Gesamtes Protokol
Ich grüße Sie sehr herzlich und wünsche uns gemein-
sam einen schönen Nachmittag. Die Sitzung ist eröffnet.
Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, müssen wir
einen Geschäftsordnungsantrag behandeln. Die Frak-
tionen der CDU/CSU und der FDP haben fristgerecht
beantragt, die heutige Tagesordnung um die erste Bera-
tung der Anträge der Bundesregierung zur Entsendung
deutscher Streitkräfte nach Mali – das sind die Drucksa-
chen 17/12367 und 17/12368 – zu erweitern. Die Vorla-
gen sollen heute als letzter Punkt mit einer Debattenzeit
von einer Stunde beraten werden.
Wortmeldungen zu diesem Geschäftsordnungsantrag
liegen mir nicht vor. Wir kommen daher gleich zur Ab-
stimmung.
Wer stimmt für den Aufsetzungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und der FDP? – Das sind die Koalitions-
fraktionen, die Fraktion der Sozialdemokraten und die
Fraktion Bündnis 90/Die Grünen. Gegenprobe! – Das ist
die Fraktion Die Linke. Vorsichtshalber: Enthaltungen? –
Keine. Der Aufsetzungsantrag ist angenommen.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Erste Beratung des von der Bundesregierung ein-
gebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Stär-
kung der beruflichen Aus- und Weiterbildung
in der Altenpflege
– Drucksache 17/12327 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Arbeit und Soziales
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Haushaltsausschuss mitberatend und gemäß § 96 GO
Eine Aussprache ist für heute nicht vorgesehen. Wir
kommen daher gleich zur Überweisung.
Interfraktionell wird Überweisung des Gesetzent-
wurfs auf Drucksache 17/12327 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse vorgeschlagen. Gibt es
dazu anderweitige Vorschläge? – Das ist nicht der Fall.
Dann haben wir gemeinsam die Überweisung so be-
schlossen.
Wir kommen noch zu einer nachträglichen Aus-
schussüberweisung: Zwischen den Fraktionen ist ver-
einbart, den Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/
CSU und der FDP auf Drucksache 17/12179, der bereits
am 31. Januar 2013 an die Ausschüsse
überwiesen wurde, nachträglich an den Haushaltsaus-
schuss gemäß § 96 der Geschäftsord-
nung zu überweisen. Sind Sie damit einverstanden? –
Das ist der Fall. Dann haben wir gemeinsam die Über-
weisung so beschlossen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe nun den Ta-
gesordnungspunkt 2 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Verordnung zur Markttrans-
parenzstelle für Kraftstoffe.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundes-
minister für Wirtschaft und Technologie, Kollege Hans-
Joachim Otto. Bitte schön, Herr Parlamentarischer
Staatssekretär.
H
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnenund Kollegen! Am 12. Dezember vergangenen Jahres isteine Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbe-schränkungen in Kraft getreten, wonach künftig jedePreisänderung an den Tankstellen der Markttransparenz-stelle für Kraftstoffe gemeldet werden muss. Das Bun-desministerium für Wirtschaft und Technologie hat zurUmsetzung dieses Gesetzes gestern die Verordnung zurMarkttransparenzstelle für Kraftstoffe vorgelegt.Die Markttransparenzstelle stärkt den Wettbewerb aufden Kraftstoffmärkten in zweierlei Hinsicht:Zum einen wird der Autofahrer auf der Basis von ak-tuellen, flächendeckenden und zuverlässigen Informatio-nen über die Preise an den umliegenden Tankstellen
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Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
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künftig in der Lage sein, gezielt die günstigste Tankstelleanzusteuern. Das erhöht natürlich den Wettbewerbs-druck und hoffentlich auch die Preise.
– Nein, das erhöht nicht die Preise; das erhöht den Wett-bewerbsdruck und verhindert weitere Preiserhöhungen.Zum anderen werden es die von der Markttranspa-renzstelle erhobenen Daten dem Bundeskartellamt künf-tig leichter ermöglichen, effektiv gegen missbräuchlichePraktiken der Mineralölkonzerne am Kraftstoffmarktvorzugehen, zum Beispiel gegen die sogenannte Preis-Kosten-Schere bei der Belieferung freier Tankstellen.In diesem Zusammenhang muss ich allerdings daraufhinweisen, dass die Preis-Kosten-Schere im Momentdeshalb nicht wirksam vom Bundeskartellamt bekämpftwerden kann, weil der Bundesrat bisher noch die achteNovelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkun-gen blockiert. Namens der Bundesregierung kann ichnur dazu aufrufen, hier sehr schnell zu einer Lösung zukommen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Verordnungschafft die technischen Voraussetzungen, damit das Bun-deskartellamt die Markttransparenzstelle einrichtenkann. Aktuelle Preise von Kraftstoffen der Sorten SuperE5, Super E10 und Diesel sind künftig innerhalb vonfünf Minuten nach ihrer Änderung elektronisch zu mel-den. Die Markttransparenzstelle stellt die Daten dannkostenlos und elektronisch Verbraucherinformations-diensten zur Verfügung. Das können der ADAC und an-dere Automobilklubs sein, das können Hersteller vonNavigationsgeräten, Anbieter von Smartphone-Appsoder Anbieter von Internetseiten sein. Diese Anbieterkönnen wiederum geeignete Programme und Applikatio-nen anbieten, die den Autofahrern aktuelle und standort-bezogene Auskünfte über die Kraftstoffpreise ermögli-chen. Um die Betreiber ganz kleiner Tankstellen nichtübermäßig mit Bürokratie zu belasten, kann die Markt-transparenzstelle diese von der Meldepflicht befreien.Die Verordnung bedarf nunmehr noch der Zustim-mung des Bundestages. Angesichts der Bedeutung derMarkttransparenzstelle für die Verbraucherinnern undVerbraucher geht die Bundesregierung davon aus, dassder Bundestag sehr rasch der Verordnung zustimmenwird. Ich bin deshalb zuversichtlich, dass die neueMarkttransparenzstelle für Kraftstoffe noch vor Beginnder Sommerferien ihre Arbeit aufnehmen kann. Ich kannIhnen jedenfalls versichern, dass beim Bundeskartellamtbereits mit Hochdruck an der technischen Umsetzunggearbeitet wird.Herr Präsident, das war mein knapper Bericht.
Vielen Dank. Jetzt schauen wir einmal, ob die Frage-
stellungen auch knapp sind. – Als Erstes gebe ich Frau
Kollegin Schwarzelühr-Sutter das Wort zur Fragestel-
lung. Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, ich möchte an das
anknüpfen, was Sie am Ende Ihrer Rede gesagt haben.
Bis wann rechnen Sie mit der technischen Umsetzung?
Kann der Verbraucher zum Beispiel damit rechnen, dass
bis Ostern Transparenz geschaffen wird und er einen
Überblick über die Benzinpreise erhält?
Worin liegt für den Verbraucher tatsächlich der Vor-
teil? Sie verfügen jetzt vielleicht über aktuelle Informa-
tionen und sehen, wie flächendeckend die Preise steigen;
aber damit wird nicht vermittelt, ob eine Manipulation
vorliegt und eine Absprache der Preise stattfindet.
H
Frau Kollegin, Sie haben mir mehrere Fragen gestellt.
Zur ersten Frage, bis wann das technisch möglich sein
wird: Wir gehen davon aus – das habe ich schon gesagt –,
dass wir bis zum Beginn der Sommerferien alles hinbe-
kommen werden. Es liegt allerdings in der gemeinsamen
Verantwortung von uns Abgeordneten, dass der Bundes-
tag dieser Verordnung zustimmt. Die Markttransparenz-
stelle wird dann ihre Arbeit aufnehmen. Wie schnell die
jeweiligen Anbieter – also die Anbieter von Apps wie
„clever-tanken“, der ADAC, die Anbieter von Naviga-
tionsgeräten – es technisch umsetzen, liegt natürlich
nicht in der Hand der Bundesregierung; aber da Vorar-
beiten geleistet wurden, sind wir zuversichtlich, dass wir
es jedenfalls noch vor den Sommerferien hinbekommen.
Ihre zweite Frage war, welchen Nutzen die Verbrau-
cher haben. Ich glaube schon, dass der Nutzen für die
Verbraucher deutlich ansteigen wird, weil jetzt gewähr-
leistet ist, dass alle Tankstellenbetreiber flächendeckend
innerhalb von fünf Minuten Preisänderungen anzeigen.
Das hat es bisher nicht gegeben. Bisher mussten erst die
Daten eingepflegt werden. Nun gibt es auch wesentlich
zuverlässigere Informationen. Wir gehen davon aus,
dass dadurch die Transparenz für die Verbraucherinnen
und Verbraucher, also für die Autofahrer, wesentlich ver-
bessert wird.
Zu Ihrer dritten Frage: Lassen die von SPD und Grü-
nen regierten Bundesländer die 8. GWB-Novelle im
Bundesrat passieren, dann ist das Bundeskartellamt in
der Tat in der Lage, missbräuchliche Praktiken der Mi-
neralölkonzerne schneller zu erkennen, weil es die Daten
schneller erhält. Daher mein Appell an Sie – Sie kom-
men ja aus Baden-Württemberg –: Sie können auf Ihre
Landesregierung sicherlich segensreich einwirken. Der
Landeswirtschaftsminister ist aus Ihrer Partei.
– Nein, das ist Ihre Aufgabe, nicht meine. – Er wird si-
cherlich wissen, dass es sehr vorteilhaft wäre, wenn die
8. GWB-Novelle bald in Kraft treten kann.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller ist unser Kol-lege Stephan Kühn.
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Herzlichen Dank. – Der Minister hat eine Benzin-
preisbremse angekündigt, aber herausgekommen ist eine
Benzinpreis-App. Das ist nichts Revolutionäres; denn es
gibt – Sie haben es schon angesprochen – bereits
mehrere Apps und Portale wie „clever-tanken“ oder
TankCheck.de, die dem Verbraucher die Preise anzeigen.
Herr Staatssekretär, dazu habe ich folgende Frage. Sie
haben das Thema „flächendeckende Information für den
Verbraucher“ angesprochen. Sie haben nun eine Baga-
tell- und Härtefallklausel eingeführt, die vorsieht, dass
bestimmte Tankstellen von der Pflicht befreit werden,
die Preise zu nennen. Die Grenze dafür soll bei
1 000 Kubikmeter Kraftstoffabsatz pro Jahr liegen.
Experten sagen, das würde insbesondere im ländlichen
Raum dazu führen, dass für den Verbraucher weiße Fle-
cken entstehen, weil das Netz dort bekanntlich weniger
dicht ist und die Absatzmengen bei Tankstellen im länd-
lichen Raum ebenfalls geringer sind. Können Sie mir
den Grund dafür nennen, dass bei genau 1 000 Kubik-
metern die Grenze gezogen wurde? Wie beurteilen Sie
die Auswirkung dieser Grenze insbesondere auf den
ländlichen Raum?
H
Lieber Kollege Kühn, die Bundesregierung ist sich
der Tatsache bewusst, dass die elektronische Meldung
jeder Kraftstoffpreisänderung gerade für kleinste Tank-
stellen eine gewisse bürokratische Erschwernis darstellt.
Deswegen haben wir uns nach vielfältigen Rückspra-
chen und Anhörungen dafür entschieden, eine solche
Bagatellgrenze einzuführen.
Alle Informationen, über die wir bisher verfügen, ins-
besondere vom Verband der Freien Tankstellen, deuten
darauf hin, dass sich selbst die kleinsten Tankstellen frei-
willig an der Meldung beteiligen werden, weil es von
Vorteil ist, wenn man für die Verbraucher sichtbar ist.
Wenn eine Tankstelle in einer App oder auf den entspre-
chenden Portalen nicht zu sehen ist, dann werden die
Autofahrerinnen und Autofahrer diese Tankstelle nicht
ansteuern.
Ich möchte Ihnen auch noch sagen, lieber Kollege: Es
ist nicht nur eine App. Es geht um eine erhöhte Transpa-
renz für alle Marktteilnehmer. Das wird zu einem Wett-
bewerbsdruck führen. Deswegen sollten Sie das nicht so
geringschätzen, sondern mit uns dafür streiten, dass mit
dieser erhöhten Transparenz für die Verbraucherinnen
und Verbraucher und für das Preisniveau einiges Positive
bewirkt werden wird.
Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin Frau Kollegin
Dagmar Enkelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
das war offenkundig die zentrale Frage, mit der sich das
Kabinett heute beschäftigt hat.
H
Gestern.
Oder gestern. – Das Problem ist doch nicht die Infor-
mation. Der Kollege hat bereits darauf hingewiesen – so-
zusagen als Werbeblock –, wo man im Internet beispiels-
weise günstige Tankstellen finden kann. Das
Hauptproblem sind doch die Preisabsprachen zwischen
den Konzernen, wodurch zwischen den Tankstellen
kaum Preisunterschiede bestehen. Ich frage Sie: Was
wollen Sie konkret gegen die Preisabsprachen der Kon-
zerne machen?
H
Liebe Frau Kollegin Enkelmann, wie Sie wissen, ist
das Bundeskartellamt beauftragt, solche Preisabsprachen
zu bekämpfen. Das Bundeskartellamt ist in dieser Frage
äußerst engagiert. Es hat große Untersuchungen vorge-
nommen, die ergeben haben: Solche Preisabsprachen,
wie Sie sie hier behaupten, konnten nicht festgestellt
werden.
Die Maßnahmen für mehr Transparenz, die wir jetzt er-
greifen, sind jedenfalls durchaus geeignet, dass das Bun-
deskartellamt missbräuchliche Preisabsprachen bekämp-
fen kann, da es ja zusätzliche Informationen und
Hinweise erhält.
Sie nehmen bitte auch zur Kenntnis, dass es auf dem
deutschen Mineralölmarkt nicht nur die großen Kon-
zerne gibt, sondern auch andere, konzernunabhängige
Tankstellen. Wir wollen mit unserer Markttransparenz-
stelle dazu beitragen, dass die Tankstellen, die die güns-
tigsten Preise anbieten – das werden in vielen Fällen
freie Tankstellen sein –, zusätzlichen Umsatz machen
und damit an Markteinfluss gewinnen. Ich meine, liebe
Frau Kollegin Enkelmann, das müsste auch im Sinne Ih-
rer Fraktion und in Ihrem eigenen Sinne sein.
– So wird es sein, liebe Frau Kollegin.
Nächster Fragesteller Kollege Manfred Grund.
Sie sprachen davon, dass Belastungen auf die Tank-stellenpächter, die Tankstellenbetreiber zukommen wer-den und es Ausnahmen für kleinere Tankstellen gebenwird. In welcher Größenordnung werden denn durch dieAnschaffung von zusätzlichem Equipment und zusätzli-chen Terminals im Zusammenhang mit der elektroni-schen Meldepflicht Kosten für die Tankstellenpächter,die Tankstellenbetreiber entstehen? Wer trägt diese Kos-ten? Der Tankstellenbetreiber, der Tankstellenpächter?Wie wird das geregelt?
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H
Danke für die Frage. Das gibt mir Gelegenheit, darauf
hinzuweisen, dass die Meldepflicht jeweils denjenigen
trifft, der die Preissetzungshoheit hat. Bei den großen
Mineralölkonzernen ist es so, dass die Meldung immer
von der Zentrale erfolgt und nicht von der einzelnen
Tankstelle. Das heißt, das Equipment, nach dem Sie fra-
gen, muss in der Zentrale des Mineralölunternehmens
angeschafft werden, sodass der einzelne Pächter einer
Tankstelle, der von der Zentrale einen Preis diktiert bzw.
vorgegeben bekommt, gar nichts machen muss. Das ist
– jetzt komme ich noch einmal auf die Frage des Kolle-
gen Kühn zurück – bei den kleinen Tankstellen, die kon-
zernunabhängig sind, anders. Diese Tankstellen müssen
das entsprechende Equipment, die entsprechenden Ge-
räte für die elektronische Übermittlung selbst anschaf-
fen. Für diese kleinen Tankstellen haben wir deshalb
eine Bagatellgrenze vorgesehen. Das alles macht, glaube
ich, Sinn. Für 95 Prozent aller Tankstellen wird die Re-
gelung keine zusätzliche Kostenbelastung mit sich brin-
gen, weil die Meldung seitens der großen Konzerne er-
folgt.
Nächster Fragesteller unser Kollege Uwe Beckmeyer.
– Gut, dann natürlich die Lady. Bitte schön, Frau Kolle-
gin Rita Schwarzelühr-Sutter.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
wie stellt dieser Verordnungsentwurf sicher, dass die
App-Entwickler nicht eine willkürliche Auswahl be-
stimmter Tankstellen vornehmen? Dieses Verfahren birgt
schließlich ein gewisses Manipulationspotenzial. Werden
in die Auswahl auch rabattierte Preise für bestimmte Ver-
brauchergruppen aufgenommen, oder wie wird mit die-
sem Sachverhalt umgegangen?
H
Auch für diese Frage möchte ich mich ausdrücklich
bedanken, weil mir das Gelegenheit gibt, ein weiteres
Detail dieser Verordnung zu erläutern.
Der Markttransparenzstelle werden in der Verordnung
bestimmte Kriterien genannt, denen die Informationspor-
tale genügen müssen, um die Daten kostenlos zu erhalten.
Die Informationsportale müssen also bestimmten Zuver-
lässigkeitskriterien genügen. Nur dann werden sie zuge-
lassen. Nur dann erhalten sie die Daten im Rahmen des
Informationsflusses kostenlos. Ganz klar ist natürlich,
dass eine zuverlässige, flächendeckende und zeitnahe
Zurverfügungstellung der Informationen gewährleistet
sein muss. Wer gegen seine Pflichten verstößt, unterliegt
den Bußgeldvorschriften des Gesetzes gegen Wettbe-
werbsbeschränkungen. Diese Bußgelder sind ganz be-
trächtlich, sodass wir keinen Anlass haben, daran zu
zweifeln, dass diese Meldungen den Verbraucher letztlich
zuverlässig und präzise erreichen werden.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller Kollege Oliver
Krischer.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär Otto, es ist schon in-
teressant – ich glaube, das ist ein Novum –, dass das Er-
gebnis einer Kabinettssitzung eine App ist und wir hier
im Hohen Hause darüber diskutieren.
H
Lieber Herr Krischer!
Moment, wir sind immer noch bei der Frage, und das
Recht zur Fragestellung hat der Kollege Krischer. – Bitte
schön.
Danke, Herr Präsident. – Ich möchte darauf zu spre-
chen kommen, dass das Thema „Kraftstoffe und Benzin-
preis-App“ von der Bundesregierung sozusagen im
Nachhinein in die Aufgabenliste der Markttransparenz-
stelle geschoben wurde. Die Markttransparenzstelle
sollte sich eigentlich mit Fragen des Wettbewerbs auf
dem Markt der leitungsgebundenen Energieversorgung
– Strom und Gas – beschäftigen. Vor diesem Hinter-
grund wären meine Fragen an Sie: Wie ist der Stand
hier? Wie weit ist die Einrichtung der Markttransparenz-
stelle in diesen Bereichen gediehen?
Vor allen Dingen geht es mir um Folgendes: Wir dis-
kutieren im Moment sehr intensiv die stark fallenden
Börsenpreise, nicht nur im Spotmarkt, sondern auch im
Terminmarkt. Diese Preissenkungen kommen aber über-
haupt nicht bei den Verbraucherinnen und Verbrauchern
an. Was gedenkt die Bundesregierung, vielleicht auch
mithilfe der Markttransparenzstelle, hiergegen zu unter-
nehmen?
H
Lieber Herr Kollege Krischer, zunächst einmalmöchte ich an dieser Stelle jedenfalls, Herr Präsident,klarstellen: Es geht nicht nur um eine App, sondern esgeht insgesamt um erheblich mehr Transparenz für alleBeteiligten.Zweitens möchte ich darauf hinweisen, dass dieseMarkttransparenzstelle nicht irgendwie hintendran oder,wie Sie es formuliert haben, im Nachhinein herange-klatscht worden ist, sondern dass sie unter sehr sorgfälti-ger Vorbereitung von diesem Hohen Hause mit Mehrheitbeschlossen worden ist. Das sollten Sie nicht untermi-nieren. Das ist keine Schnapsidee des Bundeswirt-schaftsministeriums, sondern das basiert auf einem Be-schluss dieses Hohen Hauses.
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Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
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Drittens, lieber Herr Kollege Krischer, muss ich Ih-nen, da Sie von mir immer sehr präzise Antworten er-warten, auf Ihre Frage nach den Aufgaben der Markt-transparenzstelle für andere Dinge als Kraftstoffe leidersagen, dass ich Ihnen diese Antwort aktuell nicht gebenkann. Das Thema der heutigen Regierungsbefragung– nur das wurde in der gestrigen Kabinettssitzung in die-sem Zusammenhang auch tatsächlich thematisiert – istdie Rechtsverordnung zur Markttransparenzstelle fürKraftstoffe. Die Antwort auf die Frage, wie weit die Ent-wicklungen bei der Markttransparenzstelle in den ande-ren Bereichen gediehen sind, kann ich Ihnen, wenn Siemögen, gern schriftlich nachliefern. Aber den Stand derDinge kann ich Ihnen jetzt auswendig – Sie wollen jaeine präzise Information haben – an dieser Stelle leidernicht referieren. Da bitte ich um Ihr Verständnis.
Nächster Fragesteller unser Kollege Wolfgang
Tiefensee.
Herr Staatssekretär, wenn wir noch einmal auf die ur-
sprüngliche Diskussion und den Anlass zurückblicken,
stellen wir fest, dass es wohl Ziel der Bundesregierung
und namentlich des Wirtschaftsministers war – das
wurde breit in der Presse veröffentlicht –, keine Strom-
preis-, sondern eine Kraftstoffpreisbremse einzuführen.
Am Ende ist nichts anderes herauskommen, als dass wir
offenkundig machen, welcher Preis an welcher Tank-
stelle genommen wird. So weit die Vorbemerkung.
Jetzt die Frage: Frau Enkelmann hat auf die kartell-
rechtlich relevanten Preisabsprachen hingewiesen. Frau
Enkelmann, leider ist es nicht so, dass man davon reden
könnte, vielmehr wurde uns von der Bundesnetzagentur
der entsprechende Mechanismus beschrieben. Die Tank-
stellenbetreiber orientieren sich im Laufe des Vormittags
an demjenigen, der den Preis erhöht. Sie brauchen also
nur den anderen beobachten und nachziehen. Abspra-
chen sind insofern gar nicht nötig.
Her
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Wenn sich herausstellt, dass tat-
sächlich die Preisabsprachen in der beschriebenen Weise,
nämlich in Form eines Nachziehens sämtlicher Tankstel-
lenbetreiber bzw. Spritlieferanten bis zum höchsten Preis,
laufen, wird die Bundesregierung dann weitere Maßnah-
men einleiten, um ihrem ursprünglichen Ziel gerecht zu
werden? Oder bleibt es heute bei der Erklärung, dass über
eine Markttransparenzstelle hinaus nichts möglich ist?
H
Lieber Herr Kollege Tiefensee, Sie erinnern sich als
Mitglied des Wirtschaftsausschusses des Bundestages,
dass wir eine sehr ausführliche und sorgfältige Diskus-
sion darüber geführt haben, mit welchen marktwirt-
schaftlichen Instrumenten wir eine Preisbremse auf dem
Kraftstoffmarkt erzielen können.
Die große Mehrheit aller Experten sagte uns: Zumin-
dest der erste Schritt liegt darin, mehr Transparenz zu
schaffen. Deswegen will ich an dieser Stelle nochmals
betonen: Die Schaffung von Transparenz durch Apps
und anderes ist eine ganz wichtige Voraussetzung, dass
nicht eintritt, was Sie eben beschrieben haben, dass man
nämlich einfach bei anderen Betreibern den Preis ab-
schreibt. Denn dann hätte man keinen Vorteil mehr im
Markt.
Wir versprechen uns nun Folgendes: Wenn der Ver-
braucher die Informationen rege nutzt und seine
Schlüsse aus der Tatsache zieht, dass an einer Tankstelle
der Preis signifikant niedriger ist als an einer anderen,
dann werden diese Tankstellen nicht einfach höhere
Preise abkupfern, sondern stolz darauf sein, einen niedri-
gen Preis zu haben; denn dadurch werden sie auch mehr
Umsatz machen. Ob dann weitere Maßnahmen, die, Herr
Kollege Tiefensee, auch immer marktwirtschaftlich in
Ordnung und rechtlich möglich sein müssen, notwendig
und sinnvoll sein werden, wird sich zu einem späteren
Zeitpunkt herausstellen.
Der neu zu wählende Deutsche Bundestag wird eva-
luieren, ob diese Maßnahme erfolgreich war. Wir gehen
davon aus, dass sie erfolgreich sein wird. In der nächsten
Legislaturperiode müsste dann darüber diskutiert wer-
den, welche weiteren Maßnahmen überhaupt in Betracht
kommen. Wir denken allerdings, dass diese Maßnahme
die effektivste ist, weil sie den Verbraucher miteinbe-
zieht und weil sie Wettbewerbsdruck auf die einzelnen
Tankstellen ausübt. Deswegen meine ich, dass das ein
sehr sinnvoller Schritt ist, der, wie Sie wissen, internatio-
nalen Beispielen folgt.
Kollege Stephan Kühn ist der nächste Fragesteller.
Herr Staatssekretär, auch von uns ist ja begrüßt wor-den, dass mehr Transparenz hergestellt werden soll.Aber wir können das marktwirtschaftliche Prinzip, dassmit steigender Nachfrage nach Kraftstoffen – nicht na-tional, sondern international – die Preise steigen, nichtaußer Kraft setzen. Insofern frage ich, ob Sie uns hierdarstellen können, welchen Preiseffekt in Cent Sie durchdie Markttransparenzstelle, also durch die stärkereTransparenz insbesondere in Form von Apps, erwartenund wie das im Verhältnis zur allgemeinen Preisentwick-lung steht. National steigt die Nachfrage zwar nicht, abergerade in Asien, in verschiedenen Schwellen- und Ent-wicklungsländern steigen die Motorisierung und damitdie Nachfrage nach Kraftstoff. Das wirkt sich natürlichauch auf die Preise hier aus. Wie steht das im Verhältniszueinander, und wie können für den Verbraucher amEnde tatsächlich geringere Preise erreicht werden?
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27416 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
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H
Lieber Herr Kollege Kühn, der Sinn der Markttrans-
parenzstelle ist natürlich in erster Linie, die von vielen
Verbraucherinnen und Verbrauchern als missbräuchlich
oder jedenfalls als sehr problematisch empfundenen hef-
tigen Preisschwankungen zu vermeiden. Das heißt, wir
wollen auf einem gegebenen Marktniveau dafür sorgen,
dass der Verbraucher in der Lage ist, den in seinem Um-
feld günstigsten Kraftstoff zu beziehen.
Natürlich ist die Markttransparenzstelle kein Instru-
ment, das die weltweiten Marktkräfte außer Kraft setzen
kann. Wenn, wie Sie beschreiben, die Nachfrage nach
Benzin weltweit steigt und sich infolgedessen mögli-
cherweise auch die Benzinpreise erhöhen, dann werden
Sie mit einer Markttransparenzstelle – und übrigens auch
mit anderen Maßnahmen – nicht verhindern können,
dass die Preise steigen. Es ist aber gar nicht ausgemacht,
ob dieser Effekt eintritt.
Sie erinnern sich, dass sich allein durch Fracking in
den USA eine erhebliche Verschiebung auf den interna-
tionalen Energiemärkten abzeichnet. Der Kohlepreis hat
sich allein schon durch die Ankündigung, dass Fracking
in den USA betrieben wird, erheblich verändert. Es ist
nicht auszuschließen, dass solche Veränderungen zu ei-
ner Senkung des Benzinpreises auf den weltweiten Spot-
märkten führen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich sehe, dass es zu
diesem Themenbereich keine Fragestellung mehr gibt.
Ich danke Ihnen, Herr Parlamentarischer Staatssekretär
Hans-Joachim Otto.
– Den Beifall kann man mitnehmen.
Wir kommen jetzt zu Fragen zu anderen Themen der
heutigen Kabinettssitzung. Hier hat das Wort unser Kol-
lege Volker Beck.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich wollte die Bundes-
regierung zu einer etwas kostspieligeren Unternehmung
als einer App befragen. Wir haben in der sitzungsfreien
Zeit gehört bzw. Nachrichten erhalten, dass die bisheri-
gen Berechnungen der Kosten von Stuttgart 21 wohl
weit übertroffen werden und sowohl das Fertigstellungs-
datum, also der Verlauf des Projekts, als auch der Kos-
tenrahmen des Projekts völlig offen sind. Deshalb
möchte ich die Bundesregierung nach ihren jetzigen
Überlegungen zu den Kosten befragen. Wie stark wird
die Bundeskasse durch Stuttgart 21 zusätzlich belastet
werden, oder, wenn die Bundeskasse nicht belastet wer-
den soll, wie viel kostet es die Bahn und damit indirekt
den Eigner Bund, wenn an diesem Projekt in der jetzigen
Form festgehalten wird? Ich frage dies vor dem Hinter-
grund, dass die Stadt Stuttgart und das Land Baden-
Württemberg erklärt haben, keinen Cent über die bishe-
rigen Zusagen hinaus beizusteuern.
Für die Bundesregierung Herr Parlamentarischer
Staatssekretär Enak Ferlemann, bitte.
E
Sehr geehrter Herr Kollege, ich beantworte die Frage
sehr gerne. Derzeit ist uns als Eigentümer der DB AG
nur bekannt, dass die DB AG mit Mehrkosten von
1,1 Milliarden Euro rechnet und bei einer Einschätzung
der zusätzlichen Risiken einen Betrag von weiteren
1,2 Milliarden Euro evaluiert hat. Derzeit finden dazu
Besprechungen statt. Wir überprüfen die Kosten, und
wir hinterfragen. Aber es ist Sache des Aufsichtsrates,
hier für Aufklärung zu sorgen und dann gegebenenfalls
entsprechende Beschlüsse zu fassen.
Zu einer Nachfrage hat sich zunächst Kollege Stephan
Kühn gemeldet.
Herzlichen Dank. – Herr Staatssekretär, können Sie
uns sagen, wie die Bundesregierung die Wirtschaftlich-
keit dieses Projekts vor dem Hintergrund der Zahlen, die
Sie gerade genannt haben, bewertet? Es kursieren ja
auch andere Zahlen. So ist für das Gesamtprojekt von
Kosten in Höhe von 10 Milliarden Euro die Rede. Wie
bewerten Sie das Kosten-Nutzen-Verhältnis dieses Pro-
jekts vor dem Hintergrund der neuen Zahlen?
Bitte schön, Parlamentarischer Staatssekretär Enak
Ferlemann.
E
Herr Kollege, Sie haben die Frage schon selbst beant-
wortet. Es kursieren viele, viele Zahlen, die nicht korrekt
sind. Den Betrag von 10 Milliarden Euro kann ich mit-
nichten bestätigen. Es ist, wie gesagt, Aufgabe des Auf-
sichtsrates, hier für Aufklärung zu sorgen und entspre-
chende Beschlüsse zu fassen.
Es gibt eine Wortmeldung des Kollegen Volker Beck.
Sie haben gerade zwei Zahlen genannt. Wir als Bun-destagsabgeordnete haben letztlich die Haushaltsverant-wortung, egal ob die Mehrkosten im Bundeshaushalt alsMindereinnahmen bei der Deutschen Bahn zu Bucheschlagen oder ob wir sie aus dem Bundeshaushalt direktin die DB Netz AG „hineinkübeln“. Das Geld ist fort– und fort ist fort –, und wir müssen das verantworten.Es geht um ein Unternehmen, dessen Eigner zu100 Prozent der Bund ist. Der Bund ist in allen Organen,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27417
Volker Beck
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im Aufsichtsrat wie im Vorstand, vertreten bzw. hat dieMitglieder ausgewählt und gewählt. Insofern erwarte icheigentlich, dass Sie uns sagen, wo für den Bund bei die-sem Projekt die Grenze der finanziellen Belastbarkeitliegt oder ob man weiter scheibchenweise vorgehen undjedes Jahr 1 oder 2 Milliarden Euro drauflegen will, bisman am Ende des Bauprojektes bei einer bestimmtenEndsumme angekommen ist. Ich möchte von Ihnen wis-sen: Wo ist nach Meinung der Bundesregierung die Be-lastungsgrenze im Hinblick auf die Wirtschaftlichkeitdes Projektes, sodass sie sagt: „Das ist haushaltspolitischnicht mehr zu verantworten“, oder gibt es dafür keineObergrenze?
Herr Parlamentarischer Staatssekretär.
E
Herr Kollege, Sie gelten gemeinhin als kluger Jurist.
Insofern sollten Sie wissen, dass dies ein Projekt der
DB AG ist, das nicht aus dem Bundeshaushalt finanziert
wird. Es handelt sich um ein eigenwirtschaftliches Pro-
jekt derjenigen, die Stuttgart 21 umsetzen wollen. Direkt
fließt aus dem Bundeshaushalt für dieses Projekt kein
Geld, mit Ausnahme einer Festfinanzierung von
563 Millionen Euro, die wir allerdings auch dann ge-
braucht hätten, wenn wir den Bahnhof im Normalzu-
stand hätten sanieren müssen. Es gibt also einen Festzu-
schuss, dessen Höhe sich aufgrund der Veränderung des
Projekts aber nicht verändern wird. Insofern gibt es hier
kein Risiko für den Bundeshaushalt. Ob sich die DB AG
in Anbetracht der zu ermittelnden Zahlen die Frage nach
der Wirtschaftlichkeit stellt, hat der Aufsichtsrat zu ent-
scheiden. Diese Untersuchungen und Ermittlungen lau-
fen zurzeit.
Jetzt folgt zunächst eine Nachfrage des Kollegen
Lenkert, dann eine des Kollegen Volker Beck.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, ich habe eine
Nachfrage. Im Rahmen des Volksentscheids zu Stutt-
gart 21 sind ja bestimmte Angaben gemacht worden,
auch solche zu den Kosten. Wie ist es juristisch zu be-
werten, dass die Kosten, mit denen gerechnet wird, nicht
sehr lange Zeit danach deutlich steigen? Ist davon auszu-
gehen, dass damals Falschangaben gemacht wurden?
Wie stehen Sie dazu?
E
Sehr geehrter Kollege, die Bundesregierung ist für
den Volksentscheid nicht verantwortlich.
Kollege Volker Beck.
Zunächst einmal eine Vorbemerkung, Herr Präsident,
zu meiner Verantwortlichkeit: Ich bin kein Jurist –
Auch nicht ehrenhalber.
– damit mir meine Befähigung zum Wissenschaftsmi-
nister nicht irgendwann entzogen wird, weil ich mir hier
im Plenum einen akademischen Titel erschlichen hätte.
Zum anderen scheint mir das Thema Verantwortlich-
keit die zentrale Frage zu sein. Der Bund ist 100-prozen-
tiger Eigner der DB. Gleichzeitig sagen Sie uns: Was
dort an Kosten anfällt, das interessiert uns gar nicht und
geht uns nichts an; denn die DB ist ja privatwirtschaft-
lich organisiert.
Ich finde, so können wir mit diesem Thema, das die
Steuerzahler und die Bahnkunden betrifft, nicht umge-
hen. Das ist das Geld des Bundes – egal ob auf dem
Konto „DB“ steht oder ob es sich um die Kasse des Bun-
desfinanzministers handelt –, und wir wissen doch alle:
Am Ende des Tages zahlt der Steuerzahler drauf, wenn
der Bundesfinanzminister weniger Geld von der DB be-
kommt oder zusätzliches Geld in die DB investieren
muss.
Deshalb bitte ich Sie wirklich, zu sagen: Was ist die
Position der Bundesregierung als Eigner der DB? Wo ist
die finanzielle Belastungsgrenze für Stuttgart 21, bei der
Sie sagen: „Vor diesem Hintergrund ist es zum jetzigen
Zeitpunkt bei diesen Zahlen nicht mehr verantwortlich,
dieses Projekt weiterzubauen“? Ihren Ausführungen bis
jetzt entnehme ich, dass es keine Belastungsgrenze gibt,
dass Stuttgart 21 kosten darf, was es wolle, weil es sich
ja um DB-Geld handelt. Wenn Sie das nicht so sehen,
dann sagen Sie uns: Wo liegt bei dem Projekt Stutt-
gart 21 die Belastungsgrenze der Bundesregierung, der
Bundesrepublik Deutschland, als Eigner der DB AG?
E
Herr Kollege, ich bitte die vorige Mutmaßung zu ent-schuldigen. Ich habe Sie da für mehr gehalten, als es tat-sächlich ist. Das tut mir leid.
Die Fragestellung, die Sie aufgebracht haben, richtetesich auf die Auswirkungen auf den Bundeshaushalt.Auswirkungen auf den Bundeshaushalt sind zum derzei-tigen Zeitpunkt überhaupt nicht erkennbar. Insofernbrauchen Sie als Abgeordneter, der den Bundeshaushaltletztlich kontrolliert und mit zu verantworten hat, keineSorge um den Bundesetat zu haben.Stuttgart 21 ist ein eigenwirtschaftliches Projekt vonmehreren Projektbeteiligten. Die Projektbeteiligten müs-sen untereinander eine Finanzierung finden, wenn sieMehrbedarf feststellen. Wie hoch der Mehrbedarf im
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27418 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann
(C)
(B)
Einzelnen ist, wird zurzeit untersucht und festgestellt.Dann wird es Vertragsverhandlungen mit den Projektbe-teiligten geben; diese Verhandlungen sind übrigensschon aufgenommen worden. Daraus wird für die DBAG gegebenenfalls eine Belastung entstehen – die aberkeine Rückwirkungen auf den Bundeshaushalt habenmuss und dieses Parlament insofern auch nicht betreffenmuss.
Ich habe jetzt noch die Wortmeldungen des Kollegen
Ralph Lenkert und des Kollegen Stephan Kühn, dann
noch Volker Beck, und dann können wir dieses Thema,
glaube ich, abschließen. – Ralph Lenkert.
Herr Staatssekretär, es besteht kein Zweifel, dass die
Bundesregierung für den Volksentscheid nicht zuständig
ist.
Nach meinem Kenntnisstand befindet sich die Deut-
sche Bahn AG aber zu 100 Prozent im Eigentum der
Bundesrepublik Deutschland, und die Aufsichtsfunktion
obliegt auch dem Verkehrsministerium. Insofern ist die
Bundesregierung in der Pflicht, dafür zu sorgen, dass die
Deutsche Bahn AG wahrheitsgemäße Angaben macht;
andernfalls käme sie ihrer Aufsichtspflicht nicht nach.
Deswegen stelle ich Ihnen – sozusagen als Aufsichtsrats-
vertreter, stellvertretend für das Verkehrsministerium –
jetzt die Frage: Inwieweit hat es juristische Konsequen-
zen, dass die Kosten des Projekts Stuttgart 21 in so kur-
zer Zeit derart explodiert sind? Meiner Ansicht nach sind
Falschaussagen gemacht worden. Oder können Sie be-
weisen, dass die Kostensteigerungen, die in den letzten
Monaten entstanden sind, vorher auf keinen Fall abseh-
bar waren?
E
Diese Frage beantworte ich Ihnen gerne. Das zu klä-
ren, ist eine Aufgabe des Aufsichtsrates. Die Kollegen,
die im Aufsichtsrat Sitz und Stimme haben, werden ge-
nau diese Fragen, in Ihrem Sinne, kritisch stellen.
Kollege Stephan Kühn.
Es gibt keine
Belastungsrisiken für den Bundeshaushalt, und wenn
Mehrkosten entstehen, ist das Sache der DB AG. – Nun
soll die DB AG ja Dividende an ihren Eigentümer aus-
schütten. In den Bundeshaushalt sollen mindestens
500 Millionen Euro fließen, jährlich wachsend; ich
glaube, das geht dann bis 700 Millionen Euro.
Meine Frage: Sehen Sie, sollte dieses Projekt zu einer
erheblichen Mehrbelastung für die DB führen, ein Ri-
siko, dass die Dividende an den Bund als Eigentümer in
dieser Höhe nicht mehr ausgeschüttet werden kann?
Die zweite Frage ist die Frage, die ich vorhin schon
einmal gestellt habe. Sie hatten Zahlen zu den Ihnen be-
kannten Mehrkosten genannt: 1,1 Milliarden Euro mehr
plus ein Risiko von 1,2 Milliarden Euro – wenn ich die
Zahlen vorhin richtig verstanden habe. Deshalb noch
einmal die Frage: Wie bewerten Sie vor dem Hinter-
grund dieser Ihnen bekannten Zahlen die Wirtschaftlich-
keit des Projektes?
E
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Die Bewertung der Wirtschaftlichkeit des Projektes
ist Aufgabe des Vorstandes der DB AG, der an den Auf-
sichtsrat zu berichten hat. Das wird in der Sitzung am
5. März 2013 der Fall sein. Vorher kann sich die Bundes-
regierung dazu auch gar nicht äußern.
Zu der Frage, ob die Dividendenfähigkeit in Gefahr
ist: Mitnichten, in keinem Fall.
Die letzte Frage vom Kollegen Volker Beck.
Da sagt man immer, aus der Befragung der Bundesre-
gierung lerne man nichts. Offensichtlich ist das wirt-
schaftliche Ergebnis der DB AG für die Dividende völlig
ohne Belang. Das ist interessant. Es ist eine Erkenntnis,
die ich als Fachfremder mitnehme, und ich bin dankbar
für diese neuen Einsichten in wirtschaftliche Zusammen-
hänge.
Ich möchte trotzdem noch einmal – zum dritten Mal –
die gleiche Frage stellen; ich weiß, ich bin da ein biss-
chen unoriginell. Aber unabhängig davon, wie Sie die
Auswirkungen auf den Bundeshaushalt einschätzen, will
ich wissen: Was ist die Position der Bundesregierung ge-
genüber dem Parlament und in den Gremien der DB AG
im Hinblick darauf, wo die Grenze für die Finanzierung
von Stuttgart 21 erreicht ist, bei der Sie sagen, das Fest-
halten an diesem Projekt sei bei dieser Finanzdimension
nicht mehr zu vertreten? Ich frage Sie als Eigner der DB
AG, auch vor dem Hintergrund, dass in deren Aufsichts-
rat auch die Position der Bundesregierung vertreten
wird.
Können Sie die Frage beim dritten Versuch bitte end-
lich einmal mit einer Zahl beantworten?
E
Sehr geehrter Herr Kollege, sooft Sie auch fragen: Ichkann Ihnen keine andere Auskunft geben, als es dieRechtslage hergibt. Es ist Aufgabe des Vorstandes, dieseZahlen zu ermitteln und vorzulegen. Der Aufsichtsrathat die Aufgabe, das zu kontrollieren und dann gegebe-nenfalls Entscheidungen zu fällen. Es ist nicht eine di-rekte Aufgabe des Eigentümers, dies zu tun. Insofernkann ich Ihre Frage nur so beantworten, wie ich es schonzweimal getan habe.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27419
Parl. Staatssekretär Enak Ferlemann
(C)
(B)
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich frage vorsichts-
halber, ob es noch weitere Fragen an die Bundesregie-
rung gibt, bevor wir zur Fragestunde kommen. – Da dies
nicht der Fall ist, beende ich die Befragung.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 3:
Fragestunde
– Drucksache 17/12342 –
Ich rufe die mündlichen Fragen auf Drucksache 17/12342
in der üblichen Reihenfolge auf.
Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bun-
deskanzleramtes. Zur Beantwortung steht Herr Staats-
minister Eckart von Klaeden zur Verfügung.
Frage 1 kommt von unserer Kollegin Frau Andrea
Wicklein:
Wie und bis wann plant die Bundesregierung die im Koali-
tionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP für den Bürokra-
tieabbau angestrebte Reduzierung des messbaren Erfüllungs-
aufwands um 25 Prozent zu erreichen?
Bitte schön, Herr Staatsminister.
E
Frau Kollegin Wicklein, beim Erfüllungsaufwand ist
danach zu unterscheiden, ob es sich um Bürokratiekos-
ten aus Informationspflichten oder um sonstigen Erfül-
lungsaufwand handelt.
Was Erstere betrifft, so hat die Bundesregierung die
Informationspflichten der Wirtschaft bis Ende 2011 um
mehr als 22 Prozent reduziert. Im Dezember 2011 haben
wir darüber hinaus weitere Maßnahmen beschlossen, um
das Ziel zu erreichen. Davon sind im letzten Jahr we-
sentliche Maßnahmen umgesetzt worden. Ich erinnere
nur an das E-Government-Gesetz oder die Abschaffung
der Praxisgebühr.
Zur nachhaltigen Sicherung dieser Abbauerfolge hat
die Bundesregierung im letzten Jahr den Bürokratiekos-
tenindex eingeführt. Der Aufwuchs im letzten Jahr war
stabil. Wir sind dem Ziel nachgekommen, ihn dauerhaft
niedrig zu halten. Es hat lediglich einen Aufwuchs um
einen viertel Prozentpunkt gegeben.
Was den sonstigen Erfüllungsaufwand angeht, so ha-
ben wir verschiedene Lebens- und Rechtsbereiche unter-
sucht, wie dies auch im Koalitionsvertrag vorgesehen ist.
Dabei ist bei einigen herausgekommen, dass die Sen-
kung des Erfüllungsaufwandes vor allem Änderungen
im materiellen Recht erfordern würde, was ausdrücklich
nicht Gegenstand des Programms ist. In anderen Fällen
haben wir erhebliche Reduzierungsmöglichkeiten identi-
fiziert. Diese ergeben sich insbesondere durch das Pro-
jekt „Verkürzung der steuerlichen Aufbewahrungs- und
Prüffristen“, und zwar in einem Umfang von 2,5 Milliar-
den Euro. Das ist auch Bestandteil des Jahressteuerge-
setzes 2013 gewesen, das im Bundesrat bedauerlicher-
weise abgelehnt wurde.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Wicklein.
Gibt es definierte Projekte, die die Bundesregierung
noch bis zum Ende der Legislaturperiode plant, um ihr
Ziel eines Bürokratieabbaus um 25 Prozent zu errei-
chen?
E
Ja, Frau Kollegin, es gibt hier noch eine Reihe von
Projekten. Wir sind mittlerweile im untergesetzlichen
Bereich angekommen. Dazu gehört unter anderem die
Neufassung der sogenannten GoBIT – das sind die
Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beim IT-
Einsatz –, wodurch die Möglichkeiten, die gesetzlich be-
reits geschaffen worden sind – die elektronische Rech-
nungslegung usw.; Sie kennen die Umstände –, für die
Unternehmen verfahrenssicher realisiert werden.
Ihre zweite Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf die Aktivitä-
ten der Bundesregierung hinsichtlich des Bürokratie-
aufwuchses durch EU-Verordnungen und -Richtlinien.
Welche konkreten Maßnahmen hat die Bundesregierung
in der Richtung getroffen, den bewährten Normen-
kontrollrat, den wir hier in Deutschland gemeinsam in-
stalliert haben, auch auf der europäischen Ebene durch-
zusetzen?
E
Dazu haben wir eine ganze Reihe von Maßnahmenergriffen. Insbesondere im Europäischen Rat setzen wiruns ja immer wieder dafür ein, dass auf europäischerEbene ein Gremium vergleichbar dem NationalenNormenkontrollrat geschaffen wird. Dafür haben wir imRat bisher bedauerlicherweise keine Mehrheit bekom-men, und auch die Kommission ist nicht bereit, ein ent-sprechendes Gremium zu schaffen, weil sie die Sorgehat, dass durch ein solches Gremium ihre Initiativfunk-tion eingeschränkt werden könnte.Gleichwohl ist es uns gelungen, dafür zu sorgen, dassdas Mandat der Stoiber-Gruppe nicht nur verlängert,sondern auch ausgedehnt wird, und das EuropäischeParlament hat entsprechende Initiativen zur Über-wachung der Bürokratiekosten eingeleitet. Meine per-sönliche Idealvorstellung ist ein gemeinsames Gremiumvon Rat, Kommission und Parlament auf europäischerEbene, das die Bürokratiekosten nicht nur beobachtet,sondern in Bezug auf die Senkung auch initiativ werdenkann.
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27420 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Staatsminister Eckart von Klaeden
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(B)
Wir haben in der Bundesregierung darüber hinaus einProgramm beschlossen, mit dem wir im Rahmen unsererEntscheidungsprozesse, bevor es also überhaupt zuRichtlinien oder Verordnungen kommt, unsere Ministe-rien gut darauf vorbereiten können, auch in den Beratun-gen in Brüssel dafür zu sorgen, dass auf die Bürokratie-kosten geachtet wird und dass die Kommissionveranlasst wird, bei der Darlegung ihrer Vorschläge auchdie Bürokratiekosten und den Erfüllungsaufwand für dieeinzelnen Branchen und Länder auszuweisen.Darüber hinaus will ich stichwortartig nur die Sonder-regelung, die wir für kleinere und mittlere Unternehmenangeregt und durchgesetzt haben, und den Mittelstands-monitor nennen, der beim Bundeswirtschaftsministe-rium geführt wird und kleine und mittlere Unternehmen,aber auch die Wirtschaft in Deutschland insgesamt früh-zeitig über Regelungsvorhaben auf europäischer Ebeneinformiert, wodurch wir uns auch einen Rückfluss fürunsere Aktivitäten in Brüssel versprechen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Technologie. Der Parla-
mentarische Staatssekretär Hans-Joachim Otto ist erneut
gefordert.
Die Frage 2 kommt vom Kollegen Ralph Lenkert:
Warum wird die Konzessionsrichtlinie der Europäischen
Union, EU, im Trilogverfahren behandelt?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
H
Lieber Herr Kollege Lenkert, zu Ihrer, aber vor allen
Dingen zur Information der Zuhörerinnen und Zuhörer
will ich ganz kurz darstellen, wie das Verfahren generell
läuft:
Die Konzessionsrichtlinie wird im ordentlichen Ge-
setzgebungsverfahren gemäß Art. 294 AEUV – das ist
die Bezeichnung nach dem Lissabon-Vertrag – behandelt.
Dieses Gesetzgebungsverfahren stellt den Regelfall dar
und erfordert neben der Verabschiedung des Regelungs-
entwurfs durch den Rat die Zustimmung des Europäi-
schen Parlaments. Es sind drei Lesungen vorgesehen. –
Lieber Herr Kollege, bitte leihen Sie mir Ihr geschätztes
Ohr, während ich Ihnen antworte.
Um die Verständigung zwischen den Institutionen zu
beschleunigen und auf diese Weise eine rasche, am
aktuellen Handlungsbedarf orientierte Gesetzgebung zu
ermöglichen, haben sich bereits seit dem Vertrag von
Maastricht sogenannte Triloge etabliert. Diese Triloge
sind informelle Gespräche zwischen dem Rat, dem Eu-
ropäischen Parlament und der Kommission. Sie dienen
in der Regel dazu, sich über einen Standpunkt des Euro-
päischen Parlaments zu verständigen, dem der Rat be-
reits in der ersten Lesung zugestimmt hat. Eine Vielzahl
von Rechtsakten kann damit bereits in erster Lesung ver-
abschiedet werden.
Ich will Ihnen eine Zahl geben: Im ersten Halbjahr
2012 wurden damals unter der dänischen Ratspräsident-
schaft 40 von 46 Rechtssetzungsvorschlägen in der ers-
ten Lesung durch das Trilogverfahren abgeschlossen.
Die Einsetzung von Trilogen ist allerdings nicht auf die
erste Lesung des Gesetzgebungsverfahrens beschränkt,
sondern kann auch später noch im Rahmen der zweiten
Lesung sowie vor dem Vermittlungsverfahren oder der
dritten Lesung vereinbart werden.
Am 10. Dezember 2012 hat sich der EU-Wett-
bewerbsfähigkeitsrat – auch mit der Zustimmung
Deutschlands; danach werden Sie vielleicht noch fragen –
auf ein Verhandlungsmandat für den anstehenden Trilog
zum gesamten Legislativpaket zur Modernisierung des
Vergaberechtes mit dem Europäischen Parlament und
der Kommission geeinigt. Der Binnenmarktausschuss
des Europäischen Parlamentes allerdings hat bisher noch
kein Mandat für den Trilog erteilt. Deswegen sage ich
Ihnen abschließend: Es ist also zum jetzigen Zeitpunkt
noch gar nicht definitiv entschieden, ob das Trilogver-
fahren bei dieser Konzessionsrichtlinie überhaupt An-
wendung findet.
Da der Kollege Ralph Lenkert genau zugehört hat,
seine erste Nachfrage.
Herr Kollege Staatssekretär, ich habe Ihre Ausführun-
gen mit meinen Notizen verglichen. Ich werfe Ihnen,
wenn Sie vom Zettel ablesen, auch nicht vor, dass Sie
mich nicht ansehen. Das nur als ganz kleine Richtigstel-
lung.
Nachdem Sie dem Trilogverfahren zugestimmt ha-
ben, ergibt sich für mich die Frage: Wieso versucht man,
im Eilverfahren – das ist nämlich ein Trilogverfahren –
ein so wichtiges Verfahren durchzupeitschen, bei dem es
um nicht mehr und nicht weniger als um die mögliche
Privatisierung der Wasserversorgung geht? Wasser ist
ein öffentliches Gut. Ich habe den Eindruck, dass die
Bundesregierung mit dem Trilogverfahren an dieser
Stelle versucht, das Ganze außerhalb der Öffentlichkeit
schnell durchzuschieben, um im Prinzip Widersprüche
auch aus den eigenen Reihen zu verhindern.
Ich stelle deswegen die Frage an Sie: Haben Sie dem
vorliegenden Entwurf zur Konzessionsrichtlinie in
seiner jetzigen Fassung zugestimmt, und welches Minis-
terium war da federführend?
H
Lieber Herr Kollege, Sie nehmen jetzt praktisch Ihreeigene zweite Frage vorweg. Um der GeschäftsordnungGenüge zu tun, bleibe ich bei Ihrer ersten Frage.Ich kann Ihre Einschätzung nicht teilen, dass dasTrilogverfahren ein Durchpeitschen im Eilverfahren sei.Ich habe Ihnen ganz bewusst geschildert, dass unter der
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27421
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
dänischen Ratspräsidentschaft – die Dänen stehen nichtim Ruf, alles durchzupeitschen oder undemokratisch zusein – im ersten Halbjahr 2012 40 von 46 Rechtsset-zungsvorschlägen im sogenannten Trilogverfahren ent-schieden wurden. Warum? Weil man dieses Verfahrenbei aller Transparenz relativ schnell und zügig gestaltenkann.Deswegen kann ich den Vorwurf überhaupt nicht ver-stehen, dass hier ein Ausnahmefall geschaffen würdeund die Öffentlichkeit oder das Parlament oder der Ratin irgendeiner Weise nicht angemessen beteiligt würden.Im Gegenteil: Das Trilogverfahren ist der Normalfall.Wenn sich alle drei Beteiligten, Kommission, Parlamentund Rat, darauf verständigen, dann wird so verfahren.Die Bundesregierung ist der Meinung, dass diesesVerfahren – wir kommen zum Inhalt der Konzessions-richtlinie bei Ihrer zweiten Frage – in der Tat geeignetist, in diesem Regelverfahren behandelt zu werden.
Jetzt kommt die zweite Nachfrage. Bitte schön.
Noch in der ersten Frage.
Ja, Ihre erste Frage; bei mir ist es die zweite.
He
Wie wollen
Sie sicherstellen, dass in diesem beschleunigten Verfah-
ren die Meinung sowohl der verschiedenen Ministerien
als auch des Bundestages, der ja im Prinzip sozusagen
Ihr Weisungsgeber ist, ausreichend berücksichtigt wer-
den kann?
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege, das ist genauso wie in den dreistufigen
Verfahren. Es ist nicht so, dass durch das Trilogverfah-
ren irgendeine Stufe komplett ausgeschaltet wird, son-
dern die Bundesregierung hat über den Wettbewerbs-
fähigkeitsrat immer Möglichkeiten, einzuwirken. Das
Europäische Parlament muss beteiligt werden. Ich habe
Ihnen bereits geschildet, dass der Ausschuss für Binnen-
markt und Verbraucherschutz des Europäischen Parla-
ments zurzeit noch mit sich ringt, ob er diesem Verfah-
ren zustimmt.
Deswegen: Ich meine, es ist kein Nachteil, dass ein
Punkt, der über lange Zeit sehr sorgfältig diskutiert wor-
den ist, dann auch in einem demokratischen Verfahren
zur Abstimmung kommt. Ich sehe keinen Vorteil darin,
Herr Lenkert, dass man jetzt ein unter Umständen jahre-
langes Diskussionsverfahren beginnt. Die Dinge liegen
auf dem Tisch.
Ich werde gleich auch zu Ihrer zweiten Frage, die das
Inhaltliche betrifft, Stellung nehmen. Ich denke, die
Frage ist sehr übersichtlich. Dabei werden wir beide
mutmaßlich unterschiedlicher Auffassung sein; aber die
Frage ist entscheidungsreif.
Vielen Dank. – Noch zu der Frage? – Bitte schön,
Herr Hunko.
Herr Staatssekretär, ich habe eine Nachfrage, die sich
auch auf das Verfahren bezieht. Am 12. und 13. April
tagt in Dublin ein informeller EU-Ministerrat für Wirt-
schaft und Finanzen. Meine Frage ist, ob dort auch über
die Konzessionsrichtlinie gesprochen wird und ob Sie
auf eine Änderung der Richtlinie oder auch auf eine
Änderung des Zeitplans drängen, die es ermöglichen
würde, dass sich der Bundestag damit befassen und seine
Meinung einbringen kann.
H
Lieber Herr Kollege Hunko, nehmen Sie es mir nicht
übel, aber ich weiß nicht, ob sich der EU-Ministerrat für
Wirtschaft und Finanzen, der Ecofin-Rat, in Dublin
damit beschäftigen kann. Ich gehöre diesem Rat nicht
an. Die Entscheidung über das Verfahren liegt jetzt in
Händen des Binnenmarktausschusses des Europäischen
Parlaments. Wenn der Binnenmarktausschuss des Euro-
päischen Parlaments grünes Licht gibt, gilt: Alle anderen
Beteiligten haben diesem ordnungsgemäßen Verfahren
zugestimmt, und die Beteiligung des Deutschen Bundes-
tages und des Europäischen Parlaments allzumal ist wie
immer gewährleistet. Es ist keineswegs so, dass das Tri-
logverfahren ein Geheimverfahren hinter geschlossenen
Türen wäre; es ist vielmehr ein Verfahren, das im Regel-
fall angewendet wird und das alle demokratischen Mit-
wirkungsmöglichkeiten der Beteiligten garantiert.
Vielen Dank. – Jetzt rufe ich die Frage 3 auf, die
gleichzeitig die zweite Frage des Kollegen Ralph
Lenkert ist:
Werden die Vertreter der Bundesregierung in Rat und
Kommission der EU dem vorliegenden Entwurf der Konzes-
sionsrichtlinie zustimmen, der eine Privatisierung der kom-
munalen Wasserwirtschaft in Deutschland ermöglicht?
H
Diese Frage des Kollegen Lenkert kann ich bejahen.Die Bundesregierung hat im EU-Wettbewerbsfähigkeits-rat am 10. Dezember 2012 dem Verhandlungsmandat fürden anstehenden Trilog zum Entwurf der Konzessions-richtlinie mit dem Europäischen Parlament und derKommission zugestimmt und damit auch grünes Lichtfür den Entwurf der Konzessionsrichtlinie gegeben.Aus gegebenem Anlass – weil es auch eine große Dis-kussion in der europäischen Öffentlichkeit gibt – will ichdarauf hinweisen, dass sich aus dem Richtlinienentwurfkein Zwang zur Privatisierung, auch nicht im Bereichder Wasserwirtschaft, ergibt.
Metadaten/Kopzeile:
27422 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
Das ist absolut klar und unzweifelhaft: Es gibt keinenZwang zur Privatisierung der Wasserwirtschaft, auchwenn das in der Öffentlichkeit seit langer Zeit immerwieder anders behauptet wird.Schon heute können Kommunen darüber entscheiden,ob sie die Wasserversorgung selbst erbringen oder sichdafür eines privaten Unternehmens bedienen wollen.Diese Wahlfreiheit der Kommunen, von der viele Kom-munen Gebrauch gemacht haben, bleibt nach dem Ent-wurf der Konzessionsrichtlinie auch künftig gewahrt.Wenn aber, Herr Kollege Lenkert, eine Kommune sichdazu entscheidet, die Wasserversorgung an einen Priva-ten zu vergeben, dann muss die Kommune dies transpa-rent und diskriminierungsfrei tun.Ich kann mir nicht vorstellen, Herr Kollege Lenkert,dass Sie irgendetwas dagegen haben, dass dann, wenndie Wasserversorgung an einen Privaten vergeben wird,das transparent und diskriminierungsfrei zu erfolgen hat.Nur dies ist in der Konzessionsrichtlinie – auch in Nach-zeichnung einer ohnedies seit vielen Jahren bestehendenRechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs – ent-halten und nichts davon, dass hier ein irgendwie gearte-ter Zwang zur Privatisierung ausgeübt wird. Das ist defi-nitiv nicht der Fall.
Herr Kollege Lenkert, Ihre erste Nachfrage.
Herr Staatssekretär, in dem Fall, dass man die Kon-
zessionsrichtlinie für sich allein betrachtet, könnte ich
Ihnen fast zustimmen. Aber es gibt bei uns eine Schul-
denbremse und viele Kommunen, die unter der Finanz-
aufsicht der Länder stehen.
In diesem Zusammenhang besteht folgende Situation:
Wenn eine Kommune in ihr Wassernetz investieren
muss, um es zu modernisieren, und wenn die Finanzauf-
sicht die dafür notwendigen Kredite nicht genehmigt,
dann ist die Kommune durch die Finanzaufsicht ge-
zwungen, dieses Wassernetz öffentlich auszuschreiben.
Damit erzeugen Sie doch indirekt einen Zwang zur Pri-
vatisierung von Maßnahmen in Bereichen der Daseins-
vorsorge. Diesen Zwang üben Sie indirekt aus.
Da es aus meiner Sicht gerade im kommunalen Be-
reich unabhängig von der Parteimitgliedschaft Konsens
ist, dass die Wasserversorgung in der Hoheit der öffentli-
chen Hand bleiben soll, frage ich Sie noch einmal: Wer-
den Sie eine Veränderung der Konzessionsrichtlinie an-
streben?
H
Lieber Herr Kollege, die Logik Ihrer Frage erschließt
sich mir nicht.
Wenn sich manche Kommunen aufgrund ihrer schwieri-
gen finanziellen Lage, wie Sie sagen, veranlasst sehen,
über eine Privatisierung ihrer Wasserversorgung nachzu-
denken, dann hat das nichts, aber auch gar nichts mit der
Konzessionsrichtlinie zu tun. Schon bisher, ohne diese
Konzessionsrichtlinie, waren die Kommunen in der
Lage oder, wie Sie sagen, manchmal sogar gezwungen,
ihre Wasserversorgung an Private zu vergeben.
Ich meine sogar, umgekehrt wird ein Schuh daraus,
Herr Kollege Lenkert. Wir sorgen mit der Konzessions-
richtlinie und den nachfolgenden Gesetzen, die dann in
Deutschland dazu getroffen werden, dafür, dass eine
Kommune die Wasserversorgung nicht unter der Hand
an irgendeinen Spezi vergeben kann, sondern das muss
in einem transparenten, diskriminierungsfreien Verfah-
ren ablaufen. Das heißt im Klartext: Es ist doch eher ein
Hemmnis für eine Kommune, die Wasserversorgung an
einen Privaten zu vergeben, da sie gezwungen ist, sie in
einem sauberen Verfahren zu vergeben.
Alles, was innerhalb von öffentlicher Verwaltung ge-
schieht – dies betrifft auch die Zusammenarbeit von
Wasserversorgungsverbänden und -genossenschaften –
unterliegt nicht der Konzessionsrichtlinie, muss nicht in
dem dort festgelegten Verfahren vergeben werden, son-
dern kann in freiem Verfahren erfolgen. Nur dann, wenn
ein Privater eingeschaltet wird, muss ein sauberes Ver-
fahren her. Ich kann mir wirklich nicht erklären – auch
aus Ihrer Sicht nicht, Herr Kollege –, warum Sie gegen
den Entwurf dieser Vorschrift inhaltliche Einwände er-
heben.
Kollege Ralph Lenkert, Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, viele Kommunen haben Stadt-
werke, die im Querverbund arbeiten.
H
Ja.
Genau an dieser Stelle setzt Ihre Konzessionsrichtli-
nie an. Wenn es nämlich in den Stadtwerken auch noch
private Beteiligungen gibt, dann ist nach dieser Konzes-
sionsrichtlinie eine Vergabe innerhalb der Stadtwerke im
Prinzip ausgeschlossen, dann muss europaweit ausge-
schrieben werden. Damit zwingen Sie de facto die Kom-
munen, die Hoheit aufzugeben. Dies sollte auch Ihnen
bekannt sein. Ich behaupte hier, dies ist der eigentliche
Grund, weshalb das Wirtschaftsministerium dieser Kon-
zessionsrichtlinie zugestimmt hat.
Jetzt bitte ich Sie, mir meine Aussage zu widerlegen.
H
Das will ich gerne tun. – Lieber Herr Kollege, ganzeinfach: Das, was in der Konzessionsrichtlinie steht, ist
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27423
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
ohnedies gängige, anerkannte Rechtsprechung des Euro-päischen Gerichtshofs.
– Moment. – Der Europäische Gerichtshof ist seit vielenJahren der Meinung, dass, wie bei der Vergabe von ande-ren Leistungen, insbesondere beim Einkauf von Warenund Ähnlichem, ein sauberes Verfahren bei bestimmtenGrenzen festgelegt werden muss. Der Europäische Ge-richtshof war der Meinung, dass das auch für Dienstleis-tungskonzessionen gilt. Diese Rechtsprechung besteht.Warum gibt es diese Richtlinie? Um einige rechtlicheZweifelsfragen im Detail zu beseitigen und um fürRechtsklarheit für alle zu sorgen. Lieber Herr Kollege,es ist nicht so – insbesondere in der Wasserversorgungnicht –, dass sich durch diese Richtlinie irgendetwas ander rechtlichen Lage ändern würde; das ist nicht der Fall.Vielmehr wird die Rechtsprechung des EuropäischenGerichtshofes gesetzlich verankert.Deswegen muss ich Ihnen offen sagen: Die großeAufregung, die inzwischen in der Öffentlichkeit überden Entwurf der Konzessionsrichtlinie herrscht, kannich, ehrlich gesagt, nicht nachvollziehen.
Wir kommen jetzt zu weiteren Nachfragen zu dieser
Frage. Zunächst Kollegin Dagmar Enkelmann.
Herr Staatssekretär, Sie reden von Transparenz und
sauberen Verfahren. Wir reden aber über die Privatisie-
rung eines öffentlichen Guts. Erfahrungen, was die Pri-
vatisierung der öffentlichen Daseinsvorsorge betrifft, ha-
ben wir in den letzten Jahren zuhauf gemacht. Deswegen
lautet meine Frage: Hat die Bundesregierung die Folgen
einer möglichen Privatisierung – einschließlich die der
Wasserversorgung – tatsächlich geprüft, um schon jetzt
sagen zu können, dass sie dieser Konzessionsrichtlinie
zustimmt, und wie stehen Sie zu der Europäischen Bür-
gerinitiative und den mehr als einer Million Menschen
– ich hoffe, dass es noch mehr werden –, die sich gegen
eine Privatisierung der Wasserversorgung aussprechen?
H
Liebe Frau Kollegin Enkelmann, schon bevor dieser
Richtlinienentwurf auch nur erörtert wurde, seit Jahr-
zehnten, gibt es in Deutschland private Wasserversorger,
die Leistungen mit höchster Qualität und ohne jegliche
Bedenken erbringen. Es ist nicht so, dass Leistungen nur
dann gut sind, wenn sie von kommunaler bzw. staatli-
cher Hand erbracht werden. Es gibt viele private Anbie-
ter – auch bei den Wasserversorgern –, die Produkte mit
hervorragender Qualität anbieten, ohne dass das jemals
– auch von Ihnen nicht – gerügt worden wäre. Allein
weil die privaten Unternehmen der Wasserversorgung
keinen Anlass zu Bedenken geben, sehen wir überhaupt
keinen Grund, die Privatisierung der Wasserversorgung
zu verbieten, was Sie offensichtlich wollen.
– Lieber Herr Kollege, lassen Sie mich meine Antwort
noch zu Ende ausführen.
Wie stehe ich, wie steht die Bundesregierung zu die-
ser Europäischen Bürgerinitiative? Wir sind der Auffas-
sung, dass diese Bürgerinitiative Behauptungen aufstellt,
die so nicht der Wahrheit entsprechen. Wir sind der Auf-
fassung, dass der Vorwurf, dass hier eine Privatisierung
der Wasserversorgung erzwungen werde, falsch ist. Ich
habe schon versucht, das dem Kollegen Lenkert klarzu-
machen; ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist. Auf je-
den Fall werden wir den Bürgerinnen und Bürgern, die
diese Bürgerinitiative unterstützen, sagen, dass es nicht
berechtigt ist, solche Gefahren heraufzubeschwören, wie
es diese Bürgerinitiative tut.
Ich möchte Ihnen, liebe Frau Kollegin Enkelmann,
nahelegen: Lesen Sie den Konzessionsrichtlinienent-
wurf, und Sie werden feststellen, dass das, was die Bür-
gerinitiative behauptet, in dieser Konzessionsrichtlinie
mitnichten enthalten ist.
Kollege Oliver Krischer stellt die nächste Nachfrage.
Herr Staatssekretär Otto, ich interpretiere Ihre Aussa-
gen so, dass all diejenigen, die sich dazu kritisch äußern
– die Bürgerinitiative, viele Verbände und kommunale
Spitzenverbände –, das Ganze nicht richtig verstanden
haben.
H
Nein, das habe ich so nicht gesagt.
Das Wort hat der Kollege Oliver Krischer.
Ich werde gleich eine entsprechende Frage stellen.Dann können Sie mir das noch einmal erläutern.Ich habe eine Debatte im Wirtschaftsausschuss ver-folgt, in der sich vier von fünf Fraktionen – das warennicht nur Oppositionsfraktionen – kritisch bzw. teilweisesehr kritisch zu diesem Richtlinienentwurf geäußert ha-ben. Sie stellen das jetzt so dar, als ob es nach der Richt-linie keinen Zwang zur Ausschreibung gäbe. Das magfür kommunale Unternehmen zutreffen, die allein dieWasserversorgung betreiben. Das ist in Deutschland abereher der Ausnahmefall; zumindest gibt es sehr vielekommunale Stadtwerke, die die Wasserversorgung imVerbund mit Energieversorgung und anderen Dienstleis-tungen in privatwirtschaftlicher Rechtsform, etwa der
Metadaten/Kopzeile:
27424 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Oliver Krischer
(C)
(B)
GmbH, betreiben. Das ist das, was die Bürgerinnen undBürger kennen.Deshalb meine Frage an Sie: Muss die Kommunenach dem vorliegenden Richtlinienentwurf nie aus-schreiben, wenn solche Unternehmen dort tätig sind, undwürden Sie als Bundesregierung das dann auch weiter-hin in Brüssel so unterstützen?H
Zunächst einmal möchte ich die Gelegenheit nutzen,
klarzustellen, dass ich mitnichten gesagt habe, dass alle,
die den Aufruf der Bürgerinitiative unterschrieben ha-
ben, keine Ahnung haben. Ich habe nur darauf hingewie-
sen, dass in dem Aufruf, den ich natürlich gelesen habe,
Behauptungen enthalten sind, die der Wirklichkeit nicht
entsprechen. Das ist der Punkt, und an dem halte ich
auch fest.
Herr Kollege Krischer, um auf Ihre Frage zurückzu-
kommen: Es ist definitiv so: Wenn bei einem Unterneh-
men, das die Wasserversorgung betreiben will, außer der
öffentlichen Hand ein Privater beteiligt ist – das kann
auch in einer privatwirtschaftlichen Rechtsform sein,
etwa GmbH oder AG – und die Beteiligung des Privaten
nicht größer ist als 20 Prozent, dann ist die Leistung
nicht auszuschreiben.
Die Fälle, die Sie genannt haben, bestätige ich. Es ist
so, dass viele Stadtwerke nicht nur die Wasserversor-
gung, sondern auch die Energieversorgung, die Abfall-
entsorgung usw. betreiben. Wenn die private Beteiligung
nicht über 20 Prozent liegt, ist das nach wie vor, wie bis-
her, nicht ausschreibungspflichtig. Die Stadtwerke kön-
nen sich mit einem benachbarten Stadtwerk und auch
mit einer GmbH, die in einer benachbarten Kommune in
kommunaler Hand ist, zusammentun.
In dem Moment, wo eine Kommune sagt: „Wir neh-
men einen privaten Investor herein, der mehr als 20 Pro-
zent der Anteile des Unternehmens hat“, besteht doch
die Frage: Was ist eigentlich dagegen einzuwenden, dass
die Vergabe dann transparent und diskriminierungsfrei
erfolgen soll? Wollen Sie es wirklich zulassen, dass un-
ter Umständen irgendein Amigo – ein grüner, schwarzer,
blauer oder was auch immer – den Auftrag bekommt und
möglicherweise bestimmte Vorteile erlangt? Das wollen
Sie sicher nicht. Sie werden doch mit mir gemeinsam da-
für kämpfen, dass die Vergabe an einen Privaten diskri-
minierungsfrei erfolgt. Darüber sind wir uns, Grüne und
Bundesregierung, doch völlig einig, hoffe ich.
Ich bitte, jetzt immer auch auf die Zeit zu achten, da
wir noch viele weitere Fragen haben. – Als Nächster un-
ser Kollege Wolfgang Tiefensee. Bitte schön.
He
Welche Leistun-
gen der kommunalen Daseinsvorsorge werden jetzt neu-
erdings in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie
einbezogen und demzufolge einer neuen Form von Wett-
bewerb unterworfen?
Es ist nicht so, wie Sie suggerieren, dass es keine Re-
geln gäbe. Auch momentan müssen diese Leistungen
nach strikten Regeln ausgeschrieben werden. Das sind
die allgemeinen Regeln, Verfahrensweisen der Europäi-
schen Union; das ist in einem Vertrag mit allgemeinen
Grundsätzen geregelt.
Jetzt ist die Frage: Nimmt man diese Leistungen der
öffentlichen Daseinsvorsorge in den Anwendungsbe-
reich der Richtlinie hinein und stellt sie in einen beson-
deren Wettbewerb? Da frage ich Sie nun: Wieso ist es
möglich, Rettungsdienste und kommunale Kreditbe-
schaffung mehr oder minder mit einem Federstrich aus
dem Anwendungsbereich der Konzessionsrichtlinie he-
rauszunehmen, die Wasserversorgung aber nicht, obwohl
doch Letztere wesentlich mehr zur Daseinsvorsorge bei-
trägt? Oder würden Sie im Umkehrschluss behaupten,
dass beim Rettungswesen die Amigos, egal ob schwarz,
braun oder grün, Zugriff haben dürfen?
H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Tiefensee, um das noch einmal klarzu-stellen: Es ist nicht so, dass wir, wie Sie eben formulierthaben, die Wasserversorgung durch die Konzessions-richtlinie einem zusätzlichen Wettbewerb aussetzen. Es istvielmehr so, dass wir die Vergabe der Wasserversorgungeinem sauberen und transparenten Verfahren unterwerfenwollen, wie das der Regelfall bei allen Dienstleistungs-konzessionen ist, die von einer Kommune vergeben wer-den.Sie sprechen die Ausnahmen beispielsweise für dieRettungsdienste an. Ich habe diese Ausnahme nicht ein-geführt; ich persönlich bin der Meinung, dass mandurchaus bei allem sauber und transparent verfahrenkönnte.Bei der Wasserversorgung hat man möglicherweisedeshalb keine Ausnahme vorgesehen, weil die wirt-schaftlichen Volumina, die bei der Wasserversorgung an-fallen, natürlich einen ungleich größeren Umfang habenals diejenigen bei einem Rettungsdienst – so wichtig einRettungsdienst auch ist, auch der Rettungsdienst dientder Daseinsvorsorge und ist eine sehr wichtige Einrich-tung.
Aber wir reden natürlich bei der Wasserversorgung überWerte, über wirtschaftliche Volumina, die um einen Fak-tor X wesentlich größer sind. Das wird mutmaßlich dieÜberlegung sein.Herr Kollege Tiefensee, ein Angebot: Wenn Sie derMeinung sind, dass zukünftig für alle Dienstleistungs-konzessionen Ausschreibungspflicht gelten soll, könnenSie jedenfalls mit mir darüber reden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27425
(C)
(B)
Nächster Fragesteller: unser Kollege Dr. Diether
Dehm.
Herr Kollege und Herr Staatssekretär, Sie sind mir
auch persönlich gut bekannt als gebildeter Mensch, der
Verständnis dafür hat, dass so viele Kulturschaffende, –
H
Jetzt nicht so viel Lob, das macht mir nur Probleme.
– die Sie kennen, beispielsweise der Kabarettist
Pelzig, die Initiative gegen die Wasserprivatisierung un-
terstützen. Ich will den Streit einmal beiseitelassen, –
Deshalb wollten Sie fragen.
– da Sie ja prinzipiell der Meinung sind, dass die Pri-
vaten das alles so gut können, wir hingegen immer mei-
nen, dass zivilisierte, öffentlich kontrollierte Regeln
auch für die Bürger zu einem höheren Maß an Transpa-
renz und zu nachvollziehbarer Qualitätskontrolle führen.
Ich will Sie fragen – das ist eine ganz persönliche
Frage, weil ich weiß, dass Sie nicht nur mit der Kultur
viel zu tun, sondern auch einen guten Geschmack haben –,
ob Sie denn seit der Übernahme der Wasserversorgung
in London durch ein privates Unternehmen einmal in
London waren. Thames Water, eine frühere Tochter von
RWE, hat dort die Wasserversorgung übernommen. Jetzt
wird das Themsewasser zu Trinkwasser recycelt. Ich
frage Sie, ob Sie nach dieser Übernahme durch ein pri-
vates Unternehmen, eine ehemalige Tochter von RWE,
einmal in London waren und dort freiwillig aus dem
Wasserhahn getrunken haben.
H
Lieber Kollege Dr. Dehm, eine persönliche Frage,
eine persönliche Antwort: Ich war in den letzten andert-
halb Jahren nicht in London, und ich würde ohnedies
– das kann ich Ihnen sagen – in keinem Fall aus dem
Wasserhahn trinken, egal ob das Wasser von RWE oder
von einem kommunalen Wasserversorger ist.
– Nein, auch nicht hier im Bundestag. Es gibt hier wun-
derbare Angebote. Ich will doch, dass die Kantine Um-
satz macht. Ein paar Cent sind bei einem Staatssekretär
noch übrig, um sich ein Mineralwasser zu kaufen.
Nächste Nachfrage – wir sind immer noch bei der
Frage 3 –: Kollege Andrej Hunko. Bitte schön, Herr
Hunko.
Herr Kollege, Sie hatten eben in der Antwort auf Kol-
legen Lenkert der Europäischen Bürgerinitiative „right
to water“ unterstellt, dass sie die Konzessionsrichtlinie
falsch interpretiert und sozusagen als Schreckensszena-
rio eine Privatisierung an die Wand malt.
Ich will nur darauf aufmerksam machen, dass die
Konzessionsrichtlinie gar nicht direkter Gegenstand die-
ser Europäischen Bürgerinitiative ist – dazu würde ich
Sie auch gern fragen –; vielmehr geht es darum, dass die
Kommission einen neuen Vorschlag macht – ich zitiere –,
der „das Menschenrecht auf Wasser und sanitäre Grund-
versorgung entsprechend der Resolution der Vereinten
Nationen durchsetzt und eine funktionierende Wasser-
und Abwasserwirtschaft als existenzsichernde öffentli-
che Dienstleistung für alle Menschen fördert“.
Das ist der Vorschlag, zu dem jetzt Unterschriften ge-
sammelt werden. Er bezieht sich aber nicht direkt auf die
Konzessionsrichtlinie und ist übrigens schon älter als die
ganze Debatte um diese Richtlinie. Vielleicht dazu noch
einmal die Frage: Könnten Sie dieses Anliegen unter-
stützen?
H
Lieber Herr Kollege Hunko, Sie haben die Frage 6 ge-
stellt, die sich genau auf diesen Sachverhalt bezieht. Ich
würde vorschlagen, dass ich an dieser Stelle darauf ein-
gehe.
Nein, das machen wir nicht. Wir gehen nach der ur-
sprünglichen Reihenfolge vor, weil ansonsten diejenigen
benachteiligt sind, die Fragen zu den Fragen 4 und 5 ha-
ben.
H
Also gut, Herr Präsident, dann mache ich das sehrgerne so.Lieber Herr Kollege Hunko, es ist in der Tat so, dassdie UNO-Vollversammlung den Zugang zu sauberemWasser als ein elementares Menschenrecht bezeichnethat. Dieser Auffassung schließt sich die Bundesregie-rung selbstverständlich an. Wir sind allerdings der Auf-fassung, dass der Zugang zu sauberem Wasser mitnich-ten nur durch öffentliche, staatliche Institutionengewährleistet werden kann. Kollege Tiefensee hat vorhinbeispielsweise die Rettungsdienste angesprochen; ichnenne ein anderes Beispiel: die Krankenhäuser. Es gibtein elementares Menschenrecht auf Gesundheit. Aberdeswegen betreiben wir nicht jeden Rettungsdienst undauch nicht jedes Krankenhaus in staatlicher Regie. Nie-mand zweifelt daran, dass der Zugang zu sauberem Was-ser ein elementares Menschenrecht ist.Aber ich bin Ihnen jedenfalls in einem Punkt sehrdankbar: Diese Bürgerinitiative, die in der Öffentlichkeitimmer so dargestellt wird, als wende sie sich gegen dieKonzessionsrichtlinie, strebt in Wahrheit eine Verände-
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27426 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
rung des rechtlichen Status an. Ich stelle klar: Durch dieKonzessionsrichtlinie erfolgt keine Veränderung des der-zeitigen Status; es erfolgt nur eine Klarstellung des be-stehenden rechtlichen Zustandes. Wer also eine Verände-rung des rechtlichen Zustandes möchte, das sinddiejenigen, die diese Bürgerinitiative unterstützen. Die-ser Auffassung kann man ja sein; Sie sind es mutmaß-lich. Nur, wir von der Bundesregierung sind nicht derAuffassung, dass das Menschenrecht auf Zugang zu sau-berem Wasser nur vom Staat und durch öffentliche Stel-len gewährleistet werden kann. Vielmehr sind wir derMeinung, dass es viele gute, hoch leistungsfähige, zu-verlässige private Wasserversorger in Deutschland undauch in anderen Ländern gibt.
Wir kommen nun zur Frage 4 des Kollegen Oliver
Krischer:
Wann wird das eigentlich für „Ende Dezember 2012“
Kurzgutachten bei der Prognos AG zur Ermittlung der Daten-
und Informationsgrundlagen zur Entwicklung eines Konzepts
für die nationale Umsetzung von Art. 7 der EU-Energieeffizi-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27427
(C)
(B)
eingebracht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
H
Meine Antwort: Eine Arbeitsgruppe der Koalitions-
fraktionen hat sich Ende Januar darauf verständigt, dass
die zuständigen Ressorts – es sind vier – der Arbeits-
gruppe Regelungsvorschläge zum Fracking bis zur Sit-
zungswoche vom 18. bis zum 22. Februar, also bis zum
Ende dieser Woche, vorlegen. Derzeit erarbeiten – genau
in diesem Moment; das weiß ich – das Bundesministe-
rium für Wirtschaft und Technologie sowie das Bundes-
ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit Regelungsvorschläge zur Änderung des
Wasserhaushaltsgesetzes – das wird vom BMU gemacht –
bzw. zur Änderung der UVP-Verordnung Bergbau – das
wird vom Bundeswirtschaftsministerium gemacht – auf-
grund der konkreten Vorstellungen und Anregungen der
Fraktionen. Dieser Prozess ist noch nicht abgeschlossen.
Dies ist ein sehr engagierter Zeitplan. In der nächsten
Woche haben wir wieder eine Sitzungswoche. Dann
werden Sie mit Sicherheit wissen, wie diese Vorschläge
aussehen. Bis zum Ende dieser Woche muss ich Sie lei-
der um Geduld bitten.
Und trotzdem hat der Kollege Oliver Krischer eine
Nachfrage.
H
Ich habe es befürchtet.
Wenn Sie bei diesem Thema immer so schnell arbei-
ten würden, wäre es schön. Wir hören seit zweieinhalb
Jahren immer wieder, es soll Gesetzesinitiativen bzw.
Gesetzesänderungen geben. Das haben wir schon von
verschiedenen Ministern gehört, die heute nicht mehr im
Amt sind, und am Ende ist nie etwas passiert. Deshalb
gestatten Sie mir eine Nachfrage. Ich erlebe jetzt den
Kollegen Altmaier, der sich zu diesem Thema sehr inten-
siv äußert und sogar ein generelles Fracking-Verbot in
die Debatte bringt, was ich mit den Koalitionsfraktionen
bisher gar nicht so sehr in Verbindung gebracht habe,
sondern eher mit anderen Teilen dieses Hauses.
Es wird unter anderem auch immer gesagt, Fracking
in Trinkwasserschutzgebieten solle verboten werden;
dies solle ein Teil der neuen Regelung sein. Nach meiner
Kenntnis gibt es in Deutschland drei Trinkwasserschutz-
zonen: I, II und III. In den Zonen I und II ist Fracking
nach gängiger Regelung ohnehin nicht zugelassen. Es
bliebe noch die Trinkwasserschutzzone III. Hier ist dies
in der Regel auch nicht zulässig oder nur unter bestimm-
ten Einschränkungen. Mich würde einfach interessieren:
Was planen Sie im Hinblick auf Trinkwasserschutzge-
biete im Detail?
H
Lieber Herr Kollege Krischer, ich habe das Gefühl,dass Sie bei meiner Antwort auf die erste Frage nichtaufmerksam zugehört haben. Ich habe Ihnen gesagt:Über die Details können wir frühestens in der nächstenWoche reden. – Ich möchte Ihnen auch sagen, dass HerrBundesumweltminister Altmaier keineswegs einem all-gemeinen Verbot von Fracking das Wort geredet hat; erhat nur gesagt: Wenn wir so hohe Anforderungen stellen,wie wir es momentan vorhaben, dann wird es sehrschwer werden, in Deutschland Fracking zu betreiben. –Das will ich so wiedergeben, obwohl ich nicht für HerrnAltmaier verantwortlich bin; das sind andere Kollegen.
Aber ich denke, dass man hier nicht stehen lassen kann,dass Herr Altmaier jemals von einem Verbot von Fra-cking in Deutschland gesprochen hat.
Metadaten/Kopzeile:
27428 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
– Er hatte ja nach London gefragt und nicht nachDeutschland.
Jetzt ist der Kollege Oliver Krischer dran. Jeder kann
sich noch melden; ich nehme das gerne auf. – Bitte
schön, Kollege Oliver Krischer.
Herr Staatssekretär Otto, da muss ich Ihnen leider wi-
dersprechen. Herr Altmaier hat laut einer Reuters-Mel-
dung vom 17. Februar wörtlich gesagt:
Wir sollten vor einem generellen Fracking-Verbot
nicht zurückschrecken …
Es gibt mehrere entsprechende Aussagen. Das heißt,
auch bei Herrn Altmaier spielt das offensichtlich eine
Rolle. Nun erleben wir es bei dem Herrn öfter, dass viel
angekündigt wird und nachher wenig dabei herum-
kommt; da kenne ich noch andere Beispiele.
Meine Frage ist: Wie steht die Bundesregierung denn
grundsätzlich zu der Thematik? Kann ich davon ausge-
hen, dass die Regelungen, an denen Sie jetzt arbeiten,
dazu führen sollen, dass Fracking in Deutschland grund-
sätzlich möglich ist, oder kann ich davon ausgehen, dass
am Ende tatsächlich eher eine Einschränkung vorgenom-
men wird – wie auch immer man sie vornimmt; man
muss nicht von einem generellen Verbot sprechen –, die
so weit geht, dass kein Fracking stattfindet? Sie müssten
da schon eine Grundtendenz nennen können.
H
Lieber Herr Kollege Krischer, Sie fragen nicht nach
den Details; generell kann ich Ihnen sagen, dass es nach
dem Meinungsstand der Arbeitsgruppen, die aktuell ta-
gen, darauf hinausläuft, eine sehr eingeschränkte, ver-
antwortungsbewusste Nutzung von Fracking unter be-
stimmten Voraussetzungen zuzulassen.
Nachdem Sie es schon der Presse entnommen haben,
kann ich bestätigen, dass wir darüber nachdenken, bei
allen Vorhaben eine Umweltverträglichkeitsprüfung
durchführen zu lassen, und wir in der Tat prüfen, wie es
sich mit Wasserschutzgebieten verhält; Sie haben es
eben schon angesprochen. Das sind die beiden zentralen
Punkte: Umweltverträglichkeitsprüfung und Verträglich-
keit des Frackings mit Wasserschutzgebieten.
Ich kann Ihnen – das hatte ich Ihnen schon gesagt –
auch beim besten Willen wirklich nicht mehr als das sa-
gen, weil es sich im Moment noch in der Abstimmung
befindet. Aber ich glaube, ich kann Ihnen ankündigen,
dass wir in der kommenden Sitzungswoche, die auch die
kommende Kalenderwoche ist, sprechfähig sein werden.
Zusatzfrage unserer Kollegin Frau Dorothea Steiner.
Herr Staatssekretär Otto, Ihre Formulierung – Sie
streben eine „sehr eingeschränkte, verantwortungsbe-
wusste Nutzung“ an – bringt mich zu der Frage: Wie
kann denn bei den Kenntnissen, die wir über Auswirkun-
gen des Frackens und über seine Einwirkung auf den Bo-
den haben, eine eingeschränkte, aber verantwortungs-
volle Nutzung möglich sein? Glauben Sie, dass Sie eine
solche Form der Nutzung über eine UVP erreichen kön-
nen? UVP können auch das Ergebnis haben, dass man
überhaupt nichts vornehmen darf. Was heißt hier „ver-
antwortungsbewusst“? Das ist eine Grundsatzfrage und
keine Detailfrage; es sollte sicherlich möglich sein, da-
rauf eine Antwort zu geben.
H
Liebe Frau Kollegin Steiner, Ihnen ist sicherlich be-
kannt, dass in Deutschland bereits jetzt, in diesem Mo-
ment, und schon seit Jahrzehnten Fracking betrieben
wird. Es ist also nicht so, dass wir jetzt die Möglichkeit
eröffnen müssten. Im Gegenteil: Wir wissen um die Ge-
fahren und handeln im Hinblick auf den Schutz des
Trinkwassers und der Umwelt verantwortungsbewusst.
Wir überlegen uns zusätzliche Regeln hinsichtlich der
Frage, unter welchen Bedingungen Fracking stattfinden
oder eben nicht stattfinden darf. Es ist nicht so, dass wir
das liberalisieren. Im Gegenteil ist es so, dass wir zusätz-
liche Regelungen schaffen.
Nein, Frau Steiner. Der Kollege Ralph Lenkert hat
sich jetzt gemeldet. – Bitte.
Die Linke ist gegen jede Form von Fracking in konven-
tionellen Erdgaslagerstätten.
Ich möchte Ihnen folgende Frage stellen. Sie sprachen
vorhin an, dass das Wirtschaftsministerium plant, das
Bergrecht zu verändern. Im aktuellen Bergrecht ist die
Möglichkeit vorgesehen, dass per Verordnung ein Fonds
eingerichtet wird, der im Falle der Nichtzahlungsfähig-
keit des betroffenen Bergbauunternehmens bei größeren
Umweltschäden einspringt. Planen Sie im Zusammen-
hang mit Ihren Überlegungen zum Fracking, endlich ei-
nen solchen Fonds einzurichten, damit die Möglichkeit
besteht, im Schadensfall die Betroffenen zu entschädi-
gen, falls das Bergbauunternehmen nicht zahlen kann?
H
Lieber Herr Kollege, ich habe eben schon dem Kol-legen Krischer sehr deutlich gesagt, dass es unverant-wortlich wäre, Wasserstandsmeldungen über laufende
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27429
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
Abstimmungsgespräche zu übermitteln. Das betrifft Fra-cking. Ihre Frage zielt allerdings weit darüber hinaus.Ich darf Sie bitten, für die nächste Sitzungswoche eineentsprechende Frage vorzubereiten, dann werden wir Ih-nen darauf auch eine Antwort geben. Einfach so, aus derHüfte geschossen, zu sagen, was wir in den nächstenzehn Jahren vielleicht alles machen, das scheint mirnicht seriös zu sein. Ich möchte Sie anregen: Stellen SieIhre Frage in mündlicher oder schriftlicher Form, dannbekommen Sie auch eine seriöse Antwort.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Frau Kollegin Steiner, bitte.
Herr Staatssekretär Otto, Sie haben sich zwar gerade
etwas unverbindlich und beliebig ausgedrückt, dennoch
stelle ich fest, dass Sie zwei Bedingungen genannt ha-
ben, die gegeben sein müssen, um Fracking einzuschrän-
ken bzw. zu verhindern. Im Umkehrschluss heißt das
aber: Alles andere ist erlaubt. Das heißt, Sie wollen Fra-
cking im großen Maßstab zulassen bzw. alles beim der-
zeitigen Umfang belassen. Aber so viel zugelassenes
Fracking, wie Sie das gerade unterstellt haben, gibt es
nicht. Es gibt vielerorts Moratorien. Wir wissen, welche
Folgen verantwortungsloses Handeln hat und fragen uns
daher: Was wird sich ändern, wenn Sie Fracking doch
weiterhin zulassen wollen?
H
Liebe Frau Kollegin, ich überlasse das Ihrem Urteil.
Ich schließe mich dem nicht an, dass ich Ihnen unver-
bindlich und unkonkret geantwortet habe. Vielmehr
möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass ich Ih-
nen sogar erste Antworten und Einschätzungen auf Fra-
gen gebe, die im Moment eigentlich überhaupt noch
nicht zu beantworten sind. Ich hätte mich zurückziehen
können und sagen: Die Kollegen tagen im Moment, also
gibt es überhaupt keine Antwort.
Ich meine, dass ich sehr viel konkreter bin, wenn ich
Ihnen sage: Wir arbeiten konkret an der Umweltverträg-
lichkeitsprüfung und an der Frage, inwieweit Wasser-
schutzzonen zu beachten sind. Liebe Frau Kollegin,
schon allein deswegen, weil ich den Kollegen Altmaier
sehr schätze, wäre ich doch mit dem Klammerbeutel ge-
pudert, wenn ich Ihnen hier definitiv sagen würde: Es
gibt kein Moratorium, es gibt kein Verbot und Ähnli-
ches. Ich kann Ihnen nur sagen, wie der momentane
Stand der Dinge ist.
Die Fraktionen haben sich in anderer Weise geäußert.
Aber warten wir doch alle einmal ab, wie sich die Fach-
leute, die im Moment darüber beraten, entscheiden wer-
den. Ob ein Moratorium oder ein Verbot herauskommt
oder ob es eher, wie Sie es eben beschrieben haben, auf
strengere Voraussetzungen hinausläuft, das weiß ich
nicht. Ich lege aber Wert darauf, festzuhalten: Wir stellen
auf jeden Fall zusätzliche Anforderungen an die Durch-
führung von Fracking in Deutschland. Von Ihnen wird
manchmal der Eindruck erweckt, als ob wir jetzt alles li-
beralisieren oder freigeben. Wir wissen, dass Fracking
eine sehr problematische, nur mit großem Verantwor-
tungsbewusstsein zu betreibende Abbaumethode ist, und
dementsprechend werden wir uns auch verhalten.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir fahren mit un-
serer Liste fort.
Ich rufe die Frage 6 des Kollegen Andrej Hunko auf:
Inwiefern hat sich die Bundesregierung auf EU-Ebene da-
für eingesetzt, die Privatisierung der Trinkwasserversorgung
zu verbieten, und sieht sie die in den Richtlinienvorschlägen
der EU-Kommission zur öffentlichen Auftragsvergabe
vorgese-
hene Möglichkeit zur Privatisierung der Trinkwasserversor-
gung in Widerspruch zur Resolution 64/292 der UNO-Voll-
versammlung vom 28. Juli 2010, die den Zugang zu sauberem
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
H
Lieber Herr Präsident, ich hatte vorhin schon auf eineähnliche Frage des Kollegen Hunko geantwortet: DieBundesregierung setzt sich auf EU-Ebene, namentlichbei der Konzessionsrichtlinie, dafür ein, dass das kom-munale Selbstverwaltungsrecht gestärkt wird. Das heißt,wir legen es in die Hand der einzelnen Kommune, ob siedie Wasserversorgung in eigener Hand, durch Eigenbe-triebe, in Form einer GmbH oder Ähnliches betreibt,oder ob sie sich dafür, ganz oder teilweise, privater Un-ternehmen bedient. Jede Maßnahme, die es verbietet, dieTrinkwasserversorgung in private Hände zu legen, wäreeine unter Umständen sogar verfassungsrechtlich frag-würdige Einschränkung des kommunalen Selbstverwal-tungsrechts. Das, lieber Herr Kollege Hunko, mögen Siebitte auch bedenken.Ihre Frage dazu, dass die Vollversammlung der Ver-einten Nationen den Zugang zu sauberem Wasser als einelementares Menschenrecht bezeichnet hat, habe ichauch schon beantwortet. Ich möchte das hier aber nocheinmal klarstellen: Wir teilen als Bundesregierung ohneWenn und Aber diesen Beschluss; aber wir sind der Mei-nung, dass wir jedenfalls in Deutschland – so weit kön-nen wir das als Bundesregierung beurteilen – einen Zu-gang zu sauberem Wasser auch dort gewährleistenkönnen, wo private Anbieter entweder zusammen mit ei-nem öffentlichen Anbieter oder allein die Wasserversor-gung betreiben. Hier liegt also keine Gefährdung vor.
Metadaten/Kopzeile:
27430 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
– Frau Kollegin Enkelmann, ich lege Wert darauf, dassauch nach dem Beschluss der Vereinten Nationen es deneinzelnen Vertragsstaaten ausdrücklich überlassenbleibt, wie sie eine funktionierende Wasserinfrastrukturschaffen und wie sie die Versorgung mit sauberemTrinkwasser in der Zukunft vorschreiben. Es ist alsonicht so, dass die Vollversammlung der Vereinten Natio-nen uns dazu zwingt oder auch nur an uns appelliert,dass wir die Wasserversorgung in staatliche bzw. kom-munale Hand nehmen. Das ist nicht der Fall.
Herr Kollege Hunko, Sie haben eine Nachfrage.
Herr Kollege Otto, ich würde gerne noch einmal auf
den ersten Teil meiner Frage eingehen. Wir haben da-
rüber eben schon relativ ausführlich diskutiert, aber ich
habe doch noch eine Nachfrage dazu. Sie sagten, dass
Sie die Wasserversorgung in die Hand der Kommunen
– kommunale Selbstverwaltung – legen, dass die Kom-
munen völlig frei seien in der Entscheidung, ob sie die
Wasserversorgung in öffentlicher Hand behalten oder in
private Hände geben wollen, wofür dann jedoch eine
europaweite Ausschreibung zwingend vorgeschrieben
sei. Mit Blick auf die Schuldenbremse, auf den Fiskal-
pakt, der die Handlungsfähigkeit der Kommunen in den
nächsten Jahren weiter einschränken wird, möchte ich
nachfragen: Für wie realistisch halten Sie es angesichts
der Finanzsituation der Kommunen – ich komme aus
NRW, dort sind sehr viele Kommunen in Finanznot –,
dass die Kommunen tatsächlich eine freie Entscheidung
treffen können? Ist nicht doch ein ökonomischer Druck,
eine Druckkulisse aufgebaut worden, die letztendlich zur
Privatisierung führt?
H
Lieber Kollege Hunko, ich bin außerordentlich über-
rascht, dass ausgerechnet aus Ihrer Fraktion diese Frage
kommt; denn ich kann mich noch sehr genau daran erin-
nern, dass die Linksfraktion in Hamburg und anderen
Städten die Rekommunalisierung von Stromversor-
gungsnetzen forderte.
Das heißt, dass es den Kommunen auch in Zeiten der
Schuldenbremse und angesichts ihrer finanziellen Pro-
bleme möglich ist – auch Hamburg ist eine Kommune –,
das Rad zurückzudrehen, also nicht stärker der privaten
Seite zuzuneigen, sondern für Hunderte von Millionen
Euro ein Netz zurückzukaufen.
Das beweist doch, dass es keinen zwangsläufigen Me-
chanismus gibt, dass eine Kommune gezwungen wird,
die Wasserversorgung zu privatisieren. Es ist im Gegen-
teil sogar so: Die kommunale Wasserversorgung wird in
den allermeisten Fällen von den Kommunen so betrie-
ben, dass dabei ein gewisser Gewinn herausspringt.
Wenn eine Kommune die kommunale Wasserversorgung
gut organisiert betreibt, besteht also überhaupt kein
Grund, sie zu veräußern. Wenn sie das erfolgreich betrei-
ben, dann sollen sie das auch weiter betreiben.
Klare Feststellung: Die Bundesregierung zwingt
keine Kommune, irgendetwas zu privatisieren. Wir sa-
gen nur: Wenn sie privatisieren, dann müssen sie ein fai-
res, transparentes und diskriminierungsfreies Verfahren
anwenden.
Wollen Sie die Möglichkeit der zweiten Nachfrage
nutzen? – Bitte schön.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär Otto, ich will das,
was Sie gesagt haben, jetzt nicht kommentieren. Bei der
Frage, was als vorwärts- und was als rückwärtsgerichtet
angesehen wird, haben wir einfach gegensätzliche Auf-
fassungen. Wir betrachten öffentliches Eigentum gerade
im Bereich der Daseinsvorsorge als etwas, was nach
vorne gerichtet ist. Darauf will ich jetzt aber nicht näher
eingehen.
Ich will noch einmal auf die von Ihnen erwähnte
UNO-Resolution eingehen und dazu eine Nachfrage
stellen. Ich sage an dieser Stelle, dass ich froh bin, dass
Deutschland das mit unterstützt hat. Darin heißt es:
Die Generalversammlung …
– der UNO –
erkennt das Recht auf einwandfreies und sauberes
Trinkwasser und Sanitärversorgung als ein Men-
schenrecht an …
Später heißt es weiter: Sie fordert die Staaten und inter-
nationalen Organisationen auf, insbesondere für die Ent-
wicklungsländer Sorge zu tragen,
die Anstrengungen zur Bereitstellung von einwand-
freiem, sauberem, zugänglichem und erschwingli-
chem Trinkwasser und zur Sanitärversorgung für
alle zu verstärken.
Es gibt Erfahrungen mit privaten Anbietern hier in
Berlin, in London – das ist eben erwähnt worden – und
in vielen anderen Städten. Nach der Privatisierung sind
die Preise schnell gestiegen, wodurch die Erschwing-
lichkeit des Trinkwassers reduziert wurde.
Meine Frage lautet: Sehen Sie nicht die Gefahr, dass
diese UNO-Resolution, der Sie zugestimmt haben, durch
das, was Sie als „vorwärts“ bezeichnen, verletzt wird?
H
Nein, Herr Kollege Hunko. Die Bundesregierung ver-fügt über keinerlei Erkenntnisse, dass eine Wasserver-sorgung durch private Unternehmen generell teurer oderschlechter als durch kommunale Unternehmen ist. Das
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27431
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
entspricht auch der Stellungnahme des Verbandes kom-munaler Unternehmen.Man kann auch nach den Erfahrungen, die wir inDeutschland machen, nicht generell sagen: Eine Dienst-leistung, die von der öffentlichen Hand erbracht wird, istautomatisch besser und billiger als eine Dienstleistung,die von privater Hand erbracht wird.
Deswegen sehe ich überhaupt keinen Widerspruch zudieser von der Vollversammlung der Vereinten Nationenbeschlossenen Resolution zum Grundrecht auf freienZugang zu Trinkwasser. Das wird bei uns gewährleistet.Das Wasser ist in Deutschland generell sehr er-schwinglich, und die Preise sind in den letzten Jahrenauch nicht signifikant angestiegen. Das ist in anderenBereichen der Daseinsvorsorge völlig anders. Daher be-steht kein Anlass, daran zu zweifeln, dass die deutschenBürgerinnen und Bürger einen Zugang zu sauberemWasser zu erschwinglichen Preisen haben. Das ist ge-währleistet.
Jetzt komme ich zu weiteren Nachfragen zu diesem
Themenbereich: zunächst vom Kollegen Ralph Lenkert,
dann von der Kollegin Dagmar Enkelmann.
Herr Staatssekretär, die UN-Resolution betrachtet den
ungehinderten Zugang zu Trinkwasser als Menschen-
recht – so ebenfalls die Sicht der EU und auch unsere
Sicht.
Mich bewegt eine Frage. Sie haben vorhin bei der
Antwort auf eine andere Frage geäußert, dass Sie selbst
nie Wasser aus der Leitung trinken. Das Ministerium für
Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz er-
klärt regelmäßig, dass Trinkwasser aus der Leitung eines
der besten und am besten überprüften Lebensmittel in
unserem Land ist.
H
Schön.
In Großbritannien und in anderen Ländern ist es mit
einem gewissen Risiko verbunden, Leitungswasser zu
trinken.
Das war nicht immer so. Vor der Privatisierung waren die
Zustände dort anders. Das heißt: Es gibt durchaus Bei-
spiele auf dieser Welt und auch innerhalb der EU, die
nachweisen, dass die Trinkwasserqualität deutlich schlech-
ter geworden ist, nachdem eine Privatisierung stattgefun-
den hat.
Ich frage die Bundesregierung deshalb, wieso sie die
Erfahrung aus anderen Ländern einfach ausblendet.
H
Lieber Herr Kollege, die Bundesregierung wertet die
Erfahrungen aus Deutschland aus. In Deutschland haben
wir in großem Umfang auch private und gemischte – öf-
fentlich-rechtliche und private – Anbieter. Wir haben ein
hervorragendes Niveau.
Ich könnte ja Leitungswasser trinken; ich werde mir
aufgrund Ihres Ratschlags überlegen, ob ich nicht doch
Leitungswasser trinke, damit die Linken zufrieden sind.
Aber Spaß beiseite: Wir haben in Deutschland – das
ist unstreitig – ein hervorragendes Niveau der Wasser-
versorgung. Wir haben das erreicht, indem die Kommu-
nen darüber entscheiden, wie sie das organisieren.
Es gibt überhaupt keine Veranlassung, das kommunale
Selbstverwaltungsrecht einzuschränken, die Kommunen
zu zwingen, ihre Wasserversorgung in die eigene Hand
zu nehmen, obwohl sie vielleicht seit Jahrzehnten mit ei-
nem privaten Versorger gut zusammenarbeiten.
Sie müssen sich auch unter Demokratiegesichtspunk-
ten einmal die Frage stellen: Ist das denn so demokra-
tisch, wenn man hier in Berlin beschließt, dass alle Kom-
munen das so und so zu machen haben – egal, wie das
vor Ort geregelt ist? Haben Sie doch Vertrauen zu Ihren
Kommunalpolitikern. Sie sollen entscheiden, wie sie es
am besten machen. Die Bundesregierung sieht keine
Veranlassung dazu, hier einzugreifen.
Ein Letztes. Die Bundesregierung hat keine Informa-
tionen darüber, dass die Übertragung der Wasserversor-
gung auf einen privaten Versorger zu einem Qualitätsab-
fall und zu einem Preisanstieg führt. Diese Erkenntnisse
gibt es nicht; jedenfalls haben wir diese Erkenntnisse
nicht. Wie es in London ist, kann ich hier nicht abschlie-
ßend beurteilen; aber es gibt sicherlich auch Fälle in an-
deren europäischen Ländern.
– Braunschweig. Jetzt ruft hier jeder etwas dazwischen.
Ich könnte jetzt genauso gut Hinterbasewinkel rufen.
– Liebe Kollegen, ganz ruhig.
So, Sie kommen jetzt bitte zum Ende der Beantwor-tung dieser Frage, Herr Staatssekretär.
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27432 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
(C)
(B)
H
Die Bundesregierung hat keine gesicherten oder sons-
tigen Informationen darüber, dass die Privatisierung der
Wasserversorgung zwangsläufig dazu führt, dass das
Wasser schlechter und der Preis höher wird.
Jetzt hat Frau Kollegin Dagmar Enkelmann noch eine
Nachfrage zu diesem Themenkomplex. Dann geht es
weiter.
Herr Staatssekretär, da Sie FDP-Mitglied sind, erklärt
sich natürlich für jeden die Wettbewerbshörigkeit, die
Sie hier durchschimmern lassen. Aber Sie sind Mitglied
der Bundesregierung und antworten hier als Mitglied der
Bundesregierung. Vorhin war meine Frage, ob die Bun-
desregierung die Folgen einer möglichen Privatisierung
der Wasserversorgung geprüft hat, die Folgen für die
Bürgerinnen und Bürger und insbesondere die Frage der
Bezahlbarkeit des öffentlichen Guts Wasser.
Ich stelle die Frage noch einmal. Wir reden hier nicht
nur über Qualität, sondern auch darüber, dass das öffent-
liche Gut Wasser auch künftig für alle bezahlbar sein
soll. Ist dies von der Bundesregierung ausreichend ge-
prüft worden, und kann sie vor diesem Hintergrund
möglicherweise verstehen, weshalb es Rekommunalisie-
rungen von zum Beispiel Stromnetzen gibt, damit das
öffentliche Gut Strom bzw. Energie künftig für alle be-
zahlbar ist?
H
Liebe Frau Kollegin Enkelmann, damit wir uns rich-
tig verstehen: Ich bin auf jeden Fall nicht mehr wettbe-
werbshörig, als Sie staatshörig sind.
Zu Ihrer Frage will ich klarstellen: Die Bundesregie-
rung hat keine über den allgemeinen Anlass hinausge-
hende Veranlassung, über die Folgen der Privatisierung
von Trinkwasserversorgung nachzudenken. Denn nach
unserer Überzeugung wird durch die Konzessionsrichtli-
nie kein Zwang zur Privatisierung ausgeübt. Im Gegen-
teil: Dadurch werden klare und harte Regeln geschaffen.
Wenn man an einen Privaten überträgt, muss man ein
Vergabeverfahren durchlaufen.
Bitte denken Sie daran: Das Vergabeverfahren ist eine
gewisse Schranke. Es ist sehr viel einfacher, die Versor-
gung auf einen anderen öffentlich-rechtlichen Träger zu
übertragen; da brauche ich kein Vergabeverfahren zu
starten. Wenn wir in der innerdeutschen Umsetzung die-
ser Richtlinie, wenn sie denn kommt, dafür sorgen, dass
ein hartes Vergabeverfahren stattfinden muss, dann ist
das doch eher eine Schranke als eine Öffnung für Priva-
tisierung.
Seien Sie doch offen, Frau Enkelmann, so wie Kol-
lege Hunko. Ihnen geht es nicht um die Konzessions-
richtlinie, sondern allein darum, dass Sie den Kommu-
nen verbieten wollen, die Wasserversorgung zukünftig
von privaten Trägern betreiben zu lassen. Das ist Ihr An-
liegen. Kollege Hunko hat das sehr offen gesagt. Ich
finde, Sie sollten jetzt nicht auf die Konzessionsrichtli-
nie verweisen. Die Konzessionsrichtlinie ändert nichts
daran. Sie basiert auf geltendem Recht.
Es ist doch nicht so, dass dort in Deutschland, wo die
Wasserversorgung durch private Betreiber erfolgt, der
Notstand ausgebrochen ist und die Preise wesentlich hö-
her sind. Das ist nicht der Fall. Ich will mich auch ge-
genüber der Kritik an den seriösen und erfolgreichen
Wasserversorgungsunternehmen in Deutschland verwah-
ren, die zum Teil in privater Hand sind. Sie stellen es
hier so dar, als ob dort Kloake aus dem Wasserhahn
komme. Das ist doch nicht der Fall.
– Doch, Sie haben gesagt, welche Folgen es hat, wenn
die Wasserversorgung privatisiert wird. – Wir haben in
Deutschland eine zum Teil privatisierte Wasserversor-
gung, und das hat zu einem hohen Niveau und zu hoher
Qualität geführt.
Ich bitte, die Zeit einzuhalten.
H
Ich bin fertig.
Jetzt Kollege Wolfgang Tiefensee mit noch einer
Nachfrage zu diesem Fragenkomplex.
Das ist ein spannendes Thema. Deshalb, Herr Staats-sekretär, gestatte ich mir noch einen Hinweis. Ich be-mühe mich, dies nicht unbedingt in eine Frage zu klei-den.Meiner Ansicht nach, Herr Otto, sind Sie auf dem fal-schen Dampfer, und zwar aus folgendem Grund: MeinThema ist nicht so sehr, ob wir privatisieren oder nicht– denn es gibt in Deutschland eine privatisierte bzw. teil-privatisierte Wasserversorgung –,
sondern das Thema ist, dass durch die Konzessionsricht-linie ein bewährtes Verfahren verändert wird. Der Wett-bewerb, der bisher subsidiär in den Kommunen stattfandund bei dem natürlich alle in Deutschland geltendenAusschreibungsregelungen beachtet werden mussten,wird jetzt in einen europäischen Kontext gestellt, in den
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27433
Wolfgang Tiefensee
(C)
(B)
Kontext eines Wettbewerbsrechts, das weit über die Auf-gaben der öffentlichen Daseinsvorsorge hinausgeht.Ich weiß aus meinen früheren Funktionen – Stich-wort: Vergabe von Transportleistungen an Busunterneh-men –, dass wir in Deutschland ein völlig anderes Sys-tem der Daseinsvorsorge haben. Mir leuchtet nicht ein,warum wir ein bewährtes System ungefragt und ohneNot aufgeben, nur weil es zufälligerweise in die Konzes-sionsrichtlinie aufgenommen worden ist. Deshalb meineFrage – um meine Ausführungen in eine Frage zu klei-den, Herr Präsident –: Sehen Sie nicht vielmehr die Not-wendigkeit, das bestehende Verfahren und damit diesubsidiäre Zuordnung dieser Aufgabe an die Kommunenso zu erhalten, wie es sich in der Vergangenheit bewährthat?H
Lieber Herr Kollege Tiefensee, allein deshalb, weil
Sie jetzt in die erste Reihe Ihrer Fraktion aufgerückt
sind, sind Sie noch nicht automatisch auf dem richtigen
und bin ich nicht automatisch auf dem falschen Damp-
fer.
Darf ich Sie darauf hinweisen – da kenne ich mich
aus; ich habe als Anwalt in diesem Bereich gearbeitet –,
dass der Europäische Gerichtshof die Vergabe von
Dienstleistungskonzessionen bereits seit vielen, vielen
Jahren, seit mehr als zehn Jahren, sowieso per Richter-
recht dem Zwang zu einem transparenten, diskriminie-
rungsfreien Verfahren unterwirft?
Ich selbst war als Anwalt an einer entsprechenden
Entscheidung beteiligt; ich weiß, wovon ich rede. Beim
Europäischen Gerichtshof hat es eine Fülle von Verfah-
ren gegeben. Der Wunsch der Kommission ist, hier
Rechtsklarheit herbeizuführen. Es ist nicht der Wunsch
der Kommission, irgendetwas zu verändern und eine
neue Wettbewerbssituation zu schaffen, sondern ihr
Wunsch ist, für die durch die Rechtsprechung des Euro-
päischen Gerichtshofes seit über zehn Jahren bestehende
Situation einen Ordnungsrahmen vorzugeben, damit je-
der weiß, woran er ist. Deswegen, lieber Herr Kollege
Tiefensee, sage ich Ihnen – auch wenn ich Maritimer
Koordinator bin –: Lassen Sie das mit dem Dampfer!
Ich möchte alle Kollegen, die gutwillig sind – das un-
terstelle ich allen –, herzlich einladen: Lesen Sie die
Konzessionsrichtlinie und schauen Sie sich an, wie die
bisherige Rechtslage war! Dann werden Sie feststellen,
dass durch die Konzessionsrichtlinie praktisch nichts ge-
ändert wird, dass aber – umgekehrt – einige, die diese
Bürgerinitiative unterstützen, den derzeitigen Zustand
offensichtlich verändern und das kommunale Selbstver-
waltungsrecht einschränken wollen. Ob Sie das wollen,
lieber Herr Kollege Tiefensee, mögen Sie selber ent-
scheiden. Dazu, auf welchem Dampfer sich wer von uns
befindet, komme ich bei späterer Gelegenheit.
Jetzt kommen wir zur Frage 7 unserer Kollegin Rita
Schwarzelühr-Sutter:
Wie möchte das Bundesministerium für Wirtschaft und
Technologie die Aussagen aus dem Koalitionsvertrag zwi-
schen CDU, CSU und FDP umsetzen, wonach 2020 1 Mil-
lion Elektrofahrzeuge auf die Straßen gebracht werden soll
und Deutschland zum Leitmarkt für Elektromobilität wird,
angesichts des aktuellen Bestandes von rund 69 000 Hybrid-
und 7 500 reinen Elektroautos bei 43 Millionen Pkw?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
H
Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Frau Kollegin,das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologiearbeitet gemeinsam mit den anderen zuständigen Res-sorts – dem Verkehrsministerium, dem Umweltministe-rium und dem BMBF, also dem Bundesministerium fürBildung und Forschung – mit großer Intensität an derUmsetzung des „Regierungsprogramms Elektromobili-tät“. Gemäß der Nationalen Plattform Elektromobilitätbefindet sich Deutschland derzeit in einer Marktvorbe-reitungsphase. Die deutschen Automobilhersteller wer-den in der Marktvorbereitungsphase in der Lage sein,über 15 neue elektrifizierte Fahrzeugmodelle für denVerkauf anzubieten; diese Fahrzeuge – die ersten sind jaschon auf dem Markt – werden schrittweise angeboten.Der sich anschließende Markthochlauf ist bis zum Jahre2017 avisiert, und mit Elektromobilität als Massenmarktist dann bis 2020 zu rechnen.Die Bundesregierung liegt bei der Umsetzung des Re-gierungsprogramms im Zeitplan. Die Bundesregierungsetzt die Rahmenbedingungen – nur das ist unsere Auf-gabe – so, dass die Elektromobilität eine Chance hat,sich im globalen Wettbewerb zu entwickeln. Die Ent-wicklung muss aber – da sind wir uns hoffentlich einig –vom Markt getragen werden. Um dies zu erleichtern,wurde die Kraftfahrzeugsteuer zum 1. Januar 2013, alsozum Anfang dieses Jahres, reformiert. Die Änderung derBesteuerung von Dienstwagen befindet sich noch im Ge-setzgebungsverfahren; sie war Teil des Jahressteuerge-setzes 2013. Sie erinnern sich, dass die rot-grün regiertenLänder dieses Gesetz gestoppt haben.Im Mittelpunkt des Regierungsprogramms steht dieForschungsförderung. Die zuständigen Ressorts fördernElektromobilität im Rahmen des weltweit einzigartigenProgramms „Schaufenster Elektromobilität“. Zudem fi-nanziert das Bundesministerium für Wirtschaft undTechnologie im Rahmen seiner Ressortforschung mitgroßer Intensität und großen Volumina eine Vielzahl vonForschungs- und Entwicklungsarbeiten auf dem Gebietder Elektromobilität.Die Bundesregierung ist zuversichtlich, dass derStandort Deutschland mit der Umsetzung des Maßnah-menbündels einen entscheidenden Schritt dabei voran-kommt, Deutschland bis zum Jahr 2020 nicht nur zu ei-nem Leitmarkt, sondern auch zu einem Leitanbieter fürElektromobilität werden zu lassen.
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27434 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
(C)
(B)
Die Kollegin hat eine Nachfrage.
Sehr geehrter Herr Staatssekretär, im vergangenen
Jahr waren in Deutschland gerade einmal knapp 70 000
Elektrofahrzeuge zugelassen, und die Zahl der Neuzu-
lassungen hat die Zahl 3 000 nicht erreicht. Da ist es
schon sehr ambitioniert, zu sagen: Wir sind im Zeitplan.
Neue Maßnahmen sind nicht erkennbar. Inwieweit
versuchen Sie – auch durch Anreize für Verbraucher –,
die Elektromobilität zu fördern? Auf europäischer Ebene
wird überlegt, der Automobilindustrie mit Super Credits
entgegenzukommen. Wo ist der Zusammenhang mit dem
Verbraucher, und wie soll in Zukunft mehr Elektromobi-
lität vorangebracht werden?
H
Liebe Frau Kollegin Schwarzelühr-Sutter, ich habe
gesagt, dass die Bundesregierung mit ihren Maßnahmen
im Zeitplan ist. Es ist nicht unsere Aufgabe, den Markt
zu manipulieren oder in den Markt einzugreifen. Meine
Aussage zum Zeitplan ist also zu trennen von der Frage,
wie viele Elektroautos momentan auf den Straßen sind.
Ich bitte, das gedanklich zu trennen.
Neben den Forschungsvorhaben, dem „Schaufenster
Elektromobilität“, den Fördermaßnahmen setzen wir
– ich habe das schon gesagt – auch Anreize. Wir haben
bereits gehandelt: Seit dem 1. Januar 2013 entfällt die
Kraftfahrzeugsteuer für Elektrofahrzeuge für einen
langen Zeitraum. Wenn die von Ihnen geführten Länder-
regierungen dazu beitrügen, dass das Jahressteuergesetz
2013 doch noch käme, wären wir im Hinblick auf die
Dienstwagen auch ein Stück weiter; dann würde ein wei-
terer Anreiz gesetzt.
Wir sind aber skeptisch, ob es sinnvoll wäre, nachdem
wir eine Abwrackprämie in Milliardenhöhe gezahlt ha-
ben, jetzt auch noch eine Anschaffungsprämie zu zahlen.
Das wäre sozial bedenklich. Einige Menschen in
Deutschland sind nämlich überhaupt nicht in der Lage,
sich ein Auto anzuschaffen. Sie müssten dann aber dazu
beitragen, dass sich andere Leute ein schickes Elektro-
auto kaufen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass eine solche
Anschaffungsprämie unter dem Gesichtspunkt der Ge-
rechtigkeit, aber natürlich auch unter ordnungspoliti-
schen Gesichtspunkten zurzeit nicht angedacht wird.
Die Kollegin hat eine zweite Nachfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, Sie haben das Stichwort „soziale
Gerechtigkeit“ angesprochen. Ich habe überhaupt nicht
an Anreize in Form einer Kaufprämie gedacht.
H
Doch, doch! Das habe ich Ihren Ausführungen so ent-
nommen.
Es gibt ja auch andere Anreize. Zum Beispiel weiß
man, dass das Elektroauto in Mobilitätskonzepte einge-
bettet sein muss.
H
Ja!
Was hat die Bundesregierung da in ihrem Instrumen-
tenkasten, und was davon hat sie auf den Weg gebracht
bzw. gedenkt sie noch auf den Weg zu bringen? Sie
sagen einerseits: Unser Ziel sind 1 Million Elektroautos
bis 2020. – Abgesehen von etwas Forschungsförderung
geben Sie aber keine weiteren Anreize. Daher möchte
ich doch noch einmal in Richtung Mobilitätskonzepte
inklusive E-Mobilität fragen.
H
Liebe Frau Kollegin, was die Zahlen angeht, bitte ich,
dass Sie sich vor Augen halten, dass wir uns in der
Marktvorbereitungsphase befinden. Natürlich haben wir
die 1 Million Elektroautos noch nicht erreicht; diese
Zahl ist ja bis 2020 terminiert.
Zum Zweiten möchte ich sagen: Natürlich denken wir
auch über Anreize nichtmonetärer Art nach. Zum Bei-
spiel gibt es in vielen Parkhäusern schon Extraparkplätze
und Ladestationen für Elektrofahrzeuge. Zum Beispiel
fördern viele Kommunen Carsharing-Projekte, und viele
Kommunen haben ihre Fahrzeugflotte teilweise auf
Elektrofahrzeuge umgestellt.
Wir werden auch, liebe Frau Kollegin Schwarzelühr-
Sutter, darüber sprechen können, ob wir eines Tages
– auch das sind Modelle, über die man diskutiert – durch
Änderungen der Straßenverkehrsordnung möglicher-
weise gewisse Anreize für Elektrofahrzeuge schaffen.
Dies alles sind legitime Überlegungen, über die wir,
wenn wir in die Marktsituation hineinkommen – wir sind
jetzt noch in der Marktvorbereitungsphase –, miteinan-
der diskutieren können. Da sind wir nicht vernagelt. Wir
diskutieren in der Tat ganz praktische Modelle – beim
Parken, mit Linien, durch Änderungen in der Straßen-
verkehrsordnung –, um dort Anreize zu setzen. Das ist
legitim, aber in der jetzigen Phase noch nicht angesagt.
Damit sind wir bei Frage 8 des Kollegen Tiefensee:Wie stimmt die Aussage im Koalitionsvertrag zwischenCDU, CSU und FDP, die KfW Bankengruppe mit ihren Kern-aufgaben als Mittelstandsbank zu stärken, mit der angestreb-ten Gewinnausschüttung überein, wie sie auch im Jahreswirt-schaftsbericht thematisiert wird?Herr Staatssekretär.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27435
(C)
(B)
H
Lieber Herr Kollege Tiefensee, wie Sie wissen – und
was Sie hoffentlich auch unterstützen werden –, ist die
Förderung des Mittelstandes eine gesetzlich definierte
Kernaufgabe der KfW. Eine sachgemäße Gewinnaus-
schüttung bei Aufrechterhaltung einer ausreichenden
Kapitalausstattung schränkt die Fördermöglichkeit der
KfW nicht ein, denn der Gewinn ist das, was nach
Abzug der für die Förderung notwendigen Mittel übrig-
bleibt. Daher weist auch der Jahreswirtschaftsbericht
explizit darauf hin, dass die Unterstützung der Mittel-
standsfinanzierung durch eine Gewinnausschüttung kei-
nerlei Einschränkungen erfahren darf.
Die KfW ist nach ersten vorläufigen Ergebnissen im
Jahre 2012 die bestverdienende Bank Deutschlands. Sie
wird voraussichtlich über 2 Milliarden Euro Nettoge-
winn erzielen. Sie verfügt bereits derzeit über eine sehr
komfortable Ausstattung mit Eigenkapital. Vor diesem
Hintergrund erscheint das grundsätzliche Anliegen der
Anteilseigner der Bank, an den Gewinnen auch einmal
zu partizipieren, durchaus nachvollziehbar.
Die KfW hat als drittgrößte Bank Deutschlands in-
zwischen eine Größe und ein Geschäftsvolumen er-
reicht, die ein weiteres steiles Wachstum nicht als priori-
tär, sondern ordnungspolitisch möglicherweise sogar als
diskussionswürdig erscheinen lassen. Vor diesem Hinter-
grund ist auch eine dieses Wachstum begleitende
Ausweitung des Eigenkapitals durch weitere Gewinnthe-
saurierung nicht mehr zwingend geboten.
Herr Tiefensee, Sie haben eine Nachfrage? – Bitte
schön.
Lieber Herr Staatssekretär, wenn ich richtig infor-
miert bin, wird am 20. März 2013 die finanzielle Voraus-
schau 2014 im Kabinett beschlossen. In dieser Voraus-
schau taucht der Betrag der Gewinnausschüttung mit
4 Milliarden Euro auf.
Wir wissen, dass zur Ausschüttung durch die KfW
eine Änderung des KfW-Gesetzes nötig ist, da im jetzi-
gen KfW-Gesetz ein Ausschüttungsverbot verankert ist.
Nun lese ich ausweislich der Presse vom 15. Februar
2013 beispielsweise in der FAZ, dass sich die Bundesre-
gierung doch von diesem Vorschlag wegbewegt.
Meine Frage ist: Hält die Bundesregierung an der
Ausschüttung durch die KfW in Höhe des genannten Vo-
lumens fest, oder, wenn sie das nicht tut, geht sie damit
auf eine der zentralen Forderungen der Opposition in der
Haushaltsdebatte 2013, die im November erfolgt ist
– ähnlich sehen das die Banker der KfW –, ein: die KfW
nicht mit einer Ausschüttung zu belasten?
H
Lieber Herr Kollege Tiefensee, diese Presseberichte
habe ich ebenfalls gelesen, und ich muss Ihnen sagen,
ich halte es für eine sehr intelligente Alternativlösung,
wenn die KfW durch einen verstärkten Einsatz dazu bei-
trägt, dass sich der Bund aus der einen oder anderen För-
dermaßnahme, bei der zusätzlich direkte Fördermittel zu
vergeben wären, zurückziehen kann und damit indirekt
die KfW in diese Rolle kommt.
Ich kann mir durchaus vorstellen, dass dies – jeden-
falls für das Haushaltsjahr 2013/2014 – eine sehr nach-
denkenswerte Alternative ist, die dann hoffentlich auch
auf Ihre Unterstützung stößt. Uns allen ist bekannt – und
ich bestätige das –, dass eine Teilausschüttung der Ge-
winne der KfW selbstverständlich einer Änderung des
KfW-Gesetzes bedürfte. Ich persönlich gehe nicht mehr
davon aus, dass dies noch in dieser Legislaturperiode
passieren wird.
Herr Tiefensee, Sie haben noch eine Nachfrage.
Vielen Dank. – Lieber Herr Staatssekretär, ich stelle
fest, dass die angestrebte Teilausschüttung damit min-
destens für 2013/2014 obsolet ist und gegebenenfalls
durch zwei Instrumente ersetzt wird, wenn ich das rich-
tig gelesen habe. Das erste Instrument haben Sie ange-
sprochen: Der Bund verzichtet auf die Überweisung
bestimmter Beträge an die KfW. Als zweites Instrument
ist daran gedacht, innerhalb der KfW eine Art Fonds zu
bilden und den Ministerien einen Zugriff auf diesen
Fonds zu erlauben.
Meine Fragen richten sich auf diesen Fonds:
Erstens. Wie weit sind diese Überlegungen gediehen,
wenn sie bestehen?
Zweitens. Wenn wiederum ein Betrag in Rede steht:
Inwieweit werden Sie das Parlament einbeziehen, wenn
es darum geht, diesen Fonds und den Zugriff durch die
Bundesregierung auszugestalten?
H
Lieber Herr Kollege Tiefensee, es gibt in diesen Wo-chen Gespräche zwischen der Bundesregierung und derFührung der KfW über die Vorschläge, die unterbreitetworden sind. Ich kann deshalb Ihre Annahme, von derSie eben gesprochen haben, dass nämlich eine Gewinn-thesaurierung zwangsläufig für alle Zeiten obsolet ge-worden ist, nicht bestätigen, sondern wir reden mit derKfW. Ich habe Ihnen gesagt: Realistischerweise wird es– Sie wissen, welche Folgen das hat – in dieser Legisla-turperiode zu keiner Änderung des KfW-Gesetzes mehrkommen. Ich glaube, diese Annahme ist sehr realistisch.Ob dann in den Folgejahren an eine teilweise Ge-winnausschüttung zu denken ist oder ob man hier dieVorschläge der KfW berücksichtigt, ist im Moment nochGegenstand von Gesprächen. Es wäre wirklich nicht ver-antwortbar, wenn man jetzt über den Fonds, den Sie ge-nannt haben, und darüber spekulieren würde, wie derZugriff der Parlamentarier dann im Einzelnen zu erfol-gen hat.
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27436 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
Eines ist klar: Wenn es sich um Bundesmittel handelt,die im Bundeshaushalt irgendeine Verwendung finden,dann werden die Abgeordneten dieses Hohen Hauseshier mitzureden haben. Es gibt in der Bundesregierungkeine schwarzen Kassen. Es gibt das Haushaltsrecht, dashier zu erfüllen ist. Das ist aber keine Aussage im Detail,weil die Gespräche noch laufen.Ob es überhaupt einen solchen Fonds geben wird, istim Moment noch gar nicht klar. Ich glaube aber, dieSorge, dass dem Bundeshaushalt hier irgendwie unterdem Tisch irgendwelche Mittel zufließen, kann ich Ih-nen komplett nehmen, egal wer die nächste Bundesre-gierung bilden wird. Das wird keine Bundesregierung inDeutschland tun; denn hier gilt das Haushaltsrecht.
Damit sind wir bei Frage 9 ebenfalls des Kollegen
Tiefensee:
Wie passt die aktuelle Kürzung der Mittel der Gemein-
schaftsaufgabe „Verbesserung der regionalen Wirtschafts-
struktur“ mit der Aussage im Koalitionsvertrag zusammen,
die Förderung auf dem Niveau von 2008 zu belassen?
H
Herr Kollege Tiefensee, Sie haben den Koalitionsver-
trag nicht präzise wiedergegeben, mutmaßlich noch
nicht einmal gelesen. Deswegen will ich Ihnen vorlesen,
was wir dort geschrieben haben – ich zitiere –:
Die Gemeinschaftsaufgabe Verbesserung der regio-
nalen Wirtschaftsstruktur … wird auf hohem Ni-
veau und mit bundesweit einheitlichen Maßstäben
fortgeführt.
Genau das tun wir. Es ist nirgendwo gesagt worden,
dass das tabu ist und dort kein Cent gespart werden darf,
sondern wir haben in unserem Haushalt 2013 mit der
mittelfristigen Finanzplanung klare Prioritäten gesetzt:
Wir konsolidieren strukturell – dazu zwingt uns ja auch
die Schuldenbremse – und stärken das Wachstum, indem
wir uns auf Zukunftsinvestitionen konzentrieren.
In diesem Zusammenhang muss dann eben auch die
GRW – das ist die Abkürzung für diese Gemeinschafts-
aufgabe – einen gewissen Beitrag zur Haushaltskonsoli-
dierung leisten. Daher wurden die Mittel im Zeitraum
bis 2013 gegenüber 2008 minimal reduziert. Mit einem
Mittelansatz von jetzt immerhin noch 582,794 Millionen
Euro kann aber die GRW auch 2013 eine Förderung auf
hohem Niveau – das haben wir im Koalitionsvertrag ver-
einbart – gewährleisten.
Die GRW wird mit dieser Mittelausstattung auch zu-
künftig das zentrale Instrument der Regionalpolitik blei-
ben. Wir denken, dass wir mit den gut 582 Millionen
Euro, die durch Ländermittel und kommunale Mittel in
vielen Fällen noch aufgestockt werden, ein sehr wir-
kungsvolles Instrument zur Förderung der Regionen ha-
ben.
Herr Tiefensee, eine Nachfrage.
Ich bekenne, dass ich den Koalitionsvertrag nicht aus-
wendig kenne.
H
Das ist schlecht, Herr Tiefensee. Das sollten Sie.
Ich befürchte nur, lieber Herr Staatssekretär, dass
nicht einmal die Regierung ihn kennt, geschweige denn
umsetzt. Aus diesem Grunde richtet sich die Kritik eher
an Sie selbst.
Jetzt zum Sachverhalt. Ich habe nach der Höhe der
Mittel aus dem Jahre 2008 in Relation zu der Höhe in
2012/2013 gefragt. Sie wissen aber, dass erstens dieser
Titel natürlich in den Jahren dazwischen wesentlich hö-
her war und über 600 Millionen Euro betrug und dass
zweitens die GRW durch die sogenannte Investitionszu-
lage ergänzt wurde, wodurch mindestens ein Betrag von
etwa 600 bis 700 Millionen Euro hinzukam. Manche
sprechen von 1 Milliarde Euro, die hier ausgegeben wor-
den ist, um strukturschwache Gebiete zu unterstützen.
Jetzt meine Frage. Stimmen Sie mit mir überein, dass
der Befund richtig ist, dass es in Deutschland nach wie
vor Diskrepanzen in der wirtschaftlichen Entwicklung
der Regionen gibt, und dass es darum geht, einen Aus-
gleich zu schaffen, und zwar unter Berücksichtigung der
Einsparungen im Haushalt und dem Einhalten der Schul-
denbremse? Wir brauchen sicherlich Incentives.
Stimmen Sie mit mir darin überein, dass die GRW ein
zentrales Instrument ist und es angesichts der Kürzung
europäischer Mittel, wie wir jetzt wissen, und angesichts
des Auslaufens der Investitionszulage eigentlich drin-
gend geboten wäre, diese Gelder auf hohem Niveau, und
zwar auf dem Niveau des Vorjahres oder sogar auf höhe-
rem Niveau, fortzuführen, um eine selbsttragende Wirt-
schaft zu generieren?
H
Den ersten Teil Ihrer Frage kann ich klar mit Ja beant-worten. Die Bundesregierung ist nach wie vor der Mei-nung, dass die GRW ein wirksames Instrument ist, umregionale Unterschiede auszugleichen. In diesem Zu-sammenhang will ich aber klarstellen: Es gibt regionaleUnterschiede nicht nur zwischen West und Ost, sondernauch zwischen Nord und Süd und in unterschiedlichenRegionen. Inzwischen gibt es Gott sei Dank auch in denneuen Bundesländern eine zum Teil hervorragende undbeispielhafte Infrastruktur, während unter Umständen ei-nige westliche Länder Strukturschwächen aufweisen. Ichglaube, das ist zwischen uns unstreitig.Natürlich ist es so, lieber Herr Kollege Tiefensee,dass wir, wenn wir ein Füllhorn voller Gelder hätten,gerne zusätzliche Mittel in die GRW einstellen würden.Wir sind in der Tat der Auffassung, dass die GRW-Mittelviel Gutes bewirkt haben. Aber wir wissen alle, dass wirin einer Zeit leben, in der wir den Haushalt dringend
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27437
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
strukturell konsolidieren müssen. Dazu gehört ebenauch: Sie können den Haushalt nicht strukturell konsoli-dieren, ohne die großen Flaggschiffe – es handelt sichschließlich um 582 Millionen Euro für 2013 und569 Millionen Euro für 2014; das sind Riesenbeträge –anzugreifen. Ohne gewisse Beiträge werden Sie denHaushalt nicht strukturell konsolidieren können.Ich glaube aber trotzdem, Herr Kollege Tiefensee,dass wir mit diesen weit über 500 Millionen Euro, diewir hier zur Verfügung stellen, mit der Zusatzfinanzie-rung durch die Länder und durch die Kommunen, wei-terhin sehr substanzielle und sehr wirkungsvolle Bei-träge leisten können, um die regionalen Unterschiedeauszugleichen. Wir werden uns – das wissen Sie, da-rüber haben wir vor kurzem im Wirtschaftsausschussdiskutiert – auf europäischer Ebene dafür einsetzen, dassdie Flexibilität der europäischen Fördermittel größersein wird, als in einem ersten Vorschlag der Europäi-schen Kommission vorgegeben.Wir sind uns im Ziel einig: Es gibt regionale Struktur-schwächen, zu deren Überwindung Anreize mit staatli-chen Mitteln gegeben werden müssen. Darin gibt es zwi-schen uns überhaupt keinen Dissens. Aber ich denke,dass wir uns mit der Höhe dieser Mittel 23 Jahre nachder deutschen Wiedervereinigung durchaus sehen lassenund Gutes bewirken können: auch in dem Zeitraum bis2016.
Sie haben noch eine Nachfrage, Herr Tiefensee. Bitte.
Vielen Dank. – Uns ist bewusst, dass die Mittel der
GRW nicht nur im Osten eingesetzt werden; es geht da-
bei um strukturschwache Gebiete. Eine kurze Frage:
Sind Sie im Rückblick auf die Entscheidungen der
schwarz-gelben Koalition aus dem Jahr 2010 nicht mit
mir einer Meinung, dass die Aufstockung der GRW-Mit-
tel und damit die Förderung strukturschwacher Gebiete
eine höhere Priorität hätte besitzen müssen als die Unter-
stützung von Hotels und dass die 1,2 Milliarden Euro da-
für besser angelegt gewesen wären?
H
Ehrlich gesagt, Herr Kollege Tiefensee, finde ich, das
ist eine billige Frage.
Ich finde, sie ist Ihrem intellektuellen Niveau nicht ange-
messen.
Die Förderung der Hotels, die im Jahr 2009 beschlos-
sen worden ist und die ich jetzt hier gar nicht mehr zu
verteidigen habe, war ja keine Alternative zu den GRW-
Mitteln. Sie war vielmehr die Reaktion darauf, dass in
den allermeisten europäischen Ländern die Mehrwert-
steuer für Hotelbetriebe und zum Teil sogar für Gaststät-
tenbetriebe auf niedrigerem Niveau lag als in Deutsch-
land. Wir haben nur faire Wettbewerbsbedingungen für
die deutsche Hotellerie herbeigeführt. Es war aber nicht
so wie bei kommunizierenden Röhren; wir haben nicht
gesagt: Wir geben etwas an die Hoteliers, und deswegen
streichen wir bei den GRW-Mitteln.
Lieber Herr Kollege Tiefensee – ich weiß gar nicht,
ob ich Sie nach dieser Frage noch als „lieb“ anreden
sollte –,
ich kann Ihnen sagen: Ausgerechnet in dem Jahr, in dem
wir die Steuerermäßigung für die Hoteliers eingeführt
haben – das war im Haushaltsjahr 2010 –, hatten wir mit
der Investitionszulage die höchsten Beiträge zur GRW
zu verzeichnen, sodass sich die Logik Ihrer Frage mir
nicht erschließt. Wenn Sie uns einreden wollen, dass das
Geld für die GRW an die Hotels geflossen ist, dann kann
ich Ihnen die Zahl für 2010 nennen: 624 Millionen Euro
GRW-Mittel plus 597 Millionen Euro Investitionszu-
lage. Das ist der historisch höchste Stand, justament in
dem Jahr, in dem wir die Mehrwertsteuer für das Hotel-
gewerbe dem europäischen Niveau angepasst haben.
Ganz ehrlich: Ich schätze Sie viel zu sehr, als dass ich
diese Frage für sinnvoll halte.
Die Fragen 10 und 11 des Kollegen Ingo Egloff, dieFrage 12 des Kollegen Rolf Hempelmann, die Frage 13des Kollegen Klaus Barthel, die Frage 14 der KolleginViola von Cramon-Taubadel und die Frage 15 der Kolle-gin Katja Keul werden schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des AuswärtigenAmts. Die Frage 16 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl unddie Fragen 17 und 18 des Kollegen Rolf Mützenich wer-den schriftlich beantwortet. Der Kollege Gloser, der dieFrage 19 gestellt hat, ist nicht anwesend. Es wird verfah-ren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen. DieFrage 20 des Kollegen Niema Movassat wird schriftlichbeantwortet. Der Kollege Schwanholz, der die Frage 21gestellt hat, ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie inder Geschäftsordnung vorgesehen. Die Fragen 22 und 23der Abgeordneten Lisa Paus werden schriftlich beant-wortet.Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-desministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fra-gen steht Herr Staatssekretär Dr. Bergner bereit. Der Ab-geordnete Siegmund Ehrmann, der die Fragen 24 und 25gestellt hat, ist nicht anwesend. Es wird verfahren, wie inder Geschäftsordnung vorgesehen.Wir kommen zur Frage 26 des Kollegen MartinDörmann:Welche Maßnahmen oder Initiativen wird der Beauftragteder Bundesregierung für Kultur und Medien – vor dem Hin-tergrund der Tatsache, dass die Bundesregierung offensicht-lich zu der Rechtsauffassung gelangt ist, dass Bundesbehör-
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Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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den weder auf der Grundlage der Landespressegesetze nochaus Art. 5 Abs. 1 des Grundgesetzes zur Erteilung vonAuskünften verpflichtet werden können; entsprechend derStellungnahme des Vertreters des Bundesinteresses beim Bun-desverwaltungsgericht – ergreifen, um den Vorgaben des Bun-desverfassungsgerichts Rech-nung zu tragen, denen zufolge das Institut der freien Presseden Staat verpflichtet, in seiner Rechtsordnung dem Postulatder Pressefreiheit Rechnung zu tragen und Auskunftspflichtender öffentlichen Behörden als prinzipielle Folgerungen ausArt. 5 Abs. 1 GG zu schaffen, und inwieweit war der Beauf-tragte der Bundesregierung für Kultur und Medien an der Ab-stimmung dieser offensichtlich neuen Rechtsauffassung betei-ligt?Bitte, Herr Staatssekretär.D
Frau Präsidentin, ich würde gerne die Fragen 26 und
27 des Kollegen Dörmann gemeinsam beantworten.
Dann rufe ich auch die Frage 27 auf:
Wann sind der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur
und Medien und die Bundesregierung zu der Rechtsauffas-
sung gelangt, dass Journalisten rechtliche Ansprüche auf Aus-
kunft nur nach dem Informationsfreiheitsgesetz vom 1. Januar
wann will die Bundesregierung Maßnahmen ergreifen, um die
chen Behörden als prinzipielle Folgerungen aus Art. 5
Abs. 1 GG gesetzlich zu schaffen sind?
D
Herr Kollege Dörmann, ich antworte wie folgt: Die
Frage, ob Bundesbehörden auf Grundlage der Landes-
pressegesetze zur Erteilung von Auskünften verpflichtet
werden können, wird in Rechtsprechung und Literatur
unterschiedlich bewertet. Das Bundesverwaltungsge-
richt wird in einem Verfahren zur presserechtlichen Aus-
kunftspflicht, das heute mündlich verhandelt wird, eine
Entscheidung treffen. Um ehrlich zu sein: Ich erwartete
die Entscheidung vor meiner Beantwortung der Frage.
Das Urteil muss jetzt in Leipzig fast zeitgleich ergehen.
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts in
dieser Frage bleibt also auch jetzt noch abzuwarten.
Unabhängig von einer Verpflichtung nach Landes-
presserecht ist nicht zu erwarten, dass sich die Praxis
von Bundesbehörden zu Presseanfragen ändert. Denn
auch bisher werden Presseanfragen von Bundesbehörden
beantwortet, wenn das Pressegesetz eines Landes – wie
es zum Beispiel in Bremen der Fall ist – nur Landesbe-
hörden verpflichtet.
Die Stellungnahme des Vertreters des Bundesinteres-
ses beim Bundesverwaltungsgericht, der gemäß § 35
Verwaltungsgerichtsordnung eine eigenständige Be-
hörde ist – eigenständig beim Bundesinnenminister –,
die aus gesamtstaatlicher Perspektive das Bundesinte-
resse im Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht
vermittelt, zielt dementsprechend nicht darauf ab, die
Pressefreiheit einzuschränken, wie teilweise in den Me-
dien berichtet wurde. Die Stellungnahme behandelt im
Wesentlichen nur die Rechtsfrage zur Abgrenzung der
Kompetenzen zwischen Land und Bund.
Auf der Grundlage von Art. 5 des Grundgesetzes sind
in gewissem Umfang auch Auskunftspflichten der Be-
hörden gegenüber der Presse anerkannt – dazu gibt es
eine einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfas-
sungsgerichts –, die allerdings nur im Sinne einer allge-
meinen Unterrichtungspflicht zu verstehen sind, über de-
ren Umfang und Modalitäten die staatlichen Stellen
eigenverantwortlich bestimmen können – auch hier
weise ich auf die bisherige Rechtsprechung des Bundes-
verwaltungsgerichts hin –, und nicht als durchsetzbarer
Auskunftsanspruch im konkreten Einzelfall.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsge-
richts überlässt das Grundgesetz es dem Gesetzgeber
von Bund und Ländern, in Abwägung des betroffenen
privaten und öffentlichen Interesses zu regeln, ob und
unter welchen Voraussetzungen derartige Ansprüche
entstehen. Auch hier gilt der Hinweis auf das entspre-
chende Bundesverwaltungsgerichtsurteil.
Weder die Pressefreiheit noch die Informationsfrei-
heit geben einen Anspruch auf Eröffnung einer Informa-
tionsquelle. Hier verweise ich auf das Bundesverfas-
sungsgerichtsurteil zur Rundfunkfreiheit.
Herr Dörmann, haben Sie eine Nachfrage?
Ja.
Bitte schön.
Herr Kollege Bergner, wenn ich das richtig verstehe,haben Sie sich gerade nicht von der Rechtsauffassungdes Vertreters des Bundesinteresses beim Bundesverwal-tungsgericht distanziert. Jetzt hoffen jedenfalls meineFraktion und ich, dass das Bundesverwaltungsgerichteine pressefreundliche Interpretation der Rechtslage vor-nimmt, die von dem abweicht, was der Vertreter desBundes dort vorgetragen hat.Aber wenn ich das richtig verstehe, sagen Sie – etwasvereinfacht ausgedrückt –: Na ja, an der Praxis wird sichnicht viel ändern, man wird dann mehr oder wenigerfreiwillig das befolgen, was in den Landespressegeset-zen steht. Aber der Rechtsstreit geht ja gerade darum,dass sich hier eben in einem Fall nicht daran gehalten,sondern gesagt wird, dass mache alles zu viel Aufwand.In der juristischen Begründung der Verweigerung derAuskünfte an die Presse wird vom Vertreter des Bundes-interesses die juristische Argumentation, die Sie nur an-gedeutet haben, dargelegt.Im Umkehrschluss: Mal unterstellt, das Bundesver-waltungsgericht würde diese Rechtsauffassung teilen,die der Vertreter des Bundesinteresses vorgetragen hat,
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Martin Dörmann
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sehen Sie dann nicht, um Rechtssicherheit zu schaffen,die Notwendigkeit, entsprechende Bundesregelungenherbeizuführen, die nicht nur sozusagen eine freiwilligeErfüllung der in den Landespressegesetzen enthaltenenBestimmungen von den Bundesbehörden sicherstellt,sondern eben auch eine Rechtssicherheit für die Journa-listinnen und Journalisten, die aufgrund der Pressefrei-heit besondere Informationsbedürfnisse haben? SehenSie da nicht einen Handlungsbedarf, sollte das Bundes-verwaltungsgericht diese Rechtsauffassung teilen?D
Herr Kollege Dörmann, zunächst einmal: Ich habe da-
rauf hingewiesen, dass wir ein offenes Gerichtsverfahren
haben und dass wir auch aus Respekt vor dem Bundes-
verwaltungsgericht gehalten sind, das Urteil abzuwarten,
ehe wir uns abschließend positionieren.
Ich habe zum Zweiten gesagt, dass nach bisheriger
Praxis, die von den unmittelbaren Auskunftsrechten
nach Art. 5 des Grundgesetzes gespeist wird, im pflicht-
gemäßen Ermessen durch die Bundesbehörden den Jour-
nalistenanfragen Auskunft gegeben wird.
Die Frage, ob es, wenn durch das Bundesverwal-
tungsgericht eine entsprechende ausschließliche Gültig-
keit für Landesbehörden festgestellt wird, hierzu noch
einer Bundesgesetzgebung bedürfe – so habe ich Ihre
Frage verstanden –, ist eine Frage, die sich gewisserma-
ßen erst im Lichte eines entsprechenden Urteils diskutie-
ren lässt; denn nach der Kompetenzverteilung zwischen
Bund und Ländern liegt die Gesetzgebungskompetenz in
diesen Fragen bei den Ländern. Das heißt, wir kommen
rechtlich gesehen in eine Situation, die sehr sorgfältig
abgewogen werden muss.
Ich sage noch einmal: Aus unserer Sicht besteht über-
haupt kein Anlass, von einer Einschränkung der Presse-
freiheit zu sprechen. Der in Rede stehende Streitfall
– ich kenne ihn im Einzelnen nicht; ich weiß nicht, um
welches Auskunftsrecht es sich hier handelt – hat dazu
geführt, dass Rechtsklarheit bezüglich der Verbindlich-
keit der Landespressegesetze für die Auskunftspflicht
von Bundesbehörden besteht. Aber völlig unabhängig
davon haben sich die Bundesbehörden und die Bundes-
regierung immer in der Pflicht gesehen, im pflichtgemä-
ßen Ermessen Auskunft auf Presseanfragen zu geben.
Sie haben eine zweite Nachfrage, bitte schön.
Herr Kollege Bergner, Sie haben nicht wirklich zur
Klarheit beigetragen, um das offen zu sagen; denn es
gibt nur zwei unterschiedliche Möglichkeiten. Die eine
ist: Die Landespressegesetze binden auch die Bundesbe-
hörden. Ich hoffe, dass das Bundesverwaltungsgericht
entsprechend entscheidet.
D
Das wissen wir beide zur Stunde nicht.
Nein, das wissen wir nicht. Das ist schade. Wir lassen
uns fortlaufend elektronisch informieren und wissen da-
her, dass das Gericht gerade berät. Jeden Augenblick
kann eine Entscheidung verkündet werden.
Wenn es so sein sollte, dass Landespressegesetze
auch Bundesbehörden binden, dann ergibt sich daraus
der Anspruch der Presse bzw. von Journalisten, Informa-
tionen von Bundesbehörden abzurufen. Sollte das nicht
so sein, dann wird zum Teil die Ansicht vertreten, dass
sich das aus Art. 5 des Grundgesetzes ergeben könnte,
aus dem Grundrecht der Freiheit der Presse. Das Bun-
desverfassungsgericht hat geurteilt, dass daraus auch
Auskunftspflichten des Staates und damit der staatlichen
Behörden resultieren. Der Bundesvertreter vertritt aber
die Rechtsauffassung, dass aus Art. 5 kein unmittelbares
Auskunftsrecht resultiert, sondern dass es dazu einer
spezialgesetzlichen Regelung bedarf.
Meine Frage ist eindeutig: Wenn die Landespressege-
setze die Bundesbehörden nicht verpflichten, Auskunft
zu geben – und zwar nicht nur im Rahmen eines Ermes-
sensspielraums, den die Bundesbehörden selber definie-
ren –, dann muss darüber nachgedacht werden, ob nicht
der Bundesgesetzgeber gefordert ist, sodass die staatli-
chen Behörden nicht allein aufgrund von Ermessensent-
scheidungen Auskünfte erteilen, sondern anhand ganz
klarer Grundsätze. Wie Sie wissen, sehen die Landes-
pressegesetze nicht unbeschränkte Auskunftspflichten
vor. Vielmehr wird dort eine Abwägung nach bestimm-
ten Kriterien vorgenommen. Zum Beispiel kann Ge-
heimhaltung ein Grund sein, warum eine Information
nicht gegeben wird. Eine entsprechende Regelung wäre
sinnvoll, um in jedem Fall Rechtssicherheit zu schaffen.
Da wir beide auf das Urteil warten, ist es bedauerlich,
dass Sie – wenn ich Sie richtig verstanden habe – den
dahinterliegenden Sachverhalt nicht so genau kennen.
D
Ich kenne den Sachverhalt, der zu dieser rechtlichenKonfliktlage geführt hat, im Einzelnen nicht. Ich habenur zu vertreten, weshalb wir in Respekt vor der Ent-scheidung des Bundesverwaltungsgerichts abwartenwollen.Herr Kollege, ich klassifiziere aus Sicht der Bundes-regierung Ihre Frage, ob es für die Anwendung desArt. 5 des Grundgesetzes in Bezug auf Presseauskünfteeiner spezialgesetzlichen Regelung auf Bundesebene be-dürfe, als durchaus interessant. Nur, haben Sie Verständ-nis dafür, dass ich es für seriöser halte, wenn wir das Ur-teil und die Begründung des Bundesverwaltungsgerichtsabwarten und analysieren, bevor wir der Frage nachge-hen, ob Gesetzgebungsbedarf besteht. Dies gilt umsomehr, als wir der Auffassung sind, dass die Bundesregie-rung und die Bundesbehörden den Auskunftsersuchender Presse auf der Rechtsgrundlage des Art. 5 und derentsprechenden verfassungsgerichtlichen Auslegungnachgekommen sind. Ich weise jedenfalls das Ansinnenzurück, der Bundesregierung im Rahmen dieses durch-
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Parl. Staatssekretär Dr. Christoph Bergner
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aus interessanten Kompetenzrechtsstreits vorzuwerfen,sie respektiere die Pressefreiheit nicht hinreichend.
Ich weise jetzt darauf hin, dass wir in etwa fünf Minu-
ten mit der Aktuellen Stunde beginnen. – Möchten Sie
von Ihrem Recht Gebrauch machen, Herr Dörmann,
auch zu Ihrer zweiten Frage noch Nachfragen zu stellen?
Das soll Ihnen dann gern gewährt sein.
– Bitte schön.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Bergner, ich versuche es jetzt einmal andersherum: Tei-
len Sie meine Auffassung, dass das von Ihnen aus Art. 5
des Grundgesetzes hergeleitete besondere Recht der
freien Presse auf Auskünfte auch von Behörden nicht al-
lein erfüllt werden kann und sollte, indem man auf die
Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes verweist?
Der Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz ist ge-
nau die Rechtsauffassung, die der Vertreter des Bundes-
interesses beim Bundesverwaltungsgericht vorgetragen
hat. Da gelten aber Einschränkungen, sowohl was den
Anwendungsbereich angeht als auch was Fristen angeht
– das können bis zu drei Monate sein –; im Einzelnen ist
das relativ kompliziert. Sie wissen ganz genau, dass die
Presse auf möglichst schnelle Information angewiesen
ist. Teilen Sie also meine Auffassung, dass nicht allein
mit Verweis auf das Informationsfreiheitsgesetz die aus
Art. 5 des Grundgesetzes hergeleiteten Rechte der Presse
sichergestellt werden können?
D
Herr Kollege Dörmann, ich bin vermutlich wie Sie
der Auffassung, dass das Informationsfreiheitsgesetz
– ich sage es jetzt einmal so – ein Jedermannsrecht
schafft, das im konkreten Fall natürlich auch von Journa-
listen genutzt werden kann. Mir ist bekannt, dass es von
Journalisten genutzt wird, dass es von ihnen allerdings
nicht in ihrer beruflichen Rolle wahrgenommen wird,
sondern so wie von jedem anderen Bürger auch, der Er-
kenntnisse über die Arbeit einer Verwaltung oder einer
Behörde erlangen will.
Insofern – das will ich Ihnen auch zugestehen – sind
die Regeln des Informationsfreiheitsgesetzes gewisser-
maßen an die Voraussetzungen eines Jedermannsrechts
angepasst. Demgegenüber dienen Auskünfte, die man
explizit der Presse gegenüber erteilt, im Grunde der Re-
alisierung der Pressefreiheit. Ich glaube, dass diese Un-
terscheidung bei den bisherigen Presseauskünften durch
die Bundesregierung, durch die Behörden des Bundes je-
weils beachtet wurde.
Möchten Sie eine weitere Nachfrage stellen?
Ja. Ich glaube, dann sind die zwei Minuten, die wir in
der Fragestunde jetzt noch haben, sinnvoll genutzt.
Noch einmal andersherum: Herr Kollege Bergner,
teilt die Bundesregierung die von dem Vertreter des Bun-
desinteresses beim Bundesverwaltungsgericht vorgetra-
gene Rechtsauffassung bzw. ist diese Rechtsauffassung
mit den einzelnen beteiligten Ministerien abgestimmt?
Gibt es da eine einheitliche Meinung der Bundesregie-
rung? Ist es eine Meinung, die insbesondere das Bundes-
innenministerium teilt? Ist der Beauftragte der Bundes-
regierung für Kultur und Medien einbezogen worden?
Also: Ist die Rechtsauffassung, die der Vertreter des
Bundesinteresses dort zum Ausdruck gebracht hat, die
einheitliche Rechtsauffassung der Bundesregierung?
D
Herr Kollege, Sie wissen, dass in § 35 der Verwal-
tungsgerichtsordnung der Vertreter des Bundesinteresses
– so ist es dargestellt – eine eigenständige Größe ist, die
nicht an Weisungen irgendeines Ressorts gebunden ist.
Dieser Vertreter bezieht dort in Würdigung des Sachver-
halts die entsprechenden Rechtspositionen.
Insofern können Sie davon ausgehen, dass der Vertre-
ter des Bundesinteresses beim Bundesverwaltungsge-
richt seine Position nicht gewissermaßen auf Weisung
oder in spezifischer Interessenwahrnehmung irgendeines
der Ressorts zum Ausdruck gebracht hat, sondern dass
es ihm um die Rechtssituation, um die Kompetenzvertei-
lung zwischen Bund und Ländern im Presserecht, ging
und dass dies der Kern der Einlassung des Vertreters des
Bundesinteresses war.
Damit beende ich die Fragestunde.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zum Miss-
brauch von Leiharbeit im Lichte der Berichte
über Vorfälle bei Amazon
Als erste Rednerin rufe ich die Kollegin Anette
Kramme für die SPD-Fraktion auf.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich habe mir vorhin noch einmal diesen Bei-trag der ARD angeschaut; Ausgeliefert heißt er. Es isttatsächlich ein Ausgeliefertsein von Leiharbeitnehmern,die für die Firma Amazon tätig waren.Da sind unglaubliche Vorgänge passiert. Bei der An-werbung sind die Menschen davon ausgegangen, dasssie einen anderen Vertragspartner haben, als es dann tat-sächlich der Fall war: Statt Amazon war es eine Leihar-beitsfirma. Die Löhne haben sich als niedriger als erwar-
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Anette Kramme
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tet herausgestellt: Statt 9,68 Euro immerhin 12 Prozentweniger, 8,52 Euro. Tagelang wurde bei einzelnen Leih-arbeitnehmern der Arbeitsantritt hinausgezögert, um ent-sprechend dem Arbeitsanfall bei Amazon agieren zukönnen. Überhaupt war ganz viel Warten bei den Leihar-beitnehmern angesagt: Warten auf den Bus, der sie zurFirma gebracht hat bzw. wieder zurück zur Unterkunft;Warten, wenn keine Arbeit da war. Die Unterkünfte wa-ren überfüllt, teilweise wohl auch in einem verheerendenZustand.Es gibt einen Aspekt, der dem Ganzen die Krone auf-gesetzt hat: eine Sicherheitsfirma, deren Mitarbeiterparamilitärisch aufgetreten sind und die möglicherweiseder rechten Szene zuzuordnen ist. Ich denke, es hat sehreinschüchternd auf diese Menschen gewirkt, wenn einer-seits Taschen kontrolliert worden sind, aber andererseitswohl auch die Unterkunftsräume. Wir haben den Ver-dacht, dass Sozialversicherungsabgaben auf die Kostender Unterkunft, auf die Kosten für Logis nicht abgeführtworden sind, die wohl durch die Leiharbeitsfirma über-nommen worden sind.Meines Erachtens kann man das Ganze mit folgen-dem Begriff zusammenfassen: Da hat Menschenschinde-rei stattgefunden. Es ist eine barbarische Ausbeutung,die wir bei der Firma Amazon zu beobachten haben.Aber der Skandal bei Amazon bezieht sich nicht nurauf die Leiharbeitnehmer. Beispielsweise war es amStandort Koblenz in der Weihnachtszeit so, dass von3 300 Beschäftigten tatsächlich nur 200 über eine Fest-anstellung verfügten. Am Standort Augsburg ist es so,dass auch nur knapp 20 Prozent der bei Amazon tätigenMenschen unbefristete Arbeitsverträge haben.So stellt sich natürlich folgende Frage: Was machtPolitik? Die Politik droht mit dem Entzug der Verleih-erlaubnis für eine einzelne Leiharbeitsfirma. Ich sage:Damit ist Politik oder, um es konkret an Namen festzu-machen, die Bundesministerin von der Leyen nicht bes-ser als ihre Kollegin Aigner. Man kündigt lautstark wir-kungslose Maßnahmen an, ohne tatsächlich zumHandeln bereit zu sein.
Bundesministerin von der Leyen hechelt von Schleckerzu Amazon. Es gibt keinerlei Bereitschaft, anzuerken-nen, dass hinter all den Praktiken dieser Firmen Methodenund Prinzipien stehen, die den gesamten Arbeitsmarkt inDeutschland insbesondere im Niedriglohnsektor immerwieder beeinträchtigen.Hier stellt sich die Frage an die Regierungskoalition,was mit dem Vorhaben Mindestlohn ist. Wenn ich mirdie Vorschläge von der Leyens anschaue, stelle ich fest,dass sie auch nicht sonderlich schön sind. Zu sagen, dassein Mindestlohn immer dann keine Anwendung findet,wenn ein Tarifvertrag existiert oder auf einen solchenBezug genommen wird, ist nichts anderes als Heuchelei.In der Bundesrepublik Deutschland gibt es Hunderte vonTarifverträgen, die Löhne von unter 6,50 Euro proStunde vorsehen.Was ist mit Ihren Vorhaben zur Leiharbeit? Es gabgroßartige Ankündigungen der Ministerin. Und wasmacht man?
Man schließt eine winzige Regelungslücke. Man nimmtdem sogenannten Drehtüreffekt die Wirkung; aber manist nicht einmal bereit, die europäische Leiharbeitsricht-linie europarechtskonform umzusetzen, geschweigedenn, konsequent Equal Pay und Equal Treatment einzu-führen.
Was machen Sie gegen Befristungen in dieser Repu-blik, Herr Fuchtel? Wir wissen, dass je nach Konjunktur-lage 40 bis 50 Prozent aller Neueinstellungen befristetsind. Auch hiergegen kein Vorgehen, auch wenn es soeinfach wäre, zumindest die sachgrundlose Befristungzu streichen. Was ist mit der Ausstattung von Kontroll-behörden? Man kann es mit einem Satz zusammenfas-sen: Diese Bundesregierung ist nicht bereit, Recht undOrdnung auf dem Arbeitsmarkt zu realisieren.Herzlichen Dank.
Jetzt hat der erfreulicherweise eingetroffene Kollege
Karl Schiewerling für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wir alle waren, denke ich,überrascht und geschockt, als wir diese Berichterstattungüber die Situation von Beschäftigten, die für die FirmaAmazon arbeiten, im Fernsehen gesehen haben. Ich binder Bundesarbeitsministerin außerordentlich dankbar,dass sie sofort die Bundesagentur für Arbeit und dendeutschen Zoll in Bewegung gesetzt hat, um sich genauanzusehen, was sich dort abspielt.
Ich will der Mär entgegentreten, Frau von der Leyenhabe nichts getan. Das Gegenteil ist richtig. Ohne dieseInformationen und ohne die Aufklärungsarbeit, die so-fort begonnen hat, wären wir nicht so weit.
Ergebnisse liegen mit Ausnahme eines Ergebnissesbis zur Stunde noch nicht vor: dass bei der Zeitarbeits-firma, die für die Firma Amazon gearbeitet hat, offen-sichtlich – so hat die Bundesagentur für Arbeit gerade
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27442 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Karl Schiewerling
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mitgeteilt – Unregelmäßigkeiten festgestellt wordensind.
Ich kann zur Stunde nicht bewerten, in welcher Form, inwelchem Umfang und in welchem Stil Unregelmäßig-keiten geschehen sind. Dies Ergebnis aber zeigt vor allenDingen eines, Frau Kramme, meine Damen und Herren:Die Kontrolle funktioniert.
Sie damit sagen, alles ist bestens? – AnetteKramme [SPD]: Wie viele Kontrollen machenSie denn bundesweit? Wie stark haben Sie dieAufgaben ausgeweitet? – Hans-JoachimFuchtel [CDU/CSU], an die SPD gewandt:Anders als bei euch!)Ich bin dankbar, dass die Instrumentarien greifen. Ichwill es Ihnen auch sehr deutlich sagen: Die Kontrollefunktioniert auch deswegen
– daher rate ich, die Situation bei der Firma Amazonnicht dafür auszunutzen, jetzt eine Generaldebatte zuführen –, weil die Mittel der Bundesagentur für Arbeitaufgestockt wurden und es in diesem Bereich mehr Mit-arbeiter gibt. Von 2009 bis heute haben wir wesentlichmehr Kontrollen durchgeführt als im Zeitraum von 2005bis 2009.
Auch dies ist ein Verdienst der Bundesarbeitsministerin.
Allerdings will ich auch deutlich sagen, dass wir diePrüfergebnisse des Zolls abzuwarten haben. Der Zoll be-sucht einen Betrieb, sammelt Daten und wertet diese an-schließend in seinen Diensträumen aus. Sobald dieseAuswertungen vorliegen, werden wir ebenso entspre-chend informiert werden.
Es gibt einen Mindestlohn in der Zeitarbeit. Seit 2010hat diese Koalition im Deutschen Bundestag die Zeit-arbeitsbranche reguliert. Dies fing damit an, dass derKollege Heinz Kolb und ich gemeinsam aufgrund desSchlecker-Vorgangs die Drehtürklausel durchgesetzt ha-ben.Wir haben durchgesetzt, dass es einen Mindestlohn inder Zeitarbeit gibt.
Wir haben durchgesetzt, dass sich die Arbeitgeberseitein diesem Bereich neu strukturiert hat. Ich will akzeptie-ren, dass durch die berechtigte Klage gegen eine Ge-werkschaft Klarheit entstanden ist, was ein Tarifpartnerund was kein Tarifpartner ist. Ich wünsche, dass alle Un-ternehmen, die noch zur Überprüfung anstehen, diesePrüfung ordentlich bestehen.Meine Damen und Herren, ich will Ihnen deutlich sa-gen, was mich bei diesem Thema umtreibt. Das sindnicht die Fragen, die im Augenblick brandaktuell disku-tiert werden. Mich treibt um, dass Kunden – so meinendas ja einige – durch ihr Verhalten Firmen in Deutsch-land, wie die Firma Amazon, an ihre ethische Verant-wortung erinnern sollten.
Wenn ein Unternehmen durch Kunden darauf aufmerk-sam gemacht werden muss, was unternehmerisch verant-wortliches Handeln ist, dann stimmt etwas in diesemUnternehmen nicht.
Unternehmen, die sich diesen ethischen Herausforderun-gen nicht stellen, werden sich am Markt auf Dauer nichtdurchsetzen. Es gibt viele Beispiele. Wer glaubt, erkönnte in Goldgräberstimmung oder nach Wildwestma-nier ohne Rücksicht auf ein Menschenbild, ohne Rück-sicht auf bestehende Strukturen und ohne Rücksicht aufGesetze operieren, wird feststellen, dass er scheitert.Zeitarbeit ist im wesentlichen Maße reguliert. Ich wehremich dagegen, dass durch diesen Vorgang bei Amazonper se alle Zeitarbeitsfirmen vorgeführt werden. AmDienstag hat mir der Chef der IG Metall, BertholdHuber, in einem Gespräch ausdrücklich bestätigt, dassdie IG Metall mit den beiden großen Zeitarbeitsverbän-den bei den Verhandlungen über die Tarife ausgespro-chen gute Erfahrungen gesammelt hat. Dort geht mangut und fair miteinander um. Deswegen rate ich dazu,die Situation bei Amazon nicht zum Anlass zu nehmen,alles in Bausch und Bogen zu verdammen. Ich rate in al-ler Klarheit dazu, darauf aufmerksam zu machen, wasunternehmerische Ethik, unternehmerische Verantwor-tung ist, und kriminelles Fehlverhalten mit dem Ziel vonGewinnmaximierung anzuprangern bzw. abzustellen.Dafür haben wir die Kontrollen. Ich bin froh, dass dasKontrollsystem in Deutschland funktioniert.Herzlichen Dank.
Jetzt hat Jutta Krellmann das Wort für die Fraktion
Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Damen und Her-ren! Für mich ist Amazon ein Beispiel dafür, dass esnicht funktioniert. Ich habe eine völlig andere Positiondazu.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27443
Jutta Krellmann
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Im Dezember letzten Jahres haben sich zahlreicheSpanierinnen und Spanier darüber gefreut, dass sie einenArbeitsplatz in Deutschland bekommen können. Sie ha-ben ihn in Bad Hersfeld in Hessen gefunden. Zwei Tagebevor es losgehen sollte – die Koffer sind schon gepackt –,bekommen sie die Information: Ach nee, es ist dochnicht die Firma Amazon. Es ist die LeiharbeitsfirmaTrenkwalder. Frau Kramme hat gesagt, dass der Lohnder Leiharbeiter, der von der Leiharbeitsfirma gezahltwurde, entsprechend gering war. Er entsprach zwar denTarifen der Leiharbeit, aber nicht dem Grundsatz „Glei-ches Geld für gleiche Arbeit“. Und es war auch nichtdas, was man den spanischen Kolleginnen und Kollegenursprünglich versprochen hat. Die Koffer sind gepackt,die Erwartungen sind groß. Und jetzt? Trotzdem fahren,obwohl es kein Arbeitsplatz bei Amazon ist? In Hessenangekommen, werden sie in einer Ferienanlage kaser-niert und bewacht durch eine Sicherheitsfirma mit demNamen H.E.S.S.Trenkwalder selbst – das muss man sich auf derZunge zergehen lassen – ist seit Anfang an bei demLeiharbeitsboom dabei. Sie war eine der ersten Leihar-beitsfirmen, die die mittlerweile für rechtswidrig erklär-ten Tarife mit den christlichen Gewerkschaften abge-schlossen hat. Der ehemalige ArbeitgeberpräsidentDieter Hundt war zwischen 2007 und 2009 Aufsichts-ratsvorsitzender dieser Leiharbeitsfirma. Ich finde, dasshier unglaubliche Seilschaften zutage kommen. Diewirtschaftlich schwierige Situation der spanischenBeschäftigten wurde gnadenlos ausgenutzt. Der FallAmazon wirft ein Licht auf die schäbige Ausbeutung,die in Deutschland durch Leiharbeit mittlerweile mög-lich geworden ist.Ähnlich wie bei Schlecker und plötzlich, wie aus demDornröschenschlaf erwacht, kündigt die Ministerin an,im Fall Amazon zu handeln. Frau Ministerin von derLeyen ist hier; vielleicht kann sie etwas dazu sagen, wieder Stand ist; wir haben gerade von Herrn Schiewerlingetwas dazu gehört.Sie wollen der Leiharbeitsfirma die Lizenz entziehen.Aber Amazon kommt ohne Konsequenzen davon; diesind unschuldig. Dabei hat Amazon nachweislich vonden schikanierenden Kontrollen durch die Sicherheits-firma H.E.S.S. gewusst. Amazon hat das Lohndumpingder Leiharbeitsfirma billigend in Kauf genommen.Amazon hat Konsequenzen verdient; aber da ist bisherFehlanzeige. Firmen wie Amazon nutzen nur die gesetz-lichen Möglichkeiten, die ihnen die Politik gegeben hat.Dass sie damit oftmals am Rande der Legalität arbeiten,wird bewusst in Kauf genommen.
Wirkungsvolle Kontrollen scheitern am mangelndenPersonal und an unzureichenden Vorgaben.Wenn wir die Kontrollen bei Leiharbeitsfirmen mitden Kontrollen bei Hartz-IV-Empfängern vergleichen,dann wird klar: Irgendwie wird hier mit unterschiedli-chem Maß gemessen.
Eine Leiharbeitsfirma kann sich in Deutschland nahezualles erlauben und muss kaum Kontrollen und Sanktio-nen befürchten. Ein Hartz-IV-Empfänger oder eineHartz-IV-Empfängerin muss dagegen strikte Vorgabeneinhalten, und jeder Verstoß wird gnadenlos bestraft.Das ist Realität am deutschen Arbeitsmarkt. Wenn wirden Missbrauch in der Leiharbeit wirklich beenden wol-len, dann müssen wir die Leiharbeit abschaffen.
Die Deregulierung am deutschen Arbeitsmarkt jährtsich am 14. März dieses Jahres. Die Agenda 2010 hatzur massiven Ausweitung prekärer Beschäftigungsfor-men wie Leiharbeit, Teilzeitarbeit, Werkverträge,Scheinselbstständigkeit usw. geführt. Aktuell können1,4 Millionen Menschen von ihrem Lohn nicht lebenund müssen zusätzlich aufstocken; oftmals sind esLeiharbeitsbeschäftigte. Unternehmen wie Amazon ge-hen dabei nur durch die Türe, die ihnen von Rot-Grüngeöffnet worden ist.Die Missstände abzuschaffen, bedeutet, die unsozia-len Hartz-IV-Gesetze abzuschaffen.
Nur die Linke steht für eine konsequente Reform des Ar-beitsmarktes zum Schutz der Beschäftigten. Die Linkewill das Verbot der Leiharbeit, eine strikte Regulierungvon Werkverträgen und eine konsequente Rücknahmeder Hartz-Gesetze,
nicht nur von Hartz IV, sondern insbesondere auch vonHartz I.
Das Wort hat der Kollege Dr. Heinrich Kolb für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich will zunächst sagen, dass ich durchaus dankbar dafürbin, dass wir heute Gelegenheit haben, hier im Deut-schen Bundestag über den Beitrag vom 13. Februar zudebattieren, und will vorab feststellen, dass ich die Vor-gänge und Entwicklungen, über die berichtet wird, nichtnur mit großer Aufmerksamkeit, sondern auch mit einergewissen Sorge verfolge. Ich möchte die Gelegenheitnutzen, das Ganze vielleicht etwas differenzierter darzu-stellen.Frau Kollegin Krellmann hat hier – wenn auch in er-zählerischer Form –
die Vorwürfe vorgetragen, die erhoben werden: Arbeits-verträge seien kurzfristig zuungunsten der Mitarbeiterverändert worden. Die Anstellungen erfolgten, andersals erwartet, nicht bei Amazon, sondern bei der Zeitar-
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Dr. Heinrich L. Kolb
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beitsfirma T. Sie haben den Namen genannt, Trenkwalder;dann kann ich es auch sagen. Die Unterbringung der an-geworbenen Mitarbeiter sei in unzumutbaren Sammel-unterkünften erfolgt. Es habe einen unorganisiertenTransport zur Arbeitsstätte und zurück in überladenenBussen gegeben; bei transportbedingten Ausfallzeitenhabe es keine Entlohnung gegeben. Vor allen Dingen seieine Überwachung und möglicherweise eine Nötigungdurch Mitarbeiter der Sicherheitsfirma erfolgt, die dazum Einsatz kam. Es gibt Vorwürfe, dass die Angestell-ten der Sicherheitsfirma aus dem rechtsradikalen Milieukämen. Zudem gebe es mögliche Meldeversäumnisse imZusammenhang mit geldwerten Vorteilen bei Kost undLogis gegenüber den Sozialversicherungen. – Das sinddie Vorwürfe, die erhoben werden.Bevor wir es abschichten, möchte ich zunächst einmalfeststellen, dass sich die Vorwürfe – auch wenn dasThema der heutigen Aktuellen Stunde dies nicht hergibt –zunächst nicht gegen Amazon richten. Ich will so vielsagen: Amazon muss sich sicherlich fragen lassen, obman bei der Auswahl des Zeitarbeitsunternehmens dienötige Sorgfalt hat walten lassen. Das kann man beurtei-len, wenn die Berichte von der BA und von der FKS, derFinanzkontrolle Schwarzarbeit, die ergänzend tätig ge-worden ist, vorliegen. Die Vorwürfe, die im Übrigen er-hoben werden, richten sich aber zunächst an die Adresseder Zeitarbeitsfirma und lassen sich in drei Komplexeunterteilen. Was den arbeitsrechtlichen Teil anbetrifft:Die Arbeitskräfte wurden unter Vorspiegelung falscherTatsachen angeworben. Das wird man prüfen müssen,auch die finanziellen Konditionen. Was den sozialversi-cherungsrechtlichen Teil betrifft, ist zu klären, ob Kostund Logis möglicherweise nicht als geldwerter Vorteilaufgeführt und abgerechnet wurden. Besonders gravie-rend ist aus meiner Sicht der strafrechtliche Sachverhalt.Hier geht es darum, zu prüfen, ob die Zeitarbeiter tat-sächlich durch Mitarbeiter der Sicherheitsfirma genötigtworden sind. Dem müsste gegebenenfalls durch die ört-lichen Strafverfolgungsbehörden nachgegangen werden.Falls sich herausstellen sollte, dass die Anschuldigungenzutreffen, müssen die Vorgänge strafrechtlich geahndetwerden. – Das alles muss man sich sachlich vor Augenführen.Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass mit den Prü-fungen durch die Bundesagentur zeitnah begonnen wor-den ist. Soweit ich gehört habe, sind die Prüfungen abge-schlossen. Erste Ergebnisse liegen vor.
– Da wissen Sie weniger als ich, Frau Kollegin Künast.
– Es liegen durchaus Ergebnisse vor, die im gesetzlichbestehenden Verfahren ausgewertet werden müssen. ImExtremfall könnte dem Zeitarbeitsunternehmen die Li-zenz entzogen werden. Es könnte aber auch sein, dassdieses Zeitarbeitsunternehmen künftig bestimmte Aufla-gen erfüllen muss. All das bewegt sich in einem geord-neten Rahmen, innerhalb dessen die ausführende Be-hörde die bestehenden Gesetze und ergänzendenVerordnungen bzw. Richtlinien und Weisungen anwen-den kann.Sie wollten dieses Thema heute skandalisieren und zueinem Generalangriff auf die Zeitarbeit nutzen. Dochdazu taugen diese Vorgänge nicht. Da bin ich ausdrück-lich bei meinem Kollegen Karl Schiewerling.
Ich unterstütze ausdrücklich, was er gesagt hat – ich willes von meiner Seite wiederholen –: Wir werden, wie da-mals bei Schlecker, sofort reagieren, wenn es Hinweisegibt, dass es hier flächendeckenden Missbrauch gegebenhat; aber das ist nach derzeitigem Stand der Erkenntnissenicht zu erwarten. Ich rate dazu, die Erwartungen etwastiefer zu hängen. Ich weiß, die Opposition ist derzeit da-bei, alles zu verteufeln, was diese Regierung macht: vonder Zeitarbeit bis zum Mindestlohn. Aber dieser Schussgeht nach hinten los.
Politischer Handlungsbedarf – das will ich hier fest-halten – besteht nach jetzigem Erkenntnisstand nicht.Mit den bestehenden Gesetzen sind wir durchaus in derLage, angemessen und, wenn nötig, auch mit hartenMaßnahmen auf die erhobenen Vorwürfe zu antworten.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Beate Müller-Gemmeke das Wort.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Der Skandal „Amazon“ zeigt wiedereinmal deutlich: In Deutschland läuft etwas gewaltigschief.
Die Arbeitswelt wird immer rauer und ungerechter, dasGefühl für Anstand geht verloren. Empörung reicht hiernicht aus; wir brauchen endlich wieder soziale Leitplan-ken auf dem Arbeitsmarkt.
Die Arbeitsbedingungen bei Amazon können nur alsmenschenunwürdig bezeichnet werden. Die Leiharbeits-kräfte wurden schamlos ausgebeutet. Sie mussten zulange arbeiten und haben zu wenig Geld verdient. Sie
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27445
Beate Müller-Gemmeke
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waren schlecht untergebracht und falsch informiert. Be-sonders skandalös ist, dass die Beschäftigten auf Schrittund Tritt bespitzelt wurden, auch in ihrem Privatbereichnach der Arbeit. Dieser Vorfall führt zu großer Aufre-gung, zu Unverständnis und Wut bei den Menschen, unddas zu Recht. Ich hoffe, dass entsprechende Konsequen-zen gezogen werden.
Wenn Amazon Menschen offensichtlich wie Warenbehandelt, dann erfordert das politische Reaktionen. Dasweiß auch Frau von der Leyen, die jetzt wieder hektischAufklärung fordert und Konsequenzen androht. Ankün-digungen reichen aber nicht. Notwendig sind lückenloseund umfassende Prüfungen, und zwar erstens bei derLeiharbeitsfirma.
Hier muss die Bundesagentur für Arbeit penibel über-prüfen, ob korrekt, in voller Höhe und durchgängig, be-zahlt wurde.
Wenn die aktuell bestätigten Verstöße relevant sind– und das ist das Entscheidende –, darf Frau von derLeyen die Karte „Lizenzentzug“ nicht nur ankündigen,sondern muss sie auch spielen.
Zweitens muss konsequent geprüft werden, ob gegen dieSicherheitsfirma wegen Nötigung ermittelt werden kann.
Drittens – das ist mir ganz besonders wichtig – mussAmazon selbst bezüglich Arbeitsbedingungen, Daten-schutz und Steuertricks auf den Prüfstand.
Es reicht nicht aus, wenn der Konzern hektisch seiner Si-cherheits- und seiner Leiharbeitsfirma kündigt. So ein-fach kann sich Amazon nicht seiner unternehmerischenVerantwortung entziehen.
Verantwortung ist ein gutes Stichwort, um auf diepolitische Verantwortung hinzuweisen: Heute geht esnicht nur um diesen Skandal. „Arbeit muss sich wiederlohnen!“ – das ist das Motto von Schwarz-Gelb. Inzwi-schen arbeiten aber fast 25 Prozent der Beschäftigten un-ter prekären Arbeitsbedingungen.
Niedrige Löhne, Minijobs, Befristungen, Leiharbeit,Werkverträge, Scheinselbstständigkeit – das ist die Re-alität. Amazon nutzt diese Fehlentwicklungen auf demArbeitsmarkt und hat sein Geschäftsmodell perfektio-niert. Aber auch viele andere Beschäftigte leiden unterschlechten Arbeitsbedingungen, niedrigen Löhnen undUnsicherheit. Sie sind ungeschützt aufgrund von Tarif-flucht und fehlenden Betriebsräten. Sie, die Regierungs-fraktionen, ignorieren diese Fehlentwicklungen und zei-gen keinerlei Empathie für die Verliererinnen undVerlierer auf unserem Arbeitsmarkt. Das ist nicht akzep-tabel.
Als Reaktion auf diesen Skandal brauchen wir keineschönen Worte und inhaltslosen Ankündigungen. Not-wendig sind Anerkennung und Wertschätzung von Ar-beit. Die unsäglichen Arbeitsbedingungen bei Amazonsind nicht allein durch die Leiharbeit entstanden – HerrKolb, da haben Sie recht –, aber natürlich müssen dieLücken bei der Leiharbeit geschlossen werden. WirGrüne fordern schon lange vehement Equal Pay, Mitbe-stimmungsrechte und vor allem effektive Kontrollen, diein dem vorliegenden Fall nicht funktioniert haben. Dasallein reicht aber nicht. Die Lohndrückerei geht mitzweifelhaften Werkvertragskonstruktionen weiter. Auchhier brauchen wir klare Regelungen. Vor allem abermuss der Trend zu immer mehr Befristungen gestopptwerden. Amazon ist auch hierfür ein extremes Beispiel;denn im neuen Lager in Koblenz sind von den 3 300 Be-schäftigten gerade einmal 200 unbefristet angestellt.3 100 sind befristet angestellt. Auch das ist ein Skandal.
Die Fakten sind schon lange bekannt. Diese Regie-rung kümmert sich aber nicht um die Sorgen der Be-schäftigten. Sie unternimmt nichts gegen die Tarifflucht.Sie bringt keinen Mindestlohn zustande. Stattdessenstreitet sie über eine Mogelpackung. Sie verweigert jeg-liche Regulierung auf dem Arbeitsmarkt. Die Hinweiseauf soziale Verwerfungen hingegen streicht sie aus ihremeigenen Armuts- und Reichtumsbericht. Mit dieser Poli-tik muss endlich Schluss sein.
Wir brauchen soziale Leitplanken auf dem Arbeits-markt. Ich habe es schon gesagt: Der Wert von Arbeitmuss endlich wieder im Mittelpunkt stehen. Es geht umdie Würde des Menschen, auch in der Arbeitswelt. Wennhier nicht schnell ein Umdenken stattfindet, wird es baldwieder einen neuen Fall wie Schlecker oder Amazon ge-ben. Deswegen empfehle ich der Bundesregierung, sichdie Krokodilstränen wegen Amazon zu sparen und mitder Arbeit zu beginnen – in der Zeit, die ihr noch bleibt.Vielen Dank.
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Jetzt hat Gitta Connemann das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Welt-weit hat der Bericht Ausgeliefert! der ARD für Entsetzengesorgt. Das sind, wie ich finde, gespenstische Bilder.Eines liegt auf der Hand: Die Vorwürfe müssen über-prüft werden. Wenn diese Vorwürfe nur zu einem Teilstimmen, dann sind wir alle Augenzeugen eines Skan-dals. Im Namen der CDU/CSU-Fraktion sage ich an die-ser Stelle: Das ist ein Verhalten, das abstoßend ist, dasmenschenunwürdig ist und gegen das wir uns mit allerKraft stemmen und wehren werden.
Alle Fakten müssen jetzt so schnell wie möglich aufden Tisch. Deshalb bin ich Ihnen, liebe Frau MinisterinDr. von der Leyen, sehr dankbar; denn nach Bekannt-werden der Vorwürfe haben Sie tatsächlich sofort gehan-delt.
Frau Kollegin Müller-Gemmeke, Sie sagten, das sei Ak-tionismus. Für mich ist das kein Aktionismus. Ich er-hoffe, erwarte und erbitte mir von einer Ministerin, dasssie ihre Aufgaben erledigt. Das hat diese Ministerin inbester Weise gemacht, weil ihr an der Hilfe für Men-schen gelegen ist – offensichtlich anders als Ihnen;
denn ich stelle in dieser Debatte fest, dass Sie ein Ge-fecht gegen die Zeitarbeit austragen. Die Frage ist aber:Liegt das Problem tatsächlich bei der Zeitarbeit? Schonjetzt steht nach den Prüfungen fest,
dass das System von Amazon komplex ist. Es geht ebennicht nur um Zeitarbeit. Da gab es Transportunterneh-men, Sicherheitsdienste und Beherbergungsbetriebe. Da-von sind die Zeitarbeitsunternehmen zu unterscheiden,deren Mitarbeiter Auftragsspitzen abdeckten. Die Minis-terin hat strenge Konsequenzen angekündigt. Sollte dieSonderprüfung ergeben, dass Regelungen nicht einge-halten worden sind, werden diese Firmen mit dem Ver-lust ihrer Lizenz rechnen müssen.Das ist übrigens kein Sonderfall; denn es ist dieserMinisterin zu verdanken, dass die Anzahl der Prüfungennach Vorfällen im AÜG in den letzten drei Jahren um93 Prozent erhöht worden ist.
Das ist übrigens anders als zur Zeit des ArbeitsministersOlaf Scholz. Auch darauf möchte hinweisen.
Das zeigt nicht nur, dass der Kollege Schiewerling rechthat, dass die Kontrolle stimmt, sondern auch, dass dasGesetz funktioniert.
Zeitarbeit ist nicht das eigentliche Problem; das wis-sen Sie übrigens auch, liebe Frau Kollegin Kramme. Ichdarf aus einem Antrag der SPD zitieren, den wir morgendebattieren werden. Darin steht sehr deutlich:Die Leiharbeit ist für Unternehmen unattraktivergeworden, seitdem eine Reihe von zwingendenVorgaben … ins deutsche Recht übernommen wer-den musste. Für die Leiharbeit existiert mittlerweileein Mindestlohn.Genau so ist es – aber nur dank des Einsatzes der christ-lich-liberalen Koalition. Sie sind daran jahrelang ge-scheitert.
Lassen Sie Ihren heiligen Zorn gegen eine Branche,die der Turbo am Arbeitsmarkt gewesen ist und die im-mer für die Schwächsten am Arbeitsmarkt eine Brückein Beschäftigung gewesen ist! Damit begegnen Sie andieser Stelle übrigens auch nicht dem Problem; denn dieHauptfrage in einer solchen Debatte müsste doch sein:Welche Verantwortung trägt ein Unternehmen wie Ama-zon?
Die Verantwortlichen dort waschen ihre Hände in Un-schuld. Schuld sind immer die anderen, sagt Amazon,nach dem Motto: Mein Name ist Hase; ich weiß vonnichts.
Aber ist es damit getan, zu sagen, die Sicherheit der Mit-arbeiter werde sehr ernst genommen, während Arbeit-nehmer von einem Sicherheitsdienst schikaniert werden,und zu erklären, man sei um das Wohlergehen der Mitar-beiter besorgt, während diese in einer Ferienanlage zu-sammengepfercht wurden? Unsere Antwort lautet: Nein,das reicht nicht. Es gehört zur Verantwortung eines Kon-zerns, nicht nur über Sozialstandards zu reden, sondernauch für ihre Einhaltung zu sorgen, und zwar an jederStelle der Kette.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27447
Gitta Connemann
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Zwar ist inzwischen der Sicherheitsdienst geschasstworden, ebenso wie das Unternehmen, das für die Unter-bringung zuständig war. Aber die Frage lautet: Wäre dasauch ohne öffentlichen Druck passiert?
Ich persönlich befürchte, dass das nicht der Fall gewesenwäre. Vielmehr entsteht der Eindruck, als ob Arbeits-und Lebensbedingungen sowie Fragen der Ethik für ei-nen Konzern wie Amazon erst dann eine Rolle spielen,wenn sich die Kunden abwenden. Das hat für mich per-sönlich sowie für unsere Fraktion mit sozialer Unterneh-mensverantwortung nichts mehr zu tun.
Grundsätzlich nicht vorzuwerfen ist einem Unterneh-men wie Amazon, dass es Zeitarbeitnehmer beschäftigt.Dass das Geschäftsmodell von Versandhändlern ohnediese in einer Hochsaison wie Weihnachten nicht funk-tioniert, muss jedem bekannt sein.
Es handelt sich um eine saisonale Spitze und damit umeine klassische Situation für Zeitarbeit. Nur so kann üb-rigens Auslieferung 24 Stunden am Tag klappen. DieKunden wollten das bislang auch so. Etwa jedes fünfteBuch in Deutschland wird inzwischen über Amazon ver-kauft. Der Buchhandel vor Ort liegt übrigens an vielenStellen am Boden; denn es ist so einfach: ein paarKlicks, und dann kommen die Pakete ins Haus. Aber ichsage auch: Jeder Klick bewirkt etwas. Vielleicht wäre esfür uns alle besser, beim nächsten Geschenkeeinkaufdoch mal wieder um die Ecke zu gehen.Ich bin davon überzeugt, dass erst dann, wenn vieleVerbraucher bewusst kaufen, die Amazons, aber auchdie Zalandos der Welt merken, dass sie nicht alles ma-chen können, um ihren Profit zu steigern – und das wäregut.
Jetzt hat Michael Roth das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Seit 1998 darf ich den nordhessischen Wahlkreis Werra-Meißner – Hersfeld-Rotenburg hier im Bundestag ver-treten, eine Region, die seit 1989 aus der Randlage in dieMitte Deutschlands und Europas gerückt ist.
Die Region Bad Hersfeld ist eine der bedeutenden Mobi-litäts- und Logistikdrehscheiben in Deutschland und Eu-ropa. Tausende von neuen Arbeitsplätzen sind in denvergangenen Jahren in unserer Region geschaffen wor-den,
bei Logistikern, Distributionszentren, Buchgrossisten undeben auch Internetkaufhäusern wie Amazon.Amazon ist mit rund 4 000 Beschäftigten der größteArbeitgeber. Das ist kein Zufall. Das ist auch nicht vomHimmel gefallen. Das ist vor allem das Ergebnis guterkommunalpolitischer Entscheidungen;
die Kommunen haben sehr viel Geld in die Hand genom-men und Engagement gezeigt. Es ist das Verdienst unse-rer zentralen Lage und einer guten Infrastruktur im Be-reich Verkehr, es ist vor allem aber auch das Verdienstganz tüchtiger, engagierter Arbeitnehmerinnen und Ar-beitnehmer, die zu keinem großen Lohn eine hervorra-gende Arbeit leisten und damit dazu beigetragen haben,dass aus einer Region in einer Randlage eine boomendeRegion geworden ist.
Wir profitieren von der Logistikbranche. Wir habeneine relativ niedrige Arbeitslosigkeit. Die Standortkom-munen haben hohe Steuereinnahmen. Neue Qualifizie-rungsangebote haben sich entwickelt, beispielsweise einduales Studium in der Logistikwirtschaft. Aber wo Lichtist, ist eben auch Schatten. Im Falle von Amazon ist sehrviel Schatten. Dort gibt es eine hohe Zahl von befristetenArbeitsverträgen; circa 50 Prozent der Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer bei Amazon sind nur befristet be-schäftigt. Wir haben eine hohe Zahl von Menschen, diedarauf angewiesen sind, zum Landkreis zu gehen, umihre niedrigen Löhne aufzustocken, und leider – das er-lebe ich immer wieder in meinen Sprechstunden, in de-nen nicht wenige Beschäftigte von Amazon und anderenLogistikunternehmen um Rat suchen – ist die Motivationrelativ gering, weil die Jobs oft ein schlechtes Image ha-ben.Daran ist Amazon maßgeblich selbst schuld, da dasUnternehmen eine beispiellose Geheimniskrämerei be-trieben hat. Transparente Unternehmensführung, Dialogmit der Öffentlichkeit sowie Dialog und Austausch mitden Medien sehen anders aus. Liebe Kolleginnen undKollegen von CDU/CSU und FDP, das hat nichts mitKontrollen zu tun. Wir wurden nicht durch Kontrollen,sondern durch die Medien auf diesen Skandal aufmerk-sam gemacht.
Es ist meiner Fraktion im Oktober vergangenen Jahreserstmals gelungen, einen hohen Verantwortlichen vonAmazon zu einer öffentlichen Diskussionsveranstaltungüber die Arbeitsbedingungen zu bewegen. Ich erinnere anGLS. Auch dieses Unternehmen hat seinen Hauptsitz inmeinem Wahlkreis, in Neuenstein. Günter Wallraff hat
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27448 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Michael Roth
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dort im vergangenen Jahr eine Reportage über die Ar-beitsbedingungen gemacht. Bis heute verweigert diesesUnternehmen ein Gespräch mit einem Bundestagsabge-ordneten, weil man die Öffentlichkeit und offensichtlichauch die Kritik scheut. Insofern kann ich nur hoffen, dassdie Reaktionen für diese Unternehmen ein heilsamerSchock sind. Jetzt muss aufgeklärt werden, jetzt müssenMissbräuche abgestellt werden; denn es gibt Gründe da-für, dass diese Branche über ein so schlechtes Image ver-fügt.Ich kann mich den Vorrednerinnen und Vorrednern indieser Hinsicht nur anschließen. Wir brauchen eine Wie-derbelebung der Kultur der sozialen Verantwortung. Un-ternehmen, die rein profitorientiert an den Interessen derBeschäftigten vorbeiarbeiten, können nicht im Sinne dersozialen Marktwirtschaft sein. Insofern ist diese Debatte,die wir heute führen, gut; aber konkrete Taten, liebe Kol-leginnen und Kollegen der Koalition, sind besser. DiePolitik ist es den Beschäftigten, aber auch den verant-wortungsbewussten Unternehmen und der Kommunal-politik schuldig, endlich tätig zu werden. Wir als Gesetz-geber sind für den Rahmen unternehmerischen Handelnsverantwortlich. Es liegt in unserer Hand, ob Arbeitneh-merinnen und Arbeitnehmer ihren Glauben an die so-ziale Marktwirtschaft wiedererlangen. Wenn uns dasnicht gelingt, dann geht in unserem Land mehr kaputt alsdie Reputation eines großen Internetkaufhauses.
Meine Fraktion redet nicht nur und stellt nicht nur denAntrag, hier und heute diese Aktuelle Stunde durchzu-führen, sondern wir streiten – und das schon seitJahren – für das Prinzip „Gleicher Lohn für gleiche Ar-beit“. Wir wollen den Niedriglohnsektor austrocknen.
Wir kämpfen für einen flächendeckenden gesetzlichenMindestlohn. Wir müssen die Leiharbeit begrenzen. Wirmüssen die Mitbestimmung der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer ausbauen. Diese Regierung hat außerwohlmeinenden Worten nichts zustande gebracht.
Voraussetzung für einen Politikwechsel hin zu mehr so-zialer Gerechtigkeit ist die Abwahl von Schwarz-Gelb.
Ich hoffe, dass das den Wählerinnen und Wählern klarist.Vielen herzlichen Dank.
Johannes Vogel hat jetzt das Wort für die FDP-Frak-
tion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ich glaube, wir alle sind uns einig – das ist heute auchaus den Wortbeiträgen hervorgegangen –, dass die Zu-stände, die in der Fernsehsendung kritisiert wurden,wenn die Vorwürfe zutreffen, inakzeptabel sind. Aber,lieber Kollege Roth: Sie von der Opposition, gerade Sievon der SPD-Fraktion, versuchen, daraus Ihr politischesSüppchen zu kochen und dieser Koalition einen Vorwurfzu machen.
Man muss sich einmal die Frage stellen: Welche Vor-würfe wurden in der Sendung erhoben? Ich denke, wiralle haben die Sendung gesehen. Ich würde die Vorwürfefolgendermaßen zusammenfassen: Amazon hat den Mit-arbeitern, wenn das alles zutrifft, falsche Versprechun-gen gemacht.
Amazon hat eine skandalöse Sicherheitsfirma engagiert.Amazon hat ein fragwürdiges Transportunternehmen en-gagiert. Es wurden nicht nur Arbeitnehmerrechte, alsoRechte des Arbeitnehmers gegenüber dem Unterneh-men, sondern auch ganz grundlegende Menschenrechtemissachtet, zum Beispiel durch den Sicherheitsdienst dieUnverletzlichkeit der Wohnung. Ich will eines ganz klarsagen – das gilt für meine Fraktion, aber, wie ich weiß,auch für die gesamte Koalition –: Das ist vollkommeninakzeptabel.
Das ist inakzeptabel, weil Grundrechte und Arbeitneh-merrechte missachtet werden. Das ist aber auch deshalbinakzeptabel, weil es hier insbesondere um Arbeitneh-mer geht, die aus dem Ausland angeworben wurden; dasunterminiert also auch den Ruf Deutschlands als Ein-wanderungsland.Politisch könnten Sie dieser Koalition einen Vorwurfmachen, wenn nicht gehandelt worden wäre. Das ist abernicht zutreffend. Ich will festhalten: Hier ist nicht derrechtliche Rahmen das Problem, sondern hier wurde,wenn die Vorwürfe zutreffen, gegen Gesetze verstoßen.
Die Aufgabe besteht natürlich darin, Kontrolle auszu-üben, gegebenenfalls Sanktionen zu verhängen und zuhandeln.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27449
Johannes Vogel
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Da kann ich wirklich nur sagen: Das hat die Regierunggetan.
Am Donnerstag letzter Woche wurden die Vorwürfepublik; es wurde medial über sie diskutiert. Am Montagdarauf, also am übernächsten Werktag, fand eine Prü-fung statt, waren BA und Zoll im Haus.
Wiederum zwei Tage später, am übernächsten Werktag,nämlich heute, ist die Prüfung abgeschlossen. Nun wirdausgewertet. Eine mögliche Strafe für das Zeitarbeitsun-ternehmen kann, wie die Kollegen schon gesagt haben,bis hin zum Lizenzentzug gehen. Liebe Kolleginnen undKollegen von der SPD, bei aller Liebe: Politisches Nicht-handeln sieht anders aus. Das können Sie uns schlichtnicht vorwerfen.
Diesen Vorwurf können Sie uns auch nicht generellmachen. Es wurde schon darauf hingewiesen: Unter die-ser Arbeits- und Sozialministerin finden im Bereich derZeitarbeit doppelt so viele Kontrollen statt wie noch un-ter Sozial- und Arbeitsminister Scholz von der SPD.
Auch hier gilt für diese Koalition: Politisches Nichthan-deln, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, siehtanders aus. Dieser Pfeil fliegt auf Sie zurück.Ich finde bemerkenswert, was Sie hier versuchen. Sieversuchen nämlich, Äpfel mit Birnen zu vergleichen. Siesagen nicht: „Hier hat es möglicherweise skandalöseRechtsverstöße eines Unternehmens gegeben“, sondernSie sagen: „Bei der Zeitarbeit stimmt es insgesamt nicht.“ –Man sollte sich, glaube ich, einmal vergegenwärtigen,was die Zeitarbeit in Deutschland leistet. Sie sorgt nichtnur für Flexibilität, sondern bietet Menschen auch Ein-stiegschancen. Zwei Drittel der Zeitarbeitnehmer kom-men aus der Arbeitslosigkeit. 40 Prozent von ihnen ha-ben gar keine berufliche Qualifikation. Das ist ein Wert,den man nicht wegwerfen sollte.
Bedenken Sie auch, was diese Koalition gemacht hat.Wir haben den Mindestlohn in der Zeitarbeit eingeführt.
Wir haben dafür gesorgt, dass die Tarifpartner jetzt eineschrittweise Angleichung an Equal Pay vornehmen.Diese Koalition hat dem Missbrauch schon durch die so-genannte Anti-Schlecker-Klausel einen Riegel vorge-schoben. Man kann also festhalten: Diese Koalition hatdie Zeitarbeit so reguliert, dass Missbrauch gesetzlichverhindert wird, aber ihre Vorteile für die Menschen er-halten werden. Wenn einzelne schwarze Schafe immernoch gegen Gesetze verstoßen, dann ist es richtig, dassdie Behörden reagieren. Das tun sie, wie ich eben ausge-führt habe, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Ich will zum Abschluss noch etwas sagen. Liebe FrauKollegin Müller-Gemmeke und liebe Frau KolleginKramme, Sie haben auch in einer anderen Hinsicht ver-sucht, Äpfel mit Birnen zu vergleichen, und damit dasKind mit dem Bade ausgeschüttet. Sie nehmen diesenFall als Beleg dafür, dass am Arbeitsmarkt alles schlechtsei. Ich habe in der Debatte zwei Begründungen gehört:Erstens: Es sei alles schlecht, und wir bräuchten dengesetzlichen Mindestlohn, den Sie fordern. Es ist wirk-lich bemerkenswert, dass Sie diesen Fall als Beleg fürdie Notwendigkeit eines gesetzlichen Mindestlohns neh-men.
Denn zum einen gibt es in der Zeitarbeit einen tariflichenMindestlohn, den diese Koalition ermöglicht hat,
und zum anderen liegt der Lohn, der den Zeitarbeitneh-mern im konkreten Fall gezahlt wurde, über dem, wasSie als gesetzlichen Mindestlohn fordern. Worauf wollenSie also hinaus, liebe Kolleginnen und Kollegen? Dochganz sicher nicht auf die angebliche Notwendigkeit einesgesetzlichen Mindestlohns, die Sie immer wieder be-haupten.
Zweitens kritisieren Sie die Befristung. Liebe FrauKollegin Müller-Gemmeke, Sie sind uns schuldig ge-blieben, zu erklären, was die Beschäftigung von Zeitar-beitnehmern im konkreten Fall mit Befristung zu tun ha-ben soll. Wenn es um Befristung geht, sollten wir, glaubeich, nicht die Unwahrheit erzählen. Sie wissen so gut wiewir, dass Befristung in Deutschland nicht zunimmt; dassagt uns das Statistische Bundesamt. Außerdem hat diegroße Mehrheit der Menschen, die in Deutschland be-fristet eingestellt werden, fünf Jahre danach einen unbe-fristeten Vertrag, die Hälfte beim selben Arbeitgeber.Befristung als Beleg für eine Verrohung am Arbeits-markt zu klassifizieren und nicht als das, was sie inWahrheit ist, nämlich eine Einstiegschance für die Men-schen, ist unredlich.
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27450 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Johannes Vogel
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In diesem Sinne: Wir alle sind geschockt über das,was dort vorgefallen ist. Gut, dass jetzt kontrolliert wird.Wir werden sehen, was dabei herauskommt. Als Belegfür die angebliche Untätigkeit dieser Koalition am Ar-beitsmarkt eignen sich diese Vorfälle bei aller Liebenicht.Vielen Dank.
Jetzt hat Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Frak-
tion das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Was wäre eigentlich gewe-sen, wenn diese Reportage nicht ausgestrahlt wordenwäre? Wäre die Wahnsinnskontrolle, auf die Sie so stolzsind, dann wahrscheinlich schon vor Weihnachten inGang gesetzt worden? Wären dann die Hunderte undTausende, die da gelitten haben, erkannt worden, und dieBundesregierung hätte diesem Missbrauch abgeholfen?Wäre das wirklich so gewesen?
Kann man stolz sein auf eine Kontrolle, die offenkundiggar nicht stattgefunden hat? Denn es hat sie nicht gege-ben im Weihnachtsgeschäft bei Amazon.
„Vorsicht, wenn man sich so selbst lobt!“, würde ich dasagen.Ich denke, wir müssen den Medien dankbar sein. DieBundesregierung müsste entsprechende Schreiben schonin Serie ausgefertigt haben; denn es bedarf offenkundigdes medialen Drucks, bevor Kontrolle in Gang gesetztwird. Das ist doch die Wirklichkeit, über die wir hier re-den müssen.
Ich finde, was wir bisher gehört haben, war kein Ruh-mesblatt für die Regierung.
Ich würde sagen, es ist wieder so weit. Die Ministerinfür Arbeit und Soziales schleckert durch das Land; dennes ist ganz so, wie wir es bei Schlecker erlebt haben: Zu-erst sehen wir größtmögliche Empörung – zu Recht –,weil Missstände da sind. Als nächster Akt werden dieVorfälle als Einzelfall deklariert; dann ist der Gesetzge-ber aus dem Schneider, wirksame Maßnahmen zu ergrei-fen, die vielen zugutekommen. Dann folgt eine kleineLösung, und wenn die mediale Aufmerksamkeit sichwieder anderen Themen zuwendet, sinkt das Engage-ment. – So erleben wir unsere Regierung,
und damit sind wir als Sozialdemokraten absolut nichteinverstanden.
Es gibt einen ganz großen blinden Fleck. Sie meinenimmer, das sei kein strukturelles Problem. Ich sage Ih-nen aber: Das ist ein strukturelles Problem.
Wer diese Vorfälle auf einen bedauerlichen Einzelfall re-duziert, kann in der Lösung schon nicht mehr überzeu-gen. Wir kennen verbale Kraftmeierei seitens der Bun-desregierung hinlänglich.Ich zitiere, was Thomas Öchsner dieser Tage in derSüddeutschen Zeitung geschrieben hat:Das Vermieten von Arbeitnehmern ist mittlerweilezu einem Symbol für Exzesse im Land des Jobwun-ders geworden.Er titelt seinen Kommentar „Ausbeutung als Teil des Ge-schäftserfolgs“, und leider, leider hat er recht,
weil er die Dimension des Problems erkannt hat. Im Üb-rigen haben wir auch hier – denn, Herr Kolb, wir habeneinen Antrag zur Leiharbeit vorgelegt, und dem konntenSie sich ja nicht anschließen – rechtzeitig auf die Lückenhingewiesen, die bestehen. Sie leugnen das und empörensich dann, wenn so etwas wie bei Amazon stattfindet.Ich sage Ihnen: Die vielen Kontrollen, auf die Sie stolzsind, reichen nicht aus. Setzen Sie das doch bitte einmalins Verhältnis zur wachsenden Zahl der Leiharbeit, dannist auch die Erhöhung der Kontrollen überhaupt keinRuhmesblatt mehr.Ich möchte Ihnen allerdings auch eine andere Seitenicht vorenthalten, denn es gibt eine andere Seite desSkandals. Das sind die Rolle und die Verantwortung derKunden und Verbraucher. Wenn wir in einer AktuellenStunde darüber reden, dann muss auch diese Seite be-leuchtet werden, und ich nehme kein Jota von meinerKritik an der Bundesregierung zurück; verstehen Siemich da nicht falsch.Aber wenn wir uns die Rolle der Verbraucherinnenund Verbraucher anschauen, dann frage ich mich: DieKabinettsmitglieder haben bestimmt keinen Amazon-Account? Ich glaube, niemand aus Ihrer Fraktion hat je-mals den Onlineshop genutzt, um schnell an ein Produktzu kommen! Denn das ist das Problem: Wir leben inzwi-schen in einer Gesellschaft, in der wir glauben, wir müs-sen jedes Produkt innerhalb von 24 Stunden haben. Wirwollen es haben, ohne Lieferkosten zu bezahlen. Wirwollen es zu einem niedrigen Preis haben, und dannglauben wir noch, wir müssten nicht dahinterschauen,wie die Arbeits- und Lohnbedingungen der Beschäftig-ten sind, die diesen ganzen Service leisten. Ich finde, so
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27451
Gabriele Lösekrug-Möller
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viel Selbstkritik muss sein, wenn man glaubwürdigePolitik machen will.
Ich möchte Ihnen noch ein Letztes mit auf den Weggeben; die paar Sekunden Redezeit reichen noch aus.Nach der Reportage in der ARD, der Berichterstattung inden Medien und unserer Debatte kann niemand mehr sa-gen: „Das habe ich aber nicht gewusst.“ Wir können unsdazu verhalten. Ich erwarte von einer Bundesregierung,die die Arbeitnehmer- und Arbeitnehmerinneninteres-sen im Blick hat, mehr als eine Einzelfallprüfung, undschon gar nicht erwarte ich, dass eine verspätete Kon-trolle Anlass zu Selbstlob ist. Das stinkt.
Herr Kollege Dr. Matthias Zimmer hat das Wort für
die CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Darüber,dass das ein Skandal ist, sind wir uns, denke ich, alle ei-nig. Was da aufgedeckt worden ist, hat mit Respekt undWürde der Arbeit überhaupt nichts zu tun.Nun hat Amazon relativ schnell reagiert und die Zu-sammenarbeit mit den Firmen, die für die Unterbringungund den Transport zuständig waren, ebenso gekündigtwie der Sicherheitsfirma. Die Bundesagentur hatAmazon aufgefordert, die Vorwürfe zu klären. Ich habeeben noch einmal auf die Webpage von Amazon ge-schaut. Die Presseerklärung, die dort zu lesen war, fandich, ehrlich gesagt, ein wenig dünn. Da ist in der Tat vonunternehmerischer Verantwortung für gute Arbeit relativwenig zu spüren.
Tatsächlich hat aber die Ministerin die Prüfung derZeitarbeitsfirma veranlasst, und die Bundesagentur hatsoeben gemeldet, sie habe Verstöße gegen das Arbeit-nehmerüberlassungsgesetz festgestellt und werde in ei-nem Verwaltungsverfahren über Konsequenzen ent-scheiden. Dies kann bis zum Verlust der Lizenz gehen.Und – ich denke, für Amazon beinahe noch dramatischer –die Kunden haben reagiert, haben ihrer Wut in Inter-netforen Luft gemacht oder schlicht ihre Konten beiAmazon löschen lassen; ein veritabler Ansehensverlustfür die Firma. War es das wert?Nun könnte man sagen, ein Missbrauch ist aufgedecktworden, Politik und Öffentlichkeit haben schnell re-agiert, eine juristische Bewertung steht noch aus. Aberdas ist nicht der Hintergrund dieser Aktuellen Stunde.Hintergrund ist der Versuch, über die Vorgänge beiAmazon die Zeitarbeit generell in ein schlechtes Licht zurücken.
Anders kann ich mir die Erregungs- und Empörungsspit-zen, die hier aufgetreten sind, auch nicht vorstellen. Esgeht Ihnen gar nicht um die Hilfe für die Menschen,meine Damen und Herren von der Opposition, es gehtIhnen darum, die Bundesregierung und die Zeitarbeit zudiskreditieren, und das ist falsch.
Ich verstehe, dass manche Firmen zur Abfederungvon Auftragsspitzen Zeitarbeitnehmer beschäftigen. Dasist auch bei Amazon der Fall. An den beiden Standortenin Bad Hersfeld – der Kollege Roth hat es erwähnt – sindinsgesamt 2 800 Mitarbeiter dauerhaft beschäftigt, doches gibt Auftragsspitzen, die nur mit vorübergehend täti-gen Mitarbeitern abgearbeitet werden können. Das be-trifft vor allen Dingen das Weihnachtsgeschäft.Hierfür hat Amazon in den vergangenen Jahren auchmithilfe der Bundesagentur Arbeitnehmer aus dem Aus-land angeworben, ohne dass es zu Problemen kam. Imletzten Jahr ist eine Zeitarbeitsfirma zwischengeschaltetworden. Über die Praktiken dieser Firma, des Sicher-heitsdienstes und der Firma, die für die Unterbringungund den Transport zuständig war, sprechen wir heute imWesentlichen, aber nicht über die Arbeitsbedingungenbei Amazon generell.Ich will an dieser Stelle auch sagen: Für die Regionum Bad Hersfeld war die Ansiedlung von Amazon einGlücksfall, eben weil hier auch in hoher Zahl dauerhafteArbeitsstellen geschaffen worden sind. Das muss manbei aller Aufregung auch einmal hervorheben dürfen.
– 2 800 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, verehrteFrau Künast, finde ich schon eine ganz beachtliche Leis-tung.Gerade für das Segment „ungelernte Arbeitskräfte“ist Amazon ein guter Arbeitgeber. Immer wieder werdenbefristete Stellen in unbefristete umgewandelt. Die Re-gionalagentur der Bundesagentur ist mit Amazon in Ge-sprächen darüber, wie der Bedarf an Arbeitskräftenkünftig gedeckt werden kann.Worüber ich mich aber immer wieder ärgere, ist, dassdas sinnvolle Instrument der Zeitarbeit durch wenigeschwarze Schafe diskreditiert wird. In Deutschland sindzurzeit etwa 800 000 Menschen in der Zeitarbeit tätig.Davon sind zwei Drittel zuvor nicht beschäftigt gewe-sen. Für sie ist die Zeitarbeit also der Weg in den Ar-beitsmarkt und vielleicht auch in eine dauerhafte Be-schäftigung.
Die Zeitarbeit unterliegt dem Arbeitsrecht und dengesetzlichen Schutzansprüchen. Wir haben in dieser Le-gislaturperiode einmal eine missbräuchliche Nutzung
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Dr. Matthias Zimmer
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von Zeitarbeit verboten, Stichwort Schlecker; der Kol-lege Kolb hat darauf hingewiesen. Wir haben mittler-weile einen Mindestlohn in der Zeitarbeitsbranche, undauch hinsichtlich der Entlohnungsangleichung hat esdeutliche Fortschritte gegeben.Wir haben also deutliche Verbesserungen der Rah-menbedingungen für die Zeitarbeit erreicht. Der Gesetz-geber alleine kann es aber nicht richten, auch nicht dieKontrollinstanzen bei der Bundesagentur für Arbeit undder Finanzkontrolle Schwarzarbeit.Ich denke, dass dieser Fall eines deutlich macht, dassnämlich ein solcher Missbrauch auch zu einem PR-Pro-blem der Firma wird, die mit Fremdfirmen zusammen-arbeitet. Ich hoffe sehr, dass andere Firmen hieraus ler-nen, dass sie mit für das verantwortlich sind, was die vonihnen beauftragten Dritten tun, und dass sie schon im ei-genen Interesse darauf pochen, dass sich solche Vor-kommnisse wie bei Amazon nicht mehr wiederholen.Einen guten Ruf kann man nicht kaufen, aber mankann ihn schnell verlieren. Damit mag sich dann nach ei-nem alten Sprichwort zwar ungeniert leben, aber nichtmehr erfolgreich wirtschaften lassen.Danke schön.
Wer sich damit beschäftigt, der weiß: Bei Amazonwird seit Jahren darum gekämpft, dass es in Betriebenmit vierstelliger Beschäftigtenzahl einen Betriebsratgibt, dass dort ein Tarifvertrag angewandt wird und dassdort einfach normales Recht umgesetzt wird. KeinMensch hat sich bis jetzt dafür interessiert. Das ist nichtnur bei Amazon so, sondern in vielen Teilen dieserneuen Dienstleistungsbranche.
Wir haben es in diesem Bereich mit einer Umwälzungzu tun, die zum Beispiel auch dazu führt, dass im Einzel-handel insgesamt inzwischen ein nahezu tarifloser Zu-stand herrscht und dass es im Moment gar keinen Wegmehr zu geben scheint, dort wieder zu einem Tarifver-trag zu kommen.Reden wir einmal von Amazon, weil hier immer be-hauptet wird, wir brauchen die ganzen flexiblen Be-schäftigungsformen für kleinere und mittlere Unterneh-men. Amazon ist eben nicht der Tante-Emma-Laden umdie Ecke, der sich mal durch Leiharbeiter oder Minijob-ber aushelfen lassen muss, sondern Amazon ist ein glo-baler, riesiger Konzern mit erheblicher Marktmacht,8 000 Beschäftigten in Deutschland und einer Gewinn-marge von 20 Prozent, der jetzt sogar das Bundeskartell-amt am Hals hat. Da fragt man sich schon: Haben die daswirklich nötig?
Es gibt also keinen ökonomischen Grund für dieSchweinereien, die da passieren. Es gibt keinen ökono-mischen Grund dafür, dass zwei Drittel der Beschäftig-ten bei Amazon – damit kommen wir hier langsam zurRechtslage – befristet beschäftigt sind, dass sie 10 bis20 Prozent unter dem Tarifvertrag bezahlt werden, dassin vielen Betrieben kein Betriebsrat vorhanden ist unddass dort die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter nichtnur wie Sklaven behandelt werden, sondern auch nochschlechter als die Festangestellten bezahlt werden.Da sind Sie dann alle überrascht. Das ist doch keinEinzelfall. Das ist die Spitze des Eisbergs der Prekarisie-rung auf dem Arbeitsmarkt. Das ist die Spitze dessen,dass inzwischen 50 Prozent aller neuen Arbeitsverhält-nisse befristet sind. Das ist die Spitze dessen, dass sichder Anteil der Leiharbeit in den letzten zehn Jahren mehrals verdoppelt hat, dass die Leiharbeiterinnen und Leih-arbeiter im Durchschnitt 40 Prozent weniger Lohnbekommen als die Festangestellten, dass es einen Nie-driglohnsektor von 23 Prozent gibt und dass es einenMissbrauch der Freizügigkeit für Arbeitnehmer in derEuropäischen Union in großem Stil gibt. Da reden Siehier von kriminellen Einzelfällen! Das ist inzwischen dieRealität auf einem großen Teil des deutschen Arbeits-markts.
Dann haben wir die Debatte, die ich gerne weiterfüh-ren möchte, aber aus Zeitgründen abkürzen muss, obman jetzt die Schuld wirklich bei den Verbraucherinnenund Verbrauchern suchen kann. Da will ich einmal denGedanken von Frau Lösekrug-Möller fortführen. Ichglaube, in einem sozialen Rechtsstaat, in einer sozialenMarktwirtschaft muss sich der Verbraucher darauf ver-lassen können, dass Rind Rind ist und dass Pferd Pferdist. Der Verbraucher muss auch nicht fragen, ob es bei
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Klaus Barthel
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dem Kauf eines Buches, das er sich zuschicken lässt,nach Recht und Gesetz zugeht. Vielmehr hat ein sozialerRechtsstaat dafür zu sorgen, dass sich der Verbraucherdarauf verlassen kann.
Hier wurden auch höhere Preise und die „Geiz istgeil“-Mentalität angesprochen. Höhere Preise garantie-ren doch keine guten Arbeitsbedingungen. Auch das istRealität. Das haben wir bei Adidas gesehen. Das habenwir bei Apple in China gesehen. Das haben wir im Lu-xushotel „Bayerischer Hof“ in München gesehen und woauch immer wir hinschauen: Teuer, teuer, teuer, aberauch schlechte Arbeitsbedingungen.Frau von der Leyen – erst einmal großen Respekt da-für, dass Sie sich diese Debatte hier anhören –,
wir müssen doch hier feststellen, dass seit Monaten keinTag mehr vergeht, wo nicht Schwarz-Gelb irgendwelchesozialen Gewissensfragen stellt. Aber Sie haben ebenden Missbrauch bei der Leiharbeit nicht gestoppt,
sondern Sie können ihn nur dann stoppen, wenn Sierechtlich etwas verändern: Equal Pay vom ersten Tag an,damit auch die 50 Prozent der Arbeitnehmerinnen undArbeitnehmer, die weniger als drei Monate im Entleih-betrieb beschäftigt sind, etwas davon haben,
Begrenzung der Einsatzdauer bei Leiharbeit, Kündi-gungsschutz und vor allen Dingen – das ist hier beiAmazon besonders wichtig –:
Sorgen Sie dafür, dass Betriebsräte – Frau Präsidentin,sorgen Sie bitte einmal für Ruhe, man kann ja hier nichtreden –
im Entleihbetrieb für die Arbeitsbedingungen im Be-trieb, wo die Leiharbeiter arbeiten, zuständig sind.
Es ist auch so, dass Ihre Redezeit zu Ende ist, Herr
Kollege.
Solange Sie das nicht tun, wird man auch solche Prak-
tiken wie bei Amazon kaum aufdecken können. Deswe-
gen müssen Sie auch bei der Mitbestimmung in der Be-
triebsverfassung etwas ändern. Wir müssen auch dabei
etwas ändern, dass die Bundesagentur für Arbeit im
Grunde auch noch Beihilfe zu solchen Praktiken liefert.
Das heißt: Hören Sie auf, so zu tun, als würden Sie et-
was tun, sondern tun Sie etwas: Abschaffung der sach-
grundlosen Befristung, Einführung von Mindestlöhnen,
Regulierung der Leiharbeit.
Herr Kollege.
Dann können wir hier weiterkommen. Dann können
Sie hier weiter „Skandal, Skandal“ schreien.
Aber bevor Sie nicht die rechtlichen Grundlagen auf
dem Arbeitsmarkt verändern, brauchen wir uns hier
nicht weiter zu echauffieren.
Jetzt hat Paul Lehrieder das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damenund Herren! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! LiebeFrau Kollegin Beate Müller-Gemmeke, man kann es Ih-nen nicht recht machen. Hätte unsere Arbeitsministerinauch nur drei, vier Tage zugewartet, um dann eine Prü-fung durch die Bundesagentur für Arbeit anzuregen, hät-ten Sie gesagt: Sie schläft; sie ist eine Ministerin derruhigen Hand. – Jetzt hat sie unverzüglich ohne schuld-haftes Zögern am ersten Werktag nach Bekanntwerdender Vorkommnisse direkt die Bundesagentur eingeschal-tet, um die Prüfung vorzunehmen, und Sie schwadronie-ren irgendetwas von einer hektischen Arbeitsministerin.
Ich bin froh, dass wir diese dynamische Arbeitsministe-rin haben, die unverzüglich die Prüfung eingeleitet hat,um die Missstände aufzuklären.
Auch die liebe Frau Kollegin Krellmann: Sie habeneben in Ihrem Sammelsurium von Forderungen natürlichwieder dargetan, dass in den letzten Jahren ausschließ-lich im prekären Bereich Arbeitsverhältnisse entstandensein sollen. Das wird auch durch Wiederholung nichtwahrer. Wir haben dank der christlich-liberalen Koali-tion eine Arbeitslosenquote von 7,4 Prozent. Vor dreiJahren waren es 8,3 Prozent. Wir haben aber derzeit
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Paul Lehrieder
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nicht nur 342 000 Arbeitslose weniger in Deutschland zuverzeichnen, sondern wir haben auch 1,5 Millionen so-zialversicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnissemehr. Davon sind nur 350 000 geringfügig Beschäftigte.Auch das gehört zur Wahrheit.
– Ich habe gesagt: 350 000 geringfügige Beschäftigte. –Wir haben dreimal so viel Vollzeitbeschäftigte wie ge-ringfügig Beschäftigte. Liebe Frau Kollegin Krellmann,darauf muss noch einmal hingewiesen werden, wenn Sieam Mikrofon abermals eine Legendenbildung betreiben.Meine Damen und Herren, der Internetversandhänd-ler Amazon – es wurde bereits mehrmals darauf hinge-wiesen – ist der größte Onlinehändler der Welt. Allein inDeutschland hat Amazon im vergangenen Jahr in seinensieben Logistikzentren 6,5 Milliarden Euro umgesetzt.In diesem Lichte wiegen die in der aktuellen Bericht-erstattung geschilderten Vorwürfe über die Lebens- undArbeitsbedingungen der eingesetzten Zeitarbeiter in derdeutschen Niederlassung von Amazon schwer. Auslän-dische Zeitarbeiter sollen in überbelegten Ferienwoh-nungen untergebracht und schlechter bezahlt wordensein als versprochen. Die fälligen Sozialbeiträge für dieBeschäftigten sollen nicht korrekt abgeführt wordensein. Des Weiteren sollen sie von Sicherheitsunterneh-men auf Schritt und Tritt kontrolliert und schikaniertworden sein. Herr Kollege Vogel hat zu Recht daraufhingewiesen, dass dies ein Verstoß gegen das Grund-recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung in Art. 13 desGrundgesetzes ist. Wir alle haben die Berichte über diespanisch sprechende Dame gesehen, die gesagt hat: Siewaren bei uns in der Dusche und im Schlafzimmer; wirwurden überall überwacht. – So kann es natürlich nichtgehen.Sollten sich die Vorwürfe im vorliegenden Fall erhär-ten und hierzulande Leiharbeiter unter Verstoß gegen dasArbeitnehmerüberlassungsgesetz und unter menschen-unwürdigen Bedingungen beschäftigt worden sein, müs-sen ganz ohne Frage Konsequenzen gezogen werden.Dass es uns um die Menschen geht, zeigen die jetztdurchgeführten Prüfungen. Wir wollen diese Auswüchseund Missbräuche des Arbeitnehmerüberlassungsgeset-zes, welche – auch darauf muss hingewiesen werden –seinerzeit unter Rot-Grün erleichtert worden sind, unter-binden. Uns geht es um die Menschen. Uns geht es nichtdarum, lieber Herr Kollege Roth, nach dem Motto„Schwarz-Gelb muss weg“ eine Regierung wegzube-kommen, wie Sie im letzten Satz Ihrer Rede ausgeführthaben.
Uns geht es vielmehr darum, den Menschen zu helfen.Das ist es, was uns von Ihnen unterscheidet.
Hierzu bedarf es jedoch zunächst einer genauen Un-tersuchung, um Klarheit über die Arbeitsbedingungenvon Saisonkräften bei Amazon zu erhalten. Das Bundes-ministerium für Arbeit und Soziales lässt derzeit durchdie Bundesagentur die Arbeit der betroffenen Zeitar-beitsfirma, die mit der deutschen Niederlassung des In-ternetversandhändlers Amazon zusammenarbeitet, aufmögliche Verstöße gegen die rechtmäßige Durchführungdes AÜG überprüfen. Erste Ergebnisse werden in Kürzeerwartet.
– Ja, sie sind heute herausgekommen. Mittlerweile wehrtsich das Unternehmen schon gegen die Begründetheitder teilweise festgestellten Vorwürfe. – Gegenstand derPrüfung ist unter anderem, ob die derzeit gültige Lohn-untergrenze von 7,50 Euro bzw. 8,19 Euro pro Stundevorliegend eingehalten wurde oder ob es beispielsweisefür Kost und Logis unzulässige Lohnabzüge gab.Wenn die Opposition hier reflexartig abermals dieForderung nach einem einheitlichen gesetzlichen flä-chendeckenden Mindestlohn von 7,50 Euro erhebt:
Wir sind schon viel weiter als ihr. Kommen Sie doch zuuns! Wir haben mit der FDP zusammen in der Leiharbeiteinen Mindestlohn eingeführt.
Wir haben im Übrigen im Sommer mit den Gewerk-schaften auch eine Verbesserung beim Equal Pay auf denWeg gebracht. Wir haben erst gestern mit IG-Metall-Chef Berthold Huber ein Gespräch darüber geführt, wiedie zeitlich befristete sukzessive Angleichung der Löhnebei Leiharbeitsfirmen in Stammunternehmen wirkt. Erhat gesagt, das funktioniere hervorragend. Die Gewerk-schaften, denen wir mehr zutrauen als die Linken oderdie SPD, haben einen guten Weg vorgegeben, wie wirEqual Pay sukzessive erreichen können und die Ausbeu-tung von Leiharbeitern in Stammunternehmen verhin-dert werden kann.Meine Damen und Herren, sollte sich der Verdachtbestätigen und für Amazon tätige Zeitarbeitsunterneh-men gegen das Gesetz verstoßen haben, so stehen ausrei-chend gesetzliche Handlungsmöglichkeiten zur Verfü-gung. Die betroffenen Zeitarbeitsfirmen, denen einMissbrauch nachgewiesen werden kann und die bei-spielsweise nicht nachweisen können, dass der Mindest-lohn gezahlt oder die Sozialbeiträge ordnungsgemäß ab-geführt worden sind, haben mit erlaubnisrechtlichenKonsequenzen zu rechnen. Auch dabei bin ich unsererArbeitsministerin sehr dankbar, die deutlich mit demEntzug der Erlaubnis für die Zeitarbeitsunternehmen ge-wunken hat und das auch konsequent umsetzen wird.Meine Damen und Herren, wenn Frau KolleginLösekrug-Möller eine flächendeckende Überwachungaller Unternehmen fordert, die sich im Bereich der Zeit-arbeit betätigen, bin ich ein bisschen skeptisch. Wirkommen wieder sehr schnell in einen sehr reglementier-ten Überwachungsstaat. Wir sind froh und dankbar, dassbei Anhaltspunkten die Kontrolle funktioniert hat. Wir
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Paul Lehrieder
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werden uns allerdings Gedanken darüber machen müs-sen, warum sich im Fall von Amazon beispielsweise dieaus Spanien, aus Polen kommenden –
Herr Kollege.
– sofort, Frau Kollegin –
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht eher getraut
haben, diese Vorgänge publik zu machen, warum hier
überhaupt erst ein Fernsehteam darauf hinweisen
musste. Wir werden uns weiter Gedanken darüber ma-
chen müssen, wie wir es erreichen können, dass sich mit
unseren Sozialgesetzen vielleicht noch nicht so bewan-
derte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Miss-
ständen entsprechend an uns wenden können.
Frau Präsidentin, ich bedanke mich sehr herzlich für
Ihr freundliches Räuspern hinter mir und für die Geduld
mit mir. Sie können davon ausgehen, dass wir als christ-
lich-liberale Koalition das Problem einem ordnungsge-
mäßen, vernünftigen Ende zuführen werden.
Danke schön.
Damit ist die Aktuelle Stunde beendet.Ich rufe auf die Zusatzpunkte 2 a und b:a) Beratung des Antrags der BundesregierungEntsendung bewaffneter deutscher Streit-kräfte zur Beteiligung an der EU-geführtenmilitärischen Ausbildungsmission EUTM Maliauf Grundlage des Ersuchens der Regierungvon Mali sowie der Beschlüsse 2013/34/GASPdes Rates der Europäischen Union vom17. Januar 2013 und vom 18. Februar 2013 inVerbindung mit den Resolutionen 2071
und 2085 des Sicherheitsrates der Ver-einten Nationen– Drucksache 17/12367 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOb) Beratung des Antrags der BundesregierungEntsendung bewaffneter deutscher Streit-kräfte zur Unterstützung der InternationalenUnterstützungsmission in Mali unter afrikani-scher Führung auf Grundlage derResolution 2085 des Sicherheitsratesder Vereinten Nationen– Drucksache 17/12368 –Überweisungsvorschlag:Auswärtiger Ausschuss
RechtsausschussVerteidigungsausschussAusschuss für Menschenrechte und Humanitäre HilfeAusschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit undEntwicklungHaushaltsausschuss gemäß § 96 GOHierzu ist verabredet, eine Stunde lang zu debattie-ren. – Dazu sehe und höre ich keinen Widerspruch. Dannhaben wir das so beschlossen.Als Erstem gebe ich das Wort dem Bundesministerder Verteidigung, Dr. Thomas de Maizière.
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-teidigung:Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Wir beraten heute das wei-tere Vorgehen in Mali, und das – wenn ich mir den Hin-weis erlauben darf – auch zu einer guten Tageszeit.Zunächst: Es war richtig und wichtig, dass Frankreichzügig gegen den Vormarsch der islamistischen Kämpferin den Süden Malis vorgegangen ist. Für die schnelleEntschlusskraft Frankreichs habe ich persönlich großenRespekt. Frankreich hat zwei Soldaten verloren, erst ges-tern den zweiten. Unser Beileid gilt den Angehörigenund Frankreich. Es war auch richtig, dass wir, wir Deut-schen, schnell auf der Ebene unterhalb der Einsatz-schwelle mit Transportkapazität denjenigen geholfen ha-ben, die überhaupt keine Transportkapazität hatten,nämlich den afrikanischen Staaten.Aber auf dem Weg zur nachhaltigen Beilegung desKonflikts in Mali war die militärische Intervention erstder Beginn eines Weges, eines militärischen, eines poli-tischen, eines ökonomischen, vielleicht auch eines reli-giösen Weges. Mein Kollege Westerwelle wird zu denpolitischen Aspekten natürlich gleich noch vortragen.Mali selbst muss seinen Bürgerinnen und Bürgern Frie-den und Stabilität gewährleisten können. Aber bis mali-sche Streitkräfte und Sicherheitskräfte diese Stabilisie-rungsaufgabe allein erfüllen können, brauchen sieAusbildung und Hilfe.Mit der europäischen Ausbildungsmission wollen wirunsere afrikanischen Partner so stärken, dass es künftignicht mehr zu einem Machtvakuum kommen kann undsie selbst in der Lage sind, solche Krisen möglichst ei-genständig zu meistern. Dabei gilt es, den malischenStreitkräften – ehrlich gesagt – ziemlich grundlegendeFähigkeiten zu vermitteln und zunächst einmal vier ma-lische Gefechtsverbände auszubilden und ihnen das bei-zubringen, was rechtsstaatlich geführte Streitkräfte kön-nen müssen.Die europäische Ausbildungsmission wird ihre Arbeitzunächst in Bamako und am Ausbildungsort Koulikoroaufnehmen. Neben insbesondere der Pionierausbildung
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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stellen wir die sanitätsdienstliche Versorgung sicher undunterstützen auch im Bereich der Sanitätsausbildung. Eswerden auch einige Offiziere im Hauptquartier sein. Eskommt ein Unterstützungselement hinzu, dessen Grö-ßenordnung wir noch nicht genau kennen, weil es erstnach Abschluss der näheren Erkundungen festgelegtwerden kann. Insgesamt bitten wir um die Zustimmungzu einer Höchstgrenze von bis zu 180 deutschen Solda-tinnen und Soldaten bei EUTM.Die Dauer des Einsatzes wird zunächst auf ein Jahrbefristet sein. Ich sage ausdrücklich „zunächst“, denn dieErfahrung zeigt, der Aufbau von nachhaltig friedenser-haltenden Strukturen, gerade auch der Aufbau von Si-cherheitsstrukturen ist hochkomplex und dauert meistlänger, als man sich das vorher in seinen Planungenüberlegt und zurechtgelegt hat. Wir brauchen wohl Ge-duld und Ausdauer.Meine Damen und Herren, der Sicherheitsrat hat mitder Resolution 2085 die internationale Unterstützungs-mission in Mali unter afrikanischer Führung, AFISMA,mandatiert. Die Mitgliedstaaten wurden aufgefordert,das zu unterstützen. Ziel von AFISMA ist es, die mali-sche Übergangsregierung bei der Wiederherstellung ih-rer Autorität sowie beim Schutz der Bevölkerung zu un-terstützen. Wir wollen mit dem zweiten Mandat, das wirIhnen heute vorlegen, die deutschen Unterstützungsleis-tungen zusammenfassen. Alle deutschen Unterstüt-zungsleistungen für AFISMA und damit auch für Frank-reich erfolgen auf der Grundlage der Resolution 2085des Sicherheitsrates. Bestehende Einsatzbeschränkungenwerden aufgehoben.Die Bundeswehr leistet logistische Unterstützungdurch Lufttransport und Luftbetankung. Die bisher un-terhalb der Einsatzschwelle eingesetzten Lufttransport-fähigkeiten werden in das Mandat einbezogen. Trans-portunterstützung erfolgt durch die ECOWAS- undAnrainerstaaten nach Mali und innerhalb Malis. Die Per-sonalobergrenze für diese Mission liegt bei 150 Solda-tinnen und Soldaten. Damit kommen wir auch der BitteFrankreichs nach, Luftbetankung für französische Flug-zeuge bereitzustellen, die AFISMA unterstützen. Sokönnen die französischen Flugzeuge bei ihren Unterstüt-zungsflügen für AFISMA in der Luft betankt werden.Die Zertifizierung ist seit einigen Tagen abgeschlossen.Die Entscheidung der Bundesregierung, um deren Zu-stimmung wir Sie in den Beratungen auch in der nächs-ten Woche bitten, ist gut überlegt. Sie ist eindeutig. Sieist international abgestimmt, und sie ist verantwortbar.Ich füge hinzu: Wenn wir Soldaten in einen Einsatz schi-cken, dann ist das eine ernste Angelegenheit. EUTM istein Ausbildungseinsatz. AFISMA ist ein logistischerUnterstützungseinsatz, nicht mehr, aber auch nicht weni-ger. Jeder Einsatz kann für unsere Soldaten vor Ort ge-fährlich werden. Asymmetrischen Bedrohungen müssenwir begegnen und uns gegen sie wappnen. Ich will da-rüber keinerlei Illusionen verbreiten.
Herr Minister, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Ströbele?
Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-
teidigung:
Ich erlaube Ihnen gerne, Herr Ströbele, eine Zwi-
schenfrage zu stellen. Das vermeidet eine Kurzinterven-
tion.
Herr Ströbele, bitte schön.
Danke, Herr Minister, dass Sie Ihren Redefluss etwasunterbrochen haben. – Sie sagen, dieser Einsatz ist gutüberlegt. Nun hat Deutschland bis vor ungefähr einemJahr dieselbe Armee in Mali ausgebildet. Diese Ausbil-dung wurde dann beendet, weil diese Armee die Regie-rung weggeputscht hat. Nun sagen Sie ein Jahr später,dass wir diese Armee, die geputscht hat und die wir nichtmehr ausbilden wollten, weil sie geputscht hat, unterstüt-zen wollen, obwohl damals nicht nur die Ausbildung zu-rückgeführt wurde, sondern auch die sonstige Unterstüt-zung der Regierung in Mali beendet bzw. reduziertwurde. Können Sie mir erklären, warum eine Armee, de-ren Angehörige zwischenzeitlich zu Tausenden zu denIslamisten übergelaufen sind und sich noch vor ein paarTagen in einem Armeestützpunkt nahe Bamako gegen-seitig beschossen haben, ausgebildet und ihr beigebrachtwerden soll, was rechtsstaatlich geführte Streitkräfte– so habe ich mir Ihre Aussage notiert – leisten können?Warum ist dieser Armee nicht zuvor beigebracht wor-den, was rechtsstaatlich geführte Streitkräfte leisten kön-nen? Wieso gehen Sie nun davon aus, dass diese Truppedurch die Ausbildung der Bundeswehr besser wird? Daswill mir nicht in den Kopf. Verlassen Sie sich allein da-rauf, dass die dortigen Streitkräfte sagen: „Wir wollenjetzt immer lieb sein“?Dr. Thomas de Maizière, Bundesminister der Ver-teidigung:Nein, Herr Abgeordneter Ströbele, Sie haben die Er-klärung eigentlich selbst gegeben: Die malischen Streit-kräfte sind in keinem guten Zustand. Wir waren mit vier,fünf, sechs Soldaten dabei und haben Pioniere ausgebil-det. Ehrlich bzw. etwas arrogant gesagt: Die, die wir aus-gebildet haben – wir haben zu ihnen noch ein bisschenKontakt –, gehören sicherlich zu den Besseren der mali-schen Streitkräfte,
aber es waren eben nur wenige.Herr Ströbele, ob es überhaupt die Armee ist, die aus-gebildet wird, oder ob es malische Staatsbürger sind, diewir erst zu Soldaten machen und zu einer Streitkraft zu-sammenführen, das wird man vor Ort sehen. Der Zu-stand ist so, dass dieses Land endlich demokratisch undrechtsstaatlich geführte Streitkräfte braucht. Solche hat
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Bundesminister Dr. Thomas de Maizière
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es bisher nicht, und diese kann das Land nicht aus eige-ner Kraft schaffen – aus den Gründen, die Sie geschil-dert haben: Die Soldaten haben sich untereinander be-schossen. Der Hauptmann Sanogo weiß nicht, wemseine Loyalität gehört. Die Regierung ist zu schwach,um die Streitkräfte zu führen.Deswegen ist es richtig, dass die Europäische Unionmit rund 200 Ausbildern konsequent, konsolidiert undrechtsstaatlich die malischen Streitkräfte nun einer Ent-wicklung zuführt, die das verhindert, was zu dem geführthat, was es jetzt gibt. Das ist genau der Auftrag.
Meine Damen und Herren, zu einer offenen und ehrli-chen Debatte um Mali gehört auch die Erkenntnis, dasswir dort – ich sagte es zu Beginn – sicher erst am Anfangeines langen Weges stehen. Streitkräfte können und müs-sen jetzt einen unverzichtbaren Beitrag leisten, aber esbleibt nur ein Beitrag. Und ich ergänze: Auf die länger-fristige Entwicklung in Mali werden wir Europäer wohleher nur einen begrenzten Einfluss haben. Den Einfluss,den wir haben, sollten wir aber nutzen, um die Menschenin Mali nach besten Kräften beim Wiederaufbau ihres ei-genen Staates zu unterstützen.Unsere Soldaten brauchen unsere Unterstützung. Un-sere guten Wünsche begleiten sie auf ihrem Weg. Ichbitte Sie alle um breite Zustimmung zu den beiden Man-daten – so wie es sich ja abzeichnet – auf dem Weg zu ei-nem besseren Mali.Vielen Dank.
Rainer Arnold hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! Es ist in der Tat ein gemeinsames europäisches In-teresse, dass im nördlichen Afrika die Stabilität nichtweiter zerbricht. Staatszerfall mit Rückzugsräumen fürinternationale Terroristen, für Gotteskrieger, die dortAusbildung betreiben, betrifft uns im Augenblick mittel-bar – mit Flüchtlingsströmen, mit schwerster Kriminali-tät, mit Entführungen in dieser Region –, würde uns abersehr bald auch sehr direkt betreffen, weil die Agenda dersogenannten Gotteskrieger im Sahel eine globale ist. Siebekämpfen unsere offenen demokratischen Gesellschaf-ten, unsere Art, zu leben. Dies ist kein Problem fürFrankreich alleine; es ist in der Tat ein gemeinsames eu-ropäisches Problem.Richtig ist aber schon: Die französischen Partner ha-ben aufgrund ihrer Geschichte, ihrer manchmal auch be-sonderen Interessenlage in dieser Region besondere Ver-antwortung. Sie haben aber auch besondere Expertiseund Erfahrung sowie besondere militärische Fähigkei-ten. Deshalb war es richtig und gut – das muss man hierausdrücklich sagen –, dass die französischen Partner ent-schlossen reagiert und eben nicht zugewartet haben, bisdas ganze Land Mali in die Hände derer fällt, die mit ih-ren Waffen die Menschen am brutalsten unterdrücken.Richtig ist auch: Würde Europa, würde DeutschlandFrankreich allzu sehr alleinlassen, würde damit aucheine wichtige Idee, nämlich die Idee einer vertieften eu-ropäischen Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspoli-tik, die dringend notwendig ist, massiv beschädigt.
An dieser Stelle, wo es um die Entwicklung hin zu einervertieften europäischen Sicherheitspolitik geht, würdeich mir durchaus ein bisschen größere Ambitionen derBundesregierung wünschen. Ich sage: Für uns Sozialde-mokraten ist dieses Argument auch ein Argument dafür,dass wir am Ende diese Mandate mit möglichst breiterMehrheit verabschieden.
Wir wollen bei der Debatte nicht nur zurückschauen.Ich habe auch nicht diesen Oppositionsreflex, dass manimmer dagegen sein muss, wenn die Regierung etwasvorschlägt. In der Sicherheitspolitik sehen wir eine ge-meinsame Verantwortung. Aber wir müssen schon anetwas erinnern, vor allen Dingen den Herrn Außen-minister: Der Start dieser Debatte war bei der Bundesre-gierung äußerst – äußerst! – holprig. Was Sie ursprüng-lich mit den beiden Fliegern geplant hatten, war inkeiner Weise ausreichend. Wir haben Ihnen vorausge-sagt, dass die zwei Transall nicht reichen werden, weil esden deutschen Interessen und der deutschen Verantwor-tung nicht gerecht wird.Die Bundesrepublik hat bei den Vereinten Nationenbeiden Resolutionen zugestimmt, und nun muss manauch konsequent sein.
Es darf nicht der Eindruck entstehen, dass DeutschlandFrankreich ein bisschen unterstützt, aber es im Grundegenommen den Franzosen überlässt, ambitioniert dafürsorgen, dass es am Ende gelingt und erfolgreich wird.Ich wünsche mir schon, dass sichtbar wird: Wir habenein gemeinsames Interesse, eine gemeinsame Aufgabe,dass Mali wieder zurück auf den stabilen Weg geführtwird, auf dem das Land übrigens in den letzten 15 Jahrenvor dem Hintergrund der Fragilität in dieser Regiondurchaus war.Der Minister der Verteidigung hat dieses Mandatheute vorgestellt; dazu brauche ich gar nicht mehr vielzu sagen. Ich bin durchaus der Auffassung, dass der Um-fang und auch die Definition des Auftrages, dass dieAusweitung, auch Sanitätssoldaten dorthin zu schicken,richtig sind und dass es auch notwendig ist, die bisheri-gen Kapazitäten im Lufttransport endlich in ein korrek-tes Mandat, das vom Deutschen Bundestag abgesegnetwird, zu bringen. Das haben wir Ihnen zu Beginn auchgesagt. Wenn Sie es jetzt nachgelagert heilen, ist dies si-cherlich richtig.
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Rainer Arnold
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Für die Debatte um Mali gilt für uns alle aber auch,ganz bewusst die Lehren aus Afghanistan zu ziehen.Die erste ist, nicht zuzuwarten, bis ein Land in dieHände von fundamentalistischen Islamisten fällt, die unsdann bedrohen, indem sie Rückzugsräume für Terroris-ten zur Verfügung stellen.Die zweite Lehre ist, nicht zu glauben, dass man ein-fach von außen mit 130 000 Soldaten kommen und einLand stabilisieren kann. Es ist ganz klar: Es war in Af-ghanistan und es ist jetzt von vornherein in Mali derrichtige Weg, örtliche Sicherheitskräfte zu qualifizierenund sie, wo es sein muss, auch auszustatten sowie regio-nale Sicherheitsarchitekturen in jeder Hinsicht zu stär-ken.Die dritte Lehre ist: Wir haben in Afghanistan deut-lich gemerkt, dass Militär zwar Zeitfenster offenhaltenkann, damit andere Akteure – Diplomaten, Zivilgesell-schaft, Teilhaber an wirtschaftlichen Beziehungen – dieProzesse voranbringen können; aber Militär kann letzt-lich die Probleme nicht lösen. Deshalb sind die politi-schen Prozesse vom ersten Tag an entscheidend.Der deutsche Außenminister hat zu Beginn der Mali-Debatte im Grunde genommen dreimal am Tag gesagt:Es bedarf politischer Prozesse. – Das ist nicht falsch. Siehaben ja nachher Gelegenheit zu reden, Herr Minister.Wir wünschten uns schon, dass Sie dann auch einmal einbisschen liefern und erklären, was die Deutschen tun, umdiese politischen Prozesse in Mali voranzubringen. Wasist mit der Roadmap, die beschlossen worden ist? Ist esrichtig, bereits im Juni Wahlen abzuhalten, oder mussman sich nicht die Zeit nehmen, damit die Registrierungzur Wahl möglich wird und die Seriosität und die demo-kratischen Prinzipien der Wahl von den Menschen ein-gesehen und akzeptiert werden können? Wie gehen wirmit der komplizierten Situation um, dass die MNLA, dieTuareg-Aufständischen jetzt wieder in die Prozesse ein-gebunden werden, wir aber doch gleichzeitig hören, dasssie im Land in der Breite eben keine Akzeptanz in derGesellschaft haben? Ich weiß, es gibt keine einfachenAntworten. Aber dazu müssten Sie sich schon einmaläußern.Wir würden auch gern einmal hören, was die deutscheEntwicklungszusammenarbeit tut bzw. wie sie sich ver-stärkt engagiert, um den Malis und den Nachbarstaatenzu helfen, mit den unglaublichen Flüchtlingsströmenumzugehen. Natürlich erwarten wir auch, dass Sie sichzu der UN-Mission – es wäre ja richtig, wenn sie imMärz beschlossen würde – entsprechend äußern.Viele haben gesagt – die Linken tun es auch heutewieder –: Verhandeln ist das Maß der Dinge. – Natürlichist Verhandeln immer besser, als Militär einzusetzen.
– Das ist eine Binsenweisheit, Herr Kollege. – Aber ichfrage mich schon: Wann merken die Linken – vielleichtirgendwann doch –, dass Verhandeln zwar besser ist,dass man aber Partner auf der anderen Seite braucht, mitdenen man noch verhandeln kann, die überhaupt nochdie Freiheit haben, zu verhandeln? Hätte Frankreich, wieSie forderten, in Mali zugeschaut und nicht verhindert,dass das ganze Land unter die Fittiche von fundamenta-listischen Gotteskriegern gerät, dann hätten Sie auch nie-manden zum Verhandeln gehabt.
Es ist doch klar: Mit manchen Tuareg-Gruppen und überderen durchaus akzeptable Interessen kann und mussman in Mali reden. Aber glauben Sie wirklich, dass Siemit islamistischen Fundamentalisten, die nichts anderesvorhaben, als die Region zu destabilisieren und unsereArt zu leben zu bekämpfen,
über irgendetwas verhandeln können? Will Gregor Gysijetzt auch einmal nach Mali fahren, um diese Problemezu lösen?
Nein, ich wünsche mir, dass die Linken der Wirklichkeitein bisschen mehr ins Auge schauen.
Herr Kollege!
Wir in den anderen Fraktionen sehen die gemeinsame
Verantwortung. Meine Fraktion wird nächste Woche da-
rüber beraten. Ich bin sehr zuversichtlich, dass es am
Ende eine breite Akzeptanz für die Wahrnehmung dieser
Aufgabe geben wird.
Herr Kollege!
Ich komme zum Ende. – Ich bin auch sehr zuversicht-
lich, dass wir die Bundesregierung kritisch, aber kon-
struktiv ermuntern, den politischen Prozess in Mali akti-
ver zu gestalten.
Herzlichen Dank.
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle hat das Wort.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Frau Präsidentin! Herr Kollege Arnold, zunächst eineBemerkung vorab: Dass Sie angekündigt haben, dass Siedie Mandate, die die Bundesregierung in Person des Ver-teidigungsministers eben hier eingebracht hat, mutmaß-lich unterstützen werden, begrüße ich natürlich. Ich ver-stehe auch, dass Sie das eine oder andere Wort nach
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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innen an Ihre eigene Partei richten müssen und Fragenaufwerfen, die keine deutsche Bundesregierung beant-worten kann. Wären wir als Bundesregierung in derLage, Ihnen ein Patentrezept mit entsprechenden Fahr-plänen vorzulegen,
wie die Stabilität und der Frieden in der gesamten Sahel-region wiederhergestellt werden könnten, würden wirkeinen Augenblick zögern.Wir wollen auch nicht so tun, als sei dies eine Angele-genheit, die allein von Europa aus beeinflusst oder ge-staltet werden könnte. Letzten Endes geht es auch beidiesem Mandat darum, dass wir Europäer erkennen müs-sen, dass das hier, wie es auch die Vereinten Nationenbeschlossen haben, zuallererst in afrikanischer Verant-wortung liegt. Wir sind betroffen; aber es ist in afrikani-scher Verantwortung. Deswegen trainieren und bildenwir die Afrikaner so aus, dass sie ihren eigenen Beitragzur Stabilisierung im Norden Malis wahrnehmen kön-nen. Aber wir können nicht alles leisten, und wir dürfengegenüber unseren Bürgerinnen und Bürgern auch nichtdie Illusion erwecken, als sei der Deutsche Bundestag inder Lage, allein die Mali-Krise zu lösen.
Das sind wir nicht. Wir leisten einen Beitrag, und allesandere ist für das eigene heimische Parteipublikum, aberdieser Debatte nicht angemessen.Drei Ursachen haben uns in diese Lage gebracht.Wenn ich „uns“ sage, dann unterstütze ich ausdrücklichauch das, was Sie, Herr Kollege Arnold, und auch derVerteidigungsminister Thomas de Maizière gesagt ha-ben.Erstens. Wir als Europäer sind betroffen, weil derNorden Malis eine Staatsgrenze vom Mittelmeer entferntist. Wir können nicht zusehen, wie im Norden Malis einsicherer Hafen für den Terrorismus gebaut wird, derdann wiederum auch für uns eine Bedrohung in unseremeigenen Land in Mitteleuropa bedeutete. Dies ist der ei-gentliche Grund für das Mandat, und das müssen wirauch unseren Bürgerinnen und Bürgern sagen. Wir hel-fen also nicht nur altruistisch Menschen vor Ort – dastun wir auch –, sondern in einer zusammenwachsendenWelt geht es auch darum – vor allen Dingen das müssenwir unseren eigenen Bürgerinnen und Bürgern sagen –,unsere Freiheit, unsere offene Gesellschaft und die Art,wie wir in Europa leben, zu verteidigen.
Dies beschreibt die Aufgabe, die jetzt im Norden Maliswahrgenommen wird.Die Schwierigkeiten sind kurzfristig durch den Putschim März letzten Jahres entstanden. Dies hat dazu ge-führt, dass eine massive Auseinandersetzung stattgefun-den hat, in der die ohnehin sehr schwachen staatsorgani-satorischen Kräfte noch einmal geschwächt worden sind.
Es hat – darauf haben Sie, Herr Kollege Ströbele, auchkeine Antwort – innerhalb der malischen Armee also er-hebliche Kämpfe und Auseinandersetzungen gegeben.
– Ich komme darauf. – Dies einfach zu sagen und dannnichts zu tun, ist die falsche Schlussfolgerung.
– Herr Kollege Ströbele, wirklich! Nur weil man einenPanorama-Bericht gesehen hat, hat man sich mit diesemThema noch nicht richtig befasst. Das muss ich Ihnenwirklich einmal sagen. Das, was Sie hier einbringen, istsehr oberflächlich.
Zweitens. Das, was in Libyen stattgefunden hat, hatenormes Potenzial an Kraft und Gewalt und leider auchan Waffen und an Geld in Umlauf gesetzt.
Dies hat zusammen mit dem Putsch, der im März statt-fand, den Konflikt natürlich noch einmal zugespitzt.Jetzt kommen wir zu dem, worüber ich hier eigentlichsprechen möchte, nachdem der Verteidigungsministerdas Mandat, wie ich finde, richtigerweise umfassend be-gründet und eingebracht hat: Die eigentliche Ursache,die Hauptursache, auf die wir uns im politischen Prozesskonzentrieren müssen, liegt darin, dass die Benachteili-gung des Nordens als eine gesamtstaatliche Aufgabe an-gegangen werden muss. Das heißt, die Situation Malisnördlich des Nigerbogens zeigt nicht erst neuerdings,sondern mindestens seit dem Tuareg-Aufstand in den90er-Jahren, dass die Bevölkerung dort berechtigter-weise das Gefühl hat, dass sie unterprivilegiert ist, dasssie vom Kernland Mali nicht ausreichend berücksichtigtwird und dass sie an der besseren wirtschaftlichen Ent-wicklung im Kernland Malis nicht teilhat. Das hängtauch sehr stark mit den Grenzen, die gezogen wordensind, zusammen. Wir wissen natürlich alle, was dies mitder europäischen Geschichte zu tun hat. Das wollen wirnicht verschweigen. Die Menschen, die dort leben, ha-ben nicht die soziale und die wirtschaftliche Teilhabe.Ich war dort und habe Gespräche geführt. Ich habeauch mit den Repräsentanten der Tuareg gesprochen. Siesagten: Verwechseln Sie nicht diejenigen, die jetztkämpfen, mit uns und unseren berechtigten Interessen.Wir haben mit diesen Terroristen nichts zu tun. Es sindin weiten Teilen Terroristen aus dem Ausland, die in dasLand hineingebracht worden sind
und die uns jetzt quälen und unterdrücken. – Das ist dieeigentliche Ursache. Darauf konzentriert sich auch derpolitische Prozess.Herr Kollege Arnold, natürlich ist die Frage bezüglichder Roadmap, die Sie aufwerfen, berechtigt. Die Road-
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Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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map ist übrigens mit europäischer und deutscher Unter-stützung verabschiedet worden. Wir haben über dieRoadmap gesprochen. Wir haben mit den Betroffenenverhandelt. Diese Roadmap sieht vor, dass man zur ver-fassungsmäßigen Ordnung zurückkehrt. Das beantwortetübrigens auch Ihre Frage, Herr Kollege Ströbele. Nur dieRückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung wird auchstaatliche Ordnungskraft wiederherstellen und dafür sor-gen, dass ein Primat der Politik in der Lage sein wird,zum Beispiel Streitkräfte einzusetzen und nach innenwie nach außen zu kontrollieren. So ist es.Es ist richtig, die Frage zu stellen: Sind Wahlen imSommer möglich? Nach den Gesprächen, die ich mitFrançois Hollande und vor allem mit dem Außenminis-ter Laurent Fabius am Montag geführt habe, ist meinEindruck, dass die Franzosen und die afrikanischen Part-ner die Herausforderung, ob ein solcher Wahlprozesszum avisierten Zeitpunkt möglich ist, sehr genau sehen.Was ist aber die Alternative? Die Wahlen abzusagen undin eine Jahreszeit zu verschieben, in der man überMonate nicht mehr wählen kann? Das funktioniert nicht.Deswegen wäre es falsch, wenn wir die Roadmap, diegerade in Mali beschlossen worden ist, von Europa ausinfrage stellen würden, weil wir Zweifel haben. DasWichtigste ist, dass der politische Prozess in Gang ge-kommen ist. Dazu zählt die Roadmap. Die Bundesregie-rung unterstützt diesen politischen Prozess und auchdiese Roadmap und stellt sie nicht infrage. Es ist näm-lich wirklich der Hoffnungsschimmer in einer ohnehinsehr schweren Lage, meine sehr geehrten Damen undHerren, liebe Kolleginnen und Kollegen.
Wir werden natürlich bei der Umsetzung der Road-map helfen. Das haben wir angeboten. Das ist nichtsNeues. Das haben auch die Regierungen vor uns getan.In den 90er-Jahren hat Deutschland eine wichtige Rollegespielt, zum Beispiel beim politischen Vermittlungs-prozess. Diese werden wir wieder einnehmen. Die euro-päische Entwicklungszusammenarbeit hat den Kontaktmit Mali wieder aufgenommen. Das heißt, dort, wo dieRoadmap sichtbar ist, also der politische Prozess begon-nen hat, den wir bei früheren Debatten im DeutschenBundestag zu diesem Thema verlangt haben, sind wirumgekehrt bereit, die Entwicklungszusammenarbeitwieder aufzunehmen und zu forcieren. Das ist auch fürdie Menschen wichtig, weil im Norden oftmals schonwenig eine ganze Menge ist, um soziale, politische undwirtschaftliche Partizipation voranzubringen.Auf die beiden Mandate muss ich nicht mehr einge-hen, weil sie umfassend begründet worden sind. ImZusammenhang mit dem politischen Prozess muss mansich schon mit etwas Hintergrund und Tiefgang mit die-sen Themen befassen. Ich möchte Ihnen nur mitteilen,verehrte Kolleginnen und Kollegen, dass derzeit in NewYork bei den Vereinten Nationen diskutiert und erörtertwird, ob das zweite Mandat, also nicht das europäischeAusbildungsmandat, das von europäischer Ebene auf15 Monate angelegt worden ist – wir legen es auf12 Monate an, weil das die Regelung zwischen Bundes-tag und Bundesregierung ist –, sondern das unmittelbarelogistische Unterstützungsmandat – so nenne ich es ein-mal –, in eine Blauhelmmission überführt werden kann.Ich kündige das hier nicht an – das habe ich den Obleu-ten in unserem Gespräch am Dienstag auch gesagt –,will Sie aber nicht im Unklaren darüber lassen.Herr Gehrcke, Sie wissen das: Ich habe da nie etwas imUnklaren gelassen. Wir beraten derzeit darüber, ob es einsolches Blauhelmmandat der Vereinten Nationen gebenwird. Das wäre aber frühestens ab Mai möglich, und bisdahin können wir weder die Afrikaner noch die Franzo-sen im Stich lassen.Deswegen ist es richtig, dass wir so handeln, wie vor-gesehen, und die Afrikaner befähigen. Ich glaube, es istauch für die Franzosen die beste Form der Unterstüt-zung, jetzt die Afrikaner zu befähigen, ihrer eigenen Ver-antwortung in Mali nachzukommen. Das tun wir imRahmen eines sehr gut überlegten politischen Prozesses.Hier stellen sich viele Fragen, die weder die deutscheRegierung noch, wie ich glaube, irgendeine Regierungder Welt derzeit beantworten kann. Dennoch ist es rich-tig, dass wir so handeln. Es versteht sich von selbst, dasswir jederzeit bereit sind, mit dem Bundestag zu reden– vielleicht auch über ein neues Mandat –, wenn sichDinge, zum Beispiel in New York, verändern. Sie sehen:Es handelt sich eben nicht um eine Politik, die sich aus-schließlich auf das Mandat konzentriert. Vielmehr istund bleibt der politische Prozess im Vordergrund unsererBemühungen. Er birgt die einzige Möglichkeit, langfris-tig für einen Ausgleich und für eine Stabilisierung inMali zu sorgen.Damit wir uns hier nicht missverstehen, sage ich Ih-nen nur eines: Es verhält sich genau so, wie es der Bun-desverteidigungsminister gesagt hat. Das Mandat isternst. Auch die Lage in Mali ist ernst. Ich fürchte, wirwerden in den nächsten Monaten und Jahren über isla-mistischen Terror und über den Aufbau neuer Terrorzel-len, und zwar an Stellen, die wir heute gar nicht auf demRadarschirm haben, reden müssen. Dennoch ist es rich-tig und auch geboten, dass wir jetzt so handeln, damitwir unseren Beitrag dazu leisten, dass vor unserer Haus-tür keine Bedrohung für uns, unsere eigene Sicherheitund unsere offene Gesellschaft entsteht. Diese Menschenwerden nicht von uns angegriffen, sondern sie wollenunsere offene Art zu leben bekämpfen. Da müssen wireine wehrhafte Demokratie sein, nach innen wie nachaußen.Danke schön.
Wolfgang Gehrcke hat das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!Ich kann vieles von dem teilen, was hier von der Analyseher gesagt worden ist – darauf werde ich zurückkom-men –, aber komme zu anderen Schlussfolgerungen. Die
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Wolfgang Gehrcke
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Linke wird den beiden Anträgen, die bedeuten, dass biszu 330 Bundeswehrsoldaten – das ist die Obergrenze –in den Einsatz in Mali geschickt werden, nicht zustim-men; wir werden sie ablehnen. Für uns bleibt es dabei:Es werden in der Politik falsche Schwerpunkte gesetzt.Dazu möchte ich ein bisschen argumentieren.Erstens. Der Außenminister war hier gefordert, zurPolitik zu reden. Es ist eine interessante Arbeitsteilung,Herr Westerwelle, die Sie hier akzeptieren: Der Verteidi-gungsminister ist für das Militär zuständig; dazu äußernSie sich nicht. Und während der Verteidigungsministerwenig zur Politik sagt, äußern Sie sich dazu. Ich hättemehr erwartet.Meine Fraktion möchte, dass die Bundesregierung an-dere Schwerpunkte setzt. Ich möchte, dass die Bundesre-gierung hier deutlicher macht, welche diplomatischenInitiativen tatsächlich unternommen werden. Ichmöchte, dass es mehr gibt als nur eine Reise des Außen-ministers. Dazu, wie es zu einer Aussöhnung und zueiner Verbesserung der Situation in Mali kommen soll,haben Sie überhaupt nichts gesagt.
Wer sich etwas mit der Situation in Mali beschäftigthat und mehr als eine Panorama-Sendung gesehen hat– Sie haben sie offensichtlich auch gesehen –, konnteseit langem mitbekommen, dass sich in Mali etwas zu-sammenbraut; und es gab keine politische Reaktion da-rauf. Ich stelle mir angesichts dessen selbst die Frageund möchte sie auch Ihnen stellen: Brauchen wir nichteine ganz andere Friedens- und Konfliktforschung, umsolch einer Entwicklung längerfristig vorzubeugen odersie zu bekämpfen? Ist das nicht eine Frage, die hier erör-tert werden muss? Brauchen wir nicht eine andere Ent-wicklungsarbeit, die zu einer gerechteren Verteilung desReichtums auch in solchen Ländern beitragen kann? Dasmuss zumindest thematisiert werden.
Auch nachdem ich hier die Reden der beiden Ministergehört habe, habe ich den Eindruck, dass leider auch fürdie Bundesregierung gilt: Soldaten vor Diplomaten. Füruns gilt umgekehrt: Diplomaten vor Soldaten. Das er-achten wir für politisch notwendig.
Meine zweite Überlegung. Ich möchte ja, dass in Maligeholfen wird. Ich habe von der Bundesregierung erwar-tet, dass sie etwas mehr zu dem sagt, was sie den Verein-ten Nationen vorschlägt. Ich will nur einige Fakten nen-nen: Mali leidet darunter, dass es wie die ganze Sahara-Region über einen großen Reichtum an Ressourcen, überNaturreichtümer verfügt. Da wird der Reichtum – Uran,Gold, Phosphate, Bauxit – zum Fluch. Man muss sichdann vor Augen führen, dass in Mali 500 000 HektarLand an internationale Konzerne zum Anbau von Erd-nüssen und nachwachsenden Rohstoffen verkauft wor-den sind. Der Verkauf weiterer 400 000 Hektar stehtjetzt an. Auch diese ökonomischen Probleme führendazu, dass es zu solchen politischen Auseinandersetzun-gen kommt. Die alte Kolonialmacht Frankreich – dassage ich ganz offen – ist für diese Zustände mitverant-wortlich. Sie ist daher nicht geeignet, diese zu beheben.
In dieser Situation müssen die Vereinten Nationen eineRolle einnehmen; und das muss auch von der Bundesre-gierung gefordert werden.Drittens gibt es natürlich auch eine innenpolitischeAuseinandersetzung; das verhehle ich überhaupt nicht.Ich bin dagegen, dass immer mehr Soldaten in Auslands-einsätze geschickt werden. Herr Westerwelle, ich stehewieder vor dem Problem, dass ich Sie verteidigen muss.Das tut mir furchtbar leid, das wird auch Ihnen unange-nehm sein. Ich habe im Spiegel gelesen, dass der Partei-vorsitzende der Grünen, Cem Özdemir, im Gespräch miteinem US-Vertreter bei der Münchner Sicherheitskonfe-renz gesagt hat:„Der pazifistische Westerwelle“, der sich bei inter-nationalen Konflikten gern heraushalte …Das hat Cem Özdemir gesagt, das ist nicht dementiertworden. Wenn Sie Pazifist wären, dann würde ich gernesagen: Willkommen im Klub!
Da könnten wir uns gut treffen.
Aber ich glaube es ja nicht. Ich fand es nur ganz interes-sant, dass Özdemir dazu gesagt hat: Ein grüner Außen-minister hätte sich bei der militärischen Hilfe nicht sobescheiden gegeben.Ich glaube, es gibt hier eine gewisse Umkehrung. Eswar richtig, dass sich die Bundesregierung in derLibyen-Frage enthalten hat. Das werde ich immer wie-der verteidigen, auch wenn ich gerne ein Nein gehörthätte. Ich möchte nicht, dass die Situation in Mali unteraußerordentlich lautem Geschrei dazu missbraucht wird,noch mehr Militär zu schicken. Das ist die innenpoliti-sche Auseinandersetzung. Wenn Sie also zum Pazifis-mus überlaufen: Herzlich willkommen! Dann könnenwir uns freundlich verständigen.
Sie müssen aber noch eine weitere Frage beantwor-ten. In den Mali-Mandaten ist der Einsatz von Transall-Maschinen vorgesehen. Sie haben jetzt beantragt, denEinsatz der Transall zu mandatieren. Sie hatten mich hierfrüher einmal aufgefordert: Wenn ich der Auffassungsei, dass der Einsatz der Transall rechtswidrig gewesensei, dann sollte ich klagen. Wäre es nicht anständiggewesen, wenn Sie jetzt gesagt hätten: „Sie haben rechtgehabt, es war rechtswidrig, wir haben das jetzt korri-giert!“?
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Wolfgang Gehrcke
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Ich habe mit Vergnügen gesehen, dass Sie es korrigierthaben und jetzt ein Mandat beantragen; denn das Verfas-sungsgericht und andere sagen: Der Parlamentsvorbehaltsoll pro Parlament und nicht kontra Parlament ausgelegtwerden.Ich will Ihnen ein letztes Problem vortragen. In derSchilderung fängt alles so harmlos an. Ich habe überallgelesen, dass Sie sagen: Es handelt sich nicht um einenKampfeinsatz. Ich sage Ihnen: Wer Soldaten einer ge-spaltenen Armee für einen Einsatz ausbildet, ist Teil desKampfes. Erzählen Sie der Bevölkerung doch keinenUnsinn.
Wer Flugzeuge zur Verfügung stellt, um militärische Gü-ter und Soldaten zu transportieren, ist Teil des Kampfesin Mali. Das ist ein Kampfeinsatz, und das sollten Sieder Bevölkerung ehrlichkeitshalber auch sagen.
Ich nehme sehr ernst, was Sie zum Terrorismus undzu den islamistischen Banditen gesagt haben. Sie müs-sen mir aber die Frage beantworten, warum Sie in Syriengenau jene islamistischen Banditen mitfinanzieren undunterstützen, die in Mali bekämpft werden. Das ist wie-der diese Doppelbödigkeit. Dahinter ist keine Botschaftzu erkennen.
Sie müssen mir auch beantworten, wieso man mit Saudi-Arabien, mit Katar und anderen Staaten weiterhin so gutzusammenarbeitet, wo doch jeder weiß, dass Gelder ausSaudi-Arabien, Katar und anderen Staaten in dieseGruppen fließen. Wenn man hier keinen Strich zieht undsagt: „Terrorismus muss politisch bekämpft werden“,dann werden wir diese Probleme immer wieder haben.Ich möchte gern, dass der Kampf gegen den Terroris-mus ein Kampf gegen den Hunger ist. Das wäre ein sinn-voller Kampf.
Ich möchte gerne, dass der Kampf gegen den Terroris-mus ein Kampf für soziale Gerechtigkeit ist. Ich möchtegerne, dass man, wenn man gegen Terrorismus kämpft,zugleich für kulturelle Vielfalt kämpft. Auch das hat eineerhebliche Bedeutung.Der Kampf gegen den Terrorismus kann gewonnenwerden. Den Krieg gegen den Terrorismus, den Sie seitJahren führen – vieles erinnert mich an Afghanistan –,werden Sie nicht gewinnen. Deswegen ist die politischeRichtung, die Sie eingeschlagen haben, falsch. Daswollte ich Ihnen vortragen. Das hat meine Fraktion über-zeugt. Deswegen werden wir dagegen stimmen. Ichglaube nicht, dass ich Sie überzeugt habe, aber man solldie Hoffnung ja nicht aufgeben.Danke sehr.
Omid Nouripour hat jetzt das Wort für Bündnis 90/
Die Grünen.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir dis-kutieren heute über zwei Mandate für Einsätze der Bun-deswehr in Mali: Zum einen geht es um eine Ausbil-dungsmission und zum anderen um die Unterstützungvon ECOWAS und der französischen Streitkräfte inMali.Beide Mandate, beide Einsätze haben im Grunde einund denselben Hintergrund: die Schwäche des malischenStaates. Es gab den sogenannten Operettenputsch derHauptmänner, der es ermöglicht hat, dass die Rebellenim Norden des Landes die Unabhängigkeit ausrufenkonnten. Es herrscht eine explosive Gemengelage indem Land, die wir wirklich lange ignoriert haben. Wirhaben sehr lange – viel zu lange – erklärt, Mali sei einelupenreine Demokratie. Wir haben dabei die Versor-gungsprobleme, die Drogenrouten, die Probleme im Be-reich der Staatlichkeit und die Folgen des Libyen-Krie-ges ignoriert. Das war ein riesengroßer Fehler, für denwir jetzt einen militärischen Preis zahlen müssen.
Wir wissen alle, wie viele Waffen aus Libyen in denNorden Malis gekommen sind.Es gibt noch etwas. Herr Außenminister, ehrlich ge-sagt, platzt mir fast der Kragen, wenn Sie sagen, dassimmer wieder neue islamistische Zellen entstehen wür-den, über die man sich unterhalten müsse. Ich bin abso-lut einverstanden, wenn Sie sagen, dass es sehr vieleDschihadisten gibt, mit denen man keine Gespräche füh-ren kann, weil sie keine Verhandlungen wollen. Wennwir heute aber darüber diskutieren, Bundeswehrangehö-rige in eine Gefahrenzone zu schicken – sie können dorttatsächlich in eine Gefechtssituation, in eine Gefahrensi-tuation geraten und von Dschihadisten beschossen wer-den; ich selbst habe in Bamako mit Augenzeugen ge-sprochen, die mir berichtet haben, wie die Versorgungdieser Dschihadisten von Katar aus funktioniert –, dannmüssen Sie nebenbei auch erklären, warum Sie Katar400 Panzer geben. Das geht auf keine Kuhhaut. Das hatmit Sicherheitspolitik überhaupt nichts mehr zu tun.
Auf die militärische Frage kann es eigentlich nur einezivile Antwort geben. Was die Franzosen gemacht ha-ben, war eine Notoperation, die ein Zeitfenster eröffnethat. Die Chance, die dieses Zeitfenster bietet, muss abermit zivilen und politischen Mitteln genutzt werden.Ja, Mali braucht eine funktionierende Armee, eine,die die territoriale Integrität des Landes herstellen kann.Wir reden aber über eine Armee, die gespalten ist, diezerrüttet ist, die verunsichert ist. Deshalb sind die Fragenberechtigt: Welche Soldaten wollen wir ausbilden? Was
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Omid Nouripour
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wollen wir ihnen vermitteln? Was sind wir bereit dafüreinzusetzen? Wie soll das vorangehen, und wann verlas-sen wir das Land wieder? Das sind völlig berechtigteFragen. In diesem Zusammenhang reicht der Hinweis,dass es dazu eine Panorama-Sendung gegeben hat, ein-fach nicht aus, Herr Außenminister.
Die Armee kann nur funktionieren, wenn sie demokra-tisch und rechtsstaatlich verankert ist und es einen funk-tionierenden Staat gibt. Ja, die Armee muss die territo-riale Einheit gewährleisten können; aber es muss aucheine Armee sein, vor der die Bürger Malis, egal welcheHautfarbe sie haben, keine Angst haben müssen.Derzeit gibt es Berichte über beängstigende Tenden-zen. Deshalb ist es wichtig, dass jetzt Beobachter insLand kommen, die valide Berichte darüber abgeben. Wirerleben, dass es im Süden des Landes eine Radikalisie-rung gegenüber den Tuaregs gibt. Immer wieder kam eszu Situationen, in denen Selbstjustiz geübt wurde. Daskann nicht sein. Davor müssen wir gefeit sein.Das gilt natürlich auch für den Einsatz im Norden.Diesen Einsatz hat Herr Brüderle, wenn ich das richtiggelesen habe, mit ironischem Unterton „weltbewegend“genannt. Es ist gut und richtig, dass wir jetzt darüber dis-kutieren, dass der Einsatz von ECOWAS und die Opera-tion Serval in eine Mission der UN-Blauhelme überführtwerden. Das ist alles andere als falsch.Im Übrigen: Lieber Wolfgang Gehrcke, ich habe dichgerade so verstanden, dass deine Fraktion zustimmenwürde, wenn das kommt. Ich bin sehr gespannt.
Noch einmal: Die politischen Instrumente sind vonzentraler Bedeutung. Wir spielen eine militärische Ne-benrolle. Aber die Bundesrepublik hat einen hervorra-genden Ruf in Mali. Deshalb sind wir nahezu verpflich-tet, im Zivilen eine Hauptrolle zu spielen.Es gibt so vieles, was man tun kann. In der Über-gangsregierung gibt es Minister, die früher mit der GIZzusammengearbeitet haben. Dabei ist es relativ offen-sichtlich: Gerade die Bundesrepublik Deutschland, diebei der Geberkonferenz den Vorsitz hatte, muss daraufdrängen, dass die Zahlungsfähigkeit des Landes wiederhergestellt wird. Gerade die Bundesrepublik Deutsch-land mit langer Erfahrung bei der Dezentralisierungmuss mit dem Projekt Mali-Nord, das von dieser Bun-desregierung eingestellt worden ist, dafür sorgen, dassdie Entwicklungszusammenarbeit wieder anläuft.
Gerade die Bundesrepublik muss jetzt die Netzwerkenutzen, damit es zu einer Aussöhnung kommen kann. Eswird nicht gelingen, ein Gelände – so groß wie Frank-reich und Spanien mit seiner besonderen Topografie –militärisch zu erobern und zu halten. Das ist komplett il-lusionistisch. Deshalb muss man alles für eine Aussöh-nung tun. Dazu kann die Bundesrepublik einiges beitra-gen.Wir müssen natürlich ferner helfen, dass das Land mitder Situation der Flüchtlinge klarkommt. Das ist einezentrale Stabilisierungsmaßnahme – abgesehen davon,dass es selbstverständlich notwendig ist, dort jetzt huma-nitär zu helfen.Die Regierung in Mali hat ein Legitimitätsproblem.Das ist nicht schönzureden. Wir haben es zwar nicht miteiner Putschistenarmee zu tun; aber es ist gut, dass eseine Roadmap für Wahlen gibt. Ob die Zeiträume realis-tisch sind und eingehalten werden können, ist fragwür-dig. Ich finde, dass es besser und wichtiger ist, eine Wahlgut zu organisieren, als eine Scheinwahl durchzuführen,damit es den Europäern gefällt. Auch dabei stellt sichnatürlich die Frage, wie man helfen kann.Alles, was noch erreicht werden kann, ist nur dannnachhaltig, wenn wir eine politische Stabilität im Landerreichen. Dafür können wir sehr viel tun. Aber all daskann nicht militärisch erreicht werden; das funktioniertnur mit politischen und zivilen Mitteln.
Jetzt hat Philipp Mißfelder das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Aus den Bemerkungen meines Vor-redners bin ich nicht ganz schlau geworden. HerrNouripour, ich frage mich, ob Sie für Ihre Fraktion eineZustimmung zum Mandat signalisiert haben oder nicht.
Gerade nach den letzten Worten, die Sie gesagt haben,würde ich Ihnen empfehlen, zuzustimmen. Denn das ha-ben uns auch beide Minister deutlich gemacht. Insofernweise ich das, was Herr Gehrcke gesagt hat, zurück.Ich wiederhole mich: Auch im Vergleich zu dem, wasin der Aktuellen Stunde von unserer Fraktion und derKoalition geschlossen vertreten worden ist, stelle ichfest, dass von uns niemand jemals gesagt hat, dass wirder Meinung seien, man könne den Konflikt in Mali oderirgendeinen anderen Konflikt auf der Welt mit militäri-schen Maßnahmen lösen. Das hat nie jemand gesagt.
Vielmehr verfolgen wir bei allem, was wir tun, einenganzheitlichen und umfangreichen Ansatz der vernetztenSicherheit. Das wird gerade an diesem Mandat sehrdeutlich. Es gab auch Stimmen aus der Fraktion der Grü-
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Philipp Mißfelder
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nen, die anfangs viel schneller einen Militäreinsatz er-wogen haben, als es die Koalition getan hat, die von An-fang an Zurückhaltung geübt hat.Vor dem Hintergrund möchte ich deutlich machen,dass wir neben den militärischen Maßnahmen alles tun,was diplomatisch und entwicklungspolitisch notwendigist, um Mali zu stabilisieren und den Menschen vor Ortzu helfen.Bei den radikalpazifistischen Bemerkungen vonHerrn Gehrcke fehlt mir der traditionelle Anknüpfungs-punkt der Linkspartei. Denn Ihre Haltung in den Debat-ten um die Mandate steht im Gegensatz zu dem, was dieLinkspartei jahrzehntelang vertreten hat, als sie noch an-ders hieß.Zu dem, was Sie gesagt haben, möchte ich Folgendesklarstellen: Eine solche Mandatierung fällt uns in kei-nem Fall leicht. Der Bundesminister der Verteidigunghat es ja zu Beginn dieser Sitzungswoche sehr deutlichgesagt: Kein Mandat ist einfach, kein Mandat ist unge-fährlich. Auch wenn es sich hier um eine Ausbildungs-mission handelt, auch wenn es sich um logistische Un-terstützung, auch wenn es sich um Sanitäter handelt: DieSoldaten sind immer Gefahren ausgesetzt.Deshalb fällt es uns ja auch nicht leicht, diese Manda-tierung vorzunehmen. Aber, Herr Gehrcke, wir erhoffenuns davon – gerade auch vom französischen Eingrei-fen –, dass man Zeit gewinnt, um in Mali überhaupt wie-der politikfähig zu werden. Deshalb schließen wir mili-tärische Maßnahmen nicht aus.
Das ist der Unterschied. Ich unterstelle Ihnen nicht, dassSie nicht dieselben Ziele haben wie wir, nämlich denMenschen in Mali zu helfen – alles andere wäre gro-tesk –; aber ich finde, dass Sie mit Ihrer Radikalableh-nung jeglicher Auslandseinsätze der Bundeswehr falschliegen.
Sie unterstellen uns ja allzu häufig – Stichwort „Ver-schwörungstheorien“ –, dass irgendwelche anderen Be-weggründe dahinterstecken. Es ist in diesem Falle wirk-lich so, dass wir sehr genau abwägen und uns fragen, wasdieses militärische Eingreifen letztendlich bewirken soll.Deshalb hat hier auch niemand Hurra gerufen, als es umein weiteres Mandat ging. Wir haben vielmehr gesagt:Wir beteiligen uns an keinem Abenteuer; wir unterstützenaber natürlich diejenigen innerhalb unseres Bündnisses,die bereit sind, dieses Risiko auf sich zu nehmen. Dassind die Staaten von ECOWAS und natürlich auch unserefranzösischen Freunde, die allesamt ein hohes Risiko ein-gehen. Ich glaube, sie sind sich dessen auch bewusst.Die zentrale Aufgabe, die wir haben, geht weit überdieses Mandat hinaus. Daran beteiligen sich auch dasAuswärtige Amt und das Bundesministerium für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung. UnsereSoldaten sind auch dafür bekannt, dass sie in diese Rich-tung denken und mit ihrer Präsenz überall auf der Weltin diese Richtung wirken. Wenn wir irgendwo militä-risch tätig werden, sei es in einem geringeren Umfangoder in einem größeren Umfang, verfolgen wir immereine politische Zielrichtung. Die politische Zielrichtunggeht weit über das Mandat hinaus. Sie geht auch weitüber eine kurzfristige Befriedung der Situation hinaus.Wir befürchten, dass aus Befreiern irgendwann Besat-zer werden, wenn wir uns politisch nicht mindestens ge-nauso sehr bemühen, wie sich jetzt die Franzosen militä-risch bemühen. Das nehmen wir sehr ernst. Vor diesemHintergrund tun wir alles, was in unserer Kraft steht, umdieses Mandat politisch auszugestalten. Ich glaube, dassDeutschland an vorderster Stelle gefordert ist, in Europadafür zu werben, dies auch nach der Zeit, in der der Mili-täreinsatz im Fokus der Öffentlichkeit steht, konsequentzu verfolgen.Wie oft haben wir hier in Debatten, in denen es umAfrika ging, bemängelt, dass sich die Öffentlichkeit sehrwenig dafür interessiert? Das darf uns bei Mali nichtpassieren. In der Tagesschau und in den Regionalzeitun-gen, überall wird jetzt unseren Bürgern erklärt, wo Maliüberhaupt liegt und welches Konfliktpotenzial es dortgibt. Aber wenn der Militäreinsatz vorläufig erfolgreichbeendet sein wird, wird Mali aus den Schlagzeilen wie-der verschwinden. Dann geht unsere politische Arbeitunvermindert weiter.
Deshalb möchte ich an dieser Stelle für die Koalitionnoch einmal deutlich machen: Wir verfolgen bei diesemMandat einen politischen Ansatz der Entwicklungszu-sammenarbeit, und wir wollen unseren Beitrag für einepolitisch stabile Zukunft Malis leisten. Das ist weit mehrals der militärische Beitrag bzw. die militärische Kom-ponente.Herzlichen Dank.
Jetzt hat Christoph Strässer das Wort für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Dies ist ja anscheinend eine Stunde, in der Bekenntnisseabgegeben werden. Ich sage zu Beginn: Ich bin – derKollege Gehrcke weiß das, weil wir uns schon seit 30,40 Jahren kennen – kein Pazifist.
Ich bitte in der Diskussion um Respekt und darum, dassdiejenigen, die den Pazifismus als Überzeugung vor sichhertragen, den anderen nicht vorwerfen, sie seienKriegstreiber.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27465
Christoph Strässer
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Ich finde, es gehört in der Diskussion dazu, dass all die-jenigen, die sich zu einer anderen Äußerung bekennen,sich auch darüber Gedanken machen, was richtig undwas falsch ist. Aus dieser Überzeugung heraus sind ei-nige Überlegungen sehr richtig.Ich habe heute in der Neuen Zürcher Zeitung, die ichab und zu lese, eine interessante Überschrift gefunden.In dem Artikel geht es um die Mandate, über die wirheute reden. Die Überschrift lautet: „Kooperatives Ab-seitsstehen“. Ich finde, das ist eine sehr charmante Be-zeichnung für das, über das wir hier im Zusammenhangmit den Mandaten zu diskutieren und zu entscheiden ha-ben. Aber ich glaube, das betrifft nicht nur die Mandate.Ich stimme dem Kollegen Mißfelder an dieser Stelle aus-drücklich zu. Das kooperative Abseitsstehen sollte sichauch auf unser politisches Verhältnis zu dem afrikani-schen Nachbarkontinent beziehen. Ich habe mir, als ichmich auf meine Rede vorbereitet habe, das „wunder-bare“ Afrika-Konzept der Bundesregierung angeschaut,in dem viel Gutes steht und in dem viele schöne undbunte Bilder zu sehen sind. Ich erkenne aber nicht, dasses dazu geführt hat, dass Afrika einen politisch-konzep-tionellen Schwerpunkt der Politik der Bundesregierung– ich füge selbstkritisch hinzu: und des Deutschen Bun-destages – darstellt. Darüber müssen wir nachdenken,und darüber müssen wir reden. Ich denke, das muss dieKonsequenz einer solchen Diskussion, wie wir sie heuteführen, sein.Man muss sich die Frage stellen, welche Alternativenes gibt. Was Sie gesagt haben, ist überwiegend richtig– auch Kollege Nouripour hat darauf hingewiesen –:Viele, viele Jahre haben wir nur zugeschaut. Es war die„Chronik einer angekündigten Auseinandersetzung“,schon seit den 90er-Jahren, gerade in Nordmali. DieTuareg waren ja ein Nomadenvolk und kein kriegeri-sches Volk. Allerdings sind sie marginalisiert wordenund haben nach Lebensperspektiven gesucht. Das habenwir offensichtlich nicht ernst genug genommen. Nunsind die Islamisten auf dem Vormarsch. Die Islamistenwürde ich übrigens nicht mit den Tuareg gleichsetzen.Auch da muss man, finde ich, sehr vorsichtig sein undsehr genau hinschauen, was sich im Norden Malis tut.Nachdem wir zehn Jahre lang nicht genau genug hinge-sehen haben, nun den Schluss zu ziehen, auch heute zuschweigen und nichts zu tun, halte ich für falsch und einStück weit zynisch. Wir müssen die Entwicklungen inMali stoppen.Ich glaube nicht – ich sage das jetzt etwas überspitzt –,dass man Gruppen wie Ansar Dine und Mujao in der jet-zigen Situation mit einer weißen Fahne und einer Media-tion stoppen könnte. Deshalb finde ich es richtig, dasssich die Bundesrepublik, die internationale Gemein-schaft und die EU entschlossen haben, diesem Konfliktmit den Mitteln zu begegnen, die aus meiner Sicht imMoment als einzige helfen. Das sollte die Grundlage derDiskussion über diese Mandate sein. Ich finde es richtig,den Mandaten zuzustimmen.
Niemand weiß – auch das ist ein Teil der Wahrheit –,wie die militärische Auseinandersetzung ausgeht. DieErfolge der Franzosen sind offenbar nur von kurzerDauer und nicht so stabil, dass man sagen könnte: Diemilitärische Auseinandersetzung ist beendet. – Die der-zeitige Situation gibt uns die Chance, diese Diskussionauf andere Beine zu stellen. Dabei geht es um Fragen derhumanitären Entwicklung, der Entwicklungszusammen-arbeit und des Aufbaus von Strukturen. Herr KollegeStröbele, meiner Meinung nach gibt es keinen anderenAkteur als die Malier selbst, der in der Lage wäre, lang-fristig für geeignete Strukturen, die Sicherheit gewähr-leisten, zu sorgen.
Ich würde mich freuen, wenn Sie mir sagen könnten, weraußer der malischen Armee in diesem Land für Stabilitätsorgen soll.
Ich bin sehr gespannt, auch zu erfahren, ob wir dannwieder über eine Intervention mit anderen Mitteln als de-nen, die jetzt zur Diskussion stehen, reden würden.Ich finde es richtig – ich sage das ganz deutlich –, zusagen: Am Ende einer solchen Entwicklung muss einemalische Ownership stehen. Alles andere wäre fatal. Esdarf und wird mit unserer Unterstützung keine dauer-hafte Besatzung dieses Landes geben. Wir müssen aller-dings dafür sorgen – das ist nicht nur eine Aufgabe desMilitärs und der Polizei; es müssen auch rechtsstaatlicheStrukturen geschaffen werden, die im Norden des Lan-des komplett fehlen –, dass Unterstützung geleistet undbeim Aufbau geholfen wird, sodass sich eine Interven-tion mit militärischen Mitteln auf mittlere Sicht erübrigt.Meine persönliche Überzeugung ist: Ohne das, wasjetzt beschlossen worden ist – der Beitrag der Bundes-regierung ist ja gering genug –, wäre eine auch nur an-satzweise humane Entwicklung im Norden Malis nichtmehr möglich gewesen. Deshalb finde ich es völlig rich-tig, dass wir uns dort engagieren und das tun, was in denMandaten steht. Zumindest in der Begründung heißt esja – das macht mich ein bisschen hoffnungsfroh –, dasses in der Sahelregion einen politischen Prozess gebenmuss und wir dafür sorgen müssen bzw. einen Beitragdazu leisten können und müssen, dass sich die humani-täre Situation verbessert.Wir haben heute noch gar nicht oder nur ansatzweiseüber das Thema Flüchtlinge gesprochen. Über eine Wie-deraufnahme der Entwicklungszusammenarbeit möchteich an dieser Stelle gar nicht sprechen. Aber wir wissen– diese Botschaft richtet sich an die Bundesregierung –,dass es Flüchtlingsbewegungen gibt. Das World FoodProgramme geht davon aus, dass die Hungersnot in derRegion zunehmen wird. Der UNHCR rechnet im Mo-ment mit 400 000 Flüchtlingen. Die finanziellen Mittel,die erforderlich sind, um die größte Not zu lindern, sindnoch nicht einmal zur Hälfte vorhanden.Ich denke, wir müssten viel mehr darüber nachden-ken, wie wir zivile Strukturen aufbauen können. Wir
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27466 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013
Christoph Strässer
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haben heute im AwZ über die Arbeit des Zivilen Frie-densdienstes diskutiert. Die Mittel für den Zivilen Frie-densdienst konnten seit Jahren keinen Aufwuchs mehrverzeichnen. Ich finde, an diesen Stellen müssen wir ein-fach besser werden. Wir brauchen diese zivilen Organi-sationen, und wir brauchen den Dialog mit der mali-schen Zivilgesellschaft. Da gibt es Strukturen, da gibt esAnsprechpartner. Da dürfen wir in den nächsten Jahrennicht wegschauen, wenn wir nicht wieder in eine solcheSituation kommen wollen wie heute.Herzlichen Dank.
Florian Hahn hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen, lassen Sie uns noch einmal ganz kurz zurückbli-cken: 2012 haben islamistische Gruppen den nördlichenTeil Malis – 50 Prozent des gesamten Landes – unterihre Kontrolle gebracht, eine Region zweimal so großwie die Bundesrepublik Deutschland. Sie haben dieScharia eingeführt, sie haben Angst und Schrecken ver-breitet. Die Menschen haben sich nicht mehr getraut,ihre Häuser zu verlassen. Felder wurden nicht mehr be-stellt. 350 000 Menschen sind geflüchtet. Ausbildungs-lager für militante Islamisten sind entstanden – eine Ge-fahr für die gesamte Sahelzone, eine Gefahr vor denToren Europas.Darüber waren wir im Parlament alle gut informiert.An dieser Stelle möchte ich ausdrücklich dem BND dan-ken, der offensichtlich eine neue, transparentere Kulturder Informationspolitik gegenüber dem Parlament lebtund pflegt. Das kann so weitergehen.
Vor dem Hintergrund der beschriebenen Ereignissehat Bundeskanzlerin Merkel sehr früh, im Oktober 2012,signalisiert, dass Deutschland bereit ist, bei einer koordi-nierten europäischen Mission zur Stabilisierung MalisUnterstützung zu leisten.Anfang dieses Jahres starteten die Dschihadisten ei-nen Vormarsch Richtung Süden. Malische Streitkräfte– soweit überhaupt existent – waren nicht in der Lage,sich dem entgegenzustellen. Damit stand die Tür nachBamako – einer Stadt, in der unter anderem 6 000 Fran-zosen leben – sperrangelweit offen. Das war für Frank-reich der Moment, zu intervenieren. Deutschland hat be-reits wenige Tage später begonnen, logistisch undfinanziell Hilfe zu leisten. Man kann mit Fug und Rechtsagen: Ohne Frankreich gäbe es Mali heute nicht mehr.Inzwischen konnte Frankreich zusammen mit malischenund anderen afrikanischen Kräften die Städte im Nordenbefreien und die Islamisten verdrängen.Jetzt gilt es, das Land langfristig zu stabilisieren undzu verhindern, dass vor den Toren Europas ein Rück-zugsort für den internationalen Terrorismus entsteht, derdie Stabilität einer ganzen Region Afrikas gefährdet.Hierzu wollen wir heute zwei Mandate verabschiedenund auf den Weg bringen. Zum einen wollen wir die lo-gistische Unterstützung in Form von Transportleistun-gen und Luftbetankungen deutlich verstärken. Damitlassen sich zurückgewonnene Sicherheit und Stabilität inNordmali halten und ausbauen. Zum anderen wollen wireinen sehr großen Beitrag bei der Ausbildung der mali-schen Streitkräfte leisten, damit diese in Zukunft dieVerantwortung für die Sicherheit in Mali voll überneh-men können. Inklusive der bereits stationierten Einhei-ten werden maximal 330 deutsche Soldaten entsendetwerden. Damit gehört Deutschland nach dem Haupttrup-pensteller Frankreich zu den größten Truppenstellern.Dauerhafter innerer Frieden wird nur mit Geduld undNachhaltigkeit hergestellt werden können. Klar ist, dassdie beste Phase des militärischen Einsatzes vorbei ist.Erste Selbstmordanschläge wie in Gao vor wenigen Ta-gen zeigen uns, dass die Aufständischen auf asymmetri-sche Strategie umstellen. Deswegen müssen wir nach-haltige und menschenwürdige Strukturen aufbauen. DieRoadmap, die als ein Ziel freie Wahlen beinhaltet, mussweiter verfolgt werden. Ethnische Rahmenbedingungenmüssen viel stärker als bisher berücksichtigt werden.Der Norden kann nicht zentral, vom Süden her, gesteuertwerden – hier sind föderale Ansätze vonnöten.Es ist gut, dass dieser Einsatz von Anfang an kein reineuropäischer war, sondern in enger Absprache und unterBeteiligung und Führung der Afrikaner stattfindet. Al-lerdings müssen wir auch feststellen und erkennen, dasses ohne uns nicht geht. Dazu müssen wir uns beispiels-weise nur Finanzierung, Ausrüstung, Vertragstreue undFührungsfähigkeit der ECOWAS genauer ansehen.Lassen Sie mich noch kurz auf die deutsche Luftwaffezu sprechen kommen, die diesen Einsatz in der Hauptsa-che stemmen wird. Beim Thema Luftbetankung konntenanfängliche Zertifizierungsprobleme schnell gelöst wer-den. Hier zeigt sich, wie wichtig die Luftbetankungsfä-higkeit für Europa ist. Die Luftwaffe konnte schnell undunproblematisch Lufttransportkapazitäten bereitstellen.Damit unterstreicht sie Flexibilität und Handlungsfähig-keit. Die Ressourcen der Luftwaffe sind aber endlich.Uns muss klar sein, dass wir nun zehn Transall-Maschi-nen in Afghanistan und Mali im Einsatz haben – übri-gens ist die Transall vor 50 Jahren zum ersten Testflugaufgebrochen –, und wir wissen, dass wir nicht mehrMaschinen mit entsprechender Einsatzausrüstung zurVerfügung haben.Die Bundeswehr ist weiterhin am Horn von Afrika, inAfghanistan und im Kosovo mit vielen Soldaten undSoldatinnen im Einsatz. In der Türkei sind zwei Patriot-Systeme zum Schutz unseres Bündnispartners installiertworden. Damit zeigt Deutschland deutlich, dass es seiner
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 221. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 20. Februar 2013 27467
Florian Hahn
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Verantwortung als Bündnispartner und als wohlhabendeNation gerecht wird.Abschließend wünsche ich unseren Soldatinnen undSoldaten hier und in den Einsätzen alles Gute und GottesSegen.
Jetzt hat noch Hartwig Fischer das Wort für die CDU/
CSU-Fraktion.
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ein ernstes Thema;aber es gibt eben auch Politikerinnen und Politiker, diesich mit diesem Thema nicht ausreichend befassen, esjedoch zur Selbstdarstellung nutzen. Twitter heute, am20. Februar, um 17.37 Uhr: Christian Ströbele – der fürdie Grünen hier schon nicht mehr reden darf –: Ministerwill Armee in Mali beibringen, was rechtsstaatlich ge-führte Kräfte leisten. Das klappt doch nicht. –
Herr Ströbele, das haben Sie richtig getwittert, natürlich;aber dann muss die Öffentlichkeit auch wissen, dass zumBeispiel bei unseren Bundeswehrsoldaten, die im KofiAnnan International Peacekeeping Training Centre un-terrichten, das Thema Humanitäres Völkerrecht – früherKriegsvölkerrecht – zu den Lehrplänen gehört und dieSoldaten in den Beratergruppen in Afrika über dieseGrundfragen diskutieren. Dort wird über innere Führunggesprochen. Es wird nicht nur militärisch ausgebildet,sondern es wird so diskutiert, wie bei uns in einer demo-kratischen Armee und in einem demokratischen Parla-ment über legitimierte Einsätze gesprochen wird. WennSie eine solche Twitter-Meldung absetzen oder sagen,dass Soldaten Mörder sind und Ähnliches, dann habenSie eine Diskussion zu verantworten, die wir in diesemFall nicht gebrauchen können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich wünschte mir,es würden viel mehr Kollegen in Delegationen nachAfrika fahren und sich informieren. Ich bin mehrfach inMali gewesen. Das letzte Mal war ich im Oktober 2012mit einer Gruppe des AwZ in Mali, darunter auch derKollege Binding und der Kollege Movassat. Damalskonnte man die Entwicklungen schon absehen. Die eth-nischen Konflikte im Norden Malis gibt es seit Jahrzehn-ten; aber sie sind dann durch ausländische Gruppen oderTuareg und andere, die nach Libyen gegangen sind, mitWaffen wieder ins Land hineingetragen worden.Wenn man hier von einem Putsch spricht – den jedervon uns verurteilt –, dann muss man auch einmal überdie Ursachen dieses Putsches sprechen. Die Armee war,verheerend ausgebildet, in den Norden geschickt wor-den, mit einem einzigen Bataillon, und dieses ist von deneinströmenden Kräften aus Libyen abgeschlachtet wor-den. Das war der Hauptgrund, warum es dann plötzlicheinen Putsch gab, nämlich weil man gesagt hat: UnsereSoldatinnen und Soldaten sind vernachlässigt worden. –Auch das gehört zu der Geschichte, ohne dass man denPutsch in irgendeiner Form heroisieren würde.
– Nein, Herr Ströbele, Sie müssen erst einmal Redezeitvon Ihrer Fraktion bekommen. Sie können ja nachhereine Kurzintervention machen.
Ich sage heute ganz bewusst nichts mehr zu den Mili-täreinsätzen; dazu ist alles gesagt worden. Ich sprecheüber die Situation in Mali, weil diese Debatte übertragenwird und die Menschen draußen mehr darüber erfahrensollen.Ich nenne nur einmal die Region Timbuktu. Sie hat408 000 Quadratkilometer. Damit ist sie weit größer alsdie Bundesrepublik Deutschland. In dieser Region mussSicherheit hergestellt werden. Das haben die Franzosenin einem Teilbereich geschafft. Ein Teil der terroristi-schen Kräfte ist ausgewandert, hat sich vertreiben lassenund beginnt nun, sein Unwesen in Niger und BurkinaFaso zu treiben. Deshalb sollten wir in der Phase danachauch mit diesen Staaten in ständigem Gespräch und Dia-log bleiben, um zu erfahren, wie wir sie unterstützenkönnen. Das Ganze ist im Augenblick nicht nur ein Pro-blem des Nordens Malis.Wir müssen gemeinsam das tun, was der Verteidi-gungsminister und der Außenminister deutlich gemachthaben, nämlich vor allen Dingen in den Kommunen desNordens in den nächsten Monaten für Stabilität sorgen.Daneben müssen wir gemeinsam mit unserem Entwick-lungsminister überzeugende Konzepte anbieten, der– das ist vorhin nicht deutlich geworden – die Entwick-lungshilfe nicht komplett eingestellt hat, sondern der denverschiedenen Organisationen gemeinsam mit dem Au-ßenministerium zunächst für den Bereich der humanitä-ren Hilfe Mittel zur Verfügung gestellt hat. Man kannimmer sagen: Das ist nicht ausreichend. – Ich glaubeauch, dass das nicht ausreichend ist; das ist bei keinemKonflikt ausreichend. Aber wir haben sehr viel getan,und das wird auch von den Organisationen gewürdigt,die uns aus Gao, Kidal, Mopti und anderen Regionen be-richten, wo ja auch Minenfelder beseitigt werden müs-sen.Das heißt, hier beginnen wir nicht nur mit der huma-nitären Hilfe, sondern wir arbeiten auch an der Entwick-lungszusammenarbeit. Wir haben dort in der Vergangen-heit intelligente Bewässerungssysteme und Ähnlichesbereitgestellt. Das müssen wir auch in Zukunft tun.Ich will noch einmal zur Ausbildung des Militärskommen. Eigentlich haben in der Vergangenheit alleBundesregierungen gesagt: Es ist nicht in erster Linieunsere Aufgabe, dass wir unser Militär in die afrikani-schen Länder schicken, sondern unsere Daueraufgabe istdie Ertüchtigung der Armeen in den betroffenen Ländern
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Hartwig Fischer
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auch nach unseren Grundsätzen. Das tun wir in Teilbe-reichen.
– Herr Ströbele, ich warte darauf, dass Sie im Verteidi-gungsausschuss einen Antrag stellen, die Mittel dafür zuerhöhen, damit wir in Afrika stärker in die Ausbildungeinsteigen können.
Ich hatte bisher den Eindruck, dass Sie in diesen Berei-chen eher kürzen wollen.
Wir brauchen in den nächsten Wochen und Monatennoch mehr Diplomatie und Dialog. Deshalb finde ich esgut, dass man die Supportgruppe gemeinsam gegründethat.Herr Außenminister, ich habe eine große Bitte an Sie,der Sie ja federführend die Gespräche für die nachfol-genden Schritte führen – auch international. Ich bin mitIhnen der Auffassung, dass es eine große Hoffnung ist,dass Traoré auf der Konferenz in Addis Abeba eineRoadmap vorgelegt und dort auch angekündigt hat, imJuli Wahlen durchzuführen. Ich sage uns allen aber:Diese Wahlen müssen dann auch im Norden Malis sau-ber durchgeführt werden können. Ich habe die Sorge,dass das nicht sichergestellt wird. Wenn das sicherge-stellt wird, dann ist das, glaube ich, eine Riesenchance.Wenn es uns aber gemeinsam nicht gelingt, dass die Re-gistrierung und alles Weitere umgesetzt wird, dannschaffen wir ein neues Konfliktfeld, weil sich der Nor-den Malis schon immer vernachlässigt fühlt.Sechs Minuten Redezeit sind immer viel zu wenig,vor allen Dingen, da ich am Anfang noch auf HerrnStröbele eingehen musste. Ich könnte noch viel dazu sa-gen.Ich wünsche mir auch, dass es uns in einem langfristi-gen Aufbauprozess gelingt, Mali als Land insgesamtwieder zu einen. Wir in unserer Delegation haben mitvielen Tuareg gesprochen, auch mit solchen, die im Par-lament waren. Sie sind gemäßigt, und es sind einzig dieFundamentalisten, die die Situation ausgenutzt haben.Herzlichen Dank.
Ich schließe die Aussprache.
Interfraktionell wird Überweisung der Vorlagen auf
den Drucksachen 17/12367 und 17/12368 an die Aus-
schüsse vorgeschlagen, die Sie in der Tagesordnung fin-
den. Damit sind Sie einverstanden? – Dann ist das so be-
schlossen.
Damit sind wir am Schluss der heutigen Tagesord-
nung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 21. Februar 2013,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen Ein-
sichten.
Die Sitzung ist geschlossen.