Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sitzung ist er-
öffnet.
Wir wünschen uns gemeinsam einen schönen Nach-
mittag.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:
Befragung der Bundesregierung
Die Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-
binettssitzung mitgeteilt: Fortschrittsbericht Afghani-
stan.
Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Bericht
hat der Staatsminister im Auswärtigen Amt, Herr
Michael Georg Link. Lieber Herr Staatsminister, ich darf
Ihnen das Wort erteilen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichfreue mich, Ihnen heute im Namen der Bundesregierungden mittlerweile fünften Fortschrittsbericht zu Afghani-stan vorlegen zu können. Erstellt wurde der Bericht wieimmer durch die in Afghanistan engagierten Ressorts,also neben dem Auswärtigen Amt das Bundesministe-rium der Verteidigung, das Bundesministerium für wirt-schaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, das Bun-desministerium des Innern und natürlich auch dasKanzleramt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, wie Sie es aus denvorangegangenen Berichten kennen, deckt die Bundes-regierung in dem Fortschrittsbericht erneut die dreizentralen Aufgaben des internationalen Engagements inAfghanistan ab: Sicherheit, Staatswesen und Regie-rungsführung sowie Wiederaufbau und Entwicklung.Mit der Ausrichtung der Internationalen Afghanistan-Konferenz in Bonn im Jahre 2011 hatte Deutschland imvergangenen Dezember den Auftakt für die Diskussionder Afghanistan-Politik nach dem Ende des ISAF-Ein-satzes 2014 gesetzt. Seit Mai dieses Jahres haben wir aufweiteren Konferenzen in Chicago, Kabul und Tokio sehrintensiv gearbeitet. Das reflektiert sich bereits in den Er-gebnissen des Fortschrittsberichtes. Dabei standen dieweitere internationale Unterstützung für die afghani-schen Sicherheitskräfte, der Regionalprozess mit demarabesken Titel „Im Herzen Asiens“ und die zivile Ent-wicklungszusammenarbeit in Afghanistan 2014 im Mit-telpunkt. Besonderes Gewicht fanden im Bericht die Er-gebnisse der großen Afghanistan-Konferenzen und ihrejeweilige Umsetzung.Eng verbunden mit dem vorgestellten Bericht ist auchdas heute Morgen im Bundeskabinett behandelte neueISAF-Mandat. Deutschland hält, genauso wie seineISAF-Partner, an der Entscheidung zu einer verantwor-tungsvollen Verringerung der Einsatzkräfte bis zum Ab-zug der ISAF-Truppen Ende 2014 fest. Zugleich wirdEnde 2014 die sogenannte Transition, also die Übergabeder Sicherheitsverantwortung in afghanische Hände, ab-geschlossen sein. Für das neue Mandat hofft die Bundes-regierung auf breite und fraktionsübergreifende Unter-stützung im Deutschen Bundestag. Das neue Mandatbekräftigt die Trendwende, die wir vor einem Jahr einge-leitet haben. Bis Ende Februar 2014 – so ist es mit Blickauf die Bundestagswahl vorgesehen, um einer sich dannbildenden Bundesregierung die Gelegenheit zu geben,das Mandat vorzubereiten, und dem Bundestag die Gele-genheit zu geben, es mit etwas Abstand zur Bundestags-wahl zu behandeln – sollen mehr als 1 000 deutsche Sol-datinnen und Soldaten Afghanistan verlassen haben. DasEnde unseres Kampfeinsatzes in Afghanistan rückt da-mit deutlich näher. Erstmals ist im Forschungsberichtdeshalb eine Übersicht über die wichtigsten Aufgaben,die bis zum Ende des ISAF-Einsatzes für Deutschland,die internationale Gemeinschaft und Afghanistan Vor-rang haben, enthalten.In Afghanistan liegen Licht und Schatten dicht beiei-nander. Mit Blick auf die Sicherheitslage setzte sichauch 2012 der leicht positive Trend des Vorjahres fort.Landesweit gab es bei deutlichen regionalen Unterschie-den erneut weniger sicherheitsrelevante Zwischenfälle,aber die Sicherheitslage ist in vielen Teilen Afghanistansnoch instabil. In diesem Zusammenhang ist die Zu-nahme der Zahl der Anschläge durch sogenannte Innen-
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Staatsminister Michael Link
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täter in den afghanischen Sicherheitskräften auf ihre ei-genen Kameraden und auf ISAF-Angehörige besondersbesorgniserregend. Diese perfiden Anschläge nimmt dieBundesregierung sehr ernst. Diese Bedrohung ist nichtwegzureden, sondern es sind verstärkte Anstrengungenerforderlich.Zugleich können wir heute feststellen, dass die afgha-nischen Sicherheitskräfte ihre Aufgaben immer besserund mit wachsender Selbstständigkeit erfüllen. Darausziehen wir – und das ist wichtig – die begründete Zuver-sicht, dass die afghanischen Sicherheitskräfte mit Ab-schluss der Transition Ende 2014 in der Lage sein wer-den, die Gesamtverantwortung für die Sicherheit inAfghanistan zu tragen. Um die Nachhaltigkeit des Er-reichten wirklich sicherzustellen, werden wir uns weiter-hin in Afghanistan engagieren. Wir wollen die afghani-schen Sicherheitskräfte auch nach 2014 ausbilden,beraten und finanziell zu ihrer Ausrüstung beitragen.Vor diesem Hintergrund wird Deutschlands Beitragkünftig in der Hauptsache darin bestehen, Afghanistanbei der Verbesserung der politischen, sozialen und wirt-schaftlichen Lage zu unterstützen. Auf der internationa-len Afghanistan-Konferenz von Tokio am 8. Juli 2012vereinbarten Afghanistan und die internationale Gemein-schaft gegenseitige Rechenschaftspflichten. Deutschlandist Mitglied des Gebergremiums, das die Umsetzung derErgebnisse von Tokio koordiniert. Diese Aufgabe neh-men wir besonders ernst. Neben ihrem entwicklungs-politischen Engagement wird die Bundesregierung des-halb den Vorsitz Deutschlands in der InternationalenKontaktgruppe für Afghanistan und Pakistan nutzen, umdie Ziele der internationalen Gemeinschaft in Afghani-stan zu erreichen.Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich komme zumSchluss. Der neue Fortschrittsbericht zeigt den aktuellenStand der Umsetzung unseres ressortübergreifenden An-satzes in der Afghanistan-Politik. Es werden vielePunkte angesprochen, und zwar realistisch. Ich möchtedeutlich machen, dass es allen beteiligten Ressorts, diezu diesem Bericht beigetragen haben – es war eineenorme Anstrengung aller beteiligten Ressorts; ich habesie gerade ausdrücklich genannt –, wichtig war, die Ver-hältnisse realistisch zu schildern. Nicht Optimismus,nicht Pessimismus, sondern Realismus ist der einzigeWeg, auf dem wir tatsächlich vorankommen und in Af-ghanistan helfen können. Man darf das Ganze nichtdurch die rosarote Brille betrachten. Es ist wichtig, sichehrlich zu machen und die Dinge ungeschminkt anzu-sprechen.Sie werden in dem Bericht viele sehr lesenswerte, ge-rade auch auf die kritische Lage eingehende realistischeLagebeschreibungen finden, positive und negative Be-standsaufnahmen. Ich empfehle im Namen der Bundes-regierung diesen Bericht der breiteren Öffentlichkeit,aber insbesondere im Hinblick auf unsere Debatten einerintensiven Lektüre und freue mich auf Ihre Fragen.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Jetzt bitte ich,
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den Herr
Staatsminister Michael Georg Link berichtet hat. Als
Erstem gebe ich das Wort unserem Kollegen Johannes
Pflug.
Herr Staatsminister, herzlichen Dank für Ihren Be-
richt. – Auf der Konferenz in Tokio wurde vereinbart,
dass die weiteren Hilfszahlungen für die afghanische Re-
gierung davon abhängig gemacht werden sollten, dass es
messbare Fortschritte bei der Bekämpfung der Korrup-
tion, bei der Verbesserung der Sicherheitslage, der Ein-
beziehung der Nachbarn Afghanistans und im wirt-
schaftlichen Bereich gibt. Sehen Sie da irgendwelche
quantifizierbaren Erfolge? Können Sie uns diese benen-
nen?
Herr Staatsminister, bitte.
Herr Kollege Pflug, mit den Kriterien aus dem Tokyo
Mutual Accountability Framework kann die Einhaltung
der Selbstverpflichtungen der afghanischen Regierung
genau überprüft werden. Auch dazu finden sich Anga-
ben im Fortschrittsbericht. Die Afghanistan-Konferenz
in Tokio war in diesem Zusammenhang ein wichtiger
Fortschritt, sodass wir diese Punkte erstmals konkret be-
nennen können. Der Prozess hat begonnen und muss nun
intensiv weitergeführt werden.
Vielen Dank. – Als Nächstem gebe ich dem Kollegen
Roderich Kiesewetter das Wort.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Sie sprachen eben
den Fortschrittsbericht an. Vielen Dank für diese sehr
nüchterne Darstellung und auch für die Sprache, in der
der Bericht gehalten ist. Sie haben über den vernetzten
Ansatz gesprochen. Aus unserer Sicht gehören zum ver-
netzten Ansatz nicht nur die Zusammenarbeit mit den
Nachbarn, sondern auch die enge Verzahnung ziviler
und nichtziviler Mittel sowie der Versöhnungsprozess.
Würden Sie bitte darstellen, wie sich aus Ihrer Sicht
die Lehren, die sich aus dem bisherigen vernetzten An-
satz aus Afghanistan ergeben haben, auf weitere mögli-
che Einsätze auswirken und wie Sie auf den Versöh-
nungsprozess innerhalb der afghanischen Gesellschaft
Einfluss nehmen? – Vielen Dank.
Vielen herzlichen Dank. – Herr Kollege Kiesewetter,auch dazu stehen relativ ausführliche Punkte im Bericht.Deshalb möchte ich nur in kurzer Form, im Rahmen desLimits von einer Minute für die Beantwortung, sagen,dass man aus dem Einsatz in Afghanistan in der Tat ei-nige Lehren für andere Einsatzorte ziehen kann. Der ver-netzte Ansatz mit seiner Dreistufigkeit – zuerst Sicher-heit, dann Aufbau von Governance, nach Abzug, nachÜbergabe der Sicherheitsverantwortung, Fortsetzung der
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Staatsminister Michael Link
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Aufbaumaßnahmen im Bereich der wirtschaftlichen Ent-wicklung, aber auch in anderen Bereichen – ist der ein-zige, der wirklich tragfähig ist. Deshalb war es enormwichtig, dass alle beteiligten Ressorts und andere Res-sorts der Bundesregierung, die mit ihrem Fachwissen inanderen Bereichen, zum Beispiel im Bereich Gesund-heit, mithelfen, intensiv am vernetzten Ansatz gearbeitethaben. Sicherheit gibt es nur vernetzt; Sicherheit ist weitmehr als Militär. Genau das stellt der Fortschrittsberichtaus unserer Sicht sehr deutlich dar.
Vielen Dank. – Als Nächster gebe ich unserer Kolle-
gin Frau Katja Keul das Wort.
Vielen Dank. – Wir hören jetzt, dass die Begründung
dafür, dass Sie kein gesondertes Abzugsmandat, sondern
ein einheitliches Mandat vorgelegt haben, darin besteht,
dass die Größenordnung der Gruppe derjenigen, die im
Prinzip Möbelpacker sind, so unerheblich ist, dass sich
das nicht lohnt; hier geht es um eine Größenordnung von
300 Personen. Heißt das, dass die anderen 3 000 noch im
März 2014 einen Kampfauftrag haben? Ist beabsichtigt,
die Zahl von 3 000 wirklich innerhalb von zehn Monaten
auf null zurückzuführen?
Frau Kollegin Keul, das Wort „Möbelpacker“ wird,
glaube ich, der Aufgabe nicht gerecht.
Es ist ein außerordentlich komplizierter Auftrag, die Lo-
gistik für den geordneten Abtransport des Materials und
vor allem für den Abzug der Soldaten selbst sicherzu-
stellen. Wir haben hier ein sehr engagiertes Mandat. Wir,
insbesondere das BMVg, haben es in der Vorbereitung
so formuliert, dass alle erforderlichen Aufgaben abge-
deckt sind.
Gegenstand der heutigen Regierungsbefragung ist der
Fortschrittsbericht, noch nicht das Mandat selbst. Inso-
fern möchte ich der Befassung mit dem Mandat nicht
vorgreifen. Wir werden uns in den Ausschüssen und vo-
raussichtlich in der nächsten Sitzungswoche – davon
gehe ich aus – in erster Lesung hier damit befassen. In-
sofern möchte ich auf die reguläre Mandatsbefassung
verweisen, insbesondere auf die Kollegen aus dem Bun-
desministerium der Verteidigung, die das Mandat im
Wesentlichen vorbereitet haben.
Vielen Dank, Herr Staatsminister. – Als Nächstem
gebe ich unserem Kollegen Wolfgang Gehrcke das Wort.
Auch meinerseits erst einmal herzlichen Dank für Ih-
ren Bericht, Herr Staatsminister. – Sie müssen mir aber
einiges erklären. Wie können Sie von einem Abzug re-
den, wenn das Mandat vorsieht, dass bis zu 4 400 Solda-
ten bleiben sollen und diese Anzahl nur möglicherweise,
wenn es beispielsweise die Lage erlaubt, reduziert wer-
den kann? Die Zahl könnte schon heute reduziert wer-
den. Wie können Sie von einem Abzug sprechen, wenn
das Mandat die Genehmigung enthält, in Afghanistan
weiterhin Kampftruppen einschließlich Krisenspezial-
kräfte einzusetzen, und wenn im Mandat wörtlich die
Möglichkeit genannt wird, Recce-Tornados in Afghani-
stan einzusetzen? Das ist doch kein Abzug, sondern ein
Verbleib in voller Stärke in Afghanistan. Jetzt müssen
Sie mir erklären, inwiefern das ein Abzug ist.
Herr Kollege Gehrcke, ein Abzug, die Vorbereitung
der Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die af-
ghanischen Sicherheitskräfte, ist exakt das, was wir mit
dem Mandat, über das wir heute Morgen im Bundeska-
binett beraten haben, ermöglichen. Wir haben natürlich
wie immer eine vorsichtige Planung zugrunde gelegt,
weil man auf alle Eventualitäten vorbereitet sein muss.
Aber das Ziel wird im Fortschrittsbericht deutlich, auch
im Mandatstext; ich bitte, ihn wirklich intensiv zu lesen.
Sie können das wirklich gerne in den jeweiligen Debat-
ten – nächste Woche in den Ausschüssen, in erster Le-
sung und nach Weihnachten in zweiter Lesung – kontrol-
lieren. Dieses Mandat dient exakt der Übergabe der
Sicherheitsverantwortung an die afghanische Seite. So
ist es im Detail vorbereitet und aufgeführt.
Selbstverständlich müssen wir im Rahmen des Ver-
bleibs unserer Soldatinnen und Soldaten bis Ende 2014
in Afghanistan auf alle Eventualitäten vorbereitet sein.
Genau das leistet das Mandat, das wir in der nächsten
Sitzungswoche im Bundestag in erster Lesung beraten
werden.
Aber die Zahlen, die ich genannt habe, stimmen?
Nein, es ist vorgesehen, dass wir die Anzahl der Sol-
daten auf 3 300 reduzieren. Ich bitte, alles Weitere im
Rahmen der Mandatsbehandlung zu diskutieren.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller ist unser Kol-
lege Rolf Mützenich.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatsminister,Sie sehen, dass wir während der Befragung noch inten-siv in dem Bericht blättern. Das hätten Sie dem Parla-ment ersparen können, wenn Sie uns den Bericht – wieSie es offensichtlich bei ausgewählten Medienvertreterngetan haben – etwas früher zur Verfügung gestellt hätten.Wir werden daher in den nächsten Tagen und Wochen inden Ausschüssen intensiv über den Bericht sprechenmüssen.Was ich bisher gelesen habe, bietet Anlass zu zweiFragen. Sie beschreiben, dass insbesondere der Aussöh-nungsprozess ein wichtiger Eckpfeiler für die Stabilisie-
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Dr. Rolf Mützenich
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rung in Afghanistan ist. Sie haben bereits gesagt: Es gibtLicht und Schatten. Der Schatten scheint mir etwas zuüberwiegen, weil sich die Taliban offensichtlich dochnicht so umfassend bereit erklärt haben, sowohl mit denUSA als auch mit der internationalen Gemeinschaft zureden; Widerstand und Gesprächsbereitschaft wurdengleichzeitig artikuliert. Vielleicht können Sie der Öffent-lichkeit nähere Informationen dazu geben?Der zweite Aspekt: In den USA überlegt sich dieObama-Administration neue Regeln für den Drohnen-einsatz, der insbesondere in Afghanistan seine Wirkunghat. Ist die Bundesregierung denn bereit, mit dem Part-ner USA nicht nur über diese Frage zu sprechen, sondernauch Anregungen zu geben, die sowohl das Völkerrechtals auch ethische Fragen berücksichtigen?
Danke, Herr Kollege Mützenich. – Über einzelne
Teile des Berichts wurde in den Medien spekulativ be-
richtet. Wenn überhaupt, dann findet sich dort nur etwas
aus dem Einleitungstext. Ich empfehle, den aktuell up-
gedateten Bericht, der erst heute Morgen im Kabinett
verabschiedet wurde, intensiv zu studieren. Von unserer
Seite ist selbstverständlich überhaupt nichts vorher he-
rausgegeben worden; denn die erste Information erfolgt
gegenüber dem Parlament. Deshalb haben wir ihn heute
nach der Kabinettsbefassung unverzüglich allen Abge-
ordneten zugestellt.
Wichtig ist allerdings, festzuhalten, dass wir in die-
sem Bericht – Sie haben es erwähnt – auch auf die Ver-
söhnungsbemühungen eingehen. In der Tat ist es so, dass
die Taliban unterschiedliche Akzente setzen. Wir vonsei-
ten der Bundesregierung bleiben für Gespräche mit allen
versöhnungsbereiten Kräften offen. Wichtig ist aller-
dings, dass der Versöhnungsprozess, soweit Gespräche
mit Taliban stattfinden sollten, auf jeden Fall in enger
Abstimmung mit der afghanischen Regierung stattfindet.
Aber ich kann nur bekräftigen, was Sie sagen: Hier ist
gerade von den Taliban Unterschiedliches zu hören. Wir
setzen darauf, dass auch in diesem Bereich das Gespräch
mit versöhnungsbereiten Kräften gesucht werden kann.
Was ist mit den Drohnen?
Pardon, die Drohnen habe ich vergessen.
Bitte.
Was diesen Bereich betrifft, möchte ich auf die Kolle-
gen im BMVg verweisen. Die Gespräche mit den USA
sind sehr intensiv und umfassen selbstverständlich alle
Bereiche.
Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin unsere Kolle-
gin Frau Ute Koczy.
Vielen Dank. – Mir geht es um die Zukunft der zivilen
Aufbauarbeit nach dem Abzug. Wir haben mit Interesse
gelesen, dass Frau Tanja Gönner, Vorsitzende der GIZ,
der Bundesregierung mitgeteilt hat, dass man Probleme
sehe, dass unter den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern
der GIZ zurzeit darüber diskutiert werde, inwieweit ein
Engagement nach 2014 fortgeführt werden könne, und
dass noch gemeinsame Hausaufgaben zur Notfallversor-
gung der zivilen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu er-
ledigen seien. Wie sehen Sie diesen kritischen Punkt?
Kann es tatsächlich gelingen, die zivilen Helferinnen
und Helfer nach dem Abzug vor Ort zu belassen? Wel-
che Konzepte haben Sie für die Zeit nach 2014?
Liebe Kollegin Koczy, danke für die Frage. – Das ist
in der Tat ein Thema, das uns umtreibt. Deutschland
trägt eine besondere Verantwortung für die von Deutsch-
land beschäftigten Ortskräfte. Das gilt nicht nur für GIZ-
Mitarbeiter, sondern das gilt selbstverständlich für Mit-
arbeiter aller Bereiche. Wir müssen uns dieser Sache in-
tensiv annehmen. Wir befassen uns mit diesem Thema
unter Federführung des Bundesinnenministeriums. Die
Fragen aus den Mitarbeiterkreisen lassen auf eine sehr
große Besorgnis schließen; das wissen wir. Diese Fragen
sind auch durchaus berechtigt. Deshalb müssen wir da-
ran arbeiten.
Ich bekräftige hier noch einmal die Aussage des Bun-
desministers der Verteidigung, die in der FAZ von ges-
tern wiedergegeben wurde: Zunächst sollten wir uns da-
rum bemühen, den Mitarbeitern zu helfen, die in
Bereichen tätig sind, in denen Sicherheitsbedenken be-
stehen, indem wir sie möglichst an einer anderen, siche-
ren Stelle im Land einsetzen. Wenn das nicht möglich
ist, könnte es im Einzelfall erforderlich sein, sie tatsäch-
lich nach Deutschland zu holen. Das muss man im Ein-
zelfall prüfen. Ich wiederhole: Deutschland trägt eine
besondere Verantwortung für die von Deutschland be-
schäftigten Ortskräfte, insbesondere wenn ihre Sicher-
heit bedroht ist.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller ist unser Kol-
lege Jürgen Hardt.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Staatsminister,wir haben den Bericht heute Morgen um 9.05 Uhr be-kommen, also zeitgleich mit dem Beginn der Kabinetts-sitzung; das steht auf der E-Mail. Das finde ich ganz inOrdnung. Nur so viel zu den Äußerungen des KollegenMützenich.
Ganz bedeutend für den Erfolg in Afghanistan ist dieUnterstützung durch die Nachbarstaaten. In dem Berichtsprechen Sie von einer konstruktiven Rolle Pakistans.Diesbezüglich interessiert mich Folgendes: Kann mandas präzisieren? Hat sich die Situation im Verlauf der
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Jürgen Hardt
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letzten Monate und Jahre verbessert? Ich wäre Ihnendankbar, wenn Sie auch einen Satz dazu sagen könnten,wie Sie die Rolle des Iran im Zusammenhang mit derEntwicklung in Afghanistan bewerten. – Danke schön.
Hinsichtlich Pakistans sehen wir tatsächlich eine kon-
krete Verbesserung. Ausdruck dieser Verbesserung ist
der Besuch des Vorsitzenden des Hohen Friedensrates,
von Herrn Rabbani, in Pakistan. Die Gespräche waren
hilfreich. In diesem Bereich sehen wir weitere Möglich-
keiten; denn es gibt noch viel Raum für Verbesserungen.
Eine Herausforderung stellt sicherlich der Nachbar
Iran dar, der ebenfalls eine besonders lange Grenze zu
Afghanistan hat. Hier gibt es weiterhin extrem große He-
rausforderungen, insbesondere hinsichtlich der Drogen-
wirtschaft an der iranisch-afghanischen Grenze. In die-
sem Bereich müssen wir noch intensiv arbeiten. Zu
diesem Thema finden sich Formulierungen im Fort-
schrittsbericht. Dies ist aber sicherlich eine große He-
rausforderung, mit der man sich intensiv beschäftigen
muss.
Vielen Dank. – Als nächste Fragestellerin folgt unsere
Kollegin Frau Dagmar Enkelmann.
Herr Staatsminister, ich stelle meine Frage an Sie als
Vorsitzende der Deutsch-Zentralasiatischen Parlamenta-
riergruppe. Aus vielen Gesprächen mit Vertretern aus
dieser Region weiß ich natürlich um die Sorgen der Län-
der Tadschikistan, Kirgistan, Kasachstan, Turkmenistan
und Usbekistan. Hat die Bundesregierung diese Sorgen
im Blick, insbesondere hinsichtlich einer möglichen
Evaluation der Zentralasien-Strategie der EU und hin-
sichtlich der Entwicklung der Entwicklungszusammen-
arbeit? Beispielsweise im grenzüberschreitenden Be-
reich gibt es interessante Projekte, unter anderem an der
tadschikisch-afghanischen Grenze. Gibt es diesbezüg-
lich weitergehende Überlegungen?
Frau Kollegin Enkelmann, die Zentralasien-Strategie
der EU ist ein spannendes Thema. Seitens der Bundes-
regierung ist immer wieder auf eine Weiterentwicklung
gedrängt worden. Diese Strategie war ein wichtiger
Schritt. Wir glauben, dass daran weitergearbeitet werden
muss und sie vor allem weiterentwickelt werden muss.
Die extreme Heterogenität der zentralasiatischen
Staaten – auf der einen Seite gibt es Staaten, die punk-
tuell modern sind, aber unter demokratischen Gesichts-
punkten durchaus einige Fragen zu beantworten haben,
und auf der anderen Seite Staaten, die sehr autokratisch
sind – erfordert einen Ansatz, der es ermöglicht, sowohl
auf bilateraler Ebene als auch bezogen auf die Gesamt-
region voranzukommen.
Grenzüberschreitende Zusammenarbeit befürworten
wir immer. Wenn möglich, unterstützen wir alle grenz-
überschreitenden Projekte der afghanischen und der tad-
schikischen Regierungen. Aber auch diesbezüglich muss
insbesondere der Sicherheitslage Rechnung getragen
werden. Ich nenne nur die Stichworte Drogenhandel und
Menschenhandel. Wir müssen aufpassen, dass es diesbe-
züglich keine Rückschritte gibt. Wir müssen Fortschritte
erzielen.
Ich sage es noch einmal: Wir sind absolut offen, und
wir sind dafür – wir fordern das sogar –, dass die Zen-
tralasien-Strategie der Europäischen Union weiterentwi-
ckelt wird.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller aus der Fraktion
der Sozialdemokraten ist unser Kollege Dr. Hans-Peter
Bartels.
Herr Staatsminister, dieser Fortschrittsbericht ist die
Grundlage für die beginnende Diskussion über das
Nachfolgemandat. Wir empfangen Meldungen, die besa-
gen, dass die USA für die Zeit nach dem Abzug ein bila-
terales Abkommen mit Afghanistan anstreben. Es wird
aber auch ein internationales Mandat geben. Strebt die
Bundesregierung nur im Rahmen eines internationalen
Mandats oder auch bilateral Vereinbarungen mit der af-
ghanischen Regierung an? Nehmen wir auch Einfluss
auf das, was die USA bilateral mit Afghanistan verein-
baren, weil das für die Gesamtsituation von Bedeutung
ist? Welche der Ausbildungsprojekte, die wir jetzt im
Bereich der Sicherheitsorgane haben, also in den Berei-
chen Militär und Polizei, werden wir fortführen?
Danke schön. – Herr Kollege Bartels, Sie haben aufdas bestehende Angebot, auch nach 2014 bei der Ausbil-dung zur Seite zu stehen, hingewiesen, das von derNATO geäußert wurde. Die genaue Trennung der dreiPhasen ist deshalb wichtig: bis Ende Februar 2014 – da-rüber debattieren wir von nun an im Rahmen des Nach-folgemandats –, der Zeitraum zwischen Februar 2014und dem Abzug Anfang 2015 und dann alles, was nach2015 erfolgt.Einseitig bilateral zu handeln, ist sicherlich nicht un-ser Ansatz. Wir möchten, dass diese Sicherheitspartner-schaft weiterhin intensiv in NATO-Kreisen behandeltwird. Die Gespräche haben allerdings noch nicht begon-nen oder befinden sich in der ersten Phase. Sie wissen,dass zur konkreten Ausgestaltung eines solchen Mandatsnach 2015 gehört, dass sich alle Akteure dazu äußern.Zum Beispiel wäre denkbar, dass die afghanische Regie-rung zunächst einmal dazu einladen könnte und auchFormulierungsvorschläge dazu hätte.Für uns ist vorrangig, dass das, was nach 2015kommt, völkerrechtlich absolut einwandfrei ist. Das istder entscheidende Punkt. In diesem Zusammenhang sindwir in den Vorgesprächen offen; denn es muss klar sein,dass auch das Engagement danach bei der weiteren Be-gleitung und Ausbildung afghanischer Sicherheitskräftevölkerrechtlich auf einwandfreier Grundlage steht.
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Staatsminister Michael Link
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– Es gibt dazu bisher keinerlei bilaterale Gespräche, son-dern wir selbst verfolgen den Ansatz innerhalb derNATO.
Vielen Dank. – Die nächste Frage stellt unser Kollege
Hans-Christian Ströbele.
Danke. – Herr Staatsminister, in der Begründung des
neuen Mandats lese ich zweimal den gleichen Satz. Er
muss also sehr wichtig sein. Da steht: Der Grundsatz der
Allianz in Afghanistan bleibt: gemeinsam hinein und ge-
meinsam heraus. – Nun habe ich gehört, dass unsere sehr
engen Allianzpartner – beispielsweise Spanien und
Frankreich – abgezogen sind. Warum sind wir nicht ge-
meinsam mit unseren Allianzpartnern abgezogen? Es
gibt noch einige andere Länder, zum Beispiel Australien
und Kanada, die ebenfalls Allianzpartner sind. Wie ist
dieser Satz zu verstehen? Diese Frage hatte ich vorhin
dem Herrn Außenminister gestellt. Er hat sie leider nicht
beantwortet.
Zur Zuverlässigkeit der afghanischen Armee als ei-
nem wichtigen Sicherheitsfaktor haben Sie vorhin unter
anderem gesagt, die afghanische Armee werde mit
wachsender Selbstständigkeit vorgehen. Lassen Sie da-
bei völlig außer Acht, dass aus der afghanischen Armee
heraus ständig Innentäterangriffe auf ISAF-Soldaten und
auch auf afghanische Soldaten stattfinden?
Herr Kollege Ströbele, die Frage nach der Devise
„together in, together out“, also „gemeinsam rein, ge-
meinsam raus“, müssen Sie den Vertretern der Länder
stellen, die vorher abgezogen sind, wie Spanien.
– Sie haben die Beispiele selbst erwähnt. – Für uns ist
klar – was wir auch im Bündnis immer deutlich kommu-
niziert haben –, dass wir im gegebenen Zeitrahmen, bis
Ende 2014, die Übergabe der Sicherheitsverantwortung
an die afghanische Seite wollen. Das haben wir früh
kommuniziert und gemeinsam mit den Partnern in der
NATO abgesprochen. Das erfordert natürlich, dass die
afghanische Seite dazu auch in der Lage ist. Daran arbei-
ten wir im Bereich der Ausbildung. Wir leisten Assistenz
und Finanzierungshilfe. Die schrittweise Übernahme der
Verantwortung erfolgt bereits. Wir gehen davon aus,
dass das auch gelingt. Es gibt hinreichende Gründe da-
für, anzunehmen, dass das schrittweise immer mehr der
Fall sein wird und vor allem zum Ende 2014 auch ge-
lingt.
Vergleichen Sie bitte einmal die jetzige Situation mit
der, in der wir vor zwei Jahren waren. Dann sehen Sie,
wie viel Spielraum wir in den folgenden zwei Jahren ha-
ben, um konkret voranzukommen. Vor zwei Jahren, also
2010, waren wir in einer Situation mit erheblichen Ge-
fechtslagen innerhalb Afghanistans. Wir sind seither
deutlich vorangekommen. Deshalb sind die verbleiben-
den zwei Jahre – bei Anstrengungen aller – absolut aus-
reichend, um tatsächlich so weit zu kommen, dass die af-
ghanische Seite komplett die Sicherheitsverantwortung
für Afghanistan selbst übernehmen kann.
Vielen Dank – –
Sie haben die Frage mit den Innentätern noch nicht
beantwortet.
Darf ich das mit Genehmigung des Präsidenten kurz
ergänzen?
Machen Sie das. – Ich weise jedoch darauf hin, dass
wir noch eine ganze Fülle von Fragestellern haben, die
mir schon entsprechende Zeichen geben, damit sie auch
zu Wort kommen.
Aber beantworten Sie erst noch die Frage zu Ende,
damit Herr Ströbele nicht sagen kann, er habe keine Ant-
wort bekommen.
Herr Präsident, vielen Dank. Eine Minute ist für die
Beantwortung manchmal doch nicht ganz ausreichend. –
Die Innentäterproblematik ist extrem ernst zu nehmen;
das wissen wir. Aber von einer kompletten Unterwande-
rung oder von einem kompletten Zerfall von innen zu
reden, wie es teilweise einige Medienorgane tun, ist ein-
deutig übertrieben. Es erfordert jetzt allergrößte Anstren-
gungen der afghanischen Seite, dieses Problem anzuge-
hen. Wir sind auch dabei hilfreich. Es ist ein Problem,
das uns auf jeden Fall extrem besorgt. Daran wird inten-
siv gearbeitet.
Vielen Dank. – Jetzt hat unser Kollege Tom Koenigs
das Wort.
Herr Staatsminister, alle Experten sagen, dass die Zu-kunft Afghanistans davon abhängt, dass es erfolgreicheGespräche mit den Staaten der Region gibt und dass eserfolgreiche Gespräche mit den Taliban gibt. Dies wurdezuletzt vor zwei Tagen bei einer Veranstaltung in derKonrad-Adenauer-Stiftung gesagt. Ich glaube, Sie warensogar da.Jetzt steht im Fortschrittsbericht, dass es mit Pakistannicht vor und nicht zurück geht. Mit dem Iran wird über-haupt nicht geredet. Mit den Taliban geht es eher zurück.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25567
Tom Koenigs
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Sie haben am Anfang gesagt, dass Sie weder optimis-tisch noch pessimistisch, sondern realistisch sein wollen.Ist das nicht eher ein Anlass für Pessimismus?
Wenn das Ansprechen der Probleme dazu führte, dass
man am Schluss resignierend die Hände in den Schoß
legt, dann, Herr Kollege, wären wir falsch verstanden
worden. Es war der ausdrückliche und – das darf ich als
Parlamentarier sagen – mehr als berechtigte Wunsch des
Bundestages, realistische Berichte zu bekommen, die
nichts in Rosa zeichnen. Deshalb spreche ich und spre-
chen wir in dem Bericht sehr deutlich die Defizite an.
Aber das darf nicht dazu führen, dass wir uns in irgend-
einer Weise fatalistisch zurücklehnen. Vielmehr muss es
darum gehen, die Möglichkeiten zu nutzen, die wir ha-
ben.
Deshalb ist das Versöhnungsangebot an gesprächsbe-
reite Kreise, auch aus dem Bereich der Taliban, auf dem
Tisch, aber wir wollen natürlich nicht Versöhnung um je-
den Preis, sondern selbstverständlich nur, wenn dadurch
tatsächlich ein Mehr an Sicherheit und insbesondere die
Beachtung der jetzt geltenden afghanischen Verfassung
gewährleistet ist. Denn wir werden beim Schutz der
Menschenrechte, gerade auch der Mädchen- und Frauen-
rechte, und im Bereich der Bildung, in dem es viele Er-
rungenschaften gibt, die Afghanen selbstverständlich
nicht im Stich lassen und schlicht und einfach sagen:
Jetzt schaut einmal, wie ihr zurechtkommt.
Im Gegenteil: Auch nach dem Abzug der Bundes-
wehr besteht unser Angebot, sehr intensiv mit der afgha-
nischen Seite in allen Bereichen zusammenzuarbeiten,
um die Entwicklung und den Versöhnungsprozess weiter
voranzubringen. Wir sind nicht weg. Es geht um den Ab-
zug der Bundeswehr und die Übergabe der Sicherheits-
verantwortung. Es geht aber – das sage ich noch einmal
– nicht darum, die Afghanen im Stich zu lassen. Afgha-
nistan ist eine langfristige Aufgabe, der sich die Bundes-
regierung, in dem Fall besonders in Gestalt des BMZ,
widmet.
Danke sehr. Ich glaube, die Antwort war nicht opti-
mistisch, sondern diplomatisch.
Realistisch.
Vielen Dank. Diplomatie ist natürlich auch eine Auf-
gabe eines Staatsministers im Auswärtigen Amt. – Kol-
legin Inge Höger, Sie sind die nächste Fragestellerin.
Vielen Dank. – Herr Staatsminister, Sie haben von ei-
nem realistischen Bericht gesprochen. Das finde ich gut.
Dieser Bericht stellt unter anderem fest, dass Afgha-
nistan die zweithöchste Kindersterblichkeitsrate in der
Welt hat. Dieser Bericht stellt fest, dass jedes zehnte
Kind unterernährt ist. Dieser Bericht stellt fest, dass die
Alphabetisierungsquote bei Mädchen nach wie vor bei
22 Prozent und bei Jungen bei nur 51 Prozent liegt.
Kann man bei alledem überhaupt noch von Fortschritt
sprechen, oder muss man nicht konstatieren, dass dieser
Krieg in Afghanistan ein Desaster ist?
Ich glaube, man kann konstatieren – insbesondere
wenn man die jetzige Lage mit der Situation zu der Zeit
vergleicht, als die Taliban geherrscht haben –, dass wir
einen deutlichen Fortschritt erzielt haben.
Aber Fortschritt ist nichts, was man linear extrapolieren
kann, was immer automatisch weitergeht; er erfordert
Anstrengungen. Wir haben aber wirklich einen deutli-
chen Fortschritt erzielt. Ich habe es erwähnt: Gerade im
Hinblick auf die Bildung, insbesondere von Mädchen
und Frauen, und die gesundheitliche Versorgung haben
wir heute einen Zustand, der mit der Situation, die vor
der Vertreibung der Taliban aus der Regierungsverant-
wortung vorherrschte, überhaupt nicht vergleichbar ist.
Es kam zu einem sehr deutlichen Zugewinn bei der ge-
sundheitlichen Versorgung und bei der Bildung, und
zwar auch in der Fläche, bis hin zum Zugang zu Bildung
für Mädchen und Frauen.
Es ist mit Sicherheit noch lange nicht alles erreicht.
Wir können deshalb auch keine Zeitpläne aufstellen.
Aber wir sagen klar, woran wir arbeiten. Im Vergleich
zur Situation vor diesem Einsatz ist ein deutlicher Zu-
wachs bei Sicherheit, Bildung und Gesundheit zu erken-
nen. Das ist ganz wesentlich auch dem Einsatz unserer
Helferinnen und Helfer und vor allem der Bundeswehr
zu verdanken.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller: unser Kollege
Dr. Gernot Erler.
Herr Staatsminister, wir haben, glaube ich, einen brei-
ten Konsens, dass es auch nach 2014 einen Bedarf an in-
ternationaler Unterstützung Afghanistans durch Hilfsor-
ganisationen und NGOs geben wird und diese weiter
gewährleistet werden muss. In diesem Zusammenhang
kann ich auch nachvollziehen, dass da einige Fragen auf-
kommen. Eine Antwort, die wir von Herrn de Maizière
bekommen haben, hat mich ein bisschen irritiert. Deswe-
gen frage ich an dieser Stelle Sie: Wie ist das mit der
Schutzkomponente, mit der Notfallevakuierung und mit
der medizinischen Versorgung von NGOs und Hilfsorga-
nisationen, die nach 2014 noch in Afghanistan tätig
sind? Können Sie dazu etwas sagen?
Danke, Herr Kollege. – Um die drei Hauptbereiche, indenen wir nach 2014 aktiv tätig sein wollen, noch einmalklar zu nennen: zivile Wiederaufbauhilfe, Finanzierung
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25568 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Staatsminister Michael Link
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der afghanischen Sicherheitskräfte und Ausbildung derafghanischen Sicherheitskräfte, und zwar gemeinsam imNATO-Rahmen.Was das konkrete Mandat angeht, das Sie angespro-chen haben und über das unter dem Namen ITAAM, In-ternational Training, Advisory and Assistance Mission,ja schon diskutiert wird, stehen wir, wie gesagt, nochganz am Anfang. Aber klar muss natürlich sein: Auchwenn es für dieses Mandat kein Kampfprofil und keinenKampfauftrag gibt – es ist ein Ausbildungsmandat, es istein Trainingsmandat, es ist ein Beratungsmandat –, mussselbstverständlich auch Vorsorge für außergewöhnlicheSituationen getroffen werden.Im Hinblick auf die Frage, was zur Vorbereitung ge-braucht wird, verweise ich darauf, dass diese Diskussio-nen in NATO-Kreisen zu führen sind, und auf das in die-sem Falle federführende BMVg. Aber noch einmal:Verteidigungsminister de Maizière hat sehr deutlich ge-sagt, dass es sich hierbei um ein Mandat handeln soll,das keinen Kampfauftrag vorsieht, sondern den Schwer-punkt ganz eindeutig auf Ausbildung, Beratung und Un-terstützung legt.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller: unser Kollege
Dr. Frithjof Schmidt.
Herr Staatsminister, Sie haben mehrfach die mögliche
Truppenreduzierung erwähnt. Ich möchte darauf hinwei-
sen: Das Mandat, das Sie uns vorlegen, enthält lediglich
die Verpflichtung, bis zum Februar 2014 eine Obergrenze
von 4 400 Soldaten nicht zu überschreiten. In der Begrün-
dung wird dann als Ziel genannt, die Truppe auf
3 300 Soldaten zu reduzieren, falls es die Umstände zulas-
sen. Das bedeutet, dass am 1. März 2014 noch mindestens
3 300 Bundeswehrsoldaten in Afghanistan sein werden;
es können nach dem Mandat auch deutlich mehr sein.
Halten Sie es angesichts der derzeitigen Situation und
dieser hohen Zahl von Soldaten überhaupt für möglich,
dass das Ziel, die Kampftruppen bis Ende 2014, dann
also binnen zehn Monaten, vollständig abzuziehen, er-
reicht wird? Und was halten Sie von der Befürchtung,
dass dieses Ziel angesichts der hohen Zahl an Soldaten
nicht mehr erreicht werden kann?
Herr Kollege, wir halten es eindeutig für erreichbar –
selbstverständlich. Vorsichtige Planung aber gebietet,
dass man sich nicht bereits zur Unzeit auf exakte Zahlen
festlegt. Das Mandat gibt den genauen Spielraum vor, es
zeigt die genaue Richtung auf und gibt alle Instrumente,
die wir brauchen, um – immer unter Voranstellung der
Sicherheit der Soldatinnen und Soldaten – diesen Abzug
schrittweise vorzubereiten. Insofern erfüllt das Mandat
genau diese Aufgabe.
Ich verweise aber auch hier noch einmal auf die ins-
besondere mit dem BMVg zu führende Fachdiskussion
im Rahmen der Mandatsdiskussion, die wir in der nächs-
ten Sitzungswoche beginnen.
Vielen Dank. – Liebe Kolleginnen und Kollegen, an-
gesichts der Bedeutung dieses Themas sind Sie sicher-
lich damit einverstanden, dass wir alle Fragesteller auf-
rufen.
Nächster Fragesteller ist Kollege Jan van Aken.
Vielen Dank. – Herr Link, Sie machen das sehr diplo-
matisch. Sie reden über Fortschritt, Mandat, Entwick-
lung, sodass man fast vergessen könnte, dass man hier
über einen Krieg redet, einen Krieg, in dem Soldaten,
auch deutsche Soldaten, jeden Tag ihr Leben riskieren,
in dem jeden Tag Afghaninnen und Afghanen sterben.
Mich interessiert: Wie viele Tote hat dieser Krieg im
letzten Jahr gefordert? Wie viele Zivilistinnen und Zivi-
listen sind im Berichtszeitraum in Afghanistan bei
Kampfhandlungen gestorben? Wie viele afghanische
Soldaten sind gestorben?
Herr Kollege van Aken, jedes einzelne Opfer – wir
wissen, dass es sehr viele sind – ist eines zu viel. Aber
noch einmal: Es handelt sich hier um einen Krieg, der
insbesondere von Extremisten, Islamisten, al-Qaida, Ta-
liban etc. angezettelt wurde. Es war extrem wichtig, dass
wir der afghanischen Bevölkerung zu Hilfe gekommen
sind. Denn die ISAF-Mission gewährleistet den Aufbau
von Staatlichkeit, die Möglichkeit von wirtschaftlicher
Entwicklung und die Wiederherstellung von Sicherheit.
Ich stelle fest: Das ist mit den Mandaten – da mögen wir
einen Dissens haben – schrittweise, nicht komplett, mehr
und mehr gelungen. Ich habe darauf hingewiesen: Her-
stellung von Sicherheit ist kein linearer Prozess. Sie kön-
nen das nicht politisch beschließen. Wir haben aber im-
mer Mandate vorgelegt, die uns in die Lage versetzten,
die Sicherheitslage in Afghanistan weiter zu steigern.
Noch einmal: Jedes Opfer ist eines zu viel. Es sind
immer noch sehr viele. Von daher gehen unsere Anstren-
gungen hier ganz entschieden weiter. Unser Dank gilt
den Soldatinnen und Soldaten. Sie haben darauf hinge-
wiesen, welch enormen Einsatz unsere Soldatinnen und
Soldaten, aber auch unsere Polizisten und die zivilen
Aufbauhelfer bringen. Dieser Einsatz ist in vielen Fällen
mit dem Leben bezahlt worden. Deshalb haben wir eine
Verpflichtung, alles zu tun, um über die Mandate die von
uns entsandten Kräfte, aber auch – ich habe es vorhin er-
wähnt – die Ortskräfte zu schützen. Das tun wir.
Die Zahlen haben Sie tatsächlich nicht? Sie wissen
nicht, wie viele Menschen im letzten Jahr in diesem
Krieg gestorben sind?
Herr Kollege van Aken, wenn Sie wissen, was exaktjede Minute geschieht, dann haben Sie hellseherische
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25569
Staatsminister Michael Link
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Erkenntnisse. Ich finde es ein bisschen unverschämt,dass Sie mit solchen Wortklaubereien arbeiten. Es sindenorme Opfer gebracht worden.
Jedes einzelne Opfer ist eines zu viel. Wir brauchen unskein Schaugefecht über die exakte Zahl zu liefern. Siewissen selbst, dass man das nicht immer exakt, bis aufdie einzelne Person wissen kann.
Wir machen hier Frage und Antwort. – Die nächste
Frage stellt der Kollege Johannes Pflug.
Herr Minister, laut Fortschrittsbericht lädt die Regie-
rung von Kasachstan für Ende April zu einer regionalen
Sicherheitskonferenz nach Astana ein. Eingeladen sind
die zentralasiatischen Staaten, aber auch Pakistan und
vor allen Dingen der Iran und Truppenstellernationen.
Meine Frage: Ist die Bundesregierung bereit, diese Kon-
ferenz mit eigenen Vorschlägen zu bereichern? Und: Ist
die Bundesregierung bereit, auf den Iran einzuwirken,
dass auch seine Vertreter an der Konferenz teilnehmen?
Herr Kollege, wir engagieren uns im Vorfeld dieser
Konferenz intensiv bei den Vorbereitungen. Wir spre-
chen mit allen Partnern intensiv darüber, welche Mög-
lichkeiten sie haben. Ich habe vorhin deutlich erwähnt,
dass beim Iran besonders viel Luft nach oben ist. Das be-
trifft dieses Thema, aber auch alle anderen Themen. Wir
bemühen uns also in diesem Bereich, aber hier ist gerade
mit dem Iran noch ein sehr weiter Weg zu gehen. Die
Astana-Konferenz bietet dafür eine Chance. Wir sollten
sie im Rahmen des Möglichen wahrnehmen.
Nächster Fragesteller: unser Kollege Omid Nouripour.
Herr Staatsminister, wir wissen, dass für die Sicher-
heit Afghanistans nach ISAF zwei Punkte von Relevanz
sind.
Der erste – das ist zentral – ist ein Aussöhnungspro-
zess. Dafür ist wichtig, dass Pakistan mitspielt. Dafür
wiederum bräuchte man vertrauensbildende Maßnah-
men. Da stellt sich mir die Frage: Welche Rolle kann aus
Sicht der Bundesregierung Indien dabei spielen, vertrau-
ensbildende Maßnahmen mit Pakistan auf den Weg zu
bringen?
Das Zweite, was relevant ist, ist die Fähigkeit der af-
ghanischen Sicherheitskräfte, selbst für Sicherheit zu
sorgen. Wir haben eine gewisse Zahl von Sicherheits-
kräften ausgebildet. Dann wurde festgestellt – so ist zu
lesen –, dass man die gar nicht alle bezahlen kann. Nun
wird abgebaut: Über 100 000 afghanische Sicherheits-
kräfte, die an Waffen ausgebildet worden sind, sollen
nun nicht mehr bei der afghanischen Sicherheit, also
Polizei oder Armee, beschäftigt werden. Was mit denen
passiert, ist eine andere Frage. Meine Frage jedenfalls
lautet: Ab wann wird denn abgebaut?
Indien ist in der Tat ein ganz wichtiger Partner in die-
sem Bereich. Wir sehen, dass in den Gesprächen, die
zwischen Indien und Pakistan im letzten Jahr und in die-
sem Jahr stattgefunden haben, ein leichter Fortschritt er-
reicht wurde, allerdings alles noch relativ ungetestet. Ge-
rade wenn wir den Gesamtraum sehen, spielt Indien für
die regionale Entwicklung eine extrem wichtige Rolle.
Wir werden alles dafür tun, damit sich Indien hier als
konstruktiver Player einbringt, im Verhältnis zu Paki-
stan, aber auch im direkten Kontakt mit Afghanistan.
Auch hier war allerdings ein sehr weiter Weg zurückzu-
legen.
Ein Abbau der Zahl der afghanischen Sicherheits-
kräfte ist nicht das konkrete Ziel. Wir haben durch Mo-
dernisierung und Training der afghanischen Sicherheits-
kräfte einen konkreten Zugewinn an Sicherheit erreicht.
Es geht nicht um die schiere Zahl, es geht um die Quali-
tät, um das, was sie tatsächlich leisten können. Im Fort-
schrittsbericht Afghanistan stehen konkrete Aussagen,
wie wir die Fähigkeiten, die Chancen der afghanischen
Sicherheitskräfte bewerten. Deshalb kommen wir ja zu
der begründeten Annahme, zu sagen: Jawohl, es ist zu
schaffen, dass bis Ende 2014 die afghanischen Sicher-
heitskräfte die Verantwortung übernehmen können. Hät-
ten wir nicht diesen Eindruck, würden wir das nicht sa-
gen. Wir sagen es ja an anderer Stelle auch sehr deutlich,
wenn wir glauben, dass wir noch nicht am Ziel sind. Wir
bemühen uns auch im Hinblick auf die afghanischen Si-
cherheitskräfte, keinen rosa Bericht vorzulegen, sondern
einen sehr realistischen Bericht.
Die Frage, ob an einzelnen Stellen reduziert wird, ob
abgebaut wird, ist nicht entscheidend. Entscheidend ist,
dass diejenigen, die im Dienst sind, den Job auch wirk-
lich können. Da haben wir, glaube ich, ganz konkrete
Fortschritte erreicht.
Nächster Fragesteller: unser Kollege Rolf Mützenich.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Es ist nicht meineAufgabe, den Vertreter des Verteidigungsministeriumszu schützen. Meine Frage zu den Drohnen fiel aberschon in die Ressortzuständigkeit des Auswärtigen Am-tes; denn insbesondere die Konsultationen mit unserenPartnern sind, denke ich, immer noch Aufgabe des Au-ßenministers, und auch im Hinblick auf die sicherheits-politische Verantwortung, die völkerrechtliche Verant-wortung für den Drohneneinsatz bedarf es Gespräche
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25570 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Dr. Rolf Mützenich
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(B)
des Außenministeriums. Deswegen würde ich gern nocheinmal die Frage wiederholen, ob dazu überhaupt Ge-spräche stattfinden mit unseren Partnern.Zweiter Aspekt. Ich glaube, dass gerade die Korrup-tion – bis in die höchsten Regierungskreise hinauf – mitSicherheit einer der Schwachpunkte beim Aufbau eineswirklich stabilen und eines vertrauenswürdigen StaatesAfghanistan ist. Vielleicht können Sie dazu noch etwassagen.Zum Dritten würde ich gerne noch einmal darauf hin-weisen, dass viele Expertinnen und Experten der Mei-nung sind, dass der damalige Verfassungsprozess, der zueiner Zentralisierung der politischen Verantwortung ge-führt hat, die historische Entwicklung Afghanistans imGrunde genommen konterkariert hat. Also: Setzen wiruns in Zukunft auch stärker für eine dezentrale politischeVerantwortung ein?
Kollege Mützenich, der Stand bei der Bekämpfung
der Korruption ist in weiten Bereichen wirklich noch
sehr unbefriedigend. Deshalb war es ja so wichtig, dass
es im Juli auf der Tokio-Konferenz gelungen ist, das
Mutual Accountability Framework zu präzisieren und
jetzt damit, konkret messbar, zu arbeiten.
Dezentralisierung wäre ein wichtiger Weg. Wir wis-
sen aus vielen Beispielen, dass Dezentralisierung ein
Weg ist, zentral gesteuerte, teilweise auch pyramidenar-
tig aufgebaute Korruptionsnetzwerke zu bekämpfen.
Das ist ein weiter Weg. Wir sind uns des Problems be-
wusst und können nur sagen: Wir arbeiten daran, in die-
sem Bereich genauer hinzusehen und mit den Steue-
rungsinstrumenten, die wir haben, dann auch genau zu
reagieren, wenn wir merken, dass eine Fehlverwendung
von Mitteln stattfindet.
Was die Drohnen angeht: Wir reden mit den USA na-
türlich über alle Themen und damit auch über dieses
Thema. Konkrete Einzelergebnisse können wir an dieser
Stelle noch nicht anführen; da möchte ich auf den Aus-
wärtigen Ausschuss verweisen.
Zu meinem Verweis vorhin auf den Verteidigungsmi-
nister möchte ich sagen: Es geht um zwei Aspekte. Ein
Aspekt sind die militärischen Fragen: Was können Droh-
nen leisten? Was können sie nicht leisten? Wo sind sie
geeignet? Wo sind sie nicht geeignet? – Diese Fragen
möchte ich sinnvollerweise wirklich gerne an das Vertei-
digungsministerium weiterleiten. Daneben gibt es aber
natürlich auch die völkerrechtlichen Aspekte; das ist ab-
solut richtig. Da verstecken wir uns auch nicht. So, wie
wir mit den USA über alle Themen reden, reden wir mit
ihnen selbstverständlich auch darüber. Dazu aber zu ge-
gebener Zeit gerne mehr im Auswärtigen Ausschuss.
Vielen Dank. – Wir sind jetzt am Ende dieses The-
menbereiches.
Ich frage der Form halber: Gibt es Fragen zu anderen
Themen der heutigen Kabinettssitzung? – Das ist nicht
der Fall. Gibt es darüber hinaus Fragen an die Bundesre-
gierung? – Das ist nicht der Fall, sodass ich die Regie-
rungsbefragung beende.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich rufe den Tages-
ordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 17/11611 –
Die Geschäftsbereiche werden in der üblichen Rei-
henfolge aufgerufen.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Auswärtigen Amtes. Frau Staatsministerin Cornelia
Pieper steht hier zur Beantwortung zur Verfügung.
Die Frage 1 des Kollegen Manuel Sarrazin wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 2 unseres Kollegen Wolfgang
Gehrcke auf:
Welche Weisung hat die Bundesregierung dem Ständigen
Vertreter Deutschlands bei den Vereinten Nationen bezüglich
des Abstimmungsverhaltens zum Antrag des palästinensi-
schen Präsidenten Mahmud Abbas an die UN-Vollversamm-
lung, Palästina einen erweiterten Beobachterstatus zu verlei-
hen, erteilt?
Frau Staatsministerin, ich darf Sie um Beantwortung
bitten. Bitte schön, Frau Staatsministerin.
C
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter
Gehrcke, ich antworte auf Ihre Frage für die Bundes-
regierung wie folgt: Die Bundesregierung macht Wei-
sungen an die deutschen Auslandsvertretungen grund-
sätzlich nicht öffentlich.
Sollte es in der Generalversammlung der Vereinten
Nationen zu einer Abstimmung über den Resolutionsent-
wurf zur Verleihung eines Beobachterstatus an Palästina
kommen, wird die Bundesregierung bei der Festlegung
des deutschen Abstimmungsverhaltens mehrere Fakto-
ren berücksichtigen. Dazu gehören unter anderem die
Aussichten auf eine Wiederaufnahme des Verhandlungs-
prozesses zwischen den Konfliktparteien und die mögli-
chen Auswirkungen einer Resolution auf die Lage vor
Ort, dazu gehört das geplante Abstimmungsverhalten
der anderen EU-Mitgliedstaaten, dazu gehört Deutsch-
lands grundsätzliche Verpflichtung gegenüber der Si-
cherheit und der Existenz Israels, und dazu gehören die
möglichen VN-politischen Konsequenzen einer Abstim-
mung, unter anderem hinsichtlich der Finanzierung der
Vereinten Nationen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Wolfgang Gehrcke.
Da die Bundesregierung ihre Weisungen nicht öffent-lich macht, darf ich mir erlauben, meinen Kenntnisstandöffentlich zu machen. Sie können ja dann sagen, ob erstimmt oder nicht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25571
Wolfgang Gehrcke
(C)
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Mein Kenntnisstand ist, dass die Bundesregierung inder Europäischen Union derzeit noch mit Frankreich undanderen darüber verhandelt, ob Frankreich bereit ist, seinJa, das es ja öffentlich geäußert hat, zurückzunehmenund sich zu enthalten. In diesem Falle wäre die Bundes-regierung auch bereit, sich zu enthalten. Für den Fall,dass Frankreich dies nicht macht, hat die Bundesregie-rung angedroht, in der Vollversammlung mit Nein zustimmen.Geht man so mit einem europäischen Partner, insbe-sondere mit Frankreich, um?
Das war die Frage des Kollegen Wolfgang Gehrcke.
C
Herr Abgeordneter, zumindest ist richtig, dass die
Bundesregierung ein großes Interesse daran hat, dass die
EU-Mitgliedstaaten einheitlich abstimmen. Ich kann das
Letztgesagte aber nicht bestätigen und muss das auch zu-
rückweisen, weil die Verhandlungen noch im Fluss sind;
es wird auch an den Texten noch gearbeitet: panta rhei –
alles fließt!
Wir arbeiten bei den Verhandlungen darauf hin, dass
wir eine einheitliche Position der EU finden. Das haben
Sie zu Recht ja auch angesprochen. Das wäre aus unse-
rer Sicht die beste Lösung.
Ihre zweite Nachfrage.
Man wird sehen, wer näher an dem Problem ist und
wer hier recht gehabt hat. – Aber dann frage ich Sie an-
dersherum: Wenn die Bundesregierung weiß, dass am
Text noch gearbeitet wird, setze ich voraus, dass die
Bundesregierung den Text kennt und dass sie auch weiß,
dass selbst israelische Diplomaten zwar nicht öffentlich,
aber immerhin geäußert haben, dass dieser Text für sie
interessanter und akzeptabler ist als alles, was vorher
vorgelegt worden ist. – Wie empfindet die Bundesregie-
rung diesen Text, und wie bewertet die Bundesregierung
diesen Text? Das können Sie uns ja sagen.
C
Herr Abgeordneter, wir kennen natürlich den Text. Da
wir aber, wie ich sagte, noch in den Verhandlungen sind,
werden wir heute nicht den letzten Stand bekannt geben
können; denn wir wollen im Gespräch bleiben, auch mit
den anderen EU-Mitgliedstaaten. Ich bitte dafür um Ver-
ständnis. Morgen ist die Abstimmung. Ich glaube – das
habe ich Ihren Worten entnommen –, wir verfolgen da-
bei fast ein gemeinsames Ziel, was die einheitliche Posi-
tionierung der EU-Mitgliedstaaten anbelangt.
Die nächste Nachfrage hat unser Kollege Rolf
Mützenich.
Frau Staatsministerin, wir hatten heute Morgen im
Auswärtigen Ausschuss die Gelegenheit, über diese
Frage intensiv zu beraten. Da hat der Vertreter des Au-
ßenministeriums noch einmal gesagt, dass aus Sicht der
Bundesregierung der jetzige Zeitpunkt der denkbar un-
günstigste Zeitpunkt sei, den Antrag zu stellen.
Nun kann man darüber philosophieren, ob man nicht
vielleicht versuchen sollte, Präsident Abbas und Minis-
terpräsident Fajjad gerade in dieser Situation zu stärken.
Aber wenn es der denkbar ungeeignetste Zeitpunkt ist:
Würde denn die Bundesregierung hier gegenüber dem
Parlament erklären wollen, dass dann, wenn die Palästi-
nensische Autonomiebehörde diesen Antrag zu einem
anderen Zeitpunkt stellen würde, die Bundesregierung
hinsichtlich ihres Abstimmungsverhaltens zu einer ande-
ren Schlussfolgerung käme, also in Richtung Zustim-
mung zum Antrag?
C
Herr Abgeordneter Mützenich, da noch nicht klar ist,
wie das Verhalten sein wird, weil wir in Verhandlungen
sind, auch mit den anderen Mitgliedstaaten, ist alles im
Fluss. Ich kann und will Ihnen heute nicht sagen, weil
wir dazu als Bundesregierung nicht verpflichtet sind und
es auch nicht sagen können, um die Verhandlungen nicht
zu gefährden, was morgen das Ergebnis sein wird.
Dass wir alle ein großes Interesse daran haben, dass
es eine einheitliche Positionierung der EU-Mitgliedstaa-
ten gibt, ist klar geworden. Natürlich hat man auch die
verschiedenen Aspekte, die Sie hier genannt haben, im
Gespräch mit der Palästinensischen Autonomiebehörde
berücksichtigt. Aber die Resolution – das wissen Sie –
ist über die sudanesische Regierung für die Palästinenser
eingebracht worden, und die Resolution steht im Raum.
Ich sehe jedenfalls im Moment den Spielraum, den Sie
genannt haben, nicht.
Eine Nachfrage hat als Nächster Kollege Paul
Schäfer.
Danke, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin, Siehaben am Anfang vorgetragen, dass die Bundesregie-rung eine Reihe von Kriterien heranziehen will, umletztlich ihr Votum festzulegen. Es handelt sich dabei umeine Reihe von Opportunitätserwägungen, die man ma-chen kann. Mir ist jetzt aber noch nicht klar geworden:Sagen Sie denn grundsätzlich, dass das Anliegen der Pa-lästinensischen Autonomiebehörde, ihren Status bei denVereinten Nationen aufwerten zu lassen, vollkommen inOrdnung und legitim ist? Das sagt ja noch nichts darüberaus, wie Sie abstimmen. Aber können Sie sich wenigs-tens dazu erklären, dass Sie sagen: „Es ist vollkommen
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25572 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Paul Schäfer
(C)
(B)
richtig, dass es jetzt eine Stärkung des palästinensischenStatus bei den Vereinten Nationen geben muss“?C
Sie wissen, dass die Bundesregierung das Ziel ver-
folgt, die Palästinenser beim Staatsaufbau und auch in
ihrem Recht auf einen eigenen Staat im Rahmen einer
Zwei-Staaten-Lösung zu unterstützen. Ich will aber auch
noch einmal darauf hinweisen, dass es für uns wichtig
ist, dass dieses Ziel der Zwei-Staaten-Lösung im Ver-
handlungsprozess mit Israel erreicht wird. Wir sehen
schon die Gefahr, dass dieser Verhandlungsprozess
durch diese Resolution blockiert wird.
Vielen Dank.
Wir kommen jetzt zur Frage 3, ebenfalls von unserem
Kollegen Wolfgang Gehrcke:
Welche Abstimmungen hat es zu dieser Frage unter den
Botschaftern der Länder der Europäischen Union gegeben,
und welche Position hat die Bundesregierung bei diesen Ab-
stimmungen vertreten?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
C
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Mitglied-
staaten der Europäischen Union stimmen sich in wichti-
gen nahostpolitischen Fragen natürlich miteinander ab.
Zu dem von den Palästinensern vorgelegten Resolutions-
entwurf gibt es Abstimmungen auf verschiedenen Ebenen.
So hat der Rat der Europäischen Union für Außenbeziehun-
gen am 19. November dieses Jahres über die Resolu-
tionsinitiative von Präsident Mahmud Abbas beraten.
Auch die Ständigen Vertreter der EU-Mitgliedstaaten bei
den Vereinten Nationen in New York beraten über diese
Initiative. Die Bundesregierung macht allerdings Posi-
tion und Verlauf solch interner Beratung grundsätzlich
nicht öffentlich.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Wolfgang Gehrcke.
Eine solche Aufführung wie Ihre, Frau Staatsministe-
rin, nach dem Motto „Die Abgeordneten brauchen das,
was wichtig ist, nicht zu erfahren“, werden wir nicht
mitmachen. Morgen werden Sie einen Antrag meiner
Fraktion erhalten, in dem wir fordern, dass der Bundes-
tag darüber abstimmt, mit welcher Weisung der deutsche
Botschafter in New York bei der UNO zu agieren hat.
Jetzt zu meiner Frage: Gibt es noch ein Interesse, die
Regierung von Präsident Abbas und Ministerpräsident
Fajjad zu stärken, der schon nach den Gaza-Auseinan-
dersetzungen derartig gedemütigt erscheint und immer
schwächer wird? Wenn Abbas jetzt noch von der UNO
unter der Verantwortung Deutschlands ohne Ergebnis
nach Hause geschickt wird, glauben Sie, dass es dann
noch eine Chance für eine Zweistaatenlösung gibt?
C
Wir sind weiterhin optimistisch, dass es diese Chance
gibt. Ich sage aber noch einmal, Herr Abgeordneter, dass
die Zweistaatenlösung nur im Laufe von Verhandlungen
und politischen Gesprächen erreicht werden kann. Die
Bundesregierung ist bemüht, ein Auseinanderfallen der
EU nicht nur bei diesen wichtigen Fragen zu vermeiden.
Ich will noch ergänzen, dass wir in diesem konkreten
Fall einen Three-Way-Split nicht ausschließen können.
Einige Mitgliedstaaten – wie Sie wissen, hat sich Frank-
reich schon öffentlich dazu erklärt – neigen zu einem Ja,
während die Mehrheit der Mitgliedstaaten sich eine ge-
meinsame EU-Enthaltung wünscht.
Eine offizielle Festlegung der deutschen Haltung hat
es aber bisher noch nicht gegeben. Deswegen kann ich
Ihre Frage nicht beantworten. Es ist, glaube ich, auch
gut, wenn man die Zeit bis morgen nutzt, um noch zu
einer europaeinheitlichen Haltung zu kommen, die auf
Enthaltung setzt. Deswegen sind die Beratungen dazu
noch nicht beendet. Das ist, denke ich, auch der richtige
Weg.
Der Kollege Wolfgang Gehrcke hat eine zweite Nach-
frage.
Ich weiß nicht, ob es gestattet ist, eine Staatsministe-
rin zu korrigieren.
Indem Sie eine Frage stellen.
Genau. Ich kleide es in eine Frage. – Frankreich hat
beschlossen, mit Ja zu stimmen, wie es der französische
Außenminister gestern um 16.52 Uhr der Presse mitge-
teilt hat. Das dürfte auch der Bundesregierung nicht
entgangen sein. Gleichzeitig hat Luxemburg öffentlich
mitgeteilt, mit Ja zu stimmen, und auch Österreich hat
mitgeteilt, mit Ja zu stimmen. Das ist die europäische
Realität. Sollte die Bundesregierung nicht einen Schritt
machen, sich positiv in diese europäische Realität einzu-
fügen, statt sich außerhalb dieser Realität zu stellen?
C
Herr Abgeordneter, ich habe bei Ihrer vorhergehen-den Frage bereits erwähnt, dass Frankreich sich ent-schlossen hat, mit Ja zu stimmen. Ich habe Ihnen geradegeantwortet, dass es natürlich auch eine Lösung inRichtung Three-Way-Split geben kann. Es neigen in derTat auch einige andere Mitgliedstaaten zum Ja, währenddie Mehrheit der EU-Mitgliedstaaten für eine Enthaltungplädiert. Es ist nur legitim und im Interesse der zukünfti-gen Verhandlungen zwischen Palästina und Israel, diehoffentlich bald wieder in Gang kommen, dass man aufeine Enthaltung drängt und dadurch auch den Friedens-prozess im Nahen Osten voranbringt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25573
(C)
(B)
Eine weitere Nachfrage hat unser Kollege Rolf
Mützenich.
Danke, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin, ein-
zelne Regierungen oder auch Parlamente haben im Fall
einer Abstimmung in der Vollversammlung der Verein-
ten Nationen angekündigt, dass die finanzielle Unterstüt-
zung der Palästinensischen Autonomieregierung einge-
stellt oder auch weitere Sanktionen dort erwogen
werden. Welche Haltung nimmt die Bundesregierung in
dieser Situation ein? Ist sie zum Beispiel bereit, mit den
Partnern über dieses Aussetzen zu sprechen, bzw. wel-
che Reaktion behält sich die Bundesregierung in diesem
Falle vor?
C
Sie wissen, Herr Abgeordneter, dass man – ich erin-
nere an das Verhalten der USA, die sich im vergangenen
Jahr aus der Finanzierung der UNESCO zurückgezogen
haben, nachdem Palästina in die UNESCO aufgenom-
men worden ist; der Anteil des Beitrags der USA betrug
ungefähr 22 Prozent – auch befürchten muss, dass die
Entscheidung negative Auswirkungen auf die Unterstüt-
zung haben wird. Die USA werden vielleicht Sanktionen
verhängen, die zwar nicht alle Mitglieder der Vereinten
Nationen, aber bestimmte Projekte in Palästina treffen
werden.
Deshalb drängen wir weiterhin darauf, eine Enthal-
tung der EU-Mitgliedstaaten zu erreichen. Wir sehen,
dass die Lage durch die Annahme der Resolution für die
Friedensverhandlungen nicht vereinfacht, sondern eher
erschwert wird.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin. – Die Frage 4
des Abgeordneten Tom Koenigs wird schriftlich beant-
wortet.
Wir kommen zur Frage 5, gestellt von unserem Kolle-
gen Jan van Aken:
Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung aus den
ablehnenden Aussagen aus russischen Regierungskreisen
zur Stationierung
von Patriot-Einheiten in der Türkei, und welche Rolle spielen
diese Äußerungen bei den Erwägungen der Bundesregierung,
diese Systeme in die Türkei zu verlegen?
Bitte schön, zur Beantwortung, Frau Staatsministerin.
C
Sehr gerne, Herr Präsident. – Ich beantworte die
Frage des Abgeordneten van Aken wie folgt: Die Bun-
desregierung hat die Äußerung des stellvertretenden
Außenministers der Russischen Föderation Sergej
Rjabkow zur Kenntnis genommen. NATO-Generalsekre-
tär Anders Fogh Rasmussen hat am 23. November 2012
mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow tele-
foniert und diesen über den Stand der Beratungen im
Bündnis unterrichtet. Die Bundesregierung wird ihre
eigenen Entscheidungen wie auch die Entscheidungen
der NATO der russischen Seite zeitnah und transparent
erläutern.
Ich darf hinzufügen, Herr Abgeordneter, dass es auch
auf Arbeitsebene in unserem Haus mit der russischen
Seite dazu Gespräche gibt und in den bilateralen Gesprä-
chen Zweifel bereits ausgeräumt werden konnten.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Jan van Aken.
Vielen Dank, Frau Pieper. – Es ist nicht nur Russland,
das Bedenken geäußert hat, sondern auch verschiedene
andere Länder haben das getan. Eines davon ist der Iran.
Jetzt kann man sagen: Es ist uns doch egal, was der Iran
sagt. – Nun haben wir aber die Situation, dass immer
noch die ganz massive Drohung Israels im Raum steht,
die iranischen Atomanlagen zu bombardieren. Dann
hätten wir relativ schnell einen militärischen Konflikt
zwischen Iran und Israel – und mittendrin im Nahost-
konflikt dann deutsche Soldaten. Haben Sie sich schon
entschieden, ob Sie in dem Falle, dass es eine militäri-
sche Eskalation zwischen Israel und Iran gibt, sofort die
Bundeswehrsoldaten aus der Türkei wieder abziehen?
Oder werden Sie sie im Nahostkonflikt belassen?
C
Herr Abgeordneter, ich will noch einmal klarstellen,
dass es sich bei der Stationierung des Luftverteidigungs-
systems Patriot um ein defensives Waffensystem zur Ab-
wehr von Flugkörpern und Flugzeugen auf türkischem
Gebiet handelt. Wie die offizielle türkische Anfrage an
den NATO-Generalsekretär vom 21. November dieses
Jahres klarstellt, wäre der Einsatzzweck des angefragten
Luftverteidigungssystems Patriot rein defensiver Natur.
Ich habe den Brief dabei. Das heißt mit anderen Worten:
Sie können nicht davon ausgehen, dass die Gefahr be-
steht, dass die Türkei damit eine Flugverbotszone in Sy-
rien einrichten will oder dass es zu anderen Zwecken als
der Verteidigung eingesetzt wird.
Ihre zweite Nachfrage, Herr van Aken.
Frau Pieper, erstens, ich kenne diesen Brief derTürkei. Zweitens haben Sie eine Antwort auf eine Fragegegeben, die ich gar nicht gestellt habe. Vielleichtkommt ja noch eine Frage zur Flugverbotszone. Das waraber nicht meine Frage. Meine Frage war, ob Sie dann,wenn es zu einem Nahostkrieg zum Beispiel zwischenIsrael und Iran kommt, die Bundeswehrsoldaten dort be-lassen würden. Diese Frage haben Sie nicht beantwortet.Ich habe jetzt eine andere Frage, weil Sie zum zwei-ten Mal Herrn Rasmussen, den NATO-Generalsekretär,erwähnen. Er hat gestern der Presse gegenüber gesagt– ich zitiere das Original –: The alliance would not avoid
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25574 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Jan van Aken
(C)
(B)
using further measures for Turkey’s defense. Auf Deutsch:Die NATO wird keine Sekunde zögern, auch noch andereMittel für die Verteidigung der Türkei zu ergreifen. – Dasmacht mich doch hellhörig. Es fängt jetzt an mit denPatriot-Raketen, die, wie Sie sagen, rein defensiv sind– auch darüber können wir uns unterhalten –, aber wel-che anderen Maßnahmen, die Herr Rasmussen hier an-gekündigt hat, wäre denn die Bundesregierung bereitauch noch mitzutragen?C
Die Kriterien für die Stationierung der Patriot-
Raketen sind klar; das habe ich eindeutig gesagt. Die
rechtliche Grundlage ist Art. 51 der UN-Charta, in dem
es um das Selbstverteidigungsrecht im Falle eines be-
waffneten Angriffs gegen ein Mitglied der Vereinten Na-
tionen geht.
Sie gehen von anderen Kriterien aus, Herr Abgeord-
neter.
Diese Kriterien treffen nicht zu, jedenfalls nicht für die
Stationierung der Patriot-Raketen. Deswegen würde ich
jetzt nicht mit Äußerungen spekulieren, die so nicht ver-
handelt sind und die wir von türkischer Seite so auch
nicht entgegengenommen haben. Sie selbst haben den
Brief von türkischer Seite zitiert, wo ganz klar erläutert
worden ist, dass es hier um eine defensive Maßnahme
geht.
Mir liegen weitere Nachfragewünsche vor. Zunächst
Kollege Wolfgang Gehrcke.
Ihr Außen-
minister hat im Auswärtigen Ausschuss als Rechts-
grundlage nicht Art. 51 der Charta der Vereinten Natio-
nen genannt, sondern Art. 3 des NATO-Vertrages. Ich
frage jetzt noch einmal: Auf welche Rechtsgrundlage
beruft sich die Regierung bei ihrer Entscheidung?
C
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Auf beide Rechtsgrundlagen beruft sich die Bundes-
regierung, Herr Abgeordneter. Ich habe mich jetzt ins-
besondere auf Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen
bezogen. Aber natürlich trifft auch Art. 3 des NATO-
Vertrages zu.
Die nächste Nachfrage ist von unserem Kollegen
Hans-Christian Ströbele.
Frau Staatsministerin, kann die Bundesregierung aus-
schließen, dass die Türkei – um eine Sicherheitszone in
Syrien oder an der Grenze zu Syrien zu errichten, um
gegen die dort sich bewaffnenden und inzwischen auto-
nomen Kurden vorzugehen – kriegerische Maßnahmen
ergreift, auch auf syrischem Gebiet, und dass dann,
wenn die syrische Luftwaffe eingreift und gegen türki-
sche Truppen vorgeht, dort stationierte deutsche Patriot-
Raketen zum Einsatz kommen?
C
Sie fragten, Herr Abgeordneter Ströbele, ob die
Bundesregierung das ausschließen kann. Darauf ant-
worte ich mit Ja. Ich könnte es dabei belassen.
Ich will trotzdem ergänzen, dass in der offiziellen
türkischen Anfrage an den NATO-Generalsekretär
klargestellt wurde, dass die angefragten Luftverteidi-
gungssysteme ausdrücklich nicht zur Einrichtung oder
Unterstützung einer Flugverbotszone oder einer Offensiv-
operation eingesetzt werden. Da Herr van Aken mit ei-
nem englischen Satz geglänzt hat, darf ich aus dem ent-
sprechenden Brief einmal zitieren:
… it will in no way support a no-fly zone or any of-
fensive operation.
Daher ist für uns klar: Es handelt sich um eine defen-
sive Maßnahme.
Das waren jetzt die Nachfragen zur Frage des Kolle-
gen Jan van Aken.
Die Fragen 6 und 7 des Kollegen Omid Nouripour
werden schriftlich beantwortet.
Jetzt kommen wir zur Frage 8, gestellt von unserem
Kollegen Niema Movassat:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über die
Unterstützung der Rebellengruppe M 23 und anderer Rebel-
lengruppen im Ostkongo durch Staaten wie Ruanda, Uganda
und Burundi, und teilt sie die Einschätzungen aus dem UN-
Abschlussbericht, dass Ruanda und Uganda die Rebellen-
gruppen unterstützen?
Ich darf Sie bitten, zu antworten, Frau Staatsministe-
rin.
C
Sehr gern, Herr Präsident. – Herr Abgeordneter, derBundesregierung sind die Berichte der unabhängigenExpertengruppe des Sanktionsausschusses des Sicher-heitsrats der Vereinten Nationen für die DemokratischeRepublik Kongo bekannt. Darin werden die ruandischeRegierung und ugandische Sicherheitskreise beschul-digt, die kongolesische Rebellengruppe M 23 in den ver-gangenen Monaten unterstützt zu haben.Die Beweisführung zu den einzelnen Punkten ist sehrunterschiedlich. Die Republiken Uganda und Ruandaweisen die Anschuldigungen vehement zurück. Die
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25575
Staatsministerin Cornelia Pieper
(C)
(B)
Bundesregierung verfügt nicht über ausreichend belast-bare Erkenntnisse, um die Vorwürfe im Einzelnen prüfenzu können. Sie wissen wahrscheinlich, Herr Abgeordne-ter, dass mit der Resolution 2076 vom 20. November2012 der VN-Sicherheitsrat den Generalsekretär auffor-dert, in Abstimmung mit der Afrikanischen Union undder Internationalen Konferenz der Großen Seen über dieAnschuldigungen externer Unterstützung für M 23 zuberichten.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Movassat.
Danke, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin, Sie
haben im Prinzip den UN-Abschlussbericht bezüglich
der Unterstützung Ruandas und Ugandas für die
Rebellen bestätigt. Die Beweisführung bei Ruanda ist ja
eindeutig.
Was mich interessieren würde, ist: Welche Konse-
quenzen zieht die Bundesregierung aus dem Vorwurf,
dass diese Länder Rebellengruppen im Ostkongo unter-
stützen, und aus der Tatsache, dass diese Rebellengrup-
pen massivste Menschenrechtsverletzungen begehen,
insbesondere aus Rohstoffinteressen, aus Interesse an
Diamanten, Gold und Coltan, das im Ostkongo ja
massenweise vorhanden ist und womit wirtschaftliche
Interessen vieler Rebellengruppen verknüpft sind?
C
Der Bundesregierung liegen natürlich zahlreiche ex-
terne Berichte auch über zum Teil schwere Menschen-
rechtsverletzungen durch die Rebellengruppe M 23 vor.
Die Rebellengruppe M 23 wird unter anderem der außer-
gerichtlichen Tötung, der Rekrutierung und des Einsatzes
von Kindersoldaten sowie der Bedrohung von politischen
Gegnern beschuldigt. Es werden auch Plünderungen und
Vergewaltigungen genannt, wobei diesbezüglich die
große Mehrheit der Berichte eher auf eine Verantwortung
der Regierungsstreitkräfte hinweist. Schwere Menschen-
rechtsverletzungen werden weiterhin auch von anderen
im Ostkongo aktiven Milizen, wie den Demokratischen
Kräften zur Befreiung Ruandas und verschiedenen Mai-
Mai-Gruppen, begangen.
Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, setzt sich
bilateral sehr intensiv, auch in der Europäischen Union
und in den Vereinten Nationen, dafür ein, dass Men-
schenrechtsverletzungen unterbunden und die Verant-
wortlichen natürlich auch zur Verantwortung gezogen
werden.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage.
Danke, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin, in der
Europäischen Union gibt es eine Diskussion darüber, die
UN-Mission, die derzeit aus 17 000 Soldaten besteht,
auf 19 000 auszuweiten, sie mit einem robusteren Man-
dat auszustatten, ein Mandat für die Entwaffnung von
Milizen zu geben sowie Drohnen zur Aufklärung einzu-
setzen. Gibt es Überlegungen innerhalb der Bundes-
regierung, sich in irgendeiner Form daran zu beteiligen,
und wie steht die Bundesregierung zu dieser Diskussion
auf der europäischen Ebene?
C
Herr Abgeordneter, für die Bundesregierung hat Prio-
rität, das durch Gewalt, Not, Flucht und Vertreibung so-
wie, wie ich schon sagte, massive Menschenrechtsverlet-
zungen bedingte Leid der Zivilbevölkerung im Ostkongo
zu beenden. Dafür muss in einem ersten Schritt der ge-
genwärtige Konflikt beendet werden. In der Folge muss
ein Prozess eingeleitet werden, in dem auch die tiefer
liegenden Ursachen dieses historisch gewachsenen kom-
plexen Konfliktes, für den viele Parteien Verantwortung
tragen, bearbeitet werden. Um erfolgreich zu sein, be-
darf es meines Erachtens des Engagements aller Schlüs-
selspieler in der Region. Wir diskutieren darüber hinaus
nicht in der EU über weitere Maßnahmen in dem Be-
reich, den Sie nannten.
Vielen Dank. – Weitere Nachfragen zu dieser Frage
liegen nicht vor.
Damit kommen wir zur Frage 9, die ebenfalls vom
Kollegen Niema Movassat gestellt wurde:
Welche aktuellen Informationen liegen der Bundesregie-
rung zu neuen Flüchtlingswellen innerhalb Nord- und Süd-
kivus sowie in die Nachbarländer vor, und welche unmittelba-
ren Konsequenzen ergeben sich aus der Kontrolle Gomas
durch die M 23 für die deutsche und europäische humanitäre
Hilfe?
Ich darf Sie bitten, Frau Staatsministerin.
C
Herr Präsident! Herr Abgeordneter, die bisherigenKämpfe sowie die verübten Menschenrechtsverletzun-gen führen derzeit zu weiteren neuen Flüchtlingswellenim Osten der Demokratischen Republik Kongo. SeitAusbruch der gegenwärtigen Kämpfe am 15. Novembersind laut Quellen der Vereinten Nationen aktuell in undum Goma circa 140 000 Menschen auf der Flucht. Da-von hält sich die Mehrheit von circa 125 000 Personen inden Lagern für Binnenvertriebene Mugunga I und III so-wie Lac Vert auf. Weitere 7 000 Menschen sind in dreiSchulen untergebracht. Das Don-Bosco-Camp beher-bergt darüber hinaus circa 12 500 Personen.Neben den Binnenvertriebenen in Goma gibt es einenkleineren Rückkehrerstrom Richtung Goma aus der nunauch umkämpften Region Sake. Ebenso gibt es eine klei-nere Flüchtlingsbewegung Richtung Süden. GenauereInformationen hierzu liegen zum jetzigen Zeitpunkt al-lerdings noch nicht vor.Die Gesamtzahl der Flüchtlinge und Binnenvertriebe-nen in der Demokratischen Republik Kongo dürfte der-zeit bei etwa 2,4 Millionen Menschen liegen.
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Staatsministerin Cornelia Pieper
(C)
(B)
Die Sicherheitslage in Goma ist derzeit relativ stabil.Berichte über schwere Menschenrechtsverletzungen derM 23, wie ich sie schon nannte, im besetzten Gomakonnten aus Quellen vor Ort allerdings nicht bestätigtwerden. Die Menschen kehren zum Teil zurück. Die Ver-sorgung mit Nahrungsmitteln, Trinkwasser und Elektri-zität ist sehr schlecht. Erste Hilfstransporte sind über dieruandische Grenze nach Goma gekommen. Der Frie-densplan von Kampala sieht vor, dass die M 23 Gomarasch wieder räumt und zur Ausgangsstellung vor derjüngsten Offensive – 20 Kilometer nördlich der Stadt –zurückkehrt.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Movassat.
Danke. – Frau Staatsministerin, Sie hatten vorhin
schon die Rolle der kongolesischen Armee kurz ange-
sprochen, die auch für die gesamte humanitäre Frage
von großer Bedeutung ist. Beim Abzug der kongolesi-
schen Armee aus Goma wurde nach Berichten die
Stromversorgung durch die kongolesische Armee zer-
stört, was sozusagen die Strom- und Wasserversorgung
in ganz Goma lahmgelegt hat. Das kann man auch als
Kriegsverbrechen bezeichnen.
Nun ist die kongolesische Armee auch Partner der
UN-Mission vor Ort; die UN-Truppen kämpfen an der
Seite der kongolesischen Armee. Welche Probleme se-
hen Sie in diesem Zusammenhang, und wie schätzen Sie
die kongolesische Armee ein?
C
Die Bundesregierung setzt sich natürlich dafür ein,
dass der humanitäre Zugang schnellstmöglich wieder her-
gestellt wird. Dass wir dazu mit den vor Ort tätigen Part-
nerorganisationen in Verbindung stehen, ist ganz klar.
Sie haben richtig gesagt, dass die Menschen dort ab-
geschnitten sind von Wasser und Strom; vom Zugang zu
Grundnahrungsmitteln ganz zu schweigen. Für den
Transport von Hilfsgütern und humanitären Mitteln
brauchen wir natürlich dringend wieder den Zugang. Der
Flughafen Goma ist derzeit noch nicht wieder in Betrieb.
Auch das ist eine Schlüsselfrage in dem Zusammenhang.
Darüber hinaus erschweren Proteste und Übergriffe ge-
gen die VN und gegen internationale Organisationen die
Leistung humanitärer Hilfe.
Wir haben natürlich Erwartungen an alle Partner dort
in der Region. Der Bundesaußenminister hat jüngst die
Außenminister zum Gespräch geladen. Insbesondere
über die Lage im Ostkongo hat er mit der ruandischen
Außenministerin gesprochen. Ich glaube, dass wir alle
Partner beteiligen müssen, auch die kongolesische Seite,
um schnellstens das zu erreichen, was für uns ein primä-
res Ziel ist, nämlich wieder humanitäre Maßnahmen ge-
währleisten und sichern zu können.
Sie haben die Möglichkeit einer weiteren Nachfrage.
Danke. – Frau Staatsministerin, Sie hatten in einer der
Antworten die Frage der Ursache des Konflikts ange-
sprochen und gesagt, dass man da sozusagen ranmuss.
Eine große Ursache dieses Konflikts sind die Rohstoff-
vorkommen im Ostkongo, die natürlich Begehrlichkei-
ten in der Region wecken, zumal der kongolesische Staat
im Ostkongo praktisch nicht existent ist.
Die Bundesregierung setzt in der Rohstofffrage vor
allem auf Zertifizierungslösungen, sagt also: Man muss
die Rohstoffe zertifizieren und nachweisen, woher sie
kommen; das sei ein Mechanismus, um zu verhindern,
dass Raubdiamanten etc. aus dem Land kommen.
Die Realität zeigt allerdings, dass immer noch Roh-
stoffe aus dem Kongo geraubt werden, dass sie auch auf
unsere Märkte kommen, dass die Zertifizierungssysteme
also nicht funktionieren. Ruanda zum Beispiel verkauft
Rohstoffe, die es gar nicht hat, kann aber irgendeine Art
von Zertifizierung nachweisen, die jedoch nicht sehr
glaubwürdig ist.
Insofern meine Frage: Erwägt die Bundesregierung
verschärfte Importkontrollen und Beschränkungen für
Rohstoffe aus der Region auf nationaler wie europäi-
scher Ebene?
C
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung denkt über
alle notwendigen Maßnahmen nach, damit der Friedens-
prozess in der Region eine Chance bekommt. Da spielt
Ihr Vorschlag sicher auch eine Rolle. Aber ich will ganz
deutlich sagen, dass es darauf ankommen wird, dass
auch die Regierungen vor Ort zur Befriedung der Situa-
tion und zum Friedensprozess beitragen. Das ist aus mei-
ner Sicht ganz wichtig. Deswegen gab es auch konstruk-
tive Gespräche der Präsidenten Kagame, Museveni und
Kabila am 21. November. Ich glaube, wir alle sollten uns
darum bemühen, dass der Friedensprozess dort voran-
kommt, aber vor allen Dingen auch dafür sorgen, dass
die humanitären Maßnahmen in der Region geleistet
werden können.
Vielen Dank. – Nun haben wir den Geschäftsbereichdes Auswärtigen Amtes abgeschlossen. Vielen Dank,Frau Staatsministerin.Ich komme zum Geschäftsbereich des Bundesminis-teriums des Innern. Zur Beantwortung steht der Parla-mentarische Staatssekretär Dr. Ole Schröder zur Verfü-gung.Ich rufe die Frage 10 auf, gestellt von unserem Kolle-gen Memet Kilic:Wie hat die Bundesregierung die Entscheidung des Bun-desverwaltungsgerichts zum Assoziationsrecht EU-Türkeiumgesetzt, bzw. wie wird sie die Entscheidung umsetzen,nach der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 4 Abs. 5 des Auf-enthaltsgesetzes zum Nachweis eines Daueraufenthaltsrechtsnach Art. 7 Satz 1 zweiter Spiegelstrich des Assoziierungsab-kommens der EU mit der Türkei eine Gültigkeitsdauer vonmindestens fünf Jahren aufweisen und das Bestehen des zu-grunde liegenden assoziationsrechtlichen Daueraufenthalts-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25577
Vizepräsident Eduard Oswald
(C)
(B)
rechts einschließlich seiner Rechtsgrundlage textlich eindeu-
Bitte schön, Herr Staatssekretär.D
Ich beantworte Ihre Frage wie folgt: Die Bundes-
regierung hat mit den Ländern abgestimmt, dass zur
Umsetzung des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts
der Begriff „Daueraufenthaltsrecht“ nach Art. 7 als Zu-
satz zur Art des Titels im Anmerkungsfeld des elektroni-
schen Aufenthaltstitels oder auf einem Zusatzblatt auf-
genommen wird. Die Umsetzung der Entscheidung des
Bundesverwaltungsgerichts ist im Übrigen Sache der
örtlich zuständigen Ausländerbehörden. Dabei haben die
zuständigen Landesbehörden die ausländerbehördliche
Rechtsanwendung unter Berücksichtigung der aktuellen
Rechtsprechung anzuleiten und zu beaufsichtigen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Kilic.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Bald werden wir
das 50-jährige Bestehen des Assoziationsabkommens
zwischen der Türkei und der Europäischen Wirtschafts-
gemeinschaft begehen. Dieses Assoziationsabkommen
sieht sogar eine Freizügigkeit für Arbeitnehmerinnen und
Arbeitnehmer nach 22 Jahren vor. In den 50 Jahren hat
der Gerichtshof der Europäischen Union mehr als 50 Ur-
teile – die meisten zugunsten türkischer Staatsangehöri-
ger – gesprochen. Aber die Bundesregierung weigert
sich, diese Rechtsprechung ins materielle Recht der Bun-
desrepublik Deutschland einzubinden und damit diese
Rechte für alle Ausländerbehörden und Verwaltungsbe-
hörden sichtbar zu machen. Ist es nicht die Aufgabe der
Bundesregierung, das Bundesrecht so zu gestalten, dass
es auch höchstrichterlichen Urteilen und völkerrechtli-
chen Verpflichtungen entspricht?
D
Selbstverständlich – und das machen wir auch. Natür-
lich ist die Rechtsprechung des Europäischen Gerichts-
hofes für uns bindend. Wir tun alles dafür, dass die nach-
geordneten Behörden sie auch umsetzen. Die Länder tun
das in ihrem Verantwortungsbereich.
Da wollen Sie sicher noch nachfragen. Bitte schön,
Herr Kollege.
Herr Dr. Schröder, Assoziationsrecht ist kein einseiti-
ges Geschäft, sondern es gibt zwei Seiten. Sicherlich hat
auch die Türkei bestimmte Hausaufgaben zu machen.
Ich nenne ein Beispiel: In der Türkei existiert nicht ein-
mal eine unbefristete Aufenthaltserlaubnis für deutsche
Staatsangehörige, die dort auf Dauer leben. Die deut-
schen Ehegatten wissen gar nicht, ob ihre Aufenthaltser-
laubnis verlängert wird, falls der türkische Ehegatte ab-
lebt. Im Arbeitsrecht der deutschen Staatsangehörigen in
der Türkei ist es mehr oder minder ein Goodwill. Es ist
nicht sicher geregelt. Ich habe nie gehört, dass, wenn
Vertreterinnen und Vertreter der Türkei nach Deutsch-
land kommen, Ihre Regierung diese mangelnden Rechte
der deutschen Staatsangehörigen thematisiert. Sie du-
cken sich weg. Woran liegt das? Fehlt es an Sachkennt-
nis oder an Mut?
D
Weder noch. Wir ducken uns nicht weg, sondern sind
natürlich in partnerschaftlichen Gesprächen mit der Tür-
kei.
Weitere Nachfragen dazu sehe ich nicht.
Die Frage 11 des Kollegen Andrej Hunko und die
Frage 12 der Kollegin Maria Klein-Schmeink werden
schriftlich beantwortet.
Das waren die Fragen zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern. Vielen Dank, Herr Dr. Ole
Schröder als Parlamentarischer Staatssekretär.
Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Justiz. Hier steht zur Beantwortung der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur
Verfügung.
Die Frage 13 des Kollegen Tom Koenigs und die Fra-
gen 14 und 15 der Kollegin Dr. Eva Högl werden schrift-
lich beantwortet.
Wir kommen nun zur Frage 16, gestellt von unserem
Kollegen Burkhard Lischka:
Begleitet die Bundesregierung den Prozess der Prüfung
der Angemessenheit der GEMA-Tarifreform, mit der das
Bundesministerium der Justiz die Staatsaufsicht beim Deut-
schen Patent- und Markenamt beauftragt hat, und, wenn ja, in
welcher Weise geschieht das?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Herr Präsident! Herr Kollege Lischka, ich darf dieFrage 16 wie folgt beantworten: Die Bundesregierung istüber das Bundesministerium der Justiz, dem die Auf-sicht über die Staatsaufsicht beim Deutschen Patent- undMarkenamt obliegt, in die aufsichtsrechtlichen Prüfun-gen der Angemessenheit der neuen Tarife der GEMAeinbezogen. Die Staatsaufsicht über die Verwertungsge-sellschaften prüft intern und berichtet dem Bundesminis-terium der Justiz fortlaufend über den aktuellen Standder aufsichtsrechtlichen Prüfungen.Herr Präsident, die Frage 17 betrifft den gegenwärti-gen Stand der Verhandlungen. Vielleicht bietet es sichan, sie ebenfalls jetzt zu beantworten und dann die Nach-fragen en bloc zu stellen.
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25578 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
(C)
(B)
Wie ich sehe, ist der Kollege Lischka damit einver-
standen. Dann machen wir das so.
Ich rufe also noch die Frage 17 des Abgeordneten
Burkhard Lischka auf:
Wie ist nach Kenntnis der Bundesregierung der Stand der
Verhandlungen, und was unternimmt die Bundesregierung,
damit es zu einvernehmlichen Regelungen zwischen der
GEMA und ihren Gesamtvertragspartnern kommt?
D
Der Bereich der gesamtvertraglichen Einräumung
von Nutzungsrechten an urheberrechtlich geschützten
Werken unterliegt bekanntlich der Privatautonomie der
Verhandlungspartner. Deshalb sollte vorrangig eine Eini-
gung zwischen den Verhandlungspartnern angestrebt
werden.
Nach Kenntnis der Bundesregierung hat sich die
GEMA mit dem Bund Deutscher Karneval e. V., den
Schützenbünden, dem Verband Deutscher Musikschaf-
fender, den Deutschen Diskotheken Unternehmern so-
wie der Deutschen Disc-Jockey Organisation gesamtver-
traglich auf Grundlage der neuen Veranstaltungstarife
geeinigt. Dies begrüßen wir selbstverständlich.
Nach Kenntnis der Bundesregierung verhandelt die
GEMA daneben mit weiteren großen Nutzervereinigun-
gen, etwa mit dem Deutschen Olympischen Sportbund,
dem Deutschen Tanzsportverband, der Bundesvereini-
gung der kommunalen Spitzenverbände sowie der Bun-
desvereinigung der Musikveranstalter.
Herr Kollege Lischka, Sie haben nun insgesamt vier
Nachfragen. Bitte schön.
Herr Präsident, vielen Dank. Ich möchte nur von zwei
Nachfragen Gebrauch machen. – Herr Staatssekretär, vor
einigen Wochen, am 26. Oktober, fand im Deutschen Pa-
tent- und Markenamt eine Anhörung zur geplanten Tarif-
strukturreform statt, gemeinsam mit den unterschiedli-
chen Verbänden, die dort involviert sind. Liegen Ihnen
Ergebnisse dieser Anhörung vor, und, wenn ja, wie be-
wertet die Bundesregierung diese Ergebnisse?
D
In der Tat hat das Bundesministerium der Justiz im
Rahmen seiner aufsichtsrechtlichen Möglichkeiten da-
rauf hingewirkt, dass es zu einem solchen Gespräch im
Deutschen Patent- und Markenamt gekommen ist. Die-
ses Gespräch hat am 26. Oktober stattgefunden, und
zwar mit zahlreichen Beteiligungen.
Nach dem, was ich über den Verlauf erfahren habe,
war diese Zusammenkunft sehr nützlich, weil dort eine
Vielzahl von Fragen, die in der öffentlichen Diskussion
aufgeworfen wurden, erörtert werden konnte. Es stellte
sich heraus, dass man bei einigen Themen noch zusätzli-
che Erkenntnisse zum Sachverhalt braucht, sodass den
Beteiligten Gelegenheit gegeben worden ist, diese nach-
zuliefern.
Im Moment läuft die Auswertung dieser Anhörung.
Die Ergebnisse werden dann in die weitere Meinungsbil-
dung einfließen.
Ihre weitere Nachfrage, Kollege Burkhard Lischka.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe noch eine ab-
schließende Nachfrage. Herr Stadler, angenommen, dass
es in dem weiteren Verfahrensablauf nicht zu einem Ab-
schluss der Verhandlungen und auch nicht zu einer Eini-
gung bzw. zu einem allgemein akzeptierten Einigungs-
spruch kommt: Kann sich die Bundesregierung vorstellen,
in diesem Zusammenhang eine Vermittlerrolle zu über-
nehmen?
D
Die Bundesregierung hat insoweit schon vermittelnd
eingewirkt, als sie – wie ich geschildert habe – daran be-
teiligt war, dieses umfassende Gespräch zu initiieren,
und sich auch Fragestellungen erbeten hat, die in diesem
Zusammenhang erörtert wurden. Nunmehr liegt die wei-
tere Diskussion bei den Beteiligten: der GEMA auf der
einen Seite und den Verbänden auf der anderen Seite.
Ich finde es sehr erfreulich, dass insbesondere mit der
Bundesvereinigung der Musikveranstalter – nach meiner
Kenntnis am morgigen Tag – ein Gespräch stattfinden
wird. Hier lagen in den letzten Monaten die Vorstellun-
gen über die neuen Tarife wohl recht weit auseinander,
sodass es günstig ist, wenn der Gesprächsfaden jetzt
wieder aufgenommen wird.
Man muss zudem noch erwähnen, dass es einige
Schiedsverfahren gibt. Das ist nämlich der rechtsförmli-
che Weg, wie man zu einem Vermittlungsergebnis
kommt. In einem dieser Schiedsverfahren hat es bereits
eine mündliche Verhandlung gegeben, und zwar am
21. November. Eine weitere mündliche Verhandlung ist
für den 19. Dezember vorgesehen. Sie sehen also, dass
die Bemühungen um eine konsensuale Lösung in vollem
Gange sind.
Der Kollege Paul Lehrieder hat eine Nachfrage. Bitte
schön, Kollege Paul Lehrieder.
He
Gibtes Bestrebungen des Bundesjustizministeriums, auf dieGEMA insofern Einfluss zu nehmen, als man bis zumAbschluss des Schiedsverfahrens von der beabsichtigtenInkraftsetzung der neuen Tarife, die nach jetzigem Standzum 1. April erfolgen soll, absehen möge?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25579
(C)
(B)
D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Kollege Lehrieder, wie Sie wissen, gibt es keine
Möglichkeit der rechtlichen Einflussnahme auf die
GEMA. Sie ist ein Verein, der die Interessen seiner Mit-
glieder, beispielsweise der Komponisten, der Textdich-
ter, der Kreativen, treuhänderisch wahrzunehmen hat.
Wohl aber beobachten wir, dass die GEMA die neuen
Tarife entgegen ursprünglichen Vorstellungen nicht zum
1. Januar 2013, sondern zum 1. April 2013 in Kraft set-
zen möchte. Bis dahin ist also noch viel Zeit, sich zu ei-
nigen. Ich habe bereits erwähnt, dass am 19. Dezember
eine mündliche Verhandlung stattfindet. Wir sollten jetzt
diesen Prozess der Einigung zwischen den Vertragspart-
nern abwarten und dann weitere Diskussionen darüber
führen.
Vielen Dank. – Wir kommen zur Frage 18 unserer
Kollegin Sonja Steffen:
Welche Änderungen beabsichtigt die Bundesregierung in
Bezug auf die strafrechtlichen Verjährungsfristen bei sexuel-
lem Missbrauch noch in dieser Legislaturperiode in den Deut-
schen Bundestag einzubringen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Die Frage einer Änderung der Fristen der strafrechtli-
chen Verjährung bei sexuellem Missbrauch wird derzeit
im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zum Ge-
setzentwurf der Bundesregierung zur Stärkung der
Rechte von Opfern sexuellen Missbrauchs erörtert. Die
Entscheidung darüber, welches Ergebnis am Ende erzielt
wird, liegt somit beim Deutschen Bundestag.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Teilt das BMJ die Erkenntnis, dass bei vielen Sexual-
straftaten, die während der Minderjährigkeit der Opfer
begangen wurden, ein sogenanntes Coming-out erst sehr
spät erfolgt, also die Opfer oftmals sehr spät erst in der
Lage sind, über die Tat, die an ihnen begangen wurde, zu
reden?
D
Frau Kollegin Steffen, diese Erkenntnis ist zweifellos
richtig. Sie ist auch beim Runden Tisch, den die Bundes-
regierung initiiert hat, erörtert worden. Das Bundes-
ministerium der Justiz orientiert sich bei seinem weite-
ren Vorgehen sehr stark an den Ergebnissen des Runden
Tisches. Das hat dazu geführt, dass wir mit dem von mir
gerade schon erwähnten Gesetzentwurf dafür eintreten,
die Frist der zivilrechtlichen Verjährung in solchen Fäl-
len deutlich, nämlich auf 30 Jahre auszudehnen – bisher
waren es drei Jahre – und es entgegen ursprünglichen
Überlegungen dabei zu belassen, dass die Verjährungs-
frist erst mit dem 21. Lebensjahr beginnt, sodass den
Opfern viel Zeit bleibt, ihre Ansprüche geltend zu ma-
chen.
Zwischen den Fraktionen gibt es Gespräche, ob man
bei der strafrechtlichen Verjährung in ähnlicher Weise
vorgehen könnte. Es ist kein Geheimnis, dass auch hier
überlegt wird, den Beginn der Verjährungsfrist auf ein
späteres Lebensjahr hinauszuschieben, sodass die Opfer
bei einem späteren Coming-out auch strafrechtlich ge-
gen den Täter vorgehen können.
Ihre weitere Nachfrage, Frau Kollegin.
Das Ergebnis der Diskussionen des Runden Tisches
in Bezug auf die zivilrechtlichen Verjährungsfristen war
relativ eindeutig. 30 Jahre sind eine lange Zeit. Viele von
uns wünschen sich eine entsprechende Verlängerung der
Verjährungsfrist im Strafrecht.
Was mich in diesem Zusammenhang besonders um-
treibt, ist die Tatsache, dass sich die Beweislage im
Laufe der Zeit verschlechtert; es ist ein großes Problem,
dass es nach dieser langen Zeit Beweisschwierigkeiten
gibt. Im Grunde genommen sind diese Schwierigkeiten
in zivilrechtlichen Verfahren wesentlich größer, weil es
hier den Parteien überlassen ist, die Beweisführung an-
zutreten. In einem strafrechtlichen Verfahren hingegen
ist dies wesentlich einfacher, weil man hier eben auch
die Hilfe der Staatsanwaltschaft und der Polizei in An-
spruch nehmen kann.
Ganz konkret gefragt: Gehen Sie davon aus, dass sich
Ihr Ministerium in dieser Legislaturperiode noch mit den
strafrechtlichen Verjährungsfristen befassen wird? Es
gibt bereits entsprechende Gesetzesinitiativen; darauf
haben Sie hingewiesen.
D
Frau Kollegin Steffen, Sie haben völlig zu Recht auf
fortschreitende Beweisschwierigkeiten hingewiesen. Je
länger ein Sachverhalt zurückliegt, desto schwieriger ist
die Aufklärung durch die Gerichte. Das ist unter ande-
rem ein Grund dafür, dass es überhaupt Verjährungsfris-
ten gibt. Der Staat verzichtet aufgrund dieser Erwägung
auf die Durchsetzung des Strafanspruches nach einem
gewissen Zeitablauf.
In diesem speziellen Bereich ist von der Bundesregie-
rung auf Grundlage eines Entwurfs des Bundesministe-
riums der Justiz ein Gesetz auf den Weg gebracht wor-
den, nämlich das sogenannte StORMG. Die Fraktionen
überlegen jetzt, wie man die strafrechtliche Verjährung
dort ändert. Es gibt noch keine Einigung auf ein genaues
Modell, aber Sie können davon ausgehen, dass es am
Ende auf einen längeren Zeitraum, in dem eine solche
Straftat noch verfolgt werden kann, hinauslaufen wird.
Vielen Dank. – Wir sind immer noch im Geschäftsbe-reich des Bundesministeriums der Justiz. Die Frage 19der Kollegin Martina Bunge wird schriftlich beantwor-tet.
Metadaten/Kopzeile:
25580 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Vizepräsident Eduard Oswald
(C)
(B)
Ich rufe die Frage 20 unseres Kollegen Ingo Egloffauf:Wird die Bundesministerin der Justiz noch im Interna-tionalen Jahr der Genossenschaften 2012 einen Gesetzent-wurf zur Entlastung kleiner Genossenschaften vorlegen,nachdem sie im Februar 2012 erklärt hatte, ihr Haus ent-wickle hierfür Ideen, und nachdem am 13. November2012 im Handelsblatt zu lesen war, bei dieser Idee handlees sich um die Schaffung einer neuen Rechtsform „Koope-rativgesellschaft “?Bitte schön, Herr Staatssekretär.D
Herr Kollege Egloff, ich kann bestätigen, dass im
Bundesministerium der Justiz an einem Gesetzentwurf
zum Bürokratieabbau bei Genossenschaften gearbeitet
wird, bei dem es insbesondere um die Entlastung kleins-
ter Genossenschaften geht. Sie hatten gefragt, ob der Ge-
setzentwurf noch im Internationalen Jahr der Genossen-
schaften vorgelegt wird, also noch in 2012. In diesem
Jahr wird der Gesetzentwurf nicht mehr vorgelegt wer-
den können, zumal die offizielle Abschlusszeremonie
des Internationalen Jahres der Genossenschaften bei den
Vereinten Nationen bereits stattgefunden hat.
Kernstück des Gesetzentwurfes soll die Einführung der
sogenannten Kooperativgesellschaft
sein. Kleinstgenossenschaften sollen sich künftig als Ko-
operativgesellschaft gründen können und sind dann – das
ist der entscheidende Punkt – von der Pflichtmitglied-
schaft in einem genossenschaftlichen Prüfungsverband
und von der genossenschaftlichen Pflichtprüfung befreit.
Damit werden Kleinstgenossenschaften kostenmäßig
entlastet. Die Rechtsform wird somit für Kleinstunter-
nehmen attraktiver.
Wichtig ist aus unserer Sicht: Die Kooperativgesell-
schaft soll keine neue Rechtsform sein, sondern eine Un-
terform der Genossenschaft. Durch diese besondere Fir-
mierung als Kooperativgesellschaft wird für Gläubiger
deutlich, dass keine Prüfung stattfindet.
Sie haben eine Nachfrage?
Herr Staatssekretär, ist denn damit zu rechnen, dass
der Gesetzentwurf noch im Laufe dieser Legislatur-
periode das Parlament erreicht?
D
Herr Kollege Egloff, damit rechne ich schon. Es
kommt hinzu, dass Ihre Fraktion erfreulicherweise am
20. November einen Antrag eingereicht hat – der offen-
kundig von Ihnen initiiert wurde –, um Genossenschafts-
gründungen zu erleichtern. Unsere Überlegungen gehen
in dieselbe Richtung. Vielleicht gibt es in Nuancen Un-
terschiede, wenn es darum geht, was genau man in das
Gesetz hineinschreiben sollte. Aber da offenbar frak-
tionsübergreifend das Bedürfnis besteht, gesetzgeberisch
tätig zu werden, stehen die Chancen gut, dies noch in
dieser Legislaturperiode zustande zu bringen.
Ihre weitere Nachfrage?
Herr Staatssekretär, Sie haben eben darauf hingewie-
sen, dass Kleinstgenossenschaften von der Pflichtprü-
fung entbunden werden sollen. Die entscheidende Frage
ist: Ab welcher Grenze fängt eine Kleinstgenossenschaft
an? In den Diskussionen, die es zu diesem Bereich zu-
hauf gibt, ist immer wieder – in Anlehnung an die
GmbH – von § 267 Abs. 2 HGB die Rede. Die Frage ist:
Verfolgt die Bundesregierung bei der Schaffung von
Kleinstgenossenschaften das Ziel, diesen Rahmen zu
nutzen? Oder würden Sie sagen, dass die Grenze wesent-
lich niedriger anzusetzen ist?
D
Herr Kollege Egloff, genau diese Frage ist mit ein
Grund, warum wir jetzt einen Gesetzentwurf erarbeiten.
Wir können Ihnen diesen Gesetzentwurf allerdings noch
nicht vorlegen. Der Abgrenzungsfaktor ist entscheidend
dafür, wie viele Genossenschaften unter die neue Firmie-
rung fallen. Diesbezüglich läuft gerade der Abstim-
mungsprozess, und zwar sowohl in unserem Haus als
auch innerhalb der Bundesregierung. Wir werden Sie da-
nach über das erzielte Ergebnis informieren.
Man muss berücksichtigen, dass es auf der einen Seite
das verständliche Bedürfnis gibt, solche Gründungen zu
erleichtern, auf der anderen Seite muss man aber auch
Mechanismen finden, sowohl Gläubiger als auch die
Mitglieder der Genossenschaften zu schützen. An all
dem arbeiten wir noch, sodass ich Ihnen zu Fragen zur
konkreten Abgrenzung – hier geht es zum Beispiel um
die Größe der Genossenschaft als Kriterium – erst zu ei-
nem späteren Zeitpunkt Auskunft geben kann.
Vielen Dank. – Zu dieser Frage hat auch unser Kol-
lege Hans-Christian Ströbele eine Nachfrage. Bitte.
Diese Töne höre ich gerne. Das zeigt, dass Sie sich Ge-danken in dieser Richtung machen. Auch in unsererFraktion stellen wir entsprechende Überlegungen an. Ichfordere das im Grunde schon, seitdem ich Mitglied desDeutschen Bundestages bin, seit über zehn Jahren.Für mich ist das ein besonderes Problem, weil ich alsRechtsanwalt früher, als es nicht möglich war, Kleinstge-nossenschaften zu gründen bzw. sie in Genossenschafts-verbänden unterzubringen, empfohlen habe, Vereine zugründen. Deshalb die Frage an Sie: Wie unterscheidetsich die Kleinstgenossenschaft – abgesehen von demMerkmal Größe – von Vereinen? Würden Sie erwägen,dass man in Zukunft, wenn man einen wirklich schlüssi-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25581
Hans-Christian Ströbele
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gen, guten Gesetzentwurf hat, diese Kleinstgenossen-schaften Kollektive nennt? Denn sie haben sich als sol-che seit langem in der Gesellschaft etabliert, auch wennsie als Vereine konstruiert waren.D
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Kollege Ströbele, da wir uns gut kennen, darf
ich Folgendes sagen: Es ist erfreulich, dass Sie immer
wieder in den Deutschen Bundestag gewählt worden
sind; denn so können Sie sich an diesem Gesetzgebungs-
vorhaben, das Ihnen offenkundig so sehr am Herzen
liegt, beteiligen. Was die Firmierung als Kollektiv anbe-
langt, vermute ich allerdings, dass in Teilen Ihrer Fraktion
mehr Bereitschaft dazu besteht als in den Regierungsfrak-
tionen, sodass ich Ihnen eine solche Bezeichnung nicht
in Aussicht stellen kann.
Jetzt wissen wir auch das, wobei ich davon ausgehe,
dass das im Grunde schon vorher bekannt war.
Wir haben damit den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Justiz abgeschlossen.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Finanzen. Zur Beantwortung der Fra-
gen steht der Parlamentarische Staatssekretär Steffen
Kampeter zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 21 unseres Kollegen Manfred
Kolbe auf:
Wie hoch ist nach Kenntnis der Bundesregierung das Jah-
resgehalt des griechischen Zentralbankpräsidenten Georgios
A. Provopoulos, und hat sich dieses durch die Krise verän-
dert?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
S
Herr Kollege Kolbe, ich möchte Ihnen antworten,
dass die Bundesregierung keine Kenntnis über das Jah-
resgehalt des Präsidenten der griechischen Zentralbank
hat. Unsere Recherche hat ergeben, dass Griechenland,
soweit wir es erkennen konnten, dazu keinerlei Angaben
veröffentlicht hat.
Kollege Kolbe, Sie haben die Möglichkeit zur ersten
Nachfrage. – Keine.
Dann rufe ich die Frage 22 unseres Kollegen Manfred
Kolbe auf:
Ist der Bundesregierung bekannt, dass der griechische
Zentralbankpräsident und damit auch das Mitglied des Rates
der Europäischen Zentralbank bei seinem Amtsantritt von sei-
nem früheren Arbeitgeber, der Piraeus Bank, eine Abfindung
in Höhe von 3,4 Millionen Euro erhalten haben soll, und wie
beurteilt die Bundesregierung diesen Vorgang, sollte er diese
Zahlung erhalten haben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
S
Herr Kollege Kolbe, die Frage bezieht sich auf einen
Sachverhalt, den auch die Bundesregierung nur über die
Presse zur Kenntnis genommen hat. Wir haben aller-
dings keinerlei Primärerkenntnisse und beabsichtigen
daher nicht, diesen Sachverhalt in irgendeiner Art und
Weise zu kommentieren.
Ihre Nachfrage, Kollege Manfred Kolbe.
Herr Staatssekretär, da Sie die Frage nicht wie üblich
vorgetragen haben, darf ich das hier tun. Es geht darum,
dass der Präsident der griechischen Zentralbank, nach-
dem er das Amt angetreten hat, von seinem früheren Ar-
beitgeber, der Piraeus Bank, eine Abfindung in Höhe
von 3,4 Millionen Euro erhalten haben soll. Er ist gleich-
zeitig Mitglied des EZB-Rates. Ist die Bundesregierung
der Meinung, dass dieser Sachverhalt sie überhaupt nicht
zu interessieren hat und er ihr deshalb relativ egal sein
kann?
S
Herr Kollege Kolbe, die Fragestunde bezieht sich
nicht darauf, was die Bundesregierung interessiert und
ob ihr Sachverhalte egal sind. Die verfassungsrechtliche
Grundlage der Fragestunde hat das Bundesverfassungs-
gericht dahin gehend präzisiert, dass es darum geht, Ih-
nen aus dem Verantwortungsbereich der Bundesregie-
rung Antworten zu geben, die Sie für die Bewertung von
politischen Sachverhalten oder für Ihre politische Arbeit
brauchen.
Ich glaube, dass die Frage, die sich auf einen zivil-
rechtlichen Vertrag zwischen einem griechischen Staats-
angehörigen und einer griechischen Bank bezieht, nicht
im Verantwortungsbereich der Bundesregierung liegt.
Daher bedaure ich, dass ich aus Sicht der Bundesregie-
rung keine Bewertung abgeben kann. Alle anderen Fra-
gen und Insinuationen, die Sie dargelegt haben, werden
nicht vom Fragerecht abgedeckt.
Trotzdem hat sich der Kollege Manfred Kolbe noch
einmal zu einer Nachfrage gemeldet.
Herr Staatssekretär, wir befinden uns nicht im Rah-men des reinen Zivilrechts. Immerhin ist der fraglichePräsident Mitglied des EZB-Rates. Auf die EZB solldemnächst auch die Bankenaufsicht – auch die Aufsichtüber deutsche Banken – übertragen werden. Ist die Bun-desregierung nach wie vor der Meinung, dass eine Ab-findung in Millionenhöhe keinerlei Auswirkungen aufdas Agieren einer solchen Person hat und dass ihr des-halb ohne Weiteres die Aufsicht über andere Banken inEuropa anvertraut werden kann?
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25582 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
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S
Herr Kollege Kolbe, ich habe Ihnen in meiner Ant-
wort auf Ihre Frage schon mitgeteilt, dass die Bundes-
regierung keine primären Erkenntnisse über das zivil-
rechtliche Geschäft hat, über das in der Presse berichtet
wurde. In meiner Antwort auf Ihre Nachfrage habe ich
darauf hingewiesen, dass wir in der Fragestunde Sach-
verhalte bewerten und dazu gern Auskunft geben, die in
den Verantwortungsbereich der Bundesregierung fallen.
Ich kann diese Presseberichte daher nicht weiter kom-
mentieren.
Ich will Ihnen aber sagen, dass die Bundesregierung
als Vertragspartner bei der Umsetzung der europäischen
Bankenunion sehr darauf achten wird, dass die Aufsicht
über die systemrelevanten Banken mit einem hohen Maß
an Kompetenz und orientiert an allgemein akzeptierten
Grundlagen ausgeübt wird. Wir legen darauf Wert, dass
das dafür erforderliche Personal – auch das Leitungsper-
sonal – tadellos handelt und fachlich kompetent ist. Das
möchte ich Ihnen hiermit ausdrücklich bestätigen.
Vielen Dank. – Wir sind immer noch im Geschäftsbe-
reich des Bundesministeriums der Finanzen.
Die Frage 23 des Kollegen Hans-Christian Ströbele,
die Fragen 24 und 25 der Kollegin Katrin Kunert, die
Fragen 26 und 27 der Kollegin Heidrun Bluhm, die Fra-
gen 28 und 29 des Kollegen Steffen Bockhahn, die Fra-
gen 30 und 31 des Kollegen Dr. Axel Troost sowie die
Frage 32 der Kollegin Dr. Dagmar Enkelmann werden
schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 33 unserer Kollegin Cornelia
Behm:
Zu welchen Ergebnissen ist die Arbeitsgruppe SBZ-Ent-
eignungen im Bundesministerium der Finanzen gekommen,
die entsprechend dem Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU
und FDP prüfen sollte, ob es im Hinblick auf die Enteignun-
gen in der SBZ von 1945 bis 1949 noch Möglichkeiten gibt,
Grundstücke, die sich im Eigentum der öffentlichen Hand be-
finden, den Betroffenen zum bevorzugten Erwerb anzubieten,
und welche diesbezüglichen Umsetzungspläne verfolgt die
Bundesregierung ?
Die Antwort gibt der Parlamentarische Staatssekretär.
S
Sehr geehrte Frau Kollegin Behm, Sie haben nach
dem Sachstand der Arbeitsgruppe SBZ-Enteignungen
gefragt. Ich möchte Ihnen antworten, dass die Arbeits-
gruppe laut Koalitionsvertrag im Hinblick auf die Ent-
eignungen der SBZ von 1945 bis 1949 prüfen soll, ob es
noch Möglichkeiten gibt, Grundstücke, die sich im
Eigentum der öffentlichen Hand befinden, den Betroffe-
nen zum bevorzugten Erwerb anzubieten.
Diese Arbeitsgruppe hat ihre Arbeit im Januar 2010
aufgenommen. Nachdem sie zunächst nur auf der Ebene
unseres Hauses, also des Bundesministeriums der Finan-
zen, getagt hat, wurden in der Folgezeit alle betroffenen
Ressorts der Bundesregierung eingebunden. Hierzu ge-
hören das Bundesministerium für Ernährung, Landwirt-
schaft und Verbraucherschutz, das Bundesministerium
des Inneren, vertreten durch den Stab Aufbau Ost, das
Bundesministerium der Justiz, das Bundesministerium
der Verteidigung, das Bundesministerium für Wirtschaft
und Technologie sowie das Bundeskanzleramt. Die Ar-
beitsgruppe hat zwischenzeitlich einen Redaktionsent-
wurf ihres Arbeitsberichts verfasst. Der Abstimmungs-
prozess ist noch nicht abgeschlossen. Entscheidungen,
die ich Ihnen darüber hinaus mitteilen könnte, wurden
noch nicht getroffen.
Sie haben eine Nachfrage?
Wenn ich Ihnen so zuhöre, denke ich mir, dass es
wahrscheinlich keinen Sinn hat, nachzufragen, was das
Ergebnis dieser Prüfung ist. Deswegen frage ich: Wann
legen Sie das Ergebnis offen? Es verwundert doch au-
ßerordentlich, dass trotz stattfindender Prüfung weiter-
hin Flächen, die sich in öffentlicher Hand befinden, ver-
äußert werden. Wie passt das zusammen? Meine Frage
lautet also: Wird es jetzt zeitnah eine Offenlegung des
Ergebnisses der Prüfung geben, und wann wird geklärt
werden, wie damit umgegangen wird?
S
Sehr geehrte Frau Kollegin Behm, ich kann Ihre
Nachfrage menschlich wie politisch durchaus nachvoll-
ziehen, halte mich aber – auch wenn ich das sehr be-
daure – mit Einschätzungen, wann wir zu Ergebnissen
kommen, sehr zurück. Ich denke, dass das in dieser Le-
gislaturperiode zweifelsohne abgeschlossen wird. Aber
die Erörterungen sind nicht ganz trivial. Die Konflikte,
die Sie aus Ihrer parlamentarischen Tätigkeit ebenso
kennen wie viele andere Kolleginnen und Kollegen, sind
nicht ganz einfach zu lösen. Deswegen kann ich Ihnen
nur zusagen, dass die Bundesregierung, sobald sie sich
intern abgestimmt hat, Sie und die übrigen Mitglieder
des Deutschen Bundestages in angemessener Form un-
terrichten wird. Alle weiteren Beschlüsse, die dann mög-
licherweise auf einer von mir noch nicht abzusehenden
Berichtsgrundlage zu treffen sind, wird die Bundesregie-
rung sowieso mit dem Parlament abstimmen.
Ihre weitere Nachfrage.
Es wäre sehr sinnvoll, wenn die Offenlegung der Er-gebnisse möglichst zeitnah erfolgt, damit Schlussfolge-rungen gezogen werden können. Andernfalls ist dieBundesregierung nicht in der Lage, den Koalitionsver-trag in diesem Punkt einzuhalten. Sie wird wahrschein-lich nicht die Gelegenheit haben, es in der nächsten Le-gislaturperiode zu tun. Aber ich will mich in dieserFrage nicht festbeißen. Warten wir ab, was Sie liefernwerden.Ich habe noch eine andere Frage. Ich würde gernewissen, aus welchem Grund die Bundesregierung beim
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25583
Cornelia Behm
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begünstigten Erwerb von BVVG-Agrarflächen bis heutedaran festhält, dass Alteigentümer, die bereits als Päch-ter Flächen begünstigt erworben haben, sei es auch nur1 Hektar, ihre Ausgleichsleistung, die ihnen als Altei-gentümer zusteht, nicht mehr für den begünstigten Er-werb von BVVG-Flächen einsetzen können? Sieht dieBundesregierung darin keine Benachteiligung dieserAlteigentümer? Widerspricht dieses Kumulationsverbotnicht dem Geist des EALG? Dies frage ich auch vor demHintergrund des Koalitionsvertrages, in dem Sie dieserPersonengruppe Verbesserungen zugesagt haben.S
Frau Kollegin Behm, dass Sie uns im ersten Teils Ih-
rer Frage auffordern, den Koalitionsvertrag an dieser
Stelle einzuhalten, zeigt, dass dieses Vorhaben auch von
der Opposition unterstützt wird. Dafür möchte ich mich
bedanken. Ich möchte Ihnen aber in dem Punkt wider-
sprechen, dass Sie erwarten, dass diese erfolgreiche
Koalition in der nächsten Legislaturperiode nicht weiter-
arbeiten wird. Ihre Erwartung werden wir durch ein gu-
tes Wahlergebnis unsererseits enttäuschen.
Zuletzt würde ich Sie darum bitten, mir Dispens zu
erteilen, da sich Ihre Nachfrage sicherlich nicht auf den
Sachverhalt bezieht, den Sie mit der eingereichten Frage
angesprochen haben. Auf diese Sachverhalte, die eine
Rechtsauslegung des Entschädigungs- und Ausgleichs-
leistungsgesetzes betreffen, würde ich gerne schriftlich
eingehen. Ich glaube, das ist entsprechend der Regeln
hier durchaus möglich.
Dispens erteilt.
Die Frau Kollegin freut sich auf Post.
Die Fragen 34 und 35 der Kollegin Barbara Höll wer-
den schriftlich beantwortet.
Damit schließen wir den Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Finanzen ab. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Arbeit und Soziales. Hier steht zur Be-
antwortung der Parlamentarische Staatssekretär Dr. Ralf
Brauksiepe zur Verfügung.
Die Fragen 36 und 37 der Kollegin Beate Walter-
Rosenheimer sowie die Frage 38 des Kollegen Volker
Beck werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 39, die von unserer Kollegin
Frau Britta Haßelmann gestellt wurde:
Inwiefern ist die Bundesagentur für Arbeit beauftragt, wie
stimmte alternative Konstellationen vorzunehmen, um deren
finanzielle Auswirkungen abzuschätzen, und kann nach An-
sicht der Bundesregierung auch der Bundesgesetzgeber solche
Berechnungen in Auftrag geben?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin
Haßelmann, ich antworte Ihnen wie folgt: Die Bundes-
agentur für Arbeit ist Träger der Grundsicherung für Ar-
beitsuchende. In ihrer fachlichen Verantwortung liegt
insbesondere die Erbringung des Arbeitslosengeldes II
durch die gemeinsamen Einrichtungen. In dieser Funk-
tion kann sie sich zu Entwicklungen und Prognosen äu-
ßern. Die Befassung mit den Folgen von Veränderungen
der Regelsatzhöhe spiegelt die Verantwortung der Bun-
desagentur für Arbeit für einen wirtschaftlichen Umgang
mit den Mitteln des Bundes wider. Einen konkreten Auf-
trag, Modellrechnungen in dieser Angelegenheit durch-
zuführen, haben weder der Gesetzgeber noch die Bun-
desregierung erteilt. Grundsätzlich wären beide dazu
berechtigt.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Es ist ja sehr schön,
Herr Staatssekretär, dass Sie mich über die Rechte auf-
klären; ich hatte mir schon gedacht, dass es in unserer
und Ihrer Kompetenz liegt, die BA dazu aufzufordern.
Mich würde interessieren, ob die Bundesregierung es
für angemessen hält, dass sich die BA in tagespolitische
Diskussionen einmischt und sich ausgerechnet an dem
Tag, an dem die Beratungen zum Haushalt des Arbeits-
und Sozialministeriums und die Kommentierung von
Parteitagsbeschlüssen, zum Beispiel des Bündnisses 90/
Die Grünen, im Mittelpunkt standen, veranlasst sieht, of-
fensiv Pressearbeit zu machen.
D
Frau Kollegin, ich habe Ihre Frage so beantwortet,wie Sie sie gestellt haben.
– Sie haben die Frage gestellt, ob auch der Bundesge-setzgeber solche Berechnungen in Auftrag geben kann.Ich bin davon ausgegangen, dass diese Frage ernst ge-meint war, und habe sie von daher auch entsprechendernsthaft beantwortet.Frau Kollegin, ich weiß nicht, inwieweit es sich hier-bei um eine tagespolitische Frage handelt und was Siedarunter verstehen. Ich kann Ihnen nur sagen: Über dieAngemessenheit öffentlicher Äußerungen entscheidetdie Bundesagentur für Arbeit in eigener Zuständigkeit.Die Notwendigkeit eines aufsichtlichen Eingreifensdurch das Bundesministerium für Arbeit und Sozialeswird in diesem Zusammenhang nicht gesehen.
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25584 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
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Bitte schön. Ich hätte Sie jetzt gefragt, ob Sie das
möchten.
Genau. – Auf welcher Faktenlage und auf welchem
Zahlenmaterial beruhen die Angaben von Herrn Alt, der
sich in der Presse geäußert hat, und inwiefern sind diese
Zahlen mit den Zahlen abgeglichen, mit denen Sie, Herr
Brauksiepe, und Herr Fuchtel als Staatssekretäre und die
Bundesministerin arbeiten?
D
Frau Kollegin, die Ermittlung dieser Zahlen ist von
der Bundesagentur für Arbeit beim Institut für Arbeits-
markt- und Berufsforschung in Auftrag gegeben worden.
Dazu ist das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfor-
schung auch in der Lage; dafür ist es da. Es hat ein ent-
sprechendes Mikrosimulationsmodell erstellt und auf
Basis dieses Modells Schätzungen durchgeführt. Dieses
Modell berechnet für eine Stichprobe von Haushalten,
das sogenannte Sozio-oekonomische Panel, Steuern und
Abgaben sowie Ansprüche auf die wichtigsten Sozial-
leistungen.
Die Ermittlung der Zahlen ist, wie gesagt, von der BA
in Auftrag gegeben worden. Das sind die Zahlen, die da-
bei herausgekommen sind. Die Bundesregierung hat kei-
nen Anlass, an der Plausibilität dieser Berechnungen zu
zweifeln; nur darum geht es ja. Es geht nicht darum, et-
was exakt zu beweisen, sondern es handelt sich um Mo-
dellrechnungen bzw. Simulationen, die, wenn ihre Er-
gebnisse sinnvoll sein sollen, auf plausiblen Annahmen
beruhen müssen. Die Bundesregierung sieht keinen An-
lass, an der Plausibilität der entsprechenden Berechnun-
gen zu zweifeln.
Frau Haßelmann, Sie können keine dritte Nachfrage
stellen.
– Sie müssen dem Staatssekretär überlassen, wie er ant-
wortet.
Herr Kurth hat eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär, Sie haben gesagt, die Bundes-
agentur für Arbeit könne solche Äußerungen in eigener
Verantwortung treffen und entsprechende Berechnungen
in eigener Verantwortung durchführen. Nun haben sich
diese Berechnungen ja eindeutig auf einen Beschluss des
Parteitags von Bündnis 90/Die Grünen bezogen. In die
Berechnungen sind allerdings nicht die Parameter einge-
flossen, die dem Parteitagsbeschluss zugrunde gelegen
haben. Überdies waren die Äußerungen vonseiten der
BA mit politisch wertenden Aussagen verbunden. So hat
das Vorstandsmitglied der Bundesagentur für Arbeit
Heinrich Alt gesagt, dass Hartz IV nicht zum Lebensmo-
dell werden und Deutschland kein Volk von Transfer-
empfängern werden darf.
Halten Sie es für angemessen, dass die BA solche
wertenden politischen Äußerungen trifft, und, falls ja,
sind Sie dann damit einverstanden, wenn Vorstandsmit-
glieder der Bundesagentur etwa nach dem jetzt kommen-
den CDU-Parteitag über Ihre politischen Ergebnisse in
ähnlicher Weise einseitig, selektiv, berechnend und wer-
tend urteilen?
D
Zum ersten Teil der Frage: Ja.
Des Weiteren kann ich nur wiederholen: Es gehört
zum Verantwortungsbereich der Bundesagentur für Ar-
beit, auf einen wirtschaftlichen Umgang mit den Mitteln
des Bundes hinzuwirken. Die Plausibilität der vorge-
nommenen Berechnungen ist aus Sicht der Bundesregie-
rung nicht zu bestreiten. Das kann ich von daher nur
wiederholen.
Dann kommen wir zur Frage 40 des Abgeordneten
Markus Kurth:
Wie sind nach Ansicht der Bundesregierung die Äußerun-
gen des Vorstandsmitglieds der Bundesagentur für Arbeit,
BA, Heinrich Alt zu den Folgen einer Regelsatzerhöhung auf
Neutralität und Unabhängigkeit, das die BA immer wieder be-
tont, zu bewerten?
Herr Staatssekretär.
D
Vielen Dank. – Herr Kollege Kurth, Sie beziehen sich
in Ihrer Frage auf den gleichen Sachverhalt. Deswegen
werden Ihnen Teile der Antwort vermutlich bekannt vor-
kommen. Denn ich antworte Ihnen wie folgt: Die Bun-
desagentur für Arbeit ist Träger der Grundsicherung für
Arbeitsuchende. In ihrer fachlichen Verantwortung liegt
insbesondere die Erbringung des Arbeitslosengeldes II
durch die gemeinsamen Einrichtungen. In dieser Funk-
tion kann sie sich über Entwicklungen und Prognosen
äußern. Die Befassung mit den Folgen von Veränderun-
gen der Regelsatzhöhe spiegelt die Verantwortung der
Bundesagentur für Arbeit für einen wirtschaftlichen Um-
gang mit den Mitteln des Bundes wider.
Herr Kurth, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25585
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(B)
Der Kern der Frage 40 war, wie diese Äußerung vor
dem Hintergrund des Gebotes der Neutralität und Unab-
hängigkeit der BA, das die BA selbst immer betont, zu
bewerten ist. Ich will Sie in diesem Zusammenhang von
einem Schreiben von Heinrich Alt in Kenntnis setzen.
Ich hatte ihn im Oktober gebeten, uns bezüglich des Ver-
fahrens der Anrechnung von Einkommen Modellrech-
nungen zur Verfügung zu stellen und unsere parlamenta-
rische Arbeit zu unterstützen. Herr Alt hat mir am
16. November, also vor gar nicht langer Zeit und nur we-
nige Tage vor seinen Äußerungen, geantwortet – ich zi-
tiere –:
Solche Modellrechnungen gehen über den Auftrag
und die Rolle einer amtlichen Statistik hinaus. Um
ihrer Verantwortung gerecht zu werden, muss die
BA die Gebote der Neutralität und Unabhängigkeit
beachten.
Wie bewerten Sie vor dem Hintergrund dessen, was
Sie ausgeführt haben, und vor dem Hintergrund, dass Sie
meiner Kollegin Haßelmann mitgeteilt haben, auch der
Bundesgesetzgeber könne Aufträge erteilen, diese Ant-
wort von Herrn Alt?
D
Herr Kollege Kurth, ich kann nur meine Auffassung
wiederholen, dass die Vorlage plausibler Simulations-
rechnungen keinerlei Verstoß gegen das Neutralitätsge-
bot beinhaltet. Ich bin der Meinung, dass man die Bun-
desagentur für Arbeit nicht für die Beschlüsse irgendeiner
Partei verantwortlich machen kann. Man kann ihr darum
auch nicht die Schuld für diese Beschlüsse zuschieben
und kann nicht den Vorwurf erheben, dass sie zu einem
bestimmten Thema plausible Simulationsrechnungen
vorlegt.
Ich möchte betonen, dass die Simulationsrechnungen,
die in diesem Zusammenhang vorgelegt worden sind, al-
ternativ von einer Erhöhung des Regelsatzes auf
432 Euro und 482 Euro ausgehen; das ist nie bestritten
worden. Weder die eine noch die andere Zahl entspricht
exakt der Beschlusslage irgendeiner Partei; aber es geht
in die Richtung. Von daher sind plausible Simulationser-
gebnisse in diesem Zusammenhang durchaus von Rele-
vanz.
Herr Kurth, Sie haben noch eine Nachfrage. Bitte
schön.
Halten Sie es für einen Zufall, dass diese Zahlen in-
klusive der einseitigen politischen Wertung durch Herrn
Alt drei Tage nach Abschluss des Bundesparteitags von
Bündnis 90/Die Grünen öffentlich geworden sind und
just an dem Tage medienwirksam wurden, an dem der
entsprechende Etat im Bundestag beraten wurde?
D
Nein. Ich sage nur noch einmal: Es geht nicht um Ein-
seitigkeit. Wenn eine Modellrechnung durchgeführt wird
auf der Basis eines Regelsatzes, der ziemlich genau auf
der Höhe liegt, die von einer Partei angestrebt wird, und
sich dabei plausibel Mehrkosten in Höhe von ungefähr
7,4 Milliarden Euro ergeben, dann ist das zunächst ein-
mal eine Feststellung. Wenn Sie sagen: „Das ist aus un-
serer Sicht nicht viel Geld“, dann ist das Ihre politische
Bewertung.
Herr Alt hat diese Zahl nicht in irgendeiner Form be-
wertet, sondern er hat eine plausible Simulationsrech-
nung erstellen lassen und die Ergebnisse vorgetragen.
Die Bewertung obliegt Ihnen.
Frau Haßelmann hat eine Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Brauksiepe, Sie
nehmen in Ihren Stellungnahmen dauernd Bezug darauf,
wie wichtig diese Modellberechnungen des IAB für Sie
sind. Deshalb meine Frage: Beabsichtigen Sie, die Zah-
len, die Sie in den Haushaltsplanberatungen für das
BMAS und auch für das Bundesfinanzministerium zu-
grunde gelegt haben, jetzt zu korrigieren? Ihre Zahlen
stimmen ja nicht mit den Zahlen des IAB überein.
D
Frau Kollegin, ich wage mich nicht – zumal in Anwe-senheit des Staatssekretärs beim Bundesminister der Fi-nanzen – in das Aufgabengebiet des Bundesfinanzminis-teriums. Soweit ich die Dinge im haushaltspolitischenBereich kenne, werden für die Planungen der Bundesre-gierung im Haushalt entsprechende Ansätze gebildet.Mir ist nicht bekannt, dass für jeden Parteitagsbeschlussirgendeiner Partei
der Bundesfinanzminister oder eine andere Institutiondann eine finanzielle Modellrechnung vorlegt.Ich sage noch einmal: Wir haben diese Modellrech-nung nicht in Auftrag gegeben. Die Bundesagentur fürArbeit hat sie in Auftrag gegeben, offensichtlich aus ge-gebenem Anlass. Soweit mir das bekannt ist, haben dieGrünen bei dem, was sie auf ihrem Parteitag beschlossenhaben, nur Mehraufwendungen berücksichtigt, die beidenen anfallen, die tatsächlich schon im Leistungsbezugsind. Wenn Sie – im Gegensatz zu den plausiblen An-nahmen des IAB – nicht berücksichtigen wollen, dasszusätzliche Menschen in den Leistungsbezug kommen,dass das Auswirkungen auf das SGB XII hat, dass dasAuswirkungen auf das Einkommensteueraufkommenhat, dann ist das Ihr gutes Recht. Es ist aber auch dasgute Recht der BA, beim IAB eine Studie in Auftrag zugeben, in der all diese plausiblen Annahmen zugrundegelegt werden.
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25586 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
(C)
(B)
Jetzt kommen wir zur Frage 41 des Kollegen Markus
Kurth:
Ist es richtig, wie die Mitteldeutsche Zeitung am 22. No-
vember 2012 berichtet, dass die Bundesregierung „den Ent-
wurf des vierten Armuts- und Reichtumsberichts der Bundes-
regierung auf Betreiben der FDP deutlich geglättet“ habe, und
welche Änderungen wurden konkret vorgenommen?
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Kurth,
ich antworte Ihnen wie folgt: Der Armuts- und Reich-
tumsbericht ist ein Bericht der Bundesregierung, zu dem
alle Ressorts aus ihrem Zuständigkeitsbereich Beiträge
erstellen. Der Gesamtentwurf ist nach der Gemeinsamen
Geschäftsordnung innerhalb der Bundesregierung abzu-
stimmen. Derzeit erhalten Verbände und Wissenschaftler
Gelegenheit zur Stellungnahme. Bis zur Vorlage der im
Ressortkreis konsentierten Kabinettsfassung sind die
Abstimmungs- und Änderungsprozesse noch nicht abge-
schlossen.
Herr Kurth, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Wie bewertet die Bundesregierung erstens, dass im
vorliegenden Berichtsentwurf im Vergleich zu dem vom
September nicht mehr von einer allgemeinen angemes-
senen Lohnuntergrenze die Rede ist?
Zweitens. Wie bewertet die Bundesregierung, dass
nicht mehr davon die Rede ist, dass Wirkungen des Be-
treuungsgeldes auf die Erwerbstätigkeit von Frauen
überprüft werden müssen, und ebenso etwa der Hinweis
fehlt, dass eine nachhaltige Finanzierungsbasis öffentli-
cher Aufgaben auch durch Vermögende geschaffen wer-
den kann?
D
Herr Kollege Kurth, ich habe Sie darauf hingewiesen
– unabhängig davon, dass ich davon ausgehe, dass Ihnen
das bekannt ist –, dass der vierte Armuts- und Reich-
tumsbericht in der Ressortabstimmung ist und dass zur-
zeit Verbände und Wissenschaftler Gelegenheit zur Stel-
lungnahme erhalten.
Die Bundesregierung hat nicht die Absicht, den jetzi-
gen Berichtsentwurf, der ja immer noch eine Entwurfs-
fassung ist und jetzt mit der Bitte um Stellungnahme an
die entsprechenden Institutionen versandt worden ist, zu
vergleichen mit einer früheren Entwurfsfassung, die es
gegeben hat. Es ist ganz selbstverständlich, dass ein sol-
cher Prozess innerhalb der Bundesregierung eine ge-
wisse Zeit in Anspruch nimmt.
Maßgeblich für die Position der Bundesregierung
wird am Ende nicht das sein, was in irgendeiner
Entwurfsfassung stand, sondern das, was im Armuts-
und Reichtumsbericht selbst steht. Ich kann Ihnen versi-
chern – – Nein, versichern kann ich es Ihnen nicht, weil
wir noch über einen Entwurf reden; aber ich kann Ihnen
sagen: Ich gehe davon aus, dass das Thema „freiwilliges
Engagement Vermögender“ auch in der Endfassung des
Armuts- und Reichtumsberichts eine Rolle spielen wird.
So ist es auch in früheren Entwurfsfassungen gewesen.
Änderungen an dem Entwurf sind an vielen Stellen
vorgesehen, was in diesem Zusammenhang ein völlig
übliches Verfahren ist.
Herr Kurth, Sie haben eine zweite Nachfrage. Bitte
schön.
Was sind die Gründe für die neuerliche Verschiebung
der endgültigen Befassung des Kabinetts mit dem Ar-
muts- und Reichtumsbericht? Ursprünglich sollte das bis
Ende des Jahres geschehen. Wie kommt es, dass diese
Verschiebung heute vom Bundeswirtschaftsministerium
bekannt gegeben wurde, obwohl doch das Bundesminis-
terium für Arbeit und Soziales federführend ist?
D
Der Grund für die Verschiebung ist, dass die Ressort-
abstimmung noch nicht abgeschlossen ist. Ich bin nicht
befugt, für das Bundeswirtschaftsministerium zu spre-
chen; der verehrte Staatssekretär Peter Hintze ist ja an-
wesend.
Das Wichtige ist: Die Ressortabstimmung ist noch
nicht abgeschlossen. Solange sie noch nicht abgeschlos-
sen ist, gibt es diesen Bericht eben nicht. Er wird Ihnen
aber in absehbarer Zeit vorliegen, und es wird dann ge-
nügend Gelegenheit geben, ihn zu diskutieren, Herr Kol-
lege.
Eine Nachfrage der Kollegin Haßelmann.
Herr Brauksiepe, nach Ihren Ausführungen kann manalso davon ausgehen, dass die Pressemeldungen vomheutigen Tag richtig sind, und zwar dahin gehend, dasszwischen dem Arbeits- und Sozialministerium und demWirtschaftsministerium große Konflikte in Bezug aufdie Einschätzung der Armuts- und Reichtumssituation inDeutschland bestehen, deren Entwicklung ja dramatischist. Von einer Glättung des Berichtes ist ja schon dieRede gewesen.Meine Frage: Trifft es zu, dass dieser Bericht wirklicherst im nächsten Jahr im Kabinett vorliegen und somitauch erst im nächsten Jahr parlamentarisch beraten wer-den soll?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25587
(C)
(B)
D
Frau Kollegin Haßelmann, ich bitte um Verständnis
dafür, dass mir nicht jede Pressemitteilung vom heutigen
Tage bekannt ist, die ich nicht selbst verfasst habe.
Ich kann Ihnen nur noch einmal zusichern, dass der
Bericht in Kürze vom Kabinett beschlossen werden soll
und Sie genügend Gelegenheit bekommen werden, sich
damit dann auch parlamentarisch auseinanderzusetzen.
Die Fragen 42 und 43 des Abgeordneten Josip
Juratovic werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 44 des Abgeordneten Dr. Ilja
Seifert:
Welche Rolle spielten Aktivitäten und Fragen zur Umset-
zung der UN-Behindertenrechtskonvention bei den Deutsch-
Russischen Regierungskonsultationen sowie beim Petersbur-
ger Dialog im November 2012 in Moskau, und in welcher
Weise waren Menschen mit Behinderungen und deren Organi-
sationen an diesen Ereignissen beteiligt?
D
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Kollege
Seifert, ich antworte Ihnen wie folgt: Die Behinderten-
politik und die Umsetzung der UN-Behindertenrechts-
konvention sind grundsätzliche Anliegen in der bilatera-
len Zusammenarbeit des Bundesministeriums für Arbeit
und Soziales mit Russland.
Russland hat am 25. September 2012 die UN-Behin-
dertenrechtskonvention ratifiziert und ist an einem Aus-
tausch über Erfahrungen zur Umsetzung der Konvention
interessiert. Deshalb wurde dieses Thema bereits im
Rahmen eines bilateralen arbeitsmarkt- und sozialpoliti-
schen Austausches auf Staatssekretärsebene im Juli 2011
aufgegriffen.
Am 16. November 2012 fanden in Moskau die
14. Deutsch-Russischen Regierungskonsultationen statt.
Dabei wurde zwischen dem russischen Ministerium für
Arbeit und Sozialschutz und dem Bundesministerium für
Arbeit und Soziales vereinbart, ein sogenanntes MoU,
ein Memorandum of Understanding, über die Zusam-
menarbeit zwischen beiden Ministerien zu erarbeiten,
das auch Fragen bezüglich der Umsetzung der UN-Be-
hindertenrechtskonvention behandeln soll. Da es sich
hierbei um Regierungskonsultationen handelte, waren
Verbände behinderter Menschen nicht beteiligt.
Der Petersburger Dialog dagegen ist kein Regierungs-,
sondern ein offenes Diskussionsforum, das die Verstän-
digung zwischen den Zivilgesellschaften beider Länder
fördern soll. Es steht unter der Schirmherrschaft der je-
weils amtierenden deutschen Bundeskanzlerin bzw. des
jeweils amtierenden deutschen Bundeskanzlers und des
jeweils amtierenden russischen Präsidenten bzw. der je-
weils amtierenden russischen Präsidentin und findet in
der Regel einmal jährlich abwechselnd in Deutschland
und in Russland statt.
Der Petersburger Dialog ist als bilaterale Tagung an-
gelegt, die sich gesellschaftlichen Zeitfragen und Fragen
der deutsch-russischen Beziehungen widmet. Teilneh-
mer sind Experten und Multiplikatoren aus allen Berei-
chen der Gesellschaften Deutschlands und Russlands.
Der Petersburger Dialog wird von deutscher und von
russischer Seite durch einen paritätisch besetzten, unab-
hängigen Lenkungsausschuss koordiniert, der das Ge-
sprächsforum plant, thematisch vorbereitet und einberuft
sowie die Finanzen für seine Durchführung sichert.
Herr Seifert, Sie haben eine Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Vielen Dank, Herr
Staatssekretär, für die Antwort, der ich entnehme, dass
immerhin eine Vereinbarung getroffen wurde, dass wei-
terhin darüber geredet werden soll, wie die Konvention
umgesetzt wird. Aber in der Konvention selbst steht
– dazu haben sich Deutschland und Russland verpflich-
tet –, in allen Belangen, die Menschen mit Behinderun-
gen betreffen, diese Menschen und deren Organisationen
einzubeziehen.
Erstens eine Nachfrage in Bezug auf die Regierungs-
konsultationen: Wie wird das auf dieser Ebene gemacht?
Die zweite Nachfrage: Sie sprachen gerade davon,
dass der Petersburger Dialog ein sehr offener Gesprächs-
kreis ist, wenn auch sehr hoch angesiedelt. Wie wird die
Bundesregierung mit ihren Möglichkeiten darauf hinwir-
ken – immerhin ist auf deutscher Seite die Kanzlerin die
Chefin –, dass dieses Thema dort nicht nur immer wie-
der auf der Tagesordnung steht – es ist immerhin ein
Menschenrechtsthema –, sondern dass auch die Betroffe-
nen und ihre Organisationen in angemessener Weise ein-
bezogen werden?
D
Herr Kollege Seifert, Sie wissen, dass der Bundesre-gierung die Behindertenpolitik und insbesondere dasThema der Inklusion ein großes Anliegen ist und dasswir es breit diskutieren. Sie kennen den Nationalen Ak-tionsplan und alle damit zusammenhängenden Aktivitä-ten. Auch wir persönlich begegnen uns bei zahlreichensolcher Aktivitäten und Veranstaltungen.Ich kann nur wiederholen, dass bei deutsch-russi-schen Regierungskonsultationen wie bei allen Regie-rungskonsultationen, wie der Name schon sagt, Regie-rungen miteinander reden und nicht Verbände. Dabeihandelt es sich nicht um den Ausschluss von Verbändenfür Menschen mit Behinderungen, sondern Regierungs-konsultationen werden zwischen Regierungsmitgliederngeführt und nicht mit Verbänden. Das hat nichts mit derFrage zu tun, ob ein Verband ein Verband für Menschenmit Behinderungen ist oder eine andere Funktion hat.
Metadaten/Kopzeile:
25588 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Parl. Staatssekretär Dr. Ralf Brauksiepe
(C)
(B)
Ich will auch noch einmal betonen, da Sie von „Che-fin“ sprachen: Die Bundeskanzlerin ist Schirmherrin desPetersburger Dialoges. Das hat nichts mit dem Erteilenvon Befehlen, mit Befehl und Gehorsam sowie mit Che-fin bzw. Vorgesetzter und Nachgesetzter zu tun.
Sie ist die Schirmherrin. Ich wiederhole es gerne: Es gibteinen paritätisch besetzten, unabhängigen Lenkungsaus-schuss, der den Petersburger Dialog koordiniert, ihnplant, thematisch vorbereitet, einberuft und die Finanzenfür seine Durchführung sichert. Diesem unabhängigenLenkungsausschuss obliegen die Fragen, die Sie vermut-lich mit dem Begriff „Chefin“ umschreiben wollen.
Herr Seifert, Sie haben eine weitere Nachfrage. Bitte
schön.
Herr Staatssekretär, wenn ich die Presse richtig ver-
folge, dann sind, wenn auf Regierungsebene Gespräche
geführt werden, im Gefolge einer solchen Regierungsde-
legation immer auch Expertinnen und Experten, insbe-
sondere aus der Wirtschaft, dabei, die in Gegenwart der
Kanzlerin und der Ministerinnen und Minister verschie-
dene Verträge abschließen und auch anderes tun. Wieso
können in einer solchen Delegation nicht auch Mitglie-
der von Behindertenorganisationen als Berater oder Be-
raterinnen sein? Wieso müssen das immer Vertreter von
Wirtschaftsverbänden sein?
Was den unabhängigen Lenkungsausschuss angeht:
Ich finde es sehr gut, dass er unabhängig ist; das ist gar
nicht mein Problem. Ich hatte Sie danach gefragt, wel-
chen Einfluss Sie innerhalb dieses Lenkungsausschusses
darauf nehmen, dass das Thema der Umsetzung der UN-
Behindertenrechtskonvention auf die Tagesordnung ge-
setzt wird und dass es mit den entscheidenden Expertin-
nen und Experten in eigener Sache verhandelt wird. Ich
frage nicht, wie die Sache formal ist, sondern welchen
Einfluss Sie in der bescheidenen Weise, die der Bundes-
regierung nun mal zusteht, nehmen.
D
Herr Kollege Seifert, es ist richtig, dass anlässlich von
Regierungskonsultationen auch Abkommen unterzeich-
net werden. Es gibt aber nicht für bestimmte Verbände
sozusagen ein Privileg, im Rahmen von Regierungskon-
sultationen Abkommen unterzeichnen zu können. Ich
wiederhole: Die Konsultationen werden zwischen den
Regierungen geführt.
Dann, Herr Kollege Seifert, wenn ich in meinem be-
scheidenen Rahmen vertretungsweise an Regierungs-
konsultationen teilnehmen konnte, wurde ich von Vertre-
tern des BMAS und der jeweils dort ansässigen
deutschen Botschaft begleitet. Das ist das, was ich Ihnen
dazu sagen kann.
Regierungskonsultationen werden von Regierungs-
vertretern geführt. Der Lenkungsausschuss für den Pe-
tersburger Dialog ist unabhängig, und die Bundesregie-
rung arbeitet mit großer Entschlossenheit an der
Erfüllung der Pflichten, die sie auch durch die UN-Be-
hindertenrechtskonvention und den Nationalen Aktions-
plan eingegangen ist. Mit Verlaub, mein Eindruck ist: Im
Weltmaßstab – wir reden nämlich über eine Behinder-
tenrechtskonvention, die auf globaler Ebene existiert –
stehen wir als Bundesrepublik Deutschland nicht
schlecht da. Die Bundesregierung leistet dazu ihren Bei-
trag.
Damit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz.
Ich rufe die Frage 45 der Abgeordneten Cornelia
Behm auf:
Hat die Bundesregierung bereits bzw. bis wann wird sie
entsprechend der Bitte der Agrarministerkonferenz am
28. September 2012 in Schöntal zum Tagesordnungspunkt 39
„EEG und Biogas“ eine Studie in Auftrag geben, in der die
die Boden- und Pachtmärkte, die innersektoralen Wechselwir-
kungen sowie auf die Ernährungs- und Futtermittelindustrie
mit transparenten Indikatoren untersucht werden, und wann
ist mit der Vorlage der Ergebnisse zu rechnen bzw. ist sie ge-
plant?
Zur Beantwortung steht zur Verfügung der Parlamen-
tarische Staatssekretär Dr. Gerd Müller.
Dr
Frau Präsidentin, ich beantworte die Frage der Kolle-
gin Behm mit einem freudigen Ja.
Frau Behm, haben Sie eine Nachfrage?
Das begrüße ich erst einmal. – Ich würde gerne wis-
sen, ob die Bundesregierung unabhängig vom Inauftrag-
geben der Studie schon ein Zwischenfazit aus den zu Be-
ginn des Jahres 2012 in Kraft getretenen Änderungen bei
der EEG-Vergütung für Strom und Biogas ziehen kann,
insbesondere unter Berücksichtigung dieser Verwerfun-
gen oder Wirkungen auf Boden- und Pachtmärkte, auf
die intersektoralen Wechselwirkungen sowie auf die Er-
nährungs- und Futtermittelindustrie.
Dr
Diese Frage beantworte ich wie folgt: Das können wirsicherlich, aber nicht hier und nicht durch mich in dieserFragestunde.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25589
(C)
(B)
Frau Behm, Sie haben eine weitere Nachfrage.
Sehr gerne.
Bitte schön.
Danke schön. – Die Diskussion über die Auswirkun-
gen der Biogaserzeugung und des dafür erforderlichen
Energiepflanzenanbaus auf die Boden- und Pachtmärkte
und anderes wird seit Jahren geführt, auch auf der Basis
von Studien. Die Debatte wird auch sehr kontrovers ge-
führt. Welche Schlussfolgerungen hat die Bundesregie-
rung bisher aus diesen Studien gezogen? Wenn wir jetzt
eine weitere Studie in Auftrag gegeben haben, dann liegt
uns ein Konzert von Studien vor. Ich frage Sie: Ver-
spricht sich die Bundesregierung von dieser weiteren
Studie endlich Klarheit und eine klare Handlungsemp-
fehlung für die zukünftige Gestaltung der Förderung der
Biogaserzeugung?
Dr
Ja, das erwarten wir von dieser Studie. Deshalb haben
wir sie in Auftrag gegeben.
Frau Kollegin Behm, Sie hatten zwei Nachfragen.
Eine weitere können Sie nicht stellen.
Dr
In den nächsten Monaten.
Dann kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Verteidigung. Der Parlamentarische
Staatssekretär Christian Schmidt steht bereit zur Beant-
wortung der Fragen.
Wir kommen zur Frage 46 des Abgeordneten
Ströbele:
Bestätigt die Bundesregierung, dass rechtsextreme Äuße-
rungen und Aktivitäten von Uwe Mundlos, NSU, bereits im
Jahr 1994 während seines Wehrdienstes von Bundeswehr-
dienststellen festgestellt, an Behörden des Verfassungsschut-
zes übermittelt und vom Militärischen Abschirmdienst oder
vom Verfassungsschutz bei Uwe Mundlos nachgefragt wur-
Bundesregierung, dass sie meine schriftliche Frage 43 auf
Bundestagsdrucksache 17/10583 nach rechtsextremen Äuße-
rungen und Aktivitäten von Uwe Mundlos während oder vor
seinem Wehrdienst ab 1994 am 31. August 2012 somit un-
vollständig und falsch beantwortet hat?
C
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege, auf Ihre
Frage kann ich antworten, dass es zutrifft, dass Uwe
Mundlos, ein Mitglied der Terrororganisation NSU, be-
reits im Jahre 1994 in seiner Wehrdienstzeit durch
rechtsextreme Äußerungen und Aktivitäten aufgefallen
ist. Dies ist dem Militärischen Abschirmdienst durch
Vorgesetzte des Uwe Mundlos gemeldet worden.
Der MAD hat die operative Bearbeitung im Septem-
ber 1994 aufgenommen und Uwe Mundlos am 8. oder
9. März 1995 befragt. Dies ist dem 2. Untersuchungs-
ausschuss der 17. Wahlperiode, also dem NSU-Untersu-
chungsausschuss, im September dieses Jahres mitgeteilt
worden, nachdem im MAD-Amt die nicht mehr genutzte
Datei VERANDA, das heißt Verfahren zur Registrierung
und Auswertung nachrichtendienstlicher Daten, zu Uwe
Mundlos ausgewertet werden konnte.
Dieser VERANDA-Auszug vom 19. September war
bei der Antwort meines Kollegen Thomas Kossendey
auf Ihre Frage vom 31. August in der von Ihnen in dieser
Frage erwähnten Bundestagsdrucksache noch nicht be-
kannt. Gleichwohl war die Antwort vom 31. August die-
ses Jahres auch im Lichte des zu einem späteren Zeit-
punkt aufgefundenen VERANDA-Auszuges zu Uwe
Mundlos korrekt. Insbesondere ist in dieser Antwort
keine Aussage zur Anzahl von Befragungen des Uwe
Mundlos getroffen worden. Dessen ungeachtet lässt sich
– das ist jetzt der Stand, den wir haben – dem
VERANDA-Auszug vom 19. September lediglich eine
Befragung durch den MAD entnehmen.
Soweit in den von Ihnen zitierten Presseartikeln der
Eindruck mehrerer Befragungen durch den MAD er-
weckt wird, kann eine mehrfache Befragung aufgrund
der hiesigen Erkenntnisse jedenfalls nicht bestätigt wer-
den. Im Übrigen findet eine Bewertung von Zeugenaus-
sagen durch die Bundesregierung in einem laufenden
Strafverfahren, in dem wir uns insofern gegenwärtig be-
finden, als über die Eröffnung des Hauptverfahrens ent-
schieden wird, nicht statt.
Herr Ströbele, Sie haben eine Nachfrage. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, dann halte ich erst einmal fest,dass Sie einräumen, dass die Bundesregierung meineFrage unvollständig und damit unrichtig oder falsch be-antwortet hatte, weil sie auf die Frage nach den Aktivi-täten und Äußerungen rechtsextremer Art des HerrnMundlos lediglich die Befragung vom Frühjahr 1995mitgeteilt hat, in der es um etwas ganz anderes gegangenist, nämlich um rechtsextreme Gesänge innerhalb derKaserne, gemeinsam mit vier anderen Kameraden, dieim Zusammenhang mit der Befragung von HerrnMundlos auch befragt worden sind. Die sind ja gleich-zeitig befragt worden.
Metadaten/Kopzeile:
25590 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Hans-Christian Ströbele
(C)
(B)
Von den Ereignissen 1994, also ein Jahr vorher, warin der Antwort überhaupt keine Rede. Wie können Siedas denn erklären? Die Ereignisse 1994 waren doch sehrzahlreich. Damals ist Mundlos verhaftet und eine Nachtlang festgehalten worden, er ist nicht zum Dienst er-schienen, es wurde ein strafrechtliches Verfahren gegenihn durchgeführt, es ist sogar ein Strafbefehl erlassenworden und, und, und.C
Herr Kollege, Sie fragen mich nach MAD-Befragun-
gen, die, wie wir wissen, für Strafverfahren nicht in dem
Sinne herangezogen werden können, dass sie Teil eines
Strafverfahrens sind. Es gab eine nachrichtendienstliche
Aufklärung des MAD. Diese Befragung hat nach unse-
ren Unterlagen – das lässt sich nicht mehr ganz genau
anhand dieser wieder aktivierten VERANDA-Datei fest-
stellen – entweder am 8. oder 9. März 1995 stattgefun-
den. Insofern muss ich Ihre Unterstellungen zurückwei-
sen. Es handelt sich um den Vorgang, der den Zeitraum
des Grundwehrdienstes von Uwe Mundlos vom 1. April
1994 bis zum 31. März 1995 betrifft.
Es ist richtig: Er hat zu einer Gruppe von sechs Solda-
ten gehört, die durch gemeinsames Hören von Skinmu-
sik und teilweise mit rechtsextremistisch zu wertendem
Verhalten aufgefallen waren. In der Folge wurden sie
durch den Militärischen Abschirmdienst als Verdachts-
personen bearbeitet. Das ist die operative Bearbeitung,
die im September 1994 begonnen hatte und dann nach
unseren Unterlagen zu der Befragung im März 1995 ge-
führt hat. Jedenfalls sind mir im Augenblick keine weite-
ren Unterlagen über Befragungen zugänglich. Wenn ich
sie hätte, würde ich Ihnen aus diesen Unterlagen selbst-
verständlich Informationen geben.
Ich weise darauf hin, dass in etwa fünf Minuten die
Aktuelle Stunde beginnen wird.
Ich gebe dem Kollegen Ströbele das Wort zu einer
zweiten Nachfrage.
Ich muss leider darauf beharren: Meine Frage bezog
sich auf „Äußerungen“, also Mehrzahl, und „Aktivitä-
ten“, nicht „Aktivität“. Sie haben lediglich eine Aktivität
bzw. Äußerung, also das Singen rechtsextremer Skinmu-
sik, erwähnt, während Sie das, was ein Dreivierteljahr
vorher gewesen ist, überhaupt nicht erwähnt haben. Also
war es doch unvollständig.
Das war dann die Befragung, von der Sie reden: die
Befragung, bei der dieses andere Ereignis offenbar über-
haupt nicht erwähnt worden ist, wie Sie behaupten – das
von 1994 –, und bei der der MAD versucht hat, Herrn
Mundlos als Informanten zu gewinnen. Trifft das zu?
C
Lieber Kollege Ströbele, irgendwie sträube ich mich
etwas dagegen, dass wir uns auf der Ebene von Spitzfin-
digkeiten unterhalten. Das kennen wir beide von unse-
rem Niveau her nicht.
Ich will noch einmal sagen, dass der Kollege
Kossendey mitnichten nur von einem Vorfall oder von
der Skinmusik berichtet hat. Ich habe seine Antwort da:
„… teilweise mit rechtsextremistisch zu wertendem Ver-
halten …“ – „Verhalten“ kommt hier also im Singular
vor. Aber Verhalten misst sich üblicherweise an mehre-
ren Vorkommnissen, sodass sich hier die Subsumtion
möglicherweise ergeben soll.
Wenn ich dann noch Ihre geschätzte Information er-
halten sollte, worauf Ihr Vorwurf abzielt, dann werde ich
mich auch bemühen, Ihre Frage zu beantworten. Aber ir-
gendwie habe ich nicht den Punkt erreicht, dass ich Ih-
nen sagen müsste, mein Kollege Kossendey oder ich hät-
ten in irgendeiner Weise Informationen vorenthalten, die
dem Untersuchungsausschuss ja auch vorliegen. Sie wis-
sen, das ist den Umweg über die sächsischen Verfas-
sungsschutzunterlagen gegangen, sodass da wieder Un-
terlagen aufgetaucht sind. Soweit mir bekannt ist, hat
sich bereits der NSU-Ausschuss auch mit diesem Kom-
plex in der Befragung von Verantwortlichen des MAD
auseinandergesetzt.
Herr Ströbele, Sie hatten zwei Nachfragen. Dahermüssen Sie die Kommunikation anderswo fortsetzen.Die Frage 47 der Abgeordneten Katja Keul wirdschriftlich beantwortet.Die Frage 48 des Abgeordneten van Aken wird garnicht beantwortet, weil der Kollege nicht anwesend ist.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familien, Senioren, Frauen und Ju-gend.Die Fragen 49 und 50 der Abgeordneten MonikaLazar werden schriftlich beantwortet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Gesundheit. Zur Beantwortung derFragen steht die Parlamentarische StaatssekretärinUlrike Flach zur Verfügung.Die Frage 51 der Abgeordneten Dr. Martina Bungewird schriftlich beantwortet.Wir kommen zur Frage 52 des Abgeordneten Dr. IljaSeifert:Wie bewertet und berücksichtigt die Bundesregierung dieHinweise und Forderungen des Beauftragten der Bundes-regierung für die Belange behinderter Menschen, HubertHüppe, zum Entwurf der Bundesregierung zur Rechtsverord-nung zur Regelung der Präimplantationsdiagnostik, PID-Ver-ordnung, und in welcher Weise waren Menschen mit Behinde-rung und deren Organisationen an der Erarbeitung des
Frau Flach, bitte.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25591
(C)
(B)
U
Danke, Frau Präsidentin. – Lieber Kollege Dr. Seifert,
die Beteiligung von Verbänden und Fachkreisen, deren
Belange berührt sind, erfolgt im Rahmen der Erarbei-
tung der Rechtsverordnung auf der Grundlage des für die
Rechtsetzung vorgesehenen Verfahrens der Gemeinsa-
men Geschäftsordnung der Bundesministerien. Dies gilt
auch für die Beteiligung des Beauftragten der Bundes-
regierung für die Belange behinderter Menschen.
Der Referentenentwurf der Verordnung ist darüber hi-
naus entsprechend dieser GGO durch das federführende
Ressort in das Internet eingestellt worden. Damit wurde
der Öffentlichkeit die Möglichkeit eingeräumt, von dem
Verordnungsinhalt Kenntnis zu nehmen und dazu eine
Stellungnahme abzugeben. Insgesamt war es damit den
unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen, so auch
Verbänden behinderter Menschen, möglich, ihre Positio-
nen zu dem Verordnungsentwurf vorzutragen.
Bei der Erarbeitung des Regierungsentwurfs, den das
Kabinett in seiner Sitzung am 14. November 2012 be-
schlossen hat, ist den Bedenken des Beauftragten der
Bundesregierung für die Belange behinderter Menschen
insoweit Rechnung getragen worden, als dies rechtlich
möglich und Vorgaben nicht im Präimplantationsdia-
gnostikgesetz selbst begründet waren.
Herr Abgeordneter Seifert, Sie haben eine Nachfrage.
Bitte schön.
Frau Staatssekretärin, die Kritik des Behindertenbe-
auftragten war ja ziemlich deutlich und hatte zum Inhalt,
dass die jetzt vorliegende Verordnung wesentlich weiter
geht als das Gesetz, das der Bundestag beschlossen hat.
Meine Frage dazu war, wieweit Sie das nicht nur bewer-
ten, sondern auch berücksichtigen. In dem Zusammen-
hang möchte ich einfach die Frage stellen: Wie wichtig
sind der Bundesregierung die Funktion und die Aufga-
ben des Beauftragten der Bundesregierung für die Be-
lange behinderter Menschen? Spricht er im Namen der
Regierung, oder spricht er gegen die Regierung? Ich
kann das nicht so richtig erkennen.
U
Herr Kollege Dr. Seifert, wir können eine Verordnung
nur so abfassen, wie es das Parlament in seiner übergro-
ßen Mehrheit gewollt hat.
So haben wir es getan, und wir können nicht darüber hi-
nausgehen. Das haben wir auch nicht getan,
sondern wir haben uns ganz eng an die Vorgaben des
Präimplantationsdiagnostikgesetzes gehalten.
Der Behindertenbeauftragte hat eine sehr eigenstän-
dige Position; das wissen Sie. Er berät uns, aber er ist
nicht Teil der Bundesregierung in dem Sinne, dass er so-
zusagen zwangsläufig mit eingebunden wird wie ein
normales Ressort. Das, was er vorträgt und was wir als
für diese Verordnung gegeben erachten, haben wir
selbstverständlich berücksichtigt.
Herr Seifert, haben Sie eine weitere Nachfrage? –
Bitte schön.
Dazu kann ich jetzt nicht viel sagen. Offensichtlich ist
es aber so, dass die Meinungen darüber, was in dem Ge-
setz steht, sehr unterschiedlich sind. Wir wissen, Frau
Staatssekretärin, dass Sie und ich insoweit unterschiedli-
cher Meinung sind. Aber der Beauftragte sieht es offen-
sichtlich nicht so, dass alles das, was in dem Gesetz
steht, eingehalten worden ist; vielmehr meint er, dass
wesentlich darüber hinausgegangen worden ist. Ich rede
jetzt nicht von meiner Meinung, sondern von demjeni-
gen, der von Ihrer Regierung dazu beauftragt worden ist,
die Belange von behinderten Menschen wahrzunehmen.
Ich meine, dass man zumindest sein Wort etwas ernster
nehmen sollte als vielleicht das Wort eines kleinen Op-
positionsabgeordneten.
Frau Flach, möchten Sie antworten?
U
Frau Präsidentin! Wir berücksichtigen immer das,
was gegeben erscheint. In diesem Falle aber hat der Be-
hindertenbeauftragte von vornherein eine völlig gegen-
sätzliche Meinung zu dem, was das Parlament hier in
seiner großen Mehrheit beschlossen hat. Wir können uns
aber nur in diesem Rahmen bewegen, Herr Kollege
Seifert.
Es gibt noch eine Nachfrage der Kollegin Vogler.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin,
ist Ihnen bekannt und wie bewertet die Bundesregierung
es, dass es auch aus den Kreisen derjenigen Abgeordne-
ten, die damals den Gesetzentwurf zur Präimplantations-
diagnostik, der schlussendlich zu dieser Verordnung ge-
führt hat, eingebracht haben, erhebliche Kritik an dieser
Verordnung gibt und sie ihre gesetzgeberische Intention,
nämlich die PID für eine sehr begrenzte Zahl von Fällen
zu ermöglichen, in dieser Verordnung völlig falsch wie-
dergegeben sehen?
U
Frau Kollegin Vogler, auch Sie waren ja nicht derMeinung der Mehrheit dieses Parlaments. Sie können si-
Metadaten/Kopzeile:
25592 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Parl. Staatssekretärin Ulrike Flach
(C)
(B)
cher sein, dass wir dieser Mehrheit sehr klug gefolgtsind.Sie haben mich gefragt, ob ich Einwände aus demKreis derjenigen, die unseren Antrag mitgetragen haben,kenne. Mir ist ein Schreiben eines Kollegen aus IhrerFraktion bekannt. Dieses Schreiben ist an den Bundes-minister für Gesundheit gegangen und ist auch entspre-chend beantwortet worden.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe jetzt den Zusatzpunkt 1, Aktuelle Stunde,
auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Ökonomische und verfassungsrechtliche Aus-
wirkungen der Vermögensteuerpläne von SPD
und BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Ich gebe das Wort dem Kollegen Olav Gutting für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Steuereinnahmen in Deutschland werden im laufen-den Jahr die Rekordsumme von mehr als 600 MilliardenEuro überschreiten. In dieser Situation der Rekordein-nahmen auf Steuerseite fällt Rot-Grün nichts anderesein, als nach weiteren Steuererhöhungen zu rufen – alsda sind: die Erhöhung der Einkommensteuer um 7 Pro-zentpunkte, die Verdopplung der Erbschaftsteuer, dieAnhebung des Rentenversicherungsbeitrages auf 22 Pro-zent – zumindest von der SPD vorgeschlagen –, vieleweitere Abgabenerhöhungen und auch eine Vermögen-steuer oder, wie es bei den Grünen heißt, eine Vermö-gensabgabe.Wir sind seit Jahren erfolgreich dabei, den StandortDeutschland in der europäischen Krise wettbewerbsfä-hig zu halten. Ganz am Anfang dieser Bemühungen wa-ren ja auch Sie von der Opposition noch dabei. DieseRegierung, meine Damen und Herren, hat Deutschlandwieder zur Wachstumslokomotive in Europa gemacht.Die Beschäftigungsquote ist sensationell, die Sozialver-sicherungskassen sind prall gefüllt, und die Steuerquel-len sprudeln.
Und in dieser Situation wollen Sie mit einer Vermö-gensteuer oder mit einer Vermögensabgabe gerade un-sere renditeschwachen Mittelständler ganz hart treffen!Mit dieser Vermögensteuer kommt es zu einer offenenoder auch verdeckten Substanzbesteuerung von Be-triebsvermögen. Das Wirtschaftsforschungsinstitut ZEWin Mannheim hat ausgerechnet, dass die effektive steuer-liche Gesamtbelastung der Unternehmen durch IhrePläne um bis zu 19 Prozentpunkte steigt.
In dieser Situation fällt mir nur ein Spruch ein: Wenn esdem Esel zu wohl ist, geht er aufs Eis.
Vor wenigen Monaten hat die SPD-Troika den franzö-sischen Wahlkampf begleitet, hat ganz gespannt auf denWahlkampf der Sozialisten in Frankreich geschielt. Tat-sächlich hat ja François Hollande in Frankreich die Wah-len gewonnen, unter anderem mit der Forderung nacheinem Spitzensteuersatz von 75 Prozent. Nun, der Kat-zenjammer folgt auf dem Fuß. Jeder, der immer noch da-ran geglaubt hat, dass man mit diesen Rezepten aus dersozialistischen Mottenkiste Staat machen kann, derbraucht nur nach Frankreich zu blicken. Dort sieht man,wie die Grande Nation aktuell einen wirtschaftlichenNiedergang erlebt – und das wegen falscher Politik mitsolchen Maßnahmen wie massiven Erhöhungen derSteuern.
Ihr Plan ist es, möglichst hohe Steuern aus einer mög-lichst kleinen Gruppe herauszupressen. Aber damit,liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposition, un-tergraben Sie die Steuerbasis in diesem Land. Sie unter-graben die Steuerbasis der Gemeinschaft. Wenn Sie dasGefälle zwischen denjenigen, die Steuern bezahlen, unddenjenigen, die verschont werden, immer größer werdenlassen, setzen Sie zusätzliche Anreize, Steuern zu ver-meiden – legal und illegal. Das zu verhindern, dasmüsste doch eigentlich unser aller Ansatz sein.Schauen wir uns einmal an, wie oftmals mit legalenSteuervermeidungsstrategien multinationale Unterneh-men in Deutschland, in Europa Steuern vermeiden; Stich-wort „Facebook“, Stichwort „Amazon“ oder „Google“.Dem müssen wir doch einen Riegel vorschieben. Ge-winne, die in Deutschland, die in Europa gemacht wer-den, müssen auch hier versteuert werden.
Ich bin froh, dass Wolfgang Schäuble, unser Finanz-minister, beim letzten G-20-Gipfel in Mexiko hier end-lich die Initiative ergriffen und deutlich gemacht hat,dass es so nicht mehr weitergeht.Anstatt, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Op-position, diejenigen immer stärker abzukassieren, die esnoch in diesem Land hält und die in diesem Land regel-mäßig ehrlich ihre Steuern bezahlen, sollten Sie sichlieber zusammen mit uns darum kümmern, dass wirSteuerschlupflöcher schließen und dass wir aggressiveinternationale Steuervermeidungsstrategien verhindern;denn die prellen unseren Staat, die prellen unsere Ge-meinschaft.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25593
Olav Gutting
(C)
(B)
Das beste Beispiel ist das von Ihnen hier und im Bun-desrat abgelehnte Steuerabkommen mit der Schweiz.
Da hätten Sie die Möglichkeit gehabt, abgewandertesVermögen in der Schweiz regelmäßig zu besteuern;10 Milliarden Euro allein für die Vergangenheit. Wasmachen Sie? Aus parteitaktischen Gründen lehnen Siedas ab und schießen 10 Milliarden Euro in den Wind.Stattdessen wollen Sie die Steuern für die Ehrlichen hierin Deutschland noch erhöhen.
Eigentlich müsste man ja froh sein, dass Sie mit die-sen Plänen den Wählerinnen und Wählern in diesemLand Ihr wahres Gesicht zeigen. Aber leider ist es so,dass allein schon durch diese Pläne massive Verunsiche-rung entsteht, massive Verunsicherung auch mit Blickauf Investitionen.Man kann zu Ihren Steuerplänen nur sagen: Sie sindverfassungswidrig. Sie sind arbeitsplatzgefährdend. Sietreffen am Ende sogar die sozial Schwachen, zum Bei-spiel bei der Miete. Sie sind krisenverschärfend, und siesind deshalb unverantwortlich. Hören Sie damit auf!
Joachim Poß hat das Wort für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Ihre Rede, Herr Gutting, hat gezeigt, was das Hauptpro-blem von Schwarz-Gelb ist: Sie sind entweder unfähigoder unwillig, die Realitäten in unserem Land zu erken-nen.
Das ist offenkundig; denn die hinter unseren Vermögen-steuerplänen stehende gesellschaftliche Realität, die zu-nehmende soziale Spaltung in Deutschland, spielt fürSchwarz-Gelb keine Rolle. Nein, Sie verschärfen dieseSpaltung noch durch Ihre Politik.
Noch in dem Entwurf des Armuts- und Reichtumsbe-richts hat Ihre Regierung festgestellt, wie die Situationist. Dann manipulieren Sie einen solchen Bericht je nachpolitischem Bedarf. Die Realität wird dann durch Mani-pulation einfach ausgeklinkt.
Wie soll man denn auf einer solchen Grundlage zu einervernünftigen Politik kommen? GesellschaftspolitischeIgnoranz bleibt das Markenzeichen von Schwarz-Gelb.Deswegen versuche ich mal, Ihnen die Realität zu schil-dern. Bei der Entwicklung der Einkommen haben wirauf der einen Seite Reallohnverlust bzw. -stagnation fürMillionen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern inden letzten 15 Jahren und auf der anderen Seite die Ex-plosion von Managergehältern.
Auch die Vermögen unterliegen einer zunehmendenKonzentration. Die reichsten 10 Prozent halten 60 Pro-zent des privaten Gesamtvermögens. Über die sozialeSpaltung darf man nicht einfach hinweggehen, wennman dem Geist unserer Verfassung entsprechen will: Wirsind schließlich ein demokratischer und sozialer Rechts-staat. Also handeln Sie danach und beschäftigen Sie sichmit den Konsequenzen, die sich aus diesen Zahlen erge-ben!
Übrigens: Starke materielle Ungleichheit destabili-siert eine Gesellschaft. Nur Ideologen behaupten das Ge-genteil. Es gibt in Ihren Reihen Leute, die das Gegenteilbehaupten.
Starke materielle Ungleichheit ist auch ökonomischschädlich. Auch dazu gibt es interessante Studien. Dasheißt, das Ausmaß an sozialer Ignoranz und Realitäts-leugnung im konservativen Lager, mit Frau Merkel ander Spitze, ist erschreckend. Viele, auch in der soge-nannten ökonomischen Elite unseres Landes, verschlie-ßen einfach die Augen vor dem, was sich um sie herumabspielt.Da wird von Ihnen ein juristischer Popanz aufgebaut.Mit argumentativen Winkelzügen wird behauptet, einelaufende Vermögensteuer sei mit dem Grundgesetz nichtvereinbar. Dagegen spricht allein schon, dass es in derBundesrepublik Deutschland über Jahrzehnte eine Ver-mögensteuer gegeben hat.
Das Bundesverfassungsgericht hat 1995 diese Vermö-gensteuer nicht abgeschafft, sondern hat wegen der da-maligen ungleichen Bewertung von Geld- und Immobi-lienvermögen lediglich ihre Erhebung in der damaligenForm nicht mehr gestattet. Ihnen geht es hier einzig undallein darum, im Interesse der Privilegierten in dieserGesellschaft, von Milliardären und Multimillionären, zueiner Schonung von Vermögen zu kommen. Das ist Ihreigentliches gesellschaftspolitisches Ziel und nichts an-deres.
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25594 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Joachim Poß
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Hier wird von Ihnen außerdem immer die Betroffen-heit des Mittelstandes vorgeschoben.
Es wird so getan, als seien die Mittelschicht und der Mit-telstand in großer Weise betroffen. Sie bauen wie immerPappkameraden auf, weil Ihre ganze Politik von derFeindbildpflege abhängt. Darauf reduzieren Sie sich.
Das ist zu wenig, um ein Land wie die BundesrepublikDeutschland zu führen.Richtig ist, dass eine wieder erhobene Vermögen-steuer so ausgestaltet werden muss, dass betriebliche In-vestitionen und Beschäftigung nicht beeinträchtigt wer-den. Einen solchen Ansatz verfolgen wir. Sie machenaber etwas ganz anderes:
Ihre ökonomische Analyse ist unsachlich und demago-gisch. Nach Ihnen geht die Welt unter, wenn die Vermö-gensteuer wieder eingeführt wird.Im Übrigen habe ich den Eindruck, dass diese Ak-tuelle Stunde Teil einer Kampagne von Wirtschaftsver-bänden und einzelnen Medien mit dem Ziel ist, vorallem, wie ich es schon ausgedrückt habe, hohe undhöchste Privatvermögen zu schützen. Ein modernerStaat, der Schulden zurückführen will, der Zukunfts-investitionen realisieren will und der die Ungleichheitbekämpfen will, braucht aber eine angemessene finan-zielle Beteiligung von Spitzenverdienern und sehr hohenVermögen. Das müsste zumindest in der VolksparteiCDU/CSU verstanden werden.
Der Kollege Dr. Volker Wissing hat jetzt das Wort für
die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Erst hat die SPD die Vermögensteuer mit großem Tam-tam angekündigt, dann hat das rot-grüne Rheinland-Pfalz einen konkreten Vorschlag vorgelegt, und jetzt be-kommen Sie kalte Füße, weil Ihnen jeder vorrechnenkann, welchen Schaden Sie mit dieser Vermögensteuerin Deutschland anrichten würden.
Es ist doch klar, dass der Staat wenig von einer sol-chen Steuer hat. Der Erhebungsaufwand ist groß; dieSteuergewerkschaft warnt, dass mit dem bisherigen Per-sonalbestand eine solche Steuer gar nicht erhoben wer-den kann, ansonsten würde es zu massiven Ausfällen beider Einkommensteuer kommen. Das heißt: Bestenfallskönnen Sie mit diesen Steuereinnahmen mehr Personalfinanzieren, aber sonst gar nichts. Diese Steuer richtetgroßen Schaden an. Sie nützt niemandem, und zuletztnützt sie dem Sozialstaat.
In Wahrheit ist es so, dass die SPD-Parteilinke ihrenKanzlerkandidaten wie einen „Tanz-Peer“ an der Nasedurch die Arena geführt hat;
dann hat er gemerkt, dass das nicht zum Bild des Möch-tegern-Helmut-Schmidt passt, und plötzlich warnt er da-vor, beim Thema Steuern zu überziehen.
Sie haben diese Warnung von Peer Steinbrück nichtnur ignoriert; Sie haben auch ganz gehörig bei den Aus-gaben überzogen, indem Sie mal eben ein 30-Milliarden-Euro-Rentenkonzept beschlossen haben. Sie haben au-ßerdem mit Ihren Steuerforderungen gehörig überzogen.Ihre Vermögensteuer ist eine Substanzsteuer, die Un-ternehmen bei rückläufigen Gewinnen nur durch denAbbau von Arbeitsplätzen erwirtschaften können. Des-wegen ist sie unsozial; denn sie nimmt denen die sozialeSicherheit, die sie am dringendsten brauchen, nämlichden Beschäftigten, den Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmern. Wir werden Deutschland davor bewahren,dass Sie Hand an Arbeitsplätze anlegen.
Das Problem der Vermögensteuer als Substanzsteuerliegt darin, dass sie genau an dem Ast sägt, auf dem derSozialstaat sitzt. Wenn Sie private Vermögenssubstanzwegbesteuern, nimmt der Staat durch diese Steuer amEnde nämlich überhaupt nichts mehr ein.
Das soll jetzt nur nicht deutlich werden; im Wahlkampfwollen Sie in der Öffentlichkeit kein konkretes Steuer-modell diskutieren. Der SPD-Linken haben Sie die Ent-eignung von Privatvermögen versprochen,
und Peer Steinbrück darf so tun, als sei er ein guter On-kel, den der Mittelstand ruhig wählen kann. Das werdenwir Ihnen aber nicht durchgehen lassen, sondern wirwerden das aufdecken.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25595
Dr. Volker Wissing
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Was Rot-Grün wirklich will, das können Sie anhandder grünen Vermögensabgabe deutlich erkennen. Siewollen an Privatvermögen in Deutschland heran. Siewollen eben nicht, Herr Kollege Poß, an die Konzernver-mögen heran. Die sind bei den Grünen extra ausgenom-men.
Beteiligungsgesellschaften, Konzerne: keine Vermö-gensabgabe; private mittelständische Unternehmer: Ver-mögensabgabe. Das ist die Wahrheit. Sie täuschen dieÖffentlichkeit, indem Sie eine Verdrehung der Tatsachenhier an diesem Pult vortragen.
– Wissen Sie, der SPD kommt doch Ihre Vermögensab-gabe entgegen, weil danach das gesamte SPD-Parteiver-mögen verschont bleibt. Das ist doch die scheinheiligeStrategie dieser Sozialdemokraten: dem privaten Mittel-stand in die Tasche greifen und das eigene Parteivermö-gen von der Besteuerung ausnehmen!
Ihre Strategie geht nicht auf. Sie sind entlarvt.
Sie wollen den Mittelstand abkassieren, nicht Konzerneund Beteiligungsgesellschaften. Sie wollen den Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern den Inflationsaus-gleich durch Abbau der kalten Progression verweigern.Selbst die Anhebung des steuerfreien Existenzmini-mums, was verfassungsrechtlich geboten ist, verweigernSie den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Das SPD-Parteivermögen wollen Sie vor Steuernschützen. Im Grunde genommen planen Sie genau dasGleiche wie beim letzten Mal. Mit einer Vermögensteuerwerden Sie Ihre Mehrausgaben in Milliardenhöhe nichtfinanzieren können. Sie wollen sich das Geld von denenholen, von denen Sie es sich schon immer geholt haben,nämlich von den Beschäftigten, den Arbeitnehmerinnenund Arbeitnehmern und der arbeitenden Mitte inDeutschland.Wie das funktioniert, haben Sie schon einmal vorge-führt:
25 Milliarden Euro hat die SPD sich über die Mehrwert-steuererhöhung von der gesellschaftlichen Mitte geholt
und nur 500 Millionen Euro über die Reichensteuer. Siestellen die Vermögensteuer ins Schaufenster; finanzierenwollen Sie Ihre Ausgaben jedoch mit dem Geld der Ar-beitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das wollen Sie derÖffentlichkeit verschweigen. Deswegen ziehen Sie Ihrekonkreten Pläne zurück. Wir werden das transparent ma-chen und werden Sie an diesem Punkt stellen, liebe Kol-leginnen und Kollegen.
Mit der Verweigerung der Anhebung des Existenzmi-nimums und des Inflationsausgleichs für Beschäftigtehaben Sie bereits mit dieser unsozialen Politik begon-nen. Soziale Gerechtigkeit ist eben mehr als ein Verspre-chen höherer Sozialleistungen. Soziale Gerechtigkeitbesteht auch in einer gerechten Besteuerung der Leis-tungsträgerinnen und Leistungsträger dieser Gesell-schaft, der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Sieverweigern ihnen Gerechtigkeit.Sie wollen Vermögen besteuern, die SPD aber aus-nehmen. Ich sage Ihnen: Wenn Unvermögen besteuertwürde, dann müsste die SPD bezahlen.
Barbara Höll hat jetzt das Wort für die Fraktion Die
Linke.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Wissing, wer sich im Rahmen der Haushaltsbera-tungen einfach mal so bei der KfW und den Sozialkassenbedient, der sollte hier lieber schweigen.
Die Diskussion zu Vermögensteuer und Vermögens-abgabe wirft verschiedene Fragen auf. Erstens: Entspre-chen sie dem Grundgesetz? Das müssen wir uns als Ge-setzgeber immer fragen. Die klare Antwort lautet: Ja.Das brachte Professor Böckenförde bereits 1995 in sei-nem Minderheitenvotum zum Ausdruck. Inzwischengibt es viele entsprechende Gutachten.
Das ist geklärt: Sowohl eine Vermögensbesteuerung alsauch eine Vermögensabgabe sind verfassungskonform. –
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25596 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Dr. Barbara Höll
(C)
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Nebenbei gesagt: Wir haben bereits 1999 und 2001, da-mals als PDS, Anträge auf Wiedererhebung der Vermö-gensteuer gestellt. Damals haben dies alle abgelehnt. Ichbin froh, dass inzwischen drei Fraktionen die Positionvertreten, dass wir das machen können und müssen.
Zweitens: Ist es berechtigt? Ja. Die Ungleichvertei-lung von Einkommen und Vermögen hat seit 2000 mas-siv zugenommen. Es gibt dafür zwei Hauptgründe. Dereine Grund ist die Steuergesetzgebung, für die Rot-Grünverantwortlich war: Der Spitzensteuersatz wurde ge-senkt, der Körperschaftsteuersatz wurde gesenkt, dieSteuerfreiheit bei Veräußerungsgewinnen wurde einge-führt. Wenn man all das zusammenrechnet, sprich: wennwir heute die Steuergesetzgebung von 1999 hätten, dannhätten wir insgesamt mindestens 490 Milliarden Euromehr eingenommen. Der zweite Grund ist die Niedrig-lohnpolitik, die seit Rot-Grün massiv vorangetriebenwird; Sie haben sie fortgeführt. Wir haben Reallohnver-luste von 4 Prozent. Man muss sagen: Gerade die Men-schen, die schon im Niedriglohnsektor tätig sind, habennoch viel höhere Reallohnverluste zu verzeichnen, näm-lich bis zu 19 Prozent. Das Ergebnis dessen: eine wach-sende Armut und eine schrumpfende Mittelschicht.Wenn Sie sich hier so gerieren, sollte Ihnen vor allemFolgendes zu denken geben: 1998 zählten noch gut64 Prozent der Bevölkerung zur Mittelschicht; dieserAnteil ist innerhalb von 10 Jahren um knapp 6 Prozent-punkte geschrumpft. Diejenigen, die sich jetzt noch zurMittelschicht zählen, wissen, dass sie kaum noch eineChance haben, nach oben zu kommen; es gibt eine mas-siv verbreitete Angst, abzurutschen. Das ist garantiertnicht motivationsfördernd, und dafür sind Sie mit IhrerPolitik verantwortlich.
Die öffentliche Hand ist so verschuldet, dass ein re-gelrechter Investitionsstau entstanden ist, insbesondereauf Kosten der Kinder und Jugendlichen. Schauen Siedoch einmal, wie es in den Kommunen aussieht: Sport-hallen fallen zusammen,
Schulen fehlen, Kitas werden nicht geschaffen.Eine Steuer, auch eine Vermögensteuer, kann die pri-märe Ungleichverteilung in der Bundesrepublik sichernicht beseitigen. Wir brauchen Mindestlöhne und Real-lohnanwüchse; das ist völlig unbestritten. Aber Steuer-politik kann ihrem Namen gerecht werden und tatsäch-lich steuern. Dazu ist die Vermögensteuer da. Inbesonderen Fällen kann man auch eine Abgabe erheben,in diesem Falle eine Vermögensabgabe.
Drittens: Spricht nun etwas dagegen?
Wir haben gestern eine Diskussion mit der Industrie ge-führt. Da wurde gesagt: Es gibt keine Datenbasis; dasalles ist unseriös. – Das finde ich nun wirklich extremdreist. Die Datenbasis fehlt seit der Aussetzung der Er-hebung der Vermögensteuer im Jahr 1997. Sie habensich in keiner Weise bemüht, irgendwie an entspre-chende Daten heranzukommen,
aber werfen denjenigen, die Daten aus öffentlich zu-gänglichen Quellen anführen, vor, das sei unseriös. Dasist eine Frechheit ohnegleichen.
Es gibt jedoch einen Vergleich mit anderen Staaten inEuropa. Der Anteil der Einnahmen aus vermögensbezo-genen Steuern, also aus Grundsteuer, Erbschaftsteuer,Schenkungsteuer und Vermögensteuer, am Bruttoin-landsprodukt beträgt in Deutschland 0,9 Prozent. ImOECD-Durchschnitt sind es 1,8 Prozent, also doppelt soviel.
In den EU-27-Staaten beträgt der Anteil 2,6 Prozent. Inunserer Staatskasse wäre viel mehr Geld, wenn wir we-nigstens den Durchschnitt der OECD-Staaten erreichenwürden.
Sie sagen, eine Vermögensteuer bedrohe die Wirt-schaft. Mir ist nicht bekannt, dass die Wirtschaft vor1997 völlig am Boden lag, weil es eine Vermögensteuergab. Ich weiß deshalb nicht, warum das jetzt der Fallsein sollte, wenn wir sie wieder erheben.Sie sprechen von Erhebungskosten, Herr Wissing.Das ist doch Quatsch. Natürlich sagt die Steuer-Gewerk-schaft: Wenn wir eine weitere Steuer erheben sollen,dann brauchen wir mehr Steuerbeamte. – Das ist dochauch logisch. Das ist keine Warnung; das ist eine berech-tigte Forderung. Die Erhebungskosten sind trotzdemnicht so hoch, weil wir durch die Neuregelung der Erb-schaftsteuer bereits eine Grundlage dafür haben, wieGrund und Boden verkehrsnah bewertet werden können.Sie sagen immer, die Reichen seien schon so belastet.Da blutet mir immer das Herz. Ein Drittel der Menschen,die abhängig beschäftigt sind, zahlen gar keine Steuern,weil sie zu wenig verdienen. Die Höhe des Anteils, wel-chen eine bestimmte Gruppe leistet, sagt doch nichtsüber ihre Belastung aus. Das ist doch, als vergleiche manBirnen mit Äpfeln. Das hat doch keinen Aussagewert.Nehmen wir einmal an, ein einziger Mensch würde dasgesamte Bruttoinlandsprodukt der Bundesrepublik ver-dienen und alle anderen bekämen Hartz IV,
nur dieser eine würde also Steuern zahlen. Er hätte danneine Belastung von 100 Prozent. Ob derjenige aber
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Dr. Barbara Höll
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1 Million oder 1 Milliarde Steuern zahlen müsste, ist et-was völlig anderes. Lassen Sie dieses Argument deshalbalso beiseite.
Es gibt zwei Aufgaben, die wir erledigen müssen –ich möchte sie kurz nennen –: Wir brauchen Infrastruk-tur, und wir brauchen eine Vorsorge für die Risiken, diemit der Euro-Krise verbunden sind. Deshalb: Ja zur Ver-mögensteuer und Ja zur Vermögensabgabe.Ich danke Ihnen.
Für Bündnis 90/Die Grünen hat Lisa Paus das Wort.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! WerteKoalition! Ich möchte mich ausdrücklich dafür bedan-ken, dass ich heute im Rahmen der Aktuellen Stundenoch einmal das Konzept der Grünen zur Vermögensab-gabe vortragen kann, auch wenn es dafür keinen aktuel-len Anlass gibt.
Unser Konzept gibt es schon länger. Wir haben esausgearbeitet, wir haben die Erstellung eines Gutachtensbeauftragt, und seit September dieses Jahres liegt diesemHaus ein fertiger Gesetzentwurf vor. Wir haben ihn nichtzurückgenommen, er liegt vor, und wir wollen ihn disku-tieren.
Wir finden es bedauerlich, dass wir nach wie vor dieeinzige Partei im Deutschen Bundestag sind, die einenkonkreten Vorschlag vorlegt, wie man die Schulden inDeutschland tatsächlich abbauen kann.
Sie reden davon, dass es Rekordsteuereinnahmen gibt,machen aber neue Schulden. Sie reden davon, dass Sieab 2014 keine neuen Schulden machen wollen, tun abernichts für den konkreten Schuldenabbau.
Unser Vorschlag liegt vor. Seit drei Jahren beschäfti-gen wir uns mit den Kosten, die durch die Finanz- undWirtschaftskrise entstanden sind. Die SchuldenstandquoteDeutschlands hat sich von 60 auf 80 Prozent erhöht. IhreBundeskanzlerin Angela Merkel ist verantwortlich für400 Milliarden Euro neue Schulden. Von Ihnen kommtkein einziger Vorschlag zum Schuldenabbau.
Wir haben einen. Setzen Sie sich damit vernünftig aus-einander.
Wir fragen: Wer soll das alles zahlen? Sie bleibeneine Antwort darauf schuldig. Wir haben uns entschie-den: Es sollen eben nicht die Ärmsten der Armen zahlen,und wir wollen auch keinen weiteren Soli einführen. Wirsagen: Es ist berechtigt, zur Deckung der durch die Fi-nanz- und Wirtschaftskrise entstandenen spezifischenKosten eine einmalige Vermögensabgabe zu erheben,die ganze 330 000 Personen in Deutschland treffen wird,also weniger als 1 Prozent der Steuerpflichtigen inDeutschland. Die Einführung einer Vermögensabgabewürde einen signifikanten Beitrag zum Abbau der Ver-schuldung leisten. 100 Milliarden Euro über zehn Jahrewären dadurch einzunehmen.
Diese einmalige Abgabe in Höhe von 1,5 Prozent proJahr, über zehn Jahre zahlbar, ist von natürlichen Perso-nen zu entrichten.Ich habe von 330 000 Personen gesprochen. Wiekommt diese Zahl zustande? In unserem Modell sind re-levant hohe Freibeträge vorgesehen: 1 Million Euro proPerson und 250 000 Euro pro Kind.
Außerdem haben wir die Extraregelung vorgesehen, dassfür Betriebsvermögen ein Freibetrag von 5 MillionenEuro gilt. Eine Substanzbesteuerung von Betriebsvermö-gen haben wir definitiv ausgeschlossen. Wer keine Ge-winne macht, der muss auch keine Abgabe zahlen.
Maximal 35 Prozent des Gewinnes würden der Vermö-gensabgabe unterliegen.
Ein Beispiel: Bei einem Betriebsvermögen von 6 Mil-lionen Euro, wären für die Vermögensabgabe ganze0,25 Prozent pro Jahr fällig. Das ist eine zusätzliche Be-lastung.
Sie ist aber tragbar. – Damit unterbreiten wir einen ver-nünftigen Vorschlag, anders als die FDP in Bayern.
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Lisa Paus
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Ihnen ist die Aufkündigung der Solidarität tatsächlichden wahnwitzigen Vorschlag wert, für das Land Berlineine Einkommensteuer mit einem Spitzensteuersatz von71 Prozent einzuführen. Die FDP von Bayern rühmtsich, zusammen mit Herrn Professor Lars Feld einenVorschlag vorzulegen, der folgende Einkommensteuer-spitzensätze zur Folge hätte: Niedersachsen 55 Prozent,Berlin 71 Prozent,
Brandenburg 51 Prozent. Die FDP macht solche Vor-schläge und erzählt uns etwas von irgendwelchen nichttragbaren Belastungen. Das ist einfach absurd.
Dann wurde wieder das Argument vorgebracht, dassdie Unternehmen und die Reichen flüchten würden.Auch das ist nach unserem Konzept für eine Vermögens-abgabe schlichtweg nicht möglich, weil ein Stichtag vor-gesehen ist, der in der Vergangenheit liegt.
Deswegen sind die üblichen Diskussionen, eine Vermö-gensteuer führe zu Ausweichmöglichkeiten und Anpas-sungsproblemen, die negativ auf die Wirtschaft wirkten,bei diesem Konzept definitiv nicht angebracht.
Im Gegenteil: Da der Stichtag in der Vergangenheit liegtund man sich der Vermögensabgabe nicht entziehenkann, der Schuldenstand in Deutschland dadurch aber si-gnifikant reduziert wird und die Wettbewerbsbedingun-gen des Standorts Deutschland verbessert werden, ist dieVermögensabgabe eher ein Grund, hierzubleiben, alsDeutschland zu verlassen. Insofern ist dieses Argumentnachgerade absurd.Es bleiben noch zwei letzte Argumente: Wenn ihrnichts mehr einfällt, dann bringt die FDP das Thema Bü-rokratiekosten vor. Das ist völlig klar.
Auch diesbezüglich sollten Sie bei der Wahrheit bleibenund sich konkret mit unserem Konzept auseinanderset-zen. Unser Vorschlag zur Vermögensabgabe würde we-niger als 1 Prozent Erhebungskosten mit sich bringen.Den Vorwurf „Bürokratie“ lasse ich mir von einer Koali-tion, die ein sogenanntes Bildungs- und Teilhabepaketbeschlossen hat, mit dem ein Bürokratieaufwand von30 Prozent verbunden ist – für jeden ausgereichten Eurosind 30 Cent Bearbeitungskosten notwendig –, nicht aufsButterbrot schmieren.
Frau Kollegin, Sie wäre dann am Ende Ihrer Redezeit.
Gut, dann komme ich zum Ende.
Ich hätte noch viel zu sagen. Ich würde auch zur Verfas-
sungsdebatte gerne noch etwas sagen. Das spare ich mir
aber jetzt. Stattdessen gebe ich Ihnen nur noch Folgen-
des mit auf den Weg:
Frau Kollegin!
Es war schon mehrmals so, dass die übrig gebliebe-
nen Sympathisantinnen und Sympathisanten von dieser
Koalition
zumindest weiter waren als die FDP. Ihren Vorschlag ei-
ner Steuersenkung haben Sie schon wieder korrigiert.
Bei diesem Thema ist die Situation ähnlich: Über
60 Prozent aller, auch Ihrer Wählerinnen und Wähler
wollen eine Vermögensbesteuerung; das verdeutlichen
die Umfragen. Folgen Sie endlich dem Wunsch Ihrer
Wählerinnen und Wähler.
Herzlichen Dank.
Für die CDU/CSU hat das Wort der Kollege
Dr. Mathias Middelberg.
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Meine Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich greife alsErstes das Stichwort „Schuldenabbau“ auf, das FrauPaus genannt hat. Dabei hat sie mustergültig die Vermö-gensabgabe als Lösung präsentiert. Beim Thema Schul-denabbau können einem natürlich auch andere Dingeeinfallen: Strukturen umbauen, einfach einsparen oderBürokratie abbauen. Auch durch solche Maßnahmenkann man sparen. Das tun wir zum Beispiel, indem wirdie Bundeswehr reformieren und dafür sorgen – daskönnen Sie feststellen, wenn Sie das aufmerksam verfol-gen –, dass das Ausgabentableau des Bundeshaushaltsseit mehreren Jahren, seitdem wir die Verantwortung tra-
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Dr. Mathias Middelberg
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gen, stabil ist. Wir haben die Ausgaben in diesem Landnicht gesteigert, und obwohl wir relativ niedrige, wettbe-werbsfähige Steuersätze in Europa haben, haben wir Re-kordsteuereinnahmen zu verzeichnen. Wir haben alsoüberhaupt keinen Grund,
hier über Steuererhöhungen oder neue Steuern nachzu-denken. Damit würden wir nur den negativen Beispielenin Europa nacheifern.Bei Ihnen ist das Programm noch viel heftiger: Esgeht um die neue Vermögensteuer. Es geht darum, dassSie die Einkommensteuer um 7 Prozentpunkte anhebenwollen. Sie wollen die Abgeltungsteuer anheben, wennSie regieren. Sie wollen die Unternehmensteuern insge-samt anheben. Sie wollen die Gewerbesteuer ausdehnen,und Sie wollen zusätzliche Abgaben in den BereichenRente und Gesundheit. – Wer Sie in einem Jahr wählt,der organisiert also eine riesige Steuer- und Abgaben-orgie für das ganze Land. Das muss man den Menschenschon jetzt ehrlich sagen.
Wer das, was Sie uns als Modell präsentieren, auf-merksam verfolgt und analysiert, der sieht, dass das dasModell Frankreich ist. Die Franzosen fahren mit diesemModell im Moment fast schon an die Wand. In Frank-reich gibt es schon jetzt eine höhere Staatsquote. Diesewürden auch wir bekommen, wenn wir die Reform soumsetzen, wie Sie das auf Ihren Parteitagen beschlossenhaben. Wir haben jetzt eine Staatsquote von 47 Prozent.In Frankreich liegt die Quote bei 57 Prozent. Deshalb hatman dort große Probleme. Die Franzosen haben schonhöhere Steuersätze, und sie haben eine Vermögensteuer.Trotzdem haben sie daraus geringere Steuereinnahmen,weil die Leute – ich sage das ganz offen – keine Lusthaben, an diesem Standort zu investieren. Sie gehen imZweifel lieber nach Deutschland und investieren dort.Wir finden es richtig und gut, dass man bei uns inves-tiert, dass wir vielleicht nicht ganz so hohe Steuern erhe-ben, dass die Steuererträge aber hier bei uns anfallen unddass wir die Arbeitsplätze haben.
Das ist die Wahrheit.Gleiches gilt für das Thema Rente. Sie verabschiedensich gerade von der Rente mit 67. Die Franzosen habeneine Rente mit 60. Das schafft doch die Probleme. InFrankreich ist die Arbeitslosigkeit fast doppelt so hoch.Die Jugendarbeitslosigkeit ist fast dreimal so hoch. Dasist doch kein Vorbild. Da wollen wir doch nicht hin.
– Herr Poß, wenn wir all das machen würden, was Sieauf Ihren Parteitagen beschließen, dann würden wirgenau dahin kommen, wo die Franzosen jetzt sind. DieFranzosen sind nicht unser Vorbild. Da wollen wir nichthin.
Hollande fängt allmählich an, das zu kapieren. Er steuertum, indem er jetzt ein Programm einleitet, um die Unter-nehmen steuerlich zu entlasten,
weil er das erkannt hat und klüger ist als Sie.Die Vermögensteuer trifft nicht nur irgendwelchereichen Privatleute, die nichts mit ihrem Geld anzufan-gen wissen, sondern vor allem den Mittelstand in diesemLand. Das verschweigen Sie gern. Sie trifft das Rückgratdieser Wirtschaft und damit letzten Endes auch dieArbeitsplätze. Der Kollege Gutting hat eben zu Rechtgesagt: Das ZEW hat Mehrbelastungen zwischen 14 undüber 19 Prozent für die mittelständischen Unternehmenausgerechnet.
Was meinen Sie, wie diese Unternehmen das Geldwieder hereinholen? Sie müssen doch sparen, um dasGeld wieder hereinzubekommen.
Es macht doch kein Unternehmen 14 oder 19 ProzentGewinn. Das heißt, das Geld muss irgendwie wiederhereinkommen.Ich will Sie an ein Zitat eines Finanzpolitikers erin-nern, der, zumindest was seine damalige Erkenntnisanging, nicht ganz schlecht drauf war.
Es ging dabei um die Unternehmensteuerreform 2007/2008. Er sagte: Wenn wir jetzt keine Steuerreform ma-chen – es ging damals um die Absenkung der Unterneh-mensteuer –, dann wird Deutschland weiter an Steuer-basis verlieren, und die Staatseinnahmen zur Finanzierungöffentlicher Aufgaben werden auf Dauer nicht mehr,sondern weniger. – Das hat er damals klug erkannt. Siehaben es richtig erraten: Das war Ihr Kanzlerkandidat.Es ist bedauerlich und blamabel, dass Herr Steinbrückheute nicht an dieser Debatte teilnimmt; denn er müsstejetzt das genaue Gegenteil von dem vertreten, was er unsdamals verkündet hat.
Er hat uns damals gesagt: Mit niedrigeren Unterneh-mensteuern locke ich Unternehmen an. Ich verbreiteredie Steuerbasis und mache dieses Land tragkräftiger. Ichstärke den Mittelstand und schaffe zusätzliche Arbeits-plätze. – Diese Erkenntnis war damals richtig. Sie ver-
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25600 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Dr. Mathias Middelberg
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kaufen uns hier heute einen Popanz. Das ist eine riesigeTäuschungsorgie, und der, der das vertreten soll, ist garnicht präsent und kämpft dafür. Das zeigt, dass er garnicht dahintersteht. Deshalb können wir dem in keinsterWeise auch nur gedanklich nachfolgen.
Mit einer Vermögensteuer würden wir die Substanzunseres Mittelstandes treffen und damit den Wirtschafts-standort Deutschland vor die Wand fahren.Danke.
Für den Bundesrat erhält jetzt der Landesminister
Carsten Kühl das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich bedanke mich zunächst sehr herzlich für dieGelegenheit, hier als Ländervertreter zu reden. Die Ver-mögensteuer ist eine Ländersteuer. Daher ist es vielleichtganz interessant, was die Länder dazu zu sagen haben.Nach einigen Vorreden habe ich, so denke ich, dieGelegenheit, mit dem einen oder anderen hartnäckigenVorurteil aufzuräumen bzw. zur Versachlichung der Dis-kussion beizutragen.Wer über die Vermögensteuer redet, der muss überVeränderungen in unserer Gesellschaft reden, über diedemografischen Veränderungen und darüber, dass sichdie Einkommens- und Vermögensverteilungen in unsererGesellschaft verändert haben. Dies geht man nicht an,indem man im Vorwort zum Armuts- und Reichtums-bericht den Satz wegnimmt, dass sich die Privatvermö-gen in den letzten Jahren deutlich unterschiedlich verteilthaben.
Wer über die Vermögensteuer redet, der muss darüberreden, dass sich unsere finanzpolitischen Leitlinien ver-ändert haben, dass wir alle gemeinsam der Auffassungsind, dass mit der Schuldenbremse die Konsolidierungeine besondere Priorität erhalten hat.Dass wir weniger, dass wir älter und dass wir buntergeworden sind, das ist kein Geheimnis mehr. Diese de-mografische Entwicklung schlägt sich auf der Aus-gabenseite unserer Haushalte nieder. Natürlich gibt es anmanchen Stellen so etwas wie eine demografische Divi-dende, also einen Minderbedarf, aber gleichzeitig habenwir Mehrbedarfe. Das kennen Sie aus dem Bereich derSozialversicherungssysteme, und das sehen wir, wennwir beispielsweise darum ringen, den ländlichen Raum– Rheinland-Pfalz ist ein Flächenland mit einem ausge-prägten ländlichen Raum – als Lebensstandort, als Ar-beitsstandort und als Wohnstandort attraktiv zu halten.Unter dem Strich ist relativ klar: Der Finanzbedarfpro Einwohner wird in den nächsten Jahren nicht zu-rückgehen, wenngleich wir durch die Konsolidierungs-anstrengungen aufgefordert sind, auf der Ausgabenseiteharte Einschnitte vorzunehmen. Aber auf der Einnah-meseite erkennen wir eine andere Entwicklung. Wennwir weniger und wenn wir älter werden, dann wird sichdie Bedeutung der Einkommensteuer in unserem Steuer-system verringern. Sie wird eine immer weniger bedeu-tende Rolle einnehmen, weil eben immer wenigerMenschen im Erwerbsleben und immer mehr Menschenim Rentenalter sind. Wir haben uns zwar vor einigenJahren für eine nachgelagerte Besteuerung entschieden.Es wird aber zwangsläufig dazu kommen, dass derAnteil der Einkommensteuer am gesamten Steuerauf-kommen zurückgeht.Wir haben zwei Möglichkeiten, darauf zu reagieren,wenn Finanzbedarfe konstant bleiben und eine derbedeutendsten Steuern in unserem System zurückgeführtwird: Wir können das entweder durch Verschuldungoder durch Steuer- und Abgabenerhöhungen an andererStelle kompensieren. Die Verschuldung ist keine Alter-native. Wenn die Einkommensteuer nicht zur Verfügungsteht, um diese Kompensation zu leisten – es sei denn,wir wollten Spitzensteuersätze generieren, die wir unsnicht leisten können –, dann bleiben zwei Möglichkei-ten: entweder die Konsumbesteuerung oder die Vermö-gensbesteuerung.Damit bin ich bei der Verteilungsgerechtigkeit. Natür-lich ist die Konsumbesteuerung eine Besteuerung, diestärker diejenigen belastet, die einkommensschwächersind. Sie ist regressiv. Wenn man das Leistungsfähig-keitsprinzip als tragendes Prinzip unseres Steuersystemsaufrechterhalten will – nicht weil es irgendein akademi-sches Hirngespinst ist, sondern weil es das tragendePrinzip der sozialen Marktwirtschaft ist –, muss gefragtwerden: Wo sind andere Indikatoren steuerlicherLeistungsfähigkeit? Dann wird man im Zuge des demo-grafischen Wandels nolens volens zu den Vermögendenkommen.
Es ist nicht Aufgabe der Konsolidierung, den Staataus seiner sozialen Verantwortung zu entlassen, sondernes ist Aufgabe der Konsolidierung, die Entschuldung deröffentlichen Haushalte sozialverantwortlich zu gestalten.Wenn dem so ist, dann müssen wir uns fragen – FrauPaus hat darauf hingewiesen –, ob es angesichts unsererKonsolidierungsbedürfnisse nicht notwendig ist, nebeneiner strengen Ausgabenkonsolidierung, die alle Ländervornehmen und dies auch vor dem Stabilitätsrat Jahr fürJahr nachweisen, auch etwas auf der Einnahmeseite zutun.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25601
Staatsminister Dr. Carsten Kühl
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Herr Gutting sagt: Es gibt Rekordsteuereinnahmen.Deswegen sei das nicht notwendig. – Wenn Herr Guttingjetzt noch anwesend wäre, dann würde ich ihm sagen:Wenn wir keine Rekordsteuereinnahmen haben, dannbrennt die Hütte in Deutschland. Das ist immer dann so,wenn wir negative Wachstumsraten haben. Das heißt,ein Steuersystem mit einer Aufkommenselastizität grö-ßer eins muss, wenn es eine einigermaßen vernünftigewirtschaftliche Entwicklung im Land gibt, gleichzeitigzu steigenden Steuereinnahmen führen.
Herr Middelberg spricht von Abgabenerhöhungs-orgien.
Brennelementeabgabe, Bankenabgabe, Luftverkehrs-abgabe, Tabaksteuererhöhung, Abschaffung von Öko-steuerprivilegien und Erhöhung von Sozialabgaben,wenn die Sozialversicherungssysteme dies notwendigmachen –
all das haben Sie in dieser Legislaturperiode gemacht.
Ich verstehe zum Teil, warum Herr Schäuble dieseDinge veranlasst hat. Herr Schäuble wird sich irgend-wann gesagt haben: Ich kann den gesamten Konsolidie-rungsprozess in Zeiten der Schuldenbremse nicht überdie Ausgabenseite organisieren; ich muss auch dieEinnahmeseite heranziehen. Ungefähr 30 Prozent derKonsolidierungsaufgaben, die Sie zu bewältigen haben,wollen Sie über die Einnahmeseite erbringen. DieLänder können das aber nicht so wie Sie.
Weil alle Steuern, die Sie erhöht haben, indirekte Steuernsind, kommen die Einnahmen nicht den Länderhaushal-ten zugute. Außerdem reduzieren Sie, zumindestteilweise, die Bemessungsgrundlage der Steuern, derenEinnahmen den Ländern zustehen. Ich finde, die Ländersind richtig aufgestellt, wenn sie dann darüber nach-denken, wie sie unabhängig von den steuerpolitischenEgoismen dieser Bundesregierung versuchen können,ihren Konsolidierungsanteil über die Einnahmeseite zuerbringen.
Wir haben eine einzige Steuer; das ist die Grund-erwerbsteuer. Die haben mittlerweile alle Länder von3,5 auf 5 Prozent erhöht. Dadurch können die Länder– je nachdem, wie groß ihr Konsolidierungserfordernisist – zwischen 5 und 10 Prozent der Konsolidierungs-notwendigkeiten bis 2020 bewerkstelligen. Wir wollennur so viel, wie sich diese Bundesregierung gönnt, umihre Konsolidierungsanstrengungen erfolgreich zu Endezu führen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, bei derAusgestaltung der Vermögensteuer muss man beachten,was die Gerichte sagen. Die Gerichte sagen uns, dass wirden Gleichbehandlungsgrundsatz beachten müssen undkeine unbotmäßige Privilegierung vornehmen dürfen; sohaben sich der Bundesfinanzhof und das Bundesverfas-sungsgericht geäußert. Sie sagen nicht: Ihr dürft keineVermögensteuer erheben, sondern sie sagen: Wenn ihreine Vermögensteuer erhebt, dann dürft ihr Unterneh-men und Betriebsvermögen nicht über Gebühr verscho-nen bzw. begünstigen.Sie ziehen daraus offensichtlich den Schluss: Wennwir gleichbehandeln müssen, dann erheben wir dieSteuer gar nicht. Sie sind, wie jetzt bei der Erbschaft-steuer – das macht mich schon stutzig –, nicht einmalbereit, die Gestaltungsmöglichkeiten, die offensichtlichvorhanden sind, die vom Gesetzgeber aber nicht inten-diert sind und von den Gerichten kritisiert werden, zubeseitigen. Ich rede davon, dass Sie die Regelungen zuden Cash-GmbHs verändern. Sie haben zu den Einlas-sungen des Bundesrates gesagt, dass Sie ein Regelungs-bedürfnis erkennen, aber keine Handlungsnotwendigkeitsehen.
Wir haben einen Vorschlag gemacht, der die Gestal-tungsmöglichkeiten, die momentan vorhanden sind,beseitigt hätte.
Herr Wissing, Sie sagen, die Vermögensteuer habeElemente der Substanzbesteuerung. Ja, das ist so. Das istbei der Grundsteuer und der Erbschaftsteuer im Übrigengenauso. Sie haben in dieser Legislaturperiode Regelun-gen zur Mindestbesteuerung und zur Verlustverrechnungbeschlossen,
Sie haben Regelungen zum Mantelverkauf beschlossen,Sie haben die Einführung einer Zinsschranke beschlos-sen, und Sie haben Regelungen zur gewerbesteuerrecht-lichen Hinzurechnung verabschiedet.
All das sind Dinge, die, wenn man sie zu Ende dekli-niert, ebenfalls substanzbesteuernd wirken können.
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25602 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Staatsminister Dr. Carsten Kühl
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Das ist durchaus vernünftig. Nur: Dann sollten Sie auchanerkennen, dass man, wenn man für ein faires und ge-rechtes Steuersystem eintritt, eine Substanzbesteuerungnicht zwingend zum Tabu erklären muss.
Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich kommezum Schluss. Wer darüber nachdenkt, wie man unserSteuersystem demografiefest weiterentwickeln kann,ohne den Grundsatz der Besteuerung nach der persönli-chen Leistungsfähigkeit aufzugeben und ohne Betriebs-vermögen über Gebühr zu belasten – denn dass dies ge-schieht, wollen wir vermeiden –, der handelt nichtfahrlässig, sondern verantwortungsvoll. Wer so handelt,der handelt im Sinne unserer Verfassung; denn unsereVerfassung gibt uns vor, die Schuldenbremse in einemangemessenen Zeitrahmen einzuhalten.
Zugegebenermaßen: Dies ist verbunden mit demAnspruch – vielleicht unterscheiden wir uns an dieserStelle –, dass der Staat, und zwar auf allen Ebenen, hand-lungsfähig bleibt. Ein starker Staat, Herr Kollege, misstsich am Umgang mit den Schwachen.
– Das mögen Sie komisch finden.
Aber ich möchte, dass der Staat in diesem Sinne auch inZeiten der Konsolidierung stark bleibt. Dazu, meine sehrverehrten Damen und Herren, müssen auch die Starkeneinen angemessenen Beitrag leisten.Vielen Dank.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die FDP-Fraktion hat jetzt Dr. Daniel Volk das
Wort.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Die heutige Aktuelle Stunde zurFrage der Vermögensteuerpläne der Opposition ist rich-tig und wichtig, wenn man einmal genau zuhört. HerrLandesminister Kühl aus dem Land Rheinland-Pfalz, eswar schon erhellend, dass Sie Ihre gesamte Redezeit vonneun Minuten auf die Frage der Einnahmeseite des Staa-tes konzentriert
und vorsichtshalber die gesamte Ausgabeseite ausge-blendet haben. Ich kann mir auch ungefähr vorstellen,warum. Als Landesfinanzminister eines Bundeslandes,welches 300 Millionen Euro in einen Freizeitpark ver-senkt hat,
würde ich einen Bogen ganz weit um die Ausgabeseitedes Landes schlagen. Das würde ich wirklich machen.Alles, was hier sozusagen vorgegaukelt wird, ist, dassder Staat ausschließlich ein Einnahmeproblem hätte unddeswegen neue Steuern unbedingt erfunden, erhobenwerden müssten.
Unser Ansatz ist, den Schwerpunkt zunächst auf dieAusgabeseite des Staates zu legen.Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Ich bin der felsen-festen Überzeugung, dass wir eine Konsolidierung derStaatshaushalte deutlich über die Ausgabeseite erreichenkönnen, wenn wir gleichzeitig eine vernünftige Steuer-und Finanzpolitik betreiben,
die das Wirtschaftswachstum in Deutschland nichtbremsen, sondern – ganz im Gegenteil – fördern. Es istschon auffällig, dass wir in Zeiten der höchsten Steuer-einnahmen
der Bundesrepublik Deutschland,
die übrigens grob zu 70 Prozent den Ländern und Kom-munen zufließen, gerade in den Bundesländern, in denenRot-Grün Regierungsverantwortung haben, eine Haus-haltspolitik haben, die eben gerade immer noch in einestärkere Neuverschuldung statt in eine verantwortungs-volle Konsolidierung geht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25603
Dr. Daniel Volk
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Ich darf das zuspitzen. Das Problem an einer Vermö-gensteuer, die sowohl Privat- als auch Betriebsvermögentreffen muss – da besteht Einigkeit hier im Hause,
das ist die verfassungsrechtliche Vorgabe des Bundes-verfassungsgerichts –, ist: Sie entzieht den UnternehmenEigenkapital. Wir wissen, wie wichtig Eigenkapital ge-rade in Zeiten einer Finanzkrise ist. Wenn man Unter-nehmen Eigenkapital entzieht, führt das zwangsläufig zueinem Abbau von Arbeitsplätzen, was die Basis der Ein-kommensteuer reduzieren wird. Das ist wie das Amen inder Kirche.
Dieser Wahrheit verweigern Sie sich leider Gottes. Ichsage Ihnen eines ganz ehrlich: Ich habe lieber das Kapi-tal produktiv in Unternehmen, die in Deutschland Ar-beitsplätze schaffen, als bei Bundesländern, die ganzgerne einmal Achterbahnen in Freizeitparks bauen unddafür 300 Millionen Euro in den Sand setzen. Das seihier einmal ganz deutlich gesagt.
Frau Paus, Sie haben hier als Berliner Abgeordneteder Grünen-Fraktion darauf abgestellt, was die FDP zudem Thema Länderfinanzausgleich sagt.
Zur Deutlichkeit und Vollständigkeit gehört dazu, dasses schon ein Problem im Rahmen des Länderfinanzaus-gleichs ist, dass wir zum Beispiel ein Land Berlin haben,das nicht in der Lage ist, einen Flughafen zu den voraus-sichtlichen Kosten zum voraussichtlichen Zeitpunkt inBetrieb zu nehmen, und das Ganze nach dem Motto„Was soll der Geiz mit fremdem Geld“, nämlich demGeld anderer Bundesländer.
Ich glaube, wir müssen uns Gedanken darüber ma-chen, ob wir nicht die Finanzführung der jeweiligenBundesländer auch in die Verantwortung dieser jeweili-gen Bundesländer legen müssen. Denn eines ist klar: Esist nicht gerecht, dass Steuerzahler aus den Geberländerneine verschwenderische Finanzpolitik der Nehmerländerunterstützen müssen, ohne dass wir im Rahmen des Län-derfinanzausgleichs überhaupt einen Anreiz hin zu einersoliden Haushaltsführung haben.
Das muss der Ansatzpunkt sein.Ich sage Ihnen eines ganz deutlich: Wir sollten in die-sem Bereich keine Denkverbote aufstellen, wie Sie esversucht haben. Wer nach dem Motto „Was soll der Geizmit fremdem Geld?“ agiert, sollte erst recht nicht damitkommen, wir bräuchten neue Steuern, damit der Staat– in Zeiten höchster Steuereinnahmen – mehr Geld zurVerfügung habe, um Schulden abzubauen. Das Gegenteilist immer der Fall gewesen: Sobald die Steuern mit derBegründung „Wir werden damit Schulden abbauen“ er-höht wurden, ist nur ein Bruchteil davon in den Schul-denabbau gegangen. Das meiste ist in den Konsum ge-gangen. Das ist nicht der richtige Weg.
Der Kollege Dr. Carsten Sieling hat jetzt das Wort für
die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Wenn ich die Debatte in dieser Art und Weise fortsetzenwürde, müsste ich jetzt den bayerischen FDP-Abgeord-neten darauf hinweisen, dass die bayerische Landes-regierung bei der Bayerischen Landesbank durch falschePolitik 10 Milliarden Euro versenkt hat. Ich müsste auchetwas erzählen von Ministerpräsident Mappus in Baden-Württemberg.
Aber, liebe Kolleginnen und Kollegen, wir sind nichthier, um über die Misswirtschaft in CDU-, CSU-, FDP-geführten Bundesländern zu sprechen, sondern über dasThema, zu dem die Koalition diese Aktuelle Stunde auf-gesetzt hat: die Vermögensteuer.Ich möchte gerne eingangs einen Satz zitieren, der indoppelter Weise die Realität in Deutschland wiedergibt.Der Satz lautet: „Die Privatvermögen in Deutschlandsind sehr ungleich verteilt.“ Dieser Satz ist richtig. Erstammt aus dem Armuts- und Reichtumsbericht derBundesministerin für Arbeit und Soziales. Dieser Satzist gleichzeitig ein Dokument der Wahrheitsliebe dieserKoalition; denn er ist – auf Initiative des FDP-Bundes-wirtschaftsministers Rösler – gestrichen worden. DieserSatz allein zeigt, wie weit Sie in der Lage und fähig sind,mit den Wirklichkeiten in diesem Land umzugehen, undwie unfähig Sie sind, hierauf die richtigen Antworten zugeben.
Ich möchte mich in meiner Zeit hier vor allem demArgument widmen, dass wir mit unseren Vorschlägen,die vom Bundesverfassungsgericht nicht verworfene,sondern nur ausgesetzte Vermögensteuer wieder einzu-
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Dr. Carsten Sieling
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führen – also das Recht, das in Deutschland gilt, wiederwirksam zu machen –, gerade das Rückgrat des Mittel-standes treffen würden. Dazu muss man sich einmal sehrnüchtern anschauen, wie die Verhältnisse sind, die dieBundesarbeitsministerin, wie ihr Entwurf des Armuts-und Reichtumsberichts zeigt, offensichtlich sieht, abernicht sehen darf.In Deutschland fällt die Verteilung der Einkommendeshalb so exorbitant auseinander, weil beim reichstenProzent der Bevölkerung – bei 1 Prozent von 82 Millio-nen Menschen, also etwa 800 000 Menschen – ein Drit-tel des Vermögens – das sind 3 Billionen Euro – gebün-delt ist.
Der deutsche Mittelstand umfasst mehr als800 000 Menschen. Der deutsche Mittelstand bestehtaus fleißigen Handwerkern, aus guten Dienstleistern, ausvielen Menschen, die täglich ihrer Arbeit nachgehen.
Das sind mindestens die 40 Millionen Menschen in die-sem Land, die erwerbstätig sind. Um die sollte es uns ge-hen. Ihr Blick ist dagegen ausschließlich auf obige800 000 gerichtet.Der Vorschlag, die Vermögensteuer wieder einzufüh-ren, würde nur 300 000 Menschen treffen, also nur einenkleinen Teil dieser mittlerweile Superreichen in diesemLande. Bei diesen 300 000 davon zu reden, dass der Mit-telstand im Herzen getroffen wird, ist barer Unsinn, jaDemagogie. Von der Realität ist das sehr weit entfernt.
Das Handelsblatt und andere Medien sind zurzeit da-bei, gegen diese Gerechtigkeitssteuer anzugehen. Weilsie den Gerechtigkeitskanzlerkandidaten ansprechenwollen, ersetzen sie, wenn sie von der Gerechtigkeits-steuer reden, ein Wort, sprechen von der „Steinbrück-Steuer“ und versuchen, dagegen Stimmung zu machen.Meine Damen und Herren, da wird das zitiert und darge-legt, worüber man wirklich offen reden kann. Ich musssagen: Was in diesem Artikel dargelegt wird, eignet sichfür mich als Redemanuskript. In dem dort gerechnetenBeispiel verfügt der 38-jährige verheiratete Unternehmerüber 10 Millionen Euro Vermögen, darunter eine Uhren-sammlung im Wert von 500 000 Euro.
Mir kommen die Tränen! Wenn ich so etwas lese, dannsehe ich den leistungsfähigen Mittelstand vor mir undfrage mich, ob die Erbschaftsteuer in Deutschland ei-gentlich wirksam ausgestaltet ist.Wenn dieser arme Mann zu einer Vermögensteuer inHöhe von 87 000 Euro herangezogen wird, dann ist dasaus meiner Sicht gerecht, und das vermindert nicht seineLeistungsfähigkeit.
Deshalb dürfen wir uns davon nicht treffen und verwir-ren lassen, weil es in der Tat darum geht, dass wir denMittelstand stärken und nur bei Ausreißern zugreifen,sodass wir mit einer Summe von bis zu 10 MilliardenEuro im Jahr etwas für die Haushalte der Länder tunkönnen. Damit haben hier alle recht.Wir tun das deshalb, weil wir mit dieser Vermögen-steuer die Investitionen in Bildung, in unsere Kinder, indie Schulen verstärken wollen.
Das ist eine kluge Mittelstandsförderungspolitik, undunser Wirtschaftsstandort wird davon profitieren.Die Vermögensteuer ist nicht nur gerecht, sie ist auchwirtschaftlich vernünftig.Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
Einen schönen – –
Norbert Schindler hat offensichtlich das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Ich grüße zunächsteinmal Deutschlands Jugend auf den Tribünen. Bis jetzthat in dieser Debatte nämlich keiner die Gäste begrüßt.Es tut gut, zu sehen, wie aufmerksam Sie die Debatteverfolgen.
Deswegen sollte man schon einmal auch auf die Grund-begriffe eingehen.Herr Kollege Sieling, Sie sprachen von den Superrei-chen.
– Der Herr Poß sollte ruhig auch einmal zuhören undnicht immer nur dazwischenbläffen.Die Familie Engelhorn hatte eine Holdinggesellschaftmit Sitz auf den Bermudas gegründet, die Eigentümerinvon Boehringer war. Vor zehn, zwölf Jahren hatte Rot-Grün ein richtiges Problem: Wie besteuert man sie beieiner Veräußerung und entsprechender Erhöhung ihresKapitals? Damit will ich nur einmal zum Ausdruck brin-gen: Ihr habt die Probleme gehabt und konntet sie nicht
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Norbert Schindler
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lösen, weil die Superreichen anders als die Mittelständ-ler die Möglichkeit haben, diesen Staat zu verlassen. Dastun die reichen Franzosen derzeit ebenfalls, indem sie inBelgien ihren ersten Wohnsitz anmelden. Ich will hiernur einmal auf die gesellschaftliche Entwicklung und dieProbleme hinweisen, die wir hatten.Was bedeutet das? Herr Kühl, ich kann Ihnen schonnachfühlen, was es bedeutet, die Probleme mit dem Nür-burgring jetzt schultern zu müssen, obwohl das gar nichtIhr persönliches Verschulden war. In der Gesamtdebattemuss man aber sehen: Laut dem Kompromiss von 1997wurde die Grunderwerbsteuer aufgrund des Wegfalls derVermögensteuer von 1,5 Prozent auf 3,5 Prozent erhöht.Diese auf 3,5 Prozent erhöhte Grunderwerbsteuer standalso die ganzen Jahre in den Bilanzen der Länder, und eskam nun darauf an, was die Länder daraus gemacht ha-ben.
Damals, 1997, war ich schon im Bundestag.Frau Paus, das Schlimme an dem Vorschlag der Grü-nen ist, dass Sie die Daten von 3 bis 5 Millionen Personenprüfen müssen, im Endeffekt aber nur auf 300 000 Perso-nen abzielen, von denen 200 000 das Land verlassen wer-den. Was heißt das im Kleingedruckten? Durch die Ver-mögensteuer nahm der Staat damals 4 Milliarden D-Markein. Dem standen die Aufwendungen für Verwaltung undKontrolle von nachweislich rund 2 Milliarden D-Mark ge-genüber. Nach Ihrem Vorschlag muss eine jährliche Über-prüfung stattfinden. Sie werden dann zwar 200 000 bis300 000 Fälle haben, gleichzeitig aber bis zu 5 MillionenPersonen überprüft haben.Herr Kühl, es ehrt Sie, dass Sie nach Steuereinnah-men suchen; das hat Herr Schäuble ja auch tun müssen.Man wird aber zum Beispiel die Frage beantworten müs-sen, ob Personen, die 10 Hektar Land verpachtet haben,Landvermögen besitzen und unter die Vermögensteuerfallen. Der Vermieter, der ein Mietshaus besitzt, in demdrei Parteien wohnen, wird versuchen, die Kosten vonseinen Mietern zurückzubekommen, indem er die Ver-mögensteuer abwälzt. Zusätzlich kann er unter Umstän-den den Freibetrag geltend machen. Das muss genausoüberprüft werden wie die Frage, ob eine teure Druckma-schine in irgendeinem Werk oder metallverarbeitendenUnternehmen ein Vermögenswert oder kein Vermögens-wert ist. Ich will ja nur darauf hinweisen, welche zusätz-liche Bürokratie das auslöst.
– Wenn Sie etwas wollen, dann stellen Sie eine Zwi-schenfrage. – Schauen Sie sich doch an, was dazu in derVerfassung steht und was die Gerichtsurteile aus Karls-ruhe zum Spitzensteuersatz ergeben haben!Lieber Herr Kollege Poß, Sie waren damals schon imBundestag. Der Finanzminister Ihrer Partei hat damalsfür eine Verbreiterung der steuerlichen Bemessungs-grundlage und eine Absenkung des Spitzensteuersatzesgeworben. Das wurde von uns in der Opposition damalsnicht gutgeheißen.
Trotzdem hat das diesem Staat langfristig erheblicheSteuermehreinnahmen gebracht. Mit denen können wirderzeit einen Bundeshaushalt im Volumen von über300 Milliarden Euro ermöglichen. Es ist mehr die Frage,wie wir die Kosten auf der Ausgabenseite reduzieren.Aber noch einmal: Angesichts dessen, was die Steuer-beamten an Aufwand betreiben müssen, um Ihren Vor-schlag einigermaßen zu erfassen und umzusetzen, ist erabsolut zu verwerfen. Er taugt nicht in der Realität. Erbestraft die braven Steuerzahler in dieser Republik.Stichwort braver Steuerzahler: Herr Kühl, eine letzteBemerkung. Am 12. Dezember findet eine Sitzung desVermittlungsausschusses statt, und am 14. Dezember istdie letzte Sitzung von Bundestag und Bundesrat. Es gehtmir um das Abkommen mit der Schweiz. Die Summevon 10 Milliarden Euro, die wir im Nachhinein aufgrundder Nachbesteuerung bekommen könnten, würde denBundesländern zugutekommen.
Aber nein, Sie wollen ein Modell, aufgrund dessen diebraven Steuerzahler in der Bundesrepublik Deutschlandzusätzlich belastet würden.Selbst die Tatsache, dass viele Sportler und Film-schauspieler – diese bejubeln wir auch noch – dem Steu-erstandort Deutschland gerne entfliehen, während fürden Mittelständler,
der diesen Staat trägt und für den die Steuergerechtigkeitso aussieht, dass er 40 bis 50 Prozent der Steuereinnah-men finanziert – die anderen 50 Prozent kommen vonden oberen 10 Prozent der Einkommensbezieher; auchsie fallen unter den Spitzensteuersatz; das muss man indieser Neiddebatte leider Gottes anführen –, nutzen Siefür den beginnenden Wahlkampf.Danke schön.
Der Kollege Lothar Binding hat jetzt das Wort für die
SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr verehrte Damen und Herren!Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben es schon imersten Satz von Olav Gutting gehört: Wir haben die
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25606 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Lothar Binding
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höchsten Steuereinnahmen. Wir haben die geringste Ar-beitslosigkeit. Die Sozialkassen sind prall gefüllt. –
Da fragen wir uns natürlich: Warum macht ihr trotzdem17 Milliarden Euro neue Schulden?
Der Grund für diese gute Situation ist allerdings rela-tiv einfach: Die aktuelle Lage ist immer eine Folge derStrukturpolitik von gestern. Wenn wir jetzt eine guteLage haben, hat das mit eurer Politik fast nichts zu tun.Das muss man sich einmal klarmachen.
Armut, soziale Schieflage, prekäre Beschäftigung kom-men eben nicht durch Kurzzeiteffekte und tagesaktuellePolitik zustande. Sie sind die Folge einer langfristig an-gelegten Strukturpolitik. Ich will das einmal ein bisschengenauer analysieren, auf einen längeren Zeitraum zu-rückblicken, jedenfalls länger zurück, als die meistenhier im Bundestag sind.Nach der Vereinigung – wir erinnern uns – hatten wireinen Vereinigungsboom. Dieser war natürlich schulden-finanziert, aber das hat keiner übel genommen. Dann gabes blühende Landschaften, bezahlt aus der Portokasse.Der Aufbau dieser Landschaften dauerte länger und län-ger und war viel teurer als gedacht. Auch das haben wirnoch nicht übel genommen. Die Staatsverschuldungstieg und stieg. Die Arbeitslosigkeit stieg auf 5 Millio-nen.Dann kam Rot-Grün.
Übrigens haben wir euch noch im April 1998 geholfen,das Rentenversicherungssystem zu retten. Das habt ihrnur mit den Stimmen der Opposition geschafft, sonstwäre das Rentensystem zusammengebrochen. Aber wirerinnern uns: Unter der Last von Dotcom, der Spekula-tionsblase, hatte Rot-Grün am Anfang ziemlich zukämpfen. Die Konsolidierung ging nur langsam voran,auch weil wir mit unseren hohen Steuersätzen statt imeuropäischen Mittelfeld am oberen Rand lagen. Das warein Riesenhemmnis für die Wirtschaft und das Einkom-men der Menschen. Es ging langsam voran.Dann kam die Kombination – vielleicht erinnern Siesich noch – aus Jugendwahn und Altersdiskriminierung.Viele Konzerne haben ältere Mitarbeiter entlassen, diedann bis zur Rente Sozialhilfe bezogen. Damit stieg dieArbeitslosigkeit wieder, übrigens schon beginnend ab1985. Dann haben wir etwas gemacht, von dem ihr heutenoch zehrt. Wir haben etwas eigentlich Schlimmes ge-macht, was aber gut gewirkt hat,
nämlich die Einführung von Arbeitslosengeld II im Rah-men der Agenda 2010. Damit konnte dieser Prozess ge-stoppt werden.Dann haben wir noch die prozyklischen Wirkungendes Maastricht-Vertrages korrigiert.
Ohne diese Korrektur könntet ihr heute gar nicht diePolitik machen, die ihr macht. Auch haben wir die Wir-kung der kalten Progression vorauseilend kompensiert,
sodass die kalte Progression seit Anfang des neuen Jahr-tausends überhaupt nicht mehr auftritt.Die Große Koalition hat von all diesen Dingen profi-tiert, und dann kam die Bankenkrise. Dann folgten dieKonjunkturpakete I und II unter Peer Steinbrück undFrank-Walter Steinmeier und die Ausweitung der Kurz-arbeit unter Olaf Scholz. Damit sind wir ganz gut aus derKrise gekommen – bis heute.
Allmählich allerdings beginnt die Wirtschaftspolitikvon Schwarz-Gelb zu wirken. 2013 und 2014 wird sichzeigen, wie sich eure Politik in der Zukunft auswirkenwird. Dann wird sich zeigen, ob eure Politik gut oderschlecht war.
In dieser langen Zeit gibt es aber einen stabilen Faktor:1992 betrug das Nettovermögen der privaten Haushalte4 700 Milliarden Euro; im Jahr 2010 waren es über10 000 Milliarden.
Man kann sagen, dass trotz der Politik in diesem Be-reich, die im Wesentlichen ihr zu verantworten habt, die-ses Vermögen exorbitant gewachsen ist, sodass wir jetztsagen: Von 10 000 Milliarden Euro wollen wir ein Steu-eraufkommen für die Länder generieren. Es geht um0,1 Prozent.
Man merkt sofort, dass von diesen 0,1 Prozent keinewirklichen volkswirtschaftlichen Gefahren ausgehen.Sie sind jedenfalls viel geringer als die, die von eurerPolitik ausgehen. Wir glauben, dass wir, wenn wir damiteine Gerechtigkeitslücke schließen, eine sehr gute So-zialpolitik machen können.
Zur innerstaatlichen Umsetzung des Fiskalpakts hatCarsten Kühl sehr viel gesagt und gute Lösungen vorge-tragen. Wenn man berücksichtigt, in welchem Maße dieCDU/CSU und die FDP die Länder und Kommunen ver-gessen, dann wird klar, dass die Länder diese Steuerein-nahme unbedingt brauchen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25607
Lothar Binding
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Wir merken auch, dass durch die geringe volkswirt-schaftliche Belastung von insgesamt 0,1 Prozent wederdie Privaten und Superreichen noch die Konzerne, die essich leisten können, jemals einen Schaden haben wer-den. Aber für den Gesamtstaat, die soziale Gerechtigkeitund die Verminderung der Geschwindigkeit, in der dieReichen reicher und die Armen ärmer werden, kanndiese Steuer sehr gut wirken.Ich denke, bei diesen positiven Gesamtwirkungenkönnt ihr noch einmal über die Vermögensteuer nach-denken. Wenn ihr ein bisschen nachdenkt, kommt ihrvielleicht auch dazu, dass das strukturpolitisch eine rechtgute Idee ist.
Der Kollege Dr. Georg Nüßlein hat das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen! Meine Herren! Nachdiesem Schnellseminar in Geschichtsklitterung folgtwieder etwas zum Thema. Ich fühlte mich an die Agenda2010 erinnert, die der Kollege Binding kurz gestreift hat,als ich das Programm der SPD mit der vielversprechen-den Überschrift „Deutschland 2020: So wollen wir mor-gen leben – Bausteine eines Modernisierungsprogram-mes“ gelesen habe. Das ist ein vielversprechender Titel,aber er hat mit der Agenda 2010 nichts mehr zu tun.
Es ist das krasse Gegenteil dessen, was Sie damals ge-macht haben und was in der Tat heute noch hilfreichwirkt.Insgesamt findet man in diesem Programm wenigNeues. Im Finanzbereich sind es nur Ankündigungenvon Steuererhöhungen. Nachdem ich StaatsministerKühl zugehört habe, habe ich verstanden, wie Sie in die-ser Frage denken. Herr Kühl, Sie behaupten allen Erns-tes, Haushalte könne man nur über die Einnahmeseiteausgleichen. Ich empfehle Ihnen: Schreiben Sie Ihrembadischen Kollegen einen freundlichen Brief und bittenSie ihn um Amtshilfe. Er wird sie Ihnen sicherlich ge-währen und Ihnen erklären, wie man es auch anders ma-chen kann, nämlich durch eine ordentliche Politik, stattbei den Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern abzukassie-ren.
Wenig neu ist in diesem Programm auch die Behaup-tung, es treffe nur die anderen. Diese Behauptung mussman aufstellen, wenn man versucht, Neid und Missgunstanzustoßen.
Das geht nämlich nur, indem man sagt: Es trifft nur dieanderen.Auch in dieser Diskussion ist von Multimillionären,Milliardären, Topmanagern und was auch immer dieRede.
Ich empfehle denen, die Ihnen heute zugehört haben,ihren eigenen Gehaltszettel anzuschauen und zu verglei-chen, wo zum Beispiel Ihr erhöhter Spitzensteuersatz inZukunft anfangen wird. Da wird mancher sein blauesWunder erleben, wenn er sieht, wo er aus Ihrer Sicht ein-zustufen ist, nämlich bei den Topverdienern.
Das muss man so klar sagen, Herr Kollege, weil sichmanche Ihrer Wähler Illusionen machen und glauben,dass man das Geld bei den Superreichen holen kann. AmSchluss wird es aber in der Tat die Mittelschicht treffen,und die wird das Ganze bezahlen müssen.Alles andere als neu ist, dass man versucht, ein Subs-titut für die Enteignung zu finden und die Substanzbe-steuerung ins Spiel bringt. Es ist eine ganz alte Forde-rung, die Vermögensteuer wieder einzuführen, die wir1997 abgeschafft haben – wohl überlegt abgeschafft ha-ben –, im Übrigen auch aufgrund der verfassungsrechtli-chen Situation.
Schon damals ist es nicht gelungen, das Vermögen inGut und Böse zu unterteilen, wie Sie es gerne hätten.Wenn Sie aufmerksam lesen, was der Bundesfinanzhofaktuell zum Erbschaftsteuerrecht gesagt hat, werden Siefeststellen, dass auch bei der Erbschaftsteuer die Auftei-lung in Betriebs- und Privatvermögen höchst problema-tisch ist. Wir werden die Differenzierung, die Sie ma-chen müssten, um insbesondere den gewerblichenMittelstand zu verschonen, am Ende so nicht machenkönnen. Ich sage Ihnen ganz offen: Wenn Sie dann trotz-dem Vermögen besteuern, dann ist in einer Situation, inder ein Unternehmen Verluste schreibt, die Besteuerungarbeitsplatzgefährdend. Deshalb kann ich nur davor war-nen, die Substanzbesteuerung in dieser Weise voranzu-treiben.Auch wenn diese Aufteilung in Privat- und Betriebs-vermögen gelänge, wären wir in der Situation, dass Siedamit der Gestaltung der Steuerschuld Tür und Tor öff-nen würden. Das heißt, wir führen wieder eine Steuerein, die zur Gestaltung anregt. Die ganz oben sind, wer-den ihre Steuerschuld gestalten können, aber die, diesich in der Mitte befinden, wird es am Schluss treffen.Aus diesem Dilemma kommt man aus meiner Sicht nurheraus, wenn man auf eine solche Substanzbesteuerungverzichtet.
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25608 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012
Dr. Georg Nüßlein
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Im Übrigen sage ich auch ganz klar: Wenn Sie dieWirkung sehen wollen, dann sollten Sie sich die Erb-schaftsteuer anschauen. Wenn wir das tun würden, waswir tun müssten, nämlich das Steuerheberecht den Län-dern überlassen würden, sodass die, die das Geld kassie-ren, den Steuersatz festlegen, dann würden Sie am Endesehr schnell merken, wohin die Leute ziehen. Wir habenheute schon einmal von solch einem volkswirtschaftli-chen Minimodell gehört. Dieses Modell können Sie ein-mal auf der Bundesebene einführen. Dann werden Siesehen, wohin der Zug geht.Sie wollen eine Kuh auf einer Wiese melken, die kei-nen Zaun hat. Sie werden erleben, wie schnell die Kuhweg ist, wenn sie nicht gemolken werden will. Deshalbfände ich es viel besser, wenn Sie das täten, was etlicheKollegen angeregt haben, nämlich dem Steuerabkom-men mit der Schweiz zuzustimmen. Das kann ich emp-fehlen. Da können Sie tatsächlich Millionäre zur Kassebitten. Wenn Sie zeigen wollen, dass Sie nicht die Mit-telschicht belasten wollen, dann sorgen Sie dafür, dassetwas zur Vermeidung der kalten Progression geschieht.Tun Sie es. Da können Sie zeigen, wen Sie belasten undwen Sie entlasten wollen. Ansonsten erzählen Sie unshier keine Geschichten.Vielen herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Christian von Stetten für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!So eine Aktuelle Stunde bietet den betroffenen Parla-mentariern auch die Chance, einmal darzulegen, wiedenn ihre konkreten Steuerpläne überhaupt aussehen.Diese Chance zur Darlegung ihrer Vermögensteuerplänehat die SPD heute definitiv verpasst und nicht genutzt.
In keinem einzigen Beitrag ist deutlich geworden,was Sie eigentlich wollen. Vier Redebeiträge, und keineinziges Mal ist der Steuersatz gefallen, den die SPD inZukunft – immerhin sind wir acht Monate vor der Bun-destagswahl – festsetzen will. Es ist von Vermögensteuerdie Rede, die den Ländern zustehen soll, und es ist voneiner Vermögensabgabe die Rede, die dem Bund zuste-hen soll. Es ist das Wort von der Erhöhung des Spitzen-steuersatzes gefallen. Zusätzlich wollen Sie den Mittel-stand belasten und das Erbschaftsteueraufkommenverdoppeln, aber es kamen keine konkreten Daten undFakten zu dem eigentlichen Thema unserer heutigen Ak-tuellen Stunde.
Die SPD darf bei den Steuern nicht überziehen. –Diese Aussage ist richtig. Sie stammt von Ihrem desi-gnierten Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück. Nach An-gaben des Deutschlandradios hat er letzte Woche nochhinzugefügt, wer das Loblied auf den deutschen Mittel-stand singe, der dürfe diesen nicht verprellen. Anstatt„verprellen“ kann man in diesem Zusammenhang auch„ausplündern“ sagen; denn die gesamten Steuervor-schläge, die die Opposition in den letzten Wochen undMonaten unterbreitet hat, sind ein Anschlag auf den Mit-telstand und die dort Beschäftigten.
Liebe Kollegen, nach dieser Debatte ist festzustellen:Die SPD von Sigmar Gabriel und Andrea Nahles ver-langt wieder einmal die Einführung einer Neidsteuer,und der designierte Kanzlerkandidat Peer Steinbrückschlägt sich in die Büsche.
Zum Thema Vermögensteuer ist vom Kanzlerkandi-daten trotz intensiver Suche kein Wort zu lesen, keinWort zu hören. Er windet sich, er hat keine Meinung,lässt andere für sich reden. Ich frage mich: Wie lange,glauben Sie, geht das gut? Wie lange geht das in IhrerPartei gut? – Das hat uns nicht zu interessieren. – Wasglauben Sie, wie lange geht das bei der Bevölkerunggut? Die Bevölkerung will acht Monate vor der Bundes-tagswahl wissen, was auf sie zukommt, wenn die SPD indie Regierungsverantwortung kommt.Klarer äußert sich da einer Ihrer wichtigsten Wahl-kampfverbündeten, die Gewerkschaft Verdi. FrankBsirske hat erklärt, er wolle Vermögensteuer und Vermö-gensabgabe zum Bundestagswahlkampfthema machen.Die Gewerkschaft fordert eine jährliche Vermögensteuervon 1 Prozent zum Verkehrswert, welche nach ihrer An-gabe dann 20 Milliarden Euro jährlich einbringen soll;Sie von der SPD gehen noch von 10 Milliarden Euroaus. Vorab will Frank Bsirske eine einmalige 15-prozen-tige Vermögensabgabe erheben, welche die Bürger um300 Milliarden Euro schröpfen soll. Damit ist man ganznah bei dem, was die Grünen wollen: Auch sie wollenhier eine Vermögensabgabe in Höhe von 15 Prozent.
Frau Höll, Sie sind leider der letzte Vertreter derLinkspartei hier.
– Vertreterin. – Auch in Ihren Reden ist kein Wort dazugekommen, wie Ihre Vermögensteuerpläne aussehen. Siehaben vor einem halben Jahr im Deutschen Bundestageinen Antrag eingebracht. Darin ist immerhin von einerVermögensteuer von 5 Prozent zum Verkehrswert dieRede. Ich glaube, das ist Ihnen mittlerweile selber sopeinlich, dass es keiner mehr erwähnt. Sie wollen zuge-gebenermaßen einen Freibetrag von 1 Million Euro. Da-mit suggerieren Sie, davon seien nur die Millionäre be-troffen und nicht die normalen Leute. Tatsächlich ist es
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 210. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 28. November 2012 25609
Christian Freiherr von Stetten
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natürlich so: Diese Neidsteuer betrifft den Mittelstand,die Familienbetriebe, die dort Beschäftigten. Diese Be-schäftigten müssen dann schauen, wo sie bleiben, wennihre Arbeitgeber das Land verlassen.Außerdem sind vor allem die Mieter betroffen; daherbeschämt es mich ganz besonders, dass dieser Vorschlagvon der linken Seite dieses Parlamentes kommt. Es sinddoch nicht die Vermieter, die darunter leiden, dass sie5 Prozent Vermögensteuer zahlen müssen.
Nehmen wir einmal einen wohlhabenden Vermieter mitverschiedenen Mietwohnungen. Er erzielt eine Verzin-sung von 3,5 Prozent, soll darauf Ertragsteuern und jähr-lich zusätzlich 5 Prozent Vermögensteuer zum Verkehrs-wert zahlen. Er hat dann ein Renditeobjekt, das eineMinusrendite erbringt. Also wird er versuchen, diesesRenditeobjekt so schnell wie möglich zu verkaufen. Erwird allerdings niemanden finden, der dieses Minusren-diteobjekt kauft, und deswegen wird er die kompletteVermögensteuer von 5 Prozent jährlich auf den Miet-preis umlegen. Das ist ein Problem, das Sie nicht aus-klammern können. Ihre Pläne sind mieterschädlich. DieUmlage von 5 Prozent Vermögensteuer zum Verkehrswertauf die Mieten bedeutet eine Mieterhöhung um 50 Pro-zent. Mieterhöhungen bis hin zu einer Verdopplung desMietwerts wären also möglich.Herr Minister Kühl, keiner, der ein hohes Einkommenhat, hat etwas dagegen, dass er Steuern zahlen muss.Wenn unsere Betriebe, die Mittelständler ein gutes Jahrund hohe Erträge gehabt haben, dann zahlen sie gernSteuern. Aber wenn Sie selbst dann Steuern verlangenwollen, wenn in einem Jahr gar nichts verdient wordenist, wenn in einem Jahr ein Minus gemacht worden ist,wenn von der Substanz eines Unternehmens gezehrtworden ist, dann ist das nicht nur unverständlich,sondern wirtschaftlich schädlich. Das werden wir, dieseKoalition, gemeinsam verhindern.Herzlichen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Die nächste Sitzung berufe ich auf morgen, Donners-
tag, den 29. November, 10 Uhr, ein.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen
Einsichten.
Die Sitzung ist geschlossen.