Gesamtes Protokol
Ich begrüße Sie sehr herzlich und wünsche uns alleneinen schönen Nachmittag.Die Sitzung ist eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Gesetzentwurf zur Reformdes Seehandelsrechts.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat die Bundesministerin der Justiz, Frau SabineLeutheusser-Schnarrenberger. Bitte schön, Frau Ministe-rin.Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kollegin-nen und Kollegen! Mit dem heute vom Bundeskabinettbeschlossenen Gesetzentwurf zur Reform des Seehan-delsrechts soll das weitgehend noch aus dem 19. Jahrhun-dert stammende deutsche Seehandelsrecht den Bedürf-nissen der maritimen Wirtschaft im Jahre 2012 angepasstwerden. Ziel ist, den Wirtschafts-, Rechts- und Justiz-standort Deutschland zu stärken. Das gilt besonders mitBlick auf Norddeutschland und seine wichtigen Häfen.Zu diesem Zweck sieht der Gesetzentwurf Folgendesvor: Wir strukturieren in unserem Handelsgesetzbuch,HGB – das ist also leicht zu finden –, das Seehandels-recht. Wir schaffen aber auch überholte Institute ab.Manche stammen noch aus dem Mittelalter. Bei der so-genannten Partenreederei beispielsweise kommt es alleinauf das Eigentum am Schiff an. Das ist mit den Entwick-lungen im Gesellschaftsrecht nicht mehr in Einklang zubringen.Wir wollen das Gesetz aber auch vereinfachen; dennes geht hier um verschiedene Verträge. Zu den Beförde-rungsverträgen gehören zum einen die Seefrachtverträgeund zum anderen die Personenbeförderungsverträge.Hier werden deutliche Differenzierungen in Bezug aufdie Übersichtlichkeit und Klarstellung geschaffen undUnsicherheiten, welche vertraglichen Regelungen nochgelten, beseitigt. Neben den Beförderungsverträgen gibtes noch die Schiffsüberlassungsverträge. Dazu zählenSchiffsmieten und Zeitcharterverträge. All das soll jetztgetrennt geregelt werden. Damit ist es für die Betroffe-nen übersichtlicher gestaltet.Zur Neuregelung gehört die Differenzierung zwi-schen Stückgutfrachtverträgen und Reisefrachtverträgen.Daneben wird die Personenbeförderung vertraglich gere-gelt.Ein wichtiger Punkt dieses Gesetzentwurfes ist: Mitunseren Haftungsregelungen orientieren wir uns an in-ternationalen Übereinkommen. Das ist für den StandortDeutschland wichtig. Hätten wir hier ein von internatio-nalen Standards abweichendes Recht, dann wäre es fürdie Reeder in Deutschland und für die Reeder, die denHaftungsregelungen in Deutschland unterworfen sind,von Nachteil. Es würde dann versucht werden, nicht dasdeutsche Recht anwenden zu müssen. Wir wollen unsnicht vom Recht anderer wichtiger Seerechtsnationenabkoppeln. Nach deutschem Recht sollen vor allem Be-förderer nicht schlechter gestellt werden als Beförderer,die ausländischem Recht unterliegen.In einem weiteren Punkt nehmen wir eine Änderungvor: Wir halten nicht mehr am gesetzlichen Ausschlussder Haftung von Beförderern fest, wenn es um Schädengeht, die entweder von der Schiffsbesatzung bei der Füh-rung oder der sonstigen Bedienung des Schiffes oderdurch Feuer an Bord des Schiffes verursacht werden.Das ist ein Haftungsausschluss, der aus dem 19. Jahr-hundert stammt und der sich heute wohl kaum nochrechtfertigen lässt. Daher machen wir Schluss damit, ge-rade im Interesse derjenigen, deren Güter mit Schiffenbefördert werden.Auf europäischer Ebene gibt es die „EG-Verordnungvon 2009 über die Unfallhaftung von Beförderern vonReisenden auf See“, die im Dezember dieses Jahres inKraft tritt. Darin werden die Haftungsregelungen eben-falls verschärft. Wie wichtig ein guter Schutz vonSchiffspassagieren ist, hat der Unfall der „Costa Concor-dia“ gezeigt. Mit der Reform soll sichergestellt werden,
Metadaten/Kopzeile:
20976 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(C)
(B)
dass das hohe Schutzniveau, das ab Ende dieses Jahresauf EU-Ebene gilt, auch für Schiffsbeförderungen zu-trifft, die nicht unter die EG-Verordnung fallen, zumBeispiel bei innerstaatlicher Küstenschifffahrt oder derBinnenschifffahrt. Daher wünschen und hoffen wir, dassdas sehr umfangreiche Gesetzentwurfspaket bis zumEnde dieses Jahres beraten und verabschiedet werdenkann, sodass wir unser nationales Recht im Gleichklangmit den entsprechenden EU-Regelungen ausrichten kön-nen.Recht herzlichen Dank.
Vielen Dank, Frau Ministerin. – Es liegt nun zu die-
sem Themenbereich, den Sie eben dargestellt haben, die
erste Frage vor, und ich gebe das Wort Frau Kollegin
Dr. Valerie Wilms. Bitte schön, Frau Kollegin
Dr. Wilms.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Vielen Dank, Frau
Ministerin, für Ihren Bericht. Ganz so euphorisch wie
Sie bin ich an dieser Stelle jedoch nicht. Denn es gibt
durchaus neue Regeln zum Thema Seehandelsrecht, zum
Beispiel die Rotterdam Rules. Es wundert mich schon
ein wenig, dass Sie diese Regeln nicht mit herangezogen
haben. Es wäre da mehr möglich gewesen. Warum haben
Sie die Rotterdam Rules nicht einbezogen?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Im Bereich Seehandelsrecht gibt es viele international
gültige Übereinkommen, so das ursprüngliche Überein-
kommen, die Haager Regeln, und das Ergänzungsproto-
koll, die Visby-Regeln. Mit den Rotterdam Rules haben
wir uns natürlich intensiv beschäftigt, und zwar in den
Beratungen, die von einer Sachverständigenkommission
fünf Jahre lang vorbereitet wurden und die jetzt über ein
Jahr lang intensivste Diskussionen mit allen Interessier-
ten nach sich gezogen haben. Die Rotterdam Rules sind
bis heute noch nicht in Kraft. Keiner weiß, wann sie in
Kraft treten können. Der Zeitpunkt ist noch ungewiss.
Insofern ist es sicherlich richtig, dass wir uns im Gro-
ßen und Ganzen an dem aktuell geltenden internationalen
Stand der Übereinkommen orientieren. Wir haben aller-
dings auch einige Punkte aus den Rotterdam Rules – wie
gesagt, bis jetzt und auch absehbar nicht in Kraft – über-
nommen, zum Beispiel die elektronischen Beförderungs-
dokumente und einige andere Dinge. Insofern hatten wir
diese Rules sehr wohl im Blick, haben uns aber nicht aus-
schließlich an ihnen orientiert.
Vielen Dank. – Sie haben eine weitere Nachfrage?
Bitte schön, Frau Dr. Wilms, Sie haben das Wort.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Nach meinem Wis-
sensstand sind die Rotterdam Rules nunmehr von Spa-
nien ratifiziert worden; 24 Staaten haben sie inzwischen
unterzeichnet. Insofern ist es schon ein bisschen erstaun-
lich, dass Sie fünf Jahre dazu brauchen, das Ganze in
Gang zu setzen, und es jetzt nicht schaffen, dass diese
Rules von Deutschland ebenfalls unterzeichnet werden.
Erläutern Sie mir doch bitte die Gründe für diese Vorge-
hensweise. Wer hat denn da im Hintergrund gedrückt?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Es gibt weder im Hintergrund noch im Vordergrund
jemanden, der gedrückt hätte. Wir haben uns daran
orientiert, welche Auswirkungen die Regelungen, die
wir jetzt im Seehandelsrecht verankern, auf den Standort
Deutschland haben werden. Zeichnung der Rotterdam
Rules heißt ja nicht, dass sie damit sofort in Kraft treten,
sondern dazu ist eine Ratifizierung notwendig, die nach
allem, was wir wissen, im Moment noch ungewiss ist.
Wir wissen nicht, wann sie erfolgt.
Wir müssen auch darauf achten, wie die Situation an
anderen Standorten ist. Wir können doch nicht Regelun-
gen, die eindeutig zu einer deutlichen Verschärfung der
Haftung führen, bei uns in Kraft setzen, während sie noch
nicht von allen Staaten ratifiziert worden sind. Damit
würden wir die Reeder in Deutschland benachteiligen,
weil die verschärften Regelungen in anderen Staaten
noch nicht gelten. Wir müssen die Wettbewerbssituation
und die Gefahr von Benachteiligungen im Blick behalten.
Wir haben sehr wohl einige Aspekte der Rotterdam
Rules in die umfangreiche Reform einbezogen. Aber das
gilt nicht für alle Regelungen, insbesondere nicht für die,
die eine Benachteiligung nach sich ziehen, weil sie nir-
gendwo sonst gelten. Das wäre im Interesse unseres
Wirtschaftsstandortes zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht
richtig.
Vielen Dank. – Als nächsten Fragesteller habe ich un-
seren Kollegen Herbert Behrens.
Frau Ministerin, Sie haben vor einem Jahr den Refe-rentenentwurf vorgelegt. Eben haben Sie den Begriff derVereinfachung angeführt. Nebenbei bemerkt: Der Refe-rentenentwurf umfasst 250 Seiten, aber gut. – Es hat nunein Jahr gedauert, bis man so weit war, heute im Kabi-nett darüber zu beraten und einen endgültigen Vorschlagvorzulegen. Was hat sich in diesem Zeitraum substan-ziell verändert? Ist der Zeitraum von einem Jahr der Tat-sache geschuldet, dass es wesentliche Überarbeitungengeben musste? Sie haben davon gesprochen, dass Siesich in diesem Jahr mit Interessierten beraten haben. Ichwürde gerne wissen, wer diese Interessierten sind. Esgab eben den Hinweis auf die Reeder, ich denke, dieseGruppe hat bestimmt eine Rolle gespielt.Ein weiterer Punkt. Haben Sie aufgrund der aktuellenDiskussion über die Sicherheit der Seewege in den Ent-wurf auch die Problematik aufgrund von Piraterie unddie Gewährleistung von Sicherheit auf Passagierschiffen
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20977
Herbert Behrens
(C)
(B)
explizit eingearbeitet, was vor einem Jahr in der Form si-cherlich noch nicht möglich gewesen ist?
Das war die Frage des Kollegen Herbert Behrens.
Bitte schön, Frau Bundesministerin.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Bevor wir diesen Entwurf heute im Kabinett beraten
haben, gab es eine Erörterung zu diesem Thema – das ist
so üblich –, und zwar mit allen Interessierten. Das ist auf
der einen Seite die verladende Industrie, die Schiffe
nutzt, um ihre Waren zu transportieren – hier geht es um
Haftungsfragen –, das sind auf der anderen Seite diejeni-
gen, die Schiffe – sei es durch Überlassung oder durch
Eigentumserwerb – zur Verfügung stellen und damit für
Risiken zu haften haben. Das betrifft aber genauso Lan-
desjustizverwaltungen, alle interessierten Verbände und
Institutionen, und zwar nicht nur Verbände aus dem Be-
reich der Wirtschaft. Alle sind zur Abgabe von Stellung-
nahmen aufgefordert worden und haben umfangreiche
Stellungnahmen abgegeben.
Dass es unterschiedliche Stellungnahmen zum Thema
Ausgestaltung von Haftungen gibt, ist klar; denn wir
verändern sie. Für Personenbeförderungen heben wir die
bisher geltende Grenze bei verschuldensabhängiger Haf-
tung auf etwas unter 500 000 Euro an. Für Güterbeförde-
rungen haben wir uns geeinigt, den gesetzlichen Haf-
tungsausschluss für nautisches Verschulden und Feuer
zu beseitigen. Der verladenden Industrie ging es darum,
eine möglichst scharfe Haftung von Reedern für den Fall
zu schaffen, dass es zu Beschädigungen oder Unfällen
kommt.
All das zeigt: Es gibt sehr unterschiedliche Interessen,
die zu Recht artikuliert werden. Aber wir haben gerade
an dem genannten gesetzlichen Haftungsausschluss
nicht festgehalten, weil das aus unserer Sicht überhaupt
nicht mehr in die heutige Zeit passt.
Der Gesetzentwurf befasst sich nicht mit Piraterie
oder ähnlichen Themen. Wir haben für andere Fragen in-
ternationale Übereinkommen, die Gültigkeit haben, ge-
rade wenn es um Ölhavarie oder andere Fälle geht. Wir
haben in unserem Gesetzentwurf dazu keine weiteren
Regelungen aufgenommen.
Vielen Dank. – Ich stelle fest, dass zu dem Gesetzent-
wurf zur Reform des Seehandelsrechts keine weiteren
Fragen vorhanden sind. Damit kommen wir zu weiteren
Fragen zur heutigen Kabinettssitzung. Gemeldet hat sich
unsere Kollegin Frau Dr. Valerie Wilms.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Am Montag hat der
Club of Rome seinen neuen Bericht vorgelegt: 2052:
Eine globale Vorausschau. Es geht um die Grenzen des
Wachstums. Dieser Bericht ist in der Presse heute und
gestern ausführlich behandelt worden.
Der erste Bericht des Club of Rome führte zum Erd-
gipfel 1992 in Rio de Janeiro. Die Bundeskanzlerin be-
tont immer wieder gerne, dass Klaus Töpfer und Helmut
Kohl den Rio-Prozess vorangetrieben haben. 20 Jahre
später, im Juni dieses Jahres, findet die Nachfolgekon-
ferenz in Rio statt. Dort werden die Weichen für die
nächsten Jahre gestellt. Diese Weichenstellungen sind
entscheidend für das Schicksal der Menschheit. Warum
hat die Bundeskanzlerin als Vertreterin einer der wich-
tigsten Industrienationen der Erde ihre Teilnahme abge-
sagt? War diese Absage Thema der heutigen Kabinetts-
sitzung?
Vielen Dank. – Ich gebe das Wort dem Staatsminister
bei der Bundeskanzlerin. Bitte schön.
E
Frau Kollegin, das war heute nicht Thema der Kabi-
nettssitzung.
Nächste Fragestellerin ist Frau Kollegin Dagmar
Enkelmann.
Seehandelsrecht scheint ein sehr spannendes Thema
zu sein. Es gibt aber noch ein weiteres spannendes
Thema – ich gehe jetzt von der See in die Luft –: Gestern
ist erneut die Eröffnung des Willy-Brandt-Flughafens
verschoben worden. Der Bund ist ebenfalls Eigentümer,
nicht nur die Länder Berlin und Brandenburg. Hat sich
das Kabinett heute mit der erneuten Verschiebung der
Eröffnung beschäftigt? Hat es sich mit den Folgen dieser
Verschiebung für den gesamten Luftverkehr beschäftigt?
Vor allen Dingen möchte ich wissen: Hat sich das Kabi-
nett mit der Frage beschäftigt, wer für die Mehrkosten
aufkommt?
Vielen Dank. – Bitte schön, Herr Staatsminister.
E
Frau Kollegin Enkelmann, der Umstand an sich istvom Verkehrsminister in der Sitzung angesprochen wor-den. Die umfangreichen Fragen, die Sie an diese Ver-schiebung geknüpft haben, konnten bisher im Kabinettnoch nicht geklärt werden. Zunächst sind die Länder ge-fordert. Vielleicht erkundigen Sie sich einmal bei derLandesregierung Brandenburg, an der Ihre Partei betei-ligt ist.
Metadaten/Kopzeile:
20978 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
(C)
(B)
Vielen Dank. – Nächste Fragestellerin ist unsere Kol-
legin Ingrid Hönlinger. Dann folgt der Kollege Volker
Beck.
Vielen Dank. – Wir hatten heute im Rechtsausschuss
eine recht lebendige Diskussion über den Gesetzentwurf
der Grünen zur Öffnung der Ehe für gleichgeschlecht-
liche Paare. Insbesondere ging es in der Diskussion um
die Themen Steuerrecht und Adoption. In einer Ticker-
meldung von heute ist zu lesen, dass das Bundesjus-
tizministerium einen Gesetzentwurf zu einer stärkeren
Gleichstellung der Lebenspartnerschaft gleichgeschlecht-
licher Paare mit der Ehe vorlegen will. Einkommen-
steuer und Adoption sollen allerdings ausgenommen
sein. Ich würde gerne wissen, welche Bereiche geregelt
werden sollen und ob dies Thema der Kabinettssitzung
war. – Danke.
Herr Staatsminister.
E
Das war nicht Gegenstand der Kabinettssitzung, Frau
Kollegin. Die Justizministerin ist gerne zur sachlichen
Beantwortung der Frage bereit.
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Frau Kollegin, bei dem von Ihnen angesprochenen
Entwurf geht es darum: Im Zusammenhang mit der Be-
antwortung einer Großen Anfrage zur eingetragenen
Lebenspartnerschaft wurde deutlich, dass in vielen Ge-
setzen Regelungen vorhanden sind, die nicht dem heuti-
gen Rechtsstand „eingetragene Lebenspartnerschaft“
entsprechen. Es sollen entsprechende Korrekturen vor-
genommen werden. Materiell-rechtliche Regelungen
hinsichtlich des Steuerrechts, insbesondere des Einkom-
mensteuerrechts, und der Adoption sind jedoch nicht
enthalten. Zu dem letzten Punkt werden in der Koalition
unterschiedliche Auffassungen vertreten. Bezüglich des
anderen Punktes warten wir auf die Entscheidung des
Bundesverfassungsgerichts.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller, wie angekün-
digt, Kollege Volker Beck.
Zum gleichen Thema, zum gleichen Gesetzentwurf.
Ich finde es schön, dass unsere Große Anfrage zu einer
Gesetzesinitiative aus Ihrem Hause führt, weil Sie end-
lich gemerkt haben, wo es überall klemmt. Erstaunlich
finde ich, dass die größten rechtspolitischen Fragen in
den beiden Bereichen Einkommensteuer- und Adop-
tionsrecht nicht beantwortet werden. Das andere ist eher
rechtsbereinigender Natur.
Ich würde gerne wissen, welchen Status der Gesetz-
entwurf hat. Heute brüstet man sich in Agenturmeldun-
gen mit diesem Vorstoß. Ist dieser Gesetzentwurf inner-
halb der Bundesregierung abgestimmt? Warum war er
nicht Gegenstand der Kabinettssitzung, um ihn von der
Bundesregierung zu verabschieden? Pustet man einfach
einen Referentenentwurf in die Öffentlichkeit, weil am
13. Mai 2012 Landtagswahlen sind, oder steht die Koali-
tion dahinter? Warum verstecken Sie sich bei einer of-
fensichtlichen Diskriminierung im Steuerrecht hinter
dem Bundesverfassungsgericht?
Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-
ministerin der Justiz:
Sehr geehrter Herr Kollege, die Bundesregierung und
die Koalitionsfraktionen haben in dem Bereich der ein-
getragenen Partnerschaft einiges auf den Weg gebracht.
Das Gesetz zur Übertragung ehebezogener Regelungen
im öffentlichen Dienstrecht auf Lebenspartnerschaften
ist in Kraft getreten. Wir haben die Magnus-Hirschfeld-
Stiftung geschaffen. Dies war ein einstimmiger Be-
schluss aller Fraktionen des Bundestages. Von dieser Re-
gierung und den Koalitionsfraktionen ist all das gemacht
worden, was von früheren Regierungen nicht gemacht
wurde.
Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen, wenn wir in
unserer Rechtsordnung Anpassungen vornehmen. Das
ist, glaube ich, richtig. Wir werden einen Schritt nach
dem anderen gehen. Natürlich gibt es bei einigen Punk-
ten unterschiedliche Auffassungen. Die Punkte, zu de-
nen es unterschiedliche Auffassungen gibt, können nicht
– das ist klar – in eine gesetzliche Regelung gegossen
werden. Aber das heißt nicht, dass nicht jeder in der
Koalition seine Auffassung und Haltung dazu hat.
Es werden nicht irgendwelche Referentenentwürfe
herausgepustet. Wir arbeiten an einem Gesetzentwurf.
Es ist ganz normal, dass es etwas dauert, bis eine Kabi-
nettsbefassung ansteht. Deshalb stand dieser Entwurf
heute nicht auf der Tagesordnung.
Kollege Volker Beck, Sie wollen nachfragen.
Frau Ministerin, ich hatte Sie gefragt: Ist dieser Ge-setzentwurf oder Referentenentwurf – ich weiß immernoch nicht, was es ist – abgestimmt zwischen den Häu-sern der Bundesregierung, oder muss diese Abstimmungnoch erfolgen? Ist es also ein Vorschlag Ihres Hausesoder ein gemeinsamer Vorschlag der Bundesregierung?Sabine Leutheusser-Schnarrenberger, Bundes-ministerin der Justiz:Man hat dann einen Vorschlag der Bundesregierung,wenn es einen Kabinettsbeschluss gibt. Ein Kabinettsbe-schluss wird mit diesem Referentenentwurf vorbereitet.Das ist meine Aufgabe als Verantwortliche für das feder-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20979
Bundesministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger
(C)
(B)
führende Ressort. Weil wir uns selbst dazu verpflichtethaben, die entsprechenden notwendigen Rechtsanpas-sungen vorzunehmen, habe ich als die federführendeMinisterin den Auftrag dazu.
Vielen Dank. – Jetzt kommt eine Frage unseres Kolle-
gen Herbert Behrens. Bitte schön.
Ich habe noch eine Nachfrage an Herrn Staatsminister
von Klaeden. Es geht um die Befassung mit der Ver-
schiebung der Eröffnung des Flughafens BER. Wenn Sie
das Thema im Kabinett angesprochen haben, werden Sie
dies sicherlich auch im Hinblick auf unsere Verantwor-
tung dort – der Bund ist mit knapp einem Viertel an dem
Flughafen beteiligt – getan haben. Insofern, denke ich,
ist sicherlich mehr bei der Befassung mit diesem Thema
herausgekommen. Der Hinweis, wir mögen uns bitte an
die Länder wenden, wenn wir Auskünfte brauchen,
reicht nicht.
In welcher Weise hat sich das Bundeskabinett mit
dem entstehenden Problem befasst, dass es unter Um-
ständen Regressforderungen seitens einiger Firmen gibt,
die sich am neuen Flughafen ansiedeln wollten und dies
jetzt nicht pünktlich zum 3. Juni machen können, son-
dern erst zu einem späteren Zeitpunkt, der uns erst
nächste Woche mitgeteilt werden soll? Ich denke, dass
bei der Erörterung dieses Themas ein bisschen mehr Ver-
antwortung hätte gezeigt werden müssen. Ich erwarte,
dass Sie etwas mehr darüber berichten.
Herr Staatsminister.
E
Herr Kollege, es bleibt bei meiner Antwort, dass diese
Frage vom Verkehrsminister angesprochen worden ist
und dass die weiteren Fragen zu prüfen und zu untersu-
chen sind.
Vielen Dank.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, gibt es darüber hi-
naus sonstige Fragen an die Bundesregierung? – Das ist
nicht der Fall. Ich beende somit die Befragung der Bun-
desregierung.
Bis zum geplanten Beginn der Fragestunde ist noch
etwas Zeit. Ich frage die Parlamentarischen Geschäfts-
führer: Können wir schon mit der Fragestunde begin-
nen? Es ist ja immer schwierig, erst zu unterbrechen und
später weiterzumachen. Der erste Fragesteller, der Kol-
lege Bollmann, ist anwesend. Sollen wir also jetzt mit
der Fragestunde beginnen?
Ich rufe also den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 17/9517 –
Ich rufe die mündlichen Fragen in der üblichen Rei-
henfolge auf.
Wir kommen zunächst zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz und Re-
aktorsicherheit. Zur Beantwortung steht die Parlamenta-
rische Staatssekretärin Katherina Reiche zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 1 des Kollegen Gerd Bollmann auf:
Ist die Bundesregierung der Ansicht, dass Mehrwegver-
packungen ökologisch vorteilhafter als recycelte bzw. recycel-
bare Einweggetränkeverkaufsverpackungen sind?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin, zur Beantwortung.
Ka
Herr Kollege Bollmann, ich beantworte Ihre Frage
wie folgt: Die Einschätzung der Bundesregierung zur
ökologischen Vorteilhaftigkeit bestimmter Getränkever-
packungen beruht auf Ökobilanzuntersuchungen, die
den einschlägigen nationalen und internationalen Nor-
men entsprechen und vom Umweltbundesamt geprüft
und bewertet worden sind. Diese Studien belegen die
grundsätzliche ökologische Vorteilhaftigkeit von Mehr-
wegflaschen. Dabei erweisen sich Mehrwegflaschen aus
PET jeweils als die ökologisch günstigste Verpackung.
Einige Einweggetränkeverpackungen schneiden, vergleich-
bar mit Glasmehrwegflaschen, in den vorliegenden
Ökobilanzstudien gut ab. Deshalb sind in der Verpa-
ckungsverordnung ökologisch vorteilhafte Einweg-
getränkeverpackungen von der Pfandpflicht befreit.
Bei der Beurteilung der ökologischen Effekte einer
Verpackung spielt das Recycling eine wesentliche Rolle.
Es ist jedoch nicht allein ausschlaggebend. Vielmehr ist
der gesamte Lebensweg einer Verpackung zu berück-
sichtigen. In der vergangenen Woche habe ich Ihnen Ihre
schriftliche Frage zu diesem Thema beantwortet. In mei-
ner Antwort habe ich bestätigt, dass die Bundesregie-
rung davon ausgeht, dass das Recycling der im Pfand-
system sortenrein zurückgenommenen PET-Flaschen zur
Verringerung negativer ökologischer Effekte aufgrund
sinkender Mehrweganteile beiträgt.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Gerd Bollmann.
Ich habe eine Zusatzfrage: Wenn die Bundesregierungder Ansicht ist, dass Mehrwegflaschen vorteilhaft sind,
Metadaten/Kopzeile:
20980 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Gerd Bollmann
(C)
(B)
was gedenkt die Bundesregierung zu tun, um das Mehr-wegsystem in Zukunft zu stärken?Ka
Es gibt verschiedene Wege, die wir gehen können.
Erstens haben wir weitere Forschungsvorhaben in Auf-
trag gegeben; eines wird im Jahre 2014 abgeschlossen
sein. Zweitens ist das Thema Kennzeichnung und Trans-
parenz wichtig.
Kollege Bollmann, haben Sie eine weitere Nach-
frage?
– Vorher stellt noch unser Kollege Kelber eine Nach-
frage.
Frau Staatssekretärin, verfolgt die Bundesregierung
im Hinblick auf die Mehrwegquote bzw. die Quote öko-
logisch vorteilhafter Verpackungen eine bestimmte Ziel-
größe? Wenn ja, um welche Zielgröße handelt es sich?
Werden Sie eine Evaluierung vornehmen, die zeigt, ob
Sie in der Lage sind, diese Quote mit Ihren Instrumenten
zu erreichen?
Ka
Eine Evaluierung der Pfandpflicht haben wir bereits
durchgeführt und 2010 Ergebnisse vorgelegt. Ergänzend
wird gegenwärtig eine Ökobilanzstudie durchgeführt,
die – um ganz korrekt zu sein – das UBA in Auftrag ge-
geben hat; an dieser Studie wird derzeit am Ifo-Institut in
Heidelberg gearbeitet. Sie trägt den Titel „Prüfung und
Aktualisierung der Ökobilanzen für Getränkeverpackun-
gen“. Darin geht es um einen Vergleich sowie um die
Entwicklung einheitlicher Bewertungsgrundsätze und
methodischer Vorgaben.
Wir wollen den Mehrweganteil erhöhen. Dies ist un-
ter anderem bei Bierflaschen bereits gut gelungen, bei
anderen Getränkeverpackungen weniger. Wir meinen,
dass mehr Transparenz für den Verbraucher hier beson-
ders wichtig ist.
Vielen Dank. – Ich rufe die Frage 2 unseres Kollegen
Gerd Bollmann auf:
Welche Maßnahmen wird die Bundesregierung zusätzlich
zur geplanten Kennzeichnungsverordnung ergreifen, um auf
die weiterhin sinkenden Mehrwegquoten bei Getränkever-
kaufsverpackungen zu reagieren?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Bollmann, die Bundesregierung ver-
spricht sich von der vorgesehenen Kennzeichnungsrege-
lung eine Verbesserung der Transparenz und damit eine
Förderung der Mehrweganteile. Daneben wird die Infor-
mation der Öffentlichkeit sowohl durch die Bundesre-
gierung als auch durch Wirtschaftsbeteiligte und Um-
welt- und Verbraucherverbände auch in der Zukunft eine
wichtige Rolle spielen.
Grundlage der Überlegungen des Bundesumweltmi-
nisteriums zur Förderung von ökologisch vorteilhaften
Getränkeverpackungen ist die Studie der bifa Umweltin-
stitut GmbH aus dem Jahr 2010. Die Ergebnisse der Stu-
die werden auch bei den Arbeiten zu der vorgesehenen
Fortentwicklung der Verpackungsverordnung berück-
sichtigt.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Gerd Bollmann.
Meine erste Nachfrage schließt sich hier direkt an. Da
die gesetzlich vorgeschriebenen Quoten längst unter-
schritten sind: Denkt die Bundesregierung an Verände-
rungen im Gesetz, oder welche Maßnahmen gedenkt die
Bundesregierung hier anzupacken?
Ka
Eine Möglichkeit ist ja die Kennzeichnung.
Der damalige Bundesumweltminister Gabriel hat seiner-
zeit, im Jahr 2009, einen entsprechenden Vorschlag zu
unterbreitet. Er hat allerdings übersehen, dass dies ein
kompliziertes Notifizierungsverfahren bei der Europäi-
schen Kommission nach sich zieht. Wir versuchen jetzt,
gemeinsam mit der Kommission Lösungen dafür zu fin-
den, Transparenz und Deutlichkeit für den Verbraucher
herzustellen. Hierzu wird es Vorschläge geben.
Ich glaube, dass es das beste und wirkungsvollste In-
strument ist, wenn die Verbraucherinnen und Verbraucher
am Point of Sale, also am Einkaufsort, ganz klar unter-
scheiden können, ob es sich um Einweg- oder Mehrweg-
verpackungen handelt.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Gerd Bollmann.
Ungeachtet der Kennzeichnung ging meine Frage al-lerdings in diese Richtung: Wird die Bundesregierunggesetzliche Maßnahmen ergreifen, wenn die bereitsheute deutlich unterschrittene Quote weiterhin unter-schritten wird?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20981
(C)
(B)
Ka
Wir glauben, dass eine Kennzeichnung und Klarheit
die geeigneteren Schritte sind als die von der SPD mehr-
fach geforderte Lenkungsabgabe, die für uns kein geeig-
neter Schritt wäre.
Zunächst eine Zusatzfrage des Kollegen Ulrich
Kelber.
Die letzte Antwort interpretiere ich als ein Nein. Sie
planen also keine zusätzlichen Maßnahmen, auch wenn
Sie das so nicht gesagt haben.
Meine Frage vorhin, die Sie nicht beantwortet haben,
war: Bleiben Sie bei den bisherigen Quotenvorgaben für
Mehrweg- und für ökologisch vorteilhafte Verpackun-
gen, oder hat sich die Bundesregierung neue quantitative
Vorgaben gesetzt, ab denen sie weitere politische Maß-
nahmen ergreifen möchte?
Ka
Es gibt keine neuen Quoten. Wir schrauben sie auch
nicht nach unten. Erklärtes Ziel ist, den Anteil ökolo-
gisch vorteilhafter Mehrweggetränkeverpackungen zu
erhöhen.
Ich weise an dieser Stelle aber auch darauf hin, dass
die Förderung dieser Verpackungen, auch soweit sie in
der Verpackungsverordnung bereits angelegt ist, in Brüs-
sel immer wieder gerechtfertigt werden muss. Wir wol-
len, müssen und werden darauf achten, dass wir diese
Förderung nicht durch Brüssel gestrichen bekommen.
Vielen Dank. – Nachfrage unseres Kollegen Ralph
Lenkert.
Vielen Dank. – Frau Staatssekretärin, Sie führten eben
aus, dass Sie der Meinung sind, dass die Kennzeichnung
ein ausreichendes Mittel ist.
Ich würde jetzt gerne wissen, wie lange Sie dieser
Meinung sein werden, da die Mehrwegquoten ja sinken,
und wann für Sie der Punkt erreicht ist, neue Maßnah-
men zu ergreifen.
Ka
Herr Kollege Lenkert, es gibt eine Reihe von Vor-
schlägen, sowohl aus dem parlamentarischen Raum als
auch von interessierten Verbänden, um die Quoten zu er-
höhen. Ich sage noch einmal, dass uns die derzeitigen
Quoten natürlich nicht zufriedenstellen. Trotzdem muss
jede Einzelmaßnahme intensiv geprüft werden; denn ein
Streit mit der Kommission über diese oder jene Len-
kungswirkung kann dann schädlich sein, wenn die von
uns eingeführte und durch die Verpackungsverordnung
realisierte Förderung von Mehrwegverpackungen am
Ende des Tages fortfällt.
Deshalb sagen wir, dass wir mit Werbemaßnahmen,
einer Kennzeichnungspflicht und Transparenz auf einem
guten Weg sind. Alle Studien zu einer zusätzlichen Len-
kungsabgabe haben zudem ergeben, dass diese nicht ak-
zeptiert werden würde.
Vielen Dank. – Wir kommen zur Frage 3 von unserem
Kollegen Dr. Matthias Miersch:
Wann wird das Bundesministerium für Umwelt, Natur-
schutz und Reaktorsicherheit die angekündigten Eckpunkte
für das geplante Wertstoffgesetz vorlegen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Miersch, die Bundesregierung hat sich
das Ziel gesetzt, nach der Verabschiedung des neuen
Kreislaufwirtschaftsgesetzes noch in dieser Legislatur-
periode die Verpackungsverordnung fortzuentwickeln
und eine einheitliche Wertstofferfassung einzuführen.
Über den Sachstand wurde mehrfach in den Ausschüs-
sen, auch durch meine Person, berichtet. Zusätzlicher
Forschungsbedarf, der sich aus dem im vergangenen
Jahr durchgeführten Planspiel ergeben hat, wird in
Kürze abgearbeitet sein.
Der Verlauf der Beratungen zum Kreislaufwirt-
schaftsgesetz hat bestätigt, dass es einer Lösung bedarf,
die privatwirtschaftliche und kommunale Interessen
sorgfältig austariert. Das Bundesumweltministerium
strebt an, einen zielführenden, konsensfähigen Regie-
rungsentwurf vorzulegen. Dabei wird es nicht darauf an-
kommen, ob dieser Entwurf nun eine Woche früher oder
eine Woche später vorliegt. Es wird darauf ankommen,
einen fairen Interessenausgleich zu ermöglichen und
letztlich die erforderliche Zustimmung im Rechtset-
zungsverfahren zu erlangen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Dr. Miersch.
Vielen Dank, Frau Staatssekretärin. – So schwierigwar die Frage nicht: Wir haben nach einem Zeitpunktgefragt. Jetzt sagen Sie: Es ist nicht wichtig, ob der Ent-wurf eine Woche früher oder eine Woche später vorliegt.Wir haben nach den Eckpunkten und der Vorlage durchIhr Ministerium – dafür sind Sie zuständig – gefragt.Wird das noch in dieser Legislaturperiode sein, die un-terschiedlich lang sein kann?
Metadaten/Kopzeile:
20982 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Dr. Matthias Miersch
(C)
(B)
Ich weiß nicht, welche Kenntnisse Ihr Haus hat. Aberkönnten Sie es noch etwas präziser sagen: Wann werdenSie diese Eckpunkte vorlegen, damit der Deutsche Bun-destag in der Ausführlichkeit, die Sie eben beschriebenhaben, beraten kann?Ka
Wir werden die Eckpunkte dann vorlegen, wenn wir
einen größtmöglichen Konsens zwischen allen Beteilig-
ten erreicht haben. Wir haben uns außerdem im Koali-
tionsvertrag verpflichtet, einen Entwurf in dieser Legis-
laturperiode vorzulegen. Das wollen wir auch erreichen.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Dr. Miersch.
Heißt das, dass Sie diesen Konsens schon im Vorfeld
erreichen wollen und dass Sie möglicherweise einen
Entwurf zwar in dieser Legislaturperiode vorlegen wol-
len, aber den Deutschen Bundestag nicht mehr in die
Lage versetzen wollen, diesen so wichtigen Gesetzent-
wurf zu verabschieden?
Ka
Ziel ist der Abschluss der Gesetzgebung. Aber, Herr
Kollege Miersch, wir erinnern uns beide gut an die
Diskussionen im zuständigen Bundestagsausschuss über
einen Ausgleich zwischen den Interessen der Privatwirt-
schaft und denen der Kommunen, zwischen den Betei-
ligten im Bundestag und im Bundesrat. Im Bereich der
Verpackungsentsorgung haben wir ein seit 20 Jahren be-
währtes privatwirtschaftliches System. Zudem haben wir
gerade ein neues Kreislaufwirtschaftsgesetz verabschie-
det, wodurch es hier und da zu neuen Akzenten ge-
kommen ist. Wir wollen und müssen uns jetzt die Zeit
nehmen, zu einer Lösung zu kommen, die von allen Be-
teiligten gleichermaßen akzeptiert wird.
Vielen Dank. – Jetzt kommen wir zur Frage 4 des
Kollegen Dr. Matthias Miersch:
Welchen Umfang hat der sogenannte Pfandschlupf derzeit,
und welche Maßnahmen wird das Bundesministerium für
Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit angesichts der
anstehenden Überarbeitung der Verpackungsverordnung er-
greifen, um diesen zu verringern?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Miersch, zum Anteil der nicht eingelös-
ten Pfandgelder liegen der Bundesregierung keine kon-
kreten Erkenntnisse vor. Dies gilt sowohl für Einweg-
als auch für Mehrweggetränkeverpackungen. Nach Aus-
sagen von Marktteilnehmern liegt der Pfandschlupf bei
bepfandeten Einwegverpackungen unterhalb von 4 Pro-
zent des Pfandaufkommens.
Nicht eingelöste Einwegpfandgelder verbleiben nach
Kenntnis der Bundesregierung bei den Pfandkontofüh-
rern innerhalb des DPG-Systems, also in der Regel bei
den Abfüllern. Sie werden zur Finanzierung des Rück-
nahmesystems verwendet.
Den Verbraucherinnen und Verbraucher steht in
Deutschland ein flächendeckendes, einheitliches Rück-
nahmesystem für bepfandete Einweggetränkeverpackun-
gen zur Verfügung, das offenbar für nahezu alle diese
Verpackungen genutzt wird. Die Bundesregierung sieht
keinen Anlass für zusätzliche Maßnahmen zur weiteren
Erhöhung der Rückgabequote bei bepfandeten Einweg-
verpackungen.
Bitte schön, Ihre Nachfrage, Kollege Dr. Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie haben eben gesagt, dass der
Bundesregierung keine Erkenntnisse vorlägen. Meinen
Sie nicht, dass man diesen Sachverhalt ändern und die
Bundesregierung zumindest in die Lage versetzen sollte,
darüber nachzudenken, ob man eine Steuerung vor-
nimmt und, wenn ja, wie diese aussehen sollte, oder ist
es aus Ihrer Sicht ausreichend, sich nur auf Verbandsan-
gaben zu verlassen?
Ka
Man steuert dann, Herr Kollege Miersch, wenn eine
ganz deutliche Schieflage vorliegt. 4 Prozent Pfand-
schlupf erscheint nicht als eine solche Schieflage.
Wir haben Zahlen aus einer bifa-Studie – zugegeben
aus dem Jahr 2010, aber das ist noch nicht veraltet –
bzw. aus einer Roland-Berger-Studie, wo man von einem
jährlichen Aufkommen von 175 Millionen Euro ausgeht.
Tatsächlich kann das auch noch niedriger liegen.
Demgegenüber stehen die notwendigen Aufwendun-
gen. Diese liegen sehr viel höher als das, was durch die
4 Prozent Pfandschlupf hereinkommt. Wir meinen also,
es ist mehr als vertretbar, wenn sich das in diesem Be-
reich bewegt.
Ihre weitere Nachfrage, Kollege.
Frau Staatssekretärin, Sie haben auch diese Fragewieder nett umschifft. Ich frage Sie, ob es nicht notwen-dig ist, dass sich der Bundesumweltminister Kenntnisse
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20983
Dr. Matthias Miersch
(C)
(B)
verschafft, um die Umweltpolitik zu gestalten, mögli-cherweise auch eigenständig, statt sich auf Verbandsan-gaben zu verlassen. Wie schätzen Sie dies ein?Ka
Ich habe gesagt, dass wir permanent mit allen Betei-
ligten im Gespräch sind. Die Erkenntnisse, die uns vor-
liegen, Herr Kollege Miersch, bieten keinen Anlass zur
Sorge. Ein Pfandschlupf von 4 Prozent bedeutet circa
1 Cent pro Gebinde. Wir meinen, das reicht nicht aus,
um zu handeln. Wir glauben, dass das System erfolg-
reich ist.
Ich weise noch auf etwas anderes hin: Im Gegensatz zu
Mehrwegverpackungen haben wir für die Pfandeinweg-
verpackungen ein flächendeckendes System. Der Ver-
braucher kann tatsächlich überall abgeben. Bei Mehrweg,
bei dem es eine sehr viel größere Vielfalt gibt, ist dies sehr
viel schwieriger zu realisieren. Wir haben mit den hohen
Rücknahmequoten etwas erreicht, das sicherlich so nicht
erwartet worden war, und meinen, dass wir hierbei eine
durchaus akzeptable Situation haben.
Noch die Nachfrage unseres Kollegen Ulrich Kelber.
Frau
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ist
die Bundesregierung bereit, eine unabhängige Studie in
Auftrag zu geben, um zu klären, ob die 4 Prozent, die
Sie als Begründung nennen, nicht weiter zu prüfen, auch
stimmen, oder verlassen Sie sich nur auf die Aussage der
Lobby selbst?
Ka
Zwei Aussagen dazu, Herr Kelber: Erstens zeigen alle
Studien und auch Umfragen, dass das Problem des Litte-
ring, also der Verschmutzung der Umwelt, seit Bestehen
der in Rede stehenden Regelungen deutlich zurückge-
gangen ist. Das wird Ihnen jeder bestätigen.
Zweitens. Wenn die Verbraucherinnen und Verbrau-
cher beim Erwerb einer Flasche ein Pfand von 25 Cent
zahlen und dann, aus welchen Gründen auch immer,
nicht bereit sind, sich dieses wiederzuholen, haben die
Verbraucherinnen und Verbraucher an dieser Stelle, so
muss ich es sagen, auch ein Stück Eigenverantwortung.
Noch einmal: Die 4 Prozent Pfandschlupf, die bekannt
sind, geben keinen Anlass zur Sorge. Hier ist jeder Ver-
braucher aufgefordert, den Weg zu einer der Abgabestel-
len zu gehen, die flächendeckend vorhanden sind. Das
System ist auch einheitlich. Seit 2003 ist das so. Nach an-
fänglichen Schwierigkeiten, damals noch durch Jürgen
Trittin verursacht, hat sich das absolut professionalisiert.
Wir meinen, dass weitere Abgaben und Zwangsmaßnah-
men keine entsprechende Lenkungswirkung auf die Ver-
braucher hätten, die daran zudem auch kein Interesse ha-
ben.
Wir kommen nun zu Frage 5, gestellt von unserem
Kollegen Dirk Becker:
Aus welchen Gründen sah sich die Bundesregierung bis-
her außerstande, den bis Ende 2011 gesetzlich geforderten Er-
fahrungsbericht zum Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz,
EEWärmeG, vorzulegen, und wann beabsichtigt die Bundes-
regierung, in dieser Legislaturperiode einen Vorschlag für
eine Weiterentwicklung des Gesetzes zu unterbreiten?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ka
Die Arbeiten am Erfahrungsbericht zum Erneuerbare-
Energien-Wärmegesetz haben sich verzögert, da aufgrund
der komplexen Sachzusammenhänge im Wärmemarkt und
der schwierigen Datenlage bei dieser erstmaligen Erfah-
rungsanalyse ergänzende fachliche Forschungsarbeiten
notwendig waren. Daher wird der Erfahrungsbericht zum
Erneuerbare-Energien-Wärmegesetz voraussichtlich Mitte
2012 dem Deutschen Bundestag vorgelegt werden kön-
nen.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,
dass ein solcher Erfahrungsbericht vorgelegt werden
muss, wissen wir seit 2009. Die Vorarbeiten sind früh-
zeitig einzuleiten gewesen. Ist es nicht vielmehr richtig,
dass es erneut ein Problem in der Abstimmung zwischen
Herrn Röttgen und Herrn Rösler gibt, dass es also erneut
Probleme gibt, eine Abstimmung innerhalb der Bundes-
regierung vorzunehmen? Ist es in der Tat so, wie die
FDP-Fraktion heute Morgen im Ausschuss angemahnt
hat, dass Herr Röttgen selbst einfach nicht in der Lage
ist, seine Angelegenheiten fristgemäß zu erledigen, und
auf der Bremse steht? Das hat der Kollege Kauch heute
Morgen im Umweltausschuss so unterstellt.
Ka
Ich war heute Morgen nicht im Umweltausschuss.
Ich kann also das, was Kollege Kauch gesagt hat, nichtkommentieren. Das würde ich von dieser Stelle aussowieso nicht tun.
Metadaten/Kopzeile:
20984 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
Ich sage Ihnen, dass wir dabei sind, einen solchen Er-fahrungsbericht erstmalig zu erarbeiten. Es laufen nochForschungsvorhaben. Sind diese abgeschlossen, präsen-tieren wir dem Deutschen Bundestag unseren Bericht,um danach in weitere Beratungen einzusteigen.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Becker.
Noch einmal konkret: Sie haben im Koalitionsaus-
schuss vereinbart, dass dieser Bericht im zweiten Quar-
tal vorliegen soll. In welcher konkreten Sitzungswoche
wird er uns dann vorliegen?
Ka
Herr Kollege Becker, die konkrete Sitzungswoche
kann ich Ihnen nicht nennen. Wir peilen Mitte dieses
Jahres an. Aber ich bin sicher, dass Sie alle so rechtzeitig
informiert werden, dass im Ausschuss ausreichend Gele-
genheit bleibt, über diesen Bericht ausführlich zu disku-
tieren.
Eine Nachfrage unseres Kollegen Ralph Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,
Sie sprachen gerade davon, dass noch verschiedene For-
schungsvorhaben notwendig sind, um den Erfahrungs-
bericht vorlegen zu können. Könnten Sie uns darlegen,
um welche noch nicht abgeschlossenen Forschungsvor-
haben es sich handelt und wer sie durchführt?
Ka
Wir haben verschiedene Modelle, Herr Kollege
Lenkert, wie wir den Ausbau der erneuerbaren Wärme
sowohl im Gebäudebestand als auch im Neubaubereich
vorantreiben können. Es gibt verschiedene Maßnahmen,
die man ergreifen kann. Wir wollen sicherlich weiterhin
beim System „fordern und fördern“ bleiben. Aber ich
werde Ihnen erst dann konkret Auskunft geben können,
wenn die Arbeiten abgeschlossen sind. So war dies bei
anderen Erfahrungsberichten üblich. So werden wir es
auch dieses Mal halten.
Wir kommen zu Frage 6, ebenfalls gestellt von unse-
rem Kollegen Dirk Becker:
Wie schätzt die Bundesregierung jeweils die Einbeziehung
des Gebäudebestandes in die gesetzliche Verpflichtung zur
Nutzung erneuerbarer Energien bei der Erzeugung von
Heizwärme und Warmwasser sowie die Schaffung eines haus-
haltsunabhängigen Förderinstruments auf der Basis einer
Umlage auf fossile Brennstoffe – sogenannte Wärmeprämie –
in das EEWärmeG ein, und worauf stützt sie diese Einschät-
zung jeweils?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ka
Herr Kollege Becker, die Bundesregierung wird die
unterschiedlichen Instrumente zur zukünftigen Förde-
rung von erneuerbaren Energien im Gebäudebestand auf
Grundlage der Forschungsberichte zum Erfahrungs-
bericht zum EE-Wärmegesetz prüfen.
Da haben Sie jetzt ganz sicher eine Nachfrage.
Bitte schön, Kollege Dirk Becker.
Ich hätte mehr Nachfragen, als Sie, Herr Präsident,
mir genehmigen würden.
Frau Staatssekretärin, meine Frage ist relativ konkret.
Auch ohne Erfahrungsberichte wissen wir, dass wir das
Ziel der Wärmeversorgung aus erneuerbaren Energien
im Gebäudebereich ohne die Einbeziehung des Gebäu-
debestandes nicht erreichen werden. Daher ganz kon-
kret: Herr Röttgen stellt sich hin und spricht ständig vom
schlafenden Riesen Wärmemarkt, tut aber alles, um den
Riesen schlafen zu lassen und nicht aufzuwecken. Wie
sehen die Überlegungen und Planungen im BMU zur Er-
weckung dieses Riesen im Gebäudebestand konkret aus?
Ka
Zum Ersten werden wir über konkrete Maßnahmen
sprechen, wenn der Erfahrungsbericht vorliegt.
Zum Zweiten weise ich an dieser Stelle darauf hin,
dass seit der Regierungsverantwortung von Rot-Grün
zum Beispiel die Mittel für das Marktanreizprogramm
– das ist nur ein Instrument – fast verdoppelt wurden. Ich
finde, dass das eine handfeste Antwort auf die Frage ist,
was geschehen muss. Es stehen deutlich mehr Mittel zur
Verfügung als früher. Das ist schon einmal ein Hinweis
darauf, dass wir den Grundsatz „fordern und fördern“
ernst nehmen. Diese Summe von nunmehr 366 Millio-
nen Euro ist sehr eindrucksvoll.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.
Frau Staatssekretärin, Sie drücken sich um die Ant-wort. Das Marktanreizprogramm, das bisher auf freiwil-liger Basis Investitionen ermöglichen soll, wird bei wei-tem nicht ausreichen. Sie haben die Mittel für diesesMarktanreizprogramm reduziert, nicht erhöht. Sie habenbezüglich der Finanzierung weiter verunsichert. Ent-scheidend ist, dass die verpflichtende Nutzung auch fürden Gebäudebestand gelten muss.Noch einmal ganz konkret: Wird die Bundesregierungdas gemeinsam vereinbarte Ziel des Ausbaus von
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20985
Dirk Becker
(C)
(B)
Wärme aus erneuerbaren Energien ernst nehmen unddamit auch den Gebäudebestand verpflichtend ins EE-Wärmegesetz aufnehmen, oder bleibt es wieder einmalbei den wolkigen Ankündigungen von Herrn Röttgen,und die Maßnahmen bleiben aus?Ka
Herr Kollege Becker, 366 Millionen Euro sind keine
wolkige Ankündigung, sondern das ist eine handfeste
Zahl. Es ist in harten Verhandlungen mit dem Bundes-
finanzministerium gelungen, den Betrag, der im vergan-
genen Jahr nicht abgeschöpft wurde, vollständig in die
Förderung zu überführen. Damit haben wir einen absolut
hohen Bestand im Marktanreizprogramm. Das ist nicht
wolkig, das ist handfest.
Zu allen weiteren Maßnahmen, die wir ergreifen
werden, werden wir nach der Vorlage des Berichts, der
sicherlich einen Überblick über mögliche Maßnahmen
geben wird, mit den beteiligten Ressorts ins Gespräch
kommen. Wir werden beim Fördern und Fordern blei-
ben. Klar ist, dass wir eine Mischung aus Maßnahmen
– direkte Zuschüsse, zinsverbilligte Kredite, Ordnungs-
recht – brauchen. Wie die gelagert und gewichtet sein
werden, werden wir dann besprechen, wenn der Bericht
vorliegt.
Als Nächstes gibt es die Nachfrage unseres Kollegen
Dr. Matthias Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie haben das Marktanreizpro-
gramm jetzt angesprochen. Es wurden insgesamt viele
Fragen gestellt, und Sie sagen immer wieder „in dieser
Periode“, „in wenigen Wochen“ oder „nach Abwarten
von Forschungsergebnissen“. Wir sind hier wieder in ei-
nem Bereich, wo es bei der bloßen Ankündigung bleibt.
Ich möchte Sie – Stichwort Marktanreizprogramm – mit
der Kritik des Sachverständigenrats für Umweltfragen
konfrontieren, der die Reduzierung der Mittel für dieses
Programm problematisiert hat. Wie stehen Sie zur Ein-
schätzung Ihres Sachverständigenrats für Umweltfragen
im Hinblick auf die Reduzierung der Mittel im Marktan-
reizprogramm?
Ka
Dem Sachverständigenrat für Umweltfragen ist offen-
bar entgangen, dass es dem Umweltministerium gelun-
gen ist, vom BMF die Zusage zu bekommen, die
Restmittel aus dem vergangenen Jahr komplett zu über-
nehmen. Wir haben damit mehr Mittel als im letzten
Jahr. Das mögen Sie jetzt kritisieren, ist aber Fakt. Es
stehen mit 366 Millionen Euro mehr Mittel im Markt-
anreizprogramm für die Förderung von Systemen zur
Verfügung.
Nachfrage unseres Kollegen Ralph Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,
es geht um die Einbeziehung des Gebäudebestandes bei
der Erzeugung von Wärme aus erneuerbaren Energien.
Ich würde gerne wissen, welche Förderinstrumente Sie
vorsehen, um die Erzeugung von Wärme aus erneuerba-
ren Energien zum Beispiel über Wärmepumpen voran-
zutreiben. Es ist bekannt, dass man durch diese Nutzung
mit 1 Kilowattstunde Energie 4 Kilowattstunden Heiz-
energie bereitstellen kann. Welche Programme sehen Sie
vor, um dieses Potenzial zukünftig zu erschließen?
Ka
Herr Kollege Lenkert, ich bleibe bei meiner Aussage,
dass wir über konkrete Maßnahmen – Förderpro-
gramme, Höhen, Ordnungsrecht – dann sprechen, wenn
ein Erfahrungsbericht vorliegt. Es geht hier nicht nur um
Wärmepumpen, sondern auch um Solarthermie, um
Biomasse, um Wärmenetze und um die Gebäudehülle.
Es handelt sich um eine Vielzahl von Maßnahmen. Ich
bitte Sie, sich in Geduld zu üben, bis der Erfahrungs-
bericht vorliegt.
Jetzt ist unser Kollege Ulrich Kelber an der Reihe. –
Bitte schön, Kollege Ulrich Kelber.
Frau
Rede von: Unbekanntinfo_outline
gestrichen,
aufgestockt, wieder reduziert.
Da Sie den Sachverständigenrat erwähnt haben: Der
Sachverständigenrat ist ja im letzten Jahr ins Gespräch
gekommen, als bekannt wurde, dass die Bundesregie-
rung zur Aufsicht über den bisher unabhängigen Sach-
verständigenrat auf Vorschlag der FDP-Fraktion eine
neue Stelle einrichten wollte. Es wurde damals bekannt,
dass bereits eine Person aus der FDP-Fraktion für diese
Stelle vorgesehen war. Meine Frage ist: Welche konkre-
ten Entwicklungen gibt es im Besetzungsverfahren für
diese damals eingerichtete Stelle, die vom Sachverstän-
digenrat selbst abgelehnt worden ist?
Ka
Herr Kollege Kelber, jetzt haben Sie die Frage derKollegin Kofler vorweggenommen. Ich werde sie trotz-dem beantworten – vermutlich haben Sie sie gestellt,weil die Kollegin Kofler nicht anwesend sein kann –: Essind bisher keine Schritte zur Besetzung der mit demBundeshaushalt 2012 ausgebrachten B-4-Stelle für den
Metadaten/Kopzeile:
20986 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Parl. Staatssekretärin Katherina Reiche
(C)
(B)
SRU erfolgt. Im Übrigen steht für uns die Unabhängig-keit des SRU überhaupt nicht infrage. Er behält seineUnabhängigkeit. Dies ist ein ganz klares Statement vondieser Stelle aus.
Vielen Dank. – Die Fragen 7 und 8 der Kollegin Ute
Vogt werden schriftlich beantwortet.
Die Frage 9 der Kollegin Dr. Bärbel Kofler haben
Sie eben in der Tat bereits beantwortet. Sollte Frau
Dr. Kofler während der Beantwortung der Fragen zu die-
sem Geschäftsbereich noch kommen – denn wir haben ja
etwas früher mit der Fragestunde begonnen –, würde ich
ihre Frage noch aufrufen.
Frage 10 der Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt die Frage 11 unseres Kollegen Frank
Schwabe auf:
Welche Haltung hat die Bundesregierung im Rahmen der
Diskussion um die Kraftstoffqualitätsrichtlinie zu Kraftstoffen
aus Teersanden, und unterstützt die Bundesregierung eine dif-
ferenzierte Behandlung von Kraftstoffen aus konventionellen
und unkonventionellen Quellen?
Bitte schön, Frau Staatssekretärin.
Ka
Deutschland hat sich bei der Abstimmung im Aus-
schuss für Kraftstoffqualität am 23. Februar 2012 über
den Vorschlag der Kommission für eine Richtlinie zur
Konkretisierung der Anforderungen von Art. 7 a der
Kraftstoffqualitätsrichtlinie enthalten. Einer Zustim-
mung stand entgegen, dass zum Teil Bedenken hinsicht-
lich der Auswirkungen des Kommissionsvorschlags ge-
sehen wurden. Die Europäische Kommission hat
angekündigt, dass vor der Übersendung des Vorschlags
an den Rat eine Folgenabschätzung durchgeführt werden
soll. Mit einer Befassung im Rat ist daher nicht vor
Frühjahr 2013 zu rechnen.
Erste Nachfrage, Kollege Schwabe.
Fr
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Mehrmals fragen wir beide Minister für ein Inter-
view an.
– Gemeint sind Herr Röttgen und Herr Rösler. –
Zunächst erhalten wir keine Antwort. Wir haken
nach und informieren das Umweltministerium da-
rüber, dass wir den Minister in Brüssel am Rande
des Umweltrates befragen wollen. Doch als Minis-
ter Röttgen ankommt, hat er für uns wieder einmal
keine Zeit. Aus dem Wirtschaftsministerium
kommt wenigstens ein Statement, man sehe ein
Risiko von Wettbewerbsnachteilen für Raffinerien.
Das ist deutlich.
Sieht das Bundesumweltministerium ebenfalls einen
Wettbewerbsnachteil für Raffinerien?
Ka
Diese Fragestellung hat zwei Aspekte, Herr Kollege.
Zum einen sind für uns die ökologischen Aspekte wich-
tig. Hier ist es so, dass auch die Kommission darauf hin-
gewiesen hat, dass Teersande ökologisch von Nachteil
sind. Auf der anderen Seite: Bevor man zu einer
Beschlussfassung kommt, gilt es, klarzustellen, dass es
auch um Wettbewerbsfähigkeit geht. Hier können wir
Bedenken nicht beiseitewischen. Deshalb haben wir uns
enthalten.
Die Kommission wird, wie ich es eben ausgeführt
habe, eine Folgenabschätzung durchführen. Ich selbst,
Herr Kollege Schwabe, habe auch im Ausschuss mehr-
fach auf die ökologischen Nachteile und Fragen, die sich
im Zusammenhang mit der Nutzung von Teersanden er-
geben, hingewiesen.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Frank Schwabe.
Frau Staatssekretärin, es ist ja mittlerweile üblich,
dass sich Deutschland an solchen Stellen entweder ent-
hält oder dagegen ausspricht. Sie haben richtigerweise
gesagt, dass es innerhalb der Europäischen Union zu ei-
ner starken Verzögerung kommt, um zu diesem, wie ich
jedenfalls finde, schlimmen Umweltfrevel eine klare
Meinung zu entwickeln. Würden Sie Kommentierungen
nachvollziehen können, die der deutschen Bundesregie-
rung vorwerfen, dass sie dafür verantwortlich ist, dass
die Europäische Union zu keiner klaren ablehnenden
Haltung gegenüber diesem Einsatz von Teersandölen
kommt?
Ka
Einer solchen Einschätzung stimme ich selbstredend
nicht zu.
Zunächst hat der Kollege Dr. Matthias Miersch das
Wort zu einer Nachfrage. Außerdem hat sich der Kollege
Kelber zu einer Nachfrage gemeldet.
Bitte schön, Kollege Dr. Miersch.
Frau Staatssekretärin, Sie sprechen von wettbewerbs-rechtlichen Bedenken. Diese Debatte über die Teersandeist ja nicht neu. Hat der Bundesumweltminister bislangkeine Gelegenheit gesehen, diese wirklich lange Diskus-sion dergestalt zu klären, dass er hier tatsächlich als
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20987
Dr. Matthias Miersch
(C)
(B)
Umweltminister auftritt, um die auch von Ihnenbeschriebenen negativen ökologischen Auswirkungenendlich in den Mittelpunkt zu stellen? Warum hat er sichhier in einen Schlingerkurs begeben und ist offenbarwieder einmal vor dem Bundeswirtschaftsminister ein-geknickt?Ka
Ich teile Ihre Einschätzung nicht, Herr Kollege
Miersch, und weise sie auch zurück. Neben ökologi-
schen Aspekten haben wettbewerbsrechtliche Aspekte
eine Relevanz. Befürchtet worden war auch ein Über-
maß an Bürokratie in Bezug auf Berichterstattungs-
pflichten. Dem wird weiter nachgegangen.
Noch einmal: Unsere Haltung, auch Bedenken hin-
sichtlich Wasserverbrauch, Entsorgung und dergleichen,
haben wir mehrfach, auch im Ausschuss, Herr Kollege,
dokumentiert; das ist nachlesbar.
Nun ist Ulrich Kelber an der Reihe. Bitte schön, Kol-
lege Ulrich Kelber.
Frau Staatssekretärin, wie ist es möglich, dass in
Deutschland bei der Gewinnung von Strom aus nach-
wachsenden Rohstoffen die unterschiedliche CO2-Inten-
sität berücksichtigt wird, bei der Energiegewinnung aus
fossilen Brennstoffen mit einem Mehrfachen hinsicht-
lich der CO2-Intensitäten – das sind besonders dreckige
Energieträger, wie sie jetzt hier auch angesprochen wur-
den, nämlich Ölsande und Ähnliches – eine CO2-Rela-
tion aber nicht aufgestellt wird? Wird hier nicht mit
zweierlei Maß gemessen, auch noch zuungunsten der
umweltgerechteren Kraftstoffe?
Ka
Herr Kollege Kelber, wir sind sehr froh, dass wir in
Bezug auf Biomasse für Strom und Biomasseeinsatz für
Kraftstoffe Fortschritte erreichen konnten. Es war auf
deutschen Druck möglich, hier Nachhaltigkeitskriterien
zu definieren. Wir arbeiten auch weiter daran. Es braucht
aber eben 27 Mitgliedstaaten und ein Abstimmungsver-
fahren. Da wünscht man sich manchmal, dass es schnel-
ler geht; es geht dann aber eben nicht schneller. 2013
werden wir hoffentlich zu einem Ergebnis kommen. Die
Situation ist an der Stelle, wie sie ist; das mag man be-
dauern oder auch nicht.
Nachfrage nun vom Kollegen Ralph Lenkert. – Ich
höre gerade: Sie haben Geburtstag, Herr Kollege
Lenkert.
Ihre Geschäftsführerin hat Ihnen ja gerade schon liebe-
voll gratuliert. Wir alle gratulieren Ihnen natürlich auch.
Bitte schön, Herr Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Staatssekretärin,
Sie haben in der letzten Woche einen zusätzlichen Büro-
kratieaufwand beschlossen mit dem Ziel – das wird ver-
mutlich verfehlt werden –, den Benzinpreis zu stabilisie-
ren; es geht um die Meldepflicht für Tankstellen. Hier
führen Sie aus, zum Schutz der Umwelt seien die Büro-
kratieaufwände zu hoch. Jetzt hätte ich gern einmal von
Ihnen gewusst, wie hoch denn der Schutz der Umwelt
angesiedelt sein muss, dass Sie dafür zusätzliche Büro-
kratieaufwände in Kauf nehmen.
Ka
Herr Kollege Lenkert, es führt nicht weiter, wenn Sie
jetzt zwei Sachverhalte miteinander vermischen. Das
eine ist eine Angelegenheit, die wir in Deutschland
selbst regeln können – zum Wohle der Verbraucherinnen
und Verbraucher, die unter hohen Benzinpreisen
leiden –; das andere sind Abstimmungsprozesse auf eu-
ropäischer Ebene. Diese Prozesse mögen mühsam sein,
sie mögen nicht so schnell gehen, wie man das möchte;
wir haben aber – das habe ich auf die Nachfrage von
Herrn Kollege Kelber noch einmal ausgeführt – auch
schon zu Zeiten der Großen Koalition hinsichtlich der
Nachhaltigkeit unter anderem von Biokraftstoffen Fort-
schritte erreicht. Man wünscht sich, auch in anderen Be-
reichen würde manches schneller gehen; wir haben aber
hier gemeinsame Abstimmungsprozesse.
Ich habe lediglich darauf hingewiesen, Herr Kollege
Lenkert, dass neben den Umweltaspekten Wettbe-
werbsaspekte nicht unter den Tisch fallen können. Man
muss sie diskutieren. Wenn sie adressiert werden, dann
werden sie auch diskutiert. Wir arbeiten jetzt an einer
vernünftigen Lösung.
Vielen Dank.Jetzt komme ich, wie versprochen, zur Frage 9 unse-rer Kollegin Dr. Bärbel Kofler zurück. Die Frage istschon in gewisser Weise beantwortet worden, aber Siesollten trotzdem die Chance haben, Frau Dr. Kofler, dieAntwort zu hören. Die Schuld liegt nicht bei Ihnen; dasParlament war eben so schnell.Ich rufe also die Frage 9 unserer Kollegin Dr. BärbelKofler auf:Welche konkreten Entwicklungen gibt es im Besetzungs-verfahren der im Bundeshaushalt 2012 beschlossenen Ein-richtung einer neuen B-4-Stelle für den Sachverständigenratfür Umweltfragen?Frau Staatssekretärin, seien Sie so nett, die Frage 9 zubeantworten.
Metadaten/Kopzeile:
20988 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
(C)
(B)
Ka
Das kann ich gern noch einmal tun, obwohl ich das
bei der Beantwortung einer Frage von Herrn Kollegen
Kelber schon einmal getan habe: Bisher sind keine
Schritte zur Besetzung der im Bundeshaushalt 2012 aus-
gebrachten B-4-Stelle für den SRU erfolgt.
Ihre erste Nachfrage.
Es sind keine Schritte erfolgt. Das ist ein bisschen
verwunderlich. Haben Sie sich zumindest im Vorfeld mit
dem Sachverständigenrat in Verbindung gesetzt? Ihre
Kollegin, die Staatssekretärin Heinen-Esser, hat im De-
zember letzten Jahres auf eine Frage, in der es um die
Ausschreibung der Stelle ging, geantwortet, dass sich
das Ministerium selbstverständlich zu allen Fragen, die
die Ausschreibung dieser Stelle betreffen, mit dem Sach-
verständigenrat in Verbindung setzen wird. Gibt es we-
nigstens im Vorfeld dazu neue Erkenntnisse? Damals
wurde vonseiten des SRU ganz deutlich gesagt, man
bräuchte eigentlich administrativen Unterbau und nicht
eine neue B-4-Stelle.
Ka
Es gibt dazu keine neuen Erkenntnisse.
Noch eine Nachfrage? – Nein, im Moment nicht.
Stattdessen kommt eine von einem Kollegen. Bitte
schön.
Frau St
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist nichts
passiert; es gibt auch keine neuen Erkenntnisse.
Wäre es nicht sinnvoller, hier zu erklären: „Wir haben
im letzten halben Jahr gemerkt: Es geht auch ohne diese
Stelle; wir brauchen diese Stelle gar nicht“?
Ka
Herr Kollege, es war eine Entscheidung bzw. ein Be-
schluss aus dem Parlament heraus. Wenn das Parlament
etwas mit Mehrheit beschließt, dann kann die Regierung
nicht für sich beschließen, es anders zu machen. Es gibt
das Haushaltsrecht, das Königsrecht des Parlaments;
dem ist an dieser Stelle zu folgen.
Nachfrage des Kollegen Dr. Matthias Miersch.
Frau Staatssekretärin, können wir dann davon ausge-
hen, dass dieser viel diskutierte und hoch umstrittene
Vorgang nach dem 12. Mai seine Fortsetzung findet und
das Ministerium die Ausschreibung dieser Stelle einlei-
tet?
Ka
Die Relevanz, Herr Kollege, ergab sich ja wohl weni-
ger aus der Stelle als vielmehr aus der Befürchtung, dass
die Unabhängigkeit des Sachverständigenrates
in irgendeiner Weise gefährdet sein könnte. Diese Un-
abhängigkeit ist nicht gefährdet. Wir schätzen die Un-
abhängigkeit des SRU. Ich habe auch schon gesagt, dass
bislang keinerlei Maßnahmen zur Einleitung eines Stel-
lenbesetzungsverfahrens getroffen worden sind.
Nachfrage unseres Kollegen Ulrich Kelber.
Turnusgemäß wird das BMU ja in absehbarer Zeit
neue Personen in den Sachverständigenrat für Umwelt-
fragen berufen. Dürfen wir davon ausgehen, dass die Be-
setzung dieser politisch umstrittenen Stelle – der Sach-
verständigenrat hat sie ja als überflüssig bezeichnet und
davor gewarnt, dass seine Unabhängigkeit gefährdet
ist – erst nach der Umbesetzung des Sachverständigen-
rates vorgenommen wird, da bis dahin die kritischen
Stimmen aus dem Sachverständigenrat ausgeschieden
sind?
Ka
Herr Kollege, die Neubesetzung steht ja zum 1. Julian. Es geht nicht darum, kritische Stimmen wegzu-drücken – das mag Usus bei der SPD sein –;
bei uns ist das nicht der Fall. Wir werden darauf achten,dass der Sachverständigenrat für Umweltfragen uns wei-terhin kritisch, fundiert und sachlich in Umweltfragenzur Seite steht. Ich bin auch sicher, dass angesichts derÖffentlichkeit alle Beteiligten darauf achten werden,dass in diesem Rat genügend Sachverstand, auch kriti-scher Sachverstand versammelt ist. Im Folgenden werdenwir über weitere Dinge sprechen. Aber zu dem konkretin Rede stehenden Verfahren sind keine Maßnahmeneingeleitet worden.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20989
(C)
(B)
Jetzt habe ich noch die zweite Nachfrage der Frau
Kollegin Dr. Bärbel Kofler.
Ich frage doch noch einmal nach, weil ich konkret
wissen möchte: Wenn die Stelle bis zum 1. Juli besetzt
werden soll, wie Sie ja gerade ausgeführt haben – –
Ka
Nein, nicht die Stelle, Frau Kollegin; da widerspreche
ich. Vielmehr wird der Sachverständigenrat zum 1. Juli
neu besetzt.
Okay, also der Sachverständigenrat neu besetzt wer-
den soll. – Formulieren wir es einmal so: Es soll also
eine zusätzliche B-4-Stelle geben. Ihre Kollegin hat ge-
sagt, sie wollen sich vorher mit dem Sachverständigenrat
ins Benehmen setzen. Sie haben auf die Frage des Kolle-
gen Schwabe geantwortet, dass Sie natürlich den
Wunsch der Mehrheit des Parlamentes umsetzen müs-
sen. Nun frage ich mich: Wann machen Sie das denn?
Ka
Frau Kollegin, wir sind in Gesprächen.
Ich werde aber an dieser Stelle über interne Gespräche
keine Auskunft geben.
Ich habe schon bekannt gegeben: Die Frage 10 der
Kollegin Sylvia Kotting-Uhl wird schriftlich beantwor-
tet. Bei den Fragen 12 und 13 der Kollegin Waltraud
Wolff werden wir, nachdem die Fragestellerin nicht an-
wesend ist, so verfahren, wie in der Geschäftsordnung
vorgesehen.
Somit kommen wir nun zum Geschäftsbereich des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Zur
Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamentarische
Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung.
Ich rufe nun Frage 14 unseres Kollegen Michael
Gerdes auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung der Bundes-
senschaftsfreiheitsgesetz im Wesentlichen Regelungen fest-
schreibt, die bereits zuvor Bestandteil der Initiative „Wissen-
schaftsfreiheitsgesetz“ waren, und welche der im Rahmen des
Wissenschaftsfreiheitsgesetzes vorgesehenen Regelungen ge-
hen über die bereits durch die Initiative „Wissenschaftsfrei-
heitsgesetz“ ermöglichten Freiräume für die im Gesetz ge-
nannten Wissenschaftsorganisationen hinaus?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
T
Herr Kollege Gerdes, der Entwurf für das Wissen-
schaftsfreiheitsgesetz baut auf den Erfahrungen der
Phase I der sogenannten Wissenschaftsfreiheitsinitiative
auf und erweitert die Handlungsspielräume für die Wis-
senschaftseinrichtungen deutlich. Bei dem Wissen-
schaftsfreiheitsgesetz wird es sich um eine auf Dauer an-
gelegte Regelung mit Gesetzeskraft handeln. Das Gesetz
ermöglicht im Bereich Haushalt eine Flexibilisierung
über die bislang geltenden quantitativen Einschränkun-
gen hinaus und regelt in den Bereichen Personal, Bau
und Beteiligungen neue Flexibilisierungen und Be-
schleunigungstatbestände. Auch wird der Kreis der ein-
bezogenen Einrichtungen deutlich erweitert.
Ihre erste Nachfrage? – Dann die Nachfrage unseres
Kollegen Tankred Schipanski. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, welche Erfahrungen wurden denn
in der ersten Phase der Wissenschaftsfreiheitsinitiative
gesammelt, die in den jetzigen Gesetzentwurf faktisch
aufgenommen werden?
T
Herr Kollege Schipanski, die Erfahrungen haben ge-
zeigt, dass sich flexible und auf die Besonderheiten von
Wissenschaftsorganisationen angepasste Rahmenbedin-
gungen letztlich leistungssteigernd für das gesamte Wis-
senschafts- und Forschungssystem auswirken und dass
ein effektiveres und effizienteres Wirtschaften ermög-
licht wird. Vor allem die Gestaltung im Bereich der
Überjährigkeit und der Deckungsfähigkeit hat sich als
sehr hilfreich erwiesen. Wir haben dem Haushaltsaus-
schuss zu den Erfahrungen einen sehr positiven Bericht
abgeben können.
Ich rufe die Frage 15 unseres Kollegen Michael
Gerdes auf:
Teilt die Bundesregierung die Einschätzung, dass die Vor-
gaben für die Ressortforschungseinrichtungen des Bundes
Vorbildcharakter für das gesamte Wissenschaftssystem haben
sollten, und, falls ja, wie passt dies zu der Tatsache, dass die
Ressortforschungseinrichtungen nicht unmittelbar von den
Regelungen des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes profitieren
sollen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
T
Herr Kollege Gerdes, die Einrichtungen des Bundesmit Ressortforschungsaufgaben stehen einerseits im na-tionalen und internationalen Wettbewerb aller For-schungseinrichtungen, unterliegen aber andererseits alsin der Regel nicht selbstständige Behörden besonderenrechtlichen Grundlagen und unterscheiden sich insofernvon den außeruniversitären Forschungseinrichtungen,
Metadaten/Kopzeile:
20990 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Parl. Staatssekretär Thomas Rachel
(C)
(B)
die wir mit dem Wissenschaftsfreiheitsgesetz eigentlichim Blick haben.Für die Einrichtungen des Bundes mit Ressortfor-schungsaufgaben strebt die Bundesregierung mit demWissenschaftsfreiheitsgesetz und den bisherigen Maß-nahmen der Wissenschaftsfreiheitsinitiative entspre-chende Flexibilisierungen in den Bereichen Haushalt,Personal und Bauverfahren an.
Ihre erste Nachfrage.
Da muss ich jetzt einmal nachfragen: Inwiefern hat
sich durch die Einführung des Wissenschaftsfreiheits-
gesetzes eine Verbesserung ergeben, auch in Bezug auf
meine erste Frage?
T
Wenn Sie die Frage nach der Verbesserung auf die
Ressortforschungseinrichtungen beziehen – so habe ich
Sie jetzt verstanden –, dann ist es so, dass durch einen
ausdrücklichen Kabinettsbeschluss festgelegt worden
ist, dass entsprechende Flexibilisierungsmaßnahmen für
die Ressortforschungseinrichtungen angestrebt werden.
Da wir bei den Ressortforschungseinrichtungen aber ei-
nen anderen Ansatz haben, weil sie unter Umständen nur
zu einem Teil, manche nur zu einem geringen Teil, For-
schungsaufgaben wahrnehmen, können die Regelungen
nicht identisch mit denen der außeruniversitären For-
schungseinrichtungen sein.
Ihre zweite Nachfrage.
Danke.
Der Kollege Uwe Schummer möchte aber eine Nach-
frage stellen.
Herr Staatssekretär, ein wichtiges Instrument zur Fle-
xibilisierung sind ja auch globale Haushalte. Inwieweit
sind solche globalen Haushalte, die die Autonomie der
Universitäten und der Forschungseinrichtungen insge-
samt verbessern sollen, weiterzuentwickeln?
T
Herr Kollege Schummer, vielen Dank für Ihre
Frage. – In der ersten Phase der sogenannten Wissen-
schaftsfreiheitsinitiative haben wir die Erfahrung ge-
macht, dass sich erste Elemente von Globalhaushalten
bei den Forschungseinrichtungen leistungssteigernd aus-
gewirkt haben. Aufgrund dieser in der Praxis gemachten
positiven Erfahrungen haben wir im Wissenschaftsfrei-
heitsgesetz vorgesehen, dass dieses in drei wichtigen Be-
reichen ausgeweitet werden kann: erstens im Bereich der
Deckungsfähigkeit, zweitens im Bereich der Überjährig-
keit der Haushaltsmittel von einem Haushaltsjahr in das
nächste Haushaltsjahr und schließlich im Bereich der
Stellenpläne, die nach dem Gesetzentwurf sogar entfal-
len können.
Vielen Dank.
Ich rufe Frage 16, gestellt von unserem Kollegen
René Röspel, auf:
Welche Regelungen des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes
sind nach der Rechtsauffassung der Bundesregierung nicht
untergesetzlich regelbar?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
T
Nach Auffassung der Bundesregierung besteht für
sämtliche Bestimmungen des Wissenschaftsfreiheitsge-
setzes ein gesetzliches Regelungsbedürfnis. Ich verweise
hier auf den Entwurf zum Wissenschaftsfreiheitsgesetz
und die entsprechende Begründung.
Ihre erste Nachfrage, Kollege René Röspel.
Vielen Dank. – Sie bezeichnen im Gesetzentwurf als
Phase I das, was bisher in der Wissenschaftsfreiheitsini-
tiative untergesetzlich geregelt wurde. Sie sprechen da-
von, dass dies in Phase II verstetigt werden soll. Sie sag-
ten gerade, es gebe einen gesetzlichen Regelungsbedarf.
Wie funktionierte das in den letzten vier Jahren unterge-
setzlich, wenn es nun eines Gesetzes bedarf, um bei-
spielsweise die Maßnahmen der Überjährigkeit umzuset-
zen? Wenn das nicht so ist: Warum entfristen Sie nicht
die jetzige Initiative, statt ein Gesetz zu machen?
T
Herr Kollege Röspel, ein ganz wichtiges Element desEntwurfs des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes, der aufVorschlag der Koalitionsfraktionen zu Papier gebrachtworden ist, ist, die Autonomie, die Selbstverantwortung,die Freiheit in die Wissenschaftseinrichtungen zu geben,und zwar nicht zeitlich beschränkt, wie wir es in derFreiheitsinitiative als ersten Versuch gemeinsam ge-macht haben. Wir wollen das vielmehr grundsätzlich er-möglichen, weil wir mit der zeitlich beschränkten Rege-lung gute Erfahrungen gemacht haben, und dies mit derbreiten gesetzgeberischen Legitimation – nicht nur derAdministration in der Regierung – durch das Parlament.Wenn der Deutsche Bundestag diesen Gesetzentwurf un-terstützt und verabschiedet, unterstreicht er, dass es sichum ein gemeinsames Anliegen der Volksvertreter desDeutschen Bundestages handelt, um den Wissenschafts-einrichtungen mehr Freiheit, Autonomie und Verantwor-tung zu geben.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20991
(C)
(B)
Sie haben die Möglichkeit der zweiten Nachfrage.
Bitte schön, Kollege Röspel.
Habe ich es richtig verstanden, dass diese Maßnah-
men gesetzlich geregelt werden müssen?
T
So ist es. Ich darf noch einmal wiederholen: Nach
Auffassung der Bundesregierung besteht ein gesetzli-
ches Regelungsbedürfnis bei den Bestimmungen des
Wissenschaftsfreiheitsgesetzes. Sie werden feststellen,
dass wir bei der Formulierung des Gesetzentwurfs sehr
genau sowohl auf die gesetzliche Regelung als solche als
auch darauf geachtet haben, dass die Rechte des Parla-
ments ausdrücklich gewährleistet werden und sicherge-
stellt ist, dass das Ganze dem Budgetrecht des Gesetzge-
bers, des Bundestages, nicht zuwiderläuft.
Ich habe weitere Nachfragen. Zunächst der Kollege
Tankred Schipanski.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, Sie haben richtig
festgestellt, welche Vorteile eine gesetzliche Regelung
hat. Sie haben dargestellt, wie das Parlament einbezogen
wird. Meine Frage geht in folgende Richtung. Wir haben
in diesem Gesetz vier große Teile: Haushalt, Personal,
Beteiligungen und Bau. Welche Beschleunigungseffekte
verspricht sich die Bundesregierung von dieser Geset-
zesinitiative in diesen vier Bereichen?
T
Herr Kollege Schipanski, wir haben neben der inhalt-
lichen Erweiterung im Wissenschaftsfreiheitsgesetz im
Verhältnis zur ersten Phase tatsächlich Beschleunigungs-
elemente eingebaut, weil wir festgestellt haben – ich
glaube, das haben auch die Forschungspolitiker im Bun-
destag sehr intensiv beobachtet –, dass die Forschungs-
einrichtungen nicht nur in einem nationalen Wettbewerb,
sondern auch in einem starken internationalen, globalen
Forschungswettbewerb stehen. Beispielsweise kann es
im Bereich der wissenschaftlichen Bauvorhaben von er-
heblicher Relevanz sein, ob man bei einem neuen For-
schungsprojekt schnell ein neues Labor usw. bekommt
oder ob dies erst zeitverzögert der Fall ist. Deswegen ha-
ben wir eine Beschleunigung der Bauvorhaben für Wis-
senschaftseinrichtungen vorgesehen. Das ist, glaube ich,
ein wichtiges Element.
Es gibt einen weiteren wichtigen Bereich, in dem wir
Beschleunigungsmaßnahmen vorgesehen haben, näm-
lich den der Beteiligungen. Um zum Beispiel einen
Know-how-Transfer aus den Forschungseinrichtungen
in die praktische Wirtschaft hinein zu organisieren, wol-
len wir Ausgründungen oder bereits existierende Unter-
nehmen in der Weise unterstützen, dass sich Forschungs-
einrichtungen daran beteiligen können. Hier haben wir
eine entsprechende Beschleunigung vorgesehen.
Nächste Nachfrage von unserem Kollegen Dr. Peter
Röhlinger. Bitte schön, Kollege Dr. Röhlinger.
Herr Staatssekretär, die Wissenschaft wartet auf das
Wissenschaftsfreiheitsgesetz. Wir sind froh und dankbar,
dass wir es nun endlich auf den Weg gebracht haben.
Wenn es nach uns gegangen wäre, hätten wir das bereits
im Jahr 2011 geschafft. Speziell die wissenschaftsspezi-
fischen Beschäftigungsverhältnisse standen im Fokus
der Wissenschaftseinrichtungen. Welche Ziele werden
mit der wissenschaftsspezifischen Ausgestaltung von
Beschäftigungsverhältnissen verfolgt?
T
Lieber Herr Dr. Röhlinger, wir nehmen intensiv wahr,
dass es in den Wissenschafts- und Forschungseinrichtun-
gen in Deutschland einen harten Wettbewerb um die bes-
ten Frauen und Männer gibt. Das ist ein Wettbewerb, der
international mit anderen Forschungseinrichtungen, aber
auch zwischen Industrie und Wirtschaftsunternehmen
auf der einen Seite und Forschungseinrichtungen auf der
anderen Seite ausgetragen wird.
Da die normalen Finanzierungs- und Lohnperspekti-
ven im öffentlichen Dienst allerdings nicht immer den
Möglichkeiten der Wirtschaft entsprechen bzw. gegen-
über internationalen Wissenschaftsorganisationen zu-
rückbleiben, haben wir im Wissenschaftsfreiheitsgesetz
eine Veränderung vorgesehen, die sich im Wesentlichen
so zusammenfassen lässt: Wenn Wissenschaftseinrich-
tungen Einnahmen oder Erlöse aus dem privaten Sektor
– aus Drittmitteln, aus Wirtschaftserträgen, aus Spenden
oder privaten Vermögen – haben, sollen sie in die Lage
versetzt werden, diese Erlöse zu nutzen, um in Zukunft
eine höhere Dotierung der qualifizierten Spitzenleute in
Wissenschaft und Forschung realisieren zu können.
Ich komme zur Frage 17, ebenfalls gestellt von unse-
rem Kollegen René Röspel:
Welche Regelungen des Wissenschaftsfreiheitsgesetzes
können ohne Umsetzung der Länder und/oder ohne Be-
schlüsse des Deutschen Bundestages wirksam werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
T
Das Wissenschaftsfreiheitsgesetz trifft durchgängigRegelungen zur bundesseitigen haushaltsrechtlichen Fle-xibilisierung der für die Wissenschaftseinrichtungen gel-tenden Rahmenbedingungen. Diese Flexibilisierungen inden Bereichen Haushalt und Personal erfolgen dannnach Maßgaben des jährlichen Haushaltsgesetzes. Damitdiese Flexibilisierungen für die Einrichtungen wirksamwerden, bedarf es grundsätzlich nachfolgender Umset-
Metadaten/Kopzeile:
20992 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Parl. Staatssekretär Thomas Rachel
(C)
(B)
zungsschritte der Zuwendungsgeber, insbesondere zurAnpassung der sogenannten Bewirtschaftungsgrund-sätze der Einrichtungen.Dies erfolgt überwiegend in den gemeinsam vonBund und Ländern finanzierten Einrichtungen unter Be-teiligung der Länder nach Maßgabe der jeweiligen ein-richtungsspezifischen Regularien.
Ihre erste Nachfrage.
Ich entnehme der Äußerung, dass vonseiten der Bun-
desregierung offenbar keine Zustimmungspflichtigkeit
vorgesehen ist. Wie kann ich mir das denn in den Ein-
richtungen vorstellen, die zu 50 Prozent vonseiten des
Bundes finanziert werden und zu den anderen 50 Pro-
zent vonseiten der Länder? Gelten dann diese Regelun-
gen nur für den Bundesanteil, für den Länderanteil aber
nicht? Oder ist es nicht auch notwendig, dass die Länder
ihren Beitrag in gleicher Weise leisten und dann aber
eine Zustimmungspflichtigkeit gegeben sein muss?
T
Der letzten Schlussfolgerung kann ich nicht zustim-
men, weil es sich – wie ich gerade sagte – in erster Linie
um bundesseitige haushaltsrechtliche Flexibilisierungs-
maßnahmen handelt, die wir im Wissenschaftsfreiheits-
gesetz des Bundes vorgesehen haben.
Ich will Ihre Frage gerne ein Stück weit aufnehmen
und noch einmal deutlich machen: Wenn wir in der wei-
teren praktischen Umsetzung der Flexibilisierung in den
Bereichen Haushalt und Personal die entsprechende Be-
teiligung haben wollen, brauchen wir eine nachfolgende
Umsetzung der Zuwendungsgeber. Ich habe es bereits
angesprochen: Dabei geht es um die Bewirtschaftungs-
grundsätze. Die Zuwendungsgeber sind gemeinsam ge-
fordert, diese entsprechend umzusetzen.
Die Anpassung der Bewirtschaftungsgrundsätze er-
folgt unter Beteiligung der Länder; da haben Sie völlig
recht. Hierzu gibt es ein Forum, in dem diese Fragen ge-
meinsam besprochen werden und das die Umsetzung si-
cherstellen wird: die GWK, die Gemeinsame Wissen-
schaftskonferenz.
Ihre zweite Nachfrage. Bitte schön, Kollege Röspel.
Entnehme ich dieser Äußerung, dass die Möglichkeit
besteht, dass die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz
tatsächlich die Budgethoheit der Landesparlamente so-
zusagen übernimmt, weil sie im Rahmen eines gemein-
samen Bewirtschaftungsplans Entscheidungen trifft, die
sich im Rahmen der Wissenschaftsfreiheitsinitiative be-
wegen?
T
Mir steht es nicht zu, Ihre Einschätzung zu kommen-
tieren. Ich will Ihnen aber erklären, wie sich der
Sachverhalt darstellt. Es geht darum, dass in der Ge-
meinsamen Wissenschaftskonferenz die Bewirtschaf-
tungsgrundsätze entsprechend der Grundphilosophie des
Wissenschaftsfreiheitsgesetzes – Freiheit, Autonomie,
Selbstverantwortung – geändert werden. Dies wird man
gemeinsam im Miteinander zwischen Ländern und Bund
vereinbaren, beispielsweise in den zuständigen Fachaus-
schüssen der GWK für die MPG, für die DFG und im so-
genannten FhG-Ausschuss.
Im Bereich der Leibniz-Einrichtungen – Sie haben
vorhin die 50/50-Finanzierung angesprochen – wird das
rechtlich anders sein. Hier besteht die Besonderheit, dass
der Vollzug der gemeinsamen Bund-Länder-Förderung
grundsätzlich nach den Regelungen des jeweiligen Sitz-
landes erfolgt, das heißt, die Grundlage ist das entspre-
chende Landeshaushaltsrecht. Umgekehrt heißt das
– politisch gesprochen –: Wir als Bundesgesetzgeber
– die Bundesregierung und, wenn der Bundestag das be-
schließt, das deutsche Parlament – möchten diese Frei-
heit und Autonomie im Bereich der WGL in deren
Selbstverantwortung übertragen. Das wird aber nur dann
der Fall sein, wenn entsprechende Umsetzungsmaßnah-
men der Länder im Bereich der WGL erfolgen. Sie ha-
ben also die Möglichkeit, bei den Forschungspolitikern
Ihrer Fraktion in den 16 Ländern für diese Freiheit und
Selbstverantwortung zu werben.
Ich habe zu dieser Frage keine weiteren Nachfragen.
Die Fragen 18 und 19 der Kollegin Marianne
Schieder werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 20 des Kollegen Swen Schulz auf:
Inwieweit ist in der mittelfristigen Finanzplanung der
Bundesregierung Vorsorge für steigende Ausgaben durch zu-
sätzliche Studierendenanfängerzahlen getroffen, und welche
Planung hat die Bundesregierung für Änderungen beim Bun-
desausbildungsförderungsgesetz?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
T
Die Bundesregierung hat entsprechend ihren rechtli-chen Verpflichtungen die nötige Vorsorge getroffen, umden steigenden Studierendenzahlen und den finanziellenAuswirkungen beim BAföG und beim Hochschulpaktim Haushaltsjahr 2013 vollständig Rechnung zu tragen.Für die Finanzplanung, bei der es sich um ein rein inter-nes Planungsinstrument der Bundesregierung handelt, istausreichende Vorsorge für den Hochschulpakt unter denGesichtspunkten Vorhersehbarkeit, Bestimmtheit undEtatreife eingestellt. Beim Hochschulpakt ergeben sichdie tatsächlich fälligen Forderungen jeweils aus derSchnellmeldung des Statistischen Bundesamtes am Endedes Jahres. Auf dieser Grundlage erfolgt entsprechendder aktuellen Studienanfängerzahl die Dotierung für dasjeweils übernächste Haushaltsjahr gemäß der Abrech-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20993
Parl. Staatssekretär Thomas Rachel
(C)
(B)
nungssystematik des Hochschulpakts. Die Vorsorge fürdas BAföG wird auf der Grundlage jeweils aktualisierterPrognosen von unabhängiger Seite vorgenommen.
Die erste Nachfrage des Kollegen Swen Schulz. –
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Zunächst stelle
ich eine Nachfrage zum Hochschulpakt. Sie haben ge-
sagt, dass für das Jahr 2013 Vorsorge getroffen wurde.
Das deckt sich mit der mittelfristigen Finanzplanung, in
der Sie eine Aufstockung vorgesehen haben. Die mittel-
fristige Finanzplanung sieht aber vor, dass die Mittel ab
2014 wieder sinken werden. Die Planungen sehen eine
Kürzung vor. Sie sagen, das sei eine rein interne Ge-
schichte, eine rein interne Planung. Ich verstehe das jetzt
so: Sie stellen in Aussicht, dass im Rahmen von Neuver-
handlungen des Hochschulpakts deutlich mehr Mittel
vorgesehen werden, als in der aktuellen mittelfristigen
Finanzplanung skizziert. Sehe ich das richtig?
T
Herr Kollege Schulz, die Bundesregierung stellt seit
2010 Jahr für Jahr ganz verlässlich erhebliche finanzielle
Mittel zur Verfügung. Sie stellte jeweils mehr finanzielle
Mittel zur Verfügung, als in der Finanzplanung vorgese-
hen waren. Auf der Grundlage der Schnellmeldung der
Studienanfängerzahlen wurden die Mittel in der Vergan-
genheit bedarfsgerecht bereitgestellt. Ich glaube, daran
sieht man sehr gut, dass sich die Bundesregierung nach-
gewiesenen zahlenmäßigen Veränderungen unmittelbar
gestellt hat und ihren Beitrag hinsichtlich der Zurverfü-
gungstellung der notwendigen Mittel geleistet hat.
Ich will dies an einem Beispiel erläutern. Wir befin-
den uns im Haushaltsjahr 2012. Allein für das Haus-
haltsjahr 2012 sind insgesamt 607 Millionen Euro mehr
für die Studierenden zur Verfügung gestellt worden, als
in der ursprünglichen Finanzplanung für das Jahr 2012
vorgesehen waren.
Ihre weitere Nachfrage, Kollege Schulz.
Mit anderen Worten, Herr Staatssekretär: Die Finanz-
planung ist Makulatur. Ich habe das zur Kenntnis ge-
nommen.
Jetzt zum BAföG: Es gibt das Angebot der Bundes-
regierung, mit den Ländern über mögliche Verbesserun-
gen beim BAföG zu verhandeln. Welche Planungen hat
die Bundesregierung diesbezüglich? Gibt es Gespräche
mit den Ländern? Wie wird sich das finanziell auswir-
ken?
T
Zum ersten Teil Ihrer Frage, der eine Bemerkung und
keine Frage war, möchte ich feststellen, dass sich die
Finanzplanung an den Fakten orientiert, die zu dem Zeit-
punkt, zu dem der Finanzplan aufgestellt wird, vorlie-
gen. Die Bundesregierung hat in der Vergangenheit ein
hohes Maß an Flexibilität bewiesen – das war im Sinne
der Hochschulen und der Studierenden –, indem sie be-
reit gewesen ist, sich auf die im Laufe der Jahre bzw. im
Laufe eines Jahres verändernden Studienanfängerzahlen,
die statistisch belegt sind, einzustellen und entsprechend
höhere Finanzmittel zur Verfügung zu stellen.
Über das Thema BAföG befinden wir uns in Gesprä-
chen mit den Bundesländern. Wir warten ab, wie die
Bundesländer, die einen Teil der BAföG-Finanzierung
übernehmen müssen, zu diesem Thema stehen.
Vielen Dank. – Ich rufe jetzt die Frage 21 unseres
Kollegen Swen Schulz auf:
Liegen der Bundesregierung Daten zum Sanierungs- und
Modernisierungsbedarf – insgesamt aufgelaufener Bedarf so-
wie akuter Bedarf – an deutschen Hochschulen vor, und wie
sind diese in ihre Einschätzung der notwendigen Kompensa-
tionsmittel für 2014 bis 2019 nach dem Entflechtungsgesetz
eingeflossen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
T
Der Bundesregierung liegen keine Erkenntnisse über
den allgemeinen Hochschulbau vor, die eine Einschät-
zung eines Sanierungs- oder Modernisierungsbedarfs er-
lauben. Über diese Daten verfügen die Länder. Das ist
auch nicht verwunderlich, da es ausschließlich Aufgabe
der Länder ist, hierfür Vorsorge zu treffen.
Zur Frage der Höhe: Die Höhe der nach 2013 zur
Aufgabenerfüllung noch angemessenen und erforderli-
chen Finanzierungsmittel wird Ergebnis des Bund und
Ländern in Art. 143 c Abs. 3 des Grundgesetzes gemein-
sam auferlegten Prüfauftrags sein.
Ihre erste Nachfrage.
Vielen Dank. – Herr Staatssekretär, Sie haben gerade
gesagt, dass Sie zwar keine Daten haben, dass sich aber
Bund und Länder in irgendeiner Form über die künftige
Höhe der Mittel einigen müssen. Wie gelingt es der Bun-
desregierung, sich eine Meinung zu bilden, wenn sie
keine Daten hat?
T
Herr Kollege Schulz, hier geht es um die Frage, wienach 2013 eine bis jetzt geltende Grundgesetzregelungim Bereich der Kompensationsleistungen fortgeführtoder verändert wird. Ich gehe davon aus, dass die Bun-
Metadaten/Kopzeile:
20994 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Parl. Staatssekretär Thomas Rachel
(C)
(B)
desländer ihre Sicht der Dinge – belegt durch entspre-chende Daten und Zahlen – in die Diskussion einbringenwerden. Dann werden Bund und Länder darüber in einkonstruktives Gespräch kommen.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich habe keine.
Gut. – Damit gehen wir weiter. Die Fragen 22 und 23
des Kollegen Willi Brase und die Fragen 24 und 25 des
Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann werden schriftlich
beantwortet.
Ich rufe Frage 26 unserer Kollegin Frau Agnes Alpers
auf:
In welcher Form soll der Deutsche Bundestag mit dem
Deutschen Qualifikationsrahmen, DQR, befasst werden, und
welches Gremium soll nach dem Abschluss der Debatte um
die Einstufung verschiedener Abschlüsse in den DQR ab-
schließend über ein entsprechendes Regelwerk entscheiden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
T
Frau Bundestagsabgeordnete Alpers, ich kann Ihnen
dazu zurzeit nur sagen, dass darüber Beratungen stattfin-
den, es aber noch keine abschließende Meinungsbildung
gibt, welches Gremium oder welche Gremien damit be-
fasst werden.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Alpers.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Rachel, vielen
Dank, das war genau die Antwort, die wir schon in der
Antwort auf unsere Kleine Anfrage bekommen hatten.
Diese liegt schon ein wenig zurück. Daher frage ich
noch einmal ganz konkret nach, wie die Bundesregie-
rung dies sieht. In den anderen europäischen Ländern ist
es üblich, dass auch das Parlament involviert und an die-
sem Prozess der Entscheidungsfindung wesentlich betei-
ligt wird. Plant die Bundesregierung, das Parlament ein-
zubeziehen und wesentliche Entscheidungen hier im
Parlament zu treffen?
T
Frau Kollegin Alpers, die Tatsache, dass sich meine
Antwort mit der Antwort der Bundesregierung auf eine
frühere Anfrage deckt, zeigt die Kontinuität und Strin-
genz der Antworten der Bundesregierung.
Warum ist dem so? Wir haben keine rechtliche Vor-
gabe von europäischer Seite. Vielmehr gibt es eine Emp-
fehlung des Europäischen Parlaments und des Rats zur
Einführung des Europäischen Qualifikationsrahmens.
Diese hat keinen rechtsverbindlichen Charakter und
überlässt es insofern den Mitgliedstaaten, in welcher
Form sie zu einer Meinungsbildung und Beschlussfas-
sung kommen.
Ich darf Ihnen vielleicht den aktuellen Stand des Pro-
zesses erläutern. Bund und Länder, in dem Fall das
BMBF und die Kultusministerkonferenz, haben sich auf
eine sogenannte Bund-Länder-Koordinierungsgruppe
DQR verständigt. Neben unserem Ministerium und der
KMK gehören ihr das Bundeswirtschaftsministerium
und auch die Wirtschaftsministerkonferenz der Länder
an. Neben diesem Gremium gibt es ein zweites Gre-
mium, das sich aus Akteuren aus dem Bildungsbereich,
Vertretern der Sozialpartner und Experten aus der Wis-
senschaft zusammensetzt. Dies ist der sogenannte Ar-
beitskreis DQR. Er befasst sich mit der detaillierten Aus-
gestaltung und auch mit der Frage, wie es weitergehen
soll.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Agnes Alpers.
Die Beteiligung des Parlaments oder auch der Parla-
mente – ich beziehe jetzt einmal die Länder mit ein – ist,
so haben Sie es gesagt, nicht rechtsbindend. Erstaunlich
ist, dass sich die Bundesregierung, die Arbeitgeberver-
treter und die Arbeitnehmervertreter dafür ausgespro-
chen haben, das Abitur mit einer vollqualifizierenden
Ausbildung gleichzusetzen. Hätte man nicht das Parla-
ment beteiligen sollen? War es richtig, entgegen ganz
Europa die Schulabschlüsse auszunehmen? Wie steht die
Bundesregierung dazu, diesen Prozess weiter voranzu-
treiben und das Parlament und auch die Länderparla-
mente hier mehr mit einzubeziehen?
T
Frau Kollegin Alpers, ich möchte mir Ihre Darstel-
lung nicht in dieser Form zu eigen machen, bin aber in
einem Punkt, glaube ich, nahe bei Ihnen. Ich finde, die
Lösung, auf die sich die verschiedenen Partner verstän-
dig haben, dass das Abitur bei der DQR-Berechnung zu-
nächst herausgelassen wird, ist gut. Denn letztlich han-
delt es sich beim Abitur um einen schulischen
Abschluss, während sich der DQR auf die Frage der Mo-
bilität auf dem Arbeitsmarkt bezieht.
Wir haben bei diesem Prozess in der Vergangenheit
darauf geachtet, dass es bei der Anerkennung nebenbe-
ruflicher Qualifikationen einen umfangreichen Aus-
tausch und eine intensive Beratung, auch mit den Sozial-
partnern, gibt. Ich glaube, dass das gut ist. Denn die
Lösungen, die hier vorgezeichnet werden, sollten später
auch von den verschiedenen Seiten in den Betrieben un-
terstützt werden.
Eine Nachfrage unseres Kollegen Uwe Schummer.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20995
(C)
(B)
Herr Staatssekretär, beim Europäischen Qualifika-
tionsrahmen und beim Deutschen Qualifikationsrahmen
hat sich das Parlament ja mehrfach mit Anträgen über
die Fraktionsgrenzen hinweg befasst und Positionen for-
muliert. Eine entscheidende Position lautet, dass berufli-
che und akademische Ausbildung gleichwertig anzuse-
hen sind. Es ist zu beobachten, dass es im europäischen
Raum eine entsprechende Bewegung gibt. Ist der Schritt
hin zur dualen Ausbildung insgesamt und zur Gleich-
wertigkeit von beruflicher und akademischer Ausbil-
dung im Deutschen Qualifikationsrahmen gelungen?
T
Herr Bundestagsabgeordneter Schummer, dies ist tat-
sächlich das gemeinsame Anliegen des Bundestages, vor
allem der Koalitionsfraktionen und der Bundesregie-
rung. Bei der Beschreibung, die wir im DQR vorgenom-
men haben, ist dies gelungen. Ich will beispielhaft daran
erinnern, dass wir die gleichwertige Zuordnung eines
Meisterabschlusses und eines Bachelorabschlusses auf
Niveau 6 des DQR vorgesehen haben. Ich glaube, dies
ist ein deutliches Signal in dem Sinne, in dem Sie Ihren
Wunsch geäußert haben.
Eine Nachfrage unseres Kollegen Ralph Lenkert.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
beim DQR und beim EQR, also beim Deutschen Qualifi-
kationsrahmen und beim Europäischen Qualifikations-
rahmen, geht es ja hauptsächlich um Mobilitätsfragen.
Uns geht es aber auch um die Vergleichbarkeit. Wie wol-
len Sie die Vergleichbarkeit von Abschlüssen verbessern
und voranbringen?
T
Herr Bundestagsabgeordneter, gerade der DQR ist ein
Instrument, das zur Transparenz beitragen soll. DQR
und EQR werden natürlich nicht alle Fragen dieser Welt
lösen. Aber: Der DQR ist ein Instrument zur Erhöhung
der Transparenz, das zur besseren Orientierung und Ver-
gleichbarkeit von Qualifikationen innerhalb des deutschen
Bildungssystems, aber auch zwischen unterschiedlichen
Bildungssystemen in Europa dienen soll. Insofern wer-
den Gleichwertigkeiten, aber auch manche Unterschiede
sichtbar werden.
Ich rufe die Frage 27 unserer Kollegin Agnes Alpers
auf:
Welche besonderen Vereinbarungen gibt es zur Einord-
nung der Abschlüsse im Gesundheitsbereich, und auf wel-
chem Niveau des DQR sollen die berufsfachschulischen Aus-
bildungen im Gesundheits- und Pflegebereich eingeordnet
werden?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
T
Frau Abgeordnete Alpers, im Rahmen eines DQR-
Spitzengesprächs am 31. Januar dieses Jahres haben sich
Bund, Länder, Sozialpartner und Wissenschaftsorganisa-
tionen auf eine grundsätzliche Linie für die Einführung
eines Deutschen Qualifikationsrahmens verständigt. Die
Vereinbarung ist im entsprechenden Internetbeitrag zum
DQR verfügbar; die Internetadresse stelle ich Ihnen
gerne zur Verfügung. Hierin wird der Arbeitskreis DQR
– auf ihn bin ich vorhin schon eingegangen – gebeten,
die noch ausstehenden Zuordnungen vorzunehmen. Mit
anderen Worten: Der Beratungsprozess dauert noch an;
er ist noch nicht abgeschlossen.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Rachel, dieser
Prozess währt ja schon einige Zeit. Meine Fraktion und
ich haben einige Fragen dazu und wollen, dass der Ge-
sundheitsbereich nun endlich mit einbezogen wird.
Häufig wurde darüber diskutiert, dass das Abitur
nicht miteinbezogen worden ist und Abschlüsse in Teil-
bereichen des Gesundheitswesens in das Niveau 4 oder 5
eingeordnet werden sollen. Deshalb frage ich: Wann ge-
nau wird dieser Prozess abgeschlossen sein, damit es für
diese Berufe tatsächlich eine verlässliche Aussage gibt?
T
Frau Kollegin Alpers, der Diskussionsprozess wird
dann abgeschlossen sein, wenn man sich nach inhaltlich
überzeugenden Kriterien geeinigt hat. Das ist zurzeit
noch nicht der Fall.
Den weiteren Prozess werden wir ausgestalten. Wir
werden jetzt nicht aufhören, sondern wir werden jetzt
Erfahrungen mit dem DQR in der Praxis sammeln, und
zwar hier bei uns in Deutschland und in Europa.
In den Arbeitsgremien gibt es einen klaren Konsens
darüber, dass in fünf Jahren eine Überprüfung, eine Eva-
luation, durchgeführt werden soll. In diesem Zusammen-
hang wird dann auch die Zuordnung der allgemeinbil-
denden Schulabschlüsse erneut aufgegriffen.
Sie haben die Möglichkeit der zweiten Nachfrage.
Bitte schön, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Rachel, ich mussdoch noch einmal ganz konkret nachfragen. Sie sagtenjetzt: Wir wollen Erfahrungen sammeln. Wir wollen unsnach fünf Jahren noch einmal mit dem Abitur beschäfti-gen, dessen Einordnung wir ausgesetzt haben.Ich frage Sie nochmals: Hält die Bundesregierung esfür sinnvoll, die anderen Berufe einzuordnen, den Ge-sundheitsbereich für die nächsten fünf Jahre aber auszu-
Metadaten/Kopzeile:
20996 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Agnes Alpers
(C)
(B)
schließen? Es gibt viele, die konkret nach dem Zeitpunktfragen. Beabsichtigen Sie in absehbarer Zeit, eine ge-naue Zuordnung der Gesundheitsberufe vorzunehmen?T
Frau Kollegin Alpers, ich kann Sie beruhigen: Es ist
nicht vorgesehen, das erst in fünf Jahren zu machen, son-
dern das soll jetzt Teil des gesamten Verhandlungspro-
zesses sein. Ich kann das Ergebnis heute nicht vorweg-
nehmen. Man hat sich hier inhaltlich noch nicht geeinigt.
Der Zeitraum von fünf Jahren bezieht sich auf die Ge-
samtbetrachtung. Die Überprüfung, ob die Einordnun-
gen richtig waren, und zwar sowohl im nationalen Maß-
stab als auch im Vergleich zu anderen Ländern, wird
man in fünf Jahren im Rahmen einer Evaluation durch-
führen.
Der Kollege Ralph Lenkert hat noch eine Nachfrage.
Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
wie soll aus Sicht der Bundesregierung gewährleistet
werden, dass landesrechtlich geregelte Ausbildungen im
Deutschen Qualitätsrahmen bundeseinheitlich einge-
stuft werden?
T
Wir haben für eine Vielzahl von Ausbildungsberufen
und entsprechenden Qualifikationen Regelungen vorge-
sehen. Darauf können wir uns hier an dieser Stelle bezie-
hen. Inwiefern sich die Länder mit ihren Regelungen mit
einbringen werden, kann ich Ihnen im Moment nicht
konkret beantworten.
Vielen Dank.
Wir sind am Ende des Geschäftsbereiches des Bun-
desministeriums für Bildung und Forschung und kom-
men nun zum Geschäftsbereich des Bundesministeriums
für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.
Zur Beantwortung der Fragen steht uns Staatssekretär
Hans-Jürgen Beerfeltz zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 28 unseres Kollegen Dr. Sascha
Raabe auf:
Trifft es zu, dass der Bundesminister für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung, Dirk Niebel, mit 23 Fehl-
tagen die Liste der bei Sitzungen des Bundeskabinetts abwe-
senden Bundesminister anführt, und welche Termine hat der
Bundesminister Dirk Niebel jeweils konkret an den Tagen, an
denen er nicht an der Kabinettssitzung teilgenommen hat,
wahrgenommen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Ha
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Bundesminister Niebel hat insgesamt an 76 der
100 Kabinettssitzungen seit Beginn dieser Legislatur-
periode teilgenommen. Er war 21-mal durch Dienst-
geschäfte und 3-mal durch Urlaub verhindert. Die
entsprechende Liste, auf der die Dienstgeschäfte ver-
zeichnet sind, habe ich hier bei mir, und ich bin bereit,
sie zur Einsichtnahme zu zeigen.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Dr. Raabe.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär, für die Beantwor-
tung. Die Liste werde ich mir gerne anschauen. – Es ist
so, dass der Minister seine spärliche Anwesenheit bei
uns im Ausschuss oft damit begründet hat, dass er an
Kabinettssitzungen teilnehmen muss. Jetzt hören wir,
dass er im Vergleich zu anderen Ministern selten bei Ka-
binettssitzungen dabei ist. Es trifft zu, dass er mit seinen
23 Fehltagen die Liste der bei diesen Sitzungen abwe-
senden Bundesminister anführt.
Meine Nachfrage lautet: Ist es auch richtig, dass das
Bundesministerium noch nicht einmal einen einzigen
Original-Tagesordnungspunkt aufgesetzt hat? In der Sta-
tistik von Herrn Pofalla steht zum Beispiel, dass der Au-
ßenminister schon 43 Tagesordnungspunkte angemeldet
hat. Ähnliches gilt für den Finanzminister. Pofallas tro-
ckene Kabinettsbilanz lautet: Das BMZ hat noch gar kei-
nen Tagesordnungspunkt aufgesetzt. – Ist das richtig,
Herr Staatssekretär?
Ha
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Herr Abgeordneter, das ist überhaupt keine trockene
Bilanz, sondern das Ganze ist einem anderen Aufgaben-
feld geschuldet, das Bundesminister Niebel für die Bun-
desregierung und die Bundesrepublik Deutschland wahr-
zunehmen hat. Sein Dienstgeschäft besteht eben im
Wesentlichen nicht darin, in Deutschland an Schreib-
tischen oder Konferenztischen zu sitzen, sondern darin,
im Rahmen der eigenen Projekte in den 50 Partnerlän-
dern der deutschen Entwicklungszusammenarbeit aktiv
zu sein. Dort ist der Bundesminister dienstlich gefordert,
die tatsächliche Umsetzung dieser Projekte selbst in Au-
genschein zu nehmen und zu kontrollieren. Zusätzlich
muss er seine Arbeit darauf konzentrieren, für diese Pro-
jekte, die die Bundesrepublik Deutschland in den Ent-
wicklungspartnerländern durchführt, in Deutschland zu
werben.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.
Es ist schon erstaunlich, dass es der Außenminister,der auch viel im Ausland unterwegs sein muss, schafft,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20997
Dr. Sascha Raabe
(C)
(B)
öfter an den Sitzungen des Kabinetts teilzunehmen, unddass er schon 43 Tagesordnungspunkte aufgesetzt hat.Herr Staatssekretär, ist es nicht so, dass es gerade imBereich der Entwicklungszusammenarbeit und Entwick-lungspolitik ganz wesentlich auf die sogenannteKohärenz ankommt, das heißt, darauf, die Entwick-lungspolitik mit der Handelspolitik, der Umweltpolitikund der Landwirtschaftspolitik abzustimmen? Aus mei-ner Sicht können Sie doch nicht sagen: Ein Entwick-lungsminister in Deutschland braucht nicht an irgend-welchen Sitzungen teilzunehmen, sondern er muss imAusland umherschwirren.Stimmen Sie mir nicht zu, dass es wichtig wäre, dassgerade der Entwicklungsminister mit seinen Kabinetts-kollegen dafür sorgen müsste, dass die Entwicklungs-politik abgestimmt wird und als Querschnittsaufgabeverstanden und umgesetzt werden kann? Er hat auch fürein Aufwachsen der ODA-Mittel zu sorgen. Hat dennHerr Minister Niebel konkret im Kabinett auf die Tages-ordnung gesetzt, dass über die Hälfte der Abgeordnetendas 0,7-Prozent-Ziel erreichen will? Mir drängt sich derEindruck auf, dass Herr Niebel deshalb am meisten fehltund nicht einen einzigen Tagesordnungspunkt aufgesetzthat, weil er – das würde man normalerweise dann zuRecht denken – einfach keinen Bock hat.Ha
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Diesen falschen Eindruck bei Ihnen, Herr Abgeordne-
ter, möchte ich natürlich gerne zerstreuen; denn Dirk
Niebel ist der erfolgreichste Entwicklungsminister aller
Zeiten der Bundesrepublik Deutschland.
Dabei müssen Sie in Rechnung stellen, dass die ODA-
Quote, über die Sie gerade gesprochen haben, zum ers-
ten Mal 0,4 Prozent des Bruttosozialprodukts erreicht
– sie war bis 2009 auf 0,35 Prozent gesunken – und dass
wir auch im nächsten Jahr durch die Verantwortungsbe-
reitschaft dieses Hauses im weiteren parlamentarischen
Verfahren wieder einen weiteren Rekordhaushalt haben
werden.
Wir sind kein klassisches Gesetzgebungsministerium.
Deshalb findet unsere Arbeit nicht im Bereich der so-
genannten O-Tagesordnungspunkte statt. Für uns ist es
im Gegensatz zum Außenministerium nicht sinnvoll, im
Wege der Kurzreise nur die Hauptstädte, die man besser
erreichen kann, anderer wichtiger Industrienationen zu
besuchen. Sie wissen aus eigener Erfahrung und eigener
Beteiligung an den Reisen, zu denen Dirk Niebel sehr oft
viele Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen
Bundestag eingeladen hatte, dass diese natürlich ins
Landesinnere führen. Wenn man die konkreten Projekte,
die dort in großer und verdienstvoller Weise für die Bun-
desrepublik Deutschland gemacht werden, tatsächlich in
Augenschein nehmen will, dann muss man ziemlich weit
ins Landesinnere reisen und mit unterschiedlichen Ver-
kehrsmitteln unterwegs sein, was die Reise schwierig
werden lässt. Deshalb dauern diese Reisen einfach län-
ger als normale Trips.
Frau Kollegin Helga Daub hat eine Nachfrage.
Herr Staatssekretär Beerfeltz, ist es richtig, dass der
Einzelplan 23 der größte investive Haushalt insgesamt
ist, dass damit sehr viele Steuergelder bilateral und mul-
tilateral verteilt werden und es insofern selbstverständ-
lich die Aufgabe des Ministers ist, sich vor Ort kundig
zu machen, ob das Geld, das wir vergeben, ordnungsge-
mäß verwendet wird, und es auch durchaus im Sinne des
Steuerzahlers ist, dass diese Reisen unternommen wer-
den?
Ha
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es ist in der Tat der zweitgrößte Investitionshaushalt
der Bundesrepublik Deutschland. Von den etwa 6,3 Mil-
liarden Euro Haushaltsmitteln dieses Jahres werden über
4,8 Milliarden Euro im Interesse der Bundesrepublik
Deutschland direkt investiv ausgegeben, teilweise mit
erheblichen zusätzlichen Hebelwirkungen durch eine
bessere Zusammenarbeit mit der Zivilgesellschaft in
Deutschland, aber auch mit der modernen mittelständi-
schen Wirtschaft unseres Landes.
Mit der finanziellen Zusammenarbeit hebeln wir
Steueraufkommen in Höhe von 1,4 Milliarden Euro um
den Faktor 6 bis 7. Das heißt, für diese Zwecke kommen
7 bis 8 Milliarden Euro in den Partnerländern der deut-
schen Entwicklungszusammenarbeit an.
In der Technischen Zusammenarbeit, insbesondere
über die GIZ, erzeugen wir mit jedem eingesetzten Euro
zusätzlich 1,4 Euro für die deutsche Exportwirtschaft.
Das ist eine Win-win-Situation im Interesse von Werten,
aber auch im Interesse des Landes.
Ich rufe die Frage 29 des Kollegen Dr. Sascha Raabeauf:Trifft es zu, dass eine Entscheidung des Bundeskabinettsüber die Zusammenfassung der Zuständigkeit für sämtliche
ben im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammen-arbeit und Entwicklung bislang am Veto des Bundesministersfür Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit gescheitertist, und wann ist mit einer Entscheidung über die neue Auf-gabenverteilung, darunter die Auslagerung der entwicklungs-orientierten Not- und Übergangshilfe vom Bundesministe-rium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung indas Auswärtige Amt, zu rechnen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.
Metadaten/Kopzeile:
20998 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
(C)
(B)
Ha
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Für die Bundesregierung beantworte ich die Frage mit
drei Punkten: Erstens. Zur Verbesserung der Koordinie-
rung der deutschen ODA-Leistungen befindet sich ein
Vorschlag des AA und des BMZ aktuell in der Ressort-
abstimmung. Der Abstimmungsprozess ist noch nicht
abgeschlossen. Deshalb bitte ich um Verständnis, wenn
ich zu Einzelheiten wie der Positionierung einzelner
Ressorts in dem Verfahren zurzeit nichts sagen kann.
Zweitens. Die Zuständigkeitsverlagerung der zurzeit
im BMZ beheimateten entwicklungsorientierten Not-
und Übergangshilfe ist nicht Teil dieser Ressortabstim-
mung, sondern kommt aus der direkten Ressortvereinba-
rung zwischen AA und BMZ und ist eine Frage der
Übertragung der Zuständigkeiten, um die Nothilfe effek-
tiver als zu früheren Zeiten leisten zu können. Dabei
werden bestimmte Punkte, Titel und auch Personal ge-
tauscht in der Überlegung, einerseits die Nothilfe aus ei-
ner Hand zu leisten und andererseits die übergangsorien-
tierte Aufbauhilfe, also die mittelfristige Hilfe, ebenfalls
aus einer Hand leisten zu können.
Drittens. Sobald mit dem Haushaltsausschuss des
Deutschen Bundestages Einvernehmen über die relevan-
ten Punkte in der Vereinbarung hergestellt worden ist,
können die darin enthaltenen Punkte einschließlich der
genannten entwicklungsorientierten Not- und Über-
gangshilfe umgesetzt werden.
Die erste Nachfrage, Kollege Dr. Raabe.
Herr Staatssekretär, ich glaube, an diesem Punkt zeigt
sich genau das Dilemma, über das wir auch bei der vo-
rigen Frage gesprochen haben. Dabei geht es um die
Ressortabstimmung. Wenn man mit dem Umweltminis-
terium eine sinnvolle Vereinbarung erreichen möchte,
wäre es gut, die sogenannten ODA-anrechnungsfähigen
Leistungen, also die Leistungen, die als offizielle Ent-
wicklungszusammenarbeit zählen, im Bereich Klima-
und Umweltschutz federführend und abgestimmt beim
BMZ anzusiedeln.
Aber darüber muss man mit dem Bundesumweltmi-
nister und den anderen Kollegen im Kabinett auch reden
können. Wenn man nicht da ist, kann man das nicht im
Kabinett. Herr Niebel sollte sich auf seinen Reisen –
Reisen ist ja gut – auch einmal Klima- und Umwelt-
schutzprojekte anschauen, das hat er ja vielleicht auch
getan. Dann würde er sicherlich inhaltlich zu dem Er-
gebnis kommen, dass es sinnvoll ist, die entsprechenden
Zuständigkeiten im BMZ anzusiedeln. Wenn er aber all
seine Erkenntnisse, die er auf seinen Reisen gewinnt,
dem Kabinett nicht mitteilen kann, weil er eben nicht da
ist, dann ist das schwierig. Deswegen frage ich Sie, ob
Sie es nicht für sinnvoll erachten, dass Herr Niebel – an-
gesichts der vielen Reisen, die er Ihrer Meinung nach
ständig unternehmen muss; weswegen er auch nicht an
Kabinettssitzungen teilnehmen kann – die Erkenntnisse,
die er dort gewinnt, auch seinen Kabinettskollegen mit-
teilt.
Ha
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Lieber Herr Raabe, allein an der Existenz dieser ver-
dienstvollen Ressortvereinbarung zwischen Auswärti-
gem Amt und Bundesministerium für wirtschaftliche
Zusammenarbeit und Entwicklung können Sie erkennen,
dass Dirk Niebel sehr wohl in der Lage ist, die Interessen
und Werte Deutschlands in der internationalen Zusam-
menarbeit im Ausland zu vertreten, aber genauso am Ka-
binettstisch in Berlin; denn Sie können sich sicherlich
leicht vorstellen, dass hinter einer solchen Ressortver-
einbarung und einer solchen Ressortabstimmung sehr
viel Arbeit steckt. Und ich habe ganz bewusst kein be-
stimmtes Ministerium genannt.
Eine weitere Nachfrage, Herr Raabe.
Sie haben im zweiten Teil Ihrer Antwort gesagt, dass
die Zuständigkeiten für die entwicklungsorientierte Not-
und Übergangshilfe sowie die humanitäre Hilfe im Aus-
wärtigen Amt zusammengelegt werden sollen. Wenn wir
uns als Abgeordnete, in der Regel in sitzungsfreien Wo-
chen, Projekte anschauen – das haben Sie zu Recht be-
tont –, dann erleben wir immer wieder, dass eine Ab-
grenzung sehr schwierig ist und dass es sehr sinnvoll ist,
von Anfang an eine langfristige Hilfe aufzubauen. Wenn
es zum Beispiel ein furchtbares Erdbeben in Haiti gege-
ben hat, dann macht es Sinn, gleich die mittel- und lang-
fristige Entwicklung zu bedenken und nicht nur Zelte
hinzustellen. Deswegen frage ich Sie, ob nicht der
Minister selbst auf seinen Reisen, auf denen Sie ihn zum
Teil begleitet haben, eher zu der Erkenntnis kommen
müsste, dass beide Zuständigkeiten in das Bundesminis-
terium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Ent-
wicklung und nicht in das Außenministerium gehören.
Vielleicht kann Herr Niebel den Außenminister einmal
bitten, einen seiner 43 oder 50 Tagesordnungspunkte für
die Belange des Entwicklungsministers zu reservieren;
denn nur wenn man einen Tagesordnungspunkt im Kabi-
nett hat, kann man darüber reden.
Ha
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Es geht uns, Herr Abgeordneter, darum, hier eine bes-sere Koordinierung innerhalb der Bundesregierung her-beizuführen. Von der Vorgängerbundesregierung ist lei-der viel zu lange der Zustand geduldet worden, dassinnerhalb des Aufgabenbereichs der Not- und Über-gangshilfe in Katastrophensituationen unterschiedlicheStellen in der Bundesregierung für unterschiedlicheMaßnahmen gleichzeitig zuständig waren. Um es in eineinfaches Bild zu fassen: Im Prinzip hat im Rahmen derNothilfe im Katastrophenfall das Auswärtige Amt dasEssen geliefert, während mein Ministerium, das BMZ,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 20999
Staatssekretär Hans-Jürgen Beerfeltz
(C)
(B)
die dazu nötigen Teller oder Boxen zur Verfügung ge-stellt hat. Manchmal war das Essen zuerst da, währenddie Teller noch fehlten. Manchmal waren die Teller zu-erst da, während das Essen fehlte. Das war kein haltbarerZustand und lag nicht im Interesse der Bundesregierung.Wir versuchen nun, die Zusammenarbeit so zu bün-deln und zu konzentrieren, dass das Bestmögliche für dieBundesrepublik Deutschland und für die Menschen inKatastrophensituationen herauskommt. Wir haben eineMöglichkeit gefunden. Alles, was die kurzfristige Ent-wicklung betrifft, macht das AA. Alles, was die mittel-bzw. langfristige Entwicklung einschließlich der Krisen-prävention in Entwicklungsländern betrifft – die entspre-chenden Zuständigkeiten werden zum Teil vom Auswär-tigen Amt auf das BMZ übertragen, unter anderem auchdie für UNICEF –, macht das BMZ.
Wir haben eine weitere Frage der Kollegin Dr. Bärbel
Kofler.
Herr Staatssekretär, ich möchte an die Frage zur ent-
wicklungsorientierten Not- und Übergangshilfe anknüp-
fen. Erlauben Sie mir aber eine Vorbemerkung: Bei all
Ihren Antworten auf die Fragen des Kollegen Raabe ha-
ben Sie immer nur die Worte Außenwirtschaft und deut-
sche Interessen im Mund geführt. Ich hätte es schon
schön gefunden, wenn Sie vom Entwicklungsministe-
rium die Themen Entwicklungszusammenarbeit und
Entwicklungspolitik in den Mittelpunkt gestellt hätten
und nicht die deutschen Außenwirtschaftsinteressen.
Herr Kollege Raabe hat zu Recht ausgeführt, dass bei
der Not- und Übergangshilfe die Mittel- und Langfrist-
planung das Entscheidende ist und dass sie mit dem ver-
knüpft wird, was am Anfang passiert. Jetzt sagen Sie,
das AA macht in Zukunft die kurzfristige und das BMZ
die mittel- und langfristige Arbeit. Ich frage Sie: Erstens.
Was ist der Unterschied zur gegenwärtigen Situation?
Zweitens. Warum erhält die Zuständigkeit das AA und
nicht das BMZ? Denn die Mittel- und Langfristarbeit ist
das Entscheidende, auch was die planerischen Ressour-
cen und die Kapazitäten bei der Gesamtarbeit anbelangt.
Es ergibt doch Sinn, wenn dieses Ministerium die Ge-
samtplanung übernimmt und nicht das Ministerium, das
die Kurzfristnothilfe am Anfang übernimmt.
Ha
Rede von: Unbekanntinfo_outline
Ich darf festhalten, liebe Frau Kofler, dass ich das
Wort Außenwirtschaftsförderung überhaupt nicht be-
nutzt habe; das dürfte sich auch im Protokoll zeigen.
Sehr wohl aber habe ich davon gesprochen, dass es im
dringenden Interesse einer besseren Entwicklungszu-
sammenarbeit ist, dass wir die Potenziale, die in der mo-
dernen mittelständischen Wirtschaft in Deutschland lie-
gen, und die Potenziale, die im Engagement vieler
ehrenamtlich tätiger Menschen in diesem Land liegen,
besser zusammenbringen; denn der Staat allein wird die
Entwicklungsziele der Bundesrepublik Deutschland,
auch die früherer Regierungen, nicht erreichen können.
Das wird nur gelingen, wenn wir gemeinsam mit mehr
Zivilgesellschaft und mit mehr Wirtschaft zusätzliche
Synergien schaffen.
Katastrophen haben es an sich, dass sie nicht nur in
Entwicklungsländern passieren, sondern überall auf der
Welt eintreten können, sodass Nothilfemaßnahmen nicht
nur in Entwicklungsländern notwendig sein können,
sondern überall auf dieser Erde. Deshalb macht es Sinn,
dass diese kurzfristige Nothilfe, die in den ersten drei
oder vier Tagen versucht, gemeinsam mit vielen anderen
Kräften auf dieser Welt die erste Not zu lindern, den
Menschen zu helfen und sie mit Nahrungsmitteln und
sauberem Trinkwasser zu versorgen, in der Hand des
Auswärtigen Amtes gebündelt ist. Aber alles, was sozu-
sagen ab Tag drei passiert, wobei das eine unscharfe For-
mulierung ist, dient dazu, nicht nur zu füttern, sondern
einen Aufbau zu leisten, der tatsächlich zu einer Ent-
wicklungsorientierung dort führt, nämlich in den 50 Ent-
wicklungspartnerländern der Bundesrepublik Deutsch-
land, die wir mit Vollportfolio haben. Es ist wichtig, dass
die Maßnahmen, die die internationale Gemeinschaft
leistet, mit Koordinierung des BMZ tatsächlich zu einer
Aufbauleistung in den Entwicklungsländern führen.
Die Fragen 30 und 31 des Kollegen Lothar Binding,
die Frage 32 des Kollegen Uwe Kekeritz, die Frage 33
der Kollegin Karin Roth, die Fragen 34 und 35 der Kol-
legin Dr. Barbara Hendricks und die Fragen 36 und 37
des Kollegen Stefan Rebmann werden schriftlich beant-
wortet.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 38 und 39 des Kollegen Hans-Josef Fell
– Geschäftsbereich der Bundeskanzlerin und des Bun-
deskanzleramtes – werden ebenfalls schriftlich beant-
wortet.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Wirtschaft und Technologie.
Die Fragen 40 und 41 des Kollegen Oliver Krischer
und die Fragen 42 und 43 der Kollegin Ingrid Nestle
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 44 der Kollegin Bärbel Höhn auf:
Soll die geplante Markttransparenzstelle für den Benzin-
markt auch für die Überwachung der Ein- und Verkaufspreise
der Raffinerien zuständig sein und, wenn nicht, warum nicht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
E
Danke schön, Herr Präsident. – Frau Kollegin Höhn,der von der Bundesregierung am 2. Mai 2012 beschlos-sene Entwurf eines Gesetzes zur Einrichtung einerMarkttransparenzstelle für den Großhandel mit Stromund Gas, das sogenannte Markttransparenzstellen-Ge-setz, sieht vor, dass die einzurichtende Markttranspa-
Metadaten/Kopzeile:
21000 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Parl. Staatssekretär Ernst Burgbacher
(C)
(B)
renzstelle neben dem Großhandel mit Strom und Gasauch den Handel mit Kraftstoffen beobachtet. Gegen-stand der Datenerhebung der Markttransparenzstelle imKraftstoffbereich sollen die Endverkaufspreise der Tank-stellen sowie die Abgabepreise des Großhandels und derRaffinerien sein.Ziel ist es, unzulässige Verdrängungsstrategien wiezum Beispiel die Preis-Kosten-Schere ebenso wie miss-bräuchlich überhöhte Preise leichter aufdecken und ver-folgen zu können. Die Einkaufspreise der Raffinerien– auch darauf zielte Ihre Frage ab – betreffen die Pro-duktionsstufe der Mineralölwirtschaft und sollen nichtGegenstand der Datenerhebung der Markttransparenz-stelle sein.
Bitte schön, Frau Höhn, eine Nachfrage.
Herzlichen Dank. – Die grüne Bundestagsfraktion hat
eine Studie in Auftrag gegeben, die belegt, dass momen-
tan die hohen Energie- und Benzinpreise nicht nur durch
den hohen Ölpreis, sondern vor allen Dingen deshalb
entstehen, weil an den Raffinerien ein übermäßiger Ge-
winn gemacht wird; denn die Verkaufspreise sind im
Verhältnis zu den Einkaufspreisen übermäßig hoch, wo-
durch ein ungewöhnlich hoher Gewinn erzielt wird.
Warum wird von dieser Markttransparenzstelle nicht
genau da eingehakt? Nur durch beide Informationen,
Einkaufspreise und Verkaufspreise, bekommt man näm-
lich heraus, dass es sich um hohe Gewinne handelt, und
kann etwas gegen die bestehende Monopolstruktur ma-
chen. Warum hat die Bundesregierung darauf verzichtet,
die Einkaufspreise der Raffinerien zu untersuchen?
E
Frau Kollegin Höhn, wir wollen dieses Problem ganz
konkret angehen. Durch die „Sektoruntersuchung Kraft-
stoffe“ des Bundeskartellamts wurde festgestellt, dass die
vorhandenen Informationen nicht ausreichen. Wir sorgen
deshalb dafür, dass mehr Informationen zum Bundeskar-
tellamt gelangen. Schließlich wollen wir diesen Markt
– ich habe Beispiele genannt, etwa die Preis-Kosten-
Schere und anderes – beobachten.
Was die Raffinerien angeht: Die Einstandspreise sind
eigentlich bekannt; das sind Börsenpreise. Sie selbst sa-
gen, dass Sie eine Untersuchung in Auftrag gegeben ha-
ben. Das ist mir bekannt. Wir werden natürlich beides
ins Kalkül ziehen. Die Markttransparenzstelle hat einen
ganz klaren Auftrag. Ich glaube, es ist richtig, dass ihre
Aktivitäten darauf beschränkt bleiben.
Eine weitere Nachfrage, Frau Höhn?
Ja, ich habe eine zweite Nachfrage. – Die Wirtschaft
beklagt, dass diese Markttransparenzstelle zu sehr viel
Bürokratie führt, weil man sehr viele Daten weiterleiten
muss. Ihr Ministerium ist ja ein FDP-Ministerium und
will immer gegen Bürokratie sein. Deshalb gehe ich ein-
mal davon aus, dass Sie sehr bewusst vorgegangen sind
und sich über die preislichen Vorteile des Ganzen für den
Markt im Klaren sind. Die Wirtschaft sagt außerdem,
dass sie hohe Kosten hat, dass die Benzinpreise deshalb
steigen und nicht sinken werden. Wer sorgfältig arbeitet,
hat sicher auch untersucht – das werden auch Sie ge-
macht haben –, mit einer wie hohen Senkung der Ben-
zinpreise zu rechnen ist. Wie teuer sind für die Wirt-
schaft aus Ihrer Sicht die zusätzlichen bürokratischen
Aufwendungen? Worin besteht der positive Effekt für
die Verbraucher?
E
Frau Kollegin Höhn, was den Vorwurf des Bürokra-
tieaufbaus angeht: Da wird mit völlig falschen Zahlen
gearbeitet. Man tut so, als wenn auf das neue Feld plötz-
lich alles transferiert würde. Das stimmt so nicht. Wir
werden keine neue Bürokratie aufbauen, sondern wir
werden lediglich einen Mechanismus aufbauen, der es
dem Kartellamt erlaubt, aufgrund einer soliden Zahlen-
basis Untersuchungen durchzuführen. Selbstverständlich
können wir heute nicht sagen, was genau das zur Folge
hat. Sonst bräuchten wir das Ganze gar nicht zu tun.
Wir schaffen keine zusätzliche Bürokratie. Wir haben
übrigens auch mit den Verbänden geredet. Vieles ist zum
Teil völlig falsch vermittelt worden. Beispielsweise
denken wir nicht daran, dass jetzt täglich oder stündlich
Daten geliefert werden; dies soll vielmehr wöchentlich
geschehen. Das ist gerade für die kleinen und mittelstän-
dischen Betriebe wichtig. Seitens dieser Betriebe wird
uns inzwischen bestätigt, dass die entsprechenden Daten
sowieso vorliegen und dass deren Übermittlung keines
zusätzlichen Aufwandes bedarf. Denn zusätzlichen Auf-
wand wollen wir natürlich verhindern.
Es gibt den Wunsch nach einer weiteren Nachfrage.
Bitte schön, Frau Haßelmann.
Herr Staatssekretär, Sie haben davon gesprochen,
dass es keine übermäßigen bürokratischen Aufwendun-
gen gibt. Könnten Sie uns sagen, was die Einrichtung
dieser Stelle kostet und wie viele neue Stellen Sie dort
schaffen? Das sollte transparent sein. Bisher haben Sie
immer so getan, als wäre mit der Einrichtung der Markt-
transparenzstelle überhaupt kein weiterer Aufwand ver-
bunden, als entstünde dadurch keine Bürokratie. Es stellt
sich die Frage der Abwägung von Nutzen und Effizienz
dieser neu einzurichtenden Stelle. Um das zu beantwor-
ten, muss man sich ein Bild darüber machen können,
was im Wirtschaftsministerium vorgesehen ist.
E
Da haben Sie völlig recht. Natürlich müssen wir zwi-schen Kosten und Nutzen sorgsam abwägen. Das tun wir
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21001
Parl. Staatssekretär Ernst Burgbacher
(C)
(B)
auch. Ich bitte Sie um Verständnis, dass ich die nötigenInformationen jetzt nicht vorrätig habe; schließlich hatdie Frage nicht auf diesen Komplex gezielt. Wir werdenIhnen diese Informationen selbstverständlich liefern.
Sie haben Ihr Fragerecht schon erschöpft, Frau Kolle-
gin Höhn.
E
Ich hatte vorher schon betont: Die Zahlen, die in der
Öffentlichkeit sind, beziehen sich auf das Ganze. Wir
werden Ihnen die Zahlen gern liefern.
Die Frage 45 der Kollegin Kotting-Uhl und die Frage
46 der Kollegin Brugger werden schriftlich beantwortet.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär Burgbacher.
Wir kommen dann zum Geschäftsbereich des Aus-
wärtigen Amtes. Zur Beantwortung steht zur Verfügung
die Frau Staatsministerin Pieper.
Die Frage 47 der Kollegin Brugger, die Fragen 48 und
49 des Kollegen Mützenich, die Frage 50 des Kollegen
Hagemann, die Frage 51 der Kollegin Höger, die Fragen
52 und 53 der Kollegin von Cramon-Taubadel, die Frage
54 der Kollegin Marieluise Beck, die Frage 55 der Kol-
legin Keul, die Fragen 56 und 57 des Kollegen Koenigs
sowie die Fragen 58 und 59 der Kollegin Hänsel werden
schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt die Frage 60 des Kollegen Gehrcke auf:
Wird sich die Bundesregierung gegenüber der israelischen
Regierung für die Verbesserung der Haftbedingungen der
palästinensischen Häftlinge, insbesondere für die Freilassung
der zum Teil seit Jahren ohne Anklage in Administrativhaft
befindlichen Palästinenser, einsetzen und in diesem Zuge die
Forderungen der 1 500 bis 2 000 palästinensischen Häftlinge,
die sich in israelischen Gefängnissen im Hungerstreik befin-
den, nach Abschaffung der Administrativhaft, Verbesserung
der Haftbedingungen und Durchsetzung internationalen
Rechts der Gefangenen in Israel thematisieren?
Bitte schön, Frau Staatsministerin.
C
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, die Bundesregie-
rung verfolgt die Lage der palästinensischen Gefangenen
in israelischen Gefängnissen, die sich seit dem 17. April
dieses Jahres in einem Hungerstreik befinden, sehr auf-
merksam. Die Deutsche Botschaft in Tel Aviv und das
Vertretungsbüro in Ramallah erhalten hierzu umfassende
Informationen seitens der israelischen Regierung, aber
auch seitens der Palästinensischen Behörde sowie von
Nichtregierungsorganisationen. Auch stehen sie hierzu
in Kontakt mit anderen EU-Vertretungen. Die Bundes-
regierung hat das Thema kürzlich mit der Israelischen
Botschaft in Berlin aufgenommen.
Bereits früher hat die Bundesregierung bilateral die
umfassende Anwendung von Administrativhaft themati-
siert und ihre Sorge dazu immer wieder zum Ausdruck
gebracht.
Die Lage der palästinensischen Gefangenen in israeli-
schen Gefängnissen sowie die umfassende Anwendung
der Administrativhaft sind auch Gegenstand des EU-
Israel-Dialogs. Zuletzt erfolgte eine Thematisierung im
Rahmen des Assoziationsausschusses EU-Israel am
2. Mai 2012, was Ihnen sicher auch bekannt ist, Herr
Abgeordneter.
Die Europäische Union hat außerdem in mehreren
Einzelfällen hungerstreikender Häftlinge gegenüber dem
israelischen Außenministerium ihre Sorge über deren
sich verschlechternden Gesundheitszustand, die konkre-
ten Haftumstände, aber auch die umfassende Anwen-
dung der Administrativhaft geäußert.
Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke.
Frau Staatsministerin, ich bin erst einmal sehr dank-
bar für diese Informationen und dafür, dass die Bundes-
regierung sich in dieser Frage engagiert.
Wir alle wissen, dass die Bundesregierung vermittelt
hat – Gott sei Dank – bei der Freilassung des israeli-
schen Soldaten Schalit. Das war ein wichtiger Schritt.
Gleichzeitig sind ungefähr 1 000 palästinensische Häft-
linge, vorwiegend aus dem Umfeld der Hamas, freige-
lassen worden. Was kann die Bundesregierung tun, um
auch der Palästinensischen Autonomiebehörde und ih-
rem Präsidenten Abbas durch ein engagiertes und klares
Vorgehen sowie durch Druck auf Israel deutlich zu
machen, dass auch andere Häftlinge jetzt umgehend frei-
gelassen werden müssen?
C
Ich sagte ja schon, Herr Abgeordneter, dass die Bun-desregierung dazu immer wieder auch mit Demarchenauftritt. Die Bundesregierung hat natürlich ein großesInteresse daran, dass weitere Häftlinge freigelassen wer-den. Uns ist die Menschenrechtssituation in den palästi-nensischen Gebieten sehr wichtig. Wir stehen in regelmä-ßigem Kontakt mit den Nichtregierungsorganisationen;das habe ich schon gesagt. Wir intervenieren regelmäßigmit dem uns zur Verfügung stehenden Instrumentariumgegenüber der israelischen Regierung. Es gibt Einzel-maßnahmen, die wir durchführen, Prozessbeobachtun-gen, die wir gemeinsam mit den EU-Partnern durchfüh-ren. Menschenrechtsfragen sind regelmäßig Gegenstandder Gespräche zwischen der Bundesregierung und der is-raelischen Regierung. Wir bringen das Thema regelmä-ßig auch auf EU-Ebene ein, wie ich schon erwähnt habe.
Metadaten/Kopzeile:
21002 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Staatsministerin Cornelia Pieper
(C)
(B)
Ich glaube, man muss in dem Fall einfach jetzt auchaußenpolitisch deutlich machen, dass uns das Themawichtig ist, dass uns Menschenrechtsfragen sehr wichtigsind und dass wir da vorankommen wollen. Ich glaube,wenn man diesen Druck aufrechterhält, wird man auchWeiteres erreichen.
Weitere Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke.
Darf ich Sie mit einer weiteren Frage ermuntern, es
noch etwas konsequenter zu machen? Könnte die Bun-
desregierung nicht in ihrem Dialog mit Israel deutlicher
machen, dass es eine große Stärke Israels wäre, wenn Is-
rael selbst rechtsstaatliches Vorgehen – das ist gegenüber
den Palästinensern in dieser Haft nicht gegeben –, Be-
achtung der Menschenrechte als Teil der demokratischen
Entwicklung Israels an den Tag legte? Alles das – was
man erfährt –, was dort abläuft, richtet sich aus meiner
Sicht im Kern gegen Israel selber. Teilt die Bundesregie-
rung diese Beurteilung?
C
Ich kann Ihnen nur versichern, Herr Abgeordneter,
dass das Thema über das, was auf außenpolitischer
Ebene schon geschehen ist und was ich Ihnen ja auch
schon gesagt habe, hinaus auf Arbeitsebene, beispiels-
weise auf Referatsleiterebene, ständig, unter anderem
auch mit dem Gesandten der Israelischen Botschaft, auf-
gegriffen und im Gespräch gehalten wird. Ich glaube,
das ist der richtige Weg.
Dann kommen wir zur Frage 61 des Kollegen
Gehrcke:
Mit welchen Maßnahmen unterstützt die Bundesregierung
das unter der Verantwortung des Ausschusses für Menschen-
rechte und Humanitäre Hilfe des Deutschen Bundestages ste-
hende Programm „Parlamentarier schützen Parlamentarier“,
insbesondere in Bezug auf die Aktivitäten von Abgeordneten
für die von ihnen betreuten Kolleginnen und Kollegen und
insbesondere in Bezug auf Marwan Barghuthi?
Frau Staatsministerin.
C
Herr Präsident! Herr Abgeordneter! Das Programm
„Parlamentarier schützen Parlamentarier“ ist ein Pro-
gramm des Deutschen Bundestages, wie Sie wissen, des-
sen fraktionsübergreifende Verabschiedung im Jahr 2003
von der Bundesregierung begrüßt wird.
Die Bundesregierung, insbesondere das Auswärtige
Amt über die deutschen Botschaften, stellt dem Deut-
schen Bundestag regelmäßig im Rahmen ihrer Möglich-
keiten Informationen zur Lage von Personen zur Verfü-
gung, die in das Programm aufgenommen wurden oder
deren Aufnahme der Bundestag prüft. Auch unterstützen
die deutschen Botschaften die Mitglieder des Deutschen
Bundestages bei ihren Auslandsreisen und Kontakten
mit Parlamentariern des jeweiligen Gastlandes. Darüber
hinaus setzt sich die Bundesregierung weltweit auch im
multilateralen Rahmen für die Achtung der Menschen-
rechte, demokratische Strukturen und die Einhaltung
rechtsstaatlicher Grundsätze ein. Sie steht mit den
Regierungen, entsprechenden Nichtregierungsorganisa-
tionen, aber auch der Zivilgesellschaft in Kontakt. Auch
die politischen Stiftungen seien an dieser Stelle erwähnt.
Sie spielen hier eine wichtige unterstützende Rolle.
Im Fall des Palästinensers Marwan Barghuthi hat das
Deutsche Vertretungsbüro in Ramallah Abgeordnete des
Deutschen Bundestages begleitet, die seine Angehörigen
oder Mitglieder seines Abgeordnetenbüros getroffen
haben, um sich ein Bild von seiner persönlichen und pro-
fessionellen Situation zu machen.
Nachfrage, Herr Kollege Gehrcke?
Dann frage ich einmal sehr direkt und sehr undiplo-
matisch, da Sie um den Kern der Frage etwas herumge-
gangen sind: Ich betreue im Rahmen dieses Programms
Marwan Barghuthi. Bei jeder Reise nach Israel bean-
trage ich, ihn in der Haft besuchen zu können, was
eigentlich ganz normal ist. Wäre das Auswärtige Amt
bereit, meine Initiativen, Marwan Barghuthi, nicht nur
seine Familie oder sein Büro, direkt in der Haft zu besu-
chen und mit ihm zu reden – er ist ja auch einer der mög-
lichen Präsidentschaftskandidaten der Palästinenser –,
nachdrücklicher zu unterstützen? Die Auskunft vonsei-
ten Israels, dass man nicht zulassen wird, dass der Fall
Marwan Barghuthi zu einem internationalen Problem
gemacht wird, kann ich nicht nachvollziehen. Er ist ein
internationales Problem.
C
Herr Abgeordneter, Sie wissen, dass das Auswärtige
Amt die Initiative des Bundestages unterstützt. Wir wer-
den natürlich alles versuchen, um mit Ihnen gemeinsam
die Menschrechtslage der dort Inhaftierten zu verbes-
sern. Ich nehme Ihr Anliegen gerne auf, aber Sie wissen
ja – nachdem Sie es schon mehrmals versucht haben –,
wie schwierig es ist, das zu realisieren.
Ja, leider. – Vielleicht noch eine letzte Frage, wenn
ich die stellen darf.
Bitte schön.
Wie beurteilt die Bundesregierung den Umstand, dasssich die Haftbedingungen von Marwan Barghuthi, nach-dem er sich jetzt sehr kritisch über das Scheitern desFriedensprozesses – oder des sogenannten Friedenspro-zesses – geäußert hat, spürbar verschlechtert haben?Wird politisches Nichtwohlverhalten in diesem Sinne
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21003
Wolfgang Gehrcke
(C)
(B)
mit einer Verschlechterung der Haftbedingungen be-straft, und kann man das einfach so akzeptieren?C
Sie wissen, dass es unser Anliegen ist, darauf hinzu-
weisen, dass wir das nicht akzeptieren, dass es auch zu
den Menschenrechten gehört, für Inhaftierte die humani-
tären Maßnahmen einzuleiten, die sie brauchen. Des-
wegen halten wir den Zusammenhang für nicht gerecht-
fertigt, den Sie beschrieben haben.
Sie wissen, wie schwierig es ist, sich vor Ort über die
Lage der Inhaftierten zu informieren. Selbst Nichtregie-
rungsorganisationen haben keinen Zugang, was das alles
noch einmal erschwert. Von daher ist es auch für uns
nicht einfach, die Situation zu beurteilen.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin.
Die Frage 62 des Kollegen Sarrazin und die Frage 63
des Kollegen Hunko werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums des Innern.
Die Frage 64 des Kollegen Hunko und die Frage 65
des Kollegen Dr. von Notz werden schriftlich beantwor-
tet.
Wir kommen damit zum Geschäftsbereich des Bun-
desministeriums der Justiz. Zur Beantwortung steht der
Parlamentarische Staatssekretär Dr. Max Stadler zur
Verfügung.
Es handelt sich hier um die Frage 66 des Abgeordne-
ten Uwe Schummer:
Wie will das Bundesministerium der Justiz, BMJ, den
Dachverbänden der ehrenamtlich kulturschaffenden Vereine
Verhandlungsmöglichkeiten auf Augenhöhe zur Gestaltung
der Tarifverträge der Gesellschaft für musikalische Auffüh-
rungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte, GEMA, ent-
sprechend den Vereinbarungen des Runden Tisches GEMA
im BMJ ermöglichen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
D
Herr Kollege Schummer, die Gesellschaft für musika-
lische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungs-
rechte, allseits bekannt unter der Abkürzung GEMA, hat
unter dem Eindruck der Enquete-Kommission „Kultur in
Deutschland“ und unter dem Eindruck des Runden
Tisches des Bundesministeriums der Justiz mit den
Verwertungsgesellschaften die Kritik der letzten Jahren
aufgegriffen und insbesondere im Bereich des ehrenamt-
lichen kulturellen Engagements Verbesserungen für
diese spezielle Nutzergruppe erzielt. So unterhält die
GEMA eine Vielzahl von Gesamtverträgen – am 1. Ja-
nuar 2012 waren es 476 Gesamtverträge –, unter ande-
rem mit bürgerschaftlich engagierten Vereinen und Ver-
bänden. Zur Verbesserung der Transparenz hat die
GEMA daneben einen Sozial- und Kulturtarif veröffent-
licht. Darin sind alle Spezialtarife und Sondernachlässe
dieses Bereiches zusammengefasst. Eine im Rahmen des
Sozial- und Kulturtarifs veröffentlichte Gesamtvertrags-
liste trägt dazu bei, dass noch nicht gesamtvertraglich
eingebundene Einrichtungen überprüfen können, ob
bereits mit einem für sie geeigneten Partner ein Gesamt-
vertrag abgeschlossen wurde. So ist es ihnen dann mög-
lich, bei diesem Partner eine entsprechende Mitglied-
schaft zu beantragen, um in den Genuss von
Gesamtvertragsnachlässen zu gelangen.
Das Bundesministerium der Justiz hat diesen
Entwicklungsprozess in den letzten Jahren fortlaufend
begleitet und sieht insoweit im Moment keine Veranlas-
sung, weitere Maßnahmen zu ergreifen.
Nachfrage, Kollege Schummer?
Ja. – Eine sinnvolle Maßnahme des Runden Tisches
2009 im Justizministerium war, die Dachverbände der
ehrenamtlich geführten kulturtragenden Vereine wie
Chöre und Musikvereine zu den Urheberrechtsgesell-
schaften einzuladen. Wir haben bei diesem Runden
Tisch, bei dem ich selber dabei war, vereinbart, dass es
unterhalb der Gesetzesebene Selbstverpflichtungen ge-
ben soll. So wurde beispielsweise in einem Kriterien-
katalog festgehalten, wie die GEMA-Agenten vor Ort
aufzutreten haben. Wäre es denkbar, diesen Runden
Tisch mit den Dachverbänden der kulturtragenden Ver-
eine und den Urheberrechtsgesellschaften nach drei Jah-
ren noch einmal zu organisieren, um eine Revision im
Hinblick darauf vorzunehmen, was an Selbstverpflich-
tungen umgesetzt worden ist und was nicht?
D
Herr Kollege Schummer, Sie haben in der Tat ver-
dienstvollerweise an diesem Runden Tisch, der im April
2009 stattgefunden hat, teilgenommen. Die Anregungen
und Handlungsempfehlungen, die dort gegeben worden
sind, sind umgehend umgesetzt worden, bzw. unser
Ministerium war laufend in Kontakt mit der GEMA, um
die Themen, die Sie auch jetzt wieder angesprochen ha-
ben, zu realisieren. Wenn es Bedarf geben sollte, dass
man sich wieder zusammensetzt, können wir darüber
nachdenken. Im Moment haben wir den Eindruck, dass
die Empfehlungen von damals, die insbesondere auf
mehr Transparenz beim Umgang der GEMA mit ihren
Gesprächspartnern abgezielt haben, durchaus erfüllt
sind.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.Ich beende damit die Fragestunde.
– Herr Staatssekretär Kampeter ist da. Dann können wirnoch eine Frage zulassen.
Metadaten/Kopzeile:
21004 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(C)
(B)
Wir kommen somit noch zum Geschäftsbereich desBundesministeriums der Finanzen. Zur Beantwortungsteht der Staatssekretär Steffen Kampeter zur Verfügung.Ich rufe die Frage 67 des Kollegen Volker Beck auf:Wie hat der Vertreter/die Vertreterin des Bundesministe-riums der Finanzen in der Sitzung der Abteilungsleiter– Steuer – der obersten Finanzbehörden des Bundes und derLänder vom 28. Februar bis zum 1. März 2012 in Berlin beidem dort gefassten Beschluss, bis zur Entscheidung des Bun-desverfassungsgerichts eingetragenen Lebenspartnern auf An-trag das Ehegattensplitting im Wege des einstweiligen Rechts-schutzes zu gewähren, abgestimmt?Bitte schön, Herr Staatssekretär.S
Herr Präsident! Lieber Kollege Beck, ich beantworte
die Frage wie folgt: Nach Inkrafttreten des Finanz-
reformgesetzes zum 1. Januar 1970 hat man sich am
15. Januar 1970 auf Staatssekretärsebene in einer Bund-
Länder-Vereinbarung auf ein Verfahren zur Lösung von
Abstimmungsfragen verständigt.
Die Entscheidungen werden danach auf Bund-Län-
der-Ebene in Koordinierungsgremien getroffen, die auf
den drei Hierarchiestufen Referatsleiter, Abteilungsleiter
und Finanzminister existieren. Der Bund besitzt in die-
sen Gremien kein Stimmrecht, Herr Kollege Beck.
Nachfrage, Herr Kollege Beck? – Bitte.
Wenn dem so ist: Wie hat der Vertreter des Bundes-
ministeriums der Finanzen in der Sitzung dann deutlich
gemacht, dass das BMF den Beschluss nicht mitträgt?
S
Die Sitzungen der obersten Finanzbehörden des Bun-
des und der Länder sind nicht öffentlich. Niederschriften
zum Abstimmungsverhalten enthalten lediglich Anga-
ben zum zahlenmäßigen Ergebnis. Der Diskussionsver-
lauf – so verstehe ich Ihre Frage – ist nicht protokolliert.
Wie kommt es dann dazu, dass der Parlamentarische
Staatssekretär Koschyk am 24. April 2012 auf eine An-
frage von uns gesagt hat, das BMF habe den Beschluss
in der Sitzung nicht mitgetragen?
S
Herr Kollege Beck, der Bund beteiligt sich nicht an
der Abstimmung. Die Möglichkeit des Bundes, auf Ent-
scheidungen der Länder Einfluss zu nehmen, besteht da-
rin, einer Entscheidung zu widersprechen. Dieser Wider-
spruch hat aufschiebende Wirkung bis zur Entscheidung
auf der nächsthöheren Hierarchiestufe.
Zu einer weiteren Frage die Kollegin Haßelmann.
Vielen Dank, Herr Präsident, dass meine Frage noch
zugelassen wird.
Herr Staatssekretär Kampeter, die Bundesregierung
widerspricht sich hier öffentlich. Sie haben gerade mei-
nem Kollegen Beck erklärt, dass sich das Finanzministe-
rium nicht dazu einlässt. Ihr Kollege, Staatssekretär
Koschyk, hat auf unsere Anfrage hin für das Bundes-
finanzministerium eine eindeutige Position dargelegt.
Ich möchte deswegen von Ihnen wissen: Gibt es im
Finanzministerium zwei Auffassungen in dieser Frage?
Zum anderen wurde die Position des Finanzminis-
teriums bereits öffentlich dargestellt. Ich bitte Sie des-
wegen, die Position des Finanzministeriums der Öffent-
lichkeit darzulegen, damit Ihr Beitrag nicht zur
Verunklarung der Situation beiträgt.
S
Frau Kollegin Haßelmann, bei allem mir gebotenen
Respekt: Ihre Frage und die darin enthaltenen Unterstel-
lungen haben sehr zur Verunklarung der Situation beige-
tragen. Deswegen will ich wie folgt richtigstellen: In der
Frage des Abgeordneten Beck ist nach einem Abstim-
mungsverhalten gefragt worden. Der Bund stimmt in
den Gremien aber nicht mit ab. Deswegen kann ich zu
seiner Frage nur sagen: Wir haben nicht abgestimmt.
Zweitens habe ich darauf hingewiesen, dass die Ein-
flussmöglichkeit des Bundes darin besteht, einem Be-
schluss zu widersprechen und dies auf der nächsthöheren
Hierarchiestufe vorzutragen. Das habe ich hier – und da
besteht kein Widerspruch zum Kollegen Koschyk – zum
Ausdruck gebracht. Ich weise Ihre Unterstellung, es
gäbe einen Widerspruch innerhalb der Bundesregierung,
sogar in einem Haus, nämlich dem Finanzministerium,
mit der Stärke meiner Stimme und der Kraft meiner Ar-
gumente entschlossen zurück.
Damit ist diese Frage beantwortet. Vielen Dank, Herr
Staatssekretär.
Ich unterbreche die Sitzung bis zum Beginn der Ak-
tuellen Stunde.
Die unterbrochene Sitzung ist wieder eröffnet.Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:Aktuelle Stundeauf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU undFDPGute Prognosen bestätigt: Mehr Wachstumund mehr Beschäftigung in DeutschlandIch eröffne die Aussprache und erteile als erstem Red-ner dem Bundeswirtschaftsminister Dr. Philipp Röslerdas Wort.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21005
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms
(C)
(B)
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie:Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Diese Regierungskoalition ist und bleibt der Ga-rant für Wachstum, Wohlstand und Stabilität in Deutsch-land und in Europa. Wir sorgen weiter für Wachstum.Nach Rekordzuwächsen in den letzten beiden Jahrenerwarten wir trotz schwieriger Rahmenbedingungen0,7 Prozent Wachstum für das Jahr 2012 und – noch bes-ser – 1,6 Prozent im Jahr 2013. Wir haben die niedrigsteArbeitslosigkeit seit 20 Jahren und Rekordbeschäfti-gung, niedrigere Sozialversicherungsbeiträge, trotzdemhöhere Renten sowie höhere Löhne und volle Auftrags-bücher. All das zeigt: Wir trotzen den außenwirtschaftli-chen Stürmen in Europa und auf den Weltmärkten. Mituns bleibt Deutschland robust auf Wachstumskurs.
Herr Präsident, ich darf hier einmal die OECD zitie-ren, die vor wenigen Tagen festgehalten hat – Zitat –:Deutschlands Wirtschaftsleistung war in den ver-gangenen Jahren herausragend – seine Arbeitslosig-keit niedrig und sein Wachstum solide. Viele Län-der schauen auf das Rezept, das diesen Erfolg erstmöglich gemacht hat …Ja, wir sorgen durch starkes Wachstum für den Wohl-stand der Menschen. Wir erinnern uns: Wie war es denndamals unter Rot-Grün? Damals galt Deutschland als„kranker Mann Europas“.
Heute können wir stolz darauf sein, dass wir wiederKraftzentrum und Wachstumsmotor in Europa sind.
Das ist ein Verdienst der Menschen, ein Verdienst derUnternehmen, aber auch ein Verdienst der Politik dieserRegierungskoalition aus CDU, CSU und FDP.Wenn wir bei Wachstum und Beschäftigung weitervorangehen wollen, dann müssen wir die Weichen dafürrichtig stellen. Der richtige Weg dazu ist eine konse-quente Haushaltskonsolidierung; wir sind dabei schonsehr erfolgreich. Wir werden die Vorgaben des Europäi-schen Stabilitäts- und Wachstumspakts schon zwei Jahrefrüher als vorgegeben erfüllen. Aber damit geben wiruns nicht zufrieden. Wir kämpfen weiter für stabileHaushalte. Wir wollen die schwarze Null im Bundes-haushalt so schnell wie möglich erreichen. Damit unter-scheiden wir uns von einer rot-grünen Schuldenpolitik,wie sie momentan in den Ländern betrieben wird.
Überall da, wo Rote und Grüne oder Grüne und Rote re-gieren, werden Schulden über Schulden gemacht, immerzulasten der nachfolgenden Generationen.
Wir unterscheiden uns wohltuend von dieser Schulden-politik und stehen für langfristig stabile Haushaltskonso-lidierung.
Gleichzeitig brauchen wir natürlich Reformen. Dasbeste Beispiel hierfür ist die Regelung der Zuwande-rung. Dadurch lösen wir eine wesentliche Wachstums-bremse. Erstmals gibt es in Deutschland ein System dergesteuerten Zuwanderung in den ersten Arbeitsmarkt,gestaffelt nach Qualifikation und Berufsgruppen und mitdeutlich abgesenkten Gehaltsschwellen. Das hilft denMenschen, die zu uns kommen und einen Arbeitsplatzsuchen. Das hilft aber auch den mittelständischen Unter-nehmerinnen und Unternehmern, die Fachkräfte suchen.Diese Willkommenskultur ist ein wesentlicher Beitragfür mehr Wachstum und Beschäftigung in Deutschlandund in Europa.
Meine Damen und Herren von der Opposition, gele-gentlich lese ich Interviews von Ihnen zur Energiepoli-tik. Konstruktives ist dort nicht zu finden, sondern ledig-lich Ideologie. Während wir gemeinsam daran arbeiten,die Netze auszubauen,
neue Kraftwerke zu errichten
und für Energieeffizienz zu kämpfen,
blockieren Sie da, wo Sie eigentlich Verantwortung tra-gen müssten, zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen. Bes-tes Beispiel ist das hocheffiziente Kraftwerk in Datteln.Rot-Grün verhindert dieses Kraftwerk. Neue Netze, neueLeitungen – Rot-Grün verhindert. Selbst wenn es darumgeht, erneuerbare Energien durch Pumpspeicherkraft-werke zu unterstützen, blockieren Grün und Rot. All das,was Sie in der Energiepolitik betreiben, ist wenig kons-truktiv und voller Ideologie. Vor allen Dingen denkenSie nicht eine einzige Sekunde an diejenigen, die all IhreIdeen bezahlen müssen. Wir machen es anders. Wir den-ken auch an die 80 Millionen Menschen, an die 40 Mil-lionen Haushalte, an die vielen Millionen Unternehmen,die all das bezahlen müssen.
Versorgungssicherheit und Bezahlbarkeit von Energiesind wesentlich für die Wachstumskräfte in Deutschland.
Metadaten/Kopzeile:
21006 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
(C)
(B)
Leider tragen Sie auch wenig zur Europapolitik bei.Als überzeugter Europäer, aber auch als Wirtschafts-minister halte ich fest: 60 Prozent unserer Exporte gehennach Europa, 40 Prozent in die Euro-Zone. Deswegenhaben wir ein Interesse daran, dass Europa stabilisiertwird. Die Krise, die wir derzeit erleben, ist eine Vertrau-enskrise. Deswegen müssen wir alles dafür tun, Ver-trauen zurückzugewinnen.
Jedem ist doch klar: An soliden öffentlichen Finanzenführt kein Weg vorbei. Deswegen kämpfen wir für denFiskalpakt und stellen die klare Forderung: Dieser Fis-kalpakt muss schnellstmöglich ratifiziert werden, undzwar ohne jede Änderung.
Der Präsident des Europäischen Parlaments – er istMitglied der SPD – ist gestern bei allen Fraktionen zuGast gewesen
und hat Sie aufgefordert, mit Parteitaktik und irgendwel-chen Spielchen von Parteifunktionären Schluss zu ma-chen und ein klares Bekenntnis für ein starkes, stabilesEuropa abzulegen.
Wir legen dieses Bekenntnis ab. Sie sind dieses Bekennt-nis den Menschen in Deutschland und Europa bisherschuldig geblieben.
Gleiches gilt für notwendige Reformen. Es macht kei-nen Sinn, einfach nur Geld in die Hand zu nehmen undschuldenfinanzierte Konjunkturpakete aufzulegen. Siebrauchen zuallererst sinnvolle Reformen und vernünf-tige Strukturen. Wenn Sie in nicht vorhandene Struktu-ren Geld hineingeben, dann versickert es ohne jede Wir-kung.
Deswegen müssen wir dabei bleiben: Die angefangenenReformen müssen in allen europäischen Staaten fortge-setzt werden. Wir können nur hoffen, dass sich die Kol-legen in Griechenland schnellstmöglich einigen und einetragfähige Regierung bilden, um die notwendigen Refor-men voranzubringen: Reformen auf dem Arbeitsmarktzur Steigerung der Produktivität, Reformen in den sozia-len Sicherungssystemen zur Senkung der Lohnzusatz-kosten, Reformen in der Verwaltung, gegen Bürokratie,für mehr Effizienz und auch Fortschritte bei der Privati-sierung. Das ist das richtige Rezept; die OECD weist zuRecht darauf hin. Wir brauchen auf der einen Seite so-lide Haushalte und auf der anderen Seite richtige Refor-men, weil wir alle wissen, dass man Wachstum nichtkaufen kann, sondern dass man es sich durch Reformenhart erarbeiten muss. Das ist der richtige Weg fürDeutschland und für Europa gleichermaßen. Darauf ar-beitet diese Regierungskoalition hin.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat jetzt der Kollege Hubertus Heil von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Rösler, da Sie in NRW bei Veranstaltungenwahrscheinlich nicht so viel Publikum zusammenbrin-gen, kann ich verstehen, dass Sie versuchen, vor derLandtagswahl in Nordrhein-Westfalen das Plenum desDeutschen Bundestages für eine Wahlkampfrede zumissbrauchen.
Zurück zur Sache. Reden wir über die wirtschaftlicheEntwicklung in Deutschland. Herr Rösler, angesichts derSituation in Deutschland fände ich es angemessen, we-der in Schwarzmalerei zu verfallen noch die rosaroteBrille aufzusetzen, die Sie sich im Wahlkampf offen-sichtlich zugelegt haben. Tatsache ist: Deutschland istbis dato besser durch die wirtschaftliche Krise gekom-men als andere Staaten in Europa. Das ist aber vor allenDingen das Verdienst von tüchtigen Unternehmern undfleißigen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in un-serem Land. Ursächlich war auch der Mut der Vorgän-gerregierungen, den Sie nicht besitzen, Herr Rösler.
Ich will Ihnen deutlich sagen: Deutschland ist deshalberfolgreicher als andere Staaten in Europa, weil wir nachwie vor eine breite Basis an industrieller Wertschöpfunghaben,
von der Grundstoffindustrie über die kleinen und mittel-ständischen Unternehmen bis zu den Hightechschmie-den.
Dazu haben Sie, Herr Rösler, allerdings keinen Beitraggeleistet, im Gegenteil.Der Vorteil der deutschen Volkswirtschaft, der darinbesteht, dass sie wettbewerbsfähig ist, kann in der Krise,über die Sie vorhin viele Worte gemacht haben, auch zurAchillesferse unserer deutschen Wirtschaft werden. Sie
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21007
Hubertus Heil
(C)
(B)
haben die Zahlen genannt: 60 Prozent unserer Exportegehen in die Europäische Union, 40 Prozent in die Euro-Zone. Deshalb können wir in Deutschland langfristigwirtschaftlich nicht erfolgreich sein, wenn es dem RestEuropas schlecht geht. Sie haben zu Recht gesagt, dassStaaten im Süden Europas Strukturreformen brauchen.Aber Sie wissen doch genauso gut wie wir: Strukturre-formen brauchen Zeit, bis sie wirken. Was Deutschlandund Europa jetzt brauchen – das ist auch im deutschenInteresse –, ist,
dass neben den Strukturreformen in den Krisenländernund den fiskalischen Auflagen ein Wachstumsimpuls ge-geben wird. Wir brauchen wirtschaftliche Dynamik inEuropa.
Jetzt sage ich Ihnen einmal etwas zum Thema Wachs-tum.
– Wissen Sie was? Sie von der FDP plakatieren Wachs-tum, haben aber keine Vorstellung davon, wie SieWachstum in Europa auf den Weg bringen können. Da-mit sind Sie zu einem Standortrisiko für Deutschland, zueiner Gefahr für die wirtschaftliche Entwicklung in Eu-ropa und in Deutschland geworden
Angesichts der Risiken, die die OECD genauso wie derIWF heute an die Wand malen – Herr Rösler, das kannich Ihnen nicht ersparen –, dürfen wir uns nicht wegdu-cken. Die Risiken haben etwas damit zu tun, dass dieseBundesregierung weder in der Lage ist, die Situationrealistisch zu betrachten, noch in der Lage ist, Entschlos-senheit an den Tag zu legen, wenn es darum geht, dieHerausforderungen, vor denen wir jetzt stehen, zu be-wältigen.Ich will Ihnen die Herausforderungen nennen: Es gehtum die Frage, wie wir die Haushalte in Europa durchWachstum in Ordnung bringen. Sie können die Haus-halte der Krisenstaaten nicht ohne wirtschaftliche Dyna-mik konsolidieren. Das müssen Sie endlich einmal be-greifen. Sie haben es noch nicht begriffen. Aber die Zeitwird über Sie hinweggehen; dessen bin ich mir sicherSie haben über Energiepolitik gesprochen. Wer fährtdenn gerade die Energiewende in Deutschland, die drin-gend notwendig ist, durch Unterlassen gegen die Wand?
Wer ist denn verantwortlich dafür, dass wir beim Netz-ausbau, den wir in Deutschland brauchen, nicht voran-kommen?
Wer hat denn kein Konzept für Investitionen in notwen-dige Reservekraftwerke? Das, was die Bundesnetzagen-tur Ihnen gestern und vorgestern ins Stammbuchgeschrieben hat, ist eine Versäumnisliste Ihrer Amtsfüh-rung, Herr Rösler. Sie sind nur in der Lage, sich mitHerrn Röttgen wechselseitig in dieser Regierung zu blo-ckieren. Sie sind ein wirtschaftliches Standortrisiko fürdie Versorgungssicherheit im Bereich der Energiewirt-schaft, auch wenn es um die Bezahlbarkeit der Energiefür die Wirtschaft und die Verbraucher in diesem Landgeht.
Wenn wir über die Frage der notwendigen wirtschaft-lichen Dynamik in Europa reden und darüber, wie wirdie notwendige Energiewende bewerkstelligen, die füreine erfolgreiche wirtschaftliche Entwicklung inDeutschland erforderlich ist – übrigens auch in Nord-rhein-Westfalen, einem starken Industrieland inDeutschland und Europa –, dann müssen wir auch überden Fachkräftebedarf sprechen. Was fällt Philipp Röslerin seiner kurzen Wahlkampfrede zum Thema Fachkräfteein? Das Stichwort Zuwanderung. Das ist sehr erstaun-lich. Ich sage Ihnen: Wir haben überhaupt nichts dage-gen, dass wir in Deutschland auch darüber reden, dassdieses Land die Zuwanderung Hochqualifizierterbraucht. Bevor wir das tun, hätten Sie aber ein Wort da-rüber verlieren können, dass wir inländische Potenzialehaben, die wir nicht heben. 65 000 junge Menschen ver-lassen Jahr für Jahr unsere Schulen ohne Schulabschluss.
1,5 Millionen Menschen zwischen 20 und 30 Jahren ha-ben keine berufliche Erstausbildung. Sie führen eine un-sinnige Betreuungsprämie ein, eine Fernhalteprämie.Dadurch werden Frauen vom Arbeitsmarkt ferngehalten.Sie sollten etwas für eine höhere Frauenerwerbstätigen-quote tun und für bessere Einstiegschancen junger Men-schen, die es nicht so leicht haben. Wir müssen den de-mografischen Wandel in diesem Land bewältigen. DurchIhre Politik läuft es aber auf einen tief gespaltenen Ar-beitsmarkt hinaus: Auf der einen Seite werden immermehr Unternehmen händeringend qualifizierte Fach-kräfte suchen, und auf der anderen Seite geben Sie jun-gen Menschen keine Chance und halten Frauen vom Ar-beitsmarkt fern.
Das sind die Ergebnisse Ihrer Politik, Herr Rösler. Auchdeshalb sind Sie ein Standortrisiko.
Metadaten/Kopzeile:
21008 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Hubertus Heil
(C)
(B)
Herr Rösler, es macht wenig Sinn, mit Ihnen großartigdarüber zu streiten; denn Sie sind in Fragen der Bewälti-gung der europäischen Krise, der Fachkräftesicherungund der Energiepolitik – das weiß die deutsche Wirt-schaft – ein Totalausfall. Das wäre noch zu verschmer-zen, wenn es in dieser Bundesregierung eine Führungdurch das Bundeskanzleramt gäbe. Aber Frau Merkelduckt sich weg. Deshalb sage ich Ihnen trotz der erfreu-lichen Lage: Die wirtschaftlichen Herausforderungendieser Zeit liegen noch vor uns. Aber es gibt keine Kri-senbewältigung durch diese Bundesregierung. FrauMerkel wird zu einem wirtschaftlichen Standortrisikound ihre Koalition auch.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Dr. Michael Fuchs von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen!Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herr KollegeHeil, ich habe mir erlaubt, die Titelseiten zweier engli-scher Zeitungen aus den letzten Jahren mitzubringen.
Das war eine Titelseite der BusinessWeek im Jahre 2003.„The Decline of Germany“, der Niedergang Deutsch-lands. Das wird mit wem in Verbindung gebracht? MitGerhard Schröder und Rot-Grün.
Das andere war ein Titelblatt von The Economist: „Eu-rope’s Engine“.
Das größere Rad auf dem Titelbild soll Deutschlandsymbolisieren. Die Räder, die sich in Europa drehen,drehen sich dadurch, dass die deutsche Wirtschaft wie-der läuft. Dafür können wir dankbar sein.
Genau das zeigt die Situation, die wir gewollt und orga-nisiert haben.
Sie haben das nicht geschafft.Ich gebe fairerweise zu, dass einige Ihrer Reformendurchaus sinnvoll waren; aber davon wollen Sie garnichts mehr wissen. Sie versuchen, sich wegzuducken.Sie tun so, als hätten Sie mit Hartz IV nie etwas zu tungehabt. Das hören wir doch jeden Tag in Ihren Wahl-kampfreden in NRW. Gehen Sie einmal hin und hörenSie zu. Sie gehen ja schon gar nicht mehr dorthin, weilSie sich schämen.
Wir wollen des Weiteren festhalten, dass Sie mit ei-nem gemeinsamen Beschluss, den wir unter Schwarz-Rot gefasst haben, nichts mehr zu tun haben wollen. Wirbeide haben mit für die Einführung der Rente mit 67 ge-kämpft. Nun tun Sie so, als sei das alles ganz anders ge-wesen. Nun wollen Sie davon nichts mehr wissen. Ste-hen Sie doch zu Ihren Beschlüssen, die vernünftig warenund die dazu geführt haben, dass Deutschland heute Eu-rope‘s Engine ist.
Ich freue mich, dass wir es geschafft haben, als Ersteraus der Krise herauszukommen, dass wir nach einemSchrumpfen der Wirtschaftsleistung um 4,7 Prozent imJahr 2009 bereits ein Jahr später, also im Jahr 2010, wie-der 3,7 Prozent Wachstum verzeichnen konnten und imJahr darauf 3 Prozent.
Im Jahr darauf haben wir also im Prinzip schon wiederden Status von vor der Krise erreicht. Das sind positiveZahlen.Freuen Sie sich doch mit uns, dass wir 41,2 MillionenErwerbstätige in Deutschland haben; das hat es noch niegegeben. So eine niedrige Arbeitslosenquote gab es nochnie. Unter Gerhard Schröder gab es 5 Millionen Arbeits-lose, jetzt gibt es 2,8 Millionen Arbeitslose. Ich freuemich, dass wir – das ist für mich das Allerwichtigste –die niedrigste Jugendarbeitslosigkeit in Europa haben.
Darüber können wir uns alle freuen. Es gibt eigentlichnichts Schlimmeres, als wenn junge Menschen keineHoffnung haben. Auch das Thema Schulabschluss müs-sen wir gemeinsam angehen. Wir müssen uns aber auchGedanken machen, warum es gerade von diesen von Ih-nen eben genannten Jugendlichen in einigen Bundeslän-dern besonders viele gibt. Die meisten leben in Nord-rhein-Westfalen; auch das gehört zur Wahrheit.Es ist richtig, dass es uns gelingen muss, in Deutsch-land die Wertschöpfungsketten zu erhalten, und zwarvon der Kunststoffindustrie bis zu den Hightechproduk-ten, die unsere Industrie produziert. Dazu gehört einevernünftige Energiepolitik.
Dazu gehört auch, dass das Denken in kleinen Nischenaufhört. Es kann nicht sein, dass beispielsweise in Ba-den-Württemberg die Grünen verhindern, dass ein weite-res Pumpspeicherwerk gebaut wird.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21009
Dr. Michael Fuchs
(C)
(B)
Dieses Speicherwerk ist dringend notwendig; wir brau-chen es. In Niedersachsen wird von allen möglichenGruppierungen verhindert – ich klopfe mir da selber andie Brust; denn auch von Parteifreunden von uns wirddies verhindert –, dass die Leitungen ausgebaut werden.
Wenn wir diese Energiepolitik wollen, dann müssen allemitspielen. Es ist unsere Aufgabe hier im Parlament,nicht nur darüber zu reden, sondern auch dafür zu sor-gen, dass diese Politik vor Ort umgesetzt wird.
Da sind wir alle gefordert. Ich fordere Sie auf, mitzuhel-fen.Hinsichtlich der Situation der deutschen Wirtschaft,verehrter Herr Bundesminister, bin ich nicht mit Ihneneiner Meinung; das ist einer der seltenen Fälle. Sie haben0,7 Prozent Wachstum prognostiziert. Ich bin wesentlichoptimistischer. Ich biete Ihnen eine Wette an. Ich sage,dass wir über 1 Prozent Wachstum haben werden, dasses bei 1,2 oder 1,3 Prozent liegen wird. Wir zwei könnengerne wetten; ich stehe nachher dafür zur Verfügung. Ichwill das auch begründen. Wir haben im März die höchsteExportquote unseres Landes in einem Monat verzeich-net: 98 Milliarden Euro; das hat es noch nie gegeben.Der Bundesverband Groß- und Außenhandel hat errech-net, dass wir in diesem Jahr voraussichtlich auf einenGesamtexport von 1 124 Milliarden Euro kommen wer-den, also 1,124 Billionen Euro. Das sind 6 Prozent mehrals im letzten Jahr. Das ist die höchste Exportquote, diewir jemals hatten. Interessanterweise fließt davon mitt-lerweile deutlich mehr ins nichteuropäische Ausland.Das heißt, unsere cleveren Unternehmen haben die inter-nationalen Märkte erschlossen. Darauf können wir stolzsein.
Meine Damen und Herren, lassen Sie uns gemeinsa-men daran arbeiten, dass das so weitergeht! Lassen Sieuns gemeinsam dafür sorgen, dass dieses Wachstumnicht durch irgendwelche Kleinstaaterei in Gefahr ge-bracht wird! Wir müssen dieses Wachstum fortsetzen.Dann haben wir die Chance, den Menschen in Deutsch-land eine gute Perspektive zu geben. Auch denen geht esübrigens deutlich besser. So starke Lohnerhöhungen wiejetzt haben Sie in der rot-grünen Regierungszeit nie be-kommen.
Für die Fraktion Die Linke hat jetzt der Kollege
Michael Schlecht das Wort.
Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Her-ren! Herr Rösler, hinter Ihrer scheinbaren Erfolgsbilanzverbirgt sich die brutale Realität von schlechter Arbeitund von Lohnkürzungen.
Seit dem Jahr 2000 sind rund 2,3 Millionen Vollzeitar-beitsplätze vernichtet worden.
Gleichzeitig sind etwas mehr als 4 Millionen „bad jobs“,schlechte Arbeitsplätze, entstanden.
Es kam zu einer massiven Ausweitung von Teilzeitarbeitund geringfügigen Beschäftigungsverhältnissen in Ge-stalt von Minijobs und Leiharbeit. Außerdem müssenmittlerweile viel zu viele Menschen diese schlechtenJobs auch noch befristet machen. Dadurch ist die Durch-setzungskraft der Gewerkschaften geschwächt worden.Das Resultat: Seit 2000 kam es in Deutschland zu Lohn-kürzungen um 4,5 Prozent. Das ist wirklich ein ungeheu-erlicher Skandal.
Dass Sie angesichts dessen ein so buntes Bild von denPerspektiven malen, ist wirklich abenteuerlich.Positive Perspektiven sind lediglich für Kapitalbesit-zer und Unternehmer festzumachen. Die Einkommenaus Unternehmertätigkeit und aus Vermögen sind seitdem Jahr 2000 um mehr als 30 Prozent gestiegen. An-scheinend sind Sie nur der Wirtschaftsminister für dieseMenschen, aber nicht für die breite Masse der Bevölke-rung. Das ist wirklich unglaublich.
Nicht nur in dieser Hinsicht ist Ihre Wirtschaftspolitikfür die breite Masse der Bevölkerung ein Desaster, son-dern auch was die europäische Wirtschaftspolitik be-trifft. Wir erleben seit zwei Jahren, dass Sie eine gera-dezu blutrünstige Kürzungspolitik
und eine Austeritätspolitik nach Europa tragen. DieseKürzungspolitik führt ins Desaster.
Metadaten/Kopzeile:
21010 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Michael Schlecht
(C)
(B)
Die Völker Europas stehen gegen diese Politik auf. Dashaben insbesondere die Wahlergebnisse vom letztenSonntag in Griechenland und in Frankreich gezeigt.
In Griechenland, wo diese Politik die breitesten Blutspu-ren hinterlassen hat, wird sie jetzt Gott sei Dank beendet,weil unsere griechische Schwesterpartei, die Linke inGriechenland, bei der Wahl zweitstärkste Partei gewor-den ist und kein Weg mehr an ihr vorbeiführt. Die Linkein Griechenland wird dafür sorgen, dass diese absolutbrutale und menschenverachtende Politik beendet wird.Wir unterstützen, dass dieser Kurs durchgezogen wird.
Wir brauchen in Europa keinen Fiskalpakt. Wir brau-chen keine weiteren Austeritätsprogramme für andereLänder. Wir brauchen keinen weiteren Export derAgenda 2010. Es reicht, dass die Menschen hierzulandedarunter leiden; auch dieser Zustand wird beendet wer-den. Was wir brauchen, ist ein Wachstumspakt für Eu-ropa. Er wird mittlerweile auch gefordert. Auf IhrerSeite gibt es bereits erste Absetzbewegungen, auch vonKanzlerin Merkel. Es besteht inzwischen die Bereit-schaft, auf bestimmte Forderungen einzugehen. Manwird sehen, inwieweit das überhaupt geht. Wir, dieLinke, fordern einen europäischen Wachstumspakt in derGrößenordnung von 360 Milliarden Euro,
um diesen Kontinent wieder nach vorne zu bringen. Die-ser Wachstumspakt soll aber nicht schuldenfinanziertsein; das ist ja Ihr Einwand. Unsere Schuldenbremse
heißt Millionärs- und Milliardärsbesteuerung.Wenn wir in Europa eine konsequente Besteuerungvon Millionären und Milliardären durchführen,
dann können wir derartige Programme problemlos finan-zieren und dann haben wir auch die Möglichkeit, dieVerschuldung in Europa und in Deutschland, die natür-lich auch viel zu hoch ist, abzubauen. Deswegen tretenwir klar für diese Orientierung ein. Wie gesagt: UnserePerspektive heißt „Millionärsbesteuerung“.
Letzter Punkt. Über einen Wachstumspakt in Europaund auch in Deutschland hinaus brauchen wir knackigeLohnerhöhungen. Es gibt sogar einzelne Vertreter IhrerRegierung, die in den Erkenntnisprozessen mittlerweile– man hat den Eindruck – nicht mehr so resistent sindwie Sie. Der Finanzminister Schäuble zum Beispiel hatjetzt immerhin gesagt, er unterstütze die Lohnforderun-gen der IG Metall, was er ausdrücklich damit begründethat, dass damit ein Beitrag zum Abbau von Außenhan-delsungleichgewichten in Europa geleistet werden soll.Das ist wirklich lobenswert.Das Problem ist nur: Wenn er wirklich konsequentwäre, dann müsste er auch unverzüglich dafür eintreten,die gesamten Prekarisierungen, die durch die Agen-da 2010 hervorgerufen worden sind, zu beseitigen, weilvor allen Dingen durch diese Prekarisierungen der ent-scheidende Beitrag dazu geleistet worden ist, inDeutschland zu einem atemberaubenden Lohndumping– die 4,5 Prozent habe ich eingangs erwähnt – zu kom-men. Dies muss umgedreht werden, dies ist sozial unge-recht, und dies ist vor allen Dingen die entscheidendeUrsache dafür, dass wir in Europa dieses dramatischeLeistungsbilanzungleichgewicht haben.Danke schön.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Kerstin Andreae von
den Grünen.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Gute Zahlen sind gute Zahlen, aber Ihr Selbstlob ist fehlam Platz,
weil Sie die großen Risiken, die wir haben, auf eine Artausblenden, die schon atemberaubend ist. Ohne ein star-kes Europa steht dieser deutsche Aufschwung auf töner-nen Füßen.Die Zinsen sind zwar historisch niedrig, aber als Da-moklesschwert schwebt die Frage über uns: Was ist,wenn sie steigen? Das würde automatisch gigantischeMehrbelastungen für den Haushalt in Milliardenhöhe be-deuten. Deswegen können Sie sich für eine Haushalts-konsolidierung nicht auf die Schulter klopfen.
Sie reden davon, dass Sie das Vertrauen in den euro-päischen Ländern wiedergewinnen wollen und dass unsdie Situation in den Krisenländern nicht kaltlassen kann,im Übrigen auch ökonomisch nicht. Wir sind auf einestarke europäische Peripherie angewiesen. Insofern gebeich Ihnen ja recht. Sie müssen aber sehen, dass die allei-nige Orientierung des Fiskalpakts aufs Sparen falsch ist.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21011
Kerstin Andreae
(C)
(B)
Wir Grünen sagen klar: Wir brauchen Haushaltskon-solidierung, wir brauchen Strukturreformen in den Län-dern, und wir brauchen Investitionen. Wie sollen Länder,in denen die Jugendarbeitslosigkeit 50 Prozent beträgt,wie derzeit in Spanien, eine wirtschaftliche Perspektiveerhalten? Wie sollen sie aus dieser Situation wiederherauskommen? Alleine mit Sparen geht es nicht. Siepressen sie aus wie eine Zitrone. Wir brauchen Konsoli-dierung, vernünftige Zukunftsinvestitionen und Struktur-reformen. Drei Säulen!
Es geht hier nicht um Betonwachstum, also darum,neue Straßen und neue Autobahnen zu bauen, sondernum Zukunftsinvestitionen: erneuerbare Energien, Auf-bau einer digitalen Infrastruktur, nachhaltige Landwirt-schaft.
– Ich komme noch zu dem Geld. Warten Sie doch ab!In Europa werden jedes Jahr 400 Milliarden Euro fürÖlimporte bezahlt. In südlichen Ländern kann der Auf-bau einer Industrie für erneuerbare Energien funktionie-ren. Deshalb frage ich mich, warum Europa nicht in derLage ist, diese Energiewende europäisch anzugehen, umdiesen Ländern eine Perspektive für eine neue Art derEnergieversorgung zu geben, sodass sie weg von diesenhohen Ölimporten kommen.
Eine Schuldenkrise können Sie nicht mit mehr Schul-den bekämpfen.
Aber: Stärken Sie die Europäische Investitionsbank, da-mit diese in der Lage ist, privates Kapital zu akquirieren!
Flexibilisieren Sie die vorhandenen Strukturfonds, damitdiese auch als Krisenstrukturfonds agieren können! Füh-ren Sie endlich die Finanztransaktionsteuer ein!
Seit der Wahl in Frankreich hat sich da einiges geändert.Es gibt die Möglichkeit, an diese Geldströme heranzu-kommen.Gehen Sie in Europa gemeinsam gegen Steueroasenvor! Dass der Steuervollzug in den Ländern nicht funk-tioniert, liegt doch auch daran, dass der KapitalfluchtTür und Tor geöffnet ist. Europa muss gemeinsam gegenSteueroasen vorgehen!
Wir haben Ihnen Angebote gemacht. Wir haben Ihnengesagt: Lassen Sie uns im Rahmen der Ratifizierung undder Umsetzung des Fiskalpakts konkrete Gespräche füh-ren. Lassen Sie uns ein gemeinsames Paket schnüren,damit wir das Vertrauen in Europa wiedergewinnen. Ne-ben die Konsolidierung stellen wir Strukturreformen undwirtschaftliche Perspektive. Das ist das Signal, das Siesenden müssen, wenn Sie es ernst damit meinen, inEuropa wieder Vertrauen zu schaffen.Zum Schluss komme ich zu der Frage der guten Pro-gnosen. Herr Fuchs, Sie haben vom deutschen Motor inEuropa gesprochen.
– Das brauchen Sie jetzt nicht noch einmal zu zeigen.Das habe ich schon gesehen. So weit kann ich schonschauen. – Wenn wir Europa nicht stabilisieren undwenn Deutschland nicht ein hohes Maß an Verantwor-tung dafür übernimmt, Europa zu stabilisieren,
den Aufbau eines sozialen Europas voranzubringen unddie Energiewende in Europa voranzutreiben, dann wirddas nichts mit dem Motor;
denn dann drücken wir die anderen an die Wand, dannmeinen wir es mit einer Europäischen Wirtschafts- undWährungsunion nicht ernst, sondern dann machen wiruns auf Kosten der anderen stark. Was wir machen müs-sen, ist, Europa als eine gemeinsame Aufgabe zu begrei-fen, gemeinsam weiterzuentwickeln, der Währungs-union eine Wirtschaftsunion an die Seite zu stellen. Wirhaben damals von einer Wirtschafts- und Währungs-union gesprochen. Die Wirtschaftsunion fehlt. Diesemüssen wir weiterentwickeln. – Der Pfad, den Sie imAugenblick begehen, ist zu eng, zu einseitig und wirdnicht aus der Krise führen.Vielen Dank.
Für die FDP hat jetzt der Kollege Dr. Martin Lindner
das Wort.
Herr Präsident! Verehrte Damen! Meine Herren! Lie-ber Herr Heil, Sie haben aufs Neue bewiesen, dass derletzte ernstzunehmende Wirtschaftspolitiker Ihrer Partei
Metadaten/Kopzeile:
21012 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Dr. Martin Lindner
(C)
(B)
der damalige Wirtschaftsminister Wolfgang Clementwar.
Deswegen nimmt es nicht wunder, das WolfgangClement ausgerechnet in Nordrhein-Westfalen nicht fürdie SPD, sondern für Christian Lindner und die FDPWahlwerbung macht.
– Jetzt rufen Sie „Gerhard Schröder“ dazwischen.
Auch er macht Wahlkampf, aber auch nicht für die SPD,sondern für Wladimir Putin.
Wir haben glänzende Zahlen, solides Wachstum, diegeringste Arbeitslosenquote und steigende Löhne wienie zuvor. Welch faktische Diskrepanz zu dem Ge-meckere, dem Gemäre, dem Miesmachen des deutschenStandortes,
das wir seit zweieinhalb Jahren von der deutschen Oppo-sition, vor allen Dingen von der linksradikalen deut-schen Opposition hören.
Dies ist tatsächlich kein Grund, sich zurückzulehnen unddie Schlafposition einzunehmen,
sondern das ist ein Auftrag, das Erreichte für die Zukunftzu erhalten und auszubauen.
Deswegen stehen wir für Wachstum wie keine anderePartei und keine andere Regierungskoalition in Deutsch-land. Wachstum ist uns Auftrag und Programm.
Aber, Frau Kollegin Andreae, das war es dann auchschon an Gemeinsamkeit. In der weiteren Zielsetzungunterscheiden wir uns.
Das, was Sie versuchen, ist, uns gescheiterte Konjunk-turprogramme à la Solarförderung für Europa zu verord-nen.
Erst einmal werden durch Ihre Steuererhöhungsorgien1 Million Arbeitsplätze vernichtet, durch Ihre zusätzli-che Bürokratie weitere 500 000 Arbeitsplätze vernichtet,und dann werden durch die Subventionen für Ihre Klien-tel 400 000 neue Arbeitsplätze geschaffen. Das verste-hen Sie unter Green Economy. Das ist aber auf keinenFall der Weg, den wir beschreiten werden.
Wir lehnen es ab, hier und auch in Europa zu einer lä-cherlichen Strohfeuerpolitik zu kommen, sondern wirmüssen sehen, welches die Ursachen für Wachstums-hemmnisse sind. Das ist – das haben wir heute gemein-sam im Wirtschaftsausschuss gehört – vor allen Dingendie Bürokratie.Das wäre ein Projekt für Europa, und zwar nicht nurdie Formulare zu harmonisieren, sondern sich auch dieStandards vorzunehmen und zu prüfen, ob all das, wasaus Brüssel, aber auch aus Berlin kommt, wirklich not-wendig ist. Das hat einen glänzenden Effekt. Denn ers-tens sparen sich zum einen die Unternehmen die Kosten,zum anderen spart sich aber auch die öffentliche Verwal-tung Administrationskosten. Bürokratieabbau ist eineder zentralen Aufgaben für Europa, um zu Wachstum zugelangen.
Der zweite Punkt ist – auch das möchte ich klarma-chen –: Wir lehnen sinnvolle Förderung nicht ab.
– Nein.
Wir lehnen sinnvolle Förderung dort, wo sie investivwirkt, nicht ab.
Das ist eine wichtige Forderung, beispielsweise in derForschungsförderung für Technologie.
Auch hier steht eine Vision für Europa bevor. Wir er-kennen doch in Europa, dass unsere Chancen nicht inbilliger Produktion liegen.
Hier haben wir vielmehr die Chance, gemeinsam in Eu-ropa in Infrastruktur und insbesondere in die For-schungsförderung zu investieren. Das ist ein großes Pro-jekt für Europa und für dieses Land. Darin liegt dieZukunft.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21013
Dr. Martin Lindner
(C)
(B)
Aber das lassen wir uns nicht in einen Gegensatz zurKonsolidierung der öffentlichen Haushalte stellen. Ichrede nicht von Nordrhein-Westfalen, sondern von derHauptsorge aller Menschen und Unternehmen: dass dieÜberschuldung der öffentlichen Haushalte das zentraleProblem für Wachstum und wirtschaftliches Gedeihen inEuropa ist. Die Menschen erkennen, dass die Überschul-dung der öffentlichen Haushalte die Begrenzung und dieStrangulierung jeder weiteren Entwicklung dieser Län-der ist. Wir sehen gerade in Griechenland, in welcheZinsfalle die Griechen geraten sind und wie wenig Chan-cen sie noch haben, aus dieser Falle herauszukommen.
Das ist uns Auftrag, zu Stabilität in Europa zu kommen.Dieser Verantwortung müssen insbesondere Sie ge-recht werden.
Sie, Rot und Grün, tragen eine besondere Verantwor-tung. Schröder, Fischer und Eichel: Das sind die Versa-ger zu Beginn dieses Jahrhunderts in puncto Stabilität.
Sie haben Griechenland hereingelassen. Sie haben dieStabilitätskriterien aufgeweicht. Sie stehen deswegen ineiner besonderen Verantwortung. Deswegen werden wirIhnen das keineswegs durchgehen lassen und akzeptie-ren, dass Sie sich nicht nur aus der Verantwortungschleichen, sondern auch noch mit den Populisten im In-und Ausland gemeinsame Sache machen,
um Wachstum und Stabilität in einen Gegensatz zu stel-len: zum Schaden dieses Landes, zum Schaden Deutsch-lands.Sie sind in der Pflicht, an unserer Seite mit unsererBundesregierung für einen Stabilitäts- und Fiskalpakt zustreiten. Aus dieser Pflicht entlassen wir Sie nicht. Dawerden wir Sie stellen. Sie haben hier mitzumachen,statt mit Populisten, egal wo, gemeinsame Sache zu ma-chen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat der Kollege Michael Groschek von der
SPD-Fraktion.
Herr Dr. Lindner, nachdem Herr Rösler geredet hat,habe ich mich gefragt, was sie ihm in den Tee getan ha-ben. Nachdem Sie geredet haben, frage ich mich, ob esder Tee war oder die Spätlese.
Denn eine solche Rede zu halten und den Sozialdemo-kraten und anderen Demokraten im Saal vorzuwerfen,sie seien vaterlandslose Gesellen und würden irgendwel-chen fremden Mächten dienen statt dem eigenen Volk,ist eine Unverschämtheit. Sie sollten sich dessen schä-men, Herr Dr. Lindner.
Wenn das der neue Stil ist, dann wird für die politischeKultur in diesem Haus nicht viel zu erwarten sein.Jetzt zu Ihren Vorwürfen. Zum Stichwort „Schulden“.Sparen alleine reicht nicht. Das hat nicht nur der Sogar-Sozialdemokrat Schulz, sondern auch Christine Lagardegesagt. Das hat uns gestern auch eine ganze Kollektionim Handelsblatt vorgeführt. Denn es ist natürlich richtig,dass Sparsamkeit und Sparen angesagt sind, zugleichaber auch Investieren, um zu sehen, wie man solide In-vestitionen finanzieren kann.
Deshalb wollen wir die Finanzmarkttransaktionsteuer,die Sie bislang nicht zustande bekommen haben.
Wenn wir darüber reden, wie es in Nordrhein-West-falen aussieht, dann können wir darüber reden, dass dieVorgängerregierung, die Rüttgers-FDP-Regierung, neun-mal vom Landesverfassungsgericht eine Klatsche bezo-gen hat, die letzte jetzt, weil deutlich wurde: Sie habendie Kommunen abkassiert, um auf dem Rücken derKommunen unrechtmäßig die deutsche Einheit zu finan-zieren.
Sie als FDP sollten mit dem Vorwurf, auf Pump zu le-ben, ganz vorsichtig sein. Sie lassen sich einen Teil desBundestagswahlkampfes offensichtlich auch mit Unter-stützung der Bundestagsfraktion gestalten.
Für den Rest haben Sie nach eigener Auskunft800 000 Euro Schulden gemacht, um den Wahlkampf zufinanzieren.
Wir fragen uns: Wer muss denn diesmal diese offene Ze-che für den Wahlkampf zahlen? Beim letzten Mal gab es
Metadaten/Kopzeile:
21014 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Michael Groschek
(C)
(B)
Wiedergutmachung für die Mövenpick-Spenden. Jetztfragen wir uns: Wo wird dies enden?Sie reden ständig über Investitionen und Industrie-politik. Dann sollten wir auch über die Energiepolitiksprechen. Die Energiewende ist bei Ihnen offensichtlichnicht angekommen. Eine gestaltete Energiewende könnteArbeit und Umwelt schützen sowie mehr Arbeitsplätzeschaffen. Das Gegenteil ist aber bei Ihnen der Fall.Kronzeugen Ihrerseits sind beispielsweise der Beratervon Herrn Röttgen, Friedrich Merz. Er hat noch offen-bart: Unter dieser Bundesregierung ist Planungssicher-heit ein Fremdwort. – Die fehlende Planungssicherheitstellt bei der Energiewende eine Investitionsblockadedar. Wir brauchen aber das Gegenteil. Wir brauchen keinBlockieren, sondern ein Investieren. Das sichert Per-spektiven für unser Land.
Deshalb fordern wir einen Masterplan.Es gab einen Versuch, das Gegeneinander vonRöttgen und Rösler im Kanzleramt aufzulösen. Heraus-gekommen ist nicht besonders viel.
– Bei Herrn Röttgen handelt es sich um einen Wiederho-lungsfall. Er wird grundsätzlich nicht mehr eingeladen,habe ich das Gefühl.Energieintensive Industrien sind in Deutschland eingroßer Beschäftigungs- und Umsatzfaktor: 875 000 Be-schäftigte und 300 Milliarden Euro Umsatz. Die Alumi-niumhütte in Voerde ist im Grunde ein Menetekel Ihrerverfehlten Energie- und Industriepolitik. Die Bundes-regierung verschläft die Energiewende und die notwen-dige Weichenstellung. Wir haben 2009 einen Sonderfondsfür die Aluminiumindustrie errichtet, um die indirektenCO2-Kosten abzugelten. 40 Millionen Euro für diese In-dustrie liegen blockiert da, weil Sie sich nicht darum ge-kümmert haben, dass die EU-Kommission endlichgrünes Licht für den Abruf dieser Mittel gibt.
2008 gab es die Verabredung zur Kompensation derBelastungen im Emissionshandel. Bis heute haben Siekeine EU-Lösung hinbekommen. Herr Fuchs, Sie wis-sen, dass das eine sträfliche Vernachlässigung unsererindustriepolitischen Interessen ist.Jetzt gibt es fast ein Lob für Herrn Dr. Rösler; denn erhat den Entwurf einer Verordnung auf den Weg gebracht,um eine angemessene Honorierung für zu- und abschalt-bare Lasten zu gewährleisten. Auf Deutsch formuliert:Stromfresser als Netzstabilisatoren sollen für ihre guteTat belohnt werden können. Was passiert aber? Dieser ansich vernünftige Ansatz liegt unbearbeitet auf demSchreibtisch von Herrn Dr. Röttgen. Herr Dr. Röttgenwartet seit fünf Wochen darauf, dass aus einem Neineine Alternative gemacht wird. Das mag typisch für ihnsein, darf aber nicht typisch für die Politik in Deutsch-land werden.
Letzter Punkt. Sie haben ganz nebenbei die Solarin-dustrie angesprochen und so getan, als wäre das allesSpinnerei. Wir halten die Solarindustrie mit 130 000 Be-schäftigten nicht für Spinnerei, sondern für einen wichti-gen sozialen und wirtschaftspolitischen Faktor. Deshalbverstehen wir nicht, dass Sie viermal die Rahmenbedin-gungen für die Solarindustrie geändert und für Investi-tionsunsicherheit gesorgt haben. Herr Röttgen phrasiolo-giert darüber, dass die Solarindustrie in Deutschlandkeine Zukunft habe, weil in China Dumpinglöhne an derTagesordnung seien.
Kommen Sie bitte zum Schluss.
Wenn das so ist, bitte ich Sie, in China ein Stück weit
mehr über fairen Wettbewerb zu diskutieren und dafür
zu sorgen, dass diese Zukunftsindustrie in Deutschland
nicht durch einen Federstrich unter die Räder kommt,
sondern eine Perspektive erhält.
Herr Groschek, bitte!
Wir brauchen eine Industriepolitik und keine
Deutschtümelei.
Das Wort hat jetzt der Kollege Karl Schiewerling von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LiebeKolleginnen und Kollegen! Es ist immer ein erhebendesGefühl, wenn man nach dem Generalsekretär der SPDNordrhein-Westfalens hier im Deutschen Bundestag re-den darf, Herr Groschek.
Ich darf Ihnen sagen: Das, was Sie vorgetragen haben,ist hoch spannend, es geht aber völlig daneben. Sie brau-chen uns hier im Deutschen Bundestag und auch nie-mand anderem zu erklären, wie man mit Haushalten um-zugehen hat. Es stimmt: Haushalte werden gerne vorVerfassungsgerichte gezerrt, auch in Nordrhein-Westfa-len;
aber noch nie hat eine Landesregierung eine solche Klat-sche bekommen, dass ein laufender Haushalt gestopptund verboten wurde, ihn umzusetzen. Das hat es nochnicht gegeben, Herr Groschek.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21015
Karl Schiewerling
(C)
(B)
Dafür sollten Sie sich schämen, bis in die Eiszeit.
Ich will Ihnen einen zweiten Punkt nennen: KommenSie nicht und sagen, die Bundesregierung würde Mittelaus Europa nicht abrufen. Wie viel Geld hat die nord-rhein-westfälische Landesregierung für den Ausbau derU-3-Betreuung noch nicht abgerufen? Sie ruft die Geldernicht ab, weil sie es nicht geregelt bekommt. Aber hierwerden Belehrungen erteilt. Ich halte das nicht für ange-bracht, Herr Groschek.
Ich will Ihnen noch einen dritten Punkt mit auf denWeg geben. Die Energiewende ist eine große Herausfor-derung für alle Beteiligten.
– Gar keine Frage. – Hier geht es darum, dass Bund,Länder und Kommunen vernünftig zusammenarbeiten.Keine Frage. Aber die SPD/Grünen-Regierung in Nord-rhein-Westfalen hatte 20 Monate Zeit, ihre Hausaufga-ben zu machen – und sie hat sie nicht gemacht.
Sonst wären nämlich längst entsprechende Planungsvor-haben und andere Dinge auf den Weg gebracht worden.Das ist nicht der Fall.
Wir haben allen Grund, auf das, was sich in Deutsch-land entwickelt, stolz zu sein, wir haben allen Grund, aufdie gute wirtschaftliche Entwicklung stolz zu sein. Wennich manchmal die Opposition höre, habe ich den Ein-druck, in einem falschen Film zu sein. Fahren Sie einmalnach Spanien, nach Portugal, nach Griechenland, nachIsrael, wo ich vor einigen Tagen war, oder in ein sonsti-ges Land. Die Menschen dort reiben sich verdutzt dieAugen und fragen: Worüber streiten die in Deutschlandeigentlich?
Wir haben die niedrigste Arbeitslosenquote seit 20 Jah-ren, wir haben einen Aufwuchs an Beschäftigung. Men-schen aus Portugal, Spanien, Griechenland und Italienkommen nach Deutschland, um hier Arbeit zu finden.Wie letztens festgestellt worden ist, kommen sie auchdeswegen gerne zu uns, weil auf unserem Arbeitsmarktwesentlich fairere Bedingungen herrschen als in andereneuropäischen Ländern.
Liebe Frau Kollegin Andreae, weil uns niemand lobt– Sie haben gesagt, man dürfe sich nicht selbst loben;das will ich gerne beherzigen –, will ich Folgendes sa-gen: Wir haben 41,1 Millionen Erwerbstätige – so vielewie noch nie –, wir haben 28,6 Millionen sozialversiche-rungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse – so vielewie noch nie –, und es sind 2011 718 000 neue sozialver-sicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse hinzu-gekommen, 422 000 davon in Vollzeit. Wir merken esauf dem Arbeitsmarkt, und wir merken es an den vollenSozialkassen. 2005 haben wir noch gemeinsam be-schlossen, der Deutschen Rentenversicherung ein Über-brückungsdarlehen zu geben. Heute haben wir eineRücklage von 1,5 Monatsausgaben. Das beklage ichnicht, sondern darüber freue ich mich. Das ist beruhi-gend. Die Botschaft lautet: Wenn wir eine gute Beschäf-tigungslage haben, haben wir auch volle Sozialkassenund können unsere Verantwortung wahrnehmen.
Der Punkt, über den ich mich besonders freue, ist,dass wir einen Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit ha-ben. Ich sage es frank und frei: Die Arbeitsmarktrefor-men, die unter Rot-Grün unter Assistenz der Union undder FDP über den Bundesrat gemacht worden sind, ha-ben ihre Früchte getragen. Wir stehen dazu und sagen:Ja, das war nicht angenehm, aber das war notwendig. Ichsage Ihnen voraus: Vor den Veränderungsprozessen, diewir hinter uns haben, stehen andere europäische Ländernoch.
Deswegen wundert es mich überhaupt nicht, dass inGriechenland, Spanien und anderen Ländern eine großeUnruhe ist; denn dort muss manches verändert werden.Leider hat der kleine Mann auf der Straße auszubaden,was andere politisch verbockt haben. Fehlerhafte Sys-teme haben dazu geführt, dass sich die Dinge so schlechtentwickelt haben. Ich kann nur hoffen, dass sie es ge-meinsam mit uns schaffen; denn wir brauchen ein star-kes und stabiles Europa, und wir brauchen ein gutes Mit-einander in Europa. Was wir nicht brauchen können, istein Gegeneinander-Ausspielen. Deswegen stehen wir zudem, wozu wir uns verpflichtet haben, nämlich mitzu-helfen, dass die Haushalte konsolidiert werden, dass dieSchuldenpolitik eingedämmt wird und Kräfte freigesetztwerden, damit Menschen in Europa wieder Beschäfti-gung bekommen.Der Aufschwung, den wir erlebt haben und in demwir mitten drin sind, erreicht Gott sei Dank nicht nur dieLangzeitarbeitslosen, sondern auch die Älteren.Wenn es eine Zahl gibt, die besonders gut ist, dann istes die Zahl der zusätzlich Beschäftigten unter den 55- bis60-Jährigen. Auch bei den über 60-Jährigen ist einedeutliche Zunahme der Beschäftigung festzustellen. Wirhätten es nicht für möglich gehalten, dass eine solcheEntwicklung in diesem Tempo abläuft. Darüber freuenwir uns. Wir bleiben bei den Strukturen, die wir be-schlossen haben: Rente mit 67, und wir helfen den Men-schen, in der Lage zu sein, entsprechend lange zu arbei-ten. Das hat etwas mit Solidarität in der Gesellschaft zutun. Ich hoffe, dass das, was wir gemeinsam auf den Weg
Metadaten/Kopzeile:
21016 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Karl Schiewerling
(C)
(B)
gebracht haben, jetzt seine Früchte trägt – zum Wohleder Menschen in unserem Land und in Europa.
Das Wort hat jetzt der Kollege Anton Schaaf von der
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! LieberKarl Schiewerling, es stimmt: Die nordrhein-westfäli-sche Landesregierung ist mit einem Haushalt vor demLandesverfassungsgericht gescheitert. Sicherlich hattedas auch damit zu tun, dass wir uns auf die Fahne ge-schrieben haben, die verfehlte Politik der Vorgänger-regierung in Nordrhein-Westfalen, die Kommunen zu-gunsten des Landeshaushaltes ausbluten zu lassen, zubeenden. Wir haben den Kommunen geholfen und habendafür eine Klatsche bekommen. Die Ursache dafür, dasswir den Kommunen helfen mussten, ist, dass ihr, CDUund FDP, verfassungswidrig den Kommunen das Geldaus der Tasche gezogen habt. Ihr habt das gemacht!
Dafür habt ihr eine Klatsche vom Verfassungsgericht be-kommen, und zwar zu Recht.Nun reden wir tatsächlich über Investitionen, die inden Kommunen nicht durchgeführt werden konnten.Dort fehlte real Geld, um Investitionen zu tätigen.
Stichwort Beschäftigungspolitik: Es gehört sich, Red-lichkeit zu praktizieren, und man hat nicht das Recht,sich in der Art und Weise hier aufzuregen, wie Sie es ge-tan haben.Übrigens, was die Hausaufgaben angeht: Ich verweiseauf die Rückstellungen für die WestLB und anderes, wasin der Regierungszeit von Rüttgers hätte passieren müs-sen und dennoch nicht passiert ist.
Rot-Grün in Nordrhein-Westfalen hat das dann nachho-len müssen. Das ist genau der Punkt, an dem man seinepartielle Vergesslichkeit bekämpfen sollte und seiner ei-genen Verantwortung gerecht werden sollte. Man solltesich davor nicht immer wieder drücken.
Schauen wir uns an, wie das mit der Beschäftigungist. Der Kollege Röttgen hat vor kurzem gesagt, er sei inder Lage, stante pede im Haushalt von Nordrhein-West-falen 1,6 oder 1,7 Milliarden Euro einzusparen, undzwar im Wesentlichen über Kürzungen bei Personalkos-ten und Verwaltungsausgaben. Wir, die in Nordrhein-Westfalen unterwegs sind, wissen, dass alle Vorgänger-regierungen, was die Senkung von Personalkosten an-geht, einiges getan haben. Bei den Bezirksregierungensind zum Teil nur noch 75 Prozent der Stellen besetzt. Inden Ministerien arbeitet man personalmäßig an derKante. Es gibt nur noch zwei große Blöcke, wo manmassiv Personal einsparen kann – ehrlicherweise sollteman das als die eigene Form von Beschäftigungspolitikbezeichnen –, nämlich bei der Polizei und bei den Lehre-rinnen und Lehrern. Herr Röttgen müsste sagen: Ich binbereit, weniger Personal bei der Polizei und wenigerLehrerinnen und Lehrer zu finanzieren. Wenn er einesolche Beschäftigungspolitik machen will, um so1,7 Milliarden Euro in NRW einzusparen, dann soll er essagen.
Er sollte dies öffentlich tun, aber bitte schön vor demnächsten Sonntag und nicht danach, wie man es bereitserlebt hat: Wahrheiten kommen einen Tag nach demWahlsonntag. Sich rechtzeitig zu äußern, das ist der ent-scheidende Punkt.In der gesamten Debatte ist mir nicht aufgefallen, wasSie, die Koalition, die Regierung und insbesondere Sie,Herr Minister Rösler, genau getan haben, damit wir hoheWachstumsraten und gute Beschäftigungsquoten haben.Wenn man sich schon selber loben will, indem man hiereine Aktuelle Stunde mit diesem Titel anberaumt, dannsollte man mindestens zwei oder drei Beispiele nennenkönnen, die belegen, was Sie zur Beschäftigungs- undWachstumsförderung getan haben. Nichts, gar nichts ha-ben Sie getan. Sie haben sich überhaupt nicht bewegt,und das war vielleicht auch besser so. Das ist doch derentscheidende Punkt.Was die Beschäftigungspolitik angeht, ging eben überden Ticker: Ein Regierungsmitglied, der Kollege Niebel,macht wirklich eine ordentliche Beschäftigungspolitik.Mittlerweile sind fünf von sechs Abteilungsleitern imBundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeitund Entwicklung FDP-Kollegen. Herr Niebel macht fürFDPler eine herausragende Beschäftigungspolitik.
Übrigens ist es mittlerweile so, dass sich der Perso-nalrat in diesem Ministerium von der Personalpolitik mitGrausen abwendet. Das wollte ich zum Thema Beschäf-tigungspolitik gesagt haben.
Wenn man so gute Zahlen, was Beschäftigung undWachstum angeht – diese Zahlen kann man nun wirklichnicht negieren –, aufweisen kann, dann stellt sich dieFrage: Wann, wenn nicht jetzt, investieren wir in die Re-serve, die wir tatsächlich noch haben? Ich meine Investi-tionen in die Arbeitslosen, die meistens mit Mehrfach-hemmnissen zu kämpfen haben. Wann, wenn nicht jetzt,da es gut läuft, investieren wir in diese Menschen, damit
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21017
Anton Schaaf
(C)
(B)
sie zukünftig eine Chance haben? Passiert ist bei Ihnengenau das Gegenteil: Beim Eingliederungstitel haben Siemassiv zugegriffen, um den Bundeshaushalt einigerma-ßen in den Griff zu bekommen. Das heißt, es gibt weni-ger Chancen für diejenigen Menschen, die in Langzeit-arbeitslosigkeit sind. Wann wollen Sie diese Menschendenn besonders an die Hand nehmen, wenn nicht in wirt-schaftlich guten Zeiten wie jetzt? Und Sie philosophie-ren über qualifizierte Zuwanderung!Übrigens erklärt mir auch keiner – das ist relativschwierig, finde ich –, wie man dann, wenn man aus-schließlich aufs Sparen setzt,
nicht nur national, sondern auch international, eigentlichWachstum generieren will. Das ist mir nicht erklärlich.Wir sehen doch: Da, wo ganz besonders hart gespartwerden muss – nämlich in Spanien, in Portugal, in Grie-chenland, in Italien –, geht die Wachstumsrate massivherunter. Das ergibt keine Konsolidierung, sondern dasergibt am Ende genau das, was wir jetzt leider Gottes inGriechenland erleben. Das hat etwas damit zu tun, dassSparen allein nicht ausreicht; wenn man das einfordert,muss man sich auch überlegen und aufzeigen, wie mandenn in diesen Ländern wieder ein einigermaßen großesWachstum zustande bringt, damit die Menschen über-haupt eine Chance haben.Das ist der Punkt, wo wir Sozialdemokraten sagen – dasmacht den feinen Unterschied an dieser Stelle aus –: Wirsind nicht gegen das Sparen, aber wir sind der Meinung,dass man zusätzlich auch investieren muss, damit manWachstum generiert.
Das Wort hat jetzt die Kollegin Claudia Bögel für die
FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich muss mich doch über manche Rede hiersehr wundern. Ich trage einmal eine kleine Episode ausmeinem Leben vor. Mein Sohn ist bei der deutschen Ma-rine Offiziersanwärter und war vor zwei Jahren inGhana. Als er wiederkam, sagte er mir: Mama, seitdemich gesehen habe, wie es in Ghana zugeht, wie die Men-schen dort in den Müllcontainern der deutschen Marinenach Essbarem suchen, widert mich das Stöhnen inDeutschland an.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, stöhnen kräftigmit getreu dem Motto „Only bad news are good news“.Selbst die Konjunkturprognose ist Ihnen noch nicht gutgenug. Dabei hätten Sie sich während Ihrer Regierungs-verantwortung solche Zahlen gewünscht.
Ich möchte hier einmal an Ihre Verantwortung appel-lieren; denn Sie wissen ganz genau: Das Gegenteil istder Fall. Die deutsche Wirtschaft wächst, sie ist robust,und unser Land steht gut da – im internationalen Ver-gleich und auch ganz für sich genommen.
Für Europa sind wir nach wie vor der Stabilitätsankerund der Wachstumsmotor. Das ist eine gute Nachricht.Sie sollte uns anspornen, alles daranzusetzen, dass diesso bleibt. In einigen Zeitungen gibt es am Ende eine Ru-brik: Zum Schluss kommt jetzt etwas Gutes. – Wir habendafür gesorgt, dass die guten Nachrichten auf der erstenSeite stehen.
Mein besonderes Augenmerk als mittelstandspoliti-sche Sprecherin unserer Fraktion liegt auf dem Wachs-tumstreiber unserer Wirtschaft, dem Mittelstand; davonwar eben schon mehrfach die Rede. Der Mittelstandsteht wie kein anderer für den Erfolg der deutschen Wirt-schaft. Auch weltweit gilt er als Vorbild. In Frankreichzum Beispiel ist „le Mittelstand allemand“ ein festste-hender Begriff für ökonomische Potenziale. Mittelstän-dische Unternehmen haben mit Fleiß, Erfindergeist undsozial verantwortlichem Handeln wesentlich zu der posi-tiven Entwicklung beigetragen.
Natürlich ging auch am Mittelstand die Finanzkrisemit all ihren Auswirkungen nicht spurlos vorbei, aberman hat Lehren aus der Krise gezogen. Viele Unterneh-men haben ihre Eigenkapitalquote angehoben und sindsomit nicht mehr von Kapitalgebern am Markt abhängig.Der Mittelstand bedient sich eines erfolgreichen Krisen-managements.Die Bundesregierung hat die richtigen Impulse fürdas Erreichen einer stabilen wirtschaftlichen Situationgesetzt. Schon zu Beginn der Legislaturperiode habenwir durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz 24 Mil-liarden Euro Steuerersparnis erreicht.
Die Initiative der Bundesregierung „Auf den Mittelstandsetzen: Verantwortung stärken – Freiräume erweitern“greift die Impulse aus der Wirtschaft in den Bereichen„Fachkräfte“, „Innovationen“, „Gründungen und Unter-nehmensnachfolgen“, „Marktchancen im Ausland“, „Fi-nanzierung“, „Energie- und Ressourceneffizienz“ sowie„Bürokratieabbau“ auf und setzt genau hier bei der Ver-besserung der Rahmenbedingungen an.Aus dieser Fülle an Themen möchte ich nur kurz ei-nige Schwerpunkte herausgreifen:Stichwort „Innovationen“. Viele mittelständische Un-ternehmen sind so innovativ wie keine anderen Unterneh-
Metadaten/Kopzeile:
21018 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
Claudia Bögel
(C)
(B)
men. Sie sorgen dank ihrer hohen Kreativität und ihrerFähigkeit zur Anpassung an veränderte Marktlagen fürWachstum und intensiven Wettbewerb. Rund 130 000 in-novative kleine und mittlere Unternehmen bringen jedesJahr neue Produkte und Dienstleistungen auf den Markt.Deutschland ist nach wie vor Innovationseuropameistervor Frankreich und der Schweiz. Um uns diesen Meis-tertitel zu sichern, muss es den mittelständischen Unter-nehmen ohne Einschränkung möglich sein, ihr Ent-wicklungs- und Innovationspotenzial frei zu entfalten.Subventionen sind Innovationskiller.
Stichwort Marktchancen im Ausland. Der Mittelstandhat mit über 300 000 Exporteuren einen wesentlichenAnteil an der hohen internationalen Wettbewerbsfähig-keit der deutschen Wirtschaft. Viele davon sind HiddenChampions, mittelständische Unternehmen, die weltweitWeltmarktführer sind, aber keine große Aufmerksamkeitgenießen. Nach wie vor gibt es jedoch zahlreiche Hin-dernisse bei der Ausfuhr von Waren und bei Direktinves-titionen. Wir werden deshalb unter anderem Handels-hemmnisse weiter abbauen.Stichwort Unternehmensfinanzierung. Ein Kern-thema liberaler Wirtschaftspolitik ist die Unternehmens-finanzierung als Grundvoraussetzung für weiteresWachstum. Daher legen wir unser spezielles Augenmerkauf die Kreditversorgung des Mittelstandes. Wir setzenuns dafür ein, dass die Mittelstandsfinanzierung ein at-traktives Geschäftsfeld für die Banken bleibt, gerade imHinblick auf Basel III. Wir werben verstärkt um Busi-ness Angels in Deutschland, die ihr Kapital, aber auchihr unternehmerisches Know-how und ihre Netzwerkeinnovativen Gründern zur Verfügung stellen.Eine weitere wichtige Grundvoraussetzung für wirt-schaftliche Erfolge im Mittelstand – dies ist ein weiteresStichwort – ist die Energie- und Materialeffizienz. Hierbesteht dringender Handlungsbedarf. Denn angesichtsder zunehmenden weltweiten Konkurrenz um Rohstoffegewinnt das Thema für viele Mittelständler immer stär-ker an Bedeutung. Energie muss bezahlbar bleiben, da-mit auch die Arbeitsplätze in Deutschland bleiben.Liebe Kolleginnen und Kollegen, der Mittelstand istder Garant für einen nachhaltigen Aufschwung. SeineLeistungs- und Innovationskraft ist für uns alle unver-zichtbar. Es gibt viele Themen, bei denen wir entspre-chend gehandelt haben: Wir haben die Erbschaftsteuerkrisenfest und mittelstandsfreundlich ausgestaltet.
Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss.
Wir haben in der Unternehmensteuerreform krisen-
verschärfende Regelungen beseitigt. Wir haben den Un-
ternehmen zusätzliche Liquidität verschafft und sie von
Steuerbürokratie befreit. Wir haben die Fortführung von
Unternehmen im Insolvenzfall erleichtert.
Ich könnte hier noch viele, viele Dinge aufführen,
aber zum Schluss nur noch eines: Die Konjunkturpro-
gnose ist gut, die Wirtschaft brummt. Und wer hat’s ge-
macht? Wir haben’s gemacht!
Vielen Dank.
Das Wort hat jetzt der Kollege Max Straubinger von
der CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Werte Kolleginnen und Kollegen!Diese Bundesregierung sowie CDU/CSU und FDP kön-nen auf eine erfolgreiche Arbeit zurückblicken. Wir ha-ben die seit langem niedrigste Arbeitslosigkeit – KollegeSchiewerling hat das bereits dargestellt – und vor allenDingen weiterhin ein kräftiges Wirtschaftswachstum,obwohl die Weltwirtschaft eine kritische Phase durchlebtund insbesondere Europa unter der Schuldenkrise man-cher Länder durchaus stöhnt.All das zeigt sehr deutlich: Deutschland ist dieWachstumslokomotive in Europa und vor allen Dingenauch der Stabilitätsanker in Europa dank unserer Bun-deskanzlerin Angela Merkel, aber darüber hinaus auchdank einer verlässlichen Politik, die wir für die Men-schen in unserem Land und in Europa betreiben.
Verehrte Damen und Herren, es ist auch mitentschei-dend, dass weiterhin Akzente für positives Wachstumgesetzt werden.
Positives Wachstum kann man nur erreichen, indem dieBürgerinnen und Bürger entlastet und nicht zusätzlichbelastet werden.
Darin liegt der große Unterschied zwischen den Regie-rungsfraktionen und der Opposition in diesem Hause.
Wir haben zu Beginn dieser Legislaturperiode dieBürgerinnen und Bürger kräftig entlastet; die Maßnah-men hatten einen Umfang von 26 Milliarden Euro, in-klusive der Erhöhung des Kindergeldes, die wir durch-geführt haben, um damit die Familien in unserem Landzu stärken. Auch wenn Sie über die Verringerung derMehrwertsteuer für Übernachtungen in Hotels lächeln,ist festzuhalten, dass das zu kräftigen Investitionen imGastronomiegewerbe und in Hotelbetrieben geführt hat.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21019
Max Straubinger
(C)
(B)
Ich bin Vertreter eines Wahlkreises, in dem es großar-tige Kuranlagen gibt. Die Hotelbesitzer haben kräftig in-vestiert, sind dadurch weiterhin wettbewerbsfähig undkönnen bessere Angebote für die Menschen und derenGesundheit zur Verfügung stellen.
Kollege Schiewerling hat darauf hingewiesen, dasswir 2005 über 5 Millionen Arbeitslose zu verzeichnenhatten und dass deshalb unter Gerhard Schröder ein Um-denken einsetzte. Es wurde nach Reformen im Sozialbe-reich und darüber hinaus nach einer Entlastung der Bür-gerinnen und Bürger gerufen. Das war letztendlich miteine Grundlage dafür, dass es wirtschaftlich wieder auf-wärtsgegangen ist. Das wurde in der Großen Koalitionund jetzt in der bürgerlich-christlich-liberalen Koalitionmit den nachfolgenden Beschlüssen fortgesetzt.Aber was Sie in den Oppositionsfraktionen jetzt be-treiben, insbesondere Sie von SPD und Grünen, ist eineRückabwicklungspolitik, mit der Sie sich bei den Men-schen anbiedern wollen.
Sie wollen die Rente mit 67 zurücknehmen, die unbe-dingt notwendig ist, auch unter dem Gesichtspunkt desDemografiewandels und der dadurch entstehenden Be-lastung der Bürgerinnen und Bürger. Sie wollen den Ar-beitslosengeldbezug wieder verlängern. Dadurch habendie Menschen weniger Vermittlungschancen, was letzt-lich eine Verlängerung der Arbeitslosigkeit bedeutet. Siewollen den Zusammenhang zwischen Fordern und För-dern wieder aufheben,
indem Sie die Sanktionen in unseren Hartz-IV-Reformenschlechtreden. Meines Erachtens ist es aber notwendig,dass Menschen ohne Arbeit versuchen müssen, eine Ar-beit aufzunehmen. Damit leisten sie ihren Beitrag füreine gute wirtschaftliche Entwicklung. Das ist ganz ent-scheidend.Sie alle predigen mittlerweile unisono,
dass wir wieder Steuererhöhungen benötigen.
Die Linken haben sich jetzt an den französischen Linkenorientiert, die eine sogenannte Millionärsteuer von75 Prozent fordern. Ich bin überzeugt, dass dies ein Pro-gramm ist, mit dem die Unternehmerinnen und Unterneh-mer und die Reichen in die Schweiz getrieben werden.Nach den aktuellen Meldungen in den Tageszeitungenstehen die französischen Gutverdienenden mittlerweile inder Schweiz Schlange.
Das zeigt deutlich, dass Sie es letztendlich nicht schaf-fen, ein gutes Programm zustande zu bringen.Anton Schaaf hat sich mit Nordrhein-Westfalen be-schäftigt.
Es ist schon bedeutsam, nochmals herauszustellen, dassSie dort einen verfassungswidrigen Haushalt verabschie-det haben und dass im neuen Haushalt die Rückstellun-gen für die WestLB gar nicht vorhanden waren. Abgese-hen davon, lieber Kollege Schaaf: Die WestLB warschon pleite, bevor Rüttgers seine Regierungstätigkeitbegonnen hat. Man hatte es vielleicht noch nicht ge-merkt; das muss man dabei auch sehen.
Wenn Sie sagen, dass die Kommunen in Nordrhein-Westfalen nicht mehr leistungsfähig sind, dann müssenSie schon unterscheiden: Die Stadt Düsseldorf ist leis-tungsfähig aufgrund der guten Arbeit des BürgermeistersHerrn Erwin, der hier eine Privatisierungspolitik betrie-ben und die Stadt entschuldet hat. Andere Städte wieOberhausen haben gedacht, sie müssten noch zusätzlicheKraftwerke kaufen, und haben nun kein Geld mehr fürKitaplätze. Es hat auch damit zu tun, welche Prioritätenin Haushalten gesetzt werden. Auch daran muss mandenken, wenn gejammert wird: Wir haben kein Geld. Siehaben in Nordrhein-Westfalen die falschen Prioritätengesetzt.
Deshalb werden Sie am Sonntag auch keine Mehrheitbekommen für eine solch liederliche Politik, wie Sie siedort betrieben haben und auch weiterhin betreiben wür-den.Anzumerken ist auch noch: Unter Rüttgers wurden8 000 neue Lehrerstellen geschaffen, wobei gleichzeitigdie Anzahl der Stellen im gesamten öffentlichen Dienstum 1 600 Stellen verringert worden ist. Sie wollen sozu-sagen ein Gegenprogramm auf den Weg bringen. Dassind die klaren Unterschiede: Wir haben zukunftswei-sende Konzepte, die für mehr Beschäftigung für dieMenschen und mehr soziale Sicherheit sorgen –
Herr Kollege Straubinger.
– und damit bessere Zukunftschancen für Junge undAlte in unserer Gesellschaft schaffen. In diesem Sinnebin ich überzeugt, dass wir die Unterstützung der Bürge-rinnen und Bürger auch weiterhin erhalten werden.Danke schön für die Aufmerksamkeit.
Metadaten/Kopzeile:
21020 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
(C)
(B)
Das Wort hat jetzt der Kollege Heinrich Kolb von der
FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Esgab in diesem Hause Zeiten, in denen die linke Opposi-tion der Meinung war, Wachstum sei etwas Verzicht-bares, die Grenzen des Wachstums, so die Grünen, seienerreicht. Es sei allenfalls eine Randgröße. Ich freuemich, dass heute Konsens in diesem Hause besteht, dassWachstum wichtig ist. Dafür gibt es mehrere Gründe:Wachstum ist wichtig, weil es einen Beitrag dazu leistet,die Haushalte der Staaten zu konsolidieren. Wachstumist auch deshalb wichtig, weil es Arbeitsplätze schafft.Das wirkt zusammen. Das habe ich Ihnen in der Vergan-genheit immer gesagt, ohne dass Sie mir geglaubt haben.
– Herr Strengmann-Kuhn, ich merke, Sie zweifeln auchheute noch. Aber es muss doch auch Ihnen einleuchten:Wenn weniger Menschen auf staatliche Transfers ange-wiesen sind und wenn gleichzeitig mehr Menschendurch eigene Arbeit über Steuern einen Beitrag zumGemeinwesen leisten, dann ist das der Weg zu einemsoliden Staat. Das ist der Weg, den wir in den letztenbeiden Jahren beschritten haben.
Deswegen wollen wir auch weiter Wachstum schaf-fen. Ich bin hier mit Michael Fuchs einer Meinung. Ichsteige in die Wette ein. Ich verstehe, dass der Bundes-wirtschaftsminister sehr vorsichtig ans Werk geht undsagt: 0,7 Prozent Wachstum in diesem Jahr, 1,6 ProzentWachstum im nächsten Jahr; das sind meine Zahlen.
Aber ich bin mit Michael Fuchs der Meinung: Wir wer-den besser sein. Wir werden in diesem Jahr 0,9 Prozentund im Jahr 2013 2 Prozent erreichen können. Das istnicht nur die Meinung von Fuchs und Kolb, sondern dassagen auch die führenden Wirtschaftsforschungsinstitutein diesem Land.
Dieses Wachstum zahlt sich aus. Es zahlt sich zumBeispiel für die Rentner aus. Die 20 Millionen Rentnerin diesem Land bekommen zum 1. Juli dieses Jahres eineansehnliche Rentenerhöhung. Obwohl wir die Renten-beiträge zum 1. Januar 2013 voraussichtlich deutlichabsenken werden, werden die Rentenerhöhungen auchim nächsten Jahr für die Menschen respektabel und deut-lich höher ausfallen, weil wir mittlerweile die Kürzungs-faktoren, Restanten aus früheren Regierungszeiten, ab-gearbeitet haben. Die Rentner können darauf hoffen,dass sie in Zukunft noch stärker am Wachstum beteiligtwerden.Wir tun aber auch etwas für die jungen Menschen indiesem Land. Die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland– das kann man nicht oft genug betonen – liegt bei5,7 Prozent. Das ist eine europäische Spitzenposition,die wir auch wahren und verteidigen wollen. Es gibt guteGründe dafür, warum wir so stark sind: das duale Aus-bildungssystem in Deutschland und die Flexibilität amArbeitsmarkt. Ich sage Ihnen: Befristungen mögen imEinzelfall zwar ein Ärgernis sein, aber sie helfen jungenMenschen beim Eintritt in den Arbeitsmarkt, und sieverhindern, dass man nach der Ausbildung den An-schluss an die Arbeitswelt auf Dauer verliert. Deswegenwarne ich davor, überzureagieren.Das gilt auch bei dem Thema Mindestlohn. Sie wis-sen, dass gerade junge Menschen noch nicht so produk-tiv sind wie ältere. Deshalb könnten sie besonders be-troffen sein, wenn man einen Mindestlohn einführt.Denken Sie bitte in Zusammenhängen. Das Ganze wirktmiteinander. Dann werden sie auch besser verstehen,warum wir die Politik machen, die wir machen. Es isteine Politik, die den Menschen dient, die im Interesseder Menschen liegt. Das ist etwas, was zunehmend deut-licher erkannt wird.Übrigens – das will ich sehr deutlich sagen –: DieEntwicklung der Arbeitslosigkeit – Herr Schiewerlinghat zu Recht darauf hingewiesen – ist für diese Regie-rung eine Erfolgsstory ohne Beispiel. Man muss aberdarauf hinweisen, dass das Land Nordrhein-Westfalenden geringsten Rückgang der Arbeitslosigkeit aller west-deutschen Bundesländer hat.
Wenn man den Kreis auf ganz Deutschland erweitert,dann muss man sagen: Es ist sogar der zweitniedrigsteRückgang insgesamt. Nur in Sachsen-Anhalt ist derRückgang der Arbeitslosigkeit noch geringer gewesenals in Nordrhein-Westfalen.Ich bin der Meinung, dass solche Ergebnisse und sol-che Zahlen – Frau Andreae, Sie haben gesagt: Zahlen,Zahlen, Zahlen – ein Ausweis von Leistung sind. Wirhaben Leistungen erbracht und brauchen uns gerade mitBlick auf das, was in den letzten zwei Jahren in Nord-rhein-Westfalen unter Ihrer Regierung passiert ist, nichtzu verstecken. Ihre Politik in Nordrhein-Westfalen waroffensichtlich nicht im Interesse dieses Landes. Deswe-gen ist es gut, dass die Menschen am Wochenende dieChance haben, in diesem Land darüber abzustimmen,
wer in Zukunft Rahmenbedingungen für mehr Wachs-tum, mehr Arbeitsplätze und im Ergebnis höhere Löhneund Renten schaffen kann.Danke für Ihre Aufmerksamkeit.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012 21021
(C)
(B)
Als letzter Rednerin in dieser Aktuellen Stunde erteile
ich das Wort der Kollegin Lena Strothmann von der
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir habenin der Aktuellen Stunde schon über viele Themengesprochen, nur über das Handwerk wurde noch nichtgeredet.Das Handwerk in Deutschland hat wieder goldenenBoden. Im Jahr 2011 stieg der Umsatz um 7,1 Prozent.Das Handwerk hatte mit 5 Prozent gerechnet, und dieseZahl wäre schon sensationell gewesen. Erreicht wurdenüber 7 Prozent, und wir konnten 25 000 neue Arbeits-plätze schaffen.
In diesem Jahr wird die deutsche Wirtschaft weiterzulegen. Wir alle kennen die Prognosen. Auch hier wirddas Handwerk mit einem Wachstum von 1,5 Prozentwieder vorne liegen. Wenn ich die Berichte aus den Be-trieben richtig verstehe, dann gehe ich davon aus, dassdas Wachstum sogar noch höher ausfallen kann.Handwerk und Mittelstand sind die tragenden Säulender deutschen Wirtschaft. Insbesondere das Handwerkschreibt in den letzten beiden Jahren eine wahre Erfolgs-story. Ich kann mich an Zeiten erinnern, in denen dasanders war. Über 5 Millionen Menschen sind heute inunseren Handwerksbetrieben beschäftigt. Der Umsatzbeträgt bundesweit mehr als 450 Milliarden Euro. Wennich mit meinen Kollegen aus den Nachbarländern spre-che, dann fragen die mich häufig: Wie macht ihr daseigentlich?Natürlich ist die Konjunktur in den einzelnen Bran-chen und Gewerken unterschiedlich. Der Höhenflug imdeutschen Handwerk gelingt dank der guten Lage in denBau- und Ausbaugewerken, die fast 40 Prozent desHandwerks ausmachen. Es gibt derzeit eine hohe Nach-frage nach Bauleistungen. Diese Nachfrage sorgt fürvolle Auftragsbücher und ist ein Jobmotor. Das war vieleJahre lang anders.Auch die Ausbaugewerke berichten von einer gutenGeschäftslage. Hier spielen besonders die Investitionenin die energetische Gebäudesanierung eine Rolle. Wiralle wissen: Die Gebäudesanierung bietet mit Abstanddas größte Potenzial bei der Energieeinsparung. Deshalbwar es wichtig, dass es bei den 1,5 Milliarden Euro fürdas Gebäudesanierungsprogramm bleibt. Wir haben da-mit ein richtiges Signal gesetzt, nämlich „Nicht reden,sondern handeln“.
Auch Sie sollten jetzt handeln, meine Damen undHerren von Rot-Grün. Bewegen Sie sich im Bundesratbei der steuerlichen Förderung der Gebäudesanierung.Die Menschen erwarten das. Viele planen Sanierungenihrer Häuser, und nicht jeder will mithilfe eines KfW-Kredits sanieren. Viele zögern, weil sie noch auf diesteuerliche Förderung warten. Die Menschen in unseremLande wollen Planungssicherheit. Ich habe im Übrigenauch noch nicht gehört, wie Frau Kraft den Menschenund dem Handwerk in NRW ihre ablehnende Haltung imBundesrat erklären will.
Das zweite Jahr in Folge ist die Binnenkonjunktur fürden wirtschaftlichen Boom in Deutschland verantwort-lich. Nachdem in den letzten Jahren nur die handwerk-lichen Zulieferer für die Industrie vom Export profitier-ten, profitiert nun das Gesamthandwerk von einer gutenBinnenkonjunktur. Das kann so weitergehen.Damit den Menschen mehr Geld von ihren Lohnerhö-hungen und von der Bezahlung ihrer Überstunden bleibt,ist der Abbau der kalten Progression für uns unverzicht-bar.
Das sind keine Steuergeschenke. Hierzu haben wir kon-krete Maßnahmen verabschiedet. Das haben wir im Ko-alitionsvertrag verabredet, und wir haben es eingelöst.Auch hier muss jetzt der Bundesrat liefern.Damit der Aufschwung sich weiter verstetigt, brau-chen wir gut ausgebildete Fachkräfte in unserem Land.Im Handwerk ist der Mangel an Fachkräften bereitsspürbar. Ich war in den letzten Wochen in verschiedenenBetrieben unterwegs und konnte erfahren: In vielenBranchen fehlen schon junge Leute. Der Markt ist prak-tisch leergefegt. Deshalb brauchen wir junge Menschen,die wir zu Fachkräften ausbilden. Schon im letzten Jahrkonnten 10 000 Lehrstellen im Handwerk nicht besetztwerden. Deshalb werben wir intensiv um den jungenNachwuchs. Wir brauchen die jungen Leute als Fach-kräfte, für Führungspositionen, als Betriebsgründer undauch für Betriebsübernahmen. Das Handwerk bietetneben dem klassischen Ausbildungsweg – Lehrling,Geselle, Meister – jedem jungen Menschen eine indivi-duelle Karrierechance in 130 Berufen. Da ist sicher auchetwas für Realschüler und Gymnasiasten dabei.Ich fasse zusammen. Wir haben ein stabiles Wirt-schaftswachstum, und das verdanken wir zum großenTeil unseren Betrieben und ihren engagierten Mitarbei-tern. Eine weitere Voraussetzung dafür, dass es so bleibt,ist eine gute Fachkräftebasis, und zwar in allen Regio-nen, vor allem in den ländlichen Räumen, wo sich derdemografische Wandel besonders bemerkbar macht.Wenn hier Bäcker, Fleischer und Elektriker erst einmalschließen, dann gibt es keine Nahversorgung, keineArbeitsplätze und keine Ausbildungsplätze mehr. Damitgeht die Attraktivität verloren. Deshalb müssen wir unsin diesen Regionen besonders für gute Standortbedin-gungen für Handwerk, Mittelstand und Landwirtschafteinsetzen. Daran arbeiten wir im Augenblick.Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Metadaten/Kopzeile:
21022 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 177. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 9. Mai 2012
(C)
(B)
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 10. Mai 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.