Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist er-öffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Entwurf eines Gesetzes gegenunseriöse Geschäftspraktiken.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat die Bundesministerin der Justiz Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Die Bundesregierung hat heute im Kabinett denEntwurf eines Gesetzes gegen unseriöse Geschäftsprak-tiken beschlossen. Dieses Gesetz wird den Schutz vonVerbraucherinnen, Verbrauchern und Gewerbetreiben-den in den Bereichen Inkasso, Telefonwerbung und Ab-mahnwesen verbessern. Uns hat die Tatsache zum Han-deln veranlasst, dass es gerade in diesen Bereichenimmer wieder Beschwerden über bedenkliche Ge-schäftspraktiken gab. Lassen Sie mich in aller Kürze diewichtigsten Regelungen vorstellen.Erster Bereich: Telefonwerbung. Werbeanrufe sindbereits jetzt nur erlaubt, wenn der Verbraucher ausdrück-lich vorher einwilligt. Dennoch gibt es mit dem Gesetzaus dem Jahre 2009 weiter Probleme. Mit diesem Ge-setzentwurf erfassen wir auch die automatischen Anruf-maschinen, die bisher nicht von dem Gesetz erfasst sind.Sie sind ein großes Ärgernis für die Verbraucherinnenund Verbraucher. Wir wollen die Bußgeldobergrenzeum das Sechsfache erhöhen, von 50 000 Euro auf300 000 Euro. Und wir sehen ausdrücklich schriftlicheBestätigungsregelungen vor, wenn es um Gewinnspiel-diensteverträge geht. Hier können nämlich sehr hoheKosten für die Verbraucherinnen und Verbraucher ent-stehen.Zweiter Bereich: Abmahnungen. Abmahnungen sindein sinnvolles Instrument in unserer Rechtsordnung.Hier können berechtigte Forderungen in kürzeren Zeitenals in einem Gerichtsverfahren durchgesetzt werden.Dies ist also wichtig für die Gläubiger. Es gibt aber auchüberzogene Anwendungen der Möglichkeiten dieses In-stituts der Abmahnung. Darauf konzentriert sich unserGesetzentwurf im Urheber- und Wettbewerbsrecht. Mankann sich ja des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass derein oder andere hiermit ein gewinnbringendes Ge-schäftsmodell für sich entwickelt hat.Deshalb schaffen wir im Urheberrecht eine andereRegelung, um die Kosten für den Anwalt zu begrenzen.Wir sehen erstmals einen Regelstreitwert von1 000 Euro vor. In § 97 a Urheberrechtsgesetz gibt eseine Regelung, die bisher nicht zur Anwendung kam.Dort wollte man die Kosten bei einfach gelagerten Sach-verhalten auf 100 Euro beschränken. Dies spielte in derRealität überhaupt keine Rolle. Aber der Wille des Ge-setzgebers war schon damals, eine Beschränkung vorzu-sehen. Wir wollen jetzt einen Regelstreitwert umsetzen,der in bestimmten Einzelfällen, nach einer Einzelfallprü-fung, nach oben oder unten geändert werden kann. Wirsehen auch die Verpflichtung vor, darzulegen, welcheHandlungen ein Urheberrecht von wem verletzt haben.Es gibt also hier konkrete Anforderungen an die An-spruchsbegründung.Auch im Wettbewerbsrecht werden die Gegenstands-und Streitwerte angepasst. Es bleibt zwar dabei, dassdies im Ermessen des Gerichts liegt; aber in bestimmtenFällen kann ein Streitwert von 1 000 Euro angenommenwerden.Zum dritten Bereich – Inkasso – nur in aller Kürze:Forderungen werden ja durch Inkassounternehmen ein-gefordert und durchgesetzt. Das ist natürlich durchauslegitim. Wir wollen, dass es auch künftig Inkassounter-nehmen gibt. Diese Inkassounternehmen treiben natür-lich auch Forderungen aus dem Bereich der unlauterenTelefonwerbung oder anderen Bereichen ein. Man siehtalso: Hier kommt alles zusammen; es wird auch da ver-sucht, Forderungen aus überzogenen, unberechtigtenAbmahnungen, soweit es der Sachverhalt hergibt, über
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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ein Inkassobüro einzutreiben. Hier erweitern wir dieDarlegungs- und Informationspflichten der Inkasso-unternehmen, damit der Empfänger weiß: Welche Forde-rung von wem wird hier in Form einer Geldzahlungdurch ein Inkassobüro eingetrieben? – Das ist bishernicht immer der Fall. Alle seriösen Unternehmen legendies dar; die Unternehmen, die einfach mal ihre Forde-rungen rausschicken, tun dies nicht. Der Gesetzentwurffordert eine solche Information jetzt zwingend ein.Über die Inkassoregelsätze werden wir auf dem Wegeder Verordnung entscheiden; dafür ist eine Ermächti-gung vorgesehen. Und die Sanktionsmöglichkeiten wer-den erweitert: Das maximale Bußgeld wird von 5 000 auf50 000 Euro angehoben.So viel in der Kürze zum Inhalt des Gesetzentwurfs.Vielen Dank.
Gibt es Nachfragen? – Herr von Notz.
Frau Präsidentin! – Frau Ministerin, vielen Dank für
Ihre Ausführungen. Zunächst eine Frage zum Streitwert.
Ein früherer Entwurf sah eine Deckelung des Streitwerts
bei 500 Euro vor, nach § 49 GKG. Nun ist eine Decke-
lung bei 1 000 Euro vorgesehen. Was ist denn die inhalt-
liche Begründung dafür, dass die Deckelung nicht, wie
ursprünglich vorgesehen, bei 500 Euro, sondern nun bei
1 000 Euro liegen soll?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Wir haben in der Koalition natürlich über diesen
Punkt verhandelt. Da gab es unterschiedliche Vorstellun-
gen über die Höhe des Regelstreitwertes. Am Ende ha-
ben wir uns vor dem Hintergrund, dass Abmahnungen
letztendlich ein gerechtfertigtes und erlaubtes Instrument
sind, das man nutzen können muss, im Wege der Kon-
sensfindung auf eine Deckelung bei 1 000 Euro verstän-
digt.
Vielleicht eine Anmerkung dazu: Sie haben in Ihrem
Gesetzentwurf eine Deckelung des Streitwerts bei 700 Euro
vorgesehen. Aktuell gibt es im Rechtsausschuss eine
Anhörung zum 2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz.
Demnach wird es Stufen zur Berechnung der Anwalts-
gebühren geben: Da gibt es die Stufe bis 500 Euro und
die Stufe bis 1 000 Euro. Dann würde ein Streitwert von
700 Euro der Stufe bis 1 000 Euro zugerechnet.
Es gab also eine Konsensfindung in der Koalition,
weil dort unterschiedliche Vorstellungen über die Not-
wendigkeit der Einschränkung der Zahl der Abmahnun-
gen bestanden.
Die nächste Frage stellt der Kollege Schweickert.
Frau Ministerin, vielen Dank. Ich freue mich sehr,
dass dieses Gesetz jetzt ins Plenum kommt. Man hat zu
Recht vor dem Hintergrund der unerlaubten Telefonwer-
bung bei Verträgen mit Gewinnspieleintreibungsdiensten
– eine richtige Seuche – das Textformerfordernis ge-
wählt. Meine Frage: Warum hat man diese nicht bei al-
len am Telefon geschlossenen Verträgen vorgesehen?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Wir haben schon mit dem Gesetz, das Ende der letz-
ten Legislaturperiode in Kraft trat, eine stärkere Stellung
des Verbrauchers geschaffen. Aber es gibt auch einfache
Bestellungen, die am Telefon getätigt werden. Wir woll-
ten nicht für jeden Lebensbereich hier ausdrücklich die
Textform vorschreiben. Daher haben wir uns auf die Ge-
winnspieldiensteverträge, die Sie zu Recht als wirklich
sehr belästigend bezeichnet haben – sie sind ja auch mit
hohen finanziellen Folgen verbunden –, konzentriert und
für diese ausdrücklich das Textformerfordernis vor-
gesehen. Das wurde gerade auch aus dem Bereich Ver-
braucherzentrale Bundesverband und von Verbraucher-
schutzorganisationen an uns herangetragen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Lay.
Herzlichen Dank. – Auch wir freuen uns, dass es ei-nen Gesetzentwurf gibt, doch wir denken, dass seineReichweite im doch sehr langwierigen Verfahren leiderzulasten der Verbraucherinnen und Verbraucher verwäs-sert wurde.Ich möchte die Aufmerksamkeit auf die Frage derKontrolle der Inkassobüros lenken, die über dieses Ge-setz sozusagen reguliert werden sollen. In diesem Be-reich ist die Aufsicht auf fast 80 unterschiedliche Behör-den verteilt. Diesen Punkt kritisieren zum Beispiel dieVerbraucherzentralen scharf und sagen, dass eine zer-splitterte Aufsicht in dieser Form nichts bringen wird.Meine Frage ist: Warum haben Sie diese Entscheidunggetroffen? Wie begegnen Sie diesem Vorwurf?Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Durch den Gesetzentwurf werden die Möglichkeiten,Aufsicht auszuüben und wahrzunehmen, deutlich ver-bessert bzw. aus Sicht anderer verschärft, indem wir dasWiderrufsrecht in Bezug auf die Registrierung erweitern.Es ist vorgesehen, dass die Landesjustizverwaltungender Länder darüber entscheiden, welche Behörden dieAufsicht ausüben. Dieser Bereich fällt in die Zuständig-keit der Länder. Wir wollen den Ländern nicht vorschrei-ben, wie sie das zu organisieren haben.
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Frau Crone.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, Sie
wurden eben schon gefragt, warum es nur bei Gewinn-
spielverträgen eine schriftliche Bestätigung geben soll.
Andere untergeschobene Verträge, zum Beispiel Zeit-
schriftenabonnements, bleiben außen vor. Der Bundesrat
hat aber schon 2008 gefordert, dass eine schriftliche Be-
stätigung für alle Vertragsabschlüsse, die durch uner-
laubte Werbeanrufe zustande kommen, erfolgen soll.
Warum haben Sie diesen Vorschlag nicht aufgegriffen?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Dieser Vorschlag lag ja den Gesetzgebungsarbeiten
der damaligen Regierung aus CDU, CSU und SPD zu-
grunde. Auch meine Vorgängerin im Amt, Frau Zypries,
hat ausdrücklich keine Erweiterung der Bestätigungs-
regelung vorgesehen. Wir haben 2009 – so wie im Ge-
setz vorgesehen – evaluiert, also Umfragen gestartet, um
zu erfahren, wie sich dieses Gesetz zur Eindämmung un-
erlaubter Telefonanrufe auswirkt.
Aufgrund der daraus gewonnenen Erkenntnisse sind
wir im Bundesjustizministerium überzeugt, dass es rich-
tig ist, nur für den Bereich, der mit finanziellen Auswir-
kungen ziemlich großen Ausmaßes verbunden ist, die
Textform vorzusehen, aber eben nicht für alle Bereiche
der geschäftlichen Betätigung, die über das Telefon er-
folgt. Das geht aus unserer Sicht letztendlich zu weit.
Das ist auch nicht unbedingt im Interesse des Verbrau-
chers. Wir möchten mit diesem Gesetzentwurf eben be-
stimmten Auswirkungen Einhalt gebieten.
Herr Thomae.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Minister, die
Intention bzw. die Zielsetzung des Gesetzentwurfs ist
sehr zu begrüßen. Es ist geradezu notwendig, Miss-
brauch einzudämmen, nicht zuletzt auch, um die Akzep-
tanz des Urheberrechts zu erhöhen.
Bei der Lektüre des Gesetzentwurfs entsteht aber mit-
unter der Eindruck, dass Rechteinhaber als Feindbild be-
trachtet bzw. Abmahnungen zu sehr verteufelt werden,
obwohl Rechteinhaber doch auch die Chance haben
müssen, ihre Rechte zu verteidigen und wahrzunehmen.
Abmahnungen sind dabei ein Instrument, um Streit au-
ßergerichtlich beizulegen und Gerichtsverfahren zu ver-
meiden. Daher meine Frage an Sie: Könnte es nicht sein,
dass der Entwurf in dem einen oder anderen Punkt etwas
über das Ziel hinausschießt und dadurch vielleicht Miss-
verständnisse befeuert werden?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Natürlich soll hier keinerlei falsches Feindbild er-
zeugt werden. Es gibt Urheberrechte, die im Urheber-
rechtsgesetz geregelt sind. Unmittelbar der Urheber,
aber auch Rechteinhaber – das sieht unsere Rechtsord-
nung ja ausdrücklich vor – haben den Anspruch, ihre
Rechte durchzusetzen. Deswegen gehen wir nicht den
Weg, Abmahnungen per se als ein unseriöses Instrument
zu verteufeln, das genutzt wird, um Nutzer zu drangsa-
lieren.
Andererseits gibt es eine Regelung für – so sage ich
das einmal – Fälle von nicht erheblichem Ausmaß. Für
besondere Einzelfälle haben wir eine Öffnungsklausel
vorgesehen. Da geht es überwiegend um junge Internet-
nutzer ab 14 Jahren. Nach Erkenntnissen, die uns von
Verbraucherschutzzentralen und -vereinen zugetragen
worden sind – ich erwähne das hier, ohne damit zu sa-
gen, dass das alles bis ins Letzte repräsentativ und rechts-
tatsächlich untersucht ist –, sehen sich häufig gerade
junge Menschen, die ein- oder zweimal etwas aus dem
Internet heruntergeladen haben, ohne zu wissen, dass sie
dabei Urheberrecht verletzen, umfassenden Forderungen
gegenüber. Deshalb haben wir für Unterlassungs- und
Beseitigungsansprüche einen Regelstreitwert vorgese-
hen. Diese Regelung gilt nicht für Schadenersatzansprü-
che selbst.
Daher ist auf der einen Seite die Rechtedurchsetzung
nach wie vor sehr wohl möglich, auf der anderen Seite
wird aber auch der Nutzer, den wir für das Urheberrecht
gewinnen wollen, geschont. Ihm soll das Urheberrecht
nicht allein in Form von Abmahnungen zur Durchset-
zung von Rechten, die er in dem Moment vielleicht gar
nicht bewusst verletzt hat, begegnen. Ich glaube, in die-
sem Spannungsfeld haben wir einen richtigen Weg ge-
funden. Wir sind den Weg gegangen, den der Gesetzge-
ber schon ursprünglich vorgesehen hatte. Wir mussten
aber einfach konstatieren, dass die derzeit geltende Re-
gelung nicht die Wirkung entfaltet hat, die der Gesetzge-
ber damals beabsichtigt hat.
Frau Maisch, bitte.
Frau Ministerin, danke für den Bericht. Ich habe eineFrage zum Thema Inkasso. In den vorherigen Fragen istschon deutlich geworden, dass die Aufsicht sehr wichtigist. Daneben ist aber sicher auch die Frage der Inkasso-kosten zentral. Diese Frage wird nicht im Gesetzentwurfgeregelt, sondern es soll eine Verordnung geben. Sie ha-ben sich mit Ihren Kollegen im Kabinett sehr viele Mo-nate lang über dieses Thema unterhalten. Mich würdeinteressieren, in welche Richtung Sie bei der Inkasso-kostenverordnung gehen wollen. Wird diese Verordnungan die Verordnung über die Anwaltskosten angelehnt?Welche Höhe stellen Sie sich vor?Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Es gibt noch keine fertige Verordnung, die Inkasso-regelsätze und Höchstsätze vorsieht. Wir werden denBlick natürlich auch auf bestehende Regelungen in ande-ren Rechtsbereichen richten. Ich kann Ihnen hier undheute aber keine Beträge nennen. Wenn wir absehen
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Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
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können, dass dieses Gesetz nach Beratungen im Bundes-tag und intensiven Gesprächen mit Experten, die sicher-lich stattfinden werden, ins Gesetzblatt kommt, werdenwir das ausgestalten; das werden wir dann sehen. Wirwerden dabei natürlich Regelungen, die es in anderenBereichen gibt, im Blick haben.
Frau Drobinski-Weiß, bitte.
Frau Ministerin, gemeinhin sagt man: Was lange
währt, wird endlich gut. Das können wir bei diesem Ge-
setzentwurf überhaupt nicht sagen. Ein Beispiel: Sie ha-
ben die Regelstreitwerte auf 1 000 Euro festgelegt. Das
heißt, dass bei einer einmaligen Abmahnung für einen
der jungen Menschen, die ein Foto aus dem Internet he-
runtergeladen und auf ihre Homepage gestellt haben,
155 Euro fällig werden. Ich finde, das ist eine stolze
Summe. Sie können sich natürlich vorstellen, dass wir
diese Summe für viel zu hoch halten. Mich würde inte-
ressieren, wie hoch die Kosten einer auf solche Fälle
spezialisierten Anwaltskanzlei für eine solche Stan-
dardabmahnung sind. Ich könnte mir vorstellen, dass Sie
dazu Daten haben.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Wir haben natürlich keine Daten dazu, welche Kosten
in Anwaltsbüros entstehen. Die Anwaltsbüros müssen
selbst entscheiden, was sie investieren wollen, um
Rechtsansprüche durchzusetzen, und ob das Verhältnis
zwischen dem Aufwand und der Einnahme, die auf Ba-
sis der gesetzlich festgelegten Regelungen zur Berech-
nung von Vergütungen erzielt werden kann, stimmt.
Wenn man aber berücksichtigt, wie Streitwerte derzeit
festgesetzt werden, dass die Streitwerte in diesen Verfah-
ren häufig bei weit über 1 000 Euro liegen, dann sieht
man, dass der vorgesehene Regelstreitwert eine deutli-
che Verbesserung darstellt. Damit ändern wir übrigens
das gesamte System. Wir kommen weg von dem derzei-
tigen System, in dem 100 Euro festgeschrieben waren,
und legen einen Regelstreitwert zugrunde.
Ich sage Ihnen ganz ehrlich: Jeder muss selbst ent-
scheiden, welchen Aufwand er betreiben will, um An-
sprüche durchzusetzen. Die Frage, ob sich das dann für
jede Tätigkeit des Anwalts rechnet oder nicht, hat uns
nicht beschäftigt. Wir wollen mit diesem Gesetzentwurf
eine Regelung vorsehen, die für die Verbraucherinnen
und Verbraucher nachvollziehbarer ist als diejenige, die
bisher im Gesetz verankert ist.
Herr Höferlin, bitte.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, die
Bundesregierung möchte ja mit dem Gesetzentwurf den
sogenannten fliegenden Gerichtsstand ein Stück weit
eindämmen oder sogar abschaffen. Es gibt durchaus Ein-
wendungen – diese wurden auch vorgetragen –, etwa,
dass Verfahrenskonzentrationen zu Spezialisierungen
geführt haben. Vielleicht können Sie kurz erklären, wel-
che Abwägungen da stattgefunden haben.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Der sogenannte fliegende Gerichtsstand ist ja in unse-
rer Rechtsordnung derzeit vorgesehen. Es geht dabei da-
rum, dass der Ort, an dem die Verletzungshandlung
wahrgenommen wird, dann auch Gerichtsstand ist und
nicht, wie es die Regelannahme in unserer Rechtsord-
nung ist, der Sitz des Beklagten. Dieser Regelannahme
liegt natürlich die Überlegung zugrunde, dass der Be-
klagte, der sich einer Forderung vor Gericht erwehren
muss, nicht so weite Wege haben soll und sein Recht
entsprechend wahrnehmen können soll. Das ist zum Bei-
spiel im Wettbewerbsrecht anders. Wir ändern das jetzt
im Wettbewerbsrecht und lassen diesen sogenannten
fliegenden Gerichtsstand nur noch zu, wenn der Be-
klagte keinen Wohnsitz in Deutschland hat; sonst soll
sein Wohnsitz als Gerichtsstand gelten.
Im Wettbewerbsrecht sind – das ist streitwertunab-
hängig – immer die Landgerichte die zuständigen Ge-
richte. Dadurch haben wir schon eine Konzentration.
Von daher sagen wir: Es gibt eine Konzentration auf Ge-
richte, die mehr mit diesen Verfahren befasst sind. Aber
wir kommen davon weg, dass sich der Kläger den Ge-
richtsstand selbst aussucht; denn je mehr das Internet
eine Rolle spielt, umso mehr könnte man sich in ganz
Deutschland einen Gerichtsstand suchen.
Damit gehen wir jetzt im Gesetz gegen unlauteren
Wettbewerb, also in Wettbewerbssachen, einen ersten
Schritt zur Eindämmung des Instruments des sogenann-
ten fliegenden Gerichtsstandes. Ich denke, dass die Ar-
gumente dafür sprechen, diesen Weg jetzt zu gehen und
im Sinne des Beklagten zu versuchen, für ihn eine etwas
bessere Rechtslage zu schaffen.
Frau Tack, bitte.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Ich habe eineFrage zu den datenschutzrechtlichen Einwilligungen. Indem Gesetzentwurf, den Sie vor einem Jahr vorgelegthatten, war ja vorgesehen, dass es nicht mehr ausreicht,nur allein in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen dieEinwilligung zur Weitergabe von Daten vorzusehen.Jetzt, nachdem Sie in der Koalition ein Jahr lang beratenhaben, haben Sie einen Gesetzentwurf vorgelegt, in demdas nicht mehr so enthalten ist. Jetzt muss man nichtmehr aktiv sagen: Ja, ich bin damit einverstanden, dassmit meinen Daten gearbeitet wird. Vielmehr reicht esweiterhin aus, diese Einwilligung ausschließlich in denAllgemeinen Geschäftsbedingungen vorzusehen. Ichwürde Sie bitten, uns zu erklären, warum Sie das jetztaus dem Gesetzentwurf herausgenommen haben.Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Ja, wir hatten ursprünglich solch eine Überlegung an-gestellt. Aber in den intensiven Beratungen, nicht nur inder Bundesregierung zwischen den Ressorts, sondern
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natürlich auch mit Verbänden und Experten ist deutlichgeworden, dass das Ausmaß, die Auswirkungen und dieWirkungsbreite dieser Regelung nicht voll überschaubarwaren. Es hätte Bereiche betroffen, in denen man immerjeweils neu hätte darüber nachdenken müssen, weil es janicht begrenzt gewesen wäre. Ursprünglich war ja einesehr weite Regelung angedacht, die viele Bereiche be-troffen hätte. Letztendlich hätten wir eine zu weit ge-hende Regelung gehabt. Da wir nicht wollten, dass es zuweit geht, haben wir diese Regelung wieder herausge-nommen und uns auf die vier Punkte, die jetzt enthaltensind, konzentriert.Ich glaube, dass es richtig ist, sich losgelöst von die-sem Gesetzgebungsvorhaben einmal mit dieser Frage,vor allem auch mit den Auswirkungen auf alle mögli-chen Berufe, intensiv zu befassen und eine konkretereEinzelregelung hierfür zu finden. Deshalb haben wir eshier wieder herausgenommen.
Herr von Notz, bitte.
Frau Ministerin, ich nehme noch einmal Bezug auf
die Höhe des Streitwertes. Wir sind uns in der Bestre-
bung – zumindest verbal, glaube ich – einig, die Zahl der
Abmahnungen wesentlich einzudämmen. Die Verbrau-
cherschutzzentralen sagen, dass es in den letzten Jahren
4,3 Millionen Abmahnungen gegeben hat. Es stellt sich
also die Frage, wie man sie effektiv eindämmen kann.
Sie haben den Streitwert jetzt nicht bei 500 Euro, son-
dern bei 1 000 Euro gedeckelt. Ursprünglich hatten Sie
gesagt, dass Sie den sogenannten fliegenden Gerichts-
stand vollständig abschaffen wollen. Das haben Sie ge-
rade relativiert und verbrämt dargestellt, dass selbst der
sogenannte fliegende Gerichtsstand nicht abgeschafft
wird.
Warum sind Sie nicht an das eigentliche Problem, den
Drittauskunftsanspruch für nichtgeschäftlichen Verkehr,
herangegangen? In dem ursprünglichen Gesetzentwurf,
auf den heute mehrfach Bezug genommen wurde, war
nicht eigentlich vorgesehen gewesen, dass Menschen,
die nicht geschäftsmäßig im Netz unterwegs sind, über-
haupt in der Form abgemahnt werden können und man
an deren Daten über die Provider so einfach herankom-
men kann. Warum haben Sie nicht den effektivsten Weg
gewählt und den Drittauskunftsanspruch gestrichen, da-
mit nur diejenigen verfolgt werden können, die ein Ge-
schäft betreiben bzw. mit Rechteverletzung Geld verdie-
nen?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Der Auskunftsanspruch hinsichtlich des Rechteverlet-
zers, was Dritte anbelangt, ist in § 101 Abs. 2 Urheber-
rechtsgesetz geregelt. Sie wissen, dass das eine generelle
Vorgabe ist, die sich aus europäischer Gesetzgebung er-
gibt. Wir haben uns schon in der letzten Legislatur-
periode, als die Gesetzesänderung zu §§ 97 a und 101
verabschiedet wurde, sehr intensiv über dieses neue
Institut des Anspruchs gegen Dritte unterhalten. Das ist
damals ins Gesetz aufgenommen worden.
Inzwischen gibt es zum § 101 auch höchstrichterliche
Rechtsprechung. Wir werden uns den § 101 einmal ins-
gesamt – immer mit Blick darauf, was europarechtlich
überhaupt geht – anschauen. Es gibt dazu sehr viele For-
derungen, auch solche in der Richtung, wie Sie sie auf-
stellen. Es gibt aber auch Forderungen, die in eine ganz
andere Richtung gehen, nämlich den Auskunftsanspruch
noch viel, viel weiter zu fassen, als es derzeit der Fall ist.
Sie haben in Ihrem Entwurf die Begriffe „geschäft-
lich“ und „gewerblich“ verwendet sowie die Anforde-
rungen genannt. Das ist auch im Hinblick auf die euro-
päische Vorgabe, um es vorsichtig zu sagen, nicht
unproblematisch. Deshalb haben wir bewusst den § 101
– mit ihm verbinden sich sehr viele Punkte und Forde-
rungen in die eine wie in die andere Richtung – nicht ge-
ändert, sondern das System in Richtung auf eine Streit-
wertregelung umgestellt. Damit haben wir – so sehen
wir das – eine deutlich bessere Chance, Abmahnüber-
treibungen oder „Abzocke“ einzudämmen.
Frau Lay, bitte.
Ich möchte gerne noch einmal auf die Frage der Be-grenzung der Inkassogebühren zu sprechen kommen.Das ist ein Thema, welches die Öffentlichkeit bewegt;denn es kommen immer noch Pressemeldungen, dasseine 87-Jährige wegen 5 Cent nicht bezahlten Geldesspäter Inkassogebühren in Höhe von 35 Euro zahlenmuss. Genau deshalb haben wir als Linke in unseremAntrag gefordert, eine Begrenzung der Inkassogebührenin der Form vorzunehmen, dass sie sich an der Hauptfor-derung zu orientieren haben. Deswegen verstehe ich,ehrlich gesagt, nicht, warum das nicht im Gesetz gere-gelt werden soll, sondern nur in einer Verordnung. Viel-leicht können Sie mir das erklären.Können Sie mir außerdem erklären, warum es statt ei-ner Orientierung an der Hauptforderung eine Gebühren-pauschale geben soll? Mit einer Orientierung an derHauptforderung könnten diese Fantasiegebühren endlicheinmal begrenzt werden.Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Wir wollen die Inkassoregelsätze in einer Verordnung– ich glaube, da sind sie auch richtig aufgehoben – auf-wandsbezogen und unter Berücksichtigung angemesse-ner Gewinnanteile festlegen. Ich denke, es ist richtig,diese Kriterien dort zugrunde zu legen. Wir wollen einerealistische Kostenerstattungsregelung und nicht, dassüber Gebühr Forderungen gegenüber demjenigen erho-ben werden, der eine Hauptforderung zu begleichen hat.Damit wirken wir auch der heute bestehenden uneinheit-lichen Praxis entgegen. Ich denke, es ist richtig, dieseEinzelheiten – da kann man nicht nur einen Satz oder ei-nen Betrag hineinschreiben – in einer Verordnung ent-sprechend zu regeln.
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Herr Kelber, bitte.
Frau Ministerin, Sie hatten auf die Frage der Kollegin
Crone hin geäußert, es sei den Verbraucherschutzverbän-
den fast ausschließlich um die schriftliche Bestätigung
von Gewinnspielverträgen gegangen. Ich darf das kurz
korrigieren. In der Stellungnahme vom Verbraucherzen-
trale Bundesverband zu Ihrem Entwurf heißt es wörtlich:
Das Erfordernis der Bestätigung muss generell gel-
ten, nicht nur für Gewinnspieldienste.
Ich möchte auf den Kern zurückkommen. Pro Jahr
werden Zehntausende, vielleicht sogar Hunderttausende
von Familien von spezialisierten Abmahnanwälten we-
gen kleiner, oft unabsichtlicher Urheberrechtsverstöße
– oft geht es um ein Bild, das verwendet wird – mit
Abmahnungen überzogen. Da Sie der Kollegin
Drobinski-Weiß geantwortet haben, dass Sie nicht wis-
sen, wie hoch die Kosten sind, die einer spezialisierten
Abmahnkanzlei, die ja hochautomatisiert arbeitet, ent-
stehen, frage ich Sie: Können Sie ausschließen, dass eine
Verringerung der Gewinne mit einer Erhöhung der Zahl
der Fälle einhergeht? Wie können Sie ausschließen, dass
die von Ihnen geplante Ausnahmeregelung, nach der un-
ter bestimmten Umständen doch mehr Geld verlangt
werden kann, massenhaft Verwendung finden wird?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Zunächst einmal habe ich nicht gesagt, dass die Ver-
braucherverbände gefordert haben, nur bei Gewinnspiel-
diensteverträgen eine Bestätigungsregelung vorzusehen,
sondern ich habe darauf hingewiesen, dass uns gerade
dieser Fall immer wieder geschildert wurde. Unser Vor-
schlag zur Bestätigungsregelung liegt übrigens ganz auf
der Linie, die die damalige Bundesregierung in der letz-
ten Legislaturperiode entwickelt hat.
Mit einem Regelstreitwert von 1 000 Euro, der nach
den geltenden Regelsätzen Anwaltsgebühren in Höhe
von 155,30 Euro verursacht – wenn das 2. Kostenrechts-
modernisierungsgesetz in Kraft ist, werden es 139 Euro
und ein paar Cent sein –, werden wir den Sachverhalten,
die Sie geschildert haben, gerecht. Unseren Überlegun-
gen lag zugrunde, dass gerade junge Menschen, aber
auch ältere, die sich keine Gedanken machen und ein-
fach ein oder zwei Titel herunterladen, erhebliche
Schwierigkeiten bekommen können. Sie sehen sich nicht
nur mit einem Anspruch auf Beseitigung und Unterlas-
sung konfrontiert, sondern auch mit finanziellen Forde-
rungen, vor allem in Form von Anwaltsgebühren. Ich
denke, gerade diesem Problem werden wir mit der ge-
planten Regelung entgegentreten.
Im Vorfeld ist immer wieder kritisiert worden, dass
wir an dieses Thema überhaupt herangehen. Man hatte
sich ja mit dem geltenden § 97 a des Urheberrechtsgeset-
zes, mit dem man das Ziel verfolgt hat, hier für eine Ein-
dämmung zu sorgen, gut eingerichtet; damit war man al-
lerdings nicht auf der Erfolgsspur. Ich denke, mit der
vorgesehenen Umstellung wird uns das gelingen. Wir
können zwar nicht hellsehen und wissen nicht, wie sich
die Akteure verhalten werden. Aber ganz eindeutig
beseitigen wir die Anreize, hier entsprechend tätig zu
werden.
Natürlich gibt es auch sehr umfangreiche, schwerwie-
gende Urheberrechtsverletzungen. Dazu kann es schon
dadurch kommen, dass man einen Film ins Internet
stellt, bevor er in einer Premiere gezeigt worden ist; ich
glaube, jeder weiß, dass das nicht erlaubt ist. Es ist rich-
tig, für einen solchen Einzelfall – es wird vielleicht nur
ein einziger Fall sein – eine Öffnungsklausel zur Verfü-
gung zu haben, die es ermöglicht, einen höheren Betrag
zu fordern. Aber ich denke, die Masse der Fälle wird
durch die geplante Regelung erfasst.
Es gibt noch drei Fragen, die ich von der Zeit her
noch zulassen kann. – Zunächst Herr Schweickert, bitte.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Frau Ministerin, uns
liegt der Entwurf eines Gesetzes gegen unseriöse Ge-
schäftspraktiken vor. Es gibt zwar unseriöse Inkasso-
firmen, aber es gibt auch sehr viele seriöse Inkassofir-
men, die außergerichtlich Forderungen für Unternehmen
oder Handwerksbetriebe eintreiben; das tun sie übrigens
für beide Seiten sehr kostengünstig. Meine Frage an Sie
lautet: Wird es seriösen Inkassofirmen in Zukunft wei-
terhin möglich sein, Forderungen kostengünstig außer-
gerichtlich beizutreiben, oder wird dann besonders viel
Bürokratie anfallen?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Wir haben Informations- und Darlegungspflichten
vorgesehen. Die allermeisten Firmen, die das Inkassoge-
schäft seriös betreiben – es ist ein legales und legitimes
Anliegen, das zu machen –, geben in ihren Forderungs-
schreiben schon heute die Informationen bekannt, die
wir auch im Gesetz verlangen. Aber es gibt eben auch
Fälle, in denen ein Verbraucher ein Schreiben bekommt,
in dem die Hauptforderung nicht beziffert ist, in dem
nicht genannt ist, wer der Inhaber der Forderung ist, von
wann sie ist oder auf welchen Sachverhalt sie zurück-
zuführen ist. Wir wollen verlangen – auch im Interesse
der Nachprüfbarkeit durch den Verbraucher, also durch
denjenigen, der Geld bezahlen soll –, dass diese Infor-
mationen in einem Forderungsschreiben kundgetan wer-
den. Dadurch wird Inkassofirmen, die Massenschreiben
herausschicken, natürlich ein Stück weit das Geschäft
erschwert bzw. vermasselt. Das ist ja auch unsere
Absicht. Für die Unternehmen, die seriös arbeiten – das
ist die überwältigende Mehrheit –, sind diese Anforde-
rungen ja kein Problem.
Jetzt kommt Frau Drobinski-Weiß, und weil wir keinesehr volle Fragestunde haben, würde ich noch HerrnThomae, Herrn Kelber und Frau Lay zulassen und dannübergehen in die Fragestunde. – Frau Drobinski-Weiß.
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Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Ministerin, mir
ist nicht ganz klar, warum die Deckelung der Abmahn-
gebühren beispielsweise für kleine Selbstständige nicht
gelten soll; da hätte ich gerne eine Antwort von Ihnen.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Meinen Sie Urheberrechts- oder Wettbewerbsabmah-
nungen?
– Urheberrecht. – Wir befassen uns hier – und das ist
auch richtig – ausschließlich mit den privaten Nutzern,
dem Einzelnen, der natürlichen Person, die wegen
Unterlassungs- und Beseitigungsansprüchen abgemahnt
wird. Gerade private Nutzer geraten häufig in solche
Situationen; denn sie befassen sich nicht mit dem Urhe-
berrecht, sie kennen es nicht.
Ein Gewerbetreibender muss sich mit diesen Dingen
befassen, er muss mit den normalen Regelungen umge-
hen können. Dazu gehört, sich zu erkundigen, wo das
Urheberrecht zu beachten ist.
Herr Thomae.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Minister, eine
Frage zum Inkassoteil des Gesetzes, und zwar zum
Kapitel Aufsicht über die Inkassounternehmen. Wäre es,
um bei den Inkassounternehmen die Spreu vom Weizen
zu trennen, nicht ein Ansatz, die Aufsicht effektiver zu
gestalten und sie vielleicht bei den Landgerichten zu
konzentrieren?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Wir haben uns bei den Aufsichtsregelungen an die
derzeitige Verteilung Bund/Länder gehalten. Es obliegt
den Ländern, das festzulegen. Wir wissen aus anderen
Gesetzgebungsvorhaben aus ganz anderem Zusammen-
hang: Wenn wir versuchen, den Ländern nähere Vorga-
ben zu machen, stößt das in den allermeisten Fällen nicht
auf breite Zustimmung. – Von daher belassen wir diesen
Punkt in der Kompetenz der Länder und ändern das ma-
terielle Recht, zum Beispiel im Zusammenhang mit dem
Widerruf einer Registrierung.
Herr Kelber.
Frau Ministerin, ich würde gern noch einmal auf diese
Ausnahmeregelung zurückkommen, die Regelung, wann
die Begrenzung nicht gültig ist. Ich befürchte, dass diese
Ausnahmeregelung wieder zum Schlupfloch für die spe-
zialisierten, industriell arbeitenden Abmahnkanzleien
wird.
Sie haben ein Beispiel dafür genannt, wo Sie die Aus-
nahmeregelung für notwendig halten. Wäre bei diesem
Beispiel tatsächlich eine Aufweichung notwendig? Beim
Inverkehrbringen eines noch nicht im Kino gezeigten
oder auf DVD veröffentlichten Films ist doch nicht die
Abmahngebühr das Entscheidende, sondern die Höhe
der zivilen Entschädigungszahlung. Warum soll ein
Rechtsanwalt dafür eine beliebig höhere Gebühr von ei-
ner Familie zum Beispiel eintreiben können?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Dieser Regelstreitwert bezieht sich nicht auf Scha-
densersatzforderungen, sondern auf Unterlassungs- und
Beseitigungsansprüche.
Im Zusammenhang mit der Begrenzung von Entwick-
lungen, die wir zu Recht übereinstimmend kritisieren,
wäre es, denke ich, nicht der richtige Maßstab, so vorzu-
gehen. Deswegen beschränken wir es darauf.
Die Schadensersatzforderungen bleiben; sie werden
nicht eingeschränkt. Niemand denkt daran, zu sagen: „Es
gibt nie einen höheren Schadensersatz als …“ oder „Man
macht einen Regelschadensersatz“. Das ist unserem
Recht in dieser Form nicht bekannt. Wenn man da heran-
gehen wollte, müsste man sich das gesamte Schadenser-
satzrecht vornehmen. Ich würde einmal sagen, das ist ein
Reformvorhaben für mindestens eine, wenn nicht mehr
Legislaturperioden.
Frau Lay.
Vielen Dank. – Frau Ministerin, ich möchte auchnoch einmal auf urheberrechtliche Massenabmahnungenund die Ausnahmeregelungen, die hier vorgesehen sind,zu sprechen kommen. Diese Ausnahmeregelungen sindnicht zuletzt der Grund dafür, dass die Verbraucherzen-tralen sagen: Dieser Gesetzentwurf bringt eine Ver-schlechterung gegenüber der bisherigen Regelung, näm-lich wenn formuliert wird, dass von dem Regelstreitwertvon 1 000 Euro dann eine Ausnahme gemacht werdenkann, wenn er nach den besonderen Umständen desEinzelfalls unbillig ist. Die Verbraucherzentralen be-fürchten, dass der schützende Gebührendeckel dadurchaufgeweicht wird, und fordern eine Streichung dieserAusnahmeregelung. Wie sehen Sie das?Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Der Streitwert kann genauso nach unten gehen – beiForderungen, die so gering sind, dass der Regelstreitwertvon 1 000 Euro zu hoch ist –; auch das wird mit dieserMöglichkeit eröffnet. Gegenüber der jetzigen Regelungist diese Änderung der Systematik in jedem Fall eine
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28328 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(C)
(B)
deutliche Verbesserung, weil die bisherige Begrenzungüberhaupt nicht gegriffen hat. Dass manche mehr wollenund darüber hinausgehen wollen, ist in der politischenDiskussion normal. Ich denke aber, wir legen hier wirk-lich ein in sich sehr überzeugendes Verbraucherschutz-paket vor.
Damit sind wir am Ende der Befragung der Bundes-
regierung zur heutigen Kabinettssitzung.
Ich rufe Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 17/12647 –
Ich rufe die mündlichen Fragen auf Drucksache
17/12647 in der üblichen Reihenfolge auf.
Die Fragen 1 und 2 der Kollegin Dr. Tackmann, die
den Geschäftsbereich des Bundesministeriums für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz be-
treffen, werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Verteidigung. Zur Beantwortung
steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian
Schmidt bereit.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Inge Höger auf:
Ist das Bundesministerium der Verteidigung bzw. die Bun-
tion“ von Cassidian, der Rüstungssparte der Firma EADS,
beteiligt, und, wenn ja, in welcher Weise unterstützt sie die im
Rahmen dieses Projekts geplante Erstellung eines UAV-
Demonstrators und damit die Entwicklung einer Kampf-
drohne?
Herr Schmidt, bitte.
C
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Höger, Ihre Frage
beantworte ich wie folgt: Das Bundesministerium der
Verteidigung ist an dem Technologiedemonstrator
SAGITTA der Firma Cassidian ausschließlich indirekt
beteiligt, also nicht direkt. Die Universität der Bundes-
wehr München hat in Bezug auf dieses Projekt einen
Drittmittelauftrag der Firma Cassidian eingeworben.
Eine darüber hinausgehende Beteiligung der Bundes-
wehr findet nicht statt.
Mit dem Technologiedemonstrator sollen anhand
eines Nurflügelkonzeptes innovative Antriebs- und
Flugsteuerungskonzepte untersucht werden. Schon aus
dem Begriff SAGITTA – lateinisch für Pfeil – ergibt sich
ja, dass hier gerade dieses Spezifikum eines Nurflügel-
konzeptes untersucht werden soll.
Darüber hinaus soll der wissenschaftliche Nachwuchs
an die Projektarbeit herangeführt und gefördert werden.
Frau Höger, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte schön.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt,
das Bundesministerium für Verteidigung gibt keine Gel-
der für die Forschung in Bezug auf dieses Projekt. Gibt
es Forschungsgelder aus dem Forschungsministerium?
Wenn es so ist: Wie sieht es mit Zivilklauseln an Univer-
sitäten aus – ich weiß nicht, ob die TU München eine
Zivilklausel hat –, wenn für ein militärisches Projekt
geforscht wird?
C
Frau Kollegin, bezüglich Ihrer Frage zu den Drittmit-
teln kann ich jetzt nur im Hinblick auf die Universität
der Bundeswehr München berichten. Die Frage, ob
andere Universitäten außerhalb der Zuständigkeit des
Bundesministeriums der Verteidigung oder andere
Forschungseinrichtungen hierfür auch Drittmittel einge-
worben haben, kann ich Ihnen nicht beantworten. Die
Antwort auf diese Frage müsste ich, soweit sie die Bun-
desregierung betrifft, nachreichen.
Die Leistungen, die die Universität der Bundeswehr
München mit den Drittmitteln in diesem Projekt
erbringt, umfassen die Untersuchung von neuartigen
Flugführungs- und Missionsmanagementkonzepten und
beziehen sich auf die Schnittstelle Mensch/Maschine in
der Bodenkontrollstation zur intelligenten Führung, auf
die Missionssensorik und auf den Missionscomputer.
Frau Höger, Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte
sehr.
Herr Schmidt, wir haben hier ja schon eine Aktuelle
Stunde zur eventuellen Anschaffung von Kampfdrohnen
durch die Bundeswehr gehabt. Ist bei dieser Forschung
an Tarnkappendrohnen die Priorisierung vorweggenom-
men, dass man diese Drohnen später anschaffen möchte?
C
Das kann ich ausschließen. Eine Priorisierung im
Sinne einer Beschaffung oder einer Beteiligung an ei-
nem entsprechenden Projekt für UAV, dem englischen
Begriff für unbemanntes Fluggerät – Unmanned Aerial
Vehicle –, und einer entsprechenden Nutzung in einem
nationalen oder perspektivisch wohl eher europäischen
Projekt ist damit nicht verbunden. Das bewegt sich hier
im Rahmen der allgemeinen Forschung und Forschungs-
unterstützung – natürlich auch in Bezug auf die Wehr-
technik –, die die Universität der Bundeswehr München
unterstützt. Eine Auswahl oder Entscheidung ist hiermit
nicht verbunden.
Die Frage 4 der Kollegin Katja Keul wird schriftlichbeantwortet.Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28329
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(C)
(B)
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatsse-kretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.Ich rufe die Frage 5 der Kollegin Ekin Deligöz auf:Haben Erkenntnisse aus der von der Bundesregierung ver-anlassten Evaluation der Familienleistungen zu der öffentlicherklärten Absicht beigetragen, ein Familiensplitting einzufüh-ren, und, wenn ja, welche Untersuchungsergebnisse genauwurden hierzu herangezogen?Herr Staatssekretär.Dr
Die Frage, inwieweit in der politischen Debatte über
Familiensplitting die Evaluation der Familienleistungen
eine Rolle spielt, kann ich so beantworten, dass sie keine
Rolle spielt. Die Debatte über Familiensplitting, die ge-
genwärtig geführt wird, ist eine politische Debatte da-
rüber, wie man künftig Familienleistungen meint gestal-
ten zu sollen. Bei der Gesamtevaluation dieses Projektes,
das vom Familienministerium und vom Finanzministe-
rium in Auftrag gegeben worden ist, spielt das keine
Rolle.
Sie kennen, Frau Deligöz, die elf Module, die fertig-
gestellt und zu einem großen Teil schon veröffentlicht
worden sind. Das sind Versuche, Sachzusammenhänge
herzustellen. Das ist, wenn Sie so wollen, ein umfängli-
ches, letztlich wissenschaftlich abgesichertes Projekt.
Aber dabei spielt die aktuelle Diskussion über Familien-
splitting keine Rolle.
Frau Deligöz, eine Nachfrage? – Bitte schön.
Herr Staatssekretär, trifft es zu, dass in Ihrem Hause
derzeit ein Modell des Familiensplittings überprüft
wird?
Dr
Das trifft nicht zu. Es gibt in unserem Hause natürlich
Diskussionen, in denen man versucht, die politische De-
batte, die in der Öffentlichkeit geführt wird, dahin ge-
hend zu überprüfen, wie man damit umzugehen hat und
mit welchen Zahlengerüsten diese Modelle verbunden
sein könnten. Es gibt aber kein Konzept in irgendeiner
Form. So weit ist die Debatte bislang nicht gediehen.
Eine zweite Nachfrage? – Bitte schön.
Danke. – Das heißt, in dieser Wahlperiode werden wir
mit der Einbringung eines solchen Modells nicht mehr
rechnen können?
Dr
Das kann ich allein nicht beantworten. Das wird letzt-
lich von der Koalition entschieden. Ich gehe nicht davon
aus.
Eine Nachfrage von Frau Dörner.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, Ihre Antwort ver-
wundert ein bisschen vor dem Hintergrund, dass wir den
Medien entnehmen durften, dass Frau Dr. Schröder und
auch Frau von der Leyen noch vor der Sommerpause mit
dem Finanzminister über konkrete Modelle ins Gespräch
kommen wollen.
Meine Frage lautet, ob Sie uns etwas zu den finanziel-
len Planungen sagen können. Was würde ein Familien-
splitting eventuell kosten? Wie würde sich das beispiels-
weise auf Familien mit einem, zwei oder drei Kindern
auswirken? Inwiefern würden sie gegenüber dem heuti-
gen Modell überhaupt profitieren?
Dr
Ich kann Ihnen dazu nichts sagen, weil es zunächst
einmal grundsätzliche Debatten gibt. Die Kosten hängen
von den Rahmenbedingungen eines möglichen Modells
ab. Dazu kann man sich erst dann einlassen, wenn man
einmal verschiedene Varianten durchgerechnet hat. Dass
die entsprechenden Überlegungen – diese hat es immer
schon gegeben – wieder intensiver geworden sind, ist,
glaube ich, nachvollziehbar. Es wäre völlig unangemes-
sen, zum jetzigen Zeitpunkt einzelne Zahlen zu nennen,
zumal mir auch keine Zahlen vorliegen.
Was ehe- und familienbezogene Leistungen angeht
und was der Staat für diesen großen Komplex aufwen-
det, das wissen Sie. Es gibt in den verschiedenen Par-
teien unterschiedliche Überlegungen, wie man mit die-
sen Leistungen umgehen soll. Das ist bis jetzt nicht so
konkret, dass man da Zahlen nennen könnte.
Damit sind wir bei Frage 6, wiederum von der Kolle-
gin Ekin Deligöz:
Warum agiert die Bundesregierung gegen gesetzliche
Quoten und die entsprechende EU-Richtlinie, obwohl Einig-
keit darüber besteht, dass mehr Frauen in Aufsichtsräten ge-
braucht werden, und Erfahrungen der europäischen Nachbarn
zeigen, dass Quotengesetze diesen Prozess beschleunigen?
Dr
Frau Kollegin Deligöz, es geht nicht nur um die Ein-führung einer Frauenquote, sondern es geht um eine EU-Richtlinie, die von der EU-Kommission zur Diskussiongestellt worden ist. Dabei hat die Bundesregierung Posi-
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28330 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
(C)
(B)
tion bezogen. Sie hat gesagt, dass man über die rechtli-che Basis reden muss, weil die entsprechenden Regelun-gen jedes Mitgliedsland betreffen können. Die EU-Kommission ist dafür nicht zuständig, und zwar auchdeshalb nicht, weil die Ausgangssituation in den Län-dern völlig unterschiedlich ist.In Bezug auf eine starre Quote sagen wir: Das wirdder völlig unterschiedlichen Situation in den einzelnenWirtschaftsbereichen nicht gerecht. – Das ist der Grund,weshalb sich die Bundesregierung gegen diese EU-Richtlinie ausgesprochen hat.
Frau Deligöz, eine Nachfrage? – Bitte schön.
Hat sich
die Bundesregierung gegen die Quote geäußert oder ge-
gen das Verfahren, dass die EU eine Regelung machen
will?
Dr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bundesregierung hat sich gegen das Verfahren
geäußert. Sie hat rechtliche Bedenken in Bezug darauf,
dass die EU dafür überhaupt zuständig ist, geäußert und
den Subsidiaritätsgesichtspunkt betont, indem sie sagt:
Das ist Aufgabe der einzelnen Länder.
Sie wissen aber auch, dass es inhaltliche Positionen
innerhalb der Bundesregierung gibt. Dort gibt es Beden-
ken gegen eine starre Quote.
Aber das ist hier nicht Gegenstand gewesen. Es ging
darum, ob die Länder dieser EU-Richtlinie zustimmen.
Frau Deligöz, Sie haben eine zweite Nachfrage? –
Bitte schön.
Wenn ich das richtig verstehe, haben Sie erst einmal
gegen das Verfahren gestimmt und noch nicht per se ge-
gen eine wie auch immer geartete Quote. Gestern hat die
Ministerin wieder für die Flexi-Quote als das favorisierte
Modell argumentiert. Können wir demnach davon aus-
gehen, dass das Engagement des Ministeriums und der
Frau Ministerin in Form eines konkreten Vorschlags ir-
gendwann einmal auch den Bundestag erreicht?
Dr
Davon können Sie ausgehen. Sie sind lange genug da-
bei und wissen, dass es in den letzten Legislaturperioden
schon viele Bundesregierungen gegeben hat, die sich mit
dieser Frage beschäftigt haben. Bislang hat es keine ge-
setzliche Regelung gegeben. Sie ist auch sehr kompli-
ziert, unter anderem aus Gründen, die ich eben genannt
habe. Aber irgendwann wird es sicherlich eine Regelung
geben, mit der auch Antworten auf die Fragen gegeben
werden, die in diesem Zusammenhang gestellt werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Gesundheit.
Die Frage 7 der Kollegin Dr. Martina Bunge wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Jan Mücke zur Verfügung.
Die Fragen 8 und 9 des Kollegen Gustav Herzog wer-
den schriftlich beantwortet.
Wir kommen zu Frage 10 der Kollegin Dr. Valerie
Wilms:
Aus welchen Gründen wurden am 6. März 2013 die
Schleusen des Nord-Ostsee-Kanals in Brunsbüttel gesperrt,
obwohl die Mittel zur Sanierung der Schleusen seit Anfang
2012 zur Verfügung stehen und der symbolische Spatenstich
mit dem Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadtentwick-
lung, Dr. Peter Ramsauer, bereits am 17. April 2012 erfolgte
, und
ab wann kann der Bundesminister für Verkehr, Bau und Stadt-
entwicklung, Dr. Peter Ramsauer, den reibungslosen Verkehr
auf dem Nord-Ostsee-Kanal wieder garantieren?
J
Frau Präsidentin! Frau Dr. Wilms, die Antwort aufIhre Frage lautet: Der gleichzeitige Ausfall beider großerSchleusenkammern am Nord-Ostsee-Kanal in Brunsbüt-tel über mehrere Tage ist bedauerlich. Die aktuellenSperrungen sind allerdings unvermeidlich, um gravie-rende Schäden an den Antrieben der Schleusentore zuvermeiden, die zu einem wesentlich längeren Ausfall derKammern führen würden.Das Wasser- und Schifffahrtsamt Brunsbüttel arbeitetmit aller Kraft an der Beseitigung der Schäden. Als Ers-tes wird schnellstmöglich eine große Kammer durch ei-nen Torwechsel wieder funktionsfähig gemacht. Miteiner Wiederinbetriebnahme einer der großen Schleusen-kammern ist voraussichtlich Ende der zwölften Kalen-derwoche zu rechnen.Die von Ihnen angesprochenen Mittel zur Sanierungder Brunsbütteler Schleusen aus dem Haushalt 2012betreffen das Infrastrukturbeschleunigungsprogramm I,mit dem es gelang, zusätzliche Mittel in Höhe von insge-samt 300 Millionen Euro ausschließlich für den Bau derfünften Schleusenkammer am Nord-Ostsee-Kanal inBrunsbüttel bereitzustellen.Der vorlaufende Neubau einer dritten großenSchleuse, also dieser fünften Kammer, in Brunsbüttel istdie Voraussetzung, um bei der anschließend geplantenerforderlichen mehrjährigen Grundinstandsetzung dervorhandenen rund 100 Jahre alten großen Schleusen er-hebliche Einschränkungen für den Schiffsverkehr zuvermeiden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28331
Parl. Staatssekretär Jan Mücke
(C)
(B)
Die Notwendigkeit einer Sanierung der beiden vor-handenen großen Kammern nach der Fertigstellung derfünften Kammer ist unstrittig. Bis dahin werden die vor-handenen Schleusen betriebsbereit gehalten, was plan-mäßige Sperrungen für Wartungen und Instandsetzungeinzelner Kammern mit einschließt. Wegen des Altersder Anlagen und der Anfälligkeit der veralteten Technik,insbesondere der Laufapparatur der Schleusentore, kanndabei ein zeitweiliger gleichzeitiger Ausfall beider gro-ßer Kammern nicht definitiv ausgeschlossen werden.Kurzfristig notwendige Reparaturarbeiten zum Erhaltder Leistungsfähigkeit des Nord-Ostsee-Kanals und sei-ner Schleusenanlagen haben grundsätzlich absolute Prio-rität, und sie werden von den verantwortlichen Wasser-und Schifffahrtsämtern Brunsbüttel und Kiel schnellst-möglich und unter Minimierung der Beeinträchtigungder Schifffahrt durchgeführt.
Frau Wilms, Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön.
Danke, Herr Staatssekretär Mücke. Das war eine er-
staunlich ausführliche Antwort. Vielen Dank dafür.
Ich habe eine Nachfrage zu der gesamten Situation,
die wir dort haben. Die Tore rutschen auf Holzkufen he-
rum, die die kaiserlichen Ingenieure vorgesehen haben,
wobei abzusehen war, dass das Holz irgendwann ver-
schlissen ist. Inwieweit ist dies auf den Investitionsstau
bzw. die jahrelange Vernachlässigung der Infrastruktur
des Nord-Ostsee-Kanals zurückzuführen? In den 80er-
Jahren sind die Schleusen in Kiel gemacht worden. Aber
danach ist am Kanal nichts mehr gemacht worden. In-
wieweit ist die ganze Situation auf einen Investitionsstau
zurückzuführen?
J
Dass die Verkehrsinfrastruktur generell unter großem
finanziellen Druck steht, ist keine Überraschung. Ich
gebe Ihnen recht, dass hier einige Bundesregierungen
vor uns – Sie werden sicherlich zugeben, dass eine
Schleusenreparatur nicht aus Gründen vorgenommen
werden muss, die in den letzten drei Jahren entstanden
sind, sondern aus Gründen, die schon älteren Datums
sind, um es sehr freundlich auszudrücken – die zu ge-
ringe Mittelausstattung zu verantworten haben; das ist
evident.
Ich will dennoch darauf hinweisen, dass wir die Repa-
raturen an den beiden großen Kammern in Brunsbüttel
schon länger vornehmen. Sie konnten bedauerlicher-
weise 2012 nicht vollständig abgeschlossen werden. So
hat es beispielsweise bei der Ertüchtigung der kanalseiti-
gen Torbahn der großen Südkammer aufgrund der
schwierigen Untergrundverhältnisse einige Verzögerun-
gen gegeben. Das alles ist sehr zeitaufwendig. Hinzu
kommt, dass die schon im Jahr 2012 angelaufenen Un-
terwasserbetonierarbeiten nun wegen der zu niedrigen
Wassertemperaturen – wie Sie sehen, ist der Winter zu-
rückgekehrt, und das verzögert auch diese Reparaturar-
beiten – unterbrochen werden mussten.
In der Zwischenzeit wurde aber die Südkammer wie-
der provisorisch auf Holzkufen in Betrieb genommen.
Es ist unser Ziel, die Schleuse in Brunsbüttel möglichst
schnell wieder für den Alltagsbetrieb nutzbar zu ma-
chen. Wir stimmen sicher darin überein, dass wir mit
dem Bau der fünften Kammer so schnell wie möglich
beginnen müssen bzw. die laufenden Arbeiten fortsetzen
müssen, damit eine Grundinstandsetzung der vorhande-
nen Kammern in Brunsbüttel stattfinden kann, wenn die
neue Kammer in Betrieb gegangen ist.
Frau Wilms, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Es ist sehr schön, zu
hören, dass Sie möglichst schnell mit der fünften
Kammer weitermachen wollen. Nichtsdestotrotz ist un-
klar, inwieweit die Ausschreibungen nun in Gang gesetzt
werden. Deshalb lautet meine ergänzende Frage: Wie
vereinbart die Leitung des Hauses, also Ihres Ministe-
riums, des BMVBS, dass einerseits eine Mitgliedschaft
im neu gegründeten Arbeitskreis „Aktionsbündnis Nord-
Ostsee-Kanal“ – wenn man nicht weiter weiß, gründet
man einen Arbeitskreis – angekündigt wird und dass an-
dererseits die für eine Instandhaltung notwendigen Mit-
tel nicht aufgebracht werden? Das zeigt sich gerade an
der Ausschreibung für die fünfte Schleusenkammer, die
noch immer nicht vorgenommen wurde. Diese europa-
weite Ausschreibung scheint in Ihrem Haus liegen ge-
blieben zu sein und ist noch nicht an diejenigen gegan-
gen, die sie wirklich brauchen.
J
Frau Kollegin, da möchte ich Ihnen ausdrücklich wi-
dersprechen. Ich schätze Sie sehr, wie Sie wissen, aber in
diesem Fall sind Sie, glaube ich, falsch informiert. Die
Verzögerung der Ausschreibung liegt ausschließlich an
einem Vergabenachprüfungsverfahren. Aufgrund dieses
Verfahrens vor der Vergabekammer bei der Teilmaß-
nahme „Verlängerung der Mole 2“, in dem die Vergabe-
entscheidung der Verwaltung bestätigt wurde, konnten
die für 2012 vorgesehenen Mittel nicht abfließen. Die
Ausschreibung hat sich deshalb seit der Planung vom
Frühjahr 2012 um mehrere Monate verzögert. Die Aus-
schreibungsunterlagen für die Vergabe der Hauptbau-
maßnahmen des Schleusenbaus in Brunsbüttel sind jetzt
fertiggestellt. Sie können also davon ausgehen, dass es
hier in Kürze weitergeht.
Vielen Dank.Wir kommen nun zu Frage 11, ebenfalls von der Kol-legin Dr. Valerie Wilms:Warum hat die Bundesregierung sich für den mindestens2 Milliarden Euro teureren Weiterbau von Stuttgart 21 ausge-sprochen, wenn damit nach Aussage von Bundesverkehrs-minister Dr. Peter Ramsauer gegenüber der Bild-Zeitung vom7. März 2013 das Risiko von Fahrpreiserhöhungen verbunden
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28332 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(C)
(B)
ist, und inwiefern kann die Bundesregierung die Rechnungvon Professor Christian Böttger von der Hochschule für Tech-nik und Wirtschaft in Berlin bestätigen, wonach die DeutscheBahn AG die Preise um 3 Prozent erhöhen muss, um die
Herr Staatssekretär, bitte.J
Frau Präsidentin! Frau Kollegin Dr. Wilms, die Ant-
wort auf Ihre Frage lautet: Bei Stuttgart 21 handelt es
sich nicht um ein Verkehrsprojekt des Bundes.
– Lassen Sie mich einfach ausreden. Ich erkläre es Ihnen
gern. – Das Projekt ist nicht Teil des Bedarfsplans für die
Schienenwege des Bundes. Stuttgart 21 ist ein Projekt
der Projektpartner Deutsche Bahn AG, Land Baden-
Württemberg, Stadt Stuttgart, Verband Region Stuttgart
und Flughafen Stuttgart GmbH.
Nicht die Bundesregierung, sondern der Aufsichtsrat
der Deutschen Bahn AG hat dem Vorschlag des Vor-
stands zugestimmt, den Finanzrahmen für Stuttgart 21
um 2 Milliarden Euro von 4,526 Milliarden Euro auf
6,526 Milliarden Euro zu erhöhen. Aus Sicht des Auf-
sichtsrats hat der Vorstand plausibel dargelegt und in kri-
tischen Diskussionen bestätigt, dass die Fortführung des
Projektes für die Deutsche Bahn AG wirtschaftlich vor-
teilhafter ist als ein Abbruch des Projektes.
Die von Ihnen in Ihrer Frage angesprochene Rech-
nung von Herrn Professor Dr. Christian Böttger liegt
dem Bund nicht vor. Die Fahrpreisgestaltung im Schie-
nenpersonenfernverkehr ist, wie Sie wissen, grundsätz-
lich Sache der Eisenbahnverkehrsunternehmen.
Frau Wilms, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.
Zu der Antwort habe ich natürlich Nachfragen. – Eine
Bemerkung vorab, Herr Mücke, kann ich mir aufgrund
Ihrer Ausführungen doch nicht verkneifen. Es ist schon
erstaunlich, wie Sie die ganze Situation auch mit Blick
auf den Aufsichtsrat darstellen. Wir alle wissen doch,
dass bei dem Projekt eine negative Eigenkapitalrendite
herauskommt. Jedes andere solide Unternehmen würde
an der Stelle nicht mehr weitermachen.
Jetzt aber zur Nachfrage: Inwieweit ist eine Quersub-
ventionierung der Finanzierung von Eisenbahninfra-
struktur durch Einnahmen aus höheren Fahrpreisen
– meine Frage bezog sich schließlich ursprünglich auf
die höheren Fahrpreise – mit geltendem Europarecht
vereinbar?
J
Eine Quersubventionierung wäre nicht vereinbar, aber
eine solche findet hier auch nicht statt. Kostensteigerun-
gen, die im Rahmen des Projekts entstehen, sind von den
Projektpartnern zu stemmen. Kostensteigerungen, die
Bundesschienenwege betreffen, müssen natürlich vom
Bund finanziert werden. Sie wissen sicherlich, dass die
Kostensteigerungen andere Ursachen als die Bundes-
schienenwege haben. Beispielsweise sind durch den Fil-
der-Dialog Mehrkosten entstanden.
Es steht mir nicht zu, die Entscheidung des Aufsichts-
rats zu bewerten. Der Aufsichtsrat der Deutschen Bahn
AG musste eine Entscheidung treffen, wie er mit diesen
Mehrausgaben umgeht. Wie Sie wissen, hat er diese Be-
wertung in der letzten Woche vorgenommen und eine
Entscheidung getroffen.
Jetzt gibt es noch eine zweite Nachfrage von Frau
Wilms.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. Das Thema ist
einfach zu griffig. – Was Sie eben gesagt haben, ist wirk-
lich erstaunlich. Ein Bahnhof zählt für Sie anscheinend
nicht zur Eisenbahninfrastruktur, und eine Quersubven-
tionierung durch Fahrpreiserhöhungen – das haben Sie
gesagt – schließen Sie aus.
Nun zu meiner Nachfrage: Es gibt noch andere Pro-
jekte, die sich mit Eisenbahninfrastruktur beschäftigen,
und hier denke ich beispielsweise an Projekte, an denen
die Deutsche Bahn AG mit einem Eigenmitteleinsatz be-
teiligt ist, oder Projekte aus dem Bedarfsplan. Inwieweit
liegen der Bundesregierung Hinweise darauf vor, dass
der höhere Eigenmitteleinsatz der Deutschen Bahn AG
für Stuttgart 21 zur zeitlichen Verschiebung der Realisie-
rung des Offenburger Tunnels oder anderer Projekte der
DB AG führen könnte? Denn gerade der Offenburger
Tunnel ist – das wissen Sie – aus Lärmschutzgründen
sehr wichtig.
J
Es gibt, wie Sie wissen, keinen Zusammenhang zwi-
schen diesen Projekten. Deshalb trifft Ihre Vermutung
nicht zu, dass es deshalb zu irgendwelchen Verzögerun-
gen kommt. Ausschlaggebend ist, dass es ein eigenwirt-
schaftliches Projekt der Deutschen Bahn AG ist. Der
entscheidende Punkt besteht darin, dass der Bund zum
einen kein Projektpartner ist und dass es sich zum ande-
ren nicht um ein Bedarfsplanprojekt des Bundes handelt.
Insofern ist Ihre Frage schon beantwortet.
Damit sind wir bei weiteren Nachfragen, und ich er-
teile zunächst der Kollegin Hänsel das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, auchich möchte einmal nachfragen. Ich gehe wohl recht in
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28333
Heike Hänsel
(C)
(B)
der Annahme, dass die Deutsche Bahn AG zu 100 Pro-zent ein Unternehmen des Bundes ist und dass auch Ver-treter der Bundesregierung im Aufsichtsrat sitzen. Dasheißt, die Vertreter der Bundesregierung im Aufsichtsratmüssen doch zugestimmt haben, dass weitergebaut wird.Meine Fragen lauten: Wie bewertet es die Bundesregie-rung, dass Vertreter der Bundesregierung einem Weiter-bau zugestimmt haben? Was sind die Gründe? Was hatdie Vertreter der Bundesregierung bewogen, für einenWeiterbau zu stimmen, obwohl die Finanzierung der zu-sätzlichen Kosten in Höhe von 2 Milliarden Euro jetztvöllig offen ist?J
Über die Aufsichtsratssitzungen darf grundsätzlich
nicht berichtet werden. Sie kennen das Aktienrecht. Die
Sitzungen des Aufsichtsrats sind vertraulich. Aus diesem
Grund kann ich Ihnen dazu keine Auskunft erteilen. Wir
haben uns damals entschieden, dass die Deutsche Bahn
eine Aktiengesellschaft sein soll. Deshalb gelten hier die
aktienrechtlichen Regelungen. Ich kann Ihnen aus die-
sem Grund zu diesem Thema hier keine Auskunft ertei-
len; das wäre eine Verletzung dieser Vertraulichkeits-
grundsätze.
Jetzt hat die Kollegin Höhn eine Nachfrage.
Der Bundesrechnungshof arbeitet momentan an ei-
nem Sondergutachten zu Stuttgart 21. Wenn man das ab-
gewartet hätte, hätte man ein unabhängiges Gutachten
und eine Bewertung darüber, wie die Kostenentwicklung
ist. Warum hat der Bund nicht abgewartet, bis dieses
Gutachten vorliegt, sondern darauf gedrängt, dass die
Entscheidung über die Erhöhung dieses Finanzrahmens
schon jetzt getroffen wurde? Warum wurde die Veröf-
fentlichung der Daten, die jetzt gerade erhoben und zu-
sammengestellt werden – sie geben Auskunft darüber,
welche Kosten überhaupt noch auf den Bund zukom-
men, und sie wären damit eine wichtige Grundlage für
die Entscheidung –, nicht abgewartet?
J
Frau Kollegin Höhn, Ihrer Frage liegt eine falsche
Annahme zugrunde. Sie haben unterstellt, dass der Bund
darauf gedrängt habe, eine solche Entscheidung zu tref-
fen. Das ist nicht der Fall. Der Aufsichtsrat entscheidet
aufgrund von Vorlagen des Vorstandes der Deutschen
Bahn AG. Zur Vertraulichkeit und zur Entscheidungsfin-
dung in Aufsichtsräten habe ich schon Ausführungen ge-
macht.
Herr Ebner, bitte.
Danke schön. – Herr Staatssekretär, wir haben heute
schon Interessantes bezüglich dieser Mehrkosten in
Höhe von 2 Milliarden Euro, über die wir gerade disku-
tieren, gelernt, vor allem, dass die Bundesregierung und
wohl auch die Bahn ein neues Geschäftsmodell erfunden
haben, nämlich neues Geld ganz einfach durch einen
langsameren Schuldenabbau zu generieren. Wenn da-
durch tatsächlich keine neuen Zins- und Tilgungskosten
anfallen – das soll mir aber erst einmal jemand bewei-
sen –, dann wäre das ein schönes haushaltspolitisches
Perpetuum mobile. Für diese Vorlage wäre sicher auch
Finanzminister Schäuble dankbar.
Ich möchte das Augenmerk kurz auf die restlichen
Mehrkosten in Höhe von 0,3 Milliarden Euro lenken,
über die noch nicht gesprochen wurde, nämlich die für
die Schlichtung und den Filder-Dialog. Teilt denn die
Bundesregierung die Meinung der Deutschen Bahn, dass
etwaige Mehrkosten aus dieser Schlichtung und dem Fil-
der-Dialog allein von den Projektpartnern zu tragen sind,
obwohl diese Verbesserungen offenkundige Planungs-
und Verfahrensfehler der Deutschen Bahn betreffen und
zum Beispiel der Antragsbahnhof am Flughafen mögli-
cherweise gar nicht genehmigungsfähig ist? Wenn ja,
aus welchen Gründen?
J
Wir gehen davon aus, dass die Partner dieses Projekts
ihren Anteil erbringen werden, um gemeinsam die vor-
gesehenen Maßnahmen umzusetzen. Sie wissen, dass
aus dem Schlichtungsverfahren Lösungen entstanden
sind, die zusätzliche Kosten verursachen. Diese zusätzli-
chen Kosten müssen durch die Projektpartner getragen
werden. Ich wiederhole: Es handelt sich bei Stuttgart 21
nicht um ein Bedarfsplanprojekt des Bundes, sondern
um ein Projekt dieser Projektpartner. Wir haben den An-
teil des Bundes – dazu kann ich Ihnen Auskunft erteilen –
auf 563,8 Millionen Euro inklusive der TEN-Fördermit-
tel in Form eines Festbetrags gedeckelt. Das ist unser
Beitrag dazu. Alle anderen Beiträge sind durch die Pro-
jektpartner zu erbringen. Deshalb bin ich für Ihre Frage
der falsche Adressat.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Kotting-Uhl.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, Ihre letzte An-
nahme könnte durchaus falsch sein; denn es steht im
Raum, dass die Projektpartner nicht willens sein werden,
die Mehrkosten zu tragen.
Sie haben vorhin gesagt, es gebe keine Fahrpreiserhö-
hungen. – Dann haben wir Sie hier falsch verstanden.
J
Wahrscheinlich, ja.
Auf alle Fälle gehe ich davon aus, dass das Wort desMinisters zählt. Er hat sich in der Bild-Zeitung so ge-äußert, dass die Mehrkosten von 2 Milliarden Euro
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28334 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Sylvia Kotting-Uhl
(C)
(B)
durchaus mit dem Risiko von Fahrpreiserhöhungen ver-bunden sein könnten.Ich möchte jetzt gerne von Ihnen wissen – ich schickevoraus, hier geht es nicht um eine Auskunft über dieAufsichtsratssitzung, sondern um eine Auskunft über dieVoraussetzung zu dieser Sitzung; diese Auskunft musstevom Bundesverkehrsministerium gegeben werden –, obdie Vertreter des Bundes im Aufsichtsrat Kenntnis überdas Risiko der Fahrpreiserhöhung hatten. Wenn ja, wa-rum haben sie dann trotzdem der Erhöhung des Finanz-rahmens um 2 Milliarden Euro zugestimmt?J
Frau Kollegin, ich habe es vorhin eigentlich sehr
deutlich ausgeführt, aber ich wiederhole es gerne
– ich befürchte, Sie kommen nicht drum herum; ich
muss es wiederholen, damit das System klar ist –: Nicht
die Bundesregierung entscheidet darüber, ob ein Eisen-
bahnverkehrsunternehmen Fahrpreise absenkt oder er-
höht oder beibehält,
sondern das ist eine ausschließliche Entscheidung des je-
weiligen Unternehmens im Rahmen einer wirtschaftli-
chen Betrachtung seines Zustandes.
Herr Minister Dr. Ramsauer hat auf ein Risiko hinge-
wiesen, das eintreten kann – möglicherweise nicht ein-
treten wird –, wenn sich einer oder zwei oder drei der
Projektpartner aus einem solchen gemeinsamen Projekt
verabschieden. Aus diesem Grund hat der Aufsichtsrat
der Deutschen Bahn AG, wie ich allen öffentlichen Ver-
lautbarungen entnehmen konnte, entschieden, dass der
Vorstand der Deutschen Bahn AG die anderen Projekt-
partner notfalls verklagen wird, falls diese eine Kosten-
beteiligung verweigern. Ich gehe deshalb davon aus,
dass alle Projektpartner vernünftig genug sind, dieses
Projekt voranzubringen.
– Ich habe Ihnen Ihre Frage gerade beantwortet:
Das ist ausschließlich eine Entscheidung des jeweiligen
Eisenbahnverkehrsunternehmens.
Der Aufsichtsrat kann sich dieser Entscheidung dann
widmen, wenn der Vorstand der Deutschen Bahn AG
eine Fahrpreiserhöhung vorschlagen sollte.
Frau Höger.
Vielen Dank. – Ich habe eine Nachfrage zu den stän-
digen Kostensteigerungen beim Projekt Stuttgart 21.
Kritische Begleiter dieses Projekts haben ja schon immer
davon gesprochen, dass eine Kostensteigerung zu erwar-
ten ist. Bis vor einem Jahr wurde von der Bundesregie-
rung immer behauptet: Nein, es bleibt alles im Rahmen;
es bleibt bei den 4,5 Milliarden Euro, und mehr ist man
auch nicht bereit zu zahlen. – Jetzt werden 2 Milliarden
Euro zusätzliche Kosten, also fast 50 Prozent mehr,
draufgesattelt, und Sie sagen immer noch: Es ist nicht
unser Problem; wir haben nichts damit zu tun.
Frau Merkel hat das Projekt Stuttgart 21 immerhin
einmal zur Chefsache gemacht. – Ich sehe, Herr Staats-
sekretär Kampeter, der ja für den Haushalt zuständig ist,
lacht gerade. – Angesichts der Mehrkosten in Höhe von
2 Milliarden Euro, die, auch wenn sie nicht direkt aus
dem Bundeshaushalt stammen, mal eben nachgeschos-
sen werden, wo doch ansonsten an allen Ecken und Kan-
ten gespart wird, hätte man schon erwarten können, dass
vor der endgültigen Beschlussfassung genauer hinge-
schaut und nachgerechnet wird oder dass man auf das
Bundesrechnungshofgutachten wartet. Wie stehen Sie
dazu?
J
Kostensteigerungen bei solch großen Bauprojekten
sind ärgerlich, aber nicht immer vermeidbar. Es gibt ei-
nige Projekte, gerade im Bereich des Bundesbaus, die im
Kostenrahmen bleiben. Dies gilt nach allem, was wir
wissen, beispielsweise für den Neubau des BMBF hier
um die Ecke. Er wird höchstwahrscheinlich, weil er als
ein ÖPP-Projekt ausgeführt wird, im Kostenrahmen blei-
ben.
Ich kann zwar Ihren Ärger über Steigerungen von
Kosten bei großen Bauprojekten nachvollziehen. Aber
ich würde Sie bitten, den Projektpartnern die Frage zu
stellen, warum diese Kostensteigerungen entstehen. Wir
ärgern uns ebenfalls darüber. Aber im Hinblick auf den
Anteil, den der Bund zu finanzieren hat, der also aus
dem Bundeshaushalt geleistet werden muss, habe ich Ih-
nen vorhin klar die Finanzierungssituation dargestellt:
Wir haben einen Festbetrag zugesagt, der bei etwas über
563 Millionen Euro liegt, und bei diesem Betrag bleibt
es.
Die nächste Nachfrage hat die Kollegin Behm.
Es ist schon interessant, zu sehen, welche Aussagenes gibt. Sie sagen: Bei dem Festbetrag bleibt es. – Glei-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28335
Cornelia Behm
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chermaßen steht die Aussage von Minister Ramsauer imRaum, dass dann, wenn die Klagen gegen das Land Ba-den-Württemberg scheitern, mit Fahrpreiserhöhungen zurechnen ist. Damit rechnen Sie nicht, aber es ist ja durch-aus denkbar, dass das passiert; denn irgendwoher mussdas Geld ja kommen.
Ich finde, das ist eine politische Frage. Wenn die Bun-desregierung Verkehr von der Straße auf die Schienebringen will – dieses Parlament will das mit Sicherheit –,dann sind Fahrpreiserhöhungen absolut kontraproduktiv.Das heißt, diese Regierung muss alles daransetzen, dasses nicht zu Fahrpreiserhöhungen kommt.Deswegen frage ich: Gibt es neben den Überlegungenund Äußerungen des Ministers zu Fahrpreiserhöhungenfür den Fall, dass die Klagen scheitern, in der Bundes-regierung auch Überlegungen – zumindest Überlegun-gen! –, den Bundesanteil an der Finanzierung der Kostenzu erhöhen, um Fahrpreiserhöhungen eben zu vermei-den?J
Ich habe deutlich gesagt: Wir finanzieren einen Fest-
betrag für die Infrastruktur, für die der Bund verantwort-
lich ist. Für Mehrkosten, die aus einem verbundenen
Projekt der Projektpartner bei Stuttgart 21 entstehen,
wird der Bund nicht aufkommen. Es sind die Projekt-
partner, die gefragt sind, und das sind die Deutsche Bahn
AG, die Stadt Stuttgart usw.; ich habe vorhin alle Partner
aufgezählt. Die Projektpartner sind aufgerufen, dieses
Projekt umzusetzen.
Wenn einer der Projektpartner aussteigt oder meint,
dass er sich an gestiegenen Kosten nicht beteiligen muss,
dann ist es Sache der Projektpartner, sich damit ausei-
nanderzusetzen. Aus diesem Grund hat der Aufsichtsrat
der Deutschen Bahn AG entschieden, den Vorstand zu
beauftragen, für den Fall, dass die Projektpartner nicht
anteilig mitfinanzieren, Klage einzureichen. Die Bun-
desregierung wird mit Interesse beobachten, wie es wei-
tergeht. Wir sind nicht diejenigen, die an diesem Prozess
beteiligt sind.
Entscheidend ist auch, dass eine Fahrpreiserhöhung,
wie überhaupt die gesamte Fahrpreisgestaltung, Sache
des jeweiligen Eisenbahnverkehrsunternehmens ist. Es
gibt einige solcher Unternehmen in Deutschland. Sie alle
bestimmen ihre Preise selber, so auch die Deutsche Bahn
AG. Das ist keine Entscheidung, die der Deutsche Bun-
destag oder die Bundesregierung trifft. Das ist im Übri-
gen auch unser gemeinsamer Wille gewesen. Als die
Bahnreform im Jahr 1992 beschlossen wurde, wollte
man weg von der Behördenbahn, weg davon, dass die
Politik bestimmt, was bei der Bahn passiert; man wollte,
dass ein unternehmerischer Bahnbetrieb stattfindet. Des-
halb werden Preise und Leistungen in den Unternehmen
besprochen und nirgendwo sonst.
Die nächste Frage stellt der Kollege Krischer.
Stuttgart 21 ist kein Projekt des Bundes, und beim Un-
ternehmen Bahn, das eine 100-prozentige Tochter des
Bundes ist, nimmt der Bund keinen Einfluss. – Das er-
staunt, aber gut; ich nehme diese Aussage einmal so hin.
Nun zu meiner ganz konkreten Frage. Sie haben rich-
tigerweise ausgeführt, dass Sie über Entscheidungen, die
im Aufsichtsrat gefällt worden sind, und über die
Gründe dafür nicht berichten können. Deshalb möchte
ich meine Frage an die Bundesregierung richten – an die
Bundesregierung! –: Hat die Bundesregierung im Vor-
feld der Entscheidung die Deutsche Bahn AG gedrängt,
mit der Entscheidung zu warten, bis das Sondergutach-
ten des Bundesrechnungshofs vorliegt, ja oder nein?
J
Nein.
Herr Ott.
Danke, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär, Sie
haben die schwierige Aufgabe, Entscheidungen Ihres
Ministers zu erläutern. Sie haben gesagt: Die Fahrpreis-
erhöhungen sind Sache der Bahn. – Es sei einmal dahin-
gestellt, in welchem Maß der Anteilseigner Bund in den
Entscheidungsgremien der Bahn vertreten ist. – Gleich-
zeitig hat sich Herr Ramsauer zu Fahrpreiserhöhungen
geäußert. Was hat er eigentlich damit zu tun? Nach Ihrer
Lesart, was die Funktion des Ministers angeht, dürfte er
sich dazu gar nicht äußern. Was stimmt denn nun? Darf
sich der Bund, darf sich der Verkehrsminister, dürfen Sie
sich zu den Fahrpreiserhöhungen äußern oder nicht? Ihr
Minister hat es schon getan.
J
Ich finde, Herr Kollege, ich habe das schon sehr deut-lich ausgeführt. Es ist eine Entscheidung der Eisenbahn-verkehrsunternehmen, wie sie ihre Fahrpreise gestalten.Darauf hat der Bundesverkehrsminister keinen Einfluss.Diese Entscheidung trifft das jeweilige Verkehrsunter-nehmen selber.Gleichwohl ist es dem verantwortlichen Bundes-minister unbenommen, auf Risiken hinzuweisen. Sie ha-ben selber gesagt, dass Sie es als Risiko ansehen würden– die Bahn ist ein großes Verkehrsunternehmen inDeutschland –, wenn die Preise bei der Deutschen BahnAG angehoben werden müssten. Insofern kann der Ver-kehrsminister darauf hinweisen, dass ein solches Risiko
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28336 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Parl. Staatssekretär Jan Mücke
(C)
(B)
entstünde, wenn das Land Baden-Württemberg oder dieStadt Stuttgart sagt: Es ist uns völlig egal, was mit die-sem gemeinsamen Projekt, das wir mit befördert und ge-wollt haben, passiert, wenn Mehrkosten entstehen.Ich finde, dass sich weder das Land Baden-Württem-berg noch die Stadt Stuttgart aus ihrer Verantwortungstehlen können. Sie müssen bei diesem gemeinsamenProjekt, das in unser aller Interesse liegen muss, ihre ge-samtgesellschaftliche Verantwortung sehen und mit zurFinanzierung beitragen. Sollte das nicht der Fall sein,dann wird die Deutsche Bahn AG – das hat sie klar an-gekündigt – ihre Projektpartner verklagen.
Ich rufe die Frage 12 der Kollegin Heike Hänsel auf:
Hat die Bundesregierung die Mehrkosten für den Weiter-
bau des Bahnprojektes Stuttgart 21 bereits im neuen Haus-
haltsentwurf für das kommende Jahr eingepreist?
J
Ich kann vieles von dem wiederholen, was ich bereits
ausgeführt habe. Bei Stuttgart 21 handelt es sich nicht
um ein Projekt des Bedarfsplans für die Schienenwege
des Bundes, sondern um ein Projekt der Deutschen Bahn
AG. Die Eisenbahninfrastrukturunternehmen sind Vorha-
benträger und Bauherr. Das Land Baden-Württemberg,
die Stadt Stuttgart, der Verband Region Stuttgart und die
Flughafen Stuttgart GmbH beteiligen sich an der Finan-
zierung. Der Bund übernimmt mit einem Festbetrag in
Höhe von 563,8 Millionen Euro inklusive TEN-Förder-
mittel für das Projekt Stuttgart 21 den Anteil, der für die
Einbindung der Neubaustrecke Wendlingen–Ulm in den
Knoten Stuttgart auch ohne Verwirklichung von Stutt-
gart 21 erforderlich gewesen wäre. Darüber hinaus stellt
er die Gesamtfinanzierung der Neubaustrecke Wendlin-
gen–Ulm ab 2016 sicher. Damit ist die Verantwortlich-
keit des Bundes, die sich aus dem geltenden Bedarfsplan
zum Ausbau der Bundesschienenwege ergibt, erfüllt.
Zusätzliche Mittel stehen im Bundeshaushalt nicht zur
Verfügung.
Frau Hänsel, Sie haben eine Nachfrage. – Bitte.
Danke schön. – Man kann davon ausgehen – Sie ha-
ben es mehrfach gesagt –, dass es vonseiten des Bundes
keinerlei Erhöhung seines Anteils geben wird. Es bleibt
bei dem Betrag von 563 Millionen Euro. Gleichzeitig
hören wir von den anderen Projektpartnern Land und
Stadt, dass es auch keine Erhöhung ihrer Anteile geben
wird. Damit stellt sich mir die Frage: Wie soll dann solch
ein Projekt finanziert werden, das ja von der Bahn
durchgeführt wird, die zu 100 Prozent im Besitz des
Bundes ist, woraus sich eine gesamtgesellschaftliche wie
auch eine politische Verantwortung des Bundes ergibt?
Sie sprechen von einer möglichen Klage der Deut-
schen Bahn AG. Herr Grube geht davon aus, dass vor
2016 nicht geklagt werden kann. Wie sollen bis dahin
die Mehrkosten finanziert werden, wenn klar ist, dass
keine Seite mehr zahlen wird? Gehen Sie davon aus,
dass Sie jährlich 500 Millionen Euro vonseiten der Bahn
überwiesen bekommen und diesen Betrag in den Haus-
halt einstellen können?
J
Frau Kollegin, Sie müssen zwischen den Bedarfsplan-
maßnahmen – dazu habe ich Ausführungen gemacht,
diese werden vom Bund mit 563 Millionen Euro finan-
ziert – und dem Bahnhofsneubau – ein quasi zweites
Projekt – mit allen baulichen Maßnahmen im Stadtgebiet
Stuttgart unterscheiden. Dafür sind die Projektpartner
verantwortlich; daran ist der Bund nicht beteiligt. Weil
wir nicht beteiligt sind und wir keine finanziellen Mittel
für dieses Projekt zur Verfügung stellen, brauchen wir
uns im Bundesetat auch keine Gedanken darüber zu ma-
chen, wenn es Kostensteigerungen gibt. Das ist ein Pro-
jekt der Deutschen Bahn AG und ihrer Projektpartner.
Deshalb müssen diese die Finanzierung sicherstellen;
deshalb ist eine Einstellung von entsprechenden Mitteln
in den Haushalt 2014 – Sie haben das in Ihrer Frage an-
gesprochen – nicht notwendig. Wie gesagt: Es ist ein
Projekt der Deutschen Bahn AG und ihrer Projektpart-
ner.
Sie gehen aber davon aus, dass die Bahn die von mir
angesprochenen 500 Millionen Euro überweist?
Das ist dann Ihre zweite Nachfrage.
Diese Frage hatte ich schon gestellt; er hat sie aber
nicht beantwortet.
Das kann ich jetzt nur als Ihre zweite Nachfrage wer-
ten; denn Sie haben nachgefragt.
J
Ich nehme an, dass Sie mit den 500 Millionen Euro
die Dividende meinen, die die Deutsche Bahn AG an
den Bund auszahlt.
Die Deutsche Bahn AG ist ein außerordentlich ertrags-
starkes Unternehmen. Die Bahn hat auch im letzten Jahr
wieder einen großen Gewinn gemacht, was zeigt, dass
diese Dividende ohne Weiteres erwirtschaftet werden
kann. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Dividende
auch in den nächsten Jahren gezahlt wird.
Frau Kotting-Uhl.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28337
(C)
(B)
Hätte die Deut-
sche Bahn AG einen Baustopp für Stuttgart 21 verhän-
gen müssen, wenn es am 5. März keine Entscheidung
über die Erhöhung des Finanzierungsrahmens gegeben
hätte?
J
Das weiß ich nicht; das müssen Sie die Deutsche
Bahn AG fragen.
Herr Ebner.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Staatssekretär, Sie haben uns jetzt lang und breit
– im Grunde war es aber eher kurz – erläutert, dass der
Bund hier keinerlei Mehrkosten zu tragen habe. Uns
wurden im Zusammenhang mit der Volksabstimmung in
Baden-Württemberg ganz viele Vorteile dieses Projek-
tes, das den Bund anscheinend nichts angeht, erläutert,
unter anderem der Vorteil, dass man so viel schneller
von Stuttgart nach Ulm fahren könnte. Das liegt aber
nicht am neuen Bahnhof, sondern an einem Projekt, das
nach weit verbreiterter Interpretation eng mit dem Bahn-
hofsprojekt zusammenhängt: der Neubaustrecke Wend-
lingen–Ulm.
Der Aufsichtsrat hat in seiner Sitzung vom 5. März
festgestellt, dass die Inbetriebnahme von Stuttgart 21
nicht vor 2022 stattfinden wird. Die Neubaustrecke
Wendlingen–Ulm macht aber nur dann Sinn, wenn sie
zeitgleich mit diesem Bahnhof in Betrieb genommen
wird, weil es sonst keinen Anschluss und damit keine
Verwendung für diese Neubaustrecke gäbe. Wollen Sie
allen Ernstes behaupten, dass die Verzögerung völlig
kostenneutral ist, also keine weiteren Kosten auf Bahn
und Bund zukommen, und, wenn ja, wie wollen Sie das
begründen?
J
Wir gehen von den jetzigen Planungsansätzen aus,
also – Sie haben selbst davon gesprochen – von einer
Deckelung der Kosten für die Neubaustrecke Wendlin-
gen–Ulm bei 563 Millionen Euro. Das ist der Teil des
Projekts Stuttgart 21, der sich auf die Infrastruktur des
Bundes bezieht. Wenn es bei der Neubaustrecke Wend-
lingen–Ulm im Laufe des Bauprozesses Mehrkosten ge-
ben sollte, dann müsste man das neu bewerten.
Aber es gibt gegenwärtig keinen Hinweis darauf, dass es
dort in irgendeiner Art und Weise Kostensteigerungen
geben könnte.
Ich kann verstehen, dass das Ergebnis des Volksent-
scheids, der in Baden-Württemberg zu diesem Projekt
stattgefunden hat, Ihnen von den Grünen wehtut.
Sie versuchen jetzt natürlich, Ihre Niederlage wettzuma-
chen. Aber die Bürger in Baden-Württemberg haben so
entschieden,
und deshalb wird es auch so gebaut.
Die nächste Frage kommt von der Kollegin Wilms.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
ich möchte auf die Finanzierung von Bahnverkehrspro-
jekten zurückkommen, auf die Frau Hänsel in ihrer
Frage eingegangen ist. Sie haben uns sehr deutlich ge-
sagt: Es gibt da einen feinen Unterschied zwischen dem
eigenwirtschaftlichen Projekt zum Bau des neuen Bahn-
hofs – Stuttgart 21 genannt – und den Bedarfsplanpro-
jekten, zu denen Sie hier eben den Bau der Strecke
Wendlingen–Ulm gezählt haben.
Hierzu möchte ich Ihnen ganz gezielt eine Frage stel-
len im Hinblick darauf, womit wir uns hier die ganze
Zeit befassen. Auch in anderen Bereichen gibt es Be-
darfsplanprojekte. Sollte aus Sicht des Verkehrsministers
Ramsauer das Land Bayern nicht einen freiwilligen Ei-
genanteil in Höhe von 930 Millionen Euro für die Finan-
zierung der zweiten Stammstrecke der S-Bahn in Mün-
chen zuschießen, um anschließende Preiserhöhungen
durch die Deutsche Bahn AG auszuschließen?
J
Das ist eine hypothetische Frage. Ich weiß nicht, obsich die Bayerische Staatsregierung Gedanken darübermacht.Wie ich schon sagte: Die Gestaltung von Fahrpreisenist Sache der Eisenbahnverkehrsunternehmen. Das giltinsbesondere für den Nahverkehr, und die zweite Stamm-strecke in München ist – wie Sie wissen, Frau Kollegin –ein Nahverkehrsprojekt. Sie werden doch nicht ernsthaftvon mir erwarten, dass ich Auskunft darüber gebe, wiesich die Fahrpreise in diesem Bereich gestalten. Nie-mand im Bundesverkehrsministerium legt Fahrpreisefest. Ich würde Sie bitten, das endlich zur Kenntnis zunehmen.
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28338 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
(C)
(B)
Frau Höhn.
Einer der wesentlichen Gründe, warum man sich für
den Weiterbau von Stuttgart 21 entschieden hat, ist die
Aussage des Vorstands der Deutschen Bahn, dass es
zehn Jahre dauern kann, bis man eine andere Lösung ge-
funden hat. Das ist ein sehr langer Zeitraum. Ist von Ih-
rem Ministerium die Plausibilität der Aussage des Vor-
stands der Deutschen Bahn überprüft worden?
J
Es liegt in der Verantwortung der Aufsichtsratsmit-
glieder, im Aufsichtsrat eine Entscheidung zu treffen.
Die Aufsichtsratsmitglieder haften für ihre Entschei-
dung, die sie in diesem Rahmen treffen. Sie persönlich
müssen entscheiden, ob das Projekt im Interesse der Ge-
sellschaft liegt.
Eine Aktiengesellschaft funktioniert so, dass die Ak-
tionäre in der Hauptversammlung Einfluss auf die Unter-
nehmenspolitik nehmen können. Die Hauptversamm-
lung wählt und bestellt die Aufsichtsräte, die dann
Kontrolle auf das Unternehmen ausüben und Entschei-
dungen treffen müssen. Das heißt, jedes einzelne Mit-
glied im Aufsichtsrat – egal ob es von der Bundesregie-
rung gestellt wird, ob es von den Aktionären oder
vonseiten der Bank der Arbeitnehmer entsandt worden
ist; es handelt sich um einen mitbestimmten Aufsichtsrat –
muss für sich persönlich die Entscheidung treffen, ob der
Vorschlag, den der Vorstand dem Aufsichtsrat vorlegt,
für das Unternehmenswohl, für die Ertragschancen und
die wirtschaftlichen Aussichten des Unternehmens gut
ist.
Der Aufsichtsrat hat die Entscheidung getroffen, dass
der Weiterbau – im Verhältnis zum Abbruch des Projek-
tes – die günstigere Lösung ist. In den Medien konnte
man nachlesen, dass es im Aufsichtsrat 18 Jastimmen für
die Fortführung des Projektes gab. Ich nehme an, dass
sich sowohl die Arbeitnehmervertreter als auch die Ver-
treter, die vonseiten des Bundes bestellt wurden, intensiv
darüber informiert haben und sie davon ausgehen, dass
das Projekt langfristig wirtschaftlich ist und die Ertrags-
chancen der Deutschen Bahn AG befördert. Das ist lo-
gisch nachzuvollziehen: Man kann die Flächen in dem
fertiggestellten Bahnhof vermieten, der Bahnhof steht
dem Verkehr zur Verfügung, und durch die Nutzung der
geräumten Flächen, auf denen der alte Bahnhof stand, ist
eine neue Stadtentwicklung in Stuttgart möglich.
Unter dem Strich waren sie der Meinung, dass das
insgesamt eine wirtschaftlich gute Entscheidung ist und
auch für das Unternehmensinteresse die beste Entschei-
dung darstellt.
Diese Entscheidung zu treffen, ist die Aufgabe der
Aufsichtsräte, und dieser Aufgabe sind sie nachgekom-
men.
Frau Höger, Sie haben eine Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vor der entscheiden-
den Sitzung des Aufsichtsrates wurde angesichts der
Kostensteigerung von 2 Milliarden Euro in den Medien
eine intensive Debatte darüber geführt, ob es eventuell
nicht doch wirtschaftlicher sei, Stuttgart 21 nicht zu
bauen, sondern zurückzubauen und den alten Bahnhof
weiter zu nutzen. Dann haben Verkehrsminister
Ramsauer und auch die Kanzlerin Merkel gesagt, es sei
aber sehr wichtig, dieses Projekt fortzuführen. Hat das
Einfluss auf die Entscheidung der Regierungsvertreter
im Aufsichtsrat gehabt?
J
Das weiß ich nicht. Es gibt drei Staatssekretäre, die
Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn AG sind.
Das sind die einzigen, die eine direkte Verbindung zur
Bundesregierung haben. Aber als Aufsichtsräte müssen
sie im Unternehmensinteresse entscheiden. Sie können
nicht darauf Rücksicht nehmen, was in einer öffentli-
chen Diskussion geäußert wird, was der eine für wün-
schenswert und der andere für nicht wünschenswert hält.
Entscheidend ist immer, was im Unternehmensinteresse
ist. Die Aufsichtsräte sind dem Unternehmen verpflich-
tet. Ich gehe davon aus, dass die Aufsichtsräte dieser
Pflicht nachgekommen sind.
Herr Ott.
Herr Kollege Mücke, Sie haben gerade zwei Dinge
getan: Sie haben einerseits zustimmend auf das Referen-
dum verwiesen, in dem man sich für die Weiterführung
des Projekts Stuttgart 21 ausgesprochen hat; andererseits
haben Sie die Entscheidung der Bahn, den Kostenrah-
men um 2 Milliarden Euro auf 6,5 Milliarden Euro zu
erhöhen, verteidigt. Nun basierte das Referendum aber
auf der Annahme, dass dieser Bahnhof insgesamt nur
4,5 Milliarden Euro kostet. Beides zusammen geht doch
nicht. Wie gehen Sie mit dieser Diskrepanz um? Ist die-
ses Referendum jetzt nichts mehr wert?
J
Nein, keinesfalls.
Für uns ist Bürgerbeteiligung eine sehr wichtige Grund-lage, gerade bei Entscheidungen über große Infrastruk-turprojekte. Wenn ich es richtig in Erinnerung habe,möchten Sie selber mehr Bürgerbeteiligung – außer beiStuttgart 21; da waren Sie, glaube ich, nicht so begeistertvon der Bürgerbeteiligung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28339
Parl. Staatssekretär Jan Mücke
(C)
(B)
Sie fordern bei allen großen Infrastrukturprojekten Bür-gerbeteiligung ein. Ihr Schicksal ist, dass Sie bei diesenVolksentscheidungen, bei Bürgerentscheiden gelegent-lich auch einmal unterliegen. So ist das in einer Demo-kratie.
Ich weiß, dass Sie das sehr schmerzt;
aber diese Entscheidung, die die Baden-Württemberge-rinnen und Baden-Württemberger getroffen haben, gilt.Sie bindet vor allem die Landesregierung von Baden-Württemberg. Deshalb möchte ich Sie bitten, Ihre Frageeinfach an die Landesregierung von Baden-Württembergzu richten.
Ich rufe die Frage 13 der Kollegin Behm auf:
Inwieweit führt das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 10. Juli 2012 zum Bau der U-Bahn-Linie 5 in Berlin zu
einer neuen Rechtslage und damit auch zu einer neuen Geneh-
migungssituation für den Lückenschluss von Berlin-Südkreuz
nach Mahlow auf der sogenannten Dresdner Bahn, die des-
halb nach Berichten in der Berliner Zeitung vom 7. März
2013 erst 2022 fertiggestellt sein könnte, und von welchem
Zeitverzug geht die Bundesregierung derzeit aus?
J
Frau Kollegin Behm, ich möchte Ihnen kurz antwor-
ten: Gemäß dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts
vom 10. Juli 2012 ist ein Konzept zum Schutz vor Bau-
lärm nach § 74 Abs. 2 und 3 Verwaltungsverfahrensge-
setz nur entbehrlich, wenn die Immissionsrichtwerte der
Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Schutz gegen
Baulärm – Geräuschimmissionen – eingehalten werden.
Eine Anhebung dieser Werte und damit eine verminderte
Schutzwürdigkeit sei nicht gerechtfertigt. Die frühere
Rechtsprechung, wonach es nicht zu beanstanden sei,
dass aktive und passive Schallschutzmaßnahmen erst bei
Überschreitungen des für die jeweilige schutzwürdige
Bebauung heranzuziehenden Richtwertes um mehr als
5 dB angeordnet würden, ist damit überholt.
In der Konsequenz dieser aktuellen Rechtsprechung
ist es erforderlich, die Baulärmgutachten der drei Plan-
feststellungsabschnitte der sogenannten Dresdner Bahn
zu überarbeiten. Ob bzw. in welchem Umfang sich da-
durch zeitliche Verzögerungen für die laufenden Plan-
feststellungsverfahren ergeben, kann derzeit nicht zuver-
lässig abgeschätzt werden.
Frau Behm, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte schön.
Die Möglichkeit zur Nachfrage nehme ich sehr gerne
in Anspruch. – Das hört sich ja schon ein bisschen an-
ders an als das, was man in der Berliner Zeitung lesen
konnte, wonach sich die Fertigstellung bis 2022 verzö-
gern könnte. In der Pressemitteilung des Bundesverwal-
tungsgerichts zu dem eben von Ihnen zitierten Urteil
steht aber auch, dass in der mündlichen Verhandlung am
28. Juni des vergangenen Jahres das beklagte Land Ber-
lin den Planfeststellungsbeschluss auf Vorschlag des Ge-
richts zugunsten der Klägerin geändert und ergänzt hat.
Alle weiteren Klagen der Anlieger wurden vom Gericht
aufgrund dieses geänderten Planfeststellungsbeschlusses
zurückgewiesen.
Jetzt frage ich: Sie haben gesagt, dass Planänderun-
gen notwendig geworden sind. Welche konkreten Folgen
hatte das für Umplanungen bei der Dresdner Bahn? Wa-
rum musste überhaupt neu geplant werden? Hat es keine
Variantenprüfungen bezüglich Lärmschutz- und Tunnel-
lösungen gegeben? Man prüft doch üblicherweise ver-
schiedene Varianten.
J
Frau Kollegin, da sind Sie nicht ganz präzise gewe-
sen. Ich will es noch einmal deutlich machen: Ich habe
doch vorhin gesagt, dass es um die Baulärmgutachten
geht. Es geht nicht darum, dass ein ganzer Planfeststel-
lungsbeschluss oder ein ganzer Planfeststellungsantrag
überarbeitet werden muss, sondern es geht darum, dass
ein Baulärmgutachten überarbeitet werden muss. Das
wird jetzt gerade getan; man sieht sich das an.
Ob das Auswirkungen auf die Planfeststellungsver-
fahren für die drei Abschnitte haben wird, wird man se-
hen. Wir hoffen, dass das Eisenbahn-Bundesamt für den
ersten Bauabschnitt, den Abschnitt 2 in Lichtenrade,
noch im Jahr 2013 einen Planfeststellungsbeschluss er-
lässt. Aber selbstverständlich muss das Baulärmgutach-
ten auch für diesen Abschnitt im Sinne der neuen Recht-
sprechung des Bundesverwaltungsgerichts überarbeitet
werden.
Sie haben noch eine weitere Nachfrage, Frau Behm?
Ja. – Ich würde gerne wissen, wie viel Zeit das Eisen-
bahn-Bundesamt bzw. die anderen beteiligten Behörden
für die Prüfung dieser neuen Situation, also beispiels-
weise für die Überarbeitung des Baulärmgutachtens, ha-
ben.
J
Das Eisenbahn-Bundesamt hat alle Zeit der Welt. Esist eine unabhängige Behörde. Es kann Planfeststel-lungsbeschlüsse erlassen oder auch nicht. Es kann undwird so lange prüfen, bis es zu einer Entscheidung ge-kommen ist. Ich bin fest davon überzeugt, dass alle Zeitder Welt dafür vorhanden ist. Im Übrigen ist es auch in
Metadaten/Kopzeile:
28340 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Parl. Staatssekretär Jan Mücke
(C)
(B)
unserem Interesse, dass diese Verfahren gründlich ablau-fen; denn wir wollen vermeiden, dass diese Planfest-stellungsbeschlüsse in einem eventuell anstehendenVerwaltungsrechtsverfahren aufgrund eines fehlerhaftenBaulärmgutachtens möglicherweise aufgehoben werdenoder in Schwierigkeiten geraten.Es ist unser Ziel, diese Infrastruktur, die DresdnerBahn, möglichst schnell fertig zu bauen. Das ist einewichtige Maßnahme für die Stadt Berlin, aber auch da-rüber hinaus. Es geht dabei auch um die schnellere Er-reichbarkeit des neuen Flughafens. Es geht um die bes-sere Anbindung zwischen Berlin, Dresden und Prag. Alldas sind wichtige verkehrspolitische Ziele, die mit derDresdner Bahn verbunden sind. Deshalb hoffen wir, dasssowohl die Planfeststellungsbeschlüsse als auch der Bauzügig vonstattengehen.
Die Fragen 14 und 15 des Kollegen Dr. Anton
Hofreiter werden schriftlich beantwortet.
Damit verlassen wir diesen Geschäftsbereich.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Zur Beantwortung steht zur Verfügung die
Parlamentarische Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser.
Die Frage 16 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 17 des Kollegen Hermann
Ott:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
dem am 6. März 2013 vorgestellten Appell des Bündnisses
in dem unter anderem die Bedeutung des Erfolges der Ener-
giewende für die internationale Ebene verdeutlicht wird, und
wie ist in diesem Zusammenhang der aktuelle Stand hinsicht-
lich des angekündigten, jedoch bislang nicht gegründeten
Klubs der Energiewendestaaten?
Ur
Frau Präsidentin, sehr geehrter Herr Kollege Dr. Ott, die
Bundesregierung nimmt den Appell der Klima-Allianz
Deutschland zur Kenntnis. Die von der Klima-Allianz ge-
nannten – ich nenne es jetzt einmal so – Nutzenwirkun-
gen des Ausbaus der erneuerbaren Energien, zum Bei-
spiel 380 000 Arbeitsplätze brutto in der Branche der
erneuerbaren Energien, die positiven Wirkungen auf hei-
mische Wertschöpfung und Technologieführerschaft,
Emissionsreduzierung, Verringerung der Abhängigkeit
von Energieimporten und die Verringerung der externen
Kosten, sind der Bundesregierung selbstverständlich be-
kannt. Sie werden auch regelmäßig kommuniziert und
veröffentlicht.
Die deutsche Energiewende – das wissen Sie selbst
genau oder sogar noch genauer als ich – wird im Aus-
land aufmerksam verfolgt. An dem Ziel einer integrier-
ten, langfristig angelegten ökologisch und ökonomisch
nachhaltigen Energiewende werden wir international
gemessen. Entscheidend ist aber auch, Herr Dr. Ott, die
Akzeptanz der Bevölkerung und auch der Unternehmen.
Deshalb muss die Energiewende für die Verbraucherin-
nen und Verbraucher, für Wirtschaft und Industrie be-
zahlbar bleiben. Neben Deutschland führen viele
verschiedene Länder derzeit Diskussionen über die Ge-
staltung ihrer künftigen Energieversorgung und messen
den erneuerbaren Energien dabei eine bedeutende Rolle
zu.
Vorreiterstaaten in diesen Fragen möchte Minister
Altmaier – darauf bezieht sich der zweite Teil Ihrer
Frage – in seinem Klub der Energiewendestaaten zusam-
menbringen. Für seine Initiative hat Minister Altmaier
im Rahmen seiner Teilnahme an der jährlichen Ver-
sammlung von IRENA in Abu Dhabi im Januar 2013 in-
formelle Konsultationen mit verschiedenen Vorreiter-
staaten geführt und mit ihnen über die Idee eines solchen
Klubs diskutiert. Diese Konsultationen mit Staaten, die
möglicherweise teilnehmen, werden zurzeit intensiv
weitergeführt. In ihrem Rahmen wird auch über die
nächsten Schritte und Aktivitäten beraten. Bitte haben
Sie aus diesem Grund Verständnis, dass wir Ihnen erst
dann Informationen zukommen lassen können, wenn die
Konsultationen beendet sind.
Herr Ott, Sie haben eine Nachfrage? – Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – Wir hatten
heute im Umweltausschuss das seltene Glück, sowohl
den Minister für Wirtschaft als auch den Minister für
Umwelt – allerdings hintereinander – bei uns zu Gast zu
haben. Es sind da doch einige Unterschiede deutlich ge-
worden. Bei Ihrem Minister hatte man zumindest den
Eindruck, dass man – trotz mancher Differenzen – eine
ähnliche Sprache spricht. Nichtsdestotrotz ist auch deut-
lich geworden: Die Rolle, die Deutschland in der Welt
bzw. auf europäischer Ebene spielt, wird im Moment
durch Uneinigkeiten zwischen Wirtschafts- und Um-
weltministerium sehr beeinträchtigt.
Es hat zwar gewisse Annäherungen gegeben. In Be-
zug auf das 30-Prozent-Ziel bzw. auf die Frage, ob sich
Deutschland in Europa für die Erhöhung des europäi-
schen Klimaziels einsetzen wird, besteht aber weiterhin
keine Einigung. Oder können Sie uns dazu Neues be-
richten? Vielleicht können Sie aus den Kabinettssitzun-
gen berichten: Ist das auch Thema in den Unterredungen
mit der Bundeskanzlerin?
Ur
Herr Dr. Ott, ich war heute Morgen nicht im Umwelt-ausschuss, als die beiden Minister dort zu Gast waren.Natürlich habe ich aufmerksam verfolgt, was dort be-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28341
Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser
(C)
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sprochen wurde. Dankenswerterweise haben Sie über Ih-ren Twitter-Account die Öffentlichkeit darüber infor-miert, was dort besprochen wurde. Von daher herzlichenDank für diese allgemeinen Informationen.In der Tat wird zurzeit erstens über das Thema 30-Pro-zent-Ziel diskutiert, zweitens natürlich auch über dieFrage, wie es mit dem Emissionshandel weitergehenwird. Das ist eine der entscheidenden Fragen, die zurzeitauch das Europäische Parlament berühren. Wir werdendemnächst einen Trilog über den Backloading-Vorschlagstarten. Darüber wird es sicherlich interessante Diskus-sionen geben.Dass es Diskussionen zwischen zwei Häusern wiedem BMU und dem BMWi gibt, liegt in der Natur derSache und ist sicherlich nicht erst seit dieser Legislatur-periode der Fall. Vielmehr ist das etwas, was es schonimmer, in allen Koalitionen, gab.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Ott.
Der Appell der Klima-Allianz ist doch sehr außerge-
wöhnlich. Es haben sich einerseits klassische Umwelt-
organisationen wie der Naturschutzbund und andererseits
die Katholische Arbeitnehmer-Bewegung, die AWO und
Verbraucherschutzverbände zusammengetan und einen
Appell an die Bundesregierung gerichtet. Zusammen mit
Herrn Töpfer haben sie den Appell veröffentlicht, dass
die Energiewende sozial ausgestaltet werden muss und
man Ökologie und Soziales zusammen sehen muss. In
ihrem Aufruf an die Bundesregierung stellen sie die For-
derung nach einem Mindestlohn von 8,50 Euro auf.
Meine Fragen lauten: Nimmt die Bundesregierung
das zur Kenntnis? Wird das diskutiert? Werden Appelle,
die aus der Mitte der Gesellschaft kommen und ganz of-
fensichtlich nicht in irgendeiner Weise parteipolitisch
motiviert sind, in dieser Bundesregierung wahrgenom-
men?
Ur
Aber selbstverständlich, Kollege Dr. Ott, beschäftigen
wir uns damit. Wir nehmen den an uns gerichteten Ap-
pell der Klima-Allianz und der Verbände sehr ernst; das
ist überhaupt keine Frage.
Dass wir über diesen Appell – und nicht nur über die-
sen; es gibt ja viele Stimmen aus der Gesellschaft bzw.
aus der Bevölkerung – intensiv diskutieren, sehen Sie
auch daran, dass Peter Altmaier vor einigen Wochen ei-
nen Vorschlag zur Strompreissicherung gemacht hat. Ich
habe schon vorhin ausgeführt: Es ist entscheidend, dass
wir genug Akzeptanz für unsere Energiewende in der
Bevölkerung bzw. in der Gesellschaft haben. Deshalb
brauchen wir hier auch eine Kostendiskussion. Des Wei-
teren müssen wir Überlegungen anstellen, wie wir da
weiter vorangehen. Dem dienen auch die Gespräche mit
den Ländern, in die wir eingetreten sind und die hoffent-
lich zu einem guten Ende geführt werden.
Es gibt dazu eine Nachfrage der Kollegin Höhn.
Frau Staatssekretärin, Sie haben gerade die Diskussion
über die Strompreise angesprochen. Die Strompreise hän-
gen extrem davon ab, wie sich der Börsenstrompreis ent-
wickelt. Die Differenz zur Einspeisevergütung ist ja von
den Verbrauchern zu zahlen. Wenn auf EU-Ebene kein
ehrgeiziger Klimaschutz betrieben wird, wenn also die
Zahl der Zertifikate weiter extrem hoch und der Zertifi-
katepreis deshalb im Keller ist, haben wir automatisch
einen niedrigeren Börsenstrompreis; das heißt, je weni-
ger ambitioniert der Klimaschutz auf EU-Ebene, desto
teurer wird es für die Verbraucher, desto höher steigt der
Strompreis. Wie wollen Sie eigentlich die unterschiedli-
chen Positionen der Minister Altmaier und Rösler in die-
ser Angelegenheit auflösen, damit die unsoziale Politik,
die durch die Politik des Bundeswirtschaftsministers
ausgelöst wird, endlich beendet wird?
Ur
Kollegin Höhn, dem ersten Teil Ihrer Frage hätte ich
eigentlich zustimmen können; aber der zweite Teil
macht es schwierig.
Gestatten Sie mir zum ersten Teil Ihrer Frage die An-
merkung: Ich teile Ihre Auffassung, dass wir eine ambi-
tionierte Klimaschutzpolitik benötigen, auch im Bereich
des Emissionshandels. Das sieht auch Peter Altmaier so
– sicherlich haben Sie heute Morgen im Umweltaus-
schuss mit ihm darüber gesprochen –, beispielsweise im
Hinblick auf das 30-Prozent-Ziel, das Thema Backloa-
ding etc.
Um zum zweiten Teil Ihrer Frage zu kommen: Ich bin
zuversichtlich, dass sich die Häuser in absehbarer Zeit
einigen werden, wie wir mit dem gesamten Thema um-
gehen. Denn es ist schon wichtig – das wird gleich noch
Teil einer Frage des Kollegen Krischer sein –, dass wir
uns überlegen, wie wir auch national weiter vorankom-
men, beispielsweise beim Energie- und Klimafonds.
Gestatten Sie mir noch den kurzen Hinweis darauf,
dass es, was die EEG-Umlage und damit auch die Kos-
ten für die Verbraucher und Verbraucherinnen angeht,
natürlich verschiedene Schlüssel und Stellschrauben
gibt. Dazu gehört sicherlich der Börsenstrompreis; dazu
gehören aber auch die Zubaugeschwindigkeit der Erneu-
erbaren oder die Vergütungssätze, die ja für einen langen
Zeitraum festgelegt sind und insofern auch eine Rolle
spielen.
Eine Nachfrage des Kollegen Krischer.
Frau Staatssekretärin, ich habe gerade gehört, dass inabsehbarer Zeit eine Verständigung zwischen den beiden
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28342 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Oliver Krischer
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befreundeten Ministerien erzielt werden soll, um dannvielleicht zu einer Position der Bundesregierung zu kom-men. Wir hören aber schon seit vielen Monaten, dassman daran arbeitet. Meine Frage lautet: Glauben Sienicht, dass es schwierig bis unmöglich ist, eine Entschei-dung auf europäischer Ebene zu treffen, wenn das größteLand der Europäischen Union und der größte Emittentinnerhalb der Europäischen Union in dieser entscheiden-den Frage keine Position hat?Ur
Ihre Auffassung teile ich nicht, Kollege Krischer. Wir
werden eine gemeinsame Position finden. Auch Sie wis-
sen, dass derzeit das Europäische Parlament gefragt ist,
seinerseits eine Position zu finden.
Damit kommen wir zur Frage 18 des Kollegen Ott:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung des Schirmherrn
Professor Dr. Klaus Töpfer und anderer, dass die Energie-
wende mehr als eine Preisdebatte sei, Klimawandel und die
Reaktorkatastrophe von Fukushima als die Auslöser der Ener-
giewende nicht vergessen werden dürften und die ökologische
und soziale Dimension der Energiewende nicht im Wider-
quenzen zieht die Bundesregierung daraus?
Ur
Kollege Ott, um die ökologische und soziale Dimen-
sion der Energiewende ausgewogen zu berücksichtigen,
kommt es auf die konkrete Ausgestaltung an; das habe
ich vorhin schon gesagt. Vor diesem Hintergrund haben
Bundesumweltminister Peter Altmaier und Bundeswirt-
schaftsminister Philipp Rösler einen gemeinsamen Vor-
schlag zu kurzfristigen Maßnahmen zur Dämpfung der
Kosten des Ausbaus der erneuerbaren Energien vorge-
legt. Dieser Vorschlag wird derzeit intensiv mit den Bun-
desländern und den Ressorts beraten. Es ist das Ziel, ein
abgestimmtes Konzept vorzulegen. Wie das Gesamtpa-
ket am Ende aussehen wird, ist abhängig von den jetzt
anstehenden Gesprächen mit den Bundesländern und
zwischen den Ressorts.
Herr Ott, haben Sie eine Nachfrage? – Bitte schön.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin Heinen-
Esser, wir hören nun schon sehr lange, dass da Gesprä-
che im Gange sind und dass man sich da abstimmt. Al-
lerdings neigt sich die Legislaturperiode ihrem Ende zu
– ihrem wohlverdienten Ende; so möchte ich das mal
formulieren –, und wir hoffen alle auf Besseres und
Neues. Die Zeit, die Ihnen noch bleibt, ist tatsächlich
sehr eng.
Es fällt auf, dass sich diese Diskussion – auch in der
Bundesregierung – auf den Strompreis beschränkt, ob-
wohl dieser nur zu einem winzigen Teil für die Belastun-
gen der Bürgerinnen und Bürger durch hohe Energie-
preise verantwortlich ist. Meine Frage deshalb: Was
macht die Bundesregierung, um dafür zu sorgen, dass
die Bürgerinnen und Bürger zum Beispiel bei den Heiz-
kosten nicht unzumutbar belastet werden? Die zweite
Miete drückt doch fast schon so sehr wie die erste Miete.
Ur
Ich beantworte Ihre Frage am besten Schritt für
Schritt. Zum ersten Punkt: Natürlich müssen wir uns mit
den Strompreisen beschäftigen. Wir haben in den letzten
vier Jahren im Deutschen Bundestag erlebt, wie die
EEG-Umlage Jahr für Jahr angestiegen ist. Wenn wir
jetzt nichts unternehmen – an welcher Stellschraube
auch immer –, wird die EEG-Umlage weiter steigen, und
dann wird sie natürlich auch weiterhin spürbar für die
Verbraucher sein. Dies ist dann nicht nur eine zusätzli-
che Belastung für die Verbraucher, sondern kann dazu
führen, dass die Energiewende in der Bevölkerung auf
Akzeptanzschwierigkeiten stößt. Das, Herr Dr. Ott, kann
weder in Ihrem noch in unserem Interesse sein.
Selbstverständlich muss man sich auch mit den weite-
ren Energiekosten intensiv beschäftigen, vom Mineralöl
bis zum Gas. Bundesumweltminister Altmaier hat, bei-
spielsweise mit den Sozialverbänden und mit den Ver-
braucherverbänden, Gespräche geführt, um zu überle-
gen, welche Möglichkeiten es hier gibt.
Herr Ott, haben Sie eine weitere Nachfrage? – Bitteschön.
Der schlechte Eindruck, den die Bundesregierung imHinblick auf die Umsetzung der Energiewende macht,liegt gar nicht so sehr an Ihrem Hause, sondern zum gro-ßen Teil daran, dass zwischen verschiedenen Mitglie-dern der Bundesregierung Uneinigkeit besteht.Nun hat ja Professor Töpfer, der den Appell derKlima-Allianz Deutschland vorgestellt hat, schon alsVorsitzender der Ethik-Kommission Sichere Energiever-sorgung, die im Auftrag der Bundeskanzlerin dieseEnergiewende, den Ausstieg aus der Atomenergie, vor-gedacht hat und Vorschläge gemacht hat, gesagt undjetzt noch einmal wiederholt: Es braucht einen Energie-wendemanager, es braucht jemanden, der die verschie-denen Bemühungen der Bundesregierung – formulierenwir es einmal sehr positiv – koordiniert, um nicht zu sa-gen: der zwischen unterschiedlichen Positionen vermit-telt, damit endlich einmal etwas vorangeht. – Hat dieBundesregierung dazu irgendwelche Vorstellungen?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28343
(C)
(B)
Ur
Die Behauptung, es gehe nicht voran, muss ich ent-
schieden zurückweisen – die Energiewende kommt sehr
gut voran. Sie wissen, dass wir im vergangenen Jahr
erstmals erreicht haben, dass fast ein Viertel der gesam-
ten Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien gekom-
men ist.
Das ist schon ein gewaltiger Fortschritt, Herr Dr. Ott.
Damit können wir schon sagen, dass wir hier vorankom-
men.
Wir haben uns die Kritik in der Tat zu Herzen genom-
men und uns damit befasst, wie wir die Energiewende
besser koordinieren können. Aus diesem Grund gibt es
verschiedene Ausschüsse und Plattformen innerhalb der
Bundesregierung: Es gibt beispielsweise die Plattform
Erneuerbare Energien mit drei Arbeitsgruppen und den
Staatssekretärsausschuss mit allen beteiligten Ressorts,
der regelmäßig tagt und in dem alle im Zusammenhang
mit der Energiewende anstehenden Probleme bespro-
chen werden. Dazu gehört die Frage – diese Frage ist
entscheidend –, wie es mit den Kraftwerksplanungen
weitergeht, wie wir es schaffen, dass Gaskraftwerke ren-
tabel bleiben, auch wenn sie nur ab und zu unterstützend
zugeschaltet werden, um die Versorgung mit Strom aus
erneuerbaren Energien zu gewährleisten. Das sind alles
Fragen, die in diesem Ausschuss diskutiert werden. Wir
haben damit ein exzellentes Instrument an der Hand, um
die Energiewende zu managen.
Darüber hinaus haben wir den Monitoringprozess, der
uns immer sagt, ob wir mit der Energiewende auf dem
richtigen Weg sind, ob wir bis zum Jahr 2050 die Ziele,
die wir uns selber gesetzt haben, erreichen bzw. wo wir
nachsteuern müssen. Der im Dezember 2012 veröffent-
lichte erste Monitoringbericht hat bestätigt, dass die
Energiewende gut vorankommt.
Frau Höhn hat noch eine Nachfrage. – Bitte.
Eben ist ja schon angesprochen worden, dass die
Haushalte vor allen Dingen durch die Heizkosten belas-
tet sind. Energiesparmaßnahmen werden vor allen
Dingen durch Projekte gefördert, die mit Mitteln aus
dem Energie- und Klimafonds finanziert werden. Durch
die niedrigen Preise für CO2-Emissionszertifikate, also
durch einen unambitionierten Klimaschutz auf EU-Ebene,
sind die Einnahmen des Energie- und Klimafonds, EKF,
dramatisch gesunken. Damit können die Energieeffizienz-
maßnahmen nicht mehr finanziert werden.
Teilen Sie die Auffassung, dass wegen der sinkenden
Einnahmen für den Energie- und Klimafonds – auch
zum Beispiel im Wärmebereich – die Kosten für die
Haushalte höher sind? Wäre es nicht besser, genügend
Mittel bereitzustellen, um diese Energiesparmaßnahmen
durchführen zu können?
Ur
Sehr geehrte Kollegin Höhn, zum Ersten muss ich sa-
gen: Ich hätte mir natürlich gewünscht, wir hätten die
steuerliche Förderung der Gebäudesanierung hinbekom-
men. Damit hätten wir aus dem Bundeshaushalt einen
guten Schritt in Richtung Energieeffizienz geleistet und
müssten uns in diesem Punkt vielleicht gar nicht so in-
tensiv mit dem Fonds beschäftigen. Ich darf das noch
einmal sagen: Es wäre schön gewesen, wenn Sie und die
SPD gesprungen wären und gesagt hätten: Dies ist eine
gute Sache, die wir tatsächlich unterstützen wollen.
Zweiter Punkt. Natürlich machen wir uns Gedanken
über die Ausstattung des Energie- und Klimafonds.
Wenn ich die Twitter-Meldungen richtig gelesen habe,
dann ist das heute Morgen ja wohl auch im Ausschuss
entsprechend behandelt worden. Wir sind hier in ent-
scheidenden Gesprächen mit dem Bundesfinanzministe-
rium über die Bewirtschaftung, und auch hier hoffe ich,
dass wir zu einem guten Ende kommen werden.
Vielen Dank. – Wir kommen zur Frage 19 unseres
Kollegen Oliver Krischer:
Welche Gründe hat der erneute Förderstopp beim Mini-
Kraft-Wärme-Kopplung-Impulsprogramm, und warum wird
dieser Förderstopp auf den Internetseiten der Bundesregie-
rung nicht transparent gemacht?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ur
Kollege Krischer, seitens der Bundesregierung wurdekein Förderstopp verkündet. Dieser Schritt – das muss ichjetzt ausdrücklich sagen – wäre in der jetzigen Situationauch verfrüht. Das Mini-KWK-Programm wird aus Mit-teln der Nationalen Klimaschutzinitiative finanziert, dieprimär aus dem Bundeshaushalt und zusätzlich aus demEnergie- und Klimafonds, EKF, bereitgestellt werden.Gegenwärtig – das habe ich auch auf die Frage derKollegin Höhn gerade schon gesagt – laufen innerhalbder Bundesregierung, auf höchster politischer Ebene,Abstimmungen zum Thema Emissionshandel und zurAufteilung der in 2013 verfügbaren Finanzmittel ausdem EKF, dessen Einnahmen eben von den Erlösen ausdem Emissionshandel abhängig sind. Das Ergebnis die-ser Abstimmung gilt es abzuwarten.Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle,BAFA, ist für die Abwicklung des Mini-KWK-Pro-gramms zuständig. Um einen sofortigen Antragsstopp zuvermeiden, wurde das BAFA gebeten, bis zur Klärung derMittelverteilung innerhalb des EKF die Anträge anzuneh-men, jedoch noch keine Grundbescheide zu erlassen.
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28344 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
(C)
(B)
Ihre erste Nachfrage, Kollege Oliver Krischer.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin, für die Aus-
führungen. Mich wundert dann nur, dass die Antragstel-
ler ein Schreiben des BAFA erhalten, wonach ihr Antrag
entgegengenommen wurde und mit der Maßnahme be-
gonnen werden kann, aber keine Entscheidung über eine
Förderung getroffen wird. Diese völlige Unklarheit führt
natürlich dazu, dass Antragsteller keine entsprechenden
Investitionen tätigen.
Ich habe mir die entsprechenden Seiten des BMU
oder des BAFA noch einmal angeguckt: Darin findet
man keinen Hinweis darauf, was Sie gerade gesagt
haben. Eine solche Kommunikation wäre natürlich
wichtig, um die Branche darauf einzustellen, was dort
möglicherweise kommen könnte.
Ich frage Sie, was Sie tun wollen, um die Verunsiche-
rung, die durch die Situation des Energie- und Klima-
fonds jetzt entstanden ist, zu beheben. Durch welche
Aktivitäten wollen Sie diese Verunsicherung beseitigen?
Ur
Kollege Krischer, ich nehme Ihren Hinweis, das noch
einmal deutlicher und klarer zu kommunizieren, sehr
gerne mit. Ich mache aber darauf aufmerksam, dass wir
uns darauf verständigt haben, dass zurzeit keine neuen
Vorhaben bewilligt werden können. Die Anträge, die
eingegangen sind, sollen aber auf jeden Fall schon ein-
mal bearbeitet werden, damit es nicht zu Verzögerungen
kommen wird. Sie wissen – ich vermute, auch das haben
Sie heute Morgen intensiv besprochen –, dass wir im
Energie- und Klimafonds Rücklagen aus dem Jahr 2012
besitzen, die wir tatsächlich nutzen können. Zum Zwei-
ten gibt es im Rahmen des EKF auch die Möglichkeit,
Liquiditätsdarlehen bis zu einer Höhe von 10 Prozent
des Gesamtvolumens des jeweiligen Wirtschaftsplans
– in 2013 wären das bis zu 204 Millionen Euro – aus
dem Bundeshaushalt zu erhalten. Auch hier haben wir
gegebenenfalls noch Möglichkeiten.
Ich weiß, dass die Antwort nicht sehr befriedigend ist
und dass ich Sie damit bis auf die Zeit vertrösten muss,
bis wir diese Angelegenheit endgültig geregelt haben.
Aber, wie gesagt, unser Hauptziel in der jetzigen, nicht
ganz einfachen Situation ist es, dafür zu sorgen, dass es
dann, wenn der Finanzrahmen endgültig klar ist, nicht zu
Verzögerungen bei der Mittelvergabe kommt und dass
deshalb die Anträge schon jetzt bearbeitet werden.
Herr Kollege Oliver Krischer, Sie haben jetzt die
Möglichkeit zur zweiten Nachfrage.
Herzlichen Dank für Ihre Ausführungen, Frau Staats-
sekretär.
Ur
Staatssekretärin.
Staatssekretärin, Entschuldigung, das habe ich ver-
schluckt. Selbstverständlich Frau Staatssekretärin, damit
hier keine Missverständnisse aufkommen.
Ich freue mich über Ihre Ausführungen, dass an dieser
Stelle noch nicht entschieden ist, dass das Förder-
programm beendet wird. Deshalb noch einmal die Bitte,
das nach außen klar zu kommunizieren. Sie müssen
nicht mich, sondern eine Vielzahl von Antragstellern, die
ein Problem haben, vertrösten. Bei ihnen herrscht eine
Riesenunklarheit.
Ich bitte Sie, zu versuchen, meine Frage an Sie im
Rahmen Ihrer Erkenntnisse positiv zu beantworten: Wie
beurteilen Sie denn die Chancen, dass dieses Programm
im bisherigen Umfang weitergeführt werden kann?
Ur
Es tut mir leid, Herr Krischer, ich kann Ihnen dazu
keine genaue Aussage machen. Ich möchte mich hier
nicht auf Aussagen festlegen, die hinterher nicht haltbar
sind. Ich bitte dafür um Verständnis. Ich kann Ihnen nur
sagen, dass von BMU-Seite alles getan wird, dass dieses
Programm entsprechend weiterlaufen kann und dass wir
deshalb die Anträge weiter bearbeiten, wie ich eben aus-
geführt habe, sodass man dann, wenn die Mittel da sind,
zügig weiterarbeiten kann.
Vielen Dank. – Eine Nachfrage der Kollegin Bärbel
Höhn.
Fr
Das ist eine unsichere Situation, die auch bei den
Antragstellern – das haben wir eben von Oliver Krischer
sehr deutlich gehört – zu Verunsicherung führt.
Ist im BMU schon einmal durchgerechnet worden,
wie viel weniger Anträge in diesem Jahr bearbeitet wer-
den können, wie viel weniger aufgrund der desolaten
Einnahmesituation des Klima- und Energiefonds in diese
Mini-KWK am Ende investiert werden kann?
Ur
Frau Höhn, das kann ich Ihnen hier leider nicht münd-lich darlegen. Das müsste ich Ihnen schriftlich nachrei-chen. Ich glaube aber nicht, dass wir jetzt einfach pau-schal sagen können: Soundso viel weniger Geld ist jetztim EKF enthalten, und das hat eine direkte Auswirkungauf das KWK-Programm in dieser Höhe. – Ich glaube,dass wir darüber anders sprechen müssen. Wenn Sie er-lauben, werde ich Ihnen das schriftlich nachreichen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28345
(C)
(B)
Vielen Dank. – Wir kommen zum Geschäftsbereich
des Bundesministeriums für Bildung und Forschung.
Die Fragen 20 und 21 des Kollegen Arfst Wagner wer-
den schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Die
Frage 22 des Kollegen Oliver Krischer und die Frage 23
des Kollegen Niema Movassat werden schriftlich beant-
wortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amts. Die Frage 24 des Kollegen Niema Movassat, die
Frage 25 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl, die Fragen 26
und 27 der Kollegin Sevim Dağdelen, die Frage 28 der
Kollegin Katja Keul und die Frage 29 der Kollegin
Heike Hänsel werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums des Innern. Die Fragen 30 und 31 der
Kollegin Ulla Jelpke und die Frage 32 des Kollegen
Andrej Hunko werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen. Die Frage 33 des Kollegen
Andrej Hunko, die Fragen 34 und 35 der Kollegin Lisa
Paus, die Fragen 36 und 37 der Kollegin Dr. Barbara
Höll, die Fragen 38 und 39 des Kollegen Dr. Axel Troost
und die Fragen 40 und 41 der Kollegin Katja Dörner
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales. Die Frage 42 der
Kollegin Dr. Martina Bunge und die Fragen 43 und 44
der Kollegin Anette Kramme werden schriftlich beant-
wortet.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind am Ende
unserer Fragestunde.
Die Aktuelle Stunde soll um 15.35 Uhr beginnen. So
ist es auch mit den Fraktionen vereinbart, da parallel der
Haushaltsausschuss tagt und die Mitglieder, die jetzt dort
arbeiten, dann in der Aktuellen Stunde gefordert sind.
Ich unterbreche jetzt bis 15.35 Uhr.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Wir fahren in unserer Aussprache fort, indem ich den
Zusatzpunkt 1 aufrufe:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Verhalten von SPD und BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN im Bundesrat beim Fiskalpakt
Ich eröffne die Aussprache. Als Erster hat das Wort
der Parlamentarische Staatssekretär Steffen Kampeter.
Bitte schön, Herr Kollege.
S
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Bei dieserAktuellen Stunde geht es darum, wie ernst wir es mit un-serem Versprechen meinen, ausgeglichene Haushalte inden verschiedenen Gebietskörperschaftsebenen vorzule-gen.Ich will mit dem Hinweis darauf beginnen, dass wirheute im Bundeskabinett die Eckwerte für den Bundes-haushalt 2014 und die Finanzplanung bis 2017 beschlos-sen haben. Sie zeigen: Wenn man sich anstrengt, kannman sogar historische Leistungen in der Finanzpolitikvollbringen.
Wir haben innerhalb einer einzigen Legislaturperiode,ausgehend von weit über 80 Milliarden Euro prognosti-zierter Nettokreditaufnahme, einen nachhaltig strukturellausgeglichenen Haushalt vorgelegt. Dies ist eine starkeLeistung in der Finanzpolitik.
Bevor der Kollege Schneider hier wieder die falscheBehauptung aufstellt, das sei lediglich ein konjunkturel-ler Effekt, will ich ihn darauf hinweisen, dass er schoneinige Jahrzehnte zurückgehen muss – wahrscheinlichlänger, als er auf dieser Welt ist –, um in der Finanzge-schichte der Bundesrepublik Deutschland beim Bund ei-nen solch strukturell ausgeglichenen Haushalt zu finden.Das ist ein Solitär, meine sehr verehrten Damen undHerren, und es ist ein großartiger Erfolg des Bundes-finanzministers Wolfgang Schäuble.
Der Bundesfinanzminister hat zu Beginn seinerAmtszeit angekündigt, dass wir die Vorgaben der Schul-denregel im Grundgesetz, die sich auch im Fiskalpaktwiederfindet, mit einem konsequenten Konsolidierungs-kurs einhalten wollen. Damals haben viele daran ge-zweifelt, dass das machbar ist. Aber wir haben die Vor-gaben nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt. Schon imHaushaltsvollzug 2012 haben wir die Vorgabe für 2016erfüllt – vier Jahre früher als erforderlich! Die struktu-relle Null ist nur die konsequente Fortsetzung dessen,was wir in der Fiskalpolitik erreicht haben.
Ich erinnere dieses Hohe Haus daran, dass wir im Jahr2010 bei den Debatten um die Schuldenbremse imGrundgesetz, die ihre Entsprechung auf europäischerEbene im Fiskalpakt hat, darüber gesprochen haben, obder Abbaupfad überhaupt leistbar ist. Der Abbaupfad,den wir damals festgelegt haben, interessiert keinenmehr, weil wir deutlich darunter liegen. Wir haben unser
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28346 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
(C)
(B)
Ziel der Haushaltskonsolidierung mit Disziplin verfolgt;wir haben es früher erreicht, als es möglich erschien undrechtlich notwendig war, und haben viele PessimistenLügen gestraft.Wir machen eine ehrliche, solide Finanzpolitik. Wirmachen sie, orientiert am Ziel des Haushaltsausgleichs,an den nachfolgenden Generationen und an unseren eu-ropäischen Partnern, um ein Vorbild zu sein. DieseHaushaltspolitik wird beim Treffen der Staats- und Re-gierungschefs Ende dieser Woche sicherlich Beachtungfinden.Was sich die Menschen in Deutschland in der Finanz-politik am meisten wünschen, ist ein Ende der staatlichenVerschuldungspolitik. Der Staat soll sich so verhalten, wiesich auch jede Privatperson und jeder Unternehmer lang-fristig verhalten muss: nur so viel ausgeben, wie maneinnimmt. Das haben wir geschafft, und zwar ohne Er-höhung der großen Steuern, wie sie von der linken Seitedieses Hauses stets und ständig eingefordert wird. Haus-haltspolitik ist Ausgabendiät.
Wir haben damit auch belegt, dass Konsolidierungund Wachstum kein Widerspruch sein muss; das disku-tieren wir derzeit ja mit unseren europäischen Partnern.Konsolidierung ist Wachstumsförderung. Nur dann,wenn die Menschen in den Ländern Vertrauen haben,auch in die öffentlichen Finanzen, fördern wir private In-vestitionen. Die Erfolgsgeschichte, wie wir sie beispiels-weise auf dem Arbeitsmarkt haben, ist auch darauf zu-rückzuführen, dass wir konsequent konsolidiert haben.Meine sehr verehrten Damen und Herren, das ist al-lerdings nicht überall in Deutschland und nicht überall inEuropa so.
Während wir in dieser Woche im Bundeskabinett einestrukturelle Null für den Bundeshaushalt beschlossen ha-ben, hat das Landesverfassungsgericht in Nordrhein-Westfalen die dortige rot-grüne Landesregierung zumdritten Mal innerhalb von zweieinhalb Jahren dadurchabgewatscht, dass es einen Landeshaushalt von Rot-Grün für verfassungswidrig erklärt hat.
Wir orientieren uns am Grundsatz von Haushaltsklar-heit und Haushaltswahrheit. In Nordrhein-Westfalenscheint Verfassungsbruch neuerdings zum Kerninstru-ment der Haushaltspolitik zu gehören. Das geht nicht,meine sehr verehrten Damen und Herren.
In Niedersachsen, wo Grüne und Rote regieren, zeigt einBlick in die Koalitionsvereinbarung, wie sie es mit derKonsolidierung halten. Das von David McAllister vor-gegebene Ziel, auch in Niedersachsen 2017 einen Haus-haltsausgleich zu schaffen, wird erst einmal in dienächste Legislaturperiode vertagt,
damit man in dieser Legislaturperiode mit den Wählerin-nen und Wählern keinen Ärger hat, Wahlgeschenke ver-teilen und hemmungslos Schulden zulasten der nachfol-genden Generationen machen kann. Das ist offenbar rot-grüne Finanzpolitik in Niedersachsen. Das geht so abernicht. Es verstößt gegen das Grundgesetz, gegen denGeist des Fiskalpaktes. Das ist nicht unser Anliegen.
Und wenn Sie, Herr Ministerpräsident Kretschmann,heute hier sind: Auch die Haushaltspolitik in Baden-Württemberg reiht sich hier ein. Dafür, dass Sie jetzt al-lerdings den Buckel für einen Verfassungsbruch in Nord-rhein-Westfalen hinhalten müssen, tun Sie mir schon fastein wenig leid.Mit der Anrufung des Vermittlungsausschusses durchdie rot-rot-grüne Verfahrensmehrheit im Bundesrat am1. März 2013 versuchen Sie, die Pflichten, die Ihnen dasGrundgesetz eh aufgibt, sich ein Stück weit vom Bundentgelten zu lassen. Sie fordern mehr Geld, weniger Ver-antwortung und weniger Achtung. Es kann auf Dauernicht gut gehen, wenn ein Teil in diesem Land für Konso-lidierung zuständig ist und ein anderer Teil für wenigerVerantwortung, für weniger konsequentes Konsolidieren.Wir müssen wieder zusammenkommen. Deswegen for-dere ich die Bundesländer auf, beim Fiskalpakt keineparteitaktischen Blockadespielchen zu machen, sondernauf die Sachebene zurückzukommen. Deutschland istein finanziell stabiles Land. Die Länder können das, derBund kann das. Gemeinsam sollten wir dieses Signalnach außen setzen.
Ich will an dieser Stelle darauf hinweisen, dass dieBehauptung der Länder nicht zutreffend ist, es gebe eineneue Verpflichtung. Nicht nur dass das Grundgesetzselbstverständlich auch die Länderhaushalte schon seitlängerem bindet: Auch der präventive Arm des Stabili-täts- und Wachstumspakts verpflichtet zur Begrenzungdes strukturellen gesamtstaatlichen Defizites schon seitdem Jahre 2005.Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir stehenfür stabile Finanzen in Deutschland.
Wir stehen dafür, dass wir auch von anderen in Europaverlangen, ihre Finanzen stabil zu halten. Es wirft einrecht seltsames Licht auf den Föderalismus, wenn ein
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28347
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
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Teil des Bundesrates hier ausbüxen will. Wer Regie-rungsverantwortung hat, muss sie wahrnehmen. Wer dasGrundgesetz achtet, muss Haushalte konsolidieren. Dasgilt für Bund und Länder, und das gilt für alle Länder,unabhängig von den parlamentarischen Mehrheiten.
Damit es klar ist: Der Bund wird auch unabhängigvon solchen taktischen Spielereien die finanzielle Ent-lastung der Länder und die in dieser Beziehung gegebe-nen Zusagen einhalten. Ich erwähne es einmal kurz undkursorisch: Allein in dieser Legislaturperiode haben wirEinnahmeverschiebungen zulasten des Bundes und zu-gunsten der Länder und Gemeinden durchgeführt, beidenen es um einen deutlich zweistelligen Milliardenbe-trag geht. Ob es das Steuervereinfachungsgesetz oder dieÜbernahme der Kosten der Grundsicherung im Alter undbei Erwerbsminderung sind – ein wichtiges Thema ge-rade für die Kommunen, da es für die wohl nachhaltigsteEntlastung der kommunalen Haushalte sorgt –, ob es derAusgleich der Kosten der Umsetzung des Bildungspake-tes oder die Festschreibung der Bundesbeteiligung anden Kosten der Unterkunft sind, ob es im Bereich derBildung die Exzellenzinitiative, der Hochschulpakt oderder Qualitätspakt Lehre sind, ob es im Bereich der Fami-lie der Ausbau der Kinderbetreuung, das Bundeskinder-schutzgesetz oder die Kindergelderhöhungen sind, ob es– dieses Thema wurde von den Ländern als wichtig er-achtet – die Übernahme der Verwaltungskosten beimZensus 2011 ist: Das sind jährliche Überweisungen zu-gunsten von Ländern und Gemeinden – die bei uns zuBuche schlagen – von knapp 10 Milliarden Euro in dervollen Ausbaustufe. Das bekommen Länder und Ge-meinden mehr, als zu Beginn der Legislaturperiode in ih-ren Planungen vorgesehen war.Das macht deutlich: Der Bund leistet dort, wo esmöglich und nötig ist, solidarische Hilfe für Länder undGemeinden.
Er kann aber zugleich seinen Haushalt konsolidieren.Wir sollten jetzt nicht versuchen, diese Konsolidierungs-erfolge im Vermittlungsausschuss politisch zu instru-mentalisieren. Das Grundgesetz gilt, der Fiskalpakt gilt;die Länder sind aufgefordert, aktiv mitzuwirken, insbe-sondere die rot-rot-grünen.
Vielen Dank, Herr Parlamentarischer Staatssekretär. –
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Carsten
Schneider. Bitte schön, Kollege Carsten Schneider.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Man spürt geradezu den Phantomschmerz des HerrnStaatssekretärs,
der daher rührt, dass die Wähler in Nordrhein-Westfaleneine Entscheidung getroffen haben, die verhindert hat,dass er, der Schattenfinanzminister, und der damaligeUmweltminister, Herr Röttgen, an die Regierung kom-men.
Ich glaube, die Wähler in Nordrhein-Westfalen habenweise entschieden.
Es hilft auch nichts, diesen Phantomschmerz immer wie-der hier im Deutschen Bundestag zu kühlen.
Herr Kampeter, Sie haben jetzt hier über die Schul-denbremse gesprochen, aber auch über den Bundeshaus-halt für 2014, den der Finanzminister heute im Kabinettvorgestellt hat
und den die nächste Bundesregierung und der nächsteDeutsche Bundestag zu verantworten haben. Allerdingshaben Sie dabei vergessen, zu sagen, wie es denn eigent-lich im Jahre 2013 aussieht: Wir haben in Deutschlanddie höchsten Steuereinnahmen, die es jemals gab.
Wir haben aufgrund der extrem guten Konjunktur dieniedrigsten Sozialausgaben.
Gegenüber der Planung für 2013 sparen Sie allein beiden Zinsausgaben 10 Milliarden Euro.
Trotz dieser extrem guten Zahlen machen Sie in diesemJahr 17 Milliarden Euro neue Schulden.
Das, meine Damen und Herren, ist kein Ruhmesblatt.
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28348 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Carsten Schneider
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Sie schaffen es nicht einmal im Wahlkampfhaushalt für2014, den Sie nicht mehr beschließen werden: Selbst da-rin sind noch über 6 Milliarden Euro neue Schulden vor-gesehen – keine Tilgung.Wir haben uns hier im Deutschen Bundestag ver-pflichtet, die Mittel für die Konjunkturprogramme, diewir 2009 und 2010 aufgelegt haben, um die Konjunkturnach vorn zu bringen – das hat zum Glück funktioniert –,in guten Zeiten zurückzuzahlen. Keinen einzigen Centtilgen Sie; vier Jahre danach haben Sie keinen einzigenCent getilgt. Im Gegenteil: Sie machen noch neue Schul-den.
Darauf wäre ich nicht stolz.An Ihrer Stelle hätte ich mir einmal die Subventionenangeschaut.
Eigentlich hat man gedacht, dass Sie von den Liberalenda herangehen wollen. Herr Kampeter, Sie haben geradegesagt, wie Sie den Ländern immer geholfen haben. DasErste, das Sie in dieser Legislatur umgesetzt haben, alsSie noch die Mehrheit im Bundestag und im Bundesrathatten, war das Wachstumsbeschleunigungsgesetz.
Was steckte dahinter? Die Subventionierung der Hote-liers und sonstiger Industriebereiche.
Dafür haben Sie 1 Milliarde Euro jedes Jahr ausgegeben,Geld, das Sie den Ländern entzogen haben.
Meine Damen und Herren, zum Glück haben wir demdank der neuen Bundesratsmehrheit etwas entgegenge-setzt; das geht nicht mehr.
Der nächste Punkt: der Bundesbankgewinn. Der Bun-desbankpräsident, Herr Weidmann, hat gestern eine sehrzurückhaltende Bewertung der Risiken aus der Euro-Krise im laufenden Jahr abgegeben. Ich sage: Es ist inOrdnung, dort für Rückstellungen zu sorgen; denn diewirkliche Lösung der Euro-Krise wird derzeit nicht imDeutschen Bundestag, sondern bei der EuropäischenZentralbank gemacht. Weil Sie nicht den Mut haben, denLeuten reinen Wein einzuschenken, springt die EZB einund nimmt gemeinschaftliche Risiken in ihr Portfolio.Dafür trägt die Bundesbank jetzt Vorsorge.
Man fragt sich aber: Was macht eigentlich der Bundes-finanzminister als ehrbarer Kaufmann? Wir haben auchKredite direkt ausgereicht: an Griechenland, Irland undSpanien. Wie viel Vorsorge ist dafür eigentlich getroffenworden? Kein einziger Cent!
Die Probleme werden in die nächste Legislaturpe-riode mitgenommen. Wir Sozialdemokraten sagen: Wirbrauchen eine klare, solide Finanzpolitik. Deswegen ha-ben wir – im Gegensatz zur FDP – die Aufnahme derSchuldenbremse in die Verfassung beschlossen.
Wir hätten es gut gefunden, wenn sie auch im europäi-schen Recht verankert wäre und nicht nur auf zwischen-staatlicher Ebene.
Wir hätten vor allen Dingen auch gut gefunden, wennSie diejenigen im Bankensektor, die enorm von unsererRettungspolitik profitiert haben, in die Verantwortunggenommen hätten, nämlich diejenigen, die hohe Vermö-gen haben.Seit der Finanzkrise wurden über 300 Milliarden Euroneue Schulden aufgenommen,
davon entfallen 100 Milliarden Euro auf Ihre Regie-rungszeit in dieser Legislaturperiode. Davon haben Siekeinen Cent zurückgezahlt.
Wir wollen, dass diejenigen, die von der Rettung profi-tiert haben, einen Teil der Lasten tragen. Das ist gerecht,aber wenn Sie das als Steuererhöhung bezeichnen, HerrStaatssekretär:
Wissen Sie: In meinem Wahlkreis in Erfurt-Weimar sindüber 95 Prozent der Menschen nicht betroffen. Die5 Prozent, die über große Vermögen und hohe Einkom-men verfügen, können einen Teil der Lasten tragen.
Wir als Sozialdemokraten haben ein ausgewogenesKonzept: auf der einen Seite Subventionsabbau, auf deranderen Seite Konzentration darauf, dass die stärkerenSchultern sich an den Kosten der Rettung beteiligen, von
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28349
Carsten Schneider
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der vor allem sie profitiert haben. Meine Damen undHerren, ich würde sagen: Das war ein Rohrkrepierer.
Vielen Dank, Kollege Carsten Schneider. – Nächster
Redner für die Fraktion der FDP: unser Kollege
Dr. Florian Toncar. Bitte schön, Kollege Dr. Toncar.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Derzeit erleben wir in Deutschland und inEuropa eine Zeitenwende. Das überkommene Politik-modell, dass der Staat mehr ausgibt, als er sich leistenkann, stößt erkennbar an seine Grenzen.
Die meisten Industrieländer sind heute an einemPunkt angelangt, an dem weitere Schulden Wohlstandund Zukunftschancen kosten. Bei unseren Nachbarn inSüdeuropa führt das Maß an Verschuldung mittlerweilezu einer Zerreißprobe für ganze Gesellschaften. Das istder Befund. Das ist der Hintergrund, vor dem wir dieseDebatte führen.
Deutschland hat bereits 2010 eine Antwort auf diesenBefund gegeben.
Wir haben in Deutschland eine Haushaltssanierung vor-genommen, die beispiellos ist: von einer Rekordver-schuldung, wie sie die Vorgängerregierung vorgeschla-gen hat, zu einem Haushaltsentwurf 2014, der strukturellausgeglichen ist und der die niedrigste Neuverschuldungseit Jahrzehnten vorsieht. Das ist das, was Deutschlandauf Bundesebene in den letzten vier Jahren geleistet hat.
In der Finanzplanung, die Ihnen vorgelegt wird, istvorgesehen, dass 2015 und auch 2016 die alten Schuldendes Bundes zunehmend getilgt werden. Wir im Bundsorgen für eine Schuldentilgung. Davon können einigeLänder – Herr Kretschmann ist anwesend – wahrschein-lich nur träumen, wenn sie nichts ändern. Das Wort „Til-gung“ kommt da in den Regierungserklärungen jeden-falls nicht vor; hier, auf Bundesebene, wird es ab 2015gemacht. Das ist ein Unterschied, auf den man hinwei-sen muss.
2010 wurde die Bundesrepublik Deutschland für ih-ren eingeschlagenen Kurs zum Teil noch kritisiert. Aberdie Euro-Krise brachte die Erkenntnis – und zwar nachund nach in ganz Europa –, dass es so nicht weitergehenkann. Eine der Konsequenzen, die Europa gezogen hat,war der Fiskalpakt, über den wir heute diskutieren.Der Fiskalpakt sieht vor, dass ein Land in der Euro-Zone zukünftig nicht mehr als 3 Prozent neue Schuldenmachen darf, sondern nur noch 0,5 Prozent, also wesent-lich weniger. Der Fiskalpakt sieht ferner vor, dass dieEuro-Länder und auch einige weitere ihre VerschuldungSchritt für Schritt auf 60 Prozent des Bruttoinlandspro-dukts abbauen müssen. Zu diesen Verpflichtungen hatsich Europa bekannt, darunter Länder, die sich in einerweitaus schwierigeren Ausgangslage befinden alsDeutschland.
Das war ein Erfolg dieser Bundesregierung, und das warauch die richtige Lösung, die wir hier für die durch dieEuro-Krise verursachten Probleme gefunden haben.
Der Bundesrat, der diesem Fiskalpakt zustimmenmuss, hat schon letztes Jahr mit einem Veto gedroht. Ineiner ganz kritischen Phase der Euro-Stabilisierung, alssich Menschen auf der Welt gefragt haben: „Gibt es denEuro bald überhaupt noch, oder zerfleddert die Euro-Zone, weil sich einige Staaten nicht darin halten kön-nen?“, als wir eine politische Antwort geben mussten:„Wir schaffen es in Europa“, hat der Bundesrat inDeutschland bei einer der wichtigsten Maßnahmen miteinem Veto gedroht. Das war schäbig, das war schädlich,und das dürfen wir Ihnen nicht durchgehen lassen.
Heute liegt ein Gesetzentwurf zur innerstaatlichenUmsetzung dieses Fiskalvertrags vor, und die Opposi-tion – das ist im Grunde kein Wunder – blockiert imBundesrat erneut. Sie ruft den Vermittlungsausschuss an.Die Opposition aus Rot und Grün – das darf man nocheinmal sagen –,
die 2004 den Europäischen Stabilitätspakt überhaupt erstgebogen und gebrochen hat,
die daher Mitverantwortung dafür trägt, dass es in Eu-ropa zu dieser Schuldenkrise kommen konnte,
stört heute beim Aufräumen. Das ist unredlich. Das, wasSie hier machen, ist nicht verantwortungsvoll.
Warum macht die Opposition das? Die Antwort isteinfach: weil sie weiter Schulden machen will, weil sie
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28350 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Dr. Florian Toncar
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nicht mit Geld umgehen kann. In den Bundesländern, indenen Sie regieren, kann man sich das anschauen.
In Baden-Württemberg beispielsweise steigen die Ein-nahmen, aber die Ausgaben steigen noch viel stärker.Die Ausgaben steigen in Baden-Württemberg um15 Prozent in nur zweieinhalb Jahren. Das muss manüberhaupt erst mal hinkriegen, so viel Geld auszugeben.Sie können einfach nicht mit Geld umgehen. Das ist derGrund, warum Sie diesen Vertrag blockieren.
In Nordrhein-Westfalen haben Sie gestern zum drittenMal das Zeugnis bekommen: Haushalt verfassungswid-rig und nichtig. Sie beschädigen damit nicht nur die Fi-nanzen des Landes Nordrhein-Westfalen. Wenn dreimalhintereinander so etwas passiert, dann beschädigen Siedamit meines Erachtens allmählich auch das Rechtsbe-wusstsein. Auch das ist ein Schaden, der ganz erheblichist.
Sie wollen sich an Regeln nicht halten.
Die Spitzenpolitiker von SPD und Grünen tourendurch Europa. Herr Steinbrück ist in fast allen Länderngewesen. Fast überall hat er gesagt: Also, wenn wirdrankommen, dann müsst ihr weniger sparen, dann lo-ckern wir die Auflagen, dann wird das mit den Reformennicht mehr so ernst genommen. Zuletzt hat er in Frank-reich gesagt: Ob die Neuverschuldung 3 Prozent oderein bisschen mehr beträgt, das ist alles nicht so tragisch.Sie stehen also nicht nur für Schulden in Deutschland,in den Bundesländern, sondern Sie stehen auch für einePolitik des lockeren Geldes in Europa. Könnten Sie dasumsetzen, würden Sie die Krise verschlimmern.
Ihr Vorbild François Hollande ist Argument genug, wa-rum das, was Sie in Deutschland und in Europa vorha-ben, der falsche Weg ist.
Was erreichen Sie mit der Blockade dieses wichtigenGesetzentwurfs? Die Bundesregierung wird in Europagefragt: Ihr habt den Fiskalpakt ausgehandelt, ihr wolltetihn, warum kommt er jetzt eigentlich nicht? – Was Sietun, ist, dass Sie die deutsche Position bewusst und ab-sichtsvoll untergraben. Damit schaden Sie unseremLand.
Dafür gibt es kein Argument. Ich fordere Sie und insbe-sondere den Bundesrat auf, von dieser schädlichen Poli-tik des leichten Geldes Abstand zu nehmen und das Ver-trauen in die Handlungsfähigkeit Deutschlands inEuropa und das Vertrauen in die Euro-Zone wiederher-zustellen.
Vielen Dank, Kollege Dr. Toncar. – Nächster Redner
für die Fraktion Die Linke: unser Kollege Dr. Dietmar
Bartsch.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habegelesen, dass es hier um das Verhalten von SPD undGrünen im Bundesrat gehen soll. Jetzt habe ich aber ver-standen, dass es um den Haushaltsentwurf geht, den HerrSchäuble heute im Kabinett vorgestellt hat.
Ich will nur einige wenige Argumente nennen: Sieschildern hier eine Erfolgsgeschichte, Herr Kampeter.Fakt ist: Diese Koalition hat in dieser Legislatur circa100 Milliarden Euro neue Schulden gemacht. Das kanndoch keine Erfolgsbilanz sein. Sie brüsten sich hier mitsolchen Begriffen, obwohl das Gegenteil der Fall ist.
Schauen wir uns einmal an, was Sie in diesem Jahr al-les machen, obwohl Sie neue Schulden machen: Sieplündern die Sozialkassen, Sie fahren die Investitionenzurück, und Sie blenden sämtliche Risiken aus. Das istIhr Haushalt, den Sie vorlegen. Ich kann überhaupt nichtnachvollziehen, warum Sie darauf so stolz sind und sa-gen: Das ist alles wunderbar.Eines ist entscheidend: Sie kommen hier mit einerschwarzen Null an. Ich erinnere mich: Es gab schon ein-mal einen Finanzminister, der vor der Wahl von einerschwarzen Null gesprochen hat. Was daraus gewordenist, wissen wir. Sie machen das doch nur, weil Sie genauwissen: Diese Koalition wird nach der Wahl im Septem-ber nicht weiterregieren.
Dann kann man darauf verweisen, dass man einen sohervorragenden Haushalt vorgelegt hat.
Lassen Sie mich auf das zu sprechen kommen, worumes hier eigentlich geht. In dieser Aktuellen Stunde gehtes um SPD und Grüne. Als Linker bin ich da vollkom-men neutral.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28351
Dr. Dietmar Bartsch
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Wollen wir einmal die Frage stellen: Warum ist das imBundesrat gescheitert? Das ist erst einmal eine reineSachfrage.
– Selbstverständlich hat die rot-rote Regierung in Bran-denburg mitgemacht.
Für das Scheitern sind aber nicht die Bundesländer ver-antwortlich, sondern allein der Bund.
Es gab, wie Sie alle wissen, ein entsprechendes Eck-punktepapier aus dem Jahr 2012. Da ist etwas vereinbartworden.
Die Bundesregierung hat sich daran aber nicht gehalten.
Es gab eine Bringschuld. Wenn sich ein Partner nicht da-ran hält, dann wird der Vertrag selbstverständlich nichtgeschlossen. Sie haben die Verantwortung.
Die Bundesregierung ist nicht verlässlich. Sie trägt dieVerantwortung dafür, dass diese Entscheidung im Bun-desrat nicht zustande gekommen ist.
Ich will noch einmal darauf hinweisen: Die Zustim-mung zum Fiskalpakt haben Sie sich damals auf dieseArt und Weise bei den Ländern erkauft. Wenn dem soist, dann müssen Sie die Vereinbarungen doch auch ein-halten. Es ist eher unverständlich, dass Länder wie Sach-sen zustimmen. Das ist falsch.
Lassen Sie mich die Gelegenheit nutzen, noch übereines zu reden. Dass wir als Linke den Fiskalpakt abge-lehnt haben, wissen Sie. Das ist auch richtig so. Dass wirlogischerweise die innerstaatliche Umsetzung ebenfallsablehnen, ist auch klar. Aber es ist notwendig, dass wiruns gemeinsam, und zwar nicht so sehr parteipolitisch,einmal Gedanken darüber machen, wie wir die Finanz-beziehungen zwischen Bund, Ländern und Kommunenregeln. Wir brauchen eine Föderalismusreform III. Jetztist nicht die Zeit dafür; aber wir sollten nach der Bundes-tagswahl darüber nachdenken, hier wirklich etwas zutun, damit auch die Kommunen wieder Geld haben. DieKommunen haben immer weniger Geld. Sie könnennicht einmal mehr ihre Pflichtaufgaben erfüllen. Damuss investiert werden. Das wäre notwendig.
Das ist eine Aufgabe für uns alle hier im Haus, und zwarohne Parteipolitik; denn Mehrheiten ändern sich. Mansieht es ja an Nordrhein-Westfalen: Immer wenn mannicht mehr regiert, schimpft man auf die Regierung da-vor. – Das kennen wir alle. Wo wir regiert haben, gab esimmer eine ordentliche Finanzpolitik, so wie jetzt auchin Brandenburg.
– Danke für den Beifall.
– Nein, das ist einfach wahr. Das können Sie doch nach-vollziehen. Es gibt einen ausgeglichenen Haushalt inBrandenburg. Schauen Sie sich einmal das Bundeslandan, in dem Sie regiert haben. Dort ist das nicht der Fall.Lassen Sie mich noch einen Punkt zur Sache sagen.Es geht um die sogenannten Entflechtungsmittel. DerBund hat versprochen, hier Planungssicherheit herzu-stellen. Das war Teil des Versprechens an die Länder.Real ist es so, dass diese Zusage aufgehoben wird. Wassind denn Entflechtungsmittel? Im Kern geht es da nurum investive Mittel. Schaut man sich den Bundeshaus-halt an – er wurde im Übrigen heute vorgestellt –, siehtman, dass die Investitionen wirklich sehr bescheidensind. Dies ist nach unserer Auffassung viel zu wenig. Beiden Entflechtungsmitteln geht es aber um die Zukunft.Es geht um Mittel für den Hochschulbau und für dieWohnraumförderung. Die Länder und die betroffenenKommunen brauchen dafür Planungssicherheit. Deswe-gen ist das, was die Bundesregierung vorgelegt hat, imBundesrat völlig zu Recht gescheitert.Ähnlich ist es mit den Bund-Länder-Anleihen. Wasist denn daran verwerflich, wenn die Länder von der gu-ten Bonität des Bundes profitieren? Das ist doch sehrsinnvoll. Es kann doch niemand dagegen sein.
Das verfassungsrechtlich korrekt zu klären, und zwar so,dass die Länder davon profitieren, ist doch einfach nurrichtig. Warum macht die Bundesregierung das nicht?
Die Bundesregierung ist dafür verantwortlich, dass dieUmsetzung des Fiskalvertrags im Bundesrat gescheitertist, weil sie nicht zuverlässig ist. In diesem Sinne richtetsich die Aktuelle Stunde im Kern nur gegen die Bundes-regierung. Man kann sich bei der schwarz-gelben Koali-tion für die Beantragung dieser Aktuellen Stunde bedan-ken.Danke schön.
Vielen Dank, Kollege Dr. Bartsch. – Nächster Rednerin unserer Aktuellen Stunde ist aus dem Bundesrat
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28352 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Vizepräsident Eduard Oswald
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Ministerpräsident Winfried Kretschmann. Bitte schön,Herr Ministerpräsident, Sie haben das Wort.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen ausdem Bundestag! Der Bundesfinanzminister und Abge-ordnete der Koalitionsparteien haben am Wochenendeschwere Vorwürfe gegen den Bundesrat erhoben. VonVerantwortungslosigkeit war die Rede,
von Schaden für die Interessen und das öffentliche Anse-hen der Bundesrepublik im Ausland. Mit dieser Aktuel-len Stunde soll das fortgeführt werden. Auch der Staats-sekretär hat von Blockadepolitik gesprochen.Meine Damen und Herren, diese Vorwürfe sind halt-los.
Sie zeugen von einem falschen Verständnis der Verfas-sungsorgane und deren Funktionen, wie sie im Grundge-setz vorgesehen sind.
Ich möchte in aller Deutlichkeit sagen: So können Ver-fassungsorgane nicht miteinander umgehen.
Die Länder haben im Bundesrat ihre Verantwortungfür Europa und die Bundesrepublik Deutschland sehrdeutlich gemacht. Sie haben am 29. Juni 2012 den Fis-kalpakt fast einstimmig ratifiziert. Nachdem die Bundes-regierung erst gezwungen werden musste, die Länderund auch den Bundestag entsprechend der Verfassung zubeteiligen, gab es eine Vereinbarung, die eine Reihe vonMaßnahmen für Länder und Kommunen enthält undauch enthalten muss, weil der Fiskalpakt auch für dieLänder und vor allem für die Kommunen neue Belastun-gen mit sich gebracht hat. Das war für beide Seiten einschwieriger, aber auch ein notwendiger Schritt.
Ich zitiere meinen Kollegen Bouffier aus der Debatte desBundesrates:Wir sind nicht nur der Treuhänder der Kommunen.Auf Dauer wird es ohne starke Kommunen wederstarke Länder noch einen starken Gesamtstaat ge-ben. So verstanden haben wir nicht nur im Interesseder Kommunen, sondern im Interesse aller gehan-delt. Insofern hat der Bund durch sein Entgegen-kommen – wenn auch nicht aus Altruismus, sodoch im Interesse des Ganzen –, wie ich finde, rich-tig gehandelt.Allerdings hat der Bund seine Zusagen nicht eingehal-ten.
Wir, Bund und Länder, haben damals gemeinsam ver-einbart, dass wir bis zum Herbst 2012 eine Einigungüber die Fortzahlung der Entflechtungsmittel bis 2019treffen,
dass wir gemeinsam Bund-Länder-Anleihen auf denWeg bringen, dass die Länder von allen Haftungen frei-gestellt werden, die aus der Geltung des Fiskalpaktes er-wachsen können, und dass wir festlegen, wie eventuelleSanktionszahlungen aufgeteilt werden, die aus Verstö-ßen gegen die Vereinbarungen des Fiskalpaktes resultie-ren. – Das war vereinbart. Die Länder sind in Vorleis-tung gegangen und haben am 29. Juni 2012 denFiskalpakt mit 15 Stimmen ratifiziert. Wir haben alsounseren Teil zur Stabilisierung Europas beigetragen. DerBundesrat ist seiner Verantwortung gerecht geworden.
Lassen Sie mich noch einen Aspekt hervorheben, deruns Ländern sehr wichtig ist. Wir haben in einem Ent-schluss des Bundesrates frühzeitig gefordert, dass wirdie Bestimmungen zur Zusammenarbeit der Länder inEU-Angelegenheiten den neuen Erfordernissen nachdem Bundesverfassungsgerichtsurteil anpassen. So ge-schieht es derzeit auch beim Gesetz über die Zusammen-arbeit von Bundesregierung und Deutschem Bundestagin Angelegenheiten der Europäischen Union. GestattenSie mir den Hinweis und den Appell an dieses HoheHaus, bei der anstehenden Beratung Ihres Zusammenar-beitsgesetzes auch den Gesetzentwurf der Länder zu be-rücksichtigen, damit beide Gesetze möglichst in einemBeratungsgang verabschiedet werden können.Es war uns damals klar, dass wir den Fiskalpakt nichtausgerechnet in Deutschland scheitern lassen wolltenoder konnten.
Wir brauchten ein starkes Signal aus Deutschland für dieverunsicherten Finanzmärkte und die Euro-Partner; aberjetzt muss der Bund seine Verantwortung wahrnehmenund zu seinem Wort stehen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28353
Ministerpräsident Winfried Kretschmann
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Bei der innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalvertragserwarte ich, dass er seine Zusagen einhält. Dies ist einZeichen von Verlässlichkeit. Genau diese Verlässlichkeitlässt die Bundesregierung vermissen.
Es wäre jetzt Ihre Aufgabe gewesen, für die Umset-zung der Vereinbarungen zu sorgen. Sie haben uns imDezember 2012 ein Gesetz zur Umsetzung des Fiskal-paktes vorgelegt, das all die getroffenen Vereinbarungennicht oder nicht wie vereinbart enthielt. Dem hat derBundesrat nicht zugestimmt. Statt aber nun selbst denVermittlungsausschuss anzurufen, um die inhaltlichenFragen sachlich zu klären, legen Sie dasselbe Gesetz– jedenfalls in Bezug auf die wesentlichen noch zu klä-renden Passagen – noch einmal vor. Darin waren nichtenthalten eine Vereinbarung zu der Fortzahlung der Ent-flechtungsmittel bis 2019, eine vereinbarte Aufteilungder Sanktionszahlungen und eine Haftungsfreistellungder Länder von Risiken aus dem Fiskalpakt.
Das ist mit der Bundesregierung vereinbart worden.
Nun aber denunzieren Sie den Bundesrat als Blockie-rer, weil er das im Grundgesetz zur Klärung von Mei-nungsverschiedenheiten vorgesehene Verfahren, nämlichdie Anrufung des Vermittlungsausschusses, gewählt hat.Der Vermittlungsausschuss hat die Funktion, Streitfra-gen zu lösen. Darum heißt er so.
Die Anrufung des Vermittlungsausschusses als Blockie-rung zu denunzieren, das geht einfach nicht.
Die Anrufung des Vermittlungsausschusses soll eineBlockade gerade verhindern. Das ist der Sinn des Ver-fahrens, das unser Grundgesetz, unsere Verfassung, vor-sieht. Wir können nicht so miteinander umgehen, dassein Verfassungsorgan, wenn es das im Grundgesetz vor-gesehene Verfahren einleitet, um Blockaden zu verhin-dern, als Blockierer hingestellt wird. Meine Damen undHerren, das geht einfach nicht.
Sie entwerfen wirklich ein Zerrbild des Bundesrates.Herr Abgeordneter Toncar, ich darf darauf hinweisen: Esgibt im Bundesrat keine Opposition und keine Fraktio-nen. Dort sind nur Länder vertreten.
Sie entwerfen aus Wahlkampfgründen – oder aus wel-chen Gründen auch immer – ein Zerrbild, das das Anse-hen des Bundesrates beschädigt. So können wir nichtmiteinander umgehen. Es ist unsere Aufgabe, die Pro-bleme dieses Landes gemeinsam zu lösen;
dazu sind die Gesetzgebungsorgane und der Vermitt-lungsausschuss da. Ich fordere die Bundesregierung undSie alle auf, zu einer konstruktiven Zusammenarbeit zu-rückzukehren.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Herr Ministerpräsident Kretschmann. –
Wir fahren fort. Nächster Redner für die Fraktion von
CDU und CSU ist unser Kollege Thomas Strobl. Bitte
schön, Kollege Thomas Strobl.
Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen!Um es klar zu sagen: Was wir derzeit im Bundesrat erle-ben, ist ein politisches Trauerspiel. Erneut wurde dasGesetz zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalver-trags aufgehalten.
Dieses Trauerspiel wird aufgeführt von der SPD, denGrünen und der extremistischen Linken.
Es ist unerträglich, dass Rot-Rot-Grün die Länderkam-mer auf diese Art und Weise für parteipolitische Interes-sen und nichts anderes missbraucht. Diesen Missbrauch,diese Instrumentalisierung werden wir nicht akzeptieren.
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28354 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
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Europa, meine sehr verehrten Damen und Herren, istin einer kritischen Phase der Krisenbewältigung.Deutschland und die deutschen Länder müssen mit gu-tem Beispiel vorangehen, um den Umsetzungsdruck inallen anderen Euro-Staaten aufrechtzuerhalten. Wir müs-sen zeigen, dass wir es dauerhaft ernst meinen. Ausdruckdieser Ernsthaftigkeit ist das Fiskalvertragsumsetzungs-gesetz.
Die Bundesländer haben der Ratifizierung des Fiskal-vertrags zugestimmt; das ist wahr. Damit sagen wir: Wirwollen die deutsche Schuldenbremse in Europa haben. –Dass die Bundesländer nun aber die nationale Folgege-setzgebung in Deutschland ablehnen, ist nicht konsis-tent. Herr Ministerpräsident Kretschmann, als Rechtfer-tigung sagen Sie, der Bund habe sich nicht anAbsprachen gehalten. Aber Sie wissen genau: Das istfalsch.Erstens. Im Eckpunktepapier vom Juni 2012 ist doku-mentiert, dass sich Bund und Länder noch über die Höheder sogenannten Entflechtungsmittel in den Jahren 2014bis 2019 einigen werden. Der Bund hat dazu einen ver-nünftigen Vorschlag vorgelegt.
Es waren die Länder, die nicht auf die Gespräche einge-gangen sind.
Zweitens. Im Eckpunktepapier steht, dass der Bundbereit ist, für den Zeitraum bis 2019 das Risiko etwaigerSanktionszahlungen zu übernehmen. Da steht nicht, dasser es auch danach machen wird.Drittens. Was die gemeinsamen Anleihen von Bundund Ländern anbelangt, so steht im Eckpunktepapierschon gar nichts von einer Schuldenvergemeinschaftung.Eine Vergemeinschaftung der Schulden, Euro-Bonds,das wollen Sie, die Grünen, die SPD, die Linke. Wirwollen die Vergemeinschaftung der Schulden, die Euro-Bonds, nicht.
Das sind drei Beispiele, die Ihre billige Blockadestra-tegie entlarven.
Wenn es den Sozialdemokraten und den Grünen mitdem Thema Neuverschuldung ernst wäre, dann müsstensie auf europäischer Ebene im Hinblick auf die Ver-pflichtung, Schuldenbremsen nach deutschem Vorbildumzusetzen, vorangehen. Außerdem, Herr Ministerprä-sident, müssten Sie in den Ländern, in denen Sie mitre-gieren, mit gutem Beispiel vorangehen.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch ein-mal das rote Flaggschiff Nordrhein-Westfalen und dasgrüne Flaggschiff Baden-Württemberg an! Baden-Würt-temberg hat im Vergleich zu anderen Bundesländern ei-nen niedrigen Schuldenstand; 2011 hatte es mit denniedrigsten Schuldenstand in der Republik. GünstigeVoraussetzungen für eine ehrgeizige Haushaltspolitikwären das gewesen. Der baden-württembergische Minis-terpräsident redet bei jeder Gelegenheit von Nachhaltig-keit. Doch im Doppelhaushalt 2013/2014 macht HerrKretschmann 3,5 Milliarden Euro neue Schulden.
Bis 2020 plant er jedes Jahr neue Schulden anzuhäufen– 7 Milliarden Euro –, und das, obwohl es Baden-Würt-temberg ökonomisch so gut geht wie noch nie, die Steu-ereinnahmen so hoch sind wie noch nie. Das zeigt: Daseinzig Nachhaltige an grüner Finanzpolitik sind dauer-haft höhere Schulden, die uns die Grünen hinterlassen.
Nachhaltigkeit, Herr Ministerpräsident, gibt es nicht nurin der Umweltpolitik und nicht nur beim Reden, Nach-haltigkeit gibt es auch in der Finanzpolitik. Was Sie inBaden-Württemberg in der Finanz- und Haushaltspolitikmachen, hat mit Nachhaltigkeit nichts, aber auch garnichts zu tun.
Nordrhein-Westfalen ist ein noch gravierenderer Fall:Verfassungsverstoß beim Haushalt zum dritten Mal, dieSchuldenbremse nicht eingehalten; der KollegeKampeter hat zu Recht darauf hingewiesen.Nachhaltige Verschuldung in Baden-Württemberg,fortgesetzter Verfassungsbruch in Nordrhein-Westfalen –das ist die real existierende Haushalts- und Finanzpolitikvon Rot-Grün. Damit haben wir nichts zu tun.
Die Wirklichkeit zeigt: Nicht in Baden-Württembergund nicht in Nordrhein-Westfalen, sondern in denunionsgeführten Ländern – in Bayern, in Sachsen, inThüringen – werden keine neuen Schulden mehr ge-macht.
In Bayern werden sogar Schulden zurückgezahlt. DieKoalition hat einen strukturell ausgeglichenen Bundes-haushalt vorgelegt.Die Union steht in den Ländern, im Bund und geradeauch in Europa für finanzpolitische Solidität und Verant-wortung und Stabilität. SPD und Grüne stehen für immerhöhere Schulden, immer weiter in den Schuldenstaathinein.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28355
Thomas Strobl
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Die SPD in Nordrhein-Westfalen und die Grünen in Ba-den-Württemberg beweisen: Rot und Grün können esnicht. Deswegen werden wir den Sozialdemokraten undden Grünen im Herbst nicht auch noch den Bundeshaus-halt und die Verantwortung für Europa überlassen.
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege
Michael Roth. Bitte schön, Kollege Michael Roth.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Mensch, was muss die Koalition gefrustet sein!
Ich kann ja verstehen, dass Sie enttäuscht sind, weil Siein einem Bundesland nach dem anderen eine richtigeKlatsche beziehen. Hier sitzen die Wahlverlierer auf derLandesebene: Schwarz-Gelb. Sie haben die Quittung be-kommen.
Es hat sich bis zu uns nach Hessen herumgesprochen:Da war doch etwas in Baden-Württemberg. War dasnicht Ministerpräsident Mappus, dem im Zusammen-hang mit EnBW Verfassungsbruch bescheinigt wordenist?
Und da blasen Sie sich hier auf, Herr Strobl, dass wirAngst haben müssen, Sie platzen gleich.
Es war heute im Bundestag viel von Verlässlichkeitund von Blockade die Rede. Da wäre ich an Ihrer Stelleeinmal ganz, ganz vorsichtig.
Sie haben nicht nur mit dem Bundesrat Verhandlungengeführt, Sie haben auch mit uns Verhandlungen geführt;Sie brauchten ja unsere Stimmen für den Fiskalvertrag.Einige von uns haben Tag um Tag zusammengesessen,um eines deutlich zu machen:
Es geht bei der Krise in der Europäischen Union nichtallein um Sparen, Sparen, Sparen; es geht auch umWachstum und Beschäftigung, um den Kampf gegen Ju-gendarbeitslosigkeit.
Da haben Ihnen Rot und Grün etwas abverhandelt, vondem Sie jetzt nichts mehr hören wollen.
Ich will Sie einfach noch einmal daran erinnern: Wirhaben – das ist auf Ihre Zustimmung gestoßen – einenAkt für nachhaltiges Wachstum und Beschäftigung aus-gehandelt. Wir haben ein Sofortprogramm gegenJugendarbeitslosigkeit ausgehandelt. Sie haben uns diezügige Einführung der Finanztransaktionsteuer zugesi-chert.
Sie haben uns zugesichert, dass es auf der EU-Ebenekeinerlei Kürzungen im Bereich der Kohäsions-, Struk-tur- und Sozialfonds geben wird.
Schwarz-Gelb betreibt am laufenden Band Wort-bruch:
Die FDP blockiert fortwährend die Verhandlungen zurFinanztransaktionsteuer. Den Bundesfinanzministermuss ich hier einmal außen vor lassen. Sie blockieren,wo Sie nur können. Wortbruch!
Im mehrjährigen Finanzrahmen auf EU-Ebene sind imBereich der Kohäsions-, Struktur- und Sozialpolitik30 Milliarden Euro gekürzt worden.
Wortbruch seitens der Bundeskanzlerin!
Sie haben mit wohlfeilen Worten ein Programm zur Be-kämpfung der Jugendarbeitslosigkeit im Umfang von6 Milliarden Euro in sieben Jahren angekündigt. Davonhaben Sie die Hälfte aus dem Europäischen Sozialfondsgeklaut.
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28356 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Michael Roth
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6 Milliarden Euro in sieben Jahren für 5,7 Millionen ar-beitslose Jugendliche, die auf der Straße stehen! Dasmacht im Jahr 150 Euro pro arbeitslosem Jugendlichen.
Sie wollen doch nicht allen Ernstes behaupten, dass Siehier die Zusagen gegenüber dem Bundestag eingehaltenhaben. Dritter Wortbruch seitens Schwarz-Gelb und die-ser Bundesregierung!
Wer ist also verlässlich, wenn es um den europäischenFiskalvertrag geht? Wir sind verlässlich; Rot-Grün istverlässlich.
Der Bundesrat erinnert an seine Verhandlungspositionund an die Zusagen der Bundesregierung und desBundestages. Wer blockiert eine angemessene Beteili-gung des Finanzsektors an der Krisenbewältigung? Werblockiert Impulse für Wachstum und Beschäftigung aufder europäischen Ebene? Wer blockiert einen nachhalti-gen und entschiedenen Kampf gegen die Massenjugend-arbeitslosigkeit?
Schwarz-Gelb! Deswegen zeigen, wenn Sie auf uns wei-sen, mindestens 5,7 Millionen Finger auf Sie. Das sinddie Finger der arbeitslosen Jugendlichen in der Europäi-schen Union, an denen Sie sich nachhaltig versündigen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Michael Roth. – Nächster Red-
ner ist für die Fraktion der FDP unser Kollege Otto
Fricke. Bitte schön, Kollege Otto Fricke.
Geschätzter Herr Vizepräsident! Herr Bundesratsprä-sident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! HerrBundesratspräsident, bei allem Verständnis, das ich fürdas Zusammenspiel zwischen Ländern, Kommunen,Bund und Verfassungsorganen habe, muss ich sagen:Ihre Rede war teilweise wortgleich mit dem, was OskarLafontaine 1997/1998 gesagt hat.
Herr Lafontaine hat uns auch erklärt: Es gibt gute staatli-che Gründe, warum wir bei bestimmten Reformen undDingen nicht mitmachen.
Faktisch hat Herr Lafontaine nichts anderes gesagt als:Ich blockiere, weil ich das so will. – Sie haben das eben-falls getan; ich werde das gleich aufzeigen.Vorher will ich den Zuhörern noch ein paar Hinweisegeben:
Hören Sie sich nicht immer nur an, was die Politiker imInland sagen. Die von der Regierung sagen natürlich,dass die Regierung recht hat, und die von der Oppositionsagen, dass die Regierung unrecht hat. Schauen Sie aucheinmal, wie sich das europäische Ausland über dasHaushaltswesen des Bundes in der BundesrepublikDeutschland äußert. Sie werden sehen, dass es kein Landin Europa gibt, das sagt: Deutschland macht das schlechtmit dem Haushalt. Deutschland hält sich nicht an die Re-geln. Die tun nicht das, was sie uns in Europa sagen, daswir tun sollen. – Diese Koalition ist der Garant dafür,dass der Fiskalpakt selbst dann, wenn Sie weiterhin des-sen Umsetzung blockieren, vom Bund eingehalten wird.Das ist unsere Verpflichtung, das ist unser Versprechen,das wir gegenüber den Bürgern abgeben. Wir sorgendafür, dass ihre Kinder, ihre Kindeskinder und ihre Al-tersvorsorge nicht durch weitere neue Schulden und wei-ter steigende Zinsen in der Zukunft belastet werden. Dasist unser Versprechen.
Dieses Versprechen wollten wir als BundesrepublikDeutschland durch eine Aufteilung mit den Ländern undKommunen untermauern.Wir haben eine Rekordbeschäftigung und Rekord-überschüsse in den Sozialkassen. Ulla Schmidt hatteniemals auch nur 1 Milliarde Euro zu viel. Wir habenReserven auch für schlechtere Zeiten in zweistelligerMilliardenhöhe. All das haben wir geschafft. Vor allenDingen haben wir es geschafft, die Ausgaben in dieserLegislaturperiode zu senken.
Herr Kretschmann, unabhängig von der Prozentrech-nung ist für die Bürger eines klar erkennbar: Der Bundhat im Laufe der Legislaturperiode seine Ausgaben um4 Milliarden Euro reduziert. Das Land Baden-Württem-berg – auch nicht gerade klein – hat es in den letzten dreiJahren geschafft, bei Steuermehreinnahmen in Höhe von3 Milliarden Euro die Ausgaben um 4 Milliarden Eurozu erhöhen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28357
Otto Fricke
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Jeder weiß, wer Ausgaben erhöht, spart nicht, und auchein Bürger, der kein Geld hat, kann nicht einfach seineEinnahmen erhöhen, wie es ihm gefällt. Das ist derUnterschied zwischen uns. Das, was wir machen, istKonsolidierung.
Schauen wir einmal nach Nordrhein-Westfalen! DassNordrhein-Westfalen inzwischen für 60 Prozent derNeuverschuldung der Länder verantwortlich ist, ist dochbeachtlich. 60 Prozent der Neuverschuldung durch eineinziges rot-grün-geführtes Bundesland! Das hat es sonoch nie gegeben. Auch daran kann man sehen, worindie Unterschiede bestehen zwischen Schwarz-Gelb imBund und Rot-Grün in den Ländern.
Jetzt kommt der wichtigste Punkt, Herr Kretschmann,und das zu sagen, gehört zu einem fairen Zusammen-spiel zwischen Bund, Ländern und Kommunen. Sie tunhier so, als ginge es um die armen kleinen Länder unddie armen kleinen Kommunen – bei den Kommunenlasse ich das zum Teil noch gelten –, sodass die Bürger,die ihre Lohn- und Einkommensteuer zahlen und bei je-dem Einkauf Mehrwertsteuer entrichten, glauben, dieEinnahmen kämen hauptsächlich dem Bund zu. HerrKretschmann, es hätte dazugehört, zu sagen: Liebe Bür-ger, der Bund bekommt von jedem Euro, den ihr zahlt,42 Cent; die Länder und Kommunen bekommen53 Cent. Das heißt, Länder und Kommunen zusammenhaben höhere Steuereinnahmen als der Bund. – Gleich-zeitig stellen Sie sich hier hin und sagen: Für Europahaften wollen wir auf gar keinen Fall. – Wer aber zahltbeim Fiskalpakt die Strafen? Doch nur der Bund.
Herr Kretschmann, Sie sind als Bundesratspräsidentin einer besonders verantwortungsvollen Position. Ichverstehe deshalb nicht, dass Sie sagen „Wir sind die ganzArmen“ und „Wir verraten nicht, dass wir den Menschenmehr Geld aus der Tasche ziehen als irgendjemand ande-res“, aber, wenn es ums Bezahlen geht, sagen: Das sollder Bund alleine tun. – Das ist keine Art von Zusammen-arbeit, sondern der Versuch einer Erpressung.
Ein Wort noch zu Herrn Roth. Herr Roth, Sie habenhier gesagt, wir hätten die Gelder des EuropäischenSozialfonds gesenkt. – Gegenüber was denn gesenkt?Gegenüber den Vorjahren?
– Ja? Ich würde mir überlegen, ob ich an dieser Aussagefesthielte. Tatsächlich werden wir in diesem Bereichgegenüber dem vorherigen Zeitraum – das wissen Siegenau, Herr Roth – sogar mehr ausgeben. Das genau istdie Art, wie man es nicht machen sollte, nämlich indemman falsche Vergleiche anstellt.
Ich will zum Schluss noch etwas Versöhnliches sagen.Ich hoffe, dass es dem Bundesrat am Ende nicht nur umBlockade geht. Ich hoffe, dass der Bundesrat erkennt,dass er seinen Teil dazu beitragen muss, dass wir dieFinanzen stabilisieren.
Wenn da Bewegung vom Bundesrat kommt, dann – dabin ich mir sicher – wird auch von unserer Seite ausBewegung kommen. Aber diese Schuldzuweisungensind bei der vorhandenen Finanzlage nicht die richtigeArt der Verantwortung für die Zukunft.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Otto Fricke. – Nächste Redne-rin für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen ist unsereKollegin Priska Hinz. Bitte schön, Frau Kollegin Hinz.Priska Hinz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-NEN):Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LieberOtto Fricke, du hast schon heute im Haushaltsausschussgesagt, dass Europa auf Deutschland schaut und allegroße Augen bekommen, weil die Politik in Deutschlandso toll ist.
Ich finde, die FDP sollte einmal in andere europäischeStaaten fahren, um zu sehen, wie schlecht dort die Stim-mung ist und wie schlecht inzwischen der Ruf Deutsch-lands ist. Gleiches gilt für die Europapolitik, dieDeutschland verfolgt: Deutschland tritt im EuropäischenRat dauernd für Sparen ein, Sparen, bis es quietscht. Dasführt dazu, dass es in anderen Ländern zu einer Rezes-sion kommt und diese Länder auf keinen grünen Zweigmehr kommen.
Wenn sich der Staatssekretär hier hinstellt und eineAnti-Schulden-Politik beschreit, dann kann ich nur da-ran erinnern, dass unter Merkel die gesamtstaatlichenSchulden um 500 Milliarden Euro angewachsen sind.
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28358 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Priska Hinz
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500 Milliarden Euro! Von wegen: Wir bauen die Schul-den ab! –
Es werden jedes Jahr neue Schulden angehäuft.
– Wer hat denn hier immer für Steuersenkungen plädiert,nicht nur im Wahlkampf, sondern es hinterher auchdurchgesetzt und die Länder damit weiter unterfinan-ziert?
Das war die FDP. Inzwischen reden Sie wieder überSteuersenkungen,
weil Sie anscheinend weiterhin wollen, dass Kommunenund Länder in der Daseinsvorsorge nicht genügend Mit-tel haben.
Wir halten das für falsch. Wir glauben, dass man sehrwohl sparen muss. Das macht die Bundesregierung abernoch nicht einmal. Im Gegenteil: Die Eckwerte sagenuns wieder, dass eine unsoziale Politik fortgeschriebenwird, nämlich indem ein Griff in die Taschen der Bei-tragszahler stattfindet, die in die Sozialversicherungs-kassen einzahlen.
Das hat mit Sparen nichts zu tun, sondern das ist unso-zial,
weil ein Teil der Bevölkerung dazu hergenommen wird,den Haushalt zu konsolidieren. Sie haben keine Kraft,tatsächlich strukturelle Änderungen vorzunehmen. Siebetreiben keinen Subventionsabbau. Sie gehen nicht anden Wirtschaftsetat heran
und kürzen Programme nicht da, wo sie unnötig sind,weil sie nämlich Mitnahmeeffekte produzieren.Das alles wäre notwendig, aber Sie machen es nicht.
Ansonsten bieten die Eckwerte nur ein Wünsch-dir-wasan Bundesbankgewinnen und Zinsgewinnen, die in denHaushalt eingestellt werden. Deswegen ist er ein Ent-wurf für den Reißwolf.Nach der Wahl kann man diesen Entwurf in den Reiß-wolf geben. Eine neue Regierung wird einen ordentli-chen Haushalt mit strukturellen Veränderungen, Subven-tionsabbau und gerechten Steuererhöhungen aufstellenmüssen. Denn diese brauchen wir, um tatsächlich Schul-den abzubauen.
Was ich an Otto Fricke in den letzten Monaten beson-ders interessant finde, ist, dass er permanent den Bun-desrat „basht“ und die Länder heranzieht,
um davon abzulenken, dass die FDP mit der CDU/CSUeine schlechte Regierungspolitik macht.
Sie haben bereits zweimal das Fiskalvertragsumset-zungsgesetz als Entwurf in den Bundestag eingebracht.Einmal haben wir es hier entschieden.
– Darf ich jetzt meine Ausführungen machen? Ja?
Wir haben bereits bei der Debatte um das Fiskalver-tragsumsetzungsgesetz darauf hingewiesen, dass dieLänder es nicht mitmachen werden, wenn bezüglich derEntflechtungsmittel nicht das eingehalten wird,
was vereinbart wurde.
Ich finde, so kann man mit den Verfassungsorganennicht umgehen. Weder wollen wir, dass der Bundesrat somit uns umgeht, noch sollten wir so mit dem Bundesratumgehen.
Es gibt Länderinteressen, und die Länderinteressen müs-sen legitimerweise – dafür ist der Bundesrat da – dortvertreten werden. Da geht es nicht um Parteien, sondernum Länderinteressen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28359
(C)
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Das mag uns manchmal nicht so schmecken – das magsein –, aber es ist legitim. Deswegen müssen die Verein-barungen, die zwischen Bund und Ländern getroffenwurden, eingehalten werden.
Es hilft überhaupt nichts, wenn Sie Aktuelle Stundendafür missbrauchen, Ihren Frust darüber abzukippen,dass Sie in fast keinen Länderregierungen mehr vertretensind. Die FDP ist nur noch in zwei Länderregierungenvertreten. Das werden wir im September auch noch krie-gen.
– Wenn es drei sind, dann kriegen wir sie alle drei.
– Nein, das ist nicht arrogant. Die Leute haben es viel-mehr satt: diese FDP-Politik, diese Phrasen, dieses lauteGebrüll nach Steuersenkungen und die angebliche Anti-schuldenpolitik, die sich bei näherem Hinsehen als Luft-ballon erweist, und wenn man hineinsticht, dann platztdas Ganze.
Deswegen bin ich frohen Mutes, dass es im Vermitt-lungsausschuss ein gutes Ergebnis und im Septembergute Wahlergebnisse geben wird und die FDP das Nach-sehen hat.Danke schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster Redner für
die Fraktion von CDU und CSU ist unser Kollege
Bartholomäus Kalb. Bitte schön, Kollege Bartholomäus
Kalb.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Frau Kollegin Hinz, weil Sie gerade ein so düsteres Bildvon Europa und den Sanierungsländern gezeichnet ha-ben: Wenn Sie heute dem Finanzminister im Ausschussgut zugehört hätten, dann hätten Sie zur Kenntnis neh-men können, was er uns erfreulicherweise auch zu die-sem Thema zu berichten hatte. Wenn Sie zudem diejüngsten Meldungen der Presse verfolgt hätten, dannwüssten Sie, dass selbst in den Sanierungsländern erheb-liche Fortschritte bei der Umsetzung der strukturellenReformen und der Herstellung der Wettbewerbsfähigkeitbei gleichzeitig steigenden Exportchancen und leichtenVerbesserungen auf dem Arbeitsmarkt gemacht werden.Das heißt, dieser Weg ist richtig.Bei der Bewältigung der Staatsschuldenkrise müssenwir mit guter Haushaltsdisziplin beispielhaft für Europasein. Deswegen gilt es, die innerstaatliche Gesetzgebungumzusetzen. Auch die Bundesländer, Herr Ministerprä-sident, stehen hier in der Verantwortung. Ich appellierean alle Länder, dieser Verantwortung gerecht zu werden.Wir haben uns mit den Ländern im Juni letzten Jahresauf Eckpunkte zur innerstaatlichen Umsetzung des Fis-kalvertrags geeinigt. Dafür hat der Bund wesentlicheLeistungsverbesserungen zugunsten der Länder vorge-nommen bzw. in Aussicht gestellt; StaatssekretärKampeter hat bereits darauf hingewiesen. Die Länder,insbesondere die von SPD und Grünen geführten, verfol-gen nun andere Absichten, betreiben eine Blockadepoli-tik, entziehen sich der Verantwortung, führen ein kurio-ses Schauspiel auf
und geben, wie der Bundesfinanzminister gesagt hat, einseltsames Signal in Richtung Europa. Wenn ich sehe,welche Verbesserungen wir Ländern und Kommunen be-reits eingeräumt haben – ich nenne als Beispiel nur dieGrundsicherung, die Kinderbetreuung sowie die Kostender Unterkunft und der Verpflegung –, dann kann ich nursagen, dass wir mehr als guten Willen gezeigt und vielGeld auf den Tisch gelegt haben.Der Bund hat in den Verhandlungen über den Fiskal-vertrag zugesagt, mit den Ländern zu einer Lösung beiden Entflechtungsmitteln zu kommen; Dazu stehen wir,keine Frage. Wir haben sogar die Gewährung dieser Mit-tel in ungekürzter Höhe für das Jahr 2014 zugesagt. Aberüber die weitere Gewährung muss vernünftig verhandeltwerden.Der Bund geht bei der Haushaltskonsolidierung mitgutem Beispiel voran. Staatssekretär Kampeter konnteheute über die vorgelegten und beschlossenen Eck-punkte zum Bundeshaushalt 2014 berichten. Wir werden2014 und für die Folgejahre einen strukturell vollständigausgeglichenen Haushalt vorlegen. Das ist ein gutesSignal in Richtung Europa. Das ist auch gut im Hinblickauf den anstehenden Gipfel. Ab dem Jahr 2015 wird derBund keine neuen Schulden mehr machen. Bereits abdem Jahr 2016 steigt der Bund in die Schuldentilgungein.
Diesen Weg der wachstumsorientierten Haushaltskonso-lidierung müssen wir konsequent fortsetzen. Nur nach-haltiges Wachstum schafft Vertrauen und Verlässlichkeit.Wachstum ist dann stabil und zukunftsgerichtet, wenn esauf soliden Finanzen aufbaut; denn diese geben uns undden nachkommenden Generationen die notwendigenHandlungsspielräume. Bereits im Haushaltsvollzug2012 und im Soll für das Jahr 2013 hat der Bund die ab
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28360 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Bartholomäus Kalb
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2016 geltende Obergrenze für die strukturelle Neuver-schuldung unterschritten.Weil solch düstere Aussagen getroffen worden sind,möchte ich noch Folgendes sagen: Unsere Sozialkassensind bestens in Ordnung. Da wird nicht abkassiert. DerBund kann jetzt früher notwendige Leistungen bzw. Zu-schüsse zurücknehmen; das ist richtig. Warum sind dieSozialkassen in bester Ordnung? Weil die Konjunkturgut ist und weil wir mit rund 29 Millionen sozialversi-cherungspflichtig Beschäftigten einen Höchststand undeinen absoluten Höchststand bei den Erwerbstätigen indieser Republik seit der Wiedervereinigung zu verzeich-nen haben. Daran sollten sich auch die Länder ein Bei-spiel nehmen.Man muss direkt dankbar sein, dass uns heute – Kol-lege Strobl hat es sehr eindrucksvoll geschildert – Bei-spiele aus den Bundesländern geliefert wurden, in denenRot-Grün regiert. In Nordrhein-Westfalen, jetzt in Nie-dersachsen und in Baden-Württemberg wird vorgeführt,was in diesem Land und auch im Bund passieren würde,wenn Sie hier wieder an die Regierung kämen:
Die Steuern würden angehoben werden. Die Schuldenwürden steigen, und mit dem Geld würde ein leichterund lockerer Umgang gepflegt.Das ist der Garantieschein für eine konjunkturelleTalfahrt, für den Verlust von Arbeitsplätzen, für den Ver-lust von Leistungs- und Wettbewerbsfähigkeit, für dieGefährdung von Wohlstand und für die Gefährdung vonsozialer Sicherheit.
Vielen Dank, Kollege Kalb. – Nächster Redner für die
Fraktion der Sozialdemokraten ist unser Kollege Rolf
Schwanitz. Bitte schön, Kollege Rolf Schwanitz.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Also, Ak-tuelle Stunden im Deutschen Bundestag sind in der Re-gel keine wissenschaftlichen Kolloquien, aber solcheNebelkerzen wie die, die ich hier heute gehört habe, hörtman wirklich selten.
Lieber Otto Fricke, ich habe die ganze Zeit überlegt,welche Reform der FDP denn eigentlich den Gesund-heitsfonds stabilisiert und reformiert hat. Mir ist keineeingefallen. Ich muss irgendwie nicht dabei gewesensein.
Als Sozialdemokraten die Verantwortung für die ge-setzliche Krankenversicherung übernommen haben,steckten 8 Milliarden Euro an rechtswidriger Verschul-dung im System – übrigens aus der Zeit von HerrnSeehofer, lieber Bartholomäus.
Die Sozialkassen in diesem Land sind unter Rot-Grünstabilisiert und konsolidiert worden. Das ist die eigentli-che Situation.
Ich will heute nicht groß zum Haushalt reden, aberdass Sie zum Zwecke der Haushaltskonsolidierung
einen tiefen Eingriff in die Sozialkassen vornehmen,
ist meiner Meinung nach die größte Sünde, die Sie hierbegehen. Als wir in der Finanzkrise steckten und OlafScholz in unserer gemeinsamen Verantwortung in derGroßen Koalition das Kurzarbeitergeld auflegen konnte,mit dem viele Tausend Arbeitsplätze gerettet wordensind,
hat das 8 Milliarden Euro gekostet.
Damals hatten wir Rücklagen von ungefähr 17 Milliar-den Euro in der Kasse. Am Ende des Jahres werdendiese bei 2 Milliarden Euro liegen.
Sie versündigen sich mit dem Haushaltskurs, den Sieverfolgen, an der Krisenfestigkeit dieses Landes, meineDamen und Herren.
Ich will nach den eindrücklichen Darstellungen undErmahnungen des Ministerpräsidenten noch einmal et-was zum eigentlichen Thema, dem Fiskalpaktumset-zungsgesetz, sagen und bitte mir das als jemandem nach-zusehen, der im Kanzleramt über mehrere Jahre dieBund-Länder-Koordinierung gemacht hat: Das, worüberwir hier reden – ich meine die Tatsache, dass dieses Ge-setz im Vermittlungsausschuss landet –, hat ausschließ-lich damit etwas zu tun – und mit nichts anderem –, dasses von einem tiefen Dilettantismus im Kanzleramt ge-genüber dem Bundesrat gemanagt wird.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28361
Rolf Schwanitz
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Dafür lassen wir uns nicht – das gilt auch für Rot-Grün –die politische Verantwortung zuschieben. Ich will das anein paar Beispielen deutlich machen.Ich fange mit einem Punkt an, der heute noch garkeine Rolle gespielt hat. Das ist die Verständigung desBundes mit den Ländern darüber, dass aufgrund des de-fizitären Kitaausbaus 30 000 zusätzliche Plätze geschaf-fen werden müssen. Das ist kein Almosen gewesen, son-dern das war eine Verständigung in einem defizitärenPolitikaufgabenbereich des Bundes, meine Damen undHerren.
Dann hat die Bundesregierung im letzten Herbst ei-nen Gesetzentwurf vorgelegt. Der strotzte vor Bürokratieund Kontrolldenken und hätte mehr behindert als dazubeigetragen, diese 30 000 Plätze zu schaffen. Der istkomplett gescheitert. Den haben Sie zurücknehmenmüssen. Der ist gar nicht in die Endberatung gekommen.Dann haben Sie einen komplett neuen Entwurf vor-gelegt, und wir als Sozialdemokraten waren so zurück-haltend, dass wir dazu nicht einmal einen einzigen Än-derungsantrag im parlamentarischen Verfahren gestellthaben. Das ist an Dilettantismus nicht mehr zu überbie-ten.
Der zweite Punkt – er ist schon angesprochen worden –hängt mit der schwierigen Frage zusammen, welche in-nerstaatliche Wirkung eigentlich vom Fiskalpakt unmit-telbar für Deutschland ausgeht. Das war ein Punkt, überden wir uns schon im Zusammenhang mit dem Problemder Ratifizierung des Fiskalpakts hier heftig gestrittenhaben. Für einige war das so wichtig, dass sie sogar ge-gen den Fiskalpakt gestimmt haben.Dann hat der Bund den Ländern mit der Verabredungüber die Eckpunkte vom 24. Juni letzten Jahres zuge-standen – ich will das noch einmal sagen –, dass die Län-der ihre Vorgaben aus der deutschen Schuldenbremse zuerfüllen haben und damit den Verpflichtungen aus demFiskalpakt entsprechen. Sie haben keine zusätzlichenVerpflichtungen aus dem Fiskalpakt. Das ist der Vertragzwischen der Bundesregierung und den Ländern. Dassdie Länder jetzt darauf bestehen, dass es nicht nur beidieser verbalen Benennung bleibt, sondern dass das ineinen verbindlichen Gesetzestext kommt, ist doch keineüberzogene Erwartung; das ist vielmehr Vertragstreue.
Durch die Strategie des Kanzleramts, in dem dieBund-Länder-Koordinierung stattfindet, diese Eckpunk-tevereinbarung, die im Juni geschlossen wurde, jetzt ein-fach zu ignorieren, wird alles gegen die Wand gefahren.Bei den Entflechtungsmitteln ist es ganz genauso. Ichwill das nicht wiederholen.Wir finden also dort Dilettantismus, wo wir eigentlichsolides Handwerk und ein faires Miteinander zwischenden Verfassungsorganen erwarten sollten. Ich sage zumSchluss: Sie können die Dinge nicht aussitzen. So ent-steht kein Konsens, auch nicht mit solchen parteipoliti-schen Mätzchen wie dieser Aktuellen Stunde. Deswegenmein Appell an das Kanzleramt: Gehen Sie endlich andie Arbeit und machen Sie Ihren Job!
Vielen Dank, Kollege Rolf Schwanitz. – Nächste
Rednerin für die Fraktion der CDU/CSU ist unsere Kol-
legin Frau Antje Tillmann. Bitte schön, Frau Kollegin
Antje Tillmann.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Liebe Vertreter der Länder! Ich kann mich noch sehr gutan die Verhandlungen über die Schuldenbremse in derFöderalismuskommission erinnern, insbesondere an eineder letzten Sitzungen, als die Ländervertreter völligüberraschend aus einer Sitzung kamen und gesagt haben,sie wollten auf eine Verschuldungsmöglichkeit ab demJahr 2020 völlig verzichten. Sie wollten also eine Null-neuverschuldung.Wir alle waren beeindruckt, auch ich. Leider war esdieselbe Sitzung, in der die Länder in die Formulierungder Schuldenbremse das kleine Wörtchen „Haushalte“hineingeschummelt haben. Sie haben nämlich geschrie-ben, dass die Haushalte von Bund und Ländern ohneneue Schulden aufgestellt werden müssten.Lieber Kollege Kretschmann, Sie waren damals alsVertreter der Länder in der Sitzung dabei. Sie werdenmir zustimmen, dass niemand von uns jemals beabsich-tigt hatte, den Bund aus der Verantwortung für die So-zialversicherungssysteme zu entlassen und noch wenigerdie Länder aus der Verantwortung für die Kommunen.Ich unterstelle Ihnen persönlich gar nicht, dass Sie IhreKommunen bewusst verraten wollten, aber ganz offen-sichtlich wollten einige Länder das; denn nur so ist zuerklären, dass die Länder in der Zwischenzeit bis zumFiskalvertragsgesetz geglaubt haben, sie könnten sichauf Kosten der Kommunen entschulden und die Kom-munen dabei vor die Pumpe laufen lassen,
und das, obwohl die Situation in den Landesparlamentenselbstverständlich entscheidende Auswirkungen auf diekommunalen Haushalte hat. Nur so ist die unterschiedli-che Entwicklung in den kommunalen Haushalten zu er-klären.Schauen wir auf die Kassenkredite. Die Kassenkre-dite der Gemeinden bzw. Gemeindeverbände pro Kopfbetragen in Nordrhein-Westfalen 1 237 Euro. Als Sie,Herr Ministerpräsident, Ihr Amt im Land Baden-Würt-temberg übernommen haben, hatten die Kommunen ei-nen hervorragenden Kassenkreditstand von 13 Euro proKopf.
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28362 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013
Antje Tillmann
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Sie haben gesunde Kommunen übernommen, und Siekönnen nicht behaupten, dass das nichts mit der Landes-politik zu tun hätte.Die Länder, die glauben, sie könnten sich aus der Ver-antwortung stehlen, sind dann aber eines Besseren be-lehrt worden. Sie haben nämlich völlig überraschendfestgestellt, dass im Fiskalvertrag diese Verantwortung,die auch in unserer Verfassung schon verankert ist, wie-der steht. Dafür musste es sogar eine Protokollerklärunggeben. In dieser steht – ich darf zitieren –:Die Länder tragen im Rahmen des Fiskalvertragsdie Verantwortung für ihre Kommunen.Ja toll, das steht auch schon in unserer Verfassung. Ichzitiere weiter:Infolge der expliziten Einbeziehung der kommuna-len Verschuldung in die Defizitobergrenze desFiskalpakts … werden die Länder in ihrer Konsoli-dierungspolitik vor deutlich größere Herausforde-rungen gestellt.Völlig falsch, Herr Kollege Schwanitz, das ist keineneue Verantwortung; diese Verantwortung steht ihnenauch nach der Verfassung schon zu. Es gibt nämlich garkeinen dreigliedrigen Staatsaufbau. Das heißt, die Ver-antwortung der Länder für die Kommunen steht auchschon in unserer Verfassung. Deshalb gibt es überhauptkeinen Grund, irgendwie auf Kosten des Bundes zu zo-cken; denn die Länder haben laut Fiskalvertrag genaudieselbe Verantwortung für die Kommunen, wie sie sieeigentlich auch nach unserer Verfassung haben.
Sie wollen sich also Verpflichtungen abkaufen lassen,liebe Vertreter der Länder, die Sie sowieso gehabt hätten.Wir sind ja ganz großzügig: Wir haben an vielen Punk-ten nachgegeben. Wir bedanken uns dafür – auch dassage ich an dieser Stelle ganz ausdrücklich –, dass derFiskalvertrag selbst gut durch die Parlamente gegangenist. Leider haben Sie diese gute Zusammenarbeit nichtfortgesetzt, und das, obwohl der Bund in dieser Proto-kollerklärung zugesagt hat, eventuelle Strafzahlungender Europäischen Union komplett zu übernehmen. WennSie sich einmal die Haushalte von Bund und Ländern an-schauen, dann sehen Sie, dass wir ausschließlich Straf-zahlungen wegen der Länderhaushalte bekommen könn-ten und dass diese Strafzahlungen bisher von denLändern zu 35 Prozent hätten gezahlt werden können.Das heißt, hier sind wir Ihnen finanziell massiv entge-gengekommen.Wir sind Ihnen auch bei der Entlastung der Kommunenentgegengekommen. Was Ihre angeblich zusätzlichenAufgaben angeht: Wir haben die größte Kommunalentlas-tung beschlossen, die es jemals in der BundesrepublikDeutschland gegeben hat.
Staatssekretär Kampeter hat eben einige Punkte beschrie-ben: 5 Milliarden Euro Grundsicherung, 2 MilliardenEuro Kinderbetreuung, 1,6 Milliarden Euro Bildungspa-ket, 400 Millionen Euro Sprachförderung, 100 MillionenEuro Mehrgenerationenhäuser, 1,8 Milliarden Euro KfW-Gebäudesanierung. Ich könnte die Liste unendlich fort-setzen.
Außerdem haben wir uns verpflichtet, im Rahmendieser Protokollerklärung in der nächsten Legislaturpe-riode ein Bundesleistungsgesetz zu erlassen, weil wirnicht nur die Kosten der Unterkunft übernehmen wollen,sondern auch einen Einstieg in die Übernahme der Kos-ten für behinderte Menschen vollziehen wollen. Auchhier kommen wir Ihnen mit Bargeld massiv entgegen.Alles, was Sie an Verpflichtungen gegenüber den Kom-munen gehabt hätten, ist über diese Entlastung der Kom-munen vom Bund eigentlich schon bezahlt worden.
Deshalb bleibt aus meiner Sicht auch kein Platz fürweiteres Gezocke. Ich hoffe sehr, dass wir im Vermitt-lungsausschuss genau das so deutlich machen. Sie habenschon Gegenleistungen in unendlicher Höhe bekommen,und es gibt keinen weiteren Spielraum.
Letzte Bemerkung. Sie lassen die Kommunen nichtnur in diesem Punkt hängen, sondern auch dadurch, dassim Zusammenhang mit dem gleichen Gesetz verabredetist, dass die Kommunen endlich ein Mitspracherecht imStabilitätsrat haben. Die Kommunen, die von Lan-dessparmaßnahmen natürlich betroffen sind, dürfen überdiese Sparmaßnahmen im Rahmen des Stabilitätsrats imMoment gar nicht mitbestimmen. Wir wollen sie über ei-nen Beirat mitspracheberechtigt machen. Sie wollen dasoffensichtlich nicht; sonst hätten Sie dem Gesetz zuge-stimmt. Ich hoffe, dass wir zumindest das im Vermitt-lungsausschuss noch einmal problematisieren können.Ich würde mir sehr wünschen, dass Sie zu der Koopera-tion zurückkehren, die Sie beim Fiskalvertrag gezeigthaben, und dass Sie diesem Umsetzungsgesetz zustim-men. Denn ich glaube, Sie haben uns in Europa bisherschon genug blamiert.
Vielen Dank, Frau Kollegin Antje Tillmann. – Nächs-
ter und letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde für
die Fraktion von CDU/CSU: Kollege Andreas Mattfeldt.
Bitte schön, Kollege Mattfeldt.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Das ist schon eine sehr groteske Situation, vor derwir heute hier stehen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 227. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 13. März 2013 28363
Andreas Mattfeldt
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Deutschland hat unter Führung unserer BundeskanzlerinAngela Merkel auf europäischer Ebene Enormes für dieZukunft des Euro geleistet. Angela Merkel war es, diedie europäische Schuldenbremse nach deutschem Vor-bild durchgesetzt hat, und sie war es, die damit ein wich-tiges Fundament für einen stabilen Euro gelegt hat, umeine Wiederholung der Staatsschuldenkrise im Euro-Raum zu verhindern. Und jetzt kommen Sie von Rot-Grün und behaupten, der Bund halte seine im letztenJahr im Zusammenhang mit der Ratifizierung des Fiskal-pakts gemachten Zusagen nicht ein. Sie blockieren sogarim Bundesrat die Ratifizierung des Fiskalpakts. Das istschon eine sehr eigenwillige und, ich sage deutlich,schlichtweg falsche Interpretation der Fakten, HerrKretschmann.
Vielleicht stellen Sie sich einmal vor, welch eine Signal-wirkung Ihre Haltung auf die Mitgliedstaaten in der EUhat.
Weil hier anscheinend Amnesie vorhanden ist, lassenSie uns einmal gemeinsam auf die getroffene Einigungund die Punkte, die Sie nun plötzlich bemängeln, zu-rückblicken. Meine Damen und Herren, der Bund hatsich seinerseits bereit erklärt, gemeinsame Bund-Länder-Anleihen einzuführen. Wir lagen bei den Entflechtungs-mitteln richtig, und wir haben weitere Mittel für denKitaausbau bereitgestellt und damit die Länder und dieKommunen zuzüglich zur Übernahme der Kosten für dieGrundsicherung im Alter massiv entlastet.
Alle drei Forderungen hat der Bund erfüllt, und nunblockieren Sie die Ratifizierung, indem Sie ständig, per-manent neue Forderungen stellen. Das ist unredlich undhat vor allen Dingen mit Vertragstreue – eben fiel dasWort – überhaupt nichts mehr zu tun.
Meine Damen und Herren, lange wurde verhandelt,damit die Umsetzung des Fiskalpakts auch im Bundesratverabschiedet werden kann. Deshalb möchte ich die dreieben genannten Kernpunkte noch einmal darlegen:Erstens. Der Bund ist bereit zu gemeinsamen Bund-Länder-Anleihen. Doch Sie von Rot-Grün verlangen nunvom Bund eine verfassungswidrige Übernahme der Haf-tung für den Länderanteil bei derartigen Anleihen. Siewissen ganz genau, dass das Grundgesetz – was Ihnensonst, in vielen Bereichen, sehr wichtig ist – dem Bundnur erlaubt, die Haftung für den jeweiligen Bundesanteilzu übernehmen.Zweitens. Der Bund hat angeboten, dass die Entflech-tungsmittel 2014 auf Höhe der bisher jährlich geleistetenBeträge fortzuschreiben sind. Jetzt verlangen Sie maleben, quasi durch die Hintertür, eine Erhöhung um1 Milliarde Euro für den Zeitraum von 2014 bis 2019.
Drittens. Der Bund hat die zugesagten zusätzlichen580 Millionen Euro für den Kitaausbau bereitgestellt.Das Geld für den Kitaausbau haben Sie dankend ange-nommen,
bekommen sogar Bewirtschaftungskosten für noch nichtexistierende Kitas, und dennoch krakeelen Sie hier laut-stark, der Bund würde seine Zusagen nicht einhalten,und fordern erneut weiteres Geld vom Bund. Sie solltensich schämen, hier so aufzutreten. Anscheinend habenSie überhaupt keine Schmerzgrenze, meine Damen undHerren.
Mit seriöser Politik hat das nicht das Geringste zu tun.Ich sage Ihnen: Die Menschen in diesem Land erwartenvon uns Verlässlichkeit. Leider erleben wir aber, dass Sievon Rot-Grün mit klebrigen Fingern – das betrifft dasVerhalten der Länder gegenüber den Kommunen – imBundesrat den Pfad einer konstruktiven und seriösenPolitik verlassen haben. Sie halten wieder und wiedergemachte Zusagen nicht ein. Nach dem Motto „Angriffist die beste Verteidigung“, Herr Schwanitz, werfen Siedem Bund jetzt auch noch vor, dass die christlich-libe-rale Koalition ihre Zusagen nicht einhalten würde. Dasist schlichtweg der Gipfel der Unverschämtheit, und dasist an Dreistigkeit nicht mehr zu überbieten.
Meine Damen und Herren, dieser christlich-liberalenKoalition geht es um das Wohl Deutschlands und vor al-len Dingen um die Zukunft Europas. Gerade auch unsereBundeskanzlerin tut alles dafür, dass es den Menschen inunserem Land gut geht und dass Europa eine gute Zu-kunft hat. Sie hingegen versuchen mit Ihrem rein aufParteiinteressen ausgerichteten Agieren,
eine gute Zukunft Deutschlands, aber auch Europas zu-nichtezumachen. Ich halte das für einen fatalen Weg –zulasten der Menschen in diesem Land, meine verehrtenKolleginnen und Kollegen.Mich verwundert gerade bei Ihnen von der SPD, dassSie bei den für Sie katastrophalen Wahlumfragen nichteinmal mehr mitbekommen, dass die Menschen Siedurchschaut und erkannt haben, welches Spiel Sie vonRot-Grün treiben. Ich bin fest davon überzeugt, dass dieWählerinnen und Wähler am 22. September ihr Kreuzbei Schwarz-Gelb machen; denn sie wissen, dass sie vonder christlich-liberalen Regierung unter Führung von
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Andreas Mattfeldt
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Bundeskanzlerin Angela Merkel gut und seriös regiertwerden.
Bei uns, bei der christlich-liberalen Koalition, stehen dieMenschen im Vordergrund. Bei Ihnen, sehr geehrte Kol-leginnen und Kollegen der Opposition, steht das reineParteiinteresse an erster Stelle.Herzlichen Dank.
Kollege Mattfeldt war der letzte Redner in unserer
Aktuellen Stunde, die damit beendet ist.
Wir sind nun am Schluss unserer heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 14. März 2013,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist hiermit geschlossen.