so viel Sie wollen: Das bleibt
richtig.


(Beifall bei der SPD)


Ich sage das auch deshalb, weil wir hier über die Si-
cherheit von Einlagen reden. Nach diesem Vorgang ruht
meine Hoffnung nicht mehr auf der Bundesregierung,
sondern meine einzige Hoffnung ruht darauf, dass im
Deutschen Bundestag und in diesem Land ein ähnlicher
Aufstand und Protest entsteht wie in Zypern.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Was? Sie wollen, dass der gleiche Protest in diesem Land passiert? Das ist unglaublich! Das ist doch völliger Quatsch!)


Und das ist auch richtig. Wenn Sie mit Vorschlägen
kommen, an die Einlagen zu gehen, dann wird es im
Deutschen Bundestag und in diesem Land Gott sei Dank
einen Aufstand geben. Das, meine Damen und Herren,
macht die Einlagen sicher.

Ich will zum Schluss noch sagen: Heute ist klar ge-
worden, dass die aktuell vorliegenden Vorschläge wohl
noch nicht die Lösung sein können. Wir als Sozialdemo-
kraten legen jedenfalls Wert darauf, dass dann, wenn
man in Zypern zu einer Lösung kommen will, auch die-
jenigen herangezogen werden, die von diesem Vorgang
profitieren. Es muss dazu kommen, dass diese Oase für
Steuerhinterzieher endlich geschlossen wird.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Da sind wir wieder einig! – Zuruf von der FDP: Das machen wir doch!)


Für diese Politik muss sich Deutschland einsetzen. Aber
dass diesbezüglich Druck gemacht wird, konnte man am
letzten Wochenende nicht spüren. Vielmehr ist es zu ei-
ner Verunsicherung gekommen. Das ist das Ergebnis.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723112900

Das Wort hat der Kollege Dr. Daniel Volk für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1723113000

Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr ge-

ehrten Damen und Herren! Ich glaube, das, was zu dem
Thema dieser Aktuellen Stunde hier von der Opposition
aufgeführt wird, ist – übrigens auch gemessen an der
Heftigkeit und Lautstärke – verantwortungslos, und
zwar gegenüber allen Bürgern in diesem Lande.


(Zuruf von der FDP: Richtig!)


Sie reden eine Unsicherheit bezüglich der Bankeinlagen
in Deutschland herbei und beschweren sich dann da-
rüber, dass ein unsicheres Gefühl bei den Bürgerinnen
und Bürgern in Deutschland bestünde.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Die Kanzlerin hat sich doch entsprechend geäußert!)


Das ist vor dem Hintergrund dessen, wie ernst es den
Menschen in diesem Lande um ihr Sparvermögen ist,
wirklich die höchste Form der Verantwortungslosigkeit.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das war die Kanzlerin! Nehmen Sie das endlich zur Kenntnis!)


Ich bin in dieser Hinsicht wirklich erschüttert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Herr Kollege Gysi, sich hier hinzustellen und zu be-
haupten, dass die Entscheidung eines souveränen Staa-
tes, nämlich Zyperns, sozusagen eine Entscheidung der
Bundesregierung Deutschlands sei, ist abwegig. Man
könnte fast denken, Sie glaubten, immer noch in Zeiten
eines gewissen Kolonialismus zu leben,


(Zurufe von der LINKEN)


wo ein Staat einem anderen Staat irgendwelche Vor-
schriften machen kann und wo souveräne, eigene Ent-
scheidungen der Republik Zypern nichts gelten. Es ist
wirklich abwegig, was Sie hier tun.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Souveräne Entscheidung? Wo leben Sie eigentlich?)


Das Bemerkenswerte an der ganzen Sache ist, dass
Sie in einer Hinsicht wirklich vor Schmerzen schreien
müssten. Die Situation auf Zypern ist nämlich das beste
Beispiel dafür, woher die Unsicherheit hinsichtlich Spar-
einlagen und Bankguthaben eigentlich kommt. Sie resul-
tiert eben nicht aus dem Einlagensicherungssystem, son-
dern sie kommt aus einer Steuerpolitik, die gerade die
Opposition in diesem Bundestag fordert: den Eingriff in
die Vermögenssubstanz über die Vermögensabgabe und
die Vermögensteuer.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht es noch?)


Das ist der Grund für die Unsicherheit, die bei den Men-
schen, bei den Bürgerinnen und Bürgern besteht.

Ich kann Ihnen nur sagen: Ihre Widersprüchlichkeit in
dieser Hinsicht – Sie werfen alles durcheinander und er-
kennen dabei nicht,





Dr. Daniel Volk


(A) (C)



(D)(B)



(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Beitrag für die heuteshow!)


dass ein Eingriff in die Vermögenssubstanz der Bürge-
rinnen und Bürger die schlimmste Form der Enteig-
nungspolitik ist – sendet ein klares Signal an die Men-
schen in diesem Lande.


(Sven-Christian Kindler [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch mehr Phrasen bitte!)


Der Eingriff in die Vermögenssubstanz ist die größte Un-
sicherheit, die in Deutschland für die Bankeinlagen be-
steht, und Sie von der Opposition fordern dies. Dazu
sollten Sie sich ganz offen bekennen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Stephan Thomae [FDP]: Die Linken blicken in den Spiegel und erkennen eine Fratze! – Manfred Zöllmer [SPD]: Da ist ja Fremdschämen angesagt!)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, es besteht in
Deutschland keine Unsicherheit bezüglich der Bankein-
lagen und der Sparguthaben, weil wir Gott sei Dank in
Deutschland eine Regierung und im Deutschen Bundes-
tag eine Koalition haben, die mit einer verantwortungs-
vollen Finanz- und Haushaltspolitik, die zur politischen
und wirtschaftlichen Stabilität beitragen, dafür sorgen,
dass Deutschland nicht in Schieflage gerät. Dadurch ent-
steht in Deutschland keine Unsicherheit.

Ich kann die Damen und Herren von der Opposition
wirklich nur auffordern: Lassen Sie das Herbeireden von
irgendwelchen unsicheren Situationen! Es ist allgemein
politisch verantwortungslos. Bekennen Sie sich eben
auch dazu, dass eine vernünftige Finanz- und Haushalts-
politik in Deutschland gemacht wird, die dazu führt, dass
die Bürgerinnen und Bürger in diesem Land die Sicher-
heit genießen, die sie bisher genossen haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723113100

Andrej Hunko hat jetzt das Wort für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723113200

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Ich

möchte zunächst der zypriotischen Bevölkerung und
dem zypriotischen Parlament gratulieren. Das zyprioti-
sche Parlament hat am Dienstag Nein zu diesem Vor-
schlag gesagt und damit einen europäischen Präzedenz-
fall verhindert. Dafür erst einmal vielen Dank!


(Beifall bei der LINKEN – Norbert Barthle [CDU/CSU]: Grußadresse an die Kommunisten in Zypern!)


„Willkür in einer Dimension, die nicht mehr in Worte
zu fassen ist“, so fasste der international renommierte
Ökonom Heiner Flassbeck zusammen, was am Freitag
und am Samstag auf dem Gipfel beschlossen worden ist.
Recht hat der Mann. Wer die Ereignisse der Nacht von

Freitag auf Samstag rekonstruiert hat, muss zu dem
Schluss kommen, dass das Auftreten von Schäuble und
Asmussen viel mit Erpressung, aber wenig mit gutem
Umgang unter Demokraten zu tun hat.


(Beifall bei der LINKEN)


Nicht umsonst ist in den internationalen Medien davon
die Rede, dass ein neokolonialer und neofeudaler Stil in
Europa Einzug gehalten hat – nicht erst seit dieser Wo-
che.

Erinnern wir uns an den Fall Papandreou! Der grie-
chische Ministerpräsident hatte die Idee, über die Aufla-
gen in Griechenland in einem Referendum abstimmen zu
lassen. Er wurde sofort zum Rapport zitiert, das Referen-
dum wurde zurückgezogen, und wenige Wochen später
war der Mann weg vom Fenster. – So schafft man keine
europäische Integration, sondern europäische Desinte-
gration.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt will es niemand gewesen sein; das haben wir ge-
rade gehört. „Wir waren es nicht“, hört man aus der Bun-
desregierung, „der zyprische Präsident war es.“ Einmal
abgesehen davon, dass Herr Schäuble zugestimmt hat
– das wurde hier schon gesagt –: Herr Anastasiades war
Ihr Mann. Sie haben sich dafür starkgemacht, dass er, ein
Konservativer, in Zypern zum Präsidenten gewählt wird.
Warum? Weil mit dem vorherigen linken Präsidenten
Christofias


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Der hat den Karren in den Dreck gefahren!)


so etwas nicht möglich gewesen wäre. Mit dem wäre die
Beteiligung von Kleinsparern genauso wenig möglich
gewesen wie die Verscherbelung der öffentlichen Be-
triebe an internationale Konzerne.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich sage Ihnen dazu: Kein linker Präsident, keine linke
Regierung irgendwo in Europa würde es zulassen, dass
die Kleinsparer für die Kosten der Krise herangezogen
werden.


(Beifall bei der LINKEN)


Das Erschütternde der Beschlüsse vom vergangenen
Freitag ist nicht nur der Tabubruch, an die Einlagen der
kleinen Sparer heranzugehen,


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Hat keiner die Absicht!)


und der Stil, mit dem das durchgesetzt wurde, sondern
auch die Konzeptionslosigkeit, mit der offenbar an die
Krise herangegangen wird. Wir haben eben die Meldung
der Ratingagentur Fitch bekommen. Da wird von
„Durchwurschteln“ gesprochen. Anstatt endlich die Ur-
sachen der Krise anzugehen, die in den deregulierten Fi-
nanzmärkten, in der gigantischen Konzentration der
Geldvermögen und in den Konstruktionsfehlern des
Euro liegen, stürzen Sie durch Ihre Austeritäts- und Pri-
vatisierungsdiktate und jetzt auch durch den Zugriff auf
die Kleinanlagen ein Land nach dem anderen in die Re-
zession.


(Beifall bei der LINKEN)






Andrej Hunko


(A) (C)



(D)(B)


Schauen wir uns doch einmal um! Griechenland be-
findet sich nun im sechsten Jahr der Rezession. Das
Land steht am Rande einer humanitären Tragödie. In
Portugal sind vor wenigen Wochen 1,5 Millionen Men-
schen unter dem Motto „Zum Teufel mit der Troika“ auf
die Straße gegangen. Auch die Wahlen in Italien sind in
diesem Kontext zu sehen.

Jetzt hat in Zypern zum ersten Mal ein Parlament Ihre
Auflagen abgelehnt. Nicht ein einziger Abgeordneter
wollte dem zustimmen. Die International Herald
Tribune schrieb gestern auf der Titelseite: Es gibt einen
Punkt, an dem die Bedingungen, die Deutschland aufer-
legt, so überdehnt sind, dass die anderen Länder dem
nicht mehr zustimmen werden. – An diesem Punkt sind
wir jetzt. Sie werden als Regierung der europäischen
Desintegration in die Geschichte eingehen.

Gegenwärtig ist viel davon die Rede, dass man eine
isländische Lösung in Zypern anwenden könnte.
Schauen wir uns noch einmal kurz an, was in Island pas-
siert ist: Man hat die Zockerbuden pleitegehen lassen,
stattdessen öffentliche Good Banks eingerichtet, die den
normalen Zahlungsverkehr aufrechterhalten. Man hat
Kapitalverkehrskontrollen eingeführt. Man hat das hohe
nordische Sozialstaatsniveau erhalten. Aber das Wich-
tigste ist: All das ist in einem intensiven demokratischen
Prozess zustande gekommen. Nach Massenprotesten gab
es Neuwahlen mit dem Ergebnis einer relativ linken
Regierung. Es gab zwei Referenden. Es gab Untersu-
chungsausschüsse, die die Verantwortlichen des Zusam-
menbruchs herangezogen haben. Es hat funktioniert,
besser funktioniert, als alle erwartet hatten.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Volker Wissing [FDP]: Herr Gysi war wenigstens originell!)


Von Island lässt sich viel lernen. Kommen Sie endlich
zur Vernunft und erkennen Sie Ihr Scheitern in der bishe-
rigen Krisenpolitik an! Europa wird demokratisch, sozial
und solidarisch sein, oder es wird nicht sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Bravo! – Gegenruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Wir sind hier doch nicht auf dem Parteitag!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723113300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Bettina Kudla für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1723113400

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! In Ostdeutschland ist die Linke eigentlich
immer sehr engagiert, und manchmal hatte ich schon den
Gedanken, man könnte auch mit der Linken gute Politik
machen.


(Beifall des Abg. Matthias W. Birkwald [DIE LINKE])


Aber nach Ihrer Rede heute, Herr Gysi, haben Sie mir
diese Illusion genommen. Wenn Sie hier schon eine Ak-
tuelle Stunde beantragen, dann hätten Sie sich wenigs-
tens über den Sachverhalt kundig machen können. Sie
verbreiten Falschaussagen und verunsichern die Men-
schen bewusst. Das ist keine seriöse Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es geht darum, die Spareinlagen der Menschen in
Zypern zu sichern. Herr Dr. Schick, die Lage ist nicht so
wie in dem von Ihnen genannten Beispiel aus den USA.
Denn es ist nicht der Fall, dass Zypern noch einen funk-
tionierenden Einlagensicherungsfonds hat und dass der
zypriotische Staat nun einspringen könnte.


(Dr. Gerhard Schick [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen brauchen wir einen europäischen Bankenabwicklungsfonds! Haben Sie denn nicht zugehört?)


Es droht in Zypern eine Insolvenz der Banken. Dies be-
deutet für die Menschen, dass sie unter Umständen ihre
Spareinlagen verlieren könnten. Wir alle wissen, im
Falle einer Insolvenz kommt in der Regel nur eine ge-
ringe Insolvenzquote heraus. Dies zeigt übrigens auch,
wie wichtig es ist, dass Staaten sich nicht ständig über-
schulden, dass sie nicht ständig neue Schulden machen.
Dann wird ein Staat irgendwann handlungsunfähig, weil
er in solchen Krisensituationen nicht mehr eingreifen
kann.


(Beifall des Abg. Jens Ackermann [FDP])


Lassen Sie mich noch einige Punkte zum Sachverhalt
nennen. Zypern hat ein überdimensioniertes Kreditpaket
beantragt. Ich halte es, auch in Verantwortung gegenüber
allen europäischen Steuerzahlern, für eine verantwor-
tungsvolle Politik der Euro-Gruppe, vorzuschlagen, dass
Zypern einen entsprechenden Eigenbeitrag leisten muss.
Die Form des Eigenbeitrags ist sehr durchdacht. Denn
Zypern grenzt die Krise ein, indem es den Beitrag auf
die betroffenen Banken fokussiert. Das heißt, die Anste-
ckungsgefahr innerhalb der Euro-Zone wird geringer.

Ich wundere mich schon sehr über die harsche Kritik
an der Beteiligung der Einlagen an dem Rettungspaket.
Es wurde doch kritisiert, dass Zypern eine Steueroase ist
und dass dort angeblich Schwarzgeld gewaschen wird.
Mit dieser Vermögensabgabe trifft man auch alle Anle-
ger, die nicht in Zypern ansässig sind. Es ist also für
Zypern eine gute Möglichkeit, den Eigenbeitrag zu er-
bringen. Ich betone noch einmal – das hat auch Herr
Barthle gesagt –: Der Vorschlag, Einlagen auch unter
100 000 Euro heranzuziehen, kommt vom zypriotischen
Staat selbst; er kommt nicht aus der Euro-Gruppe. Des-
halb muss man auch einen solchen Vorschlag akzeptie-
ren.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Nein, muss man nicht!)


Gerade kam über den Ticker die Meldung, dass man
neue Überlegungen anstellt, beispielsweise den Pen-
sionsfonds von Zypern zu beteiligen.





Bettina Kudla


(A) (C)



(D)(B)



(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das ist ein Taschenspielertrick!)


An dieser Stelle möchte ich eine Frage an die Linke stel-
len: Was halten Sie für gerechter: den Menschen ihre
Pension unsicher zu machen oder die Sparguthaben zu
beteiligen? Ich frage dies vor folgendem Hintergrund:
Die zypriotischen Banken haben seit Jahren überhöhte
Zinsen gezahlt, die sie gar nicht erwirtschaften konnten.
Darin liegt ja die Ursache der Krise.


(Zuruf des Abg. Dr. Diether Dehm [DIE LINKE])


Das heißt aber, dass eine solche Vermögensabgabe die
Rentner in Zypern nicht schlechterstellt als beispiels-
weise die in Frankreich oder Spanien. Die Höhe der Ver-
mögensabgabe von 6,75 bzw. knapp 10 Prozent konnte
man in den letzten drei Jahren allein durch die höheren
Zinsen erwirtschaften. Noch einmal zur Verdeutlichung:
Sparer in Frankreich oder Spanien konnten dies nicht.

Die Rolle der Opposition halte ich für verantwor-
tungslos. Sie ist auch unehrlich. In diesem Zusammen-
hang will ich einmal an die Diskussion über das Steuer-
abkommen mit der Schweiz erinnern. Da wurde eine
Vermögensabgabe von 39 Prozent vorgeschlagen. Sie
haben das Abkommen mit der Begründung abgelehnt,
39 Prozent seien zu wenig.


(Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Kleinsparer sind nicht in der Schweiz!)


Mit Verlaub, das ist doch keine kontinuierliche Finanz-
politik. Das ist eine kontraproduktive Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auch die Rolle des Präsidenten des Europäischen
Parlamentes muss man hinterfragen: Ist die Neutralität
eines Parlamentspräsidenten noch gewahrt, oder wird
dem Kanzlerkandidaten der SPD Schützenhilfe gegeben?


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723113500

Für die SPD-Fraktion hat jetzt Carsten Schneider das

Wort.


(Beifall bei der SPD)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1723113600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Verehrte Frau Kudla, ich weiß nicht, wen Sie so kennen,
der Konten in der Schweiz hat, um dort Geld zu ver-
stecken. Aber Kleinsparer sind mir diesbezüglich bisher
noch nicht untergekommen.


(Beifall bei der SPD)


Bei der Entscheidung vom Samstagmorgen, an der
der Herr Bundesfinanzminister maßgeblich mitgewirkt
hat – deshalb reden wir heute darüber –, wurde an einer
entscheidenden Stelle ein schwerer Fehler begangen: Es
sollte in Einlagen unter 100 000 Euro, die durch in natio-
nales Recht implementiertes EU-Recht gesetzlich ge-
schützt sind, eingegriffen werden.

Dieser Vorschlag mag zwar nicht von Herrn Schäuble
gekommen sein; aber er hat ihn akzeptiert.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Zypern ist ein souveräner Staat! Die haben eine eigene Regierung!)


Der Euro-Gruppen-Chef Dijsselbloem, der – wie einige
andere auch – an dieser Entscheidung ebenfalls beteiligt
war,


(Ralph Brinkhaus [CDU/CSU]: Der französische Finanzminister zum Beispiel! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Unser Freund Asmussen zum Beispiel!)


hat sich für diese Entscheidung entschuldigt. Er hat ge-
sagt: Das war ein Fehler.

Ich hätte von Herrn Schäuble und von Ihnen als Ver-
treter der Koalition erwartet, dass Sie hier deutlich ma-
chen: Wir entschuldigen uns dafür. Das war ein Fehler.
Er hat zu großer Verunsicherung in Europa geführt.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist doch grotesk! Die deutsche Regierung soll sich für eine Entscheidung einer anderen souveränen Regierung entschuldigen?)


– Herr Volk, Sie haben hier vorhin viel Trara gemacht,
aber wenig zur Sache gesagt.

Zypern hat vor einem Dreivierteljahr einen Antrag
auf Hilfsmaßnahmen gestellt. Das hat die Bundesregie-
rung ein Dreivierteljahr lang nicht interessiert. Sie haben
in keiner Art und Weise Druck auf das Land ausgeübt,
Gläubiger zügig an den Kosten der Rettung zu beteili-
gen, bevor das Geld abgezogen wird.


(Beifall bei der SPD – Zuruf von der CDU/CSU: Es gibt die Troika!)


Es gibt überhaupt keinen Dissens darüber, dass das
Geschäftsmodell in Zypern nicht mehr trägt und dass es
sich für ein Land innerhalb der Europäischen Union, in
der Solidarität großgeschrieben wird, nicht gehört, durch
Steuerdumping und eine sehr schwammige Umsetzung
von Geldwäscherichtlinien Steueraufkommen aus ande-
ren Ländern, zum Beispiel aus Deutschland, abzuziehen.
Diesbezüglich wollen wir einen ganz klaren Stopp.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Aber europaweit!)


Sie haben in dieser Richtung keinerlei Initiativen
ergriffen. Es ist vielmehr alles auf die nächtliche Ent-
scheidung vom vergangenen Wochenende zugelaufen.
Als deutlich wurde, dass es innerhalb des Europäischen
Rates eine Entscheidung gibt, haben wir als SPD gefor-
dert, dass sich die Bundeskanzlerin am letzten Donners-
tag hier im Bundestag erklärt. Sie hat es nicht getan.

Die Bundeskanzlerin hat genauso wie der Bundes-
finanzminister das Verhandlungsergebnis einschließlich
der Beteiligung von Einlagen unter 100 000 Euro mit
6,5 Prozent gutgeheißen.


(Manfred Zöllmer [SPD]: So ist es!)


Das war ein Fehler, und es gehört sich, dazu zu stehen.





Carsten Schneider (Erfurt)



(A) (C)



(D)(B)


Das Vertrauen in die Währungsunion ist ohnehin brü-
chig, wie man schon beim Zeitunglesen sieht. Sogar
meine Regionalzeitung hat mit der Frage aufgemacht, ob
deutsche Einlagen sicher sind oder nicht. Der Regie-
rungssprecher musste erneut entsprechende Versicherun-
gen abgeben. Dies alles zeigt doch, dass das Verhalten
der Bundesregierung insbesondere angesichts des klei-
nen Betrages, um den es ging, ein Fehler war.


(Beifall bei der SPD)


Sie hätten auch aus einem anderen Grund schon viel
früher handeln müssen: Seit einem Dreivierteljahr hat
die Europäische Zentralbank die zyprischen Banken über
ihre Notfallmaßnahmen, ELA genannt, finanziert.


(Andrej Hunko [DIE LINKE]: Sie wollten ja einen anderen Präsidenten!)


Es hat dazu geführt, dass mittlerweile ein zweistelliger
Milliardenbetrag auf den Konten aufgelaufen ist, mehr
oder weniger als Kredit an die nationalen Banken. Ge-
hen das Land Zypern und diese Banken pleite, müssen
wir für diese Forderung aufkommen; es sind dann di-
rekte Schulden, die wir übernehmen müssen. Das hätte
man verhindern können. Denn genau in dieser Zeit sind
nachrangige Gläubiger dieser Banken, zum Beispiel der
hier zitierten Laiki Bank – sie hätten im Falle einer
Pleite haften müssen –, herausgekauft worden; sie sind
verschwunden. Hier geht es um einen Milliardenbetrag,
der weg ist; auch das haben Sie durch Nichtstun zu ver-
antworten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, die Lage in Zypern ist jetzt
sehr schwierig. Für uns Sozialdemokraten ist klar: Es
muss einen substanziellen Beitrag der Einleger von Be-
trägen über 100 000 Euro geben – die Einlagen sind im
Durchschnitt viel höher als in Deutschland –; das ist Be-
dingung. Anders ist eine Schuldentragfähigkeit nicht
herzustellen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Das hätte man schneller haben können, und man hätte
es auch ohne Proteste der Zyprer – er kam von den
Kleinsparern – haben können.


(Jens Ackermann [FDP]: Es gibt keine Kleinsparer auf Zypern!)


Ein solcher Beitrag wäre, glaube ich, im Parlament
durchgegangen. Nun ist das Kind in den Brunnen gefal-
len. Ich hoffe, dass sich die Verunsicherung auflösen
lässt und wir trotzdem zu einer tragfähigen Lösung kom-
men.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723113700

Für die CDU/CSU-Fraktion hat jetzt der Kollege

Ralph Brinkhaus das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ralph Brinkhaus (CDU):
Rede ID: ID1723113800

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Die vor-

letzte Bemerkung von Herrn Schneider war noch die
beste: Es ist richtig, dass die Zyprer einen substanziellen
Beitrag leisten müssen.

Es ist aber die souveräne Entscheidung der Zyprer ge-
wesen, wie dieser Beitrag geleistet werden soll; sie ist
jetzt nicht getroffen worden. Uns ist völlig egal, wie der
Beitrag geleistet wird; aber wir – damit meine ich nicht
nur Deutschland, sondern dies ist auch eine Forderung
des Internationalen Währungsfonds – brauchen diese
6 Milliarden Euro, weil Zypern ansonsten trotz Sanie-
rung weiterhin überschuldet wäre.

Lassen Sie mich eine Vorbemerkung machen. Wir
führen hier angesichts der drohenden Insolvenz Zyperns
eine Debatte und reden über die angebliche Schuld der
Deutschen bzw. der Bundesregierung an dieser ganzen
Sache. Das ist so etwas von absurd.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bin es von linken Politikern nicht anders gewöhnt.
Ich bin jetzt 44 Jahre alt. In den 70er-Jahren haben mir
meine sozialdemokratischen Lehrer erzählt, ich sei
schuld am Hunger und am Elend der Welt.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: So einfach ist die Welt! – Zurufe vom BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


In den 80er-Jahren hat mir die Friedensbewegung – auch
links – erzählt, ich sei schuld an einem drohenden Atom-
krieg.


(Zurufe von der LINKEN)


Ende der 80er-Jahre haben mir die Grünen – auch links –
erzählt, ich sei schuld am Tod der Wale, am Sterben der
Wälder und an explodierenden Kernkraftwerken. In den
90er-Jahren war es die große Schuld Deutschlands, dass
es eine unverdiente Wiedervereinigung gab. Wenn ich
heute, im Jahre 2013, in die freudlosen Gesichter einiger
Vertreter von NGOs schaue, dann weiß ich nicht, woran
ich heute wieder schuld bin. Und jetzt sind wir daran
schuld, dass es Zypern schlecht geht und es keinen Weg
aus dieser Krise findet. Das ist absurd; aber das ist seit
40 Jahren linke Politik in diesem Land.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das eigentliche Thema heute ist: Wie können die
Sparguthaben gesichert werden? Dazu kann man eines
sagen: Sparguthaben sind sicher, wenn sich Banken in
Ländern bewegen, die ein funktionierendes Geschäfts-
modell voraussetzen,


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ist es!)


und das ist bei Zypern nicht der Fall. Ein Land, das sich
in Europa darüber definiert, Steuervorteile zu gewähren,
das sich darüber definiert, ein vermeintlich sicherer Ha-
fen für irgendwie verdientes Geld aus Osteuropa zu sein,
das sich darüber definiert, dass seine Banken überhöhte
Zinsen zahlen, und das sich darüber definiert, einen
Bankensektor zu haben, der viermal so groß ist wie das
Bruttoinlandsprodukt,





Ralph Brinkhaus


(A) (C)



(D)(B)



(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Siebenmal so groß!)


muss sich nicht wundern, dass ihm die Banken um die
Ohren fliegen und es Probleme mit den Spareinlagen
hat.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Zweiter Punkt: Wann sind Spareinlagen sicher? Spar-
einlagen sind dann sicher, wenn Banken vernünftig regu-
liert werden, und da haben wir in Deutschland etwas ge-
macht.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Zurufe von der LINKEN: Was?)


Wir haben dafür gesorgt, dass Banken weniger Fehler
machen, indem wir Großkredite begrenzt haben, indem
wir Verbriefungen reguliert haben, indem wir Rating-
agenturen und Vergütungsstrukturen reguliert haben.
Wir hier in Deutschland haben etwas dafür gemacht,
dass die Fehlertragfähigkeit der Banken größer wird –
durch bessere Eigenkapitalregeln und bessere Liquidi-
tätsregeln. Wir in Deutschland haben etwas für die Si-
cherheit der Spareinlagen gemacht, indem wir für ein
besseres Aufsichtssystem nicht nur in Deutschland, son-
dern auch in Europa gesorgt haben. Wir in Deutschland
haben etwas gemacht, damit Spareinlagen in der Krise
nicht gefährdet sind, und zwar mit unserem Restruktu-
rierungsgesetz, mit dem wir übrigens für den Rest der
Welt maßgebend sind. Das gehört zur Wahrheit dazu.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn Zypern auch nur ansatzweise so gehandelt hätte,
dann gäbe es nicht die Probleme, mit denen wir es heute
zu tun haben.

Der dritte Punkt ist: Wann sind Spareinlagen sicher?
Spareinlagen sind sicher – Herr Kollege Wissing hat es
gesagt –, wenn wir vernünftige Einlagensicherungssys-
teme haben. Und die haben wir: bei den öffentlichen
Banken, bei den Geschäftsbanken und insbesondere
durch die Institutssicherung bei den Volksbanken und
den Sparkassen.

Jetzt muss man sich fragen: Wer hat denn die Insti-
tutssicherung bei Volksbanken und Sparkassen im euro-
päischen Kontext verteidigt?


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Wir!)


Wie sehr sind wir denn für das System, das in Deutsch-
land funktioniert hat, angegriffen worden? Wer hat sich
für dieses System eingesetzt? Wir haben das hier in
Deutschland gemacht, und das war richtig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wenn man sich Gedanken über die Sicherheit von
Spareinlagen und über die Einlagensicherungssysteme
macht,


(Manfred Zöllmer [SPD]: Das sollten Sie mal tun!)


dann muss man auch darüber nachdenken, ob die deut-
schen Einlagensicherungssysteme auch für den Rest Eu-
ropas aufgrund einer verfehlten Politik in Zypern und in

anderen Ländern gelten sollen. Genau das will unsere
Koalition nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir können am Ende des Tages sehr viel über die Si-
cherheit von Sparguthaben reden. Aber was nützt mir
das, wenn der Staat mit einem Rollgriff über meine Kon-
ten und durch mein Portemonnaie fährt und mein Geld
einsammelt? In diesem Zusammenhang sollten wir uns
auch einmal über die Pläne von Rot-Grün unterhalten.


(Bartholomäus Kalb [CDU/CSU]: Ja!)


Was bedeutet es für die Sparguthaben, wenn die Kapital-
ertragsteuer erhöht wird? Sie können jetzt schön sagen,
Sie haben einen Freibetrag im Rahmen Ihrer Vermögens-
abgabe und Ihrer Vermögensteuer vorgesehen. Aber das
ist doch nur der Anfang. Am Ende des Tages wird die
Vermögensteuer und die Vermögensabgabe auch den
Mittelstand betreffen. Das sind normale Anleger, auch
hier gibt es Spareinlagen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir können das Ganze weiterspinnen:


(Iris Gleicke [SPD]: „Spinnen“ war das richtige Stichwort!)


Wie sieht es mit den Plänen zur Erbschaftsteuer aus?
Sind davon auch Spareinlagen betroffen, oder sind das
keine Spareinlagen?

Mal abgesehen von den Spareinlagen: Wie sieht es
denn mit den Spitzensteuersätzen aus? Ihr Kanzlerkandi-
dat hat sich nicht dazu geäußert, aber der Parlamentari-
sche Geschäftsführer der SPD Oppermann, der nämlich
gesagt hat: Mit den höheren Steuersätzen fangen wir
schon bei 64 000 Euro an. – Auch in diesem Zusammen-
hang können wir uns einmal darüber unterhalten, wie si-
cher die Einlagen sind, wie sicher sich die Menschen in
diesem Land fühlen.

Mein Fazit ist: Diese Bundesregierung hat für ein
funktionierendes Geschäftsmodell gesorgt. Diese Bun-
desregierung hat die Banken vernünftig reguliert. Diese
Bundesregierung hat die Einlagensicherungssysteme in
Deutschland verteidigt. Diese Bundesregierung wird
eine Steuerpolitik machen, die die Menschen in diesem
Land nicht enteignet.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723113900

Ich schließe die Aussprache und beende damit die

Aktuelle Stunde.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Wirtschaft und Tech-
nologie (9. Ausschuss) zu der Verordnung des
Bundesministeriums für Wirtschaft und Techno-
logie





Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt


(A) (C)



(D)(B)


Verordnung zur Markttransparenzstelle für
Kraftstoffe (MTS-Kraftstoff-Verordnung)


– Drucksachen 17/12390, 17/12441 Nr. 2.5,
17/12746 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Oliver Krischer

Vorgesehen ist es, hierzu eine Stunde zu debattieren. –
Dazu sehe ich keinen Widerspruch. Dann ist es so be-
schlossen.

Ich gebe das Wort dem Kollegen Professor Erik
Schweickert für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/ CSU)



Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1723114000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Im Wettbewerb ist der
Kunde König. Wir wissen nicht erst seit dem Abschluss-
bericht des Bundeskartellamts zur Sektoruntersuchung
Kraftstoffe, dass es im Bereich Sprit keinen ausgepräg-
ten Wettbewerb gibt. Was es allerdings auch nicht gibt,
ist ein wettbewerbswidriges Verhalten der fünf Oligopo-
listen. Damit ist ein kartellrechtliches Verfahren leider
nicht möglich.

Wir als schwarz-gelbe Regierungsfraktionen möchten
den Kunden aber wieder zum König machen. Deshalb
haben wir es uns zum Ziel gesetzt, den Wettbewerb um
den günstigsten Preis an der Zapfsäule anzukurbeln;
denn Preiswettbewerb führt zu sinkenden Preisen. Wich-
tig dabei ist, dass der Verbraucher in die Lage versetzt
wird, in diesem Preiswettbewerb mitzuspielen. Dafür
sorgen wir heute in diesem Hause mit der Schaffung der
Markttransparenzstelle und der dazugehörigen Verord-
nung.

Mein ausdrücklicher Dank gilt dabei dem Bundes-
wirtschaftsminister Philipp Rösler, der den Vorschlag
der Koalitionsfraktionen aufgegriffen hat. Wir haben
nicht nur vorgeschlagen, die Daten über Einkaufs- und
Verkaufspreise der Tankstellen bei der Markttranspa-
renzstelle zu sammeln. Wir wollen auch, dass die Ver-
braucher einen Vorteil daraus ziehen, indem die Tank-
stellenpreise öffentlich zugänglich gemacht werden.
Diesen Vorschlag hat Philipp Rösler aufgegriffen, ein
Gesetz gemacht und somit etwas Gutes für die Verbrau-
cher auf den Weg gebracht.

Die Koalitionsfraktionen haben den guten Verord-
nungsentwurf noch besser gemacht: Wir haben die Aus-
nahmen reduziert und dafür gesorgt, dass die Übertra-
gungszeiten der Daten beschleunigt werden. Damit
bringen wir mehr Wettbewerb, mehr Fairness und mehr
Transparenz in den Benzinmarkt. Das hat Rot-Grün in
seiner Regierungszeit nicht geschafft. Sie haben immer
nur geredet, haben aber nichts für den Verbraucher ge-
tan. Der Unterschied zwischen Rot-Grün und Schwarz-
Gelb ist: Sie reden, wir handeln, meine Damen und
Herren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir verpflichten auch die Tankstellenbetreiber, ihre
aktuellen Preise an die Markttransparenzstelle zu mel-
den. Diese gibt dann die Daten an die privaten Anbieter
weiter, welche diese Daten den Verbrauchern zugänglich
machen, entweder im Internet, per App oder per Navi,
ganz wie es die Verbraucher wollen. Denn uns ist beson-
ders wichtig: Die Preisinformationen müssen für die
Verbraucher einfach und schnell abrufbar sein.

Heutzutage vergleichen nur sehr wenige Verbraucher
die Preise an den Tankstellen. Deshalb tanken auch zwei
Drittel aller Autofahrer regelmäßig an der gleichen
Tankstelle. Das wollen und das werden wir nun mit der
Markttransparenzstelle ändern; wir werden das Preisbe-
wusstsein der Verbraucher stärken. Denn bislang werden
die Onlinepreissysteme kaum genutzt. Das liegt insbe-
sondere daran, dass wir eben nicht über flächendeckende
Daten, nicht über valide Daten verfügen. Das ändern wir
mit der Schaffung der Markttransparenzstelle und den
Vorgaben der Verordnung.

Wir machen durch diese Vorgaben den Markt transpa-
rent, wir machen den Markt für die Verbraucher durch-
schaubarer, und wir schaffen eine zuverlässige und um-
fassende Datenbasis über Preise und Preisänderungen.
Es wird zukünftig ein Kinderspiel sein, die billigste
Tankstelle einer Region zu finden und dort zu tanken.
Das wird dazu führen, dass jeder Tankstellenbetreiber
der billigste sein möchte; denn nur dann wird verkauft,
und zwar nicht nur Sprit, sondern auch die Produkte der
Tankstellenshops, die Umsatz bringen. Deshalb hat jeder
Tankstellenbetreiber ein ureigenes Interesse daran, den
günstigsten Spritpreis anzubieten.

Aus diesem Grunde ist unser Modell der Preistranspa-
renz auch ein gutes Modell für die mittelständischen
Tankstellen. Denn diese waren eigentlich schon immer
die günstigsten Anbieter, nur wussten es die Autofahrer
kaum. Jetzt wird dies aber für alle deutlich werden, und
damit wird die Wettbewerbsposition der mittelständi-
schen Tankstellen gegen die Oligopolisten gestärkt.

Wir geben dem Verbraucher damit das Rüstzeug, sich
zu informieren, zu vergleichen und Geld zu sparen. Da-
mit ist dann auch die Zeit vorbei, in der an der Zapfsäule
abgezockt wurde. Die Preise werden sich in Zukunft
eben nicht mehr nach Feiertagen und Ferienzeiten rich-
ten, sondern endlich nach Angebot und Nachfrage.


(Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: Wer’s glaubt, wird selig! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das Paradies bricht aus!)


Das ist Politik für die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher, und das ist Politik für den Mittelstand, und das,
meine Damen und Herren, ist die Handschrift von
Schwarz-Gelb.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723114100

Ingo Egloff hat jetzt das Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Ingo Egloff (SPD):
Rede ID: ID1723114200

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die Frage der Kraftstoffpreise ist eine, die nicht
nur ab und an die Boulevardpresse beschäftigt, sondern
natürlich auch die Bevölkerung; denn jeder, der Auto
fährt, kann an der Zapfsäule feststellen bzw. im eigenen
Portemonnaie merken, was es bedeutet, wenn die Preise
hinauf- und hinuntergehen.

Natürlich gibt es darüber hinaus auch ernst zu neh-
mende rechtliche Probleme, die damit zusammenhän-
gen, dass man feststellen muss, dass die Benzinpreise
von Tankstelle zu Tankstelle immer im gleichen Rhyth-
mus steigen und sinken, und das in der Regel unabhän-
gig von der Benzinmarke. Dass da der Verdacht aufkom-
men muss, hier lägen wettbewerbsrechtlich unzulässige
Absprachen bzw. Kartelle vor, mag niemanden verwun-
dern, zumal es heute im Zeitalter elektronischer Daten-
übertragung ein Leichtes ist, Tausende von Tankstellen
und Zehntausende von Zapfsäulen zentral preismäßig zu
steuern.

Das Bundeskartellamt hat immer wieder Anläufe un-
ternommen, um ein derart wettbewerbswidriges Verhal-
ten nachzuweisen. Bisher war dies leider nicht von Er-
folg gekrönt. Die Ölkonzerne weisen darauf hin, dass die
Tankstellenketten rechtlich selbstständig seien. Trotz-
dem kommen immer wieder Vorwürfe hoch, hier werde
steuernd eingegriffen. Ein anderer Vorwurf, der erhoben
wird, bezieht sich auf die Benachteiligung freier Tank-
stellen bei den Raffineriepreisen bzw. bei den Abnahme-
bedingungen.

Den Verbraucher wundert es allerdings schon, dass
die Preise an den Zapfsäulen zum Teil mehrmals täglich
Karussell fahren. Es kommt zu Preissprüngen von bis zu
10 Cent oder mehr. Erinnern Sie sich an selige D-Mark-
Zeiten zurück: Wann hat es damals Preissprünge gege-
ben, bei denen der Preis um 20 Pfennig oder mehr
hinauf- bzw. hinuntergegangen ist?

Die Konzerne sagen, dass diese Preissprünge mit dem
Spot-Markt in Rotterdam zusammenhängen. Nun weiß
aber jeder, dass die Konzerne das Rohöl nicht just in
time vom Spot-Markt in Rotterdam zu den Tankstellen
bringen, sondern das Rohöl raffiniert werden muss und
es eine Lagerhaltung gibt. Insofern dürfte eine Preisstei-
gerung auf dem Rohölmarkt eigentlich erst dann Aus-
wirkungen für den Verbraucher haben, wenn das, was
damals eingekauft worden ist, verarbeitet und verkauft
wird. Die Tatsache, dass das nicht so ist, führt dazu, dass
die Konzerne an der einen oder anderen Stelle Extra-
gewinne machen.

Mir ist auch nicht verständlich, warum in meiner Hei-
matstadt Hamburg die Preise im Westen der Stadt von
denen im Osten oder Süden differieren. Warum ist das
Benzin im ärmeren Osten von Hamburg oft teurer als im
wohlhabenderen Westen?


(Rita Pawelski [CDU/CSU]: Was?)


Das erschließt sich mir nicht; schließlich hängen, glaubt
man den Konzernen, doch alle Preise am Marktpreis für
Rohöl. Der einzige Grund, der mir einfällt, ist der, dass
im reicheren Westen mehr getankt wird – ein Porsche

Cayenne schluckt mehr als ein VW Lupo – und der Preis
im Osten insofern höher sein muss, als die verkaufte
Menge dort geringer ist.

Bleiben wir ernsthaft. Für den Verbraucher ist die Si-
tuation nicht mehr zu überblicken.


(Zurufe von der FDP)


– Nun werden Sie doch nicht nervös. Ich komme ja noch
darauf zu sprechen, dass ich Ihren Entwurf auch ganz
gut finde. – Für den Verbraucher ist die Situation nicht
mehr zu überblicken, so schnell wechselt der Preis. Eine
Regulierung des Marktes über das Verbraucherverhalten
ist daher bisher nicht möglich. Es kann ja schlechter-
dings nicht verlangt werden, dass jeder Marktforschung
betreibt. Auch die Möglichkeiten, aktuelle Preise festzu-
stellen, sind bisher trotz Internet begrenzt, und eine
Preisforschungsreise von Tankstelle zu Tankstelle unter-
nimmt niemand. Ein Kollege hat gesagt, dass zwei Drit-
tel der Verbraucher immer an derselben Tankstelle tan-
ken. Ich habe irgendwo gelesen, dass 40 Prozent dann
tanken, wenn sie tanken müssen, und zwar unabhängig
vom Preis. Das zeigt, dass das Verhalten des Verbrau-
chers nicht vom Preis abhängt. Das ist gut für die Kon-
zerne, aber schlecht für den Wettbewerb und schlecht für
die Marktwirtschaft.

Hier regulierend einzugreifen, ist Aufgabe der Politik.
Natürlich könnte man angesichts der Benzinpreise auf
die Idee kommen, den Steueranteil zu senken. Ich halte
das für eine schlechte Idee. Ich glaube, dann würde nur
der Profit der Konzerne größer werden; aber der Ver-
braucher hätte nichts davon. Das wäre nicht das, was wir
alle wollen.

Eine staatliche Festsetzung der Preise scheidet in ei-
ner Marktwirtschaft meines Erachtens auch aus.

Das Bundeskartellamt hat in seiner Sektoruntersu-
chung im Bereich Kraftstoffe die Marktstrukturen einge-
hend analysiert und Wettbewerbsdefizite aufgrund der
hohen Marktkonzentration festgestellt. Wörtlich heißt
es:

Wegen dieser unverändert fortbestehenden oligo-
polistischen Marktstruktur sowie der Homogenität
von Kraftstoffen und der hohen Transparenz der
Preise für Wettbewerber ist es gerechtfertigt, dass
eine Behörde die Preisveränderungen im Tankstel-
lensektor eingehender betrachtet.

In dem entsprechenden Gesetzentwurf heißt es:

Ziel des Gesetzes ist es daher auch, die Preisbil-
dung bei Kraftstoffen im Hinblick auf ihre Wett-
bewerbskonformität zu beobachten. Eine zentrale
behördliche und laufende Marktbeobachtung soll
die Aufdeckung und Sanktionierung von Kartell-
rechtsverstößen erleichtern.

Das teilen wir ausdrücklich. Das unterstützen wir.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Nun haben wir in der Anhörung Beispiele aus ande-
ren Ländern kennengelernt: Zum Beispiel dürfen in
Österreich und Westaustralien nur einmal am Tag Verän-





Ingo Egloff


(A) (C)



(D)(B)


derungen vorgenommen werden. In der Anhörung wurde
gesagt, das sei nicht zielführend. Das hätte nicht den
Erfolg gehabt, den man sich davon versprochen hat. Das
hat sich mir nicht ganz erschlossen. Ich denke, wir soll-
ten das im Maßnahmenköcher lassen für den Fall, dass
die Einrichtung einer Markttransparenzstelle nicht den
Erfolg hat, den sich alle davon versprechen.

Die Schaffung einer Markttransparenzstelle ist der
Versuch, die Konzerne und alle, die in nennenswertem
Umfang Kraftstoffe verkaufen, zu zwingen, jede Preis-
veränderung zu melden. Dies ist lästig, zumindest dann,
wenn die Meldung nicht für alle Verkaufsstellen einer
Kette gleichgetaktet erfolgt. Dieses Problem kann man
EDV-mäßig lösen.

Etwas anderes kann aber die Folge sein: Wenn durch
diese Meldungen offenbar wird, in welch kurzen Ab-
ständen herauf- und herunterreguliert wird, und wenn
das, was wir bisher nur gefühlsmäßig zu wissen glauben,
durch Zahlen dokumentiert ist, könnten die Konzerne in
Erklärungsnot kommen: Warum wird das so vorgenom-
men? Dann sind sie gegenüber dem Verbraucher in
stärkerem Maße als gegenwärtig zur Rechenschaft ver-
pflichtet. Dadurch wird der Druck auf die Konzerne grö-
ßer, zu begründen, warum sie diese Maßnahme zu einem
bestimmten Zeitpunkt ergreifen. Das gilt insbesondere,
wenn das Kartellamt zur gleichen Zeit Veränderungen
am Rohölmarkt beobachtet.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist das!)


Wir denken, dass es den Versuch wert ist, mit einem
vergleichsweise milden Eingriff zu versuchen, Transpa-
renz zu schaffen, um entweder Ansatzpunkte für eine
entsprechende Regulierung zu haben oder allein mit der
Meldepflicht ein verändertes Marktverhalten der Kon-
zerne zu veranlassen.

Darüber hinaus besteht für die Verbraucher die Mög-
lichkeit – darauf haben Sie hingewiesen –, bei den Ver-
braucherinformationsdiensten die aktuellen Kraftstoff-
preise zu erfahren. Es ist eine Erleichterung gegenüber
der jetzigen Situation, wenn man sehen kann, welche
Tankstelle in der Nähe den günstigsten Preis hat.

Wir werden also der heute zur Beschlussfassung an-
stehenden Verordnung zustimmen, sind aber gespannt
darauf, ob das System den Erfolg hat, den wir uns alle
zusammen davon versprochen. Wenn nicht, sehen wir
uns an dieser Stelle wieder und werden dann über andere
Maßnahmen beraten müssen.

Vielen Dank, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723114300

Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat jetzt das Wort für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1723114400

Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Ich

freue mich, dass wir hier offenbar doch noch in der Lage
sind, energiebezogene Themen zu diskutieren, ohne dass
der gesamte Saal auseinanderfällt, dass im Gegenteil
sehr erfreulich dokumentiert wird, dass es auch Themen
gibt, zu denen man mit großer Einigkeit Maßnahmen er-
greifen kann.

In der Tat sind Kraftstoffpreise für den ländlichen
Raum ein besonderes Thema. Dort besteht Zwangs-
bedarf, weil man sich Mobilität dort nur individuell
sichern kann. Deshalb sind die Verbraucherinnen und
Verbraucher insbesondere im ländlichen Raum in einer
Zwangslage.

Nun hat der Kollege Egloff in einer exzellenten Art
und Weise den Markt und die Problematik beschrieben.
Konzentration bzw. Oligopole sind in der Marktwirt-
schaft natürlich ein Problem. Wenn homogene Güter da-
zukommen, ist das Problem noch sehr viel größer. Ich
pflichte dem Kollegen ausdrücklich bei, dass eine Steu-
ersenkung – Steuern machen einen erheblichen Teil des
Spritpreises aus – angesichts der vermachteten Struktu-
ren am Schluss von den Konzernen wieder kassiert wer-
den würde. Dass wir das nicht wollen können, ist, glaube
ich, jedem klar.

Ich habe gemeinsam mit den Kollegen verschiedent-
lich überlegt, was man tun kann. Dabei sollten wir stu-
fenweise vorgehen und das australische Modell erstmal
im Köcher lassen. Es gibt aber Modelle wie das österrei-
chische, die schon spieltheoretisch Unfug sind. Das be-
trifft die Idee, einmal am Tag den Preis festzusetzen und
dann die Möglichkeit zu haben, herunterzugehen. Jeder
weiß doch, was dann passieren wird: Zuerst einmal wird
ein hoher Preis festgesetzt, und dann versucht man, das
wieder schön herunterzuskimmen. Das hilft an dieser
Stelle sicher auch nicht weiter.

Ich glaube, dass es, wie es der Kollege Egloff be-
schrieben hat, sehr wohl richtig ist, zunächst den Weg ei-
nes geringeren Eingriffes zu wählen; dabei geht es um
mehr Transparenz. Diese Transparenz herzustellen,
sollte ursprünglich dem Kartellamt vorbehalten sein.
Das Kartellamt hat im Rahmen seiner Sektoruntersu-
chung zu Recht seine Sorgen kundgetan und gesagt: Wir
müssen das noch genauer beobachten, brauchen mehr
Informationen. Zumindest die synchron verlaufenden
Preisbewegungen sind merkwürdig – ich will mich an
dieser Stelle juristisch vorsichtig ausdrücken.

Diese Transparenz herzustellen, ist das eine. Die an-
dere Seite besteht darin, dass man hier die Chance ge-
nutzt hat, diese Transparenz dann auch für den Verbrau-
cher herzustellen; das ist eine gute Geschichte. In diesem
Zusammenhang nutzen wir die aktuellen Technologien
bzw. die aktuellen Möglichkeiten. Insofern können wir
dafür Sorge tragen, dass derjenige, der beispielsweise
direkt im Auto ein Smartphone hat oder das am PC
machen will, in Echtzeit die Chance hat, zu sehen, wo
die nächstgelegene günstigste Tankstelle ist. Das halte
ich für einen ganz entscheidenden Fortschritt hin zu
mehr Transparenz.





Dr. Georg Nüßlein


(A) (C)



(D)(B)


Ich will auch deutlich herausstellen, dass es uns nicht
daran gelegen ist, bestehende Geschäftsmodelle zu zer-
stören. Nicht der Staat, die Bundesnetzagentur, das Kar-
tellamt oder wer auch immer übernimmt diese Aufgabe,
sondern wir organisieren das so, dass diejenigen, die bis-
her ein solches Geschäftsmodell hatten und im Internet
auf diesem Wege Content lieferten, dieses Geschäftsmo-
dell weiter nutzen können. Meine Damen und Herren,
60 interessierte Anbieter haben sich schon beim Bundes-
kartellamt gemeldet und mitgeteilt, dass sie vermitteln
wollen. Das ist doch ein deutlicher Beleg dafür, dass wir
auch wirtschaftlich gesehen auf einem guten Weg sind.

Ich füge natürlich dazu – man muss ein bisschen vor-
sichtig sein, dass das nicht zu ironisch klingt –: Ein biss-
chen Sorge macht mir die Transparenz, und zwar des-
halb, weil man die Konzerne von der Notwendigkeit
befreit, sich die Preise der Konkurrenz von ihren Tank-
warten zu besorgen. Transparenz kann man ja nicht be-
schränken, indem man sagt: Sie ist nur für den Verbrau-
cher da. – Da ist natürlich auch für die andere Seite ein
bisschen Musik drin. Entscheidend ist aber nicht, wie die
Konzerne die Informationen behandeln, sondern, wie sie
sich verhalten. Wenn sie sich so verhalten, dass man
sieht: „Da steckt wieder System dahinter; es geht wieder
darum, die Verbraucherinnen und Verbraucher abzuzo-
cken“, dann muss man sich in der Tat ernsthaft Gedan-
ken darüber machen, wie man an dieser Stelle eingreift.

Ich will deutlich hervorheben, dass wir auch an die
Tankstellenbesitzer gedacht haben. Uns als wirtschafts-
freundlicher Koalition lag natürlich am Herzen, nieman-
den übermäßig zu belasten. Das gewährleisten wir unter
anderem durch die Härtefallregelung, die wir in die Ver-
ordnung eingebaut haben. Tankstellenbetreiber können
auf Antrag von der Meldepflicht befreit werden, wenn
die Einhaltung dieser Pflicht für sie „eine unzumutbare
Härte“ darstellen würde. Ein Beispiel: Der 67-jährige
Tankstellenbesitzer, der weiß, dass er sowieso in naher
Zukunft aufhört, muss diese Auflage natürlich nicht er-
füllen. Hier greift die Härtefallregelung. Außerdem ha-
ben wir die Regelung getroffen, dass auch die Betreiber
kleiner Tankstellen mit weniger als 750 Kubikmeter Ge-
samtdurchsatz von Otto- und Dieselkraftstoffen im Jahr
– das betrifft nach Marktschätzungen angeblich 400 bis
500 Tankstellen – von der Meldepflicht befreit werden
können.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wenn sie wollen!)


– Der Kollege sagt es zu Recht: Wenn sie wollen. Das
heißt, Betreiber, die sich freiwillig entscheiden, dieser
Pflicht nachzukommen, weil es auf dem Markt auch ein
Vorteil sein kann, wenn man dokumentiert, dass die ei-
gene Tankstelle, obwohl sie klein ist, preislich leistungs-
fähig ist, können und dürfen das natürlich tun. Das ist
aus meiner Sicht ganz wichtig.

Ich will ganz besonders betonen, dass ich nicht der
festen Überzeugung bin, dass dies das Problem löst.
Aber ich bin der festen Überzeugung, dass dies den
Wettbewerb befördert und die negativen Eingriffsmög-
lichkeiten der Konzerne einschränkt; denn so sind sie
leichter zu beobachten. Man kann deutlicher und schnel-
ler erkennen, ob da irgendetwas nicht stimmt.

Insbesondere die Preis-Kosten-Schere ist immer wie-
der ein Thema. Hier geht es darum, dass Dritte zu
schlechteren Konditionen als die eigenen Tankstellen be-
liefert werden. Das ist in diesem Bereich ein Rie-
senthema. Es ist nicht leicht, dieses Problem zu lösen.
Allerdings besteht das große Risiko, dass freie Tankstel-
len diskriminiert werden, während die eigenen einseitig
bevorzugt werden. Das kann man in Zukunft natürlich
leichter erkennen. Meine Damen und Herren, ich meine,
dass wir mit der Einrichtung einer Markttransparenz-
stelle eine gute Basis geschaffen haben, um den Markt
weiter beobachten und hoffentlich auch verhindern zu
können, dass es erneut zu extremen Preissprüngen
kommt.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ostern!)


Leider muss ich dazusagen: Bis Ostern wird die
Markttransparenzstelle nicht eingerichtet sein.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben ja bis jetzt schon drei Jahre gebraucht!)


Wer jetzt kritisiert: „Die Politik hat zwar etwas gemacht,
aber an Ostern kommt es wieder zum selben Problem“,
der verkennt die Tatsache, dass es natürlich nicht so
schnell geht, dass wir hier beraten und alles schon an Os-
tern funktioniert. Die Markttransparenzstelle muss zu-
nächst einmal installiert werden; dadurch werden der
Branche übrigens Investitionen in Höhe von 6 Millio-
nen Euro abverlangt. Sie wird mit Sicherheit Wirkungen
entfalten, die wir genau beobachten werden. Dann wer-
den wir, daran anknüpfend, entscheiden, welche weite-
ren Maßnahmen wir treffen müssen, um diesen Markt,
der vermachtet und hochproblematisch ist, an den aber
viele Millionen Bürger gewissermaßen angekettet sind,
so zu verändern, dass wir unser Ziel, für mehr und bes-
sere soziale Marktwirtschaft zu sorgen, erreichen.

Ich möchte ausdrücklich sagen: Die Vorschläge, die
von der linken Seite dieses Hauses manchmal in die Dis-
kussion eingebracht werden, dass staatlicherseits etwas
getan werden sollte, sind keine Option.


(Johanna Voß [DIE LINKE]: Armer Junge!)


Das macht es nämlich mit Sicherheit nicht besser.

In diesem Sinne: Vielen Dank fürs Zuhören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723114500

Für die Linke hat die Kollegin Johanna Voß das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Johanna Voß (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723114600

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Das Os-

terfest steht bevor. Damit jährt sich der Anlass für die
Einrichtung dieser Markttransparenzstelle; die Vor-
schläge sind jetzt schon ein Jahr in der Beratung.

Auch dieses Jahr – davon können wir ausgehen –
werden die Benzinpreise pünktlich mit der Reisewelle zu
Ostern steigen. Auch diesmal wird das Bundeskartellamt





Johanna Voß


(A) (C)



(D)(B)


nicht in der Lage sein, den Mineralölkonzernen Preisab-
sprachen nachzuweisen. Solche – illegalen – Preisab-
sprachen sind gar nicht nötig, wo doch ein Blick auf die
Preistafeln der Konkurrenz reicht.

Der Präsident des Bundeskartellamts, Herr Mundt,
hat resigniert.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Na ja! – Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: So schnell resigniert der nicht!)


Er hat in einem Interview erklärt: Die Konzerne haben
seit Jahren ein effektives System gefunden, mit dem sie
– ich zitiere ihn – „gefahrlos Preiserhöhungen durchset-
zen können“. – Das ist so nicht hinzunehmen.


(Beifall bei der LINKEN)


Nun kommt die Bundesregierung mit einer Scheinlö-
sung für dieses Problem: Eine Markttransparenzstelle
soll eingerichtet werden. Die offenkundige Marktmacht
der fünf Oligopolisten wird aber bleiben, und sie werden
diese zu nutzen wissen. Was ist geplant? So gut wie jede
Tankstelle – es gibt rund 15 000 – soll in Echtzeit Preise
und Preisänderungen an das Bundeskartellamt übermit-
teln. Diese Infos werden dann an Verbraucherinforma-
tionsdienste weitergeleitet. Diese betreiben Preisver-
gleichsprogramme und bieten ihre Informationen für
Navigationssysteme oder Smartphones an, eine App. Die
Autofahrerinnen und Autofahrer sollen dann die güns-
tigsten Tankstellen ansteuern. – Das soll das System der
gefahrlosen Preiserhöhung aushebeln.

Das ist eine naive Hoffnung. Praktisch ändert sich da-
mit nichts an der Macht der Mineralölkonzerne. Das ein-
studierte Muster der Preissprünge – meist nach oben –
wird eher noch erleichtert. Transparenz ist nämlich – das
wurde eben schon festgestellt – keine Einbahnstraße: So
werden auch die großen Tankstellenbetreiber das System
nutzen und die Preise noch einfacher steuern können.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Die haben die Daten eh vorliegen!)


Aller Wahrscheinlichkeit nach werden die Spritpreise
trotz Markttransparenzstelle steigen; darauf haben die
Experten in der Anhörung im Wirtschaftsausschuss
schon hingewiesen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ja! Ihre Experten!)


Selbst die Regierung scheint an die preisdämpfende
Wirkung nicht recht zu glauben. Von Herrn Röslers voll-
mundigen Erklärungen zur Spritpreiskontrolle bleibt nur
die Hoffnung auf eine – ich zitiere wiederum – präven-
tive Abschreckungswirkung, die die Preistreiber zur Rä-
son bringen soll. – Das ist lachhaft bei dem Aufwand
und den Kosten, die dieses Gesetz mit sich bringt.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Und was wollen Sie machen? Verstaatlichen? – Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Was schlägt die Linke vor?)


Für die Bürgerinnen und Bürger wird dieses Verfah-
ren generell teuer. Schon der zusätzliche Verwaltungs-
aufwand geht in die Millionen. Das zahlen die Steuer-

zahler. Außerdem haben die Mineralölkonzerne bereits
angekündigt, dass sie die Kosten für diese Umstellung
und die dauerhafte Bürokratie auf die Preise für Benzin
und Diesel aufschlagen werden.


(Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Was ist Ihr Vorschlag? – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wie viele Cents sind das?)


Die engmaschige Preismeldepflicht soll auch die Da-
tengrundlage der Kartellbehörde verbessern. Ein ganz
entscheidender Teil hierzu wurde aus der Verordnung je-
doch herausgenommen: Ursprünglich sollten auch die
Großhandelspreise der Raffinerien gemeldet werden.
Das hätte Sinn gemacht; dann hätte das Kartellamt we-
nigstens leichter überprüfen können, ob Aral, Esso oder
Shell die freien Tankstellen beim Mineralölverkauf dis-
kriminieren. Leider wird nichts daraus; denn ganz im
Sinne der Mineralölindustrie wurde dieser Punkt in der
weiteren Beratung des Gesetzes als zu bürokratisch fal-
len gelassen.

Dr. Nüßlein, bevor es zu den Härtefallregelungen
kam, für die Sie sich so gerühmt haben, mussten sich die
freien Tankstellen erst beschweren. Das kam nicht direkt
von Ihnen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Nein, nein! – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Vollkommener Blödsinn! – Weiterer Zuruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Die freien Tankstellen waren an dem Prozess überhaupt nicht beteiligt!)


Es wird für die Autofahrerinnen und Autofahrer in
der Praxis nicht leicht sein, zu einem Preisvorteil zu
kommen. Nehmen wir einmal an, das Smartphone oder
Navi – die erforderliche Technik, um die Kraftstoffpreise
in der Umgebung in Echtzeit vergleichen zu können –
hat ausgerechnet, dass sich trotz des entsprechenden
Benzinverbrauchs der Umweg zu einer weiter entfernten
Tankstelle, an der das Benzin billiger ist, lohnt. Nehmen
wir weiter an, die Autofahrerinnen und Autofahrer ha-
ben auch noch die Zeit für diesen Umweg und machen
sich auf den Weg. Nun kann es sein, dass sie, dort an-
gekommen, feststellen müssen, dass der Benzinpreis
– schwups! – in der Zwischenzeit schon wieder erhöht
worden ist. – Das ist doch absurd. Nach dem Willen der
Regierung bleiben beliebig viele Preisänderungen pro
Tag möglich. Was bringt denn das dann?

Natürlich bringt die Meldepflicht etwas mehr Trans-
parenz. Wenn man die nötige Technik und die Zeit hat,
kann man diese Transparenz nutzen und spart am Ende
des Tages vielleicht ein paar Euros. Das Grundproblem
bleibt aber: Bei Schwarz-Gelb soll allein der Verbrau-
cher die Extraprofite der Mineralölkonzerne verhindern.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das ist doch Blödsinn!)


Die Koalition entzieht sich ihrer Verantwortung, ange-
messen zu regulieren; sie lässt den Verbraucher im Re-
gen stehen. Sie übersetzt Verbrauchermacht allein mit
Zugang zur Information – ganz wie es in der Theorie des
freien Marktes vorgesehen ist. In der Praxis ist das völlig
untauglich.





Johanna Voß


(A) (C)



(D)(B)


Ich frage Sie: Wie mächtig ist der Verbraucher ange-
sichts der marktbeherrschenden Stellung der fünf großen
Konzerne mit der Tankstellen-App? Preishopping im
Centbereich wird die vermachteten Strukturen kaum auf-
lösen können. Die Konzerne sind breit aufgestellt, und
die Markttransparenzstelle setzt nur beim allerletzten
Glied in der Wertschöpfungskette an. Die Konzerne ma-
chen ihre Gewinne aber bei der Förderung, beim Trans-
port, in der Raffinerie, beim Handel und als Letztes eben
an der Tankstelle.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was schlagen Sie denn vor?)


Transparenz nur an der Tankstelle ist aber keine Trans-
parenz.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Was ist der Vorschlag der Linken? Da muss es doch ein sozialistisches Modell geben! – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was wollen Sie denn machen? – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Was macht die Linke? DDR-Modell! Kein Sprit!)


– Das kommt gleich.

Wo liegt angesichts der ökologischen Grenzen die
Macht des Verbrauchers durch den Preisvergleich? Wir
alle wissen, dass der Spritpreis vom Ölpreis abhängt,
und der steigt, weil wir es mit realen Knappheiten zu tun
haben, die obendrein die Spekulationen an der Börse an-
heizen.

Bezahlbar bleibt Energie langfristig aber nur durch
sinkenden Verbrauch und eine schnelle Energiewende.
Wir müssen uns schlicht unabhängiger von fossilen
Energieträgern machen. Darum geht es doch, und darum
muss es uns doch gehen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ja, klar!)


Wie mächtig sind Verbraucherinnen und Verbraucher,
wenn sie zwar Preise vergleichen können, aber kaum
gleichwertige Alternativen zum Auto haben? Wir brau-
chen neue, umweltverträgliche und kostengünstigere
Formen der Mobilität. Das wäre es dann!


(Beifall bei der LINKEN)


Wir brauchen ein gutes, solidarisch finanziertes öffent-
liches Verkehrsnetz für nah und fern und brauchbare
Rad- und Fußwege. Wir brauchen eine Stadtplanung, die
den Nahraum stärkt, sodass nahezu alle die Möglichkeit
haben, ohne eigenes Auto ans Ziel zu kommen.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Es wohnen nicht alle Leute in der Stadt!)


Das wäre eine sozial-ökologische Alternative, und da-
hin müssten die Überlegungen gehen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sie würden die Verbraucher mit Ihren Überlegungen massiv belasten!)


Die Zeiten billiger fossiler Energie sind vorbei, auch
wenn der Boom beim riskanten unkonventionellen Öl
und Gas für einen kurzen Zeitraum einen äußerst

schmutzigen Aufschub gewährt. Scheinlösungen wie die
Markttransparenzstelle, die nur als Wahlkampfhit dienen
soll, helfen uns hier nicht weiter. Sie reichen nicht aus.
Lassen Sie uns einen sozial-ökologischen Umbau auch
für den Verkehr anfangen!

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Der Herr bewahre uns vor Ihnen! – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ganz sicher nicht!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723114700

Jetzt hat Oliver Krischer das Wort für Bündnis 90/Die

Grünen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723114800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Dr. Schweickert, Transparenz ist richtig und gut,
und diese Markttransparenzstelle trägt auch dazu bei,
dass das ganze System des Kraftstoffmarkts insgesamt
etwas durchsichtiger wird. Aber zu glauben, dadurch
würde auch nur ein Problem gelöst – Herr Nüßlein hat
das richtig gesagt –, wie Sie das dargestellt haben, ist
meines Erachtens eine absolute Illusion. Bestenfalls
werden wir das Problem in Zukunft besser beschreiben
und vielleicht dagegen vorgehen können, aber dass Sie
damit ein Problem lösen und dass dadurch das Paradies
am Kraftstoffmarkt ausbricht, ist doch nun wirklich eine
sehr überhebliche Darstellung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wie sieht Ihr grünes Paradies aus? Fünf Mark pro Liter!)


Ich sage Ihnen Folgendes: Sie debattieren das Thema
jetzt, wenn ich das richtig im Kopf habe, zum dritten
Mal. Zum dritten Mal führen wir für diese Verordnung
eine Plenardebatte durch,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Die Verordnung zum ersten Mal! – Dr. Matthias Heider [CDU/ CSU]: Das zweite Mal war der Gesetzentwurf!)


und wir haben eine Regierungsbefragung dazu durchge-
führt. Das zeigt mir: Sie wollen kurz vor Ostern – wenn
man herausguckt, hat man nicht das Gefühl, dass wir
bald Ostern haben –, wenn die Debatte über die Preise an
den Tankstellen wahrscheinlich wieder losgeht, hier ein
bisschen Show machen,


(Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Das würden Sie nie tun!)


um zu zeigen, dass Sie etwas tun. Den Anforderungen
werden Sie aber überhaupt nicht gerecht.

Die Anforderungen hat Ihr Wirtschaftsminister Rösler
selber gesetzt, als er sich in der Bild-Zeitung hat zitieren
lassen. Ich gebe das einmal wieder:

Da

– bei den Spritpreisen –





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)


hat sich über die Jahre einiges verzerrt. Das werde
ich ändern. Das ist ein Versprechen an die Verbrau-
cher.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dieses Versprechen hat er ja wohl gebrochen, weil
diese Smartphone-App, die Sie hier mit der Verordnung
vorlegen, ja wohl keine Lösung für das Problem ist. Das
bringt uns an dieser Stelle bestenfalls etwas mehr Trans-
parenz, aber keine Gerechtigkeit an den Tankstellen.


(Beifall des Abg. Dr. Harald Terpe [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Solche Dinge wie die Smartphone-App, die Sie hier
jetzt in Form der Verordnung beschließen lassen, gibt es
schon lange, zum Beispiel clever-tanken.de. Auf diesen
Portalen können Sie sich das alles ansehen. Das wird
jetzt vielleicht etwas besser, weil die Daten aktueller
sind,


(Klaus Breil [FDP]: Ja, also besser!)


aber dass Sie damit etwas Neues schaffen, kann ich nun
überhaupt nicht sehen.

Wenn das alles so auf der Hand liegt und selbstver-
ständlich ist, wie Sie das hier jetzt darstellen, dann
staune ich darüber, dass Sie eine ganze Legislaturperiode
gebraucht haben, um uns Ihr Konzept vorzulegen. Wa-
rum haben Sie das denn nicht gleich gemacht?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Warum brauchen Sie einen Verordnungsentwurf mit
35 Seiten, um das Ganze zu beschreiben? Sie wollten
doch einmal die Bürokratie abbauen. Jetzt aber legen Sie
uns ein – ich sage es einmal so – sehr umfängliches Pa-
pier vor, was das Gegenteil von Bürokratieabbau ist.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723114900

Herr Krischer, möchten Sie zwei Zwischenfragen zu-

lassen, nämlich die von Herrn Schweickert und die von
Herrn Nüßlein?


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723115000

Gern.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723115100

Das scheint mir der Fall zu sein. Dann beginnt Herr

Dr. Schweickert.


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1723115200

Herr Kollege Krischer, vielen Dank für das Zulassen

einer Zwischenfrage. – Darf ich Sie darauf hinweisen,
dass wir den Verordnungsentwurf nicht, wie Sie darge-
stellt haben, hier zum dritten Mal debattieren, sondern
zum ersten Mal? Der Grund, warum wir hier einen Ver-
ordnungsentwurf vorlegen, ist der, dass wir bereits ein
Gesetz auf den Weg gebracht haben, damit sich die
Branche darauf einstellen konnte, damit die Ausschrei-
bungen für den IT-Bereich und sonstige Sachen schon
anlaufen konnten und damit man genau die Punkte, um
die es im Detail ging, klären kann, sodass man nicht
noch Ewigkeiten braucht, bis diese Verordnung mit dem

Gesetz Wirkung entfaltet. Geben Sie mir in dem, was ich
gerade gesagt habe, recht?


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723115300

Herr Kollege Schweickert, der Verordnungsentwurf

ist hier eingebracht worden. Bevor er eingebracht wurde,
hat die Bundesregierung eigens eine Regierungsbefra-
gung zu diesem Thema durchgeführt. Das heißt, wir ha-
ben uns schon eine ganze Stunde im Plenum mit diesem
Thema auseinandergesetzt. Dann haben wir uns im Aus-
schuss mit diesem Thema beschäftigt. Jetzt machen Sie
schon wieder eine Debatte dazu. Wenn wir zu jeder Ver-
ordnung – da gibt es meines Erachtens wahrlich wichti-
gere – so viele Debatten machen würden, dann wäre das
ein wirklicher Fortschritt. Aber ich glaube, Sie wollen
hier nur eine Show abziehen,


(Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Das würden die Grünen ja nie tun!)


damit Sie draußen deutlich sagen können: Wir tun etwas
gegen hohe Benzinpreise. – In der Sache selber haben
Sie nichts weiter erreicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723115400

Herr Nüßlein, bitte.


Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1723115500

Herr Kollege Krischer, ich habe Ihrer Rede aufmerk-

sam gelauscht und höre allerhand Vorwürfe und Aus-
flüchte, Diskussionen über mehr Bürokratie und was
auch immer. Ich höre von Ihnen aber sehr wenig zum
Thema. Ich meine, Sie beschreiben hier ein Problem, das
wir ähnlich sehen. Jedenfalls haben Sie von einem Pro-
blem gesprochen, nämlich zu hohe Kraftstoffpreise.

Ich kann mich gut daran erinnern, dass die Grünen
vor etlicher Zeit 5 D-Mark pro Liter Benzin gefordert
haben. Demnach sehen Sie vermutlich nicht wirklich ein
Problem an dieser Stelle. Vielmehr müssten Sie eigent-
lich sagen: Nach dem, was wir propagieren, ist der Sprit-
preis zu billig. – Dazu möchte ich gerne von Ihnen eine
Stellungnahme. Ist jetzt der Sprit zu billig, oder arbeitet
die Koalition tatsächlich an einem Problem? Wie stehen
denn die Grünen zu der ganzen Geschichte?


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723115600

Herr Nüßlein, danke ganz herzlich für die Frage, ob

die Grünen einmal 5 D-Mark für den Sprit gefordert ha-
ben. Ergebnis Ihrer jahrelangen Politik ist, dass wir da
fast schon angekommen sind.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Na, na! Komm, komm!)


Das ist doch die Realität. Mit einer Smartphone-App
– ich darf doch sehr bitten, Herr Nüßlein –


(Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Was ist Ihr Vorschlag?)


lösen Sie dieses Problem überhaupt nicht.





Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)


Was müssen Sie anpacken? Sie müssen die Konzen-
tration am Mineralölmarkt vermindern. Damit müssen
Sie sich auseinandersetzen. Wir erleben seit Jahren, dass
es systematisch Fusionen gibt, dass die Konzentration
immer weiter zunimmt, dass die kleinen Tankstellen ver-
schwinden. Sie haben zum Beispiel ein Geschäftsmodell
der kleinen Tankstellen für Biokraftstoffbeimischungen
kaputtgemacht. Das wäre ein Wettbewerbsvorteil gewe-
sen.

Sie verhindern – die Kollegin Voß hat das eben richtig
dargelegt – in dieser Verordnung, dass wir folgende Fra-
gen stellen: Was ist denn mit dem Großhandel zwischen
Tankstellen und Raffinerien? Wo gibt es da Mitnahme-
effekte? Das wollen Sie gar nicht wissen. Das wollen Sie
auch nicht bewerten.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ich will wissen, ob Sie für 2,50 Euro sind!)


Sie wollen nur eine Show machen, damit Sie sagen kön-
nen: Wir haben eine Smartphone-App gemacht, wir tun
etwas.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Ob Sie für 2,50 Euro sind, will ich wissen!)


Aber in Wirklichkeit haben Sie an den Strukturen gar
nichts verändert. Genau das ist Ihr Problem.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Sind Sie nun für 2,50 Euro oder sind Sie dagegen?)


Ich sage Ihnen: Es geht noch weiter. Was wir nämlich
tatsächlich brauchen, ist eine konsequente Strategie:
Weg vom Öl!


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: 2,50 Euro: Sind Sie dafür oder sind Sie dagegen? Das ist die Frage!)


Weg vom Öl ist die wirkliche Antwort auf steigende
Benzinpreise. Da kommt von Ihnen absolut gar nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ein Mittel dazu wäre zum Beispiel,


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Jetzt bin ich gespannt!)


dass Sie sich auf EU-Ebene für schärfere CO2-Grenz-
werte einsetzen. Das würde nicht nur der Umwelt nut-
zen, sondern auch den Verbrauch reduzieren. Vor allen
Dingen eröffnet das deutscher Spartechnik eine Chance.
Das verhindern Sie, weil Sie bestimmte Interessen ein-
zelner Energiekonzerne auf Brüsseler Ebene vertreten.
Sie müssten viel mehr für die Förderung alternativer An-
triebe tun. Sie haben 1 Million Elektrofahrzeuge bis zum
Jahr 2020 angekündigt. Schon heute ist klar, dass Sie
dieses Ziel nicht erreichen werden, weil Sie das ganze
Geld an den falschen Stellen versenken. Sie fördern
nicht den Kauf solcher Fahrzeuge. Da machen uns an-
dere europäische Länder etwas vor. Jenseits schöner In-
ternetseiten und großer Propaganda, die Sie betreiben,
hinken Sie hinterher und verschlafen dieses Thema.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723115700

Herr Krischer, Herr Nüßlein will Ihnen noch eine

Zwischenfrage stellen.


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723115800

Aber gerne. So können wir weitermachen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Dann bitte auch eine Antwort!)



Dr. Georg Nüßlein (CSU):
Rede ID: ID1723115900

Ich habe in Ihrer Antwort auf meine Frage – genauso

wie bisher in Ihrer Rede – viele Ausflüchte und Vor-
würfe gehört. Ich hatte eine ganz konkrete Frage gestellt:
Sind Sie für einen Benzinpreis von 2,50 Euro plus X,
oder sind Sie nicht mehr der Meinung, dass der Preis sol-
che Höhen erreichen muss? Die Frage ist ganz einfach
zu beantworten: 2,50 Euro, ja oder nein? Ist ein solch
hoher Benzinpreis weiterhin das Ziel, das die Grünen
verfolgen, oder sind Sie davon abgekommen?


Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723116000

Wir sind gegen Ihre Politik, die die Benzinpreise nach

oben treibt.


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


Herr Nüßlein, es ist doch völlig albern, was Sie machen.
Es geht nicht darum, dass die Energiepreise zu hoch
sind. Die Ursache des Problems sind monopolistische
bzw. oligopolistische Strukturen. Dagegen gehen Sie
einfach nicht vor.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: 5 Mark vor zehn Jahren!)


Seinerzeit hat Ihre Partei Wahlkampf an Tankstellen ge-
macht und gesagt: Wir werden die Ökosteuer abschaf-
fen. – Nun regieren Sie seit knapp acht Jahren. Aber ha-
ben Sie etwas unternommen? Habe ich zu diesem Thema
etwas von Ihnen oder der FDP gehört? Nein, Sie haben
konsequent geschwiegen. Sie sollten hier ein Stück weit
ehrlich sein und eine ernsthafte „Weg vom Öl“-Strategie
verfolgen.

Eines ist doch klar: Ursache steigender Energiepreise
und insbesondere steigender Benzinpreise sind schwin-
dende fossile Ressourcen. Dagegen müssen wir etwas
tun. Dagegen tun Sie aber überhaupt nichts. Statt sich
mit dem Thema alternativer Kraftstoffe auseinanderzu-
setzen, haben Sie selbst – das waren also noch nicht ein-
mal wir Grüne – E 10 eingeführt. Als es konkret wurde,
herrschte bei Ihnen Schweigen. Das Ganze ist ein Rie-
sendesaster. Sie haben es nicht hinbekommen, weil Sie
es nicht richtig kommuniziert haben. Das ist gescheitert.
Sie versuchen nun, das zu kaschieren.

Ein weiteres Thema ist die Abschaffung des Dienst-
wagenprivilegs, dieses wunderschönen deutschen Uni-
kums. Es ist doch unglaublich, dass wir mit Steuermit-
teln spritfressende Autos subventionieren. Das gibt es in
keinem anderen Land der Welt.


(Beifall der Abg. Johanna Voß [DIE LINKE])






Oliver Krischer


(A) (C)



(D)(B)


Ich bin froh, dass sich inzwischen auch die Sozialdemo-
kraten dieses Themas angenommen haben und sagen:
Das muss sich in Deutschland ändern. Wir müssen vom
Öl wegkommen und endlich spritsparende Fahrzeuge
fördern. – Das würde den Menschen helfen.

Folgendes kann ich Ihnen auch nicht ersparen: Die
Verordnung zur Markttransparenzstelle für Kraftstoffe,
wie Sie sie so schön nennen, basiert auf dem Gesetz zur
Einrichtung einer Markttransparenzstelle für den Groß-
handel mit Strom und Gas. Bei der ursprünglichen
Markttransparenzstelle ging es also um Strom und Gas,
also um leitungsgebundene Energie.


(Klaus Breil [FDP]: Das ist gar nicht Thema!)


– Herr Breil, das darf man doch in der Debatte einmal
richtigstellen.

Wir diskutieren ständig über eine Strompreisbremse.
Wir müssen endlich die Frage klären, warum die gesun-
kenen Börsenpreise nicht bei den Verbrauchern ankom-
men. Sie sollten nicht nur über Kraftstoffe und Ihre
Verordnung reden. Ich frage Sie: Wo ist denn die Markt-
transparenzstelle für Strom und Gas, die endlich die Ver-
braucher schützt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das überlassen Sie den Gerichten und den Verbraucher-
zentralen; diese müssen klagen. Darum kümmern Sie
sich an keiner einzigen Stelle.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Wer unterstützt die Verbraucherzentralen denn? Wir!)


Ich kann Ihnen sagen, wie Ihre Politik konkret aus-
sieht. Ich habe bei der Bundesnetzagentur nachgefragt,
wie es um die Markttransparenzstelle für Strom und Gas
bestellt ist. Ich habe die Antwort bekommen: Die Koali-
tionsmehrheit hat eine komische Konstruktion aus Bun-
desnetzagentur und Bundeskartellamt beschlossen. Jetzt
müssen wir erst einmal eine Verwaltungsvereinbarung
zwischen Bundesnetzagentur und Bundeskartellamt aus-
handeln. – Das heißt, aufgrund Ihrer unklaren Gesetzge-
bung streiten sich jetzt zwei Behörden um Kompeten-
zen, statt sich für die Verbraucher einzusetzen und
endlich für sinkende Strom- und Gaspreise zu sorgen.
Das ist das Ergebnis Ihrer Politik und nichts anderes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Redezeit!)


– Dankenswerterweise haben Sie meine Redezeit verlän-
gert, sodass ich noch einiges mehr sagen konnte.

Steigende Energiepreise resultieren vor allen Dingen
aus Abzocke durch die Konzerne und Oligopole.


(Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Abzocke durch die Grünen!)


Dagegen müssen wir etwas tun. Es reicht nicht aus, nur
eine Markttransparenzstelle einzuführen, die bestenfalls
das Problem beschreibt, aber nicht löst. Was wir brau-
chen, ist Marktmacht für die Verbraucher, was wir brau-
chen, ist Transparenz, was wir brauchen, ist eine konse-

quente Strategie „Weg vom Öl“, vor allem im
Mobilitätsbereich. Da kommt von dieser Bundesregie-
rung gar nichts, null und nichts.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723116100

Klaus Breil hat jetzt das Wort für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Klaus Breil (FDP):
Rede ID: ID1723116200

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Zunächst eine Vorbemerkung zu Frau Voß: Herr
Präsident Mundt hat keineswegs resigniert, nein, er hat
sogar die Überprüfung der Raffinerien eingeleitet. Wir
werden zum Thema der Preisentwicklung noch viel
mehr hören. Zu Ihnen, Herr Krischer, möchte ich sagen:
Es ist Ihnen vielleicht entgangen, dass es einen Parla-
mentsvorbehalt gibt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Seitdem bekannt ist, dass unser Bundeswirtschafts-
minister Dr. Philipp Rösler an einer besseren Kontrolle
des Kraftstoffmarktes arbeitet, kann jeder Autofahrer ei-
nes ganz genau beobachten: Die Preise für Treibstoff an
den Tankstellen bewegen sich, und zwar erstens wieder
in Abhängigkeit zu den Notierungen der Sorten an den
Börsen und dem Handelsplatz Rotterdam und zweitens
wieder in Abhängigkeit zu dem Wechselkurs Euro zu
Dollar. Jedenfalls kann ich das im Raum München und
Oberbayern beobachten.

Das hat es in Deutschland schon lange nicht mehr ge-
geben. Durch die Politik dieser Bundesregierung werden
Preisentwicklungen wieder nachvollziehbar. Plötzliche
Anstiege wie zum Beispiel jedes Jahr zu den Osterferien
können auf tatsächliche Ursachen hin untersucht wer-
den. In einer Woche ist es wieder so weit. Wir werden
sehen, wie sich die Tankstellenbetreiber verhalten wer-
den.

Insgesamt hat diese Koalition für einen besseren
Wettbewerb auf dem Kraftstoffmarkt und damit zur Ent-
lastung der Verbraucherinnen und Verbraucher drei
Schritte vorgesehen. Der erste Schritt war das Verbot der
sogenannten Preis-Kosten-Schere im Gesetz gegen
Wettbewerbsbeschränkungen. Derzeit wird es leider
noch im Bundesrat von der Opposition blockiert. Ich for-
dere die Opposition hiermit auf, diese Haltung zum
Wohle der Pendlerinnen und Pendler, die auf ihre Fahr-
zeuge angewiesen sind, zu beenden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Der zweite Schritt ist das im Dezember des vergange-
nen Jahres beschlossene Gesetz zur Einrichtung einer
Markttransparenzstelle für den Großhandel mit Strom
und Gas. Dieses Gesetz bildet die Grundlage, auf der wir
heute den dritten Schritt, die Verordnung für den Kraft-





Klaus Breil


(A) (C)



(D)(B)


stoffmarkt, beraten. Mit dieser Verordnung verpflichten
wir Tankstellenbetreiber, jede Änderung ihrer Preise für
Diesel und Benzin in Echtzeit an eine zentrale Stelle, die
Markttransparenzstelle, zu übermitteln.

Jetzt hören Sie gut zu, Herr Kollege Krischer!


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich höre zu!)


Jetzt können Sie noch etwas lernen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Von Ihnen?)


Eine Anmerkung sei mir an dieser Stelle zu kleineren
Tankstellen erlaubt, für die eine technische Aufrüstung
aus wirtschaftlichen Gründen keinen Sinn macht. Diese
können sich, sofern sie weniger als 750 000 Liter Treib-
stoff pro Jahr absetzen, von der Verpflichtung befreien
lassen.

Die erhobenen Daten helfen zum einen dem Kartell-
amt, Preisabsprachen leichter und schneller aufzude-
cken, zum anderen werden sie circa 60 sogenannten Ver-
braucherinformationsdiensten wie beispielsweise dem
ADAC zugänglich gemacht. Diese registrierten Dienste
bauen die Datensätze in Applikationen für Navigations-
systeme oder Smartphones ein und stellen sie anderen
zur Verfügung. Damit schaffen wir einen gänzlich trans-
parenten Markt für Diesel und Benzin in Deutschland
zum Wohle der Verbraucherinnen und Verbraucher.

Ich danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723116300

Die Kollegin Rita Schwarzelühr-Sutter hat jetzt das

Wort für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1723116400

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Diese Bundesregierung kündigt eine Bremse nach
der anderen an: zum einen die Strompreisbremse – leider
wird sie dieser Bezeichnung nicht im Ansatz gerecht –,
zum anderen die Schuldenbremse, die Sie recht unambi-
tioniert angehen, und jetzt die Benzinpreisbremse, die
doch ganz schön Erwartungen weckt. Bei so vielen Brem-
sen entsteht leider keine Dynamik. Stattdessen verteilen
Sie eher Beruhigungspillen.

Ich möchte Sie daran erinnern, dass der Bundeswirt-
schaftsminister Rösler kurz nach seinem Amtsantritt vor
zwei Jahren zur Debatte gestellt hat, den Mineralölkon-
zernen zu untersagen, Preise täglich mehrfach zu ändern.
Davon ist heute keine Rede mehr. Ein Jahr später hat der
gleiche Minister als Antwort auf die steigenden Benzin-
preise eine Erhöhung der Pendlerpauschale ins Spiel ge-
bracht – mit den Steuern haben Sie es ja immer –, wobei
das eine mit dem anderen eigentlich herzlich wenig zu
tun hat. Bevor man sich an die Mineralölkonzerne heran-
traut, geht man lieber an das Portemonnaie aller Steuer-
zahler.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ihr habt ja gar nichts gemacht!)


Keinen Deut besser ist der Verkehrsminister Peter
Ramsauer. Auch er hat sich weit aus dem Fenster gelehnt
und wollte eigentlich das australische Modell einführen,
nach dem Benzinpreise 24 Stunden fest bleiben müssen.
Es gab immer wieder Ankündigungen, mal mehr, mal
weniger, keine durchdachten Vorschläge. Da ist man
mittlerweile ja schon froh, wenn man den Spatz in der
Hand hat anstatt die Taube auf dem Dach. Deshalb tra-
gen wir die Einführung der Markttransparenzstelle mit.
Sie ist ein erster, aber auch nur ein erster Schritt zu mehr
Transparenz – leider auch nicht mehr.


(Beifall bei der SPD)


Es stellt sich schon die Frage, wo der echte Mehrwert
für den Verbraucher liegt. Der Verbraucher kann dann
zwar in Echtzeit die Preisveränderungen sehen, aber ob
eine Manipulation vorliegt oder eine Preisabsprache
stattfindet, kann er nicht nachvollziehen.

Zudem stellt sich die Frage, was eigentlich passiert,
wenn der Schuss nach hinten losgeht, wenn die Tankstel-
lenbetreiber bzw. Spritlieferanten die Preise nach oben
nachziehen. Wird die Bundesregierung dann weitere
Maßnahmen einleiten, um ihrem ursprünglichen Ziel ge-
recht zu werden, die Preissteigerungen für die Verbrau-
cher zu bremsen?

Herr Staatssekretär Otto, Sie hatten bei der Regie-
rungsbefragung am 20. Februar 2013 keine so richtig zu-
friedenstellenden Antworten gegeben.


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Oh!)


Sie haben allerdings gesagt, dass „mit Hochdruck an
der technischen Umsetzung gearbeitet“ wird und
dass das quasi bis Ostern – so wurde das in den Raum ge-
stellt – schon in trockenen Tüchern ist. Jetzt ist es kurz
vor Ostern, und leider wird der Verbraucher bei der gro-
ßen Reisewelle zu Ostern noch nicht profitieren, weil die
Umsetzung noch nicht erfolgt ist. Aber ich gehe davon
aus, dass Sie die Verordnung bis zu den Sommerferien
umsetzen.


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Ja!)


Was aber weder ein Spatz noch eine Taube ist, son-
dern eine fette Gans, ist eine Stelle in Ihrer Verordnung,
in der es heißt, es entstehen „Gehälter für zwei Projekt-
mitarbeiter im Zweijahreszeitraum mit ca. 1,2 Mio.
Euro“. Das mögen in Anbetracht des Gesamthaushaltes
Peanuts sein, aber an der Stelle finde ich das schon exor-
bitant.


(Iris Gleicke [SPD]: Das ist wohl wahr!)


Wir werden darauf schauen, dass diese Stellen auch or-
dentlich ausgeschrieben werden


(Iris Gleicke [SPD]: Da soll wohl jemand versorgt werden!)


und dass sie keine Versorgungsstellen für Mitglieder Ih-
rer ausscheidenden Regierung werden.

Herzlichen Dank.





Rita Schwarzelühr-Sutter


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Mechthild Heil [CDU/CSU]: Das ist eine glatte Unverschämtheit! Fragen Sie mal bei Ihren Leuten nach! Fragen Sie einmal den Beck! Der versorgt alle seine Leute! Rheinland-Pfalz!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723116500

Das Wort hat nun Matthias Heider für die CDU/CSU-

Fraktion.


Dr. Matthias Heider (CDU):
Rede ID: ID1723116600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es

ist noch keine drei Wochen her, da habe ich abends an ei-
ner Tankstelle die Erfahrung gemacht, dass sich der
Spritpreis innerhalb von zehn Minuten um fast 15 Cent
ändern kann. Da fragt sich der überraschte Tankkunde:
Was hat sich in den letzten zehn Minuten seit dem Tan-
ken eigentlich verändert? Die Preise auf dem Sport-
Markt – abends um 20 Uhr wahrscheinlich nicht mehr;
denn der schließt ja auch irgendwann –, der Lager- oder
Transportpreis, die Personalkosten? Alle diese Faktoren
können nicht daran schuld sein.

Meine Damen und Herren, wenige Themen werden in
Deutschland so emotional wie der Spritpreis diskutiert.
Es kann die Menschen nichts mehr auf die Palme brin-
gen, als wenn sich dieser Preis grundlos innerhalb einer
kurzen Zeit sogar mehrfach ändert. Und: Die Kraftstoff-
preise werden sich wieder ändern; sie werden zu Ostern
steigen. Sie werden auch in kleinen Etappen wieder ab-
schmelzen, weil es zu den Gesetzen des Marktes und un-
ternehmerischem Handeln auf diesem Markt gehört.

Die Autofahrer werden diese Erfahrungen in den
nächsten Ferien wieder machen können. Sie werden
mehrfach sehen, dass sich die Preise ändern, nicht nur
einmal in der Woche, sondern auch mehrmals am Tag.
Dieses vermeintliche Naturgesetz wird nicht von einer
klaren Logik getragen. Das Ganze ist einzig und allein
darauf angelegt, die Autofahrer, die Verbraucher in
Deutschland zu verunsichern und zu verwirren.

Entscheidender ist die Frage: Sind die Benzin- und
Dieselpreise zu hoch, oder unterliegen sie überhaupt
noch marktmäßigen Gesetzmäßigkeiten? Egal wie, tan-
ken darf auf keinen Fall zu einem Luxusgut werden.


(Beifall des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/ CSU])


Frau Kollegin Voß, Herr Kollege Krischer, Sie haben
zwar kunstvolle Pirouetten über Ihre Parteiprogramme
und über Ihre umweltpolitischen Ziele gedreht, es hat
aber nicht einen sachdienlichen Vorschlag gegeben, was
Sie den Verbrauchern in diesem Lande dafür an die Hand
geben wollen.


(Beifall des Abg. Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU])


Herr Kollege Krischer, so viele Pirouetten, wie Sie ge-
dreht haben: Sie sind ein Pirouettenkaiser an dieser
Stelle.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die schlimmen Zwischenfragen!)


Genauso ist auch das Wahlprogramm der Grünen dazu
gestrickt.

Ich will Ihnen sagen, dass die Verbraucher in diesem
Land Ihnen das nicht werden durchgehen lassen. Die
Leidtragenden sind an erster Stelle die Familien, die Be-
rufspendler in den ländlichen Räumen. Sie sind auf Mo-
bilität angewiesen. Sie haben oft keine große Nahver-
kehrsinfrastruktur. Sie können nicht einfach mal schnell
im Minutentakt zur Kinderbetreuung, zum Einkaufen
oder zur Arbeit fahren.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Ihre App ist die Lösung, oder wie? Erklären Sie mal, was das mit Ihrer App zu tun hat! Was nutzt die App bei dem Thema? Sagen Sie das doch mal! Was hat die Familie vom Land von der App?)


– Herr Kollege Krischer, in meinem Wahlkreis im Sauer-
land ist das ein Umstand, der sehr genau beachtet wird.
Und nun kommen Sie und bügeln einfach darüber hin-
weg. Das ist nicht in Ordnung. Das müssen wir Ihnen an
dieser Stelle einmal sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Ziel der Verordnung zur Markttransparenzstelle
ist es natürlich, der Preistreiberei entgegenzuwirken.
Ziel ist es aber auch, das verlorengegangene Vertrauen
der Menschen in einen gerechtfertigten Umgang mit
Preiserhöhungen zurückzugewinnen. Beide Ziele kön-
nen wir erreichen, indem wir für die höchstmögliche
Transparenz sorgen, indem die undurchsichtige Preisge-
staltung transparent gemacht wird. Grundlage dafür sind
auf der untersten Stufe eine Meldepflicht und die Weiter-
gabe dieser Daten an die Verbraucher.

Meine Damen und Herren, der Kraftstoffpreis setzt
sich zusammen aus einem staatlichen fixen Anteil, be-
stehend aus der Energie- und Mehrwertsteuer, und einem
wirtschaftlich bedingten variablen Anteil, der Rohöl-
preis, Transport, Veredelung und Lagerung beinhaltet.
Dazu kommt eine, wie ich hoffe, angemessene Marge.
Der Grund für die Preissprünge kann wegen der kurzle-
bigen Dauer denknotwendigerweise nur in dem varia-
blen Kostenanteil oder in der Marge liegen. Die Sektoren-
untersuchung des Bundeskartellamtes aus dem Jahr 2011
belegt, dass die Preise beispielsweise am Wochenende
und an Feiertagen deutlich ansteigen. Dies ist aber weder
auf eine Nachfrageentwicklung zurückzuführen noch auf
eine Veränderung der Großhandelspreise. Hieraus
schlussfolgern unsere Wettbewerbshüter – ich zitiere aus
dem Bericht des Bundeskartellamtes –, „dass die zu
Ostern steigenden Kraftstoffpreise auf gezieltes Preiser-
höhungsverhalten der Mineralölunternehmen zurückzu-
führen“ sind.

Eines möchte ich an dieser Stelle ganz deutlich ma-
chen: Es sind nicht die einzelnen Tankstellenpächter, die
wir mit dieser Verordnung in den Fokus nehmen. Sie
kämpfen zum Teil bei geringen Gewinnmargen selbst





Dr. Matthias Heider


(A) (C)



(D)(B)


ums Überleben. Sie sind ein kleines Glied in einer gigan-
tischen Kette dieses Oligopols – der Kollege Egloff hat
es beschrieben –, dass sich von Bohrlöchern über Raffi-
nerien und Tanklagern bis hin zur Zapfsäule erstreckt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dagegen unternehmen Sie nichts!)


Diese Marktstruktur führt zu einer erheblichen Störung
des Wettbewerbs und zu einer fragwürdigen Preisbil-
dung mit Preisausschlägen innerhalb kürzester Zeit.

Was wir brauchen, sind Verfahrensregeln, die den
Preisbestimmern Grenzen aufzeigen und die letztendlich
den Verbotsvorschriften des Untereinstandspreisverkaufs
und der Preiskostenschere Geltung verschaffen.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum machen Sie denn da nichts?)


Hier wird die Markttransparenzstelle für ein Höchstmaß
an Transparenz sorgen. Wir werden mit dem Gesetz zur
Einrichtung dieser Markttransparenzstelle – das wir
2012 ja in einem ersten Schritt auf den Weg gebracht ha-
ben – für Klarheit sorgen. Wir wollen die Spielregeln an
den Märkten nach und nach anziehen. Wenn wir Tank-
stellenbetreiber mit einem Gesamtdurchsatz von weniger
als 750 Kubikmetern pro Jahr ausgenommen haben,
dann vor allem deshalb, weil der Aufwand für diese so
groß ist, dass man ihnen das nicht ohne Weiteres aufbür-
den kann.

Mobile IT-Lösungen wie zum Beispiel Apps und an-
dere Informationsdienste werden den Verbraucherinnen
und Verbrauchern an dieser Stelle helfen.

Die Ausschussberatungen haben auf ganz breiter Ba-
sis gezeigt, dass die Koalition hier mit Augenmaß vor-
geht. Wir freuen uns auch über die Unterstützung aus
den Reihen der Opposition. Es ist an der Zeit, zu han-
deln, meine Damen und Herren,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gut! Wenn Sie mal was täten!)


und es ist nicht an der Zeit, Herr Krischer, hier in einer
Vorwahlkampfzeit Schaufensterreden zu halten; das
müssen Sie noch lernen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723116700

Letzte Rednerin in dieser Debatte ist Mechthild Heil

für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Mechthild Heil (CDU):
Rede ID: ID1723116800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Es ist noch keine drei Jahre her, dass ich mich
bei der Fahrt von meinem Heimatort an den Flughafen
Köln/Bonn über die Spritpreise geärgert habe. Der Un-
terschied auf der Strecke – eine Stunde Fahrt – betrug
damals 12 Cent. Das hat wirklich nichts mit Angebot
und Nachfrage zu tun. Der normale Autofahrer fühlt sich
einfach abgezockt.

In Berlin – damals war ich frischgebackene Verbrau-
cherschutzbeauftragte der CDU/CSU-Fraktion – hatte
ich das erste Gespräch mit einem Journalisten. Damit
war das Thema angestoßen.

Ostern, kurze Zeit später, hat sich der damalige Wirt-
schaftsminister Brüderle mit dem Thema befasst. Ich
muss ehrlich sagen: Ich bin ihm noch heute dankbar da-
für. Das war klasse. Er hat wirklich etwas auf den Weg
gebracht.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es ist für die Verbraucher überhaupt nicht nachvoll-
ziehbar, dass die Preise so stark schwanken. Warum stei-
gen sie eigentlich ausgerechnet immer zu den Hauptrei-
sezeiten? An den Rohölpreisen liegt das auf keinen Fall.
Das Bundeskartellamt hat die Mineralölunternehmen
und die Tankstellen in zwei großen Sektoruntersuchun-
gen geprüft, konnte aber leider keine illegalen Abspra-
chen feststellen. – Sie haben eben danach gefragt, wa-
rum es so lange gedauert hat, bis wir zu Potte gekommen
sind, warum zwei Jahre ins Land gegangen sind. Es lag
an genau diesen Sektoruntersuchungen. Wir handeln
erst, wenn wir Daten und Fakten in der Hand haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch keine Daten! Sie müssen noch Daten erheben! Das verstehe ich nicht, Frau Heil! Das ist ein bisschen widersprüchlich!)


Was hat man herausgefunden? Es besteht ein Oligopol.

Was geschieht? Die Konzerne beobachten den Markt
natürlich genau und wissen, was der Sprit bei der Kon-
kurrenz kostet. Shell und Aral – um zwei zu nennen –
beginnen damit, die Preise zu erhöhen, und die anderen
folgen nach einem exakt festgelegten Zeitraum von 180
bis 300 Minuten. Die Unternehmen haben so ein perfek-
tes System gefunden, ihre Preiserhöhungen durchzuset-
zen. Andreas Mundt, der Präsident des Bundeskartell-
amts, hat es wirklich schön formuliert: „Die Unternehmen
verstehen sich auch ohne Worte.“

Wir sorgen nun dafür, dass der Verbraucher mitreden
kann. Wir sind die Ersten, die hier für Transparenz sor-
gen. Wir sind die Ersten, die hier etwas für die Autofah-
rer tun. Im November 2012 haben wir das Gesetz zur
Einrichtung einer Markttransparenzstelle beschlossen.
Es verpflichtet die Betreiber von Tankstellen, jede Ände-
rung ihrer Kraftstoffpreise in Echtzeit an die Markttrans-
parenzstelle beim Bundeskartellamt zu übermitteln.
Diese Daten werden dann durch Verbraucherinformati-
onsdienste den Verbrauchern zur Verfügung gestellt.

Was bedeutet das jetzt konkret, meine Damen und
Herren auf den Zuschauerrängen? Was versteht man da-
runter? Jeder kann im Internet, per App auf seinem
Handy oder auf einem Navigationsgerät sehen, wo die
günstigste Tankstelle ist, in seiner Umgebung oder zum
Beispiel auf seiner Fahrt in den Urlaub.

Außerdem wertet das Bundeskartellamt die Daten aus
und kann so Wettbewerbsverstöße besser aufdecken.





Mechthild Heil


(A) (C)



(D)(B)


Wir schaffen also Transparenz. Jetzt wissen nicht nur
die Tankstellenbetreiber, wie die Preise in der Umge-
bung sind, sondern endlich wissen das jetzt auch die Ver-
braucher. Wir stärken die Kunden. Wir geben ihnen ei-
nen Teil ihrer Marktmacht zurück. Sie entscheiden
nämlich, wo sie tanken wollen. Demnächst finden sie
mit einem Klick die günstigste Tankstelle. Das erhöht
den Druck auf die Unternehmen und stärkt den Wettbe-
werb. Ein starker Wettbewerb ist immer auch gut für die
Kunden, für die Verbraucher.

Manch einer unkt – auch heute bei den Grünen –, da-
für brauche man kein Gesetz, da es ja heute schon solche
Apps und Internetportale gebe. Ja, die gibt es, und sie
leisten auch wirklich gute Arbeit. Aber die Markttrans-
parenzstelle ist mehr. Sie wird die Daten von fast allen
14 300 Tankstellen haben, und zwar innerhalb kürzester
Zeit. Das geht weit über das hinaus, was heute an Infor-
mationen besteht.

Die Verordnung sieht vor, dass sich nur Tankstellen
befreien lassen können, die weniger als 750 Kubikmeter
pro Jahr absetzen. Das sind maximal 350 Tankstellen,
also gerade einmal 2,4 Prozent aller in Deutschland be-
findlichen Trankstellen. Wir schützen diese kleinen
Tankstellen. Sie dürfen natürlich freiwillig mitmachen,
wenn sie wollen. Damit wäre dann auch die ganze Bun-
desrepublik abgedeckt. Egal, wo Sie wohnen, überall
können Sie ab sofort die Preise an den Tankstellen ver-
gleichen und dann auch an der billigsten Tankstelle tan-
ken.

Die Verordnung sieht ebenfalls vor, dass die Daten in
regelmäßigen Intervallen von höchstens einer Minute
über eine Standardschnittstelle zur Verfügung gestellt
werden. Die Daten sind also immer aktuell.

Zwei Dinge werden passieren.

Erstens werden die Preise tendenziell sinken; denn
die Tankstellenbetreiber sind natürlich daran interessiert,
günstiger und damit attraktiver als die Konkurrenz zu
sein.

Zweitens werden die Preise nicht mehr so stark
schwanken. Keine Tankstelle möchte ihre Kunden verär-
gern, indem sie häufig die Preise ändert, auf die sich die
Kunden beim Abrufen ihrer Daten Minuten vorher noch
verlassen haben.

Zu Beginn der Osterferien werden die Kunden leider
noch nicht in den Genuss dieser Informationen kommen.
Das Bundeskartellamt arbeitet mit Hochdruck daran,
und alle 14 300 Tankstellen müssen sich ja auch umstel-
len. Aber im Sommer soll es dann endlich so weit sein.
Dann liegt es an den Verbrauchern, die für sie günstigste
Tankstelle auch anzufahren.

Die christlich-liberale Koalition steht für die Bezahl-
barkeit von Sprit, weil das sozial ist, wirtschaftlich sinn-
voll ist und weil es für den ländlichen Raum gerecht ist.
Aber was macht Rot-Grün? Beim Gesetz haben Sie da-
gegen gestimmt.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie setzen es ja noch nicht einmal um!)


Da waren Sie nicht mit an Bord. Nicht erst seit Trittin
findet Rot-Grün hohe Spritpreise klasse – das haben wir
in dieser Debatte auch wieder gehört –,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir tun etwas dagegen!)


weil die Grünen die Besserverdienenden, ihre Klientel,
im Blick haben, die es sich leisten können, weil die Grü-
nen nur an städtische Gebiete mit gutem Nahverkehr, der
subventioniert wird, mit vielen Bussen und Straßenbah-
nen denken – der ländliche Raum ist ihnen egal –


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


und weil Rot-Grün immer nur auf Steuererhöhungen
setzt. Wir stehen für Spritpreise, die sich am Markt
orientieren.


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb machen Sie eine App!)


Stimmen Sie heute mit uns,


(Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir enthalten uns sogar! – Gegenruf des Abg. Dr. Georg Nüßlein [CDU/CSU]: Enthaltung ist gar keine Meinung!)


dann tun Sie für alle Verbraucherinnen und Verbraucher,
vor allen Dingen für alle Autofahrer und für diejenigen,
die auf das Auto angewiesen sind, das Richtige.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723116900

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Wirtschaft und Technologie zu der Verord-
nung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Tech-
nologie zur Markttransparenzstelle für Kraftstoffe. Der
Ausschuss empfiehlt in seiner Empfehlung auf Drucksa-
che 17/12746, der Verordnung auf Drucksache 17/12390
in der Ausschussfassung zuzustimmen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? –
Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der SPD
bei Enthaltung von Linken und Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung der Antwort der Bundesregierung auf
die Große Anfrage der Abgeordneten Ulla
Schmidt (Aachen), Rainer Arnold, Sabine
Bätzing-Lichtenthäler, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion der SPD

Paradigmenwechsel im Konzept zur Auswärti-
gen Kultur- und Bildungspolitik des Auswärti-
gen Amtes vom September 2011

– Drucksachen 17/9839, 17/11981 –

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD vor.





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Stunde vorgesehen. – Ich höre keinen
Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Ulla Schmidt
für die SPD-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1723117000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Liebe Kollegen von den Koalitionsfraktionen, noch in
Ihrer Koalitionsvereinbarung haben Sie davon gespro-
chen, dass die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
mehr denn je als Beitrag zur Krisenprävention, zum
Menschenrechtsschutz und zur Freiheitsförderung ver-
standen werden soll, dass sie das Interesse an unserem
Land, an unserer Geschichte und unserer Kultur fördern
soll, dass sie die europäische Identität stärken und einen
Beitrag zur innereuropäischen Integration leisten soll.

Das alles können wir als Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten unterschreiben; denn für uns war und
ist Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik vor allem ein
offener Austauschprozess für die Emanzipation der Völ-
ker, für Entwicklung, für Demokratie, für Freiheit und
für Frieden. Das bedeutet Dialog und miteinander in
Kontakt treten, sich kennenlernen, voneinander lernen
und Vertrauen zueinander fassen.

Aber kaum etwas davon findet sich im Konzept des
Auswärtigen Amtes zur Auswärtigen Kultur- und Bil-
dungspolitik wieder. Im Gegenteil, das dünne Papier
skizziert einen Paradigmenwechsel: Es reduziert die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik auf Cultural Di-
plomacy im Dienste deutscher Außenpolitik und verän-
dert das Profil


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Positiv!)


in Richtung Durchsetzung politischer und wirtschaftli-
cher Interessen. Gut ist danach allein das, was Deutsch-
land wirtschaftlich direkt nutzt.

Das ist ein gefährlicher Weg; denn damit zerstören
wir das wichtigste Kapital deutscher Außenpolitik:
Glaubwürdigkeit.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Deutschland hat nach den Gräueltaten der Nationalso-
zialisten über 60 Jahre daran gearbeitet, ein verlässlicher
und hilfsbereiter Partner in der Welt zu sein, ein Freund
unter Freunden. Das dürfen wir nicht aufs Spiel setzen.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Tut ja auch keiner!)


Natürlich stehen wir im 21. Jahrhundert vor den He-
rausforderungen der Globalisierung und im Wettstreit
mit aufstrebenden Nationen. Aber die ökonomische
Konkurrenz ist doch nicht die einzige globale Herausfor-
derung. Migration, Demografie, die Ungleichzeitigkeit
von Entwicklungen, die Unterdrückung der Meinungs-
freiheit und vieles mehr sind mindestens gleichwertige
Herausforderungen, auf die wir reagieren müssen. Dabei

brauchen wir die Länder, mit denen wir konkurrieren, als
starke Partner an unserer Seite. Die Auswärtige Kultur-
und Bildungspolitik kann die zentrale Säule sein, die in
der globalisierten Welt kulturelle Brücken baut.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der FDP)


Aber allein groß angelegte Deutschlandjahre oder
Sprachkampagnen reichen dafür nicht aus. Negativ wirkt
sich in diesem Zusammenhang der Plan des Auswärtigen
Amtes aus, die Aktivitäten der Auswärtigen Kultur- und
Bildungspolitik im Innern massiv abzubauen. Sie ver-
kennen dabei völlig, dass der Dialog im Ausland und die
Integration im Inland zwei Seiten einer Medaille der
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik sind.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, liebe Frau Staatsmi-
nisterin, das Auswärtige Amt rühmt sich gerne, dass der
Haushalt für die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
in Ihrer Regierungszeit um rund 50 Millionen Euro an-
gestiegen ist. Dabei verschweigen Sie nur zu gerne, dass
Sie zusätzliche Mittel aus dem Bildungsetat in Höhe von
243 Millionen Euro erhalten haben, die eingesetzt wer-
den sollten, um zusätzliche Investitionen in Bildung und
Wissenschaft zu fördern.

Ich erinnere an den Beschluss der Koalition: Wir wer-
den bei Bildung und Wissenschaft nicht kürzen, sondern
im Gegenteil 12 Milliarden Euro für zusätzliche Investi-
tionen zur Verfügung stellen. – Es war nie vorgesehen,
dass Sie dieses Geld nutzen, um Haushaltslöcher zu
stopfen, und darüber hinaus weitere Kürzungen bei den
Mittlerorganisationen und an vielen anderen Stellen vor-
nehmen.

Das ist auch der Grund, warum der Haushalt im Be-
reich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik in
den letzten beiden Jahren im Unterausschuss für Aus-
wärtige Kultur- und Bildungspolitik über alle Fraktionen
hinweg keine Mehrheit gefunden hat. Dafür muss man
schon einiges leisten, um so etwas zustande zu bringen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zusätzlich wurden Kürzungen beim Goethe-Institut
angesetzt. Das Goethe-Institut konnte in den letzten Jah-
ren viel leisten, weil es in Zusammenarbeit mit dem
Deutschen Bundestag einen tiefgreifenden Reformpro-
zess durchgeführt, die Standorte effizienter aufgestellt
und die Netzwerke ausgebaut hat. Aber die willkürlichen
Einsparungen, die Sie auch in diesem Jahr vornehmen,
rühren langsam an der Substanz des Institutes, das von
vielen von Ihnen immer wieder als die Visitenkarte
Deutschlands in der Welt gerühmt wird. Man muss hier
auch einmal sagen, dass die Arbeitnehmerinnen- und Ar-
beitnehmervertreter zu Recht darauf hinweisen, dass die
Rechnung – immer mehr Aufgaben für immer weniger
Geld – mittlerweile nicht mehr aufgeht. Das geschieht
zunehmend auf dem Rücken der Beschäftigten, zulasten
ihrer Gesundheit und sozialen Sicherheit.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Mir macht das Sorgen.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723117100

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1723117200

Ich komme zum Schluss. – Ich will Ihnen hier ganz

deutlich sagen: Wenn das Goethe-Institut am Ende die-
ser Sparpolitik nicht viel mehr als eine Deutschlern-
schule für Erwachsene ist, dann verlieren wir alle hier in
diesem Parlament einen wichtigen Impulsgeber, der uns
mit seiner kulturellen Arbeit und den daraus gewonne-
nen Informationen und Netzwerken hilft, traditionelle
Entwicklungen und Strukturen besser zu verstehen, reli-
giöse Identitäten zu akzeptieren und darauf zu achten,
uns sensibel zu verhalten.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723117300

Frau Kollegin.


Ulla Schmidt (SPD):
Rede ID: ID1723117400

Deshalb appelliere ich zum Schluss an Sie von den

Koalitionsfraktionen: Beenden Sie diese willkürlichen
Sparmaßnahmen, und sorgen Sie dafür, dass unsere Mitt-
lerorganisationen ihre Arbeit durchführen können!

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723117500

Das Wort hat nun Ruprecht Polenz für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1723117600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Seit

2006 – es ist jetzt also die zweite Legislaturperiode –
gibt es den Unterausschuss „Auswärtige Kultur- und Bil-
dungspolitik“, einen Unterausschuss des Auswärtigen
Ausschusses. Ich möchte zu Beginn dieser Debatte gerne
eine kleine Bilanz seiner Arbeit ziehen, für die ich sehr
dankbar bin.

Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik unter-
stützt die Ziele der Außenpolitik, die mit folgendem
Dreiklang beschrieben werden: Europa stärken, Frieden
sichern, alte Freundschaften pflegen und neue Partner-
schaften gründen. Wenn man eine Bilanz für die Zeit
von 2006 bis 2013 zieht, dann fällt schon auf: Es ist im
Haushalt des Auswärtigen Amtes mehr Geld dafür zur
Verfügung gestellt worden, und zwar insgesamt 240 Mil-
lionen Euro mehr; das entspricht einem finanziellen Zu-
wachs von 43,3 Prozent. Im Einzelnen bedeutet das: Den
Goethe-Instituten stehen 28 Prozent mehr zur Verfü-
gung. Bei den Mitteln für Wissenschaft und Hochschu-
len in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik gab
es einen Zuwachs von 52 Prozent. Beim Auslandsschul-
wesen lag der Zuwachs in diesem Zeitraum bei 48,6 Pro-
zent. Sie sehen, Frau Kollegin: Ich beziehe auch die Zeit
der Großen Koalition ein


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Daher kommt ja auch der große Aufwuchs!)


und auch Ihre Arbeit im Unterausschuss „Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik“. Denn dieser Unteraus-
schuss hat die positive Entwicklung engagiert begleitet
und gefördert, und zwar – auch das wollen wir zu Be-
ginn der Debatte sagen – in großem Einvernehmen, auch
über Fraktionsgrenzen hinweg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich möchte mich deshalb bei Staatsministerin Pieper
und bei der Bundesregierung bedanken, aber auch beim
Vorsitzenden des Unterausschusses, Herrn Gauweiler,
und den Sprecherinnen und Sprechern der einzelnen Frak-
tionen, Frau Grütters, Frau Schmidt, Herrn Leibrecht,
Frau Jochimsen und Frau Roth. Herzlichen Dank für die
Arbeit im Unterausschuss.

Nun gehört es natürlich zu den Aufgaben der Opposi-
tion, Kritik an der Regierung zu üben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723117700

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Koppelin?


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1723117800

Ja.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1723117900

Darf ich die Frage stellen, ob Sie die Berichterstatter

für diesen Etat im Haushaltsausschuss vielleicht bei Ih-
rem Dank vergessen haben?


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aus gutem Grund! – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Da tut er auch gut dran!)


Denn wir Berichterstatter haben das Geld aufgestockt.


Ruprecht Polenz (CDU):
Rede ID: ID1723118000

Ich will mir jetzt eine Bemerkung über die mir auch

bekannten Rangeleien zwischen dem Unterausschuss
„Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik“ und den
Haushältern verkneifen,


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Warum?)

die ich aus Anlass Ihrer Zwischenfrage machen könnte,
und schließe Sie einfach großzügig in den Dank mit ein.


(Heiterkeit – Beifall bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michaela Noll [CDU/CSU]: So bist du! Du hast ein großes Herz!)


Es gehört zu den Aufgaben der Opposition, Kritik an
der Regierung zu üben. Aber wenn Sie jetzt Haare in der
Suppe suchen, dann sollten Sie nicht vergessen, dass die
Suppe insgesamt schmackhafter geworden ist – dazu ha-
ben auch Sie beigetragen –, und vor allen Dingen, dass
mehr Suppe da ist.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Daher bitte ich Sie: Lassen Sie die Kirche im Dorf.





Ruprecht Polenz


(A) (C)



(D)(B)


Ich selber möchte einen Punkt ansprechen, bei dem
ich allerdings der Meinung bin, dass Deutschland drin-
gend besser werden muss: das Auslandsfernsehen.


(Beifall des Abg. Dr. Rainer Stinner [FDP])


Laut einer Übersicht der Deutschen Welle gab es 1992
drei Sender, die weltweit ausgestrahlt haben: CNN, BBC
und die Deutsche Welle. 2012 sind Frankreich, die Tür-
kei, Russland, al-Dschasira und China hinzugekommen.
Insgesamt konkurrieren jetzt 20 Sender in einem Wettbe-
werb mit der Deutschen Welle um die Meinungsbildung
der Weltöffentlichkeit.

Ein Blick auf die Ressourcen zeigt, dass der Deut-
schen Welle für Fernsehen jährlich 88 Millionen Euro
zur Verfügung stehen; das ist mit Abstand das geringste
Budget. Zum Vergleich die Zahlen der anderen Fernseh-
sender: Der BBC World Service verfügt über 115 Millio-
nen; France 24 erhält 120 Millionen, Voice of America
145 Millionen, al-Dschasira 150 Millionen, Russia To-
day 275 Millionen, also mehr als dreimal so viel, wie die
Deutsche Welle zur Verfügung hat, um im publizisti-
schen Wettbewerb das Russlandbild in der Welt mit zu
beeinflussen. Nach Medienberichten wendet China etwa
5 Milliarden zum Aufbau eines medialen Auftritts der
Volksrepublik China auf, darunter für zwei Fernsehsen-
der.

Wir haben die Bundesregierung hier im Bundestag
2011 mit breiter Mehrheit aufgefordert, gemeinsam mit
den Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten der
Länder für eine Ausweitung der Kooperation zwischen
Deutscher Welle, ARD, ZDF und dem Deutschlandfunk
zu sorgen. Seit 2011 tagen Kommissionen; aber so rich-
tig herausgekommen ist dabei bis heute leider nichts.
Ziel muss sein, dass die Deutsche Welle ein Programm
aus dem Besten von ARD und ZDF anbieten kann, das
weltweit konkurrenzfähig ist. Die zusätzlichen Kosten
für Lizenzen und Rechte, Programme weltweit auszu-
strahlen – das wurde vor fünf Jahren errechnet –, würden
sich auf etwa 70 Millionen Euro belaufen. Diese Summe
– jetzt mache ich einen konkreten Vorschlag – könnte
leicht durch Werbeeinnahmen gedeckt werden. Nicht nur
die deutsche Automobilindustrie würde gerne weltweit
werben; auch andere Global Player wie Bayer, BASF
oder Siemens würden von einer solchen Möglichkeit
gerne Gebrauch machen. Etwas Besseres als ein welt-
weit ausgestrahltes Deutsche-Welle-Fernsehen mit ei-
nem „Made in Germany“-Werbeanteil kann man sich für
die Exportnation Deutschland nicht vorstellen. Die man-
gelnde Finanzierung wäre dann jedenfalls keine Ausrede
mehr.

Der große Wurf ist möglich, wenn die, die man daran
beteiligen muss, ein bisschen über ihren jeweiligen me-
dienpolitischen Schatten springen würden: die Länder,
die Anstalten und vielleicht auch die Deutsche Welle
selbst. Es ist möglich; man kann es schaffen. Ich würde
mich freuen, wenn diese Debatte einen Impuls dazu ge-
ben würde.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Lassen Sie mich zum Schluss auf einen weiteren
Punkt eingehen. Der Unterausschuss hat sich in beson-
derer Weise dem deutschen Auslandsschulwesen gewid-
met und dessen Ausbau vorangetrieben, vor allen Dingen
in Form von Begegnungsschulen, zu denen Schülerinnen
und Schülern der jeweiligen Gastländer der Zugang er-
möglicht wurde. Für diejenigen, die das nicht wissen
sollten: Auch unsere Auslandsschulen werden durch
Schulgeld finanziert.

Man sollte annehmen, dass es selbstverständlich ist,
dass sich Deutschland gegenüber den Ländern, die bei
uns eine Auslandsschule errichten wollen, ebenso ver-
hält wie wir das von anderen Ländern uns gegenüber er-
warten: Man organisiert eine Begegnungsschule, mit
Schulgeld finanziert. Leider verweigert die nordrhein-
westfälische Landesregierung den Niederlanden aktuell
eine solche Genehmigung für eine internationale Schule
in Münster.


(Dr. Volker Wissing [FDP]: Ach, so ist das!)


Aufgrund einer zwischenstaatlichen Vereinbarung
zwischen Deutschland und den Niederlanden betreibt
eine niederländische Stiftung seit 1995 die Hugo de
Grootschool in Münster. Das Datum ist kein Zufall. Sei-
nerzeit wurde das Deutsch-Niederländische Korps in
Münster gegründet. Nach einer Änderung der militäri-
schen Strukturen hin zu einer mehr international aufge-
stellten Truppe hat die Stiftung 2006 den Auftrag erhal-
ten, eine internationale Schule vorzubereiten. Die Schule
sollte über Kinder von in multinationalen Verbänden tä-
tigen Eltern hinaus – jetzt kommt der springende Punkt –
für alle in NRW schulpflichtigen Kinder zugänglich
sein. 2011 stellte der niederländische Schulträger einen
entsprechenden Antrag beim zuständigen Ministerium in
Nordrhein-Westfalen, über den bis heute nicht entschie-
den wurde. Man hat gesagt: Wir entscheiden darüber
auch bis zum Jahre 2015 nicht. Warum? Die Schule solle
sich erst bewähren, dann wolle man entscheiden. Der
Hintergrund ist: In NRW wollen SPD und Grüne keine
Schule genehmigen, für die man Schulgeld bezahlen
muss.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ist das! Das ist Fortschritt! – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wir sind sozial!)


Die Schule kann aber nur weiterarbeiten, wenn die nöti-
gen Schülerzahlen zum Aufbau einer internationalen
Schule erreicht werden. Das wiederum ist nur möglich,
wenn die Schule anerkannt ist.

In Münster gibt es Bedarf; dort gibt es acht Universi-
täten und viele international tätige Unternehmen. Es gibt
einen Ratsbeschluss der Stadt, der das unterstreicht. Jetzt
kommt der wichtige Punkt – nur deshalb spreche ich das
in dieser Debatte an –: Ohne eine schnelle Anerkennung
werden die Niederlande den Aufbau stoppen und die
1 Million Euro Aufbaufinanzierung, die sie bereits be-
reitgestellt haben, zurückziehen. Zudem wird es zu einer
Verstimmung in den Beziehungen mit den Niederlanden
führen. Deshalb meine Bitte an die Bundesregierung,
dass sie sich um diese Angelegenheit kümmert. Wir kön-
nen nicht für unsere Auslandsschulen überall auf der





Ruprecht Polenz


(A) (C)



(D)(B)


Welt bestimmte Rechte fordern und uns für sie einsetzen,
aber sie in unserem eigenen Land nicht gewährleisten.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723118100

Das Wort hat nun Stefan Liebich für die Fraktion Die

Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723118200

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Die

Große Anfrage der SPD bietet Gelegenheit, die Auswär-
tige Kultur- und Bildungspolitik dieser Legislaturpe-
riode zu resümieren. Die Antwort der Bundesregierung
ist allerdings abwiegelnd und im Vergleich zu den recht
präzisen Fragen der SPD schwach.


(Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD] – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dünn! Es gibt ja nichts!)


Es ist auch kein Wunder, dass Sie ausweichen; denn
– Frau Schmidt hat es gesagt – es hat ein Paradigmen-
wechsel stattgefunden. Das ist auch okay, wenn die Re-
gierung wechselt; aber es muss hier einmal ausgesprochen
werden. Statt Dialog steht nun deutsche Interessenvertre-
tung im Mittelpunkt. Wir jedenfalls finden das falsch.


(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie der Abg. Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Überrascht sind wir aber nicht. Ich habe den Koalitions-
vertrag, ehrlich gesagt, insofern anders gelesen, Frau
Schmidt. In ihm wurde das eigentlich schon angekün-
digt.

Den deutschen Kultureinrichtungen, dem Goethe-In-
stitut, dem Deutschen Akademischen Austauschdienst,
der Humboldt-Stiftung und den deutschen Auslands-
schulen wird darin die Rolle von „Brücken unserer werte-
orientierten Außenpolitik“ zugewiesen. Weiter heißt es:

In der Zeit der Globalisierung muss der Westen zu
mehr Geschlossenheit finden, um seine Interessen
durchzusetzen und gemeinsame Werte zu bewah-
ren.

Frau Schmidt, das ist nicht gerade das, was Willy Brandt
im Jahr 1969 formuliert hatte. Dialog und politische Of-
fenheit gehen anders.


(Beifall bei der LINKEN – Johannes Selle [CDU/ CSU]: Die Zeit geht weiter!)


Eine kluge Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
könnte doch gerade dazu beitragen, Konflikte zu mini-
mieren, ihnen vorzubeugen und damit auch den Frieden
in der Welt zu sichern.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Das machen wir ja auch!)


Auf der anderen Seite gilt aber auch: Keine noch so gute
Kulturpolitik kann reparieren, was durch Kriegseinsätze
verloren geht.

Auch an Ihrer konkreten Arbeit üben wir Kritik. So
soll die Präsenz der Goethe-Institute nach Brennpunkten
ausgerichtet werden, sagen Sie. Das klingt gar nicht gut
und ist es auch nicht. Die Haushaltsmittel des Goethe-
Instituts sind seit Regierungsantritt von Schwarz-Gelb
unterm Strich kontinuierlich gesunken.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Genau!)


Herr Polenz hat hier gesagt, die „Suppe“ sei mehr ge-
worden. Ich sehe das anders. Zunächst musste die
„Suppe“ vor dem Zugriff der hier gelobten Haushälter
– genau genommen: einiger Haushälter – verteidigt wer-
den,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


und dann ist ein Teller Suppe von einem anderen Tisch
herübergenommen worden. Mehr geworden ist sie auf
jeden Fall nicht.

Diese Mittelkürzungen haben ganz konkrete Folgen.
Lassen Sie mich das an einem Beispiel illustrieren.
Heute ist der Nationalfeiertag der Republik Namibia.
Nach über 100-jähriger Fremdbestimmung erlangte das
Land am 21. März 1990 endlich seine Unabhängigkeit.
Die Parlamentariergruppe für die Staaten des südlichen
Afrika unseres Hauses, deren Vorsitzender ich bin, hat
aus diesem Anlass Kolleginnen und Kollegen des nami-
bischen Parlaments eingeladen, die derzeit in unserem
Land zu Gast sind. Sie haben uns an etwas erinnert,
nämlich daran, dass die Bundesregierung Namibia im
Jahr 1991 in Aussicht gestellt hat, in Windhuk „mög-
lichst bald“ – 1991! – eine Zweigstelle des Goethe-In-
stituts zu eröffnen. Sie ahnen es: Das ist bis heute nicht
geschehen. Es gibt ein Goethe-Zentrum mit minimaler
finanzieller Ausstattung. Dabei gäbe es für ein Goethe-
Institut in Namibia so viel zu tun. Themen wären
ein deutsch-namibisches Jugendwerk, orientiert am
Deutsch-Französischen Jugendwerk, oder die Arbeit an
einem gemeinsamen Geschichtsbuch.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Schreiben Sie einen Brief!)


Die namibische Seite würde sehr gerne, wie der Delega-
tionsleiter Professor Katjavivi in den letzten Tagen im-
mer wieder betont hat, ein neues Kapital in der Zusam-
menarbeit aufschlagen; aber dazu müssten die Wunden,
die Deutschland in der Kolonialzeit geschlagen hat, ge-
heilt werden. Die Bundesregierung hat viel über Versöh-
nung gesprochen. Hier könnte ein wichtiges Zeichen ge-
setzt werden. Auswärtige Kulturpolitik wird hier ganz
konkret.

Ähnliches geschah beim Haus der Kulturen der Welt
hier in Berlin. Die Regelförderung wurde reduziert und
in eine kurzfristige Projektförderung umgewandelt. Da-
mit steht sie in jedem Jahr erneut zur Debatte. So kann
man nicht planen, und so kann man nicht arbeiten.





Stefan Liebich


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD])


Auch die Situation der Auslandsschulen – an dieser
Stelle widerspreche ich meinem geschätzten Vorredner –
hat sich nicht nachhaltig verbessert.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das stimmt!)


Die Probleme bei den Versorgungslasten, die zwischen
Bund und Ländern hinsichtlich der Lehrerinnen und
Lehrer existieren, sind nach wie vor nicht gelöst.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Dafür sind die Länder zuständig! Bundesrat!)


Ich erinnere schließlich auch noch an die Künstler-
akademie Tarabya.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dunkles Kapitel!)


Auch diese konnte nur wegen des parteiübergreifenden
Einsatzes im Unterausschuss Auswärtige Kultur- und
Bildungspolitik an den Start gehen.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Mein Fazit: Das Auswärtige Amt verfügt erstens
nicht über die erforderliche Kompetenz im Kultur- und
Bildungsbereich,


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD] und Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Jetzt reicht es aber!)


ist zweitens nicht in der Lage, die Bereitstellung der not-
wendigen Ressourcen in den Haushaltsdebatten durch-
zusetzen, und ist schließlich drittens nicht gewillt, sich
bei seinen Entscheidungen auf den Rat der parlamentari-
schen Gremien zu stützen. Schade eigentlich.

Dem Entschließungsantrag der SPD, der auch unsere
Kritik verdeutlicht, werden wir hier zustimmen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN – Burkhardt MüllerSönksen [FDP]: Das war ja „be-liebich“!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723118300

Das Wort zu einer Kurzintervention erteile ich Kolle-

gen Koppelin.


Dr. h.c. Jürgen Koppelin (FDP):
Rede ID: ID1723118400

Herr Kollege Liebich, Sie werden erstaunt sein, dass

ich das, was Sie zu Namibia gesagt haben, unterstütze.


(Beifall des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Der Kollege Frankenhauser und ich sind bemüht, dafür
noch Mittel freizubekommen; ich unterstütze, was Sie
zum Goethe-Institut gesagt haben. Das liegt daran, dass
Namibia, das heute seinen Nationalfeiertag begeht, einen
großen Befürworter hat, nämlich Hans-Dietrich
Genscher, der heute ebenfalls Geburtstag hat.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723118500

Das Wort hat nun die Staatsministerin Cornelia

Pieper.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


C
Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1723118600


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Als
Erstes möchte ich sagen, dass ich für die Große Anfrage
der SPD-Fraktion und die Antwort der Bundesregierung
dankbar bin; denn wir haben normalerweise nie Gele-
genheit, hier im Bundestag über die Auswärtige Kultur-
politik kontrovers zu diskutieren. Ich finde, es ist ganz
wichtig, dass wir diese Debatte auch einmal im Deut-
schen Bundestag führen können.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP sowie des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/ CSU])


Weil die Kritik der SPD aus meiner Sicht falsch ist
– zwischen den Zeilen kann man lesen, dass sie der Mei-
nung ist, dass hier ein Paradigmenwechsel stattfindet –,
möchte ich kurz an die Geschichte der Auswärtigen Kul-
turpolitik erinnern. Bundesaußenminister Walter Scheel
und sein Staatsminister Dahrendorf haben Ende der
60er-, Anfang der 70er-Jahre die ersten Leitlinien für
e
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1723118700


Unsere auswärtige Kulturpolitik ist internationale
Zusammenarbeit im kulturellen Bereich. Sie ist Teil
unserer Außenpolitik, einer Außenpolitik, die der
Sicherung des Friedens in der Welt dienen will. Sie
muß daher zum wechselseitigen Verständnis der in-
neren Entwicklung der einzelnen Nationen beitra-
gen … vor allem auch helfen, Bande zwischen den
Menschen verschiedener Nationalität zu knüpfen.

Die Bundesregierung, das Auswärtige Amt, der Bun-
desaußenminister und ich, wir fühlen uns dieser Tradi-
tionslinie der Auswärtigen Kulturpolitik verpflichtet.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Hartwig Fischer [Göttingen] [CDU/CSU])


Der von mir sehr geschätzte und bereits genannte Hans-
Dietrich Genscher hat 1977 im Bundeskabinett diese
Idee weiterentwickelt und das Konzept der Auswärtigen
Kulturpolitik neu gestaltet.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das solltet ihr euch einmal zu Gemüte führen, was er gesagt hat!)


Frau Schmidt, das müssen Sie schon zur Kenntnis neh-
men. Auch das aktuelle Konzept zur Auswärtigen Kul-
turpolitik, das vom Auswärtigen Amt vorgelegt wurde,
zeigt, dass wir uns diesen Ideen verpflichtet fühlen. Sie
können das im Koalitionsvertrag nachlesen. Darin steht





Staatsministerin Cornelia Pieper


(A) (C)



(D)(B)


ganz klar, dass wir auf eine werteorientierte Außenpoli-
tik setzen. Ich zitiere:

Heute begreift Deutschland seine Auswärtige Kul-
tur- und Bildungspolitik noch stärker als Beitrag
zur Krisenprävention, Menschenrechtsschutz und
Freiheitsförderung.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deswegen schickt man Panzer nach Saudi-Arabien!)


Deswegen investieren wir auch sehr stark in diese Berei-
che.

Ich will Sie nur daran erinnern – das wird hier gele-
gentlich ausgeblendet –, dass es unter Joschka Fischer
von 1999 bis 2005 bei der Auswärtigen Kulturpolitik
eine Kürzung der Haushaltsmittel von fast 20 Prozent
gab.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ist das nämlich! Die Wahrheit kommt ans Licht!)


2005 wurden sechs Goethe-Institute und Außenstellen
geschlossen. Das ist auch die Politik der SPD gewesen.
Wir haben erreicht – dafür möchte ich insbesondere der
Regierungskoalition, eingeschlossen die Mitglieder des
Haushaltsausschusses dieses Hauses, Dank sagen –, dass
mit 787 Millionen Euro 2013 der größte AKBP-Haus-
halt in der Geschichte des Auswärtigen Amtes beschlos-
sen worden ist. Das Gleiche war schon 2012 der Fall.
Dabei handelt es sich um enorme Aufwüchse.

Man kann sich natürlich wie die Kollegin Schmidt
wünschen, einen noch größeren Haushalt zu haben.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Mehr Geld aus dem Bildungsministerium!)


Ich möchte Sie aber daran erinnern, dass trotz der von
der Bundesregierung prioritär verfolgten Haushaltskon-
solidierung die Aufwendungen für die Auswärtige Kul-
turpolitik bis zu einem noch nie zuvor erreichten Höhe-
punkt gesteigert werden konnten. Das ist ein großer
Erfolg dieser Regierung, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Es fehlen 180 Millionen!)


Ich will auch daran erinnern, dass wir uns konkrete
Projekte vorgenommen haben. Gerade in der letzten Wo-
che habe ich mit dem Kulturminister von Myanmar und
dem Präsidenten des Goethe-Institutes über ein neues
Kulturabkommen mit Myanmar gesprochen,


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Mit weniger Geld!)


weil uns die Freiheitsrechte und die Menschenrechte so
wichtig sind.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir sind das erste Land der Welt, das überhaupt Kultur-
konsultationen mit diesem Land führt. Das ist uns sehr
wichtig, weil wir den Demokratisierungsprozess unter-
stützen und die Zivilgesellschaft stärken wollen. Deswe-

gen wird das Auswärtige Amt dazu beitragen, dass wir
dort noch in diesem Jahr ein Goethe-Institut aufbauen
können. Für die Unterstützung der Abgeordneten dieses
Hauses dafür bedanke ich mich ausdrücklich.

Wir haben ein Auslandsschulgesetz auf den Weg ge-
bracht und gestern, Herr Kauder, im Kabinett beschlos-
sen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das war der Wunsch der Vertreter aller Fraktionen die-
ses Hauses im Unterausschuss. Diese Regierung hat das
jetzt mit einem Eckpunktepapier auf den Weg gebracht. –
Darüber kann die Linke lachen;


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ich lache über etwas anderes!)


aber Sie glauben gar nicht, wie wichtig es für die deut-
schen Auslandsschulen ist, einen Rechtsanspruch auf
eine Festbetragsfinanzierung für drei Jahre zu haben.
Wir werden das noch im Parlament diskutieren.

Wir haben mit den Ländern über den Versorgungszu-
schlag gesprochen. Sie haben ein verbindliches Eck-
punktepapier vom Auswärtigen Amt übernommen, so-
dass wir auch da Rechtssicherheit für die Schulen haben.
Die Zahl der Partnerschaftsschulen haben wir ausgewei-
tet. Auch das ist ein wichtiges politisches Projekt. Bis
2014 wollen wir – ausgehend von heute 1 500 – 2 000
Partnerschaftsschulen in der Welt haben. Das ist wichtig
für den Dialogprozess und für die Stärkung der Zivilge-
sellschaft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir haben die Innovations- und Wissenschaftshäuser auf
sichere Beine gestellt und eine Anschubfinanzierung
eingeplant.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723118800

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

C
Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1723118900


Herr Präsident, ich weiß, dass das Thema nicht nur
für die Abgeordneten dieses Hauses begeisterungswür-
dig ist, sondern auch für mich.

Am Ende will ich noch sagen: Wir haben viele neue
Impulse in der Auswärtigen Kulturpolitik gegeben. Die-
ses Haus hat beschlossen, dass wir die Luther-Dekade
nicht nur im eigenen Land mit Ereignissen feiern,


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


sondern auch in Washington 2016 und in Südkorea mit
einer großen internationalen Ausstellung auftreten. Ich
habe schon das Konzept, das ich mit Ihnen demnächst
im Auswärtigen Ausschuss und im Unterausschuss dis-
kutieren werde, und freue mich darauf.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723119000

Frau Kollegin!






(A) (C)



(D)(B)


C
Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1723119100


Herr Präsident, ich kann nur sagen: Wenn in der Aus-
wärtigen Kulturpolitik ein Paradigmenwechsel stattge-
funden hat, dann war es ein Paradigmenwechsel zum
Besseren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723119200

Das Wort hat nun Claudia Roth für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik ist die
dritte Säule in der Außenpolitik. Sie schafft ganz eigene
politische Möglichkeiten; sie kann Türen öffnen und
Brücken bauen, wo sonst nichts mehr geht und wo alles
verschlossen erscheint. Wir haben das bei unserer
schwierigen Reise in den Iran und bei unserer Reise mit
dem DFB nach Nordkorea erlebt.

Die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Arbeit sind
eigentlich gut. Der Unterausschuss Auswärtige Kultur-
und Bildungspolitik wird von einer unglaublich offenen
und kollegialen Atmosphäre getragen, in der wir partei-
lich, aber nicht parteipolitisch für wichtige Kultur- und
Bildungsprojekte kämpfen.

Aber es gibt Probleme. Sie liegen in einer – man muss
es wirklich so sagen – bisweilen festzustellenden Igno-
ranz der Exekutive gegenüber uns, der Legislative, und
in einem manchmal fast autistischen, verschlossenen
Kommunikationsstil der Führung des Auswärtigen Am-
tes.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Nein, nein! Ich dachte, jetzt redest du vom Haushaltsausschuss!)


Ein Beispiel ist das Konzeptpapier selbst, auf das wir
uns heute beziehen. Schon sein Zustandekommen war
problematisch. Das Auswärtige Amt hat die Mittlerorga-
nisationen sehr unzureichend einbezogen. Man hat ihnen
angeboten, sie könnten ihre Vorschläge ja übermitteln.
Wenn das alles ist, dann ist das kein konstruktiver Dis-
kussionsprozess mit dem Goethe-Institut, dem DAAD
und all den anderen Organisationen, die unsere Außen-
kulturpolitik Tag für Tag mit Leben erfüllen.

Wichtige Bereiche wie der Sport und seine Chancen
spielten am Anfang gar keine Rolle. Auch die fachlich
zuständigen und, wie ich glaube, wirklich kompetenten
Mitglieder des Unterausschusses waren in die Erarbei-
tung dieses Konzepts mitnichten einbezogen. Wir wur-
den nur Knall auf Fall zur Präsentation des sogenannten
Konzepts eingeladen. Danach ist nicht viel passiert. Ich
finde, es ist eine Diskrepanz – das bezieht sich nicht auf
Sie, Frau Pieper –, wenn der Außenminister das Hohe-
lied von der dritten Säule der Außenpolitik singt, es aber
nicht für nötig erachtet, in dreieinhalb Jahren auch nur
ein einziges Mal den politisch zuständigen Ausschuss zu

besuchen, um mit den zuständigen Personen zu diskutie-
ren.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Er war aber im Kulturausschuss! Da war Joschka Fischer nie! Das hat Joschka nie geschafft!)


Die Reihenfolge der im Untertitel des Papiers ge-
nannten Aufgaben – „Partner gewinnen, Werte vermit-
teln, Interessen vertreten“ – kann man getrost umkehren.
Die Interessenvertretung rückt eindeutig an die erste
Stelle, und zwar so, dass Kunst und Kultur zum Beiwerk
einer reinen Wirtschaftsförderung werden. Das ist in der
Konsequenz die Entleerung von Auswärtiger Kulturpoli-
tik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Wo im Konzept von Kunst und Kultur die Rede ist, geht
es mehr und mehr vorrangig um Sichtbarkeit, um große
Ausstellungsformate oder – man könnte es auch direkter
sagen – um die Show und den Showeffekt.


(Dr. Rainer Stinner [FDP]: Was? Ausstellungen sind Shows? Das kann ja wohl nicht sein!)


Für das konkrete Alltagsgeschäft der AKBP interessiert
man sich deutlich weniger.

Problematisch finde ich auch die Heilsversprechen ei-
ner fortschreitenden Privatisierung, unter anderem bei
der Finanzierung von Stipendien, bei Wissenschaftspro-
grammen und bei den Auslandsschulen – kein Wort zu
den Gefahren, die da drohen. Ich jedenfalls möchte
nicht, dass nur noch die Kinder der Geldeliten dieser
Welt an deutsche Auslandsschulen geschickt werden
können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Genau das macht nämlich den Unterschied zwischen
deutschen und anderen Auslandsschulen aus. Der Eigen-
sinn von Kunst und Kultur wird insbesondere bei den
Deutschland-Jahren verfehlt – Großevents in Schwellen-
ländern, die im Feuilleton schon einmal als neuer deut-
scher Wanderzirkus bezeichnet werden.

Bei der Suche nach den nachhaltigen Effekten dieses
Formats sind die Antworten auf die Große Anfrage der
SPD nicht wirklich schlüssig. Statt auf solch teure Stroh-
feuer zu setzen, wäre es doch wirklich besser, die Mittel
für das Goethe-Institut nicht bis tief ins Jahr hinein mit
Haushaltssperren zu belegen. Das wäre zumindest ein
besserer und günstigerer Weg hin zu mehr Nachhaltig-
keit. Das gilt übrigens auch für das Haus der Kulturen
der Welt, das seit Jahren darunter leidet, dass ein Teil der
Mittel auf Projektförderung umgestellt wurde. Das be-
deutet eine sehr große Unsicherheit bei der Finanzierung
und konterkariert die guten Erfolge des Hauses bei der
Einwerbung von Drittmitteln.

Ich glaube, die völlig unnötigen Konflikte rund um
die Künstlerakademie Tarabya hätten wir uns wirklich
sparen sollen. Ihre Einrichtung war vom Bundestag ein-





Claudia Roth (Augsburg)



(A) (C)



(D)(B)


mütig beschlossen, musste dann aber nach jahrelangem
heftigem Kampf vor allem gegen Teile der Leitung des
Auswärtigen Amtes durchgesetzt werden. Dabei haben
wir doch allen Grund, den kulturellen Austausch mit der
Türkei auszubauen, einem Land, das in der globalisier-
ten Welt immer größere Bedeutung bekommt und mit
dem wir durch die Migrationsgeschichte seit über
50 Jahren in ganz besonderer Weise verbunden sind.

Lassen Sie mich noch einen Punkt benennen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723119300

Frau Kollegin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Koppelin?

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Nicht zu Tarabya. – Ich weiß schon: Ich habe Sie
nicht gewürdigt; das stimmt. Ich hätte sagen müssen:
Das war ein langer Kampf gegen Teile des Auswärtigen
Amtes und gegen Haushälter wie Sie, Herr Koppelin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. h. c. Gernot Erler [SPD]: Eine Heiligsprechung!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723119400

Ist das ein Ja oder ein Nein zur Zwischenfrage?


(Heiterkeit)


Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ich habe ihn vergessen; das tut mir sehr leid. Ich habe
ihn nicht gewürdigt in dem Kampf, den wir gegen ihn
geführt haben.


(Heiterkeit bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723119500

Dann ist das erledigt.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ein wirklich überflüssiges Vorhaben war auch Minis-
ter Westerwelles German Academy in New York. Das
Gebäude an der 5th Avenue, ein historischer Ort, an dem
so viel von unserer Geschichte, auch von unserer Nach-
kriegsgeschichte, hängt, sollte zu einer kulturfreien Prä-
sentationsräumlichkeit der deutschen Regierungs- und
Wirtschaftspolitik umgebaut werden. Wir sind dem Aus-
wärtigen Ausschuss wirklich dankbar, dass er dieses
Vorhaben gestoppt hat.

Ein weiterer Schnellschuss war das Vorhaben, die ge-
wachsenen Präsenzen des Goethe-Instituts in Westeu-
ropa auszudünnen, um ein angebliches Ungleichgewicht
im Verhältnis zu Osteuropa auszugleichen. Ich glaube,
man hat sich da einfach ein bisschen verrechnet. Jetzt
wird nachgerechnet, zum Beispiel was die unterschiedli-
chen Bevölkerungszahlen angeht.

Mein letztes Beispiel ist von Vorrednerinnen und Vor-
rednern, auch von Ulla Schmidt, schon benannt worden:
das groß angekündigte 12-Milliarden-Euro-Sonderpro-
gramm der Bundesregierung für Bildung.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: 13 Milliarden Euro! – Volker Kauder [CDU/CSU]: 13 Milliarden Euro!)


– 13 Milliarden Euro. – Die Zuflüsse für das Auswärtige
Amt, die daraus resultieren, sind – daran gibt es nichts
zu rütteln – für Bilanzkosmetik, zum Stopfen von Haus-
haltslöchern benutzt worden, aber nicht für eine Weiter-
entwicklung der Auswärtigen Kultur- und Bildungspoli-
tik. Das ist wirklich eine Trickserei; das ist nicht seriös.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Es muss ja Gründe haben, warum die Bildungspolitike-
rinnen und Bildungspolitiker im Unterausschuss den
Haushaltsentwurf für 2013 abgelehnt haben. Noch hat
Rot-Grün nicht die Mehrheit in diesem Ausschuss.


(Burkhardt Müller-Sönksen [FDP]: Gott sei Dank!)


Also haben andere dazu beigetragen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723119600

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Ja, ich komme zum Schluss. – Was wir uns wünschen,
ist nicht nur die Ablehnung von getricksten Haushalts-
entwürfen, sondern eine inspirierte Politik, die Gespür
hat für Kunst und Kultur und für die Chancen, die im
Dialog in der Kulturpolitik liegen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723119700

Frau Kollegin!

Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN):

Wir brauchen einen Paradigmenwechsel, nicht nur in
der Politik, sondern auch in der Regierung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723119800

Das Wort hat nun Peter Gauweiler für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Peter Gauweiler (CSU):
Rede ID: ID1723119900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren Kollegen! Eine inspirierte Politik wünschen wir





Dr. Peter Gauweiler


(A) (C)



(D)(B)


uns alle; aber ich glaube, dass wir die im Bereich der
Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik auch haben.

Ich habe mich nicht nur gefreut, weil Herr Polenz
mich gelobt hat – das ist sicherlich richtig –,


(Heiterkeit – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das fällt ihm auch nicht so leicht!)


sondern weil er als Vorsitzender des Auswärtigen Aus-
schusses unsere gemeinsamen Anstrengungen gewürdigt
hat. Jenseits des Spiels von Opposition und Regierung
– das sein muss, aber irgendwo auch langweilt – ist es
doch gut, dass wir die Dinge hier gemeinsam vorange-
bracht haben. Es ist völlig egal, mit welchem Fremdwort
oder mit welcher Metapher man das beschreibt. Eine
neutrale Stimme – die Sie, das weiß ich, auch achten –,
der Präsident des Goethe-Instituts, Herr Professor
Lehmann, hat vor wenigen Wochen erklärt: Das Jahr
2012 war das erfolgreichste Jahr in der Geschichte des
Goethe-Instituts. – Das ist doch etwas; darauf können
wir alle uns etwas einbilden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Geschichte von Außenminister Fischer braucht
man nicht zu wälzen. Ich habe selber erlebt, Frau Roth,
wie Herr Fischer auf Ihre Kollegin Antje Vollmer losge-
gangen ist, wie er sie heruntergebügelt hat, als sie über
einzelne Kulturprogramme geredet hat und wohlerzogen
und artig gefragt hat, ob man da nicht vielleicht doch ir-
gendetwas machen könnte.


(Beifall des Abg. Dr. h. c. Jürgen Koppelin [FDP])


Ich habe als Oppositionspolitiker im Goethe-Institut
erlebt, wie die sehr geschätzte Präsidentin Jutta Limbach
von Ihrem Generalsekretär vor uns allen, was höchst
peinlich war, darauf hingewiesen worden ist, dass man
unter ganz bestimmten Umständen eigentlich auch Insol-
venz anmelden müsste.

2006 ist es dann mit Herrn Steinmeier als Außen-
minister und Frau Merkel als Bundeskanzlerin – das ge-
hört zur Wahrheit dazu – besser geworden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU sowie des Abg. Bijan Djir-Sarai [FDP])


Im letzten Jahr hatten wir in Bezug auf die Auswär-
tige Kultur- und Bildungspolitik einen absoluten Re-
kordhaushalt.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: So ist das! – Dr. Rainer Stinner [FDP]: So ist es! – Zuruf von der SPD: Ach!)


– Entschuldigung, nicht „Ach“. – Wenn ich Oppositions-
politiker wäre, was ich nur gelegentlich bin,


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


dann würde ich einwenden: Es muss dann aber auch
noch im Kopf stimmen.


(Edelgard Bulmahn [SPD]: Das ist der Punkt!)


Das Geld als solches macht es nicht aus.

Hier muss man sagen: Es kann doch wirklich keine
Rede davon sein, Frau Schmidt, dass sich unsere Rich-
tungsbestimmung in irgendeiner Weise zum Negativen
geändert hätte. Das krasse Gegenteil ist der Fall.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Ihre nicht, aber die des Auswärtigen Amtes!)


– „Mit Worten läßt sich trefflich streiten, mit Worten ein
System bereiten …“: Das wissen wir ja alle und können
wir bei Mephistopheles nachschlagen.

Schauen Sie sich allein die Programme der Goethe-
Institute an, die wir gemeinsam durchgesetzt haben: In
92 Ländern finden Deutschkurse statt, interkulturelle
Kurse, Bildungsoffensive Deutsche Sprache, 1 000 neue
Deutschlehrer für die Türkei, das Programm „1 000 neue
Schulen für Indien“, Berufsstart für 100 Deutschlehrer in
Ägypten,


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das ist ja nicht bezahlt!)


die sprachliche Qualifizierung von Fachkräften, die Wer-
bung für Deutsch in Polen – dieser berühmte „Deutsch-
Wagen“, für den Sie waren – und in Italien, wo jetzt di-
verse Fahrzeuge mit riesigen Mengen an Lernmateria-
lien herumfahren, die Kampagne „Lernt Deutsch“ in
Russland, Tschechien, Frankreich, Großbritannien und
Kolumbien und die Deutsch-Projekte in vielen anderen
Ländern, die ich hier jetzt aus Zeitgründen nicht auf-
zähle.

Es hat einen einzigen doofen Paradigmenwechsel ge-
geben, aber der betrifft keinen einzigen und keine Frak-
tion hier in diesem Raum. Den gab es irgendwo bei ei-
nem Beamten


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Im Auswärtigen Amt!)


im Bellevue-Forum. Aus Taktgefühl und Höflichkeit
will ich das jetzt nicht im Einzelnen darstellen, und ich
hoffe, dass das ein einmaliger Ausrutscher gewesen ist.

Schauen Sie sich auch an, was wir in den letzten drei
Jahren in Bezug auf den Deutschen Akademischen Aus-
tauschdienst gemacht haben – das war doch mit Ihr Pro-
jekt –:


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das stimmt!)


Deutsches Wissenschaftszentrum in Kairo, Deutsch-Ara-
bische Transformationspartnerschaft, die ganzen doch
sehr teuren, vom Steuerzahler finanzierten Stipendien
für Studenten in Kasachstan, Aserbaidschan und Tsche-
tschenien und das große Projekt in Pakistan.

Die Alexander-von-Humboldt-Stiftung hat eine abso-
lute Rekordzahl erreicht; das hat es noch nie gegeben.
25 000 Humboldtianer sind hier tätig. Diejenigen, die
sich mit Bayern auskennen, wissen: Das große, welt-
weite Maximilianeum-Projekt wird von Deutschland aus
geführt.

Es ehrt den Deutschen Bundestag, dass diese ganzen
Beschlüsse dazu einstimmig gefasst worden sind. Reden





Dr. Peter Gauweiler


(A) (C)



(D)(B)


Sie hier also nicht von einem Paradigmenwechsel – au-
ßer, dass es positiv anzusehen ist!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich will auch sagen: Frau Pieper, wir haben Sie oft ge-
nug unterstützt – am liebsten gegen Ihren eigenen Appa-
rat. Was Frau Roth hier sagte, ist aber – das wissen Sie
selber; Sie brauchen das hier jetzt nicht zu sagen – nicht
ganz falsch. Da hat es im Einzelfall genug Probleme ge-
geben. Es ist aber ein großer Erfolg – das will ich hier
schon auch sagen –, dass Sie es bei all den Schwierigkei-
ten, die Ihnen hier begegnet sind, geschafft haben, dass
die Bundesregierung Ihren Gesetzentwurf zum Aus-
landsschulgesetz gestern doch noch verabschiedet hat.
Dafür möchte ich Ihnen an dieser Stelle herzlich gratu-
lieren. Das haben Sie gut gemacht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das heißt nicht, dass wir hier jetzt nicht noch ein paar
Verbesserungsvorschläge machen würden. Zum Teil sind
es Vorschläge, die Sie offen oder verdeckt selber schon
gemacht haben. Wir sind uns klar, dass wir in diesem
Gesetzentwurf noch etwas für die PASCH-Schulen ma-
chen müssen und dass wir den Förderkreis so gestalten
müssen, dass die vielen kleinen Auslandsschulen nicht
wegfallen.

Ich habe an dieser Stelle schon einmal gesagt: Ich halte
es für einen kulturellen, zivilisatorischen Erfolg, dass
vorletztes Jahr, vor 20 Monaten, zum ersten Mal seit über
30 Jahren, in Teheran wieder ein deutsches Abitur ange-
boten worden ist und dieses von 13 Schülerinnen und
Schülern mit Erfolg abgelegt wurde. Wir dürfen dieses
Gesetz nicht so zuschneiden, dass dann solch kleine
Schuleinheiten von der Förderung nicht mehr erfasst wer-
den würden. Da ist ein anderer Konstruktionsschlüssel er-
forderlich als beim Aufbau und der Organisation einer
Schule in Berlin-Tempelhof oder in München-Bogenhau-
sen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Alles in allem glaube ich, dass es gut ist, dass Sie uns
mit der Fleißarbeit dieser Großen Anfrage – 127 Fragen
wollen erst einmal ausgedacht, formuliert, geschrieben
und begründet werden;


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das hätten Sie auch machen können!)


jeder von uns, der an solchen Dingen arbeitet, weiß, dass
darin viel Gehirnschmalz steckt – die Gelegenheit ge-
ben, uns im Plenum des Deutschen Bundestages mit die-
ser Thematik zu befassen.

Das nächste Thema wird das Auslandsschulgesetz
sein. Es wäre ein großer gemeinsamer Erfolg für uns
alle, wenn wir es trotz Wahlkampf schaffen würden, die-
ses Gesetz noch in dieser Legislaturperiode zu verab-
schieden.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Edelgard Bulmahn [SPD]: Noch besser zu machen!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723120000

Das Wort hat nun Edelgard Bulmahn für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1723120100

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Die Auswärtige Kulturpolitik ist
nicht nur eine dritte Säule der Außenpolitik, sondern
diese Politik ist es, die häufig Brücken baut, die ganz
häufig erst Türen öffnet und die – so habe ich das oft er-
lebt – oft überhaupt erst Wege für politische Beziehun-
gen und für gute Partnerschaft und Nachbarschaft ebnet.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz genau!)


Deshalb lohnt es sich auch, darüber zu streiten: Wie kön-
nen wir unsere Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik
weiterentwickeln, damit sie dieser wichtigen Rolle noch
besser gerecht wird, als das vielleicht in der Vergangen-
heit geschehen ist?

Ich sage ausdrücklich: Der Unterausschuss spielt da-
bei eine wichtige und konstruktive Rolle. Was das AA in
seinem Konzept niedergelegt hat, dass Auswärtige Kul-
tur- und Bildungspolitik dazu beitragen soll, den Dialog,
den Austausch und die Zusammenarbeit zwischen Men-
schen und zwischen den Ländern zu stärken, das kann
von uns allen sicherlich unterschrieben werden. Dass
dann sogar noch gesagt wird, dass sie auch Beiträge zur
Lösung regionaler und lokaler Konflikte leisten kann,
das unterstreiche ich ausdrücklich.

So weit die Theorie. Die Praxis sieht aber leider oft
etwas anders aus. Wir diskutieren heute jedoch über die
Praxis, nicht nur über die Theorie, weil sich daran die
Qualität von Politik bemisst. Es geht darum, ob das, was
ich als Konzept, als Theorie formuliere, tatsächlich in
die Praxis umgesetzt wird. Die Praxis des AA orientiert
sich jedoch offensichtlich an der Leitfrage: Was nützt
Deutschland wirtschaftlich?


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Das ist der Unterschied zwischen uns.

Ich erkenne durchaus an – das ist überhaupt keine
Frage –, dass Sie die Finanzierung der Auswärtigen Kul-
tur- und Bildungspolitik verbessert haben. Ich will aller-
dings einen Satz hinzufügen. Ich erinnere an das Jahr
2000, in dem wir – damals allerdings seitens des BMBF,
nicht vom AA –, GATE-Germany starteten, Ausgrün-
dungen von Hochschulen in Ägypten, Jordanien, Singa-
pur und China starteten und erfolgreich durchführen,
verbunden mit erheblichen Mittelaufstockungen für den
DAAD und auch für die Alexander-von-Humboldt-Stif-
tung. Diese Initiativen im Ausland haben die folgenden
Regierungen weitergeführt. Das freut mich. GATE-Ger-





Edelgard Bulmahn


(A) (C)



(D)(B)


many wurde weitergeführt; die Erhöhung der Zahl der
Auslandsstipendien wurde fortgesetzt; das freut mich.

Aber ich sage ausdrücklich: Auswärtige Kulturpolitik
ist aus unserer Sicht noch mehr. Kulturpolitik muss auch
immer gesellschaftliche Entwicklungen widerspiegeln.
Sie soll das schöpferische und innovative Potenzial einer
Gesellschaft, eines Landes und das geistige Fundament
darstellen und vermitteln. Auch das ist eine wichtige
Aufgabe der Kulturpolitik, nicht nur die Verfolgung
wirtschaftlicher Interessen.


(Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD])


Diese Aspekte kommen uns in Ihrer Politik zu kurz.

Ich habe gestern Diskussionen mit über hundert jun-
gen Menschen gehabt, Wissenschaftlerinnen und Wis-
senschaftler. Worüber haben wir diskutiert? Über die
großen globalen Herausforderungen, vor denen wir ste-
hen. Wir haben über den Klimawandel, das Gefälle in
der Entwicklung der unterschiedlichen Länder sowie
über die große Kluft zwischen Arm und Reich diskutiert.
Es ist notwendig, dass wir genau solche Debatten und
Diskussionen führen. Der Wert der Auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik misst sich auch daran, welchen Bei-
trag sie dazu leistet, dass es eine direkte, vorurteilsfreie
Zusammenarbeit von Menschen, Wissenschaftlerinnen
und Wissenschaftlern sowie Kulturschaffenden, gibt. Ein
freier Austausch von Ideen, Kenntnissen, Erkenntnissen,
Erfahrungen und Sichtweisen sowie zugrunde liegenden
Wertorientierungen, das ist ein Wert an sich, der sich
ökonomischen Kategorien erst einmal entzieht, der aber
ganz erhebliche Bedeutung für das friedliche und pro-
duktive Zusammenleben von Menschen hat.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Die erfolgreiche Bewältigung der globalen Heraus-
forderungen hängt davon ab, ob hier entscheidende Bei-
träge zur Lösung entwickelt werden können. Das ist,
finde ich, eine der wichtigsten Aufgaben Auswärtiger
Kulturpolitik. Bei aller Liebe, Kolleginnen und Kolle-
gen, das können Sie nicht durch Ausstellungen leisten.


(Beifall bei der SPD)


Das können Sie nur durch das Zusammenführen von
Menschen und die Vergabe von Stipendien leisten. Wir
brauchen davon mehr als bislang.

Ich will einen zweiten Punkt nennen, der mir wichtig
ist. Der Deutsche Bundestag gestaltet die Rahmenbedin-
gungen und stellt die Finanzierung sicher. Aber entschei-
dend ist, dass die Mittlerorganisationen ihre wichtige
und erfolgreiche Arbeit gut fortsetzen können.


(Beifall der Abg. Ulla Schmidt [Aachen] [SPD])


Dazu gehört Verlässlichkeit bei der Finanzierung und
den Rahmenbedingungen. Da gibt es, ganz offen gesagt,
noch etwas zu tun. Lieber Herr Kollege Vorsitzender des
Unterausschusses, der Unterausschuss hat genau dies
immer in den Mittelpunkt seines Wirkens gestellt: Ver-

lässlichkeit bei Finanzierung und Rahmenbedingungen.
Wenn ich sehe, dass die Goethe-Institute in den letzten
drei Jahren 12 Millionen Euro verloren haben, gleichzei-
tig aber immer neue Aufgaben und Anforderungen an sie
gestellt werden, dann ist das das Gegenteil von Verläss-
lichkeit. Wir müssen aber für Verlässlichkeit sorgen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kollegen, Bildung ist mehr als schulische Aus-
bildung oder das Erlernen der deutschen Sprache; das
wissen wir alle doch. Bildung ist die Befähigung zu
Emanzipation, Demokratie und Aufarbeitung von Kon-
flikten. Dem konkreten Handeln der Bundesregierung
fehlt es genau an dieser Dimension des Bildungsbegriffs.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723120200

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1723120300

Deshalb verwundert es mich nicht, dass Kulturver-

mittler, Fachleute und Politiker nicht nur aus der Opposi-
tion, sondern auch aus den Organisationen hier die Bun-
desregierung kritisieren.

Lassen Sie mich einen letzten Satz sagen. Ich hoffe
sehr, dass der nun erarbeitete Entwurf eines Auslands-
schulgesetzes im Deutschen Bundestag noch deutlich
verändert wird. Warum? Weil es nicht angeht, dass nur
ein Drittel der Schulen Mittel erhalten; das ist wirklich
eine falsche Politik.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Weil es auch nicht angeht, dass die Gemeinwohlorientie-
rung aufgegeben wird. Diese Orientierung ist immer ein
wichtiger Punkt im Hinblick auf die Wertschätzung der
deutschen Schulen gewesen. Weil es auch nicht angeht,
dass die Qualität der deutschen Schulen leidet, weil im-
mer weniger Lehrer – aus unserem eigenen Land – dort
tätig sind und genau das tun, was wir auch wollen, näm-
lich Kultur vermitteln. Deswegen sage ich ausdrücklich:
Wenn wir wollen, dass die deutschen Schulen weiterhin
hohe Anerkennung finden und dazu beitragen, dass
Deutschland als Kulturnation Wertschätzung im Ausland
erfährt, –


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723120400

Frau Kollegin!


Dr. h.c. Edelgard Bulmahn (SPD):
Rede ID: ID1723120500

– dann muss dieser Gesetzentwurf verändert werden.

Da baue ich auf Sie alle.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723120600

Das Wort hat nun Patrick Kurth für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)







(A) (C)



(D)(B)



Patrick Kurth (FDP):
Rede ID: ID1723120700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Herzli-

chen Dank, dass ich nach den ausleitenden Worten von
Frau Bulmahn doch noch vor Einbruch der Dunkelheit
hier sprechen kann.


(Edelgard Bulmahn [SPD]: Wird es bei Ihnen dunkel, wenn Sie an das Rednerpult gehen?)


Herzlichen Dank im Namen meiner Fraktion und mögli-
cherweise auch aller anderen Kolleginnen und Kollegen
an all diejenigen, die weltweit für Deutschland im Be-
reich der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik tätig
sind. Sie sind für das Bild unseres Landes von herausra-
gender Bedeutung. Ihre Arbeit wird sehr geschätzt. Vie-
len herzlichen Dank für Ihre Arbeit im Ausland.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD)


Herzlichen Dank an Frau Staatsministerin Pieper für
ihre Worte hier und an Außenminister Westerwelle, der
zur Auswärtigen Kulturpolitik im Auswärtigen Aus-
schuss gesprochen hat


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber nicht im Unterausschuss!)


und auch den Kulturausschuss besucht hat. Joschka
Fischer hat das nie geschafft.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt doch gar nicht!)


Herr Westerwelle war bereits nach wenigen Monaten bei
uns. Auch das muss an dieser Stelle ganz deutlich er-
wähnt werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: In dieser Zeit waren Sie noch gar nicht im Parlament! – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Vergessen Sie Herrn Koppelin nicht!)


– Herr Koppelin – Frau Schmidt, das wissen Sie selber –
war nie bei uns im Kulturausschuss. Was soll er auch
dort? Denn zeitgleich tagt der Haushaltsausschuss.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber er entscheidet!)


Aber das ist eine technische Frage, die der Bundestag
hier gar nicht klären muss.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Wenn ich es richtig sehe, formuliert die Opposition in
diesem Entschließungsantrag ungefähr drei wirkliche
Kritikpunkte. Der eine ist, dass sich die Konzeption auf
Bildung konzentriert, der zweite, dass die Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik jetzt auch auf Osteuropa
ausgerichtet wird, und der dritte Punkt ist die Konzentra-
tion auf das Wesentliche. Sie nennen das „geostrategi-
sche Gründe“. Wir sagen: Genau die drei Punkte, die Sie
kritisieren, sind der Grund für den Erfolg der Auswärti-
gen Kultur- und Bildungspolitik seit 2009.

Auch in der Auswärtigen Kultur- und Bildungspolitik
zeigen wir, dass Bildung der erklärte Schwerpunkt die-

ser Koalition ist. Das drückt sich nicht nur in den Haus-
haltszahlen aus, sondern auch darin, dass wir der Bil-
dung Nachdruck und Gewicht verleihen, im Inland und
eben auch im Ausland. National wie international wird
die Bildung für uns immer mehr zur Schlüsselfrage. Es
treten neue Kraftzentren in der Welt auf; sie sind dabei,
in die erste Liga aufzusteigen. Ein rohstoffarmes Land
wie Deutschland muss vor allen Dingen in eine Res-
source investieren, und das ist Bildung. Keine andere
Bundesregierung hat das so stark gemacht wie diese
Bundesregierung. Die einzelnen Maßnahmen hat Herr
Kollege Gauweiler eben sehr schön vorgetragen. Die
muss ich nicht wiederholen. Sie sprechen für den Erfolg
und für diese Bundesregierung.

Das alles geschieht in Zeiten knapper Kassen. Dass
die Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik aus ihrem
Mauerblümchendasein herausgeholt wird, ist ein Erfolg,
den insbesondere die FDP und das von ihr geleitete Aus-
wärtige Amt für sich verbuchen können. Wir haben es
geschafft, erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik
eine Staatsministerin zu berufen, die für Auswärtige
Kultur- und Bildungspolitik zuständig ist.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was war denn mit Frau HammBrücher? Frau Hamm-Brücher war großartig! – Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Sie hatte mehr Durchsetzungsvermögen!)


Was die Ausrichtung betrifft – das ist ein wichtiger
Punkt –, so muss man sagen: Wir müssen die Welt wahr-
nehmen, wie sie ist, und nicht so, wie sie war. Für die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik gilt das in ganz
besonderer Weise. Es ist nicht nur Schöngeisterei, die
uns zusammenführt. Bilderausstellungen in Italien oder
Madrid sind von Bedeutung, sie sind wichtig; aber
Sprachkurse in Minsk oder Moskau sind von mindestens
gleich großer Bedeutung. Wir müssen darauf hinarbei-
ten, dass Bildung endlich wieder einen ordentlichen
Stellenwert auch im Ausland erhält.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Europäische Union ist natürlich das Fundament
der deutschen Außenpolitik. Aber Herr Westerwelle
sagte ja so schön: Europa ist nicht Westeuropa. – Es
heißt schließlich Europäische Union und nicht Westeu-
ropäische Union. Deswegen kümmern wir uns verstärkt
um Osteuropa. Wir wollen nicht irgendwo etwas weg-
nehmen, sondern wir wollen Schieflagen beseitigen. Die
sind offenkundig in Osteuropa. Deswegen konzentrieren
wir uns verstärkt auf Bildung, und wir konzentrieren uns
stärker auf Osteuropa.

Letztlich zum Vorhalt, den Sie zu den ökonomischen
Gründen gemacht haben: Wo leben wir denn? Wir leben
in einer Zeit, in der Deutschland im internationalen
Wettbewerb steht, in der wir uns den Luxus von Fach-
kräftemangel erlauben und in der wir entsprechend re-
agieren müssen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass die
Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik nicht nur ein
Wert als solcher ist; Auswärtige Kultur- und Bildungs-
politik kommt vielmehr da zum Tragen, wo die normale
Diplomatie versagt. Dann wird sie ein knallharter Stand-





Patrick Kurth (Kyffhäuser)



(A) (C)



(D)(B)


ortfaktor. Das hat diese Bundesregierung erkannt. Sie
führt diese Politik durch und wird sie weiterhin durch-
führen, weil sie erfolgreich ist.

Ich bedanke mich recht herzlich für Ihre Aufmerk-
samkeit. Ich bin einer der wenigen Redner, die nicht
vom Präsidenten aufgefordert worden sind, zum Ende zu
kommen. Ich bedanke mich sehr herzlich.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723120800

Obwohl auch Sie beinahe eine Minute überzogen ha-

ben. Nur, damit Sie nicht zu stolz davonkommen.

Das Wort hat nun Dagmar Freitag für die SPD-Frak-
tion.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wehe, wenn er jetzt wieder eine Frau unterbricht! Er unterbricht nur die Frauen; die Männer dürfen reden so lange sie wollen!)



Dagmar Freitag (SPD):
Rede ID: ID1723120900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Auswärtige Kultur- und Bildungspolitik war in der Ver-
gangenheit immer ein ganz bedeutsamer Baustein deut-
scher Außenpolitik. Herr Polenz, Sie haben darauf hin-
gewiesen: Insbesondere die zahlreichen Initiativen des
Auswärtigen Amtes in der Amtszeit von Minister
Steinmeier haben hier Maßstäbe gesetzt. Das gilt im Üb-
rigen für die Steigerung der Haushaltsmittel ebenso wie
für inhaltliche Impulse.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Frau Staatsministerin, selbstverständlich ist es das
gute Recht einer jeden neuen Regierung, eigene, viel-
leicht auch tatsächlich neue Schwerpunkte zu setzen.
Von daher haben wir durchaus mit einem gewissen Inte-
resse im Jahr 2011 Ihrem Konzeptpapier zur Auswärti-
gen Kultur- und Bildungspolitik entgegengesehen.

Doch nicht allein aus Sicht derer, die sich in besonde-
rer Weise dem Sport verbunden fühlen, war das Papier
eine einzige Enttäuschung. Es löste Reaktionen aus, die
von Kopfschütteln bis hin zu völliger Verständnislosig-
keit reichten,


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt!)


Letzteres übrigens nicht etwa nur aus den Reihen meiner
Fraktion, sondern gleichermaßen von den bewährten
Partnern aus dem organisierten Sport. Unglaublich, aber

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1723121000
kein Wort zur
Rolle des Sports im gesamten Papier, erst später, dürftig
nachgebessert, ein dürrer Halbsatz.

Aber, Herr Kollege Koppelin, das passt ja ins Bild ei-
ner stetigen Kürzung dieses Haushaltsansatzes für den
Sport im Einzelplan 05 seit 2010. Die Regierung dieser
Koalition trägt die Verantwortung für die Reduzierung

der Mittel in Höhe von 5 Millionen Euro im Jahr 2010
auf mittlerweile nur noch 4,5 Millionen Euro. Das, Herr
Kollege Koppelin, liegt auch in Ihrer Verantwortung.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Aber 200 000 mehr als noch 2005, das gehört auch zur Wahrheit dazu!)


– Wollen Sie eine Zwischenfrage stellen? Dann können
Sie das gerne tun.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Ich kann ja dazwischenrufen!)


Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, die stiefmüt-
terliche Behandlung des Sports in der Konzeption des
Auswärtigen Amtes steht nur beispielhaft für eine offen-
kundige Neuausrichtung – die Kolleginnen haben bereits
darauf hingewiesen – der gesamten Auswärtigen Kultur-
und Bildungspolitik.

Statt einer werte- und bildungsorientierten, gesell-
schaftlichen Entwicklungen angepassten Politik auf Au-
genhöhe wird hier ganz offensichtlich ein Kurswechsel
in Richtung eines von eher wirtschaftlichen, politischen
und geostrategischen Zusammenhängen dominierten
Rahmens angestrebt. Das ist nicht unser Weg.


(Beifall bei der SPD)


Wir fordern deshalb eine Kurskorrektur unter Einbe-
ziehung der Expertise von den Trägern und den zivilge-
sellschaftlichen Akteuren, die seit vielen, vielen Jahren
durch ihre exzellente Arbeit das Bild Deutschlands in
der Welt mitprägen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Kollegin
Bulmahn hat bereits darauf hingewiesen: Im Kabinett ist
ein Entwurf für ein Auslandsschulgesetz verabschiedet
worden. Ein solches Gesetz, Frau Staatsministerin, ist in
der Tat der Wunsch aller Fraktionen, damit unsere Aus-
landsschulen Planungssicherheit erhalten und die hohe
Qualität der Ausbildung erhalten bleibt.

Für meine Fraktion darf ich Ihnen aber ganz deutlich
sagen: Wir werden einem solchen Gesetz wirklich nur
dann zustimmen können, wenn die Gemeinwohlorientie-
rung gesichert ist, die Planungs- und Finanzierungssi-
cherheit für alle 141 Schulen gegeben ist und auch klei-
nere Schulen und Schulen im Aufbau Förderung erhalten
können.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Frau Staatsministerin, Sie haben in Ihren Ausführun-
gen auf den Koalitionsvertrag verwiesen. Dazu kann ich
Ihnen nur sagen: Wohlfeile Worte bedeuten noch lange
nicht gutes Regierungshandeln.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723121100

Das Wort hat nun Monika Grütters für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Monika Grütters (CDU):
Rede ID: ID1723121200

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In diesem

Jahr begehen wir den 50. Jahrestag des Élysée-Vertrages –
in einer Freundschaft zu Frankreich, die noch vor
50 Jahren fast undenkbar schien. Und es ist ja kein Zu-
fall, dass in diesem Vertrag vor allem die Kulturbezie-
hungen und der Jugendaustausch eine maßgebliche
Rolle spielen. Warum? Weil die friedensstiftende Wir-
kung dieser Instrumente unbestritten ist, gerade in Zei-
ten, in denen viele Konflikte weltweit kulturell grundiert
sind, also ethnische und religiöse Komponenten bestim-
mend sind. Denn dann kommt der Kultur eine ganz be-
sondere Rolle zu.

Eine so verstandene Kultur gibt Auskunft über die
Wertegrundlagen einer Gesellschaft. Sie ist, Frau
Bulmahn, eben nicht nur ein Standortfaktor, sondern
Ausdruck von Humanität.


(Edelgard Bulmahn [SPD]: Genau das habe ich gesagt!)


Und genau diesem Geist, Frau Schmidt, ist eben auch die
Auswärtige Kulturpolitik in Deutschland verpflichtet.


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Sie kritisieren das, was wir auch so sehen!)


Und Herr Liebich, kaum anderswo kann man so au-
genfällig und konkret wie in der Auswärtigen Kultur-
politik studieren, dass die unmittelbare Nachkriegsord-
nung substanziell ergänzt worden ist. Bis zum Fall der
Mauer stand das größte Goethe-Institut in Paris. Wo
steht es jetzt? In Moskau! Wollen Sie etwa ernsthaft be-
streiten, dass es sinnvoll ist, in Brennpunkten wie in
Myanmar oder in Libyen neue Goethe-Institute aufzu-
machen?


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Wer macht das denn?)


Ganz aktuell: Wir haben vor anderthalb Jahren in Niko-
sia zum zweiten Mal das Goethe-Institut eröffnet, und
zwar an der brisanten Nahtstelle zwischen beiden Insel-
teilen. Herr Liebich, wollen Sie ernsthaft behaupten,
dass das ein Fehler war?


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Nein, aber das Auswärtige Amt macht es nicht!)


Die Bedeutung Europas gerade jetzt als Ausgangs-
punkt der Vermittlung unserer kulturellen Werte und
eben nicht nur vordergründiger wirtschaftlicher Interes-
sen drückt sich ja darin aus, dass wir in Europa kein In-
stitut schließen, wenn wir woanders ein neues aufma-
chen. Das bedeutet übrigens auch, die französischen und
italienischen Präsenzen zu stützen, die im Übrigen in er-
heblichem Umfang mit Ortskräften arbeiten, in denen
die Sprachkurse mehr Geld einbringen, als sie kosten,


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Das müssen Sie dem Auswärtigen Amt sagen, nicht uns!)


und für die viel mehr Drittmittel eingeworben werden,
als Zuschüsse vergeben werden. Es wäre wirklich ein
grobes Missverständnis, hier Fragezeichen zu setzen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Die Arbeit der Goethe-Institute ist für die Integration
in Deutschland wichtig, für die zivilgesellschaftliche
Ordnung und Verantwortung in Europa,


(Ulla Schmidt [Aachen] [SPD]: Der Außenminister macht das!)


Frau Schmidt, und auch für die Vermittlung unserer
Werte in der Welt. Gerade da, wo Politik und Diplomatie
an Grenzen stoßen, ist es doch immer wieder die Kultur,
die die Brücken baut.


(Edelgard Bulmahn [SPD]: Völlig richtig!)


Ich erinnere an die große Ausstellung aus München,
Dresden und Berlin, die wir in China, in Peking, durch-
geführt haben. So wird Museumspolitik im Dienst der
Menschenrechte gemacht. Damit ist einer halben Million
Chinesen der Geist der europäischen Aufklärung nahe-
gebracht worden.


(Claudia Roth [Augsburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Neumann hat das gemacht!)


Es ist so, dass wir die betroffene Zivilgesellschaft her-
metisch abgeschlossener Staatengemeinschaften über
unser Kulturengagement erreichen. In Nordkorea ge-
schah das über einen Lesesaal, in Afghanistan über Mäd-
chenschulen. In Teheran haben wir wieder Verträge mit
DAAD und DAI unterschrieben. In Vietnam wurde der
Parzival aufgeführt – das muss man sich einmal vorstel-
len –, und in China waren wir vor 14 Jahren die Ersten,
die dort ein Kulturinstitut eröffnet haben. Heute sind wir
die Einzigen, die dort zwei haben.

Wir glauben zwar nicht, dass man den Funktionären
damit den Kopf verdreht, aber für die Zivilgesellschaft,
für die Menschen sind gerade diese Dinge häufig der
einzige Hoffnungsschimmer. Diesem Geist verdankt sich
unsere Auswärtige Kulturpolitik. Natürlich gehört in
diesen Zusammenhang die Eröffnung der Kulturakade-
mie Tarabya. Wir wissen, dass wir in den deutsch-türki-
schen Beziehungen in den letzten zehn Jahren tatsäch-
lich einiges versäumt haben. Deshalb wollen wir kein
Kulturengagement mit einem beliebigen Nebeneinander
oder Nacheinander wechselnder Veranstaltungen, son-
dern eher ein Artist-in-Residence-Programm, das stabile
bilaterale Beziehungen in den meinungsbildenden Mili-
eus beider Gesellschaften begründet. Wir wollen also ein
echtes, nachhaltiges Netzwerk. Darauf hinzuarbeiten,
das ist unser Erfolg in der Auswärtigen Kulturpolitik.

Wie Sie wissen – auch Frau Schmidt weiß das ja –, le-
ben wir in Zeiten großer Haushaltsdisziplin. Auch das
sage ich an die Adresse – ich sehe das mit Respekt, Herr
Koppelin – des Haushaltsausschusses. Kürzungen in allen
Ressorts sind nötig; davon nehmen wir nur die Bildung
aus. Das ist eine eindeutige Prioritätensetzung. Davon





Monika Grütters


(A) (C)



(D)(B)


profitieren auch die großen Bereiche in der Auswärtigen
Kultur- und Bildungspolitik. Deshalb haben wir – daran
hat unser Fraktionsvorsitzender mitgewirkt – 8 Millionen
Euro extra aus einem anderen Bereich für die Sprachar-
beit zur Verfügung gestellt. Herr Gauweiler hat die vielen
erfolgreichen Projekte in den verschiedenen Ländern auf-
gezählt.

Noch eins muss man sagen – das ist jetzt wichtig; das
ist an alle Ausschüsse hier im Haus gerichtet, auch an
den Haushaltsausschuss –: Wir haben Rekordzahlen bei
Sprachkursen. Sie sind gerade ein riesiger Wachstums-
markt in Südeuropa. Das haben wir angesichts der Kri-
sensituation dort zwar erwartet, aber das Ausmaß über-
rascht dann doch. Es gab mehr als doppelt so viele
Anmeldungen. Fast 200 000 Menschen wollen Deutsch
lernen. Darauf müssen wir mit Lehrern, die wir zuerst
ausbilden müssen, reagieren können. Ich bin sicher, dass
wir da auf einen gemeinsamen Nenner kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Zum Abschluss. Der deutsche Staat schützt seine Kul-
tur und macht sie durch seine – auch finanziell – großzü-
gige Förderung unabhängig von der Wirtschaft, von
Geldgebern, vom Zeitgeist. Die staatliche Fürsorge für
die Kultur, die ihre Freiheit ja aus sich heraus hat, die
Mut zum Experiment will, die das Risiko des Scheiterns
in Kauf nimmt, diese weltweit beachtete Leistung
Deutschlands für seine Kultur hat einen erheblichen An-
teil an unserem hohen Ansehen in der Welt. Statt zu kla-
gen, sollte die Opposition also auch sehen: Kultur ist der
Modus unseres Zusammenlebens. Wir können sie ge-
nauso wenig neu bestimmen wie unsere Sprache; beides
war immer schon da. Man kann Kultur, so verstanden,
nicht für etwas einsetzen; man kann sie nicht instrumen-
talisieren, auch nicht für die Wirtschaft. Sie ist mehr als
alles andere ein Wert an sich. Sie ist das Wie einer Ge-
meinschaft, einer Gesellschaft und nicht das Was. Genau
in diesem Geist betreiben wir auch unsere Auswärtige
Kulturpolitik.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723121300

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Entschlie-
ßungsantrag der Fraktion der SPD auf Drucksache
17/12841. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschlie-
ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktio-
nen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen abge-
lehnt.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun die Ta-
gesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:

a) Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines
Gesetzes zum Ausbau der Hilfen für Schwan-

gere und zur Regelung der vertraulichen Ge-
burt

– Drucksache 17/12814 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss 
Rechtsausschuss 
Finanzausschuss 
Ausschuss für Arbeit und Soziales 
Ausschuss für Gesundheit 
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO

b) Beratung der Unterrichtung durch den Deutschen
Ethikrat

Stellungnahme des Deutschen Ethikrates –
Das Problem der anonymen Kindesabgabe

– Drucksache 17/190 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Innenausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile Ministerin
Kristina Schröder das Wort.


(Beifall des Abg. Markus Grübel [CDU/CSU] – Unruhe)


– Liebe Kolleginnen und Kollegen, nehmen Sie doch
bitte Platz. Wenn Sie Ihre Gespräche fortsetzen wollen,
tun Sie dies bitte außerhalb des Plenarsaals.

Frau Ministerin, jetzt haben Sie das Wort.

Dr. Kristina Schröder, Bundesministerin für Fami-
lie, Senioren, Frauen und Jugend:

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es
ist schwer, die Beweggründe einer Mutter zu verstehen,
die ihr Neugeborenes so schnell wie möglich weggeben
will. Überforderung und Hilflosigkeit, existenzielle
Ängste und tiefe Verzweiflung dürften bei allen betroffe-
nen Frauen zu den Motiven gehören. Das bringt sie in
vielen Fällen dazu, ihr Kind ohne Hilfe zu gebären. Sie
finden sich dann in einer Situation wieder, die lebensbe-
drohlich ist – für Mutter und Kind – und in der sie oft im
Affekt entscheiden, wie sie mit dem Kind umgehen, das
sie verheimlichen wollen oder verheimlichen müssen.

In Deutschland werden jedes Jahr 20 bis 35 Kinder
direkt nach der Geburt ausgesetzt oder getötet. Das sind
die Fälle, von denen wir wissen. Von 2000 bis 2010 wur-
den außerdem 973 Kinder anonym in Krankenhäusern
geboren, anonym übergeben oder in eine Babyklappe
gelegt. Bestehende Hilfsangebote haben viele Mütter
dieser Kinder nicht erreicht, und die Kinder haben, wenn
sie überlebt haben, später keine Chance, etwas über ihre
Herkunft zu erfahren.





Bundesministerin Dr. Kristina Schröder


(A) (C)



(D)(B)


Mit den Babyklappen sind Angebote entstanden, die
zwar manchen Kindern helfen, die aber weder den ver-
zweifelten Frauen einen Ausweg bieten noch den Rech-
ten der Kinder gerecht werden noch die Risiken für Leib
und Leben von Mutter und Kind beseitigen; denn die
Geburt findet meist ohne medizinische Begleitung statt.

Deshalb haben wir den Gesetzentwurf zur vertrauli-
chen Geburt vorgelegt, den wir heute beraten und der
ziemlich genau das umsetzt, was der Deutsche Ethikrat
empfohlen hat. Ich danke vor allen Dingen den Kolle-
ginnen Ingrid Fischbach, Beatrix Philipp und Miriam
Gruß, die das sehr intensiv begleitet haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Frau Fischbach und Frau Philipp, im Grunde haben Sie
zwölf Jahre an diesem Thema gearbeitet,


(Michaela Noll [CDU/CSU]: Über ein Jahrzehnt!)


durchaus aus unterschiedlichen Blickwinkeln. Deshalb
haben Sie mit sich gerungen, und wir haben miteinander
gerungen. Ich bin froh, dass wir jetzt diesen Vorschlag
machen können.

Wie kann man sich eine vertrauliche Geburt aus Sicht
einer schwangeren Frau vorstellen? Zunächst einmal geht
es darum, Schwangere in Notlagen mit Hilfsangeboten
überhaupt zu erreichen. Deshalb ist der Ausbau der Hil-
fen für Schwangere in Notlagen wesentlicher Bestandteil
des Gesetzentwurfs. Wir werden dafür einen bundeswei-
ten Notruf einrichten, der rund um die Uhr zur Verfügung
steht und der eine Hilfe suchende Frau schnellstmöglich
an eine Schwangerschaftsberatungsstelle in der Nähe
weitervermittelt. Hier erfährt die Frau von Hilfsangebo-
ten und auch von der Möglichkeit der vertraulichen Ge-
burt und kann sich in einer Klinik dafür anmelden lassen.
Natürlich wird der Frau auch dann geholfen, wenn sie un-
vermittelt und ohne Beratung in die Klinik kommt und ihr
Kind zur Welt bringt. In jedem Fall gibt es die Möglich-
keit zur Beratung, notfalls auch nach der Geburt.

Entscheidet sich die Frau für eine vertrauliche Geburt,
werden ihre Daten zwar erfasst, aber in einem Umschlag
versiegelt und beim Bundesamt für Familie und zivilge-
sellschaftliche Aufgaben hinterlegt. Dann gibt es zwei
Möglichkeiten. Die Mutter kann sich doch noch für ein
Leben mit ihrem Kind entscheiden. Dafür bleibt ihr, wie
in jedem Adoptionsverfahren, bis etwa ein Jahr nach der
Geburt Zeit. In dieser Zeit kann sie ihr Kind zu sich zu-
rückholen, wenn es mit dem Kindeswohl vereinbar ist.
Oder – das ist die andere Möglichkeit – die Mutter bleibt
bei ihrer Entscheidung. Dann wächst das Kind in aller
Regel in einer Adoptivfamilie auf, und der Umschlag
bleibt im Safe des BAFzA. Nach 16 Jahren kann das
Kind dann die Angaben beim Bundesamt einsehen.
Möchte die Mutter das nicht, kann sie schutzwürdige
Belange geltend machen. Im Streitfall entscheidet das
Familiengericht, ob die Belange der Mutter höher zu ge-
wichten sind als das Recht des Kindes auf Kenntnis sei-
ner Herkunft.

Mit der vertraulichen Geburt, meine Damen und Her-
ren, haben wir erstmals ein rechtssicheres Angebot, das

anonyme Geburten, die immer in einer rechtlichen Grau-
zone stattgefunden haben, durch einen legalen Weg er-
setzt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Für die bestehenden Babyklappen brauchen wir Stan-
dards. Diese Standards lassen wir gerade entwickeln.
Diesen Prozess haben wir vor zwei Monaten beim Deut-
schen Verein für öffentliche und private Fürsorge ge-
meinsam mit den Ländern, Organisationen und Verbän-
den begonnen. Zu solchen Standards gehört aus meiner
Sicht zum Beispiel: die Pflicht zur Meldung eines Kin-
des, das in die Babyklappe gelegt wurde, beim Standes-
amt innerhalb von 24 Stunden; die Überprüfung, ob eine
Frau tatsächlich die Mutter ist, wenn sie ihr Kind zu-
rückholen will; und bei jedem Hinweis auf eine Baby-
klappe auch die Warnung, dass unbegleitete Geburten
Leben und Gesundheit von Mutter und Kind gefährden.

Meine Damen und Herren, viele von Ihnen wissen,
wie schwierig die ethischen und juristischen Abwägun-
gen waren, die wir für dieses Gesetz treffen mussten.
Wir wollten eine Regelung, die das Leben und die Ge-
sundheit von Mutter und Kind schützt, die der Lebens-
wirklichkeit betroffener Frauen gerecht wird, die Frauen
in Notlagen mit umfassenden Hilfsangeboten erreicht.
Und wir wollten eine Regelung, die den Rechten und
Bedürfnissen aller Betroffenen gerecht wird: denen des
Kindes, denen der Mutter, auch des leiblichen Vaters,
und bei einer späteren Adoption auch denen der anneh-
menden Eltern. Wir wollten auch eine Regelung, die
Rechtssicherheit für Ärzte und Klinikpersonal schafft.

Es ist völlig klar, dass es dabei Zielkonflikte gibt und
dass man hier Prioritäten setzen musste. Ich bin über-
zeugt, dass wir die Prioritäten mit dem vorliegenden Ge-
setzentwurf richtig gesetzt haben: im Sinne schwangerer
Frauen, die dringend Hilfe brauchen, und im Sinne der
neugeborenen Kinder, die dringend Schutz brauchen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723121400

Das Wort hat nun Caren Marks für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD – Michaela Noll [CDU/ CSU]: Aber sachlich bitte, Caren!)



Caren Marks (SPD):
Rede ID: ID1723121500

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Sehr ge-
ehrte Frau Ministerin, grundsätzlich ist eine gesetzliche
Regelung für eine vertrauliche Geburt zu begrüßen;
keine Frage. Dadurch sollen schwangere Frauen in Kon-
fliktsituationen unterstützt werden, wie Sie es eben auch
geschildert haben. Ihnen, den Frauen, würde damit eine
legale Möglichkeit eröffnet, medizinisch betreut und
versorgt zu entbinden und gleichzeitig für einen gewis-
sen Zeitraum ihre Anonymität zu wahren. Ebenfalls
wäre sichergestellt, dass dem Kind die notwendigen In-
formationen über die Kenntnis seiner eigenen Herkunft
nicht grundsätzlich vorenthalten werden.





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


Bedauerlich finden wir, dass die schwarz-gelbe Koali-
tion und Sie, Frau Ministerin Schröder, mit diesem Ge-
setzentwurf auf halber Strecke stehen geblieben sind.
Denn einerseits wird damit die vertrauliche Geburt gere-
gelt – wie gesagt: das ist zu begrüßen –, und zwar mit
der Hinterlegung von Personenstandsdaten, die das Kind
mit Erreichen des 16. Lebensjahres einsehen kann, mit
einer Stärkung und Erweiterung der Beratungsangebote
sowie mit der Sicherung der medizinischen Versorgung.
Doch andererseits bleiben die anonyme Geburt in Klini-
ken und das Betreiben von Babyklappen weiterhin unge-
regelt. Das finden wir nicht nur inkonsequent, sondern
das ist, wenn es so bleibt, auch nicht akzeptabel.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Damit wird nämlich weiterhin eine rechtliche Grauzone
akzeptiert und gleichzeitig das verfassungsrechtlich ga-
rantierte Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Abstam-
mung unterlaufen.

Entlarvend ist in diesem Zusammenhang, dass dieser
Gesetzentwurf die Rechte des Kindes so wenig wie mög-
lich belasten will; das ist auch im Begründungsteil des
Gesetzentwurfes nachzulesen. Aber jedes Kind hat das
Recht auf Kenntnis seiner Abstammung. Dieses Recht
hat aus gutem Grund sogar Verfassungsrang.

Die weitere Duldung der Babyklappen und der ano-
nymen Geburt bringt das Kind um ein elementares
Grundrecht. Der Gesetzentwurf erweckt damit den An-
schein, dass jene Angebote neben der Neuregelung der
vertraulichen Geburt sogar legal seien. Aber genau das
sind sie eben nicht. Sie bleiben einfach weiterhin nur un-
geregelt. Die Bundesregierung schafft hier keine Rechts-
sicherheit für alle Beteiligten.


(Zuruf von der SPD: So sieht es aus!)


Momentan erscheint es eher so, als würde die vertrauli-
che Geburt zu einem Angebot neben einer anderen Al-
ternative werden. Das Vorhaben, damit in Zukunft die
Zahl anonymer Geburten und die Nutzung von Baby-
klappen zu verringern – so begrüßenswert das wäre –, ist
aus unserer Sicht eher zum Scheitern verurteilt. Die wei-
tere Duldung der anonymen Kindsabgabe in Babyklap-
pen konterkariert unseres Erachtens die Rechte des Kin-
des.

Das wird auch in einer sehr guten und ausführlichen
Stellungnahme zum Gesetzentwurf von Terre des Hommes
kritisiert. Zu Recht führt Terre des Hommes darin aus,
dass Babyklappen keine Kindstötungen verhindern, aber
das Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft ver-
letzen. Immer wieder, meine lieben Kolleginnen und Kol-
legen, wird das Argument bemüht, Babyklappen würden
dazu beitragen, Kindstötungen zu verhindern. Nur fehlen
dafür Belege. Nach den von Terre des Hommes durchge-
führten Recherchen ist die Zahl der tot aufgefundenen
Neugeborenen seit Bestehen der Babyklappen nicht – und
auch nicht im Zuge ihrer immer größeren Verbreitung –
zurückgegangen.

Aus wissenschaftlichen Untersuchungen wissen wir
inzwischen, dass der Tötung eines Neugeborenen andere

Ursachen zugrunde liegen als der geplanten und vor al-
lem zielgerichteten Aussetzung eines Säuglings in einer
Babyklappe. Mütter, die ihr Neugeborenes töten, befin-
den sich in einem psychischen Ausnahmezustand und
sind eben nicht mit Beratungsangeboten oder durch Ba-
byklappen zu erreichen. Säuglinge, die in einer Klappe
abgelegt oder die anonym geboren werden, gehören also
nicht zu denjenigen Babys, die an Leib oder Leben be-
droht waren.

Deswegen ist Ihre Aussage, Frau Ministerin: „Jeder
Mensch mit Herz ist froh über jedes Kind, das durch eine
Babyklappe gerettet wird“, nichts mehr als eine emotio-
nale, aber eben durch nichts belegte trügerische Hoff-
nung.


(Widerspruch bei Abgeordneten der FDP)


Besonders besorgniserregend ist auch, dass inzwi-
schen nicht mehr nur Neugeborene, sondern vermehrt äl-
tere Säuglinge und auch ältere Säuglinge mit Behinde-
rungen in Babyklappen ausgesetzt werden. Auch dies
sollte Befürworter der Babyklappen nachdenklich stim-
men.

Die Ankündigung von Ihnen, Frau Schröder, stren-
gere Regelungen für Babyklappen zu prüfen, und die im
Gesetz festgeschriebene Evaluierung nach drei Jahren
helfen da nicht wirklich weiter. Hier muss der Gesetzge-
ber, hier müssen Sie Stellung beziehen.

Meine Kolleginnen und Kollegen, was ist denn ei-
gentlich mit der elterlichen Verantwortung? Im deut-
schen Recht bestehen Normen, die das Eltern-Kind-Ver-
hältnis regeln. Eltern sind zur Fürsorge für ihr Kind und
zu seiner Pflege und Erziehung berechtigt, aber auch
verpflichtet. Babyklappen und Angebote zur anonymen
Geburt ermöglichen es ihnen, sich dieser Verantwortung
schlichtweg zu entziehen, und zwar mit Billigung des
Staates durch Nichtregelung. Diese Billigung macht je-
doch die Realisierung der Rechte des Kindes auf Her-
kunft schlicht unmöglich.

Wir von der SPD-Fraktion haben im Hinblick auf
viele zahlreiche Einzelregelungen im Gesetz noch Klä-
rungsbedarf. Der Gesetzentwurf sieht grundsätzlich vor,
dass das Kind ab dem 16. Lebensjahr die hinterlegten
Herkunftsdaten einsehen kann. Allerdings räumt das Ge-
setz ein Widerspruchsrecht für die Mutter ein. Will die
Mutter ihre Identität gegenüber dem Kind generell nicht
preisgeben, muss – so sieht es der Gesetzentwurf vor –
ein Familiengericht entscheiden, ob die sogenannten
schutzwürdigen Belange der Mutter gegenüber dem In-
teresse des Kindes überwiegen. Als schutzwürdige Be-
lange werden befürchtete Gefahren für Leib, Leben, Ge-
sundheit, aber auch persönliche Freiheit genannt. Auch
hier bleibt der Gesetzentwurf sehr unkonkret. Es stellt
sich die Frage, ob die persönliche Freiheit der Frau mehr
wiegen kann als die Persönlichkeitsrechte des Kindes,
seine Herkunft zu erfahren. Diese Regelung halte ich für
sehr kritikwürdig. Ich hoffe, dass es dazu in der Anhö-
rung eine Klärung und in der Folge Nachbesserungen am
Gesetzentwurf gibt.

Zum Abschluss, meine Kolleginnen und Kollegen:
Die schwarz-gelbe Koalition und die Bundesregierung





Caren Marks


(A) (C)



(D)(B)


hätten unseres Erachtens sehr gut daran getan, sich die
Empfehlungen des Deutschen Ethikrates und die Er-
kenntnisse aus der Studie des Deutschen Jugendinstituts
bei der Ausgestaltung dieses Gesetzentwurfs mehr zu ei-
gen zu machen.


(Zuruf der Abg. Ingrid Fischbach [CDU/ CSU])


So überrascht es auch nicht, dass die Vorsitzende des
Deutschen Ethikrates, Christiane Woopen, die ausdrück-
liche Billigung von Babyklappen in diesem Gesetzent-
wurf als schädlich und sogar widersprüchlich bezeich-
net. Das Deutsche Jugendinstitut hält Babyklappen für
das schlechteste Angebot, das man Mutter und Kind ma-
chen kann. Darum wünschen wir uns, dass das Gesetz
hier klar Stellung bezieht, damit wir uns hier nicht weiter
in einer rechtlichen Grauzone bewegen müssen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Ingrid Fischbach [CDU/CSU]: Ist das allgemeine SPD-Meinung, was Sie vorgetragen haben? – Gegenruf von der FDP: Das glaube ich nicht!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723121600

Das Wort hat nun Miriam Gruß für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP)



Miriam Gruß (FDP):
Rede ID: ID1723121700

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Ich bin überrascht von dem, was uns gerade von der
SPD vorgetragen wurde. Ich freue mich sehr auf die an-
stehenden Beratungen und bin gespannt, ob das die Mei-
nung der gesamten SPD-Fraktion ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, von Hannah Arendt
stammt der Satz, dass mit jeder Geburt ein neuer Anfang
verbunden ist. Ein Mensch kommt auf die Welt und hat
theoretisch ein langes, aufregendes und chancenreiches
Leben vor sich. Für 27 Neugeborene galt dies im letzten
Jahr nicht: 27 Babys wurden 2012 entweder nach der
Geburt getötet oder starben, weil sie nicht versorgt wur-
den. Ihre Mütter – das darf man annehmen – waren in
schweren Notlagen und sahen keinen anderen Ausweg,
als ihr Kind zu töten. Mit dem hier vorliegenden Gesetz
zur Regelung der vertraulichen Geburt bieten wir nun in
solchen Situationen einen Ausweg an.

Ich bin sehr froh, dass es uns nach langen Verhand-
lungen gelungen ist, Ihnen heute als Koalitionsfraktio-
nen einen Gesetzentwurf vorzulegen, der Schwangeren
ein zusätzliches Angebot macht, ihr Kind sicher im
Krankenhaus zur Welt zu bringen und dennoch ihre
Anonymität zu wahren, um sich selbst zu schützen. Für
die Liberalen war es wichtig, den schwierigen Balance-
akt zwischen dem Schutzbedürfnis der Mutter, der hier
meines Erachtens unbestritten sein dürfte, Frau Marks,
und dem Recht des Kindes auf Kenntnis seiner Herkunft
erfolgreich zu bestehen.

Nur wenn die Anonymität gewahrt wird, wird das An-
gebot der vertraulichen Geburt auf Akzeptanz stoßen.
Deshalb haben wir den Schwangerschaftskonfliktbera-
tungsstellen eine zentrale Rolle zugewiesen, die durch
ihre jahrelange gute Beratungsarbeit – ich will an dieser
Stelle ein herzliches Dankeschön sagen – gezeigt haben,
dass sie das Vertrauen der Schwangeren eher besitzen,
weil sie trotz ihrer staatlichen Anerkennung als staats-
fern betrachtet werden. Sie sollen ergebnisoffen beraten
und Wege aufzeigen, wie Hilfsangebote genutzt werden
können.

Das Gesetz sichert der hilfesuchenden Frau Vertrau-
lichkeit zu, aber es ermöglicht den betroffenen Kindern,
wie bereits erwähnt, ab dem 16. Lebensjahr, ihre eigene
Identität festzustellen. Damit haben wir eine lange Frist
durchgesetzt – ein herzliches Dankeschön an die ent-
sprechenden Berichterstatterinnen, Berichterstatter und
Verantwortlichen in der Unionsfraktion –, nach der mit
einer hohen Wahrscheinlichkeit die Umstände, die die
Mutter nach der Geburt abgehalten haben, ihre Identität
preiszugeben, der Vergangenheit angehören. Falls dem
nach Ablauf der langen Frist immer noch Gründe entge-
genstehen, so hat die Mutter die Chance, unter Pseudo-
nym in einer Beratungsstelle vorzutragen oder eine Per-
son ihrer Wahl als Ansprechpartner zu benennen, der im
familiengerichtlichen Verfahren fungiert, um letztend-
lich Klärung herbeizuführen.

Der zweite Punkt, der uns als FDP wichtig ist, betrifft
die Babyklappen. Natürlich sind wir uns der rechtlichen
Grauzone der bestehenden Babyklappen bewusst und
nehmen auch den Bericht des Ethikrates sehr ernst. Aber
auch hier galt es, einen Balanceakt zu vollbringen: Die
einen wollen Babyklappen verbieten, die anderen sehen
in ihnen die letzte Rettung für Kinder, die ansonsten
– das muss uns allen bewusst sein – getötet oder ausge-
setzt würden.

Unser Gesetzentwurf arbeitet nach dem Motto: „Die
vertrauliche Geburt kann helfen, Babyklappen überflüs-
sig zu machen“. Ein Verbot wäre der falsche Weg; denn
schon die Rettung eines einzigen Kindes rechtfertigt die
Existenz von Babyklappen.


(Beifall des Abg. Norbert Geis [CDU/CSU])


Wenn aber Mütter in schweren psychosozialen Notlagen
wissen und sicher sein können, dass ihre Situation ver-
traulich behandelt wird, dann werden sie sich aus Sorge
um ihr Kind für eine sichere Geburt im Krankenhaus
entscheiden.

Meine Damen und Herren, wir ergänzen unser Hilfe-
system auch noch durch einen zentralen, bundesweiten
Notruf. Nach drei Jahren – so sieht es der Gesetzentwurf
vor – wird evaluiert, wie das Angebot der vertraulichen
Geburt angenommen wurde. Deshalb ist von entschei-
dender Bedeutung, dass Frauen Kenntnis von dieser
Möglichkeit haben. Das sollte nicht nur Aufgabe des Fa-
milienministeriums sein, sondern alle Parlamentarierin-
nen und Parlamentarier – ich appelliere an Sie – sollten
in ihren Wahlkreisen über diese Möglichkeit zur vertrau-
lichen Geburt informieren und das Infomaterial, das wir
bereitstellen werden, verbreiten.





Miriam Gruß


(A) (C)



(D)(B)


Viele Abgeordnete – das ist bereits erwähnt worden –
haben über Jahre hinweg an einer gesetzlichen Regelung
gearbeitet. Ich möchte mich an dieser Stelle ganz herz-
lich bei allen bedanken, die auch in früheren Legislatur-
perioden mit viel Herzblut versucht haben, eine Lösung
zustande zu bringen. Wir konnten auf ihrer Arbeit auf-
bauen. Herzlichen Dank dafür!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Ich denke, Ihnen geht es genauso wie mir: Mir fällt
heute ein großer Stein vom Herzen, dass es uns endlich
gelungen ist, eine gute Regelung auf den Weg zu brin-
gen. Der zweite große Stein wird fallen, wenn die Rege-
lung auch im Gesetzblatt steht und somit ein Angebot
absichert, das Leben retten kann und Frauen Schutz bie-
tet. Bis dahin ist noch ein parlamentarischer Weg zu ge-
hen, aber das Ziel ist in greifbarer Nähe. Wenn wir das
Ziel erreichen, dann ist das ein weiterer Meilenstein
deutscher Familienpolitik, schwarz-gelber Familienpoli-
tik.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zurufe von der SPD: Oh! – Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Oh! Ein „weiterer“?)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723121800

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin darauf hin-

gewiesen worden, dass hier Kollegen andere Kollegen
mit dem Handy fotografieren. Ich halte das für keinen
guten Stil. Ich bitte Sie: Wir wollen uns hier nicht wech-
selseitig fotografieren. Hier geht es um den Austausch
von Argumenten und um nichts anderes, nicht um den
Austausch von Handyfotografien.

Damit hat das Wort Kollegin Diana Golze für die
Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Diana Golze (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723121900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Werte Frau Ministerin, Sie haben in einer
Pressemitteilung, in der Sie den vorliegenden Gesetzent-
wurf, der die Regelungen zur vertraulichen Geburt ent-
hält, vorgestellt haben, gesagt – ich darf Sie zitieren –:

Jeder Mensch mit Herz ist froh über jedes Kind, das
durch eine Babyklappe gerettet wird. Wir müssen
aber dringend schon viel früher verzweifelten
Schwangeren ein Angebot machen, das ihnen und
dem Kind wirksam und dauerhaft hilft.

Ich gebe Ihnen völlig recht, dass wir dringend ein Ange-
bot brauchen. Ich frage mich aber, warum es so lange ge-
dauert hat, dem Parlament einen Gesetzentwurf zu die-
sem Thema vorzulegen; denn es ist weder neu noch
besteht eine Erkenntnislücke.

Wir haben ja bereits in der vergangenen Legislatur im
Deutschen Bundestag über Auswertungen der Erfahrun-
gen mit anonymer Geburt und Babyklappe diskutiert.
Damals hat übrigens die Oppositionsfraktion FDP die
Große Koalition angezählt, Frau Gruß. Es wurde gefragt,

warum sie es nicht geschafft hat, in diesem Bereich et-
was zu unternehmen, obwohl es doch im Koalitionsver-
trag stand. Dieselbe Frage müssen Sie sich jetzt leider
auch von mir gefallen lassen: Warum hat es fast eine
ganze Legislatur gedauert, bis ein Gesetzentwurf vorge-
legt wurde?


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Miriam Gruß [FDP]: Immerhin haben wir es geschafft! Das ist eine Unverschämtheit!)


Ich weiß nicht, woran es gelegen hat, wer da wen blo-
ckiert hat. Jedenfalls stellt sich die Ministerin jetzt vor
die Presse und preist diesen Gesetzentwurf als großen
Wurf. Wir werden in den Beratungen in den Fachaus-
schüssen und vielleicht auch in einer Anhörung sehen,
ob es sich tatsächlich um einen so großen Wurf handelt.
Denn bei aller Freude über eine längst überfällige Initia-
tive der Bundesregierung muss man doch festhalten,
dass der Gesetzentwurf weit hinter dem zurückbleibt,
was sich diese Regierung in ihrem Koalitionsvertrag für
diese Amtszeit vorgenommen hat. Dort steht:

Frauen können bei einer Schwangerschaft aus un-
terschiedlichen Gründen in eine Notlage geraten.
Das Angebot der vertraulichen Geburt … [ist] zu
prüfen. Die Entscheidung für ein Kind darf nicht an
finanziellen Notlagen scheitern. Die Bundesmittel
für Schwangerenberatung werden zur Unterstüt-
zung eines pluralen Trägerangebotes gleichmäßig
vergeben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, von diesem „plura-
len Trägerangebot“ sind wir, glaube ich, noch weit ent-
fernt. Im Zusammenhang mit diesem Gesetzentwurf
muss deshalb auch dringend darüber diskutiert werden,
inwieweit sich der Bund einbringen und wie viel er zu
einem solchen pluralen niedrigschwelligen Beratungsan-
gebot für Frauen beitragen will.

Der Ethikrat hat bereits im Jahr 2009 eine umfassende
Stellungnahme zu diesem Thema vorgelegt. Wir werden
in den weiteren Beratungen abschätzen müssen, inwie-
weit die Bundesregierung dieser Empfehlung des Ethik-
rats gefolgt ist. Denn es gibt Beratungsbedarf. Das ma-
chen die Stellungnahmen aus Fachverbänden und
Institutionen deutlich. Die Stellungnahme von Terre des
Hommes ist bereits angesprochen worden. Diverse
Rechtsstellungen, sowohl des Kindes, aber auch des
Vaters – der ist heute noch gar nicht angesprochen wor-
den –, sind immer noch offen. Sie scheinen nach diesen
Stellungnahmen ebenso unklar wie die Lösung des Pro-
blems der rechtlichen Grauzone von Babyklappen und
anonymer Geburt, die ja in ihrer jetzigen Form über-
gangsweise erhalten bleiben sollen.

Ebenso ist mitnichten klar, wie die verschiedenen Be-
ratungssysteme wie Schwangerschaftskonfliktberatung,
Erziehungsberatung etc. so ineinandergreifen können,
dass sie Schwangeren und jungen Müttern über einen
längeren Zeitraum tatsächlich einen kontinuierlichen Be-
ratungsverlauf ermöglichen. Auch insoweit müssen wir,
wie ich finde, darauf achten, dass das nicht wieder in ei-
nem Kompetenzgerangel zerrieben wird; denn, liebe





Diana Golze


(A) (C)



(D)(B)


Frau Ministerin, werte Kolleginnen und Kollegen, die
Betroffenen dürfen nicht wieder, weil sich der Bund auf
die Zuständigkeit der Länder und deren Verpflichtung
zur Umsetzung beruft, während die Länder auf ihre
klammen Kassen verweisen, hinten runterfallen.


(Jörn Wunderlich [DIE LINKE]: Genau!)


Das ist ein weiteres Beispiel, an dem klar wird, dass
auch von den Macherinnen und Machern der Föderalis-
musreform von 2006 nicht an alles gedacht wurde und
dass damals auch Fehler gemacht worden sind. Unver-
bindliche Verpflichtungserklärungen helfen weder den
Müttern noch den Kindern noch allen anderen in diesem
Zusammenhang Betroffenen. Deshalb gibt es bei diesem
Gesetzentwurf noch viel zu beraten. Ich bin darauf ge-
spannt.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1723122000

Das Wort hat nun Katja Dörner für die Fraktion Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723122100

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Die Ziele, die mit diesem Gesetzent-
wurf verfolgt werden, unterstützen wir als Grüne unein-
geschränkt. Es ist wichtig, eine rechtssichere Alternative
zu den Babyklappen zu schaffen und Babyklappen mög-
lichst überflüssig zu machen. Frauen, die sich in einer
solchen Ausnahmesituation befinden, dass sie die Baby-
klappe in Erwägung ziehen, sollen nicht gezwungen
sein, ohne medizinische Begleitung zu entbinden und
damit ihr eigenes Leben und das Leben ihres Kindes zu
gefährden.

Es ist wichtig, durch eine neue gesetzliche Regelung
für das betroffene Kind die größtmögliche Chance si-
cherzustellen, Kenntnis über seine Abstammung zu er-
langen. Wir wissen, dass viele Menschen, die ihre Wur-
zeln nicht kennen, darunter ein ganzes Leben lang
leiden. Das, was Frau Marks gesagt hat, ist richtig: Bei
der Kenntnis der Abstammung handelt es sich um ein
Grundrecht. Aber wir müssen, wenn sich Frauen in einer
solchen Notlage befinden, zunächst einmal die Voraus-
setzung dafür schaffen, dass dieses Recht für die betrof-
fenen Kinder auch verwirklicht werden kann. Das ist
schon ein bisschen komplexer, als es unsere Kollegin
Marks hier eben dargestellt hat.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, damit diese Ziele
erreicht werden, müssen die neuen gesetzlichen Rege-
lungen einen für die betroffenen Frauen tatsächlich
gangbaren Weg gewährleisten. Ob das mit diesem Ge-
setzentwurf gelingt, ob also die Interessen der Mütter
– Stichwort: Anonymitätsbedürfnis – und die Interessen
der Kinder – Stichwort: Recht auf Kenntnis der eigenen
Abstammung – in einen guten und tragbaren Ausgleich
zueinander gebracht werden, ist in meiner Fraktion tat-

sächlich umstritten. Da gibt es bei uns unterschiedliche
Einschätzungen.

Ich selbst bin an dieser Stelle skeptisch. Das hat mit
dem Anonymitätsbedürfnis der Frauen zu tun. Wir spre-
chen von Frauen, die in einer aus ihrer Sicht absolut aus-
weglosen Situation sind. Viele verdrängen die Schwan-
gerschaft. Viele verheimlichen die Schwangerschaft bis
kurz vor der Geburt selbst vor den engsten Familienan-
gehörigen. Ein reguläres Adoptionsverfahren wird auf-
grund der eigenen Situation als völlig unmöglich erach-
tet und das Leben mit dem Kind sowieso. Studien
belegen, dass die Zusicherung der absoluten Anonymität
für diese Frauen eine Grundvoraussetzung dafür ist, sich
überhaupt in einen Beratungs- und Unterstützungspro-
zess zu begeben, was wir ja alle wollen. Zu diesem Er-
gebnis kommt auch die DJI-Studie für Deutschland. Es
muss doch unser Hauptinteresse sein, Frauen in einer
Notlage zu erreichen, zu stabilisieren und ihnen Wege
und Alternativen aufzuzeigen. Da ist Beratung eben das
A und O.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit der nun vorgeschlagenen Regelung wird der Mut-
ter aber die Letztentscheidung über die Aufgabe der An-
onymität aus der Hand genommen. Ich halte das ehrlich
gesagt für einen Webfehler in diesem Gesetzentwurf. Es
ist sehr schwer vorstellbar, dass es für eine werdende
Mutter, die sich über das Verfahren einer vertraulichen
Geburt beraten lässt, angesichts der beschriebenen Aus-
nahmesituation akzeptabel ist, dass im Zweifelsfall ein
Familiengericht darüber entscheidet, ob ihre Anonymität
dem Kind gegenüber preisgegeben wird, selbst wenn das
erst nach 16 Jahren der Fall sein sollte.

Es ist ein großer Vorteil einer vertraulichen Geburt
– das ist hier mehrfach erwähnt worden –, dass die Daten
der Mutter hinterlegt werden, weil damit die Möglich-
keit eröffnet wird, dass das betroffene Kind Kenntnis
über seine Abstammung erlangt, dass Mutter und Kind
sich eventuell kennenlernen; denn auch viele Mütter
– das wissen wir – haben später selbst das Bedürfnis, mit
ihrem Kind in Kontakt zu treten. Damit die vertrauliche
Geburt für die Mütter ein wirklich gangbarer Weg ist,
halte ich es aber für notwendig, dass beide, Mutter wie
Kind, die Preisgabe der Identität wollen und hier kein
Zwang im Spiel ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aufgrund meiner Skepsis gegenüber der vorgesehe-
nen Regelung des Verfahrens bin ich persönlich froh,
dass – ich halte das für konsequent und notwendig – die
bestehenden Angebote zur anonymen Kindsabgabe und
die vorhandenen Babyklappen zunächst bestehen blei-
ben und evaluiert werden. Aber auch dazu gibt es in mei-
ner Fraktion unterschiedliche Einschätzungen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723122200

Frau Kollegin.


Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723122300

Ich komme zum Schluss.





Katja Dörner


(A) (C)



(D)(B)


Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, ich gehe davon
aus, dass wir in den nächsten Monaten auf breiter Basis
eine Diskussion über den Gesetzentwurf, auch unter Ein-
beziehung der Expertise der Verbände, organisieren wer-
den. Gegebenenfalls lassen sich die offenen Fragen, die
von unserer Kollegin Diana Golze formuliert worden
sind, noch klären. Eventuell lässt sich auch meine Skep-
sis noch abschwächen. Ich freue mich jedenfalls auf die
gemeinsamen Beratungen zu diesem Thema, die sicher-
lich sehr spannend werden.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ewald Schurer [SPD])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723122400

Das Wort hat der Kollege Norbert Geis für die CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Norbert Geis (CSU):
Rede ID: ID1723122500

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Es ist all denen zu danken, die über mehrere Le-
gislaturperioden hinweg dieses Thema beraten haben,
insbesondere Frau Philipp. Aber auch Ihnen, sehr ver-
ehrte Frau Ministerin, und Ihrem Haus ist dafür zu dan-
ken, dass Sie uns heute diesen Entwurf eines Gesetzes
zur vertraulichen Geburt mit einer sehr ausführlichen
und gut gelungenen Begründung vorlegen.

Wir reden hier, wie Sie richtigerweise gesagt haben,
Frau Dörner, über einen Ausnahmezustand. Das ist ein
menschlicher Ausnahmezustand. Da ist eine Frau
schwanger, und sie freut sich nicht auf die Geburt ihres
Kindes, sondern hat Angst. Sie hat Angst vor ihrem Um-
feld. Sie hat vielleicht Angst vor den eigenen Eltern.
Vielleicht hat sie auch Angst vor dem eigenen Mann. Je-
denfalls verdrängt sie die Schwangerschaft und die be-
vorstehende Geburt. Sie verheimlicht ihre Schwanger-
schaft. Dann steht sie vor der Geburt, und dann bricht
die Panik aus. Es kann dann durchaus dazu kommen,
dass eine solche Frau keinen anderen Ausweg mehr
sieht, als ihr Kind zu töten.

Das kommt nicht ganz selten vor. Das Kriminologi-
sche Forschungsinstitut Niedersachsen stellt fest, dass
bei Tötungen von Kindern im Alter zwischen null und
sechs Jahren der prozentual höchste Anteil – nämlich
37,2 Prozent – auf die Zeit unmittelbar nach der Geburt
bzw. innerhalb von 24 Stunden nach der Geburt entfällt.
Das muss uns skeptisch stimmen. Da mag die Baby-
klappe durchaus – das möchte ich schon sagen – eine
wichtige Funktion haben. Vielleicht kann sie doch Leben
retten. In den Krankenhäusern, wo es sie gibt, sagt man
uns, dass das durchaus möglich ist.

Natürlich wollen wir nicht verschweigen, welche Pro-
bleme mit dieser Babyklappe verbunden sind. Sie sind
teilweise schon aufgezählt worden. Die Mutter wird zu-
nächst einmal bei der Geburt allein gelassen. Das ist
schon eine gefährliche Situation. Dann wird sie in ihrem
Schmerz allein gelassen, wenn sie das Kind abgeben

muss, es ein für alle Mal verliert. Später wird sie über-
haupt keine Möglichkeit mehr haben, Kontakt zu ihrem
Kind zu haben. Das ist eine schwierige Situation. Nie-
mand steht ihr bei. Sie ist allein, weil niemand von der
Schwangerschaft und der Geburt Kenntnis hat.

Hinzu kommt, dass das Kind keine Ahnung von der
Mutter hat. Wir wissen aus der Säuglingsforschung, dass
die Säuglinge ganz am Anfang sehr wohl ihre eigene
Mutter an der Sprache bzw. der Stimme und an der Art
und Weise erkennen, wie sie das Kind in den Armen
hält. Dieses Verhalten der Mutter gegenüber dem Kind
vermittelt diesem ein Urvertrauen, das für die weitere
Entwicklung des Kindes unbedingt notwendig ist. Bei
der Babyklappe geht das verloren; da ist das nicht mög-
lich. Das ist ein Verlust, den man sehen muss.

Zu bedenken ist auch, dass das Kind niemals seine
Abstammung erfahren kann. Wir haben längst erkannt
– das wissen wir aus vielen Studien und Forschungs-
arbeiten –, dass es für die Entwicklung eines Menschen
und seine Identität von entscheidender Bedeutung ist,
dass er seine Herkunft kennt. Bei einer Babyklappe ist
das – auch das müssen wir sehen – nicht möglich. Des-
wegen ist der vorgelegte Entwurf eines Gesetzes zur ver-
traulichen Geburt von entscheidender Bedeutung. Es ist
ein wichtiger Gesetzentwurf, auch wenn er nicht viele
betreffen mag. Er ist wichtig mit Blick auf das gesamte
Bewusstsein und auch auf die Kultur unserer Gesell-
schaft.

Ich will, wenn Sie mir erlauben, noch auf einzelne
Punkte eingehen.

Es ist jetzt eine vertrauliche Geburt möglich, ohne
dass die Mutter ihre Identität preisgeben muss. Sie kann
ins Krankenhaus gehen und dort ärztliche Hilfe bekom-
men, ohne dass die Ärzte bzw. das Krankenhauspersonal
unbedingt wissen müssen, mit wem sie es zu tun haben.

Es ist von entscheidender Bedeutung, dass wir die
Frauen – überhaupt die Menschen draußen – auf diese
Möglichkeit hinweisen. Frau Marks hat schon gesagt,
dass wir alles tun müssen, damit dies auch bekannt wird.
Das ist im Gesetzentwurf so vorgesehen. Auch die Bera-
tung, die die Mutter erfahren kann, ist wichtig. Sie kann
anonym, mit einem Pseudonym, zur Beratungsstelle ge-
hen. In der Beratungsstelle kann sie beraten werden, wie
sie mit diesem Thema umgehen kann. Vielleicht gelingt
es den erfahrenen Beraterinnen und Beratern dann sogar,
die Mutter davon zu überzeugen, doch den Versuch zu
übernehmen, mit dem Kind zusammenzuleben. Erst
dann, wenn das nicht gelingt, kommt es zur sogenannten
anonymen Geburt. Dann wird sie darüber unterrichtet.
Das ist der Ausweg, der bleibt.

Entscheidend ist, dass die Mutter dann ihre Daten an
eine Person, der sie vertrauen kann, weitergibt. Das ist
die Beraterin, die wiederum diese Daten an das Bundes-
amt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben
weitergeben muss. Dort werden sie aufbewahrt. Wir wis-
sen, dass das Kind nach dem 16. Lebensjahr das Recht
hat, zu erfahren, wer die Mutter ist. Vielleicht kann es
dann sogar erfahren, wer der Vater ist.





Norbert Geis


(A) (C)



(D)(B)


Ich meine, das ist ein vernünftiger Mittelweg zwi-
schen dem Bedürfnis der Mutter, anonym zu bleiben,
dem Recht der Mutter, ihre Identität nicht preisgeben zu
müssen, und dem Recht des Kindes, zu einem bestimm-
ten Zeitpunkt, nämlich ab dem 16. Lebensjahr, zu erfah-
ren, woher es kommt und wer seine Eltern sind. Ich
glaube, das ist uns mit diesem Gesetzentwurf gut gelun-
gen. Ich hoffe auf eine gute Beratung. Ich bin sicher,
dass wir zu einem guten Ergebnis kommen.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723122600

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/12814 und 17/190 an die Aus-
schüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung fin-
den. – Damit sind Sie einverstanden. Dann ist das so be-
schlossen.

Somit rufe ich jetzt die Tagesordnungspunkte 8 a und
8 b auf:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten
Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald
Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Tiergerechte Legehennenhaltung stärken

– Drucksache 17/12842 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Nicole Maisch, Cornelia Behm, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete Eier
ausweiten

– Drucksachen 17/9170, 17/9973 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Franz-Josef Holzenkamp
Elvira Drobinski-Weiß
Dr. Erik Schweickert
Karin Binder
Friedrich Ostendorff

Verabredet ist, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dann ver-
fahren wir so.

Ich gebe das Wort dem Kollegen Friedrich Ostendorff
für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Zypern
ist dieser Tage in aller Munde. Auf Zypern tummeln
sich, wie wir hören, zahlreiche russische und ukrainische
Investoren. Einer davon heißt Avangardco von Herrn
Oleg Bakhmatyuk. Avangardco ist auf Zypern registriert
und mit 22,8 Millionen Hennen zweitgrößter Eierprodu-
zent der Welt. Avangardco hat in der Ukraine gerade
zwei zusätzliche Legehennenfabriken aufgebaut, die
eine für 3 Millionen, die andere für 5 Millionen Tiere.
Diese Anlagen sind mit überwiegend deutschen Käfigen
ausgestattet, die in Deutschland und der EU schon lange
verboten sind. Aus der Ukraine erreichen uns Meldun-
gen über heftige Proteste gegen Avangardco wegen mas-
siver Luft- und Wasserverschmutzung. Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, dieses Geschäft wurde geschmiert mit
Hermesbürgschaften – also mit Steuergeldern –, die
Minister Rösler bewilligt hat.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich!)


„Deutschland ist Vorreiter beim Tierschutz“ behaup-
tete die FDP per Pressemitteilung vor wenigen Tagen.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sehr richtig! – Rainer Erdel [FDP]: So ist es ja auch! – Heinz Paula [SPD]: Märchen!)


Meine Damen und Herren von der FDP, der Name Avan-
gardco bezieht sich auf den Begriff Avantgarde. Avant-
garde, so sagt uns Wikipedia, heißt Vorreiter.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sie sollten auch mal im Duden nachgucken!)


Avangardco ist für Sie also der Vorreiter in Sachen Tier-
quälerei. Das ist Avangardco eindeutig.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Das ist Ihre Interpretation!)


Meine Damen und Herren, wir haben die Bundes-
regierung gefragt, ob die Eier aus den Anlagen von
Avangardco und anderen in die EU geliefert werden. Die
Antwort von Minister Rösler lautete – ich zitiere –:

Nach den der Bundesregierung vorliegenden Infor-
mationen exportiert der ukrainische Besteller nicht
in die EU …

Diese Antwort ist falsch. Oder hat der Bundeswirt-
schaftsminister im September 2012 etwa nicht gewusst,
dass das Abkommen zwischen der Ukraine und der EU
über den Import von Eiern unmittelbar vor dem Ab-
schluss stand? Avangardco selbst erklärt auf seiner
Homepage – ich zitiere –:

Avangardco betrachtet den europäischen Markt als
einen der prioritären Exportmärkte …


(Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Hört! Hört!)


Entweder hat Herr Rösler also nichts von diesem Ab-
kommen gewusst;





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)



(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der weiß auch sonst nichts!)


dann hat er sich als Bundeswirtschaftsminister disquali-
fiziert. Oder er hat davon gewusst; dann hat er das Parla-
ment, also uns alle, bewusst getäuscht.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre nicht das erste Mal! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Na ja! Das ist beides überzogen!)


Meine Damen und Herren, es ist sehr wahrscheinlich,
dass vor allem verarbeitete Käfigeier von Avangardco
bei uns auf den Markt kommen; schließlich kontrolliert
Avangardco 52 Prozent der ukrainischen Eierproduk-
tion.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Richtig!)


Diese Käfigeier können aber nur unerkannt auf den deut-
schen Markt kommen, weil sich Ministerin Aigner, wie
vor wenigen Tagen noch einmal bestätigt wurde, wei-
gert, die Pflicht zur Kennzeichnung verarbeiteter Eier
einzuführen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Skandal!)


Wären diese Eier gekennzeichnet, hätten entsprechende
Produkte auf dem deutschen Markt keine Chance; denn
95 Prozent der Verbraucherinnen und Verbraucher kau-
fen die Eier nicht, wenn auf der Verpackung „Käfigeier“
steht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Meine Damen und Herren von der Koalition, Sie päp-
peln nicht nur die Billigkonkurrenz der deutschen Geflü-
gelhalter im Ausland – das haben uns Vertreter der Ge-
flügelwirtschaftsverbände bestätigt, als sie vor wenigen
Wochen hier zu Besuch waren; sie haben wirkungsvolle
Maßnahmen gegen Billigimporte gefordert –, Sie ver-
hindern gleichzeitig, dass die Verbraucherinnen und Ver-
braucher die Wahlfreiheit bekommen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Sie wollen die Verbraucher bevormunden!)


Für Herrn Rösler und die FDP mag es ja schwer sein, das
ethische Problem dieses Handelns zu erkennen.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja!)


Aber von Frau Aigner, einer Ministerin der Christlich-
Sozialen Union, erwarten wir allemal, dass sie derartig
unmoralische Geschäfte unterbindet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie ist Verbraucherschutzministerin!)


Wir Grüne fordern Frau Ministerin Aigner auf: Ma-
chen Sie Schluss mit der Verbrauchertäuschung! Ändern
Sie die Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung, da-
mit auch bei verarbeiteten Eiern endlich Angaben zur

Haltungsform vorgeschrieben werden – wie es bei jedem
unverarbeiteten Ei im Laden heute der Fall ist!


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Setzen Sie sich in Brüssel endlich für eine entsprechende
EU-weite Regelung ein, Frau Aigner! Und stoppen Sie
Hermesbürgschaften für Tierfabriken, egal in welcher
Steueroase die Nutznießer dieser Garantien sitzen!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der Abg. Johanna Voß [DIE LINKE])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723122700

Dieter Stier hat jetzt das Wort für die Fraktion der

CDU/CSU.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1723122800

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wir befassen
uns heute mit zwei Anträgen der Fraktion Bündnis 90/
Die Grünen: „Kennzeichnungspflicht auf verarbeitete
Eier ausweiten“ und „Tiergerechte Legehennenhaltung
stärken“.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gute Anträge! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schon lange nicht mehr so was Gutes da gewesen!)


Nun will ich Ihnen, lieber Kollege Ostendorff, nach
Ihrer Rede ja nichts unterstellen; aber es ist für mich
schon durchsichtig, wenn Sie pünktlich vor Ostern


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Heinz Paula [SPD])


einen fast ein Jahr alten Antrag herauskramen, in wel-
chem es um Eier geht. Damit fällt mir zumindest auf,
dass Sie das nahende kirchliche Fest auch in diesem Jahr
zum Anlass nehmen, um Verbraucher zu verunsichern,
anstatt zur Lösung von Problemen beizutragen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit unseren Anträgen könnten Sie was lösen!)


Sie haben in dieser Woche einen zweiten Antrag
nachgeschoben, mit dem Sie tiergerechte Legehennen-
haltung stärken wollen, merken aber gar nicht mehr, dass
Sie diese tiergerechte Legehennenhaltung mit Ihrem
Agieren im Bundesrat schon fast aus Deutschland ver-
trieben haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Was? – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das können Sie nicht belegen!)






Dieter Stier


(A) (C)



(D)(B)


Fakt ist: Seit 2004 gibt es nach EU-Recht eine klare
Kennzeichnung von Eiern. Seitdem haben sich die Hal-
tungsformen für Legehennen in Deutschland grundle-
gend verändert und auch deutlich verbessert. Nachdem
wir seit 2010 auch noch die Haltung in konventionellen
Batteriekäfigen verboten haben,


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Sie unterstützen Hermesbürgschaften für Hühnerkäfige!)


erfolgt die Legehennenhaltung in Deutschland derzeit
noch in Kleingruppen in Boden- und Freilandhaltung
und auch in Biohaltung, und das sogar schon zwei Jahre
früher als nach dem am 1. Januar 2013 in der EU in
Kraft getretenen Verbot der konventionellen Käfighal-
tung.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und die Übergangsfristen?)


Die Forderung, die Kennzeichnungspflicht auch auf
verarbeitete Eier auszuweiten, zeigt einmal mehr,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Realitätssinn!)


dass die Kollegen von Bündnis 90/Die Grünen noch
nicht begriffen haben, dass wir in einem europäischen
Binnenmarkt leben.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben deshalb müssen wir das ja tun!)


Konkret bedeutet dies nämlich: Nationale Alleingänge
Deutschlands sind nicht zielführend.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb fordern wir ja eine EURegelung!)


Sie würden damit – das habe ich hier wiederholt gesagt –
heimische Produzenten diskriminieren, Betriebe und Ar-
beitsplätze vernichten. Das würde dazu führen, dass wei-
tere Produktionen ins Ausland verlagert werden. Wir
können doch nicht deutsche Lebensmittelprodukte einer
verschärften Kennzeichnungspflicht unterwerfen und
dabei unsere Unternehmen ohne Not


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Not? Diese Haltung ist Tierquälerei!)


Wettbewerbsnachteilen in Europa aussetzen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir müssen den Unternehmen natürlich helfen!)


Ihre Forderungen nach zusätzlicher Kennzeichnung rich-
ten sich überdies gegen die bäuerliche Tierhaltung, die
Sie doch angeblich fördern wollen, und würden gerade
Kleinbetriebe in Not bringen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, denen müssen wir helfen, Herr Kollege!)


Die positive Entwicklung in Richtung artgerechter
Haltungsformen ist nicht nur ein überzeugendes Beispiel
für die Macht des Verbrauchervotums, sie wird auch von

der christlich-liberalen Koalition weiter unterstützt, zum
Beispiel mit den in den Bundeshaushalt eingestellten
Mitteln für die Tierschutzforschung.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja: für die konventionelle Haltung!)


Meine Damen und Herren, der Antrag von Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Änderung der derzeit gültigen Le-
bensmittel-Kennzeichnungsverordnung wurde vom fe-
derführenden Ausschuss, dem Agrarausschuss, beraten
und bereits am 9. Mai des vergangenen Jahres mehrheit-
lich abgelehnt.


(Heinz Paula [SPD]: Ein Fehler!)


Eine solche Änderung wäre aus unserer Sicht nur in
Übereinstimmung mit dem EU-Recht möglich. Ein ent-
sprechender Verordnungsentwurf von Österreich ist be-
reits 2008 – das müsste Ihnen bekannt sein – auf euro-
päischer Ebene gescheitert. Eine Regelung, die alleine
deutsche Produkte der Kennzeichnungspflicht unterwer-
fen würde, würde zu Nachteilen für unsere Produzenten
führen.

Deshalb befürworten wir vielmehr die Stärkung der
Eigenverantwortung der Tierhalter und auch des Lebens-
mittelhandels.


(Heinz Paula [SPD]: Der Joke ist gut! – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sehen ja, was dabei herauskommt!)


Sie wissen, dass Deutschland auch auf EU-Ebene die
treibende Kraft für ein freiwilliges Tierschutzlabel ist,
das dem Verbraucher umfassende Informationen liefert.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Also kurzum: nichts tun! Wie immer!)


Aus diesen Gründen schließen wir uns der Beschluss-
empfehlung des zuständigen Ausschusses auch heute an.
Wir lehnen Ihre Forderung nach einer Ausdehnung der
Kennzeichnungspflicht ganz klar ab.


(Heinz Paula [SPD]: Ihr lernt nichts dazu!)


Verbrauchermacht und freiwillige Initiativen des Han-
dels wirken in diesem Falle schneller und zielgerichteter
als Staatseingriffe.


(Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Wenn es die Verbraucher denn wissen, ist es ja gut! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo bleibt die Verantwortung der Politik?)


In Ihrem Antrag mit dem Titel „Tiergerechte Lege-
hennenhaltung stärken“ fordern Sie die Bundesregierung
auf, die im Bundesrat beschlossene Fünfte Verordnung
zur Änderung der Tierschutz-Nutztierhaltungsverord-
nung unverzüglich in Kraft zu setzen.


(Heinz Paula [SPD]: Ja, tut das doch endlich!)


Ich darf Sie daran erinnern, dass sich beim Ausstieg
aus der Kleingruppenhaltung Bund und Länder nicht auf
eine gemeinsame zeitlich befristete Übergangsregelung
einigen konnten.





Dieter Stier


(A) (C)



(D)(B)



(Heinz Paula [SPD]: Ja, der Bund war der Blockierer!)


– Herr Paula, das ist Ihre Interpretation. – Das BMELV
hatte die Länder gebeten, eine verfassungskonforme und
mehrheitsfähige Lösung für die Übergangsfristen vorzu-
legen.


(Heinz Paula [SPD]: Verfassungskonform ist das alles!)


Daraufhin legte sich der Bundesrat auf 2023 bzw., bei
unbilligen Härten, auf 2025 fest.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das ist ein Skandal! – Elvira Drobinski-Weiß [SPD]: Ich glaube, da hatte Schwarz-Gelb die Mehrheit im Bundesrat! Das wissen Sie auch!)


Gegen diesen Beschluss bestehen – das wissen Sie auch –
verfassungsrechtliche Bedenken dahin gehend, dass der
Bestandsschutz für bestehende Haltungseinrichtungen
an deren tatsächlicher Nutzungsdauer orientiert sein
muss.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der Tierschutz interessiert Sie einfach überhaupt nicht!)


Die rot-grünen Landesregierungen haben im Bundes-
ratsverfahren also aus polemischen Gründen einen
rechtskonformen Kompromiss bewusst an die Wand fah-
ren lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Heinz Paula [SPD]: Das Märchen glauben Sie doch selber nicht! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Diesen Unsinn müssen Sie einmal erklären!)


Sie sollten sich jetzt also nicht darüber beklagen, dass
nun die einzelnen Bundesländer selbst gefordert sind,
eine verfassungskonforme Regelung zu treffen.


(Heinz Paula [SPD]: 16 verschiedene Regelungen!)


Meine Damen und Herren von Bündnis 90/Die Grü-
nen, auch der geforderte Stopp von Hermesbürgschaften
für den Export


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ist unbedingt notwendig!)


und den Bau von Tierhaltungsanlagen ist aus unserer
Sicht nicht zielführend.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber hallo! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich nicht! Wer hätte das gedacht? – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Was ist aus Ihrer Sicht schon zielführend?)


In vielen Ländern gibt es keine EU-Standards. Diese
Länder sind noch auf dem Weg hin zu mehr Tierschutz.
Sie brauchen auch Zeit und stärkere Anreize, um unsere
und europäische Standards zu erreichen.

Ich möchte hier in aller Deutlichkeit betonen: Voraus-
setzung für die Übernahme einer solchen Exportkredit-
garantie ist natürlich die Einhaltung des Standards des
Bestellerlandes. Laut der von Ihnen zitierten Antwort
der Bundesregierung auf Ihre Anfrage werden diese in-
ternationalen Referenzstandards, die sanitäre und veteri-
närmedizinische Mindeststandards vorschreiben, auch
eingehalten. Damit läuft auch diese Forderung aus unse-
rer Sicht ins Leere.

Meine Damen und Herren, in Ermangelung einer wei-
teren Gelegenheit, an diesem Rednerpult zu sprechen,


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach schade! Es war doch so lustig!)


wünsche ich Ihnen schon heute ein frohes Osterfest.
Essen Sie auch mal ein Ei!


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kein Ei mit der 3, Herr Stier!)


Trotz mir bewusster einzelner Verfehlungen haben wir in
Deutschland die sichersten Lebensmittel der Welt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723122900

Herr Kollege.


Dieter Stier (CDU):
Rede ID: ID1723123000

Auch wenn das Gegenteil öfter behauptet wird: Da-

durch wird es nicht unbedingt wahrer.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Da schämt sich der Osterhase! – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich sage nur Hermes!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723123100

Heinz Paula spricht jetzt für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Heinz Paula (SPD):
Rede ID: ID1723123200

Frau Präsidentin! Werte Gäste! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich stand vor einem Jahr an diesem Pult
und plädierte dafür, dass Sie unserem Antrag mit dem
Titel „Kleingruppenhaltung für Legehennen endgültig
beenden“ Folge leisten und eine entsprechende, einstim-
mig beschlossene Bundesratsinitiative übernehmen. Ich
habe eindringlich an Sie appelliert: Schluss mit der
Kleingruppenkäfighaltung! Schluss mit dem Elend von
über 5 Millionen Käfiglegehennen in Deutschland!

Sie wissen doch ganz genau: Es herrscht eine drang-
volle Enge – nicht einmal die Fläche eines DIN-A4-Blat-
tes pro Huhn –, und nicht einmal ansatzweise kann art-
typisches Verhalten ausgelebt werden. Die Folgen sind
klar: erhebliche gesundheitliche Schäden, Federpicken
bis hin zu Kannibalismus. Was macht die Regierungsko-
alition in Anbetracht dieser Tierquälerei? Sie lehnt die-
sen Antrag ab. Unerträglich, sage ich Ihnen!





Heinz Paula


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE] – Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Typisch!)


Dass Sie so ganz nebenbei Ihre eigenen Kollegen von
CDU/CSU und FDP in den entsprechenden Bundeslän-
dern bloßstellen, das sei einmal Ihr Problem. Aber es
zeigt, dass Ihre eigenen Parteikollegen in den Bundes-
ländern im Gegensatz zu Ihnen die Probleme erkannt ha-
ben.

Ich muss feststellen: Ein Jahr später hat diese Regie-
rungskoalition immer noch nichts dazugelernt.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben nichts anderes erwartet!)


Man liest die heutige Pressemitteilung der christlichen
Kollegen, und ich muss sagen: Glückwunsch! Sie haben
tatsächlich recht, und zwar mit einem einzigen Satz, dem
ersten Satz – ich zitiere –: „Unwahrheiten werden auch
bei ständiger Wiederholung nicht wahr.“ Wie wahr, Kol-
lege Stier!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Zu Ihrem ewigen Märchen mit den verfassungsrecht-
lichen Bedenken kann ich nur sagen: Sie sind doch hier
die Einzigen, die diese Bedenken haben. Das ewige Mär-
chen, dass eine einheitliche Regelung an Rot-Grün ge-
scheitert sei: Vergessen Sie es! An Ihnen ist eine bundes-
einheitliche Regelung gescheitert.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dieter Stier [CDU/CSU]: Nein! Sie zitieren das Urteil des Bundesverfassungsgerichts falsch!)


Diese Regierungskoalition gibt sich ständig als der
Schutzpatron der deutschen Landwirtschaft.


(Heinz-Peter Haustein [FDP]: Das sind wir auch!)


Dabei lassen gerade Sie die ehrsamen Landwirte buch-
stäblich im Regen stehen. Statt Politik zu machen, kom-
men Sie mit großen Broschüren an. Das Neueste ist das
Agrarpapier der CDU/CSU. Man muss sich das, was Sie
schreiben, auf der Zunge zergehen lassen. Ich zitiere:

Wir wollen mehr Tierschutz … Dabei geht es um
die Verbesserung der bestehenden Haltungsfor-
men …


(Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Im Gegenteil!)


Ich sage Ihnen: Nicht labern – handeln Sie endlich ent-
sprechend!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE] – Dieter Stier [CDU/CSU]: Fahren Sie einmal raus in die Ställe! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Nicht schwätzen – schaffen!)


Doch diese Schaumschlägerei wird noch – Kollege
Ostendorff hat vorher darauf hingewiesen – durch diese
unsäglichen Hermesbürgschaften gesteigert. Zig Millio-
nen für eine Haltungsform im Ausland bereitzustellen,
die bei uns seit 2009 aus Tierschutzgründen zu Recht
verboten ist, zeugt von einer unerhörten Doppelmoral.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unmoralisch!)


Zu Recht spricht der Geflügelwirtschaftsverband Rhein-
land-Pfalz von einem „Hammer auf die Füße der deut-
schen Geflügelwirtschaft“. Das sind die Folgen Ihrer
Politik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Ich werde Sie immer wieder an Ihre weltliche Ver-
pflichtung mit dem Hinweis auf unser Grundgesetz erin-
nern, Art. 20 a: „Der Staat schützt … die Tiere“, nicht
die Tierquälerei. Ich erinnere Sie auch an Ihre morali-
sche Verpflichtung. Als christliche Politiker hören Sie
zumindest auf Franz von Assisi. Sie wissen: Namensge-
ber von Papst Franziskus. Zitat:

Gott wünscht, dass wir den Tieren beistehen, wenn
es vonnöten ist. Ein jedes Wesen in Bedrängnis hat
gleiches Recht auf Schutz.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Dann bringen Sie Ihre Mitmenschen nicht ständig in Bedrängnis!)


CDU/CSU und FDP: Handeln Sie endlich entsprechend!
Machen Sie Schluss mit dem millionenfachen Elend von
Legehennen!

Ich bedanke mich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Karin Binder [DIE LINKE])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723123300

Das Wort hat der Kollege Rainer Erdel für die FDP-

Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rainer Erdel (FDP):
Rede ID: ID1723123400

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Ich habe die Anträge der Grünen zu diesem
Thema sehr aufmerksam gelesen. Lieber Friedrich
Ostendorff, ich habe darin kein Wort über Zypern, kein
Wort über russische Oligarchen gelesen. Ganz offen-
sichtlich war das der falsche Redetext; denn der Inhalt
der Anträge ist ein ganz anderer.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Heinz Paula [SPD]: Aber du kennst doch die Zusammenhänge! – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Die Zusammenhänge zu kennen, schadet trotzdem nichts!)






Rainer Erdel


(A) (C)



(D)(B)


Ich will auf die Hermesbürgschaften, die Sie erwähnt
haben, nicht näher eingehen; denn der Kollege Stier hat
das Nötige dazu bereits gesagt.

Die Kadenz der Skandale steigt, beginnend mit dem
von Ihrer ehemaligen Landwirtschaftsministerin Künast
so perfekt präsentierten BSE-Skandal, der Hunderte
landwirtschaftliche Betriebe an den Rand des finanziel-
len Ruins gebracht hat, über Ehec, Dioxineier, Schimmel
im Mais, über Pferdefleisch, das als Rindfleisch verkauft
wurde, bis hin zu Bioeiern, die eigentlich keine sind. Sie
schmeißen alles in einen Topf, rühren um und konstruie-
ren dann eine diffuse und vor allen Dingen gesundheitli-
che Bedrohung der deutschen Bevölkerung.

Bei all diesen Skandalen muss man sehr deutlich un-
terscheiden. Es gibt sicherlich betrügerisches Handeln.
Es ist nicht akzeptabel, dass Pferdefleisch als Rind-
fleisch verkauft wird.


(Beifall des Abg. Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Es ist nicht akzeptabel, dass konventionelle Eier als Bio-
eier verkauft werden. Es ist aber genauso wenig akzepta-
bel, dass Sie einen Skandal daraus machen und dann
eine Verbindung zu internationalen Warenströmen und
dem internationalen Handel herstellen; denn die deut-
schen Verbraucher profitieren gerade bei Lebensmitteln
durchaus vom internationalen Handel.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Sie versuchen, einen Keil zwischen die konventionelle
Landwirtschaft und die Biolandwirtschaft zu treiben.
Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Im Kern Ihres Antrags geht es um tiergerechte Lege-
hennenhaltung. Sie bauen das Ganze auf den jüngsten
Vorfällen in Niedersachsen auf. Ich empfehle Ihnen die
Lektüre der Unterlagen, die vom niedersächsischen
Landtag zur Verfügung gestellt werden. Dort ist die
Rede davon, dass von 201 untersuchten Betrieben mit
2,6 Millionen Tieren ein Betrieb auffällig war. Dieser
hatte die Besatzdichte überschritten. Er hatte nämlich
den Hühnern zu wenige Nester zur Verfügung gestellt.
Die Grundfläche war in Ordnung. In einem Papier heißt
es, dass 40 Biobetriebe untersucht wurden. In einem an-
deren heißt es, dass 34 Biobetriebe untersucht wurden,
von denen vier Betriebe auffällig waren. Weiter heißt es,
dass 139 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. Am
Ende des Papiers ist zu lesen, dass der niedersächsische
Landwirtschaftsminister ganz offensichtlich den Über-
blick verloren hat; denn er verwechselt die Überbele-
gung von Ställen – er hat sicherlich recht, darauf hin-
zuweisen, dass das den Tierschutzkriterien und den
Vorschriften widerspricht – mit betrügerischen Handlun-
gen wie dem Verkauf von konventionellen Eiern als
Bioeier.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, Sie verwechseln das!)


Das heißt, Sie leben von der Skandalisierung der deut-
schen Landwirtschaft.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Mein Kollege Birkner hat vollkommen recht: Sie sto-
chern im Nebel. Sie wollen politischen Geländegewinn
dadurch erreichen, dass Sie die deutschen Verbraucher
verunsichern.

In einem früheren Gesellschaftssystem in Deutsch-
land gab es einmal einen Plan, der mindestens zu er-
füllen war. Sie fordern seit neuestem einen Plan, der
höchstens erfüllt werden darf. Sie fordern nämlich Leis-
tungsobergrenzen ein. Eine Kuh darf nicht mehr als eine
bestimmte Menge Milch geben.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sind doch Lebewesen!)


Die Landwirte dürfen nicht mehr den Höchstertrag an-
streben. Ich frage Sie: In welcher Welt leben Sie denn?


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Heinz Paula [SPD]: Stellen Sie sich mal auf den Boden des Grundgesetzes!)


Ganz spannend wird es, wenn Sie die Forderung erhe-
ben, künftig Produkte aus verarbeiteten Eiern zu kenn-
zeichnen.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr gut!)


Ich frage Sie: Wie wollen Sie sicherstellen, dass in Zu-
kunft deutlich wird, ob die Eier, die in einer Gaststätte
für ein paniertes Schnitzel verwendet werden, aus Käfig-
haltung, Bodenhaltung, Freilandhaltung oder von einem
Biobetrieb stammen? Nennen Sie mir einen Wissen-
schaftler, der einen wissenschaftlichen Nachweis für die
entsprechenden Haltungsformen erbringen kann!


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir unterstützen ein freiwilliges Labeling, keine
Frage.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber auch nicht mehr!)


Wenn sich jemand damit einen Markt erobern kann,
dann ist das durchaus richtig. Aber eine entsprechende
gesetzliche Vorschrift wird letztendlich dazu führen,
dass bestimmte Produktionsformen aus Deutschland
abwandern. Ob das dem Tierschutz als Ganzes dient,
bezweifle ich sehr.

Sie fordern in Ihrem Antrag des Weiteren ein Verbot
von irreführender Werbung. Meine Damen und Herren
von den Grünen, sind Sie der Meinung, dass der deut-
sche Verbraucher so dumm ist, dass er nicht weiß, dass
es keine lila Kühe gibt und dass es keine Bären gibt, die
mit Milchkannen über Almwiesen im Allgäu laufen? Sie
unterschätzen den Verbraucher nicht nur, nein, Sie ver-
unsichern ihn auch noch.

Ich gehe einen Schritt weiter als mein Kollege
Birkner aus dem Niedersächsischen Landtag. Sie stehen
nicht im Nebel, Sie fahren im Nebel, und zwar mit
Höchstgeschwindigkeit. Das kann äußerst gefährlich
werden.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind der Nebel!)






Rainer Erdel


(A) (C)



(D)(B)


Sie betreiben einen Wahlkampf mit der Verunsicherung
der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Sie machen
diesen Wahlkampf auf dem Rücken der deutschen Bau-
ern, indem Sie ihnen, wie es Herr Paula in der letzten
Diskussion getan hat, millionenfache Tierquälerei unter-
stellen. Das ist nicht akzeptabel. Deshalb gebe ich Ihrem
Antrag keine Zukunft.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723123500

Das Wort hat die Kollegin Karin Binder für die Frak-

tion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Karin Binder (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723123600

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Meine Damen und Herren! Eier und Fleisch sollen nicht
aus einer quälerischen Massentierhaltung kommen. Das
ist der klare Wunsch vieler Verbraucherinnen und Ver-
braucher. Dazu muss jedoch jeder Mann und jede Frau
an der Ladentheke nachvollziehen können, woher die
Erzeugnisse kommen und wie die Tiere gehalten wur-
den. Versprechen helfen hier wenig.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Bilder mit glücklichen Hühnern geben keine Aus-
kunft über deren Herkunft und Haltungsform. Für viele
Konsumentinnen und Konsumenten ist Werbung von
echter Verbraucherinformation kaum zu unterscheiden.
Ich behaupte: Das ist zumindest von der Lebensmittelin-
dustrie durchaus beabsichtigt. Deshalb sind klare gesetz-
liche Regeln unverzichtbar. Ein bekanntes Beispiel ist
der berühmte Schwarzwälder Schinken, der eigentlich
ein Schinken Schwarzwälder Art ist.


(Rainer Erdel [FDP]: Ach ja?)


Der Schinken wird zwar im Ländle geräuchert, die
Schweine aber haben den Schwarzwald nie gesehen. Sie
werden aus ganz Europa herangekarrt. Tierschutz sieht
anders aus.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Da gilt die Freizügigkeit!)


Apropos Tierschutz: Das neue blaue Siegel „Für mehr
Tierschutz“ soll auch bei der Geflügelhaltung mehr
Klarheit bringen – natürlich freiwillig. Aber wer nicht
wirklich gut informiert ist und den Unterschied nicht
kennt, den ein Stern oder zwei Sterne auf dem Label aus-
machen, hat Pech gehabt. Wer nicht genau auf die Sterne
achtet, erwischt nämlich vielleicht nur die sogenannte
Eingangsstufe mit einem Stern. Die Produzenten sind
nämlich mehr oder weniger noch am Üben. Also, bitte
genau hinsehen beim Einkaufen!

Meiner Meinung nach hat das Verbraucherministe-
rium mit diesem halbherzigen Label lediglich eine
Konkurrenz zu dem seit langem anerkannten und be-

währten Neuland-Programm aufgelegt. Gegründet von
verantwortungsbewussten Landwirten, Umwelt- und
Tierschützern, stellt Neuland seit 1988 eine tiergerechte
und umweltschonende Nutztierhaltung sicher. So sieht
Tierschutz aus.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Krass dagegen ist die Industrialisierung der Legehen-
nenhaltung auch in Deutschland. 29 Millionen Legehen-
nen werden in Beständen mit mehr als 10 000 Tieren
gehalten, insgesamt in nur 600 Betrieben in Deutsch-
land. Das entspricht 83 Prozent aller Legehennen in
Deutschland.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Was hat das mit dem Tierschutz zu tun?)


Probleme bei der Gesunderhaltung dieser Tiere sind da-
mit vorprogrammiert.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Völlig verkehrt, was Sie da sagen!)


Die restlichen 17 Prozent der Hühner verteilen sich auf
55 600 Betriebe, sagt das Statistische Jahrbuch der
Landwirtschaft 2012.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Was hat die Größe mit dem Tierschutz zu tun?)


Mit dem neuen Label soll der Tierschutz allzu
offensichtlich an die industrielle Erzeugung angepasst
werden. Das schadet der Glaubwürdigkeit im Bemühen
um ernstgemeinten Tierschutz. Die Linke sagt: Verbrau-
cherpolitik darf nicht „herumeiern“.


(Beifall bei der LINKEN)


Kundinnen und Kunden des Einzelhandels haben ihre
Entscheidung schon lange getroffen: Käfigeier wollen
sie nicht. Bei frischen Eiern sind der Weg vom Stall zum
Teller und die Haltungsform eindeutig nachzuvoll-
ziehen, wenn wir vom bandenmäßigen Betrug bei Eier-
betrieben in Niedersachsen einmal absehen.

An dieser Stelle muss ich noch betonen, dass ent-
scheidende Hinweise über unsägliche Zustände in Hüh-
nerställen in der Regel von engagierten Tierschützern
kommen. Deren Arbeit wird auch weiterhin notwendig
sein. Deren prüfender Blick in die Ställe, in die Bestände
der Bodenhaltung und der industriellen Biohaltung ist
wirksamer als jede Behördenkontrolle.


(Beifall bei der LINKEN)


Dennoch kommt jedes zweite Ei, das wir essen, aus
Qualzucht. Der Grund ist: Für verarbeitete Eier fehlt
eine Kennzeichnungspflicht. Wo eindeutige, nachvoll-
ziehbare Informationen fehlen, werden uns auch weiter-
hin Käfigeier untergejubelt. Das nenne ich bewusste
Verbrauchertäuschung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)






Karin Binder


(A) (C)



(D)(B)


Die Linke fordert deshalb, die Angabe der Haltungs-
form für alle Lebensmittel, die Ei enthalten, verpflich-
tend einzuführen.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Sagen Sie mal konkret, wie Sie das machen wollen!)


Die Haltungsbedingungen für Legehennen müssen durch
ein Verbot der Kleingruppenkäfighaltung verbessert
werden. Zudem brauchen wir klare und verbindliche
Regeln für die Aufmachung und Werbung bei Lebens-
mitteln, um Irreführung und Täuschung endlich zu un-
terbinden.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Was hat denn das mit der Zucht zu tun?)


Die Anträge der Grünen unterstützen wir deshalb.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723123700

Josef Rief hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Frak-

tion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Josef Rief (CDU):
Rede ID: ID1723123800

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Ich danke zunächst den Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen für ihre Anträge zur Lege-
hennenhaltung. Um es klar zu sagen: Ihre Forderungen
und auch die Debatte heute müssen wir leider wieder
einmal unter „Wahlkampfgetöse“ verbuchen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war jetzt ein echt knackiger Satz!)


– Das ist so. – Wir haben aber jetzt die Gelegenheit, den
Bürgerinnen und Bürgern noch einmal die tatsächlichen
Fakten klarzumachen.

Die verzerrende Berichterstattung und das ewige
„Skandal!“-Geschrei hilft uns und den Verbrauchern
nicht weiter. Die Mehrheit der Bevölkerung – davon bin
ich überzeugt – durchschaut zum Glück den zeitlichen
Zusammenhang zwischen Ostern und Ihren Eieranträ-
gen.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind uns ja alle einig, dass wir die Käfighaltung
in Deutschland nicht mehr haben wollen. Seit 2009 ist
sie bei uns verboten, in der EU seit 2012. Wir waren hier
Vorreiter. Die deutschen Erzeuger haben dies mit Verlus-
ten von Marktanteilen teuer bezahlt. Betriebe hörten auf
oder gingen in Konkurs. Unser Selbstversorgungsgrad
bei Eiern ist von 72 Prozent in 2008 auf unter 58 Prozent
gesunken und erholt sich im Augenblick nur sehr lang-
sam.

Momentan setzt sich unsere Ministerin richtigerweise
dafür ein, dass dieses europaweite Verbot der Käfig-
haltung auch in allen Mitgliedstaaten durchgesetzt wird.
Am 31. Dezember 2012 stammten immerhin noch
13 Prozent der europäischen Eier aus der alten Käfighal-
tung. Das muss sich dringend ändern.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gefördert von Hermesbürgschaften aus der Ukraine!)


Hier sehen wir, dass Alleingänge schädlich sind und im
europäischen Binnenmarkt niemandem nützen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und dann schmeißt ihr denen das Geld hin!)


Damit schadet die Opposition den heimischen Bauern
und der Ernährungswirtschaft in Deutschland.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nur europaweit abgestimmte und auch von allen
durchgesetzte Erhöhungen von Standards – wenn wir
das schon brauchen – führen zum Erfolg. Niemandem ist
geholfen, wenn wir ausschließlich deutsche Landwirte
zu höheren Standards zwingen und der Markt dann mit
den preiswerter produzierten Produkten von den euro-
päischen Lieferanten überschwemmt wird. Bei Eiern in
verarbeiteter Form passiert nun genau das – und wird
gleichzeitig von den Grünen wieder beklagt.

Die Verbraucher zeigen übrigens mit ihrem Einkaufs-
verhalten, welcher Haltungsform sie den Vorzug geben.
So sind inzwischen kaum noch Kleingruppeneier im
Handel zu finden. Wer sichergehen will, dass er keine
Eier aus der verbotenen Käfighaltung in verarbeiteten
Produkten mitkauft, kann dies auch heute schon mit dem
Kauf von freiwillig deklarierten Produkten oder von
Bioprodukten erreichen. Das Angebot ist da.


(Harald Ebner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immerhin!)


Der Handel und auch die Verarbeiter richten sich nach
Kundenwünschen. Bisher liegt der Bioanteil aber nur bei
7,5 Prozent. Das gehört eben auch zur Wahrheit.

Ein deutscher Alleingang bei der Deklaration ist hier
die schlechtere Lösung. Denn auch hier gilt: Ein euro-
päischer Binnenmarkt muss einheitliche europäische
Regeln haben, sonst schaden wir der deutschen Ernäh-
rungswirtschaft, ohne dem Verbraucher oder den Tieren
zu helfen. Sie wissen ganz genau, dass auf EU-Ebene
momentan an einem Bericht zur Herkunftskennzeich-
nung von Lebensmitteln gearbeitet wird. Ihn müssen wir
abwarten, bevor wir zu weiteren EU-einheitlichen Re-
geln kommen können.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ein Blödsinn!)


Aber nun zu den Fakten bei der Legehennenhaltung.
Deutschland hat die Käfighaltung abgeschafft.


(Heinz Paula [SPD]: Kleingruppenhaltung!)






Josef Rief


(A) (C)



(D)(B)


– Ich komme sofort dazu, Herr Paula. – Alternativ hatten
wir nun die Kleingruppenhaltung. Viele Landwirte ha-
ben dann investiert und ihre Ställe neu eingerichtet. Das
Bundesverfassungsgericht hat diese Neuregelung aus
formalen Gründen kassiert und Bund und Ländern auf-
gegeben, bis 2012 eine neue Verordnung vorzulegen.

Die Bundesregierung hat fristgemäß eine neue Ver-
ordnung zum Auslaufen der Kleingruppenhaltung vorge-
legt, die für bestehende Betriebe eine verträgliche Über-
gangsfrist vorsieht. Sie, meine Damen und Herren von
der Opposition, waren dagegen und haben eine vernünf-
tige Regelung im Bundesrat scheitern lassen. Eine ver-
kürzte Übergangsfrist – das wissen Sie ganz genau, und
dennoch ignorieren Sie das – ist mit der Verfassung nicht
vereinbar.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Heinz Paula [SPD]: Das glaubt euch doch niemand mehr!)


Ohne eine neue Bundesverordnung lassen Sie die Ge-
flügelhalter im Regen stehen. Die rot und grün geführten
Länder sind für den föderalen Flickenteppich verant-
wortlich, der uns in der Legehennenhaltung droht.


(Heinz Paula [SPD]: Ihr habt das veranstaltet! So etwas nennt man Geschichtsfälschung, Herr Kollege!)


Sie sorgen damit für Unsicherheit bei den Landwirten.
Sie wissen genau, dass wir ohne Verordnung auch beim
Tierschutz deutschland- und europaweit nicht weiter-
kommen. Der Vorwurf der Untätigkeit an die Bundesre-
gierung ist ebenso abwegig wie die mehrfache Forde-
rung nach Alleingängen in der Deklaration. Wir lehnen
daher Ihre Anträge ab.

Ich wünsche Ihnen – ein bisschen verfrüht – ein fro-
hes Osterfest, hoffentlich mit heimischen Eiern.

Vielen herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723123900

Ich gebe das Wort an die Kollegin Elvira Drobinski-

Weiß für die SPD-Fraktion.


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1723124000

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren auf

den Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Deutschland nimmt beim Tierschutz in der Legehennen-
haltung europaweit eine Spitzenstellung ein – das sagt
jedenfalls die Bundesregierung –, weil sich der Anteil
der Legehennen, die in Bodenhaltung, Freilandhaltung
oder ökologischer Erzeugung gehalten werden, gegen-
über 2008 extrem erhöht hat.


(Heinz Paula [SPD]: Märchenstunde!)


Na klar ist das so; denn seit 2010 ist die Haltung von Le-
gehennen in Käfigen verboten, und die betreffenden Be-
triebe mussten umstellen.

Leider wird dem Leser auf der Homepage des
BMELV nicht erklärt, warum sich der Anteil an der Bo-

denhaltung verdreifacht hat, während der Anteil der
Tiere in ökologischer Erzeugung nur um 3 Prozent stieg.
Sie schreiben nicht, dass für die Landwirtschaft und die
Industrie einfach der Investitionsanreiz fehlt, noch stär-
ker in die ökologische Erzeugung zu investieren.

Im Jahr 2011 hat laut Statistischem Jahrbuch jeder
von uns im Durchschnitt 212 Eier gegessen. Nur einen
geringen Teil davon haben wir jedoch als Schalenei ge-
kauft. Den größten Teil haben wir in Form von verarbei-
teten Produkten wie Nudeln, Kuchen, Eis oder in unter-
schiedlichen Formen als Flüssigei verspeist.

Hier ist das Dilemma: Seit 2004 muss bei Schalen-
eiern das Haltungssystem der Tiere eindeutig gekenn-
zeichnet sein. Als Verbraucherin habe ich also die Wahl.
Ich kann mich bewusst für Eier aus ökologischer Pro-
duktion oder eben aus Bodenhaltung entscheiden. Aber
genau diese Informationen werden den Verbrauchern auf
Produkten, in denen Eier verarbeitet werden, in Gaststät-
ten und auch auf Eiern, die gekocht oder gefärbt werden,
bewusst vorenthalten. Ich unterstreiche: Bewusst werden
den Verbrauchern diese Informationen vorenthalten; die
Stärkung ihrer Marktmacht ist nämlich nicht erwünscht.

Das können Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen
von den Koalitionsfraktionen, natürlich nicht so offen
sagen. Die Beratung heute zeigt leider wieder einmal,
dass Sie sich bei unangenehmen Themen gerne hinter
der EU verstecken.


(Sylvia Kotting-Uhl [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ganz genau!)


Schnell kam der Satz: Eine Kennzeichnungspflicht
benachteiligt deutsche Firmen in Europa, ein Alleingang
wird abgelehnt.


(Dieter Stier [CDU/CSU]: Was wahr ist, ist wahr!)


Der Kollege Rief hat das gerade auch noch einmal for-
muliert. Kommt Ihnen, Herr Rief, aber auch den anderen
Kolleginnen und Kollegen der Koalitionsfraktionen die-
ser Satz bekannt vor? Offensichtlich eine Allzweck-
waffe, wenn es um Transparenz geht!

Die Interessen der Wirtschaft zählen abermals eindeu-
tig stärker als die der Konsumenten. Die artgerechte Hal-
tung von Hühnern liegt vielen Verbraucherinnen und
Verbrauchern tatsächlich am Herzen; das lässt sich sogar
in Ihren eigenen Veröffentlichungen erkennen. Danach
steigt die Anzahl der Haltungsplätze für Legehennen in
ökologischer Erzeugung ebenso wie die Anzahl der ver-
kauften Eier aus ökologischer Erzeugung. Warum igno-
rieren Sie diesen Trend?

Die Anzahl könnte wesentlich stärker steigen, wenn
Sie die Kennzeichnungslücke schließen und damit für
die Tierhalter, die ökologisch erzeugte Produkte vertrei-
ben, einen Ansporn schaffen würden. Doch statt schnell
und unkonventionell zu handeln und der Landwirtschaft
und Industrie durch eine Ausdehnung der Kennzeich-
nung auf verarbeitete Produkte einen Investitionsanreiz
zu bieten, wartet das BMELV lieber auf den Dezember
2014 – 2014! –;





Elvira Drobinski-Weiß


(A) (C)



(D)(B)



(Heinz Paula [SPD]: Bis dahin regieren die nicht mehr! – Gegenruf des Abg. Dieter Stier [CDU/CSU]: Warten wir es mal ab, Herr Paula!)


denn die EU-Kommission hat für den Termin in Aus-
sicht gestellt, die Herkunftskennzeichnung von Lebens-
mitteln zu regeln.

Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, wir fordern
Sie nochmals auf, diese Kennzeichnungslücke zu schlie-
ßen. Auch gekochte und gefärbte Eier müssen eindeutig
gekennzeichnet sein. Dann können wir uns in einer Wo-
che wirklich „Frohe Ostern!“ wünschen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723124100

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12842 an den Ausschuss für Ernährung,
Landwirtschaft und Verbraucherschutz vorgeschlagen. –
Damit sind Sie einverstanden. Dann verfahren wir so.

Wir kommen zur Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Kennzeichnungspflicht auf verar-
beitete Eier ausweiten“. Der Ausschuss empfiehlt in sei-
ner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/9973, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/9170 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Die Ent-
haltungen! – Damit ist die Beschlussempfehlung
angenommen bei Zustimmung durch die Koalitionsfrak-
tionen; die Oppositionsfraktionen haben dagegen ge-
stimmt.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 11 sowie Zu-
satzpunkt 7 auf:

11 Beratung des Antrags der Fraktionen der CDU/
CSU und FDP

Unterstützung der Initiative der G 20 und der
OECD zur Bekämpfung der Aushöhlung der
Steuerbemessungsgrundlage und der Gewinn-
verschiebung internationaler Konzerne

– Drucksache 17/12827 –

ZP 7 Beratung des Antrags der Fraktion der SPD

Aggressive Steuerplanung und Steuervermei-
dung internationaler Konzerne bekämpfen

– Drucksache 17/12819 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Verabredet ist es, eine halbe Stunde zu debattieren. –
Damit sind Sie offensichtlich einverstanden. Dann ver-
fahren wir so.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Dr. Mathias Middelberg für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1723124200

Frau Präsidentin, ganz herzlichen Dank. – Liebe Kol-

leginnen! Liebe Kollegen! Meine Damen und Herren!
Wir haben in den letzten Jahren einen enormen Wandel
in der Wirtschaft erlebt, vor allen Dingen angetrieben
durch das Internet und durch den E-Commerce, also
durch den elektronischen und digitalen Handel. Dadurch
haben sich der Warenaustausch und die internationale
Arbeitsteilung noch weiter verstärkt. Aber was sich
durch den Handel per Internet auch verändert hat, ist die
Struktur des Warenaustausches und auch die Struktur der
Rechtsgeschäfte, die dahinterstehen.

Wenn man heute bei dem Onlinehändler Amazon ein
Produkt, zum Beispiel ein Taschenbuch, einkauft, dann
meint man, man würde das bei Amazon in Deutschland
kaufen. Man macht in dem Moment, wo man klickt und
die Bestellung aufgibt, aber ein Geschäft mit Amazon in
Luxemburg. Die Umsätze bei Amazon werden dem-
zufolge nicht in Deutschland, sondern in Luxemburg ge-
tätigt. Die Gewinne und Erträge, die Amazon in
Luxemburg erzielt, werden über verschiedene Tochter-
gesellschaften weitergereicht: erst in die Niederlande,
dann nach Irland und schließlich landen sie auf karibi-
schen Inseln. Ähnlich ist auch das Modell von Google in
Deutschland.

Das führt dazu, dass diese Gewinne dem deutschen
Fiskus und dem deutschen Steuergesetzgeber verloren-
gehen, weil unsere Steuergesetzgebung traditionell bei
den Betriebsstätten in Deutschland anknüpft. Amazon
hat aber im rechtlichen Sinne gar keine Betriebsstätte in
Deutschland, sondern agiert, wie gerade erklärt, von
Luxemburg aus.

Das wiederum führt dazu – der Internethandel wird
weiter rasant wachsen –, dass wir mehr und mehr an
Steuersubstrat, also an Geschäftsmasse, die wir besteu-
ern können, verlieren. Geschäfte, die eigentlich in
Deutschland getätigt werden – die Wertschöpfung findet
also in Deutschland statt –, werden nicht mehr in
Deutschland besteuert. Die Gewinne landen woanders
auf der Welt und bleiben vielfach unbesteuert.

Ein Onlinehändler, der wie der Otto-Versand in
Deutschland versteuert, hat eine normale Steuerquote in
Höhe von 20 bis über 30 Prozent. Google oder Apple
zum Beispiel, große internationale Konzerne, haben
zwar in den USA Konzernsteuerquoten von etwa 20 bis
24 Prozent, aber die ausländischen Gewinne, die auch in
Deutschland gemacht werden, werden nur noch mit 1 bis
3 Prozent besteuert. Das zeigt, dass Gewinne, die in
Deutschland oder Europa gemacht werden, nicht mehr
vernünftig besteuert werden können. Das ist kein Pro-
blem, das wir mit unserem deutschen Steuerrecht lösen
können, sondern ein Problem, das wir nur international
angehen können.





Dr. Mathias Middelberg


(A) (C)



(D)(B)


Das hat die Bundesregierung jetzt getan. Deswegen
begrüßen wir ausdrücklich die Initiative unseres Bundes-
finanzministers Wolfgang Schäuble, der gemeinsam mit
dem französischen und dem britischen Finanzminister
dieses Thema angestoßen hat und auf der Ebene der
OECD und der G 20 ein Projekt in die Wege geleitet hat
– BEPS; Base Erosion and Profit Shifting –, mit dem ge-
nau überprüft werden soll, wie die Base Erosion, also
das Erodieren der Steuer, abläuft und wie wir eine ver-
nünftige Besteuerung dieser künstlich verlagerten Ge-
winne erreichen können. Wir begrüßen mit Nachdruck,
dass Wolfgang Schäuble aktiv geworden ist und dieses
Projekt angestoßen hat und dass wir bei diesem Thema
endlich vorankommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Gestern hatten wir ein sehr ausführliches Fachge-
spräch. Ich fand es sehr bedauerlich, dass vonseiten der
Opposition immer wieder die Fragen aufgeworfen wur-
den: Was ist mit der Zinsschranke? Geht uns nicht etwas
verloren? Was ist mit der Verlustnutzung und mit diesem
oder jenem Nebentatbestand? Ich sage Ihnen ganz ehr-
lich: Wir haben in Deutschland ein vernünftiges und gu-
tes Unternehmensteuerrecht. Wir haben auch ein gutes
Außensteuerrecht. Bei uns gehen im Wesentlichen keine
Gewinne verloren. Das ist also nicht das Kernproblem.

Das Kernproblem ist das, was ich beschrieben habe,
nämlich der Internethandel der großen multinationalen
Konzerne. Durch diese neuen Strukturen gehen uns Ge-
winne verloren, weil wir nicht an sie herankommen. Das
Problem müssen wir angehen. Wir sollten aber nicht
weiter darüber nachdenken, wie wir womöglich für un-
sere heimischen Unternehmen, auch für unseren Mittel-
stand, der immer mehr dem internationalen Wettbewerb
ausgesetzt ist, die Daumenschrauben anziehen können.
Das gilt beispielsweise auch für Ihre Überlegungen, die
Sie in Ihrem Wahlprogramm vorgestellt haben. Stich-
wort: Unternehmensteuer, höhere Einkommensteuer,
Zinsschranke verschärfen. Zu Ihren Überlegungen ge-
hört auch, alle Regelungen, die wir zu Beginn dieser
Legislaturperiode auf den Weg gebracht haben, zurück-
zudrehen, was dazu führt, dass sich für unsere Unterneh-
men die Situation am Standort verschlechtert.

Im Gegenteil: Wir müssen jetzt für faire Wettbe-
werbsbedingungen sorgen. Das heißt, derjenige, der in
Deutschland Geschäfte macht, muss zu vergleichbaren
Konditionen besteuert werden, unabhängig davon, dass
er seinen Sitz irgendwo im Ausland hat. Ansonsten wür-
den wir unsere deutschen Unternehmen – große, aber
auch mittelständische Unternehmen – massiv benachtei-
ligen. Fairness und gleiche wettbewerbliche Bedingun-
gen im Steuerrecht sind die Stichworte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich finde es bemerkenswert, dass Sie in Ihrem Antrag
auch die Schweiz erwähnt haben. In einem Unterpunkt
fordern Sie die Einführung eines automatisierten Infor-
mationsaustauschs bei Kapitaleinkünften. Das ist ein
Anliegen, dass man durchaus verfolgen kann; das finde
ich völlig in Ordnung. Aber das erweckt so ein bisschen

den Eindruck, als ginge es dabei um ganz andere Bau-
stellen als die Kernbaustelle, die ich eben erwähnt habe.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Ja, geht es auch!)


Sie haben in Ihrem Antrag viele Dinge durcheinan-
dergeworfen und eine Menge Nebenthemen genannt.
Das lässt falsche Schlüsse zu. Wir haben aber in erster
Linie kein Problem mit der Schweiz. Wenn Sie dem
Steuerabkommen mit der Schweiz Ende letzten Jahres
zugestimmt hätten, hätten wir jetzt hier wie in der
Schweiz die gleiche Besteuerung von Kapitaleinkünften.
Das hatten Sie in der Hand. Hätten Sie zugestimmt, hät-
ten wir überhaupt keine Schwierigkeiten mit der
Schweiz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Blindflug hätten wir!)


Damit lenken Sie vom eigentlichen Thema ab, was
ich sehr bedauerlich finde. Die Aufgabe lautet, interna-
tional vergleichbare steuerliche Rahmenbedingungen
und damit vergleichbare wettbewerbliche Bedingungen
zu schaffen, damit unsere Unternehmen im internationa-
len Wettbewerb unter den gleichen Spielregeln wie an-
dere große multinationale Konzerne antreten können.

Die wesentlichen Schritte dafür haben wir in die
Wege geleitet. Die OECD wird uns bis zum Juni kon-
krete Vorschläge in einem Aktionsplan vorlegen. Auf
der nächsten G-20-Finanzministerkonferenz können
dann die nächsten konkreten Schritte in die Wege gelei-
tet werden. Wir unterstützen dabei mit vollem Engage-
ment unseren Finanzminister Wolfgang Schäuble, der
auf dem richtigen Weg ist.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723124300

Jetzt hat Lothar Binding das Wort für die SPD-Frak-

tion.


(Beifall bei der SPD)



Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1723124400

Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!

Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr Kollege
Middelberg hat die Problemlage hinsichtlich der interna-
tionalen Steuergestaltung schon ganz gut beschrieben.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Guter Mann!)


– Ja, alle sind irgendwie gut, aber manchmal auch nicht
gut genug.

Schauen wir uns einmal an, wie groß das Problem ei-
gentlich ist, und nehmen als Beispiel Google. In der An-
hörung zu diesem Thema wurde uns geschildert, dass
Google eine Reihe von Töchtern hat, etwa auf den
Bermudas und in Irland, dass es eine doppelt ansässige
Gesellschaft gibt, dass Gewinne über Lizenzgebühren-
vereinbarungen verschoben werden, dass es keine Hin-





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)


zurechnungsbesteuerung auf den Bermudas gibt, wenn
man eine aktive Tochter in Irland hat, und dass Google
neben diesen beiden Töchtern eine weitere Tochter in
Holland hat, über die man die Lizenzgebühren zurück in
das Sitzland von Google verschiebt. Man merkt – ich
hoffe, dass niemand verstanden hat, was ich eben be-
schrieben habe –, wie kompliziert die Gewinnverlage-
rung tatsächlich ist.

Jetzt schauen wir einmal in den Antrag der Koalition,
um zu sehen, wie sie versucht, auf diese komplexe Situa-
tion zu reagieren. Sie schreiben darin, die politischen
Bemühungen der Regierung sollten fortgesetzt werden,
und Sie fordern die Regierung auf, weiter aktiv mitzuar-
beiten und gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Wir
glauben, dass dieser Abstraktionsgrad uns nicht weiter-
hilft. Wir müssen sehr viel konkreter werden.

Offen gesagt hätten wir Ihren abstrakten Antrag den-
noch fast unterstützt. Allerdings steht auch darin:

Die Bundesregierung hat das Thema Gewinnverla-
gerung rechtzeitig erkannt und mit auf die interna-
tionale Agenda gebracht.

Außerdem wird Wolfgang Schäuble beglückwünscht,
weil er sich an die Spitze der internationalen Initiative
gesetzt habe.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Genau! Richtig!)


Das ist, offen gesagt, blanker Hohn. Schauen wir ein-
mal, was Sie in der Vergangenheit gemacht haben: Sie
selbst haben Schlupflöcher hinsichtlich der internationa-
len Gestaltung geschaffen und versucht, sie zu erhalten.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das Problem liegt doch nicht in unserem Steuerrecht!)


Wir haben gestern in der Anhörung gelernt, dass die
Zinsschranke ein exzellentes Instrument ist. Sie haben
die Vorschriften zur Zinsschranke aber verschlechtert.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Die Zinsschranke hat damit gar nichts zu tun! – Dr. Daniel Volk [FDP]: Unsinn!)


Der Mantelkauf ist ein Mittel, um strategisch Gewinne
zu vernichten; die Verlustverrechnung ist, anders als Sie
sagen, kein marginales Problem. Außerdem haben Sie
die Funktionsverlagerung in einer Weise erleichtert, die
dem deutschen Fiskus schadet.

Damit den Staaten nicht weiter Steuersubstrat entzo-
gen wird, muss hinsichtlich der Vermeidung der doppel-
ten Nichtbesteuerung und hinsichtlich der Vermeidung
einer unterschiedlichen Situation in Quellen- und Ansäs-
sigkeitsstaat sehr viel mehr geschehen. Ihr Antrag ist
deshalb keinesfalls hinreichend.

Ich will Ihnen ein paar Beispiele nennen.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723124500

Herr Kollege, bevor Sie zu den Beispielen kommen:

Herr Kollege Middelberg würde Ihnen gerne eine Zwi-
schenfrage stellen.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1723124600

Ich versuche einmal, qualifiziert auf diese Frage zu

reagieren.


(Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Daniel Volk [FDP]: Du versuchst es nur!)



Dr. Mathias Middelberg (CDU):
Rede ID: ID1723124700

Lieber Kollege Binding, vielen Dank. – Ich habe eine

konkrete Zwischenfrage. Vielleicht können Sie dem
Hohen Haus erklären, welche Rolle die Zinsschranke im
konkreten Fall von Google spielt,


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Das würde ich auch gern wissen!)


den wir gestern ausführlich erörtert haben; hier kommt
es ja zu einem erheblichen Verlust von Steuersubstrat.
Ich glaube, uns allen ist gestern deutlich geworden, dass
die Zinsschranke, also die Möglichkeiten, die unser
Steuerrecht in dieser Hinsicht vorsieht, in den Fällen von
Google und Amazon sowie in allen anderen genannten
Fällen, um die es hier geht, keine Rolle spielt.


Lothar Binding (SPD):
Rede ID: ID1723124800

Modelltheoretisch ist da eine Analogie zu sehen. Die

Zinsschranke funktioniert so: Jemand macht in Deutsch-
land einen Gewinn und will ihn nicht versteuern. Was tut
er? Er gründet eine kleine Tochtergesellschaft im Aus-
land. Diese Tochtergesellschaft gibt Kredite an die Mut-
tergesellschaft im Inland, und die Muttergesellschaft
überweist ihre Gewinne als Zinsen an die eigene Toch-
tergesellschaft im Ausland. Diese Überweisung des Ge-
winns als Zinsen an sich selbst im Ausland führt dazu,
dass der Gewinn in Deutschland null ist. Damit ist natür-
lich auch das Steueraufkommen null.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Was hat das denn mit der Sache zu tun? – Dr. Daniel Volk [FDP]: Was hat das mit Google zu tun?)


– Einen kleinen Moment.

Hätten wir das Modell der Zinsschranke weiterentwi-
ckelt, dann wäre heute Folgendes nicht mehr möglich:
dass man eine Lizenzverwaltungsgesellschaft im Aus-
land entwickelt und dann die Lizenzen aus Deutschland
an die eigene Tochter im Ausland überträgt,


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Es geht um ausländische Unternehmen!)


um den Gewinn, der bei uns entsteht, als Lizenzgebüh-
ren bei der eigenen Tochter im Ausland zu haben, damit
der Gewinn in Deutschland auf null sinkt. Hätten wir die
sehr gute Zinsschranke – das wurde Ihnen gestern bestä-
tigt – modelltheoretisch weiterentwickelt, dann hätten
wir heute sehr viel weniger Probleme mit Lizenzgebüh-
ren und anderen Gestaltungsmomenten; dann hätten wir
ein Anrecht, international etwas Entsprechendes einzu-
fordern – von den Iren, von den Niederländern, von de-
nen, die eine solche Gestaltung heute möglich machen.

Wir sind deshalb international so schlecht aufgestellt,
weil wir selbst kein gutes Beispiel geben. Mit der





Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)


Weiterentwicklung der Zinsschranke hätten wir ein gutes
Beispiel geben können. Das wäre eine exzellente Sache
gewesen, die man auf internationaler Ebene hätte fort-
setzen können.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Lothar, wer hat denn das verstanden?)


Gleichwohl versuchen Sie das mit Ihrem Antrag auch.
Ich habe nur kritisiert, dass Sie meinen, Sie wären an der
Speerspitze der Bewegung. Nein, Sie kommen damit
drei bis vier Jahre zu spät.


(Dr. Axel Troost [DIE LINKE]: Mindestens!)


Das erkennt man daran, dass es gegenwärtig Verlagerun-
gen bei Google, Amazon und anderen gibt. Warum gibt
es das gegenwärtig? Sie sind doch seit dreieinhalb Jah-
ren an der Regierung und hätten in dieser Hinsicht schon
etwas tun können. Das ist aber nicht passiert.


(Otto Fricke [FDP]: Und wie lange gibt es Google schon?)


– Ja, wir waren auch schon mal an der Regierung. Aber
wir haben ja gerade von Herrn Middelberg gehört, dass
die Verlagerungen erst in den letzten Jahren verschärft
aufgetreten sind. Zu den letzten Jahren gehören auch die
letzten dreieinhalb Jahre, in denen Sie Verantwortung
getragen haben.

Wir merken, dass das Problem sehr viel komplexer
ist, als Sie es jetzt angehen. Wir meinen, Sie müssen da
etwas tiefer einsteigen. Ich will ein paar Stichworte
nennen:

Zum Beispiel ist die Frage, warum Sie die Ideen, die
die OECD in diesem Zusammenhang hatte, nicht schon
national umsetzen. Es gibt eine ganze Reihe von guten
Ideen, die die OECD schon formuliert hat; aber auf
nationaler Ebene passiert nichts.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber das haben wir doch gestern im Fachgespräch genau andersrum gesagt!)


Sie haben sogar etwas ganz Interessantes gemacht:
Sie haben ein Zwölf-Punkte-Programm zur Unterneh-
mensbesteuerung entwickelt, aber Ihr eigenes Programm
– das ist so ähnlich wie bei der Koalitionsvereinbarung –
nicht umgesetzt. Wir beklagen ja nicht, dass die OECD
keine Ideen hat; wir beklagen vielmehr das Umsetzungs-
defizit, das die gegenwärtige Regierung an den Tag legt.

Es gibt natürlich auch Qualifizierungskonflikte und
Probleme mit hybriden Finanzierungen. Es ist völlig
klar: Wenn Fremdkapital und Eigenkapital in den ver-
schiedenen Ländern unterschiedlich qualifiziert werden,
dann kommt es natürlich zu einem Gewinntransfer in ei-
nen anderen Staat. Wenn der Quellenstaat die Betriebs-
ausgaben anerkennt, aber die Gewinne bei uns nicht
versteuert werden, hat man ein doppeltes Problem. Das
hätten Sie eigentlich schon lösen können. Aber nein, das
haben Sie nicht angepackt.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Das wird doch im Doppelbesteuerungsabkommen gemacht!)


Deshalb ist es so, dass die Dividenden im Empfänger-
staat freigestellt sind, und der Gewinntransfer nimmt
seinen Lauf.

So ähnlich verhält es sich mit dem Problem des dop-
pelten Abzugs aufgrund der Qualifikationskonflikte im
Zusammenhang mit Gewinnen in Personengesellschaf-
ten. Auch da fehlt eine gute Regelung. Wir glauben, dass
in diese Richtung sehr viel mehr hätte passieren können.

Nun komme ich zu einer Kernlösung. Wir denken ja
schon sehr lange über die Gemeinsame konsolidierte
Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage nach. Die
Frage ist, warum Sie in dieser Richtung – diese Harmo-
nisierung fällt in Europa auf durchaus fruchtbaren Boden –
nicht einen Schritt weitergegangen sind.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Wo denn genau, Herr Binding?)


Es wäre gut gewesen, das auf internationaler Ebene zu
verhandeln.

Es gibt sogar einen ersten kleinen, aber rudimentären
Ansatz in dem gemeinsam mit Frankreich vorgelegten
Grünbuch. Frankreich ist uns sehr weit entgegengekom-
men. Leider ist es jetzt in der Schublade versackt, und es
ist nichts daraus geworden. Man hat die Verhandlungen
in Europa nicht fortgesetzt. Das ist eine traurige Sache.
Man hätte mit dieser Bemessungsgrundlage sehr erfolg-
reich Steuergestaltungen vermeiden können. Leider
haben Sie darauf verzichtet.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Wie Sie die ganzen zehn Jahre!)


Es gibt Leitlinien der OECD zur Zurückverfolgung
von Geldflüssen. Das ist ein wichtiges Instrument, um zu
beobachten: Was passiert da? Sie sind diesen Leitlinien
aber nicht gefolgt. Die OECD hat uns Maßnahmen zur
Verbesserung von Risikomanagementtechniken vorge-
schlagen, insbesondere hinsichtlich des Compliance-
Risikomanagements. In dieser Richtung ist nichts pas-
siert. Es besteht die Möglichkeit, die Eurofisc auf den
Bereich der direkten Steuern auszudehnen. Auch in
dieser Hinsicht ist nichts passiert. Wir hatten die Mög-
lichkeit, die Mutter-Tochter-Richtlinie zu überarbeiten.
In dieser Hinsicht ist ebenfalls nichts passiert. Auch die
Missbrauchsbekämpfungsbestimmungen wurden nicht
in nationales Recht umgesetzt.

Es wurde vorhin gesagt, die Verlustnutzung bzw.
grenzüberschreitende Gewinngestaltung sei ein „Neben-
tatbestand“. Das beschreibt sehr genau, wo unser Pro-
blem liegt: Wir meinen, die Problemlage sei eigentlich
gar nicht so dramatisch. Dabei ist völlig klar: Internatio-
nale Gestaltungen dienen dazu, Nationalstaaten auszu-
zehren.

Wir können ja mal schauen, welche Gestaltungen ne-
ben Google andere Unternehmen vornehmen.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Zum Beispiel?)






Lothar Binding (Heidelberg)



(A) (C)



(D)(B)


Ich will aus der Anhörung zitieren. Man muss sich zum
Beispiel fragen, warum ein deutsches Unternehmen
weltweit 2 100 Töchter hat. Die Finanzchefin des Unter-
nehmens erklärte, der Gründung der 2 100 Töchterunter-
nehmen weltweit liege keinerlei steuerliche Motivation
zugrunde. Ich muss schon sagen: Das gibt mir sehr zu
denken. Jetzt wissen Sie, warum ich sage: Man muss
etwas genauer hinter die Kulissen schauen; das führt zu
einer konkreteren Gesetzgebung, zu besseren Lösungen.

Wir hoffen, dass wir gemeinsam Lösungen erarbeiten
können. Eine abstrakte Beschreibung des Problems ist
Ihnen zwar gelungen, aber in der konkreten Umsetzung
ist leider ein Versagen festzustellen; so kann man die
Situation zusammenfassen. Nun werden wir uns auf den
Weg der Gesetzgebung begeben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das war schwach!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723124900

Der Kollege Dr. Daniel Volk hat das Wort für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU])



Dr. Daniel Volk (FDP):
Rede ID: ID1723125000

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Herr Kollege Binding, Sie haben
gerade mündlich das wiedergegeben, was sich als Fehler
durch Ihren gesamten Antrag zieht.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Äpfel mit Birnen!)


Lassen Sie mich mit Ihrem letztgenannten Beispiel
anfangen. Allein die Tatsache, dass ein Unternehmen
1, 2, 20 oder 2 100 Töchter im Ausland hat, lässt noch
nicht den Rückschluss zu, dass das eine rein steuermiss-
bräuchliche Gestaltung oder Ähnliches sei.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Das habe ich auch nicht gesagt! Ich habe nur gesagt: Man muss hinter die Kulissen schauen! – Manfred Zöllmer [SPD]: Sie hören nie zu!)


Zunächst ist festzuhalten: Jedes Unternehmen hat das
Recht auf die freie Entscheidung, wie es sich struktu-
riert. Sie sollten deswegen auch nicht sofort den Gene-
ralverdacht aufbauen,


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Ich habe noch nicht einmal einen Namen genannt!)


alles, was in diese Richtung strukturiert ist, sei steuer-
missbräuchliche Gestaltung.

In dem von Ihnen vorgelegten Antrag machen Sie ge-
nau diesen Fehler. Sie werfen den Begriff „Steuerge-
staltung“ mit den Begriffen „Steuerhinterziehung“ und
„Steuerbetrug“ in einen Topf.


(Manfred Zöllmer [SPD]: Sie haben nicht zugehört!)


Dabei muss man das deutlich auseinanderhalten, wenn
man sich dem Thema „Besteuerung von multinationalen
Unternehmen“ seriös nähern möchte.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: So ist es!)


In dem gestrigen Fachgespräch, an dem auch Sie teil-
genommen haben, sind die Experten deutlich zu dem
Schluss gekommen, dass wir in diesem Bereich kein
Problem mit der nationalen Gesetzgebung haben. Viel-
mehr ist es ein Problem der internationalen Zusammen-
arbeit mit anderen Sitzstaaten von Unternehmen.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Das muss man berücksichtigen, wenn man sich diesem
Thema seriös nähern will. Es ist kein Problem des natio-
nalen Gesetzgebers. Vielmehr müssen wir dort zu einer
stärkeren internationalen Zusammenarbeit kommen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das hat die Bundesregierung, das hat Bundesfinanz-
minister Wolfgang Schäuble gemacht. Er ist übrigens der
erste Bundesfinanzminister, der das Thema GKKB, also
die Gemeinsame konsolidierte Körperschaftsteuer-Be-
messungsgrundlage, aufgegriffen hat. Das ist wirklich
ein sehr interessanter Ansatz. Ich meine nicht, dass es
angemessen ist, dass Sie hier einzig und allein den Vor-
wurf erheben, es sei Ihnen nicht schnell genug gegangen.
Vorgänger von Wolfgang Schäuble sind das nämlich
nicht angegangen. Insofern ist das wirklich ein Verdienst
von Wolfgang Schäuble.

Das Bundesfinanzministerium arbeitet in der OECD
und in der Gruppe der G 20 ganz vorne mit, wenn es da-
rum geht, wie wir die internationale Zusammenarbeit
verbessern können, wie wir trotz einer Gewinn- und Ver-
lustverschiebung zwischen den einzelnen Sitzstaaten die
Steuerbemessungsgrundlage sichern können. In dieser
Frage schreitet das Bundesfinanzministerium voran. Ich
denke, das ist tatsächlich ein großes Verdienst auch die-
ser Koalition. Denn es geht ja auch darum, dass wir mit
diesen Maßnahmen das Thema der Steuergerechtigkeit
mit aufgreifen. Es kann nicht sein – das ist völlig
richtig –, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler
hier in Deutschland das Gefühl haben, sie seien die
Dummen, die in die Röhre schauen, während sich große
Unternehmen wie Google oder Starbucks durch irgend-
welche Gestaltungen der Besteuerung entziehen. Ich
denke, hierüber herrscht auch Einigkeit in diesem Haus.


(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Wenn man international zusammenarbeiten will, dann
muss man aber auch bereit sein, mit den internationalen
Partnern auf Augenhöhe zu verhandeln.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Man muss mit gutem Beispiel vorangehen!)


Damit bin ich beim Thema des Verhältnisses zwischen
Deutschland und der Schweiz.


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Oh, oh!)






Dr. Daniel Volk


(A) (C)



(D)(B)


Das ist wirklich ein Beispiel dafür gewesen, dass gerade
die andere Seite des Hauses nicht bereit war, auf gleicher
Augenhöhe zu verhandeln.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Man kann doch nicht einen schlechten Vertrag unterschreiben! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben denn die Amerikaner gemacht?)


Da wurden Begriffe wie „Kavallerie“ und Ähnliches von
einem SPD-Finanzminister in den Raum geworfen, der
sich jetzt anschickt, Bundeskanzler werden zu wollen.
Wenn man eine internationale Zusammenarbeit zu einem
fruchtbaren Ergebnis führen will, dann muss man eben
bereit sein, auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln,


(Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Nicht nur bei der Schweiz!)


und muss auch bereit sein, Kompromisse einzugehen.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig, da muss der Partner fair sein!)


Das deutsch-schweizerische Steuerabkommen, das Bun-
desfinanzminister Schäuble ausgehandelt hat, ist Ergeb-
nis einer solchen Kompromissfindung zwischen zwei
gleichberechtigten Partnern. Das wurde von Ihnen abge-
lehnt. Es ist am Widerstand der Opposition im Bundes-
tag


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Sehr gut!)


und am Widerstand der von der hiesigen Opposition re-
gierten Bundesländer gescheitert.


(Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Sie haben damit allerdings erreicht, dass wir weiterhin
den Zustand haben, dass Geld, das in der Schweiz liegt,
nicht vom deutschen Fiskus versteuert wird. Das ist doch
die wirklich schädliche und ärgerliche Konsequenz, die
wir Ihrem Verhalten zu verdanken haben.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Deswegen ist es wirklich nicht angemessen, dass Sie
sich jetzt hierhinstellen und den Vorwurf erheben, die
Bundesregierung tue nichts gegen den internationalen
Steuerwettbewerb. Auch als Opposition sollten Sie kon-
struktiv daran mitwirken, in den internationalen Ver-
handlungen gute Ergebnisse herbeizuführen. Ich fordere
Sie dazu auf; denn das dient wirklich allen Bürgerinnen
und Bürgern in diesem Staat.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Zur Sache haben Sie jetzt nichts gesagt! Wir sind da viel konkreter!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723125100

Der Kollege Dr. Axel Troost hat jetzt das Wort für die

Fraktion Die Linke.


Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723125200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Wir befürworten natürlich die Absichtserklärung, der
Steuerhinterziehung, der Steuerverlagerung nachzuge-
hen. Aber das, was im Augenblick hierzu vorliegt, ist
eben nur eine Absichtserklärung. Diese hätten Sie auch
in Form einer Pressemitteilung abgeben können.

In Ihrem Antrag dazu wird der Eindruck erweckt
– das ist auch gestern in der Anhörung geschehen –, dass
Sie jetzt die Vorreiterrolle übernehmen. Dazu kann ich
Ihnen nur sagen: Organisationen wie Attac, das Netz-
werk Steuergerechtigkeit, die Memorandum-Gruppe und
andere kämpfen seit 15 Jahren gegen die Steuergestal-
tung zulasten der Finanzeinnahmen.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD] – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Lesen Sie das Kapital von Marx! Darin steht das alles!)


Jetzt sagen Sie im Grunde: Es gibt ein paar böse inter-
nationale Konzerne, Google, Starbucks und andere. An-
sonsten ist aber alles in Ordnung; in der Bundesrepublik
haben wir überhaupt keine Probleme. – Das ist aus mei-
ner Sicht bis ins Letzte verlogen, weil es generell um die
Steuergestaltung international agierender Konzerne geht,
um die, wie wir gestern gehört haben, sogenannte ag-
gressive Steuergestaltung.

Um das an einem konkreten Beispiel zu zeigen – das
ist jetzt schon zweimal angesprochen worden; der Kol-
lege Gambke hat das gestern konkret gezeigt –: Ein Un-
ternehmen mit vielen Untergesellschaften ist die Deut-
sche Bank. Wenn diese Deutsche Bank in ihrem
Geschäftsbericht schreibt, dass die Steuerquote aufgrund
der „vorteilhaften geografischen Verteilung des Konzern-
ergebnisses“ so gut war, dann weiß man genau, was da-
mit gemeint ist, nämlich dass man Steuerlöcher nutzt,
um möglichst wenig Steuern zu zahlen. Das ist aus unse-
rer Sicht völlig unakzeptabel und muss insgesamt ange-
gangen werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Man soll an dieser Stelle ja nicht zu viel Schleichwer-
bung machen; aber ich kann alle nur auffordern, in den
Stern der letzten Woche zu schauen, in dem unter dem
Titel „Legale Staatsfeinde“ ein sehr schöner Artikel ver-
öffentlicht wurde. In diesem Artikel wird sehr genau ge-
zeigt, wie Steuergestaltung und Steuerhinterziehung in
der Bundesrepublik funktioniert.

Dass es das gibt, hängt natürlich auch damit zusam-
men, dass unsere Finanzverwaltungen personell und fi-
nanziell ausgesprochen schlecht aufgestellt sind. Die Be-
hauptung von gestern, dass die Steuererhebung bei uns
gut funktionieren würde, ist einfach unsinnig; das weiß
jeder.


(Dr. h. c. Hans Michelbach [CDU/CSU]: Das ist die Wahrheit! Wahrscheinlich haben Sie noch nie eine Betriebsprüfung miterlebt!)


Es gibt Kienbaum-Gutachten, die besagen, dass bis zu
9 Milliarden Euro pro Jahr dadurch verloren gehen, dass





Dr. Axel Troost


(A) (C)



(D)(B)


die Länder die ausschließliche Hoheit auf diesem Gebiet
haben. Der Chef der Deutschen Steuer-Gewerkschaft,
Herr Eigenthaler, sagt völlig zu Recht: Wer an der Fi-
nanzverwaltung spart, der spart Einnahmen.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Axel, in der DDR war das anders!)


– Das ist nun nicht so witzig.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Ich fand es lustig!)


Das hat wenig Bezug zum Thema.

Es ist also nicht alles in Ordnung. Auch unsere Kon-
zerne wirken gestaltend. Das, was diese Koalition in die-
sem Bereich bisher zustande gebracht hat, bewirkte
– das ist schon angesprochen worden – genau das Ge-
genteil. Man hat im Bereich der Zinsschranke genau das
Gegenteil gemacht: Man hat wieder Öffnungsmöglich-
keiten geschaffen. Gestern ist deutlich geworden, dass
die Zinsschranke so gut wie keine Rolle mehr spielt,
weil die eigentliche Idee durchlöchert worden ist.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Nein! Das wurde nicht gesagt! Das stimmt nicht! Das habt ihr immer gefragt! Das hat aber keiner gesagt!)


Es muss darum gehen, das gesamte Thema „Steuerge-
rechtigkeit und Steuerpflicht international agierender
Konzerne“ in den Mittelpunkt zu stellen. Dabei geht es
nicht um den kleinen Handwerker oder den kleinen Mit-
telständler, wie hier gesagt wird, sondern es geht um
große Konzerne, die es mit ihren Steuerabteilungen
schaffen, so gut wie nichts zur Finanzierung des Staates
beizutragen, was völlig unakzeptabel ist.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723125300

Der Kollege Dr. Thomas Gambke hat jetzt das Wort

für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Das Thema, über das wir heute sprechen, ist in der
Presse intensiv erörtert worden. Dieses Thema hat auf-
grund der sehr spektakulären Tatsache, dass einige Fir-
men – die Namen wurden genannt –, insbesondere inter-
netbasierte Unternehmen, ihre Gewinne mit 1, 3 oder
5 Prozent versteuern, eine besondere Brisanz.

Aber, Herr Middelhoff, wir müssen schon ein biss-
chen weiterschauen.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Das ist immer der Name. Es tut mir leid.


(Dr. Mathias Middelberg [CDU/CSU]: Das macht nichts! Das ist okay! Alles klar!)


Wir dürfen uns nicht nur das letzte Jahr und auch
nicht nur diese spektakulären Fälle anschauen, sondern
wir müssen uns auch anderes ansehen. Ich bin ja schon
ein bisschen länger im Bereich der Industrie unterwegs.

Schon 1990 wusste ich, dass Singapur einen Pioneer Sta-
tus hat und 0 Prozent Körperschaftsteuer erhebt. Schon
damals war bei denjenigen, die das gewusst haben, Fan-
tasie vorhanden. Ich will jetzt keinen Schwarzen Peter
verteilen, aber da wurde in der Tat wenig getan.

Es gibt ein berühmtes Möbelhaus, bei dem die Frage
war: Wie schaffen die das, in Deutschland so wenig
Steuern zu zahlen?


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Aber das Möbelhaus kommt aus Schweden!)


– Ja, aber die haben Möbelhäuser in Deutschland.


(Dr. Daniel Volk [FDP]: Das ist schon richtig!)


– Sehen Sie! – Die haben Lizenzgebühren verrechnet. Es
gab übrigens ein Gegeninstrument, die sogenannten Hin-
zurechnungen, die Sie von der Koalition abschaffen
wollten; denn Sie wollten die Gewerbesteuer kaputtma-
chen. Das war schon ein wirksames Instrument, welches
man genau deshalb eingeführt hat, um Steuersubstratver-
lagerungen ins Ausland zu verhindern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Dr. Birgit Reinemund [FDP]: Das stimmt doch einfach nicht! Äpfel, Birnen, Tomaten!)


Das Problem ist schon ein bisschen länger bekannt.

Es gibt noch einen zweiten Punkt, den Sie übersehen.
In Ihrem Antrag steht ein richtiger Satz: Wettbewerbsbe-
dingungen müssen gleich sein. – Das ist richtig. Sie
müssen aber nicht nur im Verhältnis der internationalen
Konzerne zueinander gleich sein, so wie Sie es beschrie-
ben haben. Sie betreiben da so ein bisschen Bashing und
prangern zu Recht Dinge an. Wir müssen auch schauen,
wie die Wettbewerbsbedingungen insgesamt sind.

Ich kenne viele Mittelständler in Deutschland, die sa-
gen: So gehen nicht nur Google und Apple vor, sondern
auch andere. – Da kommt ein Punkt zum Tragen, der bei
Ihrem Antrag vollkommen fehlt. Wie richtig bemerkt
wurde, fehlen eine Menge konkreter Dinge. Es steht
überhaupt nichts Konkretes darin. Herr Troost hat zu
Recht gesagt, dass er sich wie eine Presseerklärung liest.

Wir müssen doch schauen, was wir konkret machen
müssen, um da richtig zu steuern. In diesem Zusammen-
hang fehlt das Wort „Transparenz“. Der automatische In-
formationsaustausch ist angesprochen worden. Als
Grüne haben wir einen Antrag vorgelegt, der unter ande-
rem mit „Country-by-Country Reporting“ überschrieben
war. Auf Deutsch heißt das: Wir wollen, dass die Unter-
nehmen ihren Umsatz, aber auch ihre Gewinnsituation
und ihre Kopfzahl länderbezogen darstellen, damit wir
uns ein Urteil machen können und wissen, wo wir ein-
greifen müssen.

Es hat mich sehr gewundert, dass Herr Meister eine
Presseerklärung herausgegeben hat, die sich so las, als
wolle er auf alle Konzerne eindreschen. Nein, wir wollen
genau wissen, wo die Schwierigkeiten liegen. Dann wol-
len wir zielgerichtet das tun, was unter anderem im SPD-
Antrag steht, uns nämlich mit unangemessenen konzern-
internen Verrechnungspreisen, Zinszahlungen und Li-





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


zenzgebühren befassen. Wir wollen also sehr konkret
werden. Damit wir das tun können, brauchen wir Trans-
parenz. Das vermisse ich in Ihrem Antrag. Deshalb kann
man ihn nur ablehnen. Das ist eine allgemeine Aufforde-
rung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir brauchen konkrete Maßnahmen, damit wir gegen
diese Gestaltungen vorgehen können, und sollten nicht
nur auf die OECD schauen. Wir vom Finanzausschuss
waren gerade in England und haben uns dort genau mit
diesem Thema beschäftigt. Ich war ein wenig enttäuscht,
als uns Finanzminister Osborne sagte: Na ja, wir
schauen auf die OECD.

In diesem Fall müssen wir sehr viel konkreter werden
und – neben all den internationalen Verpflichtungen, die
richtig genannt wurden – wissen, wo Substrat ins Aus-
land verschoben wird. Dann müssen wir tätig werden
und Maßnahmen ergreifen. Ein paar sind im SPD-An-
trag benannt worden. Da könnten wir noch mehr ma-
chen; aber damit müssen wir anfangen. Wir dürfen nicht
warten, bis sich die G-20-Minister zusammengesetzt ha-
ben.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723125400

Das Wort hat der Kollege Dr. Hans Michelbach für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Hans Michelbach (CSU):
Rede ID: ID1723125500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Mit dem vorliegenden Antrag setzt die Bundesregierung
ihre Bemühungen auf der Ebene der G 20 und der
OECD fort, die Aushöhlung der Steuerbemessungs-
grundlage und Gewinnverschiebungen entschieden zu
bekämpfen. Ziel ist es, die künstliche Gewinnverlage-
rung international tätiger Unternehmen zu unterbinden,
die Ursachen für niedrige effektive Steuerbelastungen
dieser Unternehmen zu ermitteln, wirksame Maßnahmen
gegen Gewinnverlagerung auf dem internationalen Par-
kett umzusetzen und gegen den Nebeneffekt der Verla-
gerung, die Erzielung ungerechtfertigter Wettbewerbs-
vorteile, vorzugehen.

Das alles soll geschehen, damit auch multinationale
Auslandskonzerne einen fairen Anteil an nationalen
Steuern zahlen. Das sind wir dem Mittelstand, den deut-
schen Unternehmen als Steuerzahler der Nation schul-
dig.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Darum geht es – und nicht um Unternehmen, die Sie mit
einer falschen Zinsschranke beharken wollen.

Natürlich, meine Damen und Herren, haben wir heut-
zutage eine globale Wirtschaft. Die SPD verwechselt da-
bei immer die Ursachen und Wirkungen einer Zins-

schranke. Darum geht es aber nicht. Es geht darum, dass
das Globalisierungstempo der letzten Jahre in Deutsch-
land zu gewaltigen Wettbewerbsverzerrungen und zu ge-
waltigen Wettbewerbsvorteilen für ausländische Groß-
konzerne geführt hat, die eine unwahrscheinlich niedrige
Konzernsteuerquote haben.


(Beifall des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Darum geht es, meine Damen und Herren.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Stimmt genau! Also macht was!)


Die Bekämpfung der Aushöhlung der Steuerbemes-
sungsgrundlage und der Gewinnverschiebung funktioniert
natürlich, da es ja um ausländische Konzernunterneh-
men geht, nur international. Es geht um die Steuerquoten
ausländischer Konzerne, aber nicht um einen General-
verdacht gegenüber Unternehmen.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Den hat doch keiner!)


Wir müssen die Fakten betrachten. Es gibt Tabellen,
anhand derer man sie gut deutlich machen kann. Martin
Sullivan von Tax Analysts hat eine solche Tabelle ange-
fertigt.


(Der Redner hält ein Schaubild hoch)


Da heißt es: hoher Gewinn, geringe Steuern. Es geht um
die hohen Gewinne ausgewählter US-Konzerne 2010 in
Milliarden Dollar und die geringe Steuerbelastung der
ausländischen Gewinne in Milliarden Dollar. Es ist ganz
eindeutig zu sehen: Apple machte im Jahr 2010 13 Mil-
liarden Dollar Gewinn und zahlte 0,1 Milliarden Dollar
Steuern; das entspricht einer Steuerbelastung von 1 Pro-
zent. Die Steuerbelastung von Google lag 2010 bei
3 Prozent und die von Cisco Systems bei 5 Prozent; das
geht so weiter und ließe sich fortsetzen. Es gibt in dieser
Tabelle kein amerikanisches Unternehmen, das eine
Steuerbelastung von über 19 Prozent hatte.

Um zu verstehen, wie es dazu kommen kann, muss
man sich allerdings in die Details einarbeiten, statt glo-
bale Unternehmen pauschal an den Pranger zu stellen.


(Der Redner hält erneut ein Schaubild hoch)


Hier sehen Sie, wie die Besteuerung von Lizenzgebüh-
ren auf Bermuda vonstattengeht:


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Oh! Das ist aber ein schönes Bild! – Dr. Thomas Gambke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Kaum zu erkennen! Für den Zuschauer ist das jetzt bestimmt besonders schön!)


Die Lizenzgebühren fließen von den USA in eine irische
Holding, dann von der irischen Holding in die Nieder-
lande – alles ganz ohne Besteuerung –, und dann fließt
das Ganze zurück in die USA. Das ist verwerflich. Das
können wir nicht akzeptieren. Darum geht es, meine Da-
men und Herren. Das sind Fakten, die man zur Kenntnis
nehmen muss.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Dr. h. c. Hans Michelbach


(A) (C)



(D)(B)


Es gibt die Globalisierung, und wir wollen sie natür-
lich auch akzeptieren. Die Globalisierung eröffnet Chan-
cen, aber eben auch Schlupflöcher, in denen rechtmäßige
Steuereinnahmen auf Nimmerwiedersehen verschwinden.
International operierende Konzerne führen fragwürdige
Steuergestaltungen durch und nutzen Steueroasen. Lei-
der gibt es solche Steueroasen auch in der Europäischen
Union. Deswegen muss jetzt international gehandelt
werden. Wir wollen die Steueroasen in Zypern, Irland
und anderen Ländern austrocknen. Darum geht es, meine
Damen und Herren.

Steueroptimierungsstrategien, wie sie so schön hei-
ßen, haben zum Ziel, Gewinne möglichst in Steueroasen
anfallen zu lassen. Es darf aber nicht sein, dass sich Kon-
zerne mithilfe von Lizenzgebühren und allen möglichen
anderen Konstruktionen Vorteile verschaffen. Deswe-
gen, meine Damen und Herren: Lassen Sie uns eine ganz
klare und vernünftige Abgrenzung vornehmen! Dass Sie
deutsche Unternehmen unter einen Generalverdacht stel-
len, ist völlig falsch.


(Lothar Binding [Heidelberg] [SPD]: Wir unterstellen ihnen gar nichts!)


Hierzulande haben wir ganz andere Konzernsteuerquo-
ten als in den Fällen, die wir vor Augen haben. Es geht
allein darum, dass wir den Missbrauch jetzt auf interna-
tionaler Ebene bekämpfen. Deutschland hat in vielen
Bereichen der Finanzmarktregulierung eine Vorreiter-
rolle übernommen. Wir werden auch bei der Austrock-
nung der Steueroasen eine Vorreiterrolle übernehmen.
Dabei lassen wir uns von niemandem überbieten, meine
Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723125600

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den Antrag der
Fraktionen von CDU/CSU und FDP auf Drucksa-
che 17/12827 mit dem Titel „Unterstützung der Initia-
tive der G 20 und der OECD zur Bekämpfung der Aus-
höhlung der Steuerbemessungsgrundlage und der
Gewinnverschiebung internationaler Konzerne“. Wer
stimmt für diesen Antrag? – Wer stimmt dagegen? – Ent-
haltungen? – Damit ist der Antrag bei Zustimmung durch
die Koalitionsfraktionen angenommen. Dagegen haben
SPD und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die Linke
hat sich enthalten.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12819 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Damit sind Sie ein-
verstanden. Dann verfahren wir so.

Ich rufe jetzt den Tagesordnungspunkt 10 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Josip
Juratovic, Anette Kramme, Gabriele Hiller-Ohm,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Arbeitsfähigkeit von Beschäftigten erhalten –
Psychische Belastungen in der Arbeitswelt re-
duzieren

– Drucksache 17/12818 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend 
Ausschuss für Gesundheit

Hierzu soll eine halbe Stunde debattiert werden. – Da-
mit sind alle einverstanden. Dann verfahren wir so.

Für die SPD-Fraktion erteile ich das Wort dem Kolle-
gen Josip Juratovic.


(Beifall bei der SPD)



Josip Juratovic (SPD):
Rede ID: ID1723125700

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! In meinem Wahlkreis bin ich regelmäßig in
Betrieben unterwegs. Ich schaue mir nicht nur die schö-
nen innovativen Unternehmen an, sondern auch die Be-
dingungen, unter denen die Menschen in unserem Land
arbeiten. Überall stößt man auf Klagen der Beschäftig-
ten, dass der Leistungsdruck enorm zugenommen hat.
An vielen Arbeitsplätzen in unserem Land hat sich der
Stress in den letzten Jahren deutlich erhöht.

Besonders in der Pflege wird das sichtbar. Meine Frau
ist als Krankenschwester tätig. Sie steht permanent unter
Zeitdruck. Oft kann sie nicht die Zeit für die Patienten
aufbringen, die diese tatsächlich brauchen, sondern muss
ihre Arbeit hastig erledigen. Durch Leistungsvorgaben
und Dokumentationspflichten, die immer mehr Arbeits-
zeit verschlingen, steht sie oft unter enormem Druck.

Die in der Pflege tätigen Menschen empfinden per-
sönlich die Verantwortung, jedem einzelnen Menschen
gerecht zu werden. Gleichzeitig müssen sie die Leis-
tungsvorgaben erfüllen. Viele Menschen geraten in
Stress und Verzweiflung, weil im Zweifel die Mensch-
lichkeit, die ihnen selbst so wichtig wäre, wegen der in-
dustrieähnlichen und betriebswirtschaftlichen Arbeitsab-
läufe verloren geht. Das ist kein Einzelfall in der
Kranken- und Altenpflege, einem Bereich, in dem wir
das Menschliche der Arbeit nicht aufgeben dürfen.

Kolleginnen und Kollegen, am Beispiel einer Kran-
kenschwester wird besonders deutlich, dass Stress in der
Arbeitswelt allen schadet: Er schadet der Kranken-
schwester, weil sie durch psychische Belastungen und
Stress selbst krank wird. Er schadet dem Arbeitgeber,
weil er die Ausfallzeiten seiner Arbeitnehmer zu ver-
kraften hat. Er schadet den Krankenkassen, weil sie bei
Krankheiten, die durch psychische Belastungen entste-
hen, die Kosten tragen müssen. Er schadet der Qualität
der Arbeit; denn mit psychischen Belastungen am Ar-
beitsplatz kann keine Krankenschwester wirklich gute
Arbeit leisten. Das schadet natürlich auch dem Patienten.
Das Gesundheitswesen leidet, weil niemand mehr die
psychisch und physisch harte Arbeit in der Pflege ma-
chen will – so viel zum Thema Fachkräftemangel. Der
Stress schadet der gesamten Gesellschaft; denn Familien
und Freunde müssen zurückstecken, wenn jemand unter
psychischen Belastungen am Arbeitsplatz leidet.

Kolleginnen und Kollegen, diese Analysen sind be-
kannt. Es ist offensichtlich, dass wir mehr und besseren
Arbeits- und Gesundheitsschutz brauchen, insbesondere





Josip Juratovic


(A) (C)



(D)(B)


um psychische Belastungen in der Arbeitswelt zu redu-
zieren.

Leider haben wir auch im Bereich des Arbeitsschut-
zes eine Bundesregierung des Zögerns und Zauderns.


(Hans-Joachim Otto, Parl. Staatssekretär: Ach nein!)


– Ja. – Arbeitsministerin von der Leyen tut in der Öffent-
lichkeit wieder einmal betroffen und organisiert eine
Konferenz. Aber es gibt kein Ergebnis dieser Konferenz.
Das ist typisch für diese Bundesregierung: Dauernd wer-
den Gipfeltreffen abgehalten und die Ergebnisse werden
zwar medial vermarktet, aber politisch nie umgesetzt.


(Beifall bei der SPD)


Meine Damen und Herren von der Bundesregierung,
Gipfel und Konferenzen helfen keinem Betroffenen. Die
Betroffenen brauchen konkrete politische Handlungen
und keine warmen Worte.

Kolleginnen und Kollegen von Union und FDP, Sie
haben nun durchgesetzt, dass die Anhörung zu den bis-
her vorliegenden Oppositionsanträgen zu psychischen
Belastungen in der Arbeitswelt verschoben wird. Viel-
leicht passiert in der Bundesregierung also doch noch et-
was.

Wenn hier noch eine Initiative kommt, dann aber nur
auf massiven Druck aus der Gesellschaft, von den Ge-
werkschaften sowie von den Millionen Arbeitnehmerin-
nen und Arbeitnehmern, die unter psychischen Belastun-
gen leiden. So agiert keine Bundesregierung, die eine
Vision von einem fairen Arbeitsmarkt hat; vielmehr ha-
ben wir eine getriebene Bundesregierung ohne eigene
Ideen.

Wir als SPD haben mit unserem Antrag einen klaren
Fahrplan zur Modernisierung des Arbeits- und Gesund-
heitsschutzes mit einem Fokus auf die psychischen Be-
lastungen in der Arbeitswelt.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir brauchen dringend eine Anti-Stress-Verordnung,
in der für Arbeitnehmer und Arbeitgeber klar definiert
ist, wie der Arbeitsschutz im Bereich „Psychische Belas-
tungen“ auszusehen hat.

Wir haben im Arbeitsschutz alle möglichen Verord-
nungen, beispielsweise auch eine Biostoffverordnung.
Im Bereich „Psyche“ besteht aber eine Regelungslücke,
die wir dringend schließen müssen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Die Gefährdungsbeurteilungen, in denen der Arbeits-
platz auf Gefahren hin analysiert wird, müssen deutlich
häufiger als bisher durchgeführt werden. Derzeit führen
trotz gesetzlicher Vorschriften nur 51 Prozent der Be-
triebe Gefährdungsbeurteilungen durch, und in vielen
Beurteilungen werden psychische Belastungen nicht be-
rücksichtigt. Das muss besser werden.

Betriebliche Akteure müssen bezogen auf den Be-
reich „Psychische Belastungen“ besser informiert und
qualifiziert werden. Zudem müssen beispielsweise Ver-
einbarungen zum Abschalten von Firmenhandys getrof-
fen werden, damit die arbeitenden Menschen auch tat-
sächlich einen Feierabend bekommen.

Wir müssen die Umsetzung des betrieblichen Ein-
gliederungsmanagements verbessern. Wenn einst kranke
Arbeitnehmer in den Betrieb zurückkehren, muss der
Arbeitsplatz so gestaltet worden sein, dass der Arbeit-
nehmer nicht erneut arbeitsunfähig wird. Für den Fall,
dass das Unternehmen das betriebliche Eingliederungs-
management nicht umsetzt, brauchen wir auch eine
Sanktion. Wir schlagen vor, dass der Arbeitgeber die
Lohnfortzahlung im Krankheitsfall dann länger leisten
muss.

Wir fordern, dass die Zusammenarbeit zwischen
Krankenkassen und Arbeitgebern besser werden muss,
um mehr Konzepte für den betrieblichen Gesundheits-
schutz zu erarbeiten.

Wir alle wissen, dass es ohne Kontrolle nicht geht.
Deswegen fordern wir umfassendere Kontrollen durch
die Arbeitsschutzbehörden. Fehlender Arbeitsschutz
muss angemessen sanktioniert werden. Die Kürzungen
beim Aufsichtspersonal müssen rückgängig gemacht
werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir legen mit unse-
rem SPD-Antrag detaillierte Forderungen für den Ar-
beits- und Gesundheitsschutz vor; denn Arbeitsschutz ist
für die gesamte Gesellschaft wichtig. Leider räumt die
Bundesregierung diesem Thema keinerlei Priorität ein.
Wir müssen den Arbeits- und Gesundheitsschutz aber
dringend modernisieren, damit wieder gilt: Arbeit darf
nicht krank machen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Leider hat die Bundesregierung jedoch nur warme
Worte, aber keinen Willen zu gesetzlichen Aktivitäten.
Ich verspreche allen Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmern in unserem Land, die unter psychischen Belas-
tungen am Arbeitsplatz leiden: Wir Sozialdemokraten
werden dafür sorgen, dass der Arbeits- und Gesundheits-
schutz aus seinem schwarz-gelben Dornröschenschlaf
geholt wird – spätestens im Herbst nach der Bundestags-
wahl.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723125800

Das Wort hat der Kollege Dr. Matthias Zimmer für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Guter Mann!)







(A) (C)



(D)(B)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1723125900

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Verehr-

ter Kollege Juratovic, wir teilen natürlich Ihre Sorge und
haben die sich verändernde Arbeitswelt im Blick. Auch
wir beobachten eine zunehmende Verdichtung von Arbeit,
eine Erhöhung von Effizienzanforderungen und eine
neue Präsenzkultur am Arbeitsplatz, Tendenzen einer
allzeitigen Erreichbarkeit. Hier ist es natürlich richtig:
Das Handy ist zwar manchmal ein schönes Spielzeug,
aber manchmal kann es auch ein ganz schöner Fluch
sein.

Wir sehen mit großer Sorge, dass die Zahl psychisch
bedingter Fälle von Arbeitsunfähigkeit zunimmt. Psy-
chische Erkrankungen und Erschöpfungszustände haben
in erster Linie verheerende Folgen für die Betroffenen
selbst, aber auch für die Gesellschaft. Insofern aner-
kenne ich wirklich, dass wir hier einen Handlungsbedarf
haben.

Sie haben nun den Antrag vorgelegt. Sie haben ihn
am Dienstag in einer Pressekonferenz angekündigt. Am
Mittwoch ließen Sie uns den Antrag zukommen, der
heute debattiert wird. Sie haben natürlich recht: Wenn
Termindruck einer der Belastungsfaktoren ist, dann
sollte man ihn vermeiden, zumal dann, wenn es dabei
um einen so substanziellen Antrag wie den Ihrigen geht.
In der Analyse steckt, Herr Kollege Juratovic, sehr viel
Richtiges und Tiefgründiges. Ich hätte nur gerne mehr
Zeit gehabt, darüber nachzudenken.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dafür machen wir ja eine Anhörung!)


Sie hatten nach den Anträgen der Linken und der
Grünen im vergangenen Jahr Monate Zeit, den Antrag
zu formulieren, und geben uns nicht einmal einen Tag,
um darüber nachzudenken. Unter dem Gesichtspunkt
des vermeidbaren Stresses ist das etwas unfair. Deswe-
gen will ich auch nur einige erste Hinweise geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Anton Schaaf [SPD]: Jammern auf hohem Niveau!)


Wir haben in einigen Punkten indes – das scheint jetzt
schon klar zu sein – unterschiedliche Auffassungen. Die
SPD schlägt, ähnlich wie die Grünen und Linke das be-
reits getan haben, den Erlass einer Anti-Stress-Verord-
nung vor.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)


Die ausgeübten Tätigkeiten müssten dann gar der Ge-
sundheit zuträglich sein. Das wirft natürlich die Frage
auf, welche Tätigkeiten der Gesundheit überhaupt zu-
träglich sind und warum.

Ich kann mir beispielsweise kaum vorstellen, dass es
der Gesundheit der Mitarbeiter der SPD zuträglich ist,
laufend Forderungen zu formulieren, die ohnehin nicht
durchgesetzt werden, oder, noch schlimmer, im Be-
wusstsein zu arbeiten, dass man vermutlich auch nach
dem 22. September für weitere vier Jahre nicht den Be-
weis des Gegenteils antreten kann.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wird aber jetzt dem Thema überhaupt nicht gerecht!)


Aber was folgt daraus? Für mich jedenfalls nur die Frag-
würdigkeit einer Formulierung, alle Tätigkeiten müssten
der Gesundheit zuträglich sein.

Der Schutz der seelischen Gesundheit im Betrieb
steht und fällt mit einer mitarbeiterorientierten Unter-
nehmenskultur. Diese basiert insbesondere auf Teilhabe
und Mitgestaltung der Beschäftigten, auf partnerschaftli-
cher Kommunikation und einem sorgfältigen Umgang
arbeitsplatzbezogener Anforderungen mit individuellen
Fähigkeiten.

Diese Zusammenhänge lassen sich nur schwer im
Wege rechtlicher Vorgaben festlegen. Insbesondere An-
forderungen, die auf eine Verbesserung des sozialen
Umgangs gerichtet sind, sind schwer regelbar. Antistress
per Gesetz würde in diesem Bereich also mit großer Si-
cherheit ins Leere laufen. Das können wir vielleicht ganz
praktisch einmal prüfen, wenn wir unser eigenes Verhal-
ten als Arbeitgeber beobachten. Was nützen die besten
Gesetze, wenn sie nicht in den Köpfen der Führungs-
kräfte angekommen sind? Führen durch Vorbild wäre
hier sinnvoller.

Ich bin auch sehr dafür, die Führungskräfte zu qualifi-
zieren, zu informieren. Ich halte es aber für wenig sinn-
voll, wenn sich – diese Tendenz ist in Ihrem Antrag
durchaus enthalten – Arbeit und Führung nur noch als
therapeutische Gesamtveranstaltung verstehen.

Ich meine auch, dass einige grundsätzliche Unter-
schiede zwischen uns und der SPD deutlich werden. Im
Antrag wird gefordert, die Bundesregierung solle für die
Anwendung des betrieblichen Eingliederungsmanage-
ments Sorge tragen. Sie wollen den Staat als regelnde In-
stanz in allen Lebenslagen und Bereichen. Wir setzen
auf subsidiäre Lösungen zwischen den Beteiligten vor
Ort, also in dem Fall den Beschäftigten, den Interessen-
vertretungen und den Betriebsärzten.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Nachdenkenswert ist meines Erachtens Ihr Vorschlag,
dass Arbeitgeber und Krankenkassen gemeinsame Kon-
zepte zur betrieblichen Gesundheitsförderung erarbeiten
sollen. Das könnte ich mir zwischen den Interessenver-
tretungen und den Krankenkassen vor Ort noch ein we-
nig gewinnbringender vorstellen. Dennoch halte ich es
für lobenswert, dass Sie an dieser Stelle unsere Überzeu-
gungen teilen, vor Ort anzusetzen. Auch für überlegens-
wert halte ich Ihren Vorschlag – Sie haben es eben wieder-
holt, Herr Kollege Juratovic –, psychische Belastungen in
einer Gefährdungsbeurteilung im Arbeitsschutzgesetz
mit zu erfassen. Da sind wir ganz nah beieinander.

Die christlich-liberale Koalition plant, zu diesem
Thema zeitnah einen eigenen Antrag in den Bundestag
einzubringen. Nachdem der Antrag der SPD substanziel-
ler und besser war als der Antrag der Linken und der
Grünen aus dem letzten Jahr, dürfen Sie von uns erwar-





Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)


ten, dass wir es noch einen Tick besser machen als Sie.
Auf diese Debatte freue ich mich.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723126000

Für die Linke hat jetzt Jutta Krellmann das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723126100

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen

und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das Tolle
an diesem Thema ist, dass es ziemlich viel Übereinstim-
mung gibt. Der Anstieg der Zahl der arbeitsbedingten
Erkrankungen wegen psychischer Belastungen ist be-
sorgniserregend. Es ist höchste Zeit, dass hier etwas pas-
siert. Die Forderungen der SPD sind in vielen Punkten
mit unseren deckungsgleich – das ist aus meiner Sicht
eine gute Voraussetzung für eine Lösung des Problems –:
die Anti-Stress-Verordnung, die stärkere Kontrolle der
Einhaltung von Arbeitsschutzgesetzen, die größere Rolle
von Betriebs- und Personalräten bei der Arbeitsplatzge-
staltung und der Wiedereingliederung. Der große Unter-
schied ist: Sie behandeln in Ihrem Antrag die Symptome
und nicht die Ursachen. Sie schreiben in Ihrem Antrag,
dass die Zunahme der Zahl der Stresskrankheiten durch
den „Wandel in der Arbeitswelt“ verursacht wurde. Das
ist richtig. Aber woher kommt dieser Wandel der Ar-
beitswelt? Das alles ist doch keine Naturkatastrophe. Die
Entwicklung wurde durch politische Entscheidungen der
letzten Jahre bewusst herbeigeführt. Deswegen geht es
heute auch um die Deregulierung und Liberalisierung
des Arbeitsmarktes. Das sind die Ursachen. Darüber
müssen wir sprechen. Sonst springen Sie mit Ihren Vor-
schlägen zu kurz.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich will das an zwei Beispielen deutlich machen. Ers-
tens. Sie stellen fest: Befristet Beschäftigte stehen unter
erhöhtem Leistungsdruck. – Das sehen wir ganz ge-
nauso. Deswegen wollen wir Befristungen ohne Sach-
grund verbieten und haben das auch in unseren Antrag
geschrieben. Eine ganzheitliche Betrachtung ist ange-
sagt. Die sachgrundlose Befristung muss weg. Dann
können psychische Erkrankungen aus diesem Grund erst
gar nicht entstehen. Die Ursachen müssen beseitigt wer-
den.

Zweites Beispiel, Leiharbeit. Den Leiharbeitnehmern
wird gesagt: Strengen Sie sich an! Dann haben Sie eine
Chance auf Übernahme. – Blödsinn, sage ich. Die Über-
nahme in reguläre Beschäftigungsverhältnisse klappt
lediglich bei 7 Prozent der Leiharbeitnehmerinnen und
-arbeitnehmer. Die Situation – dauernde Unsicherheit,
das ständige Gefühl ungerechter Behandlung und hoher
Leistungsdruck – macht Menschen krank. Die Konse-
quenz kann nur sein: Verbot der Leiharbeit.


(Beifall bei der LINKEN)


Atypische und unregelmäßige Arbeitszeiten erzeugen
Stress. Auch das ist eine richtige Feststellung. Ihr Antrag
enthält aber leider keine Regelung, aus der hervorgeht,
wie im Rahmen des Arbeitsschutzgesetzes eine Mög-
lichkeit zur Vermeidung von Stress geschaffen werden
kann. Die Betriebs- und Personalräte werden an dieser
Stelle im Grunde alleine gelassen.

Sie, meine Damen und Herren von der SPD, gehen
die Frage der Deregulierung des Arbeitsmarktes nicht
grundsätzlich an, im Gegenteil. Noch letzte Woche ha-
ben Sie die Agenda 2010 gefeiert; sie ist überhaupt kein
Grund zum Feiern. Deswegen bleiben Ihre Forderungen
auf halbem Wege stecken und werden unglaubwürdig,
obwohl sie im Einzelnen richtig sind. Wir werden Ihre
Forderungen unterstützen. Aber Sie müssen sich ent-
scheiden, ob Sie den Weg der Agendapolitik fortsetzen
oder konsequent für die Gesundheit der Beschäftigten
sorgen und eintreten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723126200

Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die

FDP-Fraktion.


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1723126300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Da wir heute über das Thema psychische Gesundheit am
Arbeitsplatz sprechen, muss man zuerst und ohne jegli-
che Wertung feststellen, dass in den letzten Jahren die
Zahl der diagnostizierten psychischen Erkrankungen und
dementsprechend auch die Fehlzeiten der Arbeitnehmer
aufgrund dieser Erkrankungen deutlich gestiegen sind.
Mittlerweile gehen 13 Prozent aller Tage, an denen Ar-
beitnehmer krankgeschrieben sind, auf psychische Er-
krankungen wie Depressionen oder Angststörungen zu-
rück. Vor zehn Jahren waren das gerade einmal
6,6 Prozent. Mit knapp 40 Prozent aller Erwerbsminde-
rungsrentenfälle sind psychische Krankheiten inzwi-
schen Hauptgrund für einen vorzeitigen Rentenbezug.

Psychische Erkrankungen wie Depressionen und Er-
schöpfungszustände wie das Burn-out-Syndrom haben
schwerwiegende Folgen für die Betroffenen, aber auch
für die Unternehmen sowie für die Gesamtwirtschaft und
das Sozialversicherungssystem. Nach Angaben des Sta-
tistischen Bundesamtes entstehen der deutschen Wirt-
schaft allein durch psychische Erkrankungen Kosten von
jährlich knapp 29 Milliarden Euro.

Früher war unser größtes Problem, dass Menschen an
ihrem Arbeitsplatz starken physischen Belastungen aus-
gesetzt waren. Ich selbst stamme aus einer Unternehmer-
familie und habe als Kind im Betrieb beobachten kön-
nen, wie hart gearbeitet wurde. Seitdem hat sich viel
geändert. Arbeitsabläufe in den Betrieben wurden ange-
passt, viele der Aufgaben, die früher stark physisch be-
lastend waren, werden heute mithilfe, von oder durch
Maschinen erledigt. Damit rücken natürlich – das ist
klar – auch in der Statistik die psychischen Erkrankun-
gen umso deutlicher in den Vordergrund.





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)


Ich finde es wichtig, dass wir eine Enttabuisierung ha-
ben. Die TU München hat festgestellt, dass nur 16 Pro-
zent der Arbeitnehmer ihrem Arbeitgeber überhaupt mit-
teilen, dass sie Probleme haben. Das ist das gute Recht
der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das können
und wollen wir nicht ändern. Aber es muss klar sein,
dass dieser Anstieg auch ein Stück weit den geänderten
Diagnoseverfahren bei psychischen Erkrankungen ge-
schuldet ist. Diese Krankheiten können heute besser er-
kannt werden, als es früher der Fall war.

Mir ist wichtig, darauf hinzuweisen – das spielt eine
Rolle bei der Schuldzuweisung –, dass die Hälfte aller
psychischen Störungen sich schon vor dem 15. Lebens-
jahr, also völlig unabhängig von einer Berufstätigkeit,
entwickelt hat. Ärzte weisen immer wieder darauf hin,
dass psychische Probleme in den ganz überwiegenden
Fällen dann entstehen, wenn auch im privaten Bereich
Schwierigkeiten vorhanden sind. Wenn das private Um-
feld nicht als Stütze, als Ressource, wie es im „Stressre-
port Deutschland 2012“ heißt, vorhanden ist, sondern
wenn das private Umfeld selbst noch belastet, dann wie-
gen eben auch die Belastungen am Arbeitsplatz umso
schwerer. Wenn diese Belastungen dauerhaft und über-
mäßig auftreten, dann wird es schwierig; denn – auch
das kann man aus dem „Stressreport Deutschland 2012“
herauslesen – wenn die Arbeitnehmer keine Erholungs-
möglichkeiten haben, treten die Probleme konkret und
verschärft auf.

Ich will darauf hinweisen, dass wir als Politiker eine
ganze Menge tun können und auch schon getan haben,
wir also nicht so untätig sind, wie es die Opposition in
ihren Anträgen gerne glauben machen will. Es muss
nicht alles in Form eines Gesetzes oder einer Verordnung
kommen. Ich will beispielhaft Folgendes nennen: Das
Bundesministerium für Arbeit und Soziales hat die „Ini-
tiative Neue Qualität der Arbeit“ ins Leben gerufen, die
Vertreter der Wirtschaft, der Gewerkschaften, der Unter-
nehmer, der Sozialversicherung, des Bundes und der
Länder an einen Tisch bringt, um die Arbeitsqualität der
Beschäftigten zu erhöhen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das Qualifizierungsprogramm „work-life-compe-
tence“ des Bundesministeriums für Familie, Senioren,
Frauen und Jugend richtet sich vor allem an kleine und
mittlere Unternehmen. Die Koordinationsplattform „Na-
tionale Arbeitsschutzkonferenz“, die an einer gemeinsa-
men deutschen Arbeitsschutzstrategie arbeitet, und die
gesetzliche Krankenversicherung sind wichtige Stützen
für Unternehmen, um eine umfassende und passgenaue,
am neuesten Stand der Wissenschaft orientierte betriebli-
che Gesundheitsförderung zu etablieren. Mit der Kam-
pagne „Unternehmen unternehmen Gesundheit“ hat das
Bundesministerium für Gesundheit eine Vielzahl von
Beispielen guter Praxis der betrieblichen Gesundheits-
förderung veröffentlicht und motiviert so Arbeitgeber
und Arbeitnehmer dazu, gemeinsam gesundheitsför-
dernde Angebote zu entwickeln.

Mit der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeits-
medizin ist zudem eine kompetente Ressortforschungs-

einrichtung im Geschäftsbereich des BMAS geschaffen
worden. Um das öffentliche Bewusstsein und die Sensi-
bilität für das Thema psychische Gesundheit zu stärken,
fördert das BMG zudem das „Aktionsbündnis Seelische
Gesundheit“, das mit seinen über 70 Mitgliedsorganisa-
tionen bundesweite und regionale Initiativen zur Aufklä-
rung und zur Förderung der seelischen Gesundheit am
Arbeitsplatz durchgeführt hat. Das stärkt eine sachliche
Diskussion und trägt zu einem präventiven gesellschaft-
lichen Klima bei, welches insbesondere auch für eine ge-
sundheitsförderliche Unternehmenskultur von großer
Bedeutung ist.

Ich könnte hier noch fortfahren mit der Aufzählung.
Allein, meine Redezeit reicht nicht aus.

Ich glaube, es ist erforderlich, dass wir unsere Öffent-
lichkeitsarbeit ausweiten auch mit dem Ziel, das Be-
wusstsein bei den Unternehmen und Unternehmern
selbst zu schärfen. Gerade in kleinen und mittleren Un-
ternehmen ohne große Strukturen ist die Aufmerksam-
keit und Sensibilität der Chefs in diesem Bereich wich-
tigste Voraussetzung. Gerade für kleine und mittlere
Unternehmen in Deutschland brauchen wir Angebote,
die einen niedrigschwelligen Zugang ermöglichen und
geringen Umsetzungsaufwand erfordern, und keine Stra-
tegie, die den Unternehmen aufgrund bürokratischer
Vorschriften primär mehr Arbeit macht, aber keinem
einzigen Arbeitnehmer nützt.


Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723126400

Herr Kollege!


Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1723126500

Hier vorne blinkt es schon ganz heftig. Ich bitte um

Nachsicht, dass ich so abrupt abbrechen muss, und be-
danke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Das ist ein Stressfaktor!)



Katrin Dagmar Göring-Eckardt (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723126600

Kollegin Beate Müller-Gemmeke hat jetzt das Wort

für Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr
Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es
ist gut, dass nun auch die SPD einen Antrag zu psychi-
schen Gefährdungen am Arbeitsplatz vorgelegt hat. Drei
Anträge für die anstehende Anhörung – das ist ein sehr
klares Signal von der Opposition an die Bundesregie-
rung. Wir hoffen, dass dieses Signal auch ankommt.
Denn noch hat die Bundesregierung ja Zeit, aktiv zu
werden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Gabriele Hiller-Ohm [SPD])


Stress gehört zum Arbeitsalltag; das hat der Stress-
report 2012 nochmals bestätigt. Bei 43 Prozent der Be-
fragten hat der Arbeitsstress in den letzten zwei Jahren





Beate Müller-Gemmeke


(A) (C)



(D)(B)


zugenommen; 52 Prozent arbeiten unter starkem Ter-
min- und Leistungsdruck. Ein Viertel der Beschäftigten
lässt die Pausen ausfallen, weil sie nicht in den Arbeits-
ablauf passen oder sonst das Arbeitspensum nicht zu
schaffen ist. Es wundert also nicht, dass die Fehltage
aufgrund psychischer Belastungen in den letzten 15 Jah-
ren laut DAK-Gesundheit um 165 Prozent angestiegen
sind. Stress am Arbeitsplatz macht krank. Diese Tatsa-
che brauchen wir hier nicht mehr zu diskutieren. Han-
deln ist angesagt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Und was kommt von der Bundesregierung? Als der
Stressreport vorgestellt wurde, sagte Frau von der Leyen
– ich zitiere –:

Stress bei der Arbeit kann vorkommen, aber nicht
dauerhaft. Und er darf auch nicht krank machen. …
Ich will dem chronischen Stress den Kampf ansa-
gen und erwarte, dass die Betriebe mitziehen.

Im Gespräch war ja damals eine Anti-Stress-Verord-
nung. Doch die Arbeitgeber sind dagegen, und daran ist
auch eine gemeinsame Erklärung gescheitert. Kaum
hatte der Kampf von Frau von der Leyen begonnen, war
er auch schon wieder zu Ende. Das war wieder einmal
die folgenlose Ankündigungspolitik der Ministerin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Aus dem Kampf wird jetzt eine gesetzliche Minirege-
lung. Im Arbeitsschutzgesetz soll die Regelung in § 5
durch die Worte „psychische Belastungen am Arbeits-
platz“ ergänzt werden. Das ist weder eine Kampfansage
an die Arbeitgeber, noch hilft es gegen den Stress am Ar-
beitsplatz. Damit wird Handeln vorgetäuscht. Das ist
eine Placebomaßnahme. Und das wird dem Thema und
den Beschäftigten nicht gerecht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Sehr geehrte Regierungsfraktionen, bei diesem
Thema geht es um die Gesundheit und die Lebensquali-
tät der Beschäftigten. Die Menschen leiden darunter,
wenn sie der Arbeitsverdichtung nicht mehr gewachsen
sind. Psychische Erkrankungen isolieren die Menschen
und belasten zugleich die ganze Familie. Aber es geht
auch um die Betriebe. Sie müssen den demografischen
Wandel und den drohenden Fachkräftemangel bewälti-
gen. Das geht jedoch nur mit einer tragfähigen Arbeits-
kultur.

Und wenn wir über Stress reden, dann geht es auch
um das Thema Altersarmut, über das die Ministerin
gerne redet, aber bei dem sie nichts zustande bringt. Wer
Altersarmut verhindern will, der muss dafür sorgen, dass
die Beschäftigten auch gesund bis zur Rente arbeiten
können.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Deshalb fordern auch wir eine Anti-Stress-Verord-
nung. Die Arbeitgeber müssen sensibilisiert werden. Sie
müssen wissen, wann und wie Stress am Arbeitsplatz

entsteht, und vor allem, wie er vermieden werden kann.
Eine Anti-Stress-Verordnung wäre ein konkretes Werk-
zeug, das wir den Betrieben an die Hand geben wollen.
Die Ergänzung im Arbeitsschutzgesetz reicht, wie ge-
sagt, einfach nicht aus. Damit verfährt die Ministerin
wieder einmal nach dem Grundsatz: Augen zu und
durch. Das wird der Lebensrealität der Menschen nicht
gerecht. In einer älter werdenden Gesellschaft müssen
die Menschen mit ihren Fähigkeiten, aber auch mit ihren
Belastungsgrenzen im Mittelpunkt stehen. Wir brauchen
eine alters- und alternsgerechte Arbeitswelt.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723126700

Vielen Dank, Frau Kollegin Beate Müller-Gemmeke. –

Nächster Redner für die Fraktion von CDU und CSU:
Kollege Ulrich Lange. Bitte schön, Kollege Ulrich
Lange.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1723126800

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!


(Anton Schaaf [SPD]: Bis dahin war alles richtig! – Heiterkeit)


– Lieber Kollege Schaaf, es kommen wahrscheinlich
noch zwei, drei richtige Sätze. – Wir sind uns einig über
die grundsätzlichen Erkenntnisse, dass die psychischen
Erkrankungen in den letzten Jahren stark zugenommen
haben, dass wir insbesondere im Bereich der Erwerbs-
minderungsrente, wie der Kollege Kolb schon ausge-
führt hat, eine eklatante Zunahme an Fällen von psychi-
schen Erkrankungen haben, die dann als Hauptgrund zur
Verrentung führen. Insoweit sind wir uns bei der Ana-
lyse der nackten Zahlen sicherlich einig.

Was die Analyse der Ursachen angeht, so haben wir
in gewissen Punkten eine Übereinstimmung. Ja, es ist
gut, dass das Krankheitsbild enttabuisiert ist. Die be-
rühmtesten Fälle haben wir im letzten Jahr insbesondere
im Leistungssport gesehen. Ja, es ist gut und richtig, dass
sich die Menschen inzwischen trauen und keine Scham
mehr haben, darüber offen zu reden, sodass wir be-
stimmte psychische Belastungen besser als Krankheit er-
kennen.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, lassen Sie
mich noch eins anfügen: Die Ursachenkette ist sicher
deutlich multikausal. Die Ursachen liegen auch in unse-
ren Familien. Eine Ursache ist die Vereinbarkeit von Fa-
milie und Beruf. Eine weitere Ursache ist – das möchte
ich ebenfalls sagen – unser persönliches Lebens- und
Freizeitumfeld. Da sollten wir schon auch uns ganz of-
fen einmal selber fragen. Darüber hinaus ist eine Ur-
sache natürlich die wachsende Belastung am Arbeits-
platz selber: der schon mehrfach genannte Termindruck,
der Leistungsdruck, die monotonen Tätigkeiten. Wenn





Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)


ich so in unsere Reihen schaue, dann sehe ich auch: Eine
andere Ursache ist das berühmte Multitasking. Jeder von
uns ist dauerhaft und ständig erreichbar. Wir brauchen
uns nicht zu wundern, dass wir mit diesem Vorbild nicht
immer positiv wirken.

Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen – auch hier hat
der Kollege Kolb schon einiges angeführt –, wir arbeiten
an der Verbesserung der Situation. Lieber Kollege
Juratovic, man kann nicht einfach die Schuld für dieses
Phänomen jetzt der Bundesregierung und einer angeb-
lich nicht handelnden Ministerin zuschieben.


(Beate Müller-Gemmeke [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht das ist das Problem, sondern, dass sie es nicht angeht!)


Das kann man wirklich unter der Rubrik „Wahlkampf“
abhaken. Auch dieses reflexartige Schreien nach neuen
Gesetzen und Verordnungen ist nicht das, was mich
überzeugt. Was wir vielmehr brauchen, ist ein gutes so-
ziales Miteinander in den Betrieben.


(Karl Schiewerling [CDU/CSU]: Genau!)


Da will ich schon eine Lanze für die Unternehmerin-
nen und Unternehmer und für die Betriebsräte brechen.
In vielen Betrieben gibt es viele gute Ansätze, und die
sollten wir auch honorieren und akzeptieren.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Unsere Bundesregierung hat inzwischen viele Initiativen
und zahlreiche Maßnahmen begonnen. Wir sind in der
Umsetzung.

Ich habe vorhin als eine Ursache das familiäre Um-
feld genannt. Der Ausbau von Kindertagesstätten ist in
den letzten Jahren massiv vorangekommen. Wir haben
zahlreiche schon vorhandene gesetzliche Regelungen,
die die Gesundheit am Arbeitsplatz gewährleisten, etwa
das Arbeitsschutzgesetz, über das schon gesprochen
wurde, aber auch solche Dinge wie die Arbeitsstätten-
verordnung oder die Bildschirmarbeitsverordnung. Das
alles sind viele kleine Bausteine, die dazu beitragen, dass
die Arbeitswelt für die Arbeitnehmerinnen und Arbeit-
nehmer im Hinblick auf ihre Gesundheit ein Stück weit
besser geworden ist. Dort, wo das Ganze nicht funktio-
niert und gegen gesetzliche Regelungen verstoßen wird,
vertraue ich weiterhin – das habe ich in vielen Reden
schon gesagt – auf unsere Arbeitsgerichte und auf die
Justiz.

Wir haben die vom Kollegen Kolb angesprochene Ini-
tiative „Neue Qualität der Arbeit“. Damit haben wir,
glaube ich, gute Zeichen gesetzt. Wir haben die Qualifi-
zierungsprogramme. Wir haben die Koordinationsplatt-
form „Nationale Arbeitsschutzkonferenz“ – auch sie
wurde schon angesprochen – und die Kampagne „Unter-
nehmen unternehmen Gesundheit“. Es gibt viele gute
Beispiele, viele richtige Ansätze, die wir in den letzten
Jahren auf den Weg gebracht oder verwirklicht haben,
zahlreiche Netzwerke, etwa das Deutsche Netzwerk für
Betriebliche Gesundheitsförderung, die Bundesanstalt für
Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und den Ausschuss
für Arbeitsmedizin. Überall dort wird fachübergreifend

am Thema „Arbeitsschutz und Gesundheit am Arbeits-
platz“ und damit auch stressvorbeugend gearbeitet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, was wir brauchen
– da waren wir in der Debatte heute, glaube ich, schon
auf dem richtigen Weg –, ist eine sachliche Diskussion
in Richtung auf ein gesellschaftliches Klima für eine
präventive, gesundheitsförderliche Unternehmenskultur.
Sie ist von großer Bedeutung. Daran wollen wir gemein-
sam weiter arbeiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723126900

Vielen Dank, Kollege Ulrich Lange.

Unser Kollege Ulrich Lange war auch der letzte Red-
ner in unserer Aussprache, die ich damit schließe.

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12818 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. – Sie sind damit ein-
verstanden. Da niemand widerspricht, haben wir die
Überweisung in die Ausschüsse gemeinsam so beschlos-
sen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 13 a bis 13 c auf:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Schlichtung im Luftverkehr

– Drucksache 17/11210 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsaus-
schusses (6. Ausschuss)


– Drucksache 17/12876 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Marianne Schieder (Schwandorf)
Marco Buschmann
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger

b) Beratung der Beschlussempfehlung und des
Berichts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ulrike
Gottschalck, Heinz Paula, Sören Bartol, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Schlichtung für Luftfahrtunternehmen ver-
kehrsträgerübergreifend einführen

– Drucksachen 17/7337, 17/9228 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Marianne Schieder (Schwandorf)
Marco Buschmann
Jens Petermann
Ingrid Hönlinger

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Rechtsausschusses (6. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Caren Lay,





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Herbert Behrens, Dr. Ilja Seifert, weiterer Abge-
ordneter und der Fraktion DIE LINKE

Fluggastrechte stärken

– Drucksachen 17/2021, 17/4125 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Marco Wanderwitz
Marianne Schieder (Schwandorf)
Marco Buschmann
Halina Wawzyniak
Ingrid Hönlinger

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Alle sind
damit einverstanden. Dann haben wir das gemeinsam so
beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Als Erste hat in unserer
Aussprache das Wort unsere Kollegin Frau Judith
Skudelny für die Fraktion der FDP. Bitte schön, Frau
Kollegin.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Judith Skudelny (FDP):
Rede ID: ID1723127000

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-

ren! Als wenn wir es gewusst hätten: Anfang der Woche
hat es angefangen zu schneien, heute haben die Gewerk-
schaften angefangen, eine Fluglinie zu bestreiken – es
gibt wieder viele Hundert Verbraucherinnen und Ver-
braucher, die teils frustriert, teils genervt, auf jeden Fall
nicht amüsiert auf den Flughäfen stehen


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Das ist nicht Gegenstand der Schlichtung! Das ist höhere Gewalt!)


und eines Transports, eines sehr verspäteten Transports
harren –, und gerade in dieser Zeit verabschieden wir –
in Klammern: endlich – das Gesetz zur Schlichtung im
Luftverkehr.


(Beifall bei der FDP)


2009 wurde bereits die Fahrgastrichtlinie für Bahn-
und sonstige Reisende beschlossen, damals noch mit ei-
ner EU-Richtlinie im Rücken. Für die Verbraucherinnen
und Verbraucher in Deutschland geht diese Regierung,
geht diese Koalition jetzt voran. Es ist auf europäischer
Ebene gerade erst in der Diskussion, eine entsprechende
Richtlinie zu schaffen, und wir verabschieden schon das
Gesetz, das die Rechte der Verbraucherinnen und Ver-
braucher extrem stärkt.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Andrea Astrid Voßhoff [CDU/CSU])


Bei Nichtbeförderung, beispielsweise wegen Überbu-
chung oder Annullierung, oder bei extremer Verspätung
kann jetzt nach 60 Tagen die Schlichtungsstelle angeru-
fen werden, nach 60 Tagen deshalb, weil natürlich der
direkte Kontakt zwischen Fluggast und Fluglinie an ers-
ter Stelle steht. Wir denken, dass die beiden Vertrags-
parteien zuerst einmal versuchen müssen, miteinander
klarzukommen. Kommen sie nicht klar, kann der Ver-

braucher kostenlos die Schlichtungsstelle anrufen mit
dem Ziel, mithilfe der Schlichtungsstelle eine einver-
nehmliche Lösung zu finden.

Damit wird der Rechtsweg nicht abgeschnitten. Wird
eine einvernehmliche Lösung nicht gefunden, können
die Gerichte noch immer angerufen werden. Aber der
Einstieg ist einfacher. Wenn früher eine einvernehmliche
Lösung auch nach drei, vier Monaten nicht gefunden
werden konnte, musste der Verbraucher am Ende zum
Gericht gehen und da erst einmal mit Geld in Vorleis-
tung treten. Jetzt kann er sich kostenlos einfach an die
Schlichtungsstelle wenden. Das ist natürlich eine mas-
sive Verbesserung für die Bürgerinnen und Bürger in
Deutschland.


(Beifall bei der FDP)


Aus der Erfahrung mit anderen Schlichtungsstellen
wissen wir: 90 Prozent der Beschwerden, das heißt ein
sehr hoher Anteil, können in den Schlichtungsstellen
einvernehmlich reguliert werden. Was erreichen wir mit
der Schlichtungsstelle deswegen? Wir entlasten die Ge-
richte, wir sparen Bürokratiekosten ein, und wir machen
es für die Menschen einfacher, gleichberechtigt, auf Au-
genhöhe, mit den Verkehrsträgern einvernehmlich Ver-
einbarungen zu treffen. Über alle drei Punkte freuen wir
uns natürlich.

An dieser Stelle sei ein Dank auch der Ministerin ge-
sagt, weil ich glaube, dass es nicht sehr einfach war, mit
den Fluggesellschaften – die Verhandlungen haben sich
zwei Jahre hingezogen –


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Warum ist dabei nichts Gescheites herausgekommen? – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Die haben sich eins zu eins durchgesetzt!)


diese Vereinbarungen zu treffen.


(Beifall bei der FDP)


Vielen Dank für diese Hartnäckigkeit.

Zurück zum Ausgangspunkt. Wir können und wollen
nicht verhindern, dass es schneit, wir wollen auch nicht
verhindern, dass die Gewerkschaften streiken, wir wol-
len diese Rechte beibehalten. Wir können aber die jet-
zige Situation dadurch verbessern, dass, wenn es schneit,
wenn gestreikt wird,


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Nein! Das hat mit Schlichtung nichts zu tun! Das ist dummes Zeug!)


wenn Fehler passieren, man einfacher zu seinem Recht
kommt, einfacher mit den anderen eine Vereinbarung
treffen kann. Das ist eine Verbesserung für die Verbrau-
cherinnen und Verbraucher, die diese Koalition geschaf-
fen hat, schneller, als es die EU wollte. Ich bin stolz darauf,
dass wir dieses Gesetz heute gemeinsam verabschieden
können.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Herbert Behrens [DIE LINKE]: Sie haben das Thema nicht verstanden!)







(A) (C)



(D)(B)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723127100

Vielen Dank, Frau Kollegin Judith Skudelny. –

Nächste Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokra-
ten: unsere Kollegin Frau Marianne Schieder. Bitte
schön, Frau Kollegin Marianne Schieder.


(Beifall bei der SPD)



Marianne Schieder (SPD):
Rede ID: ID1723127200

Lieber Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kolle-

gen! Wer kennt es nicht, das wunderschöne Lied von
Reinhard Mey?

Über den Wolken muß die Freiheit wohl grenzenlos
sein.
Alle Ängste, alle Sorgen, sagt man,
Blieben darunter verborgen und dann
Würde, was uns groß und wichtig erscheint,
Plötzlich nichtig und klein.

Aber so ist es nicht. Für so manchen Fluggast sind Är-
ger und Sorgen über den Wolken ganz und gar nicht vor-
bei, wenn der Flug zum Beispiel wieder einmal massive
Verspätung hat oder nicht klar ist, ob der Anschlussflug
noch erreicht werden kann, oder die Informationen der
Airline wieder einmal ganz unzureichend waren. Dann
kann man sich gleich auch Gedanken darüber machen,
wie schwer es sein wird und welchen Ärger es bereiten
wird, wenn man sich um die Durchsetzung der Entschä-
digung bemühen muss.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir haben 2009
nach langen und intensiven Verhandlungen die Rechte
von Bahnkunden gestärkt. Wir haben dafür gesorgt, dass
Kundinnen und Kunden der Bahn auf klar geregelte
Fahrgastrechte bauen können und nicht mehr als Bittstel-
lerinnen und Bittsteller auf das Entgegenkommen der
Bahn hoffen müssen. Wenn es Probleme gibt, leistet die
Schlichtungsstelle für den öffentlichen Personenverkehr,
kurz söp genannt, eine hervorragende Arbeit.

Bereits seit Februar 2005 ist die EU-Fluggastrechte-
verordnung in Kraft. Auf dieser Grundlage sollen die
Fluggäste ihre Rechtsansprüche gegenüber den Flugge-
sellschaften geltend machen können. Eigentlich sollten
sie es können. Seit Jahren zeigt sich aber, dass das alles
ganz und gar nicht einfach ist und Verbraucherinnen und
Verbraucher, auf sich allein gestellt, oft nicht zum Ziel
kommen. Es gibt keine echte Möglichkeit der außer-
gerichtlichen Streitbeilegung, also keine Schlichtungs-
stelle. Gerichte müssen tätig werden, um den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern zu ihrem Recht zu
verhelfen. Fast einmal im Monat entscheidet zum Bei-
spiel der Europäische Gerichtshof über entsprechende
Klagen. In den meisten Fällen werden die Rechte der
Fluggäste gestärkt.

Die Europäische Kommission hat letzte Woche Vor-
schläge zur Änderung der Fluggastrechteverordnung
vorgelegt. Diese Vorschläge versuchen, wenigstens ei-
nen Teil dieser Urteile umzusetzen. Auf diese Vor-
schläge wird Frau Kollegin Gottschalck noch näher ein-
gehen.

Die meisten Fluggäste aber wollen kein langes und
aufwendiges Gerichtsverfahren. Für sie ist es einfach
wichtig, dass Ansprüche, zum Beispiel auf Entschädi-
gung, unbürokratisch und schnell durchgesetzt werden
können und dann, wenn es zu keiner Einigung kommt,
Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner zur Verfü-
gung stehen, die beraten und unterstützen. Dies kann und
soll über die Schlichtung geschehen.

Der Gesetzentwurf der Bundesregierung, über den
wir heute diskutieren, ist nicht im Sinne der Verbrauche-
rinnen und Verbraucher,


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


weil es wiederum zu keiner verkehrsträgerübergreifen-
den Schlichtungsstelle kommt. Es wird den Fluggesell-
schaften wieder einmal ermöglicht, ein Extrawürstchen
zu braten. Das kann aber nicht richtig sein; denn die
meisten Verbraucherinnen und Verbraucher benutzen
oft, um an ihr Ziel zu kommen, mehrere Verkehrsmittel
und wollen nicht lange herumsuchen, wer nun wo und
für was zuständig ist. Deswegen brauchen wir eine
Schlichtungsstelle für alle Verkehrsunternehmen, also
auch für den Bereich des Luftverkehrs. Natürlich ist klar,
dass die Schlichtung ein ordentliches Beschwerde-
management bei den Verkehrsunternehmen selber nicht
ersetzen kann. Aber sie ist eine sinnvolle Ergänzung,
dient der Entlastung der Gerichte und ist im Sinne der
Verbraucherinnen und Verbraucher.

Wir haben in der Anhörung des Rechtsausschusses
sehr intensiv diskutiert.

Die Mehrzahl der Sachverständigen hat uns hinsicht-
lich unserer Forderung nach einer verkehrsträgerüber-
greifenden Schlichtungsstelle recht gegeben. Ich muss
aber auch in aller Deutlichkeit sagen: Die Uneinsichtig-
keit der Vertreter der Fluggesellschaften sucht ihresglei-
chen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die unübersichtliche Aufsplitterung der Zuständig-
keiten – nach Verkehrsträgern und auch danach, ob be-
hördlich oder privatrechtlich organisiert – ist nicht im
Sinne der Verbraucherinnen und Verbraucher und des-
wegen keine gute Lösung.

Dabei wäre das Ganze so einfach. Ich habe bereits die
söp erwähnt, eine Schlichtungsstelle, die verkehrsträger-
übergreifend konzipiert ist und an der sich die Luft-
verkehrsunternehmen einfach nur beteiligen müssten.
Erfreulicherweise hat Ryanair sich inzwischen ent-
schlossen, sich der söp anzuschließen. Das ist der rich-
tige Weg.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Na also!)


– Ja, das ist aber nur eine Fluggesellschaft.

Ich hoffe, dass dieses Beispiel Schule macht und un-
sere Vorstellung von einer verkehrsträgerübergreifenden
Schlichtungsstelle doch noch umgesetzt wird. Das haben
im Übrigen die Verbraucherschutzminister der Länder
schon im Jahre 2010 gefordert und beschlossen.





Marianne Schieder (Schwandorf)



(A) (C)



(D)(B)


Das, was Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von
CDU/CSU und FDP, uns heute vorlegen, ist nicht ver-
braucherfreundlich.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Warum denn nicht? Begründen Sie doch mal!)


Deswegen müssen wir es leider ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723127300

Vielen Dank, Kollegin Marianne Schieder. – Nächster

Redner für die Fraktion von CDU und CSU: Kollege
Marco Wanderwitz. Bitte schön, Kollege Marco
Wanderwitz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1723127400

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Einführung ist bereits erfolgt. Gegenwärtig sehen wir
wieder, wie es zu Flugausfällen, Annullierungen und
Verspätungen kommen kann. Ein weiterer klassischer
Fall, der sich häufig ereignet, sind Schäden am Gepäck.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat mit der Schlichtung nichts zu tun!)


2004 kam die EU-Fluggastverordnung. Wir haben
mittlerweile bei Bahn, Bus und Flugzeug ein Massenge-
schäft aufseiten der Anbieter – sei es die Deutsche Bahn,
seien es ihre privaten Wettbewerber, seien es die Flugge-
sellschaften: In vielen Bereichen gibt es relativ einfache,
ähnlich gelagerte Ansprüche, die man als Massenge-
schäft bezeichnen kann. Diese Ansprüche werden von
den Anbietern zumeist auch in einem außergerichtlichen
Verfahren relativ einfach abgehandelt.

Aber es gibt eben auch eine ganze Reihe von Ansprü-
chen, die nicht unter dieses Massengeschäft fallen, bei
denen es sich um atypische Fälle handelt oder bei denen
es einer gewissen Prüfung bedarf. Damit das nicht alles
gleich bei Gericht landet, ist eine Schlichtung auf jeden
Fall sehr sinnvoll. Bisher gab es sie noch nicht für Flug-
gesellschaften.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Weil Sie nichts zustande gebracht haben!)


– Frau Schieder, Sie haben doch schon vier Minuten re-
lativ laut geredet. Deshalb fände ich es gut, wenn Sie
jetzt einmal zuhören würden.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Sie erzeugen nichts, wo es sich lohnt, zuzuhören!)


Frau Schieder, Sie sind ja selbst Juristin, und wir ha-
ben in diesem Hause schon mehrfach über das Thema
gesprochen. Ich kann es wirklich nicht verstehen, wie
Sie immer wieder die falsche Behauptung aufstellen
können, dass wir eine gesetzliche Lösung für eine ein-
heitliche Schlichtungsstelle schaffen könnten, obwohl

Sie ganz genau wissen, dass eine Schlichtung Freiwillig-
keit voraussetzt.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es!)


Das, was Sie den Leuten hier vorgaukeln – die Ein-
richtung einer einheitlichen Schlichtungsstelle –, können
auch Sie nicht liefern, weil unser Zivilrecht es schlicht
nicht zulässt: Man kann niemandem den Rechtsweg ab-
schneiden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen stelle ich mir die Frage, warum Sie hier im-
mer wieder diesen Popanz aufbauen.

Im Übrigen habe ich die Anhörung als weniger inten-
siv erlebt. Es wurden nämlich ziemlich wenige Fragen
gestellt. Die Anhörung war sehr konsensual. Ich gebe
ganz offen zu: Ja, auch wir hätten uns diese einheitliche
Schlichtungsstelle gewünscht. Ich freue mich deshalb
sehr, dass wir von der söp, der bestehenden Schlich-
tungsstelle für den Bahn- und Busbereich, die erfreu-
liche Meldung erhalten haben, dass Ryanair sich ihr
anschließt. Auch der Vertreter des BDL, des Bundesver-
bandes der Deutschen Luftverkehrswirtschaft e. V., hat
in der Anhörung schon das gesagt, was heute auch wie-
der in der Pressemitteilung der söp steht, nämlich dass
man sich immer noch in intensiven Verhandlungen be-
findet. Insofern würden wir uns wünschen, dass es keine
besondere Schlichtungsstelle der privaten Luftfahrtun-
ternehmen geben wird, weil die söp so gut arbeitet.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Warum machen Sie dann kein Gesetz?)


– Herr Behrens, ich habe es doch gerade erklärt. Haben
Sie wieder nicht zugehört? Wir können es nicht gesetz-
lich vorschreiben, weil wir uns hier im Zivilrecht bewe-
gen.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Aber Sie können das Ziel mit Nachdruck verfolgen! Das ist nicht geschehen! – Heiterkeit bei Abgeordneten der SPD)


– Ich glaube, die zuständige Bundesministerin wird sich
wirklich nicht vorwerfen lassen müssen, sich nicht inten-
siv in die Verhandlungen eingeschaltet zu haben. Die söp
selbst sagt, dass es nach wie vor gute Verhandlungen
sind; gerade heute ist in den Verhandlungen mit einem
Luftfahrtunternehmen ein Erfolg erzielt worden. Deswe-
gen finde ich, dass man gewisse Dinge nicht immer wie-
der machen muss.

Ich meine, wir sollten unter anderem nicht immer
wieder in der Art und Weise, wie es hier getan wird, auf
die Fluggesellschaften eindreschen. Die Vielzahl der
Fälle wird ordentlich gelöst. Und wir müssen festhalten:
Es gibt auch eine ganze Menge von unberechtigt geltend
gemachten Ansprüchen.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Ich glaube, Sie fliegen nicht oft! Sonst würden Sie nicht so reden!)


– Es kann schon sein, dass ich weniger fliege als Sie.





Marco Wanderwitz


(A) (C)



(D)(B)



(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Ja, eben! – Abg. Judith Skudelny [FDP], an die Abg. Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD] gewandt: Aber die SPD hat es damals nicht geschafft! Damals wurde die söp eingerichtet!)


Wir alle haben aber reichlich mit den Beschwerden der
Fluggäste zu tun. Wir alle haben auch reichlich mit dem
zu tun, was uns die Verbraucherschutzverbände dazu
sagen. Meine Wahrnehmung ist, dass das alles etwas we-
niger aufgeregt vorgetragen wird.

Ich will auf einige Punkte etwas intensiver eingehen.
An dieser Stelle will ich die Eckdaten benennen: Es soll
eine Bagatellgrenze von 10 Euro geben. Sprich: Ansprü-
che, die unterhalb von 10 Euro liegen, sind der Schlich-
tung entzogen. Das hat niemand kritisiert. Auch ich
finde es vernünftig, dass man eine solche niedrige Baga-
tellgrenze einzieht. Die Obergrenze für die Geltendma-
chung von Ansprüchen soll bei 5 000 Euro liegen. Auch
diese Grenze ist aus meiner Sicht sinnvoll, weil sie fast
alle Fälle abdeckt, in denen es nicht um Personenschä-
den geht. Wir haben eine ausdrückliche Öffnungsklausel
eingefügt, die es zulässt, dass es zu einer Öffnung für
Schadensfälle mit Ansprüchen über 5 000 Euro kommt,
wenn sich die Schlichtungsstelle in ihrer Verfahrensord-
nung darauf verständigt. Bei solchen relativ hohen
Streitwerten macht es aber vielleicht doch Sinn, die Ge-
richte zu befassen.

Wir haben im parlamentarischen Verfahren eine Ver-
änderung vorgenommen. Frau Kollegin Schieder hat ge-
rade schon den kürzlich vorgelegten Vorschlag für eine
Novelle der entsprechenden EU-Richtlinie angespro-
chen. Im Regierungsentwurf war eine Frist von 30 Tagen
vorgesehen, die wir den Fluggesellschaften geben woll-
ten, um Themen im Rahmen des eigenen Beschwerde-
managements schon im Vorfeld abzuräumen. Da schlägt
die EU eine Zweimonatsfrist vor. Wir halten eine
Zweimonatsfrist für vernünftig. Deshalb haben wir sie
jetzt in unseren Gesetzentwurf eingearbeitet. Denn ich
halte es für ein tragendes Argument – es wurde häufig
vorgetragen –, dass bei Flügen, anders als bei Bahn und
Bus, sehr oft ein Auslandsbezug vorhanden ist, mit dem
einhergeht, dass es ein Stück weit länger dauert, weil
etwa hier und da die Notwendigkeit besteht, Übersetzun-
gen anzufertigen. Manche forderten auch eine Frist von
90 Tagen. Ich glaube, wir haben mit der Frist von zwei
Monaten eine gute Frist gefunden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir haben uns des Weiteren auf ein Inkrafttreten zum
1. November geeinigt. Das ist eine relativ kurze Frist.
Sie ist, glaube ich, gut zu begründen: Wir haben lange
genug darüber geredet, insofern gibt es genügend Vor-
lauf. Gleichwohl geben wir einige Wochen Zeit, in de-
nen man sich darauf einstellen kann, wahlweise eine ei-
gene Schlichtungsstelle für den Luftverkehr einzurichten
oder sich der söp anzuschließen.

Letzter Punkt meinerseits. Ich komme zu dem Ein-
wand, all das sei unheimlich kompliziert. Sollte es zur
Einrichtung einer eigenen Schlichtungsstelle für den

Luftverkehr kommen, dann kann man es, wie schon
angekündigt, über eine gemeinsame Onlineplattform ab-
wickeln. Anderenfalls kann man das sogenannte Y-Mo-
dell heranziehen: ein Eingang, zwei Ausgänge. Sprich:
Der Verbraucher findet einen Eingang vor und kann
dann sehr einfach schauen, welchen Ausgang er nehmen
muss, je nachdem, ob er Bahn gefahren, Bus gefahren
oder geflogen ist. Ich meine, dass dieses Modell nicht
die optimale Variante wäre. Aber ich halte es nicht für
ganz so problematisch, wie es hier dargestellt worden ist,
als ob es eine Katastrophe für den Verbraucherschutz sei.

Wir haben ein gutes Gesetz auf den Weg gebracht;
das ist die eigentliche Botschaft des Tages. Das Gesetz
ist auf dem Weg und wird in Kürze kommen. Das ist ein
guter Tag für den Verbraucherschutz.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Es macht Ihnen selbst Mühe, es zu verteidigen!)


Offensichtlich muss die Koalition dieses Gesetz leider
allein, also ohne Sie, auf den Weg bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723127500

Vielen Dank, Kollege Marco Wanderwitz. – Nächster

Redner für die Fraktion Die Linke ist unser Kollege
Herbert Behrens. Bitte schön, Kollege Herbert Behrens.


(Beifall bei der LINKEN)



Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723127600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

„Der Laden läuft“, schreibt die Schlichtungsstelle für
den öffentlichen Personenverkehr, söp, in ihrem Jahres-
bericht 2012. Sie begründet das auch: In den vergange-
nen drei Jahren haben sich 10 000 Bürgerinnen und Bür-
ger an die söp gewandt, weil sie eine Reise nicht antreten
konnten, weil das Gepäck verschwunden war, weil die
Urlaubsplanung aufgrund massiver Verspätungen zu-
sammenbrach. Egal ob jemand mit der Bahn, mit dem
Fernbus oder mit dem Schiff unterwegs war, klar war:
Im Falle eines Konfliktes ist eine Stelle zuständig.

Im vergangenen Jahr wurden rund 2 700 Schlichtungs-
verfahren abgeschlossen; knapp 2 300 Schlichtungsemp-
fehlungen aus diesen Verfahren wurden sowohl von den
Reisenden als auch von den Verkehrsunternehmen akzep-
tiert. Der Streit war damit beendet, ein Gerichtsverfahren
wurde überflüssig. Das ist eine beeindruckende Bilanz.

Allein das wäre schon ein guter Grund, den Luftver-
kehr mit unter das Dach der söp zu nehmen. Aber die
Bundesregierung behauptet, das ginge nicht – das wurde
eben bestätigt –; denn eine Schlichtung müsse freiwillig
sein, und die Luftfahrtverbände lehnten nun einmal eine
Einbindung in die Schlichtungsstelle der söp ab.


(Judith Skudelny [FDP]: Waren Sie eigentlich bei der Anhörung dabei?)


Verbraucherschützer sprachen sich zwar für eine ver-
kehrsübergreifende Schlichtungsstelle aus; aber für Sie
wiegen Verbraucherinteressen offenbar nicht so schwer





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)


wie Unternehmerinteressen. Das ist bezeichnend für
diese Bundesregierung.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nichts Neues!)


Nun liegt uns der Gesetzentwurf vor, mit dem eine ei-
gene Schlichtungsstelle für den Luftverkehr eingerichtet
werden soll. Jetzt wird es ein wenig kompliziert – ich zi-
tiere einmal aus dem Gesetzentwurf –: In § 57 Luftver-
kehrsgesetz geht es um die privatrechtlich organisierte
Schlichtung, in § 57 a um die behördliche Schlichtung.
Sie greift immer dann, wenn ein Luftverkehrsunterneh-
men der privatrechtlichen Schlichtung nicht beitritt. Dann
haben wir noch § 57 c. Dort heißt es: Das Bundesminis-
terium der Justiz regelt im Einvernehmen mit dem Bun-
desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung,
dem Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft
und Verbraucherschutz und dem Bundesministerium für
Wirtschaft und Technologie durch Rechtsverordnung die
Einzelheiten des Verfahrens zu Kosten und zur behördli-
chen Schlichtung. – Alles klar?

Der vorliegende Gesetzentwurf ist extrem kompli-
ziert, und er ist sinnfrei. Bis auf die Einrichtung einer be-
hördlichen, also staatlichen Schlichtungsstelle weist er
nichts auf, wofür es überhaupt eines Gesetzes bedürfte.
Selbst wenn sich die Luftfahrtverbände nicht an der
Schlichtungsstelle für öffentlichen Personenverkehr be-
teiligen wollen, hätten Reisende schon heute die Mög-
lichkeit, ein sogenanntes schiedsrichterliches Verfahren
in Anspruch zu nehmen, wenn es überhaupt nicht mehr
gelingt, sich persönlich zu einigen.

In der Anhörung zum vorliegenden Gesetzentwurf ist
es den Experten zum Thema Verbraucherschutz nicht ge-
lungen, Sie, meine Damen und Herren von der Koali-
tion, von Ihrem Plan abzubringen. Edgar Isermann, der
Leiter der söp, sprach sich gegen die Schaffung zusätzli-
cher Schlichtungsstellen aus, weil die Verbraucher dann
nicht wissen, an wen sie sich wenden müssen. Außerdem
sei die Kostenentwicklung für die Luftfahrtunternehmen
nicht zu unterschätzen. Der Verbraucherzentrale Bun-
desverband sprach sich dafür aus, die bestehende söp als
verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle zu stär-
ken. Diese Anregung wurde nicht aufgenommen.


(Judith Skudelny [FDP]: Haben Sie dem Kollegen Wanderwitz zugehört?)


Der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung
hat mit Verbraucherschutz nichts zu tun. Im Gegenteil:
Er entzieht dem Verbraucher den Schutz gegenüber den
mächtigen Luftfahrtunternehmen und deren Rechtsabtei-
lungen.


(Beifall bei der LINKEN – Judith Skudelny [FDP]: So ein Blödsinn! Da klatschen nicht einmal die Grünen!)


Die Linke zeigt in ihrem Antrag, der hier auch zur
Abstimmung steht, verbraucherfreundliche Initiativen
auf. Wir fordern unter anderem die Beteiligung der Flug-
gesellschaften an einer unabhängigen, verkehrsträger-
übergreifenden Schlichtungsstelle. Wir fordern Sie auf,
unserem Vorschlag zu folgen. Machen Sie den Flugge-
sellschaften klar, dass Verbraucherschutz an erster Stelle

steht und erst dann die wirtschaftlichen Interessen derer
kommen, die Geld damit verdienen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723127700

Vielen Dank, Herr Kollege Herbert Behrens. – Nächs-

ter Redner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist
unser Kollege Markus Tressel. Bitte schön, Kollege
Markus Tressel.


Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723127800

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

einem sind wir uns einig: Außergerichtliche Streitbeile-
gung ist sinnvoll. Die entscheidende Frage ist aber, wie
man das effektiv und verbraucherfreundlich gestaltet. Ihr
Gesetzentwurf ist da nicht der richtige Weg.

Den richtigen Weg haben Sie paradoxerweise in Ih-
rem Koalitionsvertrag aufgezeigt. Darin heißt es, es solle
eine Schlichtungsstelle für alle Verkehrsträger gesetzlich
verankert werden. Genau das wäre im Sinne der Reisen-
den. Ich hätte mir gewünscht – das werden Sie aus mei-
nem Munde ansonsten selten hören –, dass wir am Ende
bei dem herausgekommen wären, was Sie in Ihrem Ko-
alitionsvertrag vereinbart haben. Da ist ja sogar – das ha-
ben wir heute schon gehört – Ryanair weiter als Sie, und
die haben nicht gerade einen verbraucherfreundlichen
Ruf. Ryanair ist gestern der söp beigetreten und lässt
seine Streitfälle dort schlichten.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das ist doch gut!)


Das spricht ausdrücklich dafür, dass unser Ansatz mit
der söp wohl nicht so falsch sein kann.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ihr Gesetzentwurf steht im genauen Gegensatz dazu,
liebe Kolleginnen und Kollegen. Er ist verbraucherun-
freundlich und – ich sage es nochmals – widerspricht Ih-
rem eigenen Koalitionsvertrag, in den Sie das damals
vermutlich nicht ohne Grund geschrieben haben.

In keinem Rechtsbereich – das ist eine ganz wichtige
Feststellung – ist die Diskrepanz zwischen Anspruch
und Wirklichkeit momentan so eklatant wie bei den
Fluggastrechten. Die EU-Kommission hat am 13. März
ein durchaus kritisches Memorandum zur Überarbeitung
der Fluggastrechte veröffentlicht. Darin schreibt die
Kommission: Das Hauptproblem besteht darin, dass die
Reisenden Schwierigkeiten haben, ihre Rechte geltend
zu machen. – Um eine Zahl zu nennen: Nur 2 bis 4 Pro-
zent der Fluggäste, die Anspruch auf einen finanziellen
Ausgleich hatten, haben diesen tatsächlich erhalten.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Deshalb haben wir die Schlichtungsstelle!)


Deutlicher kann man das nicht sagen. Wir haben ein Pro-
blem mit der Rechtsdurchsetzung, und das liegt auch da-
ran, dass sich viele Fluggäste nicht trauen, ihre Rechte
gegenüber den Airlines geltend zu machen.


(Judith Skudelny [FDP]: Das trauen sie sich aber jetzt!)






Markus Tressel


(A) (C)



(D)(B)


Eine Schlichtungsstelle könnte da Abhilfe leisten, wenn
sie entsprechend verbraucherfreundlich gestaltet ist,
wenn sie niedrigschwellig erreichbar ist und wenn die
Fluggäste Vertrauen haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD] und Herbert Behrens [DIE LINKE] – Judith Skudelny [FDP]: So wie die jetzt einzurichtende!)


All das gewährleisten Sie mit diesem Gesetzentwurf
gerade nicht. Mit diesem Gesetzentwurf öffnen Sie die
Tür für eine Vielzahl von Schlichtungsstellen.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist ein Sammelsurium! – Judith Skudelny [FDP]: Der Verbraucher ist intelligenter, als Sie ihn darstellen!)


Es wurde bereits gesagt: Es gibt die behördliche Schlich-
tung. Es gibt privatrechtlich organisierte Schlichtung.
Für den Fluggast entsteht ein Wirrwarr, das er im Zwei-
fel nicht überblicken kann; die Kollegin Schieder hat das
schon gesagt. Das ist ineffizient. Es führt zu einer Zer-
splitterung der Zuständigkeiten, und es führt, was auch
den Fluggesellschaften nicht gefallen kann, zu höheren
Kosten.


(Judith Skudelny [FDP]: Die tragen sie doch selber!)


Das hilft dem Verbraucherschutz nicht weiter.

Das Gleiche gilt für Ihre Missbrauchsklausel, die Sie
in diesen Gesetzentwurf aufgenommen haben. Ein Flug-
gast wird es sich zweimal überlegen, sich unter diesen
Umständen an die Schlichtungsstelle zu wenden, weil er
Angst hat, am Ende vielleicht mit Kosten belastet zu
werden, die er vorher nicht überblicken kann. Hier wird
mit der Androhung eines Missbrauchsentgeltes eine
neue Hürde aufgebaut, die Fluggäste potenziell von der
Schlichtung fernhält.

Zudem schließen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf 40 Pro-
zent der Flugreisenden, nämlich die Geschäftsreisenden,
weiterhin von der Schlichtung aus. Wie soll man denn
einem Freiberufler oder dem kleinen Selbstständigen er-
klären, dass er von der Möglichkeit außergerichtlicher
Einigung ausgenommen ist? Auch das ist nicht nachvoll-
ziehbar. Das macht keinen Sinn.

Insgesamt ist festzustellen: Ein Schritt nach vorne,
zwei Schritte zurück für den Schutz der Fluggäste – das
ist ein verbraucherpolitischer Totalausfall. Deswegen
können wir den Gesetzentwurf in der vorliegenden Form
nur ablehnen.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723127900

Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner ist für

die Fraktion der FDP unser Kollege Dr. Erik
Schweickert. Bitte schön, Herr Kollege Dr. Schweickert.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1723128000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Fluggäste, lieber Markus
Tressel, haben viele Rechte.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Recht haben und recht bekommen ist aber zweierlei!)


Es mangelt nicht an einschlägigen EU-Verordnungen,
die dem Kunden bei Annullierungen, Verspätungen,
Überbuchungen und verpassten Anschlussflügen einen
umfassenden Schutz geben. Auch die Rechtsprechung
des EuGH hat erst Ende Februar die Rechte gestärkt:
Beim Anspruch auf Ausgleichszahlung ist nicht die Ver-
spätung auf einer Teilstrecke, sondern die Gesamtver-
spätung am Zielort maßgeblich. Aber es mangelt bisher
an einer kundenfreundlichen Möglichkeit zur Rechts-
durchsetzung.

Allein im Jahr 2010 gingen 4 788 Beschwerden beim
Luftfahrt-Bundesamt ein. Aber das Luftfahrt-Bundesamt
kann keine Vorschläge zur Regulierung zivilrechtlicher
Ansprüche vorlegen.

So gibt es viele Verbraucher, die zwar der Ansicht
sind, von ihrer Fluggesellschaft nicht ausreichend ent-
schädigt worden zu sein; aber nicht jeder Fluggast ver-
fügt über eine Rechtsschutzversicherung. Gerade bei ge-
ringen Flugpreisen wird oftmals darauf verzichtet, seine
Rechte auf dem Klageweg durchzusetzen, weil der Auf-
wand im Vergleich zum Streitwert zu gering erscheint.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Sehr richtig!)


Deshalb ist es der Anspruch dieser schwarz-gelben Bun-
desregierung, den Kunden zu ihrem Recht zu verhelfen,
und zwar einfacher als bisher,


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Dafür haben Sie lange genug gebraucht!)


und deshalb beschließen wir heute die Einrichtung einer
Schlichtungsstelle Luftverkehr. Diese wird den Verbrau-
cherinnen und Verbrauchern die Möglichkeit eröffnen,
einen Streitfall außergerichtlich klären zu lassen. Wenn
sich die Fluggesellschaft nicht innerhalb von zwei Mo-
naten mit dem Fluggast auf eine Entschädigungsleistung
verständigen kann, kann der Fluggast das Schlichtungs-
verfahren beantragen. Damit hat er deutlich mehr
Rechtssicherheit als bisher.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Gerade die unklaren Streitfälle werden für den Kun-
den nun besser zu klären sein, zum Beispiel Streitigkei-
ten darüber, ob es sich bei einer konkreten Verspätung
um höhere Gewalt handelt oder nicht. Diese entschei-
dende Frage kann man als Fluggast in der Regel nicht
beurteilen; ich weiß nicht, wie es dem Kollegen Tressel
geht. Wenn ein Flugzeug nicht fliegt, wissen wir nicht,
ob der Schaden gerade eben entdeckt worden ist – dann





Dr. Erik Schweickert


(A) (C)



(D)(B)


wäre das höhere Gewalt – oder ob er schon beim Routi-
necheck aufgefallen ist – dann muss die Fluggesellschaft
zahlen. Wenn ein Kunde an der Version der Fluglinie
zweifelt, kann er das nun von der Schlichtungsstelle klä-
ren lassen.

Ich bin sehr froh, dass wir nicht nur die deutschen
Airlines, was mancher hier im Haus angedacht hat, son-
dern auch die im Board of Airline Representatives in
Germany, BARIG, organisierten ausländischen Flugge-
sellschaften dabei haben. Wenn Ryanair jetzt Mitglied
bei söp wird, dann ist auch das eine gute Lösung des
Problems. Auch damit kommen wir voran. Es ist unser
Anspruch, eine freiwillige Schlichtung aufzubauen. Wer
nicht freiwillig mitmacht, der wird sich bei uns keinen
schlanken Fuß machen können; denn diese Fluglinien
werden dann einer behördlichen Zwangsschlichtung un-
terstellt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Sie sehen, Schwarz-Gelb lässt keinen Verbraucher im
Regen, heute muss man vielleicht besser sagen: im
Schnee stehen. Wenn dann doch einmal ein Verbraucher
am Flughafen zurückgelassen wird oder sein Reiseziel
mit Verspätung erreicht, dann kann der Flugpassagier
seine Rechte nun einfacher durchsetzen.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Endlich!)


Das ist effizienter Verbraucherschutz der Marke
Schwarz-Gelb.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Effizienter Verbraucherschutz ist etwas anderes!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723128100

Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Schweickert. – Nächste

Rednerin für die Fraktion der Sozialdemokraten ist un-
sere Kollegin Ulrike Gottschalck. Bitte schön, Frau Kol-
legin Gottschalck.


(Beifall bei der SPD)



Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1723128200

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Auch wenn wir im Moment eher noch Frostbeulen
bekommen, steht Ostern vor der Tür. Viele Bürgerinnen
und Bürger, aber sicherlich auch viele Kolleginnen und
Kollegen werden die freien Tage nutzen, um in wärmere
Länder zu fliegen, Sonne zu tanken und ein mildes
Klima zu genießen.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Nix! Ich gehe zu Hause auf die Scholle!)


Ich wünsche Ihnen allen, dass Ihre Reise reibungslos
verläuft und Sie sich nicht über Ausfälle, Verspätungen
oder verlorene Koffer ärgern müssen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Vielen Dank!)


Seit Februar 2005 gibt es eine EU-Fluggastrechte-
Verordnung, die Standards für Unterstützungs- und Aus-
gleichsleistungen für Fluggäste festlegt. Aktuell hat die
EU-Kommission festgestellt, dass es für Reisende leider
nicht immer einfach ist, diese festgelegten Rechte gel-
tend zu machen. Kollegin Schieder hat ja recht: Es ist et-
was anderes, recht zu haben, als recht zu bekommen.


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Das ist im Bundestag auch so!)


Nach einer dänischen Erhebung – Kollege Tressel hat
das schon angesprochen – erhalten nur zwischen 2 und
4 Prozent der betroffenen Fluggäste den finanziellen
Ausgleich, auf den sie einen Anspruch haben. Nach ei-
ner aktuellen Erhebung in Deutschland – es wird noch
schlimmer – erhielten mehr als 20 Prozent der Fluggäste,
die eine Beschwerde eingereicht haben, überhaupt
keine Antwort ihrer Fluggesellschaft. Deshalb plant die
EU-Kommission, wirksame Beschwerdeverfahren für
Flugreisende und strengere Durchsetzungs- und Sank-
tionsmaßnahmen einzuführen. Die EU-Kommission will
eine weitere Stärkung der Fluggastrechte, eine Stärkung
der nationalen Durchsetzungsstellen und die Stärkung
einer außergerichtlichen Schlichtungsstelle.

Ich konstatiere also: Die EU will eine weitere Stär-
kung der Rechte der Verbraucherinnen und Verbraucher.
Gut so! Leider genießt der Verbraucherschutz bei der
Bundesregierung offensichtlich nicht diesen hohen Stel-
lenwert.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der FDP)


Dies konnten wir bei Lebensmittelskandalen feststellen,
aber auch bei diesem Gesetzentwurf.

Intermodalität wird heute von jeder und jedem prakti-
ziert. Ergebnisse verschiedener Untersuchungen und
Umfragen zeigen, dass zwei Drittel der Reisenden einen
Mix aus verschiedenen Verkehrsmitteln nutzen. Mit
77 Prozent weist Deutschland von allen europäischen
Ländern die höchste Multimodalität auf. Die Politik
muss die Rahmenbedingungen dafür setzen. Ich kann
nur sagen: Mit Blick auf die Intermodalität wäre eine
verkehrsträgerübergreifende Schlichtungsstelle, an die
sich Reisende bei Problemen wenden können, zukunfts-
weisend und hilfreich gewesen.Egal ob Bahn, Flugzeug,
Schiff oder Bus – ein Ansprechpartner, das wäre ver-
braucherfreundlich.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Der hier vorgelegte Gesetzentwurf sieht leider das Gegen-
teil vor. Statt einer verkehrsträgerübergreifenden ver-
pflichtenden Schlichtungsstelle werden Parallelstrukturen
aufgebaut. Behördliche und privatrechtliche Schlich-
tungsstellen werden zu einer unübersichtlichen Aufsplit-
terung führen. Das, meine sehr verehrten Damen und
Herren, ist weder verbraucherfreundlich noch effektiv.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723128300

Gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen

Marco Wanderwitz?






(A) (C)



(D)(B)



Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1723128400

Ich erlaube gerne eine Zwischenfrage.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723128500

Bitte schön, Kollege Marco Wanderwitz.


Marco Wanderwitz (CDU):
Rede ID: ID1723128600

Das ist nett, Frau Kollegin. Ich hätte diese Zwischen-

frage fast schon dem Kollegen der Grünen gestellt; aber
da war seine Redezeit zu Ende. – Sie beide haben die be-
hördliche Schlichtungsstelle als Teil von Wirrwarr und
schlechten Regelungen kritisiert.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Zu Recht!)


Was für eine Auffangregelung hätten Sie denn für dieje-
nigen, die Sie, wie ich vorhin ausgeführt habe, nicht in
eine gesetzliche Pflichtschlichtung zwingen können? Es
gibt doch nur die behördliche Schlichtung als Alterna-
tive. Oder haben Sie eine andere?


Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1723128700

Lieber Kollege, es ist sehr schön, dass Sie diese Zwi-

schenfrage gestellt haben; denn das gibt mir die Mög-
lichkeit, meine Redezeit ein wenig zu verlängern.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Einfach antworten!)


Wir brauchen eine einzige Schlichtungsstelle;


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Also die Zwangsschlichtung für alle!)


das ist verbraucherfreundlich. Mich haben Ihre eben ge-
machten Ausführungen nicht überzeugt.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Sie haben keine Antwort! – Gegenruf der Abg. Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Sie sind vor den Luftverkehrsunternehmen eingeknickt!)


– Genau. – Ich bin noch nicht fertig, ob Ihnen das nun
gefällt oder nicht.

Sie bauen mit diesem Gesetzentwurf Parallelstruktu-
ren auf: die behördliche und gegebenenfalls sogar meh-
rere privatrechtliche Schlichtungsstellen. Stellen Sie sich
das einmal vor: Sie sind ein ganz normaler Fluggast, der
sich tierisch geärgert hat. Vielleicht sind Sie vorher noch
mit der Bahn gefahren. Die Bahn war schuld, dass Sie
den Flieger nicht bekommen haben etc.


(Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Ich warte noch auf Ihre Antwort!)


Dann wandern Sie von Schlichtungsstelle zu Schlich-
tungsstelle. – Eine Schlichtungsstelle ist der beste An-
sprechpartner.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Also Zwangsschlichtung!Marco Wanderwitz [CDU/CSU]: Also keine Antwort!)


Dann weiß jede Verbraucherin und jeder Verbraucher,
wohin er sich wenden soll.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723128800

Frau Kollegin, es gibt einen weiteren Wunsch nach

einer Zwischenfrage, und zwar von unserer Kollegin
Judith Skudelny. Erlauben Sie die?


Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1723128900

Aber bitte, gern. Die nachfolgenden Redner werden

es uns nachsehen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723129000

Bitte schön.


Judith Skudelny (FDP):
Rede ID: ID1723129100

Ich verlängere Ihre Redezeit noch einmal. – Mir ist

nicht ganz klar: 2009 wurde die söp in ihrer jetzigen
Form unter der damaligen Justizministerin eingerichtet.
Können Sie mir sagen, wer damals im Justizministerium
verantwortlich war?


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Wissen Sie das nicht, oder warum fragen Sie?)


Sie haben damals die Fluggastrechte nicht dafür zuge-
lassen. Das haben wir jetzt nachgeholt. Warum wurde
nicht schon damals die Regelung eingeführt, zu der Sie
heute reklamieren, dass wir sie nicht bringen?


Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1723129200

Darauf antworte ich sehr gerne, Frau Kollegin. Wir

hatten nämlich zu dieser Zeit eine sehr hervorragende
Ministerin.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Brigitte Zypries war es, die die söp auf den Weg ge-
bracht hat. Diese verkehrsträgerübergreifende Schlich-
tungsstelle hat zum Beispiel bei der Bahn hervorragende
Arbeit geleistet. 90 Prozent der Fälle werden von der söp
positiv geschlichtet. Das müssen Sie erst einmal nach-
machen.


(Beifall bei der SPD – Judith Skudelny [FDP]: Die Frage war: Warum nicht der Flugverkehr?)


Liebe Frau Kollegin, einen Gesetzentwurf kann man
immer nacharbeiten. Wir sind mit einer verkehrsträger-
übergreifenden Schlichtungsstelle gestartet. Die Flugge-
sellschaften haben sich quergestellt; aber man kann na-
türlich nacharbeiten. Das wäre Ihre Aufgabe gewesen.
Sie haben dreieinhalb Jahre Zeit gehabt. Noch dazu ha-
ben Sie das im Koalitionsvertrag stehen. Ich kann nur sa-
gen: ein volles Versagen Ihrerseits.


(Beifall bei der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723129300

Die Redezeit läuft wieder.


(Heiterkeit)



Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1723129400

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage mich, wa-

rum Sie die verkehrsträgerübergreifende Schlichtungs-
stelle unter dem Dach der söp so scheuen. Die söp leistet





Ulrike Gottschalck


(A) (C)



(D)(B)


gute Arbeit. Fluggesellschaften wie Ryanair ziehen
schon nach. Die sind also weiter als diese Bundesregie-
rung.

Ich frage mich auch, meine sehr geehrten Damen und
Herren, warum Sie den missbräuchlich erhobenen Be-
schwerden in Ihrem Gesetzentwurf so viel Raum einräu-
men. Es steht fest: Bei der söp kommt es nur in 1 Pro-
zent der Beschwerden zu Missbrauch. – Ich finde, das
zeugt von einem unglaublich großen Misstrauen gegen-
über allen Verbraucherinnen und Verbrauchern. Sie wol-
len damit von Beschwerden abschrecken. Auch das ist
nicht besonders verbraucherfreundlich.

Wir stehen nach wie vor für eine einheitliche Schlich-
tungsstelle, für eine Schlichtungsstelle, die Ansprech-
partner für alle ist.


(Marco Buschmann [FDP]: Genau! Für Zwangsschlichtung stehen Sie!)


Auch die Verbraucherminister haben das schon 2010
überparteilich gefordert.


(Marco Buschmann [FDP]: Nein!)


Diese Forderung ist nach wie vor richtig. Deswegen
werden wir Ihrem angestaubten und unmodernen Ge-
setzentwurf nicht zustimmen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723129500

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Letzte Rednerin in un-

serer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU un-
sere Kollegin Frau Marlene Mortler. Bitte schön, Frau
Kollegin Marlene Mortler.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Eine sehr gute Frau, Herr Präsident!)



Marlene Mortler (CSU):
Rede ID: ID1723129600

Danke schön. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Gestern hat uns der Früh-
lingsanfang Schnee beschert. Wir bescheren Ihnen heute
einen guten Gesetzentwurf.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Der Ausschuss!)


Das heißt, wir lassen heute hier im Plenum die Sonne
scheinen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! – Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr dunkel, Ihre Sonne! Die scheint schwarz – für die Verbraucher!)


An diesem Gesetzentwurf waren viele beteiligt, und
viele haben sich konstruktiv eingebracht. Ich richte ein
herzliches Dankeschön an die Regierung,


(Georg Schirmbeck [CDU/CSU]: Ein guter Staatssekretär ist das!)


an das Bundesjustizministerium,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


natürlich auch an das BMVBS, das Verkehrsministe-
rium,


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


und, auch wenn es nur indirekt beteiligt war, an das Ver-
braucherschutzministerium, das BMELV.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Franziskus nicht vergessen!)


Warum soll man sich nicht einmal über den Abschluss
eines Gesetzgebungsverfahrens freuen, bei dem es viele
Gewinner gibt? Zu nennen ist hier an erster Stelle der
Verbraucher, der Fluggast.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es!)


Auch für die Fluggesellschaften bedeutet dieses Gesetz
eine Stärkung.


(Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Auch“? Nur für die!)


Ich gebe zu: Einige haben es noch nicht begriffen; aber
sie werden es noch begreifen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und wo bleiben die Verbraucherinnen und Verbraucher, Frau Mortler?)


Ich als Tourismuspolitikerin weiß: Auch der Tourismus
profitiert. Auch deshalb habe ich für den Abschluss die-
ses Gesetzgebungsverfahrens gekämpft.

Ich betone noch einmal: „Außergerichtliche Streit-
schlichtung“ heißt das Zauberwort. Entscheidend war
und ist für mich, dass die freiwillige Schlichtung kommt.
Sie war und ist überfällig. Für mich war am Ende nicht
entscheidend, ob sie verkehrsträgerübergreifend umge-
setzt wird oder nicht; das ist zweitrangig.


(Markus Tressel [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das steht aber in Ihrem Koalitionsvertrag! – Ulrike Gottschalck [SPD]: Das ist aber für die Verbraucher entscheidend! – Gegenruf des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das ist doch Blödsinn! – Gegenruf der Abg. Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Nein! Da war Herr Wanderwitz schon weiter!)


Wenn Sie ehrlich sind, liebe Kolleginnen und Kollegen
von der Opposition, müssen Sie zugeben: Insgeheim
freuen doch auch Sie sich darüber, dass der Verbraucher-
schutz mit diesem Gesetz unterm Strich gestärkt wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist richtig: Die Schlichtungsstelle für den öffentli-
chen Personenverkehr ist im Jahr 2009 von der Großen
Koalition ins Leben gerufen worden. Wir können heute
feststellen: Die söp ist anerkannt. Die Zahl der Verkehrs-
unternehmen, die unter das Dach der söp gehen, steigt.





Marlene Mortler


(A) (C)



(D)(B)


Es hat mit der Bahn angefangen, dann kamen Busse und
der Bereich der Schiffsreisen hinzu. Inzwischen gibt es
mutige Vereinbarungen, in denen es heißt: Auch wir
wollen unter das Dach der söp. – Gerade das Beispiel
von Ryanair, einer Fluggesellschaft, die in keinem Bran-
chenverband organisiert ist, zeigt doch, dass auch dieses
Unternehmen erkannt hat: Unter dem Dach der söp sind
wir besser aufgehoben als anderswo.


(Ulrike Gottschalck [SPD]: Ja! Die sind einfach weiter als ihr!)


Meine Damen und Herren, auch in der Satzung der
söp steht, dass die Schlichtung bzw. die Vereinbarung
freiwillig ist und nur freiwillig sein kann.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Ganz genau! – Ulrike Gottschalck [SPD]: Natürlich! – Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das ist das Grundprinzip der Schlichtung!)


Ich appelliere an dieser Stelle noch einmal an die Bran-
chen und die organisierten Unternehmen, dem Beispiel
Ryanair zu folgen. Kollege Wanderwitz hat den BDL,
den Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirt-
schaft, und BARIG genannt; diesem Verband gehören
internationale Fluggesellschaften an. Auch diese haben
jetzt die Chance, sich anzuschließen. Es gibt ja positive
Aussagen, die sich in diese Richtung bewegen. Ich
denke, spätestens wenn der Gesetzentwurf in Kraft tritt
– zum 1. November 2013 –, wird es hier eine entspre-
chende Einigung geben.


(Herbert Behrens [DIE LINKE]: Schauen wir mal!)


Meine Damen und Herren, dass Streitigkeiten bis zu
einem Streitwert von 5 000 Euro kostenlos geschlichtet
werden sollen, ist erwähnt worden. Der Verbraucher soll
mit dieser freiwilligen Schlichtung gerade nicht belastet
werden. Zudem ist und bleibt der Rechtsweg für Zivilge-
richte – das möchte ich noch einmal betonen – offen.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das ist bei jeder Schlichtung so!)


– Ja; aber man muss es immer wieder betonen, weil Sie
als Opposition hier teilweise das Gegenteil behauptet ha-
ben.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das ist ja nicht wahr, liebe Frau Mortler! Jeder weiß doch, was Schlichtung heißt!)


Ich wiederhole: Der Rechtsweg für Zivilgerichte bleibt
offen.


(Marianne Schieder [Schwandorf] [SPD]: Das ist ein Grundprinzip der Schlichtung! Niemand behauptet etwas anderes!)


Für Airlines, die sich nicht der freiwilligen Schlichtung
unterwerfen, wird es eine behördliche Schlichtung ge-
ben. Auch die behördliche Schlichtung ist für mich ein
zusätzlicher Rechtsschutz für den Verbraucher.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es!)


Ein Letztes: Die Kritik an der Evaluierung bzw. an-
geblichen Missbrauchsklauseln kann ich so nicht stehen
lassen. Im Gesetz steht klipp und klar: Es geht um unbe-
gründete Fälle und nicht um unzulässige Fälle. Deshalb
ist Ihre Kritik, glaube ich, gegenstandslos.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich bitte am Schluss – ich werbe dafür –, dass Sie dem
Gesetzentwurf der Bundesregierung zustimmen. Dann
kann es im Sinne eines stärkeren Verbraucherschutzes,
im Sinne der Fluggastrechte in Kraft treten.

Ich bedanke mich ganz herzlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723129700

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Unsere Kollegin

Marlene Mortler war die letzte Rednerin in unserer Aus-
sprache, die ich damit schließe.

Wir kommen nun zur Abstimmung über den von der
Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes
zur Schlichtung im Luftverkehr. Der Rechtsausschuss
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/12876, den Gesetzentwurf der Bundesregierung
auf Drucksache 17/11210 in der Ausschussfassung anzu-
nehmen. Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf in
der Ausschussfassung zustimmen wollen, um das Hand-
zeichen. – Das sind die Koalitionsfraktionen. Wer
stimmt dagegen? – Das sind die drei Oppositionsfraktio-
nen. Vorsichtshalber: Enthaltungen? – Keine. Der Ge-
setzentwurf ist damit in zweiter Beratung angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem Ge-
setzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Wer stimmt dagegen? – Das
sind die drei Oppositionsfraktionen. Enthaltungen? –
Keine. Der Gesetzentwurf ist angenommen.

Beschlussempfehlung des Rechtsausschusses zu dem
Antrag der Fraktion der SPD mit dem Titel „Schlichtung
für Luftfahrtunternehmen verkehrsträgerübergreifend
einführen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner Be-
schlussempfehlung auf Drucksache 17/9228, den Antrag
der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/7337 abzuleh-
nen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Das
sind die Koalitionsfraktionen. Gegenprobe! – Das sind
die drei Oppositionsfraktionen. Vorsichtshalber: Enthal-
tungen? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist ange-
nommen.

Ich komme nun zur Beschlussempfehlung des
Rechtsausschusses zu dem Antrag der Fraktion Die
Linke mit dem Titel „Fluggastrechte stärken“. Der Aus-
schuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/4125, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/2021 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Das sind die Koalitions-
fraktionen. Gegenprobe! – Das sind die Linksfraktion
und Bündnis 90/Die Grünen. Enthaltungen? – Die Frak-
tion der Sozialdemokraten. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen nun zu
einem neuen Tagesordnungspunkt. – Ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 12 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss)


– zu dem Antrag der Fraktionen SPD und
BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Rentenzahlungen für Beschäftigungen in ei-
nem Getto rückwirkend ab 1997 ermögli-
chen

– zu dem Antrag der Abgeordneten Ulla Jelpke,
Matthias W. Birkwald, Diana Golze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Renten für Leistungsberechtigte des Getto-
rentengesetzes ab dem Jahr 1997 nachträg-
lich auszahlen

– Drucksachen 17/10094, 17/7985, 17/12870 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Peter Weiß (Emmendingen)


Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Sie sind
alle damit einverstanden. Dann haben wir dies gemein-
sam so beschlossen.

Ich eröffne nun die Aussprache. Als Erster hat das
Wort unser Kollege Peter Weiß für die Fraktion der
CDU/CSU. – Bitte schön, Kollege Peter Weiß.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Peter Weiß (CDU):
Rede ID: ID1723129800

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Zu den besonders perfiden und menschenverachtenden
Methoden des Naziregimes gehörte es, jüdische Mitbür-
gerinnen und Mitbürger dadurch aus der Gesellschaft
auszusondern und in besonders abscheulicher Form auch
zu knechten, dass man diese jüdischen Mitbürgerinnen
und Mitbürger gezwungen hat, in sogenannten Gettos zu
leben, wo sie zum Teil unter menschenunwürdigen Be-
dingungen zusammengepfercht wurden.

Deshalb war es ein wichtiger Beitrag des Deutschen
Bundestages, diesen mittlerweile hochbetagten Überle-
benden der Gettos ein Stück Gerechtigkeit zuteilwerden
zu lassen, indem im Jahr 2002 das Gesetz zur Zahlbar-
machung von Renten aus Beschäftigungen in einem
Getto verabschiedet wurde. Allerdings haben wir in den
ersten Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes die Er-
fahrung machen müssen, dass das, was der Deutsche
Bundestag eigentlich gewollt hat, in der Verwaltungspra-
xis nur ungenügend umgesetzt wurde.

Deswegen waren wir, glaube ich, alle froh, dass die
Rentensenate des Bundessozialgerichts mit den grundle-
genden Urteilen vom 2. und 3. Juni 2009 dafür gesorgt
haben, dass durch einfachere Leitlinien zur Auslegung
des Gesetzes endlich viele auch zunächst abgelehnte An-
träge auf eine Gettorente bewilligt wurden. Wir können

heute feststellen, dass diejenigen, die einen Anspruch
auf eine Gettorente haben, eine solche Gettorente durch
die Deutsche Rentenversicherung erfreulicherweise auch
genehmigt und ausbezahlt erhalten.

Ich sage das deswegen noch einmal so klar und deut-
lich, weil ich bei allem politischen Streit, den wir hier in
Deutschland untereinander haben, nicht verstehe, dass
sich einige öffentlich so äußern, als würden Gettorenten
Betroffenen versagt. Nein, seit dem Jahr 2009 und der
Umsetzung dieser Urteile des Bundessozialgerichts ist es
so: Wer Anspruch auf eine Gettorente hat, der erhält
auch eine Gettorente. Ich glaube, das ist ein wichtiger
Punkt, den wir festhalten sollten und der es uns Gott sei
Dank möglich gemacht hat, diesen heute noch Überle-
benden durch das Gettorentengesetz ein Stück Gerech-
tigkeit zuteilwerden zu lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nun gibt es eine Problematik, die heute im Mittel-
punkt der Debatte steht: Wer eine Gettorente gleich ge-
nehmigt bekommen hat, der hat sie, wie es im Gesetz
steht, ab 1997 rückwirkend ausbezahlt erhalten. Wer nun
erst wesentlich später einen erfolgreichen Antrag auf
eine Gettorente gestellt hat, der erfährt, dass ihm diese
nach der allgemeinen Vorschrift des deutschen Sozial-
rechts, die für alle, die eine Rente oder eine sonstige So-
zialleistung beantragen, gilt, nur vier Jahre rückwirkend
und in der Zukunft natürlich jeden Monat ausbezahlt
wird. Allerdings – und das ist das Wichtige –: Diejeni-
gen, die erst später die Genehmigung einer Gettorente
ausgesprochen bekommen haben und diese vier Jahre
rückwirkend erhalten, erhalten monatlich einen höheren
Zahlbetrag als der gleichaltrige Mitbürger, der sie bereits
ab 1997 ausbezahlt erhält.

Warum ist das so? Weil es im Rentenrecht so geregelt
ist, dass für jeden Monat nach Vollendung des 65. Le-
bensjahrs eine Aufwertung, ein Zuschlag gewährt wird.
In der Regel sind das rund 45 Prozent an monatlicher
Rentenauszahlung im Vergleich zu einer Rentenauszah-
lung, die rückwirkend ab dem Jahr 1997 gewährt wird.
Je nach Geburtsalter kann das auch deutlich mehr als ein
Plus von 45 Prozent sein.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein!)


Wir sind davon ausgegangen, dass mit dieser speziel-
len Regelung im deutschen Rentenrecht dieser Unter-
schied – der eine erhält die Gettorente rückwirkend ab
1997, der andere, der sie zum Beispiel erst im Jahr 2012
beantragt und dann genehmigt bekommen hat, erhält sie
rückwirkend erst ab dem Jahr 2008 ausgezahlt – einiger-
maßen ausgeglichen wird.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Einigermaßen!)


Nun wird seitens der Oppositionsfraktionen bean-
tragt, wir sollten dies ändern und für jeden Antragsteller
eine rückwirkende Auszahlung der Gettorente ab dem
Jahr 1997 ermöglichen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So war es beschlossen!)






Peter Weiß (Emmendingen)



(A) (C)



(D)(B)


Was hätte das für Konsequenzen? Wer diese höhere
Rente monatlich ausgezahlt bekommt, müsste zunächst
das, was ihm zusätzlich ausgezahlt wurde, an die Ren-
tenversicherung zurückgeben, um sich anschließend
seine Rente neu berechnen zu lassen und nachträglich ei-
nen niedrigeren Betrag ausgezahlt zu erhalten.

Allein der Hinweis auf diesen komplizierten Mecha-
nismus zeigt, dass das für die hochbetagten jüdischen
Mitbürgerinnen und Mitbürger ein äußerst schwerwie-
gender Prozess wäre, bei dem kaum durchschaubar ist,
was das für finanzielle Konsequenzen hat.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Das ist relativ einfach zu berechnen!)


Nun gebe ich gerne zu, dass trotz des höheren Zahlbe-
trags, wenn die Gettorente erst später genehmigt wurde,
bei vielen das subjektive Gefühl vorhanden ist, das sei
ein Stück Ungerechtigkeit. Der eine bekommt diese
Rente ab 1997, ein anderer eventuell erst rückwirkend ab
dem Jahr 2008. Deswegen hätte ich mir sehr gewünscht,
wir könnten dieses subjektive Gefühl der Ungerechtig-
keit in irgendeiner Weise beseitigen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es ist objektiv, nicht subjektiv! Erzählen Sie nicht dauernd die Unwahrheit!)


Aber das, was die Oppositionsfraktionen vorschlagen,
führt nicht dazu, mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Des-
wegen müssen wir Ihre Anträge leider ablehnen.

Ich will aber sagen, dass wir gerne mit allen Betroffe-
nen und Beteiligten, auch mit Repräsentanten des Staa-
tes Israel und dem Zentralrat der Juden weiter im Ge-
spräch sind, um einen Beitrag dazu zu leisten, dass trotz
dieser Regelung das offenkundig bei etlichen Betroffe-
nen vorhandene Gefühl einer subjektiven Ungerechtig-
keit beseitigt wird.

Was unser Ziel war und ist, steht für uns unzweifel-
haft fest: Wir wollten und wir wollen weiterhin mit der
Gewährung einer Gettorente für diejenigen, die so sehr
unter der Nazidiktatur zu leiden hatten, ein Stück Ge-
rechtigkeit schaffen. Das ist unser Ziel.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723129900

Vielen Dank, Kollege Peter Weiß. – Nächster Redner

für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege
Anton Schaaf. Bitte schön, Kollege Anton Schaaf.


(Beifall bei der SPD)



Anton Schaaf (SPD):
Rede ID: ID1723130000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

diesen Tagen erinnert die SPD-Bundestagsfraktion und
die SPD in Gänze an Otto Wels. Otto Wels hat vor
80 Jahren, am 23. März 1933, für die damalige SPD-
Reichstagsfraktion begründet, warum die SPD-Reichs-
tagsfraktion den Ermächtigungsgesetzen nicht zustimmt.

Eine mutige Tat von Otto Wels und der SPD-Fraktion!
Die SPD-Fraktion war die einzige Fraktion, die gegen
die Ermächtigungsgesetze gestimmt hat.


(Zuruf von der LINKEN: Weil die kommunistische Partei verboten war!)


Die Kommunisten, wenn Sie mir erlauben, hatten schon
keine Chance mehr, an der Debatte und an der Abstim-
mung teilzunehmen.

Die Rede von Otto Wels und der Widerstand von vie-
len nicht bekannten, aber auch von vielen bekannten
Menschen im Dritten Reich haben uns nach dieser Dik-
tatur die Riesenchance eröffnet, in die Völkergemein-
schaft zurückzufinden. Ich bin mir absolut sicher, dass
diese Rede und der Widerstand im Dritten Reich uns die
Chance eröffnet haben, als Nation schnell wieder in der
Völkergemeinschaft anzukommen.

Der berühmteste Satz von Otto Wels, den sicherlich
viele kennen, lautet: „Freiheit und Leben kann man uns
nehmen, die Ehre nicht.“ Die Konsequenz daraus in der
Nachkriegspolitik war, dass alle Generationen von Poli-
tikerinnen und Politikern Verantwortung übernommen
haben, zum Beispiel Verantwortung für Wiedergutma-
chung, mit dem Ziel, das Leid, das wir als Nation über
die Menschen gebracht haben, ein Stück weit zu lindern.
Diese Verantwortung haben Nachkriegsgenerationen
von Politikerinnen und Politikern des Deutschen Bun-
destages immer übernommen. Bei der Gettorente hätten
wir nun die Chance, eine offensichtliche Ungerechtigkeit
im Sinne dieser Verantwortung abzumildern. Peter Weiß
hat sehr technisch argumentiert. Technisch gesehen hat
er recht. Aber bei der Verantwortung, die ich gerade ver-
sucht habe zu beschreiben, geht es nicht um technische
Gründe, sondern um einen moralischen Anspruch bei-
spielsweise der Menschen in Israel.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Niemand von uns hat behauptet, Peter Weiß, dass die
Menschen keine Gettorente bekommen. Aber wir haben
gesagt: Menschen aus ein und derselben Fallgruppe wer-
den unterschiedlich behandelt, und das ist ungerecht.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben 2002 als Deutscher Bundestag geschlossen
gesagt: Wir wollen, dass die Menschen, die in einem
Getto gearbeitet haben, rückwirkend ab 1997 eine Rente
bekommen. – Das war der Wille des Gesetzgebers. Nun
haben wir, die wir als Gesetzgeber Verantwortung für die
Ausgestaltung und Formulierung von Gesetzen haben,
ein Gesetz gemacht, das dazu geführt hat, dass damals
die Ablehnungsquote bei denjenigen, die Anträge ge-
stellt haben, bei 90 Prozent lag. 90 Prozent wurden abge-
lehnt! Die Betroffenen mussten sich einklagen. 2009 hat
das Bundessozialgericht diesen Menschen recht gege-
ben. Unser Sozialrecht sieht in der Tat nur eine Rückwir-
kung von vier Jahren vor. Die Betroffenen bekamen also
nicht das, was der Gesetzgeber gewollt hat, nämlich eine
Rente rückwirkend ab 1997, sondern erst ab 2005.

Man hat versucht, das durch die Einführung eines
Steigerungssatzes ein Stück weit zu reparieren. Dazu





Anton Schaaf


(A) (C)



(D)(B)


sage ich Folgendes: Derjenige, der seit 2005 eine Rente
von 145 Euro aufgrund des Steigerungssatzes erhält, der
muss – es handelt sich hier um Hochbetagte; Peter Weiß
hat bereits darauf hingewiesen – mindestens bis 2022
diese Rente bekommen, damit er insgesamt den gleichen
Betrag erhält wie derjenige, der seit 1997 eine Rente von
100 Euro bekommt. Wenn der Betreffende vor 2022
stirbt, dann hat er nicht dieselbe Leistung erhalten. Er hat
dann nicht das bekommen, was wir als Gesetzgeber ge-
wollt haben, nämlich eine Rente ab 1997. Der Betref-
fende hat dann entsprechend weniger Rente bezogen.
Das ist der Sachverhalt.

Übrigens hat das Bundessozialgericht die Verantwor-
tung dafür in seiner Begründung sehr deutlich formu-
liert. Es ist erstaunlich, dass das Bundessozialgericht die
Verantwortung des Gesetzgebers so deutlich formuliert.
Zu dem Sachverhalt der Rückwirkung um vier Jahre
sagte das Bundessozialgericht:

Die nachträgliche Anordnung der Nichtanwendbar-
keit des § 44 Abs. 4 SGB X im hier maßgeblichen
Zusammenhang ist daher allein Sache des Gesetz-
gebers; die Rechtsprechung ist hierzu nicht befugt,
auch wenn der Senat

– das ist entscheidend –
dieses Ergebnis für wünschenswert hielte.

Also auch das Bundessozialgericht war der Meinung,
wir müssten die Zahlbarmachung ab 1997 gesetzlich re-
geln, wir müssten die Zahlung machbar machen.

Meine Damen und Herren, ich habe auf die Tradition
hingewiesen, auf das, was Verantwortung in der Nach-
kriegsgeschichte für alle Generationen von Politikerin-
nen und Politikern bedeutete, und auf die Chance, die
uns Otto Wels und die Widerstandskämpfer im Dritten
Reich gegeben haben. Um ganz ehrlich zu sein – ich
habe es im Ausschuss schon gesagt –: Ich bin beschämt,
dass wir diese Chance als jetzige verantwortliche Politi-
kergeneration nicht wahrnehmen und die Ungerechtig-
keit und Ungleichbehandlung an dieser Stelle nicht be-
seitigen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723130100

Vielen Dank, Kollege Anton Schaaf. – Nächster Red-

ner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege
Dr. Heinrich Kolb. Bitte schön, Kollege Dr. Kolb.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Heinrich L. Kolb (FDP):
Rede ID: ID1723130200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Anton Schaaf, Respekt für eine große Rede. Ich
bin gestern als Vertreter meiner Fraktion bei der Feier-
stunde im Otto-Wels-Saal anwesend gewesen. Das hat
mich sehr beeindruckt, muss ich sagen. Der Mut der
93 Reichstagsabgeordneten der SPD steht wirklich bei-
spielhaft für alle Parlamentarier in Deutschland. Das will
ich hier eingangs sehr deutlich sagen.


(Beifall im ganzen Hause)


Die ganze Stimmung war so, dass einem sehr nach-
drücklich auch die Repression in der damaligen Zeit vor
Augen geführt wurde. Deswegen, aber nicht nur deswe-
gen, sind die Beratungen über die Oppositionsanträge,
mit denen eine Neuregelung des Gettorentengesetzes ge-
fordert wird, eines der schwierigsten Themen, die wir in
dieser Legislaturperiode in unserem Arbeitsbereich zu
behandeln haben. Sie sind schwierig, weil das deutsche
Rentenrecht, wenn überhaupt, nur sehr eingeschränkt ge-
eignet ist, erlittenes Unrecht wiedergutzumachen.

Aber der Gesetzgeber hat sich 1992 bewusst für den
Weg über das Sozialversicherungsrecht bei der hier in
Rede stehenden Arbeit in einem Getto entschieden, weil
es nicht um Zwangsarbeit geht, für die Entschädigungs-
leistungen aus dem Fonds der Bundesregierung – EVZ-
Stiftungsgesetz – gezahlt worden sind, sondern weil es
hier um die Fälle der Arbeit geht, bei denen nach der De-
finition des Gesetzes auf der Basis eines eigenen Wil-
lensentschlusses unentgeltlich gearbeitet wurde. Aller-
dings – und das müssen wir uns immer vor Augen
führen – geschah dies unter den allgemeinen Bedingun-
gen von Zwang, Verfolgung und Holocaust.

Das Beschreiten dieses Weges über die Sozialversi-
cherung war mit einem schwierigen Lernprozess für uns
alle, wie ich denke, verbunden. Die Kriterien des Geset-
zes wurden zunächst von der Rentenversicherung eng
ausgelegt. Der Nachweis bzw. die Glaubhaftmachung
des Vorliegens der Voraussetzungen war im Einzelfall
schwer bis unmöglich, was zu einer Ablehnung von
90 Prozent der Anträge auf Rente nach dem ZRBG
führte. Bei den im ersten Verfahren genehmigten rund
7 000 Anträgen wurde die Rente dann ab dem 1. Juli
1997 gezahlt. Toni Schaaf hat gesagt, dass wir hier über
Renten reden, die in einem typischen Fall bei einem
männlichen Arbeiter, geboren 1931, etwa 115 Euro bei
einem Zahlungsbeginn ab 1. Januar 1997 ausmachen.

Gegen die Ablehnung gab es – nachvollziehbar – Kla-
gen, die zu einer höchstrichterlichen Rechtsprechung ge-
führt haben. Im Juni 2009 hat das Bundessozialgericht
neue Leitlinien zu den Kriterien „Freiwilligkeit“ und
„Entgelt“ aufgestellt, nach denen die Voraussetzungen
für eine Rente nach dem ZRBG weitaus leichter erfüllt
werden konnten. Das war auch gut so. Alle im Juni 2009
noch offenen Verfahren sind von der DRV im Sinne der
geänderten Rechtsprechung abgeschlossen worden. In
3 500 Fällen führte dies zur Zahlung einer Rente ab, wie
nach der speziellen Zahlung im ZRBG vorgesehen,
1. Juli 1997.

Diese Renten sind nicht Gegenstand der heutigen De-
batte. Wir debattieren, weil auch die bereits abgeschlos-
senen und bis zur Änderung der Rechtsprechung im
Juni 2009 bereits bestandskräftig abgelehnten Rentenan-
träge erneut überprüft wurden und in rund 21 500 dieser
Fälle nunmehr eine Rente nach den neuen, erleichterten
Zugangsvoraussetzungen bewilligt werden konnte. Da-
bei hat die Rentenversicherung in Anwendung der allge-
meinen im Sozialrecht geltenden Verjährungsfristen von
vier Jahren die Renten ab Januar 2005 gezahlt und nicht
ab 1997.





Dr. Heinrich L. Kolb


(A) (C)



(D)(B)


Insgesamt werden also aktuell in 32 000 Fällen Ren-
ten nach dem ZRBG gezahlt. Bei 25 000 Anträgen
konnte keine Bewilligung erteilt werden, da die vom Ge-
setz geforderten Voraussetzungen auch nach der geän-
derten Rechtsprechung des BSG nicht vorlagen. Aller-
dings besteht in den allermeisten dieser Fälle Anspruch
auf die Anerkennungsleistung in Höhe von 2 000 Euro
nach der Anerkennungsrichtlinie der Bundesregierung.

Ich glaube, man kann feststellen: In allen Fällen, in
denen die neuen, erleichterten Voraussetzungen vorla-
gen, werden heute auch tatsächlich Renten gezahlt. Ich
sage das – das ist unter uns unstrittig – vor dem Hinter-
grund einer Pressemitteilung, die in diesen Tagen vom
Deutschen Journalistenverband herausgegeben wurde
und in der der Eindruck erweckt wird, vielen dieser
Menschen werde von den deutschen Rentenbehörden
heute noch immer die ihnen zustehende Rente verwei-
gert. Ich glaube, dass dieses Bild, das dort gezeichnet
wird, so nicht zutreffend ist.

Allerdings – und das ist auch der Hintergrund der
heutigen Debatte – stellt sich die Frage, ob in den Fällen,
in denen zunächst eine Ablehnung erfolgt ist, nach Än-
derung der Rechtsprechung nun doch Renten zu zahlen
sind, und zwar rückwirkend nicht erst ab 1. Januar 2005,
sondern bereits ab 1. Juli 1997.

Für die Antwort auf die Frage, ob den Betroffenen da-
raus Nachteile entstehen, sind die Regelungen des deut-
schen Rentenrechts maßgebend – Peter Weiß hat dies
schon ausgeführt –, das für einen Rentenzugang nach
dem Regelrenteneintrittsalter Zuschläge von 6 Prozent
pro Jahr aufgrund des späteren Rentenbeginns vorsieht.
Das bedeutet: Der siebeneinhalb Jahre spätere Rentenbe-
ginn am 1. Januar 2005 führt zu einer auf Dauer um
45 Prozent höheren Rente.

Das Schwierige ist jetzt aber: Je nach den individuel-
len Verhältnissen und auch unter Einbeziehung der Ver-
sorgung von Hinterbliebenen kann sich damit im Einzel-
fall gegenüber einem Rentenbeginn ab dem 1. Juli 1997
eine niedrigere, gleich hohe oder auch höhere Gesamt-
leistung ergeben.

Die Opposition fordert die Bundesregierung mit ihren
Anträgen auf, die rückwirkende Zahlung der Renten ab
dem 1. Juli 1997 zu ermöglichen oder bei Verzicht auf
die Verlängerung der Rückwirkung über eine Änderung
der Anerkennungsrichtlinie eine Kapitalzahlung, die
sich aus der Summe der Rentenzahlungen bei einem
Rentenbeginn ab dem Jahr 1997 ergeben hätte, zu er-
möglichen.

In der Anhörung am 10. Dezember 2012 gab es ge-
wichtige Stimmen – ich verweise auf die Drucksache
17/12870 – gegen eine rentenrechtliche Lösung bzw.
auch Warnungen vor dem mit einer solchen Lösung für
die Betroffenen verbundenen Aufwand, insbesondere
auch mit Blick auf das Alter der Betroffenen. Gleichzei-
tig kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Weg über
die Änderung der Anerkennungsrichtlinie zu neuen Un-
gerechtigkeiten gegenüber den Personen führen würde,
deren Renten bereits von Beginn an, also ab dem 1. Juli
1997, gezahlt werden.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Es ist eine Ungerechtigkeit!)


Die Bundesregierung hat sich vor diesem Hintergrund
nicht dafür entschieden, eine Initiative zur Änderung des
geltenden Rechts zu ergreifen. Die Opposition, wofür
ich Verständnis habe, hat auf die Abstimmung ihrer An-
träge gedrängt. Wir haben im Ausschuss gestern gegen
Ihre Initiativen gestimmt. Wir werden das auch heute
tun. Ich kann Ihnen aber für meine Fraktion sagen, dass
wir das weitere Vorgehen der Bundesregierung in dieser
Frage sehr genau beobachten werden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723130300

Vielen Dank, Kollege Dr. Kolb.

Die nächste Rednerin ist unsere Kollegin Frau Ulla
Jelpke für die Fraktion Die Linke. Bitte schön, Frau Kol-
legin Jelpke.


(Beifall bei der LINKEN)



Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723130400

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich

möchte zunächst gerne den Gesandten der israelischen
Botschaft begrüßen, Herrn Emmanuel Nahshon, der
heute hier sitzt, um die Debatte zu verfolgen, und der
sehr für die Opfer gekämpft hat, dafür, dass diese Rente
gezahlt wird.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn sich die Union und die FDP heute tatsächlich
den Anträgen der Opposition verweigern, die Gettoren-
ten in vollem Umfang – und darum geht es – auszuzah-
len, dann bedeutet das nicht nur, dass sich die Opfer er-
neut verhöhnt fühlen werden, sondern es bedeutet auch
– das finde ich besonders schlimm –, dass sie das Gefühl
haben werden, dass ihnen Gerechtigkeit genommen
wird. Herr Kolb, es geht tatsächlich darum, Gerechtig-
keit für alle Opfer und Betroffenen herzustellen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine Damen und Herren, um es einfach einmal
deutlich zu sagen: Gettorenten sind keine Form von Ent-
schädigung, bei der man darüber streiten kann, wer sie
erhalten soll oder wie hoch sie ausfallen soll. Wir wis-
sen, wie knauserig die Bundesregierung in den vergan-
genen Jahren mit Entschädigungen umgegangen ist. Es
bedurfte immer Druck von außen, damit überhaupt ge-
handelt wurde.

Gettorenten liegen – das muss einfach klar sein – ren-
tenrechtlich begründete Ansprüche zugrunde. Die Men-
schen, die im Getto gearbeitet haben, haben einen Hun-
gerlohn bekommen. Angeblich wurden von den Nazis
Beiträge an die Rentenkassen abgeführt. Dass die Nazis
nie vorhatten, Jüdinnen und Juden oder auch Sinti und





Ulla Jelpke


(A) (C)



(D)(B)


Roma Renten auszuzahlen, wissen wir längst. Heute gibt
es aber eigentlich keinen Grund, ihnen ihre Rentenan-
sprüche nicht zuzugestehen. Ich denke, die Ansprüche
sind seit 2005 völlig klar. Insofern streiten wir jetzt da-
rum, dass die Betroffenen, die diese Rente nicht bekom-
men haben, Nachzahlungen bekommen.

Der Bundestag hat vor elf Jahren einstimmig be-
schlossen – das hat der Kollege Anton Schaaf schon ge-
sagt –, die Rentenansprüche rückwirkend ab 1997 auszu-
zahlen. Aber es gab Fehler. Kaum ein Beamter, kaum ein
Richter hat sich wirklich in die Materie hineinversetzt.
Wer es doch tat, wie zum Beispiel Jan-Robert von
Renesse, wurde unter anderem Opfer von Mobbing und
Schikane.

Über 90 Prozent der Anträge wurden damals abge-
lehnt, was wirklich ein Skandal war, ein Armutszeugnis
für Deutschland. Nach vielen Jahren sprach dann das
Bundessozialgericht endlich ein Machtwort, woraufhin
die Rentenkassen die Anträge neu überprüfen mussten.
7 000 Berechtigte überlebten diese Überprüfung übri-
gens nicht. Auch wenn es zynisch klingt, muss man sa-
gen: Dazu ist es auch gekommen, weil hier verschleppt
wurde und weil man offensichtlich Geld sparen wollte.

Aber auch danach setzte sich das Unrecht leider fort.
Die Renten für noch 22 000 NS-Opfer wurden nicht, wie
einmal beschlossen, 1997, sondern erst ab 2005 ausge-
zahlt. Es fehlten über sieben Jahre. Meine Damen und
Herren von den Regierungsfraktionen, insbesondere
Herr Kolb, wenn Sie jetzt behaupten, durch den höheren
Zugangsfaktor werde der spätere Auszahlungsbeginn
ausgeglichen, ist das schlicht und einfach unwahr.


(Beifall des Abg. Dr. Wolfgang StrengmannKuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Denn dazu müssten die Betroffenen noch viele Jahre le-
ben. Jeder hier im Raum weiß doch, dass 80- bis 90-Jäh-
rige einfach nicht mehr sehr viele Jahre leben werden.
Deswegen haben zum Beispiel die Sachverständigen in
der Anhörung sofortigen Handlungsbedarf gesehen. Es
geht zum Teil um Nachzahlungen von wenigen Tausend
Euro. Wir wissen, dass die soziale Situation von Überle-
benden des Holocaust häufig prekär ist, und schon des-
wegen will die Linke eine zügige Lösung.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Werte Kolleginnen und Kollegen, wir erwarten von
Ihnen allen, dass Sie diese Frage zu einer Gewissens-
frage machen. Wollen Sie diese Menschen wirklich um
wenige Tausend Euro bringen, obwohl das ihre Renten-
ansprüche sind? Ich fordere Sie auf: Verweigern Sie sich
nicht den Anträgen der Opposition. Gewähren Sie den
Überlebenden ihre Rechte, und schließen Sie sich den
Anträgen von Linken und Grünen an. Es ist in der Tat
beschämend für dieses Haus – das ist hier von vielen
schon gesagt worden –, um diese wenigen Tausend Euro
zu feilschen.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723130500

Vielen Dank, Frau Kollegin Jelpke. – Nächster Red-

ner für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unser
Kollege Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn. Bitte schön,
Kollege Dr. Strengmann-Kuhn.


(BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Meine Damen und Herren! Wir führen hier eine wirklich
schwierige Debatte, und wir führen sie intern schon seit
über einem Jahr. Die Geschichte des ZRBG ist von mei-
nen Kollegen und von meiner Kollegin richtig beschrie-
ben worden. Es ist wirklich beschämend, dass wir es
während der ganzen Zeit nicht hinbekommen haben,
eine Lösung zu finden. Es wäre dringend notwendig ge-
wesen; das hat nicht zuletzt die Anhörung gezeigt. In der
Tat ist es so, dass niemand in der Anhörung bestritten
hat, dass es einen Handlungsbedarf gibt. Viele haben
sehr nachdrücklich darauf hingewiesen, dass unbedingt
gehandelt werden muss.

Besonders beeindruckt hat mich Uri Chanoch vom
Center of Organizations of Holocaust Survivors in Is-
rael. Er hat gesagt:

Was wir und eigentlich alle Überlebenden wollen,
es ist nicht viel, wirklich nicht viel. Die Ghetto-In-
sassen waren, die sollen die Rente ab 1997 bekom-
men und das ist einfach … Es ist wirklich nicht
viel. Ich bin jetzt 85, ich war 17 bei der Befreiung
… Wir haben alle Probleme, ein Überlebender ist
nie heraus von dort, das ist normal. Jeder Einzelne
hat einen Tick, hat schlechte Träume, schluckt Pil-
len, trotzdem haben sie geholfen und das Land auf-
gebaut, trotz alledem. Aber jetzt, wenn wir älter
sind, sind wir auch mehr krank. Um Gottes Willen,
ich habe nicht geglaubt, ich würde 85 alt werden …
macht das mit dem Termin 1997 und fertig. Und da-
mit ist dann Schluss, mehr wollen wir nicht von
Euch. Wir bitten nur darum, dass das erledigt wird.

Es wäre möglich gewesen, das zu erledigen.

Ich bin dankbar für die Reden von Peter Weiß und
Heinrich Kolb. Peter Weiß hat gesagt: Es werden weiter
Gespräche geführt. Bei Heinrich Kolb habe ich heraus-
gehört, dass die Tür noch nicht ganz zu ist. Er hat gesagt,
er beobachte weiter, was passiert. – Das klang in den
letzten Ausschusssitzungen ganz anders. Da hieß es: Wir
werden nichts machen. Die CDU/CSU-Fraktion hat am
Dienstag beschlossen, dass dafür nichts mehr gemacht
werden soll. – Das ist ein grober Fehler. Wenn die Tür
jetzt noch einen Spalt offen wäre, sei es auch nur einen
kleinen Spalt, würden wir das sehr begrüßen. Zu sagen,
wir machen nichts, wäre eine Schande, und das wäre für
uns als Parlament wirklich traurig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ich will noch auf ein Argument zurückkommen, das
schlicht falsch ist. Auch wenn es ein bisschen technisch
klingt: Es sind für die Betroffenen in den meisten Fällen
wenige Tausend Euro. Das ist aber für viele Menschen,





Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn


(A) (C)



(D)(B)


die in der Situation sind wie der Herr Chanoch, viel
Geld. Es wäre ein Stück Wiedergutmachung für das, was
passiert ist. Natürlich kann man die Verbrechen mit Geld
nie wiedergutmachen. Ich habe eben aber dargestellt,
wie wichtig den Menschen das aus Gerechtigkeitsgrün-
den ist, selbst dann, wenn es nicht um eine materielle
Leistung ginge.

Es ist schon gesagt worden: „45 Prozent“, das bedeu-
tet, dass jemand, der 1997 65 Jahre alt war, vom heuti-
gen Zeitpunkt an noch mindestens acht Jahre leben
muss, damit die Lücke von 7,5 Jahren ausgeglichen ist.
Das mag für einen durchschnittlichen Menschen von
80 Jahren noch möglich sein – diese acht Jahre entspre-
chen der durchschnittlichen Restlebenserwartung in dem
Alter –, aber für Menschen, die im Getto gearbeitet ha-
ben, gilt das vielleicht nicht unbedingt.

Ich habe von jemandem gesprochen, der 1997
65 Jahre alt war. Er ist demnach Jahrgang 1932, war im
Getto also Kind. Die meisten waren älter. Nehmen wir
als Beispiel jemanden, der zehn Jahre älter ist. In dem
Fall betrüge der Zuschlag 1997 60 Prozent und 2005 so-
gar 105 Prozent; der Betroffene würde also das Doppelte
bekommen. Aber als jetzt 91-Jähriger würde er noch
15 Jahre leben müssen – 15 Jahre noch als jetzt 91-Jähri-
ger! –, damit das wieder ausgeglichen wird. Das ist das,
was Sie den Menschen zumuten, wenn Sie nichts ma-
chen. Sie sagen einem 91-Jährigen: Du bekommst eine
höhere Rente, und wenn du noch 15 Jahre lebst, ist das
ausgeglichen. – Zu Recht fühlen sich die Menschen in
Israel und anderswo, die davon betroffen sind, hinters
Licht geführt und hintergangen.

Ich appelliere noch einmal an alle hier im Hause, dass
wir die Gespräche weiterführen. Gott sei Dank sehen das
einige in der CDU/CSU-Fraktion anders, als es bisher
offiziell klang.

Ich möchte mit einer Meldung schließen, die gestern
Nachmittag vom Evangelischen Pressedienst kam. In
dieser steht:

Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen

(CDU) reagierte zurückhaltend auf den Beschluss

im Sozialausschuss. Die Ministerin habe den Parla-
mentariern Vorschläge gemacht, wie das Problem
im Rentenrecht hätte gelöst werden können, sagte
ein Sprecher dem Evangelischen Pressedienst (epd).
Die Unionsfraktion habe aber den Beschluss ge-
fasst, nichts zu ändern, den NS-Opfern also keine
weiteren Zahlungen zu gewähren. Dieses Votum
respektiere die Ministerin.

Wir respektieren das nicht.

Ich appelliere noch einmal: Lassen Sie uns gemein-
sam etwas tun als gerechten Ausgleich für die Men-
schen, die Gettorenten beanspruchen!

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723130600

Vielen Dank, Kollege Dr. Strengmann-Kuhn. – Für

die CDU/CSU-Fraktion ist der nächste Redner unser
Kollege Max Straubinger. Bitte schön, Kollege Max
Straubinger.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1723130700

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Diese Debatte ist sicherlich eine schwierige Herausfor-
derung auch unter dem Gesichtspunkt, dass wir um un-
sere Verantwortung wissen und wir dieser Verantwor-
tung gerecht werden müssen, soweit dies möglich ist.
Erfahrenes Leid ist nicht mehr reparierbar. Auch das
muss man wissen. Es ist aber entscheidend, dass wir den
Betroffenen und überlebenden Menschen Unterstützung
geben. Ich glaube, dass die Bundesrepublik, dass der
deutsche Staat immer versucht hat, dem Rechnung zu
tragen, Frau Kollegin Jelpke. So haben wir versucht, für
die Zwangsarbeiter und deren Leid Entschädigungen,
soweit das möglich ist, zu leisten.


(Ulla Jelpke [DIE LINKE]: 50 Jahre danach sind Zwangsarbeiter erst entschädigt worden!)


Dasselbe gilt auch für Arbeitsverhältnisse in Gettos, die
freiwillig eingegangen wurden und für die Entgelt ge-
zahlt wurde, sicherlich unter unmenschlichen Bedingun-
gen.

Aufgrund der Entscheidung des Bundessozialge-
richts im Jahr 1997 – das war der Anlass – haben wir im
Jahr 2002 versucht, eine gemeinsame rentenrechtliche
Lösung zu finden. Es ist entscheidend, dies immer wie-
der darzulegen, weil in Pressemitteilungen bzw. Presse-
informationen zu lesen war, man würde versuchen, sich
vor der Verantwortung zu drücken, und Rentnerinnen
und Rentnern berechtigte Rentenansprüche vorenthalten.
Sicherlich war die gesetzliche Regelung, die wir 2002
getroffen haben – meine Kolleginnen und Kollegen ha-
ben es schon dargestellt – lückenhaft und nicht vollendet
und hat unserem Geist nicht entsprochen. Strittige Fra-
gen wurden dann durch die gerichtliche Entscheidung im
Jahr 2009 geklärt.

Ich möchte vorausschicken, dass es für die Rentenver-
sicherungen und die Sozialversicherungsträger schwie-
rige Rechtsfragen waren, diese Entscheidungen im Ein-
zelfall zu treffen. Dann gab es die Entscheidung im Jahr
2009, die für die Klägerinnen und Kläger bedeutete, dass
sie rückwirkend ab 1. Juli 1997 Rente bekamen. Gleich-
zeitig wurden die abgelehnten Fälle – das haben meine
Kollegen ebenfalls schon angedeutet – aufgerollt; rund
21 500 von ihnen bekamen eine Rente ab 2005. Gleich-
zeitig wurde versucht, mit einem Anerkennungsbetrag
von 2 000 Euro, der für die ZRBG-Rentner ursprünglich
nicht vorgesehen war, diesen Umstand abzumildern und
auch der Zeitspanne zwischen dem 1. Juli des Jahres 1997
bis zum 1. Januar 2005 Rechnung zu tragen.

Meine Kolleginnen und Kollegen haben auch schon
darauf hingewiesen, dass es auch einen Höherwertungs-
faktor gab. Ich danke dem Kollegen Strengmann-Kuhn
ausdrücklich dafür, dass er an einem Beispiel dargestellt





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)


hat, dass es nicht generell 45 Prozent sind, sondern die
Höhe sich individuell – je nach Alter des betroffenen
Menschen – ergibt. In Ihrem Beispiel, Herr Strengmann-
Kuhn, waren es 105 Prozent, was der doppelten Rente
gegenüber dem Renteneintritt zum 1. Juli 1997 ent-
spricht.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Gegenüber dem 65. Lebensjahr!)


– Nein, möglicherweise gegenüber dem 1. Januar 1997.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, gegenüber 1997 sind das 45 Prozent mehr!)


Insofern ist diese Höherwertung mit zu betrachten.
Deshalb komme ich nicht zu Ihrem Ergebnis, dass das
15 Jahre dauert,


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, das ist aber so!)


sondern der Zeitraum ist kürzer.

In der Gesamtwertung aller Rentenleistungen, Herr
Strengmann-Kuhn, gibt es keine Minderauszahlungen.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Natürlich! Und zwar in erheblichem Umfang!)


– Nein, gibt es nicht.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Erzählen Sie doch nicht dauernd die Unwahrheit! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Können Sie nicht rechnen?)


Und das ist auch ein entscheidendes Merkmal.

Die Schwierigkeit besteht ja darin, dass, wenn Sie die
Renten auf den 1. Juli 1997 zurückrechnen, neue Unge-
rechtigkeiten entstehen und zukünftig grundsätzlich
niedrigere Renten gezahlt werden, als es gegenwärtig
der Fall ist. Ich bin der Meinung, dass es den betroffenen
Menschen nicht zumutbar ist, niedrigere Rentenzahlun-
gen an sie zu leisten.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Betroffenen wollen das aber so!)


Ihrem Antrag, verehrte Kolleginnen und Kollegen, liegt
aber zugrunde, dass es niedrigere Rentenleistungen ge-
ben wird.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Betroffenen wollen das aber so! Fragen Sie doch mal die Betroffenen! – Ulla Jelpke [DIE LINKE]: Sagen Sie doch einmal der Öffentlichkeit, dass es nicht einmal um 200 Euro geht!)


Wenn wir ihnen ein Wahlrecht geben, ist das wiede-
rum eine Ungerechtigkeit gegenüber den Rentnerinnen
und Rentnern, die bereits seit 1. Juli 1997 eine Rente be-
ziehen, weil sie dieses Wahlrecht nicht ausüben könnten.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Unglaublich! – Anton Schaaf [SPD]: Wieso? Welche Nachteile erleiden die denn? Die erleiden doch keine!)


Das muss man auch sehen.

Wir haben uns diese Entscheidung hinsichtlich des
materiellen Aspekts nicht leicht gemacht; das dürfen Sie
uns glauben. Entscheidend in rechtlicher Hinsicht ist an-
dererseits das Urteil des Bundessozialgerichts.


(Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben es offensichtlich nicht wirklich verstanden!)


Bei allen Schwierigkeiten, die mit dieser Entscheidung
verbunden sind, möchte ich allerdings zum Ausdruck
bringen, dass wir weiterhin geschehenes Unrecht so weit
wie möglich aufarbeiten werden. Ich bitte Sie aber da-
rum, auch den rechtlichen Rahmen der Rentengesetze
mit zu berücksichtigen.

Herzlichen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1723130800

Der Kollege Max Straubinger war der letzte Redner in

unserer Aussprache.

Wir kommen nun zur Abstimmung über die Be-
schlussempfehlung des Ausschusses für Arbeit und So-
ziales auf Drucksache 17/12870.

Der Ausschuss empfiehlt unter Buchstabe a seiner
Beschlussempfehlung die Ablehnung des Antrags der
Fraktionen von SPD und Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/10094 mit dem Titel „Rentenzahlungen
für Beschäftigungen in einem Getto rückwirkend ab
1997 ermöglichen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Ge-
genprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktio-
nen. Enthaltungen? – Keine. Die Beschlussempfehlung
ist angenommen.

Unter Buchstabe b empfiehlt der Ausschuss die Ab-
lehnung des Antrags der Fraktion Die Linke auf Druck-
sache 17/7985 mit dem Titel „Renten für Leistungsbe-
rechtigte des Getto-Rentengesetzes ab dem Jahr 1997
nachträglich auszahlen“. Wer stimmt für diese Beschluss-
empfehlung? – Das sind die Koalitionsfraktionen. Ge-
genprobe! – Das sind die drei Oppositionsfraktionen.
Enthaltungen? – Niemand. Die Beschlussempfehlung ist
angenommen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den Ta-
gesordnungspunkt 15 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
zur Änderung des Telekommunikationsgeset-
zes und zur Neuregelung der Bestandsdaten-
auskunft

– Drucksache 17/12034 –





Vizepräsident Eduard Oswald


(A) (C)



(D)(B)


Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/12879 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Armin Schuster (Weil am Rhein)
Michael Hartmann (Wackernheim)
Gisela Piltz
Ulla Jelpke
Dr. Konstantin von Notz

Darf ich Sie bitten, den Wechsel zu vollziehen?


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hatten wir erst am 22. September vor! – Zuruf von der SPD: Ich dachte, das kommt erst später!)


Insgesamt haben wir vereinbart, für die Aussprache
eine halbe Stunde vorzusehen. Alle sind damit einver-
standen? – Dann haben wir dies so beschlossen.

Ich eröffne nun die Aussprache. Erster Redner in un-
serer Aussprache ist für die Fraktion der CDU/CSU un-
ser Kollege Armin Schuster. Bitte schön, Kollege Armin
Schuster.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Armin Schuster (CDU):
Rede ID: ID1723130900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Bestandsdaten – ein ziemlich trockener Begriff, den
ich zunächst zum besseren Verständnis erklären möchte.
Unter Bestandsdaten verstehen wir Kundendaten wie
zum Beispiel eine Telefonnummer und die dazugehöri-
gen Namen und Adressen, E-Mail-Adressen oder andere
sogenannte Anschlusserkennungen. Für Ermittlungsbe-
hörden können diese Bestandsdaten im Rahmen der
Gefahrenabwehr und der Strafverfolgung von entschei-
dendem Wert sein. Dabei kommt es oft auch auf Schnel-
ligkeit an.

Ein Beispiel. In einer Mordermittlung stellt die Poli-
zei fest, dass beim Opfer zuletzt Anrufe mit drei ver-
schiedenen Telefonnummern eingegangen sind. Die ent-
sprechenden Anrufer könnten sowohl wichtige Zeugen
als auch Verdächtige sein. Um diese Spur verfolgen zu
können, benötigt man zu den Telefonnummern die zuge-
hörigen Namen. Es erfolgt also eine Bestandsdatenan-
frage beim jeweiligen Telefondienstanbieter, der schon
heute unter bestimmten Voraussetzungen dazu verpflich-
tet wäre, diese Kundendaten an bestimmte Bundes- oder
Landesbehörden herauszugeben.

Geschätzte Kollegen aus dem Innenausschuss, ich
weiß: Das Beispiel langweilt Sie vielleicht ein bisschen.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Geht so!)


Aber ich hatte bei der Berichterstattung, in den Diskus-
sionen, ja sogar bei der Anhörung den Eindruck, dass der
Unterschied zwischen Bestandsdaten und Vorratsdaten
nicht allen klar war. Deswegen möchte ich noch einmal
sagen: Bei der Bestandsdatenauskunft, die wir heute be-

sprechen, findet keine retrograde Verkehrsdatenüber-
mittlung statt. Diese Klarstellung halte ich für wichtig.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Das Bundesverfassungsgericht hat im vergangenen
Jahr die bisher geltenden Regelungen zur Bestandsda-
tenauskunft im Telekommunikationsgesetz für teilweise
verfassungswidrig erklärt. Übrigens: Die Richter haben
Passagen eines Gesetzes kassiert, das aus der Feder von
Rot-Grün stammt.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja, da haben Sie recht! – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da ist Korte dabei! Ganz nah bei Schuster!)


Das sage ich nicht, weil ich diese Regelung prinzipiell
kritisiere, sondern weil in der öffentlichen Diskussion,
vielleicht auch bei der einen oder anderen Rede, die nach
meiner folgt, der Eindruck entstehen könnte, dass die
Union wieder einmal neue Überwachungsregeln mani-
festieren will.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Ja!)


Meine Damen und Herren, diese Regelung wollte ur-
sprünglich Bundesminister Otto Schily von der SPD. Er
hat sie bekommen. Das war auch richtig. Er hat sie halt
nicht gut genug gemacht; und das korrigieren wir heute.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie schaffen neue Eingriffsbefugnisse, Herr Schuster!)


Was genau hat das Gericht bemängelt? – Ermittler in-
teressieren sich für die Inhaber dynamischer IP-Adres-
sen. Die Zuordnung von IP-Adressen zu Kundendaten
gehört zur Bestandsdatenauskunft. Bedingung ist aber,
dass diese Daten nicht ausdrücklich dafür gespeichert
werden müssen, sondern ohnehin vorhanden sind, und
dass keine Verkehrsdaten abgefragt werden dürfen. Die
Richter erklärten jetzt, dass die bisherige Vorschrift des
§ 113 Telekommunikationsgesetz nicht für die Zuord-
nung dynamischer IP-Adressen angewendet werden
darf. Auch Zugangssicherungscodes wie Passwörter,
PINs und PUKs können Ermittler abfragen. Hier muss
laut Verfassungsgerichtsurteil klargestellt sein, dass Aus-
künfte nur erteilt werden dürfen, wenn die gesetzlichen
Voraussetzungen für ihre Nutzung gegeben sind.

Die Richter haben uns aufgetragen, ein sogenanntes
Doppeltürprinzip zu verankern. Das heißt, die eigentli-
chen Erhebungsbefugnisse sind nach diesem Urteil ab-
hängig vom Anfragezweck jeweils spezifisch in den
Fachgesetzen zu regeln; das gibt es bisher so nicht. Das
geforderte Doppeltürprinzip ist umgesetzt, indem sich
im Telekommunikationsgesetz die Regelungen zur
Übermittlung finden – das ist die erste Tür – und in den
Fachgesetzen die Abrufnorm verankert wird – das ist die
zweite Tür.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehr schön erklärt!)


– Ich danke Ihnen, Herr Dr. von Notz. Ich liebe solche
Reden.





Armin Schuster (Weil am Rhein)



(A) (C)



(D)(B)


In dem heute vorliegenden Gesetzentwurf beschrei-
ben wir also im TKG die Speicherpflichten der Anbieter
und die datenschutzrechtlichen Voraussetzungen zur
Übermittlung von Daten. Alle weiteren Regelungen, ins-
besondere solche, die die Bedingungen der Abfrage von
Bestandsdaten betreffen, finden sich in den Fachgeset-
zen, also beispielsweise StPO, BKA-Gesetz, Bundes-
polizeigesetz, wieder. Die Länder werden anschließend
vergleichbare Normen auch in ihren Fachgesetzen zu
verankern haben.

Meine Damen und Herren, im ursprünglichen Regie-
rungsentwurf waren all diese Erfordernisse des Urteils
bereits umgesetzt worden. Das wurde in der öffentlichen
Anhörung durch das Gutachten von Professor
Dr. Schwarz eindrücklich bestätigt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da war er aber einsam und allein damit! – Jan Korte [DIE LINKE]: Er war der Einzige! Eins zu vier!)


Gleichwohl haben wir im gemeinsamen Änderungsan-
trag der Koalition mit der SPD-Fraktion noch einige
Punkte aufgenommen, die unseres Erachtens zwar nicht
verfassungsrechtlich erforderlich sind, die sich aber im
Laufe der Diskussion in der Koalition und mit der Oppo-
sition als rechtspolitisch wünschenswert herauskristalli-
siert haben.


(Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das BMI, dem ich für die konstruktive Begleitung des
parlamentarischen Verfahrens besonders danken möchte,
hat einen Regierungsentwurf vorgelegt, der der Lesart
der Unionsfraktionen entsprach – logisch. Wir hatten
dann eine öffentliche Anhörung, in der uns die Sachver-
ständigen die verfassungsrechtlich notwendige Weiter-
entwicklung attestierten, allerdings einige Gutachter da-
rüber hinausgehende Wünsche formulierten. Wir haben
dann unseren Entwurf zusammen mit den Kolleginnen
und Kollegen der FDP weiterentwickelt. Dann haben wir
im Lichte des öffentlichen Interesses an diesem Thema
und der Bedeutung für die anschließende Ländergesetz-
gebung SPD und Grüne mit an den Tisch geholt und
wiederum weitere Veränderungen auf Wunsch der SPD-
Fraktion mit eingebunden. Viel mehr Qualität in einem
parlamentarischen Beratungsverfahren geht wirklich
nicht.


(Beifall der Abg. Gisela Piltz [FDP] – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch, die Vorschläge der Grünen annehmen! Das wäre eine Steigerung!)


Die SPD kam gestern im Ausschuss allerdings zu der
bemerkenswert überheblichen Bewertung, ohne sie wäre
es nicht gegangen. Herr Hartmann, so etwas passt zu Ih-
rem Kandidaten, aber nicht zu Ihnen. Insofern nehmen
wir es in Ihrem Fall mit Humor zur Kenntnis.


(Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Wir haben also gegenüber dem Regierungsentwurf
noch einmal zusätzlich klargestellt, dass die Abfragen

nur im Einzelfall zum Zweck der Verfolgung von Straf-
taten oder Ordnungswidrigkeiten, zur Abwehr von Ge-
fahren für die öffentliche Sicherheit bzw. zur Erfüllung
der gesetzlichen Aufgaben erlaubt sind. Es wird aus-
drücklich verankert, welche Behörden abfrageberechtigt
sind. Die Provider hatten befürchtet, dass sie zukünftig
die materiellen Voraussetzungen einer Anfrage prüfen
müssen. Auch das haben wir ausgeräumt. Ganz wichtig:
Aufgrund der heute nicht vollständig übersehbaren Wir-
kung der technischen Umstellung von IPv4 auf IPv6 ha-
ben wir der Regierung eine Berichtspflicht zum 31. De-
zember 2015 aufgegeben.

Für die Abfrage von Bestandsdaten zu dynamischen
IP-Adressen haben wir eine Benachrichtigungspflicht
und den Richtervorbehalt verankert, und wir haben klar-
gestellt, dass immer nur die Daten zu einer IP-Adresse
anhand eines konkreten Zeitpunkts abgefragt werden
können. Auch für die Abfrage von Zugangssicherungs-
codes haben wir einen Richtervorbehalt implementiert,
und zwar um auszuschließen, dass ein heimlicher Zu-
griff auf Daten des Betroffenen ohne richterliche Zu-
stimmung erfolgt. Das heißt: Nur für den Fall, dass der
Betroffene nichts davon erfährt bzw. erfahren haben
könnte oder dass nicht ohnehin ein Beschlagnahmebe-
schluss für die gesicherten Daten vorliegt, greift dieser
Richtervorbehalt.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich gebe zu:
Diese Vorschrift sehe ich mit gemischten Gefühlen. Ich
habe lange hinhaltende Abwehr geleistet. In der gestri-
gen Debatte im Innenausschuss hat der Kollege
Hartmann sehr richtig die Befürchtung mancher Fach-
leute dargelegt, dass wir damit einer Entwertung richter-
licher Beschlüsse Vorschub leisten könnten. Sie haben
sich dieser Befürchtung zwar dann nicht angeschlossen,
aber ich weiß, dass die Richterinnen und Richter keinen
Wert darauf legen, eine weitere Prüfaufgabe übertragen
zu bekommen, vor allem, weil zu befürchten ist, dass die
Kontrolle aus rein quantitativen Gründen ins Leere lau-
fen könnte. Es kann ja nicht darum gehen, dass ein Rich-
ter seine Unterschrift quasi automatisch unter eine An-
ordnung setzt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Darum kann es nicht gehen!)


Ich darf in diesem Zusammenhang daran erinnern:
Als das Land Niedersachsen im Jahr 2010 den Richter-
vorbehalt bei Blutentnahmen im Wege einer Bundesrats-
initiative streichen wollte, hatte der Deutsche Richter-
bund dies ausdrücklich begrüßt. Begründung – ich
zitiere –:

Richtervorbehalte sichern die Rechtsförmigkeit des
Verfahrens zum Schutze der Betroffenen und sind
bei der Anordnung bedeutender Zwangsmaßnah-
men im Strafprozess wie Freiheitsentziehungen,
Durchsuchungen oder heimlichen Überwachungs-
maßnahmen unverzichtbar.

Weiter heißt es:

Eine richterliche Anordnung hat jedoch nur dann
einen rechtsstaatlichen Mehrwert, wenn eine eigen-





Armin Schuster (Weil am Rhein)



(A) (C)



(D)(B)


ständige, gründliche Prüfung des Sachverhalts
möglich ist.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Wer über alle einzelnen Maßnahmen geradezu infla-
tionär das Instrument des Richtervorbehaltes ausgießt,
entwertet unter Umständen diesen und handelt damit
eventuell auch unverhältnismäßig.


(Dr. Hans-Peter Uhl [CDU/CSU]: Da hat er recht! – Zuruf von der SPD: Warum haben Sie die Bundesratsinitiative hier nicht eingebracht?)


Es wird so getan, als ob alle Maßnahmen gleichermaßen
einhegungsbedürftig seien. Das ist aber nicht der Fall.
Die Erlangung einer PIN oder eines PUK ist allein eine
Hilfsmaßnahme, um eine bestimmte technische Hürde
zu überwinden, die vor der eigentlichen Maßnahme
steht, also ein verhältnismäßig geringer Eingriff. Das hat
auch das Verfassungsgericht so gesehen. Für die Zuläs-
sigkeit der eigentlichen Maßnahme danach bleibt es bei
den einschlägigen Anforderungen.

Deshalb, meine lieben Kolleginnen und Kollegen, ha-
ben wir lange darüber diskutiert – auch wegen mir –, ob
es wirklich sinnvoll ist, einen generellen Richtervorbe-
halt bei PIN- und PUK-Abfragen zu implementieren.
Wir haben jetzt einen Kompromiss gefunden, mit dem
alle leben können und der eine oder andere auch wird le-
ben müssen. Ich bin gespannt, wie die Länder das umset-
zen. Das wird interessant werden. Zugegeben, es waren
harte Verhandlungen, aber ich danke besonders Frau
Piltz und dem Kollegen Hartmann für die konstruktive
gemeinsame Arbeit.

Traurig sieht dagegen das aus, was wir mit den Grü-
nen in puncto Zusammenarbeit erleben durften. Immer-
hin waren sie 2004 Mitautoren der Ursprungsregelung.
Wir haben ihnen im Sinne eines hohen Grundrechts-
schutzes in der Verhandlung viele offene Türen angebo-
ten. Sie haben sich allen Vorschlägen versperrt, wahr-
scheinlich rein aus Prinzip.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben sich unseren Vorschlägen versperrt, Herr Schuster!)


Das jetzt vorliegende Vorhaben geht in Sachen rechts-
staatliche Schutzmechanismen weit über das hinaus, was
sie selbst seinerzeit als notwendig erachtet haben.

Wir haben ernsthaft um ein sensibles, gesellschaftsrele-
vantes Thema gerungen und einen sinnvollen Interessenaus-
gleich zwischen Datenschützern, Bürgern, Netzgemeinde,
Richtern und Ermittlern gefunden. Die Unionsfraktion ist si-
cher die Partei der inneren Sicherheit, also die Fraktion, die
sich besonders für die Belange von Ermittlern, Staats-
anwälten und Richtern einsetzt. Gleichwohl haben wir es
mit unserem Koalitionspartner und mit der SPD ge-
schafft, das weite Meinungsspektrum dieser Gesellschaft
zu diesem Thema auszubalancieren und adäquat in einer
Regelung abzubilden. Insoweit war das anspruchsvoll
und spannend. Als Volkspartei muss man so etwas kön-

nen. Wir haben es gekonnt, und deshalb bitte ich Sie
ziemlich überzeugt und fröhlich um Zustimmung.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723131000

Das Wort hat jetzt der Kollege Michael Hartmann von

der SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Michael Hartmann (SPD):
Rede ID: ID1723131100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Es gibt ein oftmals fast reflexhaftes Agieren und
Diskutieren, wenn es um Sicherheitsgesetze geht. Kaum
fallen Begriffe, die mit Datenübermittlung an den Staat
bzw. an Sicherheitsbehörden zu tun haben, so sagen die
einen: „Es reicht nicht; es muss viel mehr sein“, und die
anderen sagen: „Die völlige Ausspähung der Bürgerin-
nen und Bürger beginnt.“ Beides ist nicht zutreffend,
weder bei dem Entwurf dieses Gesetzes noch bei ande-
ren Gesetzen. Am Schluss kommt es doch darauf an,
dass wir in der uns immer verpflichtenden Abwägung
zwischen legitimen Sicherheitsinteressen und bürgerli-
chen Freiheitsrechten die Stange so halten, dass man von
dem Seil nicht zu der einen oder anderen Seite hin ab-
rutscht. Das ist jetzt gelungen. Deshalb wird die SPD-
Fraktion – ich darf das gleich zu Beginn sagen – diesem
Gesetzentwurf schließlich und endlich zustimmen.

Ich habe größtes Verständnis dafür, wenn kritische
Bürgerinnen und Bürger, wenn Initiativen und Vereine
mit größter Aufmerksamkeit und auch größtem Miss-
trauen beobachten, was im Parlament diskutiert wird,
wenn es um Sicherheitsgesetze geht. Ich habe allerdings
kein Verständnis, wenn sofort Hysterie ausbricht, sobald
das Stichwort „Datenübermittlung an Sicherheitsbehör-
den“ fällt, und man mit unglaublichen, mittlerweile aber
populär gewordenen Beschimpfungen alle überzieht und
sagt, sie seien Verräter an der guten Sache, ja, sogar der
Verfassung, weil sie für ein Sicherheitsgesetz stimmen.
Meine Damen und Herren, heute reden wir über das
Handwerkszeug, das Polizei und Sicherheitsbehörden im
Bund und in den Ländern, auch in den von Rot-Grün re-
gierten Ländern, brauchen, um ihre Arbeit zu bewälti-
gen.

Das Verfassungsgericht hat uns mit auf den Weg ge-
geben, das Ganze besser zu machen. Das Verfassungsge-
richt hat aber an keiner Stelle, zu keinem Zeitpunkt ge-
sagt, das Gesetz sei nicht geeignet, es verletze das
Übermaßverbot oder Ähnliches. Nein, man hat Normen-
klarheit verlangt. Mit dem, was meiner Meinung nach
wesentlich von uns gemeinsam mit Ihnen verhandelt
wurde, sind diese Normenklarheit und damit die Verfas-
sungsfestigkeit des Gesetzes jetzt endlich gegeben.


(Beifall bei der SPD)


Wir bewegen uns in einem sensiblen Bereich. Daher
sollte man sich einmal genau anschauen, wann diese Be-
standsdatenabfrage tatsächlich erforderlich ist, wann sie





Michael Hartmann (Wackernheim)



(A) (C)



(D)(B)


benötigt wird. Es geht zum Beispiel um den Fall, dass
gedroht wird, eine Trinkwasseranlage zu verseuchen. Es
geht um angekündigten Selbstmord. Es geht um Miss-
brauch von Kindern. Es geht um einen angedrohten
Amoklauf an einer Schule. So ließe sich die Liste fort-
setzen. Das heißt, wenn wir der Polizei in diesen Fällen
den Zugriff auf die Bestandsdaten nicht ermöglichen, ist
es weder im Bereich der Gefahrenabwehr noch im Be-
reich der Strafverfolgung möglich, voranzukommen.
Deshalb brauchen wir dieses Gesetz. Ich hoffe, dass es in
diesem Hause niemanden gibt – egal ob man zustimmt
oder ablehnt –, der sagt: Nein, wir dürfen der Polizei, wir
dürfen den Sicherheitsbehörden diese Kompetenz grund-
sätzlich nicht geben.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagt niemand!)


Das Verfassungsgericht verlangt von uns Normen-
klarheit. Seitens der Koalition ist, wie immer, wenn es
um Sicherheitsfragen geht, lange Zeit nichts passiert.
Weil die Zeit knapp wurde – bis zum 1. Juli 2013 müs-
sen die Gesetze in Kraft sein, weil es sonst keine Mög-
lichkeit der Bestandsdatenauskunft mehr gibt –, legte die
Koalition dann einen Gesetzentwurf vor, dem wir nie
und nimmer hätten zustimmen können, weil das, was das
Verfassungsgericht verlangt, und das, was wir den Bür-
gerinnen und Bürgern schulden, mit diesem Gesetzent-
wurf nicht geleistet wurde. Die Rechte für die Polizei,
die wir auch wollen, wurden zwar festgeschrieben, aber
es wurden keine Sicherungen eingebaut. Für uns gilt
jetzt und in Zukunft bei allen Sicherheitsgesetzen: Wenn
Polizei und Sicherheitsbehörden mehr Befugnisse erhal-
ten, dann muss es auch Kontroll- und Überwachungs-
möglichkeiten geben. Das ist der rote Faden, an dem wir
uns dabei orientieren.


(Beifall bei der SPD)


Wir sind in den Verhandlungen, die in der Tat nicht
einfach, aber, Herr Schuster und Frau Piltz, wirklich von
Kollegialität getragen waren, so weit gekommen, dass
wir jetzt nicht nur die Anforderungen des Verfassungs-
gerichts erfüllen, sondern sie sogar übererfüllen. Das ist
ein gutes Zeichen: Wir machen nicht nur das minimal
Mögliche, sondern gehen im Interesse der Bürgerrechte
sogar weit darüber hinaus. Der Rechtsschutz wurde aus-
geweitet. Jetzt stehen Mitteilungspflichten, die in dem
abgestimmten Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen
nicht enthalten waren, im Gesetzentwurf, der Richter-
vorbehalt wird eingeführt, und es ist ein Bericht zur Ent-
wicklung bei den festen IP-Adressen vorzulegen. All das
sind Standards, die über die Forderungen des Verfas-
sungsgerichts hinausgehen. Sie sind aber dringend gebo-
ten, um dem Misstrauen einer berechtigterweise kriti-
schen Öffentlichkeit zu begegnen, aber auch, um zu
zeigen, dass der Gesetzgeber sehr darauf achtet, dass bei
Sicherheitsgesetzen das Kind nicht mit dem Bade ausge-
schüttet wird.

Die Länder warten händeringend auf das Gesetz. Des-
halb müssen wir es nach gründlicher Beratung jetzt
schnellstens auf den Weg bringen. Wir als Oppositions-
fraktion haben unsere Bereitschaft zu Verhandlungen
auch deshalb erklärt, weil wir sehr wohl wissen, dass

dieses Gesetz – Herr Schuster, das sagen Sie völlig zu
Recht – aus der Zeit von Rot-Grün stammt. Insofern se-
hen wir uns auch als Opposition in der Verantwortung
und in der Kontinuität, für die Sicherheit unseres Landes
zu sorgen, statt uns einfach davonzustehlen und ir-
gendwo billigen Applaus zu holen.

Ich bin froh, dass es gelungen ist, gemeinschaftlich zu
verhandeln und, auch aufseiten der Koalition, einen Ge-
setzentwurf noch einmal aufzubohren, der eigentlich
endabgestimmt war. Das ist in der Tat ein gutes Beispiel
für parlamentarische Zusammenarbeit. Wir haben uns
nichts geschenkt; aber wir haben aus einem Gesetzent-
wurf, der nicht gut war, einen guten gemacht. Mit Ver-
laub: Das hat schon ein bisschen damit zu tun, dass So-
zialdemokraten am Tisch saßen und mit verhandelt
haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723131200

Für die FDP-Fraktion hat jetzt die Kollegin Gisela

Piltz das Wort.


(Beifall bei der FDP)



Gisela Piltz (FDP):
Rede ID: ID1723131300

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Herr Hartmann, am Ende zählt vielleicht, dass wir alle
gemeinsam ein Gesetz, das auch wir so nicht hätten mit-
tragen können, besser gemacht haben. So gesehen ma-
chen Sie Ihrem ehemaligen Fraktionsvorsitzenden alle
Ehre: Es kommt kein Gesetz so aus dem Bundestag he-
raus, wie es hineingegangen ist.

Ich möchte mich zu Beginn ganz herzlich beim BMI,
bei den Berichterstattern, aber auch bei unseren Mitar-
beitern bedanken. Das waren konstruktive Verhandlun-
gen. Ich bin sehr froh, dass uns das gelungen ist. Es ist
schön, wenn sich einmal alle Väter und Mütter darum
streiten, wer eigentlich den größten Anteil hatte. Im Er-
gebnis haben wir es geschafft, mehr Bürgerrechte durch-
zusetzen. Ich glaube, das ist die gute Nachricht des
Abends.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir haben gemerkt, dass es – das haben Sie zu Recht
gesagt – Wörter gibt, die quasi Pawlow’sche Reflexe
auslösen. „Bestandsdatenauskunft“ ist so ein Wort. Ich
gebe gerne zu, dass ich früher durchaus ein Gruseln un-
terdrücken musste, wenn ich das Wort hörte. Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf hat das aber deutlich nach-
gelassen.


(Lachen des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


– Herr von Notz, Sie haben es immer noch nicht begrif-
fen. Das tut mir echt leid.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich darf doch wohl lustig finden, was Sie sagen!)






Gisela Piltz


(A) (C)



(D)(B)


Das klingt nach Überwachungsstaat und nach Schnüffe-
lei im Internet. Dann noch dazu eine verfassungswidrige
Norm: Das muss schrecklich sein. Da muss man sich
schon mit der Materie beschäftigen. Das haben Sie,
glaube ich, nicht gemacht.

Um klarzumachen, worum es eigentlich geht: Es geht
eben gerade nicht um Verkehrsdaten, sondern es geht um
Bestandsdaten. Mit der Logik mancher Kolleginnen und
Kollegen im Haus dürften Sie auch nicht im Telefonbuch
eine Telefonnummer nachschauen. Auch dürften Sie
nicht checken, wem ein Kennzeichen gehört. Das alles
sind einfache Bestandsdatenauskünfte. Es geht eben ge-
rade nicht darum, wer mit wem telefoniert hat und wer
wie lange auf welcher Homepage war. Das wären Vor-
ratsdatenspeicherungen, die wir weiter ablehnen. Be-
standsdaten aber sind in unserem Rechtsstaat unerläss-
lich für die Verfolgung von Straftaten.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Dr. HansPeter Uhl [CDU/CSU])


Weiterhin geht es um die Frage, wem eine dynami-
sche IP-Adresse zu einem – ich betone: einem – be-
stimmten Zeitpunkt zugeordnet war. Da wird es schon
heikel, weil hier der Schutzbereich von Art. 10 des
Grundgesetzes berührt ist.

Schließlich geht es um Zugangssicherungsdaten, so-
fern diese überhaupt beim Provider vorliegen, also um –
wie wir alle gelernt haben – PINs, PUKs und Passwörter.
Das sind natürlich höchst sensible Daten. Deshalb haben
wir für diese Daten auch rechtsstaatliche Sicherungen
eingezogen.

Jetzt, wo deutlich geworden ist, worum es geht, sind
wir uns, glaube ich, alle klar darüber, dass es weiterhin
solche Bestandsdaten geben muss. Auch das haben
meine Kollegen vorhin schon gesagt.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Natürlich muss es sie geben! Die Frage ist, wann man sie rausgibt!)


Für uns war aber auch klar, dass der Staat einen Zugriff
– natürlich keinen unbegrenzten – auf solche Daten ha-
ben darf. Diese Grenzen haben wir, die Fraktionen, in
dieses Gesetz eingezogen. Das fängt damit an, dass Da-
ten überhaupt nur dann vom Provider übermittelt werden
dürfen, wenn diese zu Zwecken der Strafverfolgung, der
Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, zur Gefahrenab-
wehr oder zur Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben der
Nachrichtendienste abgefragt werden.

Das Bundesverfassungsgericht hat schon sehr klar
dargestellt, dass mit dieser Eingrenzung Abfragen „ins
Blaue hinein“ – es wird oft behauptet, dass dies gesche-
hen könne – nicht möglich sind. Damit ist klar: Polizei
und Staatsanwaltschaften können nicht einfach Be-
standsdaten abfragen, insbesondere nicht im Vorfeld
konkreter Gefahren.

Weil das in der öffentlichen Diskussion war, gebe ich
hier – insbesondere für den Kollegen von Notz – noch
eine Erläuterung zu den Ordnungswidrigkeiten. Ich habe
das auch im Ausschuss schon gemacht. Wer so tut, als ob

Ordnungswidrigkeiten Lappalien wären, hat den Rechts-
staat nicht verstanden.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kommt darauf an!)


Es gibt Ordnungswidrigkeiten, die mit hohen Bußgeld-
summen bewehrt sind,


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Stimmt!)


insbesondere im Umweltbereich. Schönen Gruß an die
eigenen Kollegen!


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt werden Sie zur Umweltschützerin?)


– Ich kann das gut. Wenn Sie das nicht können, ist das
nicht mein Problem.


(Beifall bei der FDP)


Das gilt aber auch für den Datenhandel. Beim Datenhan-
del zum Beispiel braucht man vielleicht die dynamische
IP-Adresse. Wenn man sie nicht bekommt, kann man die
entsprechende Ordnungswidrigkeit nicht verfolgen.
Wenn man heutzutage die dynamische IP-Adresse abfra-
gen würde, würde jeder, der davon betroffen ist, wenigs-
tens im Nachhinein benachrichtigt. Als Sie noch regiert
haben, haben Sie darüber nicht einmal nachgedacht.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Auch das stimmt nicht!)


Es gab keine nachträgliche Benachrichtigungspflicht.
Das heißt, wir machen den Rechtsstaat hier besser, nicht
Sie.


(Beifall bei der FDP)


Ehrlich gesagt, habe ich auch von den Grünen noch
keinen Aufschrei gehört, wenn ein Kennzeichen als Be-
standsdatum für eine Verkehrsordnungswidrigkeit, die
mit einem Bußgeld von 5 Euro bewehrt ist, abgerufen
wird. Ich habe von Ihnen noch nie gehört, dass Sie sich
dagegen wehren.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ach, Frau Piltz!)


Von daher finde ich, Sie sollten sich gut überlegen, was
Sie hier tun.

Wir haben den § 113 TKG noch einmal neu gefasst.
Das war auch ein Ergebnis der Anhörung. Wenn es im-
mer wieder heißt, Anhörungen würden nichts bringen,
kann ich für meine Fraktion sagen: Uns hat die Anhö-
rung doch noch einen Erkenntnisgewinn gebracht, den
wir auch umgesetzt haben. Wir haben insofern rechts-
staatliche Hürden eingezogen, als es einen Richtervorbe-
halt oder eine Benachrichtigungspflicht geben soll. Für
uns ist auch immer sehr wichtig, dass wir keine neuen
Befugnisse schaffen. Wer etwas anderes sagt, hat den
Gesetzentwurf nicht verstanden.

Von daher kann ich nur sagen: Wir sind sehr gespannt,
wie sich die Länder, in denen Sie an der Regierung betei-
ligt sind, verhalten werden. Denn eins ist klar: Nicht nur





Gisela Piltz


(A) (C)



(D)(B)


der Bund muss seine Sicherheitsgesetze ändern, sondern
auch alle Länder müssen ihre Sicherheitsgesetze ändern.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ich kann es kaum erwarten!)


Wir haben in unserem Gesetzentwurf hohe rechtsstaatli-
che Hürden vorgesehen. Ich würde mich freuen, wenn
dem alle Länder folgen würden. Ich glaube aber, sie wer-
den es nicht tun. Wir werden sehr genau verfolgen, Herr
von Notz, ob insbesondere die Grünen nur aufschreien
oder ob sie tatsächlich etwas für den Rechtsstaat tun.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da hat man noch gar nichts gesagt, und schon wird sich hier so an einem abgearbeitet!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723131400

Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege Jan

Korte das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Jan Korte (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723131500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-

nächst einmal, liebe Kollegin Piltz, lieber Kollege
Hartmann: Ich finde, es ist eine sehr gesunde Entwick-
lung, dass es bei vielen Bürgerinnen und Bürgern einen
Reflex – von mir aus auch einen Pawlow’schen Reflex –
auslöst, wenn wir im Bundestag über Bürgerrechte und
Daten diskutieren. Es ist eine gute Entwicklung, dass die
Leute im Hinblick auf das, worüber wir hier diskutieren,
skeptisch sind. Das ist eine hervorragende Entwicklung,
die ich außerordentlich begrüße.


(Beifall bei der LINKEN – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Ja! Ohne Frage! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Weil sie nicht wissen, worum es geht!)


Nun ist es so: In der Tat ist der Gesetzentwurf, der
heute vorliegt, besser als der Gesetzentwurf, der vorher
vorgelegen hat. Aber er ist deswegen leider noch immer
nicht gut. Liebe Kollegin Piltz, die Kernfrage lautet
doch: Wann rückt man was heraus, und unter welchen
Auflagen tut man das?


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau das! – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Sie hätten mal das Schwarzgeld von der SED rausrücken sollen!)


Hier gibt es zwischen uns einen Dissens, was den heute
vorliegenden Gesetzentwurf angeht. Denn – das haben
Sie richtig gesagt – es geht bei PINs, IP-Adressen und
PUKs in der Tat um sehr sensible Daten. Es geht aber
auch um die Frage: Wie regeln wir den Zugriff, den die
Sicherheitsbehörden darauf haben möchten, und zwar
logischerweise in großem Umfang? Richtig ist auch: Das
Bundesverfassungsgericht hat festgestellt, dass eine all-
gemeine Auskunftspflicht verfassungskonform ist. Des-

wegen diskutieren wir heute über die Ausgestaltung. Da
liegt der Dissens.

Die nächste Anmerkung, die ich machen will. Wenn
eine ganz große Koalition in diesem Haus, also CDU/
CSU und SPD – das muss einen schon skeptisch
machen – zusammen mit der FDP einen Gesetzentwurf
zur inneren Sicherheit hochjubelt, sind größte Vorsicht
und Skepsis geboten.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist das! – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Was hättet ihr denn gemacht?)


Deswegen schrillen bei allen, die sich mit diesem Thema
beschäftigen, die Alarmglocken.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wie würde denn das Gesetz bei euch aussehen?)


Nun konkret zu einigen Punkten:

Punkt eins: der hochgerühmte Richtervorbehalt, zum
Beispiel im Hinblick auf PINs und PUKs.


(Marco Buschmann [FDP]: Oh! Jetzt kommt auch noch Justizschelte!)


Er ist in der Tat ein Fortschritt dieses Gesetzentwurfs.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Na also!)


Aber diese Regelung ist nicht einmal ansatzweise ausrei-
chend, zumal diese Anordnung bei Gefahr im Verzug be-
kanntermaßen – so steht es im Gesetzentwurf – durch ei-
nen Staatsanwalt oder einen Polizeibeamten erfolgen
kann und dann eine nachträgliche Benachrichtigung
stattfinden muss.


(Marco Buschmann [FDP]: Aber das ist doch völlig üblich! Das ist doch systematisch überall so!)


Das geht an der Realität völlig vorbei. Das bedeutet
nämlich konkret die Aushebelung des Richtervorbehalts.
Das kritisieren wir.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Wie hättet ihr das Gesetz gemacht?)


– Ich sage dazu etwas, Kollege Hartmann.

Zweiter Punkt: die Benachrichtigungspflicht. In der
Anhörung war klar: Eine Benachrichtigungspflicht muss
es bei allen Eingriffen geben. Vorgesehen ist aber eine
Einschränkung der Benachrichtigungspflicht – ich darf
aus dem Gesetzentwurf zitieren –:

Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald
hierdurch der Zweck der Auskunft nicht vereitelt
wird. Sie unterbleibt, wenn ihr überwiegende
schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen
Person selbst entgegenstehen.





Jan Korte


(A) (C)



(D)(B)


Übersetzt bedeutet das nichts anderes, als dass es real
zu fast gar keinen Benachrichtigungen kommen wird;
denn diese Formulierung lässt sich immer so interpretie-
ren, dass nicht benachrichtigt werden muss. Das muss
kritisiert werden.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Übersetzung ist also notwendig bei den schönen Worten,
die Sie hier vorgelegt haben, um das Ganze zu verschlei-
ern.

Dritter Punkt: Die Abfrage von Kommunikations-
daten ist bei allen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten
möglich. Da müssen wir einmal festhalten, dass es krass
unverhältnismäßig ist bei solch sensiblen Daten, damit
Ordnungswidrigkeiten aller Art zu verfolgen. Das kann
hier doch nicht allen Ernstes als fortschrittlich verkauft
werden, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Jetzt eure Vorschläge!)


– Lieber Kollege Hartmann, man hätte – wie es in der
Sachverständigenanhörung vorgeschlagen wurde; ich
glaube, dieser Vorschlag kam sogar von Ihren Sachver-
ständigen – im Falle der Ordnungswidrigkeiten zumin-
dest konkret etwas aufführen können; aber das ist leider
nicht geschehen.

Vierter Punkt. Durch die Kompetenzen, die hier ein-
geräumt werden, wird das BKA weiter zu einer allum-
fassenden Internetpolizei ausgebaut.


(Dr. Konstantin von Notz [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es! – Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Schön wär’s!)


– Das ist eindeutig so. – Auch das ist zu kritisieren. Das
wollen wir nicht.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich fasse zusammen: Was die ganz große Koalition
hier vorgelegt hat und mit großem Brimborium als eine
Verbesserung verkauft, ist, um es einmal in der extrems-
ten Form diplomatisch auszudrücken, Augenwischerei.


(Marco Buschmann [FDP]: „In der extremsten Form diplomatisch“, hat er das jetzt wirklich gesagt?)


Es ist eine Ausweitung von Überwachungsbefugnissen.
Wir brauchen aber eine massive Beschränkung und Ein-
schränkung von Überwachungsbefugnissen. Deswegen
wird die Fraktion Die Linke diesen Gesetzentwurf
selbstverständlich ganz deutlich ablehnen.

Schönen Dank.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Peter Röhlinger [FDP]: Völlig überraschend!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723131600

Für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt der Kollege

Dr. Konstantin von Notz das Wort.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und
Herren! Diese Debatte am späten Abend mutet wirklich
merkwürdig an. Erst hat die Koalition trotz des drohen-
den Ablaufs der Frist, die das Bundesverfassungsgericht
gesetzt hat, monatelang wichtige Zeit verstreichen las-
sen, dann hat sie hier in den letzten Tagen einmal mehr
mit heißester Nadel eine ungenügende Gesetzesände-
rung zusammengestrickt. Jetzt zanken sich SPD, FDP
und Union, wer denn nun den Hauptanteil an dieser frag-
würdigen Vorlage hat.


(Jan Korte [DIE LINKE]: Richtig!)


An Ihre jeweilige Verantwortlichkeit – das kann ich Ih-
nen heute zusichern – werden wir Sie erinnern, wenn
diese Regelung in Karlsruhe schon bald erneut geprüft
wird, meine Damen und Herren.


(Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Tatsächlich bringen Sie einen Entwurf ein, durch den
der Grundrechtsschutz nicht erhöht, sondern abgesenkt
wird. Sie erweitern – Frau Piltz, Sie wissen das – die Be-
fugnisse der Sicherheitsbehörden, anstatt sie zu begren-
zen.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Schön wär’s!)


Weder das BKA noch das Zollkriminalamt hatten bis-
lang eigenständige, allein auf ihre Zentralstellenfunktion
gestützte Zugriffsbefugnisse. Jetzt bekommen sie sie.
Mit Verdacht oder Gefahr hat das aber auch gar nichts zu
tun. Das ist das Vorfeld des Gefahrenvorfelds. Das ge-
fällt Herrn Uhl bestimmt; aber Ihnen kann das doch
kaum gefallen, Frau Piltz.


(Gisela Piltz [FDP]: Wenn Sie es nicht verstehen!)


Die nachträgliche Benachrichtigungspflicht, auf die
Sie sich hier berufen, ist nicht einmal ein Feigenblatt; sie
ist die nahezu schwächste Form des Grundrechtsschut-
zes durch Verfahren.


(Gisela Piltz [FDP]: Deshalb gab es die bisher auch nicht!)


Diese Benachrichtigungspflicht läuft, wie etwa bei den
millionenfachen Funkzellenabfragen in Berlin und Dres-
den, in der Regel ins Leere; der Kollege Korte hat es Ih-
nen eben erklärt.


(Beifall des Abg. Frank Tempel [DIE LINKE] – Marco Buschmann [FDP]: Das ist etwas ganz anderes!)


Ähnlich ist es mit dem Richtervorbehalt.


(Michael Hartmann [Wackernheim] [SPD]: Das war unser Gesetz! Das war ein rot-grünes Gesetz!)






Dr. Konstantin von Notz


(A) (C)



(D)(B)


Der Sachverständige Professor Bäcker – Ihr Sachver-
ständiger, Frau Piltz – hat völlig zu Recht die wachsende
Skepsis der Rechtswissenschaft gegenüber dem Instru-
ment des Richtervorbehalts zum Ausdruck gebracht.


(Marco Buschmann [FDP]: Justizschädigend!)


Gleichzeitig hat er die Bedeutung des Richtervorbehalts
für das Telekommunikationsgeheimnis betont. Er hat
recht: Hier müssen wir den Richtervorbehalt stärken.

SPD, Union und FDP halten den Richtervorbehalt
ausschließlich für PIN- und PUK-Abfragen für ange-
bracht. Das ist zwar ein richtiger Schritt, Herr Kollege
Hartmann; aber er ist eben zu kurz. Der Zugriff auf dy-
namische IP-Adressen hätte ebenfalls unter den Richter-
vorbehalt gestellt werden müssen – aber unter einen, der
den Namen auch verdient.

Schließlich: Auch die vom Berliner Datenschutzbe-
auftragten dringend angeratene unabhängige Evaluation
schlagen Sie aus, Frau Piltz. Wir haben eine Beobach-
tungspflicht zum Schutz dieses zentralen Grundrechts,


(Gisela Piltz [FDP]: Sie lesen das heute hübsch vor! Kann es sein, dass Sie gar nicht verstehen, was Sie da sagen?)


und dieser Pflicht werden Sie von der FDP, Sie von der
CDU/CSU und Sie von der SPD nicht gerecht.


(Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Das alles wollen Sie entgegen der Forderung der Da-
tenschutzbeauftragten selbst für Abfragen bei kleinsten
Ordnungswidrigkeiten legalisieren. Ihr neues Interesse
für den Umweltschutz in Ehren, Frau Kollegin, aber es
geht darum, Schwellen einzuziehen, und genau da haben
Sie versagt.


(Beifall der Abg. Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Der vorliegende Gesetzentwurf enthält gravierende
neue Eingriffe sowohl in das Telekommunikationsge-
heimnis als auch in das Recht auf informationelle Selbst-
bestimmung.


(Gisela Piltz [FDP]: Oje!)


Wieder einmal werden die Befugnisse der Sicherheitsbe-
hörden ausgebaut statt eingehegt. Dass Sie hier einfach
dreist das Gegenteil behaupten, macht es nicht besser.
Ihr Mantra „Neue Befugnisse werden für die Sicher-
heitsbehörden mit dem Entwurf nicht geschaffen“ ist
nachweislich falsch.

Der Grundrechts- und Datenschutz sollte ja ein wich-
tiges Thema der schwarz-gelben Koalition in dieser Le-
gislatur werden. Sie haben auf ganzer Linie versagt: Sie
haben ein Arbeitnehmerdatenschutzgesetz vergeigt; Ihre
Stiftung Datenschutz ist eine unterfinanzierte Lachnum-
mer, bei der alle wesentlichen Akteure gar nicht erst mit-
machen;


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Das nehmen Sie mit Abscheu und Empörung zurück!)


beim Internetdatenschutz und bei der roten Linie gibt es
einen schwarz-gelben Totalausfall; das Innenministe-
rium weiß bis heute nicht, Herr Kollege Staatssekretär,
welche Agenda es in Sachen Datenschutz-Grundverord-
nung denn nun hat, und heute kommen Sie – in Reaktion
auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts – im Eil-
verfahren mit Regelungen um die Ecke, die die Be-
standsdaten nicht etwa besser schützen, sondern ihre
massenhafte Abfrage vereinfachen.

Das alles veranstaltet die schwarz-gelbe Koalition zu-
lasten des Daten- und Grundrechtsschutzes der Bürge-
rinnen und Bürger –


(Dr. Gerd Müller [CDU/CSU]: Aber Herr Baron!)


und das Ganze heute unter freundlicher Mitwirkung einer
großkoalitionär blinkenden SPD. Das ist sehr bedauerlich.

Ganz herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN – Reinhard Grindel [CDU/CSU]: Heul doch! – Zuruf von der FDP: Die eigene Fraktion ist nicht da!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723131700

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zur Ände-
rung des Telekommunikationsgesetzes und zur Neurege-
lung der Bestandsdatenauskunft.

Der Innenausschuss empfiehlt in seiner Beschluss-
empfehlung auf Drucksache 17/12879, den Gesetzent-
wurf der Bundesregierung auf Drucksache 17/12034 in
der Ausschussfassung anzunehmen. Ich bitte diejenigen,
die dem Gesetzentwurf in der Ausschussfassung zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der SPD-Fraktion bei Ge-
genstimmen der Linken und der Grünen angenommen.

Dritte Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem
Stimmenverhältnis angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 14 auf:
Beratung des Antrags der Abgeordneten Cornelia
Möhring, Yvonne Ploetz, Diana Golze, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE
Verbandsklagerecht im Allgemeinen Gleichbe-
handlungsgesetz implementieren
– Drucksache 17/11590 –
Überweisungsvorschlag:
Rechtsausschuss (f)
Innenausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend

Die Reden sollen mit Ihrer Erlaubnis zu Protokoll
genommen werden.1)

1) Anlage 2





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/11590 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 17 auf:

Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Neu-
ordnung der Regulierung im Eisenbahnbe-
reich

– Drucksache 17/12726 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem
Redner dem Parlamentarischen Staatssekretär Enak
Ferlemann das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


E
Enak Ferlemann (CDU):
Rede ID: ID1723131800


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr verehrten
Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Eisenbahnverkehr kann man betreiben, aber man kann
ihn besonders gut betreiben, wenn es einen Wettbewerb
gibt.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Herr Ferlemann, das ist ja lustig!)


Wettbewerb führt dazu, dass man mit der gleichen In-
frastruktur und der gleichen Ausstattung mehr Dienst-
leistungen für die Bürgerinnen und Bürger, für die Fah-
rerinnen und Fahrer und insbesondere auch für den
Güterverkehr zur Verfügung stellt.

Hierfür sieht die Europäische Kommission im We-
sentlichen zwei Ansätze: Entweder trennt man Netz und
Betrieb. Das heißt, auf der einen Seite gibt es den Betrei-
ber der Infrastruktur, und auf der anderen Seite gibt es
viele Betreiber, die den Betrieb sicherstellen. Oder man
hat ein sogenanntes integriertes Modell. Das heißt, es
gibt einen Betreiber der Infrastruktur, der aber durchaus
auch Betreiber des Betriebes, zumindest in Teilen, sein
kann.

Beide Lösungen sind nach derzeitiger Lage im vierten
Eisenbahnpaket vorgesehen. Wir werden es noch inten-
siv beraten. Der Verkehrsausschuss hat die Beratungen
dazu aufgenommen. Wir werden dazu sicherlich noch
große Debatten haben.

Wenn man sich aber dafür entscheidet – was die Bun-
desregierung getan hat –, die Bahninfrastruktur in einem
integrierten Modell zu betreiben, dann muss man eine
Regulierung haben. Voraussetzung für Wettbewerb ist
ein diskriminierungsfreier Zugang zum Netz und zu den

Infrastruktureinrichtungen. Hierzu bedarf es der Kon-
trolle, dass ein Monopolist nicht die Preise festsetzt, die
er möchte, sondern die Preise, die ein Markt festsetzen
würde. Dazu bedarf es einer Simulierung des Marktes.

Deswegen legen wir Ihnen heute den Entwurf eines
Eisenbahnregulierungsgesetzes vor. Dieses Gesetz zählt
sicherlich zu den sehr wichtigen Gesetzgebungsvorha-
ben im Verkehrssektor in dieser Legislaturperiode.


(Sören Bartol [SPD]: Da seid ihr ja ganz schön früh dran!)


Ich bin sehr dankbar, dass so viele Kolleginnen und Kol-
legen trotz der fortgeschrittenen Uhrzeit gekommen
sind, um über diesen Gesetzentwurf in erster Lesung zu
beraten.


(Sören Bartol [SPD]: Und das kurz vor Ende!)


Dieser Gesetzentwurf wurde auch im Bundesrat bera-
ten. Der Bundesrat hat viele sehr positive Anmerkungen
gemacht und auch einige Veränderungen vorgeschlagen.
Wir haben viele Änderungswünsche des Bundesrates in
unseren Gesetzentwurf übernommen, einige aber nicht,
weil die Wünsche des Bundesrates häufig weit über die
eigentlichen Regelungen im Gesetz hinausgingen.

So legen wir Ihnen heute eine Entgeltregulierung vor,
die im Wesentlichen mit den Mitteln der Anreizregulie-
rung arbeitet. Das heißt, dass wir den Markt simulieren
und die Bundesnetzagentur, die das für uns macht, mit
diesem Gesetzentwurf deutlich stärken. Das ist gut und
richtig so.

Wir haben uns nach langer Debatte dafür entschieden,
auch die Investitionen in die Infrastruktur der Anreiz-
regulierung zu unterwerfen – mit einer einzigen Aus-
nahme, da wir – Kollege Burkert, auch Sie haben darauf
hingewiesen – im Bereich der Wartung schon einen
Markt haben. Wir werden hier eine gesonderte Untersu-
chung durchführen, ob wir auch diesen Markt der An-
reizregulierung unterwerfen oder ob der Markt schon so
weit vorhanden ist, dass wir diese Anreizregulierung
nicht brauchen und womöglich mehr Schaden als Nutzen
anrichten würden. Aber ansonsten wenden wir die An-
reizregulierung an.

Ich glaube, das ist genau der richtige Weg, um zu
mehr Wettbewerb zu kommen, um die Monopolisten bei
uns, die Eisenbahninfrastrukturunternehmen, zu einer ef-
fizienten und effektiven Investition ihrer Mittel zu brin-
gen, damit wir möglichst viel Eisenbahn, Infrastruktur
und Dienstleistung für das bereitgestellte Geld bekom-
men. Die Nutzer der Schienenwege, der Bahnhöfe, der
Einrichtungen sollen einen einfachen Zugang zu der ent-
sprechenden Infrastruktur haben, und die Dienstleistung,
sei es nun im Personenverkehr oder im Güterverkehr,
soll den Nutzern über die Fahrpreise möglichst günstig
bereitgestellt werden.

Dafür dient der heute vorgelegte Gesetzentwurf der
Bundesregierung. Ich hoffe, dass wir gemeinsam nach
zügiger Beratung in den Ausschüssen in zweiter und
dritter Lesung zu einer Beschlussfassung kommen und
wir dann möglichst zügig dieses Gesetz umsetzen kön-
nen; denn es dient dem Wettbewerb. Es dient dem Eisen-





Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann


(A) (C)



(D)(B)


bahnsektor. Es dient dazu, dass Menschen Eisenbahn-
infrastruktur günstiger nutzen können und dass vor allem
der Güterverkehr günstiger genutzt werden kann. Damit
soll der Eisenbahnsektor insgesamt noch leistungsfähi-
ger aufgestellt werden, als er in Deutschland schon ist.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723131900

Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Sören Bartol

das Wort.


(Beifall bei der SPD – Martin Burkert [SPD]: Bravo! Guter Mann! – Gegenruf des Abg. Gero Storjohann [CDU/CSU]: Es kann jetzt nur schlechter werden!)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1723132000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Latte liegt jetzt hoch. – Worum geht es bei der Neuord-
nung der Regulierung im Eisenbahnbereich? Die zentra-
len Fragen sind: Wie stellen wir uns den zukünftigen
Schienenverkehr in Deutschland vor? Welche Kapazitä-
ten an Verkehrsaufkommen soll der Schienenverkehr in
Zukunft überhaupt bewältigen? Bei näherer Betrachtung
Ihres Regierungsentwurfs und Ihrer bisherigen bahnpoli-
tischen Aussagen bekommt man Zweifel, ob Sie über-
haupt eine Vorstellung von einem zukunftsfähigen Bahn-
verkehr haben.

Wir als SPD-Bundestagsfraktion haben unser Ziel
klar benannt: Wir wollen einen funktionierenden, leis-
tungsfähigen und bezahlbaren Schienenverkehr. Dies ge-
hört für uns zur öffentlichen Daseinsvorsorge. Hier ist
für uns der Bund in der Pflicht. Er hat den Ausbau und
den Erhalt des Schienennetzes der bundeseigenen Eisen-
bahn sowie dessen optimale Nutzung im Personenfern-
und Güterverkehr als Teil der öffentlichen Daseinsvor-
sorge zu gewährleisten.

Im Rahmen unseres Infrastrukturkonsenses haben wir
eine neue Netzstrategie für die Schiene entwickelt. Dazu
gehören unter anderem der Ausbau der Kapazität des
Schienennetzes, die Verbesserung des Lärmschutzes,
faire Preise für die Nutzung der Infrastruktur und natür-
lich ein diskriminierungsfreier Zugang für alle Wettbe-
werber. Das Thema Eisenbahnregulierung sehen wir da-
her nicht wie die Kolleginnen und Kollegen von CDU/
CSU und FDP isoliert als leidigen Aufgabenpunkt einer
Task-Liste, die man eben abzuarbeiten hat, wenn man re-
giert. Wir sehen sie eingebettet in eine umfassende Netz-
strategie. Erst dann ist es sinnvoll, über eine Regulierung
des Schienenverkehrs nachzudenken.

Halten wir also fest: Fragen der Regulierung der Ent-
gelte, des Zugangs zum Netz und den Serviceeinrichtun-
gen sowie die wirksame Kontrolle der Einhaltung vor-
handender Regulierungen sind für uns integraler
Bestandteil einer umfassenden Netzstrategie. Dabei hal-
ten wir Wettbewerb im Schienenverkehr für notwendig.
Wettbewerb ist kein Selbstzweck, sondern ein Mittel, um
mehr Verkehr zu günstigeren Preisen auf die Schiene zu

bringen und vorhandene Netzkapazitäten besser zu nut-
zen. Das heißt, wir wollen einen funktionierenden Wett-
bewerb im Schienenverkehr. Einen solchen Wettbewerb
wollen wir auch fördern. Aber Wettbewerb darf nicht
einseitig auf dem Rücken der Beschäftigten ausgetragen
werden und zu Dumpinglöhnen und niedrigeren Sozial-
standards führen. Wo Wettbewerb funktionieren soll, be-
nötigen wir Regeln, dies umso mehr, wenn es sich wie
bei der Eisenbahninfrastruktur um ein Monopol handelt.

Was Sie aber machen, ist überholte Theorie aus dem
volkswirtschaftlichen Grundstudium. Ob nun Vollkos-
tenprinzip, Anreizregulierung oder Price-Cap-System:
Sie verlieren dabei das Augenmaß und den Blick für die
Besonderheiten des Eisenbahnsektors.


(Beifall bei der SPD)


Faire und transparente Trassen- und Stationspreise sind
das eine Thema. Aber warum laut Ihres Regierungsent-
wurfs jeder Fahrkartenschalter auch noch die Fahrkarten
der Mitbewerber verkaufen soll, ist wenig nachvollzieh-
bar. Man stelle sich vor, die Lufthansa solle an ihrem
Schalter jetzt auch die Tickets von Air Berlin verkaufen.
Das gäbe mit Sicherheit eine interessante Diskussion,
die da auf Sie zukäme.

Was aber völlig fehlt in Ihrem Gesetzentwurf, ist noch
etwas grundsätzlich anderes, nämlich die Beantwortung
der Fragen, welche zusätzlichen Befugnisse die zustän-
dige Regulierungsbehörde im Detail bekommt, und wer
diese Regulierungsbehörde eigentlich reguliert. Wie soll
eigentlich das Verhältnis zwischen Eisenbahn-Bundes-
amt und Regulierungsbehörde aussehen? Da bekommt
die eine Behörde ein bisschen was weggenommen und
die andere eine Scheibe dazu, und dann gibt es da auch
noch den Bundesrechnungshof. Jetzt soll auf einmal al-
les perfekt geregelt sein.

Hinzu kommt noch ein sehr wichtiger Aspekt: Kom-
petenz beim Eisenbahn-Bundesamt, bei der Bundesnetz-
agentur und bei der Deutschen Bahn AG ist schön und
gut. Wir wollen aber, dass auch der Bund als Eigentümer
politische Führung zeigt. Kompetenz im BMVBS ist ge-
fragt. Und was machen Sie? Sie dünnen Ihr Eisenbahn-
personal immer weiter aus und verlieren dadurch Fach-
wissen und damit Gestaltungshoheit.

Ich bleibe dabei: Ohne Einbettung in eine umfassende
Gesamtstrategie schwebt Ihr Regulierungsentwurf im
luftleeren Raum. Ihr Gesetz löst nicht die Probleme des
Schienenverkehrs. Es ist nicht geeignet, mehr Verkehr
auf die Schiene zu bringen. Ihr Gesetzentwurf lässt we-
sentliche Fragen offen. Er sollte aber das Gegenteil tun.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723132100

Für die FDP-Fraktion hat das Wort der Kollege Oliver

Luksic.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)







(A) (C)



(D)(B)



Oliver Luksic (FDP):
Rede ID: ID1723132200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

beraten heute in erster Lesung über den Entwurf eines
Gesetzes zur Neuordnung der Regulierung im Eisen-
bahnbereich, ein wichtiges Vorhaben aus dem Koali-
tionsvertrag.

Wir haben uns zu Beginn der Legislaturperiode da-
rauf verständigt, das Regulierungsrecht zu überarbeiten.
Insbesondere die Trassen- und Stationspreise wollen wir
einer Anreizregulierung unterwerfen. Wir haben aber
auch den eben angesprochenen Zugang zu Serviceein-
richtungen sowie den Bezug von Bahnstrom und Ver-
triebsleistungen als regulierungsbedürftig erkannt. Es
geht in der Tat darum, wie Kollege Bartol eben ange-
sprochen hat, die Bundesnetzagentur zu stärken. Damit
ist das, was wir im Koalitionsvertrag festgeschrieben ha-
ben, aufgegriffen.


(Beifall bei der FDP)


Es geht bei der Entgeltregulierung vor allem um die
Überarbeitung des Regulierungsrechts. Das Ganze ist er-
forderlich, weil wir eine Behinderung und Diskriminie-
rung von konzernexternen Bahnunternehmen durch die
Preisgestaltung der DB-Infrastrukturgesellschaften ver-
hindern wollen. Wir wollen die Effizienz vor allem bei
der Infrastrukturbereitstellung erhöhen. Der Regulie-
rungsbedarf eines voll integrierten Infrastrukturbetrei-
bers ist durch den Beherrschungs- und Gewinnabfüh-
rungsvertrag mit der DB-Holdinggesellschaft der
Weisungsbefugnis des Konzernvorstands unterworfen.

Deswegen sieht der Regierungsentwurf vor, die Tras-
senentgelte für die Nutzung des Schienennetzes, aber
auch die Stationsentgelte für die Benutzung der Perso-
nenbahnhöfe zukünftig von der Bundesnetzagentur prü-
fen und genehmigen zu lassen. Die Bundesnetzagentur
muss daher im Sinne einer Anreizregulierung darauf
achten, die Infrastrukturunternehmen zu Kostenreduzie-
rungen und Effizienzgewinnen zu veranlassen. Ich
glaube, Kollege Bartol, hier sind wir uns einig, dass
durchaus noch Potenziale zu heben sind.

Es lässt sich nicht bestreiten – die Kritik ist nicht ganz
unberechtigt –, dass die Vorlage des Regierungsentwurfs
spät erfolgt. Das liegt daran, dass erste Entwürfe nicht
dem entsprochen haben, was unserer Meinung nach not-
wendig war.


(Martin Burkert [SPD]: So?)


Nichtsdestotrotz haben wir das jetzt in einigen Punkten
meines Erachtens klar verbessert. Vor allem haben wir
die Versorgung von Eisenbahnen mit Fahrstrom in das
Gesetz aufgenommen. Das ist ein ganz wichtiger Punkt,
um für Wettbewerb zu sorgen; denn der Bahnstrom ist
ein wesentlicher Kostenfaktor für die Eisenbahnver-
kehrsunternehmen, die im Wettbewerb stehen.

Auch die Regulierung von Vertriebsleistungen ist ein
wichtiger Punkt, der aufgenommen werden musste. Bei
den weiteren Diskussionen wird eine wesentliche Rolle
spielen, in welchem Umfang Investitionen und Instand-
haltungsmaßnahmen in der Entgeltregulierung von der
Überprüfung durch die Bundesnetzagentur ausgenom-

men werden. Auch hier haben wir die ersten Entwürfe
ein Stück weit verbessert.

Wichtig war für uns vor allem der eben angespro-
chene Teil – der steht im dritten Teil des Gesetzentwurfs –
zur Regelung der Struktur der Unternehmen. Es war für
die Bundestagsfraktion der FDP wichtig, dass wir in die-
sem Gesetz, in das diese Regelung nicht hineingehört,
keine abschließenden Entscheidungen über Konzern-
strukturen treffen. Wir sind der Ansicht, dass es hier eine
Wechselbeziehung zum europäischen Recht gibt. Des-
wegen haben wir es abgelehnt, falsche Vorfestlegungen
zu treffen; denn je stärker der Eisenbahnsektor in Gestalt
des Konzerns Deutsche Bahn AG vertikal integriert ist,
desto höher ist das Regulierungsbedürfnis.

Es ist bekannt, dass die Bundestagsfraktion der FDP
weiterhin für Unbundlings, also eine stärkere Unabhän-
gigkeit der Infrastrukturgesellschaften von der Konzern-
leitung, ist; ideal wäre eine konsequente Trennung von
Netz und Betrieb. Auch wenn die Europäische Kommis-
sion ein Stück weit von ihren Vorgaben abgerückt ist, hat
sie dieses Thema weiterhin auf der Tagesordnung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Klar ist aber auch, dass dieses Thema hier jetzt nicht
auf der Tagesordnung steht. Wir haben es im Ausschuss
– Stichwort viertes Eisenbahnpaket – andiskutiert. Die
Kommission ist zwar nicht ganz so weit gegangen, wie
es sich die FDP erhofft hatte. Aber wir wollen klar fest-
halten, dass der Fortbestand des jetzigen integrierten
Holdingmodells mit dem derzeit existierenden Beherr-
schungs- und Abführungsvertrag zwischen Holding und
den Infrastrukturgesellschaften mit dem, was die EU-
Kommission vorlegt, nicht vereinbar ist.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jawohl, genau so ist es!)


Deshalb bleibt abzuwarten, wie die Beratungen im
Bundestag laufen. Sie werden mit Sicherheit auch wei-
terhin spannend bleiben. Deswegen ist es unsinnig, die-
ses Thema hier im Gesetz aufzugreifen. Das würde die
notwendigen Sachdebatten nur erschweren. Deswegen
haben wir uns auf die wichtigen Passagen konzentriert
und freuen uns, dass der Bundesrat Vorschläge macht,
die nach Meinung der FDP-Bundestagsfraktion bei vie-
len Punkten in die richtige Richtung gehen. Wir haben,
wie Staatssekretär Ferlemann angesprochen hat, gute
Anregungen aufgenommen. Ich verweise beispielsweise
auf die Ziffer 2, wo es um Ausnahmemöglichkeiten für
Nebenbahnen geht.

Wir müssen uns jetzt aber auf die wettbewerbsrele-
vanten Bereiche konzentrieren. Darüber werden wir im
Ausschuss diskutieren. Dort wird es eine umfassende
Prüfung geben. Es sind schon einige Aspekte genannt
worden. Ich gehe davon aus, dass Kollegin Wilms den
einen oder anderen Punkt aufgreifen wird.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)


Die FDP-Bundestagsfraktion wird entscheiden, in
welchem Umfang sie dem Bundesrat weiter entgegen-





Oliver Luksic


(A) (C)



(D)(B)


kommen kann. Wir sind der festen Überzeugung, dass
das vorliegende Gesetz die Schiene stärkt und zu mehr
Wettbewerb durch Regulierung von Trassenpreisen,
Bahnstrom und Fahrkartenvertrieb führt. Deswegen ist
es ein gutes Gesetz. Wir hoffen, dass wir zusammen mit
dem Bundesrat dieses Gesetzesvorhaben zielstrebig und
schnell zu Ende führen können.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723132300

Das Wort hat jetzt die Kollegin Sabine Leidig von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723132400

Herr Präsident! Kolleginnen und Kollegen! Es ist

nichts Neues, dass wir der Meinung sind, dass Wettbe-
werb auf der Schiene in Wirklichkeit gar nicht stattfin-
det, weil auf einer Strecke immer nur ein Zug zu einem
bestimmten Zeitpunkt fahren kann und die Fahrgäste
sich daher keinen anderen Zug aussuchen können. Inso-
fern ist dieses Wettbewerbsgerede ausgesprochen frag-
würdig.

Wir finden überhaupt nicht, dass es eine Erfolgsbilanz
gibt, die 1994 mit der Strukturreform der Eisenbahn be-
gonnen hat. Wir sind der Meinung, dass das Gegenteil
der Fall ist, und schließen uns da dem ausgesprochen
findigen und eifrigen Bündnis „Bahn für Alle“ an, das in
diesem Jahr wieder einen alternativen Geschäftsbericht
veröffentlicht hat – Sie haben das vielleicht wahrgenom-
men –, und zwar pünktlich zur Vorlage der Bahnbilanz,
in der groß tönend wieder ein Supergewinn verkündet
wurde.


(Oliver Luksic [FDP]: Die müssen ja nicht fahren!)


Aber wenn man solche Aktiengewinne der Deutschen
Bahn AG bejubelt, ohne dass die gesamtgesellschaftli-
chen Kosten in Betracht gezogen werden, dann hat man
von nachhaltigem Wirtschaften wirklich nichts verstan-
den.


(Beifall bei der LINKEN)


Der Gewinn in Höhe von 900 Millionen Euro der DB
Netz AG – quasi eine Gewinnmaschine – kommt prak-
tisch ausschließlich aus öffentlichen Mitteln. Dieser Ge-
winn wird umetikettiert und der demokratischen Ein-
flussnahme entzogen. Zur gleichen Zeit verschlechtert
sich der Zustand des Netzes – das müssen wir immer
wieder konstatieren. Auch gibt es eben keinen gesteiger-
ten Marktanteil der Schiene. Es gibt eine Stagnation im
Fernverkehr und nur Zuwächse im Nahverkehr, wo eine
ganz andere Form der öffentlichen Einflussnahme exis-
tiert.


(Oliver Luksic [FDP]: Es gibt im Fernverkehr mehr Personen!)


Ich freue mich, dass der Kollege Bartol von der SPD
inzwischen auch der Meinung ist, dass diese Ausrich-

tung der Deutschen Bahn AG in Richtung Marktorientie-
rung nicht gut ist. Ich hoffe, dass sich da irgendwann et-
was ändert; denn die Börsenausrichtung ist auch unter
Ihrer Mitwirkung organisiert worden.

Wenn ich mir die einzelnen Vorschläge in Ihrem Re-
gulierungsgesetz anschaue, dann kann ich nur sagen: Ei-
nige sind interessant. Beispielsweise wollen Sie etwas
für eine leisere Bahn tun, und zwar über lärmabhängige
Trassenpreise. Das kann man natürlich machen, wenn
man marktgläubig ist. Man kann aber auch einfach sa-
gen: Wir wollen, dass die Züge leiser werden, und schrei-
ben deshalb vor – so macht es die Schweizer Bahn –, dass
zu einem bestimmten Zeitpunkt keine lauten Güterzüge
mehr fahren dürfen. Dann braucht man nicht dieses
komplizierte bürokratische Ungetüm der lärmabhängi-
gen Trassenpreise.


(Oliver Luksic [FDP]: Das ist ein Riesenfortschritt!)


Sie wollen, dass Dritte Fahrkartenautomaten auf den
Bahnhöfen aufstellen können. Das kann man natürlich
machen, wenn man will, dass große Verwirrung entsteht.
Ich kann Ihnen versichern: Das Problem der Fahrgäste,
die die Bahn nutzen, ist nicht, dass sie zu wenig Fahrkar-
tenautomaten vorfinden. Das Problem ist, dass es an den
Bahnhöfen oft überhaupt kein Personal mehr gibt, dass
die dort stehenden Automaten häufig kaputt sind und
dass die Bahnhöfe nicht barrierefrei sind. Ich glaube
nicht, dass irgendeinem Fahrgast damit geholfen ist,
wenn er auch noch zwischen drei verschiedenen Auto-
maten und drei verschiedenen Anbietern von Fahrkarten
auswählen soll. Damit schaffen Sie keine Verbesserung
des Eisenbahnverkehrs.


(Oliver Luksic [FDP]: Das sieht selbst die Linke anders!)


Sie wollen eine Anreiz- und Entgeltregulierung ein-
führen, die dann von einem bürokratischen Monstrum
kontrolliert wird.


(Oliver Luksic [FDP]: Sie sind für unkontrollierte Monopole?)


Und ich finde es interessant, dass Sie das deshalb ma-
chen wollen, weil Sie davon ausgehen, dass Diskriminie-
rung und Missbrauch stattfinden. Diese Diskriminierung
und dieser Missbrauch finden offensichtlich statt, weil
eine Marktorientierung durchgesetzt wird, die die Deut-
sche Bahn AG dazu bringt, solche Geschäftspraktiken an
den Tag zu legen. Ich glaube, das ist der eigentliche
Punkt.

Man muss, wenn man die Probleme anschaut, sich die
Mühe machen, an ihre Quelle zu gehen. Diese Quelle be-
steht darin, dass die Deutsche Bahn AG auf Bilanzge-
winn getrimmt wird, dass sie am Aktienkurs und eben
nicht am Gemeinwohl orientiert ist. Die Regulierung, die
man braucht, ist – wie es in der Schweiz stattfindet –
eine politische Vorgabe von Zielen, wie Beförderungs-
kilometern, die angeboten werden müssen, einem ver-
nünftigen Deutschlandtakt, ordentlicher Infrastruktur. Es
darf nicht um Gewinne gehen, die aus dem Netz heraus-
gezogen werden – zulasten der öffentlichen Bahnen, die
in den Regionen fahren, und letztlich zulasten der Fahr-
gäste.






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723132500

Jetzt ist Ihre Redezeit aber zu Ende.


Sabine Leidig (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723132600

Wir wollen eine Bahn für alle, eine Bahn, die am All-

gemeinwohl ausgerichtet ist.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723132700

Für Bündnis 90/Die Grünen hat das Wort die Kollegin

Dr. Valerie Wilms.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723132800

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Werte Gäste, die Sie hier noch zu so später Stunde anwe-
send sind! Sie erleben wieder einmal eine typische Ei-
senbahndebatte. Solche Debatten finden häufig zu die-
sen Zeiten statt. Ich muss mich erst einmal beruhigen
wegen des Blicks der lieben Kollegin Leidig zurück in
die Vergangenheit, Stichwort „Behördenbahn“.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gab in der Politik
lange einen seltsamen Irrglauben: Es wurde gedacht,
dass mehr Markt in erster Linie weniger Regeln bedeu-
tet. Das alte Schlagwort hieß: Der Markt wird es schon
regeln. Die FDP ist leider dafür bekannt, dass sie dieses
Schlagwort manchmal zu sehr befolgt hat. Der liberali-
sierte Finanzmarkt hat uns wunderbar vor Augen ge-
führt, was dabei am Ende tatsächlich herauskommt.

Die Realität in der Wirtschaft ist aber genau umge-
kehrt: Wer mehr Markt will, der braucht auch funktionie-
rende Regeln. Bei der Eisenbahn ist das ein klarer Auf-
trag an uns, die Politik. Da hier in vielen Bereichen ein
Monopol besteht, müssen wir vernünftig regulieren. Nur
so können wir einen einigermaßen fairen Markt im deut-
schen Schienenverkehr bekommen. Fairer Wettbewerb
bringt Vorteile für die Nutzer. Wo echte Konkurrenz ist,
da fallen die Preise und werden die Angebote besser.
Das kennen wir von der Post und von der Telekom.

Wir müssen jetzt auch dafür sorgen, dass wir endlich
echten Wettbewerb auf der Schiene bekommen. Deswe-
gen ist das Eisenbahnregulierungsgesetz absolut überfäl-
lig. Die Bundesregierung hat das Gesetz lange schleifen
lassen. Jetzt, fast am Ende der Wahlperiode, kommen Sie
endlich in die Gänge. Es besteht ganz klar die Gefahr,
dass wir gar keine Regulierung mehr bekommen. Denn
anscheinend ist das Ganze in der Koalition – wir haben
es eben selber gesehen – heftig umstritten. Ich frage
mich, ob Sie in dieser Koalition in Abwicklung


(Pascal Kober [FDP]: Da irren Sie sich!)


auf ein Scheitern spekulieren, weil Ihnen Ihr eigenes Ge-
setz nicht geheuer ist.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der SPD – Martin Burkert [SPD]: Gut erkannt!)


Dieses Gesetz gefällt nicht unbedingt unserem bun-
deseigenen Unternehmen Deutsche Bahn. Aber das ist
doch nicht entscheidend. Oder macht jetzt eine Aktien-
gesellschaft die Gesetze? Das ist immer noch unsere
Aufgabe hier in dieser gesetzgebenden Körperschaft. Es
kommt darauf an, dass öffentliche Gelder auch im Bahn-
verkehr sinnvoll eingesetzt werden und nicht in der
DB Holding versickern. Ich schaue an dieser Stelle zu
Herrn Kollegen Burkert.

Dieses Gesetz kann wirklich substanzielle Verbesse-
rungen gegenüber dem Status quo bringen. Die Bundes-
netzagentur bekommt deutlich mehr Informationsrechte
und könnte die Kosten im Schienennetz und bei den Per-
sonenbahnhöfen endlich überprüfen. Damit würde trans-
parent werden, wo Effizienzen bestehen oder wo Geld
verplempert wird.


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Behördenbahn!)


– Kollegin Leidig, es hilft nichts, sich aufzuregen. –
Langfristig würde dies zu echten Produktivitätssteige-
rungen und damit zu Senkungen der Entgelte führen.

Leider fehlt die absolut letzte Konsequenz; denn Re-
gionalisierungsmittel können weiter direkt bei der
DB Holding landen. Sie sollen aber für bessere Ange-
bote im Personennahverkehr sorgen. Deswegen müsste
eigentlich die Kappung der Gewinnabführung mit in das
Gesetz. Die Koalition schreckt hier aber davor zurück,
diese Konsequenz endlich zu ziehen – außer Kollege
Luksic; er hat es ja eben gezeigt.


(Oliver Luksic [FDP]: Ich bin leider nicht die Koalition!)


Dabei wäre es nur vollkommen konsequent, schon in
diesem Gesetz auf die Forderungen der EU-Kommission
einzugehen. Wir müssen endlich anerkennen, dass das
deutsche Holdingmodell bei der Bahn ein absolutes Aus-
laufmodell ist.


(Beifall des Abg. Oliver Luksic [FDP])


Liebe Kolleginnen und Kollegen, uns liegt ein Ge-
setzentwurf vor, der im Kern deutliche Verbesserungen
gegenüber dem derzeitigen Status quo bringen kann. Ich
bin überzeugt, dass wir das Gesetz noch in dieser Legis-
latur schaffen können, wenn wir es wirklich alle wollen.
Wir brauchen jetzt endlich Regeln für einen funktionie-
renden Markt und nicht irgendwelche politischen Dis-
kussionen, die uns nicht weiterführen. Die Bahn ist für
uns alle da. Das müssen wir sicherstellen. Dazu gehört
eine vernünftige Trennung von Transport und Netzbe-
trieb.

Herzlichen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723132900

Für die SPD-Fraktion hat das Wort der Kollege

Martin Burkert.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)



Martin Burkert (SPD):
Rede ID: ID1723133000

Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kolle-

gen! Am Abend werden die Faulen fleißig. – Ein altes
Sprichwort; das trifft hier zu.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Fühlen Sie sich da angesprochen?)


Wenn ich das Pferd einmal von hinten aufzäumen
darf: Was wir sicherlich alle am Ende wollen, ist, den
Umstieg auf die Schiene insgesamt zu stärken. Wir wol-
len eine größere Nachfrage und höhere Erlöse. Wir wol-
len sowohl langfristige Beschäftigung als auch den Be-
stand des Schienennetzes sichern. Darin sind wir uns
sicher einig. Wir werden auch den integrierten Konzern
und die Holding aufrechterhalten; Frau Wilms, das wer-
den Sie erleben.

Die Frage ist, ob das Eisenbahnregulierungsgesetz
das richtige Zaumzeug für das Pferd liefert. Ich habe da
so meine Bedenken. Da zwickt es an allen Ecken und
Enden. Ich darf kurz aus dem Gesetzestext zitieren:

Die Entgelte für den Zugang zur Eisenbahninfra-
struktur … müssen angemessen, diskriminierungs-
frei, transparent und dürfen nicht ungünstiger sein,
als sie von den Eisenbahninfrastrukturunternehmen
in vergleichbaren Fällen … angewendet … werden.

Dazu kann man sich schon zwei Fragen stellen, Herr
Ferlemann. Die erste Frage lautet: Inwieweit sind die
Regelungen selbst angemessen? Die zweite Frage lautet:
Inwieweit wird der Verkehrsträger Schiene selbst nicht
ungünstiger behandelt als die anderen Verkehrsträger?


(Sabine Leidig [DIE LINKE]: Zum Beispiel Flugzeuge!)


Diese anderen Verkehrsträger bleiben nämlich von ei-
ner verschärften Effizienzkontrolle verschont. Im Stra-
ßenverkehr beispielsweise scheint das sogenannte Gebot
einer sparsamen Haushaltsführung völlig auszureichen.
Herr Ramsauer – das wissen wir mittlerweile – hat ein
großes Herz für die Straße.


(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Nein! Für die Bahn auch!)


Mit der verschärften Regulierung im Schienenverkehr
wird ein neuer Diskriminierungstatbestand gegenüber
den konkurrierenden Verkehrsträgern erst geschaffen.


(Oliver Luksic [FDP]: Ah ja!)


Fairer Wettbewerb sieht allerdings anders aus. Wenn
das Regulierungsgesetz Angemessenheit und Diskrimi-
nierungsfreiheit fordert, dann sollte es sich an seinen ei-
genen Grundsätzen messen lassen können. Wer A sagt,
muss auch B sagen.


(Zuruf von der FDP: Was ist denn B?)


Noch etwas bitte ich zu bedenken: Alle Befugnisse,
die wir der Bundesnetzagentur übertragen, sind auf
Dauer außerhalb der politischen Einflussmöglichkeiten.
Der Minister hat da keine Bauchschmerzen. Aber ich,
lieber Kollege Dirk Fischer, zähle hier auf Sie und auf
Ihre Erfahrung, darauf, dass Sie noch einmal einwirken.


(Beifall bei der SPD – Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Du bist doch selbst im Beirat!)


Ich sage Ihnen auch, warum.

Die Bundesnetzagentur wird letztendlich Herrin der
Preise für die Nutzung der Schienenwege und der Perso-
nenbahnhöfe werden; denn sie muss sie am Schluss ge-
nehmigen – und das auf Grundlage eines ebenfalls von
der Bundesnetzagentur zuvor festgelegten Anreizpfades.
Mit diesem werden für einen Zeitraum von etwa fünf
Jahren Preisobergrenzen für verschiedene Leistungen
festgelegt. Die Entgelte dafür müssen dann von Regulie-
rungsperiode zu Regulierungsperiode sinken. Diese
Kombination der Regulierung ist messerscharf.

Wenn man das weiterdenkt, liebe Kolleginnen und
Kollegen, kommt man darauf: Das Absatzplus bei den
Infrastrukturleistungen, wie gefordert, müsste erst ein-
mal so groß sein, dass es die Umsatzverluste, die aus der
Regulierung folgen, ausgleichen kann. Wenn das nicht
so ist, dann führt das letztlich zum Abbau von Infra-
struktur bei der Schiene in Deutschland und zum Abbau
von Personal im Bereich Netz. Das, glaube ich, wird hier
völlig ausgeblendet.

Für einen fairen Wettbewerb der Verkehrsträger brau-
chen wir einen umfassenden Masterplan Verkehr mit ei-
ner verkehrsträgerübergreifenden Regulierung; da hat
die Bundesregierung bis heute versagt. Wir haben keinen
Masterplan.


(Beifall bei der SPD)


Zum Schluss: Es mangelt der Bundesregierung, wie
gesagt, an einem Masterplan; es fehlt das richtige Zaum-
zeug. Sie versuchen, das Pferd von hinten aufzuzäumen.
Ich sage Ihnen: Nicht einmal das gelingt Ihnen. Ich bin
davon überzeugt: Dieser Gaul wird mit Ihrem Minister
durchgehen.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723133100

Als letztem Redner zu diesem Tagesordnungspunkt

erteile ich dem Kollegen Dirk Fischer von der CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1723133200

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!

Am 2. Dezember 1993 hat der Deutsche Bundestag mit
überwältigender Mehrheit die größte Bahnreform in der
Geschichte unseres Landes beschlossen:


(Sören Bartol [SPD]: Und du warst dabei! – Heiterkeit bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Beifall bei Abgeordneten der FDP)


558 Jastimmen, bei nur 13 Gegenstimmen und 4 Enthal-
tungen. Ich durfte damals dabei sein – in der Tat –, als
wir mit der Entscheidung im Bundestag die verlustrei-
chen west- und ostdeutschen Behördenbahnen in eine
unternehmerisch geführte Eisenbahngesellschaft zusam-
mengeführt haben.





Dirk Fischer (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Sabine Leidig [DIE LINKE])


– Ich habe Ihren Zwischenruf erwartet, Frau Leidig. Die
armen Reichsbahner wären verhungert, wenn nicht
Franz Josef Strauß mit einem Milliardenkredit zu Hilfe
geeilt wäre. Das ist die historische Wahrheit,


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD: Oh!)


auch wenn Sie uns erzählen, die Deutsche Reichsbahn
wäre ein Profitunternehmen gewesen. – Nun ist auch das
gesagt.

Die staatlichen Schienenwege wurden damals für den
Wettbewerb mit privaten Eisenbahnunternehmen geöff-
net, und die Zuständigkeit für den Schienenpersonen-
nahverkehr vom Bund auf die Länder übertragen – na-
türlich mit entsprechender finanzieller Begleitmusik.
Dieses entspricht der Wirtschafts- und Gesellschaftsord-
nung der Bundesrepublik Deutschland, die keine Mono-
pole in Bereichen, in denen es um Dienstleistung geht,
verträgt. Andere wichtige Reformschritte sind im Laufe
der Jahre hinzugekommen.

Bis heute ist aber das Jahrhundertprojekt Bahnreform
noch nicht vollständig abgeschlossen. Der Gesetzent-
wurf, den wir heute in erster Lesung beraten, ist ein wei-
terer wichtiger Meilenstein, die Ende 1993 eingeleitete
Reform erfolgreich fortzuführen.

Während wir hier im Bundestag das Eisenbahnregu-
lierungsrecht auf eine neue Grundlage stellen wollen,
wird in Brüssel das vierte Eisenbahnpaket verhandelt,
das teilweise deutlich über unsere Zielsetzung hinaus-
geht. Die Vorschläge der Europäischen Kommission
stellen vielfach eine ordnungspolitische Vorgabe zu dem
dar, was wir jetzt in Deutschland angehen. Mit dem Ei-
senbahnregulierungsgesetz wollen wir einen fairen Wett-
bewerb auf der Schiene weiter stärken und vorhandene
überkommene Monopolstrukturen abbauen.

Es wird ein einheitlicher Rechtsrahmen für eine effi-
ziente Regulierung geschaffen. Der Zugang zur Eisen-
bahninfrastruktur wird noch weiter verbessert. Befug-
nisse der Bundesnetzagentur werden gestärkt. Herr
Kollege Martin Burkert, Sie selbst sind im Beirat dieser
Netzagentur, in der neun Vertreter aller Fraktionen des
Bundestages und neun Vertreter des Bundesrates darüber
wachen, dass diese Bundesnetzagentur ihren Job korrekt
durchführt. Insoweit ist jedes Misstrauen völlig unbe-
gründet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Martin Burkert [SPD]: Der Beirat ist eine Farce!)


Der Schwerpunkt des Gesetzentwurfes ist die Entgelt-
regulierung, die darauf abzielt, eine missbräuchliche Be-
hinderung oder gar Diskriminierung von Eisenbahnver-
kehrsunternehmen zu verhindern. Die Entgelte für die
Pflichtleistungen der Betreiber der Schieneninfrastruktur
und die Entgelte für die Benutzung der Personenbahn-
höfe sollen künftig der Genehmigung durch die Regulie-
rungsbehörde unterliegen. Das neue System wird auf ei-

ner Anreizregulierung beruhen. Dadurch werden die
Schienenwegbetreiber zu Effizienzgewinnen und damit
zu einer Reduzierung der Kosten veranlasst.

Die Zugangsregulierung hat sich im Grundsatz be-
währt. Hier wollen wir nur einige Punkte ergänzen. Das
Recht auf diskriminierungsfreien Zugang zu Schienen-
wegen oder Bahnhöfen wird zum Beispiel ergänzt durch
die Verpflichtung, Rangierleistungen für Dritte zu er-
bringen, oder durch die Pflicht, auf Bahnhöfen Flächen
zum Fahrscheinverkauf für Wettbewerber bereitzustel-
len. Was wäre es für eine Welt, wenn wir verschiedene
Unternehmen hätten und wir ihnen mitteilen müssten:
Im Bahnhof ist alles ausgebucht, verkauft eure Karten
sonst wo, nur ein Unternehmen darf ein Reisecenter be-
treiben. – Das kann doch nicht akzeptiert werden, Herr
Burkert.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Selbst wenn man ein engagierter Eisenbahngewerk-
schafter ist, kann man das in einer Wettbewerbsordnung
nicht akzeptieren.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723133300

Herr Fischer, erlauben Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Burkert?


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1723133400

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723133500

Das ist in Anbetracht der fortgeschrittenen Zeit aber

auch die einzige Zwischenfrage, die ich zulasse.


(Iris Gleicke [SPD]: Sehr gut!)


Bitte schön, Herr Burkert.


Martin Burkert (SPD):
Rede ID: ID1723133600

Ich bedanke mich ausdrücklich, Herr Präsident, dass

Sie die Frage zulassen.

Geschätzter Herr Kollege Fischer, ist Ihnen bekannt,
dass in Rosenheim im schönen Land Bayern – unweit
des Wahlkreises des Bundesverkehrsministers – mittler-
weile zwei Fahrkartenausgaben nebeneinander existie-
ren – auf der einen Seite verkauft die Bayerische Ober-
landbahn Fahrkarten von Veolia, auf der anderen Seite
die Deutsche Bahn AG Fahrkarten für die Deutsche
Bahn – und es keine Diskriminierung mehr gibt?


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1723133700

Mir ist bekannt, dass das in Bayern so ist. Jetzt gilt

unser Engagement der Übertragung des bayerischen
Vorbilds auf ganz Deutschland. Das muss unser Ziel
sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt viel zu viele Bahnhöfe, bei denen es noch nicht
so ist wie in Bayern. Ich kann Sie und andere Kollegen
aus Bayern – auch den Minister – nur loben, dass wir das
in Bayern schon haben.





Dirk Fischer (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)


Außerdem wollen wir, dass die Stilllegung von Ser-
viceeinrichtungen zukünftig der Genehmigungspflicht
unterliegt. Diese galt bisher nur für die Stilllegung von
Strecken und von für die Betriebsabwicklung wichtigen
Bahnhöfen.

Aber auch andere Dinge sind im System sehr wichtig
und müssen deswegen den Wettbewerbern zur Verfü-
gung stehen.

Wir wollen die Rechte der Bundesnetzagentur weiter
stärken. Es ist doch ein Missstand, dass die DB AG sich
bei jedem Bescheid der Bundesnetzagentur bis zur letz-
ten Instanz vor den Gerichten wehrt. Wir verlieren teil-
weise Jahre, bevor solche Dinge umgesetzt werden kön-
nen. Deswegen brauchen wir Beschlusskammern bei der
Bundesnetzagentur, damit das flotter vorangeht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Das hat aber auch etwas mit Rechtsstaat zu tun!)


Wir wollen eine Missbrauchsaufsicht bei der Liefe-
rung von Fahrstrom; das hat der Kollege Luksic schon
ausgeführt. Alle Kunden der DB Energie sollen diskri-
minierungsfrei zu gleichen Konditionen Fahrstrom be-
ziehen können.


(Martin Burkert [SPD]: Das ist doch heute schon der Fall!)


Dadurch ermöglichen wir der Bundesnetzagentur, zu
handeln, wenn eine marktmächtige Stellung, insbeson-
dere bei der Preisgestaltung, ausgenutzt wird.

Auch für den Vertrieb von Fahrausweisen wollen wir
eine Missbrauchskontrolle durch die Bundesnetzagentur
einführen. Die Anbieter von Vertriebsleistungen im
Schienenpersonenverkehr, die über eine marktbeherr-
schende Stellung verfügen, sollen im Sinne der Bahn-
kunden auf kommerzieller Basis ihre Vertriebssysteme
für andere Anbieter öffnen. Auch das ist für den Kunden
wichtig.

Von fairem Wettbewerb auf der Schiene und besseren
Kontrollmöglichkeiten profitieren am Ende alle, insbe-
sondere die Bahnkunden. Der vorliegende Gesetzent-
wurf ist ein wichtiger Beitrag dazu.

Mit der Gegenäußerung zur Stellungnahme des Bun-
desrates hat die Bundesregierung bereits einige Vor-
schläge aufgegriffen. Im Ernst: Schmalspurbahnen müs-
sen nun wirklich nicht reguliert werden.

Sachfremde Bereiche können wir in diesem Gesetz
nicht regeln. Dazu gehört der Schienenlärm. Diesbezüg-
lich haben wir uns gerade in der letzten Woche in Vorbe-
reitung der Beschlussfassung im Vermittlungsausschuss
zwischen Bundestag und den Ländern über die Abschaf-
fung des Schienenbonus und eine bundesweite Lärmak-
tionsplanung verständigt.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723133800

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Dirk Fischer (CDU):
Rede ID: ID1723133900

Im Rahmen der anstehenden Ausschussberatungen

sind wir als Parlament verpflichtet, zu prüfen, ob an dem
Gesetzentwurf eventuell noch Korrekturen notwendig
sind. Ich appelliere an die Opposition, diese Beratungen
konstruktiv zu begleiten. Gleichzeitig appelliere ich an
die Länder, die wichtige Neuordnung der Regulierung
nicht aus plumpen wahltaktischen Gründen im Bundes-
rat scheitern zu lassen.

Wir haben damals miterlebt, wie eine große, partei-
übergreifende Mehrheit die Bahnreform eingeleitet hat.
Lassen Sie uns nun auch den nächsten Schritt auf dem
Weg zur Vollendung dieses Jahrhundertprojekts gemein-
sam gehen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723134000

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/12726 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
weitere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Zusatzpunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Dörner, Ekin Deligöz, Kai Gehring, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN

Rückkehrrecht auf Vollzeit gesetzlich veran-
kern

– Drucksache 17/12843 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend (f)
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Federführung strittig

Die Reden sollen mit Ihrem Einverständnis zu Proto-
koll genommen werden.1)

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12843 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Die Federführung ist
jedoch strittig. Die Fraktionen der CDU/CSU und FDP
wünschen die Federführung beim Ausschuss für Arbeit
und Soziales, die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen
wünscht Federführung beim Ausschuss für Familie, Se-
nioren, Frauen und Jugend.

Ich lasse zuerst über den Überweisungsvorschlag der
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abstimmen: Federfüh-
rung beim Familienausschuss. Wer stimmt für diesen
Überweisungsvorschlag? – Dagegen? – Enthaltungen? –
Der Überweisungsvorschlag ist gegen die Stimmen der
Grünen mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abge-
lehnt.

Ich lasse nun über den Überweisungsvorschlag der
Fraktionen der CDU/CSU und FDP abstimmen: Feder-

1) Anlage 5





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


führung beim Ausschuss für Arbeit und Soziales. Wer
stimmt für diesen Überweisungsvorschlag? – Gegen-
stimmen? – Der Überweisungsvorschlag ist bei Gegen-
stimmen der Grünen einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 18 auf:

Erste Beratung des von den Fraktionen der CDU/
CSU und FDP eingebrachten Entwurfs eines Ge-
setzes zur Änderung des Gesetzes über die
Kreditanstalt für Wiederaufbau und weiterer
Gesetze

– Drucksache 17/12815 –
Überweisungsvorschlag:
Finanzausschuss (f)
Rechtsausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Haushaltsausschuss

Auch hier sollen die Reden zu Protokoll genommen
werden.1)

Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/12815 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
andere Vorschläge? – Das ist nicht der Fall. Dann ist die
Überweisung so beschlossen.

Ich rufe Tagesordnungspunkt 20 auf:

Zweite und dritte Beratung des von der Bundesre-
gierung eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes
über Intelligente Verkehrssysteme im Straßen-
verkehr und deren Schnittstellen zu anderen

(Intelligente Verkehrssysteme Gesetz – IVSG)


– Drucksache 17/12371 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-
ses für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung

(15. Ausschuss)


– Drucksache 17/12768 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Kirsten Lühmann

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Ulrich Lange (CSU):
Rede ID: ID1723134100

Mit dem von der Bundesregierung eingebrachten

Gesetzentwurf über Intelligente Verkehrssysteme, IVS,
im Straßenverkehr soll die Richtlinie 2010/40/EU des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 7. Juli
2010 in deutsches Recht umgesetzt werden. Die Dis-
kussionen im Ausschuss haben gezeigt, dass bis auf die
übliche Verweigerung der Linken alle Fraktionen die-
sem Gesetzentwurf zugestimmt haben, und dies mit gu-
tem Grund: Das IVSG ist sehr sinnvoll und zukunfts-
orientiert. Es wird die Sicherheit im Straßenverkehr
nach sich ziehen, sich aber auch sehr positiv auf die
umweltpolitischen Ziele der christlich-liberalen Koali-
tion auswirken.

Da der Straßenverkehr nicht an den Ländergrenzen
endet, engagieren wir uns nicht nur in Deutschland,
sondern auch auf europäischer Ebene für einen ver-
stärkten Einsatz von IVS und deren Schnittstellen zu
anderen Verkehrsträgern. Denn der Erfolg intelligen-
ter Technologien hängt im Zeitalter des gemeinsamen
europäischen Marktes nicht zuletzt von der erfolgrei-
chen Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern
ab.

Das BMVBS hat deshalb aktiv daran mitgewirkt,
mit der Richtlinie 2010/40/EU, die wir mit dem jetzt
vorgelegten Entwurf des ISVG in deutsches Recht
überführen wollen, für die Einführung „Intelligenter
Verkehrssysteme im Straßenverkehr und deren Schnitt-
stellen zu anderen Verkehrsträgern“ einen europäi-
schen Rechtsrahmen zu schaffen, der den Potenzialen
intelligenter Technologien gerecht wird. Diese Richtli-
nie legt einen Rahmen für die koordinierte Einführung
innovativer Verkehrstechnologien innerhalb der Euro-
päischen Union fest. Sie zielt auf die Einführung inter-
operabler und effizienter IVS-Dienste ab. Gleichzeitig
soll jeder Mitgliedstaat der Europäischen Union selbst
entscheiden können, in welche Systeme er investiert.

Damit Deutschland als Haupttransitland in Eu-
ropa die verkehrspolitischen Herausforderungen des
21. Jahrhunderts im Straßenverkehr meistern kann, ist
der beschleunigte Einsatz Intelligenter Verkehrs-
systeme, IVS, im Straßenverkehr ein unverzichtbarer
Bestandteil unserer Verkehrspolitik. Aktuelle Progno-
sen gehen bis 2025 von einer Zunahme der Leistung im
Straßengüterfernverkehr von derzeit 367 Milliarden
Tonnenkilometern um 84 Prozent auf 676 Milliarden
Tonnenkilometer aus. Der Anteil der Straße an den
Güterverkehrsleistungen wird dabei von heute 70 Pro-
zent auf knapp 75 Prozent steigen.

Die Verkehrsleistung im Personenverkehr auf der
Straße erreichte im Jahr 2004 einen Wert von 887 Mil-
liarden Personenkilometern und wird bis 2025 um
rund 6,5 Milliarden Personenkilometer jährlich stei-
gen. Insgesamt ergibt dies eine Zunahme von 16 Pro-
zent auf 1 030 Milliarden Personenkilometer im Jahr
2025.

Um diese Verkehrszunahme auf unseren Straßen zu
bewältigen, brauchen wir IVS. Im Fokus hierbei stehen
intelligente Fahrzeug- und Straßensysteme, die durch
Kooperation miteinander wesentlich dazu beitragen,
dass der Straßenverkehr sicherer, effizienter und
umweltfreundlicher wird. Um den Verkehrsinfarkt zu
vermeiden, reicht es längst nicht mehr, einfach nur
Straßen zu bauen. Ein Schlüssel zur Optimierung des
Verkehrs liegt in der nahtlosen Verknüpfung der einzel-
nen Verkehrsträger. Stadtzentrum, Bahnhof oder Flug-
hafen, sie alle werden zunehmend zu intermodalen
Knoten, an denen je nach Ziel, Verkehrslage und Wet-
terverhältnissen das passende Verkehrsmittel bereit-
steht.

Das BMVBS hat ein neues nationales Verkehrssi-
cherheitsprogramm erarbeitet. Darin geht es insbe-1) Anlage 3





Ulrich Lange


(A) (C)



(D)(B)


sondere darum, den geänderten Rahmenbedingungen
und neuen Herausforderungen im Straßenverkehr
Rechnung zu tragen.

Zentraler Dreh- und Angelpunkt zur Erschließung
des Nutzenpotenzials von IVS ist eine entsprechende
IVS-Informationslogistik, das heißt die Organisation,
Steuerung, Bereitstellung und Optimierung von Infor-
mationsströmen. Insofern müssen organisationsüber-
greifende Wertschöpfungsketten im IVS-Kontext als
Prozessketten begriffen werden, in denen der Umgang
mit Informationen von vorrangiger Bedeutung ist. Be-
sonderes Wertschöpfungspotenzial entsteht, wenn es
gelingt, IVS-Akteure und ihre IVS-Dienste im Sinne des
Straßenverkehrsteilnehmers und Reisenden organisa-
tionsübergreifend zu vernetzen. Beispiele hierfür sind
die Vernetzung von mehreren Straßenbetreibern – zu-
ständigkeitsübergreifendes Strategiemanagement –,
die Vernetzung kollektiver Verkehrsmanagementsys-
teme mit individuellen Navigationsdiensten und multi-
modale Reiseketten als Schnittstellen zwischen ver-
schiedenen Verkehrsträgern.

Der IVS-Aktionsplan mit seinem Maßnahmenplan
bildet das Fundament für die Einbringung deutscher
Vorschläge auf europäischer Ebene. Es wird künftig
darauf ankommen, diesen Aktionsplan kontinuierlich
fortzuschreiben. Dabei setzen wir auf das Engagement
und die Kreativität aller Beteiligten zur Entwicklung
innovativer Lösungen.


Gero Storjohann (CDU):
Rede ID: ID1723134200

Dem vorliegenden Gesetzentwurf der Bundesregie-

rung für ein Intelligente-Verkehrssysteme-Gesetz wird
die CDU/CSU-Fraktion ihre Zustimmung geben. Die
Einführung Intelligenter Verkehrssysteme in Europa
ist deshalb zu unterstützen, weil dadurch europaweit
wichtige Voraussetzungen zur Steigerung der Ver-
kehrssicherheit geschaffen werden. Zu den Begrifflich-
keiten möchte ich anmerken, dass mit „Intelligente
Verkehrssysteme“ Systeme gemeint sind, bei denen
Informations- und Kommunikationstechnologien im
Straßenverkehr und an Schnittstellen zu anderen Ver-
kehrsträgern eingesetzt werden. Intelligente Verkehrs-
systeme optimieren den Verkehr in zentralen Berei-
chen: erstens bei der optimalen Nutzung von Straßen-,
Verkehrs- und Reisedaten, zweitens bei der Kontinuität
der Dienste Intelligenter Verkehrssysteme in den Be-
reichen Verkehrs- und Frachtmanagement, drittens bei
Anwendungen für die Straßenverkehrssicherheit und
viertens bei der Verbindung zwischen Fahrzeug und
Verkehrsinfrastruktur.

Bei der Entwicklung dieser technischen Neuerun-
gen für mehr Verkehrssicherheit darf ein Aspekt im
Interesse der Sicherheit nicht zu kurz kommen, der
Schutz der Systeme gegenüber einem ungewünschten
Zugriff von außen. Diese Woche war den Medien eine
Meldung über einen Hackerangriff auf Fernsehsender
und Banken in Südkorea zu entnehmen. Geldautoma-
ten wurden lahmgelegt und mit ihnen die Terminals für
Kartenzahlungen in Restaurants und Geschäften. In

den Redaktionen der führenden südkoreanischen Fern-
sehsender fielen die Monitore aus, auf manchen Bild-
schirmen sollen auch optisch eindeutige Hinweise auf
einen Hackerangriff erschienen sein.

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, wie
verhindert werden kann, dass Hackerangriffe auf com-
putergestützten Verkehr Einfluss nehmen. Was passiert
etwa, wenn zukünftige Systeme zur Abstandsmessung
bei Fahrzeugen durch Hackerangriffe manipuliert
werden? Derartiges zu verhindern, darf nicht aus dem
Blick geraten.

Um die Herausforderungen der Zukunft an den eu-
ropäischen Straßenverkehr zu meistern, ist der Einsatz
Intelligenter Verkehrssysteme im Straßenverkehr ein
unverzichtbarer Bestandteil unserer Verkehrspolitik.
Im Mittelpunkt stehen dabei intelligente Fahrzeug-
und Straßensysteme, die durch Kooperation miteinan-
der wesentlich dazu beitragen, dass der Straßenver-
kehr sicherer, effizienter und umweltfreundlicher wird.
Da es in Deutschland bislang keinen Rechtsrahmen
über Intelligente Verkehrssysteme gibt, besteht hierbei
ein Umsetzungsbedarf. Das Bundesministerium für
Verkehr, Bau und Stadtentwicklung hat aktiv daran
mitgewirkt, einen europäischen Rechtsrahmen zu
schaffen, der den sich rasch entwickelnden Potenzia-
len intelligenter Technologien gerecht wird. Diese
Richtlinie legt einen Rahmen für die koordinierte Ein-
führung innovativer Verkehrstechnologien innerhalb
der Europäischen Union fest. Sie zielt dabei auf die
Einführung interoperabler und effizienter IVS-Dienste
ab. Gleichzeitig soll jeder Mitgliedstaat der Europäi-
schen Union selbst entscheiden können, in welche Sys-
teme er investiert. Wichtig ist, dass die Systeme mitei-
nander kompatibel sind, quasi die gleiche Sprache
sprechen.

Für eine zielgerichtete Mitwirkung im europäischen
Prozess ist eine klare nationale Strategie gefragt.
Diese Strategie haben wir. Unter Federführung des
BMVBS wurde durch einen IVS-Beirat ein nationaler
IVS-Aktionsplan Straße erarbeitet, der die Schnittstel-
len zu anderen Verkehrsträgern einbezieht und den
Zeitraum bis 2020 umspannt. Ich rege an, dass der
Beirat sich insbesondere der Frage von Sicherheit der
Verkehrssysteme gegenüber Hackerangriffen widmet.

Der IVS-Aktionsplan Straße mit seinem Maßnah-
menplan bildet das Fundament für die Einbringung
deutscher Vorschläge auf europäischer Ebene. Es wird
in Zukunft darauf ankommen, diesen Aktionsplan kon-
tinuierlich fortzuschreiben. Dabei setzen wir auf das
Engagement und die Kreativität aller Beteiligten zur
Entwicklung innovativer Lösungen.


Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1723134300

Wir sprechen heute über Zukunftsmusik, nämlich

über intelligente Verkehrssysteme. Mit dem vorliegen-
den Gesetzentwurf soll die Grundlage für die Einrich-
tung eines solchen intelligenten Systems geschaffen
werden. Damit setzt die Bundesregierung eine Richtli-

Zu Protokoll gegebene Reden





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)


nie der Europäischen Kommission um. Das ist gut;
denn die Telematik ist ein Handlungsfeld moderner
und zukunftsfähiger Verkehrspolitik.

Gerade in einem europäischen Transitland wie
Deutschland kommt der intelligenten Verkehrssteue-
rung und Verkehrsleitung eine immer wichtigere Rolle
zu. Die Europäische Union hat in der Richtlinie den
Rahmen für Handlungsfelder abgesteckt. Für die deut-
sche Forschungslandschaft und für die hier ansässigen
Unternehmen ist es entscheidend wichtig, dass vom
Bund verlässliche Rahmenbedingungen in diesem Be-
reich geschaffen werden, um erreichte Fortschritte
dann umsetzen zu können. Auch die Bevölkerung be-
grüßt dieses Vorhaben. Laut einer aktuellen Umfrage
sind 72 Prozent der Bevölkerung dafür, dass Bund,
Länder und Kommunen stärker in intelligente Ver-
kehrssysteme investieren, um Staus und Unfälle zu ver-
meiden. Die Einrichtung dieser Systeme in der Fläche
ist allerdings ein Projekt von morgen. Aber an man-
chen Orten hat diese Zukunft schon begonnen.

Auf deutschem Boden spielt sich derzeit in Frank-
furt ein Stück weit Realität gewordener Verkehrs-
Science-Fiction ab: Es handelt sich um den weltweit
größten Versuch mit intelligenter Verkehrstechnik.
Autos kommunizieren miteinander und warnen sich
gegenseitig vor Gefahrenstellen. Die Fehlerquelle
Mensch bleibt quasi außen vor; denn die Fahrzeuge
sind mit schlauer Technik ausgestattet. Detektoren und
Sensoren nehmen ihre Umwelt wahr, teilen diese Infor-
mationen mit anderen Kraftfahrzeugen und verständi-
gen sich mit der Infrastruktur. Dabei geht es nicht da-
rum, die Fahrenden überflüssig zu machen oder ihnen
den Fahrspaß zu nehmen; die Technik soll sie lediglich
in risikoreichen Situationen unterstützen.

Aber was bringt uns diese Technik? Was bezweckt
die Europäische Union mit dem Vorantreiben intelli-
genter Verkehrssysteme? Verfolgt werden drei große
Ziele:

Erstens, Nutzung der gewonnenen Daten. Digitale
Karten können aktualisiert werden; Reise- und Ver-
kehrsinformationen können in Echtzeit privaten und
öffentlichen Akteuren zur Verfügung gestellt werden.

Ein zweites großes Ziel sind die Möglichkeiten, die
sich im Bereich des Verkehrs- und Gütermanagements
eröffnen. Ich denke hier an dringend benötigte Lösun-
gen für die Städte. Der zunehmende Verkehr aufgrund
des stark wachsenden Versandhandels zusammen mit
dem Anlieferverkehr erfordert Verkehrslösungen in
den Innenstädten. Leider hat sich die aktuelle Regie-
rung bei der Bewältigung der Herausforderungen
durch die städtischen Dienstleitungs- und Liefer-
verkehre in dieser Legislaturperiode zurückgezogen.
Verkehrsminister Wolfgang Tiefensee hatte 2008 in sei-
nem Masterplan „Güterverkehr und Logistik“ vorge-
sehen, umwelt- und klimafreundliche Verkehrskon-
zepte für den städtischen Verkehr zu entwickeln sowie
übertragbare Standards zu erarbeiten. Davon wollte
sein Nachfolger Peter Ramsauer nichts wissen. Im

„Aktionsplan Güterverkehr und Logistik – Logistikini-
tiative für Deutschland“ 2010 wird die Initiative für
Logistik im städtischen Raum nicht berücksichtigt.

Das dritte Ziel ist die Erhöhung der Verkehrssicher-
heit. Verkehrsunfälle sind in über 80 Prozent auf den
„Faktor Mensch“ zurückzuführen. Die moderne und
intelligente Technik liefert in diesem Bereich bereits
jetzt viele gute Antworten: Assistenzsysteme halten
Spur und den richtigen Abstand zum vorausfahrenden
Auto ein; die automatische Notruffunktion „E-Call“
ist bereits beschlossen und wird europaweit ab 2015 in
Neuwagen eingesetzt werden.

Wann wir unseren Verkehr flächendeckend intelli-
gent gestalten können, ist also weniger eine Frage der
technischen Machbarkeit oder dem Mangel an brauch-
baren Innovationen als vielmehr eine Frage der finan-
ziellen Möglichkeiten. Daher fordere ich die Regie-
rung auf, auch die einfachen, leicht umsetzbaren
Maßnahmen für eine Erhöhung der Verkehrssicherheit
zu ergreifen. Denn hier können wir nicht einfach auf
morgen warten. Hier müssen wir handeln. Insbeson-
dere auf unseren Landstraßen verlieren immer noch zu
viele Menschen ihr Leben; es sind 60 Prozent aller
Verkehrstoten.

Das liegt unter anderem daran, dass hier immer
noch zu viele ungeschützte Bäume am Straßenrand ste-
hen. Bereits einfache planerische Maßnahmen können
hier große Wirkung haben: Schutzplanken in Alleen,
Erdwälle in Kurven als Anpralldämpfer. An Ortsein-
gängen können Mittelinseln zur Temporeduzierung
dienen, und vor Gefahrenstellen können Rüttelstreifen
die Aufmerksamkeit erhöhen.

Bis die Zukunft vollends intelligent wird, gibt es ge-
rade im Bereich der Verkehrssicherheit noch einiges zu
tun. Herr Ramsauer, dieses Gesetz darf nicht das Ende
Ihrer Bemühungen sein; es sollte der Start einer neuen
Verkehrssicherheitsinitiative werden.


Petra Müller (FDP):
Rede ID: ID1723134400

Deutschland als wichtigstes Transitland Europas ist

auf die effiziente Vernetzung aller Verkehrsträger vor
dem Hintergrund des anwachsenden Güter- und Per-
sonenverkehrs angewiesen. Mittels intelligenter Ver-
kehrssysteme lassen sich die Verkehrs- und Daten-
ströme auf der Straße, der Schiene, in der Luft und zu
Wasser effizient und auch umweltverträglicher mitei-
nander verbinden.

Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtline
2010/40/EU über Intelligente Verkehrssysteme schafft
zu diesem Zweck den rechtlichen Rahmen für die Ein-
führung intelligenter Verkehrssysteme im Straßenver-
kehr und für deren Schnittstellen zu anderen Verkehrs-
trägern.

Durch diesen Rechtsakt werden auch die rechtli-
chen Voraussetzungen geschaffen, die eine Vereinheit-
lichung technischer Standards und Systeme in den IVS-
Techniken und -Systemen fördern. Dies begrüßen wir
ausdrücklich.

Zu Protokoll gegebene Reden





Petra Müller (Aachen)



(A) (C)



(D)(B)


Bisher sind in der Richtlinie 2010/40/EU keine
konkreten Anforderungen zur genauen Umsetzung der
Vorgaben enthalten. Wir sollten allerdings nicht ab-
warten, bis die EU-Kommission die entsprechenden
Spezifikationen zur konkreten Umsetzung der Richtli-
nie erlassen hat, und erst dann die technischen Stan-
dards festlegen, wie die Vorgaben einer einheitlichen
technischen Verknüpfung der Daten aller Verkehrs-
träger zu erfüllen sind, sondern schon jetzt dafür sor-
gen, dass Forschung und Wissenschaft in Deutschland
im Bereich der IVS-Systeme und -Technik eine füh-
rende Rolle haben, um die noch von der EU zu definie-
renden Anforderungen zur technischen Umsetzung
bestens erfüllen zu können.

Obwohl die EU-Kommission darauf hinweist, dass
die Umsetzung der Richtlinie 2010/40/EU in der jetzi-
gen Fassung nicht mit Mehrkosten für die Bürger, die
Wirtschaft und die Verwaltungen von der Kommune bis
zum Bund verbunden ist, sollte darauf bereits frühzei-
tig geachtet werden, dass die von der EU-Kommission
noch auszuarbeitenden Spezifikationen bei einer spä-
teren Konkretisierung nicht doch mit Mehrkosten für
die Betroffenen verbunden sind.

Und auch wenn die Kommission schon darauf hin-
gewiesen hat, dass die Mitgliedstaaten die Kosten für
die Herstellung von Kompatibilität und Interoperabili-
tät bei intelligenten Verkehrssystemen zu tragen haben,
sollte sich die Bundesregierung nochmals ausdrück-
lich im Ministerrat für Fördermaßnahmen seitens der
EU einsetzen.

Unabhängig davon sollte auch beachtet werden,
dass durch IVS-Systeme in bedeutendem Ausmaß in
gesellschaftliche und wirtschaftliche Prozesse einge-
griffen wird.

Eine intensive politische Debatte und ein gesell-
schaftlicher Diskurs sind sicherlich von Vorteil, um ein
Bewusstsein für die vielfältigen Dimensionen dieser
Technologien zu schaffen und die Bevölkerung recht-
zeitig über Chancen und Risiken zu informieren. Denn
bei allem Nutzen, den diese Technologien für eine ver-
einfachte und vereinheitlichte Nutzung von Straßen-,
Verkehrs- und Reisedaten haben – sie werden dazu bei-
tragen, die Sicherheit im Straßenverkehr zu erhöhen
sowie Verkehrs- und Frachtmanagement permanent zu
verbessern – sollten wir nicht außer Acht lassen, dass
damit auch hoch sensible Daten von Verkehrsteilneh-
mern erfasst werden. So können sicherlich noch leich-
ter Bewegungsprofile und Nutzungsverhalten von Ver-
kehrssystemen erstellt werden.

Hier gilt es zu berücksichtigen, dass bei den Vorgaben
der technischen Umsetzung keine Systeme entwickelt
und gefördert werden, die leichtfertig Datenmiss-
brauch Vorschub leisten bzw. diesen erleichtern kön-
nen.

Fragen der Erhebungs- und Eigentumsrechte an
den erhobenen Daten, des Datenmanagements, der
Zugangsrechte Dritter und damit allgemein verbun-
dene rechtliche Regulierungsfragen sollten ebenfalls

so früh wie möglich beachtet werden. Den Schutz der
individuellen Freiheitsrechte in Form der Rechte an
den eigenen Daten gilt es unbedingt bei der Spezifika-
tion der Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht
zu berücksichtigen.

Mit sicheren und klaren rechtlichen Rahmenbedin-
gungen lassen sich die Vorteile intelligenter Verkehrs-
systeme im Straßenverkehr und deren Schnittstellen zu
anderen Verkehrsträgern optimal nutzen, und sie tra-
gen zu einer wesentlichen Verbesserung der Verkehrs-
und Warenströme bei. Wir hoffen darauf, dass die EU-
Kommission die entsprechenden Spezifikationen zur
Umsetzung dieser Richtlinie in diesem Sinne erlässt.
Andernfalls fordern wir die Bundesregierung auf, in
diesem Sinne auf die EU-Kommission einzuwirken.


Herbert Behrens (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723134500

Die Einführung von europaweit einheitlichen Intel-

ligenten Verkehrssystemen, IVS, ist eine sinnvolle
Maßnahme. Diese Systeme können einen Beitrag dazu
leisten, die klimaschädlichen Wirkungen des Straßen-
verkehrs zu verringern, und sie dienen zudem der Ver-
kehrssicherheit. Sie können sogar Leben retten, wenn
zum Beispiel ein automatisch ausgelöster Notruf recht-
zeitig Hilfe organisieren kann. Es gibt Schätzungen,
dass durch das automatisierte Notrufsystem E-Call
jährlich 10 Prozent weniger Menschen auf Europas
Straßen ihr Leben verlieren.

Auch könnte es Tausenden von Berufskraftfahrern
in Zukunft erspart bleiben, stundenlang nach einem
Stellplatz zu suchen. Um die Lenkzeiten nicht zu über-
schreiten, sind Lkw-Fahrer viel zu oft auf „kreative“
Lösungen beim Rasten angewiesen, die nicht selten
verkehrsgefährdend sind. Die Bereitstellung von Infor-
mations- und Reservierungsdiensten für sichere Lkw-
Parkplätze kann hier eine wesentliche Verbesserung
der Arbeitsbedingungen von Lastkraftfahrern bringen.

Mit ihrem Gesetzentwurf will die Bundesregierung
die Vorgaben aus Brüssel in nationales Recht überfüh-
ren. Wie so häufig ist es der Bundesregierung nicht ge-
lungen, die Umsetzungsfrist einzuhalten und die in
EU-Richtlinien enthaltenen Schwachstellen im Umset-
zungsgesetz auszuräumen.

Um es nochmal deutlich zu machen: Die Linke teilt
das Ziel einer technisch gestützten Verbesserung der
Klimabilanz des Verkehrs und der Verkehrssicherheit!

Der vorliegende Entwurf des Umsetzungsgesetzes
ist jedoch mit zu vielen Fragezeichen versehen, als
dass die Linke ihm zustimmen könnte. Wir werden uns
vielmehr enthalten.

Es ist nämlich unverkennbar, dass der in der Richt-
linie 2010/40/EG normierte Rechtsrahmen zu weit ge-
fasst und zu allgemein gehalten ist, um die mit der Ein-
führung von IVS verbundenen datenschutzrechtlichen
Probleme angemessen zu berücksichtigen. Es ist nicht
klar, wann der Betrieb von IVS-Diensten zur Erhebung
und Verarbeitung personenbezogener Daten führen

Zu Protokoll gegebene Reden





Herbert Behrens


(A) (C)



(D)(B)


wird und für welche speziellen Zwecke eine Datenver-
arbeitung erfolgt.

Der in § 3 des Gesetzes integrierte Verweis, dass
personenbezogene Daten nur genutzt werden dürfen,
wenn dies bundesrechtlich zugelassen oder angeordnet
ist, kann die datenschutzrechtlichen Bedenken nicht
ausräumen.

Es muss viel genauer definiert werden, wer die Ver-
antwortung für den Einsatz der Anwendungen und
Systeme tragen sollte und wer in der Kette der Daten-
verarbeitenden für die Einhaltung der Datenschutz-
vorschriften verantwortlich ist.

Bei der Diskussion um Intelligente Verkehrssysteme
im Straßenverkehr kommt nicht nur die Frage nach
den datenschutzrechtlichen Aspekten häufig zu kurz.
Bei aller Faszination, die von technischen Lösungen
ausgeht, gerät viel zu oft die Frage aus dem Blick, wel-
ches Problem denn eigentlich mit IVS gelöst werden
soll. Das Grundproblem ist das rasante Verkehrs-
wachstum auf den Straßen Europas, welches durch
herkömmliche Maßnahmen wie den Ausbau der Stra-
ßenverkehrsinfrastruktur nicht gelöst werden kann.
Dies sieht auch die Kommission so.

Mit IVS soll das Wachstum des Straßenverkehrs ef-
fizienter verwaltet und die Zunahme seiner emissions-
basierten Folgekosten verlangsamt werden. Nebenbei
werden mit IVS auch industriepolitische Ziele verfolgt,
indem ein riesiger Markt für neue technische Produkte
und deren kommerzielle Anwendung geschaffen wird.

Letztlich wird alles getan, um mit dem Einsatz tech-
nischer Hilfsmittel Verkehre auf der Straße zu halten –
trotz des Bewusstseins der schädlichen Folgen dieses
Verkehrsträgers für Mensch und Umwelt. Bisher ver-
fehlen die vorrangigen Maßnahmen der EU das selbst-
gesteckte Ziel, durch IVS Intermodalität zu fördern.
Mit ihrem verkürzenden Programm verspielt die Kom-
mission bisher die Potenziale der IVS, die sie im Hin-
blick auf eine ökologische Verkehrswende zweifelsfrei
haben.

IVS kann mehr sein als reines Förderinstrument des
Straßenverkehrs. Dafür müssten jedoch endlich auch
die Schnittstellen zu anderen Verkehrsträgern effekti-
ver gefördert werden, wie es die Richtlinie dezidiert
vorschreibt. Hier klaffen Anspruch und Wirklichkeit
noch vollends auseinander – ein Missstand, den es
schnellstens abzustellen gilt.


Harald Ebner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723134600

Wir beraten heute abschließend den Gesetzentwurf

der Bundesregierung über Intelligente Verkehrssys-
teme im Straßenverkehr und deren Schnittstellen zu
anderen Verkehrsträgern. Wir kommen damit unserer
Verpflichtung nach, die EU-Richtlinie vom 7. Juli 2010
über Intelligente Verkehrssysteme in nationales Recht
umzusetzen.

Ziel der EU-Richtlinie ist es, durch innovative Lö-
sungen und eine intelligente Organisation den Verkehr

europaweit effizienter und umweltschonender zu ge-
stalten sowie allen Verkehrsteilnehmern ein hohes
Maß an Sicherheit zu ermöglichen. Dazu wird die Eu-
ropäische Union künftig einheitliche Merkmale entwi-
ckeln und festlegen, die beschreiben, welchen techni-
schen und qualitativen Anforderungen intelligente
Verkehrssysteme europaweit erfüllen müssen. Ferner
werden die zuständigen Behörden dazu verpflichtet,
diese Spezifikationen künftig anzuwenden. Mit dem
vorliegenden Gesetzentwurf werden dafür die notwen-
digen nationalen Rahmenbedingungen geschaffen.
Das unterstützen wir.

Wenn wir unsere Mobilität nachhaltiger gestalten
wollen, benötigen wir ein integriertes intelligentes Ge-
samtverkehrssystem in Europa. Dazu müssen wir auch
neue Technologien fördern und harmonisieren. Mo-
derne Fahrerassistenzsysteme können neben anderen
Verkehrssicherheitsmaßnahmen in hohem Maße zur
Verbesserung der Verkehrssicherheit beitragen. So
verringern insbesondere Technologien wie das elektro-
nische Stabilitätsprogramm, ESP, Antiblockiersys-
teme, Abstandsregeltempomaten, Spurhalteassistenten
und elektronische Abbremssysteme erheblich die Ge-
fahr von Unfällen bzw. sie können helfen, die Unfall-
schwere zu reduzieren. Großes Potenzial besitzen fer-
ner Abbiegeassistenten, die viele schwere bzw.
tödliche Unfälle mit Fußgängern und Radfahrern im
sogenannten Toten Winkel verhindern könnten.

Die Verkehrswegeinfrastruktur in Deutschland ist
sehr dicht und weitgehend vollständig ausgebaut – zu-
mindest im Straßenbereich. Weitere Ausbaumaßnah-
men sind oft nicht nur ökologisch fragwürdig, sondern
zumeist auch nicht finanzierbar. Deshalb lohnt es sich,
in intelligente Verkehrs- und Mobilitätssysteme zu in-
vestieren, denn mehr Asphalt bedeutet nicht gleichzei-
tig bessere Mobilität.

Intelligenz ist hier nötig und Intelligenz ist auch
möglich. Jeder in intelligente Verkehrssysteme inves-
tierte Euro ist daher ein Gewinn und kann teure Stra-
ßenbauinvestitionen sparen. Denn Mobilität ist mehr
als nur Verkehr; wir wollen eine bessere Mobilität für
die Menschen erreichen. Aber Ziel kann es nicht sein,
mehr Verkehr zu generieren. Deshalb müssen wir mit-
tels intelligenter Systeme die Verkehrsträger neu und
effizient vernetzen.

Auch für eine bessere Auslastung der Infrastruktur
und zur Stauvermeidung bieten Kommunikationssys-
teme zwischen Fahrzeug und Infrastruktur gute
Voraussetzungen. Und auch im Bereich des Verkehrs-
und Frachtmanagements sowie bei der EU-weiten
Bereitstellung von Verkehrs- und Reiseinformation
gibt es noch erhebliche Reserven, die durch intelli-
gente Technologien ausgeschöpft werden können. Es
ist daher aus unserer Sicht gut und richtig, dass wir
mit dem Gesetz die Richtung einer europäischen Har-
monisierung intelligenter Verkehrssysteme gehen.

Es gibt aber auch eine Kehrseite der Medaille. Bei
allem Zuspruch für den Gesetzentwurf dürfen wir nicht

Zu Protokoll gegebene Reden





Harald Ebner


(A) (C)



(D)(B)


aus den Augen verlieren, dass beim Einsatz intelligen-
ter Verkehrssysteme auch verstärkt Daten gesammelt
werden. Dies birgt ernstzunehmende Datenschutzpro-
bleme. Auch erlauben diese Systeme eine verstärkte
Kontrolle des Arbeitnehmers durch die Arbeitgeber.
Die im Gesetzentwurf festgelegten Grundsätze zur Er-
hebung, Verarbeitung und Nutzung personenbezoge-
ner Daten gehen dabei in die richtige Richtung. Spä-
testens wenn die EU-Spezifikationen für die jeweiligen
intelligenten Verkehrssysteme feststehen, sollte aber
noch dringend überprüft werden, ob Anpassungen von
Gesetzen und Verordnungen vorgenommen werden
müssen, um den Datenschutz und den Schutz der
Rechte der Arbeitnehmer ausreichend zu gewährleis-
ten.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723134700

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Verkehr, Bau und Stadtentwicklung empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12768, den
Gesetzentwurf der Bundesregierung auf Drucksache
17/12371 anzunehmen. Ich bitte diejenigen, die zustim-
men wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist bei Enthaltung
der Fraktion Die Linke einstimmig angenommen.

Dritte Beratung

und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die zu-
stimmen wollen, sich zu erheben. – Gegenstimmen? –
Enthaltungen? – Der Gesetzentwurf ist mit gleichem
Stimmenverhältnis angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 21 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Daniela
Kolbe (Leipzig), Gabriele Fograscher, Wolfgang
Gunkel, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
der SPD

Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus wei-
terentwickeln

– Drucksache 17/9975 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Sportausschuss
Rechtsausschuss
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Haushaltsausschuss

Auch diese Reden sollen zu Protokoll genommen
werden.


Michael Frieser (CSU):
Rede ID: ID1723134800

Die Bekämpfung von Rassismus, Fremdenfeindlich-

keit und Antisemitismus sowie aller damit zusam-
menhängenden Formen von Diskriminierung ist eine
herausragende Aufgabe, die sowohl vom Staat als
auch von der Gesellschaft bewältigt werden muss. Die
Überwindung von Rassismus ist ein überragend wich-
tiges politisches Handlungsfeld. Die Bundesregierung
verabschiedete daher im Jahr 2008 den Nationalen
Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus, Fremden-

feindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene In-
toleranz.

Der Aktionsplan ist zum einen Dokumentation der
vielfältigen schon laufenden Initiativen und Maß-
nahmen, die zur Bekämpfung von Rassismus, Rassen-
diskriminierung, Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus
und darauf bezogene Intoleranz in den unterschied-
lichsten Bereichen ergriffen wurden. Zum anderen be-
schreibt er darüber hinaus weitere Anstrengungen und
Maßnahmen, die insbesondere den gesellschaftlichen
Zusammenhalt gezielt fördern und stärken. Ziel ist eine
Gesellschaft, in der rassistische, fremdenfeindliche
und diskriminierende Bestrebungen keinen Halt finden
können. Der Nationale Aktionsplan ist somit ein Bei-
spiel für das kontinuierliche Engagement zur Verbes-
serung der Menschenrechtssituation.

Der vorliegende Antrag der SPD möchte unrichtig
den Eindruck erwecken, dass die bisherigen Maßnah-
men des Aktionsplans gegen Rassismus unzulänglich
sind.

Die SPD fordert eine Überarbeitung des Aktions-
plans und übersieht dabei, dass es sich nicht um einen
statischen Maßnahmeplan handelt. Im Text des Natio-
nalen Aktionsplans selbst wird klargestellt, dass mit
der Erstellung des Aktionsplans die Arbeit nicht abge-
schlossen ist. Die weiteren Aktivitäten müssten sich an
den getroffenen Zielsetzungen orientieren und messen
lassen. Es wird auch klargestellt, dass die einzelnen
Maßnahmen der Evaluierung und Nachsteuerung be-
dürfen.

Die Kritik an dem Kapitel „Förderung der Integra-
tion von Migrantinnen und Migranten“ verbunden mit
der Forderung, dieses aus dem Aktionsplan zu strei-
chen, zeigt das Unverständnis für die Tatsache, dass
die Bekämpfung von Rassismus eine Querschnittsauf-
gabe ist, die alle Teile der Gesellschaft und verschie-
dene Handlungsfelder betrifft. Eine offene Gesell-
schaft, in der alle Bürger, ungeachtet ihrer nationalen,
ethnischen oder religiösen Herkunft, ganz selbstver-
ständlich akzeptiert und anerkannt werden, ist sowohl
Ziel der Integrationspolitik als auch Ziel des Aktions-
plans gegen Rassismus. Unter dieser Maßgabe fügen
sich Maßnahmen zur Integrationsförderung in den Na-
tionalen Aktionsplan ein.

Bereits im ersten Satz der Einleitung des Themas
„Integration“ im Nationalen Aktionsplan gegen Ras-
sismus ist klargestellt, dass Migranten nicht die Ur-
sache von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit sind.
Es ist also nicht nachvollziehbar, warum in dem vorlie-
genden Antrag behauptet wird, dass das Kapitel die
Fehldeutung nach sich ziehen könnte, es gäbe einen
impliziten Zusammenhang zwischen Integrationsleis-
tungen und Rassismus.

Eine solche Fehldeutung ist aufgrund der klaren
Zielsetzung und der klaren Aussagen des Aktionsplans
nicht möglich. Eine Schuldzuweisung für die Tatsache,
dass Migrantinnen und Migranten zur Projektions-
fläche rassistisch, ausländerfeindlich oder rechts-





Michael Frieser


(A) (C)



(D)(B)


extremistisch motivierter Vorurteile und Stereotype ge-
raten, wird deutlich ausgeschlossen, und das ist
gerade Grund dafür, die Querschnittsaufgabe der Be-
kämpfung von Rassismus auch als eine der Herausfor-
derungen für die lntegrationspolitik anzunehmen.

Die Aufklärung über die Fakten, insbesondere die
Ursachen und die Notwendigkeit von Migration, die
sich durch den demografischen Wandel in unserem
Land ergibt, ist ein maßgebliches Mittel zur Bekämp-
fung solcher Vorurteile und eventuell daraus erwach-
sender Diskriminierungen. Eine wichtige Forderung
der Integrationspolitik ist die Stärkung der Willkom-
menskultur. Dies kann nur gelingen, wenn sich die
Grundhaltung der Menschen zum Thema Migration
zum Positiven hin verändert und Migration als Chance
und nicht als Bedrohung wahrgenommen wird. Die
Stärkung der Willkommenskultur bedeutet auch eine
Demokratie- und Toleranzförderung, damit Zuwande-
rung als Chance begriffen wird und Menschen in ihrer
ganzen Vielfalt von Alter, Geschlecht, ethnischer, kul-
tureller oder sozialer Herkunft, körperlicher und psy-
chischer Befähigung, religiöser Zugehörigkeit und se-
xueller Orientierung wertgeschätzt werden.

Aus diesem Grund sind die Maßnahmen zur Förde-
rung der Integration Bestandteil des Nationalen
Aktionsplans. Ihre Streichung würde das Ausblenden
eines wesentlichen Aspekts und eines wichtigen Hand-
lungsfeldes gegen Rassismus bedeuten.

Die Forderung eines Gesetzentwurfs, um den Be-
griff „Rasse“ im Grundgesetz und in den Bundesgeset-
zen zu ersetzen, wird die Bekämpfung des Rassismus
nicht voranbringen. Die Verwendung des Begriffs
„Rasse“ ist nicht unproblematisch, bedeutet jedoch
keinesfalls die Akzeptanz von Theorien verschiedener
menschlicher Rassen. Es soll deutlich gemacht werden,
dass nicht das Gesetz das Vorhandensein verschiede-
ner menschlicher „Rassen“ voraussetzt, sondern dass
Personen, die sich rassistisch verhalten, eben dies an-
nehmen und zur Rechtfertigung von Diskriminierung
verwenden.

Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union leh-
nen kategorisch alle Lehren rassistischer Überlegen-
heit sowie Theorien oder Lehren ab, die darauf abzielen,
die Existenz unterschiedlicher menschlicher Rassen zu
behaupten.

Auch Art. 3 Abs. 3 GG enthält keine Aussage zur
Existenz verschiedener menschlicher Rassen. Ihm ist
auch keine Akzeptanz bestimmter Rassenkonzeptionen
zu entnehmen. Mit dem Wortlaut des Art. 3 GG wurde
in den Jahren 1948/1949 ausdrücklich ein deutliches
Zeichen gegen den Rassenwahn des Nationalsozialis-
mus gesetzt. Dies ist im historischen Kontext klar er-
sichtlich.

Ein weiterer Grund, den Begriff beizubehalten, be-
steht darin, dass „Rasse“ den sprachlichen Anknüp-
fungspunkt zu dem Begriff des „Rassismus“ bildet und
die hiermit verbundene Signalwirkung zur konsequen-
ten Bekämpfung rassistischer Tendenzen genutzt wer-

den sollte. Die Tilgung des Begriffs „Rasse“ würde
nichts daran ändern, dass bedauerlicherweise der Be-
griff zur Rechtfertigung von Diskriminierung benutzt
wird.

Anstatt über den Ersatz des Begriffs „Rasse“ zu de-
battieren, sollten alle Anstrengungen unternommen
werden, um menschenrechtswidrige Erscheinungen wie
Rassismus durch gesellschaftliche Kräfte transparent
zu machen und damit auch besser bekämpfen zu kön-
nen.

Die Bundesregierung verfolgt mit dem ganzheit-
lichen Ansatz zur Bekämpfung von Rassismus, Frem-
denfeindlichkeit und Antisemitismus dieses Ziel mit
Maßnahmen zur politischen und gesellschaftlichen
Aufklärungsarbeit, beispielsweise über die Bundeszen-
trale für politische Bildung.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass insbeson-
dere die Forderungen nach der Streichung des Kapi-
tels zur Förderung der Integration und die Ersetzung
des Begriffs „Rasse“ die Arbeit gegen den Rassismus
nicht unterstützen und aus diesem Grund abzulehnen
sind. Wünschenswert wäre eine Unterstützung der bisher
erfolgreichen Maßnahmen und Bundesprogramme, die
im Rahmen des Nationalen Aktionsplans gegen Rassis-
mus erfolgten.


Daniela Kolbe (SPD):
Rede ID: ID1723134900

Wir diskutieren heute, am Internationalen Tag gegen

Rassismus, in erster Beratung den SPD-Antrag „Natio-
nalen Aktionsplan gegen Rassismus weiterentwickeln“.
Rassismus kommt aus der Mitte der Gesellschaft. Er ist
kein Randproblem. Der heutige Internationale Tag ge-
gen Rassismus mahnt uns, antidemokratische und
menschenverachtende Einstellungen umfassend und
entschlossen zu bekämpfen. Dafür muss die Bundesre-
gierung die richtigen Weichen stellen.

Wir fordern in unserem Antrag die Bundesregierung
auf, den Nationalen Aktionsplan gegen Rassismus wei-
terzuentwickeln. Dabei ist Weiterentwicklung im enge-
ren Sinne eine Beschönigung; denn seit seiner Verab-
schiedung 2008 vermodert der Aktionsplan in den
Schubladen der Bundesregierung. Wir wollen ihn da
wieder herausholen und ihn zu einem ernstzunehmen-
den Instrument im Engagement gegen rassistische, an-
tisemitische, antiziganistische, kurz: gegen menschen-
feindliche Einstellungen machen.

Obwohl die Bundesregierung in ihren eigenen Aus-
führungen innerhalb des Nationalen Aktionsplans er-
kennt, dass sich die Bekämpfung von Rassismus, Frem-
denfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene
Intoleranz nicht im Kampf gegen den Rechtsextremis-
mus erschöpft, legt sie die Hände in den Schoß.

Lassen Sie mich Ihnen die Aufgaben des Aktions-
plans in Erinnerung rufen: Erstens geht es darum, eine
Gesamtstrategie zur Bekämpfung von Rassismus zu
entwickeln. Zweitens soll der Aktionsplan geeignete
Instrumente vorstellen und über Fortschritte bei der
Bekämpfung von Rassismus berichten. Drittens sollen

Zu Protokoll gegebene Reden





Daniela Kolbe (Leipzig)



(A) (C)



(D)(B)


mithilfe des Aktionsplans zukunftsgerichtet Maßnah-
men zur Erreichung selbst gesetzter Ziele verankert
werden.

Dabei sind drei Aspekte besonders wichtig, auf die
ich nun Ihre Aufmerksamkeit richten möchte:

Erstens. Man kann Diskriminierungen und Erschei-
nungsformen von Rassismus nur dann erfassen, wenn
wir uns von unserem historisch bedingt engen Rassis-
musbegriff lösen. Rassismus fängt nicht erst bei rechts-
extremistischen oder neonazistischen Straftaten an.
Lassen Sie mich dazu Bundeskanzlerin Angela Merkels
Worte zitieren, die sie bei der Gedenkveranstaltung für
die Opfer der rechtsextremistischen Gewalt des NSU
am 23. Februar 2012 sagte:

Doch Intoleranz und Rassismus äußern sich keines-
wegs erst in Gewalt. Gefährlich sind nicht nur
Extremisten. Gefährlich sind auch diejenigen, die
Vorurteile schüren, die ein Klima der Verachtung
erzeugen. Wie wichtig sind daher Sensibilität und
ein waches Bewusstsein dafür, wann Ausgrenzung,
wann Abwertung beginnt. Gleichgültigkeit und
Unachtsamkeit stehen oft am Anfang eines Prozes-
ses der schleichenden Verrohung des Geistes. Aus
Worten können Taten werden.

Durch Forschungsarbeiten wissen wir, dass es in
einem besorgniserregenden Ausmaß durchgängig
antisemitische, rassistische, antiziganistische und
rechtsextreme Einstellungen in unterschiedlichen
Bevölkerungsgruppen der deutschen Einwanderungs-
gesellschaft gibt. Daher brauchen wir einen neuen
Aktionsplan, der das Ausmaß von Menschenrechtsver-
letzungen wie Diskriminierung und Rassismus erfasst,
einen Aktionsplan, in dem indirekte und direkte rassis-
tische Diskriminierung von allen hier lebenden Bevöl-
kerungsgruppen mit und ohne deutsche Staatsbürger-
schaft erhoben werden. Dabei sollte ein besonderes
Augenmerk auf die Situation von Menschen gelegt
werden, die von mehrdimensionalen Diskriminierun-
gen betroffen sind. Nur so können Mehrfachdiskrimi-
nierungen und Verschränkungen von rassistischer
Diskriminierung wegen der sozialen Herkunft, des Ge-
schlechts, der sexuellen Orientierung, der Religion,
des Alters oder einer Behinderung offengelegt werden.

Zweitens. Der Aktionsplan sollte in Zusammenar-
beit mit Nichtregierungsorganisationen überarbeitet
werden. Sie sind die Expertinnen und Experten vor
Ort. Sie können Best-Practice-Beispiele liefern und ar-
tikulieren, wo der Schuh drückt.

Drittens. Wir brauchen endlich einen verbindlichen
und evaluierbaren Maßnahmenplan zum Abbau von
Rassismus. Dabei müssen natürlich auch Maßnahmen
zur Überwindung indirekter Diskriminierungen entwi-
ckelt werden. Nur so kann dem Aktionsplan Leben ein-
gehaucht werden.

Viertens. Das Kapitel „Förderung der Integration
von Migrantinnen und Migranten“ muss im nächsten
Aktionsplan gestrichen werden. Obwohl sie in keinem
Zusammenhang mit Rassismus stehen, findet sich bis-

lang im Aktionsplan eine deskriptive Zusammenfas-
sung von integrationspolitischen Maßnahmen wie bei-
spielsweise die Integrationskurse. Diese Tatsache
könnte suggerieren, dass die Integrationsbereitschaft
von Migrantinnen und Migranten rassistische Motive
und Handlungen hervorruft. Ein fatales Signal!

Fünftens. Wir fordern die Bundesregierung auf, ei-
nen Gesetzentwurf vorzulegen, der den Begriff
„Rasse“ durch eine geeignete Formulierung im
Grundgesetz und in Bundesgesetzen ersetzt. Denn wir
sind der Überzeugung, dass Gesetzestexte zur Be-
wusstseinsbildung beitragen und eine Vorbildfunktion
haben sollten, insbesondere wenn es um die Bekämp-
fung von Diskriminierung und Rassismus geht.

Auf internationaler und auf EU-Ebene ist die Ver-
wendung des Begriffs „Rasse“ in juristischen und
politischen Dokumenten umstritten. Bereits im Jahr
1950 wies die UNESCO im „Statement on Race“
darauf hin, dass die Terminologie „Rasse“ für einen
sozialen Mythos stehe, der ein enormes Ausmaß an
Gewalt verursacht habe:

Alle Menschen gehören einer einzigen Art an und
stammen von gemeinsamen Vorfahren ab. Sie sind
gleich an Würde und Rechten geboren und bilden
gemeinsam die Menschheit.

Die Formulierung „Rasse“ weckt die Assoziation
eines Menschenbildes, das auf der Vorstellung unter-
schiedlicher menschlicher „Rassen“ beruht. Allein
rassistische Theorien gehen von der Annahme aus,
dass es unterschiedliche menschliche „Rassen“ gibt.
Mit dem Glauben an die Existenz von „Rassen“ gehen
Differenzierungen und Hierarchisierung von konstru-
ierten Menschengruppen einher. Vor dem Hintergrund
der geschichtlichen Wirkung von Konzepten und ge-
danklichen Konstrukten, die mit dem Begriff „Rasse“
verbunden sind, ist kein Grund ersichtlich, an dem Be-
griff festzuhalten.

Bereits im Zuge des Erlasses der europäischen An-
tirassismusrichtlinie 2000/43/EG gab es Unzufrieden-
heit von Mitgliedstaaten hinsichtlich der Verwendung
des Begriffs „Rasse“. Einige EU-Mitgliedstaaten ver-
zichten generell in ihrem nationalstaatlichen Rechts-
wesen auf den Begriff „Rasse“ und regeln den Tat-
bestand der rassistischen Diskriminierung mit anderen
Formulierungen. Finnland beispielsweise regelt in sei-
ner Verfassung das Verbot aus Gründen der Herkunft
durch die Formulierung „ethnische und nationale
Herkunft“. Österreich normiert im Gesetz zur Nicht-
diskriminierung „ethnische Zugehörigkeit“ anstelle
von „Rasse“.

Die bloße Streichung des Begriffs „Rasse“ aus der
Rechtsordnung wäre natürlich nicht ausreichend. Da-
mit würde der Schutzbereich des Grundrechts verengt.
Dennoch ist es die Aufgabe des Hohen Hauses und der
Bundesregierung, hier Abhilfe zu schaffen.

Sechstens und letztens: die Antidiskriminierungs-
stelle des Bundes. Kaum ein Liberaler oder Konserva-
tiver wollte sie. Laut war das Geschrei bei der Einfüh-

Zu Protokoll gegebene Reden





Daniela Kolbe (Leipzig)



(A) (C)



(D)(B)


rung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Ich
bin glücklich, dass wir sie haben. In ihr liegt viel Po-
tenzial. Ihr kommt gemäß ihrer Aufgabenbeschreibung
im Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz eine zen-
trale Rolle bei der Bekämpfung von Diskriminierung
in Deutschland zu. Um ihr Aufgabenpotenzial vollum-
fänglich auszuschöpfen und tatsächlich ein entschei-
dender Akteur im Abbau von Diskriminierungen zu
werden, muss die – im europäischen Vergleich ohnehin
spärlich mit Kompetenzen und Mitteln bedachte –
Antidiskriminierungsstelle des Bundes endlich besser
finanziell ausgestattet werden.


Serkan Tören (FDP):
Rede ID: ID1723135000

Rassismus ist nach wie vor ein Problem in Deutsch-

land. Aus tiefer Überzeugung stellt sich die Bundes-
regierung rassistischen Ideologien und rassistischer
Gewalt entschieden in den Weg. Der Antrag der Kolle-
ginnen und Kollegen der SPD erweckt jedoch den Ein-
druck, die christlich-liberale Koalition sei in diesem
Punkt nachlässig in diesem Bereich gewesen. Das Ge-
genteil ist der Fall. So hat die Koalition die Mittel für
Projekte gegen Antisemitismus und Rassismus im Ver-
gleich zur letzten rot-grünen Regierung beinahe ver-
dreifacht. Wir haben die Präventionsprogramme im
Rahmen der Initiativen „Toleranz fördern – Kompe-
tenz stärken“, „Demokratie Stärken“ und „Zusam-
menhalt durch Teilhabe“ verlängert, um Planungs-
sicherheit zu schaffen.

Der Bund unterstützt die Antirassismusarbeit nach
Kräften. Gefragt sind hierbei jedoch in erster Linie die
Länder, die im Rahmen der Kultushoheit unter ande-
rem für die schulische Bildung und Erziehung zustän-
dig sind. Wenn die Situation in Deutschland tatsäch-
lich so schrecklich ist, wie Sie beschreiben, könnten
Sie sich zur Abwechslung einmal an Ihre Kolleginnen
und Kollegen in den Ländern wenden – bekannterma-
ßen sind Sie an fast jeder Landesregierung beteiligt.
Wenn Sie in den Ländern versagen, machen Sie dafür
bitte nicht den Bund verantwortlich.

Stattdessen fordern Sie vor allem, was einen rein
symbolischen Charakter hat. Dabei wissen Sie nicht
einmal selbst, wie Ihre Forderungen konkret umgesetzt
werden können. Das betrifft Ihre Forderungen zu Maß-
nahmen gegen indirekte Diskriminierung. Indirekte
Diskriminierung ist bereits jetzt in Deutschland verbo-
ten. Das schreibt das Allgemeine Gleichbehandlungs-
gesetz vor, das Sie 2006 während Ihrer Regierungsver-
antwortung verabschiedet haben. Das sollten Sie also
wissen. Wenn Sie nun sieben Jahre später fordern, die
Bürger bräuchten staatliche Unterstützung dabei, das
Gesetz zu befolgen, ist das AGG entweder unverständ-
lich oder von Ihnen unzureichend begleitet worden.

Wie ratlos Sie sind, zeigt sich bei Ihrer Forderung,
den Begriff „Rasse“ im Grundgesetz durch eine an-
dere Formulierung zu ersetzen. Sie selbst führen in Ih-
rer Begründung aus, dass auch die Begriffe „ethnische
Herkunft“ oder „Ethnie“ problematisch sind, weil
auch durch sie Gruppen unzulässig pauschalisiert

werden. Das sehe auch ich als Problem. Sie liefern da-
für aber keine Lösung. Sie machen keinen Vorschlag,
wie eine alternative Formulierung aussehen könnte.
Das ist reine Symbolpolitik. Sie können nicht fordern,
dass wir das Grundgesetz ändern sollen, ohne zu wis-
sen, wie die Änderung überhaupt aussehen soll. Das
machen wir nicht mit.

Letztlich wollen Sie den Begriff „Rasse“ – oder ein
Äquivalent – auch gar nicht fallen lassen. Wenn Sie
künftig Diskriminierung und Rassismus noch weit stär-
ker erfassen und ahnden wollen als heute, kommen Sie
auch gar nicht ohne eine entsprechende Kennzeich-
nung von Personen aus. In einer immer vielfältiger
werdenden Welt kommen Sie damit aber nicht weit.
Wie wollen Sie bestimmen, welche Herkunft der Täter
und welche Herkunft das Opfer haben muss, damit et-
was als rassistisch gilt? Eine umfassende Katalogisie-
rung der Herkünfte lehne ich genauso ab wie eine Er-
fassung der Herkunft bei Einzelpersonen. Und ganz im
Ernst: Das ist auch gar nicht notwendig. Die Gerichte
bestrafen bereits jetzt kriminelle Handlungen stärker,
wenn sie vor einem rechtsextremistischen oder rassis-
tischen Hintergrund erfolgen. Das zu leugnen, führt an
der Realität vorbei.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Forde-
rungen des SPD-Antrags entweder durch staatliches
Handeln überflüssig sind oder die eigentlichen Adres-
saten die Länder sind oder die Forderungen rein sym-
bolischen Charakter haben und auch die SPD selbst
nicht sagen kann, wie die konkrete Umsetzung ausse-
hen könnte. Alles in allem ist der Antrag nicht ausge-
reift.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723135100

Heute gibt es an vielen Orten wieder Aktionen ge-

gen Rassismus; denn es ist der Internationale Tag
gegen Rassismus, und die Aktionen sind auch nötig.
Rassismus – das bedeutet die systematische Diskrimi-
nierung und Abwertung von Menschen, die in den
Augen großer Teile der Gesellschaft anders sind als
sie: weil sie eine andere Hautfarbe, Herkunft oder
auch Religion haben. Rassismus verletzt nicht nur
Menschenrechte, Rassismus tötet auch.

Die offizielle Statistik der Bundesregierung weist
seit dem Jahr 1990 63 Menschen aus, die aus rassisti-
schen Gründen getötet wurden. Dabei liegt die Zahl
der Ermordeten wesentlich höher; denn oftmals ermit-
telt die Polizei gar nicht nach einer rassistischen oder
neonazistischen Einstellung der Täterinnen und Täter.
Journalistinnen und Journalisten von „Tagesspiegel“
und „Die Zeit“ haben circa 150 Opfer recherchiert.
Die Amadeu-Antonio-Stiftung listet sogar mehr als
180 Ermordete auf.

Diese folgenschwere Ermittlungspraxis der Behör-
den ist zuletzt durch die Mordserie des „National-
sozialistischen Untergrunds“, NSU, öffentlich gewor-
den. Denn ganz in rassistischer Manier ermittelten die
Behörden in den Familien der Opfer, da diese die

Zu Protokoll gegebene Reden





Sevim Dağdelen

(A) (C)



(D)(B)


Gründe für die Mordserie in der „Mafia- und Schutz-
gelderpressung“ vermuteten. Die eingesetzte Sonder-
kommission hieß „Bosporus“ und führte Ermittlungen
zu „Döner-Morden“.

Gerade nach dem 11. September 2001 verorteten
auch die deutschen Sicherheitsbehörden die Schwerst-
kriminalität im migrantischen bzw. muslimischen Mi-
lieu. Neun Menschen mit Migrationshintergrund wur-
den an verschiedenen Orten mit derselben Waffe
ermordet. Die Linke kritisiert, dass die Sicherheitsbe-
hörden angeblich keine rassistischen Motive erkannt
haben wollen, und das, obwohl in den Jahren zuvor be-
reits Dutzende Menschen aus rassistischen Motiven in
Deutschland ermordet worden waren. Die Linke for-
dert eine rückhaltlose Aufklärung, und das auch ange-
sichts der Tatsache, dass bereits bevor die NSU-Nazis
im Jahr 2000 zur ersten Hinrichtung schritten,
105 bzw. 125 Menschen umgebracht worden waren.

Die Linke fordert auch, dass Rassismus endlich als
gesellschaftliches Problem erkannt, als solcher be-
nannt und wirksam bekämpft wird. Rassismus ist All-
tag in Deutschland: Abschiebeknäste, Residenzpflicht
und die Isolierung von Flüchtlingen sprechen für eine
gezielte Ausgrenzung. Offizielle Diskurse um das Asyl-
recht und integrationspolitische Themen verstärken
oder legitimieren rassistische Denkmuster, wie die
Diskussion um angebliche Integrationsverweigerer
oder um den angeblichen Missbrauch bei der Einwan-
derung aus Rumänien und Bulgarien zeigt. Wer nicht
davor zurückschreckt, rassistische Vorurteile zu schü-
ren bzw. diese parteipolitisch zu nutzen, ist Wegberei-
ter rassistischer Gewalt.

Polizei, Justiz und Geheimdienste spiegeln die ge-
sellschaftlichen Verhältnisse wider, wie die bereits er-
wähnten Sonderkommissionen mit Namen wie „Ala-
din“ oder „Bosporus“, die Opfer rassistischer Gewalt
unter Generalverdacht stellen, oder die rassistische
Bezeichnung „Döner-Morde“. Auch das sogenannte
Racial Profiling ist eine rassistische Polizeipra-
xis. Dabei werden Menschen insbesondere in Bahnen,
an Flughäfen und auf öffentlichen Plätzen allein auf-
grund ihres Aussehens, ihrer Hautfarbe, einfach we-
gen ihres vermeintlichen Andersseins kontrolliert.

Die Bundesregierung leugnet das Problem. Rassis-
tische Polizeikontrollen gebe es nicht, weil das ja
grundgesetzwidrig wäre, heißt es schlicht in Verleug-
nung der vielfach belegten konkreten Alltagserfahrun-
gen Betroffener.

Aus Sicht der Linken ist die Bundesregierung weni-
ger Teil der Lösung als eher Teil des Problems. Denn
sie versagt nicht einfach nur bei der Bekämpfung des
Rassismus. Sie leistet oftmals einem Klima Vorschub,
in dem der tödliche Rassismus ganz im Stile des NSU
möglich ist, so zum Beispiel auch durch die Art und
Weise der Veröffentlichung der Studie „Lebenswelten
junger Muslime in Deutschland“, durch die rassisti-
sche Ressentiments und Stereotype befördert wurden.
Damit betätigte sich Bundesinnenminister Friedrich

gerade einmal eine Woche nach der Gedenkveranstal-
tung am 23. Februar 2012 für die Opfer der Nazi-
Mordserie schon wieder kräftig an der Stigmatisierung
von Muslimen.

Von der eigenen Verantwortung und Mitschuld an
den Folgen einer Politik der Ausgrenzung und Diskri-
minierung ist seitens der Bundesregierung nie etwas zu
hören. Statt Vorurteilen und Ressentiments entgegenzu-
treten, errichtet sie den wissenschaftlich längst wider-
legten rechtspopulistischen Popanz einer angeblich
verbreiteten Integrationsverweigerung immer wieder
aufs Neue.

Auch aktuell will vor allem die CDU/CSU offenkun-
dig erneut Wahlkampf auf Kosten von Migrantinnen
und Migranten, insbesondere von Sinti und Roma, ma-
chen. Fakten spielen dabei auch hier wieder einmal
keine Rolle. Laut Rheinisch-Westfälischem Institut für
Wirtschaftsforschung gehen 80 Prozent der Menschen,
die seit Beginn der EU-Mitgliedschaft im Jahr 2007
aus Bulgarien und Rumänien nach Deutschland ge-
kommen sind, einer Erwerbsarbeit nach. 22 Prozent
von ihnen sind hochqualifiziert und 46 Prozent qualifi-
ziert.

Doch diese Wahrheit stört den Bundesinnenminister
nicht. Er spricht von Sozialbetrug und einer massen-
haften Armutsmigration von Migrantinnen und Mi-
granten aus diesen beiden Ländern. Mit der Forderung
nach Wiedereinreisesperren und der Verhinderung der
Aufnahme von Bulgarien und Rumänien in den Schen-
gen-Raum wird Rassismus vor allem gegen Sinti und
Roma geschürt. Für das soziale Problem hat die Bun-
desregierung keine Lösung. Mit dem Phänomen Armut
und der Verantwortung dafür will sie sich nicht aus-
einandersetzen. Stattdessen wird die Armut mit „kultu-
rellen“ Eigenschaften erklärt und damit dem Rassis-
mus und Antiziganismus Tür und Tor geöffnet.

Wie schlampig, desinteressiert und fahrlässig die
Bundesregierung mit dem Thema Rassismus umgeht,
zeigt beispielhaft der 2008 verabschiedete Nationale
Aktionsplan gegen Rassismus. Lustlos wird darin auf-
geschrieben, was die Bundesregierung ohnehin tut.
Besonders kritisiert die Linke, dass selbst noch die In-
tegrationspolitik als ein Beitrag gegen Rassismus dar-
gestellt wird – so, als ob Rassismus eine Reaktion auf
mangelnde Integration sei, was absurd ist.

Die Linke fordert eine angemessene Analyse rassis-
tischer Diskriminierung in Deutschland und in die Zu-
kunft gerichtete Maßnahmen zur Bekämpfung von Ras-
sismus. Das gilt nicht allein für den Alltagsrassismus
in der sogenannten Mitte der Gesellschaft, sondern
insbesondere auch für den institutionellen Rassismus.

Die Bekämpfung von Rassismus erfordert auch die
Herstellung gleichberechtigter sozialer und politi-
scher Teilhabe aller Menschen. Genau hier versagt die
Bundesregierung, allein schon deshalb, weil ihr der
entsprechende Wille fehlt.

Zu Protokoll gegebene Reden





Sevim Dağdelen

(A) (C)



(D)(B)


Insofern ist es an sich begrüßenswert, dass der vor-
liegende Antrag der Bundesregierung Handlungs-
maximen bezüglich der Bekämpfung von Rassismus
aufzeigt. Schade nur, dass Ihre Fraktion, liebe Kolle-
ginnen und Kollegen von der SPD, selber über Jahre
faktisch untätig geblieben ist. Denn seit der Abschlus-
serklärung der rot-grünen Bundesregierung auf der
„Weltkonferenz gegen Rassismus, Rassendiskriminie-
rung, Fremdenfeindlichkeit und damit zusammenhän-
gende Intoleranz“ in Durban im Jahr 2001 ließen sie
bis 2008 die Zeit mehr oder weniger ungenutzt ver-
streichen. Dass wir jetzt also diesen schlechten Natio-
nalen Aktionsplan gegen Rassismus haben, der durch
Ihre Fraktion mit der CDU/CSU zusammengeschustert
wurde, ist auch Ihr zweifelhaftes Verdienst.

Trotz allem kann die Linke dem Antrag selbst zu-
stimmen. Die Grundkritik wird von uns seit Jahren
geteilt: ein zu enger Rassismusbegriff, vor allem die
Reduzierung des Rassismus auf den sogenannten
Rechtsextremismus, keine überprüfbaren Maßnahmen,
keine eigenen Initiativen der Bundesregierung. Auch
die Forderungen decken sich mit den unsrigen. Die
Linke steht für die Erhebung des Ist-Stands und einen
breiteren Rassismusbegriff, konkrete Maßnahmen,
eine dem Thema adäquate Finanzierung der Maßnah-
men und antirassistischen Initiativen und der Antidis-
kriminierungsarbeit, eine Evaluierung der Maßnah-
men in kürzeren Abständen wie zum Beispiel alle zwei
Jahre sowie ein Hinterfragen der Rolle staatlicher In-
stitutionen und Praktiken. Letzteres ist aus Sicht der
Linken deshalb so wichtig, weil rassistische Kontrol-
len, Pauschalverdächtigungen und Entrechtung für
viele Flüchtlinge, Migrantinnen und Migranten alltäg-
liche Erfahrungen sind.

Diskriminierende und ausgrenzende Gesetze und
Vorschriften wie etwa das Asylbewerberleistungsge-
setz, die Residenzpflicht, faktische und tatsächliche
Arbeitsverbote stehen für die Bundesregierung aber
nicht zur Diskussion. Problematisch ist insbesondere,
dass die Bundesregierung in dem Aktionsplan die För-
derung der Integration als maßgebliches Mittel zur
Bekämpfung von rassistischen Vorurteilen ansieht. Die
Bundesregierung verkennt dabei, dass rassistische
Vorurteilsstrukturen in der Gesellschaft unabhängig
von der realen Erfahrung mit Migrantinnen und
Migranten vorhanden sind; so auch die Kritik von
etwa 100 Nichtregierungsorganisationen der Antiras-
sismus- und Migrationsarbeit im Positionspapier
„Handlungsfelder für einen Politischen Aktionsplan
gegen Rassismus“ vom Juni 2010, Seite 4, zum Bei-
spiel: http://fachinformationen. diakonie-wissen.de/
node/2966.

Anstatt die von Rassismus betroffenen Menschen
dahin gehend zu stärken, ihnen gleiche Rechte zu ge-
währen, werden sie weiter ausgegrenzt und diskrimi-
niert. Die Linke fordert deshalb, dass das Kapitel zur
Förderung der Integration von Migrantinnen und Mi-
granten aus dem Aktionsplan verschwinden muss.

Keinen Widerspruch gibt es auch hinsichtlich des
„Rasse“-Begriffs. Dazu hatte die Linke bereits 2010
einen Antrag, auf Bundestagsdrucksache 17/4036, ein-
gebracht. Die Linke forderte darin, dass der Begriff
„Rasse“ keine Aufnahme mehr findet und stattdessen
die Formulierung „ethnische, soziale und territoriale
Herkunft“ verwendet wird.

Der bestehende Nationale Aktionsplan gegen Ras-
sismus lässt nach wie vor konkrete, umsetzbare und
messbare Ziele weitgehend vermissen. Ein kleiner
Schritt in Sachen Antirassismus wäre, dem Aktions-
plan gegen Rassismus endlich einen konkreten Hand-
lungscharakter zu geben. Diese Forderung auch meh-
rerer Verbände und Initiativen unterstützt die Linke
ausdrücklich.


Monika Lazar (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723135200

Wir müssen Rassismus erkennen, beim Namen nen-

nen und konsequent ächten. Rassismus ist menschen-
feindlich und kostet auch heute noch in Deutschland
Leben. Das belegen die Erkenntnisse rund um die
rechte Terrorserie des NSU, die mindestens zehn To-
desopfer forderte. Es ist beschämend, dass die offen-
kundig rassistischen Hintergründe dieser Morde jah-
relang ignoriert und verleugnet wurden.

Insgesamt haben mindestens 182 Menschen in
Deutschland seit 1990 ihr Leben verloren, weil sie
nicht in das rassistische Weltbild der Täter passten.
Die aktuelle Strafrechtsbestimmung gegen Rassismus
führt in Deutschland immer noch dazu, dass rassis-
tisch motivierte Straftaten oft nicht als solche unter-
sucht werden.

Wir fordern die Bundesregierung auf, eine lücken-
lose Aufklärung aller rassistischen Straftaten voranzu-
treiben. Neben der Aufarbeitung des Versagens der
Sicherheitsbehörden muss entschieden und kontinuier-
lich gegen jegliche Form von Rassismus in Deutsch-
land vorgegangen werden.

Rassistische Einstellungen und gruppenbezogene
Menschenfeindlichkeit beschränken sich bei weitem
nicht auf Neonazis, sondern sind in der sogenannten
Mitte der Gesellschaft breit verankert. Wissenschaftli-
che Untersuchungen, wie die „Deutschen Zustände“
der Universität Bielefeld oder „Die Mitte im Um-
bruch“ der Friedrich-Ebert-Stiftung belegen dies:
Rassistisches Denken und eine abwertende Haltung
gegenüber anders Denkenden, Lebenden und Lieben-
den sind leider fester Bestandteil der deutschen Ge-
sellschaft.

Viele Menschen werden weiterhin Tag für Tag aus
rassistischen Gründen diskriminiert, entwürdigt und
ihrer Rechte beraubt. Rassismus bedeutet für die Be-
troffenen konkrete Benachteiligung zum Beispiel in der
Arbeitswelt oder in der Schule.

Eine Studie der Universität Konstanz von 2010 be-
legt, dass Bewerberinnen und Bewerber aufgrund ei-
nes türkischen Nachnamens bei gleicher Qualifikation
deutlich schlechtere Chancen haben.

Zu Protokoll gegebene Reden





Monika Lazar


(A) (C)



(D)(B)


Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes berich-
tet, dass sich die Fälle von ethnischer Diskriminierung
in den ersten sechs Jahren ihres Bestehens verdoppelt
haben. Die Bundesregierung muss endlich mit konkre-
ten Maßnahmen gegen jede Form von Rassismus und
andere Ideologien der Ungleichwertigkeit tätig wer-
den.

Bereits 2001 hat unter der Leitung der UN-Hochkom-
missarin für Menschenrechte die dritte Weltkonferenz
gegen Rassismus, Rassendiskriminierung, Fremden-
feindlichkeit und damit zusammenhängende Intoleranz
in Südafrika stattgefunden.

In der Abschlusserklärung hat sich die Bundesrepu-
blik Deutschland verpflichtet, einen Nationalen Ak-
tionsplan gegen Rassismus aufzustellen und konkrete
Maßnahmen zu implementieren. Mit einer sechsjähri-
gen Verspätung hat sie es erst 2007 geschafft, einen
Aktionsplan zur Bekämpfung von Rassismus, Frem-
denfeindlichkeit, Antisemitismus und darauf bezogene
Intoleranz zu erarbeiten und 2008 zu verabschieden.

Die Bundesregierung hat sich nicht nur viel Zeit für
die Erarbeitung des Aktionsplans gelassen, sondern es
auch versäumt, konkrete Ziele zu formulieren. Der Ak-
tionsplan enthält weder eine Analyse der aktuellen Si-
tuation in Deutschland noch konkrete Maßnahmen und
Instrumente zur Bekämpfung von Rassismus. Stattdes-
sen wird Rassismus mit Integrationsdefiziten von Mi-
grantinnen und Migranten gerechtfertigt und dem
Aktionsplan ein zu eng gefasster Rassismusbegriff zu-
grunde gelegt, der sich überwiegend auf rechtsextreme
Handlungen beschränkt. Dies wurde bereits 2007 von
zahlreichen Nichtregierungsorganisationen kritisiert.
Geändert hat sich daran bisher nichts.

Stattdessen zeigen die Ergebnisse der Studie „Le-
benswelten junger Muslime in Deutschland“ oder die
Plakataktion „vermisst“ des Bundesinnenministers
Friedrich, dass die Regierung weiterhin versucht, die
Migrantinnen und Migranten selbst für ihre Diskrimi-
nierungserfahrungen verantwortlich zu machen, statt
Rassismus beim Namen zu nennen und zu bekämpfen.

Mit der Implementierung des Allgemeinen Gleich-
behandlungsgesetzes und der Einrichtung der Antidis-
kriminierungsstelle des Bundes sind Schritte in die
richtige Richtung gegangen worden. Es ist aber wei-
terhin weder eine umfassende Strategie noch eine ernst
gemeinte Bekämpfung von Rassismus durch die ak-
tuelle Bundesregierung festzustellen. Rassismus darf
sich nicht in unserer Gesellschaft breitmachen, und
Menschen dürfen nicht länger aufgrund von Zuschrei-
bungen ausgegrenzt und benachteiligt werden.

Der Antrag der SPD verweist deshalb zu Recht auf
eine dringend notwendige Weiterentwicklung des Ak-
tionsplans, die Bündnis 90/Die Grünen unterstützen.
Notwendig sind eine konsequente und offene Aus-
einandersetzung mit Rassismus sowie eine umfassende
Analyse der aktuellen Situation in Deutschland und ein
kontinuierliches Monitoring.

In einem zweiten Schritt gilt es, konkrete und ver-
bindliche Maßnahmen und Instrumente zur Bekämp-
fung von Rassismus zu implementieren. Ein konsequent
umgesetzter Nationaler Aktionsplan gegen Rassismus
wäre ein wichtiges Signal, dass sich die Politik in
Deutschland klar und eindeutig gegen Rassismus posi-
tioniert.

Um Rassismus und andere menschenfeindliche Hal-
tungen erfolgreich zu bekämpfen, brauchen wir aber
insbesondere eine starke Zivilgesellschaft und die Ver-
stetigung bisher bereits erfolgreich arbeitender Struk-
turen. Kontinuierliche Aufklärung, Sensibilisierung,
Beratung und politische Bildung müssen ermöglicht
und ausreichend finanziert werden.

Wir fordern deshalb ein Bundesprogramm gegen
gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, das mit
50 Millionen Euro jährlich ausgestattet und langfristig
angelegt ist.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723135300

Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf

Drucksache 17/9975 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 22 auf:

Zweite Beratung und Schlussabstimmung des
von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs
eines Gesetzes zu dem Handelsübereinkom-
men vom 26. Juni 2012 zwischen der Europäi-
schen Union und ihren Mitgliedstaaten einer-
seits sowie Kolumbien und Peru andererseits

– Drucksache 17/12354 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschus-

(9. Ausschuss)


– Drucksachen 17/12810, 17/12875 –

Berichterstattung:
Abgeordneter Klaus Barthel

Hierzu liegt ein Entschließungsantrag der Fraktion
der SPD vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. Gibt es Wi-
derspruch? – Das ist nicht der Fall. Dann ist das so be-
schlossen.

Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner das Wort dem Kollegen Dr. Martin Lindner.


(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Der ist nicht da! Er hat die Rede zu Protokoll gegeben!)


– Der Kollege Dr. Martin Lindner soll die Rede zu Pro-
tokoll gegeben haben.1)

1) Anlage 4





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)



(Dr. Heinrich L. Kolb [FDP]: Ja, das hat er mir gerade versichert!)


– Das werden wir feststellen.

Dann hat jetzt das Wort der Kollege Klaus Barthel für
die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Klaus Barthel (SPD):
Rede ID: ID1723135400

Herr Präsident, vielleicht bekomme ich ein bisschen

Redezeit vom Kollegen Lindner. Die könnten wir gut ge-
brauchen. – Meine Damen und Herren! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Wir haben die Frage eines Handels-
übereinkommens mit Kolumbien und Peru im Ausschuss
ungewöhnlich emotional behandelt. Angesichts der Vor-
geschichte ist es komisch, dass wir dieses Thema zu die-
ser späten Stunde beraten. Wenn dieses Abkommen, wie
wir sicher von Vertretern der Koalition heute noch hören
werden, so unproblematisch und gut wäre, wenn das Ab-
kommen so wichtig wäre, dass es unbedingt heute verab-
schiedet werden sollte, wenn es gute Gründe für die Eile
und Hektik gäbe, die dazu führte, dass wir nicht einmal
die Anhörung vernünftig auswerten konnten, dann ist
insgesamt doch die Frage: Warum verstecken Sie die
Diskussion am heutigen Donnerstagabend unter einem
der letzten Tagesordnungspunkte? Offensichtlich gibt es
doch etwas zu diskutieren.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass wir uns über die
grundsätzliche Bedeutung dessen klar werden, was wir
heute diskutieren. Denn nach dem Scheitern der WTO-
Runde in Doha wird die Zahl der bilateralen und biregio-
nalen Abkommen zunehmen.

Für uns stellt sich die Frage: Wie gestalten wir, wie
gestaltet die Europäische Union ihren Anspruch, um die-
sem Abkommen und anderen internationalen Abkom-
men zu den Menschenrechten und den sozialen und öko-
logischen Standards, zum Beispiel den ILO-Standards,
zum Durchbruch zu verhelfen? Wie wollen wir zum Bei-
spiel die Entschließung des Bundestages – wir waren
schon einmal weiter – vom 16. Juni 1999 umsetzen? Da-
mals ging es um das Partnerschaftsabkommen mit Me-
xiko. Da hieß es – ich darf zitieren –:

Aus menschenrechtlicher und humanitärer Sicht
sollte verstärkt auf die Implementierung der men-
schenrechtsbezogenen Vereinbarungen des Abkom-
mens geachtet werden. Aus diesem Grunde sollten
regelmäßige Konsultationen, regelmäßige Berichte
und ein Monitoring der Menschenrechtslage unter
Einbeziehung mexikanischer Nichtregierungsorga-
nisationen seitens der EU vereinbart werden.

Das war vor fast 15 Jahren. Damaliger Berichterstat-
ter war der Kollege Fritz, der gleich sprechen wird. Er
wird sich vor seinen eigenen Reihen rechtfertigen müs-
sen, dass CDU/CSU und FDP dem Beschluss damals zu-
gestimmt haben.

Heute stellt sich die Frage: Was ist zum Beispiel im
Fall von Mexiko geschehen, um den Menschenrechten,
der Sicherheit usw. zum Durchbruch zu verhelfen – au-
ßer dass deutsche Waffen dorthin geliefert wurden?

Wir müssen darüber reden, wie wir es schaffen, die
entsprechenden Standards in einem solchen Abkommen
zu verankern. Das Abkommen, über das wir heute reden,
hat viele Seiten. Es enthält viele Details, viele Begriffs-
bestimmungen, viele Verpflichtungen: Ausschüsse, Un-
terausschüsse, Streitschlichtung. Fast alle Artikel – 310
von 337 Artikeln – drehen sich nur um Handelsfragen
und um Detailfragen. Was aber fehlt, ist Verbindliches
zur Menschenrechtsfrage, zu den Standards, die ich an-
gesprochen habe. Es fehlen auch Maßnahmen zur Geld-
wäschebekämpfung usw.

Jetzt sagen Sie: Was maßen wir uns eigentlich an,
über Menschenrechte und Arbeitsstandards in Kolum-
bien und Peru zu diskutieren? Ist das nicht Neokolonia-
lismus? Diese Debatte hatten wir ja geführt.

Dazu kann ich nur sagen: Wenn man durch solche de-
taillierten Vereinbarungen in das Wirtschaftsleben ande-
rer Länder eingreift, wenn man den Handel liberalisiert
und Vereinbarungen zum Agrarhandel, zu Industrie-
dienstleistungen, zur Daseinsvorsorge, zum öffentlichen
Auftragswesen, zu Agrarexporten und zu Fragen der Pri-
vatisierung trifft, dann verändert das die Lebensverhält-
nisse der Menschen dort ganz enorm. Gerade in Ländern
wie Peru und Kolumbien, wo es maximale Ungleichheit,
Gewalt, Kriminalität, Unterdrückung von Gewerkschaf-
ten und von Minderheiten sowie einen schwachen
Rechtsstaat gibt, wäre eine solche Rahmensetzung un-
mittelbar notwendig gewesen; denn sonst sind wir wie-
der beim Kolonialismus.

Es geht nicht darum, dass jetzt plötzlich peruanische
oder kolumbianische Bauunternehmen auf deutschen
Baustellen ihre Dienste anbieten, sondern es geht darum,
dass dort Leistungen erbracht werden. Wenn dort solche
Verhältnisse auch bei europäischen Anbietern herrschen
und nichts bei der Sicherheit, im Bereich der Arbeitneh-
merrechte sowie bei sozialen und ökologischen Stan-
dards geschieht, dann sind wir beim Kolonialismus.

Es geht nicht darum, in die Rechte anderer Ländern
einzugreifen. Vielmehr sollten wir für die notwendigen
Rahmensetzungen sorgen, um Liberalisierungen, um den
Freihandel tragfähig zu machen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


In den beiden Ländern, um die es hier geht, gibt es
Reform- und Friedensprozesse. Das unterstützen wir.
Aber die Roadmap, die das Europäische Parlament be-
schlossen hat, ist nicht verbindlich genug, um diese Re-
formprozesse – in diesem Zusammenhang gibt es immer
noch Opposition und Gewalt – nachhaltig zu unterstüt-
zen.

Deswegen haben wir heute einen Entschließungsan-
trag eingebracht. Wir werben dafür, ihn zu unterstützen.
Wir können dem Freihandelsabkommen in der heute
vorliegenden Fassung nicht zustimmen.





Klaus Barthel


(A) (C)



(D)(B)



(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723135500

Das Wort hat der Kollege Erich Fritz von der CDU/

CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Endlich einer, der was versteht!)



Erich G. Fritz (CDU):
Rede ID: ID1723135600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herzlichen Dank an alle, die heute Abend noch den Weg
hierhin gefunden haben!


(Martin Burkert [SPD]: So schwer ist das nicht!)


Herr Kollege Barthel, Sie haben wieder versucht, zu
unterstellen, wir hätten nicht ausreichend Zeit gehabt; es
sei gar nicht möglich gewesen, sich mit der Sache richtig
auseinanderzusetzen. Richtig ist, dass dieses Thema na-
türlich nicht spontan und kurzfristig auf die Tagesord-
nung kam, sondern dass wir uns schon lange damit be-
schäftigen. Das ist mandatiert worden. Es ist auch kein
Abkommen, das die Europäische Union Peru und Ko-
lumbien aufgezwungen hat. In Ihrer Rede klang es fast
so, als wenn das etwas gewesen wäre, das man diesen
Ländern mit Gewalt hätte beibringen müssen.

Nein, das ist schon ein Abkommen zwischen souverä-
nen Partnern. Das muss man, glaube ich, akzeptieren,
damit man sich nicht selbst erhebt und überheblich mit
den Vertragspartnern umgeht. Das haben sie nicht ver-
dient.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Denn in beiden Staaten sind – Sie haben es selbst gesagt –
Prozesse in Gang, die wir mit großem Interesse, zum
Teil mit Sympathie, aber auch mit Kritik, begleiten.

Es gibt keinen Zweifel, dass es Länder sind, in denen
es viele Missstände gibt und grundlegende Standards
zum Teil nicht eingehalten werden, und dass wir allen
Anlass haben, nicht wegzuschauen, sondern uns zu küm-
mern. Aber zu unterstellen, jeder, der für dieses Abkom-
men ist, sei gegen die Verwirklichung der Menschen-
rechte in diesen Ländern,


(Klaus Barthel [SPD]: Zumindest nicht dafür! – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sie setzen sie aufs Spiel!)


gegen Umweltstandards und gegen Sozialstandards, ist
ein bisschen übel. Ich nehme es auch übel, wenn dies so
verbreitet wird. Dann müssen Sie nämlich Ihren Kolle-
gen der SPD und in der Sozialistischen Fraktion im Eu-
ropäischen Parlament sagen: Ihr habt alle nicht verstan-
den, worum es geht.


(Klaus Barthel [SPD]: Wären Sie denn bereit, eine solche Resolution in Europa mit zu beschließen?)


– Darauf komme ich gleich. – Denn das Europäische
Parlament hat mit fast drei Viertel der Stimmen gegen
die Stimmen der europäischen Grünen und der Linken
diesem Abkommen zugestimmt.

Ich wiederhole, was ich schon im Wirtschaftsaus-
schuss gesagt habe: In Wirklichkeit ist dieses Abkom-
men ein revolutionäres Abkommen,


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Sehr revolutionär! Venezuela ist revolutionär!)


weil es ein solches in der Geschichte der Freihandelsab-
kommen noch nie gab. Wenn Sie sehen, wie China mit
lateinamerikanischen Ländern Verträge schließt, dann
müssen Sie doch zu einer etwas abgewogeneren Position
kommen, als Sie sie jetzt einnehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Klaus Barthel [SPD]: Wollen Sie das jetzt mit China vergleichen?)


– Nein, ich will es nicht mit China vergleichen. Ich will
nur sagen, welche Chancen für die beiden Länder in die-
sem Abkommen stecken, was auch der Grund dafür ist,
dass sie sie abgeschlossen haben.

Denn worum geht es bei diesem Abkommen, zu-
nächst einmal im Freihandelsteil? Welche Vorteile gibt
es dabei? Natürlich hat es für uns Vorteile: für Deutsch-
land und die europäischen Länder, aber auch für Kolum-
bien und Peru. Das wissen Sie; Sie waren selbst dort.


(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Für wen in Kolumbien?)


– Zunächst einmal für diese Länder, die einen Entwick-
lungspfad verfolgen. Auf diesem Entwicklungspfad hal-
ten sie es auch für wichtig, die einseitige Bindung zu den
USA – auch die wirtschaftliche Bindung über Wanderar-
beiter und Importe – zu verändern. Sie wollen Europa als
Partner. Das ist doch etwas, worin viele Chancen ste-
cken, und die müssen wir erst einmal wahrnehmen.

Dann hat die Europäische Kommission gesagt: Ihr
müsst uns gar nicht mit Abkommen kommen, die nur
reine Freihandelsabkommen sind.


(Klaus Barthel [SPD]: Es steht aber nichts anderes Gescheites darin!)


– Aber natürlich steht etwas anderes darin.


(Klaus Barthel [SPD]: Wo denn?)


– Wenn Sie es nicht gelesen haben, dann sollten Sie auch
nicht darüber reden.

Es ist das erste Abkommen überhaupt, in dem etwas
zu Menschenrechten und zu Standards enthalten ist.


(Klaus Barthel [SPD]: Ja, irgendetwas!)


Freilich ist es asymmetrisch.


(Thilo Hoppe [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, eben!)


Aber haben wir denn das, was Sie wollen, wirklich in
der Hand, nämlich einen so langen Hebel, dass man
diese Länder veranlassen kann, genau das zu machen,





Erich G. Fritz


(A) (C)



(D)(B)


was Sie wollen? Wenn Sie das glauben, dann haben Sie
wirklich keine Vorstellung davon, wie solche Verhand-
lungen ablaufen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir beklagen gemeinsam, dass wir mit dem multilate-
ralen System nicht vorankommen. Wir beklagen das vor
allem, weil wir glauben, dass multilaterale Übereinkom-
men dem Schutz der kleineren Staaten dienen und sie als
Verpflichtung für alle bilateralen Abkommen vorzuzie-
hen sind.

Wir haben aber gemerkt, dass alle Ansätze der Euro-
päischen Union, wenigstens biregional vorzugehen, wenn
ein multilaterales Vorgehen schon nicht möglich ist,
nicht funktionieren, weil es vergleichsweise homogene
Regionen mit einem ähnlich hohen Integrationsstand wie
in der Europäischen Union auf der Welt nicht noch ein-
mal gibt. Deshalb klappt das mit ASEAN nicht, und des-
halb hat das auch mit Mercosur und den Andenstaaten
nicht geklappt. Wenn es nun aber zwei Staaten in einer
solchen Region gibt, die sagen: „Für uns steckt eine
große Chance darin, wenn wir das zu zweit machen“,
dann finde ich es nicht in Ordnung, wenn das zunächst
einmal hauptsächlich diskreditiert wird. Dann muss man
schauen, dass man aus den Prozessen, die dadurch mög-
lich werden, das Beste macht.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Barthel [SPD]: Was machen Sie denn jetzt daraus?)


– Ich will Ihnen nur Folgendes sagen: Wir waren uns
hier immer einig, dass wir hohe Standards haben. Wir
haben früher an vielen Stellen versucht – dazu haben Sie
gerade ein Zitat angeführt –, die Sache voranzubringen.
Sascha Raabe weiß das. Er war auf einer WTO-Konfe-
renz, auf der die Entwicklungsländer gesagt haben:
Wenn nur Sozialstandards und Umweltstandards auf der
Tagesordnung stehen, dann fahren wir wieder nach
Hause.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Die Regierungen der Entwicklungsländer haben das gesagt!)


– Ja. Wer handelt denn? – Und heute haben wir ein Ab-
kommen, in dem so etwas steht. Wenn das kein Fort-
schritt ist, dann weiß ich nicht, womit man zufrieden
sein soll. Dass man das nicht abhaken und zur Tages-
ordnung übergehen kann, sondern Dialogprozesse, die
weiterführen, in Gang bringen muss, ist doch klar. Tat-
sächlich ist vorgesehen, dass das Abkommen sogar aus-
gesetzt werden kann, wenn da nichts passiert.


(Zuruf des Abg. Dr. Sascha Raabe [SPD])


– Schauen Sie doch einmal genau hinein.


(Dr. Sascha Raabe [SPD]: Haben wir!)


Dass jemand, der für einen ganz hohen, lupenreinen
Standard eintritt, das nicht ideal findet, ist verständlich.
Mit einem solchen Anspruch kann man vielleicht Wahl-
kämpfe führen, damit kann man auch Kampagnen ge-
stalten, aber damit kann man leider keine Fortschritte im
konkreten Umgang mit den Partnern erzielen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Dazu muss man den Partnern schon auf Augenhöhe be-
gegnen und angemessene Verhaltensweisen an den Tag
legen. Und nicht jede Verhaltensweise, die ich in dieser
Hinsicht in den letzten Monaten gesehen habe, ist geeig-
net, das Verhältnis zu Partnern so zu gestalten, dass man
bei den entscheidenden Punkten Einfluss hat.

Deshalb bitte ich Sie sehr, sich noch einmal zu überle-
gen, wie Sie mit diesem Abkommen umgehen wollen.
Sie können mit Ihrem Verhalten innenpolitisch durchaus
Punkte sammeln. Sie können auch so tun, als ob
Deutschland in der Lage wäre, dieses Abkommen schei-
tern zu lassen. Wir sind aber in nur drei kleinen, aber we-
sentlichen Punkten zuständig, zum Beispiel hinsichtlich
der Nichtverbreitung von Massenvernichtungswaffen.
Das gemischte Abkommen können Sie höchstens so in-
terpretieren, dass Sie sagen: Die Aussage zu Standards
rechtfertigt auch schon ein eigenes Verfahren. – Tatsache
ist aber, dass das Abkommen aufgrund der Ratifizierung
durch das Europäische Parlament in Kraft ist.

Mit Ihrem Entschließungsantrag ziehen Sie – das ist
durchaus verständlich und parteipolitisch völlig in Ord-
nung – die moralische Fahne auf. Ihr Entschließungsan-
trag leidet aber darunter, dass er an der Substanz, an
dem, was machbar ist, nichts verändert. Im Gegenteil: Er
verstellt den Blick für das, was man wirklich machen
könnte. Dass Sie uns nun auffordern, die Bundesregie-
rung bei dem jetzigen Stand des Ratifizierungsverfah-
rens zu veranlassen, das Paket, das auf dem Tisch liegt
und vom Europäischen Parlament beschlossen wurde
– es wurde übrigens auch vom Bundesrat einstimmig be-
schlossen, also auch mit den Stimmen der SPD und der
Grünen –, noch einmal aufzuschnüren und neu zu ver-
handeln, kann man nur als Aktionismus verbuchen, aber
nicht als ernsthafte Politik.

Ich bin der Überzeugung, dass dieses Abkommen
– wie alle Freihandelsabkommen – Chancen für beide
Seiten birgt. Auch bin ich davon überzeugt, dass es Ri-
siken beinhaltet. Es gibt überhaupt keine Einordnung ei-
nes Entwicklungslandes in die Weltwirtschaft, die ohne
schwierige Anpassungsprozesse verläuft. Übrigens fand
die Eingliederung Deutschlands in die internationale Ar-
beitsteilung auch nicht ohne solche Anpassungspro-
bleme statt. Wenn wir die Vorstellung vom Festhalten an
Strukturen gehabt hätten, wie Sie sie haben, gäbe es
zwar im Münsterland immer noch viele Textilbetriebe;
aber die Leute wären leider arm. Vielleicht hätten wir
dann auch noch Stahlwerke. Dies würde uns aber nicht
helfen. Weiter hätten wir noch viel Konsumgüterindust-
rie; aber die Leute könnten die Produkte nicht kaufen.

Wenn Sie Asien bzw. Südasien als Beispiel nehmen,
können Sie feststellen, dass die Integration in die inter-
nationale Arbeitsteilung und in den Welthandel auch
neue Partizipationsbestrebungen der Bevölkerung aus-
löst. Weiter werden Sie feststellen, dass diese Prozesse
nicht zu gestalten sind, wenn die Regierungen nicht um-
schalten und in die Menschen – in Bildung und Gesund-
heit – sowie in die Infrastruktur und die Entwicklung ih-
res Landes investieren. Wenn das aber geschieht, werden





Erich G. Fritz


(A) (C)



(D)(B)


sie fähig sein, viel mehr dieser Prozesse selbst in die
Hand zu nehmen.

Wenn man diese Zusammenhänge ausblendet und
meint, man müsse nur Instrumente finden, mit denen
man von außen diese Dinge beeinflussen und sozusagen
erzwingen kann, wird das keinen Erfolg haben,


(Klaus Barthel [SPD]: Alles andere erzwingen wir auch von außen!)


sondern dann wird man höchstens Vorurteile oder Vorbe-
halte zu spüren bekommen. Man wird dann nichts ver-
bessern.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723135700

Das Wort hat jetzt die Kollegin Heike Hänsel von der

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723135800

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Fakt

ist: Wir stimmen heute Abend über ein Freihandelsab-
kommen mit Peru und Kolumbien ab, womit sich die
Europäische Union einen verbesserten Zugang zu den
Absatzmärkten, zu den Rohstoffen und zu billigen Ar-
beitskräften in Lateinamerika sichern will.

Sie sprechen hier, Herr Fritz, von Kolumbien und
Peru. Sie haben die Frage nicht beantwortet: Für wen
machen Sie denn Politik? Sie machen hier Politik für die
Reichen und Vermögenden, für eine kleine Elite in Ko-
lumbien und Peru –


(Zurufe von der CDU/CSU: Quatsch!)


genauso wie Sie es in Europa machen. Deswegen lehnen
wir diese Politik ab.


(Beifall bei der LINKEN)


Es sind vielleicht 2 bis 3 Prozent der Bevölkerung, die
von diesem Abkommen profitieren werden. Für die
Mehrheit der Bevölkerung in diesen Ländern wird es
verheerend sein, weil sie ihre Existenzgrundlagen verlie-
ren. Das ist uns in den Anhörungen ausführlich erklärt
worden.

Ich muss noch einen Satz dazu sagen: Ich war als Ent-
wicklungspolitikerin das erste Mal bei einer solchen An-
hörung im Wirtschaftsausschuss und war schockiert über
das Verhalten von Mitgliedern der Fraktionen der Koali-
tion.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie fühlten sich von Experten belästigt, die ihnen über
die sozialen Folgen dieser Abkommen berichtet haben.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Pfui!)

Diese Mitglieder Ihrer Fraktionen haben gesagt: Wir
können das hier beenden, wir können das abkürzen, wir
wollen jetzt abstimmen. – Sie waren nicht einmal bereit,

die Leute, die wir aus verschiedenen Ländern eingeladen
haben, ausreden zu lassen bzw. sie anzuhören. Das wis-
sen Sie ganz genau. Es war eine wirklich unwürdige Dis-
kussion, die Sie dort organisiert haben.

Das zeigt ganz klar: Sie haben kein Interesse, sich mit
den Rechten der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Hört! Hört!)

mit sozialen Rechten und mit Entwicklung auseinander-
zusetzen. Das belästigt Sie nur.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Ignoranten!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723135900

Frau Kollegin Hänsel, erlauben Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Hinsken?


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723136000

Ja.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723136100

Bitte schön.


Ernst Hinsken (CSU):
Rede ID: ID1723136200

Frau Kollegin Hänsel, widersprechen Sie mir, wenn

ich feststelle, dass wir uns in dieser Angelegenheit drei-
mal zu Anhörungen getroffen haben und dass Sie meis-
tens durch Abwesenheit geglänzt haben? Einmal waren
Sie da, und jetzt plärren Sie große Töne hinaus. So geht
es doch wirklich nicht. Sie treffen hier eine Schuldzu-
weisung, die hinten und vorne nicht stimmt. Sie haben
keine Ahnung, wie Anhörungen durchzuführen sind; es
gab da eine zeitliche Vorgabe. Ich bitte Sie, dies zur
Kenntnis zu nehmen und nicht so daherzureden, wie Sie
es eben getan haben. Sie haben gesagt, dass man die
Sachverständigen überhaupt nicht hätte zu Wort kom-
men oder dass man sie nicht hätte ausreden lassen. Das
entspricht nicht der Wahrheit; das ist falsch.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Das ist unwahr, was Sie da behaupten! Das stimmt doch gar nicht, was Sie sagen!)


Ich bitte Sie, das sofort zurückzunehmen.


(Beifall des Abg. Dr. Heinrich L. Kolb [FDP])



Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723136300

Ich nehme das überhaupt nicht zurück. Ihr halbstarkes

Auftreten hier trägt dem auch gar nicht Rechnung; das
sage ich Ihnen.


(Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Bravo!)


Wir sind hier nicht im Bayerischen Landtag oder sonst
wo,


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Genau!)

sondern wir führen hier ernsthafte Auseinandersetzun-
gen.





Heike Hänsel


(A) (C)



(D)(B)



(Volkmar Klein [CDU/CSU]: Dann müsst ihr aber mal langsam anfangen!)


Sie als Vorsitzender des Ausschusses hatten die Sache
leider nicht im Griff. Sonst hätten Sie Ihre eigenen Kol-
legen einmal ermahnt.


(Widerspruch bei der CDU/CSU – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Tata! Tata! Tata!)


Erstens war ich bei beiden Anhörungen dabei, und
zweitens kann ich Ihnen die Namen nennen. Es waren
Herr Lindner, Herr Solms und Frau Homburger, die ge-
nervt waren und sagten: Wir können zum Ende kommen. –
Sie haben ihre Kopfhörer abgenommen und gesagt: Das
sind Schwätzer; wir wollen den Leuten nicht mehr zuhö-
ren.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Hört! Hört! Unverschämt!)


Ich habe das gehört. Das ist kein Umgang miteinander.
So will ich mich nicht ernsthaft mit Ihnen über die Aus-
wirkungen von Entwicklung auseinandersetzen.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich kann Ihnen nur sagen: Da haben Sie ein sehr schlech-
tes Bild abgegeben.

Jetzt würde ich gerne mit meiner Rede fortfahren. Sie
können sich wieder hinsetzen. Herzlichen Dank.


(Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Setzen Sie sich hin, Herr Hinsken! – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Bei Ihnen ist wirklich Hopfen und Malz verloren! Sie kapieren es nie!)


Ich bitte Sie, Herr Präsident, zu erlauben, dass ich
fortfahre. Ich möchte nämlich gerne noch auf einen wei-
teren Aspekt zu sprechen kommen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723136400

Ich bremse Sie nicht. Sie können ruhig fortfahren.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723136500

Danke schön.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723136600

Bitte.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723136700

Erst heute Morgen hatte ich Besuch von zwei kolum-

bianischen Menschenrechtsaktivisten.


(Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Oh, sind Sie toll!)


Sie haben mich noch einmal eindrücklich davor gewarnt,
dieses Abkommen zu unterzeichnen. Sie alle wissen ja:
Es geht nicht nur um die Frage, ob es in Kolumbien zu-
künftig Menschenrechtsverletzungen geben wird. Ko-
lumbien ist jetzt für Gewerkschafter immer noch das ge-
fährlichste Land der Welt. Jährlich werden Dutzende von
Gewerkschaftern ermordet. Im Jahr 2011 wurden 69 Ge-

werkschafter aufgrund ihrer gewerkschaftlichen Tätig-
keit ermordet. Wie wollen Sie garantieren, dass die
Rechte von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in
diesem Land überhaupt durchgesetzt werden?

Außerdem kommt es zu Vertreibungen von Kleinbau-
ern und Kleinbäuerinnen. Es gibt in Kolumbien 6 Millio-
nen Hektar illegales Land und 5 Millionen vertriebene
Menschen, die aufgrund von Profitinteressen, etwa weil
dort Ölpalmen angebaut werden sollen, kein Land mehr
zur Verfügung haben. Viele Menschen werden von Pa-
ramilitärs eingeschüchtert, und es herrscht große
Straflosigkeit. Wie wollen Sie es verantworten, jetzt
ein Freihandelsabkommen mit diesem Land und mit
Peru abzuschließen? Das geht nicht! Sie tragen Verant-
wortung für diese Situation.


(Beifall bei der LINKEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie haben doch von Verantwortung keine Ahnung!)


Herr Fritz, Sie sagten, das alles sei auf gleicher Au-
genhöhe geschehen. Ich will Ihnen sagen: Venezuela und
Bolivien haben sich, weil sie erkannt haben, was für eine
Ausbeutungspolitik hier betrieben wird, ganz bewusst
gegen Freihandelsabkommen gewandt und andere Vor-
schläge gemacht. Beide Länder hatten keine Möglich-
keit, in irgendeiner Form zu anderen Verhandlungen zu
kommen. Dann wurden sie ausgeschlossen. Es gab keine
Möglichkeit, auf gleicher Augenhöhe zu verhandeln. Die
EU hat diktiert.


(Erich G. Fritz [CDU/CSU]: Das stimmt doch gar nicht! Das ist falsch!)


Nur die Länder, die sich den Interessen der EU unterwer-
fen, haben die Möglichkeit, zu handeln. Diese neokolo-
niale Politik lehnen wir ab.


(Beifall bei der LINKEN – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Ach, du Schande! – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Genau! Wie bei Zypern! – Volkmar Klein [CDU/CSU]: Mein Schmerzensgeld ist bald aufgebraucht!)


Ich komme zum Schluss. Wir stimmen natürlich ge-
gen das Freihandelsabkommen. Das tun wir übrigens im
Namen vieler sozialer Bewegungen in Lateinamerika
und in Europa, die gegen die Politik, die Sie organisieren
wollen, in zunehmendem Maße auf die Straße gehen.


(Beifall bei der LINKEN – Sevim Dağdelen [DIE LINKE]: Kriminelle Politik!)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723136800

Das Wort hat der Kollege Thilo Hoppe vom Bünd-

nis 90/Die Grünen.


Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723136900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sollten einmal kurz durchatmen und uns wieder dem
Handelsabkommen mit Peru und Kolumbien widmen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will klarstellen: Wir Grünen sind grundsätzlich
für Handelsabkommen. Wir sehen im Handel die Mög-





Thilo Hoppe


(A) (C)



(D)(B)


lichkeit, den Wohlstand für alle Beteiligten zu mehren,
wenn die Bedingungen stimmen. Die Kanzlerin hat so-
gar selber einmal eine UN-Charta für menschenrechtsba-
siertes nachhaltiges Wirtschaften vorgeschlagen.

Wir müssen uns, wenn es darum geht, ob wir Han-
delsabkommen abschließen, doch die Frage stellen, was
diese Abkommen, die wir abschließen wollen, bewirken
und welche Auswirkungen sie haben. Herr Fritz, es geht
nicht darum, zu beurteilen: „Ist ein Land menschenrecht-
lich weit entwickelt?“, und zu überlegen: „Benutzen wir
das jetzt als einen Hebel, um etwas zu verändern?“ – Wir
müssen aber die direkten Auswirkungen der Verträge,
die wir abschließen, untersuchen. Sogar eine Folgeab-
schätzung der Europäischen Kommission ist zu dem Er-
gebnis gekommen, dass dieses Handelsübereinkommen
drei gravierende negative Auswirkungen haben kann.


(Andreas G. Lämmel [CDU/CSU]: Kann!)


– Ja, höchstwahrscheinlich haben wird; so etwas kann
man nie mit Sicherheit sagen. – Die erste Folge – das ist
schon erwähnt worden –: Mit diesem Abkommen wer-
den nach einer Blaupause, die älter als 20 Jahre ist, der
Bankensektor und die Kapitalzuflüsse liberalisiert. Wir
sind inzwischen eigentlich weiter: Wir merken an den
vielen Krisen, die wir gerade erleben, dass mehr Regu-
lierung notwendig ist. Mehrere Experten sagen uns:
Wenn dieses Abkommen umgesetzt wird, werden Geld-
wäsche und Steuerhinterziehung erleichtert. Das steht im
Gegensatz zu dem Trend, der momentan diskutiert wird.

Die zweite Folge: Durch dieses Abkommen werden
Peru und Kolumbien gezwungen, mehr als 90 Prozent
ihrer Einfuhrzölle zu kassieren. Das heißt, sie können
sich nicht mehr wehren, wenn zum Beispiel hochsub-
ventionierte Agrarexporte aus der Europäischen Union
ihre Märkte überschwemmen. Wir haben im Entwick-
lungsausschuss schon viel darüber diskutiert, welche
gravierenden negativen Folgen es hat, wenn zu Dum-
pingpreisen zum Beispiel Milchpulver und andere
Agrarprodukte die Märkte überschwemmen. Peru und
Kolumbien werden, wie gesagt, nicht mehr die Möglich-
keit haben, sich mit Zöllen dagegen zu wehren. Das wird
für die kleinbäuerliche Landwirtschaft in Peru und Ko-
lumbien – diese Kleinbauern haben keine große Lobby –
höchstwahrscheinlich gravierende Folgen haben. Die
großen Agrarexporteure an der Küste können von dem
Abkommen möglicherweise profitieren; aber die Klein-
betriebe werden höchstwahrscheinlich in den Ruin ge-
trieben.

Die dritte Folge: Ein Bereich wird durch dieses Ab-
kommen wahrscheinlich stimuliert: der Bergbau. Wir
sind schon mit mehreren Delegationen in der Yana-
cocha-Goldmine und sonst wo in Peru gewesen. Es gibt
dort überall große Konflikte: Teilweise werden indigene
Kleinbauern zwangsumgesiedelt für die Ausweitung des
Bergbaus, teilweise werden Flüsse verseucht. Bei einer
weiteren Stimulierung dieses Sektors sind also soziale
und ökologische Verwerfungen zu befürchten.

Wir haben uns in der Grünenfraktion viel Zeit genom-
men: Wir haben ein Jahr lang mit Wissenschaftlern, mit
Experten, mit NGOs – auch mit Wirtschaftsvertretern –

über ein Positionspapier zur Neuausrichtung der Han-
delspolitik beraten und dieses beschlossen. Da sagen wir
ganz klar, dass Folgendes verändert werden muss:

Es braucht mehr Transparenz: Jeder muss mitverfol-
gen können, was da eigentlich verhandelt wird.

Es muss verbindliche Folgeabschätzungen geben –
nicht nur vor dem Abkommen, sondern auch wenn man
die ersten Erfahrungen gesammelt hat, was dieses Ab-
kommen anrichtet.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Im Falle negativer Auswirkungen muss es Klauseln ge-
ben, die es ermöglichen, einige Passagen im Vertrag zu
verändern.

Im Handelskapitel gibt es mehrere solcher Klauseln.
Dort, wo es um Sozialstandards, Umweltstandards,
Menschenrechtskriterien geht, bleibt es bei den schönen
Worten einer Präambel; für diese Bereiche sind keinerlei
Streitschlichtungsmechanismen, keinerlei Sanktionsme-
chanismen vorgesehen.

Wenn man dieses Abkommen an dem Raster misst, das
wir in der Grünenfraktion mit Wirtschaftsexperten, Ent-
wicklungsexperten, Menschenrechtsexperten einstimmig
beschlossen haben, muss man dieses Abkommen durch-
fallen lassen. Die Folgen, gerade für verletzliche Grup-
pen, können so gravierend sein, dass es nicht zu verant-
worten ist, dieses Abkommen in der jetzigen Form
passieren zu lassen.

Deshalb wollen wir Nachverhandlungen. Dies ist
auch möglich. Es gibt unterschiedliche Rechtsauffassun-
gen, was passiert, wenn der Bundestag das Abkommen
ablehnt. Ob dann das ganze Abkommen hinfällig wird
– und neu verhandelt werden muss – oder nur ein Teil
hinfällig wird, ist noch nicht geklärt.

Ich bin sehr froh, dass alle drei Oppositionsfraktionen
dieses Abkommen ablehnen werden. Das ist ja ein Pro-
zess, der durch Anhörungen stimuliert wird. Ich hoffe,
dass wir jetzt vielleicht auch über den Bundesrat agieren
können und dieses Abkommen tatsächlich noch aufhal-
ten oder zumindest Nachverhandlungen erreichen kön-
nen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das wäre sehr gut. Dann käme es vielleicht zu einer
neuen Handelspolitik der Europäischen Union: zu einer
Handelspolitik mit wirklich menschlichem Antlitz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723137000

Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat

das Wort der Kollege Dr. Sascha Raabe.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)



Dr. Sascha Raabe (SPD):
Rede ID: ID1723137100

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnen

und Kollegen! Trotz später Stunde erleben wir in diesem





Dr. Sascha Raabe


(A) (C)



(D)(B)


Moment eine wahrlich historische Stunde: Zum ersten
Mal in der Geschichte kann der Bundestag als nationales
Parlament bei einem Handelsabkommen, das normaler-
weise Gemeinschaftsaufgabe der Europäischen Union
ist, mitbestimmen.

Dieses Recht haben wir uns hart erstritten. Der Kol-
lege Fritz hat zu Recht gesagt, dass er und ich und einige
Kollegen uns schon seit über zehn Jahren mit dem Han-
delsbereich beschäftigen. Wir haben uns gegenüber dem
Europäischen Parlament und der Europäischen Kommis-
sion immer dafür eingesetzt, dass der Bundestag hier
mitbestimmen darf.

Das haben wir aber nie aus Selbstzweck getan, nach
dem Motto „Hauptsache, wir wollen mitreden“, sondern
für uns Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten war
das deshalb wichtig, weil wir immer auch in der WTO
verankert haben wollten, dass Freihandel immer mit kla-
ren ökologischen, sozialen und menschenrechtlichen
Standards einhergeht und dass diese auch in den Frei-
handelsabkommen verbindlich verankert werden, damit
der Handel eben allen zugute kommt, auch den armen
und ärmsten Menschen und nicht nur den Unternehme-
rinnen und Unternehmern.

Deswegen: Wenn wir heute als SPD-Fraktion dieses
Abkommen ablehnen und die Europäische Union zu
Nachverhandlungen auffordern, damit menschenrechtli-
che, soziale und ökologische Standards verbindlicher
verankert werden, dann richtet sich unser Nein nicht ge-
gen Peru oder Kolumbien und auch nicht gegen den
Freihandel generell.

Wir anerkennen auch, dass sich insbesondere in Ko-
lumbien, aus dem Bürgerkrieg kommend, viele Fort-
schritte entwickelt haben. Auch die MDGs werden fast
alle erreicht, und die Armut geht stark zurück. Trotz aller
Probleme sind diese Länder sicherlich auch von uns da-
rin zu unterstützen, dass sie aus der Armut herauskom-
men. Wenn wir dort auch mit wirtschaftlichen Impulsen
etwas verstärken können, dann wollen wir das gerne tun.
Das geht aber nicht ohne Regeln.

Auch das Europäische Parlament hat es bedauert, dass
in diesem Handelsübereinkommen keine verbindlichen
Streitbeilegungsmechanismen vorgesehen sind. Das ge-
nau ist unser Kernkritikpunkt. Es nützt eben nichts,
wenn in dem Kapitel „Nachhaltige Entwicklung“ in die-
sem Abkommen das schärfste Schwert lediglich das ist,
dass man einmal miteinander darüber geredet hat. Es ist
völlig unlogisch, dass nicht der gleiche Streitbeilegungs-
mechanismus, der für den Handelsteil gilt, auch für diese
wichtigen menschenrechtlichen, sozialen und ökologi-
schen Fragen angewendet wird.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])


Deswegen fordern wir in unserem Entschließungsan-
trag dazu auf, dass die EU nachverhandelt, damit men-
schenrechtliche, soziale und ökologische Standards sowie
entsprechende Überprüfungs- und Sanktionsmechanis-
men in dem allgemeinen Streitbeilegungsmechanismus
verankert werden; denn wir glauben, nur dann, wenn am
Ende auch damit gedroht werden kann, dass ein solches
Abkommen ausgesetzt wird, ist auch genug Druck vor-

handen, damit die Menschenrechte und die sozialen und
ökologischen Standards eingehalten werden.

Wir wollen, dass ein solches Abkommen den Men-
schen dient, den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern
und den Ärmsten. Deswegen bitten wir Sie, unserem Ent-
schließungsantrag zuzustimmen und sich diese Chance
des Deutschen Bundestages, bei der Europäischen Union
ein Wort einzulegen, jetzt nicht aus irgendwelchen partei-
politischen Gründen entgehen zu lassen.

In diesem Sinne: Lassen Sie uns für ein faires und ge-
rechtes Freihandelsabkommen streiten.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE])



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723137200

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zur Abstimmung über den von der Bun-
desregierung eingebrachten Gesetzentwurf zu dem Han-
delsübereinkommen vom 26. Juni 2012 zwischen der
Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten einerseits
sowie Kolumbien und Peru andererseits.

Der Ausschuss für Wirtschaft und Technologie emp-
fiehlt in seiner Beschlussempfehlung – Drucksachen
17/12810 und 17/12875 –, den Gesetzentwurf der Bun-
desregierung auf Drucksache 17/12354 anzunehmen.

Zweite Beratung
und Schlussabstimmung. Ich bitte diejenigen, die dem

Gesetzentwurf zustimmen wollen, sich zu erheben. –
Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Der Gesetzent-
wurf ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen ge-
gen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenom-
men.

Abstimmung über den Entschließungsantrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/12877. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist
mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen bei Zustim-
mung von SPD und Grünen und Enthaltung der Linken
abgelehnt.

Ich rufe den Zusatzpunkt 9 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Rüdiger
Veit, Rainer Arnold, Klaus Barthel, weiterer Ab-
geordneter und der Fraktion der SPD

Syrische Flüchtlinge schützen

– Drucksache 17/12820 –
Überweisungsvorschlag:
Innenausschuss (f)
Auswärtiger Ausschuss
Ausschuss für Menschenrechte und Humanitäre Hilfe
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Die Reden sollen zu Protokoll genommen werden.1)

1) Anlage 6





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12820 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 23 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Bildung, Forschung
und Technikfolgenabschätzung (18. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Nicole Gohlke,
Dr. Petra Sitte, Jan Korte, weiterer Abgeordneter
und der Fraktion DIE LINKE

Keine Rüstungsforschung an öffentlichen
Hochschulen und Forschungseinrichtungen –
Forschung und Lehre für zivile Zwecke sicher-
stellen

– Drucksachen 17/9979, 17/12800 –

Berichterstattung:
Abgeorndete Florian Hahn
René Röspel
Dr. Martin Neumann (Lausitz)
Nicole Gohlke
Krista Sager

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sollen auch
hier die Reden zu Protokoll genommen werden.


Florian Hahn (CSU):
Rede ID: ID1723137300

Der wirtschaftliche Erfolg und Wohlstand unseres

Landes baut auf der Erforschung und Entwicklung
neuer Technologien auf. Dabei konnte Deutschland
besonders im Bereich der zivilen Sicherheitsforschung
in den letzten Jahren ein neues Feld mit gut vernetzter
Akteurslandschaft schaffen und entwickeln. Dank der
Bundesregierung, die sich Bildung und Forschung auf
die eigene Fahne geschrieben hat, konnten wir somit
weitreichende Erfolge vermelden, die dem Schutz der
Bevölkerung unseres Landes dienen. Angesichts der
globalen Bedrohungsszenarien der letzten Jahre ist es
wichtig, die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger so-
wie den Schutz kritischer Infrastrukturen durch syste-
matische Forschungsaktivitäten zu erhöhen.

Mit dem Programm „Forschung für die zivile Si-
cherheit“ der Bundesregierung werden ausschließlich
rein zivile Vorhaben betrachtet. Die hier geforderte
Überarbeitung ist somit überflüssig und abzulehnen.
Unsere Aufgabe ist es, durch Forschung die Sicherheit
und die daraus resultierende Freiheit der Bürger unse-
res Landes zu gewährleisten. Die Fördergelder aus
dem BMBF werden ausschließlich für Forschungsakti-
vitäten vergeben, die an zivilen Szenarien ausgerichtet
sind. Nun unterstellen die üblichen Verschwörungs-
theoretiker in den Reihen der Opposition, dass die
Gelder – durch die Hintertür – zur Finanzierung der
Wehrtechnikindustrie dienen. Ich kann an dieser Stelle
nur immer wieder betonen, dass diese Unterstellung
schlichtweg falsch ist.

Unser Programm für zivile Sicherheitsforschung
dient ausschließlich dem Ausbau der internationalen
Vorreiterstellung deutscher Anbieter ziviler Sicher-
heitsprodukte und der Weiterentwicklung interdiszipli-
närer akademischer Ausbildungsstrukturen. Dass ei-
nige dieser Forschungsergebnisse für den Schutz
unserer Soldatinnen und Soldaten eingesetzt werden
können, ist eher ein Segen. Das von Ihnen angespro-
chene Projekt des „Detektoren Array“ dient beispiels-
weise der Analyse chemischer und explosiver Stoffe,
die bei einem Chemieunfall auftreten können. Der De-
tektor dient dem Schutz der Einsatzkräfte und der Zi-
vilbevölkerung. Diese Forschung zu verbieten, würde
eine Gefahr für Menschenleben darstellen. Die alte
Leier der unrechtmäßigen Doppelnutzung wird nicht
stichhaltiger, umso mehr Sie darauf herumreiten. Im
Gegenteil: Die Doppelnutzung von Forschungsergeb-
nissen in dieser Sparte ist kein Fluch, sondern ein Se-
gen.

Neben der hier dargestellten Gleichgültigkeit ge-
genüber unseren Einsatzkräften spiegelt sich ein wei-
teres problematisches Verständnis der Linken in die-
sem Antrag wider. Sie fordern zum wiederholten Male
die Verankerung von „Zivilklauseln in den Statuten der
Hochschulen und Forschungseinrichtungen sowie in
den jeweiligen Landeshochschulgesetzen“. Dies stellt
meiner Meinung nach einen höchst bedenklichen Ein-
griff in die verfassungsrechtlich geschützte For-
schungsfreiheit dar. Auch scheint Ihnen der Begriff des
Geschäftsgeheimnisses nicht geläufig zu sein. Sie for-
dern die Offenlegung von Kooperationsverträgen der
Hochschulen und greifen somit in sensible Geschäfts-
daten ein. Eine derartige Maßnahme würde verfas-
sungsrechtlich ebenfalls einen äußerst bedenklichen
Eingriff darstellen; ganz zu schweigen von dem erheb-
lichen Schaden, den die deutsche Wirtschaft davontra-
gen würde.

Zuletzt möchte ich noch ein paar Sätze zu Ihrer For-
derung nach einer „Ausfinanzierung der Hochschulen
in der Breite“ sagen. Sie können unserer Regierung
nun wirklich nicht vorwerfen, zu wenig in die deut-
schen Hochschulen investiert zu haben. Trotz der pri-
mären Verantwortung der Länder wurden mehr Bun-
desmittel als jemals zuvor an die Hochschulen
vergeben. Allein 4,8 Milliarden Euro wurden in den
Hochschulpakt 2020 investiert.

Zusätzlich wollen wir die Länder sogar dauerhaft
mit Bundesgeld für die Hochschulen unterstützen. An-
statt der Änderung des Art. 91 b GG zuzustimmen, ver-
weilen Sie lieber in Ihrer Blockaderolle. Es sind die
rot-grünen Länder, die sagen: Wir nehmen das Geld
nur, wenn wir zusätzlich auch noch eine finanzielle Zu-
wendung für die Schulen bekommen. – So werden die
Hochschulen von der Opposition in Geiselhaft genom-
men, um deren leere Landeskassen zu füllen.

Bevor ich zum Ende komme, möchte ich noch auf
eine weitere Stümperhaftigkeit dieses Antrags einge-
hen. Anscheinend hat sich die Linke noch nicht einmal
die Mühe gemacht, sich ihren eigenen Antrag genau





Florian Hahn


(A) (C)



(D)(B)


durchzulesen. Dort ist auf der vierten Seite zu lesen,
dass an Hubschrauberstrukturen und Rotorblättern für
„den Militärhubschrauber Eurocopter“ geforscht wird.
Vielleicht sollten sie sich das nächste Mal genauer in-
formieren. Es gibt eine Firma mit dem Namen Euro-
copter, die verschiedene Arten von Helikoptern, unter
anderem den NATO-Helikopter 90, NH-90, entwickelt.

Zusammenfassend möchte ich festhalten, dass die
Forderungen im Antrag der Linkspartei allesamt über-
zogen und nicht vertretbar sind. Sie sehen über sämtli-
che verfassungsrechtlichen Grundsätze hinweg, Sie
machen keinen Halt vor der Unabhängigkeit der
Hochschulen, die föderale Struktur unseres Landes
scheint Ihnen fremd zu sein. Und was ich noch schlim-
mer finde: Sie weisen eine äußerst ignorante Einstel-
lung gegenüber den deutschen Soldatinnen und Solda-
ten auf.

Den Antrag gilt es daher abzulehnen.


René Röspel (SPD):
Rede ID: ID1723137400

Die Themen Rüstungsforschung und zivile Sicher-

heitsforschung sind zwei auch für uns Forschungspoli-
tikerinnen und -politker relevante Politikbereiche, die
wir in der Vergangenheit immer wieder diskutiert ha-
ben.

Wie ich bereits in meiner Rede im Herbst letzten
Jahres zum Thema ausführte, haben wir Sozialdemo-
kratinnen und Sozialdemokraten aber große Bedenken
mit dem jetzt zu diskutierenden Linkenantrag. Ich hatte
gehofft, dass die Ausführungen zu dem Antrag im Aus-
schuss den einen oder anderen Teilbereich erhellen
würden. Aber leider Fehlanzeige.

Stattdessen zeigt der Antrag, wie auch die Argu-
mente der Linken in der Diskussion, wie tief die Linken
auch bei diesem Thema in einem Schwarz-weiß-Den-
ken verhaftet sind. So simpel ist die Welt aber leider
nicht.

Sicherheitsforschung ist nun mal nicht automatisch
Rüstungsforschung. Bei der einen Forschung geht es
um Ergebnisse fürs Militär, bei der anderen um Pro-
dukte für THW, Polizei, Feuerwehr oder Krankenhäu-
ser. Rüstungsforschung wird in Deutschland durch das
Bundesministerium der Verteidigung finanziert, zivile
Forschung hingegen durch das Bundesministerium für
Bildung und Forschung, BMBF, gefördert. Diese poli-
tische Trennung ist richtig und wird nach allen mir be-
kannten Informationen auch eingehalten. Man muss
nicht jedes Produkt der Sicherheitsforschung für sinn-
voll erachten – wir Sozialdemokratinnen und Sozialde-
mokraten tun dies auch nicht –, Rüstungsforschung ist
es deshalb noch lange nicht. Und ja, es gibt in
Deutschland Unternehmen, die ihr Geld mit Rüstung
wie auch mit zivilen Produkten verdienen. Und wenn
sich diese Unternehmen mit ihrer zivilen Sparte an
Programmen des BMBF beteiligen, dann ist auch dies
nicht automatisch Rüstungsforschung.

Um es klarzustellen, auch ich sehe Rüstungsfor-
schung und -produktion sehr kritisch. Anstatt hier aber

zwei Dinge zu vermischen, sollte man den Blick lieber
auf die vorhandenen Tatsachen konzentrieren. Das zi-
vile Sicherheitsforschungsprogramm des BMBF exis-
tiert. Und in dem mittlerweile ausgelaufenen ersten
Programm hatten auch wir Sozialdemokratinnen und
Sozialdemokraten so manche Frage nach der Sinnhaf-
tigkeit des einen oder anderen Projekts. Das haben wir
auch deutlich geäußert. Das neue Programm des
BMBF wurde wohl auch deshalb an entscheidenden
Punkten verbessert. Die Linken sehen also, dass kon-
struktive Kritik durchaus ankommt. Fundamentalkri-
tik, wie sie sie uns häufig im Bundestag vorführen,
bringt hingegen gar nichts.

In unserer Ausschusssitzung haben wir – nicht zum
ersten Mal – intensiv über die sogenannte Dual-Use-
Problematik gesprochen. Also über Technologien oder
Erkenntnisse, die zivil wie auch militärisch bzw. zum
Schutz wie auch zum Angriff genutzt werden können.
Dieser Problematik stehen Ingenieure der Luft- und
Raumfahrt genauso wie Informatiker, Virologen oder
Sozialwissenschaftler gegenüber. Forschung bedeutet
eben nun einmal, dass man oft noch nicht weiß, welche
Ergebnisse am Ende herauskommen und zu welchem
Zweck sie verwendet werden. Wichtig ist es deshalb,
die einzelnen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaft-
ler für die Problematik zu sensibilisieren. Wie man hin-
gegen die Forschung, welche möglicherweise auch ei-
nen militärischen Nutzen haben könnte, bereits zu
Beginn kategorisch ausschließen will, ist mir auch
nach der Ausschussberatung immer noch ein Rätsel.
Ich habe vielmehr die Befürchtung, dass sich die Lin-
ken mit der Dual-Use-Problematik einfach noch nicht
ausreichend befasst haben.

Am Ende vielleicht noch mal etwas Grundsätzli-
ches. Am Anfang ihres Antrags versuchen sich die Lin-
ken ja in einem historischen Abriss des Themas für
Deutschland. Dabei lassen sie aber ein paar wichtige
Daten und Fakten weg. Unter anderem gehen sie über-
haupt nicht auf die Situation in der DDR ein. Wie sah
denn dort die Verquickung von Militär und Wissen-
schaft und Bildung aus? Nach meinem Wissen war in
den Klassen 9 und 10 „Wehrkunde“ Pflichtfach. Und
sogenannte Pioniermanöver gab es bereits in der
Grundschule. Zivile Friedenserziehung klingt für mich
anders.

Frau Gohlke als Münchnerin mag das nicht kennen,
aber sie möge doch mal ihre Kolleginnen und Kollegen
aus dem Osten fragen. Und falls diese schweigen soll-
ten, kann ich auch gern ein paar Zeitzeugen aus mei-
ner Fraktion nennen. Die können dann gern erzählen
wie Verquickung von Militär und Forschung und Lehre
auf ostdeutschem Boden so aussah. Ich finde es ehrlich
gesagt scheinheilig, wenn sich die sogenannte Linke
als die große Friedenspartei hinstellt, die Vergangen-
heit ihrer Partei aber einfach ignoriert. Dass ich nicht
falsch verstanden werde, es geht mir nicht darum, die
Linken für die Vergangenheit eines Teils ihrer Partei
anzuklagen, ich erwarte aber, dass sie dazu stehen und
sich inhaltlich damit auseinandersetzen. Der Anfangs-

Zu Protokoll gegebene Reden





René Röspel


(A) (C)



(D)(B)


text ihres Antrags wäre eine Chance gewesen, damit
anzufangen. Sie wurde leider nicht genutzt. Schade.

Ablehnen werden wir den Antrag aber nicht für all
das, was fehlt, sondern aufgrund der unrealistischen
bzw. falschen Forderungen, die auch noch an die fal-
schen Adressaten verschickt werden.


Dr. Martin Neumann (FDP):
Rede ID: ID1723137500

Der Antrag „Keine Rüstungsforschung an öffentli-

chen Hochschulen und Forschungseinrichtungen –
Forschung und Lehre für zivile Zwecke sicherstellen“
von der Fraktion Die Linke wurde in den Ausschüssen
des Deutschen Bundestages ausgiebig beraten. Wir
Liberale sind jedoch im Laufe der Beratung in keiner
Weise davon überzeugt worden, dem Antrag zuzustim-
men. Wir lehnen den Antrag ab, weil wir die Auffas-
sung nicht teilen können, die Die Linke von For-
schungsfreiheit und unserem Wissenschaftssystem hat.

Konkret bemängeln wir Liberale Folgendes am An-
trag: Die Freiheit der Forschung, die durch Art. 5 GG
geschützt wird, soll durch eine gesetzliche Veranke-
rung von Zivilklauseln in den Landeshochschulgeset-
zen eingeschränkt werden. Damit nimmt Die Linke der
Wissenschaft, den Hochschulen und Forschenden die
Freiheit, selbst zu entscheiden, welche Forschungs-
projekte angenommen werden und in welchen Berei-
chen geforscht werden darf. Wir Liberale wollen aber,
dass der Wissenschaftler seine eigenen Maßstäbe an-
legt und selbst entscheidet, welche Kooperationen und
Aufträge er annimmt. Wenn Sie Wissenschaftsfreiheit
ernst nehmen – wie Sie mit Ihrem im März 2012 einge-
brachten Antrag „Freiheit von Forschung und Lehre
schützen“ versuchten, glaubhaft zu machen –, dann
müssen Sie auch akzeptieren, dass die Wissenschaftler
und die Hochschulen für sich selbst entscheiden, ob sie
sogenannten Zivilklauseln folgen möchten oder nicht.

Im Übrigen stimmen selbst die schärfsten Kritiker
der Militärforschung darin überein, dass die Zivilklau-
sel kein Allheilmittel ist. Es genügt eben nicht, alleine
eine Zivilklausel zu verordnen. Diese muss – wie es so
schön heißt – gelebt werden durch eine ständige Aus-
einandersetzung. Das bedeutet nichts anders als das,
was wir Liberale stets fordern. Der Forschende steht
in der Verantwortung, seine Forschung und deren Er-
gebnisse erklären zu müssen. Das impliziert eine ge-
sellschaftliche Verantwortung. Und meiner Erfahrung
nach sind sich Wissenschaftler in Hochschulen und in
Forschungseinrichtungen auch dieser Verantwortung
bewusst. Die Max-Planck-Gesellschaft beispielsweise
formulierte 2010 in ihrem Papier „Hinweise und
Regeln der Max-Planck-Gesellschaft zum verantwort-
lichen Umgang mit Forschungsfreiheit und For-
schungsrisiken“ für sich und ihre Mitglieder die Gren-
zen von Forschung. In den Mittelpunkt wurde die
Person, der einzelne Wissenschaftler als Verantwor-
tungsträger, gerückt.

Ein weiterer Punkt ist die sogenannte Dual-Use-
Problematik. Im Antrag von Die Linke wird selbst

konstatiert, dass Forschungsergebnisse sich nicht
nach ziviler und militärischer Nutzung voneinander
trennen lassen. Dennoch wird im Antrag das von der
christlich-liberalen Koalition aufgelegte Programm
„Forschung für die zivile Sicherheit“ kritisiert. Dabei
wurde sowohl von der Bundesregierung als auch von
uns in der Ausschussberatung mehrfach darauf hinge-
wiesen, dass die Forschungsfragen im Programm
„Forschung für die zivile Sicherheit“ entlang ziviler
Sicherheitsszenarien verlaufen.

Als einen letzten Kritikpunkt sei auf die Forderung
nach einer Ausfinanzierung der Hochschulen verwie-
sen. Für die Grundfinanzierung der Hochschulen sind
noch immer allein die Länder verantwortlich. Deshalb
wird ähnlich pauschal, wie diese Forderung in jedem
Antrag von Die Linke formuliert wird, von uns diese
auch abgelehnt. Zudem sei darauf verwiesen, dass von
Die Linke bislang alle konkreten Schritte dieser christ-
lich-liberalen Koalition abgelehnt wurden, die zu einer
Beteiligung des Bundes in der Hochschulfinanzierung
geführt hätten. Kritik, die wider besseres Wissen und
gegensätzliches Handeln erhoben wird, ist scheinhei-
lig. Wenn Die Linke wirklich an der Finanzierung der
Hochschulen mitwirken möchte, ist diese gerne einge-
laden, unsere Anstrengungen einer Grundgesetzände-
rung im Bundesrat zu unterstützen.

Der Antrag von Die Linke möchte ideologische
Denkverbote gesetzlich verankern. Diese lehnen wir
wie den Antrag ab.


Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723137600

Das renommierte Stockholm International Peace

Research Institute, kurz: SIPRI, hat diese Woche eine
neue Studie zu den weltweiten Waffenexporten veröf-
fentlicht. Wie auch schon in den letzten Jahren ist
Deutschland traurigerweise wieder ganz vorne mit da-
bei: Mit 7 Prozent der weltweiten Exporte landet
Deutschland auf Platz drei, vor ihr nur die USA und
Russland.

Dass die Bundesrepublik der drittgrößte Waffen-
exporteur der Welt ist, ist eigentlich schon Skandal
genug. Aber dass die Entwicklung von Kriegs- und
Mordwerkzeug auch an öffentlichen Hochschulen und
Forschungseinrichtungen stattfindet, setzt noch eins
drauf und bringt Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler und Studierende in erhebliche ethische
Schwierigkeiten.

Laut den Antworten auf eine Kleine Anfrage der
Linken erhielten in den letzten zehn Jahren mindestens
47 Hochschulen Forschungsaufträge aus dem Vertei-
digungsministerium, und Kooperationen der Hoch-
schulen mit der Rüstungsindustrie, zum Beispiel mit
EADS, mit Eurocopter, mit Krauss-Maffei und Rhein-
metall nehmen stetig zu.

In den letzten Jahren ist darum an den Hochschulen
eine neue Bewegung entstanden, die erfreulicherweise
stetig wächst: eine Bewegung gegen Rüstungsfor-
schung und für Zivilklauseln, also für die Verpflich-

Zu Protokoll gegebene Reden





Nicole Gohlke


(A) (C)



(D)(B)


tung der Hochschulen auf friedliche und zivile For-
schung und Lehre. In einer Urabstimmung an der Uni
Frankfurt sprachen sich jüngst 76 Prozent für die
Einführung einer Zivilklausel aus, die Universitäten
Tübingen und Rostock sowie die Hochschule Bremen
haben die Zivilklausel direkt in ihre Statuten aufge-
nommen.

Dies zeigt, dass es immer mehr Studierenden, Wis-
senschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Be-
schäftigten an den Hochschulen eben nicht egal ist,
woransie arbeiten, dass ihnen nicht egal ist, in welche
Produkte sie ihr Wissen und ihre Kompetenz stecken,
dass sie moralische Skrupel haben, wenn sie sich der
Entwicklung von Senfgas, von Kampfhubschraubern
oder Drohnen beteiligen. Immer mehr Wissenschaftle-
rinnen und Wissenschaftler und Studierende wollen
nicht an der Entwicklung militärischer Güter beteiligt
sein, und darüber darf man sich freuen – gerade in An-
betracht der deutschen Geschichte.

Im Grundgesetz ist die Friedensverpflichtung der
Bundesrepublik konstitutiv verankert. Dieser Ver-
pflichtung haben die Regierungen – ob Bund oder
Land – in allen gesellschaftlichen Bereichen nachzu-
kommen – und natürlich auch im Hochschul- und Wis-
senschaftsbereich.

Insbesondere SPD und Grüne schlagen ja in der
Rechtfertigung der von ihnen sehr gewollten und be-
fohlenen, aber in der Gesellschaft äußerst unpopulä-
ren Kriegseinsätze in Jugoslawien oder Afghanistan
große Pirouetten, um den Begriff „Frieden“ bis zur
Unkenntlichkeit zu verzerren und so weit zu dehnen,
bis am Ende aus „Frieden“ „Krieg“ wird.

Zuletzt erklärten mir ja die Grünen im Bildungsaus-
schuss in der Debatte zu unserem Antrag, „friedlich“
und „zivil“ sei seit dem Ende des Kalten Krieges nicht
mehr dasselbe. Im Gegenteil sei jetzt der Kriegseinsatz
die Ultima Ratio – Krieg also als ultimative Waffe für
den Frieden.

Liebe Grüne, liebe SPD; das ist nicht nur Sophis-
mus in Reinform, sondern auch zynisch bis zum Umfal-
len.

Die Linke fordert in ihrem Antrag, dass die Bundes-
regierung gemeinsam mit den Ländern endlich Maß-
nahmen für den Schutz und die Absicherung der
grundgesetzlich geforderten Friedensabsichten der
Hochschulen ergreift: Zivilklauseln sollten flächende-
ckend in den Statuten der Hochschulen und in den
Landeshochschulgesetzen verankert werden, damit
dem Forschen für den Krieg und für Waffen eine klare
Absage erteilt wird.

Weil ich die Koalition schon erwidern höre, dass das
Sache der Länder und der Hochschulen sei: Wir haben
natürlich auch einen Vorschlag, wo die Bundesregie-
rung ganz konkret handeln kann: Die Bundesregierung
kann ganz einfach und unverzüglich ihre öffentliche
Mittelvergabe an die Hochschulen und Forschungsein-
richtungen nach zivilen Kriterien ausrichten. Und sie

kann dafür sorgen, dass ihre eigenen Aufträge an
Hochschulen offengelegt werden, und sie kann für
Transparenz sorgen bei Kooperationsverträgen zwi-
schen Wirtschaft und Hochschulen. Die existierende
Praxis der Geheimhaltung ist für eine demokratische
Hochschulöffentlichkeit absolut indiskutabel. Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler, Studierende und
Beschäftigte müssen über Forschungsprojekte, Gelder
und Forschungsziele informiert sein. Projekte öffent-
lich zu machen und zu diskutieren, ist ein Mehr an Wis-
senschaftsfreiheit im Hochschulalltag.

Und nicht zuletzt hat es die Bundesregierung in der
Hand, in welchem finanziellen Zustand die Hochschu-
len sind. Darum fordern wir, die Hochschulen mit öf-
fentlichen Mitteln so auszufinanzieren, dass die Hoch-
schulen nicht mehr angewiesen sind auf Kooperationen
mit finanzstarken Großkonzernen, um alleine For-
schung und Lehre aufrechterhalten zu können.

Von Gegnerinnen und Gegnern der Zivilklausel
wird gerne das Argument ins Feld geführt, eine Zivil-
klausel kollidiere mit der Wissenschaftsfreiheit. Es gibt
die Sorge vor einer vermeintlichen „Tendenzuniversi-
tät“, die sich nur mit bestimmten gesellschaftlichen In-
teressen identifiziert und anderes dafür ausschließt.

Keine Frage: Die Wissenschaftsfreiheit ist ein hohes
Gut – ebenso wie die Friedensverpflichtung grundge-
setzlich verankert –, und wir sollten nicht leichtfertig
damit umgehen. Aber wir müssen auch ausdrücklich
sagen, dass die Friedensfinalität im Grundgesetz aus-
drücklich kein „bestimmtes gesellschaftliches Inte-
resse“ ist, sondern ein konstitutives Motiv der Verfas-
sungsgesetzgebung und in verschiedenen Art.n des
Grundgesetzes wiederholt wird.

Ausdrücklich bejaht wird durch das Bundesverfas-
sungsgericht die Zulässigkeit von interessenmäßig ge-
bundener Forschung, außer wenn die Pluralität der
wissenschaftlichen Disziplin infrage steht.

Eine Einführung von Zivilklauseln, die Verpflich-
tung auf den Frieden auch in der Wissenschaft ist si-
cherlich keine Einschränkung der Pluralität.

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben
angesichts der historischen Erfahrungen eine beson-
dere Verantwortung: Zwei Weltkriege, für die Deutsch-
land verantwortlich war, und die Nazidiktatur haben
gezeigt, welche unmenschliche Rolle Wissenschaft
spielen kann.

Genau deswegen gab und gibt es eine Vielzahl
von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie
Werner Buckel – ehemaliger Präsident der Deutschen
und der Europäischen Physikalischen Gesellschaft –
oder Carl Friedrich von Weizsäcker, die sich einer
Tradition der verantwortlichen Wissenschaft verpflich-
tet fühlten und fühlen.

Aufgabe von Politik ist es, diese Haltung und dieses
Begehr zu unterstützen und es nicht durch Unterfinan-
zierung des Hochschulsystems und aufgrund der engen
Zusammenarbeit mit der Waffenlobby zu untergraben.

Zu Protokoll gegebene Reden





Nicole Gohlke


(A) (C)



(D)(B)


Ich schließe mit den Worten Albert Einsteins: „Das
Denken der Zukunft muss Kriege unmöglich
machen“ – diese Worte sind Verpflichtung für Wissen-
schaft wie für die Politik gleichermaßen.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723137700

Wir werden den vorliegenden Antrag der Linken ab-

lehnen. Ihm liegen hochschul-, forschungs- und frie-
denspolitische Auffassungen und Annahmen zugrunde,
die wir nicht teilen. Wir halten es für falsch, dass die
Politik den Hochschulen Leitbilder für ihre eigene
Entwicklung von oben aufoktroyiert.

Wenn eine Hochschule sich an friedenspolitischen
Maßstäben orientieren und ausrichten will, ist es umso
wichtiger, dass dem ein gründlicher Diskussionspro-
zess in der Hochschule selbst vorausgeht.

Ohne diesen Diskussionsprozess wird das Leitbild
einer Hochschule eine leere Papiererklärung bleiben
und nicht mit Leben zu füllen sein.

Leitbilder sollen nach unserer Überzeugung dem
Autonomiebereich der Hochschulen vorbehalten sein.

Die Linke geht weiterhin davon aus, dass die Be-
griffe „zivil“, „friedlich“ und „friedlichen Zwecken
dienend“ identische Inhalte beschreiben.

Schon das halten wir für einen Kurzschluss.
Die Auffassung der Linken, man müsse nur alles

„nicht Zivile“ aus der Forschung beseitigen, dann würde
das Militärische zunehmend verschwinden und damit
die Welt per se friedlicher werden, halten wir für einen
weiteren Kurzschluss.

Ich hatte bereits in der Debatte im September 2012
darauf hingewiesen, dass die Gleichsetzung von „zi-
vil“ und „friedlich“ gedanklich stark mit dem frie-
denspolitischen Diskurs der Nachkriegszeit und der
Zeit der Blockkonfrontation verbunden ist.

Das internationale Völkerrecht bejaht inzwischen
die Schutzverantwortung der internationalen Staaten-
gemeinschaft, um schwerste Menschenrechtsverletzun-
gen zu verhindern oder zu beenden. Dies schließt als
Ultima Ratio auch die Anwendung militärischer Mittel
ein.

Die Linke lehnt als einzige Fraktion im Deutschen
Bundestag den völkerrechtlichen Grundsatz der res-
ponsibility to protect ab.

Dies kann aber nicht der politische Maßstab für ein
Parlament sein, das die deutsche Beteiligung an inter-
nationalen Missionen regelmäßig demokratisch legiti-
miert. Wer die bestmögliche Vorbereitung und Ausrüs-
tung von mandatierten Einsatzkräften verantworten
muss, kann Forschung nicht auf rein zivile Zwecke be-
schränken. Dies würde im Übrigen auch die Entwick-
lung von Technologien zur Minenräumung, schutz-
sicheren Westen oder die Verbesserung der medizinischen
Behandlung von Verletzungen durch Kampfstoffe aus-
schließen. Denn auch dies sind Maßnahmen in einem
militärischen Kontext.

Falsch ist auch die Vorstellung, Forschung folge
immer einem deutlich erkennbaren Zweck und dieser
Zweck sei dann nach „zivil“ oder „nicht zivil“ zu un-
terscheiden. In der Forschung werden Zwecke oft in ei-
ner viel späteren Phase deutlich, weil sich erst dann
sehr unterschiedliche Anwendungsmöglichkeiten her-
auskristallisieren.

Gerade im großen Bereich IT-gestützter Entwick-
lungen sind zahlreiche zivile und militärische Einsatz-
möglichkeiten denkbar, und eine militärische Nutzung
kann im Stadium von Forschung und Entwicklung
nicht ausgeschlossen werden. Moderne Armeen benut-
zen heute außerdem Wissen aus zahlreichen nicht ty-
pisch mit militärischen Zwecken assoziierten For-
schungsfeldern, wie zum Beispiel Psychologie und
Betriebswirtschaftslehre.

Gefordert ist also vor allem die Politik, durch Rege-
lungen für Rüstungsexportbeschränkungen, vertragli-
che Rüstungsbeschränkungen, Ächtung bestimmter
Waffentypen, wie Landminen, einen Beitrag für eine
friedlichere Welt zu leisten. Forschungsverbote über
eine politisch verordnete „Zivilklausel“ halte ich nicht
für einen erfolgversprechenden Weg. Unterstützens-
wert ist, dass an den Hochschulen kritische Diskurse
über ethische Grenzen in der Forschung und über ethi-
sche Guidelines geführt werden.

Transparenz in der Forschung ist dafür eine wich-
tige Voraussetzung.

Eine Verantwortung der Wissenschaft, ihr Tun ge-
genüber der Gesellschaft offenzulegen und in einem
Diskussionsprozess zu reflektieren und zu legitimieren,
wird von uns ausdrücklich bejaht. Dazu wurden von
uns eigene Anträge in den Bundestag eingebracht. Den
Antrag der Linken halten wir für einen solchen Verant-
wortungsdiskurs zwischen Wissenschaft und Gesell-
schaft für ungeeignet.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723137800

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung
empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/12800, den Antrag der Fraktion Die Linke auf
Drucksache 17/9979 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist gegen die Stimmen
der Fraktion Die Linke mit den Stimmen der übrigen
Fraktionen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 24 auf:

Zweite und dritte Beratung des von den Abgeord-
neten Krista Sager, Wolfgang Wieland, Kai
Gehring, weiteren Abgeordneten und der Frak-
tion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN eingebrach-
ten Entwurfs eines Gesetzes zur Streichung des
Doktorgrades aus dem Passgesetz, dem Gesetz
über Personalausweise und den elektronischen
Identitätsnachweis, der Personalausweisver-





Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms


(A) (C)



(D)(B)


ordnung sowie dem Aufenthaltsgesetz und der
Aufenthaltsverordnung

– Drucksache 17/8128 –

Beschlussempfehlung und Bericht des Innenaus-
schusses (4. Ausschuss)


– Drucksache 17/11908 –

Berichterstattung:
Abgerdnete Stephan Mayer (Altötting)
Gabriele Fograscher
Manuel Höferlin
Ulla Jelpke
Wolfgang Wieland

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sollen auch
diese Reden zu Protokoll genommen werden.


Clemens Binninger (CDU):
Rede ID: ID1723137900

„In Deutschland hat der Doktorgrad über den For-

schungs- und Wissenschaftsbereich hinaus ein hohes
Ansehen. Es hat sich die Tradition entwickelt, den
Doktorgrad wie einen Bestandteil des Namens zu be-
handeln und auf Wunsch in Personaldokumente wie
den Pass und den Personalausweis einzutragen.“ –
Das ist eine der wenigen richtigen Feststellungen im
vorliegenden Gesetzentwurf der Grünen. Vor diesem
Hintergrund lässt sich natürlich über das Anliegen der
Grünen diskutieren, ob der Doktorgrad zukünftig noch
im Reisepass oder Personalausweis eingetragen wer-
den kann oder nicht. Man braucht allerdings auch gute
Argumente für eine solche Forderung. Und hier er-
scheint einem die Begründung im Gesetzentwurf der
Grünen eher wie eine lose Gedankensammlung und
nicht wie eine durchdachte Argumentation.

Da wird an der einen Stelle richtigerweise davon
gesprochen, dass der Doktorgrad kein Namensbe-
standteil nach § 12 BGB ist, sondern ein akademischer
Grad. Dann wiederum soll er im Pass oder Ausweis
gestrichen werden, weil es angeblich bei Grenzkon-
trollen für Irritationen sorgt, wenn der „Dr.“ für die
Anfangsbuchstaben des Familiennamens gehalten
wird. Nicht nur, dass Sie einen Beleg für diese Behaup-
tung schuldig bleiben. Sie können auch nicht erklären,
warum der Doktorgrad als zusätzliche Angabe in Aus-
weisdokumenten, die ursprünglich zur besseren Unter-
scheidung dienen sollte, jetzt außerdem zu Verwechs-
lungen und Unklarheiten führt.

Sie argumentieren, dass es aufwendiger wird, die
Gleichwertigkeit ausländischer Abschlüsse mit dem
deutschen Doktorgrad zu prüfen und dass dies die Be-
hörden vor Probleme stellen würde. Auch das belegen
Sie nicht. Vonseiten der Länder, die letztlich auch über
die kommunalen Behörden für die Anerkennung in der
Praxis verantwortlich sind, wird genau das aber nicht
bestätigt. Zu dem von Ihnen als Referenz angeführten
Gesetzentwurf aus dem Jahr 2007 hat der Bundesrat in
seiner Stellungnahme doch gerade darauf hingewie-
sen, dass in der weitaus größten Anzahl der Fälle die
Eintragungsfähigkeit nicht infrage steht und die ge-

ringe Anzahl zweifelhafter Fälle, die einen erhöhten
Prüfbedarf erfordert, hingenommen werden kann, zu-
mal es bewährte Verfahren zur Feststellung der
Gleichwertigkeit ausländischer akademischer Grade
mit dem deutschen Doktorgrad gibt.

Dann wird in Ihrem Gesetzentwurf argumentiert,
man müsse bei Beibehaltung des Doktorgrades in Aus-
weisdokumenten erklären, warum nicht weitere akade-
mische Grade wie der Master of Arts, der Diplom-In-
genieur oder der Professor eingetragen werden. Auch
hier zeigt sich, dass die Begründung des Gesetzent-
wurfs nicht durchdacht ist. Denn der Unterschied ei-
nes Doktorgrades zu anderen akademischen Abschlüs-
sen liegt gerade darin, dass der „Dr.“ in der Regel
nicht der berufsqualifizierende Abschluss ist, sondern
eine wissenschaftliche Zusatzqualifikation, die durch
eine aufwendige und eigenständige wissenschaftliche
Arbeit erreicht wird und über den „normalen“ Stu-
dienabschluss hinausgeht. Genau das unterscheidet
ihn von Abschlüssen wie Bachelor oder Master oder
Diplomen. Auch der akademische Titel eines Profes-
sors ist nicht ausschließlich durch eine eigene wissen-
schaftliche Arbeit zu erreichen, sondern bedarf immer
einer Berufung. Genau diese Unterschiede rechtferti-
gen die Beibehaltung des Doktorgrades in Pass und
Ausweis.

Schließlich kommt der Gesetzentwurf irgendwann
zu seinem Kernargument, nämlich dass der Doktor-
grad durch die Aufnahme in Ausweisdokumente gesell-
schaftlich überhöht sei und damit auch in irgendeiner
Form Plagiatsversuchen bei der Promotion Vorschub
leisten soll. Wenn es Ihnen wirklich darum gehen
würde, wissenschaftliche Standards zu verbessern oder
Fälschungen im Promotionsverfahren entgegenzutre-
ten, würden Sie aber nicht diesen Gesetzentwurf vorle-
gen. Denn damit ändern Sie an diesem Problem rein
gar nichts. Eine Streichung des Doktorgrades in Aus-
weispapieren würde nichts daran ändern, dass Dokto-
randen im wissenschaftlichen oder beruflichen Umfeld
promovieren und dann den Doktorgrad in diesem Um-
feld auch als Nachweis wissenschaftlicher Qualifika-
tion tragen.

Es geht den Grünen bei diesem Entwurf also offen-
sichtlich nicht um technische Verbesserungen beim
Personalausweis und Reisepass oder um eine Verein-
fachung der Verwaltungspraxis oder um wissenschaft-
liche Standards beim Erwerb des Doktorgrades.
Vielmehr dokumentiert dieser Gesetzentwurf den ge-
scheiterten Versuch, die parteipolitische Instrumenta-
lisierung von Plagiatsfällen am Leben zu erhalten, um
daraus Kapital zu schlagen. Dabei wird in Kauf ge-
nommen, dass der Eindruck entsteht, dass Wissen-
schaftlerinnen und Wissenschaftler den Doktorgrad
erwerben, um ihn als Titel zur Steigerung der gesell-
schaftlichen Reputation zu nutzen und nicht als Nach-
weis wissenschaftlicher Qualifikation. Genau das ist
nicht der Fall, sondern der deutsche Doktorgrad ge-
nießt national wie international hohes Ansehen, weil





Clemens Binninger


(A) (C)



(D)(B)


dahinter eine hohe Qualifikation und hohe wissen-
schaftliche Anforderungen stehen.

Wer also wissenschaftliche Standards fördern will
und wer die im Zuge der Plagiatsfälle ans Licht ge-
kommenen Probleme bei der Qualitätssicherung der
Promotion beheben möchte, der macht das über ver-
nünftige Wissenschafts- und Forschungspolitik und
stärkt die Universitäten bei ihren Bemühungen auf die-
sem Feld. Wer ein wirkliches Interesse daran hat, der
legt Anträge und Gesetzentwürfe zu genau diesen Fra-
gen vor oder unterstützt zumindest die Initiativen der
Bundesregierung und der Koalition in diesem Bereich.


Gabriele Fograscher (SPD):
Rede ID: ID1723138000

Der Doktortitel ist der höchste akademische Grad

in Deutschland. Er wird durch Promotion an einer
Hochschule mit Promotionsrecht erlangt. Durch die
Promotion wird dem Kandidaten die Fähigkeit zum
selbstständigen wissenschaftlichen Arbeiten beschei-
nigt. Der Doktortitel ist die Auszeichnung für eine wis-
senschaftliche Arbeit, ob in der Medizin, den Rechts-
wissenschaften, den Wirtschaftswissenschaften, den
Naturwissenschaften, der Philosophie oder einer an-
deren wissenschaftlichen Richtung.

Der Doktortitel ist die Belohnung für eine wissen-
schaftliche Arbeit und kein Bestandteil des Namens
und auch kein Namenszusatz. Das haben sowohl der
Bundesgerichtshof als auch das Bundesverwaltungs-
gericht festgestellt. Deshalb gehört er unserer Ansicht
nach weder in die Personaldokumente noch in die Mel-
deregister. Denn warum sollte man einen Doktortitel in
die Personaldokumente eintragen lassen können, an-
dere akademische Titel, die man durch Abschluss eines
Diplom- oder Masterstudiengangs oder durch das Be-
stehen eines Staatsexamens erzielt, hingegen nicht?
Und was ist zum Beispiel mit dem Meistertitel?

International steht Deutschland mit Österreich und
Tschechien bei diesem Thema ziemlich alleine da. Des-
halb ist es an der Zeit, diese überholte Konvention zu
beenden.

Hinzu kommt, dass es für die zuständigen Behörden
einen bürokratischen Aufwand bedeutet, vor allem bei
der Anerkennung ausländischer Promotionen, die oft-
mals mit deutschen Promotionen nicht vergleichbar
sind, wenn diese in die Ausweisdokumente eingetragen
werden sollen.

Auch im internationalen Reiseverkehr und bei
Grenzkontrollen führt der Doktortitel in deutschen
Ausweisdokumenten zu Irritationen, denn oftmals wird
das „Dr.“ als Teil des Vornamens oder Nachnamens
angesehen.

Das können wir ändern, wenn wir den Doktortitel
aus den Personaldokumenten streichen. Zu dem Ge-
setzentwurf zur Fortentwicklung des Meldewesens
hatte Bündnis 90/Die Grünen einen Änderungsantrag
in den Innenausschuss eingebracht, der den Verzicht
der Speicherung des Doktortitels im Melderegister
zum Inhalt hatte. Auch dieses Vorhaben haben wir als

richtig angesehen. Der Verzicht auf die Angabe des
Doktortitels in Melderegistern führt zu einer Entlas-
tung der Meldebehörden und somit zum Bürokratie-
abbau.

Leider sehen CDU und CSU dieses Ansinnen als
Karneval und Schaufensterpolitik an. Der Kollege
Schipanski erklärte in der ersten Lesung des Gesetz-
entwurfes von Bündnis 90/Die Grünen zur Streichung
des Doktortitels, dass dieser Gesetzentwurf der „ho-
hen Reputation unserer akademischen Abschlüsse“
schade und „die akademische Kultur in der Bundesre-
publik Deutschland“ beschädige. Ich halte diese Aus-
sagen für falsch, denn es steht jedem, der einen
Doktortitel erlangt hat, frei, ihn zu führen, ob auf
Briefköpfen, Visitenkarten oder sonst wo. Es geht
schließlich nur um die Streichung des Doktortitels aus
den amtlichen Personaldokumenten. Dass das die
„Ehre unserer Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler“ beschädige, wie der Kollege Schipanski
ausführte, kann ich nicht nachvollziehen.

Besonders kurios sind diese Äußerungen, wenn man
bedenkt, dass die CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu-
sammen mit uns in der Großen Koalition bei der
Einführung biometrischer Daten in Pass und Reise-
dokumente eine ebensolche Streichung des Doktorti-
tels gefordert hatte, und das nicht nur in Pass und
Personalausweis, sondern auch bei den Eintragungen
im Melderegister.

Leider stimmten die Bundesländer, unter anderem
auf Initiative von Bayern, dann doch für die Beibehal-
tung der noch gültigen Regelung; der Bundestag folgte
diesem Wunsch.

Mit diesem Gesetzentwurf könnten wir die Behörden
von Bürokratie entlasten und einen Beitrag zur ein-
heitlichen Gestaltung der Pässe innerhalb der Euro-
päischen Union leisten.

Wir als SPD-Bundestagsfraktion werden dem Ge-
setzentwurf von Bündnis 90/Die Grünen zustimmen.


Manuel Höferlin (FDP):
Rede ID: ID1723138100

Der Name und der Doktorgrad haben nichts mitei-

nander zu tun. Die einschlägigen Gerichtsurteile sind
weithin bekannt. Umso erstaunlicher finde ich nun, dass
die Grünen, aufbauend auf dieser Argumentationslinie,
nun einen Gesetzentwurf eingebracht haben. Und vor
allem die Gründe, mit denen die Grünen hier versu-
chen, ihrem Antrag Bedeutung zu verleihen, halte ich
für falsch. Ich werde diesen Antrag ablehnen, auch
wenn ich der Idee, den Doktorgrad aus Ausweisdoku-
menten zu streichen, grundsätzlich positiv gegenüber-
stehe. Meine Beweggründe dafür möchte ich Ihnen
gerne darlegen.

Auf der einen Seite bekräftigen die Grünen, dass
Name und Doktorgrad nichts miteinander zu tun
haben. Wieso soll der Doktorgrad dann aber das Ri-
siko der Verwechslungsgefahr oder einer falschen
Identifizierung erhöhen? Der Doktorgrad als zusätz-
liche Information in offiziellen Dokumenten reduziert

Zu Protokoll gegebene Reden





Manuel Höferlin


(A) (C)



(D)(B)


doch genau dieses Risiko. Hier ist Ihre Argumentation
unschlüssig, sehr geehrte Damen und Herren der Grü-
nen-Bundestagsfraktion.

Als Erläuterung zu dieser Behauptung schreiben Sie
dann – ich zitiere aus Ihrem Antrag mit der Druck-
sachennummer 17/8128 –: „Die Praxis der Eintra-
gung … sorgt für Verwirrung, wenn zum Beispiel die
Buchstaben „Dr.“ für die Anfangsbuchstaben des
Familiennamens gehalten werden.“ Das, meine sehr
geehrten Damen und Herren der Grünen, halte ich für
eine sehr weit hergeholte Konstruktion, derer Sie sich
da bedienen. Also bitte bemühen Sie sich bei Ihrer An-
tragsbegründung um stringente Erläuterung! Und
nicht um Dinge, von denen Sie meinen, dass irgendje-
mand davon verwirrt sein könnte. Nennen Sie für Ihre
Position gute Belege. Das erwartet man von Ihnen ge-
nauso wie von uns.

Damit noch nicht genug! Die Grünen stellen die
These auf, dass der Doktorgrad angeblich häufig
– auch hier zitiere ich – „nicht als Nachweis wissen-
schaftlicher Qualifikation“ erlangt wird, sondern von
den Inhabern des akademischen Grades genutzt wird,
ihre gesellschaftliche Reputation zu verbessern. Wenn
Sie eine gesellschaftliche Debatte über die Bedeutung
akademischer Abschlüsse für den sozialen Status füh-
ren wollen, was ich persönlich durchaus für beden-
kenswert halte, dann sollten Sie diese Debatte in der
Gesellschaft offen führen und nicht irgendwelche
Verfahrensfragen im Deutschen Bundestag erörtern!

Dass Sie nun noch das Wort „Plagiat“ einbringen,
überrascht dann auch niemanden mehr. Und: Dass das
Thema Plagiate fast eine halbe Seite Ihres Antrags in
Anspruch nimmt, liebe Kolleginnen und Kollegen der
Grünen, zeigt ganz deutlich, dass es Ihnen hier nicht
darum geht, eine tatsächliche Änderung in der Politik
zu bewirken, sondern dass Sie hier vor allem Doktor-
titel breittreten wollen, die die früheren Inhaber entwe-
der längst abgegeben haben oder um die sie gerade
Rechtsstreite führen.

Die grundsätzliche Idee, den Doktorgrad aus Aus-
weisdokumenten zu streichen, finde ich überlegens-
wert. Er hat nichts mit dem Namen zu tun. Und die
Frage, warum man genau diesen speziellen akademi-
schen Grad personenstandsrechtlich erfassen muss,
konnte bis heute niemand so recht befriedigend beant-
worten. Momentan hilft der Doktorgrad dabei, eine
Person genauer zu identifizieren. Das muss aber nicht
notwendigerweise so bleiben. Aber: Man muss sich
dann überlegen, warum man den Doktorgrad aus Per-
sonenstandsurkunden streichen möchte. Die Gründe,
die die Grünen hier in ihrem Antrag aufführen, über-
zeugen mich nicht. Hier wird die Wahlkampfmaschine-
rie mit billigen Vorwürfen gefüttert. So etwas möchte
ich nicht. Ich lehne den Antrag der Grünen daher ab.


Ulla Jelpke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723138200

Wir beraten abschließend einen Gesetzentwurf der

Grünen, mit dem der Doktortitel aus dem Pass und al-
len weiteren Personaldokumenten gestrichen werden

soll. Dieser Gesetzentwurf ist vor dem Hintergrund der
Plagiatsaffäre um den ehemaligen Verteidigungsmi-
nister Guttenberg entstanden.

Der Gesetzentwurf verweist in seiner Begründung
auf die internationale Praxis. Nur in wenigen anderen
Staaten wird der Doktortitel wie ein Namensbestand-
teil in Passpapieren genannt. Der Verzicht auf den
Doktortitel im Pass entspricht also internationalen
Gepflogenheiten. Zudem stellt sich den Ausweisbehör-
den regelmäßig das Problem, wie sie mit im Ausland
erworbenen akademischen Abschlüssen verfahren sol-
len, die dem hiesigen Doktorgrad entsprechen. Dies
betrifft keineswegs nur Ausländerinnen und Ausländer
in Deutschland, sondern auch deutsche Staatsangehö-
rige, die einen ausländischen akademischen Grad er-
worben haben, der dem deutschen Doktor entspricht.
In diesen Fällen müssen die zuständigen Behörden
aufwendige Prüfungen vornehmen, wenn ein Passin-
haber den entsprechenden Titel in seinen Ausweis auf-
genommen sehen will. Diese Prüfungen würden mit
der Streichung des Doktortitels entfallen und die zu-
ständigen Behörden entlastet.

Zudem ist es doch recht willkürlich, dass einzig der
Doktorgrad als akademischer Titel in Ausweisdoku-
mente eingetragen wird, nicht aber andere akademi-
sche Titel. Und dies, obwohl es auch bei Ingenieuren
und Professoren durchaus üblich ist, diese Titel als
eine Art Namensbestandteil zu betrachten. Akademi-
sche Grade sind aber eben kein Namensbestandteil,
und deshalb kann auch in Personaldokumenten auf sie
verzichtet werden.

Der Gesetzentwurf verweist noch auf ein weiteres
Phänomen. Ein Doktortitel werde häufig nicht mehr
zum Nachweis wissenschaftlicher Qualifikation, son-
dern vielmehr zur Steigerung gesellschaftlicher Repu-
tation erworben. Der Erwerb der Doktorwürde gehört
in bürgerlichen Kreisen heutzutage sozusagen zum gu-
ten Ton. In vielen Fachgebieten folgt auf den Ab-
schluss des Studiums fast automatisch eine Promotion,
ohne dass dadurch zwangsläufig auch ein Beitrag zur
wissenschaftlichen Debatte geleistet wird. Dass dabei
in einzelnen Fällen auf Plagiate zurückgegriffen wird,
um das Fehlen eigener wissenschaftlicher Originalität
zu verdecken, ist da nur die Spitze des Eisbergs. Die
Streichung des Doktorgrades, so zumindest die in der
Gesetzesbegründung ausgedrückte Hoffnung, werde
dazu führen, ihn von seiner gesellschaftlichen Überhö-
hung zu entlasten und auf seine eigentliche Funktion,
den Nachweis wissenschaftlicher Qualifikation, zu-
rückzuführen. Auch wenn ich Zweifel habe, ob das al-
lein durch eine Änderung des Passgesetzes möglich ist,
teile ich diese Hoffnung. Die Linke wird diesem Ge-
setzentwurf deshalb zustimmen.


Krista Sager (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723138300

Deutlich über ein Jahr ist es nun her, genauer: Im

Dezember 2011 war es, als wir hier erstmalig über den
grünen Gesetzentwurf zum Verzicht auf die Eintragung
des Doktorgrads in Pass- und Personaldokumenten

Zu Protokoll gegebene Reden





Krista Sager


(A) (C)



(D)(B)


berieten. Damals hatte ich deutlich gemacht, dass
diese Eintragungspraxis überflüssig, aufwendig und
im Übrigen international völlig unüblich ist.

Den Doktorgrad im Ausweis oder Pass einzutragen,
führt auch weg von der eigentlichen Bedeutung der
Promotion. Es waren Kritiker aus dem Wissenschafts-
bereich, die im Zusammenhang mit der Diskussion
über prominente Plagiatsfälle darauf hinwiesen, man
solle die Promotion auf ihre ureigenste Bedeutung
zurückführen, nämlich als Nachweis der besonderen
wissenschaftlichen Qualifikation. Heute können wir
feststellen, dass sich die Stimmen derer, die den Dok-
torgrad von gesellschaftlichen Überhöhungen entlas-
ten wollen, vermehrt haben.

Die Eintragung in die Personaldokumente leistet
dem Missverständnis Vorschub, es ginge beim Doktor
um die herausgehobene ehrenvolle Bezeichnung einer
Person statt um einen Qualifikationsnachweis. Zum
Teil wird der Doktorgrad hierzulande auch heute noch
wie eine Art „bürgerlicher Adelstitel“ oder Namens-
bestandteil behandelt. Das hat auch gerade mit dieser
Konvention zu tun, dass der Doktor auf Wunsch in
Pass und Personalausweis eingetragen werden kann
und also wie ein Bestandteil des Namens erscheint.

Tatsächlich ist der Doktor aber weder ein persön-
licher Titel noch ein Namensbestandteil. Zur Identifi-
kation einer Person ist der Doktorgrad nicht notwen-
dig. Auch ist die Eintragung in die Personaldokumente
mit überflüssigem bürokratischem Aufwand verbun-
den.

Vor diesem Hintergrund haben wir in einem Gesetz-
entwurf beantragt, den Doktorgrad künftig nicht mehr
in Pass und Personalausweis einzutragen. Durch die
Streichung fiele ein Anreiz weg, den Doktor vor allem
aus Gründen der gesellschaftlichen Reputation oder
gar „Titelhuberei“ zu erlangen. Ganze Beratungsagen-
turen gründen auf derlei Motivationslagen ihr einträg-
liches Geschäftsmodell: Sie bieten an, Dr.-Interessier-
ten bei der Mühsal der wissenschaftlichen Arbeit unter
die Arme zu greifen. Das Ergebnis sind dann Promo-
tionen, deren Sinn für den Inhaber einzig darin liegt,
mit dem Titel glänzen zu können.

Leider haben Sie in der Koalition bislang die
Chance verpasst, sich in der Sache zu bewegen. Ich er-
innere daran, dass Bundesinnenminister Schäuble be-
reits 2007 in einer Initiative für die Abschaffung der
Eintragung des Doktorgrads in Pass und Personalaus-
weis geworben hat. Seitens der Bundesländer ist das
einzig an den Einwänden von Bayern und Thüringen
gescheitert.

Erfreulicherweise besteht bei den Oppositionsfrak-
tionen zumindest großes Einvernehmen, dass der Dok-
tor in Pass und Ausweis nichts zu suchen hat. Insofern
sehe ich sehr gute Chancen, dass sich hier bei einem
erneuten Anlauf in der kommenden Legislaturperiode
etwas tut und wir in Bundesrat und Bundestag eine
Mehrheit dafür erreichen können, diese Sondersitua-
tion in Deutschland zu beenden. Schwarz-Gelb aller-

dings scheint auch in dieser Frage wieder mal nicht
die Kurve zu kriegen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723138400

Wir kommen zur Abstimmung. Der Innenausschuss

empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksa-
che 17/11908, den Gesetzentwurf der Fraktion Bünd-
nis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8128 abzulehnen.
Ich bitte diejenigen, die dem Gesetzentwurf zustimmen
wollen, um das Handzeichen. – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Der Gesetzentwurf ist bei Gegenstimmen
der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen mit den Stimmen
der übrigen Fraktionen abgelehnt. Damit entfällt die
weitere Beratung.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 25 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Katja
Kipping, Diana Golze, Matthias W. Birkwald,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion DIE
LINKE

Verschleierung verhindern – Berichterstat-
tung über Armut und Reichtum auf eine un-
abhängige Kommission übertragen

– Drucksache 17/12709 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)
Haushaltsausschuss

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, sollen auch
diese Reden zu Protokoll genommen werden.


Max Straubinger (CSU):
Rede ID: ID1723138500

Es ist schon erstaunlich, mit welchen Themen und

mit welchen Anträgen sich das Hohe Haus beschäfti-
gen muss. Damit ich nicht missverstanden werde: Ich
bin gern bereit, eine Debatte über die soziale Situation
in Deutschland zu führen, über die Verteilung von Ver-
mögen und Einkommen, über Chancengerechtigkeit
und vieles mehr. Der 4. Armuts- und Reichtumsbericht
der Bundesregierung bietet eine hervorragende Grund-
lage für eine solche Debatte.

Aber der Vorwurf, die Bundesregierung und die Ko-
alitionsfraktionen wollten eine Berichterstattung ver-
schleiern oder die politische Diskussion über eine ver-
meintlich soziale Ungleichheit ersticken, ist einfach
töricht. Das genaue Gegenteil ist der Fall. Wir sorgen
für umfassende Transparenz. Der Berichtsentwurf, der
Ende letzten Jahres in die Ressortabstimmung gegan-
gen ist, ist bekannt und für jeden Bürger in unserem
Land recherchierbar. Und der Bericht nach der Res-
sortabstimmung in der Fassung, wie er vom Bundes-
kabinett beschlossen worden ist, ist für Interessierte
zugänglich. Jeder kann beide Berichte nebeneinander-
legen und Satz für Satz abgleichen. Und genau das ist
ja auch geschehen. Es war in der öffentlichen Bericht-
erstattung viel von Schönfarberei die Rede; interes-
sierte Kreise haben versucht, den ganz normalen
Vorgang einer Ressortabstimmung politisch zu skan-
dalisieren, die Fraktion Die Linke übrigens auch.





Max Straubinger


(A) (C)



(D)(B)


Aber weil wir so transparent vorgegangen sind und
uns der massiven – in der Sache haltlosen – Kritik ge-
stellt haben, kann man uns doch keine Verschleierung
vorwerfen. Ihr Vorwurf ist unlogisch und in der Sache
völlig abwegig.

Und noch ein Wort zur Transparenz: Schauen Sie
auf die Homepage des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales. Das Ministerium hat dort zahlreiche
Forschungsprojekte dargestellt. Alle Berichte können
heruntergeladen werden, die wissenschaftliche Basis
für den 4. Armuts- und Reichtumsbericht ist bekannt.
Mehr Transparenz ist kaum möglich. Deshalb ist der
Vorschlag nach Einsetzung einer unabhängigen Kom-
mission in der Sache völlig unbegründet. Sie mögen
die politischen Schlussfolgerungen der Regierung
nicht teilen, das ist aber kein Grund, die wissenschaft-
liche Expertise infrage zu stellen. Am Bericht haben
doch ganz überwiegend diejenigen mitgearbeitet, die
auch in eine vermeintlich unabhängige Kommission
berufen werden würden. Vor diesem Hintergrund halte
ich Ihren Vorschlag nicht für zielführend. Und Sie ha-
ben selbst im Jahr 1999 als PDS-Fraktion in einem
Antrag noch gefordert, dass die Bundesregierung ei-
nen Bericht über die Entwicklung von Armut und
Reichtum vorlegen soll. Von einer unabhängigen Kom-
mission war seinerzeit nicht die Rede. Was damals
richtig war, soll heute falsch sein. Nur weil Ihnen die
politische Bewertung der Regierung nicht passt.

Das kann Ihnen auch bei einer unabhängigen Kom-
mission passieren. Wir haben es letztes Wochenende
aus dem Mund des Vorsitzenden der SPD erlebt, der
den Sachverständigenrat zur Begutachtung der ge-
samtwirtschaftlichen Entwicklung im Zusammenhang
mit der Diskussion um die Einführung von Mindestlöh-
nen massiv angegangen ist. „Sachverständige, die ihre
Gutachten an der Lebenswirklichkeit vorbei schreiben,
brauchen wir nicht“, so tönte Sigmar Gabriel. Das
zeigt: In der politischen Debatte ist niemand sakro-
sankt. Auch eine vermeintlich unabhängige Kommis-
sion muss sich der Kritik stellen und ist nicht frei von
Kritik.

Abschließend noch ein Wort zu Ihrer Analyse. Ich
weiß nicht, in welchem Land Sie leben, in Deutschland
offenbar nicht. Ich finde, die Daten im 4. Armuts- und
Reichtumsbericht belegen sehr deutlich die positive
Entwicklung der Lebenslagen für die Bürger in unse-
rem Land. Die Langzeitarbeitslosigkeit als eine der
gravierendsten Ursachen für Armut haben wir nach-
haltig abgebaut: Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist
zwischen 2007 und 2012 von 1,73 auf 1,03 Millionen
gesunken. Auch die Zahl derjenigen, die auf Leistungen
der Grundsicherung für Arbeitsuchende angewiesen
sind, ist stark rückläufig: Heute stehen 270 000 Kinder
unter 15 Jahren und über 800 000 erwerbsfähige Men-
schen weniger im Leistungsbezug als im Jahr 2007.
Dabei blieb der Anteil der Niedriglohnbeschäftigten
weitgehend stabil. Deutschland weist in der Europäi-
schen Union gegenwärtig die niedrigste Jugendar-
beitslosigkeit auf. Deutschland gehört nach Berech-

nungen der OECD zu den Staaten, in denen die
Ungleichheit der Markteinkommen mit am stärksten
durch Steuern und Sozialtransfers reduziert wird. Die
Sozialleistungsquote liegt in Deutschland bei rund
30 Prozent und damit über dem EU-Durchschnitt. Das
zeigt: Der Sozialstaat in Deutschland funktioniert. Ihre
Vorwürfe sind haltlos. Sie zeichnen ein Zerrbild von
der Lebenswirklichkeit in unserem Land. Sie wollen mit
dem Thema „Armut in Deutschland“ Wahlkampf ma-
chen und Neiddebatten schüren. Ihr Antrag ist ein rei-
ner Schaufensterantrag. Deshalb werden wir den An-
trag in den Ausschüssen auch ablehnen.


Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1723138600

Der Antrag der Linken ist nicht nur sachlich in wei-

ten Teilen unzutreffend, auch die von der Linksfraktion
abgeleiteten politischen Forderungen helfen weder
den von Armut betroffenen Menschen noch die Quali-
tät künftiger Armuts- und Reichtumsberichte zu ver-
bessern.

Unverständlich ist mir die Äußerung der Linken, es
fehle der Bundesregierung der politische Wille zu ei-
ner sozialpolitischen Kurskorrektur. Wenn wir auf die
Rahmendaten schauen, dann stellt sich schon die
Frage, welche Kurskorrektur hier vorgenommen wer-
den soll: Den Menschen in der Bundesrepublik geht es
gut; sie sind nicht massenweise von Verelendung be-
troffen, wie es die Linke behauptet. Wir haben die nied-
rigste Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Die
Zahl der Langzeitarbeitslosen ist seit 2007 um rund
40 Prozent gesunken. Deutschland weist die niedrigste
Jugendarbeitslosenquote in der EU auf – sogar als ein-
ziges Land einen signifikanten Rückgang der Quote –
einen Tiefstand im Hartz-IV-Bezug, einen Höchststand
bei der Beschäftigung, und auch die Löhne steigen
spürbar, insbesondere dort, wo die Tarifbindung hoch
ist. Kurzum: Wir haben eine insgesamt gute arbeits-
und sozialpolitische Gesamtsituation.

Ein alter Schuh der Linksfraktion: Die Unterstel-
lung, die Bundesregierung hätte massiv Leistungen bei
der Arbeitsförderung gekürzt. Sie verschweigen aller-
dings, dass wir die Mittel für Programme der Arbeits-
markt- und Beschäftigungsförderung auf dem Höhe-
punkt der Krise deutlich nach oben gefahren haben.
Trotz der danach vorgenommenen Reduzierung geben
wir heute pro Kopf mehr für die Integration von Lang-
zeitarbeitslosen in den Arbeitsmarkt aus als vor der
Krise. Ginge es nach den Linken, müssten wir nicht
nur bei steigender Arbeitslosenzahl mehr Geld für
Arbeitsmarktpolitik ausgegeben, sondern auch, wenn
es weniger Arbeitslose gibt. Das ist fiskalisch und ord-
nungspolitisch Unfug.

Noch interessanter ist die paradoxe Forderung der
Linken nach einer unabhängigen Kommission, die zu-
sammengesetzt sein solle aus Vertretern von „Wissen-
schaft, Gewerkschaften, Verbänden sowie Interessen-
vertretungen der von Armut und sozialer Ausgrenzung
betroffenen Personen“. Man kann ja durchaus eine
Diskussion über eine unabhängige Kommission füh-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Matthias Zimmer


(A) (C)



(D)(B)


ren. Aber wenn die Linken dies fordern, können sie
doch nicht im nächsten Halbsatz ihre eigene Forde-
rung konterkarieren, indem sie Interessenvertreter in
eine solche „unabhängige“ Kommission berufen wol-
len. Genauso absurd ist in diesem Zusammenhang, der
Kommission bereits im Antrag nahezulegen, welche
normativen Schlussfolgerungen sie aus ihrer Analyse
zu ziehen hat. Damit würde die von ihnen geforderte
Kommission zum Sprachrohr der Linken pervertieren.
Ich frage mich, welcher wirklich unabhängige Experte
sich hierfür freiwillig instrumentalisieren lassen
würde.

Im Übrigen hat die Bundesregierung über den
Beraterkreis und das wissenschaftliche Gutachter-
gremium die wesentlichen gesellschaftlich relevanten
Akteure beratend in die Berichterstattung einbezogen.
Der Austausch mit Vertretern der Wissenschaft war be-
reits im Vorfeld der Neukonzeption des Armuts- und
Reichtumsberichtes besonders intensiv. Mehrere Work-
shops des Ministeriums begleiteten die Arbeiten. Das
wissenschaftliche Gutachtergremium setzte sich dieses
Mal etwa zur Hälfte aus neu berufenen und bereits für
die bisherige Berichterstattung berufenen Wissen-
schaftlern zusammen. Die neu berufenen Experten
bearbeiteten entweder Forschungsaufträge für den
4. Armuts- und Reichtumsbericht oder konzentrierten
ihre Forschungsarbeiten auf die Schwerpunkte der
diesjährigen Berichterstattung, etwa Analysen zu
Übergängen im Bildungs- und Ausbildungssystem
oder die Messung subjektiver Einstellungen. Das Bun-
desministerium für Arbeit und Soziales wird die Zu-
sammenarbeit mit den Experten auch mit Blick auf den
nächsten Bericht fortsetzen.

Ebenso steht die Bundesregierung unter Federfüh-
rung des BMAS im Rahmen des gemeinsamen Monito-
rings, auch „Sozialmonitoring“ genannt, in einem
konstruktiven Dialog mit den Spitzenverbänden der
Freien Wohlfahrtspflege. Unerwünschte Aus- und
Wechselwirkungen, die in unmittelbarem Zusammen-
hang mit der aktuellen Sozialgesetzgebung stehen,
werden hier in regelmäßigen Abständen partnerschaft-
lich gemeinsam diskutiert.

Unsere Aufgabe als Politik ist es, dafür zu sorgen,
dass sich Armutsrisiken für bestimmte gesellschaftli-
che Gruppen nicht über Generationen verfestigen und
dass Chancen zur sozialen Mobilität, also zur sozialen
Verbesserung der Lebenslage, in ausreichendem Maße
vorhanden sind. Die Regierung Merkel trägt dafür
Sorge, dass in unserer sozialen Marktwirtschaft wei-
terhin die Freiheit des Marktes mit dem Prinzip des so-
zialen Ausgleichs verbunden bleibt. Die Linken zielen
mit ihrer Politik auf eine leistungsfreie und damit an-
strengungslose Daseinsgestaltung, finanziert durch
die Expropriation derjenigen, die etwas leisten. Das
hingegen können wir uns als Nation, die auch aus den
Fehlern des zu Recht untergegangenen sozialistischen
Experiments gelernt hat, nicht leisten – ich gebe aller-
dings zu, dass dieser Lernerfolg einigen bisher versagt
geblieben ist.


Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1723138700

Ist nicht alles schon zum 4. Armuts- und Reichtums-

bericht, ARB, gesagt? Die Regierung hat getrickst.
Entscheidende und richtige Feststellungen wurden ge-
strichen oder in 549 Seiten versteckt. Somit hat der an
sich gute Bericht sehr gelitten und ist weit unter seinen
Möglichkeiten geblieben.

Denn: Deutschland ist ein reiches Land, das sich
aber zunehmend mehr Armut und Armutsrisiken leis-
tet. Deutschland ist ein Land der Chancen, die aber zu-
nehmend ungleicher verteilt sind. Deutschland ist
zwar ein Land mit enorm hoher Beschäftigungsquote
und geringer Arbeitslosigkeit, doch können viele Men-
schen nicht von ihrem Lohn leben.

Es kann daher nicht wundern, dass das Gerechtig-
keitsempfinden der Menschen zunehmend mehr ver-
letzt ist. Eine Bundesregierung, die einen solchen Satz
aus dem wichtigsten Dokument zum Themengebiet,
nämlich dem 4. ARB, streichen lässt, steht nicht zu den
Menschen und dem Land.

Der heute zur Debatte stehende Antrag der Linken
beschreibt die Situation richtig, und seine Kritik ist zu-
treffend; denn eine erneute Verschleierung der Tatsa-
chen durch einen Bericht der schwarz-gelben Bundes-
regierung muss verhindert werden.

Allerdings greifen die angebotenen Lösungen zu
kurz. Für die künftige Berichterstattung will die SPD-
Bundestagsfraktion sicherstellen, dass folgende For-
derungen in der Armuts- und Reichtumsberichterstel-
lung umgesetzt werden:

Erstens. Bessere Einbindung eines Beraterkreises,
Transparenz der Berichterstellung durch die Veröffent-
lichung des Beratungsprozesses sowie der abschlie-
ßenden Vorschläge und Kommentare, des Beraterkrei-
ses im Anhang des Berichtes.

Zweitens. Verbesserung der Indikatoren, Umsetzung
der Forderungen, die im Antrag der SPD-Bundestags-
fraktion ,,Vorbereitung des 4. Armuts- und Reichtums-
berichts der Bundesregierung in der 17. Wahlperiode –
Armuts- und Reichtumsberichterstattung weiterentwi-
ckeln“, Bundestagsdrucksache 17/4552, aufgeführt
sind.

Drittens. Stärkere Nutzung und Einbeziehung des
vorhandenen Datenmaterials, zum Beispiel zur Gen-
derfrage und zum Reichtum.

Viertens. Vernetzung der Ergebnisse anderer Be-
richterstattungen wie zum Beispiel Gleichstellungsbe-
richt, Berichte zu Familie, Kindern und Jugendlichen,
Senioren, Bildung, Migration, Renten, Städtebau und
Nutzung ihrer Kernaussagen.

Fünftens. Vernetzung mit den Sozialberichten der
Länder und Kommunen.

Sechstens. Ausweitung der Berichterstattung um
Fragen wie: Wem nützen gesellschaftlich notwendige
Dienstleistungen? Wer nutzt bestehende Teilhabechan-

Zu Protokoll gegebene Reden





Gabriele Lösekrug-Möller


(A) (C)



(D)(B)


cen nicht und warum? Stichwort: Verwirklichungs-
chancen.

Siebtens. Was bedeuten Leistungseinschränkungen
und Privatisierung für die Lebenslagen verschiedener
Gruppen, vor allem derer im Armutsrisiko?

Zusammenfassend möchte ich feststellen: Wir brau-
chen einen ARB mit klaren Analysen, die deutliche
Handlungsempfehlungen zulassen. Hierbei handelt es
sich um ein zutiefst politisches Feld, das in die Mitte
des Parlaments gehört und dort entschieden werden
muss.


Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1723138800

Der Antrag der Fraktion Die Linke, den wir heute

beraten, fordert eine grundsätzliche Umkehr des bis-
herigen Vorgehens bei der Erarbeitung der Armuts-
und Reichtumsberichte. Dabei verkennen Sie jedoch
vollständig, dass die Armuts- und Reichtumsberichte
keine reine Sammlung von statistischen Daten sein sol-
len und auch bisher nicht waren, sondern dass die er-
hobenen Daten auch bewertet werden und dass aus ih-
nen politische Schlussfolgerungen gezogen werden
müssen.

Würde man Ihrem Vorschlag folgen, würden die bei-
den letzten von mir angesprochenen Aspekte entweder
komplett entfallen. Oder sie würden von Wissenschaft-
lern statt der Politik vorgenommen. Würden die Be-
wertungen und Schlussfolgerungen entfallen, hätte der
Armuts- und Reichtumsbericht keinerlei Mehrwert
mehr. Die reinen statistischen Daten und wissenschaft-
lichen Gutachten gäbe es auch ohne einen Armuts- und
Reichtumsbericht. Die Daten, die in den Berichten ge-
nannt werden, sind uns meist vorher schon aus anderer
Quelle bekannt oder werden als allgemeingültig ak-
zeptiert und von uns allen verwendet. Das Interessante
an den Armuts- und Reichtumsberichten sind ja gerade
die politischen Bewertungen und die Schlussfolgerun-
gen, die aus dem Bericht gezogen werden.

Es kann auch nicht Aufgabe der von der Linken ge-
forderten Kommission sein, die politischen Hand-
lungsanweisungen vorzugeben. Dies muss weiterhin
Sache der Politik sein und darf nicht auf Wissenschaft-
ler übertragen werden, die keine demokratische Legi-
timation besitzen.

Ich kann ja verstehen, dass die Opposition versucht,
die guten Daten im Bereich des Arbeitsmarktes und im
Bereich der Sozialpolitik durch Kritik am bisherigen
Verfahren der Regierung unter den Tisch fallen zu las-
sen. Wenn Sie jedoch die normale Abstimmung eines
Regierungsberichts zwischen den Ministerien zum An-
lass für eine Skandalisierung nehmen, dann halte ich
das für grundfalsch. Es scheint mir eher ein übliches
politisches Spiel zu sein, den jeweils Regierenden un-
lautere Methoden vorzuwerfen.

Am 20. Mai 2008 schrieb „Die Welt“: „Olaf Scholz
soll Armutsbericht geschönt haben. Experten und
Opposition werfen Arbeitsminister Olaf Scholz, SPD,

vor, an seinem Armutsbericht ‚herumgefummelt‘ zu
haben. Scholz stelle die Lage weit positiver dar, als sie
sei, kritisieren sie. Besonders die Kinderarmut sei gra-
vierender als der Bericht suggeriert – die alarmieren-
den Zahlen würden unter den Tisch fallen.“

Grüne und Linke werden darin zitiert, dass im Be-
sonderen Daten zur Kinderarmut geschönt worden
seien. Im Übrigen gab es damals keine Kritik vonseiten
der SPD am Vorgehen ihres Ministers.

Ich möchte nicht im Nachgang beurteilen, welche
Qualität der damalige 3. Armuts- und Reichtumsbe-
richt hatte, aber sie sehen, dass der Vorwurf des „He-
rumfummelns“ am Bericht kein neuer ist.

Was ich aber weiß, ist, dass sich die Daten zwischen
dem 3. und dem 4. Armuts- und Reichtumsbericht deut-
lich verbessert haben. Wir haben weniger Arbeitslose.
Wir haben weniger Bezieher von Leistungen nach dem
Sozialgesetzbuch II. Wir haben weniger Kinderarmut.
Wir haben mehr sozialversicherungspflichtig Beschäf-
tigte. Das sind die Fakten, die auch eine Kommission
nicht anders darstellen kann, weil es Fakten sind und
keine politische Deutung.

Ich möchte die Gelegenheit nutzen, um auch un-
wahre Behauptungen, die Sie in Ihrem Antrag im Zu-
sammenhang mit der Erstellung des 4. Armuts- und
Reichtumsberichtes aufführen, zurechtzurücken. Im
Antrag erheben Sie den Vorwurf, dass die Passage,
dass in den vergangenen zehn Jahren die unteren Ein-
kommen preisbereinigt massiv gesunken seien, entfernt
wurde. Hierfür gibt es jedoch triftige Gründe.

So hatte das Deutsche Institut für Wirtschaftsfor-
schung am 25. Oktober 2012 neue Datenanalysen mit
neuen und revidierten Daten des Sozioekonomischen
Panels präsentiert, die eindeutig belegen, dass die
Einkommensungleichheit seit 2005 gesunken ist. Das
DIW aktualisiert und bestätigt damit die Analyse des
Instituts für Angewandte Wirtschaftsforschung, die
feststellt, dass die Einkommensungleichheit maßgeb-
lich zwischen 1999 und 2005 zugenommen hatte und
danach relativ konstant geblieben ist. Durch Vorlage
dieser Fakten erübrigte sich auch die Aussage zum
Gerechtigkeitsempfinden, die Sie in Ihrem Antrag an-
sprechen.

Zudem halte ich es für bezeichnend, dass sie in Ih-
rem Antrag die Erfolge, die der Armuts- und Reich-
tumsbericht in vielen Feldern zeigt, mit keinem Wort
erwähnen. Die verfügbaren Einkommen nehmen spür-
bar zu. Das ist Ergebnis der positiven Beschäftigungs-
und Lohnentwicklung sowie der Entlastungen bei
Steuern und Abgaben. Die gute Arbeitsmarktentwick-
lung entlastet hilfebedürftige Familien: Die Zahl der
Hartz-IV-Empfänger, der erwerbsfähigen Hartz-IV-
Empfänger – und der Bedarfsgemeinschaften war
2012 die jeweils niedrigste seit Einführung der
Grundsicherung im Jahr 2005. Allein seit 2007 sind
800 000 Erwerbsfähige und 270 000 Kinder weniger
im Leistungsbezug der Grundsicherung.

Zu Protokoll gegebene Reden





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)


Das sind die Erfolge der Politik dieser christlich-li-
beralen Regierungskoalition.


Matthias W. Birkwald (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723138900

Bereits am 17. September 2012 hatte die Bundesre-

gierung einen ersten Entwurf zum 4. Armuts- und
Reichtumsbericht vorgelegt. Dieser Bericht hatte es in
sich – und zwar so sehr, dass die FDP hellauf empört
über die darin beschriebene Wahrheit in diesem Lande
eine massive Aufhübschung des Berichts gefordert und
leider auch durchgesetzt hat.

Im ersten Berichtsentwurf stand noch – ich zitiere:
„Die Bundesregierung prüft, ob und wie über die
Progression in der Einkommensteuer hinaus privater
Reichtum für die nachhaltige Finanzierung öffentli-
cher Aufgaben herangezogen werden kann“.

Die FDP hat diese Passage im Handumdrehen
streichen lassen. Das dürfen wir CDU, CSU und FDP
nicht durchgehen lassen.


(Nettogenen beiden Jahrzehnten deutlich zugenommen. Das Nettovermögen der privaten Haushalte hat sich von knapp 4,6 Billionen Euro 1992 auf rund 10 Billionen Euro mehr als verdoppelt. Selbst in der Krise zwischen 2007 und 2012 ist das Vermögen um 1,4 Billionen Euro gestiegen. Das Vermögen in Deutschland ist aber extrem ungleich verteilt, und die Spreizung nimmt dramatisch zu. Wenige werden immer reicher – und viele werden immer ärmer. Mit Leistung hat das alles aber rein gar nichts zu tun. Und mit Gerechtigkeit schon gar nicht. Genau das muss im Bundestag nicht nur diskutiert werden, sondern genau das muss hier geändert werden. Auch mit der Lohnentwicklung stimmt etwas nicht: In den Jahren von 1998 bis 2008 haben die untersten 40 Prozent der Vollzeitbeschäftigten reale Lohnverluste erleiden müssen. Wörtlich heißt es im ersten Entwurf des Armutsund Reichtumsberichts: „Eine solche Einkommensentwicklung verletzt das Gerechtigkeitsempfinden der Bevölkerung und kann den gesellschaftlichen Zusammenhalt gefährden.“ – Das stimmt. Doch die FDP hat diese Einsicht ganz schnöde wegzensiert. Das ist schäbig. Eine Studie des DGB zeigt die bittere Wahrheit: Inzwischen arbeiten 4,7 Millionen Menschen, die sozialversicherungspflichtig in Vollzeit beschäftigt sind, im Niedriglohnbereich. Das ist mehr als ein Fünftel aller Vollzeitbeschäftigten. Insgesamt arbeiten fast 8 Millionen Menschen für einen Niedriglohn, also für weniger als 9,15 Euro brutto pro Stunde. Das sind über 1 Million Menschen mehr als noch vor zehn Jahren. 1,4 Millionen Menschen arbeiten sogar für weniger als 5 Euro. Das alles schreit doch förmlich nach starken Gewerkschaften und nach einem flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn. Mit dieser elendigen Billiglohnpolitik muss endlich Schluss sein. Im März dieses Jahres zählte die Bundesagentur für Arbeit bundesweit mehr als 1,3 Millionen Menschen, die arbeiten gehen und trotzdem aufs Amt müssen und Hartz IV beziehen. 20 Prozent dieser sogenannten Aufstockerinnen und Aufstocker haben sogar einen Vollzeitjob. Das ist doch nichts anderes als Lohndrückerei per Gesetz. Dieses Gesetz gehört auf den Müllhaufen der Geschichte. Stattdessen müssen wir endlich eine sanktionsfreie soziale Mindestsicherung einführen. Das skandalöse Vorgehen der schwarz-gelben Regierung lässt doch nur einen Schluss zu: Wir brauchen eine von der Regierung unabhängige Kommission, die sich ernsthaft, ohne ideologische Verschleierungsbrille und vor allem fernab von Wahlkampfinteressen der Armutsund Reichtumsberichterstattung annimmt. Diese Kommission muss aus unabhängigen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, aus Gewerkschaftern sowie aus Vertreterinnen und Vertretern aus Verbänden und Interessenvertretungen von Betroffenen zusammengesetzt sein. Wichtig ist zudem, dass die Kommission mit einem eigenen Budget ausgestattet ist und ein unabhängiges Büro unterhalten kann. Auf diese Weise kann und muss die Kommission Gutachten in Auftrag geben, Expertinnen und Experten anhören und dadurch gewonnene Erkenntnisse zeitnah veröffentlichen. Im Mittelpunkt steht dabei das Interesse, unser Wissen über das Ausmaß, die Ursachen und die Auswirkungen von Armut und Reichtum zu verbessern und Strategien zur Vermeidung und Bekämpfung von grober Ungleichheit zu entwickeln. Einseitige Beschränkungen auf bestimmte Ansätze, wie ihn die von CDU, CSU und FDP gebildete Bundesregierung mit dem Lebensphasenansatz vorgegeben hat, müssen vermieden werden. Der 4. Armutsund Reichtumsbericht, den das Ka binett vor zwei Wochen verabschiedet hat, hat schon Monate vor seiner Verabschiedung einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Die methodische Anlage weicht von den vorherigen Berichten ab, das Datenmaterial wurde ausgesprochen selektiv berücksichtigt, und zu guter Letzt wurden kritische Wertungen auf Betreiben des Wirtschaftsministers aus dem Bericht gestrichen. Der Bericht der Bundesregierung gibt daher keine adäquate Auskunft über die Verteilung von Armut und Reichtum und wird damit seiner Funktion nicht gerecht. Das – so weit teile ich die Kritik der Fraktion Die Linke – ist ein unguter Zustand, vor allem weil die Bundesregierung im Vorfeld der Verabschiedung von Experten, Fachverbänden und Sozialverbänden zu Korrekturen aufgefordert worden war. Die Chance zu Nachbesserungen bestand und wurde schlicht vergeben. Vor diesem Hintergrund scheint die Forderung der Linken, die Berichterstattung zukünftig durch eine unabhängige Kommission sicherzustellen, zunächst plausibel. Es lohnt jedoch, sich den ersten Beschluss Zu Protokoll gegebene Reden Markus Kurth des Gesetzgebers zur Erstellung des Armutsund Reichtumsberichts in Erinnerung zu rufen. Dann erkennt man, dass eine solche Auslagerung politisch das falsche Signal setzt. Als die Erstellung des Armutsund Reichtumsberichts 1999 beschlossen wurde, waren die Anforderungen an diesen Bericht, sein Zweck und damit die Aufgabe der Bundesregierung eindeutig formuliert. Im Antrag, Bundestagsdrucksache 14/999, heißt es unmissverständlich, dass die Berichterstellung folgende Anforderungen erfüllen solle: „ Armut und Reichtum muß in die Analyse der gesamten Verteilung von Einkommen und Lebenslagen eingebettet sein. Armutsund Reichtumsberichterstattung benötigen eine qualifizierte Datengrundlage. richterstattung muß der Komplexität und Vielschichtigkeit von Armut und Reichtum Rechnung tragen. Sie muß über individuelle und kollektive Lebenslagen Aufschluß geben. In dem Bericht sollte auch der Frage nachgegangen werden, in welcher Form und in welchem Umfang Arme selbstbestimmt und eigenverantwortlich handeln können. Der Bericht sollte besondere Problemgruppen gesondert berücksichtigen. Armut und Reichtum darlegen. des Berichts soll unter verbindlicher Beteiligung von Armutsund Reichtumsforschern unter Federführung des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung erstellt werden. Er kann auf die Erfahrungen aufbauen, welche bei der Berichterstattung in den Kommunen und Ländern gewonnen wurden. Darüber hinaus sollte ein internationaler Vergleich ermöglicht werden. Die Erstellung des Berichts soll von einem Beratungsprozeß begleitet werden, an dem alle Organisationen und Verbände beteiligt werden, die sich mit dem Thema befassen. Der Bericht soll grundlegende gesellschaftliche Perspektiven und politische Instrumentarien zur Vermeidung und Bekämpfung von Armut entwickeln. Die regelmäßige Berichterstattung hat die Aufgabe, die Wirkungsweise und Effizienz dieser Instrumente darzulegen.“ Das Problem ist also nicht, dass die Anforderungen an den Armutsund Reichtumsbericht der Bundesregierung unzureichend wären, sondern dass die schwarzgelbe Bundesregierung diese schlicht ignoriert hat. Und ich möchte unterstreichen: Der damalige Gesetzgeber konnte sich nicht vorstellen, dass eine Bundesregierung die ihr übertragene Aufgabe ebenso absichtsvoll wie deutlich verfehlen würde. Aber auch wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung an dieser Stelle einen Negativpräzedenzfall geschaffen hat, ist das kein Grund, das Kind mit dem Bade auszuschütten. So richtig die Forderung nach einem objektiven Bericht ist, so wichtig ist die Funktion des Armutsund Reichtumsberichts. Natürlich soll er einen Sachstandsbericht liefern. Vor allem aber ist er ein sozialpolitischer Rechenschaftsbericht. Es geht darum, dass die Bundesregierung das Thema „Armut“ auf der Agenda hat – und zwar über die gesamte Legis laturperiode – und dass sie geeignete Maßnahmen ergreift, um Armut zu beseitigen. Das aber setzt eine ehrliche Auseinandersetzung voraus. Darum ist der Armutsund Reichtumsbericht für den politischen Gestaltungsprozess einer Bundesregierung von unmittelbarer Bedeutung, und genau diese Aufgabe kann eine rein wissenschaftliche Aufarbeitung des Themas durch eine unabhängige Kommission nicht leisten. Und noch eines: Wenn man sich die wissenschaftlichen Publikationen zum Thema anschaut, dann fällt auf, dass ihre Anzahl nach 2001 sprunghaft ansteigt. Ich darf daran erinnern: 2001 wurde der 1. Armutsund Reichtumsbericht von der damals rot-grünen Bundesregierung veröffentlicht. Dieser Bericht hat eine Diskussion über Armut und Reichtum angestoßen, und zwar über den Deutschen Bundestag hinaus. Inzwischen legen auch die Länder Armutsund Reichtumsberichte vor. 2010 war das Europäische Jahr gegen Armut und soziale Ausgrenzung. Dass Gewerkschaften, Sozialverbände und auch die Wissenschaft den diesjährigen Bericht der schwarz-gelben Bundesregierung so vehement kritisiert haben, zeigt für mich vor allem eines: dass das Thema „Armut und Reichtum“ gesamtgesellschaftlich präsent ist. Der Armutsund Reichtumsbericht einer Bundesregierung leistet dazu einen wichtigen Beitrag und sollte zugleich ein politisches Aushängeschild sein. An der Art und Weise, wie dieser Bericht verfasst wird, lässt sich gut ablesen, wie ernst eine Regierung dieses Thema nimmt. Aus diesen Gründen können wir einer Übertragung der Berichterstattung auf eine unabhängige Kommission, so wie es die Linke fordert, nicht zustimmen. Für uns Grüne gehört der Armutsund Reichtumsbericht in den Verantwortungsbereich der Bundesregierung, und aus dieser Verantwortung sollte sie auch nicht entlassen werden. Interfraktionell wird Überweisung der Vorlage auf Drucksache 17/12709 an die in der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie einverstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung so beschlossen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 26 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Finanzausschusses dem Antrag der Abgeordneten Thilo Hoppe, Dr. Gerhard Schick, Lisa Paus, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Für die Einführung eines transparenten und unabhängigen Staateninsolvenzverfahrens – Drucksachen 17/8162, 17/10031 – Berichterstattung: Abgeordnete Ralph Brinkhaus Manfred Zöllmer Dr. Gerhard Schick Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden auch diese Reden zu Protokoll genommen. Seit mehr als zwei Jahrzehnten kämpfen viele Ent wicklungsund Schwellenländer mit dem Problem einer nicht mehr tragfähigen Überschuldung. Dadurch kann es zu Hindernissen für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung dieser Staaten sowie bei der Bereitstellung staatlicher Fürsorgeleistungen kommen. Der Antrag der Opposition erwägt als Lösung die Schaffung eines geordneten Insolvenzverfahrens. Zurzeit gibt es noch kein offizielles geordnetes Insolvenzverfahren für Staaten, sondern nur das sogenannte Pariser-Club-Verfahren. Dies hat zum Inhalt, dass für Staatsschulden, deren Gläubiger ebenfalls ein Staat ist, eine Abwicklung erfolgt, also für Entwicklungshilfekredite und garantierte Lieferantenkredite. Ferner gibt es das sogenannte Londoner-Club-Verfahren für private Gläubiger. Hier werden Inhaber von Staatsschuldverschreibungen und Banken, die Direktkredite an Staaten vergeben, in die Haftung genommen. Diese Systeme funktionierten einigermaßen gut, deshalb bedurfte es damals keines Insolvenzrechts für Staaten. In den 1990er-Jahren brach jedoch das Vertrauen in diese beiden Systeme zusammen, weil die Handhabung der Schuldenkrise in Ländern wie Russland, der Ukraine, Argentinien und Moldawien und in geringerem Maße in Pakistan und Ecuador die Realwirtschaft massiv in Mitleidenschaft zog. Deshalb verlangten immer mehr Stimmen eine Reform, was dazu führte, dass schließlich im Jahr 2001 die Vizepräsidentin der Weltbank, Anne Krueger, einen offiziellen Vorschlag unterbreitete. Seither ist das Thema auf der Agenda. Wenn man ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren befürwortet, sollte dieses folgende vier Ziele verfolgen: Erstens. Nachdem die Regierung des Schuldnerlandes den finanziellen Staatsnotstand erklärt hat, sollten die Gläubiger wie im üblichen Insolvenzverfahren stillhalten. So kann ein Abfließen von Devisen verhindert werden und die Auswirkungen der Krise auf die Realwirtschaft begrenzt bleiben. Zweitens. Das Verfahren sollte Anreize für Schuldner und Gläubiger vermitteln, Auslandsschulden nicht sorglos oder gar bedenkenlos auszuweiten. Dies umfasst bei Hilfszusagen für den umzuschuldenden Staat die Möglichkeit, dem Schuldnerland von außen schwere Lasten und Reformschritte aufzuerlegen. Drittens. Es sollten bei wirtschaftspolitischen Auflagen im Schuldnerstaat, die unter anderem in der Absenkung von Staatsausgaben, Lohnsenkungen und Steuererhöhungen bestehen, Mindeststandards für die Gewährleistung essenzieller Staatsfunktionen gewährleistet werden. Viertens. Das Verfahren sollte von einer unabhängigen Person oder einem unabhängigen Ausschuss koordiniert werden, der weder eigene Interessen verfolgt, noch von den Interessen anderer Beteiligter abhängig ist und in der Lage ist, eine vernünftige Interessenabwägung vorzunehmen. Es muss zur Kenntnis genommen werden, dass andere Staaten in Sachen Staateninsolvenzverfahren mitunter andere Positionen vertreten und Fortschritte in internationalen Verhandlungen nur schwer zu erzielen sind. Diese Komplexität der internationalen Verhandlungsführung muss berücksichtigt werden. Der Antrag der Grünen greift daher zu kurz. Die Schaffung eines Staateninsolvenzverfahrens kann keine Lösung sein. Es müssen vielmehr die Ursachen, die zu einer Staateninsolvenz führen, von vornherein vermieden werden. Hier wären Missstände in den Wirtschaftssystemen zu nennen. Innerhalb der Euro-Zone ist jeder Staat systemrelevant, eine Staateninsolvenz ist daher nicht angebracht, vielmehr sollten die Staaten gerettet werden. Und es muss viel früher angesetzt werden. Die Bundesregierung setzt sich entgegen der im Antrag der Grünen vertretenen Auffassung sehr intensiv dafür ein, in diesem Bereich voranzukommen. Der Hauptansatz der Bundesregierung ist jedoch eher, Wege zu finden, um einer Schuldenkrise vorzubeugen. Das sollte der Ansatz zum Handeln sein und nicht die Bankrotterklärung einzelner Staaten. Das Prinzip muss sein: aktives Handeln statt passiven Aufräumens. Die Opposition verkennt in ihren Anträgen, dass eine geordnete Insolvenz kein Automatismus mit Erfolgsgarantie ist. Auch bei einem vorab transparenten Insolvenzverfahren können Phasen der Unsicherheit und der politischen Spannungen auftreten. Um die Insolvenz eines Staates von vornherein zu vermeiden, müssen Wachstumsanreize und Produktivitätswachstum geschaffen werden. Jede Handlung muss darauf ausgerichtet sein, die Ursachen der Probleme zu behandeln. Innerhalb der Euro-Zone ist zum Beispiel die neue haushaltspolitische Überwachung hervorzuheben: Der Fiskalvertrag und neue Haushaltsregelungen im Stabilitätsund Wachstumspakt sorgen dafür, die Staatsverschuldung in den Mitgliedstaaten zu reduzieren, zu begrenzen und strukturelle Defizite künftig ganz zu vermeiden. Zur Kontrolle müssen die Mitgliedstaaten im Rahmen des Europäischen Semesters regelmäßig an die Europäische Kommission berichten. Dies wird unterstützt durch die neue wirtschaftspolitische Steuerung. Diese beabsichtigt, durch eine gemeinsame Wachstumsstrategie, einen Pakt für Wachstum und Beschäftigung und den Euro-Plus-Pakt die Euro-Länder wettbewerbsfähiger zu machen. Das Verfahren zur Vermeidung und zur Korrektur gesamtwirtschaftlicher Zu Protokoll gegebene Reden Bettina Kudla Ungleichgewichte hilft künftig bei der Koordinierung und Überwachung der Wirtschaftspolitik. Der Finanzmarkt bekommt durch nationale, europäische und weltweite Regulierungsmaßnahmen einen neuen Ordnungsrahmen, durch den die Finanzwirtschaft ihre dienende Funktion für die Realwirtschaft zurückerlangt. Zu guter Letzt konnte die Bundesregierung Stabilitätsmechanismen schaffen, um Krisensituationen schnell in den Griff zu bekommen. Hier greifen mit dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, und dem temporären Schutzschirm, EFSF, wirkungsvolle Hilfsmechanismen, die die Idee einer Staateninsolvenz obsolet machen. Die Opposition ist mit dem Verteilen von Geldern unserer Steuerzahler schnell bei der Hand. Dieses Geld gehört jedoch weder der Opposition noch der Regierung, sondern dem deutschen Steuerzahler. Bei dem hier vorliegenden Antrag drängt sich die Vermutung auf, dass die Grünen wollen, dass Deutschland für die Schulden anderer Länder aufkommt. Bei Schulden gilt jedoch: Irgendwer haftet immer, Schulden lösen sich nicht in Luft auf – auch bei einer Staateninsolvenz nicht. Aber: Das Subsidiaritätsprinzip gilt nach wie vor. Unsere Bürger dürfen nicht für die Schulden anderer Länder in Haftung genommen werden. Es muss das Prinzip gelten: Jedes Land in Europa ist für sein eigenes Handeln – auch in wirtschaftsund finanzpolitischer Hinsicht – in erster Linie selbst verantwortlich. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass trotz eines rechtlichen Rahmens für ein Insolvenzverfahren die Insolvenz eines Euro-Landes ohne entsprechende Verwerfungen durchgeführt werden könnte. Die Ansteckungsgefahr innerhalb der Euro-Zone wäre groß, das Vertrauen in unsere Währung würde schwinden. Ziel muss es daher sein, alles daranzusetzen, dass die Maßnahmen des Fiskalpaktes und des Europäischen Semesters umgesetzt werden. Wenn dies wirklich erfolgt, dürfte es keine Insolvenz eines Euro-Staates geben. Vor dem Hintergrund der negativen Erfahrungen mit einem zu frühen Euro-Beitritt einzelner Länder sollten die Regeln für einen Beitritt in die Euro-Zone verschärft werden. Der gegenwärtige Automatismus für den Euro-Beitritt gemäß Lissabon-Vertrag ist nicht ausreichend. Der Antrag der Grünen, über den wir debattieren, stammt vom Dezember 2011. Die Beschlussempfehlung und der Bericht des Finanzausschusses sind vom 18. Juni 2012. Erledigt ist die darin aufgeworfene Frage der Einführung eines transparenten und unabhängigen Staateninsolvenzverfahrens aber nicht. Vor dem Hintergrund der aktuellen Krise in Zypern ist die Frage weiterhin erlaubt, ob wir nicht ein geordnetes Verfahren zur Schuldenrestrukturierung von Staaten benötigen. Wenn ein Land, auch ein EU-Staat, aufgrund wirtschaftlicher Umstände oder einer unsoliden Haushaltspolitik nicht mehr in der Lage ist, seine Schulden zu bedienen, oder sich aufgrund vollkommen überhöhter Zinsen am Markt nicht mehr refinanzieren kann, muss vielleicht auch eine staatliche Insolvenz im Rahmen eines zuvor festgelegten und organisierten Rahmens möglich sein. Wir wissen alle, dass ein Staatsbankrott erhebliche und im Moment unabsehbare Folgen mit sozialen und wirtschaftlichen Verwerfungen nach sich ziehen kann. Dies liegt aber auch daran, dass er nahezu ein Tabu ist und es kein geordnetes Verfahren gibt. Das ist die eigentliche Gefahr, die wir bereits von den Banken kennen und die mit einem Restrukturierungsund Abwicklungsregime gebannt werden soll. Eine vernünftige Prophylaxe, wie sie von der Bundesregierung seinerzeit im Finanzausschuss dargestellt wurde, sollte einhergehen mit einem international vereinbarten System für den Umgang mit hochverschuldeten Staaten. Dies gilt insbesondere für Entwicklungsländer, aber es macht auch Sinn für andere Länder. Der Antrag der Grünen macht hierzu einige vernünftige Vorschläge. Zumeist wird gegen die Idee eines geordneten Insolvenzverfahrens argumentiert, die politischen und sozialen Kosten seien für die betroffenen Länder, aber unter Umständen auch für vernetzte Staaten unüberschaubar und letztlich nicht tragbar. Innerhalb der Euro-Zone könnten die Zahlungsunfähigkeit und ein Insolvenzverfahren eines Staates eine Diskreditierung der gesamten Euro-Zone nach sich ziehen. Die Kredibilität der Euro-Zone und ihrer Länder wäre unter Umständen in Gänze in Gefahr. Bisher erreichte Konvergenzschritte in den letzten Jahren würden mit einem derartigen Schritt zunichtegemacht. Fakt ist, dass eine Insolvenz – und dies wissen wir aus der unternehmerischen wie der privaten Insolvenz – eine Last für die Betroffenen ist. Die Staateninsolvenz würde zweifelsohne eine enorme politische, wirtschaftliche und soziale Belastung bedeuten. Aber man sollte den Schritt gehen, auch wenn es nicht einfach ist. Die bisherigen Erfahrungen zeigen, dass Überbrückungsmaßnahmen wie Hilfskredite oder gestreckte Kreditlaufzeiten nicht immer geeignet sind, ein Land aus einer echten und großen Verschuldung zu befreien. Die ständige Bedienung hoher Schulden führt zu einer Belastung von Staaten, die sie erdrücken kann, eine Konsolidierung unmöglich macht und auch keinen Neustart ermöglicht. Der Sinn eines Insolvenzverfahrens ist jedoch ein Neustart und die Befriedigung der Gläubiger in dem Rahmen, der noch möglich ist. Ein Land, das sich im Teufelskreislauf übermäßiger Verschuldung befindet, kann kaum Wachstum generieren. Eine Fremdbestimmung und die signifikante Abführung von Steuereinkommen ins Ausland zur Bedienung der Schuldenlast können größere politische Belastungen bedeuten als ein geordnetes Insolvenzverfahren. Zu Protokoll gegebene Reden Manfred Zöllmer Wir sollten keine unbegründete Angst vor einem Staateninsolvenzverfahren entwickeln, sondern uns – ähnlich wie jetzt im Finanzsektor – um ein Restrukturierungsregime bemühen und damit klare Regeln aufstellen. Auch für eine Umschuldung muss es eindeutige Rahmenbedingungen geben. Dies hilft, Kosten zu reduzieren und das Verfahren kalkulierbar zu halten. Ein geordnetes Staateninsolvenzverfahren ist in jedem Fall einem ungeordneten Bankrott vorzuziehen, bei dem Kunden die Banken überrennen, Gläubiger Umschuldungsbedingungen diktieren und die Lage eines Landes möglicherweise dauerhaft instabil bleibt. International wird bereits seit Jahren über ein geordnetes Verfahren diskutiert, der Schuldenrückführungsmechanismus – der sogenannte Sovereign Debt Restructing Mechanism – ist ein solches Beispiel. Nach dem finanziellen Kollaps in Südamerika wurde vom IWF 2001 ein von verschiedenen internationalen Fachgremien gebilligtes Programm vorgeschlagen. Man kann natürlich auch über andere Wege nachdenken. Die Bundesregierung ist bisher bei dieser Problematik völlig untätig geblieben, obwohl CDU/CSU und FDP in ihrem Koalitionsvertrag ein Staateninsolvenzverfahren vorgeschlagen haben. Ein weiteres Beispiel dafür, dass dieser Koalitionsvertrag das Papier nicht wert ist, auf das er gedruckt wurde. Eine vernünftige Regelung muss natürlich international vereinbart werden. Der G-20-Rahmen wäre geeignet, eine entsprechende Vereinbarung anzustoßen und zu beschließen. Aber es braucht den Willen des Finanzund Entwicklungsministers, solche Prozesse anzustoßen. Was man nicht machen sollte, ist, nicht darüber nachzudenken und nicht zu handeln. Die Einführung eines verbindlich geregelten und verlässlichen Resolvenzverfahrens für Staaten ist in der Tat ein wichtiges Anliegen und gewinnt in unserem global immer mehr vernetzten Weltfinanzsystem fortlaufend an Bedeutung. Gerade deshalb ist es wichtig, dass wir es richtig machen, und der vorliegende Antrag greift hier eindeutig zu kurz. Es beginnt damit, dass Sie von einem Insolvenzverfahren sprechen. Im Falle von Staaten wäre es aber eher ein Resolvenzoder Restrukturierungsverfahren. Ein deutscher Alleingang oder einer der Euro-Länder hilft dabei niemandem ernsthaft weiter. Ziel für ein geordnetes und verbindliches Resolvenzverfahren sind gegebenenfalls nicht nur EU-Länder, sondern schließlich auch Entwicklungsund Schwellenländer, die man über Institutionen wie den IWF wesentlich besser erreicht als durch Vorgaben aus dem Euro-Raum. Ein funktionierendes Staatenresolvenzverfahren muss also ein globales sein und auch als sol ches akzeptiert sein, wenn es erfolgversprechend sein soll. Gerade in den Schwellenund Entwicklungsländern, in denen zahlreiche internationale Investitionen getätigt werden, ist es von fundamentaler Wichtigkeit, dass Rechtssicherheit besteht. Zum Beispiel müssen Bauunternehmen nach der Vollendung von Infrastrukturprojekten einerseits ihrem Anspruch auf Vergütung auch im Falle von Zahlungsschwierigkeiten nachgehen können; andererseits müssen sie ihr Risiko von Anfang an auch einschätzen können, da sonst niemand mehr in diesen Ländern Geschäfte machen wird. Man darf auch nicht mehr ausschließlich darauf schauen, wie man in Schieflage geratene Volkswirtschaften einfach nur schnell entschulden kann. Denn wo ein Schuldner ist, da ist auch immer ein Gläubiger. Ziel muss immer die Resolvenz sein – eine durch gemeinsame Anstrengungen gegebene Wiedererlangung der Zahlungsfähigkeit. Hierfür primär geeignete Schritte bestehen aus einem Paket von Maßnahmen zur Konsolidierung des Haushalts und der Beteiligung der Gläubiger. Wer unter Erwartung hoher Renditen entsprechende Risiken eingeht, muss diese im Fall des Scheiterns auch mittragen. Staaten aber einfach zu entschulden und die Gläubiger komplett im Regen stehen zu lassen, darf ebenfalls nicht Geschäftsmodell werden. Eine Rettung durch andere Staaten als Normalfall anzusehen, darf auch nicht Realität werden, wenn man noch Anreize für solide Haushalte setzen möchte. Ein international akzeptiertes Staatenresolvenzverfahren allein kann jedoch auch nicht als Lösung sämtlicher Probleme von Schuldenkrisen dienen. Neben sinnvoller Prävention und verantwortungsvollem Haushalten müssen weitere Werkzeuge herangezogen werden, die Hand in Hand mit der Resolvenz gehen. So kann die konsequente Verwendung von Collective Action Clauses als Bedingung bei Anleihen, bei denen die mehrheitlichen Beschlüsse der Gläubiger für den Rest bindend sind, helfen, eine geordnete Abwicklung zu ermöglichen. Ein Schuldenschnitt, den die Mehrheit als tragbar empfindet, kann so beispielsweise nicht mehr von Einzelparteien blockiert werden, was das Verfahren enorm vereinfacht und Sackgassen in der Einigung vorbeugt. Das trägt nicht nur zur Disziplinierung von Gläubigern beim Eingehen von Risiken bei, eine schnelle Einigung von Schuldner und Gläubiger ist auch im Falle einer Staateninsolvenz bares Geld wert. Wir stehen zu unseren Plänen im Koalitionsvertrag, und die Bundesregierung steht auch bereits in internationalen Verhandlungen, aber diese gehen aufgrund der zahlreichen Verhandlungspartner und verschiedenen Interessen, wie Sie sich sicher vorstellen können, nicht von heute auf morgen über die Bühne. Die Welt ist nicht immer so einfach, wie sie sich die Antragsteller gerne denken. Eine Resolvenzordnung, die nur in bestimmten Teilen der Welt akzeptiert ist, kann nicht funktionieren, wenn zahlreiche Parteien, seien es Zu Protokoll gegebene Reden Holger Krestel Gläubiger oder Schuldner, in dem Verfahren international verstreut sind und nicht unter den Geltungsbereich der Ordnung fallen. Wer an eine einfache Entschuldung glaubt und denkt, es würde danach nachhaltiger gewirtschaftet, wenn der Schuldner nicht auch selber in den sauren Apfel beißen muss, täuscht sich ebenfalls. Wir als FDP-Fraktion stehen für ein Verfahren, welches den Dreiklang von globaler Akzeptanz, haushalterischer Nachhaltigkeit und Eigenverantwortung vereinheitlicht, und werden Ihren Antrag daher ablehnen. Der Antrag nimmt eine Forderung auf, die schon seit vielen Jahren für die Entschuldung der Entwicklungsländer vorgebracht worden ist und die in der Euro-Krise neue Aktualität erreicht hat. Letztlich geht es um die Frage, wer die Zeche zahlen soll, wenn ein Staat unter seiner Schuldenlast zusammenzubrechen droht oder schon zusammengebrochen ist. Ziel eines solchen Staateninsolvenzverfahrens muss zweierlei sein. Erstens muss es den betreffenden Staat soweit entschulden, dass er ökonomisch von der Schuldenlast nicht erdrückt wird und ein wirtschaftlicher Neuanfang möglich wird. Zweitens muss es darum gehen, dass der Staat seinen Pflichten als Sozialund Rechtsstaat nachkommen kann und nicht die soziale Verantwortung des Staates gegenüber seinen Bürgern von den Interessen der Gläubiger in den Hintergrund gedrängt wird. Oft wird gegen den Begriff „Insolvenzrecht für Staaten“ eingewandt, man könne einen Staat ja nicht wie ein bankrottes Unternehmen zerschlagen und auflösen. Das ist selbstverständlich richtig. Ein Staateninsolvenzrecht war aber nie vom Konzept der Unternehmensinsolvenz inspiriert, sondern vom Insolvenzverfahren für überschuldete Kommunen, wie es das US-Insolvenzrecht kennt. Dort ist nämlich explizit festgelegt, dass in einem solchen Falle die grundlegenden Verpflichtungen der Kommune – zum Beispiel die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, Verwaltung, des Bildungswesens etc. – nicht zugunsten der Gläubiger vernachlässigt werden dürfen. Hierzulande können wir uns eine Staateninsolvenz auch analog zu einer Privatinsolvenz vorstellen. Grundsätzlich haben Staaten ebenso wie Privatpersonen ein Anrecht auf ein Existenzminimum, das die Gläubiger nicht antasten dürfen. Vorrang hat daher unter anderem die Verpflichtung des Staates, sich um ein menschenwürdiges Existenzminimum seiner Bevölkerung zu bemühen und die sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Menschenrechte sicherzustellen, wie sie zum Beispiel in den UN-Pakten für die sozialen und zivilen Menschenrechte festgelegt sind. Besonders wichtig ist bei einem solchen Verfahren, dass es von einer neutralen Instanz durchgeführt wird, die weder einseitig nur die Schuldneroder nur die Gläubigerinteressen vertritt. Wir denken daher – ähn lich wie es zum Beispiel das Bündnis „erlassjahr.de“ seit vielen Jahren vorschlägt –, dass ein Staateninsolvenzverfahren unter Leitung eines unparteiischen Schiedsgerichts ablaufen könnte, wenn die Öffentlichkeit und Transparenz des Verfahrens gesichert ist. Gegenstand des Verfahrens muss daher auch eine öffentliche Bestandsaufnahme sein, wo die jeweilige Mitverantwortung für die Überschuldungssituation auf Gläubigerund Schuldnerseite zu suchen ist. In vielen der südeuropäischen Krisenländer wurden daher zu Recht öffentliche Schuldenaudits gefordert, um überhaupt erst einmal zu erfahren, wer die Gläubiger sind, für welchen Zweck die Schulden aufgenommen wurden und wieweit Gläubigerund Schuldnerseite sich dabei ehrlich und ökonomisch umsichtig verhalten haben. Als Linksfraktion haben wir die Forderung nach einem Insolvenzverfahren für Staaten stets unterstützt. Gerade im Zuge der Euro-Krise ist aber umso deutlicher geworden, dass bei drohenden staatlichen Überschuldungen in einem Währungsraum nicht nur die Entschuldung, sondern auch die Zweitund Drittrundeneffekte berücksichtigt werden müssen. Eine Staateninsolvenz Griechenlands oder Zyperns bleibt solange ein Problem, wie die anderen kriselnden Euroländer auf das Wohlwollen der Finanzmärkte angewiesen sind. In der Summe ist nämlich wenig gewonnen, wenn Griechenland eine Schuldenerleichterung erfährt, dafür aber Spanien oder Italien mit doppelt so hohen Zinsen am Kapitalmarkt abgestraft werden. In so einem Fall kann es sogar in der Summe billiger sein, die griechischen Schulden zu bedienen und die Schulden statt über einen Schuldenschnitt über Einnahmeerhöhungen des Staates – zum Beispiel in Form von Vermögensteuern und Vermögensabgaben – abzutragen und dadurch zu reduzieren. Wir haben daher einige Voraussetzungen für ein Staateninsolvenzverfahren in der Euro-Zone formuliert, damit dieses zum Erfolg führen kann. Erstens muss gesichert werden, dass ein Schuldnerstaat seine Reichen und Unternehmen in hinreichendem Maße an der Staatsfinanzierung beteiligt. Zweitens müssen Refinanzierungsinstrumente in Form von inflationsneutralen EZB-Krediten und Euro-Bonds sichergestellt werden, damit ein Staat auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens seinen laufenden Betrieb weiter finanzieren kann; denn die privaten Finanzmärkte werden spätestens nach Beginn des Insolvenzverfahrens dem Schuldnerland erst einmal den Geldhahn zudrehen. Der Antrag der Grünen sieht ausdrücklich vor, dass für Staatenbünde und Währungsunionen Sonderregelungen bei der Anwendung des Insolvenzverfahrens möglich sein sollen. Das ist grundsätzlich mit unseren Vorbedingungen vereinbar; wir würden sie uns aber noch konkreter wünschen. Wir stimmen dem Antrag also zu, sehen aber gerade mit Blick auf die Euro-Krise die Notwendigkeit, parallel dazu neue Instrumente der Staatsfinanzierung zu Zu Protokoll gegebene Reden Dr. Axel Troost etablieren, um den Finanzmarktakteuren nicht ausgeliefert zu sein. Das Wichtigste dazu ist ein neues Verständnis von Zentralbankpolitik. Hier ist die EZB zwar schon einen Schritt weiter als die Politik der Bundesregierung, aber es bleibt für beide noch sehr viel zu tun. Ein Staateninsolvenzverfahren schützt den Schuldnerstaat vor dem Diktat der Gläubiger. Insofern hätte es das Diktat der Troika gegenüber den Euro-Krisenländern in dieser Form in einem unparteiischen Staateninsolvenzverfahren nicht gegeben. Es ist aber ebenso notwendig, dass der Schuldnerstaat seinen sozialstaatlichen Aufgaben nachkommt – und die niedrigen und mittleren Einkommensgruppen im Schuldnerland schützt. Bereits seit der lateinamerikanischen Schuldenkrise vor über 30 Jahren ist klar: Staaten können pleitegehen. Seitdem sind immer wieder Entwicklungsund Schwellenländer unter hohen Schuldenbergen zusammengebrochen, und mittlerweile kämpfen sogar mehrere EU-Mitgliedstaaten mit dem Staatsbankrott. Trotzdem gibt es bislang kein geregeltes Verfahren zum Umgang mit Staatspleiten. Die Finanzkrise hat die Staatsverschuldung weltweit in die Höhe getrieben und besonders ärmere Länder hart getroffen. Die enorme Schuldenlast ist ein fast unüberwindliches Hindernis für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung dieser Länder. Statt Armut wirksam bekämpfen zu können, sind sie gezwungen, Schulden zurückzuzahlen. Für viele Menschen in Europa bedeutet die Schuldenkrise bereits schmerzhafte Einschränkungen. Für die Menschen in Entwicklungsländern kann die Schuldenlast ihrer Länder jedoch tödlich sein, etwa wenn dringend benötigte Gelder für die medizinische Grundversorgung durch den Schuldendienst aufgefressen werden. Unser Antrag auf Einführung eines fairen und transparenten Staateninsolvenzverfahrens müsste bei den Koalitionsfraktionen eigentlich auf Zustimmung stoßen, immerhin haben sie sich in ihrem eigenen Koalitionsvertrag dazu verpflichtet, ein solches Verfahren international voranzutreiben. Im Entwicklungsministerium war eine Zeit lang sogar zaghaftes Bemühen in diese Richtung erkennbar. Immerhin wurde eine Fachtagung organisiert. Passiert ist danach leider nichts mehr, und das Finanzministerium will von dem Thema gleich gar nichts wissen. Unser Antrag soll die Debatte um ein Staateninsolvenzverfahren wiederbeleben und beschränkt sich daher darauf, Kernelemente eines fairen und transparenten Verfahrens zu beschreiben. Wichtig ist, dass zukünftig nicht mehr die Gläubigerclubs in London oder Paris die Bedingungen einer Entschuldung diktieren, sondern eine unabhängige Instanz einen fairen und offenen Ausgleich zwischen Schuldnern und allen Gläubigern ermöglicht. Länder, die ein Insolvenzverfahren in Anspruch nehmen, brauchen zudem gewisse Schutzrechte zur Gewährleistung eines menschenwür digen „Existenzminimums“ ihrer Bevölkerung. Ein transparentes Entschuldungsverfahren könnte vielen Ländern darüber hinaus helfen, endlich objektiv mit dem Problem illegitimer Schulden umzugehen. Dabei geht es um Schulden, die durch unverantwortliche Kreditvergabe westlicher Geber an nicht mehr im Amt befindliche, kleptokratische Regime entstanden sind. Die Euro-Krise bietet ein anschauliches Beispiel für die politische Unsicherheit infolge eines fehlenden institutionellen Rahmens zum Umgang mit Schuldenkrisen. Seit wir den vorliegenden Antrag im Dezember 2011 eingebracht haben, brauchte mit Spanien nach Irland, Portugal und Griechenland ein weiteres Land Finanzhilfen aus den Euro-Rettungsschirmen. Auch Zypern hat derweil ESM-Hilfen beantragt. Und wenn ich mir die aktuellen Haushaltsund Wirtschaftsdaten der Euro-Zone anschaue, bin ich mir alles andere als sicher, ob die derzeitige Euro-Krise ihren Höhepunkt schon erreicht hat, oder nicht eher noch weitere Euro-Staaten Rettungshilfen beantragen werden. Drei Jahre nachdem Griechenland erstmals in Zahlungsschwierigkeiten geriet, ist das Thema für die Euro-Zone also noch immer hochaktuell: Nur mittels Milliarden-Hilfen aus den Euro-Rettungsschirmen gelang es in mindestens vier Staaten, die Staatspleite abzuwenden. Warum ist ein Staateninsolvenzverfahren auch für die Euro-Zone nach wie vor erforderlich? Die Beteiligung des Privatsektors an den Kosten der Krise ist noch immer völlig unzureichend. Das gilt für die Investoren von Banken und Staaten gleichermaßen und erschwert die effektive Krisenbewältigung. So wäre es dringend erforderlich, endlich auch ein funktionsfähiges Abwicklungsund Restrukturierungregime für Banken auf EU-Ebene einzuführen, damit Banken nicht länger „too big to fail“ sind und auf Kosten der Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gerettet werden müssen. Nur so kann für die Zukunft verhindert werden, dass – wie in Spanien und Irland bereits geschehen – Bankschulden zu Staatsschulden werden und Staaten in die Nähe der Zahlungsunfähigkeit geraten, weil sie ihre Banken retten müssen. Auch die Einführung eines Staateninsolvenzverfahrens könnte eine solche erforderliche Beteiligung des Privatsektors auf geordnetem Wege sicherstellen. Rendite und Risiko – das gehört zusammen, auch bei Staatsanleihen, auch von Euro-Staaten. Auch zur Prävention künftiger Staats-Schuldenkrisen würde ein – richtig ausgestaltetes – Staateninsolvenzverfahren einen wichtigen Beitrag leisten. Denn derzeit sind für Investoren und Marktteilnehmer die Beteiligungen des Privatsektors völlig unvorhersehbar und daher unkalkulierbar. Wer hätte zum Beispiel vor einer Woche gedacht, Europa würde ernsthaft über die Beteiligung von zyprischen Kleinsparern an der Bewältigung der Krise in Zypern diskutieren? Damit Märkte ihre wichtige Preisund Informationsfunktion ausüben können, sind deshalb Regeln nötig, die eine Beteiligung des Privatsektors in offenkundigen Überschuldungssituationen vorhersehbarer machen. Zu Protokoll gegebene Reden Thilo Hoppe Erst dann werden die Preise von Staatsanleihen ihre wichtige Informationsund Warnfunktion wieder besser ausüben können. Übrigens sprechen sich auch die fünf Wirtschaftsweisen dafür aus, in der Euro-Zone ein Staateninsolvenzverfahren einzuführen. Die Idee eines Entschuldungsverfahrens für insolvente Staaten ist aber keineswegs neu. Eine Reihe von Vorschlägen zur Ausgestaltung eines solchen Verfahrens liegt bereits auf dem Tisch. 2001 stellte sogar der IWF seine Vorstellungen eines „Sovereign Debt Restructuring Mechanism“ vor. Jetzt kommt es darauf an, diese Vorschläge weiter voranzutreiben. Gerade die Bundesrepublik, die vor 60 Jahren mit dem Londoner Schuldenabkommen selbst in den Genuss eines fairen Verfahrens zur nachhaltigen Reduzierung ihrer Schuldenlast gekommen ist, sollte dabei eine Vorreiterrolle einnehmen. Es wäre tragisch, wenn wir der nächsten Schuldenkrise ebenso unvorbereitet begegnen würden wie der aktuellen. Wir kommen zur Abstimmung. Der Finanzausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/10031, den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8162 abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Oppositionsfraktionen angenommen. Ich rufe den Tagesordnungspunkt 27 auf: Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Verteidigungsausschusses (12. Ausschuss)

Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723139000




(A) (C)


(D)(B)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723139100




(A) (C)


(D)(B)

Bettina Kudla (CDU):
Rede ID: ID1723139200




(A) (C)


(D)(B)

Manfred Zöllmer (SPD):
Rede ID: ID1723139300




(A) (C)


(D)(B)

Holger Krestel (FDP):
Rede ID: ID1723139400




(A) (C)


(D)(B)

Dr. Axel Troost (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723139500




(A) (C)


(D)(B)

Thilo Hoppe (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723139600




(A) (C)


(D)(B)

Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723139700
Kornelia Möller, Inge Höger, Dr. Dietmar
Bartsch, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Luft-Boden-Schießplatz Siegenburg schließen

– Drucksachen 17/5757, 17/8388 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Ernst-Reinhard Beck (Reutlingen)
Michael Groschek
Joachim Spatz
Paul Schäfer (Köln)
Agnes Brugger

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden auch
diese Reden zu Protokoll genommen.


Dr. Wolfgang Götzer (CSU):
Rede ID: ID1723139800

Seit den 30er-Jahren leidet die Bevölkerung im

Raum Siegenburg unter dem Luft-Boden-Schießplatz,
und seit Jahrzehnten kämpfen Bürger aus der Region
gemeinsam mit den Politikern vor Ort und der Bürger-
initiative gegen den Fluglärm. Auch ich habe mich seit
Beginn meiner parlamentarischen Tätigkeit im Deut-
schen Bundestag für die Entlastung der Menschen
rund um die Siegenburg Range mit dem Ziel der
Schließung eingesetzt.

In all den Jahren wurde die Schließung vom Bun-
desverteidigungsministerium – übrigens auch unter
Rot-Grün – stets mit dem Hinweis abgelehnt, dass der
Luft-Boden-Schießplatz Siegenburg militärisch unver-
zichtbar sei. Im Interesse der bestmöglichen Ausbil-
dung der Piloten sei die Schließung nicht zu verant-
worten. Deshalb war mein Ziel – solange sich an der
militärischen Beurteilung nichts ändern sollte – auf
jeden Fall die Belastung der Bevölkerung so weit wie
möglich zu mindern. Dies konnte auch erreicht wer-
den: Die Zahl der Überflüge sank innerhalb von rund
20 Jahren um über 90 Prozent. Auch zahlreiche wei-
tere Verbesserungen für die fluglärmgeplagte Bevölke-
rung konnten erwirkt werden, wie zum Beispiel Flug-
pausen während Ferienwochen sowie an Sonn- und
Feiertagen. Außerdem wurden der geplante Nutzungs-
umfang und eine planerische Obergrenze festgelegt,
die weit unter den Einsatzzahlen der 90er-Jahre liegen
und darüber hinaus tatsächlich deutlich unterschritten
wurden.

Im Rahmen der Bundeswehrreform wurde dann der
Standort Siegenburg auf seine weitere Notwendigkeit
überprüft. Das in diesem Zusammenhang erstellte
Standortkonzept für die gesamte Bundesrepublik
hat schließlich die entscheidende Voraussetzung ge-
schaffen: Wie der Parlamentarische Staatssekretär
Christian Schmidt, MdB, mir Anfang März mitgeteilt
hat, sieht die Bundesregierung seitens der Bundeswehr
nach der Auflösung des Jagdbombergeschwaders 32 in
Lechfeld keinen Bedarf mehr und plant, den Bomben-
abwurfplatz Siegenburg mangels Auslastung in abseh-
barer Zeit zu schließen. Auch seitens der US-Luftwaffe
besteht kein weiteres Interesse mehr an der Nutzung,
wie vom Bundesverteidigungsministerium dieser Tage
nochmals bestätigt wurde, weil die bisher in Spang-
dahlem stationierten A-10-Kampflugzeuge, die Sie-
genburg in erster Linie bisher nutzen, noch 2013 abge-
zogen werden.

Endlich ist es also soweit! In den letzten Wochen be-
durfte es noch einmal verstärkter Anstrengungen, aber
der Einsatz hat sich gelohnt. Wir stehen unmittelbar
vor unserem gemeinsamen Ziel: Der Bomben-
abwurfplatz Siegenburg wird geschlossen. Allen, die
noch Zweifel haben, kann ich versichern: Die Würfel
sind gefallen. Der politische Wille des Bundesverteidi-
gungsministeriums ist eindeutig, wie mir der Parla-
m
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1723139900
Es geht nicht mehr um das Ob; der
Übungsplatz wird geschlossen.

Ich freue mich, dass der jahrzehntelange Einsatz
von Kommunal-, Landes- und Bundespolitikern sowie
der Bürgerinitiative zum Erfolg geführt hat. Allen, die
zu diesem Erfolg beigetragen haben, danke ich herz-
lich, ganz besonders natürlich dem Parlamentarischen
Staatssekretär Christian Schmidt, mit dem ich insbe-
sondere die letzten Wochen und Monate intensiv über
die Schließung verhandelt habe.

Leider ist von einigen in den letzten Tagen vor Ort
eine, wie ich meine, unschöne und peinliche öffentliche





Dr. Wolfgang Götzer


(A) (C)



(D)(B)


Debatte darüber geführt worden, wer sich den Erfolg
auf die Fahnen schreiben könne, anstatt sich einfach
darüber zu freuen. Ich möchte dazu noch einmal ganz
klar feststellen – und das kommt auch in unserem In-
formationsblatt unmissverständlich zum Ausdruck –:
Dieser Erfolg ist das Ergebnis einer großartigen lang-
jährigen Gemeinschaftsleistung.

Freuen wir uns also gemeinsam, dass Jahrzehnte
unter Fluglärm bald der Vergangenheit angehören!
Mit der Schließung der Siegenburg Range wird die
Lebensqualität, aber auch die Sicherheit in der gesam-
ten Region erheblich zunehmen – eine gute Nachricht
für unsere Heimat.


Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1723140000

Bereits vor zwei Jahren formulierten die für Siegen-

burg zuständigen Bundestagsabgeordneten aller hier
im Haus vertretenen Fraktionen einen parteiübergrei-
fenden Entwurf zur Zukunft des dortigen Luft-Boden-
Schießplatzes. Vorangegangen war eine Empfehlung
des Bundesrechnungshofes aus dem Jahre 2007, die-
sen aus Kostengründen aufzugeben.

Damals stand allerdings noch die Planung für
den Luft-Boden-Schießplatz Wittstock in der Kyritz-
Ruppiner Heide im Raum.

Damit sollte die Belastung der Bevölkerung durch
Übungseinsätze gegen Bodenziele auf deutschem
Gebiet, die bislang ausschließlich in Siegenburg und
Nordholz stattfanden, gleichmäßiger über Nord-, Süd-
und Ostdeutschland verteilt werden. Das Nutzungs-
konzept für die deutschen Luft-Boden-Schießplätze aus
dem Jahr 2008 ging noch von bis zu 300 Übungsein-
sätzen jährlich in Siegenburg aus.

Die Planungen für Wittstock wurden bekanntlich
2009 von dem damaligem Verteidigungsminister Franz
Josef Jung aufgegeben. Insofern war die zusätzliche
Schließung Siegenburgs problematisch: Sie hätte wie-
derum zu einer Mehrbelastung der Anwohner von
Nordholz als einzigem verbliebenen Luft-Boden-
Schießplatz in Deutschland geführt. Dieses Training
ist aber notwendig. Die Notwendigkeit einer umfassen-
den und hochwertigen Ausbildung ergibt sich schon
aus der Fürsorgepflicht für die Besatzungen, die zur
Gewährleistung unserer Sicherheit einen gefährlichen
Dienst tun. Demgegenüber steht die Belastung der Be-
völkerung durch den Übungslärm.

Als Mitglied sowohl im Verteidigungs- als auch im
Tourismusausschuss ist mir dieser Konflikt sehr be-
wusst, zumal die Situation in meinem Wahlkreis ganz
ähnlich ist. Über 80 Prozent dieser Einsätze werden
bereits im Ausland oder über See geflogen.

Die Solidarität mit unseren Verbündeten gebietet je-
doch, nicht die gesamte Belastung auf sie abzuwälzen.
Um die amerikanischen Stützpunkte wie Holloman
etwa, wo die Luftwaffe einen großen Teil ihrer Ausbil-
dung durchführt, wohnen schließlich auch Menschen.
Das ist nicht alles nur Wüste, wie manchmal behauptet
wird, zumal auch unter mitteleuropäischen Bedingun-

gen trainiert werden muss, und zwar sowohl von den
deutschen als auch den verbündeten Streitkräften.

Statt über Anträge zu diskutieren, galt es daher erst
einmal, im Stillen konstruktiv zu arbeiten, um die not-
wendigen Bedingungen für eine Verringerung des
Übungsbetriebs zu schaffen. Das haben alle Beteilig-
ten auch getan, ausgenommen die Linke, über deren
Antrag wir heute entscheiden.

Durch die kurz bevorstehende Auflösung des Jagd-
bombergeschwaders 32 in Lechfeld im Rahmen der
aktuellen Bundeswehrreform sowie die amerikani-
schen Pläne zur Verringerung ihrer Truppenpräsenz in
Deutschland – hier insbesondere der Kampfflugzeuge
in Spangdahlem bis Ende dieses Jahres – haben sich
diese Bedingungen nun ergeben.

In Süddeutschland fallen damit die bisherigen
Hauptnutzer von Siegenburg weg, sodass der Erhalt
des nur zweieinhalb Quadratkilometer großen Schieß-
platzes nicht mehr gerechtfertigt scheint.

Zur Zeit finden daher Verhandlungen mit der ameri-
kanischen Seite über die Aufgabe der Nutzung statt.
Der Antrag der Linken hat sich damit ohne großes öf-
fentliches Getöse erledigt.

Ein Problem allerdings bleibt: Mit der Schließung
Siegenburgs wäre der gesamte verbleibende Luft-
Boden-Übungsbetrieb über Land in der Bundesrepu-
blik auf Nordhorn konzentriert. Das Bundesverteidi-
gungsministerium strebt zwar eine Lösung an, die
keine Mehrbelastung an anderer Stelle beinhaltet. Als
einzig verbliebener Schießplatz wäre in Nordhorn aber
von der solidarischen Lastenteilung zwischen den
Regionen Deutschlands, die einst mit dem Betrieb von
Wittstock angestrebt wurde, nichts mehr zu spüren.

Ich weiß, die Lösung der Linken wäre einfach: kein
Nordhorn mehr, keine Übungsflüge mehr, überhaupt
keine Bundeswehr mehr. So weit die sozialistischen
Träume von einer perfekten Welt.

In der echten Welt brauchen wir die Bundeswehr
und Übungseinsätze – auch in Deutschland – weiter-
hin. Damit auch linke Träumer in der Sicherheit leben,
die notwendig ist, um öffentlichkeitswirksame Anträge
zu formulieren.

Das bitte ich die Kollegen, die sich für die Schlie-
ßung Siegenburgs eingesetzt haben, allerdings auch
den Menschen in Nordhorn zu vermitteln.


Wolfgang Hellmich (SPD):
Rede ID: ID1723140100

Vorab: Die SPD-Bundestagsfraktion wird sich bei

diesem Antrag der Fraktion Die Linke zur Schließung
des Luft-Boden-Schießplatzes Siegenburg enthalten.
Diese Enthaltung haben wir bereits in den Ausschuss-
beratungen vorgenommen, die vor fast einem Jahr
stattgefunden haben. Die Position hat noch mein Vor-
gänger im Mandat, Herr Michael Groschek, vertreten.

So richtig es ist, die künftige Verwendung des Areals
als Schießplatz infrage zu stellen, so fahrlässig ist es

Zu Protokoll gegebene Reden





Wolfgang Hellmich


(A) (C)



(D)(B)


aber auch, den vom Betrieb belasteten Anwohnern
eine schnelle Änderung ihrer Situation in Aussicht zu
stellen. Abgesehen davon gibt es zu diesem Platz vor
Ort gar keinen Konflikt, außer vielleicht mit den Lin-
ken. Aber das hat andere Gründe, die eher in der
grundsätzlich gegen die Bundeswehr gerichteten Posi-
tion der sogenannten Linken liegen.

Nach Auffassung der SPD-Bundestagsfraktion müs-
sen wir als Teil der Europäischen Union auch anderen
Staaten die Möglichkeit geben, sicherheitspolitische
Kernkompetenzen und militärische Fähigkeiten ge-
meinsam zu trainieren; denn nur im Bündnis mit ande-
ren EU- und NATO-Mitgliedstaaten kann Deutschland
seinen Bürgerinnen und Bürgern Sicherheit und Schutz
gewähren sowie glaubwürdig für den Frieden in der
Welt eintreten.

Die Bundeswehr benötigt gerade auch als Armee im
Einsatz vielfältige Übungsmöglichkeiten, die den An-
forderungen möglicher Einsätze nahekommen. Dies ist
richtig und notwendig. Als Mitglieder des Deutschen
Bundestages müssen wir für die bestmögliche Ausbil-
dung unserer Soldatinnen und Soldaten Sorge tragen.
Es darf nicht der Fall sein, dass wir die Bundeswehr in
teilweise sehr gefährliche Auslandseinsätze entsenden,
aber an der Einsatzvorbereitung sparen. Schließlich
ist eine sehr gute Ausbildung immer auch der beste
Schutz für unsere Soldatinnen und Soldaten. Insbeson-
dere modernen, computergestützten Ausbildungsmit-
teln wie Simulatoren kommt eine ständig wachsende Be-
deutung zu, aber auch in Echtzeit im Gelände muss die
Einsatzlage simuliert werden. Deshalb benötigen wir
Übungsmöglichkeiten gerade auch für die Luftwaffe.

Die kostenintensiven Übungsmöglichkeiten in den
USA reichen für eine in Übung zu haltende bundes-
deutsche Luftwaffe nicht aus. Grundsätzlich ist es not-
wendig, im Rahmen von Pooling and Sharing eine eu-
ropaweit taugliche Übungsmöglichkeit zu finden. Wie
schwierig das ist, ist beispielsweise im Fall der Senne
zu sehen. Die Briten ziehen zwar ihre Truppen ab, sind
aber auf noch nicht absehbare Zeit auf die Nutzung des
Truppenübungsplatzes Sennelager angewiesen, da sie
über keine eigenen, geeigneten Übungsplätze verfü-
gen.

Im Rahmen der dringend zu überarbeitenden Kon-
zeption der Übungsplätze besteht die klare Anforde-
rung an die Bundesregierung, endlich zu praxisnahen
Lösungen zu kommen. Das ist die wirkliche Herausfor-
derung. Zwar wurde zum Anfang der Legislaturpe-
riode von Schwarz-Gelb versprochen, die Konzeption
der Übungsplätze zu überarbeiten, aber Fehlanzeige.
Bisher sind keine Aktivitäten seitens der Bundesregie-
rung hin zu einem Übungsfelderkonzept zu erkennen.
Und damit ist auch den vom Fluglärm betroffenen
Anwohnerinnen und Anwohnern von Siegenburg nicht
geholfen. Nur ein europäischer Truppenübungsplatz
könnte hier für Abhilfe sorgen. Das wäre ein Engage-
ment mit hoher Intensität wert.

Meine Fraktion wird sich enthalten, weil es richtig
wäre, durch eine Konzeption für die Übungsplätze zu
einer Lösung zu kommen, die den Standort Siegenburg
in Niederbayern überflüssig macht. So könnten auch
die Anlieger profitieren. Der Ansatz der Linken lässt
aber leider kein wirkliches Interesse an einer Lösung
der komplexeren Problemlage erkennen.


Joachim Spatz (FDP):
Rede ID: ID1723140200

Nach Informationen des Bundesverteidigungsminis-

teriums kann der Luft-Boden-Schießplatz Siegenburg
in absehbarer Zeit geschlossen werden. Diese Nach-
richt hat verständlicherweise für großen Jubel vor Ort
gesorgt. Die Belastung von Anwohnern in der Nähe
militärischer Übungsplätze ist naturgemäß hoch, vor
allem aufgrund des im Zusammenhang mit Flugbewe-
gungen entstehenden Lärms. Als FDP-Bundestags-
fraktion beglückwünschen wir daher ausdrücklich die
vielen hochengagierten Bürgerinnen und Bürger vor
Ort zu ihrem beharrlichen Engagement und sprechen
ihnen unseren Dank für die jahrzehntelange Duldung
der mit dem Betrieb des Übungsplatzes einhergehen-
den Belastungen aus.

Wir haben immer betont, dass bei der Nutzung mili-
tärischer Übungsanlagen ein schwieriger Abwägungs-
prozess zwischen den Interessen der betroffenen
Anwohner und der Notwendigkeit von Ausbildungs-
möglichkeiten unserer Soldatinnen und Soldaten voll-
zogen werden muss. Beides liegt uns am Herzen. Beide
Anliegen stehen aber in einem Spannungsverhältnis
zueinander und können nicht einseitig aufgelöst wer-
den.

In einer solch komplexen Frage gibt es keine einfa-
chen Lösungen, wie es die Linken in ihrem vorliegen-
den Antrag suggerieren. Auch wenn es schwerfallen
mag, wir müssen in solch komplexen Fragen die An-
strengung unternehmen, ein für beide Seiten angemes-
senes Ergebnis zu finden.

Daher haben wir in der Vergangenheit immer betont
und das auch im Deutschen Bundestag mehrfach so
formuliert, dass wir die Bundesregierung ausdrücklich
in ihrem Bemühen unterstützen, bei allen Entscheidun-
gen hinsichtlich der Nutzung inländischer Truppen-
übungsplätze zwischen operationellen Notwendigkei-
ten für unsere Bundeswehr auf der einen und den
berechtigten Interessen der betroffenen Bürger auf der
anderen Seite abzuwägen. Dem Bundesministerium
der Verteidigung obliegt dabei die schwierige Auf-
gabe, den Ausbildungs- und Einsatzflugbetrieb in dem
gerade erforderlichen Maße zu planen, um damit die
Belastungen der Bevölkerung durch notwendige mili-
tärische Flüge in Deutschland auf das unvermeidbare
Maß zu begrenzen und auch weiterhin minimalinvasiv
auszugestalten.

Mit der geplanten Auflösung des Jagdbomberge-
schwaders 32 in Lechfeld Ende März 2013 und dem
angekündigtem Abzug der bisher in Spangdahlem sta-
tionierten A-10-US-Kampfflugzeuge hat sich eine neue
Situation ergeben. Mit dem damit verbundenen Wegfall

Zu Protokoll gegebene Reden





Joachim Spatz


(A) (C)



(D)(B)


der bisherigen Hauptnutzer des Luft-Boden-Schieß-
platzes in Siegenburg ist nun ein Verzicht auf die An-
lage insgesamt möglich, und zwar unter Wahrung der
Interessen aller Beteiligten, der Anwohner, der Kom-
mune und der gesamten Region auf der einen Seite und
der Angehörigen unserer Luftwaffe auf der anderen
Seite.

Alle Beteiligten stehen nun vor großen Herausfor-
derungen. Die Möglichkeiten einer potenziellen Nach-
folgenutzung werden nun zu erörtern sein. Belange des
Naturschutzes werden dabei mit Sicherheit eine wich-
tige Rolle spielen. Wir wünschen den handelnden Per-
sonen vor Ort eine glückliche Hand und stehen gerne
bereit, den weiteren Prozess zu begleiten.


Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723140300

„Die Schließung des Platzes ist in greifbare Nähe

gerückt.“ Mit diesem Satz war bereits im Sommer 2003
Hoffnung auf ein Ende der militärischen Nutzung des
Bombenabwurfplatzes Siegenburg entstanden. Heute,
im Jahr 2013, ist der Platz nach wie vor in Händen der
US-Airforce und wird nach wie vor überwiegend von
der Bundeswehr genutzt.

Nun wird in einem Flugblatt der CSU, das in den
Kommunen rund um Siegenburg verteilt wurde, erneut
angekündigt, der Schießplatz „soll möglichst schnell
geschlossen werden“. Das wäre wirklich schön. Aller-
dings macht es die frühere Erfahrung mit vagen
Ankündigungen schwer, angesichts dieser Mitteilung
bereits von einem sicheren Ende der Belastung für die
Region auszugehen. Es gibt keine Zusagen der US-Air-
force, es gibt keinen Zeitplan und es gibt nichts, was
rechtlich verbindlich regelt, dass die militärische
Nutzung wirklich bald der Vergangenheit angehört.
Solange es diese verbindlichen Regelungen und Zusa-
gen nicht gibt, muss und wird der Protest gegen die mi-
litärische Nutzung weitergehen. Ich bin froh, dass die
„Bürgerinitiative gegen den Fluglärm“ genau das be-
reits angekündigt hat.

Dass auch die Grünen unserem Antrag nun nicht
mehr zustimmen wollen, weil die Schließung ja schon
beschlossen sei, das zeugt nicht nur von Naivität. Es
macht wieder einmal klar, dass Grüne äußerst unzu-
verlässige Kooperationspartner sind, besonders wenn
es um Militärpolitik geht. Während der Verhandlungen
über einen möglichen interfraktionellen Antrag woll-
ten Sie unseren Antrag nicht übernehmen, weil er For-
derungen zur zivilen Nachnutzung und zur Finanzie-
rung der Dekontaminierung enthielt. Nun erklären sie,
dass sie unserem Antrag nicht zustimmen wollen, weil
diese Fragen, die ja die Zukunft des Platzes betreffen,
in unserem Antrag nicht enthalten seien. Der Antrag
der Fraktion Die Linke ist aber nach wie vor der glei-
che. Wir halten in der Friedensfrage entschieden unse-
ren Kurs.

Das Verhalten der CSU ist ebenfalls von Widersprü-
chen geprägt. Sie versucht ganz offensichtlich nicht
nur, die Erfolge der Bürgerinitiative für sich zu instru-

mentalisieren. Sie vernebelt auch vorsätzlich wesentli-
che Tatsachen. Der Standort ist bereits heute in öffent-
lichem Besitz, auch wenn er von der US-Airforce
betrieben wird. Wer schreibt, der „Standort wird wohl
in das Eigentum der Bundesrepublik zurückkehren“,
der suggeriert, das Gelände wäre in den letzten Jahr-
zehnten nicht in deutschem Besitz gewesen. Damit
wollen die Verfasser des Flugblatts erkennbar von der
eigenen Verantwortung für den Status quo ablenken.
Jahrzehntelang war das, was der Öffentlichkeit ge-
hört, nicht für diese zugänglich. Mehr noch, die
Nutzung als Bombenabwurfplatz hat das öffentliche
Wohl gefährdet, durch Lärm, durch Unfallgefahr,
durch Umwelt- und Wasserverschmutzung.

Und wofür das Ganze? Für die „Sicherheit unseres
Landes“, wie die CSU glauben macht? Davon kann
nicht die Rede sein: Auf Siegenburg Range wurde nicht
die Verteidigung Deutschlands geübt – gegen welchen
Feind auch? Auf dem Übungsplatz wurden Angriffs-
kriege vorbereitet wie etwa der Irakkrieg. Damit
wurde die Sicherheit von Millionen von Menschen in
vielen Teilen der Welt gefährdet. Im Interesse der Be-
völkerung in der Region um Siegenburg lagen diese
Kriegsvorbereitungen definitiv nicht.

Es wird höchste Zeit, dass der Platz wieder zivil ge-
nutzt wird und dass diese zukünftige Nutzung endlich
wirklich dem Wohl der Menschen dient. In Absprache
mit den zuständigen Behörden und unter demokrati-
scher Beteiligung der Betroffenen muss umgehend mit
der Vorbereitung der zivilen Nutzung begonnen
werden.

Ich unterstütze den Wunsch der BI nach einem Na-
turpark in Siegenburg Range und nach dauerhaftem
Schutz des Grundwassers im Dürnbucher Forst nach
Kräften. Doch dafür muss der Bund seiner Verantwor-
tung gerecht werden und die nötigen Mittel für die
Dekontaminierung des Platzes zur Verfügung stellen.
Auf dem gesamten Platz finden sich die Hinterlassen-
schaften aus dem militärischen Übungsbetrieb seit den
Zeiten des Nationalsozialismus. Dazu gehören nicht
explodierte Kampfstoffe, Munitionsreste und mögli-
cherweise Uranmunition. Wenn diese Gefahrenquellen
nicht entfernt werden, dann tickt auf Siegenburg Range
auch nach Abzug des Militärs eine gefährliche Zeit-
bombe.

Die Menschen rund um Siegenburg haben es ver-
dient, ein Naherholungsgebiet zu haben, das sie auch
unbeschwert nutzen können. Dass eine solche zivile
Nutzung auch ökonomische Vorteile mit sich bringt,
das haben die Erfahrungen aus anderen ehemaligen
Übungsplätzen gezeigt. Ein interessantes Beispiel ist
der ehemalige Truppenübungsplatz Münsingen, der
heute des Kernstück des Biosphärenreservates Schwä-
bische Alb bildet. Dessen zivile Nutzung hat aus der
schrumpfenden Garnisonsstadt eine prosperierende
Tourismusregion gemacht. Ich hoffe nur, dass man in
Siegenburg aus den Fehlern lernt, die in Münsingen
beim nur sehr unvollständigen Dekontaminieren des
Platzes gemacht wurden. Dann gibt es wirklich gute

Zu Protokoll gegebene Reden





Inge Höger


(A) (C)



(D)(B)


Aussichten für Siegenburg. Wenn es so weit ist, gebührt
der Dank dafür auf jeden Fall voll und ganz der „Bür-
gerinitiative gegen den Fluglärm“.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Am Samstag vor gut einer Woche hat die CSU in ei-
nem Faltblatt an alle Haushalte im Ort Siegenburg
und in einer gleichlautenden Presseerklärung über die
Entscheidung des Bundesverteidigungsministeriums
informiert, dass der Luft-Boden-Schießplatz Siegen-
burg geschlossen werden soll. Damit ist der Antrag,
über den heute abgestimmt werden soll, gegenstands-
los geworden. Wenn die Fraktion Die Linke den Antrag
dennoch heute zur Abstimmung stellt, dann offensicht-
lich deshalb, weil sie in irgendeiner Weise für sich re-
klamieren möchte, dass sie an der Schließung des Plat-
zes beteiligt war. Das ist genauso fragwürdig wie das
Vorgehen der CSU, die in der schon erwähnten Presse-
veröffentlichung den Eindruck vermitteln möchte, sie
hätte Anteil daran, den Platz zu schließen.

In Wahrheit will die CSU vergessen machen, dass es
der CSU-Abgeordnete Dr. Götzer, Stimmkreisabgeord-
neter des betroffenen Wahlkreises Landshut-Kelheim,
war, der sich im Sommer 2011 vom Acker gemacht
hatte, als es darum ging, einen vorabgestimmten über-
fraktionellen Gruppenantrag zur Schließung des Luft-
Boden-Schießplatzes Siegenburg zu unterschreiben –
mit dem windigen Argument, der Antrag werde keine
Mehrheit bei Grünen und SPD erhalten. Fakt ist, dass
nicht ein einziger Abgeordneter der CSU unterschrei-
ben wollte und im Gefolge der CSU auch die FDP ihre
Unterstützung wieder kassierte. Wichtige Forderung
im Gruppenantrag war, die Folgen einer Schließung
des Platzes in Siegenburg für den einzig dann noch
verbleibenden Luft-Boden-Schießplatz Nordhorn in
Niedersachsen zu untersuchen, eine Forderung, die im
Antrag der Linken gar nicht auftaucht.

Es war also die CSU, die es versäumte, Druck auf
das Verteidigungsministerium zu machen, ein schlüssi-
ges Konzept für alle Luft-Boden-Schießplätze vorzule-
gen. Es waren dann mehrere Schreiben und öffentliche
Aufforderungen von meiner Seite notwendig, bis
Staatssekretär Schmidt erst Anfang dieses Jahres nach
langem und mehrmaligem Drängen sich auf den Ter-
min Sommer 2013 für eine Entscheidung festlegte.

Aber wir kennen das in Bayern nur zu gut: Die CSU
reklamiert regelmäßig, dass sie den Chiemsee ausge-
hoben und die Alpen aufgeschüttet hat, genauso wie
Herr Dr. Götzer den erstaunten Lesern der örtlichen
Medien nach dem Ausstiegsbeschluss der Bundesre-
gierung aus der Atomkraft verkündete, er habe den
Atommeiler Isar 1 bei Landshut abgeschaltet. Wie sa-
gen wir dazu in Niederbayern: „Wir sind nun gerade
auch nicht auf der Brennsuppen dahergeschwommen.“
Auf Hochdeutsch gesprochen: „Für blöd lassen wir
uns nicht verkaufen.“

Zum Glück haben das die örtlichen Medien verstan-
den. Die Mittelbayerische Zeitung titelte: „CSU steht

mitten im Bombenhagel“. Recht hat sie; denn es waren
die Bürger, vor allem die Bürgerinitiative gegen den
Fluglärm e.V., die sich seit fast 35 Jahren gegen Flug-
lärm und Gefährdung durch die niedrigfliegenden Mi-
litärjets am Schießplatz wehrt, mit vielen, vielen Aktio-
nen, die oft eben gerade nicht durch die CSU
unterstützt wurden. Und deshalb empfanden die Bür-
ger vor Ort zu Recht die Öffentlichkeitskampagne der
CSU als ziemlich anmaßend. Aber jeder blamiert sich
halt, so gut er kann.

Die Bürgerinitiative, angeführt von einem sehr akti-
ven Vorstand und unterstützt vom Landrat in Kelheim,
hatte gerade in den letzten Jahren immer wieder mit
neuen Fakten aufgewartet — Fakten, die eine Schlie-
ßung des Platzes nicht nur aus den Gründen der Belas-
tung für die Bürger, sondern letztlich aus ökonomi-
schen Gründen haben sinnvoll werden lassen. Machen
wir uns nichts vor: Die Schließung des Platzes ist im
Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass die Größe
des Platzes für moderne Waffen nicht geeignet ist. Mit
den heute ausschließlich eingesetzten Lenkwaffen
kann in Siegenburg nicht geübt werden, und mit unge-
lenkten Waffen zu üben ist ein wenig wie auf der Gorch
Fock eine Ausbildung für die moderne Seeschifffahrt
zu machen. Und anders als bei der Gorch Fock sind
vom Flugbetrieb eben die anliegenden Bürger erheb-
lich betroffen – deshalb darf man die Fliegerei dort in
Siegenburg aus nostalgischen Gründen nicht zulassen.

Hinzu kommt noch der Abzug von Flugzeugstaffeln
aus Süddeutschland, der die Nutzung des Platzes obso-
let macht. Leider wurde die Bevölkerung sehr lange im
Unklaren gelassen. Schon vor mehreren Jahren hätte
die Schließung des Platzes avisiert werden können, nur
die CSU hatte kein Interesse daran. Viel Energie hätte
gespart bzw. auf andere Projekte verwendet werden
können. Diese Arroganz der CSU und des Verteidi-
gungsministeriums kann nicht scharf genug kritisiert
werden.

Der Antrag der Linken aber ist Schnee von gestern.
Und ihm fehlen die Themen, die jetzt angepackt wer-
den müssen. Da die Linke auf Abstimmung besteht,
wird sich meine Fraktion der Stimme enthalten. Denn
statt über die Vergangenheit zu debattieren, müssen
wir an der Zukunft arbeiten.

Wir haben zwei zentrale Forderungen. Erstens muss
der Platz umgehend und zulasten des Bundes von even-
tuellen Restkampfmitteln geräumt werden, und diese
müssen gegebenenfalls sicher entsorgt werden.

Der Platz muss dann zweitens an die kommunalen
Gebietskörperschaften übergeben werden, die ihrer-
seits aufgefordert sind, den Platz in ein Naturschutzge-
biet zu überführen, um damit der Einmaligkeit der
Flora und Fauna dieses Geländes Rechnung zu tragen.

Das muss jetzt zügig angepackt werden. Ein Aussit-
zen der Folgefragen ohne klare Entscheidungen wäre
nach 35 Jahren Bürgerinitiative gegen den Fluglärm
wirklich fatal. Ich bin gespannt auf die Ausführungen
von Staatssekretär Schmidt zu diesen beiden Punkten

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Thomas Gambke


(A) (C)



(D)(B)


beim vereinbarten Round Table im Landratsamt Kel-
heim nächste Woche. Ich erwarte dann einen klaren
Aktions- und Zeitplan für die Überführung des Platzes
in eine zivile Nutzung. Da werden die Bürger mit Si-
cherheit weiter Druck machen, und wir Grünen wer-
den sie dabei tatkräftig unterstützen.


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723140400

Wir kommen zur Abstimmung. Der Verteidigungs-

ausschuss empfiehlt in seiner Beschlussempfehlung auf
Drucksache 17/8388, den Antrag der Fraktion Die Linke
auf Drucksache 17/5757 abzulehnen. Wer stimmt für
diese Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Ent-
haltungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stim-
men der Koalitionsfraktionen bei Gegenstimmen der
Fraktion Die Linke und Enthaltungen von SPD und Grü-
nen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 28 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für wirtschaftliche Zu-
sammenarbeit und Entwicklung (19. Ausschuss)

zu dem Antrag der Abgeordneten Ute Koczy,
Tom Koenigs, Thilo Hoppe, weiterer Abgeordne-
ter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Entwicklungspolitische Zusammenarbeit fit
machen für die Kooperation mit fragilen Staa-
ten

– Drucksachen 17/10791, 17/11961 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Sibylle Pfeiffer
Stefan Rebmann
Joachim Günther (Plauen)
Heike Hänsel
Ute Koczy

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, nehmen wir
die Reden zu Protokoll.


Dagmar G. Wöhrl (CSU):
Rede ID: ID1723140500

Wir beraten heute den Antrag „Entwicklungspoliti-

sche Zusammenarbeit fit machen für die Kooperation
mit fragilen Staaten“ bzw. die Beschlussempfehlung
dazu, deren Inhalt aufgrund ihrer Aktualität sehr wich-
tig für die Entwicklungszusammenarbeit und im
Grunde ja für unsere gesamte Außenpolitik sind. Den-
noch finden sich darin einige Punkte, über die es noch
einmal zu diskutieren gilt.

Zunächst zur Aktualität des Themas: Mit Mali hat
sich in den vergangenen Monaten ein weiteres Land in
die Liste der fragilen Staaten eingereiht, das viele von
uns dort so nicht erwartet hätten und das uns die Wich-
tigkeit einer kohärenten Strategie im Umgang mit fra-
gilen Staaten wieder einmal verdeutlicht hat.

Mali war ein Musterland für Demokratie und wirt-
schaftliches Wachstum in ganz Afrika, und jeder
konnte sich von den wirtschaftlichen, sozialen und
politischen Fortschritten des Landes überzeugen. Als

wir 2011 mit dem Ausschuss dort Projekte besucht ha-
ben, konnte ich mir persönlich einen Eindruck über die
positiven Entwicklungen in diesem Land verschaffen.

Mittlerweile haben wir es in Mali mit einem zumin-
dest teilweise zerfallenden Staat zu tun. Denn der un-
terentwickelte Norden ist zu einem Rückzugsgebiet für
islamistische Terroristen geworden. Der Nährboden
dafür waren ein Mangel an politischer Teilhabe für
alle Gruppen der Gesellschaft und die große Armut
der Menschen in den abgelegenen nördlichen Regio-
nen. Sicherlich wird uns die Frage, wie es zu dieser
Situation kommen konnte, noch eine Weile beschäfti-
gen, und wir müssen daraus Konsequenzen ziehen für
die zukünftige Entwicklungszusammenarbeit. Wir müs-
sen künftig genauer hinschauen. Und wir sollten
Warnzeichen, wie sie im Falle Malis beispielsweise be-
reits 2009 vom African Peer Review Mechanism aufge-
zeigt wurden, ernst nehmen und entsprechend schnell
präventiv und in Abstimmung mit unseren internatio-
nalen Partnern reagieren.

Gleichzeitig können wir aber an der aktuellen Lage
in Mali erkennen, dass eine global einheitliche Defini-
tion von fragilen Staaten schwer zu finden ist, und ich
möchte behaupten, dies wäre vielleicht auch zunächst
nicht zielführend. Denn: Mali reiht sich nun ein in eine
Liste von Staaten, die unterschiedlicher nicht sein
könnten. Da sind die Demokratische Republik Kongo,
Jemen und Somalia, Afghanistan, Südsudan und Bang-
ladesch. 1,5 bis 2 Milliarden Menschen leben heute
weltweit in Staaten, die wir als fragil einstufen können.
Sie alle eint, dass sie in einem Umfeld leben, in dem
Menschenrechte nicht geachtet werden, in dem ein de-
mokratisches System nicht wachsen und sich nicht ent-
falten kann. In einem solchen Land lässt sich das staat-
liche Gewaltmonopol nicht durchsetzen. Es gibt kein
funktionierendes Finanz- und Wirtschaftssystem. Es
herrscht bittere Armut, und für die soziale Grundver-
sorgung der Bevölkerung ist nicht gesorgt.

Dennoch ist kein fragiler Staat mit einem anderen
vergleichbar. Nicht umsonst warnen derzeit Experten
davor, Afghanistan mit Mali gleichzusetzen. Eine ver-
bindliche und einheitliche Definition, wie im vorlie-
genden Antrag gefordert, wäre deshalb schwer zu fin-
den, und vor allem birgt sie die Gefahr, dass der eine
oder andere Staat, so wie Mali jetzt, zu lange „durch’s
Raster“ fällt und eben nicht berücksichtigt wird, wenn
es vielleicht darum geht, auch schon frühzeitig präven-
tive Maßnahmen einzuleiten.

Vielmehr sollten wir in Zukunft – basierend auf den
Ressortübergreifenden Leitlinien für eine kohärente
Politik der Bundesregierung gegenüber fragilen Staa-
ten vom September 2012 – einen konkreten Maßnah-
menkatalog zusammenstellen und die beinhalteten
Strategien so ausarbeiten, dass sie vor allem schnell
umsetzbar und sehr langfristig angelegt sind. Fragile
Staaten wie Afghanistan, Haiti oder der Südsudan be-
nötigen die Unterstützung der internationalen Ge-
meinschaft langfristig. Das können wir nicht alleine





Dagmar G. Wöhrl


(A) (C)



(D)(B)


schaffen. Hier benötigen wir einen multilateralen An-
satz.

Es ist ganz klar: Für einen international abge-
stimmten und vernetzten Ansatz bei unserer Arbeit in
fragilen Staaten benötigen wir vor allem eine gut funk-
tionierende Kommunikation und Abstimmung mit
unseren Partnerländern. Hierfür sind die in den Leit-
linien vorgesehenen Arbeitsstäbe die richtige Grund-
lage, um auch international agieren zu können. Damit
haben wir für das deutsche Engagement in fragilen
Staaten vor allem eine realistische und pragmatische
Basis geschaffen. Wie die Verfasser des Antrags zur
Einschätzung kommen, dass diese Leitlinien – welche
vor genau sechs Monaten vorgestellt wurden – keine
Wirkung entfalten würden, sei dahingestellt.

Außerdem haben wir mit dem Ressortkreis „Zivile
Krisenprävention“ und mit dem Beirat für Zivile
Krisenprävention bereits sehr gute Instrumente und
Verfahren zur Koordinierung unserer Maßnahmen in
fragilen Staaten entwickelt.

Das Elend fragiler Staaten betrifft uns alle; denn
aufgrund der immer stärkeren Interdependenzen auf
globaler Ebene sind wir mittlerweile ganz direkt von
der Armut und von der gesellschaftlichen Ungleichheit
in Ländern wie Burundi, Südsudan oder Bangladesch
betroffen. Um nur ein Beispiel zu nennen: In Burundi
sind etwa 73 Prozent der Bevölkerung unterernährt;
beinahe 15 Prozent aller Kinder sterben vor ihrem
fünften Lebensjahr. In Afghanistan liegt die Lebenser-
wartung bei knapp 49 Jahren im Durchschnitt. Diese
Länder sind eine Brutstätte für Extremismus und Ge-
walt. Die Menschen dort können nicht in Sicherheit le-
ben, und nur wenn wir durch angepasste Maßnahmen
für eine nachhaltige Entwicklung sorgen, können wir
Politik, Wirtschaft und vor allem auch die Gesellschaft
auf eine solide Basis stellen, sodass auch dort „Hilfe
zur Selbsthilfe“ umgesetzt werden kann. Sicherheit,
Bildung, Gesundheit und schließlich auch wirtschaftli-
che Stabilität sind die besten Maßnahmen gegen Terro-
rismus und Gewalt. Bis dorthin kann es ein langer Weg
sein. Aber genau dies ist unsere Verantwortung – auch
in unserem eigenen Interesse.

Dies bringt mich zu einem weiteren Kritikpunkt am
vorliegenden Antrag. Würden wir militärisches Ein-
greifen in zerfallenden und fragilen Staaten von vorn-
herein ausschließen, könnten wir in vielen Fällen den
Weg zum Aufbau eines soliden Staates gar nicht schaf-
fen. Verstehen Sie mich nicht falsch – gewaltsame
Konflikte können ein Land in wenigen Monaten um
Jahrzehnte zurückwerfen, und deshalb sollte der Ein-
satz von Waffen das äußerste Mittel sein. Die Zusam-
menarbeit mit der Zivilgesellschaft muss oberste Prio-
rität haben; denn dies ist die wirklich solide Basis für
nachhaltige Entwicklung und Frieden. Wer aber
glaubt, wir könnten lediglich so fragile Staaten vor
dem Zerfall bewahren, sieht die aktuelle Realität nicht.
Ich erinnere da nur beispielsweise an Südsudan, wo
die Waffengewalt nach wie vor das Land an Fortschrit-
ten bei der Entwicklung hindert.

All dies schaffen wir aber nicht alleine. Wir sind
hier ganz besonders auf die Zusammenarbeit mit unse-
ren multilateralen Partnern angewiesen. Ein sehr gu-
ter Rahmen ist hier beispielsweise durch den „New
Deal for Engagement in Fragile States“ im Dezember
2011 in Busan geschaffen worden. Auch die „Peace-
building and Statebuilding Goals“ der OECD aus dem
gleichen Jahr sehen Legitimität, Sicherheit, Gerechtig-
keit bzw. Rechtsstaatlichkeit, wirtschaftliche Stabilität
sowie staatliche Dienstleistungen, die durch Einnah-
men des Staates finanziert werden können, als die
Grundlage von Fortschritt in diesen Ländern.

Um auf die Herausforderung von fragiler Staatlich-
keit angemessen zu reagieren, müssen wir global ver-
netzt agieren. Wir müssen effektiv und effizient arbei-
ten. Hier hat Deutschland in den vergangenen Jahren
und vor allem in den letzten Monaten noch einmal ver-
stärkt Maßstäbe gesetzt. Wir haben hervorragende
Strategien erarbeitet, die es nun weiterhin umzusetzen
und vor allem immer wieder anzupassen gilt. Wer
glaubt, wir hätten hiermit ein allgemeingültiges Rezept
gefunden, der irrt sich. Kein fragiler Staat lässt sich
mit einem anderen vergleichen. Dennoch können wir
aus den bereits gemachten Erfahrungen lernen und so
angemessen reagieren und agieren – so wie wir dies
bereits heute in Ländern wie Afghanistan, Jemen,
Somalia, Südsudan und Burundi tun.


Stefan Rebmann (SPD):
Rede ID: ID1723140600

Meist beschäftigen wir uns mit fragilen Staaten wie

Mali, Afghanistan oder Somalia immer dann, wenn die
Handlungsunfähigkeit staatlicher Institutionen zu ei-
nem internationalen Sicherheitsproblem angewachsen
ist. Immer dann, wenn gewaltsame Konflikte drohen
oder bereits eskalieren, werden politische und militä-
rische Handlungsmöglichkeiten abgewogen, vorrangig
mit dem Ziel, regionale und internationale Sicherheits-
bedrohungen abzuwenden, so zuletzt im Fall Mali.
Fragile Staaten werden deswegen oftmals leider völlig
verkürzt lediglich als Sicherheitsproblem wahrgenom-
men.

Fragile Staaten sind aber nicht nur ein sicherheits-
politisches Thema. Sie sind vor allem eine zentrale ent-
wicklungspolitische Herausforderung. Ein Blick auf
die Faktenlage macht dies mehr als deutlich: Nicht ei-
nes der Länder aus der Gruppe fragiler oder von Kon-
flikten betroffener Staaten hat bisher auch nur eines
der Milleniumsentwicklungsziele erreicht. Nicht eines!
Und es steht nicht zu erwarten, dass sich dies bis zum
Jahr 2015 ändern wird. Auf diese Gruppe entfallen die
Hälfte der Kinder, die weltweit vor ihrem fünften Ge-
burtstag sterben, ein Drittel aller Sterbefälle von Müt-
tern und ein Drittel aller Menschen, die mit weniger
als einem Dollar am Tag überleben müssen.

Immer wiederkehrende Gewaltkonflikte haben in
den betroffenen Gesellschaften darüber hinaus tiefe
Gräben und Traumata hinterlassen. Die 1,5 Milliarden
Menschen in diesen Ländern und damit rund 20 Pro-
zent der Weltbevölkerung drohen von der internationa-

Zu Protokoll gegebene Reden





Stefan Rebmann


(A) (C)



(D)(B)


len Entwicklung gänzlich abgehängt zu werden. Wir
brauchen endlich wirksame und nachhaltige Strate-
gien und Konzepte, um dieser katastrophalen Fehlent-
wicklung erfolgreich zu begegnen.

Bisherige Ansätze in der Entwicklungszusammenar-
beit haben sich im Kontext fragiler Staatlichkeit meist
als wenig wirksam und nachhaltig erwiesen. Zu umfas-
send sind die Herausforderungen in einer Situation, in
der die Voraussetzungen für Entwicklung eigentlich
erst noch geschaffen werden müssen. Viele Geber ha-
ben sich von diesen Schwierigkeiten abschrecken las-
sen. Die Schwankungen der Mittelzuflüsse sind bei der
Entwicklungsförderung fragiler Staaten deswegen be-
sonders ausgeprägt, und sie stellen ein zusätzliches
Problem dar. Die OECD warnt davor, dass gerade un-
ter den Vorzeichen finanzieller Krisen und knapper öf-
fentlicher Kassen, wenn auch die Haushaltsmittel für
Entwicklungszusammenarbeit und ihre Verwendung
unter zusätzlichem Erklärungsdruck stehen, die Unter-
stützung für fragile Staaten ins Hintertreffen geraten
könnte.

Allzu oft fokussieren Geberregierungen in solchen
Zeiten auf Projekte und Programme, die nationalen In-
teressen dienen und schnelle, sichtbare Erfolge brin-
gen, die sich gut rechtfertigen und vermitteln lassen.
Doch nachhaltiges Engagement in fragilen Staaten
funktioniert anders. Hier geht es vor allem um lang-
fristige Perspektiven, die Rückschläge in Kauf und Er-
folge auf lange Sicht in den Blick nehmen. Das ist
kurzfristig nicht immer leicht darzustellen und zu ver-
mitteln, aber umso notwendiger.

Die Entwicklungsförderung in fragilen Staaten be-
darf unserer langfristigen, zuverlässigen Unterstützung,
damit nachhaltige Entwicklung eine Chance bekommt.
In Afghanistan haben wir diese Notwendigkeit deutlich
vor Augen. Doch während Afghanistan zumindest im
Moment noch aufgrund westlicher Sicherheitsinteres-
sen im Fokus internationaler Aufmerksamkeit steht,
erfahren andere Länder mit fragiler Staatlichkeit weit
weniger Unterstützung. Wir müssen unser Engagement
in Afghanistan verlässlich weiterführen, dürfen aber
auch die anderen nicht aus dem Blick verlieren.

Wir müssen deswegen der Entwicklungszusammen-
arbeit mit fragilen Staaten materiell wie konzeptionell
besondere Aufmerksamkeit schenken. Dazu gehören
politischer Mut und Durchhaltevermögen; dazu gehört
aber auch eine Aufstockung der ODA-Mittel mit be-
sonderem Blick auf fragile Staaten. Die von der Bun-
desregierung präsentierten Eckwerte für den Haushalt
2014 weisen da leider genau in die falsche Richtung.

Die besonderen Herausforderungen bei der nach-
haltigen Friedens- und Entwicklungsförderung fragiler
Staaten machen deutlich, dass hier auch eine bessere
Koordination und Kooperation sowohl im nationalen
als auch im internationalen Rahmen unabdingbar ist.
Der vorliegende Antrag fordert zu Recht eine kohä-
rente ressortübergreifende Strategie im Umgang mit
fragilen Staaten, die kohärent vor allem im Interesse

von Entwicklung und Menschenrechten wirkt. Diese
darf sich nicht nur auf Außen-, Entwicklungs- und Si-
cherheitspolitik beschränken, sondern muss beispiels-
weise auch die Wirtschaftspolitik verpflichten, zum
Beispiel durch eine restriktive Rüstungsexportpolitik.

Die 2012 von Auswärtigem Amt, dem Bundesminis-
terium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung und dem Verteidigungsministerium vorgeleg-
ten Leitlinien für eine kohärente Politik gegenüber
fragilen Staaten greifen in dieser Hinsicht jedoch nach
wie vor zu kurz. Entwicklungspolitisches Engagement
in fragilen Staaten kann nur im multilateralen Rahmen
und ausgerichtet an lokalen Prioritäten erfolgreich
sein. Es ist deswegen von besonderer Bedeutung, dass
die Entwicklung von Strategien und gemeinsamen In-
strumenten auch multilateral, beispielsweise im Rah-
men der Vereinten Nationen und auch der Europäischen
Union, vorangetrieben wird.

Wir unterstützen deswegen den vorliegenden Antrag
zur entwicklungspolitischen Kooperation mit fragilen
Staaten, der wichtige Ansatzpunkte benennt und die
Bundesregierung auffordert, sich dieser zentralen He-
rausforderung endlich umfassend und konsequent zu
stellen.


Joachim Günther (FDP):
Rede ID: ID1723140700

In der Tat handelt es sich beim Thema „Fragile

Staaten“ um einen äußerst komplexen, schwierigen
Diskussionsgegenstand; denn jedes einzelne Land, je-
der einzelne Staat hat seine ganz spezifischen Aus-
gangspunkte und Hintergründe. Fragilität stellt sich in
jedem Entwicklungsland anders dar. Wann bezeichnet
man einen Staat eigentlich als fragil? Der „Duden“
hilft uns mit dem Begriff „zerbrechlich“, aber hilft uns
das weiter?

Die Antragsteller betonen ganz richtig die Einzig-
artigkeit eines fragilen Staates, aber fordern anderer-
seits in ihrem Antrag eine einheitliche Definition von
fragilen Staaten. Dies widerspricht sich per se.

Nun möchte ich hierzu erst einmal feststellen, dass
es doch in der Hauptsache nicht um eine theoretische
Definitionsbeschreibung, an der man alles festmacht,
gehen sollte. Wirklich wichtig ist doch der Umgang mit
jenen Staaten, die Destabilisierungspotenziale in sich
bergen. Denn bei fragilen Staaten handelt es sich si-
cherlich unumstritten um schwache staatliche Gebilde,
die eine Herausforderung für die globale Sicherheit
darstellen. Dazu gehören grenzüberschreitende Pro-
blemfelder wie Menschen-, Waffen- und Drogenhandel
oder auch Rückzugsräume terroristischer Netzwerke.
Die internationale Staatengemeinschaft steht zuneh-
mend vor der riesigen Aufgabe, einen Referenzrahmen
für den Umgang und die Zusammenarbeit mit solchen
fragilen Staaten zu finden.

Der Kernforderung des Antrags von Bündnis 90/Die
Grünen, die deutsche Entwicklungszusammenarbeit
mit fragilen Staaten müsse erst einmal in den Fokus
der Bundesregierung gerückt werden, widerspreche

Zu Protokoll gegebene Reden





Joachim Günther (Plauen)



(A) (C)



(D)(B)


ich vehement. Dies ist bereits durch verschiedene In-
strumente erfolgt, wie die Leitlinien der Bundesregie-
rung für eine kohärente Politik gegenüber fragilen
Staaten, den Ressortkreis „Zivile Krisenprävention“,
den Beirat für Zivile Krisenprävention sowie länder-
spezifische Koordinierungsprogramme. Das Thema ist
längst in den Fokus des Regierungshandelns gerückt,
und auch entgegen dem im Antrag formulierten
Vorwurf mangelnder Koordinierung wurden auf natio-
naler Ebene sehr wohl die bereits vorgenannten Ver-
fahren entwickelt.

In ihrem grundsätzlich multilateral ausgerichteten
Engagement sieht die Bundesregierung als prioritäres
Ziel eine wirksame Krisenprävention, die in Koopera-
tion mit europäischen und internationalen Partnern
betrieben werden muss. Dabei agiert die Politik in dem
Handlungsrahmen, wie er durch die internationale
Einbindung Deutschlands vorgezeichnet ist.

Die Unterstützung zivilgesellschaftlicher Akteure ist
eine zentrale Voraussetzung für eine erfolgreiche
Transformation in fragilen Staaten; Sicherheit für die
Bevölkerung in fragilen Staaten hat jedoch für die
Bundesregierung oberste Priorität, weshalb militäri-
sche Einsätze nicht völlig ausgeschlossen werden kön-
nen und oftmals notwendig sind, um den Weg für zivile
Akteure zu bereiten.

Es hat sich gezeigt, dass bei internationalen Enga-
gements mit militärischen und bzw. oder polizeilichen
Komponenten ein quantitativ angemessenes und aus-
reichend robustes Profil gerade zu Beginn des Einsat-
zes als Erfolgsfaktor gelten kann. Zentrale Bedeutung
hat die Herausbildung einer rechtlich abgesicherten
und institutionalisierten Staatlichkeit, die die Rechte
von Frauen, Kindern und Minderheiten ausreichend
berücksichtigt. Dabei ist der Einfluss externer Akteure
beschränkt, und es verbleibt ein Rest an Eigenverant-
wortung bei der Bevölkerung fragiler Staaten. Das
deutsche Engagement verfolgt einen realistischen und
pragmatischen Ansatz, bei dem Rückschläge einkalku-
liert werden und die Grenzen, die die Realität aufweist,
gesehen und ausreichend gewürdigt werden.

Anstatt diese Leitlinien zu begrüßen, konzentrieren
sich die Antragsteller auf pauschale Kritik, die teil-
weise sogar widersprüchlich ist. So wird einerseits die
Bewahrung von Menschenrechten gefordert, an ande-
rer Stelle aber die Kürzung von Budgethilfen bei
schlechter Regierungsführung kritisiert. Auch wird der
Fortschrittsbericht zu Afghanistan als unzureichend
kritisiert und eine unabhängige Evaluierung von Ent-
wicklungsmaßnahmen gefordert – diese Forderung ist
jedoch durch Bundesminister Niebel mit Gründung des
unabhängigen EZ-Evaluierungsinstituts längst erfüllt
worden.

Um die Bundesregierung zu kritisieren, wird weiter-
hin auf einen DAC-Prüfbericht von 2010 verwiesen
– die deutsche EZ sei unzureichend auf die ärmsten
Länder ausgerichtet: ebenfalls unter Niebel korrigiert –
und bewusst ignoriert, dass diese Kritik nur dem BMZ

unter Bundesministerin Wieczorek-Zeul gegolten ha-
ben kann. Folglich ist der Antrag abzulehnen.

Ich freue mich jedoch, dass wir jetzt fraktionsüber-
greifend eine gemeinsame öffentliche Anhörung mit
dem Unterausschuss „Zivile Krisenprävention und
vernetzte Sicherheit“ zum Thema „Entwicklungsarbeit
mit fragilen Staaten“ am 12. Juni 2013 beschlossen
haben.

Wir haben vielfach Einvernehmen in Hinsicht auf
fragile Staaten: Die Entwicklungspolitik allein kann
die Lage der Länder mit Rechtsunsicherheit, Kriegs-
und Bürgerkriegssituationen, Flüchtlingen, Hunger,
Armut und Not nicht verbessern. Entwicklungszusam-
menarbeit würde so wenig hilfreich sein.

Ein Zusammenwirken von Außen-, Sicherheits- und
Entwicklungspolitik ist unbedingt notwendig. Somit
fordere ich Sie auf: Suchen wir gemeinsam nach be-
währten Konzepten und Instrumenten zur Problem-
lösung.


Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723140800

Die Grünen machen sich mit diesem Antrag das

sehr fragwürdige Konzept „fragiler Staatlichkeit“ zu
eigen, das Länder im neokolonialen Sinne in „good
performers“ und „bad performers“ einteilt. Die An-
tragsteller wollen sich vom Ansatz der „vernetzten Si-
cherheit“ distanzieren, dabei spielen gerade bei der
Integration von Sicherheits- und Entwicklungspolitik
die sogenannten fragilen und gescheiterten Staaten
eine entscheidende Rolle, die zu Beginn des Jahrtau-
sends in den westlichen Strategiepapieren zur zentralen
Bedrohung und Legitimation zur Aufrechterhaltung
von interventionsfähigen Militärstrukturen erklärt
wurden. Dies spiegelt sich auf der ersten Seite der Na-
tional-Security-Strategie der USA wider, in der die
weltweite Bedrohung für Frieden und Freiheit nicht
von Staaten ausgeht, die erobern, sondern von denen,
die zerfallen. Sicherheitspolitische Erwägungen domi-
nieren auch die nun von den Planungsstäben des Aus-
wärtigen Amtes, des „Bundesverteidigungsministe-
riums“ und des BMZ gemeinsam erarbeiteten Leitlinien
„Für eine kohärente Politik der Bundesregierung ge-
genüber fragilen Staaten“. Gleich einleitend heißt es:
„Heute sind vor allem schwache staatliche Gebilde
eine große Herausforderung für die globale Sicherheit.
Sie bilden grenzüberschreitende Destabilisierungs-
potentiale, dienen als Umschlagsplätze für Waffen-,
Drogen-, und Menschenhandel, als Rückzugsräume
für terroristische Netzwerke und sie bedrohen den le-
galen Handelsverkehr. Inaktivität birgt meist große Ri-
siken auch für unsere eigene Sicherheit.“ Von der Si-
cherheit der Menschen, die in diesen Staaten leben, ist
an dieser Stelle keine Rede. Die Grünen betonen den
„Primat des Zivilen“, wollen aber gleichzeitig – ich zi-
tiere aus dem Antrag – „Ressourcen der Diplomatie,
der Entwicklungszusammenarbeit, der zivilen Frie-
denskräfte, der Polizei, und des Militärs auf nationa-
ler, internationaler und lokaler Ebene, ressort- und in-

Zu Protokoll gegebene Reden





Heike Hänsel


(A) (C)



(D)(B)


stitutionenübergreifend abstimmen“. Dies ist nichts
anderes als ein zivil-militärischer Ansatz.

In dem Antrag vermissen wir eine gründliche Ana-
lyse der Ursachen. Staaten zerfallen nicht einfach,
sondern werden von außen destabilisiert, militärisch,
politisch und wirtschaftlich. Vielfach sind es ja die
strategischen und wirtschaftlichen Interessen des Nor-
dens, die die Existenzgrundlagen der Menschen und
Ökosysteme in den betroffenen Regionen bedrohen.
Dazu kommen Waffenlieferungen und militärische Ko-
operationen, oft auch mit den Nachbarstaaten, die eine
Region zusätzlich destabilisieren. Beispiele dafür gibt
es genug, von Irak, Afghanistan, Haiti, Libyen bis
Mali. Mali gilt als eines der ärmsten Länder der Erde
und als „gescheiterter Staat“. Mali war lange durch
einen Klienten Frankreichs geführt worden, Amadou
Toumani Touré, kurz ATT. Sein Regime hatte jedoch
abgewirtschaftet, und laut Verfassung durfte er Anfang
2012 auch nicht mehr zu den Wahlen antreten. Infolge
des Libyen-Krieges gab es einen Tuareg-Aufstand im
Norden und einen Putsch im Süden. Obwohl die Put-
schisten nicht gerade profranzösisch waren, konnte
das Frankreich gerade recht sein: Die Destabilisie-
rung und zuletzt die Intervention konnten sie nutzen,
um die Souveränität auszuhebeln und zu intervenieren.
Die politische Zukunft Malis ist dadurch fest in franzö-
sischer Hand. Nun soll der „fragile Staat“ militärische
Hilfe und Ausbildung erhalten, die das Land und die
Region weiter militarisieren werden. Für die Linke
muss Entwicklungspolitik Teil einer aktiven Friedens-
politik sein, die konsequent Friedenskräfte vor Ort
stärkt, imperiale Interventionen, Waffenlieferungen
und militärische Kooperationen ablehnt und erst recht
jeden Ansatz der „vernetzten Sicherheit“. Deshalb
lehnen wir den Antrag der Grünen ab.


Ute Koczy (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723140900

Die globalen Krisen von Klima, Hunger, Armut so-

wie des Wirtschafts- und Finanzsystems spitzen sich
zu – auf Kosten der globalen Gerechtigkeit. Auch erle-
ben wir, wie die Armut sich global umgruppiert. Wäh-
rend viele Länder bemerkenswerte Fortschritte etwa
bei der Einschulung, dem Zugang zu sauberem Wasser
oder der Steigerung der Lebenserwartung machen, an-
dere reiche Eliten ausbilden bei zugleich großer Ar-
mut, setzt sich gleichzeitig in den fragilen Staaten eine
hartnäckige Armut fest. Dort leben die extrem Ver-
nachlässigten in einer Spirale von Gewalt und Not. In
diesen Fällen steht die Weltgemeinschaft vor besonde-
ren Herausforderungen. Aus diesem Grund halten wir
es für wichtig, über die Konzepte von fragiler Staat-
lichkeit zu diskutieren, und freuen uns über Zustim-
mung.

Laut Weltentwicklungsbericht der Weltbank von
2011 hat bislang keines der als fragil oder von Konflik-
ten betroffenen Länder auch nur eines der Millen-
niumsentwicklungsziele erreicht. Dort steht die Zeit
still – viel zu oft wird die Uhr sogar zurückgedreht,
statt dass es für die Menschen ein Vorwärts gibt.

Ich sage, auch hier muss sich die Entwicklungspoli-
tik umorientieren. Und: In fragilen Staaten müssen die
Voraussetzungen für Entwicklung erst noch geschaffen
werden. Da können wir nicht mit dem klassischen In-
strumentenkasten auflaufen und „business as usual“
machen. Wer hier etwas zur Veränderung beitragen
will, braucht Mut zum Risiko, denn die Erfolge wird es
nicht unmittelbar geben. Gleichzeitig braucht es viel
Vorsicht und kleinteilige Schritte.

Und es braucht einen langen Atem. Die Weltbank
hat darauf hingewiesen, dass es in fragilen Staaten im
Durchschnitt zwischen drei und fünf Jahrzehnten dau-
ern kann, bevor staatliche Institutionen funktionieren.
Ich denke, diese Mischung aus Geduld und Langfris-
tigkeit, Sensibilität und Flexibilität sowie einem frühen
und international abgestimmten Vorgehen des Engage-
ments sind große Herausforderungen.

Ich möchte es konkret machen. Afghanistan, Soma-
lia, der Kongo, das sind die bekanntesten Beispiele
fragiler Staatlichkeit. Aber auch Mali wird uns unter
dieser Überschrift für lange Jahre begleiten. Hier sind
die Anzeichen der Fragilität nicht als Warnzeichen ge-
sehen worden. Das Einsickern von Milizen vor allem
aus Libyen war nur der Auslöser, die Ursachen lagen
viel tiefer. Die Eskalation in Mali ist eine Folge der
langjährigen Abwesenheit von Staatlichkeit im Nor-
den, islamistischen Terroristen und organisierter Kri-
minalität seit insbesondere 2003, verbunden mit alten
separatistischen Strömungen der Tuareg. Die dauer-
hafte Armut, Dürren und Perspektivlosigkeit tragen
zur Verschärfung der Situation bei. Gleichzeitig ist die
Lage in Mali auch im Kontext der Fragilität der ge-
samten Region zu sehen: transnational organisierte
kriminelle und terroristische Netzwerke, insbesondere
illegaler Drogen- und Waffenhandel sowie Entführun-
gen. Deren Wege führen auch nach Europa, insofern
haben die Konflikte in Mali sehr viel mit der europäi-
schen Politik zu tun.

Die Lage in Mali ist hochkomplex. Mali hatte vor
der Eskalation eine deutlich bessere strukturelle Aus-
gangslage für Entwicklung als viele andere afrikani-
sche Staaten. So lag es etwa im „Failed States Index“
des „Fund for Peace“ vor Indien und hatte bessere
Korruptionswerte als Russland. Gleichzeitig hat Mali
die zweithöchste Kindersterblichkeit weltweit; 50 Pro-
zent der Bevölkerung leben in absoluter Armut. Das
zeigt uns: Mali braucht Unterstützung. Die Vorausset-
zungen für eine positive Entwicklung waren da; das
Land ist jetzt aber weit zurückgeworfen. Wir sollten
uns aber dennoch fragen, ob diese tragische Situation
nicht durch eine kohärente und vorausschauende Poli-
tik vielleicht hätte verhindert werden können.

Denn die Voraussetzung für Entwicklung schaffen,
das leistet Entwicklungspolitik nicht alleine. Sie muss
Hand in Hand gehen mit der Außen-, der Sicherheits-,
der Drogen-, der Innen-, der Wirtschaftspolitik. Das
geht nicht national oder bilateral: Es braucht ein ge-
schlossenes Handeln der internationalen Gemein-
schaft.

Zu Protokoll gegebene Reden





Ute Koczy


(A) (C)



(D)(B)


In der Analyse der Situation in fragilen Staaten be-
steht große Einigkeit. Ich möchte es in diesem Zusam-
menhang sehr begrüßen, dass wir im Juni eine gemein-
same Anhörung des Ausschusses für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung mit dem Unteraus-
schuss „Zivile Krisenprävention und vernetzte Sicher-
heit“ organisieren. Das belegt die Bedeutung des The-
mas, auch bei uns im Parlament, und es kann ein
Beispiel sein, wie wir im Parlament nicht nur Kohä-
renz predigen, sondern sie auch leben.

Hier versagt die Bundesregierung leider. Zwar ver-
sucht sie, ihre Hausaufgaben zu machen. Im Januar
legte das BMZ sein Strategiepapier „Entwicklung für
Frieden und Sicherheit“ vor, ein Papier, das fachlich
auf dem aktuellen Stand ist. Ich frage mich allerdings,
welche Relevanz dieses Papier hat. Es ist bislang das
Papier nur eines Ministeriums, eben des BMZ. Für den
ressortübergreifenden Ansatz wird sich auf die Leitli-
nien der Bundesregierung gegenüber fragilen Staaten
vom vergangenen September bezogen.

Doch wo bleibt denn die Strategie der Bundesregie-
rung im Umgang mit Ressourcenknappheit, kriminel-
len Netzwerken, Terrorismus, Armut? Die Kriegsfürs-
ten in fragilen Staaten leben von Drogen- und
Waffenhandel, von Rohstoffexporten und Korruption
sowie von internationalen Steueroasen. Doch die Bun-
desregierung ist nicht willens, die nötigen Maßnahmen
in ihrer Wirtschafts- und Finanzpolitik zu ergreifen,
um dieser Schattenwirtschaft konsequent einen Riegel
vorzuschieben. Dem Anspruch eines ressortübergrei-
fenden kohärenten Ansatzes wird die Bundesregierung
nicht gerecht, wenn sie weiterhin munter Panzer und
U-Boote in die Konfliktregionen dieser Welt exportiert.

Unterm Strich bleibt für mich: Die Bundesregierung
tut zwar etwas, aber sie hängt es nicht auf der richti-
gen Ebene auf. Die dringend benötigte Kohärenz in
Bezug auf den Umgang mit fragilen Staaten sieht an-
ders aus!


Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723141000

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für wirt-

schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung empfiehlt in
seiner Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11961,
den Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf
Drucksache 17/10791 abzulehnen. Wer stimmt für diese
Beschlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltun-
gen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen
der Koalitionsfraktionen und der Fraktion Die Linke bei
Gegenstimmen von SPD und Grünen angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 29 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Arbeit und Soziales

(11. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordne-

ten Markus Kurth, Ulrich Schneider, Katrin
Göring-Eckardt, weiterer Abgeordneter und der
Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN

Zweckgebundene und steuerfreie Übungslei-
terpauschalen und Aufwandsentschädigungen

für bürgerschaftliches Engagement nicht auf
Leistungen nach dem Zweiten und Zwölften
Buch Sozialgesetzbuch anrechnen

– Drucksachen 17/9950, 17/11253 Buchstabe c –

Berichterstattung:
Abgeordneter Markus Kurth

Wie in der Tagesordnung ausgewiesen, werden die
Reden zu Protokoll genommen.


Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1723141100

Mit Ihrem Antrag, liebe Kolleginnen und Kollegen

der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, fordern Sie, dass
Aufwandsentschädigungen für bürgerschaftliches En-
gagement und ehrenamtlich tätige kommunale Man-
datsträger sowie Übungsleiterpauschalen nicht auf
das Arbeitslosengeld II oder die Sozialhilfe angerech-
net werden. Gleichzeitig kritisieren Sie, dass die ge-
setzliche Neuregelung eine Verschlechterung für jene
Konstellationen bedeute, bei denen gleichzeitig sowohl
Einkommen aus Übungsleitertätigkeiten oder ander-
weitigem bürgerschaftlichem Engagement als auch
weiteres Erwerbseinkommen erzielt wird.

Ich denke, wir sind uns alle bezüglich der gesell-
schaftlichen Bedeutung des Ehrenamtes einig. In
Deutschland engagieren sich mehr als 23 Millionen
Bürgerinnen und Bürger ehrenamtlich und bereichern
durch ihre Arbeit das soziale Miteinander und stärken
den Zusammenhalt in unserem Land. Bürgersinn und
persönliches Engagement sind Grundpfeiler für die
Gemeinschaft eines freiheitlichen Staates und einer
solidarischen Gesellschaft.

Daher tragen wir diesem gesellschaftlichen Enga-
gement auch im Rahmen der Grundsicherung für Ar-
beitsuchende nach dem Zweiten Buch Sozialgesetz-
buch Rechnung. Nach den seit dem 1. Januar 2011
geltenden Anrechnungsregeln im SGB II werden Ein-
nahmen aus Ehrenamt ausdrücklich gegenüber Ein-
nahmen aus Erwerbstätigkeit privilegiert.

So gilt beispielsweise für pauschale Aufwandsent-
schädigungen ein erhöhter Absetzbetrag in Höhe von
175 Euro, welcher an die im Steuerrecht geltenden
Regelungen angelehnt ist. Bei darüber hinausgehen-
den Entschädigungsleistungen – zum Beispiel bei eh-
renamtlichen Bürgermeistern – liegt eine Erwerbstä-
tigkeit vor. Dennoch gilt auch in diesen Fällen ein
erhöhter Grundfreibetrag in Höhe von 175 Euro zu-
sätzlich zu dem Erwerbstätigenfreibetrag, mit dem
weitere 20 Prozent der Einnahmen zwischen 100 und
1 000 Euro abgesetzt werden können.

Des Weiteren unterliegen Zuwendungen, mit denen
tatsächliche Aufwendungen ersetzt werden sollen, der
Anrechnungsfreiheit.

Hintergrund dieser Regelung ist, dass auch Tätig-
keiten als Übungsleiter nach § 3 Nr. 26 EStG als Er-
werbstätigkeiten angesehen werden, die jedoch auf-
grund ihrer gesellschaftlichen Bedeutung – wie bereits





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)


ausgeführt – durch einen erhöhten Grundfreibetrag
privilegiert werden.

Eine zusätzliche Besserstellung durch einen doppel-
ten Freibetrag bei einem zusätzlichen Minijob er-
scheint mir daher nicht angebracht, zumal in dieser
Konstellation die tatsächlichen Werbungskosten, die
für den Minijob anfallen, abgezogen werden.

Gleiches gilt für das bürgerschaftliche Engagement,
bei dem eine pauschale Aufwandsentschädigung aus
öffentlichen Kassen gezahlt wird. Auch diese ist nach
§ 3 Nr. 12 EStG bis zur Höhe von 175 Euro steuerfrei.
Sollte der tatsächliche Aufwand höher sein, kommt
auch hier eine Geltendmachung über die Werbungs-
kosten in Betracht.

Eine diesbezügliche zusätzliche und weitergehende
Privilegierung im Bereich der Grundsicherung für
Arbeitsuchende nach dem SGB II wäre anderen er-
werbstätigen Leistungsbeziehern nur schwer vermit-
telbar und zugleich auch nicht gerechtfertigt.

Vor diesem Hintergrund ist an der geltenden
Rechtslage im Bereich der Grundsicherung für Arbeit-
suchende nach dem SGB II, wonach es keine Kumula-
tion von Ehrenamtsfreibetrag und sonstigem Erwerbs-
tätigenfreibetrag gibt, festzuhalten.

Im Übrigen möchte ich an dieser Stelle auch nicht
unerwähnt lassen, dass bereits zum 1. Januar 2011
eine Ergänzung der Einkommensfreilassung im Be-
reich des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch stattge-
funden hat, die der Bedeutung des ehrenamtlichen En-
gagements ebenfalls Rechnung trägt.

Die geltenden gesetzlichen Regelungen würdigen
und stärken das Ehrenamt in angemessener Weise und
sorgen dafür, dass es keine finanzielle Schlechterstel-
lung bei einem ehrenamtlichen Engagement gibt. Zu-
dem sorgt die Einkommensanrechnungsgrenze auch
für die zahlreichen Verbände, Vereine und gemein-
nützigen Organisationen für eine Entlastung, da deren
bürokratischer Aufwand reduziert wird.

Das verantwortungsvolle Engagement von Hartz-
IV-Beziehern, die sich in Vereinen etc. einbringen, wird
entsprechend honoriert und ermöglicht nicht nur die
Aufrechterhaltung der sozialen Kontakte, sondern er-
höht auch die Chancen bei einem beruflichen Wieder-
einstieg.


Dr. Carsten Linnemann (CDU):
Rede ID: ID1723141200

Betrachtet man die Berichterstattungen in den Me-

dien, wird den Parteien immer wieder die mangelnde
Unterscheidbarkeit vorgeworfen. Die vorliegenden
Anträge widerlegen diese Darstellung allerdings vor-
trefflich, denn sie zeigen, welche grundlegenden Unter-
schiede in unseren Auffassungen bestehen. So gehört es
zum Selbstverständnis der Union, dass Solidarität und
Eigenverantwortung zwei Seiten ein und derselben Me-
daille sind. Auf Themen bezogen, die den Bereich der
sozialen Fürsorge berühren, heißt das: Jeder muss da-
rum bemüht sein und alle Möglichkeiten nutzen, seinen

Lebensunterhalt selbst zu finanzieren. Erst wenn er es
aus eigenen Kräften nicht schafft und allein nicht mehr
weiterkommt, springt der Staat respektive die Solidar-
gemeinschaft unterstützend und hilfegebend ein. Diese
Unterstützung und Hilfestellung sind aber aus unserer
Sicht gleichzeitig mit der Verpflichtung für den Hilfe-
empfänger verbunden, sich nicht in den Schoß der Ge-
meinschaft zurückfallen zu lassen, sondern alle Kräfte
darauf auszurichten, in eine Erwerbstätigkeit zu kom-
men und den Lebensunterhalt selbst bestreiten zu kön-
nen.

Bevor ich konkret auf Ihre Forderung eingehe, er-
lauben Sie mir ein paar Anmerkungen zum Thema Eh-
renamt. Ich selber komme aus einem ländlichen Wahl-
kreis, in dem das Ehrenamt großgeschrieben wird. Das
reicht von den Tätigkeiten im Sportbereich, wie das
Trainieren einer Jugendmannschaft im Fußball, über
Schützenvereine bis hin zu Vereinen, die sich dem Er-
halt von Kunst und Kultur verschrieben haben. Eins
wird mir immer wieder deutlich, wenn ich mit den
Menschen, die hier aktiv sind, spreche: Sie gehen ihren
Aufgaben mit großer Begeisterung nach, ja sie gehen
regelrecht darin auf. Und es gibt noch etwas anderes,
was sie eint: die innere Überzeugung, einer guten Sa-
che zu dienen. Was ich sagen will: Die Motivation die-
ser Menschen besteht nicht darin, mit ihrer ehrenamt-
lichen Tätigkeit möglichst viel Geld zu verdienen.
Diesen Menschen geht es um die Sache an sich und um
einen ganz persönlichen Gewinn, der mit Geld nichts
zu tun hat.

Gerade dieser Gewinn über das Materielle hinaus
ist es, was Menschen, die sich im SGB-II-Leistungsbe-
zug befinden, eine Brücke bauen kann, eine Brücke in
die Mitte der Gesellschaft und möglicherweise zurück
in die Erwerbstätigkeit. Denn leider stellt der Leis-
tungsbezug häufig auch einen gesellschaftlichen Rück-
zug dar, die Empfänger von Hilfeleistungen ziehen sich
verschämt zurück. Im Ehrenamt ist aber jede Hand ge-
fragt, soziale Statussymbole spielen hier keine Rolle.

Deshalb behandeln wir im Ehrenamt alle gleich. So
wie die 175 Euro bei Beschäftigten in der Steuererklä-
rung nicht berücksichtigt werden, werden die 175 Euro
bei SGB-II-Beziehern nicht bei den Einnahmen ange-
rechnet. Erhalten SGB-II-Leistungsempfänger Auf-
wandsentschädigungen über den Betrag von 175 Euro
hinaus, liegt eine Erwerbstätigkeit vor. Man kann also
davon ausgehen, dass sich der Leistungsempfänger
überdurchschnittlich engagiert und sein Fokus nicht
auf der Suche nach einer Beschäftigung liegt. Beträge
über der 175-Euro-Grenze werden daher wie Erwerbs-
tätigkeit behandelt und mit den entsprechenden Gren-
zen auf die gesetzlichen Leistungen angerechnet. Aus-
genommen von diesen Anrechnungsgrenzen sind
natürlich geldliche Leistungen, denen ein tatsächli-
cher Aufwand, zum Beispiel Spritgeld bei Fahrten der
Jugendmannschaft, gegenübersteht.

Wir sind daher der Meinung, dass wir bereits eine
gerechte Lösung für Arbeitnehmer und Leistungsbezie-

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Carsten Linnemann


(A) (C)



(D)(B)


her gefunden haben. Meine Fraktion lehnt daher die
hier vorliegenden Anträge ab.


Angelika Krüger-Leißner (SPD):
Rede ID: ID1723141300

Die Freiwilligen und Ehrenamtlichen leisten in un-

serem Land einen bedeutenden Beitrag für unsere Ge-
sellschaft und für eine Kultur des Miteinanders. Unsere
Demokratie lebt von dem Engagement der Bürgerin-
nen und Bürger.

Mir ist eine starke und lebendige Bürgergesellschaft
wichtig, in der sich die Menschen füreinander einset-
zen, die Freiheit nutzen, ihre Meinung zu äußern, und
sich in Initiativen, Verbänden und Vereinen zusammen-
schließen. Dieses freiwillige Engagement ist eigentlich
unbezahlbar und verdient unser aller Respekt und
Hochachtung. Ich möchte die Menschen ermutigen,
sich in die Gemeinschaft einzubringen, sich zu enga-
gieren und das gesellschaftliche Leben mitzugestalten.
Denn in der demokratischen Mitwirkung der Bürgerin-
nen und Bürger liegt die Stärke unserer Städte und Ge-
meinden. Dadurch sind sie so liebens- und lebenswert.

Mehr als 23 Millionen Menschen in Deutschland
sind in über 500 000 Vereinen, Initiativen, Organisa-
tionen und Stiftungen organisiert. Die ehrenamtlich
Engagierten erbringen eine unschätzbare Leistung, in-
dem sie sich mit Leidenschaft und Hingabe in vielen
Bereichen unserer Gesellschaft für andere betätigen.
Diese unschätzbare Leistung muss gesellschaftlich ge-
würdigt und durch gute gesetzliche Rahmenbedingun-
gen gefördert werden.

Das Gesetz zur Ermittlung von Regelbedarfen und
zur Änderung des Zweiten und Zwölften Buches So-
zialgesetzbuch hat aber Anfang 2011 zu Verschlechte-
rungen für ehrenamtlich Aktive geführt, vor allem für
Arbeitsuchende im SGB-II-Bezug. Diese schwarz-
gelbe Bundesregierung wollte die Übungsleiterpau-
schalen und Aufwandsentschädigungen als Einkom-
men auf die Regelleistungen anrechnen.

Die Pläne hätten bewirkt, dass in Phasen, in denen
keine Teilhabe am Erwerbsleben möglich ist, auch die
Ausübung eines bürgerschaftlichen Engagements und
damit die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben nicht
anerkannt und somit behindert wird. Bestraft worden
wären Arbeitsuchende, die eine Übungsleiterpau-
schale erhalten, zum Beispiel für ein Engagement als
Chorleiter oder Dirigent eines Jugendorchesters, als
Trainer im Sportverein oder als Engagierter im Ret-
tungswesen.

Damit wäre das Engagement von Arbeitsuchenden
im Vergleich zu dem von Erwerbstätigen diskriminiert
worden. Es stand zu befürchten, dass diese Regelung
negative Folgen auf das ehrenamtliche Engagement
von Arbeitsuchenden gehabt hätte.

In unserem Initiativantrag zur Ermittlung der Re-
gelbedarfe hatten wir das bereits im Dezember 2010
kritisiert. In den Verhandlungen zum Regelbedarfs-
Ermittlungsgesetz konnte die SPD im Vermittlungsaus-
schuss zwar verhindern, dass der erhöhte Freibetrag für

Arbeitslosengeld-II-Bezieher, die sogenannte Übungs-
leiterpauschale, nicht gestrichen wird. In bestimmten
Fällen ist es dennoch zu Verschlechterungen gekom-
men. Das ist inakzeptabel.

Welche Auswirkungen das hat, kann jeder leicht
nachrechnen. Für einen ehrenamtlich Aktiven mit ei-
nem Minijob in Höhe von 400 Euro bedeuten die
schwarz-gelben Änderungen finanzielle Einbußen.
Konnte er vor den schwarz-gelben Änderungen insge-
samt 335 Euro aus seiner Aufwandsentschädigung und
seinem Einkommen behalten, sind es nun nur noch
270 Euro. Das könnte 1,2 Millionen Arbeitslosengeld-
II-Bezieher, die Einkommen aus Erwerbstätigkeit vor-
weisen können, betreffen.

Mit der Änderung hat diese schwarz-gelbe Bundes-
regierung Arbeitsuchende diskriminiert, die einem
bürgerschaftlichen Engagement nachgehen. Sie hat An-
reize für die Aufnahme bzw. für die Fortführung eines
bürgerschaftlichen Engagements für die Bezugsdauer
des Arbeitslosengeld II zerstört. Diese Benachteiligun-
gen sind aus meiner Sicht nicht begründbar.

Wenn die Steuerbefreiung für Übungsleiterpauscha-
len und Aufwandsentschädigungen gerechtfertigt sind,
muss dies auch für die Anrechnungsfreiheit auf Leis-
tungen nach dem Zweiten und Zwölften Buch Sozialge-
setzbuch gelten. Das gebietet uns das Gleichbehand-
lungsgebot.

Studien zeigen, dass ein einmal aufgegebenes bür-
gerschaftliches Engagement häufig auch zum Ende ei-
ner engagierten Biografie führt. Der Wiedereinstieg
wird mit zunehmender Länge der Phase, in der kein En-
gagement ausgeübt wird, unwahrscheinlicher.

Gerade für Arbeitsuchende ist das fatal. Denn durch
bürgerschaftliches Engagement können Kompetenzen
erworben, aufrechterhalten oder gar vertieft werden,
die für eine erfolgreiche Arbeitsuche immer wichtiger
werden.

Durch bürgerschaftliches Engagement können Er-
fahrungen gemacht werden, die Eigenschaften wie
Zuverlässigkeit, Eigeninitiative, Verantwortungs- und
Leistungsbereitschaft fördern.

Diese Zusammenhänge hat Schwarz-Gelb einfach
ignoriert. Für die SPD ist jedoch klar, dass bürger-
schaftliches Engagement Brücke und nicht Hürde für
den Wiedereinstieg in eine Erwerbstätigkeit ist. Des-
halb wollen wir, dass auch arbeitsuchende Engagierte
durch das Anreizsystem für ihren bürgerschaftlichen
Einsatz belohnt werden.

Daher unterstützt die SPD den Antrag der Grünen
mit der Forderung, die Übungsleiterpauschale analog
zu den Regelungen im Einkommensteuerrecht in Höhe
von 175 Euro nicht auf Leistungen des SGB II und
SGB XII anzurechnen.


Dr. Birgit Reinemund (FDP):
Rede ID: ID1723141400

Der Antrag der Grünen, den wir heute debattieren,

beschäftigt sich mit der Förderung des Ehrenamtes –

Zu Protokoll gegebene Reden





Dr. Birgit Reinemund


(A) (C)



(D)(B)


ein Thema, dass der christlich-liberalen Koalition und
auch mir persönlich sehr am Herzen liegt. Deshalb ha-
ben wir Anfang des Jahres das Gesetz zur Stärkung des
Ehrenamtes verabschiedet und damit ein Entlastungs-
paket für alle Ehrenamtlichen und Vereine in Deutsch-
land geschnürt: Die Haftung von Vereinsmitgliedern
haben wir auf Vorsatz und grobe Fahrlässigkeit be-
grenzt, die Ehrenamtspauschale von 500 auf 720 Euro
und die Übungsleiterpauschale von 2 100 auf 2 400 Euro
erhöht. Vereine haben dank unseres Gesetzes nun mehr
Rechtssicherheit, da sie künftig eine verbindliche Be-
scheinigung darüber erhalten, ob ihre Satzung die Vo-
raussetzungen für die Anerkennung als gemeinnützig
erfüllt. Auch ihre Mittel können gemeinnützige Vereine
und Stiftungen nun zeitlich flexibler verwenden.

Wer in Sport- oder Kulturvereinen, sozialen oder
ökologischen Initiativen, Kirchen oder Parteien ehren-
amtlich Verantwortung übernimmt, der leistet einen
wichtigen Beitrag zum Zusammenhalt unserer Gesell-
schaft – im besten, liberalen Sinne. Ob dieser Beitrag
von sozialverischerungs- und steuerpflichtig Beschäf-
tigten in ihrer Freizeit erbracht wird oder von Arbeits-
losen, ist dabei unerheblich. Jedes ehrenamtliche
Engagement ist gleich wertvoll und sollte gleich unter-
stützt werden.

Deshalb haben wir mit dem Ehrenamtsstärkungsge-
setz analog zur Anhebung der Übungsleiterpauschale
im Einkommensteuerrecht auch die entsprechenden
Nichtanrechnungsbeträge auf Arbeitslosengeld II und
Sozialhilfe in gleichem Umfang angehoben. Der
Antrag der Grünen, der von einem Freibetrag von
175 Euro pro Monat spricht, ist also nicht auf dem ak-
tuellen Stand – kann ja passieren beim Kopieren alter
Anträge. Wir haben den Betrag bereits auf 200 Euro
monatlich, sprich 2 400 Euro jährlich erhöht.

Chorleiter, Trainer oder Jugendbetreuer können für
ihre ehrenamtliche Arbeit pro Jahr bis zu 2 400 Euro
als Aufwandspauschale steuerfrei erhalten. Wenn sie
stattdessen Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe erhal-
ten, wird der gleiche Betrag nicht auf ihre Bezüge
angerechnet: 200 Euro monatlich, also 2 400 Euro
jährlich. Warum die Grünen hier von einer Benachtei-
ligung der ehrenamtlich tätigen Leistungsempfänger
sprechen, kann ich nicht nachvollziehen.

Es geht hier nicht um eine Entlohnung, sondern um
eine Aufwandsentschädigung, die für Steuerpflichtige
bis zur Grenze von 2 400 Euro als Pauschale steuerfrei
gestellt ist. Für Leistungsempfänger nach SGB II und
XII gelten entsprechend Freibeträge. Sind die Aufwen-
dungen belegbar höher, können Leistungsbezieher je-
derzeit Einzelnachweis führen, um eine Anrechnung
auf Arbeitslosengeld II oder Sozialhilfe zu vermeiden.

Auch für alle berufstätigen, zusätzlich ehrenamtlich in
der Kommunalpolitik Tätigen sind über eine bestimmte
Grenze hinausgehende Aufwandsentschädigungen zu
versteuern. Eine vollständige Nichtanrechnung bei Leis-
tungsempfängern wäre eine Besserstellung gegenüber

ehrenamtlich engagierten Berufstätigen und somit
nicht gerechtfertigt.

Ehrenamtliche Tätigkeit und bürgerschaftliches
Engagement dürfen kein Ersatz für reguläre Erwerbs-
tätigkeit sein. Auch dürfen sie nicht dazu führen, dass
eine sozialversicherungspflichte Beschäftigung nicht
aufgenommen wird. Ein solcher Anreiz entsteht, wenn
Aufwandsentschädigungen für kommunale Mandats-
träger, die gerade in Großstädten erheblich sein kön-
nen, generell nicht auf Sozialleistungen angerechnet
würden.

Der Antrag von Bündnis 90/Die Grünen ist in dieser
Hinsicht kontraproduktiv und zur Stärkung des bürger-
schaftlichen Engagements auch nicht notwendig.
Schwarz-Gelb hat hier bereits gehandelt. Daher wer-
den wir den Antrag ablehnen.


Harald Koch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1723141500

Der Antrag der Grünen beginnt vielversprechend:

„Bürgerschaftliches Engagement ist wichtig für unsere
Gesellschaft und den gesellschaftlichen Zusammen-
halt.“ Dies ist absolut richtig, solange die Engage-
mentbereitschaft der Bevölkerung in Zeiten ange-
spannter Haushaltslagen und des Sozialabbaus nicht
als Lückenfüller für fehlende sozialversicherungs-
pflichtige Arbeitsplätze und eine unzureichende soziale
Infrastruktur, zum Beispiel in Pflege und Kinderbetreu-
ung, ausgenutzt wird.

Im Weiteren gehen die Grünen ein Problem aus der
Schnittmenge von Engagement-, Steuer- und Sozial-
politik an. Sie kritisieren zu Recht die Anrechnungs-
regelungen für Aufwandsentschädigungen und Übungs-
leiterpauschalen im Sozialgesetzbuch II und XII
– SGB II bzw. SGB XII –, wie sie seit dem Regelbe-
darfs-Ermittlungsgesetz von 2011 gelten. Es geht hier
also um Anrechnungen auf Arbeitslosengeld II, ergän-
zendes Arbeitslosengeld II, auf Hilfen zum Lebensun-
terhalt und die Grundsicherung im Alter.

Bis April 2011 galten Einnahmen aus Aufwendungs-
entschädigungen bis zur Höhe des halben Regelsatzes
– das waren etwa 175 Euro – als anrechnungsfrei. Seit
April 2011 werden diese Einnahmen als Einkommen
gewertet, für die jedoch ein höherer Freibetrag von
175 Euro im Monat, 2 100 Euro im Jahr galt – statt
vorher 100 Euro Freibetrag. Mittlerweile wurde das
Ehrenamtsstärkungsgesetz verabschiedet, wodurch
sich der Freibetrag rückwirkend zum 1. Januar 2013
auf monatlich 200 Euro erhöht, entsprechend auf
2 400 Euro im Jahr. Das heißt, pauschale Aufwands-
entschädigungen, die oberhalb eines Betrages von
200 Euro im Monat liegen, werden unter Berücksichti-
gung des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11 b Abs. 2
SGB II nunmehr komplett auf Leistungen des SGB II
angerechnet.

Dass Entschädigungen seit April 2011 als Einkom-
men zählen und voll angerechnet werden, ist eine klare
Verschlechterung gegenüber früher. Die Linke nimmt
es nicht hin, dass bürgerschaftlich engagierte Grund-

Zu Protokoll gegebene Reden





Harald Koch


(A) (C)



(D)(B)


sicherungsbeziehende noch weiter finanziell bestraft
werden.

Die Grünen verfolgen vermeintlich das Ziel, Er-
werbstätige und Erwerbslose gleich zu behandeln, und
wollen soeben skizziertes Problem in ihrem mittler-
weile veralteten Antrag wie folgt lösen:

Zum einen soll die Übungsleiterpauschale bis zu ei-
ner Höhe von 175 Euro nicht auf Grundsicherungsleis-
tungen angerechnet werden. Übungsleitertätigkeiten
sind nebenberufliche Tätigkeiten für eine gemeinnüt-
zige Organisation oder eine juristische Person des öf-
fentlichen Rechts beispielsweise als Ausbilder oder
Erzieher sowie künstlerische Tätigkeiten, die Pflege
behinderter, kranker oder alter Menschen, gemeinnüt-
zige, mildtätige oder kirchliche Tätigkeiten.

Zum anderen sollen aus öffentlichen Kassen ge-
zahlte pauschale Aufwandsentschädigungen – zum
Beispiel für kommunalpolitische Tätigkeiten – analog
zu den Regelungen im Einkommensteuerrecht in Höhe
von monatlich 175 Euro und analog zu den diesen Be-
trag übersteigenden Freibeträgen der jeweiligen Er-
lasse der obersten Finanzbehörden der Länder eben-
falls nicht auf Leistungen des SGB II und XII
angerechnet werden. Aus Linker Sicht sind diese veral-
teten Forderungen aber weder ausreichend noch sor-
gen sie für Gleichbehandlung!

Wir wollen umfassende soziale Gerechtigkeit auch
für bürgerschaftlich engagierte Grundsicherungsbe-
ziehende und Geringverdienende. Die Grünen bleiben
wie die SPD zu sehr in der Agenda-Logik gefangen.
Sie geben sich bestenfalls mit einer „Gerade-so-so-
zial“-Politik zufrieden, wohingegen die Linke 100 Pro-
zent sozial ist.

Die Linke fordert daher, dass Aufwandsentschädi-
gungen, einschließlich der Übungsleiterpauschale, für
bürgerschaftliches Engagement sowie für kommunale
Mandats- und Amtsträger überhaupt nicht angerech-
net werden. Wir haben dazu bereits im November 2011
zwei eigene Anträge eingebracht, die im April 2012
und Anfang Februar dieses Jahres im Plenum des Bun-
destages debattiert wurden.

Ich frage Sie: Warum sollen Leistungsberechtigte in
der Grundsicherung weniger Ansprüche gegenüber
dem Jobcenter haben, nur weil sie bürgerschaftlich en-
gagiert sind und genau dafür eine pauschale Auf-
wandsentschädigung bekommen? Allein der Begriff
zeigt doch schon, dass diese Gelder nur für den mit
dem jeweiligen Engagement entstehenden sachlichen,
finanziellen und zeitlichen Aufwand entschädigen.
Aufwand ist Aufwand und kein Einkommen. Daher
sage ich: Diese Gelder sind als Entschädigungen ge-
dacht und dürfen nicht zu reduzierten Grundsiche-
rungsleistungen führen.

Zudem bleiben zwar tatsächlich nachgewiesener
Aufwand bzw. zweckgebundene Entschädigungen an-
rechnungsfrei, doch in der Praxis ist gerade der Nach-
weis im ersteren Fall unverhältnismäßig und in vielen

Fällen kaum durchführbar. Jede verschickte E-Mail,
jeder neue Stift müssten dokumentiert werden. Belege
würden sich zu einem undurchdringbaren Dickicht
ausformen. Der Verwaltungs- und Organisationsauf-
wand des Einzelnen würde Engagement ad absurdum
führen. Es ist hierbei höchst ungerecht, dass Ehren-
amtliche ohne ALG-II-Bezug ihre Aufwandsentschädi-
gung zwar versteuern müssen, aber selbst ohne Vor-
lage entsprechender Belege behalten dürfen.

Besonders drastisch sind die finanziellen Verluste in
solchen Fällen, wenn ein bürgerschaftlich engagierter
Hartz-IV-Bezieher nicht einzelzweckbestimmte Auf-
wandsentschädigungen, sondern eine Übungsleiter-
pauschale erhält, die in der Folge zum Beispiel voll
mit einem Minijob von 450 Euro verrechnet wird.

Es liegen bereits zahlreiche Beispiele vor, die zei-
gen, dass sich Menschen aufgrund der Anrechnungsre-
gelungen aus ihrem Engagement zurückziehen. Das ist
für die Linke nicht akzeptabel. Es konterkariert die an-
gebliche Absicht der Bundesregierung, bürgerschaftli-
ches Engagement in der Breite zu stärken und besser
anzuerkennen.

Machen Sie Schluss mit Ihrer Doppelmoral. Sie sa-
gen als Bundesregierung vorneherum das eine, nämlich
Stärkung des Engagements, und hintenherum werden
bestimmte Gruppen aus dem Engagement gedrängt.
Mit steuerlichen Entlastungen für besserverdienende
Engagierte und Stiftungen sind sie dagegen immer ganz
schnell bei der Hand. Einen eigenartigen Engagement-
begriff haben Sie. Sie sorgen für engagierte Menschen
erster und zweiter Klasse – das darf nicht sein.

Wieder zurück zum Grünen-Antrag. Dort wird aus-
geführt, dass die von mir eben geschilderte Forderung
der Linken für Grundsicherungsberechtigte eine „Be-
vorzugung gegenüber Erwerbstätigen“ sei. Wer bitte-
schön geht ernsthaft davon aus, dass Grundsicherungs-
beziehende gegenüber Erwerbstätigen in irgendeiner
Hinsicht bevorzugt werden? In welcher Welt leben Sie
denn? Können sich die Abgeordneten von den Grünen
vorstellen, dass der Grundsicherungsbezug aufgrund
von Erwerbslosigkeit in aller Regel keine frei gewählte
Lebenssituation, sondern eine höchst dramatische Not-
lage ist? Hartz IV bleibt Armut und Ausgrenzung per
Gesetz – das haben die Grünen immer noch nicht ver-
standen!

Ferner übersehen die Grünen in ihrem Antrag, dass
Erwerbstätige Entschädigungen, sofern sie oberhalb
der Freigrenzen liegen, abzüglich der individuellen
Versteuerung behalten dürfen. Grundsicherungsbezie-
hende bekommen hingegen jenseits der 175, mittler-
weile 200 Euro Grundfreibetrag 80 Prozent der Ein-
nahmen abgezogen. Um das zu verdeutlichen: Sie
dürfen gerade einmal 20 Prozent davon behalten. Ab
1 000 bis 1 200 Euro dürfen sie sogar nur 10 Prozent
behalten. Das ist weder motivierend noch gerecht. En-
gagement erscheint so als Bestrafung. Ich weiß hier
vielmehr nicht, wie die Grünen ernsthaft von einer

Zu Protokoll gegebene Reden





Harald Koch


(A) (C)



(D)(B)


„Gleichbehandlung“ von Erwerbstätigen und Grund-
sicherungsbeziehenden sprechen können.

Die Linke ist der Auffassung, dass bürgerschaftli-
ches und politisches Engagement keine Frage des
Geldbeutels sein darf. Würde die Anrechnung von Auf-
wandsentschädigungen für bürgerschaftliches En-
gagement sowie für kommunale Mandats- und Amts-
träger komplett wegfallen, wäre dies immerhin ein
Fortschritt.

Aber grundsätzlich muss mit dem ganzen Hartz-Sys-
tem und der Agendalogik gebrochen werden, weswe-
gen wir unter anderem eine sanktionsfreie, armutsfeste
Mindestsicherung, einen flächendeckenden gesetzli-
chen Mindestlohn und „Gute Arbeit“ statt Leiharbeit
oder Minijobs brauchen. Wir brauchen eine Agenda
Sozial.


Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1723141600

Ich möchte mit einer Zahl beginnen: Im Jahr 2012

waren in der Bundesrepublik über 25 Millionen Bürge-
rinnen und Bürger Mitglied in einem Sportverein. Das
heißt, ein Drittel der Bevölkerung treibt in Vereinen
Sport. Zugleich ist der Bereich „Sport und Bewegung“
derjenige, in dem sich die meisten Personen ehrenamt-
lich engagieren.

Worum geht es? Die schwarz-gelbe Bundesregie-
rung hat Ehrenamtliche, die sich im SGB-II-Bezug
befinden, schlechtergestellt. Mit dem Gesetz zur Er-
mittlung der Regelbedarfe von 2011 werden die pau-
schalen Aufwandsentschädigungen, die Übungsleiter
für ihre ehrenamtliche Arbeit erhalten, wie Einkommen
aus Erwerbsarbeit behandelt. Damit reduzieren sich
die Zuverdienstmöglichkeiten für Leistungsbezieher,
die eine monatliche Übungsleiterpauschale erhalten.
Ich habe diese Rechnung schon einmal vorgetragen:
Eine Person, die eine monatliche Übungsleiterpau-
schale in Höhe von 175 Euro erhält und zusätzlich
160 Euro im Rahmen eines Minijobs verdient, kann
nicht mehr 335 Euro, sondern nur noch 270 Euro be-
halten. Das ist ein Minus von 65 Euro, was für Perso-
nen im SGB-II-Bezug ausgesprochen schmerzlich ist.

Dabei ist völlig unklar, weshalb diese Anrechnung
auf den Zuverdienst bei Leistungsbezieherinnen und
Leistungsbeziehern vorgenommen wird, während für
Erwerbstätige, die sich ehrenamtlich engagieren, ab
2013 bis zu 2 400 Euro und damit 200 Euro pro Monat
einkommensteuerfrei sind. Dieser Freibetrag hat sei-
nen Grund: Bürgerschaftliches Engagement ist (a)

durch Freiwilligkeit, (b) die Ausrichtung auf das Ge-
meinwohl und (c) – das ist entscheidend – durch die
fehlende persönliche materielle Gewinnabsicht cha-
rakterisiert. Diese Grundmotivation gilt für alle ehren-
amtlich Tätigen – egal ob sie erwerbstätig sind oder
Leistungen aus dem SGB II beziehen. Darum muss die
Anerkennung der ehrenamtlichen Arbeit, die mit dem
Freibetrag in der Einkommensteuer zum Ausdruck ge-
bracht wird, analog auch für Personen im SGB-II-Be-
zug gelten.

An dieser Stelle möchte ich an den rechtlichen
Grundsatz erinnern, dass Gleiches gleich und Unglei-
ches ungleich zu behandeln ist. Wenn die ehrenamtli-
che Arbeit, die Übungsleiterinnen und Übungsleiter in
den über 91 000 Sportvereinen leisten, auch finanziell
anerkannt werden soll, indem ein fixer Betrag gerade
nicht als Einkommen angerechnet wird, dann muss
diese finanzielle Anerkennung allen Übungsleiterin-
nen und Übungsleitern gleichermaßen gewährt wer-
den – egal ob sie erwerbstätig sind oder nicht.
Schließlich bemisst sich die Höhe der Übungsleiter-
pauschalen ja auch nicht danach, ob die jeweilige Per-
son erwerbstätig oder arbeitslos ist.

Jenseits des Gleichbehandlungsgrundsatzes geht es
aber auch um die Folgen, die die Kürzung des Freibe-
trags hat. Hier werden ganz klar die falschen Akzente
gesetzt. Wir fordern die Rückkehr zu einem Freibetrag
von 175 Euro. Die Gewährung dieses Freibetrags, der
nicht auf die Leistungen des SGB II angerechnet wird,
ist ein klarer Anreiz, sich ehrenamtlich zu engagieren
und damit trotz Erwerbslosigkeit sozial eingebunden
zu bleiben. Denn bürgerschaftliches Engagement ist
nicht nur eine tragende Säule des gesellschaftlichen
Zusammenhalts, sondern auch ein zentrales Element
der sozialen Teilhabe.

Insgesamt sind die Weichen hier falsch gestellt. Das
bestätigen auch die Zahlen. Nach einer TNS-Infratest-
Studie, die seit 1999 unter Arbeitslosen in den neuen
Bundesländern eine kontinuierliche Zunahme an ge-
meinschaftlich Aktiven verzeichnet, steht nun zu be-
fürchten, dass die Gesetzesänderung von 2011 diese
Entwicklung bremst. Das kann unmöglich Anliegen
des Gesetzgebers sein, zumal ein Blick in die Statisti-
ken einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Ar-
mut und ehrenamtlichem Engagement zeigt. Mit anhal-
tender Dauer der Armut sinkt die Bereitschaft zu
sozialem Engagement. Die finanzielle Schlechterstel-
lung, die durch die aktuelle Anrechnung der Übungs-
leiterpauschale auf den Zuverdienst entsteht, ist für die
Betroffenen mitunter massiv. Schlussendlich können
die bereits erwähnten 65 Euro im Monat eine gefühlte
Armut durchaus mindern. Angesichts der Tatsache,
dass sich 27 Prozent der Arbeitslosen ehrenamtlich en-
gagieren und dementsprechend von dieser Regelung
betroffen sind, besteht also dringender Handlungsbe-
darf.

Nicht zuletzt kann sich das Engagement in Sportver-
einen durchaus auch positiv auf die Jobsuche auswir-
ken, weil die Betroffenen Anerkennung erfahren und
ihre Sozialkompetenz belegen. Diese Win-win-Situa-
tion, die gerade beim ehrenamtlichen Engagement Er-
werbsloser besteht, wird durch die Anrechnung der
Übungsleiterpauschale auf die Leistungen nach dem
SGB II und XII torpediert. Das sollte schnellstmöglich
rückgängig gemacht werden. Den Leistungsbeziehern
muss wieder der Freibetrag in Höhe von 175 gewährt
werden.

Zu Protokoll gegebene Reden






(A) (C)



(D)(B)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1723141700

Wir kommen zur Abstimmung. Der Ausschuss für

Arbeit und Soziales empfiehlt unter Buchstabe c seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11253, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/9950 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Gegenstimmen? – Enthaltungen? –
Die Beschlussempfehlung ist angenommen mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
von SPD und Grünen bei Enthaltung der Fraktion Die
Linke.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Freitag, den 22. März 2013, 9 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.