Gesamtes Protokol
Guten Tag, liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Sit-
zung ist eröffnet.
Interfraktionell ist vereinbart, die heutige Tages-
ordnung um die Beratung der Unterrichtung durch die
Bundesregierung zur Ratifizierung des Vertrages vom
2. Februar 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabi-
litätsmechanismus auf Drucksache 17/10767 zu erwei-
tern und diese jetzt gleich als Zusatzpunkt 1 mit einer
Debattendauer von einer halben Stunde aufzurufen. –
Sind Sie damit einverstanden? – Ich sehe keinen Wider-
spruch. Dann können wir so verfahren.
Ich rufe somit den soeben aufgesetzten Zusatzpunkt 1
auf:
Beratung der Unterrichtung durch die Bundesre-
gierung
Ratifizierung des Vertrages vom 2. Februar
2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabi-
litätsmechanismus
– Drucksache 17/10767 –
Es ist vereinbart, die Debattendauer auf eine halbe
Stunde zu begrenzen. – Auch dazu gibt es keinen Wider-
spruch. Dann ist so beschlossen.
Ich eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-
ner dem Parlamentarischen Staatssekretär Steffen
Kampeter das Wort.
S
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben heute einen wichtigen Schritt getan,um den ESM als einen robusten Krisenmechanismusschnellstmöglich in Gang zu setzen und damit ein wich-tiges Instrument der Krisenbekämpfung zur Hand zu ha-ben. Denn die Bundesregierung hat heute in ihrer Kabi-nettssitzung beschlossen, wie Deutschland zusammenmit unseren europäischen Partnern die Maßgaben erfül-len wird, die das Bundesverfassungsgericht uns in sei-nem Urteil zu ESM- und Fiskalvertrag vorgegeben hat,bevor Deutschland durch Hinterlegung der Ratifika-tionsurkunde den ESM-Vertrag nunmehr mit den ande-ren Partnern in Kraft setzen darf.Lassen Sie mich dazu kurz rekapitulieren: Das Bun-desverfassungsgericht hatte im September über Anträgezu entscheiden, die den ESM-Vertrag wie auch den Fis-kalvertrag endgültig stoppen wollten und damit Deutsch-land in dieser Krise hätten handlungsunfähig werden las-sen. Das Bundesverfassungsgericht hat – nach intensivermündlicher Verhandlung – in seinem Urteil vom12. September 2012 sowohl den Fiskalvertrag als auchden ESM-Vertrag grundsätzlich gebilligt und für verfas-sungskonform erklärt. Dies ist ein gutes Signal für dieeuropäische Integration.
Entgegen der Auffassung der Kläger hat das Bundes-verfassungsgericht – bei der im einstweiligen Verfahrenerfolgten summarischen Prüfung – bestätigt, dass derESM-Vertrag nach der gemeinsamen Lesart von Bundes-tag und Bundesregierung nicht die Budgetrechte ver-letzt. Lassen Sie mich auch betonen: Das Gericht hatauch das ESM-Finanzierungsgesetz bestätigt und festge-stellt, dass die umfangreichen und europaweit sicherlichaußergewöhnlichen, weil beispielhaften Beteiligungs-rechte, die das deutsche Parlament beim laufenden Be-trieb des ESM haben wird, ausreichende Einwirkungs-und Steuerungsmöglichkeiten des Bundestages garantie-ren.Entgegen allen Vorbehalten hat das Bundesverfas-sungsgericht auch die Ansicht der Bundesregierung unddes Bundestages bestätigt, dass der ESM keine Haf-tungsautomatismen begründet und die Zahlungsver-pflichtungen nach sinnvoller und wahrscheinlicher Aus-legung des Vertragswerks stets auf den von Bundestagund Bundesrat in den Umsetzungsgesetzen genehmigtenAnteil am Stammkapital begrenzt sind. Das, meine sehrverehrten Damen und Herren, ist sicherlich auch ein Si-gnal für mehr Rechtsfrieden und mehr Entspanntheit inder Debatte um ESM und Fiskalpakt gewesen.
Metadaten/Kopzeile:
23266 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Parl. Staatssekretär Steffen Kampeter
(C)
(B)
In den Hausaufgaben, die das Bundesverfassungsge-richt uns als Gesetzgeber und Bundesregierung aufgege-ben hat, bevor wir dann den ESM in Kraft setzen kön-nen, hat es uns weder vorgegeben, den ESM-Vertrag zuändern, noch, die entsprechenden Vorschriften neu zuverhandeln.Es fordert lediglich in zwei Punkten interpretativebzw. Rechtssicherheit schaffende Erklärungen. Dass derVertrag folgendermaßen interpretiert werden sollte, istauch Auffassung der Bundesregierung, wie wir in die-sem Verfahren betont haben:Erstens. Wir sollen sicherstellen, dass unsere Haftungstets auf unseren Anteil am genehmigten Stammkapitalbegrenzt ist. Dies gilt insbesondere für alle Fälle des Ka-pitalabrufs, und eine Änderung darf nur mit Zustimmungdes deutschen Vertreters im ESM erfolgen.Wir haben zweitens sicherzustellen, dass die Regelun-gen des ESM-Vertrags zu Immunitäten, zur Unverletz-lichkeit der Archive und zu den beruflichen Schweige-pflichten – weder in Deutschland noch in irgendeinemanderen Land – der notwendigen und umfassenden par-lamentarischen Kontrolle nicht entgegenstehen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, beides ha-ben wir getan. Bereits bei der Euro-Gruppensitzung inZypern am vorvergangenen Freitag haben wir über dieBotschaft aus Karlsruhe gesprochen. Wie erwartet,bestand und besteht zwischen den Signatarstaaten derVerträge inhaltlich ohnehin Einigkeit über die vom Bun-desverfassungsgericht vorgegebene Auslegung des Ver-trags. Insofern wurde schnell Einvernehmen darüberhergestellt, dass wir die Vorgaben unseres Gerichtsdurch eine gemeinsame verbindliche Auslegungserklä-rung umsetzen.Wir haben dann in der vergangenen Woche den Textder Erklärung und das genaue Verfahren zügig ausver-handelt und natürlich umfassend rechtlich prüfen lassen.Heute Nachmittag werden wir nun die Botschafter bit-ten, die gemeinsame Erklärung, die exakt die inhaltli-chen Punkte, die das Bundesverfassungsgericht vorgege-ben hat, völkerrechtlich verbindlich festschreibt, für ihreStaaten rechtsverbindlich anzunehmen. Zusätzlich erklä-ren wir – wie auch unsere Vertragspartner – eindeutig,dass diese Auslegung eine wesentliche Grundlage dafürdarstellt, dass wir uns an diesen Vertrag gebunden füh-len.Diese Erklärung wird dann dem Ratssekretariat alsDepositar, das heißt als Verwahrer des ESM-Vertrags,notifiziert. Zusätzlich wird Deutschland bei der erst imAnschluss daran erfolgenden Hinterlegung der Ratifika-tionsurkunde noch einmal explizit auf diese gemeinsameErklärung Bezug nehmen und damit ihre Bedeutung fürdie Bundesrepublik Deutschland unterstreichen.Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, die Erklärung wird durch diesesVerfahren rechtsverbindlich – entgegen irgendwelchenanderen Auffassungen handelt es sich eben nicht nur umeine politische, sondern um eine rechtsverbindliche Er-klärung – und ist zukünftig zwingend von den ESM-Ver-tragsparteien, von den ESM-Gremien und im etwaigenStreitfall auch vom EuGH als zum Vertrag zugehörig he-ranzuziehen.Es herrscht völliges Einvernehmen in der Bundesre-gierung, dass wir damit die Vorgaben des Bundesverfas-sungsgerichts vollumfänglich und rechtssicher umset-zen. Eine erneute Ratifizierung der Erklärung odersonstige verfassungsrechtliche Zustimmungserforder-nisse für Bundestag und Bundesrat löst diese Erklärungnicht aus. Denn sie ändert ja den ESM-Vertrag geradenicht, sondern sie bestätigt das, was wir wollen, nämlichden Inhalt, den Bundestag und Bundesrat ihm ohnehinbeim Gesetzgebungsverfahren durch Erklärung hier imDeutschen Bundestag, aber auch durch die Texte gege-ben haben.Lassen Sie mich, Herr Präsident, meine sehr verehr-ten Damen und Herren, zum Abschluss auch darauf hin-weisen, dass es uns damit zusammen mit unseren euro-päischen Partnern gelungen ist, Handlungsfähigkeit aufeuropäischer Ebene zu beweisen und besonders schnellgrünes Licht für den ESM zu schaffen. Gerade ange-sichts der oftmals schwerfälligen, weil sehr förmlichenProzesse im Bereich des Völkerrechts ist das ausdrück-lich zu erwähnen.Wenn wir dann den ESM in den nächsten Tagen inKraft setzen, haben wir ein wesentliches Instrument zurÜberwindung der Krise im Euro-Raum eingerichtet undkönnen damit in diesem nach wie vor unruhigen Markt-umfeld effektiv agieren.Ich freue mich über die breite Unterstützung für unserVorgehen, nicht nur aus den eigenen Reihen, also seitensder Koalition, sondern auch aus den Reihen der Opposi-tion. Dieses Miteinander war sicherlich auch ein wichti-ges Moment gegenüber dem Verfassungsgericht.
Ich glaube, wir tun gut daran, deutlich zu machen,dass der ESM nur ein Teil der Krisenbewältigungsstrate-gie ist, die wir in Europa umzusetzen haben, und zwarnur der Teil, der im Bereich der europäischen Gesamt-verantwortung liegt. Die Staatsschuldenkrise kann undwird nur dadurch zu bekämpfen sein, dass wir für natio-nale Verantwortung für mehr fiskalische Disziplin, fürausgeglichene Haushalte und für die Steigerung vonWettbewerbsfähigkeit in allen Mitgliedsländern Euro-pas werben. In diesem Sinne wird die Bundesregierungweiterhin daran arbeiten, das gemeinsame Haus Europastabiler für Deutschland und für Europa zu machen.Herzlichen Dank.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23267
(C)
(B)
Für die SPD-Fraktion spricht jetzt der Kollege
Carsten Schneider.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Zu-nächst einmal: Die von der Bundesregierung heute be-schlossene Protokollerklärung tragen wir mit und neh-men sie zur Kenntnis. Sie entspricht den Vorgaben, diedas Verfassungsgericht gemacht hat. Die SPD-Fraktionhat während der Rativizierungsverfahren zum ESM-Ver-trag insbesondere darauf Wert gelegt, dass die Gremiendes ESM gegenüber dem Bundestag auskunftspflichtigsind. Unseren Anträgen ist die Koalition gefolgt. Es istgut, dass wir dies jetzt hier noch einmal klarstellen.Der entscheidende Punkt ist allerdings: Sie, sehr ge-ehrter Herr Staatssekretär Kollege Kampeter, haben ebengesagt, die Haftungssumme Deutschlands sei damit klarbegrenzt; der ESM sei nur ein Teil der Strategie zur Lö-sung der europäischen Krise. Ich sehe sie als Finanzkrisean;
Sie haben sie als Staatsschuldenkrise bezeichnet. Damitwidersprechen Sie Ihrem Finanzminister; aber das Rechtauf freie Meinung soll auch in der Bundesregierung gel-ten, selbst wenn Sie in diesem Fall falschliegen.Interessant ist bei diesem entscheidenden Punkt nun,worüber Sie nicht gesprochen haben. Es geht um einenSachverhalt, der auch noch im Hauptsacheverfahren eineRolle spielen wird, nämlich die unbegrenzten Anleihe-käufe der Europäischen Zentralbank. Wenn Sie hier denEindruck erwecken, als wäre die Haftung Deutschlandsauf die Summe begrenzt, die im ESM-Vertrag festgelegtist, dann, sehr geehrter Kollege Kampeter, führen Sie dieÖffentlichkeit an der Nase herum. Die Haftungssummeist deutlich höher. Ich finde, dass der Deutsche Bundes-tag darüber reden muss, weil es wichtig ist, politischeAkzeptanz dafür zu erreichen. Das Versteckspiel, auf dereinen Seite hier im Bundestag möglichst geringe Haf-tungssummen zu beschließen, um die Öffentlichkeitnicht zu verunsichern und Ihre Koalition zusammenzu-halten, und auf der anderen Seite über die Bilanz derEZB die Verluste von Banken zu sozialisieren, ist nichtakzeptabel. Deswegen sage ich Ihnen ganz klar: DieseEntscheidungen gehören in den Deutschen Bundestag.
Wenn es um die Haftungsrisiken geht, die zwischen denSteuerzahlern verteilt werden, muss der Deutsche Bun-destag darüber entscheiden. Das ist in einer Demokratiegrundsätzlich die Voraussetzung.
– Herr Kollege Barthle, vielleicht glauben Sie zwar nichtmir, aber dem Bundesbankpräsidenten, der Ihrer Regie-rung durchaus nahestand. In einem Interview in derNeuen Zürcher Zeitung von heute, in dem es um diesesStaatsanleihenaufkaufprogramm geht, das Sie hier mitkeinem Wort erwähnt haben, sagte er:Es gibt aus meiner Sicht einige Gründe, die gegendas Programm sprechen. Dazu zählen einerseits si-cher stabilitätspolitische Prinzipien und die Frage,ob die Notenbank hierzu demokratisch legitimiertist.Das sehe ich in der Tat genauso. Dann führt er fort – dasist der entscheidende Punkt; passen Sie auf! –:Das Programm verteilt Haftungsrisiken zwischenden Steuerzahlern der Euro-Zone um. Das dürfennur die Parlamente, und diese haben mit den Ret-tungsschirmen ja auch die passenden Instrumentezur Hand.Punkt.
Herr Weidmann spricht Wahrheit; er ist der Chef derDeutschen Bundesbank. Ich frage mich nur: Was sagt dieKoalition dazu?
Alles, was ich mitbekommen habe, Herr Staatssekretär,ist, dass der Chef Ihres Hauses, der Bundesfinanzminis-ter Schäuble, Herrn Weidmann einen Maulkorb verpassthat, dass er in einem Interview mit der Bild am Sonntagdem Bundesbankpräsidenten angeraten hat, doch lieberzu schweigen, als in Deutschland die Wahrheit zu sagen.Das ist mittlerweile die Politik der Bundesregierung.
– Herr Trittin, wir haben da eine grundsätzlich andereAuffassung; das ist richtig.
– Das hat mit dem Thema Haftungssumme zu tun. Ichkann verstehen, lieber Kollege Fricke, dass Sie über dasentscheidende Thema nicht sprechen wollen. Aber ichfinde, dass der Deutsche Bundestag der richtige Ort ist,um über die Frage von Haftungsrisiken und über dieFrage, wer hier was bezahlt, zu reden. Man muss darüberreden; das darf nicht totgeschwiegen werden.
Sie drücken sich darum. Ich finde das nicht akzeptabel.Die entscheidende Frage ist: Wer kommt im Endef-fekt für die Kosten auf? – Ja, wir sind für die Stabilisie-rung der Euro-Zone. Ja, wir sind als Sozialdemokratenbereit, dabei Verantwortung zu übernehmen. Ja, wir sinddazu bereit, auch zu sagen, was es kostet. Es darf abernicht über die Bilanz der europäischen Notenbank lau-fen, die dazu gezwungen wird, weil Sie nicht bereit sind,zu handeln. Das ist sozial ungerecht; denn das führt
Metadaten/Kopzeile:
23268 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Carsten Schneider
(C)
(B)
dazu, dass diejenigen, die viel Geld haben, es letztend-lich behalten, und die kleinen Leute alles bezahlen. Dasist nicht akzeptabel.
Ich hätte mir gewünscht, dass der Bundestag in solcheiner entscheidenden Frage eine klare Position hat. EineDebatte darüber findet nicht statt. Deswegen nutze ichdie heutige Gelegenheit, um es einmal deutlich zu sagen,entgegen den Äußerungen aus Ihrer Koalition zu diesemPunkt.
– Wir werden ja bei den einzelnen Hilfsanträgen vonStaaten darüber sprechen.Wissen Sie, ich finde es bemerkenswert, wenn derPräsident der Deutschen Bundesbank als die einzigeChance, die er noch hat, um Ihnen an dieser Stelle einWarnzeichen zu geben – entgegen den Äußerungen, dieSie hier immer wieder machen –, die Neue Zürcher Zei-tung nutzt. Ich zitiere als letztes noch eine Stelle, in derer auf den Aspekt der Haftungsrisiken eingeht, die Sieangeblich negieren. Ich zitiere:Zum Beispiel verteilt die SNB– das ist die Schweizerische Notenbank –mit ihrer Massnahme keine Risiken zwischen Steu-erzahlern verschiedener Länder um, das Euro-Sys-tem hingegen schon.Ich würde gerne wissen, ob Sie das so sehen oder nicht,sehr geehrter Herr Staatssekretär. Das ist eine relevanteFrage, wenn es um die haushaltspolitische Gesamtver-antwortung des Deutschen Bundestages geht. Daraufmüssen Sie einmal eine Antwort geben. Sie können dasdoch nicht totschweigen, als gäbe es das nicht. Dabeimacht doch die EZB, weil Sie sich nicht einigen können,das Geschäft, und der Bundestag hat nichts zu sagen.Das ist undemokratisch, nicht legitimiert und führt letzt-endlich dazu, dass Haftungsrisiken vergemeinschaftetwerden und diejenigen, die die Krise verursacht haben,eben nicht an den Kosten beteiligt werden.
Wir haben unsere Zustimmung im Bundestag zur Fi-nanzierung dieser Lasten davon abhängig gemacht, dasseine Finanztransaktionsteuer eingeführt wird. Wir erwar-ten, dass dazu noch im Oktober ein klarer Fahrplan aufden Tisch kommt.
Es ist entscheidend, dass die Zusagen, die die Regierunggegeben hat, auch tatsächlich umgesetzt werden. Nichtdie kleinen Leute sollten die Kosten der Krise bezahlen,sondern diejenigen, die sie verursacht haben.Vielen Dank.
Für die FDP-Fraktion spricht jetzt der Kollege Otto
Fricke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrtenDamen und Herren! Nach einer solchen Rede muss manimmer aufpassen, dass man sein Gemüt unter Kontrollehält. Das will ich deutlich sagen, Kollege Schneider.
– Dazu gehört auch, dass man einfach einmal zuhört, sowie wir das eben leider tun mussten.Lieber Kollege Schneider, bei aller Kameradschaft,die wir im Haushaltsausschuss haben:
Was Sie hier gemacht haben, war europarechtlich undverfassungsrechtlich gesehen nichts anderes als weitereBrandstifterei; nichts anderes haben Sie hier gemacht.
Sie versuchen, Dinge nach vorne zu ziehen, die mit derFrage, über die wir hier eine Debatte zu führen verein-bart haben, nichts, aber auch gar nichts zu tun haben.
Die Punkte, die Sie angesprochen haben, sind sicherlichdiskussionswürdig,
aber unsere Aufgabe hier – und das wäre auch Ihre Auf-gabe gewesen – ist es, für Entscheidungen, die diesesParlament getroffen hat, für Entscheidungen, die dasBundesverfassungsgericht getroffen hat, Vertrauen beimBürger zu erzeugen. Sie versuchen allerdings, durchMisstrauen plumpe, primitive Politik zu machen. Daskann ich am heutigen Tag nur ausdrücklich ablehnen.
Meine Damen und Herren, ich will versuchen, es einwenig klarzustellen: Der Weg, der jetzt von der Bundes-regierung gewählt worden ist und den das Parlament zurKenntnis nehmen wird, ist ein Weg, der nach meinerMeinung elegant dafür gesorgt hat, dass Gesamteuropasagt: Was der Bundestag beschlossen hat und was dieFraktionen vorbereitet haben, ist genau das, was wirwollen. Es gibt keinen anderen Interpretationsraum.Ich muss ehrlich sagen – vor Gericht und auf hoherSee ist man in Gottes Hand –: Vor der Entscheidung desBundesverfassungsgerichtes habe ich angesichts der vor-herigen Entscheidungen gedacht: Mal sehen, was an un-serem Gesetz noch zu korrigieren ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23269
Otto Fricke
(C)
(B)
Ich finde es erstens gut und wichtig, festzuhalten,dass das Bundesverfassungsgericht in einer einmaligenEntscheidung, auch im Verfahren mit einer Anhörungusw., dafür gesorgt hat, schlichtweg klarzumachen: DasGesetz, das der Gesetzgeber gemacht hat, ist so in Ord-nung. – Das sollten wir auch für den Bürger festhalten.Wir sollten auch ein Zweites festhalten, Herr KollegeSchneider, nämlich dass es nicht, wie von vielen anderenbehauptet – auch Sie haben eben versucht, das nebenbeiso zu verkaufen –, irgendwie eine Obergrenze gibt, diel’art pour l’art, wie man will, aufgehoben werden kann,sondern dass dieses Gesetz eine feste Obergrenze vor-sieht. Ich hätte von Ihnen erwartet, dass auch Sie sagen,dass das Gericht uns in dieser Auffassung bestätigt hat,und einmal feststellen, dass das eine gute Entscheidungwar.Sie hingegen machen etwas anderes. Dazu möchte ichnun etwas sagen. Sie sagen nämlich: Jetzt sehe ich, dieKoalition hat bei der Gesetzgebung, bei der Parlaments-beteiligung ordentliche Arbeit geleistet, mit allenSchwierigkeiten, die wir hatten, weil wir Neuland betre-ten haben.
– Leute, ob ohne euch oder mit euch,
ich sage ganz klar: Für mich als Europäer, der stabile Fi-nanzen will und der die Risiken für den Euro begrenzenwill, ist nachher nicht entscheidend, wer was wo wie ge-macht hat, sondern für mich ist es entscheidend, dass wiram Ende Gesetze haben, auf die die Bürger vertrauenkönnen. Wenn ihr daraus ein parteipolitisches Spiel ma-chen wollt, dann macht es meinetwegen. Ihr werdet da-mit eurer Aufgabe und eurer Pflicht nicht gerecht.
Beim Umgang mit dem Urteil des Bundesverfas-sungsgerichts ist aber noch etwas Weiteres ganz wichtig– Kollege Schneider, auch das zu sagen haben Sie ver-mieden –: die klare Absage an jegliche Möglichkeit derEinführung von Euro-Bonds oder Altschuldentilgungs-fonds. Die ausdrückliche Aussage des Bundesverfas-sungsgerichts lautet – ich will sie gerne zitieren, auch,weil das einige nicht so gerne hören –:Es ist insoweit auch dem Bundestag als Gesetzge-ber verwehrt, dauerhafte völkervertragsrechtlicheMechanismen zu etablieren, die auf eine Haftungs-übernahme für Willensentscheidungen andererStaaten hinauslaufen, vor allem wenn sie mitschwer kalkulierbaren Folgewirkungen verbundensind.
Kurze Übersetzung: Euro-Bonds, die davon abhängen,dass andere Länder ihre Schulden tilgen, und ein Alt-schuldentilgungsfonds, der davon abhängt, dass andereLänder keine neuen Schulden machen, sind
schlichtweg verfassungswidrig. Das sollten Sie sich insStammbuch schreiben und nicht versuchen, Dinge auf-zubauen, die nicht möglich sind.Nächster Punkt: die Europäische Zentralbank. HerrKollege Schneider, ich wollte das eigentlich nicht an-sprechen, weil ich dachte, dass wir uns über die Vorga-ben des Bundesverfassungsgerichts zum ESM-Vertragunterhalten wollen. Aber unterhalten wir uns, nachdemSie das in Ihrer Rede angesprochen haben, kurz über dieEuropäische Zentralbank. Eines ist bei Ihrer Rede klargeworden, und das muss man immer wieder nach drau-ßen geben: Sie mögen Unabhängigkeit nicht. Sie mögenes nicht, wenn irgendjemand unabhängig ist. Sie mögenes nicht, wenn die Bundesbank unabhängig ist. Sie mö-gen es nicht, wenn die Europäische Zentralbank unab-hängig ist.
Ich sage das ausdrücklich. Sie haben hier erklärt: Eskann nicht sein, dass die Europäische Zentralbank eineEntscheidung trifft, und wir als Politiker können dasnicht in eine andere Richtung bringen. Das war IhreAussage. Dieser Angriff gegen die Unabhängigkeit istein Angriff gegen eine Säule der Stabilität der Bundes-republik Deutschland und der Stabilität Europas.
Wenn Sie meinen, hier die billige Geschichte von denHaftungsrisiken vortragen zu müssen, dann sage ich Ih-nen: Meiner Fraktion gefällt das, was die EuropäischeZentralbank da gemacht und beschlossen hat, nicht. Aus-drücklich sage ich: Es gefällt ihr nicht.
– Frau Hagedorn, das ist der Unterschied. Wir könnenauf der einen Seite feststellen, dass uns etwas nicht passt,aber wir achten trotzdem sowohl die Unabhängigkeit desVerfassungsgerichts als auch die Unabhängigkeit der Eu-ropäischen Zentralbank, auch wenn beides dafür sorgt,dass wir als Politiker manchmal Entscheidungen hinneh-men müssen, die wir nicht mögen. Sie dagegen nutzenPolitik auf allen Ebenen der Gesellschaft und des Staa-tes, um das zu korrigieren. Sie werden damit nach mei-ner Meinung gegen die Wand fahren. Vor allen Dingenwerden Sie damit nicht das erreichen, was wir erreichenmüssen: Sie sorgen nicht dafür, dass die Bürger wiedermehr Vertrauen in die Politik haben,
Metadaten/Kopzeile:
23270 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Otto Fricke
(C)
(B)
insbesondere dann nicht, wenn Sie auch in anderen Be-reichen jegliche Form der Unabhängigkeit und der Argu-mentation gegen Politik nicht mehr zulassen. ÜberlegenSie sich, ob das der richtige Kurs ist.Ich jedenfalls erwarte, dass es die Europäische Zen-tralbank trotz der Dinge, die sie beschlossen hat –
diese Dinge passen mir nicht, und ich hätte sie so auchnicht beschlossen –, mit den Vorgaben, die sie sich selbstgegeben hat, und mit der Anbindung an die Frage, waswir im Parlament machen, sehr genau nimmt. Ich binausgesprochen dankbar dafür, dass wir darüber mitHerrn Draghi sprechen können. Ich hoffe, das geschiehtin einer guten Form: nicht so, dass er nur ein paar Sätzesagt und wir zuhören dürfen, sondern so, dass uns in ei-nem wirklichen Frage-und-Antwort-Spiel klar wird,
wie er das gemeint hat. Eines wird es mit der FDP-Bun-destagsfraktion nicht geben: einen Angriff auf die Unab-hängigkeit von Zentralbanken, egal um welche es geht.Herzlichen Dank.
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt das Wort der Kol-
lege Diether Dehm.
Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren!
Herr Fricke, der Herr Kollege Schneider hat ausdrück-
lich die Aussagen des Herrn Weidmann in der Neuen
Zürcher Zeitung zitiert, und Sie sprechen von Brandstif-
terei. Ich glaube, da hatten Sie nicht nur Ihr Gemüt, son-
dern auch Ihre Worte nicht unter Kontrolle. Ich würde
mit diesen Worten etwas vorsichtiger sein.
Bis gestern Abend wollten Sie hier überhaupt nicht
diskutieren. Es ist unserer Drohung mit einer einstweili-
gen Verfügung zu verdanken, dass es überhaupt zu die-
ser Diskussion gekommen ist. Und es war unsere Klage
vor dem Bundesverfassungsgericht, die bewirkt hat, dass
es überhaupt die beiden völkerrechtlich verbindlichen
Vorbehalte zum ESM gibt.
Angesichts der Tatsache, dass das Bundesverfas-
sungsgericht vorletzte Woche die beiden entsprechenden
Auflagen erteilt hat, erstaunt schon die Einschätzung der
Bundesregierung, dass es sich hierbei um keine Ver-
tragsänderung handelt. Nach Auffassung des Bundesver-
fassungsgerichts war eben nicht eindeutig geregelt, dass
die Haftungsobergrenze von 190 Milliarden Euro nur
nach Zustimmung des Bundestags überschritten werden
darf. Genauso wenig war gewährleistet, dass der Bun-
destag als demokratisch legitimiertes Parlament unter-
richtet wird, trotz der Schweigepflicht der lediglich er-
nannten und nicht gewählten ESM-Mitarbeiter.
Kollege Dehm, erlauben Sie eine Zwischenfrage des
Kollegen Lammert?
Ja, natürlich.
Lieber Kollege Dehm, würden Sie liebenswürdiger-
weise zur Kenntnis nehmen, dass es zur Ansetzung dieses
Tagesordnungspunktes nicht der Drohung mit einer einst-
weiligen Verfügung bedurft hat, sondern dass, nachdem
ich jede einzelne Fraktion angeschrieben hatte, ob sie
nach dem Verfahrensvorschlag, den die Bundesregierung
zur Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfas-
sungsgerichts gemacht hat, noch zusätzlichen Diskus-
sionsbedarf sieht, die Anmeldung dieses Diskussions-
bedarfs durch Ihre Fraktion unverzüglich zu einem
Einvernehmen aller Fraktionen zur sofortigen Ansetzung
dieses heutigen Tagesordnungspunktes geführt hat, was
Ihnen nun Gelegenheit zu dieser famosen Rede bietet?
Herr Bundestagspräsident, ich präzisiere meine Aus-sage: Durch das Schreiben des Kollegen Gregor Gysisind die Rechte dieses Bundestages, die natürlich bei Ih-nen in den besten Händen liegen, gegenüber bestimmtenWillkürmaßnahmen der Bundesregierung noch einmalaktiviert worden. Ich danke Ihnen sehr, ich glaube, auchim Namen des Kollegen Gysi, dass wir gemeinsam ges-tern zur Auffassung gekommen sind, diese Debatte zuführen. Erlauben Sie mir nur diese Spekulation: Ohneuns wäre es vielleicht nicht möglich gewesen. – Ichdanke Ihnen.
Selbst wenn, wie der Herr Staatssekretär Kampeter inseinem Schreiben vom 21. September ausführt – ich zi-tiere –, „lediglich der Inhalt des ESM-Vertrags klar-gestellt wird“ und sich diese Neufassung – ich zitiere er-neut – „vollständig im Rahmen der stets vonBundesregierung und Bundestag vertretenen Auslegungbewegt“, so ist und bleibt das Ihre subjektive Meinung,die man schätzen mag. Die Linke sieht dies allerdings sowie das Bundesverfassungsgericht, das die Geltendma-chung dieser Vorbehalte ausdrücklich eingefordert hat.Damit haben wir es eindeutig mit einer Vertragsände-rung zu tun, und sie erfordert sehr wohl die Zustimmungund Ratifizierung durch die Parlamente der vertrags-schließenden Parteien, gegebenenfalls auch die Billi-gung durch Volksabstimmung.Glauben Sie nicht, dass mit Ihrem überhasteten undunsauberen Vorgehen den Auflagen des Bundesverfas-sungsgerichts nachgekommen werden kann! Und glau-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23271
Dr. Diether Dehm
(C)
(B)
ben Sie nicht, dass mit Ihrem Vorgehen das jetzt schonangeschlagene Vertrauen der Menschen in diese Europa-politik gestärkt würde! Die Umfragen zeigen: Die Men-schen schütteln über solche EU-Winkelzüge nur nochden Kopf.Das Mindeste, was verlangt werden kann, ist eineordnungsgemäße parlamentarische Behandlung im Bun-destag und eine Überweisung an seine Ausschüsse, wiewir es als Linke in diesem Falle vergeblich gefordert ha-ben. Wenn hier stattdessen wieder einmal der Bundestagunter unwürdigen Zeitdruck gesetzt wird und Tricksereian die Stelle eines nachvollziehbaren und fairen Verfah-rens treten soll, dann sind Sie ein weiteres Mal an demzunehmenden Misstrauen gegenüber der EU schuld.Ich bin ganz sicher, dass die Wählerinnen und WählerIhnen für Ihre Spekulantenpflege eine entsprechendeQuittung bei Wahlen erteilen werden; denn dann, wennes um Spekulanten geht, geht es holterdiepolter undschnell, und wenn es um die Interessen der sozial Betrof-fenen geht, gibt es ewige bürokratische Vorgänge, etwadie Schuldenbremse, unter der dann Länder und Kom-munen, Krankenhäuser und Schulen leiden.
Warum zwingen Sie, Frau Merkel – sie ist jetzt nichtda –, Länder in ganz Europa immer nur zu brutalen Re-geln gegen Rentnerinnen und Lehrer und nie dazu,Steueroasen rechtsverbindlich auszutrocknen? TrocknenSie diese aus! Gehen Sie einmal den griechischen Steu-erhinterziehern an die Wäsche, die die 200 Milliarden indie Schweiz und nach Liechtenstein verbracht haben, dienötig wären, um die griechische Krise zu lösen! Und sor-gen Sie dafür, dass Staaten und öffentliche Hand neueEinnahmen bekommen! Das ist die eigentliche Ursacheder Krise: dass die Staaten in ihren Einnahmen gehemmtwerden, und zwar auch durch diese Bundesregierung.
Wenn Sie Rücksichtslosigkeit an den Tag legen wol-len, Frau Merkel, dann tun Sie es gegenüber den Verur-sachern und Profiteuren der Krise, gegenüber Zockerbu-den, Spekulanten und Finanzhaien, aber nicht gegenüberjenen, von denen Sie glauben, sie könnten sich nichtwehren.
Denn sie werden sich wehren, und Sie werden sehen,dass sie sich auch in ganz Europa dagegen erheben wer-den.Danke schön.
Für Bündnis 90/Die Grünen spricht jetzt der Kollege
Manuel Sarrazin.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Ich habejetzt ja die Aufgabe, nach dem Kollegen Dehm zu spre-chen, und darum muss ich dazu doch zunächst etwasQualifizierendes sagen.
Ich habe das Gefühl, liebe Kolleginnen und Kollegenvon der Linkspartei, dass Ihr Auftreten hier klassisch mitdem des schlechten Verlierers bzw. der schlechten Ver-liererin zu beschreiben ist. Das Verfassungsgericht hatdie Interpretation einer eindeutigen Formulierung imESM-Vertrag, die durch den Deutschen Bundestag nocheinmal eindeutig interpretiert wurde, nämlich dass voneiner klaren Höchstgrenze auszugehen ist, die vomDeutschen Bundestag so auch vor Gericht vorgetragenwurde, übernommen und noch einmal nach außen hinbestärkt.
Daraufhin haben sich alle 17 Euro-Staaten dieser eindeu-tigen Interpretation des Deutschen Bundestages ange-schlossen und eine eindeutige Erklärung unterschrieben,die dieses ganz klar zur wesentlichen Grundlage macht.
– Sie können sich ja melden.Dass Sie europarechtlich nicht so richtig bewandertsind, merkt man an einigen Beispielen. Die Grünenhaben mit Verweis auf Art. 23 des Grundgesetzes gegendie Umgehung des Deutschen Bundestages beim ESM-Vertrag vor dem Bundesverfassungsgericht geklagt. Wirhaben hundertprozentig recht bekommen; das passiertIhnen selten. Sie hatten sich der Klage nicht angeschlos-sen. Stattdessen haben Sie in Karlsruhe mit Ihren Pro-zessvertretern das parlamentarische Verfahren zum ESMfalsch dargestellt.
In Ihren Reihen haben Sie wenig Kompetenz zu denThemen Europarecht und Verfassungsrecht.
Ich kann Ihnen Randnummer 253 des Urteils vorle-sen:Die Bundesrepublik Deutschland muss deutlichzum Ausdruck bringen, dass sie an den ESM-Vertrag insgesamt nicht gebunden sein kann, fallssich der von ihr geltend gemachte Vorbehalt als un-wirksam erweisen sollte.Mit dieser Erklärung ist eindeutig eine Interpretation zurVoraussetzung des Vertragsabschlusses vorgenommenworden. Das heißt, wenn sich diese Interpretation alsnicht mehr gültig erweisen sollte, besteht nach Wiener
Metadaten/Kopzeile:
23272 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Manuel Sarrazin
(C)
(B)
Vertragsrechtskonvention für die BundesrepublikDeutschland ausdrücklich die Möglichkeit zur Kündi-gung.
Das ist eindeutig. Sie sind einfach nur schlechte Verlie-rer, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Linkspartei.
Ich möchte Ihnen noch etwas sagen: Sie glauben, dassSie der Demokratie einen Gefallen tun, dass Sie nachKarlsruhe gehen, auch wenn Sie hier keine Mehrheithaben. Sie wollen den Euro kippen. Dafür bräuchten Sieeine Mehrheit in diesem Haus. Die Mehrheit hier hält je-doch am Euro fest. Sehen Sie doch bitte ein, dass Siehier keine Mehrheit für Ihr Vorhaben haben. Das ist nuneinmal so.
Wenn man daraus eine Lehre für die Demokratie zie-hen kann, dann die, dass diese Verfahren vor dem Bun-desverfassungsgericht eine legitimatorische Funktionhaben. Ich glaube, dass der Ablauf der Verhandlungengezeigt hat, dass das Gericht versucht, eine legitimatori-sche Funktion auszustrahlen. Sie werden letztlich auchdas Bundesverfassungsgericht in seiner legitimatori-schen Funktion beschädigen, wenn Sie weiterhin eindeu-tige Feststellungen infrage stellen.
Daran sollte kein Demokrat in diesem Haus ein Interessehaben.
– Wissen Sie, Frau Enkelmann, mir kann niemand indiesem Haus unterstellen, dass ich mich in dieser Fragenicht mit dem Europarecht beschäftigt hätte.
– Ich habe gerade die Randnummer 253 zitiert. Ich kannIhnen auch die Randnummer 240 vorlesen.
– Diether, du musst dich melden; meine Redezeit ist fastabgelaufen.Nachdem ich aufgezeigt habe, dass die Linksparteiein schlechter Verlierer ist, wollte ich noch etwas zur Re-gierung sagen. Ich wollte der Regierungsseite noch einessagen: Sie haben hier ausgeführt, dass es Ihnen nichtpasst, welche Entscheidung die EZB getroffen hat. Ehr-lich gesagt, da muss ich Ihnen ins Stammbuch schreiben:Das glaube ich Ihnen nicht. Sie sind doch heilfroh, dasses in Ihrer kaputten Koalition nicht dadurch zum Bruchkommt, dass sie irgendwann einmal eine Entscheidungtreffen müsste, wohin es mit Europa geht.
Das sieht man Ihnen doch an. Ich finde es schwach,wenn Sie nur bluffen und immer anderen die Schulddafür geben wollen, dass etwas nicht geht.Wir freuen uns über diese Erklärung der 17 Euro-Staaten. Allerdings ist der Auftritt der Regierung hiernicht viel besser als der der Linkspartei.
Als letzter Redner zu diesem Tagesordnungspunkt hat
jetzt der Kollege Bartholomäus Kalb das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich darf auf den Redebeitrag des KollegenCarsten Schneider zurückkommen. Ich war verwundert,worüber er sich hier ausgelassen hat. Das hat mit demThema, das wir heute zu behandeln haben, wenig zu tun.Erstens. Gerade wir in der Bundesrepublik Deutsch-land – Kollege Fricke hat bereits zu Recht darauf hinge-wiesen; aber es kann ruhig noch einmal gesagt werden –haben den allergrößten Wert darauf gelegt, in Europaeine unabhängige Zentralbank zu bekommen. Es warkein Geringerer als der damalige FinanzministerDr. Theo Waigel, der sich hier sehr ins Zeug gelegt hat,dass diese Vereinbarung in Europa getroffen werdenkonnte und dass die EZB nach dem Muster der Deut-schen Bundesbank unabhängig ist. Es wäre kurzsichtig,die Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank des-wegen infrage zu stellen, weil man vielleicht die eineoder andere Entscheidung gerne anders treffen würde;dazu hat jeder von uns eine eigene Meinung. Ich glaube,wir werden im Laufe der Zeit noch sehr dankbar dafürsein, dass wir eine unabhängige Europäische Zentral-bank haben.Zweitens. Ich begrüße es, dass die Bundesregierungden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sehrschnell nachkommt. Sie hat die Erklärungen, sowohl diegemeinsame als auch die einseitige Erklärung, beschlos-sen und wird sie völkerrechtlich verbindlich abgeben.Drittens. Ich will festhalten, was das Bundesverfas-sungsgericht in seiner Entscheidung festgestellt hat: Eshat die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anord-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23273
Bartholomäus Kalb
(C)
(B)
nung abgelehnt. Damit hat es den Kurs der Koalition zurBewältigung der europäischen Finanzkrise und zur Lö-sung der Währungsprobleme bestätigt.
Herr Kollege Kalb, entschuldigen Sie, dass ich Sie
unterbreche. Der Kollege Dr. Danckert würde Ihnen
gerne eine Zwischenfrage stellen.
Gerne.
Bitte.
Herr Kollege Kalb, stimmen Sie mir in der Einschät-
zung zu, dass wir die heutige Debatte überhaupt nicht
führen würden, wenn wir – da beziehe ich mich durch-
aus mit ein – nicht in Karlsruhe vorstellig geworden
wären?
Glauben Sie im Ernst, dass das Bundesverfassungsge-
richt, wenn alles so klar gewesen wäre, wie Sie es hier
und heute darzustellen versuchen, vor der Ratifizierung
eine verpflichtende Erklärung verlangt hätte?
Wäre alles so sonnenklar, wäre das doch gar nicht not-
wendig gewesen, oder?
Ich möchte an dieser Stelle meine Zweifel daran
anmelden, dass die Erklärung, die jetzt vorliegt, den An-
forderungen des Bundesverfassungsgerichts wirklich
entspricht; wir werden es sehen. Das, was Sie hier veran-
staltet haben, war ein einziger Eiertanz. Wir haben ja
erlebt, dass es mehrere Fassungen gegeben hat, bis es
schließlich zu der jetzt vorliegenden Erklärung gekom-
men ist. Unsere Parlamentarierkollegen in anderen Län-
dern betrachten dies als einen schweren Eingriff in den
Vertrag.
Wir sollten zur Kenntnis nehmen, dass das keine Selbst-
verständlichkeit ist, wie Sie es von Anfang an dargestellt
haben. Wir haben Sie zu einer Klarstellung zwingen
müssen:
zur Haftung, zur Vertraulichkeit und zu weiteren Punk-
ten, die in dem Urteil ausdrücklich erwähnt sind.
Lieber geschätzter Kollege Danckert, ich will Folgen-
des festhalten:
Erstens. Das Bundesverfassungsgericht hat Ihre
Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ab-
gelehnt; das habe ich gerade ausgeführt.
Zweitens. Das Bundesverfassungsgericht hat fest-
gestellt, dass die von uns beschlossenen Maßnahmen mit
der Verfassung in Einklang stehen.
Drittens. Wir, die wir den ESM-Verträgen zugestimmt
haben, fühlen uns in keiner Weise beschwert, sondern,
ganz im Gegenteil, im Hinblick auf das, was wir im Rah-
men des ESM-Finanzierungsgesetzes bereits beschlos-
sen haben, durch das Bundesverfassungsgericht sogar
bestätigt. Man kann es nur begrüßen, wenn das auf Anre-
gung bzw. Anordnung des Bundesverfassungsgerichts
sogar völkerrechtlich abgesichert wird.
Wir haben im ESM-Finanzierungsgesetz festgelegt,
was zu tun ist. Die Haftungssumme wurde auf 190 Mil-
liarden Euro und ein paar Zerquetschte beschränkt, und
sie darf nicht erhöht werden – das ist der feine Unter-
schied zu mancher Interpretation –, wenn nicht das
Parlament erneut darüber befindet. Wir haben im ESM-
Finanzierungsgesetz auch festgelegt, dass der deutsche
Vertreter an den jeweiligen Sitzungen teilnehmen muss,
dass er sich nicht enthalten darf und folgerichtig mit
Nein stimmen muss, wenn es im Hinblick auf Entschei-
dungen, die den Haftungsrahmen betreffen könnten, kein
entsprechendes parlamentarisches Votum gibt.
Ich denke, hier hat das Bundesverfassungsgericht uns
voll und ganz recht gegeben. Es hat angeordnet, dass
das, was wir hinsichtlich der Innenbindung festgelegt
haben, auch den Vertragspartnern völkerrechtlich bin-
dend mitgeteilt werden muss.
Nicht mehr und nicht weniger wird durch das, was hier
und heute Gegenstand der Debatte ist, getan. Ich denke,
damit ist das allermeiste zu dem ganzen Thema gesagt.
Herr Kollege Kalb, auch der Herr Kollege Stinner
würde Ihnen gerne eine Zwischenfrage stellen, wenn Sie
möchten.
Ja.
Bitte.
Metadaten/Kopzeile:
23274 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(C)
(B)
Die mögen mich mehr.
Vielen Dank, sehr geehrter Herr Kollege Kalb. –
Teilen Sie meinen Eindruck, dass die Einlassung des
Kollegen Danckert, SPD, bezüglich des heute zu verhan-
delnden Themas völlig kontrovers zu der Einlassung des
Kollegen Schneider, SPD, war?
Teilen Sie auch meinen Eindruck, dass damit ein
weiteres Mal bewiesen ist, dass die SPD offensichtlich
gespalten und in dieser Situation nicht handlungsfähig
ist?
Herr Kollege, ich bin Ihnen ausdrücklich dankbar für
diesen Hinweis. Ich teile diesen Ihren Eindruck vollum-
fänglich, weil wir gerade bei all diesen Fragen immer
wieder feststellen müssen, dass der Kollege Schneider
hier so redet, wie er gelegentlich redet und wie wir ihn
kennen, während seine Partei und seine Fraktion eine
ganz andere Linie vertreten.
Ich muss fast sagen: In den grundsätzlichen Dingen ver-
treten die Führungen seiner Partei und seiner Fraktion
vielleicht sogar eine klarere Linie als der Kollege
Schneider.
Ich denke, damit ist das Wesentliche zu dem heute ge-
genständlichen Punkt gesagt. Die Fragen, die mir gestellt
worden sind, haben mir Gelegenheit gegeben, all das un-
terzubringen, was ich ohnehin gerne angebracht hätte.
Insofern darf ich mich beim Kollegen Stinner, aber auch
beim Kollegen Danckert ganz herzlich bedanken.
Auch der Herr Kollege Sarrazin würde Ihnen gerne
noch eine Frage stellen. Das ist dann aber die letzte. Da-
nach sind wir am Schluss dieses Tagesordnungspunktes.
Da er so viel Mitleid hat mit mir und meine Redezeit
verlängern möchte, gerne.
Sie haben eigentlich noch zwei Minuten Redezeit.
Ich kann mich ja schnell wieder setzen. – Verehrter
Herr Kollege Kalb, teilen Sie meinen Eindruck, dass
Herr Gauweiler, wenn er sich heute gemeldet hätte, hier
eine Position vertreten hätte, die nicht derjenigen ent-
spricht, die Sie vorgetragen haben, womit deutlich wird,
dass die Koalition in dieser Frage zerstritten und nicht
handlungsfähig ist?
Letzteres nicht. Es gibt abweichende Meinungen.
Die Debatte hätte dann vielleicht länger gedauert, aber
die Meinung der Mehrheit ist vollkommen klar. Die
Koalition ist nicht zerstritten. Wir müssen auch abwei-
chende Meinungen akzeptieren.
Kollege Gauweiler ist übrigens anwesend. Wir beide
diskutieren sehr oft
und sehr gegensätzlich. Ich finde: Auch wenn man die
Meinung nicht teilt, sollte man dem anderen den Respekt
nicht versagen und anhören, was er zu sagen hat.
Danach muss es im demokratischen Verfahren zu ei-
ner Meinungsbildung und zur Entscheidung kommen, so
wie wir mit ganz großer Mehrheit hier in diesem Hause
zu einer Entscheidung gekommen sind. Dass hier abwei-
chende Meinungen bestehen bleiben, liegt in der Natur
der Sache.
Vielen Dank. – Ich schließe die Aussprache.Die Fraktion Die Linke wünscht die Überweisung derUnterrichtung auf Drucksache 17/10767 zur federfüh-renden Beratung an den Haushaltsausschuss und zurMitberatung an den Innenausschuss, an den Rechtsaus-schuss, an den Finanzausschuss, an den Ausschuss fürWirtschaft und Technologie und an den Ausschuss fürdie Angelegenheiten der Europäischen Union. Die Frak-tionen der CDU/CSU, SPD, FDP und Bündnis 90/DieGrünen wünschen hingegen, die Behandlung der Unter-richtung heute durch Kenntnisnahme abzuschließen.Wer stimmt für den Antrag der Fraktion Die Linke aufÜberweisung? – Wer stimmt dagegen? – Das ist offen-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23275
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(C)
(B)
kundig die Mehrheit. Enthaltungen? – Keine Enthaltun-gen. Damit ist der Überweisungsvorschlag abgelehnt.Die Unterrichtung ist somit zur Kenntnis genommen.Damit sind wir am Ende dieses Tagesordnungspunk-tes.Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 1:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Bericht der Bundesregierungzum Stand der Deutschen Einheit 2012.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister des Innern, Herr Dr. Hans-PeterFriedrich.Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Vielen Dank, Herr Präsident. – Meine sehr verehrtenDamen und Herren Kollegen! Wir legen den Bericht, derheute im Bundeskabinett verabschiedet worden ist, demParlament vor. Wir haben uns dabei in diesem Jahr imWesentlichen auf zwei Schwerpunkte konzentriert, näm-lich auf die Konvergenz im Bereich der wirtschaftlichenEntwicklung und des Arbeitsmarktes sowie auf dieFrage der demografischen Herausforderung, die nichtnur in den neuen Ländern, aber dort vor allem, schon seitlängerer Zeit zu beobachten ist.Die erfreulichste Botschaft vorweg: Die Arbeitslosig-keit ist in den neuen Ländern auf einem historischenTiefstand. Wir haben in Ostdeutschland eine Arbeits-losenquote von 10,3 Prozent. Das ist historisch niedrig.Aber das ist – das wissen wir alle – natürlich erheblichüber der Marke von 6 Prozent, die wir in den alten Bun-desländern, also in Westdeutschland, haben.Wir stellen als Herausforderung besonderer Art – dasist der erste Punkt – eine nach wie vor unterentwickelteInnovationsfähigkeit in den neuen Ländern im Bereichder Wirtschaft fest, die im Wesentlichen darauf zurück-zuführen ist, dass wir es dort mit einer sehr kleinteiligenWirtschaftsstruktur und mit zum Teil nicht nur mittel-ständischen, sondern auch sehr kleinen Unternehmen zutun haben, die, was ihre Innovationskraft angeht, Unter-stützung brauchen und durch staatliche Hilfen natürlichauch bekommen.Ein zweiter Punkt, der ebenfalls mit dieser Kleintei-ligkeit zusammenhängt, ist die noch ausbaufähige Ex-porttätigkeit und Exportorientierung der Wirtschaft inden neuen Ländern. Auch hier versuchen wir, mit sehrgezielten Programmen dafür zu sorgen, dass dieserNachteil für die Wirtschaft in den ostdeutschen Ländernausgeglichen wird.Wir müssen insgesamt feststellen, dass wir im Grundeden Wirtschaftsraum neue Länder in dieser allgemeinenForm gar nicht mehr haben. Wir haben vielmehr sehr un-terschiedliche Entwicklungen in den verschiedenen Re-gionen und auch sehr unterschiedliche Entwicklungen inden einzelnen Wirtschaftszentren. Es gibt Boomregionenund strukturschwache Gebiete, die eine einheitliche Be-urteilung des Wirtschaftsraums Ost mit allgemeinenAussagen gar nicht zulassen.Wir sehen aber einen Punkt, der gerade in den neuenLändern flächendeckend sehr stark zum Tragen kommt,nämlich die demografische Entwicklung. Das Abneh-men der Geburtenrate – in den 90er-Jahren gab es eineHalbierung – und auch die Abwanderung haben in denneuen Ländern besondere Herausforderungen mit sichgebracht. Das ist auch der Grund dafür, dass sich der Be-auftragte der Bundesregierung für die Neuen Bundeslän-der zusammen mit mir für eine Nachfolgeregelung beider EU-Förderung für die neuen Länder mit sehr großerKraft einsetzt.Wir wissen, dass das in der nächsten Förderperiodedurchaus schwierig wird. Aber wir sind der Meinung,dass ein Sicherheitsnetz von zwei Dritteln des jetzigenFörderniveaus geschaffen werden muss. Ich kann sagen,dass die Verhandlungen des Beauftragten in Brüssel aufeinem sehr guten Weg sind. Ich glaube, das ist wichtig,um diesen demografischen Herausforderungen Rech-nung tragen zu können.Der letzte Punkt, den ich ansprechen möchte – das isteine besondere Herausforderung, die sich in ganzDeutschland abzeichnet, aber in den neuen Ländern be-sonders stark zum Vorschein kommt –, ist der drohendeFachkräftemangel. Deswegen gibt es auch an dieserStelle eine sehr gezielte Politik der Bundesregierung:Förderung der Ausbildung und Fachkräfteausbildung,gerade um die kleinen und mittelständischen Unterneh-men flankierend zu unterstützen. Ich denke, auch mitdieser Offensive sind wir auf einem guten Weg.Das zunächst zur Einleitung, Herr Präsident. Ich stehezur Beantwortung von Fragen ebenso wie der Beauf-tragte der Bundesregierung, der neben mir sitzt, zur Ver-fügung. Falls Sie unmittelbar Fragen an ihn haben, bitteich, mir das dann, mit Ihrer Erlaubnis, Herr Präsident, zusignalisieren.
Vielen Dank, Herr Friedrich. – Die erste Frage hierzu
stellt Herr Volker Beck von den Grünen.
– Entschuldigung, ich rufe Ihre Frage dann später auf. –
Ralph Lenkert ist der erste Fragesteller.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Bundesminister,die Bundesrepublik ist noch Eigentümer von mehr als11 000 Wohnungen in Ostdeutschland, die der TLG ge-hören. Diese soll jetzt privatisiert werden. Welche Aus-sagen macht der Jahresbericht zum Stand der deutschenEinheit zu dieser Privatisierung, und warum wurde dieBietergenossenschaft Fairwohnen vom Bundesministe-rium der Finanzen aus dem Bieterverfahren ausgeschlos-sen? Können Sie als Minister diese Privatisierung nochverhindern?
Metadaten/Kopzeile:
23276 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
(C)
(B)
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Zunächst einmal ist zu sagen, dass auch die Bundesre-gierung eine solche Privatisierung nicht verhindernkann. Ich habe vorhin gesagt, dass wir uns bei demBericht im Wesentlichen auf die Fragen der wirtschaftli-chen Konvergenz und des Arbeitsmarktes konzentrierthaben. Die speziellen Fragen der Wohnungsbauentwick-lung in den neuen Ländern, die Sie angesprochen haben,haben wir übrigens ebenso wie Fragen der Infrastrukturin einem Bericht gebündelt, den der Bauminister vorle-gen wird. Insofern enthält der Bericht keine Antwort aufdiese speziellen Fragen, die Sie gestellt haben.
Die nächste Frage stellt Dr. Martina Bunge.
Danke, Herr Präsident. – Herr Minister, Sie haben
über wirtschaftliche Fragen, den Arbeitsmarkt und die
demografische Entwicklung gesprochen. Ich hoffe, der
Bericht zur deutschen Einheit enthält auch etwas zum
Stand der sozialen Einheit. In diesem Zusammenhang
frage ich Sie, ob es bei den bisherigen Aussagen bleibt
– der Ostbeauftragte Bergner hat sich gestern Abend
dazu schon fast traditionell in den Medien geäußert –,
dass die in der Koalitionsvereinbarung verabredete und
als Wahlversprechen der Bundeskanzlerin auf dem Senio-
rentag 2009 in Leipzig explizit angekündigte Anglei-
chung von Ost- und Westrenten nicht mehr kommt, und
ob das auch so in dem Bericht festgehalten ist.
Ich frage Sie, welche Perspektive sich aus dem Um-
stand ergibt – dazu gibt es eine entsprechende Zeitungs-
meldung –, dass die Renten den Löhnen wie bisher fol-
gen sollen. 1991 hat man gedacht, die Angleichung
dauert fünf Jahre; inzwischen sind es 20 Jahre. Die Dif-
ferenz bei den Renten vergrößert sich immer weiter und
beträgt jetzt 142 Euro. Das sind keine Peanuts. Es gibt
Berechnungen, dass die Angleichung so 160 Jahre dau-
ern würde. Sollen die Menschen in den neuen Ländern
darauf vertrauen?
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Frau Kollegin, der Ostbeauftragte hat sich gestern
geäußert, weil er gefragt worden ist. Es entspricht den
Regeln der Höflichkeit, zu antworten, wenn eine Frage
gestellt wird.
Zu der Rentenproblematik allgemein: Wir wollen eine
Angleichung des Rentensystems in Ost und West. Das
ist nicht nur in der Koalitionsvereinbarung so festgehal-
ten, sondern es ist auch unser fester Wille. Wir haben
aber auch immer gesagt: Wir werden das nicht gegen
den Willen und die Auffassung der Regierungen in den
neuen Ländern tun. Es gibt bisher keine einheitliche Hal-
tung der Landesregierungen in den neuen Ländern in der
Frage der Angleichung des Rentensystems.
Man sollte nicht den Eindruck erwecken, dass es au-
tomatisch eine Rentenerhöhung für alle wäre, wenn wir
das Rentensystem angleichen würden. Es wäre für einige
eine Rentenabsenkung, und das macht die Sache so
kompliziert und so schwierig. Aber wir werden den be-
sonderen Verhältnissen – Sie haben sie angesprochen –
wie den immer noch relativ niedrigen Löhnen dadurch
gerecht, dass wir eine Höherbewertung der Arbeitsver-
dienste vornehmen. Das würde bei einer Angleichung
der Rentensysteme wegfallen. Ich glaube, das ist auch
nicht in Ihrem Interesse.
Nächste Frage Wolfgang Tiefensee.
Sehr verehrter Herr Minister, in den letzten 22 Jahrengab es eine positive Entwicklung im Osten; wir habenviel erreicht. Der Bericht belegt aber, dass der Trend sta-gniert und ein Negativtrend droht.Erstes Schlüsselthema: Wirtschaftskraft. Sind Sie mitmir einer Meinung, dass die Absenkung der Förderungder regionalen Wirtschaftsstruktur durch die Bundes-regierung kontraproduktiv ist?Zweites Schlüsselthema: Arbeitslosigkeit. Die Lang-zeitarbeitslosigkeit verfestigt sich. Sind Sie mit mir einerMeinung, dass die Kürzung der Gelder für die Arbeits-ämter kontraproduktiv ist?Drittes Schlüsselthema: Lohn. Es gibt nach wie voreine Schere zwischen Ost und West. Sind Sie mit mireiner Meinung, dass wir bei vielen außertariflichenArbeitsverhältnissen dringend einen Mindestlohn brau-chen?Viertes Schlüsselthema: Die Investitionen des Mittel-stands in Forschung und Entwicklung liegen deutlichunter Westniveau. Sind Sie mit mir einer Meinung, dassein Nichtvollzug der steuerlichen Entlastung von Inves-titionen in Forschung und Entwicklung durch die Bun-desrepublik für die Entwicklung Ostdeutschlands kon-traproduktiv ist?Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Herr Tiefensee, zunächst einmal glaube ich, dass dieGefahr von Rückschlägen – das heißt, dass es zu einerVergrößerung der Lücke zwischen Ost und West kom-men wird – nicht gegeben ist. Es kam in den letztenMonaten durchaus zu einer unterschiedlichen Entwick-lung – allerdings in ganz Deutschland – in den struktur-starken Gebieten und den strukturschwachen Regionen;das wirkt sich natürlich auch in den neuen Ländern aus.Was die Angleichung der Wirtschaftskraft angeht, soglaube ich allerdings, dass wir auf ganzer Linie weiter-hin auf einem guten Weg sind.Die Unterschiede bzw. die Schwankungen mögenauch dadurch zustande kommen, dass wir in 2008 in denalten Ländern einen stärkeren Einbruch der Wirtschafthatten als in den neuen Ländern; der Aufholprozess dort
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23277
Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
(C)
(B)
ist entsprechend ausgeprägter. Das mag die Prozentzah-len im Einzelnen erklären.Zu Ihren Fragen:Erstens. Wir sind dabei, die Förderung des Arbeits-marktes mit sehr gezielten Programmen weiter voranzu-treiben.Zweitens. Ich bin nicht der Meinung, dass Mindest-löhne, wie Sie sie sich vorstellen – Sie fordern gesetzli-che Mindestlöhne –, geeignet sind, irgendwelche wirt-schaftlichen oder gesellschaftlichen Fragestellungen zubeantworten.Drittens. Wir werden weiterhin fünf Sechstel der Mit-tel, die für die Gemeinschaftsaufgabe „Verbesserung derregionalen Wirtschaftsstruktur“ zur Verfügung stehen, inden neuen Ländern investieren. Ich glaube, dass das einewichtige Investition ist.Viertens. Wir erhöhen die Innovationskraft in denneuen Ländern mit den Programmen, die zurzeit laufen.Es gibt ein neues, sehr umfangreiches Programm desForschungsministeriums. Somit stärken wir Forschungund Entwicklung und fördern neue Investitionen in denneuen Ländern.
Vielen Dank. – Der nächste Fragesteller ist Frank
Tempel.
Herr Minister, inwiefern erachten Sie es als politische
Kultur, dass ein solcher Bericht beispielsweise der
Schweriner Zeitung früher vorliegt als den Berichterstat-
tern im Deutschen Bundestag?
Sie sprachen soeben von den großen Anstrengungen,
die auf dem Arbeitsmarkt unternommen werden. Nach
unserer Einschätzung wird eher viel Kraft darauf ver-
wendet, möglichst viele Programme auslaufen zu lassen.
Wie sinnvoll ist es, die Investitionszulage, von der ge-
rade die Kommunen im Osten profitiert haben, bis 2013
auslaufen zu lassen?
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Ich kann Ihnen zunächst einmal sagen, dass wir im-
mer wieder sehr gezielt entsprechende Programme auf
den Weg bringen. Natürlich kommt es auch vor, dass
Programme auslaufen. Das gilt vor allem für die Berei-
che, in denen wir keine originäre Zuständigkeit haben
und wo wir befristete Pilotprojekte auf den Weg bringen.
Das Auslaufen von solchen Programmen wird aber
durch eine Vielzahl neuer Programme überkompensiert,
die aufgrund neuer Herausforderungen und neuer Frage-
stellungen aufgelegt werden.
Zur Herausgabe des Berichts oder von Teilen des Be-
richts an die Schweriner Zeitung kann ich Ihnen nichts
sagen. Ich weiß nämlich nicht, wie diese Zeitung da ran-
gekommen sein könnte. Ob das, was dort zitiert
wird – mir liegt die Zeitungsmeldung leider nicht vor –,
dem entspricht, was im Bericht steht, kann ich Ihnen
auch nicht bestätigen.
Vielen Dank, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt
der Kollege Arnold Vaatz.
Sehr geehrter Herr Minister, ich bin erst einmal sehrdankbar, dass Sie klargestellt haben, dass der geringereAnteil der ostdeutschen Wirtschaft an der gesamtdeut-schen Wirtschaft im Vergleich zum Vorjahr – der An-stieg betrug rund 2 Prozent – darauf zurückzuführen ist,dass der Einbruch bei der letzten Wirtschaftskrise in Ost-deutschland nicht so stark war und dass aus diesemGrund die Konsolidierung nicht mit der Geschwindig-keit vorangegangen ist wie im Westen. Alle Zahlen ein-schließlich der verbesserten Arbeitslosenstatistik zeigen,dass es in Ostdeutschland insgesamt ein Wachstum ge-geben hat. Allerdings ist das Tempo unter Berücksichti-gung des vorausgegangenen Einbruchs nicht so hoch wiedas im Westen. Es ist gut, dass Sie das klargestellt haben.Ich habe zwei Fragen. Meine erste Frage lautet: Siehaben in Ihrem Bericht großen Wert darauf gelegt, diedemografische Entwicklung darzulegen. Diese Entwick-lung ist in der Tat sehr besorgniserregend. Können Siesich Maßnahmen vorstellen, die auf Landes- und Ge-meindeebene, aber auch auf Bundesebene ergriffen wer-den, um der demografischen Entwicklung entgegenzu-treten?Meine zweite Frage lautet: Wie beurteilen Sie den in-frastrukturellen Unterschied, also die Infrastruktur-dichte im Osten im Vergleich zur Infrastrukturdichte imWesten? Ich meine damit nicht nur Verkehrswege, son-dern auch die wirtschaftliche Infrastruktur.Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Es gibt sicherlich bei der Infrastruktur nach wie vorNachholbedarf. Da sind einige Projekte auf dem Weg,für die der Etat des Bundesverkehrsministers eine ent-sprechende Ausfinanzierung vorsieht. Was die Infra-struktur im Allgemeinen einschließlich der Forschungs-infrastruktur angeht, haben wir als Bundesregierung,glaube ich, sehr viel geleistet. Wir sorgen dafür, dass derForschungsstandort in den neuen Ländern enorm ge-stärkt wird. Das ist ein sehr wichtiger und zentralerPunkt.Zur demografischen Entwicklung. Wir werden am4. Oktober auf einem großen Demografiegipfel imKanzleramt offiziell neun Arbeitsgruppen starten. In alldiesen Arbeitsgruppen, die sich mit neun zentralen undunterschiedlichen Handlungsfeldern der Demografie-politik der Bundesregierung befassen, werden die Inte-ressen der neuen Länder vertreten sein. Dies ist deswe-gen besonders sinnvoll und notwendig, weil es in denneuen Ländern viele Erfahrungen, kreative Ideen undeine enorme Innovationsfähigkeit gibt, wenn es um dasProblem der demografischen Entwicklung geht. Wirwollen diese Erfahrungen einbeziehen und versuchen,
Metadaten/Kopzeile:
23278 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
(C)
(B)
zusammen mit den Landesregierungen und den Kommu-nen – es gab bereits einen ersten Onlinedemografiekon-gress – Antworten zu finden, die der spezifischen Lagevor Ort gerecht werden.
Vielen Dank, Herr Minister. – Jetzt hat das Fragerecht
der Kollege Tankred Schipanski.
Vielen Dank, Herr Minister. – Sie haben die Innova-
tionsfähigkeit der neuen Länder angesprochen. Wie wir
alle wissen, haben wir gerade ein sehr effektives Pro-
gramm zur Förderung der Innovationsfähigkeit in den
neuen Ländern mit einem Volumen von 500 Millionen
Euro aus dem Hause Ihrer Kabinettskollegin Schavan
auf den Weg gebracht. Gestern wurde verkündet, dass
das BMBF zusammen mit der Wirtschaft Magdeburg
und Jena einen Forschungscampus faktisch sponsert.
Dresden hat zudem eine Exzellenzuniversität. Es gibt
ganz spannende Impulse in der deutschen Wissen-
schafts- und Universitätslandschaft.
Mich interessiert, wie Sie, Herr Minister, die weitere
Entwicklung Ostdeutschlands als Wissenschafts- und
Universitätsstandort gerade im Hinblick auf die mannig-
faltigen Aktivitäten, die der Bund hier entfaltet, beurtei-
len.
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Sie haben sehr plastisch und zutreffend beschrieben,
dass wir hier auch deswegen auf einem guten Weg sind,
weil der Bund Investitionen tätigt. Wichtig ist, dass die
Grundlage, die wir im Wissenschaftsbereich gelegt ha-
ben, auch zur Steigerung der Attraktivität der neuen
Länder als Investitionsstandort beiträgt. Hinzu kommen
müssen neben den staatlichen Investitionen, die wir
reichlich getätigt haben, Investitionen der Privatwirt-
schaft. Je mehr es uns gelingt, mit Exzellenzinitiativen
und einer hervorragenden wissenschaftlichen Ausbil-
dung vor Ort die Attraktivität zu erhöhen, umso mehr
wird es zu Investitionen von privaten Unternehmen
kommen. Insofern glaube ich, dass wir auf dem richtigen
Weg sind.
Die nächste Frage hat der Kollege Patrick Kurth.
Herr Minister, wir haben das 23. Jahr nach der
Wende. Das Thema Aufarbeitung ist seit der deutschen
Einheit ein Thema, dem die Bundesregierung und auch
das Parlament einen hohen Stellenwert einräumen.
Meine erste Frage lautet: Wie schätzen Sie denn die Ar-
beit des Bundesbeauftragten für die Unterlagen des
Staatssicherheitsdienstes ein? Inwiefern hat Roland Jahn
bisher Akzente setzen können? Was erwarten Sie von
ihm und seiner Arbeit in der Zukunft?
Die zweite Frage: Im „Jahresbericht der Bundesregie-
rung zum Stand der Deutschen Einheit“ machen Sie auf
die bestehenden Lohnunterschiede aufmerksam. Nun ist
es so, dass vor allen Dingen der Nettobetrag, der bei den
Menschen ankommt, entscheidend ist. Wir wissen, dass
die kalte Progression innerhalb eines bestimmten Ge-
haltsrahmens ihre Wirkung entfaltet. Genau in diesem
Rahmen bewegen sich überwiegend die Gehälter in Ost-
deutschland, sodass sich die kalte Progression vor allen
Dingen in Ostdeutschland auswirkt. Wie bewerten Sie
im Zusammenhang mit dem Aufbau Ost die Haltung
mancher Länder im Bundesrat zur Abschaffung der kal-
ten Progression?
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Das Thema kalte Progression, das Sie ansprechen, be-
trifft ganz Deutschland und ist seit vielen Jahren ein Pro-
blem. Deswegen habe ich es immer für richtig gehalten,
dieses Thema ganz oben auf die steuerpolitische Agenda
zu setzen. Ich bedaure es außerordentlich, dass wir ge-
rade die sehr leistungsstarken Einkommensbezieher tref-
fen und diesen durch die kalte Progression Kaufkraft
genommen wird. Deshalb kann ich es nicht nachvollzie-
hen, dass man an dieser Stelle nicht gemeinsam und ein-
mütig zu Korrekturen kommt.
Was die Arbeit von Roland Jahn angeht, muss ich sa-
gen: Wir haben regelmäßig Kontakt und tauschen uns
aus. Ich glaube, dass er in ganz hervorragender Weise
seine Arbeit erledigt. Das Thema Aufarbeitung wird uns
beschäftigen. Ich glaube, dass er dieses Thema sachge-
recht, mit Sorgfalt und auch mit der nötigen Leiden-
schaft behandelt.
Danke schön. – Die nächste Frage hat Stephan Kühn.
Herr Minister, Sie haben ein sehr fleißiges Ministe-rium, das in den letzten Monaten sehr viele Berichte undGutachten erstellt hat, zum Beispiel einen Evaluations-bericht zur Förderung von Wachstum und Beschäfti-gung, das Handlungskonzept „Daseinsvorsorge im de-mografischen Wandel zukunftsfest gestalten“ und dasGutachten „Wirtschaftlicher Stand und Perspektiven fürOstdeutschland“. Mich würde interessieren: Welche derVorschläge aus den Handlungsempfehlungen wollen Siebis zum Ende der Wahlperiode umsetzen?Die zweite Frage: Sie haben letztes Jahr den Innova-tionsstandort Ostdeutschland ausgerufen. Wie passt dasdamit zusammen, dass die Mittel aus dem Solidarpakt,Korb II, immer noch überproportional in Infrastruktur-maßnahmen fließen, obwohl Sie in den Berichten schrei-ben, die Infrastrukturlücke sei bis auf den Breitbandaus-bau geschlossen? Warum werden immer noch wenigerMittel, gemessen an den Infrastrukturmitteln, in den Be-reichen Bildung, Innovation und Forschung verausgabt?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23279
(C)
(B)
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Ich kann Ihnen sagen, dass wir in allen Bereichenhohe und sachgerechte Ausgaben tätigen. Es ist wichtig,zu erkennen, dass eine der wichtigsten Bedingungen fürdie Attraktivität des Investitionsstandorts Deutschlandinsgesamt und insbesondere in den neuen Ländern ist,dass wir Infrastruktur zur Verfügung stellen. Wir betrei-ben die Pflege des Potenzials dadurch, dass wir in diesenBereich investieren. Ich glaube, dass sich das mittel- undlangfristig auszahlen wird.Mittel- und langfristig sind auch alle Vorschläge an-gelegt, die wir in unserem Gutachten erarbeitet haben.Manche lassen sich kurzfristig durch Programme, derengroße Zahl Sie dem Bericht entnehmen können, umset-zen; andere müssen langfristig angegangen oder mittel-fristig realisiert werden. Ich kann Ihnen sagen, dass wiran allen Vorschlägen, die gut und zielführend sind, mitvoller Kraft arbeiten.
Die nächste Frage hat erneut Frau Dr. Martina Bunge.
Herr Minister, ich habe mich gefreut über Ihr Be-
kenntnis zur Höherwertung, durch die gleiche Arbeit in
Ost und West, die bisher unterschiedlich entlohnt wird,
für die Rente gleichgestellt wird. Jetzt gehen wir einmal
von zwei Menschen aus, die die gleiche Arbeit tun und
über diesen Mechanismus 40 Entgeltpunkte haben. Bei
demjenigen, der in den alten Bundesländern wohnt, wird
mit 28,07 Euro malgenommen, während bei dem, der in
den neuen Bundesländern wohnt, mit 24,92 Euro malge-
nommen wird. Das Ergebnis sind 1 122,80 Euro für den
aus dem Westen und 996,80 Euro für den aus dem Os-
ten. Halten Sie das für gerecht? Meinen Sie, es gibt
keine Lösung dafür?
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Sehen Sie, es gibt eine Höherwertung der Arbeitsver-
dienste im Osten. Das bedeutet: Jemand, der im Osten
mit seinem Verdienst eigentlich 30 Entgeltpunkte hat,
wird höhergewertet auf zum Beispiel 40 Entgeltpunkte,
wie Sie es beschrieben haben. Das muss man dann mit
dem Rentenwert multiplizieren. Zum Beispiel derjenige,
der in Ostfriesland oder in einer anderen strukturschwa-
chen Region in den alten Bundesländern lebt, bleibt bei
30 Entgeltpunkten. Multipliziert man das dann mit dem
höheren Rentenwert, der im Westen anzusetzen ist, dann
kommt man nicht ganz auf die Zahlen, die Sie genannt
haben.
– Einer wird höhergewertet, während ein anderer, ob-
wohl er ebenfalls in einer Region lebt, in der niedrige
Löhne gezahlt werden, in der das gesamte Lohn-Preis-
Gefüge niedrig ist, dann nicht hochgewertet wird. Inso-
fern besteht da eine unterschiedliche Ausgangssituation.
Jetzt hat das Wort der Kollege Steffen Lemme.
Herr Minister, wir haben hier ein gesellschaftliches
Problem. Ich bezeichne es als das Problem der Armut.
Es gibt aber nicht nur die Altersarmut, wie Sie selbst als
Vertreter der Regierungsseite festgestellt haben, sondern
auch Kinder- und Jugendarmut sowie Armut im Osten
durch prekäre Beschäftigungsverhältnisse. Ich frage Sie:
Was wollen Sie gegen die Armut im Osten tun?
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Ich glaube, Sie sprechen einen ganz wichtigen Punkt
an. Wir müssen dafür sorgen, dass insbesondere unsere
Kinder sehr frühzeitig in all ihren Möglichkeiten ge-
fördert werden. Das ist eine Aufgabe, die vom Kabi-
nettsmitglied Kristina Schröder hervorragend wahr-
genommen wird. Wir haben im Sozialbereich ein
Bildungspaket auf den Weg gebracht. All das ist ein we-
sentlicher Beitrag, den der Bund leistet, um unseren Kin-
dern überall im Land, in Ost wie in West, eine Chance zu
geben.
Jetzt hat noch eine Frage der Kollege Stephan Kühn.
Herr Minister, Sie haben auf die Arbeitsmarktent-wicklung hingewiesen. Was Sie aber nicht gesagt haben,ist, dass 22 Prozent der Arbeitnehmerinnen und Arbeit-nehmer in Ostdeutschland im Niedriglohnsektor be-schäftigt sind. Sie haben gesagt, welche Maßnahmen Sienicht für sinnvoll halten, um diesen Missstand zu beseiti-gen. Mich würde interessieren, für welche MaßnahmenSie eintreten wollen, um diesen Missstand zu beseitigen.Die zweite Frage dreht sich um den Stadtumbau Ost.Der notwendige Rückbau von Wohnungen ist im letztenJahr zum Erliegen gekommen. Halten Sie vor diesemHintergrund an Ihrer Position fest, die Altschuldenhilfenach 2013 nicht fortzusetzen? Wenn Sie diese Positionweiterhin vertreten: Wie sollen die Instrumente ausse-hen, um den Wohnungsbestand in Ostdeutschland an dendemografischen Wandel anzupassen?Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Ich glaube, dass es auch aus den Reihen der Regierun-gen der neuen Länder nicht mehr die Forderung gibt,dass wir die Altschuldenhilfe fortsetzen. Sie wird 2013auslaufen. Dabei bleibt es auch.Beim Stadtumbau Ost ist nach wie vor ein Teil derMittel sicher auch für Abbrucharbeiten auszugeben.
Metadaten/Kopzeile:
23280 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
(C)
(B)
Aber man muss sich im Einzelfall vor Ort sehr genau an-schauen, was da zu tun ist.Zum Niedriglohnsektor. Man muss erkennen, dass eswichtig ist, dass wir die Wirtschaftskraft in den neuenLändern stärken, dass wir die Unternehmen stärken, dasswir ihre Exportfähigkeit und ihre Innovationskraft stär-ken. Damit haben wir mehr hochwertige Arbeitsplätze,was dazu führt, dass höhere Löhne gezahlt werden kön-nen. Das ist Ausdruck einer sich dynamisch entwickeln-den Wirtschaft. Diese Idee treiben wir seit Jahren voran.Sie ist, wie wir sehen, sehr erfolgreich.
Jetzt gibt es noch eine Frage zu anderen Themen aus
der Kabinettssitzung, und zwar vom Kollegen Volker
Beck. Bitte schön.
Herr Bundesinnenminister, ich habe zwei Fragen zu
der sogenannten „vermisst“-Kampagne Ihres Hauses.
Zur ersten Frage. Das Bundesinnenministerium hat
am 20. September per Pressemitteilung erklärt:
Aufgrund einer aktuellen Gefährdungsbewertung
des Bundeskriminalamtes … verschiebt das Bun-
desinnenministerium … den Start der Plakataktion
der Öffentlichkeitskampagne „vermisst“.
Ich kann es nur begrüßen, wenn das gestoppt wird; ich
finde, das gehört eingestampft.
Wie erklären Sie sich, dass dann heute in Neukölln
genau diese Plakate an Plakatwänden auftauchen? Ha-
ben Sie die Öffentlichkeit hier wahrheitsgemäß unter-
richtet? Wie ist der Widerspruch zwischen Pressemittei-
lung und diesen an mehreren Stellen in Neukölln
aufgestellten Plakaten zu erklären?
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Ist das ein Großflächenplakat?
Es ist ein Großflächenplakat. Ich habe das, was ichIhnen jetzt zeige, von der Website www.migazin.de he-runtergeladen. Dort hat man mehrere Exemplare davondokumentiert. Dieses hier ist entsprechend verziert wor-den, weil es wohl auf erhebliche Irritationen in der Mi-grationscommunity stößt, was ich gut verstehen kann. Esgab zu dieser Frage auch Kritik aus der Koalition, insbe-sondere aus der FDP-Fraktion, die ich voll teile. Also:Wie kommt es dazu?Zur zweiten Frage. Gestern wurden die gleichen Mo-tive als Postkarten in Geschäften und Lokalen der Köl-ner Keupstraße verteilt. – In der Keupstraße hatte derNSU eine Splitterbombe gezündet; es gab 20 Verletzte. –Das führt zu erheblicher Beunruhigung in Köln und wirdals Stigmatisierung der Mordopfer des NSU gewertet.Ich bitte Sie, Herr Innenminister: Würden Sie sich ent-schuldigen bei den Opfern dieses NSU-Anschlags undbei den Anwohnern der Kölner Keupstraße, die sichdurch diese Öffentlichkeitsaktion Ihres Ministeriums er-heblich herabgesetzt fühlen?
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-nern:Lieber Herr Beck, diese Aktion ist auf ein Gesprächzurückzuführen, das wir unter anderem mit Eltern vonKindern geführt hatten, die sich selbst radikalisiert ha-ben, die Deutschland verlassen haben und in pakistani-sche Terrorcamps ausgereist sind. Die Eltern haben unsgesagt: Wir wussten nicht, wohin wir uns wenden sollen.Ich habe noch in derselben Woche, als dieses Ge-spräch im Rahmen unserer Sicherheitspartnerschaftstattgefunden hat, eine Hotline beim Bundesamt für Mi-gration und Flüchtlinge in Nürnberg schalten lassen, mitder wir den Menschen in deutscher Sprache, aber auch injeder anderen Sprache Hilfe anbieten, bei der Eltern,Verwandte, Freunde, die Sorge haben, dass sich ein Kindradikalisiert, in Kreise gerät, wo es sozusagen radikalenKräften zum Opfer fällt, Hilfe suchen können.Nun war es so, dass man gemeinsam überlegt hat:Wie können wir diese Telefonnummer, diese Hotline, beiall denen bekannt machen, die daran interessiert sind,also insbesondere bei den Eltern? Man hat sich zusam-men mit den muslimischen Verbänden dafür entschie-den, diese Kampagne zu machen. 50 Prozent der Plakateund auch 50 Prozent der Postkarten zeigen einen blon-den Jungen, der insbesondere Eltern von Konvertiten an-sprechen soll. Denn ein großes Problem des HomegrownTerrorism ist, dass es viele Menschen gibt, die zum Is-lam konvertieren und sich dann radikalisieren. Das istalso auch ein Hilfsangebot an deutsche Eltern, die daserleben.Wir wussten natürlich auch, dass es neben dem Kon-vertitenproblem ein Problem bei Familien arabischerHerkunft und türkischen Familien gibt. Deswegen zei-gen 50 Prozent der Plakate und Postkarten einen blondenJungen und 50 Prozent einen südländisch aussehendenJungen und sind zum Teil in arabischer Sprache und zumTeil in türkischer Sprache.Da einige Kreise, die ich nicht näher definieren will,Interesse daran hatten, diese Plakataktion, die die Num-mer der Hotline als Hilfe für Eltern bekannt machen soll,zu skandalisieren – der blonde Junge ist übrigens in kei-ner der Skandalisierungsmeldungen aufgetaucht –,
da es nur darum ging, das zu skandalisieren, und das inTeilen gelungen ist, hat das dazu geführt, dass vieleMenschen verunsichert sind. Das bedaure ich außeror-dentlich. Vorgesehen waren eine Anzeigenkampagne,eine Internetkampagne, die Postkartenkampagne unddiese Plakataktion. Die drei erstgenannten Maßnahmenlaufen weiter. Die Plakataktion musste ich allerdings am
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23281
Bundesminister Dr. Hans-Peter Friedrich
(C)
(B)
vergangenen Donnerstag aufgrund einer Gefährdungsbe-wertung des BKA im Zusammenhang mit den Drohvi-deos und zu befürchtenden Demonstrationen verschie-ben. Ich kann Ihnen jetzt nicht erklären, warum diePlakate trotzdem aufgehängt wurden, aber ich gehe derSache nach.
– Die Postkartenaktion läuft normal weiter. Die Postkar-ten werden nicht gezielt in einer Straße verteilt, sondernim ganzen Land. Ich füge hinzu: Die ganze Sache istsehr erfolgreich, weil inzwischen jeder die Nummerkennt. Insofern ist ein wichtiges Ziel der Informations-kampagne erreicht worden, nämlich dass Eltern, die sichSorgen um ihre Kinder machen, wissen, wo sie anrufenkönnen.
Bitte, eine Nachfrage.
Sie haben gerade die Kreise angesprochen, die diese
Aktion kritisieren. Das sind offensichtlich die Kreise,
mit denen Sie sie besprochen haben. Heute hat die
DITIB, die größte islamische Organisation in Deutsch-
land, an die Bundeskanzlerin geschrieben und darauf
hingewiesen, dass die DITIB, der VIKZ, der Zentralrat
der Muslime und die IGBD aus der Sicherheitspartner-
schaft mit dem Bundesinnenministerium wegen dieser
Kampagne ausgetreten sind. Das heißt, kein islamischer
Verband steht mehr oder stand je hinter Ihrer Kampagne,
was auch verständlich ist; denn mit dem Bild von irgend-
welchen südländisch aussehenden Menschen, das sich
zwischen dem „Vermisst“ und dem Hinweis, dass je-
mand in den Islamismus abgedriftet ist, befindet, wird
der Anschein erweckt, man dürfe hinter jedem südländi-
schen Gesicht einen Islamisten vermuten.
Das ist die Botschaft Ihrer Kampagne. Deshalb führt sie
nicht zu dem Ziel, das Sie verfolgen und das ich durch-
aus teile: Wir müssen uns mehr um diese Fragestellung
kümmern. Dabei ist Ihre Kampagne aber kontraproduk-
tiv. Sie wird von den Migranten und Muslimen zu Recht
als beleidigend empfunden.
Ich frage Sie wirklich: Halten Sie es für geeignet,
diese Postkarte in der Kölner Keupstraße, am Tatort ei-
nes der NSU-Anschläge, zu verteilen,
oder finden Sie nicht eher, da ist Ihnen etwas aus dem
Ruder gelaufen, wofür sich das Ministerium bei den
Menschen zu entschuldigen hätte?
Dr. Hans-Peter Friedrich, Bundesminister des In-
nern:
Lieber Herr Beck, das Ministerium und ich werden
uns nicht dafür entschuldigen, dass wir den radikalen Is-
lamismus und Salafismus, die eine Gefahr
nicht nur für unser Land, sondern für ganz Europa dar-
stellen, bekämpfen. Wir werden das mit aller Konse-
quenz tun. Ich bitte Sie, die Gefährlichkeit dieser radika-
lisierten Islamisten nicht zu unterschätzen.
Es wäre wirklich dramatisch, wenn man die Abwehr-
kraft des Staates in dieser Frage schwächen würde.
Ich bin sehr dankbar, dass die muslimischen Verbände
bei der Sicherheitspartnerschaft mitgemacht haben. Mir
ist nicht klar, warum sie auf einmal eine Kehrtwende
machen. Vielleicht gibt es – – Aber ich will da keine De-
tails nennen. Ich kann Ihnen nur sagen, dass mich Be-
richte aus der Türkei sehr ärgern, die erkennen lassen,
dass sich Leute überhaupt nicht mit den Fragen und Ein-
zelheiten beschäftigen, sondern versuchen, in Deutsch-
land Einfluss zu nehmen. Einem solchen Einfluss werde
ich mich nicht beugen.
Gibt es jetzt noch Fragen über das Gebiet der heuti-
gen Kabinettssitzung hinaus? – Das ist nicht der Fall.
Dann beende ich die Befragung.
Wir kommen zum Tagesordnungspunkt 2:
Fragestunde
– Drucksache 17/10736 –
Zunächst rufe ich den Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit auf. Zur Beantwortung steht die Parlamentari-
sche Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Gerd Bollmann auf:
Wer soll nach Auffassung der Bundesregierung die Trä-
gerschaft für die geplante einheitliche Wertstofferfassung
– Wertstofftonne – erhalten: öffentlich-rechtliche Entsorger,
duale Systeme oder private Entsorger?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Ka
Herr Präsident! Herr Kollege, Ihre Frage nach derTrägerschaft beantworte ich wie folgt: Entscheidend istaus Sicht der Bundesregierung das Ziel, eine bürger-
Metadaten/Kopzeile:
23282 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
freundliche, ökologisch anspruchsvolle und zugleichkosteneffiziente Erfassungsstruktur aufzubauen.Ausgehend von den Erfahrungen mit der Verpa-ckungsverordnung haben sich Produktverantwortungund Wettbewerb als effektive Mittel zur Kostensenkungsowie zur Förderung von Innovationen erwiesen. ImRahmen der geplanten einheitlichen Wertstofferfassungstrebt die Bundesregierung an, alle relevanten Akteure indie Erarbeitung eines tragfähigen Konzeptes einzubezie-hen. Dazu führt das Bundesumweltministerium derzeitGespräche mit dem Ziel, eine Basis für eine politisch re-alisierbare Lösung zu erarbeiten.
Nachfrage? – Bitte schön, Herr Bollmann.
Fra
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist die Bundesregierung wirklich der
Ansicht, dass ein Verzicht auf eine eigene Position, ge-
rade im Hinblick auf die Unvereinbarkeit bisher vorge-
tragener Positionen, zu einem zügigen Ergebnis führt,
oder handelt es sich vielmehr um einen Ausdruck der
Zerstrittenheit der Koalition über die Frage der Privati-
sierung in der Abfallwirtschaft?
Ka
Herr Kollege, wir haben es hier mit einer komplexen
Materie zu tun, die nicht nur durch den Bundestag, son-
dern auch durch den Bundesrat bestätigt werden muss.
Die privaten Entsorger, die kommunalen Entsorger und
die dualen Systeme müssen eine Lösung vereinbaren,
die am Ende trägt. Insofern ist es angesichts der Erfah-
rungen, die wir im Zusammenhang mit dem Kreislauf-
wirtschaftsgesetz gemacht haben, zwingend erforderlich,
politisch geboten und auch klug, wenn wir vorher mit al-
len Beteiligten sprechen und ausloten, welche Lösung
am Ende realisierbar ist.
Weitere Nachfrage?
Nein.
Nein. – Dann hat die Kollegin Dorothea Steiner eine
Nachfrage. Bitte.
Danke, Herr Präsident. – Vor dem Hintergrund, dass
wir eine nette Diskussion führen, ob die öffentlich-recht-
liche Hand oder die Privatwirtschaft die Sammlung der
Wertstoffe federführend durchführt, frage ich die Bun-
desregierung: Haben Sie bei dem geplanten Wertstoffge-
setz vor, die umweltpolitischen Ziele stärker zu veran-
kern und zum Beispiel Standards zu formulieren? Was
genau planen Sie in dieser Richtung?
Ka
Frau Kollegin, die Weiterentwicklung der Verpa-
ckungsverordnung hin zu einer noch besseren Wertstoff-
erfassung umfasst bereits umweltpolitische Ziele; denn
die Verpackungsverordnung hat sich alles in allem nicht
nur bewährt, sondern sie hat in ihrer Geschichte dazu ge-
führt, dass sich die wirtschaftliche Entwicklung vom
Müllaufkommen, vom Verpackungsmaterial entkoppelt
hat. Das ist nicht nur ein ganz wichtiges umweltpoliti-
sches Ziel, sondern auch ein wichtiger umweltpolitischer
Erfolg.
Jetzt geht es darum, es zu schaffen, die Menge an zu-
sätzlichem Abfall, die das UBA im Planspiel und in wis-
senschaftlichen Gutachten ermittelt hat, nämlich noch
einmal 570 000 Tonnen, zu erfassen und ökologisch zu
trennen, um die Erfolge, die wir in den letzten 10, 15
Jahren erreicht haben, weiter fortzusetzen. Die umwelt-
politischen Ziele sind bereits mit darin beinhaltet.
Nein, leider nicht.
Wir kommen jetzt zur Frage 2 des Kollegen Gerd
Bollmann:
Ist die Bundesregierung angesichts vielfältiger Kritik wei-
terhin der Ansicht, dass die Verpackungsverordnung ein Er-
folg ist und Grundlage für das Wertstoffgesetz sein soll?
Frau Staatssekretärin, bitte.
Ka
Ja, gerne. – Herr Kollege, mit der Verpackungsver-ordnung von 1991 wurde die Rücknahme und Verwer-tung von Verpackungsabfällen in die Hände der Herstel-ler und Vertreiber von Verpackungen gelegt. DieseRegelung der abfallwirtschaftlichen Produktverantwor-tung durchbrach, übrigens auf ausdrücklichen Wunschder Kommunen, erstmals die bis dahin übliche Aufga-benteilung, wonach die Wirtschaft für die Herstellungund den Vertrieb der Erzeugnisse und die öffentlicheHand für deren Entsorgung zuständig war. Mit dem Ein-beziehen der produzierenden Wirtschaft in die Entsor-gungsverantwortung ist es gelungen, die Entwicklungder Verpackungsmenge vom allgemeinen Wirtschafts-wachstum zu entkoppeln. Zugleich waren die Verwer-tungsanforderungen der Verpackungsverordnung auchein wesentlicher Treiber für den Aufbau fortschrittlicherRecyclingstrukturen in Deutschland. Das dabei entwi-ckelte technische und logistische Know-how wird heutein aller Welt nachgefragt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23283
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
Die haushaltsnahe Getrennterfassung von Verpackungs-abfällen wird von den Bürgerinnen und Bürgern mitgroßem Engagement genutzt. Insgesamt wurden in Deutsch-land im Jahr 2009 fast 85 Prozent aller Verpackungs-abfälle einer Verwertung zugeführt. Dies ist – dies nocheinmal an Sie, Frau Steiner – ganz eindeutig eine ökolo-gische Erfolgsgeschichte.Die von Ihnen angeführte Kritik betrifft demgegen-über praktisch ausschließlich die Frage der Sicherstel-lung einer ordnungsgemäßen Systembeteiligung vonVerkaufsverpackungen, also wirtschaftliche Aspekte.Dazu hat das Planspiel Antworten aufgezeigt; hierzu ge-hört insbesondere der Aufbau einer mit hoheitlichen Be-fugnissen beliehenen zentralen Stelle. Aus Sicht derBundesregierung gibt es mithin keine nachvollziehbarenGründe, die einer Fortentwicklung der Verpackungsver-ordnung zu einem Wertstoffgesetz entgegenstehen wür-den.
Ich möchte die Kolleginnen und Kollegen auf die
Lindhorster Trachtengruppe aus Schaumburg-Lippe auf-
merksam machen, die oben auf der Tribüne in prächtigen
Trachten Platz genommen hat. Würden Sie bitte einmal
aufstehen, damit Sie gebührend bewundert werden kön-
nen?
Vielen Dank.
Es gibt eine Nachfrage. Bitte, Herr Kollege Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,
ist Ihnen bekannt, dass die Kosten für die Erfassung und
Sortierung von Verpackungsmüll im dualen System bei
400 Euro je Tonne liegen und dass darüber hinaus wei-
tere 600 Euro pro Tonne an Overheadkosten anfallen?
Ist Ihnen des Weiteren bekannt, dass bis zu 200 Prozent
des lizensierten Verpackungsmaterials auftauchen, was
eigentlich unverständlich ist?
In diesem Zusammenhang frage ich mich, wie Sie
dazu kommen, das Ganze als Erfolgsmodell zu propa-
gieren und zur Fortentwicklung zu empfehlen.
Ka
Herr Kollege, in der Vergangenheit haben sich Wirt-
schaftswachstum und das Aufkommen an Verpackungs-
müll deutlich entkoppelt. Die Quoten für die Erfassung,
die in den 90er-Jahren noch bei knapp 27 Prozent lagen,
haben wir auf über 80 Prozent gesteigert. Es bedeutet,
wie ich meine, einen erheblichen wirtschaftlichen und
vor allem ökologischen Erfolg, diejenigen in die Verant-
wortung einbezogen zu haben, die für die Erzeugung
dieses Abfalls zuständig sind.
Der Hilferuf der Kommunen Anfang der 90er-Jahre
war nämlich, dass diese für die Abfälle verantwortlich
waren, weil die Produzenten nicht in die Verantwortung
einbezogen waren. Die Umschichtung der Verantwort-
lichkeit hat keine andere Regierung – weder der dama-
lige Umweltminister Trittin noch Sigmar Gabriel –, auch
nicht Norbert Röttgen und schon gar nicht Peter
Altmaier infrage gestellt, sondern ganz im Gegenteil.
Wir wollen die Produktverantwortung fortschreiben und
dafür sorgen, dass noch mehr recycelt werden kann, wir
also hin zu einer echten Kreislaufwirtschaft gelangen.
Diesem Ziel diente die Novelle des Kreislaufwirt-
schafts- und Abfallgesetzes sowie alle weiteren Novel-
len, die wir im Zuge der großen Novelle noch vor uns
haben.
Vielen Dank. Eine weitere Nachfrage hat der Kollege
Oliver Krischer.
Herzlichen Dank, Frau Staatssekretärin, für Ihre Aus-
führungen. Sie haben eben davon gesprochen, dass es
eine Erfassungs- und Wiederverwertungsquote von
85 Prozent gebe. Das ist in der Tat eine imposante Zahl,
damit nähern wir uns den 100 Prozent.
Meine Frage lautet: Was beinhaltet diese Quote von
85 Prozent Wiederverwertung? Ist hierin die thermische
Verwertung, sprich: die Verbrennung in Müllverbren-
nungsanlagen, enthalten? Oder handelt es sich bei diesen
85 Prozent um Recycling im Sinne von „Wiederverwen-
dung des Produktes“?
Könnten Sie diese Quote bitte aufschlüsseln, sodass
ersichtlich wird, ob es sich hierbei um eine Wiederver-
wertung im klassischen Sinne handelt oder ob wir eher
über eine Entsorgung in Form der energetischen Verwer-
tung, also Verbrennung, reden?
Ka
Gerade die Kommunen haben sich auf die eben von
Ihnen angesprochene Art der Verwertung spezialisiert;
Müllverbrennungsanlagen gibt es in kommunaler Hand.
Demgegenüber haben sich private Entsorger darum ge-
kümmert, die Fraktionen möglichst trennscharf aufzu-
spalten, und sehr viel in intelligente Verwertung inves-
tiert. Wir wollen – das ist das Ziel der jüngsten Novelle –
die energetische Verwertung reduzieren, um am Ende
des Tages so viel wie möglich wiederzugewinnen.
Gleichwohl ist es gelungen, die Verwertungsquoten zu
steigern. Wir haben eine fünfstufige Abfallhierarchie
eingeführt, um die Fraktionen noch besser zu trennen
und einer geeigneten Verwertung zuzuführen.
Jetzt hat die Kollegin Dorothea Steiner eine Frage.
Bitte.
Da
Rede von: Unbekanntinfo_outline
zur Verbren-
Metadaten/Kopzeile:
23284 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Dorothea Steiner
(C)
(B)
nung. Sie verweisen dabei auf die Abfallhierarchie, dieletztes Jahr mit dem geänderten Kreislaufwirtschafts-und Abfallgesetz eingeführt worden ist.Wie werden Sie der Kritik gerecht, die schon damalsgeäußert wurde – beileibe nicht allein von der Opposi-tion in diesem Haus –, dass die Grenze, ab der man ener-getisch verwerten, sprich: verbrennen, darf, so niedrigangesetzt ist, dass es möglich ist, sogar Altpapier – dasist eine abfallpolitische Sünde – oder Altholz in die Ver-brennung zu geben? Eigentlich sollte es die Aufgabe ei-nes Wertstoffgesetzes sein, ökologische Standards zusetzen, also die Grenze so hoch anzusetzen, dass einganz hoher Anteil des Abfalls stofflich verwertet wird.Wie werden Sie im vorgesehenen Wertstoffgesetz damitumgehen?Ka
Wir haben den Grenzwert von 11 000 Kilojoule pro
Kilogramm lange diskutiert, nicht nur mit dem Parla-
ment, sondern auch mit allen beteiligten Kreisen. Wir
haben neben diesem Grenzwert eine Abfallhierarchie
mit fünf Stufen eingeführt. Wir hoffen und erwarten,
dass hier noch trennschärfer vorgegangen wird. Ich
meine jedenfalls, dass wir angesichts der Verwertungs-
quoten gerade auch im europäischen Vergleich einen
ganz großen Erfolg verbuchen und verzeichnen können,
wenn es darum geht, mit den Abfällen ökologisch umzu-
gehen. Diesem Ziel wird sich auch ein potenzielles Wert-
stoffgesetz verschreiben. Wir wollen jedenfalls daran ar-
beiten, dass wir die Quoten weiter nach oben setzen.
Jetzt kommt eine Reihe von Fragen, die schriftlich zu
beantworten sind. Es handelt sich um die Fragen 3 und 4
der Kollegin Ute Vogt, die Fragen 5 und 6 der Kollegin
Sylvia Kotting-Uhl, die Fragen 7 und 8 des Kollegen
Dr. Hermann E. Ott, die Fragen 9 und 10 des Kollegen
Frank Schwabe sowie die Fragen 11 und 12 des Kolle-
gen Dr. Matthias Miersch.
Wir kommen dann zur Frage 13 der Kollegin
Dr. Bärbel Kofler. Ist sie anwesend? – Sie ist nicht anwe-
send. Es wird verfahren, wie in der Geschäftsordnung
vorgesehen.
Die Frage 14 des Kollegen Hans-Josef Fell soll
schriftlich beantwortet werden.
Dann kommen wir zur Frage 15 der Kollegin
Waltraud Wolff:
Wie bewertet die Bundesregierung die in § 64 f Nr. 2 des
Erneuerbare-Energien-Gesetzes, EEG, beschriebenen varia-
blen Vergütungen für Strom aus Biomasse, die sich etwa an
Tageszeiten oder Börsenpreisen orientieren und somit eine be-
darfsgerechte Einspeisung fördern, und gedenkt die
Bundesregierung, das Vergütungssystem dahin gehend zu än-
dern?
Ka
Sehr geehrte Frau Kollegin Wolff, ich beantworte Ihre
Frage wie folgt: Die Vergütungsregelungen für Strom
aus Biomasse im Erneuerbare-Energien-Gesetz wurden
zum 1. Januar 2012 umfassend novelliert. Mit der Markt-
prämie wurde ein neues Instrument zur Verbesserung der
Marktintegration der erneuerbaren Energien sowie mit
der Flexibilitätsprämie ein neues Instrument zur Förde-
rung der bedarfsgerechten Einspeisung von Biogas ein-
geführt. Die Wirkung der neuen Regelungen wird nun
im Rahmen des laufenden Vorhabens eines EEG-Erfah-
rungsberichts wissenschaftlich untersucht. In dem Zu-
sammenhang wird auch geprüft, ob und inwieweit von
der im EEG festgeschriebenen Verordnungsermächti-
gung Gebrauch gemacht werden soll. Kurzfristige An-
passungen der Vergütungsregeln für Energie aus Bio-
masse nach dem EEG sind derzeit nicht vorgesehen.
Gibt es Nachfragen? – Bitte, Herr Lenkert.
Frau Staatssekretärin, was die Marktprämie angeht,
kann ich Ihnen nicht so ganz folgen, weil dem Umwelt-
ausschuss gerade eine Verordnung zur Novellierung vor-
liegt. Ich möchte Sie trotzdem fragen: Sind Sie nicht der
Meinung, dass es aufgrund der anderen fluktuierenden
erneuerbaren Energien dringend notwendig wäre, die
Nutzung der einzigen erneuerbaren Energie, die pro-
blemlos zu beliebigen Zeiten abgerufen werden kann,
dahin gehend zu optimieren, dass sie im Prinzip nicht
dann erzeugt wird, wenn die Sonne scheint oder der
Wind weht, sondern dann, wenn wir sie brauchen, also
wenn nicht ausreichend Energie aus Sonne und Wind zur
Verfügung steht? Sollte die Bundesregierung an dieser
Stelle nicht endlich Vorschläge für die Gesetzgebung un-
terbreiten?
Ka
Herr Kollege, das Erneuerbare-Energien-Gesetz wirdfortlaufend überprüft und fortgeschrieben. Allein in die-ser Legislaturperiode haben wir das dreimal praktiziert.Ich meine schon, dass die Marktprämie, die in den Berei-chen Wind, PV und Biomasse gezahlt wird, auch des-halb ein Erfolg ist, weil erstmals gezeigt werden konnte,dass Strom aus erneuerbaren Energien, auch wenn erfluktuierend ist, vermarktungsfähig ist. Ich meine, dassdas ein Erfolg ist. Im Bereich Biomasse müssen wir hierauch nicht korrigieren.Sie sprechen an, was getan werden kann, um erneuer-bare Energien grundlastfähig zu machen. Ich bin derÜberzeugung, dass mit Blick auf den nächsten Erfah-rungsbericht wissenschaftliche Gutachten in Auftrag ge-ben werden, um herauszufinden, wie wir eine optimaleKombination aus stark fluktuierenden Energien, nämlichWind und Sonne, und grundlastfähiger Biomasse hinbe-kommen. Eine der nächsten Fragen, die ich gleich zu be-antworten habe, bezieht sich auf Kombikraftwerke.Auch das ist eine Möglichkeit, beide Dinge miteinanderzu verbinden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23285
(C)
(B)
Ich rufe die Frage 16 der Kollegin Waltraud Wolff
auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Möglichkeit, mit-
hilfe von Kombikraftwerken/virtuellen Kraftwerken die Sys-
temintegration von erneuerbaren Energien voranzutreiben,
und unterstützt sie entsprechende Projekte?
Ka
Frau Kollegin Wolff, Sie haben sich tatsächlich nach
Kombikraftwerken und virtuellen Kraftwerken erkun-
digt; das korrespondiert insofern ganz schön. Kombi-
kraftwerke bzw. virtuelle Kraftwerke bieten einerseits
die Möglichkeit zur bedarfsgerechten Einspeisung er-
neuerbarer Energien und andererseits auch zur Erbrin-
gung von Systemdienstleistungen. Sie können dadurch
wichtige Funktionen im Energieversorgungssystem
wahrnehmen und zur Markt- und Systemintegration der
erneuerbaren Energien beitragen.
Vor diesem Hintergrund fördert das Bundesumwelt-
ministerium Forschungsprojekte in Bezug auf Technolo-
gieentwicklung und Demonstration von Kombikraftwer-
ken und virtuellen Kraftwerken im Förderschwerpunkt
„Integration erneuerbarer Energien und regenerative
Energieversorgungssysteme“. Dieser Forschungsschwer-
punkt wird kontinuierlich ausgebaut. Aktuell werden
20 Projekte im Bereich Kombikraftwerke/virtuelle
Kraftwerke mit einem Gesamtvolumen von rund 13 Mil-
lionen Euro gefördert.
Keine Nachfrage? – Danke schön.
Die Frage 17 des Kollegen Dirk Becker wird schrift-
lich beantwortet.
Ich rufe die Frage 18 der Kollegin Lisa Paus auf:
Inwieweit kann sich die Bundesregierung der Ankündi-
gung des Bundesministers für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit, Peter Altmaier, am zweiten Tag der Energie-
effizenz am 12. September 2012 in Berlin anschließen, nach
der bei der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung in
spätestens acht Wochen eine Einigung erzielt sein wird, und
welche Schritte unternimmt die Bundesregierung, um die Ver-
handlungen im Vermittlungsausschuss erfolgreich abschlie-
ßen zu können?
Ka
Sehr geehrte Frau Kollegin, Bundesminister Altmaier
hat in seiner Rede am 12. September dieses Jahres seiner
Hoffnung Ausdruck verliehen, dass es im Vermittlungs-
ausschuss noch zu einer Einigung kommen wird. Mit
diesem Ziel führt die Bundesregierung Gespräche mit
den Ländern.
Nachfrage?
Die Formulierung war ja doch etwas klarer. Herr
Altmaier hat angekündigt – so ist es nicht nur von einem,
sondern von verschiedenen Teilnehmern wahrgenom-
men worden –: Es wird in den nächsten sechs bis acht
Wochen ein Ergebnis geben, die Förderung wird kom-
men. Da ich selber an entsprechenden Gesprächen be-
teiligt war, kann ich mich sehr gut daran erinnern, dass
das Kanzleramt uns zu Beginn der Sommerpause gesagt
hat: Es wird gegen Ende der Sommerpause noch einmal
eingeladen, um zu einer Einigung bei der steuerlichen
Förderung energetischer Sanierung zu kommen. Diese
Einladung ist bis heute ausgeblieben. Aber um einen
Kompromiss zu finden, muss man doch vorher miteinan-
der reden. Daher frage ich Sie noch einmal: Woher
nimmt Herr Altmaier seinen Optimismus, dass es in acht
Wochen zu einem Ergebnis kommt, wenn bisher nicht
einmal eine Einladung an die Länder und die entspre-
chenden Fraktionen ergangen ist?
Ka
Zunächst ist festzuhalten: Der Herr Bundesminister
ist ein grundsätzlich optimistischer Mensch,
und sein Optimismus gilt vor allem der Kompromissbe-
reitschaft im Bundesrat, dessen Handeln momentan von
SPD-geführten Ländern und auch von grünen Landes-
regierungen maßgeblich bestimmt und beeinflusst wird.
Insofern erwarten und hoffen wir – darauf richtet sich
sein Optimismus –, dass am Ende des Tages die allge-
meine Einsicht zustande kommt, dass die steuerliche
Abschreibung energetischer Sanierungsmaßnahmen äu-
ßerst sinnvoll und eine wichtige Ergänzung zu anderen
Förderprogrammen des Bundes ist.
Wir haben im gesamten Vermittlungsverfahren viele
Vorschläge gemacht, man ist aufeinander zugegangen;
aber tatsächlich ist es schwierig, nachzuvollziehen, wieso
die Hebelwirkung von eins zu zwölf – sprich: 1 vom
Bund investierter Euro löst am Ende 12 Euro an privaten
Investitionen aus – nicht auch durch den Bundesrat aner-
kannt wird. Ich finde das schade. Ich meine und hoffe
– auch der Minister ist, wie gesagt, optimistisch –, dass
wir zu einer Einigung kommen können.
Weitere Nachfrage? – Bitte.
Habe ich Sie jetzt richtig verstanden, dass es keinweiteres Angebot der Bundesregierung geben wird, son-dern dass das, was auf dem Tisch liegt, für die Bundes-regierung das letzte Wort ist? Auf dieser Grundlagemuss es einen Kompromiss geben, weil es sonst keinengibt? Habe ich Sie richtig verstanden? Es gibt keineweiteren Initiativen oder Angebote seitens der Bundes-regierung?
Metadaten/Kopzeile:
23286 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
(C)
(B)
Ka
Wir führen derzeit Gespräche. Diese Gespräche füh-
ren wir so, dass wir am Ende des Tages hoffentlich zu ei-
ner gemeinsamen Lösung kommen werden.
Die Frage 19 der Abgeordneten Dr. Martina Bunge
wird schriftlich beantwortet. – Vielen Dank, Frau Staats-
sekretärin.
Die Fragen 20 bis 30 zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung werden
schriftlich beantwortet. Es handelt sich um die Fragen 20
und 21 des Kollegen René Röspel, die Fragen 22 und 23
der Kollegin Marianne Schieder, die Frage 24 des Kolle-
gen Klaus Hagemann, die Frage 25 des Kollegen Oliver
Kaczmarek, die Fragen 26 und 27 des Kollegen Michael
Gerdes, die Frage 28 des Kollegen Dr. Ernst Dieter
Rossmann sowie die Fragen 29 und 30 des Kollegen
Swen Schulz.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit
und Entwicklung. Zur Beantwortung steht die Parlamen-
tarische Staatssekretärin Gudrun Kopp zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 31 des Abgeordneten Uwe Kekeritz
auf:
Welche geförderten Zeitschriften lässt sich das Bundes-
ministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung, BMZ, vor der Veröffentlichung zur Prüfung vorle-
gen, und, neben dem jetzt bekannt gewordenen Fall im
Zusammenhang mit einem Artikel der Zeitschrift Südlink
chung einzelner Artikel Einfluss genommen?
Gu
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege
Kekeritz, über das Förderprogramm Entwicklungspoliti-
sche Bildung werden Mittel an staatliche und nichtstaat-
liche Organisationen für entwicklungspolitische Bil-
dungsmaßnahmen im Inland zur Verfügung gestellt.
Darunter fallen auch, wie in diesem Fall, Publikationen.
Voraussetzung für die Förderung von Maßnahmen mit
Mitteln aus diesem Programm ist, dass sie einem Bil-
dungsanspruch, und zwar einem entwicklungspoliti-
schen Bildungsanspruch genügen. Vor diesem Hinter-
grund wird der Zuschussempfänger laut Fördervertrag
verpflichtet, im Falle von Publikationen eine Übersicht
über die Inhalte von Drucklegungen vorzulegen. Von
diesem Recht macht das BMZ Gebrauch, wenn es An-
lass zu der Befürchtung hat, dass die Förderkriterien
nicht eingehalten werden. Insbesondere die Finanzie-
rung von Kampagnenarbeit ist durch das genannte Pro-
gramm nicht gedeckt. Das ist den Zuschussempfängern
bekannt. Das wird in kritischen Fällen mit dem Zu-
schussempfänger regelmäßig und detailliert erörtert.
Nachfrage? – Bitte schön.
Danke sehr, Frau Staatssekretärin. Ich muss mich jetzt
etwas wundern. Die Antwort, die Sie mir eben gegeben
haben, haben Sie mir bereits auf eine andere schriftliche
Frage gegeben. Insofern hatte Ihre Antwort keinen
neuen Gehalt.
Es geht hier um die Frage, ob das BMZ Zensur ausübt
oder nicht. Ich habe extra nachgelesen: Zensur ist ein
politisches Verfahren, um Inhalte zu kontrollieren. Wenn
das BMZ an einen Verleger oder Journalisten herantritt
und sagt: „Wenn du das veröffentlichst, kürzen wir dir
die Mittel“, ist das per Definition Zensur. Es stellt sich
die Frage: Wie kommt das BMZ überhaupt dazu, einer
Zeitschrift wie Südlink – es geht um die 161. Ausgabe;
es gibt diese Zeitschrift also schon sehr lange – Gelder
zu genehmigen, wenn Sie davon ausgehen, dass in dieser
Zeitschrift bedenkliche Texte veröffentlicht werden? Ich
denke, dass das nicht legitim ist. Gerade für Politiker der
FDP, einer Partei, die das Liberale im Titel trägt, sollten
die Meinungsfreiheit und die Pressefreiheit ganz hoch
angesiedelt sein.
Gu
Herr Kollege Kekeritz, genau das ist unser Anspruch.
Es geht nicht um eine Zensur, sondern es geht darum,
dass wir staatliche Gelder, also Steuermittel, an einen
Verein geben, der sich mit seiner Unterschrift und auf-
grund der Tatsache, dass er Steuermittel erhält
– 100 000 Euro und es gibt einen Antrag auf Aufsto-
ckung der Mittel –, verpflichtet, bestimmte Kriterien
einzuhalten. Das BMZ finanziert keine Polemik auf
Staatskosten, sondern Publikationen, die einen Bildungs-
auftrag haben. Dafür gibt es Geld. Dieser Bildungsauf-
trag bedingt – davon gehen wir aus – eine ausgewogene
und sachliche Berichterstattung, in der ein Problemfeld
aus verschiedenen Blickwinkeln dargestellt wird. Es darf
nicht einseitig berichtet werden. In der letzten Ausgabe
war das aber so. Wir haben über „Engagement Global“
– das ist ja auch der direkte Ansprechpartner von Südlink –
darauf hingewiesen, dass sie doch ihre eigene Sichtweise
auf eigene Kosten veröffentlichen können, aber bitte
nicht auf Staatskosten.
Der Fragesteller hat noch eine Nachfrage. – Bitte
schön.
Danke, Frau Staatssekretärin. Sie haben in der Be-gründung, warum Sie diesen Artikel nicht veröffentlichthaben wollen, den Begriff „Verunglimpfung Dritter“verwendet. Ich habe diesen Artikel gelesen. Er ist sauberrecherchiert und entspricht den normalen Anforderungeneiner vernünftigen journalistischen Arbeit. Wenn SieZeitung lesen und Radio hören, dann werden Sie in denletzten sechs Monaten mindestens 100 solcher ähnlichen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23287
Uwe Kekeritz
(C)
(B)
Berichte und Dokumentationen vernommen haben. Esist für mich nicht begreiflich, warum sich das Entwick-lungsministerium plötzlich auf die Füße stellt und sagt,das dürfe man in dieser Form nicht mehr machen. In die-ser Form passiert es zurzeit hundertfach, nicht, weil esdarum geht, irgendjemanden zu diffamieren, sondernweil damit einfach die Realität tatsächlich souverän undpräzise abgebildet wird.Gu
Herr Kollege Kekeritz, noch einmal: Die Gewährung
von Steuermitteln für die Publikation ist an eine ausge-
wogene, sachlich differenziert dargestellte Problematik
gebunden. Die Ausgabe, die Sie eben zitiert haben, ent-
hält eben keine Ausgewogenheit,
sondern eine sehr einseitige Darstellung. Dagegen ver-
wahren wir uns. Wir unterstützen damit ja keine allge-
meine Zeitung, sondern es geht hier um einen Bildungs-
auftrag. Bildung heißt, dass derjenige, der diesen Artikel
liest, auch in die Lage versetzt wird, sich eine eigene
Meinung zu bilden. Das kann man nicht, wenn letztlich
eine einseitige Sichtweise dargestellt wird, noch dazu in
einer Art und Weise, die ich als nicht ausgewogen emp-
finde.
Sie mögen sämtliche Sachverhalte sehr genau kennen.
Aber ich finde, da muss man wenigstens der Gegenseite
die Chance geben, zu diesen Anschuldigungen oder an-
geblichen Tatsachen, die verbreitet werden, Stellung zu
beziehen. Alles andere ist Verunglimpfung, und die wol-
len wir nicht mit Steuermitteln finanzieren.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin.
Die Frage 32 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler soll
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Wirtschaft und Technologie. Zur
Beantwortung steht zur Verfügung der Parlamentarische
Staatssekretär Peter Hintze.
Die Frage 33 des Kollegen Hans-Josef Fell soll
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zur Frage 34 des Kollegen Oliver
Krischer.
Welche konkreten Inhalte soll die von der Bundesregie-
gesetzliche Regelung haben, mit der Stilllegungen von Kraft-
werken verboten werden sollen, und welche Entschädigungs-
regelung ist für die Kraftwerksbetreiber angedacht?
P
Schönen Dank, Herr Präsident. – Der Herr Kollege
Krischer hat von uns schon eine ausführliche Darlegung
bekommen. Da die anderen sie nicht bekommen haben,
möchte ich sie kurz skizzieren.
Es geht bei diesem Gesetzgebungsvorhaben um die
Sicherung der Versorgungssicherheit im Winter, damit
wir eine Situation, wie wir sie im letzten Winter erlebt
haben, nicht mehr erleben und zu jedem Zeitpunkt
sicherstellen können, dass wir an allen Stellen in
Deutschland Strom zur Verfügung haben.
Die einzelnen Eckpunkte der Neuregelung sind ers-
tens verbindliche Meldepflichten für Kraftwerksstillle-
gungen, damit wir, wenn ein systemrelevantes Kraft-
werk stillgelegt werden soll, einschreiten können,
zweitens eine entsprechende Entschädigungsregelung,
die dann bei einer solchen Stilllegungsabwendung fällig
wird, drittens Transparenz bezüglich der Kontrahierung
von Reservekraftwerken – Stichwort „Netzreserve“ –,
viertens die Absicherung der Belieferung systemrelevan-
ter Gaskraftwerke bei Engpässen und fünftens eine Eva-
luierung dieser Regelung. Ich kann dies im Einzelnen
noch ausführen; aber Kollege Krischer hat das ja von uns
zugesandt bekommen. Das hat sich mit seiner Anfrage
überschnitten.
Haben Sie eine Nachfrage? – Bitte schön.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär. In der Tat ist es
so gewesen, dass Ihr Brief eingegangen ist, nachdem ich
meine Frage gestellt hatte. Dennoch bleibt für mich eini-
ges im Unklaren.
Insbesondere interessiert mich die Frage, wie konkret
Sie das andenken, ob die Regelungsinhalte, die Sie
gerade aufgezählt haben, im Energiewirtschaftsgesetz so
verankert werden sollen oder ob dies über eine Verord-
nungsermächtigung geschehen soll. Es werden ja ins-
besondere die Fragen zu klären sein, welche Kraftwerke
das Ganze in welcher Höhe betrifft, welche Entschädi-
gungen zu leisten sind und welche Berechnungsbasis
dabei zugrunde gelegt wird.
Wir müssen uns ja darüber im Klaren sein, dass das,
so vermute ich, am Ende über die Nutzungsentgelte fi-
nanziert werden soll; die Finanzierung müssten sie noch
darlegen.
Deshalb die Frage: Werden diese Dinge im Parlament
geregelt, oder beabsichtigt die Bundesregierung, eine
Formulierungshilfe an die Koalitionsfraktionen zu
geben, die dann nur eine Verordnungsermächtigung ent-
hält?
P
Weder noch. Ich erläutere es Ihnen gerne. Technischist der Weg eine Formulierungshilfe. Der Regelungsortsoll in der Tat die Novelle zum Energiewirtschaftsgesetzwerden. Das würde dann von den Fraktionen im Zugeder Gesetzesberatungen so eingebracht. Die von mir ge-nannten Eckpunkte kommen ins Gesetz. Die Details
Metadaten/Kopzeile:
23288 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Parl. Staatssekretär Peter Hintze
(C)
(B)
kommen in eine Rechtsverordnung, und die Ermächti-gung dazu findet sich im Gesetz.
Weitere Nachfrage? – Bitte.
Der nächste Winter ist ja nicht mehr weit. Wir müssen
also sehr schnell konkrete Entscheidungen treffen. Wenn
die Gesetzesnovelle ansteht, muss geschaut werden, wel-
che Kraftwerke und welche Betreiber davon betroffen
sein werden. Können Sie schon heute Angaben zur Höhe
der Kapazitäten machen und dazu, welche Kraftwerke
und Betreiber in welchen Regionen von Deutschland da-
von betroffen sein werden?
P
Das Gesetz kann – das sehen wir, wenn wir uns den
Gesetzgebungsfahrplan für die Novelle zum Energie-
wirtschaftsgesetz anschauen – frühestens im Januar 2013
in Kraft treten. Die volle Wirksamkeit ist also erst für
den übernächsten Winter gegeben. Das heißt, die Maß-
nahmen für diesen Winter müssten im Wesentlichen so
angedacht und vertraglich durchgeführt werden, wie es
im letzten Winter geschehen ist. Allerdings würde die
verbindliche Verpflichtung, Stilllegungen anzumelden
und von der Anmeldung bis zur Stilllegung zwölf
Monate verstreichen zu lassen, um entsprechende admi-
nistrative Eingriffsmöglichkeiten zu geben, ab Januar
gelten.
Die Sorge hinsichtlich der Versorgungssicherheit
richtet sich stark auf Süddeutschland. Das gilt für die
nächsten Jahre, bis die großen Stromleitungsprojekte,
etwa die Thüringer Strombrücke, fertiggestellt sind,
durch die die Versorgungslücke geschlossen und eine
größere Sicherheit hergestellt werden soll. In diesem
Winter sind wir darauf angewiesen, dass die Übertra-
gungsnetzbetreiber ähnliche Vereinbarungen wie im
letzten Winter treffen. Das Gebiet, auf das sich die Sorge
im Wesentlichen richtet, ist Süddeutschland.
Vielen Dank. – Wir kommen zur Frage 35 des Kolle-
gen Krischer, die sich mit der Vereinfachung des
Planungsrechts beim Stromnetzausbau befasst:
Welche konkreten Überlegungen hat die Bundesregierung
zur Vereinfachung des Planungsrechts beim Stromnetzausbau
– so wie sie der Präsident der Bundesnetzagentur, Jochen
Homann, laut dpa am 20. September 2012 fordert –, und wel-
che Gesetze, Verordnungen etc. müssten hierfür verändert
werden?
P
Hier liegt, glaube ich, ein Missverständnis vor. Der
Präsident der Bundesnetzagentur, auf den der Kollege
abhebt, hat nicht vorgeschlagen, neue Gesetze oder
Vorschriften zu erlassen, sondern er hat sich dafür ausge-
sprochen – er teilt damit die Einschätzung der Bundesre-
gierung bzw. wir teilen seine –, dass das Instrumenta-
rium des Netzausbaubeschleunigungsgesetzes möglichst
schnell aktiviert werden sollte. In dem Sinne hat er sich
geäußert. Wir planen also keine neuen Gesetze, sondern
wir planen die Aktivierung dieses Instrumentariums.
Nachfrage?
Ich habe das Zitat von Herrn Homann nur als Beispiel
genommen. Wie gesagt, in der Meldung wird er etwas
anders wiedergegeben. Gut, es mag sein, dass er miss-
verstanden worden ist.
Ich möchte nachfragen: Ihr Minister, Herr Rösler, hat
mehrfach öffentlich geäußert, dass er Naturschutzrecht
ändern möchte, um Netzausbau zu ermöglichen. Ich
habe bereits schriftlich nachgefragt, welche Veränderun-
gen die Bundesregierung konkret plant. Die Antwort
war: Die Bundesregierung plant keine Veränderungen.
Ich möchte Sie bitten, hier jetzt aus Sicht der Bundes-
regierung klarzustellen: Wird es irgendwelche Verände-
rungen, zum Beispiel von Rechtsnormen, insbesondere
im Hinblick auf Naturschutzrecht geben? Planen Sie da
etwas, oder planen Sie nichts?
P
Solche Planungen gibt es derzeit nicht.
Weitere Nachfrage?
Das heißt, ich kann die Äußerungen von Herrn Minis-
ter Rösler, dass sich Naturschutzrecht ändern muss, als
Dampfplauderei bezeichnen?
P
Das können Sie nicht, weil das erstens beleidigend
wäre und zweitens den Sachverhalt verfehlt. Herr Minis-
ter Rösler hat darauf hingewiesen, dass wir in Deutsch-
land in der erfreulichen Situation sind, dass große Teile
des Bundesgebietes Naturschutzgebiete sind, und dass es
zu Schwierigkeiten kommt, wenn wir im Rahmen der
Umsetzung der Energiewende den Leitungsausbau vo-
rantreiben. Hier besteht das Problem, dass Vorschriften
kollidieren. Das ist ein ernsthafter Gedanke. Aber ich
habe Ihnen ja auf Ihre Frage geantwortet, dass es keine
derartigen Planungen gibt. Das ist die Auffassung der
gesamten Bundesregierung, auch die von Herrn Bundes-
minister Rösler.
Jetzt gibt es eine Nachfrage der Kollegin Steiner. –
Bitte.
Danke, Herr Präsident. – Diese Frage fordert mich alsUmweltpolitikerin natürlich zu folgender Überlegung
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23289
Dorothea Steiner
(C)
(B)
heraus: Kann es sein, dass der Wirtschaftsminister, derNaturschutzbelangen ohnehin nicht besonders wohlwol-lend gegenübersteht, dies benutzt hat, um von den ei-gentlichen Problemen abzulenken, die darin bestehen,dass der Netzausbau gerade vonseiten des Wirtschafts-ministeriums im ganzen letzten Jahr nicht mit Ernst undnicht sorgfältig betrieben worden ist, was uns in die Si-tuation gebracht hat, in der wir uns jetzt befinden?P
Geschätzte Frau Kollegin, da Sie, wie Sie eben selbst
sagten, Ihren Schwerpunkt in der Umweltpolitik sehen,
hatten Sie wahrscheinlich nicht genug Zeit, um mit Auf-
merksamkeit zu verfolgen, wie engagiert das Bundes-
wirtschaftsministerium den Netzausbau betrieben und
vorangetrieben hat. Ich könnte Ihnen das jetzt im Einzel-
nen vortragen; aber ich erspare es uns. Insofern: Ihre
Vermutung ist in jeder Hinsicht falsch.
Auch Ihre Vermutung, Bundesminister Rösler habe
kein Herz für den Naturschutz und er sei ihm nicht wich-
tig, ist falsch. Er hat darauf hingewiesen, dass aufgrund
des Reichtums an Naturschutzgebieten in Deutschland
zwischen dem beschleunigten Netzausbau und einschlä-
gigen Vorschriften ein Zielkonflikt besteht. Ich kann Ih-
nen aber sagen: Bundesminister Rösler ist ein Freund
des Naturschutzes.
Danke.
Herr Staatssekretär, es gibt eine weitere Nachfrage,
und zwar von Frau Kollegin Britta Haßelmann. – Bitte
schön, Frau Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Hintze, ich habe
eine Nachfrage. Herr Minister Rösler hat der Presse zum
Thema Netzausbau öffentlich mitgeteilt, dass er, um den
Netzausbau in Deutschland voranzubringen, unter ande-
rem beabsichtigt, das Naturschutzgesetz zu ändern. Wir
möchten von der Bundesregierung wissen: Plant die
Bundesregierung, das Naturschutzgesetz zu ändern, oder
nicht? Da Sie Staatssekretär im Wirtschaftsministerium
sind, wäre ich Ihnen dankbar, wenn Sie dazu eine präzise
Aussage treffen könnten. Dann könnten wir sie bewer-
ten, und dann könnte auch öffentlich bewertet werden,
ob sie mit den vielen Ankündigungen, die der Wirt-
schaftsminister in dieser Frage gemacht hat, in Einklang
zu bringen ist.
P
Ich möchte Ihnen nicht unterstellen, Frau Kollegin,
dass Sie nicht sorgsam zuhören. Aber ich habe auf die
klugen Fragen Ihres Kollegen Krischer und Ihrer Kolle-
gin Steiner klar und präzise gesagt, dass eine solche Än-
derung nicht beabsichtigt ist.
Ich sehe, dass es hierzu keine weiteren Nachfragen
gibt.
Die Fragen 36 und 37 des Kollegen Martin Dörmann
und die Fragen 38 und 39 der Kollegin Beate Walter-Ro-
senheimer werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen nun zur Frage 40 der Kollegin Katja
Keul:
Welche Auswirkungen sieht die Bundesregierung durch
eine Fusion von EADS und BAE Systems für den europäi-
schen Rüstungsmarkt, und sieht sie die Notwendigkeit, hier
marktregulierend einzugreifen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
P
Die Bundesregierung prüft derzeit alle mit einer mög-
lichen Fusion – sie ist ja noch nicht beschlossen, und es
gibt auch noch keine politische Entscheidung der Bun-
desregierung, wie sie sich letztendlich dazu verhält – im
Zusammenhang stehenden rechtlichen Fragen, die
Standortfrage, die industriepolitischen Fragen und die
technologiepolitischen Fragen. Derzeit liegen uns noch
nicht alle Fakten zur genauen Struktur des zukünftigen
Unternehmens vor. Das hat seine Ursache unter anderem
im britischen Aktienrecht. Hier geht es ja um eine Joint
Operating Company, die nach englischem und niederlän-
dischem Recht möglich ist und die, auch was die Struk-
tur betrifft, bestimmte Informationsrestriktionen zur
Folge hat, sodass wir Ihre Frage, welche Auswirkungen
eine mögliche Fusion, wenn es zu ihr kommt, hätte, noch
nicht abschließend beantworten können.
Frau Kollegin Katja Keul, Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich habe eine Nach-
frage. Das Wirtschaftsministerium hat uns ja in seinem
schriftlichen Bericht informiert, auch über die geplante
Fusion. Der Anlage konnten wir Folgendes entnehmen:
BAE Systems und EADS betreiben hochsensible
und stark gesicherte Rüstungsunternehmen
– dann wird aufgezählt –
in den USA, Großbritannien, Frankreich, Deutsch-
land, Spanien, Saudi-Arabien …
Da ich davon ausgehe, dass es an dieser Stelle nicht um
EADS geht, lautet meine Frage: Was sind das für Rüs-
tungsunternehmen, die BAE Systems in Saudi-Arabien
betreibt, und wie bewertet die Bundesregierung die Tä-
tigkeit dieser Unternehmen im Hinblick auf deutsche
Rüstungskontrollstandards?
P
Erstens ist mir nicht bekannt, was in Saudi-Arabienbetrieben wird. Zweitens kann ich, wie Sie meiner erstenAntwort entnehmen konnten – vielleicht auch nicht,
Metadaten/Kopzeile:
23290 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Parl. Staatssekretär Peter Hintze
(C)
(B)
dann muss ich es noch einmal genauer erläutern –, dieFrage, welche Firmenteile überhaupt in diese Joint Ope-rating Company aufgenommen werden, wenn sie gebil-det wird, jetzt auch noch nicht beantworten.Insofern kann ich Ihnen Ihre Frage nicht beantworten.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin.
Ich hoffe, dass die Bundesregierung meine Sorge teilt.
Ich will meine Frage etwas allgemeiner formulieren:
Wird die Bundesregierung, bevor sie endgültig ihre Zu-
stimmung zu dieser Fusion gibt, auch prüfen, inwiefern
durch diesen weltweit operierenden Konzern deutsche
Rüstungsexportkontrollvorschriften möglicherweise ins
Leere laufen könnten?
P
Erstens ist die Haltung der Bundesregierung zur Fu-
sion noch völlig offen; das habe ich gesagt. Zweitens
werden wir, falls es zu einer solchen Fusion kommt, die
von Ihnen angesprochenen Fragen gründlich prüfen –
auch die rechtliche Frage, ob es hier überhaupt eine Ge-
nehmigungspflicht hinsichtlich der Fusion gibt oder
nicht. Es gibt ja auch Standorte dieses gemeinsamen Un-
ternehmens in Deutschland, weswegen wir durch diese
Fusion möglicherweise betroffen sind.
Das sind rechtliche Fragen, die zu prüfen sind. Denen
werden wir auf alle Fälle nachgehen.
Vielen Dank.
Ich rufe jetzt die Frage 41 unserer Kollegin Frau
Katja Keul auf:
Inwiefern bindet die Bundesregierung die israelische Re-
gierung in ihren Meinungsbildungsprozess zur Genehmigung
von Kriegswaffenexporten in Länder in der Nachbarschaft Is-
raels ein?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
P
Frau Kollegin Keul, wie Sie wissen und wie hier auch
von allen immer wieder vorgetragen wird – auch von al-
len Vorgängerregierungen; ich will jetzt nicht auf die
politische Farbenlehre eingehen –, treffen wir die Ent-
scheidung über den Export von Kriegswaffen nach den
„Politischen Grundsätzen der Bundesregierung für den
Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgü-
tern“ aus dem Jahr 2000 und nach dem „Gemeinsamen
Standpunkt 2008/944/GASP des Rates vom 8. Dezem-
ber 2008 betreffend gemeinsame Regeln für die Kon-
trolle der Ausfuhr von Militärtechnologie und Militärgü-
tern“.
Bei Entscheidungen über Kriegswaffenexporte in die
Nachbarschaft Israels bezieht die Bundesregierung si-
cherheitspolitische Belange Israels stets in ihre Überle-
gungen mit ein.
Jetzt kommt die erste Nachfrage. Bitte schön, Frau
Kollegin Katja Keul.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, Sie werden nicht
überrascht sein, dass ich sage, dass mich diese Antwort
nicht überrascht.
P
Nein, das überrascht mich nicht. Ich wundere mich
trotzdem immer wieder.
Das war jetzt aber noch nicht die Frage.
P
Das hatte ich missverstanden, Herr Präsident. Ich
bitte um Nachsicht.
Über das hinaus, was Sie gerade gesagt haben, hat die
Bundesregierung ja schon immer deutlich gemacht, dass
sie solche Dinge unter Freunden natürlich auch im Vor-
feld bespricht, damit niemand überrascht ist. So frage ich
Sie jetzt doch noch einmal, was im Falle der U-Boot-
Lieferung an Ägypten schiefgelaufen ist, sodass sich
namhafte Vertreter der israelischen Regierung und des
näheren Umfelds sehr erstaunt darüber gezeigt haben,
dass solche Konsultationen in diesem Fall offensichtlich
nicht stattgefunden haben.
P
Das ist eine Suggestivfrage, Frau Kollegin, bei der
Sie von verschiedenen Annahmen ausgehen, die nicht
zutreffen. Insofern sehe ich mich in dieser paradoxen
Fragesituation außerstande, mit einer Antwort auf Ihre
Frage einzugehen.
Ich darf noch eine weitere Nachfrage stellen, Herr
Präsident?
Bitte schön, Frau Kollegin.
Sie haben gesagt – das war Ihrer nicht überraschen-den Antwort jetzt auch zu entnehmen –, dass Sie israeli-sche Sicherheitsbedenken durchaus einbeziehen. Aufwen bezieht sich das bei Entscheidungen über Rüstungs-exporte in die Region noch? Würden Sie umgekehrt alsobeispielsweise auch Saudi-Arabien konsultieren, bevor
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23291
Katja Keul
(C)
(B)
Sie U-Boote an Israel liefern, und haben Sie Israel einbe-zogen, bevor Sie Panzer nach Saudi-Arabien gelieferthaben?Nach welchen Kriterien bindet die RegierungFreunde in der Region in diese Entscheidungen ein, undwann tut sie das nicht?P
Die Antwort auf die Frage, was die Bundesregierung
in welcher Situation tut, richtet sich natürlich nach dem
jeweiligen Einzelfall. Es ist jetzt bei diesem konstruier-
ten Einzelfall sehr schwierig, die Sache durchzubuchsta-
bieren.
– Sagen wir es so: eine von Ihnen liebevoll gestaltete
Einzelfrage zu beantworten.
Der Abwägungsprozess hängt jeweils vom Einzelfall
und vom Kontext ab. Deswegen kann Ihre Frage so ge-
nerell nicht beantwortet werden. Legitime Sicherheitsin-
teressen und insbesondere die Auswirkungen von mögli-
chen Ausfuhr- oder Herstellungsgenehmigungen werden
immer sorgfältig – sorgfältigst! – bedacht. Dabei lässt
sich die Bundesregierung von niemandem übertreffen.
– Ich bitte darum, das zu Protokoll zu nehmen.
Das wird alles aufgezeichnet und ist Inhalt des Proto-
kolls.
Zur Frage 41 gibt es keine Nachfrage mehr, Herr
Staatssekretär. Die Frage 42 der Kollegin Viola von
Cramon-Taubadel wird schriftlich beantwortet. Ich darf
mich beim Herrn Staatssekretär herzlich bedanken.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Auswär-
tigen Amtes. Bei diesem Geschäftsbereich werden, so
sehe ich, nach meinen Unterlagen die Frage 43 der Kol-
legin Viola von Cramon-Taubadel, die Fragen 44 und 45
des Kollegen Tom Koenigs, die Frage 46 der Kollegin
Ulla Jelpke, die Frage 47 des Kollegen Hans-Christian
Ströbele, die Fragen 48 und 49 des Kollegen Klaus
Brandner und die Fragen 50 und 51 des Kollegen
Manuel Sarrazin schriftlich beantwortet. Sind hier ir-
gendwelche Kolleginnen oder Kollegen, die das anders
sehen? – Das ist nicht der Fall. Dann werden die Fragen
alle schriftlich beantwortet.
Somit komme ich jetzt zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums des Innern. Hier ist ebenfalls die
Situation, dass die Fragen 52 und 53 der Kollegin
Gabriele Hiller-Ohm, die Fragen 54 und 55 des Kollegen
Andrej Hunko, die Fragen 56 und 57 des Kollegen Meh-
met Kilic und die Frage 58 der Kollegin Sevim Dağdelen
schriftlich beantwortet werden.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums der Justiz. Die Frage 59 der Kollegin
Sevim Dağdelen sowie die Fragen 60 und 61 des Kolle-
gen Dr. Sascha Raabe werden, so höre ich gerade,
schriftlich beantwortet.
Somit kommen wir zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Finanzen. Auch hier habe ich die
Mitteilung, dass die Frage 62 der Kollegin Lisa Paus, die
Frage 63 der Kollegin Priska Hinz und die Frage 64 der
Kollegin Diana Golze schriftlich beantwortet werden.
Wir gehen weiter in den Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums für Arbeit und Soziales. Hier werden
die Fragen 65 und 66 des Kollegen Dr. Ilja Seifert, die
Fragen 67 und 68 des Kollegen Markus Kurth, die Fra-
gen 69 und 70 des Kollegen Willi Brase, die Frage 71
des Kollegen Oliver Kaczmarek, die Frage 72 des Kolle-
gen Dr. Ernst Dieter Rossmann und die Fragen 73 und
74 der Kollegin Sabine Zimmermann schriftlich beant-
wortet.
Ich komme jetzt zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz. Hier werden die Fragen 75 und 76 der
Kollegin Bärbel Höhn schriftlich beantwortet.
Wir kommen zur Frage 77 des Abgeordneten
Friedrich Ostendorff.
Er hat mein Flehen gehört und die Telekommunikation
unterbrochen. Da der Herr Staatssekretär auch gerade in
den Saal kommt, wurden die Gespräche wahrscheinlich
schon vor der Tür geführt. Trotzdem wird das Hohe
Haus die Ehre haben, die Fragen und die Antworten ins-
gesamt zu hören. Ich rufe also Frage 77 unseres Kolle-
gen Friedrich Ostendorff auf:
Welche über die heutige Gesetzeslage hinausgehenden
Vorgaben zur Haltung von Tieren im Hinblick auf eine Re-
duktion des Antibiotikaeinsatzes können nach den Regelun-
gen des Entwurfs eines 16. Gesetzes zur Änderung des Arz-
neimittelgesetzes verordnet werden?
Sie wird vom Herrn Parlamentarischen Staatssekretär
Peter Bleser beantwortet. Ich bitte darum.
Pe
Danke schön, Herr Präsident. – Lieber Kollege
Ostendorff, nach dem im neuen Entwurf des 16. Geset-
zes zur Änderung des Arzneimittelgesetzes enthaltenen
§ 58 c Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 des Gesetzes kann die Be-
hörde die dort beispielhaft angeführte Anforderung an
die Haltung von Tieren anordnen, soweit es zur wirksa-
men Verringerung der Anwendung von Antibiotika er-
forderlich ist und Rechtsvorschriften dem nicht entge-
genstehen. Die Anordnungsbefugnisse der zuständigen
Behörde bewegen sich im Rahmen des Ermessensspiel-
raums, dürfen geltende tierschutzrechtliche Vorgaben al-
lerdings nicht beeinträchtigen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Friedrich Ostendorff.
Metadaten/Kopzeile:
23292 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
(C)
(B)
Schönen Dank für die freundliche Unterstützung desPräsidenten. – Kollege Bleser, die Antwort führt mich zueiner weiteren Frage. Es geht hier – ich muss einen Satzerklärend anfügen – um das Zusammenspiel von Bundund Ländern. Die Länder müssen bei erkennbaren Miss-ständen zusammen mit den Betrieben handeln. Wie, den-ken Sie, ist das durchführbar, zum Beispiel bei der Hal-tung von Puten? Hier gibt es keine Haltungsverordnungdes Bundes. Auf welcher rechtlichen Grundlage würdendann Antibiotikaminimierungspläne mit den Ländernund den Betrieben zusammen erarbeitet werden? Dafehlt mir das Zwischenglied der Verordnung auf derGrundlage des Gesetzestextes.Pe
Kollege Ostendorff, im Arzneimittelgesetz werden
diese Dinge nicht geregelt. Sie werden in den entspre-
chenden Verordnungen, wenn es sie gibt, präzisiert. An-
sonsten werden, wenn Missstände erkennbar sind, von
den örtlichen Behörden entsprechende Maßnahmen ein-
geleitet bzw. in Kooperation mit dem Tierhalter und dem
Tierarzt durchgeführt.
Vielen Dank. – Kollege Ostendorff, Ihre zweite Nach-
frage.
Einen Satz direkt dazu: Es fehlt die gesetzliche
Grundlage, auf der die Behörden das tun können.
Nun komme ich zu meiner zweiten Frage. Wenn
1 734 Tonnen Antibiotika in die Tierhaltung wandern,
wie letzte Woche vom Bundesamt für Verbraucherschutz
und Lebensmittelsicherheit festgestellt wurde, und da-
von 99 Prozent in die Nutztierhaltung, wie wir heute
Morgen erfuhren, dann hängt das auch damit zusammen,
dass nach Feststellung der Länder Niedersachsen und
Nordrhein-Westfalen 75 Prozent dieser Antibiotikamen-
gen in der Großtierhaltung zur Prophylaxe eingesetzt
werden. Prophylaktischer Einsatz ist aber verboten. Wie
wollen Sie ihn eliminieren? Das ist kriminelles Handeln.
Bisher wurde noch nichts dazu gesagt, wie man dem be-
stehenden Gesetz, mit dem wir seit 2006 den prophylak-
tischen Einsatz von Antibiotika verbieten, zur Geltung
verhelfen will.
Pe
Herr Kollege Ostendorff, die Anwendung von Anti-
biotika unterliegt zunächst einmal der Verordnung durch
den Tierarzt. Ohne die Verordnung darf niemand Anti-
biotika einsetzen. Dies ist eine entsprechende Entschei-
dung des Arztes, der die Notwendigkeit erkennen muss.
Vielen Dank. – Es gibt jetzt eine Nachfrage unserer
Kollegin Dorothea Steiner.
Danke, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär Bleser,
als niedersächsische Abgeordnete ebenso wie Sie treibt
mich in Anbetracht der Zahlen für Niedersachsen dieses
Problem ganz besonders um. Weil jetzt mehrfach unter-
strichen worden ist, dass die prophylaktische Gabe von
Antibiotika verboten ist, Sie aber dieses Problem im
Rahmen der Gesetzgebung nicht ausreichend berück-
sichtigen, frage ich Sie: Wie und in welcher Form wollen
Sie gewährleisten, dass entsprechende Kontrollen zur
Verhinderung prophylaktischer Gabe tatsächlich effektiv
durchgeführt werden?
Bitte schön.
Pe
Liebe Frau Kollegin, zunächst darf ich Sie darauf hin-
weisen, dass ich aus Rheinland-Pfalz komme.
Ansonsten beantworte ich Ihre Frage in der Weise, dass
wir mit dem neuen Arzneimittelgesetz gerade die Ver-
pflichtung der Meldung von verabreichten Antibiotika
durch die landwirtschaftlichen Betriebe vorsehen. Inso-
fern werden dann auffällige Betriebe erkennbar, und die
örtlichen Behörden können entsprechende Maßnahmen
einleiten, falls Missstände auftreten sollten.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.Die Fragen 78 und 79 des Kollegen Harald Ebnerwerden schriftlich beantwortet ebenso wie die Frage 80des Abgeordneten Dirk Becker. Damit ist dieser Ge-schäftsbereich beendet.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Verteidigung. Anwesend ist der Parla-mentarische Staatssekretär Christian Schmidt. DieFrage 81 der Kollegin Ulla Jelpke, die Frage 82 des Kol-legen Hans-Christian Ströbele und die Frage 83 des Kol-legen Omid Nouripour werden schriftlich beantwortet.Das waren alle Fragen aus Ihrem Geschäftsbereich.Trotzdem vielen Dank für die Anwesenheit, was auchnicht immer selbstverständlich ist.Jetzt kommen wir zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.Zur Beantwortung der Fragen steht der ParlamentarischeStaatssekretär Jan Mücke zur Verfügung.Die Fragen 84 und 85 des Kollegen Gustav Herzogund die Fragen 86 und 87 des Kollegen Uwe Beckmeyerwerden schriftlich beantwortet.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23293
Vizepräsident Eduard Oswald
(C)
(B)
Die Fragen 88 und 89 wurden von der Kollegin KarinRoth gestellt, die nicht im Saal ist. Es wird verfahren,wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.Die Frage 90 wurde von dem Kollegen ThomasJarzombek gestellt, der ebenfalls nicht anwesend ist. Eswird verfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgese-hen.Die Frage 91 des Kollegen Ulrich Kelber, die Fragen 92und 93 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter und die Frage 94von der Kollegin Cornelia Behm werden schriftlich be-antwortet.Die Fragen 95 und 96 wurden von der Kollegin RitaSchwarzelühr-Sutter gestellt. Sie ist nicht da. Es wirdverfahren, wie in der Geschäftsordnung vorgesehen.Die Zuhörerinnen und Zuhörer sollten wissen, dassdie Kolleginnen und Kollegen in Ausschuss- und Ar-beitsgruppensitzungen sind, sodass es verständlich ist,dass sie nicht immer rechtzeitig hier sein können.Die Fragen 97 und 98 der Kollegin Ute Kumpf wer-den schriftlich beantwortet, ebenso wie die Fragen 99und 100 des Kollegen Dr. Diether Dehm.Ich rufe die Frage 101 der Kollegin Voß auf:Wie beurteilt die Bundesregierung die Einweihung des Ja-deWeserPorts am 21. September 2012 mit 1 000 Gästen vordem Hintergrund eines gefährlichen Chemiewrackfrachtersmit unbekannten Gefahrenstoffen am Kai?Die Frau Kollegin ist anwesend. – Bitte schön, HerrStaatssekretär.J
Herr Präsident! Frau Kollegin, die Antwort der Bun-
desregierung lautet:
Der JadeWeserPort ist inzwischen wie erwartet ohne
Zwischenfall eröffnet worden. Für die Feierlichkeiten wurde
ein Ort auf dem Hafengelände gewählt, der einige Hun-
dert Meter vom Sicherheitsbereich der „MSC Flaminia“
entfernt liegt.
Alle Gefahrgüter, die sich an Bord befinden, sind be-
kannt. An Bord des Schiffes werden weiterhin fortlau-
fend Luft-, Wasser- und Wischproben genommen, um
Gefährdungen von Menschen und Umwelt auszuschlie-
ßen. Die Berufsgenossenschaft für Transport und Verkehrs-
wirtschaft, das Gewerbeaufsichtsamt, das Wilhelmshave-
ner Gesundheitsamt, die Behörde für Hafengesundheit,
die Feuerwehr und eine Spezialfirma als Brandwache
sind vor Ort und überwachen sämtliche Maßnahmen.
Die „MSC Flaminia“ ist zwar an einigen Teilen
schwer beschädigt, aber kein Wrack.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Johanna Voß.
Danke schön, Herr Präsident. – Dann möchte ich fra-
gen: Wusste die Belegschaft der „MSC Flaminia“ über
die Gefahren auf dem Schiff Bescheid? Waren alle Ge-
fahrstoffe bekannt? Sind die Gefahrstoffe der Bundesre-
gierung jetzt bekannt? Waren und sind die Leute, die
dieses Schiff jetzt in Schach halten, im Umgang mit die-
sen Gefahrstoffen geschult?
J
Frau Kollegin, die Frage habe ich bereits beantwortet.
Natürlich sind alle Gefahrgüter, die sich an Bord befin-
den, bekannt. Die zuständigen Behörden habe ich aufge-
führt.
Hat die Reederei Niederelbe Schiffahrtsgesellschaft
aus Buxtehude versucht, mit juristischen Mitteln zu ver-
hindern, dass eine vollständige Gefahrgutliste der „MSC
Flaminia“ der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird?
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus
diesem Verhalten?
J
Ich glaube, das ist eine Frage, die Sie später gestellt
haben.
Sie hatten eine Nachfrage zu Frage 101. Sie sind also
vorgesprungen, sodass ich gerne aufgreife, was der Herr
Staatssekretär sagt, und Ihre Frage 102 aufrufe:
Handelt es sich bei den Mitarbeitern der Entsorgungs- und
Bergungsfirmen, die bei der „MSC Flaminia“ eingesetzt wer-
den, um Freiwillige oder um Mitarbeiter, denen Sanktionen
angedroht worden sind, sollte die Arbeitsaufnahme verwei-
gert werden, sowie um Leih- bzw. Zeitarbeiter?
Der Staatssekretär beantwortet nun die Frage 102.
J
Dazu lautet die Antwort der Bundesregierung: Der
Bundesregierung liegen darüber keine Erkenntnisse vor.
Die Mitarbeiter des Unternehmens, die die Entladung
des Schiffes vornehmen werden, wurden im August
2012 auf einer Betriebsversammlung eingehend über die
bevorstehende Aufgabe informiert. Die Personalvertre-
tung war dabei anwesend. Die Mitarbeiter, die die Ent-
sorgung vornehmen, sind ebenfalls durch das Unterneh-
men eingewiesen worden.
Alle Maßnahmen werden unter den hohen Anforde-
rungen des Unfall-, Arbeits- und Gesundheitsschutzes
geplant, kontrolliert und durchgeführt. Eine Bergungs-
firma ist – da nicht mehr notwendig – nicht eingesetzt.
Erste Nachfrage, Frau Kollegin Johanna Voß.
Dann noch einmal die Frage: Hat die Reederei Nie-derelbe Schiffahrtsgesellschaft aus Buxtehude versucht,mit juristischen Mitteln zu verhindern, dass eine voll-ständige Gefahrgutliste der „MSC Flaminia“ der Öffent-
Metadaten/Kopzeile:
23294 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Johanna Voß
(C)
(B)
lichkeit zugänglich gemacht wird? Welche Konsequen-zen zieht die Bundesregierung daraus?J
Darüber liegen mir keine Erkenntnisse vor.
Danke.
Vielen Dank.
Ich rufe die Frage 103 der Kollegin Jutta Krellmann
auf:
In welcher Form wurde vor dem Einlaufen der „MSC
Flaminia“ geprüft, ob die unfertige Infrastruktur, Brand-
schutz- und Sicherheitsversorgung des JadeWeserPorts für die
Aufnahme des havarierten Schiffes ausreicht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
J
Frau Krellmann, die Antwort der Bundesregierung
lautet: Der Zuweisung eines Notliegeplatzes geht in
Deutschland eine umfangreiche Beurteilung, ein soge-
nanntes Assessment, voraus. Dabei werden unter ande-
rem schnelle Erreichbarkeit und Infrastruktur, aber auch
Umweltfragen bewertet sowie Gefährdungsbeurteilun-
gen erstellt. In Wilhelmshaven finden als drittgrößtem
Hafen Deutschlands mit einem hohen Anteil des Um-
schlags von Öl regelmäßig Übungen zur Bekämpfung
von Umweltschäden statt. Mit der Aufstellung des Ha-
fenmanagementplans, der auch TÜV-geprüfte Alarm-
und Notfallpläne umfasst, waren die verantwortlichen
Stellen bei der JadeWeserPort Realisierungsgesellschaft
gut vorbereitet auf die Ankunft der „MSC Flaminia“. Es
erfolgte selbstverständlich bereits vor der Ankunft des
Schiffes eine intensive Zusammenarbeit mit allen maß-
geblichen Behörden, Institutionen und Firmen. Diese
wird noch fortgesetzt in täglichen Jour fixes unter Lei-
tung des Havariekommandos.
Vielen Dank. – Bevor ich Frau Kollegin Jutta
Krellmann das Recht zur ersten Nachfrage gebe, muss
ich die Parlamentarischen Geschäftsführer bitten, zu mir
zu kommen. Es geht um die Frage der weiteren Gestal-
tung der Tagesordnung, da wir schneller sind, als es der
geplante Zeitablauf vorsieht. Das müssen wir miteinan-
der besprechen.
Frau Kollegin Jutta Krellmann, Sie haben Ihre erste
Nachfrage.
Vielen Dank. – Als jemand, der einmal Chemielabo-
rantin gelernt hat, habe ich bei Ihrer Beantwortung der
Frage von Frau Voß zur Kenntnis genommen, dass der
Bundesregierung die einzelnen Gefahrstoffe bekannt
waren. Meine konkrete Nachfrage lautet: Über welche
Gefahrstoffe reden wir eigentlich?
J
Es handelt sich um eine ganze Reihe von Gefahrstof-
fen, die anhand eines Ladungsplans dem Havariekom-
mando zugänglich sind. Ich habe diese Liste nicht dabei.
Ich kann sie Ihnen aber gerne schriftlich zur Verfügung
stellen.
Das wäre sehr nett. Vielen Dank.
Wie ich sehe, haben Sie dazu keine weitere Nach-
frage.
Wir kommen jetzt zu Frage 104 der Kollegin Jutta
Krellmann:
Was für erprobte Katastrophenschutzpläne gibt es für den
JadeWeserPort, um auf unvorhergesehene chemische Reaktio-
nen mit unbekannten Substanzen und Gasen in den Mengen
der „MSC Flaminia“ zu reagieren?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
J
Frau Kollegin Krellmann, die Antwort der Bundesre-
gierung lautet: Für den Katastrophenschutz in Deutsch-
land sind die Bundesländer – in diesem Fall das Land
Niedersachsen – verantwortlich. Hier gibt es keine Zu-
ständigkeit der Bundesregierung.
Ihre Nachfrage, bitte schön, Frau Kollegin Jutta
Krellmann.
Meine Nachfrage lautet: Wo wurde die „MSC Flami-
nia“ mit den Gefahrstoffen beladen, und welches waren
ihre Bestimmungsorte?
J
Dazu liegen mir keine Erkenntnisse vor. Das werde
ich Ihnen schriftlich nachliefern.
Das wäre sehr nett von Ihnen. Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Jutta Krellmann.Die Fragen 105 und 106 der Kollegin DorotheeMenzner werden nach der Geschäftsordnung behandelt,da die Kollegin nicht anwesend ist.Ich rufe die Frage 107 des Kollegen Herbert Behrensauf:Wie sollen nach Kenntnis der Bundesregierung die Ge-fahrgutcontainer von der „MSC Flaminia“ im JadeWeserPortin Wilhelmshaven von Bord geladen werden, und wo sollensie ohne Gefährdung der Menschen, die in der Umgebungwohnen, sicher gelagert bzw. entsorgt werden?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23295
(C)
(B)
J
Herr Kollege Behrens, darauf möchte ich Ihnen wie
folgt antworten: Das Entladungskonzept des Germani-
schen Lloyd für die „MSC Flaminia“ sieht vor, Contai-
ner und Löschwasser gleichermaßen zu entladen, um die
Stabilität des Schiffes zu erhalten. Vorrang haben die
Container, bei denen eine erhöhte Temperatur festge-
stellt wurde. Danach folgen die Gefahrgutcontainer. Die
Container werden mithilfe einer Art Wanne entladen und
bei Bedarf gereinigt. Unbeschädigte Container und In-
halte werden nach der Besichtigung durch die Versiche-
rer an ihren ursprünglichen Bestimmungsort gebracht.
Beschädigte Container und Inhalte werden fachgerecht
entsorgt oder die Inhalte gereinigt und neu verpackt.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Herbert Behrens.
Vielen Dank für Ihre Antworten, Herr Staatssekretär. –
Nun haben Sie erzählt, was mit den einzelnen Gefahr-
gutcontainern vorgesehen ist, Sie haben aber nicht ge-
sagt, wie hafenintern mit diesen Containern umgegangen
wird. Gibt es ein Zwischenlagerungskonzept, oder wird
sofort abtransportiert? Wie muss ich mir das vorstellen,
auch im Hinblick auf entsprechende Nachfragen aus der
Wilhelmshavener Bevölkerung?
J
Ich finde, ich habe Ihnen die Frage ausreichend beant-
wortet. Die Gefahrgutcontainer werden mit einer Art
Wanne entladen; das habe ich Ihnen gesagt. Diese
Wanne wird am Kai abgestellt. Dort erfolgt die fachge-
rechte Beurteilung und natürlich auch die Entsorgung für
den Fall, dass diese notwendig ist. Aus meiner Sicht ist
diese Frage eindeutig beantwortet worden. Es werden
selbstverständlich alle Arbeitsschutzvorschriften und
alle Umweltvorschriften eingehalten. Danach hatte die
Kollegin vorhin schon gefragt. Insofern gibt es keinen
Grund zur Sorge. Diese Sorgen können wir entkräften.
Ich rufe die Frage 108 unseres Kollegen Herbert
Behrens auf:
Wie sieht der „erste Teil eines Konzeptes“ für die „fach-
schenlagerung des Löschwassers und des Abtransportes die-
ses Löschwassers aus?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
J
Die Antwort der Bundesregierung lautet: Eine Zwi-
schenlagerung ist nicht vorgesehen. Das Löschwasser
wird in Spezialschiffe umgepumpt und in den dafür vor-
gesehenen Einrichtungen fachgerecht entsorgt. Die Ent-
sorgungskonzepte werden vor der Durchführung von den
zuständigen Fachbehörden geprüft sowie die durchzu-
führenden Maßnahmen kontrolliert. Über den Verbleib
des Entsorgungsgutes erfolgt die dafür vorgesehene ge-
setzliche Nachweisführung und Dokumentation.
Ihre Nachfrage, Kollege Behrens.
Ihrer Antwort entnehme ich, dass das Löschwasser
ausschließlich auf ein anderes Schiff oder andere Schiffe
umgepumpt wird. Es finden keinerlei Transporte über
die Straße statt; denn auch die Schienenanbindung des
JadeWeserPorts ist noch nicht realisiert.
J
So ist es.
Danke.
J
Bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Bei den Fra-
gen 109 und 110 verfahren wir nach unserer Geschäfts-
ordnung, weil die Fragestellerin, die Kollegin Heidrun
Dittrich, nicht da ist.
Es gibt keine weitere Fragen in diesem Geschäftsbe-
reich.
Wir sind auch am Ende der Fragestunde insgesamt.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich darf den Frak-
tionen mitteilen, dass ich nach Abstimmung mit den
Fraktionsgeschäftsführern die Sitzung bis 17 Uhr unter-
breche. Wir treffen uns zu unserer Aktuellen Stunde hier
um 17 Uhr wieder.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir setzen die un-terbrochene Sitzung fort.Ich rufe den Zusatzpunkt 2 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU undder FDPBesorgnis über die Parlamentswahlen inWeißrusslandBevor wir mit dem ersten Redner beginnen, weise ichnoch darauf hin, dass der Staatsminister im AuswärtigenAmt durch eine gegenwärtig stattfindende Ausschusssit-zung verhindert ist. Ich glaube, wir haben angesichts des
Metadaten/Kopzeile:
23296 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Vizepräsident Eduard Oswald
(C)
(B)
vorzeitigen Beginns unserer Sitzung Verständnis dafür.Er wird, wie ich höre, in zehn Minuten da sein.Ich rufe den ersten Redner auf. Für die Fraktion derFDP spricht unser Kollege Patrick Kurth. Bitte schön,Herr Kollege.
Herzlichen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehr-ten Damen und Herren! Der Übergang von einem autori-tären Staat in eine Demokratie ist für jede Gesellschafteine große Herausforderung. Das erleben übrigens wirDeutsche selbst auch 20 Jahre nach der deutschen Ein-heit. Obwohl wir – das muss man immer wieder deutlichsagen – westlich der Elbe sozusagen einen großen Bru-der hatten, obwohl wir in Ostdeutschland Westfernsehenhatten, obwohl die gemeinsame Währung so schnell zuuns kam, obwohl wir sehr schnell wiedervereinigt wor-den sind, obwohl wir auf all das nach über 20 Jahrendeutsche Einheit zurückblicken – vorhin haben wir überden Jahresbericht zum Stand der Deutschen Einheit 2012gesprochen –, gibt es noch erhebliche Differenzen.Eben weil wir das einzige Land in der westlichenWelt sind, das eine solche Transformationserfahrung hat,können wir mit besonderer Glaubwürdigkeit über die Si-tuation im östlichen Europa sprechen. Dabei ist es zwin-gend notwendig – das machen wir immer wieder –, dasswir bei den Transformationsprozessen in den östlichenPartnerländern differenzieren. Einige Staaten sind guteNachbarn geworden. Andere sind Partner und FreundeDeutschlands.Aber gerade weil wir differenzieren, verurteilen wiraufs Schärfste die Vorgänge in Weißrussland. Die Men-schenrechtslage dort ist katastrophal. Die brutale Unter-drückung Andersdenkender ist bekannt. Die rechtsstaat-lichen Grundsätze werden mit Füßen getreten. Geradeim Vorfeld der Wahlen haben wir dies gesehen. PräsidentLukaschenko unterstrich, dass Gewalt und Einschüchte-rung die Visitenkarte des Regimes sind.Die Wahl wurde so zur Farce: fairer Wettbewerb,Meinungsstreit, Akzeptanz der politischen Opposition –all dies haben wir in Weißrussland nicht gesehen. Statt-dessen wurde gefälscht, was man bei Wahlen fälschenkann: die Höhe der Wahlbeteiligung, die Stimmzettel-auszählung und letztlich auch das Ergebnis. Dies wider-spricht allen erdenklichen Grundsätzen einer demokrati-schen und transparenten Wahl. Der Wahlboykott derOpposition war unter diesen Umständen folgerichtig.Angesichts der Brutalität des Regimes will ich ganzdeutlich sagen: So viel Zivilcourage muss unsere Aner-kennung finden.
Wenn wir über Weißrussland reden, dann gilt aberauch: Die Länder, die mit Weißrussland zusammenarbei-ten, müssen ihr Verhältnis zu Weißrussland prüfen.Gerade Russland ist dazu aufgerufen, seine ideelle Un-terstützung gegenüber dem weißrussischen Regime, dieoftmals deutlich wird, zu hinterfragen. Auch andere Ak-teure müssen sich mit den Zuständen in Weißrusslandauseinandersetzen. Taube Ohren sind keine Option. Dasgilt nicht nur für die Länder in dieser Region, für denKulturkreis, an den wir immer denken, sondern auch fürdie Demokratien im Westen.2014 soll in Weißrussland die Eishockey-WM statt-finden. Wir haben hier im Plenum schon darüber ge-sprochen. Ich habe gemeinsam mit meinem KollegenDjir-Sarai dem Präsidenten der Internationalen Eisho-ckey-Föderation, Herrn Dr. Fasel, geschrieben. Wir wie-sen auf die dramatische Lage in Weißrussland hin. Wirhaben unsere Befürchtung geäußert, dass das belarussi-sche Regime unter Lukaschenko die Eishockey-WM fürseine eigenen Ziele und Zwecke propagandistisch miss-braucht. In Anbetracht der anhaltenden Repression dereigenen Bevölkerung durch das Regime haben wir da-rauf hingewiesen, dass wir keine unangebrachte interna-tionale Aufwertung für den weißrussischen Präsidentenwollen.Herr Dr. Fasel antwortete uns auf unseren Brief underklärte, dass eine Einmischung der Politik in sportlicheVeranstaltungen Schaden für die Athleten, für den Sportals solchen und auch für die friedlichen Ziele der olym-pischen Bewegung bedeuten würde. Ich fand die Ant-wort in diesem Zusammenhang unangemessen.In seiner Eröffnungsrede beim 134. Kongress der Eis-hockey-Föderation im Mai 2012 setzte er noch einsdrauf. Er erklärte, mit einem Boykott der Eishockey-WM in Weißrussland würden sich die Verantwortlichender Sportverbände zu Marionetten der Politik machen.
Meine Damen und Herren, ich glaube, ich sprechehier für viele, wenn ich sage, dass wir diesen Marionet-tenvergleich entschieden zurückweisen.
Der Wahlverlauf bestätigte die von uns damals geheg-ten Bedenken. Herr Fasel hat jetzt am Wochenende, nachder Wahl, erklärt, er habe von den politischen Zuständenin Belarus nichts mitbekommen.
Meine Damen und Herren, das ist nun wirklich nichtmehr erklärbar. Man kann es „Zweckignoranz“ nennen,man kann es vielleicht auch „fragwürdige Verantwor-tung“ nennen; auf jeden Fall ist das ein Vorgehen, daswir so nicht mittragen.Gerade angesichts der bevorstehenden WM muss dieEishockey-Föderation fortan – wir fordern noch einmaldazu auf – gewissenhafter mit diesem Thema umgehen.Der Präsident eines der wichtigsten Sportweltverbändedarf die Augen hier nicht verschließen; ebenso sind alleanderen dazu aufgerufen, hier die Augen nicht zu ver-schließen.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23297
Patrick Kurth
(C)
(B)
Wir setzen uns für Weltoffenheit, für Werteorientiert-heit und für die Einhaltung der Grundrechte ein. Wir un-terstützen die Länder, die mit ihren Reformbestrebungenihren guten Willen zur Umsetzung von Rechtsstaatlich-keit und Demokratie zeigen. Aber die völlige Ignoranzin Bezug auf Menschenrechte und internationale Stan-dards bei Wahlen ist für uns völlig inakzeptabel. Die ver-hängten europäischen Sanktionen, unter anderem dasEinreiseverbot für Lukaschenko, sind der richtige Weg;wir unterstreichen das. Es ist gerade für uns Deutschenicht akzeptabel, dass massive Menschenrechtsverlet-zungen in unserer unmittelbaren Nachbarschaft noch im-mer stattfinden.Ich bedanke mich sehr herzlich.
Vielen Dank, Kollege Kurth. – Nächster Redner in
unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozial-
demokraten unser Kollege Dr. Rolf Mützenich. Bitte
schön, Kollege Rolf Mützenich.
Vielen Dank. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnenund Kollegen! Das ist ausdrücklich keine AktuelleStunde, die sich gegen die Menschen in Weißrusslandrichtet;
im Gegenteil: Wir wollen von dieser Stelle aus deutlichmachen, dass viele in Weißrussland – mutige junge Men-schen, Frauen, Oppositionelle – in den letzten Jahrenversucht haben, dem Regime zu widerstehen. Wir wol-len alle Aufmerksamkeit genau auf diese Menschen rich-ten, die so viel Mut aufgebracht haben, diesen Machen-schaften des Regimes zu widerstehen. Deswegen, glaubeich, ist diese Aktuelle Stunde heute angebracht.Ich will auch sehr deutlich sagen: Weißrussland ge-hört zum europäischen Kulturraum. Es hat große Bei-träge zur Ideengeschichte geliefert; das gilt auch für dieMenschen selbst. Weißrussland – das müssen wir deut-lich machen – wollen wir sozusagen in unserer europäi-schen Familie wissen, und deswegen machen wir unsgroße Sorgen.In der Tat, Kollege Kurth: Der Weg zu demokrati-schen Verhältnissen, gerade auch nach diesen Erfahrun-gen einer gefälschten Parlamentswahl, wird wahrschein-lich lang sein, aber er ist nicht ohne Chance. Wir solltenden Menschen Mut machen, weiterhin alles dafür zu un-ternehmen, dass dieser demokratische Weg gelingt. Ichglaube, das können wir nur gemeinsam mit den Partnernin der Europäischen Union und mit Partnern, die an un-serer Seite für demokratische Grundrechte eintreten.Mit dieser Aktuellen Stunde wollen wir aber auf dieMachenschaften des Regimes und auf die gefälschtenWahlen hinweisen. Wir müssen daran erinnern, dass diePräsidentschaftswahlen vor zwei Jahren nicht nur ge-fälscht waren, sondern dass mutige Politiker, die zu die-sen Wahlen angetreten sind, bis heute im Gefängnis sit-zen. Wir wollen auch heute von dieser Stelle aus an dasRegime appellieren, sofort alle politischen Gefangenenbzw. alle, die aus politischen Gründen verurteilt wordensind, freizulassen. Ich erinnere zum Beispiel an den so-zialdemokratischen Präsidentschaftskandidaten Statkevich,dessen Familie in den letzten Wochen mehrmals bei uns,in den verschiedenen Fraktionen, war und auf die hu-manitären Bedingungen hingewiesen hat, unter denenStatkevich im Gefängnis sitzt. Er ist mit Inhaftierten zu-sammen, die an Tuberkulose leiden, und mit einem Ge-fangenen, der wegen Mordes verurteilt worden ist. Dassind Bedingungen, die nicht hinnehmbar sind. Wir von-seiten des Deutschen Bundestages fordern dieses Re-gime auf, Herrn Statkevich und andere, die mutig fürihre Rechte eingetreten sind, sofort freizulassen.
Wir sollten auch an die Verantwortlichen außerhalbWeißrusslands appellieren, die Einfluss auf dieses Re-gime haben. Das ist in der Tat Russland, die russischeRegierung. Wir sollten gerade den Verantwortlichen inMoskau gegenüber deutlich machen, dass man, wennman auf diejenigen setzt, die von der Geschichte längstüberholt sind, schnell selbst überholt werden kann. Insta-bilität an den Grenzen zu Russland ist weder in unseremInteresse, noch kann es im Interesse Russlands und derrussischen Regierung sein. Deswegen wäre es klug,wenn die russische Regierung in den nächsten Wochen ein-sähe, dass die Unterstützung des Regimes Lukaschenkonicht weiterhin tragbar ist. Wir sollten das vonseiten desdeutschen Parlaments, aber auch vonseiten der deut-schen Regierung vorantreiben.Herr Kollege Kurth, Sie haben in diesem Zusammen-hang auf die Eishockeyweltmeisterschaft hingewiesen.Wir sollten gerade den Funktionären gegenüber nocheinmal deutlich machen, dass nicht nur nach den Präsi-dentschaftswahlen, sondern gerade nach den Parla-mentswahlen ein neues Überlegen notwendig ist. Damitwürden wir vielen Sportlern entgegenkommen; denn siewollen sich vom Regime Lukaschenko, das von den Eis-hockeyweltmeisterschaften letztendlich auch profitiert,nicht missbrauchen lassen. Ich glaube, der Verbandwürde den Sportlern entgegenkommen, wenn er seinePosition an dieser Stelle überdenkt.
Zum Schluss möchte ich sagen: Auch vonseiten derBundesregierung wird, glaube ich, alles unternommen,um auf das Regime einzuwirken. Aber vielleicht – dasist meine Anregung – können wir noch etwas mehr tun.Wir sollten durchaus noch einmal erörtern, was im Rah-men von Visaerleichterungen möglich ist,
insbesondere im Hinblick auf Stipendien für junge Men-schen, die auf der einen Seite bereit sind, für Weißruss-land einzutreten, die aber auf der anderen Seite eine gute
Metadaten/Kopzeile:
23298 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Dr. Rolf Mützenich
(C)
(B)
Ausbildung wollen. All das kann vorangebracht werden.Ich hoffe, dass die Aktuelle Stunde mit dazu beiträgt.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Rolf Mützenich. – Nächster
Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist unser Kollege
Karl-Georg Wellmann. Bitte schön, Kollege Wellmann.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Zu-
stände in Belarus im Zusammenhang mit den Wahlen
sind hinlänglich bekannt. Die OSZE hatte eine Wahlbe-
obachtermission dort. Die Wahl war weder fair noch frei.
Ich habe bei den letzten Wahlen selbst erlebt, wie ge-
fälscht wurde, wie Studentenkolonnen, Polizisten, Mili-
tärangehörige da hineingetrieben wurden. Auch das Um-
feld war alles andere als demokratisch, wie man an der
nicht vorhandenen Pressefreiheit und Meinungsfreiheit
sieht. Die Führer der Opposition sind fast samt und son-
ders im Zuchthaus gelandet, in zum Teil beängstigenden
Verhältnissen; einige kamen menschlich gebrochen zu-
rück. Das ist furchtbar. Der Staatschef macht sich lustig
über die Opposition: Er sagt, das seien Feiglinge. Ich
empfinde das als zynisch und abstoßend, und das sollten
wir hier noch einmal deutlich hervorheben.
Was bedeutet das Ganze für uns? Dieses Regime hat
die Chance verpasst, das Land zu modernisieren. Es hat
verpasst, die gesellschaftlichen Kräfte dieses sympathi-
schen belarussischen Volkes zu mobilisieren. Und es hat
verpasst, das Land in die europäische Moderne zu füh-
ren. Stattdessen haben wir eine Kommandowirtschaft
sowjetischer Prägung mit all den Nachteilen wie Ineffi-
zienz und fehlender Wettbewerbsfähigkeit. Statt politi-
scher Teilhabe haben wir Unterdrückung und Bevor-
mundung. In der Tat: Das ist eine Tragödie, wie es
jemand von der Bundesregierung gesagt hat. – Das Ge-
dränge auf der Regierungsbank nimmt ja beängstigte
Ausmaße an. Ich finde es gut, dass wenigstens einer an-
wesend ist.
Es ist eine europäische Tragödie, und das auch des-
halb, weil die Besten, vor allem die guten jungen Leute,
das Land in Scharen verlassen. Was bleibt zurück? Bei
uns bleibt so etwas wie Ratlosigkeit zurück. Herr
Mützenich, ich erinnere mich an unsere letzte Belarus-
Debatte. Die Erkenntnis ist vorhanden, dass Sanktionen
kaum noch etwas ausrichten bei einem Regime, das aus
Gründen des blanken Machterhalts sagt: Das ist uns alles
egal. – Es nimmt die Nachteile, die mit dieser Diktatur
verbunden sind, in Kauf und schneidet das Land von der
europäischen Wohlstandsentwicklung ab.
Was können wir tun? Noch mehr Sanktionen? Ich
habe Zweifel, ob dies Wirkungen hat, ob das wirklich
Änderungen herbeiführt. Wir haben, Herr Mützenich, in
diesem Kreis ganz richtig gesagt: Wir müssen mehr für
Studenten tun; wir müssen mehr Geld für Stipendien
aufbringen. Der DAAD muss zum Teil Studenten mit ei-
nem Notendurchschnitt von 1,2 zurückweisen, weil es
nicht genug Studienplätze gibt. Ich danke dem Kanzler-
amtsminister, der leider nicht anwesend ist. Er hat mir
neulich gesagt, dass sie, zusammen mit dem Auswärti-
gen Amt, darüber nachdenken, wenigstens ein paar Mil-
lionen Euro zu mobilisieren. Ein Stipendium kostet für
einen Studenten im Jahr 10 000 Euro. Die Hochschulen
in Deutschland nehmen uns die Studenten mit Kusshand
ab.
Über das Regime Lukaschenko wird die Geschichte
hinweggehen, wie die Geschichte über all die
Honeckers, Breschnews und Ceausescus hinweggegan-
gen ist. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es irgend-
wann eine demokratische Entwicklung geben wird, frü-
her oder später. Aber wir sollten auch etwas anderes
bedenken. Ich empfehle sehr den Artikel von Konrad
Schuller in der FAZ vom 10. September, der gesagt hat:
Lasst uns aufpassen, dass wir über die Prinzipienreiterei
nicht unsere strategischen Interessen vergessen und am
Ende mit leeren Händen dastehen. – Dies hat er nicht in
Bezug auf Belarus, sondern auf die Ukraine gesagt.
Das aber sollte für uns ein Ansporn sein, uns zum
Beispiel mehr um die Ukraine zu kümmern und unsere
strategischen Ziele nicht zu vernachlässigen.
Zum Schluss möchte ich – das passt in die Zeit – Alt-
bundeskanzler Kohl zitieren. Helmut Kohl hat seinerzeit
mit Erich Honecker Verträge ausgehandelt. Er wurde
wild kritisiert, dass er mit Diktaturen überhaupt verhan-
delt, anstatt Sanktionen zu erlassen. Er hat gesagt, das
sei nicht wichtig. Wichtig ist, was den Menschen hilft.
Daran sollten wir uns auch in dieser Sache orientieren.
Danke für die Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Nächster Redner in un-
serer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke un-
ser Kollege Wolfgang Gehrcke. Bitte schön, Kollege
Wolfgang Gehrcke.
Danke sehr. – Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Man wäre versucht, zu spotten, wenn mansieht, wie Lukaschenko das Wahlergebnis in der Öffent-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23299
Wolfgang Gehrcke
(C)
(B)
lichkeit darstellt. Ich finde ein Parlament ohne einen ein-zigen Abgeordneten der Opposition völlig absurd. Daraufnoch stolz zu sein, ließe auf eine gewisse Verwirrung imoberen Körperteil schließen. Trotzdem bleibt mir derSpott im Halse stecken. Ich schaue auf Belarus, auf Weiß-russland, und weiß, welche Opfer dieses Land unter derdeutschen Besatzung, also im Faschismus, gebracht hat.Ich weiß, dass wir für dieses Land eine Mitverantwortunghaben. Das spüre ich auch. Ich möchte nicht von oben he-rab über dieses Land reden. Ich möchte, dass wir uns im-mer wieder in Erinnerung rufen: Das ist Europa und ge-hört zu Europa. Man muss einen Weg finden, wie manbeides ausdrückt: Verachtung für Lukaschenko und Of-fenheit für die Bürgerinnen und Bürger des Landes.
Die Bürgerinnen und Bürger Weißrusslands sind nichtLukaschenko, ganz im Gegenteil. Ich möchte nicht, dasssie in diese Ecke gedrängt werden. Das hat bisher dan-kenswerterweise keiner gemacht.Wir sollten trotzdem festhalten: Es waren Wahlen derUngleichheit und der Unfreiheit, ohne freie Presse, ohneöffentliche Veranstaltungen, die man, wenn man esmöchte, hätte durchführen können. Es waren Wahlen mitgroßem Druck auf diejenigen, die kandidieren wolltenoder die kandidiert haben.In diesem Zusammenhang ist mir ein Gedanke sehrwichtig: Sterben Freiheiten wie Freiheit der Presse oderFreiheit der Politik und werden Parlamente, die man soauch nur nennt, nur noch einberufen, um das zu bestäti-gen, was zuvor festgelegt wurde, dann stirbt die Demo-kratie, und dann stirbt das gesamte gesellschaftliche Le-ben.Dieser Weg ist in Belarus leider vorgezeichnet. Beidieser Form von Politik erstirbt das gesellschaftliche Le-ben, eine Eiszeit kehrt ein. Das schlägt dann auf alle zu-rück. Der schöne Gedanke: „Sterben diese Freiheiten,dann stirbt das gesellschaftliche Leben“ stammt übrigensnicht von mir, sondern von Rosa Luxemburg. Bei ihrkann man das – in besserer Formulierung – noch einmalnachlesen.Für uns stellt sich nun die nicht einfach zu beantwor-tende Frage: Was tun? Nur die Tatbestände an sich zubeschreiben – vielleicht sind wir uns in der Beschrei-bung sogar einig –, hilft nicht weiter. Ich denke in ähnli-cher Art und Weise wie der Kollege Wellmann: Mansollte einmal ausloten: Was ist bisher gelaufen, und wasist wirksam gewesen? Wir können ja nicht sagen: Wirmachen immer weiter so.Ich finde, dass im Großen und Ganzen Sanktionen,der Druck auf das Regime etc. nicht das erbracht haben,was ich mir davon erhofft hatte. Es ist kein Wandel ein-getreten – ganz im Gegenteil. Daher stelle ich mir dieFrage: Muss man vielleicht die eigene Taktik, wie manan das Problem herangeht, verändern? Hier kann man zuunterschiedlichen Schlussfolgerungen kommen.Ich bin dafür, dass wir maximale Kontakte in dasLand Belarus hinein entwickeln, inklusive der Eisho-ckeyweltmeisterschaft, jedoch ohne dass wir so tun, alshätte Politik mit Sport nichts zu tun. Meine These heißt:Wenn an die Mumie Luft kommt, zerfällt die Mumie. Ichmöchte, dass die Mumie Lukaschenko, der schon seinkleines Kind als seinen Nachfolger präsentiert, zerfällt.Deswegen schlage ich vor, etwa darüber nachzuden-ken: Wie kann man beispielsweise die Kontakte zu Bela-rus vervielfältigen? Das fängt bereits bei der Visafragean. Wer nach Deutschland kommen möchte, soll kom-men. Da müssen die Türen offenstehen,
da muss es eine Willkommenskultur geben. Wir müssenauch überlegen, welche Möglichkeiten sich in beidenLändern im kulturellen Bereich ergeben.Ich frage mich: Was passiert eigentlich mit den Städ-tepartnerschaften? Es gibt eine Menge Städtepartner-schaften zwischen Städten in Deutschland und in Weiß-russland. Kann man diese Städtepartnerschaften nutzen,um auf eine andere Politik, einen anderen geistigenAtem hinzuwirken? Was können deutsche Abgeordnetebewirken, wenn sie vor Ort fordern: „Wir wollen Zugangzu den Gefängnissen haben!“?
Wir wollen wissen, was mit unseren Kolleginnen undKollegen, die kandidiert haben, in diesen Gefängnissenpassiert. Das alles sind Möglichkeiten, wie die politi-schen Verhältnisse verändert werden können. Hierübermüssen wir nachdenken.Diese Fragen dürfen auch in den Gesprächen mitRussland nicht ausgespart werden, die für beide Seitennicht immer ganz einfach sind. Russland kann Einflussnehmen, und Russland muss Einfluss nehmen. Das be-deutet, dass Putin dazu gebracht werden muss, über seineigenes Verhalten nachzudenken.
Auch das gehört zum Problem dazu.Ich kann nur vorschlagen, dass wir auf diese Art undWeise versuchen, eine andere Form der Politik in Bela-rus durchzusetzen. Ich wiederhole noch einmal: Weiß-russland ist nicht Lukaschenko, und Lukaschenkospricht nicht für Weißrussland.Danke sehr.
Vielen Dank, Kollege Wolfgang Gehrcke. – NächsteRednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die FraktionBündnis 90/Die Grünen unsere Kollegin Frau Viola vonCramon-Taubadel. Bitte schön, Frau Kollegin.
Metadaten/Kopzeile:
23300 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
(C)
(B)
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichvertrete heute Marieluise Beck, die auf einer besonderenMission unterwegs war, leider erfolglos. Sie hat ver-sucht, Herrn Chodorkowski im nordrussischen Strafge-fangenenlager zu besuchen. Das ist ihr, wie man fast er-warten konnte, leider nicht geglückt. Aber ich glaube, eswar trotzdem gut, dass sie sich auf die Reise gemachthat.Zurück zur Bewertung der Wahl. Ich kann mich demKollegen Mützenich nur anschließen: Natürlich ist dieseAktuelle Stunde zur Unterstützung der Menschen, derZivilgesellschaft in Belarus gedacht.Lukaschenko hat in einer Atmosphäre von Repressionund Angst ein Theaterstück abgezogen. Das hatte mit ei-ner Wahl überhaupt nichts zu tun. Von Anfang an wurdenichts dem Zufall überlassen. Die Opposition wurde ausden Wahlkommissionen herausgehalten; sie stellten0,09 Prozent der Kommissionsmitglieder. Die Auszäh-lung konnte deshalb unmöglich überprüft werden. Sowurde ein dem Diktator genehmes Ergebnis garantiert.Wir haben es schon von Herrn Wellmann gehört: Be-wohner von Studentenwohnheimen, Soldaten und Ar-beitskollektive wurden wie in alter sowjetischer Zeit zurvorzeitigen Stimmabgabe genötigt. Hierbei ist die Mani-pulation der Urnen besonders einfach. Das gibt es in an-deren postsowjetischen Staaten auch, aber – das mussman einfach sagen – nicht ganz so drastisch wie in Weiß-russland. Oppositionelle wurden unter Druck gesetzt,festgenommen und zum Teil an Leib und Leben bedroht.Jetzt kommt der Punkt: Einzig eine Wahlbeteiligungunter 50 Prozent hätte die Wahl ungültig gemacht. Auchdeshalb gab es Nötigungen von Wählern. Auch deshalbwurden Wurst und Alkohol in den Wahllokalen verkauft;vielleicht ist es eine Möglichkeit, um auch hier dieWahlbeteiligung zu erhöhen.
– Scherz! – Auch deshalb reagierte das Regime gereiztauf Boykottaufrufe der Opposition.Was bedeutet die Wahl für die politische Entwick-lung? Eigentlich sind solche Rituale wie diese Parla-mentswahl in Weißrussland natürlich ein unnötiges Re-likt; denn der Anschein demokratischer Legitimationfunktioniert schon lange nicht mehr. Spätestens seit dem19. Dezember 2010 kann das Regime seine Macht nurnoch durch Repression und Angst sichern. Dennoch sageich – vielleicht sieht das Herr Wellmann ähnlich –: Eswar richtig, dass die Wahlbeobachter der OSZE im Landwaren; denn so konnten unabhängige Beobachter doku-mentieren und vor allen Dingen anschließend kommuni-zieren, dass diese Wahlen weder frei noch unparteiischabliefen. Auch bei der Stimmenauszählung, und nichtnur da, wurden die Wahlbeobachter ganz massiv beein-trächtigt.Es ist richtig, dass die EU mit Sanktionen auf dieschweren Menschenrechtsverletzungen in Belarus re-agiert. Derzeit sind immer noch 15 politische Gefangenein den Straflagern. Sie werden seelisch und körperlichmalträtiert, um sie nach stalinistischer Manier zuSchuldeingeständnissen zu zwingen. So sollen sie alsOpponenten des Diktators unschädlich gemacht werden.Offensichtliche Wahlfälschungen und drakonische Be-strafungen der politischen Gegner zeugen aber auch voneiner Nervosität des Regimes. Wo sonst steht das organi-sierte Nichtstun unter Strafe? Nur so konnten die stillenProteste letzten Sommer unterbunden werden.Die Sanktionen laufen jedoch ins Leere – das habenhier schon einige Vorredner betont –, wenn sie von Russ-land ausgehebelt werden. Ohne Russland wäre Belaruslängst bankrott. Aber Russland gibt Kredite und billigesGas. So kann es sich die wenigen Filetstücke der bela-russischen Industrie einverleiben. Belarus wurde zudemin eine Zollunion gezwungen und wieder eng an Russ-land gebunden. Das ist ganz im Interesse Russlands, denpostsowjetischen Raum zurückzuerobern.Ich denke anders als Sie, Herr Gehrcke: Es gibt keineAlternative zur Sanktionspolitik. Wir können und wolleneine Diktatur mitten in Europa nicht dulden. Wir brau-chen einen längeren Atem. Es wird sich zeigen, ob dieWirksamkeit der EU-Sanktionen am Ende nicht doch ge-geben ist.
Wir werden sehen, ob Lukaschenko letztlich bereit ist,sich immer als Marionette Moskaus instrumentalisierenzu lassen.Ich möchte auf die Polizeihilfe zu sprechen kommen,die Deutschland geleistet hat. In der aktuellen Situationbraucht die Zivilgesellschaft – das habe ich am Anfanggesagt – unsere Unterstützung. Stattdessen hören wirvon Hilfen für die belarussische Prügelpolizei durch dasBundesinnenministerium. Es kann richtig sein, in Zeitender Annäherung auch in autoritären Staaten für eine Zi-vilisierung der Polizei zu arbeiten; aber die Belarussenzum Castor-Transport oder zur Nazidemo in Dresdeneinzuladen, zeugt vom Fehlen jeglichen politischen Ge-spürs.
Auch die Fortsetzung dieser Kooperation über den19. Dezember 2010 hinaus ist unverzeihlich. So etwasdarf aus unserer Sicht nicht noch einmal passieren.
Das Innenministerium braucht dringend mehr Kontrolleseiner außenpolitischen Aktivitäten.Erleichterungen bei der Visavergabe wurden häufigerwähnt. Ich würde sagen: Wir brauchen die Abschaf-fung der Visumpflicht. Die Prozedur der Visumvergabeist bürokratisch, demütigend und für Belarussen dazunoch sehr teuer.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23301
Viola von Cramon-Taubadel
(C)
(B)
Durch die Visumpflicht ist kaum etwas gewonnen, abersehr viel verloren. Wir geben ein wichtiges außenpoliti-sches Instrument aus der Hand, wenn wir das Feld denInnenpolitikern überlassen. Eine Zeit von durchschnitt-lich drei Minuten für die Bearbeitung eines Visuman-trags garantiert jedenfalls keinen wirksamen Schutz vororganisierter Kriminalität.Zeigen wir also den Menschen in Weißrussland, dasssie zu Europa gehören! Laden wir sie ein, unsere demo-kratische Gesellschaft kennenzulernen! So können wiram besten eine Öffnung der Gesellschaft in Weißruss-land fördern. Deshalb: Schaffen wir die Visummauerzwischen Deutschland und Weißrussland endlich ab!Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin von Cramon-Taubadel. –
Nächster Redner für die Fraktion der CDU/CSU ist un-
ser Kollege Manfred Grund. Bitte schön, Kollege
Manfred Grund.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Parla-mentswahlen in Belarus waren die Inszenierung einerDemokratie – und nicht mehr als das. Die Berichte derOSZE und auch von politischen Stiftungen sprechen imKern alle dieselbe Sprache: Alle Oppositionskandidatenwurden massiv behindert, die Auszählung der Stimmenwar intransparent und nicht überprüfbar, und von einerausgewogenen Berichterstattung in den Medien konnteauch keine Rede sein.Es ist offensichtlich: Von der gegenwärtigen Führungin Belarus sind keine Reformen zu erwarten, die ihreMacht infrage stellen. Im Gegenteil: Mit der Parlaments-wahl hat sich erneut die Verhärtung des autoritären Re-gimes manifestiert, die seit der Präsidentschaftswahl inBelarus im Dezember 2010 die Lage in Belarus kenn-zeichnet. Von den Demonstranten, die damals brutal nie-dergeschlagen wurden, sind noch immer etwas mehr alsein Dutzend Oppositionelle in Haft. Weder Sanktionender Europäischen Union – die wir hatten und haben –noch eine sich verschlechternde Wirtschaftslage habendie Führung in Minsk bislang zum Einlenken veranlasst.Im Gegenteil: Unter zunehmendem Druck zeigt sich dasRegime nur umso entschlossener, seine Kontrolle überdas ganze Land weiter auszubauen.Die Lage in Belarus wird durch eine tiefe und syste-mische Wirtschaftskrise geprägt. Die Inflation galoppiertdavon. Der IWF vergibt keine Kredite mehr an Belarus.Bei früheren Wahlen konnte sich das Regime noch dieLoyalität vieler Wähler durch kostspieligere Geschenkeals diesmal erkaufen und sichern. Dafür fehlten bei die-sem Wahlgang offensichtlich die Mittel. Stattdessen ver-schärfen sich die politischen Pressionen.Mit dieser Entwicklung verbindet sich für uns und fürdie Politik der EU gegenüber Belarus aber ein Dilemma:Einerseits hat die Politik der Annäherung an Belarus, diedie Europäische Union vor den Präsidentschaftswahlen2010 verfolgt hat, nicht zu substanziellen Reformen ge-führt. Andererseits haben auch die verschärften Sanktio-nen, die wir nach den Präsidentschaftswahlen verhängthaben, kein Einlenken erzwingen können. Die weiterenVerhärtungen haben sie nicht aufgehalten. Zugleich ha-ben diese Sanktionen – das ist von meinen Vorrednerngesagt worden – dazu beigetragen, Belarus stärker vonRussland abhängig zu machen. Anders als die Europäi-sche Union unterstützen Russland und die EurasischeWirtschaftsgemeinschaft Belarus weiterhin finanziell;doch im Gegenzug hat Minsk im vergangenen Jahr denGesamtbesitz am Pipelinenetz von Beltransgaz anGazprom verkaufen müssen.Bereits heute ist Belarus mit Russland und Kasach-stan in einer gemeinsamen Zollunion verbunden. DieseZollunion soll künftig zu einer eurasischen Union ausge-baut werden. Den politischen Ansätzen der Europäi-schen Union gegenüber Belarus könnte damit auch lang-fristig ein Riegel vorgeschoben werden. Das betrifft dieim Rahmen der Östlichen Partnerschaft vorgeseheneFreihandelszone ebenso wie eine weitere Ausdehnungder europäischen Energiegemeinschaft.Die wirtschaftliche Lage in Belarus zeigt jedoch ein-deutig, dass das gegenwärtige Regime nicht auf dauer-haften Fundamenten gebaut ist. Bei einer Verschärfungder Krise wäre selbst die Möglichkeit eines ökonomi-schen und politischen Zusammenbruchs nicht völlig aus-zuschließen. Ein solcher Zusammenbruch muss aber we-der zu einer europäischen Orientierung noch zu einemdemokratischen Neuanfang des Landes führen, undselbst wenn er das täte, würde er eine gewaltige, mögli-cherweise unüberwindbare Belastung darstellen. DieWirtschaftskrise wird das bestehende Regime aber auchzu umfangreichen Privatisierungen zwingen. Damit ver-binden sich Chancen für eine marktwirtschaftliche Öff-nung, die eine gesellschaftliche und politische Öffnungnach sich ziehen könnte.Es besteht aber zugleich eine grundlegende Gefahr,nämlich dass infolge dieser Privatisierung auch in Bela-rus oligarchische Strukturen entstehen wie in den meis-ten anderen postsowjetischen Staaten, und wie in denmeisten anderen postsowjetischen Staaten würden olig-archische Strukturen auch in Belarus die politischen undwirtschaftlichen Entwicklungschancen des Landes lang-fristig und über das gegenwärtige Regime hinaus ein-schränken. Je weniger aber europäische Politik in Bela-rus präsent ist, desto größer wird diese Gefahr.Wir sollten uns keine Illusionen über die eigenenMöglichkeiten machen. Das Bekenntnis zu unseren de-mokratischen Grundwerten muss die Ziele unserer Poli-tik gegenüber Belarus bestimmen; aber das ist nochkeine wirkungsvolle und auch keine wirkmächtige Poli-tik. Als Deutschland wie als Europäische Union habenwir leider nur begrenzte Instrumente, um auf die innereEntwicklung von Belarus Einfluss zu nehmen. Bislanghatte weder eine Politik der Zusammenarbeit noch eine
Metadaten/Kopzeile:
23302 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Manfred Grund
(C)
(B)
Politik der Sanktionen nachhaltige Reformen in Belaruszur Folge. Setzen wir allein auf Zusammenarbeit, dannlaufen wir Gefahr, ausgenutzt zu werden. Setzen wir al-lein auf Sanktionen, spielen wir anderen in die Hände.Es wird nicht leicht sein, einen Ausweg aus diesem Di-lemma zu finden. Wollen wir überhaupt noch einen kon-struktiven Einfluss ausüben, werden wir auch angesichtsder politischen Verhärtungen in Belarus Angebote zurZusammenarbeit mit unserer Sanktionspolitik verbindenmüssen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Manfred Grund. – Nächster
Redner für die Fraktion der Sozialdemokraten ist unser
Kollege Dietmar Nietan. Bitte schön, Kollege Dietmar
Nietan.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! DieParlamentswahlen in Belarus waren nicht nur eine Farce,sie waren und sind eine Schande. Sie sind eine Schandenicht nur für den Diktator Lukaschenko, sie sind letztlichauch eine Schande für Europa. Das ist ein Schandfleckmitten in Europa, in dem ein Diktator scheinbar machenkann, was er will. Ich stimme deshalb Martin Schulz,dem Präsidenten des Europäischen Parlaments, aus-drücklich zu, der sagt, dass wir uns nicht länger derIllusion hingeben dürfen, dass in diesem RegimeLukaschenko auch nur ein Funken Willen besteht, sichauf den Weg zu Reformen zu machen. Das muss manjetzt selbstkritisch konzedieren.Systematisch hat der belarussische Diktator dieGrundlagen für eine demokratische Ordnung in seinemLand zerstört. Wir müssen uns eingestehen, dass wirdiese tragische Entwicklung nicht haben verhindern kön-nen. Aus meiner Sicht ist jetzt aber nicht die Zeit fürVorwürfe, wer was hätte besser machen können, sonderndies ist die Zeit, um uns grundsätzlich zu überlegen, wiewir uns neu aufstellen und wie wir das Volk auf seinemWeg, seine Geschicke selbst in die Hand zu nehmen, be-gleiten können. Dies wird nach allem, was wir jetzt se-hen, ein sehr langer und steiniger Weg sein. KollegeGrund hat auf das Dilemma hingewiesen: Sanktionenoder Zusammenarbeit? Ich glaube, was hier deutlichwird, ist, dass wir in der Tat – auch das hat Martin Schulzin seiner Erklärung zu den Wahlen unterstrichen – eineabgestimmte, effektive, wirklich durchdringende ge-samteuropäische Strategie brauchen, damit dieses Landbeim Aufbau der Zivilgesellschaft vorankommt. MartinSchulz hat gesagt: Zentraler Punkt dieser Strategie mussdie Frage sein, wie man das Volk in Weißrussland in sei-nem Kampf für eine Zivilgesellschaft unterstützen kann.Wenn das so ist und wir eine solche Strategie brau-chen, dann muss es in der Union der 27 Staaten geben,die die Initiative ergreifen und die Verantwortung für ei-nen solchen Weg übernehmen. Die polnische Regierunghat das eindrucksvoll getan, insbesondere während ihrerRatspräsidentschaft. Es ist sehr zu begrüßen, dass sie da-bei von Deutschland unterstützt wurde. Das reicht abernicht aus. Es ist hier schon gesagt worden: Wir müssenden Druck erhöhen, und zwar mit Augenmaß; denn dieSanktionen und der Druck sollen die Richtigen treffen,nicht das Volk. Auch müssen wir, so schwierig das seinwird – Kollege Gehrcke hat das zu Recht gesagt; in die-ser Hinsicht ist vieles sowieso schon sehr schwierig ge-worden –, mit unseren russischen Partnern sprechen undihnen sagen, dass sie für das, was dort geschieht odereben nicht geschieht, eine Mitverantwortung haben.Wenn wir langfristig Erfolg haben wollen, müssenwir die Zivilgesellschaft stärken. Es ist bedenklich, wennich lesen muss, dass Giselle Bosse vom European PolicyCentre in Brüssel sagt, dass die Unterstützung für nicht-staatliche Akteure in der EU, wenn man alle Programmezusammennimmt, im Jahr 2011 6,4 Millionen Euro be-trug, es in diesem Jahr letztlich aber nur noch 4,1 Millio-nen Euro sein werden. Bei allem Verständnis für dieHaushaltssituation: An dieser Stelle zu sparen, ist keingutes Signal für die Menschen in Belarus, die auf unszählen.Eines ist auch wichtig: Wir brauchen neue Instru-mente. Deshalb war es richtig, dass die polnische Rats-präsidentschaft sich so für ein Endowment for Demo-cracy eingesetzt hat. Jetzt soll es eine Stiftungbelgischen Rechts geben, und nun geht es auch um dieGretchenfrage: Mit welchen Ressourcen statten wirdiese Stiftung aus? Die polnische Regierung bemüht sichda sehr. Wir wissen, dass nicht alle europäischen Partnerhierbei auf ihrer Seite sind, leider auch nicht unsere fran-zösischen Freunde. Jetzt beginnt das Schwarze-Peter-Spiel: Alle schauen darauf, wie sich Deutschland auchfinanziell bei dem Aufbau dieser Stiftung engagierenwird.Ich weiß, dass die Kolleginnen und Kollegen im Aus-wärtigen Amt sehr ambitionierte Vorstellungen haben.Ich weiß aber auch, dass es bisher in dieser Bundesregie-rung nicht möglich war, das Veto aus dem Finanzminis-terium zu überstimmen. Ich sage an dieser Stelle: Wennwir es ernst damit meinen, dass wir für Belarus mehr tunwollen, dann brauchen wir ein neues Instrument, dasvielleicht etwas anders agiert, als es den formalistischenVorstellungen des Bundesverwaltungsamts entspricht;denn mit dessen Vorstellungen wird man die Demokratienicht ans Laufen bringen können. Dafür brauchen wirdieses Endowment. Ich fordere die Bundesregierung auf,sich dort klar und unmissverständlich in einem Deutsch-land zustehenden Maße finanziell zu engagieren undnicht das Schwarze-Peter-Spiel weiter zu betreiben, dasda heißt: Wer bewegt sich als Erster und gibt Geld in die-ses Endowment? Was wir in diesem Moment erleben,halte ich für einen unwürdigen Akt.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23303
Dietmar Nietan
(C)
(B)
Einen weiteren Punkt, der hier schon angesprochenworden ist, möchte ich unterstützen. Mittlerweile studie-ren mehr junge Weißrussen in Russland als in der Euro-päischen Union. Ich glaube nicht, dass dies daran liegt,dass alle Universitäten in Russland besser sind als die inder Europäischen Union, sondern ich glaube, dass dasmit der Visapolitik der Europäischen Union zu tun hat.Auch ich würde mich freuen, wenn eine moderne, welt-offene Visapolitik, die genau diese junge Generation un-terstützt und ihr Chancen gibt, hier bei uns zu studierenund Erfahrungen zu sammeln, in der EU umgesetztwürde und wenn Deutschland dabei nicht im Bremser-häuschen säße, sondern es vom Führerhäuschen ausmöglich machte. Welche Rolle Deutschland in diesemBereich in der Europäischen Union spielt, halte ich fürunerträglich.
Kommen Sie bitte zum Schluss, Herr Kollege.
Das mache ich sehr gerne. – Ich will zum Schluss
Folgendes deutlich unterstreichen: Wir erleben, wie
Lukaschenko sein Volk und uns Europäer verhöhnt. Ich
bin mir ganz sicher, dass seine Zeit ablaufen wird, dass
sie jetzt schon abläuft. Dass er so reagiert, hat etwas da-
mit zu tun, dass er Angst vor seinem eigenen Volk hat.
Ich weiß auch: Sein Volk wird ihm nie verzeihen, dass er
gerade etwas tut, was er immer verhindern wollte, näm-
lich sein Volk schnurstracks in die bedingungslose Ab-
hängigkeit von Russland zu führen. Deshalb wird seine
Zeit zu Ende gehen. Aber die entscheidende Frage in der
geschichtlichen Bewertung dieser Zeit wird sein, –
Herr Kollege, Versprechen sollte man einhalten.
– ob wir als Europäerinnen und Europäer, ob wir als
Bundesrepublik Deutschland, als Bundesregierung in
den Geschichtsbüchern auch bestehen können, dass wir
beim Niedergang dieses Systems das Volk unterstützt
haben, oder ob wir uns weggeduckt haben. Dies wird die
Frage sein, die wir selber durch Handeln beantworten
können.
Vielen Dank.
Herr Kollege, gelegentlich kann man einmal die fünf
Minuten üben.
Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für
die Fraktion der FDP unsere Kollegin Marina Schuster.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichdenke, ich kann hier für das ganze Haus sprechen, wennich sage: Niemand von uns ist von den rechtswidrigenUmständen und dem diktierten Ausgang der Wahlenüberrascht. Das heißt aber nicht, dass uns die Ereignissekalt lassen, ganz im Gegenteil. Wir erlebten eine absurdeInszenierung. Lukaschenko hat verlauten lassen – ich zi-tiere –:Man sollte uns beneiden. Wahlen, die langweiligund ruhig verlaufen, sind ein Glück … sowohl fürdas Volk als auch für die Regierung.Diese Äußerungen sind zynisch und eine Ohrfeige fürdie Menschen in Belarus.Wir wissen alle: Belegschaften von Staatsbetrieben,Soldaten und Studenten wurden zum Wählen abkom-mandiert. Auch im künftigen Parlament wird es keineAbgeordneten der Opposition geben; der Wahlboykottwar eine verzweifelte Reaktion auf die aussichtsloseLage der belarussischen Zivilgesellschaft. Belarus hateine weitere Chance vertan, den Weg zurück zu Europa,zur Europäischen Menschenrechtskonvention, zum Eu-roparat einzuschlagen.Ich denke, wir müssen die Probleme ganz nüchternbeim Namen nennen – viele Vorredner haben es bereitsangesprochen –: Die OSZE-Verpflichtungen sind nichteingehalten worden, darunter das Vereinigungsrecht, daspassive Wahlrecht und auch das Recht auf freie Meinungs-äußerung. Wir haben von Herrn Kollegen Mützenichund von Frau Kollegin von Cramon deutlich gehört, dasses Einschüchterungen und Inhaftierungen oppositionel-ler Kandidaten gab. Insofern ist vollkommen klar, dassdie Wahlen nicht frei und fair waren. Es ist auch inak-zeptabel, dass ein Mitglied des Deutschen Bundestages,nämlich Frau Beck, in ihrer Funktion als OSZE-Wahlbe-obachterin nicht einreisen durfte. Das dürfen wir nichttolerieren.
Ich war besonders betroffen von der Nachricht, dass amDienstag vergangener Woche eine Delegation der Inter-national Federation of Liberal Youth, darunter auchdeutsche Teilnehmer, während eines Bildungsworkshopsvon belarussischen Behörden festgehalten und dann desLandes verwiesen wurden. Zu Recht hat AußenministerWesterwelle aufgrund der Vorfälle den Botschafter insAuswärtige Amt einbestellt. Die Vorredner haben es an-gesprochen: Wir erleben eine traurige Chronologie vonEreignissen.Ich erinnere an unsere Debatten. Wir haben im Märzdieses Jahres erlebt, dass zwei junge Männer, HerrKonowalow und Herr Kowaljow, hingerichtet wurden.Sie wurden beschuldigt, das verheerende Attentat in derMinsker U-Bahn begangen zu haben, und sie wurdennach einem fadenscheinigen Prozess hingerichtet. Zu-
Metadaten/Kopzeile:
23304 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Marina Schuster
(C)
(B)
vor, im Jahr 2010, erlebten wir die brutale Niederschla-gung von friedlichen Demonstrationen und massenhafteVerletzungen der Menschenrechte und Inhaftierungen.Wir haben die belarussische Regierung mehrmals vondiesem Hohen Haus aus aufgefordert, für Versamm-lungsfreiheit, für Meinungsfreiheit und für Pressefreiheitzu sorgen. Aber unsere Hoffnungen, dass Lukaschenkoden Weg zurück zu Europa findet, haben sich nicht er-füllt.Es ist immer unser Ziel gewesen, dass sich unsereNachbarn an Europa und die Werte, für die wir stehen,annähern; wir wollen sie heranführen. Dieses Ziel giltnach wie vor. Deswegen ist es auch so wichtig, dass wirdie Kontakte zur Zivilgesellschaft halten und dass wirdort aktiv sind. Das Auswärtige Amt führt zusammenmit anderen EU-Mitgliedstaaten einige Programme zurUnterstützung der belarussischen Zivilgesellschaftdurch. Die Mittel hierfür sind in den letzten drei Jahrenerhöht worden. Es geht um Programme des Goethe-Instituts und des DAAD sowie um das FörderprogrammBelarus des BMZ, das von der Begegnungsstätte„Johannes Rau“ in Minsk durchgeführt wird. Natürlichgeht es auch um die wichtige Arbeit unserer politischenStiftungen und die Kulturprogramme. Ich denke, dassdas wichtige Bausteine sind, die dazu beitragen, dass derGesprächskanal zur Zivilgesellschaft nicht abreißt.Die Rolle Russlands wurde mehrmals erwähnt. Russ-land ist aufgefordert, seine Verantwortung wahrzuneh-men und seine Position zu ändern. Solange Putin schüt-zend die Hand über das Regime hält, muss sich HerrLukaschenko natürlich kaum bewegen.Die Situation ist für uns frustrierend. Dies darf unsaber nicht lähmen. Ich richte zum Abschluss einen Appellan uns alle: Es gibt das Programm „Parlamentarierschützen Parlamentarier“, in dem wir für Oppositionelle,für Menschenrechtsverteidiger Patenschaften überneh-men. Ich appelliere an alle Kolleginnen und Kollegen,die noch keine Patenschaft übernommen haben, sich ak-tiv in diesem Programm einzubringen. Es ist eine Perle.Wir sollten es nutzen und für die die Stimme erheben,die ihre Stimme nicht selbst erheben können.Vielen Dank.
Vielen Dank, Frau Kollegin Marina Schuster. –
Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die
Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Dr. Gernot
Erler. Bitte schön, Kollege Dr. Erler.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und
Kollegen! Ganz offensichtlich haben wir in diesem Ho-
hen Haus einen breiten Konsens darüber, dass die Wah-
len in Belarus eine Farce und eine Provokation für ganz
Europa waren. Die internationalen Standards für freie
und faire Wahlen sind nicht nur nicht eingehalten wor-
den. Präsident Lukaschenko hat sich auch gar keine
Mühe mehr gegeben, den Anschein zu erwecken, dass
sie eingehalten werden. Zu offensichtlich war es schon
im Vorfeld zu gravierenden Verstößen gegen internatio-
nale Regeln gekommen.
Die OSZE hat den Verlauf der Wahlen scharf kriti-
siert. Zahlreiche grundlegende demokratische Rechte
wurden missachtet; zahlreiche Kandidaten wurden gar
nicht erst zugelassen. Das Recht auf freie Meinungs-
äußerung wurde stark eingeschränkt. Auch die Überprü-
fung der Ergebnisse durch unabhängige Wahlbeobachter
geben Anlass zu „ernsthafter Sorge“; ich zitiere den Leiter
der internationalen Wahlbeobachterkommission, Antonio
Milososki. Darüber hinaus bestehen Zweifel, ob tatsäch-
lich die behauptete Wahlbeteiligung von 74,2 Prozent
erreicht wurde. Einiges spricht dafür, dass noch nicht
einmal eine Wahlbeteiligung von 50 Prozent erreicht
wurde. Dann wären die Wahlen auch nach den Gesetzen
von Belarus ungültig.
Nach wie vor sitzen Vertreter der politischen Opposition
im Gefängnis. Ich möchte den Fall von Nikolai Statkevich
anführen, der bei den Präsidentschaftswahlen kandidiert
hat. Jetzt befindet er sich für sechs Jahre im Arbeitslager,
und im Januar dieses Jahres wurde das Strafmaß durch
drei Jahre verschärfter Haft weiter zugespitzt. Ihm und
allen anderen politischen Gefangenen, die in den Ge-
fängnissen von Minsk sitzen, gilt unsere Solidarität. Wir
fordern von diesem Hause aus die sofortige Freilassung
von Nikolai Statkevich und allen anderen politischen
Gefangenen.
Aber auch die Repressalien gegenüber Medien, Ver-
tretern der Zivilgesellschaft und Oppositionellen dürfen
nicht weiter anhalten; sie müssen aufhören. Man muss
sich das einmal vorstellen: Die Nervosität dieser Regie-
rung geht mittlerweile so weit, dass sogar – ich zitiere –
„das organisierte Nichtstun in Gruppen“ verboten wurde.
Das Regime hat also Angst vor einer Ansammlung
schweigender Menschen. Das ist eine weitere Steige-
rung, die man sich in der eigenen Fantasie eigentlich
kaum vorstellen kann.
Selbstisolierung, das ist offenbar die Praxis dieser Re-
gierung. Wir wollen aber keine Isolierung der 10 Millio-
nen Bürgerinnen und Bürger von Weißrussland. Insofern
begrüßen wir den Beschluss der EU-Außenminister vom
März dieses Jahres, wenigstens die Visagebühren von
60 auf 35 Euro zu senken. Aber selbst dies scheint an
bürokratischen Hindernissen zu scheitern. Das können
wir nicht hinnehmen. Das geht so nicht. Herr Link, hier
müssen wir etwas tun, und das kann nur der erste Schritt
sein.
Natürlich sind wir realistisch und wissen, dass wir nur
begrenzte Hebel haben, um auf die Politik in Belarus
einzuwirken. Deswegen ist es sehr wichtig, dass noch
einmal untersucht wird, welche Möglichkeiten zur Un-
terstützung einer kritischen Zivilgesellschaft wir haben.
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23305
Dr. h. c. Gernot Erler
(C)
(B)
Meine Fraktion ist bereit, über die Unterstützung desMinsker Forums, das durchaus seinen Sinn hat, hinauszu überlegen, wie wir, die Erfahrungen anderer Nachbar-länder nutzend, die Unterstützung der Zivilgesellschaftin Belarus verstärken können; wir haben da nämlich einpaar Erfahrungen. Ich glaube, das sollten wir gemeinsamversuchen. Schließlich haben wir auch hier eine gemein-same Diskussion geführt.Auch ich habe große Zweifel daran, dass es sinnvollist, jetzt als einzige offizielle Reaktion die Sanktionen zuverschärfen und die Visabannlisten auszuweiten. Wiewir alle wissen, würde dies dazu führen, dass sich dieweißrussische Politik immer mehr in Richtung Russlandausrichtet. Wir wissen auch, dass nur die großzügigenKredite und die kostenlosen Lieferungen aus Russlandverhindert haben, dass sich der Widerstand im Land an-gesichts der wirtschaftlichen Entwicklung verstärkt. Nurso konnte das Regime am Leben gehalten werden.Ich finde, die Botschaft dieser Debatte sollte lauten:Der Weg in Richtung europäischer Annäherung stehtden 10 Millionen Bürgerinnen und Bürgern von Belarusweiterhin offen. Wir wollen ihn gemeinsam gehen. Da-bei spielt insbesondere die Östliche Partnerschaft einewichtige Rolle. Unter dem jetzigen Regime können hieraber keine Fortschritte erzielt werden. Unsere Botschaftlautet: Wir suchen nach Wegen, um sicherzustellen, dassdiese Tür offen bleibt, auch wenn Herr Lukaschenko undseine Nomenklatura sie mit aller Kraft zuzuziehen versu-chen.Vielen Dank.
Vielen Dank, Kollege Dr. Gernot Erler. – Nächster
Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion
der CDU/CSU unser Kollege Dr. Wolfgang Götzer. Bitte
schön, Kollege Dr. Wolfgang Götzer.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Weißrussland, die letzte kommunistische Diktatur inEuropa, hat gewählt.
– Das müssten Sie doch wissen; da kennen Sie sich dochaus, Herr Kollege Gehrcke. – Dabei stand der Wahlsie-ger, ähnlich wie bei den Kommunisten in der ehemaligenUdSSR, von vornherein fest, nämlich Lukaschenko. Erhat aus diesem Anlass gleich auch seinen Nachfolgervorgestellt, nämlich seinen Sohn. Immerhin hätte dieseErbdiktatur, die es nicht einmal in der Sowjetunion gab,den Vorteil, dass man sich eine solche Farce, wie es siemit dieser sogenannten Wahl gab, künftig sparen kann.Laut Informationen des Auswärtigen Amts hat gemäßden bislang vorliegenden Wahlergebnissen in keinemeinzigen der insgesamt 110 Wahlkreise ein Kandidat derOpposition gewonnen.Die Opposition hat es heute unter dem Lukaschenko-Regime wahrlich schwer genug. Vertreter der Opposi-tion werden – oft samt ihren Familien – von Mitarbeiterndes Geheimdienstes KGB – ja, den gibt es noch in Weiß-russland – bedrängt, unter Druck gesetzt, eingeschüch-tert, eingekerkert. Die Ausübung der Grund- und Men-schenrechte, allen voran der Meinungsfreiheit, ist imganzen Land nicht möglich. Wahlkampfveranstaltungenwurden behindert, Internetseiten blockiert, und mögli-chen Kandidaten wurde das Rederecht verwehrt. Zahl-reiche aussichtsreiche Kandidaten der Opposition konn-ten gar nicht erst aufgestellt werden, da sie zurzeit imGefängnis einsitzen oder aufgrund früherer Haftstrafennicht mehr kandidieren durften oder da ihnen aus ande-ren halbseidenen Gründen das Recht verwehrt wurde,sich um ein Mandat zu bewerben. Die Tageszeitung DieWelt schrieb gestern dazu – ich zitiere –:… Opposition unter dem System Lukaschenko istder Gesundheit abträglich und kann mit dem Todeenden.Ausländischen Journalisten wurde die Ausübung ihrerArbeit verwehrt, teilweise wurden sie sogar verprügelt.Auch die Organisation für Sicherheit und Zusammen-arbeit in Europa, OSZE, konnte ihrer Aufgabe als Wahl-beobachterin nicht ungehindert nachkommen. Die weiß-russische Wahlleitung verstieg sich zu der unglaublichenBehauptung, die OSZE sei nicht im Lande, um die Wah-len zu beobachten, sondern um Konflikte zu schaffen,und verweigerte den Zugang zu den Wahlurnen. Dabeisollte doch das Mindeste sein, was man selbst von einemRegime wie dem Lukaschenkos erwarten können sollte,dass eine neutrale Wahlbeobachtungsmission der OSZEungehindert ihre Arbeit tun kann.Dementsprechend negativ fällt auch der Abschlussbe-richt der Wahlbeobachtungsmission der OSZE aus. An-gesichts dieser Repressionen gegen die Opposition beider Kandidatur und während des Wahlkampfs kritisiertsie die Wahlen als undemokratisch. Die Abstimmung seiin keinem Fall internationalen Standards gerecht gewor-den. Ferner mangelte es den Wahlbehörden an Neutrali-tät und Unabhängigkeit. Fälschungen waren an der Ta-gesordnung. – Auch die Bundesregierung hat die Wahlenscharf verurteilt und spricht von einer Tragödie. Ichglaube, diese Kritik teilen wir alle uneingeschränkt.Verehrte Kolleginnen und Kollegen, wir sollten dieseWahlen zum Anlass nehmen, unseren Kurs gegenüberdem Regime Lukaschenko zu überdenken. Der KollegeManfred Grund hat auf das Dilemma hingewiesen: Wasist der richtige Weg? Sanktionen, das Angebot der Zu-sammenarbeit oder beides? Es ist schwer, hier die rich-tige Antwort zu finden.Ich denke, es wird nicht ohne weitere und schärfereSanktionen gehen; das ist die eine Seite. Wir müssen dieSanktionsmaßnahmen gegen Weißrussland zusammenmit unseren europäischen Partnern und den USA verstär-ken. Eine Diktatur wie diese darf in Europa einfach kei-nen Platz haben. Wir wissen natürlich, dass die Gefahr
Metadaten/Kopzeile:
23306 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Dr. Wolfgang Götzer
(C)
(B)
besteht – das ist schon angesprochen worden –, dass wirdas Regime in Weißrussland damit noch mehr an dieSeite Russlands drängen. Ich denke aber, Russland kannseine Haltung, seinen Kurs nicht mehr lange aufrecht-erhalten. Allmählich muss das, was in seinem Nachbar-land passiert, sogar Putin peinlich werden. Die Sowjet-union – – Entschuldigung, wenn ich an Weißrusslanddenke, dann denke ich noch immer an die Sowjetunion.Es ist ja eigentlich das letzte Überbleibsel der UdSSR. –Auch Russland ist jetzt gefordert und muss sich erklären,in welcher Weise es bereit ist, seinen unbestrittenen Ein-fluss – der größte Einfluss, den ein Land auf Weißruss-land hat – geltend zu machen.Sanktionen allein werden aber sicherlich nicht rei-chen. Wir müssen auch vermehrt auf politischer und dip-lomatischer Ebene agieren, beispielsweise auf die Frei-lassung der politischen Gefangenen drängen, und dieweißrussische Zivilgesellschaft so gut es geht stärken.Verstärkte Kontakte können hierbei hilfreich sein. Nurvon der Zivilgesellschaft – es ist heute schon angespro-chen worden – kann ein Wandel hin zu einem demokrati-scheren Weißrussland ausgehen, einem Weißrussland,das sich von seinem Diktator befreit, den Weg zu Demo-kratie und Rechtsstaat beschreitet und endlich denAnschluss an Europa findet.Ich danke Ihnen.
Vielen Dank, Kollege Dr. Wolfgang Götzer. – Nächs-
ter Redner, ebenfalls aus der Fraktion der CDU/CSU, ist
unser Kollege Dr. Johann Wadephul. Bitte schön,
Kollege Dr. Wadephul.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Diese Debatte hier und heute ist ein Signal derSolidarität mit dem weißrussischen Volk. Wir fühlen unsden Menschen verbunden. Wir denken an sie. Wir fühlenmit ihnen, und wir tun alles in unserer politischen MachtStehende, um sie von diesem Regime zu befreien.Wir sagen nach diesen Wahlen ganz eindeutig – ichwill das im Einzelnen nicht wiederholen, weil das meh-rere Redner betont haben –: Diese Wahlen waren unfrei.Sie haben die wesentlichen Regeln von demokratischenWahlen in einem Rechtsstaat nicht befolgt. HerrLukaschenko und diejenigen, die sich jetzt gewählt füh-len, haben keine Legitimation. Sie stehen zu Unrecht ander Spitze des weißrussischen Volkes. Das ist unsereAuffassung, die wir hier klar und eindeutig miteinanderartikulieren.
Ich glaube, die Einmütigkeit in unserem Rund solltevielleicht einen Beitrag dazu leisten können, noch mehrAufmerksamkeit für diese letzte Diktatur in Europa zuerwecken; denn das ist das, was helfen kann; das ist das,was wir jetzt brauchen. Das ist das Ausleuchten all des-sen, was dort stattfindet. Deswegen ist es wichtig, dashier anzusprechen und dafür zu sorgen, dass das in dieÖffentlichkeit gerät.Jeder, der dazu beiträgt, sei es durch die Debatte hierim Hohen Hause, sei es durch Besuche vor Ort, wie sieKanzleramtsminister Ronald Pofalla häufig und regel-mäßig durchgeführt hat und wie er sie jetzt im baltischenNachbarraum durchführt oder die Kollegin MarieluiseBeck, die jedenfalls den Versuch gestartet hat, eineWahlbeobachtung durchzuführen. Dafür sagen wirDank. Das hilft den Menschen; denn das, was Diktaturenerschüttert, und das, was sie nicht mögen und was siescheuen, ist das Licht der Öffentlichkeit, welches dieUntaten dort ausleuchtet.
Deswegen hilft es auch, hier Kritik gegenüber denje-nigen zu äußern, die Desinteresse zeigen oder die diesesSystem sogar unterstützen. Wir brauchen Aufmerksam-keit in der deutschen, in der europäischen Öffentlichkeit.Wir haben uns gefreut, dass die polnische Ratspräsident-schaft in der letzten Zeit auf EU-Ebene einen Versuchgestartet hat, Aufmerksamkeit für die östliche Partner-schaft und für unsere östlichen Nachbarn zu erwecken.Leider war das Interesse, nicht in Deutschland, aber invielen anderen EU-Staaten, nicht besonders groß. Soaufmerksam man beispielsweise die Entwicklung imnordafrikanischen Raum sicherlich beobachten soll: Esist verkehrt, Osteuropa nicht zu betrachten oder ihmnicht genug Aufmerksamkeit zu schenken.Osteuropa braucht die Aufmerksamkeit der gesamtenEU. Weißrussland ist genauso wie die Ukraine ein TeilEuropas. Es ist schade, dass das weißrussische Volknicht eine demokratische, rechtsstaatliche Vertretung imEuroparat hat, sondern sich weiter so geriert, dass es garkeine Chance hat, dort aufgenommen zu werden. Wirsollten die Anwälte auch aller osteuropäischen Völkerinnerhalb der Europäischen Union sein. Wir alle mitei-nander sollten die Europäische Union gemeinsam auf-fordern, sich Osteuropa insgesamt zuzuwenden.Dazu gehört auch, dass wir ganz klar das ansprechen,was Russland zu verantworten hat. Ich habe gestern miteinigen Kolleginnen und Kollegen zusammengesessen,und wir haben über die Zusammenarbeit mit den Russenim Ostseeraum diskutiert. Die Russen haben große Hoff-nungen und große Erwartungen und sind stolz darauf,dass es im Ostseeraum eine enge Kooperation gibt unddass wir dort einen verstärkten Warenaustausch haben.Sie verweisen nicht ohne Stolz auf die wirtschaftlichenErfolge, auf die Erfolge im Umweltschutzbereich undauch in der Verkehrsinfrastruktur. Aber wir müssensolche Gelegenheiten nutzen, Russland an seine Verant-wortung zu erinnern. Wer nicht nur im eigenen Land,sondern auch mit uns eine Modernisierungspartnerschaftwill, wer mit Europa kooperieren will und wer von ei-nem Wirtschaftsraum von Wladiwostok bis Lissabonspricht, der muss wissen: Mit uns gibt es eine gemein-same Partnerschaft und Zusammenarbeit nur dann, wenngrundlegende Regeln des Zusammenlebens, der Rechts-staatlichkeit, der Demokratie und der Menschenrechte
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012 23307
Dr. Johann Wadephul
(C)
(B)
eingehalten werden, meine sehr verehrten Damen undHerren. Das gilt insbesondere auch für Russland.
Ich möchte abschließend auf einen Anfangspunkt zu-rückkommen, den schon der Kollege Kurth angespro-chen hat, auch wenn es vielleicht ein Randthema ist– aber es wird wahrscheinlich in der Öffentlichkeit mehrAufmerksamkeit wecken, wenn es so stattfindet wieunsere Debatte hier –, nämlich die Eishockey-WM unddie aus meiner Sicht schwer erträglichen Äußerungenauch des Präsidenten des Eishockeyverbandes, wir – die-jenigen, die dazu aufforderten, das noch einmal zu über-denken – würden jetzt die Eishockeyspieler oder dieFunktionäre zu Marionetten der Politik machen. Nein,die Gefahr ist umgekehrt, dass Sportler zu Marionettendieses Regimes werden.
Deswegen sind alle, die darüber zu entscheiden haben,aufzufordern, diese Entscheidung noch einmal zu über-denken. Man kann nicht einfach Eishockeyspiele statt-finden lassen und so tun, als wäre in Weißrussland allesin Ordnung, sondern man sollte jede Möglichkeit nutzen,darauf aufmerksam zu machen, dass es dort ein verbre-cherisches Regime gibt und Menschen zu Tode kom-men, gefoltert und eingesperrt werden, statt dazu überzu-gehen, sozusagen einfach nur den Puck einzuschießen.Wir fordern die Eishockeyverbände auf, diese Entschei-dung grundlegend zu überdenken.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Kollege Dr. Wadephul. – Letzter Redner
in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der
CDU/CSU unser Kollege Arnold Vaatz. Bitte schön,
Kollege Arnold Vaatz.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Ich glaube, so einig wie heute sind wir uns sel-ten in einer aktuellen Debatte. Ich finde das gut. Ichglaube, wir alle stimmen in der Beobachtung überein,dass sich die Lage in Weißrussland verschlechtert hat.Vor einigen Jahren waren für die Opposition wenigstensnoch öffentliche Meinungsäußerungen gefahrlos mög-lich, wenngleich man auch bespitzelt und an allen mögli-chen Ecken und Enden behindert wurde. Aber inzwi-schen ist sogar das gefährlich geworden. Uns ist gesagtworden, Oppositionelle würden zum Beispiel damiterpresst, dass ihren Familien unter Umständen etwasgeschehen kann.Unterm Strich muss man wohl sagen: Die europäischeVorstellung von einem Wandel durch Annäherung warnaiv. Sie haben die Polizeihilfe angesprochen, FrauCramon. Ich muss sagen: Das ist mir peinlich. Das isteine peinliche Fehlleistung, die wir uns leider geleistethaben. Ich glaube, das sollten wir ruhig zugeben. Fehlermuss man ansprechen, und man darf sie nicht wieder-holen.Leider ist Weißrussland nicht der einzige Staat, derdie Menschenrechte missachtet. Es gibt innerhalb derGUS eine ganze Menge von Staaten, in denen die Dingeganz ähnlich liegen.
Auch dass ein Land außerhalb Europas liegt, kann dieKritik nicht entschärfen, wenn dort die Menschenrechtenicht respektiert werden.Es ist aber auch so, dass wir in Deutschland mit unse-rer gut ausgestalteten Demokratie und dem Schutz derMenschenrechte zwar sehr weit gekommen sind, aberwir sind nicht die Oberlehrer in Sachen Demokratie. DieErsten, die zu entscheiden haben, was in Belarus und an-deren Ländern geschieht, sind die Menschen dort.
Demzufolge ist es nicht notwendig, dass wir hier per-fekte Pläne machen, wie es in diesen Ländern weiter-gehen soll, sondern wir müssen zuerst auf die Menschenin diesen Ländern hören. Das ist das Entscheidende.Dafür ist es notwendig, dass wir uns eine Erkenntnisganz klarmachen: Jemanden, der sich mit solchen Mit-teln zum Präsidenten eines Landes gemacht hat, könnenwir nicht als den legitimen Sprecher des weißrussischenVolkes ansehen. Das ist nicht möglich. Wir müssen viel-mehr in die Gesellschaft hineinhören, und das bedeutetinsbesondere, dass wir auf die Menschen hören sollten,die unter enormen persönlichen Risiken dort für eineDemokratisierung ihres Landes eintreten. Dazu gehörenzum Beispiel all diejenigen, die von der weißrussischenOpposition jetzt in Haft sind. Wenn man hört, dass dortmit Mitteln wie Schlafentzug, mehrfachem Einweisen inArrestzellen, ständigen Leibesvisitationen und ähnlichenDingen gearbeitet wird und dass man Oppositionelle mitverurteilten Kriminellen in einer Zelle unterbringt, dannmuss das angesprochen werden. Wir müssen die Namendieser Menschen immer wieder nennen.Im Übrigen dürfen wir auch die Verbündeten vonLukaschenko, die er auf der Welt hat, nicht aus der Ver-antwortung entlassen. Auch sie müssen wir ansprechenund fragen, weshalb sie mit einer solchen Regierung zu-sammenarbeiten.Aus diesem Grunde halte ich es für sehr wichtig, auchdie Bundeskanzlerin zu unterstützen, die es bei keinemihrer Besuche in einem Land, das nicht unserem Levelvon Demokratie entspricht, unterlässt, dieses Landgerade auf diesen Zustand anzusprechen, sich immerwieder mit der Opposition trifft und diese Themen nichtunberührt lässt. Ich halte das für eine ganz wichtigeSache, und dabei sollten wir sie alle gemeinsam unter-stützen.
Metadaten/Kopzeile:
23308 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 194. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 26. September 2012
Arnold Vaatz
(C)
(B)
Dies gilt natürlich auch für alle anderen Kollegen. Ichhabe großen Respekt vor der Arbeit, die Ronald Pofallaund auch Marieluise Beck in den letzten Jahren inWeißrussland geleistet haben; auch der Menschenrechts-ausschuss war mehrmals dort.Wir müssen uns darauf einrichten, dass wir hier einsehr dickes Brett bohren und dass sich die Dinge wahr-scheinlich nicht von heute auf morgen zum Besserenwenden. Aber gerade deshalb ist es notwendig, dass wirauch dann, wenn es anscheinend nichts bringt, kontinu-ierlich auf diese Dinge hinweisen und nicht lockerlassen.In der Kontinuität liegt eine gewaltige Kraft.Ich glaube, eine einzige Voraussetzung ist maßgebendfür eine positive Veränderung. Sie haben es schon ge-sagt, Herr Gehrcke: viele Kontakte. Da stimme ich Ihnenvollkommen zu. Das Wichtigste ist, dass unsere Lebens-weise, unsere Demokratie hier in Deutschland und in dergesamten Europäischen Union für die Bürger in denLändern, über die wir hier reden, so attraktiv sein müs-sen, dass ihren Herrschenden am Ende nichts anderesübrig bleibt, als den Willen des Volkes zu erfüllen undgenau diesen Status, den sich alle wünschen, einzurich-ten. Wenn wir das schaffen, haben wir, glaube ich, sehrviel erreicht.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Vielen Dank, Herr Kollege Dr. Arnold Vaatz. – Mein
Dank gilt allen Rednerinnen und Rednern und allen, die
an dieser Aktuellen Stunde teilgenommen haben.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind am Schluss unserer heutigen Tagesordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bundes-
tages auf morgen, Donnerstag, den 27. September 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.