Protokoll:
17216

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 216

  • date_rangeDatum: 16. Januar 2013

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 11:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 21:15 Uhr

  • account_circleMdBs dieser Rede
  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/216 (Drucksachen 17/8157, 17/8611) . . . . . . . 26628 B Inhaltsverzeichnis DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Thomas Silberhorn (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Axel Schäfer (Bochum) (SPD) . . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Gunther Krichbaum (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Elvira Drobinski-Weiß (SPD) . . . . . . . . . . . . . Andreas Mattfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 2: a) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion d) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Alexander Süßmair, Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, weiterer Abgeordne- ter und der Fraktion DIE LINKE: Land- wirtschaftliche Nutztierhaltung tier- schutzgerecht, sozial und ökologisch gestalten (Drucksachen 17/10694, 17/11817) . . . . . e) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, 26619 D 26621 A 26622 B 26623 B 26624 C 26625 A 26626 A 26626 D 26628 C Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 216. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 I n h a l t : Absetzung des Tagesordnungspunktes 1 b . . . Nachruf auf den Abgeordneten Peter Struck Tagesordnungspunkt 1: a) Vereinbarte Debatte: 50 Jahre Élysée- Vertrag – Zusammenarbeit und ge- meinsame Verantwortung für die Zu- kunft Europas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU) . . . . . Günter Gloser (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Link, Staatsminister AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Frithjof Schmidt (BÜNDNIS 90/ b) Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff, Bettina Herlitzius, Dorothea Steiner, weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Dörfer vor Agrarfabriken schützen – Planungs- und Immissionsrecht ver- schärfen (Drucksache 17/11879) . . . . . . . . . . . . . . c) Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Ernährung, Landwirt- schaft und Verbraucherschutz zu dem An- trag der Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier, Willi Brase, Petra Crone, wei- terer Abgeordneter und der Fraktion der SPD: Antibiotika-Einsatz in der Tier- haltung senken und eine wirksame Re- duktionsstrategie umsetzen 26613 A 26613 B 26614 A 26614 B 26616 A 26617 B 26618 D 26628 B BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Für eine neue Haltung – Artgerecht statt mas- senhaft (Drucksache 17/12056) . . . . . . . . . . . . . . . weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Haltungs- bedingungen für Puten verbessern (Drucksachen 17/11667, 17/12048) . . . . .26628 B 26628 D II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Ilse Aigner, Bundesministerin BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Miersch (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Dr. Erik Schweickert (FDP) . . . . . . . . . . . . Dr. Christel Happach-Kasan (FDP) . . . . . . . . Alexander Süßmair (DIE LINKE) . . . . . . . . . Johannes Röring (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . Gabriele Groneberg (SPD) . . . . . . . . . . . . . Dorothée Menzner (DIE LINKE) . . . . . . . . . . Friedrich Ostendorff (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . . . . Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) . . . . . . . . . . . . Franz-Josef Holzenkamp (CDU/CSU) . . . Hans-Michael Goldmann (FDP) . . . . . . . . Hans-Georg von der Marwitz (CDU/CSU) . . Tagesordnungspunkt 3: Befragung der Bundesregierung: Luftfahrt- strategie der Bundesregierung; weitere Fra- gen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Tiefensee (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 4: Fragestunde (Drucksachen 17/12041, 17/12049) . . . . . . . . Dringliche Frage 1 Inge Höger (DIE LINKE) Geplante personelle, logistische oder sons- tige Unterstützungsleistungen für die Mili- täroperation in Mali Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Inge Höger (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Dringliche Frage 2 Niema Movassat (DIE LINKE) Politische und militärische Ziele der Bun- desregierung hinsichtlich der zugesagten militärischen Unterstützung der Militär- intervention Frankreichs in Mali 26628 D 26630 B 26632 B 26633 A 26634 A 26635 C 26636 D 26638 B 26639 D 26640 B 26641 C 26642 B 26643 B 26644 A 26646 A 26646 D 26647 D 26648 D 26651 A 26651 B 26652 B 26652 C 26652 D 26652 D 26653 A 26653 B 26653 C 26653 C 26653 D 26654 A 26654 C 26654 C 26654 D 26655 A 26655 C 26655 C 26655 C 26655 D 26656 A 26656 B 26656 C 26656 C 26656 D 26656 D 26657 A 26657 B 26657 B 26658 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 III Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Andrej Hunko (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dringliche Frage 3 Niema Movassat (DIE LINKE) Erfordernis eines Bundestagsmandats bei einem Engagement der Bundeswehr in Mali Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Niema Movassat (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 31 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Bundestagsmandat für den Bundes- wehreinsatz in Mali und Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Zusammenarbeit mit Mali Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Dr. Rolf Mützenich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 1 Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Sicherheitsbedenken hinsichtlich der Ab- und Anflugkonzepte des Flughafens Zürich Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 2 Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) Zwischenfälle im An- und Abflugverkehr beim Flughafen Zürich in den vergangenen Jahren Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD) . . . . . . . . . . . Ute Kumpf (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 5 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gründe für die neuerliche Verschiebung der Eröffnung des Flughafens Berlin Bran- denburg Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Manfred Grund (CDU/CSU) (zur Geschäftsordnung) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Thomas Jarzombek (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Johannes Kahrs (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gustav Herzog (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 6 Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Abwahlantrag des Bundesministers Ramsauer gegen Dr. Rainer Schwarz und Umsetzung einer haftungsrechtlichen Prü- fung Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Martin Burkert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 7 Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einschätzung des BMVBS zur Bauplanung des Flughafens Berlin Brandenburg nach dem Expertentreffen am 18. Dezember 2012 26658 C 26659 B 26660 C 26660 D 26661 B 26662 B 26662 D 26663 C 26663 D 26664 B 26664 C 26664 D 26665 C 26666 A 26668 C 26666 B 26667 A 26667 B 26667 C 26668 B 26670 B 26670 D 26671 C 26672 C 26673 B 26674 A 26675 C 26674 B 26674 D 26675 A 26675 B 26676 A IV Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatzfragen Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Mündliche Frage 8 Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Abstimmung zwischen BMVBS und BMF hinsichtlich des Aufsichtsratsvorsitzes von Ministerpräsident Platzeck bei der Flugha- fen Berlin Brandenburg GmbH Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) (zur Geschäftsordnung) . . Zusatzfrage Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusatztagesordnungspunkt 2: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN gemäß An- lage 5 Nummer 1 Buchstabe b GO-BT: zu den Antworten der Bundesregierung auf die Frage 8 auf Drucksache 17/12041 . . . . . Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Peter Wichtel (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Sören Bartol (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Martin Lindner (Berlin) (FDP) . . . . . . . . . Stefan Liebich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Kai Wegner (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Kirsten Lühmann (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . Oliver Luksic (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Koeppen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Mechthild Rawert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Arnold Vaatz (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 5: Beschlussempfehlung und Bericht des Vertei- digungsausschusses zu der Unterrichtung durch den Wehrbeauftragten: Jahresbericht 2011 (53. Bericht) (Drucksachen 17/8400, 17/11215) . . . . . . . . . Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deutschen Bundestages . . . . . . . . . . . . Thomas Kossendey, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Wolfgang Hellmich (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Christoph Schnurr (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Katja Keul (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anita Schäfer (Saalstadt) (CDU/CSU) . . . . . Dr. Reinhard Brandl (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 6: Antrag der Abgeordneten Gabriele Lösekrug- Möller, Anette Kramme, Hubertus Heil (Peine), weiterer Abgeordneter und der Frak- tion der SPD: Künftige Wirtschaftkrisen erfolgreich meistern – Kurzarbeitergeld unter erleichterten Bedingungen wieder einführen (Drucksache 17/12055) . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . . . Paul Lehrieder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Pascal Kober (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) . . . . . . . Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU) . . . . . . . . . Tagesordnungspunkt 7: a) Beratung der Unterrichtung durch den Parlamentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung: Fortschrittsbericht 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (Drucksache 17/11670) . . . . . . . . . . . . . . b) Unterrichtung durch die Bundesregierung: Fortschrittsbericht 2012 zur nationalen Nachhaltigkeitsstrategie (Drucksache 17/8721) . . . . . . . . . . . . . . . Marcus Weinberg (Hamburg) (CDU/CSU) . . Ulrike Gottschalck (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Michael Kauch (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Heidrun Dittrich (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Andreas Jung (Konstanz) (CDU/CSU) . . . . . 26676 D 26677 A 26677 C 26677 D 26678 A 26678 B 26678 C 26679 D 26680 D 26682 B 26684 A 26685 A 26686 C 26687 C 26688 D 26690 A 26691 B 26692 B 26693 B 26693 C 26695 B 26696 C 26698 C 26699 D 26700 D 26702 A 26703 A 26704 A 26704 A 26705 B 26706 D 26707 C 26707 D 26709 A 26710 A 26711 B 26711 B 26711 C 26713 A 26714 A 26715 B 26716 C 26717 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 V Tagesordnungspunkt 8: Antrag der Abgeordneten Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Diana Golze, weiterer Ab- geordneter und der Fraktion DIE LINKE: Pri- vat Versicherte solidarisch versichern – Private Krankenversicherung als Vollversi- cherung abschaffen (Drucksache 17/10119) . . . . . . . . . . . . . . . . . Harald Weinberg (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . Karin Maag (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Karl Lauterbach (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) . . . . . . Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rudolf Henke (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Rachel (CDU/CSU) zu den Abstim- mungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltaus- wirkungen von Fracking zügig umsetzen (214. Sitzung, Tagesordnungspunkt 45 und Zusatztagesordnungspunkt 5) . . . . . . . . . . . . . Anlage 3 Mündliche Frage 3 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Schaffung von Barrierefreiheit mit Maß- nahmen der Infrastrukturbeschleunigungs- programme I und II Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Mündliche Frage 4 Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) Schaffung von Barrierefreiheit mit Förder- programmen im Rahmen der Verwaltungs- vereinbarung Städtebauförderung 2013 Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Mündliche Frage 9 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Haltung der Bundesregierung zur Verant- wortung von Unternehmen an der verspä- teten Inbetriebnahme des Flughafens Ber- lin Brandenburg und Konsequenzen Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Mündliche Frage 10 Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Genehmigung von Gewerken ohne Beteili- gung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Mündliche Frage 11 Markus Tressel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Ertüchtigung des Flughafens Berlin-Tegel bis zur Inbetriebnahme des Flughafens BER Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Mündliche Fragen 12 und 13 Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Expertentreffen am 18. Dezember 2012 zum geplanten Eröffnungstermin des Ber- liner Flughafens BER Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26718 D 26719 A 26720 A 26721 C 26722 D 26724 B 26725 A 26726 D 26727 A 26727 C 26728 B 26728 D 26729 A 26729 B 26729 C 26729 C VI Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 Anlage 9 Mündliche Frage 14 Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Vertretung des Landes Berlin beim Exper- tentreffen am 18. Dezember 2012 zum Ber- liner Großflughafen Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 10 Mündliche Frage 15 Lisa Paus (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Mehrkosten durch die erneute Verschie- bung des Eröffnungstermins des Flugha- fens BER Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 11 Mündliche Frage 16 Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Initiatoren und Teilnehmer des Experten- treffens am 18. Dezember 2012 zum Flug- hafen Berlin Brandenburg Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 12 Mündliche Frage 17 Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Haltung der Genehmigungsbehörde zur Brandschutzanlage des Flughafens BER Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 13 Mündliche Frage 18 Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Umweltverträglichkeitsprüfung und Be- rücksichtigung der Fauna-Flora-Habitat- Richtlinien bei der Festlegung der Flugrou- ten über den Müggelsee Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 14 Mündliche Frage 19 Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Nachträgliche Umweltverträglichkeitsprü- fung für die Flugrouten beim Flughafen BER Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 15 Mündliche Fragen 20 und 21 Sören Bartol (SPD) Anzahl und Kosten des Bundeshochbau- Kalenders 2013 und Verteilung durch das BMVBS Antwort Jan Mücke, Parl. Staatssekretär BMVBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 16 Mündliche Frage 22 Ralph Lenkert (DIE LINKE) EU-Vertragsverletzungsverfahren aufgrund von Salzwassereinleitungen der Kaliindus- trie in die Werra und Weser Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 17 Mündliche Frage 23 Ralph Lenkert (DIE LINKE) Einhaltung der Gewässerqualität von Werra und Weser gemäß Richtlinie 2000/60/EG Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 18 Mündliche Frage 24 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Berücksichtigung von Atommüllexporten bei der Vorlage der 14. Atomgesetznovelle und bei der Erarbeitung der EU-Atom- müllrichtline 26729 D 26730 A 26730 A 26730 B 26730 C 26730 D 26730 D 26731 C 26731 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 VII Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 19 Mündliche Frage 25 Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Informationen über die deutsch-polnische Konsultation im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung des polnischen Atomkraft- programms Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 20 Mündliche Fragen 26 und 27 Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Auswirkungen der polnischen Position bei der Klimakonferenz in Doha auf die kom- mende Konferenz in Warschau und Hand- lungsbedarf Antwort Ursula Heinen-Esser, Parl. Staatssekretärin BMU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 21 Mündliche Frage 28 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Etwaiger Änderungsbedarf bei der Anreiz- regulierungsverordnung Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 22 Mündliche Frage 29 Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Veröffentlichung der Stellungnahme der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zu einem Gutachten des Umwelt- bundesamtes zur Thematik der Umwelt- auswirkungen von Fracking und daraus resultierende Konsequenzen Antwort Peter Hintze, Parl. Staatssekretär BMWi . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 23 Mündliche Frage 30 Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Erhöhung der humanitären Hilfe für not- leidende Menschen aus Syrien Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 24 Mündliche Frage 32 Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Beteiligung einzelner zentralasiatischer Staaten am Istanbul-Prozess und an der in- ternationalen Kontaktgruppe zur Stabili- sierung Afghanistans Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 25 Mündliche Frage 33 Heike Hänsel (DIE LINKE) Ausschluss der linksoppositionellen Partei SDMS aus dem mazedonischen Parlament Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 26 Mündliche Frage 34 Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Bemühungen der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte Navanethem Pillay um den Verzicht auf Amnestien für Täter des nepalesischen Bürgerkrieges Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 27 Mündliche Frage 35 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Neuaufnahme des Verfahrens gegen die türkische Schriftstellerin und Soziologin Pinar Selek 26731 D 26732 A 26732 C 26732 D 26733 A 26733 B 26733 C 26734 A 26734 B VIII Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 Antwort Cornelia Pieper, Staatsministerin AA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 28 Mündliche Frage 36 Sevim Dağdelen (DIE LINKE) Aktivitäten des „Tiefen Staates“ in Deutschland und Schutz kurdischer Politi- kerinnen und Politiker Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 29 Mündliche Frage 37 Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Verzögerungen bei der Gründung der Stif- tung Datenschutz; Vorlage eines geänder- ten Satzungsentwurfs bei der Stiftungsauf- sicht Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 30 Mündliche Frage 38 Dr. Konstantin von Notz (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Gefahr des Zugriffs von US-Behörden auf Cloud-Daten von Bundesbürgern Antwort Dr. Ole Schröder, Parl. Staatssekretär BMI . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 31 Mündliche Frage 39 Dr. Rolf Mützenich (SPD) Kreditgewährung der Europäischen Union an Kirgistan Antwort Steffen Kampeter, Parl. Staatssekretär BMF . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 32 Mündliche Frage 40 Josip Juratovic (SPD) Begrenzung der Beitragsbelastung der Sportvereine in der gesetzlichen Unfallver- sicherung Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 33 Mündliche Frage 41 Josip Juratovic (SPD) Zunahme des Missbrauchs von Werkver- trägen Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 34 Mündliche Fragen 42 und 43 Kerstin Tack (SPD) Einfluss von Werkverträgen auf die wirt- schaftliche Entwicklung von Unterneh- men; Nachhaltigkeit von Geschäftsmodel- len Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 35 Mündliche Frage 44 Katja Mast (SPD) Entgelte und Arbeitszeiten bei Werkver- tragsarbeitnehmern Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 36 Mündliche Frage 45 Katja Mast (SPD) Verbindliche Kontrollen gegen Schein- selbstständigkeit, Scheinwerkverträge und unerlaubte Arbeitnehmerüberlassung; missbräuchliche Nutzung von Werkverträ- gen Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 37 Mündliche Fragen 46 und 47 Anette Kramme (SPD) Schwächung der betrieblichen Interessen- vertretung in Betrieben mit hohem Werk- vertragsanteil und Handlungsbedarf; Vor- gehen gegen Scheinwerkverträge 26734 C 26734 D 26734 D 26735 A 26735 C 26735 D 26736 A 26736 B 26736 C 26737 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 IX Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 38 Mündliche Fragen 48 und 49 Gabriele Groneberg (SPD) Wettbewerbsverzerrungen durch Lohn- dumping mittels Werkverträgen Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 39 Mündliche Fragen 50 und 51 Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) Werkverträge in der fleischverarbeitenden Industrie Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 40 Mündliche Frage 52 Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Konsequenzen aus der Beschwerde der französischen Fleischindustrie bei der EU- Kommission vom Januar 2011 für die deut- sche Fleischindustrie Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 41 Mündliche Fragen 53 und 54 Elke Ferner (SPD) Umsetzung der Vorhaben der Alterssiche- rungspolitik und der Schaffung eines ein- heitlichen Rentensystems in Ost und West in dieser Legislaturperiode Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 42 Mündliche Frage 55 Elke Ferner (SPD) Vorlage der Machbarkeitsstudie des BMAS zu einer Altersvorsorgepflicht von Selbst- ständigen Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 43 Mündliche Frage 56 Elke Ferner (SPD) Entwicklung der Rentenanpassungen bei einer Lohnsteigerung von 3 Prozent bis 2020 und Auswirkungen auf den Beitrags- pfad der gesetzlichen Rentenversicherung Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 44 Mündliche Fragen 57 und 58 Edelgard Bulmahn (SPD) Fristenregelung für Anträge auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der Alters- sicherung der Landwirte Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 45 Mündliche Fragen 59 und 60 Gabriele Hiller-Ohm (SPD) Ermittlung der Leistungshöhe im Referen- tenentwurf zur Änderung des Asylbewer- berleistungsgesetzes und Regelung der Be- zugsdauer Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 46 Mündliche Fragen 61 und 62 Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) Vorgeschlagene Änderungen im Referen- tenentwurf des Asylbewerberleistungsge- setzes zum Sachleistungsprinzip und Schonvermögen Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 47 Mündliche Fragen 63 und 64 Sabine Zimmermann (DIE LINKE) Fortbestehende bzw. erneute Hilfebedürf- tigkeit im Sinne des SGB II nach Auf- nahme einer Beschäftigung Antwort Hans-Joachim Fuchtel, Parl. Staatssekretär BMAS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26737 A 26737 D 26738 A 26738 B 26738 C 26739 B 26739 B 26739 C 26740 C 26740 D 26741 A X Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 Anlage 48 Mündliche Fragen 65 und 66 Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Kriterien der Länderliste in Bezug auf § 7 der Verordnung über die Regelungen der Biokraftstoffquote; Zertifizierungsverfah- ren in der EU Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 49 Mündliche Frage 67 Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) Förderung von Unternehmen mit Werkver- tragsarbeitnehmern durch das Programm zur Förderung der Exportaktivitäten der deutschen Agrar- und Ernährungswirt- schaft Antwort Dr. Gerd Müller, Parl. Staatssekretär BMELV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 50 Mündliche Frage 68 Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Einsatz des Kommandos Spezialkräfte in Jordanien; Gefährdung deutscher Solda- ten im Rahmen ihres Patriot-Einsatzes in der Türkei Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 51 Mündliche Frage 69 Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) Transportrouten für den bis 2014 geplan- ten Rückzug des deutschen ISAF-Kontin- gents aus Afghanistan Antwort Christian Schmidt, Parl. Staatssekretär BMVg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 52 Mündliche Frage 70 Sönke Rix (SPD) Reform des Mutterschutzgesetzes Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 53 Mündliche Frage 71 Sönke Rix (SPD) Erstattung von Fahrtkosten bei Freiwilli- gendiensten Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 54 Mündliche Fragen 72 und 73 Petra Crone (SPD) Geringe Nutzung der Familienpflegezeit durch pflegende Angehörige und Verbesse- rung der Inanspruchnahme Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 55 Mündliche Frage 74 Caren Marks (SPD) Anzahl anspruchsberechtigter Familien beim Kinderzuschlag Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 56 Mündliche Frage 75 Caren Marks (SPD) Anzahl der im Jahr 2011 und 2012 gestell- ten Anträge auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld bei Familien nach Ablehnung der Anträge auf Kinderzuschlag Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 57 Mündliche Fragen 76 und 77 Aydan Özoğuz (SPD) Nutzung und Verlinkung der Internetseite des Zentrums für Kinderschutz im Inter- net seit September 2012 Antwort Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär BMFSFJ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26741 C 26741 D 26742 A 26742 C 26742 D 26743 A 26743 B 26743 B 26743 C 26743 D Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 26613 (A) (C) (D)(B) 216. Sitzung Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 Beginn: 11.00 Uhr
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    den kürzeren Wartezeiten auf einen Arzttermin. Beide Neidargumente – so Jens Spahn – greifen deutlich zu kurz, sie klingen im ersten Mo- ment gut und eingängig, aber sie treffen einfach nicht zu. Recht hat Jens Spahn. (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Jetzt zitiert ihr euch schon gegenseitig, oder wie?) Deswegen, verehrter Kollege Lauterbach, sage ich auf Ihre Frage, wo die Vorschläge sind: Ja, wir müssen beide Systeme reformieren. Das ist eine Daueraufgabe. Rudolf Henke (CDU/CSU): Absolut, ja. Vizepräsidentin Petra Pau: Dort sehen Sie ein Minus. Rudolf Henke (CDU/CSU): Ich komme zum Schluss. – Das heutige Versorgungs- niveau ist durch ein Miteinander von GKV und PKV entstanden. Wenn Sie das aufgeben, bedeutet das, dass Sie die Nivellierung der Versorgung in einer Einheits- krankenkasse für alle vorbereiten. Das wollen CDU/ CSU und, wie ich sicher bin, auch die FDP nicht. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP) Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 26727 (A) (C) (D)(B) Anlagen kommen zu untersuchen. In den betroffenen Regionen besteht ein hohes Maß an Unsicherheit im Hinblick auf die Risiken, die mit der Schreiner, Ottmar SPD 16.01.2013 Dr. Schwanholz, Martin SPD 16.01.2013 von Kohle oder Gas notwendig. Bislang wird in Nordrhein-Westfalen kein Erdgas gefördert. Allerdings besteht bei verschiedenen Unternehmen Interesse, die Potenziale sogenannter unkonventioneller Erdgasvor- Schmidt (Eisleben), Silvia SPD 16.01.2013 Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärung nach § 31 GO des Abgeordneten Thomas Rachel (CDU/CSU) zu den Abstimmungen zu den Anträgen: – Verbot des Fracking in Deutschland – Moratorium für die Fracking-Technologie in Deutschland – Ergebnisse der Gutachten zu Umweltaus- wirkungen von Fracking zügig umsetzen (214. Sitzung, Tagesordnungspunkt 45 und Zu- satztagesordnungspunkt 5) Den Anträgen der Fraktionen Die Linke, Bündnis 90/ Die Grünen und SPD kann ich in der vorliegenden Form nicht zustimmen und folge deswegen den Beschluss- empfehlungen des Ausschusses für Wirtschaft und Tech- nologie. Meine Position in der Sache erkläre ich wie folgt: Deutschland hat mit der Energiewende die Vorreiter- rolle für eine Energiezukunft übernommen, die in der Verbindung aus Wachstum und Ressourcenschonung liegt. Ich setze mich für eine nachhaltige Energiepolitik ein und für eine sichere und bezahlbare Energieversor- gung auch in Zukunft. Als Ergänzung der erneuerbaren Energien ist noch über Jahrzehnte hinweg der Einsatz hocheffizienter und flexibel einsetzbarer fossiler Kraftwerke auf der Basis Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 16.01.2013 Beck (Bremen), Marieluise BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.01.2013 Dr. Böhmer, Maria CDU/CSU 16.01.2013 Brehmer, Heike CDU/CSU 16.01.2013 Dağdelen, Sevim DIE LINKE 16.01.2013 Dr. Dehm, Diether DIE LINKE 16.01.2013 Dobrindt, Alexander CDU/CSU 16.01.2013 Ernst, Klaus DIE LINKE 16.01.2013 Gabriel, Sigmar SPD 16.01.2013 Göring-Eckardt, Katrin BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.01.2013 Groth, Annette DIE LINKE 16.01.2013 Humme, Christel SPD 16.01.2013 Laurischk, Sibylle FDP 16.01.2013 Dr. Middelberg, Mathias CDU/CSU 16.01.2013 Mißfelder, Philipp CDU/CSU 16.01.2013 Möhring, Cornelia DIE LINKE 16.01.2013 Möller, Kornelia DIE LINKE 16.01.2013 Özoğuz, Aydan SPD 16.01.2013 Ortel, Holger SPD 16.01.2013 Pronold, Florian SPD 16.01.2013 Dr. Ratjen-Damerau, Christiane FDP 16.01.2013 Dr. Röttgen, Norbert CDU/CSU 16.01.2013 Dr. Seifert, Ilja DIE LINKE 16.01.2013 Dr. Steffel, Frank CDU/CSU 16.01.2013 Steinbach, Erika CDU/CSU 16.01.2013 Stier, Dieter CDU/CSU 16.01.2013 Trittin, Jürgen BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 16.01.2013 Vogler, Kathrin DIE LINKE 16.01.2013 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 26728 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 (A) (C) (D)(B) Gewinnung von Gas verbunden sind. Dabei geht es ins- besondere um eine mögliche Belastung des Grund- und Trinkwassers durch das sogenannte Fracking – ein Ver- fahren, bei dem ein Gemisch aus Wasser, Quarzsand und chemischen Zusätzen in das umlagernde Gestein des Un- tergrundes gepresst wird, um den Gasfluss hin zum Bohrloch zu stimulieren und die Förderung zu ermögli- chen. Als Energieland Nummer eins hat Nordrhein-Westfa- len ein großes Interesse an Erhaltung und Entwicklung neuer energiepolitischer Optionen. Zuständig für den Vollzug der bergbaulichen und umweltrechtlichen Vor- schriften sind die Behörden der Länder. Bei der Geneh- migung von Probebohrungen muss das Land Nordrhein- Westfalen sicherstellen, dass der jeweilige Antragsteller verpflichtet wird, alle für die Entscheidung erforderli- chen Informationen bereitzustellen und die Auswirkun- gen auf die Umwelt umfassend zu dokumentieren. Die Genehmigungsverfahren müssen den spezifischen Erfor- dernissen der unkonventionellen Erdgasförderung ange- passt werden. Insbesondere halten wir eine Änderung des Bergrechts für notwendig. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung, UVP, die im Bergrecht für die reine Erkundung von Bodenschätzen, also auch für das Probe-Fracking, derzeit nicht vorge- schrieben ist, ist aus unserer Sicht unerlässlich. Umwelt- risiken bestehen vor allem dann, wenn unter Einsatz wassergefährdender Stoffe gefrackt wird. Deshalb soll für diese Fälle sowohl bei der Erdgasgewinnung als auch bei der Geothermie eine zwingende UVP eingeführt werden. Diese beinhaltet dann auch eine verpflichtende transparente und effektive Öffentlichkeitsbeteiligung vor einer Genehmigung des Probe-Frackings. Zudem sind die Wasserbehörden verpflichtend zu beteiligen, ebenso die betroffenen Landkreise und Kommunen. Da die Aus- wirkungen auf das Grundwasser auch grenzüberschrei- tend sein können, ist es geboten, entsprechend hohe Re- geln in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu haben. Wir unterstützen daher die Bemühung im Euro- päischen Parlament um vergleichbar hohe Sicherheits- standards. Eine Erdgasförderung in Nordrhein-Westfalen kommt nur infrage, wenn sie von der Bevölkerung in der Region akzeptiert wird. Dafür ist eine umfassende Transparenz eine zentrale Voraussetzung. Die Landesregierung ist in der Pflicht, die Aufklärung der Bevölkerung über die Risiken des Fracking deutlich zu verbessern. Für mich hat Sicherheit höchste Priorität. In Trink- wasserschutzgebieten muss Fracking ausgeschlossen sein. Genehmigungen für Fracking in anderen Gebieten dürfen nur erteilt werden, wenn unverantwortliche Risi- ken für Mensch und Natur vollständig ausgeschlossen werden können. Anlage 3 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksa- che 17/12041, Frage 3): Bei welchen Maßnahmen aus den Infrastrukturbeschleuni- gungsprogrammen I und II mit insgesamt 1,75 Milliarden Euro ist die Schaffung von Barrierefreiheit ausdrückliches Ziel und zwingende Voraussetzung für die Ausreichung der Mittel, und in welcher Weise waren Menschen mit Behinde- rung und deren Organisationen an der Entscheidung über die Investitionen beteiligt? Das Infrastrukturbeschleunigungsprogramm I sieht für den Verkehrsträger Schiene zusätzlich 100 Millionen Euro Bundesmittel vor, davon 40 Millionen Euro in 2012 und 60 Millionen Euro in 2013. Die Mittel fließen in die Verkehrsanlagen der Personenbahnhöfe, um dort bundesweit in den Bereichen Barrierefreiheit, Moderni- sierung von Bahnsteigen und Wetterschutz den Nutzen der Reisenden zu erhöhen. Die Maßnahmen werden an 195 Personenbahnhöfen realisiert. Davon erhalten rund 50 Bahnhöfe neue Bahnsteige. An weiteren 40 Stationen profitieren die Reisenden von neuen Aufzügen, Fahrtreppen oder langen Rampen für den barrierefreien Zugang. Die Schaffung ausschließlich von Barrierefreiheit war keine zwingende Voraussetzung für die Ausreichung der Bundesmittel. Die Auswahl der Projekte wurde von dem Eisenbahninfrastrukturunternehmen des Bundes DB Sta- tion & Service AG als Eigentümer und Bauherr vorge- nommen. Der Haushaltsausschuss des Deutschen Bun- destages hat in seinen Sitzungen am 8. Februar 2012 und am 15. Februar 2012 den Projektlisten zugestimmt. Menschen mit Behinderung und deren Organisationen wurden nicht unmittelbar beteiligt. Anlage 4 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des Abgeordneten Dr. Ilja Seifert (DIE LINKE) (Drucksa- che 17/12041, Frage 4): In welchen der einzelnen Förderprogramme, die der Bund über die Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung 2013 mit 455 Millionen Euro unterstützt (siehe Pressemitteilung des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwick- lung, BMVBS, vom 29. Dezember 2012), ist die Schaffung von Barrierefreiheit ausdrückliches Ziel und zwingende Vo- raussetzung für die Ausreichung der Mittel, und in welcher Weise waren Menschen mit Behinderung und deren Organisa- tionen an der Ausarbeitung der Verwaltungsvereinbarung be- teiligt? Die Städtebauförderung des Bundes und der Länder unterstützt die Anpassung der städtischen Infrastruktur an die Bedürfnisse der Bürgerinnen und Bürger, insbe- sondere an die der Familien, der Haushalte mit Kindern und älterer Menschen. Zu diesem Zweck sind Maßnah- men der Barrierefreiheit in allen Förderprogrammen för- derfähig. Eine Barrierefreiheit ist jedoch nicht Förder- voraussetzung der Städtebauförderung. Die Ausarbeitung der Verwaltungsvereinbarung Städtebauförderung erfolgte in Abstimmung mit den Bundesländern und den kommunalen Spitzenverbän- den. Eine darüber hinausgehende Beteiligung sonstiger Verbände bzw. Interessengruppen ist im Rahmen einer Verwaltungsvereinbarung nicht angezeigt. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 26729 (A) (C) (D)(B) Anlage 5 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 9): Welche Auskunft gibt die Bundesregierung auch als Mit- gesellschafter und Mitglied im Aufsichtsrat zur festgestellten Verantwortung der am Bau des Großflughafens BER beteilig- ten Unternehmen für die aufgetretenen Mängel, Unzuläng- lichkeiten und Verspätungen bei der Inbetriebnahme und zu den Konsequenzen, die die Bundesregierung für diese Unter- nehmen zieht für den zukünftigen Ausschluss bei der Vergabe von Aufträgen des Bundes wegen deren Unzuverlässigkeit, und was hat die Bundesregierung als Mitgesellschafter und Mitglied des Aufsichtsrats des BER spätestens seit der Kennt- nis von der Verschiebung der Inbetriebnahme des Flughafens unternommen, um die aufgetretenen Probleme zu lösen und die Arbeiten für die Fertigstellung nachhaltig zu fördern? Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung nimmt die Aufgaben des Bundes als Gesell- schafter der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, FBB, nach dem Gesellschaftsvertrag und den gesellschafts- rechtlichen Vorschriften wahr. Diese sind auch für die beiden im Aufsichtsrat vertretenen Mitglieder der Bun- desregierung maßgeblich. Die operative Projektverant- wortung für den Bau des Flughafen BER liegt bei der Geschäftsführung der FBB. Dies schließt die Prüfung der ordnungsgemäßen Leistung der am Bau beteiligten Firmen ein. Der Aufsichtsrat befasst sich regelmäßig intensiv mit dem Leistungsstand auf der Baustelle. Dabei werden zum Beispiel die diesbezüglichen Controllingberichte erörtert. Um sich zeitnah über die Arbeiten für die Fertigstellung zu informieren, hat der Aufsichtsrat seine Sitzungsfrequenz deutlich erhöht. Zudem wird derzeit die Einrichtung eines gesonderten Controllings für den Aufsichtsrat vorbereitet. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung erwartet, dass die Geschäftsführung dem Aufsichtsrat detailliert die weiteren Schritte zur Fertig- stellung des Flughafens BER und die dazu nötigen Maßnahmen darstellt. Anlage 6 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des Abgeordneten Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 10): Inwieweit liegen dem BMVBS Erkenntnisse darüber vor, dass sich Baufirmen im Vorfeld der geplanten Eröffnung zum 3. Juni 2012 den Einbau von Gewerken ohne Planungen von Mitarbeitern der FBB GmbH oder dem Planungsbüro geneh- migen ließen? Über die Einbeziehung von Mitarbeitern der FBB GmbH oder dem Planungsbüro beim Einbau von Gewer- ken kann nur die Geschäftsführung der FBB Auskunft geben. Die FBB hat hierzu mitgeteilt: „Im Zuge der Bau- tenstandsfeststellung durch den Geschäftsführer Tech- nik/Betrieb der FBB, Herrn Amann, wurde festgestellt, dass in einigen Bereichen des Fluggastterminals Installa- tionen abweichend von den einschlägigen technischen Vorschriften erfolgten. Es ist noch zu prüfen, auf wel- cher Grundlage dies geschah.“ Anlage 7 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage des Abgeordneten Markus Tressel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 11): Wie steht die Bundesregierung zur Forderung der Deut- schen Lufthansa AG nach einer Ertüchtigung des Flughafens Berlin-Tegel bis zur Inbetriebnahme des Flughafens BER? Die Möglichkeiten der Ertüchtigung des Flughafens Tegel sind zunächst von der zuständigen Genehmigungs- behörde des Landes Berlin zu prüfen. Anlage 8 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Fragen der Abgeordneten Bettina Herlitzius (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Fragen 12 und 13): Welche genauen Angaben – schriftlich bzw. mündlich – machte der Technikchef des Flughafens BER, Horst Amann, bei dem Expertentreffen am 18. Dezember 2012 zum geplan- ten Berliner Flughafen BER in Anwesenheit von Staatssekre- tär Rainer Bomba hinsichtlich des geplanten Eröffnungster- mins am 27. Oktober 2013? Welche Zusagen – schriftlich bzw. mündlich – machten die Projektbeauftragten der Firmen Robert Bosch GmbH, Sie- mens Aktiengesellschaft und Imtech Deutschland GmbH & Co. KG bei dem Expertentreffen am 18. Dezember 2012 hin- sichtlich der Einhaltung des Eröffnungstermins am 27. Okto- ber 2013? Am 18. Dezember 2012 fand eine gemeinsame Erör- terung des aktuellen Projektstandes mit Vertretern der Firmen Bosch und Siemens statt. Das Gespräch war technischer Natur. Anlage 9 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) (Drucksache 17/12041, Frage 14): Welche Erkenntnisse liegen dem BMVBS darüber vor, dass das Land Berlin als einziger Anteilseigner nicht mit einem Aufsichtsratsmitglied, sondern nur mit einem Fach- beamten an dem Expertengespräch am 18. Dezember 2012 zum Berliner Großflughafen teilgenommen hat? Das Land Berlin entscheidet nach eigenem Ermessen, mit welchen Personen es an Gesprächen teilnimmt. 26730 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 (A) (C) (D)(B) Anlage 10 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der Abgeordneten Lisa Paus (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) (Drucksache 17/12041, Frage 15): Welche Mehrkosten durch die erneute Verschiebung sind heute schon absehbar, und inwieweit wird das BMVBS im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages für eine wei- tere Erhöhung der Bundesmittel eintreten? Die mit der erneuten Verschiebung der Eröffnung des Flughafens BER entstehenden Mehrkosten sind im Moment nicht zu beziffern. Voraussetzung dazu ist eine umfassende Analyse des BER-Projekts und der Auswir- kungen der Verschiebung auf die betrieblichen Unter- nehmensbereiche durch die Flughafen Berlin Branden- burg GmbH. Es kann daher noch keine Aussage darüber getroffen werden, inwieweit das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung im Haushalts- ausschuss des Deutschen Bundestages für eine weitere Erhöhung der Bundesmittel eintreten wird. Anlage 11 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 16): Auf wessen Initiative ist es zu dem Expertentermin zum Flughafen BER am 18. Dezember 2012 gekommen, und wa- rum hat kein Vertreter der Genehmigungsbehörde daran teil- genommen? Die Informationsveranstaltung der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH hat am 18. Dezember 2012 auf dem Gelände der Flughafengesellschaft stattgefunden. Ziel war eine Unterrichtung der jeweiligen Anteilseigner der Flughafen Berlin Brandenburg GmbH über den aktuel- len technischen Entwicklungsstand auch aus der Sicht der beteiligten Firmen. Anlage 12 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der Abgeordneten Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 17): Seit wann ist dem BMVBS die Haltung der Genehmi- gungsbehörde zur Brandschutzanlage bekannt, wonach die Flughafengesellschaft entweder einen neuen Bauantrag stel- len oder die vorhandene Brandschutzanlage entfernen und eine neue installieren muss, und welche Rolle spielt dies bei der vierten Verschiebung des Eröffnungstermins? Nach dem aktuellen Sachstandsbericht BER der Flug- hafen Berlin Brandenburg GmbH vom 8. Januar 2013 sind in bauordnungsrechtlicher Hinsicht nach den nun gewonnenen Erkenntnissen umfangreiche Umplanungen und Umprogrammierungen der Steuerung bzw. Umbau- maßnahmen auch an den Entrauchungsanlagen unum- gänglich. Wegen dieser „beispielhaft benannten Maß- nahmen“ sei der Inbetriebnahmetermin 27. Oktober 2013 nicht mehr zu realisieren. Im Übrigen hat das Bun- desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung über „die Haltung“ einer Genehmigungsbehörde eines Landes – Brandenburg – naturgemäß keine gesicherten Erkenntnisse. Anlage 13 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der Abgeordneten Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 18): Ist der Bundesregierung als Anteilseigner des Flughafens BER bekannt, warum eine Umweltverträglichkeitsprüfung und die Anwendung der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinien bei der Festlegung der geänderten Flugrouten des Flughafens BER über den Müggelsee unterlassen wurden? Im Rahmen der Genehmigung für den Flugha- fen(aus)bau ist regelmäßig auch die Umweltverträglich- keit und FFH-Verträglichkeit des Flugbetriebs im weite- ren Umkreis des Flughafens zu prüfen. Beides ist für den Flughafen BER durchgeführt worden. Maßgeblich sind hierbei das UVP-Gesetz und das Bundesnaturschutz- gesetz, mit denen beide Richtlinien in nationalem Recht umgesetzt worden sind. Flugrouten gehören als solche nicht zu den in der UVP-Richtlinie abschließend aufge- zählten Projekten. Anlage 14 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Frage der Abgeordneten Daniela Wagner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 19): Inwieweit wird sich der Bund als Anteilseigner des Flug- hafens BER dafür einsetzen, eine nachträgliche Umweltver- träglichkeitsprüfung für die Flugrouten durchzuführen, um das drohende Vertragsverletzungsverfahren der Europäischen Kommission abzuwenden? Wie in der Antwort auf Frage 18 dargelegt, vertritt die Bundesregierung die Rechtsauffassung, dass die Fest- legung von Flugrouten kein UVP-pflichtiges Projekt im Sinne der UVP-Richtlinie darstellt. Zur Prüfung des weiteren Vorgehens muss zunächst die schriftliche Begründung in dem zu erwartenden Mahnschreiben der Kommission gemäß Art. 258 AEUV abgewartet werden. Anlage 15 Antwort des Parl. Staatssekretärs Jan Mücke auf die Fragen des Abgeordneten Sören Bartol (SPD) (Drucksache 17/12041, Fragen 20 und 21): Wie viele Exemplare des Bundeshochbau-Kalenders 2013 des BMVBS sind gedruckt worden, und wie viel hat die Her- stellung des Kalenders gekostet? Wie viele Exemplare des Bundeshochbau-Kalenders 2013 des BMVBS sind jeweils an welche Institutionen versandt Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 26731 (A) (C) (D)(B) worden (bitte mit genauer Mengenangabe global für die Insti- tutionen Bundesregierung, Deutscher Bundestag, Unterneh- men, Verbände und Parteien)? Zu Frage 20: Es wurden 9 000 Exemplare des Bundeshochbau-Ka- lenders 2013 des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung gedruckt. Die Herstellung des Ka- lenders hat einschließlich Versand 117 000 Euro gekos- tet. Im Übrigen wurde im Jahr 2009 unter dem damaligen Minister Tiefensee ein wesentlich umfangreicheres Pro- jekt zum Bundeshochbau veröffentlicht. Dabei handelte es sich nicht nur um einen Kalender, sondern um ein 450 Seiten starkes Buchprojekt Architektur der Demokra- tie im Hochglanzformat. Dieses Buch besaß eine nahezu gleich hohe Auflage, wurde außerdem ins Englische übersetzt. Das Projekt kostete insgesamt 250 000 Euro. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadt- entwicklung hat vor diesem Hintergrund mit dem Kalen- derprojekt ganz bewusst ein bescheideneres Format gewählt – ganz im Sinne eines sparsamen und angemes- senen Umgangs mit Steuergeldern. Zu Frage 21: Die Auswahl der Adressaten erfolgte nach folgenden Gesichtspunkten: – wichtige Meinungsbildner im politischen Umfeld (unter anderem Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung, Ausschuss für Kultur und Medien, Haushaltsausschuss) – Verfassungsorgane und oberste Bundesbehörden (Lei- tungen und mit Bundesbau befasste Partner/Mitarbei- terinnen und Mitarbeiter), Landesvertretungen in Ber- lin – Bundesoberbehörden und weitere Bundesdienststel- len (Leitungen und mit Bundesbau befasste Mitarbei- terinnen/Mitarbeiter) – Landesministerien, die ihre Bauverwaltung dem Bund im Wege der Organleihe zur Verfügung stellen (Lei- tung und relevante Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter) – Beschäftigte der für den Bund tätigen Bauverwaltun- gen in den Bundesländern (fachaufsichtführende Ebene und baudurchführende Ebene) – Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Leitung und relevante Mitarbeiterinnen/Mitarbeiter) – Institutionen, deren Gebäude im Kalender abgebildet sind, sowie deren Architekten und am Projekt wesent- lich Beteiligte – Partner beim Bauen im zivilen Bereich des Bundes- baus sowie bei Zuwendungsmaßnahmen – ausgewählte deutsche Vertretungen und Kulturein- richtungen im Ausland – Architektenkammern, Stiftungen, Vereine, Bundes- verbände etc., mit denen das BMVBS zusammenar- beitet bzw. im Jahr 2012 verstärkt zusammengearbei- tet hat (zum Beispiel Expertenkreis Bau, Stiftung Baukultur, Baugewerbliche Verbände) An Parteien wurden keine Kalender versandt. Eine genaue Aufschlüsselung der Aufteilung der Kalender auf Verbände und Unternehmen ist in der Kürze der Zeit nicht möglich. Ein Großteil der Kalender wurde inner- halb des BMVBS den einzelnen Referaten zur Verfü- gung gestellt, damit diese in eigener Zuständigkeit die weitere Verteilung an ihre wichtigen regelmäßigen An- sprechpartner vornehmen. Anlage 16 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Ralph Lenkert (DIE LINKE) (Drucksache 17/12041, Frage 22): Wie stellt sich die Entwicklung des EU-Vertragsverlet- zungsverfahrens gegen die Bundesrepublik Deutschland we- gen der Salzwassereinleitungen der Kaliindustrie in die Werra und Weser insgesamt dar? Mit der Mitteilung vom 19. Oktober 2012 hat die Bundesregierung zu den mit Mahnschreiben der Euro- päischen Kommission vom 22. Juni 2012 (Vertragsver- letzung Nr. 2012/4081) erhobenen Vorwürfen wegen Verstoßes gegen Art. 4, 11 und 13 der Richtlinie 2000/ 60/EG (Wasserrahmenrichtlinie, WRRL) auf Grundlage der Ausführungen der für die Durchführung der Richtli- nie zuständigen Länder Stellung genommen und die Kommission gebeten, das Verfahren nicht weiterzuver- folgen. Eine Antwort auf diese Mitteilung steht noch aus. Anlage 17 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage des Abgeordneten Ralph Lenkert (DIE LINKE) (Drucksache 17/12041, Frage 23): Wie begründet die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Europäischen Union, dass die Gewässerqualität von Werra und Weser trotz der erheblichen Abweichungen vom chemi- schen und biologischen Ursprungszustand ohne anthropogene Einflüsse den Anforderungen der Richtlinie 2000/60/EG ent- spricht? Die Bundesregierung vertritt ebenso wie die für den Vollzug der Richtlinie 2000/60/EG zuständigen Stellen der Länder nicht die Auffassung, dass die derzeitige Ge- wässerqualität den Anforderungen dieser Richtlinie ent- spricht. Sie musste dies daher auch nicht gegenüber der Kommission so begründen. Anlage 18 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 24): 26732 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 (A) (C) (D)(B) Bis voraussichtlich wann will die Bundesregierung nach jetziger Planung einen hinsichtlich der Atommüllexportrege- lung überarbeiteten Gesetzentwurf für eine 14. Atomgesetz- novelle vorlegen, und wie hatte sie sich auf EU-Ebene bei der Erarbeitung und Abstimmung der EU-Atommüllrichtlinie (2011/70/EURATOM) bezüglich der Regelung von Atom- müllexporten verhalten (bitte jeweils mit Datumsangabe und differenziert nach Abstimmungsverhalten und etwaigen eige- nen inhaltlichen Vorschlägen)? Die Bundesregierung wertet derzeit die Eingänge aus der Länder- und Verbändeanhörung zum Entwurf eines 14. Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes zur Um- setzung der Richtlinie 2011/70/EURATOM aus. Sie wird auf dieser Basis entscheiden, ob Änderungen im Gesetz- entwurf vorgenommen werden. Die Bundesregierung hat die ursprünglich von der Europäischen Kommission für die Richtlinie einge- brachte Beschränkung einer möglichen Verbringung ab- gebrannter Brennelemente und radioaktiver Abfälle zum Zwecke der Endlagerung auf die Euratom-Mitgliedstaa- ten unterstützt. Wegen der Gefahr des Scheiterns einer Verabschiedung der gesamten Richtlinie aufgrund dieser ursprünglich eingebrachten Beschränkung haben am Ende die Bundesregierung und alle anderen Mitglied- staaten sowie die Europäische Kommission der in Kraft getretenen Fassung der Richtlinie zugestimmt. Anlage 19 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Frage der Abgeordneten Sylvia Kotting-Uhl (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 25): Welche Informationen kann die Bundesregierung im Zu- sammenhang mit der deutsch-polnischen Konsultation, die Ende 2012 im Rahmen der Strategischen Umweltprüfung des polnischen Atomkraftprogramms stattfand, zur Verfügung stellen (bitte neben Themen auch Datum der Konsultation, voraussichtlicher Zeitpunkt des Vorliegens des Protokolls davon, Frist für die daran anschließende Stellungnahme Deutschlands sowie etwaige Verlängerungsmöglichkeit der Frist), und welche Behörden, Sachverständigen etc. haben an der oben genannten Konsultation teilgenommen? Die von der Bundesregierung eingeforderte bilate- rale Konsultation zu dem polnischen Kernenergiepro- grammentwurf fand am 27. November 2012 in Warschau statt. Im Vorfeld der bilateralen Konsultationen bot das Bundesumweltministerium allen an dem Strategischen Umweltprüfungsverfahren beteiligten Ländern eine Teil- nahme an. Von diesem Angebot machten Berlin, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern sowie Sachsen Gebrauch. Im Rahmen der bilateralen Konsultationen wurden von den deutschen Vertretern insbesondere Bedenken gegenüber den Aussagen zur Notfallvorsorge und zum Notfallmanagement, zu den Angaben betreffend Über- wachungsfragen bei Normal- und Störfallbetrieb und zu den Kriterien für die Standortsuche eingebracht. Die polnische Seite hat hierzu zwischenzeitlich eine Nacharbeitung vorgenommen. Entsprechend der getrof- fenen Vereinbarung können die in der bilateralen Kon- sultation vertretenen Behörden bei Bedarf zu diesen Themenkomplexen Stellungnahmen abgeben. Eine wei- tere Öffentlichkeitsbeteiligung findet nicht mehr statt. Der Abstimmungsprozess zum Konsultationsproto- koll wird erfahrungsgemäß noch einige Zeit in Anspruch nehmen. Das Bundesumweltministerium hat im unmit- telbaren Anschluss an die bilateralen Konsultationen die Informationen zur Strategischen Umweltprüfung mit Polen auf seiner Internetseite aktualisiert. Anlage 20 Antwort der Parl. Staatssekretärin Ursula Heinen-Esser auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Hermann E. Ott (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Fragen 26 und 27): Welche Erkenntnisse zieht die Bundesregierung aus der polnischen Verhandlungshaltung während der vergangenen Klimakonferenz, COP, in Doha, und was bedeutet dies aus Sicht der Bundesregierung für die kommende Konferenz, COP 19, in Warschau? Was sind aus Sicht der Bundesregierung die Gründe für die polnische Verhandlungsposition in Doha, und was unter- nimmt oder plant die Bundesregierung, um Polen, insbeson- dere im Hinblick auf die kommende COP in Warschau, zu einer progressiveren Position zu bewegen? Zu Frage 26: Die Bundesregierung begrüßt, dass in Doha alle Mitgliedstaaten konstruktiv daran mitgewirkt haben, auch bei strittigen Fragen tragfähige Lösungen innerhalb der Europäischen Union und für den UNFCCC-Verhand- lungsprozess zu finden. Sie folgert daraus, dass die EU es schaffen wird, auch in Situationen, in denen die natio- nalen Interessen divergieren, handlungsfähig zu sein. Hierauf wird die EU auch bei der nächsten Klimakon- ferenz, die unter polnischem Vorsitz stattfinden wird, aufbauen. Zu Frage 27: Die Bundesregierung stellt keine Spekulationen über die Motive von Verhandlungspartnern an. Zwischen Deutschland und Polen gibt es zu klimapolitischen Themen sowohl bilateral als auch innerhalb der EU auf allen Ebenen einen intensiven Austausch, um zu gemeinsamen Positionen zu gelangen. Anlage 21 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 28): Welchen Änderungsbedarf sieht die Bundesregierung vor dem Hintergrund der Ergebnisse der durch die Deutsche Energie-Agentur GmbH am 11. Dezember 2012 veröffentlich- ten „dena-Verteilnetzstudie. Ausbau- und Innovationsbedarf der Stromverteilnetze in Deutschland bis 2030“ an der An- reizregulierungsverordnung, ARegV, und, wenn sie keinen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 26733 (A) (C) (D)(B) Änderungsbedarf sieht, welche anderen Parameter zur Ermitt- lung des Erweiterungsfaktors (nach § 10 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 ARegV für Elektrizitätsverteilernetzbetreiber) erwägt die Bundesregierung? Das Bundesministerium für Wirtschaft und Techno- logie lässt eine eigene, unabhängige Studie zur Ermitt- lung des Aus- und Umbaubedarfs in den Verteilernetzen erstellen. Auf Grundlage der Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie sowie des nach der Anreizregulierungsverordnung zu er- stellenden Erfahrungsberichts der Bundesnetzagentur zur Anreizregulierung wird über Änderungsbedarf an der Verordnung entschieden werden. Zwischenzeitlich durch die Bundesnetzagentur identifizierter Nachjustie- rungsbedarf könnte erforderlichenfalls durch Festlegung weiterer Erweiterungsfaktorparameter durch die Bun- desnetzagentur berücksichtigt werden. Anlage 22 Antwort des Parl. Staatssekretärs Peter Hintze auf die Frage des Abgeordneten Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 29): Wann wird die Bundesregierung die Stellungnahme der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe zum Gutachten des Umweltbundesamtes „Umweltauswirkungen von Fracking bei der Aufsuchung und Gewinnung von Erdgas aus unkonventionellen Lagerstätten – Risikobewertung, Handlungsempfehlungen und Evaluierung bestehender recht- licher Regelungen und Verwaltungsstrukturen“ sowie die Er- widerung des Umweltbundesamtes veröffentlichen, und wel- che Konsequenzen zieht sie daraus? Die Bundesanstalt für Geowissenschaften und Roh- stoffe veröffentlicht die Stellungnahme zum Gutachten des Umweltbundesamtes nach Rücksprache und mit Zu- stimmung des Umweltbundesamtes so bald wie möglich, dass heißt „zeitnah“, auf ihrer Internetseite. Das Um- weltbundesamt veröffentlicht seine Erwiderung eben- falls so bald wie möglich auf seiner Internetseite. Das Bundesministerium für Wirtschaft und Technolo- gie hat im Rahmen der Prüfung und Beratung zum Thema Fracking eine Stellungnahme der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe insbesondere zu den geologischen, geochemischen, hydrologischen und geotechnologischen Aspekten des Gutachtens des Um- weltbundesamtes eingeholt. Die Beratungen und Schlussfolgerungen hierzu sind noch nicht abgeschlos- sen. Anlage 23 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Agnes Brugger (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 30): Plant die Bundesregierung, die deutschen Leistungen für die humanitäre Hilfe für notleidende Menschen in Syrien und syrische Flüchtlinge zu erhöhen, nachdem die Vereinten Na- tionen gemeldet haben, das World Food Programme würde weitere 136 Millionen US-Dollar benötigen, um allein die Menschen in Syrien bis Juni 2013 mit Nahrungsmitteln ver- sorgen zu können? Die Bundesregierung hat über das Auswärtige Amt im Haushaltsjahr 2012 insgesamt 53,3 Millionen Euro humanitäre Hilfe für die betroffenen Menschen in Syrien und in den Nachbarländern zur Verfügung gestellt. Hierin inbegriffen sind insgesamt 6,5 Millionen Euro Er- nährungshilfe, welche die Bundesregierung 2012 für die Betroffenen in Syrien über das Welternährungspro- gramm der Vereinten Nationen – World Food Pro- gramme, WFP – geleistet hat. 2013 wird die Bundesregierung ihr humanitäres Engagement in Syrien und den Nachbarländern bedarfs- orientiert und flexibel für die notleidende Bevölkerung in Syrien und die Flüchtlinge in den Nachbarländern fortführen. Anlage 24 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 32): Welche Informationen liegen der Bundesregierung über Art und Ausmaß der Beteiligung der fünf zentralasiatischen Staaten – Kasachstan, Usbekistan, Turkmenistan, Tadschikis- tan, Kirgistan – am Istanbul-Prozess und der internationalen Kontaktgruppe zur Stabilisierung Afghanistans vor (bitte pro Land einzeln ausführen), und welche Bedeutung misst die Bundesregierung speziell den einzelnen zentralasiatischen Staaten für eine erfolgreiche Stabilisierung Afghanistans in den folgenden Jahren bei (bitte pro Land einzeln ausführen)? Eine verstärkte regionale Zusammenarbeit ist ein we- sentliches Element für Stabilität und Wohlstand in der Region. Das Interesse hieran teilen nach Einschätzung der Bundesregierung alle zentralasiatischen Staaten. Der jüngste Fortschrittsbericht Afghanistan der Bun- desregierung vom November 2012 geht auf den Istan- bul- oder Heart-of-Asia-Prozess, dem alle zentralasiati- schen Staaten angehören, ausführlich ein und listet die Wahrnehmung der Arbeitsgruppen zu den einzelnen ver- trauensbildenden Maßnahmen, VBM, durch die Mit- gliedstaaten als Teilnehmer oder Lead Nation detailliert auf. Die Republik Kasachstan und Turkmenistan sind je- weils Co-Lead-Nation einer VBM. Diese Staaten sowie die Republik Tadschikistan und die Kirgisische Republik nehmen darüber hinaus an weiteren Arbeitsgruppen teil. Kasachstan wird Gastgeber des nächsten Außenminister- treffens am 25. April 2013 sein. Seit der Veröffentli- chung des Fortschrittsberichts hat sich ergeben, dass sich Ende Januar 2013 auch die bisher inaktive von Turkme- nistan geleitete Arbeitsgruppe zu regionaler Infrastruktur treffen wird. Es ist bedauerlich, dass die Republik Usbe- kistan in den Arbeitsgruppen bisher nicht mitarbeitet. Die Bundesregierung unterstützt diesen Regionalpro- zess und begrüßt die Teilnahme aller Nachbarstaaten Afghanistans, darunter der zentralasiatischen Staaten. Die fünf zentralasiatischen Staaten sind auch Mitglie- der der Internationalen Kontaktgruppe zu Afghanistan, ICG, an deren Treffen sie regelmäßig teilnehmen. Im November 2011 war Kasachstan Gastgeber eines ICG- Treffens. 26734 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 (A) (C) (D)(B) Anlage 25 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Heike Hänsel (DIE LINKE) (Drucksache 17/12041, Frage 33): Welche Konsequenzen erwägt die Bundesregierung an- lässlich des gewaltsam von der Polizei durchgeführten Aus- schlusses der linksoppositionellen Partei SDSM aus dem ma- zedonischen Parlament (siehe den Spiegel vom 24. Dezember 2012) im Vorfeld der Abstimmung des Bundeshaushalts 2013 vor dem Hintergrund, dass Mazedonien EU-Beitrittskandidat ist, und ist dieser Vorfall, bei dem als Folge der „Handgreif- lichkeiten“ im Parlament die Bezüge der linken Abgeordneten um zwei Drittel gekürzt werden sollen, mit dem EU-Verständ- nis von Demokratie vereinbar? Die Bundesregierung verfolgt die jüngsten gewaltsa- men Ereignisse in und um das Parlament in Skopje und den anschließenden, noch andauernden Parlamentsboy- kott der oppositionellen Partei SDSM aufmerksam und mit Besorgnis. Sie erwartet von allen Seiten eine Rück- kehr zur normalen parlamentarischen Arbeit und den Verzicht auf gewaltsames oder obstruktives Handeln. Die Bundesregierung sieht nach jetzigem Stand der Dinge keinen Anlass, von ihrer Unterstützung der maze- donischen Annäherung an die euroatlantischen Struktu- ren abzurücken. Anlage 26 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage des Abgeordneten Tom Koenigs (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN) (Drucksache 17/12041, Frage 34): Wie unterstützt die Bundesregierung die aktuellen Bemü- hungen der UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, Navi Pillay, die nepalesische Regierung dazu zu bewegen, auf Am- nestien für Täter von schwersten Menschenrechtsverletzun- gen während des nepalesischen Bürgerkrieges zu verzichten und die Einwilligung von Opfern und Tätern als Vorbedin- gung für Versöhnungsprozesse zu achten? Die Bundesregierung beobachtet die Menschenrechts- lage in der Demokratischen Bundesrepublik Nepal mit besonderer Aufmerksamkeit. Sie begrüßt die jüngste kritische Erklärung der Hoch- kommissarin der Vereinten Nationen für Menschen- rechte, Navi Pillay, hinsichtlich einer internationalen Standards entsprechenden Aufarbeitung der Verbrechen beider Konfliktparteien aus der Bürgerkriegszeit. Die Bundesregierung hat – gemeinsam mit ihren Part- nern in der EU und sogenannten „like-minded“ – wie- derholt ihre große Sorge in Zusammenhang mit der Dis- kussion um weitreichende Amnestieregelungen in Nepal und konkret zu dem von der nepalesischen Regierung er- arbeiteten Gesetzentwurf zum Ausdruck gebracht. Dies erfolgte durch öffentliche Erklärungen vor Ort sowie im VN-Menschenrechtsrat in Genf sowie in gemeinsamen und bilateralen Gesprächen mit Vertretern von Regie- rung und Opposition vor Ort. Anlage 27 Antwort der Staatsministerin Cornelia Pieper auf die Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Druck- sache 17/12041, Frage 35): Inwieweit teilt die Bundesregierung die Aussage von Barbara Lochbihler, Vorsitzende des Unterausschusses für Menschenrechte im Europäischen Parlament, die die dritte Neuaufnahme des Verfahrens gegen Pinar Selek dahin gehend kritisiert, dass sie sich damit seit mehr als 14 Jahren „vor Gericht gegen frei erfundene Anschuldigungen wehren“ muss, Jahre in türkischen Gefängnissen verbrachte und gefoltert wurde, „nur, damit sie ihre kritische Arbeit über die türkische Gesellschaft, die Gleichstellung der Geschlechter und den Umgang mit der kurdischen Minderheit in der Türkei einstellt“, und teilt sie auch die Aussage, dass „Hun- derte Journalisten, Richter und Intellektuelle … unter dem Vorwand fadenscheiniger Anklagen festgehalten“ werden (http://barbara-lochbihler.de/1/presse/mitteilungen/fall-pinar- selek-armutszeugnis-fuer-das-tuerkische-justizwesen.html)? Die Bundesregierung beobachtet mit Sorge, dass das Gericht in Istanbul das Verfahren gegen Pinar Selek im November 2012 wieder eröffnet hat. Das Deutsche Generalkonsulat in Istanbul steht in Kontakt mit der Anwältin von Frau Selek und wird das Verfahren auch unter dem Aspekt der Rechtsstaatlichkeit in der Türkei eng verfolgen. Die Bundesregierung beobachtet die innenpolitische Entwicklung in der Türkei, einschließlich der zahl- reichen Verhaftungen im Rahmen der sogenannten KCK-Verfahren in Verbindung mit der Kurdenfrage, sehr genau. Sie teilt die Auffassung der EU-Kommission in deren Fortschrittsbericht vom 11. Oktober 2011, dass in diesen und anderen Verfahren die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit gewahrt werden müssen. Anlage 28 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage der Abgeordneten Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Drucksache 17/12041, Frage 36): Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die Aktivitäten des „Tiefen Staates“ in Deutschland, und was tut sie, um kurdische Politikerinnen und Politiker in Deutschland zu schützen? Der Bundesregierung liegen keine korrespondieren- den Erkenntnisse im Sinne der Fragestellung vor. Schutzmaßnahmen im Sinne der Frage fallen in die Zu- ständigkeit der Länder. Bei Vorliegen gefährdungsrele- vanter Hinweise treffen diese geeignete Maßnahmen. Anlage 29 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 37): Ist es zutreffend, dass sich der Start der seit drei Jahren in Planung befindlichen Stiftung Datenschutz entgegen den An- gaben der Bundesregierung wegen des Fehlens einer Ent- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 26735 (A) (C) (D)(B) scheidung der zuständigen Stiftungsaufsicht weiter verzögern wird, und wurde der Stiftungsaufsicht aufgrund der geschlos- senen Absage der Beiratsteilnahme durch die Oppositionspar- teien wie auch der Verbraucherschutzverbände und Daten- schutzbehörden ein zumindest im Hinblick auf die Ausgestaltung des Beirates geänderter Satzungsentwurf zur Entscheidung vorgelegt? Das Bundesministerium des Innern hat mit Datum vom 19. Dezember 2012 das Stiftungsgeschäft für die Gründung der Stiftung Datenschutz getätigt. Mit Schrei- ben vom 9. Januar 2013 hat das Finanzamt Leipzig auf der Basis der eingereichten Stiftungssatzung die Ge- meinnützigkeit bestätigt. Auch die Anerkennung durch die Stiftungsaufsicht liegt vor. Die dem Stiftungsge- schäft beigefügte Satzung wurde im Laufe des Anerken- nungsverfahrens nicht geändert. Anlage 30 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Ole Schröder auf die Frage des Abgeordneten Dr. Konstantin von Notz (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Fra- ge 38): Welche konkreten Schritte, etwa im Zusammenhang mit den Verhandlungen zur EU-Datenschutzreform, hat die Bun- desregierung in Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlich vor- gegebenen Schutzpflicht für das Grundrecht auf informatio- nelle Selbstbestimmung unternommen, um die aufgrund der US-Rechtslage bereits seit längerem bekannte und nunmehr erneut bestätigte (Gutachten im Auftrag des EU-Parlaments, vergleiche Spiegel Online, Meldung vom 10. Januar 2013) Gefahr des Zugriffs von US-Behörden auf Cloud-Daten von Bundesbürgern zu verhindern, deren Cloud-Anbieter über ei- nen Sitz in den USA verfügen? Der Bundesregierung ist die im Spiegel-Online-Arti- kel zitierte EU-Studie „Fighting cyber crime and protec- ting privacy in the cloud“ sowie die dort beschriebene Thematik bekannt. Sie nimmt die mit der Möglichkeit derartiger Zugriffe durch Drittstaaten verbundene Auf- gabe zur Gewährleistung des informationellen Selbstbe- stimmungsrechts seit dem Auftreten von Zugriffen sehr ernst. Die Durchsetzung datenschutzrechtlicher Stan- dards im zwischenstaatlichen Bereich begegnet aller- dings einer Reihe von Fragen, die die Bundesregierung nicht allein lösen kann. Die Bundesregierung hält des- halb ein einheitliches Vorgehen auf EU-Ebene für den erfolgversprechendsten Weg. Der Vorschlag der EU-Kommission für eine Daten- schutz-Grundverordnung vom 25. Januar 2012 sieht vor, dass eine Weitergabe nur zulässig sein soll, wenn sie zur Verfolgung eines wichtigen öffentlichen Interesses erfor- derlich ist, das im Unionsrecht oder im Recht des jeweils betroffenen Mitgliedstaates anerkannt ist. Im Euro- päischen Parlament wird eine vorherige Genehmigung derartiger Weitergaben durch die zuständigen Daten- schutz-Aufsichtsbehörden diskutiert, wie sie in der ge- genwärtigen EU-Datenschutzrichtlinie grundsätzlich schon enthalten ist. Die Bundesregierung prüft sowohl die im Vorschlag der Kommission für eine Datenschutz-Grundverordnung vorgesehene Regelung als auch die im Europäischen Parlament diskutierten Ansätze sorgfältig. Sie spricht sich für die Aufnahme eines Genehmigungserforder- nisses aus, wie es auch das geltende europäische und deutsche Datenschutzrecht vorsieht. Zu einer Gesamt- regelung gehört aus Gründen der Ausübung des indi- viduellen Rechtsschutzes auch eine dem jeweiligen öffentlichen Interesse entsprechende Information des Betroffenen in geeigneter Form und zum frühestmögli- chen Zeitpunkt. Die Bundesregierung wirkt in diesem Sinne an den Beratungen im Rat und mit dem Europäi- schen Parlament mit. Anlage 31 Antwort des Parl. Staatssekretärs Steffen Kampeter auf die Frage des Abgeordneten Dr. Rolf Mützenich (SPD) (Druck- sache 17/12041, Frage 39): Welche Position vertritt die Bundesregierung gegenüber der Erwartung Kirgistans, dass die EU den vor zwei Jahren in Aussicht gestellten Kredit in Höhe von 15 Millionen Euro endlich zur Verfügung stellt, und inwieweit hat sie sich dafür engagiert, dass der in Aussicht gestellte Kredit auch zur Ver- fügung gestellt wird? Das Darlehen in Höhe von 15 Millionen Euro ist Teil eines Vorschlags der EU-Kommission für einen Beschluss über die Gewährung einer Makrofinanzhilfe in Höhe von insgesamt 30 Millionen Euro, von denen 15 Millionen Euro in Form von Darlehen und 15 Millio- nen Euro in Form von Zuschüssen gewährt werden sollen. Das ordentliche Gesetzgebungsverfahren ist noch nicht abgeschlossen. Der Rat hat der Makrofinanzhilfe bereits zugestimmt. Derzeit befindet sich der Vorschlag im Trilogverfahren zwischen Rat und Europäischem Parlament. Vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens ist eine Auszahlung nicht möglich. Anlage 32 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage des Abgeordneten Josip Juratovic (SPD) (Druck- sache 17/12041, Frage 40): Ist die Bundesregierung der Auffassung, dass nach den Beschlüssen der Vertreterversammlung der Verwaltungs- Berufsgenossenschaft vom 6. Dezember 2012 zu der Neu- regelung von Gefahrentarifen für bezahlte Sportlerinnen und Sportler eine ausreichende Begrenzung der Beitragsbelastung der Sportvereine in der gesetzlichen Unfallversicherung er- folgt, und wie bewertet sie die rechtliche Bindungskraft einer satzungsrechtlichen Heraufsetzung der Grenze, ab der eine Aufwandsentschädigung als Entgelt einzustufen ist? Mit dem Beschluss der Verwaltungs-Berufsgenossen- schaft, VBG, vom 6. Dezember 2012 wird der Beitrags- anstieg im bezahlten Sport auf ein moderates Maß begrenzt. Die Beitragsbelastung steigt für Vereine im Amateurfußball, der Profifußball wird besonders veran- lagt, jährlich um rund 5 Prozent, für andere Sportvereine mit bezahlten Sportlern, wie zum Beispiel im Eishockey oder im Handball, um jährlich rund 4 Prozent. Diese Regelung gilt bis zum Jahr 2016, dem Ende der laufen- 26736 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 (A) (C) (D)(B) den Gefahrtarifperiode der VBG. Die ursprünglich be- schlossene Beitragserhöhung um rund 40 Prozent allein für 2013 ist damit drastisch reduziert worden. Der neue Beschluss gibt den Vereinen Planungssicherheit und bil- det einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen des Sports einerseits und den Interessen der übrigen bei der VBG versicherten Branchen andererseits. Eine versicherte Beschäftigung von Sportlern wird in der Praxis künftig nur noch oberhalb von 200 Euro, bis- her 175 Euro, Entgelt monatlich angenommen. Damit folgt die VBG der mit dem Gesetzentwurf zur Entbüro- kratisierung des Gemeinnützigkeitsrechts beabsichtig- ten Anhebung der steuerfreien Übungsleiterpauschale im Steuerrecht zum 1. Januar 2013. Dies entspricht auch der Verfahrensweise im übrigen Sozialversicherungsrecht, dass Geldzahlungen bis zur Höhe der Übungsleiterpau- schale in der Regel kein Entgelt darstellen. Die bishe- rige, rechtlich unstreitige Praxis wird damit fortgesetzt. Anlage 33 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage des Abgeordneten Josip Juratovic (SPD) (Druck- sache 17/12041, Frage 41): Wie reagiert die Bundesregierung auf die Zunahme des Missbrauchs von Werkverträgen wie beispielsweise beim Ein- räumen von Regalen in Drogeriemärkten, und plant die Bun- desregierung, neue Regelungen zur Abgrenzung von Werk- verträgen und Soloselbstständigkeit, zur Mitbestimmung, zur Generalunternehmerhaftung, zur Beweislastumkehr und zur Datenerhebung von Werkverträgen zu treffen? Unternehmen sind grundsätzlich frei, zu entscheiden, ob sie Werkleistungen durch eigene Beschäftigte oder im Rahmen von Werkverträgen durch andere Unternehmen erbringen lassen. Werkverträge sind ein Element zur Ge- staltung einer arbeitsteiligen Wirtschaft. Auch hier ist der Unternehmer an rechtliche Vorgaben gebunden. Ob ein echter Werkvertrag vorliegt oder eine Scheinselbst- ständigkeit oder verdeckte Arbeitnehmerüberlassung anzunehmen ist, ist im Einzelfall anhand bestimmter Kriterien zu beurteilen. Wo die gesetzlichen Vorgaben missachtet werden, sind zunächst die Kontrollinstanzen gefragt. Es besteht wie für jeden anderen Beschäftigten auch die Möglichkeit, seine Rechte einzuklagen. Ferner besteht die Möglichkeit, sich an die Kontrollbehörden zu wenden. So gibt es für Zweifelsfälle das Statusfeststel- lungsverfahren bei der Clearingstelle der Deutschen Rentenversicherung. Die Durchsuchungen der Zollbe- hörden, FKS, bei bestimmten Großhandelsketten sind ebenfalls ein Beispiel für funktionierende Kontrolle. Anlage 34 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Kerstin Tack (SPD) (Druck- sache 17/12041, Fragen 42 und 43): Wie schätzt die Bundesregierung die wirtschaftliche Ent- wicklung in Regionen, zum Beispiel Oldenburg, ein, die über- wiegend auf wirtschaftlichen Tätigkeiten beruht, die durch Werkvertragsarbeitnehmerinnen und Werkvertragsarbeitneh- mer erbracht werden? Wie beurteilt die Bundesregierung die Nachhaltigkeit von Geschäftsmodellen, die darauf beruhen, Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu möglichst niedrigen Löhnen mittels Werkvertrag zu beschäftigen? Zu Frage 42: Der Bundesregierung liegen keine Informationen zum Anteil der Werkvertragsarbeitnehmer in den Regionen vor. Daher sind Aussagen zu der wirtschaftlichen Ent- wicklung nicht möglich. Zu Frage 43: Die Bundesregierung bewertet nicht die Nachhaltig- keit von Geschäftsmodellen. Es steht Unternehmen im Rahmen der geltenden Gesetze grundsätzlich frei, zu entscheiden, ob sie Tätigkeiten durch eigene Arbeitneh- mer ausführen lassen oder Dritte im Rahmen von Werk- verträgen beauftragen. Anlage 35 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Katja Mast (SPD) (Drucksa- che 17/12041, Frage 44): Wie steht die Bundesregierung zu den Unterschieden des Entgeltes bei regulär Beschäftigten und Werkvertragsarbeit- nehmern, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung darüber, dass Arbeitnehmer in der fleischverarbeitenden In- dustrie mit Werkverträgen eine Arbeitszeit von zwölf Stunden täglich haben? Grundsätzlich obliegt die Lohnfindung den vertrags- schließenden Parteien (Arbeitgeber und Arbeitnehmer) bzw. den zuständigen Tarifpartnern. Darüber hinaus gibt es in Deutschland die Möglichkeit, Mindestlöhne nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz oder dem Mindest- arbeitsbedingungengesetz oder eine Lohnuntergrenze nach dem Arbeitnehmerüberlassungsgesetz festzusetzen, die dann für alle abhängig Beschäftigten der jeweiligen Branche gelten, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Sitz im In- oder Ausland hat. Nach dem Mindest- arbeitsbedingungengesetz steht es bei Branchen mit geringer Tarifbindung zum Beispiel den Spitzenorgani- sationen der Arbeitnehmer frei, einen Antrag auf Fest- setzung eines Mindestlohnes unter Hinweis auf die aus ihrer Sicht vorhandenen Verwerfungen zu stellen. Für in Deutschland tätige Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer gilt, unabhängig davon, ob der Arbeitgeber seinen Sitz in Deutschland oder im Ausland hat, das Ar- beitszeitgesetz. Danach sind Arbeiten von zwölf Stunden nur unter besonderen Voraussetzungen auf tarifvertragli- cher Grundlage oder mit einer behördlichen Ausnahme- genehmigung zulässig. Die Überwachung der Arbeitszeitschutzvorschriften obliegt den Aufsichtsbehörden der Länder. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 26737 (A) (C) (D)(B) Anlage 36 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Katja Mast (SPD) (Druck- sache 17/12041, Frage 45): Wie steht die Bundesregierung zu der Forderung nach ver- bindlichen Regelungen und Kontrollen, um Scheinselbststän- digkeit, Scheinwerkverträge und unerlaubte Arbeitnehmer- überlassung wirksam zu verhindern, und welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die missbräuchliche Nutzung von Werkverträgen? Um Missbrauch durch Scheinselbstständigkeit oder Scheinwerkverträge zu verhindern, sind Zollbehörden, Deutsche Rentenversicherung Bund, Strafverfolgungs- behörden und die Gerichte nach geltendem Recht und im Rahmen ihrer Zuständigkeiten gehalten, die notwendi- gen Maßnahmen zu treffen. Die Bundesregierung geht davon aus, dass die Behör- den dieser Verpflichtung in vollem Umfang nachkom- men. Zudem nimmt die Bundesregierung alle Hinweise ernst und prüft die Sachlage und deren Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit. Anlage 37 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Anette Kramme (SPD) (Drucksache 17/12041, Fragen 46 und 47): Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung an- gesichts der Tatsache, dass durch eine zunehmende Zergliede- rung der Betriebe durch Werkverträge die betriebliche Interes- senvertretung geschwächt wird und infolgedessen auch die im Betriebsverfassungsgesetz geregelten Mitbestimmungsrechte der Beschäftigten eines Betriebes unterlaufen werden? Welche Kriterien liegen der Überprüfung von Werkverträ- gen zur Ermittlung von Scheinwerkverträgen zugrunde, und welche Möglichkeiten haben in diesem Zusammenhang die Sozialversicherungsträger, bei vermutetem Sozialversiche- rungsbetrug durch Scheinwerkverträge tätig zu werden? Zu Frage 46: Etliche Beteiligungsrechte des Betriebsrats gelten auch im Fall eines Drittpersonaleinsatzes. Sie ermögli- chen es dem Betriebsrat, auf das Ob und Wie eines Dritt- personaleinsatzes Einfluss zu nehmen. Dazu gehört un- ter anderem die rechtzeitige Information über eine geplante personalrelevante Vergabe von Aufgaben an Fremdfirmen und die Beratung hierüber. Das Beratungs- recht umfasst auch Alternativvorschläge des Betriebsrats zur Ausgliederung von Arbeit im Rahmen der Personal- planung und der Beschäftigungssicherung. Zudem ist der Betriebsrat im Einsatzbetrieb zur Feststellung seiner Beteiligungsrechte über die Beschäftigung von Perso- nen, die nicht in einem Arbeitsverhältnis zum Betriebs- arbeitgeber stehen, zu unterrichten; er kann dazu Einsicht in die zugrunde liegenden Verträge mit Fremd- firmen verlangen. Stellt sich heraus, dass es sich um ver- deckte Leiharbeit bzw. Scheinselbstständigkeit handelt, kann der Betriebsrat seine entsprechenden Beteiligungs- rechte einfordern. Zu Frage 47: Bei der Abgrenzung von Werkverträgen zu Schein- werkverträgen werden folgende von der Rechtsprechung entwickelte Kriterien angelegt: Vereinbarung und Erstel- lung eines qualitativ individualisierbaren und dem Werkunternehmer zurechenbaren Werkergebnisses; unternehmerische Dispositionsfreiheit des Werkunter- nehmers gegenüber dem Besteller; Weisungsrecht des Werkunternehmers gegenüber seinen im Betrieb des Be- stellers tätigen Arbeitnehmern, wenn das Werk dort zu erstellen ist; Tragen des Unternehmerrisikos, insbeson- dere der Gewährleistung, durch den Werkunternehmer; erfolgsorientierte Abrechnung der Werkleistung. Die Rentenversicherungsträger gehen bei Betriebs- prüfungen auch der Frage nach, ob Arbeitgeber ihren Pflichten im Zusammenhang mit der Meldung abhängi- ger Beschäftigung und Abführung von Gesamtsozial- versicherungsbeiträgen ordnungsgemäß nachkommen. Dabei prüfen sie, wenn dazu Anlass besteht, auch, ob die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und sonstigen Formen der Erbringung von Arbeit – Werk- verträge, selbstständiger Dienstvertrag – zutreffend vor- genommen worden ist. Darüber hinaus werden beispielsweise auch die Bereiche der Zahlung von Mindestlöhnen nach dem Arbeitnehmer-Entsendegesetz, AEntG, allgemeinver- bindlich erklärte Tarifverträge nach dem Tarifvertrags- gesetz, TVG, und die illegale Arbeitnehmerüberlassung in die Prüfung einbezogen, wenn entsprechende An- haltspunkte hierfür vorliegen oder durch Dritte bekannt gemacht werden. Anlage 38 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Gabriele Groneberg (SPD) (Drucksache 17/12041, Fragen 48 und 49): Welchen Handlungsbedarf sieht die Bundesregierung, um wettbewerbsverzerrende Praktiken zwischen Betrieben, die sich an tarifvertragliche Vereinbarungen halten, und denen, die mittels Werkverträgen Lohndumping betreiben, zu unter- binden? Wie interpretiert die Bundesregierung die Vorgänge der Bedrohung des Prälaten Peter Kossen, dem im Oktober 2012 ein totes Kaninchen vor die Tür gelegt wurde, nachdem er den Missbrauch von Werkverträgen in der Fleischbranche ange- prangert und die Politik zum Handeln aufgefordert hatte (Zitat Oldenburgische Volkszeitung vom 6. August 2012: „Mindest- löhne und Lohnuntergrenzen sind der richtige und zu for- dernde Weg“): „Darüber hinaus müssen die kriminellen Prak- tiken moderner Sklaverei mitten unter uns verfolgt, bestraft und unterbunden werden!“ (Bericht in der Oldenburgischen Volkszeitung vom 22. November 2012)? Zu Frage 48: Um Missbrauch durch Scheinselbstständigkeit oder Scheinwerkverträge zu verhindern, sind Zollbehörden, Deutsche Rentenversicherung Bund, Strafverfolgungs- behörden und die Gerichte nach geltendem Recht und im Rahmen ihrer Zuständigkeiten gehalten, die notwendi- gen Maßnahmen zu treffen. Die Bundesregierung geht 26738 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 (A) (C) (D)(B) davon aus, dass die Behörden dieser Verpflichtung in vollem Umfang nachkommen. Zudem nimmt die Bun- desregierung alle Hinweise ernst und prüft die Sachlage und deren Entwicklung mit großer Aufmerksamkeit. Grundsätzlich haben alle Arbeitnehmerinnen und Ar- beitnehmer, auch die aus dem Ausland entsandten, die Möglichkeit, gegen die Sittenwidrigkeit einer Entgelt- vereinbarung oder der Arbeitsbedingungen vor deut- schen Gerichten vorzugehen. Zu Frage 49: Die Bundesregierung verurteilt jede Form der Ein- schüchterung von Menschen, die von ihrem Recht auf Meinungsfreiheit Gebrauch machen. Anlage 39 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Gabriele Lösekrug-Möller (SPD) (Drucksache 17/12041, Fragen 50 und 51): Seit wann ist der Bundesregierung bekannt, dass es in der fleischverarbeitenden Industrie vermehrt zum Einsatz von Werkverträgen kommt, und wie hoch sind nach dem Wissen der Bundesregierung die durchschnittlichen Löhne der Werk- vertragsarbeitnehmer? Wie hoch sind nach dem Wissen der Bundesregierung die Werkvertragskontingente bei den vier großen Schlachtunter- nehmen – Tönnies, Westfleisch, Danish Crown, VION –, und wie viele Arbeitsplätze hat der Konzern Danish Crown nach Informationen der Bundesregierung von Dänemark nach Deutschland verlagert? Zu Frage 50: Die Bundesregierung beobachtet die Entwicklung zum Einsatz von Werkverträgen in der betrieblichen Pra- xis aufmerksam. In der Presse genannte Einzelfälle lassen sich jedoch nicht automatisch auf die gesamte Branche übertragen. Belastbare und aussagekräftige Er- kenntnisse zur Verbreitung von Werkverträgen liegen bislang nicht vor. Ebenso liegen der Bundesregierung of- fizielle Informationen zu durchschnittlichen Löhnen von Werkvertragsarbeitnehmern nicht vor. Das Bundesminis- terium für Arbeit und Soziales steht unter anderem in Gesprächen mit der Gewerkschaft Nahrung-Genuss- Gaststätten und mit Vertretern dänischer Gewerkschaf- ten, um Art, Umfang und Ausmaß der Betroffenheit in der Branche zu ermitteln. Die Gespräche sind noch nicht abgeschlossen. Zu Frage 51: Der Bundesregierung liegen hierzu keine belastbaren Erkenntnisse vor. Im Übrigen nimmt sie keine Stellung zu den Geschäftsmodellen einzelner Unternehmen. Anlage 40 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage des Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) (Drucksache 17/12041, Frage 52): Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung für die deutsche Fleischindustrie bezüglich der Beschwerde der fran- zösischen Fleischindustrie bei der Europäischen Kommission vom Januar 2011 über die ineffiziente Durchsetzung des Ar- beitnehmerüberlassungsgesetzes in der Schlacht- und Fleisch- verarbeitung und des Vorwurfs des Lohndumpings und der Verletzung des Grundsatzes auf gerechte und faire Arbeitsbe- dingungen nach Art. 31 der Charta der Grundrechte? Der Bundesregierung sind keine konkreten Hinweise bekannt, dass das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz und insbesondere die darin enthaltenen Bestimmungen zu ei- ner verbindlichen Lohnuntergrenze ineffizient durchge- setzt werden. Die EU-Kommission hatte im Mai 2011 aufgrund einer Beschwerde eine Anfrage an die Bundes- regierung zu angeblichem Lohndumping in der deut- schen fleischverarbeitenden Industrie gerichtet. Diese Anfrage ist von der Bundesregierung im Juni 2011 be- antwortet worden. Durch Verordnung vom 21. Dezem- ber 2011 und mit Wirkung zum 1. Januar 2012 ist im Übrigen für die Zeitarbeit eine verbindliche Lohnunter- grenze eingeführt worden, deren Einhaltung von den Be- hörden der Zollverwaltung kontrolliert wird. Auch da- rüber ist die EU-Kommission unterrichtet. Weitere Rückfragen oder weitergehende Schritte der EU-Kom- mission sind unterblieben. Anlage 41 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen des Abgeordneten Anton Schaaf (SPD) (Druck- sache 17/12041, Fragen 53 und 54): Wird die Bundesregierung die im Koalitionsvertrag zwi- schen CDU, CSU und FDP festgelegten Vorhaben in der Al- terssicherungspolitik – vor allem die Bekämpfung von Armut im Alter – vor dem Ende der Legislaturperiode noch umset- zen, und, falls nicht, wie rechtfertigt sie dann, dass wichtige soziale Probleme ungelöst bleiben? Wird die Bundesregierung das im Koalitionsvertrag ver- einbarte Ziel, noch in dieser Legislaturperiode „ein einheitli- ches Rentensystem in Ost und West“ einzuführen, aufgeben, und warum konnte sie sich bisher nicht dazu entschließen, in einem ersten Schritt pauschale rentenrechtliche Zeiten wie die Kindererziehungszeiten einheitlich – mit dem aktuellen Ren- tenwert – zu bewerten? Zu Frage 53: Das im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und FDP festgelegte Vorhaben, Altersarmut zu bekämpfen, wurde mit Beschluss des Koalitionsausschusses am 4. November konkretisiert. Danach sollen noch in dieser Legislaturperiode konkrete Verbesserungen für eine Le- bensleistungsrente geschaffen werden. Dafür wird die Bewertung der Beitragszeiten für Frauen, die Kinder er- zogen und/oder Pflegeleistungen erbracht haben, für Er- werbsgeminderte und Menschen mit geringen Einkom- men verbessert. Über die konkrete Umsetzung wird derzeit in der Bundesregierung beraten. Zu Frage 54: Die Frage einer Vereinheitlichung der Rentenberech- nung in Ost und West wird im Kontext einer längeren politischen Diskussion von der Bundesregierung ge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 26739 (A) (C) (D)(B) prüft. Die geltende Regelung ist fein austariert und be- rücksichtigt die unterschiedliche Lage in beiden Rechts- kreisen. Das unterschiedliche Rentensystem bietet nach wie vor Vorteile; denn die Löhne sind immer noch unter- schiedlich hoch und den Versicherten bleibt der Vorteil der Hochwertung der Entgelte auf Westniveau erhalten. Da die Renten den Löhnen folgen, haben Versicherte und Rentner im Osten somit weiterhin die Chance, von einer weiteren Lohnangleichung zu profitieren. Dagegen ist eine bezahl- und verantwortbare Änderung des Ver- fahrens, die den unterschiedlichen Erwartungen und In- teressen bei Alt und Jung gleichermaßen gerecht wird und zur Befriedung beiträgt, momentan nicht absehbar. Dabei ist gerade bei diesem Thema breiter Konsens für eine Akzeptanz wichtig. Auch eine höhere Bewertung einzelner rentenrechtli- cher Sachverhalte, bereits vor der Vereinheitlichung der maßgeblichen Rechengrößen, ist nicht sinnvoll: Das grundlegende Prinzip der Vorleistungsbezogenheit der gesetzlichen Rente würde durch eine vorgezogene Anhe- bung bestimmter Pauschalleistungen für Rentnerinnen und Rentner sowie Versicherte in den neuen Ländern aufgeweicht. Denn Anwartschaften, die durch die eigene Beitragszahlung der Versicherten erworben wurden, würden dann einen relativ geringeren Rentenertrag als pauschale Ausgleichsleistungen erbringen. Eine vorzei- tige höhere Bewertung bestimmter pauschaler Leistun- gen würde daher zu systematischen Verwerfungen zwi- schen alten und neuen Ländern führen. Anlage 42 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Elke Ferner (SPD) (Drucksa- che 17/12041, Frage 55): Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung aus der so- genannten Machbarkeitsstudie, die das Bundesministerium für Arbeit und Soziales bei dem Beratungsunternehmen McKinsey & Company insbesondere zu Fragen des Beitrags- einzuges und des Meldeverfahrens bei der geplanten Alters- vorsorgepflicht von Selbstständigen in Auftrag gegeben hat, gewonnen, und wann und in welcher Form wird diese Studie, die laut Auskunft des Bundesministeriums für Arbeit und So- ziales mit einem Betrag von 880 950 Euro plus Mehrwert- steuer vergütet worden ist (Antwort der Bundesregierung auf meine mündlichen Fragen in der Fragestunde des Deutschen Bundestages am 9. Mai 2012; Anlage 49 des Plenarprotokolls 17/177), veröffentlicht? Das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales in Auftrag gegebene Projekt einer Machbarkeitsstudie zur Altersvorsorgeverpflichtung für Selbstständige ist noch nicht abgeschlossen; daher sind derzeit auch keine abschließenden Aussagen zu Einzelheiten der Studie möglich. Wann dies möglich ist, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt nicht vorhersagen. Anlage 43 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Frage der Abgeordneten Elke Ferner (SPD) (Druck- sache 17/12041, Frage 56): Wie würden sich die Rentenanpassungen bis zum Jahr 2020 im Vergleich zu den Annahmen der Bundesregierung entwickeln, wenn die Lohnsteigerungen, wie von dem Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, IMK (Ulrike Stein/Sabine Stephan/Rudolf Zwiener, „Zu schwache deut- sche Arbeitskostenentwicklung belastet Europäische Währungsunion und soziale Sicherung“, IMK Report 77, November 2012), empfohlen, jährlich 3 Prozent betragen würden, und welche Auswirkungen hätte dies auf den Bei- tragspfad der gesetzlichen Rentenversicherung? Nach den Annahmen der Bundesregierung, die den Modellrechnungen des aktuellen Rentenversicherungsbe- richts zugrunde liegen, steigen die Bruttolöhne und -ge- hälter je Arbeitnehmer von 2013 bis 2020 durchschnitt- lich um knapp 2,7 Prozent pro Jahr an. Würde eine durchschnittlich um gut 0,3 Prozentpunkte höhere Lohn- entwicklung unterstellt, fielen auch die Rentenanpassun- gen um 0,3 Prozentpunkte höher aus. Wegen der Unsicherheit langfristiger Modellrechnun- gen bewegt sich dieser geringe Unterschied in den An- nahmen im Rahmen üblicher Schätzungenauigkeiten. Bezogen auf die Beitragssatzentwicklung ist nicht damit zu rechnen, dass die Ergebnisse systematisch von denen des Rentenversicherungsberichts abweichen. Anlage 44 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Edelgard Bulmahn (SPD) (Drucksache 17/12041, Fragen 57 und 58): Ist es zutreffend, dass aufgrund der Wirkung des mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialge- setzbuch und anderer Gesetze zum 1. Januar 2011 geänderten § 3 Abs. 2 Satz 4 des Gesetzes über die Alterssicherung der Landwirte Ehegatten von selbst nicht versicherungspflichti- gen Landwirten – wie zum Beispiel sogenannten Nebener- werbslandwirten – sich nur noch in einem Zeitraum von drei Monaten ab der Eheschließung von der Versicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte befreien lassen können, und beabsichtigt die Bundesregierung, Regelungen für dieje- nigen Personen zu finden, die aus Unwissenheit keinen An- trag auf Befreiung von der Versicherungspflicht gestellt haben und nun für einen mehrjährigen Zeitraum von den landwirt- schaftlichen Alterskassen mit hohen Beitragsforderungen konfrontiert werden? Ist es zutreffend, dass der landwirtschaftliche Unterneh- mer selbst ein rückwirkendes Befreiungsrecht innerhalb von drei Monaten nach Zugang des Bescheides über die Alterskas- senmitgliedschaft hat, wenn er die Befreiungsvoraussetzun- gen erfüllt, Ehegatten aber dieses Befreiungsrecht nicht zuge- standen wird, und beabsichtigt die Bundesregierung, diese Regelung für Ehegatten entsprechend denen der landwirt- schaftlichen Unternehmer anzupassen? Zu Frage 57: Es ist zutreffend, dass ein Befreiungsantrag bei Vorliegen der Befreiungsvoraussetzungen nur für drei Monate rückwirkend gilt, soweit der Antrag innerhalb von drei Monaten nach Eintritt der Versicherungspflicht gestellt wird. Über die Versicherungspflicht als Ehegatte durch Heirat mit einem dem Grunde nach in der Alterssi- cherung der Landwirte versicherungspflichtigen Land- wirt ist unabhängig davon zu entscheiden, ob der andere Ehegatte bereits vorher von der Versicherungspflicht be- 26740 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 (A) (C) (D)(B) freit war. Wird der Befreiungsantrag längere Zeit nach der Heirat mit einem Landwirt gestellt, wirkt die Befrei- ung dann nur mit Wirkung für die Zukunft. Grund für diese Neuregelung war eine Forderung des Bundesrechnungshofs. Nach der vorherigen Regelung begann in solchen Fällen die Dreimonatsfrist nicht mit der Eheschließung, sondern der Feststellung der Ver- sicherungspflicht in der Alterssicherung der Landwirte als Folge einer gegebenenfalls schon länger zurück- liegenden Heirat mit einem Landwirt. Der Bundesrech- nungshof hielt diese Regelung für sehr problematisch, weil hierdurch für diese Ehegatten gleichsam ein Versicherungsverhältnis auf Probe bestand, da sie sich gegebenenfalls noch Jahre nach Eintritt der Versiche- rungspflicht für oder gegen die Ausübung des Befrei- ungsrechts entscheiden konnten, ohne dass hieraus für sie negative Konsequenzen entstanden wären. Zudem wären in solchen Fällen regelmäßig Mitteilungspflichten verletzt worden und das Bestehen einer Ehegattensiche- rung als Besonderheit der Alterssicherung der Landwirte könne beim Berufsstand als allgemein bekannt voraus- gesetzt werden. Seit dem 1. Januar 2013 wird die Problematik der verspäteten Feststellung der Beitragspflicht durch Unter- lassung der Mitteilungspflicht entschärft, da mit dem Gesetz zur Neuordnung der Organisation der landwirt- schaftlichen Sozialversicherung ein Datenabgleich eingeführt worden ist, durch den die Alterskasse – auch ohne eine Meldung der Eheleute – zeitnah von der Eheschließung erfährt. Ab dem 1. Januar 2013 ist die Datenstelle der Träger der Rentenversicherung ver- pflichtet, die ihr von den zuständigen Meldebehörden übermittelten Daten über eine Eheschließung oder die Begründung einer Lebenspartnerschaft mit den Daten der Alterskasse abzugleichen. Die Bundesregierung prüft zurzeit, ob und wie man in den Fällen, in denen die Betroffenen nach der früher geltenden versichertenfreundlichen Regelung und vor Inkrafttreten des neuen Datenabgleichs geheiratet haben, zu Lösungen kommen kann. Zu Frage 58: Die Versicherungspflicht als Ehegatte eines dem Grunde nach in der Alterssicherung der Landwirte versi- cherungspflichtigen Landwirts tritt automatisch per Gesetz ein. Über diese besondere Ehegattenversicherung weiß in aller Regel auch jeder Landwirt Bescheid. Zudem sind alle Ehegatten verpflichtet, die Heirat den Alterskassen anzuzeigen, damit die Alterskassen bzw. ab Januar 2013 der Bundesträger Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau rechtzeitig alles Notwendige veranlassen können bzw. kann, unter ande- rem auch die Beitragsveranlagung. Die Feststellung der Versicherungspflicht als landwirtschaftlicher Unternehmer hingegen ist erst im Rahmen eines längeren Verwaltungsverfahrens mög- lich, insbesondere wenn Fragen nach Erreichen der Min- destgröße oder Abgrenzungen zwischen landwirtschaft- licher und gewerblicher Tätigkeit in Rede stehen. Zudem gibt es hier im Gegensatz zur Eheschließung keine spezi- fischen Meldepflichten der Unternehmer gegenüber dem Träger der Alterssicherung der Landwirte. Es besteht in solchen Fällen nur eine Auskunftspflicht; davon wird nur in seltenen Fällen Gebrauch gemacht, weil die Klä- rung von Bewirtschaftungsverhältnissen in der Regel auch durch Datenabgleiche möglich ist. Von daher ist es sachgerecht, hier die Befreiungsfrist erst mit Erlass des Bescheides über das Bestehen der Versicherungspflicht beginnen zu lassen; denn die Landwirte haben keinen Einfluss auf die Dauer des Verwaltungsverfahrens. Anlage 45 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Gabriele Hiller-Ohm (SPD) (Drucksache 17/12041, Fragen 59 und 60): Hält die Bundesregierung es mit dem Urteil des Bundes- verfassungsgerichts vom 18. Juli 2012, wonach die Leistun- gen des Asylbewerberleistungsgesetzes ein einheitliches, so- wohl das physische als auch das soziokulturelle umfassende Existenzminimum in der Bundesrepublik Deutschland abzusi- chern haben (so zum Beispiel in Randnummer 120 des Ur- teils), für vereinbar, dass in dem Referentenentwurf zur Ände- rung des Asylbewerberleistungsgesetzes zur Bestimmung der Leistungshöhe einzelne Verbrauchspositionen nach der Ein- kommens- und Verbrauchsstichprobe 2008 herausgerechnet werden und nicht stattdessen die nach dem Regelbedarfs-Er- mittlungsgesetz bestimmten Leistungshöhen des Zweiten bzw. Zwölften Buches Sozialgesetzbuch übernommen wer- den? Wie haben sich die unterschiedlichen Auffassungen inner- halb der Bundesregierung hinsichtlich der zukünftigen Be- zugsdauer im Asylbewerberleistungsgesetz begründet, wobei das Bundesministerium für Arbeit und Soziales offensichtlich für die im Referentenentwurf zur Änderung des Asylbewer- berleistungsgesetzes enthaltene Bezugsdauer von 24 Monaten eintritt und das Bundesministerium der Justiz eine kürzere Dauer befürwortet, und ist die Bundesregierung diesbezüglich zwischenzeitlich zu einer einheitlichen Auffassung gelangt? Der Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes wird derzeit zwischen den Ressorts abgestimmt. Ich bitte um Verständnis, dass ich erst nach Abschluss dieses Willensbildungsprozesses Stellung nehmen kann. Anlage 46 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Daniela Kolbe (Leipzig) (SPD) (Drucksache 17/12041, Fragen 61 und 62): Teilt die Bundesregierung in Gänze die vorgeschlagene Regelung in dem Referentenentwurf zur Änderung des Asyl- bewerberleistungsgesetzes, wonach weiterhin vorrangig am Sachleistungsprinzip als Regelfall festgehalten werden soll, obwohl einerseits „erhebliche Einsparungen [...] durch die Abschaffung des Sachleistungsprinzips und bestehende Gut- scheinsysteme zu erreichen“ [wären], so die Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen e. V. in ihrer Stel- lungnahme zu diesem Referentenentwurf, und im Referenten- entwurf selbst von einer Verwaltungsvereinfachung bei einem größeren Umfang von Geld- anstelle von Sachleistungen ge- sprochen wird sowie andererseits die selbstbestimmte Lebens- führung dadurch eingeschränkt wird, und was sind diesbezüg- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 26741 (A) (C) (D)(B) lich die Ergebnisse der im Koalitionsvertrag vereinbarten Überprüfung des Sachleistungsprinzips? Wie rechtfertigt die Bundesregierung den Verzicht auf eine Regelung zum Schonvermögen im Referentenentwurf zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes, sodass jeg- liches Vermögen anzurechnen ist, obwohl das Ansparen von Teilbeträgen der Geldleistungen nach dem Regelbedarfs-Er- mittlungsgesetz, das auch den neuen Leistungen für Asylbe- werberinnen und Asylbewerber zugrunde liegt, für unregel- mäßig auftretende Konsumausgaben notwendig ist? Zu Fragen 61 und 62: Der Entwurf eines Dritten Gesetzes zur Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes wird derzeit zwischen den Ressorts abgestimmt. Ich bitte um Verständnis, dass ich erst nach Abschluss dieses Willensbildungsprozesses Stellung nehmen kann. Anlage 47 Antwort des Parl. Staatssekretärs Hans-Joachim Fuchtel auf die Fragen der Abgeordneten Sabine Zimmermann (DIE LINKE) (Drucksache 17/12041, Fragen 63 und 64): Wie viele der Hilfebedürftigen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch, SGB II (absolut wie relativ), die seit 2008 ihre Arbeitslosigkeit beendet haben, waren nach Aufnahme einer Beschäftigung weiterhin hilfebedürftig – soweit mög- lich, jährlich und nach Beschäftigungsformen differenzieren–, und lässt sich der Gesamtumfang der in diesem Zeitraum er- brachten Leistungen beziffern? Wie viele der Hilfebedürftigen nach dem SGB II, die seit 2008 durch die Aufnahme einer Beschäftigung ihre Hilfebe- dürftigkeit beenden konnten, bezogen nach 6, 12 und 24 Mo- naten erneut Leistungen aus der Grundsicherung – bitte diffe- renzieren nach erneut arbeitslos und erwerbstätig? Zu Frage 63: Im Jahr 2011 gingen rund 1,355 Millionen Arbeits- losengeld-II-Bezieher einer Erwerbstätigkeit nach. Er- gebnisse für die Vorjahre: Im Jahr 2008 gingen rund 1,220 Millionen, im Jahr 2009 gingen rund 1,322 Millio- nen und im Jahr 2010 gingen rund 1,381 Millionen Ar- beitslosengeld-II-Bezieher einer Erwerbstätigkeit nach. Zahlen für 2012 liegen noch nicht vor. Die Bundesregierung hat auch keine Informationen darüber, wie viele Arbeitslose im Rechtskreis SGB II ihre Arbeitslosigkeit durch die Aufnahme einer Beschäf- tigung beenden konnten und weiterhin hilfebedürftig waren. Aus methodischen Gründen ist kurzfristig eine Analyse dieser Personengruppe nicht möglich, weil der Abgleich zwischen der Arbeitslosen- und Grundsiche- rungsstatistik aufwendig ist und für die Auswertungen verschiedene Randbedingungen zu spezifizieren wären. Sie verfügt auch nicht über Informationen zu den er- brachten Leistungen für diese Gruppe. Zu Frage 64: 65 Prozent der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die im Januar 2011 eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung aufnahmen, waren auch 12 Monate spä- ter, im Januar 2012, sozialversicherungspflichtig be- schäftigt. Darunter waren 71 Prozent im Januar 2012 nicht hilfebedürftig. Längere Zeitreihen liegen aufgrund der Neueinfüh- rung des Messverfahrens im Sommer 2012 nicht vor. Es liegen der Bundesregierung keine Informationen bezo- gen auf die Dauer von 6 oder 24 Monaten vor. Anlage 48 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Fragen des Abgeordneten Hans-Josef Fell (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Fragen 65 und 66): Nach welchen Kriterien wurde die Länderliste in Bezug auf § 7 Abs. 1 der Verordnung zur Durchführung des Bundes- Immissionsschutzgesetzes erarbeitet, und sieht die Bundesre- gierung die Warenverkehrsfreiheit in Bezug auf die Verord- nung gewahrt? Hat die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung Zugang zu allen Ländern der Europäischen Union, um Zertifi- zierungsverfahren zu begleiten, und, wenn nein, wieso nicht? Zu Frage 65: Die oben genannte Liste enthält alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union, von denen der Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung, BLE, eine schriftli- che Zustimmung für die Begleitung von Kontrollen durch die BLE in Bezug auf die 36. BImSchV vorliegt. Die Warenverkehrsfreiheit in Bezug auf die Verord- nung wird gewahrt: Die Verordnung sieht keinerlei Be- schränkung der doppelten Gewichtung von Abfall- und Reststoffen aus anderen Staaten vor. Auch eine mengen- mäßige Beschränkung der doppelten Gewichtung oder eine Maßnahme gleicher Wirkung liegt nicht vor. Zu Frage 66: Die Bundesanstalt für Landwirtschaft und Ernährung hat nicht für alle Länder der Europäischen Union Zu- gang, Zertifizierungsverfahren zu begleiten, da die Be- gleitung der deutschen Zertifizierungsstellen im Ausland nach den gesetzlichen Vorgaben der Zustimmung durch den anderen Staat bedarf. Diese liegt nicht für alle Mit- gliedstaaten der EU vor. Eine Zustimmung der Mitglied- staaten zu den Kontrollbegleitungen der BLE im Aus- land nach den international üblichen Gepflogenheiten dürfte unproblematisch möglich sein. Anlage 49 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Gerd Müller auf die Fragen des Abgeordneten Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD) (Drucksache 17/12041, Frage 67): Werden Unternehmen, die Werkvertragsarbeitnehmerin- nen und Werkvertragsarbeitnehmer einsetzen, durch das Pro- gramm zur Förderung der Exportaktivitäten der deutschen Agrar- und Ernährungswirtschaft gefördert und in welchem Umfang? 26742 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 (A) (C) (D)(B) Das Programm des BMELV zur Förderung der Ex- portaktivitäten der deutschen Agrar- und Ernährungs- wirtschaft hat insbesondere die Ziele: Erschließung von kaufkräftigen Auslandsmärkten, Verbesserung der Wett- bewerbsfähigkeit der Unternehmen auf Auslandsmärk- ten, Vergrößerung des Absatzpotenzials für deutsche Produkte im Ausland und Erweiterung des Kreises ex- portierender Unternehmen. Die Förderung von Werkvertragsarbeitsverhältnissen ist nicht Ziel des Programms. Es ist dem BMELV nicht bekannt, ob die von seiner Exportförderung profitieren- den Unternehmen der Agrar- und Ernährungswirtschaft Werkvertragsarbeitnehmerinnen und -arbeitnehmer ein- setzen. Anlage 50 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage des Abgeordneten Hans-Christian Ströbele (BÜND- NIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 68): Welche Auskunft gibt die Bundesregierung – ergänzend zu ihrer Antwort vom 12. Dezember 2012 auf meine mündli- che Frage 78, Anlage 53, Plenarprotokoll 17/213, das Kom- mando Spezialkräfte sei zweimal im Jahr 2012 zwei Wochen in Jordanien nah der syrischen Grenze eingesetzt gewesen – zur Zahl der eingesetzten Soldaten, zu geplanten Zielen und Inhalten ihrer bzw. fremder Ausbildung dort sowie zu mögli- chen Grenzübertritten gen Syrien, und, falls die Bundesregie- rung – nach ihrer Antwort vom 12. Dezember 2012 auf meine schriftliche Frage 11 auf Bundestagsdrucksache 17/11906 bezüglich des Eindringens syrischer Rebellen von türkischem Gebiet aus in die Türkei – nun dahin gehende Berichte über solche Grenzübertritte syrischer Rebellen von türkischem Gebiet nach Syrien bestätigt, gefährdet dies nicht – sowie die darauf zu befürchtenden militärischen Reaktionen aus Sy- rien – die nun in der Türkei mit Patriot-Batterien eingesetzten deutschen Soldaten? Absicht des Kommandos Spezialkräfte war es, das jordanische King Abdullah II Special Operations Training Center zur Durchführung eines nationalen Übungsvorhabens zur Aufrechterhaltung der Fähigkei- ten für eine Geiselbefreiung im Ausland zu nutzen. Zur Feststellung der Ausbildungsmöglichkeiten haben sich jeweils vier Soldaten des KSK erstmalig vom 21. bis 25. Mai 2012 und anschließend nochmals vom 26. Au- gust bis 4. September 2012 sowie zwei weitere Soldaten vom 29. August bis 1. September 2012 am King Abdullah II Special Operations Training Center auf- gehalten. Die Grenze zu Syrien ist hierbei nicht über- schritten worden. Das King Abdullah II Special Operations Training Center ist eine Ausbildungseinrichtung der jordanischen Streitkräfte in der Nähe der Hauptstadt Amman, das aufgrund der dort vorhandenen Infrastruktur regelmäßig von Spezialeinheiten anderer Nationen zum Training ge- nutzt wird. Darüber hinaus verweise ich auf meine Antwort vom 12. Dezember 2012. Bisher hat das syrische Regime den Konflikt mit der Türkei nicht eskalieren lassen und damit eine mögliche militärische Internationalisierung der internen Auseinan- dersetzungen vermieden. Anzeichen, aus denen sich eine Änderung dieser Haltung erkennen lässt, sind nicht zu beobachten. Insofern wird die Wahrscheinlichkeit der von Ihnen befürchteten Reaktion und damit eine Gefähr- dung für die in der Türkei eingesetzten deutschen Solda- tinnen und Soldaten als sehr gering eingeschätzt. Anlage 51 Antwort des Parl. Staatssekretärs Christian Schmidt auf die Frage der Abgeordneten Viola von Cramon-Taubadel (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) (Drucksache 17/12041, Frage 69): Über welche bestehenden Versorgungsrouten für das deut- sche ISAF-Kontingent und über welche zusätzlichen Trans- portrouten durch die fünf zentralasiatischen Staaten plant die Bundesregierung im Rahmen des ISAF-Rückzugs bis 2014 den Rücktransport militärischen und nichtmilitärischen Geräts der Bundeswehr per Lkw, Bahn bzw. Flugzeug aus Afghanis- tan zu vollziehen? Die Bundesregierung nutzt zur Versorgung des deut- schen Einsatzkontingents ISAF in Afghanistan derzeit sowohl Luft-, Schienen- als auch Straßentransporte. Die Route der Luftfahrzeuge der Bundeswehr führt dabei über Kasachstan und Usbekistan. Die Schienentransporte werden im Auftrag der Bun- deswehr durch zivile Transportdienstleister durchge- führt. Sie nutzen eine Route, die von Russland über Ka- sachstan und Usbekistan nach Afghanistan führt. Auch die Straßentransporte werden im Auftrag der Bundeswehr durch zivile Transportdienstleister erbracht. Sie nutzen bisher sowohl eine Route über Kasachstan und Usbekistan als auch aktuell eine Route über Kasach- stan, Kirgisistan und Tadschikistan. Für den Rücktransport des Materials des deutschen Einsatzkontingents ISAF werden alle dargestellten Rou- ten erwogen. Eine detaillierte Festlegung ist bisher nicht erfolgt. Anlage 52 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage des Abgeordneten Sönke Rix (SPD) (Drucksache 17/12041, Frage 70): Welche inhaltlichen Änderungen beinhaltet die von der Bundesregierung beabsichtigte Reform des Mutterschutz- gesetzes? Das für das Mutterschutzgesetz innerhalb der Bundesregierung federführend zuständige Bundesminis- terium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, BMFSFJ, hält eine Reform des Mutterschutzrechts für erforderlich. Die notwendigen fachlichen Vorarbeiten im BMFSFJ dauern an. Vor diesem Hintergrund kann ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch keine konkreten Inhalte benennen. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 26743 (A) (C) (D)(B) Anlage 53 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage des Abgeordneten Sönke Rix (SPD) (Drucksache 17/12041, Frage 71): Plant die Bundesregierung Initiativen für gesetzliche Rah- menbedingungen zur Erstattung von Fahrtkosten innerhalb der Freiwilligendienste Freiwilliges Soziales Jahr, Freiwilli- ges Ökologisches Jahr und Bundesfreiwilligendienst? In beiden Freiwilligendienstformaten besteht schon eine gesetzliche Regelung: Freiwillige erhalten im öffentlichen Personennahver- kehr in der Regel dieselben Ermäßigungen wie Schüle- rinnen und Schüler, Studierende und Auszubildende. Als Berechtigungsnachweis gilt der Freiwilligenausweis oder eine entsprechende Bescheinigung von Einsatz- stelle/Träger. Darüber hinaus haben Einsatzstellen oder Zentralstel- len bzw. Träger die Möglichkeit, in Absprache mit den Freiwilligen einen Teil des Taschengeldes nicht monat- lich in bar, sondern in Sachleistungen, etwa einem ÖPNV-Ticket, vorzusehen. Auf eine zwingende gesetzliche Regelung wurde be- wusst verzichtet, weil die Situation der Freiwilligen viel zu unterschiedlich ist: Freiwillige in Berlin haben andere Fahrtkosten als diejenigen in ländlichen Gegenden oder die auf Hallig Hooge. Anlage 54 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fra- gen der Abgeordneten Petra Crone (SPD) (Drucksa- che 17/12041, Fragen 72 und 73): Wie begründet die Bundesregierung die aufgrund der be- kannt gewordenen Zahlen belegte ausbleibende Nutzung der Familienpflegezeit durch pflegende Angehörige? Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung zeitnah zu ergreifen, um mehr betroffenen Menschen eine berufliche Auszeit für die Pflege ihrer Angehörigen zu ermöglichen und ein Scheitern der Vereinbarkeit von Pflege und Beruf zu ver- hindern? Die Bundesregierung wird die Wirkungen des zum 1. Januar 2012 in Kraft getretenen Gesetzes zur Verein- barkeit von Pflege und Beruf nach Ablauf von zwei Jah- ren wissenschaftlich evaluieren lassen. Erst auf Basis dieser Evaluationsergebnisse können verlässliche Aus- sagen zur Nutzung der Familienpflegezeit und zu den Erfahrungen der pflegenden Angehörigen mit diesem Angebot getroffen werden. Aufgrund dieser Erkennt- nisse wird zu prüfen sein, ob und gegebenenfalls welche Optimierungsmöglichkeiten bei der Ausgestaltung der gesetzlichen Regelungen und des Verwaltungsverfahrens bestehen. Anlage 55 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksa- che 17/12041, Frage 74): Sind der Bundesregierung Schätzungen oder Erhebungen bekannt, in denen die Zahl der möglichen anspruchsberechtig- ten Familien auf Kinderzuschlag nach § 6 a des Bundeskin- dergeldgesetzes, BKGG, beziffert werden, und, wenn ja, um welche handelt es sich dabei? Schätzungen oder Erhebungen, in denen die Zahl der möglichen anspruchsberechtigten Familien auf Kinder- zuschlag nach § 6 a BKGG beziffert werden, sind der Bundesregierung nicht bekannt. Zu Fragen nach der An- zahl potenzieller Leistungsberechtigter liegen der Bun- desregierung lediglich Schätzungen vor, denen unter- schiedliche Konzeptionen und normative Setzungen zugrunde liegen. Die Statistik für die Leistungsberech- tigten des Kinderzuschlags kann hier keine Angaben lie- fern, da sie ausschließlich Personen erfasst, die sich bei den Familienkassen melden und bei entsprechender An- tragstellung Kinderzuschlag erhalten. Anlage 56 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Frage der Abgeordneten Caren Marks (SPD) (Drucksa- che 17/12041, Frage 75): Wie viele Familien haben jeweils 2011 und 2012 Anträge auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld gestellt, deren An- träge auf Kinderzuschlag nach § 6 a BKGG abgelehnt wur- den, weil entweder die Mindesteinkommensgrenze unter- schritten wurde oder die Bedürftigkeit fortbestand? Statistische Daten zur Zahl der Personen, die Anträge auf Arbeitslosengeld II bzw. Sozialgeld gestellt haben, nachdem deren Antrag auf Kinderzuschlag nach § 6 a BKGG abgelehnt wurde, weil die Mindesteinkommens- grenze nicht erreicht wurde oder mit dem Kinderzu- schlag Hilfebedürftigkeit nicht vermieden werden konnte, werden von den SGB-II-Trägern nicht erhoben und liegen daher nicht vor. Es besteht im Übrigen keine Verknüpfung der Grundsicherungs- und der Kinderzu- schlagsstatistik. Anlage 57 Antwort des Parl. Staatssekretärs Dr. Hermann Kues auf die Fra- gen der Abgeordneten Aydan Özoğuz (SPD) (Drucksa- che 17/12041, Fragen 76 und 77): Wie oft wurde die Hilfs- bzw. Beratungsfunktion des Zen- trums für Kinderschutz im Internet (www.i-kiz.de) seit der Gründung im September 2012 bereits in Anspruch genom- men, und wie viele Verstöße von Webseitenanbietern wurden seither gemeldet (bitte jeweils nach Eltern und Kindern/Ju- gendlichen aufschlüsseln)? Wie oft wurde der „www.i-kiz.de“-Hilfebutton bereits in andere Webseiten eingebunden, und welche Maßnahmen un- ternimmt das Bundesministerium, um auf die Seite www.i-kiz.de aufmerksam zu machen? Zu Frage 76: Seit der Gründung des I-KiZ, des Zentrums für Kin- derschutz im Internet, kann jede und jeder auf der Inter- netseite www.i-kiz.de über einen Hilfebutton Hilfs- und Meldemöglichkeiten für Kinder und Jugendliche sowie 26744 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 216. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 16. Januar 2013 (A) (C) (D)(B) für Eltern erreichen. Dabei wird auf die bereits seit lan- gem in Deutschland bestehenden, bislang jedoch zu we- nig genutzten Melde- und Beratungsangebote verwiesen (Hotlines bzw. Nummer gegen Kummer). Aufgrund der Weiterleitung an die Beratungsangebote und da durch uns selbst keine Daten erhoben werden, liegen dem BMFSFJ keine Erkenntnisse darüber vor, wie oft der Button genutzt wurde bzw. ob es sich tatsäch- lich um gemeldete Verstöße handelt. Ein Jugendlicher, der den Hilfebutton des I-KiZ betätigt, wird beispiels- weise auf die Internetseite der Nummer gegen Kummer geleitet. Ziel ist, die bestehende Infrastruktur zu nutzen und bekannter zu machen. Es geht dagegen nicht darum, eine Parallelstruktur aufzubauen. Zu Frage 77: Aktuell wird im I-KiZ daran weitergearbeitet, den Hilfebutton funktionell zu erweitern und auf immer mehr Plattformen einzubinden. Mit ein paar Klicks auf www.i-kiz.de/hilfe kann schon heute jeder Anbieter den Hilfebutton auf seiner Seite einbinden. Dies parallel mit einer Erweiterung und Vertiefung der hinter dem Button liegenden Hilfsmög- lichkeiten zu erreichen, bei der auch plattformspezifi- sche Melde- und Beschwerdemöglichkeiten eingebun- den werden können, ist der Schwerpunkt der Fachkommission „Prävention, Aufklärung und Melde- möglichkeiten“ des I-KiZ. Da an der Einbindung des I-KiZ-Hilfebuttons interes- sierten Plattformanbietern die Einbindung selbstständig möglich ist, ohne mit dem Bundesministerium für Fami- lie, Senioren, Frauen und Jugend Kontakt aufnehmen zu müssen, liegen uns keine Erkenntnisse darüber vor, wie viele Anbieter den Hilfebutton bereits eingebunden ha- ben. Das BMFSFJ macht laufend über seine üblichen Ver- breitungswege sowie über die Zusammenarbeit mit Plattformbetreibern auf das I-KiZ und dessen Hilfs- und Beratungsfunktion aufmerksam. Um es aber klar zu sagen: Nutzung und Einbindung des Buttons stehen sicher erst am Anfang. Das ist auch so geplant; denn mindestens bis zur ersten Jahrestagung des I-KiZ geht es um den Ausbau der Funktionalität des Buttons „nach vorn“ zu den Nutzern und „nach hinten“ durch Einbindung aller Partner. Daran arbeitet eine Gruppe mit rund 30 Beteiligten aus Bund und Ländern, aus Unternehmen und Jugendschutz derzeit aktiv. 216. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 1 50 Jahre Elysée-Vertrag TOP 2 Artgerechte Tierhaltung TOP 3 Befragung der Bundesregierung TOP 4 Fragestunde ZP 2 Aktuelle Stunde TOP 5 Jahresbericht 2011 des Wehrbeauftragten TOP 6 Kurzarbeitergeld TOP 7 Nationale Nachhaltigkeitsstrategie TOP 8 Private Krankenversicherung Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721600000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte einen Au-

genblick Platz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich begrüße Sie alle
herzlich zur ersten Plenarsitzung des Deutschen Bundes-
tages in diesem Jahr, verbunden noch einmal mit allen
guten Wünschen für Sie persönlich und für unsere ge-
meinsame Arbeit.

Gleichzeitig möchte ich Sie bitten, damit einverstan-
den zu sein, dass, wie interfraktionell vereinbart, der Ta-
gesordnungspunkt 1 b von der heutigen Tagesordnung
abgesetzt werden soll. – Ich höre keinen Widerspruch.
Dann können wir so verfahren.

Bevor wir nun in die vereinbarte Tagesordnung ein-
treten, bitte ich Sie, sich von Ihren Plätzen zu erheben.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kurz vor Weihnach-
ten erreichte uns eine Nachricht, die uns alle tief bestürzt
hat. Mit großer Betroffenheit erfuhren wir vom plötzli-
chen Tod unseres Kollegen Peter Struck. Er starb am
19. Dezember 2012 im Alter von 69 Jahren in Berlin.

Peter Struck war eine parlamentarische Instanz. Er hat
die bundesdeutsche Politik über drei Jahrzehnte maßgeb-
lich mitgestaltet. Peter Struck kam 1980 erstmals ins

tik wie im Sport nicht nur Siege, sondern auch Niederla-
gen gibt – und er hatte die Gabe, bei Siegen nicht das Maß
zu verlieren und bei Niederlagen nicht das Selbstbewusst-
sein.

Um Ämter und Aufgaben hat er sich nicht beworben,
aber er hat sich auch nicht verweigert, wenn sie ihm
– manchmal überraschend und gegen seine eigenen
Präferenzen – angetragen wurden: Er war Obmann im
sogenannten Flick-Untersuchungsausschuss Mitte der
1980er-Jahre, er war Parlamentarischer Geschäftsführer,
Fraktionsvorsitzender der SPD-Fraktion von 1998 bis
2002 und in der Großen Koalition wieder von 2005 bis
2009, und er war Bundesminister der Verteidigung von
2002 bis 2005.

In diesen unterschiedlichen Ämtern hat er sich den
Respekt seiner Kolleginnen und Kollegen und der Öf-
fentlichkeit und die besondere Zuneigung der Soldaten
erworben. Das hohe Regierungsamt des Inhabers der
Verteidigungs- und Kommandogewalt war ihm zunächst
alles andere als nahe, eher fremd. Am Ende, rückbli-
ckend, war es ihm von allen Ämtern vielleicht das
liebste, nicht aber das wichtigste. Das Größte, hat Peter
Struck mehr als einmal erklärt, sei, Mitglied des Deut-
schen Bundestages zu sein.
Parlament und gehörte dem Hohen Haus als Mitglied der
SPD-Fraktion bis 2009 an. Eigentlich wollte Peter
Struck nach dem Studium der Jurisprudenz und der Pro-
motion irgendwann einmal Bürgermeister oder Stadtdi-
rektor seiner Heimatstadt Göttingen werden. Er hätte das
zweifellos gekonnt und gut gemacht.

Glücklicherweise ist es anders gekommen. Nach sei-
ner ersten erfolgreichen Kandidatur im Wahlkreis Celle-
Uelzen für den Deutschen Bundestag hat Peter Struck
acht Legislaturperioden mit wichtigen Aufgaben und
wachsendem Einfluss absolviert.

Peter Struck haben die meisten von uns als einen feinen
Kerl und einen verlässlichen Kollegen kennengelernt. Er
war über viele Jahre eine der Stützen der Fußballmann-
schaft des Deutschen Bundestages, deren Bedeutung für
das kollegiale Klima über die Fraktionen hinweg nicht zu
unterschätzen ist. Peter Struck wusste, dass es in der Poli-

Peter Struck hatte eine klare Vorstellung von der Ord-
nung der Staatsgewalt, und er wusste zwischen der Be-
deutung von Ämtern und ihrer Prominenz in der öffentli-
chen Wahrnehmung zu unterscheiden. Das sogenannte
Struck’sche Gesetz, nach dem Gesetzentwürfe in aller
Regel das Parlament nicht so verlassen, wie sie einge-
bracht worden sind, hat er nicht erfunden, aber er hat es
praktiziert, und zwar nicht in Oppositionszeiten, sondern
als Vorsitzender einer Regierungsfraktion.

2009 schied Peter Struck aus eigener Entscheidung
aus dem Parlament aus. Damals glaubten nur wenige sei-
ner Ankündigung, sich als Politikruheständler vor allem
dem geliebten Motorrad widmen zu wollen. Tatsächlich
blieb Peter Struck der Politik verbunden. Er übernahm
schwierige Schlichtungsaufgaben und wurde 2010 Vor-
sitzender der Friedrich-Ebert-Stiftung. Nur wenige Tage





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

vor seinem Tod war er in diesem Amt einstimmig bestä-
tigt worden.

In der nächsten Woche wäre er 70 Jahre alt geworden.
Viele von uns hatten sich auf das Wiedersehen gefreut –
er auch. Viele von uns verlieren einen geschätzten Kolle-
gen und guten Freund. Peter Struck hat sich um unser
Land große Verdienste erworben.

Seiner Frau und seiner Familie spreche ich im Namen
des ganzen Hauses unsere Anteilnahme aus. Alle dieje-
nigen, die das Privileg hatten, mit ihm zusammenarbei-
ten zu können, werden ihn gewiss nicht vergessen.

Ich danke Ihnen.

Ich rufe nun unseren Tagesordnungspunkt 1 a auf:

a) Vereinbarte Debatte

50 Jahre Élysée-Vertrag – Zusammenarbeit
und gemeinsame Verantwortung für die Zu-
kunft Europas

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache eineinviertel Stunden vorgesehen. – Ich
höre keinen Widerspruch. Dann ist das so beschlossen.

Ich möchte zu Beginn darauf hinweisen, dass wir uns
in den vergangenen Wochen über die Fraktionen mit den
französischen Kolleginnen und Kollegen auf einen Text
verständigt haben, den wir am nächsten Dienstag nach
der gemeinsamen Sitzung mit den Mitgliedern der As-
semblée nationale per Akklamation hier im Reichstags-
gebäude am Schluss der Veranstaltung annehmen wol-
len. Insofern besteht Gelegenheit, in der Debatte darauf
Bezug zu nehmen, Hinweise zu machen und vielleicht
auch den einen oder anderen Akzent zu setzen, weil sich
in einem solchen gemeinsamen Text naturgemäß nicht
jede einzelne Präferenz in gleicher Weise und vor allen
Dingen mit der vielleicht gewünschten Deutlichkeit wie-
derfindet.

Ich eröffne die Aussprache. Als erstem Redner erteile
ich dem Kollegen Andreas Schockenhoff für die CDU/
CSU-Fraktion das Wort.


Dr. Andreas Schockenhoff (CDU):
Rede ID: ID1721600100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! In

den vergangenen Monaten ist viel Kritisches über den
Zustand der deutsch-französischen Beziehungen gesagt
worden, manches zu Recht, vieles aber auch aufgrund zu
kurzsichtiger Betrachtung zu Unrecht. So ist es gut, dass
wir aus Anlass des 50. Jahrestages der Unterzeichnung
des Élysée-Vertrages ausführlich über die Bedeutung der
deutsch-französischen Zusammenarbeit sprechen.

Denn bei allem notwendigen Streit über die besten
Wege zur Überwindung der Schuldenkrise sollten wir
immer die historische Leistung der deutsch-französi-
schen Zusammenarbeit und die daraus erwachsende Ver-
antwortung für die Entwicklung Europas im Auge behal-
ten.

In seiner Laudatio anlässlich der Verleihung des Frie-
densnobelpreises an die Europäische Union sagte der
Vorsitzende des norwegischen Nobelpreiskomitees – ich

zitiere –: Die Aussöhnung zwischen Frankreich und
Deutschland ist wahrscheinlich das überzeugendste Bei-
spiel dafür, dass Krieg und Konflikte rasch in Frieden
und Zusammenarbeit verwandelt werden können. –
Diese Worte würdigen die Leistung der Männer und
Frauen, die nach drei fürchterlichen Kriegen den Neuan-
fang und die Aussöhnung wagten und damit die Voraus-
setzungen für den europäischen Einigungsprozess und
die Überwindung der Teilung Europas schufen.

Das Nobelpreiskomitee würdigt aber auch den be-
sonderen politischen Mut von Außenminister Robert
Schuman. Mit seinem Plan zur Montanunion hatte er den
Franzosen bereits fünf Jahre nach Kriegsende zugetraut,
eine gleichberechtigte Partnerschaft mit der jungen,
machtlosen Bundesrepublik einzugehen, und er hat da-
mit den Grundstein gelegt zu der Freundschaft, die nun-
mehr unsere beiden Länder so eng miteinander verbin-
det. Der dadurch gelungene Aufbruch in eine neue,
gemeinsame und vor allem bessere Zukunft ist, so denke
ich, auch heute noch Grund zur Dankbarkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für die Aussöhnung, Freundschaft und Zusammenar-
beit von Franzosen und Deutschen steht symbolisch der
Élysée-Vertrag. Er hat viel bewirkt. Ich möchte nur zwei
Beispiele nennen. Es sind zwei Beispiele, die sich seit
der ersten gemeinsamen Plenarsitzung unserer beiden
Parlamente vor zehn Jahren in Versailles besonders gut
entwickelt haben.

Ich nenne zum einen das Deutsch-Französische Ju-
gendwerk. Nach zwei Evaluierungen, die auf Anregung
des Bundestages und der Assemblée nationale 2004
durchgeführt wurden, konnte seine Effizienz deutlich ge-
steigert werden. Heute ist es wieder eine Erfolgsge-
schichte. In den letzten zwei Jahren lag die Anzahl der
Teilnehmer deutlich über 200 000, und es ist gut, dass
der Etat des Jugendwerkes – übrigens zum ersten Mal
seit 1963 – angehoben wurde. Aber es könnten noch
deutlich mehr junge Menschen am Austausch teilneh-
men, wenn auf beiden Seiten mehr Finanzmittel zur Ver-
fügung stünden. Hier sollten wir nicht wieder 50 Jahre
bis zur nächsten Erhöhung warten. Es ist doch ein gutes
Zeichen für die gemeinsame Zukunft, wenn die deutsch-
französischen Beziehungen gerade auch bei der jungen
Generation über hohe Anziehungskraft verfügen.

Ich nenne zum anderen das deutsch-französische Ge-
schichtsbuch für die Oberstufe. Beide Regierungen ha-
ben am 22. Januar 2003 dafür die Anregung des deutsch-
französischen Jugendparlamentes aufgenommen. Inzwi-
schen sind drei Bände des Lehrbuches erschienen, das
nicht nur den Lehrplänen beider Länder gerecht wird; es
sind weltweit die ersten in zwei Staaten inhaltlich identi-
schen Schulbücher, die von der griechischen Demokratie
bis hin zur Gegenwart auch die Sicht des jeweils anderen
zum Ausdruck bringen. Wer weiß, wie sensibel Fragen
der Geschichte – insbesondere der eigenen – sind, kann
sich angesichts der schwierigen Vergangenheit unserer
Länder vorstellen, welch wichtiger Beitrag mit diesem





Dr. Andreas Schockenhoff


(A) (C)



(D)(B)

gemeinsamen Geschichtsbuch für eine dauerhafte Aus-
söhnung geleistet wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, trotz dieser und vie-
ler anderer Erfolge in den deutsch-französischen Bezie-
hungen bleibt noch viel zu tun. Deshalb verstehe ich die
Verleihung des Friedensnobelpreises an die EU nicht nur
als eine Würdigung ihrer bisherigen Leistungen und der
Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland; sie
ist zugleich der Auftrag, insbesondere an unsere beiden
Länder, ihrer besonderen Verantwortung für den weite-
ren Integrationsprozess und für die Selbstbehauptung
Europas in der globalisierten Welt gerecht zu werden.
Deshalb begrüße ich sehr, dass es in der gemeinsamen
Erklärung von Bundestag und Assemblée nationale
heißt, dass unsere Länder als starke Wirtschaftsnationen
besondere Möglichkeiten haben, die weitere Gestaltung
der EU voranzubringen, und dass sie gemeinsame Ver-
antwortung für den Erfolg des europäischen Modells im
globalen Wettbewerb übernehmen müssen.

Will Europa Subjekt im globalen Wettbewerb bleiben
und nicht zum Objekt werden und in die Bedeutungs-
losigkeit abrutschen, muss es seine Schuldenkrise, vor
allem die Ursachen dafür, überwinden. Hier sind wir be-
reits ein wichtiges Stück vorangekommen; aber dieser
Prozess muss weitergehen, so schmerzhaft er für einige
Länder auch ist – dazu zähle ich auch Frankreich. Stabi-
lität und Wachstum, Disziplin und Verantwortung, das
Ökonomische und das Soziale sind gleichermaßen nötig,
um die Krise nachhaltig zu bewältigen. Das wird nur ge-
lingen, wenn es hinsichtlich der in der EU unterschiedli-
chen Auffassungen im Wirtschaftsdenken zu einer An-
näherung kommt mit dem Ziel eines modernen, global
wettbewerbsfähigen Wirtschafts- und Gesellschafts-
modells. Gerade wegen seiner noch sehr unterschiedli-
chen Auffassungen in wesentlichen wirtschafts- und
finanzpolitischen Fragen steht das deutsch-französische
Paar diesbezüglich vor einer besonderen Bewährungs-
probe. Deutschland und Frankreich müssen bei diesen
Fragen noch näher zusammenkommen, um Europa zu-
sammenzuhalten.

Aber auch bei anderen Herausforderungen, vor denen
die EU steht, müssen wir bei der Suche nach Lösungen
enger zusammenkommen. Ich nenne nur die Stichworte
Energiesicherheit, Fragen der Arbeitsmigration, Ge-
währleistung hoher Umweltstandards und die Gestaltung
unserer Nachbarschaft im Osten, vor allem aber ganz ak-
tuell auch im Süden. Gerade dieses letzte Beispiel zeigt:
Auch die deutsch-französische sicherheitspolitische
Zusammenarbeit muss für die Verbesserung der europäi-
schen Fähigkeiten in der GSVP weiter vertieft werden.

Auch hier stellen sich schwierige grundlegende
Fragen; denn wir müssen feststellen, dass es in der EU
durchaus unterschiedliche Prioritätensetzungen gibt:
Frankreich fokussiert sich strategisch eher auf Nord-
afrika, während die Mittel- und Osteuropäer eher nach
Osten und unsere nordischen Partner zunehmend in
Richtung Arktis blicken. Deshalb brauchen wir in der

EU, vor allem aber zwischen unseren beiden Ländern,
eine strategische Diskussion über die Frage, was die EU
mit ihren zivilen und militärischen Missionen erreichen
will und auf welche geografischen Herausforderungen
sie sich besonders ausrichten sollte.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Das ist übrigens auch eine Voraussetzung dafür, dass wir
mit Pooling und Sharing von militärischen Fähigkeiten
und Kapazitäten zu wirklich substanziellen Kooperatio-
nen kommen. Solange Frankreich und Deutschland hier
nicht am gleichen Strang ziehen, werden wir die notwen-
dige Stärkung der Europäischen Sicherheits- und Vertei-
digungspolitik nicht voranbringen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, der französische

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1721600200
Wir müssen noch
mehr miteinander sprechen. – Ich denke, das gilt auch
für das Gespräch zwischen uns Abgeordneten. Auch
wenn unsere Zusammenarbeit in der deutsch-französi-
schen Parlamentariergruppe so intensiv wie in keiner an-
deren Parlamentariergruppe ist, reicht das noch nicht
aus. Angesichts der Herausforderungen, die ich vorhin
angesprochen habe, müssen wir auch die Zusammen-
arbeit unserer Parlamente auf eine qualitativ neue Stufe
stellen. Deshalb begrüße ich es außerordentlich, dass mit
unserer Gemeinsamen Erklärung, die wir nächsten
Dienstag annehmen, diese Zusammenarbeit vertieft wer-
den soll. Schon heute gibt es konkrete Fragen, bei denen
wir uns enger abstimmen sollten. Ich nenne beispiels-
weise die Subsidiaritätsprüfung.

Im Zusammenhang mit der Stärkung der Wirtschafts-
und Währungsunion und der parlamentarischen Beglei-
tung des Europäischen Semesters wird es voraussichtlich
zweimal jährlich interparlamentarische Konferenzen ge-
ben. Gerade angesichts der in Frankreich und Deutsch-
land durchaus unterschiedlichen wirtschafts- und finanz-
politischen Auffassungen halte ich es für sinnvoll, dass
wir uns unmittelbar vor solchen Tagungen erst einmal
mit unseren französischen Kollegen beraten. Die
zwischen dem Bundestag und der Assemblée nationale
bestehenden Unterschiede sind bekannt. Die Assemblée
nationale hat ein sehr eingeschränktes Initiativrecht. In
europapolitischen Fragen hat der Bundestag mit dem
EUZBBG oder bei Bundeswehreinsätzen mit dem Parla-
mentsbeteiligungsgesetz eine sehr viel stärkere Stellung
in unserer Verfassung als die Assemblée nationale in der
französischen Verfassung. Dennoch wollen und müssen
wir uns so eng wie möglich abstimmen und unsere Poli-
tik so weit wie möglich koordinieren. Wenn die Ab-
geordneten aus Deutschland und Frankreich dies in den
wichtigen und vor allem schwierigen Fragen der euro-
päischen Politik regelmäßig tun, dann wird dies tiefer
gehen und ein besseres Verständnis für die Position der
anderen Seite schaffen, als wenn dies allein von den
Regierungen geleistet werden muss.

Deshalb, liebe Kolleginnen und Kollegen, ist es auch
weit mehr als ein Symbol, wenn wir nächste Woche in
diesem Raum als Plenarversammlung mit der Assemblée
nationale gemeinsam tagen und gegenüber unseren
Völkern den gemeinsamen Willen zur Gestaltung des bi-





Dr. Andreas Schockenhoff


(A) (C)



(D)(B)

lateralen Verhältnisses und zur Behauptung der Stellung
Europas in der Welt zum Ausdruck bringen.

Ich bedanke mich ganz herzlich und freue mich mit
Ihnen gemeinsam auf den nächsten Dienstag.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721600300

Günter Gloser ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Günter Gloser (SPD):
Rede ID: ID1721600400

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Der Élysée-Vertrag ist eine einmalige
historische Leistung. Er hat der Aussöhnung Deutsch-
lands und Frankreichs einen institutionellen Rahmen
gegeben. Dieser prägt bis heute die Zusammenarbeit
zwischen beiden Ländern. Deshalb ist es auch richtig,
dieses Jubiläum feierlich zu begehen.

Seinen Wegbereitern Adenauer und de Gaulle gilt da-
rüber hinaus große Anerkennung für dieses Dokument
der Annäherung. Auch für alle SPD-geführten Bundes-
regierungen war der Vertrag die Basis ihrer Frankreich-
Politik. Aber nun wird gegenwärtig in beiden Staaten die
Frage gestellt: Sind denn 50 Jahre Élysée-Vertrag ange-
sichts von Streitpunkten, mühsamen Kompromissen und
auch angesichts gelegentlich auftretenden Misstrauens
ein Grund zum Feiern? Ich sage Ja; denn ich beurteile
diesen Vertrag eben nicht nur aus der Perspektive der
letzten Wochen und Monate oder bestimmter Abschnitte
während der letzten 50 Jahre, sondern aus der histori-
schen Perspektive entlang der gesamten letzten 50 Jahre.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Es geht heute eben nicht nur um 50 Jahre freundliches
Nebeneinander, sondern um ein Miteinander, da die Be-
ziehung beider Länder in dieser Zeit, wie ich finde, eine
weltweit einzigartige Vertiefung erfahren hat. Manche
Nörgler, die diese Feier kritisieren, blenden die enormen
gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen
Leistungen aus, für die der Élysée-Vertrag die Grundlage
war. Die Kritiker sollten einfach einmal vom Jahr 1963
50 Jahre zurückgehen, um sich zu erinnern, was auf un-
serem Kontinent zwischen unseren beiden Ländern ge-
schehen ist und was Deutsche Franzosen angetan haben.
Das sei an dieser Stelle auch noch einmal ausdrücklich
erwähnt.

Die deutsch-französischen Beziehungen sind aber
mehr als nur das „Couple“, das Tandem der Staats- und
Regierungschefs, oder aber auch, wie es Kollege
Schockenhoff ausgedrückt hat, die Beziehungen
zwischen den beiden Parlamenten, auch wenn die in der
letzten Zeit eine bedeutende Rolle spielen.

Der Élysée-Vertrag hat dazu beigetragen, dass sich
ein einzigartiges Netz der Beziehungen zwischen unse-
ren Ländern entwickelt hat. Ich will dafür einige

Beispiele nennen. Wo auf diesem Erdball gibt es so zahl-
reiche Partnerschaften zwischen Gemeinden, Städten,
Kreisen und Regionen? Allein über 2 000 kommunale
Partnerschaften existieren.


(Eduard Oswald [CDU/CSU]: Sehr gut!)


Wo sonst auf dieser Welt gibt es so viele Menschen, die
sich aktiv in Partnerschaftsvereinen und Freundschafts-
gesellschaften engagieren? Diese Menschen sind die
wahren Brückenbauer in den deutsch-französischen Be-
ziehungen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wo sonst gibt es bilaterale Einrichtungen und Publika-
tionen wie die Deutsch-Französische Hochschule, die
Deutsch-Französische Industrie- und Handelskammer
oder aber das erwähnte deutsch-französische Ge-
schichtsbuch? Hier hätte ich mir allerdings eine intensi-
vere Verbreitung in den Schulen gewünscht. Da kann das
Kooperationsverbot zwischen Bund und Ländern nicht
das große Hindernis sein.

Auch unsere Parteien und politischen Stiftungen, die
Gewerkschaften und die Kirchen haben in den letzten
fünf Jahrzehnten viel für den politischen und gesell-
schaftlichen Austausch zwischen Frankreich und
Deutschland getan.

Eine weitere Erfolgsgeschichte ist das Deutsch-
Französische Jugendwerk. Wir wissen, dass dieses
Jugendwerk zum Vorbild für die Beziehungen auch mit
anderen Ländern geworden ist. Ich erinnere nur an die
Beziehungen zwischen Deutschland und Polen.

Ich hege den Wunsch, dass der Kulturaustausch
zwischen unseren Ländern noch weiter ausgebaut wird.
Wir Parlamentarier haben eine wichtige Rolle, was die
Zukunftsfähigkeit von Goethe-Instituten und Auslands-
schulen anbelangt; denn angesichts der aktuellen
Herausforderungen und auch der gelegentlich auftreten-
den Missverständnisse brauchen wir diese Kulturmittler.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wer sich diesem Vertrag verpflichtet fühlt, muss sich
auf Augenhöhe begegnen. Häme, wie ich sie kürzlich in
Beiträgen im Hinblick auf die wirtschaftliche Situation
Frankreichs gelesen habe, ist unangebracht und ge-
schichtslos.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es gab auch Zeiten, da waren die wirtschaftlichen Daten
in Frankreich viel positiver als die in Deutschland. Dass
Deutschland in der guten wirtschaftlichen Lage von
heute ist, hat auch mit den guten deutsch-französischen
Beziehungen zu tun; denn etwa 30 Prozent unseres
Exports in die Euro-Zone gehen nach Frankreich. Das
wird hier allzu oft vergessen.





Günter Gloser


(A) (C)



(D)(B)

Wir feiern den Vertrag am nächsten Dienstag zusam-
men mit der Assemblée nationale im Deutschen Bundes-
tag. Es wird eine Feier, die dem Ereignis und den
deutsch-französischen Beziehungen angemessen ist. Es
wird keine Sause und es wird auch keinen Pomp geben,
aber – das sage ich ausdrücklich – wir dürfen dieses
Jubiläum nicht verstecken.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Für mich bedeuten die Feierlichkeiten vor allem, dass
wir, die Politikerinnen und Politiker, aber auch die Bür-
gerinnen und Bürger beider Länder, weiterhin Interesse
aneinander haben, Neugierde für das jeweils andere
Land und gegenseitiges Verständnis entwickeln.

Zum Schluss noch zu einem Dauerthema in unseren
Beziehungen. Es geht um den Spracherwerb in beiden
Ländern. Ich habe im letzten Jahr einen Artikel zu dieser
Thematik in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung ent-
deckt. Dort las ich einen Beitrag der Präsidentin des
Frankoromanistenverbandes. Sie beschreibt, dass 1956
in einer Abiturprüfung in Deutschland eine Passage aus
dem Roman Jean-Christophe von Romain Rolland zu
übersetzen war. Eine Passage lautete: „Nous avons be-
soin de vous et vous avez besoin de nous.“ 1956 über-
setzte ein gestresster deutscher Abiturient diesen Satz
folgendermaßen ins Deutsche: „Wir haben genug von
euch, und ihr habt genug von uns.“


(Heiterkeit bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Ohne Abiturstress übersetzt lautet der Satz richtig – ich
weiß, dass Sie alle das verstehen –: „Wir brauchen euch,
und ihr braucht uns.“ Liebe Kolleginnen und Kollegen,
dieser Satz Romain Rollands, 1913 formuliert, klingt bis
heute wie ein Weckruf für die Zukunft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721600500

Für die Bundesregierung erteile ich das Wort nun dem

Staatsminister Michael Link.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Link (FDP):
Rede ID: ID1721600600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Mit

dem Élysée-Vertrag haben Frankreich und Deutschland
nach zwei Weltkriegen ihre Versöhnung besiegelt und
eine Erfolgsgeschichte ohnegleichen eingeleitet. Sie ha-
ben das aber nie nur mit Blick auf sich gemacht, sondern
von Anfang an immer mit Blick auf die gemeinsame eu-
ropäische Verantwortung.

Tiefe und Intensität der deutsch-französischen
Freundschaft sind einzigartig. Das gilt für den politi-
schen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereich. Das gilt

vor allem aber auch für das beispielhaft enge Netzwerk
zwischen den Bürgerinnen und Bürgern. Die Kollegen,
die vor mir gesprochen haben, haben völlig zu Recht ge-
nau darauf hingewiesen.

Wenn wir die letzten 50 Jahre betrachten, sehen wir,
dass sich eine tief in der Gesellschaft verwurzelte, echte
Freundschaft entwickelt hat. Das ist es, was die deutsch-
französische Freundschaft einzigartig macht: ihre Dichte
und die gelebte Nähe zwischen den Bürgerinnen und
Bürgern. Die erste der heute 2 200 Städtepartnerschaften
wurde schon 1950 geschlossen. Allein über 8 Millionen
Jugendliche haben seit der Gründung des Deutsch-
Französischen Jugendwerks – auf seine Verdienste ist zu
Recht hingewiesen worden – an einem Austauschpro-
gramm teilgenommen. In wirtschaftlicher Hinsicht sind
Deutschland und Frankreich – man muss es immer wie-
der betonen, weil es sonst manchmal in Vergessenheit
gerät – füreinander immer noch die wichtigsten Export-
märkte.

Dabei sollte uns allen klar sein: Die Freundschaft
zwischen Deutschland und Frankreich ist keine Selbst-
verständlichkeit. Sie muss in jeder Generation von den
Bürgerinnen und Bürgern und vor allem auch von uns
politisch Verantwortlichen in beiden Ländern neu mit
Leben gefüllt werden. Sie speist sich, außer aus gemein-
samen Werten, vor allem aus zwei Hauptquellen: ge-
meinsam erlebter Geschichte und gelebter Nähe.

Weil die gelebte Nähe so wichtig ist und viele Kolle-
ginnen und Kollegen der Bundesregierung Anregungen
gegeben haben, was bei der grenzüberschreitenden Zu-
sammenarbeit besser werden muss – ein Punkt, der, wie
ich weiß, über die Fraktionsgrenzen hinweg viele um-
treibt –, wollen wir bei diesem Jubiläum einen besonde-
ren Schwerpunkt auf die Verbesserung der grenzüber-
schreitenden Zusammenarbeit legen, bei der in der Tat
noch einiges unterstützt und besser gemacht werden
müsste. Vorbilder für diese Zusammenarbeit haben wir.
Ich nenne beispielhaft den Eurodistrikt; ich könnte noch
viele andere Bereiche nennen. Hier muss aber wirklich
noch einiges konkret vorangebracht werden. Genau da-
ran arbeitet auch die Bundesregierung.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das Ziel des deutsch-französischen Jubiläumsjahres
ist das gegenseitige Verständnis. Das geht, Kollege
Gloser, natürlich bis in die Sprache hinein; denn da geht
Verstehen los. Wir wollen das gegenseitige Verständnis
steigern und junge Menschen für das Projekt begeistern.
Lassen Sie mich, auch mit Blick auf die vielen Schüle-
rinnen und Schüler, sei es, dass sie uns heute zuhören
oder diese Debatte nachlesen, sagen: Es muss einfach
auch wieder cool werden, die Sprache des Nachbarn zu
sprechen und einen Teil der eigenen Ausbildung im
Nachbarland zu absolvieren.

Im deutsch-französischen Jubiläumsjahr werden wir
deshalb nicht nur das in der Vergangenheit Erreichte fei-
ern, sondern uns auch auf unsere gemeinsame Zukunft
und Verantwortung für Europa ausrichten. Der Élysée-
Vertrag hatte immer eine europäische Dimension.
Deutschland und Frankreich haben Europa bisher ge-





Staatsminister Michael Link


(A) (C)



(D)(B)

meinsam vorangebracht. Für die nächsten Jahrzehnte
gilt, dass unsere beiden Länder die zukünftigen Heraus-
forderungen nur im Rahmen eines einigen und starken
Europa werden bewältigen können.

Wir als Bundesregierung haben immer wieder gesagt
– das ist in vielen Debatten, gerade im letzten Jahr, als
wir über die Stabilisierung der Euro-Zone diskutiert ha-
ben, deutlich geworden –: Die Europäische Union ist un-
sere Antwort auf die Fragen, die die Globalisierung an
uns stellt. Das europäische Projekt steht vor ganz ent-
scheidenden Herausforderungen. Viele Krisen sind bei-
leibe noch nicht gelöst, im Gegenteil: Ich nenne die
Schuldenkrise, den Verlust von Wettbewerbsfähigkeit,
die Bedrohungen unserer inneren und äußeren Sicherheit
und den Auftritt neuer Kraftzentren. Wir sind mitten
drin, Antworten auf diese Herausforderungen zu gestal-
ten. Dazu können Deutschland und Frankreich mit ihrem
Vorbild und unserem europäischen Modell einer offenen,
sozialen und toleranten Gesellschaft vieles beitragen.

Das haben wir nicht so gemacht – ich habe es ge-
sagt –, dass wir nur aufeinander geblickt oder versucht
haben, andere zu dominieren. Vielmehr haben wir es von
Anfang an so gemacht, dass wir versuchten, die deutsch-
französische Freundschaft im Dienste einer Öffnung
nach außen zu wenden. Wir haben die deutsch-französi-
sche Freundschaft im Rahmen des Weimarer Dreiecks
exemplarisch um Polen erweitert. Das Weimarer Dreieck
– ich möchte es ganz ausdrücklich hervorheben – steht
ebenfalls für gelebte Nähe und gelebte Nachbarschaft
aufgrund gemeinsam erlebter Geschichte. Es ist zur
nicht mehr wegdenkbaren Ergänzung der deutsch-fran-
zösischen Freundschaft geworden; das sei auch mit
Blick auf unsere polnischen Freunde und Nachbarn aus-
drücklich erwähnt.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, um die Schulden-
krise, die uns aktuell trifft, zu überwinden, muss sich die
EU hin zu einer wirklichen wirtschaftlichen und politi-
schen Union entwickeln. Deutschland und Frankreich
haben die Aufgabe – ich bin davon überzeugt: auch den
Mut –, die hierzu notwendigen Maßnahmen zu treffen.

Bei unserer Zusammenarbeit müssen wir jedoch ein
Missverständnis vermeiden: Die Ziele und Interessen
Deutschlands und Frankreichs sind natürlich nicht im-
mer und automatisch deckungsgleich. Deutschland und
Frankreich bleiben, bei allen Gemeinsamkeiten, zwei
Länder mit vielen Unterschieden im politischen, gesell-
schaftlichen und kulturellen Bereich. Kontroversen ge-
hören in der EU wie auch in der deutsch-französischen
Partnerschaft dazu; sonst wären wir ein Museum.

Um Fortschritte und Kompromisse wurde in der Ver-
gangenheit und wird auch jetzt stets hart gerungen.
Wenn aber erst einmal eine Einigung gefunden war – das
ist das, was Deutschland und Frankreich so besonders
auszeichnet –, dann stand sie, und dann war dieser Kom-
promiss meist auch das Vorbild für eine Einigung in der
gesamten EU. Für mich bestehen deshalb die Aufgabe

und der Beitrag des deutsch-französischen Motors vor
allem darin, europäische Entscheidungen vorzustruktu-
rieren und sie dadurch oft überhaupt erst zu ermögli-
chen. Unsere Fähigkeit zum Kompromiss, trotz aller un-
terschiedlichen Auffassungen und Herangehensweisen,
ist es, was das deutsch-französische Verhältnis so einma-
lig macht und auszeichnet. Deshalb stellt sich die Bun-
desregierung, wenn sie eine europapolitische Position
formuliert, von Anfang an, vom ersten Moment an, die
Frage: Wo steht Frankreich in dieser Angelegenheit?
Diesen deutsch-französischen Reflex, wenn ich es ein-
mal so nennen darf, kann man gar nicht hoch genug
schätzen. So etwas lässt sich nicht vertraglich anordnen,
das wächst über Jahrzehnte.

Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Deutschland und Frankreich können viel voneinander
lernen. Deutschland kann, um ein Beispiel zu nennen,
bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf außeror-
dentlich viel von Frankreich lernen. In diesem Bereich
gibt es viele Impulse, die wir mit Interesse studieren.
Umgekehrt ist, wie wir an den vielen Fragen unserer
französischen Freunde – über alle Parteigrenzen hin-
weg – merken, die duale berufliche Ausbildung in
Deutschland für Frankreich wie für viele unserer Nach-
barn von großem Interesse.

Die gegenseitige Wertschätzung spiegelt sich auch in
dem Bild wider, das die Bürger vom jeweiligen Partner-
land haben. Aus einer ganz aktuellen Umfrage geht her-
vor, dass sowohl in Deutschland als auch in Frankreich
zwischen 80 und 90 Prozent der Bürger die deutsch-fran-
zösische Freundschaft positiv sehen und sie für wichtig
und entscheidend für Europa halten.

Meine Damen und Herren, beim Aufbau unseres zu-
künftigen Europas und bei der Wahrung unseres Wohl-
standes und des europäischen Gesellschaftsmodells ist
Frankreich unser unverzichtbarer Partner. In diesem
Sinne wollen wir den 22. Januar begehen – nicht ver-
steckt, sondern feierlich, festlich und selbstbewusst.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die deutsch-franzö-
sische Freundschaft, sie ist keine Nostalgie und auch
keine Rhetorik; sie ist eine hochaktuelle Strategie, um
unsere Europäische Union Schritt für Schritt voranzu-
bringen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721600700

Wolfgang Gehrcke ist der nächste Redner für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Wolfgang Gehrcke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721600800

Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen! Es

gibt einen Jahrhundertroman für Deutsche und Franzo-
sen: Das ist Erich Maria Remarques Im Westen nichts
Neues. Ich will Ihnen wenige Zeilen aus diesem Roman





Wolfgang Gehrcke


(A) (C)



(D)(B)

vorlesen; denn dort begründet sich die gemeinsame Ver-
antwortung, die wir haben. Remarque schreibt:

Es wird von einer Offensive gemunkelt. Wir gehen
zwei Tage früher an die Front. Auf dem Wege pas-
sieren wir eine zerschossene Schule. An ihrer
Längsseite aufgestapelt steht eine doppelte, hohe
Mauer von ganz neuen, hellen, unpolierten Särgen.
Sie riechen noch nach Harz und Kiefern und Wald.

Diese Särge warteten auf die Soldaten, auf die Franzosen
und auf die Deutschen.

Ich möchte, dass von unserem Parlament eine deutli-
che Botschaft ausgeht: „Nie wieder!“ Für dieses „Nie
wieder!“ muss man aktiv zusammenarbeiten.


(Beifall bei der LINKEN)


Eingegraben in mein Gedächtnis haben sich auch Ge-
spräche mit meinem jüdischen deutsch-französischen
Freund, dem Kommunisten Peter Gingold. Von den Na-
zis verfolgt, nach Frankreich geflohen, kämpfte er in der
Résistance gegen die deutsche Besatzung und somit für
Deutschland. Peter Gingold hat in Frankreich eine hohe
Auszeichnung erhalten, seine Tochter in Deutschland
Berufsverbot. Auch das ist Teil der deutsch-französi-
schen Geschichte, über die wir gemeinsam nachdenken
müssen. Geschichte wird oft dargestellt als eine Ge-
schichte großer Männer, seltener großer Frauen – warum
eigentlich?

Wir können de Gaulle und Adenauer für den Élysée-
Vertrag loben; doch zur Geschichte gemacht haben ihn
Jugendliche, die Schlagbäume und Grenzpfähle ein-
rissen, die sich ernsthaft mit der Vergangenheit ausei-
nandersetzten oder offen für ihre Nachbarn waren. Die
Menschen haben den Weg zur deutsch-französischen
Freundschaft geebnet, und die Politik ist ihnen gefolgt.
Ich finde das gut so.


(Beifall bei der LINKEN)


Wie lebendig können wir von sozialen Bewegungen und
Arbeiterkämpfen in Frankreich lernen, von ihrem Geist
des Widerspruchs und des Spotts über Autoritäten! Als
Jugendlichen hat mich 1968 mitten im brodelnden Paris
der Aufstand der jungen Generation, der Arbeiter und
Intellektuellen mitgerissen. Er kam dann über den Rhein
zu uns. Die ersten Anstöße für eine multikulturelle Ge-
sellschaft kamen aus Frankreich, bevor sie auch uns ein-
holte. Gelöst haben wir beide diese Aufgabe nicht.

Ich hätte in der Erklärung, die wir annehmen werden,
gerne die Sätze gesehen: Es gilt, Rassismus, Antisemitis-
mus und Neofaschismus konsequent entgegenzutreten.
Eine nachhaltige Kultur des Friedens, der Demokratie
und der sozialen Sicherheit liegt im Interesse der Bevöl-
kerungen Frankreichs und Deutschlands. – Auch wenn
diese Sätze nicht in der Erklärung stehen, sollten beide
Parlamente doch in diesem Geiste zusammenarbeiten.

Wenn wir uns die Realität ansehen, dann erkennen
wir, dass eine solche Verpflichtung angesichts der
rechtsextremen Mordserie bei uns bitter notwendig ist.
Zusammen mit meinen kurdischen und französischen
Freundinnen und Freunden trauere ich über den bestiali-

schen Mord an den drei kurdischen Politikerinnen in Pa-
ris. Auch diese gemeinsame Trauer muss zu unserer Ge-
schichte gehören.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Deutschland und Frankreich haben jeweils eine kolo-
niale Geschichte. So etwas prägt die Kolonialmächte ge-
nauso wie die Unterdrückten. Noch immer berühren
mich die wundervollen Gedichte, die Ho Chi Minh über
Frankreich geschrieben hat, gegen das er doch kämpfte.
Wie viele Französinnen und Franzosen, wie viele Deut-
sche waren solidarisch mit den Befreiungskämpfen in
Algerien, Marokko, in Tunesien und Vietnam! Auch das
ist etwas, was uns verbindet.

Umso betrüblicher ist es für mich und meine Fraktion
– ich sage das in voller Übereinstimmung mit der franzö-
sischen Friedensbewegung und der französischen Lin-
ken –, dass sich die französische Regierung zur Militär-
intervention in Frankreichs ehemaliger Kolonie Mali
entschlossen hat. Deutschland und Frankreich können
viel gemeinsam leisten, aber bitte sehr zivil und mit im-
mer weniger Waffen in dieser Welt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe mit Erich Maria Remarque begonnen und
möchte Ihnen zum Schluss noch einen anderen für mich
großen Deutsch-Franzosen zitieren. Karl Marx hat 1844
geschrieben, der deutsche Auferstehungstag werde durch
das Schmettern des gallischen Hahnes verkündet. Viel-
leicht könnten wir Karl Marx heute in Gedanken sagen,
dass der gallische Hahn zu der Wiederauferstehung des
europäischen Gedankens, einer Europäischen Union des
Friedens, der Demokratie und der sozialen Gerechtig-
keit, schmettern wird: Ein anderes Europa ist möglich! –
Ein solches anderes Europa wollen wir gemeinsam mit
Frankreich erreichen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721600900

Das Wort erhält nun der Kollege Frithjof Schmidt,

Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-
erst möchte ich Ihnen, Herr Präsident, einmal danken.
Dass wir heute vor dem Hintergrund einer gemeinsamen
Erklärung der Französischen Nationalversammlung und
des Deutschen Bundestages zur Unterzeichnung des
Élysée-Vertrages vor 50 Jahren debattieren, ist auch
ganz wesentlich Ihrem Einsatz zu verdanken. Das ist ein
gutes Symbol für das europäische Zusammenwachsen
unserer beiden Länder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und der FDP)






Dr. Frithjof Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Ich finde es besonders wichtig, dass wir uns mitten in
einer tiefen europäischen Krise vergewissern, welche
entscheidende Bedeutung die deutsch-französischen Be-
ziehungen haben. Dass wir nach einer langen Geschichte
von Rivalität und Kriegen, von deutscher Aggression
und von den Verbrechen der Nationalsozialisten nicht
nur Partner, sondern europäische Freunde werden konn-
ten, ist das politische Wunder am Rhein im 20. Jahrhun-
dert – nicht weniger als das.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Oliver Luksic [FDP])


Dafür gebührt vor allem den Französinnen und Fran-
zosen Dank. Es war Frankreich, das nach den deutschen
Verbrechen im Zweiten Weltkrieg, nach den Gräueltaten
von Deutschen in Frankreich, bereit war, einen Neuan-
fang in den deutsch-französischen Beziehungen anzuge-
hen. Westdeutschland wurde als europäischer Partner ak-
zeptiert. Das war eine große politische Geste. Es war
auch eine strategische Entscheidung, die den Weg zur
Europäischen Union geebnet hat.

Am Anfang stand 1950 der Schuman-Plan, der 1952
zur Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl, der
Montanunion, geführt hat. 1957 kamen dann die Römi-
schen Verträge über eine Europäische Wirtschaftsge-
meinschaft. Aber erst der Élysée-Vertrag hat mit der
deutsch-französischen Aussöhnung den Durchbruch für
eine neue Qualität des europäischen Zusammenwach-
sens gebracht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Oliver Luksic [FDP])


Ich sage: Diese politische Weitsicht de Gaulles hat eine
entscheidende Grundlage für Frieden und Integration in
Europa geschaffen, und das werden wir nicht vergessen.

Ich finde es sinnvoll, hier einmal kurz zu erwähnen,
welche Auswirkungen der Élysée-Vertrag auf mich ganz
persönlich hatte.

Meine Jugend fand im alten Westdeutschland statt. In
der zweiten Hälfte der 60er-Jahre haben wir in der
Schule Theaterstücke und Texte von Jean-Paul Sartre
und Albert Camus gelesen. Dass die in die Lehrpläne ge-
kommen sind, war eine Konsequenz des Élysée-Vertra-
ges. Die große Politik hatte unten ganz praktische Wir-
kung gezeigt. Da wurden eine Sicht auf die Welt und ein
Lebensgefühl vermittelt, die es so in Deutschland – zu-
mindest in meiner Wahrnehmung – damals kaum gab.
„Existenzialismus“ war das schillernde Zauberwort, das
eine ganze Welt der Kultur und auch der politischen Kul-
tur neu eröffnet hat.

Dann gab es ein Austauschprogramm zwischen mei-
nem Gymnasium und einem französischen Gymnasium
in der Normandie. – Auch eine Auswirkung des Élysée-
Vertrages. 14 Tage fuhr eine deutsche Gruppe nach
Frankreich, 14 Tage kam eine französische Gruppe nach
Deutschland – 14 Tage, die für uns die Welt verändert
haben. Seitdem habe ich auf die Frage nach einer mögli-
chen zweiten Heimat immer spontan „Frankreich“ ge-
antwortet. Deswegen bin ich zutiefst davon überzeugt,

dass Partnerschafts- und Austauschprogramme, und
zwar nicht nur für Studentinnen und Studenten, sondern
für alle Jugendlichen, ganz zentral sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wir müssen sie ausbauen und verbreitern. Da gibt es
eine Menge zu tun.

Nun möchte ich noch einige Bemerkungen zur Be-
deutung von Frankreich und Deutschland in der europäi-
schen Familie machen.

Frankreich und Deutschland verfügen zusammen
über mehr als ein Drittel des Bruttoinlandsproduktes der
Europäischen Union. Das gibt uns objektiv gemeinsam
eine besondere Verantwortung. Wirkungsvolle Entwick-
lung und Fortschritt gibt es vor diesem Hintergrund
nämlich nur, wenn Franzosen und Deutsche an einem
Strang ziehen. Das geht nur gemeinsam mit allen ande-
ren Partnern, aber es geht nicht ohne die beiden zusam-
men.

Allerdings dürfen sie nicht der Gefahr erliegen, ein
Direktorium zu bilden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Deswegen kommt der gemeinsamen Kooperation mit al-
len Partnerländern, gerade auch mit den wirtschaftlich
kleineren Partnerländern, eine besondere Bedeutung zu.
Wenn das nicht beherzigt wird, dann ist das kontrapro-
duktiv. Dafür gibt es in der jüngeren Vergangenheit
durchaus Beispiele.


(Zuruf von der CDU/CSU: Unerhört!)


Die Verteidigung wichtiger politischer, sozialer und
ökologischer Errungenschaften Europas ist eine ent-
scheidende Herausforderung in der Globalisierung. Da-
her gibt es objektiv ein überragendes Eigeninteresse der
Mitgliedstaaten der Europäischen Union, sich gemein-
sam weiterzuentwickeln und die Union zu vertiefen.
Deutschland und Frankreich markieren dabei ganz unter-
schiedliche Ausprägungen der Demokratie. Das heißt
nicht etwa besser oder schlechter, sondern eben anders.
Manche Experten bezeichnen das Modell in Frankreich
als eine Exekutivdemokratie oder Präsidialdemokratie
und das in Deutschland als eine parlamentarische Demo-
kratie. Das führt in der Praxis zu ganz unterschiedlichen
Diskursen über Entscheidungsprozesse, ihr Tempo, ihre
Kontrolle, ihre Umsetzung, und das führt gelegentlich
auch zu Missverständnissen.

Ich glaube, dass keines der beiden Modelle eine Lö-
sung für die Vertiefung der Demokratie in der Europäi-
schen Union darstellt. Vielleicht muss es ein Kompro-
miss aus beiden Modellen sein, der Europa den Weg
weist. Vielleicht ist das ja die zeitgemäße Form der Fort-
schreibung des Élysée-Vertrages im 21. Jahrhundert. Das
wäre ein großes Thema für die weitere Diskussion zwi-
schen den beiden Parlamenten und Regierungen über die
Vertiefung der Europäischen Union. Diese Union
braucht eine Vertiefung, wenn sie sich in der Globalisie-
rung auf lange Sicht selbst behaupten will.





Dr. Frithjof Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Danke für die Aufmerksamkeit.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721601000

Thomas Silberhorn ist der nächste Redner für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Thomas Silberhorn (CSU):
Rede ID: ID1721601100

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Dass der Élysée-Vertrag eine so fundamentale Bedeu-
tung für die europäische Integration erlangen würde, war
bei der Unterzeichnung am 22. Januar 1963 in Paris
nicht absehbar. Im Gegenteil! Dieser Vertrag war gerade
in Deutschland heftig umstritten. Die Atlantiker haben
im Gegensatz zu den Gaullisten befürchtet, dass ein bila-
teraler Vertrag mit Frankreich zulasten der transatlanti-
schen Partnerschaft gehen könnte. Eine Besorgnis, die
sich nicht bewahrheitet hat.

Dieser Vertrag hat aber nicht nur den bilateralen Be-
ziehungen zwischen Deutschland und Frankreich einen
Rahmen gegeben. Vor allem ist es damit gelungen, auf
nur fünf Seiten die Grundlagen für Versöhnung, für Zu-
sammenarbeit, für Frieden in Europa zu schaffen. Dieser
Vertrag prägt die Entwicklungslinien der gesamten euro-
päischen Integration bis heute. Das war und bleibt das
maßgebliche Verdienst von zwei großen Staatsmännern,
des französischen Staatspräsidenten Charles de Gaulle
und des deutschen Bundeskanzlers Konrad Adenauer.

Es gibt auf der Welt kaum zwei Staaten, die so enge
Beziehungen pflegen wie Deutschland und Frankreich.
Das ist das Ergebnis einer in der Geschichte bisher ein-
maligen Aussöhnung ehemaliger Erbfeinde, wobei ich
zu denen gehöre, die das Wort „Erbfeinde“ nur in Anfüh-
rungszeichen verwenden; denn die Versöhnung zwi-
schen Deutschen und Franzosen beweist: Feindschaft ist
nicht erblich.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Feindschaft sitzt nicht in den Genen, sondern in den
Köpfen. Feinde können Freunde werden, wenn sie es
denn wirklich wollen. Feindschaft kann also überwun-
den werden. Wir, Deutsche und Franzosen, haben sie
überwunden. Das ist die zentrale und bis heute aktuelle
Botschaft des Élysée-Vertrags für Europa und die Welt.

Aber Freundschaft ist auch nicht vererbbar. Freund-
schaft muss gepflegt werden. Freundschaft muss ständig
erneuert werden. Deswegen geht es darum, die Freund-
schaft zwischen Deutschen und Franzosen Jahr für Jahr
lebendig zu erhalten und von Generation zu Generation
weiterzuentwickeln. Das ist unser gemeinsamer Auftrag
aus 50 Jahren Élysée-Vertrag.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, wir haben
nicht nur auf der Ebene der Regierungen ein eng ge-

knüpftes Netz zwischen Deutschland und Frankreich,
sondern wir haben auch in vielen Kommunen, in den
Ländern im Bereich der Kultur, der Wissenschaft und bei
der Sprachförderung eine enge Kooperation. Circa
300 deutsch-französische Vereinigungen, regionale Part-
nerschaften, kommunale Partnerschaften: All das bildet
ein starkes Wurzelgeflecht zwischen unseren Bürgern.
Wir haben uns auch seitens des Deutschen Bundestages
und der Assemblée nationale im Februar 2010 eine ge-
meinsame deutsch-französische Agenda 2020 gegeben,
mit der wir 80 neue Projekte der Zusammenarbeit bis
zum Jahr 2020 umsetzen wollen.

Dass die Jugendarbeit einen besonderen Stellenwert
in unseren Beziehungen hat, ist von nahezu allen Vorred-
nern zu Recht betont worden. In diesem Zusammenhang
kann die Leistung des Deutsch-Französischen Jugend-
werkes nicht genug gewürdigt werden. Seit 1963 haben
die Programme des Deutsch-Französischen Jugendwer-
kes mehr als 8 Millionen Teilnehmer erreicht. Dieser
Austausch zwischen deutschen und französischen Ju-
gendlichen bleibt eine wesentliche Voraussetzung für
eine gute Entwicklung unserer künftigen bilateralen Be-
ziehungen und für die Entwicklung der europäischen In-
tegration. Deswegen will ich den jungen Leuten zurufen:
Bewahrt euch eure Neugier aufeinander, und bewahrt
euch das Interesse füreinander!


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Meine sehr geehrten Damen und Herren, die enge
Verbindung zwischen Frankreich und Deutschland ist
umso höher einzuschätzen, als wir aus teilweise sehr un-
terschiedlichen Traditionen kommen, beispielsweise was
unsere Auffassungen von Wirtschaftspolitik betrifft, die
Ausgestaltung des politischen Systems, der Parteien-
landschaft, den Stellenwert von Religion, das Bildungs-
system und viele andere Dinge mehr. Aber genau weil
unsere Ausgangsvoraussetzungen so unterschiedlich
sind, hat unsere Zusammenarbeit, hat unsere Verständi-
gung einen so hohen Stellenwert, nicht nur für die bilate-
ralen Beziehungen, sondern auch für die europäische
Integration insgesamt. Das ist der Grund, weshalb
Deutschland und Frankreich zu Pionieren und zur Trieb-
feder der europäischen Integration geworden sind. Ob
Binnenmarkt, Schengen-Abkommen, Wirtschafts- und
Währungsunion, Gemeinsame Außen- und Sicherheits-
politik: Alle wegweisenden europäischen Initiativen der
letzten Jahre und Jahrzehnte wären ohne den engen
Schulterschluss zwischen Deutschland und Frankreich
undenkbar gewesen.

Wir wissen freilich auch, dass eine Einigung zwi-
schen unseren beiden Ländern alleine die Kompro-
missfindung auf europäischer Ebene noch nicht ersetzt,
sondern dass sie dafür eher ein Ausgangspunkt ist. Des-
wegen müssen wir betonen: Die deutsch-französische
Kooperation im Rahmen der Europäischen Union war
nie als Bevormundung zu verstehen, sondern es war im-
mer eine Einladung zur Zusammenarbeit an alle. Ich
würde es deswegen begrüßen, wenn wir unsere Bezie-
hungen auch zu anderen Partnern der Europäischen





Thomas Silberhorn


(A) (C)



(D)(B)

Union wie Italien oder Polen vertiefen, die ihrerseits
eine integrierende Wirkung in ihrem regionalen Umfeld
entfalten können. Wir haben mit dem Weimarer Dreieck
dafür ein Format, das sich zwischen Deutschland, Frank-
reich und Polen etabliert hat. Das ist das Zeugnis eines
gelungenen Aussöhnungsprozesses zwischen Deutsch-
land und unseren beiden größten europäischen Nachbarn
im Westen und im Osten.

Meine Damen und Herren, es fehlt nicht an Themen
für die künftige Zusammenarbeit zwischen Deutschland
und Frankreich: die Weiterentwicklung der Wirtschafts-
und Währungsunion, die Stärkung der Gemeinsamen
Außen- und Sicherheitspolitik, die Energiepolitik und
die Luft- und Raumfahrtindustrie. Bei all diesen Themen
gilt es, im Geiste des Élysée-Vertrages unsere Partner-
schaft immer wieder mit Leben zu erfüllen. Dieses
Signal sollten wir in der nächsten Woche bei der gemein-
samen Sitzung der Assemblée nationale mit dem Deut-
schen Bundestag hier in Berlin geben. Ich freue mich da-
rauf.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721601200

Ich erteile das Wort dem Kollegen Axel Schäfer für

die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Axel Schäfer (SPD):
Rede ID: ID1721601300

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir

sind in diesem Parlament geteilt, nämlich in fünf ver-
schiedene Fraktionen, richtigerweise; wir sind aber auch
vereint in vielen gemeinsamen Überzeugungen. Gerade
heute sollte Anlass sein, dieses deutlich zu machen.

Dass wir alle miteinander die deutsch-französische
Verständigung, besser gesagt die deutsch-französische
Freundschaft, als unverrückbare Grundlage unserer eige-
nen Politik verstehen, ist einer der ganz großen Erfolge
der Politik der letzten 50 Jahre. Dann gehört es sich auch
für einen Sozialdemokraten, einen Christdemokraten
wie Konrad Adenauer ausdrücklich zu loben. Auch das
sollte in diesem Hause selbstverständlich sein.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Da wir Parlamentarierinnen und Parlamentarier sind,
kommt es gerade auch heute darauf an, auf wichtige par-
lamentarische Entwicklungen, die etwas mit Deutsch-
land, Frankreich und Europa zu tun haben, noch einmal
ausdrücklich hinzuweisen.

Erstens. Wir, das heißt unsere Vorgängerinnen und
Vorgänger, haben es nach vielen Debatten im Deutschen
Bundestag – und das war sicherlich auch unter den Kol-
leginnen und Kollegen der Assemblée nationale streitig
– auf Basis einer Initiative des sozialdemokratischen
Kanzlers Helmut Schmidt und des französischen Staats-
präsidenten Giscard d’Estaing hinbekommen, dass erst-

mals ein Parlament über Ländergrenzen hinaus direkt
gewählt wird, nämlich 1979 das Europäische Parlament.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das war eine Jahrhundertentscheidung für die parlamen-
tarische Demokratie, und die hat etwas mit dieser sehr
intensiven, vertrauensvollen Zusammenarbeit – auch auf
parlamentarischer Ebene – mit Deutschland und Frank-
reich zu tun. Das sollten wir gerade an diesem Tag noch
einmal unterstreichen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir sollten auf ein Zweites hinweisen, weil auch das
zu oft vergessen wird: Die Realisierung der deutschen
Vereinigung – das heißt, der rechtliche Akt, wie die
DDR der Bundesrepublik beigetreten ist – war nur mög-
lich, weil in Europa ein kluger und solidarischer Kom-
missionspräsident, der französische Sozialist Jacques
Delors, zusammen mit dem Europäischen Parlament ein
Verfahren gewählt hat – es war eine dänische Kollegin,
die das dann organisiert hat –, das keine jahrelangen Bei-
trittsverhandlungen über die Integration voraussetzte,
die wir sonst hätten führen müssen und die uns unge-
heure rechtliche Schwierigkeiten bereitet hätte. Dadurch
ist die Wiedervereinigung auf sehr sanfte, vor allen Din-
gen auf sehr zügige und sehr auf Gemeinschaft angelegte
Weise möglich geworden. Das war für die deutsche Wie-
dervereinigung 1990 eine ganz wichtige Voraussetzung.

Gleichzeitig war es eine ganz wichtige Aussage, dass
auch Kolleginnen und Kollegen aus der früheren DDR,
vom Bundestag entsandt, ins Europäische Parlament ka-
men. Das war ein Novum in der parlamentarischen De-
mokratie und auch ein Ausdruck der deutsch-französi-
schen Zusammenarbeit zwischen den Ländern und im
Parlament.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)


Drittens. Wir müssen uns jetzt, wo die staatliche und
die institutionelle Zusammenarbeit außer Frage steht,
selbstkritisch fragen, wie wir die parlamentarische und
auch die parteipolitische Zusammenarbeit verbessern
können, weil das das Fundament ist, auf das wir die
nächsten Jahrzehnte gründen. Wir haben gelernt, dass es
gut ist, sich auf deutsch-französischer Ebene zu verstän-
digen. Christdemokraten haben gelernt, sich mit den
jeweiligen Parteiformationen zusammen- und auseinan-
derzusetzen. Das gilt für die Liberalen in Frankreich si-
cherlich genauso. Ich fand es gut, dass die Grünen in
Person von Daniel Cohn-Bendit ausprobiert haben, wie
es ist, wenn man sowohl in Deutschland als auch in
Frankreich kandidiert; das war ganz wichtig. Ich fand es
auch wichtig, dass die Linkspartei bei einer Reihe von
Problemen Resolutionen gemeinsam mit ihren französi-
schen Bruder- und Schwesterorganisationen vorgelegt
hat. Natürlich können Sie nicht erwarten, dass ich diesen
immer zustimme.





Axel Schäfer (Bochum)



(A) (C)



(D)(B)


(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Immer öfter!)


Aber es ist wichtig, dass man so etwas praktiziert.

Ich erinnere daran, dass wahrscheinlich das erste ge-
meinsame parlamentarische Gesetzgebungsprojekt in
Europa hier im Deutschen Bundestag 2011 gestartet
worden ist. Das war die Gesetzgebungsinitiative der
SPD zur Finanztransaktionsteuer, die am selben Tag von
der Parti socialiste in der Assemblée nationale gestartet
wurde. Ich bin froh, dass wir nach dieser Initiative und
dem Regierungswechsel in Frankreich das auch prak-
tisch vorangebracht haben. Das zeigt die deutsch-franzö-
sischen und auch die europäischen Gemeinsamkeiten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Viertens. Unabhängig von meiner parteipolitischen
Präferenz wünsche ich mir, dass alle hier im Saal die
Möglichkeiten nutzen, die Beziehungen zu Frankreich
über Städtepartnerschaften hinaus auszubauen. Für mich
war es eine außergewöhnliche Erfahrung, im letzten Jahr
im Präsidentschaftswahlkampf in Frankreich aufzutre-
ten. Man ist dann auch gezwungen, seine Französisch-
kenntnisse zu aktivieren und einiges neu zu erlernen; das
war wichtig. Das haben Frank Steinmeier, Peer
Steinbrück, Sigmar Gabriel, Martin Schulz und andere
Abgeordnete der SPD ebenfalls gemacht. Ich appelliere
an die anderen Parteien und Fraktionen, sich daran ein
Beispiel zu nehmen. Denn das macht deutlich: Ja, wir
sind Deutsche und Franzosen, aber wir gehören in
Europa zu verschiedenen Parteifamilien. – Das führt zur
Festigung des Fundaments, oder, wie es der bedeutende
Franzose Jean Monnet gesagt hat: Es geht immer um die
Solidarität der Tat. – Das sollten wir jeden Tag aufs Neue
praktizieren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721601400

Nächster Redner ist der Kollege Oliver Luksic für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Oliver Luksic (FDP):
Rede ID: ID1721601500

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Was würden wir heute der Jugend sagen? General de
Gaulle hat seine Vision zu Deutschland, Frankreich und
Europa in Ludwigsburg grandios dargelegt. Ich bin der
festen Überzeugung: Wir brauchen jetzt eine neue
Erzählung, eine neue Vision für Europa. Der Élysée-
Vertrag ist das Fundament der deutsch-französischen
Erfolgsgeschichte, die uns Frieden, Freiheit und Wohl-
stand gebracht hat. Wir müssen sie jetzt ergänzen um
neue, konkrete deutsch-französische Projekte.

Adenauer und de Gaulle hatten eine klare Vision von
Europa. Nach Ende des Krieges und der Rivalitäten war
der Vertrag ein historischer Schritt hin zu einer neuen,
friedlichen Zukunft. Heute sind aber die Erinnerungen
an Konflikte und Kriege nicht mehr so präsent. Der Ruf
nach Frieden und Sicherheit ist nicht mehr allzu laut.
Dementsprechend muss sich auch die Botschaft der
deutsch-französischen Freundschaft in unserer Zeit ein
Stück weit wandeln. Im Europa der 27 mit stärkeren
supranationalen Institutionen haben die deutsch-franzö-
sischen Beziehungen am Anfang ein Stück weit an
Bedeutung verloren. Aber gerade die Euro-Krise hat
gezeigt: Die Zusammenarbeit beider Länder wurde wie-
der gestärkt. Eine starke Freundschaft ist und bleibt
wichtig. Europa braucht gerade jetzt mitten in der Euro-
Krise einen starken deutsch-französischen Motor.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Nach dem von Europa geprägten 19. und dem eher
von Amerika geprägten 20. Jahrhundert wird nun Asien
eine wichtige Rolle spielen. Da Europa bald nur noch
7 Prozent der Weltbevölkerung repräsentiert, brauchen
wir ein wirtschaftlich und politisch starkes, vereintes
Europa. In Deutschland haben wir es mit wachsender
Euro-Skepsis zu tun; das hat man auch in Frankreich,
Stichwort „Ablehnung der EU-Verfassung“. Wir sehen,
dass gerade unter jungen Menschen ein Stück weit Miss-
trauen gegenüber Europa herrscht. Dagegen muss man
angehen; denn wie de Gaulle richtig erkannt hat, brau-
chen wir gerade die jungen Generationen, um eine
stabile Zukunft zu schaffen. In diesen Generationen
muss auch der europäische Patriotismusgedanke eine
stärkere Rolle spielen; denn Europa hat seinen Preis. Wir
müssen aber auch stärker seinen Wert erkennen. Wer ein
vereintes Europa will, der muss auch Bewusstsein für
die Werte schaffen, die uns hier in Europa von allen an-
deren Regionen der Welt unterscheiden. Ich glaube, auf
die europäische Erfolgsgeschichte können wir hier im
Deutschen Bundestag wirklich stolz sein.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir müssen dringend Projekte stärker fördern, die
eine deutsch-französische Zusammenarbeit direkt er-
fahrbar machen, gerade in den Grenzregionen. Hier
funktioniert das „deutsch-französische Labor“ am bes-
ten. Projekte zwischen weit entfernten Regionen machen
wenig Sinn. Deswegen müssen wir uns hier auf die
Grenzregionen fokussieren, und wir müssen das Ver-
ständnis der Länder füreinander stärker fördern. Gerade
die neueste Umfrage des SR in Zusammenarbeit mit
ARD, Arte, Deutschlandfunk und Radio France hat ge-
zeigt, wie sich das Deutschland- und das Frankreichbild
auf beiden Seiten des Rheins geändert hat.

Verständnis für beide Seiten kommt nicht nur durch
parlamentarische Treffen, durch Regierungszusammen-
arbeit zustande, sondern vor allem dann, wenn unsere Ge-
sellschaften zusammenkommen. Verständnis kommt
durch mehr gemeinsame konkrete Projekte zustande. Ins-
besondere im Bereich Bildung/Kultur haben wir einige





Oliver Luksic


(A) (C)



(D)(B)

Erfolge vorzuweisen, an die wir anknüpfen müssen: die
deutsch-französischen Gymnasien – ich durfte sie besu-
chen –, die Deutsch-Französische Hochschule in Saarbrü-
cken, Austauschprogramme des Deutsch-Französischen
Jugendwerkes, „Erasmus“-, „Sokrates“-Programme. Diese
Programme laufen gut und müssen jetzt durch Alumni-
netzwerke ergänzt werden.

Aber wir haben noch viel Verbesserungsbedarf.
Schauen wir uns einmal den Arbeitsmarkt an. Wir haben
bei uns in Deutschland in vielen Regionen Fachkräfte-
mangel. Gerade im deutsch-französischen Grenzbereich,
in Frankreich ist die Jugendarbeitslosigkeit hoch.
Gleichzeitig nehmen die Sprachkompetenzen – es wurde
eben zu Recht angesprochen – eher ab als zu. Deswegen
müssen wir Schritte hin zu einem deutsch-französischen
Ausbildungs- und Arbeitsmarkt gehen. Die Abschlüs-
se müssen gegenseitig besser anerkannt werden. Der
Spracherwerb muss gestärkt werden. Das wären kon-
krete Vorteile, die gerade junge Menschen, deutsche und
französische Jugendliche, am eigenen Leib erfahren
würden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ein anderes Thema ist die grenzüberschreitende me-
dizinische Versorgung, die in der Praxis immer noch
nicht funktioniert. Wenn man auf der französischen Seite
einen Herzinfarkt hat und sich in Deutschland behandeln
lassen will, funktioniert das eben immer noch nicht im
Hinblick auf Krankenkassen und andere Institutionen.
Das muss sich ändern, wenn wir Europa wirklich erfahr-
bar machen wollen.

Wir brauchen mehr Leuchtturmprojekte im Bereich
Forschung und Entwicklung. Frankreich ist und bleibt
unser wichtigster Handelspartner. Unsere Basis für
Wohlstand auf beiden Seiten des Rheins sind Forschung
und Entwicklung. Da müssen wir neue Leuchtturm-
projekte schaffen. Das ist wichtig für das Europa von
morgen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Lassen Sie mich zum Abschluss sagen: Die deutsch-
französischen Beziehungen haben immer Höhen und
Tiefen gehabt. Im Europa der 27 brauchen wir in der Tat
noch stärker das Weimarer Dreieck. Wir brauchen jetzt
aber vor allem einen deutsch-französischen Motor, der
Impulse liefert, weil Europa eben nicht das Problem ist,
sondern die Lösung. Wir müssen stärker neue Chancen
schaffen für junge Menschen. Wir brauchen Projekte mit
Mehrwert für beide Seiten des Landes, gemeinsame Aus-
bildungen, einen gemeinsamen Arbeitsmarkt, Leucht-
turmprojekte in Forschung und Entwicklung, konkrete
Projekte in den Grenzregionen. Denn nur wenn wir neue
Wege einschlagen, können wir Frieden, Freiheit und
Wohlstand für die junge Generation in Deutschland,
Frankreich und Europa auch in den nächsten 50 Jahren
schaffen und erhalten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721601600

Nächster Redner für die Fraktion Die Linke ist der

Kollege Andrej Hunko.


(Beifall bei der LINKEN)



Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721601700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Auch die

Linke bezieht sich positiv auf die deutsch-französische
Aussöhnung. Sie erkennt auch die Bedeutung der
Élysée-Verträge, die vor 50 Jahren geschlossen worden
sind. Wir beziehen uns maßgeblich – auch positiv – auf
die zivilgesellschaftlichen Komponenten.

Ich selbst war als Jugendlicher mit elf, zwölf Jahren
als Mitglied der C-Jugend einer Fußballmannschaft Teil
eines Austauschprogrammes. Ich erinnere mich sehr gut
an die Atmosphäre in der französischen Gastfamilie, die
uns aufgenommen hat. Ich habe gespürt, welche Bedeu-
tung dieser Austausch für sie hatte und welche Überwin-
dung dahinter stand angesichts der drei Kriege, die
vorangegangen waren. Ich bin sehr dankbar, dass ich
diese Möglichkeit hatte.

Für uns Linke hat die deutsch-französische Koopera-
tion allerdings eine längere Geschichte. Ich will erinnern
an die Französische Revolution 1789, an die Ideen, die
überhaupt die Grundlage auch für eine moderne Linke
gebildet haben, an die utopischen Sozialisten Anfang des
19. Jahrhunderts, die die Arbeiterbewegung und die
Linke in Deutschland im 19. Jahrhundert stark beein-
flusst haben. Ich will erinnern an die Pariser Commune
mit ihrer Praxis der direkten Demokratie, und ich will
erinnern an die antimilitaristischen Traditionen insbe-
sondere im Ersten Weltkrieg und an die Résistance im
Zweiten Weltkrieg. All das waren Vorgänge, Ideen, die
starken Einfluss auf linke Bewegungen in Deutschland
hatten.


(Beifall bei der LINKEN)


Aber auch in der jüngeren Geschichte hat es aus
linker Perspektive Wechselwirkungen gegeben. Die
Gründung der globalisierungskritischen Organisation
Attac ist in Frankreich vollzogen worden. Das linke
Nein zum Verfassungsvertrag 2005, die gute Zusammen-
arbeit der Linken in den Comités du NON haben starken
Einfluss gehabt auf die Gründung unserer Partei in
Deutschland, auf das Projekt einer pluralen Linken. Um-
gekehrt hat diese Gründung Einfluss gehabt auf die
Gründung der Front de gauche in Frankreich. Das sind
wichtige Bezugspunkte für uns, und an derlei werden
wir auch in Zukunft sehr stark arbeiten.

Aktuell werden Frankreich und der französische
Präsident von den internationalen Finanzmärkten sehr
stark unter Druck gesetzt. Davon betroffen sind die
höher entwickelte französische Sozialstaatlichkeit, der
Mindestlohn von 9,40 Euro, der in Frankreich existiert,
das höher entwickelte Sozialsystem. Diesem Druck
müsste sich eine deutsch-französische Solidarität entge-





Andrej Hunko


(A) (C)



(D)(B)

genstellen, statt dass man sich gemeinsam in militärische
Abenteuer stürzt.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich freue mich, dass wir in der nächsten Woche hier
auch die Kolleginnen und Kollegen der Front de gauche
begrüßen können. Für uns ist die deutsch-französische
Zusammenarbeit von links sehr wichtig; Axel Schäfer
hat es eben erwähnt. Wir haben eine Reihe von gemein-
samen Anträgen gestellt, und wir werden das in Zukunft
weiter intensivieren; denn wir sind zutiefst davon über-
zeugt, dass wir einen deutsch-französischen Motor von
links brauchen für eine andere Entwicklung in Europa,
für ein anderes, ein soziales und friedliches Europa.
Daran werden wir in Zukunft sehr intensiv arbeiten.

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Zustimmung des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721601800

Nächster Redner ist der Kollege Gunther Krichbaum

für die CDU/CSU-Fraktion.


Gunther Krichbaum (CDU):
Rede ID: ID1721601900

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Meine sehr geehrten Damen und Herren!
Kollege Schockenhoff hat vorhin schon einiges Richtige
zum Friedensnobelpreis gesagt, über den wir uns alle
freuen können und dessen Kernelemente die deutsch-
französische Aussöhnung und damit natürlich der
Élysée-Vertrag von 1963 sind. Aber ebenso wie der
Friedensnobelpreis hatte auch der Élysée-Vertrag seine
Vorgeschichte. Es war 1950, als der Schuman-Plan
präsentiert wurde, ein mutiger und zugleich genialer
Plan; denn es sollte fortan das unter eine gemeinsame
Verantwortung mit einer gemeinsamen Behörde gestellt
werden, was jahre-, jahrzehnte-, vielleicht sogar jahr-
hundertelang die Ursache militärischer Konflikte und
Kriege war. Es gab unter anderem eine gemeinsame
Verantwortung für Rohstoffe.

Man muss auch hier die Vorgeschichte bedenken: Es
waren damals mutige Männer wie Präsident de Gaulle
und Konrad Adenauer, der erste deutsche Bundeskanz-
ler, die sich über den Trümmerbergen von Europa die
Hände reichten. Deswegen ist es in gewisser Weise,
wenn man so möchte, posthum auch ihr Friedensnobel-
preis.

Auch damals gab es natürlich Schwierigkeiten, etwa
was die Präambel anging; Kollege Silberhorn hat darauf
hingewiesen. Deutschland wollte die neue deutsch-fran-
zösische Achse haben, wie sie danach vielfach bezeich-
net wurde, aber nicht unter Preisgabe der Beziehungen
zu Großbritannien und den USA. Präsident de Gaulle
sprach in Ansehung der Präambel sogar von einer Ent-
wertung des Vertrages. Die Geschichte sollte aber ande-
res lehren.

Die drei Kernelemente waren: regelmäßige Konsul-
tationen der Regierungschefs, Aufbau eines deutsch-
französischen Jugendwerks und natürlich gemeinsame

Zielsetzungen im Bereich der Außenpolitik und der Si-
cherheitspolitik. Gerade Letzteres zeigt, dass der Élysée-
Vertrag auch 50 Jahre nach seiner Unterzeichnung noch
eine Menge an Potenzial hat.

Ja, es ist viel passiert. Viele erinnern sich vermutlich
noch daran, dass es hieß: Die Schlagbäume müssen
brennen zwischen Frankreich und Deutschland. – Es
wurde die Abschaffung der Grenzkontrollen gefordert.
Und siehe da: Jahre später konnten wir mit der Realisie-
rung des Schengen-Raums tatsächlich den Wegfall der
Grenzkontrollen feiern – eine der ganz großen europäi-
schen Errungenschaften, weil es unsere Bürgerinnen und
Bürger zusammenbringt.


(Beifall des Abg. Oliver Luksic [FDP])


Ich darf auch daran erinnern, dass es unter den dama-
ligen Staatsministern Hoyer und Lellouche ein 80-
Punkte-Programm gab, das noch abgearbeitet werden
muss.

Aber auch wir selbst als Parlament müssen eine en-
gere deutsch-französische Zusammenarbeit suchen. Der
Europaausschuss des Deutschen Bundestages und die
Kollegen der Assemblée nationale haben im Januar 2011
eine gemeinsame Delegation gebildet und sind nach
Kroatien gereist. Wir werden das im April wiederholen;
Ziel ist diesmal Serbien. Vielleicht können wir ja das,
was zwischen Deutschland und Frankreich mit dem
Élysée-Vertrag gelungen ist, was der Kern des Friedens-
nobelpreises war, auch in eine Region des sogenannten
westlichen Balkans hineintragen, sodass es dort genauso
friedenstiftend wirken kann. Genau das macht unsere
Europäische Union aus.

Die deutsch-französische Zusammenarbeit wurde oft-
mals als Motor bezeichnet: der Motor Europas, der Mo-
tor der europäischen Integration. Aber ein Auto fährt
nicht mit einem Motor allein. Wir brauchen einander, so
wie man auch bei einem Auto alles braucht. Mit Blick
auf andere Länder der Europäischen Union darf man
deswegen auch an einem solchen Tag sagen: Man sollte
nicht vom vierten Gang in den Rückwärtsgang zurück-
schalten, weil man sonst Gefahr läuft, dass einem das
Getriebe um die Ohren fliegt.

Der kommende Dienstag, an dem wir, exakt 50 Jahre
nach der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages, zusam-
men hier in Berlin feiern dürfen, ist ein Tag der Freude,
ein Geschenk der Geschichte und – man darf auch
sagen – ein Rendezvous des Glücks. Lassen Sie uns in
diesem Sinne weiter an einer Vertiefung der deutsch-
französischen Zusammenarbeit arbeiten! Europa braucht
uns und schaut auf uns.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721602000

Für die SPD-Fraktion hat nun die Kollegin Drobinski-

Weiß das Wort.


(Beifall bei der SPD)







(A) (C)



(D)(B)


Elvira Drobinski-Weiß (SPD):
Rede ID: ID1721602100

Herr Präsident! Sehr verehrte Kolleginnen und Kolle-

gen! Ja, Herr Kollege Krichbaum, Sie haben recht: Der
Élysée-Vertrag hat noch Potenzial, auch weibliches.

Die Zukunft, die Zukunft unserer beiden Völker,
der Grundstein, auf welchem die Einheit Europas
gebaut werden kann und muss, der höchste Trumpf
für die freie Welt, bleiben die gegenseitige Ach-
tung, das Vertrauen und die Freundschaft zwischen
dem französischen und dem deutschen Volk.


(Beifall des Abg. Axel Schäfer [Bochum] [SPD])


Diese Worte richtete 1962 der französische Präsident an
die deutsche Jugend.

Mit einem historischen Freundschaftsvertrag setzten
de Gaulle und Adenauer 1963 dann einen Schlussstrich
unter eine Erbfeindschaft, die jahrhundertelang Krieg
und Zerstörung verursachte.

In der Region meines Wahlkreises, in Baden, in der
Nachbarschaft zum Elsass, haben diese Worte eine ganz
besondere Bedeutung. Immer wieder aufs Neue entlud
sich an den Menschen am Oberrhein der nationalistische
Wahn dieser Erbfeindschaft. Das hinterlässt Narben.
Nach langjähriger grenzüberschreitender Zusammenar-
beit haben etwa Straßburg und ihre deutsche Nachbar-
stadt Kehl erst knapp 60 Jahre nach dem Krieg begon-
nen, sich mit baulichen Projekten sichtbar und spürbar
näher zu kommen. Erst jetzt soll die grenzüberschrei-
tende Straßenbahnverbindung erneut entstehen, die es
schon vor 100 Jahren gab, die aber wegen des Ersten
Weltkrieges ein frühzeitiges Ende fand. Erst jetzt wendet
sich Straßburg auch geografisch seiner deutschen Nach-
barin zu und bebaut das Niemandsland, das sie bisher
trennte. Diese Baustellen zeugen davon, dass wir uns bei
den deutsch-französischen Beziehungen längst noch
nicht in einem Stadium der Denkmalspflege befinden,
sondern mitten im Aufbau. Das gilt auch für den Lebens-
alltag der Menschen.

Der Rhein wandelt sich von einer Grenze zu einem
Element, das verbindet. Wo einst Menschen aufeinander
geschossen haben, kommen heute Menschen zusammen
und erleben einen Alltag, der ganz selbstverständlich
grenzüberschreitend ist.

In diesem Alltag stoßen die Menschen auch noch auf
Barrieren. Wer im Nachbarland einkauft, wohnt, stu-
diert, arbeitet oder Familie hat – wer diese Freiheiten im
geeinten Europa wahrnimmt –, bekommt oft Schwierig-
keiten. Beim Steuerrecht oder bei der Gesundheit kön-
nen das existenzielle Fragen sein. Aber auch banale
Dinge können im deutsch-französischen Alltag Ärger
bereiten. So hat zum Beispiel das Zentrum für Europäi-
schen Verbraucherschutz in Kehl jährlich Zehntausende
von Anfragen, Reklamationen und Rechtsfälle aus ganz
Frankreich und ganz Deutschland zu bearbeiten. Im Be-
reich der Verbraucherpolitik hat sich einiges getan. Doch
es bleibt noch mehr zu tun. In anderen Bereichen, zum
Beispiel bei der Mobilität von Patientinnen und Patien-
ten, stehen wir erst am Anfang.

Nach 50 Jahren Freundschaft in einem vereinten Eu-
ropa besteht zu Recht der Anspruch, dass solche Hürden
im Leben der Menschen verschwinden. Wenn wir uns
wünschen, dass Deutsche und Franzosen wieder neugie-
riger aufeinander werden und sich mehr Menschen mit
der Kultur des Nachbarlandes bekannt machen und auch
persönliche Beziehungen knüpfen, dann müssen wir
diese Hürden abbauen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich glaube, wir sind in Deutschland nach wie vor neu-
gierig auf unsere Nachbarn. Das zeigen nicht nur die Er-
folge von französischen Filmen wie „Ziemlich beste
Freunde“ oder „Willkommen bei den Sch’tis“. Seit 1963
– das ist schon mehrfach genannt worden – hat das
Deutsch-Französische Jugendwerk fast 8 Millionen jun-
gen Deutschen und Franzosen die Teilnahme an Aus-
tauschprogrammen ermöglicht. Ich selbst bin eine von
ihnen und konnte auf diesem Weg meine Brieffreundin
in Nantes persönlich kennenlernen und mich dabei und
auch später mit der französischen Kultur und der Spra-
che vertraut machen.

Ich bedaure, dass inzwischen immer weniger Men-
schen die Sprache des Nachbarn tatsächlich erlernen
wollen. Das ist besonders schade, weil gerade heute, im
Gegensatz zu 1963, der Aufwand minimal ist, mit inte-
ressanten Menschen im Nachbarland in Kontakt zu kom-
men, zum Beispiel über Internetdienste wie Twitter.

Immer wieder wurden seit 1963 neue Impulse in der
deutsch-französischen Beziehung gesetzt. Zum 50. Jah-
restag des Élysée-Vertrages wünsche ich mir besonders
im Bereich der Sprache und Verständigung neue Vor-
stöße.

Sehr geehrte Damen und Herren, was bei uns recht
nüchtern deutsch-französischer Motor heißt, das nennen
unsere Nachbarinnen und Nachbarn etwas romantischer
das deutsch-französische Paar – le couple franco-alle-
mand. Ein Paar, das schon 50 Jahre zusammen ist, muss
sich immer wieder neu kennenlernen. „Nichts kommt
von selbst. Und nur wenig ist von Dauer“, hat Willy
Brandt treffend gesagt. Das gilt auch für die gegenseitige
Achtung, das Vertrauen und die Freundschaft zwischen
Frankreich und Deutschland. Diese Werte müssen wir
stets aufs Neue vermitteln und dabei neue Impulse set-
zen. Nur so schaffen wir eine Art Erbfreundschaft, deren
erste 50 Jahre nur der Anfang waren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721602200

Letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt ist der

Kollege Andreas Mattfeldt für die CDU/CSU-Fraktion.


Andreas Mattfeldt (CDU):
Rede ID: ID1721602300

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! Der Élysée-Vertrag hat – wir haben
es heute gehört – die Politik und die Beziehungen zwi-





Andreas Mattfeldt


(A) (C)



(D)(B)

schen Frankreich und Deutschland auf eine Weise verän-
dert, wie es nie zuvor der Fall war. Ohne die deutsch-
französische Freundschaft, die eben nicht selbstver-
ständlich ist, hätte sich auch Europa ganz anders entwi-
ckelt.

Dabei hat sich immer wieder gezeigt, dass neben den
politischen und wirtschaftlichen Fakten ein Aspekt im
Umgang zwischen Staaten eine besondere Rolle spielt,
und das ist der Faktor „Vertrauen“. Aussöhnung können
wir in schriftlichen Verträgen wie dem Élysée-Vertrag
beschreiben; gelebt wird sie durch gegenseitiges Ver-
trauen und gegenseitige Achtung.

Gerade dieses Vertrauen zwischen beiden Ländern
haben die seinerzeitigen Staatschefs de Gaulle und
Adenauer gelebt und – ich möchte fast sagen – zemen-
tiert. Sie haben es so zementiert, dass alle nachfolgenden
Spitzen beider Länder sich mit großer Hingabe dem Erbe
Adenauers und de Gaulles nicht nur verpflichtet fühlten,
sondern alle in ihrer ganz persönlichen Art dieses aufge-
baute Vertrauen gefestigt und fortentwickelt haben.

Meine Damen und Herren, große Politik hat immer
auch Auswirkungen auf den ganz persönlichen Bereich
der Menschen. Gestatten Sie mir daher einen Schwenk
in den privaten Bereich, um zu verdeutlichen, welche
positiven Auswirkungen der Élysée-Vertrag für uns Bür-
ger hat.

Ich persönlich kann sagen, dass es mich ohne die
deutsch-französische Freundschaft aller Wahrscheinlich-
keit nach nicht geben würde. Denn durch die im Élysée-
Vertrag vereinbarten Städtepartnerschaften haben sich
meine Eltern 1968 kennengelernt. Leider war aufgrund
der Jugend meiner Eltern mein Vater bereits wieder in
Frankreich, als ich in Deutschland geboren wurde. Und
es sollte 35 Jahre dauern, bis ich meine französische Fa-
milie kennenlernen durfte.

Ein besonderes Geschenk war für mich, dass ich bei
meinem ersten Familienbesuch auch noch meine franzö-
sischen Großeltern persönlich kennenlernen durfte. Da-
bei war die größte Überraschung, dass mein Opa sofort
in einem ausgezeichneten Deutsch mit mir sprach. Alle
waren erstaunt, denn niemand, auch nicht in meiner fran-
zösischen Familie, wusste, dass er die deutsche Sprache
so gut beherrschte; hiervon hatte er nie erzählt.

Natürlich fragten wir alle, warum er so gut Deutsch
könne, und er erzählte zum ersten Mal von seiner Ver-
schleppung durch Nazideutschland in den ersten Kriegs-
tagen. Vier Jahre lang musste er in Thüringen in den
unterschiedlichsten landwirtschaftlichen Betrieben un-
ter – wie wir uns alle vorstellen können – zum Teil er-
bärmlichsten Umständen arbeiten.

Diese Zeit wollte er verdrängen, und ich hatte Angst,
dass er seine schlimmen Erfahrungen mit Deutschland
und den Deutschen auch auf mich übertragen würde.
Doch diese Angst war unbegründet; denn er erzählte im-
mer wieder, dass durch die Freundschaft von de Gaulle
und Adenauer auch Freundschaft zwischen den Men-
schen in Deutschland und Frankreich entstanden sei.
Man müsse verzeihen können, so seine Worte. Dies war
für die Generation meiner französischen Großeltern si-
cherlich nicht selbstverständlich.

Verschweigen möchte ich nicht, dass mein Opa mir
Erlebnisse geschildert hat, die zumindest jemanden aus
meiner Generation sehr nachdenklich machen. Er hat
aber auch von Begebenheiten erzählt, die Hoffnung
machten – Hoffnung, dass eben nicht alle Deutschen sei-
nerzeit die Zwangsarbeiter als reine Sklavenarbeiter sa-
hen, sondern einige anders dachten. Meinem Großvater
wurde, wenn auch verbotenerweise, Familienanschluss
geboten. Dennoch ist er nie wieder nach Deutschland ge-
kommen.

Meine Damen und Herren, für mich waren diese Ge-
spräche natürlich hochinteressant. Denn persönliche Er-
lebnisse aus dem Zweiten Weltkrieg kannte ich bis dato
nur aus Schilderungen meiner deutschen Familienmit-
glieder, von denen einige an der französischen Front ein-
gesetzt waren. Allein der Gedanke, dass sich mein deut-
scher und mein französischer Großvater theoretisch im
Krieg hätten töten können, hat schon etwas Unwirkli-
ches.

Meine Damen und Herren, ich glaube, diese persönli-
che Erfahrung macht sehr deutlich, dass gute politische
Verträge wie der Élysée-Vertrag und daraus resultierende
Freundschaften sehr viel Positives für die Menschen be-
wirken können. Ganz persönlich freue ich mich, dass ich
als Mitglied dieses Hauses und als Mitglied des Haus-
haltsausschusses, der auch für das Deutsch-Französische
Jugendwerk zuständig ist, dazu beitragen konnte, dass
das DFJW erstmals seit seiner Gründung zusätzliche fi-
nanzielle Mittel aus Deutschland und – das war für die
Franzosen nicht einfach – auch aus Frankreich erhält.

Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsam
die deutsch-französische Freundschaft weiter leben, im
Interesse eines vereinten Europas, im Interesse nachfol-
gender Generationen.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721602400

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/12056 und 17/11879 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist offensicht-
lich der Fall. Dann sind die Überweisungen so beschlos-
sen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf mich insbe-
sondere für die liebenswürdigen Hinweise auf die Reso-
lution bedanken; einige der Redner haben sie ausdrück-
lich angesprochen. Nach dem Verlauf der Debatte habe
ich den Eindruck, dass wir morgen im Ältestenrat ein-
vernehmlich feststellen können, dass dies der gemein-
same Text ist, den wir hier in der nächsten Woche mit
den französischen Kollegen beschließen wollen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)






Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) (C)



(D)(B)

– Dazu erhebt sich kein Widerspruch. Dann halte ich das
so ausdrücklich fest.

Ich mache Sie zweitens darauf aufmerksam, dass Sie
morgen in Ihren Fächern die Unterlagen zum Programm-
ablauf und zu den einzelnen Veranstaltungen sowie die
Zeitpläne finden werden. Ebenso erhalten Sie eine Re-
produktion der Originalausfertigung des Élysée-Vertra-
ges – er hat heute in dieser Debatte aus guten Gründen
eine zentrale Rolle gespielt –, die dieses historische Er-
eignis bei jedem von Ihnen gewissermaßen in dauerhaf-
ter Erinnerung hält.

Schließlich erlaube ich mir den technischen Hinweis
– möglicherweise hat es da bei dem einen oder anderen
Missverständnisse gegeben –, dass wir in der nächsten
Woche zwar keine Sitzungswoche haben, die gemein-
same Sitzung mit der Assemblée nationale aber selbst-
verständlich ein Sitzungstag des Deutschen Bundestages
ist.

Dann können wir zum nächsten Tagesordnungspunkt
kommen. – Ich werde gerade darauf aufmerksam ge-
macht, dass sich die von mir soeben aufgerufenen Über-
weisungen von Vorlagen auf den Tagesordnungspunkt
beziehen, den wir nun erst behandeln wollen. Ich ver-
mute, dass das an der nachher zu wiederholenden Be-
schlussfassung in der Sache nichts ändern wird. Zu dem
Tagesordnungspunkt, den wir gerade abgeschlossen ha-
ben, gab es keine ausdrücklichen Vorlagen.

Wir kommen jetzt zu den Tagesordnungspunkten 2 a
bis 2 e:

a) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Cornelia Behm, Harald Ebner, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Für eine neue Haltung – Artgerecht statt mas-
senhaft

– Drucksache 17/12056 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

b) Beratung des Antrags der Abgeordneten Friedrich
Ostendorff, Bettina Herlitzius, Dorothea Steiner,
weiterer Abgeordneter und der Fraktion BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN

Dörfer vor Agrarfabriken schützen – Pla-
nungs- und Immissionsrecht verschärfen

– Drucksache 17/11879 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

c) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Dr. Wilhelm

Priesmeier, Willi Brase, Petra Crone, weiterer
Abgeordneter und der Fraktion der SPD

Antibiotika-Einsatz in der Tierhaltung senken
und eine wirksame Reduktionsstrategie um-
setzen

– Drucksachen 17/8157, 17/8611 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Christel Happach-Kasan
Dr. Kirsten Tackmann
Friedrich Ostendorff

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Alexander Süßmair,
Dr. Kirsten Tackmann, Dr. Dietmar Bartsch, wei-
terer Abgeordneter und der Fraktion DIE LINKE

Landwirtschaftliche Nutztierhaltung tierschutz-
gerecht, sozial und ökologisch gestalten

– Drucksachen 17/10694, 17/11817 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Heinz Paula
Hans-Michael Goldmann
Alexander Süßmair
Friedrich Ostendorff

e) Beratung der Beschlussempfehlung und des Be-
richts des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz (10. Ausschuss) zu
dem Antrag der Abgeordneten Friedrich Ostendorff,
Cornelia Behm, Harald Ebner, weiterer Abgeord-
neter und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜ-
NEN

Haltungsbedingungen für Puten verbessern

– Drucksachen 17/11667, 17/12048 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Dieter Stier
Heinz Paula
Dr. Christel Happach-Kasan
Alexander Süßmair
Friedrich Ostendorff

Für diese Aussprache sind nach einer interfraktionel-
len Vereinbarung eineinviertel Stunden vorgesehen. –
Auch dazu sehe ich keinen Widerspruch, sodass wir so
verfahren können.

Ich eröffne die Aussprache und erteile der Kollegin
Renate Künast, Bündnis 90/Die Grünen, das Wort.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721602500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! In dieser

Woche beginnt die Internationale Grüne Woche. Das
zeichnet die Situation aus: Auf der Internationalen Grü-
nen Woche – das ist sozusagen die Leistungsschau der
Landwirtschaft – wird wahrscheinlich wieder gezeigt,





Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

wie eine Kuh dazu gebracht werden kann, pro Jahr weit
mehr als 10 000 Liter Milch zu geben. Zeitgleich wird
hier ganz in der Nähe eine Demonstration unter dem
Motto „Wir haben es satt!“ stattfinden. Denn es gibt in
diesem Land immer mehr Menschen, die sagen: Wir ak-
zeptieren nicht mehr, dass mit Tieren so umgegangen
wird, dass Tiere nicht mehr artgerecht gehalten werden,
sondern nur noch auf Masse gesetzt wird. – In unserem
Land gibt es mittlerweile über 200 Bürgerinitiativen, da-
von allein 80 im Land Niedersachsen, die sagen: Schluss
mit den Megaställen, den Megaschlachthöfen, Schluss
mit der Massentierhaltung!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])


Diese Woche findet noch etwas anderes statt. Frau
Aigner tut immer so, als sei gar nichts zu verändern, weil
alles so gut ist. Der niedersächsische Landwirtschaftsmi-
nister ließ sich neulich sogar zu der Behauptung herab,
in der Landwirtschaft gebe es gar keinen Veränderungs-
bedarf. Ich sage Ihnen aber: Der Druck ist groß. Der
Druck ist auch bei Ihnen groß, weil Sie merken, dass die
Verbraucherinnen und Verbraucher und auch die bäuerli-
che Landwirtschaft Ihr Zugehen auf die Agrarindustrie
nicht mehr akzeptieren wollen. Warum sonst sollte sich
Frau Aigner selbst einladen, um heute beim Tierschutz-
bund die „Initiative Tierwohl-Label“ vorzustellen? Sie
hat an dieser Stelle gar nichts vorzuweisen, nur die auf-
gedrängte Bereicherung durch Anwesenheit einer Minis-
terin.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Noch putziger – ich weiß gar nicht, wann es das je-
mals gab –: Der Druck, wegen der Tierhaltung auf dem
Lande die Wahl am Sonntag zu verlieren, ist in der
Union so hoch, dass sogar die Bundeskanzlerin Angela
Merkel an diesem Freitag zur Eröffnung der Internatio-
nalen Grünen Woche erscheint.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Glaubwürdig sind Sie mit Ihrer Politik trotzdem nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Davon kann gar nicht die Rede sein. Ein kleiner Rund-
gang ändert das nicht.

Letztes Jahr hat Frau Aigner auf der Internationalen
Grünen Woche eine Charta für die Landwirtschaft vor-
gestellt.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Ja!)


Das ist aber nur schöner Schein auf Hochglanzpapier,
sonst nichts. Wahr ist: Die Union, CDU und CSU, ist im-
mer noch Erfüllungsgehilfe der Agrarindustrie, der
Großmastanlagen und der Megaschlachthöfe.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das ist ein Skandal! – Stefan Müller [Erlangen] [CDU/ CSU]: Quatsch! – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Bei Ihnen heißt es immer noch: Massenware, Dumping-
preise und Weltmarktorientierung. Bei Ihnen heißt es im-

mer noch: Investitionshilfen vor allem für jene Betriebe,
die expandieren wollen, statt für jene, die auf Qualität
setzen. Es geht bei Ihnen sogar so weit, dass Sie Her-
mesbürgschaften für Hühnerknäste vergeben, nicht nur
in der Ukraine, sondern sogar in Weißrussland. Damit
machen Sie den hiesigen Bauern durch deutsche Steuer-
gelder Konkurrenz.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Wie ist es denn bei Ihnen? Sie haben doch die Globalisierung vorbereitet!)


Das ist garantiert nicht die Partei, die für die Bauern in
Deutschland steht.

Unter Ihrer Regierung hat sich seit 2007 die Zahl der
Masthühner pro Betrieb mehr als verdoppelt. Dieses
wachstumsgetriebene Agrarmodell befindet sich nicht
nur in einer Krise, es treibt die Landwirtschaft immer
weiter in die Krise hinein. Immer weniger Bauern kön-
nen ein angemessenes Einkommen erwirtschaften. In der
Massentierhaltung herrschen verheerende Zustände:
durch systematische Tierquälerei bei Zucht und Haltung
und durch den missbräuchlichen Einsatz von Antibio-
tika. Die Auswirkungen dieses Missbrauchs können
mittlerweile im Schweinemett festgestellt werden. Die
Qualität des Grundwassers ist wegen der hohen Nitratbe-
lastung vielerorts beängstigend. Schauen Sie sich an, wie
viele Böden allein in Niedersachsen überbelastet sind.
Sie hingegen verbreiten den Eindruck, als würden wir all
das schöne Fleisch produzieren, um die Ernährung in der
Welt zu sichern, dabei ist es umgekehrt. Die grausame
Wahrheit ist: Der Anbau von Tierfutter im Ausland, zum
Beispiel in Brasilien und Argentinien, der für unsere
Massentierhaltung notwendig ist, macht uns vor allen
Dingen zum Nahrungsmittelkonkurrenten für arme Men-
schen, das heißt, wir produzieren Hunger in Brasilien
und Argentinien. Das ist die Wahrheit!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Das ist vollkommener Blödsinn! Das wissen Sie doch!)


– Herr Schweickert ruft: „vollkommener Blödsinn“,
Herr Schindler winkt gleich ab. Ich weiß nicht, ob das
Ihr Verständnis von Parlamentarismus ist. Fahren Sie
hin, lesen Sie ein gutes Buch darüber, dann wissen Sie,
wie massiv der Anbau in den Regionen vor Ort ist.

Sie haben mit Ihrer Art der Förderung die Öffentlich-
keit getäuscht. Bei Ihnen steht nicht „bäuerliche Land-
wirtschaft“ und „Tierwohl“ drauf.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Bei uns steht „Zum Wohl“ drauf!)


Mit Ihrem Tierschutzpaket, das eine totale Pleite ist, ver-
hindern Sie eine Neuausrichtung der Landwirtschaft. Sie
sind verantwortlich für die quälerische Haltung von Tie-
ren und für einen regelmäßigen Antibiotikaeinsatz.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Sie waren doch schon einmal in der Verantwortung, Frau Künast!)






Renate Künast


(A) (C)



(D)(B)

Kein Wunder, dass die Ministerin letztes Jahr zum „Di-
nosaurier des Jahres“ gekürt worden ist.

Eines ist klar: Es gibt eine wachsende Bürgerbewe-
gung, die sich das nicht bieten lässt. Die Verbraucher las-
sen sich diesen Mangel an Information nicht bieten. Wir
haben es satt! Deshalb gehen auch wir zur Demonstra-
tion. Die Menschen haben ein Recht, sich ein Stück Hei-
mat zu erhalten, statt den Großinvestoren den Boden zu
überlassen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721602600

Frau Kollegin.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721602700

Die Bauern haben das Recht, Klasse statt Masse zu

produzieren. Die Bauern haben das Recht, dass wir die
öffentlichen Gelder für sie und nicht für irgendwelche
Agrarinvestoren auf dieser Welt ausgeben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Sie waren doch auch schon einmal dran!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721602800

Das Wort erhält nun für die Bundesregierung die Bun-

desministerin für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz. – Bitte schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ilse Aigner, Bundesministerin für Ernährung, Land-
wirtschaft und Verbraucherschutz:

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ja, es ist richtig: In dieser Woche haben wir
wieder die Freude, die Grüne Woche zu eröffnen, und
unsere Bundeskanzlerin wird die Grüne Woche, eine be-
eindruckende Leistungsschau, mit eröffnen, weil sie ihre
Wertschätzung für diese Branche zeigen möchte, die
qualitativ hochwertige Lebensmittel zu bezahlbaren
Preisen produziert. Das verdient nach wie vor große An-
erkennung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Nur Sie, meine Damen und Herren von den Grünen,
versuchen jedes Jahr wieder, unsere Landwirte und die
gesamte Branche schlechtzureden.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: So ist es! – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Genau!)


Ich bin dankbar, dass wir heute diese Debatte führen.
Das ist eine gute Gelegenheit, mit den von Ihnen immer
wieder in den Raum gestellten Falschbehauptungen auf-
zuräumen. Ich habe es satt, von Ihnen immer wieder die-
selben falschen Behauptungen zu hören.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Das bedeutet nicht, dass ich bestehende Probleme
oder Fehlentwicklungen hier klein- oder wegreden will.
Ja, wir werden beim Thema Antibiotika etwas machen.
Wir wissen auch, dass es Diskussionen über die Vieh-
dichten gibt. Deshalb habe ich den Charta-Prozess ein-

geleitet, in dem die Verbraucherverbände mit den Vertre-
tern der Landwirtschaft zusammengebracht werden.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Showveranstaltung! Außer Show nichts gewesen!)


Sie hingegen bedienen Vorurteile, liebe Kolleginnen
und Kollegen von den Grünen. Sie führen Studien durch,
die keine Neuigkeiten bringen und deren Seriosität zu
bezweifeln ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ihre Stimmungsmache sehe ich in der Tat mit großer
Sorge. Tatsache ist, dass viele Menschen heutzutage kei-
nen persönlichen Bezug mehr zur Landwirtschaft haben.
Diese Menschen dürfen keinen falschen Eindruck be-
kommen. Deshalb werden wir als christlich-liberale Ko-
alition Ihre Kampagne nicht unerwidert lassen. Wir ar-
beiten nicht mit Abschreckung, sondern wir arbeiten an
der Herstellung einer neuen Nähe zwischen Landwirt-
schaft und Verbrauchern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Vier Punkte will ich nennen:

Erste Falschbehauptung: Unsere Agrarpolitik fördert
die Massenproduktion und dient nicht dem Umwelt-
schutz. – Tatsache ist: Wir in Deutschland haben im Ge-
gensatz zu fast allen europäischen Nachbarn Prämien,
die nicht mehr an die Produktion gekoppelt sind.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war aber nicht Ihr Verdienst, oder? Wo kommt denn das her?)


Die Butterberge sind abgebaut, und die Milchseen sind
ausgetrocknet. Die Zeiten der Überproduktion sind vor-
bei. Wir fördern nur noch die Bewirtschaftung der Flä-
chen und eben nicht mehr die Produktionsmenge von
Fleisch, Milch oder Getreide.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da waren Sie doch immer dagegen! Jetzt loben Sie sich für etwas, was Sie bekämpft haben! Das ist toll!)


– Sehr geehrte Frau Kollegin, Sie sollten es am allerbes-
ten wissen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, ich weiß, woher die Direktzahlungen kommen! Vor mir! Gegen Ihren Widerstand!)


Trotzdem kämpfen Sie gegen die Direktzahlungen. Sie
unterstützen uns nicht einmal in der Bestrebung, die an-
deren Länder so weit zu bringen, wie Deutschland ist.
Sie sollten uns lieber unterstützen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Ulrich Kelber [SPD]: Deutschland ist gegen Ihre Stimme so weit! Sie haben es abgelehnt im Bundesrat! Das ist doch peinlich!)


Damit das etwas plastischer wirkt, rechne ich es Ihnen
persönlich noch einmal vor. Nehmen wir einen Betrieb
in Nordrhein-Westfalen. Von mir aus stehen dort auch





Bundesministerin Ilse Aigner


(A) (C)



(D)(B)

viele Tiere im Stall, sagen wir 1 500 Mastkälber. Der Be-
trieb bewirtschaftet nur wenig Fläche, nur 10 Hektar.
Dieser Betrieb bekommt in diesem Jahr 3 600 Euro Di-
rektzahlungen. Nehmen wir einen anderen Betrieb in
Nordrhein-Westfalen mit einer größeren Fläche, mit
100 Hektar, der 100 Kühe im Stall stehen hat. Dieser Be-
trieb erhält 33 000 Euro Direktzahlungen pro Jahr. Wenn
dieser Betrieb ökologisch bewirtschaftet wird, dann be-
kommt er 50 000 Euro pro Jahr.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oh! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wir sind die eigentlichen Grünen!)


Das ist der Unterschied. Das leugnen Sie.

Allein in meiner Amtszeit sind zwei Steigerungen der
Fördersätze für den ökologischen Landbau im Rahmen
der Gemeinsamen Agrarpolitik zu verzeichnen. Das
Greening unterstützen wir, aber – und das ist der Unter-
schied – wir wollen keine Flächenstilllegungen. Wir
wollen, dass es nicht nur Bürokratie gibt. Weiter wollen
wir, dass die Leistungen, die unsere Landwirte erbrin-
gen, auch anerkannt werden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie wollen es aushöhlen!)


Auf rund einem Viertel der gesamten deutschen
Agrarflächen finden heute bereits Agrarumweltmaßnah-
men statt, die für mehr Biodiversität und ein attraktives
Landschaftsbild sorgen. Wir setzen eben auf eine effek-
tive und gleichzeitig nachhaltige Landwirtschaft.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Die miefige Politik der Grünen! Mief! Mief! Mief!)


Zweite Falschbehauptung: Moderne Tierhaltung geht
zulasten des Tierwohls. – Sie von den Grünen romanti-
sieren die Vergangenheit, als wäre früher alles besser ge-
wesen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Es war viel schlechter früher!)


Jeder neue Stallbau wird verdammt. Tatsache ist: Es ist
schlicht und ergreifend falsch, dass Tiere in größeren
Haltungen grundsätzlich weniger Platz haben. Es ist
auch falsch, dass es den Tieren in größeren Haltungen
generell weniger gut geht.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Genau!)


Glauben Sie wirklich, dass die dunklen und feuchten
Ställe von früher Vorbild sein können? Das ist, meine
sehr geehrten Damen und Herren, wenn man sie mit den
modernen und hygienischen Ställen von heute ver-
gleicht, wohl nicht der Fall.


(Zuruf der Abg. Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Ausschlaggebend ist die Arbeit des Landwirts oder der
Landwirtin. Sie haben sich an verbindliche europäische
Regeln zugunsten des Tierwohls zu halten. Hinzu kommt
noch die Qualität von Stallanlagen und Haltungsverfah-

ren. Deshalb sage ich: Jeder neugebaute Stall ist grund-
sätzlich ein Fortschritt für das Tierwohl.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, die übergroße Mehrheit der
Verbraucherinnen und Verbraucher kann Ihren Alarmis-
mus nicht mehr hören. 81 Prozent der Verbraucherinnen
und Verbraucher haben – trotz so mancher Anfeindungen
von Ihrer Seite – großes bzw. sehr großes Vertrauen ge-
genüber unseren Landwirten.

Dritte Falschbehauptung: Die Bundesregierung tut zu
wenig für den Tierschutz. Tatsache ist: Diese christlich-
liberale Koalition hat mehr für den Tierschutz getan als
jede andere Bundesregierung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Für die Pferde!)


Wir regieren aber nicht nach dem Bauchgefühl,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe gar keinen Bauch!)


sondern nach dem neuesten Stand der Forschung. Des-
halb stellen wir 62 Millionen Euro für Forschungs- und
Innovationsprojekte sowie für Modell- und Demonstra-
tionsvorhaben in der Nutztierhaltung bereit. Bei der Ge-
meinschaftsaufgabe „Agrarstruktur und Küstenschutz“
haben wir für besonders tierfreundliche und ressourcen-
schonende Haltungs- und Produktionsverfahren eben-
falls nachgesteuert.

Was heißt das? Das heißt, bis zu 40 Prozent der Inves-
titionskosten werden künftig übernommen, wenn ein be-
sonders tiergerechter Stall gebaut wird. Das ist ein deut-
liches Plus und eine Investition in das Tierwohl.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf von der CDU/CSU: Die richtige Richtung!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich will Ihnen noch
eines sagen: Sie sollten sich vielleicht grundsätzlich gut
überlegen, was Sie mit manchen Forderungen anrichten
können. Die Bedingungen, die Sie manchmal formulie-
ren, können große Betriebe vielleicht noch ganz gut er-
füllen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!)


Kleine Betriebe aber müssen oft zumachen, weil sie sie
nicht mehr stemmen können. Die von Ihnen geforderten
Maßnahmen würden den Strukturwandel beschleunigen.
Ich weiß nicht, ob Sie das wollen. Ich will es nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, die christlich-liberale
Koalition hat einen klaren Standpunkt: Wir schreiben
den Verbrauchern eben nicht vor, wie sie sich zu ernäh-
ren haben.


(Ute Vogt [SPD]: Wir wollen vorschreiben, wie man Tiere behandelt!)


Das unterscheidet unsere Vorstellungen von Ihren. Wir
setzen auf Transparenz und die Macht des Verbrauchers.





Bundesministerin Ilse Aigner


(A) (C)



(D)(B)

Deshalb habe ich das Tierwohl-Label, sehr geehrte Frau
Künast – zu der Präsentation habe ich mich nicht eingela-
den, sondern ich wurde von Herrn Schröder eingeladen –,
auch mit 1 Million Euro gefördert.


(Ulrich Kelber [SPD]: Der lässt sich nicht kaufen, der Herr Schröder!)


– Ja, natürlich. – Meine sehr geehrten Damen und Her-
ren, es ist, glaube ich, selbstverständlich, dass ich heute
zu dieser Veranstaltung gehe.

Die ersten Produkte kommen in diesen Tagen in den
Handel. Künftig können Verbraucher erkennen, wie die
Tiere gehalten werden. Sie können vor allem entschei-
den, ob sie bereit sind, für die Produkte mehr zu zahlen;
denn höhere Standards kosten mehr Geld. Wir trauen un-
seren Verbrauchern – offensichtlich im Gegensatz zu Ih-
nen – diese Entscheidung zu.

Vierte, aber leider nicht letzte Ihrer Falschbehauptun-
gen: Gegen den übermäßigen Einsatz von Antibiotika in
der Tierhaltung wird nichts unternommen. – Tatsache
ist: Die Abgabe von Antibiotika zur Wachstumsförde-
rung und zur Prävention ist bereits heute verboten.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: 1 734 Tonnen! Ist schon lange verboten!)


Zugleich haben wir aber das Problem erkannt und des-
halb ein Paket geschnürt, um den Einsatz von Antibio-
tika zu minimieren.

Die Novelle des Arzneimittelgesetzes gibt den Län-
dern mehr Möglichkeiten und noch bessere Instrumente.
Die Überwachung ist allerdings in der Zuständigkeit der
Länder. Kollege Remmel zeigt mit dem Finger gern auf
andere, aber vier Finger zeigen dabei auf ihn als Teil der
Überwachungsbehörde zurück. So schaut es aus.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Leider fehlt mir die Zeit, noch weitere Punkte richtig-
zustellen. Die christlich-liberale Regierung steht allen
Landwirten zur Seite, und sie will die Landwirte und die
Verbraucher näher zusammenbringen, auch in Span-
nungsfeldern. Wir tun dies mit Fachkenntnis, ohne Auf-
geregtheit und aus großer Überzeugung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721602900

Matthias Miersch ist der nächste Redner für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1721603000

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau Bundesministerin, als ich hier eben Ihre Worte ge-
hört habe, habe ich mich gefragt, wo Sie eigentlich die
letzten Monate und Jahre gewesen sind. Nur unter dieser
Kuppel kann es nicht gewesen sein. Als Niedersachse


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Ach!)


kann ich Ihnen sagen: Ich lade Sie gerne einmal ein, sich
anzuhören, was Ihre Kommunalpolitiker zu den Ent-
wicklungen sagen, die wir tagtäglich in Niedersachsen
beobachten können. Dort fällt nämlich auf, dass Sie zwar
schön reden, aber nichts machen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sie machen Wahlkampf, aber sagen nichts zum Thema!)


– Ich werde zum Thema kommen.

Wenn Sie sich die Entwicklung ansehen, dann stellen
Sie fest, dass eben nicht Qualität gefördert wird. Viel-
mehr erleben wir in Niedersachsen tagtäglich – deswe-
gen schließen sich viele Menschen zu Bürgerinitiativen
zusammen, deswegen gehen die Menschen am Samstag
unter dem Motto „Wir haben es satt!“ auf die Straße –,
dass Massentierhaltungsanlagen aus dem Boden ge-
stampft werden, ohne dass die Kommunalpolitik irgend-
welche Handhabungen hat, diesem Vorgehen Einhalt zu
gebieten.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Erik Schweickert [FDP]: Was sagen denn die Leute aus Niedersachsen?)


Es sind auch Ihre Kommunalpolitiker, Herr Schweickert
– fragen Sie die einmal –, es sind CDU-Landräte, die da-
rum flehen, dass § 35 des Baugesetzbuchs endlich geän-
dert wird, sodass wie bei einem Industriebetrieb oder
einem Gewerbebetrieb auch bei einer Massentierhal-
tungsanlage eine Steuerungsmöglichkeit gegeben wird.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)


Liebe Frau Bundesministerin, Sie können hier sagen,
dass der Verbraucher entscheiden soll, aber es ist doch
eine Frage von politischer Steuerung und von gesetzli-
chen Grundlagen, ob man Wettbewerb zulässt oder ihn
nach dem Motto „Immer größer, immer weiter“ einseitig
regelt. Das ist Ihre Agrarpolitik. Die Kleinen lassen Sie
im Stich.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Als Sozialdemokratie sagen wir, dass Ernährung ein
elementarer Bestandteil der Daseinsvorsorge ist.


(Dr. Edmund Peter Geisen [FDP]: Nein! Was?)


Ernährung, Energie- und Wasserversorgung, lieber Herr
Kollege, brauchen wir alle. Was stellen wir fest? Wir
stellen fest, dass auch Sie erkannt haben, dass man im
Energiebereich umsteuern muss, dass es nicht darum
geht, die großen Einheiten zu fördern, sondern die De-
zentralität. Im Bereich der Ernährung, lieber Kollege,
stellen wir fest, dass durch Ihre Politik genau das Gegen-
teil passiert, dass auch konventionelle Landwirte in exis-
tenzielle Notlagen geraten, weil es in der Agrarpolitik
die Tendenz hin zu Agrarfabriken, also immer größer zu
werden, gibt. Dazu sage ich Ihnen ganz deutlich: In die-





Dr. Matthias Miersch


(A) (C)



(D)(B)

sem Bereich machen Sie genau das Gegenteil von zu-
kunftsgerichteter Agrarpolitik.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Es geht dabei nicht nur um ökologische, sondern auch
um ökonomische und soziale Aspekte. Es geht um die
Frage, wer sich künftig qualitativ gute Lebensmittel leis-
ten kann. Es geht auch um die Frage, wie in diesen Be-
trieben gearbeitet wird. Ich sage Ihnen auch als Nieder-
sachse: Ihre verfehlte Politik führt augenblicklich dazu,
dass vielerorts die Arbeitsbedingungen in Schlachthö-
fen, in diesen Betrieben unter aller Würde sind. Auch da
sind gesetzliche Rahmenbedingungen dringend notwen-
dig.


(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der LINKEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721603100

Herr Kollege, lassen Sie eine Zwischenfrage zu?


Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1721603200

Selbstverständlich.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721603300

Bitte schön.


Dr. Erik Schweickert (FDP):
Rede ID: ID1721603400

Herr Kollege Dr. Miersch, vielen Dank für das Zulas-

sen einer Zwischenfrage. Sie haben uns vorgeworfen,
dass wir nichts für die Kleinen tun. Nehmen Sie bitte,
was die Biogasanlagen angeht, zur Kenntnis, dass es
diese christlich-liberale Koalition war, die die 75-kW-
Anlagen durchgekämpft und zugelassen hat und dass es
die Umweltpolitiker waren – das sage ich jetzt an Sie ge-
richtet, Herr Miersch –, die das eigentlich gar nicht woll-
ten. Können Sie also bitte bestätigen, dass wir sehr wohl
in dieser Richtung tätig sind und dafür sorgen, dass ins-
besondere die Kleinen gestärkt werden?


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Ute Vogt [SPD]: Das passt ja jetzt richtig gut zum Thema!)



Dr. Matthias Miersch (SPD):
Rede ID: ID1721603500

Lieber Herr Kollege Schweickert, ich mache mit Ih-

nen gerne einen Diskurs in Sachen Biogas. Das ist ein
gutes Beispiel; denn hier geht es um landwirtschaftliche
und Ernährungsbetriebe. Ich sage Ihnen: Am Beispiel
Biogas wird deutlich, dass teilweise durch Fehlanreize
im Gesetz Fehlentwicklungen in Gang gesetzt worden
sind.


(Norbert Schindler [CDU/CSU]: Ja! Aber das wart doch ihr!)


Insofern sage ich Ihnen wieder: Wir brauchen gesetzli-
che Rahmenbedingungen. Diese sind bisher falsch ge-
setzt geworden. Wenn Sie mit Landwirten und Vertretern
konventioneller Betriebe sprechen, werden sie Ihnen sa-
gen: Wir müssen uns überlegen, ob wir, wenn wir wei-

terhin auf das Prinzip „Immer größer, immer weiter“
setzen, überleben können. Die Förderpolitik dieser Re-
gierung und der Europäischen Union geht nämlich in ge-
nau die falsche Richtung.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Sagen Sie doch einfach: Das, was Sie sagten, ist richtig!)


Insofern wird die Qualität von Ihnen gerade nicht geför-
dert, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Norbert Schindler [CDU/ CSU]: Wer hat die Sätze denn 2008 gemacht? Wart ihr das oder wir?)


Meine sehr verehrten Damen und Herren, in diesem
Zusammenhang geht es um Steuerungsmöglichkeiten.
Sie können mir dazu gerne Fragen stellen und andere
Meinungen einholen. Nur, letztlich sind Sie seit drei Jah-
ren an der Regierung. Wir haben beispielsweise zu § 35
des Baugesetzbuches schon vor anderthalb Jahren einen
Antrag eingebracht, der eiskalt abserviert wurde.


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Wow! Schon vor anderthalb Jahren?)


Sie haben damals gesagt: Es besteht kein Handlungsbe-
darf. – Ich sage Ihnen: Hier sind Sie in der Pflicht. Sie
hätten die Möglichkeit gehabt, der Kommunalpolitik bei
dieser zentralen Frage einen Steuerungshebel an die
Hand zu geben. Aber bis zum heutigen Tag haben wir
dazu nichts von Ihnen gehört. Wir haben bis zum heuti-
gen Tag keine Lösung, um die Arbeitsbedingungen vor
Ort zu verbessern, was Mindestlöhne etc. angeht. Unser
Vorwurf an diese Bundesministerin lautet, dass sie mit
ihrer Politik genau das Gegenteil macht, weil sie die fal-
schen Rahmenbedingungen setzt.

Lassen Sie mich zum Schluss sagen: Entscheidend
wird sein – insofern ist Ihre Frage an dieser Stelle durch-
aus berechtigt, Herr Schweickert –, die Landwirtschaft
endlich als eine vernetzte, interdisziplinäre Aufgabe zu
begreifen. Es geht nämlich nicht nur um die Landwirt-
schaft, sondern auch um die Umweltpolitik, die Sozial-
politik und die Verzahnung der politischen Ebenen, von
der Kommunalpolitik bis zur europäischen Ebene.


(Dr. Erik Schweickert [FDP]: Richtig! Deshalb haben wir das gemacht!)


Ich halte es für richtig, dass Stephan Weil gesagt hat:
Wir brauchen ein Agrarministerium, das mit der europäi-
schen Ebene verbunden ist.


(Dr. Hermann Kues, Parl. Staatssekretär: Wer ist das denn?)


Denn dort geht es darum, die Gemeinsame Agrarpolitik
so zu formulieren, dass wir endlich Qualität und nicht
nur Masse fördern; denn Masse ist nicht gleich Klasse.
Insofern, liebe Kolleginnen und Kollegen, lässt sich am
Beispiel der Agrarpolitik gut deutlich machen: Auf die-
sem Politikfeld verfolgen wir ganz unterschiedliche
Politikansätze, ebenso wie bei der Bildungspolitik, in
Sachen Steuergerechtigkeit und Arbeitsbedingungen.
Am Sonntag stehen auch hier zwei unterschiedliche





Dr. Matthias Miersch


(A) (C)



(D)(B)

Politikansätze zur Wahl, der von Rot-Grün und der von
Schwarz-Gelb.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Genau! Darum geht’s am Sonntag! – Peter Bleser [CDU/CSU]: Aha! Den letzten Satz hätten Sie allerdings zuerst sagen sollen! Alles Wahlkampf! – Weiterer Zuruf von der CDU/CSU: Da spricht die Angst vor den Umfragen!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1721603600

Das Wort erhält nun die Kollegin Christel Happach-

Kasan für die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Christel Happach-Kasan (FDP):
Rede ID: ID1721603700

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Vielen Dank für diesen Einblick in den Wahlkampf in
Niedersachsen. Ich komme jetzt allerdings auf das
Thema Tierhaltung zurück.

Ich finde es gut, dass wir uns vor der Eröffnung der
Grünen Woche über ein für die Landwirtschaft in
Deutschland so essenzielles Thema unterhalten. Die
landwirtschaftliche Tierhaltung trägt nämlich zu 60 Pro-
zent zum Einkommen der Landwirte in Deutschland bei.
Da ist es schon bemerkenswert, welche Angriffe die
Grünen auf diesem Feld fahren und dass sie ihren Wahl-
kampf in Niedersachsen auf dem Rücken der landwirt-
schaftlichen Betriebe austragen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Genau! Das ist der Punkt!)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist nicht gut.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Eine Anregung an die Kollegin Künast und den Kol-
legen Dr. Miersch: Gehen Sie doch einmal in einen land-
wirtschaftlichen Betrieb! Da lernt man nämlich etwas,
und dann ist man ein bisschen klüger. Da ich vermute,
dass Sie das nicht tun werden, empfehle ich Ihnen, sich
wenigstens die Bilder der Webcam von Herrn Schwarz
auf der Internetseite des Bauernverbandes Schleswig-
Holstein anzusehen. Alle 20 Sekunden wird ein neues
Bild aus seinem Schweinestall gezeigt. Dann können Sie
selbst beurteilen, wie es in einem solchen Schweinestall
aussieht. Transparenz ist ein wichtiges Ziel, und das
wird dort exemplarisch vorgelebt.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Wir regieren jetzt drei Jahre; das ist gut so. Ihr habt
zehn Jahre regiert. Das war nicht so gut; das sieht man
an den Fehlern bei bestimmten Entwicklungen. Aber,
liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt in einem Punkt
durchaus eine Einigkeit in diesem Haus: Wir wollen eine
bessere landwirtschaftliche Nutztierhaltung. Das Bes-
sere ist der Feind des Guten. Wir wollen eine Minderung
des Antibiotikaeinsatzes. Wir sind der Überzeugung,
dass auch in der landwirtschaftlichen Tierhaltung mehr

gesundheitsfördernde Maßnahmen und damit weniger
Antibiotika gebraucht werden. Einen entsprechenden
Gesetzentwurf haben wir vorgelegt.

Die Grünen sind an dieser Thematik erkennbar nicht
interessiert. Für die Grünen gibt es nur zwei Stichworte:
„Agrarfabrik“ und „Massentierhaltung“; mehr haben sie
nicht auf dem Zettel. Das heißt natürlich auch, dass Frau
Künast mit ihrer Rede nicht den Bundestag adressiert
hat, sondern diejenigen, die am Samstag in Berlin de-
monstrieren wollen.

An dieser Stelle sollten wir eines festhalten: Die In-
ternationale Grüne Woche besuchen 500 000 Menschen,
an Ihrer Demonstration nehmen vielleicht gerade einmal
5 000 teil. Das sind 1 Prozent, das ist eine Aussage.


(Ulrich Kelber [SPD]: Die anderen 500 000 werden nicht FDP wählen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht jeder Besucher der Internationalen Grünen Woche ist ein FDP-Unterstützer!)


Wir als Freie Demokraten, wir als Liberale orientie-
ren uns im Bereich des Tierschutzes insbesondere an den
fünf Freiheiten:


(Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] spricht mit Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])


Freisein von Hunger und Durst – Freisein zum Zuhören,
Frau Künast, wäre auch nicht schlecht –; Freisein von
Unbehagen; Freisein von Schmerz, Verletzung, Krank-
heit; Freisein zum Ausleben der normalen Verhaltens-
weisen – Frau Künast, Sie sollten schon einmal zuhören,
das würde helfen –; Freiheit von Angst und Leiden. Des-
wegen haben wir – darauf sollten Sie einmal eingehen –
in § 11 Tierschutzgesetz festgelegt, dass wir betriebliche
Eigenkontrollen wollen; denn nicht Verordnungen,
sondern der Blick in den Tierstall ist das beste Mittel, um
sicherzustellen, dass es den Tieren gut geht. Wir wollen,
dass dies anhand von tierbezogenen Merkmalen beurteilt
wird, anhand von Tierschutzindikatoren, zum Beispiel
der Mortalität, der Klauen- und Fußballengesundheit
und der Betrachtung der auf dem Schlachthof erhobenen
Befunde. Diese drei Tierschutzindikatoren sind entschei-
dend, um zu beurteilen, ob sich ein Tier wohlfühlt oder
nicht.

Die Qualität der Tierhaltung hängt nicht von der
Größe des Betriebes oder von der Größe des Stalls ab;
sie hängt vielmehr von der Fähigkeit des Betriebsinha-
bers ab, das Ganze zu managen. Das ist ein entscheiden-
des Kriterium, nicht die Größe des Betriebes.

Man sollte auch eines hinzufügen: Moderne Ställe
sind für Tiere allemal besser als alte Ställe.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Gehen Sie einmal in einen Kuhstall, und Sie werden
feststellen: Die Kühe sind größer geworden. Alte Ställe
können dem nicht in der Weise genügen wie neue Ställe.

Im Hinblick auf eine Verbesserung des Tierschutzes
brauchen wir mehrere Maßnahmen: Zum einen brauchen





Dr. Christel Happach-Kasan


(A) (C)



(D)(B)

wir verstärkte Forschung über Tierhaltung. Deswegen
haben wir als christlich-liberale Koalition für die nächs-
ten drei Jahre 19 Millionen Euro für Modellvorhaben im
Bereich der Tierhaltung eingeplant. Wir nehmen das
Thema Tierschutz ernst. Deswegen geben wir den eige-
nen Forschungseinrichtungen einen anderen Maßstab
vor und sagen: Wir brauchen in Mariensee eine Umstel-
lung von der Anbindehaltung auf eine Laufstallhaltung.
Wir brauchen weiterhin Initiativen im Bereich der Tier-
zucht. Die Tierzüchter sind viel weiter als Ihr von Rot
und Grün: Im Bereich der Tierzucht findet schon lange
eine Umorientierung statt.


(Ulrich Kelber [SPD]: Wieso sind Ihre FDPParteifreunde in Niedersachsen anderer Meinung?)


– Die Parteifreunde in Niedersachsen sind mit mir abso-
lut einer Meinung, dass es gut ist, dass es im Bereich der
Tierzucht inzwischen Initiativen gibt, die nicht mehr nur
auf die Leistung setzen, sondern das gesamte Tier in den
Blick nehmen.


(Ulrich Kelber [SPD]: Letzte Woche haben Sie das noch anders gesagt!)


Vor 15 Jahren war allein die Milchleistung bei Kühen ein
Kriterium. Heute spielen weitere Kriterien eine Rolle,
die dazu führen, dass die Tiere gesünder sind.

Wir brauchen höhere Standards in der Tierhaltung.
Wir müssen den Menschen aber auch sagen: Das kostet
mehr Geld. – Deswegen finde ich es gut, dass der Deut-
sche Tierschutzbund ein Tierwohl-Label geschaffen hat,
an dem sich die Menschen orientieren können. So kön-
nen sie selbst einen Beitrag leisten für einen höheren
Standard im Stall. Die Menschen wissen dann aber auch:
Sie müssen dafür bezahlen.

Im letzten Jahr gab es – das sollte man auch einmal
sagen – im Bereich der Fleischprodukte Kostensteige-
rungen von 5,4 Prozent, und die Preise werden weiter
ansteigen. Ich lade die Grünen ein, dieses dann bitte
auch zu kommunizieren. Ein Tierwohl-Label, das sich
an den Tierschutzindikatoren orientiert, ist ein echter
Fortschritt.

Eine bessere Tiergesundheit ist Voraussetzung dafür,
dass wir den Einsatz von Antibiotika mindern können.
Wir als christlich-liberale Koalition haben dazu einen
Gesetzentwurf vorgelegt. Ich setze mich persönlich sehr
dafür ein, dass dieser auch umgesetzt wird.

Wir müssen sagen: Wir brauchen nicht mehr Verbote,
sondern wir brauchen eine bessere Praxis in den Tierstäl-
len. Dazu brauchen wir die Länder. Wir setzen darauf,
dass wir mit ihnen gemeinsam einen solchen Gesetz-
entwurf umsetzen können, um etwas für bessere Tier-
gesundheit in den Ställen und damit für bessere Lebens-
mittel zu tun.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721603800

Das Wort hat nun Alexander Süßmair für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Alexander Süßmair (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721603900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten

Damen und Herren! In Deutschland hat sich die Nutz-
tierhaltung in den letzten 20 Jahren sehr stark verändert.
Deutschland ist in der EU der größte Schweinefleisch-
produzent. 1995 betrug die Ausfuhr von Schweine-
fleisch 230 000 Tonnen. 2011 waren es 2,3 Millionen
Tonnen. Das heißt, von 1995 bis 2011 hat sich die
Ausfuhr von Schweinefleisch verzehnfacht, während die
Einfuhr auf einem Niveau von etwa 1,1 Millionen Ton-
nen gleich geblieben ist. Beim Geflügel war der Verlauf
ähnlich.

Diese Steigerung der Ausfuhr blieb natürlich nicht
ohne Folgen. Die Nutztierhaltung in Deutschland hat
sich immer stärker konzentriert, ist intensiver und indus-
trieller geworden. Diese Intensivierung und diese Kon-
zentration betreffen aber nicht nur die Ställe, in denen
die Tiere gehalten werden, sondern sie führten auch zu
einer sehr ungleichen Verteilung der Tierbestände in
Deutschland.

Ein Vergleich: In Niedersachsen gibt es derzeit 9 Mil-
lionen Schweine, in Nordrhein-Westfalen 6,7 Millionen,
in ganz Ostdeutschland zusammen 4,2 Millionen, und in
Bayern, dem größten Flächenland Deutschlands, nur
3,5 Millionen. Diese höchst ungleiche Verteilung und
auch die Menge an Tieren vor Ort führen zu sozialen,
ökologischen, wirtschaftlichen und auch gesellschaftli-
chen Konflikten.


(Beifall bei der LINKEN – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Ihr wollt mehr Schweine, oder was?)


In der öffentlichen Debatte rückt der Begriff der soge-
nannten Massentierhaltung dabei immer mehr in den
Fokus. Die FAO, also die Ernährungs- und Landwirt-
schaftsorganisation der Vereinten Nationen, hat 1995
„intensive Tierhaltung“ als Systeme definiert, in denen
weniger als 10 Prozent der Futtermittel dem eigenen Be-
trieb entstammen und die Besatzdichte zehn Groß-
vieheinheiten pro Hektar übersteigt.

Für die Öffentlichkeit in Deutschland beginnt Mas-
sentierhaltung aber viel früher. Das Bundesministerium
für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
gibt die Zeitschrift Berichte über Landwirtschaft heraus.
In der Dezemberausgabe vom vergangenen Jahr, also
2012, waren die Ergebnisse der Studie „Die Wahr-
nehmung des Begriffs ,Massentierhaltung‘ aus Sicht der
Gesellschaft“ zu lesen. Ich nenne hier zwei Ergebnisse:

Die Befragten assoziieren den Begriff „Massentierhal-
tung“ vor allem mit Grausamkeit, Geflügel, Krankheiten
und Enge. Massentierhaltung beginnt für 90 Prozent der
Befragten ab etwa 500 Rindern, 1 000 Schweinen und
5 000 Hähnchen. In der Realität liegen die Betriebe aber





Alexander Süßmair


(A) (C)



(D)(B)

häufig über diesen Zahlen; das gilt gerade auch beim Ge-
flügel.

Vonseiten des Deutschen Bauernverbandes und auch
vonseiten der Koalitionsparteien kommt häufig der Vor-
wurf, die Verbraucher hätten einfach ein zu romantisches
Bild von der Landwirtschaft – Frau Ministerin hat das
auch angesprochen –, das mit der modernen Tierhaltung
nichts zu tun habe. Das mag schon sein, aber ist es nicht
auch so, dass gerade die Nahrungsmittelindustrie diese
Vorstellungen mit ihrer irreführenden Werbung selbst
produziert?


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es stellt sich eine ganz andere Frage: Ist es roman-
tisch oder gar rückwärtsgewandt, wenn Verbraucherin-
nen und Verbraucher wollen, dass Tiere möglichst wenig
leiden und tiergerecht gehalten werden?


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Nein!)


Wir sagen: Nein! Die Verbraucherinnen und Verbraucher
beachten nicht nur die ökonomischen Kriterien, also den
reinen Preis, sondern sie haben auch Anspruch auf die
Einhaltung von ökologischen, sozialen und ethischen
Faktoren. Diese müssen wir berücksichtigen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wenn Sie diese gesellschaftlichen Anforderungen
wieder nicht berücksichtigen, dann entstehen die Kon-
flikte vor Ort, die die Bäuerinnen und Bauern und auch
die Agrarlobby lautstark beklagen, und sie sagen darauf-
hin, dass keine Stallbauten mehr möglich seien und man
eine Art Hetzjagd gegen sie veranstalte. Wir haben einen
eigenen Antrag zur Nutztierhaltung gestellt. Wir wollen
dabei vor allem ökonomische und soziale Aspekte, aber
auch ethische Aspekte berücksichtigen. Uns geht es
darum, dass Grausamkeit, Krankheiten und Enge in der
Tierhaltung vermieden werden, dass es sie nicht gibt.

Deshalb fordern wir, dass sich die Arbeitsbedingun-
gen für die Beschäftigten in der Tierhaltung verbessern
müssen – auch in den Schlachthöfen –, dass bessere
Löhne gezahlt werden und der gesetzliche Mindestlohn
eingeführt wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Tierhaltungssysteme müssen verbessert werden,
die Qualzucht muss verhindert werden, die schmerzhaf-
ten Eingriffe wie Schwänzekneifen und Schnäbelkneifen
müssen verboten werden. Die Tiere dürfen nicht an die
Systeme angepasst werden, sondern die Systeme müssen
an die Tiere angepasst werden.


(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Wir möchten auch, dass sich die Politik noch viel
konsequenter für eine Ökologisierung der gesamten
Agrarwirtschaft einsetzt, und wir stellen die Forderung
an die Bundesregierung, sich dafür einzusetzen, dass sol-
che Regelungen und Ziele auch EU-weit eingeführt wer-
den. Und das geht auch, nämlich gerade jetzt, wenn die

Verhandlungen über die neue Förderperiode in der EU
für 2014 anstehen. Dort könnten Sie sich genau dafür
einsetzen – auch Sie, Frau Ministerin.


(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])


Wir müssen auch daran arbeiten, dass unsere Hal-
tungssysteme und unsere gesamte Tierproduktion so ver-
ändert werden, dass wir den Antibiotika-Einsatz deutlich
reduzieren können. Wir hatten dazu bereits einen Antrag
vorgelegt und hatten eine ausführliche Debatte.

Aber es trifft auch zu – es ist angesprochen worden –,
dass die Intensivtierhaltung, wie wir sie in Deutschland
und in Europa haben, nicht nur negative Auswirkungen
innerhalb Deutschlands hat, sondern auch in anderen
Ländern, gerade im globalen Süden. Dort führt der
Anbau von Futtermitteln zu schweren ökologischen und
sozialen Schäden. Deshalb ist es wichtig, dass wir selbst
wieder mehr Futtermittel produzieren,


(Beifall bei der LINKEN)


dass wir hier regionale Kreisläufe ökologisch und öko-
nomisch nachhaltig gestalten, und zwar ohne gigantische
Futtermittelimporte und Fleischexporte. Diese Importe
sind nämlich die Voraussetzung dafür, dass wir hier so
produzieren können.

Einig sind wir uns auch – das ist auch angesprochen
worden –, dass die Konzentration von Stallanlagen in
bestimmten Regionen viel zu groß ist, dass die negativen
ökologischen, kulturellen und sozialen Auswirkungen so
stark sind. Deshalb brauchen wir Änderungen im
Baurecht und im Immissionsrecht, damit solche Anlagen
kritischer geprüft werden und es vor Ort für die Kommu-
nalpolitik mehr Einflussmöglichkeiten gibt. Auch hier-
für treten wir ein.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, ich komme zum Schluss.
Ja, diese Woche beginnt die IGW, ja, am Wochenende
findet hier eine große Demonstration statt. Die Men-
schen wollen, dass sich in der Landwirtschaft einiges
grundsätzlich verändert. Auch dafür werden wir von der
Linken uns einsetzen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN – Norbert Schindler [CDU/CSU]: Konkret war das nicht!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721604000

Das Wort hat nun Johannes Röring für die CDU/CSU-

Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Johannes Röring (CDU):
Rede ID: ID1721604100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Kolleginnen und Kollegen! Wir behandeln heute
verschiedene Anträge, die alle mit Tierhaltung zu tun
haben. Ein Weiteres haben alle diese Anträge gemein:





Johannes Röring


(A) (C)



(D)(B)

Sie unternehmen den Versuch, die Landwirte in
Deutschland, die Bauernfamilien, von denen übrigens
ein Großteil moderne Tierhaltung betreibt, massiv anzu-
greifen.


(Zuruf von der CDU/CSU: Genau! – Ulrich Kelber [SPD]: Wer Sie angreift, greift nicht die Bauern an, sondern Ihre Politik! Sie schaden mit Ihrer Politik den Bauern!)


Sie bezeichnen die Bauern nämlich als verantwortungs-
lose, profitgierige organisierte Tierquäler, die Tiere mit
Antibiotika vollstopfen, die die Landschaft zerstören. –
Ein solches Bild malt die Opposition von modernen
Tierhaltungsbetrieben.

Ich sage Ihnen, meine Damen und Herren: Diejeni-
gen, die uns täglich satt machen, haben dieses einfach
satt.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Moderne Tierhaltung bedeutet nämlich Verantwor-
tung für Tier und Verbraucher. Landwirte und Tierhalter
haben selbst das größte Interesse daran, dass die ihnen
anvertrauten Tiere gesund sind. Bauern haben Interesse
an hochwertigen, verantwortungsvoll erzeugten und
auch bezahlbaren Lebensmitteln. Ich sage dabei bewusst
„bezahlbar“ und nicht „billig“.


(Zuruf von der CDU/CSU: Das ist auch eine soziale Frage!)


Tierschutz ist für uns Bauern eine Selbstverständlich-
keit.


(Undine Kurth [Quedlinburg] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Ja, ja!)


Deswegen ist die Tierhaltung in den vergangenen
60 Jahren von Bauern zusammen mit Wissenschaftlern,
Beratern und auch Unternehmen kontinuierlich weiter-
entwickelt worden. Wirkungsvoller Tierschutz benötigt
die Erfahrungen und Kenntnisse derjenigen, die täglich
mit Tieren umgehen. Deswegen setzt die christlich-
liberale Koalition vor allen Dingen auf Eigenverantwor-
tung und auf Vertrauen in die Menschen, die den
Umgang mit Tieren gelernt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wir setzen – das sage ich Ihnen deutlich – auf den bäuer-
lichen Mittelstand und auf Tierschutz durch Vertrauen.
Die Anträge der Opposition dagegen sind von Miss-
trauen und Anschuldigungen durchsetzt.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Verunglimpfungen!)


Moderne Tierhaltung bedeutet für mich hohe Verant-
wortung von Menschen für Tiere, den Einsatz von Medi-
zin, wenn nötig, Vermeidung von Medikation, wenn
möglich. Kranke Tiere müssen aber weiterhin behandelt
werden können.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dagegen hat ja keiner was gesagt! – Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und darüber hinaus! Das wissen Sie auch!)


Wir haben bereits seit über zehn Jahren die Verpflich-
tung für jeden Tierhalter, jede einzelne Arzneimittel-
anwendung bei Tieren bis ins kleinste Detail zu doku-
mentieren. Diese Dokumentation wird von den
Veterinärbehörden – sie haben übrigens jederzeit darauf
Zugriff – auch strengstens kontrolliert.

Wir wollen eine Novelle des Arzneimittelgesetzes,
mit der eine effektivere Überwachung des Einsatzes er-
möglicht wird. Wir stehen zu dem Ziel, die Zahl der An-
tibiotika-Resistenzen einzudämmen. Wir haben aber
ebenso den Anspruch, dass auch andere, die bei ihrer Ar-
beit von der Frage der Resistenzen in erheblichem Maße
betroffen sind, zum Beispiel Humanmediziner, Kranken-
häuser, diejenigen, die sich um Hygiene kümmern, kon-
sequent ihren Job machen. Wir wollen, dass unsere
Branche ihren Job machen kann.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Moderne Tierhaltung heißt aber auch, dass es ange-
messene Entwicklungsmöglichkeiten für den bäuerli-
chen Mittelstand geben muss, und zwar ausdrücklich in
Zusammenarbeit mit den Kommunen. In Deutschland
gelten diesbezüglich sehr hohe Standards. Die Kommu-
nen haben schon jetzt beim Bau von Ställen Steuerungs-
möglichkeiten, die wir aber durch eine Novelle des Bau-
gesetzbuches noch deutlich verbessern wollen.

Die Akzeptanz der Menschen vor Ort und in den
Kommunen ist den Bauernfamilien – das weiß ich ge-
nau – sehr wichtig. Ich stelle an dieser Stelle fest, dass
die Branche in dieser Beziehung sehr stark engagiert ist.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Aber Ihre Hausaufgaben haben Sie nicht gemacht!)


Wir wollen hier ganz klar keine Fremdbestimmung
und keinen ungezügelten Wildwuchs. Tierhaltung ist für
mich Bauernsache. Die 216 000 Tierhalter in Deutsch-
land haben im europäischen Vergleich immer noch rela-
tiv kleine Bestände. Diese Struktur wollen wir erhalten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deswegen muss ich noch einmal feststellen: Mit Ih-
ren Anträgen malen Sie das Zerrbild eines bösen und
verantwortungslosen Tierhalters. Fakt ist aber: Die Bran-
che braucht sich nicht zu verstecken. Die christlich-libe-
rale Koalition wird die vorhandenen Instrumentarien
noch deutlich verbessern. Ich kann Ihnen sagen: Die
Charta von Frau Aigner zu Transparenz in der Tierhal-
tung zeigt Wirkung, sei es beim Tierschutz, sei es beim
Einsatz der Tiermedizin, sei es bei der Verbesserung der
vorhandenen Steuerungsmöglichkeiten im Zusammen-
hang mit Stallbauten.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schenkelbrand!)


Die Anträge der Opposition sind nicht zielführend.
Sie sind von Misstrauen, von mehr Bürokratie und Ver-
boten durchtränkt.


(Zurufe von der SPD: Oh! – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Was? – Gegenruf des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]: Die Anträge! Man will immer das hören, was man hören will!)






Johannes Röring


(A) (C)



(D)(B)

Genau das ist der Unterschied: Wir setzen auf die Bran-
che. Wir setzen auf wettbewerbsfähige landwirtschaftli-
che Familienbetriebe.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Sie haben einfach die ideologische Brille auf!)


Durch Ihr Vorgehen verdrängen Sie unseren landwirt-
schaftlichen Mittelstand und befördern somit eine Verla-
gerung der Produktion in Länder mit schlechteren Stan-
dards. Das wollen wir eindeutig nicht!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Abschließend kann ich über Ihre Anträge nur sagen:
Dieselbe Prozedur wie jedes Jahr. – Wir stehen kurz vor
der Eröffnung der Internationalen Grünen Woche. Zu
diesem Zeitpunkt erleben wir von Ihnen öfters solche
Anträge.

Die deutsche Landwirtschaft präsentiert auf einem
Erlebnisbauernhof die Tierhaltung und zeigt ein realisti-
sches Bild ihrer Arbeit und ihrer Leistung. Ich kann Ih-
nen wirklich nur ans Herz legen und Ihnen empfehlen,
sich das einmal anzuschauen und an diesen Tagen mit
Landwirten ins Gespräch zu kommen. Das Misstrauen
haben die Landwirte und ihre Familien, die für unser
Land wirklich wertvoll sind, satt. Wir müssen hier zu an-
deren Ufern kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, aus diesem Grund und we-
gen der Zusammenhänge, die Sie leider nicht in allen
Einzelheiten verstehen oder verstehen wollen, lehnen
wir als Unionsfraktion Ihre sämtlichen Anträge ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christian Lange [Backnang] [SPD]: Große Überraschung!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721604200

Das Wort hat nun Gabriele Groneberg für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1721604300

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Herr Röring, wenn Sie sprechen, habe ich
automatisch das Gefühl: Sie sind in einem schalldichten
Raum. Sie machen eine Politik, die ausschließlich den
großen Agrariern nutzt. Denn der bäuerliche Mittelstand,
von dem gerade die Rede war, geht bei Ihrer Politik über
Bord.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ich brauche auch keinen Erlebnisbauernhof. Denn ich
komme aus einer Region, wo Bauernhof tatsächlich All-
tag ist und wo ich jeden Tag zu Kollegen und Freunden
auf den Bauernhof gehen und mir ansehen kann, was
dort passiert. Das ist in der Tat sehr differenziert: der
bäuerliche Mittelstand oder eben die Großagrarier.


(Beifall des Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP])


Ich komme aus einer Region in Niedersachsen, dem
Oldenburger Münsterland, in der wir die positiven wie
aber natürlich auch die negativen Auswirkungen zu spü-
ren bekommen. Sicherlich gibt es die positive Seite – die
wollen wir nicht verleugnen –: Das ist die absolut boo-
mende wirtschaftliche Entwicklung einer ehemals eher
dem Armenhaus zuzurechnenden Region. Es ist schön
dort. Ich kann sie jedem empfehlen. Ich bin selber vor
über 30 Jahren aus dem Ruhrgebiet dorthin gezogen,
weil es dort so schön ist. Es ist ländlich geprägt. Es ist
mit überaus gepflegten Städten und Dörfern gesegnet.
Die Leute sind liebenswert. Es sind Menschen, die an-
packen und arbeiten können, frei nach dem Motto „Von
nix kommt nix“.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Richtig! Gute Leute!)


Wenn man weiß, dass von den bundesweit rund
24 Millionen Schweinen etwa 8,3 Millionen in Nieder-
sachsen aufgezogen werden – die meisten davon im Be-
zirk Weser-Ems, und zwar vor allem in den Landkreisen
Cloppenburg, Emsland und Vechta –, dann kann man die
Dimensionen erahnen, um die es dort geht. Wie gesagt,
die Wertschöpfung ist enorm. Viele Unternehmen sind
Zulieferer oder Abnehmer der dort gezüchteten Tiere. So
weit, so gut. Das ist die positive Seite.

Aber wie sieht die negative Seite aus? Keime und
Stäube bleiben nicht im Stall. Sie geraten auf die eine
oder andere Art und Weise in die Umwelt und verbreiten
sich – mit Auswirkungen auf die Gesundheit von Tier
und Mensch. Die Folge: Immer mehr Menschen wehren
sich gegen die Ansiedlung von Großstallanlagen.

Städte und Gemeinden gerade im ländlichen Raum,
die sich im Bereich Wohnen und Gewerbe entwickeln
wollen und auch müssen, wenn sie attraktiv bleiben wol-
len, werden durch den massiven Zubau der Stallanlagen
drastisch in ihrer Entwicklung eingeschränkt. Schlimmer
noch: Sie haben nicht einmal die Möglichkeit, sich im
Bereich ihrer Planungshoheit wirksam gegen Entwick-
lungen, die sie nicht wollen, zu wehren. Der Kollege
Miersch hat es ausgeführt.

Eine dringend erforderliche Novellierung des BauGB
scheitert seit Monaten an dem Streit zwischen dem
Minister für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung und sei-
ner Kollegin aus dem Landwirtschaftsministerium. Das
sind wir von Ihnen gewohnt. Das kennen wir schon fast
nicht mehr anders.

Warum bauen zunehmend niederländische Investoren
Ställe im grenznahen Gebiet auf der deutschen Seite?
Weil in den Niederlanden strengere Bedingungen für die
Ansiedlung von Stallneubauten gelten. Ist das denn rich-
tig? Das kann doch nicht sein. Da kommen die Men-
schen aus den Niederlanden zur Anhörung ins Kreishaus
im Emsland und beschweren sich darüber, dass im
grenznahen Raum in Deutschland die großen Stallanla-
gen gebaut werden. Das ist doch nicht richtig.





Gabriele Groneberg


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der SPD und der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Zu welchem Preis wird dieses Wachstum erkauft? Wo
sind die Grenzen des Booms? Ist der Preis, dass sich eine
Gemeinde nicht mehr entwickeln kann und Wohnen und
Gewerbe im nichtlandwirtschaftlichen Bereich teilweise
drastisch einschränken muss, nicht viel zu hoch für eine
derartige massive Entwicklung?

Die Kommunen – wohlgemerkt: alle bis auf eine bei
uns im Oldenburger Münsterland CDU-regiert –


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Gott sei Dank CDU-regiert!)


haben sich – das weißt du sehr gut, mein lieber Kollege
Holzenkamp – schon vor längerer Zeit mit der Bitte um
Abhilfe an uns Abgeordnete gewandt. Was ist passiert?
Nichts. Ihr seid untätig.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Da Bla, Bla, Bla und hier nichts unternehmen!)


Der Oldenburgisch-Ostfriesische Wasserverband
weist nachdrücklich auf die zunehmende Belastung des
Trinkwassers mit Nitraten hin – von Ihnen keine Re-
aktion, liebe Kolleginnen und Kollegen der CDU und
der FDP.

Wollen wir die drohenden Auswirkungen auf unsere
Wasserversorgung wirklich hinnehmen? Nein, wir je-
denfalls wollen das nicht. Die SPD hat in etlichen Anträ-
gen ihre Position dazu deutlich dargestellt. Alle Mög-
lichkeiten des Handelns, die wir aufgezeigt haben, sind
von Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen der Regie-
rungsfraktionen, abgelehnt worden. Ich muss für mich
feststellen: Offensichtlich sind Sie entgegen Ihren Aus-
sagen nicht am dauerhaften und lebenswerten Bestand
der ländlichen Räume interessiert. Anders kann ich die
Untätigkeit nicht deuten.


(Beifall bei der SPD)


Was passiert im nachgelagerten Bereich? Die harten
Branchenbedingungen und der hohe Preisdruck auf dem
Fleischmarkt sorgen für einen ruinösen Wettbewerb.
Dieser setzt sich bei der Schlachtung der Tiere fort.
Menschen vor allem aus Osteuropa werden per Werkver-
träge in den Schlachthöfen für einen Hungerlohn be-
schäftigt. Ihre Wohnbedingungen sind vollkommen in-
akzeptabel.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das ist ein Skandal!)


Wir werden morgen an dieser Stelle gegen 14 Uhr aus-
führlich darüber reden. Ich lade Sie ein, sich dann noch
einmal hier einzufinden. Was hier passiert, ist eindeutig
ein Werteverfall. Die Menschen in der betreffenden Re-
gion wehren sich mittlerweile massiv dagegen. An ihrer
Seite steht – man glaubt es kaum – massiv die katholi-
sche Kirche, speziell ein herausragender Vertreter. Die-
ser hat den Mut, die Missstände offen anzusprechen. Er

spricht deutlich aus, was hier für ein Schindluder getrie-
ben wird. Er steht an der Seite der Menschen, die sich
dagegen wehren.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Aber was ist ihm passiert? Ihm wurde nach Mafiame-
thode als Drohung ein abgezogenes Kaninchen vor die
Haustür gelegt. „Wo sind wir denn hier?“, frag ich mich.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oldenburger Landrecht!)


Ich hoffe, dass er sich nicht einschüchtern lässt. Er hat
unsere uneingeschränkte Solidarität verdient.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir werden uns also morgen noch einmal ausführlich
mit diesem Bereich befassen. Ich kann bislang zu dieser
Debatte feststellen – das enttäuscht mich –: Alle Fraktio-
nen – bis auf die Regierungsfraktionen – haben sich mit
diesem Thema intensiv auseinandergesetzt. Alle haben
Anträge dazu vorgelegt, wir in anderen Debatten, die
Kollegen von den Grünen und der Linken heute. Aber
von Ihnen, meine Damen und Herren von den Regie-
rungsfraktionen, kommen dazu nur Beteuerungen und
ein „Weiter so“. Ich finde das nicht okay.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721604400

Das Wort hat nun Hans-Michael Goldmann für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1721604500

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Ich will an Ihren letzten Satz anknüpfen, liebe
Frau Groneberg. Alle Fraktionen haben sich damit inten-
siv auseinandergesetzt. Aber nur die Regierungsfraktio-
nen bieten Lösungen an.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Gabriele Groneberg [SPD]: Nein, keine Lösungen! Sonst hätten wir diese Zustände nicht!)


Was Sie hier machen, ist im Grunde genommen das Be-
schreiben von Situationen bzw. das Überzeichnen von
Situationen, die mit der Lebensrealität nichts zu tun ha-
ben. Ich vermisse sehr, dass Sie nicht ganz klar Position
beziehen. Die Fälle in Südoldenburg, die Sie eben be-
schrieben haben, sind Ihnen bekannt. Wo sind die parla-
mentarischen Initiativen Ihrer Vertreter im Kreistag
geblieben? Wo sind Ihre kommunalen Initiativen geblie-
ben?


(Gabriele Groneberg [SPD]: Das kann ich Ihnen sagen! Wir haben Initiativen noch und nöcher gemacht!)






Hans-Michael Goldmann


(A) (C)



(D)(B)

Sie wissen um die betreffenden Fälle in Südoldenburg
– das ist kein neues Thema – und haben auf das Emsland
verwiesen.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Wir haben Initiativen noch und nöcher gemacht! Sie haben alle abgelehnt!)


Ich hätte mir gewünscht, dass sich Ihre Fraktionskolle-
gen im Kreistag deutlich dazu äußern, dass im Emsland
und auch in anderen Regionen Ställe angezündet worden
sind. Die Einzigen, die gesagt haben, dass es sich hier
um Straftaten handelt, die nicht hinzunehmen sind, wa-
ren die FDP-Vertreter. Von Ihrer Seite ist nichts gekom-
men.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721604600

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Priesmeier?


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1721604700

Sehr gerne.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1721604800

Herr Kollege Goldmann, auf einer meiner Besuchs-

touren durch das Emsland hatte ich die Gelegenheit, mit
dem ehemaligen Landrat Bröring zu sprechen, der Ihnen
wohl bekannt sein dürfte.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1721604900

Ich bin ja Mitglied des Kreistags.


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1721605000

Teilen Sie die Einschätzung des ehemaligen Landrats

Bröring, dass im Hinblick auf das Baugesetzbuch, die
Privilegierung und andere Tatbestände dringender Hand-
lungsbedarf besteht? Der Landrat hat damals ein eigen-
ständiges Gutachten angefordert. Er hat mich inständig
gebeten, Initiativen in Berlin zu starten, die zum Ziel
haben, den Kommunen und insbesondere seinem Land-
kreis Handlungsoptionen zu geben, die es ermöglichen,
dem Ausbau bestimmter Anlagen – nicht nur von Stäl-
len, hauptsächlich von Geflügelställen, sondern auch
von Biogasanlagen – Einhalt zu gebieten.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1721605100

Lieber Kollege Priesmeier, ich bin seit 30 Jahren Mit-

glied des Kreistags. Mir sind die Aktivitäten von Herrn
Bröring bestens bekannt.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Warum unterstützen Sie ihn nicht?)


– Hören Sie zu! Es soll ja eine Debatte sein. Jetzt darf
ich auch einmal etwas sagen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie stehen ja auch am Rednerpult!)


Der Landkreis Emsland hat dem Agrarstrukturwandel
Tür und Tor geöffnet. Ich will Ihnen auch sagen, warum.
Weil es sich hier um ein wild-morastiges Fehn handelte,
wo die Menschen kein Geld und nichts zu essen hatten.

Dann hat man festgestellt, dass man angesichts der Bo-
denstruktur – es handelt sich um sandige Böden, mit de-
nen sich nicht viel anfangen lässt – und der relativ gerin-
gen Besiedlungsdichte im Bereich der intensiven
Haltungsformen Geld verdienen kann. Das haben wir
gemacht.

Ich bestreite ja überhaupt nicht, dass wir das an der ei-
nen oder anderen Stelle übertrieben haben. Aber ich sage
Ihnen auch: Es ist eine gute Lösung. Frau Kollegin
Groneberg kann durchaus sagen, dass man in Südolden-
burg bestimmte Modelle auf der Basis des bestehenden
Baugesetzbuches entwickelt hat.


(Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Richtig! – Gabriele Groneberg [SPD]: Was aber nicht ausreicht!)


– Frau Groneberg, Sie wissen durch die Geschehnisse in
Bösel und Garrel, was ich meine. Sie wissen ganz genau,
dass das da anders geworden ist.

In der Gemeinde Lathen im Emsland – jetzt beschäfti-
gen wir uns ein bisschen mit der regionalen Geschichte –
hat man alle Bauern zusammengeholt und gefragt: Wel-
cher Bauer will eine Perspektive haben? Welcher Bauer
hat einen Nachfolger? Dann hat man sich auf Entwick-
lungen vor Ort verständigt. Es soll mir kein Mensch er-
zählen, dass das jetzige Baugesetzbuch bei kluger kom-
munaler Planung nicht jede Menge Möglichkeiten bietet.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das war vielleicht früher der Fall! – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das ist doch Quatsch! Das stimmt nicht! Das weißt du doch! Das ist doch falsch!)


– Lieber Friedrich Ostendorff, die Kommunen haben
keine klugen Flächennutzungspläne aufgestellt. Die
Kommunen haben ihre Räume nicht geordnet.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Das ist nicht wahr!)


Insbesondere deswegen ist diese Problematik entstan-
den.

Jetzt gehen wir weiter. Ich sage ganz klar: Wir werden
das Baugesetzbuch ändern. Nur, liebe Freunde, lasst uns
bloß nicht glauben, dass diese Regelung zum Nachteil
der gewerblichen Betriebe ist. Die gewerblichen Be-
triebe werden sich in Sondergebieten und möglicher-
weise auch in Gewerbegebieten ansiedeln. Das Ganze
trifft vor allen Dingen die Kleinen, die auf dem Weg zu
mehr Marktteilhabe sind, etwa Bauernfamilien.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das stimmt doch überhaupt nicht!)


Das gilt in besonderer Weise für das Osnabrücker Land.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Sie schüren bewusst Ängste bei den mittelständischen bäuerlichen Betrieben!)


Liebe Kollegen, wir sollten uns selbst fragen: Wie ist
die Situation im Bereich der Haltungsformen? In diesem





Hans-Michael Goldmann


(A) (C)



(D)(B)

Zusammenhang ist der Begriff „artgerechte Tierhaltung“
interessant. Ich möchte erst einmal von „tiergerechter
Tierhaltung“ reden; denn die Tierart spielt in der heuti-
gen Nutztierhaltung keine allzu große Rolle. Wir müssen
uns fragen: Sind wir im Tierschutz gut, oder sind wir im
Tierschutz schlecht? Sie wollen doch wohl nicht ernst-
haft behaupten, dass die Bundesrepublik Deutschland im
Tierschutz nicht führend in der Welt ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf der Abg. Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Sind wir bei der Bekämpfung des Antibiotikaeinsatzes
mit der Planung eines neuen Tierarzneimittelgesetzes
auf dem richtigen Weg? Sind wir! Sind wir im Bereich
Umweltverträglichkeitsprüfung – Bundes-Immissions-
schutzgesetz als Grundlage für das Miteinander zwi-
schen landwirtschaftlichem Tun und anderen Dingen im
ländlichen Raum – auf einem guten Weg? Ja! Deswegen
sage ich: Wir sind gut; aber wir können noch besser wer-
den.

Wir werden allerdings nicht besser, wenn wir so tun,
Friedrich Ostendorff und Kollegen von den Grünen, als
ob wir das Ruder zurückwerfen könnten. Das wollen wir
nicht.


(Bärbel Höhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir wollen nach vorn!)


– Liebe Freunde, ich bin mit meinem Vater, der Tierarzt
war – ich bin ebenfalls Tierarzt –, zu Zeiten durchs Ems-
land gefahren, da die Kühe angekettet waren und deswe-
gen eine große haarlose Stelle um den Hals hatten. Weil
es dunkel war, hatte mein Vater eine Taschenlampe im
Mund, um die Nummer auf der Ohrmarke abzulesen.
Die Hinterbeine der Tiere standen im Dreck, und wenn
man ihnen zu nahe kam, hauten sie einen mit einem voll-
geschissenen Schwanz durchs Gesicht. So waren die
Haltungsbedingungen. Es gab jede Menge Rotlauf, weil
die Schweine nicht vernünftig Luft bekamen.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Stimmt!)


Wir haben das geändert, und wir werden weitere Ände-
rungen vornehmen. Deswegen sollten wir endlich ein-
mal gemeinsam sagen: Wir sind auf einem guten Weg.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Wir müssen weitere Verbesserungen erreichen; das ist
überhaupt keine Frage.

Wenn Sie, Herr Kollege Dr. Matthias Miersch aus
Laatzen, sagen, dass wir Probleme in den Schlachtbetrie-
ben haben, entgegne ich: Völlig unstrittig. Das war ein
großes Thema. Es hat mich als Katholik aus dem Ems-
land beschämt – das sage ich Ihnen ganz ehrlich –, dass
Menschen in Sögel „Eimermenschen“ genannt worden
sind. Ich muss allerdings auch sagen: Ich habe eine Aus-
bildung zum Berufsschullehrer für Fleischer, Bäcker,
Hotel- und Gaststättengewerbler gemacht. Man hat doch
keine Lehrlinge bekommen.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Aber das ist kein Grund, Menschen zu Hungerlöhnen zu beschäftigen!)


Die ganze Branche war verarmt. Deswegen gibt es hier
einen gespaltenen Markt – das wissen Sie genauso gut
wie ich –: Es gibt Werksverträge, und es gibt andere Ver-
träge.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721605200

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage der

Kollegin Groneberg?


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1721605300

Ja. Das erschöpft mich zwar, aber ich erlaube noch

eine.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721605400

Bitte schön, Frau Groneberg.


Gabriele Groneberg (SPD):
Rede ID: ID1721605500

Herr Goldmann, ist Ihnen bekannt, dass der Schlacht-

betrieb VION Emstek gerade jetzt 60 festangestellte
Mitarbeiter, die zum Teil auch eine Fachausbildung ha-
ben, entlässt, um über Werkverträge Schlachtkolonnen
aus dem Ostblock zu beschäftigen, und das zu Löhnen,
die unter aller Würde sind? Das muss man einmal deut-
lich sagen.


Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1721605600

Mir ist bekannt, dass so etwas passiert. Wir haben das

auch bei einem Unternehmen im Emsland erlebt. Wir
müssen zwischen den Werksverträgen, die es in sehr vie-
len Betrieben gibt – nicht nur im Ernährungsgewerbe;
sie gibt es auch in anderen Betrieben, liebe Freunde;


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Leider!)


darüber können wir gerne einmal diskutieren –, und den
anderen Verträgen unterscheiden. Dazu kann ich Ihnen
nur Folgendes sagen: Bei uns im Emsland gibt es nicht
viele, die auf diesem Markt tätig sind. Die Firma Roth-
kötter, die in Wietze am Pranger steht, bezahlt bestens.
Die hat mit Werksverträgen überhaupt nichts zu tun. Die
hat Kindertagesstätten eingerichtet, weil sie sehr viele
Frauen beschäftigt. Diese Firma zahlt zwischen 8 und
11 Euro als Regelbezahlung. Es ist einfach Schwach-
sinn, wenn heute jemand behauptet, dass in diesem Be-
reich bei einer vernünftigen Marktorientierung kein Geld
verdient wird und dieses Geld den Arbeitnehmerinnen
und Arbeitnehmern nicht zugute kommt.

Das Problem ist – liebe Frau Groneberg, das wissen
Sie auch –, dass der deutsche Arbeiter nicht in die Flei-
schereien gehen wollte.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Das stimmt doch nicht!)


Das Problem ist nicht die Bezahlung in den Betrieben,
sondern – seien wir doch ehrlich miteinander – das Pro-
blem ist, dass man in der Region vier Menschen in einen
Raum hineingepfercht hat und man von diesen Men-
schen 19 bis 21 Euro pro Übernachtung abkassiert hat.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)






Hans-Michael Goldmann


(A) (C)



(D)(B)

Das ist nicht ein Problem in den Betrieben, sondern das
ist ein Problem im Bereich der Akzeptanz und des Um-
gangs einiger in dieser Region mit den Menschen. Das,
liebe Frau Groneberg, liebe Kolleginnen und Kollegen,
wollen wir ändern.


(Ulrich Kelber [SPD]: Was unternehmen Sie dagegen? Sie verweigern doch alle gesetzlichen Maßnahmen dagegen!)


Deswegen haben der Landrecht Vechta, der Landkreis
Cloppenburg und der Landkreis Emsland hohe Anerken-
nung verdient für den Beschluss, diese Dinge abzustel-
len.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Nach langen Jahren des Zusehens!)


Ich behaupte an keiner einzigen Stelle, dass wir in die-
sem Bereich nicht vor Herausforderungen stehen. Aber
ich behaupte ganz entschieden, dass wir sehr wohl in der
Lage sind, uns vor dem Hintergrund der leistungsfähigen
Struktur und der sicheren Produktion von Lebensmitteln,
die wir haben, auf einen Weg zu machen, der Zukunft
bedeutet für Landwirtschaft, für Ernährungswirtschaft
und für kluge Verbraucherpolitik.

Ich bitte Sie um nichts anderes: Lassen Sie ab von
dieser sogenannten Wende, die da kommen muss! Las-
sen Sie uns vielmehr darauf hinarbeiten, die Dinge mit-
einander positiv weiterzuentwickeln. Meiner Meinung
nach ist dies auch meine Aufgabe als Vorsitzender des
Ausschusses.


(Ulrich Kelber [SPD]: Sie lehnen doch alle Gesetze ab, um das zu regeln!)


Trotzdem lehne ich die von Ihnen eingebrachten Anträge
wegen Diskriminierung der Bauern und wegen Diskri-
minierung der Ernährungswirtschaft ab.


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Aber wir werden uns weiterhin mit dem Thema beschäf-
tigen. Ich freue mich, wenn Sie demnächst unserem Vor-
schlag zum Arzneimittelgesetz und unserem Vorschlag
zum Baugesetzbuch zustimmen werden.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721605700

Das Wort hat nun Dorothée Menzner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721605800

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Liebe Zuhörerinnen und Zuhörer! Die unhalt-
baren Zustände in der Massentierhaltung,


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Oh!)


von denen wir hier heute reden, sind in Niedersachsen
besonders gut zu studieren. Das wurde bereits angespro-
chen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Wo ist am Sonntag Landtagswahl?)


Etwa jedes fünfte Rind, jede dritte Legehenne und je-
des dritte Schwein in Deutschland verbringt sein Leben
in Niedersachsen. Eine Schlüsselrolle spielt die Geflü-
gelzucht. Rund 36,5 Millionen Tiere, Schlacht- und
Mastgeflügel, leben bei uns; das ist deutlich mehr als die
Hälfte des gesamtdeutschen Bestandes.

Die intensive Putenhaltung ist in Niedersachsen ein
Wachstumsbereich. Dadurch kommen die Haltungsbe-
dingungen auch zunehmend mehr Menschen ins Be-
wusstsein und werden in der Öffentlichkeit diskutiert.
Die Tatsache, dass Puten nicht in der Tierschutz-Nutz-
tierhaltungsverordnung aufgeführt sind, hat zu skandalö-
sen Zucht- und Haltungsbedingungen geführt.

Vielleicht erinnern Sie sich, liebe Kolleginnen und
Kollegen von der CDU/CSU, noch an den Rücktritt der
niedersächsischen Agrarministerin Grotelüschen vor
zwei Jahren aus ebendiesem Grunde, aber auch daran,
dass die Vorsitzende des Niedersächsischen Tierschutz-
bundes im Dezember aus der CDU ausgetreten ist. Aus-
löser war, dass die CDU/FDP-Landesregierung bis heute
nicht bereit ist, für artgerechte Tierhaltung, insbesondere
auch bei Puten, zu sorgen.

Herr Lindemann, Frau Grotelüschens Nachfolger im
Ministeramt, betreibt nichts weiter als eine Beschwichti-
gungspolitik. Das brutale Schnäbelkürzen bei Puten will
er bis 2018 weiterhin erlauben. So lange also sollen wei-
terhin drei bis zu 20 Kilogramm schwere Puten zusam-
mengepfercht auf 1 Quadratmeter leben? Weniger Platz
bedeutet auch – wir haben es hier schon gehört – mehr
Antibiotika. Ich finde, das ist eine Schande für eine Par-
tei, die von sich behauptet, der Bewahrung der Schöp-
fung verpflichtet zu sein.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


In Wahrheit geht es um die Bewahrung des Profits für
Agrarkonzerne, die in Deutschland die Nutztierhaltung
in eine verhängnisvolle Sackgasse getrieben haben. Frei-
willig – das zeigen die Erfahrungen – werden diese Kon-
zerne bei der Profitmaximierung auf keinen Cent ver-
zichten. Also ist Politik gefordert, Rahmenbedingungen
zu setzen und dieser Fehlentwicklung Einhalt zu gebie-
ten.


(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Dr. Matthias Miersch [SPD])


Wenn Politik nicht in der Lage oder nicht willens ist,
dies zu tun, dann gehört sie abgewählt.


(Beifall der Abg. Kerstin Tack [SPD])


Solch ein Wechsel ist auch in Niedersachsen, in der nie-
dersächsischen Agrarpolitik dringend notwendig;


(Beifall bei der LINKEN)


denn die Verbraucher wollen diese Art von Haltungsbe-
dingungen, bei denen einem nur der Appetit vergehen
kann, nicht.





Dorothée Menzner


(A) (C)



(D)(B)

Jetzt erzählen Sie mir bitte nicht, dass die Leute nicht
bereit wären, einige Cent mehr pro Kilo zu zahlen! Die
Krux ist vielmehr, dass viele sich das nicht leisten kön-
nen. Wir müssen uns wirklich einmal fragen, wie wir das
verändern wollen. Die Krux ist eine Politik von Lohn-
raub und Sozialdumping, die die Menschen nicht in die
Lage versetzt, faire Preise für gute und gesunde Lebens-
mittel und artgerecht erzeugtes Fleisch zu zahlen.


(Beifall bei der LINKEN)


Nicht zuletzt deswegen fordert die Linke einen gesetzli-
chen Mindestlohn von 10 Euro die Stunde.


(Manfred Grund [CDU/CSU]: Warum nicht 12? – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Warum nicht 20?)


Abschließend: Der Antrag der Grünen zu den Hal-
tungsbedingungen für Puten geht in die richtige Rich-
tung. Die sechs Punkte, die vorgeschlagen werden, hal-
ten wir für richtig, und Sie haben unsere Unterstützung,
auch wenn man Konsequenzen aus unserer Sicht noch
deutlicher formulieren müsste.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721605900

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Dorothee Menzner (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721606000

Wir brauchen unbedingt eine verlässliche Haltungs-

verordnung für Puten und andere Nutztiere, für die es
bisher keine solche Verordnung gibt; sonst bleibt das ein
Abarbeiten an Symptomen. Das Problem der industriel-
len Massentierhaltung muss aber generell auf den Prüf-
stand. Dafür stehen wir. Ich finde, Niedersachsen sollte
damit anfangen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721606100

Das Wort hat nun Friedrich Ostendorff für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Präsident! Meine Damen und Herren! „Für eine
neue Haltung – Artgerecht statt massenhaft“ ist der Titel
eines unserer Anträge. Wer von Ihnen je einen Blick in
eine Tierfabrik werfen konnte, wer je mit den Menschen
in den von der Agrarindustrie betroffenen Dörfern ge-
sprochen hat, der weiß, dass wir eine neue, bessere, art-
gerechte, unserer Zivilisation angemessene und unserem
Grundgesetz entsprechende Haltung unserer Tiere drin-
gend brauchen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es kann nicht sein, dass überall die Menschen gegen Tier-
fabriken auf die Straße gehen und es gleichzeitig in Ihrer
Regierungszeit eine exorbitante Zunahme der Massentier-

haltung gibt: viele Millionen neue Hühnchenplätze in
Niedersachsen, allein 3 Millionen im Kreis Vechta.

Aber zu einer neuen Haltung gehört auch eine neue
Haltung in der Agrarpolitik.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Es kann nicht sein, dass die Volksparteien CDU und
CSU sich bei einem so wichtigen Thema wie der Land-
wirtschaft vollständig dem Deutschen Bauernverband
ausliefern.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Egal ob Tierschutz-Label, Tierschutzgesetz oder Agrar-
reform – es gilt doch immer noch der eine Satz, den
Ministerin Aigner zu Beginn ihrer Amtszeit geprägt hat:
Wir machen nichts, was der Bauernverband nicht will. –
Wie ehrlich!


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: So ist das! – Gegenruf des Abg. Dr. Erik Schweickert [FDP]: Blödsinn!)


– So ist es.

Meine Damen und Herren, mit dieser Haltung ma-
chen Sie die bäuerlichen Betriebe in Deutschland kaputt.
35 Bauernhöfe am Tag machen zu. Sie wollen, dass wei-
terhin 80 Prozent der EU-Gelder an 20 Prozent der
Großbetriebe gehen und die Masse der bäuerlichen Be-
triebe entsprechend benachteiligt wird. Sie verweigern
den Bäuerinnen und Bauern die Honorierung ihrer
Umweltleistungen. Sie hängen einer aberwitzigen Billig-
fleischexport-Ideologie an und treiben damit die Tierhal-
tung immer tiefer in die Sackgasse der Massentierhal-
tung.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir befinden uns
gerade in einer entscheidenden Phase, was die nächsten
sieben Jahre Gemeinsamer Agrarpolitik in der EU an-
geht. Die Menschen draußen wollen eine echte grüne
Reform und sind bereit, dafür weiterhin Steuergeld zu
geben. „Öffentliche Gelder für öffentliche Leistungen“,
das ist das Grundprinzip der GAP. Wir brauchen jetzt ein
wirksames und verbindliches Greening. Wir brauchen
jetzt eine Stärkung der zweiten Säule. Wir brauchen eine
gerechtere Verteilung der Gelder.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Alexander Süßmair [DIE LINKE])


Frau Aigner aber ist bei dieser Reform leider ein To-
talausfall. Wir fordern daher die Bundeskanzlerin auf:
Frau Merkel, hören Sie auf die Menschen, die am Sams-
tag wieder unter dem Motto „Wir haben Agrarindustrie
satt!“ bei Ihnen vor dem Kanzleramt demonstrieren wer-
den!





Friedrich Ostendorff


(A) (C)



(D)(B)

Setzen Sie die Forderungen der Menschen und die
Forderungen der Imker, die diese Ihnen heute mitgege-
ben haben, beim EU-Gipfel im Februar um. Sie haben
die Richtlinienkompetenz und tragen die Verantwortung
für eine echte Reform, für eine bessere Agrarpolitik und
für die bäuerliche Landwirtschaft. Das erwartet die Ge-
sellschaft von Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721606200

Das Wort hat nun Franz-Josef Holzenkamp für die

CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Nicht nur zu Hause schwadronieren, sondern auch handeln! – Ulrich Kelber [SPD]: Wir haben Ihre Zitate von zu Hause hier, was Sie den Leuten alles versprochen haben, damit sie sehen, was Sie hier davon einlösen! Null!)



Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1721606300

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Besucher
auf der Tribüne! Herr Ostendorff, wenn man über andere
Personen etwas behauptet – Sie haben sich zu Frau
Aigner geäußert –, dann sollte es der Wahrheit entspre-
chen, gerade wenn es um das Thema Gemeinsame
Agrarpolitik geht. Das will ich an dieser Stelle deutlich
sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Daniela Wagner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das finden wir auch!)


Ich bin unserer Ministerin Ilse Aigner sehr dankbar,


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


dass sie gemeinsam mit Frau Merkel bei den GAP-Ver-
handlungen alles tut, um deutsche Interessen zu wahren.
Bei Ihren Anmerkungen hat man immer wieder den Ein-
druck, dass Ihnen deutsche Interessen abhandengekom-
men sind. Das wird bei Ihren Äußerungen offensichtlich.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In Ihren Anträgen beschreiben Sie skandalöse Zu-
stände. Der eigentliche Skandal ist das, was Sie uns in
Ihren Anträgen inhaltlich zumuten: pauschale Verun-
glimpfung und Diffamierung unserer deutschen Land-
wirtschaft. Das ist so. Lesen Sie es nach: Verbote, Be-
vormundung, Gängelung. Ich frage mich, was das für
eine Geisteshaltung ist. Trauen Sie den Menschen in
Deutschland überhaupt nichts mehr zu? Welches Gesell-
schaftsbild haben Sie? Ich sage Ihnen deutlich – Frau
Aigner hat es richtig festgestellt –: Mit Ihren detaillierten
Forderungen in Ihren Anträgen legen Sie die Axt an die
deutsche Landwirtschaft.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Unfug!)


Und zwar schaden Sie den kleinen Betrieben in Deutsch-
land, nicht den großen. Das, was Sie einfordern, ist fatal.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gehört auch zu den Märchen, die ihr immer wieder erzählt!)


Ich sage deutlich: Wir haben es satt, dass Sie jedes
Jahr zur Internationalen Grünen Woche versuchen, ge-
meinsam mit Ihnen nahestehenden Lobbyorganisationen
einen Skandal zu inszenieren, um daraus politisches Ka-
pital zu schlagen.


(Christian Lange [Backnang] [SPD]: Da spricht doch der größte Lobbyist!)


Offensichtlich hat sich das bei Ihnen zu einem Ge-
schäftsmodell entwickelt. Ich persönlich finde es unan-
ständig. Die Leute werden es merken. Es ist viel zu
durchsichtig. Mein Appell ist: Lassen Sie uns mehr an
der Sache arbeiten.

Wir haben es auch satt, dass Sie mit absurden Fanta-
sien und Utopien heute Wahlkampf machen. Herr
Miersch hat deutlich gesagt: Heute ist Wahlkampf. Das
war seine Äußerung vor wenigen Minuten. Ich finde, da-
mit werden Sie der Ernsthaftigkeit dieses Parlamentes
nicht gerecht und erst recht nicht der Belange der deut-
schen Bauern.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gibt über 300 000 landwirtschaftliche Betriebe in
Deutschland. Davon beschäftigen sich über 200 000 Be-
triebe mit Tierhaltung, und das 365 Tage im Jahr, Tag für
Tag. Dann kommen einige daher und meinen, sie wissen
vom Sofa aus alles besser. Wo kommen wir da hin? Das
kann doch wohl nicht wahr sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt aber nicht kollabieren! – Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Ich würde mir wünschen, dass auch Sie die großarti-
gen Leistungen der landwirtschaftlich tätigen Familien
in Deutschland endlich einmal anerkennen und ihnen
Respekt entgegenbringen.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Unsere Bauern haben das verdient.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Die Bauern haben Sie nicht verdient!)


Sie sichern in Deutschland mit 5 Millionen Arbeitskräf-
ten nicht nur jeden achten Arbeitsplatz, sondern bringen
auch einen großen sozialen Beitrag. Ich erziele als Bauer
auch lieber höhere Preise. Aber – da Sie immer wieder
von sozialer Verantwortung sprechen –: Sagen Sie den
Menschen zu den Forderungen in Ihren Anträgen offen
und ehrlich, dass Sie eine Vervielfachung der Preise wol-
len.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: So ist es!)


Wo bleibt da bitte schön Ihre soziale Verantwortung, die
Sie für die Menschen haben sollten?

Sie fordern mehr Tierschutz, allerdings mit Verboten
und Bevormundungen – anders kennt man das nicht –,





Franz-Josef Holzenkamp


(A) (C)



(D)(B)

ohne jedoch tatsächliche Lösungen beispielsweise für
Tierhaltungen oder bei Tiertransportzeiten zu bieten.
Soll der Bauer in Schleswig-Holstein seine Tiere denn
nur noch an einen Abnehmer verkaufen können? Ist dies
wirklich eine Lösung für kleinere Betriebe?

Ich will noch einmal im Namen unserer Bauern klar-
stellen: In Deutschland haben wir im Bereich der Tier-
haltung die höchsten Standards, und zwar weltweit.
Dennoch wollen auch wir mehr Tierschutz. Der Charta-
Prozess ist angesprochen worden. Wir suchen den offe-
nen Dialog mit unserer Gesellschaft. Wir wollen unsere
Spitzenposition weiter ausbauen.


(Zurufe der Abg. Christian Lange [Backnang] [SPD] und Ulrich Kelber [SPD])


Der Unterschied ist jedoch: Sie wollen Verbote, wir
hingegen bieten Lösungen. Wir entwickeln tatsächliche
Lösungen, und zwar zusammen mit der betroffenen
Landwirtschaft und mit der Forschung. Der Haushalt ist
gerade verabschiedet worden; darin sind für die nächsten
Jahre 21 Millionen Euro mehr für Tierschutzforschung
eingestellt. Daran sehen Sie: Sie reden, wir handeln.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Würden Sie mit Ihren Vorstellungen durchkommen,
meine Damen und Herren, dann befeuerten Sie den
Strukturwandel in einer Art und Weise, die gerade für
kleinere Betriebe nicht auszuhalten wäre. Das wollen
wir jedenfalls nicht.

Sie nehmen auch keine Rücksicht auf europäische
Standards. Vielmehr nehmen Sie billigend in Kauf, dass
die Tierhaltung in andere Länder verlagert wird.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das macht ihr doch mit den Hermesbürgschaften! Wer denn sonst? Ihr exportiert doch!)


Im Übrigen erweisen Sie dem Tierschutz damit einen
Bärendienst,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ihr nehmt Steuergeld und schmeißt es raus!)


und Sie fügen unserer Volkswirtschaft einen riesengro-
ßen Schaden zu. Sie haben offensichtlich kein Problem
mit einem Ausverkauf der deutschen Landwirtschaft.

Im Gegensatz zu Ihnen entwickeln wir den Tierschutz
gemeinsam mit der Forschung, mit der Wissenschaft,
aber auch mit den Landwirten. Sie behaupten, Intensiv-
tierhaltung fördere den Klimawandel. Eines habe ich in
der Grundschule gelernt: Wenn zwei Kühe je 5 000 Liter
Milch im Jahr geben, dann erzeugen sie mehr Methan-
emissionen als eine Kuh, die 10 000 Liter gibt.


(Zuruf des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Ich will gar nicht behaupten, dass 10 000 Liter der
richtige Wert ist. Wenn wir jedoch über Ressourceneffi-
zienz sprechen, dann muss man hierüber doch vernünftig
und sachlich diskutieren dürfen – auch mit Ihnen, wie

ich hoffe. Sie wollen Stallbauten ab einer bestimmten
Größenordnung verbieten, bzw. Sie wollen den berühm-
ten § 201 BauGB ändern, und zwar dahin gehend, dass
die Flächen tatsächlich bewirtschaftet werden müssen
und nicht nur theoretisch, so wie es die Gesetzeslage
heute ermöglicht und wie es von den Landwirten in Ko-
operation mit den Berufskollegen gemacht wird.

Begreifen Sie eigentlich nicht, dass dies das Aus ge-
rade kleinerer Betriebe bedeuten würde? Frau Aigner hat
Beispiele von Betrieben mit einer Größe von 10, 30 oder
40 Hektar genannt. Diese Betriebe sind auf eine solche
Kooperation angewiesen.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Quatsch!)


Was bedeutet das denn? Sie reden immer von der Förde-
rung kleinerer Betriebe, mit Ihren Vorschlägen jedoch
bewirken Sie das genaue Gegenteil. Ich finde das heuch-
lerisch. Wohin führt das denn? Damit würden wir ja zum
Großgrundbesitzertum zurückkehren. Das wollen wir als
christlich-liberale Koalition garantiert nicht.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zurufe von der SPD und der LINKEN)


Dann sprechen Sie von der Steuerung. Michael
Goldmann hat es richtig ausgeführt: Steuerung ist bereits
heute möglich. Gabi, du kennst diese Beispiele auch.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721606400

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1721606500

Ja, ich komme zum Ende, Herr Präsident.


(Zuruf von der LINKEN: Er ist am Ende!)


Es gibt positive Beispiele, die zeigen, dass es bereits
funktioniert. Auch wir wollen mehr kommunale Steue-
rung.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Nein, das ist nicht ausreichend!)


Der Kabinettsbeschluss existiert, die erste Lesung hat
stattgefunden, der parlamentarische Prozess ist in Gang.
Also tun Sie doch bitte schön nicht so, als würde gar
nichts passieren.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721606600

Herr Kollege!


Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1721606700

Ihre Anträge sind gerade zum Beginn der Grünen Wo-

che so zu erwarten gewesen. Sie sind eine Zumutung für
die deutsche Landwirtschaft. Lassen Sie uns die Graben-
kämpfe beilegen und zu einem stärkeren Miteinander
finden.

Ein herzliches Dankeschön und eine schöne Grüne
Woche.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)







(A) (C)



(D)(B)


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721606800

Das Wort hat nun Wilhelm Priesmeier für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1721606900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wer hier eine
Zumutung für wen ist, mögen die Zuhörer entscheiden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Heute haben hier seitens der CDU/CSU-Fraktion zwei
hochkarätige Funktionäre des Bauernverbandes gespro-
chen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Unter den Vertretern der CDU/CSU, die hier heute Mit-
tag neben der Ministerin geredet haben, waren der Präsi-
dent des Westfälisch-Lippischen Landwirtschaftsverban-
des und der Vizepräsident des niedersächsischen
Landesbauernverbandes.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Christian Lange [Backnang] [SPD]: So ist das! Die Lobbyisten! Das lässt tief blicken in Ihr Politikverständnis! – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/ CSU]: Ist das schlimm?)


– Das ist mit Sicherheit nicht unbedingt schlimm. Aber
man muss überlegen, welches Politikfeld man sich sucht.
Jedem ist klar, dass der Deutsche Bauernverband ein In-
teressenverband ist; er muss Interessen vertreten. Kön-
nen Sie als Kollege die Argumentation, die Sie im Präsi-
dium Ihres Verbandes vortragen, von dem unterscheiden,
was Sie hier im Bundestag vortragen, von dem, was Sie
als Abgeordneter an sich zu entscheiden haben?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/ CSU]: Ja!)


Wenn die Debatte hier schon eskalieren soll, dann setze
ich in der Beziehung noch einen drauf, unabhängig von
den persönlichen Dingen. Ich achte natürlich Ihre Argu-
mentation und auch Ihren Sachverstand. Aber ich
glaube, dass man da zwei Dinge auseinanderhalten
muss: Das eine ist die politische Aufgabe und Funktion,
die man wahrnimmt, das andere ist die Interessensvertre-
tung in Verbänden. Das muss man einfach auseinander-
halten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Peter Bleser [CDU/CSU]: Was Sie machen, ist nicht in Ordnung!)


In diesem Zusammenhang ist sicherlich die Kompetenz
gefragt; ich gebe das zu bedenken, da die Diskussion
schon so erregt ist. Ich glaube, diese Auseinanderset-
zung, diese Debatte wird zwangsläufig immer vor der
Grünen Woche geführt.

Ich bin als Niedersachse natürlich stolz auf das, was
niedersächsische Landwirte leisten.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es nützt niemandem, jemanden in die Ecke zu stellen
und ihm etwas zu unterstellen.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Aber das machen Sie doch die ganze Zeit!)


– Nein. Es geht konkret darum, dass die Politik im Dia-
log zwischen Gesellschaft und Landwirtschaft – es geht
um das Dreieck aus Landwirtschaft, Politik und Gesell-
schaft – gehalten ist, die richtigen Rahmenbedingungen
zu setzen,


(Beifall bei der SPD)


damit es zu einem Ausgleich zwischen den Interessen
der Bürger vor Ort und der Landwirte kommt. Diese In-
teressen sind nicht immer identisch; das wissen auch Sie,
meine Damen und Herren. Das ist eben der Grund dafür,
dass man gesetzliche Regelungen braucht und man Ge-
setze novellieren muss. Es darf nicht alles so bleiben,
wie es ist. Aber Sie tragen vor: Es muss im Regelfalle
fast alles so bleiben, wie es ist.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Franz-Josef Holzenkamp [CDU/CSU]: Ich habe etwas ganz anderes gesagt!)


Heute Abend sitzen wieder alle beim Bundesverband
Vieh und Fleisch. Da sitzen wir dann wieder vielleicht
mit den Herren zusammen, die in Deutschland im Be-
reich der Fleischbranche den Ton angeben: die Vertreter
von VION, von Tönnies usw. usf. Das hat schon etwas.
Aber die Herren hören offensichtlich nicht auf das, was
man ihnen vorträgt. Ich beobachte in dem Sektor eine
Oligopolisierung. Das kann nicht im Interesse der Land-
wirte sein.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721607000

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Holzenkamp?


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1721607100

Selbstverständlich.


(Ute Vogt [SPD]: Oh! Der hat doch schon so lang geschwätzt!)



Franz-Josef Holzenkamp (CDU):
Rede ID: ID1721607200

Herr Kollege Priesmeier, Sie haben eben ausgeführt,

dass wir gesagt hätten, es solle, was die Entwicklung an-
geht, alles so bleiben, wie es war; das haben Sie eben so
formuliert.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das haben Sie falsch verstanden!)


– Das haben Sie eben so formuliert. – Nehmen Sie zur
Kenntnis, was meine Kollegen und auch ich persönlich
zum Tierschutz gesagt haben? Wir haben festgestellt,
dass wir in Deutschland hohe Standards haben – das ist





Franz-Josef Holzenkamp


(A) (C)



(D)(B)

richtig, das stimmt –, aber diese Standards weiterentwi-
ckeln wollen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Richtig!)


Wir wollen unsere Spitzenposition in der Welt und in Eu-
ropa weiter ausbauen. Wir haben deshalb die Forschungs-
mittel wesentlich erhöht. Nehmen Sie zur Kenntnis, dass
wir den Tierschutz weiterentwickeln wollen


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mit Schenkelbrand! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen Sie schon seit Jahrzehnten!)


und hier die Forschung ganz stark mit einbeziehen!


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1721607300

Herr Kollege Holzenkamp, wenn Sie schon meiner

Rede zuhören, möchte ich Sie doch bitten, genau zuzu-
hören. Ich habe gesagt: „fast“. Der Begriff macht einen
Unterschied.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Peter Bleser [CDU/CSU]: Das müssen wir noch mal nachlesen!)


Ich finde es hervorragend, dass die Ansätze für die
Forschung erhöht worden sind. Aber die Anträge zum
Haushalt, die wir eingebracht haben, hätten dazu ge-
führt, dass die Forschungsansätze wesentlich höher aus-
gefallen wären. Insofern glaube ich, dass wir auch da
den fortschrittlicheren Ansatz hatten; das müssen Sie mir
doch zugestehen.


(Beifall bei der SPD – Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wir wollen keine weiteren Schulden machen!)


Herr Kollege, das, was sich an den Strukturen im vor-
und nachgelagerten Bereich verändert, hat natürlich
Auswirkungen auf die Strukturen der Landwirtschaft
selber. Ich will im landwirtschaftlichen Bereich keine In-
vestoren von irgendwo; die SPD will das nicht.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir wollen bäuerliche Betriebe, und wir wollen bäuerli-
ches Kapital. Wir wollen kein Kapital aus Fonds, wir
wollen keine KTG und keine AGs. Das alles wollen wir
nicht.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das ist doch nicht Ihr Ernst!)


Herr Kollege Holzenkamp, können Sie denn ausschlie-
ßen, dass der Stall an der nächsten Ecke keinem anderen
gehört als dem, auf dessen Grund er steht und der damit
wirtschaftet? Das wissen auch Sie nicht. In diesem Sek-
tor findet eine rasante Entwicklung statt. Das wissen Sie
genauso gut wie ich. Diese Strukturen muss man nicht
unbedingt befördern, schon gar nicht mit Bezahlung aus
öffentlichen Kassen und mit Subventionen.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir können stolz darauf sein, dass der Agrarsektor im
letzten Jahr eine Wertschöpfung von etwa 55 Milliarden
Euro erreicht hat, die Hälfte davon bedingt durch Tier-
haltung und Veredelung. Da kann sich Deutschland
wirklich sehen lassen. Aber wir haben von den Vorred-
nern schon gehört, welche Probleme es in den verschie-
denen Regionen gibt. Davor kann man die Augen doch
nicht verschließen.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Das tun wir auch nicht!)


Unterhalten Sie sich doch einmal mit den Vertretern des
Wasserverbandes und der Wasserbeschaffungsverbände
in einer bestimmten Region.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Wo? Bei euch?)


– Nein, gerade bei euch. Guck dir mal die Messergeb-
nisse des Wassers aus den Brunnen in den Wassergewin-
nungsgebieten an.


(Abg. Hans-Michael Goldmann [FDP] meldet sich zu einer Zwischenfrage)


Ich kann sie dir geben. Ich habe sie dabei; die bekommst
du von mir. Du brauchst gar nicht fragen.


(Heiterkeit und Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Ergebnisse zeigen, wie stark die Nitratwerte in be-
stimmten Bereichen mittlerweile angestiegen sind. Der
Grundwasserkörper verdaut einiges; aber wenn wir so
weitermachen, dann können wir in bestimmten Berei-
chen in 20 bis 30 Jahren in der Tiefe kein Wasser mehr
gewinnen. Das ist einfach so.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721607400

Herr Kollege, gestatten Sie eine Zwischenfrage des

Kollegen Goldmann?


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1721607500

Na gut.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Immer noch nicht alles verstanden!)



Hans-Michael Goldmann (FDP):
Rede ID: ID1721607600

Lieber Wilhelm Priesmeier, lieber Kollege, es geht

ganz schnell. Das Wasser aus unserer Region ist Hümm-
ling-Wasser – das ist dir wahrscheinlich bekannt –; da-
mit wird die Stadt Bremen versorgt. Ist dir bekannt, dass
das Hümmling-Wasser das beste Wasser ist, das es auf
dem deutschen Markt gibt?


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)


– Absolut; ihr habt die Zahlen bekommen. Ich habe die
Bilanz verteilt; darin steht: Hümmling-Wasser ist das
beste Wasser, das es gibt.






(A) (C)



(D)(B)


Dr. Wilhelm Priesmeier (SPD):
Rede ID: ID1721607700

Sehr verehrter Herr Kollege, ich schätze das heimi-

sche Wasser und Ihres ganz besonders. Wenn ich das
nächste Mal in Ihrer Region bin, werde ich garantiert da-
von trinken.


(Hans-Michael Goldmann [FDP]: Dann musst du aber nicht so einen Schiet über das Wasser erzählen!)


– Die Frage ist gestellt; ich beantworte sie jetzt. – Es gibt
natürlich noch andere Wassergewinnungsgebiete, die
nicht im Hümmling liegen. Sie zeichnen sich dadurch
aus, dass sie in Zukunft erhebliche Probleme bekommen
werden, ganz abgesehen von den Bereichen, in denen
Stickstoff eingetragen wird und die überhaupt nicht kon-
trolliert werden. Niemand weiß, was dort unten passiert.
Das gebe ich zu bedenken.

Hier besteht dringender Handlungsbedarf. Der Was-
serverbandstag Bremen, Niedersachsen und Sachsen-
Anhalt hat das bereits angemeldet. Grund dafür war eine
entsprechende Initiative der niedersächsischen Landes-
regierung, die das Problem erkannt hat. Wir müssen uns
aber auch auf Bundesebene diesen Problemen stellen
und darüber nachdenken, was überhaupt noch eingetra-
gen werden darf und ob nicht baugesetzlich geprüft wer-
den muss, ob die Flächen, die für neue Investitionen aus-
gewiesen sind, noch geeignet sind, die Stickstoff- und
Nitratfrachten aufzunehmen. Das sind sie nämlich nicht
mehr.


(Alexander Süßmair [DIE LINKE]: Richtig!)


Das muss man gewärtigen, wenn man ökologische Ver-
träglichkeit in einer landwirtschaftlich so schönen Re-
gion wie dem Oldenburger Münsterland gewährleisten
will.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Wir wollen in diesen Sektoren keine Strukturen, wie
wir sie aus anderen Ländern kennen. Der große amerika-
nische Konzern Smithfield ist ein Beispiel dafür, wie
man agrarische Produktion organisieren kann, nämlich
nicht horizontal mit vielen Betrieben, sondern im Regel-
fall vertikal. Da wird jemand zum Vertragsmäster, bindet
sich für eine bestimmte Zeit und schluckt das, was er
kriegt.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich kenne die Hühnerhalter!)


In den Bereichen der Geflügelwirtschaft und Geflügel-
mast ist es häufig nicht viel anders.

Bislang ist auf einem Markt produziert worden, der
aufgenommen hat. Die Nachfrage war nicht gedeckt,
und wir hatten in Bezug auf die Eigenversorgung einen
gewissen Nachholbedarf. Das ist aber schon lange nicht
mehr so. Die Marktbedingungen ändern sich zuneh-
mend; die Marktsituation wird schwieriger. Jeder, der
heute in diesem Bereich investiert, sollte sich genau
überlegen, was er tut.

Ein weiteres Problem ist der Einsatz von Antibiotika,
der zu erheblichen Debatten geführt hat. Wir brauchen

eine dezidierte Regelung, ein Antibiotika-Minimie-
rungskonzept,


(Dr. Christel Happach-Kasan [FDP]: Das haben wir!)


das sicherstellt, dass durch resistente Keime aus Betrie-
ben keine Gesundheitsgefahren für die Gesellschaft be-
stehen, indem kontaminierte Lebensmittel gegessen oder
Keime verschleppt werden. Dafür brauchen wir – das ist
mir besonders wichtig – eine bundeseinheitliche Daten-
bank.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)


Das ist die wichtigste Voraussetzung für die Kontrolle.
Sie muss beim Bund, beim BMVEL, angesiedelt sein.
Sie muss unter Bundesverantwortung stehen, damit man
sich nicht in den föderalen Strukturen bewegen muss,
damit nicht jeder einem anderen die Verantwortung für
Dinge zuschieben kann, die er selber nicht kontrollieren
will. Damit muss Schluss sein. Das müssen wir umset-
zen.


(Beifall der Abg. Elvira Drobinski-Weiß [SPD])


Ich habe dazu ein Gutachten des Wissenschaftlichen
Dienstes angefordert. Dieses belegt, dass der Bund dies-
bezüglich durchaus die Gesetzgebungskompetenz hat.
Wir fordern das jetzt ein. Wir werden im Rahmen der
weiteren Beratung des AMG entsprechende Änderungs-
anträge einbringen. Dann werden wir sehen, welchen
Wert Ihr Bekenntnis, für eine bessere Gesundheit und
weniger Antibiotika-Einsatz sorgen zu wollen, hat.

Ich bedanke mich bei Ihnen allen für die Aufmerk-
samkeit und wünsche Ihnen viel Kraft für die Grüne Wo-
che. Uns steht einiges bevor.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721607800

Das Wort hat nun Hans-Georg von der Marwitz für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1721607900

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kollegin-

nen und Kollegen! Sehr verehrte Damen und Herren!
Alle Jahre wieder, pünktlich zur Eröffnung der Grünen
Woche, kommt – das ist so sicher wie das Amen in der
Kirche – ein Lebensmittelskandal: Dioxin-Eier, Antibio-
tika im Geflügelfleisch, Keime im Schweinemett etc.
Die Berichte sind aufgemacht mit eindrücklichen Bil-
dern und Horrormeldungen, die von Ihnen, von der Op-
position, gerne aufgenommen werden, um uns, den Re-
gierungsparteien, schuldhaftes Handeln zu unterstellen.
Aber diese Themen taugen nicht, um sich politisch zu
profilieren.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warte einmal ab!)






Hans-Georg von der Marwitz


(A) (C)



(D)(B)

Auch in Ihrer Regierungszeit kamen regelmäßig
Skandale an die Öffentlichkeit – ich darf Sie daran erin-
nern –: BSE-Krise, Nitrofen-Skandal, Hygienemängel
und Umetikettierung bei Frischfleisch. Frau Künast, Ihre
Antwort war die Schwerpunktlegung auf den Verbrau-
cherschutz.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zu Recht!)


Die Frage drängt sich auf: Vor wem wollten Sie die Ver-
braucher schützen? Waren die Landwirte Ihr Feindbild?
Ihre heutigen Anträge sind teilweise interessant. Nur
wundere ich mich, dass Sie in sieben Jahren Regierungs-
zeit keine Möglichkeit sahen, die schon damals bekann-
ten Entwicklungen zu beeinflussen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wo waren Sie denn damals? Sie haben doch gesagt, ich hätte zu früh geändert, ich hätte zu viel geändert! Was ist denn los?)


Es gibt keine einfachen Lösungen für komplexe Pro-
bleme. Ein typisches Beispiel ist die Einführung des
Biosiegels, das dazu führte, dass die hochwertigen Stan-
dards der Anbauverbände wie Demeter, Bioland und Na-
turland unterlaufen wurden. Wirklich gefördert haben
Sie in Ihrer Amtszeit, liebe Frau Künast, vor allem die
Polarisierung zwischen uns Landwirten und den Ver-
brauchern.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Sie waren nur so fertig!)


Auch wir, die Regierungsfraktionen, sind alles andere
als glücklich über viele Entwicklungen in der europäi-
schen Landwirtschaft.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Retrograde Amnesie nennt man das! Was Sie haben, ist retrograde Amnesie!)


Darüber müssen wir uns sicher auch in unseren eigenen
Reihen Gedanken machen. Viele von uns sehen mit
Sorge den zunehmenden Einsatz von Antibiotika in der
Geflügel- und Schweinemast, die immer größeren Mast-
einheiten und den Strukturwandel weg vom bäuerlichen
Familienbetrieb hin zu anonymen Agrargesellschaften.
Liebe Freunde, dieses Argument habt ihr nicht gepach-
tet. Das ist tatsächlich und gerade für mich, der ich aus
dem ostdeutschen Raum stamme, ein massives Problem.
Die heute diskutierten Themen wie Antibiotika-Reduk-
tion, artgerechte Tierhaltung oder Erhaltung mittelstän-
discher Produktionsstrukturen werden von der Bundes-
regierung bereits ausdrücklich und aktiv angegangen,
auch bezogen auf das Arzneimittelgesetz und den Tier-
schutz.

Gerade die Entwicklung bei uns in Ostdeutschland ist
spannend. Ein kurzer Einblick: Neulich wurde mir im
Supermarkt ein Hähnchen für 3,79 Euro angeboten.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ach? Da kaufen Sie ein! Sie kaufen bei Aldi?)


Was ist bei diesem Preis vom Erzeuger noch zu erwar-
ten, wenn die Brütereien, die Futtermittelhersteller, die

Tierärzte, die Arbeitskräfte, die Schlachtereien, der
Großhandel, der Einzelhandel und nicht zuletzt die Ban-
ken ihre Kosten und Gewinnmargen in Rechnung stel-
len?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum gehen Sie in den Supermarkt?)


Diese Frage müssen wir genauso wie viele andere stel-
len. Eine Antwort, die bedenklich ist, lautet: größere,
saubere und rationeller zu bewirtschaftende Masteinhei-
ten. Das ist bei uns in Ostdeutschland eine ganz andere
Thematik als bei Ihnen in Niedersachsen oder Westfalen.


(Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Das wissen wir alle!)


Diese Masteinheiten sollen so groß sein, dass selbst uns
Landwirten schwindelig wird.

In den neuen Bundesländern, besonders in Branden-
burg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt,
vollzieht sich ein in Deutschland noch nie dagewesener
Strukturwandel in der Landwirtschaft.


(Peter Bleser [CDU/CSU]: Wer regiert denn da?)


Agrargesellschaften, aber auch Einzelunternehmen mit
mehreren Tausend Hektar bzw. riesigen Tierhaltungsan-
lagen schießen wie Pilze aus dem Boden. Diesen Betrie-
ben wird mit herkömmlichen Steuerungsmechanismen
wie GVE-Besatz – § 35 BauGB, Bauen im Außenbe-
reich – oder BImSchV nicht mehr beizukommen sein.
Insofern besteht dort Handlungsbedarf.

In meiner Nachbarschaft laufen derzeit zwei Geneh-
migungsverfahren für insgesamt 860 000 Hähnchen-
mastplätze. Das entspricht einer Jahresproduktion von
mindestens 8 Millionen Hähnchen. Sie können davon
ausgehen, dass in diesen Anlagen der Einsatz von Anti-
biotika eher geringer sein wird als in kleinen und alten
Mastanlagen. Moderne Luftreinigung, Klimasteuerung
und keimabweisende Baumaterialien sorgen für einen
ziemlich reibungslosen Mastverlauf. Mit massivem Wi-
derstand aus der Bevölkerung müssen Investoren in den
ländlichen Räumen Ostdeutschlands kaum rechnen, zu-
mal sie alle Auflagen erfüllen werden.

Meine Damen und Herren, ich will diesen Anlagen in
keiner Weise das Wort reden, ganz im Gegenteil. Ich
komme aber an den Tatsachen nicht vorbei. Diese Mega-
betriebe werden deine Forderung, Friedrich Ostendorff
– übrigens noch einmal herzlichen Glückwunsch zu dei-
nem 60. Geburtstag –,


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke schön!)


die Bestandsdichten zu reduzieren, viel leichter umset-
zen können als die vielen bäuerlichen Betriebe, ganz ein-
fach deshalb, weil unsere Strukturen das zulassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Überhaupt sind Ihre Antworten, meine Damen und
Herren der Opposition, auf die drängenden Fragen dieser
Entwicklungen ausgesprochen dünn. Sie beschränken
sich darauf, einen Keil in die Landwirtschaftsbranche zu





Hans-Georg von der Marwitz


(A) (C)



(D)(B)

treiben und sie in „Öko-gut“ und „Konventionell-böse“
zu unterteilen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie sind doch irgendwie in der Sprache von vor zehn Jahren hängen geblieben!)


Ihr Verhalten ist alles andere als zielführend. Wir brau-
chen die Kräfte aller Akteure in der Landwirtschaft, um
den Strukturwandel zu begrenzen und die Rahmenbedin-
gungen zu verbessern, zumal die Unterscheidungskrite-
rien nicht wirklich nachvollziehbar sind. Gibt es nicht
auch im Ökolandbau längst Massentierhaltung?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Was ist tatsächlich artgerecht? Selbst die Haltung meiner
3 000 Biohühner im Allgäu war zwar den Auflagen des
Naturland-Verbandes konform, aber eben nicht artge-
recht. Auch ich kam nicht umhin, erkrankte Bestände zu
behandeln und Aggressivität durch Lichtmanipulation zu
dämpfen.

Nein, meine Damen und Herren, die Vorstellung der
Verbraucher über die – nie dagewesene – bäuerliche
Idylle gehört in die Welt der Fabeln und Märchen


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


oder in die so farbenfrohen Magazine, die die Sehn-
süchte der Verbraucher, vollkommen an der Realität vor-
bei, bedienen. Solange die Wunschvorstellungen und das
Handeln der Verbraucher im krassen Gegensatz steht,
wird es weiterhin bei vielen Lippenbekenntnissen blei-
ben. Ich komme nicht umhin, auch an Ihre Verantwor-
tung, verehrte Verbraucherinnen und Verbraucher, zu ap-
pellieren: Wer sich beim Einkauf gedankenlos verhält,
darf sich nicht über Massentierhaltung oder nicht artge-
rechte Haltung beschweren.

Wenn wir tatsächlich andere als sich jetzt entwi-
ckelnde Agrarstrukturen wünschen, dann hätten wir in
diesem Jahr die besten Möglichkeiten, zu handeln.


(Gabriele Groneberg [SPD]: Ja!)


Die GAP-Reform ist ein zentrales Steuerungsinstrument,
das uns in der Politik noch bleibt.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sehen wir auch so!)


Meine Forderungen gehen, wie Sie wissen, mittlerweile
recht weit. Wenn wir wieder die fachliche Kompetenz
der Landwirte in den Mittelpunkt stellen, bürokratische
Monster abbauen und subventionsoptimiertes Wirtschaf-
ten vor allem bei uns unterbinden wollen, muss es er-
laubt sein, über den mittelfristigen Ausstieg oder die
Umstrukturierung der ersten Säule bis 2020 nachzuden-
ken.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD])


Natürlich können wir in der Zeit frei werdende Mittel in
die Förderung von Existenzgründungen stecken oder
auch über Haltungsmethoden nachdenken. Allerdings

geht das nur im Zusammenspiel mit Brüssel. Ein Allein-
gang Deutschlands würde – das wissen Sie genau – nur
zur Verlagerung der Mastanlagen ins Ausland führen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721608000

Herr Kollege, Sie müssen bitte zum Schluss kommen.


Hans-Georg von der Marwitz (CDU):
Rede ID: ID1721608100

Ich komme zum Ende. Vielen Dank.

Meine Damen und Herren, entscheidend ist, erstens
alle möglichen Folgen potenzieller Maßnahmen im
Blick zu haben und zweitens die Praktikabilität der For-
derungen zu überprüfen. Die ausführliche Diskussion
zum Tierschutzgesetz hat es bereits deutlich gemacht:
Reiner Aktionismus ist nicht hinnehmbar.


(Friedrich Ostendorff [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Deshalb machen wir weiter Schenkelbrand!)


Ich bin überzeugt, dass familiengeführte Landwirt-
schaftsbetriebe ein existenzielles Bedürfnis haben, dem
Tierwohl und dem Verbraucherschutz gleichermaßen ge-
recht zu werden. Insofern sollten diese Betriebe im Mit-
telpunkt der Diskussion um ein landwirtschaftliches
Leitbild stehen. Die Grüne Woche bietet die Gelegen-
heit, das Thema „Landwirtschaft“ öffentlichkeitswirk-
sam, vor allem aber konstruktiv zu diskutieren.

Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie des Abg. Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD] – Dr. Wilhelm Priesmeier [SPD]: Gute Rede, Herr Kollege!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721608200

Ich schließe die Aussprache.

Über die Überweisung der Vorlagen auf den Druck-
sachen 17/12056 und 17/11879 an die in der Tagesord-
nung aufgeführten Ausschüsse haben wir vorhin schon
abgestimmt.1)

Damit kommen wir zu den weiteren Abstimmungen,
und zwar zunächst zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Frak-
tion der SPD mit dem Titel „Antibiotika-Einsatz in der
Tierhaltung senken und eine wirksame Reduktionsstrate-
gie umsetzen“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/8611, den
Antrag der Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8157
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der drei Oppo-
sitionsfraktionen angenommen.

Wir kommen zur Abstimmung über die Beschluss-
empfehlung des Ausschusses für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz zu dem Antrag der Frak-

1) siehe Seite 26627 D





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) (C)



(D)(B)

tion Die Linke mit dem Titel „Landwirtschaftliche
Nutztierhaltung tierschutzgerecht, sozial und ökolo-
gisch gestalten“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/11817, den
Antrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/10694
abzulehnen. Wer stimmt für diese Beschlussempfeh-
lung? – Wer stimmt dagegen? – Enthaltungen? – Die
Beschlussempfehlung ist mit den Stimmen der beiden
Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen der Linken bei
Enthaltung von SPD und Grünen angenommen.

Abstimmung über die Beschlussempfehlung des Aus-
schusses für Ernährung, Landwirtschaft und Verbrau-
cherschutz zu dem Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die
Grünen mit dem Titel „Haltungsbedingungen für Puten
verbessern“. Der Ausschuss empfiehlt in seiner
Beschlussempfehlung auf Drucksache 17/12048, den
Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen auf Druck-
sache 17/11667 abzulehnen. Wer stimmt für diese Be-
schlussempfehlung? – Wer stimmt dagegen? – Enthal-
tungen? – Die Beschlussempfehlung ist mit den
Stimmen der Koalitionsfraktionen gegen die Stimmen
der Oppositionsfraktionen angenommen.

Ich rufe nun den Tagesordnungspunkt 3 auf:

Befragung der Bundesregierung

Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen
Kabinettssitzung mitgeteilt: Luftfahrtstrategie der Bun-
desregierung.

Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Parlamentarische Staatssekretär beim Bundes-
ministerium für Wirtschaft und Technologie und Koordi-
nator der Bundesregierung für Luft- und Raumfahrt,
Peter Hintze. Bitte schön, Kollege Hintze.

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721608300


Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Die Weltluftfahrt wächst kontinuier-
lich. Darin liegt eine große Chance für Hersteller,
Zulieferer und Wartungsdienstleister sowie für den Wirt-
schaftsstandort Deutschland insgesamt, an diesem Hoch-
technologiebereich wirtschaftlich und technisch zu parti-
zipieren. Darin liegt auch eine große Chance für die
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer auf zukunfts-
sichere und qualifizierte Arbeitsplätze in allen Bundes-
ländern, aber insbesondere in Hamburg, Niedersachsen,
Bremen und Bayern, wo die Schwerpunkte der Herstel-
ler und Zulieferer im Bereich der Luftfahrt liegen; viele
kleine und mittlere Unternehmen befinden sich aber
auch in den anderen Ländern.

Eine Chance bietet sich auch dadurch, dass der Luft-
verkehr hinsichtlich des Klimaschutzes global einen
großen Beitrag leisten möchte und leisten muss. Eine
Herausforderung besteht bei der Entwicklung neuer
Flugzeuge im Hinblick auf die Energieeffizienz und den
Ausstoß von Kohlenstoffdioxid. Die Internationale
Zivilluftfahrt-Organisation hat sich als Ziel gesetzt, den
gesamten CO2-Ausstoß der zivilen Weltluftfahrt bis zum
Jahre 2050 im Vergleich zu 2005 zu halbieren, also
50 Prozent weniger CO2-Ausstoß trotz wachsenden

Luftverkehrs. Sie hat sich weiterhin zum Ziel gesetzt,
das weitere Wachstum des Weltluftverkehrs ab 2020
CO2-neutral zu gestalten. Das sind mächtige Herausfor-
derungen; aber darin liegen natürlich auch Chancen für
die Hersteller von Flugzeugen, Systemen und Subsyste-
men, die diese Ergebnisse ermöglichen sollen.

Das Ziel der Luftfahrtstrategie der Bundesregierung
ist also, dass der Luftfahrtstandort Deutschland mit
seinem Weltkonzern Airbus, der hier ein wichtiges
Standbein hat, und mit seiner tief gestaffelten Zulieferin-
dustrie einen Beitrag für die Entwicklung sicherer, ener-
gieeffizienter, umweltfreundlicher und leiserer Flug-
zeuge leistet. Das Ganze geschieht im Kontext einer
großen technologischen Revolution. Wir sind beim Flug-
zeugbau dabei, den Sprung vom Metall- ins Kunststoff-
zeitalter zu schaffen. Kohlefaserverstärkte Kunststoffe,
die Flugzeuge leichter machen und sie energieeffizienter
fliegen lassen, werden beim Flugzeugbau eingesetzt. Bei
der Boeing 787, dem Dreamliner, ist das schon der Fall,
beim Airbus A350 wird es folgen.

Ab und zu liest man in der Zeitung oder, wie heute,
im Internet, dass bei dem neuen Flugzeug, das Boeing
auf den Weltmarkt gebracht hat, das eine oder andere
Problem identifiziert wurde. Wenn Sie sich die
Geschichte der Luftfahrt anschauen, stellen Sie fest, dass
es am Anfang bei allen großen Neuentwicklungen, ob
damals bei der Boeing 747 oder bei anderen Flugzeugen,
immer die eine oder andere Anlaufschwierigkeit gab;
das war auch beim Airbus A380 der Fall. Das gehört bei
großen Neuentwicklungen dazu, zumal diese Entwick-
lungen immer komplexer werden. Dennoch glaube ich,
dass dieser Weg insgesamt erfolgreich sein wird.

Ich werde gleich noch darauf zu sprechen kommen,
dass die Entwicklung zum Leichtbau im Luftverkehr
auch positive Auswirkungen hat, zum Beispiel im Hin-
blick auf die Energieeffizienz und unsere CO2-Reduk-
tionsziele etwa im Straßenverkehr, also bei Pkw. Die
Bayerischen Motoren Werke haben bereits im vergange-
nen Jahr als erstes Unternehmen damit angefangen, ein
Fahrzeug ganz auf CFK-Basis zu produzieren; in diesem
Jahr soll es auf den Markt gebracht werden. Auch wenn
Kollege Riesenhuber mich immer ermahnt, nicht zu sehr
auf die Spill-over-Effekte zu schauen, muss ich sagen:
Im Bereich der Materialentwicklung ist ein mächtiger
Spill-over-Effekt zu verzeichnen, was den Einsatz von
CFK-Werkstoffen im Automobilbereich betrifft.

Was bedeutet die Luftfahrtstrategie konkret für
Deutschland? Es geht darum, dass wir uns im Hinblick
auf den nächsten Technologiesprung, der in der Luft-
fahrtindustrie ansteht, positionieren; es geht um die neue
Flugzeuggeneration. Die Flugzeuge, mit denen wir heut-
zutage fliegen – der Airbus A320 bzw. die 200er-Serie –,
hatten ihren Erstflug 1987, und sie werden, wie ich
denke, bis 2025 fliegen. Das sind fast vier Jahrzehnte.
Das, was heute entwickelt wird, hat also für fast ein hal-
bes Jahrhundert Bedeutung. Das betrifft nicht nur die
Entwicklung, sondern auch die spätere Produktion. Für
die OEMs, also die Flugzeughersteller, wie für die Zulie-
ferer bedeutet es für mehrere Jahrzehnte Geschäft, wenn
die Weichen heute richtig gestellt werden. Wir wollen





Parl. Staatssekretär Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

eine tief gestaffelte Wertschöpfungskette in Deutschland
erhalten, und wir wollen – das ist ganz wichtig – den
Zusammenhang zwischen Forschung, Entwicklung und
industrieller Produktion betonen.

Manchmal erleben Sie vielleicht, dass ich im lebendi-
gen Austausch mit den Herstellern bin. Dabei wird im-
mer wieder deutlich: Produktion ist wichtig, aber
Forschung und Entwicklung sind sehr wichtig; denn
davon hängt ab, ob Deutschland in Zukunft ein High-
techstandort bleibt und ob wir sicherstellen können, dass
der Zusammenhang zwischen Forschung, Entwicklung
und industrieller Produktion auf Dauer beachtet wird.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721608400

Herr Kollege, die fünf Minuten sind abgelaufen.

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721608500


Ich habe es befürchtet, Herr Präsident.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721608600

Vielleicht können Sie in Ihren Antworten stückweise

mitteilen, was Sie sich notiert haben.

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721608700


Ich habe im Wesentlichen noch nicht damit angefan-
gen.


(Heiterkeit)


Ich bin aber sicher, Herr Präsident, dass so viele kluge
und sachverständige Fragen gestellt werden, dass ich die
wichtigsten Inhalte noch werde ansprechen können.
Diese Materie ist komplex. Von Albert Einstein – Herr
Präsident, wenn Sie diese Bemerkung noch gestatten
– stammt ja der Satz: Man soll die Dinge so einfach wie
möglich machen, aber nicht einfacher. – Das ist in fünf
Minuten manchmal schwierig.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721608800

Ja, aber wir haben uns diese strengen Regeln gege-

ben, und sie gelten auch für die Antworten. Sie sollten
immer eine Minute Redezeit einhalten, auch wenn das
schwierig ist.

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721608900


Ich bemühe mich, Herr Präsident.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721609000

Jetzt kommen wir zu den Fragen zu dem Themen-

bereich, der gerade angesprochen worden ist. Ich bitte
Sie, kurze Fragen zu stellen.

Zunächst Kollegin Schwarzelühr-Sutter, dann Kol-
lege Lindner.


Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1721609100

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Ihr Wort in Gottes

Ohr! Der Luftverkehrswirtschaft haben Sie in Ihrem

Papier zur Luftfahrtstrategie, wenn überhaupt, nur ein
kleines Kapitelchen gewidmet. Sie konzentrieren sich
auf die Luftfahrtindustrie, aber nicht auf die Luftver-
kehrswirtschaft. Diese braucht allerdings besondere
Unterstützung, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Ich möchte nachfragen: Welchen Stellenwert hat für
Sie die Luftverkehrswirtschaft, haben unsere Carrier, die
international erfolgreich bleiben müssen, um auch in Zu-
kunft Maschinen kaufen und investieren zu können? Das
kommt mir in Ihrer Beschreibung viel zu kurz. Das, was
Sie sagten, waren eher Lippenbekenntnisse zur Luftver-
kehrswirtschaft; es war aber eigentlich keine Strategie.

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721609200


Frau Kollegin, die Analyse war korrekt, die Bewer-
tung lieblos und inkorrekt. Ich will mit einer Kritik an
der Bundesregierung beginnen: Es müsste vielleicht in
der Tat heißen: „Luftfahrzeugherstellerstrategie“ – mit
all dem, was dazugehört. Es geht hier um die Industrie,
die Luftverkehrsflugzeuge herstellt, die Zulieferindus-
trie, die Maintenance-Dienstleister. Es geht nicht um die
Luftverkehrswirtschaft, also um die Fluggesellschaften
und die Flughäfen. Zu diesem Bereich wird der Bundes-
verkehrsminister – er ist im Rahmen der Geschäfts-
verteilung innerhalb der Bundesregierung dafür zustän-
dig – eine eigene Strategie vorlegen. – Ich gebe Ihnen
recht: Auch die Luftverkehrswirtschaft ist bedeutend
und wichtig; aber sie ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt
nicht Gegenstand der Beschlussfassung.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721609300

Kollege Lindner, bitte.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie haben in Ihrem
Beitrag die Themen Emissionen, Lärm und Verbrauch
erwähnt. Es wundert mich deshalb etwas, dass es mir
nicht gelungen ist, diese Begriffe in der Pressemitteilung
des BMWi vom heutigen Tage zu finden.

Ich möchte Sie deshalb zum einen fragen, durch wel-
che Maßnahmen Sie im Rahmen Ihrer Strategie auf der
Herstellerseite – im Bereich Forschung, Entwicklung,
Herstellung – Anreize setzen wollen bzw. ob Sie regula-
torische Schritte gehen wollen, um Lärm, Verbrauch und
Schadstoffe zu mindern, und zum anderen, inwieweit Sie
sicherstellen wollen, dass solche Luftfahrzeuge von den
Luftfahrtunternehmen auch nachgefragt werden.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721609400

Herr Staatssekretär.

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721609500


Die Reduktion von Emissionen, die Erhöhung der
Energieeffizienz und die Umweltfreundlichkeit der
Flugzeuge sind überhaupt die Voraussetzungen dafür,
dass eine neue Generation von Luftfahrzeugen entsteht;





Parl. Staatssekretär Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

denn wenn die neue Generation das nicht leistet, wäre
sie überflüssig.

Sie fragen, was für Anreize die Bundesregierung ge-
ben will. Wir wollen wie schon in dem jetzigen Aufruf
auch in dem neuen Aufruf des Luftfahrtforschungspro-
gramms bei diesen Themen einen Schwerpunkt setzen.
Ich weiß aus meinen Gesprächen mit der Industrie, dass
auch die Planung der Industrie genau darauf abzielt. Ich
bitte das Haus um Nachsicht, dass dieser wichtige Punkt,
den ich, um seine Bedeutung hervorzuheben, ganz am
Anfang meiner Ausführungen gebracht habe, in der
Presseerklärung des BMWi nicht auftaucht.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721609600

Kollege Tiefensee.


Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1721609700

Sehr verehrter Herr Staatssekretär, meine Frage be-

zieht sich noch einmal auf die Luftverkehrswirtschaft. In
Ihrem Bericht taucht das Stichwort „Luftverkehrsab-
gabe“ auf. Nach dem, was man hört, gibt der Bundesver-
kehrsminister auf einschlägigen Veranstaltungen zu,
dass er die Luftverkehrsabgabe nicht mag. Er heftet sie
dem Finanzminister ans Revers. Nun steht in Ihrem Be-
richt, dass Sie für wettbewerbsneutrale Bedingungen
sorgen wollen. Meine Frage ist: Wie beurteilen Sie die
Luftverkehrsabgabe vor diesem Hintergrund?

Die ADV, die Arbeitsgemeinschaft Deutscher Ver-
kehrsflughäfen, prognostiziert für 2013 nicht zuletzt
wegen dieser Abgabe einen deutlichen Einbruch des
Luftverkehrsgeschäftes. Wir sehen diesen Einbruch ak-
tuell schon. Beurteilen Sie das ähnlich wie die ADV?
Was wollen Sie dagegen tun?

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721609800


Ich möchte jetzt nicht darauf eingehen, was mein Kol-
lege Kampeter, der Staatssekretär beim Bundesminister
der Finanzen, mir gerade zugerufen hat.


(Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das wäre aber spannend!)


– Der Herr Staatssekretär aus dem Finanzministerium
war der Meinung, dass die Probleme des Berliner
Flughafens nicht durch die Luftverkehrsabgabe hervor-
gerufen wurden. – Das nur zur Herstellung der kommu-
nikativen Offenheit hier im Plenum.

Erstens. Auch wenn wir diesen kleinen Hinweis gege-
ben haben, den wir im Hinblick auf unsere Hersteller
wichtig finden, beschäftigen wir uns in diesem Bericht
nicht mit der steuerlichen Behandlung des Luftverkehrs.
Ich bitte darum, diese Diskussion mit dem Bundes-
finanzminister oder mit dem Bundesverkehrsminister zu
führen. Richtig ist, dass die Bundesregierung von der
Grundidee gleicher Wettbewerbsbedingungen ausgeht.
Ich kenne dieses Thema, wie Sie wissen, aus unseren
vielen Diskussionen aus dem Effeff. Wir könnten hier
noch einmal alle Argumente zu Pro oder Kontra aus-
tauschen; ich denke aber, das führt am heutigen Thema
vorbei.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721609900

Nun Stephan Kühn.


Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721610000

Sie haben angesprochen, dass die Bundesregierung

mit Forschungsmitteln unterstützen möchte, dass künftig
lärmärmere Flugzeuge auf den Markt kommen. Die
Frage ist immer, was sich auf dem Markt durchsetzt; das
hat etwas mit Standards zu tun. Halten Sie die internatio-
nalen Standards, die für Emissionen gelten und mit de-
nen die Hersteller operieren müssen, für ausreichend, um
dieses Ziel zu erreichen, oder brauchen wir höhere Stan-
dards, damit die innovativen Hersteller, die lärmgemin-
derte Flugzeuge herstellen, tatsächlich einen Wettbewerb
vorfinden, in dem sich diese dann auch entsprechend
verkaufen lassen?

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721610100


Herr Kollege, ich möchte Ihre Frage empirisch beant-
worten: Wenn wir uns die letzten vier Jahrzehnte im
Flugzeugbau anschauen, dann sehen wir, dass es eine
dramatisch erfolgreiche Lärmreduzierung gegeben hat.

Wenn ich das einmal kurz optisch beurteilen darf: Ich
bin geringfügig lebensälter als Sie.


(Stephan Kühn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Zutreffend, ja!)


– Zutreffend, ja. – Die Lärmreduzierung war dramatisch,
und auch die Industrie sagt, sie sei heute ein entschei-
dendes Verkaufsargument, weil überall auf der Welt die
Menschen zu Recht einfordern, dass die Lärmemissio-
nen gering gehalten werden. Das ist also ein wirtschaftli-
cher Wert, der sich auch verkaufen lässt.

Es gibt aber ein technisches Dilemma in Bezug auf
die bisherigen Antriebskonzepte. Deswegen wollen wir
Geld investieren, wir wollen dieses Dilemma lösen. Bis-
herige Antriebskonzepte – Open-Rotor-Konzepte – ar-
beiten wesentlich ressourceneffizienter, sind im Hinblick
auf Lärmemissionen aber schlechter. Hier gibt es also
ein Dilemma zwischen CO2-Emissionen und Lärmemis-
sionen. Deswegen wollen wir unsere klugen Ingenieure,
unsere Wissenschaftler, das Deutsche Zentrum für Luft-
und Raumfahrt, die Fraunhofer-Institute und die Univer-
sitäten mit gutem deutschen LuFo-Geld ausstatten, da-
mit sie es schaffen, die Quadratur des Kreises hinzube-
kommen, also sowohl die Lärmemissionen als auch die
Kohlenstoffdioxidemissionen zu senken. Wenn ein Wett-
bewerber das auf den Markt bringen kann, dann hat er
ein Hauptverkaufsargument.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721610200

Rita Schwarzelühr-Sutter.


Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1721610300

Herr Staatssekretär, ich komme auf faire Wettbe-

werbsbedingungen zurück. Die Bundesregierung beab-
sichtigt ein weltweites Abkommen, um fairen Wettbe-
werb zu ermöglichen und den staatlichen Einfluss
möglichst zu reduzieren.





Rita Schwarzelühr-Sutter


(A) (C)



(D)(B)

Was verstehen Sie hier unter staatlichem Einfluss, vor
allem im Zusammenhang damit, dass Sie eine stärkere
Führungsrolle der Bundesregierung bei Airbus selber
einfordern? Wie kommt das zusammen und bei den Ver-
handlungspartnern an? Gibt es hierzu bereits Verhand-
lungen? Sind hier entsprechende Termine festgelegt?
Wie sehen und beurteilen Sie das vor dem Hintergrund
der schwierigen multilateralen Verhandlungen auch mit
der WTO und insbesondere mit den USA in der Vergan-
genheit? Wie betrachten Sie vor einem realistischen Hin-
tergrund überhaupt die Erfolgschancen?

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721610400


Herr Präsident, das ist jetzt eine Herausforderung:
Wenn ich richtig mitgezählt habe, waren das sechs Fra-
gen, die ich in 60 Sekunden beantworten soll. Ich versu-
che das einmal ganz kurz.

Sie haben zum Schluss tatsächlich den Ausgangs-
punkt genannt: Es gibt zwei WTO-Verfahren. Das eine
führt die Europäische Union gegen die USA, das andere
führt die USA gegen die Europäische Union. Beide Male
geht es um die WTO-Kompatibilität oder -Nichtkompa-
tibilität von Förderprogrammen, in dem einen Fall für
Boeing, in dem anderen Fall für Airbus. Die Passage in
der Luftfahrtstrategie, die sich ja auch in den Zeitungen
wiederfindet, bezieht sich darauf, dass wir hier versu-
chen müssen, international eine Vereinbarung zu errei-
chen.

Sie haben nach der Schrittabfolge gefragt. Die erste
Schrittabfolge wird in der Tat sein, dass wir versuchen
müssen, zwischen den USA und der Europäischen
Union einen Level Playing Ground, eine gemeinsame
Grundlage, zu erreichen, sodass es hier keinen Wettbe-
werb „staatliches Geld kontra private wirtschaftliche Tä-
tigkeit“ gibt, sondern die Förderung auf einem Niveau
stattfindet, dass sie WTO-kompatibel ist. Das wollen wir
auch für die anderen Wettbewerber tun.

Weil das den Regeln entspricht, durfte ich nur fünf
Minuten lang sprechen. Wenn ich länger hätte sprechen
dürfen, dann hätte ich noch darauf hingewiesen, dass
sich die Wettbewerbssituation auf der Welt stark verän-
dert. Gerade bei den Flugzeugen im Kurz- und Mittel-
streckenbereich kommen neue Wettbewerber an den
Markt.

Ich bin darüber nicht nur mit der IG Metall, sondern
beispielsweise auch mit dem Ersten Bürgermeister von
Hamburg und anderen Verantwortlichen in einem positi-
ven und regelmäßigen Gespräch. Sie unterstützen die
Bundesregierung parteiübergreifend darin – das kann ich
sagen –, dass wir in den Bereichen, in denen unsere Stär-
ken liegen – bei den Kurz- und Mittelstreckenflugzeu-
gen –, auch in Zukunft die Kompetenzen, die Arbeits-
plätze, die Entwicklungskapazitäten und die Forschung
bei uns behalten wollen. Die Bundesrepublik Deutsch-
land hat hier im Laufe der Jahre unter unterschiedlichen
Regierungen mehrere Milliarden Euro investiert, und
wir wollen nun für unsere Arbeitnehmer, für unsere Un-
ternehmer, für unseren Mittelstand, für die Zulieferer
auch die Früchte ernten.

Ich habe mich damit auch ein bisschen öffentlich aus-
einandergesetzt und darf noch ein kritisches Wort sagen:
Ich fände es nicht gut, wenn alle Entwicklungszustän-
digkeiten bei einem europäischen Konzern außerhalb
unseres schönes Landes zentralisiert würden. Ich meine,
die Stärken, die wir haben, sollten auch bei uns weiter-
entwickelt und gehalten werden.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721610500

Danke schön. – Jetzt hat noch einmal Tobias Lindner

das Wort.


Dr. Tobias Lindner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721610600

Herr Kollege Staatssekretär, ich möchte Ihnen in die-

ser Minute nur eine einzige Frage stellen. Wir kennen ja
beide sehr gut den Einzelplan Ihres Hauses und wissen,
dass die Luft- und Raumfahrt darin doch einen signifi-
kanten Anteil hat. Mich würde interessieren, welche
Gelder die Bundesregierung beabsichtigt, in den kom-
menden Jahren für die Luftfahrtstrategie bereitzustellen,
die heute beschlossen wurde.

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721610700


Wenn wir über Gelder in dem Bereich sprechen, ha-
ben wir zwei verschiedene Dinge. Das eine ist die Luft-
fahrtforschung. Da habe ich jetzt die konkrete Summe
für den Zeitraum 2007 bis 2016 nur so ungefähr parat,
weil sich die Luftfahrtforschungsaufträge immer über
mehrere Jahre überlappen. Das sind für diesen Zeitraum
von knapp zehn Jahren etwa 1 Milliarde Euro in diesem
Bereich. Daneben stehen die Zahlungen, die wir als Dar-
lehen für die Entwicklung von neuen Flugzeugtypen ge-
ben. Die Summen hängen davon ab, wann entsprechende
Entwicklungen einsetzen, welche Anteile wir bekom-
men. Auch da gibt es ja – das konnten Sie in den Zeitun-
gen lesen – die eine oder andere unterschiedliche Sicht
der Dinge. Wir sagen jedenfalls: Wenn wir Entwicklung
finanzieren wollen, wollen wir auch, dass die in dem ent-
sprechenden Maße bei uns stattfindet. Ich hoffe, dass das
vom ganzen Haus so unterstützt wird.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721610800

Wolfgang Tiefensee noch einmal.


Wolfgang Tiefensee (SPD):
Rede ID: ID1721610900

Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, meine Frage rich-

tet sich noch einmal auf das Thema EADS. Wir werden
in der nächsten Woche unter anderem mit einem langen
Bankett die deutsch-französische, die französisch-deut-
sche Freundschaft feiern, Sektgläser erheben. Mir
scheint eines der Großprojekte, nämlich EADS – zumin-
dest was die Abstimmung zwischen Deutschland, Frank-
reich, Großbritannien, zwischen der Bundesregierung
und der Vorstandsetage von EADS anbetrifft –, eher in
Richtung Scherbenhaufen zu gehen, wenn ich bedenke,
wie die Abwicklung einer möglichen Fusion mit BAE
gelaufen ist. Hier ist deutlich geworden, dass die Bun-
desregierung und die französische und die britische Re-
gierung durchaus große Differenzen haben, dass die In-
formation nicht fließt.





Wolfgang Tiefensee


(A) (C)



(D)(B)

Meine Fragen sind: Geben Sie mir erstens recht, dass
EADS ein Musterbeispiel, eine Blaupause für europäi-
sche Zusammenarbeit sein muss und demzufolge viel
mehr in diese Richtung investiert werden muss? Und
zum Zweiten – es klang bereits an –: Wie wollen Sie bei
einem zurückgehenden Bestellvolumen innerhalb der
Europäischen Union dafür Sorge tragen, dass die für uns
existenziellen Arbeitsplätze, die für die Regionen exis-
tenziellen Arbeitsplätze erhalten bleiben und möglichst
noch ausgebaut werden in Bezug auf EADS und die Pro-
duktionen in den entsprechenden Firmen?

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721611000


Ich hatte vor Weihnachten das Vergnügen, Redner auf
einer SPD-Veranstaltung in Hamburg zu sein. Kollege
Kahrs hatte mich eingeladen. Da war zwar nicht der ver-
sammelte Betriebsrat, aber die Spitze des Betriebsrats
von Airbus Hamburg – größter deutscher Standort –
auch anwesend. Ich habe dort den Eindruck gewinnen
dürfen, dass die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
wie auch ihre Gewerkschaft sehr einverstanden damit
waren, dass wir gesagt haben, wir wollen das Unterneh-
men so, wie die Gründungsidee war, so wie es gestaltet
ist, in einer fairen deutsch-französischen Balance weiter-
führen. Dass dort die Unterstützung dafür groß war, fand
ich erfreulich. Ich wollte Ihnen das einfach einmal zur
Kenntnis geben.

Das Zweite ist: Die Zusammenarbeit zwischen
Deutschland und Frankreich ist auch sehr gut. Die Zu-
sammenarbeit mit England ist auch eine sehr gute, aber
da gibt es in der Tat einen kleinen Interessenunterschied.
Mit der Fusion mit BAE Systems wäre der weltgrößte
Rüstungskonzern entstanden. Sie können das in der
Wirtschaftspresse nachlesen oder mit der IG Metall spre-
chen, wie auch immer. Ob die damit verbundenen wirt-
schaftlichen Wirkungen für alle drei Beteiligten gleich
gut gewesen wären, weiß ich nicht. Ich glaube jeden-
falls, dass das Unternehmen so, wie es jetzt aufgestellt
ist, doch besser aufgestellt ist, dass es größere wirt-
schaftliche Chancen hat.

Ich habe schon einmal darauf hingewiesen, dass ja,
als die Fusionswünsche oder Fusionspläne bekannt ge-
geben wurden, der EADS-Kurs einstürzte, der BAE-
Kurs hochstieg und dass, als die Fusion dann für beendet
erklärt wurde, der EADS-Kurs sich wieder sehr stark er-
holt hat. Im Übrigen haben wir das zwischen den drei
Regierungen eng besprochen. Ihre Befürchtung, es gäbe
kein gutes Gesprächsklima, kann ich widerlegen, und
zwar unter anderem auch mit dem Hinweis, dass ich seit
vielen Jahren der deutsche Vertreter in den Airbus-Mi-
nisterräten bin, wo wir uns regelmäßig in Le Bourget, in
Farnborough, hier in Berlin am Rand der ILA treffen.
Bei jeder Luftfahrtmesse gibt es eine solche Konferenz.
Dort haben wir zwischen den drei Staaten und auch mit
Spanien, das auch mit dabei ist, ein sehr gutes Ge-
sprächsklima, ein gutes Verhältnis. Ich denke, das Unter-
nehmen fühlt sich von uns auch gut behandelt.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721611100

Jetzt noch einmal Kollege Stephan Kühn.


Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721611200

Herr Staatssekretär, ich wollte noch einmal auf das

Thema der gleichen Wettbewerbsbedingungen in der
Welt zu sprechen kommen; Sie hatten das schon ange-
sprochen. Versteht die Bundesregierung perspektivisch
darunter die Rücknahme der Luftverkehrsteuer und das
langfristige Aussetzen des Emissionshandels?

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721611300


Wie ich eben schon auf die Frage eines Kollegen ge-
antwortet habe, ist das nicht Gegenstand der Strategie,
bei der es um die Industrie geht, in der Luftfahrzeuge
entwickelt und gebaut werden. Alle anderen Fragen,
denke ich, werden dann im Rahmen der Strategie, die
der Bundesverkehrsminister vorlegen wird, zu bespre-
chen sein.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721611400

Noch einmal Kollegin Schwarzelühr-Sutter.


Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1721611500

Herr Staatssekretär, wenn man die Herausforderungen

in der Industrie betrachtet, dann spielt dabei Forschung
die zentrale Rolle. Aber die Ausgaben für Forschung
sind auf gleichem Niveau geblieben. Sie haben zwar vor,
einen Projektebeirat bei dem DLR einzurichten und eine
Roadmap zu definieren. Wenn es aber um einen erleich-
terten Marktzugang für die deutsche Industrie gehen
soll, dann gibt es nur Darlehen. Da frage ich mich schon:
Woher kommt der Impuls, den man braucht, um diese
Herausforderungen wirklich annehmen zu können, wenn
sich das nicht finanziell abbildet?

P
Peter Hintze (CDU):
Rede ID: ID1721611600


In Ägypten gibt es ein schönes Sprichwort: Eine
Palme wächst nicht schneller, wenn man an ihr zieht. –
Das heißt, die Idee, doppelt so viel Geld einzusetzen, um
eine doppelt so hohe Leistung zu erhalten, ist zwar sym-
pathisch, aber falsch.


(Wolfgang Tiefensee [SPD]: Das heißt, dass er etwas von Palmen, aber nichts vom Luftverkehr versteht!)


Die Mittel für die Luftfahrtforschung sind erstens sehr
umfänglich, und zweitens ist ihr Einsatz erfolgsträchtig.

Ich will Ihnen ein Beispiel geben: Airbus entwickelt
jetzt als Zwischenschritt zur neuen Familie, die dann ab
Mitte des nächsten Jahrzehnts auf den Markt kommt,
eine Weiterentwicklung des A320. Sie heißt A320neo,
„new engine option“. Diese wird mit einem Triebwerk
ausgestattet, mit dem eine Energieeinsparung von
15 Prozent erreicht wird. Das ist in der Luftfahrt schon
eine ganze Menge. Die Entwicklung – es handelt sich
um ein Geared Turbofan-Triebwerk – ist ganz wesent-
lich auch aus Deutschland vorangebracht worden. Das
Triebwerk wird von Pratt & Whitney zusammen mit
MTU hergestellt. Hier sind, was MTU angeht, LuFo-
Fördermittel eingesetzt worden.





Parl. Staatssekretär Peter Hintze


(A) (C)



(D)(B)

Ich weiß genau: Als diese Entwicklung begann, habe
ich von einem anderen großen Triebwerkhersteller ge-
hört, das sei ein absoluter Holzweg. – Wir haben gesagt:
Wir konzentrieren die Mittel auf diese Entwicklung. Der
Holzweg hat sich als wirklicher Highway erwiesen, was
jetzt zu der höchsten Zahl von Bestellungen geführt hat,
die es in der zivilen Luftfahrt jemals gegeben hat.

Wir konzentrieren den Einsatz unserer Mittel. Aber
wir haben auch gesagt: In wirtschaftlich schweren Zei-
ten, in denen die Budgets knapp sind, wollen wir gerade
in diesem Bereich weiterhin investieren. Das ist ein Er-
folg. Ich bin mir sicher: Auch der neue LuFo-Call wird
zu einem Erfolg in der Sache.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721611700

Danke schön. – Gibt es Fragen zu anderen Themen

der heutigen Kabinettssitzung? – Das ist offensichtlich
nicht der Fall.

Gibt es darüber hinaus sonstige Fragen an die Bun-
desregierung? Kollege Liebich hat eine Frage angemel-
det.


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721611800

Ich habe eine Frage zu dem Thema, das der Finanz-

staatssekretär vorhin durch einen Zwischenruf angeris-
sen hat, nämlich zum Flughafen Berlin Brandenburg
International. Entgegen der rechtsverbindlichen Schlie-
ßung, die für den Flughafen Berlin-Tegel vorgesehen
war, betreibt die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH,
in der die Bundesregierung Gesellschafter ist, den Flug-
hafen auf unbestimmte Zeit weiter. Mich interessiert,
welche Vorschläge die Aufsichtsratsvertreter der Bun-
desregierung vom Vorstand zur Entschädigung der be-
troffenen Bürgerinnen und Bürger in den Berliner Bezir-
ken Pankow, Reinickendorf und Spandau erwarten.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721611900

Wer kann sich dazu äußern? – Bitte schön, Herr

Staatssekretär Mücke.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721612000


Herr Präsident! Herr Abgeordneter, das Thema ist
heute nicht Gegenstand der Kabinettssitzung gewesen
und ist deshalb dort auch nicht besprochen worden. Es
ist zu früh, darüber zu spekulieren, welche zusätzlichen
Kosten durch die Verzögerung der Inbetriebnahme des
Flughafens BER in Schönefeld eintreten werden.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das hat er mir schon vor einem Jahr gesagt!)


Es ist die Aufgabe der Geschäftsführung, dafür zu sor-
gen, dass ein entsprechender Schadensersatz da geleistet
werden kann, wo Schäden eingetreten sind. Die Auf-
sichtsratsmitglieder des Bundes werden darauf dringen,
dass die Geschäftsführung eine solche Konzeption vor-
legt, wenn klar ist, welche Schäden tatsächlich eingetre-
ten sind.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721612100

Kollege Beck hat noch eine weitere Frage.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721612200

Herr Kollege, Sie haben gerade gesagt: Das war heute

nicht Gegenstand der Kabinettssitzung. – Wann war der
Flughafen Berlin Brandenburg das letzte Mal Gegen-
stand der Kabinettssitzung und mit welchem Inhalt?

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721612300


Das kann ich Ihnen jetzt nicht mit letzter Sicherheit
sagen. Ich nehme stark an, dass es das letzte Mal im
März 2010 Thema gewesen ist, als die Aufsichtsratsum-
besetzung durch das Kabinett beschlossen wurde.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Nicht wirklich! Das haben Sie nicht ernst gemeint!)



Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721612400

Können Sie das gegebenenfalls für die Bundesregie-

rung schriftlich nachreichen, Herr von Klaeden, wann
die letzten Behandlungen dieses Themas im Kabinett
waren? Wir sind immerhin Mitgesellschafter.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das kann doch nicht wahr sein!)


J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721612500


Das werden wir nachreichen.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721612600

Kollege Liebich möchte noch einmal nachfragen.


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721612700

Diese Auskunft ist angesichts der dramatischen Dis-

kussion, die über den Flughafen stattfindet, natürlich
ziemlich überraschend. Ich habe deshalb noch eine kon-
krete Frage. Heute fand die Aufsichtsratssitzung statt.
Die Bundesregierung ist in diesem Aufsichtsrat vertre-
ten. Wir konnten vorher von Vertretern von Bundes-
ministerien erfahren, dass sie den Vorschlag, dass der
brandenburgische Ministerpräsident Aufsichtsratsvorsit-
zender werden soll, nicht sinnvoll finden. Nun ist er das
geworden, und zwar, wie ich gelesen habe, einstimmig.
Darüber muss doch vorher geredet worden sein. Wo ist
darüber gesprochen worden, wie man mit den Vorschlä-
gen der Ministerien, dass er das nicht werden soll, um-
geht?


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721612800

Bitte, Herr Staatssekretär.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721612900


Herr Kollege, die Abstimmung der beiden zuständi-
gen Ressorts BMF und BMVBS findet laufend statt.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE] an die CDU/CSU gewandt: Das ist ein Armutszeugnis! Das kann doch wohl nicht wahr sein! Ich Parl. Staatssekretär Jan Mücke bin fassungslos! Sie nicht? – Gegenruf des Abg. Manfred Grund [CDU/CSU]: Ich bin über andere Dinge fassungslos!)





(A) (C)


(D)(B)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721613000

Liebe Kolleginnen und Kollegen, es gibt keine Fragen

mehr. Dann beende ich die Befragung.

Da sowohl Fragende wie Antwortende anwesend
sind, leite ich gleich über und rufe den Tagesordnungs-
punkt 4 auf:

Fragestunde

– Drucksachen 17/12041, 17/12049 –

Zunächst der Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums der Verteidigung: Zur Beantwortung steht der Par-
lamentarische Staatssekretär Christian Schmidt bereit.

Ich rufe zunächst die dringliche Frage 1 der Kollegin
Inge Höger auf:

Welche personellen, logistischen oder sonstigen Unterstüt-
zungsleistungen für die derzeit stattfindende französische
Militäroperation in Mali plant die Bundesregierung vor dem
Hintergrund von entsprechenden Zusagen des Bundesminis-
ters des Auswärtigen, Dr. Guido Westerwelle, gegenüber der
französischen Regierung vom 14. Januar 2013 und von Aus-
sagen des Bundesministers der Verteidigung, Dr. Thomas de
Maizière, gegenüber dem Deutschlandfunk am 13. Ja-
nuar 2013, und welche Unterstützung, etwa in Militärstäben,
findet bereits heute statt?

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721613100


Vielen Dank, Frau Kollegin. Ihre Frage kann ich so
beantworten, dass eine personelle oder logistische Un-
terstützung des französischen Militäreinsatzes in Mali
durch Deutschland derzeit nicht stattfindet. Gleiches gilt
für eine deutsche Unterstützung in Militärstäben.

Sie mögen in den letzten Stunden nach einer Verlaut-
barung und Bekanntgabe der beiden Ressorts, des Aus-
wärtigen Amtes bzw. des Bundesaußenministers und des
Bundesverteidigungsministers, über die Perspektive und
die getroffene Entscheidung schon informiert sein. Die
Obleute wurden nach meiner Kenntnis auch unterrichtet,
dass eine Unterstützung logistischer Art durch den
Transport in Form von zwei Militärtransportflugzeugen
der Transall C-160 durch die Bundeswehr, zum Trans-
port von Soldaten und Material, das im Rahmen der
ECOWAS-Mission – der Mission, die durch die Ver-
einten Nationen mandatiert und von den Nachbarstaaten
Malis durchgeführt werden soll – für Mali vorgesehen
ist – allerdings nicht ins Kampfgebiet, sondern in die
Hauptstadt und dort in die jeweiligen Sammelpunkte.


Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721613200

Vielen Dank, Herr Staatssekretär Schmidt. – Wir sind

heute Morgen im Ausschuss über einiges, aber noch
nicht über alles informiert worden. Sie haben immer
wieder Unterstützung durch Transportflugzeuge ange-
kündigt; sie wird noch geprüft. Die Frage ist aber: Gibt
es schon eine Zusammenarbeit in den NATO-Stäben
oder in den Stäben der Europäischen Union, bzw. gibt es

schon Transporte im Rahmen des Europäischen Luft-
fahrttransportkommandos aus Eindhoven?

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721613300


Eine solche Zusammenarbeit im Rahmen der NATO
gibt es nicht. Die NATO als kollektives Bündnis der Si-
cherheit ist nicht einbezogen. Sie wissen, dass die fran-
zösische Regierung auf eine Bitte der malischen Regie-
rung bzw. des malischen Präsidenten entschieden hat,
diese Nothilfeoperation durchzuführen, basierend auf
der Resolution 2085 des Sicherheitsrats der Vereinten
Nationen und der entsprechenden Revozierung dieser bi-
lateralen bzw. unilateralen Aktion, die dieses Gremium,
glaube ich, vorgestern unter ausdrücklicher Bestätigung
der Subsummierung der Aktion der Franzosen vorge-
nommen hat.

Die Anfragen und Gespräche haben sich rein präven-
tiv auch auf andere Möglichkeiten bezogen. So wurde
im Europäischen Lufttransportkommando, einer multila-
teralen Organisation in Eindhoven, die von fünf Staaten
– Frankreich, Deutschland, den Niederlanden, Belgien
und Luxemburg – getragen wird, über diese Fragen
nachgedacht. Eine Anforderung hat nicht stattgefunden,
genauso wenig wie eine Operation oder Nutzung.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721613400

Eine weitere Nachfrage.


Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721613500

Ich habe eine weitere Nachfrage. Sie haben eben ge-

sagt, das Angebot an Transportkapazitäten beziehe sich
auf die ECOWAS-Truppen. Ich habe sowohl die heuti-
gen Äußerungen im Ausschuss als auch die Presseinfor-
mationen und Verlautbarungen von Herrn Westerwelle
und Herrn de Maizière so verstanden, dass auch Trans-
portkapazitäten für die französische Armee für die ak-
tuell stattfindenden Kämpfe zur Verfügung gestellt wer-
den. Bis die ECOWAS-Truppen aufgestellt sind, wird es
noch einige Monate dauern.

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721613600


Frau Kollegin Höger, das gibt mir die Möglichkeit
– wenn Sie gestatten –, den Text Ihrer Frage etwas zu
korrigieren. Eine Zusage ist weder durch Außenminister
Westerwelle noch durch den Bundesverteidigungsminis-
ter de Maizière gegeben worden, wohl aber eine Prüfzu-
sage. Diese Prüfzusage hat dazu geführt, dass aufgrund
des Angebots anderer europäischer Nationen – nament-
lich des Vereinigten Königreichs mit der Zurverfügung-
stellung von Transportraum in Form von C-17-Maschi-
nen – strategische Lufttransportmöglichkeiten für
Frankreich geschaffen worden sind. Nach meinen In-
formationen haben sich hier Belgien, Dänemark und
wohl auch Kanada zur Verfügung gestellt. Die Notwen-
digkeit, den zahlenmäßig weitaus größeren Bedarf der
ECOWAS-Mission, die nun relativ schnell auf den Weg
gebracht werden soll, zu decken, hat dazu geführt, dass
wir einvernehmlich mit den Bündnispartnern die Priori-





Parl. Staatssekretär Christian Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

tät auf die ECOWAS-Mission und deren Unterstützung
gesetzt haben.

Die Entwicklung orientiert sich allerdings an dem,
was wir gegenwärtig in Mali erleben. Das alles ist sehr
schnell gekommen. Wir sind kaum eine Woche in dieser
Situation und Mission. Frankreich hat erfolgreich den
Vormarsch der militanten Islamisten gestoppt, die bis
vor kurzem noch zugesagt hatten, Gespräche über eine
gemeinsame Entwicklung in Mali zu führen. Dem haben
sie sich entzogen. Deswegen war eine schnelle Reaktion
erforderlich. Wir mussten aufgrund der Notwendigkeit
der Anforderungen und des Bedarfs sehr flexibel ent-
scheiden. Das ist heute passiert.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721613700

Eine Nachfrage dazu vom Kollegen Mützenich.


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1721613800

Herr Staatssekretär, ich möchte noch einmal Bezug

auf das in der dringlichen Frage der Kollegin angespro-
chene Thema nehmen. Heute Morgen ist die Öffentlich-
keit informiert worden. Sie haben gerade nachgeholt,
den Deutschen Bundestag über die Unterstützung der
ECOWAS-Truppen zu informieren. Wenn ich mich recht
entsinne, wird morgen der französische Verteidigungs-
minister offensichtlich mit dem deutschen Verteidi-
gungsminister unter Umständen über Weiterungen spre-
chen. Könnten Sie hier gegenüber der Öffentlichkeit
kundtun, was in diesem Zusammenhang im Hinblick auf
die Unterstützung der derzeit stattfindenden französi-
schen Militäroperation eventuell von deutscher Seite ge-
leistet werden könnte?

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721613900


Herr Kollege Mützenich, die Informationen sind sehr
schnell weiterzugeben gewesen. Ich vermute, dass ich
der Erste bin, der sie dem Parlament in förmlicher Weise
überbringen kann. Sie beruhen auf Maßnahmen, die in
der Tat erst am späten Vormittag getroffen worden sind.

Der Präsident der Elfenbeinküste ist in seiner Funk-
tion als Präsident der Staatengemeinschaft ECOWAS zur
Stunde in Berlin. Diese Thematik wurde seitens der
Bundeskanzlerin in einem Gespräch mit ihm angespro-
chen. Wie Sie richtig bemerkt haben, wird der französi-
sche Verteidigungsminister Le Drian morgen hier in Ber-
lin sein. Seine Anwesenheit hat allerdings vor allem mit
der Vorbereitung der in der nächsten Woche stattfinden-
den Feierlichkeiten, der gemeinsamen Sitzung von Deut-
schem Bundestag und Französischer Nationalversamm-
lung und beider Kabinette anlässlich des 50. Jahrestages
der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages zu tun. Aller-
dings gehe ich davon aus, dass die weitere Entwicklung
der Situation in Mali und die französische Operation dort
natürlich eine Rolle spielen werden.

In dieser Frage sind keine Vorbereitungen für weitere
Transportleistungsvereinbarungen getroffen worden. Ich
will ergänzend darauf hinweisen – ich bitte die Kollegin
aus dem Auswärtigen Amt, meine Äußerungen gegebe-
nenfalls zu konkretisieren –, dass am morgigen Vormit-

tag eine Sondersitzung des Außenministerrates der Euro-
päischen Union stattfinden wird, der sich sowohl mit
EUTM, der europäischen Ausbildungsmission für Mali,
als auch mit der Frage der weiteren Entwicklung der
französischen Mission, die wir im Augenblick erleben,
beschäftigen wird. Über deren Ausgang lässt sich noch
nichts vorhersagen. Ich will das nur der Vollständigkeit
halber berichten.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721614000

Wir kommen zur dringlichen Frage 2 des Kollegen

Niema Movassat:
Welche genauen politischen und militärischen Ziele ver-

folgt die Bundesregierung mit ihrer politischen und am 14. Ja-
nuar 2013 auf eine ausschließlich informelle Information des
französischen Verteidigungsministers Jean-Yves Le Drian hin
spontan zugesagten militärischen Unterstützung der Militär-
intervention Frankreichs in Mali, und welchen Umfang – Trup-
penstärke, Einsatzgebiet, Dauer, Operationsbasis, projektierte
Funktionen der Angehörigen der Bundeswehr, etwaige direkte
Beteiligung an Kampfhandlungen – sieht die Bundesregie-
rung für ein deutsches Engagement vor?

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721614100


Lieber Kollege Movassat, ich will zu dieser Frage un-
ter Einbeziehung meiner Antwort auf die vorhergehende
dringliche Frage der Kollegin Höger antworten. Gestat-
ten Sie einen Hinweis. In der Frage ist von einer „aus-
schließlich informellen Information des französischen
Verteidigungsministers“ und einer „spontan zugesagten
militärischen Unterstützung“ die Rede. Ich weiß nicht,
worin der Unterschied zwischen informeller und formel-
ler Information von Ministern besteht. Falls man davon
ausgeht, dass der Botschafter in Diplomatenuniform,
von berittenen Flügeladjutanten begleitet, in das Minis-
terium geritten ist, kann ich sagen: Die Information muss
informell gewesen sein. Stattgefunden haben aber sehr
substanzielle Telefongespräche. Auch der Außenminis-
ter hat mit seinem Amtskollegen entsprechenden Kon-
takt gehabt.

Die Substanz dieser guten Zusammenarbeit, auch der
politischen Unterstützung der französischen Maßnah-
men durch die Bundesregierung ist öffentlich mehrfach
betont worden. Die Bundesregierung hat großes Ver-
ständnis und begrüßt die Aktivität, die Frankreich zur
Verhinderung des Durchbruchs von islamistischen Ter-
rorgruppen im Süden Malis wahrgenommen hat.

Wir sind uns darüber im Klaren – nicht nur nach In-
formation von französischer Seite –, dass es ein Hilfe-
ersuchen der malischen Regierung gegeben hat, dass der
Vormarsch inzwischen erfolgreich gestoppt werden
konnte. Das lässt sich feststellen, auch wenn natürlich
noch nicht alle Gefährdungen beseitigt sind.

Der Einsatz findet, wie ich schon vorhin betont habe,
im Einklang mit dem Völkerrecht statt. Der Bezug ist die
Sicherheitsratsresolution 2085 und die Bitte der mali-
schen Regierung, die ihrerseits Bezug auf das Recht auf
kollektive Selbstverteidigung nimmt, da es sich um ei-
nen Konflikt handele, der bereits die Ebene eines inter-
nationalen Konflikts erreicht habe. Das will ich nur ad
notam sagen, nicht als geklärte Position darstellen. Die





Parl. Staatssekretär Christian Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

Resolution 2085, die wir sehr unterstützt haben, ist die
eigentliche Grundlage für uns.

Ein Kampfeinsatz deutscher Soldaten steht ausdrück-
lich nicht zur Debatte. Wir haben die Pläne konkretisiert.
Ich muss ergänzend dazu sagen, dass unsere Bereit-
schaft, uns auch an der europäischen Trainingsmission
zu beteiligen, nicht konsumiert wird durch die Positio-
nen, die wir jetzt im Hinblick auf die französische Mis-
sion und auf die ECOWAS-Mission nach der Resolution
2085 eingenommen haben.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1721614200

Herr Staatssekretär, Sie müssen sich nach unseren Re-

geln kürzer fassen.

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721614300


Ja. – Also, wir machen das, was ich schon gesagt
habe, Herr Kollege. Wir werden das auch noch schneller
machen. Insofern ist es ganz gut, wenn ich auch schnel-
ler antworte – vielen Dank, Herr Präsident – und sage,
dass wir die Mission nicht erst im Herbst oder irgend-
wann durchführen; wir werden vielmehr zeitnah verfah-
ren und morgen auf europäischer Ebene darüber reden,
wann diese Trainingsmission beginnen wird.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721614400

Der Kollege Niema Movassat hat eine erste Nach-

frage.


Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721614500

Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär, Sie ver-

wiesen in Ihrer Antwort gerade auch auf das Hilfeersu-
chen der malischen Regierung. Nun ist es ja so, dass die
malische Regierung, auf die Sie verweisen, im Prinzip
durch zwei Putsche an die Macht gekommen ist. Sie ist
abhängig vom malischen Militär. Das malische Militär
hat erst vor wenigen Wochen gezeigt, dass es auch bereit
ist, innerhalb der Regierung Auswechslungen vorzuneh-
men. Letztlich sind die Regierungsmitglieder von dem
abhängig, was das Militär möchte.

Deshalb hat das Bundesministerium für wirtschaftli-
che Zusammenarbeit und Entwicklung die Entwick-
lungszusammenarbeit mit der malischen Regierung ein-
gestellt. Es gibt weiterhin Entwicklungszusammenarbeit
auf Basisebene etc., aber mit der malischen Regierung
gibt es nach meinem Kenntnisstand zurzeit keine Zu-
sammenarbeit im entwicklungspolitischen Bereich mit
dem Argument, dass man, solange es nicht eine ge-
wählte, legitime Regierung gebe, nicht zusammenarbei-
ten könne. Auf der anderen Seite aber ist man politisch
und militärisch bereit, dem Ruf der malischen Regierung
zu folgen. Sie haben gerade zwei Transall-Maschinen
etc. in Aussicht gestellt, und zwar mit dem Argument
des Hilfeersuchens der malischen Regierung.

Ich frage Sie: Sehen Sie einen Widerspruch in der
Politik der Bundesregierung? Wenn Sie diesen Wider-
spruch nicht sehen: Wie erklären Sie sich dann diese
zwei divergierenden Tatsachen?


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721614600

Herr Staatssekretär.

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721614700


Ich bitte Sie, Folgendes auseinanderzuhalten: Die
Mission der Wirtschaftsorganisation ECOWAS, der
Westafrikanischen Wirtschaftsgemeinschaft, und der sie
tragenden Staaten, die eine durch den Sicherheitsratsbe-
schluss 2085 völkerrechtlich legitimierte Operation ist,
hat mit der Frage, ob die Regierung in Mali eine demo-
kratische Legitimität besitzt, unmittelbar nichts zu tun.

Das Zweite betrifft Ihre Frage hinsichtlich der mali-
schen Regierung und des Präsidenten. Es ist in der Tat
richtig, dass wir einen Putsch unter Hauptmann Sanogo
hatten, der eine Rolle, aber nicht die alleinige Rolle
spielt. Der Präsident und der Ministerpräsident sind Teil
eines Staatsgefüges, das den Weg hin zur Demokratie
wiederfinden muss. Es mag dahingestellt sein, ob die
Gespräche, die auch mit den islamistischen Gruppen ini-
tiiert wurden, und der Versuch, einen demokratischen
Konsens zu finden, soweit das mit islamistischen Terror-
gruppen möglich ist, sinnvoll sind. Immerhin haben die
Bemühungen zu Gesprächen zwischen den einzelnen
Gruppen innerhalb der malischen Staatsstrukturen ge-
führt. Das zeigt, wie notwendig, aber auch wie schwierig
die Aufgabe ist.

Nur, wenn die Situation so ist, dass durch eine Ag-
gression terroristischer, islamistischer Gruppen das Land
besetzt ist, dann ist die Frage, die wir uns jetzt stellen
und die auch Sie gestellt haben, nicht mehr zu beantwor-
ten, weil die Möglichkeit für politische Handlungen gar
nicht mehr da ist. Deswegen ist es mehr als folgerichtig,
dass Frankreich nun sozusagen – wenn Sie den Aus-
druck gestatten – die Notbremse gezogen hat und den
Weg für weitere Verhandlungen und für die Rückkehr zu
demokratischen Strukturen in Mali, soweit sie verlassen
wurden, offenhält.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721614800

Vielen Dank. – Kollege Niema Movassat, Sie stellen

jetzt die zweite Nachfrage.


Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721614900

Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, wenn

ich das richtig verstanden habe, dass die Verhandlungen
im Prinzip erst durch den französischen Einsatz ermög-
licht werden. Ich finde es von der Logik her ein bisschen
schwer nachvollziehbar, dass man sagt: Erst wenn man
einen Kriegseinsatz durchführt, sind Verhandlungen
möglich.

Aber was mich interessieren würde – Stichwort „Ver-
handlungen“ –: Welche Verhandlungen hat es gegeben?
Welche Verhandlungsoptionen hat man erwogen? Mei-
nes Wissens wurden Verhandlungen in Burkina Faso und
in Algerien terminiert. Haben diese Termine stattgefun-
den? Wurden sie wahrgenommen? Inwiefern hat die
Bundesregierung diese Verhandlungen unterstützt und
ihre Möglichkeiten für eine diplomatische Lösung des
Konflikts ausgelotet?





Niema Movassat


(A) (C)



(D)(B)

Die Sachlage ist schon so, dass, seit ECOWAS invol-
viert ist und seit es sozusagen die Drohung einer militä-
rischen Intervention gibt, die Rebellen das Gebiet im
Norden zum Teil verminen, dass es massivste Flücht-
lingsbewegungen gibt, dass viele Menschen Sorge vor
dieser Intervention in der Region haben. Gerade Ver-
handlungen würden an dieser Stelle die Möglichkeit bie-
ten, eine Befriedung zu erreichen.

Deshalb eben die Frage: Welche Verhandlungen hat
es gegeben? Welche Verhandlungen wird es in nächster
Zukunft geben? Wie hat die Bundesregierung das unter-
stützt?


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721615000

Jetzt schauen wir einmal, wie lang die Antwort ist,

nachdem auch die Frage ein bisschen länger war. – Bitte
schön, Herr Staatssekretär.

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721615100


Wenn Sie gestatten, möchte ich zunächst zur Frage
zurückkehren. Dazu muss ich einen Punkt schon noch
nennen. Sie unterstellen in Ihrer Frage der französischen
Regierung, dem Präsidenten und dem Verteidigungsmi-
nister, sich gegenüber der französischen Öffentlichkeit
und der französischen Nationalversammlung äußerst in-
transparent verhalten zu haben. Ich würde Ihnen, Herr
Kollege, empfehlen, die Gelegenheit zu ergreifen, mit
den Kollegen der Assemblée nationale, die nächste Wo-
che hier sein werden, über Ihre Meinung und Ihre Ein-
schätzung der innerfranzösischen Meinungsbildung zu
diskutieren.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das werden wir machen!)


Das wäre sicherlich lehrreich, möglicherweise sogar für
Sie.

Zur Frage, die Sie jetzt gestellt haben: Es sind Ver-
handlungen, die mit sehr starker diplomatischer Unter-
stützung der Bundesrepublik Deutschland stattfinden
sollten mit dem Ziel, einen politischen Dialog mit dem
Norden zu beginnen. Es war auch durchaus davon aus-
zugehen, dass diese in der nächsten Zeit stattfinden kön-
nen.

Unser Ziel ist, dass der politische Prozess in Mali per-
spektivisch in eine sogenannte Roadmap mündet, also in
einen Fahrplan, der konkrete und realistische Schritte
zur Durchführung von demokratischen Wahlen beinhal-
tet und der von allen politischen Lagern in Mali mitge-
tragen wird. Das soll Gegenstand dieser Gespräche und
der hoffentlich darauf fußenden Vereinbarungen sein.

Es gibt keinen logischen Widerspruch in meiner Dar-
legung. Das Vorgehen der Franzosen an der Linie, die
den Norden und den Süden Malis voneinander trennt
– das ist ein Flaschenhals von wenigen Hundert Kilome-
tern Breite; dort ist das Ufer des Niger –, war unabding-
bar. Durch diese militärische Aktion der französischen
Armee wurde verhindert, dass es nichts mehr gibt, über
das politische Dialoge und Verhandlungen geführt wer-
den können. Zu befürchten war nämlich, dass die Isla-

misten, die die Scharia im ganzen Norden bereits einge-
führt haben – da wird gesteinigt, da werden Hände
abgehackt –, das gesamte Territorium des Staates Mali
unter Kontrolle bekommen.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721615200

Herr Staatssekretär, ich räume ein, dass das Thema

wahnsinnig kompliziert ist.

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721615300


Ich bin auch schon am Ende.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721615400

Aber wir müssen gemeinsam den Versuch unterneh-

men, die Beantwortung im richtigen Zeitfenster zu hal-
ten.

Kollege Andrej Hunko, Sie haben eine weitere Nach-
frage.


Andrej Hunko (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721615500

Herr Präsident, ich werde mich mit meiner Frage

kurzfassen. – Herr Staatssekretär, wir feiern den 50. Jah-
restag der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags. Heute
Morgen fand dazu eine Debatte statt. Nächsten Dienstag
wird die Assemblée nationale hier sein. Im Élysée-Ver-
trag steht, dass beide Regierungen einander vor wichti-
gen außenpolitischen Entscheidungen konsultieren.
Meine Frage ist: Wann haben diese Konsultationen statt-
gefunden? Was wurde dort besprochen? Wie hat sich die
deutsche Regierung positioniert? – Vielen Dank.

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721615600


Die Bundesregierung ist im Umfeld der Konkretisie-
rung der Maßnahmen unmittelbar informiert worden. Es
gab mehrere Telefongespräche. Es gab auch Unterrich-
tungen über das Vorgehen. Diese Vorgehensweise ist von
der Bundesregierung ausdrücklich begrüßt worden.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721615700

Vielen Dank. – Jetzt rufe ich die dringliche Frage 3

unseres Kollegen Niema Movassat auf:
Im Rahmen welchen Bündnisses und Mandats wird sich

die Bundeswehr in Mali engagieren, und teilt die Bundesre-

(vergleiche den Vorsitzenden des Deutschen BundeswehrVerbandes e. V., Ulrich Kirsch, im Morgenmagazin der ARD vom 15. Januar 2013, www.daserste.de/information/politik-weltgeschehen/ morgenmagazin/berichte-und-interviews/Kirsch-zu-Auslands einsaetzen-100.html)

welcher Art, also auch logistische Unterstützung, eine Beteili-
gung am Krieg bedeuten würde und ein Bundestagsmandat er-
forderlich mache?

Bitte schön, Herr Staatssekretär.

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721615800


Zunächst zur Frage, im Rahmen welchen Bündnisses
sich die Bundeswehr engagieren wird. Die Europäische
Union wird sich mit diesen Fragen wohl gemeinschaft-





Parl. Staatssekretär Christian Schmidt


(A) (C)



(D)(B)

lich beschäftigen. Die europäische Trainingsmission ist,
wie der Name schon sagt, eine europäische Mission.
Deswegen ist die erste Antwort auf Ihre Frage: die Euro-
päische Union.

Ein Mandat wird dann notwendig, wenn die Schwelle
zu einem Einsatz überschritten wird. Wir haben sowohl
im Parlamentsbeteiligungsgesetz als auch in der ein-
schlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts klare Regeln und Hinweise, die seitens der Bun-
desregierung beachtet werden. Das heißt, auch die
Informationsrechte des Parlaments werden natürlich
berücksichtigt. Würde sich das Engagement zu einem
Einsatz entwickeln, dann würde auch ein Mandat des
Deutschen Bundestages seitens der Bundesregierung be-
antragt.

Die heute im Raum stehende Zurverfügungstellung
von Raum für den Transport von anderen Ländern West-
afrikas nach Bamako ist nach unserer Ansicht noch
keine Überschreitung dieser Schwelle, weil sie weder
geografisch noch unmittelbar mit dem Einsatz verbun-
den ist. Wenn sich die Dinge weiterentwickeln – dies
wird einer jeweiligen Prüfung unterzogen –, werden wir
selbstverständlich den Deutschen Bundestag nicht nur
informieren, sondern auch die konstitutive Zustimmung
des Deutschen Bundestages für ein Mandat einholen. Ich
sage aber ausdrücklich – Herr Präsident, gestatten Sie
mir diesen notwendigen Satz –: So weit sind wir nicht.
Gegenwärtig sieht es so aus, dass wir eine reine Trans-
portleistung zur Verfügung stellen, die mit einem Einsatz
nicht in Verbindung gebracht werden kann.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721615900

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Unser Kollege

Niema Movassat hat die erste Nachfrage.


Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721616000

Herr Staatssekretär, Sie haben einen Teil meiner

Frage gerade wiedergegeben. Sie haben aber einen klei-
nen Teil der Frage weggelassen, der nicht irrelevant ist,
nämlich ob die Bundesregierung die Aussage teilt, dass
jede Art von Militäreinsatz gleich welcher Art, also auch
logistische Unterstützung, eine Beteiligung am Krieg be-
deuten würde und ein Bundestagsmandat erforderlich
mache. Diese Aussage stammt nicht von der Linksfrak-
tion – auch wenn ich sie durchaus teile –, sondern vom
Vorsitzenden des Deutschen BundeswehrVerbandes,
Ulrich Kirsch. Insofern stammt dieser Satz aus Bundes-
wehrkreisen. Das zur Korrektur.

Was mich im Zusammenhang mit der Frage nach dem
Bundestagsmandat interessieren würde: Die malische
Regierung hat ja den Ausnahmezustand verhängt, auch
in Bamako, wohin die Transall-Maschinen fliegen sol-
len. Die Verhängung des Ausnahmezustands bedeutet
unter anderem die Aufhebung des Rechts der Versamm-
lungs- und der Meinungsfreiheit. Das impliziert, dass es
sich bei Mali um eine Konfliktregion handelt. Das sagt
die malische Regierung. Fließt das in die Überlegungen
der Bundesregierung zur Einholung eines Bundestags-
mandats ein? Wie bewertet die Bundesregierung diese
Verhängung des Ausnahmezustands?

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721616100


Herr Kollege, ich bin ein Verehrer von Oberst Ulrich
Kirsch als Vorsitzendem des Deutschen BundeswehrVer-
bandes und schätze seinen Rat außerordentlich.

Sie gestatten allerdings, dass die Bundesregierung bei
der Bewertung der verfassungsrechtlichen Frage, ob es
sich um einen Einsatz handelt oder nicht, doch lieber das
Bundesverfassungsgericht und die Gesetzgebung zurate
zieht. Falls sich Diskrepanzen zwischen den öffentlich
geäußerten Meinungen ergeben, ist das anregend, aber
nicht unbedingt zielführend.

Ich wiederhole, dass natürlich dann, wenn eine Ge-
fährdung in diesem Einsatz zu erwarten ist – das ist eines
der Kriterien, die das Bundesverfassungsgericht im
zweiten Urteil über den AWACS-Einsatz festgelegt hat;
im ersten hat es die Grundlagen festgelegt –, dies als
Maßstab zur Prüfung anlegt werden muss. Das werden
wir tun.

Wir werden auch die Frage zu prüfen haben, welches
Bündnis nach Art. 24 Abs. 2 des Grundgesetzes die
Grundlage für den Einsatz bildet. Es bleibt dabei, dass
wir uns hier parlamentsfreundlich verhalten und die Be-
wertung auf den Grundlagen der Rechtsprechung durch-
führen werden.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721616200

Herr Staatssekretär, Sie geben dem Kollegen auch

noch die Möglichkeit einer zweiten Nachfrage?

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721616300


Wenn es etwas Neues ist.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721616400

Das, Herr Staatssekretär, wird der Fragesteller selbst

zu beurteilen haben. Bitte schön.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aber ob Sie etwas Neues dazu zu sagen haben, ist die Frage!)



Niema Movassat (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721616500

Es wäre für Sie deutlich einfacher, wenn ich eine

Frage lediglich wiederholen würde. Dann könnten Sie
dasselbe noch einmal sagen. Aber keine Sorge, ich stelle
eine ganz neue Frage, aber durchaus auf Mali bezogen.

Herr Staatssekretär, es geht um die Frage, welche
Ziele mit einem solchen Kriegseinsatz verbunden sind.
Was möchte man da eigentlich? Nun wird artikuliert,
man wolle die Islamisten bekämpfen. Es gibt aber auch
Meldungen, sogar in der Frankfurter Allgemeinen Zei-
tung, in denen es um die Frage der Rohstoffe in Mali
geht.

Nordmali ist eine der rohstoffreichsten Regionen die-
ser Welt. Es gibt dort Erdöl, Erdgas, Uran, Phosphat,
Bauxit, Gold und andere Edelmetalle. Viele Gebiete im
Norden sind bereits mit Explorationsrechten versehen.
Es gibt den Vorwurf der Gesellschaft für bedrohte Völ-





Niema Movassat


(A) (C)



(D)(B)

ker, der besagt, dass es Frankreich in erster Linie um
Uraninteressen gehe. Diese Meldung liest man immer
wieder. Frankreich ist weitgehend von Uran abhängig;
dort gibt es viele Atomkraftwerke. Insoweit ist dieser
Gedanke nicht ganz irrelevant.

Deshalb meine Frage an Sie: Wie ist Ihre Einschät-
zung der französischen Interessen bei diesem Kriegsein-
satz?

C
Christian Schmidt (CSU):
Rede ID: ID1721616600


Herr Kollege, mit Rücksicht auf meine begrenzte Zeit
will ich nicht noch das Thema der langfristigen entwick-
lungspolitischen Perspektive ansprechen. Ich will ledig-
lich darauf hinweisen, dass das eine Frage ist, die im
vernetzten Denken natürlich eine Rolle spielen muss.
Mali ist nicht erst in den letzten Tagen zu einer schwieri-
gen Gegend geworden, gefördert auch dadurch, dass
Waffen in das Land gekommen sind, die aus der Kon-
kursmasse von Muammar al-Gaddafi stammen und die
das Land im Norden leider destabilisieren.

Das Land befindet sich gegenwärtig in einer Situa-
tion, in der es Hunderttausende von Flüchtlingen gibt
– Binnenflüchtlinge und Flüchtlinge in andere Länder –
und in der Menschen gewaltsam zu Tode kommen. In
einer solchen Situation helfen Überlegungen der mittel-
und langfristigen Art, wer welchen ökonomischen Nut-
zen von was hätte, überhaupt nicht weiter. Bei den Dis-
kussionen wird ziemlich schnell klar: Die Menschen in
Mali wollen, dass Frieden einkehrt und dass sie über
Verhandlungen das Schicksal ihres Landes selbst demo-
kratisch bestimmen können.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721616700

Vielen Dank, Herr Staatssekretär.

Nach den dringlichen Fragen rufe ich gleich eine
Frage aus dem Geschäftsbereich des Auswärtigen Amtes
auf, die zum selben Fragenkreis gehört und nach den
Richtlinien für die Fragestunde vorgezogen wird. Für die
Beantwortung steht die Staatsministerin im Auswärtigen
Amt, unsere Kollegin Cornelia Pieper, zur Verfügung.

Ich rufe nun die Frage 31 unseres Kollegen Dr. Rolf
Mützenich auf:

Wann beabsichtigt die Bundesregierung den Deutschen
Bundestag mit dem Bundeswehrmandat zum Einsatz in Mali
zu befassen, und welche Vereinbarungen gibt es in der Bun-
desregierung zur Wiederaufnahme der wirtschaftlichen Zu-
sammenarbeit mit Mali?

Bitte schön, Frau Staatsministerin.

C
Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1721616800


Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter
Mützenich, natürlich bezieht sich das schon vorher Ge-
sagte auch auf das, wonach Sie fragen. Ich gebe zu, dass
mein Kollege, Staatssekretär Schmidt, bereits sehr aus-
führlich auf den Sachverhalt eingegangen ist. Nichtsdes-
totrotz möchte ich die Beantwortung Ihrer Frage, die Sie
zu Recht stellen, nicht umgehen.

Zum ersten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter. Ich
kann es nur wiederholen: Die Bundesregierung prüft
derzeit Möglichkeiten zur Unterstützung der militäri-
schen Operation der französischen Partner in der Repu-
blik Mali. Wenn sich diese Pläne konkretisieren, werden
wir die rechtlichen Voraussetzungen prüfen. Sie können
davon ausgehen, dass es dabei eine enge Einbindung des
Deutschen Bundestages geben wird; das ist für das Aus-
wärtige Amt selbstverständlich. Sie sind heute schon im
Auswärtigen Ausschuss unterrichtet worden.

Ein Kampfeinsatz deutscher Soldaten – das möchte
ich betonen – steht für uns ausdrücklich nicht zur De-
batte. Die Bundesregierung prüft eine mögliche Beteili-
gung an einer militärischen GSVP-Ausbildungsmission
der Europäischen Union in Mali. Unser möglicher Bei-
trag hierzu ist natürlich von der weiteren Lageentwick-
lung und den weiteren Planungen in Brüssel abhängig.

Zum zweiten Teil Ihrer Frage, Herr Abgeordneter. Für
eine schrittweise Wiederaufnahme der Entwicklungszu-
sammenarbeit mit Mali gibt es klare Kriterien, die auch
international abgestimmt sind. Dazu gehören die Vorlage
einer substanziierten Roadmap für die Rückkehr zur ver-
fassungsgemäßen Ordnung durch die malische Regie-
rung und die glaubwürdige Umsetzung darin formulier-
ter Zwischenschritte. Die Erfüllung der Kriterien ist
Voraussetzung für erste Lockerungen der Suspendierung
der Entwicklungszusammenarbeit. Die Vorlage einer
derartigen Roadmap durch die malische Regierung steht
allerdings derzeit noch aus; das wissen Sie.

Wir haben uns in Reaktion auf den Putsch vom
22. März 2012 zur Suspendierung der Entwicklungszu-
sammenarbeit veranlasst gesehen. Wir setzen aber wei-
terhin Vorhaben durch, die bevölkerungsnah und regie-
rungsfern umgesetzt werden können und die unmittelbar
der Sicherung der Ernährung der Bevölkerung dienen.
Damit trägt die Bundesregierung den strukturellen Ursa-
chen der angespannten humanitären Lage in Mali Rech-
nung.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721616900

Vielen Dank. – Die erste Nachfrage des Kollegen

Dr. Rolf Mützenich.


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1721617000

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin,

wir haben in den letzten Tagen oder auch Wochen immer
wieder gehört, was die Bundesregierung im Hinblick auf
Mali alles ausschließt. Aber in den letzten Stunden ha-
ben wir lernen müssen, dass unter Umständen bereits ab
morgen – wenn ich es heute Morgen richtig verstanden
habe – Transportkapazitäten zur Unterstützung der
ECOWAS-Truppen zur Verfügung stehen, die Bundesre-
gierung aber zu der Überzeugung gekommen ist, diese
Maßnahme durchzuführen, ohne dafür ein Mandat des
Parlaments einzuholen, auch nicht im Nachhinein. Viel-
leicht könnten Sie dem Deutschen Bundestag erklären,
warum man bei dieser Frage von der bisherigen Praxis
abweicht und insbesondere die einschlägigen Entschei-
dungen des Bundesverfassungsgerichts zum Parlaments-
heer nicht beachten will. Ich glaube, für meine Fraktion





Dr. Rolf Mützenich


(A) (C)



(D)(B)

sagen zu dürfen, dass wir durchaus bereit wären, eine
solche Mandatierung auch im Nachhinein mit Ihnen zu
diskutieren.

C
Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1721617100


Herr Mützenich, gehen Sie davon aus, dass die Bun-
desregierung sehr sorgfältig die rechtlichen Vorausset-
zungen im Zusammenhang mit der Bereitstellung von
Gerät für die ECOWAS-Operation in Mali prüft.

Sie haben insbesondere die zwei Transall-Transport-
flugzeuge angesprochen. Heute wurde vom Verteidi-
gungsminister und vom Außenminister angekündigt, dass
sie für ECOWAS-Truppen in Mali zur Verfügung gestellt
werden. Rechtlich hat sich ergeben, dass dafür kein Bun-
destagsmandat erforderlich ist; denn der Einsatz der zwei
Transall-Flugzeuge liegt unterhalb der vom Bundesver-
fassungsgericht beschriebenen Einsatzschwelle. Wenn
sich weitere Veränderungen ergeben, dann werden wir
den Deutschen Bundestag natürlich damit befassen. Das
ist selbstverständlich, das hatte ich in meiner Erklärung
eingangs schon formuliert.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721617200

Ihre zweite Nachfrage, Kollege Dr. Mützenich.


Dr. Rolf Mützenich (SPD):
Rede ID: ID1721617300

Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin,

wir haben eben aus den Antworten auf die dringlichen
Fragen lernen können, dass die Bundesregierung – im
Gegensatz zu den Aussagen der letzten Tage – weitere
Hilfsmaßnahmen, die die Unterstützung der französi-
schen Mission betreffen, sowohl in Bezug auf die wei-
tere Logistik als auch auf die medizinischen Kapazitä-
ten, nicht mehr ausschließt. Ich gehe – auch in Bezug auf
die Ausbildungsmission – davon aus, dass der Deutsche
Bundestag damit befasst wird. Wäre es aus Ihrer Sicht
nicht sinnvoll, diese beiden Aspekte – die Unterstützung
der ECOWAS-Truppen durch die Bundesregierung und
das, was dem französischen Partner in Aussicht gestellt
wird – in einem Mandat zusammenzuführen?

C
Cornelia Pieper (FDP):
Rede ID: ID1721617400


Ich will noch einmal daran erinnern, worauf Staatsse-
kretär Schmidt zu Recht hingewiesen hat: Die Obleute
wurden heute darüber informiert, welches Gerät die
Bundesregierung der ECOWAS in Mali zur Verfügung
stellt und dass wegen der fehlenden rechtlichen Voraus-
setzungen ein Bundestagsmandat für den Einsatz nicht
notwendig ist.

Wir prüfen derzeit, wie wir Frankreich unterstützen
können. Ein Kampfeinsatz deutscher Soldaten – ich sage
das noch einmal ganz deutlich – steht ausdrücklich nicht
zur Debatte, doch wir können den Einsatz logistisch und
sanitätsdienstlich unterstützen. Wir prüfen gemeinsam
mit den europäischen Partnern – morgen findet die
Sondersitzung des EU-Außenrates statt; der Bundes-
außenminister hat als Erster eine Beschleunigung des
Prozesses, ein sehr schnelles Zusammenkommen des

Außenrates gefordert – die Entsendung der gemeinsa-
men EU-Ausbildungsmission zur Schulung der mali-
schen Streitkräfte. Wir werden Sie darüber natürlich auf
dem Laufenden halten, auch was die Mandatierung an-
belangt.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721617500

Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Ich habe keine

weiteren Nachfragen, sodass ich nun die übrigen Fragen
auf Drucksache 17/12041 aufrufe, und zwar in der ent-
sprechenden Reihenfolge.

Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Jan Mücke zur Verfügung.

Ich rufe die Frage 1 unserer Kollegin Frau Rita
Schwarzelühr-Sutter auf:

Waren die Berichte über Sicherheitsbedenken seitens des
schweizerischen Bundesamtes für Zivilluftfahrt hinsichtlich
der Ab- und Anflugkonzepte des Flughafens Zürich bei den
bisherigen Verhandlungen zum Staatsvertrag mit der Schweiz
der Bundesregierung bereits bekannt, und hatte es politische
Gründe, dass keine anderen Betriebskonzepte in die Verhand-
lungen mit der Schweiz einbezogen wurden?

Bitte schön, Herr Staatssekretär.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721617600


Herr Präsident, Frau Kollegin, diese Frage möchte ich
wie folgt beantworten: Berichte über Sicherheitsbeden-
ken des schweizerischen Bundesamtes für Zivilluftfahrt
hinsichtlich der An- und Abflugkonzepte des Flughafens
Zürich sind der Bundesregierung nicht bekannt. Inhalt
der Staatsvertragsverhandlungen waren die Auswirkun-
gen des Betriebs des Flughafens Zürich auf das Hoheits-
gebiet der Bundesrepublik Deutschland. Daher wurden
in den Staatsvertragsverhandlungen ausschließlich die
Betriebskonzepte mit den entsprechenden Auswirkun-
gen berücksichtigt.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721617700

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.


Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1721617800

Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, wenn Sicherheits-

bedenken durch das schweizerische Bundesamt bekannt
sind, werden diese Bedenken im Zuge der zugesagten
Nachverhandlungen des Bundesverkehrsministers mit
der Schweiz in den Staatsvertrag einfließen? Das spielt
ja doch eine bedeutende Rolle. Ich denke, Sicherheit
muss oberste Priorität haben.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721617900


Wir wissen nicht, ob seitens der Schweizer Regierung
solche Bedenken tatsächlich vorliegen. Deshalb ist es
völlig spekulativ, darüber nachzudenken, ob diese
Bedenken möglicherweise in Gespräche einfließen
könnten. Wir kennen solche Sicherheitsbedenken nicht.
Deshalb macht es auch keinen Sinn, sich dazu zu äußern.






(A) (C)



(D)(B)


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721618000

Sie haben die Möglichkeit einer zweiten Nachfrage.


Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1721618100

Sie kennen die Bedenken nicht, aber selbst der Direk-

tor des BAZL, Herr Müller, hat darüber ausführlich in
der Schweizer Presse, die die Bundesregierung bzw. das
Verkehrsministerium durchaus wahrnehmen, referiert.
Ich gehe also davon aus, dass das bis Berlin bzw. Bonn
gedrungen ist.

Bis wann ist denn mit den Nachverhandlungen zu
rechnen, die der Herr Minister am 26. November 2012
zugesagt hat?

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721618200


Frau Kollegin, ich muss Sie korrigieren. Der Minister
hat keine Nachverhandlungen angekündigt. Er hat viel-
mehr gesagt, dass es um Präzisierungen in den Begrün-
dungen geht. Auf Schweizer Seite heißt das Vernehmlas-
sungen; bei uns heißt das ein bisschen anders. Es geht
also ausschließlich darum, die Begründungen zum
Staatsvertrag zu präzisieren und Missverständnisse, die
offensichtlich entstanden sind, auszuräumen. Es geht
ausdrücklich nicht darum, den Staatsvertrag nachzuver-
handeln.

Was den Kollegen Müller vom BAZL angeht, kann
ich nur so viel sagen: Er ist Mitglied der Schweizer Ver-
handlungsdelegation gewesen. Mir ist deshalb völlig
schleierhaft, wie plötzlich irgendwelche Sicherheits-
bedenken aufkommen können. Wenn es diese Bedenken
gegeben hätte, hätte die Schweizer Seite diese sicher bei
den Staatsvertragsverhandlungen selber eingebracht.
Das hat sie aber nicht getan. Sie hat diesen Staatsvertrag
in Kenntnis des gesamten Sachverhalts mit uns ausver-
handelt. Es geht jetzt darum, die entstandenen Irritatio-
nen zu beseitigen. Es geht nicht darum, den Staatsvertrag
nachzuverhandeln.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721618300

Vielen Dank. – Frau Kollegin Ute Kumpf hat eine

Nachfrage.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1721618400

Sehr geehrter Herr Staatssekretär, Sie waren ja von

Ihren eigenen Verhandlungen sehr begeistert und haben
uns im Verkehrsausschuss geschildert, wie toll dieser
ausgehandelte Staatsvertrag ist. Jetzt sind Fragen aufge-
taucht, auch Sicherheitsbedenken geäußert worden. Sind
Sie im Interesse der deutschen Seite bereit, die Schleier
zu lüften und eventuell bei zukünftigen Gesprächen mit
der Schweizer Seite Fragen zu stellen – einige Fragen
haben wir ja gerade formuliert –, damit wir ein bisschen
Licht ins Dunkel bekommen?

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721618500


Wir bewegen uns im Raum des Spekulativen, Frau
Kollegin. Im Bundesministerium für Verkehr, Bau und

Stadtentwicklung kennen wir keine Sicherheitsbedenken
der Schweizer Seite.


(Sören Bartol [SPD]: Schlechte Presseauswertung!)


Deshalb macht es keinen Sinn, darüber zu spekulieren,


(Ute Kumpf [SPD]: Es geht nicht ums Spekulieren!)


wie die Bundesregierung damit umgehen würde, wenn
solche Bedenken auftauchen sollten.

Suggestiv- und Spekulativfragen können wir schlecht
beantworten.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721618600

Vielen Dank. – Ich rufe die zweite Frage unserer Kol-

legin Rita Schwarzelühr-Sutter, Frage 2, auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, wie viele Zwischenfälle

im An- und Abflugverkehr zum und vom Flughafen Zürich in
den vergangenen fünf Jahren gemeldet wurden, und, falls ja,
welche?

Herr Staatssekretär, ich darf Sie bitten, die Frage zu
beantworten.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721618700


Diese Frage von Frau Schwarzelühr-Sutter möchte
ich wie folgt beantworten: Der Bundesregierung liegen
regelmäßig keine Informationen über im Ausland statt-
gefundene Zwischenfälle im Flugverkehr vor.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721618800

Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.


Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1721618900

Herr Staatssekretär, die Schweizer Flugsicherung

übernimmt auch über deutschem Hoheitsgebiet diese
Aufgabe. Wir alle können uns an den Zusammenstoß bei
Überlingen erinnern, der wirklich tragische Folgen hatte.
Das Verfahren ist immer noch anhängig. Und da haben
Sie kein Bedürfnis, Informationen zu bekommen, was
die Schweizer Flugsicherung über unseren Köpfen ab-
wickelt?

Ich will zur Presse zurückkommen: Im letzten Jahr
gab es einen Beinaheunfall zwischen einer Passagier-
maschine und einem Segelflugzeug in Grenznähe über
deutschem Gebiet. Das wurde nicht an unsere
Bundesstelle für Flugunfalluntersuchung gemeldet. Das
heißt, keiner kümmert sich darum, was sich in dem funk-
tionalen Luftraumblock tatsächlich abspielt? Sie wissen
also gar nichts?


(Sören Bartol [SPD]: Skandalös ist das!)


J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721619000


Frau Kollegin, Ihre Frage ist dann nicht präzise genug
formuliert gewesen. Sie haben nach den An- und Abflü-
gen auf dem Flughafen Zürich gefragt. Der Flughafen
Zürich befindet sich bekanntermaßen nicht auf deut-





Parl. Staatssekretär Jan Mücke


(A) (C)



(D)(B)

schem Staatsgebiet. Nichtsdestotrotz wäre es hilfreich,
wenn der süddeutsche Luftraum, über den teilweise An-
flüge auf den Flughafen Zürich stattfinden, gemeinsam
von Skyguide und der Deutschen Flugsicherung kontrol-
liert werden würde. Das ist im Übrigen auch der Grund
gewesen, weshalb wir diesen Staatsvertrag mit der
Schweiz verhandelt haben. Ich wäre außerordentlich
glücklich gewesen, wenn die SPD-Bundestagsfraktion
– vielleicht auch Sie persönlich – sich in der Lage ge-
sehen hätte, diesen Staatsvertrag öffentlich mit zu unter-
stützen; denn das hätte dazu geführt, dass die Deutsche
Flugsicherung gemeinsam mit Skyguide – anders als das
heute der Fall ist – den süddeutschen Luftraum kontrol-
liert.

Ich kann Sie aber beruhigen: Es ist keineswegs so,
dass wir kein Interesse daran haben, sondern es gibt
dafür eine Behörde, nämlich das Bundesaufsichtsamt für
Flugsicherung in Langen. Diese Behörde erhebt alle
Daten, die das deutsche Hoheitsgebiet betreffen, von
Skyguide. Ich kann diese Daten, wenn Sie das wün-
schen, Ihnen gerne schriftlich nachreichen.


(Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: Das wünschen wir!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721619100

Bitte schön, Frau Kollegin, Sie haben eine zweite

Nachfrage.


Rita Schwarzelühr-Sutter (SPD):
Rede ID: ID1721619200

Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, „zum und vom

Flughafen Zürich“ sei unpräzise formuliert. Ich gehe da-
von aus, dass die Bundesregierung, wenn sie einen
Staatsvertrag abschließt, weiß, dass 75 Prozent der An-
flüge auf Zürich über deutschem Gebiet stattfinden, und
dass sie, wenn sie einen Staatsvertrag zu funktionalen
Luftraumblöcken ratifiziert, auch weiß, dass man es mit
einer Flugsicherung zu tun hat. Wenn Sie es gewollt hät-
ten, hätte man in diesen auch die Formulierung aufneh-
men können, dass eine gemeinsame Flugüberwachung
installiert wird. Ich glaube, dass hier die rechte Hand
nichts von der linken Hand weiß. Ich bitte Sie aber doch,
sich die Informationen über Beinaheunfälle und Flug-
vorfälle zu beschaffen. Angeblich liegen die ja nicht vor.
Ich bitte Sie, das sehr zeitnah zu erledigen.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721619300


Frau Kollegin, ich kann mich nur wiederholen. Wenn
Sie Ihre Frage anders formuliert hätten,


(Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: Die war schon deutlich!)


hätten wir beim Bundesaufsichtsamt für Flugsicherung
in Auftrag geben können, eine Übersicht zu erstellen,
wie viele Vorfälle es über deutschem Hoheitsgebiet
gegeben hat. Ihre Frage hat diese Präzision aber nicht
gehabt. Weil Sie nicht präzise gefragt haben, ist es ein
wenig schwer gewesen, darauf eine präzise Antwort zu
geben.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist aber frech! – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir verteilen hier keine Schulnoten!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721619400

Das wird jetzt die Frau Kollegin Ute Kumpf machen,

die eine weitere Nachfrage hat. Bitte schön.


Ute Kumpf (SPD):
Rede ID: ID1721619500

Ob ich das schaffe, wird sich herausstellen; denn Herr

Kollege Staatssekretär Mücke ist da ziemlich hartherzig.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Hartleibig!)


Herr Mücke, Sie haben jetzt mitbekommen, dass es
doch etliche Irritationen gibt, was diesen Staatsvertrag
anbelangt, dass es Widerstand gibt und dass es auch
nicht die Bereitschaft gibt, diesen Staatsvertrag zu unter-
zeichnen. Es gibt auch eine große Irritation, was unsere
Verhandlungsführung anbelangt, in Bezug darauf, dass
Sie mehr der Schweizer Seite bzw. dem Charme der Ver-
kehrsministerin erlegen sind, als unsere eigenen Interes-
sen vertreten zu haben. Deswegen frage ich noch einmal
nach: Werden Sie bei den jetzt anstehenden Gesprächen
– wir nennen es einmal nicht „Verhandlungen“ – die
Irritationen, die jetzt aufgetaucht sind, ansprechen? Wer-
den Sie bei diesen Gesprächen – nicht Verhandlungen –
auch unsere Fragen, die wir noch einmal präzisieren und
Ihnen schriftlich nachreichen können, stellen? Wir sind
ja keine Bittsteller, so glaube ich schon, dass wir schlicht
und einfach die Schweiz danach fragen dürfen.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721619600


Wir sind offen dafür. Wenn Sie uns zweckdienliche
Fragen stellen, werden wir diese selbstverständlich mit-
nehmen und sie in diesem Gespräch mit dem zuständi-
gen Abteilungsleiter in der Schweiz gern ansprechen.
Ich kann aber nicht ahnen, welche Fragen Sie haben. Es
sind sehr viele unterschiedliche Beurteilungen und
Mutmaßungen zu diesem Staatsvertrag in der Öffentlich-
keit unterwegs. Die wenigsten davon entsprechen der
Realität.


(Lachen bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Dann leiten Sie ihn doch dem Parlament zur Ratifizierung zu!)


Ich bin immer noch der Auffassung, dass der ausge-
handelte Staatsvertrag, der im Übrigen schon unter-
schrieben, nur noch nicht ratifiziert ist, eine gute Grund-
lage dafür ist, dass wir Flugsicherung gerade im
südbadischen Raum künftig anders organisieren können,
und zwar so, dass weniger Menschen von Flugverkehr
betroffen sind. Ich erinnere Sie daran, dass wir beispiels-
weise in diesem Staatsvertrag ausgedehntere Ruhezeiten
verhandelt haben. Das würde dazu beitragen, dass die
südbadische Bevölkerung schon heute um mehrere Stun-
den Flugverkehr in der Woche entlastet worden wäre. Es
ist bedauerlich, dass das in dieser öffentlichen Diskus-
sion manchmal unter den Tisch fällt.






(A) (C)



(D)(B)


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721619700

Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir bleiben im

Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung.

Die Fragen 3 und 4 des Kollegen Dr. Ilja Seifert wer-
den schriftlich beantwortet.

Wir kommen nun zur Frage 5, die unsere Kollegin
Cornelia Behm gestellt hat:

Welche neuen Erkenntnisse sind zwischen dem 18. De-
zember 2012 und dem 4. Januar 2013 entstanden, die zu der
Einschätzung geführt haben, dass der Eröffnungstermin für
den Flughafen Berlin Brandenburg, BER, am 27. Oktober
2013 nicht mehr gehalten werden kann und die Probleme so
„gravierend, fast grauenhaft“ sind, wie es Horst Amann am
8. Januar 2013 gegenüber hr-info erklärte, dass noch nicht
einmal absehbar ist, wann ein neuer Eröffnungstermin ge-
nannt werden kann?

In dieser und in den weiteren Fragen geht es um die
Gründe und Auswirkungen der Verschiebung der Eröff-
nung des Flughafens Berlin Brandenburg.

Herr Staatssekretär, ich darf Sie bitten, die Frage 5 der
Kollegin Cornelia Behm zu beantworten.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721619800


Herr Präsident! Frau Kollegin Behm, meine Antwort
auf Ihre Frage möchte ich Ihnen mitteilen. Die Flug-
hafen Berlin Brandenburg GmbH, FBB, hat dem
BMVBS hierzu als Projektträgerin mitgeteilt: Am 4., 5.
und 6. Dezember, am 12., 13. und 14. Dezember sowie
am 17. und 18. Dezember 2012 fand die jüngste Serie
von Heißgasrauchversuchen im Terminal des Flughafens
BER statt. Die abschließende Auswertung der Versuche
erfolgte jeweils im Nachgang und fand ihren Abschluss
am 21. Dezember 2012. Die Auswertung der Ergebnisse
zeigte unmittelbar erheblichen Handlungsbedarf hin-
sichtlich der Anpassung und Veränderung der Ent-
rauchungsszenarien, um die Chance auf Genehmigung
aufrechtzuerhalten. Im Lichte dieser Erkenntnisse wur-
den zwischen Weihnachten 2012 und Neujahr sowie in
den ersten Tagen des Jahres 2013 die daraus resultieren-
den Konsequenzen für Planung und Bau sowie die damit
zusammenhängenden zeitlichen Auswirkungen erfasst,
und zwar mit dem Ergebnis, dass die unausweichlichen
Maßnahmen nicht mehr im Zeitrahmen für eine In-
betriebnahme im Oktober 2013 darstellbar sind.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721619900

Ihre erste Nachfrage. Bitte schön, Frau Kollegin.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721620000

Ich würde gerne wissen, welche Informationen zur

möglichen Verschiebung des Eröffnungstermins des
Berliner Flughafens Herr Horst Amann dem Bundes-
minister Herrn Dr. Ramsauer und dem Staatssekretär
Rainer Bomba in ihrem gemeinsamen Gespräch am
19. Dezember 2012 mitgeteilt hat und inwieweit zum In-
halt dieses Gesprächs ein Protokoll existiert.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721620100


Den ersten Teil Ihrer Frage kann ich klar mit „keine“
beantworten.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Es hat keine Gesprächsinhalte gegeben?)


– Darf ich bitte antworten?


(Rita Schwarzelühr-Sutter [SPD]: Dann müssen Sie präzise antworten!)


Zum zweiten Teil der Frage: Es handelte sich bei dem
Treffen zwischen Herrn Amann und Herrn Bundesminis-
ter Ramsauer nicht um einen Termin, der vorher geplant
gewesen ist und deshalb in irgendeiner Art und Weise
protokolliert worden ist.


(Ute Kumpf [SPD]: Das war wahrscheinlich eine Weihnachtsfeier! – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Was? Haben Sie gewichtelt, oder was?)


Vielmehr handelte es sich um ein kurzes Kennenlernen
in seinem Büro.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721620200

Ihre zweite Nachfrage.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721620300

Das ist immerhin interessant: Man lernt sich kennen,

schaut sich in die Augen, wechselt dann aber über das
Projekt, das einen verbindet, keine Worte, was man dann
vorsorglich auch nicht notiert. Gut.


(Sören Bartol [SPD]: Das glaubt doch nur ihr!)


Meine zweite Nachfrage. In einem Interview in der
Welt vom 27. Dezember 2012 – das war also kurz nach
Weihnachten – wird der Minister wie folgt zitiert:

Der Miteigentümer Bund sieht Anzeichen dafür,
dass der Eröffnungstermin am 27. Oktober 2013
möglicherweise nicht gehalten werden kann.

Inwieweit stützt sich diese Aussage auf Erkenntnisse
aus dem Gespräch mit Herrn Amann, also aus diesem
Kennenlerngespräch, das laut Spiegel Online vom
15. Januar 2013 am 19. Dezember 2012 geführt wurde?

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721620400


Frau Kollegin Behm, wie ich Ihnen gerade erläutert
habe, hat dieses Gespräch nicht stattgefunden, um eine
mögliche Terminverschiebung anzukündigen, entgegen-
zunehmen oder irgendwie zur Kenntnis zu nehmen. Die-
ses Gespräch, das vielleicht nach Ihrer Vorstellung so
stattgefunden haben mag, hat es nicht gegeben.

Dazu etwas sagen konnte Herr Amann auch gar nicht;
denn, wie ich vorhin in einer meiner Antworten schon
ausgeführt habe, sind die Rauchgasversuche, die man am
BER unternommen hat, noch bis zum 21. Dezember





Parl. Staatssekretär Jan Mücke


(A) (C)



(D)(B)

2012 ausgewertet worden. Die Ergebnisse sind zwischen
den Jahren, also zwischen Weihnachten und Neujahr, be-
wertet worden. Dann hat Herr Amann am 4. Januar 2013
einen Brief geschrieben und in diesem Brief mitgeteilt,
dass sich eine Verzögerung der Inbetriebnahme einstel-
len wird. Deshalb konnte er in dem Gespräch am 19. De-
zember 2012 keine derartige Mitteilung an Bundes-
minister Peter Ramsauer gegeben haben.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Danke!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721620500

Mir liegt jetzt noch eine Reihe einzelner Nachfragen

vor. Als Erster: Kollege Volker Beck.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721620600

Herr Kollege, da wir jetzt wissen, was alles nicht In-

halt des Gespräches am 19. Dezember 2012 war, versu-
che ich es einmal mit der umgekehrten Methode – viel-
leicht wäre es besser, wenn Herr Ramsauer hier wäre,
um diese Frage zu beantworten –: Was war Gegenstand
des Gespräches zwischen Herrn Ramsauer und Herrn
Amann am 19. Dezember 2012? Welche Themen wur-
den im Einzelnen erörtert? Oder ging es nur um gemein-
same Urlaubspläne und dergleichen?

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721620700


Ich bin bei diesem Gespräch nicht dabei gewesen;
deshalb kann ich Ihnen dazu schlecht Auskunft geben.
Aber sicher ist, dass es nicht darum ging, dass in irgend-
einer Art und Weise eine Verzögerung beim Termin der
Inbetriebnahme angekündigt oder mitgeteilt werden
sollte. Man hat sich lediglich darüber unterhalten, wie
der gegenwärtige Stand am BER ist; dass er schwierig
ist, war uns klar. Es ist in diesem Gespräch nicht mitge-
teilt worden, dass es zu einer Verzögerung bei der Inbe-
triebnahme kommen wird. Diese Mitteilung konnte auch
nicht erfolgen – ich habe das schon ausgeführt –, weil
die Ergebnisse der Rauchgasversuche erst bewertet wer-
den mussten. Die Ergebnisse dieser Bewertung sind uns
am 4. Januar 2013 mitgeteilt worden.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721620800

Kollege Volker Beck stellt einen Geschäftsordnungs-

antrag.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721620900

Ich hatte Herrn Ramsauer gestern brieflich gebeten,

dem Parlament in dieser Fragestunde Rede und Antwort
zu stehen. Sie sagten jetzt, dass Sie den Inhalt eines Ge-
spräches, das Grundlage dieser Frage ist, nicht wiederge-
ben können, weil Sie nicht dabei waren. Wenn Sie nicht
dabei waren, kann man Ihnen das gar nicht vorwerfen.
Aber es ist unser konstitutionelles Recht als Parlament,
Antworten auf unsere Fragen zu bekommen. Deshalb
beantrage ich, den Bundesminister Peter Ramsauer her-
beizuzitieren. Ich bitte den Präsidenten, darüber abstim-
men zu lassen, ob der Minister herbeizitiert wird. – So-
weit ich sehe, hat die Opposition die Mehrheit.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721621000

Herr Kollege Manfred Grund hat die Möglichkeit zur

Gegenrede.


Manfred Grund (CDU):
Rede ID: ID1721621100

Herr Kollege Beck, die Mehrheit stellt das Präsidium

– einvernehmlich oder nicht einvernehmlich – fest.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ich habe nur gesagt, was ich sehe!)


Was Ihren Antrag anbetrifft: Der Bundesminister hat
sich bereitgehalten. Da wir aber nicht absehen konnten,
zu welchem Zeitpunkt es in der heutigen Fragestunde
um dieses Thema geht, konnte er in diesem Augenblick
nicht hier im Plenum sein. Aber in einer Aktuellen
Stunde, die Sie vermutlich aus Ihren Fragen ableiten
werden, wird er hier anwesend sein.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wir wollen ihn aber jetzt hier haben!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721621200

Das Präsidium ist sich über die Mehrheitsverhältnisse

nicht einig.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Wie bitte? – Das kann ja wohl nicht wahr sein! – Oliver Krischer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Oswald, das ist doch wirklich unter Ihrer Würde!)


– Es besteht, wenn ich es richtig sehe, keine Einigkeit.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Erst einmal abstimmen!)


Wie lautet der Antrag des Kollegen Volker Beck?


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721621300

Ich beantrage, jetzt die Abstimmung darüber durchzu-

führen, ob der Minister herbeizitiert wird. Dann sehen
wir weiter.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721621400

Gut. – Nachdem keine Einigkeit über die Mehrheits-

verhältnisse da ist, müssen wir die entsprechende Proze-
dur durchführen.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber wir haben doch noch gar nicht abgestimmt!)


– Wir müssen zuerst abstimmen.

Ich lasse abstimmen über den Geschäftsordnungs-
antrag auf Herbeirufung von Bundesminister Peter
Ramsauer. Wer für diesen Antrag des Kollegen Volker
Beck ist, den bitte ich um das Handzeichen. – Gegen-
probe! – Im Präsidium kann keine Einigkeit über die
Mehrheitsverhältnisse festgestellt werden.

Ich unterbreche jetzt die Sitzung und bitte die Ge-
schäftsführer, auch der Oppositionsfraktionen, zu mir.


(Unterbrechung von 15.50 bis 15.58 Uhr)







(A) (C)



(D)(B)


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721621500

Wir kommen damit zu der nach unserer Geschäftsord-

nung vorgesehenen Abstimmung in Form eines Ham-
melsprungs.

Ich bitte jetzt alle Kolleginnen und Kollegen, aus dem
Plenarsaal zu gehen.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich eröffne die Ab-
stimmung. Jetzt können alle den Saal durch die entspre-
chenden Türen betreten.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721621600

Darf ich einmal um ein Signal bitten, inwieweit alle

Kolleginnen und Kollegen die Möglichkeit hatten, an
der Abstimmung teilzunehmen? – Mir wird signalisiert,
dass sich keine Kolleginnen und Kollegen mehr vor den
Abstimmungstüren befinden und dass sich offensichtlich
auch niemand gehindert sieht, an dieser Abstimmung
teilzunehmen.

Ich schließe die Abstimmung und bitte die Schriftfüh-
rerinnen und Schriftführer, mir das Ergebnis mitzuteilen.

Ich gebe Ihnen das Ergebnis der Abstimmung be-
kannt, das mir die Schriftführerinnen und Schriftführer
mitgeteilt haben: 241 Kolleginnen und Kollegen haben
mit Nein gestimmt, 170 Kolleginnen und Kollegen mit
Ja, kein Kollege hat sich enthalten. Damit ist der Antrag
auf Herbeizitierung des Herrn Ministers abgelehnt.


(Lachen bei der SPD – Sören Bartol [SPD]: Der sitzt doch da!)


Gleichwohl hat der Herr Minister auf der Regierungs-
bank Platz genommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Wo ist denn Herr Wowereit? Oder Platzeck?)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte Sie, die
notwendige Aufmerksamkeit herzustellen, damit wir mit
der Befragung fortfahren können. Die nächste Nachfrage
stellt der Kollege Liebich. Ich bitte den Herrn Minister
und den Herrn Staatssekretär, mir nach der Frage zu sig-
nalisieren, wer jeweils die Antwort gibt.

Kollege Liebich hat das Wort.


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721621700

Schön, Herr Minister, dass Sie noch kommen konn-

ten. Noch schöner wäre es gewesen, wenn Sie gleich da
gewesen wären. Wir brauchten Sie deshalb für die Befra-
gung, weil Ihr Staatssekretär in der Beantwortung einer
Frage zuvor darüber Auskunft gegeben hat, dass er – –
Herr Minister! – Frau Wöhrl, Sie können den Minister
nicht ablenken. Ich stelle ihm gerade eine Frage.

Herr Minister, wir müssen die Frage deshalb an Sie
persönlich richten, weil Ihr Staatssekretär gerade sagte,
dass Sie in dem Gespräch zum Kennenlernen, das Sie
und Herr Amann am 19. Dezember geführt haben, nicht
miteinander über die mehrfach verschobene Flughafen-
eröffnung gesprochen haben. Was uns allerdings interes-
siert, ist: Worüber haben Sie eigentlich gesprochen?


(Lachen bei der SPD – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Und warum? – Rainer Brüderle [FDP]: Über das Wetter! – Thomas Oppermann [SPD]: Keine Ausflüchte! Jetzt muss die Wahrheit auf den Tisch!)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ich möchte mit einer Vorbemerkung beginnen. Eine der-
artige Situation habe ich in über 22 Jahren Mitglied-
schaft in diesem Hohen Hause noch nie erlebt.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Sie hätten doch da sein können!)


Wie kann man bei einer solch absolut banalen Frage
– warum es sich um eine banale Frage handelt, werde ich
gleich näher erläutern –,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie jetzt nicht zu bewerten, Herr Minister!)


angesichts einer solchen Banalität – damit wende ich
mich an den Antragsteller Beck – die Geschäftsordnung
des Hohen Hauses derartig missbrauchen!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist doch keine Banalität!)


Jetzt komme ich zur Banalität. Die Banalität beinhal-
tet zwei Aspekte. Ich habe übrigens in meinem Büro ge-
sessen und hier alles verfolgt.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber warum?)


– Man hat als Bundesminister manchmal lange Listen
von Telefongesprächen abzuarbeiten und Gespräche zu
führen usw.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie jetzt telefoniert oder das mitverfolgt? Jetzt wundere ich mich auch nicht mehr, warum der Flughafen nicht fertig wird!)


Alle Fragen, die hier gestellt worden sind, habe ich
unter anderem gestern im zeitlichen und örtlichen Um-
feld der Sondersitzung des Haushaltsausschusses vor
Mitgliedern des Haushaltsausschusses und vor allen
Dingen vor einer großen Zahl von Journalistinnen und
Journalisten


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber wir sind das Parlament! Das ist doch absurd! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was erzählen Sie denn für einen Unsinn? Wollen Sie jetzt das Parlament abschaffen, oder was?)


in aller Ausführlichkeit beantwortet.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wir sind das Plenum!)


Darüber ist ausführlich in vielen Agenturberichten und
auch heute in elektronischen Medien und Printmedien
berichtet worden. Wenn Sie das Geschehen so verfolgt





Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)

hätten, wie es Ihnen eigentlich aufgrund Ihres hier vor-
getäuschten Interesses angemessen wäre,


(Thomas Oppermann [SPD]: Wir wollen keine Erklärungen, sondern Antworten auf die Frage!)


dann würden Sie solche Fragen nicht stellen; denn dann
hätten Sie alle Antworten von vornherein bekommen.
Ich unterstelle aber nicht, dass Sie das Geschehen und
die Berichte der Agenturen sowie in Printmedien und
elektronischen Medien nicht verfolgt haben.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aber hier ist das Plenum! Hier muss man nicht Zeitung lesen! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir sind doch nicht fürs Zeitunglesen angestellt! Sie sind so feige, dass Sie nicht einmal eine Antwort geben!)


Sie kennen sehr wohl alle meine Antworten. Deshalb
sage ich: Was Sie hier aufführen, ist nichts anderes als
ein Missbrauch der Geschäftsordnung des Deutschen
Bundestages.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Frau Präsidentin, kann der Mann die Fragen beantworten? Das ist unerhört!)


Ich habe gestern in aller Ausführlichkeit darüber ge-
sprochen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht zu mir!)


Ich bin aber bereit, noch einmal darüber zu sprechen.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist sehr freundlich!)


Der Dezember letzten Jahres weist in diesem Zusam-
menhang eine lange Chronologie auf.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: 30 Tage!)


Ich habe vor dem 19. Dezember x-mal in Interviews und
öffentlichen Äußerungen gesagt – ebenso wie der Regie-
rende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit –, dass
es Anzeichen dafür gibt, dass möglicherweise der ins
Auge gefasste Eröffnungstermin 27. Oktober 2013 nicht
gehalten werden kann.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das stand in allen Zeitungen!)


Es gab solche Anzeichen; darauf haben wir hingewiesen.
Es gab allerdings keinerlei Gewissheit, ob es zu einer
Verschiebung kommen muss.

Ich komme nun sofort zum 19. Dezember.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: „Sofort“ ist gut! Eine halbe Stunde später! Absurd!)


Ich wusste durch eine Mitteilung meines Staatssekretärs
Bomba vom Vortag, dass Herr Amann am 19. Dezember
in meinem Hause zu einem allfälligen Routinegespräch
mit Staatssekretär Bomba sein würde. Daraufhin habe
ich gesagt: Wenn Herr Amann schon im Hause ist, dann
möge er doch bei der Gelegenheit bei mir im Büro vor-

beischauen – ich habe gesagt, wann ich auch im Hause
bin –, damit wir kurz miteinander reden können.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist der absolute Hammer! Sie kümmern sich nicht selber darum, sondern schauen, wann er gerade da ist! Ich glaube es nicht!)


So viel zur Banalität. Wenn es umgekehrt gewesen wäre,
wenn Sie also in Erfahrung gebracht hätten – das traue
ich Ihnen glatt zu –, dass er wegen anderer Dinge im
Hause gewesen wäre und ich nicht die Gelegenheit ge-
nutzt hätte, mit ihm zu sprechen,


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Die Frage ist, worüber Sie gesprochen haben! Worüber, nicht warum!)


dann würden Sie mir das vorhalten.

Ich habe also gesagt: Wenn er schon da ist, möge er
zu mir ins Büro kommen.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Toll! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir haben mehrere Tage Zeit für Ihre Antwort! Wir haben sonst nichts vor!)


Wir sind uns bei dieser Gelegenheit das erste Mal per-
sönlich begegnet; wir haben uns kennengelernt. Insofern
ist die Aussage des Kollegen Staatssekretär Jan Mücke
korrekt. Wie Herr Amann selbst auf Befragen durch die
Presse bereits gestern oder vorgestern gesagt hat, haben
wir natürlich auch – stellen Sie sich vor! – über das
Thema Flughafen gesprochen.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ach!)


– Über was denn sonst? Wir haben natürlich darüber ge-
sprochen.

Herr Amann hat mir dargelegt – auch das hat Staats-
sekretär Mücke bereits angesprochen –, wie die Ge-
fechtslage im Augenblick ist. Daraufhin war meine zen-
trale Frage: Kann man heute fest davon ausgehen, dass
es bei diesem Termin bleibt, oder gibt es Zweifel daran?
Muss er vielleicht verschoben werden? Die Aussage von
Herrn Amann war exakt die gleiche, die er schon Tage
und Wochen vorher getroffen hat und die er, wie mir be-
richtet worden ist, im Übrigen auch gegenüber Mitglie-
dern dieses Hauses aus anderen Fraktionen getroffen hat:
dass weitere Untersuchungen durchgeführt werden müs-
sen – auch das hat Staatssekretär Mücke hier richtig fest-
gestellt – und dass man über die Haltbarkeit oder die
Verschiebung dieses Termins erst Anfang Januar defini-
tiv Auskunft geben kann.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das hat Herr Mücke so aber nicht gesagt!)


Am Ende dieses Gesprächs, das 15 bis 20 Minuten
gedauert hat, war ich also genauso schlau wie vorher,
was die Frage „Kann man den Termin halten oder
nicht?“ betrifft. Ich bin Herrn Amann dankbar, dass er
hier nicht vollmundig irgendetwas verheißt, was dann
nicht gehalten werden kann, sondern die Dinge nennt,
wie sie faktisch sind.





Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)

Vorhin hat eine Kollegin nach dem Welt-Interview ge-
fragt, das am 27. Dezember des vergangenen Jahres er-
schienen ist. Dieses Interview ist vor meinem Gespräch
mit Herrn Amann am 19. Dezember geführt worden. Ich
habe in diesem Interview das gesagt, was ich vorher
schon x-mal gesagt habe: dass es Zweifel an der Haltbar-
keit des Termins gibt. Ich habe das beispielsweise am
14. Dezember in einem Pressehintergrundgespräch ge-
sagt. Ich habe es am Sonntag, dem 16. Dezember, im
Bericht aus Berlin gesagt. Ich habe es am Mittwoch,
dem 19. Dezember, im Morgenmagazin wieder so for-
muliert. Der Verdacht, der mir gegenüber vom SPD-Vor-
sitzenden geäußert worden ist, ich hätte am 19. Dezem-
ber irgendeine revolutionäre Neuigkeit erfahren und
diese verschwiegen, ist also an den Haaren herbeigezo-
gen. Ich habe mich gegen diese Unterstellung auch ge-
wehrt.

Im Übrigen: Selbst wenn es so wäre,


(Sören Bartol [SPD]: Aha!)


dass so etwas mitgeteilt worden ist – was so nicht der
Fall war –: Für die weiteren Dinge, die heute beispiels-
weise im Aufsichtsrat erörtert werden, wäre es nicht re-
levant gewesen.

Aber, wie gesagt, dieses Gespräch war von einer Na-
tur und einer Charakteristik, wie ich sie gerade dargelegt
habe. Über solche Gespräche werden auch keine Proto-
kolle geführt. Dieses Gespräch hat unter sechs Augen
stattgefunden. Sechsaugengespräche dieser Art – das
möchte ich hier auch einmal sagen – müssen in einer
Vertraulichkeit möglich sein, für die Sie seitens der Op-
position nicht unbedingt jede Publizität einfordern kön-
nen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber die SMS von Frau Merkel werden veröffentlicht, und Sie reden geheim! Sie haben echt ein Amtsverständnis!)


Jetzt habe ich Sie, glaube ich, hinreichend eingeweiht.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721621800

Erst einmal ein geschäftsleitender Hinweis, liebe Kol-

leginnen und Kollegen: Wir haben noch 44 Minuten für
die Fragestunde. Ich bitte sowohl die Fragenden wie na-
türlich auch die Vertreter der Bundesregierung, nach den
ausführlichen Antworten, die ich aufgrund der Situation,
in der wir uns hier befinden, zugelassen habe, zu den
verabredeten Regeln zurückzukommen, was die Frage-
und Antwortzeit betrifft.

Die nächste Nachfrage zur Frage 5 stellt der Kollege
Jarzombek.


Thomas Jarzombek (CDU):
Rede ID: ID1721621900

Herr Bundesminister, ich bin jetzt in der Verlegenheit,

Sie angesichts dessen befragen zu müssen,


(Thomas Oppermann [SPD]: Das muss nicht sein! Das kann man zurückziehen!)


dass der bisherige Aufsichtsratsvorsitzende Wowereit
dreimal der Einladung in den Verkehrsausschuss des

Bundestages nicht nachgekommen ist und uns bisher
keine Frage beantworten konnte. Das, was uns alle na-
türlich brennend interessiert – –


(Mechthild Rawert [SPD]: Haushaltsausschuss abbrechen und dann so was! – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist doch euer Koalitionspartner!)


– Frau Präsidentin, vielleicht können Sie hier die Ar-
beitsfähigkeit herstellen.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist doch alles arbeitsfähig!)


Herr Bundesminister, die Frage, die uns interessiert,
ist, ob der Aufsichtsratsvorsitzende in der gleichen Zeit,
über die hier gerade geredet wird, ebenfalls Gespräche
mit Herrn Geschäftsführer Amann geführt hat, um viel-
leicht selbst in der Sache Erkenntnisse über den Fort-
schritt des Projektes und eine realistische Zielvorgabe
bezüglich der Zeit zu bekommen. Während Sie mit
Herrn Amman gesprochen haben, hatten Sie da den Ein-
druck, dass eine entsprechende Kommunikation stattfin-
det und auch Herr Wowereit sich darüber informiert hat,
was bei diesem Flughafen Sache ist?


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das könnt ihr doch in eurer Koalition klären!)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege
Jarzombek! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen!
Ich gehe davon aus, dass sich der damalige Vorsitzende
des Aufsichtsrats, der Kollege Wowereit, ebenfalls lau-
fend über die jeweiligen Gegebenheiten und über den je-
weiligen Status quo informiert hat. Darüber, wann solche
Gespräche und in welcher Form die Informationsgewin-
nung stattgefunden haben, kann ich leider Gottes nichts
berichten, weil es sich schlicht und einfach meiner
Kenntnis entzieht. Ich frage nicht täglich bei Wowereit
nach: Mit wem haben Sie heute gesprochen? Worüber
haben Sie gesprochen? In welcher Weise haben Sie ge-
sprochen? Was waren die Antworten? – Jeder geht sei-
nen eigenen Pflichten nach.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721622000

Die nächste Frage stellt der Kollege Kahrs.


Johannes Kahrs (SPD):
Rede ID: ID1721622100

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, Sie

hatten eben den Mitgliedern des Bundestages Miss-
brauch der Geschäftsordnung vorgeworfen, weil Sie ih-
nen bereits gestern im Haushaltsausschuss Rede und
Antwort gestanden hätten. Da ich gestern zufällig im
Haushaltsausschuss dabei war, kann ich mitteilen, dass
ich im Haushaltsausschuss keine einzige Wortmeldung
von Ihnen gehört habe. Sie haben zwar vor und nach der
Sitzung des Haushaltsausschusses länglich mit der
Presse geredet, haben aber im Haushaltsausschuss keine
einzige Frage beantwortet, weil Ihre Koalition das mit
Mehrheit so beschlossen hat, weshalb das nicht möglich





Johannes Kahrs


(A) (C)



(D)(B)

war. Das heißt, die Möglichkeit, mit Ihnen zu reden, er-
schließt sich den Abgeordneten jetzt zum ersten Mal.


(Martin Burkert [SPD]: Skandalös! – Sören Bartol [SPD]: Also die Unwahrheit gesagt! – Zuruf von der FDP: Da sollten Sie mal lieber Herrn Platzeck und Herrn Wowereit fragen!)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Frau Präsidentin! Lieber Herr Kollege Kahrs! Liebe
Kolleginnen und Kollegen! Ich konnte in Ihrer Wortmel-
dung zwar keine Fragestellung erkennen, aber ich
möchte dennoch etwas dazu sagen. In der Sondersitzung
des Haushaltsausschusses gestern um 11 Uhr war ich
wunschgemäß zugegen. Der Kollege Schindler hat bis
11 Uhr behauptet, ich käme nicht. Und plötzlich war ich
selbstverständlich da.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh! Sie haben sich selber gewundert, dass Sie da waren! – Weitere Zurufe)


– Ja, selbstverständlich war ich da. Das kam Ihnen etwas
in die Quere, aber ich war da. Das hat einigen offensicht-
lich nicht gepasst.

Ich habe dann in der Ausschusssitzung festgestellt,
dass ich da bin und auch bereit bin, über alle Dinge zu
sprechen. Allerdings war Geschäftsgrundlage des Ge-
schehens im Haushaltsausschuss, dass nicht nur ich da
bin, sondern auch weitere geladene Gäste. Weitere gela-
dene Gäste sind aber nicht erschienen; dafür sind auch
Gründe angeführt worden. Dann war es Auffassung der
Mehrheit des Ausschusses, dass man vor diesem Hinter-
grund eine Sinnhaftigkeit in der Fortführung der Haus-
haltsausschusssitzung nicht erkennen könne. Deshalb ist
die Sitzung um Punkt 12 Uhr beendet worden.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dann haben Sie gerade aber gelogen!)


Aber ich nehme an, dass dem Protokoll des Haus-
haltsausschusses zu entnehmen sein wird, dass ich im
Haushaltsausschuss das Wort ergriffen habe. Den Zeit-
zeugen ist auch sicher nicht entgangen, dass ich sowohl
vor der Ausschusssitzung – sowohl zeitlich als auch im
räumlichen Sinne – als auch danach ohne jede zeitliche
Restriktion Fragen entgegengenommen und Antworten
gegeben habe gegenüber einer großen Zahl von Medien-
vertretern und auch gegenüber allen Kolleginnen und
Kollegen. Lieber Kollege Kahrs, ich glaube, da auch Sie
da waren, können Sie das, was ich gerade dargelegt
habe, sicher nur bestätigen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was haben Sie denn jetzt gesagt? Was hat er denn jetzt gesagt, Frau Präsidentin?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721622200

Gestatten Sie den Hinweis, Kollege Kahrs, dass Sie

zu dieser Frage nur eine Nachfrage stellen können! Das
heißt, wenn Sie sich noch einmal melden wollen, müssen
Sie warten, bis ich irgendwann die Frage 6 aufrufe und
die Frage 6 beantwortet ist.


(Zuruf des Abg. Johannes Kahrs [SPD])


– Das kann ich leider nicht ändern. Das sind die Regeln,
die wir uns selbst gegeben haben.

Ich mache auch darauf aufmerksam, dass wir im Mo-
ment noch in der Phase der Nachfragen zur Antwort auf
die Frage 5 sind. Unsere Verabredung lautet, dass diese
Nachfragen jeweils eine Minute maximal dauern sollen;
im Übrigen die Antworten auf die Nachfragen ebenfalls.

Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Hofreiter.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Ich möchte, weil ich der Ausschussvorsitzende bin,
an die Kollegin Haßelmann weitergeben.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721622300

In Ordnung. Dann hat die Kollegin Haßelmann das

Wort.


Britta Haßelmann (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721622400

Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Ramsauer, ein-

gangs ganz kurz Folgendes:

Punkt eins. Es ist eine Unverschämtheit, dass Sie als
Minister hier zum Ausdruck bringen, dass wir eine über-
flüssige Geschäftsordnung haben. So geht das hier nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)


Ich finde, gerade Ihre Einlassungen zeigen, wie notwen-
dig die Geschäftsordnung für das Parlament ist, wenn es
darum geht, dass wir unsere Rechte wahrnehmen.

Punkt zwei. Ich finde, dass Sie sich hier reichlich auf-
blasen angesichts dessen, dass der Bund eine Beteili-
gung von 26 Prozent hat und dieser ganze Bereich des
Flughafendesasters auf der Bundesebene in Ihrer Perso-
nalverantwortung steht.

Jetzt zum Inhalt. Ich bin gespannt, was das Plenarpro-
tokoll und das Protokoll der Haushaltsausschusssitzung
ausweisen werden. Sie haben hier vorhin gesagt, Sie hät-
ten umfangreiche Fragen der Haushaltsausschussmit-
glieder beantwortet. Anlässlich der Frage des Kollegen
Kahrs haben Sie deutlich gemacht, dass Sie da ein biss-
chen geredet haben.

Ich finde, Sie sind verpflichtet, hier die Wahrheit zu
sagen. Deswegen werde ich mir Ihre Antwort auf meine
Frage genau angucken. Meine Frage lautet: Welche Pro-
bleme hat Herr Amann mit Ihnen ganz konkret in dem
Gespräch am 19. Dezember besprochen? Von welchen
Problemen am BER hat er gesprochen, und welche Risi-
ken hat er wie eingeschätzt?

Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Frau Präsidentin! Verehrte Kollegin! Liebe Kollegin-
nen und Kollegen! Erstens. Damit sich da ja nichts Fal-
sches verfestigt: Bitte nehmen Sie zur Kenntnis, Frau
Kollegin Haßelmann: Ich habe nicht gesagt, dass wir – –


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! – Heiterkeit)






Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)

– Wem ist das „Doch!“ gerade entfahren?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mir! – Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Der Kollegin Künast!)


– Dann wundert es mich nicht. – Ich habe nicht von ei-
ner überflüssigen Geschäftsordnung des Deutschen Bun-
destages gesprochen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Doch! Das können wir ja abhören!)


Bitte nehmen Sie das nicht nur zur Kenntnis, sondern
nehmen Sie diese Behauptung bitte zurück!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Zweitens. Zu Ihrer Nachfrage zu umfangreichen Ant-
worten, die ich gestern gegeben habe: Ich habe während
der offiziellen Dauer der Ausschusssitzung, soweit der
Ausschuss offiziell getagt hat – er war unterbrochen –,
das Wort im Ausschuss ergriffen, und ich habe in der Sit-
zungsunterbrechung gegenüber den Koalitionsmitglie-
dern im Haushaltsausschuss – das können viele, die jetzt
hier sind, bestätigen; Kollege Koppelin nickt gerade –
ausführlich Fragen beantwortet.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch nicht im Ausschuss!)


Ich habe beispielsweise am Rande des Plenums und ges-
tern danach am Rande auch Kollegen von der Opposi-
tion gesprochen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das interessiert uns nicht, was Sie woanders machen! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat seine Pflicht vor dem Parlament nicht verstanden!)


Beispielsweise dem Kollegen Danckert, den ich jetzt ge-
rade nicht sehe,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das interessiert mich auch nicht!)


habe ich ausführliche Antworten auf Fragen gegeben,
die ich beantworten kann. Warum bitte nehmen Sie es
mir übel,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein, wir nehmen es nicht übel! Hören Sie auf, uns für doof zu verkaufen!)


wenn ich ohne Ansehen der Fraktionszugehörigkeit Fra-
gen beantworte? Ich finde, das kann ein Mitglied des
Hohen Hauses – ohne Ansehen der Fraktionszugehörig-
keit – vom Minister erwarten, soweit es dem Minister
gestattet ist, eine Antwort zu geben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wir erwarten mal eine ernsthafte Antwort!)


So viel zum Thema Wahrheit.

Jetzt noch einmal zu der Frage: Was ist besprochen
worden? 15 bis 20 Minuten hat dieses Gespräch gedau-
ert.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt wissen wir es!)


Es wurde von Herrn Amann dargelegt, wo die einzelnen
Schwierigkeiten liegen. Das alles war aber ausschließ-
lich eine Schilderung dessen, was ich bereits wusste, was
Sie x-mal in den Medien nachlesen können, beispiels-
weise die Schwierigkeiten bei der Entrauchungsanlage,
dass es weiterer Tests und Prüfungen bedarf, ob auf-
grund beispielsweise der physikalischen Gegebenheiten
eine Entrauchung in diesem Umfang funktionieren kann
oder nicht, ob und, wenn ja, in welchem Umfang Umpla-
nungen und Umbauten erforderlich werden können, dass
dies alles offene Fragen sind, deren Prüfung noch Zeit in
Anspruch nimmt, über Weihnachten hinaus, und dass
Antworten erst am 5. oder am 8. Januar gegeben werden
können. Darum hat es sich bei diesem Gespräch gehan-
delt. Die Conclusio aus dem Gespräch war, dass weder
die Haltbarkeit des Termins 27. Oktober bestätigt wer-
den kann noch dass verkündet werden könnte, dass eine
Verschiebung erforderlich ist. Mehr kann ich Ihnen zum
Inhalt dieses Gesprächs nicht mitteilen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721622500

Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Herzog.


Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1721622600

Herr Bundesminister, Sie sind seit 1990 im Deutschen

Bundestag. Offenbar ist Ihnen auf der Strecke abhanden
gekommen, dass es für Abgeordnete keine Verpflichtung
gibt, den Gesprächen des Ministers mit Journalisten zu
folgen, dass es aber sehr wohl eine Verpflichtung des
Ministers gibt, dem Parlament Rede und Antwort zu ste-
hen.


(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sie können sich nicht auf das berufen, was Sie irgendwo
vor der Tür mit irgendwem gesprochen haben.

Ich will Ihnen eine kurze Frage stellen: Sie haben ge-
sagt, das Gespräch mit Herrn Amann habe unter sechs
Augen stattgefunden. Ich vermute, das war wörtlich ge-
meint. Daher interessiert mich, wer die dritte Person war,
die bei diesem Gespräch dabei war. Oder gab es noch
weitere Personen?

Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Herr Kollege, ich nehme an, Sie sind gerade erst ge-
kommen.


(Gustav Herzog [SPD]: Ich bin schon die ganze Zeit dabei!)


– Dann ist es Ihnen offensichtlich entgangen, was ich
vor etwa fünf oder zehn Minuten dargelegt habe. Ich
habe erläutert, dass außer Herrn Amann und mir der
Staatssekretär Rainer Bomba zugegen war. Ich habe vor-
hin erläutert,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wer war jetzt dabei? – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Nein!)






Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)

dass sich Herr Amann zu einem allfälligen Gespräch mit
Herrn Staatssekretär Bomba in meinem Ministerium be-
funden hat. Anlässlich dieser Tatsache habe ich darum
ersucht, dass Herr Bomba mit Herrn Amann kurz zu mir
ins Ministerbüro kommen möge. Also: Es waren drei
Personen. Die Namen sind jetzt genannt worden.

Noch einmal: Ich halte es in einem solchen Fall für
eine Selbstverständlichkeit, dass man die Gelegenheit ei-
nes solchen Gesprächs ergreift. Wenn man es nicht täte,
würde man eine Gelegenheit verpassen.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Die Frage ist, was Sie gesprochen haben!)


Ich halte es für richtig, dass ich dies so gemacht habe.
Ich würde es in einer analogen Situation selbstverständ-
lich wieder genauso machen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Gefährlich war es ja nicht!)


Wenn es mir möglich ist, empfange ich Gäste und spre-
che mit ihnen. Wenn Sie daran etwas Negatives sehen,
dann habe ich eine andere Auffassung dazu.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das hat keiner kritisiert!)


Im Übrigen: Was heißt „Verpflichtung“? Sie haben
natürlich keine Verpflichtung, Zeitung zu lesen. Es passt
aber nicht zusammen, auf der einen Seite solche Fragen
zu stellen und auf der anderen Seite so zu tun, als hätte
man gestern und heute von den zahlreichen Medienver-
lautbarungen zu diesem Themenkomplex nichts mitbe-
kommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das ist nicht der Punkt!)



Gustav Herzog (SPD):
Rede ID: ID1721622700

Zur Richtigstellung, Herr Minister: Im Unterschied zu

Ihnen war ich schon zu Beginn der Fragestunde hier und
die ganze Zeit anwesend.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721622800

Wir kommen trotzdem zu den hier registrierten Nach-

fragen. Ich mache darauf aufmerksam: Wir sind immer
noch bei Frage 5. Der Kollege Bartol stellt seine Nach-
frage.


(Sören Bartol [SPD]: Das hat sich erledigt!)


– Dann hat die Kollegin Rawert das Wort. – Auch das
hat sich erledigt. Dann kommt die Kollegin Kotting-Uhl.


Sylvia Kotting-Uhl (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721622900

Herr Minister Ramsauer, ich muss sagen: Als Abge-

ordnete, die nicht Mitglied des Haushaltsausschusses
und des Verkehrsausschusses ist, strapaziert mich dieses
Frage-Antwort-Spiel schon sehr.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Das müssen Sie aushalten!)


Ich habe den Eindruck, dass Sie unheimlich viel Zeit ha-
ben müssen. Es ist erstaunlich, dass Sie und Ihr Staatsse-
kretär sich mit jemandem treffen – also zwei sehr hoch-
rangige Funktionen: der Minister und der Staatssekretär
– und in dem Gespräch als Ergebnis nur das heraus-
kommt, was Sie schon wussten. Sie und Ihr Staatssekre-
tär investieren 15 bis 20 Minuten, und es kommt dabei
nichts Neues heraus.


(Zurufe von der CDU/CSU)


Demgegenüber haben Sie gerade eben gesagt, Sie hät-
ten eine Gelegenheit verpasst, wenn Sie das Gespräch
nicht geführt hätten. Ich frage Sie jetzt: Wenn Sie das
Gespräch als Gelegenheit wahrgenommen haben, dann
haben Sie offensichtlich auch Erwartungen gehabt.
Wenn wir jetzt schon nicht hören können, was das Ge-
spräch ergeben hat – nichts hören wir –, dann sagen Sie
uns doch bitte, was Sie denn von dem Gespräch erwartet
haben.


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Leckeren Kaffee und ein paar Plätzchen!)


Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Frau Kollegin Kotting-Uhl, zunächst tut es mir leid,
wenn Sie sich durch Ihre parlamentarische Tätigkeit in
dieser Weise strapaziert fühlen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Parlamentarische Tätigkeit ist manchmal strapaziös,
aber ich stelle mich dieser Strapaze seit über 22 Jahren,
und zwar mit ungebremster Freude.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Jetzt waren Sie wie Wowereit! Das war Wowereit pur!)


Wenn ich Sie jetzt richtig verstanden habe, werfen Sie
mir vor, dass ich als Minister mit 15 bis 20 Minuten zu
viel Zeit in dieses Gespräch investiert habe. Gestern
habe ich einen gegenteiligen Vorwurf vernommen. Der
lautete, warum ich mir nicht mehr Zeit genommen hätte,
um ein solches Gespräch zu führen. Der Vorwurf kam
auch aus der Opposition. Die einen sehen es so, die an-
deren so. Ich bin überzeugt, dass ich richtig gehandelt
habe, und würde genau so wieder verfahren.

Jetzt sagen Sie: Bei diesem Gespräch kam nichts he-
raus, warum haben Sie es dann geführt? Sie kennen sol-
che Lebenssituationen sicher auch; ich bringe es auf den
Punkt: Man muss sich eben ständig gewisser Dinge ver-
gewissern. Im ständigen Bemühen um Vergewisserung
kommt manchmal weniger und manchmal mehr heraus.

Ich habe dem Gespräch entnommen, dass weder defi-
nitiv eine Verschiebung des Termins verkündet noch das
Einhalten des Termins bestätigt werden kann. Ich bin
froh, dass ich vom entscheidenden Mann in der Ge-
schäftsführung darüber in Kenntnis gesetzt wurde, dass
weitere Tests erforderlich sind. Insofern war ich wieder
auf dem Laufenden. Alleine dieser Vergewisserung we-
gen hat sich dieser Zeitaufwand bereits gelohnt.






(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721623000

Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Cornelia Behm auf:

Warum hat Bundesminister Dr. Peter Ramsauer einen Ab-
wahlantrag gegen Professor Dr. Rainer Schwarz angekündigt,
obwohl in der letzten Aufsichtsratssitzung einstimmig und auf
Vorschlag des Bundes beschlossen wurde, dass zunächst eine
haftungsrechtliche Prüfung durchgeführt werden soll, und ist
mittlerweile eine Rechtsanwaltskanzlei bzw. eine Wirtschafts-
prüfungsgesellschaft mit dieser Prüfung beauftragt worden?


(Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] meldet sich zu einer Zusatzfrage)


– Kollege Beck, Sie haben schon vor der Unterbrechung
eine Nachfrage gestellt, deshalb können Sie jetzt keine
weitere Nachfrage stellen, sondern müssen erst die Be-
antwortung dieser Frage abwarten.

Ich mache darauf aufmerksam, dass wir uns darauf
geeinigt haben, dass wir für die erste Frage und die erste
Antwort zwei Minuten einplanen und dass die nachfol-
genden Fragen bitte innerhalb einer Minute gestellt und
durch die Bundesregierung beantwortet werden.

Ich sehe, der Staatssekretär steht zur Beantwortung
der Frage 6 bereit. Sie haben das Wort.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721623100


Frau Kollegin Behm, die Antwort der Bundesregie-
rung auf Ihre Frage lautet:

Die vom Aufsichtsrat beschlossene haftungsrechtli-
che Prüfung dient der Ermittlung der Erfolgsaussichten
der Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen gegen
vormalige sowie tätige Geschäftsführer und Aufsichts-
räte. Das Verfahren zur Auswahl einer Rechtsanwalts-
kanzlei bzw. Wirtschaftsprüfungsgesellschaft läuft noch.
Es liegt im Ermessen des Aufsichtsrates, sich bereits vor
Abschluss der haftungsrechtlichen Prüfung mit einer
Abberufung von Herrn Professor Dr. Rainer Schwarz als
Geschäftsführer zu befassen.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das haben Sie ja jetzt! Können Sie ja zusagen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721623200

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721623300

Vielen Dank. Ich würde gerne wissen, wer aus dem

Aufsichtsrat für die Suche nach einem Nachfolger bzw.
einer Nachfolgerin von Herrn Schwarz zuständig ist und
seit wann nach dieser Person gesucht wird. Wann soll
diese Person dann die Aufgaben von Herrn Schwarz
übernehmen, von dem wir ja nun alle gehört haben, dass
er abberufen wird?


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Wurde!)


J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721623400


Frau Kollegin Behm, es ist die Aufgabe des gesamten
Aufsichtsrates, einen Nachfolger zu bestellen. In der
Praxis ist es so, dass der Präsidialausschuss und, soweit
vorhanden, der Personalausschuss, der mit entsprechen-

den Fragen befasst ist, diese Entscheidung vorbereiten.
Da die Entscheidung zur Abberufung von Herrn Profes-
sor Schwarz als Geschäftsführer gerade eben erst getrof-
fen wurde, ist eine Aussage dazu, wann und durch wen
eine Nachbesetzung erfolgt, heute naturgemäß nicht
möglich.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721623500

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.


Cornelia Behm (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721623600

Da hat man sich also noch nicht auf ein Zeitfenster

geeinigt?


(Jan Mücke, Parl. Staatssekretär: So schnell wie möglich natürlich!)


Ich möchte gerne wissen, ob es zutrifft, dass die Beauf-
tragung der Rechtsanwaltskanzlei und der Wirtschafts-
prüfungsgesellschaft, die die haftungsrechtliche Prü-
fung, von der wir eben gesprochen haben, vornehmen
sollen, durch die Geschäftsführung der Flughafen Berlin
Brandenburg GmbH erfolgt und nicht durch das Bundes-
verkehrs- und -bauministerium. Wenn das stimmt, wa-
rum ist das so?

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721623700


Das ist sehr einfach, Frau Kollegin Behm: Das Bun-
desverkehrsministerium ist kein Organ der FBB; in die-
sem Verfahren können nur Organe der FBB tätig wer-
den, in diesem Fall der Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat
beauftragt eine Anwaltskanzlei oder eine Wirtschafts-
prüfungsgesellschaft. Wie ich Ihnen aber gerade gesagt
habe, ist das Verfahren der Suche nach einer passenden
Kanzlei noch nicht abgeschlossen. Deshalb ist eine Aus-
sage dazu, wann und durch wen die Prüfung erfolgt, jetzt
nicht möglich.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721623800

Eine Nachfrage stellt nun die Kollegin Gottschalck.


(Ulrike Gottschalck [SPD]: Hat sich erledigt!)


– Hat sich erledigt. Dann hat der Kollege Burkert das
Wort.


Martin Burkert (SPD):
Rede ID: ID1721623900

Vielen Dank, Herr Staatssekretär. Meine Frage lautet:

Sehen Sie in der heutigen Abwahl des Herrn Schwarz
durch den Aufsichtsrat eine Beeinträchtigung des opera-
tiven Geschäfts in einer schwierigen Phase am Flugha-
fen Berlin-Tegel? Wie wollen Sie sicherstellen, dass die
schwierige Situation, die sich durch die weitere Ver-
schiebung der Eröffnung des neuen Flughafens ergibt,
gemeistert wird?

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721624000


Das ist keine Frage, die das Bundesverkehrsministe-
rium zu beantworten hat. Vielmehr ist es eine Frage, die
die nunmehr verbliebene Geschäftsführung zu beantwor-
ten hat. Der Aufsichtsrat führt die Aufsicht über die Ge-





Parl. Staatssekretär Jan Mücke


(A) (C)



(D)(B)

schäftsführung. Wir gehen davon aus, dass das Personal
in Tegel, das jeden Tag fleißig seine Arbeit macht, die
Situation in der Übergangszeit bewältigen kann, auch
ohne dass Herr Professor Schwarz die Aufsicht führt.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721624100

Kollege Beck, Sie haben das Wort.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721624200

Vor dem Hintergrund, dass es jetzt auch um Personal-

fragen geht, frage ich den Bundesverkehrsminister: Gab
es tatsächlich bei dem Gespräch am 19. Dezember kein
anderes Thema bezüglich des Flughafens als die von Ih-
nen vorhin in der Antwort angeführte Entrauchungsan-
lage und die entsprechenden Entrauchungsversuche, die
vor dem Gespräch stattgefunden hatten?

Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Beck, das Gespräch war geprägt von Fra-
gen rund um den Flughafen und von den Problemen, die
es dort gibt. Ich schließe nicht aus, dass ganz am Rande,
beispielsweise beim Verabschieden, noch das eine oder
andere freundliche Wort darüber gefallen ist,


(Zurufe vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Aha!)


was denn die bevorstehende Weihnachtszeit unabhängig
vom Flughafen so bringt.


(Heiterkeit bei der CDU/CSU)


Sie können noch so lange herumbohren; ich finde es
langsam wirklich müßig, dass Sie in einer im Grunde ge-
nommen alltäglichen Begebenheit herumstochern.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ein bisschen teuer für den Alltag!)


Das ist etwas, was auch Ihre Fraktionskollegin strapa-
ziert. Hiermit stelle ich fest: Ich bin der Meinung, dass
ich über diesen Vorgang erschöpfend und hinreichend
Auskunft gegeben habe.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: So sehe ich das auch! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nichts beantwortet, und wer so ausweicht, hat was zu verbergen! – Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721624300

Die nächste Nachfrage stellt der Kollege Ströbele.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Herr Minister, mich überzeugt das nicht. Ganz Berlin
und die halbe Republik sprechen und rätseln darüber,
auch schon am 19. Dezember vergangenen Jahres: Wann
können wir weg aus Tegel, wann können wir vom und
zum Flughafen „Willy Brandt“ in Schönefeld fliegen?
Sie treffen nun den Mann, der wahrscheinlich die meis-

ten Fachkenntnisse darüber hat, was noch zu tun ist. Sie
haben ihm gegenüber offenbar eines der Probleme ange-
sprochen. Nun wollen Sie sagen, dass Sie mit keiner
Silbe darüber geredet haben, wie lange die Arbeiten
noch dauern könnten und wann damit zu rechnen sei,
dass man es verantworten kann, Passagiere auf den Flug-
hafen zu lassen. Das wollen Sie allen Ernstes weiterhin
so behaupten?


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Das ist jetzt total unseriös!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721624400

Sie haben das Wort, Herr Minister.

Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Herr Kollege Ströbele, zunächst zur Äußerung des Kol-
legen Beck nach der Beantwortung seiner Frage. Wahr-
scheinlich steht sie als Zwischenruf im Protokoll. Ich
habe ihn sinngemäß so verstanden: „Wer so antwortet,
hat etwas zu verbergen!“ Für den Fall, dass sich das im
Protokoll wiederfindet, möchte ich mich ausdrücklich
und entschieden dagegen verwahren, Herr Kollege Beck,
dass ich etwas zu verbergen habe.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Warum beantworten Sie die Frage nicht?)


Ich habe nichts zu verbergen, und ich wünsche mir hier
öfter die Art an Transparenz, wie ich sie an den Tag lege.


(Lachen bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Sören Bartol [SPD]: Das ist aber keine Sternstunde des Parlaments mehr!)


Ein weiterer Punkt. Herr Ströbele, Sie werden schwer
von etwas zu überzeugen sein. Sie haben die Frage ge-
stellt – ich fasse Ihre Frage zusammen –: Wann wird ein
neuer Eröffnungstermin genannt? Wann kann der neue
Flughafen in Betrieb genommen werden? Übrigens stel-
len mir viele Mitglieder dieses Hauses die umgekehrte
Frage: Wie lange können wir noch ab Tegel fliegen?


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: So ist es!)


Auch das ist eine interessante Fragestellung.


(Zuruf von der SPD: Allerdings!)


Die Betriebsgenehmigung für Tegel erlischt nach Inbe-
triebnahme des neuen Flughafens in Schönefeld.


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Es wäre besser, er würde länger offenbleiben, der Tegeler Flughafen!)


Auf Ihre Frage, wann ein neuer Termin genannt wer-
den kann, kann ich nur antworten, wie es sinngemäß die
Kollegen Wowereit und Platzeck in den letzten Tagen
auch getan haben, nämlich: Ein neuer Termin kann erst
genannt werden, wenn alle technischen und planerischen
Fragen so weit geklärt sind, dass verlässlich prognosti-
ziert werden kann, wann der Bau fertiggestellt werden
kann. Dann schließt sich der mehrmonatige Probebetrieb





Bundesminister Dr. Peter Ramsauer


(A) (C)



(D)(B)

an. Erst dann kann der neue Zeitpunkt der Inbetrieb-
nahme ermittelt werden.

Wann der neue Termin genannt werden kann – ob das
im Frühjahr ist, im Sommer oder möglicherweise nach
dem Sommer –, vermag ich Ihnen heute von dieser
Stelle aus genauso wenig zu sagen wie irgendjemand
sonst in verantwortlicher Position rund um den Flugha-
fen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721624500

Ich rufe Frage 7 des Kollegen Stephan Kühn auf.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Frau Pau, ich habe mich gemeldet!)


– Entschuldigung, Kollege Kühn, können Sie bitte noch
einen kleinen Moment Ihr Informationsbedürfnis zu-
rückstellen? Wir haben den Kollegen Liebich übersehen.


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721624600

Frau Präsidentin, gestatten Sie mir zunächst die Vor-

bemerkung, dass es mich schon erstaunt, wie das Frage-
recht von Abgeordneten durch Vertreter der Bundesre-
gierung bewertet und infrage gestellt wird. Das kenne
ich aus der Arbeit im Abgeordnetenhaus von Berlin
nicht. Ich hoffe nicht, dass das hier im Deutschen Bun-
destag üblich ist.

Zu meiner Frage, Herr Ramsauer – um von dem Ge-
spräch wegzukommen, über das sie nicht so viel reden
wollen –: Das Gespräch fand am 19. Dezember statt.
Vorhin hat Herr Staatssekretär Mücke gesagt, dass am
21. Dezember die Experimente mit der Rauchgasanlage
abgeschlossen waren. Am 4. Januar ist den Referenten
der Mehrheitsgesellschafter in einem Brief per Bote die
Information zugegangen, dass der Eröffnungstermin er-
neut verschoben wird. Mich interessiert Ihre Bewertung
der Dauer und der Art und Weise der Informationsüber-
mittlung.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721624700

Sie haben das Wort, Herr Minister.

Dr. Peter Ramsauer, Bundesminister für Verkehr,
Bau und Stadtentwicklung:

Herr Kollege Liebich! Sehr verehrte Frau Präsidentin!
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich stelle das Frage-
recht nicht infrage. Ich bin selbst lang genug Parlamen-
tarier und lang genug in parlamentarischen Führungs-
positionen und habe immer darauf beharrt. Dass dies
eine ausführliche Debatte ist, zeigt sich im Übrigen al-
lein daran, dass die Dauer der Debatte über dieses eine
Gespräch schon jetzt die Dauer meines Gesprächs am
19. Dezember 2012 mit Herrn Amann um ein Mehrfa-
ches übersteigt.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha!)


Stärker kann man das Ganze nicht zerlegen und atomi-
sieren.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben nichts gesagt!)


Noch einmal zum Ablauf – darüber habe ich in einer
Berliner Zeitung heute schlicht und einfach Unsinn gele-
sen; darum bin ich sehr dankbar für diese Frage –: Nach
meiner Kenntnis – Sie haben das korrekt dargestellt –
wurde die Feststellung von Herrn Amann, wenn ich das
richtig in Erinnerung habe, am 4. Januar 2013 – das war
ein Freitag – im Laufe des Nachmittags an bestimmte
Adressaten überstellt – in einem verschlossenen Um-
schlag, soweit ich informiert bin. Die Dienstzeit war
möglicherweise vorbei. Was ich jetzt sage, ist gestern
x-mal vor Medienvertretern öffentlich verlautbart und
breitgetreten worden; aber ich wiederhole es gerne und
geduldig weiter.


(Sören Bartol [SPD]: Wir sind im Parlament! – Mechthild Rawert [SPD]: Wo war der verschlossene Umschlag?)


– Ich weise ja nur darauf hin; nicht dass jemand sagt,
ich würde mich wiederholen, und mir das zum Vorwurf
macht. Natürlich kann ich hier nur wiederholen, was
gestern x-mal gesagt worden ist,


(Ulrike Gottschalck [SPD]: Von wem?)


auch von mir.

Staatssekretär Bomba ist, was nicht gewöhnlich ist,
am Sonntag ins Ministerium gekommen.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh!)


Das ist nicht gerade eine übliche Dienstzeit. Er hat die-
sen Brief geöffnet und mir den Inhalt dieses Briefes
sinngemäß am Sonntagabend, am 6., mitgeteilt, sodass
im Laufe des 7. – Montag –, ab früh morgens gesprochen
werden konnte. Die Zeitung Der Tagesspiegel hat heute
geschrieben, das sei am 8. und nicht am 6. gewesen. Da-
mit hier nicht noch eine Nachfrage kommt, sage ich: Das
ist inzwischen auch korrigiert. Wie das mit dem 8. zu-
stande kam, kann ich Ihnen nicht sagen. Jedenfalls habe
ich nie „8.“ gesagt, sondern, so wie jetzt: am 6., am
Sonntag, geöffnet und mir dann mitgeteilt. – Alles Wei-
tere, das, was am Montag, den 7., stattgefunden hat, ken-
nen Sie.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721624800

Jetzt rufe ich die Frage 7 des Kollegen Stephan Kühn

auf:
Wie kam das BMVBS nach dem Expertentreffen zum ge-

planten Berliner Flughafen BER am 18. Dezember 2012 ge-

(Onlineausgabe 18. Dezember 2012)

Zeitverschiebung nötig machen“?

Bitte, Herr Staatssekretär.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721624900


Ich weiß nicht, wie Sie zu dieser Aussage kommen;
denn das BMVBS hat eine solche Aussage nicht getrof-
fen.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721625000

Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.






(A) (C)



(D)(B)


Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721625100

Wir haben in dieser Fragestunde eine intensive Pres-

seschau betrieben. Darum habe auch ich mir erlaubt, aus
der Zeitung zu zitieren. Dort stand das nämlich.

Zur ersten Nachfrage. Inwieweit hat Staatssekretär
Bomba beim besagten Treffen mit Herrn Amann am
18. Dezember 2012 thematisiert, dass die Bautätigkeit
nicht im November 2012 wieder aufgenommen worden
war, was ja Bedingung für die Einhaltung des angestreb-
ten Eröffnungstermins am 27. Oktober 2013 war?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721625200

Bitte, Herr Staatssekretär.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721625300


Zunächst einmal möchte ich das nicht so stehen las-
sen. Sie haben falsch aus der Berliner Zeitung zitiert. Sie
haben unterstellt, dass das BMVBS behauptet hat, dass
es keine Aspekte gibt, die eine Zeitverschiebung nötig
machen würden. Genau das hat das BMVBS zu keiner
Zeit behauptet. Hier ist zwar von einem unbekannten
Teilnehmer die Rede; aber das BMVBS hat eine solche
Aussage nicht getroffen. Eine solche Aussage konnten
wir auch nicht machen, weil, wie Sie wissen, die Aus-
wertung der Rauchgasversuche bis zum 21. Dezember
2012 gedauert hat und uns die Mitteilung über die Ver-
schiebung der Inbetriebnahme des Flughafens am 4. Ja-
nuar 2013 zugeschickt worden ist. Das hat der Bundes-
minister gerade erläutert.

Zur Frage, was Herr Kollege Bomba bei dem Ge-
spräch am 18. Dezember 2012 gefragt oder auch nicht
gefragt hat, kann ich Ihnen nur so viel sagen: Dieses Ge-
spräch hat auf Einladung der Geschäftsführung der
FBB GmbH stattgefunden. Bei diesem Gespräch ging es
ausschließlich um technische Details der Rauchgasver-
suche und der Brandschutzanlage.

Mir liegen keine Erkenntnisse vor, dass darüber hi-
nausgehend irgendwelche Fragen von Herrn Kollegen
Bomba gestellt worden sind. Klar ist jedenfalls, dass
Aussagen zu einer Verschiebung der Inbetriebnahme
nicht getroffen worden sind und auch nicht getroffen
werden konnten, weil die Auswertung der Ergebnisse
noch angedauert hat.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721625400

Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.


Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721625500

Wir bleiben bei dem Thema und machen wieder ein

wenig „Presseschau“. In der Welt vom 27. Dezember
wird der Minister – ich glaube, wir sind uns einig, dass
das in der Zeitung stand – mit der Aussage zitiert:

Der Miteigentümer Bund sieht Anzeichen dafür,
dass der Eröffnungstermin am 27. Oktober 2013
möglicherweise nicht gehalten werden kann.

Herr Minister, ich frage Sie: Bezieht sich diese Einschät-
zung auf die Ergebnisse der Rauchgasversuche?

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721625600


Das kann sich nicht darauf beziehen, weil die Ergeb-
nisse da noch nicht vorgelegen haben.


Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721625700

Ich hatte den Minister gefragt.

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721625800


Für die Bundesregierung antwortet immer – –


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721625900

Die Bundesregierung entscheidet, wer antwortet, und

Sie entscheiden, wie zufrieden oder unzufrieden Sie gege-
benenfalls mit dieser Entscheidung sind. – Ich mache da-
rauf aufmerksam, dass die Fragestunde noch fünf Minuten
andauert, und rufe die Frage 8 des Kollegen Kühn auf:

Wann und mit welchem Ergebnis ist zwischen dem
BMVBS und dem Bundesministerium der Finanzen abge-
stimmt worden, ob der Bund die Kandidatur von Ministerprä-
sident Matthias Platzeck für den Aufsichtsratsvorsitz der
Flughafen Berlin Brandenburg GmbH, FBB, unterstützt oder
ob der Bund gegebenenfalls einen alternativen Kandidaten
vorschlägt?

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721626000


Herr Kollege Kühn, dazu lautet die Antwort der Bun-
desregierung: Nach dem Gesellschaftsvertrag der Flug-
hafen Berlin Brandenburg GmbH wählt der Aufsichtsrat
den Aufsichtsratsvorsitzenden mit einfacher Mehrheit
der abgegebenen Stimmen aus seiner Mitte. Die Ent-
scheidungsfindung findet im Aufsichtsrat statt. Das Bun-
desministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
und das Bundesministerium der Finanzen stimmen sich
hierzu laufend ab.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721626100

Bevor wir im Prozedere weiter fortfahren, hat sich der

Kollege Volker Beck zur Geschäftsordnung gemeldet.


Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721626200

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Aufgrund der Antworten, die wir nicht bekommen ha-
ben, halte ich es für erforderlich, dass hier im Deutschen
Bundestag in einer Aktuellen Stunde über die Verant-
wortung aller drei Eigner der Flughafengesellschaft de-
battiert wird. Ich beantrage dies hiermit im Namen mei-
ner Fraktion, bitte aber, jetzt dennoch mit der
Fragestunde bis zum Ende der Zeit fortzufahren.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721626300

Sie haben es alle gehört: Die Fraktion Bündnis 90/Die

Grünen hat zur Antwort der Bundesregierung auf die
Frage 8 eine Aktuelle Stunde verlangt. Das entspricht
Nr. 1 b der Richtlinien für Aktuelle Stunden. Die Aus-
sprache findet im Anschluss an die Fragestunde statt.
Diese Fragestunde endet in drei Minuten und 24 Sekun-
den.

Wir kommen jetzt zur nächsten Nachfrage des Kolle-
gen Kühn.






(A) (C)



(D)(B)


Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721626400

In der Zwischenzeit wissen wir, wie die Wahl zum

neuen Vorsitzenden des Gremiums ausgegangen ist. Da-
rum erlaube ich mir folgende Nachfrage: Warum hat der
Bund bzw. haben die Vertreter des Bundes im Aufsichts-
rat nicht auf einen unabhängigen Experten als Aufsichts-
ratsvorsitzenden gedrungen, so wie es ursprünglich auch
die Position von Bundesfinanzminister Schäuble gewe-
sen ist?

J
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721626500


Herr Kollege Kühn, es ist gute Übung, dass sich die
Gesellschafter auf einen gemeinsamen Kandidaten eini-
gen. Der Bundesregierung ist es wichtig gewesen, dass
wir aus unserer Position als Minderheitengesellschafter
heraus darauf hingewirkt haben, dass der Aufsichtsrat
durch Fachleute ergänzt wird. Insofern ist das, was heute
mit der Wahl von Herrn Ministerpräsident Platzeck statt-
gefunden hat, das Ergebnis einer Paketlösung.

Wir akzeptieren Herrn Platzeck als Vorsitzenden des
Aufsichtsrates, bestehen aber darauf, dass der Aufsichts-
rat durch unabhängige Fachleute ergänzt wird, die den
Aufsichtsrat bei seiner Tätigkeit unterstützen und damit
mit dazu beitragen, dass der Flughafen endlich in ruhi-
ges Fahrwasser kommt. Es war immer die Aufgabe der
Bundesregierung – deshalb haben wir bei uns im Hause,
im Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtent-
wicklung, auch eine Sonderkommission eingerichtet –,
darauf zu dringen, dass dieses leidige Problem endlich
erledigt wird. Ich glaube, dass wir mit den getroffenen
und noch zu treffenden Entscheidungen in personeller
Hinsicht die Weichen richtig gestellt haben, damit der
Flughafen endlich fertig gebaut werden kann.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721626600

Auf die zweite Nachfrage wird verzichtet. – Wir ha-

ben noch eine Minute und 16 Sekunden, und es gibt
noch eine Nachfrage des Kollegen Stefan Liebich. –
Auch Sie verzichten.

Will jemand den Antrag stellen, dass wir die Frage-
stunde noch eine Minute fortführen?


(Christian Freiherr von Stetten [CDU/CSU]: Darauf verzichten wir!)


Niemand? Selbst Kollege Lindner nicht. Prima.

Dann beenden wir die Fragestunde und kommen zu
der bereits hier angekündigten Aktuellen Stunde, die
nach Schluss der Fragestunde, den wir gerade gemein-
sam festgestellt haben, durchgeführt wird.

Ich rufe also Zusatzpunkt 2 auf:

Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE
GRÜNEN gemäß Anlage 5 Nummer 1 Buchstabe b
GO-BT

zu den Antworten der Bundesregierung auf
die Frage 8 auf Drucksache 17/12041

Im Augenblick wird die Rednerliste erstellt, aber der
erste Redner ist mir schon gemeldet. Es ist unser Kollege
Stephan Kühn für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen.
Bitte schön, Kollege Stephan Kühn.


Stephan Kühn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721626700

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Bundes-

verkehrsminister Peter Ramsauer geriert sich beim
Thema Flughafen Berlin Brandenburg gern in der Rolle
des vermeintlichen Chefaufklärers.


(Sören Bartol [SPD]: Er ist ein Zar!)


So hat er im Mai 2012 eine Sonderkommission einge-
richtet. Ich muss sagen: Die Bilanz von Herrn Ramsauer
als Chaosbeseitiger beim Flughafen BER ist die gleiche
wie seine Bilanz als Verkehrsminister, nämlich gleich
null.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Kirsten Lühmann [SPD] und Stefan Liebich [DIE LINKE])


Die Befragung des Ministers gestern im Haushalts-
ausschuss – wir haben es bereits gehört – ist abgebro-
chen worden.


(Oliver Luksic [FDP]: Warum denn? Weil Herr Wowereit und Herr Platzeck nicht kamen!)


Die Koalition hat ganz offensichtlich gute Gründe, wa-
rum sie beim Verkehrsminister lieber nicht genauer
nachfragen will. Warum das so ist, davon hat man gerade
in der Fragestunde einen Eindruck gewinnen können.
Sie, Herr Minister, haben uns mit Nichtaussagen die Zeit
gestohlen,


(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU)


und Sie pflegen eine Informationspolitik und einen In-
formationsstil, die diesem Hause aus meiner Sicht nicht
angemessen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Widerspruch bei der CDU/CSU)


Sie haben die Sonderkommission BER offensichtlich
nicht darauf angesetzt, sich ein ehrliches Bild vom Aus-
maß der Schlampereien auf dem Hauptstadtflughafen zu
machen. Wie kommt es sonst, dass der Bund auch da-
nach einen dritten und dann einen vierten Eröffnungster-
min einstimmig mit den anderen Gesellschaftern festge-
legt hat? Es gibt ja seitens des Bundes „Experten“ in
diesem Gremium: Ingenieur Bomba und Finanzfach-
mann Gatzer. Man fragt sich, warum es nach der zweiten
Verschiebung noch Zustimmung zum neuen Zeitplan der
Planungsgesellschaft, pg bbi, gab, der man eine Woche
später aufgrund fehlenden Vertrauens und Nichterfül-
lung ihrer Aufgaben gekündigt hat.

Wie kommt es, dass ein Sprecher des Bundesver-
kehrsministeriums am 18. Dezember 2012 nach einer
Begehung des Flughafens erklären ließ, dass es keine
Aspekte gebe, die eine Zeitverschiebung nötig machen,
und man nur zwei Wochen später im neuen Jahr die Aus-





Stephan Kühn


(A) (C)



(D)(B)

sagen des neuen Technikchefs Amann hört, der die Zu-
stände am Flughafen als „fast grauenhaft“ bezeichnet
und überhaupt keinen Eröffnungstermin mehr nennen
will oder kann.

Fast grauenhaft ist das Bild, das bereits am 13. De-
zember 2012 im Sachstandsbericht zum Flughafen BER
gezeichnet wurde. Man muss den Eindruck gewinnen,
dass eigentlich fast keine technische Anlage im Flugha-
fen funktionsbereit oder funktionsfähig ist. Ich zitiere
aus dem Sachstandsbericht: „Insbesondere bei den
Schwerpunktthemen Entrauchung, Sprinklerung,
Schließanlage und LAN sind noch grundlegende Klärun-
gen herbeizuführen …“. Dort heißt es auch, dass es
Mängel an den Kabeltrassen, Über- und Fehlbelegungen,
gibt. Ferner heißt es: „Im Bereich der Niederspannungs-
hauptverteilung wurden Verstöße gegen die Verlegungs-
richtlinie festgestellt.“ Infolge von Planungsmängeln
seien Nachbesserungen der Regelungstechnik des Kälte-
versorgungssystems erforderlich.

Der aktualisierte Sachstandsbericht vom 8. Januar
dieses Jahres zeichnet ein noch viel düstereres Bild. So
sind umfangreiche Umplanungen und Umprogrammie-
rungen der Steuerung und Umbaumaßnahmen, auch an
den Entrauchungsanlagen, unumgänglich. Da heißt es
sogar: Zu prüfen ist, ob „ein vollständiger Umbau auf
den Genehmigungsstand unumgänglich ist.“ Es wurde
also schlicht an der Baugenehmigung vorbei gebaut.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schwarzbau!)


Das ist, wie die zuständige Behörde gesagt hat, nicht ge-
nehmigungsfähig. Es handelt sich also um einen klaren
Fall von Schwarzbau.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Apropos Schwarz: Der Bund hat es hingenommen,
dass Geschäftsführer Schwarz auch nach drei Verschie-
bungen immer noch weitermachen durfte.


(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Wir haben doch nicht mal 30 Prozent!)


Nun, nach der vierten Verschiebung, ist er heute von sei-
nen Aufgaben entbunden worden. Das alles hätten wir
schon im November letzten Jahres haben können. Sie er-
innern sich: Wir haben damals einen Antrag in den Ver-
kehrsausschuss und in den Haushaltsausschuss einge-
bracht, in dem wir die Auflösung des Vertrages und die
Entlassung von Herrn Schwarz gefordert haben. Damals
mussten die Fraktionen von CDU/CSU, FDP und SPD
mit Tagesordnungstricks eine Vertagung herbeiführen.
Damals hieß es noch, man wolle zunächst haftungsrecht-
liche Prüfungen durchführen, bevor man entscheidet.
Das ist mittlerweile offensichtlich Geschichte.


(Dirk Fischer [Hamburg] [CDU/CSU]: Tja! Der Antrag hat sich jetzt wohl erledigt!)


Wir fragen uns: Wieso braucht es vier Verschiebun-
gen, um zu einer neuen Struktur der Flughafengesell-
schaft zu kommen? Wieso gibt es keine Personalvor-
schläge für einen kompetenten Geschäftsführer aus dem

Hause Ramsauer? Heute wurde zwar jemand entlassen;
aber ein Nachfolger wurde nicht benannt.

Verkehrsminister Peter Ramsauer hat aus dem ganzen
Schlamassel immer noch nicht gelernt. Er hat seine Zu-
stimmung zu einer – ich nenne es jetzt einmal so – russi-
schen Rochade gegeben, nämlich zum Austausch an der
Spitze des Aufsichtsrates, also zum Wechsel von
Wowereit zu Platzeck, anstatt einen unabhängigen Ex-
perten zu benennen. Wir fordern: Besetzen Sie den Auf-
sichtsrat komplett neu und vor allen Dingen zügig mit
Experten!


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Keine Staatsvertreter mehr!)


Wir fragen uns, da das Ganze immer teurer wird: Wo
hat der Bund klare Bedingungen genannt, an die die Ver-
gabe weiterer Mittel gebunden ist? Ramsauer hat bisher
ein Rundum-sorglos-Paket abgesegnet. Den beiden an-
deren Anteilseignern wurden keine Bedingungen dafür
genannt, dass weiter Geld fließt. Herr Ramsauer, Sie ste-
hen in der Verantwortung. Nehmen Sie diese endlich
wahr! Kümmern Sie sich um eine zeitnahe Eröffnung
und die Begrenzung der Zusatzkosten! Bisher haben Sie
dazu nichts, aber auch gar nichts geliefert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721626800

Das war Kollege Stephan Kühn für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen. – Nächster Redner ist für die
Fraktion der CDU/CSU Kollege Peter Wichtel. Bitte
schön, Kollege Peter Wichtel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Peter Wichtel (CDU):
Rede ID: ID1721626900

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Das neue Jahr beginnt im Plenum des Bundestages,
wie das alte geendet hat: mit einer Debatte zu unserem
Hauptstadtflughafen. Bedauerlicherweise reißen die Hi-
obsbotschaften, wie schon im vergangenen Jahr, auch in
diesem Jahr nicht ab. Wir haben nun Gewissheit, dass
der Eröffnungstermin nicht gehalten werden kann. Wenn
man sich die heutige Diskussion, die Fragestunde und
die entsprechenden Presseerklärungen vor Augen führt,
wird deutlich, dass hier Verteidigungskämpfe stattfinden
bzw. Stellvertreterkriege geführt werden.

Die Situation ist beschämend genug. Deswegen be-
dauern die CDU/CSU-Fraktion und ich, dass die verant-
wortlichen Landesregierungen und die Opposition im
Deutschen Bundestag nicht davon ablassen, von ihrer
Verantwortung abzulenken, sondern versuchen, die
Schuld auf andere abzuwälzen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Was? Hat der Bund denn gar keine Verantwortung? – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Ihr seid doch in der Landesregierung!)


Insofern befinden Sie von der SPD sich mit Ihrem Par-
teivorsitzenden offenbar im Einklang, der ja versucht,





Peter Wichtel


(A) (C)



(D)(B)

durch Presseerklärungen den Eindruck zu erwecken, als
wäre der Bund der Mehrheitsaktionär und als hätte der
Bund bzw. der Bundesverkehrsminister das Sagen, um
alle erforderlichen Maßnahmen durchzusetzen.

Fehlanzeige sind bei Ihnen von der SPD und von den
anderen Parteien aber auch Aussagen zur Rolle des Re-
gierenden Bürgermeisters, der noch bis heute Aufsichts-
ratsvorsitzender war und nun endlich zurückgetreten ist.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Euer Regierender Bürgermeister!)


Er lässt das Nachtreten auch nicht. Er kommt nicht mit
dem Geständnis „Mea culpa – ich habe Fehler gemacht“:
Ich habe sogar den Geschäftsführer Schwarz gegenüber
dem Aufsichtsrat bis zur letzten Minute verteidigt. –
Kein Wort des Bedauerns über das Flughafendebakel
kommt aus seinem Mund.

Für die Krisenbewältigung bei diesem Hauptstadtpro-
jekt brauchen wir Fachkompetenz und ein ausreichendes
Zeitbudget. Ich selbst würde mir wünschen, dass endlich
einmal ein Fach- und Sachkonzept vorgelegt wird, wie
die bestehenden Mängel tatsächlich behoben werden
können, was behoben werden muss, wie es behoben wer-
den soll, wer es beheben soll und was es kostet, damit
wir einen Zeitplan haben und endlich wissen, wann die
gravierenden Fehler behoben werden.

In der Anteilseignergesellschaft einigt man sich natür-
lich auf eine Struktur. Da gibt es Dinge, die man durch-
setzen kann, und Dinge, die man nicht durchsetzen kann.
Ich sage ganz offen: Ich bedaure, dass Herr Platzeck
jetzt zum Vorsitzenden des Aufsichtsrates gewählt wor-
den ist. Er hat an den Fehlern in der Vergangenheit ge-
nauso wie Herr Wowereit federführend mitgewirkt und
trägt dafür Verantwortung. Deswegen hätte er meine
Stimme im Aufsichtsrat nicht erhalten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Sören Bartol [SPD]: Was ihr hier fahrt, ist eine miese Doppelstrategie! – Stefan Liebich [DIE LINKE]: Einstimmig!)


Ich denke, das ist eine klassische Fehlbesetzung. Ich will
das auch begründen:


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Wie hat denn Herr Bomba abgestimmt?)


Wenn jetzt auf einmal eine Taskforce mit einem Staats-
sekretär und zig Leuten eingebunden wird, dann frage
ich mich, warum Herr Platzeck diese Taskforce nicht
schon letztes Jahr eingesetzt hat.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Bomba hat doch zugestimmt! Gatzer auch!)


Das wäre eine Chance gewesen, schneller voranzukom-
men und ein bisschen weg von der Politik zu kommen.
Durch etwas mehr Fach- und Sachkompetenz wäre die
Arbeit besser geworden.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, es muss
jetzt weitergehen. Deswegen hoffe ich, dass diejenigen,
die im Aufsichtsrat sitzen bzw. jetzt neu bestellt werden,
sich die Strukturen noch einmal anschauen. Ich glaube,
es ist jedem klar, dass der Betrieb in Schönefeld und der
Betrieb in Tegel weitergeführt werden müssen. Es ist
durchaus möglich, dass in Tegel optimiert werden muss,


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Noch mehr Geld!)


damit die Zahl der Passagiere, die in Berlin – Gott sei
Dank – regelmäßig weiter steigt, tatsächlich abgewickelt
werden kann. Deswegen sollte auch darüber nachge-
dacht werden, wie in der Geschäftsführung selbst die
Verantwortung für den Neubau bzw. für den Teil, der ab-
gearbeitet werden muss, einerseits und die laufenden
Geschäfte besonders in Tegel andererseits aufgeteilt
werden kann. Ich glaube, dass die Geschäftsführung gut
beraten ist, wenn sie entsprechende Struktur- und Orga-
nisationsvorschläge in den Aufsichtsrat einbringt, sodass
diese dort diskutiert werden können. Ich denke, dass das
Großprojekt BER nur dann tatsächlich zu Ende geführt
werden kann, wenn jetzt mit Sach- und Fachverstand an
die Sache gegangen wird.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich denke –
und da bin ich derselben Meinung wie die CDU/CSU-
und FDP-Mitglieder des Haushaltsausschusses –, dass
weitere Gelder erst dann fließen können, wenn schlüs-
sige Konzepte vorliegen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Das heißt, Sie wollen jetzt schon, dass kein Geld fließt!)


Alles andere wäre der Bevölkerung nicht zuzumuten und
ließe sich auch nicht erklären.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721627000

Vielen Dank, Kollege Peter Wichtel. – Als Nächster

für die Fraktion der Sozialdemokraten: unser Kollege
Sören Bartol. Bitte schön, Kollege Sören Bartol.


(Beifall bei der SPD)



Sören Bartol (SPD):
Rede ID: ID1721627100

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir erleben beim
Flughafen BER ein Desaster, das bei allen Beteiligten,
auch bei uns, viele Fragen aufwirft. Zu Recht fragen
viele Bürgerinnen und Bürger danach, wer bei diesem
Projekt welche Verantwortung hat und ob wir überhaupt
in der Lage sind, den Bau eines neuen Flughafens zu be-
aufsichtigen.

Wir alle, lieber Kollege Wichtel, müssen partei- und
fraktionsübergreifend unsere Lehren ziehen, um in Zu-
kunft nicht die gleichen Fehler noch einmal zu machen.


(Oliver Luksic [FDP]: Vor allem die SPD muss einmal ein paar Lehren ziehen!)






Sören Bartol


(A) (C)



(D)(B)

Dazu braucht es Haltung, dazu gehört, dass Politiker
auch zu ihrer Verantwortung stehen. Klaus Wowereit
und Matthias Platzeck haben das getan.


(Lachen bei der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Quatsch!)


Sie haben sich einem Vertrauensvotum ihrer Parlamente
gestellt, liebe Kolleginnen und Kollegen.


(Beifall bei der SPD)


Bundesverkehrsminister Ramsauer zeigt im Gegen-
satz dazu überhaupt null Haltung.


(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU)


Er versteckt sich hinter seinem Staatssekretär Rainer
Bomba und verweist darauf, dass der Bund bei BER le-
diglich Minderheitsgesellschafter ist. Von Bundesver-
kehrsminister Ramsauer habe ich bisher kein einziges
Wort der Selbstkritik gehört. Das spricht doch für sich,
vor allem sein Verhalten eben in der Fragestunde.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Wir haben in der Fragestunde erlebt, wie die Bundes-
regierung und die schwarz-gelbe Koalition mit der ak-
tuellen Situation beim Bau des neuen Flughafens umge-
hen. Sie schlagen sich immer gerne in die Büsche,


(Holger Krestel [FDP]: Da sind Sie schon drin!)


wenn es darauf ankommt, und versuchen noch, die Si-
tuation rein parteipolitisch auszuschlachten.

Die Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und
FDP messen bei der Aufklärung mit zweierlei Maß. Im
Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages hat die
Koalition erst eine Sondersitzung zum Thema BER be-
antragt, dann wurde sie von der Teilnahme ihres eigenen
Bundesverkehrsministers überrascht und erteilte Herrn
Ramsauer ein Redeverbot, indem sie die Sitzung einfach
ohne Debatte wieder beendete.


(Oliver Luksic [FDP]: Die Verantwortlichen kommen nicht!)


Damit verhinderten die Koalitionsfraktionen, dass sich
der Minister zu den Vorwürfen, dass er bereits im De-
zember 2012 von einer Verschiebung des Termins
wusste, entsprechenden Nachfragen stellen musste.

Wenn es gegen die beiden Ministerpräsidenten
Wowereit und Platzeck geht, sind Sie sehr schnell dabei,
aufklären zu wollen. Wenn Ihre eigenen Minister in der
Kritik stehen, dann verhindern Sie, dass überhaupt nur
darüber gesprochen wird.

Sehr geehrte Damen und Herren, Flughäfen von der
Größe des neuen Flughafens BER sind von nationaler
Bedeutung. Ich erwarte daher, dass sich der Bundesver-
kehrsminister aktiv um den Bau des neuen Flughafens
BER kümmert.

Die Länder Berlin und Brandenburg können sich je-
doch nicht auf die Unterstützung der Bundesregierung

verlassen. In der Öffentlichkeit wird falsch gespielt: In-
terne Unterlagen aus dem Aufsichtsrat werden „durchge-
stochen“, aus internen, vertraulichen Sitzungen wird an
Journalisten berichtet, und es wird, wie wir heute in der
Fragestunde gehört haben, ohnehin nur mit Journalisten
geredet.

Als der Berliner Regierende Bürgermeister Klaus
Wowereit am 7. Januar 2013 im Kreise der Gesellschaf-
ter seinen Rücktritt als Vorsitzender des Aufsichtsrates
anbot, verweigerte die Bundesregierung, Verantwortung
zu übernehmen, und wies das angebotene Amt des Auf-
sichtsratsvorsitzenden zurück. Umso schäbiger ist es,
dass Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble die
Kompetenz von Ministerpräsident Matthias Platzeck am
folgenden Tag infrage stellte.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Zu Recht!)


Auch Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer signa-
lisierte in Wildbad Kreuth zunächst Unterstützung für
Ministerpräsident Platzeck. Inzwischen verweist er bei
dieser Frage auf den geringen Einfluss, den er als Min-
derheitsgesellschafter bei der Wahl des neuen Aufsichts-
ratsvorsitzenden habe.

Ich persönlich halte die Debatte über die Besetzung
von Aufsichtsräten bei Unternehmen im Besitz der öf-
fentlichen Hand für hochgefährlich.


(Oliver Luksic [FDP]: Ja, für die SPD ist die Debatte gefährlich!)


Unabhängig von einigen unflätigen Angriffen von ein-
zelnen Koalitionsabgeordneten, die gestandene Minis-
terpräsidenten als „Pfeifen“ bezeichnen – ich finde, hier-
für fehlt immer noch eine Entschuldigung –, stelle ich
die Frage: Welche Fachleute sind denn eigentlich ge-
meint?


(Holger Krestel [FDP]: Sie sollten sich einmal für die Geldverschwendung entschuldigen!)


Geht es um die Vertreter der Wirtschaft, wie zum Bei-
spiel das Unternehmen Hochtief, das bei der Hamburger
Elbphilharmonie gezeigt hat, wie „groß“ die Fachkom-
petenz ist, oder geht es um die Vertreter von Banken und
Finanzinstituten, deren Aufsichtsräte das große Gezocke
mit dem Geld der kleinen Sparerinnen und Sparer über-
haupt erst zugelassen haben?


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN – Oliver Luksic [FDP]: Ablenkung!)


Ich empfinde es in einer Demokratie als eine Selbst-
verständlichkeit, dass demokratisch legitimierte Vertre-
ter einer Regierung bei Unternehmen, die sich im öffent-
lichen Besitz befinden, die demokratische Kontrolle
wahrnehmen.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Oliver Luksic [FDP]: Deshalb müssen Wowereit und Platzeck einmal kommen!)


Die Kompetenz dafür ist ihnen von den Wählerinnen
und Wählern auch zugesprochen worden.


(Oliver Luksic [FDP]: Dafür nicht!)






Sören Bartol


(A) (C)



(D)(B)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zum
Schluss und zitiere:

Der Flughafen soll schnellstmöglich fertiggestellt
und eröffnet werden. Alle dazu erforderlichen Ent-
scheidungen im Aufsichtsrat sollen einvernehmlich
getroffen werden. Es ist im gesamtstaatlichen Inte-
resse, das Flughafenprojekt erfolgreich zu Ende zu
bringen.

Das ist der Wortlaut der gemeinsamen Erklärung der Ge-
sellschafter des Flughafens BER, die auch Minister
Ramsauer und Minister Schäuble am 9. Januar 2013 ver-
öffentlicht haben.

Lieber Herr Bundesminister, nach Ihrem heutigen
Auftritt hoffe ich, dass Sie sich in Zukunft daran erin-
nern werden, das dauernde Über-Bande-Spielen beenden
und sich endlich Ihrer Aufgabe als Bundesverkehrsmi-
nister stellen, dieses Großprojekt zu einem guten Ende
zu bringen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD und der LINKEN – Oliver Luksic [FDP]: Das war aber nicht Ihre beste Rede!)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721627200

Vielen Dank, Kollege Sören Bartol. – Nächster Red-

ner für die Fraktion der FDP ist unser Kollege Dr. Martin
Lindner. Bitte schön, Kollege Dr. Martin Lindner.


(Beifall bei der FDP)



Dr. Martin Lindner (FDP):
Rede ID: ID1721627300

Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Ge-

statten Sie mir, in dieser Debatte zwei einleitende Be-
merkungen zu machen:

Erstens. Ich glaube, wir alle – das meine ich partei-
übergreifend – müssen uns einmal genau über das
Thema „Bauen der öffentlichen Hand“ unterhalten,


(Beifall des Abg. Arnold Vaatz [CDU/CSU])


weil hier ständig, konsekutiv, immer wieder dieselben
Fehler auftreten, die immer wieder auf ähnliche Weise
virulent werden:


(Oliver Luksic [FDP]: Die SPD ist immer dabei!)


Der erste Fehler ist, dass die Dinge heruntergerechnet
werden, damit man sie durch den jeweiligen Gemeinde-
rat, den Hauptausschuss und den Haushaltsausschuss
bringen und die Öffentlichkeit davon überzeugen kann.

Dann kommt der zweite Fehler: Um einigermaßen da
zu landen, wo man es zunächst falsch projiziert hatte,
wird billigst vergeben. Nicht der Beste, nicht der Quali-
fizierte, sondern der Billigste wird genommen, und dann
kommen die Folgefehler. Der eine oder andere schafft es
nicht, das zu halten. Dann müssen Nachaufträge verge-
ben werden, und wir landen immer in so einem elenden
Desaster, was für unser internationales Ansehen mittler-
weile verheerend ist.

Hier hatten wir speziell die Frage der EU-weiten Aus-
schreibung. Ich sage nicht, dass eine Ausschreibung ei-
nes Generalunternehmers immer zwingend ist. Es kann
in Unternehmen Bauexpertise vorhanden sein, beispiels-
weise bei Wohnungsbaugesellschaften, bei großen Ener-
gieversorgungsunternehmen, die laufend Kraftwerke
bauen. Aber eine Flughafengesellschaft – wie oft baut
die denn einen Flughafen? Alle hundert Jahre vielleicht
einmal. Deswegen wäre es zwingend gewesen, hier bei-
spielsweise einen Generalunternehmer zu beauftragen.


(Mechthild Rawert [SPD]: Quatsch! Das ist absoluter Quatsch!)


– An der Stelle der SPD würde ich hier ein bisschen he-
runterflammen. Aber dazu komme ich gleich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU)


Meine zweite Bemerkung: Politiker im Aufsichtsrat.
Ich glaube, hier dürfen wir in der Tat – das war eines der
wenigen Dinge, die mein Vorredner richtig analysiert
hat – nicht grundsätzlich sagen, dass Politiker nicht ge-
eignete Aufsichtsräte sind. Ich glaube, dass es an der
einen oder anderen Stelle eine strukturelle Interessenkol-
lision geben kann, weil man als Aufsichtsrat die mikro-
ökonomischen Belange des Unternehmens zu beachten
hat, aber als Minister oder Senator die Belange der All-
gemeinheit. Das kann beispielsweise bei Verkehrsgesell-
schaften zu einer Kollision führen. Aber hier hatten wir
diese Kollision nicht. Hier hatten wir ein gleichgerichte-
tes Interesse des Senators, des Ministers, des Regieren-
den Bürgermeisters und der Flughafengesellschaft an zü-
giger, pünktlicher und ordnungsgemäßer Realisierung
dieses Bauvorhabens.

Da kommt der Aufsichtsratsvorsitzende ins Spiel, und
der hat an der Stelle jämmerlich und kläglich versagt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das hatte nichts mit Kollision zu tun, das hatte auch
nichts mit einem Vorfeld zu tun. Das wird aus einem
Schreiben vom 18. Dezember, das er an mich richten
ließ, überdeutlich. Ich hatte ihm geschrieben, er soll ein-
mal zur Umsetzung des brandenburgischen Corporate-
Governance-Kodex Stellung nehmen. Da lässt er mir
wie folgt antworten – ich zitiere aus dem Schreiben des
Regierenden Bürgermeisters vom 18. Dezember –:

So wurde

– schreibt er –

der Aufsichtsratsvorsitzende von der Geschäftsfüh-
rung auch über die Notwendigkeit sogenannter
Endspurtmaßnahmen zur Realisierung des Eröff-
nungstermins am 03.06.2012 informiert, die vom
Aufsichtsrat in seiner Sitzung am 20.04.2012 be-
schlossen wurden.

Zur Eröffnung des Berliner Flughafens habe ich am
4. April 2012 eine Einladung bekommen, und jetzt
schreibt mir der Regierende Bürgermeister, dass am
20.04. Endspurtmaßnahmen beschlossen wurden,





Dr. Martin Lindner (Berlin)



(A) (C)



(D)(B)


(Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, hat Ihnen Herr Bomba das nicht erzählt?)


die in den gerade einmal zwei Wochen vor der Eröff-
nung – zwei Wochen! – realisiert werden sollten. Das ist
so, als wenn ein Marathonläufer, der schon 42 Kilometer
hinter sich hat, erklären würde, er hätte irgendwie zwei-
einhalb Meter vor dem Einlaufen den Endspurt eingelei-
tet. Leute, das ist doch das Versagen! Vor einem Jahr
– wenn in dem Schreiben „2011“ stünde – wäre der Zeit-
punkt für Endspurtmaßnahmen, für Nachfragen und so
weiter gewesen. Aber er schickt erst einmal Hoch-
glanzeinladungen und redet dann von Endspurtmaßnah-
men.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja, genau da ist Ihre Bundesregierung zu 100 Prozent verantwortlich!)


Das ist ein absolutes Versagen des Vorsitzenden dieses
Aufsichtsrats, absolut.


(Beifall bei der FDP und der CDU – Britta Haßelmann [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das war doch alles einstimmig!)


Das nächste Versagen war es, neue Termine anzuset-
zen – ohne Fundament.


(Mechthild Rawert [SPD]: Was hat denn die Bundesregierung gemacht?)


Damit hat er nicht nur diesen Flughafen und diese Stadt,
sondern dieses ganze Land der Lächerlichkeit preisgege-
ben. Das ist vor allen Dingen sein Versagen.


(Beifall bei der FDP – Sören Bartol [SPD]: Hat da Herr Bomba nicht mitgestimmt? Was hat denn Ihre Bundesregierung gemacht! Das ist doch totaler Quatsch, den Sie erzählen!)


Es ist natürlich der Aufsichtsratsvorsitzende, der da ge-
fragt ist. Er ist derjenige, der die Sitzungen einberuft. Er
ist derjenige, der auch spezielle Maßnahmen ergreifen
könnte.


(Sören Bartol [SPD]: Das ist doch Quatsch! Das müssen Sie doch besser wissen!)


Darauf mit einer Rochade nach Moskauer Art zu antwor-
ten, ist doch lächerlich.


(Heiterkeit bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/ DIE GRÜNEN)


Er muss als Regierender Bürgermeister zurücktreten,
wenn er Verantwortung übernimmt. Das ist die entschei-
dende Frage.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es geht doch hier nicht um so ein komisches
Medwedew/Putin-Getue. Der einzige Unterschied ist,
dass die zwei wenigstens Treiber waren; die anderen
zwei, Platzeck und Wowereit, sind Getriebene.


(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU)


Und Sie wollen das Land regieren!


(Mechthild Rawert [SPD]: Ja!)


Ich stelle sie einmal in folgende Reihe: Ude kriegt die
dritte Startbahn nicht hin, Beck hat beim Nürburgring
versagt, der Scholz mit der Elbphilharmonie.


(Sören Bartol [SPD]: Das ist ja bodenlos, Scholz das mit der Elbphilharmonie vorzuwerfen!)


Sie können es nicht; Sie können es so gar nicht. Sie kön-
nen auch das ganze Land nicht regieren.


(Beifall bei der FDP und der CDU – Sören Bartol [SPD]: Das ist bodenlos!)


Das ist doch das Entscheidende. Dann stellen Sie sich
hier hin und blasen die Backen auf. Nach diesem Desas-
ter versuchen Sie jetzt, den Bundesverkehrsminister an-
zugreifen.


(Sören Bartol [SPD]: Herr Lindner, zurück zu 1,9 Prozent! Da gehören Sie auch hin!)


An Ihrer Stelle würde ich einmal ganz still vor der eige-
nen Tür kehren und überlegen, warum Sie es auf keiner
Ebene schaffen.


(Zuruf der Abg. Mechthild Rawert [SPD])


Deswegen werden Sie zu Recht am Sonntag nicht ge-
wählt werden. Deswegen werden Sie auch zu Recht in
diesem Land keine Regierungsverantwortung überneh-
men können.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)


Eine Partei, die es einfach nicht schafft und auf allen
Ebenen versagt, die sollte sich erst einmal überlegen,
wie man auf lokaler Ebene wichtige Projekte hinbe-
kommt.


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721627400

Kollege Lindner, beachten Sie das Leuchten, das das

Ende Ihrer Redezeit anzeigt.


Dr. Martin Lindner (FDP):
Rede ID: ID1721627500

Eine solche Partei sollte sich das gut überlegen, bevor

sie Ansprüche auf mehr erhebt.


(Holger Krestel [FDP]: Die sollte sich auflösen!)


Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721627600

Nächster Redner ist für die Fraktion Die Linke unser

Kollege Stefan Liebich. Bitte schön, Kollege Stefan
Liebich.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Stefan Liebich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721627700

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich

finde, wir müssen mit diesem Spiel langsam aufhören.


(Oliver Luksic [FDP]: Weil Sie in Brandenburg regieren! Deswegen!)


CDU/CSU gegen SPD und umgekehrt: Das hatten wir
gestern im Haushaltsausschuss, das hatten wir vorhin in
der Fragestunde, das haben wir jetzt in der Aktuellen
Stunde. Ehrlich gesagt, diese Debatte interessiert außer
uns hier niemanden.


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Na, na!)


Gesellschafter des Unglücksflughafens Berlin Bran-
denburg sind beide Länder, Berlin und Brandenburg, und
der Bund gemeinsam. Alle Parteien, wie sie hier sitzen
– das sage ich ganz deutlich –, verbinden mit Schönefeld
ihre Geschichte. Ehe der Zwischenruf kommt:


(Karl-Georg Wellmann [CDU/CSU]: Sie doch auch! Sie haben doch mitregiert!)


Natürlich wir auch! Wir waren gegen den Standort
Schönefeld und haben jetzt zwei Minister im Aufsichts-
rat.

Die CDU – der Herr Wichtel weiß das nicht; viel-
leicht wird ihm das Kai Wegner sagen, wenn er gleich
spricht – ist Regierungspartei im Land Berlin und war
Regierungspartei im Land Brandenburg. Die CSU steht
mit Herrn Ramsauer in vorderster Verantwortung, die
SPD mit Wowereit, Platzeck, Stolpe und Tiefensee so-
wieso. Auch Bündnis 90/Die Grünen und FDP haben als
Koalitionspartner in diversen Bundesregierungen keine
weiße Weste.


(Widerspruch bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wissen Sie was? Es geht überhaupt nicht um die
Frage, wer hier mehr und wer hier weniger schuld ist,


(Oliver Luksic [FDP]: Doch!)


sondern letztlich geht es um die Frage, wer die Leidtra-
genden dieses Desasters sind. Zu denen will ich etwas
sagen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Dabei geht es zuerst um die Unternehmerinnen und
Unternehmer, die auf unsere politischen Entscheidungen
vertraut haben und die nun die bitteren Konsequenzen
tragen müssen. Eine Bauunternehmerin aus Brandenburg
hat am Sonntag in der Talkshow Günther Jauch gesagt,
dass das Sterben ihrer Firma 17 Arbeitsplätze vernichtet
hat. Dass diese 17 Familien und viele weitere nun einer
unsicheren Zukunft entgegensehen, das ist der Skandal.

Herr Lindner, es geht um Tausende Berlinerinnen und
Berliner in Pankow, in Reinickendorf und in Spandau,
die nicht nur noch länger, sondern auch noch intensiver
unter Fluglärm zu leiden haben. Sie haben ja dort einmal
kandidiert; das haben Sie sicher vergessen. Vor dreiein-
halb Jahren war Herr Lindner erfolgloser Kandidat im

Bezirk Pankow von Berlin. Dort sind jetzt die Lasten zu
tragen.

Es ist hier schon mehrfach angeklungen – ich kenne
das auch aus vielen Gesprächen mit Ihnen –: Viele von
Ihnen mögen den Flughafen Tegel. Der Flughafen Tegel
ist so schön dicht am Bundestag, und man ist eins, zwei,
drei hier. Manch einer findet ihn auch ganz schick. Aber
wer in seiner Einflugschneise wohnt, der hat nichts zu
lachen. Wissen Sie, was dort bis in den späten Abend
und am frühen Morgen los ist? Allein im letzten Jahr hat
der Flugverkehr um 10 Prozent zugenommen, und zwar
wegen der Verschiebung. Das wird beim neuen Flugha-
fen nicht besser; denn ein guter Kompromiss zwischen
den Interessen der Anwohner und der Wirtschaftlichkeit
ist auch hier noch nicht gefunden.

Hunderttausende in Berlin und Brandenburg haben
sich bei einem Volksbegehren für eine Ausweitung des
Nachtflugverbots ausgesprochen. Tausende warten auf
die Bewilligung ihrer Lärmschutzmaßnahmen. Aber da-
rüber wurde hier bisher überhaupt nicht gesprochen.
Dass der Nachtschlaf der Menschen in Brandenburg und
Berlin den Profiten der Fluggesellschaften geopfert
wird, ist ein Skandal.


(Beifall bei der LINKEN)


Schließlich geht es auch um die Steuerzahlerinnen
und Steuerzahler, die die Kosten zu tragen haben.
1,7 Milliarden Euro sollte der Flughafen einmal kosten.
Inzwischen sind wir bei 4,3 Milliarden Euro. Auch diese
werden nicht reichen. Jeder Monat Verzug kostet 15 Mil-
lionen Euro. Davon könnten 25 000 Kitaplätze finanziert
werden. Dort wäre das Geld besser angelegt.


(Beifall bei der LINKEN)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, es sollte jetzt an der
Zeit für einen wirklichen Neuanfang sein: offen, transpa-
rent, selbstkritisch. Ich stimme Herrn Bartol und überra-
schenderweise ein kleines bisschen auch Herrn Lindner
zu: Nichts wird besser, wenn sich der Staat zurückzieht
und die berühmten Experten aus der Wirtschaft alles in
die Hand nehmen. – Ich war ein wenig über die Position
von Bündnis 90/Die Grünen überrascht. Vielleicht kann
Herr Hofreiter noch etwas dazu sagen. Ich habe nichts
gegen Experten, aber es sollen doch hoffentlich keine
Experten sein, die niemandem verantwortlich und durch
keine Wahl legitimiert sind. Wir sollten nicht den Bock
zum Gärtner machen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Verantwortung hat man nicht nur, wenn es Erfolge zu
feiern gibt, sondern auch dann, wenn etwas gewaltig
schiefgeht, so wie jetzt. Dieser Verantwortung müssen
wir uns alle stellen und nun aber auch gemeinsam im
Aufsichtsrat einen Neuanfang wagen. Dann sollte man
auch damit aufhören, darüber zu debattieren, wer dort
aus welcher Partei kommt.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)







(A) (C)



(D)(B)


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721627800

Vielen Dank, Kollege Stefan Liebich. – Nächster

Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
der CDU/CSU unser Kollege Kai Wegner. Bitte schön,
Kollege Kai Wegner.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1721627900

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Herr Bartol, ich finde es gut, dass wir heute
diese Debatte führen. Ich finde es richtig, dass wir im
Deutschen Bundestag an dem Tag, an dem der Auf-
sichtsrat wichtige Entscheidungen getroffen hat, über die
Lage am künftigen Flughafen BER sprechen. Aber, Herr
Bartol, ich fand die Art und Weise Ihrer Rede völlig da-
neben.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Völlig dreist!)


Wer mit dem Finger auf andere zeigt, muss sich nicht
wundern, wenn viele Finger auf ihn zurückzeigen. Der
Bund übernimmt Verantwortung für den Großflughafen.
Der Bund hat heute durchgesetzt – das will ich an dieser
Stelle deutlich sagen –, dass der völlig überforderte Ge-
schäftsführer Schwarz endlich in die Wüste geschickt
wurde, Herr Bartol.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wenn der Bund das nicht gemacht hätte, und wenn
auch der Koalitionspartner in Berlin das nicht gefordert
hätte, bin ich mir nicht sicher, ob das heute passiert wäre.
Diese Entscheidung kommt viel zu spät, Herr Bartol,
und das liegt, mit Verlaub, nicht am Bund.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ja, die Lage am Großflughafen Schönefeld ist alles
andere als gut. Ich will nichts beschönigen, und ich
finde, man kann auch nichts beschönigen. Ja, es sind in
den letzten Jahren schwere Fehler begangen worden.
Aber, meine Damen und Herren, das haben wir hier im
Hause häufig diskutiert, und wir waren uns, glaube ich,
fast immer alle einig: Wer wirklich überfordert war und
das immer wieder zum Ausdruck gebracht hat, war der
Geschäftsführer.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Und Wowereit!)


Deshalb ist es richtig, dass heute diese Entscheidung ge-
troffen wurde.

Herr Liebich, über Ihre Rede bin ich erfreut. Das will
ich gerne sagen. Ich hatte gedacht, Sie wollen sich Ihrer
Verantwortung entziehen, obwohl Sie zehn Jahre in Ber-
lin mit Ihrem Wirtschaftssenator im Aufsichtsrat Mitver-
antwortung getragen haben. Das haben Sie nicht getan.
Das finde ich ausgesprochen gut. In der Tat, Sie haben
recht: Wir sind in Berlin in der Regierung, und wir haben
auch einen Sitz im Aufsichtsrat. Aber seien Sie sich si-
cher, dass wir nicht so handeln werden, wie Sie es über

zehn Jahre gemacht haben, sodass Sie dieses Planungs-
desaster mit zu verantworten haben.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das waren auch Ihre Brandenburger Freunde! Das war Herr Schönbohm! Die waren alle mit dabei! Zehn Jahre!)


Vielmehr werden wir jetzt alles daransetzen,


(Zuruf von der SPD: Wer ist „wir“?)


gemeinsam mit dem Gesellschafter Bund aufzuräumen,
wo vieles schiefgelaufen ist, und dieses Projekt zum Er-
folg führen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Dass die Linke im Gegensatz zu Ihnen, Herr Liebich,
der jetzt Mitverantwortung übernommen und das auch
gesagt hat, die Verantwortung scheut und sich vor der
Verantwortung drückt, zeigt heute Ihr Genosse
Christoffers. Er ist vom Vorsitz des Projektausschusses
zurückgetreten. Das ist zu begrüßen, wenn Sie mich fra-
gen, weil es noch einmal den Beleg bringt, dass die Bun-
desregierung Verantwortung für dieses Projekt über-
nimmt. Denn Staatssekretär Bomba wird den Vorsitz
übernehmen, und er wird es allemal besser machen,
meine Damen und Herren. Vielen Dank, lieber Herr
Minister und auch Herr Staatsekretär.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Worum geht es jetzt? Es geht in der Tat darum, aufzu-
räumen. Es geht darum, nichts zu beschönigen, Fehler zu
benennen, wo sie in den letzten Monaten, ja Jahren pas-
siert sind, und aufzuklären und dann das Projekt endlich
zum Erfolg zu führen. Das geht nicht ohne personelle
Konsequenzen. Das kann auch nicht nur bei Herrn
Schwarz enden. Die Geschäftsführung muss weiter mit
Fachverstand besetzt werden. Im Übrigen würde ange-
sichts der Kontrollfunktion des Aufsichtsrats auch im
Aufsichtsrat ein bisschen Expertise sicherlich nicht scha-
den. Das Wichtigste ist, glaube ich, dass endlich eine
transparente und ehrliche Informationspolitik betrieben
wird, die es in den letzten Jahren unter Herrn Schwarz
leider auch nicht gab.


(Mechthild Rawert [SPD]: Wir haben gerade erfahren, was das heißt!)


Ich hoffe übrigens sehr, dass das, was von den Koali-
tionsfraktionen im Bund beschlossen wurde, umgesetzt
wird. Ich hoffe auch, dass wir alles daransetzen werden,
dass eine Abfindungszahlung für Herrn Schwarz nicht
zustande kommt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Es versteht kein Mensch auf den Straßen, wenn dieser
Mann, der viele Fehler gemacht hat und der das Desaster
zu verantworten hat, noch mit einer Millionenabfindung
belohnt wird. Dieses Geld sollten wir lieber den Geschä-
digten geben, den kleinen Unternehmen, den Mittel-
ständlern, die jetzt in eine prekäre Situation kommen
und die teilweise kurz vor der Insolvenz stehen,


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Zu wenig!)






Kai Wegner


(A) (C)



(D)(B)

weil sie sich auf etwas verlassen haben, was jetzt nicht
eingehalten wird. Deswegen steht Herrn Schwarz keine
Abfindung zu.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auch zu den Grünen will ich noch einen Satz sagen.
Wenn es um Infrastrukturprojekte geht, wäre ich bei den
Grünen ein bisschen vorsichtig. Ich kann mich noch gut
erinnern, dass Frau Künast im Wahlkampf durch die
Stadt Berlin gerannt ist und gesagt hat: Wir brauchen ei-
gentlich gar keinen Großflughafen und erst recht kein
Drehkreuz. Ein Regionalflughafen tut es auch.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Dieses Zitat gibt es von mir nicht!)


Ich sage Ihnen: Die Grünen stehen nicht zwingend für
große Infrastrukturprojekte. Sie stehen eher für Ver-
kehrsinfrastrukturverhinderungspolitik.


(Dr. Anton Hofreiter [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das schaffen Sie schon alleine!)


Deswegen ist es besser, wenn Sie sich bei diesen The-
men ein Stück weit zurückhalten.

Lassen Sie uns gemeinsam die Fehler der letzten
Jahre aufklären! Lassen Sie uns die Fehler benennen!
Lassen Sie uns aufräumen, wo es in den letzten Jahren
nicht funktioniert hat!


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben doch Herrn Henkel im Aufsichtsrat! Der kann aufklären, zum Beispiel bei der Entschädigung für Herrn Schwarz!)


Lassen Sie uns dafür sorgen, dass diese traurige Ge-
schichte, dass dieses Planungsdesaster im Zusammen-
hang mit dem Großflughafen Berlin nicht im Nachhinein
– ich erinnere an die Kapazitätszahlen – noch zu einem
Betriebsdesaster führt!


Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721628000

Kommen Sie bitte zum Schluss.


Kai Wegner (CDU):
Rede ID: ID1721628100

Lassen Sie uns dafür sorgen, dass dieses Projekt eine

Erfolgsgeschichte wird, eine verspätete Erfolgsge-
schichte für Berlin, eine Erfolgsgeschichte für die
Hauptstadtregion, aber auch eine Erfolgsgeschichte für
unser Land.

Ich bin sehr dankbar, Herr Verkehrsminister, dass Sie
klar Position zugunsten dieses Flughafens beziehen.
Grundvoraussetzung für eine Erfolgsgeschichte ist, dass
sich alle drei Gesellschafter zu diesem Projekt bekennen.
Sie tun das. Bitte machen Sie weiter so, auch bei der
Aufklärung.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721628200

Das war ein schöner Schlusssatz. – Nächste Rednerin

für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unsere Kolle-
gin Frau Kirsten Lühmann.


(Beifall bei der SPD)



Kirsten Lühmann (SPD):
Rede ID: ID1721628300

Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegen und Kollegin-

nen!

Verkehrsminister Ramsauer hat ein erstaunliches
Talent dafür, sich bei unangenehmen Dingen für
unzuständig zu erklären. Dabei sind die Fakten ein-
deutig: Neben den jeweils 37 Prozent, die Berlin
und Brandenburg an der Flughafengesellschaft hal-
ten, gibt es noch die 26 Prozent des Bundes. Das ist
natürlich keine Mehrheit, man kann damit auch
nicht im Alleingang die große Linie bestimmen.
Aber es ist auch deutlich zu viel, um „Herrn Ah-
nungslos“ und die Unschuld aus Bayern spielen zu
können.

Das haben heute die Nürnberger Nachrichten auf die
Antworten zu sagen, die Herr Ramsauer gestern der
Presse gegeben hat und aus denen wir – das hat er uns
eben in der Fragestunde deutlich gemacht – unsere Infor-
mationen hätten ziehen sollen. Herr Ahnungslos und die
Unschuld aus Bayern! Gestern Abend fragte Markus
Lanz einen Gast aus der Regierungskoalition: Ich habe
mich die ganze Zeit gefragt, wie ihr von der CDU/CSU
es schafft, den Ramsauer herauszuhalten. – Ich kann es
Ihnen sagen, Herr Lanz: Wenn man seine gesamte Ener-
gie dafür verwendet, mediale Nebelkerzen zu werfen,
anstatt sich der Lösung des Problems zuzuwenden, ist
das ganz einfach.

Dabei hätte diese Regierung jede Menge Möglichkei-
ten gehabt, sich der Lösung des Problems zu widmen.
Sie selbst haben dafür eine Sonderkommission einge-
richtet. Wenn wir uns aber anschauen, was diese Sonder-
kommission in den letzten Monaten getan hat, stellen
wir fest: Sie hat sich über den Fortgang der Bauarbeiten
und die Kapazitäten in Tegel berichten lassen. Nach je-
der Sitzung hat sie festgestellt: Es läuft. – Danke schön!
Wir hätten mehr erwartet. Wir hätten erwartet, dass sie
sich aktiv an der Bewältigung der Probleme beteiligt. Ei-
nes der Probleme ist – darüber wurde heute noch gar
nicht geredet; das ist ein Problem, dessen Lösung in al-
leiniger Verantwortung der Bundesregierung liegt – der
Regierungsflughafen. Hier ist man deutlich im Verzug,
und auch hier gibt es massive Probleme, die wir noch gar
nicht besprochen haben.

Herr Minister, hören Sie mit den Ablenkungsfütterun-
gen und damit auf, den Eindruck zu erzeugen, dass wir
nicht handeln. Wir sollten uns vielmehr gemeinsam wie-
der den Problemen zuwenden. Matthias Platzeck hat da-
mit begonnen; er hat nämlich keinen neuen Termin für
die Eröffnung gesetzt. Er hat den politischen Druck he-
rausgenommen. Er hat gesagt: Lasst uns erst einmal pla-
nen! Lasst uns das angucken! Dann werden wir in Ruhe
weitersehen.





Kirsten Lühmann


(A) (C)



(D)(B)

Über die Verantwortlichkeit für Fehler der Vergan-
genheit wurde heute schon sehr viel geredet. Zu der Ver-
antwortlichkeit für Fehler der Vergangenheit gibt es erste
Gerichtsverfahren, meine Herren und Damen. Die kön-
nen wir erst einmal abwarten. Es ist nicht hilfreich, wenn
wir andauernd Ausschusssitzungen haben, in denen uns
die Regierung gebetsmühlenartig erzählt: Alle anderen
sind schuld, nur wir nicht. – Es hilft auch nicht, wenn in
diesen Sitzungen eine Beratungsgesellschaft vortragen
und uns bei der Aufklärung helfen soll, die gleichzeitig
die Flughafengesellschaft und damit ja wohl auch uns
selber verklagt.


(Oliver Luksic [FDP]: Sie können echt alles schönreden!)


Was soll mir jemand, der gegen mich klagt, bei der Auf-
klärung irgendeines Sachverhaltes helfen? Das leuchtet
mir nicht ein, und das scheint deutlich widersinnig zu
sein.

Aber, liebe Kollegen, liebe Kolleginnen, lassen Sie
uns einmal über einen Flughafen reden, der in Betrieb
ist, wo Hunderte von Menschen arbeiten, nämlich über
den Flughafen Tegel; er ist heute schon einmal angespro-
chen worden. Auf eine entsprechende Frage in der Fra-
g
Jan Mücke (FDP):
Rede ID: ID1721628400
Na ja, Geschäftsführer hin oder her, die machen
alle ihre Arbeit; Tegel läuft schon. – Herr Staatssekretär,
ich weiß nicht, ob Ihnen bewusst ist, wie die Situation
der Beschäftigten und der Passagiere in Tegel inzwi-
schen ist: Seit 2010 wird jegliche bauliche Maßnahme
zur Verbesserung der Arbeitssituation der Beschäftigten
dort nicht angegangen mit der Begründung: Na ja, in
sechs Monaten seid ihr hier sowieso weg.


(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Wer hat denn das gesagt?)


Wir haben inzwischen die Situation, dass die Passa-
gierzahlen im letzten Jahr überproportional um 8 Pro-
zent auf 18 Millionen gesteigert worden sind. Die Flugli-
nien sagen: Die Technik funktioniere nicht. Die
Anwohner werden von zusätzlichem Lärm belästigt. Die
Beschäftigten sagen: Wir haben keine vernünftigen Ar-
beitsplätze. Die Anlagen für die Kontrolle des Gepäcks
funktionieren nicht mehr. Das Sicherheitspersonal kann
seine Arbeit nicht mehr machen. Ich denke, hierum soll-
ten wir uns einmal kümmern. Das erwarten die Men-
schen von uns. Es kommen zusätzliche Probleme auf uns
zu. Ab März wird die Luftfahrtkontrolle verändert sein.
Ab 2014 wird es Flüssigkeitskontrollen geben. Das sind
Probleme, die wir jetzt angehen müssen. Das erwarten
die Leute von uns.

Fazit ist: Großprojekte brauchen Offenheit. Wenn wir
etwas aus der Flughafenfrage gelernt haben, dann ist es
dieses: Wir sollten uns darum kümmern, neue Regeln für
Großprojekte zu schaffen.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Wir erleben noch einen anderen Bürgermeister! Das ist der Punkt!)


Die SPD hat das in einem Antrag getan. Dieser Antrag
wurde heute im Fachausschuss beraten. Die Regierung

hat sich verweigert, sich dieses Problems anzunehmen.
Das gilt auch für das Problem der Flugrouten; ich ver-
weise auf die Diskussion mit der EU-Kommission. Wir
haben schon im März letzten Jahres dafür Lösungen ge-
habt. Sie verweigern sich diesen Lösungen. Das ist nicht
das, was die Menschen von uns erwarten. Die Menschen
erwarten von uns, dass wir ihre Probleme lösen. Lassen
Sie uns endlich damit anfangen.

Danke schön.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721628500

Vielen Dank, Frau Kollegin Kirsten Lühmann. –

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der FDP unser Kollege Oliver Luksic. Bitte
schön, Kollege Oliver Luksic.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP und der CDU/CSU)



Oliver Luksic (FDP):
Rede ID: ID1721628600

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Der Hauptstadtflughafen entwickelt sich zu ei-
nem Fass ohne Boden. Wir brauchen jetzt ein fachkundi-
ges Management, einen kompetenten Aufsichtsrat. Wir
müssen jetzt über die Ursachen reden, über das Problem
der kollektiven Verantwortungslosigkeit, damit die Wei-
chen neu gestellt werden können. Wir haben es mit ekla-
tanten Planungsfehlern, Planungslücken, Überschreitung
der Bauzeit und der Baukosten zu tun.

Der frühere Architekt hat Bilanz gezogen und gesagt,
ständige Umbauwünsche hätten den Bauablauf regel-
recht zerschossen. Auf Drängen der Politik gab es knapp
300 Planänderungsanträge, eine fortdauernde Behinde-
rung der eigenen Baustelle. Man habe mit Halbwahrhei-
ten und unrealistischen Vorgaben gearbeitet. Lieber Kol-
lege Bartol, beide betroffenen Länder waren SPD-
regiert, als diese Planänderungen ausgeführt wurden. Im
Bund war Herr Tiefensee der zuständige Verkehrsminis-
ter. Er hat immer die Rückendeckung von Wowereit ge-
habt. Hören Sie also auf, sich ständig aus der Verantwor-
tung herauszureden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Sören Bartol [SPD]: Machen wir nicht! – Kirsten Lühmann [SPD]: Wir machen das nicht! Sie machen das!)


Das Credo lautete nämlich: Man baut einen Flughafen,
koste es, was es wolle. – Jetzt haben wir schon die fünfte
Verschiebung des Eröffnungsdatums in zwei Jahren.

Das Kernproblem ist – wir haben es eben in der Fra-
gestunde noch einmal gehört – die Entrauchungsanlage.
Auch die wurde damals noch unter der Verantwortung
von zwei SPD-regierten Ländern und von einem Ver-
kehrsminister Tiefensee gebaut. Das Problem ist, dass da
Ästhetik vor Funktionalität kam. Wie kann man denn auf
die Idee kommen, eine Brandschutzanlage zu bauen, bei
der der Rauch nach unten abgesogen werden soll? Man





Oliver Luksic


(A) (C)



(D)(B)

muss wirklich kein Ingenieur sein, um zu verstehen, dass
das nicht geht. Aber diese Entscheidungen sind damals
unter einer anderen Regie gefallen. Deswegen sind all
Ihre Versuche, die Verantwortung immer zu Minister
Ramsauer zu schieben, völlig fehl am Platze.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das hat Staatssekretär Bomba genehmigt!)


Daran war auch noch Herr Tiefensee beteiligt, der übri-
gens auch in der damaligen Regierung unter Beteiligung
von Rot-Grün saß, Frau Künast.


(Beifall bei der FDP – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber Herr Bomba hat das nicht kritisiert!)


Damals war auch die SPD im Bund im Aufsichtsrat.

Ein weiterer Fehler war leider auch ein nicht vorhan-
dener Generalunternehmer; denn es hat an Kontrolle und
an Kommunikation auf der Baustelle gemangelt. Es gab
kollektive Verantwortungslosigkeit. Das wurde jahre-
lang gedeckt durch die Herren Wowereit, Platzeck und
Schwarz. Selbst die Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stif-
tung diskutiert ja nun darüber, den Namen „Brandt“
nicht mit dem Flughafen in Verbindung zu bringen. Ich
glaube, dies sollte der SPD wirklich zu denken geben.
Ich glaube, ein solches Denkmal hat Willy Brandt nun
wirklich nicht verdient.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich glaube, die nicht endende Verantwortungslosig-
keit ist nicht länger hinnehmbar. Auch die Rochade im
Aufsichtsrat können wir als FDP-Fraktion nicht guthei-
ßen, weil hier der Bock zum Gärtner gemacht wurde.
Gerade Ministerpräsident Platzeck und seine branden-
burgischen Genehmigungsbehörden haben sich auch
nicht mit Ruhm bekleckert.


(Sören Bartol [SPD]: Der Beschluss im Aufsichtsrat ist einstimmig getroffen worden! – Kirsten Lühmann [SPD]: Dann stimmt doch dagegen!)


Deswegen meinen wir, die Spitze des Aufsichtsrates
sollte mit einem unabhängigen Experten aus der Wirt-
schaft besetzt werden.

Liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, ich
habe von Ihnen nichts gehört zu der Frage, warum Herr
Wowereit und Herr Platzeck gestern nicht zur Sitzung
des Haushaltsausschusses erschienen sind. Übrigens
sind die Vertreter der entsprechenden Länder auf der
Bundesratsbank bei solchen Themen auch nur selten prä-
sent. Herr Platzeck will am nächsten Tag zum Vorsitzen-
den des Aufsichtsrats gewählt werden, auch vom Bund,
und kommt nicht in den zuständigen Ausschuss.


(Sören Bartol [SPD]: Er hatte Kabinettssitzung!)


Herr Wowereit hat dreimal die Einladung von Toni
Hofreiter ausgeschlagen, in den Verkehrsausschuss zu
kommen. Er hat auch die letzte Einladung wieder ausge-

schlagen. Das ist der eigentliche Skandal. Also hören Sie
mal damit auf, hier immer wieder den Bundesverkehrs-
minister anzusprechen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der SPD)


Katastrophale Informationspolitik, ständiges Ver-
schieben von Terminen, falsche Fakten! Dafür muss der
Regierende Bürgermeister die Verantwortung tragen.
Außerdem gilt: Wer nicht Aufsichtsratschef sein kann,
der kann auch keine Millionenmetropole regieren. Das
ist unsere feste Überzeugung. Immerhin – da gebe ich
Ihnen recht – hat Herr Platzeck den Mut gehabt, sich den
öffentlichen Fragen zu stellen. Das war gut und richtig.
Allerdings bin ich der festen Überzeugung: Wir brau-
chen jemanden, der das Fulltime machen kann, und nicht
einen Regierungschef, der sich damit so nebenbei be-
schäftigt.

Zum Thema Geschäftsführung: Es trifft zu, dass es
der Bund war und nicht die SPD-regierten Länder Berlin
und Brandenburg, die immer wieder darauf gepocht ha-
ben, dass Herr Schwarz entlassen werden muss. Peter
Ramsauer ist dieses Thema immer wieder angegangen.
Das war dringend notwendig; denn es kann nicht sein,
dass zahlreiche kleine Unternehmen in Insolvenz gehen,


(Sören Bartol [SPD]: Er hat keinen einzigen Antrag gestellt! Das ist Quatsch!)


in eine Existenzkrise geraten, während andere jetzt noch
den goldenen Handschlag bekommen. Das ist für unsere
Fraktion wirklich nicht hinnehmbar.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Das Parlament weiß bis heute nicht, wie der aktuelle
Stand aussieht. Deshalb erwarte ich, dass jetzt eine ab-
schließende und möglichst umfassende Mängelliste vor-
gelegt wird. Ein Weiter-so kann es auch in der Informa-
tionspolitik nicht geben. Wir brauchen ein fachkundiges
Management und vor allem endlich auch einen kompe-
tenten Aufsichtsrat. Das ist die Erwartung, die wir ha-
ben, damit es endlich vorangeht beim Flughafen Berlin
Brandenburg.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721628700

Vielen Dank, Kollege Oliver Luksic. – Nächster Red-

ner ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser
Kollege Dr. Anton Hofreiter. Bitte schön, Kollege
Dr. Anton Hofreiter.


(BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Die Rede von unserem Kollegen Wegner aus
Berlin hat das Problem zum Teil deutlich gemacht. Er
hat gefordert, dass sich alle Beteiligten zum Projekt be-
kennen müssen, und hat es als Verhinderungstaktik dar-
gestellt, wenn man kritische Nachfragen stellt. Das ist
letztendlich das zentrale Problem. Ein Großprojekt wird
nicht dadurch gebaut, dass man sagt: „Ich will es haben“,
sondern dadurch, dass man es richtig managt, sich darum





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

kümmert, vernünftige Zeitpläne aufstellt und vernünf-
tige Finanzpläne aufstellt. Dazu gehört eben auch kriti-
sches Nachfragen und nicht einfach nur die Aussage:
„Ich bekenne mich dazu.“


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Stefan Liebich [DIE LINKE])


Es ist zu simpel, zu einfach, und es ist die Art und
Weise, wie Sie immer wieder Großprojekte durchsetzen.
Das hier ist ja nicht das einzige, das scheitert.

Was ist hier alles schiefgegangen? Der erste Problem-
komplex ist: Man hat sich ein extrem kompliziertes Ter-
minal mit hohen ästhetischen Standards gewünscht. Das
heißt, alle Rohre sollten unterflur sein; man sollte unter-
flur entrauchen. Dann hat man Unmengen Umplanungen
durchgeführt, während das Ganze schon im Bau war,
gleichzeitig aber den Zeitplan nicht angepasst. Das
musste ins Desaster führen.

Der nächste Problemkomplex ist, wie man mit kriti-
schen Nachfragen und mit der Öffentlichkeit umgegan-
gen ist. Noch in der Aufsichtsratssitzung im April, kurz
vor der geplanten Eröffnung, hat man Endspurtmaßnah-
men beschlossen; das ist richtig dargestellt worden. Das
Problem ist nur: Es ist von einem Vertreter der Regie-
rungskoalition anklagend dargestellt worden, obwohl die
Bundesregierung voll und ganz mit dabei war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Neben dieser katastrophalen Kommunikationsstrate-
gie hat man, als dann im Mai alles abgesagt war, am
16. Mai einvernehmlich entschieden: Wir schmeißen die
Planer raus. – Irgendwer musste ja der Sündenbock sein.
Man hat so getan – alle drei wieder einvernehmlich –, als
wenn man das Ganze im Griff hätte, und man wollte Tat-
kraft zeigen. Nach allem, was ich inzwischen weiß,
dachte man: Man schmeißt den technischen Leiter des
Flughafens und auch ein paar Architekten raus.

Dieser glorreiche Aufsichtsrat, in völliger Unkenntnis
dessen, was er treibt, hat den Vertrag mit der pg bbi ge-
kündigt. Was war die Folge davon? Die Folge davon
war: Alle Planer, bis zum kleinsten Fachplaner, waren
von einem Tag auf den anderen ihren Job los.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ist das!)


Was bedeutet das? Man hat von einem Tag auf den ande-
ren auf einer Baustelle, die falsch gemanagt war, die
große Terminprobleme hatte und die aufgrund des von
der Politik – wieder von allen drei Beteiligten – künst-
lich erzeugten Zeitdrucks unter riesigen Schlampereien
gelitten hat, das gesamte Wissen über diese Baustelle
– im Einvernehmen zwischen Bund und beiden Ländern –
vernichtet.


(Arnold Vaatz [CDU/CSU]: So ist das!)


Man kann zugespitzt sagen: Aus einer Baustelle mit Ter-
minproblemen hat dieser tolle Aufsichtsrat eine Bau-
ruine gemacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das ist es im Moment; seit einem Dreivierteljahr geht da
sozusagen nichts voran.

Jetzt haben wir hier wunderschön erlebt, wie sich die
Beteiligten gegenseitig die Schuld in die Schuhe schie-
ben. Wenn man sich einmal anschaut, was jeweils ent-
schieden worden ist, stellt man fest: Die schwarz-gelbe
Bundesregierung und die beiden Landesregierungen ha-
ben immer alles einvernehmlich entschieden. Das Ver-
kehrsministerium hat so getan, als wenn es keine Anteile
hätte. Als dann das ganze Desaster offensichtlich war,
ging es dem Ministerium und dem zuständigen Minister
nicht darum: Wie kann ich das Problem lösen? Wie kann
ich das Projekt retten? Man stellte sich die Frage: „Wie
kann ich daraus politisches Kapital schlagen,


(Sören Bartol [SPD]: So ist das! Das ist der Vorwurf!)


und wie kann ich mich selber in ein gutes Licht rü-
cken?“, anstatt zu sagen, was ein verantwortlicher
Minister sagen würde: Okay, wir haben da gemeinsam
Mist gemacht, und das müssen wir jetzt auszubaden ver-
suchen. – Das ist der Skandal, der da auf Bundesseite
letztendlich vorhanden ist.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Was wäre jetzt notwendig? Notwendig wäre Folgen-
des – wenn man ehrlich ist, müsste man das sagen –:
Man müsste sich zusammensetzen und überlegen: Wo ist
denn überall Wissen über diese Baustelle vorhanden?
Man müsste letztendlich eine Art Planungsgruppe grün-
den, in die man einen Teil der alten Planer hineinnimmt,
in die man die neuen Planer hineinnimmt – die wissen
nämlich seit August Bescheid –, in der man mit der Ge-
nehmigungsbehörde in einem ständigen Austausch ist
und in der man mit den Firmen zusammenarbeitet.

Wenn man mit Beteiligten spricht und fragt: „Wie ist
denn die Lage?“, erfährt man etwas. Die Vertreter vom
Hotel Steigenberger waren wöchentlich im Austausch
mit der Genehmigungsbehörde, um die Probleme viel-
leicht gelöst zu bekommen. Die Genehmigungsbehörde
sagt: Vom Flughafen hat sich bei uns in der Regel nie-
mand gemeldet. – Das ist eine spannende Sache. Viel-
leicht sollten wir einmal mit den Herren von der Geneh-
migungsbehörde reden, und zwar intensiv reden,
nämlich darüber: Wie bekommt man denn das Problem
mit der Brandschutzanlage gelöst?

Das Nächste: ein neuer Eröffnungstermin. Einen
neuen Eröffnungstermin sollte man wirklich erst dann
benennen, wenn man sich darüber im Klaren ist, wie das
Ganze weitergeht. Bis dahin sehe ich noch eine gewisse
Zeit ins Land gehen. Aber die Methode des Bundesver-
kehrsministeriums, die Schuld nur von sich wegzuschie-
ben und so zu tun, als wenn man der Aufklärer wäre,
zerstört jegliches Vertrauen im Aufsichtsrat und führt
dazu, dass sich die einzelnen Beteiligten gegenseitig be-
kämpfen. Das muss dringend beendet werden, damit die-
ses Projekt vielleicht doch noch irgendwann zum Ab-
schluss kommt.





Dr. Anton Hofreiter


(A) (C)



(D)(B)

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der SPD und der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721628800

Vielen Dank, Kollege Dr. Toni Hofreiter. – Nächster

Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege
Jens Koeppen. Bitte schön, Kollege Jens Koeppen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Jens Koeppen (CDU):
Rede ID: ID1721628900

Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Das Desaster um den Hauptstadtflugha-
fen ist eine Blamage, eine Schande für ganz Deutsch-
land. Man muss sich, insbesondere als Brandenburger,
Techniker und jahrelanger Geschäftsführer, für eine sol-
che Schlamperei schämen. Die Master of Desaster, ins-
besondere Wowereit, Platzeck und der ehemalige
Geschäftsführer Schwarz, „bemühen“ sich jetzt um Auf-
klärung und waschen die Hände in Unschuld. Ich halte
das, gelinde gesagt, für eine Schweinerei.

Jetzt gibt es ein Bäumchen-wechsel-dich-Spiel, eine
Rochade an der Aufsichtsratsspitze, sozusagen von
Wowereit in die Traufe. Als Brandenburger will ich
meine Einschätzung dazu abgeben. Diese lässt sich kurz
zusammenfassen: Gelinde gesagt bin ich übermäßig
skeptisch, dass Ministerpräsident Platzeck an der Spitze
des Aufsichtsrates irgendetwas verändern kann.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Die CDU hat ihn doch gewählt! Sie haben ihn doch gerade gewählt!)


Ich bin übermäßig skeptisch, dass Matthias Platzeck
seine Verantwortung als Regierungschef und als Auf-
sichtsratsvorsitzender unter einen Hut bringen kann.


(Sören Bartol [SPD]: Herr Koeppen, Sie haben ihn doch gerade mit gewählt!)


Damals, als Regierungschef und Vorsitzender der Bun-
des-SPD, hat Matthias Platzeck einige Wochen nach sei-
nem Rücktritt gesagt: Es ist nicht unter einen Hut zu
bringen. Körperlich ist es nicht zu schaffen, und auch ar-
beitsmäßig nicht.


(Kirsten Lühmann [SPD]: Das, was Sie machen, verstehen Sie unter „gemeinsam hinter dem Projekt stehen“? Das finde ich interessant!)


Jetzt will er ein Milliardenprojekt mit offenen Fragen
und Dutzenden Problemen „ganz nebenbei“ handhaben.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Damals hat er doch mit Schönbohm regiert!)


Herr Liebich, ich bin auch deshalb übermäßig skep-
tisch, weil in den letzten 20 Jahren der Brandenburger
Regierungschef und die Brandenburger SPD bei vielen
Großprojekten in Brandenburg keine Führungsstärke,
keine Diagnose- und Abwägungskompetenz gezeigt ha-
ben.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das war doch Ihr Wirtschaftsminister, Herr Junghanns! Frau Wanka! Ihre Koalition, jahrelang!)


Ich nenne einige Beispiele, die in den märkischen Sand
gesetzt wurden: Es wurden unzählige Millionen an Fehl-
investitionen in die Chipfabrik Frankfurt/Oder gesteckt.
Matthias Platzeck war Ministerpräsident; er ist es noch
immer.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Herr Schönbohm war Vizeministerpräsident!)


Der Cargolifter, eine riesengroße Halle, war ein riesen-
großes Projekt. Auch hier gab es viele Millionen an
Fehlinvestitionen. Heute ist dort ein Freizeit- und Erho-
lungsbad, und es wird immer noch gefördert – von
Matthias Platzeck und der Brandenburger SPD.


(Sören Bartol [SPD]: Wie hieß denn der Koalitionspartner?)


Der Lausitzring: Es wurde groß verkündet, dort werde
die Formel 1 fahren. Jetzt ist es eine Hobbyrennstrecke –
Matthias Platzeck und die SPD. Dann wurde die Bran-
denburgische Boden Gesellschaft an einen guten Freund
des sehr guten Freundes des Ministerpräsidenten unter
Wert verkauft.


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Das war übrigens in der Zeit der Großen Koalition in Brandenburg! Was glauben Sie, wer da mitregiert hat? Junghanns, Wanka und Schönbohm! Das ist doch wirklich verrückt!)


Diese dubiosen Geschäfte sind jetzt Gegenstand eines
Untersuchungsausschusses in Brandenburg. Wie will
dieser Mann, wie will diese Partei ein solches Projekt
schaffen?


(Stefan Liebich [DIE LINKE]: Aus welchem Bundesland kommen Sie doch gleich?)


Ich bin auch deswegen übermäßig skeptisch, weil die
neue Wunderwaffe von Matthias Platzeck, die er in die
Staatskanzlei holt, Staatssekretär Bretschneider, für die
Taskforce verantwortlich gemacht wird. Dieser Staats-
sekretär Bretschneider hat das Planfeststellungsverfah-
ren für den BER durchgeführt. Dieser Staatssekretär
Bretschneider hat die alten Flugrouten genannt und ist
für die heutigen Verwerfungen durch die neuen Flugrou-
ten in der Region verantwortlich. Er ist vor allen Dingen
dafür verantwortlich, dass in der Region Ungemach
herrscht durch die „nette Art und Weise“, mit der er auf-
tritt. Er hat immer noch die obere Bauaufsicht im bran-
denburgischen Verkehrsministerium. Er hätte natürlich
Ministerpräsident Platzeck und den Aufsichtsratsvorsit-
zenden Wowereit darüber informieren können, dass im
Juni 2012 nicht eröffnet werden kann. Was hat er ge-
macht? Bis zum Schluss, noch wenige Tage zuvor, hat er
den Eröffnungstermin vehement verteidigt und jede An-
merkung dazu auf seine nette Art und Weise aufs
Schärfste zurückgewiesen. Das hätte nicht sein müssen.
Er hätte auch Platzeck und Wowereit die entsprechenden
Fragen aufschreiben können; er hätte auch mit der Bau-
aufsicht reden können. Das hat er nicht gemacht. Ich
stelle mir die Frage, warum Matthias Platzeck mit die-





Jens Koeppen


(A) (C)



(D)(B)

sem vorbelasteten Staatssekretär Bretschneider die Auf-
gabe ernster nehmen sollte. Vielleicht holen sie sich den
geschassten Geschäftsführer Schwarz in die Staatskanz-
lei. Vielleicht wird so etwas daraus.

Platzeck hat gesagt: „Entweder das Ding fliegt, oder
ich fliege“. Das hört sich verdammt ehrlich an. Es ist
aber eine Aussage ohne Benchmarks. Natürlich hat kei-
ner Zweifel daran, dass der Flughafen irgendwann fertig
sein wird. Eine solche Aussage ist aber völlig inhaltsleer,
wenn nicht darüber gesprochen wird, welche Kosten ent-
stehen, wann der Flughafen tatsächlich eröffnet wird
oder wie es um den Erweiterungsbedarf des Flughafens
bestellt ist. Es muss auch darüber gesprochen werden,
dass eine erfolgreiche Infrastruktureinbettung zu erfol-
gen hat. Die Freiwillige Feuerwehr von Schönefeld soll
den Brandschutz übernehmen. Die Stellen für die Flug-
hafenärzte sollen gestrichen werden, und das bei voraus-
sichtlich 70 000 Fluggästen am Tag. Das ist absolut
unverantwortlich. Hierüber wird jedoch kein Wort verlo-
ren.

Ob der Aufsichtsratsvorsitzende Platzeck im Gegen-
satz zu seiner bisherigen Tätigkeit als Aufsichtsratsvize
tatsächlich für Transparenz, Klarheit und Wahrheit sor-
gen kann, wage ich zu bezweifeln. Es handelt sich hier-
bei um mehr als nur ein Oder-Hochwasser, bei dem man
sich ein Paar Gummistiefel anzieht und dann vom Hub-
schrauber aus winkt. Hier sind Managerqualitäten,
Durchsetzungsvermögen und Sachverstand gefordert.
Das alles sehe ich bei Matthias Platzeck nicht, meine
Damen und Herren.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721629000

Vielen Dank, Kollege Jens Koeppen. – Nächste Red-

nerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
Sozialdemokraten unsere Kollegin Frau Mechthild
Rawert. Bitte schön, Frau Kollegin Rawert.


(Beifall bei der SPD)



Mechthild Rawert (SPD):
Rede ID: ID1721629100

Das Jahr 2012 endete mit einer Aktuellen Stunde

Wozu? Zum „Flughafen Berlin Brandenburg“. Dort
wurden meinerseits schon viele Fragen an die Bundesre-
gierung gestellt. Ja, diese Flughafenkrise ist ganz unbe-
stritten ein Debakel. Sie ist kein Ruhmesblatt für Regie-
rende, für Experten und Expertinnen, egal ob auf
Bundes- oder Länderebene, und egal welche großen Un-
ternehmen – Bosch, Siemens und andere – daran betei-
ligt gewesen sind.

Fakt ist aber auch: Es handelt sich um das größte ost-
deutsche Infrastrukturprojekt. Hier erwarte ich, dass wir
alle aus gesamtstaatlichem Interesse dahinterstehen;
Sören Bartol hat es schon gesagt. Ich bin dankbar dafür,
dass viele Arbeitsplätze in der Region Berlin und Bran-
denburg unabhängig von der Couleur der jeweiligen Re-
gierung gehalten worden sind. In diesem Zusammen-
hang könnte ich Ihnen differenzierte Zahlenangaben

machen. Nur so viel: 60 Prozent des Auftragsvolumens
von 2,1 Milliarden Euro sind an hiesige Unternehmen in
der Region geflossen; von den 600 Ausschreibungen ha-
ben diese 430 Unternehmen aus der Region gewonnen.

Lassen Sie mich sagen: Ich danke Klaus Wowereit
und ich danke Matthias Platzeck dafür, dass sie ihre Auf-
sichtsratsposten weiter wahrnehmen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP)


Denn es gehören Mut und Verantwortung dazu, zu dem
zu stehen, was gesamtstaatliches Interesse ausmacht.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Mut, das stimmt! – Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Nur weil ihr keinen anderen habt! Das ist doch das Problem!)


Fragen Sie sich von der FDP, der CDU und der CSU
doch einmal, ob Sie Ihre Bundesregierung in ausreichen-
der Form unterstützen, wenn Sie keine ausreichenden
Mittel bewilligen


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Was für ein Ablenkungsmanöver! Das ist doch peinlich!)


oder wenn Sie im Haushaltsausschuss keine Möglichkeit
zur Befragung des Ministers Ramsauer bieten. Sie sind
die Verhinderer des Flughafens, und nicht die Regierun-
gen in Berlin und Brandenburg.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Ihr habt keinen anderen! – Weitere Zurufe von der CDU/CSU und der FDP)


Herr Lindner, gut, dass Sie gerade so schreien; ich
will auf ein Stichwort von Ihnen eingehen. Sie haben die
Frage gestellt, inwieweit die öffentliche Hand ein geeig-
neter Bauherr ist.


(Oliver Luksic [FDP]: Pädagogisch ist die Rede noch schlechter als vom Inhalt her!)


Ich sage: Ja, sie ist es. Lassen Sie mich ein Beispiel he-
rausgreifen; dann komme ich auf den Flughafen zurück.
Die Avus wurde zehn Monate vor dem ursprünglich ge-
nannten Termin fertiggestellt, und zwar mit 20 Prozent
weniger Kosten als geplant. Für uns als Bürgerinnen und
Bürger ist im Zusammenhang mit dem Gerede, dass die
öffentliche Hand kein Bauherr sein sollte, entscheidend:
Der Flughafen Willy Brandt – und er wird stolz darauf
sein –


(Lachen bei der CDU/CSU und der FDP)


ist ein Beleg dafür, dass die öffentliche Hand Bauherr
sein sollte. Ich nenne Ihnen die Gründe.

Erstens. Es gibt keine Public-private-Partnership
– viele andere wollen das gerne –, keine versteckten Gel-
der, keine verdeckten Schulden. Es gibt einen transpa-
renten Haushalt, auf den die Bürger und Bürgerinnen
Zugriff haben.


(Oliver Luksic [FDP]: Alles super am Flughafen!)






Mechthild Rawert


(A) (C)



(D)(B)

Die Politiker nehmen ihre Verantwortung wahr. Hessen,
München – kein Flughafen ist in der vorgesehenen Zeit
fertiggeworden.


(Christoph Schnurr [FDP]: Das stimmt nicht!)


Ich will nicht mit dem Finger auf die zeigen, die dort die
Verantwortung getragen haben.

Zweitens sind die Parlamente, egal ob in Brandenburg
oder in Berlin, ihrer Verantwortung nachgekommen und
haben die finanziellen Ressourcen zur Verfügung ge-
stellt.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Der arme Willy Brandt!)


Berlin hat das Notifizierungsverfahren erfolgreich be-
standen; das war eine große Herausforderung bei der Be-
wältigung der Finanzierung des Flughafens.

Ich komme schnell zum dritten Punkt; denn ich muss
aufhören. Die Bürger und Bürgerinnen werden die Ver-
antwortungsverschieberei, die hier vorgenommen wor-
den ist, nicht verstehen.


(Oliver Luksic [FDP]: Nur bei Ihnen! – Weitere Zurufe von der FDP – Gegenruf des Abg. Sören Bartol [SPD]: Getroffene Hunde bellen!)


Sie werden nicht verstehen, wie Sie sich hier aus der
Verantwortung herausstehlen.


(Thomas Jarzombek [CDU/CSU]: Büttenrede! In Köln können Sie eine solche Rede in dieser Jahreszeit halten!)


Sie werden nicht verstehen, dass Sie plötzlich so tun
– vorhin sind Namen genannt worden; ich will sie nicht
wiederholen –, als hätten Sie in bestimmten Phasen
keine Verantwortung getragen. Das heißt, dass Sie keine
politische Verantwortung übernehmen wollen. Denn wer
politische Verantwortung tragen will, der muss auch zu
ihr stehen und den entsprechenden Mut aufbringen.


(Oliver Luksic [FDP]: Das war die schlimmste Rede, die jemals im Deutschen Bundestag gehalten wurde! Schämen Sie sich!)


Diesen Mut haben Klaus Wowereit und Matthias
Platzeck, und dafür sage ich Danke.


(Beifall bei der SPD – Lachen und Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721629200

Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächster und auch

letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Arnold Vaatz.
Bitte schön, Kollege Arnold Vaatz.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Arnold Vaatz (CDU):
Rede ID: ID1721629300

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe

Frau Rawert, das, was Sie hier vorgetragen haben, macht
der Faschingszeit alle Ehre.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es gehört schon eine gewisse Dreistigkeit dazu, die
Schuldzuweisungen so konsequent in die gewollte Rich-
tung zu lenken, wie Sie es hier getan haben.


(Mechthild Rawert [SPD]: Ich musste mich gegen viele wehren!)


Ich glaube, jeder objektive Beobachter fasst sich an den
Kopf, wenn er hört, was wir hier zum Teil diskutieren.
Ich glaube, wir alle im Haus sind uns darin einig, dass
die bisherige Geschichte des Flughafens eine Kette von
Fehlleistungen war, die uns im Land enorm zurückwirft
und uns auch internationales Ansehen kosten wird. Denn
dieser Flughafen hat – egal, was wir im Einzelnen da-
rüber denken – internationale Bedeutung; das gilt im
Positiven wie im Negativen.

Meine Damen und Herren, es ist sicher richtig, wenn
Herr Liebich und Herr Hofreiter darauf hinweisen, dass
der Misserfolg viele Väter hat und es nicht unbedingt
richtig ist, immer nur auf den anderen zu zeigen. Aber
ein paar Dinge sollte man wenigstens zur Kenntnis neh-
men.

Dazu zählt erstens die Tatsache, dass ein Vorsitzender
eines Aufsichtsrats ungleich mehr Macht hat als die Mit-
glieder des Aufsichtsrates.


(Dr. Martin Lindner [Berlin] [FDP]: Richtig!)


Jeder Realist in dieser Runde muss einräumen, dass es so
ist.


(Sören Bartol [SPD]: Ach, Herr Vaatz!)


Zweitens müssen wir feststellen, liebe Freunde von
der sozialdemokratischen Seite: Ihre Ministerpräsiden-
ten Wowereit und Platzeck waren von Anfang an dabei.
Die Kollegen Gatzer und Bomba sind im Jahre 2010 da-
zugekommen, als im Wesentlichen vollendete Tatsachen
geschaffen waren.


(Oliver Luksic [FDP]: Wann wurde die Entrauchungsanlage gemacht? Das war nur die SPD!)


Man kann nicht verlangen, dass sich die neu hinzuge-
kommenen Kollegen hinstellen und die Fehlentwicklun-
gen nach kürzester Zeit beheben. Ich muss Ihnen sagen:
Herr Amann ist jetzt etwa ein halbes Jahr dabei – noch
nicht ganz –, und er hat, obwohl er hauptamtlich und
ausschließlich damit befasst war, dieses knappe halbe
Jahr gebraucht, um erst einmal den Iststand festzustellen.
So weit war dieses Projekt schon verdorben, von Anfang
an. Das muss man doch einmal einräumen. Man muss
fragen: Wer hat die Geschichte von Anfang an ange-
führt?

Ich bin nicht der Meinung, dass der Flughafen Berlin
Brandenburg ein Beweis dafür ist, dass die öffentliche
Hand als Bauherr versagt hat. Selbstverständlich ist auch
die öffentliche Hand in der Geschichte der Bundesrepu-
blik Deutschland oftmals ein guter und effizienter Bau-
herr gewesen.


(Oliver Luksic [FDP]: Aber nicht, wenn die SPD dran ist!)






Arnold Vaatz


(A) (C)



(D)(B)

Aber, Frau Rawert, Sie können doch nicht wirklich
ernsthaft behaupten, dass der Flughafen ein Beweis für
die Qualität der öffentlichen Hand als Bauherr ist.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Öffentlichkeit erwartet von uns zu Recht, dass
wir uns jetzt nicht in Details festkrallen, wie das am An-
fang dieser Debatte geschehen ist. Was der Herr Minister
mit Herrn Amann im Privatissimum besprochen hat, ist
so uninteressant, wie eine Sache in diesem Zusammen-
hang überhaupt sein kann. Das Entscheidende, was die
Öffentlichkeit von uns erwartet, ist, dass wir uns fol-
gende Fragen stellen: Wie ist der Sachstand? Wie kann
es weitergehen? Wie stellen wir uns organisatorisch den
Weg zum Erfolg vor?


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das sagen wir schon seit Jahren, Herr Vaatz!)


Das erwartet die Öffentlichkeit, und über diese Fragen
ist in dieser Debatte meines Erachtens noch nicht ent-
schieden worden.

Zunächst einmal brauchen wir eine Diagnose in Be-
zug auf den Istzustand. Dann ist es notwendig, den
genauen Bauumfang und den genauen Planungsumfang
zu erkunden, der jetzt erforderlich ist, um aus dieser bis-
her missglückten Prozedur doch noch eine Erfolgs-
geschichte zu machen. Danach müssen wir eine neue
Wirtschaftlichkeitsbetrachtung vornehmen. Wir müssen
eine neue Genehmigungssituation schaffen. Wir müssen
Genehmigungskonformität herstellen. Schließlich und
endlich müssen wir uns auch die Kosten-, Haftungs- und
die Schuldfrage – also die Frage: „Wie konnte das ge-
schehen?“ – stellen, damit uns Derartiges nicht wieder
passiert.

Das sind meines Erachtens die Erfordernisse der Ver-
nunft. Darauf sollten wir abzielen. Wenn wir das nicht
machen, dann wird dieser Flughafen enden wie ein vo-
rangegangenes großes Beispiel Brandenburger Staats-
kunst, nämlich Tropical Islands.

Vielen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721629400

Vielen Dank, Kollege Arnold Vaatz. Kollege Arnold

Vaatz war der letzte Redner in unserer Aktuellen Stunde.
Die Aktuelle Stunde ist damit beendet. Schauen wir ein-
mal, wann wir uns wieder gemeinsam hier im Plenum
mit diesem Thema zu beschäftigen haben.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 5 auf:

Beratung der Beschlussempfehlung und des

(12. Ausschuss)

beauftragten

Jahresbericht 2011 (53. Bericht)


– Drucksachen 17/8400, 17/11215 –

Berichterstattung:
Abgeordnete Anita Schäfer (Saalstadt)

Karin Evers-Meyer
Rainer Erdel
Harald Koch
Omid Nouripour

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine Dreiviertelstunde vorgesehen. – Es sind
alle damit einverstanden. Dann haben wir das gemein-
sam so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Bevor ich dem Wehr-
beauftragten des Deutschen Bundestages, Hellmut
Königshaus, das Wort gebe, darf ich ihn herzlich will-
kommen heißen zusammen mit all seinen Mitarbeitern,
denen ich für ihre Arbeit vom Präsidium aus herzlich
danke. – Der Wehrbeauftragte Hellmut Königshaus hat
das Wort. Bitte schön.

Hellmut Königshaus, Wehrbeauftragter des Deut-
schen Bundestages:

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir bera-
ten heute abschließend den Jahresbericht 2011. Die
große Zahl der anwesenden Führungskräfte aus meinem
Amt zeigt Ihnen, wie sehr uns an der Rückmeldung aus
dem Parlament zu dem, was wir über die Jahre hinweg
erarbeitet und ausgearbeitet haben, gelegen ist. Deshalb
sind die Führungskräfte alle hier, und darüber freue ich
mich.

Meine Damen und Herren, ich habe Ihnen bereits im
September des vergangenen Jahres in der ersten Bera-
tung die Aussagen und Schwerpunkte des Berichts vor-
gestellt. Erlauben Sie mir bitte, dass ich heute an dieser
Stelle nur einige der dort behandelten Themen aufgreife;
denn ich möchte dem Jahresbericht 2012, der zurzeit im
Druck ist und am 29. Januar übergeben wird, nicht vor-
greifen.

Der Jahresbericht des Wehrbeauftragten ist in der Re-
gel vor allem ein Mängelbericht. Deshalb freut es mich
besonders, dass ich diesmal auch positive Entwicklun-
gen herausstellen kann. Das meiner Ansicht nach Wich-
tigste sei vorangestellt: Seit dem 2. Juni 2011 hat die
Bundeswehr keine Gefallenen mehr zu beklagen, und
wir haben auch deutlich weniger verwundete und ver-
letzte deutsche Soldaten. Ich glaube, das ist ein Grund
zur Freude. Das ist nicht zuletzt den auch von Ihnen, den
Abgeordneten des Deutschen Bundestages, veranlassten
Verbesserungen bei der Ausrüstung und der Ausstattung
der Soldatinnen und Soldaten im Einsatz geschuldet.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber das ist es natürlich nicht allein. Auch die Gefahr
durch die sogenannten Innentäter hat uns sehr beschäf-
tigt. Darauf hat die Bundeswehr angemessen reagiert.
Meine Anerkennung gilt deshalb vor allem den Kom-
mandeuren vor Ort. Sie haben die notwendigen Maßnah-
men zum Schutz der ihnen unterstellten Soldatinnen und
Soldaten in den Feldlagern und außerhalb vor weiteren
derartigen Anschlägen und Attentaten ergriffen.





Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus


(A) (C)



(D)(B)

Im Februar 2011 – Sie erinnern sich – sind bei dem
Angriff eines Angehörigen der afghanischen Sicher-
heitskräfte auf deutsche Soldaten im OP North drei
unserer Soldaten gefallen. Ich habe zwei von ihnen per-
sönlich gekannt. Ich habe sie noch wenige Tage vor dem
Anschlag getroffen und mit ihnen gesprochen. Deshalb
ging mir das natürlich besonders nahe. Ich kenne auch
ihre Hinterbliebenen. Ich weiß, welches Leid die Hinter-
bliebenen, ihre Angehörigen – darunter ein Kleinkind –,
noch immer ertragen müssen. Ihnen, aber natürlich auch
allen anderen Hinterbliebenen gilt meine besondere
Zuwendung. Ich freue mich, dass auch Sie, die Abgeord-
neten des Deutschen Bundestages, dem Wohl der Hinter-
bliebenen stets Ihr besonderes Augenmerk gewidmet ha-
ben. Dafür möchte ich Ihnen ausdrücklich meinen
besonderen Dank aussprechen.

Leider, trotz aller Verbesserungen, die ich durchaus
anerkenne, gibt es weiterhin Ausrüstungsdefizite, die
ausgeglichen werden müssen. Ich freue mich, dass auch
insoweit das Parlament immer wieder die Initiative er-
greift und ganz konkrete Maßnahmen einfordert. So hat
der Verteidigungsausschuss das Bundesministerium der
Verteidigung aufgefordert, die Beschaffung moderner
Wärmebildgeräte für alle im Einsatz befindlichen Schüt-
zenpanzer Marder zu veranlassen, um die festgestellten
Schwächen im Bereich der Nahkampffähigkeit zu behe-
ben. Das ist eine wichtige Fürsorgemaßnahme, weil die
Soldaten nur dadurch in die Lage versetzt werden, die
anerkannten Regeln im Gefecht einzuhalten, ohne sich
selbst in Gefahr zu bringen, und das ist, glaube ich,
wichtig.

Ebenso hat der Ausschuss die Beschaffung eines
schnellen, beweglichen, kleinen Hubschraubers für den
Einsatz der Spezialkräfte gefordert. Auch das ist etwas,
was der Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten dient.
Das Bundesministerium der Verteidigung hat den Bedarf
auch eingeräumt, die Beschaffung aber nicht vor dem
Jahr 2016 in Aussicht gestellt. Das ist angesichts des
dringenden Bedarfs, der hier besteht, meiner Meinung
nach nicht vertretbar, zumal solche Geräte am Markt
verfügbar sind und von anderen Streitkräften beschafft
wurden.

Zu Recht beklagen Sie in den Debatten über die Jah-
resberichte immer wieder, dass viele der angesprochenen
Themen geradezu zu jahrelangen Dauerbrennern wer-
den. Auch ich wünschte mir, dass die Zeit zwischen der
Feststellung eines Problems und seiner Abstellung deut-
lich verkürzt würde. Ein Beispiel hierfür – das ist ein
ganz aktuelles Thema – ist die Schaffung von bundes-
wehreigenen Plätzen zur Kinderbetreuung. In der Tat
wusste das BMVg in den letzten Jahren von einigen
Grundsteinlegungen zu berichten; der Herr Staatssekre-
tär hat das hier immer wieder vorgetragen. Ich würde
mich aber freuen, wenn ich endlich einmal die Inbetrieb-
nahme einer solchen Einrichtung erleben könnte, und
zwar noch während meiner Amtszeit.


(Beifall bei Abgeordneten im ganzen Hause)


Im Berichtsjahr 2011 hat uns alle der Tod einer See-
kadettin im Rahmen einer Ausbildungsfahrt des Segel-
schulschiffs „Gorch Fock“ beschäftigt. Die Umstände,

die zu diesem tragischen Unfall geführt haben, sind in-
zwischen ausführlich untersucht worden. Dabei – das
kann ich an der Stelle vielleicht anmerken, weil das auch
hier immer wieder Thema war – haben sich nahezu alle
von mir angesprochenen Defizite bestätigt. Auch die
Marine räumt das inzwischen ein. Die vom Vorsitzenden
des Beirates Innere Führung, Herrn Professor Pommerin,
geleitete Kommission, die sich mit der Frage beschäftigt,
wie dieses Schiff weiter betrieben werden kann und soll,
hat alle meine Anregungen zur Verbesserung der Ausbil-
dung und Sicherheitstechnik auf der „Gorch Fock“
aufgegriffen und in konkrete Vorschläge gefasst. Die
Marine hat sie auch aufgenommen. Das freut mich sehr.
Meine Damen und Herren, ich glaube, dass ich das hier
sagen kann: Ich wünsche der Besatzung und allen künf-
tig dort Dienst tuenden Kadetten allzeit gute Fahrt und
stets eine Handbreit Wasser unter dem Kiel. Ich glaube,
das haben sie verdient.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Fragen der Ausrüstung und Ausbildung sind fester
Bestandteil eines jeden Jahresberichts. Daneben aber
gibt es immer auch Fragen des Grundrechtsschutzes der
Soldatinnen und Soldaten in ihrem privaten Umfeld. Das
gilt auch ganz aktuell für den folgenden Fall, den ich Ih-
nen gerne beispielhaft vorstellen und bei dem ich Sie
möglicherweise auch zur Aktion veranlassen möchte:
Vor wenigen Tagen erreichte mich die Eingabe eines
Soldaten aus Termes. Er beklagte sich darüber, dass er
wegen seines Auslandseinsatzes nicht an dem derzeit
laufenden Volksbegehren im Freistaat Bayern teilneh-
men könne. Dazu müsste er nämlich seine persönliche
Unterschrift im Rathaus zu Hause leisten. Das kann er
nicht, weil er im Einsatz ist. – Das ist natürlich eine
Frage, die geklärt werden muss; denn es geht hier um
den grundlegenden Anspruch eines jeden Staatsbürgers
– auch in Uniform –, dass er sich an einer solchen Ab-
stimmung beteiligen kann. Die Eingabe befindet sich
noch bei mir in der Überprüfung. Ich kann Ihnen auch
noch kein Ergebnis vortragen. Es zeigt sich aber doch
immer wieder, dass sich die Grundrechtsfragen, die Fra-
gen auch der Teilhabe am demokratischen Leben, immer
wieder von neuem in unterschiedlichsten Facetten dar-
stellen.

Das gilt übrigens auch – wenn ich das noch an dieser
Stelle in Erinnerung rufen darf – im Zusammenhang mit
dem vom Bundestag im Sommer verabschiedeten neuen
Meldegesetz, das sich derzeit noch im Vermittlungs-
verfahren befindet. Wenn es bei der jetzt diskutierten
Fassung des Grundgesetzentwurfs bleibt, müssen sich
unverheiratete Soldatinnen und Soldaten auch weiterhin
mit ihrem ersten Wohnsitz am Dienstort anmelden. Das
ist, nebenbei bemerkt, in einigen Bundesländern, wo bis-
her Landesrecht galt, sicherlich keine Verschlechterung,
aber eben auch nicht die angesprochene und – übrigens
auch vom Parlament – gewünschte Verbesserung. Es ist
eine negative Sonderverpflichtung ausschließlich für
Soldaten. Dies hat weitreichende Auswirkungen auf
steuer- und versicherungsrechtliche Fragen, vor allem
aber auch auf das aktive und passive Wahlrecht der Be-
troffenen, jedenfalls im Bereich des Kommunalwahl-





Wehrbeauftragter Hellmut Königshaus


(A) (C)



(D)(B)

rechts in einigen Bundesländern. Es würde mich freuen,
meine Damen und Herren Abgeordneten, wenn dieser
Gesichtspunkt bei der weiteren Beratung des Gesetzent-
wurfes noch einmal bewertet und abgewogen werden
könnte.

Meine Damen und Herren, abschließend möchte ich
Ihnen, den Abgeordneten des Deutschen Bundestages,
für die vielfältige Unterstützung meiner Arbeit danken,
natürlich auch für manche kritische Begleitung. Ebenso
danke ich dem Bundesministerium der Verteidigung, na-
mentlich dem Minister, seinen Staatssekretären und der
militärischen Führungsebene für ihre Unterstützung und
die vertrauensvolle Zusammenarbeit mit meinem Amt.

Mein ganz besonderer Dank gilt natürlich den Solda-
tinnen und Soldaten, insbesondere denen im Einsatz,
aber auch denen, die zu Hause sind, sowie ihren Ange-
hörigen. Ich bitte die Soldaten und auch Oberst Kirsch
vom BundeswehrVerband, die heute auf der Tribüne zu-
hören, dies zu vermitteln. Ich denke, das werden Sie zum
Ausdruck bringen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Nicht zuletzt danke ich meinen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern, ohne die ich meine Arbeit im Interesse der
Soldatinnen und Soldaten, aber auch des Deutschen
Bundestages, meines Auftraggebers, nicht so hätte leis-
ten können.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der LINKEN)



Eduard Oswald (CSU):
Rede ID: ID1721629500

Vielen Dank dem Wehrbeauftragten unseres Parla-

mentes, Herrn Hellmut Königshaus.

Nun kommen wir zur Aussprache. Als Erster hat das
Wort für die Bundesregierung der Parlamentarische
Staatssekretär, Kollege Thomas Kossendey. Bitte schön,
Herr Staatssekretär Thomas Kossendey.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


T
Thomas Kossendey (CDU):
Rede ID: ID1721629600


Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Lassen Sie mich zunächst einmal dem Wehr-
beauftragten und seinen Mitarbeitern – nicht nur den lei-
tenden, sondern allen – ein ganz herzliches Dankeschön
für das große Engagement sagen, mit denen sie unsere
Arbeit begleitet und zum Wohle der Soldatinnen und
Soldaten in der letzten Zeit Anregungen gegeben haben.
Auch aufgrund Ihrer Anregungen, Herr Königshaus,
konnte mit der Unterstützung des Verteidigungsaus-
schusses in den letzten Jahren für die Soldatinnen und
Soldaten eine ganze Menge erreicht werden.

Sie haben in Ihrem Bericht, der das Berichtsjahr 2011
umfasst, drei Schwerpunktthemen: die Auslandsein-

sätze der Bundeswehr, die Attraktivität des Dienstes und
die Personalfragen, insbesondere vor dem Hintergrund
der Strukturreformen, die wir im Augenblick umsetzen.
Das sind, ehrlich gesagt, Herr Königshaus, genau die
zentralen Handlungsfelder, die wir von der Leitung un-
seres Hauses für unsere Arbeit identifiziert haben.

Lassen Sie mich bei den Personalfragen beginnen.
Diese tiefgreifenden Veränderungen, die wir den Solda-
tinnen und Soldaten und den zivilen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Bundeswehr in diesen Jahren zu-
muten, werden jeden Angehörigen unserer Bundeswehr
betreffen. Da wird es keine Ausnahme geben. Obwohl
wir insgesamt eine breite Akzeptanz im Hinblick auf die
Reform haben, gibt es natürlich, wenn ich an den Einzel-
nen denke, immer wieder besondere Herausforderungen
und Unwägbarkeiten, die durchaus zu Verunsicherung
führen. Deswegen können wir verstehen, dass sich Mit-
arbeiter der Bundeswehr mit ihren Sorgen auch an den
Wehrbeauftragten wenden.

Wir haben verschiedene Informationsveranstaltungen
durchgeführt. Wir haben uns bemüht, Probleme aufzu-
greifen, zu erörtern und zu klären. Wir haben versucht,
die Belastungen, die sich durch die Umsetzung der Re-
form ergeben, so gering wie möglich zu halten. Wir ha-
ben mit dem Reformbegleitprogramm und mit dem
Maßnahmenpaket zur Steigerung der Attraktivität Mittel
zur Verfügung gestellt, um die Umsetzung zu erleich-
tern, die Härten abzufedern und den Übergang in die
neuen Strukturen gut zu realisieren.

Aber – auch das muss ich deutlich sagen; die Kolle-
ginnen und Kollegen aus dem Ausschuss wissen das –
nicht alles, was wünschenswert ist, kann kurzfristig fi-
nanziert werden. Ich glaube, es ist wichtig, dass wir
deutlich machen, dass die Stimmung in der Truppe, die
innere Lage und die Motivation der Soldaten nicht nach-
haltig darunter leiden. Nach meinen Beobachtungen und
nach den Beobachtungen des Ministers ist die Motiva-
tion in der Truppe, mit den Herausforderungen fertigzu-
werden, ungeheuer hoch. Das stellen wir insbesondere
bei den Soldatinnen und Soldaten, aber auch bei den zi-
vilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern fest, die in den
Einsatzgebieten arbeiten. Ich finde, die Leistungen, die
unter den schwierigen Umständen im Einsatz, aber na-
türlich auch die Leistungen, die zu Hause erbracht wer-
den, sind beeindruckend. Das verdient unser aller Aner-
kennung und Würdigung.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Agnes Brugger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Diese Feststellung kann letztendlich auch nicht da-
durch getrübt werden, dass im ersten Jahr nach dem
Aussetzen der verpflichtenden Einberufung zum Grund-
wehrdienst, also nach dem Aussetzen der Wehrpflicht,
die Abbrecherquote bei den freiwillig Wehrdienstleisten-
den hoch war. Wir können damit nicht zufrieden sein.
Die Gründe dafür liegen jedoch durchaus auch im priva-
ten Bereich derer, die sich bei uns beworben haben und
die angenommen worden sind. Es liegt auch daran – das
haben wir durch Befragungen festgestellt –, dass man
vielfach Bewerbungen geschrieben hatte und man sich





Parl. Staatssekretär Thomas Kossendey


(A) (C)



(D)(B)

nach Antritt des Dienstes bei der Bundeswehr auf einmal
für etwas anderes entschieden hat.

Ein ganz wichtiges Thema, das der Wehrbeauftragte
in seinem Bericht angesprochen hat, ist die Kinderbe-
treuung. Natürlich ist es nicht vorrangige Aufgabe der
Bundeswehr oder des Verteidigungsministeriums, flä-
chendeckend Kinderbetreuungsplätze für die Bundes-
wehr einzurichten, aber da, wo ein besonderer bundes-
wehrspezifischer Bedarf besteht, wo unser ureigenes
Interesse deutlich wird, dass die Menschen, die bei uns
arbeiten, gute Kinderbetreuungsmöglichkeiten bekom-
men, sind wir dabei, in Zusammenarbeit mit den Kom-
munen und übrigens auch mit unserem Finanzminister
Kinderbetreuungsplätze einzurichten, natürlich unter
Einhaltung der vielfältigen rechtlichen Vorgaben, die für
die Einrichtung einer Kinderbetreuung notwendig sind.
Wer mit unseren Behörden und dem Finanzminister je-
mals gekämpft hat, der weiß, dass die Umsetzung mitun-
ter sehr zeitaufwendig sein kann. Aber der Aufbau dieser
Kinderbetreuungsplätze schreitet kontinuierlich voran.

Wir werden im April dieses Jahres den ersten Spaten-
stich für einen Betriebskindergarten der Bundeswehr-
Uni in München machen. Die Bundeswehrkrankenhäu-
ser Koblenz und Ulm werden dieses Jahr folgen. Wir ha-
ben in enger Kooperation mit den Kommunen an ver-
schiedenen Standorten Belegrechte zur Abdeckung des
besonderen Bedarfs der Bundeswehr erworben. Ich er-
innere an die Standorte Westerstede und Seedorf. Aber
auch in Rostock sind wir so weit, dass wir Tagespflege-
maßnahmen für die Soldatinnen und Soldaten in Angriff
genommen haben bzw. bereits umgesetzt haben.

Ich will auch daran erinnern, dass wir die Familien
unterstützen, die durch den Dienst bei der Bundeswehr
häufig besondere Belastungen haben. Wir erstatten Kin-
derbetreuungskosten, zum Beispiel bei Maßnahmen der
Aus-, Fort- und Weiterbildung. Ich denke, auch das Kin-
derbetreuungsportal, das wir ins Werk gesetzt haben, ist
eine ganz wichtige Maßnahme.

Lassen Sie mich erwähnen, dass wir uns in den letzten
zwei Jahren sehr intensiv engagiert haben, um die Be-
treuung der an der Seele verwundeten Soldatinnen und
Soldaten intensiver in den Fokus unserer Bemühungen
zu stellen. Wir werden zukünftig bereits vor dem Einsatz
den Grad der psychischen Fitness von Soldatinnen und
Soldaten testen, damit wir genau die Situation vermei-
den, die Sie, Herr Wehrbeauftragter, uns hier ein paarmal
sehr deutlich ins Stammbuch geschrieben haben. Wir
wollen verhindern, dass wir psychisch vorbelastete Sol-
daten in den Einsatz schicken und sich deren Probleme
durch den Einsatz verstärken.

Lassen Sie mich zum Schluss Ihnen, Herr Wehrbeauf-
tragter, und Ihnen, liebe Kolleginnen und Kollegen im
Verteidigungsausschuss, dafür danken, dass Sie unsere
Arbeit so konstruktiv begleitet haben. Herr Wehrbeauf-
tragter, ich bedanke mich auch dafür, dass Sie in Ihrem
Bericht, der eigentlich ein Mängelbericht ist, durchaus
auch einige positive Ansätze bei uns erkannt haben. Das
ist eine neue Nachricht. Dafür ein herzliches Danke-
schön!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721629700

Das Wort hat der Kollege Wolfgang Hellmich für die

SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Wolfgang Hellmich (SPD):
Rede ID: ID1721629800

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich freue
mich, dass ich heute zum zweiten Mal zum Bericht des
Wehrbeauftragten sprechen darf. Eingangs muss ich sa-
gen: Ich habe von Ihnen, Herr Kossendey, vorhin mit
großer Verwunderung gehört, die Zufriedenheit in der
Truppe sei sehr groß. Bei meinen Besuchen vieler Stand-
orte im Laufe der letzten Wochen und Monate stellte ich
genau dies nicht fest. Ich stellte fest, dass es in der
Truppe eher Unzufriedenheiten und viele Kritikpunkte
als Zufriedenheit gibt. Von daher, glaube ich, müssen Sie
Ihren Eindruck von der Situation etwas korrigieren.

Für die klaren Worte und die Deutlichkeit, mit der
Sie, Herr Königshaus, im 53. Jahresbericht auf Unzu-
länglichkeiten eingehen und bestehende Probleme be-
nennen, ist Ihnen der Dank der SPD-Bundestagsfraktion
sicher. Dies ist ein guter Beleg dafür, dass die Bundes-
wehr und ihre Angehörigen als Parlamentsarmee gut
aufgehoben sind. Das soll auch dann so bleiben, wenn es
um andere Fragen geht.

Mit Nachdruck möchte ich allerdings darauf hinwei-
sen, dass es ein Unding ist, jetzt noch über einen Bericht
von 2011 zu sprechen. Demzufolge bitte ich um Nach-
sicht, wenn ich dies zum Anlass nehme, an dieser Stelle
aktuelle Punkte anzusprechen.

Sehr geehrter Herr Königshaus, liebe Kolleginnen
und Kollegen, die Attraktivität der Bundeswehr als Ar-
beitgeber muss enorm verbessert werden, will sie ange-
sichts der Konkurrenz um Nachwuchs und qualifizierte
Kräfte in den nächsten Jahren bestehen. Der vorliegende
Jahresbericht ist ein Auftrag, Dinge nicht mehr auf die
lange Bank zu schieben, sondern Abhilfe zu schaffen.
Die Frist, über die umgesetzten Maßnahmen zu berich-
ten, läuft laut Beschluss am 23. Januar 2013 ab.

Dieser Bericht ist ein Auftrag, für eine verbesserte
Vereinbarkeit von Beruf und Familie zu sorgen. Was
viele moderne Unternehmen vormachen, ist auch bei der
Bundeswehr möglich. Ich denke da beispielsweise – ei-
nige Punkte sind angesprochen worden – an den Ausbau
der Betreuungsplätze für Kinder und vor allem an die
bessere Anpassung des Kinderbetreuungsangebotes an
die Dienstzeiten; dieses Problem kennen wir auch aus
der kommunalpolitischen Diskussion, und zwar an je-
dem Ort, an dem es um die Kinderbetreuung geht. Dieser
Frage muss sich auch die Bundeswehr intensiver stellen.

Der Frauenanteil in der Bundeswehr steigt stetig; das
ist gut so, und das wollen wir auch. Aber diese Entwick-
lung führt zu einem Problem – das kommt auch im Be-
richt zum Ausdruck –: Es gibt kaum Dienstposten als Er-
satz für die Frauen, die aufgrund ihrer Schwangerschaft
vorübergehend aus dem Dienst ausscheiden. Eine Folge





Wolfgang Hellmich


(A) (C)



(D)(B)

ist leider, dass schwangere Frauen oftmals von Diskrimi-
nierung am jeweiligen Standort berichten; auch dies ist
im Bericht angesprochen worden. Der Grund dafür ist
ganz klar: Trotz eines solch freudigen Ereignisses wie
einer anstehenden Geburt ist niemand glücklich darüber
– das kennen wir auch aus anderen Bereichen –, wenn er
oder sie für einen anderen die Arbeit mit erledigen muss
und nicht für Ersatz gesorgt wird. Hier müssen wir an-
setzen und zu einer Lösung kommen. Ein Stellenpool,
der schwangerschaftsbedingtes Ausscheiden personell
abfedert, könnte hier Abhilfe schaffen.

Wir von der SPD wollen, dass an dieser Stelle umge-
hend Prozesse eingeleitet werden, die die Bundeswehr
zu einem Arbeitgeber machen, der in puncto Attraktivi-
tät mit modernen Unternehmen mithalten kann. Das ist
umso notwendiger, wenn wir auch in Zukunft eine aus-
reichende Zahl von freiwillig Wehrdienstleistenden und
Zeitsoldaten gewinnen wollen. Familienfreundlichkeit
ist ein Wert für sich und darf nicht als Belastung des Un-
ternehmens gesehen werden. Dies gilt gleichermaßen für
die Bundeswehr.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Zu einem anderen Thema. Die Zahlen, die in den letz-
ten Tagen durch die öffentliche Berichterstattung gingen,
belegen, dass für die Personalentwicklung der Bundes-
wehr klare, zukunftsorientierte Konzepte gebraucht wer-
den. Die Abbrecherquote der freiwillig Wehrdienstleis-
tenden liegt bei 30,4 Prozent, Tendenz steigend. Dass
dies, wie es uns der Bundesverteidigungsminister leider
weismachen will, nur an falschen Vorstellungen der jun-
gen Leute liegen soll, halte ich für eine gewagte These.
Die Kommandeure vor Ort – das merkt man auch bei
Besuchen der einzelnen Standorte – berichten etwas völ-
lig anderes. Wenn dem so wäre, dass die Abbrecherquote
einfach nur an falschen Erwartungshaltungen liegt,
schlage ich vor, die Werbekampagnen für die Bundes-
wehr realistischer zu gestalten; dann wäre dieses Pro-
blem geregelt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Dem ist aber nicht so. Auch hier gilt: Wenn die Werbung
Dinge verspricht, die das Produkt nicht halten kann, gibt
es Reklamationen. Sagen Sie den jungen Menschen doch
einfach vorher, was sie bei der Bundeswehr erwartet,
und beugen Sie falschen Vorstellungen vor.

Nehmen Sie bitte auch die Lebensrealität junger Men-
schen in den Blick! Wenn Sie dann zum Beispiel noch
die Unterbringung verbessern und eine WLAN-Nutzung
ermöglichen, statt die Truppenbetreuung abzubauen,
werden wir uns sicherlich bald über eine niedrigere Ab-
brecherquote freuen können. Wenn Sie all dieses nicht
tun, werden die Lebensrealität junger Menschen und die
Bundeswehr schlichtweg nicht zueinander passen. Da
entsteht ein Delta, das wir mit den bis jetzt genutzten In-
strumenten im Zweifelsfall nicht schließen können.

Das gesamte Konzept der freiwillig Wehrdienstleis-
tenden muss auf den Prüfstand, inklusive der Ausbil-
dung und der Möglichkeiten der Verwendung. Machen
Sie – das gilt für die gesamte Bundeswehrreform – eine

Reform für die Soldatinnen und Soldaten! Beteiligung
heißt hier das Zauberwort.

Meine Damen und Herren, der Wehrbeauftragte des
Deutschen Bundestages ist Anwalt der Soldatinnen und
Soldaten und zugleich ein Hilfsorgan des Parlamentes
bei der Kontrolle der Streitkräfte. Jede Soldatin und je-
der Soldat hat das Recht, sich unmittelbar an den Wehr-
beauftragten zu wenden; das schafft Sicherheit und Ver-
trauen. Sicherheit im Inland, aber vor allem im Einsatz
sollen auch die Vertrauenspersonen vermitteln. Vertrau-
enspersonen stellen für die Soldatinnen und Soldaten ei-
nen ersten Ansprechpartner dar, der ihnen bei Dienstpro-
blemen gegebenenfalls weiterhelfen kann. Aus diesem
Grunde weise ich auf eine Petition hin, mit der sich ein
Personalrat des Landeskommandos Niedersachen an den
Deutschen Bundestag wendet und ein Zeugnisverweige-
rungsrecht für Vertrauenspersonen fordert. Der Hinter-
grund für diese Petition ist, dass nach einem Urteil des
Bundesverwaltungsgerichtes vom Juni 2012 Vertrauens-
personen von Soldaten kein solches Zeugnisverweige-
rungsrecht haben. Dies bedeutet: Die jeweilige Vertrau-
ensperson kann in einem Disziplinarverfahren die
Zeugenaussage nicht verweigern, obwohl die betroffe-
nen Soldatinnen und Soldaten davon ausgegangen sind,
mit ihrer Vertrauensperson unter dem Siegel der Ver-
schwiegenheit sprechen zu können. Diese Petition kann
noch bis Ende Januar gezeichnet werden. Machen Sie
mit! Der BundeswehrVerband unterstützt diese Petition,
und dem schließe ich mich an.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Meine Damen und Herren, die Debatte über bereits
stattfindende und zukünftige Auslandseinsätze unserer
Bundeswehr ist momentan wieder voll entbrannt. Bei al-
len Entscheidungen müssen wir zuallererst an unsere
Soldatinnen und Soldaten denken. Sie unterliegen be-
sonderen Belastungen und speziellen Herausforderun-
gen. An dieser Stelle schließe ich mich dem Dank an
diejenigen an, die diese Herausforderungen in besonde-
rer Weise tragen. Aber auch für alle anderen Soldatinnen
und Soldaten gilt das Bekenntnis zur umfassenden Be-
treuung vor, während und nach dem Einsatz. Aus diesem
Grunde sind das Amt des Beauftragten des Verteidi-
gungsministeriums für einsatzbedingte posttraumatische
Belastungsstörungen, PTBS, sowie die Ansprechstelle
für Hinterbliebene zwei notwendige Einrichtungen. Ich
möchte dies zum Anlass nehmen, heute hier an dieser
Stelle dem ehemaligen PTBS-Beauftragten, Brigadege-
neral Christof Munzlinger, auch im Namen meiner Frak-
tion für seine hervorragende Arbeit ganz herzlich zu
danken und ihm in seiner neuen Verwendung viel Erfolg
wünschen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Daran anschließend darf ich Brigadegeneral Klaus von
Heimendahl beglückwünschen und ihm für sein neues
Amt als PTBS-Beauftragter des Verteidigungsministeri-
ums alles Gute wünschen. Unserer Unterstützung für
seine Arbeit kann er sich sicher sein. Sie wird sehr inten-
siv sein, und sie wird auch dringend nötig sein.





Wolfgang Hellmich


(A) (C)



(D)(B)

Die in Angriff genommenen Verbesserungen bei der
Einsatzvorbereitung, zum Beispiel durch einen ganzheit-
lichen Gesundheitscheck oder durch eine individuelle
Betreuung und Begleitung nach dem Einsatz, weisen den
richtigen Weg. Wir haben dieses lange eingefordert und
lange darüber gesprochen. Ich denke, da sind gute
Schritte eingeleitet worden.

Als Vorletztes möchte ich die Debatte zum Rechts-
extremismus in der Bundeswehr ansprechen. Rechts-
extremismus ist in der Bundeswehr wie auch in allen an-
deren Teilbereichen der Gesellschaft sehr wohl ein
Problem. In sämtlichen Fällen, in denen der Verdacht ei-
nes Vorkommnisses mit rassistischem, antisemitischem
oder ähnlichem Hintergrund entsteht, sind Konsequen-
zen notwendig – direkt und unmittelbar. Mit allen Instru-
menten, die dem Staat zur Verfügung stehen, muss gegen
Rechtsextremismus in der Bundeswehr vorgegangen
werden.

Es ist hier allerdings nicht hilfreich, wenn einerseits
gesagt wird, es gebe kein größeres Problem als woanders
auch, während andererseits die Presse über steigende
Fallzahlen berichtet. Wir dürfen nicht den Eindruck zu-
lassen, als würde dieses Problem an irgendeiner Stelle
heruntergespielt, weil es nicht in unser Bild passt.

Für das Jahr 2012 wurden bis Mitte Dezember
66 Vorfälle mit Verdacht auf einen rechtsextremen Hin-
tergrund festgestellt und geprüft. 21 der Verdachtsfälle
wurden bestätigt, die anderen werden noch geprüft. Ich
glaube, vorbeugend hilft es, wenn die Bekämpfung des
Rechtsextremismus ein wichtiger Ausbildungs- und Dis-
kussionspunkt ist und bleibt. An die Staatsbürger in Uni-
form sind hier nämlich ganz besondere Anforderungen
zu stellen. Deshalb ist es an dieser Stelle auch wichtig,
das Thema öffentlich zu benennen und nichts zu ver-
schweigen.


(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Katja Keul [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Meine Damen und Herren, abschließend und im
Nachgang zu meiner letzten Rede möchte ich Sie, sehr
geehrter Herr Königshaus, an Ihre Zusage erinnern. All
die Soldaten, die vor dem 1. Dezember 2002 in den
IFOR-, SFOR- und KFOR-Einsätzen geschädigt wur-
den, erhalten keine Entschädigungszahlung. Darüber
habe ich hier gesprochen. Dies betrifft eine Gruppe von
circa 40 Soldaten. Sie sicherten mir zu, sich um diese
Ungerechtigkeit zu kümmern. Ich vertraue Ihnen, dass
Sie noch in dieser Legislaturperiode eine Initiative star-
ten, um diese nicht nachvollziehbare Ungleichbehand-
lung zu beenden.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Glück auf!


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721629900

Der Kollege Christoph Schnurr hat für die FDP-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Christoph Schnurr (FDP):
Rede ID: ID1721630000

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Der 53. Jahresbericht des Wehrbeauftragten beschäftigt
sich mit mehreren Themenfeldern: unter anderem mit
dem Führungsverhalten von Vorgesetzten, den Aus-
landseinsätzen, der einsatzvorbereitenden Ausbildung,
der persönlichen Ausstattung und Ausrüstung und der
Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Der Schwerpunkt
des 53. Jahresberichts lag auf der Neuausrichtung der
Bundeswehr.

Ich bin gespannt, welche Themen und Schwerpunkte
den nächsten Jahresbericht prägen werden. Wir werden
den Jahresbericht 2012 zum Glück ja bald in den Händen
halten und uns im Ausschuss, aber auch im Deutschen
Bundestag dann hoffentlich zeitnah mit diesem befassen;
der Kollege Hellmich hat das bereits angesprochen.

Ich glaube, es ist unglücklich, dass wir die Debatte
über den Jahresbericht 2011 Anfang des Jahres 2013
führen. Daran sind wir alle nicht unbeteiligt. In Zukunft
müssen wir schauen, dass wir sowohl den Jahresbericht
des Wehrbeauftragten als auch die Kommentierung des
Ministeriums, wenn sie vorliegen, zeitnäher im Deut-
schen Bundestag debattieren.


(Beifall bei der FDP sowie der Abg. Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU])


Lieber Herr Wehrbeauftragter, Herr Königshaus, ich
möchte mich bei Ihnen und Ihrem Haus nicht nur für den
Bericht, sondern auch für Ihre Arbeit recht herzlich be-
danken.

Wenn wir uns mit dem Themenkomplex „Ausrüstung,
Ausstattung und Ausbildung“ beschäftigen, dann sehen
wir, wie oft der Wehrbeauftragte hier den Finger in die
offene Wunde gelegt hat. Die Ausrüstung wurde konti-
nuierlich verbessert, und die Fahrzeuglage im Einsatz
und für die so wichtige Ausbildung in Deutschland hat
sich wesentlich entspannt. Der UH Tiger ist bereits in
Afghanistan; der NH90 folgt bald. Somit können wir un-
seren Partnern und uns selbst eine eigenständige und ge-
schützte MedEvac-Komponente anbieten. Das ist äu-
ßerst begrüßenswert.

Die Ausrüstung und die Ausbildung werden ganz si-
cher auch Themenfelder der nächsten Jahresberichte
werden. Es wird immer Probleme geben, und es gab
auch in der Vergangenheit immer Herausforderungen.
Das liegt in der Natur der Sache. Insgesamt – das ist
ganz wichtig – sind unsere Soldatinnen und Soldaten für
die schwierigen Aufgaben in den Auslandseinsätzen
aber gut ausgebildet und gut ausgerüstet.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, im Berichtszeit-
raum dieses 53. Jahresberichtes wurde auch das Statio-
nierungskonzept der Bundeswehr beschlossen. Es ist
ganz klar, dass hier sehr viele Unsicherheiten herrühren
und dass sich viele Soldaten Gedanken über ihre berufli-
che Zukunft gemacht haben. Diese Verunsicherungen
sind verständlich, und die Sorgen der Soldaten müssen
wir auch hier im Bundestag sehr ernst nehmen.

H
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1721630100
Es ist gut, dass das Ministerium in-





Christoph Schnurr


(A) (C)



(D)(B)

nerhalb der Truppe vermehrt kommuniziert und das
Konzept auf allen Ebenen vorstellt; denn das Entschei-
dende auch bei der Stationierungsentscheidung ist, dass
wir die Soldatinnen und Soldaten in diesem Reformpro-
zess mitnehmen und die Reform nicht gegen die Interes-
sen der Soldaten gestalten.

Ebenfalls im Berichtszeitraum wurde das „Maßnah-
menpaket zur Steigerung der Attraktivität des Dienstes
in der Bundeswehr“ eingebracht. Es ist doch ein gutes
Zeichen, dass bereits ein Drittel der Maßnahmen umge-
setzt oder eben auch auf den Weg gebracht wurde.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Herausforderungen bleiben jedoch weiterhin viel-
fältig. Wir sind angehalten, die Vereinbarkeit von Dienst
und Familie weiter zu verbessern. Die bereits eingerich-
teten Eltern-Kind-Zimmer sind ein Anfang. Die Bundes-
wehr muss aber darüber hinaus für eine vernünftige Kin-
derbetreuung sorgen. Deshalb begrüße ich es, dass in
diesem Jahr weitere Betriebskindergärten gebaut und
Belegungsrechte bei den Kommunen erworben werden.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Meine Damen und Herren, der Jahresbericht beschäf-
tigt sich auch mit dem freiwilligen Wehrdienst. Die Zah-
len sprechen für sich: Zum Jahresbeginn haben rund
3 500 junge Menschen ihren Dienst bei der Bundeswehr
begonnen. Im letzten Jahr konnte der Bedarf an freiwil-
lig Wehrdienstleistenden und an Zeitsoldaten gedeckt
werden. Das zeigt doch eben, dass der Arbeitgeber Bun-
deswehr als attraktiver Arbeitgeber wahrgenommen
wird und dass die Bundeswehr in der Lage ist, den beste-
henden Wettbewerb um Nachwuchskräfte mit der freien
Wirtschaft und mit anderen Behörden aufzunehmen.

Allerdings finden wir hier eine Quote vor, an die sich
ein Spitzenarbeitgeber nicht gewöhnen darf. Das ist die
30-prozentige Abbrecherquote der freiwillig Wehr-
dienstleistenden. Diese 30 Prozent sind meiner Ansicht
nach per se noch keine Tragödie. In Berlin liegt bei-
spielsweise die Quote der Abbrecher bei Lehrberufen
auch bei circa 30 Prozent. Dennoch sollten wir die Be-
weggründe dieser jungen Menschen aufmerksam be-
trachten, warum sie ihren Dienst bei der Bundeswehr
frühzeitig quittieren, um dann auch entsprechende Maß-
nahmen ergreifen zu können.

Auch hier hat der Kollege Hellmich vorgeschlagen,
die Werbekampagnen zu überarbeiten. Ich glaube, das
Problem liegt nicht an Werbekampagnen, die ja immer
auf zugespitzte Aussagen konzentriert sind; denn dieje-
nigen, die sich freiwillig zum Dienst bei der Bundeswehr
melden, haben vorher entsprechende Beratungsgesprä-
che, können sich intensiv mit der Bundeswehr, mit dem
Arbeitgeber, auseinandersetzen. Ich lade Sie von der So-
zialdemokratie und insbesondere Sie, Herr Abgeordneter
Hellmich, herzlich ein: Setzen wir uns gemeinsam dafür
ein, dass wir Wehrdienstberatern endlich wieder Zugang
zu öffentlichen Schulen gewähren,


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


damit sie auch hier wieder nicht nur für die Bundeswehr
werben können, sondern mit den jungen Menschen auch

kritisch diskutieren können wie beispielsweise die Ju-
gendoffiziere.

Da bin ich schon bei meinem letzten Stichwort. Ich
glaube, wir sind gut beraten, wenn wir in die Diskussion
auch wieder die Frage der gesellschaftlichen Anerken-
nung unserer Soldatinnen und Soldaten aufnehmen.
Dazu gehört eben, dass Jugendoffiziere an Schulen nicht
diskriminiert werden. Es gehört aber auch dazu, dass wir
dafür Sorge tragen, dass Gelöbnisse auf öffentlichen
Marktplätzen stattfinden und nicht hinter verschlossenen
Kasernentoren.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Und es gehört vor allem dazu, dass wir am 20. Juli das
öffentliche Gelöbnis wieder hier auf dem Platz vor dem
Reichstagsgebäude stattfinden lassen, weil damit auch
deutlich wird, dass die Bundeswehr eine Parlamentsar-
mee ist.

In diesem Sinne bedanke ich mich vielmals bei Ihnen
allen und bedanke mich ganz besonders bei den Solda-
tinnen und Soldaten, bei den zivilen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern der Bundeswehr, bei den Reservisten,
aber auch bei den Familien für ihre Arbeit.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721630200

Der Kollege Harald Koch hat nun für die Fraktion Die

Linke das Wort.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Koch (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721630300

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-

legen! Sehr geehrter Herr Königshaus! Als wir im
September des letzten Jahres zuletzt über den Bericht
des Wehrbeauftragten debattierten, haben Sie, Herr
Königshaus, gesagt, es gebe zu viele Baustellen und zu
wenige Lösungen. Dem kann ich ohne Wenn und Aber
zustimmen.

Ich möchte dem aber noch etwas hinzufügen: Es gibt
nicht nur zu viele Baustellen, sondern diese sind auch
schon seit Jahren bekannt und immer dieselben. Und es
gibt auch nicht nur zu wenige Lösungen, sondern auch
zu wenig Lösungswillen vonseiten des Bundesministe-
riums der Verteidigung und der Bundesregierung.

Wenn ich mir die Stellungnahme des BMVg zum Be-
richt anschaue, dann kann ich darin nicht wirklich fest-
stellen, dass die äußerst berechtigten Anmerkungen des
Wehrbeauftragten ernst genommen und angegangen
werden. Da wird vielmehr von „bedauerlichen Einzelfäl-
len“ oder „Sonderfällen“ gesprochen. Da werden die
Einwände damit abgetan, dass es dafür „keine Anhalts-
punkte“ gebe, oder man flüchtet sich in dehnbare For-
mulierungen wie, man sei „fortwährend bemüht“ oder
Konsequenzen seien nur „schwer möglich“.

Ich frage mich doch ernsthaft, wie sich an den jährlich
gleichen Problemen und Missständen oder der Unzufrie-
denheit der Soldatinnen und Soldaten irgendwann ein-





Harald Koch


(A) (C)



(D)(B)

mal etwas deutlich ändern soll. Ich meine, dass die Kri-
tik der Linken nicht interessiert, kennen wir schon. Aber
nehmen Sie doch bitte wenigstens den Wehrbeauftragten
und seine Einschätzung der Lage ernst. Nehmen Sie vor
allem die Bedürfnisse der Soldatinnen und Soldaten end-
lich ernst, und ändern Sie etwas, anstatt alle Probleme
immer weiter nur abzutun und zu ignorieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich möchte dabei noch einmal auf zwei Probleme
gesondert eingehen. Zum einen ist dies die Situation
derjenigen Soldatinnen und Soldaten, die schwer trau-
matisiert bzw. mit einer posttraumatischen Belastungs-
störung aus einem Auslandseinsatz zurückkommen, und
zum anderen ist dies die Situation der sogenannten Ra-
dargeschädigten.

Nach wie vor steigen Jahr für Jahr die Fallzahlen von
PTBS-Erkrankungen. Nach wie vor wird damit abgewie-
gelt, dass die Erkrankungsrate der deutschen Soldatin-
nen und Soldaten niedriger sei als die anderer Armeen.
Das ist doch aber kein Grund, die Betroffenen im Regen
stehen zu lassen.


(Christoph Schnurr [FDP]: Tun wir doch nicht!)


Natürlich wurde in den letzten Jahren geforscht und auch
einiges getan, um die Betroffenen besser abzusichern.
Aber dennoch sind die Defizite enorm. Bei der Einbezie-
hung der Familien in die Therapie mangelt es noch an al-
len Ecken und Enden. Vor allem die Betreuung bereits
aus der Bundeswehr ausgeschiedener Soldatinnen und
Soldaten lässt extrem zu wünschen übrig. Hier wird nach
wie vor nach dem Prinzip „Aus den Augen, aus dem
Sinn“ gehandelt, und die Betroffenen sind weitestgehend
auf sich selbst gestellt.

Was ich aber besonders schlimm finde, ist – wir kön-
nen uns alle daran erinnern, wie das im Ausschuss gelau-
fen ist – die kürzlich vonseiten der Bundesregierung auf-
gestellte Behauptung, dass die meisten der Soldatinnen
und Soldaten, welche traumatisiert aus einem Auslands-
einsatz zurückkamen, schon im Vorfeld eine manifeste
psychische Störung gehabt hätten. Da frage ich mich
doch ernsthaft, wie es sein kann, dass das bei einer solch
großen Anzahl von Fällen nicht aufgefallen ist, wenn
doch alle Soldatinnen und Soldaten vor einem Einsatz
angeblich mehrfach psychologisch begutachtet werden.
Für mich ist dies eine plumpe Ausrede und ein Schlag
ins Gesicht eines jeden Betroffenen. So darf man mit
Menschen nicht umgehen.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Kommen wir zu den Radargeschädigten. Auch hier ist
mit der Gründung der Härtefallstiftung längst nicht alles
gut, auch wenn das gern so verkauft wird. Zum einen ist
das bereitgestellte Kapital von 7 Millionen Euro viel zu
gering, um auch nur einen Teil der Geschädigten wirk-
lich und angemessen zu entschädigen. Zum anderen
wurde hier ein Konstrukt geschaffen, mit dem die Ge-
schädigten billig und nicht rechtsverbindlich abgespeist
werden können.

Zudem stellt sich noch immer die Frage, ob bei der
Berechnung der Strahlendosis alles mit rechten Dingen
zugegangen ist, da es hier nach wie vor zu viele Unge-
reimtheiten gibt. Auch hier muss dringend nachgebessert
werden. Es kann nicht sein, dass ehemalige Soldaten, die
unwissentlich durch die Ausübung ihrer Arbeit schwer
erkrankt sind, einfach alleingelassen werden bzw. das
Problem einfach ausgesessen wird.

Abschließend betrachtet hat der Wehrbeauftragte
wohl auch in den nächsten Jahren noch eine Menge Ar-
beit vor sich. Ich danke ihm und seinen Mitarbeiterinnen
und Mitarbeitern noch einmal für den Bericht. Gestatten
Sie mir die kleine Bemerkung: Wir sprechen hier von
Reformen in der Verwaltung und von einer Frauenquote.
Ich wünsche mir, die eine oder andere Frau in Ihrer
Riege sitzen zu sehen.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der Abg. Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/ CSU])


Es gibt viel zu tun für die Bundesregierung, dass die auf-
gezeigten Mängel zukünftig ernsthaft angenommen, an-
gegangen und beseitigt werden.

Danke schön.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721630400

Für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat nun die

Kollegin Katja Keul das Wort.


Katja Keul (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721630500

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! Zunächst einmal möchte ich Ihnen, Herr
Wehrbeauftragter, genau wie meine Vorredner für den
von Ihnen vorgelegten Bericht für das Jahr 2011 danken.
Auch dass der Bericht von Ihnen bereits im Januar 2012
vorgelegt wurde, hat neue Maßstäbe gesetzt.


(Christoph Schnurr [FDP]: So ist es!)


Leider wird er trotzdem jetzt erst, 2013, beraten. In
Zukunft sollten wir dafür sorgen, dass der Bericht eher
auf die Tagesordnung kommt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Ich möchte mich aber auch bei den vielen Soldatinnen
und Soldaten bedanken, die sich mit ihren Anliegen an
den Wehrbeauftragten gewandt haben. Gemessen an der
Gesamtstärke der Streitkräfte steigt die Zahl der Ein-
gaben seit Jahren prozentual leicht. Das ist aber gut so;
denn wir als Bundestag wollen wissen, wie es um unsere
Streitkräfte bestellt ist. Wir brauchen mutige Soldatinnen
und Soldaten, die uns auf bestehende Defizite hinweisen.
So stelle ich mir im Übrigen einen Staatsbürger in
Uniform vor.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Nun möchte ich die knappe Redezeit nutzen, vier
Themen anzusprechen. Sorgen bereitet uns unter ande-
rem die hohe Dunkelziffer bei sexueller Belästigung. Zu





Katja Keul


(A) (C)



(D)(B)

häufig werden solche Vorfälle weder dem Vorgesetzten
noch dem Wehrbeauftragten gemeldet. Die Betroffenen
wollen oft nicht als zimperlich gelten. Sexuelle Belästi-
gung ist übrigens nicht nur ein Problem von Frauen;
auch Männer leiden darunter, auch in den Streitkräften.

Anstatt das Thema aber offensiv anzugehen, streicht
der ehemalige Inspekteur der Streitkräftebasis Kühn im
Fragenkatalog einer Studie zu diesem Thema unlieb-
same Passagen heraus. Die offizielle Begründung war,
dass das Thema sexuelle Belästigung überrepräsentiert
sei. So geht das nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des Abg. Harald Koch [DIE LINKE])


Wir als Parlament haben ein ausgeprägtes Interesse da-
ran, zu wissen, wie es um die Streitkräfte bestellt ist. Wir
wollen unabhängige und keine gefälligen Studien vorge-
legt bekommen.

Beim Thema „Frauen in den Streitkräften“ kann ich
Ihnen, Herr Wehrbeauftragter, Kritik nicht gänzlich er-
sparen. In Ihrem Bericht findet sich dazu gerade einmal
eine einzige Seite, und das, obwohl die Bundeswehr ihr
selbst gestecktes und nicht gerade ambitioniertes Ziel
von 15 Prozent Frauen seit Jahren weit verfehlt. Der An-
teil liegt momentan bei gerade einmal 6 bis 7 Prozent,
und das bei fast hälftigem Anteil im Bereich der Sanität.
Selbst dort ist die Generalität weiterhin eine reine Män-
nerdomäne. Das ist zu wenig.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das muss man klar kritisieren. Dazu würde ich in Ihrem
nächsten Bericht gerne mehr lesen, und vielleicht bei der
Gelegenheit auch etwas über die ambitionierten Ziele im
Büro des Wehrbeauftragten.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Anita Schäfer [Saalstadt] [CDU/CSU])


Frauen sind seit neuestem auch in der KSK ausdrück-
lich erwünscht. Erstmals haben neun Frauen die sechs-
monatige Vorausbildung bei der KSK durchlaufen und
erfolgreich abgeschlossen. Wer die entsprechenden
Fernsehdokumentationen gesehen hat, weiß, dass diese
Ausbildung kein Erholungsurlaub ist. Es kann doch
nicht sein, dass man einer Absolventin erst im Nachhi-
nein erklärt, man habe leider übersehen, dass man sie in
ihrer bisherigen Verwendung nicht entbehren könne. Die
Tatsache, dass in der Bundeswehr vier verschiedene
Streitkräfte miteinander um die besten Kräfte konkurrie-
ren, darf nicht zulasten der Soldatinnen und Soldaten
gehen. Die Verantwortung als Arbeitgeberin trifft die
Bundeswehr im Ganzen.

Das Thema „Frauen in der Bundeswehr“ wird übri-
gens gerne verwechselt mit dem Thema „Vereinbarkeit
von Dienst und Familie“. In Ihrem Bericht haben Sie
diesen Fehler nicht gemacht. Das will ich positiv hervor-
heben. Sie benennen die Mängel bei der Vereinbarkeit
deutlich und schreiben – Zitat –:

Umso bedauerlicher ist es, dass die Bundeswehr im
Berichtsjahr über die Einrichtung von Eltern-Kind-

Zimmern hinaus keine weiteren wesentlichen Fort-
schritte auf diesem Gebiet vorweisen kann.

Das BMVg gelobte in seiner Stellungnahme dann auch
Besserung. Es müssten nur erst einmal die Reformen ab-
geschlossen sein und die neuen Strukturen richtig wir-
ken. Dann würde man auch vermehrt Betriebskindergär-
ten einrichten.

Nun wissen wir aber aus Erfahrung, dass eine
Bundeswehrreform niemals wirklich abgeschlossen ist.
Der Bedarf ist aber nicht erst seit heute da, und die Bun-
deswehr muss sich als Arbeitgeberin auf dem Markt
behaupten.

Das vierte und letzte Thema, das ich heute ansprechen
will, kommt mir in Ihrem Bericht ein bisschen zu harm-
los daher: das Problem des Rechtsextremismus. Die
Morde des rechtsextremen NSU haben uns alle scho-
ckiert. Sie selbst berichten, dass Sie Verbindungen dieser
Szene zur Bundeswehr geprüft und verneint haben. Was
Sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen konnten, weil
das Verteidigungsministerium es Ihnen nicht gesagt
hatte, war die Existenz der Akte Uwe Mundlos. Aus
dieser Akte ging hervor, dass Mundlos in seiner Bundes-
wehrzeit wegen rechtsextremer Äußerungen aufgefallen
und deshalb vom MAD vernommen worden war. Trotz-
dem wurde er zweimal befördert – entgegen den Dienst-
vorschriften.

Auch wenn dies alles lange her ist, kann man daraus
immerhin noch zweierlei schließen: zum einen die Über-
flüssigkeit des MAD.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Zum anderen hat das BMVg noch im Juni in der Stel-
lungnahme zum Bericht des Wehrbeauftragten so getan,
als ob es zu dem Thema nichts zu sagen gäbe, obwohl
die Akte dort inzwischen aufgefallen sein dürfte.

Damit wurde die Chance verpasst, zu beweisen, dass
man das Thema ernst nimmt und unverzüglich alle Er-
kenntnisse auf den Tisch zu legen bereit ist. Nicht nur
wir Parlamentarier, auch die Bevölkerung muss sich
darauf verlassen können, dass das Thema „Rechtsextre-
mismus in den Streitkräften“ nicht kleingeredet wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Der Wehrbeauftragte verspricht uns, auch künftig darauf
zu achten, und das begrüßen wir. Wir sind schon auf den
nächsten Bericht gespannt, den er sicherlich so gut wie
fertig hat.

Vielen Dank.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721630600

Die Kollegin Anita Schäfer hat nun für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)







(A) (C)



(D)(B)


Anita Schäfer (CDU):
Rede ID: ID1721630700

Sehr verehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter! Das
gerade abgelaufene Jahr 2012 war ein gutes Jahr für die
Bundeswehr. Trotz fortlaufender gefährlicher Einsätze
und trotz der Umstellungen, die die laufende Struktur-
reform mit sich bringt, ist mir bei diesem Urteil eines be-
sonders wichtig: Erstmals seit längerer Zeit hatten wir in
diesem Jahr keine gefallenen deutschen Soldaten in den
Einsatzgebieten der Bundeswehr zu beklagen. Das liegt
sicherlich daran, dass die ISAF-Truppen in Afghanistan
bei der Operationsführung zunehmend gegenüber den
einheimischen Sicherheitskräften in den Hintergrund
treten.

Aber hier zeigt sich auch die Verbesserung bei Schutz
und Ausrüstung der Soldaten, die der Wehrbeauftragte
immer wieder angemahnt hat, die der Bundestag in weit-
gehender Einmütigkeit verfolgt hat und die die Bundes-
regierung über Jahre hinweg umgesetzt hat. Ausrüstung
ist zwar nicht alles, und vollständigen Schutz wird es nie
geben. Wir haben gesehen, dass selbst schwer gepan-
zerte Fahrzeuge zerstört werden können. Aber die Situa-
tion für die Truppe hat sich im Laufe unseres Engage-
ments in Afghanistan insgesamt erheblich verbessert,
nicht nur im Einsatz selbst, sondern auch bei der Bewäl-
tigung der Einsatzfolgen einschließlich physischer und
psychischer Verwundungen. Auch dabei wird es nie
einen idealen Zustand geben. Wir werden weiter auf-
merksam bleiben, wo es noch Verbesserungsbedarf gibt.
Ich möchte an dieser Stelle einmal allen hier im Haus
und außerhalb danken, die die bisherigen Verbesserun-
gen bewirkt haben, und besonders die gute Zusammen-
arbeit des Wehrbeauftragten mit dem Parlament und der
Regierung würdigen.

Dennoch ist jeder bisherige und künftige Verwundete
und Gefallene einer zu viel. Mit der geplanten Übergabe
der Sicherheitsverantwortung an die afghanische Regie-
rung bis 2014 zeichnet sich zwar eine weiter abneh-
mende Intensität der ISAF-Mission ab. Wir werden die
afghanische Regierung auch danach in geringerem Um-
fang weiterhin unterstützen, sofern die völkerrechtlichen
Grundlagen dafür geschaffen werden. Unsere Rolle in
Afghanistan wird also kleiner. Doch das heißt nicht, dass
wir in unseren Bemühungen um Verbesserungen für un-
sere Soldaten nachlassen können; denn neue Einsätze
werden kommen.

Gegenwärtig läuft die Mission zur Verstärkung der in-
tegrierten NATO-Luftabwehr in der Türkei an. Durch
den Schutz auch deutscher Patriot-Raketen wird dieser
Partner, der den syrischen Bürgerkrieg vor der Haustür
hat, in die defensive Haltung des Bündnisses eingebun-
den. Dies ist nicht das erste Mal, dass deutsche Truppen
im Rahmen der NATO in die Türkei verlegt werden.
Schon während des Kalten Kriegs waren wir nicht nur
Empfänger der Unterstützung unserer Partner, sondern
standen diesen gegenüber selbst in der Pflicht, zur ge-
meinsamen Sicherheit in der NATO beizutragen. Dieser
Pflicht kommen wir mit dem Einsatz in der Türkei nach,
nicht um in den syrischen Bürgerkrieg einzugreifen,
sondern um ein Übergreifen auf das Bündnisgebiet und

damit auch auf Europa zu verhindern. Ich wünsche unse-
ren Soldaten, die in diesen Einsatz gehen, alles Gute.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ihr Auftrag dort ist nicht weniger wichtig und nicht we-
niger wert als der in Afghanistan, im Kosovo oder am
Horn von Afrika. Wir werden auch diesen genau verfol-
gen und handeln, wenn es objektiven Verbesserungsbe-
darf gibt. Ich erinnere beispielsweise an die kürzlich
vom Deutschen BundeswehrVerband geäußerten Beden-
ken hinsichtlich der ABC-Abwehrfähigkeiten.

Besorgt blicken wir auch nach Mali, wo die Entwick-
lung die Pläne für eine Ausbildungsmission der EU zu
überholen droht. Unsere französischen Freunde haben
– erst heute Vormittag haben wir den Abschluss des
Élysée-Vertrags vor 50 Jahren gewürdigt – gerade noch
verhindert, dass die Islamisten vom Norden des Landes
aus auf die Hauptstadt vorstoßen konnten. Heute Mittag
haben die Minister de Maizière und Westerwelle erklärt,
dass wir den Aufbau der westafrikanischen ECOWAS-
Mission mit zwei Transall-Maschinen unterstützen wer-
den. Das ist gut so; denn es ist in unserem gemeinsamen
Interesse, dass in Mali kein weiterer gescheiterter Staat
entsteht, den international agierende Terroristen als Ope-
rationsbasis auch gegen Europa nutzen können.

Nach wie vor steht aber auch eine deutsche Beteili-
gung an der Ausbildungsmission im Raum, über die die
EU-Außenminister morgen entscheiden wollen. Unab-
hängig davon, wie der Gesamtumfang unseres Engage-
ments ausfällt, wird die Belastung der Bundeswehr da-
durch wieder steigen. Wir müssen uns stets klar darüber
sein, dass dies neben der ideellen und materiellen At-
traktivität sowie der Vereinbarkeit von Familie und
Dienst wesentlich zur Stimmung in der Truppe und auch
zu ihrem Bild in der Öffentlichkeit beiträgt, was nicht
zuletzt die Nachwuchslage mitbestimmt.

Meine Damen und Herren, vor kurzem wurde zwar
noch die Meldung aufgebauscht, dass etwa 30 Prozent
der neuen freiwillig Wehrdienstleistenden den Dienst in
der sechsmonatigen Probezeit verlassen. Das ist aber
kein wesentlicher Unterschied zu der Meldung vom ver-
gangenen Herbst, wonach die Abbrecherquote 27 Pro-
zent in den ersten zwei Monaten betrage. Das bleibt
zwar unbefriedigend, entspricht aber weiterhin den Er-
fahrungen aus der Wirtschaft, und es bleiben auch nicht,
wie es hieß, Tausende Stellen unbesetzt, sondern die
5 000 vorgesehenen Dienstposten für freiwillig Wehr-
dienstleistende können problemlos abgedeckt werden.
Bei den Zeitsoldaten bestehen in dieser Hinsicht ohnehin
keine größeren Probleme.

Bei dieser Feststellung wollen wir es aber nicht belas-
sen, sondern wir wollen mit einer Vielzahl von Maßnah-
men die Attraktivität des Dienstes bei der Bundeswehr
weiter steigern. Insbesondere das Thema „Vereinbarkeit
von Familie und Dienst“, Stichpunkte „Pendler“ und
„Kinderbetreuung“, erfordert weiterhin unsere Aufmerk-
samkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)






Anita Schäfer (Saalstadt)



(A) (C)



(D)(B)

Ich hoffe, dass sich auch der freiwillige Wehrdienst zu
einem Erfolgsmodell wie der zivile Bundesfreiwilligen-
dienst entwickelt. Daran sollten wir alle gemeinsam
arbeiten.

Frau Präsidentin, zum Schluss darf ich noch dem
Wehrbeauftragten und seinen Mitarbeiterinnen und
Mitarbeitern ganz herzlich für ihr großes Engagement
danken, das sie zum Wohle der Sicherheit unserer Solda-
ten gezeigt haben. Herzlichen Dank noch einmal!


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721630800

Der Kollege Dr. Reinhard Brandl spricht nun eben-

falls für die Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Reinhard Brandl (CSU):
Rede ID: ID1721630900

Frau Präsidentin! Herr Wehrbeauftragter! Meine sehr

verehrten Kollegen! Die Bundeswehr ist eine Parla-
mentsarmee. Unsere Verantwortung als Parlament für
die Armee zeigt sich nicht nur in der Mandatierung der
Einsätze – Frau Kollegin Schäfer hat einige angespro-
chen – und nicht nur darin, dass wir einen Haushalt auf-
stellen, in dem auch Organisation und Größe der
Bundeswehr festgelegt sind, sondern auch darin, dass
wir einen Wehrbeauftragten wählen als zentralen An-
sprechpartner für die Soldaten und als Ausdruck von
Kontrolle und Verantwortung für das Innenleben der
Bundeswehr.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


In einer Zeit, in der die Bundeswehr von Grund auf
neu ausgerichtet wird, ist das Innenleben der Bundes-
wehr natürlich in Aufruhr. Ich möchte mich ganz
herzlich bei Ihnen, Herr Königshaus, dafür bedanken,
dass Sie diese Neuausrichtung der Bundeswehr so kon-
struktiv begleiten und auf diese Weise dazu beitragen,
dass Härten und Ungerechtigkeiten erkannt und in vielen
Fällen auch ausgemerzt werden können.

Herr Wehrbeauftragter, Ihre Rede hat deutlich ge-
macht: Sie legen den Finger auch dann in die Wunde,
wenn der Auftrag, den wir hier erteilen, nicht zur
Ausrüstung und zur Ausbildung der Soldaten passt. Da
haben Sie recht; denn wir schulden unseren Soldaten die
bestmögliche Ausbildung, den bestmöglichen Schutz
und das bestmögliche Einsatzgerät. Ich nenne nur Stich-
worte aus Ihrem Bericht: geschützte Fahrzeuge, Hand-
waffen, Munition, Schießausbildung, Nachtsichtgeräte,
Hubschrauber, Route Clearance, Drohnen. Wenn wir
2012 keinen Gefallenen zu beklagen hatten – das ist hier
mehrfach angesprochen worden –, dann hat das auch
damit zu tun, dass wir bei der Ausrüstung und bei der
Ausbildung besser geworden sind. Das ist mit ein Ver-
dienst des Wehrbeauftragten.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Natürlich werden wir bei der Ausbildung und vor allem
bei der Ausrüstung nie einen perfekten Stand erreichen,
weil sich Auftrag und Einsatzbedingungen der Soldaten

immer wieder dynamisch ändern. Diese ändern sich
schneller, als die Beschaffung darauf reagieren kann. Ich
hoffe aber, dass wir mit dem neuen Rüstungsprozess, ein
zentraler Baustein in der Neuausrichtung, die zeitliche
Lücke zwischen Bedarf und Deckung des Bedarfs weiter
verkürzen können.

Verehrte Kolleginnen und Kollegen, was heute schon
des Öfteren angesprochen worden ist und was mich per-
sönlich auch besonders freut, ist, dass der Zustrom zur
Bundeswehr weiterhin ungebrochen ist. Wir denken im-
mer nur an die freiwillig Wehrdienstleistenden. Wir dür-
fen aber nicht vergessen, dass im Januar dieses Jahres
3 500 junge Männer und Frauen ihren Dienst als Zeit-
soldaten bei der Bundeswehr begonnen haben. Wir ha-
ben für das Jahr 2013 insgesamt einen Bedarf von
16 150 Zeitsoldaten. Das heißt, der Bedarf für 2013 ist
bereits heute schon zu fast 25 Prozent gedeckt – und das
trotz rückgängiger Jahrgangsstärken, trotz guter Alterna-
tiven auf dem Arbeitsmarkt, trotz der Schwierigkeiten
bei der Neuausrichtung und trotz der Tatsache, dass der
Soldatenberuf natürlich ein gefährlicher Beruf ist. Diese
Zahl ist für mich ein guter Indikator für das Ansehen und
den Stellenwert der Bundeswehr in der Gesellschaft.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Aber täuschen wir uns nicht. Der Wettbewerb um die
besten Köpfe wird schon aufgrund der Demografie im-
mer härter werden. Im Dezember wurden die neuen Kar-
rierecenter der Bundeswehr in allen Bundesländern in
Dienst gestellt. Auch das ist ein wichtiger Bestandteil
der Neuausrichtung, und auch das ist ein Punkt, auf den
wir große Hoffnungen setzen. Es muss gerade für uns als
Parlament das Ziel sein, die Besten für die Bundeswehr
zu gewinnen; denn wir stellen – das ist in den Reden der
Kolleginnen und Kollegen auch immer wieder deutlich
geworden – hohe ethische und moralische Ansprüche an
unsere Soldaten.

Der Bericht des Wehrbeauftragten ist für uns ein
wichtiger Seismograf dafür, wie diese große Truppe von
200 000 jungen Männern und Frauen diesen Anforde-
rungen gerecht wird. Herr Königshaus, wenn ich Ihren
Bericht lese, dann muss ich feststellen, dass unsere
Truppe, die Bundeswehr, diesen hohen Anforderungen
zum großen Teil auch gerecht wird. Darauf können wir
stolz sein.

Herr Königshaus, ich danke Ihnen und Ihren Mitar-
beitern für Ihre Arbeit, und ich danke Ihnen, meine ver-
ehrten Kolleginnen und Kollegen, für Ihre Aufmerksam-
keit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721631000

Ich schließe die Aussprache.

Wir kommen zu der Beschlussempfehlung des Vertei-
digungsausschusses zu dem Jahresbericht 2011 des
Wehrbeauftragten. Das sind die Drucksachen 17/8400
und 17/11215. Der Ausschuss empfiehlt, in Kenntnis der
Unterrichtung eine Entschließung anzunehmen. Wer
stimmt für diese Beschlussempfehlung? – Wer stimmt





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

dagegen? – Wer enthält sich? – Die Beschlussempfeh-
lung ist einstimmig angenommen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 6 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten Gabriele
Lösekrug-Möller, Anette Kramme, Hubertus Heil

(Peine), weiterer Abgeordneter und der Fraktion

der SPD

Künftige Wirtschaftkrisen erfolgreich meis-
tern – Kurzarbeitergeld unter erleichterten
Bedingungen wieder einführen

– Drucksache 17/12055 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Arbeit und Soziales (f)

Ausschuss für Wirtschaft und Technologie

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat die Kolle-
gin Gabriele Lösekrug-Möller für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1721631100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen

und, sofern uns sonst noch jemand zuschaut, meine Da-
men und Herren! Selten wurde eine politische Maß-
nahme so einhellig gelobt und war messbar so erfolg-
reich wie das konjunkturelle Kurzarbeitergeld. Die
Minister Scholz und Steinbrück – ich erinnere daran
gerne – hatten es in der Finanz- und Wirtschaftskrise
2009 eingeführt.

Herr Weise, der Chef der BA – ich habe das im Han-
delsblatt vom 12. Januar gelesen –, hat daran erinnert: In
Spitzenzeiten dieser Krise, so sagt er, waren 1,7 Millio-
nen deutsche Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im
Bezug dieses konjunkturellen Kurzarbeitergeldes. Das
waren 1,7 Millionen Menschen, die weiter in Lohn und
Brot bleiben konnten. Aber es war nicht nur gut für die
Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen, es zahlte sich
auch aus für die Unternehmen; denn Tausende – es sind
mehr als 13 000 Unternehmen seinerzeit gewesen –
konnten die Krisenzeit so abpuffern und ihre Fachkräfte
halten – ein wichtiges Thema, das in den nächsten Jah-
ren immer wichtiger werden wird; zumindest an der
Stelle mögen wir uns einig sein.

Der große Vorteil war: Beim Aufschwung, der dann ja
auch kam, hatten die Unternehmen sofort wieder ihr
Know-how und konnten durchstarten. Das ist einer der
Gründe, warum wir so stabil aus dieser Krise herausge-
kommen sind.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich will nur sagen: Dieses Kug – so kürzen wir das ja
ab – hat seinen Praxistest glänzend bestanden.

Aber leider hatte es Schwarz-Gelb eilig, dieses Instru-
ment wieder zurückzuführen. Sogar vorzeitig, drei Mo-
nate früher, als ursprünglich vereinbart, hieß es: Wir

nehmen das wieder zurück. – Das halte ich und das hält
meine Fraktion mit mir für einen gravierenden Fehler.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben ihn schon damals kritisiert und haben Verste-
tigung beantragt. Damals, 2011, fanden wir kein Gehör
bei Mehrheit und Regierung; im Gegenteil – ich sagte
es –: Sie haben die Sonderregelung verkürzt.

Jetzt ist die Frage: Wie sieht es heute aus? Etwas
dazugelernt? Ich hoffe, ja; denn wir wollen mit unserem
Antrag „Künftige Wirtschaftskrisen erfolgreich meis-
tern – Kurzarbeitergeld unter erleichterten Bedingungen
wieder einführen“ einen Impuls geben, dem alle hier fol-
gen sollten, weil es um eine ganz wichtige politische
Botschaft geht.

Ich gebe zu: Erleichterte Kurzarbeit ist SPD-Politik in
Reinform.


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nicht nur!)


Warum sage ich das so? Es ist eine Beschäftigungsbrü-
cke im Konjunkturabschwung. Es gibt kein Argument
dagegen. Es geht um die Sicherung von Arbeitsplätzen,
und es geht um einen Weg, die auftragsarme Zeit für
Weiterbildung zu nutzen und aus der Beschäftigungsbrü-
cke, die Kurzarbeit ganz sicher ist, auch eine Qualifizie-
rungsbrücke zu machen.


(Beifall bei der SPD)


Weil der eine oder andere Einwand kommen mag,
will ich sagen: Dass das noch nicht so rund gelaufen ist,
wundert mich persönlich nicht. Wir haben das erstmals
ausprobiert: eine Verquickung von Qualifizierungsange-
boten und Kurzarbeitergeld. Ich finde, das ist etwas, auf
das wir unser Augenmerk auch zukünftig richten sollten;
denn das treibt den nächsten Aufschwung an und hilft,
Facharbeiterinnen und Facharbeiter in den Unternehmen
zu halten, weil wir sie morgen ja so dringend brauchen.

Das heißt im Blick zurück: Die konjunkturelle Kurz-
arbeit hat in den Krisenjahren starke Einbrüche am Ar-
beitsmarkt verhindert und dazu beigetragen, dass wir die
besten Arbeitsmarktzahlen der letzten Jahrzehnte ver-
zeichnen konnten.

Ich will Ihnen noch etwas sagen, meine Damen und
Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen, damit mir nicht
untergeschoben wird, ich neigte zum Schwarzmalen; das
ist überhaupt nicht meine Art. Wir werden morgen hier
den Jahreswirtschaftsbericht diskutieren. Ich brauche
keine Kristallkugel, um sagen zu können: Da wird es um
schlechtere Perspektiven und Prognosen gehen. Sie wer-
den nicht mehr das Wachstum zeigen, das wir in den
letzten Monaten und Jahren hatten.

Deutschland – das wissen viele – befindet sich in ei-
ner prekären Stagnation, weil die Rezession im Euro-
Raum auch unsere Volkswirtschaft herunterzieht. Des-
halb ist Vorsorge angesagt, die darin besteht, dass wir
uns wappnen und wieder eine bessere Kurzarbeitssitua-
tion schaffen. Die SPD sagt sogar: Es wäre klug, wir
würden das, was wir bei der konjunkturellen Kurzarbeit
als Vorteile hatten, verstetigen, damit wir nicht ein Auf
und Ab in den Rahmenbedingungen für Kurzarbeit ha-





Gabriele Lösekrug-Möller


(A) (C)



(D)(B)

ben, sondern den Arbeitgebern und Unternehmen eine
ganz klare Grundlage liefern, sodass sie wissen: Auch in
konjunkturell schwierigen Zeiten haben wir die staatli-
che Regelung zur Unterstützung an unserer Seite.

Wir wissen: Das Problem des Missbrauchs ist entge-
gen manchem Unken sehr gering. Ich erinnere daran:
Die Remanenzkosten bleiben bei den Unternehmen. Das
sind fast ein Viertel der Ausgaben. Das sorgt dafür, dass
Unternehmen nicht leichtfertig sagen: Wir schicken un-
sere Leute in Kurzarbeit.

Gerade in den letzten Tagen mussten wir hören, dass
MAN Kurzarbeit angemeldet hat. Wir reden also nicht
etwas herbei, sondern sagen: Wir als Gesetzgeber müs-
sen jetzt handeln, damit wir eine gute Grundlage haben.
– Ein Einwand, der vermutlich von meinen nachfolgen-
den Rednern von den Regierungsfraktionen kommt, ist:
Das haben wir alles schon im Dezember erledigt. – Nein,
das haben Sie eben nicht. § 109 SGB III erlaubt, dass
man per Verordnung die Bezugsdauer von Kurzarbeiter-
geld verlängern kann. Ja, das haben Sie gemacht. Aber
die qualitativen Kriterien, von denen wir sagen, dass sie
die Beschäftigungs- und Qualifizierungsbrücke bringen,
haben Sie gar nicht aufgegriffen. Da sagen wir: Bitte
mehr Mut! Unsere Wirtschaft braucht das. Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer hoffen darauf. Unterneh-
men brauchen einen sicheren Planungshorizont.

Deshalb, meine Damen und Herren, freue ich mich
auf die Diskussion, die wir zu unserem Antrag haben
werden. Ich kann Ihnen versichern: Sollten Sie ihm zu-
stimmen, zumindest in weiten Teilen, so freuen wir uns.
Das steht dem Parlamentarismus in Deutschland gut zu
Gesicht. Peter Struck, der heute Morgen ob seiner Quali-
täten als Parlamentarier gewürdigt wurde, hat viel Wert
darauf gelegt, dass Parlamentarier Mut haben, zu sagen,
dass auch gute Vorschläge durch die Bearbeitung im Par-
lament besser werden können. Darauf setze ich. Ich
hoffe, dass wir einen guten Weg gehen. Wir werden ihn
für einen weiterhin stabilen Arbeitsmarkt und eine gute
wirtschaftliche Lage in Deutschland brauchen.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721631200

Das Wort hat der Kollege Paul Lehrieder für die

Unionsfraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Paul Lehrieder (CSU):
Rede ID: ID1721631300

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen!

Liebe Kollegen! Liebe Kollegen von der Sozialdemokra-
tie! Sehr geehrte Frau Kollegin Lösekrug-Möller, Sie ha-
ben vielleicht etwas irritiert reagiert, als ich während Ih-
rer Rede spontan klatschen musste, weil ich feststellte:
Jawohl, die Dame hat recht. Das erste Drittel Ihrer Rede
konnte ich voll und ganz unterschreiben. Dann haben
aber leider die Qualität und Seriosität Ihrer Rede ein
bisschen nachgelassen.


(Zurufe von der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN: Oh! – Iris Gleicke [SPD]: Das weisen wir mit Abscheu und Entsetzen zurück! – Zuruf der Abg. Anette Kramme [SPD])


– Sie hätten sich Redezeit geben lassen können, Frau
Kramme.

Frau Lösekrug-Möller, Sie haben recht: Wir können
von Glück reden, dass wir zu Beginn der letzten Krise
engagiert und dynamisch – zugegeben auch mit einem
gewissen Verdienst des damaligen Arbeitsministers Olaf
Scholz – die Kurzarbeiterregelung von zunächst 6 auf
18 Monate und dann auf 24 Monate verlängert haben.
Damit hatten wir während der Krise das richtige Mittel,
qualifizierte Arbeitsplätze in den Unternehmen zu hal-
ten. Diese Maßnahme schuf Vertrauen sowohl für die
Arbeitgeber als auch für die Arbeitnehmer, die ihren Job
zwar behalten konnten und weniger verdient haben, aber
trotzdem gewusst haben: Ich bin noch integriert. Ich bin
noch im Unternehmen. – Das war richtig. Ich wünschte
mir, dass ähnliche Modelle von anderen Ländern in Eu-
ropa, die auf dem Arbeitsmarkt noch viel mehr Probleme
haben als wir, ausprobiert würden. Es müsste geprüft
werden, ob es für Spanien, Portugal, für Griechenland
vielleicht infrage käme, ähnliche Methoden anzuwen-
den.

Liebe Frau Lösekrug-Möller, Sie hätten ehrlicher-
weise dazusagen müssen, dass Olaf Scholz in der letzten
Legislaturperiode – wir haben es beide hautnah erlebt –
bei der ersten Verlängerung des Bezugs des Kurzarbei-
tergeldes vorgeschlagen hat, Qualifizierung zur Voraus-
setzung für die vom Kurzarbeitergeldbezug betroffenen
Mitarbeiter zu machen. Diesen Vorschlag haben wir
nicht aufgegriffen, weil er nicht praktikabel war. Der
Wirtschaftseinbruch war in der Krise mit 5,1 Prozent so
heftig, dass wir nicht noch einige Monate hätten qualifi-
zieren können. Wir mussten es ad hoc gewähren. Eines
ist auch richtig: Wir haben damals sehr schnell reagiert.
Ein großes Kompliment an alle an der Entscheidungsfin-
dung beteiligten Parteien des Bundestages. Innerhalb ei-
ner Woche haben wir die erste Lesung, die Ausschussan-
hörung, die zweite Lesung und dann das endgültige
Gesetz durch den Bundestag gebracht. Das heißt, wir
sind kampagnenfähig. Wir sind in der Lage, auf eine
Verschlechterung schnell zu reagieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb hat der Antrag der SPD völlig zu Recht die
Überschrift: „Künftige Wirtschaftskrisen erfolgreich
meistern – Kurzarbeitergeld unter erleichterten Bedin-
gungen wieder einführen“. Es heißt aber: „Künftige
Wirtschaftskrisen“. Wir müssen erst einmal schauen, wie
sich das Ganze tatsächlich entwickelt.

Außerdem darf ich Sie daran erinnern – Sie haben das
Bonmot selbst vorweggenommen –, dass die unionsge-
führte Bundesregierung durch die Verordnung über die
Bezugsdauer für das Kurzarbeitergeld mit Wirkung zum
14. Dezember 2012 – lange vor Ihrem Antrag vom
14. Januar – die gesetzlich auf sechs Monate begrenzte
Bezugsdauer für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer,
deren Anspruch auf Kurzarbeitergeld bis zum 21. De-





Paul Lehrieder


(A) (C)



(D)(B)

zember 2013 entsteht, bereits auf zwölf Monate verlän-
gert hat.

Durch die Möglichkeit einer bis zu zwölfmonatigen
Bezugsdauer wird den Arbeitgebern die eingangs be-
sprochene Planungssicherheit sowie die Möglichkeit ge-
geben, kurzzeitige konjunkturelle Einbrüche zu überbrü-
cken, ohne Mitarbeiter entlassen zu müssen. Die
Verlängerung stellt eine Vorsichtsmaßnahme dar, um ei-
nem möglichen wirtschaftlichen Abschwung wirksam
entgegenzutreten.

Das heißt aber nicht, liebe Kolleginnen und Kollegen,
dass es um die konjunkturelle Lage in Deutschland so
schlecht steht, wie Sie versuchen, es hier darzustellen.


(Zuruf der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE])


Die schwarzen Wolken, die einige Kollegen der SPD
– auch Sie, Frau Krellmann – hier an den Himmel proji-
zieren wollen, kann ich bisher beim besten Willen nicht
erkennen. Im Gegenteil! Deutschland hat so wenig Ar-
beitslose wie seit über 20 Jahren nicht mehr, zum großen
Teil dank der christlich-liberalen Regierung, die dieses
Land in den letzten drei Jahren genießen durfte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die Zahl der sozialversicherungspflichtig Beschäftig-
ten war 2012 mit 41,5 Millionen Menschen so hoch wie
nie zuvor.


(Zurufe von der LINKEN)


Das haben wir auch in der Großen Koalition nicht ge-
schafft, Frau Lösekrug-Möller. Mit 2,897 Millionen Ar-
beitslosen im Jahr 2012 ist das niedrige Niveau des
Boomjahres 2011 sogar um 79 000 unterschritten wor-
den. Die Arbeitslosenquote sank um 0,3 Prozentpunkte
auf 6,8 Prozent. Bayern lag hierbei mit einer durch-
schnittlichen Quote von 3,7 Prozent an der Spitze. Am
liebsten verweise ich auf meinen Wahlkreis: Im Land-
kreis Würzburg haben wir eine Arbeitslosenquote von
2,6 Prozent. Da kann man schon so langsam von Vollbe-
schäftigung sprechen.

Selbstverständlich gehört es auch dazu, zu sagen, dass
die Dynamik auf dem Arbeitsmarkt gegen Ende des ver-
gangenen Jahres abgenommen hat und erste Spuren ei-
ner Konjunktureintrübung sichtbar werden. Das hängt
teilweise mit den internationalen Exportchancen gerade
in Krisenländer im südlichen Europa zusammen. So ha-
ben sich die infolge der Staatsschuldenkrise in Europa
sowie aufgrund der schlechteren konjunkturellen Pro-
gnose anhaltende Verunsicherung und Zurückhaltung bei
den Unternehmen vermehrt auf dem hiesigen Arbeits-
markt bemerkbar gemacht.

Allerdings warne ich davor, jetzt in Hysterie auszu-
brechen; denn der Arbeitsmarkt stellt sich trotz der nach-
lassenden wirtschaftlichen Dynamik nach wie vor äu-
ßerst robust dar und rechtfertigt in keiner Weise – Frau
Kollegin Lösekrug-Möller, hören Sie mir zu! – diese Art
von Alarmstimmung, die Sie hier zu verbreiten versu-

chen. Auch die Aussichten sind für Deutschland noch
bei weitem besser als für viele andere Staaten in Europa.
Für das Jahr 2013 ist nicht mit einem gravierenden An-
stieg der Arbeitslosigkeit und einer Trendwende zum
Schlechteren zu rechnen. Die vorliegenden Daten deuten
darauf hin, dass der Arbeitsmarkt auch weiterhin robust
reagiert und wir die Lage am Arbeitsmarkt sehr stabil
halten können.

Die Zahl der Kurzarbeiter liegt trotz einer geringen
Zunahme noch im normalen Bereich, sodass es auch hier
keine Indikatoren gibt, die auf eine krisenhafte Entwick-
lung hindeuten. Im Jahr 2011 lag die Zahl der Kurzarbei-
ter bei durchschnittlich 102 000, 2012 bei unter 100 000.
Laut Prognose der Bundesagentur für Arbeit wird für
2013 mit 180 000 Kurzarbeitern gerechnet. Nur zur Er-
innerung: Zur Zeit der Wirtschaftskrise lag diese Zahl
bei etwa 1,5 Millionen; das nur, um Ihnen die Relationen
ein wenig vor Augen zu führen. Das Bruttoinlandspro-
dukt ist damals um 5 Prozentpunkte eingebrochen. Zur-
zeit wird darüber diskutiert, ob es um 0,2 oder um
0,3 Prozentpunkte sinkt. In der Zeit der Weltwirtschafts-
krise lag dieser Wert bei 5,1 Prozent. Auch hier sollten
Sie sich die Relationen klarmachen.

Die Präsidentin bittet mich, so langsam ans Ende zu
denken. Ich glaube, das vor uns liegende Jahr wird für
die deutschen Arbeitnehmer und Arbeitgeber von Segen
geprägt sein, insbesondere wenn im September die
christlich-liberale Koalition in die Verlängerung geht.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit und wün-
sche Ihnen eine schöne Zeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721631400

Das Wort hat die Kollegin Jutta Krellmann für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721631500

Vielen Dank, Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Herr Lehrieder und andere vergessen im-
mer die wichtigsten Akteure in diesem Zusammenhang:


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Nicht die Linken! Nicht die Linken!)


die Betriebsräte und die Vertrauensleute im Betrieb. Sie
sind diejenigen, die die Probleme aufgreifen und die die
Kurzarbeit und all die anderen Instrumente umsetzen,
die hier diskutiert wurden. Sie sind in Krisenzeiten mit
die ersten auf der Matte, die etwas unternehmen können.

Ihre Aufgabe ist es, Arbeits- und Ausbildungsbedin-
gungen im Betrieb zu sichern. Sie brauchen dazu eine
Werkzeugkiste, mit der sie sicher und zuverlässig arbei-
ten können. Wichtigstes Werkzeug ist in dem Zusam-
menhang der Umgang mit Arbeitszeit. Arbeitszeitkon-
ten, Verkürzung und Verlängerung von Arbeitszeit
stehen im Zentrum jeder betrieblichen Auseinanderset-
zung. Kurzarbeit ist dabei ein Kernwerkzeug der Kolle-
ginnen und Kollegen.





Jutta Krellmann


(A) (C)



(D)(B)


(Beifall bei der LINKEN)


Wie erfolgreich dieses Instrument war, konnte man in
der letzten Krise sehen. Daher ist es unverständlich,
wieso man die erweiterte Kurzarbeitergesetzgebung aus
der Krise 2009 nicht zu einer Dauereinrichtung macht.

Unter diesem Gesichtspunkt finde ich den Antrag der
SPD gut und richtig. Was ich aber in dem Antrag nicht
gefunden habe, ist der Vorschlag bzw. die Forderung,
auch Leiharbeitern den Bezug von Kurzarbeitergeld zu
ermöglichen. Haben Sie das übersehen? Haben Sie das
vergessen? Oder soll das gar nicht geregelt werden? Es
ist das ureigenste Unternehmerrisiko der Leiharbeitsfir-
men, Arbeitsausfall aufzufangen. Leider können sie das
Risiko problemlos an ihre Beschäftigten weitergeben:
Sie werden einfach entlassen. Die Linke fordert deshalb:
Kurzarbeitergeld auch für Leiharbeitsbeschäftigte.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Kurzarbeit ist ein Instrument zur schnellen Re-
aktion beim Eintritt einer Krise; es geht aber nicht an die
Ursachen. Die Zahl der Beschäftigten in Kurzarbeit
nimmt seit der Krise 2009 zum ersten Mal wieder zu.
Der Grund liegt nicht zuletzt in der Europapolitik der
Kanzlerin. Der Fiskalpakt und die den Krisenländern
Europas verordnete radikale Sparpolitik haben zu einem
dauerhaften Einbruch des Wachstums und der Nachfrage
in diesen Staaten geführt; die staatliche Schuldenkrise
haben sie damit nicht gelöst. Für diese Politik stimmten
leider auch die SPD und die Grünen. Die Linke hat als
einzige Partei diesen Kurs konsequent abgelehnt.

Deutschland exportiert 60 Prozent seiner Produkte in
Länder der EU. Jetzt wundern sich alle, wenn export-
orientierte Firmen in Deutschland in die Krise geraten.
Ihre Politik ist verantwortlich dafür.


(Beifall bei der LINKEN)


Momentan freuen sich nur Banken über Ihre Politik; sie
machen weiter leichtes Geld mit der Krise der Staatsfi-
nanzen. Das muss ein Ende haben. Die Linke will die Fi-
nanzmärkte strikt regulieren und Millionäre zur Kasse
bitten.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Linke fordert ein Ende der brutalen Sparpolitik im
Euro-Raum und einen Marshallplan für Südeuropa. Nur
so kommt die Wirtschaft wieder auf die Beine, sodass
wichtige Investitionen getätigt werden können.


(Beifall bei der LINKEN)


Meine Damen und Herren, die Bundesregierung ver-
schärft mit ihrer Politik die Krise, anstatt sie zu lösen.
Die Verlängerung der Kurzarbeit ist absolut nötig. So er-
halten die Beschäftigten und ihre Betriebe Planungssi-
cherheit. Nur die Linke hat ein wirkliches Antikrisenpro-
gramm: Wir spannen einen Rettungsschirm nicht nur für
die Banken, sondern für die Menschen in Deutschland
und Europa. Wir wollen die Profiteure und Spekulanten
zur Verantwortung ziehen. Wir machen Politik für die
Menschen.


(Beifall bei der LINKEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721631600

Der Kollege Pascal Kober hat nun für die FDP-Frak-

tion das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1721631700

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die derzeitige Arbeitsmarktsituation in Deutschland ist
sehr gut: Wir haben die höchste Erwerbstätigenzahl in
der Geschichte der Bundesrepublik und die geringste
Arbeitslosigkeit seit der Wiedervereinigung. Das ist in
erster Linie der Erfolg der vielen fleißigen Arbeitneh-
merinnen und Arbeitnehmer, der Arbeitgeberinnen und
Arbeitgeber. Aber es ist auch recht, dass wir vonseiten
der Regierungskoalition einmal darauf hinweisen, dass
das auch Ergebnis einer richtigen Politik ist.


(Beifall bei der FDP sowie des Abg. Max Straubinger [CDU/CSU] – Zuruf vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: Das wagen wir zu bestreiten!)


Es wäre schön, wenn auch die Opposition das einmal
eingestehen könnte.

Frau Krellmann, Sie sagen, dass Sie Politik für die
Menschen machen wollen. Dann müssen Sie doch ein-
mal anerkennen, dass diese Regierung eine so erfolgrei-
che Politik für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer
– auch das sind Menschen – gemacht hat wie noch keine
in der Geschichte der Bundesrepublik.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: „Das sind Menschen“! Gut, dass Sie das noch mal sagen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721631800

Kollege Kober, gestatten Sie eine Frage oder eine Be-

merkung der Kollegin Lösekrug-Möller?


Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1721631900

Ja, gerne.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh nein! Gnade!)



Gabriele Lösekrug-Möller (SPD):
Rede ID: ID1721632000

Sehr geehrter Kollege Kober, Sie haben gerade die

Erfolge Ihrer Politik auf dem Arbeitsmarkt hervorgeho-
ben. Ich habe im Handelsblatt vom 12. Januar gelesen,
dass Herr Weise schwere Bedenken hinsichtlich der Mit-
telausstattung der BA hat, sofern sich die Krise ver-
schärft oder unsere Wirtschaft in Schwierigkeiten
kommt. Unter anderem sagt er – von Ihnen möchte ich
wissen, ob Sie das auch so sehen –, dass er ein schweres
Jahr erwartet. Ich zitiere aus dem Handelsblatt:

Im Jahresdurchschnitt dürfte die Arbeitslosigkeit
aber nicht über die Drei-Millionen-Marke steigen.
Ein wichtiger Grund dafür sei die schrumpfende
Bevölkerungszahl.





Gabriele Lösekrug-Möller


(A) (C)



(D)(B)

Ist das Ihr politischer Erfolg? Habe ich das richtig ver-
standen?


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: 82 Millionen sind das!)



Pascal Kober (FDP):
Rede ID: ID1721632100

Frau Lösekrug-Möller, die schrumpfende Zahl der

Menschen in unserem Land ist nicht das Ergebnis der
Politik dieser Regierung. Ganz im Gegenteil: Diese Re-
gierung und die Koalitionsfraktionen machen viel für
Familien mit Kindern und für die Kinderbetreuung, ge-
rade um diesem Trend entgegenzuwirken.


(Zuruf von der LINKEN: Herdprämie!)


Auch in anderen Bereichen ist diese Regierung so er-
folgreich wie keine vor ihr. Deshalb, liebe Frau
Lösekrug-Möller: Wir sehen unsere Verantwortung und
gehen die Herausforderungen entschieden an. – Vielen
Dank.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Diese Regierung hat eine wachstumsfreundliche Poli-
tik gemacht: gleich zu Beginn der Legislaturperiode
beispielsweise durch das Wachstumsbeschleunigungsge-
setz, zuletzt jetzt am 1. Januar 2013 durch die Absen-
kung der Rentenversicherungsbeiträge. Damit haben wir
jeweils entscheidende Akzente gesetzt und Impulse ge-
geben, damit die Wirtschaft auf Wachstumskurs kommt
und bleiben kann. Das ist gute Politik im Sinne der Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmer.

Der Arbeitsmarkt in Deutschland ist gut, viel besser
als es in den Nachbarländern bedauerlicherweise festzu-
stellen ist. Deutschland ist gut durch die Krisenjahre ge-
kommen. Es hat besser die Folgen der Wirtschafts- und
Finanzkrise verkraftet als vergleichbare Länder um uns
herum. Das Wachstum, das wir hier zu verzeichnen ha-
ben, ist alles andere als selbstverständlich.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Auf Kosten der anderen!)


Ein wesentlicher Grund dafür ist in der Tat das Instru-
ment der Kurzarbeit, so wie wir es in der Wirtschafts-
und Finanzkrise in Deutschland angewendet haben.
Nicht umsonst schauen unsere europäischen Nachbarn
und auch andere Länder weltweit auf dieses Erfolgsmo-
dell und wollen es nun auch nachahmen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Loben Sie doch jetzt einmal die Gewerkschaften!)


Vor allem die Arbeitnehmer haben in der Krise Opfer
gebracht. Sie haben auf Gehalt verzichtet, um ihre Ar-
beitsplätze zu sichern. Aber auch für die Unternehmerin-
nen und Unternehmer ist die Kurzarbeit nicht kostenfrei.
Insofern ist es eine gemeinsame Anstrengung von Ar-
beitnehmerinnen und Arbeitnehmern – auch wenn sie
gewerkschaftlich organisiert sind –, Arbeitgeberinnen
und Arbeitgebern und der Politik, dass das gemeinsam
gelungen ist.

Ich habe bereits auf die Erfolge des Arbeitsmarktes
hingewiesen, aber uns allen ist klar, dass das die momen-
tane Situation ist. Jetzt komme ich auf das zurück, was
Frau Lösekrug-Möller gesagt hat: Die Erwartungen für
dieses Jahr signalisieren uns zwar weiterhin Wachstum,
aber es gibt in der Tat auch Anzeichen, dass die ange-
spannte Lage bei unseren europäischen Nachbarn auch
bei uns zu Veränderungen führen könnte.

Die Bundesagentur für Arbeit – Frau Lösekrug-
Möller, darauf haben Sie sich in Ihrer Frage ja bezogen –
geht davon aus, dass die Zahl der Kurzarbeiter in diesem
Jahr bei circa 200 000 Menschen liegen dürfte.


(Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Nein! Nein! Das ist der Haushaltsansatz!)


Das wären dann aber bei weitem noch nicht so viele wie
beim Höhepunkt im Mai 2009, als es 1,4 Millionen
Menschen waren. Zudem sind dieses Jahr regionale und
branchenspezifische Unterschiede zu erwarten. So wird
der Schwerpunkt der Kurzarbeit voraussichtlich im ver-
arbeitenden Gewerbe liegen, und sie wird besonders in
Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und dem Saar-
land eingesetzt werden. Kurzarbeit wird kein deutsch-
landweites Massenphänomen sein. Daher sehen wir auch
keinen akuten gesetzgeberischen Handlungsbedarf. Die
bestehenden Gesetze und der Handlungsspielraum der
Bundesagentur für Arbeit sind derzeit ausreichend.

Auf die Anzeichen, dass wir in diesem Jahr mit mehr
Kurzarbeit zu rechnen haben, hat diese Bundesregierung
schnell und unkompliziert reagiert. Bundeswirtschafts-
minister Philipp Rösler und Bundesarbeitsministerin
Ursula von der Leyen haben sich Anfang Dezember
2012 darauf verständigt, dass das Kurzarbeitergeld statt
wie bisher sechs Monate künftig zwölf Monate ausbe-
zahlt werden kann. Das zeigt einmal mehr: Die Bundes-
regierung kann handeln, wenn es nötig ist. Sie tut es und
hat die Grundlage dafür gelegt, dass in Zukunft flexibel
und schnell gehandelt werden kann, wenn die Situation
auf dem Arbeitsmarkt dies erfordert. Weitergehende For-
derungen, wie sie auch der Antrag der SPD beinhaltet,
halte ich zum jetzigen Zeitpunkt für eindeutig verfrüht.
Wir sollten mögliche Probleme oder eine Krise nicht
herbeireden, Frau Lösekrug-Möller.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Da im Bereich Wirtschaft vieles Psychologie ist, soll-
ten wir die notwendigen Schritte dann ergreifen, wenn
der Zeitpunkt dafür gekommen ist, und nicht voreilig
über möglicherweise in der Zukunft auftretende Pro-
bleme reden, die wir jetzt noch nicht haben und die nach
der derzeitigen Lage auch nicht wahrscheinlich sind.
Jetzt zitiere ich Frank-Jürgen Weise, den Chef der Bun-
desagentur für Arbeit. Er sagte:

Die gefühlten Risiken auf dem Arbeitsmarkt sind
größer als die tatsächlichen.

Ich glaube, an diesen Satz sollten wir uns halten. Diesen
Satz sollten wir uns immer wieder bewusst machen und
im Kopf behalten, wenn wir hier und heute über Verän-





Pascal Kober


(A) (C)



(D)(B)

derungen im Bereich der Kurzarbeit sprechen. Politik
sollte weniger von Gefühlen geleitet sein, sondern mehr
von der Realität und den Fakten.

Liebe Kolleginnen und Kollegen der SPD, Sie können
sich darauf verlassen, dass wir das Thema Kurzarbeit
und Kurzarbeitergeld auf dem Schirm haben. Die Vor-
schläge, die Sie in Ihrem Antrag machen, haben wir
durch Regierungshandeln zum Teil bereits erledigt.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Nur sonst nichts! Das ist das Problem!)


Ich glaube, wir sind in der Lage, kurzfristig auf Verände-
rungen auf dem Arbeitsmarkt zu reagieren. Wie immer
werden wir die Probleme der Menschen angehen und das
Gute und das Richtige für sie entscheiden.


(Jutta Krellmann [DIE LINKE]: Dann ist es zu spät!)


Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721632200

Die Kollegin Brigitte Pothmer hat für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Brigitte Pothmer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721632300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr

Kober, Sie haben es schon vorsichtig angedeutet: Die
Lage auf dem Arbeitsmarkt trübt sich ein; die Wirt-
schaftsleistung schrumpft; Sie haben ja heute sogar Ihre
eigene Wachstumsprognose von 1 Prozent auf 0,4 Pro-
zent nach unten korrigiert.

Natürlich ist es so, dass die Nachfrage nach Arbeits-
kräften zurückgegangen ist. Daraus resultierend ist die
Arbeitslosigkeit gestiegen, und die Unternehmen melden
zunehmend Kurzarbeit an. Mit anderen Worten: Die fet-
ten Jahre sind vorbei. Ich will das hier gar nicht dramati-
sieren.


(Pascal Kober [FDP]: Die Wortwahl ist aber schon sehr dramatisch!)


Ich will der Regierung auch gar nicht die alleinige
Schuld dafür zuweisen. Was ich Ihnen allerdings vor-
werfe, ist, dass Sie diese guten Zeiten nicht genutzt ha-
ben, um Vorsorge für schlechtere Zeiten, die absehbar
waren, zu treffen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Sie haben sich nicht nur auf der guten Arbeitsmarktlage
ausgeruht,


(Pascal Kober [FDP]: Wir haben entscheidende Impulse gesetzt!)


sondern Sie haben in dieser Zeit auch die Kassen der BA
wirklich gnadenlos geplündert.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Jutta Krellmann [DIE LINKE] – Ulrich Kelber [SPD]: Dagegen war Kohl ein Waisenknabe!)


Ende 2010 wurde die Rücklage aus der Insolvenz-
geldumlage einfach einkassiert. Für die BA bedeutete
das ein Minus von 1 Milliarde Euro. Dann wurden die
Kosten für die Grundsicherung im Alter einfach der
Bundesagentur übertragen: für das Jahr 2012 1,2 Milliar-
den Euro, für das Jahr 2013 2,6 Milliarden Euro. Und
jetzt wird die Beteiligung des Bundes an den Kosten der
Arbeitsförderung gänzlich gestrichen. Ich gebe zu: Im
Gegenzug wird auch der Eingliederungsbeitrag zurück-
genommen. Es bleibt aber ein Minus für die Bundes-
agentur für Arbeit in Höhe von 2 Milliarden Euro.

Meine Damen und Herren, Frau Lösekrug-Möller, das
ist das eigentliche Problem:


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wir sind schlecht vorbereitet auf die Ausweitung von
Kurzarbeit. Sollte die Kurzarbeit ausgeweitet werden
müssen – das ist absehbar –,


(Gisela Piltz [FDP]: Und Sie reden es jetzt herbei! Das ist super!)


wird das auf Pump geschehen. Herr Kober, genau das
hat uns Herr Weise im Ausschuss noch einmal deutlich
gesagt. Die Bundesagentur für Arbeit wäre nicht in der
Lage, eine Ausweitung von Kurzarbeit zu finanzieren.

Dass wir in diesem Haus gemeinsam für die Kurzar-
beiterregelung sind, haben die Wortbeiträge deutlich ge-
macht. Liebe Kolleginnen und Kollegen von den Koali-
tionsfraktionen, es gibt in diesem Zusammenhang aber
ein Alleinstellungsmerkmal: Hier liegt ein Antrag der
SPD vor, der Ihnen als Regierung die Möglichkeit eröff-
nen will, eigenständig zu entscheiden, wie Sie mit der
Kurzarbeit umgehen wollen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Wir übertragen Ihnen Kompetenzen. Sie müssen sie
nicht nutzen. Wie sie es ausgestaltet, ist dann allein Sa-
che der Regierung. Sie erschrecken sich zu Tode


(Paul Lehrieder [CDU/CSU]: Wir doch nicht!)


und sagen: Auf gar keinen Fall, wir wollen diese Kom-
petenzen nicht haben. – Meine Damen und Herren, das
ist schon ein Kuriosum, das Ihnen, glaube ich, so schnell
keiner nachmacht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Gisela Piltz [FDP]: Warum brüllen Sie denn so?)


Allerdings will ich Ihnen sagen, dass ich den Antrag
der SPD-Fraktion gerade in dieser Situation für notwen-
dig und richtig halte: Erstens, weil sich die Wirtschafts-
krise verschärfen und sich die Arbeitsmarktlage ziemlich
schnell verändern kann. Das lässt sich im Moment nicht
wirklich kalkulieren. Der zweite Grund ist, dass wir in
diesem Jahr Neuwahlen haben und das neugewählte Par-
lament erst im Herbst zusammentreten wird. Deswegen
macht es Sinn, dass wir jetzt diese Möglichkeit eröffnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Brigitte Pothmer


(A) (C)



(D)(B)

Wir übertragen Ihnen Kompetenzen, wir wollen diese
Möglichkeit schaffen. Ich finde es bedauerlich, dass Sie
die Verantwortung nicht übernehmen wollen.

Ich danke Ihnen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721632400

Der Kollege Dr. Matthias Zimmer hat für die Unions-

fraktion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1721632500

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Gestern

Abend kam der Antrag, den wir heute auf der Tagesord-
nung haben und debattieren. Normalerweise bin ich sehr
für Just-in-time-Produktionen, aber da hätte mir ein we-
nig Vorlauf schon sehr gut gefallen.


(Zuruf von der SPD: Sie lesen doch schnell!)


Also habe ich gestern Abend den Antrag gelesen und bin
schon am Anfang etwas stutzig geworden. Dort steht:
„Künftige Wirtschaftskrisen erfolgreich meistern“. Da
reibt sich der Beobachter verwundert die Augen und
fragt: Welche Krise? Wir haben keine Krise, und es ist
auch keine Krise in Sicht. Im Gegenteil, wir haben her-
vorragende Wirtschaftsdaten.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Meine Damen und Herren, als Opposition würde ich
da auch nervös werden. Die Wirtschaftsdaten sind posi-
tiv, sind robust. Im nächsten halben Jahr wird nach Ein-
schätzung vieler Beobachter die Euro-Zone auch wieder
aus der Krise herauskommen; so jedenfalls die Weltbank
und die Ratingagentur Fitch. Das kommt uns entgegen,
das hilft uns zusätzlich, was die Exporte angeht. Es gibt
für 2013 gute Aussichten. Sie hingegen schwadronieren
über eine mögliche Krise. Das ist ein wenig so, als ob
Sie in den Sommerurlaub nach Mallorca eine Skiausrüs-
tung mitnehmen: Es könnte ja schneien.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Kommen wir zum inhaltlichen Kern: Kurzarbeit ist
ein geeignetes arbeitsmarktpolitisches Instrument, um
exzessive Entlassungen bei temporärer Konjunktur-
schwäche zu überbrücken. Das haben wir in der Großen
Koalition getan, und es war richtig. Es war aber auch
richtig, das Programm auslaufen zu lassen. Wirtschaft
besteht – Herr Kollege Kober hat darauf hingewiesen –
zu einem hohen Anteil aus Psychologie. Wir haben
durch die Beendigung des Programms das Zeichen gege-
ben: Die Krise ist beendet. Deswegen wäre es auch
falsch gewesen, Frau Kollegin Lösekrug-Möller, hier ei-
ner Verstetigung das Wort zu reden.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Das sehe ich anders!)


Kurzarbeit kann und darf stets nur eine Brücke für ei-
nen vorübergehenden Arbeitsausfall sein. Sie ist ein In-
strument unter vielen. Frau Kollegin Krellmann hat ei-
nen Instrumentenkasten erwähnt. Bei ihrer Rede hatte
man den Eindruck, sie habe nur den Hammer als Instru-
ment übrig. Die Sichel ist Ihnen ja abhanden gekommen.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Ha! Ha! Ha!)


Für jemanden, der nur einen Hammer hat – das hat Ihre
Rede gezeigt, Frau Kollegin Krellmann –, sehen in der
Tat alle Probleme wie Nägel aus.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Sind Sie aber spaßig!)


Meine Damen und Herren, die Vorschläge für das er-
neute Aufgreifen von Sonderregelungen in der Kurzar-
beit würden zu einer Verschiebung der Kostenlast bei
Kurzarbeit von der Arbeitgeberseite auf die Versicher-
ten- und Beitragsgemeinschaft führen. Die bestehende
Risikoabgrenzung bei normalen Konjunkturverläufen
hat sich über Jahrzehnte bewährt. Sie sollte nur im Kri-
senfall maßgeschneidert auf die dann vorliegenden Ver-
hältnisse angepasst werden.

Es war also richtig, das Kurzarbeitergeld wieder auf
sechs Monate zurückzunehmen, um Vertrauen zu schaf-
fen und zu bestätigen. Mittlerweile haben wir es mit ei-
nem sehr stabilen Arbeitsmarkt zu tun. Der Kollege
Lehrieder hat dazu ja eine ganze Reihe von Zahlen ge-
nannt.


(Brigitte Pothmer [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie brauchen die Option doch nicht zu nutzen, Herr Kollege Zimmer!)


Nein, Frau Lösekrug-Möller, Ihrem Antrag merkt
man an, dass Wahlen bevorstehen. Ich hatte eben gesagt:
Wirtschaft besteht zu einem großen Teil aus Psycholo-
gie. Das bedeutet aber auch, dass wir die psychologi-
schen Auswirkungen dessen bedenken müssen, was wir
hier tun.

Verehrte Frau Pothmer, die fetten Jahre sind nicht
vorbei. Sie versuchen, eine Krise herbeizureden, die es
nicht gibt. Das mag Wasser auf Ihre dürstenden Wahl-
kampfmühlen sein, aber es ist unverantwortlich und
sachlich falsch.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Sie versuchen, das schlechtzureden, was Arbeitgeber
und Arbeitnehmer mit Unterstützung der christlich-libe-
ralen Koalition in den letzten Jahren erreicht haben.

Es gibt eigentlich nur eine Entschuldigung für den
Unfug, den Sie mit Ihrem Antrag präsentieren. Sie schei-
nen allen Ernstes davon auszugehen, am Ende des Jahres
2013 tatsächlich die Regierung stellen zu können. Dann
allerdings wäre das, was Sie vorschlagen, tatsächlich
notwendig. Davon überzeugt schon ein kurzer Blick in
Ihre Forderungen zur Wahl.






(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721632600

Kollege Zimmer, gestatten Sie eine Frage oder Be-

merkung der Kollegin Krellmann?


Dr. Matthias Zimmer (CDU):
Rede ID: ID1721632700

Nein, ich führe meine Rede jetzt zu Ende. Danke.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Angst haben Sie!)


Sie haben ein formidables Wachstumsvernichtungs-
programm, ein mutiges Programm zur Reduzierung von
Arbeitsplätzen. Zumindest insofern sind Sie ehrlich: Sie
bemühen sich, für die Folgen Ihrer Politikplanung schon
jetzt prophylaktisch das Gegenmittel bereitzustellen, das
Heftpflaster für die Wunden, die Sie der deutschen Wirt-
schaft schlagen wollen.


(Gabriele Lösekrug-Möller [SPD]: Wie dramatisch!)


Insofern können wir dankbar für Ihren Antrag sein. Er
zeigt uns, wie nahe etwas, das furchtbar einfach daher-
kommt, letztlich einfach furchtbar ist.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721632800

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/12055 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Ich rufe die Tagesordnungspunkte 7 a und 7 b auf:

a) Beratung der Unterrichtung durch den Parlamen-
tarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung

Fortschrittsbericht 2012 zur nationalen Nach-
haltigkeitsstrategie

– Drucksache 17/11670 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

b) Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung

Fortschrittsbericht 2012 zur nationalen Nach-
haltigkeitsstrategie

– Drucksache 17/8721 –

Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit (f)

Rechtsausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Wirtschaft und Technologie
Ausschuss für Ernährung, Landwirtschaft und
Verbraucherschutz
Ausschuss für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Ausschuss für Gesundheit
Ausschuss für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung
Ausschuss für Bildung, Forschung und
Technikfolgenabschätzung
Ausschuss für wirtschaftliche Zusammenarbeit und
Entwicklung
Ausschuss für Tourismus
Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Marcus Weinberg für die Unionsfraktion.

Auch wenn einige dieser spannenden Debatte nicht
mehr folgen können, bitte ich doch trotzdem, die not-
wendige Aufmerksamkeit zu gewährleisten. – Bitte,
Kollege Weinberg.


Marcus Weinberg (CDU):
Rede ID: ID1721632900

Frau Präsidentin, vielen Dank. – Liebe Kolleginnen

und Kollegen! Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass es
in diesem Plenum Kolleginnen und Kollegen gibt, die
dieser wichtigen Debatte nicht lauschen wollen, zumal
wir jetzt nach der Schärfe in der Debatte zum Kurzarbei-
tergeld zu einem wichtigen Einvernehmen kommen,
nämlich zu einem kleinen Geburtstag: dem 10. Geburts-
tag der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie der Bundes-
republik Deutschland.

Mit dem Fortschrittsbericht 2012 hat die Bundesre-
gierung jetzt zum dritten Mal diese nationale Nachhal-
tigkeitsstrategie fortgeschrieben. Dabei ist, glaube ich,
eines von entscheidender Bedeutung: Nachhaltigkeit lebt
von Kontinuität. Deswegen ist es für uns im Beirat im-
mer wichtig gewesen, dass wir über den Tellerrand
schauen, dass wir von der Farbenlehre wegkommen und
uns Gedanken machen, wie wir in den nächsten Jahren
und Jahrzehnten, auch mit Blick auf 2050, die Nachhal-
tigkeitsstrategie im Sinne der kommenden Generationen
entwickeln.

Ich möchte aus meiner Sicht drei, vier wesentliche
Punkte, Änderungen und Kommentierungen des Beira-
tes darstellen.

Änderungen ergeben sich dort, wo es gilt, neue the-
matische Schwerpunkte zu setzen oder die Schärfe der
Nachhaltigkeitsstrategie durch Veränderung der Zielvor-
gaben nachzujustieren. Einige Änderungen der nationa-
len Nachhaltigkeitsstrategie sind durchaus gelungen, bei
anderen sind wir, um es vorsichtig zu formulieren, in der
Phase der Überprüfung; denn wir müssen uns immer fra-
gen, inwieweit eine Änderung tatsächlich einen Fort-
schritt darstellt.

Ich komme zu den Änderungen mit Verbesserung der
Zielschärfe. Gelungen ist zum Beispiel die Änderung bei





Marcus Weinberg (Hamburg)



(A) (C)



(D)(B)

einem Indikator, der uns allen sehr bekannt ist, beim be-
rühmten – für einige berüchtigten – Indikator 15, näm-
lich Kriminalität. Hier wurden unser Flehen und Bitten
erhöhrt, nicht vom lieben Herrgott, aber von der Bundes-
regierung – das hat in weiten Teilen ja eine gewisse Ähn-
lichkeit. Wir als Beirat haben jedenfalls in Stellungnah-
men immer wieder gefordert, diesen Indikator neu zu
justieren. Mit der Ausrichtung auf Straftaten insgesamt
wird der Fokus des Indikators erheblich vergrößert, ohne
aber – auch das ist von elementarer Bedeutung – dass die
speziellen Aspekte aus den Augen verloren werden.


(Beifall der Abg. Daniela Ludwig [CDU/ CSU])


Die Änderung des Indikators 15, über die lange disku-
tiert wurde, ist also ein Beispiel für eine gute und sinn-
volle Verbesserung. Hier erwartet der Parlamentarische
Beirat für nachhaltige Entwicklung bei der Weiterent-
wicklung der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie zum
Jahr 2016 auch bei anderen Indikatoren eine sinnvolle
Optimierung, beispielsweise bei der Darstellung früh-
kindlicher Kompetenzen; das ist gerade für junge Eltern,
für junge Mütter und Väter, von großer Bedeutung.
Schwierigkeiten bei der vertikalen Integration sind dabei
nicht zwingend als Hinderungsgrund ersichtlich. Unab-
hängig von der Frage nach einer Änderung der Indikato-
ren enthält die nationale Nachhaltigkeitsstrategie bereits
jetzt Indikatoren, für die der Bund nicht zuständig ist,
weshalb er auf die Unterstützung der Länder angewiesen
ist. Ich glaube, das ist eine Grundproblematik, der wir
uns stellen müssen. Der Bund übernimmt seine Verant-
wortung.

Ich will jetzt keine Länderschelte betreiben. Aber hier
und da hat man den Eindruck, dass das eine oder andere
Bundesland beim Thema Nachhaltigkeit und bei der Be-
teiligung der Parlamente noch etwas ambitionierter sein
könnte. Ich glaube, hier müssen wir noch auf die Länder
einwirken.

Ich komme zu den Änderungen mit Ausweitung des
Ziel- und Zeithorizontes. Gelungen ist die Weiterent-
wicklung der Zielvorgaben für einzelne Indikatoren, so
zum Beispiel beim Indikator 1, der Ressourcenscho-
nung. Damit setzt die Bundesregierung eine Forderung
aus dem im Jahr 2009 durchgeführten Peer Review der
deutschen Nachhaltigkeitsstrategie um. Die Ausweitung
des Zeithorizonts auf 2050 muss mit der Vorlage des
Fortschrittsberichts 2016 konsequent fortgesetzt werden;
denn letztendlich müssen die Weichen zur Zielerrei-
chung bereits viel früher gestellt werden. Je eher die
Zielvorgaben für das Jahr 2050 bekannt sind, umso eher
kann die Zielerreichung angegangen werden. Es gibt aus
unserer Sicht also viel Lob; aber wir sehen auch Ziele,
die noch zu erreichen sind, und teilweise nicht gelun-
gene Zieländerungen.

Weniger hilfreich ist in diesem Zusammenhang, dass
bei zwei Indikatoren die Zielvorgaben aus dem
Jahre 2010 einfach auf das Jahr 2020 gestreckt worden
sind. Dies betrifft die privaten und öffentlichen Ausga-
ben für Forschung und Entwicklung ebenso wie die Zahl
der 18- bis 24-Jährigen ohne Abschluss.

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick-
lung bedauert, dass im Fortschrittsbericht 2012 die ur-
sprünglichen Ziele für das Jahr 2010 in das Jahr 2020
verschoben worden sind.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


– Punktueller Applaus unterstützt diese Aussage. – Da
hilft es aus unserer Sicht wenig, dass wir uns bemühen,
hier die Strategie „Europa 2020“ heranzuziehen. Gerade
diese beiden Indikatoren sind, was den Bildungsbereich
angeht, aus unserer Sicht von elementarer Bedeutung.

An dieser Stelle möchte ich ein kleines Lob, das sich
auf ein anderes Politikfeld bezieht, aussprechen. Wenn
man im Bereich Bildung und Forschung so erfolgreich
ist wie diese Bundesregierung, dann muss man auch die
Konsequenzen ziehen. Das heißt, dass wir die Ziele der
Nachhaltigkeit auch im Bildungsbereich verändern müs-
sen. Wir haben 12 Milliarden Euro mehr für Bildung und
Forschung ausgegeben. Solche Veränderungen müssen
sich im Bildungsbereich deutlich widerspiegeln. Inso-
fern kann man, wie ich glaube, auch etwas mehr verlan-
gen.

Lassen Sie mich abschließend auf einen Indikator ein-
gehen, der uns sicherlich auch in den kommenden Jahren
intensiv beschäftigen wird: auf die Flächeninanspruch-
nahme bzw. den – so heißt der Indikator – „Anstieg der
Siedlungs- und Verkehrsflächen“. Der Zuwachs an Sied-
lungs- und Verkehrsflächen lag im Jahr 2010 bei
87 Hektar pro Tag; der Trend hat sich also erkennbar ab-
geschwächt. Aber ich erinnere daran: Das angestrebte
Ziel war ursprünglich ein Zuwachs um 30 Hektar pro
Tag. Daran muss weiterhin ambitioniert gearbeitet wer-
den. Bund, Länder und Kommunen sind gefordert, die
Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, stärker
zu nutzen.


(Beifall bei der CDU/CSU)


Zum Schluss des kleinen Geburtstages bzw. des zehn-
jährigen Bestehens der Nachhaltigkeitsstrategie möchte
ich einen Dank an die Kolleginnen und Kollegen aus-
sprechen. Wir haben es in mehreren doch sehr diskus-
sionswürdigen Runden gemeinsam geschafft, das zu for-
mulieren, was uns wichtig ist. Die Kolleginnen und
Kollegen haben über den Tellerrand hinaus geschaut und
die Farbenlehre außer Acht gelassen, um die Nachhaltig-
keitsstrategie langfristig weiterzuentwickeln.


(Dr. Valerie Wilms [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: So ist es!)


Dieser Dank gilt nicht nur den Kolleginnen und Kolle-
gen, sondern auch – ich möchte an dieser Stelle betonen,
dass viel Vorarbeit geleistet wurde – den Mitarbeiterin-
nen und Mitarbeitern. Außerdem – auch das erfreut
uns – gibt es kein einziges Sondervotum. Auch das be-
stärkt uns in dem Bemühen, weiterhin gemeinsam in die-
sem Beirat zu arbeiten.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)







(A) (C)



(D)(B)


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721633000

Die Kollegin Ulrike Gottschalck hat nun für die SPD-

Fraktion das Wort.


(Beifall bei der SPD sowie des Abg. Michael Kauch [FDP])



Ulrike Gottschalck (SPD):
Rede ID: ID1721633100

Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und

Herren! Dem, was Herr Weinberg ausgeführt hat, kann
ich mich in vielen Bereichen anschließen.

Aber ich frage mich immer wieder – wahrscheinlich
geht es Ihnen ähnlich –: Fortschritt und nachhaltiges
Handeln, nehmen wir das eigentlich ernst genug?


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Ich habe den Eindruck, dass Nachhaltigkeit mittlerweile
eine reine Worthülse ist und als inhaltsarmes Schlagwort
benutzt wird.

Unter einem Fortschrittsbericht kann sich der und die
Einzelne dementsprechend ziemlich viel oder eben
ziemlich wenig vorstellen. Positiv ist festzustellen, dass
wir seit rund zehn Jahren überhaupt eine nationale Nach-
haltigkeitsstrategie haben und diese regelmäßig fort-
schreiben. Positiv ist auch, dass das wichtige Thema
Nachhaltigkeit – mit all seinen Facetten: von Generatio-
nengerechtigkeit über Umwelt und Lebensqualität bis
hin zum sozialen Zusammenhalt in unserer Gesell-
schaft – heute auf der Tagesordnung steht. Gut ist so ein
Bericht auch, weil wir immer wieder kritisch hinterfra-
gen müssen, welche Fortschritte es in der nationalen
Nachhaltigkeitsstrategie gibt oder welche es nicht gibt.

Ein Zurücklehnen darf es nicht geben – das sind wir
schon den zukünftigen Generationen schuldig.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Dank des Statistischen Bundesamtes können wir Erfolge
oder – leider auch – Versagen der deutschen Nachhaltig-
keitsstrategie anhand von Indikatoren, die sehr plakativ,
nämlich durch Wettersymbole, dargestellt werden, mes-
sen und bewerten.

Der Parlamentarische Beirat für nachhaltige Entwick-
lung hat den Bericht rund ein halbes Jahr gründlich ge-
prüft. Herr Weinberg hat es eben schon gesagt: Die Be-
richterstatterinnen und Berichterstatter haben teilweise
Stunden um einzelne Worte gerungen, um einen partei-
übergreifenden Konsens zu erzielen.

Auch von meiner Seite geht deshalb ein großer Dank
an die Kolleginnen und Kollegen, aber auch an die Mit-
arbeiterinnen und Mitarbeiter; denn das war schon ein
Stückchen Arbeit. Wir haben das sehr ernst genommen,
und ich denke, der Bericht ist uns gut gelungen.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Mit unserer Unterrichtung geben wir der Bundesre-
gierung wertvolle Hinweise. Wir erwarten, dass auf Re-
gierungsseite nicht nur schöne Worte, sondern auch Ta-
ten folgen.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Richtig!)


Aus unserer Sicht ist es beispielsweise wenig nach-
haltig, Zielwerte für Indikatoren nach unten zu korrigie-
ren. Auch da gebe ich meinem Vorredner recht: Wir
brauchen für Deutschland ambitionierte Ziele.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir fordern die Bundesregierung auf, sich insbeson-
dere um diejenigen Bereiche zu kümmern, bei denen
nachweislich Gewitterstimmung herrscht. Als Beispiele
seien hier die Artenvielfalt, die Landschaftsqualität, die
Intensität des Gütertransports und der Verdienstabstand
zwischen Männern und Frauen in unserem Land ge-
nannt. Es ist ein Skandal, dass Frauen immer noch
23 Prozent weniger Lohn erhalten. Das können wir uns
zukünftig nicht mehr erlauben.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Weiterhin erwarten wir – da besteht überparteilich
Einstimmigkeit –, dass das Megathema „demografischer
Wandel“, das uns in der Zukunft sehr beschäftigen wird,
im nächsten Fortschrittsbericht mehr Beachtung findet.

Des Weiteren wünschen wir uns und erwarten wir,
dass alle Ministerien ihre Gesetzesinitiativen ernsthaft
auf Nachhaltigkeit prüfen. Der Vorsitzende unseres Par-
lamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung
schreibt die Ministerien regelmäßig an und reklamiert
auch einmal. Er wird mir sicherlich recht geben, dass es
in einigen Ministerien, vorsichtig formuliert, durchaus
noch Optimierungsmöglichkeiten gibt.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Aber sie haben sich schon deutlich gesteigert!)


Überparteilich ist es uns außerdem ein großes Anlie-
gen, dass es beim Thema Nachhaltigkeit endlich zu einer
besseren Verzahnung zwischen Bund und Ländern
kommt.

Der Beirat richtet sein Augenmerk aber auch auf die
Zivilgesellschaft und die Unternehmen. So sollen die
Verbraucherinnen und Verbraucher immer wissen, wie
es mit der Nachhaltigkeit in den Produktions- und Lie-
ferketten ihres Wunschartikels aussieht.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, Fortschritt
und Nachhaltigkeit dürfen nicht zu schönen Worthülsen
verkommen. Wir müssen gemeinsam dafür sorgen, dass
zukünftig noch mehr Trends in Richtung Sonne zeigen.
Dazu muss die Bundesregierung den Fortschrittsbericht
ernst nehmen. Vielleicht müsste er auch hier etwas bes-
ser auf der Tagesordnung platziert werden – wobei das
immer schwierig ist; das wissen wir alle.

Wir alle müssen jenseits von Allgemeinplätzen über-
parteilich an einer zukunftsfesten Ausgestaltung nach-
haltiger Politik für die Menschen in Deutschland arbei-
ten.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Ulrike Gottschalck


(A) (C)



(D)(B)

Das erhoffe und wünsche ich mir, und ich gehe davon
aus, dass wir in diesem Punkt jedenfalls in dieser Runde,
die heute Abend hier vertreten ist, auch einen Konsens
haben.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Michael Kauch [FDP])



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721633200

Für die FDP-Fraktion hat nun der Kollege Michael

Kauch das Wort.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Michael Kauch (FDP):
Rede ID: ID1721633300

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute

gab es in der Presse eine positive Nachricht: Zum ersten
Mal seit 2007 gab es im letzten Jahr wieder einen Über-
schuss in den öffentlichen Kassen in Deutschland. Das
zeigt, dass der Indikator, der in der nationalen Nachhal-
tigkeitsstrategie noch mit Wolken dargestellt wurde, auf-
grund der sehr positiven Wirtschafts- und Finanzpolitik
dieser Bundesregierung inzwischen auf einem richtigen
und guten Weg ist.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Ulrich Kelber [SPD]: Die Nadel zeigt aber das strukturelle Defizit an, nicht das konjunkturelle Defizit!)


Durch die Überschüsse in den Sozialversicherungen
wurde die Mangelverwaltung abgelöst. Die Pflegeversi-
cherung wurde durch die private Vorsorge zukunftsfähi-
ger gemacht. Und die Energiewende ist auf einem guten
Weg. Der Fortschrittsbericht weist für die erneuerbaren
Energien noch einen Anteil von 17 Prozent an der
Stromerzeugung aus; inzwischen sind wir bei etwa ei-
nem Viertel Ökostrom. Bei der Energiewende kommen
wir ebenso voran wie beim Klimaschutz, wo wir im Jahr
2010 die in der nationalen Nachhaltigkeitsstrategie ge-
setzten Ziele übertroffen haben.

Das sind positive Beispiele für die nachhaltige Ent-
wicklung in Deutschland in dieser Wahlperiode.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ulrich Kelber [SPD])


Es gibt aber eben auch negative Punkte, denen wir
uns in nächster Zeit verstärkt widmen müssen.

Ein Thema ist die schon angesprochene Flächeninan-
spruchnahme. Wir diskutieren seit Jahren darüber, ei-
gentlich seitdem es diese Nachhaltigkeitsstrategie gibt.
Bewegt hat sich aber eigentlich nichts; das muss man
ganz deutlich sagen.


(Beifall der Abg. Katja Mast [SPD])


Es gibt Schwankungen, aber die sind nur konjunkturell
bedingt.

Das hängt auch damit zusammen, dass wir uns bisher
parteiübergreifend gescheut haben, hier über die Gren-

zen der staatlichen Ebenen hinweg – Kommunen, Län-
der und Bund – wirklich ein Gesamtkonzept zu entwi-
ckeln. Bei der Flächeninanspruchnahme werden wir aber
nur dann erfolgreich sein, wenn Bund, Länder und Kom-
munen zusammenarbeiten und es eben nicht einen Wett-
bewerb der einen Kommune mit der nächsten um noch
ein Gewerbegebiet gibt, das brachliegt, nachdem alles
planiert worden ist. Dieser Entwicklung müssen wir uns
in der nächsten Wahlperiode widmen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ein weiteres Thema, bei dem ich große Sorgen habe,
ist die Entwicklung des Indikators zur Artenvielfalt. Das
betrifft sowohl die weltweite Entwicklung als auch die
Entwicklung in Europa und in Deutschland. Wir haben
in den vergangenen Jahren für erste Ansatzpunkte ge-
sorgt, indem wir das Bundesprogramm „Biologische
Vielfalt“ aufgelegt und das Bundesprogramm zur Wie-
dervernetzung von Lebensräumen gestartet haben, um
die Zerschneidung von Lebensräumen zu verringern.


(Cornelia Behm [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das haben Sie aber wieder einkassiert!)


Das ist aber offenkundig noch nicht genug. Deshalb
müssen wir auf diesem Weg weitermachen – genauso
wie in der Fischereipolitik. Für die Reform in diesem
Bereich hat der Deutsche Bundestag fraktionsübergrei-
fend ein sehr positives Inputpapier in Europa geliefert.
Das ist aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange
in diesem Politikbereich.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ebenfalls verbesserungsfähig ist der Bereich Gesund-
heitsprävention. Das erkennt man, wenn man sich den
Indikator in Bezug auf Menschen mit Fettleibigkeit an-
sieht. Fortschritte gibt es dagegen beim Indikator, der die
Raucherquote abbildet. In den Bereichen Ernährung und
Bewegung haben wir die Trendwende zu einem längeren
gesunden Leben aber offensichtlich noch nicht geschafft.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD)


Generell positiv ist – hier möchte ich die Bundesre-
gierung ausdrücklich loben –, dass diese Bundesregie-
rung nach zweimaligem Anmahnen des Indikators end-
lich dem Drängen des Parlamentarischen Beirats für
nachhaltige Entwicklung nachgekommen ist, indem der
Indikator für die Kriminalität so umgestaltet wurde, dass
er jetzt tatsächlich nicht mehr nur die Eigentumsdelikte,
sondern eine größere Palette von Straftaten abbildet. Ich
glaube, so ist es eher ein Indikator für wirklichen gesell-
schaftlichen Zusammenhalt im Bereich der inneren Si-
cherheit.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich möchte eine deutliche Kritik auch an diesem Haus
selbst äußern.


(Alexander Ulrich [DIE LINKE]: Oh, jetzt kommt’s!)






Michael Kauch


(A) (C)



(D)(B)

Wir haben im Koalitionsvertrag festgelegt, dass wir eine
Generationenbilanzierung in die Nachhaltigkeitsprü-
fung für die jeweilige Gesetzesfolgenabschätzung ein-
führen wollen. Dies ist bisher zwar vom Parlamentari-
schen Beirat für nachhaltige Entwicklung unterstützt
worden, aber es gibt dafür bisher noch keine Mehrheit
im Deutschen Bundestag. Ich glaube, es ist an der Zeit,
die noch verbleibenden Monate dieser Wahlperiode zu
nutzen, um dieses Projekt endlich in die Praxis umzuset-
zen. Ja, es kostet etwas Geld für Personal hier im Parla-
ment; ja, es kann das eine oder andere Vorhaben etwas
verzögern; aber wir gewinnen erheblich an Transparenz
bei den Dingen, über die wir hier entscheiden, wenn wir
dieses Instrument für die Fragen der Finanz- und Sozial-
politik endlich einführen würden. Das wäre ein Fort-
schritt, den wir uns auch etwas kosten lassen sollten.


(Beifall bei der FDP)


Meine Damen und Herren, die Nachhaltigkeitsprü-
fung durch die Bundesregierung, aber auch durch den
Bundestag ist oft doch sehr formalistisch. Wir schauen,
ob das Ministerium etwas zur Nachhaltigkeit gesagt hat;
aber es gibt einige Häuser, bei denen man den Eindruck
hat, dass dort immer die gleichen Textbausteine in die
Gesetzesfolgenabschätzung hineingeschrieben werden
und man sich nicht wirklich damit beschäftigt hat.

Ich glaube, wir sollten in der nächsten Wahlperiode
dazu kommen, dass wir im Parlament nicht nur die for-
melle Nachhaltigkeitsprüfung diskutieren, sondern auch
die Inhalte,


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter [DIE LINKE])


und dass sich die Fachausschüsse auch mehr mit den Er-
gebnissen dieser Nachhaltigkeitsprüfung beschäftigen.

Abschließend möchte ich aber auch einige positive
Beispiele im Bereich der Nachhaltigkeitsprüfung hervor-
heben. Das Bundesumweltministerium ist inzwischen,
glaube ich, bei fast allen Vorhaben mit der Nachhaltig-
keitsprüfung so umgegangen, dass wir hier auch sub-
stanziell etwas erkennen können. Die Bundesjustizmi-
nisterin hat jetzt auf unsere Kritik hin im Haus eine
abteilungsübergreifende Arbeitsgruppe eingesetzt, um
auch in einem Politikfeld, das vermeintlich nicht so nah
an der Nachhaltigkeitspolitik ist, die Nachhaltigkeitsprü-
fung zu verbessern. Das sollte auch für alle anderen Res-
sorts Ansporn sein.

Vielen Dank.


(Beifall bei der FDP, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721633400

Das Wort hat die Kollegin Heidrun Dittrich für die

Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Heidrun Dittrich (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721633500

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!

Der heute zu beratende Fortschrittsbericht zur Nachhal-

tigkeitsstrategie kommt genau richtig, denn das Jahr
2013 ist das Jahr der Gebrüder Grimm: 200 Jahre Mär-
chen.


(Zuruf von der FDP: Hört! Hört!)


Die Lektüre dieses Berichts ist zwar nicht so span-
nend wie die Märchen der Gebrüder Grimm; aber kaum
weniger märchenhaft ist doch die Zauberformel von der
Nachhaltigkeit. Wir leben in einer heilen Welt, möchte
man bei der Lektüre meinen.


(Ingrid Arndt-Brauer [SPD]: Was soll denn der Blödsinn?)


Es geht um blumige Begriffe wie Generationengerech-
tigkeit, sozialer Zusammenhalt und internationale Ver-
antwortung. Alles zusammengenommen sei das Ganze
dann Nachhaltigkeit, ein Verkaufsschlager für große Fir-
men auf internationalen Finanzmärkten.

So, wie Rotkäppchen durch den Wald ging, um auf
den bösen Wolf zu treffen, lassen Sie mich am Beispiel
des Waldes den Begriff erklären, der der SPD doch nicht
so klar war:

Nachhaltigkeit ist seit dem 18. Jh. als eine Regel
der Forstwirtschaft aufgekommen und bedeutet
hier, dass auf einer bestimmten Forstfläche dem
Wald in einem bestimmten Zeitraum nicht mehr
Holz entnommen werden darf, als gleichzeitig
nachwächst. … Seit dem Bericht der Brundtland-
Kommission der UN von 1987 wird der Begriff
Nachhaltigkeit zur Kennzeichnung einer gesell-
schaftlichen Entwicklung gebraucht,

– das ist auch die Grundlage dieses Berichtes –

in der – weltweit – den Bedürfnissen der gegenwär-
tigen Generationen Rechnung getragen wird, ohne
die Fähigkeit künftiger Generationen zu gefährden,
ihren eigenen Bedürfnissen zu entsprechen.

Das können Sie bei Professor Karl Hermann Tjaden,
Ökonomieprofessor in Kassel, nachlesen.

Die Bundesregierung feiert den Höchststand der Be-
schäftigung mit 41,5 Millionen Menschen – das haben
wir gerade gehört – als nachhaltige Teilhabe. Aber die
prekär Beschäftigten sind trotz Arbeit arm. Das ist nicht
die Nachhaltigkeit, die wir meinen.


(Beifall bei der LINKEN)


Oder nehmen wir den Maßstab der internationalen
Verantwortung in dem Bericht. Dafür, dass die Unter-
nehmen in Deutschland mit Dumpinglöhnen und Export-
überschuss die Wirtschaft schwächerer Länder in den
Ruin treiben, brauchen wir nicht nach Afrika zu schauen.
Dafür reicht ein kurzer Blick nach Griechenland und
Spanien.

Wer hat die Agenda 2010 erfunden? SPD und Grüne.
Wer setzt sie nachhaltig fort? CDU/CSU und FDP.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und der FDP – Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Frau Kollegin, zu welchem Thema sprechen Sie? Ist Ihnen bekannt, dass Ihre Fraktion der Stellungnahme zugestimmt hat?)






Heidrun Dittrich


(A) (C)



(D)(B)

Nachhaltigkeit ist in diesem Wirtschaftssystem mit im-
mer mehr Profit und mit immer mehr Waren in kurzer
Zeit nicht möglich.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Vielleicht lassen Sie sich mal von Herrn Lenkert weiterhelfen!)


Die Zwecke der Produktion sind vom Gewinnstreben ei-
ner kleinen uneinsichtigen Minderheit, den Kapitaleig-
nern, gesetzt.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Es ist wirklich schade um die schöne Debatte!)


Die großen Unternehmen diktieren mit den Finanzhaien,
was, wie viel und für wen hergestellt wird. Oberstes Ziel
– das ist nicht zu vergessen – ist mehr Gewinn. Das Wis-
sen der Umweltinitiativen und aktiven Bürger geht nur
über Proteste in die Köpfe, aber die Anerkennung in der
Gesellschaft hat nicht zu einer vernünftigen Umsetzung
geführt. Der Mensch existiert als belebter Teil der Natur,
und die Erde ist endlich. Wird mit dieser Produktions-
weise die Umwelt zerstört, so zerstören die Kapitalbesit-
zer damit auch die Grundlagen des Lebens für Menschen
und Tiere.


(Daniela Ludwig [CDU/CSU]: Wirklich schade um die Debatte! Bisher war das Niveau relativ hoch!)


Eine Form der nachhaltigen Entwicklung, nämlich
Frieden, ist in diesem Bericht von 250 Seiten in wenigen
Sätzen zusammengefasst: Die Bundesregierung erkennt
an, dass Entwicklung nur in Frieden möglich ist. Sie ga-
rantiert globale Sicherheit. – In wessen Interesse sichert
eigentlich die Bundeswehr globale Sicherheit in Afgha-
nistan?


(Steffen Bilger [CDU/CSU]: Bitte mal zum Thema!)


Im Krieg werden Menschen getötet, unwiderruflich,
Häuser und Denkmäler zerstört, Wasserleitungen be-
schädigt. Gasleitungen explodieren, Epidemien brechen
aus, und die Kinder- und Müttersterblichkeit wächst.
Das ist das schlimmste Ergebnis dieser Wirtschafts-
weise, die sowohl an Rüstung als auch am Kriegseinsatz
verdient.

Atomkraftwerke wurden zur Herstellung von Atom-
waffen entwickelt. Es liegt im öffentlichen Interesse, die
Stilllegung der Atomkraftwerke zu betreiben, ihren
Rückbau einzuleiten und jetzt die jahrtausendelange
rückholbare Lagerung unter der Kontrolle der Bevölke-
rung zu beginnen. Dieses Beispiel soll zeigen, wie viel
Altlasten Sie zukünftigen Generationen aufbürden. Das
ist nicht nachhaltig.

Wenn es die Bundesregierung ernst meint, kann sie es
beweisen: Geben Sie Gorleben als Endlagerstandort in
Niedersachsen auf! Bezahlen sollen die Lagerung von
Atommüll die Profiteure der Atomenergie und nicht die
Allgemeinheit.


(Beifall bei der LINKEN – Ingrid ArndtBrauer [SPD]: Waren Sie irgendwann mal dabei beim Beirat?)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721633600

Die Kollegin Dr. Valerie Wilms hat nun für die Frak-

tion Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721633700

Frau Präsidentin! Werte Kolleginnen und Kollegen!

Also, auf diese Rede muss ich erst einmal einen Schluck
Wasser nehmen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)


Es ist doch schon erstaunlich, welche Schlüsse man zie-
hen kann, wenn man in den ganzen Debatten nicht dabei
war.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich möchte mit ei-
ner Frage beginnen – über die Details des Berichtes ha-
ben ja die Vorrednerinnen und Vorredner schon eine
ganze Menge gesagt –: Sind Wachstum und Nachhaltig-
keit ein Widerspruch? Ob ja oder nein, damit befasst sich
seit zwei Jahren eine Enquete-Kommission im Deut-
schen Bundestag. Erst am Montag wurde dort das Ergeb-
nis der entsprechenden Projektgruppe vorgestellt, besser
gesagt: zwei unterschiedliche Ergebnisse. Koalition und
Opposition konnten sich nicht einigen und legten jeweils
eigene Berichte vor. Beide sind sich immerhin einig,
dass Wachstum kein Ziel ist, sondern bestenfalls ein
Mittel zum Zweck. Das ist in dieser Enquete-Kommis-
sion erreicht worden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD)


Beim Zweck aber scheiden sich die Geister. Die Ko-
alitionsfraktionen setzen auf Innovationen, um ein ange-
messenes Wirtschaftswachstum beizubehalten. Vor al-
lem das müsse man im Fokus behalten, anderenfalls
würde der materielle Wohlstand leiden. Für andere
– dazu gehört meine Fraktion – steht im Vordergrund,
wie man beim Wirtschaften die Grenzen der Erde re-
spektieren und alle am Wohlstandskuchen teilhaben las-
sen kann.

Für manchen von Ihnen hört sich das ähnlich an. Aber
dahinter verbergen sich riesengroße Unterschiede. Der
materielle Wohlstand ist zwar eine wichtige Säule der
Menschheit, aber er ist nicht alles, gerade wenn wir da-
mit unsere Lebensgrundlagen zerstören. Das kapieren
mittlerweile immer mehr Menschen, und das nicht nur in
den entwickelten Ländern. Ein Blick nach China diese
Woche reicht, um den Wachstumswahn anhand des kata-
strophalen Smogs in Peking greifen zu können.

Deshalb – lassen Sie mich zu meiner Eingangsfrage
zurückkehren – sollten wir den Schwerpunkt nicht mehr
allein auf das Wachsen legen, sondern auf das Thema
Nachhaltigkeit. Warum?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der SPD)






Dr. Valerie Wilms


(A) (C)



(D)(B)

Erstens. Es ist kein Gewinn für die Gesellschaft,
wenn sie auf Kosten der Umwelt und menschlichen Inte-
grität wächst. Die Beseitigung der Schäden kurbelt zwar
die Konjunktur an, aber das mehrt nicht den Wohlstand,
sondern es hilft maximal, ihn wiederherzustellen.

Zweitens. Materieller Wohlstand ist nicht alles. Wer
mehr als einen Vollzeitjob benötigt, um überleben zu
können, hat keine Zeit mehr für die Pflege sozialer Be-
ziehungen. Wieder andere fallen aus dem System heraus,
weil sie mit dem beschleunigten Rhythmus nicht mehr
mithalten können.

Man könnte hier noch lange fortfahren, und am Ende
stellt sich durchaus die Systemfrage. Diese lässt sich
meiner Ansicht nach nur mit einer nachhaltigen Lebens-
und Wirtschaftsweise – und zwar durch jeden einzelnen
Erdenbürger, durch jeden von uns – beantworten.

Damit sind wir bei der Nachhaltigkeitsstrategie ange-
langt, die jetzt zehn Jahre alt ist. Sie enthält konkrete
Ziele, zum Beispiel die Ressourceneffizienz bis 2020 zu
verdoppeln, die Treibhausgase bis 2050 um 80 bis
95 Prozent zu senken und die Artenvielfalt zu stärken,
aber auch Ziele im sozialen Bereich wie in den Berei-
chen Bildung, Beschäftigung und Gesundheit, im ökono-
mischen Bereich die Senkung der Staatsschulden und im
internationalen Bereich die Entwicklungszusammenar-
beit.

Darauf will ich heute nicht im Einzelnen eingehen.
Die Ziele können Sie im Fortschrittsbericht 2012 nachle-
sen, und sie sind auch schon von Kolleginnen und Kolle-
gen angesprochen worden. Lesen Sie dann bitte auch die
Kritik dazu, die wir im Parlamentarischen Beirat für
nachhaltige Entwicklung gemeinschaftlich erarbeitet ha-
ben! Beide Dokumente sind heute Gegenstand der De-
batte.

Vielmehr will ich daran erinnern, dass die Nachhaltig-
keitsziele ihren Ursprung im Erdgipfel von Rio 1992 ha-
ben. Sie sind weltweit Konsens, wenn auch weltweit
konkrete zahlenmäßige Ziele noch nicht festgelegt sind.
Dazu hat der Jubiläumsgipfel im vergangenen Jahr end-
lich seinen Mitgliedstaaten einen konkreten Auftrag er-
teilt.

Werte Zuhörerinnen und Zuhörer, wo stehen wir denn
heute in Deutschland wirklich? Wir sind gut gestartet
mit lokalen Agenda-21-Gruppen und der Nachhaltig-
keitsstrategie des Bundes im Jahr 2002. Und wo sind wir
gelandet?

Wie gerade der Streit in der Enquete-Kommission ge-
zeigt hat, ist die Einsicht noch nicht bei allen Handeln-
den in der Politik angekommen. Darum helfen Sie uns
durch Ihr Handeln, auf die richtige Bahn zu gelangen:
Setzen Sie sich für eine nachhaltige Lebens- und Wirt-
schaftsweise ein! Denken Sie bei Ihrem Konsum an die
Grenzen der Erde! Brauche ich jetzt schon wieder ein
neues Handy, nur weil der Vertrag abgelaufen ist? Oder
leiste ich mir stattdessen gesunde Lebensmittel?


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721633800

Kollegin Wilms, achten Sie darauf, dass die Zeitres-

sourcen erschöpft sind?


(Heiterkeit und Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Valerie Wilms (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721633900

Herzlichen Dank für den Hinweis, Frau Präsidentin.

Ich war gerade beim letzten Satz. Sie haben es haarge-
nau abgepasst. – In diesem Sinne würde ich mich freuen,
wenn wir weiter in diese Richtung gehen können.

Vielen Dank, dass Sie mir die Aufmerksamkeit ge-
schenkt haben.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721634000

Der Kollege Andreas Jung hat für die Unionsfraktion

das Wort.


Andreas Jung (CDU):
Rede ID: ID1721634100

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Die Rede der Kollegin Dittrich, die, wie ich im Übrigen
finde, Frau Kollegin, nicht nur, weil Sie die Gebrüder
Grimm zitiert haben, etwas sehr grimmig ausgefallen ist,
sollte nicht darüber hinwegtäuschen, dass wir im Parla-
mentarischen Beirat für nachhaltige Entwicklung über
alle Fraktionen hinweg ein sehr gutes Einvernehmen ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Im Übrigen, Frau Kollegin, hat auch Ihre Fraktion un-
serer gemeinsamen Stellungnahme zugestimmt. Sie ist
mit den Stimmen aller Kolleginnen und Kollegen aller
Fraktionen verabschiedet worden. Ich finde, dass sich
das im Ergebnis und in der Arbeitsweise wohltuend von
dem unterscheidet, wie sonst sehr häufig in diesem
Haus, auch in den Ausschüssen, in der Aufspaltung zwi-
schen Regierung und Opposition gearbeitet wird.


(Judith Skudelny [FDP]: Die Abschaffung der Praxisgebühr war auch einstimmig!)


Ich finde, das ist etwas, worauf wir gemeinsam stolz sein
können. Ich möchte die Gelegenheit nutzen, allen Kolle-
ginnen und Kollegen für die Zusammenarbeit und die
investierte Arbeit zu danken. Ich möchte dabei
ausdrücklich unsere Referenten und Mitarbeiter ein-
beziehen.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Die vorliegende Unterrichtung ist vor allen Dingen
– sonst hätten wir kein Einvernehmen erzielt – weit ent-
fernt von Schönfärberei. Zur Wahrheit gehört: Ja, es gibt
Bereiche, in denen wir gut vorankommen und es Licht
gibt. Aber es gibt auch Bereiche, in denen es noch zu
viel Schatten gibt. Ich will zunächst auf das eingehen,
was aus unserer Sicht gut ist. Fortschritt bedeutet laut





Andreas Jung (Konstanz)



(A) (C)



(D)(B)

Duden die positiv bewertete Entwicklung einer Sache. In
weiten Teilen gibt es eine solche Entwicklung im Be-
reich der Nachhaltigkeit, insbesondere was Strukturfra-
gen, Nachhaltigkeitsmanagement, die Ansiedlung der
Nachhaltigkeitspolitik im Bundeskanzleramt und deren
Behandlung im Bundeskanzleramt, die Einbeziehung
unabhängigen Sachverstands durch den Rat für nachhal-
tige Entwicklung sowie nicht zuletzt den Parlamentari-
schen Beirat für nachhaltige Entwicklung selbst betrifft.
Dieses Gremium ist aus dem Gefüge des Parlaments
nicht mehr wegzudenken. Wir sind als Aufpasser für
Nachhaltigkeit in unserer Wachhundfunktion in der Ge-
setzgebung gestärkt. Jetzt muss endlich die Konsequenz
daraus gezogen werden. Der Parlamentarische Beirat für
nachhaltige Entwicklung muss in der Geschäftsordnung
des Deutschen Bundestages verankert werden.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Damit muss der Notwendigkeit langfristigen Denkens
und Handelns, auch was die Behandlung der Nachhaltig-
keit im Parlament angeht, Rechnung getragen werden.
Der Bundestag muss zeigen: Nachhaltigkeit ist kein
Modethema, sondern ist Daueraufgabe für eine verant-
wortungsvolle Politik.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Es gibt manche Bereiche, in denen es besser werden
muss. Die Frau Kollegin Gottschalck und der Kollege
Michael Kauch haben darauf hingewiesen, dass es bei
der Nachhaltigkeitsprüfung der Bundesregierung in der
Gesetzesfolgenabschätzung Unterschiede zwischen den
Ministerien gibt. In einigen Ministerien wie dem
Bundesumweltministerium funktioniert sie schon sehr
gut. Aber es gibt andere, die noch besser werden können.
Wir arbeiten hartnäckig daran. Politik bedeutet auch hier
das Bohren dicker Bretter. Wir stellen allerdings fest,
dass sich unsere Arbeit schon ausgezahlt hat, dass die
Ministerien sehr viel besser und verantwortungsvoller
mit dieser Aufgabe umgehen. Wir werden hier – Frau
Dr. Wilms hat das gerade plastisch geschildert – weiter
bohren und dranbleiben.

Ein weiterer Punkt, der schon thematisiert wurde, ist
die Verzahnung der Nachhaltigkeitspolitik über ver-
schiedene Ebenen – Europäische Union sowie Bund,
Länder und Kommunen – hinweg. Hier gibt es noch viel
zu tun. Wir stellen fest, dass hier Nachholbedarf besteht
und es Kritikpunkte gibt. Wir haben in unserer auswärti-
gen Sitzung in Brüssel gegenüber der EU-Kommission
gemeinsam deutlich gemacht, dass es so, wie es geplant
ist, nicht umgesetzt werden kann. Nachhaltigkeit soll
nämlich nicht – entgegen unserem gemeinsamen Ver-
ständnis – das Fundament sein, auf dem alle anderen
Fachpolitikbereiche fußen, sondern nur noch ein kleiner
Ableger der Strategie 2020 sein. Das kann nicht richtig
sein. Wir sind froh, dass uns die Bundesregierung unter-
stützt. Wir hoffen, gemeinsam in Europa zu verhindern,
dass hier Rückschritte gemacht werden. Wir brauchen
Fortschritte. Da ist auch die EU in der Pflicht.


(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Auch die Zusammenarbeit mit den Ländern muss ver-
bessert werden. Es geht nicht darum, mit dem Finger auf
andere zu zeigen. Aber die Abstimmung muss verbessert
werden; sonst erreichen wir nicht eine Nachhaltigkeits-
politik aus einem Guss. Es ist notwendig, dass Indikato-
ren abgestimmt werden und dass vergleichbare Gremien
als Ansprechpartner geschaffen werden. Man muss in
den wichtigen Bereichen zusammenkommen. Ange-
sichts der mir verbleibenden Redezeit will ich nur die
nachhaltige Mobilität als Beispiel nennen. Wir alle sind
uns einig, dass hier etwas passieren muss. Wir haben im
Bundestag ein Gesetz zur Förderung der Elektromobili-
tät beschlossen, das eine Befreiung von der Kfz-Steuer
und eine Besserstellung von Dienstwagen vorsieht,
wenn sie ökologisch und nachhaltig sind. Dieses Gesetz
halten wir alle eigentlich für richtig. Es wird in der
Sache auch nicht von den Ländern kritisiert. Aber es
wird jetzt aus anderen Motiven blockiert, die nichts da-
mit zu tun haben. Mit Blick auf dieses Beispiel sage ich:
Da müssen wir alle besser zusammenarbeiten. Da sind
auch die Länder in der Verantwortung. Wir nehmen
diese Verantwortung gemeinsam im Parlamentarischen
Beirat für nachhaltige Entwicklung wahr, und wir
werden weiterhin gemeinsam dafür eintreten. Das Ein-
vernehmen, die Gemeinsamkeit über Fraktionsgrenzen
hinweg, die wir hier haben, machen ein Stück weit
unsere Stärke aus. Insofern können wir immer wieder
Wichtiges bewegen. Ich freue mich auf die weitere
Arbeit.

Herzlichen Dank.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721634200

Ich schließe die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlagen
auf den Drucksachen 17/11670 und 17/8721 an die in
der Tagesordnung aufgeführten Ausschüsse vorgeschla-
gen. Sind Sie damit einverstanden? – Das ist der Fall.
Dann sind die Überweisungen so beschlossen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 8 auf:

Beratung des Antrags der Abgeordneten
Dr. Martina Bunge, Harald Weinberg, Diana
Golze, weiterer Abgeordneter und der Fraktion
DIE LINKE

Privat Versicherte solidarisch versichern –
Private Krankenversicherung als Vollversi-
cherung abschaffen

– Drucksache 17/10119 –
Überweisungsvorschlag:
Ausschuss für Gesundheit (f)

Innenausschuss
Finanzausschuss
Ausschuss für Arbeit und Soziales





Vizepräsidentin Petra Pau


(A) (C)



(D)(B)

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung ist für die
Aussprache eine halbe Stunde vorgesehen. – Ich höre
keinen Widerspruch. Dann ist so beschlossen.

Ich eröffne die Aussprache. Das Wort hat der Kollege
Harald Weinberg für die Fraktion Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Harald Weinberg (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721634300

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Zuhörerinnen und Zuhörer sind leider keine mehr da. –


(Heinz Lanfermann [FDP]: Kein Wunder!)


Kein vergleichbares Land auf der Welt hat ein so unsin-
niges Nebeneinander von gesetzlicher und privater
Krankenversicherung wie Deutschland.


(Lars Lindemann [FDP]: Das stimmt nicht!)


Bei uns werden die Menschen in die beiden unterschied-
lichen Systeme mehr oder minder aufgrund des berufli-
chen Status eingeteilt; historisch ist das weitgehend
überholt. Wer selbstständig ist, Beamter, gut verdienen-
der Angestellter oder Berufspolitiker, zudem noch jung
und gesund, der kommt in die private Krankenversiche-
rung, alle anderen müssen in die gesetzliche. Dieses
Nebeneinander ist ein Ärgernis. Es ist ein Symbol für die
Zweiklassenmedizin in Deutschland, die wir nicht
wollen.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit stehen wir allerdings schon lange nicht mehr
allein. Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Kranken-
kasse hat vor kurzem umstandslos festgestellt:

Die PKV passt nicht in unser System. Wir sollten
sie abschaffen.


(Beifall bei der LINKEN)


Sogar der Kollege Jens Spahn hält die Trennung für
„nicht mehr zeitgemäß“ und stellt laut Presse die Sys-
temfrage.


(Zurufe von Abgeordneten der SPD und der LINKEN: Ui! Ui!)


Welchen Grund gibt es, von Menschen mit gleichem
Einkommen unterschiedliche Beiträge zu verlangen?
Welchen Grund gibt es, Menschen mit der gleichen
Krankheit, mit der gleichen Diagnose, die beim selben
Arzt in Behandlung sind, verschieden zu behandeln? Ich
rede hier nicht von schlechter oder besser. Die Annahme,
die auch in der Bevölkerung weit verbreitet ist, als Pri-
vatpatient werde man automatisch besser behandelt, ist
zumindest sehr zweifelhaft. Richtig ist: Man bekommt
schneller einen Termin beim Facharzt. Richtig ist: Man
hat womöglich eigene Wartezonen. Richtig ist: Man
bekommt vielleicht einen Kaffee. Aber man wird zwei-
fellos häufiger und teurer behandelt, weil mehr Geld zu
verdienen ist. Das ist nicht nur schädlich für das Porte-
monnaie, das kann auch durchaus der Gesundheit
abträglich sein, weil letztlich auch Fragwürdiges abge-
rechnet werden kann.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, kaum ein Privatver-
sicherter kann seinen Versicherungsvertrag in allen Ein-
zelheiten verstehen. Häufig tun das noch nicht einmal
diejenigen, die diese Verträge vermitteln: die Versiche-
rungsmakler.


(Lars Lindemann [FDP]: Als ob die gesetzlich Versicherten das SGB V auswendig könnten!)


Die Konstruktionen und Kalkulationen der Tarife wer-
den auch nicht offengelegt. Es gibt Unbekannte in der
Kalkulation, zum Beispiel die Zinsentwicklung. Warum
ist das wichtig? Einen Teil der Beiträge junger Versi-
cherter nutzt das Versicherungsunternehmen, um Rück-
stellungen zu bilden, wenn die Versicherten alt sind. Die
Zinserträge hieraus entscheiden auch über die Höhe der
Beiträge. Bei einem dauerhaft niedrigen Zinssatz, wie
wir ihn derzeit haben, ist die direkte Folge: Die Beiträge
steigen. Selbst wenn die Zinsen über die gesamte
Vertragslaufzeit hoch genug wären: Weder steigende
Gesundheitskosten noch die Inflation sind ausreichend
in diese Berechnungen eingepreist.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Deswegen Zwangsbeglückung, oder wie?)


Die Folge: Die Beiträge, vor allen Dingen für ältere
Privatversicherte, gehen „durch die Decke“.

Dann zeigt sich, dass „Hier die gesetzliche Kranken-
versicherung, die als bürokratische Staatsmedizin daher-
kommt, und dort die private Krankenversicherung als in-
novative wettbewerbsorientierte Alternative“ schlicht
ein Märchen ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Versuchen Sie als Privatversicherter so ab 50 doch ein-
mal, die Wettbewerbsfähigkeit zu testen und zu einer
anderen Versicherung zu wechseln. Welch böses Er-
wachen! Die Versicherungen verlangen eine Gesund-
heitsprüfung, und bei ehrlicher Beantwortung der Fragen
lehnen einige der Versicherungsunternehmen wegen
Vorerkrankung einfach die Versicherungsmöglichkeit ab,
andere wollen entsprechende Leistungsausschlüsse, und
wieder andere wollen Risikozuschläge erheben, die den
Beitragssatz noch weiter in die Höhe treiben. Oder es
wird angeboten, den Beitragssatz durch deutliche Erhö-
hung der Selbstbehalte stabil zu halten. Hier ist weit und
breit kein Wettbewerb. Es gibt nur einen Wettbewerb um
die Jungen und Gesunden. Wer schon länger dabei ist,
kann so gut wie nicht mehr wechseln und ist auf Gedeih
und Verderb einer Versicherung ausgeliefert. Das soll in-
novativer Wettbewerb sein? Für mich ist das eine Bank-
rotterklärung der privaten Krankenversicherung.


(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der CDU/CSU)


Jetzt wird wieder behauptet, die Linke mache eine
Politik gegen die Privatversicherten. Das ist falsch. Wir
wollen die bestmögliche gesundheitliche Versorgung für
alle Menschen in Deutschland. Das ist mit der Privatver-
sicherung nicht möglich, dazu brauchen wir die Bürge-
rinnen- und Bürgerversicherung, in die alle Menschen
einbezogen sind.


(Beifall bei der LINKEN)






Harald Weinberg


(A) (C)



(D)(B)

Dann wird noch der Vorwurf kommen, das gehe ver-
fassungsrechtlich nicht. Das haben die Konservativen in
der USA auch zu Obamas Gesundheitsreform gesagt.
Letztendlich hat dort der Oberste Gerichtshof Obama
aber zugestimmt. Es kommt also auf den Versuch an, den
die Linke wagen will.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Was hat der amerikanische Oberste Gerichtshof mit deutscher Politik zu tun?)


Denn man kann mit Kurt Marti nur sagen:

Wo kämen wir hin, wenn jeder sagte, wo kämen wir
hin und keiner ginge, um zu sehen, wohin wir
kämen, wenn wir gingen!

Vielen Dank.


(Beifall bei der LINKEN – Heinz Lanfermann [FDP]: So ein Unfug!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721634400

Die Kollegin Karin Maag hat nun für die Unionsfrak-

tion das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Karin Maag (CDU):
Rede ID: ID1721634500

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Lieber Kollege Weinberg!


(Wolfgang Zöller [CDU/CSU]: Mit „lieber“ wäre ich vorsichtig! – Heiterkeit bei der CDU/ CSU)


– Persönliche Wertschätzung ist vorhanden.

An der gesetzlichen Einheitsversicherung für alle ha-
ben sich schon die Kollegen der Grünen und der SPD
abgearbeitet. Schon deren Herangehensweise, lieber
Herr Weinberg, war juristisch bedenklich. Das sagen
nicht Sie oder ich, sondern das sagte bereits der ehe-
malige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Herr
Papier, der darauf hingewiesen hat, dass genau diese
Modelle die Bürger in ihrer verfassungsrechtlich garan-
tierten Handlungsfreiheit und die Versicherungsunter-
nehmen in ihrer Berufsfreiheit einschränken.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Nehmen Sie mal das Urteil zum Basistarif!)


– Aber, lieber Herr Weinberg, wir unterhalten uns jetzt
nicht juristisch, sondern wir gehen zu Ihrem Antrag.
Das, was Sie hier abgeliefert haben, ist dünn, ist schlecht
gemacht. Mit der Feinarbeit wollen Sie sich in Ihrem
Drang, jetzt umzuverteilen, auch gar nicht aufhalten. Sie
wollen die PKV als Vollversicherung schlicht sofort und
unmittelbar ganz abschaffen. Übergangsregelungen, die
die Kollegen der Grünen und der SPD als zentrales
Thema erkannt haben, brauchen Sie nicht. Die Beitrags-
bemessungsgrenze stört Sie; also muss sie weg. Vom
Äquivalenzprinzip haben Sie noch nie gehört oder das ist
Ihnen egal. Dann wollen Sie selbstverständlich alle Ar-
ten von Einkommen zum Beitrag heranziehen. Das war
auf jeden Fall schon für die Grünen und für die SPD ein
Thema. Das sieht man an den Volten, die sie geschlagen

haben. Spätestens da hätten Sie doch merken müssen,
dass es so platt nun einfach auch nicht geht.

Bei der SPD hat man zumindest den hohen Verwal-
tungsaufwand bei der Verbeitragung aller Einkommens-
arten und den vergleichsweisen geringen Ertrag daraus
erkannt. Die Grünen, jedenfalls soweit mir deren letztes
Modell bekannt ist, wollen wenigstens die Freibeträge
einräumen.

Bei der Beitragsbemessungsgrenze hat man ja dann
auch bemerkt – Sie wahrscheinlich nicht, Herr
Weinberg –, dass diese die Bezieher mittlerer Einkom-
men schützt und dass diese auch schützenswert sind,
weil sie die Hauptlast des Staates bereits tragen.


(Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Die Grünen wollen deshalb nur in Grenzen erhöhen und
die Beiträge für die Arbeitnehmer und Arbeitgeber glei-
chermaßen verteuern. Die SPD sagt dann: „Okay, wir
verteuern nur für die Arbeitgeber.“ Da muss man sich
dann fragen, ob Sie von der SPD noch ernsthaft daran
glauben, dass dann irgendein Arbeitgeber auch nur noch
einen zusätzlichen Arbeitsplatz schafft; denn das würde
denen schlicht zu teuer werden.

Aber jetzt zurück zu Ihnen. 170 Milliarden Euro
Altersrückstellungen sind verfassungsrechtlich auch
über Art. 14 Grundgesetz geschützt. Das interessiert Sie
schlicht nicht. Das kann man aber nur dann verstehen,
wenn man Ihrem Verweis auf Ihren Antrag „Gesundheit
und Pflege solidarisch finanzieren“ folgt. Dort wird for-
muliert – das zitiere ich jetzt –:

Die Idee, heute für spätere Leistungen Geld zurück-
zulegen, führt in die Irre und hat nichts mit Genera-
tionengerechtigkeit zu tun.


(Lachen der Abg. Christine AschenbergDugnus [FDP])


Der demografische Wandel und die Diskussion der
letzten Jahre ist spurlos an Ihnen vorbeigegangen.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Da hätten die bei der Nachhaltigkeit gerade mal zuhören sollen!)


Da frage ich mich nur noch: Wo leben Sie denn eigent-
lich?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


In Deutschland ist die Lebenswirklichkeit eine völlig
andere. Unser System ist nach wie vor eines der besten
der Welt. Das können wir uns von Ihnen nicht kaputt-
reden lassen. Wirklich jeder, der im Ausland einen Un-
fall erleidet oder krank wird, hat nur ein Interesse: Er
möchte zurück nach Deutschland, um sich behandeln zu
lassen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Neun von zehn Versicherten sind mit den Wartezeiten
auf einen Arzttermin zufrieden. 90 Prozent der Men-
schen sind von der Freundlichkeit des Personals und der





Karin Maag


(A) (C)



(D)(B)

Atmosphäre in der Praxis begeistert. Das sage übrigens
nicht ich, sondern das sagt das Wissenschaftliche Institut
der von Ihnen zitierten Techniker Krankenkasse.

Noch eines: Selbstverständlich, auch das System der
PKV – das haben wir erkannt; wir sind ja nicht blöd,
Herr Weinberg – hat Schwächen, und daran arbeiten wir.


(Lars Lindemann [FDP]: So ist das!)


Es ist doch sinnvoll, diese Schwächen aufzuarbeiten, das
heißt, das System zu stärken. Das ist unsere Aufgabe.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir bringen heute zum Beispiel Innovationen auch
schneller in die GKV. Ich nenne da die §§ 137 c und e
SGB V. Genau das, den schnellen Zugang zu Innovatio-
nen, stellt die PKV seit langem sicher, natürlich dann
auch für die Versicherten der GKV. Diese Innovationen
nützen allen.

Dann müssen Sie noch an Folgendes denken: 11 Pro-
zent privat Versicherte sorgen im Durchschnitt für 25
Prozent der Honorare in einer Arztpraxis. Auch im nie-
dergelassenen Bereich kommt das den gesetzlich Versi-
cherten zugute.

Gerade die Länder mit einem Einheitssystem sind in
den letzten Jahren leider Gottes zur Rationierung über-
gegangen. Schon das wäre für mich ein Grund, das Ein-
heitssystem abzulehnen. Ich erinnere Sie an Großbritan-
nien.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Ein steuerfinanziertes System! Da liegt das Problem! – Lars Lindemann [FDP]: Sagen Sie, dass Sie das wollen!)


Auch das Modell des einheitlichen Marktes in den Nie-
derlanden – darüber haben wir ebenfalls schon gespro-
chen – krankt heute. Lesen Sie, was Fritz Beske in dieser
Woche geschrieben hat! Da sind die Themen deutlich
benannt.

Sie haben die schwarzen Schafe bei der PKV ange-
führt. Klar, es gibt solche PKVen, die die Tarife nicht
auskömmlich kalkulieren, die Provisionen jenseits des
Tolerierbaren gezahlt haben. Genau dort haben wir ge-
handelt.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Richtig! Genau!)


Wir haben die Provisionen begrenzt.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Richtig!)


Wir haben die PKVen daran erinnert, dass sie ihre Versi-
cherungsnehmer darüber informieren müssen, dass die
Tarife gewechselt werden können. Wir haben den Aus-
gabenanstieg auch dort und nicht nur in der GKV be-
grenzt, etwa mit dem Privatklinikausgründungsverbot.
Darüber haben wir uns in diesem Hohen Hause wirklich
ausgiebig unterhalten.

Fazit aus meiner Sicht also: Der GKV die Konkurrenz
vom Leib zu halten, ist keine Lösung. Das macht das
System auf Dauer nicht tragfähig. Wenn Sie sich das

nächste Mal damit befassen, wäre ich Ihnen dankbar,
wenn Sie sich bei Ihren Anträgen etwas mehr Mühe ge-
ben würden.

Danke schön.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721634600

Für die SPD-Fraktion hat nun der Kollege Dr. Karl

Lauterbach das Wort.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Karl Lauterbach (SPD):
Rede ID: ID1721634700

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Zunächst einmal: An der Diagnose des System-
fehlers, vorgetragen von Herrn Weinberg für die Links-
partei, ist nichts auszusetzen; sie ist im Prinzip richtig.
Das ist mittlerweile auch in der allgemeinen Bevölke-
rung, selbst bei einem großen Teil Ihrer Wähler, zuneh-
mend die einhellige Meinung. Das wird für die Unions-
wähler wie für uns alle mittelfristig ein großes Problem
werden. Es ist ganz klar: Das System funktioniert in der
jetzigen Form nicht.

Wir haben eine ausgesprochene Zweiklassenmedizin.
Dies wird von kaum jemandem mehr bestritten. Es gibt
kaum jemanden, der mir ernsthaft bestreitet, dass wir
eine Zweiklassenmedizin haben. Es wird mittlerweile
auch kaum mehr bestritten, dass sie beiden Gruppen,
nämlich den gesetzlich Versicherten und den privat Ver-
sicherten, schadet. Es ist nicht so, dass die privat Versi-
cherten allein gewinnen und die gesetzlich Versicherten
allein verlieren, sondern jeder verliert auf seine Art. Je-
der verliert auf seine Weise, wenn man so will: Die ge-
setzlich Versicherten haben oft keinen Zugang zu Fach-
ärzten, müssen warten und werden als Patienten zweiter
Klasse gesehen, empfinden sich auch so.

Die Patienten, die privat versichert sind, sind oft die
Versuchskaninchen des Systems. Sie werden mit Medi-
kamenten behandelt, die noch nicht wissenschaftlich
ausreichend erprobt sind. Sie waren mehr vom Vioxx-
Problem betroffen als die gesetzlich Versicherten. In der
Onkologie gibt es zahlreiche Antikörpertherapien, die
nicht evidenzbasiert sind, die bevorzugt bei privat Versi-
cherten eingesetzt werden. Unilaterale Kniegelenkspro-
thesen, die in der Regel nur fünf Jahre halten, werden bei
privat Versicherten bevorzugt eingesetzt. Das Gleiche
gilt für die sogenannte Überkronung des Hüftgelenkes,
ein Eingriff, der für denjenigen sozusagen lukrativ ist,
der ihn vornimmt, dessen Erfolg aber wissenschaftlich
überhaupt nicht gesichert ist. Die Protonentherapie wird
bei Privatpatienten vornehmlich genutzt, obwohl neuere
Studien keinen Vorteil zeigen. Jeder leidet für sich allein.
Beide Gruppen – privat wie gesetzlich Versicherte – sind
betroffen. Viele ältere Privatversicherte müssen ihre
Ansprüche zurückschrauben, weil sie mit dem Geld
nicht mehr klarkommen. Rentner zahlen 800, 900 Euro
Krankenversicherung, haben aber nur eine Rente von
1 500 Euro. Oft ist dabei die Armutsgrenze fast erreicht.
Das betrifft auch Geschiedene von Beamten sehr häufig.
Gesetzlich Versicherte dagegen sind besser geschützt. Es





Dr. Karl Lauterbach


(A) (C)



(D)(B)

gibt also eine Vielzahl von Problemen. Zu all dem hat
die FDP, wie wir gerade von Frau Maag gehört haben,
nichts beizutragen. Ich habe keinen einzigen Lösungs-
vorschlag gehört.


(Lars Lindemann [FDP]: Das stimmt doch nicht!)


Damit werden Sie nicht durchkommen. Die Kritik an
den Vorschlägen der Linkspartei mag in dem ein oder
anderen Punkt berechtigt sein, aber Sie haben nichts an-
zubieten. Sind wir doch ehrlich. Im Bereich der privaten
Assekuranz sind Sie nichts anderes als eine kleine Klien-
telpartei, was man Ihnen immer vorwirft. Mehr ist von
der liberalen Tradition im Gesundheitssystem nicht
übrig geblieben.


(Lars Lindemann [FDP]: Frau Maag ist aber in der CDU! – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Frau Maag ist von der CDU!)


– Diesen Kritikpunkt räume ich ein. Das ist in der Tat
richtig.

Die Lösung der Linkspartei, die vorgetragen wurde,
ist ebenfalls nicht allumfassend. Das muss man sagen.
Viele Dinge sind schlicht übergangen worden. So ist
zum Beispiel dem Antrag nicht zu entnehmen, ob die Al-
tersrückstellungen überführt werden sollen oder nicht.
Das steht nicht im Antrag. Ich rate auch davon ab, dies
in den Antrag zu schreiben; denn diese Art der Enteig-
nung ist verfassungsmäßig auf der Grundlage der uns
vorliegenden Gutachten schlicht und ergreifend nicht ge-
deckt. Ebenfalls ist es unklar, ob eine solche Überfüh-
rung des Personals gedeckt ist. Es ist auch nicht klar, ob
in das Versicherungsfeld der Bürgerversicherung, wenn
sie eingeführt werden sollte, was wir verfolgen, die pri-
vaten Krankenversicherungen einen entsprechenden Zu-
gang haben sollten. Ich halte die von der Linkspartei
vorgenommene Diagnose des Problems im Großen und
Ganzen für richtig. Mit dem Antrag springen Sie aber zu
kurz. Es fehlt ein Vorschlag, wie die Vergütung sein soll.
Was machen wir mit den Beamten? In Ihrem Antrag
steht nichts über die Beamten. Wie stellen Sie sich das
vor? Ist es verfassungskonform, auch die Beamten – ich
sage einmal – zwangszuüberführen? Wenn Sie das den-
ken, hätte es im Antrag stehen müssen. Wir halten es für
nicht machbar. Es fehlt vieles. Somit glaube ich, dass das
ursprüngliche Modell, das Originalmodell der SPD nach
wie vor das einfachste und unbürokratischste Modell ist.

Es werden wieder paritätische Beiträge von Arbeit-
nehmern und Arbeitgebern erhoben. Damit das System
demografisch abgefedert ist, wird der Steuerzuschuss
systematisch erhöht. Die Bürgerversicherung in einem
System, wo gleiche Honorare von gesetzlich wie privat
Versicherten bezahlt werden, beseitigt die Zweiklassen-
medizin. Dann kann man den privat Versicherten den
Übergang in einem Jahr freiwillig erlauben. Wenn sie
wollen, wechseln sie in das Bürgerversicherungssystem,
sonst bleiben sie im privaten System. Wo liegt der Feh-
ler, wenn sich jeder in einem Übergangsjahr selbst ent-
scheiden kann, wenn es keine Zweiklassenmedizin mehr
gibt? Das ist viel unbürokratischer und gerechter, als
wenn das private System – ich sage einmal – in die Knie

gezwungen wird. Wieso soll ich diesen Arbeitgebern
nicht die Möglichkeit geben, die Bürgerversicherung
selbst anzubieten?


(Zuruf der Abg. Stefanie Vogelsang CSU)


Ein solches System hätte darüber hinaus auch den
Vorteil, dass es in der Bevölkerung anerkannt ist. In der
Bevölkerung wird zwar eine Lösung des Systempro-
blems gewünscht, aber kein Zwang. Jeder kann sich
innerhalb eines Jahres entscheiden. Die Neumitglieder
gehen alle in das neue Versicherungssystem der Bürger-
versicherung. Die Altmitglieder können sich entschei-
den, ob sie in der Bürgerversicherung zu Hause sind
oder ob sie in der PKV verbleiben. Ich sage Ihnen vo-
raus: Die allermeisten werden sich für den Wechsel in
die Bürgerversicherung entscheiden. Diejenigen, die das
nicht tun, treffen diese Wahl in freier Entscheidung.

Die Altersrückstellungen – das hören wir von der
FDP immer wieder –


(Stefanie Vogelsang [CDU/CSU]: Erklären Sie das mal Herrn Steinbrück!)


sind auskömmlich. Von daher wird das als Substanz rei-
chen. Niemand soll zu seinem Glück in einer Bürgerver-
sicherung gezwungen werden, die ein unbürokratisches
System darstellt, das gerecht ist, ohne Zweiklassenmedi-
zin, bei gleichen Honoraren für alle Beteiligten, das be-
gleitet wird durch eine Strukturreform, die ihren Namen
auch verdient, mit mehr Vorbeugemedizin und einer Öff-
nung der Sektorengrenzen.

In einem System für alle sind auch Reformen mög-
lich, die bisher nicht möglich waren. Denn oft scheitern
Reformen daran, dass überlegt wird, was gut ist für die
Privatversicherten und was gut ist für die gesetzlich Ver-
sicherten. Sitzen alle in einem Boot, lässt sich eine Re-
form aufbauen, die für die Bevölkerung gut ist und nicht
für Einzelne in unserer Gesellschaft.

Vielen Dank.


(Beifall bei der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721634800

Das Wort hat die Kollegin Aschenberg-Dugnus für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Christine Aschenberg-Dugnus (FDP):
Rede ID: ID1721634900

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Weinberg, kein vergleichbares Land hat ein so gu-
tes Gesundheitssystem wie wir. Unser deutsches Ge-
sundheitssystem gehört zu den besten der Welt. Diesen
Satz habe ich von Ihnen heute leider nicht gehört.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf des Abg. Harald Weinberg [DIE LINKE])


Statt sich um eine konkrete Weiterentwicklung unseres
wirklich guten Gesundheitssystems zu bemühen, zetteln
Sie hier eine ideologische Debatte an. Sie fordern eine
wie auch immer geartete Bürgerversicherung und damit





Christine Aschenberg-Dugnus


(A) (C)



(D)(B)

natürlich die Abschaffung der privaten Krankenversi-
cherung.

Diese Versprechen von vermeintlich mehr Solidarität
und mehr Gerechtigkeit hören sich immer toll an. Schaut
man jedoch hinter die Kulissen Ihres Antrages, dann
wird sehr schnell klar: Ihnen geht es gar nicht um irgend-
welche Leistungsverbesserungen oder mehr Qualität und
Effizienz im Gesundheitswesen oder in der Versorgung
der Versicherten.

Ihnen geht es einzig und allein um das Erschließen
neuer Geldquellen. Sie glauben, mit mehr Geld werde
schon alles besser. Sie behaupten, die PKV entziehe der
GKV besser verdienende und gesündere Versicherte. Sie
wollen die Beiträge der PKV-Mitglieder, die dann als
Zwangskunden in die Bürgerversicherung einzahlen
müssen. Ich kann Ihnen nur sagen: Nicht mit uns!


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht mit euch! Zukünftig auch im Bundestag nicht mit euch!)


Sie vergessen dabei, dass nur 13 Prozent der PKV-
Versicherten Arbeitnehmer oberhalb der Beitragsbemes-
sungsgrenze sind, die in der GKV den Höchstbetrag be-
zahlen würden. Außerdem vergessen Sie die Kinder und
die erwerbslosen Ehepartner, die in der PKV selbstver-
ständlich Beiträge leisten. Das müssten sie in der GKV
nicht, hätten aber einen vollen Leistungsanspruch.

Wir wissen: Sie als Linke streben eine Ausweitung
der Beitragsbasis an. Sie wollen auch noch solche Ein-
kommensarten wie Kapital-, Zins- oder Mieteinkommen
vereinnahmen. Ihr Ziel ist die Umwandlung des für un-
sere Begriffe ohnehin schon überregulierten Kranken-
versicherungssystems in ein planwirtschaftliches Sys-
tem.

Hier ist nach Ihrer Ideologie natürlich kein Platz mehr
für die PKV. In Ihrem System sehen Sie eine ausnahms-
lose Zwangsmitgliedschaft aller Bürger in einer Ein-
heitsversicherung vor. Das ist wirklich klasse! Dabei
können Sie auf unsere Hilfe nicht hoffen. Damit nehmen
Sie nämlich den Menschen ihre Wahlfreiheit. Diese
Wahlfreiheit erachte ich als besonders wichtig.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Was hat ein 50-Jähriger für eine Wahlfreiheit? – Heinz Lanfermann [FDP]: Das sind zwei Fremdwörter für die Linken: Wahl und Freiheit!)


Dafür haben sich in Deutschland 9 Millionen Versicherte
aktiv und eigenverantwortlich entschieden.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Keine Ahnung von gar nichts!)


Sie wollen diese Menschen entmündigen, weil die PKV
einfach nicht in Ihre Ideologie und Ihr System passt.

Meine Damen und Herren, die Linke schreibt in ih-
rem Antrag, das Nebeneinander einer gesetzlichen und
einer privaten Krankenversicherung führe zu einer Zwei-
klassenmedizin. Sie sagen also: Nur der PKV-Versi-
cherte ist erster Klasse versichert. Schon im nächsten
Absatz – ich finde Ihren Antrag wirklich sehr putzig –
beklagen Sie dann den bedauernswerten Zustand der

PKV-Versicherten, beklagen einen Leistungskatalog im
Basistarif mit Vergütungen von Ärzten unter GKV-Ni-
veau. Ja, was denn nun? Ist es eine Versicherung erster
Klasse, oder ist es die Holzklasse? Ich habe das Ihrem
Antrag nicht richtig entnehmen können.


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Im Basistarif ist es Holzklasse!)


Als Mittel gegen diese vermeintlichen Ungerechtig-
keiten wird von Ihnen die Bürgerversicherung angeprie-
sen. Aber was steckt eigentlich dahinter? Führt eine Ein-
heitskrankenkasse wirklich dazu, dass alles besser und
solidarischer wird? Nein, auf gar keinen Fall, meine Da-
men und Herren. De facto führt gerade das Konzept der
Bürgerversicherung zu einer echten Zweiklassenmedi-
zin. Sie können etwa am Beispiel Großbritanniens sehr
gut sehen,


(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das habe ich schon in der PKV-Broschüre gelesen!)


wie ein einheitliches, planwirtschaftlich organisiertes
staatliches System zu langen Wartezeiten, zu Rationie-
rung, zu Mangel und zu eingeschränkten Leistungen
führt.


(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie können nicht einmal eine Versicherung von einem staatlichen System unterscheiden!)


Das wollen wir hier bei uns nicht haben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Denn die überwiegende Mehrheit bekommt in Großbri-
tannien eine Minimalversorgung auf niedrigem Niveau.
Wer es sich leisten kann, der nimmt natürlich bessere
Leistungen gegen bar in Anspruch oder fährt ins Aus-
land, am besten zu uns nach Deutschland, wo es eine
gute medizinische Versorgung gibt. Das ist die wahre
Zweiklassenmedizin, und die wollen wir hier nicht ha-
ben.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Es gibt weitere Argumente dafür, die PKV nicht abzu-
schaffen. Ich nenne hier insbesondere die Altersrückstel-
lungen in der PKV. Denn damit ist die PKV dem Umla-
gesystem der GKV deutlich überlegen.


(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD – Lachen bei Abgeordneten der LINKEN)


Die PKV punktet beim Stichpunkt Demografie, meine
Damen und Herren; das können Sie nicht einfach wegar-
gumentieren. Wir gleiten doch in Zukunft in eine Situa-
tion, in der immer weniger Beitragszahler immer grö-
ßere Kostenlasten tragen müssen. Eine Ausweitung des
Umlagesystems auf 100 Prozent der Bevölkerung ver-
schärft dieses Problem nur. Denn mit den neuen Mitglie-
dern – ich habe das am Anfang schon ausgeführt – wer-
den auch deren Kosten erworben. Für diesen
zweifelhaften Effekt wollen Sie also das gute System der
Altersrückstellungen abschaffen; das ist mit uns nicht zu





Christine Aschenberg-Dugnus


(A) (C)



(D)(B)

machen. In der PKV wird eine generationengerechte Lö-
sung praktiziert.


(Dr. Marlies Volkmer [SPD]: Warum jammern dann die älteren Privatversicherten?)


Doch Sie gehen sogar so weit, dass Sie in der Bürgerver-
sicherung Rücklagenbildungen untersagen wollen. Das
ist nicht vorausschauend; so schafft man kein Gesund-
heitssystem, das zukunftsfest ist.

Meine Damen und Herren, im Hinblick auf die Wei-
terentwicklung unseres wirklich ausgezeichneten Sys-
tems ist es viel zielführender, über weitere Reformen in
der GKV und in der PKV nachzudenken. Das ist doch
die Lösung. Wir dürfen doch nicht das duale System auf
dem Altar einer sogenannten Bürgerversicherung opfern,
bei der wirklich nur der Name gut ist. Wir sollten ge-
meinsam daran arbeiten, den bewährten Dualismus zu
optimieren, indem wir die jeweiligen Vorteile beider
Systeme stärken und miteinander kombinieren. Darin
liegt die Zukunft des Gesundheitssystems, nicht in der
Entmündigung von Millionen PKV-Versicherten.

Danke schön.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Harald Weinberg [DIE LINKE]: Sie haben nur die Broschüre vom PKV-Versicherungsverband vorgelesen!)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721635000

Die Kollegin Birgitt Bender hat nun für die Fraktion

Bündnis 90/Die Grünen das Wort.


Birgitt Bender (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1721635100

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Werte

Kollegin Aschenberg-Dugnus, wenn man Sie so hört,
dann ist man schon froh, dass die FDP in Umfragen bei
nur 2 Prozent steht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Jetzt reden wir einmal über die PKV. Diese Regierung
hat in den letzten drei Jahren immer ihre schützende
Hand über die PKV gehalten. Einige Beispiele gefällig?
Erst einmal hat sie die Frist, die gesetzlich Versicherte
einhalten müssen, bis sie in die PKV wechseln können,
von drei Jahren auf ein Jahr verkürzt.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Ja! Das ist auch richtig so!)


Mit der Pflegereform wurde der privaten Versicherungs-
branche der sogenannte Pflege-Bahr geschenkt. Er wird
dem Großteil der Pflegebedürftigen nichts nützen, eröff-
net der privaten Krankenversicherung aber ein neues Ge-
schäftsfeld – sonst eben nichts.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Lars Lindemann [FDP]: Wir haben den Versicherten etwas gegeben, Frau Kollegin, nicht nur den Versicherungsunternehmen! – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist alles freiwillig, Frau Kollegin!)


Die Auswirkungen des vorerst letzten Akts dieser
Klientelpolitik erleben wir in diesen Tagen. Der Euro-
päische Gerichtshof hat entschieden, dass die Versiche-
rer für Frauen und Männer keine unterschiedlichen
Preise mehr verlangen dürfen. Beflissen hat die Bundes-
regierung dafür gesorgt, die Auswirkungen dieses Ur-
teils auf die PKV abzupuffern; denn geschlechtsneutrale
Tarife soll es nur für Neukundinnen und -kunden geben,
für Bestandsversicherte bleibt dank dieser Koalition al-
les beim Alten.


(Heinz Lanfermann [FDP]: Das Wort heißt „Bestandsschutz“! Da müssen Sie sich juristisch bilden, Frau Kollegin!)


– Werter Kollege, die Vereinbarkeit dieser Regelung mit
dem Europarecht ist mehr als fraglich.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Das wird sich spätestens dann zeigen, wenn die erste
Altversicherte vor den EuGH zieht. Doch für die Bran-
che ist es natürlich erst einmal bequemer: Das erspart
den Ärger mit den männlichen Altversicherten, und nur
das zählt für die Bundesregierung.

Aber die PKV setzt noch einen drauf. Die Beiträge für
neu eintretende Männer sind gestiegen. Aber glauben
Sie etwa, die für die Frauen seien gesunken? Ganz im
Gegenteil! Tatsächlich haben diese Tarife bei diversen
Unternehmen sogar zugelegt. Da der PKV die Ausgaben
davonlaufen, braucht sie nämlich jeden Cent, und da
passen Beitragssenkungen eben nicht ins Konzept. Hier
zeigt sich wieder einmal: Die Doppelstruktur von gesetz-
licher und privater Krankenversicherung ist nicht nur un-
gerecht, weil sie Gutverdienenden ermöglicht, sich vom
Solidarausgleich zu verabschieden. Die PKV als solche
ist eine Fehlkonstruktion, nichts anderes.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD und der LINKEN)


Man sieht es doch: Obwohl sie weit weniger chro-
nisch Kranke, Behinderte und Alte versichert, liegen ihre
Ausgabensteigerungen deutlich über denen der GKV.


(Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Sie widerspricht sich permanent!)


Vor diesem Hintergrund ist die Forderung nach einer
Abschaffung der PKV als eigenständiges Versicherungs-
system neben der GVK absolut richtig. Wir brauchen
eine Bürgerversicherung, die auch die bisher PKV-Versi-
cherten am Solidarausgleich beteiligt


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


und so – hören Sie gut zu, werter Herr Kollege – den so-
lidarischen Krankenversicherungsschutz demografiefest
macht; auch das ist die PKV nämlich nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Heinz Lanfermann [FDP]: Das ist doch auch eine Umlageversicherung!)


Allerdings – das sage ich jetzt Ihnen, Herr Kollege
Weinberg – schießen die Kollegen und Kolleginnen von





Birgitt Bender


(A) (C)



(D)(B)

der Linken dann doch über das Ziel hinaus; denn sie
wollen den privaten Krankenversicherungsunternehmen
das Vollversicherungsgeschäft verbieten. Sie sollen nur
noch Zusatzversicherungen anbieten können. Damit
würde man sich völlig überflüssigerweise verfassungs-
rechtliche Probleme aufhalsen. Warum eigentlich – so
frage ich Sie – soll man den privaten Krankenversiche-
rungen nicht zumuten, mit den gesetzlichen Krankenver-
sicherungen in einen Wettbewerb nach gleichen Spielre-
geln im Rahmen der Bürgerversicherung einzutreten?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Einen solchen Wettbewerb, in dem für alle die gleichen
Spielregeln gelten, würden die gesetzlichen Kassen nicht
fürchten müssen. Das genau ist unser Weg in die Bürger-
versicherung.

Danke schön.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721635200

Der Kollege Rudolf Henke hat für die Unionsfraktion

das Wort.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Rudolf Henke (CDU):
Rede ID: ID1721635300

Frau Präsidentin! Werte Damen und Herren auf den

Tribünen! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für uns von
CDU und CSU ist jeder Mensch von gleichem Wert. In
Bezug auf die Substanz medizinischer Hilfe für Patien-
ten lehnen wir eine Unterscheidung zwischen verschie-
denen Versichertengruppen ab. Ärztliche Hilfe darf nicht
vom Geldbeutel und auch nicht vom Versicherungsstatus
abhängen. Ob jemand zur gesetzlichen Krankenver-
sicherung gehört, ob er privat versichert ist, ob er Bei-
hilfe bezieht oder von der Stütze lebt – das alles soll kei-
nen Unterschied bei der ärztlichen Behandlung machen.


(Stephan Stracke [CDU/CSU]: Sehr richtig!)


Beim Hotelkomfort mag es Unterschiede geben; in der
Medizin muss die Behandlung eines jeden Patienten
fachlich immer auf der Höhe der Zeit erfolgen. Genau
das sind die Normen, die im Sozialgesetzbuch festgelegt
sind, und es sind die Normen, die Ärzte und andere Be-
handelnde den Patientinnen und Patienten in der privaten
Krankenversicherung schulden.

Wenn man sich die Frage stellt: „Was ist denn das
Kernargument des Antrags, den Sie als Linke hier einge-
bracht haben?“, muss man sich vergegenwärtigen, wie
die Lage wirklich ist. Wir Deutschen werden – das ist
schon gesagt worden – weltweit beneidet um den sehr,
sehr guten Zugang zu medizinischer Versorgung in unse-
rem Land.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So ist es!)


In kaum einem Land der Welt sind die Wartezeiten auf
einen Termin für eine notwendige Operation so kurz wie
bei uns. In kaum einem Land der Welt ist es so leicht, ei-
nen Arzt, Hausarzt oder Facharzt, aufzusuchen, wie bei

uns. Ja, es mag Wartezeiten geben; aber wenn es darauf
ankommt, wird es immer möglich sein, rasch einen Ter-
min zu bekommen, und sei es, weil der Hausarzt sich da-
rum kümmert.


(Lars Lindemann [FDP]: Genau so ist das!)


In kaum einem Land der Welt ist die Eigenbeteiligung
desjenigen, der medizinische Hilfe braucht, niedriger als
hier. Erst Ende 2012 haben wir die Kassengebühr für den
Besuch einer Praxis aufgehoben. Das lassen wir uns
2 Milliarden Euro pro Jahr kosten. In kaum einem Land
der Welt ist auch die Versorgung der Kranken, die auf
der Schattenseite der Gesellschaft leben, so zuverlässig
wie in Deutschland.

Wenn Kritik an unserer gesundheitlichen Versorgung
geübt wird, dann bezieht sie sich eher auf ein Zuviel als
auf ein Zuwenig. In vielen Fällen verlassen wir uns so
sehr auf die Qualität der Versorgung, dass wir glauben,
wir könnten es uns leisten, uns wenig um Gesundheits-
förderung und Prävention zu kümmern. Wir denken,
dass die Versorgung all das, was wir im Bereich Präven-
tion und Gesundheitsförderung versäumen, ausgleicht.
CDU/CSU und FDP werden in den kommenden Wochen
eine nachhaltige Initiative starten, um den Bereich Prä-
vention und Gesundheitsförderung zu stärken.


(Johannes Singhammer [CDU/CSU]: Genau!)


Bei Krankheit gibt es oft so viele Hilfen in unserem
Land, dass es schwierig ist, den Überblick zu behalten.

In einer solchen Situation, in der sich sicher etliches
Kritische zur Versorgung sagen lässt, legen Sie von der
Fraktion Die Linke uns einen Antrag vor, in dem das Ne-
beneinander von gesetzlicher Krankenkasse und privater
Krankenversicherung als Hauptgrund aller Mängel im
Gesundheitswesen benannt wird. Damit führen Sie die
Menschen in Deutschland hinter die Fichte. Sie bewegen
sich weit weg von der Realität.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Sie haben Jens Spahn angesprochen und ihn gewis-
sermaßen zum Kronzeugen gemacht. Ich will einmal aus
seinen zehn Thesen zu den Anforderungen an eine Kran-
kenversicherung der Zukunft zitieren:


(Dr. Karl Lauterbach [SPD]: Das ist das PKVPapier!)


Die Debatte zum Verhältnis von Gesetzlicher und
Privater Krankenversicherung darf nicht als linke
Neiddebatte geführt werden.

In genau dieser Art führen Sie aber die Debatte.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dieser Neid wird gleich auf zwei Ebenen geschürt:
SPD, Linke und Grüne erwecken in der politischen
Diskussion zum einen den Eindruck, man könnte
die Finanzprobleme der GKV am besten lösen, in-
dem man die „unsolidarischen Besserverdiener“ zu
Beitragszahlern machte, und zum Zweiten wird die
angeblich bessere Versorgung von Privatpatienten
angeprangert, beispielhaft regelmäßig illustriert an





Rudolf Henke


(A) (C)



(D)(B)

Bezogen auf die PKV gehört dazu: ein Ende der Billigta-
rife, eine überarbeitete Systematik zur Kalkulation der
Tarife, ein einheitlich definierter Mindestversicherungs-
schutz, eine stärkere Versorgungs- und eine geringere
Vertriebsorientierung bei den Versicherungen. Das sind
alles Punkte, über die wir diskutieren und reden können,
über die wir bereits sprechen. Aber was Sie machen, ist,
Neid schüren und eine anschließende Räuberei vorberei-
ten. Sie wollen eigentlich nichts anderes, als die Privat-
versicherten um 170 Milliarden Euro Rücklagen bringen
und dieses Geld verteilen. Dieser Betrag ist in der PKV
angesammelt worden und fällt unter das Eigentumsrecht.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der SPD und vom BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das ist letzten Endes eine klassenkämpferisch moti-
vierte, wahrscheinlich kommunistisch durchdachte Poli-
tik,


(Widerspruch bei der SPD und der LINKEN – Hilde Mattheis [SPD]: Das ist aber unterste Schublade!)


mit der Sie letztlich nichts anderes erreichen, als Unfrie-
den in der Gesellschaft zu schüren.


Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721635400

Kollege Henke, achten Sie bitte auf die Zeitanzeige.

Deswegen widersprechen wir Ihrem Antrag und werden
ihn ablehnen.

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Petra Pau (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1721635500

Wir haben jetzt alle eine Ahnung davon, wie die wei-

tere Behandlung in den Ausschüssen zu einem entspre-
chenden Meinungsaustausch führen wird. Für heute
schließe ich aber die Aussprache.

Interfraktionell wird die Überweisung der Vorlage auf
Drucksache 17/10119 an die in der Tagesordnung aufge-
führten Ausschüsse vorgeschlagen. Sind Sie damit ein-
verstanden? – Das ist der Fall. Dann ist die Überweisung
so beschlossen.

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 17. Januar 2013,
9 Uhr, ein.

Die Sitzung ist geschlossen. Ich wünsche Ihnen noch
einen schönen Abend.