Gesamtes Protokol
Nehmen Sie bitte Platz. Die Sitzung ist eröffnet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Sie
herzlich zu unserer Sitzung und rufe zunächst den Tages-
ordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes zur
Förderung der Prävention.
Dazu wird uns für einen einleitenden fünfminütigen
Bericht der Bundesminister für Gesundheit zur Verfü-
gung stehen, dem ich hiermit das Wort erteile.
Vielen Dank. – Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Das Bundeskabinett hat sich
heute mit einem weiteren gesundheitspolitischen
Schwerpunkt aus dem Koalitionsvertrag beschäftigt. Im
Rahmen der Demografiestrategie hat das Bundeskabinett
heute einen Gesetzentwurf zur Förderung der Prävention
beschlossen und damit eine langjährige Diskussion über
ein sogenanntes Präventionsgesetz und Maßnahmen, um
die Prävention in Deutschland zu stärken, auf den Weg
gebracht. So nah wie durch den Kabinettsbeschluss
heute waren wir noch nie einem Präventionsgesetz. Es
ist damit noch Zeit genug, die Prävention im Rahmen ei-
nes Gesetzes zu stärken.
Warum eigentlich? Im Gesundheitswesen gehören
Solidarität und Eigenverantwortung untrennbar zusam-
men; denn die Solidargemeinschaft funktioniert nur,
wenn sie sich auch darauf verlassen kann, dass der Ein-
zelne in Eigenverantwortung für seine Gesundheit tut,
was er für seine Gesundheit tun kann. Mir als Gesund-
heitsminister geht es dabei darum, nicht den Menschen
mit dem Zeigefinger obrigkeitsstaatlich vorzuschreiben,
was sie zu tun haben. Vielmehr wollen wir ihnen An-
reize setzen, dass sich gesundheitsbewusstes Verhalten
für sie unmittelbar lohnt.
Prävention ist in einer alternden Bevölkerung umso
wichtiger. Wir wissen, dass die Menschen in Deutsch-
land älter werden. Normalerweise ist Alter auch verbun-
den mit der Zunahme von Krankheitsrisiken. Wer also
frühzeitig etwas für seine Gesundheit tut, kann damit
auch Krankheiten und Kosten für die Solidargemein-
schaft vermeiden. Deshalb wollen wir die Menschen un-
terstützen, ein gesundheitsbewusstes Leben in jedem Al-
ter und in jeder Lebensphase zu führen. Dass das
möglich ist, wissen wir. Durch gesunde Ernährung,
durch mehr Bewegung, durch das Beschäftigen mit Ge-
sundheit können wir selbst Risiken, gerade die der gro-
ßen Volkskrankheiten, vermeiden. Bei Diabetes, Herz-
Kreislauf-Erkrankungen und anderen Krankheiten wie
Depression wissen wir, dass ein gesundheitsbewusstes
Verhalten – Bewegung, richtige Ernährung, Beschäfti-
gen mit Gesundheit – genau das verhindern kann. Inso-
fern lohnt es sich. Wir wollen dafür werben und Anreize
setzen.
Der Gesetzentwurf setzt also im gesundheitspoliti-
schen Bereich an. Wir verdoppeln das Ausgabevolumen
der Krankenkassen für Leistung, Prävention und Ge-
sundheitsförderung. Wir wollen noch mehr Betriebe und
Beschäftigte erreichen, indem wir die betriebliche Ge-
sundheitsförderung stärken. Gerade Menschen, die Prä-
ventionsangebote bisher kaum in Anspruch nehmen,
wollen wir erreichen; genauso stellen wir Kinder und Ju-
gendliche bei Maßnahmen der Krankenkassen und der
Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung in den
Mittelpunkt.
Ich freue mich jetzt auf die Fragen, Herr Präsident.
Dann gucken wir einmal, was daraus wird. FrauBunge stellt die erste Frage.Ich bedanke mich vorher noch für den beispielhaftknappen Bericht. Er wurde jedenfalls erkennbar inner-halb der Fünf-Minuten-Frist vorgetragen, die die Ge-schäftsordnung für den Bericht einräumt. Es gelingtnicht immer, das in dieser Weise zu bewerkstelligen.
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28698 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Präsident Dr. Norbert Lammert
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– Das geht natürlich nicht auf Ihre Kosten.Bitte schön.
Danke, Herr Präsident. – Dank auch Ihnen, Herr
Minister, für die Information. Laut Ihrem Entwurf soll in
den prominent vorangestellten § 1 SGB V, der die Auf-
gaben der Krankenversicherung als Solidargemein-
schaft benennt, ein Satz eingefügt werden, den Sie ein-
führend hier auch genannt haben, nämlich dass auch
Aufgabe der Krankenkassen „die Förderung der gesund-
heitlichen Eigenkompetenz und Eigenverantwortung der
Versicherten“ ist; um diesen Passus soll laut Entwurf § 1
des Gesetzes ergänzt werden.
Für mich bedeutet Eigenverantwortung, aus sich
selbst heraus zu handeln mit dem Bewusstsein um die
Konsequenzen. Das ist das Gegenteil von Handeln auf
Basis von Belohnung und Bestrafung. Mich würde jetzt
interessieren, wie Sie Eigenverantwortung mit dem Ge-
setzentwurf der Bundesregierung fördern möchten und
wie viel finanzielle Mittel Sie speziell für diesen Punkt
einsetzen möchten.
Der bisherige § 1 des Sozialgesetzbuchs V, des Ge-
setzbuchs für die gesetzliche Krankenversicherung, hat
schon betont, dass die Versicherten für ihre Gesundheit
mitverantwortlich sind, hat sich aber auf die Maßnah-
men der Krankenkassen konzentriert. Wir betonen nun
ausdrücklich, dass uns die Eigenverantwortung der Ver-
sicherten ein sehr wichtiges Element ist, also Solidarität
und Eigenverantwortung kein Gegensatz sind, sondern
zusammengehören.
Alle Maßnahmen der Prävention stärken die Eigen-
verantwortung, weil es immer am Versicherten ist, etwas
für seine Gesundheit zu tun. Wir bieten ihm entspre-
chende Maßnahmen an; es bleibt auch in der Entschei-
dung des Versicherten, ob er Präventionsmaßnahmen
nutzt.
Wir schreiben den Krankenkassen jetzt vor, dass sie
konkret für betriebliche Gesundheitsförderung und für
sogenannte Settingleistungen, das heißt Maßnahmen in
sozialen Brennpunkten, Geld ausgeben müssen. Bisher
war dies den Krankenkassen freigestellt, mit der Folge,
dass sie kaum betriebliche Gesundheitsförderung und
Settingmaßnahmen, sondern sehr viele individuelle Prä-
ventionsmaßnahmen finanziert haben und mit ihren ge-
sundheitlichen Maßnahmen diejenigen nicht erreicht ha-
ben, die sich mit ihren Gesundheitsrisiken nicht so sehr
beschäftigen; aber gerade diese müssen wir erreichen.
Alle Maßnahmen sollen einen nachhaltigen Erfolg
haben, das heißt, zu einer Verhaltensänderung beitragen,
und nicht allein anhand von Vertriebsgesichtspunkten
strukturiert sein. Insofern sind alle Maßnahmen, die wir
unterstützen, immer auf Eigenverantwortung ausgerich-
tet: Sie richten sich an das individuelle Verhalten und
sollen es ändern.
Die zweite Frage war, wie viel wir dafür zur Verfü-
gung stellen. Wir verdoppeln das Ausgabevolumen der
Krankenkassen: Es werden 6 Euro pro Versichertem
sein; bisher waren es nur etwa 3 Euro.
Frau Aschenberg-Dugnus.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Herr
Minister, für Ihre Einführung. Ich hätte zwei Fragen an
Sie.
Die erste Frage: Welche speziellen Präventionsange-
bote für Kinder und Jugendliche bzw. ältere Menschen
sieht der Gesetzentwurf vor?
Die zweite Frage. Im Bereich der Prävention gibt es ja
eine Vielzahl von unterschiedlichen Akteuren. Wie wol-
len Sie eine bessere Verzahnung oder Koordinierung der
unterschiedlichen Aktivitäten erreichen? Und vor allen
Dingen: Wie wollen Sie die notwendigen Qualitätsstan-
dards sichern?
Das sind gleich drei Fragen in einer. Ich bemühemich, das in der vorgegebenen Zeit zu beantworten.Zur ersten Frage. Kinder und Jugendliche wollen wirerreichen, indem wir die Versorgungslücke im Grund-schulalter schließen. Bisher ist es so, dass es keineU-Untersuchung für Kinder im Grundschulalter gibt.Wir schaffen jetzt mit diesem Gesetz die Möglichkeit,dass im Grundschulalter eine zusätzliche Untersuchungstattfindet.Zweitens. Wir werden Modellvorhaben unterstützenund ausgehend von der erfolgreichen zahnmedizinischenGruppenprophylaxe für Kinder prüfen, welche weiterenMaßnahmen dazu beitragen können, gerade auf jeneKinder und Jugendliche zuzugehen und sie zu erreichen,die nicht mit ihren Eltern zum Arzt gehen. Auch die so-genannten Settingmaßnahmen, das heißt Maßnahmen imLebensumfeld, sollen sich schwerpunktmäßig an Kinderund Jugendliche und darüber hinaus an Senioren richten.Wir wollen also die Menschen in ihrem Lebensumfelderreichen – in der Kita, in der Schule, im Seniorenheim –,um sie dort für Prävention und gesundheitsbewusstesVerhalten zu gewinnen. Dafür werden verpflichtend Gel-der der Krankenkassen zur Verfügung gestellt.Es ist völlig richtig: Prävention ist eine gesamtgesell-schaftliche Aufgabe und nicht allein eine Aufgabe derGesundheitspolitik. Deshalb haben das Ernährungsmi-nisterium und das Gesundheitsministerium bereits ge-meinsam mit IN FORM eine Kampagne für gesündereErnährung initiiert und organisiert. Die Prävention istund bleibt auch Aufgabe der Länder und Kommunen,der Sportvereine, der Bildungsträger und vieler anderermehr. Deswegen werden wir eine Ständige Präventions-konferenz beim Bundesgesundheitsminister einsetzen,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28699
Bundesminister Daniel Bahr
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die über die Umsetzung der Präventionsziele wacht undweitere Maßnahmen vorschlägt.
Die Kollegin Graf hat die nächste Frage.
Herr Minister, ich danke Ihnen für Ihre Ausführun-
gen. Angesichts Ihrer Antwort auf die Frage der Kolle-
gin Bunge, nämlich dass Maßnahmen in sozialen Brenn-
punkten stattfinden sollen, stellt sich mir die Frage: Wie
wollen Sie die breiten Strukturen bürgerschaftlichen
Engagements, die es in diesem Bereich gibt – ich denke
an den Bereich Selbsthilfe, an Patientenorganisationen
und Patenprojekte, an den Bereich der Pflege und des
Sportes –, in Ihren gerade genannten Vorschlag einbezie-
hen? Ich kann in dem Gesetzentwurf keine Ansätze zum
Zusammenwirken und zur Einbeziehung dieser wichti-
gen Strukturen erkennen.
Der Bereich Selbsthilfe, das bürgerschaftliche Enga-
gement, die Patientenverbände, die Sportvereine und an-
dere Gruppen, die Sie erwähnt haben, leisten im Gesund-
heitswesen einen ganz wichtigen Beitrag. Das zeigt, dass
eben nicht nur Krankenkassen, nicht nur die Leistungs-
erbringer im Gesundheitswesen, die Versicherten bzw.
Patienten unterstützen.
Im Übrigen haben wir mit dem Pflege-Neuausrich-
tungs-Gesetz die Selbsthilfe in der Pflege noch einmal
gestärkt und mehr Geld zur Verfügung gestellt. Deshalb
bitte ich Sie, alle Maßnahmen im Zusammenhang zu se-
hen. Wir haben die unabhängige Patientenberatung ge-
stärkt und anderes mehr. Man kann feststellen: In dieser
Legislaturperiode hat die Bundesregierung eine Politik
für die Patienten gemacht und gerade auch den Bereich
Selbsthilfe und die Rechte der Patienten – Stichwort
„Patientenrechtegesetz“ – und anderes mehr gestärkt.
Im vorliegenden Gesetzentwurf sehen wir erstens
erstmals eine Ständige Präventionskonferenz vor, in der
natürlich die Vertreter aus den genannten Vereinen und
Verbänden beteiligt sind, um ihre Anregungen einzu-
bringen und um Verantwortung in ihrem Bereich zu
übernehmen.
Zweitens. Wie über die vorgeschriebenen Gelder, die
Krankenkassen für Settingmaßnahmen erhalten, verfügt
werden soll, das sollen diese gemeinsam mit den Koope-
rationspartnern erörtern. Wir sagen bewusst: Es geht
nicht um die einzelne Krankenkasse und ihre Versicher-
ten, sondern es geht darum, gemeinsam in solche Brenn-
punkte hineinzugehen. Mit Unterstützung der Koopera-
tionspartner und mithilfe der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung sollen die Verbände einbe-
zogen werden, damit die entsprechenden Maßnahmen
erfolgreich durchgeführt werden können.
Frau Scharfenberg.
Vielen Dank. – Ich habe zwei Fragen zur betriebli-
chen Gesundheitsförderung.
Erstens. Wie stellt sich die Bundesregierung die Ar-
beit der regionalen Koordinierungsstellen für betriebli-
che Gesundheitsförderung konkret vor?
Zweitens. Der Nationale Normenkontrollrat bemän-
gelt immer wieder den enormen bürokratischen Auf-
wand in der gesetzlichen Krankenversicherung bei der
Ausgestaltung der betrieblichen Gesundheitsförderung.
Wie kann die Bundesregierung diese Bedenken entkräf-
ten?
Zunächst stellen wir fest, dass es in Deutschland nicht
die Großunternehmen sind, die beim Thema „betriebli-
che Gesundheitsförderung“ Nachhilfebedarf haben.
Große Konzerne haben häufig schon gute Programme:
richtige Ernährung, Betriebssport, Stressabbau, Physio-
therapeuten, zum Beispiel gerade in Berufen, in denen
man viel sitzt. Unsere Zielgruppe sind vielmehr die klei-
neren und mittleren Betriebe.
Die kleinen und mittleren Betriebe bemängeln, dass
sie häufig wenig Kapazitäten haben, um sich um betrieb-
liche Gesundheitsförderung zu kümmern. Deswegen
wollen wir mit den Koordinierungsstellen, mit den Ver-
bänden, mit den Industrie- und Handelskammern und
den Handwerkskammern gemeinsam mit den Kranken-
kassen solche Projekte unterstützen. Es geht dabei nicht
darum, dass immer neue Projekte erfunden werden müs-
sen; denn es gibt schon gute Projekte der betrieblichen
Gesundheitsförderung. Diese können von kleinen und
mittleren Betrieben übernommen werden. Sie brauchen
aber die Hilfestellung, wenn es um die Fragen geht: Wie
ist das zu organisieren? Wer kann mir helfen? Das ist die
Aufgabe der Koordinierungsstellen. Aufgabe der Betei-
ligten ist es dann, konkrete Angebote zu machen.
In der Diskussion über Präventionsmaßnahmen steht
der bürokratische Aufwand immer wieder im Mittel-
punkt. Deshalb ist im Gesetz die Verpflichtung vorgese-
hen, dass jede Präventionsmaßnahme evaluiert werden
muss; denn nur so kann man ihren nachhaltigen Erfolg
feststellen. Hierbei ist hinsichtlich des Verfahrens natür-
lich zu berücksichtigen, ob Aufwand und Ertrag im rich-
tigen Verhältnis stehen.
Frau Vogelsang.
Herr Minister, ich danke Ihnen für die Vorlage desGesetzentwurfes. Es ist uns gelungen, in dieser Wahlpe-riode ein rundes Paket an gesundheitspolitischen Maß-nahmen vorzulegen, die neben der Stabilisierung der Fi-nanzen und der Sicherstellung der Versorgungsbreitejetzt insgesamt auch auf die Zukunft ausgerichtet wer-den, indem man gerade auf Vorbeugung einen besonde-ren Schwerpunkt legt.
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28700 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Stefanie Vogelsang
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Sie haben in Ihrem Gesetzentwurf – ich möchte aufden Bereich der betrieblichen Prävention eingehen – dasSetting „Arbeitswelt“ vorgesehen. Dieses Setting um-fasst über 40 Millionen Menschen, Sie haben also einegroße Aufgabe vor sich.
Wir.
Wir. Ja, stimmt: Wir alle gemeinsam.
Ich mache es nicht alleine.
Zum ersten Mal werden nun in einem Gesetzentwurf
der Bundesregierung ganz konkrete Ziele benannt. Wie
wollen Sie sicherstellen – Stichworte: Qualitätscontrol-
ling und Evaluierung –, dass im Bereich der betriebli-
chen Präventionsarbeit, die in Zusammenarbeit mit den
Betriebsärzten, aber auch niedrigschwelliger in kleinen
und mittleren Unternehmen organisiert werden soll, die
Ziele erreicht werden? Wie wollen Sie das kontrollieren?
Der Gesetzentwurf sieht ja vor, dass Präventionsziele
ins Gesetz geschrieben werden. Erstmals verpflichten
wir uns also gesetzlich – das gilt insbesondere für die ge-
setzliche Krankenversicherung – auf Präventionsziele.
Diese Ziele sollen erreicht werden, und die Umsetzung
soll überwacht werden. Dafür wird die Ständige Präven-
tionskonferenz, die ich als Gesundheitsminister ein-
setzen werde, zuständig sein. Sie wird unter meinem
Vorsitz regelmäßig tagen, um die Umsetzung zu überwa-
chen.
Ein Punkt dabei ist die betriebliche Gesundheitsförde-
rung. Die Präventionsmaßnahmen, die bisher von Kran-
kenkassen finanziert werden, stehen immer wieder in der
Kritik. Es wird hinterfragt, ob sie einen nachhaltigen Er-
folg haben, ob sie eine Verhaltensänderung mit sich brin-
gen. Wir wissen, dass es sehr gute betriebliche Gesund-
heitsförderprogramme gibt. Auch diese müssen sich der
Evaluation stellen; denn es geht um nachhaltigen Erfolg.
Was die Präventionsziele anbelangt, wird die Umset-
zung, wie gesagt, von der Präventionskonferenz, die ich
einsetzen werde, überprüft. Sie wird darüber wachen,
dass das umgesetzt wird, und Vorschläge unterbreiten,
wenn die Ziele noch nicht erreicht wurden. Die Präven-
tionsziele sind mit vielen Partnern im Rahmen des
Kooperationsverbundes gesundheitsziele.de entwickelt
worden. Diese sehr guten Ziele, deren Verbindlichkeits-
grad aber bisher zu gering ist, verankern wir deswegen
im Gesetz.
Frau Kollegin Bas.
Vielen Dank. – Ich bin grundsätzlich erfreut, dass es
jetzt ein Präventionsgesetz geben wird. Ich kann mich
erinnern, dass sowohl Sie selbst in den vergangenen drei
Jahren als auch Ihr Vorgänger, Herr Rösler, keinen Ge-
setzentwurf vorlegen wollten. Dass Sie jetzt doch einen
vorlegen, ist durchaus positiv zu vermerken.
Allerdings müssen Sie mir einen Widerspruch erklä-
ren: In Ihrem Gesetzentwurf steht, Prävention sei eine
gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Zugleich soll das aber
nur die gesetzliche Krankenversicherung finanzieren,
und für die Settingansätze im Bereich der Lebenswelten
sollen maximal 1 Euro pro Versichertem und Jahr ausge-
geben werden.
Anscheinend haben Sie es im Kabinett nicht durchsetzen
können, dass sich auch andere Sozialversicherungsträger
beteiligen, insbesondere die Arbeitsagentur, wenn es
zum Beispiel um die Gesunderhaltung von Langzeit-
arbeitslosen geht. Diesen Widerspruch müssen Sie mir
erklären: Warum wird, wenn das eine gesamtgesell-
schaftliche Aufgabe ist, nur die gesetzliche Krankenver-
sicherung daran beteiligt? Dass für die private Kranken-
versicherung nur vorgesehen ist, dass sie sich auf
freiwilliger Basis daran beteiligen kann, finde ich schon
sehr merkwürdig.
Zunächst einmal möchte ich darauf hinweisen, dasswir zwar den Entwurf eines Präventionsgesetzes vonRot-Grün abgelehnt haben, ich aber nie gesagt habe,dass wir keine gesetzlichen Veränderungen brauchen,um den Bereich der Prävention voranzubringen. Ein ent-sprechendes Zitat werden Sie von mir nicht finden. Wirhaben seinerzeit den Entwurf von Rot-Grün abgelehnt,weil er aus unserer Sicht zu einer Mischverwaltung ge-führt hätte. Sie wollten Gelder aus verschiedenen Zwei-gen sammeln und Ländern und Kommunen Vorgabenmachen, was wir nach unserer rechtlichen Bewertunggar nicht können; denn wir haben nur eine Gesetzge-bungskompetenz für den Bund. Das ist aber eine reinrechtliche Betrachtung.Sie haben völlig recht: Prävention ist eine gesamtge-sellschaftliche Aufgabe. Indem Sie aber wie in IhrerFrage sagen, dass nur die gesetzlichen Krankenkassenim Bereich Prävention etwas tun würden, erwecken Sieden Eindruck, dass keine anderen Maßnahmen ergriffenwerden. Es gibt aber viele Bundesländer, Kommunenund Bildungsträger, zum Beispiel Sportvereine, dieschon sehr viel Präventionsarbeit leisten. Sie sind herz-lich eingeladen, noch mehr zu tun. Die Länder, auch dieSPD-geführten Länder, sind herzlich eingeladen, nochmehr zu tun. Ich würde es begrüßen, wenn sie unserenGesetzentwurf zum Anlass nehmen würden, noch mehrim Bereich Prävention zu tun, und das dann auch in dieStändige Präventionskonferenz einbringen.Als Gesundheitsminister bin ich für die gesetzlicheKrankenversicherung zuständig. Ich erfülle meine Auf-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28701
Bundesminister Daniel Bahr
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gabe, indem wir in dem Bereich, für den ich zuständigbin, jetzt mehr Geld für Präventionsmaßnahmen ausge-ben. Vielleicht ist das Ansporn für alle anderen, im Be-reich der Gesundheitspolitik ebenso ehrgeizig zu seinwie wir.
Frau Binder.
Vielen Dank. – Herr Minister, Sie stimmen mir si-
cherlich zu: Prävention bedeutet Vorbeugung,
auch Vermeidung von Fehlentwicklungen. Da setze ich
am liebsten bei Kindern an. Wir haben heutzutage ja
enorme Probleme mit fehlernährten Kindern, was zu
Krankheit führt und finanzielle Folgen hat. Daher lautet
meine Frage, ob im Entwurf des Präventionsgesetzes
eine Unterstützung für hochwertiges Schulessen vorge-
sehen ist. Ganz konkret: Welche Handlungs- und Umset-
zungshilfen können Sie über dieses Gesetz den Kommu-
nen bzw. den Ländern zukommen lassen, die alle mehr
oder weniger am Limit sind, was ihre finanzielle Belast-
barkeit angeht?
Also – Ernährungsfachkräfte, Kochkurse, Einrichtung
von Küchen in Schulen –: Welche Maßnahmen sind in
Ihrem Gesetzentwurf vorgesehen?
Das Gesetz sieht nicht Einzelmaßnahmen vor. Wir
wollen nicht im Detail vorschreiben, welche Präven-
tionsmaßnahmen vor Ort durchgeführt werden sollen,
sondern das muss vor Ort entschieden werden. Indem
wir vorschreiben, dass mehr Geld für Präventionsmaß-
nahmen im Bereich der Gesundheitsförderung ausgege-
ben wird, geben wir die Möglichkeit dazu. Das heißt, die
Krankenkassen können sich in Zusammenarbeit mit Ko-
operationspartnern im Lebensumfeld der Kinderbetreu-
ungseinrichtungen oder Schulen – beispielsweise auch
der Grundschulen – an Maßnahmen der gesunden Ernäh-
rung beteiligen. Das Gesetz ermöglicht jetzt, dass mehr
solcher Dinge und auch bessere Maßnahmen angeboten
werden, und verpflichtet auch die Krankenkassen, Ent-
sprechendes anzubieten. Ich halte aber nichts davon,
jetzt ins Gesetz hineinzuschreiben, welche Maßnahme
genau eine Krankenkasse durchführen soll. Darüber soll
sie mit den Kooperationspartnern vor Ort sprechen.
Es ist auch nicht überall in Deutschland so, dass Kin-
der fehlernährt sind. Das gibt es. In einigen Regionen
bzw. Stadtteilen kommt das mehr als in anderen vor.
Deswegen ist es richtig, dass wir zielgenau dort, wo Be-
darf besteht, Präventionsmaßnahmen unterstützen. Dies
ermöglicht das Gesetz mit der Verpflichtung der Kran-
kenkassen, zusammen mit den Kooperationspartnern
Gelder für Settingmaßnahmen einzusetzen.
Die Kollegin Klein-Schmeink hat die nächste Frage.
Herr Minister, Sie haben noch einmal deutlich gesagt,
dass Sie sozial Benachteiligte erreichen wollen. Ich
frage Sie: Mit welchen ganz konkreten Maßnahmen wol-
len Sie eine große Gruppe – nämlich die Arbeitslosen
und die prekär Beschäftigten – erreichen? In Ihrem Ge-
setzentwurf habe ich dazu keinerlei Ansätze gefunden.
Dieses Setting wird auch gar nicht genannt.
Frau Kollegin, nach meiner Kenntnis sind Arbeitslose
und auch prekär Beschäftigte gesetzlich krankenversi-
chert. Das heißt, alle Maßnahmen, die die gesetzliche
Krankenversicherung für ihre Versicherten ergreift, er-
reichen selbstverständlich auch diese Gruppen. Mit den
vorgeschriebenen Lebensumfeldmaßnahmen, den soge-
nannten Settingmaßnahmen, können diese auch erreicht
werden. Wir müssen im Gesetz ja nicht bestimmte Le-
bensumfelder im Detail beschreiben, sondern wir geben
die Möglichkeit, dass mit der Bundeszentrale für ge-
sundheitliche Aufklärung und anderen Kooperations-
partnern geeignete Programme für diese Menschen
durchgeführt werden können.
Darüber hinaus gibt es auch heute schon im Bereich
der Prävention Aktivitäten der Arbeitsagentur. Wir soll-
ten neben diesem Präventionsgesetz, das den Schwer-
punkt auf die Gesundheitspolitik legt, nicht vergessen,
dass es auch von dieser Seite aus Maßnahmen gibt. Aber
auch im Bereich der Settingmaßnahmen sind natürlich
solche Lebensumfeldmaßnahmen angedacht. Die Mög-
lichkeit ist durch das Gesetz gegeben.
Kollege Ackermann, dann kommt der Kollege
Weinberg. Kollege Ackermann.
Schönen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Siesind darauf eingegangen, dass im Bereich der Präventionsehr viele Akteure unterwegs sind: Kommunen, Land-kreise und Länder. Aber auch die Kirchen und die ge-setzliche Krankenversicherung sind in dem Bereich ak-tiv. Es macht Sinn, wenn man diese Akteure in einerPräventionskonferenz zusammenfasst und das Ganze ko-ordiniert. Meine erste Frage geht dahin: Wie wollen Siesicherstellen, dass eine große Institution, die in diesemBereich sehr viel Fachwissen hat, mit einbezogen wird,nämlich die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklä-rung?Dieses Präventionsgesetz ist ohne Zweifel im Inte-resse der Menschen. Wenn man Krankheiten vermeidenkann, ist das immer gut. Meine weitergehende Frage lau-tet: Haben Sie auch einmal errechnet, wie es sich volks-
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28702 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Jens Ackermann
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wirtschaftlich auswirkt, wenn Menschen eine Erkran-kung nicht erleiden müssen bzw. wieder früher amArbeitsplatz sind? Das würde mich interessieren.
Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung
leistet eine umfangreiche und wichtige Arbeit, die inter-
national sehr anerkannt ist. Wir kennen die seit Jahren
laufenden Kampagnen zum Beispiel zu HIV/Aids „Gib
Aids keine Chance“. Das ist eine international äußerst
anerkannte und wertgeschätzte Kampagne. Das heißt,
die Bundeszentrale hat Erfahrungen darin, wie man Bür-
gerinnen und Bürger von gesundheitsbewusstem Verhal-
ten, von Selbstschutz und anderem mehr überzeugt.
Auch die Nichtraucherkampagnen der BZgA sind in der
Tat sehr erfolgreich.
Deswegen sehen wir vor, dass die Krankenkassen ihre
Präventionsgelder auch unter Mithilfe der Bundeszen-
trale für gesundheitliche Aufklärung und weiterer Ko-
operationspartner zum Beispiel für diese Lebensumfeld-
maßnahmen einsetzen können. Wir müssen doch
festhalten, dass die gesetzlichen Krankenversicherun-
gen im Wettbewerb zueinander stehen, aber gerade bei
Lebensumfeldmaßnahmen nicht genau geschaut werden
kann, bei welcher Krankenkasse jemand ist. Lebensum-
feldmaßnahmen sind also übergreifend. Da ist der An-
satz, auch in Kooperation mit der BZgA vorzugehen,
glaube ich, ein richtiger; diesen werden wir stärken.
Kollege Weinberg.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, alle
Fachleute auf dem Kongress „Armut und Gesundheit“,
zum Beispiel Herr Professor Rosenbrock, viele Personen,
die beim Thema Prävention in Forschung und Praxis
Rang und Namen haben, kritisieren Ihren Gesetzentwurf.
So schreibt zum Beispiel die Deutsche Gesellschaft für
Public Health in ihrer Stellungahme vom 1. Februar
2013:
In ihrer jetzigen Form würden der Gesetzesentwurf
und die Präventionsstrategie zu einer nachhaltigen
Schwächung von Gesundheitsförderung und Prä-
vention in Deutschland führen.
Wie bewertet die Bundesregierung die teilweise ver-
nichtende Kritik sämtlicher einschlägig mit Gesund-
heitsförderung befasster Verbände und Einzelpersonen
an ihrem Gesetzesvorhaben?
Herr Kollege Weinberg, wir teilen diese Kritik nicht;
sonst hätte ich ja nicht heute einen solchen Gesetzent-
wurf durch das Kabinett bekommen bzw. sonst hätte das
Kabinett ihn nicht beschlossen. Es wird im parlamentari-
schen Ablauf auch für diese Verbände genügend Mög-
lichkeiten geben, ihre Kritikpunkte einzubringen.
Ich nenne Ihnen ein aktuelles Beispiel. Auch ich habe
heute in den Medien eine Aussage des Kollegen
Rosenbrock gelesen. Er sagt, Ärzte könnten nicht für
Prävention herangezogen werden, weil Ärzte bei Prä-
vention keine Kompetenz hätten. Ich teile diese Ein-
schätzung ausdrücklich nicht.
Wenn wir Menschen, die sich bisher nicht mit ihrer Ge-
sundheit beschäftigt haben, für Prävention gewinnen
wollen, dann müssen wir überlegen: Mit welchen Part-
nern erreichen wir sie? Ein Arzt, der sich mit dem Zu-
stand eines Patienten beschäftigt, hat natürlich einen
Einblick in die Gesundheit des Patienten und kann auch
Empfehlungen im Hinblick auf Prävention geben.
Deswegen teile ich diese Kritik nicht. Vielmehr glaube
ich, dass uns dieses Präventionsgesetz weiterbringt. Alle
Vorschläge, was man sonst noch machen kann, nehmen
wir gerne auf und freuen uns, wenn auch andere Akteure
ihre Verantwortung übernehmen.
Aber wissen Sie – auch Sie sind ja schon etwas länger
in der Gesundheitspolitik tätig –: Es gehört zur Gesund-
heitspolitik dazu, zu wissen, dass eine Maßnahme, die
man auf den Weg bringt, nie allen gefällt und nie alle
dieser zustimmen. Gerade in der Gesundheitspolitik gibt
es vielfältige Interessen der Beteiligten, und es geht um
viel Geld.
Ich glaube, wir haben einen sehr ausgewogenen Ge-
setzentwurf vorgelegt, der die Verantwortung der Kran-
kenversicherungen betont, konkrete Verbesserungen für
die Menschen voranzubringen. Insofern: Auch wenn die
Rhetorik Ihrer Frage gerade so scharf war, können wir in
der Sache, glaube ich, gut überzeugen.
Frau Graf.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe noch eine
Frage, und zwar zu dem Gesetzentwurf selbst. Bereits im
letzten Dezember ist vom Bundesland Hamburg ein Vor-
schlag für ein Präventionsgesetz vorgelegt worden, wel-
cher wesentlich weiter ging als der, den Sie uns jetzt vor-
gelegt haben. Warum haben Sie die Anregungen aus
Hamburg denn nicht in den jetzt vorliegenden Gesetz-
entwurf eingearbeitet? Warum schlagen Sie eine Präven-
tionskonferenz vor, wenn es im Rahmen von gesund-
heitsziele.de bereits eine solche Konferenz gibt, in deren
Rahmen auch die entsprechenden Akteure mit einbezo-
gen werden? Wäre es da nicht klüger gewesen, diesen
Ansatz auszubauen und so den Aufbau von Parallel-
strukturen zu verhindern?
Ich greife den letzten Punkt zuerst auf: Wir bauen die-sen Ansatz aus. Wir greifen ja die auf gesundheits-ziele.de entwickelten Ziele auf und schreiben sie ins Ge-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28703
Bundesminister Daniel Bahr
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setz, um ihnen eine höhere Verbindlichkeit zu geben; daswar, glaube ich, auch einer der Kritikpunkte, die es inder Öffentlichkeit gab. Es ging nicht um die Ziele, nichtum die Partner, sondern um die Frage: Was wird eigent-lich aus den da entwickelten Zielen? Man kann, um ih-nen größere Wirkungskraft und höhere Verbindlichkeitzu geben, nicht mehr tun, als sie ins Gesetz zu schreiben.Genau das haben wir vor; denn sie sollen weiterentwi-ckelt werden.Die erste Frage, die Sie gestellt haben, betraf das Vor-haben des Bundesrates bzw., besser gesagt, das Vorha-ben von Hamburg. Darin wurde der Ansatz aufgegriffen,den Rot-Grün in der zweiten Legislaturperiode seinerRegierungszeit verfolgte, nämlich dass der Bund Länderund Kommunen verpflichtet. Dieser Ansatz ist geschei-tert. Das geht nicht. Wir haben nämlich keine Mischver-waltung, sondern wir haben klare Zuständigkeiten. DerBund ist für die Aufgaben der Gesundheit im Bereichder gesetzlichen Krankenversicherung zuständig. Aberfür Präventionsarbeit in Schulen und Kinderbetreuungs-einrichtungen sind die Länder und Kommunen zustän-dig. Deswegen gibt es hier schon rechtliche Bedenken.Der Bund hat keine Gesetzgebungskompetenz für solcheBereiche; da liegt die Gesetzgebungskompetenz bei an-deren.Der Bund hat eine Gesetzgebungskompetenz, was dieBeitragsmittel der gesetzlichen Krankenversicherung an-geht. Er muss darauf achten, dass die Beitragsmittel dergesetzlichen Krankenversicherung für die Versichertenausgegeben werden und nicht für andere Maßnahmen.Diese Mittel sind nämlich gebunden. Die Beitragsmittelder gesetzlichen Krankenversicherung müssen also fürdie Versicherten ausgegeben werden und dürfen nicht fürAufgaben ausgegeben werden, die eigentlich die Länderzu erfüllen haben, zum Beispiel im Bereich der Schulen.
Vielen Dank.
Wir haben jetzt noch acht Wortmeldungen, jedenfalls
nach dem, was ich mir notiert habe. Diese acht Kollegin-
nen und Kollegen würde ich jetzt gerne noch aufrufen,
die Wortmeldeliste damit aber auch schließen. Das sind
zum großen Teil auch Zweit- oder Drittwortmeldungen –
die natürlich zulässig sind. Dann würden wir mit einer
maßvollen Überschreitung der normalerweise vorgese-
henen Befragungszeit dieses Thema behandeln können.
Darf ich dafür Ihr Einverständnis feststellen? – Das ist
glücklicherweise so.
Dann ist Frau Bunge wieder an der Reihe.
Danke. – Herr Minister, Gesundheitsexperten sagen:
Auch das Einfügen von Gesundheitszielen mit diesem
Gesetz wird uns nicht davor schützen, dass sozial be-
dingte gesundheitliche Ungleichheiten größer werden
können. Wäre es, um hier einen Schritt vorwärtszukom-
men, nicht vernünftig gewesen, die Minderung sozial be-
dingter gesundheitlicher Ungleichheiten als spezielles
Gesundheitsziel oder, vielleicht noch besser, als ein
Kriterium für die von Ihnen angesprochene Evaluation
von Maßnahmen – dass Erfolg das hat, was diese Un-
gleichheiten vermindert – in das Gesetz zu schreiben?
Als Gesundheitspolitiker fragen wir alle uns nämlich im-
mer: Was evaluieren wir? Geht es darum, ob alle schön
zusammen waren und sich bewegt haben, oder darum,
ob wir das Ziel, das bei der Gesundheitsförderung zuvör-
derst stehen muss, erreicht haben?
Frau Kollegin Bunge, vielleicht macht das deutlich,
warum wir in unterschiedlichen Parteien sind –
ich bei den Liberalen und Sie bei den Linken –: Mein
Ziel ist, jedes Individuum zu erreichen, jedes Indivi-
duum zu überzeugen, etwas für seine Gesundheit zu tun.
Dadurch werden Ungleichheiten natürlich auch abge-
baut. Das Ziel kann aus meiner Sicht nicht sein, mit
einem gesamtgesellschaftlichen Ansatz zu versuchen,
Ungleichheiten abzubauen.
Für uns ist eine Verhaltensänderung hin zu gesund-
heitsbewusstem Verhalten der Erfolgsgrad, an dem wir
eine individuelle Präventionsmaßnahme messen, zum
Beispiel: Wird mit dem Rauchen aufgehört? Bewegen
sich die Leute mehr, um ein Krankheitsrisiko zu vermei-
den?
In der Folge können damit auch gesellschaftliche
Ungleichheiten abgebaut werden; denn wir wissen, dass
ein höherer Bildungsgrad häufig korreliert mit einem
gesundheitsbewussteren Verhalten. Deswegen braucht es
auch viele andere Maßnahmen – Investition in Bildung
und vieles andere mehr –, um eine bessere Gesundheit
zu erreichen. Aber hier konzentrieren wir uns konkret
auf die Gesundheitsaufgaben.
Frau Vogelsang.
Herr Minister, ich weiß nicht genau, seit wie vielenJahren der Verbund gesundheitsziele.de schon arbeitet.
– Seit 2000, höre ich. – In diesem Rahmen sind sehrkompetente Fachleute aus den Ländern, aus Bundes-ministerien, aus Städten und Kommunen, aus demBereich der Krankenversicherung – der privaten wie dergesetzlichen – zusammengekommen und haben unter-schiedlichste Gesundheitsziele erarbeitet. Von diesenGesundheitszielen hat in der Bundesrepublik Deutsch-land jedoch kaum jemand Kenntnis erlangt; diese Zielesind sehr im Hintergrund geblieben.Deswegen finde ich es ausgesprochen positiv, dassSie diese Gesundheitsziele – und zwar exakt diese Ge-
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28704 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Stefanie Vogelsang
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sundheitsziele –, die vom Verbund gesundheitsziele.deerarbeitet worden sind, jetzt in das Gesetz, in das SGB V,aufnehmen. Das wird diesen Zielen viel mehr Verbind-lichkeit verleihen.Jetzt besteht die Republik ja nicht nur aus der gesetz-lichen Krankenversicherung, sondern darüber hinausauch noch aus anderen Akteuren. Diese anderen Akteurewaren aber bei der Erarbeitung und Bearbeitung dieserZiele beteiligt. Können Sie sich einen Mechanismus vor-stellen, mit dem man aus den konkreten Zielen – die sehrpositiv gesehen werden – für das SGB V in Zukunft na-tionale Ziele für diese Republik machen kann?
Als Gesundheitsminister bin ich zuständig für die
Krankenversicherung und das Sozialgesetzbuch in dem
Bereich. Da haben wir jetzt diese Verbindlichkeit der
Ziele hineingeschrieben. Ich würde es sehr begrüßen,
wenn hier im Parlament eine breite Debatte über Präven-
tionsziele und bessere Präventionsarbeit geführt würde;
aber es ist Sache des Parlaments, sich dieses Themas in
einer breiten Debatte anzunehmen, und nicht Sache des
Ministers, dem Parlament dies vorzuschreiben. Wenn
man das Präventionsgesetz zum Anlass nähme, noch
weiter und breiter über Präventionsziele zu debattieren,
fände ich das gut und würde das ausdrücklich begrüßen,
genauso wenn Länder, Kommunen und andere Beteiligte
dieses Gesetz zum Anlass nähmen, auch mehr über Prä-
ventionsziele und vor allem über ihre Umsetzung zu
diskutieren. Meinen Beitrag werde ich mit der Ständigen
Präventionskonferenz leisten, die viele Beteiligte an ei-
nen Tisch holt und überwachen soll, wie diese Präven-
tionsziele umgesetzt werden. Sie erinnert die Beteiligten
auch daran, dass sie im Rahmen ihrer Verantwortung et-
was dafür tun müssen.
Ich glaube, insofern bekommen wir einen Mechanis-
mus dafür – Sie fragten ja nach einem Mechanismus –,
das besser umsetzen zu können. Ein Beispiel ist eben die
Ständige Präventionskonferenz, die dem Parlament auch
einen Bericht zur Verfügung stellen wird, wodurch wir
die Öffentlichkeit stärker erreichen.
Frau Kollegin Rawert.
Sie selber – nicht Sie als Person, sondern Sie als Re-
gierung –
haben das Bundeskinderschutzgesetz und damit ja auch
lebensnahe Netzwerkstrukturen – Frühe Hilfen, Famili-
enhebammen – auf den Weg gebracht und Strukturen für
das Ehrenamt gefördert.
Nun ist sehr auffällig, dass mit diesem Entwurf eines
Gesetzes zur Förderung der Prävention auf die im
SGB VIII aufgebaute Präventionsstruktur für Kinder
und Familien mit keinem einzigen Wort Bezug genom-
men wird und somit auch die Leistungsträger und Leis-
tungsträgerinnen aus lebensnahen Bereichen, wie zum
Beispiel Hebammen, nicht um Unterstützung gebeten
werden. Was sind Ihre Gründe dafür, dass es in Bezug
auf die Präventionsstruktur für Kinder und Familien wei-
terhin eine absolute Trennung zwischen dem SGB VIII
und dem SGB V gibt?
Das ist das Wesensmerkmal. Die Sozialgesetzbü-
cher VIII und V haben unterschiedliche Finanzierungen,
Ziele und Aufgaben. Wir führen ja auch nicht, nur weil
es Präventionserfordernisse im Bereich der Arbeits-
losenversicherung oder der Rentenversicherung gibt, die
Kranken-, Renten- und Arbeitslosenversicherung zu-
sammen, um daraus eine Versicherung zu machen. Viel-
mehr muss aus meiner Sicht jeder in seinem Bereich, in
dem er Zuständigkeiten hat, seinen Beitrag für eine
bessere Präventionsarbeit leisten. Hierzu sind alle Betei-
ligten herzlich eingeladen.
Sie haben das Thema Familienhebammen angespro-
chen. Es ist möglich, diese Partner in die Präventions-
maßnahmen der gesetzlichen Krankenversicherung ein-
zubeziehen und Maßnahmen zu finanzieren, an denen
sich zum Beispiel Hebammen beteiligen, um für die Ver-
sicherten konkret etwas zu erreichen. Hier gibt es schon
erste, wenn auch nur wenige Beispiele. Ich kann mir hier
noch mehr Kreativität vorstellen.
Um die Ständige Präventionskonferenz noch einmal
zu erwähnen: Es besteht die Möglichkeit, dass diese
Themen auch dort Eingang finden und in dieser Konfe-
renz behandelt werden.
Herr Kollege Terpe.
Herr Minister, ich komme noch einmal auf das Thema
BZgA zurück. Sie haben ja ausgeführt, dass Sie die
Rolle der BZgA bei den Lebensumfeldmaßnahmen, wie
Sie sie genannt haben, stärken und die BZgA gar zum
Hauptakteur machen wollen. Als Bundesbehörde soll sie
die Angebote und Maßnahmen, die die Krankenkassen
sozusagen finanzieren, vor Ort unterstützen. Wie soll das
konkret aussehen? Wie viele Stellen sollen mit Mitteln
der Beitragszahler bei der BZgA geschaffen werden?
Ich ahne, welcher Vorwurf dahintersteht. – Zunächsteinmal: Die Mittel im Bundeshaushalt für die Bundes-zentrale für gesundheitliche Aufklärung, die aus Steuer-mitteln finanziert werden, werden nicht verändert. DieHauptaufgabe der Bundeszentrale für gesundheitlicheAufklärung bleibt bestehen und wird finanziert.Es geht um zusätzliche Maßnahmen. Hier haben wireine Diskussion. Machen wir uns doch nichts vor: Wirwissen, dass die gesetzlichen Krankenversicherungen,die im Wettbewerb zueinander stehen und sich natürlichauch an den Versicherten ausrichten, keinen großenAnreiz und kein Interesse haben, im LebensumfeldMaßnahmen zu ergreifen. Deswegen besteht nach die-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28705
Bundesminister Daniel Bahr
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sem Gesetzentwurf eine Verpflichtung dazu. Die Koope-ration mit einer Behörde, die international große Aner-kennung für ihre Lebensumfeldmaßnahmen erhält – dieBundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung –, isthier genau der richtige Weg.Das ist eine Mithilfe, ein Unterstützungsangebot. Hierkönnen auch weitere Kooperationspartner einbezogenwerden. Insofern kann ich überhaupt noch nicht sagen,wie viel Geld der Bundeszentrale für gesundheitlicheAufklärung konkret zur Verfügung stehen wird, umMaßnahmen zu finanzieren, weil ja auch die Maßnah-men noch nicht klar sind. Das können Öffentlichkeits-maßnahmen sein. Es kann auch sein, dass man andereKooperationspartner damit beauftragt, die dann das Geldbekommen.Von daher ist, weil die Maßnahmen und die Ausge-staltung auch vom Spitzenverband der Krankenkassenabhängen, völlig offen, wie diese Maßnahmen finanziertund genutzt werden und was das für die BZgA bedeutet.Diese Mittel sind zusätzlich.
Frau Kollegin Bas.
An diese Frage kann ich direkt anknüpfen, weil Sie
die Frage nicht beantwortet haben. Sie verpflichten die
gesetzlichen Krankenkassen, der Bundeszentrale für ge-
sundheitliche Aufklärung Mittel aus Beitragsgeldern für
allgemein aufklärende Präventionsmaßnahmen – welche
auch immer das in Zukunft sein werden – zu geben.
Die Frage ist für mich immer noch, warum die private
Krankenversicherung, die von diesen Maßnahmen profi-
tieren wird, nicht auch verpflichtet wird, sondern hier
auf Freiwilligkeit gesetzt wird. Ich hätte es verstanden,
wenn Sie auch bei der gesetzlichen Krankenversiche-
rung gesagt hätten, dass sie ihre Beitragsgelder freiwillig
für bestimmte Kampagnen zur Verfügung stellen kön-
nen. Aber bei der GKV machen Sie die Abgabe ver-
pflichtend, bei der PKV machen Sie das nicht. Diesen
Unterschied müssen Sie mir einmal erklären.
Das mache ich gerne, weil ich dann vielleicht ein
Missverständnis ausräumen kann. Sie haben das eben,
wie ich finde, nicht korrekt dargestellt. Es ist nicht so,
dass ich die gesetzliche Krankenversicherung zwinge,
der BZgA Geld zu geben. Nein, vielmehr verpflichte ich
die gesetzliche Krankenversicherung, für ihre Versicher-
ten Maßnahmen im Lebensumfeld zu ergreifen.
Das ist übrigens auch der Anspruch: Die Beitragsmit-
tel müssen den Versicherten zur Verfügung stehen. Wir
sehen in unserem Gesetzentwurf lediglich vor, dass sich
die gesetzliche Krankenversicherung des Know-hows,
der Erfahrung, der Kompetenz der Bundeszentrale für
gesundheitliche Aufklärung bedienen kann, um solche
Lebensumfeldmaßnahmen für die Versicherten der
Krankenversicherung erfolgreich umzusetzen. Das Geld
fließt nicht in die BZgA, damit diese ihre Behörden-
arbeit damit finanzieren kann, sondern die BZgA bietet
ihr Know-how, ihre Kompetenz, ihre Unterstützung an,
um für die gesetzlich Versicherten eine anständige und
erfolgreiche Präventionsarbeit zu organisieren. Insofern
ist der Ansatz nicht so, wie Sie ihn darstellen. Er ist so,
wie ich ihn eben korrekt erklärt habe.
Die private Krankenversicherung finanziert schon
heute Maßnahmen in Kooperation mit der Bundeszen-
trale für gesundheitliche Aufklärung. Die international
anerkannte und sehr erfolgreiche Aids/HIV-Kampagne
– ich habe es eben erwähnt – wird auch aus Mitteln der
privaten Krankenversicherung finanziert. Auch die
Kampagne gegen Alkoholsucht, insbesondere bei Ju-
gendlichen, wird durch die private Krankenversicherung
finanziell stark unterstützt. Ich selbst habe letztens
Preise für kommunale Suchtpräventionsprojekte verlie-
hen, die von der privaten Krankenversicherung gestiftet
worden sind. Also auch hier gibt es Maßnahmen zur Prä-
vention. Das begrüße ich. Ich freue mich natürlich, wenn
die private Krankenversicherung noch mehr tut.
Kollege Weinberg.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie ha-
ben gerade die Position von Herrn Professor Rosenbrock
kritisiert. Ich will das an dieser Stelle konkretisieren. In
§ 25 des Gesetzentwurfs wollen Sie regeln, dass Versi-
cherte einen Anspruch auf Gesundheitsuntersuchungen
und eine präventionsorientierte Beratung haben. Es soll
ärztliche Bescheinigungen für Verhaltenspräventionsan-
gebote geben.
Ist der Bundesregierung bekannt, dass, wissenschaft-
lich belegt, sozial benachteiligte Menschen seltener an
Vorsorgeuntersuchungen teilnehmen als bessergestellte?
Teilt sie die Einschätzung, dass dieses Instrument für
Gefälligkeitsverordnungen von Präventionsangeboten
anfällig ist, die wiederum häufiger an Bessersituierte
vergeben werden, weil diese mehr danach fragen? Wird
hier nicht zusammengenommen ein Instrument zur
Vergrößerung sozial bedingter gesundheitlicher Un-
gleichheit geschaffen? Wie wollen Sie dafür sorgen, dass
gerade sozial Benachteiligte das Angebot in Anspruch
nehmen?
Lieber Kollege Weinberg, wir können sehr stolz sein,dass wir in Deutschland ein Gesundheitswesen haben,das keinen Unterschied beim Zugang zu notwendigenBehandlungen macht:
nicht vom sozialen Stand, nicht vom Alter, nicht von denVorerkrankungen, nicht vom Geschlecht und vielemanderen mehr. Der Zugang ist unabhängig vom Einkom-men.
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Bundesminister Daniel Bahr
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Ich als Bundesgesundheitsminister habe mit dieserBundesregierung und dieser Koalition die Praxisgebührabgeschafft.
– Es scheint Sie zu treffen, dass wir die Abschaffungumgesetzt haben. Das tut offenbar weh. – Es ist jetzt alsokein Argument mehr – dieses Argument haben Sie im-mer gerne gebracht –, dass die Praxisgebühr vom Arzt-besuch abhält. Jeder hat freie Arztwahl, hat Zugang zumGesundheitssystem, zu den Ärzten, zu Innovationen, zunotwendigen Behandlungen.Mit dem Präventionsgesetz wird zum Beispiel öffent-lich, wie viele Vorsorgeuntersuchungen es gibt. Wir wis-sen, dass häufig bei Vorsorgeuntersuchungen nicht dieFinanzierung durch die gesetzlichen Krankenversiche-rungen oder der Zugang das Problem sind, sondern dassviele Menschen gar nicht wissen, was es für sinnvolleVorsorgeuntersuchungen gibt. Mit dem gerade beschlos-senen Gesetz zur Weiterentwicklung der Krebsfrüh-erkennung und zur Qualitätssicherung durch klinischeKrebsregister haben wir dafür gesorgt, dass jetzt alleVersicherten, egal wie der soziale Stand ist, informiertund eingeladen werden, zum Beispiel zur Vorsorgeunter-suchung Darmkrebs oder zur VorsorgeuntersuchungGebärmutterhalskrebs.Das heißt, wir machen in unserer Politik keine Unter-schiede nach dem sozialen Stand. Im Gegenteil: Wirwollen jedem die Möglichkeit geben und jeden unter-stützen, die gesundheitliche Versorgung zu bekommen,die er braucht.
Kollege Lemme.
Herr Minister, inwiefern unterstützt denn Ihr Entwurf
eines Präventionsgesetzes nun das öffentliche Gesund-
heitswesen? Sind darin auch Maßnahmen verankert, um
Ländern und Kommunen mit entsprechenden Unterstüt-
zungsleistungen zu helfen?
Herr Lemme, für den öffentlichen Gesundheitsdienst
ist nicht der Bund zuständig, sondern dafür sind die Län-
der und die Kommunen zuständig. Ich hielte es für
falsch – ich glaube, das wird jetzt in der Befragung auch
ein bisschen deutlich –, dass wir Beitragsgelder der ge-
setzlichen Krankenversicherung zur Finanzierung von
Aufgaben zweckentfremden, die eigentlich andere zu fi-
nanzieren und zu erledigen haben. Das war seinerzeit der
Ansatz von Rot-Grün, der gescheitert ist.
– Der ist gescheitert, Frau Klein-Schmeink; denn Ihr Ge-
setz hat damals keine Mehrheit gefunden und ist auf er-
hebliche verfassungsrechtliche Bedenken gestoßen. – Es
kann nicht sein, dass mit Beitragsgeldern für die Kran-
ken- und Gesundheitsversorgung der gesetzlich Kran-
kenversicherten Aufgaben finanziert werden, die im Be-
reich des öffentlichen Gesundheitsdienstes andere zu
leisten haben.
Selbstverständlich wird auch der öffentliche Gesund-
heitsdienst gestärkt und in die Beratungen, zum Beispiel
der Ständigen Präventionskonferenz, einbezogen. Er
wird auch im Rahmen der parlamentarischen Beratungen
angehört und anderes mehr. Aber ich bin nicht der Mei-
nung, dass aus den Geldern der gesetzlich Krankenversi-
cherten Aufgaben finanziert werden sollten, für die ei-
gentlich die Länder Steuern und Abgaben erheben. Es
bleibt Aufgabe der Länder und Kommunen, ihrer Ver-
antwortung gerecht zu werden.
Die letzte Wortmeldung zu dieser Befragung: Kollege
Beck.
Herr Kollege Bahr, Sie haben vorhin erwähnt, dass
durch das Präventionsgesetz die Ziele einer Webseite in
ein Gesetz gehoben werden sollen. Das hat mich als be-
kennender gesundheitspolitischer Nichtfachmann
rechtspolitisch verwundert. Deshalb will ich einfach fra-
gen: Was bewirkt es rechtlich konkret, wenn diese Ziele
in einem Gesetz stehen, oder dient das nur der Publizität
dieser Ziele?
Zunächst einmal ist gesundheitsziele.de ein Koopera-tionsverbund von vielen Beteiligten in der Gesundheits-politik und darüber hinaus, die seit Jahren gemeinsamePräventionsziele beraten und dann auch vorlegen. Dasnennt sich gesundheitsziele.de, weil man sich auf dieserSeite anschauen kann, was dieser Kooperationsverbundmacht. Aber es ist natürlich weit mehr als nur diese In-ternetseite. Die Beteiligten beraten und entscheiden ge-meinsam über die Ziele. Insofern ist das ein guter Pro-zess, um gemeinsam diese Ziele zu entwickeln und einestärkere Bindungskraft zu entfalten.Ich glaube, durch die Verbindlichkeit im Gesetz wer-den erstens die Ziele bekannter, und zweitens werdenalle Maßnahmen des Sozialgesetzbuchs – dafür ist dasGesetz ja da – auf diese Präventionsziele ausgerichtet.Das heißt, Maßnahmen, die die Krankenkassen finan-zieren und umsetzen, müssen sich an diesen Präven-
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Bundesminister Daniel Bahr
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tionszielen orientieren. Das ist bisher nicht der Fall. Des-wegen ist das eine Stärkung solcher Präventionsziele,wenn wir sie verbindlich ins Gesetz hineinschreiben unddamit alle Maßnahmen des Sozialgesetzbuchs V andiese Präventionsziele binden.
– Zum Beispiel bei der Evaluation der Maßnahmen. Wirsehen ja – anders als bisher – vor, dass Präventionsmaß-nahmen einen nachhaltigen Erfolg zeigen müssen undauch evaluiert werden. Da orientiert man sich natürlichan diesen Präventionszielen, um festzustellen, ob einePräventionsmaßnahme Erfolg gebracht hat.
Ich frage nun, ob es noch Nachfragen zu anderen The-
men der heutigen Kabinettssitzung gibt. – Das ist nicht
der Fall. Möchte jemand darüber hinaus eine Frage an
die Bundesregierung richten, die er nicht ohnehin
schriftlich eingereicht hat? – Das ist glücklicherweise
auch nicht der Fall. Damit ist die Regierungsbefragung
abgeschlossen.
Dann kommen wir zu Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
– Drucksachen 17/12763, 17/12811 –
Ich rufe zunächst die dringlichen Fragen auf.
Ich beginne mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Hier steht die Kollegin Parlamentarische
Staatssekretärin Katherina Reiche zur Beantwortung ei-
ner Frage der Kollegin Cornelia Behm zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 1 der Abgeordneten
Cornelia Behm auf:
Trifft es zu, dass der Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, wie Der Spiegel
vom 18. März 2013 berichtet, noch im Laufe des Monats
März unter anderem den Stopp von Förderprogrammen zur
Elektromobilität, zur Entwicklung von Stromspeichern und
für den Waldklimafonds bekannt geben will, und für welchen
Zeitraum soll diese Streichung gegebenenfalls gelten?
Ka
Frau Kollegin Behm, ich beantworte Ihre Frage zum
EKF, Energie- und Klimafonds, wie folgt: Die Einnah-
men des Energie- und Klimafonds sind von der Höhe der
Erlöse aus dem Emissionshandel abhängig. Gegenwärtig
laufen die Beratungen innerhalb der Bundesregierung
auf höchster Ebene.
Zum Thema Emissionshandel und auch zur Auftei-
lung der im Jahr 2013 zur Verfügung stehenden Finanz-
mittel: Das Ergebnis dieser Abstimmung gilt es abzu-
warten. Erst dann herrscht Klarheit über die weitere
finanzielle Ausstattung des EKF. Seitens der Bundesre-
gierung wurde bislang kein Förderstopp verkündet. Ein
solcher Schritt wäre zum jetzigen Zeitpunkt verfrüht.
Nachfrage?
Ja, gerne, Herr Präsident. – Vielen Dank für die Ant-
wort. Es zeigt sich bei diesem Vorgang, wie absurd es ei-
gentlich ist, notwendige Maßnahmen der Energiewende
und des Klimaschutzes aus den Einnahmen des Emis-
sionshandels zu finanzieren. Denn wenn der Emissions-
handel funktioniert, dann ist das schon Anreiz für den
Klimaschutz. Viel wichtiger wäre es gewesen, diese not-
wendigen Maßnahmen tatsächlich aus dem Haushalt zu
finanzieren.
Insofern frage ich ganz konkret nach dem Waldklima-
fonds. Denn das ist, glaube ich, ein zentrales Thema
beim Klimaschutz. Der Waldklimafonds ist mit 28 Mil-
lionen Euro nicht gerade ein sehr großer Brocken, aber
es sind nach sehr langen Planungsphasen jetzt endlich
Maßnahmen formuliert worden. Es kann losgehen. Da
ist sehr viel Energie hineingeflossen.
Ich möchte gerne wissen, ob der Waldklimafonds,
sollte es aufgrund der wegbrechenden Einnahmen zu
Kürzungen oder zu einem Förderstopp kommen, dann
aus dem Haushalt finanziert wird, damit alle geplanten
Maßnahmen auch umgesetzt werden können.
Ka
Frau Kollegin Behm, zunächst teile ich Ihre grund-
sätzliche Einschätzung zur Bedeutung dieses Fonds. Die
Frage zur Finanzierung, zur Zukunft und zum Start kann
ich allerdings nicht beantworten, weil wir innerhalb der
Ressorts über die Zukunft des EKF und die Ausfinanzie-
rung der einzelnen Förderprogramme noch im Gespräch
sind.
Weitere Nachfrage?
Ja. – Ein ganz wichtiges Programm im Rahmen des
Klimaschutzes ist das Altbausanierungsprogramm. Ich
würde gerne wissen, ob die Bundesregierung sicherstel-
len kann, dass das Altbausanierungsprogramm auf jeden
Fall auf dem Stand weitergeführt werden kann. Oder
müssen künftig junge Familien wie meine Kinder, die
sich gerade im ländlichen Raum daranmachen, alte Ge-
bäude klimafreundlich wiederherzurichten, um mit ihrer
Familie dort zu wohnen, damit rechnen, dass sie für
diese Maßnahmen kein Geld mehr bekommen und ein
ganz entscheidender Punkt im Rahmen des Klimaschut-
zes wegbricht?
Ka
Zum einen, Frau Kollegin Behm: Alle Mittel, die bis-lang im EKF abgebildet sind, sind Mittel, über die wiruns jetzt im Rahmen der Ressortbesprechungen mit dem
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28708 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
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Finanzministerium und allen anderen beteiligten Res-sorts austauschen. Dazu kann ich noch keine Antwortgeben. Insofern sind die Fragen nach den einzelnen Pro-grammen jetzt nicht zu beantworten.Eine andere Frage ist die nach der generellen Gebäu-desanierung. Hier ist es so, dass die Bundesregierung dieMittel für die energetische Gebäudesanierung sicherstel-len kann.
Frau Kofler, bitte.
Ich hoffe, Frau Staatssekretärin, ich bekomme eine
konkrete Antwort. Ich fand es leider sehr ausweichend,
was Sie auf die Frage der Kollegin Behm geantwortet
haben, die sich ursprünglich, wie ich das verstanden
habe, auch auf die Meldungen im Spiegel aus dieser Wo-
che bezogen hat. Der Spiegel hat gemeldet, dass 14 Ein-
zelmaßnahmen aus dem Energie- und Klimafonds ge-
stoppt worden sind. Ich habe dazu eine hübsche Liste,
aus der man die Einzelmaßnahmen entnehmen kann, die
gestoppt werden. Dazu gehört der angesprochene Wald-
klimafonds. Es geht aber auch um die Mini-Kraft-
Wärme-Kopplung, das MAP und um Fragen der Klima-
schutzanpassung, die meines Erachtens letzte Woche im
Ausschuss noch anders beantwortet worden sind. Das
heißt, es betrifft Unternehmen, Kommunen, Handwerker
und Privatinvestoren. Es gibt eine schöne Liste, auf der
steht: Zeitpunkt der Kommunikation für den Förderstopp
im Laufe des März; für den gerade angesprochenen
Waldklimafonds ist das Ende März.
Meine Frage lautet: Wann gibt es konkrete Aussagen,
um welche Summen es geht und welche Programme be-
troffen sind? Wenn solche Listen in der Welt sind, dann,
finde ich, ist es angebracht, dass das Parlament unter-
richtet wird, um darüber diskutieren zu können.
Ka
Frau Kofler, der Bundesumweltminister hat in der
letzten Ausschusssitzung sehr deutlich gemacht – auch
auf Ihre Frage hin –, wie er selbst den EKF und den
Emissionshandel einschätzt und dass er als Umwelt-
minister alles daransetzt, Förderzusagen einzuhalten. Zu
dem von Ihnen angesprochenen Mini-KWK-Programm
ist zu sagen, dass die Mittel für dieses Programm aus der
Nationalen Klimaschutzinitiative und hier überwiegend
aus dem Haushalt kommen. Es gibt keinen Stopp, so wie
Sie es gerade kommunizieren. Allerdings gibt das BAFA
potenziellen Interessenten keine Neuzusagen. Vielmehr
gilt jetzt, die schon gemachten Zusagen abzuarbeiten.
Das ist aber kein Förderstopp, so wie Sie es gerade kom-
munizieren. Wir versuchen alles, um Mittel zu bekom-
men und den Klimaschutz weiter zu fördern.
Kollege Lehrieder.
Frau Staatssekretärin Reiche, halten Sie eine Verbes-
serung des Klimaschutzes auch dann für möglich, wenn
die bisher im Bundesrat bestehende Blockade der ener-
getischen Gebäudesanierung durch die SPD-geführten
Länder endlich aufgegeben wird und dann Maßnahmen
betreffend sowohl den Klimaschutz als auch die Be-
schäftigung von Handwerkern, die die Kollegin eben-
falls gerade angesprochen hat, besser umgesetzt werden
können?
Ka
Die Maßnahme der steuerlichen Absetzbarkeit der
Kosten der energetischen Gebäudesanierung wäre äu-
ßerst sinnvoll und zielführend, weil ein investierter Euro
einen Rückfluss von 8 Euro zur Folge hat. Da der Bun-
desrat mit der Mehrheit von SPD und Grünen dem nicht
folgen möchte, ist die Umsetzung einer für den Klima-
schutz in Deutschland wesentlichen Maßnahme nicht
möglich.
Kollege Beck.
Sie haben richtig geschildert, dass sich der Energie-
und Klimafonds im Wesentlichen aus zwei Quellen
speist: zum einen aus dem Verkauf der CO2-Emissions-
zertifikate und zum anderen aus der Brennstäbesteuer,
aus der aber keine Einnahmen mehr erzielt werden kön-
nen. Vor diesem Hintergrund hängen die Einnahmen ins-
besondere von den Preisen der Zertifikate ab, und das in
einer Phase, in der aufgrund der wirtschaftlichen Ent-
wicklung der CO2-Ausstoß sowohl auf europäischer als
auch auf globaler Ebene zurückgeht. Deshalb frage ich
Sie: Wann wird die Bundesregierung ihren Widerstand
gegen die Minderung der Preise der Treibhausgaszertifi-
kate aufgeben, damit der Zertifikatehandel wieder Wir-
kung entfalten und der Energie- und Klimafonds die ge-
planten Einnahmen erhalten kann? Das war in dieser
Woche auch Gesprächsgegenstand im Rahmen der Dis-
kussion über die Energiepreise.
Ka
Herr Kollege Beck, wir brauchen auch ein Signal sei-tens der Europäischen Kommission. Auf europäischerEbene ist noch nicht darüber entschieden, wie sich dasEuropäische Parlament verhalten wird. Mehrheiten sindhier nicht sicher. Wir sind mitten in einem Trilogverfah-ren, das komplizierte Abläufe auf europäischer Ebenemit sich bringt. Einen Wegweiser seitens des Europäi-schen Parlaments können wir nicht vor April, vielleichtauch erst im Mai erwarten. Ohne eine Position in Europaist es schwierig, sich innerhalb Deutschlands zu positio-nieren. Der Minister hat im Umweltausschuss deutlichgemacht, dass, sobald diese Frage auf europäischer
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28709
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
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Ebene ansteht, auch Deutschland zu einer Haltung kom-men und sich positionieren wird.
Kollege Miersch.
Fra
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Sie haben eben auf die Frage der Kollegin Kofler wie-
der ausweichend geantwortet. Halten Sie es nicht für
eine Missachtung des Deutschen Bundestages, wenn Sie
hier weiterhin ausweichend antworten, wie es auch der
Herr Bundesumweltminister im Ausschuss in der letzten
Woche getan hat, obwohl in Ihrem Haus eine Liste exis-
tiert, auf der sehr genau und detailliert aufgeführt wird,
bei welchen Programmen wann mit einem Förderstopp
zu rechnen ist? In der Überschrift dieser Liste steht in
Klammern: Kommunikation in Abhängigkeit des poli-
tisch-öffentlichen Drucks. – Wenn Sie bereits eine sol-
che Liste haben, auf der detailliert aufgeführt ist, wann
es zu einem Förderstopp welchen Programmes kommt,
ist es dann nicht Aufgabe der Bundesregierung, die ent-
sprechenden Fragen, wenn sie im Parlament gestellt
werden, zu beantworten?
Ka
Zunächst ist es Aufgabe der Bundesregierung, sich in-
tern abzustimmen
und dafür zu sorgen, dass Finanzierungszusagen, wo es
geht, eingehalten werden können, wissend um die Tatsa-
che, dass allein Deutschland das Funktionieren des euro-
päischen Emissionshandels und die Preise nicht wird be-
einflussen können. Weil wir das nicht können – wir können
den Preis für CO2-Emissionen nicht beeinflussen –, sind
wir in Verhandlungen, wie wir trotzdem Klimaschutz-
maßnahmen aufrechterhalten können.
Die Listen, die irgendwo kursieren und auf die Sie
sich beziehen, sagen noch lange nichts über das Bewirt-
schaftungsschreiben des BMF aus, auf das wir warten.
Wir sind in Gesprächen. Solange das nicht geklärt ist
– an der Klärung arbeiten wir –, werden wir keinen För-
derstopp für einzelne Programme ausrufen. Insofern
bitte ich, unsere Position zu respektieren.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Fell.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin
Reiche, Sie haben gesagt, es werde keinen Förderstopp
bestehender Programme geben. Wir haben – erlauben Sie
mir diese Bemerkung – aufgrund Ihrer ausweichenden
Antworten erhebliche Zweifel daran. Aber ich möchte
Sie zu dem Förderbeginn eines neuen Programmes fra-
gen.
Es gab im letzten Sommer ein Ergebnis in den Ver-
handlungen des Vermittlungsausschusses zur Solarge-
setznovelle. In diesen Verhandlungen hat die Bundesre-
gierung die Vorschläge der Länder, der SPD und der
Grünen abgelehnt, im EEG einen Speicherbonus für
kleine Speicher bei den Solaranlagen zu verankern, und
zwar mit dem Argument, die Bundesregierung werde ein
Speicherprogramm auflegen und dieses bald in Kraft tre-
ten lassen. Wir wissen: Dieses Speicherprogramm ist
ausgestaltet und fertig, aber wir warten seit Monaten auf
den Beginn dieses Förderprogramms. Nun hören wir,
dass es keine Mittel im EKF gibt, um dieses Förderpro-
gramm auf den Weg zu bringen.
Daher frage ich Sie: Wann wird dieses Förderpro-
gramm kommen? Um es deutlich zu machen: Was glau-
ben Sie, welches Signal für kommende Verhandlungen
im Vermittlungsausschuss an Bund, Länder und Fraktio-
nen gesendet wird, wenn von der Bundesregierung zuge-
sagte Programme nicht umgesetzt werden und damit der
Beschluss des Vermittlungsausschusses letztendlich hin-
tergangen wird?
Ka
Zum Ersten wäre es sowieso klüger gewesen, die ur-
sprünglichen Vorschläge des damaligen Bundesumwelt-
ministers Röttgen zu befolgen. Dann hätten wir jetzt
nämlich eine verträglichere Situation bei der Photovolta-
ikförderung in Deutschland und hätten uns langwierige
Verfahren und Unsicherheiten im Markt erspart.
Zum Zweiten gilt mit Blick auf den EKF auch hier,
dass wir mit dem Finanzministerium in Ressortabstim-
mungen zum Bewirtschaftungsschreiben sind. Danach
können wir Aussagen darüber machen, in welcher Form
welches Programm weiterläuft.
Die nächste Frage stellt der Kollege Krischer.
Frau Staatssekretärin, ich habe bereits in der vergan-genen Woche Ihre Kollegin Heinen-Esser zu dem ThemaMini- und Mikro-KWK und Weiterführung des Pro-gramms befragt. Wir waren uns – so habe ich Ihre Kolle-gin in der vergangenen Woche verstanden – zumindestdarin einig, dass man die Situation, soweit sie im Mo-ment beurteilbar ist, den betroffenen Antragstellern
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28710 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Oliver Krischer
(C)
(B)
kommuniziert, dass man zum Beispiel auf der Internet-seite des BAFA einen deutlichen Hinweis gibt, wie esum die Finanzierung des Programms steht.Ich habe gerade sowohl auf den Internetseiten desBMU als auch auf den -seiten des BAFA, des Bundesam-tes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle – es ist die bewil-ligende Stelle –, noch einmal nachgesehen: Dort gibt eskeinerlei Hinweis darauf, dass es irgendein Problem mitder Finanzierung oder Ähnlichem geben könnte, dassalso Förderanträge erst einmal zurückgestellt werdenund dass man darüber später entscheidet. Meine Fragean Sie ist deshalb: Wann stellen Sie auf den Internetsei-ten des BMU und der zuständigen Bewilligungsbehördeendlich transparent und aktuell dar, womit Antragstellerim Bereich Mini- und Mikro-KWK-Programme undselbstverständlich auch der anderen Programme dann zurechnen haben?
Entschuldigung, Frau Staatssekretärin, warten Sie
bitte einen Moment. – Ein Hinweis, nicht nur an den
Kollegen Krischer, sondern an alle nachfolgenden fra-
genden Kollegen: Wenn das optische Signal auf Rot
springt, ist damit nicht der Zeitpunkt gemeint, an dem
Sie Ihre Frage einleiten, sondern Sie sollten an diesem
Punkt das Fragezeichen an den Schluss Ihres Satzes set-
zen. – Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Krischer, ich glaube, Sie haben Frau
Heinen-Esser entweder missinterpretiert oder falsch ver-
standen. Mir liegt vor, was Frau Heinen-Esser Ihnen in
der letzten Woche geantwortet hat. Es hieß – sehr kon-
kret –, dass über das Thema Emissionshandel und über
die Aufteilung der Finanzmittel aus dem EKF gespro-
chen wird, dass das Ergebnis dieser Abstimmung abzu-
warten ist, dass das Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle für die Abwicklung des Mini-KWK-
Programms zuständig ist und dass das BAFA bis zur
Klärung der Mittelverteilung gebeten wurde, die An-
träge anzunehmen, jedoch keine Grundbescheide zu er-
lassen, gerade um den – von Ihnen vermuteten und im-
mer wieder unterstellten – Antragstopp zu vermeiden.
Das hat Ihnen Frau Kollegin Heinen-Esser geantwortet,
und das kann ich an dieser Stelle auch nur bestätigen.
Die nächste Nachfrage stellt die Kollegin Vogt.
Frau Staatssekretärin, ich würde gern auf die Liste zu-
rückkommen, die schon der Kollege Miersch angespro-
chen hat. Ich möchte Sie fragen, aus welchem Anlass
diese Liste in Ihrem Hause erstellt worden ist und was es
damit auf sich hat, dass dort sinngemäß von der Abhän-
gigkeit vom politisch-öffentlichen Druck die Rede ist.
Wie stehen Sie dazu, dass nach dieser Liste im Laufe des
März praktisch fast alle Programme einem Förderstopp
unterlägen? Was heißt das für Ihren konkreten Zeitplan?
Ka
Frau Kollegin, ich nehme zu internen Vermerken und
Hinweisen, wie sie in jedem Ministerium existieren,
keine Stellung, solange es sich nicht um veröffentlichte
Dokumente handelt; insofern gehe ich darauf nicht ein.
Ich verweise aber noch einmal darauf, dass wir mit
den Fachressorts über die Ausfinanzierung der Pro-
gramme verhandeln, dass wir laufenden Verpflichtungen
nachgehen wollen, um die notwendigen Mittel zur Be-
wirtschaftung sicherzustellen. Zu allem anderen ist jetzt,
glaube ich, bereits alles gesagt.
Nun die Nachfrage des Kollegen Schwabe.
Frau Staatssekretärin, wir reden ja nicht über irgend-
etwas, sondern über, so hat es auch der Minister genannt,
eines der Herzstücke der Energiewende. In der Tat müs-
sen Sie nicht all das sagen, was Sie wissen. Aber wenn
wir etwas wissen und bei Ihnen konkret nachfragen,
dann müssen Sie als Mitglied der Bundesregierung hier
natürlich schon, wie ich finde, wahrheitsgemäß antwor-
ten.
Ich frage Sie noch einmal: Kennen Sie persönlich ein
Blatt mit der Überschrift „Anlage 3, Auswirkungen feh-
lender EKF-Mittel auf BMU-Programme“, mit Anwei-
sungen, wie man mit öffentlichem Druck umzugehen
hat, mit Anweisungen, wann man den Stopp von Förder-
programmen öffentlich zu kommunizieren hat? Können
Sie ausschließen, dass es innerhalb der nächsten Wochen
einen, womöglich nur teilweisen, Förderstopp für die
14 betroffenen Programme – ich will einige konkret be-
nennen: Förderprogramm zum Waldklimafonds, zur Kli-
maschutzanpassung, zur Klima- und Biodiversität, zur
Elektromobilität – geben wird?
Ka
Die Existenz von Papieren und Überlegungen, in wel-chen Häusern auch immer, kann und will ich überhauptnicht bestreiten; das habe ich auch nicht getan. Sie habenmich gefragt, auf welchem Stand wir sind und was wirunternehmen, um eine kritische Situation im EKF zu be-heben. Diese Fragen habe ich beantwortet: dass wir mitden Ressorts verhandeln, dass wir uns um eine Stabili-sierung der Einnahmesituation bemühen und dass wirvor allem laufende Förderprogramme sicherstellen wol-len.Noch einmal der Hinweis auf ein zu erwartendes Be-wirtschaftungsschreiben: Wenn das vorliegt, können wirIhnen Auskunft darüber geben, welche Maßnahmen inwelchem Umfang zu welchem Zeitpunkt finanziert wer-den können.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28711
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
– Die Frage habe ich beantwortet, Frau Vogt.
Nach unseren Regeln ist es nicht möglich, hier in ei-
nen Austausch zu treten.
Zur letzten Nachfrage, Frau Kollegin Kotting-Uhl,
bitte.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Meine Frage ist tat-
sächlich ganz kurz: Frau Staatssekretärin, habe ich Sie in
Ihrer vorletzten Antwort richtig verstanden, dass even-
tuell sogar bereits im Bewilligungsverfahren befindliche
Vorhaben gefährdet sind?
Ka
Sie haben mich hoffentlich so verstanden, Frau Kolle-
gin Kotting-Uhl, dass wir sicherstellen wollen, dass
getroffene Zusagen eingehalten werden und dass wir da-
rüber hinaus so verhandeln, dass Förderprogramme statt-
finden können.
Danke, Frau Staatssekretärin.
Wir kommen nun zu den dringlichen Fragen zum Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums der Finanzen.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentarische
Staatssekretär Steffen Kampeter zur Verfügung.
Ich rufe die dringliche Frage 2 des Kollegen
Dr. Diether Dehm auf:
Zur Privatisierung welcher Unternehmen hat sich die zyp-
rische Regierung in den Verhandlungen um die Kredite aus
dem Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM, bereit er-
klärt, und welche Verpflichtungen beinhaltet diesbezüglich
das neu verhandelte Memorandum of Understanding?
Bitte, Herr Staatssekretär.
S
Herr Kollege Dehm, in den noch laufenden Verhand-
lungen zwischen Zypern und den Euro-Staaten hat die
zyprische Regierung zugesagt, die Privatisierungsbemü-
hungen zu intensivieren, um mithilfe von Privatisierungs-
erlösen den Finanzbedarf für ein Stabilisierungsprogramm
in der Causa Zypern zu senken. Die zyprische Regierung
hat dabei keine spezifischen Unternehmen genannt. Ent-
gegen Ihrer Fragestellung gibt es auch noch kein neu
verhandeltes Vertragswerk mit dem Titel „Memorandum
of Understanding“.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Sie schließen also aus, dass bei einem solchen Memo-
randum of Understanding Gas eine strategische Rolle
spielt?
S
Herr Kollege Dehm, diese Suggestivfrage möchte ich
dahin gehend beantworten, dass über die Inhalte des Me-
morandum of Understanding im Detail keine Einigung er-
zielt worden ist. Die Beschlussfassung der Finanzminis-
ter der Euro-Gruppe vom vergangenen Sonntagfrüh ist
eine politische Einigung, in der verschiedene Elemente
angesprochen werden, unter anderem auch die Möglich-
keit, über die Gasexploitation zu reden. Aber eine ver-
bindliche spezielle Einigung liegt derzeit noch nicht vor.
Wie Sie wissen, hat das zyprische Parlament einem
bestimmten Vorschlag, nämlich der Beteiligung von De-
positen zur Absenkung des Finanzbedarfs, bewusst nicht
zugestimmt. Von daher sehen wir jetzt mit Interesse den
konkreten Vorschlägen der in Zypern Verantwortlichen
entgegen, wie sie den Eigenanteil von etwa 7 Milliarden
Euro aufbringen können. Der bisher vorgeschlagene
Weg ist Ihnen bekannt. Ob es Alternativen gibt, die das
gleiche Ziel erreichen, bleibt abzuwarten. Der Ball liegt
im Spielfeld der zyprischen Verantwortlichen.
Ihre zweite Nachfrage.
Dann frage ich jetzt einmal den Geostrategen: Die
Rolle des Themas Gas in der Entwicklung, die wir heute
auch der Presse entnehmen, würden Sie also als eher ge-
ring und zu vernachlässigen einschätzen?
S
Herr Kollege Dehm, die Energieversorgung in Europa
mit einem hohen Eigenanteil sicherzustellen, ist ein
wichtiges Ziel. Dies wird auch dadurch deutlich, dass
ehemalige höchste Repräsentanten der Bundesregierung
sich bei diesem Thema ganz besonders engagieren – bei-
spielsweise auf beiden Seiten der Pipelinevarianten. Von
daher, glaube ich, wird in allen Fraktionen des Deut-
schen Bundestages gemeinsam die Auffassung vertreten,
dass man das Notwendige tun muss, um die Energiever-
sorgung dauerhaft stabil – auch mithilfe von Gasliefe-
rungen aus verschiedenen Quellen – aufrechtzuerhalten.
Der Herr Kollege Ulrich hat ebenfalls eine Nachfrage.
Bitte.
DieUrsache der zyprischen Probleme sind ja gerade nichtdefizitäre Staatsbetriebe, sondern eine Banken- bzw.Finanzkrise. Warum zwingt man Zypern also zu Privati-sierungen von Staatsbetrieben, obwohl diese sogar
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28712 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Alexander Ulrich
(C)
(B)
schwarze Zahlen schreiben? Wird hier nicht ein falschesPolitikmodell umgesetzt? Nutzt man die zyprischeKrise, um ein Politikmodell umzusetzen, das besser zurSituation der Europäischen Union passen würde?S
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ihre Analyse mit dem ihr zugrunde liegenden Sach-
zusammenhang wird von der Bundesregierung nicht ge-
teilt. Die Analyse der europäischen Finanzminister führt
zu der Ansicht, dass das Kernproblem Zyperns ein völlig
überdimensionierter Bankensektor ist. Er ist, gemessen
an der Größe der Wirtschaft Zyperns, der zweitgrößte in-
nerhalb der Europäischen Union. Er ist sehr krisenanfäl-
lig; er ist offenkundig unterkapitalisiert und muss deswe-
gen redimensioniert werden – sprich: Schrumpfung um
die Hälfte.
Ein Programm, das dies ermöglicht, muss aber auch
die Schuldentragfähigkeit Zyperns berücksichtigen;
denn sonst hieße es, Geld in ein Fass ohne Boden zu
werfen. Wir gehen nach dem Vorschlag der Troika davon
aus, dass bei einem Kreditbedarf von mehr als 10 Mil-
liarden Euro diese Schuldentragfähigkeit nicht gegeben
ist. Die Differenz zwischen den offenkundig benötigten
17 Milliarden Euro und einem Kredit in Höhe von
10 Milliarden Euro muss durch Eigenleistungen der
zyprischen Verantwortlichen, der zyprischen Bevölke-
rung, der zyprischen Wirtschaft erbracht werden. Dazu
können Privatisierungen einen notwendigen Beitrag leis-
ten.
Deswegen glauben wir auch, dass das in einem mögli-
chen Memorandum of Understanding eine Rolle spielen
sollte, und zwar in dem Sinne, dass das Programm nach-
haltig und tragfähig sein muss. Wir erwarten, dass nicht
der europäische Steuerzahler allein, sondern auch die
Republik Zypern zu dieser Schuldentragfähigkeit einen
substanziellen Beitrag leistet.
Wir kommen damit zur dringlichen Frage 3 des Kol-
legen Dr. Diether Dehm.
Inwiefern hat die zyprische Regierung im mit der Troika
neu ausgehandelten Memorandum of Understanding oder in
anderen Verhandlungen die potenziellen zukünftigen Einnah-
men aus der Ausbeutung von Gas oder anderen Rohstoffen
verpfändet, und in welcher Form werden diese potenziellen
Einnahmen im neu verhandelten Memorandum of Understan-
ding bzw. in anderen Abkommen im Zusammenhang mit
Kredithilfen erwähnt?
S
Diese Frage haben Sie, Herr Kollege Dehm, vorhin
schon als Nachfrage gestellt. Aber ich beantworte sie
gerne noch einmal.
Ich hatte vorhin schon dargelegt, dass es ein solches
Memorandum of Understanding nicht gibt, aber ich
schließe auch nicht aus, dass es dazu Regelungen geben
könnte. Wir haben diesen Punkt in der kurzen Stellung-
nahme der Finanzminister nach der politischen Einigung
angesprochen.
Haben Sie noch Nachfragen? – Das ist nicht der Fall.
Dann kommen wir zur dringlichen Frage 4 des Kolle-
gen Alexander Ulrich:
Inwiefern sollen institutionelle Anleger, Kapitalgesell-
schaften und Banken nach Vorstellung der Bundesregierung
an der Zwangsabgabe auf Einlagen bei zyprischen Banken be-
teiligt werden, und welche Ausnahmen von der
Abgabe sind vorgesehen?
S
Nach Kenntnis der Bundesregierung soll sich die ge-
plante einmalige Stabilitätsabgabe auf Einlagen sowohl
ortsansässiger als auch im Ausland lebender Kontoinha-
ber beziehen. Die Stabilitätsabgabe wurde von Zypern
nicht verabschiedet. Für uns ist nicht so sehr die Detail-
ausgestaltung, sondern der Gesamtbeitrag Zyperns zu
diesem Programm wichtig. Die von Ihnen erbetenen
Detailauslegungen obliegen der zyprischen Gesetz-
gebung. Dies betrifft beispielsweise auch die in Deutsch-
land zu Recht sehr intensiv geführte Debatte über eine
mögliche Beteiligung von kleineren Depositen.
Sie haben das Wort zur Nachfrage.
Herr Staatssekretär, nachdem gestern die Zwangsab-
gabe bzw. die Enteignung der Kleinsparer abgelehnt
worden ist, stellt sich durchaus auch die Frage nach
Alternativen, die entwickelt werden müssten. Meine
Frage an Sie lautet: Hat man alternativ schon über einen
Schuldenschnitt nachgedacht, wie er bei Griechenland
gemacht worden ist?
S
Herr Kollege Ulrich, es ist gestern im zyprischen Par-lament nicht spezifisch über den Beitrag kleiner bzw.großer Depositen entschieden worden. Ich interpretieredie Entscheidung so, dass die breite Mehrheit des zy-prischen Parlamentes die Beteiligung von kleineren undgrößeren Einlegern an der Rettung Zyperns abgelehnthat.Wir sind der Auffassung, dass Zypern, unbeschadetder von uns nicht geforderten Beteiligung von Kleinan-legern, eine einmalige Abgabe in Höhe von 5,8 Milliar-den Euro zu erbringen hat. Die Gespräche mit Zyperndauern noch an. Daher erkenne ich jetzt nicht die Not-wendigkeit, über irgendwelche Alternativen zu spekulie-ren. Ich halte den Weg nach wie vor für richtig.Ohne eine Eigenbeteiligung Zyperns ist nach denRegularien des Europäischen Stabilitätsmechanismusein Rettungsprogramm im Deutschen Bundestag nichtzustimmungsfähig. Ich erinnere Sie daran, dass aus denReihen der Opposition darauf hingewiesen wird – mirliegt eine Agenturmeldung über eine entsprechende Äu-ßerung von Herrn Özdemir vor –, dass eine Beteiligung
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28713
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
(C)
(B)
von Einlegern ein notwendiger und richtiger Bestandteildieses Programms ist.
Ihre zweite Nachfrage.
Können Sie noch einmal die Haltung der Bundesre-
gierung und des Finanzministers in den Verhandlungen
in der Nacht von Freitag auf Samstag erläutern? Warum
hat die Bundesregierung zugestimmt, dass es für Klein-
sparer keine Freibeträge gibt? Warum hat sie zuge-
stimmt, dass Kleinsparer für eine Bankenkrise in eine
Mithaftung genommen werden, die diese nicht verur-
sacht haben?
S
Herr Kollege, der Eindruck, dass das zyprische Ban-
kenwesen eine Ansammlung von Kleinsparern ist, ent-
spricht leider nicht den Tatsachen. Der durchschnittliche
Anleger in Zypern hat ein doppelt so hohes Depot wie
der durchschnittliche Anleger in Westeuropa. Er wird,
was die Verzinsung angeht, gegenüber den übrigen Eu-
ropäern bevorzugt behandelt. Bei Tagesgeld liegt die
Verzinsung deutlich über 1 Prozent. Ich weiß nicht, wie
hoch der Zinssatz bei Ihrem Tagesgeldkonto, wenn Sie
denn eines haben, ist. Bei Laufzeiten von bis zu zwei
Jahren erhalten wir in Deutschland beispielsweise bei ei-
ner Volksbank oder Sparkasse rund 1,5 Prozent. In
Zypern gibt es 3 Prozent mehr, nämlich bis zu 4,5 Pro-
zent. Dies hat in Zypern zu einem erheblichen Zufluss an
Kapital unterschiedlichster Quellen geführt. Vor diesem
Hintergrund sollte dieses gut verzinste Kapital zu einer
Lösung beitragen, die vorsieht, dass der europäische
Steuerzahler nicht für ein offenkundig instabiles Finanz-
system einstehen muss.
Ich weise ausdrücklich darauf hin, dass die Einbezie-
hung kleinerer Depositen nicht Kernanliegen der Bun-
desregierung ist, sondern von zyprischer Seite vorgetra-
gen worden ist. Im Kern kann es unterschiedliche
Varianten geben. Das zeigt die öffentliche Debatte. Wir
hätten ohne Weiteres akzeptieren können, wenn man ge-
sagt hätte: Nur Depositen oberhalb einer Grenze von
100 000 Euro werden für die Besteuerung herange-
zogen. – Allerdings wäre dies mit einem höheren Steuer-
satz verbunden. Nach meiner Kenntnis des Sachverhal-
tes hat die zyprische Regierung es vermeiden wollen,
dass sich bei der Besteuerung eine zweistellige Zahl er-
gibt.
Der Kollege Beck stellt die nächste Nachfrage.
He
Teilt die Bundes-
regierung die Auffassung, dass wir Zypern zum einen
bei der Besteuerung der Depositen nicht aus der Verant-
wortung entlassen dürfen und dass wir zum anderen bei
der Regelung bezüglich der Kleinanleger etwas machen
müssen? Wollen Sie den Zyprern ein Angebot machen,
dass sie, wenn sie die gleiche Summe aufbringen, die
Kleinsparer mit einem Vermögen von unter
100 000 Euro von der Besteuerung ausnehmen können?
In diesem Fall kommt man zu einem Steuersatz von
15 Prozent. Werden Sie dahin gehend aktiv, dies den
Zyprern vorzuschlagen? Dies wäre eine Lösung, bei der
einerseits unser Ziel mit Blick auf die Beteiligung Zy-
perns erreicht werden würde und andererseits die Zusage
der Kanzlerin bezogen auf die Einlagensicherung nicht
verletzt wäre.
Ich befürchte nämlich, dass die Ansage, dass es zu ei-
nem Heranziehen der Einlagen unter 100 000 Euro kom-
men könnte, bei zukünftigen Krisen in anderen Ländern
zu einem panischen Geldabheben bei den Banken führen
wird. Deswegen wäre es im Hinblick auf zukünftige Kri-
sen eine präventive Maßnahme, wenn man diesen Punkt
festschriebe und vonseiten der Bundesregierung eine
entsprechende Initiative ergriffe.
S
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich will noch einmal deutlich machen, dass die Ver-handlungen aus Sicht der Bundesregierung genau dieForderungen widergespiegelt haben, die im deutschenParlament erhoben worden sind.Die erste Forderung, die die Oppositions- und dieKoalitionsfraktionen an uns gerichtet haben, war: Esmuss ein tragfähiges Programm sein, das heißt, diezyprische Seite muss einen wesentlichen Eigenanteil er-bringen.Die zweite Forderung war: Es muss eine substanzielleSteigerung der Unternehmensteuern in Zypern geben.Auch diesbezüglich hat die zyprische Regierung eineZusage gemacht.Die dritte Forderung war: Die vermuteten, aber nichtbelegten Vorwürfe in Sachen Geldwäsche sollen vonunabhängiger dritter Seite aufgeklärt werden. Auch dieErfüllung dieser Forderung ist von der zyprischenRegierung zugesagt worden.Ich glaube, wir haben alle wesentlichen Forderungen,die in diesem Kontext sowohl von der Koalition als auchvon der Opposition im Deutschen Bundestag erhobenworden sind, in diesem Programm berücksichtigt. In derTelefonkonferenz vom Montagabend ist das, was Sie,Herr Abgeordneter Beck, fordern, ausdrücklich bestätigtworden: Es steht der zyprischen Regierung selbstver-ständlich frei, Depositen unterhalb von 100 000 Eurovon einer Belastung freizustellen. Für uns ist nicht dieDetailausgestaltung wichtig; für uns ist wichtig, dass derzugesagte Eigenbeitrag aus dem Bankensektor, beziffertmit 5,8 Milliarden Euro, erbracht wird.Die Gerechtigkeitsüberlegungen, die Sie vortragen,teile ich ausdrücklich. Das zyprische Parlament hatallerdings in seinem Beschluss ausdrücklich auch dieBelastung von Depositen oberhalb von 100 000 Euro ab-gelehnt. Wir sehen jetzt mit Interesse dem Vorschlag derRepublik Zypern entgegen, wie sie den Eigenanteil in
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28714 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
(C)
(B)
Höhe von 5,8 Milliarden Euro erbringen will, und sehenuns jetzt eigentlich eher in der Position, gespannt auf diepolitischen Entscheidungen der zyprischen Regierungund des zyprischen Parlamentes zu warten.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Dehm.
Abgesehen davon, dass Sie möglicherweise zu einer
Neiddebatte inspirieren, wenn Sie sich hier im Zusam-
menhang mit den Einlagen der Kleinsparer in Zypern auf
den hohen Durchschnittswert der dortigen Einlagen be-
ziehen – man kann beispielsweise das durchschnittliche
Vermögen eines Milliardärs und einer Reinemachefrau
errechnen, um den Eindruck zu erwecken, dass beide
Millionäre sind –, können Sie, Herr Staatssekretär, versi-
chert sein: Es gibt dort Kleinsparer. Es gibt Kleinsparer,
die das, was gestern auf dem Tisch lag, als Vertragsbruch
empfinden. Es hat eine verheerende Wirkung auf viele
Kleinsparer in Europa und könnte noch viel verheeren-
dere Wirkungen haben, wenn nicht bedingungslos gesagt
wird: Hände weg von den Konten der Kleinsparer.
Die Frage ist: Wären nicht die Glaubwürdigkeit und
die Durchschlagskraft unserer Forderungen vielleicht
größer, wenn wir denjenigen, die im eigenen Land im
Zusammenhang mit Drogenhandel, Waffenhandel und
anderen schäbigen Geschäften Steuerhinterziehung
betreiben – ob es die Deutsche Bank oder ein anderer
Konzern ist –, entschiedener zu Leibe rücken würden
– nicht nur mit gelegentlichen staatsanwaltlichen Raz-
zien in den Hochhäusern in Frankfurt – und in Europa
eine Kultur etablieren würden, die es Steuerhinterziehern
sehr schwer macht, mit irgendeiner Milde zu rechnen?
S
Herr Kollege Dehm, die Zustände, die in den vergan-
genen Jahren zu Geldanlagen in Zypern eingeladen
haben – unter Umgehung des Gerechtigkeitsempfindens
und auch des Steuerrechts in anderen Staaten –, sind von
einem kommunistischen Präsidenten, zu dem die Partei
Die Linke ausgesprochen intensive und freundschaftli-
che Verbindungen hat, offensichtlich aufrechterhalten
und fortentwickelt worden. Es ist jetzt dieser Bundes-
regierung unter der Führung von Angela Merkel und
Wolfgang Schäuble gelungen, bei diesem Geschäfts-
modell den wohl entscheidenden Schnitt zu machen, in-
dem die drei genannten Punkte – Redimensionierung des
Bankensektors, erheblicher Anstieg der Unternehmen-
steuern und Umsetzung der Vorschriften zur Vorsorge
gegen Schwarzgeld – endlich implementiert werden.
Ich hätte mich gefreut, wenn Ihre Partei und Ihre
Fraktion in der vergangenen Legislaturperiode des zy-
prischen Parlamentes ihren Einfluss genutzt hätten, um
dieses Geschäftsmodell mit dem links-sozialistischen,
kommunistischen Präsidenten Zyperns genauso kritisch
zu erörtern, wie Sie es jetzt in der Fragestunde mit der
Bundesregierung tun, die genau das abstellt.
Ich rufe die dringliche Frage 5 des Kollegen Ulrich
auf:
Was ist der Bundesregierung über Pläne der britischen Re-
gierung bekannt, nach denen britischen Staatsbürgern mit Ein-
lagen auf zyprischen Banken die Zwangsabgabe erstattet wer-
den soll, und gibt es in der Bundesregierung ähnliche
Überlegungen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
S
Die Antwort lautet: Der Bundesregierung ist aus Pres-
seberichten bekannt, dass die britische Regierung briti-
schen Staatsbürgern die Stabilitätsabgabe unter gewissen
Bedingungen erstatten will. Wir werden ähnliche Über-
legungen nicht verfolgen, Herr Kollege Ulrich.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Bei den Verhandlungen mit Zypern hat auch das
Thema Körperschaftsteuer eine Rolle gespielt. Es gibt
nun eine kleine Annäherung: Sie soll von 10 auf
12,5 Prozent steigen. Wenn das umgesetzt wird: Über
welche Summen reden wir? Welchen Beitrag würde
diese Steuererhöhung ausmachen?
S
Herr Kollege Ulrich, hier erwischen Sie mich etwas
blank. Aus dem Kopf kann ich Ihnen das leider nicht be-
antworten. Aber ich gehe davon aus: Sobald es ein Me-
morandum of Understanding gibt, gibt es auch ein ent-
sprechendes Finanztableau; das haben wir anhand
anderer Beispiele gesehen. Sobald ich mehr weiß, werde
ich Ihre Frage unaufgefordert schriftlich beantworten.
Es geht uns allerdings nicht ausschließlich um das er-
zielte Volumen, sondern auch darum, dass ein Körper-
schaftsteuersatz wie in Zypern – er steigt ja jetzt um
25 Prozent an – eine im europäischen Vergleich unan-
ständig niedrige Besteuerung darstellt. Aufgrund dieser
niedrigen Besteuerung kam es in Zypern zu Kapital- und
Liquiditätszuflüssen, die ein nicht tragfähiges Finanz-
system hervorgebracht haben. Von der Anpassung der
Steuersätze an die europäische Norm geht also nicht nur
ein fiskalischer, sondern auch ein finanzmarktstabilisie-
render Effekt aus.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich glaube, wir haben Sie nichtnur bei diesem Thema blank erwischt. Das zeigt auchIhre Antwort, in der Sie auf den letzten Präsidenten Zy-perns Bezug genommen haben. Offensichtlich macht esfür die Bundesregierung doch einen Unterschied, ob einkonservativer Präsident Oligarchen schützt oder ein an-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28715
Alexander Ulrich
(C)
(B)
derer. Die Frage ist doch: Was sollte die Rettung jetztausmachen? Für wen bezahlen die dortigen Kleinsparer?Zu meiner Frage, die sich an diesen Komplex an-schließt: In den Verhandlungen mit Zypern war immerauch die Rede davon, dass man Zypern bewegen will, zuden Ländern zu gehören, die die Finanztransaktionsteuereinführen wollen. Wie ist da der Sachstand? Wie hat sichZypern verhalten? Hat sich etwas verändert? Wie siehtes generell mit der Einführung einer Finanztransaktion-steuer aus?S
Herr Kollege Ulrich, zum ersten Teil Ihrer Frage: Der
kommunistische Präsident Zyperns hat im Juni des ver-
gangenen Jahres bei den europäischen Staaten einen
Antrag auf Finanzhilfe zur Stabilisierung seines Fi-
nanzmarktes gestellt. Leider hat er es nach meiner Ein-
schätzung verabsäumt, in ernsthafte Verhandlungen über
ein Memorandum of Understanding, das sowohl von der
zyprischen Politik als auch von den europäischen Fi-
nanzministern akzeptiert wird, einzutreten.
Dass wir uns in einer ernsten Lage befinden, hat et-
was damit zu tun, dass wir in den vergangenen Monaten
auf zyprischer Seite keinen ernsthaften Willen zum Ab-
schluss erkennen konnten. Ich freue mich, dass die
Handlungsfähigkeit der zyprischen Regierung nach der
Präsidentschaftswahl offenkundig zugenommen hat.
Zu den Verhandlungsabläufen. Im Rahmen der ver-
tieften Zusammenarbeit innerhalb der Europäischen
Union ist die nötige Mindestzahl von Staaten, die die Fi-
nanztransaktionsteuer einführen wollen, erreicht. Der
notwendige Beschluss wird jetzt durch einen Vorschlag
der Kommission umzusetzen sein, der in einer Arbeits-
gruppe des Rates erörtert wird. An dieser Arbeitsgruppe
können alle Staaten – nicht nur diejenigen, die sich an
der vertieften Zusammenarbeit beteiligen – mitwirken.
Es wird dann nach dem Einstimmigkeitsprinzip ein Vor-
schlag vorgelegt, der aufzeigt, wie die FTT in diesen
Ländern einzuführen ist. Zypern gehört bis heute nicht
zu den Unterstützern der Finanztransaktionsteuer.
Der Kollege Diether Dehm hat noch eine Nachfrage
und stellt diese jetzt.
Wenn Sie die
Regierungschefs der sogenannten Steueroasen in Europa
und auf dieser Welt fragen würden, welcher Parteienfa-
milie sie sich am nächsten fühlen, käme in der Mehrheit
ganz gewiss kein Votum für die kommunistische Par-
teienfamilie dabei heraus. Ich denke beispielsweise an
Monaco, Liechtenstein, die Schweiz und die Kaimanin-
seln.
Ich gehe davon aus, dass die Tatsache, dass die Oli-
garchen gestern im Verbund mit den Kleinsparern her-
ausgenommen wurden – Sie haben das, was gestern im
Parlament von Zypern beschlossen wurde, ja kritisch re-
kapituliert –, Sie ganz besonders animiert und ermuntert,
mit den Angehörigen Ihrer Parteienfamilie, die jetzt in
Zypern regieren, ein ernstes Wort zu reden, damit die
Oligarchen künftig härter herangenommen werden.
Wenn Sie das tun, würde das bedeuten, dass Sie auch ein
wenig Selbstkritik dahin gehend üben, dass Sie diese
Gespräche mit der konservativen Regierung in Grie-
chenland nicht geführt haben, als diese mehrere Hundert
Milliarden Euro nach Liechtenstein verschoben hat.
S
Herr Kollege Dehm, zuerst einmal sage ich: Ich habe
nicht kritisiert, dass der letzte zyprische Präsident den
Kommunisten und damit Ihrer Parteienfamilie ange-
hörte. Ich habe kritisiert, dass er seine Arbeit nicht an-
ständig erledigt hat. Wenn einer aus unserer Parteienfa-
milie Europa in eine solch missliche Lage bringen
würde,
dann würde ich das genauso machen – das wüssten Sie,
wenn Sie mich kennen würden –; denn es geht hier nicht
um Parteipolitik, sondern es geht darum, dass wir die
Verantwortung für Europas Wohl und Wehe wahrneh-
men.
Ich darf Sie darauf hinweisen, dass auf dem letzten
G-20-Finanzministertreffen Wolfgang Schäuble zusam-
men mit dem britischen Finanzminister – was manche
verwundert hat – die Steuerausweichstrategien multina-
tionaler Konzerne zum Thema gemacht hat. Parallel zu
dieser Fragestunde findet im Finanzausschuss übrigens
ein Expertengespräch zu diesem Thema statt. Ich glaube,
dass Wolfgang Schäuble, der für die Finanzpolitik dieser
Bundesregierung zuständig ist, ganz gut unterwegs ist.
Wir sind der Auffassung, dass eine faire Besteuerung in
einer sozialen Marktwirtschaft nicht nur zum gesell-
schaftlichen Frieden in Deutschland, sondern auch in der
Europäischen Union beitragen kann.
Ich habe die Steuersätze vorhin als unanständig nied-
rig charakterisiert. Diese Situation gilt es zu beseitigen
und für mehr Steueranstand bei den Steuersätzen und
hinsichtlich der Vermeidung von Umgehungssachverhal-
ten – von wem auch immer – zu sorgen. Meine parteipo-
litische Anmerkung bezog sich nur auf den Sachverhalt,
dass ich mich wundere, dass ich in der Fragestunde in
der Zeit, als Sie noch mehr Einfluss auf den zyprischen
Präsidenten hatten, weil Sie der gleichen Parteienfami-
lie, der kommunistischen, angehörten, von Ihnen nicht
dazu befragt worden bin. Nur so war mein Hinweis vor-
hin zu verstehen.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bevor wir fortfahren, möchte ich eine Anmerkungmachen. Ich habe sowohl gegenüber den Fragenden alsauch gegenüber dem antwortenden Staatssekretär Ge-
Metadaten/Kopzeile:
28716 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
duld walten lassen, auch ob der Wichtigkeit dieses The-mas. Im Fortgang der Fragestunde mögen sich bitte allean die verabredeten Regeln halten, damit möglichst vieleFragen gestellt und beantwortet werden können.Für diejenigen, die verfolgen, was wir hier tun, er-kläre ich das noch einmal: Auf die erste Frage kann zweiMinuten geantwortet werden. Für die folgenden Fragenund Antworten gilt ein Zeitlimit von jeweils einer Mi-nute.Der Herr Staatssekretär hat nun nicht die Möglichkeit,auf die Frage 51 des Kollegen Manfred Kolbe mündlichzu antworten – diese Frage müsste ich nach unserer Ge-schäftsordnung eigentlich vorziehen, weil sie zum sel-ben Gegenstand gestellt wurde –, da der fragende Abge-ordnete, der Kollege Kolbe, eine schriftliche Antwortwünscht.Nachdem wir nun die dringlichen Fragen und dieFrage zum selben Themenkreis aufgerufen und bearbei-tet haben, rufe ich jetzt die übrigen Fragen auf Drucksa-che 17/12763 auf. – Ich danke dem Herrn StaatssekretärKampeter.Die Frage 1 der Abgeordneten Dr. Kirsten Tackmannzum Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Er-nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz sollschriftlich beantwortet werden.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung derFragen steht der Parlamentarische StaatssekretärThomas Kossendey zur Verfügung.Ich rufe die Frage 2 des Kollegen Rainer Arnold auf:Welche Auswirkungen hat die strikte Anwendung der EU-Arbeitszeitrichtlinie auf Einsatzzeit und -dauer des Personalsvon zivil besetzten Schiffen der Bundeswehr, und wie wirktsich dies auf die Einsatzfähigkeit der Flotte aus?Bitte, Herr Staatssekretär.T
Frau Präsidentin! Herr Kollege Arnold, die strikte
Anwendung der EU-Arbeitszeitrichtlinie hat natürlich
einschneidende Auswirkungen auf die Einsatzzeit und
auf die Einsatzdauer der zivil besetzten Schiffe der Bun-
deswehr. Insbesondere der Einsatzwert der großen Be-
triebsstofftanker „Rhön“ und „Spessart“, die gelegent-
lich auch am Einsatz Atalanta teilnehmen, wird dadurch
eingeschränkt.
Tanker – das wissen Sie, Herr Arnold – sind für die
NATO bzw. die Bundeswehr eine wertvolle Ressource.
Ohne hinreichende Tankerkapazitäten in Einsatzgebieten
wie in dem der Operation Atalanta müssen die Einsatz-
verbände häufiger Häfen ansteuern. Diese müssten ihre
Überwachungstätigkeiten dann einschränken. Das wäre
einsatzeinschränkend.
Deshalb beabsichtigt die Bundesregierung, mit der
Arbeitszeitverordnung See für mandatierte Einsätze und
einsatzbezogene Verpflichtungen eine Ausnahmerege-
lung hinsichtlich der durchschnittlichen wöchentlichen
Arbeitszeit von 48 Stunden zu schaffen. Diese Rechts-
verordnung befindet sich im Augenblick in der Ressort-
abstimmung; sie wird in diesen Tagen abgeschlossen.
Für das Personal und die Schiffe, die nicht unter diese
Regelung fallen, suchen wir im Augenblick andere Lö-
sungsmöglichkeiten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Trifft es zu, dass Schiffe der Marine außerhalb man-
datierter Einsätze ihren Übungsauftrag bzw. Alltagsbe-
trieb in Teilen nicht mehr durchführen können, weil ent-
sprechendes Personal nicht zur Verfügung gestellt
werden kann?
T
Das ist richtig. Viele dieser Aktivitäten können wir
nur noch eingeschränkt durchführen.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage. – Sie
verzichten.
Dann kommen wir zur Frage 3 des Kollegen Arnold:
Welche Lösung beabsichtigt das Bundesministerium der
Verteidigung im Hinblick auf die EU-Arbeitszeitrichtlinie für
das Personal der zivil besetzten Schiffe der Bundeswehr ein-
zuführen, die eine durchschnittliche wöchentliche Arbeitszeit
von maximal 48 Stunden aus Einsatzgründen überschreiten?
Bitte, Herr Staatssekretär.
T
Der Kollege Arnold fragt, welche Lösungsmöglich-
keiten die Bundesregierung sieht. Zur dauerhaften Lö-
sung der arbeitszeitrechtlichen Problematik wird der Er-
lass einer Arbeitszeitverordnung See verfolgt. In diesem
Zusammenhang haben wir zunächst einmal das Arbeits-
zeitgesetz geändert, um daraus dann die Ermächtigungs-
grundlage für den Erlass dieser Rechtsverordnung herzu-
leiten.
Diese Rechtsverordnung wird die Möglichkeit eröff-
nen, die tägliche Arbeitszeit auf bis zu 15 Stunden und
die wöchentliche Arbeitszeit auf bis zu 91 Stunden zu
verlängern. Weiterhin werden die Ruhepausen und die
Ruhezeiten flexibilisiert. Es werden aber auch abwei-
chende Regelungen zur Jahreshöchstarbeitszeit geschaf-
fen.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Herr Staatssekretär, wird jenseits der gesetzlichen Re-gelungen – wir sind noch nicht so ganz sicher, ob siedann noch den EU-Vorgaben entsprechen – überlegt, obman den Mangel mit mehr Personal leichter beseitigenkönnte?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28717
(C)
(B)
T
Bevor wir über mehr Personal nachdenken, überlegen
wir zunächst einmal, inwieweit wir auch durch organisa-
torische Maßnahmen Abhilfe schaffen können. Wenn
Sie diese Mehrarbeitszeit bzw. Mehrbelastung – sofern
sie nicht in Einsätzen stattfindet – noch einmal genau
analysieren, werden Sie feststellen, dass ein großer Teil
davon auf Wachzeiten in Häfen entfällt. Da kann man
durch organisatorische Maßnahmen, möglicherweise
auch durch neue technische Vorkehrungen, Abhilfe
schaffen. Dieser Prozess ist von der Marine angegangen
worden.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, trifft es erstens zu, dass es in dem
jetzt zu besprechenden Bereich zu wenig Personal gibt
und dass die Personalstellen nicht voll aufgefüllt wer-
den? Trifft es zweitens zu, dass mit der Absenkung der
Stärke des zivilen Personals die Probleme – auch unab-
hängig von der Arbeitszeitrichtlinie – insgesamt eher
verschärft werden?
T
Richtig ist, dass dort im Augenblick nicht alle Stellen
besetzt worden sind. Das ist nicht etwa so, weil wir sie
nicht besetzen wollten, sondern weil wir keine geeigne-
ten Bewerber gefunden haben.
Ihre zweite Anmerkung bezüglich der generellen Ab-
senkung der Stärke des Zivilpersonals ist richtig. Wir
senken hier zwar ab, aber wir setzen Schwerpunkte. Die
Tätigkeit auf zivil besetzten Schiffen gehört zu den
Schwerpunkten, die von einer solchen Absenkung nicht
betroffen sein werden.
Wir kommen damit zur Frage 4 der Kollegin Karin
Evers-Meyer:
Welche Bestrebungen gibt es seitens des Bundesministe-
riums der Verteidigung, eine Ausnahmeregelung bezüglich
der EU-Arbeitszeitrichtlinie für das Personal der zivil besetz-
ten Schiffe der Bundeswehr zu erreichen, und wie ist der ak-
tuelle Sachstand?
Bitte, Herr Staatssekretär.
T
Frau Kollegin Evers-Meyer, Sie wissen, dass wir die-
ses Thema in unserem Hause seit anderthalb Jahren sehr
intensiv bearbeiten. Ich selber habe zu mehreren Ge-
sprächsrunden dazu eingeladen. Auch Sie waren daran
gemeinsam mit denjenigen Kollegen aus dem Verteidi-
gungsausschuss beteiligt, die sich insbesondere für das
Thema Marine interessieren. Deswegen müssten Sie ei-
gentlich wissen, dass wir mit dieser Arbeitszeitverord-
nung See eine Verbesserung der Lage zumindest für die
mandatierten Einsatzfahrten vorsehen.
Sie befindet sich jetzt – ich sagte es – in der Ressort-
abstimmung, die in diesen Tagen abgeschlossen sein
wird. Dann kommt es zur Tarifierung, und dann werden
wir eine Erleichterung für diese seegehenden Einheiten
erzielt haben.
Den sachlichen Gehalt der Arbeitszeitverordnung See
hatte ich eben in meiner Antwort auf eine Frage des Kol-
legen Arnold schon ausgeführt; ich will das nicht wie-
derholen. Ich denke, wir haben damit eine Verbesserung
zumindest für einen Teil der Kräfte auf den zivil besetz-
ten Schiffen erzielt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – In diesem Zusam-
menhang ist es mir wichtig, zu erwähnen, dass Sie sich
für eine Regelung in diesem Bereich wirklich außeror-
dentlich stark eingesetzt haben.
Da ja jetzt eine Lösung in Sicht zu sein scheint, lautet
meine erste Nachfrage: Wann rechnen Sie denn ungefähr
mit dem Inkrafttreten der neuen Arbeitszeitverordnung
See?
T
Das ist nicht nur eine Frage des politischen Willens
der Bundesregierung und der Dauer der Ressortabstim-
mung, sondern ist auch davon abhängig, wie schnell wir
eine einvernehmliche Regelung mit den Gewerkschaften
hinbekommen. Da ich bei den Gesprächen gespürt habe,
dass auch die Gewerkschaften dieses Thema als dring-
lich einstufen – denn ihre Mitglieder leiden ja darunter,
dass wir hier noch keine Regelung haben –, gehe ich al-
lerdings davon aus, dass wir das noch im Laufe dieses
Jahres schaffen werden.
Im Laufe dieses Herbstes?
T
Ich würde es lieber schneller schaffen; das wissen Sie.
Aber ich will hier kein Datum nennen, das später nicht
eingehalten werden kann.
War das Ihre zweite Nachfrage, oder war das nur eine
Verständnisfrage?
Ich habe gerade gemerkt, dass ich mich fast verzockt
hätte; denn ich habe noch eine Frage.
Bitte. Sie haben das Wort.
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28718 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
(C)
(B)
Vielen Dank. – Ich habe in diesem Zusammenhang
noch folgende Frage: Wie gehen eigentlich England,
Frankreich und all unsere anderen europäischen Nach-
barstaaten mit der EU-Arbeitszeitrichtlinie für das Per-
sonal der zivil besetzten Schiffe um? Gibt es da Erfah-
rungen?
T
Ich glaube – um den Ausdruck, den Sie verwendet ha-
ben, aufzugreifen –, jetzt haben Sie sich verzockt. Um
dieses Thema geht es nämlich in Ihrer nächsten schriftli-
chen Frage.
Ich will Ihnen aber gerne antworten: Wir haben mit
unseren Militärattachéstäben in diesen Ländern Kontakt
aufgenommen. Es sind noch nicht alle Antworten da. Ich
liefere sie Ihnen aber unaufgefordert schriftlich nach.
Damit kommen wir zur Frage 5 der Kollegin Karin
Evers-Meyer:
Mit welchen Ausnahmeregelungen stellen Frankreich und
Dänemark nach Kenntnis der Bundesregierung den dauerhaf-
ten Betrieb sicher, wenn ihre zivil besetzten Schiffe aus Ein-
satzgründen und bei Übungseinsätzen die durchschnittliche
wöchentliche Arbeitszeit von maximal 48 Stunden über-
schreiten?
Können Sie noch etwas ergänzend dazu sagen, Herr
Staatssekretär?
T
Ich habe gesagt: Wir haben, nachdem diese Frage bei
uns eingegangen ist, bei unseren Militärattachéstäben in
den entsprechenden Ländern Erkundigungen eingeholt.
Es sind aber noch nicht alle Antworten bei uns gelandet.
Wenn sie alle da sind, werden wir sie der Kollegin
Evers-Meyer unaufgefordert schriftlich zusenden.
Haben Sie trotzdem noch eine Nachfrage, oder wollen
Sie dem Herrn Staatssekretär weitere zu beantwortende
Fragen mit auf den Weg geben?
Ich habe natürlich noch eine Nachfrage. – Welche
Staaten haben denn schon Auskunft gegeben? Können
Sie das schon sagen?
T
Wir haben von keinem Land eine abschließende Ant-
wort.
Eine weitere Nachfrage ist mir in diesem Zusammen-
hang wichtig. Das Material, also unsere Schiffe, leidet
sehr unter der derzeitigen Situation; denn die Schiffe lie-
gen jetzt überwiegend an der Kette und sind nicht mehr
auf See. In der Vergangenheit wurden sie während der
Einsatzfahrten natürlich immer entsprechend bean-
sprucht. Meine Frage lautet: Ist Ihnen bewusst, dass das
Material, bedingt durch die Auswirkungen der EU-Ar-
beitszeitrichtlinie, zum Teil vielleicht gar nicht mehr
richtig einsatzfähig ist?
T
Frau Kollegin Evers-Meyer, das ist der zweite As-
pekt, der bei der EU-Arbeitszeitrichtlinie eine Rolle
spielt. Es geht um die Frage: Wie können wir das Mate-
rial instand halten? Sie werden aber Verständnis dafür
haben, dass wir uns im Ministerium natürlich zunächst
um die Menschen kümmern und erst dann die Auswir-
kungen auf das Material in den Blick nehmen. Wir küm-
mern uns – ja –, und wir wissen auch, dass wir mit den
Menschen am Material arbeiten können, wenn wir die
Chance haben, den Betroffenen Mehrstunden zur Verfü-
gung zu stellen. Sie wissen auch, dass die meisten derje-
nigen, die auf zivil besetzten Schiffen arbeiten, gerne
von solchen erweiterten Möglichkeiten Gebrauch ma-
chen würden.
Wir befinden uns im Gespräch mit den anderen Res-
sorts, in erster Linie namentlich mit dem Arbeitsministe-
rium. Da Arbeitszeitvorschriften Schutzvorschriften für
die Arbeitnehmer sind, muss ich allerdings sagen: Eine
Ministerin, die dem Arbeitsschutz in besonderer Art und
Weise verpflichtet ist, ist natürlich nicht sehr freigiebig,
was Ausnahmemöglichkeiten angeht.
Dann hat der Kollege Körper das Wort zu einer weite-
ren Nachfrage.
Herr Kollege Kossendey, eine kurze Frage: Sie haben
vorhin in einer Antwort gesagt, dass die Probleme, die
sich bei Schiffen in mandatierten Einsätzen im Zusam-
menhang mit der Arbeitszeitrichtlinie der EU ergeben,
durch diese Richtlinie gelöst werden sollen. Für das Per-
sonal auf anderen Schiffen werde – so haben Sie gesagt
– nach anderen Lösungen gesucht. Das ist relativ wenig
konkret. Worin könnten denn diese anderen Lösungen
für diesen Teilbereich bestehen?
T
Lieber Herr Kollege Körper, ich will zunächst richtig-stellen: Ich habe nicht gesagt, dass die EU-Arbeitszeit-richtlinie von uns da geändert wird. Wir haben dasArbeitszeitgesetz geändert, damit wir eine Arbeitszeit-verordnung See schaffen können, um für die mandatsbe-zogenen Fahrten Erleichterung zu schaffen.Für die anderen Schiffe – es handelt sich um knapp200 Besatzungsmitglieder – sind wir dabei, auch im or-ganisatorischen Bereich Entlastung zu schaffen, im We-sentlichen – ich hatte das angedeutet – im Wachbereich.Wir haben nämlich festgestellt, dass ein Großteil der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28719
Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey
(C)
(B)
Stunden, die als Mehrarbeit anfallen und nach derEU-Arbeitszeitrichtlinie nicht mehr möglich wären, imWachdienst anfällt. Diesen Wachdienst kann man unterUmständen neu strukturieren. Die Marine ist dabei, ent-sprechende Überlegungen anzustellen.Unter Umständen kommen dafür organisatorischeMaßnahmen wie das Zusammenbinden mehrerer Schiffe– zum Beispiel drei Schiffe mit einer Wache statt dreiSchiffe mit drei Wachen – infrage. Das kann man natür-lich auch intensivieren, indem man sagt: Wir nutzen fürdie Wache nicht Menschen, sondern technische Geräte –wobei das bei den zivil besetzten Schiffen nicht ganzleicht ist; denn die Besatzung muss in Notfällen, zumBeispiel wenn Feuer ausbricht, körperlich da sein, umeingreifen zu können.
Wir kommen jetzt zur Frage 6 des Kollegen Lars
Klingbeil:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um die
Attraktivität der Bundeswehrfeuerwehr zu steigern?
Bitte, Herr Staatssekretär.
T
Lieber Herr Kollege Klingbeil, das Bundesministe-
rium des Innern und das Bundesverteidigungsministe-
rium müssen im Hinblick auf die Bezahlung von dauer-
haft über die regelmäßige Arbeitszeit hinausgehender
Dienstleistung der Beamten im Einsatzdienst auf die
Einführung eines neuen Besoldungsbestandteils auf ei-
ner rechtlich einwandfreien Basis hinarbeiten. Darüber
sind die Ministerien im Gespräch.
Unabhängig von der Einführung dieses neuen Besol-
dungsbestandteils – wir nennen das Opt-out-Vergütung –
muss die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Ein-
satzdienst der Bundeswehrfeuerwehr auch wegen des
hohen Anteils an bloßem Bereitschaftsdienst – das ist ein
Drittel – von derzeit 41 auf 48 Stunden erhöht werden.
In diesem Zusammenhang müssen wir auch deutlich ma-
chen, dass alle Bundesländer für ihre Berufsfeuerwehren
entsprechende arbeitszeitrechtliche Regelungen in Kraft
gesetzt haben.
Die beabsichtigte Vergütungsregelung – das wird Sie
sicher interessieren – hat folgenden Charakter: Für die ge-
samte Laufzeit der Regelung – ab dem 1. August 2013 bis
Ende 2017 – beträgt die Vergütung bei einer durchschnitt-
lichen wöchentlichen Arbeitszeit von 54 Stunden für je-
den Dienst von mehr als 10 Stunden 25,50 Euro und für
jeden Dienst von 24 Stunden 51 Euro. Ich glaube, mit
dieser vorgesehenen Regelung wird den Besonderheiten
der Bundeswehr angemessen Rechnung getragen. Ich
denke, damit können wir eigentlich ganz zufrieden sein.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, vielen Dank für die Antwort. –
Sie haben ja mitbekommen, dass es bei den Bundes-
wehrfeuerwehrleuten in den letzten Wochen einiges an
Unruhe gab. Viele haben sich an uns gewandt. Die Frage
war natürlich: Warum wird in einem Gesetz zur Profes-
sorenbesoldung irgendwo in § 79 unsere Arbeitszeit neu
geregelt?
Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, denkt die
Bundesregierung darüber nach, nicht nur die Arbeitszeit
zu erhöhen, sondern auch die Vergütung entsprechend
nach oben anzupassen. Habe ich das richtig verstanden?
T
Das habe ich nicht gesagt – um das deutlich zu sagen.
Ich kann verstehen, dass Sie das so heraushören wollen.
Wichtig ist für uns, dass wir hier eine Regelung schaffen,
die rechtlich korrekt ist, die mit den Gewerkschaften ab-
gestimmt ist und die den materiellen Einbußen, die der
Einzelne wahrscheinlich hinnehmen muss, doch einiger-
maßen ausgleichend entgegenwirkt.
Dass wir das in dieses Gesetz zur Professorenbesol-
dung mit aufgenommen haben, hängt auch damit zusam-
men, dass wir diese Regelung möglichst schnell verab-
schieden wollen. Wir wollten deswegen kein eigenes
Gesetz auf den Weg bringen müssen. Sie wissen ja, dass
der Weg eines Gesetzes gerade in den letzten Monaten
vor dem Ende einer Legislaturperiode manchmal sehr
beschwerlich ist.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nach-
frage.
Diese Möglichkeit würde ich gerne nutzen. – Herr
Staatssekretär, wird in Ihrem Haus generell darüber
nachgedacht, die Bundeswehrfeuerwehr neu zu struktu-
rieren? Können Sie hierzu Auskünfte geben?
T
Natürlich sind wir dabei, in Bezug auf die Bundes-wehrfeuerwehren einiges zu unternehmen. Sie wissenselber, Herr Klingbeil, dass wir uns in der Vergangenheitbemüht haben, auch die Feuerwehrleute der Bundeswehrim Wesentlichen zu verbeamten – das war ein Wunschder Bundeswehrfeuerwehren –, um deren berufliche Si-cherheit deutlich zu machen.Ich glaube aber, ein zweiter Punkt ist wichtig: Wennwir 2017 die Transformation der Bundeswehr durchVeränderung der Standorte und zum Beispiel durch Än-derungen im Bereich der Fliegerei – Schließung vonFlugplätzen – abgeschlossen und die neue Struktur ein-genommen haben werden, dann werden wir von den
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28720 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey
(C)
(B)
heute vorhandenen 3 272 Dienstposten in Zukunft nurnoch 2 533 Dienstposten brauchen. Auch nach diesemAbschmelzungsprozess können wir die Feuerwehrleute,die heute bei uns sind, zukunftssicher beschäftigen, undvor allen Dingen können wir in Bezug auf intensivereDienste eine Entlastung ankündigen.
Ich rufe die Frage 7 des Kollegen Fritz Rudolf Körper
auf:
Gibt es Auswirkungen der Wehrpflichtaussetzung auf die
Personalgewinnung des Militärischen Abschirmdienstes, und,
wenn ja, wie bewertet die Bundesregierung diese?
Bitte, Herr Staatssekretär.
T
Herr Kollege Körper, der Militärische Abschirm-
dienst gewinnt sein militärisches Personal ausschließlich
aus den Streitkräften, und zwar aus den Dienstgraden ab
Feldwebel oder Bootsmann aufwärts. Aus diesem Grund
hat die Aussetzung der Einberufung zum Grundwehr-
dienst keine unmittelbaren Auswirkungen auf die Perso-
nalgewinnung des MAD, weil diese Dienstgrade in die-
ser kurzen Zeit ja noch gar nicht erreicht werden. Im
Grundwehrdienst wird man nicht Bootsmann oder Feld-
webel.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Kollege Kossendey, welche Auswirkungen ins-
besondere auf den Umfang der Arbeit des Militärischen
Abschirmdienstes gibt es durch die Wehrpflichtausset-
zung? Welche Auswirkungen hat die Wehrpflichtausset-
zung auf die Arbeit des MAD?
T
Zunächst einmal ist die Frage des Umfangs der Bun-
deswehr ganz wichtig, weil hier natürlich eine Bezie-
hung zur Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beim
MAD besteht. Ein zweiter Punkt ist natürlich – darauf
werden wir gleich noch kommen – die Frage, wer vom
MAD in welche Auslandseinsätze geht, um Sicherheit
für unsere Soldatinnen und Soldaten zu gewährleisten.
Sie wissen, dass der MAD Teil der Streitkräfte ist und
im Augenblick ungefähr 1 280 Dienstposten umfasst,
nämlich circa 820 militärische und rund 460 zivile. Ich
glaube schon, dass wir langfristig, wenn der Umfang der
Bundeswehr reduziert ist und wir hinsichtlich der Ein-
satzverpflichtungen auch nicht mehr so angestrengt sind,
darüber nachdenken können, dies nach unten zu korri-
gieren. Hierfür gibt es im Augenblick aber keine grund-
legenden Pläne.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Sie können die personalpolitischen Zielvorstellungen
für den Militärischen Abschirmdienst in Bezug auf die
Neuausrichtung der Bundeswehr nicht näher skizzieren
und kennzeichnen?
T
Nein. Im Augenblick haben wir keine Pläne, hier et-
was intensiv zu ändern.
Wir kommen zur Frage 8 des Kollegen Fritz Rudolf
Körper:
Welche Konsequenzen hat der geplante Afghanistan-Ab-
zug für die Arbeit des Militärischen Abschirmdienstes?
Bitte, Herr Staatssekretär.
T
Derzeit ist geplant, dass der MAD seinen Abschir-
mungsauftrag natürlich bis zum Verlassen des letzten
deutschen Soldaten in Afghanistan erfüllt. Die Einzel-
heiten dessen, was die Kollegen vom MAD dort tun,
richten sich nach dem Gesetz über den militärischen Ab-
schirmdienst. Parameter für den Einsatz des MAD dort
sind natürlich die Gefährdungslage, die Größe unseres
nationalen Kontingents, die Zahl der Einsatzliegenschaf-
ten, die wir dort vor Ort haben, und sicher auch – darauf
will ich ebenso hinweisen – der Umfang und die Zahl
der dort beschäftigten Ortskräfte.
Wenn Sie jetzt danach fragen, wie das eventuell nach
2014 sein wird, wenn das ISAF-Mandat beendet ist und
die Post-ISAF-Missionen beginnen, dann will ich Ihnen
freimütig sagen: Das werden wir erst dann entscheiden
können, wenn wir wissen, wo wie viele deutsche Solda-
ten in gemeinsamer Arbeit mit wie vielen Ortskräften
beschäftigt sind. Die Zahlen – das wissen Sie auch aus
der heutigen Sitzung des Verteidigungsausschusses –
sind natürlich noch längst nicht fixiert. Sobald das pas-
siert ist, können Sie präzise Auskunft über die Arbeit des
MAD erhalten.
Sie haben das Wort zur Nachfrage. – Der KollegeKörper verzichtet auf Nachfragen.Die Frage 9 der Kollegin Keul soll schriftlich beant-wortet werden.Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.Die Fragen zum Geschäftsbereich des Bundesministe-riums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend der Kolle-gin Christel Humme – das sind die Fragen 10 und 11 – wer-den schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Gesundheit. Auch die Fragen 12 und 13der Kollegin Bärbel Bas werden schriftlich beantwortet.Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28721
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Zur Beantwortung der Fragen steht der ParlamentarischeStaatssekretär Dr. Andreas Scheuer zur Verfügung. DieFragen 14 und 15 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter sol-len wie auch die Fragen 16 und 17 des Kollegen Dr. IljaSeifert schriftlich beantwortet werden.Ich rufe die Frage 18 der Kollegin Cornelia Behmauf:Was qualifiziert Hartmut Mehdorn aus Sicht des Bundes-ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung alsneuen Vorsitzenden der Geschäftsführung der Flughafen Ber-lin Brandenburg GmbH, und wie steht die Bundesregierungzu seinem am 11. März 2013 geäußerten Vorschlag, den Flug-hafen Berlin-Tegel länger offen zu halten?Bitte, Herr Staatssekretär.D
Frau Präsidentin! Verehrte Kolleginnen und Kolle-
gen! Frau Kollegin Behm, die Antwort: Der Geschäfts-
führer Hartmut Mehdorn qualifiziert sich aus der Sicht
des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung als neuer Vorsitzender der Geschäftsführung
der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH insbesondere
durch seine langjährige Erfahrung in der Leitung größe-
rer Unternehmen und durch seine ausgewiesene Sach-
kenntnis im Luftverkehrsbereich.
Die Bundesregierung aber kommentiert Aussagen
von Geschäftsführern nicht. Ich empfehle Ihnen, wenn
Ihnen das so wichtig ist, selbst Kontakt mit Herrn
Dr. Mehdorn aufzunehmen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank für die Beantwortung. Unser allseits ge-
schätzter Verkehrsminister Ramsauer scheint einen sehr
guten Draht zu Herrn Mehdorn zu haben; denn es ging
jetzt die Meldung von ihm durch die Medien, er vertraue
darauf, dass Herr Mehdorn es schaffen werde, den Flug-
hafen bis zum Jahr 2015 zu eröffnen.
Ich möchte von Ihnen gerne wissen, worauf sich diese
Einschätzung des Ministers begründet. Wenn man die
Bundesregierung nach Lärmschutzmaßnahmen und
Ähnlichem fragt, dann weiß die Bundesregierung immer
relativ wenig zu antworten. Da aber hier eine präzise
Auskunft in Form eines Datums genannt wird, möchte
ich gerne wissen, vor welchem Hintergrund sie gemacht
worden ist.
D
Frau Kollegin Behm, eine Vorbemerkung: Es ist
schön, dass auch in Ihrer Fraktion mittlerweile ange-
kommen ist, dass der Bundesminister für Verkehr, Bau
und Stadtentwicklung eine hervorragende Arbeit macht.
Ich werde es ihm gerne ausrichten. Sie haben vom „all-
seits geschätzten Verkehrsminister“ geredet. Ich werde
ihm diese Formulierung von Ihnen überbringen.
Das Zweite. Sie weichen etwas von dem Kern der Ur-
sprungsfrage ab. Da ging es um Äußerungen von
Hartmut Mehdorn. Wir sind gerade dabei, zusammen
mit unseren beiden Partnern im Land Berlin und im
Land Brandenburg über den Geschäftsführer im Bereich
des Operativen, des Baulichen die Fehlerlisten und die
Mängellisten zu erstellen und diese dann im Aufsichtsrat
und in den verschiedenen Ausschüssen zu diskutieren.
Ich glaube, jetzt über verschiedene Daten oder auch Jah-
reszahlen zu reden, wäre müßig.
Aber unser gemeinsames Ziel müsste es doch sein –
bei der Bundesregierung ist es so, auch wenn sie nur ei-
nen kleinen Anteil in der ganzen Geschichte des Flugha-
fens trägt, während die größeren Anteile Brandenburg
und Berlin tragen –, dass dieser wichtige Flughafen
möglichst schnell den Betrieb aufnimmt.
Wenn Sie nach den Flugrouten fragen wollen, dann
müssen Sie sich an die Genehmigungsbehörden im Land
Berlin und im Land Brandenburg wenden.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Jetzt habe ich große Schwierigkeiten, die Nachfrage
zu strukturieren. Ich könnte jetzt sehr viele Fragen stel-
len, –
D
Wir haben ja auch in den kommenden Sitzungswo-
chen noch Fragestunden.
– zum Beispiel aufgrund der Tatsache, dass das Bun-
desamt für Flugsicherung in Bezug auf das Verbot der
Wannsee-Route in Revision gegangen ist. Aber bleiben
wir doch bei Herrn Mehdorn, wenn Sie es möchten. Herr
Mehdorn hat seinen Vertrag noch nicht unterschrieben,
ist aber doch schon geschäftsführend und, wie man den
Medien entnehmen kann, ganz heftig tätig. Ich möchte
gerne wissen, warum er seinen Vertrag noch nicht unter-
schrieben hat und wann das denn erfolgen wird.
D
Frau Kollegin Behm, ich kann Ihnen die Beantwor-tung der Frage nach den Terminen des Herrn Mehdornvielleicht nachreichen. Ich bin nicht Herr über den Ter-minkalender von Herrn Mehdorn. Ich bin froh darüber,dass Herr Mehdorn diese Aufgabe übernommen hat. Siewissen, dass wir eine intensive Suche nach einem ausge-wiesenen Experten durchgeführt hatten, dass über vielediskutiert wurde. Dass alle drei Partner, Berlin, Branden-burg und der Bund, sich dann gemeinsam auf einen aus-gewiesenen Experten, wie Herr Dr. Mehdorn es ist, geei-nigt haben, ist wichtig. Vor allem wenn Sie genauernachforschen, welche Gehälter in diesem Bereich ge-zahlt werden, werden Sie verstehen, dass ich froh darumbin, dass Herr Mehdorn das macht und da auch ordent-
Metadaten/Kopzeile:
28722 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Parl. Staatssekretär Dr. Andreas Scheuer
(C)
(B)
lich Gas gibt. So, wie Herr Mehdorn strukturiert ist undwie wir ihn kennen, denke ich, ist er die richtige Persön-lichkeit, um ordentlich Zug in die Geschichte hineinzu-bringen. Über die Daten einer Vertragsunterzeichnungetc. mutmaße ich jetzt nicht. Ich kann die Frage nicht be-antworten. Wenn Sie sich dafür interessieren und das fürSie ausschlaggebend für gute Leistungen ist, dann reicheich Ihnen die Daten einfach nach. Aber ich kann nicht inden Terminkalender von Herrn Mehdorn blicken.
Danke.
Danke, Herr Staatssekretär. – Wir kommen zum Ge-
schäftsbereich des Bundesministeriums für Umwelt, Na-
turschutz und Reaktorsicherheit. Zur Beantwortung der
Fragen steht die Parlamentarische Staatssekretärin
Katherina Reiche zur Verfügung.
Die Frage 19 der Kollegin Veronika Bellmann wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Oliver Krischer
auf:
Auf welcher Grundlage bzw. anhand welcher Kriterien
nennt der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reak-
torsicherheit, Peter Altmaier, die Studie des Forums Ökolo-
gisch-Soziale Marktwirtschaft e. V., FÖS, „Die Kosten der
Energiewende – Wie belastbar ist Altmaiers Billion?“ per
Nachrichtendienst Twitter „reißerisch und unsachlich“ sowie
„das Dümmste, was mir in letzter Zeit untergekommen ist“,
und welche konkrete detaillierte Aufstellung hat der Bundes-
umweltminister bei seiner Berechnung der 1 Billion Euro im
Rahmen der Energiewende bis Ende der 2030er-Jahre dem ge-
genüberzusetzen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Krischer, wie bereits in der schriftlichen
Antwort auf die mündliche Frage 53 des Abgeordneten
Fell in der Fragestunde am 27. Februar 2013 dargelegt,
sind die Berechnungen zu den Kosten der Energiewende
naturgemäß komplex und umfangreich. Mit der Aussage
„1 Billion Euro mögliche Kosten“, soll deutlich gemacht
werden, wie groß die Herausforderung ist, die mit der
Energiewende verbunden ist.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Be-
antwortung der Frage, auch wenn es eigentlich keine
Antwort war. Wir haben ja nun alle gelernt, dass die
1 Billion eine etwas freie Erfindung ist, um einen be-
stimmten Sachverhalt bzw. eine bestimmte Meinung zu
untermauern. Meine Frage ging in die Richtung, wie es
denn sein kann, dass Herr Altmaier die Studie eines In-
stituts über den Nachrichtendienst Twitter als das
Dümmste, was ihm untergekommen ist, bezeichnet. Das
sind ja schon starke Worte. Deshalb möchte ich die
Frage an Sie richten: Ist Ihnen bekannt, auf welchen
Zahlen diese Studie des FÖS im Wesentlichen beruht,
welche Quelle diese Zahlen haben, die ja die 1-Billion-
Aussage von Herrn Altmaier infrage stellen?
Ka
Zum einen bin ich selbst nicht auf Twitter. Ich weiß
jedoch, dass es da manchmal heftig und vielleicht auch
sehr direkt hin und her geht. Das mag eine Erklärung für
ein verkürztes Miteinander in diesem Medium sein.
Zum Zweiten möchte ich Sie auf etwas hinweisen: In
der Studie des Sachverständigenrates für Umweltfragen
unter dem Vorsitz von Herrn Professor Faulstich wurde
bereits im Januar 2011 auf Seite 179 die Zahl 1 Billion
erwähnt. Im Jahre 2011 fand das keinen Widerhall in den
Medien, schon gar nicht bei den Grünen. Diese Quelle
schien Sie also nicht besonders erstaunt zu haben. Jetzt
aber, da der Minister diese Zahl erneut nennt – er hat in
einem Interview übrigens auch erklärt, wie er darauf
kommt –, gibt es gerade auch von Ihrer Seite Kritik. In-
sofern kann ich Ihnen noch einmal empfehlen, in die
Studie von 2011 zu schauen, in der Sie nachlesen kön-
nen, wie zum Beispiel der SRU auf die 1 Billion Euro
kommt.
Sie haben das Wort zu Ihrer zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, das, was Sie jetzt geantwortethaben, hat mit meiner Frage exakt gar nichts zu tun. Ichhabe nicht nach einer Studie des SRU von 2011 gefragt;ich habe danach gefragt, ob Ihnen bekannt ist, auf wel-che Quellen sich das Forum Ökologisch-Soziale Markt-wirtschaft bei der Bewertung der 1-Billion-Aussage vonHerrn Altmaier beruft. Darauf haben Sie nicht geantwor-tet.Ich will Ihnen die Antwort geben:
Das sind Zahlenquellen des BMU. Es sind Zahlen, dievon Ihrem Ministerium ermittelt wurden. Das heißt, einInstitut rechnet mit Ihren eigenen Zahlen vor, dass dieAussagen, die von Peter Altmaier gemacht wurden, ab-surd und frei erfunden sind, um das einmal in diesemTon zu sagen.Damit komme ich zu meiner zweiten Nachfrage. HerrAltmaier hat gesagt, es sei das Dümmste, was ihm unter-gekommen ist. Meine Nachfrage ist: Kann ich davonausgehen, dass der Minister die eigenen Zahlen desBMU und die aus in Auftrag gegebenen Studien als dasDümmste, was ihm untergekommen ist, bezeichnet?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28723
(C)
(B)
Ka
Herr Kollege Krischer, Herr Minister Altmaier hat die
Zahlen aus Angaben übernommen, die ihm die Beamten
des BMU zur Verfügung gestellt haben. Zur Erinnerung:
Zur Berechnung wurden in jenem Interview 67 Milliar-
den Euro Differenzkosten für erneuerbare Energien ge-
nannt, die bereits bis Ende 2012 ausgezahlt wurden.
Dann: Für die bis 2012 installierten Anlagen werden bis
zum Ende ihrer jeweiligen Vergütungsdauer nochmals
rund 250 Milliarden Euro hinzukommen, da die Einspei-
severgütung, wie Sie alle wissen, auf 20 Jahre festgelegt
ist. Das macht dann 317 Milliarden Euro. Wenn für die
in den Folgejahren installierten Anlagen jährlich Diffe-
renzkosten in der Größenordnung der 2012 installierten
Anlagen entfallen, kommen noch einmal 1,8 Milliarden
Euro Differenzkosten dazu.
Rechnerisch summiert sich das dann auf 680 Milliar-
den Euro. Hinzu kommen – das hat der Minister deutlich
gemacht – Kosten für den Netzausbau, für Reservekapa-
zitäten, Forschung und Entwicklung, Elektromobilität
und Gebäudesanierung.
Der Minister hat in der FAZ auch bewusst darauf hin-
gewiesen, im Konjunktiv formuliert, weil wir den Bör-
senstrompreis in den nächsten 20 Jahren nicht kennen,
und deutlich gemacht, dass diese Billion Euro auch sym-
bolisch dafür steht, vor welchen Herausforderungen wir
stehen. Insofern ist diese Billion Euro als etwas zu ver-
stehen, was uns politisch Handelnden den Auftrag geben
soll, umzusteuern, um die Akzeptanz für erneuerbare
Energien nicht zu verlieren.
Aber Sie haben offenbar das Interesse an der Frage-
stunde verloren und sich wieder hingesetzt.
Danke, Frau Staatssekretärin. Wir sind damit am
Ende Ihres Geschäftsbereiches.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung. Zur Beantwor-
tung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekre-
tär Dr. Helge Braun zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 21 des Kollegen Oliver Kaczmarek
auf:
Welche Resultate hat die von der Bundesregierung geför-
derte Kampagne „Lesen & Schreiben – Mein Schlüssel zur
Welt“ ergeben?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Am 19. September
2012 haben wir die Kampagne „Lesen & Schreiben –
Mein Schlüssel zur Welt“ gestartet. Es war im parlamen-
tarischen Verfahren auch ausdrücklich der Wunsch des
Deutschen Bundestages, dass wir eine solche Kampagne
durchführen.
Das Ziel war es, das Thema Analphabetismus in
Deutschland in die Öffentlichkeit zu rücken. Die „leo. –
Level-One Studie“ hat gerade eindrucksvoll belegt, dass
das Problem mit insgesamt rund 7,5 Millionen funktio-
nellen Analphabeten größer ist, als wir bisher gedacht
haben. Die Kampagne soll zur gesellschaftlichen Entta-
buisierung beitragen und vor allen Dingen auch die Be-
troffenen dafür sensibilisieren, dass es viele Angebote
gibt. Sie soll die Betroffenen aktivieren, an Möglichkei-
ten der Alphabetisierung teilzunehmen.
Weil der Ansatz dieser Kampagne ein sehr grundsätz-
licher ist, ist es nicht in allen Bereichen einfach, heraus-
zufinden, welche konkreten Wirkungen sie hatte. Ich
kann Ihnen aber zwei Indizien nennen. Das eine Indiz
ist, dass wir im Rahmen der Medienerkundung heraus-
gefunden haben, dass insgesamt rund 50 Prozent der
Teilnehmer gesagt haben, sie hätten die Kampagne in
Fernsehsendungen und Hörfunkspots wahrgenommen.
Darüber hinaus waren beim Alfa-Telefon im August
125 Anrufe, im September, als die Kampagne in der
Mitte des Monats begann, 359 Anrufe und während der
Kampagne rund 1 000 Anrufe im Monat zu verzeichnen.
Das zeigt, dass die Kampagne ihre Wirkung der Sensibi-
lisierung und Aktivierung der von Analphabetismus Be-
troffenen durchaus erreicht hat.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
vielen Dank für die Beantwortung meiner Frage. Sie ha-
ben schon auf das Alfa-Telefon hingewiesen. Noch eine
Frage zur Nachhaltigkeit: Wir wollen, dass die betreffen-
den Menschen durch die Kampagne angeregt werden,
Hilfe in Anspruch zu nehmen. Können Sie etwas dazu
sagen, wie sich die Kampagne im besagten Zeitraum auf
das Anmeldeverhalten bei Kursangeboten ausgewirkt
hat, und wie können wir möglichst hohe Teilnehmerzah-
len sicherstellen?
D
Das kann ich Ihnen nicht sagen, weil die meistenKurse nicht vom Bund, sondern von den Volkshochschu-len vor Ort und den Kommunen – teilweise im Rahmenvon Länderprogrammen – angeboten werden. Wir aggre-gieren keine Gesamtzahl. Wir, der Bund, haben uns aberzu Beginn dieser Alphabetisierungskampagne mit denLändern zusammengesetzt. Das ist also eine gemeinsamgetragene Initiative. Der Bund trägt zwei Elemente bei:zum einen die besagte Öffentlichkeitskampagne undzum anderen – weil das in der Bundeskompetenz liegt –eine Kampagne, die dazu dient, konkrete Maßnahmender Alphabetisierung am Arbeitsplatz zu fördern, mitdem Ziel, Menschen, die bereits in Arbeit sind, aber nurTätigkeiten verrichten, für die eine Alphabetisierungnicht erforderlich ist, einen höheren Bildungsgrad zu
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28724 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Parl. Staatssekretär Dr. Helge Braun
(C)
(B)
ermöglichen und ihnen eine bessere Berufsperspektivezu geben. Das sind die beiden Elemente, die der Bundbeiträgt.Wir sind mit den Ländern darüber im Gespräch, wiesich die Maßnahmen auf Länderebene weiter ausgestal-ten lassen. Aber über die Maßnahmen und die Teilnahmean Initiativen zur Alphabetisierung auf Länderebene undkommunaler Ebene liegen uns keine Zahlen vor.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Ich möchte die Nachfrage stellen, ob es im Rahmen
der Nationalen Strategie geplant ist, die Erkenntnisse zu-
sammenzuführen und weitere Schritte der Öffentlich-
keitsarbeit möglicherweise im Anschluss an die Kampa-
gne anzustrengen.
D
Herr Kollege, unser Ansatz ist etwas anders. Wir wol-
len nicht unbedingt eine neue Statistik aufbauen, was die
Maßnahmen angeht. Vielmehr haben wir als Bundes-
regierung zugesagt, dass wir die „leo. – Level-One Stu-
die“, die Ausgangspunkt für diese große Anstrengung
war und die uns Auskunft gibt, wie sich der Analphabe-
tismus in Deutschland entwickelt, in regelmäßigen
Abständen wiederholen. Wir hoffen, dass wir in den
nächsten Jahren mithilfe dieser Studie zeigen, dass das
Problem des Analphabetismus in Deutschland durch die
Kampagnen, die konkreten Angebote, die wir den Be-
troffenen unterbreiten, und die Maßnahmen der Bundes-
regierung sowie der Länder und der Kommunen zurück-
geht. Hier ist der Bund die Verpflichtung eingegangen,
auch in Zukunft entsprechende Statistiken zu erheben.
Danke, Herr Staatssekretär. – Die Fragen 22 und 23
des Kollegen Arfst Wagner sollen schriftlich beantwortet
werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung. Zur Beantwortung der Fragen steht die
Parlamentarische Staatssekretärin Gudrun Kopp bereit.
Die Frage 24 des Kollegen Tom Koenigs wird schrift-
lich beantwortet.
Ich rufe die Frage 25 des Kollegen Dr. Sascha Raabe
auf:
Trifft die in dem Artikel „Weniger Kritik, mehr Werbung“
aufgestellte Behauptung zu, dass
Nichtregierungsorganisationen, die mit Mitteln des Bundes-
ministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung, BMZ, geförderte Publikationen veröffentlichen
wollen, seit der Änderung der entsprechenden BMZ-Förder-
bestimmungen im Jahr 2010 zunehmend auf eine inhaltliche
Einflussnahme des BMZ eingehen müssen, und in wie vielen
Fällen ist es bislang zu solchen inhaltlichen Einflussnahmen
bei der Textgestaltung seitens des BMZ gekommen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Gu
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Raabe,
dem BMZ sind keine Hinweise bekannt, die die in der
taz geäußerte Behauptung unterstützen. Wie in der
Antwort der Bundesregierung zur Kleinen Anfrage auf
Drucksache 17/11953 vom 16. Januar dieses Jahres
dargestellt, wurde die Klausel in den Zuwendungs-
bescheiden ab 2010 allein aus Gründen der Verfahrens-
vereinfachung und -beschleunigung präzisiert. Die
Überprüfung der Inhalte von Publikationen dient sowohl
vor als auch nach der Änderung der entsprechenden
Klausel ausschließlich der Feststellung der Förderwür-
digkeit.
Die Bundesregierung hat im Vorwort ihrer Antwort
zur Kleinen Anfrage auf Drucksache 17/11129 vom
5. November letzten Jahres darüber hinaus klargestellt,
dass im Rahmen des Förderprogramms „Entwicklungs-
politische Bildung“ vielfältige Aktivitäten der Zivilge-
sellschaft zum Politikbereich Entwicklungszusammenar-
beit unterstützt werden, die lebensnah und anschaulich
über entwicklungspolitische Themen aufklären und die
zeigen, wie sich Bürger entwicklungspolitisch engagie-
ren können. Aus Sicht des BMZ ist die kritische Aus-
einandersetzung mit den Folgen der Globalisierung eine
sehr wichtige Aufgabe, die erforderlich ist, um Verständ-
nis für die Notwendigkeit entwicklungspolitischen Han-
delns zu wecken.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es gibt Nichtregierungsorgani-sationen, die sich vorbildlich im Bereich der Entwick-lungszusammenarbeit engagieren und deren Broschürenvon dieser Richtlinie betroffen sind. Ein Verband hatIhnen einen Brief geschrieben, in dem es heißt – ichzitiere –:Zunehmend berichten uns Organisationen von in-haltlichen Änderungen, die sie auf Wunsch desBMZ vornehmen mussten.Neben der redaktionellen und inhaltlichen Einfluss-nahme des Bundesministeriums – wohlgemerkt gegen-über, wie es in einer Demokratie sein sollte, unabhängi-gen zivilgesellschaftlichen Gruppen – stoße man sichauch daran, dass jetzt auf der Titelseite das Logo desBMZ sehr groß platziert werden müsse. Es heißt in demBrief:Die Platzierung des Logos– also des staatlichen Ministeriums –auf der Titelseite vermittelt das Bild einer vomBMZ beauftragten Veröffentlichung und steht imWiderspruch zu der Stärkung einer unabhängigenZivilgesellschaft.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28725
Dr. Sascha Raabe
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Der Verband schreibt weiter:Wir werden unseren Mitgliedern dazu raten, dieseGängelung nicht umzusetzen.Was sagen Sie dazu? Es kann doch nicht sein, dass dieZivilgesellschaft gegängelt wird.Gu
Genau wie Sie, Herr Kollege Raabe, schätzen wir, das
BMZ, das Engagement der verschiedenen Entwick-
lungsorganisationen der Zivilgesellschaft sehr. Wir spre-
chen hier von Publikationen, die mit Steuergeldern be-
zahlt werden. Die Publikationen werden nicht allein mit
privaten Mitteln finanziert, sondern mit Staatsmitteln.
Dafür müssen bestimmte Regeln gelten, nämlich die der
Ausgewogenheit und der Sachlichkeit. Dazu zählen auch
verschiedene Aspekte, die die Darstellung betreffen.
Dass das BMZ eine solche Publikation fördert, ist nur
rechtens, wenn das aus der Publikation hervorgeht.
Umso wichtiger ist es, darauf zu achten, dass die Inhalte
den Vorgaben der Ausgewogenheit entsprechen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, es spricht nichts dagegen, dass
das BMZ Publikationen entwicklungspolitischer Organi-
sationen fördert. Ganz im Gegenteil, das begrüßen wir;
so war das in der Vergangenheit auch immer. Aber wa-
rum hat man die bisherige Praxis aufgegeben, wonach
früher der Hinweis auf die Förderung durch einen dezen-
ten, aber durchaus sichtbaren Vermerk auf der Innenseite
der Publikation erfolgte? Im Impressum stand in der Re-
gel: Gefördert durch das BMZ. – Warum muss das jetzt
vorne auf die Titelseite?
Ich erinnere an den verstorbenen Staatspräsidenten
Venezuelas Hugo Chávez. Er hat auf die Lebensmittel,
die in staatlichen Geschäften verteilt wurden, sein Bild
aufbringen lassen. Wird im BMZ vielleicht daran ge-
dacht, demnächst neben dem BMZ-Logo das Bild des
Ministers auf diesen Broschüren abzubilden? In welcher
Form soll das weiter ausgestaltet werden? Ich glaube,
der Hinweis auf die Förderung durch das BMZ auf der
Innenseite einer Broschüre würde ausreichen. Ich glaube
nicht, dass es sachdienlich ist, wenn auf zivilgesell-
schaftlichen Publikationen das Ministerium so promi-
nent platziert wird; denn es handelt sich um Inhalte, die
von zivilgesellschaftlichen Gruppen erstellt werden,
nicht um Pressemitteilungen oder öffentliche Verlaut-
barungen des Ministeriums.
Gu
Herr Kollege Raabe, den Vergleich des BMZ-Logos
– ob mit Ministerfoto oder nicht – mit dem Foto des ver-
storbenen Herrn Chávez auf bestimmten Lebensmitteln
lasse ich so stehen. Ich glaube, es kann sich jeder selbst
ein Bild machen, ob der Vergleich angemessen ist.
Was das Logo auf der Innenseite bzw. der Vorderseite
einer Publikation betrifft: Ein solches „Problem“ sollte
mit den jeweils Handelnden gelöst werden. Ich bin in die
„wichtige“ strategische Klärung dieser Frage nicht in-
volviert.
Letzten Endes geht es darum, was der Inhalt ist, ob er
dazu geeignet ist, entwicklungspolitische Bildungsar-
beit zu betreiben, ob er ausgewogen ist. Dass das BMZ
diese Publikationen mit finanziert hat, sollte auf ihnen
erkennbar sein. Aber wir sollten, bitte, keine ausführli-
che Debatte darüber führen, ob das entsprechende Logo
auf der Vorder- oder auf der Innenseite ist.
Wir kommen damit zur Frage 26 des Kollegen
Dr. Sascha Raabe:
Sind Fälle bekannt, in denen diese Art der inhaltlichen
Einflussnahme zu einem Verzicht von Nichtregierungsorgani-
sationen auf die Veröffentlichung der Publikation geführt hat
und, wenn ja, welche?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Gu
Auf Ihre Frage kann ich Ihnen nur antworten: Dem
BMZ sind keine solchen Fälle bekannt.
Bevor ich Ihnen, Herr Raabe, das Wort zur ersten
Nachfrage erteile, gebe ich den Hinweis, insbesondere
an die Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer der
Fraktionen: Wir werden, wie verabredet, pünktlich um
15.35 Uhr mit der Aktuellen Stunde beginnen.
Herr Raabe, Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Fr
Ein kritischer Text einer NGO missfiel den BeamtenNiebels. Dabei ging es um „Greenwashing“, also um denVersuch von Firmen, das eigene Image grün aufzubes-sern, ohne wirklich etwas zu tun. Dazu hat das Ministe-rium gesagt, dieser Artikel enthalte eine einseitige Kritikund man stelle die entsprechenden Unternehmen an denPranger. Daraufhin hat diese NGO ganz auf denAbdruck verzichtet. Sie hat den Artikel mutig einemselbst finanzierten Extrablatt beigelegt und den Vorgangöffentlich gemacht. Seitdem hat sie keine Förderungmehr seitens des Ministeriums erhalten.Insofern drängt sich der gefährliche Eindruck auf,dass hier eine Vorabzensur bei den NGOs selbst stattfin-den kann. Wenn zivilgesellschaftliche Einrichtungendieser Art – sie haben meistens nicht viel Geld – nurdann eine Förderung bekommen, wenn sie Texte veröf-fentlichen, die dem Ministerium einigermaßen genehmsind, dann sind sie natürlich schon einer gefährlichen
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28726 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Dr. Sascha Raabe
(C)
(B)
Einflussnahme ausgesetzt, weil sie dann womöglichnicht mehr so kritisch berichten. Ich finde, in einerDemokratie – anderen Ländern predigen wir immerMeinungsfreiheit und den Wert der Zivilgesellschaft –gehört sich so etwas einfach nicht.Gu
Herr Kollege Raabe, ich will noch einmal darauf hin-
weisen, dass es im BMZ Richtlinien über die Förderwür-
digkeit von Publikationen seit 2005 gibt, und das ist
auch richtig so. Wenn wir Steuergelder ausgeben, mit de-
nen wir Drucksachen finanzieren, dann hat der Inhalt
auch so zu sein, wie ich es vorhin gesagt habe, nämlich
ausgewogen und sachlich differenziert.
In dem Fall, den Sie gerade ansprachen, ist es so: Da
wurde ein Unternehmen angeprangert, ohne dass eine
Stellungnahme dieses Unternehmens zu diesem Vorwurf
abgedruckt wurde, und das ist Ausdruck von Einseitig-
keit. Ich finde, so kann man nicht vorgehen. Genauso
muss man Kommentare als solche kennzeichnen. Dabei
muss man sehr klar und auch ausgewogen vorgehen.
Wenn man sich nicht daran halten möchte, dann muss
man seine Publikationen selbst finanzieren oder mit dem
BMZ Kontakt aufnehmen und darüber sprechen, unter
welchen Voraussetzungen eine Publikationsförderung
möglich ist. Ich halte das für völlig in Ordnung.
Ich verweise beispielhaft auf Ihre Pressemitteilung
vom 19. März 2013. Darin schreiben Sie: „Wenn es zu-
trifft, dass das BMZ unter Minister Niebel … versucht
hat, … Einfluss auf den redaktionellen Inhalt … zu neh-
men …“ Schon im nächsten Abschnitt sagen Sie, dass es
nicht in Ordnung ist, dass hierzulande „das Recht auf
freie Meinungsäußerung mit Füßen“ getreten wird. Ge-
nau das meine ich: Im ersten Absatz gehen Sie noch von
der Möglichkeit aus, dass etwas wirklich so ist, und
schon im zweiten suggerieren Sie, dass es so ist. Das
können Sie zwar gern so machen, aber wenn wir mit
Steuergeldern Publikationen bezahlen, dann haben die
ausgewogen zu sein und müssen den Förderrichtlinien
entsprechen. Wir beraten gern dazu, unter welchen Vo-
raussetzungen Förderungen möglich sind. Es ist Sache
der jeweiligen NGO, zu entscheiden, ob sie sich mit uns
in Verbindung setzt und welchen Text sie veröffentlichen
möchte. Darauf nehmen wir natürlich keinen Einfluss,
weil wir die Pressefreiheit in Deutschland und weltweit
hochhalten.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich bitte, sowohl bei der zweiten Nachfrage als auch
bei der Antwort das optische Signal zu beachten. – Bitte.
Frau Staatssekretärin, es ist schon ein seltsames De-
mokratie- und Meinungsfreiheitsverständnis, das hier
geäußert wird. Sie haben gerade selbst einen Fall einge-
räumt.
Wenn eine Zeitschrift im redaktionellen Teil ein Un-
ternehmen für eine Geschäftspolitik kritisiert, dann hat
das Unternehmen die Möglichkeit, sich dagegen zu weh-
ren; aber das ist nicht Aufgabe des Ministeriums. Wenn
das Unternehmen recht hat, kann es nach dem deutschen
Presserecht auch eine Gegendarstellung in der nächsten
Ausgabe der Zeitschrift verlangen. Wenn Sie das Gefühl
hätten, dass eine Organisation schon etliche Male gegen
die Richtlinien verstoßen hat, dann könnte man auch da-
gegen vorgehen. Aber es kann doch nicht wahr sein, dass
eine NGO, wenn sie kritisch über einen Umwelt- oder
einen Firmenskandal berichten will, jedes Mal bei Ihnen
im Ministerium anfragen muss, ob das ausgewogen ist.
Das kenne ich aus den Ländern, denen Herr Niebel we-
gen schlechter Regierungsführung und Eingriffen in die
Presse- und Meinungsfreiheit die Mittel für die Entwick-
lungszusammenarbeit streicht.
Das finde ich schon ein starkes Stück, wie Sie argumen-
tieren.
Gu
Ob Frage oder nicht – lieber Herr Kollege Raabe, ich
sage noch einmal: Selbstverständlich kann und soll Kri-
tik geübt werden, auch von NGOs. Aber es geht hier da-
rum, ob man mit Mitteln der Steuerzahler, also mit öf-
fentlichen Mitteln, jemanden anprangert und eben nicht
ausgewogen berichtet. Genau das sagen unsere Richtli-
nien. Die sind Ihnen bekannt. Wir vom BMZ finden,
dass das die richtige Vorgehensweise ist; sie besteht so
auch schon seit längerem.
Die Frage 27 wie auch die Frage 28 des KollegenMovassat sollen schriftlich beantwortet werden. –Danke, Frau Staatssekretärin.Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur Be-antwortung steht der Parlamentarische StaatssekretärHans-Joachim Otto zur Verfügung.Ich rufe die Frage 29 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhlauf:Wann genau – bitte Kalenderdatum– trifft bzw. traf sich derGemeinsame Ausschuss der sogenannten Trilogstaaten desVertrags von Almelo – Deutschland, Großbritannien und Nie-derlande – in der diesjährigen zwölften Kalenderwoche – eswird nachdrücklich darum gebeten, auf die mittlerweile dritteFrage seitens der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünennach dem Datum dieses Treffens dieses Datum nun anzugeben;vergleiche Antworten der Bundesregierung auf meine mündli-che Frage 32, Plenarprotokoll 17/218, Anlage 17 sowie auf dieschriftliche Frage 49 des Abgeordneten Dr. Hermann E. Ottauf Bundestagsdrucksache 17/12646 –, und welche konkretenTagesordnungspunkte werden bzw. wurden bei dem Treffenbehandelt, gegebenenfalls bitte mit Ergebnis, falls das Treffenzum Zeitpunkt der Antwort auf diese Frage bereits stattgefun-den hat?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28727
(C)
(B)
H
Liebe Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich kann Ihnen ant-
worten, dass die nächste Sitzung des Gemeinsamen Aus-
schusses, der auf einem 1970 von der Bundesrepublik
Deutschland, dem Königreich der Niederlande und dem
Vereinigten Königreich Großbritannien und Nordirland
unterzeichneten völkerrechtlichen Vertrag beruht, heute
stattfinden wird. Auf der Grundlage dieses Vertrages üben
die drei Regierungen die Aufsicht über das trinationale
britisch-niederländisch-deutsche Urananreicherungsun-
ternehmen Urenco aus. Im Rahmen der Sitzungen des Ge-
meinsamen Ausschusses erfolgt ein kontinuierlicher Aus-
tausch zwischen den drei Regierungen. Ich bitte aber um
Verständnis dafür, dass die Beratungen dieses Ausschus-
ses vertraulich sind – das wissen Sie – und ich schon allein
aus diesem Grund keine weiteren Ausführungen über den
Inhalt oder die Tagesordnung dieser Sitzung machen
kann.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Das ist natürlich
nicht sehr befriedigend, vor allem angesichts der Mel-
dungen über Verkaufsabsichten, die wir immer wieder
hören; darum geht es in meiner zweiten Frage. Ich will
aber etwas schon vorziehen, weil heute über den Ticker
ging, dass nach RWE, Eon und Großbritannien auch die
Niederlande den Verkauf ihrer Anteile an der Atomfirma
Urenco erwägen. Da stellt sich natürlich schon die
Frage, wie es mit der Aufsicht weitergeht.
Vor allem ist Thema der Meldungen, dass unter den
Interessenten auch die Finanzinvestoren CVC und KKR
sind. Ich würde Sie doch gerne fragen – wenn Sie mir
schon auf die erste Frage, die ich gestellt habe, keine
konkrete Antwort geben können –, ob Sie wissen, wer
sich dahinter verbirgt.
H
Nein, Frau Kollegin.
Erstens will ich zu aktuellen Tickermeldungen jetzt
nicht Stellung beziehen.
Zweitens. Wenn die Sitzung und die Tagesordnung
vertraulich sind, dann kann man über so etwas auch
nicht reden. Ich kann Ihnen aber versichern – das betrifft
schon Ihre zweite Frage –, dass wir eine Aufsicht aus-
üben, die gewährleistet, dass die Grundsätze des Ver-
trags von Almelo gewahrt bleiben. Es kann also nicht je-
der zugreifen, wie er will, und auch die Nichtverbreitung
der nuklearen Stoffe wird gewährleistet.
Ihre Sorge, dass die Aufsicht Deutschlands gefährdet
sei, kann ich, glaube ich, guten Gewissens zerstreuen.
Sie können noch Ihre zweite Nachfrage stellen.
Gerne, Frau Präsidentin, vielen Dank. – Das ist natür-
lich für Parlamentarier nicht sehr befriedigend, wenn so-
zusagen zu fast gar nichts Stellung genommen wird.
Urenco ist nicht ganz ohne Bedeutung, auch mit Blick
auf die Frage des Atomausstiegs.
Sie haben gesagt: Die Grundsätze des Vertrages wer-
den auf alle Fälle gewahrt bleiben, dies gewährleistet die
Aufsicht. – Aber das eigentliche Ziel dieses Vertrags ist
die staatliche Förderung der Urananreicherung. Ent-
spricht es denn dem Ziel des Atomausstiegs dieser Re-
gierung und den damit verbundenen Absichten, wenn
die Förderung der Urananreicherung weiterhin ein Ziel
ist?
H
Liebe Frau Kollegin, das ist schon mehrfach in der
Fragestunde – ich glaube, auch mit Ihnen – erörtert wor-
den. Der Atomausstieg bedeutet konkret, dass sich
Deutschland bis zum Jahre 2022 aus der Erzeugung von
nuklearer Energie verabschiedet. Das bedeutet aber kein
Tabu und kein Verbot für Forschung. Und hier geht es
um Forschung, hier geht es nicht um Erzeugung von nu-
klearer Energie, Herstellung von nuklearen Waffen oder
Ähnliches.
In dem gesamten Projekt geht es um Urananreicherung,
aber nicht zum Zwecke der Energieerzeugung. Deswe-
gen ist das nicht von dem von uns gemeinsam getrage-
nen Beschluss zur Energiewende umfasst.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Die übrigen Fragen werden, so, wie es unsere Regeln
vorsehen, schriftlich beantwortet.
Ich rufe Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Probleme beim Nord-Ostsee-Kanal – Auswir-
kungen der Politik von Bundesverkehrsminis-
ter Dr. Ramsauer auf den maritimen Wirt-
schaftsstandort
Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Minister
für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Technologie des Bun-
deslandes Schleswig-Holstein, Herr Reinhard Meyer.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine Damen undHerren! Werte Abgeordnete des Deutschen Bundesta-ges! Ich möchte Ihnen heute den Nord-Ostsee-Kanal einwenig näherbringen. Denn ich habe das Gefühl, dass die
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28728 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Minister Reinhard Meyer
(C)
(B)
Bedeutung des Nord-Ostsee-Kanals in ganz Deutschlandnoch immer nicht so richtig verstanden wird.Es geht um den aktuellen Zustand des Kanals und dieAuswirkungen auf den maritimen WirtschaftsstandortDeutschland. Schließlich geht es auch darum, die Bun-desregierung bzw., genauer gesagt, den Bundesverkehrs-minister, aufzufordern, den Kreislauf aus Fatalismus undAktionismus zu durchbrechen, den wir seit Jahren beimNord-Ostsee-Kanal beobachten können.
Ansonsten sehe ich die Gefahr, dass alles nach einer kur-zen Zeit der Aufregung im Sande verläuft oder, bessergesagt, im Schlick stecken bleibt.Eine große Zeitung aus Süddeutschland hat neulich– immerhin auf Seite eins – versucht, dem erstauntenRest der Republik klarzumachen, dass der Nord-Ostsee-Kanal die am meisten befahrene künstliche Wasserstraßeder Welt ist. Hier fahren mehr Schiffe durch als durchden Panamakanal und den Suezkanal zusammen.
Wer den Nord-Ostsee-Kanal nicht nutzt, der mussheute einen Umweg von 800 Kilometern in Kauf nehmen –rund um Skagen. Das tun immer mehr Schiffe wegen derBauverzögerung bei den Schleusen oder als es vor kurzemeine Vollsperrung für große Schiffe in Brunsbüttel gab.Zugleich kann man in den Schlagzeilen internationa-ler Wirtschaftszeitungen in diesen Tagen lesen: Panama-kanal modernisiert; Stau vor dem Nord-Ostsee-Kanal.Wartezeiten oder der notwendig gewordene Umwegkosten die Reeder, die Schiffsmakler, die Lotsen und dieKanalsteurer Geld. Der Ausfall der großen Schleusen inBrunsbüttel bedeutete einen Ausfall von zwei Drittelnder Ladung. Das ist ein immenser volkswirtschaftlicherSchaden. Aber das wirklich Gefährliche ist, dass wirnicht von vorübergehenden Verlusten reden, sondern vondauerhaften Umleitungen der Verkehrsströme, und zwarhin in Richtung Antwerpen und Rotterdam. Denn dieTransportkette ohne den Nord-Ostsee-Kanal – das ist dieGefahr – verändert sich, geht weg von den norddeut-schen Häfen, vom Hamburger Hafen, von Bremerhaven,von Wilhelmshaven, nimmt den Umweg um Skagen undgeht direkt in die Ostsee. Übrigens bedeutet dies dannfür die Ostsee, dass immer größere Schiffe dort anzutref-fen sein werden. Dies hat auch Auswirkungen auf dieSchiffssicherheit, insbesondere mit Blick auf die Kadet-rinne.Deswegen: Der Nord-Ostsee-Kanal ist ein Standort-faktor für Norddeutschland, insbesondere für den HafenHamburg. Rund 30 Prozent der Ladung werden dort imTransit in oder aus dem Ostseeraum umgeschlagen. Al-lein in Schleswig-Holstein hängen 3 500 Arbeitsplätzevom Kanal ab. Übrigens: Wenn Abgeordnete aus Süd-deutschland hier im Saal sein sollten,
– sehr schön –: Sie können sich beim Thema Nord-Ost-see-Kanal nicht zurücklehnen; denn auch Sie sind davonmassiv betroffen. Kürzlich hat eine OECD-Studie zumHamburger Hafen gezeigt, dass Bayern sechsmal mehrvom Hamburger Hafen profitiert als Schleswig-Holstein.Baden-Württemberg profitiert fünfmal mehr. Zwei vondrei Containern, die durch Deutschland rollen, starten inHamburg.
Meine Damen und Herren, wir reden beim Nord-Ost-see-Kanal über eine nationale Aufgabe,
eine nationale Aufgabe, bei der man Weitsicht benötigt.Doch was ist geschehen? Die Wasserstraße Nord-Ostsee-Kanal wurde jahrzehntelang auf Verschleiß gefahren. Dasbetrifft übrigens nicht nur den jetzigen Bundesverkehrs-minister, sondern das geht seit mindestens 20 Jahren so.
Bei 20 Jahren kann jeder herausfinden, wer alles in die-sem Zeitraum Verkehrsminister war. Es ist müßig, dasswir Vergangenheitsbewältigung betreiben. Mir geht esdarum, dass wir nach vorne schauen. Vor allen Dingengeht es mir darum, dass etwas geschieht. Wir brauchenein Zeichen für die internationale Seeschifffahrt. Dasgeht nur mit langfristiger Sicherheit, einer umfassendenModernisierung des Kanals.
Genau das passiert aber im Moment nicht.Lieber Herr Ramsauer, Sie hatten am letzten Freitagmit Ihrem Besuch beim Kanal in Brunsbüttel die Chance,dieses Zeichen zu setzen. Sie haben zu Recht den Einsatzder Beschäftigten gelobt, die unter härtesten Bedingun-gen das Notwendigste tun, um die Schleusen zu reparie-ren. Sie haben das Industriemuseum der Schleuse inBrunsbüttel besichtigt. Was aber gemacht wird, ist wiedereinmal kurzfristiger Aktionismus: ein bisschen Geld hier,ein wenig Personal dort und die Rede von einem Aktions-bündnis, das es eigentlich schon gibt. Es gibt nämlich dieInitiative Kiel-Canal derjenigen, die betroffen sind. Diesind schon längst unterwegs.Als verantwortlicher Minister in Schleswig-Holsteinmöchte ich nicht Bestandteil einer Kette des Versagenssein, die am Ende lauten könnte: Stuttgart 21, FlughafenBerlin Brandenburg, Nord-Ostsee-Kanal. Genau dasmüssen wir verhindern. Die Schleusen sind 100 Jahre altund älter. Wir kennen die Aufgaben. Aber die Aufgabenbeziehen sich nicht allein darauf, dass wir jetzt die neueSchleuse in Brunsbüttel angehen. Wir brauchen die Sa-nierung der anderen Schleusen in Brunsbüttel. Wir brau-chen die Sanierung der Schleusen in Kiel. Wir brauchenaber auch dringend einen Ausbau der Oststrecke mitdem Neubau der Levensauer Hochbrücke. Wir braucheneine Vertiefung des Nord-Ostsee-Kanals auf seiner ge-samten Länge, um den steigenden Anforderungen desSchiffsverkehrs gerecht zu werden. Das ist die Moderni-sierung, die wir in den nächsten Jahren brauchen.
Was gibt es also zu tun?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28729
Minister Reinhard Meyer
(C)
(B)
Erstens. Wir brauchen einen Masterplan für den Nord-Ostsee-Kanal, bei dem die verschiedenen Sanierungs-und Ausbaumaßnahmen aufeinander abgestimmt undmiteinander verknüpft werden. Darauf sollte ein detail-lierter Zeit- und Maßnahmenplan folgen, der mit demnotwendigen Personal und den notwendigen Mitteln un-terlegt werden muss.Zweitens. Wir brauchen ein Sonderprogramm für denNord-Ostsee-Kanal, für das über zwölf Jahre hinwegjährlich 1 Prozent des Verkehrshaushaltes des Bundesbereitgestellt werden muss. Diese Summe hat HerrFerlemann im Übrigen in einem Interview mit dem NDRvor gut einer Woche für realistisch und erforderlich ge-halten.
Ich sage ganz deutlich: Die Zeitpläne, die der Bundfür die Maßnahmen vorgelegt hat, gefallen uns nicht; dasdauert uns viel zu lange. Wir können nicht auf die Fertig-stellung der Schleusenkammer in Brunsbüttel warten– sieben Jahre Bauzeit, wie zuletzt angekündigt wurde –und erst danach mit allen anderen Maßnahmen begin-nen. Das wäre ein Armutszeugnis für den StandortDeutschland, und es wäre keine erfolgreiche Moderni-sierung des Nord-Ostsee-Kanals.
Meine Damen und Herren, die maritime Wirtschaft istfür Deutschland eine zentrale Wirtschaftsbranche, ent-scheidend für Wachstum, Wohlstand und Beschäftigung.Leistungsfähige Verkehrsverbindungen und moderne lo-gistische Schnittstellen in Norddeutschland werden lang-fristig über die Wettbewerbsfähigkeit ganz Deutschlandsals Logistikstandort entscheiden. Es geht beim Nord-Ostsee-Kanal eben nicht um ein notdürftiges Flickwerk,sondern darum, den Kanal vorausschauend und dauer-haft für die Zukunft fitzumachen, damit er das bleibt,was er jetzt noch ist: die meistbefahrene internationalekünstliche Wasserstraße und eine Lebensader für Wirt-schaft und Bevölkerung in ganz Deutschland.Am 8. und 9. April, also in gut zwei Wochen, findet inKiel die Achte Nationale Maritime Konferenz mit derBundeskanzlerin statt. Dort kann die Bundesregierungmit klaren Aussagen zum Nord-Ostsee-Kanal dem Ein-druck entgegentreten, sie stünde hier in Berlin mit demRücken zur Küste.Vielen Dank, meine Damen und Herren.
Das Wort hat der Bundesminister für Verkehr, Bauund Stadtentwicklung, Dr. Peter Ramsauer.
Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,Bau und Stadtentwicklung:Sehr geehrte, liebe Frau Präsidentin! Meine sehr ge-ehrten Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Ich möchte die Gelegenheit der Aktuellen Stundedazu nutzen, mit der frohen Kunde zu beginnen, dass derEngpass an der Schleuse Brunsbüttel viel, viel schnellerals vorgesehen, nämlich eine Woche früher, beseitigtwerden konnte. Wir hatten mit einer zweiwöchigen Re-paratur gerechnet; aber sie konnte innerhalb von acht Ta-gen geleistet werden. Das ist eine gute Nachricht.
Ich möchte mich – ich glaube, da spreche ich im Na-men aller – bei den dortigen Handwerkern und bei denTauchern voller Respekt und auf das Allerherzlichste da-für bedanken, dass sie dort unter schwierigsten, widrigenUmständen fleißig gearbeitet haben.
Man muss es mit eigenen Augen gesehen haben: UnterWasser, in dieser Brühe, diesem Schlick, sieht mannichts. Man kann sich erklären lassen, wie dort unter bei-nahe menschenunwürdigen Bedingungen schwerste Ar-beit geleistet wird.
Da kann man nur voller Respekt den Hut ziehen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, der Nord-Ostsee-Kanal ist seit dem Ende des 19. Jahrhunderts inBetrieb, die großen Schleusenkammern sind es seit1914. Ich selbst bin seit knapp dreieinhalb Jahren imAmt. Deshalb weiß ich und kann nur bestätigen, was derVorredner gesagt hat: In diesen Wasserweg ist über Jahr-zehnte viel zu wenig investiert worden; dieser Wasserwegund die Schleusen sind auf Verschleiß gefahren worden.Ich habe mir, beginnend mit 1914, eine Liste anfertigenlassen, die aufführt, was wann gemacht wurde. Wennman sich das ansieht und erkennt, was nicht gemachtwurde, dann weiß man: Nicht einmal die SPD bringt esfertig, mir nach dreieinhalb Jahren im Amt die Versäum-nisse in die Schuhe zu schieben.
So funktioniert es nun wirklich nicht.Mein Amtsvorgänger Wolfgang Tiefensee hat im Jahr2007 den absolut richtigen Schritt unternommen und denPlanungsauftrag für die fünfte Kammer, diese großeKammer, der Schleuse in Brunsbüttel erteilt.Im Jahr 2009 wurden für Planungsleistungen im Hin-blick auf das Planfeststellungsverfahren 2 MillionenEuro in Kapitel 1203 des Haushalts aufgenommen. Manhat damals im Hinblick auf das Bauvorhaben und die da-für nötigen Mittel mit einem Gesamtbedarf von 273 Mil-lionen Euro gerechnet. Wohlgemerkt: In den Haushalt2009 sind damals nur 2 Millionen Euro an Planungsmit-teln eingestellt worden.Das Planfeststellungsverfahren begann 2009, der Plan-feststellungsbeschluss erfolgte im Sommer 2010. Ich sage
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Bundesminister Dr. Peter Ramsauer
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das deshalb, weil ich mit zwei Unwahrheiten aufräumenmöchte, die Sie ständig verbreiten, lieber Herr KollegeKahrs. Sie haben beispielsweise im Hamburger Abend-blatt gesagt, unter Tiefensee seien 270 Millionen Eurofür den Nord-Ostsee-Kanal zur Verfügung gestellt wor-den. Nein, das ist falsch. Im Haushalt waren 2 MillionenEuro für Planungsleistungen vorgesehen. Der Rest wa-ren Schätzungen für Baukosten.
Dann heißt es weiter:Ramsauer … hat … das Geld nach Bayern abgezo-gen und für Ortsumgehungen verbraten.
Lieber Herr Kollege Kahrs, Mittel, die überhauptnicht vorhanden sind, kann man nicht umlenken. WasSie sagen, ist schlicht und ergreifend unwahr.
Sie wissen, dass ich Sie sehr schätze, aber mit so einemStil bleiben Sie weit unter Ihrem eigenen Niveau Ihrerpolitischen Arbeit zurück. Für ein solches Foul gäbe esim Fußball normalerweise die Rote Karte.
Ich möchte Sie schlicht und einfach bitten, das geradezu-rücken und zu sagen, wie es wirklich ist.Wir haben Gott sei Dank – Danke an den Haushalts-ausschuss – seit der Einigung auf ein erstes zusätzlichesMilliardenprogramm erstmalig ganz konkret 300 Millio-nen Euro, aufgeteilt in Verpflichtungsermächtigungen,im Haushalt vorgesehen. Ich danke dem Haushaltsaus-schuss noch einmal dafür, dass er in der vergangenenSitzungswoche die Zusage erteilt hat, dass im Falle wei-terer Kostenmehrungen in einer Höhe von 75 MillionenEuro Hilfestellung gewährt wird, wenn diese Mittel frei-gegeben werden müssen.Wir haben also jetzt einen klaren Plan. Wir haben unsauf ein klares Vorgehen geeinigt.
Wir müssen jetzt zunächst alles Nötige tun, um den Ka-nal und die Schleuse Brunsbüttel hinreichend instand zuhalten. Damit so etwas wie letzte Woche nicht noch ein-mal passiert, haben wir das Personal aufgestockt. Wirhaben elf zusätzliche Planstellen geschaffen, damit ge-nug Personal für einen Notdienst vorhanden ist
– ja –, um sofort reparieren zu können.Zu der Forderung – von der soeben die Rede war –,1 Prozent des Verkehrshaushaltes für den Nord-Ostsee-Kanal vorzusehen: Der gesamte Verkehrshaushalt be-trägt etwa 10 Milliarden Euro, 1 Prozent davon sindnach Adam Riese 100 Millionen Euro. Unsere jährlichenInvestitionen, inklusive Reparaturen und Instandhaltun-gen, in den Nord-Ostsee-Kanal liegen zwischen 120 und135 Millionen Euro. Wir liegen damit über dem gefor-derten 1 Prozent. In den nächsten Jahren müssen es ebenmehr werden als das 1 Prozent, damit wir all das tunkönnen, was wir tun müssen.
Erforderlich ist also der Neubau dieser fünftenSchleusenkammer, dieser großen Kammer. Dann habenwir die zusätzliche Kapazität, die es uns erlaubt, die üb-rigen Kammern grundinstand setzen zu können. Dannerfolgen die Verbreiterung der Oststrecke – dafür läuftderzeit das Planfeststellungsverfahren –, der Ersatz derLevensauer Hochbrücke, die Vertiefung im gesamtenBereich des Nord-Ostsee-Kanals um 1 Meter und schließ-lich – was die Kieler Seite anbelangt – die Grundinstand-setzung der alten Kammern in Kiel-Holtenau.Mit diesem Maßnahmenbündel sind wir auf einemguten Weg. Wir müssen alle miteinander um die notwen-digen Finanzmittel für den Neubau der fünften Kammerin Brunsbüttel ringen. Diese stehen jetzt auch tatsächlichbereit. Dafür Dank an dieses Parlament.Wenn ich mir den Titel dieser Aktuellen Stunde an-sehe – „… Auswirkungen der Politik von Bundesver-kehrsminister Dr. Ramsauer auf den maritimen Wirt-schaftsstandort“ –, dann kann ich nur sagen: DieseBundesregierung tut alles dafür, damit Deutschland alsmaritimer Standort spitze bleibt, damit der Nord-Ostsee-Kanal und die Schleuse Brunsbüttel zukunftsfähig ge-macht werden. Insofern beantworte ich die Frage nachden Auswirkungen meiner Politik auf den maritimenStandort Deutschland mit einem respektvollen „Gut so!“und „Zukunftsgerichtet!“.Danke schön.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Fraktion Die Linke hat der Kollege Herbert
Behrens das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Der Nord-Ostsee-Kanal wird auf Ver-schleiß gefahren. Die großen Schleusen und eine kleinesind über Tage ausgefallen. 100 Schiffe eines einzelnenReeders mussten für diese Tage den Umweg über Ska-gen nehmen; das wurde von Minister Meyer dargestellt.Ökologisch und ökonomisch ist ein Schaden entstan-den, der vermeidbar war. Der Ausfall der Schleusen ist ab-sehbar gewesen. Das wissen wir, und zwar seit mindes-tens 20 Jahren. Der Zentralverband der deutschenSeehafenbetriebe und andere Wirtschaftsverbände stel-
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Herbert Behrens
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len fest, dass das für die Wartung der Schleusen undanderer Anlagen notwendige Geld fehlte. Der Bund ent-zieht sich seit zwei Jahrzehnten seiner Pflicht, die wich-tigste deutsche Seeverkehrsverbindung in einem gutenZustand zu halten. Sicherheit und Leichtigkeit des Ver-kehrs sind unter diesen Bedingungen gefährdet. DieserZustand ist nicht haltbar. Dafür trägt der Bundesver-kehrsminister schon eine persönliche Verantwortung.
Seit Mai 2010 kann die fünfte Schleuse am Nord-Ost-see-Kanal gebaut werden. In der Tat: Im Rahmen desKonjunkturprogramms 2009 wurden Mittel in Höhe von270 Millionen Euro zur Verfügung gestellt. Was ist pas-siert? Nichts. Im November 2011 stellte der Haushalts-ausschuss erneut Geld zur Verfügung, dieses Mal300 Millionen Euro. Was ist passiert? Wieder nichts. ImApril 2012, kurz vor der Landtagswahl in Schleswig-Holstein, inszenierte das Bundesverkehrsministeriumden ersten Spatenstich für den Schleusenneubau. Waspassierte danach?
Nichts. Na ja, zwei Dinge passierten schon – das habenwir heute Morgen im Ausschuss gehört –: Das Baufeldwurde hergerichtet, und es wurde damit begonnen, dieMole 2 zu verlängern.
Außer Baustelleneinrichtung ist also nichts passiert. Dakann man von Baubeginn nun wirklich nicht reden.Nachdem das Kind jetzt also in den Brunnen gefallenist und der Kanal gesperrt werden musste, beschloss nunauch der von CDU/CSU und FDP geführte bzw. majori-sierte Haushaltsausschuss in der letzten Woche mehr-heitlich, die Ausschreibung müsse unverzüglich, dasheißt spätestens im April 2013, erfolgen und der Bau sozügig wie möglich vorangetrieben werden. So heißt es indem Beschluss. Das ist eine späte, aber berechtigte Kri-tik am eigenen Minister.Die Bundesregierung weiß, dass dort nichts ge-schieht, und nimmt es hin. Statt den dringend notwendi-gen Schleusenneubau voranzutreiben, wird das Geldverbraucht, um zweifelhafte Verkehrsprojekte wie Stutt-gart 21, Feste Fehmarnbeltquerung, Y-Trasse usw. aufden Weg zu bringen. Auch Zeit wird verbraucht, indemman sich mit dem Umbau der Wasser- und Schifffahrts-verwaltung beschäftigt. Die Beschäftigten der WSV sindfür den Betrieb, die Unterhaltung und Instandhaltung ge-rade solcher Wasserwege wie des Nord-Ostsee-Kanalsverantwortlich. Seit über zehn Jahren schon ist für dieBeschäftigten aber nur eines sicher: der Personalabbau.Der Bundesverkehrsminister kümmert sich um allesMögliche, erkennt aber nicht, wo zuerst gehandelt wer-den muss. Ganz anders die Belegschaft der WSV amNord-Ostsee-Kanal: Ihrem Einsatz, ihrem Können undihrem Einfallsreichtum ist es zu verdanken, dass es zu-mindest an einer großen Schleuse so schnell wieder wei-tergehen konnte. Dafür auch von mir an dieser Stelle einherzlicher Dank.
An den Wasserstraßen muss viel gemacht werden. Solautete die Forderung der Linken in den vergangenenJahren. Wir wissen, dass an vielen Kanälen die Schleu-sen jahrzehntealt und, wie wir gerade gehört haben, zumTeil sogar jahrhundertealt sind. Wir wissen, dass Geldinvestiert werden muss, dass auch in Personal investiertwerden muss. Es sollte nicht erst zum Totalausfall kom-men müssen, damit gehandelt wird. Das ist meine Ein-stellung. Das, was wir hier feststellen können, ist dochkeine vorausschauende Planung. Das ist Flickschusterei.Aber selbst wenn der Handlungsbedarf offensichtlichist, heißt das immer noch nicht, dass es jetzt richtig los-gehen kann. Bis heute ist die Hauptbaumaßnahme nichtausgeschrieben. Das BMVBS begründet das damit, dassdie notwendigen fachlichen und rechtlichen Qualitäts-sicherungen der Vergabeunterlagen mehr Zeit als vorge-sehen brauchen. Darum passiere nichts.
Ganz anders hört sich das aus der Sicht des schleswig-holsteinischen Staatssekretärs Nägele an. Er erklärt, dasseigentlich alles in trockenen Tüchern sei. Vielmehr liegedie Verzögerung bei den Ausschreibungen daran, dassdie Wasser- und Schifffahrtsdirektion kein Personal da-für habe, um den aufwendigen und komplexen Aus-schreibungsprozess durchzuführen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, leider ist es nichterst Bundesverkehrsminister Ramsauer gewesen, der eszu dieser Situation hat kommen lassen. Auch Vorgänger-regierungen bzw. ihre Verkehrsminister haben dazu bei-getragen. Im Dezember 2008 wurde erklärt, dass derNeubau langsam losgehen könne, dass Geld dafür zurVerfügung gestellt worden sei. Aber auch seinerzeit pas-sierte nichts.Von daher ist mein Eindruck bezüglich dieser Angele-genheit: Die Schleusen in Brunsbüttel sind verschlissen.Sie haben inzwischen 100 und mehr Jahre auf dem Bu-ckel, und sie müssen dringend grundsaniert werden. DerVerkehrsminister ist bereits in knapp vier Jahren ver-schlissen. Dass sich eine Grundsanierung lohnt, be-zweifle ich. Hier ist sicher eine Ersatzinvestition erfor-derlich.Vielen Dank.
Das Wort hat der Parlamentarische StaatssekretärHans-Joachim Otto.
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H
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Lassen Sie mich zunächst mit zwei Gemeinsamkeitenbeginnen. Wir sind uns, glaube ich, alle hier im Hauseüber die Bedeutung des Nord-Ostsee-Kanals einig. Ichwar am vergangenen Freitag bei der Lotsenbrüderschaftin Hamburg. Da wurde mir von allen Reedern bzw. allenBeteiligten noch einmal versichert: Das ist eine Haupt-verkehrsader, die wir alle gemeinsam schützen müssen.
– Ich verstehe gar nicht, dass Sie schon, wenn ich Ge-meinsamkeiten betone, anfangen, zu schreien.
Darauf komme ich aber gleich noch.Wir sind uns auch alle darüber einig, dass der bedau-erliche Zustand der Schleusen in Brunsbüttel so schnellwie möglich behoben werden muss. Ich glaube, ich spre-che im Namen des gesamten Hauses, wenn ich den be-teiligten Technikern, Tauchern, Ingenieuren usw. großenDank dafür ausspreche, wie schnell sie die Reparatur dergroßen Südkammer in Brunsbüttel hinbekommen haben.Das ist eine Riesenleistung, die unseren Respekt ver-dient.
Da Sie aber ständig dazwischenrufen, will ich IhnenFolgendes sagen: Wenn wir uns darüber einig sind, dassdas ein gemeinsames nationales Projekt ist – und darübersind wir uns einig –, dann hören Sie doch sinnvoller-weise damit auf, hier mit kleinlicher parteipolitischerMünze zu operieren.
– Das ist doch wahr! – Sie können – das ist Ihr gutesRecht – bei vielen Dingen Ihre Kritik an HerrnRamsauer äußern. Ich will aber als Maritimer Koordina-tor feststellen: Hier ist jahrzehntelang zu wenig inves-tiert worden. Ich fange jetzt nicht mit parteipolitischerMünze an. Über alle Parteien hinweg hat es Verkehrsmi-nister in Bonn und Berlin gegeben, die nichts gemachthaben.Wir haben in dieser Legislaturperiode zunächst ein-mal einen Haushaltsansatz von 300 Millionen Euro ge-macht.
– Ja, die Haushaltspolitiker. Liebe Frau KolleginHagedorn, ich will es noch einmal sagen: Wenn diesesUnternehmen erfolgreich sein soll, dann hören Sie auf,zu schreien, und lassen Sie uns national an einem Strangziehen. Das ist jetzt die Aufgabe.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wundere mich.Wir sollten uns doch darüber freuen, dass wir in einerzentralen Frage einig sind. Jawohl, die fünfte Schleusen-kammer muss so schnell wie möglich gebaut werden.Ich kann Ihnen versichern, dass der Haushaltsausschussdie Voraussetzungen dafür geschaffen hat. Ich danke denMitgliedern des Haushaltsausschusses ausdrücklich fürdiesen Beschluss.
Da Sie hier sagen, das müsse alles schneller oder so-fort gehen, kann ich Ihnen mitteilen: Anfang April gehendie Ausschreibungsunterlagen heraus. Das ist keineKleinigkeit. Es geht hier um 3 000 Seiten kompliziertes-ter Materie. Hier ist eine große Leistung vollbracht wor-den, und ich erwarte auch vonseiten der Opposition andieser Stelle Respekt dafür.
Es hilft überhaupt nicht, dass Sie hier jetzt in andererWeise agieren.Meine Damen und Herren, wir sind uns einig, dassder Nord-Ostsee-Kanal nicht nur an den fünf Schleusenin Brunsbüttel, sondern in seiner gesamten Länge mo-dernisiert, vertieft und instand gesetzt werden muss. Ichhoffe, wir sind uns darüber immer noch einig, wenn dienächste Bundesregierung – die ja wahrscheinlich densel-ben Verkehrsminister stellen wird –
dann dafür kämpft, die entsprechenden Mittel zu bekom-men. Ja, wir sind uns darüber einig, dass der Bau derfünften Schleusenkammer in Brunsbüttel absolut not-wendig ist. Wir sind uns auch darüber einig, Herr Meyer,dass der Nord-Ostsee-Kanal vertieft werden muss.
Wir wissen, dass insbesondere im Ostteil des Nord-Ost-see-Kanals – Stichwort „Levensauer Hochbrücke“; dasgilt aber auch für einige Schleusen in der Nähe von Kiel –einiges getan werden muss.
Die Bundesregierung ist sich ihrer Verantwortung be-wusst. Seien Sie doch froh darüber, Frau Hagedorn,
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Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
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dass wir uns zu diesem Projekt bekennen! Anstatt be-geistert zu sein, keifen Sie ständig nur. Ich finde dasnicht so charmant.
Lassen Sie uns, wenn wir über national notwendigeInfrastrukturmaßnahmen reden, auch ein Wort über dieElbvertiefung verlieren.
– Ja, Herr Kahrs, Sie schon. – Ich erwarte, dass sich dieBeteiligten nicht verstecken. Es gab einen gemeinsamenBeschluss mit den drei beteiligten Bundesländern. Ichhoffe, dass die neu gewählte Niedersächsische Landesre-gierung in gleicher Weise wie die Vorgängerregierung zudiesem Projekt steht.
Ich appelliere von dieser Stelle aus noch einmal aus-drücklich an die sogenannten Umweltschutzverbände,die gegen dieses national notwendige Projekt Klagen er-hoben haben, sich verantwortungsbewusst zu verhalten.Es ist die Lebensader und die Achillesferse für Hamburgund den Hamburger Hafen.
Wenn alle Fraktionen bei diesem Thema zusammenste-hen würden, statt hier herumzuschreien, und wenn sichder Bundestag dazu bekennen würde, dass die Fahrrin-nenanpassung auf der Elbe ein national notwendigesProjekt ist, dann wären wir wahrscheinlich schon einganzes Stück weiter.
Insofern, meine lieben Kolleginnen und Kollegen:Hören wir doch auf, lieber Herr Kollege Meyer, von ei-ner Kette des Versagens, von Unkenrufen usw. zu reden!Ja, lieber Herr Kollege Meyer, die Bundesregierung istmit den Regierungen der Länder Schleswig-Holstein,Hamburg und Niedersachsen einer Meinung. Wir helfenund investieren jedes Jahr einen dreistelligen Millionen-betrag. Sie fordern ein Sonderprogramm. Ich sage Ihnen:Genau so handeln wir.Bei all den Schritten, die zwar notwendig, aber unpo-pulär sind – ich nenne nur die Elbvertiefung; es gibt abernoch einige andere Maßnahmen –, möchte ich aber, bitteschön, nicht immer wieder erleben, dass die Kolleginnenund Kollegen von den Grünen an der Spitze der Bewe-gung „Wir sind gegen Infrastrukturvorhaben; wir wollenverhindern, boykottieren usw.“ stehen.
– Liebe Frau Dr. Wilms, auch von Ihnen erwarte ich Un-terstützung, zum Beispiel für die Elbvertiefung. Das sindInfrastrukturmaßnahmen, die notwendig sind.
Ich bin Ihnen dankbar, dass Sie, lieber Herr MinisterMeyer, erwähnt haben, dass in einigen Wochen im schö-nen Kiel die Nationale Maritime Konferenz stattfindenwird. Mein Vorschlag an Sie und alle Kolleginnen undKollegen, die sich der maritimen Wirtschaft verbundenfühlen, lautet: Lassen Sie uns mit dieser Konferenz ganzDeutschland klarmachen, dass der maritime Standort fürdas gesamte Land und nicht nur für die Küstenregionenwichtig und entscheidend ist
und wir den maritimen Standort brauchen, dass diesesHohe Haus hinter diesem Ziel steht
und dass dieses Haus auch die notwendigen Investitions-entscheidungen treffen wird, um die Probleme beimNord-Ostsee-Kanal, die Elbvertiefung, die Weservertie-fung und alle anderen Infrastrukturmaßnahmen, diesonst noch notwendig sind, zu stemmen!Wenn wir diese Vorhaben über die Fraktionsgrenzenhinweg gemeinsam tragen, sind unsere Erfolgsaussich-ten wesentlich besser. Damit würden wir der maritimenWirtschaft mehr helfen, als wenn wir uns wechselseitigverbal ohrfeigen und versuchen, aus den Problemenkleinliche parteipolitische Münze zu schlagen; das bringtnämlich nichts. Ich appelliere an Sie, liebe Kolleginnenund Kollegen insbesondere von der Opposition: LassenSie uns gemeinsam für den maritimen Standort Deutsch-land kämpfen! Dann werden wir auch etwas erreichen.Vielen Dank.
Das Wort hat die Kollegin Dr. Valerie Wilms für die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Herr Minister Meyer, herz-lich willkommen im Bundestag! Ich muss schon sagen:Angesichts dessen, was hier zu beobachten ist, macheich mir gewisse Sorgen, ob wir auf dem Weg hin zu einerzukunftsgerichteten Verkehrspolitik in den nächsten Jah-ren vorankommen werden. Da wird einander gebasht, dawird aufeinander eingeschlagen. Worum es eigentlichgeht – dass es um den Nord-Ostsee-Kanal geht und dassdie Verkehrspolitik einen neuen Ansatz braucht –, wirddabei ziemlich verdrängt.
In meiner Heimatzeitung Uetersener Nachrichten wardie Überschrift zu lesen: Der Kanal ist frei – der Ministerschuld. – Ich muss sagen: Auf diesem Niveau haben wir
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Dr. Valerie Wilms
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auch hier bisher diskutiert. Das ist in meinen Augen pro-blematisch.
Seien wir einmal ehrlich: Dass der Kanal jetzt frei ist,haben wir auch dem Umstand zu verdanken, dass die Pi-oniere der Kaiserlichen Marine damals so weise waren,nicht in Beton, sondern in Granit zu bauen und Holzboh-len als Reserve zu nutzen. Wir müssen auch zugeben:Wir sind mit dem Material in der Zwischenzeit nicht un-bedingt sachgerecht umgegangen. Das müssen sich alle,die hier sitzen oder früher hier gesessen haben, ans Re-vers heften. Darum sage ich: Da muss ein Umdenkenstattfinden.Ich bin froh, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbei-ter des Wasser- und Schifffahrtsamtes Brunsbüttel unterFrau Völkl es geschafft haben, dass die Reparaturen bin-nen einer Woche ausgeführt wurden und nicht, wie es ur-sprünglich gedacht war, binnen 14 Tagen. Nichtsdesto-trotz sind wir hier in der Verantwortung, sicherzustellen,dass mit den Anlagen des Bundes, die ja aus Steuermit-teln finanziert wurden – aus Steuern von Menschen undvon Unternehmen in Deutschland –, sachgerecht umge-gangen wird. Ich habe leider nicht den Eindruck, dassdies getan wird.
Was gehört dazu? Es reicht nicht, mit blankgeputztemGerät Spatenstiche zu machen – Herr Ramsauer, Sie wis-sen, dass wir uns bei der Haushaltsberatung darüber un-terhalten haben – und noch einmal 750 Millionen Euroeinzukassieren, um dann mit stolzgeschwellter Brustneue Verkehrsprojekte anzufangen, obwohl noch garnicht klar ist, ob diese Projekte auch durchfinanziertwerden können. Auf diesem Niveau wird hier in der Ver-kehrspolitik häufig gearbeitet: Wir fangen irgendwo an,wir verteilen das Geld – weil ja irgendwo sicherlich wie-der Wahlkampf ist –; aber es fehlt uns eine durchgängigeGesamtlösung, wie wir mit den notwendigen verkehrs-politischen Projekten umgehen. Vor allen Dingen müs-sen wir endlich einmal bereit sein, zu definieren, welcheProjekte wir denn noch brauchen.
Ich bin mit Herrn Meyer einig, dass der Nord-Ostsee-Kanal natürlich gebraucht wird, zum einen aus Verkehrs-gründen, zum anderen, weil er gerade für Schleswig-Holstein auch noch andere Funktionen übernimmt:Wenn der Nord-Ostsee-Kanal nicht mehr funktioniert,säuft der Westteil von Schleswig-Holstein ab, weil dieEntwässerung im Wesentlichen über den Nord-Ostsee-Kanal erfolgt. Wir haben da also gewisse Verpflichtun-gen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, für mich ist ent-scheidend: Wir müssen in diesem Hohen Hause anfan-gen, umzudenken. Wir müssen uns mit Begrifflichkeitenwie vorbeugender Instandhaltung auseinandersetzen.Wir müssen insgesamt darüber nachdenken: Was brau-chen wir überhaupt? Wie planen wir? Wie setzen wir un-sere Mittel ein? – Da schaue ich insbesondere die Haus-hälter, die hier sitzen, an;
ich schaue aber auch gezielt zu Herrn Kahrs. Wir müssenBegrifflichkeiten wie vorbeugende Instandhaltung oderLife Cycle Costs einführen, und wir müssen auch einmalbereit sein, Entscheidungen über mehrere Jahre zu tref-fen, um so eine Durchfinanzierung von Projekten zu er-möglichen. Das fehlt derzeit.
Das sollten wir uns für die nächste Wahlperiode vorneh-men – die 18. –, in der ich hoffentlich viele von Ihnenwiedersehen werde.
Aber ob dann noch der werte Herr Ramsauer auf der Re-gierungsbank sitzt, daran habe ich gewisse Zweifel.Denn, Herr Ramsauer, es wäre angezeigt, dass jetzt end-lich Verkehrspolitik mit Augenmaß und Nachhaltigkeiteinsetzt: wenn wir Grünen dieses Feld übernehmen.In dem Sinne: Vielen Dank.
Für die Unionsfraktion hat der Kollege Gero
Storjohann das Wort.
Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Kollegin Wilms, wir hätten zum Schlussfast auch noch geklatscht, aber Ihr Schlusssatz stimmteeinfach nicht.
Ihr Appell, jetzt die Gemeinsamkeiten im Norden zu be-tonen, ist aber schon wohltuend.Die Infrastruktur im Norden ist ein ganz wichtigerAspekt. Hier geht es nicht nur um den Bereich derSchiene; denn der Hamburger Hafen braucht nicht nurZuwegungen durch die Schiene, sondern auch Bypass-möglichkeiten im Bereich der Straße. Ich nenne hier dieA 20 und die Elbquerung. Die letzten Koalitionsverträgehaben die Ahrensburger Liste letzten Endes nicht ge-stärkt, sondern eben geschwächt.Nun reden wir über den Nord-Ostsee-Kanal. Hierwird auch schon an die Wand gemalt, der Norden werdegeschwächt. Das ist aber schon vor vielen Jahren pas-siert. Weil man das leicht vergisst, habe ich die entspre-chenden Bundesverkehrsminister noch einmal herausge-sucht – sie können ja nichts für diese Schwächung; denn
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Gero Storjohann
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sie waren nur ein Jahr Minister auf Bundesebene undmussten wichtige Entscheidungen vorbereiten –:
Franz Müntefering war vom 27. Oktober 1998 bis zum29. September 1999 Bundesverkehrsminister. Danachkam Reinhard Klimmt, der das Amt bis zum 15. Novem-ber 2000 ausübte.
Kurt Bodewig machte das bis zum 22. Oktober 2002,und Manfred Stolpe, den ich als Abgeordneter als erstenVerkehrsminister erlebt habe, hielt dann von 2002 bis2005 durch. Das alles geschah unter rot-grüner Verant-wortung. Dann kam Wolfgang Tiefensee, und erst dannging es los – auch mit der Staatssekretärin Roth, diedann erstmalig mit den Reedern und den Lotsen gespro-chen hat. Hier wurden die ersten Dinge auf den Weg ge-bracht. 2007 gab es dann den Planungsauftrag, und 2009begann das Planfeststellungsverfahren. – Das ist derVorlauf, und so lange ist nichts gemacht worden.
Jetzt haben wir einen neuen Minister, HerrnTiefensee.
– Ramsauer! Ich denke so an die maritime Thematik,dass ich immer nur an „tief“ und „See“ und „Wilhelms-haven“ denke. – Peter Ramsauer als Bayer kümmert sichjetzt um den Nord-Ostsee-Kanal, und es geht voran. Jetztgeht es los.
Nun ist die Frage, wie man das technisch abwickelt.Im Verkehrsausschuss haben wir das heute schon be-sprochen. Da beide großen Schleusen marode sind,stellte sich die Frage: Riskieren wir es, jetzt eineSchleuse zu reparieren? Dann könnte aber nur 50 Pro-zent der Verkehrsleistung des Kanals erbracht werden.Hier war man der Auffassung: Das machen wir nicht.Wenn die Konjunktur wieder anzieht, brauchen wir dievolle Leistung des Kanals; denn das Umfahren von Ska-gen auf dem Seeweg stellt ja durchaus eine Gefährdungdar. Je mehr Schiffe dort oben langfahren, umso gefähr-licher ist es für die Badewanne Ostsee. Wir haben alsoschon ein Interesse daran, dass der Nord-Ostsee-Kanalbenutzt wird. Deshalb sagen wir: Wir müssen dieSchleusen reparieren, wir brauchen eine fünfte Schleuseund zur Ertüchtigung und Leistungssteigerung diesesKanals auch den Ausbau der Oststrecke. – Der KollegeWadephul kämpft dafür. Wir hoffen, dass wir den Plan-feststellungsbeschluss demnächst bekommen, sodass eslosgehen kann. Ich freue mich auch über den dann ent-stehenden Fahrradweg; er fehlt dort noch – das aber nurals Fußnote.Wir brauchen die Reparatur der alten Schleusen inKiel; nicht umsonst wird der Kanal auch Kaiser-Wilhelm-Kanal genannt. Wenn das umgesetzt ist und diegroßen Frachter nicht mehr außenherumfahren, sondernden Nord-Ostsee-Kanal benutzen, dann ist es auch sinn-voll, zu vertiefen. Die Vertiefung machen wir aber zumSchluss. Sobald wir in Kiel Baurecht haben, müssen wirdie Schleusen reparieren, und sobald wir Baurecht fürdie Oststrecke haben, müssen wir damit anfangen.Es gibt viel zu tun. Wir können das aber nicht be-schleunigen; schon gar nicht dürfen wir die Beseitigungder Probleme in Brunsbüttel übers Knie brechen. Ichfinde es richtig, dass sich das Ministerium jetzt noch ein-mal angesehen hat, ob das, was geplant wurde, über-haupt noch sinnvoll ist. Nun hat man festgestellt: DieGründung muss wesentlich stabiler gestaltet werden.Wenn wir das während der Bauphase festgestellt hätten,dann wäre das der Super-GAU geworden. Insofern: Re-spekt vor der Leistung dieses Ministeriums! Es hat allesrichtig gemacht. Jetzt sollten wir zusammenhalten unddas Projekt nicht schlechtreden.
Es darf nicht dazu kommen, dass jeder Reeder auf derWelt meint, er komme nicht mehr durch den Nord-Ost-see-Kanal. Wir können dazu beitragen, den Reederndiese Sorge zu nehmen.Alles ist auf einem guten Weg: Die Haushälter spielenmit, die Politiker spielen mit. Der Norden freut sich, dassjetzt allgemein bekannt ist, dass der Nord-Ostsee-Kanal,der Hamburger Hafen, Fehmarnbelt, die A 20 und dieElbquerung wichtige nationale Projekte für Deutschlandsind. Es ist gut, dass die Diskussion das ergeben hat.
Das Wort hat der Kollege Johannes Kahrs für die
SPD-Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter HerrMinister! Ich glaube, dass der Weckruf – der Grund, wa-rum wir als SPD diese Aktuelle Stunde beantragt haben –bei CDU/CSU und FDP sowie bei der Bundesregierungangekommen ist. Man bemüht sich, in der Sache klarzu-machen, dass man zukünftig viel tun will. Das ist gut.Das ist im Sinne des Nordens. Das nehmen wir zurKenntnis.Auf der Sachebene möchte ich kurz anmerken: Das,was zurzeit beim Nord-Ostsee-Kanal geplant ist, ist nichtausreichend. Zurzeit präsentiert uns die Bundesregierungeine Perlenkette von Maßnahmen, die aneinandergereihtsind. Das heißt, Sie wollen erst die fünfte Schleuse fertig-stellen – wir reden da über das Jahr 2020 –, dann sollendie anderen Maßnahmen jeweils nacheinander kommen.Worüber wir am Ende reden, weiß kein Mensch.Natürlich brauchen wir die Vertiefung des Kanals um1 Meter, den Ausbau der Oststrecke, die Hochbauwerke;das alles ist aufgezählt worden, das alles muss kommen.Aber man muss das parallel tun.
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28736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Johannes Kahrs
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Man muss gleichzeitig die Oststrecke ausbauen und ander Vertiefung arbeiten.
Es gibt Dinge, die man parallel machen kann. Für uns istder Masterplan, den Minister Meyer eingefordert hat,wichtig. Er ist entscheidend, damit diejenigen, die denKanal nutzen, langfristig Planungssicherheit haben.
Wenn man das will – und wir Sozialdemokraten wol-len das –, dann muss man auch entsprechende Mittel imHaushalt einstellen.
Wenn man zum Nord-Ostsee-Kanal steht, dann muss dasnicht nur hier im Deutschen Bundestag verkündet wer-den, sondern auch in den Haushaltsplänen zu lesen sein,und zwar Jahr für Jahr, Haushalt für Haushalt. Das istnicht der Fall, und das ist das eigentliche Versäumnis.
Natürlich kann man sich hier hinstellen, wie es der Ver-treter der Bundesregierung bzw. der Maritime Beauf-tragte getan hat, und sagen: Jetzt geht’s los! – Das Pro-blem ist: Sie sind jetzt dreieinhalb Jahre im Amt, undnichts ist losgegangen.Eben ist die Elbvertiefung angesprochen worden. Fürmich als Hamburger ist das entscheidend, die Elbvertie-fung muss kommen. Aber auch hier kann man zwar er-klären, dass sie kommen muss. Man kann aber auch aufdie Sachebene abrutschen.
Man kann auch einmal fragen: Gibt es überhaupt schondie europaweite Ausschreibung, die man braucht, wenndas Verwaltungsgericht entschieden hat? Ich glaube,nicht. Damit muss man aber doch jetzt anfangen. Manmuss doch spätestens im Sommer unter Vorbehalt einerpositiven Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichtesdie Ausschreibung veröffentlichen, damit man anfangenkann, zu bauen, wenn eine positive Entscheidung erfolgtist. Gleichzeitig muss man dafür Geld im Haushalt ein-stellen. Das heißt: Hier wird zwar viel geredet; aber da,wo es zählt – das sage ich als Haushälter –, beim Haus-halt, auf der Faktenebene, passiert nichts.Kommen wir neben den Dingen, über die wir gespro-chen haben, und neben den Vorwürfen, die hier gefallensind, auf etwas anderes zurück. Herr Minister, Sie habenmich persönlich angesprochen. Sie haben gesagt, dass esrichtig war, dass Herr Tiefensee 2007 die Planung inAuftrag gegeben hat und Geld dafür eingestellt wurde.Dann, so sagen Sie, ist nichts passiert. Darf ich Sie daranerinnern, dass auch Sie damals im Deutschen Bundestagwaren, als wir in der Großen Koalition Konjunkturpa-kete beschlossen haben?
Im ersten Konjunkturpaket haben wir 192 MillionenEuro für die Verstärkung der Investitionen für die Ver-besserung der seewärtigen Zufahrten und Hinterlandver-bindungen eingestellt. An erster Stelle stand der Nord-Ostsee-Kanal. Im zweiten Konjunkturpaket waren75 Millionen Euro für genau diesen Zweck vorgesehen.Das Geld war später weg, wie man am Haushalt sehenkann. Deswegen, Herr Minister, ist das, was Sie gesagthaben, in der Sache falsch.Vielmehr ist richtig, was man in der SüddeutschenZeitung nachlesen kann. Es trug sich nämlich zu, dassdie CSU einen Landesparteitag hatte. Herr Ramsauer hatin seiner Rede zur Bewerbung als Vizevorsitzender aufdiesem Nürnberger Parteitag gesagt, man solle ihn we-gen seines Einflusses auf wichtige Verkehrsprojekte inBayern wählen: Ich mache sie mir zur persönlichen Ver-pflichtung. Das stärkste Land braucht auch die stärksteInfrastruktur. Jede Unterstützung für mich ist auch eineUnterstützung für unsere bayerischen Belange in Berlin. –Es ist okay, wenn man das will. Aber es wäre schön,wenn man den Norden nicht vergisst.
Es wäre schön, wenn man das, was im Norden notwen-dig ist, ebenfalls tut und nicht erst jetzt aufwacht. Wiesagte der Maritime Koordinator so schön? Jetzt geht’slos. – Nein, es ist zu spät. Dreieinhalb Jahre ist geschla-fen worden. Das ist der Punkt.Wenn man uns oder den Grünen hier das Verhaltenzur Elbvertiefung vorhält, dann muss ich ernsthafter-weise empfehlen, Herr Minister, einmal im eigenenHaus nachzugucken. Sie haben da einen Staatssekretär,Herrn Ferlemann, der im Kreistag in Cuxhaven gegendie Elbvertiefung gestimmt hat, und zwar als Staatsse-kretär dieser Bundesregierung.
Das ist doch das Problem. Wenn ein amtierender Staats-sekretär gegen die Elbvertiefung stimmt, dann kann mandas doch nicht den Grünen zum Vorwurf machen.In diesem Fall sollten Sie in Ihrem eigenen Hause da-für sorgen, dass für den Nord-Ostsee-Kanal alles Erfor-derliche getan wird. Sie brauchen nicht elf, sondern70 Leute vor Ort. Da muss richtig geklotzt werden. Siemüssen zusehen, dass wir bei der Elbvertiefung voran-kommen, dass da geklotzt wird, und dass, wenn das Ur-teil des Bundesverwaltungsgerichts vorliegt, gleich mitdem Baggern angefangen werden kann. Das wäre schön,und das wäre einmal Einsatz für den Norden. Wir sehen:Auf der Sachebene haben wir nichts.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. h. c. Jürgen Koppelinfür die FDP-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28737
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Hier werden Vorwürfe gemacht, vom Kollegen Kahrs
auch in Richtung des Bundesministers Ramsauer. Lieber
Herr Kollege Kahrs, Reden wie die des Kollegen
Ramsauer habe auch ich schon gehalten – allerdings:
streiche „Bayern“ und ersetze es durch „Schleswig-Hol-
stein“.
Ihr habt die Aktuelle Stunde beantragt, um dem
Minister Vorwürfe zu machen.
Frau Präsidentin, kann es sein, dass ich das Wort
habe? Der Kollege Kahrs hat gerade gesprochen.
Das ist völlig richtig. Überwiegend haben Sie das
Wort.
Ich finde das, was Minister Ramsauer gemacht hatund was wir im Haushaltsausschuss für den Kanal ge-macht haben, richtig. Es ist endlich einmal Tempo hi-neingekommen; das ist eine Beschleunigung. Ich habedem Minister da überhaupt keinen Vorwurf zu machen.Herr Minister Meyer – ich sehe Sie heute zum erstenMal; Sie waren mir bisher nicht bekannt, aber das kannja noch kommen –, schauen Sie sich einmal Berlin an.Ich sehe hier seit Monaten jeden Tag Kleinstbaustellen.Wie wäre es, wenn das Land Berlin, sozialdemokratischgeführt, sich einmal darum kümmerte? Dann kümmernwir uns um den Kanal. So haben wir, glaube ich, beideetwas davon.
Das Land Berlin ist ja nicht einmal in der Lage, denSchnee am Reichstag zu räumen.
Herr Minister Meyer, Sie haben sich hier hingestelltund gesagt, Sie müssten den Süddeutschen einmal erklä-ren, was der Nord-Ostsee-Kanal ist. Ich möchte vor al-lem meinen Kolleginnen und Kollegen von der CSUsehr herzlich danken – das will ich einmal ausdrücklichtun; das kommt bei mir sonst selten vor –, die uns vollunterstützt haben, was das Thema Kanal angeht.
Nun zu einem anderen Punkt, liebe Kolleginnen undKollegen, und da seid ihr falsch gewickelt: Geld ist näm-lich nicht alles. Wir haben 300 Millionen Euro einge-stellt. Jetzt haben wir noch einmal eine Garantie für75 Millionen Euro gegeben. Das kann vermutlich garnicht so schnell verbaut werden. – Übrigens, zum Ver-gleich, Herr Minister: Das Kanzleramt ist nicht so teuergewesen wie der Betrag, den wir jetzt in Brunsbüttel in-vestieren müssen – nur, damit Sie einmal einen Bezugdazu haben. Ich vermute, dass die Kanalschleusen nochwesentlich teurer werden; denn das sind alles Schätzun-gen der Wasser- und Schifffahrtsdirektion, nicht aber Er-gebnis der Ausschreibung. Wir werden uns noch wun-dern, was dabei herauskommt. Wir, die Koalition, habenaber im Haushaltsausschuss einen entsprechenden An-trag gestellt; denn wir wollen die Mittel gesichert wis-sen. Das ist das Entscheidende.Herr Minister Meyer, wenn Sie schon den Panamaka-nal als Beispiel bringen, dann kann ich nur sagen: Siehätten das einmal nachlesen sollen. Der Panamakanalwird durch eine Kanalgesellschaft geführt. Wenn Sie dasfür den Nord-Ostsee-Kanal wollen – dabei würde ich Siegerne unterstützen –, dann fordern Sie das doch. Ichglaube, dann kämen wir ein Stück weiter.
Müssen Sie im Landesvorstand der SPD die KolleginHagedorn eigentlich auch so ertragen?
Das ist nicht ganz einfach.Nun zur Ausschreibung: Ich finde, dabei sind wir einStück weitergekommen, nur hat man bei der Ausschrei-bung festgestellt, dass die Problematik viel größer ist.Das können Sie doch dem Minister nicht anlasten, zumaldie Ausschreibung auch noch juristisch begleitet werdenmuss.Ich will Ihnen die Zahlen nennen: 3 000 Leistungs-positionen sind in der Ausschreibung enthalten,
mehr als 800 Seiten Baubeschreibung, mehr als 300Bauzeichnungen und Pläne. Dann kommt die Qualitäts-sicherung dazu. Es haben sich noch viele Dinge jetzt erstergeben, als die Ausschreibung geschrieben werdenmusste.
– Ich weiß nicht, warum bei der SPD so eine Unruhe ist.Das mag daran liegen, dass ihr so viele Minister gestellthabt, die nichts getan haben.
Wenn Sie sehen, welche Probleme es bei der Schleusegibt, dann ist das doch nicht dem Minister anzulasten.Ich finde, wir haben sehr viel gemacht.
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28738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Dr. h. c. Jürgen Koppelin
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– Mehr Geld allein bringt es im Moment nicht. Wartenwir erst einmal die Ausschreibung ab. Ich will ausdrück-lich ein Lob dafür sagen, dass es bei dieser Ausschrei-bung auch eine juristische Begleitung gibt, nicht dassspäter, wenn wir die Ausschreibung haben, andere, diesich daran beteiligt haben, vielleicht dagegen klagen undwir weitere Verzögerungen bekommen. Insoweit großeAnerkennung, dass auch das berücksichtigt worden ist!Aber, Herr Minister Meyer, eines will ich loswerden,weil Sie so viele Vorwürfe machen, und das bei IhrerPolitik in Schleswig-Holstein. Nur damit Sie wissen, werMinister Meyer ist: Er macht jetzt für die Straßen einSchlaglochkataster.
– Er hat kein Geld. Aber so kriegt er seine Bilanzen hin.Da haben Sie zwei Schlaglöcher nebeneinander; diemüssen registriert werden. Das ist ganz klar. Die Bilanzist dann positiv, indem sie aus beiden Schlaglöchern jetztein großes Schlagloch machen. Dann sieht die Bilanz na-türlich anders aus. Das ist die Politik von Herrn Meyer,nur damit Sie wissen, mit wem Sie es zu tun haben.
Ich will auch ausdrücklich sagen, Herr Meyer: Es istkein guter Stil, wenn Sie den Bundesverkehrsministerüber die Medien zu einem Treffen auf bundeseigenerLiegenschaft nach Schleswig-Holstein einladen, und derMinister erfährt einen Tag vorher von dem Treffen.Versuchen Sie mal einen anständigen Umgang unterden Ministern! Dann kriegen wir das mit dem Kanalauch hin.Herzlichen Dank für Ihre Geduld.
Das Wort hat die Kollegin Bettina Hagedorn für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Liebe Kolleginnen!Liebe Kollegen! Ich bin froh, dass die SPD diesesThema heute prominent auf die Tagesordnung gesetzthat und dass wir das Thema Nord-Ostsee-Kanal so dis-kutieren, wie es sich gehört, nämlich als eine nationaleAufgabe. Ich stimme all denen zu, die vor mir gesagthaben, dass das etwas ist, bei dem man eigentlich ver-nünftigerweise an einem Strang und in eine Richtungziehen sollte. Ich glaube, wir aus Norddeutschland sindim Sinne der Sache alle dazu bereit.Der Punkt ist nur, dass Ihnen, liebe Kolleginnen undKollegen, und vor allem dem Herrn Verkehrsministerund dem Maritimen Koordinator das reichlich spät ein-fällt. Denn wir würden gerne schon seit über drei Jahrenan einem Strang in eine Richtung ziehen, und wir habendas auch vielfach probiert,
aber es ist nicht geglückt, weil Sie leider am anderenEnde des Stranges standen.
Darum möchte ich an dieser Stelle ein paar Dinge gera-derücken, die von Ihnen nicht ganz richtig dargestelltworden sind.Richtig ist, dass 2007 ein Konzept und eine klare Wil-lensbekundung der damaligen Großen Koalition vorlag,sich der Grundsanierung des Nord-Ostsee-Kanals ernst-haft zu widmen. Damit ist eben nicht nur die fünfteSchleusenkammer gemeint gewesen, sondern dasGesamtkonzept, das hier vorgetragen worden ist, mit denSchleusen in Kiel und Brunsbüttel, mit der Ostbegradi-gung, mit der Vertiefung um 1 Meter und mit den Que-rungsbauwerken.Wenn wir hier über ein Projekt reden, das ungefährzehn Jahre Verwirklichungszeit braucht und 1,2 Milliar-den Euro kostet – sie sind nämlich damals nämlichschon kalkuliert worden –, wissen wir, was wir vor derBrust haben.Ein Punkt ist aber: Solange es die Große Koalitiongab, ist das Projekt durchaus verfolgt worden. Von Kol-lege Storjohann ist schon gesagt worden, dass damalszum Beispiel die Staatssekretärin Roth oder der MinisterTiefensee durchaus eine wichtige Rolle gespielt haben.Wir haben dann nämlich – der Kollege Kahrs hat daraufhingewiesen – mit den Konjunkturpaketen das Geld zurVerfügung gestellt.Als Sie, Herr Minister Ramsauer, ins Amt kamen, lageigentlich der Ball für den Nord-Ostsee-Kanal auf demElfmeterpunkt. Sie hätten ihn nur noch reinzumachenbrauchen. Sie haben es aber nicht gemacht. Sie habenihn verdaddelt, und zwar deshalb, weil der Nord-Ostsee-Kanal leider bei Ihnen, seitdem Sie im Amt sind, bisherkeine wichtige Rolle gespielt hat und weil Sie den Neu-bau der fünften Schleusenkammer, der in der GroßenKoalition schon beschlossen war, wieder infrage gestellthaben. Um Ihnen das in Erinnerung zu rufen, habe ichdie Fragen an die Regierung durchgesehen und dabeieine Anfrage der Grünen im April 2011 gefunden. In derAntwort auf diese Anfrage wird ein dramatischer Auf-wuchs der Schleusenschließzeiten sichtbar. Die Schließ-zeiten der Nordkammer in Brunsbüttel haben sich von298 Stunden im Jahr 2007 auf 1 240 Stunden im Jahr2010 mehr als vervierfacht. Die Schließzeiten der Süd-kammer haben sich von 2008 bis 2010 verzehnfacht. DieSchließzeiten der Kleinschleusen in Brunsbüttel habensich zwischen 2008 und 2010 verdreifacht bzw. verfünf-facht.Was lernen wir daraus? Dass der Ball zu diesem Zeit-punkt auf dem Elfmeterpunkt lag und dringend ins Torhätte geschossen werden müssen. Das heißt, man hättedie Projekte mit Hochdruck anpacken müssen. Da inzwi-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28739
Bettina Hagedorn
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schen die planungsrechtlichen Grundlagen für den Neu-bau der fünften Schleuse geschaffen sind, hätten Sie al-les tun können, Herr Minister. Sie hätten zum BespielEU-Mittel beantragen können. Sie hätten eine hochqua-lifizierte Mannschaft, wie es sie bei der Wasser- undSchifffahrtsverwaltung gibt, mit höchster Priorität dran-setzen können, um die Planvorhaben auf den Weg zubringen. Was haben Sie stattdessen gemacht? Sie habenzugesehen, dass das bereitstehende Geld in andere Pro-jekte – ob in Bayern oder wo auch immer – versenktwurde. Sie haben nicht dafür gesorgt, dass im Regie-rungsentwurf 2012 des Verkehrsetats die 300 MillionenEuro für den Neubau der Schleuse erneut zur Verfügunggestellt werden. Nein, das hat der Haushaltsausschussgemacht. Dankenswerterweise haben wir dort fraktions-übergreifend im November 2011 diese 300 MillionenEuro bereitgestellt. Aber es ist der Wahrheit geschuldet,dass dem zwei Monate vorausgegangen sind, in denendas ein prominentes Thema im Osten Schleswig-Holsteins war. Dort hat ein breites Aktionsbündnis ausder Wirtschaft – das gibt es seitdem – für die 300 Millio-nen Euro gekämpft. Die damals anstehende Landtags-wahl in Schleswig-Holstein hat geholfen, diese Mittelzur Verfügung zu stellen.Das Drama ist nur, Herr Minister: Die 300 MillionenEuro stehen seit nunmehr anderthalb Jahren zur Verfü-gung. Und was ist passiert? Nichts! Sie können reden,wie Sie wollen, das lässt sich nicht schönreden. Ichstimme Ihnen zu, Herr Minister: Ja, wir alle wollen nachvorne schauen. Aber Sie können nicht erwarten, dass wirmit Ihnen an einem Strang in eine Richtung ziehen,wenn Sie keinerlei Selbstkritik an Ihrem eigenen Versa-gen üben. Hinzu kommt, dass Sie das Personal, das wirnicht nur zur Reparatur der Schleusen, sondern auch fürdie Planung und das Projektmanagement dringend brau-chen, im Rahmen Ihrer Wasser- und Schifffahrtsreformdemotiviert, wenn nicht sogar abgebaut haben.
Kollegin Hagedorn, achten Sie auf die Zeit.
Ich komme zum Schluss.
Herr Minister, wir brauchen frisches Geld für das
Gesamtprojekt im Finanzplan, also die gesamten
1,2 Milliarden Euro. Wir brauchen das Personal in der
Wasser- und Schifffahrtsverwaltung, um die Arbeiten zu
erledigen. Wir brauchen ein klares Bekenntnis dieser
Regierung im Haushalt 2014. An der Küste wissen wir,
dass Rot-Grün den richtigen Kurs in der Schifffahrt be-
stimmt. Schwarz-Gelb steht dagegen für Untiefen,
Wracks und Risiken. Bitte belehren Sie uns eines Besse-
ren. Wir freuen uns auf den Nachweis Ihres Handelns.
Der Kollege Matthias Lietz spricht nun für die
Unionsfraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Wirdebattieren mittlerweile schon eine gute halbe Stundeüber die Thematik. Wie immer in einer Aktuellen Stundekönnte man zu diesem Zeitpunkt sagen: Es ist alles ge-sagt, nur noch nicht von jedem. Lassen Sie mich abernoch Folgendes ausführen: Ich hatte im Frühjahr letztenJahres die Gelegenheit, gemeinsam mit der KolleginWilms den Neckar-Schleusen einen Besuch abzustattenund zu sehen, wie die Situation vor Ort ist. Zum einenwar ich als Techniker beeindruckt von den Leistungenderer, die dort beschäftigt sind. Zum anderen habe ichmir große Gedanken darüber gemacht, welche Schrittewir innerhalb der Wasser- und Schifffahrtsverwaltungvorwärts gehen können, um in Zukunft solche Miseren,wie sie bundesweit bestehen, zu verhindern.
Ich möchte an dieser Stelle von diesem Podium ausmeinen Dank und meine Anerkennung den Kollegen derWasser- und Schifffahrtsämter Brunsbüttel und Kiel aus-sprechen, die gerade in dieser Situation Besonderes ge-leistet haben, und ihnen meinen besonderen Respekt zol-len.
Mein Respekt – auch das wurde heute hier schon ge-sagt – gilt zum Beispiel auch den Tauchern, die vor Orttäglich ihre Arbeit gemacht haben. Sie haben währenddes Betriebes alles gegeben, um die Funktionsfähigkeitder Schleusen – mit wenigen Beeinträchtigungen – auf-rechtzuerhalten. Respekt auch – das sage ich ganz deut-lich – für die Mitarbeiter der Verwaltung an Land, dieeinen viel größeren Schaden durch klare Entscheidungenvermieden haben.Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass die In-betriebnahme dieser großen Schleusen – das ist vielengar nicht bewusst – 1914 erfolgte. 1989, so habe ichnachgelesen, war die erste Grundinstandsetzung derkleinen Schleusen in Brunsbüttel; die Instandsetzungwurde in den folgenden Jahren fortgesetzt. Die entschei-denden Jahre für uns waren die Jahre 2006/2007, als dieVoruntersuchung für die Grundinstandsetzung dergroßen Schleusen stattfand. 2008 bis 2010 erfolgte dieVorplanung für den Neubau der fünften Schleusenkam-mer. Schließlich wurden Ende 2011 durch die Be-schlüsse des Bundestages die Mittel für den Bau derzweiten Schleusenkammer zugesagt.
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28740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Matthias Lietz
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Auch ich sage in Richtung des Ministers: Allein imJahre 2008 sind für die Unterhaltung der Schleusenan-lage in Brunsbüttel 11,8 Millionen Euro investiert wor-den, im Jahr 2010 waren es 24,3 Millionen Euro und imJahre 2011 20,5 Millionen Euro. Ich bitte darum, dasswir hier in der Diskussion damit aufhören, immer mitdem Finger auf andere zu zeigen. Denken Sie an dieZahl der Minister, die bisher dort agiert haben.Wir hier im Hohen Hause sind gefordert, vor allenDingen die Kollegen im Haushaltsausschuss. Wirwerden bei der Debatte über den kommenden Haushaltdarauf achten müssen, dass wir, wenn wir eine Neuver-schuldung des Bundes vermeiden wollen, innerhalb desHaushalts zu sparen haben. Es wird Einschnitte gebenmüssen. Ich möchte, dass man sich in der künftigenHaushaltsdebatte dann auch an die Debatte erinnert, diewir jetzt führen. Wir aus Schleswig-Holstein, Hamburgund Mecklenburg-Vorpommern wollen dann dafür ein-stehen, wenn es in anderen Bereichen Kürzungen gebenmuss, damit Investitionen in die Bundeswasserstraßengetätigt werden können.Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Ingo Egloff für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Über die Bedeutung des Nord-Ostsee-Kanals fürNorddeutschland und den gesamten Ostseeraum ist indieser Debatte schon eine ganze Menge gesagt worden.Als Hamburger Abgeordneter schaue ich mir insbeson-dere die Metropolregion Hamburg an. Wir wissen auswissenschaftlichen Untersuchungen, dass die maritimeWirtschaft in dieser Metropolregion 160 000 MenschenArbeit gibt. Aber die Funktionsfähigkeit des HamburgerHafens – darauf hat Herr Minister Meyer dankenswerter-weise hingewiesen – hat auch eine Bedeutung für Süd-deutschland. Von jedem Euro, den wir im HamburgerHafen verdienen, gehen 30 Prozent nach Bayern undBaden-Württemberg. Also, Herr Ramsauer, es hat Aus-wirkungen insbesondere auf Ihre bayerische Heimat,dass es bei uns im Norden funktioniert; denn wir nehmeneine nationale Aufgabe für die Bundesrepublik Deutsch-land wahr.
Zur Funktionsfähigkeit des Hamburger Hafens gehörtauch ein funktionsfähiger Nord-Ostsee-Kanal; denn fürdie Feederverkehre Richtung Skandinavien ist diese An-bindung absolut notwendig. Wir verdienen im Hambur-ger Hafen mit den Feederverkehren viermal. Das ist inBremen und Bremerhaven nicht anders. Wie wichtig dasfür die regionalen Verteilverkehre ist, hat man in derKrise 2008 gesehen, als der damalige Senat die Gebüh-ren angehoben hat und Hamburg auf einmal Feederver-kehre los waren. Sie laufen mittlerweile über Zeebrüggeund in Rotterdam, und wir, Hamburg, haben sie nicht zu-rückbekommen. Insofern ist es so gefährlich – und zwarfür die gesamte norddeutsche Region –, wenn diese Was-serstraße nicht funktioniert.
Der Punkt ist doch: Wenn schon ein Umweg von800 Kilometern gefahren werden muss, dann werden dieReeder anfangen, über Änderungen nachzudenken. Sie,Herr Staffeldt, wissen genauso gut wie ich, dass beispiels-weise die dänische Reederei Maersk, der Weltmarktfüh-rer, zusammen mit Eurogate in Tanger ein großes Termi-nal gebaut hat und dass es Pläne gibt, von dort aus mit6 000- bis 8 000-TEU-Schiffen um Skagen herum dieOstsee zu bedienen. Wenn wir es zulassen, dass der Nord-Ostsee-Kanal nicht funktionsfähig ist, dann wird das IhreBremer Heimat genauso treffen wie meine HamburgerHeimat. Ich bin als Hamburger Abgeordneter hier Patriotund sage: So geht es nicht, und so, wie diese Regierung esmacht, geht es erst recht nicht.
Im Übrigen: Über die 160 000 Menschen hinaus, die inder Metropolregion Hamburg in der maritimen Wirtschaftbeschäftigt sind, gibt der Hamburger Hafen nach wissen-schaftlichen Untersuchungen weiteren 80 000 Menschenin ganz Deutschland Arbeit.Sie sind seit dreieinhalb Jahren im Amt, Herr MinisterRamsauer. In irgendeiner Zeitung habe ich gelesen, dermarode Zustand dieses Kanals beschäftige Sie seit An-fang Ihrer Amtszeit. Da frage ich mich: Warum habenSie seit Anfang Ihrer Amtszeit nicht mehr getan? Jetzt,nach dreieinhalb Jahren, fangen Sie auf einmal an, hierHektik zu verbreiten und anzukündigen, sich darum zukümmern, nachdem Sie vor einem Jahr einen Spaten-stich getan haben. Es dauerte ein weiteres Jahr, bis Pla-nungsunterlagen vorlagen. Das ist nicht überzeugend.Herr Otto, Sie sind Maritimer Koordinator dieserBundesregierung. Ich finde es peinlich, dass Sie sichhier hinstellen und sagen, Hamburger Reeder hätten Sieauf die Bedeutung des Nord-Ostsee-Kanals hingewie-sen.
Ich meine, das müssen Sie als Maritimer Koordinatordoch wissen. Es wäre Ihre Aufgabe gewesen, Ihren Kol-legen Ramsauer dazu zu bewegen, früher anzufangen,sich mit dieser Sache zu beschäftigen.
– Herr Otto, es reicht nicht aus, mit einem Ruderbootüber den Main gefahren zu sein, um eine solche Funk-tion wahrzunehmen. Man sieht, dass das hier mit Ihnennicht funktioniert.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28741
Ingo Egloff
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Sie haben kurz vor der Schleswig-Holstein-Wahl dieKurve gekriegt. Auch die Kollegen aus der CDU habenmitgemacht, weil ihnen das Hemd näher als die Hosewar und man um den Wahlerfolg Angst hatte. Überhauptnur deswegen ist es gelungen, hier im Haushaltsaus-schuss etwas zu bewegen.
Sich jetzt hier hinzustellen und zu sagen, Sie kämpfteneisern – dies haben Sie den Mitarbeitern der Kanalverwal-tung in Brunsbüttel gesagt, Herr Minister Ramsauer –,das ist schlicht und ergreifend lächerlich; das glaubt Ih-nen in Norddeutschland niemand.
Anscheinend gilt immer noch der alte Satz von Minister-präsident Stoiber, ihm sei der Hafen Genua näher als derHafen Hamburg. Ich sage als Norddeutscher: Nie wiederein Verkehrsminister einer bayerischen Regionalpartei.Vielen Dank.
Der Kollege Torsten Staffeldt hat nun für die FDP-
Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Der Kollege Egloff hat eben von Verkehrsverlagerungenaus den ZARA-Häfen gesprochen. Er hat insbesonderedie Maersk-Reederei als Beispiel zitiert. Er hat von8 000-TEU-Schiffen gesprochen. Ein 8 000-TEU-Schiffhat in etwa eine Länge von 345 Metern, eine Breite von43 Metern und einen Tiefgang von 14,50 Metern. DieseSchiffe sind heute gar nicht in der Lage, den NOK, see-mänisch genannt: Kiel-Kanal, zu befahren.
Aus diesem Grunde verlagert die Reederei Maersk einenTeil ihrer Schifffahrt rund um Skagen. Das ist der ein-zige Grund für diese Verlagerung. Sie hat mit unseremNOK definitiv nichts zu tun.
Die Kollegin Wilms hat eben schon gesagt, das Ni-veau dieser Debatte sei problematisch. Das kann ich mitBlick auf den Kollegen Egloff an dieser Stelle eindeutigund mit Fakten gesichert bestätigen.Kommen wir auf das eigentliche Thema zu sprechen.Wir reden hier sozusagen über die Mutter der Reichswas-serstraßen. Wenn man über den Nord-Ostsee-Kanal, Kai-ser-Wilhelm-Kanal, oder, seemännisch genannt, Kiel-Kanal spricht, dann muss man sich darüber im Klarensein: Das ist die älteste künstliche Wasserstraße, die wirin Deutschland in diesem Maßstab haben. Nicht zuletztdeshalb ist sie auch eine der Ursachen dafür, dass wir dieWasser- und Schifffahrtsverwaltung haben. Auch siemüssen wir reformieren, weil sie genauso alt wie derKiel-Kanal ist. Auch das war im Laufe des heutigen Ta-ges ein Thema.Wir müssen die Wasser- und Schifffahrtsverwaltungzukunftsfähig machen, genauso wie wir den Kiel-Kanalzukunftsfähig machen müssen. Vonseiten der Oppositionwurden heute Vorwürfe insbesondere an die Regierunggerichtet. Dazu sage ich nur: Wenn man mit dem Fingerauf andere zeigt, weisen drei Finger auf einen selbst. –Das sollte sich die Opposition an dieser Stelle einmalmerken.
Was wir hier erleben, Frau Hagedorn, ist nichts ande-res als vorgezogener Wahlkampf.
Wenn Sie sich die Zahlen angucken,
wenn Sie sich angucken, was im Laufe der letzten Jahreinsbesondere unter christlich-liberaler Regierung
an Mitteln in den Kiel-Kanal hineingesteckt wurde bzw.dafür vorgesehen wurde,
dann wissen Sie – ich kann das auch einmal zitieren; dassind immer Zahlen für drei Jahre; wundern Sie sich nichtüber die hohen Beträge! –: 2007 waren es 363 MillionenEuro, 2008 395 Millionen Euro, 2009 420 MillionenEuro, 2010 461 Millionen Euro und 2011 484 MillionenEuro. Wir sehen also, dass in jedem Jahr die Haushalts-ansätze für den Kiel-Kanal gesteigert worden sind, dassvonseiten der Regierungskoalition die Mittel für denAusbau zur Verfügung gestellt worden sind. Das sindFakten, nichts anderes als Fakten.Fakt ist schlicht und ergreifend auch die Tatsache – damuss ich dem Kollegen Kahrs und auch dem MinisterMeyer eindeutig widersprechen –, dass Baumaßnahmennicht mal eben so beschlossen und nicht mal eben soumgesetzt werden können. Es ist nicht damit getan, Mil-lionen in den Haushalt einzustellen; die Planfeststel-lungsverfahren,
die Verfahren zu den Abläufen und alles das muss ersteinmal realisiert werden. Das ist das, was diese Regie-rungskoalition seit Jahren macht: Sie arbeitet das auf,was unter sozialdemokratischen Verkehrsministern lie-gen geblieben ist,
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28742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Torsten Staffeldt
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um dafür zu sorgen, dass die Zukunftsfähigkeit desNord-Ostsee-Kanals wiederhergestellt wird und dieSchiffe weiterhin durch den NOK fahren können. Esgeht darum, die Ostsee zu erschließen und die Feeder-verkehre zu ermöglichen.
Davon profitiert Hamburg, davon profitiert Bremen, ins-besondere Bremerhaven, davon profitieren im Übrigenauch jetzt schon die ZARA-Häfen, weil alle diesen Ka-nal nutzen.Weil ich noch eine gute Minute Redezeit habe,
möchte ich noch generell auf die Unterfinanzierung derWasserstraßen hinweisen. Ganz dezidiert am Beispieldes Nord-Ostsee-Kanals haben wir gesehen: Es gab eineProblematik, die dazu geführt hat, dass der Kanal kurz-zeitig geschlossen werden musste; glücklicherweisekonnte die Reparatur sehr schnell und unkompliziertausgeführt werden, sodass wir den Kanal wieder betrei-ben können. Aber wir haben grundsätzlich ein Problemim Verkehrsinfrastrukturbereich und insbesondere imBereich der Wasserstraßen, nämlich dass uns die Bau-werke, die 100, 120 oder auch nur 50 oder 70 Jahre altsind – etwa das Schiffshebewerk in Scharnebeck –, lang-sam, aber sicher Probleme bereiten. Ich nenne auch dieElbvertiefung und die Weservertiefung als Beispiele.Wir merken: Wir kommen mit unserer jetzigen Ver-kehrsinfrastruktur, insbesondere im Wasserbereich, andie Grenzen der Kapazität, an die Grenzen der Leis-tungsfähigkeit. Deswegen sollten wir uns zusammen da-für einsetzen – da schließe ich mich auch dem MaritimenKoordinator Hans-Joachim Otto an –,
dass der maritime Bereich, dass die Wasserstraßen einehöhere Wertigkeit bekommen. Wir sollten mehr Mittelzur Verfügung stellen und völlig unabhängig von der par-teipolitischen Couleur der jeweiligen Regierungskoali-tion dafür sorgen, dass die Wasserstraßen so ausgebautwerden, dass dieser Bereich weiterhin zukunftsfähig ist;das schließt die Reform der Wasser- und Schifffahrtsver-waltung ein.Vielen Dank.
Herr Kollege Dr. Philipp Murmann hat für die
Unionsfraktion das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen, kennen Sie eigentlich OttoBaensch? Otto Baensch war preußischer Baubeamterund der leitende Ingenieur beim Bau des Nord-Ostsee-Kanals. 1887 haben sich deutsche Ingenieure in Nord-deutschland getroffen, um das grandiose Bauwerk zustarten, von dem wir heute sprechen: dem 100 Kilometerlangen Kanal quer durch unsere Heimat Schleswig-Hol-stein.
– Und was für eine Qualität! – Acht Jahre haben sie ge-braucht, nur acht Jahre.
Auch das ist großartig.Dieses Projekt hat Schleswig-Holstein und natürlichauch die maritime Wirtschaft geprägt. Häfen, Werften,Reeder, Zulieferer, Finanzierer, jede Menge Service-dienstleister haben da ihren Ursprung. Nicht zuletzt ha-ben wir alle zwei Jahre die weltgrößte Messe in diesemBereich in Hamburg, die SMM, wo alle diese Gewerkezusammenkommen und sich über die Schifffahrt der Zu-kunft unterhalten. Viele meinen, das sei eine rein nord-deutsche Industrie. Aber es ist eine nationale Industrie.Denn etwa 50 Prozent der Wertschöpfung kommenaus Süddeutschland. Also ist es auch richtig, dass wiruns dem mit einem nationalen Aufschlag widmen. Dasist eine Aufgabe für uns alle; ich denke, da sind wir alleuns auch einig. Das ist auch schon angesprochen wor-den.Es wurde schon den Mitarbeitern der Wasser- undSchifffahrtsverwaltung gedankt; das ist auch absolut zuRecht passiert. Aber man muss auch an die Lotsen undKanalsteurer denken. Immerhin 300 Lotsen arbeitenrund um die Uhr, volle 24 Stunden und an 365 Tagen imJahr. Fast 35 000 Schiffe haben sie im letzten Jahr sicherund mit großer Gelassenheit durch den Kanal gebracht.Das sind immerhin etwa 100 pro Tag. Man muss sicheinmal vorstellen, was da für ein Betrieb herrscht.Nun aber noch zu einer etwas anderen Sichtweise– ich zitiere aus der Welt –:Auch beim Nord-Ostsee-Kanal ist der Verkehrsmi-nister dringend gefordert. … Maßnahmen zur Zu-kunftssicherung der knapp 100 Kilometer langenkünstlichen Verbindung zwischen Elbmündung undOstsee sind unumgänglich.Das ist ein Zitat vom 3. August 1999; damals war FranzMüntefering Verkehrsminister. Man sieht: Die Themenwaren schon die gleichen. Und wenn Sie hier sagen, wirhätten gerade erst angefangen, etwas zu tun,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28743
Dr. Philipp Murmann
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dann ist das so natürlich nicht richtig. Denn das hat sichalles aufgestaut, Frau Hagedorn. Und die meisten inIhrer Partei wollen sich an die Zeiten von FranzMüntefering ja gar nicht mehr erinnern.
Aber ich weiß natürlich auch, warum Ihnen das unange-nehm ist.
Denn wir haben es schon gehört: Seitdem ist insbeson-dere beim Nord-Ostsee-Kanal wenig passiert.
Sie haben gesagt, Sie wollten einen Weckruf starten.Herr Staffeldt hat schon die alte Weisheit mit dem Fin-ger, der auf etwas zeigt, und den drei Fingern, die zu-rückzeigen, gebraucht. In diesem Fall müssten sogarfünf Finger zurückzeigen, damit der Spruch aufgeht.Aber ich will auch nicht zu weit gehen.Als Schleswig-Holsteiner bin ich jedenfalls wirklichfroh, dass wir jetzt ein Licht am Ende des Kanals sehen,weil sich Peter Ramsauer der Sache angenommen hat.
Es gibt wahrscheinlich keinen Bayern, der häufiger inSchleswig-Holstein war als Peter Ramsauer, um sich umdiese Themen dort zu kümmern. Insofern auch dafürnoch einmal herzlichen Dank!
Herr Kahrs hat etwas vorgeschlagen. – Ist er noch da?
– Ja? Gut, ich sehe ihn nicht, aber er ist bestimmt an ei-nen Fernseher gegangen. – Herr Kahrs wollte ja nun al-les auf einmal machen: den Neubau der fünften Schleu-senkammer, die Instandsetzung der Schleusen in Kiel,den Ausbau der Oststrecke, den Neubau der Hochbrü-cke, die Vertiefung des Kanals.
Aber dann müssten wir den Kanal natürlich sperren,
und zwar so lange, dass sich ganz andere Leute zu Rechtbeklagen würden. Denn das ist völlig sinnlos, und daswill auch keiner.
Der Titel der Aktuellen Stunde lautet „Auswirkungender Politik von Bundesverkehrsminister Dr. Ramsauerauf den maritimen Wirtschaftsstandort“. Die Auswirkun-gen sind klar: Endlich bewegt sich was. Der Minister hates schon gesagt, und ich denke, dafür können wir ihmdankbar sein.Ich möchte noch auf das Thema Finanzierung von In-frastruktur zu sprechen kommen. Wir sind ein Land desMittelstandes. Und der Mittelstand ist grundsätzlich de-zentral aufgestellt. Das heißt, es gibt viele kleine Einhei-ten an verschiedenen Orten. Infrastruktur ist also einerder wesentlichen Erfolgsfaktoren, der dazu beiträgt, dassder Mittelstand bei uns in Deutschland weiter existierenkann. Deswegen sind Infrastrukturprojekte für uns maß-geblich.Und – das wurde schon angesprochen – wir braucheneine Finanzierungsmöglichkeit. Als Unternehmer würdeich sagen: Zum Erhalt der Wasserstraßen ist es notwen-dig, Rückstellungen für Instandhaltungsmaßnahmen zubilden und Abschreibungen zu tätigen.
Ich denke, über solche Finanzinstrumente müssen wirspätestens in der nächsten Legislaturperiode nachden-ken, damit wir wirklich weiterkommen.Aber, das muss man auch immer sagen: Finanzierungvon Infrastruktur funktioniert natürlich nur dann, wennder Haushalt insgesamt in Ordnung ist. Dazu muss mansich einmal die Haushalte der rot-grünen Landesregie-rungen anschauen; denn auch die Länder müssen natür-lich in Infrastruktur investieren. Übrigens steht das Geldfür den Bau der A 20 inzwischen zur Verfügung. Siekönnten eigentlich anfangen in Schleswig-Holstein. Manmuss also feststellen, dass Finanzierung von Infrastruk-tur nur geht, wenn es eine entsprechende Finanzpolitikgibt und Bewegung im Haushalt möglich ist. Ich meine,auch hier sind wir in dieser Regierung ein Vorbild.
Ich komme zum Schluss.
Herr Kollege Murmann, Sie müssen auch zum
Schluss kommen und einen Punkt setzen, bitte.
Ich glaube, wir brauchen Pioniergeist. Diesen Pionier-geist müssen wir auch leben. Es gibt inzwischen zumTeil mehr juristische Bedenkenträger als Ingenieure beidiesen Projekten.
Ich denke, das bringt Deutschland nicht voran. Insofernmüssen wir zusammenstehen, damit wir Bauwerkeschaffen können, von denen die Menschen auch in100 Jahren noch sagen – dazu gehört auch die Fehmarn-beltquerung –: Toll, dass die dieses Projekt angegangensind. Die haben das prima gemacht.
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28744 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Dr. Philipp Murmann
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Insofern denke ich, dass die Bundesregierung hier aufdem richtigen Weg ist.Ich danke Ihnen.
Für die SPD-Fraktion hat der Kollege Uwe
Beckmeyer das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren! Wenn man sich mit dem Thema Nord-Ostsee-Kanal beschäftigt, kommt einem vieles in den Kopf.Man erinnert sich vor allen Dingen daran, dass in derÖffentlichkeit vor mindestens zwei, wenn nicht sogardrei Jahren seitens der Christdemokraten, aber auchanderer Parteien und der Regierung gute Nachrichtenausgesendet wurden. Der Tenor war: 2012 können wiranfangen. Ich habe ein paar Beispiele herausgesucht:„CDU-Landesgruppe Schleswig-Holstein besichtigtBrunsbütteler Schleuse“; das war im November 2011.Ebenfalls November 2011: „Ferlemann: Schleusekommt 2012“. Damals versprach StaatssekretärFerlemann immer wieder: fünfte Schleuse – im nächstenJahr geht es los. All das steht in Zeitungsartikeln aus die-ser Legislaturperiode.Nun kann man sagen, die Vorgängerregierung habedas mit einem Fingerschnipp gemacht. Es habe gar keineVorbereitungen gegeben. Wer das behauptet, irrt sich al-lerdings.
Herr Staffeldt, es hat eine entsprechende Voruntersu-chung gegeben, es hat eine Ausführungsplanung und dieVorbereitung der Planfeststellung mit Planfeststellunggegeben.
Unter der Ägide von Wolfgang Tiefensee
wurden die entsprechenden vorbereitenden Maßnahmenmit der Wasserschifffahrtsverwaltung durchgeführt. Da-mit wurden alle Voraussetzungen geschaffen, damit derBau dieser fünften Schleuse beginnen kann. Es ist sogardas Geld zur Verfügung gestellt worden.
Die Fragestellung, die sich daran anschließt, ist: Wasist in der Zwischenzeit mit dem Planfeststellungs-beschluss und mit dem Geld passiert? Es ist passiert,dass es Peter Ramsauer abhandengekommen ist.
Was passierte danach?
Es gab wohl eine andere Prioritätensetzung, meineHerren Staatssekretäre, Herr Minister. Das wäre viel-leicht nachvollziehbar. Die Fragestellung ist also: Wel-che Prioritätensetzung haben Sie mit dem Geld für denNOK vorgenommen?
– Ach, es war gar keines da? Die Bundesregierung unterAngela Merkel stellt Haushaltsmittel aus dem Konjunk-turprogramm zur Verfügung, und Sie sagen: Es war garkeines da. Wie kann das denn angehen? Das glauben Siedoch wohl selber nicht. Ihre Bundeskanzlerin ist dochwohl noch in der Lage, Ihnen Geld zur Verfügung zustellen, vor allen Dingen, wenn Sie eine planfestgestellteSchleuse haben.Es ist vielmehr so: Sie sind nicht in der Lage, dieseSchleuse zu bauen.
Ich will Ihnen sagen, weshalb. Wir haben gerade festge-stellt, dass für Ausschreibungen in einem ganz beträcht-lichen Umfang Personal hätte zur Verfügung gestelltwerden müssen.
Aber dieses Personal ist nicht zur Verfügung gestelltworden. Es war klar, dass mindestens 20, 30 Köpfe beider WSD Nord benötigt würden, damit diese Planungenvorankommen und entsprechend technisch umgesetztwerden können. Was ist passiert? Nichts. Sie haben die-ses Personal nicht zur Verfügung gestellt. Stattdessenproduzieren Sie bis heute Überschriften nach demMotto: „Wir müssen diese verstaubte Verwaltung ein-dampfen, damit überhaupt in irgendeiner Form etwaspassiert.“ Das, was Sie da machen, ist politisch genaudas Falsche.
Sie zerstören die Wasserschifffahrtsverwaltung inDeutschland. Gleichzeitig beklagen Sie, dass IhreProjekte nicht vorankommen. Sie sind diejenigen, diemomentan dafür sorgen, dass in Deutschland Infrastruk-tur – zumindest beim Wasserbau – sträflich vernachläs-sigt wird.
Im Hamburger Abendblatt – wahrlich keine Gazette dersozialdemokratischen Partei –
vom 8. März dieses Jahres steht:Ramsauer hat versagtDer Kollaps des Nord-Ostsee-Kanals zeigt erneut,dass der Minister im Amt überfordert istDas ist schon eine große Leistung: Tatenlos siehtdie Bundesregierung dabei zu, wie Deutschlandswichtigste künstliche Wasserstraße, der Nord-Ostsee-Kanal, kaputt gefahren wird … Es schauderteinen bei dem Gedanken, wie die politische Geis-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28745
Uwe Beckmeyer
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terfahrt im Bundesverkehrsministerium bis zurBundestagswahl im September wohl enden wirdund was das Deutschland am Ende kostet.Ich will Ihnen ein weiteres Zitat aus diesem Artikel nichtvorenthalten:Doch der Minister aus Bayern, ein Freund des for-schen Wortes, lässt das Gespür für die Belange derSchifffahrt und Hafenwirtschaft in Norddeutsch-land sträflich vermissen.Meine sehr geehrten Damen und Herren, was wir hiererleben, muss uns leider betrübt machen. Denn wir er-fahren über Diskussionsbeiträge, politische Äußerungenund Antworten auf Fragen, die wir, die Sozialdemokra-ten, und auch die Grünen der Bundesregierung gestellthaben, dass es bei Ihnen die ganze Zeit ein Hin und Herbei der Haltung gibt: Wie gehen wir eigentlich bei derfünften Schleusenkammer vor?
Der Bau der fünften Schleusenkammer ist nach all dem,was wir wissen und Sie bis zum heutigen Tage bestäti-gen, notwendig, damit danach die Sanierung der ande-ren, alten Schleusen stattfinden kann. Dass erst gebautund dann saniert werden sollte, wurde übrigens vonIhnen selbst – das ist das Merkwürdige – bereits 2011, ineiner Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine An-frage der SPD-Bundestagsfraktion, infrage gestellt. Ineiner Antwort heißt es:In diesem Zusammenhang werden jetzt die vorhan-denen Vorplanungen der Grundinstandsetzung derBrunsbütteler Schleusen aktualisiert und möglicheVarianten sowohl mit als auch ohne vorlaufendenBau einer fünften Schleusenkammer geprüft.
Kollege Beckmeyer, Sie müssten jetzt bitte zum
Schluss kommen.
Ich komme zum Schluss. – Sie selbst haben zu Be-
ginn der Legislaturperiode, im ersten Jahr Ihrer Regie-
rungszeit, den gesamten Vorlauf noch einmal auf den
Kopf gestellt, noch einmal überprüfen lassen, noch ein-
mal Zeit verschwendet, um am Ende doch zu keinem
Beschluss zu kommen.
Meine sehr geehrten Damen und Herren, dramati-
scher, als Sie es in dieser Legislaturperiode getan haben,
kann man einen solchen Schleusenneubau nicht vergei-
gen. Herr Minister, dafür gehören Sie abgelöst.
Herzlichen Dank.
Der Kollege Hans-Werner Kammer hat nun für die
Unionsfraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Nach dem letzten Beitrag von Herrn Beckmeyerhatte ich die Sorge, dass der Nord-Ostsee-Kanal überseine Ufer tritt, so sehr hat er sich hier erregt.
Ich habe diese Aktuelle Stunde so erlebt, dass ichglaube feststellen zu können, dass Herr Kahrs, HerrEgloff, Frau Hagedorn und ich uns in der Sache und imHinblick auf die große Bedeutung des Nord-Ostsee-Kanals im Grunde einig sind. Aber, Frau Hagedorn, Siehaben gesagt: Als Minister Ramsauer ins Amt kam, lagder Ball auf dem Elfmeterpunkt.
Wenn der Ball auf dem Elfmeterpunkt liegt, hat vorherjemand Foul gespielt. Sie haben heute hier in dieser Dis-kussion Foul gespielt; das muss man Ihnen sehr deutlichsagen.
Diese Aktuelle Stunde hätte an sich die Überschriftverdient: Behebung von Schäden aufgrund von SPD-Versäumnissen. – Das wäre die richtige Überschrift fürdiese Aktuelle Stunde gewesen. Zehn Jahre ununterbro-chene sozialdemokratische Verkehrspolitik
hat nämlich zweifelhafte Erfolge zu verbuchen.Heute haben wir eine Tragödie besonderer Art zu be-handeln, nämlich die Situation des Nord-Ostsee-Kanals,der die meistbefahrene künstliche Wasserstraße der Weltist und eine hohe wirtschaftliche Bedeutung für Nord-deutschland, für Deutschland und für Europa hat. Ver-nünftig denkende Menschen hätten alles getan, um einesolche Lebensader zu hegen und zu pflegen. Sozialde-mokratische Verkehrsminister – sie sind hier aufgezähltworden – haben mit der Wasserstraße das gemacht, wasauch sozialdemokratische Bildungspolitiker am bestenkönnen: Sie haben alles versprochen und nichts ge-macht; auch das muss man erwähnen.
Sie haben nämlich dort, wo es notwendig und dringenderforderlich gewesen wäre, kein Geld ausgegeben. Dashat dazu geführt, dass die gut 100 Jahre alte Anlage ineinem denkbar schlechten Zustand ist.Unser Verkehrsminister Peter Ramsauer
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28746 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013
Hans-Werner Kammer
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war bei seinem Amtsantritt vom Zustand der SchleuseBrunsbüttel schockiert.
Gerade Sie von der SPD müssen sich doch vorstellenkönnen, wie schlimm es um etwas stehen muss, wennein gestandener Minister wie Herr Ramsauer schockiertist; dazu gehört schon eine Menge.
Daran sieht man, was Sie ihm überlassen haben.Einer wie Minister Ramsauer redet nicht lange drum-herum; er handelt.
Deshalb hat er unverzüglich Maßnahmen zur Reparaturund Instandsetzung des Kanals in Angriff genommen.Ihm war sofort klar: Mehr Misswirtschaft hält dieser Ka-nal nicht aus, Herr Beckmeyer. Peter Ramsauer hat dieWeichen für die Finanzierung und den Bau der fünftenSchleuse gestellt.
300 Millionen Euro aus dem Infrastrukturbeschleuni-gungsprogramm I fließen in den Bau der fünftenSchleuse. Das sind 30 Prozent der Extramilliarde für denVerkehr. Minister Ramsauer hat nicht gezaudert; an die-sem Punkt hat er geklotzt.
– Ja, Sie bedauern, dass Sie nur fünf Minuten Redezeithatten. Dann hätten Sie noch mehr über Ihre Versäum-nisse erzählen können.
Minister Tiefensee hätte all das schon tun müssen. Er hates nicht getan. 2008 hat er beispielsweise nur 100 000Euro für Maßnahmen aller Art am Nord-Ostsee-Kanalzur Verfügung gestellt. Das ist eine Summe, die uns er-schaudern lässt, aber nicht aus Ehrfurcht, sondern ausEntsetzen; das muss man dazusagen.
Was hat Ihr Minister ganz konkret für den Neubau derfünften Schleusenkammer in Brunsbüttel getan? Nichtviel! Bis 2007 ist nicht ein einziger Euro für den Neubauder Schleusenkammer ausgegeben worden, obwohl ihmbekannt war, dass dieser Neubau dringend erforderlichwar. 2008 und 2009 hat er einstellige Millionenbeträgefür die Planung zur Verfügung gestellt.
Man weiß aber – das ist den Sozialdemokratenmanchmal nicht ganz klar –, dass ein Krug so lange zumBrunnen geht, bis er bricht. Das ist in diesem Jahr ge-schehen.
Die Wasser- und Schifffahrtsdirektion Nord sah sich amAnfang dieses Monats gezwungen, die großen Schleusenin Brunsbüttel knapp zwei Wochen zu schließen. Daswar schmerzlich, aber richtig. Ansonsten hätte ein Aus-fall von mehreren Monaten gedroht. Dann wäre es fürdie Wirtschaft noch dicker gekommen. Dass das in sokurzer Zeit behoben wurde, verdanken wir dem Engage-ment der Mitarbeiter der WSD Nord, die dies verhinderthaben. Herzlichen Dank dafür!
Noch ein Punkt zu Ihren Ausführungen, FrauHagedorn: Die WSV war nicht demoralisiert und demo-tiviert. Die WSV-Mitarbeiter sind hochmotiviert. Dasschätzen wir.
– Danke. Stümperhaft sieht die Verkehrspolitik von Rot-Grün in Niedersachsen und Schleswig-Holstein aus.
Der niedersächsische SPD-Wirtschaftsminister sagt: DieKüstenautobahn wird nur gebaut, wenn die Grünen zu-stimmen. Da wackelt der Schwanz mit dem Hund. Dasist Ihre Politik.
Kollege Kammer, auch Sie müssen bitte zum Schluss
kommen. Sie müssen das an anderer Stelle fortsetzen.
Frau Präsidentin, das ist so spannend.
Ja, ich bin fasziniert.
Erlauben Sie mir einen Schlusssatz. – Unser Ver-kehrsminister dagegen hat die Initiative ergriffen undreagiert. Peter Ramsauer hat sich vor Ort die Schädenangesehen. Peter Ramsauer hat elf Mitarbeiter einge-stellt. Das ist verlässliche Infrastrukturpolitik.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 230. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. März 2013 28747
Hans-Werner Kammer
(C)
(B)
Das ist Unionspolitik. Für die Menschen. Für die Wirt-schaft. Für die Zukunft in Deutschland.Herzlichen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 21. März 2013,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.