Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: 10. Bericht der Bundesregie-rung über ihre Menschenrechtspolitik.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister des Auswärtigen, Herr Dr. GuidoWesterwelle. Bitte, Herr Minister.Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen undHerren Abgeordnete! Ich darf darauf aufmerksam ma-chen, dass das Kabinett heute einen sehr umfangreichen10. Bericht der Bundesregierung über die gemeinsameMenschenrechtspolitik verabschiedet hat. Es ist Ihnenbekannt, dass dieser nicht der Bericht eines Ressorts ist,sondern dass es natürlich eine Querschnittsaufgabe ist.Das heißt, dass auch die unterschiedlichen Ressortssowohl innen- als auch außenpolitisch zu Haltung, denAktionen und den notwendigen Maßnahmen zur Men-schenrechtspolitik beigesteuert haben und wir vom Aus-wärtigen Amt dies koordiniert haben. Der Menschen-rechtsbericht stellt die zentralen Entwicklungen in derdeutschen und in der internationalen Menschenrechts-politik für den Zeitraum vom 1. März 2010 bis zum29. Februar 2012 dar. Er verdeutlicht die zentrale Rolleder Menschenrechte in der Außen- und in der Innenpoli-tik der Bundesregierung.Die Bundesregierung betrachtet den Einsatz für Men-schenrechte als ein zentrales Politikanliegen, innen- wieaußenpolitisch. Wir wollen eine interessengeleitete, vorallen Dingen aber auch eine werteorientierte Außenpoli-tik. Es gibt aus unserer Sicht keine menschenrechtsfreienPolitikbereiche. Das ergibt sich schon aus den vorge-stellten Aktivitäten: Einsatz für die Religionsfreiheit– Sie alle wissen, dass das leider in den letzten Jahren anDringlichkeit und an Bedeutung zugenommen hat –,aber auch der Einsatz für Kinder- und Frauenrechte, derSchutz von Menschenrechtsverteidigern – das sehe ichselber als besonders wichtig an; wenn man etwas fürMenschenrechte tun will, muss man gerade auch dieMenschenrechtsverteidiger schützen und ihre Arbeit un-terstützen –, die Verhinderung von Menschenhandel, derEinsatz für die Rechte von Menschen mit Behinderun-gen und die Bekämpfung von Diskriminierungen.Der Bericht greift auch aktuelle politische Entwick-lungen auf, zum Beispiel den Umbruch in der arabischenWelt – ich habe auf das Thema der religiösen Pluralitätbereits hingewiesen –, aber auch das deutsche Engage-ment im Sicherheitsrat zu dem wichtigen Anliegen „Kin-der in bewaffneten Konflikten“, das heißt, den besserenSchutz von Kindern in bewaffneten Konflikten durch dieinternationale Staatengemeinschaft zu gewährleisten.Hinzu kommt – hier darf ich mich beim Deutschen Bun-destag über alle Fraktionsgrenzen hinweg bedanken –die Unterstützung für die von Deutschland aus initiierteKampagne für ein universelles Menschenrechtslogo. Esist sehr verbreitet – ich sehe, Herr Kollege Strässer, Siehaben es angesteckt – und hat international eine erfolg-reiche Bewegung und Unterstützung ausgelöst.Der Bericht wird ergänzt durch ein Länderkapitel.Dort werden die menschenrechtlichen Entwicklungen incirca 70 Staaten aufgezeigt und die Maßnahmen zur För-derung von Menschenrechten vor Ort vorgestellt. Es istuns allen bekannt, dass Menschenrechtspolitik Ausdauerund Hartnäckigkeit verlangt, manchmal ein klares Auf-treten in der Öffentlichkeit, sehr oft auch ein leises, aberdeswegen nicht minder engagiertes Vorgehen. Der Ein-satz für Menschenrechte erfordert gelegentlich schmerz-hafte, aber unvermeidbare Abwägungen. Auch das ge-hört zur Wahrheit dazu.Ein integraler Bestandteil des Berichts ist der Ak-tionsplan Menschenrechte der Bundesregierung. Das istein Aktionsplan, der auf eine Initiative des DeutschenBundestages zurückgeht. Sie finden ihn jetzt hier umge-setzt. Er zeigt die Prioritäten für die Arbeit der Bundes-regierung in den nächsten zwei Jahren auf. Der Entwurfdieses Aktionsplans wurde mit Vertretern des DeutschenInstituts für Menschenrechte und des Dachverbandes derdeutschen Menschenrechtsorganisationen, Forum Men-
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schenrechte, erörtert. Dieser Austausch hat sich – das hatmir Markus Löning als Beauftragter der Bundesregie-rung für Menschenrechtspolitik und Humanitäre Hilfebestätigt – als sehr nützlich erwiesen.Wir wissen, dass die Menschenrechtspolitik nicht nurvon der Regierung, sondern auch von vielen Institutio-nen, national wie international, wahrgenommen undgetragen wird. Dazu zählen die Ministerien, die Parla-mente, rechtsstaatliche Träger, natürlich auch die Men-schenrechtsinstitutionen bis hin zu Gewerkschaften, Un-ternehmen und Interessenverbänden, vor allem aberauch die Zivilgesellschaften. Dass wir die Zivilgesell-schaften durch unsere Politik stärken, ist ganz offen-sichtlich. Mit diesem Menschenrechtsbericht wollen wirzum Dialog einladen.Frau Präsidentin, das soll als Einführung – wie ichhoffe, in der von Ihnen gesetzten Zeit – genügen.
Herzlichen Dank, auch für die Einhaltung der Zeit. –
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bitte, zunächst Fra-
gen zu dem Themenbereich zu stellen, über den soeben
berichtet wurde.
Die erste Frage stellt der Kollege Volker Beck.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Herr
Bundesaußenminister, ich komme gerade – genauso wie
die Vizepräsidentin – von der Einweihung des Denkmals
für die unter dem nationalsozialistischen Regime ermor-
deten Sinti und Roma. In dem UPR-Bericht für Deutsch-
land gibt es mehrere Empfehlungen zur Verbesserung
der Situation von Roma in Deutschland. Bei meiner kur-
sorischen Überprüfung Ihres Berichts, der uns erst seit
wenigen Minuten vorliegt, habe ich zwar gelesen, dass
sich Deutschland dafür einsetzt, dass in der EU die Pro-
gramme zur Verbesserung der Situation der Roma unter-
stützt werden. Im nationalen Teil habe ich jedoch keine
Silbe darüber gefunden, inwieweit die Bundesregierung
bislang den Forderungen aus Genf an die Bundesrepu-
blik Deutschland im Hinblick auf eine Umsetzung nach-
gekommen ist.
Die Bundeskanzlerin hat anlässlich der Einweihung
eine sehr gute Rede zu den Konsequenzen gehalten, die
ein solches Gedenken an die Sinti und Roma für die
Politik haben muss. Vielleicht ist auch deshalb der Bun-
desinnenminister zu der Gedenkveranstaltung gar nicht
erst gekommen. Hoffentlich haben diese guten Worte ir-
gendeine Konsequenz, zum Beispiel was die Situation
von Roma-Flüchtlingen aus Serbien und Mazedonien
betrifft. Wir müssen endlich begreifen: Wenn Menschen
fliehen, weil sie nicht wissen, wie sie über den Winter
kommen sollen, weil sie kein Dach über dem Kopf, kein
Wasser, keinen Strom, keine Heizung haben und weil die
Lebensmittelversorgung nicht gesichert ist, dann kann
das nicht einfach mit Abschottungs- und Abschiebungs-
rhetorik abgehandelt werden, wie das der Bundesinnen-
minister in den letzten Wochen getan hat.
Ich möchte von Ihnen ganz konkret wissen: Welche
Empfehlungen aus dem UPR-Bericht zur Verbesserung
der Situation der Roma hat die Bundesregierung seit
2009 umgesetzt, und welche wird sie in dieser Wahl-
periode noch umsetzen?
Bitte, Herr Minister.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Herr Kollege, zunächst einmal teile ich Ihre Einschät-
zung, dass die Bundeskanzlerin soeben eine sehr gute
Rede gehalten hat. Ich habe sie zwar nicht verfolgt, bin
aber generell dieser Auffassung.
– Lassen Sie es doch gut sein. Das war doch erkennbar
eine ironische Bemerkung.
Überwiegend hat jetzt der Herr Minister das Wort.Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Frau Präsidentin – das ist doch auch eine Freude –,ich fange noch einmal von vorne an.
Zunächst einmal teile ich Ihre Auffassung, dass dieFrau Bundeskanzlerin soeben eine sehr gute Rede gehal-ten hat. Zum Zweiten, Herr Kollege, kann ich Ihren auchvon Sorge getragenen Äußerungen mit allem Ernst zu-stimmen, was die Lage von Roma und Sinti angeht. WieSie wissen, habe ich mich als Außenminister damit inGesprächen vor allen Dingen mit zwei EU-Mitgliedstaa-ten befasst. Es ist aber nicht so, als reagierte die Bundes-regierung auf die zum Teil sehr schwierige Lage vonRoma und Sinti lediglich mit Abschieberhetorik, wie Siees formuliert haben. Das kann ich nicht erkennen. ImGegenteil: Unsere Politik ist umfassend angelegt. DieVerbesserung von Bildungschancen und die Integrationvon Roma und Sinti sind zentrale Anliegen der Innen-politik der Bundesregierung, zu der ich als Außenminis-ter nicht weiter Stellung nehmen kann. Aber ich kannIhnen versichern, dass wir in jedem Fall auf eine sorgfäl-tige Prüfung von einzelnen Familienschicksalen Wert le-gen. Was aber nicht geht, ist, dass Menschen unter demVorwand, Asyl zu beantragen, nach Deutschland kom-men und damit uns, aber auch die Länder, aus denen siekommen, in erhebliche Schwierigkeiten bringen, obwohldiese Menschen, wie die Anerkennungsquote zeigt, of-fenkundig nur sehr geringe Aussichten haben, als Asyl-bewerber anerkannt zu werden. Insofern denke ich, dassdie Art und Weise, wie wir mit Roma und Sinti verfah-
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ren, verantwortungsvoll und auch angemessen ist. Wirnehmen die Belange der Menschen, aber auch die außen-und innenpolitischen Belange unseres Landes wahr.
Kollege Beck, ich nehme Ihren Wunsch nach einer
weiteren Frage in die bereits sehr umfangreiche Liste
von Fragestellern auf.
Die nächste Frage stellt der Kollege Rolf Mützenich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Wenn ich mir die
Freiheit nehmen darf, würde ich mich gerne bei Herrn
Löning, dem Menschenrechtsbeauftragten der Bundes-
regierung, für seine Arbeit bedanken, insbesondere für
seine Stellungnahmen, die wir größtenteils unterstützen.
Herr Minister, ich möchte Ihnen gerne die Gelegen-
heit geben, kurz präzisere Ausführungen zum Stellen-
wert der Menschenrechte und insbesondere zu ihrer Be-
rücksichtigung bei Rüstungsexporten zu machen; denn
die Bundeskanzlerin hat am Wochenende nach meiner
Einschätzung eine kleine Veränderung vorgenommen.
Es soll nun offensichtlich ermöglicht werden, mehr Rüs-
tungsgüter an Länder zu liefern, selbst wenn diese keine
Sicherheitsleistungen erbringen können. Da würde ich
schon gerne die Frage der Menschenrechte ansprechen.
Der zweite Aspekt betrifft die Situation der Men-
schenrechte in Russland: Welche Bedeutung hat das
Thema ganz konkret bei den deutsch-russischen Regie-
rungskonsultationen Anfang nächsten Monats? Viel-
leicht können Sie sich auch dazu einlassen – die Bundes-
kanzlerin hat es über ihren Sprecher schon getan –, wie
Sie die Äußerungen des Koordinators für die deutsch-
russische zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit,
Schockenhoff, bewerten.
Der dritte Aspekt in diesem Zusammenhang: Wir alle
machen uns riesengroße Sorgen um die humanitäre Si-
tuation und damit auch um die Menschenrechte in Syrien
bzw. in den Flüchtlingslagern. Wie kann insbesondere
die Situation der betroffenen Menschen verbessert wer-
den, vielleicht im Rahmen einer breiteren Flüchtlings-
politik der EU unter Beteiligung der Bundesregierung?
Vielen Dank.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Frau Präsidentin, wie viel Zeit habe ich denn?
Sie haben eine Minute. – Mit Ihrer Frage geben Siemir die Gelegenheit, Herr Minister, auf Folgendes hinzu-weisen: Die erste Frage des Kollegen Beck ist etwasausführlicher ausgefallen, da durch ein Versehen im Prä-sidium das Lichtsignal nicht eingeschaltet wurde. An-sonsten gilt – das als Erklärung für diejenigen, die demfolgen, was wir hier im Moment diskutieren –, dass es indem Moment, in dem begonnen wird, eine Frage zu stel-len, ein optisches Signal gibt. Wenn das Signal auf Rotumschaltet, dann ist die Minute für die Fragestellung ab-gelaufen. Gleiches gilt für die Antwort: Wir lassen demHerrn Minister und den nachfolgenden Mitgliedern derBundesregierung bei der Beantwortung Unterstützungdurch das optische Signal zuteilwerden. Sollten sie diesnicht beachten, erlaube ich mir, nach einer gewissen Zeiteinzuschreiten.Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Frau Präsidentin, ich danke Ihnen für diesen techni-schen Hinweis. – Herr Kollege Mützenich, ich betrachtees allerdings als Ding der Unmöglichkeit, Ihre Frage zuWaffenexporten, zur Russlandpolitik und zu Syrien in-nerhalb von zwei Minuten befriedigend zu beantworten.Deswegen werde ich Sie, wie ich befürchte, an einigenStellen ratlos zurücklassen müssen.Was Ihre erste Frage zu den Waffenexporten angeht,Herr Kollege: Es gibt keine Veränderung der Waffen-exportpolitik der Bundesregierung. Es bleibt dabei, dasswir unsere Waffenexportpolitik natürlich nach den Re-geln betreiben, die es nicht erst seit kurzem gibt, sonderndie sich seit langen Jahren bewährt haben und von vielenBundesregierungen befolgt wurden.Was das zweite Thema angeht, zu Russland: Hierzuhat sich bereits der Sprecher meines Amtes geäußert,und zwar noch am selben Tag, als die infrage stehendenÄußerungen aus dem russischen Außenministerium überdie Nachrichtenagenturen gelaufen sind. Ich kann dazunur noch einmal sagen: Herr Kollege Schockenhoff istein bewährter und anerkannter Kollege des DeutschenBundestages, und es gibt aus unserer Sicht keinen Grundfür derartig zugespitzte Vorwürfe, wie sie über Agentu-ren verbreitet worden sind. Herr Kollege Schockenhoffwird seine Tätigkeit fortsetzen, und er hat dabei die Rü-ckendeckung nicht nur der Bundesregierung, sondernselbstverständlich auch des Auswärtigen Amtes. So hatsich der Regierungssprecher bereits geäußert, und so hatsich auch – bereits vor dem Wochenende – der Sprechermeines Hauses dazu eingelassen.Die Frage zu Syrien ist – wie ich sehe, blinkt das Si-gnal bereits rot, Frau Präsidentin – am schwierigsten zubeantworten. Dieses Thema hat zumindest zwei großebedeutungsvolle Aspekte: zum einen die Lage der Men-schen in Syrien und zum anderen die schwierige Abwä-gung im Hinblick auf die Gefahr eines Flächenbrandesfür die gesamte Region. So beklagenswert und traurigdie Menschenrechtslage in Syrien ist, so wichtig es ist,den Menschen in Syrien zu helfen, so notwendig ist esauch, dass wir gemeinsam mit unseren Partnern alles inder Außenpolitik dafür tun, dass aus dem syrischen Kon-flikt kein Flächenbrand in der gesamten Region entsteht.Diese Gefahr ist sehr real und ist in den letzten Wochenund Tagen noch einmal deutlich gestiegen. Das beziehtsich nicht nur auf die Konfliktlage an der Grenze zwi-schen der Türkei und Syrien – Sie sind Außenpolitikerund kennen das sehr genau –, sondern auch auf die Lage,die durch die große Zahl von Flüchtlingen entstehenkann, die dankenswerterweise in Jordanien versorgt wer-den, und leider darauf, dass dieser Konflikt durch Ge-walt auch in den Libanon gebracht werden kann. Deswe-
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gen ist beides notwendig: der Schutz der Menschen undihrer Menschenrechte, aber auch nach besten Kräften dieVerhütung und die Verhinderung eines Flächenbrandes,bei dem ein Land nach dem anderen in Brand gesetztwerden könnte.
Die nächste Frage stellt der Kollege Christoph
Strässer.
Herzlichen Dank für die sehr zeitnahe Vorlage des
Berichts. Ich halte das für ein gutes Zeichen. Ich möchte
mich dem Dank an Herrn Löning ausdrücklich anschlie-
ßen, auch für die gute Zusammenarbeit in den letzten
Jahren.
Wir haben seit 2008 ein Thema auf der Tagesordnung,
das etwas mit dem Ansehen der Bundesrepublik
Deutschland im internationalen Menschenrechtsschutz
zu tun hat. Es geht um die Ratifizierung des Zusatzproto-
kolls zum Vertrag über wirtschaftliche, soziale und kul-
turelle Rechte. Bei erster Durchsicht des Berichts finde
ich – auch in Teil D, in dem es um den nationalen Ak-
tionsplan geht – hierzu keinerlei Äußerungen. Wir sind
2009 – das war auch verständlich – von Ihnen informiert
worden, das brauche alles seine Zeit, damit es gut werde.
Jetzt sind weitere drei Jahre ins Land gegangen, und wir
sehen keinerlei Fortschritte. Ich bitte Sie, darzulegen,
welche Position die Bundesregierung zu diesem Thema
hat und wann mit der Vorlage eines Ratifizierungsvertra-
ges hier im Deutschen Bundestag zu rechnen ist.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Herr Kollege, dazu kann ich Ihnen derzeit keine zeit-
lichen Angaben oder Ankündigungen machen. Ich kann
Ihnen nur sagen, dass wir unverändert um eine Lösung
bemüht sind. Aber ich kann Ihnen heute keinen Zeit-
punkt dazu ankündigen.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Annette Groth.
Danke schön. – Herr Minister, Sie haben kurz den
Menschenhandel erwähnt. Als Berichterstatterin des
Europarats für Menschenhandel liegt mir dieses Thema
sehr am Herzen. Als ich den Bericht der Bundesregierung
gelesen habe, habe ich eine Region vermisst. Das ist der
Sinai. UN-Flüchtlingskommissar Guterres hat neulich im
Ausschuss für Menschenrechte und im AwZ die Situation
auf dem Sinai als das größte weltweite Flüchtlingsdrama
bezeichnet. Mir liegt ein erschütternder Bericht über
Menschenhandel auf dem Sinai vor – hier ist die Rede
von Flüchtlingen zwischen Leben und Tod –, der auch in
Ihrem Haus diskutiert wird; ich habe eben mit einem Be-
amten aus dem AA gesprochen. Ich habe diesen Bericht
Herrn Löning zugeleitet. Die Lage ist sehr dramatisch.
Menschen werden aus Flüchtlingslagern im Sudan gekid-
nappt, auf den Sinai gebracht, teilweise mehrmals ver-
kauft, um dann von Verwandten Lösegeld zu erpressen.
Bei uns spielt dieses Thema leider nur eine marginale
Rolle. In Norwegen zum Beispiel wird fast jeden Tag in
sämtlichen Medien darüber berichtet. Beispielsweise gibt
es einen eritreischen Flüchtling, dessen vier Kinder sich
auf dem Sinai befinden. Jetzt wird Geld gesammelt, um
sie freizukaufen.
Es ist fürchterlich, über die Folterungen zu lesen. Ich
möchte wissen: Ist Ihnen das bekannt? Was wird die
Bundesregierung tun, um Menschenrechtsverletzungen
wie Folter zu stoppen?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Frau Kollegin, ich kann Ihnen beim besten Willen
nicht sagen, an welcher Stelle des fast 300 Seiten umfas-
senden Berichts der Bundesregierung genau das Problem
des Menschenhandels, das natürlich alle Regionen be-
trifft, aufgeführt wird. Das erwarten Sie sicherlich auch
nicht von mir. Natürlich ist es ein zentrales Anliegen.
Deswegen habe ich es in den wenigen Bemerkungen
meiner Einführung angesprochen.
Ansonsten muss ich Ihnen sagen – ohne auf Einzel-
heiten Ihrer Hinweise einzugehen –: Die Situation auf
dem Sinai beunruhigt uns in vielerlei Hinsicht ein-
schließlich der Gefahr, dass dort Terroristen geschult
und ausgebildet werden bzw. Rückzugsgebiete finden.
Es hat Berichte über Organhandel gegeben. Menschen-
rechtsrelevante Themen wie Menschenhandel, den Sie
zu Recht ansprechen, spielen eine Rolle. Es gibt Entfüh-
rungen.
Ich kann Ihnen versichern, dass das Thema Lage auf
dem Sinai von mir persönlich in zentralen Gesprächen
mit den betreffenden Regierungen und Präsidenten der
Region angesprochen wurde. Ich werde in der Öffent-
lichkeit nicht über alles berichten können – Sie wissen,
dass diese Gespräche eine gewisse Vertraulichkeit ver-
langen –, aber ich kann Ihnen versichern, Frau Kollegin,
dass dieses Thema von mir persönlich an relevanter
Stelle angesprochen worden ist; denn wir haben ein mas-
sives gemeinsames Interesse daran, dass sich die Lage
auf dem Sinai stabilisiert. Wir werden vielleicht nicht in
politischen Bewertungen, was die gesamte Region an-
geht, übereinstimmen – das ist in Bezug auf den Nahost-
friedensprozess oder die gesamte Politik im Mittleren
und Nahen Osten nicht zu erwarten –, aber ich kann Ih-
nen versichern: Das Thema wurde von mir an relevanter
Stelle angesprochen. Ich nenne hier aber weder Ross
noch Reiter, weil es sich gegenüber den Gesprächspart-
nern als unklug erweisen würde.
Die Kollegin Erika Steinbach hat das Wort zur nächs-
ten Frage.
Herr Außenminister, zunächst einmal bedanke ichmich dafür, dass sich die Bundesregierung des ThemasMenschenrechte so intensiv annimmt. Das haben uns dieletzten Jahre deutlich gemacht.
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Erika Steinbach
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Auch ich möchte den Bereich Menschenhandel an-sprechen; denn in diesem Bereich wird heutzutage mehrGeld verdient als mit dem Drogenhandel. Deutschlandist nicht nur Transitland, sondern auch Zielland vonMenschenhändlern. Inwieweit verzahnen Sie auf Regie-rungsebene Außen- und Innenpolitik? Mir scheint einesolche Verzahnung nötig zu sein.Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Frau Kollegin, wir belegen mit diesem ressortüber-greifenden Menschenrechtsbericht, vor allen Dingenaber mit dem Aktionsplan, dass es sich dabei um einevernetzte Politik handelt. Ich danke Ihnen für die freund-lichen, anerkennenden Worte. Ich sage das in aller Be-scheidenheit: Die Menschenrechtspolitik hat für dieseBundesregierung eine sehr hohe Bedeutung, und zwarnicht nur in der Außenpolitik, sondern auch in allen an-deren Bereichen. Wir sind bei diesem Thema ressort-übergreifend sehr sensibel, vor allen Dingen natürlich inden Bereichen, in denen Außen- und Innenpolitik zu-sammentreffen.Ich habe, wie ich es dem Kollegen Beck bereits ge-sagt habe, nur Gutes über die Zusammenarbeit zwischendem Innen- und dem Außenministerium zu berichten,gerade beim Thema Menschenrechte. Es gibt natürlichimmer Fragen – das liegt in der Natur des Zuschnitts die-ser Ämter –, bei denen das eine Ressort qua Amt ganzbesonderen Wert auf die Sicherheit legen muss und zudenen das andere Ressort Vorschläge einbringen kann.Mein Eindruck ist, dass diese vernetzte Politik so betrie-ben wird, wie man das von der Regierung erwarten kann.Der vorliegende Bericht ist ein fast 300 Seiten starkesDokument, das zeigt, dass es eine vernetzte Menschen-rechtspolitik gibt und es keinen Unterschied zwischendem Engagement für die Einhaltung der Menschenrechteim Ausland und der Menschenrechtspolitik im Inlandgibt.
Das Wort hat die Kollegin Angelika Graf.
Herr Minister, ich möchte an dieser Stelle nahtlos an-
schließen. Ich war gestern Abend beim Festakt des Be-
handlungszentrums für Folteropfer hier in Berlin. Dieses
Zentrum leistet seit 20 Jahren eine sehr segensreiche Ar-
beit, was die Behandlung von Menschen betrifft, die auf-
grund von Folter traumatisiert sind. Ich habe mir den Be-
richt, so schnell es ging, auf genau dieses Thema hin
angeschaut. Ich habe herausgefunden, dass sich die Aus-
führungen zur Bekämpfung der Folter im 9. und 10. Be-
richt im Wesentlichen gleichen. Sie sind, denke ich, er-
nüchternd, was den nationalen Präventionsmechanismus
betrifft. Im 9. Bericht stand dazu, dass Sie die personelle
und finanzielle Ausstattung prüfen wollen. Jetzt, zwei
Jahre später, heißt es, dass die Praxisberichte vorliegen
und die Ausstattung überprüft wird.
Ich kann nicht ganz verstehen, warum Sie zugelassen
haben, dass der Leiter der Bund-Länder-Kommission zu-
rückgetreten ist. Er ist aus Protest zurückgetreten, weil er
die für seine Arbeit erforderliche Ausstattung nicht be-
kommen hat. Ich frage Sie als Minister: Warum wird ein
bekannter Missstand überprüft, wenn keine Konsequen-
zen aus dem Missstand gezogen werden? Welche Erklä-
rung haben Sie als Außenminister dafür, dass wir in an-
deren Ländern gegen die Folter kämpfen und diese
auffordern, Mechanismen gegen Folter einzurichten, im
eigenen Land aber keinen Schwerpunkt auf dieses
Thema legen?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Frau Kollegin, in Ihrer Frage schwingt ein Vorwurf an
die Bundesregierung mit, den ich nicht teile. Ich glaube,
dass die Bundesregierung kohärent verfährt: Engage-
ment im Ausland und Unterstützung der Kräfte im In-
land, die sich zum Beispiel zivilgesellschaftlich gegen
Folter engagieren. Ich kann hier keine Defizite erkennen.
Ich lege großen Wert darauf, dass dies beim Aktionsplan
berücksichtigt wird.
Sie haben gesagt, dass Sie die Berichte verglichen ha-
ben. Ich kann jetzt nicht mit Ihnen darüber diskutieren, ob
sich die Worte oder Formulierungen gegen Folter ähneln.
Es spricht aber vieles dafür, dass sich die Formulierungen
zum Thema Kampf gegen Folter weltweit ähneln; denn
das ist ein Anliegen, das sich nicht von Regierung zu Re-
gierung oder von Periode zu Periode verändert. Deshalb
spricht viel dafür, dass bei diesem Thema die Kontinuität
gewahrt wird. Ich kann keine Defizite seitens der Bun-
desregierung erkennen, auch nicht, was die Politik gegen
Folter angeht, weder im Inland noch im Ausland. Ich
kann das nicht erkennen.
– Nein, ich kann dazu keine Erklärungen abgeben. Das
tue ich hier auch nicht.
Bevor ich das Wort der Kollegin Katrin Werner gebe,
ein Hinweis an alle Kolleginnen und Kollegen: Im Au-
genblick habe ich noch zehn Wortmeldungen vorliegen.
Es ist mir möglich, wenn großes Interesse an diesem
Thema besteht – das ist zweifellos der Fall –, die Dauer
der Befragung zu verlängern. Dann wird die nachfol-
gende Fragestunde verkürzt. Ich habe vor, alle zehn
Wortmeldungen zuzulassen.
Das Wort hat nun die Kollegin Katrin Werner.
Vielen Dank. – Herr Minister, ich möchte an das an-schließen, was meine Vorrednerin gesagt hat. In Teil Ades Berichts, also dem Abschnitt zu Deutschland, findetsich die Erkenntnis, dass zu wenig Mittel bereitgestelltwerden. Wir hatten im Ausschuss Änderungsanträge zudiesem Haushaltstitel eingebracht, in denen wir um eine
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Katrin Werner
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Erhöhung der Mittel gebeten haben. Diese wurden abge-lehnt. Insofern stellt sich, wenn Sie es sogar im Berichtfesthalten, die Frage: Wie wollen Sie daran etwas än-dern, außer dem mit Programmen entgegenzuwirken?Ein weiterer Abschnitt – ich möchte mich nur aufTeil A beschränken; der Bericht wurde uns ja erst vorzwei Stunden vorgelegt – befasst sich mit Menschen-rechten in Deutschland. Ich habe beim Überfliegen desBerichts gesehen, dass Sie dem Thema Armut inDeutschland zwei Seiten widmen. Kein einziges Malwird Altersarmut erwähnt. Sie kündigen den viertenArmuts- und Reichtumsbericht an, der zumindest alsEntwurf schon seit Wochen vorliegt. Aus diesem geht jaklar hervor, dass jeder fünfte Deutsche von Armut undAusgrenzung bedroht ist. Insofern fehlen mir präzisereAngaben in Ihrem Bericht dazu. Sie gehen auf einerSeite auf die Alleinerziehenden ein – auch ein sehr wich-tiges Thema, wie ich finde.Weiter hinten im Bericht steht, dass Sie eine Initiativestarten wollen und die Ämter bei der Anwendung desKinder- und Jugendhilferechts in Menschenrechtsfragenunterstützen wollen. Über die Situation der Länder undKommunen haben wir ja schon im Ausschuss gespro-chen: Die Länder und Kommunen – die Kommunen sinddie kleinste, aber wichtigste Einheit – sind immer mehrvon Finanzproblemen bedroht und mussten in den letz-ten Monaten gerade im sozialen Bereich Kürzungen vor-nehmen, weil sie dem Entschuldungsfonds beigetretensind. Vor diesem Hintergrund ist doch die UmsetzungIhrer Erkenntnisse überhaupt nicht mehr möglich. Wiewollen Sie das also schaffen?
Bitte, Herr Minister.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Zunächst einmal, Frau Kollegin, möchte ich auf eines
hinweisen: Es wurde jetzt zum zweiten Mal gesagt, dass
Sie den Bericht erst vor zwei Stunden bekommen haben.
Das ist kein Wunder; denn wir haben ihn erst vor
zweieinhalb Stunden in der Regierung beschlossen. Es
handelt sich natürlich um einen umfangreichen Bericht.
Dieser muss von Ihnen erst einmal im Detail gelesen
werden.
– Das ist auch völlig in Ordnung. – Ich stelle nur fest,
dass das Thema – ich glaube, für uns alle – wichtig ist
und dass hier nichts zurückgehalten wird. Wir haben den
Bericht also heute Morgen im Kabinett beschlossen, und
wir haben ihn Ihnen dann unverzüglich zugeleitet. Na-
türlich handelt es sich um ein sehr komplexes Thema.
Daher ist es für Sie, aber auch für alle anderen schwierig,
schon jetzt alle Details des Berichts, der etwa 300 Seiten
umfasst, zu kennen. Ich will dies nur sagen, weil ich sehr
viel Wert darauf lege, dass hier nicht der Misston einer
Missachtung Ihrer Arbeit stehen bleibt. Dafür habe ich
dem Deutschen Bundestag viel zu lange als Abgeordne-
ter auf der Oppositionsseite angehört.
Nun zu Ihrer Frage. Sie sagen, es würden zu wenig
Mittel eingesetzt. Das kann ich nicht erkennen. Ich
glaube, dass die im Haushaltsansatz vorgesehenen Mittel
ausreichend sind, um unsere Menschenrechtspolitik ver-
nünftig fortzusetzen. Wenn man in einem bestimmten
Bereich tätig ist, hat man immer das Bedürfnis, dass dort
noch mehr Mittel eingesetzt werden. Das ist verständ-
lich. Das geht auch mir in meinem Ressort gelegentlich
so. Aber wir alle haben einen Beitrag dazu zu leisten,
dass die Staatsfinanzen in Deutschland wieder ausgegli-
chen werden bzw. stabil bleiben. Deswegen ist dies im-
mer in einem Zusammenhang zu betrachten. Das kann
ich Ihnen dazu antworten.
Vielleicht noch ein Nachsatz. Bitte erlauben Sie mir
eines: Ich würde Ihnen gerne meine Gedanken zum
Thema Altersarmut vortragen – ich hätte dazu eine aus-
führliche Meinung –, aber als Außenminister bitte ich
Sie um Verständnis, dass Sie diese Fragen im Ausschuss,
wenn Sie den Bericht beraten, mit dem zuständigen
Kollegen besprechen. Ich bin immer in der Versuchung,
dass ich gewissermaßen universell zu Themen antworte,
die nicht zu meinem Geschäftsbereich gehören. Aber
wie sagt man so schön? Diese Zeit ist für mich vorbei.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Ute Granold.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Zunächst einmalherzlichen Dank für Ihre Ausführungen. Ich möchtezwei Punkte ansprechen: die Religionsfreiheit und denMenschenhandel.Im Zusammenhang mit dem Thema Religionsfreiheitbedanke ich mich ausdrücklich für Ihr Engagement fürden Schutz der religiösen Minderheiten, insbesondereder Christen. Sie waren mehrfach in den Staaten des ara-bischen Frühlings, in Ägypten, im Irak. Herzlichen Dankdafür. Meine Frage bezieht sich auf Syrien; Sie hatten javorhin darüber gesprochen. Von dort gehen tagtäglicherschreckende Meldungen über verfolgte und ermordeteChristen ein. Die Situation dort ist ganz schlimm. Viel-leicht können Sie angesichts dieser Meldungen sagen,wie man hier sofort und konkret vonseiten der Bundes-regierung, aber auch der EU helfen könnte.Das Zweite ist das Thema Menschenhandel; hier gehtes mir insbesondere um die Zwangsprostitution. Siehaben sich im Menschenrechtsrat in Genf diesem Themagewidmet. Es ist ja aufgrund der Blockbildung des Men-schenrechtsrates sehr schwierig, gemeinsame Entschei-dungen und Resolutionen auf den Weg zu bringen. DieseBlockbildung wurde, was das Thema Menschenhandelund gerade auch Zwangsprostitution angeht, durch diebilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und denPhilippinen aufgebrochen. Wie wir von der KolleginSteinbach gehört haben, ist Ziel- und TransitlandDeutschland. Meine Frage: Kann Deutschland das ein-geschlagene Vorgehen auf weitere Staaten erweitern, um
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Ute Granold
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diesem Problem des Menschenhandels besser gerecht zuwerden?Auch an dieser Stelle herzlichen Dank für das Enga-gement im Menschenrechtsrat und auch dem Menschen-rechtsbeauftragten der Bundesregierung, Herrn Löning;er ist ganz wichtig für uns.Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Vielen Dank, Frau Kollegin, auch für die anerkennen-den Worte an Herrn Löning. Ich möchte Ihnen auch vonmeiner Seite aus sagen: Die Zusammenarbeit ist hervor-ragend, und ich bin sehr froh, wie Herr Löning alsMenschenrechtsbeauftragter diese Arbeit macht.Das, was ich in Genf gesagt habe – ich glaube, Siewaren damals dabei, als ich meine Rede gehalten habe –,gilt unverändert; das ist ein ganz zentrales Anliegen füruns. Man stellt sich das bei uns gelegentlich nicht soernst und so dramatisch vor, weil wir weit weg vonsolchen Fragen sind, jedenfalls was die unmittelbareBetroffenheit angeht; aber sie sind dringlich. Dieses ge-samte Thema – vielleicht haben Sie es verfolgt – ist unsauch während der Zeit unserer Präsidentschaft imSicherheitsrat der Vereinten Nationen sehr wichtig ge-wesen.Ich komme nun zu dem ersten Thema, das Sie an-gesprochen haben. Hinsichtlich der Dringlichkeit, dieSie in Ihrer Frage zum Ausdruck gebracht haben, seheich es genauso. Ich wünschte, ich könnte Ihnen wider-sprechen und Ihnen eine andere Lagebeurteilung geben.Wir haben nicht nur in Syrien, sondern auch in vielenLändern, in denen ein Umbruch bereits stattgefundenhat, ein Kernanliegen, nämlich Demokratie und Rechts-staatlichkeit. Aber wir sagen: Zu Demokratie undRechtsstaatlichkeit zählt ausdrücklich auch die religiösePluralität. Der Schutz von Religionen ist ein ganz zentra-les Anliegen nicht nur dieses Hauses, sondern auch derBundesregierung.In Syrien finden wir folgende Situation vor: Es gibt indiesem Land eine große Mehrheit an Sunniten – siemachen mehr als zweit Drittel der Bevölkerung aus –, esgibt ungefähr 13, 14 Prozent Alawiten – vielleicht etwasmehr – und eine etwas geringere Zahl von Christen,vielleicht 12 Prozent. Darüber hinaus gibt es dann nochungefähr 2 Prozent Schiiten, die nicht Alawiten sind.Dies muss man wissen, wenn man verstehen will, warumdie Bundesregierung die Oppositionskräfte in Syrien sodrängt – das habe ich auch am vorletzten Wochenendegetan, als ich in Istanbul gewesen bin –, eine gemein-same Plattform zu schaffen. Die Opposition muss sichauf eine gemeinsame Plattform verständigen. Diesegemeinsame Plattform sollte nicht nur das berechtigteVerlangen nach der Ablösung des Assad-Regimes ver-binden, sondern eben auch das Eintreten für und dasklare Bekenntnis zur religiösen Pluralität, zur Gewähr-leistung religiöser Toleranz.Übrigens wird es nur möglich sein, den Erosionspro-zess in Syrien zu beschleunigen, wenn diejenigen, die imAugenblick noch zögern, ob sie sich an der Transforma-tion beteiligen sollen, das Gefühl und die Gewissheithaben, dass auch sie und ihre Familie mit ihrem Glaubenin einem neuen Syrien einen geschützten und geachtetenPlatz haben. Das ist ein zentrales Anliegen. Wenn Sie sowollen, ist das auch ganz harte Realpolitik, um die eshier geht. Der Schutz der religiösen Pluralität muss deut-lich gewährleistet werden, weil nur so ein Erosionspro-zess in dem Regime beschleunigt werden kann.Frau Präsidentin, wenn ich das noch sagen darf, weiles sich wirklich um eine Kernfrage handelt: Die Christendort – Sie wissen, dass ich selber Christ bin – habengroße Angst und große Sorge. Deswegen achte ich auchsehr genau darauf, mit wem von der Opposition wir zu-sammenarbeiten. Mehr will ich dazu nicht sagen, ichwill es nur andeuten: Ich möchte nicht, dass wir – egalwo; ich sage das ganz allgemein – Kräfte unterstützen,die am Schluss, nachdem sie vielleicht erfolgreich ge-wirkt haben, ihrerseits religiöse Pluralität missachtenund eher fundamentalistische, extremistische Einstellun-gen in ihrem Land verankern. Das ist eine Kernfrage,die, denke ich, uns alle bewegt. Deswegen – das istmanchmal nicht so klar verständlich – gehen wir bei derZusammenarbeit mit bestimmten Oppositionskräften,nicht nur in Syrien, sehr maßvoll und sehr überlegt vor.Der Schutz der religiösen Pluralität ist ganz entschei-dend. Ich spreche übrigens ungern von religiösenMinderheiten; für mich sind das Teile der Gesellschaft,gewachsene Teile der Gesellschaft.
Die nächste Frage stellt der Kollege Ullrich Meßmer.
Erlauben Sie mir, Herr Minister, dass ich noch einmal
auf die Frage der WSK-Rechte zurückkomme und auf
die Umsetzung der VN-Richtlinien zur Einhaltung der
Menschenrechte auch in der Wirtschaft, und zwar kon-
kret die Umsetzung der Ruggie-Richtlinien. Die Euro-
päische Kommission hat – das liegt wohl in Ihrem
Zuständigkeitsbereich – die Mitgliedstaaten aufgefor-
dert, bis Ende 2012, also noch dieses Jahr, einen nationa-
len Aktionsplan zur Umsetzung vorzulegen. Ich weiß
nicht, ob ich das übersehen habe; deshalb frage ich: Ist
damit zu rechnen, dass dieser nationale Aktionsplan in
diesem Jahr noch kommt, dann entsprechend beraten
wird und in Kraft gesetzt werden kann? Oder wie stellt
sich das Außenministerium die Umsetzung dieser Vor-
gabe vor?
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Herr Kollege, ich danke Ihnen zunächst einmal für
Ihre Frage. Aus dem Stegreif kann ich sie Ihnen nicht
beantworten, ich kann Ihnen keine Auskunft zum ge-
nauen Stand der Verhandlungen geben. Ich bin aber
gerne bereit, das schriftlich nachzutragen.
Nun stellt der Kollege Volker Beck seine angekün-digte zweite Frage.
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24176 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
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In gewisser Weise ist es die erste Frage. Sie, verehrter
Herr Minister, haben nämlich nicht wirklich in der Sache
geantwortet.
– Mit Verlaub: Keine Zwischenrufe von der Regierungs-
bank! – Sie haben nicht darauf geantwortet, was sich
aufgrund des UPR-Berichts an der Roma-Politik ändern
wird. Ich bitte Sie auch, zu beantworten, warum sich
Deutschland als einziges Land der Europäischen Union
weigert, die von der Kommission geforderte Roma-Stra-
tegie für Deutschland aufzulegen.
Zum Schluss eine Frage – Sie können sie eigentlich
mit Ja oder Nein beantworten –: Sind Sie meiner Auffas-
sung, dass man Roma – unabhängig von der Frage einer
politischen Verfolgung – nicht zurückschieben kann in
eine Situation ohne Heizung, ohne Dach über dem Kopf,
in der die Grundlagen einer menschenwürdigen Existenz
also definitiv nicht gegeben sind?
Bitte, Herr Minister.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Herr Kollege, Sie stellen die Frage jetzt dem Außen-
minister. Sie wissen –
Ich befrage die Bundesregierung. Sie können Herrn
Bergner einspringen lassen.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Ich kann die Frage gerne auch weitergeben. Die
Usancen sind aber doch eigentlich so, dass man ver-
sucht, auch etwas zu seinem Bereich zu sagen.
Ich verstehe ja, dass Sie die Debatte heute noch ein-
mal bringen möchten. Aber ich habe den Eindruck, dass
der Hintergrund Ihrer Frage ein sehr innenpolitischer ist.
Ich muss Ihnen zum Ersten sagen: Ich teile die Unterstel-
lungen nicht, die in Ihrer Frage zum Ausdruck kommen.
Zum Zweiten kann ich Ihnen nur sagen: Dass die Bun-
desregierung sich weigern würde, die Rechte und die
Umstände für Roma und Sinti entsprechend zu gestalten
und zu verbessern, das kann ich beim besten Willen
nicht erkennen, weder außenpolitisch noch innenpoli-
tisch. So viel sei mir gestattet zu sagen.
Wir sind in der Fragestunde. Weiteren Vertretern der
Bundesregierung steht es frei, zu antworten, wenn sie es
wollen.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Ich bin gerne bereit. – Ich kann auch nichts zu den
Verhandlungen zwischen Bund und Ländern in solchen
Fragen sagen. Es gehört sich nicht, dass der Außen-
minister dazu Stellung bezieht.
Ich stelle jetzt die Frage: Gibt es auf der Regierungs-
bank weiteren Bedarf, zu antworten? Ansonsten fahren
wir fort.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Ich gebe es gerne weiter.
Bitte, Herr Bergner.
D
Herr Kollege Beck, ich bin etwas verwundert, dass
Sie hier behaupten, die Bundesregierung hätte sich an
der Roma-Strategie der Europäischen Union überhaupt
nicht beteiligt.
Wir haben eine sogenannte Paketlösung vertreten, und es
besteht Übereinstimmung – übrigens auch mit dem Zen-
tralrat Deutscher Sinti und Roma –, dass wir Sinti und
Roma bei unseren Bemühungen um eine Integration von
Zuwanderern nicht selektiv behandeln, sondern hier die
Instrumente der allgemeinen Integrationspolitik anwen-
den.
Insofern ist mir der Hintergrund Ihrer Frage, ehrlich
gesagt, nicht verständlich.
Die nächste Frage an den Außenminister stellt nun die
Kollegin Marina Schuster.
Vielen Dank. – Zunächst einmal möchte ich ganz per-sönlich Ihnen für die Vorlage des Berichts und auch fürden Einsatz für Menschenrechte und Markus Löning fürseine Arbeit danken.Schon der Entwurf des Aktionsplans wurde mit demDeutschen Institut für Menschenrechte und mit dem
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24177
Marina Schuster
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Dachverband, dem Forum Menschenrechte, diskutiert.Zu diesem Aktionsplan möchte ich eine Frage stellen.Wir erleben bei vielen Reisen, dass Menschenrechtsver-teidiger – Sie haben sie auch in Ihrer Einführung er-wähnt – sehr bedroht sind. Ich möchte gerne wissen, wassich die Bundesregierung vornimmt, um den Schutz vonMenschenrechtsverteidigern zu verbessern – auch an dendeutschen Botschaften.Zum zweiten Bereich. Deutschland kandidiert für ei-nen Sitz im UN-Menschenrechtsrat. Ich begrüße dassehr. Mich würde interessieren, was man sich vorneh-men und welche Schwerpunkte man setzen würde, solltees mit dem Sitz klappen.Vielen Dank.Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Frau Kollegin, das Thema Menschenrechtsverteidigerist ganz erheblich. Ich habe entsprechende Gesprächeschon geführt, bevor ich in die Regierung gekommenbin. Das Allerwichtigste ist dabei in bestimmten Län-dern, offen gestanden, dass diese Gespräche so geführtwerden, dass sie nicht öffentlich werden. Das wird in ei-ner parlamentarischen Demokratie, wo alles öffentlichsein und öffentlich besprochen werden sollte, manchmalschwer verstanden. Es ist aber offensichtlich wichtig,mit Menschenrechtsverteidigern zusammenzuarbeiten,ohne sie gleich in eine größere Öffentlichkeit zu bringen,weil das ihre Arbeit in ihren eigenen Ländern sehr er-schweren würde.Überall da, wo es nötig ist, also nicht nur in einigenLändern, die aufgeführt worden sind – Sie finden in demBericht übrigens zum Teil detaillierte Ausführungendazu –, haben wir zum Schutz der Menschenrechtsver-teidiger wirklich eine Menge getan. Ich kann Ihnen ver-sichern – das wissen auch die Kollegen –: Manche Lö-sung ist möglich geworden, weil wir es nicht öffentlichgemacht haben. Das ist immer die Krux: Wenn Sie Re-gierungsmitglied sind, dann müssen Sie mit bestimmtenöffentlichen Äußerungen zurückhaltend sein, um die Si-cherheit von Einzelnen und die Sicherheit ihrer Familiennicht zu gefährden. Ich kann Ihnen aber sagen: Es gibteinen klaren, umfassenden Ansatz und eine klare Priori-tät für alle Auslandsvertretungen, die es betrifft.Zum zweiten Teil Ihrer Frage, der Kandidatur für denUN-Menschenrechtsrat. Über diese Kandidatur wird am12. November 2012 in der Vollversammlung der Verein-ten Nationen entschieden. Es gibt fünf Kandidaten fürdrei Plätze. Deutschland ist ein Kandidat, und wir habenwirklich starke Mitbewerber.Wir waren einmal, nämlich unmittelbar nach derGründung, im Menschenrechtsrat vertreten. Danach ha-ben wir ausgesetzt, weil wir gesagt haben: Es sollenauch andere einmal diese Aufgabe übernehmen. Jetzt be-werben wir uns erneut. Das ist ein Wettbewerb, den mannicht unterschätzen darf.Wir betrachten das für uns – ich denke, wir alle imganzen Land – natürlich als eine Sache, bei der wir eingutes Profil haben und auch sehr viel Respekt und eingroßes Ansehen genießen. Das gilt für die anderen Län-der, um die es hier geht, aber auch. Ich will jetzt keineeinzelnen Länder nennen, aber es handelt sich um auchbei der internationalen Gemeinschaft angesehene Kandi-daten. Das wird eine schwierige Sache.Wir haben mit zwei Initiativen, glaube ich, etwas ge-zeigt, was viele in der Welt überzeugt hat. In Deutsch-land nicht viel beachtet worden ist unser Einsatz für dieRechte von Kindern in bewaffneten Konflikten. Darüberhat es hier wenig öffentliche Diskussionen gegeben; dasist aber ein Meilenstein gewesen, auch für die Arbeit imSicherheitsrat der Vereinten Nationen. Dieser Einsatz isthoch anerkannt worden, auch von Völkern und von Staa-ten außerhalb unseres europäischen Kontinents. Das isteine ganz wichtige Sache. Vielleicht haben einige Kolle-gen bei dieser Aktion mitgemacht, bei der wir Kinder er-munterten, etwas für ihre Altersgenossen zu tun; denn esist zum Teil unvorstellbar, welche Schilderungen man indiesem Zusammenhang zu hören bekommt.Dann geht es auch um die Erweiterung unseres Men-schenrechtsbegriffs. Auf den ersten Blick denken wir beiMenschenrechten an die politischen Rechte. Aber zu denMenschenrechten gehört zum Beispiel auch das Rechtauf Wasser. Der Zugang zu Wasser, die Wasserversor-gung – in unseren Breitengraden kaum vorstellbar – istauch ein Menschenrecht.Sie sehen also: Wir gehen mit einem sehr breiten Ver-ständnis von Menschenrechten an diese Debatte heran.Weil wir ein sehr umfassendes, breites Verständnis ha-ben, das weit über das, was bisher besprochen wordenist, hinausgeht, glauben wir, sind wir ein guter Kandidatfür einen Sitz im Menschenrechtsrat.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Marieluise Beck.Marieluise Beck (BÜNDNIS 90/DIEGRÜNEN):Herr Minister, auch ich möchte vor allen Dingen demBeauftragten danken. Ich weiß, dass das Leben von Be-auftragten nicht immer sehr angenehm ist.Es stehen nicht nur die deutsch-russischen Regie-rungskonsultationen an, sondern zeitgleich auch der Pe-tersburger Dialog. Ihr Haus finanziert diesen Petersbur-ger Dialog mit einer beträchtlichen Summe. Wir allewissen, dass der Abbau von Bürgerrechten in Russlandin einer dramatischen Geschwindigkeit zunimmt. Erstgestern ist das Hochverratsgesetz verschärft worden.Es gibt im Lenkungsausschuss des Petersburger Dia-logs eine Differenz über die Frage, wie Russland gegen-überzutreten sei, ob eher in einer offenen Kontroverseoder eher an der Haltung orientiert, dass man die russi-sche Seite nicht kränken bzw. so stark kritisieren, weilman sie damit überfordert, also nicht demütigen oder be-leidigen dürfe.Ist Ihr Haus bereit, als gestaltender Teil des Len-kungsausschusses diejenigen, die für eine kontroverseHaltung eintreten – es soll ja um die Begegnung der Zi-vilgesellschaften gehen –, zu stärken und Ihre Mitarbei-
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24178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Marieluise Beck
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ter und Ihr Haus auch in dieser Weise im Lenkungsaus-schuss arbeiten und Vorgaben machen zu lassen?Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Frau Kollegin, ich will hier nicht zu einer Diskussionim Lenkungsausschuss Stellung beziehen. Aber ichnehme Ihre Frage zum Anlass, Ihnen eine allgemeineAntwort darauf zu geben, weil ich auf die konkreten Dis-kussionen im Lenkungsausschuss hier nicht Bezug neh-men möchte, auch weil ich nicht alle Diskussionsbei-träge im Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogskenne, nicht kennen kann.Meine allgemeine Bemerkung lautet: Bei diesem Dia-log kommt es darauf an, um was es sich handelt und inwelcher konkreten Situation bestimmte Sachen be-schlossen werden. Ich bin bei meinem letzten Besuch inMoskau im Sommer, bei dem es überwiegend um dieFrage von Syrien gegangen ist und bei dem wir versuchthaben, eine Politikänderung Russlands im Sicherheitsratder Vereinten Nationen herbeizuführen, natürlich auchauf andere Themen eingegangen: die Lage von Nichtre-gierungsorganisationen, auch von ausländischen, sowiedie Lage von Stiftungen und ihr Wirken in Russland. DieAuseinandersetzung darüber hat in der Pressekonferenzmit Sergej Lawrow öffentlich stattgefunden, weil ich dasfür notwendig erachtet habe.Ich will Ihnen ein weiteres Beispiel nennen. Ich habedie Urteile in dem Verfahren gegen die Mitglieder derGruppe Pussy Riot öffentlich kritisiert. Das ist in sol-chen Fällen nicht die Regel, aber in diesem Fall hielt ichdas für angemessen. Selbst wenn man akzeptiert, akzep-tieren wollte, dass dies ein Verstoß gegen russischesRecht ist, so sind doch das Strafmaß und die Urteilsfin-dung sicherlich nicht über jeden Zweifel erhaben. DieseFragen haben wir öffentlich angesprochen.Generell – das kann ich Ihnen sagen – geht es darum,dass wir die Balance halten: Auf der einen Seite müssenwir nachdrücklich für die Interessen der Zivilgesell-schaft und der Menschenrechte in Russland eintreten,auch durch den Rechtsstaatsdialog, der Teil der Moder-nisierungspartnerschaft zwischen Russland undDeutschland ist; darauf lege ich großen Wert. Auf deranderen Seite muss man sich vor Augen führen, dassman nichts erreicht, wenn man sich im Inland, weil esdort entsprechenden Beifall gibt, öffentlich so scharfkan-tig äußert, dass man dann als Gesprächspartner nichtmehr angenommen wird und nichts mehr wirklich bewe-gen kann. Das ist die Balance, um die es geht. Es ist lei-der – das habe ich am Anfang gesagt – eine schwer zufindende Balance, eine schwer zu treffende Abwägungzwischen der Öffentlichkeit und der Diskretion. Beidesmuss man zur rechten Zeit tarieren.
Die nächste Frage stellt der Kollege Tom Koenigs.
Danke sehr, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ich
habe gerade gelesen, was Sie im Bericht, der ja dankens-
werterweise in ausführlicher Form pünktlich vorliegt,
zum Kosovo schreiben. Da schreiben Sie, dass die Stra-
tegien zur Integration von Roma, Ashkali und der soge-
nannten Ägypter noch einer engagierten Umsetzung be-
dürfen. Jeder, der dort war, weiß, das ist in der Tat der
Fall.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Sie meinen, im Kosovo?
Im Kosovo, ja. – Sie sagen, WSK-Rechte sind dort
nicht gegeben, und zwar am allerwenigsten für Roma,
Sinti und Ashkali. Ich möchte den heutigen Tag, an dem
sehr schöne Reden gehalten worden sind, doch dazu
nutzen, Sie zu bitten – das liegt auch in Ihrer Zuständig-
keit –, die Bewertung des Kosovo bezüglich der Rück-
sendemöglichkeiten von Roma und Sinti noch einmal zu
überprüfen. Von diesen befinden sich noch 12 000 in
Deutschland; davon sind mehr als die Hälfte Kinder. Die
sind sechs, sieben oder zwölf Jahre in Deutschland und
schulisch integriert. Sie fallen dort ins Nichts. Der Pro-
test dagegen in Form eines Zwischenrufs wurde übrigens
auch bei der Einweihung des Denkmals für die im Natio-
nalsozialismus ermordeten Sinti und Roma, das nicht
weit vom Reichstag entfernt ist, mit Beifall bekundet.
All das passt nicht zusammen. Wir haben da eine grö-
ßere Verantwortung.
Ich würde Sie bitten, diesem etwas geschönten Län-
derbericht noch einmal nachzugehen und ihn vielleicht
so abzufassen, dass die Bundesländer Roma und Ashkali
nicht mehr in den Kosovo abschieben.
Bitte, Herr Minister.Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-wärtigen:Das ist ja eine Bitte oder ein Appell an die Bundesre-gierung gewesen. Ich nehme diesen Appell und IhreBitte oder Ihre Aufforderung natürlich auch mit.Sie wissen aufgrund Ihrer Erfahrung aber auch – Siesind ja nicht erst seit gestern in diesem Hause –, dassdies eine sehr, sehr schwierige Frage ist. Auf der einenSeite haben wir berechtigte Interessen wahrzunehmen.Auf der anderen Seite müssen wir natürlich auch huma-nitäre Interessen und Anliegen entsprechend abwägen.Ich kann und will hier nicht zum Vorgehen einzelnerBundesländer Stellung beziehen. Ich kann Ihnen, wasAußenpolitik angeht, nur sagen: Sie können ganz sichersein – wenn Sie sich bei den Kollegen des AuswärtigenAusschusses informieren, die sich mit diesem Bereich jaauch besonders befassen, wird man Ihnen das bestä-tigen –, dass das Thema Roma und Sinti und derenSchicksal von mir in all diesen Gesprächen immer ange-sprochen wird bzw. mit eingebracht wird; denn wir ha-ben ein ähnliches Interesse daran.Erinnern Sie sich bitte einmal an die Debatte, diezwar nicht den Kosovo betroffen hat, aber die im letzten
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24179
Bundesminister Dr. Guido Westerwelle
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Jahr noch vor den französischen Präsidentschaftswahlenstattgefunden hat. Sie wissen, dass wir uns entsprechendeingebracht haben. Deswegen nehme ich das jetzt alsAppell mit, möchte aber zu den einzelnen Gesprächenmit den Bundesländern nicht Stellung beziehen.Sie können sicher sein, dass dies ein ganz zentralesAnliegen ist, um das wir uns außenpolitisch kümmern.Sie wissen, dass ich selbst im Kosovo gewesen bin undauch Gespräche dort geführt habe. Das ist ein Thema,das immer auf der Tagesordnung steht. Da können Sieganz sicher sein.Das betrifft übrigens nicht nur den Kosovo; das willich noch einmal betonen. Jeder hier weiß, dass es auchum Länder geht, die der Europäischen Union angehören.
Danke, Herr Minister. – Ich habe noch zwei Wortmel-
dungen, bei denen mir signalisiert wurde, dass es um an-
dere Themen geht. Also, voraussichtlich sind Sie im Mo-
ment nicht mehr gefragt. – Herzlichen Dank.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Das halte ich für eine Zuspitzung, die ich zurück-
weise.
Schauen wir mal.
Dr. Guido Westerwelle, Bundesminister des Aus-
wärtigen:
Vielen Dank.
Ich mache aber gleich darauf aufmerksam, liebe Kol-
leginnen und Kollegen und sehr geehrte Damen und
Herren auf der Regierungsbank: Ich habe im Angesicht
des sehr wichtigen Themas alle unsere Regeln außer
Kraft gesetzt, was Restriktionen bezüglich der Frage- als
auch der Antwortzeit betrifft. Ich denke, das war im Inte-
resse aller. Ab jetzt sollten wir wieder auf die verabrede-
ten Zeiträume zurückkommen.
Das Wort zu einer Frage hat der Kollege Manfred
Grund.
Auf der Tagesordnung der Kabinettssitzung vom heu-
tigen Tag stand auch das Thema Nebentätigkeiten und
die daraus erzielten Einkünfte, wobei natürlich auch das
Thema Ehrenamt insbesondere im Sportbereich zu be-
rücksichtigen ist. Meine Frage an die Bundesregierung
ist: Zu welchen guten Ergebnissen bzw. Beschlüssen ist
man beim Thema Ehrenamtspauschale und Übungslei-
terpauschale gekommen?
Bitte, Herr Staatsminister.
E
Frau Präsidentin! Herr Kollege Grund, das ist zutref-
fend. Die Bundesregierung hat heute einen Gesetzent-
wurf zur Entbürokratisierung des Gemeinnützigkeits-
rechts verabschiedet. Dieser Gesetzentwurf soll die
Rahmenbedingungen für steuerbegünstigte Institutionen
und bürgerschaftliches Engagement deutlich verbessern.
Dazu gehören Änderungen im Einkommensteuerrecht,
bei der Abgabenordnung und im Zivilrecht.
Zu den von Ihnen angeführten Punkten will ich nur
sagen, dass die Übungsleiterpauschale von 2 100 auf
2 400 Euro und die Ehrenamtspauschale von 500 auf
720 Euro angehoben werden soll. Sozialrechtliche Rege-
lungen sollen entsprechend angepasst werden.
Weiter ist vorgesehen, die Umsatzgrenze für sportliche
Veranstaltungen von 35 000 auf 45 000 Euro zu erhöhen.
Das entlastet insbesondere Sportvereine mit einem hohen
Anteil Ehrenamtlicher. Dazu gehört die Ausdehnung einer
ganzen Reihe von Zeiträumen, in denen Zuschüsse, Bei-
träge, Spenden und sonstige Einnahmen verwandt werden
können. Das gilt sowohl für Stiftungen als auch für Ver-
eine. Denn die häufig zu eng gefasste Verpflichtung, die
Mittel zeitnah einzusetzen, führt dazu, dass den Vereinen
und Stiftungen die Möglichkeit genommen wird, diese
Mittel sinnvoll einzusetzen. Auch dazu hat es eine ent-
sprechende Lockerung gegeben.
Ich will die Gelegenheit nicht versäumen, dem Bun-
destag und insbesondere den Koalitionsfraktionen ganz
herzlich für diese Initiative zu danken, die von der Bun-
desregierung jetzt umgesetzt worden ist.
Die letzte Frage in diesem Teil der Tagesordnung
stellt der Kollege Steffen Bockhahn.
Vielen Dank, sehr geehrte Frau Präsidentin. – Ich
möchte die Bundesregierung zu Folgendem fragen: Wir
wissen seit Anfang dieses Jahres, dass 27 Mitglieder die-
ses Hohen Hauses durch das Bundesamt für Verfas-
sungsschutz in ihrer Arbeit besonders sorgfältig be-
obachtet werden. Es war zugesichert worden, dass
bereits vor einem halben Jahr eine neue Richtlinie zum
Verfahren vorgelegt werden sollte. Diese ist bisher nicht
vorgelegt worden. Es hätte letzte Woche die Möglichkeit
gegeben, sie dem zuständigen Gremium zur Kenntnis zu
geben, was wiederum nicht erfolgt ist.
Stattdessen habe ich dann am Wochenende und auch
am Anfang dieser Woche vom Bundesinnenminister Äu-
ßerungen zu diesem Thema wahrnehmen dürfen. Nun
frage ich mich: Handelt es sich um eine Einzelmeinung
des Ministers, was ich mir kaum vorstellen kann, oder
gibt es etwa doch eine abgestimmte Position der Bundes-
regierung, und, wenn ja, wann soll sie dem Bundestag
bzw. den zuständigen Gremien des Bundestages endlich
zur Kenntnis gegeben werden?
Wer antwortet für die Bundesregierung? – Bitte, HerrStaatsminister.
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24180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
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E
Herr Kollege, ich kann den in Ihrer Frage enthaltenen
Sachverhalt jetzt so nicht bestätigen, aber auch nicht de-
mentieren, und bitte Sie, die Frage schriftlich beantwor-
ten zu dürfen.
Dann halten wir das so fest, dass die Antwort schrift-
lich nachgereicht wird.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung und
mache darauf aufmerksam, dass wir diese um 27 Minu-
ten verlängert haben. Diese Zeit wird mit der folgenden
Fragestunde verrechnet, sodass wir in dem für die Tages-
ordnung vorgesehenen Zeitplan bleiben.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 17/11094 –
Die Geschäftsbereiche werden in der üblichen Rei-
henfolge aufgerufen.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit. Zur Beantwortung der Fragen steht die Par-
lamentarische Staatssekretärin Katherina Reiche zur
Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Ralph Lenkert auf:
Warum wird der Beschluss des Deutschen Bundestages
auf Bundestagsdrucksache 14/7840 zu Abschnitt IV achter
Absatz, „nationaler Entsorgungsplan“ der Bundesregierung,
nicht umgesetzt?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Frau Präsidentin! Herr Kollege Lenkert, nach Be-
schluss des Bundestages vom 14. Dezember 2001 soll in
jeder Legislaturperiode ein nationaler Entsorgungsplan
vorgelegt werden. Darin sollen der Sachstand, das wei-
tere Vorgehen und ein Zeitplan für die Entsorgung und
Endlagerung radioaktiver Abfälle dargestellt werden.
Bislang wurde noch kein Entsorgungsplan vorgelegt.
Grund dafür war die ausstehende Klärung der Frage des
langfristigen Verbleibs der abgebrannten Brennelemente
und hochradioaktiven Abfälle.
Den aktuellen Sachstand zur Entsorgung hat die Bun-
desregierung bereits im Bericht zum „Gemeinsamen
Übereinkommen über die Sicherheit der Behandlung ab-
gebrannter Brennelemente und über die Sicherheit der
Behandlung radioaktiver Abfälle“ dargestellt. Dieser Be-
richt wurde am 31. August 2011 dem Präsidenten des
Bundestages übersandt und ist auf den Internetseiten des
Bundesumweltministeriums veröffentlicht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Vielen Dank, Frau Kollegin Staatssekretärin. – Ist es
nicht so, dass man, wenn man radioaktive Abfälle sicher
verwahren will, einige Punkte im Vorfeld klären muss,
die in einem Plan enthalten sein sollen? Ich nenne zum
Beispiel: Rückholbarkeit bzw. Nichtrückholbarkeit, die
Kriterien für Lagerstandorte, Klärung der Frage, ob wär-
meentwickelnder radioaktiver Müll zusammen mit ande-
rem Müll, zum Beispiel mit gasentwickelndem radio-
aktiven Müll, in einem Lager gelagert werden soll. Diese
Fragen zu beantworten, sollte doch zumindest seit 2001
für die aktuelle und die bisherigen Bundesregierungen
möglich sein; denn das ist die Grundlage für die Planung
des Baus eines Endlagers. Sie sollen immer den aktuel-
len Stand der Planung vorlegen. Deshalb meine Nach-
frage: Wie weit sind Ihre Überlegungen in diesem Fall
gediehen?
Ka
Herr Kollege Lenkert, die Bundesregierung hat sich
längst dafür entschieden, schwach wärmeentwickelnde
und stark wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle ge-
trennt zu lagern. Wie Sie wissen, befinden wir uns ge-
rade gemeinsam mit den Bundesländern in einem Pro-
zess, ein Verfahren zur ergebnisoffenen Erkundung zu
entwickeln und ein Endlagersuchgesetz auf den Weg zu
bringen, das sich an wissenschaftlichen Kriterien orien-
tiert. Ich erhoffe mir von diesem Prozess nicht nur die
Klärung eines über Jahrzehnte umstrittenen Sachver-
halts, sondern auch die Klärung einer wichtigen Frage
für unser Land.
Ihre zweite Nachfrage.
Meine zweite Nachfrage betrifft das parlamentarische
Verständnis. Es gibt einen gültigen Beschluss des Deut-
schen Bundestages. Dieser gültige Beschluss des Deut-
schen Bundestages muss nach meinem Verständnis von
der Bundesregierung umgesetzt werden. Sie selbst haben
gesagt, Sie hätten diesen Beschluss bisher nicht umge-
setzt. Ich stelle jetzt hier die Frage: Wann will die Bun-
desregierung ihrer Verpflichtung gegenüber dem Parla-
ment und gegenüber der Bevölkerung nachkommen?
Ka
Herr Kollege Lenkert, ich weise noch einmal daraufhin, dass der Beschluss aus dem Jahr 2001 stammt
und weder in der 15. noch in der 16. Legislaturperiodeein Konzept vorgelegt wurde. Das resultiert daraus, dassbislang kein abgestimmtes Konzept zur Entsorgung ent-wickelt werden konnte. Wir legen den Bericht dann vor,wenn wir das neue Endlagersuchgesetz tatsächlich auf
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24181
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
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den Weg bringen können; denn dann liegt tatsächlich einvernünftiges Konzept vor.Wir sind allerdings von der Europäischen Union ge-halten, bis 2015 der Europäischen Union zu berichten.Wir werden diesen Termin selbstverständlich einhalten.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Dorothée Menzner das Wort.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretärin, Sie
sprachen eben an, dass dieses offensichtlich sich in Ar-
beit befindende Endlagersuchgesetz auch zu einer Be-
friedung eines Konflikts beitragen soll, der den meisten
hier im Hause hinlänglich bekannt ist. Ich stelle in dem
Zusammenhang die Frage, was der Bundesregierung die
Sicherheit gibt, dass solch ein Gesetz, das nicht mit der
Bevölkerung, nicht mit Bürgerinnen und Bürgern und
nicht mit Sachverständigen diskutiert wird, zu einer Be-
friedung des Konfliktes führen wird, insbesondere vor
dem Hintergrund, dass die in Rede stehenden Verpflich-
tungen der Bundesregierung nicht abgearbeitet werden.
Ka
Frau Kollegin Menzner, das ganze Verfahren ist so
angelegt, dass wir ein neues, transparentes und partizipa-
tives Suchverfahren für Endlager anstreben. Jeder ein-
zelne Schritt wird mit dem Deutschen Bundestag und
dem Bundesrat abgestimmt. Es gibt also eine Einbezie-
hung des Parlamentes und des Bundesrates sowie – bei
jedem Schritt – der Bürgerinnen und Bürger vor Ort und
transparente Kommunikation. Niemand kann am Ende
des Tages sicher sein. Sicher ist momentan nur, dass die
Opposition einen gemeinsamen Konsens verweigert.
Wir kommen dann zur Frage 2 des Kollegen Lenkert:
Wann ist in der 17. Legislaturperiode mit der Vorlage des
nationalen Entsorgungsplans zu rechnen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Lenkert, die Richtlinie 2011/70/EURA-
TOM des Rates fordert, dass die Bundesregierung bis
zum 23. August 2015 ein nationales Entsorgungspro-
gramm vorlegt. Die Arbeiten hierzu haben begonnen
und können erst in der nächsten Legislaturperiode abge-
schlossen werden.
Herr Lenkert, Sie haben das Wort zur ersten Nach-
frage.
Frau Staatssekretärin, ich entnehme jetzt Ihrer Ant-
wort, dass Sie Anforderungen der Europäischen Union
höher einstufen als Anforderungen des Deutschen Bun-
destages; denn Sie halten den Termin, den die Europäi-
sche Union setzt, für wichtiger als den Termin, den die
Mehrheit des Deutschen Bundestages gesetzt hat, und
zwar 2001. Ich möchte von Ihnen wissen, ob Sie der
Meinung sind, dass es wichtiger ist, den Behörden in der
Europäischen Union zu folgen als den Abgeordneten des
Deutschen Bundestages.
Ka
Diese Unterstellung, Herr Lenkert, weise ich zurück.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Fr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Seit über 40 Jahren wird in der Bundesrepublik
Deutschland Atomkraft zur Energiegewinnung genutzt.
Ich stelle jetzt anhand Ihrer Antworten fest: 40 Jahre
lang wurde diese Technik genutzt, und man hat sich
keine Gedanken darüber gemacht, wie eine Entsorgung
aussehen soll und aussehen könnte. Im Gegenteil: Man
produziert noch bis 2022 in diesen Anlagen atomaren
Müll und hat bis heute noch nicht einmal einen Plan oder
ein abgestimmtes Konzept, wie man damit umgehen
will. Aus meiner Sicht ist das verantwortungsloses Han-
deln. Ich frage Sie nochmals: Wann wollen Sie diesen
verantwortungslosen Zustand endlich definitiv beenden
und mit einer Energiegewinnung Schluss machen, die
ein solches Problem hervorruft? Wenn Sie dieses Ende
nicht herbeiführen könnten, müssten Sie eigentlich alle
Atomkraftwerke schließen, weil Sie keinen Entsor-
gungsnachweis haben.
Ka
Herr Kollege Lenkert, die Mehrheit des DeutschenBundestages und des Bundesrates hat ganz klar be-schlossen, dass die Nutzung der Kernenergie in Deutsch-land mit dem Jahr 2022 beendet ist. Aber noch weit überdas Jahr 2022 hinaus wird uns die Problematik der Ent-sorgung von atomaren Abfällen beschäftigen.
Metadaten/Kopzeile:
24182 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
Selbst wenn wir heute abschalten würden, müsstenwir dieses Problem lösen. Diese Bundesregierung ist dieerste, die ein Konzept und ein Gesetz vorgelegt hat, dis-kutiert mit allen Beteiligten, auch den Ländern, in denenja irgendwann einmal irgendwo ein Standort für die La-gerung von Atommüll sein muss. Diese Bundesregie-rung hat ein Verfahren angestrebt, das es so nicht gab,um in einem ganz breiten Konsens eine große energie-politische und am Ende auch gesellschaftliche Fragenicht nur zu beantworten, sondern auch zu befrieden.
Ich hoffe sehr, dass die Tür zu einem gemeinsamenEndlagersuchgesetz noch nicht zugeschlagen ist.
Eine Nachfrage stellt nun die Kollegin Dorothée
Menzner.
Frau Staatssekretärin, wenn ich Sie richtig verstehe,
nimmt diese Bundesregierung für sich in Anspruch, die
erste zu sein, die sich auf den Weg macht, sich Gedanken
über die dauerhafte Verwahrung des in 40 Jahren angefal-
lenen Mülls zu machen. Sie sprachen eben von „irgend-
wann irgendwo ein Standort“. Verstehe ich es richtig,
dass Sie damit implizieren, dass der Entsorgungsnach-
weis für bereits bestehende Anlagen, die seit teilweise
40 Jahren Müll verursachen, nicht geführt werden kann?
Ich frage das auch vor dem Hintergrund, dass wir erleben
mussten, dass eine Anlage, die teilweise für die Geneh-
migung Grundlage war, nämlich die Asse, nach Meinung
aller Fraktionen, zumindest im Niedersächsischen Land-
tag, havariert ist. Sehe ich es also richtig, dass Genehmi-
gungen wegen fehlendem Entsorgungsnachweis zurück-
gezogen werden müssten?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Frau Kollegin Menzner, frühere Bundesregierungen
haben sich auch mit der Frage beschäftigt, mal mehr und
mal weniger intensiv und vor allem bislang ohne Erfolg;
denn es ist so, dass wir für hochradioaktive Abfälle bis-
lang keinen Standort haben, wo wir ohne massive Pro-
teste, Unterstellungen und hochpolitische Begleitung ein
Endlager überhaupt bauen und nutzen könnten. Dies hat
die Bundesregierung zum Anlass genommen, mit den
Beteiligten ins Gespräch zu kommen und gemeinsam zu
eruieren, welche Schritte denn überhaupt akzeptiert wür-
den, um ergebnisoffen und transparent zu verfahren, am
Ende des Tages aber auch mit einer Lösung vor die Bür-
gerinnen und Bürger treten zu können.
Wir gehen hier von einer wirklich weißen Landkarte
aus. Wir wollen wissenschaftlich untersuchen. Wir ha-
ben dafür viele Vorschläge gemacht – bis hin zu Institu-
tionen. Es ist jetzt auch an der Opposition und an den
Bundesländern, zu sagen, ob sie diesen Weg gemeinsam
gehen wollen. Ich hielte es für verantwortungsvoll, wenn
man nicht nur den Ausstieg aus der Kernenergie, son-
dern auch den Einstieg in eine sichere Entsorgung, wie
gesagt, des hochradioaktiven Abfalls endlich schaffen
würde; für „Konrad“ sind die Dinge ja so weit geklärt.
Zu einer weiteren Nachfrage hat nun die Kollegin
Vogt das Wort.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass mit dem
ehemaligen Umweltminister Jürgen Trittin und dem ehe-
maligen Umweltminister Sigmar Gabriel zwei Vertreter
der derzeitigen Oppositionsparteien zugesichert haben,
dass es weitere Gespräche gibt, und dass wir auf Arbeits-
ebene bereits mit diesen Gesprächen zum Endlager-
suchgesetz begonnen haben, und sind Sie bereit, Ihre
Vorwürfe, die Opposition würde dieses Vorhaben blo-
ckieren, zurückzunehmen?
Ka
Ich bin nicht bereit, das zurückzunehmen, weil, nach-
dem es schon ein persönliches Gespräch des Bundes-
umweltministers mit den von Ihnen genannten Personen
gegeben hatte, auch die Arbeitsebene nicht weiterge-
kommen ist; denn all das, was dann seitens der Regie-
rung verändert wurde, wurde am Ende wieder infrage
gestellt. Es ist wirklich bedauerlich, dass es doch nicht
– zumindest kann man sich des Eindrucks nicht völlig
erwehren – um eine Lösung des Problems, sondern ums
Hinhalten geht.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin
Kotting-Uhl das Wort.
Frau Staatssekretärin, sind Sie bereit, erstens zurKenntnis zu nehmen, dass sich bis zu der Initiative ausBaden-Württemberg – abgesehen von Niedersachsen –nie ein Bundesland, auch kein CDU-geführtes Bundes-land, bereit erklärt hat, sein Land für eine Endlagersuchezu öffnen, und dass von daher eine vergleichende Endla-gersuche erstmals möglich wurde mit der Initiative ausBaden-Württemberg, nachdem dort ein Regierungs-wechsel stattgefunden hatte und ein grüner Ministerprä-sident diese Initiative starten konnte?Sind Sie bereit, zweitens zur Kenntnis zu nehmen,dass für einen Konsens eine abstimmungsfähige Vorlageda sein muss, dass Umweltminister Altmaier es denSommer über versäumt hat, eine solche Vorlage vorzule-gen, um mit einer abstimmungsfähigen Grundlage zu ei-nem weiteren Gespräch einladen zu können, und dieseSache so lange verzögert hat, bis sie in greifbarer Nähedes niedersächsischen Landtagswahlkampfs war?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24183
Sylvia Kotting-Uhl
(C)
(B)
Wir alle wissen und auch ein ehemaliger Parlamentari-scher Geschäftsführer weiß ganz genau, wie schwieriges in einer solchen Gemengelage ist, Fragen wie die ineinem Endlagersuchgesetz ergebnisoffen und sachlichzu diskutieren.Ka
Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich freue mich darüber,
dass der baden-württembergische Ministerpräsident
nicht nur einen deutlichen Schritt auf uns zugekommen
ist, sondern auch gesprächsbereit war. Umso bedauerli-
cher war es dann, dass offenbar andere handelnde Füh-
rungspersonen bei den Grünen den schon versprochenen
Konsens wieder gelöst haben. Deshalb dringe ich darauf,
dass es dazu kommt, dass man die Papiere, die vorlie-
gen, die ausformuliert sind, bei denen immer wieder
auch im Sinne der Wünsche von SPD und Grünen nach-
gearbeitet wurde, zumindest abnickt; die Beschlussfas-
sung findet ja dann im Deutschen Bundestag mit all sei-
nen Verfahren und dann auch im Bundesrat mit all
seinen Verfahren statt. Aber das kann ich nicht erkennen,
weil – da wiederhole ich das, was ich der Frau Kollegin
Vogt gesagt habe – auch die letzte Runde leider ergeb-
nislos verlief.
Der Kollege Bockhahn hat das Wort.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-
rin, Sie haben vorhin davon gesprochen, dass diese neue
Debatte in einem breiten konsensualen und partizipati-
ven Verfahren geführt werden soll. Das kann ich natür-
lich nur begrüßen. Die Kollegin Vogt hat dann auf den
auf Arbeitsebene bereits begonnenen Dialog hingewie-
sen, der durch die Bundesregierung nach meiner Kennt-
nis auch initiiert worden ist.
Nun frage ich mich ganz besorgt, ob meine Informa-
tionen stimmen, dass dieser partizipative breite Dialog
ohne die Linke geführt wird. Das frage ich mich nicht
nur, weil wir immer gerne mitspielen wollen und auch
etwas zu sagen haben und auch von 5 Millionen Men-
schen in diesem Land gewählt sind, sondern auch des-
wegen, weil eine Landesumweltministerin in der Bun-
desrepublik Deutschland von der Linken gestellt wird,
nämlich in Brandenburg, wie Sie wissen. Auch Branden-
burg müsste doch diesem Verfahren zustimmen, damit es
tatsächlich das ist, was Sie vorhin beschrieben haben.
Wenn dem so ist, wie ich befürchte, würde ich mich
natürlich darum sorgen, warum das so ist. Dazu hätte ich
gerne eine Antwort von Ihnen.
Ka
Ich kann Ihren Anlass zur Sorge deshalb nicht verste-
hen, weil ich an den Gesprächen teilgenommen habe und
mehrfach Frau Kollegin Tack auch höchstpersönlich im
BMU begrüßt habe.
Dann hat der Kollege Kelber das Wort.
In der Fragestunde darf man sicherlich ausweichend
antworten, aber nicht falsch antworten.
Ist es nicht vielmehr so, dass es seit Ende Juni, als das
Treffen zwischen Bundesumweltminister Peter Altmaier
und der Opposition stattgefunden hatte, bei dem zuge-
sagt wurde, alternative Formulierungen für vier umstrit-
tene Punkte in der Endlagersuche zu finden, bis Anfang
Oktober weder neue Formulierungen noch Treffen gab?
Oder können Sie an dieser Stelle, an der Sie gerade ge-
sagt haben, es sei auf der Arbeitsebene nicht weiterge-
gangen, ein einziges Gespräch oder eine einzige E-Mail
oder ein einziges Telefonat konkret benennen?
Ka
Herr Kollege Kelber, wir haben sehr wohl eruiert, was
möglich ist. Wir haben permanent Gespräche geführt.
Herr Kollege Kelber, das Treffen, das dann stattgefun-
den hat – zunächst haben sich Herr Altmaier, Herr Trittin
und Herr Gabriel persönlich getroffen –, hat keine Lö-
sung gebracht, ebenso das letzte Treffen nicht.
Die Zwischenzeit haben wir genutzt, um die Texte so
auszuformulieren, wie es gefordert war. Jetzt liegt etwas
auf dem Tisch, Herr Kollege Kelber. Jetzt ist es tatsäch-
lich an Ihnen, entweder Ja zu sagen oder aber sich in den
Wahlkampf zurückzuziehen.
Die letzte Nachfrage zur Frage 2 des Kollegen
Lenkert stellt nun der Kollege Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben wieder auswei-
chend geantwortet. Ich will Sie fragen, ob Sie bestätigen
können, dass drei Monate lang keinerlei Gespräche statt-
gefunden haben, dass Sie am letzten Mittwoch von die-
ser Stelle aus auf meine Frage, wann denn mit etwas zu
rechnen sei, geantwortet haben, Sie könnten nicht bestä-
tigen, dass es noch in diesem Jahr sei, und dass parallel
dazu das BMU eine Entwurfsfassung übersendet hat, bei
der zu 98 Prozent nichts verändert worden ist, also in
keiner Weise auf die Forderung der Opposition, die seit
langer Zeit bekannt war, eingegangen worden ist.
Ka
Herr Kollege Miersch, dann haben wir offensichtlicheine unterschiedliche Wahrnehmung der Ereignisse. Sie
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24184 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
haben in der letzten Woche gefordert, wir sollten endlichetwas schicken. Das haben wir nicht nur gemacht; das istIhnen sogar ausformuliert zugegangen.Das Ergebnis war, dass auch die Ausformulierungenund das, was auf expliziten Wunsch von Rot-Grün neuhineingekommen ist, wieder nicht ausgereicht haben undwieder infrage gestellt wurden. Knackpunkte sind zumBeispiel das infrage kommende Institut und die Frage,wer welche Verantwortung übernehmen soll. Ich kannhier nicht erkennen, dass es ernsthaft einen Versuch derEinigung gibt.
Ich rufe die Frage 3 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl
auf:
Wann genau fanden laut den heute noch vor-
handenen – insbesondere digitalen – Informationen im Kalen-
dersystem, in den Wochenplänen etc. der Abteilung RS im
Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktor-
sicherheit, BMU, im Jahr 2010 Telefonkonferenzen auf Abtei-
lungsleiterebene zwischen dem BMU-Abteilungsleiter RS
und den zuständigen Abteilungsleitern der Atomaufsichtsbe-
hörden der damals noch fünf Bundesländer mit in Leistungs-
betrieb befindlichen Atomkraftwerken zu Sicherheits-, Nach-
rüstfragen, Laufzeiten oder Ähnlichem statt, und welche
Kalenderdaten derartiger Telefonkonferenzen im Jahr 2010
lassen sich aufgrund anderer noch vorhandener digitaler In-
formationen in der Abteilung RS, wie beispielsweise Einla-
dungsschreiben, E-Mail-Verkehr etc., eruieren?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Frau Kollegin Kotting-Uhl, aus den in der Frage auf-
gelisteten noch vorhandenen Informationsquellen erge-
ben sich für das Jahr 2010 neben dem bereits genannten
Termin am 8. September 2010 keine weiteren Termine
von Telefonkonferenzen auf Abteilungsleiterebene zwi-
schen dem Bund und den zu diesem Zeitpunkt fünf Bun-
desländern mit im Leistungsbetrieb befindlichen Kern-
kraftwerken zu den in der Frage genannten Themen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Dann frage ich: Gab es persönliche Gespräche statt
Telefonkonferenzen? Es wäre relativ ungewöhnlich,
wenn vor einer so wichtigen Entscheidung, wie sie da-
mals im Herbst 2010 anstand, nämlich die Laufzeitver-
längerung, keinerlei Gespräche stattgefunden hätten.
Ka
Das kann ich weder bestätigen noch dementieren. Ich
kann Ihnen auch die Teilnehmer an möglichen Gesprä-
chen nicht sagen. Das müsste ich nachreichen. Es wird
gesprochen, wir führen aber keine Auflistungen jegli-
cher Treffen und Besprechungen. Das kann ich Ihnen
aber gerne nachreichen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Gibt es im BMU schriftliche Vermerke über solche
Gespräche oder über die besagte Telefonkonferenz, die
einzige, die stattgefunden hat?
Ka
Wir haben keine systematische Erfassung von Tele-
fonkonferenzen.
Damit kommen wir zur Frage 4 der Kollegin Sylvia
Kotting-Uhl:
Sieht die Bundesregierung die vorläufige Sicherheitsana-
lyse Gorleben, VSG, aufgrund der nicht dokumentierten Vor-
gespräche des für Gorleben zuständigen Referatsleiters und
BMU-Abteilungsleiters RS mit dem späteren VSG-Unterauf-
tragnehmer Dr. Bruno Thomauske im ersten Halbjahr 2010
genannten nicht dokumentierten Vorgespräche jemals die ver-
gaberechtliche Korrektheit der Unterauftragsvergabe an
Ka
Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich möchte in meiner
Antwort auf die Antwort der Bundesregierung auf Ihre
Kleine Anfrage vom 22. August 2011 auf Bundestags-
drucksache 17/6817 verweisen, insbesondere auf die
Antworten zu Ihren Fragen 9, 10 und 17. Wir meinen,
dass wir alles ausführlichst beantwortet und nichts hin-
zuzufügen haben.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Ich finde es nicht befriedigend, wenn Sie meinen, Sie
hätten nichts hinzuzufügen. In dieser Frage haben Sie
mir damals den Teil, ob die Bundesregierung die VSG
aufgrund der nicht dokumentierten Vorgespräche des für
Gorleben zuständigen Referatsleiters und BMU-Abtei-
lungsleiters RS mit dem späteren VSG-Unterauftragsneh-
mer, Dr. Bruno Thomauske, mit einem Glaubwürdigkeits-
problem behaftet sieht, nicht beantwortet. Deswegen
erlaube ich mir, Ihnen diese Frage heute noch einmal zu
stellen. Ich wollte sicherstellen, dass ich persönlich an-
wesend sein kann; denn bei einer mündlich gegebenen
Antwort kann man – und diese Gelegenheit nehme ich
jetzt wahr – noch einmal nachfragen, was mir schriftlich
nicht möglich war.
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24185
(C)
(B)
Ka
Frau Kollegin Kotting-Uhl, ich verstehe den Kern Ih-
rer Frage nicht. Fragen Sie nach der Glaubwürdigkeit
von Herrn Thomauske?
Nein.
Sie haben die Möglichkeit, das der Frau Staatssekre-
tärin zu erklären.
Ka
Ich möchte das ganz gerne präzisiert haben.
Die Sache ist relativ einfach. Im Februar, März 2010
gab es informelle, nicht dokumentierte Gespräche – das
habe ich von der Bundesregierung bestätigt bekommen –
zwischen Abteilungsleiter Hennenhöfer, aber auch anderen
Mitarbeitern der Abteilung RS, und Herrn Thomauske.
Damals war von der vorläufigen Sicherheitsanalyse für
Gorleben offiziell noch nichts bekannt. Sie war sozusa-
gen im Entstehen. Dann wurde am 22. Juni 2010, also
drei Monate später, die Firma von Herrn Thomauske ge-
gründet. Am 1. Juli 2010 erhält Herr Thomauske den
Unterauftrag, ungefähr die Hälfte der Aufträge für die
VSG zu übernehmen. Der Eindruck drängt sich auf, dass
in diesen informellen Gesprächen die Vorlagen für die
VSG, die Überlegungen, überhaupt erst geboren wurden
bzw. daran gearbeitet wurde und sozusagen Herr
Thomauske seinen eigenen Auftrag schon einmal vorbe-
reitet hat. Dieser Eindruck drängt sich auf. Deshalb frage
ich nach der Glaubwürdigkeit.
Ka
Zwei Dinge dazu. Zum einen dienen informelle Ge-
spräche auch der Meinungsbildung in einem Ministe-
rium. Daran ist tatsächlich nichts Außergewöhnliches.
Zum anderen hätte sich die vorläufige Sicherheitsana-
lyse Gorleben dann überholt, wenn wir zu einem Endla-
gersuchgesetz kämen –
– doch, das ist es schon –,
weil wir dann ergebnisoffen erkunden wollen. Noch ein-
mal: Zu informellen Gesprächen können wir keine Aus-
kunft geben und geben wir keine Auskunft.
Haben Sie noch eine zweite Nachfrage?
Dann frage ich anders: Können Sie denn ausschlie-
ßen, dass Herr Thomauske die VSG zusammen mit den
BMU-Beamten konzipiert hat und anschließend dem
BMU über die GRS, die beteiligt ist, zu verstehen gege-
ben hat, dass er einen Unterauftrag an der VSG erhalten
soll?
Ka
Frau Kollegin, an der Erarbeitung dieser Analyse wa-
ren insgesamt 80 Wissenschaftlerinnen und Wissen-
schaftler, die GRS und viele Projektpartner beteiligt.
Ihre Vermutung kann ich so nicht bestätigen.
Zu einer weiteren Nachfrage hat die Kollegin Ute
Vogt das Wort.
Frau Staatssekretärin, ist Ihnen bekannt, dass Herr
Bruno Thomauske in sach- und fachkundigen Kreisen
im Bereich der Atomwirtschaft und -forschung den Bei-
namen „Pannen-Bruno“ trägt? Halten Sie es vor diesem
Hintergrund tatsächlich für verantwortbar, ihn mit der
vorläufigen Sicherheitsanalyse zu betrauen?
Ka
Frau Kollegin Vogt, ich kann nur schwer nachvollzie-
hen, was Sie hier vortragen. Herr Thomauske war immer-
hin von 1983 bis 2003 im Bundesamt für Strahlenschutz
in Salzgitter beschäftigt. Ich halte Herrn Thomauske für
einen anerkannten Experten. Die von Ihnen vorgebrach-
ten Bezeichnungen finde ich in der Tat beleidigend.
Der Kollege Krischer hat eine weitere Nachfrage.
Fr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Hat es denn eine
BMU-interne Überprüfung zur Vergabe der VSG-Ver-
träge gegeben und, wenn ja, mit welchem Ergebnis?
Ka
Ich kann Ihnen hier nur allgemein mitteilen, dass wir
uns an die Vergaberichtlinien halten und dass mir nichts
Gegenteiliges bekannt ist.
Ich rufe die Frage 5 des Kollegen Gerd Bollmann auf:Wie will die Bundesregierung auf die in der „Bekanntma-chung der Erhebung der Bundesregierung bezüglich des An-teils der in Mehrweggetränkeverpackungen sowie ökologischvorteilhaften Einweggetränkeverpackungen abgefüllten Ge-tränke in den Jahren 2004 bis 2010 gemäß § 1 Abs. 2 der Ver-
Metadaten/Kopzeile:
24186 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
nach der die Mehrwegquote für Getränkeverpackungen erneutgesunken ist, reagieren?Ka
Herr Kollege Bollmann, die Bundesregierung hat sich
zum Ziel gesetzt, die Transparenz für Verbraucherinnen
und Verbraucher zu erhöhen und so die ökologische
Konsumentenverantwortung zu stärken. Insbesondere
muss die Unterscheidbarkeit von bepfandeten Ein- und
Mehrweggetränkeverpackungen verbessert werden. Da-
mit soll es den Verbraucherinnen und Verbrauchern er-
leichtert werden, eine bewusste Kaufentscheidung zu
treffen, die ihre ökologischen Ansprüche zum Ausdruck
bringt.
Nachdem sich der vom damaligen Bundesumweltmi-
nister Gabriel verfolgte Ansatz einer Kennzeichnung der
Getränkeverpackung selbst mit den Begriffen „Einweg“
und „Mehrweg“ als europarechtlich problematisch er-
wiesen hat, prüft die Bundesregierung derzeit Möglich-
keiten einer Regelung, die Hinweispflichten am Ort der
tatsächlichen Abgabe vorsieht.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, dies wird jetzt aber schon seit
drei Jahren geprüft. Es gibt eigentlich niemanden, der
gegen diese Kennzeichnungspflicht wäre. Warum
kommt man also hier überhaupt nicht weiter? Sieht die
Bundesregierung über die Kennzeichnungspflicht hinaus
weitere Möglichkeiten, den Mehrweganteil zu stabilisie-
ren?
Ka
Herr Kollege Bollmann, dem ist nicht ganz so. In der
Tat hatte Bundesumweltminister Gabriel seinerzeit noch
im Wahlkampf angekündigt, für eine solche Regelung
einzutreten. Die von ihm vorgeschlagene Regelung ist
dann aber in einem langwierigen Verfahren von der
Kommission zurückgewiesen worden. Wir haben dann
wiederum ausgelotet, was von der Kommission im Hin-
blick auf die Freiheit des Wettbewerbs und auf die Wa-
renverkehrsfreiheit überhaupt als zulässig angesehen
wird. Daraufhin haben wir einen modifizierten Vor-
schlag entwickelt, um den Mehrweganteil zu steigern.
Jetzt sind wir im Gespräch mit den beteiligten Krei-
sen, zum Beispiel dem Handel, aber auch den Umwelt-
verbänden, um eine solche Kennzeichnung am Point of
Sale, also am Abgabepunkt, zu eruieren. Ich halte es für
richtig, alle beteiligten Kreise zu informieren und für
eine solche Lösung zu gewinnen. Hier wäre wiederum
nicht der Hersteller eines Getränks derjenige, der die
letzte Verantwortung trägt, sondern der Handel. Daher
muss man mit dem Handel darüber sprechen, welche
Möglichkeiten es hier gibt. Den Gesprächen habe ich al-
lerdings auch entnommen, dass die Umweltverbände mit
einer solchen möglichen Lösung ebenfalls sehr gut leben
könnten.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Die Frage ging noch weiter: Sehen Sie über die Kenn-
zeichnungspflicht hinaus weitere Möglichkeiten, den
Mehrweganteil zu stabilisieren? Denn dies wäre drin-
gend notwendig.
Ka
Ja, da haben Sie recht, Herr Kollege Bollmann. Wir
sind bei Bier und Biermischgetränken nun zwar bei einer
Mehrwegquote von 88 Prozent, nachdem sie zuvor auf
68 Prozent gefallen war. Aber insbesondere bei den Er-
frischungsgetränken geht der Mehrweganteil zurück. Ich
habe den Gesprächen – übrigens auch mit den Verbrau-
cherschutzorganisationen – entnommen, dass sich die
Verbraucherinnen und Verbraucher, auch wenn sie sich
das Etikett auf der Flasche genau ansehen, nicht sicher
sind, was sie tatsächlich in der Hand haben bzw. kaufen:
Einweg oder Mehrweg. Deshalb glauben wir: Man sollte
direkt am Verkaufsort darauf hinweisen und damit dem
Kunden die Möglichkeit geben, sich für eine Verpa-
ckungsart zu entscheiden. Zu welchem Produkt der
Kunde am Ende greift, können wir nicht beeinflussen.
Aber er soll zumindest wissen, welches Produkt er in der
Hand hält.
Ob man darüber hinaus weitere Dinge machen kann,
bleibt abzuwarten. Wir würden gern versuchen, erst ein-
mal diesen Schritt zur Verbesserung der Transparenz, der
noch von Bundesumweltminister Gabriel angekündigt
war, umzusetzen. Dann können wir die Wirksamkeit die-
ser Maßnahme überprüfen.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Kelber das Wort.
Frau
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Haben Sie einen Zeitplan, der fest-
legt, bis wann Sie eine Regelung verabschieden und in
Kraft setzen wollen?
Ka
Wir würden gerne bis zum Ende des Jahres zu einemAbschluss kommen und sind deshalb mit den Ländern inGesprächen, inwieweit sie einer solchen Regelung zu-stimmen könnten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24187
(C)
(B)
Eine weitere Nachfrage stellt nun die Kollegin Wolff.
Frau
Handel, die Kennzeichnung von
Mehrwegverpackungen erfolgen soll. Wenn der Handel
dafür verantwortlich ist, dann werden Mehrkosten auf
den Handel zukommen, und ich befürchte, dass die Kos-
ten dann wieder auf die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher abgewälzt werden.
Wie ist Ihre Einschätzung dazu?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Frau Kollegin Wolff, jetzt amüsiert mich Ihre Sorge
doch ein wenig. Ja, am Ende des Tages muss jemand et-
was tun, wenn die Mehrwegquote erhöht werden soll. Da
der Weg der Kennzeichnung auf der Flasche bzw. Verpa-
ckung EU-rechtlich nicht zulässig ist – das wurde im Ver-
fahren und in Schriftwechseln dokumentiert –, braucht es
sozusagen einen anderen Ort des Geschehens. Das ist am
Ende der Ort, wo der Verbraucher das Produkt erwirbt.
Wir wollen die Belastungen für den Handel schon so
gering wie möglich halten. Deswegen sprechen wir auch
mit dem Handel. Es kann aber nicht sein, dass die Hin-
weise so gestaltet werden, dass letztlich niemand wahr-
nimmt, ob er nun zu Einweg oder Mehrweg greift. Es
muss am Ende einen klugen Kompromiss geben; aber
hier scheint eine Bereitschaft zu bestehen, das Problem
gemeinsam anzugehen.
Wir kommen damit zur Frage 6 des Kollegen Gerd
Bollmann:
Wie soll eine mögliche Verordnung über Hinweispflichten
des Handels aussehen?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Bollmann, Ziel einer möglichen Verord-
nung sollte sein, die Verbraucherinnen und Verbraucher
am Ort ihrer Kaufentscheidung klar und eindeutig zu in-
formieren, ohne den Handel mehr als unbedingt nötig zu
belasten; das habe ich gerade schon in der Antwort auf
die Frage von Frau Wolff gesagt.
Ihre erste Nachfrage.
Meine Frage dazu: Wie soll eine mögliche Verord-
nung über Hinweispflichten aussehen? Wie will man
ihre Durchsetzung handhaben? Will man also den Han-
del praktisch zwingen, Mehrweg- und Einweggetränke-
verpackungen getrennt aufzustellen? Und wenn so etwas
geplant ist: Wann sollte eine solche Verordnung verab-
schiedet werden?
Ka
Die genaue Ausgestaltung, Herr Kollege, besprechen
wir gerade mit dem Handel. Aber unser Ziel ist es, die
Kennzeichnung „Einweg“ und „Mehrweg“ unüberseh-
bar nahe bei den entsprechenden Produkten anzubrin-
gen. Ob dies im Supermarkt durch eine Kennzeichnung
am Regal oder durch eine getrennte Aufstellung ge-
schieht, das wird sich zeigen.
Für uns ist wichtig: Die Kennzeichnung muss deut-
lich und unmissverständlich sein, und am Ende muss die
Verordnung auch durchgesetzt werden. Sprich: Man
wird am Ende des Tages auch darüber sprechen müssen,
wie man reagiert, wenn nichts geschieht. Es ist nämlich
mehr als eine freundliche Empfehlung.
Ihre zweite Nachfrage? – Sie verzichten.
Die Fragen 7 und 8 des Kollegen Ott werden schrift-
lich beantwortet, wie auch die Frage 9 der Kollegin
Bärbel Höhn.
Ich rufe die Frage 10 des Kollegen Frank Schwabe
auf:
Wie hoch sind die Mitnahmeeffekte, Windfall Profits, der
Energieversorgungsunternehmen seit dem Beginn des Emis-
sionshandels in Deutschland, und um welchen Betrag könnte
der Preis pro Kilowattstunde Strom in den vergangenen Jah-
ren und aktuell im Jahr 2012 niedriger sein, falls diese kosten-
los erhaltenen CO2-Zertifikate nicht dem Stromkunden in
Rechnung gestellt worden wären?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Schwabe, die Bundesregierung führt
selbst keine Berechnung von Mitnahmeeffekten oder
theoretisch möglichen Strompreisen durch. Eine solche
Berechnung würde eine umfassende Kenntnis aller je-
weils preissetzenden Grenzkraftwerke sowie aller sonsti-
gen den aktuellen Strompreis bildenden Faktoren vor-
aussetzen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, wäre es nicht notwendig, sichin eine solche Richtung zu bewegen und in diesem Be-reich bessere Kenntnisse zu erlangen? Denn wir führen
Metadaten/Kopzeile:
24188 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Frank Schwabe
(C)
(B)
ja eine Debatte darüber, welche Belastung es für dieMenschen in diesem Lande aufgrund der steigendenEnergiepreise gibt, und wir denken darüber nach, wieman für eine Entlastung sorgen kann. Der Herr Umwelt-minister hat RWE durchaus gelobt und andere Unterneh-men aufgefordert, die Erhöhung der EEG-Umlage undandere Erhöhungen nicht weiterzugeben. Wäre es danicht sinnvoll, zu wissen, was es in den letzten Jahren anZusatzgewinnen durch den Emissionshandel gegebenhat, um die Argumentationskraft des Ministers zu stär-ken?Ka
Herr Kollege Schwabe, es gibt durchaus Institute, die
mit Zahlen operieren und Schätzungen abgeben. Ich
sage noch einmal: Die Bundesregierung führt keine Be-
rechnungen dieser Art durch. Dass es Mitnahmeeffekte
gegeben hat, haben wir übrigens auch schon damals ge-
meinsam in der Großen Koalition festgestellt. Ich kann
Ihnen, wie gesagt, keine konkreten Zahlen nennen; sie
würden im Schätzbereich liegen. Das können Institute
machen; die Bundesregierung will dies aber nicht tun.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ganz zweifellos hat es diese Mit-
nahmeeffekte schon vorher gegeben. Sie haben Institute
angesprochen, die entsprechende Untersuchungen vorge-
nommen haben. Mir liegen zum Beispiel Zahlen vor, die
zeigen, dass es für die Jahre 2005 bis 2012 Mitnahmeef-
fekte in Höhe von 35 Milliarden Euro gegeben hat. Hätte
man diesen Betrag als Entlastung an die Stromkunden
weitergereicht, hätte der Strompreis in dieser Zeit um
1 Cent pro Kilowattstunde niedriger gelegen. Auch für
dieses Jahr gibt es einen Mitnahmeeffekt in Höhe von
etwa 2,9 Milliarden Euro, was ungefähr 0,6 Cent aus-
macht. Sieht die Bundesregierung diese Zahlen als plau-
sibel an? Was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um
diese Zahlen einer breiteren Öffentlichkeit mitzuteilen
und damit den Druck auf Energieversorger zu erhöhen,
Mitnahmeeffekte auch an die Stromkunden weiterzuge-
ben? Das würde die Strompreise entsprechend erträgli-
cher gestalten.
Ka
Die Studie des Öko-Instituts aus dem Jahr 2011 ist der
Bundesregierung bekannt. Das Öko-Institut hatte die
vier großen Energieversorger plus Evonik untersucht.
Man ist auf diese Größenordnung gekommen. Aller-
dings ging es dort nicht – so habe ich es verstanden – um
die Zusatzerträge aufgrund der kostenlosen Zuteilung
der Zertifikate, sondern um den Vergleich mit einer Si-
tuation ohne Emissionshandel. Da wir aber den Emis-
sionshandel haben, handelt es sich hierbei nur um eine
theoretische Diskussion. Sie haben aber völlig recht:
Windfall Profits – in welcher Höhe auch immer; aber
vermutlich mehr, als uns allen lieb ist – sind generiert
worden, was zu einer Erhöhung des Strompreises ge-
führt hat. Insofern ist Ihre Analyse vollkommen richtig.
Zu einer Nachfrage hat der Kollege Miersch das
Wort.
Frau Staatssekretärin, wir sind uns doch einig, dass
die Windfall Profits zu unnötigen Erhöhungen der
Energiepreise für Verbraucher und Unternehmen in un-
serem Land geführt haben. Ist es angesichts dieser Tat-
sache nicht Aufgabe des Bundesumweltministeriums,
schleunigst und spätestens in diesen Wochen an einer
Gegenstrategie zu arbeiten und Vorschläge zu unterbrei-
ten, damit solche ungerechtfertigten Gewinne nicht mehr
gemacht werden?
Ka
Die Gegenstrategien sind eingeleitet. Gegenstrategie
Nummer eins ist, dass es keine kostenlose Zuteilung
mehr für die Erzeuger geben wird. Gegenstrategie
Nummer zwei ist, aus dem Emissionshandel überhaupt
wieder einen Handel zu machen, also der Tonne CO2
wieder einen Preis zu geben, der marktrelevant ist. Auch
daran wird gearbeitet.
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Kelber.
Frau Staatssekretärin, Sie hatten völlig zu Recht be-
richtet, dass Sie in Ihrer früheren Funktion als stellver-
tretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU gemeinsam
mit mir beklagt hatten, –
Ka
Das waren noch Zeiten, Herr Kollege.
– dass die Energiekonzerne die kostenlos zugeteiltenZertifikate ihren Kundinnen und Kunden trotzdem inRechnung gestellt haben. Gedenkt die Bundesregierungdenn beim Übergang in den Emissionshandel ab 2013– ab dann müssen die Zertifikate von den Energiekon-zernen bezahlt werden – in irgendeiner Form, zum Bei-spiel durch die Beauftragung des Bundeskartellamtes,eine Überprüfung durchzuführen und dafür zu sorgen,dass den Kundinnen und Kunden diese Kosten nicht einzweites Mal in Rechnung gestellt werden, was durchauszu befürchten ist, mit der Begründung, man müsse dieseZertifikate ja jetzt bezahlen?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24189
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(B)
Ka
Herr Kollege Kelber, Sie wissen so gut wie ich, dass
eine direkte Einflussnahme nicht möglich ist. Was aber
möglich ist, ist eine offensive Kommunikation in Bezug
auf dieses Phänomen. Da die Zertifikate beim ersten Mal
kostenlos zugeteilt und die Verbraucher trotzdem belas-
tet wurden, können die beim zweiten Mal anfallenden
Kosten nicht eingepreist werden. Unsere Anstrengung
richtet sich vor allem darauf, die Kosten für die Bürge-
rinnen und Bürger in erträglichem Rahmen zu halten.
Nicht umsonst hat Bundesumweltminister Altmaier eine
Stromsparinitiative gestartet, die eine erste kleine Ant-
wort darauf sein soll.
– Mir ist nicht bekannt, dass eine derartige Prüfung ge-
plant ist.
Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Frank Schwabe
auf:
Wie bewertet der Bundesminister für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit, Peter Altmaier, die Umsetzung
seines am 16. August 2012 vorgelegten 10-Punkte-Plans bis
zum heutigen Tag?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Schwabe, Bundesumweltminister Peter
Altmaier hat am 16. August 2012 unter dem Titel „Mit
neuer Energie – 10-Punkte-Programm für eine Energie-
und Umweltpolitik mit Ambition und Augenmaß“ sein
Arbeitsprogramm vorgelegt. Er benennt, unterteilt in
zehn Schwerpunkte aus dem gesamten Spektrum der
Ressortzuständigkeit, die aus Sicht des Ministers
vordringlichen Aufgaben und Projekte bis zum Ende der
Wahlperiode. Das Bundesumweltministerium und die
anderen beteiligten Ressorts arbeiten intensiv an der
Umsetzung des Programms, die schon nach zwei Mona-
ten auf einem guten Weg ist. Die folgenden Beispiele
mögen dies belegen.
So hat das Bundesumweltministerium seine perso-
nelle Kompetenz mit Blick auf die Energiewende ver-
stärkt. Erstmals wurden sämtliche Fragen, die in diesem
Zusammenhang relevant sind, in einer eigenen Unter-
abteilung zusammengefasst. Darüber hinaus macht
Bundesminister Altmaier die Themen Bürgerbeteiligung
und Transparenz zu einem Schwerpunkt der politischen
Arbeit. Er hat daher im Bundesumweltministerium eine
eigene Unterabteilung „Gesellschaftspolitische Grund-
satzfragen, Bürgerbeteiligung“ eingerichtet, die sich
intensiv mit allen damit zusammenhängenden Fragen
beschäftigt.
Dem Bundesumweltminister geht es weiterhin um
eine stärkere Koordinierung der Energiewende, um die
damit verbundenen Maßnahmen und beteiligten Ak-
teure. Die laufenden Aktivitäten sollen besser aufeinan-
der abgestimmt werden, um so gezielt, schrittweise und
anhand von klaren Prioritäten den Umstieg der Energie-
versorgung hin zu erneuerbaren Energien zu gestalten
und dabei eine sichere und bezahlbare Stromversorgung
zu gewährleisten. Diesem Ziel dient auch sein Verfah-
rensvorschlag zur Neuregelung des EEG, den der Minis-
ter am 11. Oktober vorgelegt hat.
Ende August 2012 haben sich das Bundesumwelt-
ministerium und das Bundeswirtschaftsministerium ge-
meinsam auf eine Haftungsregelung bei der Anbindung
von Offshorewindparks und die Einführung eines ver-
bindlichen Offshorenetzplans verständigt. Die Bundes-
regierung hat bereits einen entsprechenden Gesetzent-
wurf beschlossen und in das parlamentarische Verfahren
eingebracht.
Bundesumweltminister Altmaier hat außerdem die
Stromsparinitiative „Klimaschutz – Energieeffizienz
zahlt sich aus“ gestartet, um die Energieeffizienz zu
fördern. Am 9. Oktober 2012 trafen sich auf seine Ein-
ladung hin im Rahmen dieser Initiative alle relevanten
Akteure zu einem Runden Tisch.
Gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium,
dem DIHK und dem ZDH wurde am 1. Oktober 2012
die „Mittelstandsinitiative Energiewende“ der Öffent-
lichkeit vorgestellt und auf den Weg gebracht.
Minister Altmaier bemüht sich zudem intensiv um
eine fraktions- und länderübergreifende Lösung hin-
sichtlich der Auswahl eines Endlagerstandortes für
wärmeentwickelnde radioaktive Abfälle; das haben wir
gerade ausführlich behandelt. Hierzu hat er am 17. Okto-
ber seinen Vorschlag für ein Standortauswahlgesetz an
alle Beteiligten versandt.
Das ist ein Ausschnitt der bisherigen Bilanz des 10-
Punkte-Programms. Es tut mir leid, dass die Antwort
länger gedauert hat.
Dann kommen wir zur ersten Nachfrage.
Ich weiß nicht, ob auch ich jetzt mehr Zeit habe, um
die Dinge aufzuführen, die alle nicht umgesetzt worden
sind.
Ka
Das müssen Sie die Frau Präsidentin fragen.
Frau Staatssekretärin, das, was Sie benannt haben, be-trifft in erster Linie Umstrukturierungsmaßnahmen,Treffen, die stattgefunden haben, und Öffentlichkeits-kampagnen. Das ist ja alles ganz interessant, aber: HerrAltmaier hat im August einen 10-Punkte-Plan vorgelegt,den er mit dem Titel „Mit neuer Energie“ überschriebenhat. Einige dieser zehn Punkte sind sehr allgemein über-
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24190 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Frank Schwabe
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schrieben, zum Beispiel mit „Perspektive 2030“. Es gingwohl darum, ein Stück weit Tatkraft zu suggerieren.Mein Eindruck ist allerdings, dass die Dinge, die dortkonkret benannt worden sind – vielleicht war es sehrmutig von ihm, Daten zu nennen –, nicht umgesetzt wor-den sind. Ich nenne als Beispiel den zweiten Punkt„Neuer Schwung für Klimaschutz“. Dort steht: „Ziel isteine abgestimmte Haltung der Bundesregierung bis EndeSeptember“ zu der Reform des Emissionshandels in derEuropäischen Union. – Die abgestimmte Haltung kannich nicht sehen.Den dritten Punkt „Nukleare Entsorgung im Konsensregeln“ haben Sie schon angesprochen. Dort heißt es:Vorlage eines Endlagersuchgesetzes bis Ende Sep-tember und Verabschiedung bis Ende dieses Jahres.Ich sehe nicht, wie es dazu kommen soll.Zum Thema Wertstofftonne steht dort:Im September werde ich eingehende Gespräche mitallen Beteiligten führen,– die mag es gegeben haben –auf deren Grundlage dann im 2. Halbjahr 2012 einGesetzentwurf vorgelegt werden soll, dessen Verab-schiedung bis Ostern 2013 möglich erscheint.Zu Letzterem: Wird es einen solchen Gesetzentwurf zurWertstofftonne geben?Ka
Auch an diesem Gesetzentwurf arbeiten wir weiter-
hin, Herr Kollege Schwabe. Wir brauchen dazu nicht nur
den Deutschen Bundestag, sondern auch den Bundesrat.
Das 10-Punkte-Papier war nicht so angelegt, dass man in
vier Wochen alles erledigen wollte. Der Minister, das
Umweltministerium, aber auch die Bundesregierung
werden weiter daran arbeiten, alle Punkte möglichst bis
zum Ende der Legislaturperiode abzuschließen.
Ich bitte darum, das optische Signal nicht nur wahrzu-
nehmen, sondern auch darauf zu reagieren. – Sie haben
das Wort zur zweiten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, das ist ja alles interessant. Mir
ist schon klar, dass man das nicht alles in vier Wochen
machen kann. Wenn man aber Daten benennt und sich
damit öffentlich produziert, dann muss man sich am
Ende auch an diesen Daten messen lassen. Ich kann nur
feststellen – ich sage das noch einmal –: Die konkreten
Festlegungen – davon gab es in diesem 10-Punkte-
Programm nur wenige – wurden nicht umgesetzt.
Ich will noch einen weiteren Punkt nennen: Im sieb-
ten Punkt geht es um das Fracking. Diesbezüglich steht
in dem 10-Punkte-Programm: Das BMU, das Bundes-
umweltministerium, strebt an, „Fracking in Trinkwasser-
schutzgebieten zu verbieten“ und „eine größtmögliche
Beteiligung und Prüfung der Umweltverträglichkeit vor-
zuschreiben“. Ich habe Sie schon in der letzten Woche
danach gefragt – ich weiß nicht, ob es heute eine andere
Antwort gibt –: Gibt es eine Vorlage für einen solchen
Gesetzentwurf, und wann? Wird es überhaupt eine Vor-
lage noch bis zum Ende der Legislaturperiode geben?
Ka
Der Bundesumweltminister hat klargemacht, dass
ihm der Trinkwasserschutz und die Beteiligung der
Öffentlichkeit bei Fracking-Projekten wichtig sind. Ich
habe Ihnen schon in der letzten Woche gesagt, dass, da
jetzt die beiden Gutachten vorliegen, am 3. Dezember
2012 ein großer Workshop mit internationaler Beteili-
gung stattfinden wird, auf dem Experten zusammenkom-
men werden, um uns den nötigen Input zu geben.
Der Minister hat auch noch einmal klargemacht, dass
er zusammen mit dem Wirtschaftsministerium an einer
Lösung arbeitet. Der Teil Trinkwasserschutz/Wasser-
haushaltsgesetz liegt nur im Bundesumweltministerium.
Wir sind diesbezüglich in Gesprächen mit den Koali-
tionsfraktionen, um eine Lösung zu finden.
Der Kollege Krischer hat eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, wenn ich mir die umfassende
Aufzählung der Initiativen, Ideen und Konzepte von
Herrn Altmaier anschaue, die Sie jetzt gerade sehr plas-
tisch wiedergegeben haben, habe ich fast den Eindruck,
dass Herr Altmaier plant, Ilse Aigner als Ankündigungs-
minister dieser Bundesregierung abzulösen. Denn umge-
setzt ist in der Tat sehr wenig. Zum Fracking – Kollege
Schwabe hat es angesprochen – macht man jetzt einen
Kongress. Seit zwei Jahren hören wir, dass an dem
Thema gearbeitet wird. Ich erwarte nicht mehr, dass in
dieser Legislaturperiode noch etwas dazu vorgelegt
wird.
Ich möchte noch einen weiteren Punkt ansprechen
– auch dies hat Herr Altmaier angekündigt –: Herr
Altmaier möchte die Bürgerinnen und Bürger finanziell
am Netzausbau beteiligen. Auch diese Initiative wurde
groß angekündigt. Sein Kabinettskollege Herr Rösler,
der fachlich dafür zuständig ist, hat gesagt, dass er eine
Bürgerbeteiligung am Netzausbau nicht für erforderlich
hält. Deshalb meine Frage: Wann können wir mit einem
Konzept von Herrn Altmaier rechnen, das aufzeigt, wie
die Bürgerinnen und Bürger am Netzausbau beteiligt
werden?
Ka
Herr Kollege Krischer, ich möchte zuallererst IhremEindruck entgegentreten, von diesen zehn Punkten seinichts umgesetzt. Ich habe versucht, Ihnen einige der
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Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
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Punkte näherzubringen. Insbesondere die „Mittelstands-initiative Energiewende“ ist, wie ich finde, ein großerErfolg. Dabei geht es uns darum, vor allem zusammenmit dem Mittelstand die Energiewende voranzutreiben.Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger amNetzausbau ist, wie ich finde, eine Idee, die es wert ist,weiterverfolgt zu werden. Denn wir merken ja, dass derNetzausbau nicht nur aufgrund langer Genehmigungs-verfahren, sondern vor allem aufgrund des Widerstandesder Bürgerinnen und Bürger stockt und nicht in dem not-wendigen Maße voranschreitet. Eine grundsätzlicheÜberlegung, auf welche Art und Weise und mit welchenInstrumenten die Bürgerinnen und Bürger beteiligtwerden könnten, finde ich richtig. Aber auch hier ist esso, dass ein Vorschlag auf dem Tisch liegt, der der ver-tieften Bearbeitung bedarf. Das kann und macht dasBundesumweltministerium nicht allein, das muss amEnde des Tages innerhalb der Regierung geschehen.
Eine weitere Zusatzfrage stellt die Kollegin
Haßelmann.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatssekretä-
rin, Ihren Ausführungen ist ja zu entnehmen, dass bis-
lang nichts Konkretes vorliegt. Wenn Sie sagen, dass Sie
glauben, dass das eine Idee sein könnte, die man weiter-
verfolgen könnte, dann ist die Häufigkeit des Konjunk-
tivs in Ihrer Antwort nicht mehr zu überbieten. Deshalb
lautet meine Frage, die ich in Anknüpfung an die vorhe-
rigen Fragen der Kollegen stelle: Wann genau möchte
Herr Altmaier zu diesem Thema etwas Konkretes vor-
legen, oder beschränkt sich die weitere Arbeit darauf, ei-
nen Plan anzukündigen, dann aber innerhalb der Bun-
desregierung einen Streit zwischen dem Wirtschafts- und
Umweltministerium darüber zu führen, wie man in der
Frage vorankommt?
Ka
Frau Kollegin Haßelmann, ich finde es wichtig, dass
auch Bundesminister eine politische Debatte mit Ideen
und Vorschlägen begleiten, um möglicherweise fest-
gefahrene Situationen zu überwinden und überhaupt erst
einmal ein Angebot zu machen, über das man diskutie-
ren kann. Bislang verläuft der Netzausbau in Deutsch-
land langsam; es ist ein anstrengender Prozess. Auch
Gesetze, die zu einer Beschleunigung hätten führen
sollen, hatten nicht den gewünschten Effekt; dies war
übrigens schon zu Zeiten der Großen Koalition so. Man
muss also konstatieren, dass wir die Beschleunigung bis-
her nicht in ausreichendem Maße erreicht haben.
Ich finde es sehr richtig, dass sich Politiker, Parla-
mentarier und demzufolge auch Bundesminister mit
Ideen zu Wort melden, die eine gesellschaftliche und
politische Debatte anstoßen und vielleicht zu Lösungen
führen, um den Netzausbau zu beschleunigen.
Gleichzeitig machen wir das, was der Gesetzgeber zu
tun hat. Der Offshorenetzplan ist eine sehr konkrete
Maßnahme, die wir mit Blick auf den Netzausbau auf
den Weg gebracht haben. Der Netzentwicklungsplan ist
jetzt in Bearbeitung. Das sind sehr konkrete Schritte.
Darüber hinaus müssen wir uns aber über zusätzliche
Maßnahmen Gedanken machen, um den Netzausbau am
Ende des Tages zu beschleunigen.
Wir kommen damit zur Frage 12 des Kollegen
Dr. Matthias Miersch:
Wie beurteilt die Bundesregierung die Umgestaltung des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, weg von festen Ein-
speisevergütungen hin zu einem Quotenmodell, wie es im
Verfahrensvorschlag des Bundesministers Peter Altmaier zur
Neuregelung des EEG als Prüfauftrag formuliert wurde, im
Hinblick auf die weiteren Prinzipien einer Reform des EEG,
insbesondere Technologieoffenheit und Planungssicherheit?
Bitte, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Miersch, ein wesentliches Prinzip für
eine Reform des EEG ist die intensivere Integration der
erneuerbaren Energien in den Strommarkt und die stär-
kere Nutzung wettbewerblicher Prozesse. Vor diesem
Hintergrund hat Bundesminister Peter Altmaier in sei-
nem Verfahrensvorschlag zur Neuregelung des Erneuer-
bare-Energien-Gesetzes neben der Ausweitung der
Marktprämie und der Prüfung weiterer Maßnahmen zur
Marktintegration auch eine Prüfung möglicher Reform-
modelle in Aussicht gestellt. Dies schließt die Prüfung
der Eignung zum Beispiel von Ausschreibungs- und
Quotenmodellen mit ein.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, meine Frage schließt sich ein
bisschen an alle Baustellen an, die wir vorher erörtert ha-
ben und bei denen auch nichts passierte. Jetzt gibt es
Vorschläge des Bundesumweltministers. Es gibt Rufe
aus der Regierungskoalition, das EEG gänzlich infrage
zu stellen. Wann beabsichtigen Sie denn, innerhalb der
Bundesregierung zu einem Ergebnis zu kommen, wie
nun mit dem Erneuerbare-Energien-Gesetz weiter ver-
fahren werden soll?
Ka
Herr Kollege Miersch, wir haben allein in dieser Le-
gislaturperiode drei Novellen des Erneuerbare-Energien-
Gesetzes vorgelegt.
Ich wollte jetzt in die Zukunft fragen, nicht in die Ver-gangenheit.
Metadaten/Kopzeile:
24192 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
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(B)
Ka
Nun ja, der erste Vorwurf war ja, wir hätten hier
nichts gemacht. Das weise ich erst einmal zurück.
Zweitens haben wir bei kleineren Novellen, die einen
bestimmten Bereich betrafen, zum Beispiel die Photo-
voltaik, lange gebraucht. Am Ende konnten die Ziele,
die das Umweltministerium vorgegeben hat, in dem Ver-
fahren von Bundestag und Bundesrat gar nicht erreicht
werden.
Der Erfolg des Erneuerbare-Energien-Gesetzes ver-
setzt uns in die Situation, mit mittlerweile 25 Prozent
erneuerbarem Strom im Netz nicht nur umzugehen, son-
dern ihn integrieren zu müssen. Es braucht eine umfas-
sende Novelle des Erneuerbare-Energien-Gesetzes.
Diese Novelle ist aber ohne die Beteiligung von Bundes-
tag und Bundesrat nicht möglich. Deshalb gilt es auch
hier, Vorschläge zu unterbreiten und mit allen Beteilig-
ten im Gespräch zu bleiben, um am Ende zu einer Lö-
sung zu kommen; denn eine Lösung anzukündigen und
dann zu keiner Lösung zu kommen, treibt am Ende den
Ausbau und damit den Strompreis weiter in die Höhe.
Dr. Miersch, Ihre zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, das ist genau das Problem, das
wir die ganze Zeit über in Ihrer Politik beobachten. Des-
wegen frage ich Sie noch einmal nach der Novelle des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes vor dem Hintergrund
des vom Bundesumweltminister Altmaier problemati-
sierten Konzepts des Quotenmodells: Beabsichtigt die
Bundesregierung, noch in dieser Wahlperiode eine No-
velle des EEG vorzulegen?
Ka
Wir werden in Absprache mit den Koalitionsfraktio-
nen Vorschläge unterbreiten. Ob es am Ende des Tages
tatsächlich zu einer Lösung kommen wird, hängt nicht
nur von der Mehrheit in diesem Deutschen Bundestag
ab, sondern auch vom Bundesrat.
Wir haben hier noch eine weitere Nachfrage. – Kol-
lege Frank Schwabe.
Frau Staatssekretärin, die Lage im Hinblick auf Bun-
destag und Bundesrat als Verfassungsorgane ist uns
durchaus bekannt. Das entlässt Sie aber nicht aus einer
Antwort auf die Frage, ob Sie als Bundesregierung eine
solche Novellierung anstreben. Was der Bundesrat dann
machen wird, muss man sehen. Aber streben Sie eine
Novellierung in dieser Legislaturperiode an, ja oder
nein?
Ka
Herr Schwabe, der Bundesumweltminister hat ja ge-
rade einen Verfahrensvorschlag gemacht, um eine
Novelle überhaupt in Gang setzen zu können. Eine so
umfangreiche Novelle – wir sind uns einig, dass es eben
nicht mehr reicht, an kleinen Fördergrößen herumzu-
schrauben; vielmehr bedarf es einer grundsätzlichen
Überlegung, ob man zur reinen Förderung auch eine
Verantwortung der erneuerbaren Energien und, wenn ja,
auf welchem Wege mit in ein Gesetz schreibt – kann tat-
sächlich nicht so einfach und auch nur per Vorschlag in
den parlamentarischen Raum und in die Diskussion ge-
geben werden. Der Verfahrensvorschlag des Ministers
diente dazu, eine Diskussion über die Notwendigkeit ei-
ner Novelle und über die Schritte zu induzieren. In der
Plattform Erneuerbare Energien werden ja parallel zu
der Diskussion im Deutschen Bundestag Mittel und
Wege erörtert, wie wir erneuerbare Energien markt- und
wettbewerbsfähig machen können und in den allgemei-
nen Strommix im Netz integriert bekommen. Inwieweit
am Ende eine Lösung steht, hängt tatsächlich nicht nur
von dieser Bundesregierung ab, sondern auch von dem
Willen des gesamten politischen Raums, zu einer Lö-
sung zu kommen, die verhindert, dass der Strompreis ex-
plodiert.
Es gibt noch die Nachfrage unseres Kollegen Marco
Bülow.
Vielen Dank. – Frau Staatssekretärin, Entschuldi-
gung, dass ich noch einmal nachfrage; aber ich möchte
das ein bisschen dezidierter haben. Natürlich hängt das,
was letztlich beschlossen wird, immer von den verschie-
denen Personen und auch vom Bundesrat ab. Aber die
Verbände, die Wirtschaft insgesamt muss zukunftsfähig
planen können. Sie ist darauf angewiesen, dass der Rah-
men für die Gesetze ungefähr wie abgesteckt bleibt.
Wenn Sie von einer umfassenden Reform sprechen
– und nicht nur von den Reformen, wie sie in den letzten
Jahren vonstattengegangen sind –, interessiert es also
nicht nur uns als SPD-Fraktion sehr, ob Sie anstreben, in
bestimmten Bereichen oder vielleicht sogar umfassend
auf ein Quotenmodell umzusteigen. Das wäre ein ganz
anderes Modell, das brächte einen vollkommen anderen
Geist in das Erneuerbare-Energien-Gesetz. Wir wollen
wissen, ob das Umweltministerium ein solches Quoten-
modell anstrebt und, wenn ja, in welchen Bereichen. Das
ist unsere wichtigste Frage.
Ka
Herr Kollege Bülow, es gibt keine Vorfestlegung aufein Quotenmodell. Der Minister hat ein mögliches Quo-tenmodell genannt, weil andere es in die Diskussion ein-gebracht haben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24193
(C)
(B)
Wir haben noch eine weitere Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, ich möchte noch einmal nach
dem Quotenmodell fragen. Wir nehmen zur Kenntnis,
dass ein Teil der Bundesregierung – der Teil, der hier
vorne sitzt – ein Quotenmodell favorisiert. Ihrer Aussage
konnte ich entnehmen, dass Herr Altmaier kein Quoten-
modell vorschlägt. Nun hat die Bundesregierung etwas
mit Steuern zu tun. Was Sie uns erläutert haben, läuft da-
rauf hinaus, dass Sie sagen: Wir diskutieren jetzt mal und
schauen dann, was passiert. – Ich hatte bisher immer ge-
dacht, Regierungen machen auch konkrete Vorschläge.
In dem Papier von Herrn Altmaier befinden sich ge-
wisse Andeutungen. Unter anderem wird davon gespro-
chen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien unter
den Ländern abgestimmt und dass er gesteuert und be-
grenzt werden muss. Kann ich davon ausgehen, dass
Herrn Altmaier für die Novelle des Erneuerbare-Ener-
gien-Gesetzes zwar kein Quotenmodell für Deutschland,
aber ein Quotenmodell mal 16, also für die 16 Bundes-
länder, und – so kann man die Ausführungen auch ver-
stehen – je nach Bundesland auch noch für einzelne
Energiearten vorschwebt?
Das war die Frage unseres Kollegen Oliver Krischer. –
Bitte schön.
Ka
Nein, Herr Kollege Krischer, da missinterpretieren
Sie den Vorschlag des Ministers. Was mit Koordinierung
gemeint ist, ist allerdings offensichtlich: Wenn man die
Pläne der einzelnen Bundesländer zum Ausbau der er-
neuerbaren Energien übereinanderlegt, kommt man ins-
gesamt zu Zielen, die weit jenseits der Planung nicht nur
dieser Regierung, sondern auch vorheriger Regierungen,
ja sogar sehr ambitionierter Bundestagsfraktionen lie-
gen. Wenn man die reinen Ausbauziele für Windenergie
oder Photovoltaik oder die Nutzung von Biomasse be-
trachtet, muss man sich schon fragen, ob die Rahmenbe-
dingungen, die nötig wären, um diese Menge Strom aus
erneuerbaren Energien ins Netz zu integrieren, zu ver-
brauchen und ein entsprechendes Lastmanagement und
Speicher aufzubauen, in dieser kurzen Zeit überhaupt
geschaffen werden können.
Unsere Überzeugung ist: Hier braucht es ein gemein-
sames Verständnis von Zielen und von Ausbaukorrido-
ren, was keine Quotierung bedeutet.
Gemeinsame Überzeugung muss beispielsweise sein,
dass die Verwirklichung der Pläne für die Windenergie
bedeuten würde, dass 60 Prozent über dem Bedarf pro-
duziert werden würde. Dass teuer Strom erzeugt wird,
der überhaupt nicht gebraucht wird, kann nicht in unse-
rem Interesse sein. Wir müssen schon miteinander dafür
sorgen, dass das System volkswirtschaftlich in der Ba-
lance bleibt.
Als Nächstes hat auch unsere Kollegin Frau Britta
Haßelmann noch eine Nachfrage. – Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,
Sie haben gerade meinem Kollegen Oliver Krischer be-
schrieben, dass Sie die unterschiedlichen Ausbaustände
in den einzelnen Bundesländern bei den verschiedenen
Energieträgern stören. Sie wollen das jetzt ausgleichen.
Wie wollen Sie das denn machen, außer durch das, wozu
die Kollegen Miersch und Krischer gerade nachgefragt
haben, nämlich durch eine Begrenzung und die Vorgabe
einer Quote? Sie haben doch gerade den Vorgang um-
schrieben, ihn nur nicht so genannt.
Ka
Einen Vorgang zu umschreiben und am Ende ein Mo-
dell vorzuschlagen, Frau Kollegin Haßelmann, sind zwei
verschiedene Sachen.
Gerade weil wir den Ländern nicht vorschreiben wol-
len und können, ambitionierte Ziele auf dem einen oder
anderen Wege zu erreichen, muss man am Ende des
Tages zusammenkommen – das wird beim nächsten
Treffen der Bundeskanzlerin mit den Vertretern der Bun-
desländer ja auch geschehen –, um die Ziele zu harmoni-
sieren; denn alle Beteiligten eint ja wohl der Wille, die
erneuerbaren Energien weiter auszubauen und diesen
Ausbau ambitioniert fortzusetzen. Dafür ist aber eine ge-
wisse Koordination notwendig.
Diese Koordination endet übrigens nicht beim Aus-
bau der erneuerbaren Energien. Das geht weiter bezogen
auf die Stromtrassen und andere Projekte. Ich glaube
einfach, dass wir hier lernen müssen, viel intensiver als
bisher miteinander zu sprechen und Projekte abzustim-
men, um die Energiewende am Ende erfolgreich zu ge-
stalten.
Es gibt noch eine Nachfrage unserer Kollegin Frau
Ute Vogt.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,
Sie haben jetzt bei der Beantwortung verschiedenster
Fragen mehrfach die Wendung „am Ende des Tages“
verwendet. Können Sie uns sagen, welchen Zeitraum Sie
damit konkret meinen, insbesondere bezogen auf die
Antwort auf die letzte Frage?
Ka
Frau Kollegin Vogt, der Zeitrahmen, den ich meine,bemisst sich an den Ausbauzielen – bis 2020, bis 2030
Metadaten/Kopzeile:
24194 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
und bis 2050 –, die die Bundesregierung in ihren Szena-rien vorgelegt hat. Im Jahre 2050 beispielsweise sollen80 Prozent des benötigten Stroms aus erneuerbarenEnergien gewonnen werden und im Netz sein. An die-sem Szenario orientieren wir uns.
Vielen Dank.
Ich rufe jetzt die Frage 13 unseres Kollegen
Dr. Matthias Miersch auf:
Welche Zahlen liegen der Bun-
desregierung zu den einzelnen Bestandteilen der EEG-Um-
lage 2013 vor, und zu welchem Anteil tragen die Komponen-
ten reine Förderkosten, Rückgang der Börsenstrompreise,
besondere Ausgleichsregelung und industrieller Eigenver-
brauch, Nachholeffekt 2012, Direktvermarktung und Liquidi-
tätspuffer zum Anstieg der Umlage von 2012 auf 2013 bei?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Miersch, die Antwort ist sehr lang, de-
tailliert und komplex. Ich präsentiere sie Ihnen jetzt und
schlage vor, dass ich sie in jedem Fall schriftlich nach-
reiche.
Die Bestandteile sind, grob skizziert, wie folgt:
Reine Förderkosten. Die Kernumlage beträgt
4,187 Cent je Kilowattstunde. Hier gibt es einen Anstieg
um rund 0,9 Cent je Kilowattstunde.
Rückgang des Börsenpreises. Wäre der Börsenpreis
konstant geblieben, so ergäbe sich 2013 rechnerisch eine
um etwa 0,12 Cent je Kilowattstunde geringere EEG-
Umlage.
Besondere Ausgleichsregelung. Würde auch auf den
privilegierten Letztverbrauch eine EEG-Umlage erho-
ben, so könnte diese um etwa 1 Cent je Kilowattstunde
niedriger sein. Gegenüber 2012 ist dies ein Anstieg um
0,37 Cent je Kilowattstunde. Dieser Anstieg ist vor al-
lem auf die steigenden EEG-Differenzkosten zurückzu-
führen.
Industrieller Eigenverbrauch. Auf selbst erzeugten
und verbrauchten Strom wird die EEG-Umlage nicht er-
hoben; das ist bekannt. Das gilt auch unabhängig davon,
ob es sich um eine industrielle KWK-Anlage oder um
privaten PV-Strom handelt. Würde die EEG-Umlage
auch auf die industrielle Eigenstromerzeugung erhoben,
so könnte sie etwa 0,6 Cent je Kilowattstunde niedriger
sein.
Dann haben wir 2012 den Nachholeffekt. Der Umla-
geanteil aus dem Ausgleich des EEG-Kontos zum
30. September 2012 beträgt 0,67 Cent je Kilowattstunde.
Das ist wiederum ein Anstieg um 0,49 Cent je Kilowatt-
stunde.
Direktvermarktung. Die Belastung der EEG-Umlage
durch die Managementprämie im Rahmen der Marktprä-
mie liegt für die 2013 direkt vermarktete Strommenge
unter 0,1 Cent je Kilowattstunde. Das Grünstromprivileg
als weitere Direktvermarktungsoption, das die Umlage
2011 noch erheblich belastet hat, hat 2013 keinen nen-
nenswerten Effekt mehr, da sie kaum noch in Anspruch
genommen wird.
Das Letzte ist die Liquiditätsreserve. Der Umlagean-
teil der Liquiditätsreserve beträgt 0,418 Cent je Kilo-
wattstunde. Gegenüber 2012 ist das ein Anstieg um
0,319 Cent je Kilowattstunde. – Aber ich sehe, Sie haben
die Antwort offenbar schon vorliegen.
Das war eine komplexe Frage. – Die erste Nachfrage,
bitte schön, Dr. Miersch.
So gut sind meine Drähte in das BMU nicht, dass ich
die Antwort schon hätte.
Ka
Das glaube ich jetzt nicht.
Insofern vielen Dank für diese detaillierte Aufschlüs-
selung. – Ich habe eine Nachfrage, Frau Staatssekretärin:
Würden Sie mir darin recht geben, dass man unter dem
Strich sagen kann – das waren jetzt ganz viele Zahlen –,
dass die Erhöhung der EEG-Umlage nur zum Bruchteil
direkt mit dem Ausbau der Erneuerbaren, also mit der
gestiegenen Einspeisevergütung, zu tun hat und dass
viele andere Faktoren, von denen Sie eben gesprochen
haben, den Anstieg mit beeinflusst haben?
Ka
Nein, nicht nur. „Bruchteil“ trifft es nicht, aber „Teil“
trifft es sehr wohl. Die EEG-Umlage besteht aber nun
einmal tatsächlich – das ist übrigens auch gewollt – aus
diesen vielen kleinen Bestandteilen.
Auch über das Thema Liquiditätsreserve kann man
sprechen. Hier ist beim letzten Mal offenbar zu wenig
angesetzt worden: Die EEG-Ausgleichskonten waren
zuletzt mit über 2 Milliarden Euro im Minus. Auch da
braucht man einen Ausgleich. Man kann aber schon sa-
gen, dass ein erheblicher Anteil – auch beim Kontenaus-
gleich – auf den Ausbau der erneuerbaren Energien zu-
rückgeht, gerade auch auf die Photovoltaik, die alle
unsere Erwartungen hinsichtlich der erfolgten Ausbau-
zahlen übertroffen hat.
Ihre zweite Nachfrage.
Frau Staatssekretärin, diese Frage stelle ich in einerStunde, in der über den Ticker geht, dass ein Mitglied
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24195
Dr. Matthias Miersch
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der Koalitionsfraktionen, Herr Vaatz, den Atomausstiegjetzt auch öffentlich wieder infrage stellt. Er hat auch da-mals schon nicht mitgestimmt, wenn ich das richtig inErinnerung habe.Ist es nicht angezeigt, dass das Bundesumweltminis-terium in einer solchen Phase deutlich macht, dass derAusbau der erneuerbaren Energien sozial verträglich undökonomisch sinnvoll gestaltet werden kann, dass die He-bel dafür vorhanden sind und dass die Kosten der altenTechnologien Atom, Kohle und Gas nur durch politischeEntscheidungen einigermaßen in Schach gehalten wer-den konnten?Ka
Herr Kollege Miersch, der Ausstieg aus der friedli-
chen Nutzung der Kernenergie ist beschlossen. Das Da-
tum steht fest: 2022. Das ist Gesetzeslage, und die Bun-
desregierung hält sich an Gesetze. So viel zum ersten
Punkt.
Zum zweiten Punkt. Hier nenne ich eine weitere Zahl:
Die Photovoltaik hat nach wie vor einen Anteil von über
50 Prozent an der Kernumlage. Wir konnten das durch
eine gesenkte Einspeisevergütung abmildern. Aber trotz-
dem ist der Ausbau immer noch sehr hoch. Das zeigt:
Wir müssen neben preisdämpfenden Elementen im EEG
auch darauf achten, dass Einzeltechnologien in ihren
Korridoren bleiben.
Das haben wir unter anderem in der letzten PV-No-
velle gemacht, bei der wir gesagt haben: Wenn im Jahr
2020/2022 eine Leistung von 52 Gigawatt durch Photo-
voltaik erreicht wird, dann ist die PV so weit, ohne Sub-
ventionen, ohne die EEG-Förderung klarzukommen. Ich
glaube, es sind wichtige Marktsignale, hier dämpfend zu
wirken.
Wir kommen zu den weiteren Nachfragen. Zunächst
Frau Kollegin Ute Vogt.
Frau Staatssekretärin, in Bezug auf das Erneuerbare-
Energien-Gesetz erleben wir derzeit eine mit sehr hohem
Mitteleinsatz gestartete Kampagne der Initiative Neue
Soziale Marktwirtschaft und auch des BDEW. Beide ha-
ben sich auf das EEG eingeschossen und überziehen
nicht nur Abgeordnetenbüros, sondern auch Plakat-
wände und Werbeseiten der Zeitungen mit viel Geld und
unterschiedlichsten Werbemitteln mit einer Kampagne
gegen das EEG. Wenn Sie als Ministerium, wie Sie ja er-
läutert haben, zum EEG stehen: Was tut die Bundesre-
gierung, um solchen polemischen Kampagnen entgegen-
zutreten?
Ka
Frau Kollegin Vogt, wir können als Bundesregierung
– und werden das auch nicht tun – nicht jede Kampagne
qualifizieren, bewerten und Einbestellungen vornehmen.
Wir haben eine klare politische Botschaft; ich glaube,
das ist das Wichtigste. Die klare politische Botschaft lau-
tet: Wir wollen den Ausbau erneuerbarer Energien. Wir
halten an unseren Ausbauzielen fest. Die Novelle des
EEG dient dazu, eine Marktfähigkeit der erneuerbaren
Energien, die übrigens immer im Gesetz angelegt war,
zu erreichen.
Bis dahin allerdings, Herr Kollege Miersch – das sage
ich gewissermaßen rückwirkend –, braucht es schon
noch einen Anteil an anderen Energieträgern, wie zum
Beispiel flexiblen Gaskraftwerken; sonst kommen wir da
ins Schleudern. Wir brauchen einen klugen Mix. Unsere
Positionierung in der Bundesregierung ist klar. Nicht
umsonst wollen wir auch einen internationalen Renew-
ables Club gründen. Das ist vielleicht ein weiteres Argu-
ment, um noch mehr Länder davon zu überzeugen, dass
es richtig ist, auf erneuerbare Energien zu setzen.
Nächste Nachfrage unser Kollege Frank Schwabe.
Frau Staatssekretärin, da es schwierig ist, von Ihnen
Auskunft über die Vorhaben für die Zukunft zu bekom-
men, indem Sie konkret benennen, was Sie dort vorha-
ben und bis wann Sie es vorhaben, will ich es noch ein-
mal kurz mit der Vergangenheit versuchen. Ich habe
gelesen, dass Herr Umweltminister Altmaier in Bezug
auf seinen Vorgänger, Herrn Röttgen, irgendwo gesagt
hat – ich sage es einmal mit meinen Worten –, dass er im
Ministerium kein Konzept zum EEG gefunden hätte.
Wie darf man das denn eigentlich verstehen? Ist es so
gemeint, dass Herr Altmaier findet, dass Herr Röttgen
eigentlich die Aufgabe gehabt hätte, eine solche Weiter-
entwicklung vorzulegen, und dass Herr Röttgen damit
auch ein Stück weit für gestiegene Energiepreise verant-
wortlich ist?
Ka
Herr Kollege Schwabe, Bundesminister Altmaier
schätzt die Arbeit, die Kollege Röttgen und auch seine
Vorgänger im Amt geleistet haben, und baut auf dieser
auf. Er muss die Dinge aber weiterentwickeln, weil dies
notwendig ist. Das tut der Umweltminister mit allem En-
gagement und Gewicht.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir kommen zurFrage 14 unserer Kollegin Dr. Bärbel Kofler:Weshalb ist der Deutsche Bundestag weder institutionellnoch personell an der Plattform Erneuerbare Energien betei-ligt, und weshalb erhält er keine Protokolle und Berichte ausden Arbeitsgruppen der Plattform?Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
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24196 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
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Ka
Frau Kollegin Kofler, die Plattform Erneuerbare
Energien besteht aus drei Arbeitsgruppen und einem
Steuerungskreis. Die Beratungen des Steuerungskreises
wie der drei Arbeitsgruppen werden auf Fachebene unter
der Beteiligung von Wissenschaftlern geführt. Über die
Zwischenergebnisse und Ergebnisse wird das Bundes-
ministerium für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit dem Parlament umfassend berichten. Der Be-
richt der Plattform soll eine fachliche Basis bilden, auf
der der notwendige politische Dialog aufbauen kann.
Gegenwärtiges Ziel ist es, auf der Grundlage der Vor-
arbeiten der Arbeitsgruppen im Steuerungskreis einen
Gesamtbericht zu verabschieden, der die Sitzung der
Bundeskanzlerin mit den Ministerpräsidenten am 2. No-
vember dieses Jahres vorbereitet. Es ist beabsichtigt, die-
sen bislang noch nicht fertiggestellten Gesamtbericht vor
der Sitzung am 2. November allen Ministerpräsidenten
zur Verfügung zu stellen. Die Veröffentlichung dieses
Berichtes, der der Meinungsbildung der Ministerpräsi-
denten dienen soll, wird nach diesem Termin erfolgen.
Es ist beabsichtigt, alle abgestimmten Berichte dann
auch im Internet zu veröffentlichen.
Insgesamt ist es das Ziel von Herrn Minister
Altmaier, das gesamte weitere Verfahren zur Weiterent-
wicklung des EEG unter Einbeziehung aller wesentli-
chen Akteure zu entwickeln, wie er es in seinem Verfah-
rensvorschlag ausgeführt hat. Hier spielt das Parlament
eine bedeutende Rolle. Nicht zuletzt hat Herr Minister
Altmaier die Gründung einer persönlichen Berater-
gruppe angeregt, in der das Parlament vertreten sein soll.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Dr. Kofler.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin. – Sind Sie als
Parlamentarische Staatssekretärin nicht mit mir der Mei-
nung, dass das Parlament in die laufenden Beratungen
der Plattform Erneuerbare Energien einbezogen werden
müsste, und können Sie mir sagen, warum diese Trans-
parenz im Bundesumweltministerium nicht hergestellt
wird, es aber bei vergleichbaren Vorhaben zum Beispiel
im Bundeswirtschaftsministerium zumindest einen Bei-
rat gibt, der die energie- oder wirtschaftspolitischen
Sprecher der Fraktionen einbezieht?
Sie haben vorhin auf eine Nachfrage des Kollegen
Schwabe zu Frage 12 mit einem Bezug auf die Ergeb-
nisse der Plattform Erneuerbare Energien geantwortet.
Sind Sie nicht mit mir der Meinung, dass zu der nötigen
Transparenz auch gehört, Fragen der erneuerbaren Ener-
gien mit dem Parlament zu diskutieren?
Ka
Auf jeden Fall wird jede Änderung eines Gesetzes
nicht nur im Parlament diskutiert, sondern sie muss hier
auch nach allen Regeln beraten werden. Das werden wir
auch tun.
Ungehindert der Parlamentsrechte, die ich gerade
auch als Parlamentarische Staatssekretärin noch einmal
bekräftigen möchte, ist es einer Regierung unbenom-
men, sich zusätzliche Beratung zu holen. Noch einmal:
Ihrer Anregung – Sie haben gerade dargelegt, was im
Wirtschaftsministerium üblich ist – will der Minister mit
einer persönlichen Beratergruppe, der Parlamentarier an-
gehören sollen, dann auch nachkommen. Um gleich der
Frage vorzubeugen: Ich weiß nicht, wen und wann er
einlädt, aber er wird sicherlich in der gebotenen Offen-
heit auf das Parlament zukommen.
Trotzdem hat die Frau Kollegin Dr. Kofler noch wei-
tere Fragen.
Das wäre natürlich schon eine Frage gewesen. Aber
danke, dass Sie gleich gesagt haben, Sie wissen es nicht.
Es wäre schon spannend, zu erfahren, wann diese Bera-
tergruppe tagen soll.
Nach den Pressemitteilungen des Bundesumweltmi-
nisteriums vom Mai dieses Jahres arbeitet die Plattform
Erneuerbare Energien ja seit fünf Monaten. Angesichts
der Bedeutung dieses Themas ist es nicht ausreichend,
nur Ergebnisse bekannt zu geben. Man sollte vielmehr,
denke ich, das Parlament aktiv in den Dialog und in den
Beratungsprozess einbeziehen. Das ist eigentlich das
Problem, um das es geht.
Wir warten also nicht nur auf einen Endbericht, son-
dern auch darauf, in die Arbeit mit einbezogen zu werden.
Noch einmal die Frage: Sind Sie als Parlamentarische
Staatssekretärin nicht der Meinung, dass die Einbezie-
hung des Parlaments in die Arbeit das Entscheidende
wäre?
Ka
Jede Regierung hat das Recht und die Möglichkeit, ei-
gene Beratergremien und Gesprächsforen einzurichten.
Am Ende des Tages, Frau Kollegin, bleibt ein Gesetz
Parlamentsangelegenheit. Das ist das Wichtige – das hat
das Parlament bei der letzten EEG-Novelle auch sehr
selbstbewusst gesagt –, und dabei wird es auch bleiben.
Den Fraktionen des Deutschen Bundestages ist es unbe-
nommen, sich eigenen Rat zu holen und eigene Foren zu
bilden. Auch das ist üblich.
Ich sehe keine weitere Nachfrage.Damit kommen wir zu Frage 15 ebenfalls unsererKollegin Dr. Bärbel Kofler:Teilt die Bundesregierung die Auffassung, dass die vonvielen Akteuren aus der konventionellen Energiewirtschaftund von Teilen der Bundesregierung geforderte beschleunigteDirektvermarktung und Marktintegration von Strom aus er-neuerbaren Energien nicht notwendigerweise zu einer System-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24197
Vizepräsident Eduard Oswald
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integration dieses Stromes führen und damit unnötige Kostenfür die Stromverbraucherinnen und Stromverbraucher generie-ren, weil die Systemintegration durch zusätzliche Anreize er-reicht werden muss, und, wenn nicht, wie begründet sie das?Bitte schön, Frau Staatssekretärin.Ka
Herr Präsident! Frau Kollegin, die Bundesregierung
ist der Auffassung, dass die durch die Marktprämie ge-
förderte Direktvermarktung die Anlagenbetreiber stärker
als in der Vergangenheit an den Markt und seine Preissi-
gnale herangeführt hat. Dieses Modell wirkt sich im
Grundsatz positiv auf die Bedarfsgerechtigkeit der Be-
reitstellung von Strom aus erneuerbaren Energien aus,
indem die Betreiber Anreize zum Beispiel zur Abriege-
lung bei stark negativen Strompreisen bzw. zur Nutzung
zusätzlicher Flexibilitätsoptionen erhalten. Daneben ste-
hen zusätzliche Vermarktungsoptionen, beispielsweise
im Bereich der Regelenergiemärkte, offen.
Die Regelung der optionalen Marktprämie ist aller-
dings erst seit Jahresbeginn in Kraft. Insofern muss den
beteiligten Marktakteuren die notwendige Zeit einge-
räumt werden, um das Instrument zu erproben, Kommu-
nikationsstrukturen anzupassen und notwendige Lern-
effekte zu erzielen. Die konkreten Wirkungen und
eventuelle Weiterentwicklungsmöglichkeiten der Markt-
prämie werden derzeit wissenschaftlich untersucht.
Durch die Managementprämienverordnung wird die
Managementprämie als Teil der Marktprämie ab dem
Jahr 2013 gegenüber der bislang vorgesehenen Höhe
nicht nur abgesenkt, sondern auch im Interesse einer
besseren Systemintegration differenziert. Die Absen-
kung für 2013 beträgt im Falle der Fernsteuerbarkeit der
Anlage durch den Direktvermarkter 0,25 Cent je Kilo-
wattstunde gegenüber den sonst geltenden 0,35 Cent je
Kilowattstunde. Die differenzierte Absenkung gilt
sowohl für Bestandsanlagen als auch für Neuanlagen.
2014 und 2015 wird die Differenzierung dann weiter auf
bis zu 0,2 Cent je Kilowattstunde aufgebaut.
Frau Kollegin Dr. Kofler, bevor Sie zu einer Nach-
frage kommen, weise ich darauf hin, dass wir in fünf
Minuten zur Aktuellen Stunde überleiten werden.
Jetzt die erste Nachfrage.
Ich darf zur Managementprämie nachfragen. Ich in-
terpretiere Ihre Worte so, dass Sie die Management-
prämie zukünftig absenken wollen, weil Sie als Regie-
rung erkannt haben, dass es bei der Managementprämie
zu hohen Mitnahmeeffekten kam. Ist diese Interpretation
richtig?
Ka
Wir haben die Anpassung schon im Kabinett vorge-
nommen.
Ja oder nein? Ist es richtig?
Ka
Ja. Es brauchte eine Anpassung. Das haben wir nie
bestritten; wir haben vielmehr sehr schnell gehandelt.
Sie haben noch eine zweite Nachfrage, da ich dieses
Nachhaken nicht als eigene Frage gezählt habe.
Das ist sehr nett von Ihnen, Herr Präsident, danke. –
Ich verstehe Sie richtig: Sie haben ein Gesetz, das zum
Januar dieses Jahres in Kraft getreten ist, bereits korri-
giert, weil Sie selbst die Fehlanreize dieser gesetzlichen
Vorgabe, zumindest was die Managementprämie betrifft,
erkannt haben? Wie ist denn Ihre Einschätzung als Re-
gierung, was die Marktprämie als Ganzes anbelangt? Es
ist nicht alles Markt, worauf „Markt“ steht. Inwieweit
wird mit der Managementprämie der Wettbewerb geför-
dert? Oder kommt es nur zu Mitnahmeeffekten, insbe-
sondere von größeren Anbietern?
Ka
In der Tat hat die Nachfrage nach der Prämie die
Erwartungen übertroffen. Ziel der Großen Koalition war
es aber, nicht nur Instrumente zu finden, um erneuerbare
Energien marktfähig zu machen, sondern auch Anreize
für die Anbieter zu entwickeln, den Strom selbst zu ver-
markten, um aus dem Fördersystem herauszukommen.
Wir haben uns am Ende auf die Marktprämie geeinigt,
die zwei Elemente, unter anderem die Management-
prämie, hat. Bei der Managementprämie haben wir
Korrekturen vorgenommen.
Den Grundgedanken, dass sich Strom aus Erneuer-
baren mithilfe der Marktprämie am Markt bewähren
muss, halte ich für richtig. Dieses Ziel wollen wir weiter
verfolgen. Gegebenenfalls muss man Anpassungen in
der Höhe vornehmen. Ihre Vermutung, dass es sich bei
den Mitnahmeeffekten um wenige und große Unterneh-
men handelt, kann ich nicht teilen; denn der Run auf
diese Prämie ist groß. Die Nachfrage nach diesen
Modellen ist ebenfalls groß. Das zeigt, dass auch die
Produzenten der erneuerbaren Energien die Förder-
kulisse verlassen und sich dem Markt nähern wollen.
Eine Nachfrage unserer Kollegin Ute Vogt.
Frau Staatssekretärin, meine Frage bezieht sich aufden letzten Teil Ihrer Antwort. Können Sie uns sagen,welche Anbieter diese Direktvermarktung nutzen, ob dasauch eine Option für die privaten Stromproduzenten istoder ob diese Option nur von demjenigen in Anspruch
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24198 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Ute Vogt
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genommen werden kann, der eine entsprechende Strom-menge produziert?Ka
Das betrifft die Produzenten von Strom aus Wind-
energie und aus Biomasse, aber auch aus Photovoltaik.
Ich kann Ihnen konkrete Unternehmen jetzt nicht nen-
nen. Ich weiß nicht, ob wir entsprechende Unterlagen
haben oder ob man das herausfinden kann. Im Bereich
der Windenergie und der Biomasse ist das auf jeden Fall
ein beliebtes Modell, ich kann das aber auch für die Pho-
tovoltaik bestätigen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor wir ein neues
Themenfeld aufmachen, möchte ich mit Blick darauf,
dass wir wie angekündigt in einer Minute mit der Ak-
tuellen Stunde beginnen, die Fragestunde schließen. Wir
verfahren mit den restlichen Fragen nach der Geschäfts-
ordnung. Ich darf mich bei allen Fragestellern und allen
anderen Anwesenden herzlich bedanken.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, jetzt rufe ich den
Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und
FDP
Soziale Situation der Kinder in Deutschland ver-
bessert in Zeiten christlich-liberaler Regierungs-
politik
Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der CDU/CSU Dr. Peter Tauber.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! In der Tat, eshat sich etwas verändert in Deutschland. Das gilt ganzbesonders für die Situation von Kindern und Jugendli-chen in diesem Land. Bei allen Diskussionen, die wirführen – tagtäglich, in den Ausschüssen –, ist es ganzgut, zwischendurch einmal zu schauen: „Wo stehen wirdenn?“, um vielleicht auch auf das, was noch nicht gutist, zu fokussieren.Dazu gehört aber auch, dass man sich die Zeit nimmt,anzuschauen, was sich positiv verändert hat, etwa umEntwicklungen zu bestärken und um Menschen Mut zumachen. Denn darum muss es ganz besonders gehen:dass wir denjenigen, die Kinder haben, Mut machen undihnen sagen, dass sie nicht alleingelassen werden. Da-rüber hinaus geht es darum, dass wir denjenigen, die sichdie Frage stellen, ob es sich lohnt, in diesem LandKinder zu kriegen, ein deutliches Zeichen geben: Ja, na-türlich; es gibt wenige Länder auf dieser Erde, in denenjunge Menschen solche Rahmenbedingungen wie inDeutschland finden. – Wir versuchen in unserer politi-schen Arbeit alles, damit sich diese Rahmenbedingun-gen dort, wo sie noch nicht gut sind, weiter verbessern.
Bei allen spannenden Diskussionen, die wir über Sta-tistiken und Zahlen immer wieder führen, möchte icheine Zahl nennen, die das aus meiner Sicht besondersveranschaulicht: Die Zahl der Kinder unter drei Jahren,die auf Hartz IV angewiesen sind, ist von 435 000 auf367 000 zurückgegangen. Sie ist immer noch viel zuhoch; aber das ist ein Rückgang um 15,6 Prozent. Das istein Ergebnis der besseren Situation am Arbeitsmarkt undauch vieler anderer Hilfssysteme, die wir aufgebaut ha-ben.Die geringe Jugendarbeitslosigkeit kann man nennen.Wir haben die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in ganzEuropa. Während sie andernorts steigt, ist sie inDeutschland um 14 Prozent gesunken.
Die zurückgegangene Zahl der Schulabbrecher kannman nennen. Sie liegt bei 6 Prozent und hat sich damitfast halbiert. Auch bei Kindern ausländischer Herkunftist sie von 20 Prozent auf 14 Prozent zurückgegangen.Dazu beigetragen hat zum Beispiel das Programm„Schulverweigerung – Die 2. Chance“.Das Bundeskinderschutzgesetz kann man nennenebenso wie das Nationale Zentrum Frühe Hilfen, dieverbesserte Zusammenarbeit verschiedener staatlicherInstitutionen, das Unterbinden von Jugendamt-Hopping,den Einsatz von Familienhebammen – 30 MillionenEuro stellen wir dazu zur Verfügung – und die Hausbe-suche zur besseren Einschätzung der Lebenssituationvon Kindern. Auch das ist ein echter Erfolg in dieserLegislaturperiode. Übrigens ist auch das ein Punkt, beidem man sehen kann, dass es ganz gut ist, wenn die Op-position einmal über ihren Schatten springt und an zwei,drei Stellen sagt: Ja, das haben wir zusammen gemacht,und das war vielleicht nicht alles verkehrt.
Das Bildungs- und Teilhabepaket gehört sicherlich zuden Punkten, die besonders umstritten sind.
– „Zu Recht“? Ich habe erst vor kurzem gelesen, dassder rote Senat in Hamburg die eigene Umsetzung desBildungs- und Teilhabepaketes explizit lobt.
Er sagt: Wir machen das richtig gut, das funktioniertauch alles, und das kommt gut an bei den Kindern undJugendlichen. – Insofern reden wir da nicht so sehr überdas Grundsätzliche, sondern vor allem darüber: Wiekann man das Ganze effizient machen? Wie können wirdafür sorgen, dass das, was wir dort an Unterstützungs-
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Dr. Peter Tauber
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leistungen – von Zuschüssen zu Klassenfahrten über dieFinanzierung von Nachhilfe – auf den Weg gebrachthaben, möglichst bürokratiearm bei den Betroffenenankommt.Das Thema Kinderbetreuung ist hier und dort, auch indiesem Hohen Hause, durchaus ein kontroverses. Eswird nämlich immer mit einer anderen familienpoliti-schen Maßnahme verknüpft, über die wir morgen nochdiskutieren werden: über das Betreuungsgeld. TrotzKooperationsverbot hat der Bund hier 4 Milliarden Eurozur Verfügung gestellt. Wir stellen jetzt noch einmal580 Millionen Euro zur Verfügung. Wenn Sie die Blo-ckadehaltung an zwei oder drei Stellen mal aufgebenwürden – an die Adresse der Sozialdemokraten mussman das immer mal wieder sagen –, würde das noch einbisschen reibungsloser laufen.
Ab dem Jahr 2014 werden wir die Kommunen in je-dem Jahr mit 845 Millionen Euro unterstützen, um einendauerhaften Betrieb der Kitas zu ermöglichen. Auch dasist eine Leistung und keine Selbstverständlichkeit.
Man kann auch die „Offensive Frühe Chancen“nennen, mit der in über 4 000 Kitas Sprachförderung undIntegration verbessert werden können. 400 MillionenEuro stehen dafür zur Verfügung.Man muss an dieser Stelle aber eines sagen – damitwill ich schließen –: Ich habe im Schwerpunkt über ma-terielle Maßnahmen gesprochen, mit denen Kindern undJugendlichen Teilhabe in dieser Gesellschaft ermöglichtwerden soll. Das ist auch richtig und wichtig. Das ist daszentrale Steuerungselement, das wir haben, weil wirRahmenbedingungen institutioneller und strukturellerArt vorgeben. Die Wahrheit ist aber auch – das zeigenaktuelle Umfragen –, dass Kinder sich Eltern als Vorbil-der wünschen. Das heißt, wir müssen uns auch darumkümmern, dass wir Menschen befähigen, Kinder an dieHand zu nehmen und ihnen zu helfen, in dieser Gesell-schaft selbstbestimmt großzuwerden; denn es gibt auchdiese Armut: Mangel an Liebe.
Diesen Mangel können wir nicht politisch beheben, unddie Liebe können wir auch nicht verordnen.Deswegen muss man, wenn man über die Situationvon Kindern und Jugendlichen in diesem Land redet, sa-gen: Man muss vor allem denen danken, die tagtäglichmit Kindern und Jugendlichen arbeiten – in Schulen, inKinderbetreuungseinrichtungen, in Vereinen, im Ehren-amt –, und ganz besonders den Eltern, die ihre Aufgabeso ernst nehmen, dass sie ihren Kindern selbstständig al-les mit auf den Weg geben, was diese brauchen, ohnenach dem Staat zu fragen.Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Dr. Peter Tauber. – Nächster
Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
der Sozialdemokraten unser Kollege Hubertus Heil.
Bitte schön, Kollege Hubertus Heil.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten
Damen und Herren! Die Anmeldung der Aktuellen
Stunde unter diesem Titel und die Rede meines geschätz-
ten Vorredners kann ich nur mit einem Wort bezeichnen.
Meine Damen und Herren von der Koalition, wenn wir
über Kinderarmut in Deutschland sprechen und Sie sich
hier einen peinlichen Akt der Selbstbeweihräucherung
leisten, dann kann ich das nur zynisch finden.
Was wir hier erleben – –
Liebe Kolleginnen und Kollegen, unser Kollege
Hubertus Heil hat das Wort.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Dann reden wirmal über die Sache!Tatsache ist: Wir haben eine demografische Entwick-lung, die dazu führt, dass es weniger Kinder in diesemLand gibt, und Sie feiern sich dafür, dass durch diesenstatistischen Effekt weniger Kinder in der Armutsfallehocken. Tatsache ist: Ja, wir haben drei Jahre Auf-schwung gehabt, eine gute konjunkturelle Entwicklung.Dafür haben wir die Grundlagen geschaffen, nicht Sie.Aber Sie können doch nicht so tun, als sei man auf dembesten Weg, Kinderarmut in diesem Land als Problem zulösen!Wenn Sie für solche Aktuellen Stunden, um sichselbstbeweihräuchernd auf die Schultern zu klopfen, im-mer irgendwelche Statistiken heranziehen, dann lesenSie doch auch einmal Ihre eigenen Berichte, zumBeispiel den Bildungsbericht der Bundesregierung! Ichzitiere: In Deutschland gehören 20 Prozent der Jugendli-chen zu den Bildungsverlierern. Jeder fünfte Schüler istein schwacher Leser und kann Texte nicht ausreichendverstehen.
Der Bildungsbericht nennt dafür auch Gründe. Fastjedes dritte Kind in Deutschland wächst in sozialer,finanzieller und kultureller Risikolage auf. – Das istKinderarmut, meine Damen und Herren!
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24200 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Hubertus Heil
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Lesen Sie den Armuts- und Reichtumsbericht – Ihreneigenen Armuts- und Reichtumsbericht! – und versu-chen Sie nicht, den Menschen etwas vorzumachen!Lesen Sie den Armuts- und Reichtumsbericht! Ja, es istrichtig: Wir reden nicht über die Armut in Bangladeschoder in Afrika, sondern über eine Armut gemessen ammittleren Lebensstandard unserer Gesellschaft in einemreichen Land; gar keine Frage. Wir reden über materielleArmut, vor allen Dingen dadurch, dass Eltern wenigGeld verdienen, obwohl sie arbeiten. Wir reden natürlichauch darüber, dass es eine Armut an Lebenschancen undPerspektiven gibt. Die soziale Herkunft entscheidet inDeutschland stärker als in anderen entwickelten Ländernüber die Bildungs- und Lebenschancen von Kindern.Das, meine Damen und Herren, lässt sich auch nichtdurch eine noch so schöne Selbstbeweihräucherung die-ser Bundesregierung vom Tisch wischen.Deshalb sage ich noch einmal: Sie sollten hier einJahr vor der Bundestageswahl nicht Reden halten, mitdenen Sie sich selbst beweihräuchern, sondern Sie soll-ten das tun, was Sie tun können. Sie könnten beispiels-weise einen gesetzlichen Mindestlohn in Deutschlandeinführen, damit Kinder nicht erleben müssen, dass ihreEltern Vollzeit arbeiten, aber von der Arbeit nicht lebenkönnen.
Herr Präsident, muss man sich in diesem Parlamentals Heuchler bezeichnen lassen, wenn man anderer Mei-nung ist als dieser Kollege?
Herr Kollege, Sie – –
Ich finde, das ist eine Art der Sprache, die nicht in
Ordnung ist. Sie zeigt eher Ihre Nervosität und Ihr
schlechtes Gewissen, weil Sie nicht das Richtige gegen
Kinderarmut tun.
Jemand, der anderer Meinung ist als Sie, ist ein
Heuchler. Das halte ich für ein interessantes Demokra-
tieverständnis einer Partei,
die gestern noch gesagt hat, dieses unsinnige Betreu-
ungsgeld werde sie nie mitmachen, und heute vor dem
Koalitionspartner eingeknickt ist.
Die Fernhalteprämie von Frauen vom Arbeitsmarkt
und von Kindern von den Bildungschancen ist das, was
Sie in der Realität organisieren. Sie verschlimmern die
soziale Spaltung zulasten von Kindern in diesem Land,
weil Sie den Mindestlohn verweigern und Maßnahmen
gegen den Missbrauch von Zeit- und Leiharbeit verhin-
dern.
Ich sage Ihnen eines: Die Armut von Kindern ist in
erster Linie der Erwerbsarmut der Eltern geschuldet. Da
könnten Sie etwas tun. Das tun Sie aber nicht.
Sie könnten mehr für die frühe und individuelle Förde-
rung von Kindern tun, indem Sie in die frühe und indivi-
duelle Förderung von Kindern mehr investieren, anstatt
diese unsinnige Herdprämie auszureichen.
Meine Damen und Herren, eine Bundesregierung, die
in diesem Bereich wirklich nicht vorankommt und eine
Statistik heraussucht, die möglicherweise etwas mit kon-
junkturellen und demografischen Effekten zu tun hat,
aber nichts mit der Arbeit dieser Bundesregierung, muss
auch im Interesse der Kinder dieses Landes im nächsten
Jahr dringend abgelöst werden.
Herzlichen Dank.
Vielen Dank, Kollege Hubertus Heil. – Liebe Kolle-
ginnen und Kollegen, in dieser Debatte geht es auch um
die Zukunft der Kinder. Das sollten wir bei unserer Dis-
kussion berücksichtigen. Auch bei den Zwischenrufen
sollte man immer in sprachlicher Hinsicht Vorbild sein.
Dies will ich entsprechend zu manchem Zwischenruf sa-
gen.
Nächste Rednerin ist unsere Kollegin Sibylle
Laurischk für die FDP-Fraktion. Bitte schön.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir füh-ren diese Aktuelle Stunde durch, weil die Bertelsmann-Stiftung festgestellt hat, dass – durchaus als Ergebnis derArbeit dieser Bundesregierung – die Kinderarmut zu-rückgeht. Das ist eine Feststellung, die uns eigentlichalle freuen sollte.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24201
Sibylle Laurischk
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Es gibt überhaupt keinen Anlass, hier zu Polemik zu nei-gen. Das ist einfach festzustellen.
Natürlich kann man die Situation von Kindern immernoch weiter verbessern. Daran arbeiten wir. Wir führenhier keinen Wahlkampf,
wie es mir bei meinem Vorredner zu sein scheint, son-dern arbeiten weiter am Thema.Zu Beginn dieser Legislaturperiode haben wir bereitsdas Kindergeld erhöht. Daran denken wir schon nichtmehr. Im Verständnis dieser Bundesregierung war dasaber ein Signal,
das bei den Menschen auch angekommen ist. Mir hateine Bürgerin gesagt: Das ist ein Signal für uns. Wirkönnen dieses Geld durchaus brauchen. – Es ist für eineFamilie ein Unterschied, ob das Kindergeld wie jetzt184 Euro im Monat beträgt oder wie in den früheren Jah-ren weniger.Außerdem haben wir die Bildungs- und Teilhabemög-lichkeiten für Kinder im Hartz-IV-Bezug verbessert unddamit ebenfalls ein klares Signal gesetzt. Bildung ist unswichtig; denn Bildung ist der Maßstab dafür, wie eineGesellschaft ihren Wohlstand entwickeln kann und wiesie Zukunft gerade für Kinder schaffen kann.
Deswegen ist es für uns auch schmerzlich, festzustel-len, dass es in den Bundesländern, die von der SPD undteilweise sogar – ich komme aus Baden-Württemberg –von den Grünen regiert werden,
an der Umsetzung mangelt. Das ist unangenehm. An die-ser Stelle müssen wir das aber auch einmal sagen.
– Ja, wer hat es „reindiskutiert“? Der Bundesrat. Damitschlagen sie sich jetzt aber selber herum. Das ist nichtunsere Schuld. Wir haben hier ein klares Signal gesetztund das Geld auch zur Verfügung gestellt.
Entsprechend ist uns die Entwicklung der Kinder- undJugendhilfe auch Verpflichtung.Wir haben das Bundeskinderschutzgesetz initiiert, dasAnfang dieses Jahres in Kraft getreten ist. Damit habenwir das deutliche Signal gesetzt, dass das Wohlbefindenvon Kindern nicht nur von finanziellen Möglichkeitenabhängt, sondern auch von einem klaren Schutz und ei-ner klaren Hilfestellung, die sie in Bezug auf ihr persön-liches Wohlbefinden brauchen.Ein Signal ist ebenfalls das von uns auf den Weg ge-brachte ganz neue Modell der Familienhebammen, dassich insbesondere an junge Familien richtet, die mit demersten Kind möglicherweise nur schwer umgehen kön-nen. Sie sollen mit einem niedrigschwelligen Angeboteine ganz klare und sichere Hilfestellung bekommen.Damit meinen wir der Verwahrlosung von Kindern vor-beugen zu können. Nur die Umsetzung ist eine Proble-matik, die sich bei den Bundesländern – in der Mehrzahlsind es die SPD-regierten Bundesländer – wiederfindet.Das tut mir leid.
Wir würden es sehr begrüßen, wenn die Bundesländerhier richtig aktiv werden und die Mittel für dieses Pro-gramm abrufen. Wir stellen dafür pro Jahr 30 MillionenEuro zur Verfügung.
Im Sinne des Kinderschutzes haben wir auch im Rah-men des Runden Tisches über sexuelle Gewalt an Kin-dern diskutiert. Wir haben ganz klar gesagt: In Jugend-einrichtungen und in allen anderen Feldern, in denen dieFürsorge für Kinder auszuüben ist, muss klar sein, dassauch die ehrenamtlichen Helfer einen sauberen Hinter-grund haben und ein Führungszeugnis vorlegen müssen.Auch hier war der Kinderschutz unser Ziel.Gewalt in der Familie ist ein Problem, dessen Be-kämpfung mir ein dringendes Anliegen ist. Wer meineArbeit kennt, weiß das. Wir haben die Einrichtung einesHilfetelefons auf den Weg gebracht. Bundesweit wird esin den nächsten Wochen, hoffe ich, geschaltet. Dort kön-nen Familien, Eltern, Mütter, aber auch die Kinder umHilfe bitten und eine qualifizierte Beratung erhalten.Dies wird rund um die Uhr und in verschiedenenSprachen angeboten. Das Hilfetelefon ist ein möglichstbarrierefreies Angebot, um Gewalt in der Familie be-kämpfen zu können. Insofern geben wir soziale Hilfe-stellung nicht nur in finanzieller, sondern auch in sehrpraktischer Art.Danke.
Vielen Dank, Frau Kollegin. – Nächste Rednerin ist
für die Fraktion Die Linke unsere Kollegin Frau Diana
Golze. Bitte schön, Frau Kollegin Diana Golze.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Frau Laurischk, Sie sagten, Sie haben dieseAktuelle Stunde aufgrund einer frisch vorgelegten Un-tersuchung der Bertelsmann-Stiftung verlangt, bei der esum Kinderarmut geht. Nun frage ich mich: Wo warendie Vorschläge der Koalition in der letzten Woche, alsum es eine Studie zur wachsenden Altersarmut inDeutschland ging? Wo waren denn da Ihre Argumente?Bei der Diskussion dieses wichtigen Themas im Deut-
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Diana Golze
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schen Bundestag gab es von Ihnen leider keine Anträge.Heute geht es um nichts anderes als darum, sich hierselbst zu beweihräuchern. Ich frage mich, auf welcherGrundlage eigentlich. Ich kann sie nicht erkennen.
Ich will das auch einmal ausführen.
Es gibt ein Schriftstück, an das Sie, Herr Dr. Tauber, sichanscheinend nicht mehr erinnern können, und das über-schrieben ist mit „Koalitionsvertrag“. Ich habe mir nocheinmal angesehen, was Sie in diesem Vertrag für die so-ziale Situation der Kinder in Deutschland festgeschrie-ben haben. Sie haben darin angekündigt, das Kindergeldund den Kinderfreibetrag anzuheben. Das haben Sieauch gemacht. Ich bekomme für meine beiden Kinderein paar Euro mehr.
Meine Nachbarin, alleinerziehend, im ALG-II-Bezug,bekommt diese nicht; denn dort wird gegengerechnet.Die ärmsten Kinder haben von Ihrer Verbesserung alsonichts. Das ist die soziale Lage von Kindern. Darum gehtes Ihnen heute.Sie haben in Ihrem Koalitionsvertrag von Aufstiegdurch Bildung geschrieben. Frau Laurischk hat gesagt,wie wichtig ihr Bildung ist.
Aber es ist, wie es ist: Nirgendwo ist der Bildungserfolgvon Kindern so abhängig vom Geldbeutel der Eltern wiebei uns. Sie haben nichts dagegen unternommen.
In diesem Zusammenhang noch ein weiteres Beispiel– ich kann Ihre Unruhe verstehen – zum Thema Bildung.Im Koalitionsvertrag wurde von einem ZukunftskontoBildung gesprochen. Können Sie sich noch erinnern? Esist schon eine Weile her. Sie haben in diesem Vertragvereinbart, dass Sie für jedes neugeborene Kind einKonto einrichten wollen, 150 Euro auf dieses Konto ein-zahlen wollen und die Eltern bei der privaten Bildungs-vorsorge für ihre Kinder finanziell unterstützen wollen.Dieses Vorhaben ist ersatzlos eingestampft worden.Dazu sagen Sie in dieser Aktuellen Stunde natürlich garnichts. Man kann sich denken, warum.
Machen wir weiter mit den von Ihnen genannten Bei-spielen. Sie haben das Bundeskinderschutzgesetz ange-sprochen. Ja, darüber haben wir in diesem Hause langediskutiert. Das beschlossene Gesetz ist auch deutlichbesser als der zuerst vorgelegte Entwurf; das gebe ichunumwunden zu.
Die wenigen konkreten Maßnahmen sind aber leiderzeitlich befristet; vorhin wurden in diesem Zusammen-hang zum Beispiel die Familienhebammen angespro-chen.
Die Finanzierung dieser Stellen, die zudem nicht flä-chendeckend vorgesehen sind, wird vom Bund nur zeit-lich befristet übernommen. Es bleibt also wieder an denLändern und Kommunen hängen, ob und wie das Ganzeweitergeführt wird. Durch dieses Abwälzen werden Siedie soziale Situation der Kinder eben nicht auf Dauerverbessern. Das kann nicht sein!
Ich habe noch ein schönes Beispiel aus einem anderenBereich. Ich zitiere wieder den Koalitionsvertrag: „Wirwollen in allen Bereichen, insbesondere bei den Schutz-,Förder- und Partizipationsrechten, kindgerechte Lebens-verhältnisse schaffen.“ Es ist schön, dass Sie diese For-mulierung aufgenommen haben. Ich frage mich aber,warum Sie immer noch – und das schon seit Jahren – dieAufnahme von Kinderrechten auf Schutz, Förderungund Beteiligung ins Grundgesetz ablehnen und nochnicht einmal bereit sind, darüber zu diskutieren. Dasfinde ich sehr schade. Diese Ablehnung ist eine sehrklare Botschaft der Koalition zur sozialen Lage von Kin-dern.Sie haben die Rücknahme des letzten Vorbehaltes zurUN-Kinderrechtskonvention im Koalitionsvertrag ver-sprochen. Sie haben sie auch tatsächlich vorgenommen,das ist richtig,
allerdings ohne irgendeine gesetzliche Konsequenz. Dasheißt: Diese Kinder können nach wie vor in Abschiebe-haft genommen werden; sie können nach wie vor in Sam-melunterkünften untergebracht werden; sie sind nachwie vor Betroffene von Flughafenverfahren. Das ist einSkandal!
Auch für diese Kinder erfolgt keine Verbesserung ihrersozialen Situation. Das ist reine Augenwischerei.Des Weiteren haben Sie im Koalitionsvertrag verspro-chen, den Unterhaltsvorschuss auszuweiten. In dieserWoche werden wir Ihren Gesetzentwurf hierzu behan-deln. Sie versuchen, ein wenig Bürokratieabbau zu be-treiben. Die notwendige Ausweitung vom 12. auf das14. Lebensjahr nehmen Sie in diesem Zusammenhangaber nicht vor. Für die alleinerziehenden unterhaltsbe-rechtigten Elternteile bedeutet das also weiterhin: Fallsder unterhaltspflichtige Elternteil den Unterhalt nichtzahlt, stehen sie ab dem 12. Lebensjahr des Kindes ohneUnterstützung da, das Jugendamt springt nicht mehr ein,
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Diana Golze
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und sie müssen den Klageweg selbst beschreiten, denanderen Elternteil gegebenenfalls erst einmal ausfindigmachen, etc. pp. Das heißt, für die soziale Situation vonKindern Alleinerziehender haben Sie in diesem Bereichnichts verbessert.Worüber haben Sie sich noch ausgelassen? Der Kita-ausbau ist in Zeiten der Großen Koalition beschlossenworden, das ist kein Verdienst von Schwarz-Gelb. Ichhatte erwartet, dass Sie noch etwas zum Elterngeld sa-gen; auch das ist in der Großen Koalition beschlossenworden. Zur Ausweitung der Vätermonate, die Sie ver-sprochen haben, ist es nicht gekommen.Ich frage mich tatsächlich, warum Sie mit dieser Ak-tuellen Stunde unsere Zeit verschwenden.
Ich werde gleich in eine öffentliche Anhörung der Kin-derkommission gehen, bei der es um die kindgerechteKommune geht. Hier gibt es viel zu tun. Sie halten unsmit dieser Aktuellen Stunde nur von der wirklich wichti-gen Arbeit ab.
Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Diana Golze. – Nächste
Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Katja Dörner.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen,liebe Kollegen! Die Koalition preist sich hier selbst fürihre angeblich so großartigen Errungenschaften für dieKinder in Deutschland.Wissen Sie, wie mir das vorkommt? Stellen Sie sichvor: Dagobert Duck lobt sich für seine eigene Großzü-gigkeit,
Quasimodo singt ein Loblied auf seine eigene Schönheit,und Dieter Bohlen lobt sich selbst für seine philoso-phisch-tiefgründigen Kommentare in Deutschland suchtden Superstar. Auf diesem Niveau ist das Eigenlob derSchwarz-Gelben anzusiedeln.
Es ist durch und durch unglaubwürdig.Statt hier große Töne zu spucken, wäre wirklich mehrBescheidenheit angesagt.
Es wäre sogar viel mehr Bescheidenheit angesagt. Ichwill Ihnen auch sagen, warum: In Deutschland ist dieKinderarmut weiterhin skandalös hoch. Jedes siebteKind unter 15 Jahren lebt von Hartz IV, in Ostdeutsch-land sogar jedes vierte. Diese Regierung hat in drei Jah-ren absolut gar nichts dazu getan, um diesen Zustand zuändern oder zu verbessern.Stichwort Regelsatz: Bei den Berechnungen wurdedoch getrickst ohne Ende.
Kein Rechenkniff war für Schwarz-Gelb zu dubios, umdie Grundsicherung so niedrig wie irgend möglich zuhalten.
Damit nehmen Sie achselzuckend Kinderarmut und dieArmut von Jugendlichen in unserem Land in Kauf.
Sie nehmen den Kindern und Jugendlichen dieChance auf gleichberechtigte Teilhabe. Wenn man sichdie Umfragen unter jungen Menschen in Deutschlandeinmal anschaut – auch unter Kindern wohlgemerkt –,dann stellt man fest: Diese jungen Menschen wissenganz genau um ihre Situation. 20 Prozent der jungenLeute in Deutschland sagen über sich selbst, sie seienbenachteiligt und abgehängt. Liebe Kolleginnen, liebeKollegen, das ist doch ein Skandal in unserem Land, dasist doch Sprengstoff für unsere Gesellschaft. Es ist ein-fach ein Hohn, dass sich Schwarz-Gelb angesichts einersolchen Situation in unserem Land hier hinstellt und sichselber auf die Schultern klopft.
Umverteilen von unten nach oben: Wer hat, dem wirdgegeben. Das ist das Prinzip von Schwarz-Gelb,
selbst bei Kindern und Familien. Während der Kinder-freibetrag angehoben wird, von dem Familien mit einemhohen Einkommen besonders profitieren, wird das er-höhte Kindergeld voll und ganz auf die ALG-II-Leistun-gen angerechnet. Den armen Familien wird auch nochflugs das Elterngeld abgezogen: monatlich 300 Euro we-niger in der Kasse. Das ist die Konsequenz eines solchenVerhaltens. Wenn das die Umsetzung der vollmundigenAnkündigung aus dem Koalitionsvertrag ist, die Kinder-armut zu bekämpfen, dann sollte man sich fast wün-schen, dass auch andere eigentlich positive Ankündigun-gen aus dem Koalitionsvertrag erst gar nicht umgesetztwerden.
Ich will den Koalitionsvertrag durchaus noch einmalgenauer unter die Lupe nehmen.
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Katja Dörner
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Darin heißt es – Zitat –:Wir werden das Unterhaltsvorschussgesetz dahin-gehend ändern, dass der Unterhaltsvorschuss … biszur Vollendung des vierzehnten Lebensjahres einesKindes gewährt wird.Umsetzung: Fehlanzeige. Es gab sogar schon einmal ei-nen Gesetzentwurf. Er wurde aber wegen Finanzierungs-vorbehalt auf Eis gelegt.Zum Elterngeld heißt es im Koalitionsvertrag – Zitat –:Die Partnermonate sollen gestärkt und ein Teil-elterngeld bis zu 28 Monaten eingeführt werden.Umsetzung: Fehlanzeige.
Es gab zwar einmal einen Gesetzentwurf; aber er liegtwegen Finanzierungsvorbehalt auf Eis.Und zu den Alleinerziehenden, von denen wir wissen,dass sie und ihre Kinder besonders von Armut betroffensind, heißt es – Zitat –:Wir werden prüfen, inwieweit die Umgestaltungdes bisherigen steuerlichen Entlastungsbetrages ineinen Abzug von der Steuerschuld möglich … ist.Okay, an der Stelle gab es bis dato noch nicht einmal ei-nen Gesetzentwurf.Liebe Kolleginnen, liebe Kollegen, Schwarz-Gelbheißt: Viel versprechen, nichts umsetzen. Das ist zu we-nig für die Kinder in unserem Land.
Die Kolleginnen und Kollegen insbesondere von derFDP kommen immer mit Schuldenabbau und Sparsam-keit. Da muss ich schon sagen: Wer ernsthaft bereit ist,Milliardensummen in eine bildungs- und gleichstel-lungspolitische Katastrophe namens Betreuungsgeld zuinvestieren, mit der man Kindern Chancen nimmt undsie gerade nicht fördert, der hat jedes Recht verwirkt, sozu argumentieren.
Die Umsetzung der drei eben von mir genannten imSinne der Kinder und Familien vernünftigen Ankündi-gungen aus Ihrem eigenen schwarz-gelben Koalitions-vertrag wäre mit den Milliardenbeträgen, die Sie jetzt fürdas Betreuungsgeld vorsehen, locker zu finanzieren ge-wesen.
Letztes Stichwort: Kinderrechte. Schwarz-Gelb hatdie Vorbehaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonven-tion zurückgenommen und ist dafür gelobt worden, auchvon uns und völlig zu Recht. Aber jetzt folgt eben nichtsdaraus. Das Problem ist, dass aus der Rücknahme derVorbehaltserklärung reine Symbolpolitik wird. Kinderab 16 Jahren können im Asylverfahren weiter wie Er-wachsene behandelt werden. Sie haben kein Recht aufLeistungen aus dem Gesundheitssystem, sie haben keinRecht auf Leistungen aus dem System der Kinder- undJugendhilfe. Weiterhin – das muss ich hier konstatieren –ist die UN-Kinderrechtskonvention in Deutschland nichtvollständig umgesetzt.Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Ministerin inte-ressiert das offensichtlich nicht. Sie interessiert offen-sichtlich auch diese Debatte nicht, die Aktuelle Stunde,die von Ihren eigenen Fraktionen beantragt worden ist.Ich finde, das sagt alles über die schwarz-gelbe Politikfür Kinder in unserem Land: Große Töne spucken,nichts dahinter; Kosmetik statt Taten. Ich finde, die Kin-der und Familien haben deutlich mehr verdient.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner in unserer Aktuellen
Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege
Eckhard Pols. Bitte schön, Kollege Eckhard Pols.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! FrauDörner, in einem Punkt gebe ich Ihnen recht: Es mussviel mehr über Kinder gesprochen werden. Frau Golze,deswegen ist es ein Skandal, wenn Sie hier sagen: Es istreine Zeitverschwendung, dass Sie hier heute Nachmit-tag über Kinder reden müssen.
Solch eine Äußerung gerade aus Ihrem Munde, von derVorsitzenden der Kinderkommission, ist wirklich einSkandal.
Herr Heil, da Sie hier so populistisch auftreten, kannman eigentlich nur davon ausgehen, dass Sie einschlechtes Gewissen haben. Wir von der Regierungsko-alition müssen nun wirklich kein schlechtes Gewissenhaben.Frau Golze hat es angesprochen: Die Bertelsmann-Stiftung hat in ihrer aktuellen Auswertung auch festge-stellt, dass die Armutsquote der unter Dreijährigen inDeutschland gesunken ist. Leider liegt sie im Jahr 2011immer noch bei 18,2 Prozent; aber es ist eine positiveEntwicklung, und die positive Entwicklung geht weiter.Herr Heil, auch in unserer gemeinsamen Heimat, inNiedersachsen, ist das Risiko für Kleinkinder, in Armutaufzuwachsen, in den vergangenen Jahren erheblich ge-sunken, und es sinkt weiter.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24205
Eckhard Pols
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Die absolute Zahl der Kinder unter drei Jahren in Be-darfsgemeinschaften verringerte sich auf 34 400, und da-mit liegt Niedersachsen im Ländervergleich erfreulicher-weise im Spitzenfeld.Meine Damen und Herren, diese Entwicklung istnicht verwunderlich; denn die Bundesregierung hat sichzum Ziel gesetzt, die Armutsrisiken von Kindern zumindern, das Existenzminimum zu sichern und die ge-sellschaftliche Teilhabe von Kindern und Jugendlichenzu fördern. Als christlich-liberale Koalition haben wiruns vorgenommen, für alle Kinder gleiche und faireChancen zu schaffen, damit sie frei von Armut aufwach-sen und ihre vielfältigen Talente und Fähigkeiten entwi-ckeln können. Die gute Konjunkturpolitik in Deutsch-land durch die christlich-liberale Koalition
sorgt dafür, dass viele Eltern einer Erwerbstätigkeitnachgehen können. Das sehen Sie auch an den zurückge-henden Arbeitslosenzahlen. Dies ist das beste Mittel, umArmut zu bekämpfen;
denn die Eltern, die einer geregelten Beschäftigung nach-gehen, haben auch eine Vorbildfunktion für ihre Kinderund verhindern somit auch einen späteren SGB-II-Bezugihrer Kinder.Ich möchte nicht unerwähnt lassen, dass wir gerade inder Familien- und Sozialpolitik neue Prioritäten gesetzthaben. Herr Heil, ich denke hier nur an einen Ausspruchdes ehemaligen Kanzlers Schröder, der in Bezug auf Fa-milienpolitik immer von „Gedöns“ sprach.
Sie können es nicht ertragen, dass es eine CDU-Ministe-rin war, die sich dieses Themas angenommen hat und esoffensiv angegangen ist.
– Nein, von Renate Schmidt braucht man nichts zu hö-ren, weil da nichts kam.
Ich spreche hier von Frau von der Leyen,
die dieses Thema auf die Tagesordnung gebracht hat.
Wir haben 2005 den Kinderzuschlag eingeführt und2007 das Elterngeld, Herr Heil; wir haben 2009 und er-neut 2010 das Kindergeld aufgestockt.
Ein entscheidender Schritt zur Vereinbarkeit von Fa-milie und Beruf ist auch der Ausbau der Kinderbetreu-ung. Wenn Sie hier mit Zwischenrufen sagen, dass Nie-dersachsen hierfür ein schlechtes Beispiel ist, dann mussich Ihnen sagen, dass es die großen Städte wie Hannover,Osnabrück und Oldenburg sind, SPD-regierte Städte,
die hinterherhinken. Gucken Sie bitte einmal in die Flä-che, dorthin, wo die CDU regiert. Da werden Sie sehen,dass wir diese Quote schon erfüllt haben.
– Meine Heimat ist sehr gut. Wir liegen bei über 35 Pro-zent. Lassen Sie sich die Zahlen dazu einmal aus IhrerFraktion kommen.Aber ein entscheidender Aspekt für die Reduzierungder Kinderarmut ist – das haben meine Vorredner auchbetont – die Bildung. Ich kann hier nur John F. Kennedyzitieren:Es gibt nur eins, was auf Dauer teurer ist als Bil-dung: Keine Bildung.
Denn unter fehlender Bildung leiden nicht nur die be-troffenen jungen Menschen; auch die Gesellschaft trägtschwer an den Folgekosten unzureichender Bildung.
Ein großer Erfolg der christlich-liberalen Koalition istneben den schon genannten Leistungen die „OffensiveFrühe Chancen: Schwerpunkt-Kitas, Sprache & Integra-tion“. Der Kollege Tauber hat es schon gesagt: Hier wur-den 400 Millionen Euro angesetzt. Wir fördern damitbundesweit aktuell 4 127 Schwerpunktkitas.Wir alle wissen: Sprache ist der Schlüssel zum Erfolg,sowohl in der Schule als natürlich auch später im Beruf.Wer früh gefördert wird, hat auch früh und zukünftigbessere Chancen.Meine Damen und Herren, ich scheue mich nicht, zusagen, dass unsere schwarz-gelbe Regierungspolitik of-fenkundig Früchte trägt. Dennoch ist es natürlich für unskein Ruhepolster, auf dem wir uns ausruhen können undwollen. Im Gegenteil, für die christlich-liberale Koali-tion ist es ein Ansporn, die Anstrengungen in diesem Be-reich fortzusetzen, um die Situation unserer Kinder inDeutschland noch weiter zu verbessern.Vielen Dank.
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Vielen Dank. – Nächste Rednerin in unserer Aktuel-
len Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten un-
sere Kollegin Frau Christel Humme. Bitte schön, Frau
Kollegin Christel Humme.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Liebe Kollegen von der CDU/CSU und von der FDP, Siekönnen Ihre Aktuellen Stunden mit noch so schönen Ti-teln versehen – es bleibt das, was es ist, nämlich ein Eti-kettenschwindel.
Sie haben es in Ihrer Regierungszeit nicht geschafft, dieProbleme Familienarmut und Kinderarmut zu lösen.Die aktuelle Bertelsmann-Studie, Frau Laurischk, dieSie zitiert haben – ja, ich gebe Ihnen recht –, hat in derTat festgestellt: Die Zahl der Kinder unter drei Jahren,
die von der Grundsicherung leben, nimmt ab. Unterstel-len wir einmal, das ist nicht nur ein Effekt der zurückge-henden Geburtenrate; nehmen wir einmal an, das ist einguter Trend. Das ist aber doch kein Grund, in Euphoriezu verfallen. Im Gegenteil: Werfen Sie einen zweitenBlick in die Bertelsmann-Studie, in der sehr differenziertanalysiert wurde! Dort wurde festgestellt, dass die Kin-derarmutsquote unvermindert hoch ist. Im Osten beträgtsie immer noch 25 Prozent; das heißt, jedes vierte Kindlebt in Armut. Im Westen ist es jedes siebte Kind. In derStudie wurde differenziert hingeschaut und festgestellt:Das ist ein besonderes Problem der Regionen, der Städteoder sogar der Stadtteile. Man kommt zu dem Ergebnis,dass es Regionen oder Stadtteile gibt, in denen bis zu35 Prozent der Kinder in Armut leben. Um es noch ein-mal zu wiederholen: Mehr als ein Drittel der Kinder sindarm. Daran müsste man schon erkennen, dass Sie sichnicht mit Ruhm bekleckern können.
Wir wissen: Es gibt nach wie vor zu viele arme Kin-der. Wir wissen auch, dass das Risiko, arm zu bleibenoder arm zu werden, während Ihrer Regierungszeit ge-stiegen ist. Hätten Sie einen Blick in den Entwurf des4. Armuts- und Reichtumsberichts geworfen, hätten Siedas gemerkt; denn dort wird genau das bestätigt. Auchdie Arbeiterwohlfahrt stellt in einer Langzeitstudie fest,dass bis 2010 nur jedes zweite Kind eine Chance hatte,aus der Armut herauszukommen. Das ist doch der ent-scheidende Punkt, der uns Politikerinnen und Politikerbewegen muss: Wie sehen die Chancen der Kinder aus,die heute arm sind? Welche Antworten geben wir darauf,welche Sie?
Ich habe heute in der Debatte nicht eine einzige Antwortdarauf gehört.Wir wissen doch alle ganz genau: Kinderarmut ist Fa-milienarmut ist Elternarmut; ist Armut der Eltern, dienicht genug Einkommen haben. Es ist gut, dass wir alsSPD den Kinderzuschlag eingeführt haben. Die Ausga-ben dafür sind um 10 Prozent gestiegen, und damit istnatürlich die Zahl derjenigen, die von Leistungen gemäßSGB II leben, gesunken.
Insoweit ist die Statistik richtig. Auf der anderen Seite– und das ist die Kehrseite der Medaille – belegt dasdoch auch, dass es ganz viele Eltern gibt, die arbeiten,aber von ihrer Arbeit nicht leben können und aufstockenmüssen. Das ist doch der eigentliche Skandal. Sie tunnichts!
Sie legen Ihre Hände in den Schoß. Es gibt keinen ge-setzlichen Mindestlohn mit Ihnen, und es gibt auch keinegleiche Bezahlung für gleiche Arbeit. Das ist Fakt. Dasstärkt die Armut. Das muss man feststellen.
Dabei käme das besonders einer Gruppe zugute, de-ren Kinder von großer Armut bedroht sind, nämlich derGruppe der Alleinerziehenden. Was bräuchten sie? Im4. Armuts- und Reichtumsbericht wird festgestellt, dassbis zu 40 Prozent von ihnen ein sehr geringes Einkom-men haben. Was brauchen sie also? Sie brauchen Ganz-tagsbetreuung, sie brauchen mehr Betreuungsplätze, undsie brauchen auch eine Reform der Minijobs; denn Teil-zeitarbeit ist für Alleinerziehende ein großes Problem,weil sie gleichzeitig zu einer Falle für Altersarmut wird.Die Kinder der Alleinerziehenden brauchen weitere Bil-dungsangebote und Betreuungsplätze. Was machen Sie?Sie tun nichts für den Ausbau der Betreuung. Noch vielschlimmer: Morgen werden Sie beschließen, die Mini-jobs auszuweiten. Auch das ist ein Skandal angesichtsder Notwendigkeit, Armut zu bekämpfen.
Last, not least. Wenn Sie die Bertelsmann-Studie ge-lesen haben, dann haben Sie vielleicht auch gelesen, wasdas Vorstandsmitglied der Bertelsmann-Stiftung JörgDräger vorgeschlagen hat, nachdem er die Studie vorge-stellt hat. Er plädiert für eine bedarfsorientierte Vertei-lung der staatlichen Gelder. Er sagt weiter:Armut darf nicht in Chancenlosigkeit münden. Wodie Probleme größer sind, muss auch mehr Geld fürgute Kitas und gezielte Förderung in Brennpunkteninvestiert werden.
Gerade die frühkindliche Phase ist entscheidend fürdie Entwicklung eines Kindes.Recht hat er! Aber was machen Sie? Sie kürzen die Mit-tel für das Programm „Soziale Stadt“. Das ist Ihre Ant-wort. Außerdem führen Sie das Betreuungsgeld ein. Ich
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Christel Humme
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sage Ihnen: Ihre christlich-liberale Politik – ein Armuts-zeugnis.Danke schön.
Vielen Dank, Frau Kollegin Christel Humme. –
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der FDP unser Kollege Pascal Kober. Bitte
schön, Kollege Kober.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen derOpposition, Sie können sich rhetorisch ruhig auf denKopf stellen, eines können Sie nicht wegdefinieren:Diese Regierung ist – das belegt der Rückgang bei derKinderarmut in Deutschland – auf dem richtigen Weg,und sie betreibt eine erfolgreiche Politik für die Men-schen in diesem Land.
Lieber Hubertus Heil, ja, Sie haben recht: Es gibt ei-nen Zusammenhang zwischen Erwerbsarbeit der Elternauf der einen Seite und Kinderarmut auf der anderenSeite. Aber Sie werden damit leben müssen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen der Opposition, dass der Rückgangder Arbeitslosigkeit in Deutschland in einem seit Jahr-zehnten nicht gekannten Maße in die Regierungszeit die-ser Koalition fällt und nicht in Ihre.
Wir sind gar nicht so vermessen, die alleinige Verant-wortung für diese günstige Entwicklung uns zuzuschrei-ben.
Natürlich wissen wir, dass die günstige Entwicklung aufdem Arbeitsmarkt in erster Linie den fleißigen Arbeit-nehmerinnen und Arbeitnehmern und den leistungsfähi-gen Unternehmen zu verdanken ist.
Sie ist aber auch – auch das lässt sich nicht wegdefinie-ren – der klugen wirtschafts- und wachstumsfreundli-chen Politik dieser christlich-liberalen Koalition zu ver-danken.
– Lieber Hubertus Heil, diese günstige Entwicklunghängt vor allen Dingen damit zusammen, dass wir dieUnternehmen machen lassen, statt Lästiges mit ihnen zumachen,
damit, dass wir sie nicht mit überbordender Bürokratiezuschütten und mit Steuererhöhungen belasten. Wir las-sen die Unternehmen wirtschaften. So sichern wir Ar-beitsplätze und erhöhen ihre Anzahl.
Es gibt derzeit so viele Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer, so viele Erwerbsverhältnisse wie seit Jahrzehn-ten nicht mehr: 41 Millionen. Das ist eine beeindru-ckende Zahl, über die wir uns alle freuen sollten, auch,weil sie unmittelbar mit dem Rückgang der Kinderarmutzusammenhängt.
Sie können auch nicht wegdefinieren, dass wir einekluge Arbeitsmarktpolitik machen.
Wir haben die Arbeitsvermittlung in beiden Säulen ge-stärkt. Wir haben die Zahl der Optionskommunen erhöhtund ihre Existenz gesichert. Wir haben die Hilfe aus einerHand gesichert. Wir haben die arbeitsmarktpolitischenInstrumente zielgenauer ausgerichtet. So ermöglichenwir es mehr Menschen, den Zugang zum Arbeitsmarkt zufinden. Wir haben mit dem Bildungs- und Teilhabepaket
die Bildungschancen der Kinder erhöht und ihre Teil-habechancen in unserer Gesellschaft verbessert. LieberHubertus Heil, Sie persönlich sind mit dafür verantwort-lich – –
– Ja, Frau Schwesig von der SPD
ist auch verantwortlich, genau. Sie beide tragen die Ver-antwortung dafür, dass dieses Bildungs- und Teilhabe-paket nur schwer auf den Weg gebracht werden kann.Sie wollten es in die Hand der Kommunen geben. Siesind damit dafür verantwortlich,
dass beim Bildungs- und Teilhabepaket jetzt jede Kom-mune das Rad neu erfinden muss.
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24208 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Pascal Kober
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Wenn es um die Entlastung der unteren Einkommengeht, dann stehen Sie, wie immer, auf der Bremse: ak-tuell bei der Absenkung der Rentenversicherungsbei-träge von 19,6 auf 18,9 Prozent. Wenn es um die Entlas-tung der Menschen mit kleinen Einkommen geht, sindSie nicht mit dabei. Dann stehen Sie auf der Bremse. Siemöchten diese Menschen nicht unterstützen. Wir hinge-gen sind ein verlässlicher Anwalt der Menschen in unse-rem Land.Wir haben einiges für die Kinder in unserem Land er-reicht, nicht nur, wenn es um materielle Fragen geht,sondern auch in anderen Bereichen. Frau Dörner hat be-reits darauf hingewiesen, dass die Rücknahme der Vor-behaltserklärung zur UN-Kinderrechtskonvention inunsere Regierungszeit fällt. In unserer Regierungszeithaben wir aber auch den Entfaltungs- und Lebensraumfür Kinder in unserer Gesellschaft faktisch vergrößert,indem wir klargestellt haben, dass Kinderlärm keineschädliche Umweltbelastung ist.
Wir haben durch die Durchsetzung des Prinzips „Lö-schen statt Sperren“ die Persönlichkeitsrechte von Op-fern von Kriminalität im Bereich des Internets gestärkt.Wir haben es nicht nur ermöglicht, dass der Zugang zukinderpornografischen Seiten erschwert wird, sondernauch, dass solche Bilder, die die Persönlichkeitsrechtedes Kindes verletzen, wirklich aus dem Internet entferntwerden.Wir haben bei den Meldepflichten angesetzt. Wir ha-ben die Meldepflichten gelockert, sodass auch Kinderohne Aufenthaltsstatus den Kindergarten oder die Schulebesuchen können.
Wir haben beispielsweise einen eigenständigenStraftatbestand Zwangsheirat eingeführt, von der häufigMinderjährige betroffen sind.Wir haben auch die Rechte der Opfer in Ermittlungs-und Strafverfahren gestärkt.
Auch das ist etwas, was gerade Kindern zugutekommt,weil Mehrfachvernehmungen und anderes Belastende inZukunft nicht mehr nötig sind.
Ich glaube, alles in allem kann diese Bundesregierungstolz sein auf die Leistungen, die sie in den vergangenendrei Jahren für die Kinder in diesem Land erbracht hat.Wir werden nicht nachlassen, an den Problemen zu ar-beiten. Natürlich ist jedes Kind in Armut nach wie voreines zu viel. Wir werden an diesem Punkt nicht nachlas-sen und uns für die Kinder in diesem Land weiterhin er-folgreich einsetzen.Vielen Dank.
Vielen Dank. – Nächster Redner ist für die Fraktion
der Sozialdemokraten unser Kollege Swen Schulz. Bitte
schön, Kollege Swen Schulz.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Als ich denTitel der von der Koalition beantragten Aktuellen Stundegelesen habe, ist mir erst einmal die Spucke weggeblie-ben. Ich lese das noch einmal vor: „Soziale Situation derKinder in Deutschland verbessert in Zeiten christlich-liberaler Regierungspolitik“.
Das ist dreist.
Ich möchte diesen Anspruch einmal konkret anhanddes Themas Bildung bzw. Bildungsarmut überprüfen.Das Thema Bildung ist, wie wir wissen, sehr wichtig,zum einen gesellschaftlich, also für den gesellschaftli-chen Zusammenhalt, und zum anderen natürlich insbe-sondere für diejenigen, über die wir jetzt hier sprechen.Nicht ohne Grund hat Bundeskanzlerin Merkel vor eini-gen Jahren das schöne Wort der „BildungsrepublikDeutschland“ geprägt.Die Frage ist: Was hat die Bundesregierung tatsäch-lich konkret gemacht, um diesen Anspruch zu realisie-ren? Nichts hat sie gemacht. Nichts ist geschehen. Dabeihat die Koalition zu Beginn der Wahlperiode den Mundziemlich voll genommen. Es gab ein großes Konzept fürdas Bildungssparen. Das ist beerdigt worden. LokaleBildungsbündnisse für Grundschulen sollten eingerichtetwerden. Das ist gescheitert. Das Bildungs- und Teilhabe-paket – total verkorkst. Unterhalten Sie sich einmal mitdenjenigen, die vor Ort das Bildungs- und Teilhabepaketumsetzen sollen. Sie schlagen die Hände über dem Kopfzusammen.
Dafür gibt es einen sehr klaren Grund. Das Geld fürdas Bildungs- und Teilhabepaket wird in großem Maßevon der Verwaltung aufgefressen, während viele Kinderund Familien, die Unterstützung benötigen, diese nichtbekommen. Das liegt an einem Konstruktionsfehler. Siemüssen die Bildungseinrichtungen, die Kitas und dieSchulen, stärken, statt die Eltern auf die Ämter zu schi-cken. Das ist der Punkt.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012 24209
Swen Schulz
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Aber mit den Bildungseinrichtungen hat es die Koali-tion ja nicht so. Das wird beim Thema Betreuungsgeldganz besonders deutlich.
Das ist wirklich kompletter Irrsinn. Das muss man sicheinmal vorstellen: Sie wollen den Eltern Geld dafür ge-ben, dass sie ihre Kinder nicht in die Bildungseinrich-tung Kita schicken. Das schlägt wirklich dem Fass denBoden aus. Es kommt noch etwas dazu – wir reden jaüber Armut –: Das Betreuungsgeld soll nach dem Ge-setzentwurf voll auf das Arbeitslosengeld II angerechnetwerden, so, wie es auch beim Elterngeld gemacht wird;das haben Sie entschieden. Man liest da so einiges; Siestreiten ja sehr heftig darüber, bislang jedenfalls. Jetztliest man, dass Sie das Betreuungsgeld unter bestimmtenBedingungen, also konditioniert, möglicherweise dochan arme Familien auszahlen wollen. Ich sage Ihnen: Siemachen den Quatsch nur noch quätscher.
Das Betreuungsgeld kommt mir vor wie ein Tankerauf hoher See, der leckgeschlagen ist. Aber es hilftnichts, wenn Sie jetzt hektisch Räder daran basteln. Ichgebe Ihnen den Rat: Lassen Sie das Betreuungsgeld ein-fach untergehen. Besser ist das.
Damit das jetzt nicht einseitig wirkt, will ich Ihnen et-was vorlesen:Das deutsche Bildungssystem ist … heute wenigerals andere europäische Bildungssysteme … in derLage, benachteiligte Kinder … zu fördern … Einewesentliche Ursache dafür ist klar zu benennen: Esfehlt hierzulande noch immer an angemessenerKinderbetreuung und Ganztagsschulen.Das hat nicht die SPD geschrieben, sondern die Bundes-regierung. Dies steht im Entwurf des 4. Armuts- undReichtumsberichts der Bundesregierung.
Wenn Sie das so klar erkennen, warum unternehmen Siedann nichts?
Kitaausbau. Für das Betreuungsgeld sehen Sie über1 Milliarde Euro jährlich vor, aber die dringend benötig-ten und den Ländern und Kommunen zugesagten Mittelfür den Ausbau der Kitas werden von Frau Familien-ministerin Schröder
unter fadenscheinigen Begründungen immer noch blo-ckiert. Geben Sie das Geld endlich frei!
Ganztagsschulen. Das ist wirklich ein spannendesThema. Rot-Grün hat unter der Regierung GerhardSchröder ein Ganztagsschulprogramm aufgelegt. DieCDU/CSU hat das immer bekämpft. Wir haben das durch-gesetzt, und es hat eine ganze Menge bewirkt. Inzwischensagt Bildungsministerin Schavan, dass Ganztagsschulenganz toll sind, und bejubelt jede neue Studie dazu.Jetzt wollen wir von der SPD einen entscheidendenSchritt weitergehen und ein flächendeckendes Angebotvon Ganztagsschulen machen. Aber dafür müssen wirzunächst einmal das Grundgesetz ändern und das Ko-operationsverbot im Bildungsbereich von Bund undLändern streichen.Was macht die Regierungskoalition? Sie lehnt das ab.Stattdessen gibt es einen eigenen Vorschlag zur Grund-gesetzänderung von Schwarz-Gelb, der darauf hinaus-läuft, dass einige wenige Spitzenforschungseinrichtun-gen gefördert werden können. Aber das hat mit Bildungnichts zu tun. Keine einzige Ganztagsschule würde ent-stehen, kein Lehrer würde eingestellt. Das kann es nichtsein. Machen Sie endlich den Weg frei für eine vernünf-tige Bildungspolitik in Deutschland!
Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und FDP,Sie behaupten, Sie machen etwas gegen Bildungsarmut. –Fangen Sie endlich damit an!Danke schön.
Vielen Dank, Kollege Swen Schulz. – Letzter Redner
in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Frank Heinrich. Bitte schön,
Kollege Frank Heinrich.
Sehr geehrter Herr Präsident! Werte Kolleginnen undKollegen! Wir verhehlen als Koalition an keiner Stelle,dass wir eine Menge Arbeit vor uns haben, was diesesThema angeht.
Die 18,2 Prozent – Herr Kober hat das gesagt – sind im-mer noch viel zu viel. Doch ist die Strecke auf diesenBerg, den wir hier besteigen, ein Stück weit zurückge-legt. Die soziale Situation der Kinder hat sich – verschie-
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24210 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 200. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 24. Oktober 2012
Frank Heinrich
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dene Facetten haben dies einfach deutlich gemacht –verbessert. Wenn wir uns immer nur die negativen Nach-richten um die Ohren hauen, dann ist jetzt der Zeitpunkt,um über eine gute Nachricht nachzudenken.Ich will die Kinder, um die es heute ja nun geht, ein-mal in den Mittelpunkt setzen. Ich selber arbeite in dreiVereinen und einer anderen Organisation in meiner StadtChemnitz mit Kindern zusammen. Ich möchte einfacheinmal Peter als fiktives Gegenüber nehmen; ich habeihn vor Augen. Chemnitz ist an dieser Stelle in Sachsen,und Sachsen ist innerhalb Deutschlands immer noch beiProzentzahlen, die höher sind als das, worüber wir heutebundesweit diskutieren. Trotzdem hat sich die Zahl inChemnitz innerhalb der letzten vier Jahre um ein ganzesDrittel verbessert.Peters Mutter ist alleinerziehend – wir wissen, ihr Ar-mutsrisiko ist dadurch höher –, und selber Hartz-IV-Empfängerin. Gemäß Armuts- und Reichtumsberichtgehört Peter zur größten Risikogruppe für mangelndeBildungschancen und damit zur Risikogruppe für einezukünftige eigene gebrochene Erwerbsbiografie undspäter möglicherweise Altersarmut. Das heißt, Kinder-armut hat eine sozial-menschliche Komponente, aberauch eine gesellschaftlich-ökonomische. Die größte Sor-gengruppe unserer Gesellschaft sind insoweit die Kin-der, denen doch eigentlich die Zukunft gehören sollte.Dies gilt umso mehr angesichts der demografischen Ent-wicklung, die wir jetzt gerade vor uns haben.Was können wir für Peter tun? Ich zitiere ausUNICEF-Pressemitteilungen von Anfang des Jahres:Die Teilhabe von Eltern am Erwerbsleben ist vonzentraler Bedeutung für das Wohlbefinden von Kin-dern in Deutschland.
– Ich bitte Sie, hinzuhören.Eine gute Förderung in Kindertagesstätten undSchulen kann Defizite aufgrund mangelnder Teil-habe der Eltern nur begrenzt ausgleichen.Zu diesem Ergebnis kommt der UNICEF-Bericht zurLage der Kinder in Deutschland 2011/2012.Was braucht Peter? Erstens braucht seine Mutter Ar-beit. Wir haben die Zahlen hier inzwischen mehrfach ge-hört; ich werde sie jetzt nicht noch einmal wiederholen.Aber wer hat denn dafür gesorgt, dass wir unter einer 3,xliegen, was die Arbeitslosigkeit angeht? Das ist nicht al-lein in den letzten drei Jahren passiert, aber mitunterauch durch weise Entscheidungen. Die Armutsgefähr-dung von Kindern sinkt mit der Erwerbsbeteiligung derEltern. Die Arbeitslosigkeit ist so niedrig wie nie, unddas hat auch – auch! – etwas mit dem Erfolg der christ-lich-liberalen Koalition zu tun und mit der wirtschaftlichgünstigen Situation, die wir gerade in Deutschland ha-ben, wobei beides miteinander zu tun haben kann.
Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist seit 2007 um40 Prozent gesunken. Dieser Haupthintergrund von man-gelnden Chancen ist also schon einmal in Angriff genom-men. Der Jahresdurchschnitt im Jahre 2007 betrug1,73 Millionen, der Jahresdurchschnitt 2011 1,06 Millio-nen; so heißt es im Entwurf des Armutsberichts.Maßnahmen sind vor allem die Flexibilisierung desArbeitsmarktes; zu diesem Thema haben wir sehr vieleAuseinandersetzungen erlebt. Zu tun bleibt: Ja, auch wirdiskutieren über eine Lohnuntergrenze in verschiedenenBranchen, aber auf der Grundlage des hohen Gutes derTarifautonomie. Das ist ganz besonders wichtig.
Das ist uns ganz besonders wichtig.
Zweitens. Was braucht Peter? Er braucht die Gelegen-heit zur Teilhabe. Frau Golze und Frau Dörner, Sie habengesagt: Es ist nichts getan worden in den drei Jahren. – Estut mir leid, da habe ich andere Informationen.
Schulisch und gesellschaftlich-kulturell haben wir alsNeuausrichtung von Hartz IV das Bildungs- und Teilha-bepaket auf den Weg gebracht. Es mag klein sein; aberes ist – so habe ich das rückgemeldet bekommen – einguter Anfang. Dieses Bildungspaket greift. Es ist ver-bunden mit einem Perspektivwechsel: Sachleistung stattGeldleistung. Ja, es ist nur ein erster Schritt; aber es istein Schritt auf einem Weg des Umdenkens. Es wird auchzunehmend in Anspruch genommen: von 56 Prozent derbetreffenden Personen, bei mir in Chemnitz von weitmehr.Herr Schulz, Sie haben danach gefragt, ob wir uns vorOrt schon einmal darüber unterhalten hätten. Ja, regel-mäßig. Ich bekomme auf meine Nachfrage die Rückmel-dung – das schlägt sich auch im Armuts- und Reich-tumsbericht nieder –, dass die Leistungsberechtigten wieauch die Organisationen sagen: Je länger, desto besser.Die Bürokratisierung ist in der Tat ein Problem. Da mussder Zugang, da müssen die Anträge vereinfacht werden.Drittens. Peter braucht eigene Chancen auf guteschulische und berufliche Ausbildung. Noch einmalUNICEF:In der Schule ist die Entwicklung von sozialerKompetenz, Verantwortung und Werten genausowichtig wie kognitive Fähigkeiten. Eine ausschließ-liche Konzentration auf Leistungssteigerung, wiesie stark durch die PISA-Debatte befördert wird,führt dazu, dass einzelne Gruppen von Kindern sys-tematisch ausgeschlossen werden.Wir, die christlich-liberale Koalition, sagen: Wir brau-chen ein differenziertes und wertebasiertes Schulsystem,eine Ausbildung mit starkem Praxisbezug – die dualeAusbildung, wie wir sie in Deutschland kennen –, dieStärkung von Handwerk und Mittelstand und auch hier
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persönliche Begleitung. Der aufkommende Fachkräfte-und Arbeitskräftebedarf eröffnet neue Möglichkeiten.Es ist viel erreicht, aber noch lange nicht genug; dennder Berg ist noch nicht erklommen. Ich wiederhole, wasHerr Kober gesagt hat: Jedes einzelne Kind von diesen18,2 Prozent ist eines zu viel.
Der Peter schaut jetzt auf die Uhr.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit. Einen schö-
nen Nachmittag noch.
Zumindest herinnen ist der Nachmittag beendet und
geht in anderen Gremien weiter.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit auch am Schluss unserer heutigen Ta-
gesordnung.
Übrigens war heute die 200. Plenarsitzung, sodass ich
die nächste Sitzung, die 201. Sitzung, für morgen, Don-
nerstag, den 25. Oktober 2012, um 9 Uhr, einberufe.
Die Sitzung ist geschlossen.