Gesamtes Protokol
Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz, liebeKolleginnen und Kollegen.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Nationales Reformpro-gramm 2012.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister für Wirtschaft und Technologie,Herr Dr. Philipp Rösler. Bitte, Herr Minister.Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie:Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine sehr verehr-ten Damen und Herren Abgeordnete! Vielen Dank fürIhre Präsenz.
Das Bundeskabinett hat heute das Nationale Reform-programm 2012 beschlossen. Es reiht sich in die Aufga-ben im Rahmen des Europäischen Semesters ein.Es ist eine Erfolgsbilanz der Menschen in Deutsch-land und eine Erfolgsbilanz der wirtschaftlichen Leis-tungsfähigkeit unseres Landes. Damit ist es ein Stückweit das Ergebnis einer erfolgreichen Regierungsarbeitim Jahre 2011; denn nicht nur die Prognose für 2012fließt dort ein, sondern auch die Umsetzung der Vorga-ben aus dem Jahr 2011.Das Programm ruht auf breiten Schultern. Verbände,Sozialpartner und auch die Länder waren beteiligt. Nachdem heutigen Beschluss wurde es umgehend dem Parla-ment, dem Bundestag und auch dem Bundesrat zugelei-tet. Es ist geplant, das Nationale Reformprogramm dannam 13. April der Europäischen Kommission vorzulegen.Bei diesem Programm muss man feststellen, dassDeutschland nach wie vor der Stabilitätsanker in der Eu-ropäischen Union ist. Wir leisten einen guten Beitrag zurStabilität der wirtschaftlichen Verhältnisse im gemeinsa-men Europa. Die Wachstumsprojektion für das Jahr2012 liegt bei 0,7 Prozent. Diese Wachstumszahl istdeutlich größer als die Wachstumszahlen der meisten an-deren Länder in Europa, und sie liegt damit auch weitüber dem Schnitt. Wir leisten somit nicht nur einen Bei-trag für den Wohlstand in unserem Land, sondern auchfür den der europäischen Partner; denn sie profitierenvon dem Wachstum in unserem Lande.Bei der Strategie „Europa 2020“ sind wir – auch daszeigt das Nationale Reformprogramm – sehr erfolgreich.Beispielsweise wurde die Beschäftigungsquote von75 Prozent, die eigentlich erst für das Jahr 2020 geplantwar, fast schon im Jahr 2010 erreicht.Wir investieren weiter in Bildung, Forschung undTechnologie. Hier beträgt die Investitionsquote 2,82 Pro-zent. Vorgesehen ist im Rahmen der Strategie „Eu-ropa 2020“ ein Anteil von 3 Prozent im Jahr 2020.Trotz der Investitionen in Bildung und Forschung ge-lingt es auf der anderen Seite, die Haushalte weiter zukonsolidieren. Wir liegen weit unterhalb der Vorgabender Schuldenbremse. Aufgrund des guten Wachstumswird es auch in den nächsten Jahren gelingen, die Netto-kreditaufnahme mehr zu reduzieren als nach der mittel-fristigen Finanzplanung der Vorjahre vorgesehen. Wirwollen auf diesem Weg weitergehen. Diese Erfolge zei-gen, dass wir Vorbild für ganz Europa sein können. Wirhaben beispielsweise die Defizitvorgabe in Höhe von1 Prozent schon im letzten Jahr erreicht. Diese Vorgabemüssen alle europäischen Partner in den nächsten zweiJahren erfüllen.Wir wollen aber nicht stehen bleiben; daher haben wirein ehrgeiziges Aktionsprogramm für das Jahr 2012 auf-gelegt. Wir wollen bei der Erleichterung der qualifizier-ten Zuwanderung voranschreiten. Wir wollen Reformenbei der Technologieförderung, beispielsweise durchmehr Wagniskapital. Wir wollen die Vorbildfunktion, diewir mit dem Nationalen Reformprogramm 2012 doku-mentieren, in diesem Jahr und in den nächsten Jahren aufeuropäischer Ebene fortsetzen, um unseren Beitrag fürein stabiles, gemeinsames, starkes, auch wirtschaftlichstarkes Europa zu leisten.Vielen Dank.
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19804 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
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Danke, Herr Bundesminister. – Ich bitte, zunächst
Fragen zu dem Themenbereich zu stellen, über den so-
eben berichtet wurde.
Das Wort hat der Kollege Cajus Julius Caesar. Bitte.
Frau Präsidentin! Herr Minister! Verehrte Kollegin-
nen und Kollegen! Ich denke, Reformen bedeuten zum
einen, die Vergangenheit zur Kenntnis zu nehmen und zu
analysieren, und zum anderen, auf die Zukunft ausge-
richtet zu fragen: Wie können wir erfolgreich sein? Herr
Minister, teilen Sie meine Auffassung, dass es der Bun-
desregierung ein wichtiges Anliegen ist, bei den Refor-
men den Bürokratieabbau an vorderster Stelle zu sehen
und beispielsweise mithilfe von Normenkontrollrat und
Experten den eingeschlagenen Weg weiterzugehen? Wir
haben uns vorgenommen, 25 Prozent der Meldeformula-
rien ad acta zu legen, wenn ich das so formulieren darf.
Wir sind uns, glaube ich, darüber einig, dass die Bundes-
regierung hier auf dem richtigen Weg ist.
Könnten Sie mir außerdem erläutern, wie dieser Weg
beschritten werden soll?
Bitte, Herr Minister.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
vielen Dank für den Hinweis. In der Tat: Wachstums-
kräfte werden wir nur dann freisetzen können, wenn wir
gerade diejenigen, die Wachstum möglich machen und
die Leistung zeigen – die Unternehmerinnen und Unter-
nehmer in unserem Lande –, von unnötiger Bürokratie
befreien.
Es ist das Ziel, auch mit Unterstützung des Normen-
kontrollrates, Bürokratielasten zu reduzieren. Das ist ge-
lungen, unter anderem durch die Nichteinführung des
großen Programmes ELENA im letzten Jahr. Dies wurde
vor allem vom Mittelstand immer wieder gefordert, weil
man Sorge hatte, durch dieses neue Verfahren in hohem
Maße mit neuen bürokratischen Aufgaben belastet zu
werden.
Wir wollen auf diesem Weg voranschreiten, weil die
Unternehmerinnen und Unternehmer durch weniger Bü-
rokratie wieder mehr Zeit für die Ziele haben, deretwe-
gen sie sich ursprünglich einmal selbstständig gemacht
haben, nämlich um zu arbeiten, Geld zu verdienen sowie
neue Arbeits- und Ausbildungsplätze zu schaffen.
Es stehen konkrete Diskussionen an, zum Beispiel
zum Thema E-Bilanz. Dabei geht es darum, ein Verfah-
ren der elektronischen Datenübertragung von den Unter-
nehmen zu den Finanzämtern zu etablieren, und zwar
mit dem Ziel, Bürokratie abzubauen. Wir müssen das
Augenmerk darauf legen, dieses Ziel so konsequent an-
zustreben, wie wir uns das als Regierungskoalition vor-
genommen haben.
Die nächste Frage stellt der Kollege Manfred Nink.
Schönen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister,
stimmen Sie mir zu, dass im grenzüberschreitenden
Handel die Außenbilanzdefizite der einen Staaten zu-
gleich den Außenbilanzüberschuss anderer Staaten, bei-
spielsweise Deutschlands, darstellen? Wenn ja: Warum
ist vor dem Hintergrund der Forderung der Bundesregie-
rung an die Bilanzdefizitländer, zu sparen, ihre Wettbe-
werbsfähigkeit zu erhöhen und die Außenhandelsbilanz
ins Reine zu bringen, der Saldo der Leistungsbilanz, so
wörtlich im Entwurf, keine politische Zielgröße der
Bundesregierung, mit der angestrebt wird, die von der
EU geforderten makroökonomischen Ungleichgewichte
einzugrenzen bzw. zu beseitigen?
Bitte, Herr Minister.Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie:Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter HerrAbgeordneter, ich will für die Bundesregierung aus-drücklich festhalten: Wir halten unsere Leistungsbilanz-überschüsse für sehr positiv. Diese helfen auch unsereneuropäischen Partnern; denn in unseren Exporten stecktein großer Importanteil, um die 42 Prozent. Das heißt,unsere Exporte stärken unsere europäischen Partner ins-gesamt.Im Übrigen ist die Sache mit den Leistungsbilanzeninnerhalb der Euro-Gruppe mit Sicherheit kein Nullsum-menspiel. Ich glaube, es ist gut, wenn jedes Land daranarbeitet, möglichst stark zu sein und seine Wettbewerbs-fähigkeit zu verbessern. Dessen Ausdruck sind für unsdie guten Leistungsbilanzüberschüsse.Wenn wir unsere Forderungen an unsere europäischenPartner, gerade an die Programmländer, darauf reduzie-ren würden, die Haushalte zu konsolidieren und nichtlangfristig daran zu arbeiten, zu Überschüssen zu kom-men, wie wir sie erzielen, dann wäre das falsch. Wir for-dern, zunächst einmal die Hauptursache der Krise, dieVerschuldung, in den Griff zu bekommen. Deshalb gibtes die harten Sparvorgaben, die Sparmaßnahmen und dieForderung, die Schuldenbremse in die jeweiligen natio-nalstaatlichen Verfassungen aufzunehmen.Auf der anderen Seite wollen wir aber auch die Wett-bewerbsfähigkeit stärken. Wenn das am Ende gelingt,wird man das, wie in Deutschland, anhand der Leis-tungsbilanzen feststellen können. Genau wie bei unswird dann der Leistungsbilanzüberschuss ein Zeichender guten Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in demjeweiligen Mitgliedsland sein. Wir konzentrieren unsalso auf beides: auf harte Sparvorgaben, aber auch aufImpulse für Wachstum in sämtlichen europäischen Pro-grammländern.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19805
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Danke, Herr Minister. – Die nächste Frage stellt die
Kollegin Kerstin Griese.
Lieber Herr Minister, bevor ich gleich eine Frage zu
den Inhalten des Nationalen Reformprogramms stelle,
will ich Ihnen eine Frage zur Erstellung des Nationalen
Reformprogramms stellen. Die Idee der Strategie „Eu-
ropa 2020“ ist, dass die Regierung nicht alles allein
macht, sondern auf die Kooperation mit Sozialverbän-
den, kommunalen Spitzenverbänden usw. angewiesen
ist. Deshalb sind Sie mit ihnen regelmäßig im Gespräch.
Es gab auch Vereinbarungen, dass diese Spitzenver-
bände an der Erstellung des Nationalen Reformpro-
gramms beteiligt werden. Warum haben Sie ihnen dann
bloß zwei Tage Zeit gegeben, um Stellung zu nehmen?
Ich darf mit Erlaubnis der Präsidentin einmal aus dem
Schreiben der Bundesvereinigung der kommunalen Spit-
zenverbände zitieren: Sie schreiben wörtlich, die sehr
kurze Frist sei „äußerst ärgerlich“. Dem Deutschen Ver-
ein haben Sie zwei Tage Zeit gegeben, den kommunalen
Spitzenverbänden einen Tag. So stelle ich mir die Zu-
sammenarbeit mit den Spitzenverbänden nicht vor. Das
ist auch nicht im Sinne der Strategie „Europa 2020“. Mit
meiner Frage ist natürlich der Appell verbunden, das in
Zukunft anders zu machen.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Sehr verehrte Frau Abgeordnete, ich habe eingangs
erläutert, dass gerade dieses Nationale Reformprogramm
auf breiter Basis beruht, dass wir dieses Programm mit
allen betroffenen Verbänden und Organisationen, insbe-
sondere mit den Sozialpartnern, besprochen und disku-
tiert haben. Offenbar war die Frist für die schriftliche
Stellungnahme vergleichsweise kurz; das gibt jedenfalls
der Brief wieder, den Sie zitiert haben.
Die umfangreichen Gespräche, die wir selber mit den
jeweils betroffenen Verbänden und Partnern, insbeson-
dere den Sozialpartnern, geführt haben, waren sehr
fruchtbar und erfolgreich. Sie haben gezeigt, dass wir
das Nationale Reformprogramm in dieser Form gemein-
sam erstellt haben und auch nach Europa tragen wollen;
wir sehen es als gemeinsamen Beitrag zur Stärkung Eu-
ropas insgesamt. Wie gesagt: Das waren sehr fruchtbare
Gespräche mit allen betroffenen und beteiligten Verbän-
den.
Die nächste Frage stellt der Kollege Klaus Breil.
Herr Minister Dr. Rösler, ich habe eine Frage zur
Energiewende; entsprechende Maßnahmen sind Teil des
Nationalen Reformprogramms. Wenn ich richtig gezählt
habe, sind allein in diesem Programm 27 Maßnahmen
aus den Bereichen Energie und Umwelt enthalten. Viel-
leicht können Sie dazu Näheres sagen. – Danke schön.
Bitte, Herr Minister.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Danke, Frau Präsidentin. – Sehr geehrter Herr Abge-
ordneter, in der Tat: Wenn man Wachstum als Grund-
pfeiler, als Ziel dieses Reformprogramms ansieht, dann
muss die Energiepolitik darin einen wesentlichen Teil
einnehmen. Die mittelständischen Unternehmen in
Deutschland machen sich viele Gedanken über die künf-
tige Energieversorgung, gerade aufgrund der Entschei-
dung zum Ausstieg aus der Kernenergie bis zum Jahre
2022. Hier spielt die Frage der Energiepreise eine große
Rolle, insbesondere für die Unternehmen, die aufgrund
ihrer Größe keine Strompreiskompensation, keine
Netzentgeltbefreiung bekommen.
Neben dem Ziel, angemessene Maßnahmen zu ergrei-
fen, die die Strompreise stabil halten, geht es um die
Wachstumschancen, die die Energiewende zum Glück
mit sich bringt, wiederum gerade auch für die mittelstän-
dischen Unternehmen. Ich möchte hier nur den Bereich
der Energieeffizienz nennen. Besonders in der mittel-
ständischen Wirtschaft gibt es Hoffnungen auf neue
Märkte und neue Chancen im Bereich der energetischen
Gebäudesanierung, sei es durch neue energetisch effi-
ziente Produkte oder aber durch neue Dienstleistungen,
angefangen bei der Beratung bis hin zum Bau.
Dieser Teil nimmt im Nationalen Reformprogramm
großen Raum ein, einmal weil dieser Bereich eine
Grundlage für alle Unternehmen, für das Wachstum ins-
gesamt schafft, aber eben auch, weil er einzelnen Bran-
chen durchaus große Chancen eröffnet, einen wesentlich
größeren Beitrag zum Wachstum zu leisten, als es bisher
der Fall ist. Ich denke, das wird auch in Zukunft so sein.
Es zeigt klar, dass wir die Energiewende als wirtschafts-
politische Chance betrachten, im Sinne von mehr
Wachstum und Wohlstand in unserem Lande.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Rossmann.
Herr Minister, inwiefern trägt die Strategie „Europa2020“ zum Wirtschaftswachstum bei, und zwar auch da-durch, dass mehr Menschen in Beschäftigung kommen,weniger in Armut sind und das Niveau der Bildung, derQualifikation deutlich angehoben wird? Anders gefragt:Was sind die Maßnahmen dieser Bundesregierung, umzur Qualifizierung von Langzeitarbeitslosen und zurQualifizierung von mit nicht so guter Grundbildung aus-gestatteten Menschen, von Menschen ohne elementareBildung beizutragen? Wie fügen sich diese Maßnahmender Bundesregierung in die europäische Gesamtstrategieein?
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19806 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
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Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie:In der Tat ist es auch im Rahmen der EU-2020-Strate-gie unser Ziel, für Beschäftigungsaufbau zu sorgen. Wirkamen im letzten Sommer in Meseberg mit den Sozial-partnern zu einem Gipfel zusammen, bei dem es um dieFrage ging: Wie können wir die Sicherung von Fach-kräften gewährleisten? Es wurde auch darüber diskutiert,wie wir ausbildungsschwache Jugendliche weiterqualifi-zieren können, damit sie eine Chance auf einen Ausbil-dungsplatz und in der Folge auch auf einen Arbeitsplatzerhalten. Wir haben uns auch über das Thema Langzeit-arbeitslosigkeit Gedanken gemacht. Ich will darauf hin-weisen – das bringt dieses Programm zum Ausdruck –,dass wir beim Abbau der Langzeitarbeitslosigkeit in denletzten Jahren sehr erfolgreich waren.Neben dem Thema „ausbildungsschwache Jugendli-che“ wollen wir das Thema „Vereinbarkeit von Familieund Beruf“ in den Vordergrund stellen. Hierzu gab esmehrere Initiativen; auch das Engagement der Kolleginaus dem Arbeitsministerium sei erwähnt. Hinzu kam dieFrage: Wie kann man als ältere Arbeitnehmerin bzw. äl-terer Arbeitnehmer möglichst lange am Arbeitslebenteilnehmen. Ebenso wurde über das Ziel diskutiert – daswill ich ausdrücklich erwähnen –, den Bereich qualifi-zierte Zuwanderung stärker zu fördern. Das war bei denGesprächen im letzten Sommer Gegenstand der Forde-rungen zahlreicher Verbände. Im Aktionsprogramm, dasTeil des Reformprogramms ist, haben wir einen Schwer-punkt auf die Verbesserung im Bereich der qualifiziertenZuwanderung gelegt. Zuwanderung soll verstärkt unterBerücksichtigung von Qualifikation und Berufsgruppeerfolgen. Zudem sollen deutlich abgesenkte Gehalts-schwellen gelten.Ich fasse zusammen: Wir fangen bei den ausbildungs-schwachen Jugendlichen an. Wir machen weiter mit demBereich Vereinbarkeit von Familie und Beruf und derFörderung älterer Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmerund Langzeitarbeitsloser. Gleichzeitig fördern wir denZuzug von qualifizierten Fachkräften aus dem Ausland.Das positive Wachstum, das wir in den letzten Jahren er-lebt haben, hatte positive Effekte auf dem Arbeitsmarkt.Das führt dazu, dass wir momentan über den Fachkräfte-mangel als Wachstumsbremse diskutieren. Sie gilt es zulösen, um dem Ziel des Nationalen Reformprogrammsgerecht werden zu können.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Andrea Wicklein.
Sehr geehrter Herr Minister, wir sind uns einig, dass
dem Mittelstand in Deutschland eine herausgehobene
Bedeutung zukommt. Da ich diesen Aspekt in dem Na-
tionalen Reformprogramm der Bundesregierung ver-
misse, geht meine Frage in folgende Richtung: Welche
Maßnahmen planen Sie, um den Mittelstand weiterhin
zu stärken? Ich habe zur Kenntnis genommen, dass das
ZIM Erwähnung findet. Ich denke, dass es darüber hi-
naus andere Fragestellungen gibt, zum Beispiel die Be-
reitstellung von Wagniskapital oder die Unterstützung
von Existenzgründungen in diesem Bereich. Könnten
Sie dazu noch einige Ausführungen machen? – Danke
schön.
Herr Minister, Sie haben das Wort.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Frau Präsidentin, vielen Dank. – Frau Abgeordnete, in
der Tat wird das Wachstum getragen von den vielen mit-
telständischen Unternehmen, die wir in Deutschland ha-
ben. 99 Prozent aller unserer Unternehmen sind mittel-
ständische Unternehmen. Das heißt, all die Beiträge, die
wir zur Stärkung des Wachstums leisten, sind in aller-
erster Linie Beiträge für den Mittelstand in Deutschland.
Zu all dem zählen wir das eben angesprochene Thema
Fachkräfte sowie das Thema Rohstoffversorgung, das
das Thema Energieversorgung beinhaltet. Dabei müssen
die materiellen Rohstoffe berücksichtigt werden.
Sie haben das Zentrale Innovationsprogramm Mittel-
stand, kurz: ZIM, angesprochen. Es wird von den Unter-
nehmerinnen und Unternehmern hervorragend ange-
nommen. Es wird europaweit als Goldstandard der
Innovationsförderung für den Mittelstand gelobt. Auf
diesem Weg wollen wir weitergehen.
Sie haben das Thema Wagniskapital angesprochen.
Teil des Aktionsprogrammes für 2012 ist es, die Rah-
menbedingungen für das Wagniskapital im Jahre 2012
zu verbessern. Wir müssen noch mehr tun. Es gilt, noch
einige Hürden zu beseitigen, beispielsweise die Umsatz-
steuerpflicht für das Management von Wagniskapital-
fonds. Man muss darüber diskutieren, wie man es
schafft, zu einer europäischen Gleichbehandlung zu
kommen, um noch mehr Wagniskapital hierher, nach
Deutschland, zu holen. Das ist für junge Unternehmen in
der Gründungsphase, gerade für solche im innovations-
starken IT-Bereich, von grundlegender Bedeutung. Des-
wegen ist es neben der Neuregelung des Vorsteuerab-
zugs und anderen Fragen, die noch geklärt werden
müssen, ausdrücklich unser Ziel, die Bedingung für
Wagniskapital im Jahr 2012 zu verbessern, um so die
Gründung von kleinen und mittleren Unternehmen in
Deutschland zu fördern.
Bevor ich jetzt dem Kollegen Manfred Nink das Wort
zur nächsten Frage gebe, mache ich sowohl die Kollegen
Abgeordneten als auch die Mitglieder der Bundesregie-
rung und auch Sie, Herr Bundesminister, auf unsere Re-
gelung aufmerksam. Das rote Signal – wenn es denn auf-
leuchtet – besagt, dass die vorgesehene Frage- bzw.
Antwortzeit überschritten ist.
Nun hat der Kollege Nink das Wort.
Herr Minister, die Langzeitarbeitslosigkeit wird sei-tens der Bundesregierung als Indikator für Armut undAusgrenzungen angesehen. Die Bundesregierung hatsich zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2020 640 000 Men-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19807
Manfred Nink
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schen aus diesem Dilemma herauszuführen; sie hat aller-dings nicht eine einzige konkrete Maßnahme genannt,wie das geschehen soll. Können Sie uns heute Maßnah-men benennen, wie die Bundesregierung Kinder- undAltersarmut bekämpfen will?
Bitte, Herr Minister.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Herr Abgeordneter, das ist eine kombinierte Frage
nach Langzeitarbeitslosigkeit, Kinderarmut und Armut
von älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.
Vielleicht zunächst einmal zum Thema Langzeit-
arbeitslosigkeit. Ich habe eben schon von den positiven
Zahlen gesprochen. Einhergehend mit dem zunehmen-
den Wachstum, das wir in Deutschland haben, ist Be-
schäftigung aufgebaut worden. Insbesondere wurde
Langzeitarbeitslosigkeit abgebaut. Der Weg für den ers-
ten Arbeitsmarkt muss weiterhin sein, durch Wachstum
weitere Chancen zu schaffen und damit auch Langzeit-
arbeitslosen die Chance zu geben, in den ersten Arbeits-
markt zurückzukommen.
Zur Frage nach den schwächeren Jugendlichen: Ich
habe vorhin angedeutet, dass wir auf dem Gipfel, den
wir gemeinsam mit den Sozialpartnern durchgeführt ha-
ben, das Ziel formuliert haben, nach wie vor diejenigen
weiterzubilden, die bisher keine Chance auf einen Aus-
bildungsplatz hatten, entweder weil sie keinen Ab-
schluss haben oder aber weil sie einen so schwachen Ab-
schluss haben, dass sie trotz der guten Lage auf dem
Arbeitsmarkt keine Chance auf einen Ausbildungsplatz
haben. Wir haben gerade mit dem Handwerk über
gemeinsame Projekte gesprochen. Dabei ging es um
überbetriebliche Lehrlingsunterweisungen und andere
Fragen. Wir wollen uns weiterhin an schwächere Ju-
gendliche wenden und ihnen durch eine verbesserte Aus-
bildungsfähigkeit eine Chance geben.
Was ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer an-
geht, haben wir zum Ausdruck gebracht, dass es keinen
Sinn macht, diese vorzeitig aus dem Arbeitsleben zu ent-
lassen. Im Gegenteil, es macht für Unternehmen eher
Sinn, sie im Arbeitsleben zu halten; dies hat etwas mit
Fortbildung und auch mit Gesundheitsmanagement zu
tun. Das muss die Zielsetzung sein, um auch hier die
Wertschöpfungskraft aller Generationen – angefangen
von den ganz Jungen bis zu den Älteren – in unserem
Lande nutzen zu können. Wir versuchen, bei der Lang-
zeitarbeitslosigkeit eine Verbesserung zu erreichen, in-
dem wir für Wachstum sorgen. Wie die Zahlen zeigen,
wirkt sich das für die Chancen der Langzeitarbeitslosen
auf dem Arbeitsmarkt sehr positiv aus.
Die nächste Frage stellt die Kollegin Claudia Bögel.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Lieber Herr Minis-
ter, mit dem diesjährigen Nationalen Reformprogramm
kann sich die Bundesregierung in Brüssel wirklich sehen
lassen. Ich habe dazu eine Frage: Wie ist jetzt sicherge-
stellt, dass auch die anderen europäischen Staaten ihre
Verpflichtungen einhalten?
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Vielen Dank, Frau Abgeordnete. – Das Nationale Re-
formprogramm reiht sich in die Vorgaben des Europäi-
schen Semesters ein. Es ist das erklärte Ziel der europäi-
schen Staats- und Regierungschefs, noch viel stärker als
bisher auf die Einhaltung der Vorgaben in nationalen
Reformprogrammen achtzugeben. Das gilt auch für die
Vorgaben, die die Kommission den Mitgliedstaaten
überträgt. Es ist das Ziel der Staats- und Regierungs-
chefs – das ist ihre Aussage –, das Ganze im wahrsten
Sinne des Wortes zur Chefsache zu machen und dafür zu
sorgen, dass die Aufgaben nicht nur aufgelistet werden,
sondern dass eben auch nachgefragt wird, wie erfolg-
reich man gewesen ist. Das geschieht, um den jeweiligen
Mitgliedstaaten bei der Weiterbetrachtung im nächsten
Jahr für den Fall wieder neue Aufgaben aufzuerlegen,
dass sie die Ziele, die sie sich in ihren nationalen Re-
formprogrammen selber gesetzt hatten, nicht erreicht ha-
ben.
Im Übrigen ist es, glaube ich, wichtig, dass wir mit
gutem Beispiel vorangehen und die Aufgaben erfüllen,
die uns gestellt werden. Gleichzeitig sollten wir zeigen,
dass wir durch solide Haushalte und Wachstumseffekte
unseren Beitrag für ein stabiles Europa leisten. Damit
können wir, Deutschland, innerhalb ganz Europas eine
Vorbildfunktion wahrnehmen.
Eine weitere Nachfrage stellt die Kollegin Kerstin
Griese.
Herr Minister, ich frage zu den Themen „Bekämp-fung von Armut“ und „Bekämpfung von Arbeitslosig-keit“ nach. In der Tat ist es das Ziel der Strategie „Eu-ropa 2020“, dass 75 Prozent der Bevölkerung im Altervon 20 bis 64 Jahren in Arbeit sind und dass die Zahl dervon Armut betroffenen Personen europaweit um 20 Mil-lionen sinkt. Mir stellt sich die Frage, warum sich dieBundesregierung allein auf das Thema Langzeitarbeits-losigkeit konzentriert und nicht einen umfassenden Be-griff von Armutsbekämpfung wählt.Ich frage Sie auch, ob Sie mit Ihrer Einschätzungnicht falsch liegen. Die Arbeitslosigkeit ist insgesamtgesunken. Das freut uns alle. Auch wir sind der Ansicht,dass das viel mit dem zu tun hat, was sozialdemokrati-sche Minister in den letzten Jahren gemacht haben. DieLangzeitarbeitslosigkeit sinkt aber nicht. Da haben wirimmer noch ein erhebliches Problem. Daher ist es eherschwierig, Instrumente der Arbeitsmarktförderung zustreichen, die gerade Langzeitarbeitslosen eine Integra-tion ermöglichen.In diesem Zusammenhang frage ich Sie auch, ob Siemeinen, dass die Einführung des Betreuungsgeldes dem
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19808 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Kerstin Griese
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Ziel der Strategie „Europa 2020“, nämlich Beschäfti-gung zu fördern und damit auch Frauen zu motivieren,möglichst zügig in den Beruf zurückzukehren, dienlichist und ob sie diesem Ziel nicht eher zuwiderläuft. Siewissen, dass die EU-Kommission das Betreuungsgeldals nicht förderlich kritisiert hat.
Sie haben das Wort, Herr Minister.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Unbestritten ist, dass nicht nur diese Bundesregie-
rung, sondern auch die vorherige Bundesregierung Maß-
nahmen zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ergriffen
hat. Ich kann mich klar dazu bekennen, dass die
Agenda 2010, die unter sozialdemokratischer Kanzler-
schaft beschlossen wurde, jetzt Wirkung auf dem Ar-
beitsmarkt zeigt. Ich würde mir wünschen, dass die So-
zialdemokraten genauso vehement für die mit der
Agenda 2010 verbundenen Ziele und Maßnahmen ein-
treten. Ihrer Frage entnehme ich – so will ich das einmal
wahrnehmen –, dass Sie dahinterstehen.
Zu Ihrer Frage zum Betreuungsgeld. Ich habe ein-
gangs erwähnt, dass wir ein klares Ziel verfolgen: Ver-
einbarkeit von Familie und Beruf. Ich hoffe sehr, dass
dieses Ziel bei der konkreten Ausgestaltung eines Ge-
setzentwurfs zum Betreuungsgeld zumindest nicht ge-
schwächt wird – so will ich das einmal sagen –; denn es
handelt sich an dieser Stelle ja um eine andere Zielset-
zung: Es geht darum, Wahlfreiheit für die Eltern zu
schaffen. Ich sage noch einmal: Das Ziel der besseren
Vereinbarkeit von Familie und Beruf darf dadurch nicht
negativ beeinflusst werden.
Die nächste Nachfrage stellt der Kollege
Dr. Rossmann.
Herr Minister, eine Erkenntnis aus den vorliegenden
Berichten und Strategien ist, dass die Binnennachfrage,
die durch ausreichende Löhne und Einkommen abgesi-
chert wird, sehr wichtig ist. Deshalb an dieser Stelle die
Frage an Sie: Wann wird diese Bundesregierung einen
abgestimmten Gesetzentwurf zu Mindestlöhnen vorle-
gen, damit wir diesbezüglich nachholen können, was in
anderen europäischen Ländern als Teil dieser Strategie
schon lange selbstverständlich ist und womit in anderen
europäischen Ländern eine gute Wirkung erzielt wurde?
Bitte, Herr Minister.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Herr Abgeordneter, in anderen Ländern gibt es in der
Tat Mindestlöhne. Ich möchte aber darauf hinweisen,
dass diese Länder bezogen auf Wachstum und Wachs-
tumserfolge nicht so erfolgreich sind wie Deutschland.
Trotzdem haben Sie recht: Die Wachstumsprognose von
0,7 Prozent wird rein rechnerisch zu 100 Prozent auf die
Binnennachfrage zurückgeführt. Die stärkere Binnen-
nachfrage geht mit einem hohen Beschäftigungsaufbau
Hand in Hand. Mit dem Beschäftigungsaufbau ist eine
größere Lohnsumme verbunden, und damit wiederum
sind weitere konjunkturelle Effekte im Bereich der Bin-
nennachfrage verbunden. Insofern sehe ich dies voll-
kommen unabhängig von der Frage des Mindestlohns,
die Sie angesprochen haben. Es ist vonseiten der Bun-
desregierung nicht geplant, einen gesetzlichen flächen-
deckenden, einheitlichen Mindestlohn auf den Weg zu
bringen.
Die nächste Frage zu diesem Themenbereich stellt der
Kollege Dr. Martin Neumann.
Sehr geehrter Herr Minister, ich möchte eine Frage
zur aktuellen Situation stellen. Das Kabinett hat heute
die Eckwerte des Bundeshaushalts 2013 und des Finanz-
plans für die Jahre 2012 bis 2016 beschlossen. Müssen
angesichts der ambitionierten Vorhaben im Rahmen des
Aktionsprogramms 2012 für den Euro-Plus-Pakt nicht
auch die Eckwerte in gewisser Art und Weise angepasst
werden?
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Sehr geehrter Herr Abgeordneter, in der Tat gehört die
haushalterische Stabilität mit zu unserem Programm, zu
dem Programm des Euro-Plus-Paktes, aber auch zu un-
serem eigenen Aktionsprogramm. Die Eckwerte unter-
streichen die solide Haushaltsführung dieser Bundes-
regierung, dieser Regierungskoalition. Wir liegen
deutlich unter den Vorgaben der Schuldenbremse im
Grundgesetz. Wir halten aber nicht nur die Vorgaben der
Schuldenbremse ein, sondern unterschreiten auch unsere
eigenen Vorgaben in der mittelfristigen Finanzplanung;
wir unterschreiten die Vorgaben jeweils um 4 bis 5 Mil-
liarden Euro. Das ist zum einen der soliden Haushalts-
führung zu verdanken, zum anderen aber auch dem enor-
men Wachstum in den letzten beiden Jahren und dem
starken, guten Wachstum in diesem Jahr; dieses darf
gerne noch besser werden. Die Eckwerte müssen also
nicht angepasst werden. Im Gegenteil: Sie sind Aus-
druck der Gesamtstrategie, die sich im Nationalen Re-
formprogramm 2012 widerspiegelt.
Danke, Herr Minister. – Eine weitere Nachfrage zu
diesem Themenbereich stellt der Kollege Duin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, ichglaube, wir sind uns darüber einig, dass zu einer erfolg-reichen Politik für den Wirtschaftsstandort Deutschlandgehört, dass wir unser Augenmerk auf die Kreditversor-gung richten, dass wir mit unseren politischen Maßnah-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19809
Garrelt Duin
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men dafür Sorge tragen, dass die Kreditversorgung si-chergestellt ist.Ein kleines, aber doch wichtiges Instrument dabeisind die Bürgschaftsbanken. Die Bürgschaftsbanken hat-ten in der Krise die Möglichkeit, im Rahmen von Eigen-vergabe etwas zu tun. Sie hatten einen größeren Spiel-raum und konnten Kredite in einer Höhe von bis zu2 Millionen Euro absichern. Dies ist dann auf Kreditevon bis zu 1 Million Euro zurückgefahren worden. DasThema Eigenvergabe wurde ganz abgehakt.Ihr Haus ist gemeinsam mit dem Bundesfinanzminis-terium zurzeit in Verhandlungen darüber, dies mögli-cherweise wieder zu verändern. Wie ist Ihre Positiondazu? Sehen Sie es nicht auch so, dass es leicht wäre,diesen Handlungsspielraum wieder zu erweitern? Dieswäre vor allem im Sinne kleiner und mittelständischerUnternehmen.
Sie haben das Wort.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
Sie haben gesagt, dass wir uns in Verhandlungen befin-
den. Grundsätzlich ist, glaube ich, unbestritten, dass wir
es gerade kleinen und mittelständischen Unternehmen
leicht machen müssen, an Kredite zu kommen, damit sie
sich unternehmerisch vergrößern können. Wir müssen
auch den unternehmerischen Einstieg erleichtern. Es
geht also um unternehmerisches Wachstum.
Wir sind nicht nur bezüglich der Frage der Bürg-
schaftsbanken in Gesprächen. Wir sind auch mit der
Europäischen Kommission in Gesprächen; denn wir ver-
folgen immer das Ziel, dass es möglichst einfach sein
soll, Kredite an den Mittelstand auszugeben. Wir disku-
tieren zum Beispiel über Basel III; da muss es aus unse-
rer Sicht gerade für kleinere Banken andere Vorgaben
geben als für große Geschäftsbanken. Das ist die Lesart
auch meines Hauses. Das ist der erste Punkt.
Der zweite Punkt ist, dass wir versuchen, hier noch
einmal zu verhandeln. Der Parlamentarische Staatssekre-
tär Burgbacher versucht, im Namen der Bundesregie-
rung auf europäischer Ebene in den Gremien zu Basel III
zu erreichen, dass die Risikogewichtung für den Mittel-
stand verbessert wird. Wie gesagt: Die Kreditvergabe ist
wesentlich, wenn es um Wachstumschancen unserer Un-
ternehmen geht.
Die nächste Frage stellt der Kollege Dr. Rossmann.
Herr Minister, weil Sie ja für die ganze Bundesregie-
rung sprechen, wollte ich bezüglich der Haltung der
Bundesregierung zur Mindestlohndebatte nachfragen.
Habe ich richtig verstanden, dass Sie eben gesagt haben,
dass von dieser Bundesregierung kein Vorschlag ins Par-
lament eingebracht werden wird, durch den wir in
Deutschland den Anschluss an Mindestlohnregelungen
anderer europäischer Länder finden können, sei es über
einen Gesetzentwurf zur Einführung eines gesetzlichen
Mindestlohns, sei es über einen Kommissionsvorschlag
oder anderes? Präzise nachgefragt: Sagen Sie für die
Bundesregierung, dass es in dieser Legislaturperiode
keine Gesetzesinitiative zum Thema Mindestlohn geben
wird?
Sie haben das Wort.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Abgeordneter,
ich möchte darauf hinweisen, dass es in der Regierungs-
befragung um die heutige Kabinettssitzung geht. Dort
war dies überraschenderweise kein Thema. Ich möchte
festhalten: Mir sind keine gemeinsamen Planungen hin-
sichtlich eines Gesetzentwurfs zur Einführung eines flä-
chendeckenden, einheitlichen gesetzlichen Mindestlohns
bekannt.
Das Wort zu einer weiteren Nachfrage hat der Kollege
Garrelt Duin.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Minister, heute
Morgen im Wirtschaftsausschuss hatten wir Vertreter der
BDA zu Gast. Es ist noch einmal sehr deutlich gewor-
den, dass die BDA gemeinsam mit dem DGB an der
Forderung nach einer gesetzlichen Regelung für die
Tarifeinheit festhält. Hat die Bundesregierung die Ab-
sicht, eine entsprechende Vorlage zu machen? Die Äuße-
rungen der Bundeskanzlerin am vergangenen Wochen-
ende, als sie mit Vertretern aller Spitzenverbände
zusammen war, lassen das möglicherweise erkennen.
Wie ist der Stand der Dinge?
Sie haben das Wort zur Beantwortung.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaft
und Technologie:
Frau Präsidentin! Herr Abgeordneter, es gab vor
genau einem Jahr nach den entsprechenden Gerichtsur-
teilen eine Diskussion über das Thema Tarifeinheit.
Mehrere Modelle wurden diskutiert. Die Gespräche wur-
den dann aber eingestellt, nachdem Verdi zumindest eine
Zeit lang aus der gemeinsamen DGB-Initiative ausge-
stiegen war. Aufgrund der Ereignisse im letzten Monat
sind die Gespräche zwischen den betroffenen Ressorts
Justiz, Arbeit und Wirtschaft wieder aufgenommen wor-
den. Diese Gespräche sind bisher nicht abgeschlossen.
Danke, Herr Minister. – Weitere Fragen zu diesemThemenbereich liegen mir nicht vor.
Metadaten/Kopzeile:
19810 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Der Kollege Volker Beck hat das Wort zu einer Fragezur heutigen Kabinettssitzung oder darüber hinaus.
Ich habe eine Frage an das Bundesministerium der Fi-
nanzen. Ich hoffe, dass Herr Kampeter anwesend ist.
Ich lese dazu aus der Website liberale.de vor:
Bis das Bundesverfassungsgericht voraussichtlich
2013 in dieser Frage
– also der Einkommensteuer bei der Lebenspartnerschaft –
endgültig entscheidet, wollen Bund und die Steuer-
verwaltung der Länder homosexuellen Lebenspart-
nerschaften bei der Inanspruchnahme des steuerli-
chen Ehegattensplittings vorläufigen Rechtsschutz
gewähren.
Der designierte FDP-Generalsekretär Patrick Döring
sieht darin eine „kluge und praktikable Entschei-
dung“ der Steuerverwaltungen, Anträgen gleichge-
schlechtlicher Paare auf Ehegattensplitting vorläufig
stattzugeben.
Die Bundesregierung hat mir letzte Woche auf eine
schriftliche Frage zu diesem Thema geantwortet, das
Bundesfinanzministerium wolle gegen diese Einigung
der Länder Einspruch einlegen. Ich möchte die Bundes-
regierung fragen, wie der Stand der Willensbildung der
Bundesregierung in dieser Frage ist, ob die Einigung der
Länder, die Herr Döring bejubelt hat, jetzt so durchgeht
oder ob tatsächlich Einspruch eingelegt wird – wenn ja,
wann – bzw. schon eingelegt wurde.
Das ist zwar keine Frage zur Kabinettssitzung; aber es
gibt die Rubrik „Sonstige Fragen an die Bundesregie-
rung“. – Wie ich sehe, kann und möchte die Bundesre-
gierung darauf antworten. Bitte, Herr Staatssekretär.
S
Ich freue mich über die weite Auslegung der Ge-
schäftsordnung, Frau Präsidentin.
Ich möchte die Frage dahin gehend beantworten, Herr
Kollege, dass Ihnen gegenüber der eben erfolgten
schriftlichen Beantwortung der Frage noch kein neues
Meinungsbild der Bundesregierung mitgeteilt werden
kann. Sollte sich das ändern, werde ich unaufgefordert
auf Sie zukommen.
Wir sind hier nicht im Dialog, Kollege Beck.
– Sie wissen: Das können Sie an gegebener Stelle mo-
nieren und sich beschweren, wenn Sie durch die Art der
Beantwortung durch die Bundesregierung beschwert
sind.
Ich beende die Befragung der Bundesregierung.
Ich rufe den Tagesordnungspunkt 2 auf:
Fragestunde
– Drucksache 17/9001 –
Ich rufe die mündlichen Fragen in der üblichen Rei-
henfolge auf.
Wir beginnen mit dem Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Ver-
braucherschutz. Zur Beantwortung der Fragen steht der
Parlamentarische Staatssekretär Peter Bleser zur Verfü-
gung.
Ich rufe die Frage 1 der Kollegin Kerstin Tack auf:
Welche Maßnahmen plant die Bundesregierung, um dafür
zu sorgen, dass die Bestimmungen zu den obligatorischen Be-
ratungsprotokollen bei Finanzprodukten künftig eingehalten
werden?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Pe
Danke, Frau Präsidentin. – Verehrte Frau Tack, im
Wertpapierhandelsgesetz ist bereits vorgesehen, dass im
Rahmen der jährlichen Prüfung der Verhaltensregeln,
§ 36 Wertpapierhandelsgesetz, vom Prüfer auf die Ein-
haltung der Vorgaben für Beratungsprotokolle zu achten
ist. Über festgestellte Mängel hat der Prüfer die Bundes-
anstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht, BaFin, zu in-
formieren. Die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungs-
aufsicht geht möglichen Verstößen gegen die Vorgaben
für Beratungsprotokolle kontinuierlich nach. Derzeit
gibt es zehn Bußgeldverfahren wegen möglicher Ver-
stöße gegen die Vorgaben für Beratungsprotokolle. In
zwei Fällen wurden Bußgeldbescheide erlassen, die
allerdings noch nicht rechtskräftig sind. Mit Einführung
des Beraterregisters ab dem 1. November dieses Jahres
wird die BaFin zusätzliche Hinweise auf Mängel bei der
Anlageberatung erhalten.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, herzlichenDank. – Meine erste Nachfrage bezieht sich auf die
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19811
Kerstin Tack
(C)
(B)
diversen Untersuchungen, die ergeben haben, dass so-wohl die Produktinformationsblätter wie auch die Bera-tungsprotokolle nicht den Standards entsprechen unddringend einer Vereinheitlichung bedürfen. Die BaFinfordert die Bundesregierung geradezu auf, zu handeln.Ich möchte wissen: Plant die Bundesregierung, hier et-was zu regeln?Pe
Ja, Bundesministerin Aigner hat die Verbände der
Kreditwirtschaft, Verbraucher- und Anlegerschutzorga-
nisationen sowie die BaFin zu einem Runden Tisch am
22. März dieses Jahres zum Thema Produktinforma-
tionsblatt für Wertpapiere und Beratungsdokumentation
eingeladen; dort werden auch diese Mängel besprochen.
Außerdem hat die Bundesregierung auf Initiative der
Frau Bundesministerin beschlossen, die Stiftung Waren-
test ab 2013 mit zusätzlichen Mitteln in Höhe von
1,5 Millionen Euro auszustatten, damit Finanzprodukte
und ihr Vertrieb überprüft und die Verbraucher infor-
miert werden können.
Sie haben die Möglichkeit zu einer zweiten Nach-
frage.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatsse-
kretär, ich entnehme Ihrer Antwort, dass Sie wohl reden
wollen, aber nicht handeln wollen. Das ist interessant zu
hören.
Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf die Aussa-
gen von Frau Aigner zu den verdeckten Testkäufen, die
die BaFin im Rahmen der Kontrollen durchführen soll.
Ich möchte gerne wissen, wann dies geschieht.
Pe
Frau Kollegin Tack, Ihren Vorwurf muss ich zurück-
weisen. Ich weiß nicht, ob Ihnen bekannt ist, mit wel-
chen sehr wirksamen Mitteln die BaFin in der Lage ist,
für die Einhaltung gesetzlicher Bestimmungen zu sor-
gen. Aus eigener früherer Erfahrung weiß ich, dass auch
Vorstände auf entsprechende Hinweise sehr sensibel re-
agieren.
Zu der zweiten Nachfrage möchte ich Ihnen hier zur
Kenntnis geben, dass wir den Einsatz verdeckter Test-
käufer für verfassungsrechtlich bedenklich halten. Die
Bundesregierung prüft die rechtliche Zulässigkeit.
Ich weise noch einmal auf das hin, was ich vorhin
gesagt habe: Die vorhandenen Sanktionsmöglichkeiten
sind sehr effizient. Ich bitte einmal, die Geduld zu
haben, die Wirkung dessen abzuwarten.
Ich rufe die Frage 2 der Kollegin Tack auf:
Welche konkreten Maßnahmen plant die Bundesregie-
rung, um die teilweise deutlich überhöhten Dispositions- und
Überziehungszinsen einheitlich zu senken?
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär.
Pe
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrte Frau
Tack, es bestehen bereits rechtliche Anforderungen an
die Bemessung des Zinssatzes. Die Banken können die
Zinsen nicht nach Belieben verändern. Verwenden sie
vertragliche Zinsanpassungsklauseln, dann müssen sie
bei einer erheblichen Veränderung der Refinanzierungs-
bedingungen, zum Beispiel einer Änderung der Leitzins-
sätze, den Zinssatz neu festsetzen, also auch Zinsermäßi-
gungen vornehmen. Hierbei ist der Grundsatz der
Anpassungssymmetrie zu beachten. Bei Erhöhungen und
Senkungen müssen die gleichen Bedingungen gelten.
Ergänzend wurden die Banken durch das Gesetz zur
Umsetzung der Verbraucherkreditrichtlinie im Jahre
2009 dazu verpflichtet, die Art und Weise der Anpas-
sung des Sollzinssatzes in der vorvertraglichen Informa-
tion und im Kreditvertrag anzugeben.
Darüber hinaus hat das Bundesverbraucherministe-
rium das Institut für Finanzdienstleistungen mit einer
wissenschaftlichen Studie zu Dispozinsen und Ratenkre-
diten beauftragt. Die Ergebnisse werden noch vor der
Sommerpause erwartet. In der Studie werden sowohl die
Faktenlage hinsichtlich der Dispozinsen und rechtliche
Fragen wie die Modalitäten der Zinsanpassung als auch
verbraucherpolitische Aspekte untersucht. Die Ergeb-
nisse bisheriger Untersuchungen der Stiftung Warentest
zeugen von großen Unterschieden beim Zinsniveau, aber
auch von einem vielfältigen Angebot, das den Verbrau-
chern zur Verfügung steht, sodass sie auch die Möglich-
keit haben, auszuwählen.
Ihre erste Nachfrage.
Frau Präsidentin! Herr Staatssekretär, das ist insbe-
sondere deshalb interessant, weil die Verbraucherminis-
terin am 8. Februar 2012 in der Bild-Zeitung die Banken
sehr ausdrücklich aufgefordert hat, die Zinssenkungen
weiterzugeben, von denen sie selbst profitieren. Sie hat
angemahnt, dass es hier einen dringenden Handlungs-
bedarf gibt, und gesagt, dass sie sich dieser Sache anneh-
men will. Wie erklären Sie sich bei dem, was Sie der ge-
neigten Öffentlichkeit eben kundgetan haben, diese Aus-
sagen der Ministerin?
Pe
Die Ministerin hat es sich zum Ziel gesetzt, den Ver-brauchern unterstützend zur Seite zu stehen, wenn sichein Fehlverhalten einiger zeigt. In diesem Sinne ist zuverstehen, dass sie die entsprechenden Institute mit öf-
Metadaten/Kopzeile:
19812 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Parl. Staatssekretär Peter Bleser
(C)
(B)
fentlichem Druck anmahnt, verbraucherfreundlich zuhandeln. Mehr als ein Appell ist das nicht; aber auch einsolcher hat, wie wir wissen, nicht selten Wirkung.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Wir gehen bei Frau Aigner in der Regel auch nicht
von mehr als einem Appell aus. Wir wissen ja, dass in
der Regel nicht wesentlich mehr folgt.
Meine zweite Nachfrage bezieht sich auf die Stiftung
Warentest. In den vergangenen Jahren haben Sie ja die
Mittel für die Stiftung um 3 Millionen Euro gekürzt. Sie
geben ihr jetzt 1,5 Millionen Euro wieder und verkaufen
das als großen Wurf. Ich möchte gerne wissen, was die
Stiftung Warentest mit den von Ihnen zur Verfügung ge-
stellten 1,5 Millionen Euro jetzt zusätzlich machen soll.
Wird neben der Prüfung der Finanzprodukte, die Sie ja
als Finanz-TÜV verkaufen, auch die Ausgestaltung der
Bankverträge Teil dieses neuen Auftrags der Stiftung
Warentest sein?
Pe
Die Mittel, die die Bundesregierung der Stiftung Wa-
rentest erfreulicherweise und auf unsere Anregung hin
zusätzlich zur Verfügung gestellt hat, sollen dazu ver-
wendet werden, insbesondere den Verbraucher in Kennt-
nis zu setzen, welche Dienstleistungsangebote welche
Konditionen und welche Folgen haben. Mit dieser Bera-
tung wird sicher auch erreicht, dass sich die Marktbetei-
ligten um ein hohes Qualitätsniveau bemühen und dass
diejenigen Produkte, die vielleicht nicht von vornherein
das nötige Maß an Transparenz aufweisen, entsprechend
bewertet und damit gekennzeichnet werden können.
Wir kommen damit zur Frage 3 der Kollegin Elvira
Drobinski-Weiß:
Wie groß war beim Empfang der Bundesministerin für Er-
nährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz im Rahmen
der Grünen Woche am 26. Januar 2012 die Menge der vom
Buffet übrig gebliebenen Lebensmittel, und welcher weiteren
Verwendung wurden diese Lebensmittel zugeführt, bei unter-
schiedlicher Verwendung bitte Auflistung?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Pe
Danke schön, Frau Präsidentin. – Liebe Frau Elvira
Drobinski-Weiß, es freut mich, dass Sie sich für dieses
Thema so interessieren.
Es ist grundsätzlich anzumerken, dass für das
BMELV bei seinen Veranstaltungen zum einen der
Grundsatz der sparsamen Verwendung der bereitgestell-
ten Haushaltsmittel und zum anderen die Verpflichtung
der Wertschätzung von Lebensmitteln gelten. Beides fin-
det Anwendung bei der Mengenkalkulation des Speise-
angebotes bei Empfängen und bei der Weiterverwen-
dung der Speisen.
Der zuständige Caterer kalkulierte die Mengen des
Speiseangebotes bei dem Empfang vom 26. Januar die-
ses Jahres auf der Basis seines langjährigen gastronomi-
schen Erfahrungsschatzes. Besonders zu berücksichtigen
ist, dass sein Unternehmen Mitglied der Jeunes Restau-
rateurs Deutschland ist und er sich damit der Wertschät-
zung von Lebensmitteln besonders verpflichtet fühlt.
Bei der weiteren Verwendung von Lebensmitteln, die
bei Empfängen, Buffets etc. nicht verzehrt wurden, ist
grundsätzlich zu beachten, dass präventiver Gesund-
heitsschutz von Menschen Vorrang vor einer weiteren
Verwertung übrig gebliebener Lebensmittel hat. Deshalb
kommt eine weitere Verwendung übrig gebliebener Le-
bensmittel für den menschlichen Konsum nur dann in-
frage, wenn sie hygienisch und sensorisch einwandfrei
sind. Bereits in Verkehr gebrachte Ware, das heißt sol-
che, die schon auf Buffets eingesetzt war, darf aufgrund
der oben genannten Bestimmungen keiner weiteren Ver-
wendung zugeführt werden.
Nicht verwendete gekühlte Ware, die sowohl hygie-
nisch als auch sensorisch einwandfrei und im Verlaufe
des Empfangs noch nicht auf den Buffets eingesetzt war,
war an den Folgetagen des Empfangs Bestandteil des
Hallencaterings des BMELV-Standes. Im Übrigen,
glaube ich, sind Ihnen die Verfahrensweisen bekannt.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke, Herr Staatssekretär Bleser. – Wenn ich mich
recht entsinne, ist von dem, was vor allen Dingen an
Speisen angeboten war, sehr viel übrig geblieben; das
sage ich, auch wenn ich nicht bis zum Ende des Abends
auf dem Empfang dabei war. Sie haben jetzt nicht expli-
zit dargelegt, was dann mit dem Rest gemacht worden
ist. Ich bitte dazu noch einmal um eine ganz direkte und
konkrete Aussage.
Kann es sein, dass auch dann, wenn es sich um einen
angeblich erfahrenen Restaurateur handelt, möglicher-
weise von vornherein mit einer zu großen Menge pro an-
gemeldeter Person gerechnet wird?
Bitte, Herr Staatssekretär.
Pe
Danke schön, Frau Präsidentin. – Frau Kollegin, ichhabe schon berichtet, dass es in der Einschätzung desCaterers liegt, welche Mengen bei der genannten vermu-teten Besucherzahl angeboten werden sollen. Das ist imVorhinein nicht immer kalkulierbar. Ich kann Ihnen aber
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19813
Parl. Staatssekretär Peter Bleser
(C)
(B)
versichern, dass die auf dem Buffet verbliebenen Spei-sen im Anschluss den Ausstellern zur Verfügung gestelltwurden und dass diese davon Gebrauch gemacht haben.
Ihre zweite Nachfrage.
Es ist weniger eine Nachfrage: Wenn das dann tat-
sächlich so ist, dann wäre der Lebensmittelrest einer ver-
nünftigen Verwendung zugeführt worden.
Aber, wie gesagt, daran zweifle ich.
Gut, das war eine Feststellung.
Dann kommen wir zur Frage 4 der Kollegin
Drobinski-Weiß:
Welche Maßnahmen ergreift die Bundesregierung, um bei
Empfängen und Veranstaltungen mit Verpflegung die Ver-
schwendung von Lebensmitteln möglichst gering zu halten
und die dennoch übrig gebliebenen Lebensmittel einer sinn-
vollen und der Wertschätzung der „Mittel zum Leben“ ent-
sprechenden Verwendung zuzuführen?
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär.
Pe
Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin, die Bundesre-
gierung ist bei einer Vielzahl von Anlässen in sehr klei-
nem bis hin zu sehr großem Rahmen Gastgeberin. Aus
dem Zuständigkeitsbereich des BMELV seien beispiel-
haft Messen und Ausstellungen, der Außenwirtschafts-
tag oder der Agrarministergipfel am Rande der Interna-
tionalen Grünen Woche genannt. Das Catering für solche
Veranstaltungen orientiert sich – natürlich unter Beach-
tung der jeweils verfügbaren Haushaltsmittel – in jedem
Fall an der Anzahl der zu erwartenden Gäste.
Bei Ausschreibungen und Vertragsabschlüssen wer-
den die Vertragspartner zur Einhaltung der gesetzlichen
Bestimmungen zum gesundheitlichen Verbraucherschutz
verpflichtet, die aus hygienischen Gründen einer weite-
ren Verwendung von Buffetresten zur menschlichen Er-
nährung sehr enge Grenzen setzen; das habe ich vorhin
schon ausgeführt.
Die Bundesregierung wird an weiteren Verbesserun-
gen in diesem Bereich arbeiten. Dazu gehört es, Veran-
stalter für angemessene Portionsgrößen zu sensibilisie-
ren. Es darf allerdings nicht verschwiegen werden, dass
auch die Verbraucher – die Gäste sind schließlich auch
Verbraucher – ihre Erwartungen, nämlich stets übervolle
Buffets vorzufinden, kritisch überprüfen müssen.
Zu den Maßnahmen, die im Rahmen des Tagungsma-
nagements des BMELV ergriffen werden, gehören neben
einer teilnehmergerechten Menüauswahl und möglichst
großer Flexibilität hinsichtlich der Menge auch eine
klare Ausschilderung der Speisen, die Vermeidung gro-
ßer Portionen sowie in Einzelfällen gegebenenfalls auch
das Angebot der Mitnahme einzelner Speisen für die
Rückreise.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Das sind ganz neue Aussichten. Dass die Verpackung
für das, was dann übrig bleibt, gleich mitgeliefert wird,
wäre eine tolle Sache, Herr Bleser.
Ich wollte jetzt noch fragen, welche Maßnahmen die
zuständige Ministerin tatsächlich ergreifen wird. Wenn
Sie aber zukünftig mit den verantwortlichen Caterern
vereinbaren, dass die angebotene Menge reduziert wird
– so habe ich Ihre Ausführungen verstanden –, dann bin
ich mit dieser Antwort zufrieden. Ich denke, wir werden
das Thema weiterverfolgen.
Vielen Dank.
Pe
Darin sind wir einig.
Gut. Der Herr Staatssekretär stellt fest, dass Sie an
dieser Stelle einig sind.
Die Frage 5 der Kollegin Dr. Kirsten Tackmann wird
schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundesminis-
teriums der Verteidigung. Zur Beantwortung der Fragen
steht der Parlamentarische Staatssekretär Christian
Schmidt zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 6 der Kollegin Inge Höger auf:
Welche Erkenntnisse hat die Bundesregierung über den
genauen Inhalt der vom Bundesminister der Verteidigung,
Dr. Thomas de Maizière, bei seiner Reise nach Pakistan abge-
schlossenen Vereinbarung zur Rüstungskooperation mit der
pakistanischen Regierung und deren Streitkräfte, und wird an-
gesichts der inneren und regionalen politischen Situation nach
Ansicht der Bundesregierung durch die vereinbarte Koopera-
tion gegen das Verbot der Waffenlieferungen in Spannungsge-
biete verstoßen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
C
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, ich beantworte IhreFrage wie folgt:Bei der kürzlich durch Minister de Maizière im Rah-men seines Besuchs in Pakistan unterzeichneten Verein-
Metadaten/Kopzeile:
19814 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Parl. Staatssekretär Christian Schmidt
(C)
(B)
barung zur bilateralen Zusammenarbeit im Verteidi-gungsbereich handelt es sich um eine Abspracheunterhalb der völkerrechtlichen Schwelle. Es ist ein so-genanntes Memorandum of Understanding, also eineAbsprache ohne völkerrechtlich verbindlichen Charak-ter. Inhaltlich umfasst sie alle Themenfelder der in denvergangenen Jahren intensivierten bilateralen militärpo-litischen und militärischen Kooperation, wobei Dialog-foren auf Ebene der Inspekteure sowie die Teilnahme anLehrgängen und Ausbildungsprogrammen den Schwer-punkt bilden.Der rüstungspolitische Anteil dieser Absprache be-schränkt sich auf die im Antiterrorkampf notwendigenBereiche, wie es darin heißt. Alle Maßnahmen wirkenim Bereich Good Governance und zielen verstärkt aufdie Rolle der pakistanischen Streitkräfte in der Demo-kratie. Die Absprache – das möchte ich sehr unterstrei-chen – bezieht sich ausdrücklich nicht auf die jeweiligennationalen Regelungen für Rüstungsexporte – ich darf indiesem Zusammenhang ergänzen: neben den nationalensind natürlich auch die europäischen Regelungen fürRüstungsexporte zu beachten – und lässt insbesonderedie Notwendigkeit von gegebenenfalls zu treffendenEinzelfallentscheidungen über konkrete Vorhaben unbe-rührt.Insofern sieht das Memorandum of Understanding einAngebot zum Austausch vor; es stellt aber keine Verän-derung der rechtlichen Lage im Hinblick auf Rüstungs-zusammenarbeit fest.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage, Kollegin
Höger.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Laut Agenturmel-
dungen sind eine vertiefte Kooperation der Streitkräfte
beider Länder etwa bei der Terrorismusbekämpfung, re-
gelmäßige Stabstreffen, die Teilnahme pakistanischer
Offiziere an Lehrgängen und gegenseitige Manöverbe-
obachtung geplant. Ich habe folgende Nachfrage: Gab es
schon bisher derartige Kooperationen und, wenn ja, in
welchem Umfang, oder sind neue Kooperationen ge-
plant? Wie ist es um die gegenseitige Teilnahme an Ma-
növern bestellt?
C
Es handelt sich um einen Gesprächsaustausch – da-
rüber spreche ich hier – und nicht um die Teilnahme an
Manövern. Es hat bereits Kontakte gegeben, die mit dem
besagten Memorandum of Understanding zusammenge-
führt werden sollen. Wir haben schon bisher die pakista-
nischen Streitkräfte unterstützt. Wir haben Ende 2010/
Anfang 2011 Ausstattungshilfe geleistet. Wir haben 24
geländegängige Ambulanzfahrzeuge sowie eine HNO-
Ausstattung geliefert.
Zukünftig sind – Sie haben die Agenturmeldungen zi-
tiert – Ausbildungsmaßnahmen vorgesehen. Ich bin im
Augenblick nicht in der Lage, Ihnen zu benennen, wie
viele Angehörige der pakistanischen Streitkräfte bei-
spielsweise an einem ausländischen Generalstabslehr-
gang bereits teilgenommen haben. Ich möchte Ihnen das
gerne schriftlich nachreichen. Ich gehe eigentlich davon
aus, dass eine solche Zusammenarbeit bereits erfolgt ist.
Gedacht ist darüber hinaus – konkret zur Anfrage – an
eine Überlassung von aus der Bundeswehr auszuson-
dernden Hubschraubern vom Typ Bo 105 zum Zweck
des Verwundetentransports. Dabei ist angeregt worden,
dass wir den pakistanischen Bedarf feststellen und die
Rahmenbedingungen definieren – das alles befindet sich
noch in einem sehr frühen Stadium –, und das alles na-
türlich – darauf lege ich Wert – unter Beachtung der Re-
gularien, die auf solche Maßnahmen angewendet werden
müssen.
Bevor Sie das Wort zur zweiten Nachfrage bekom-
men, Kollegin Höger, mache ich noch einmal alle Betei-
ligten darauf aufmerksam, dass wir uns darauf verstän-
digt haben – darin haben wir in den letzten Wochen auch
eine gewisse Praxis erworben –, dass die Antwort auf die
erste Frage zwei Minuten dauern darf und dass die fol-
genden Fragen wie auch die folgenden Antworten je-
weils eine Minute in Anspruch nehmen sollen. Zur Un-
terstützung gibt es ein Lichtsignal, an dem ablesbar ist,
wie weit man sein Zeitkontingent schon aufgebraucht
hat. Spätestens wenn es rot aufleuchtet, sind wir im Mi-
nusbereich.
Ihre zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär Schmidt, die USA und die NATO
sprechen im Zusammenhang mit dem Krieg in Afghanis-
tan häufig von AfPak, also der Region Afghanistan und
Pakistan. Jetzt gibt es konkrete Überlegungen über einen
Abzug aus Afghanistan. Inwieweit hängen die nun ge-
troffenen Vereinbarungen mit Afghanistan damit zusam-
men, dass man die Grenzregion für den Abzug nutzen
kann? Inwieweit kommt man der pakistanischen Regie-
rung entgegen, obwohl es sich eigentlich um Lieferun-
gen in ein Spannungsgebiet handelt?
Bitte, Herr Staatssekretär.
C
Frau Präsidentin, ich nehme Ihren Hinweis nicht nurzur Kenntnis, sondern werde ihn zukünftig auch berück-sichtigen. Ich werde mir Zurückhaltung auferlegen,wenn es rot aufleuchtet.Verehrte Kollegin, bei der Thematik, die Sie ange-sprochen haben, geht es darum, dass wir den Abzug, alsodie Rückführung, im Wesentlichen über den Norden– genauso wie bisher die Zuführung von Material – or-ganisieren. Wie Sie wissen, haben wir mit den benach-barten Ländern und der Russischen Föderation einAbkommen über schienengebundenen Transport abge-schlossen. Wir haben in Masar-i-Scharif einen leistungs-
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19815
Parl. Staatssekretär Christian Schmidt
(C)
(B)
fähigen NATO-Flughafen, der auch Lufttransportezulässt. Eine Kooperation im Hinblick auf die Rückfüh-rung von Gütern, Material und Personal bei Beendigungoder Reduzierung des ISAF-Einsatzes stand daher nichtim Mittelpunkt der erwähnten Gespräche und ist auchnicht Gegenstand des Memorandum of Understanding.
Eine weitere Nachfrage stellt der Kollege Dr. Rolf
Mützenich.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär,
Sie haben mich zu der Frage, die ich Ihnen stellen
möchte, veranlasst. Wir haben in den vergangenen Wo-
chen und Monaten immer wieder gehört, dass der Vertei-
digungsminister im Zusammenhang mit der Bundes-
wehrreform angeblich der deutschen Rüstungsindustrie
zugesagt hat, im Ausland stärker für deutsche Rüstungs-
güter zu werben. Kann ich davon ausgehen, dass der
Verteidigungsminister in Zukunft bei derartigen Gesprä-
chen mit ausländischen Besuchern und insbesondere
dann, wenn er Auslandsreisen unternimmt, diese Zusage
einhalten wird, oder würden Sie sagen, dass diese Mel-
dungen nicht stimmen?
Sie haben das Wort, Herr Staatssekretär.
C
Herr Kollege, das, worauf Sie Bezug genommen ha-
ben, bewegt sich im Rahmen dessen, was rechtlich er-
laubt ist. Der Bundesminister der Verteidigung ist ein
zufriedener Kunde der deutschen wehrtechnischen In-
dustrie, jedenfalls in den allermeisten Fällen; er ist kein
Handlungsreisender in Sachen Wehrtechnik.
Eine weitere Nachfrage stellt die Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann.
Zurück zu Pakistan. Sie haben über ausgesonderte
Hubschrauber der Bundeswehr gesprochen. Welche wei-
teren Rüstungsgüter sind zur Lieferung nach Pakistan
vorgesehen?
C
Frau Kollegin, dieses Thema war in der Tat Ge-
sprächsgegenstand. Es geht um auszusondernde, gegen-
wärtig noch im Gebrauch der Bundeswehr befindliche
Hubschrauber. Das zeigt, dass perspektivisch darüber
nachgedacht wird. Weitere Themen zur Ausgestaltung
des MoU wurden nicht angesprochen.
Der Kollege Grund hat eine weitere Nachfrage und
bekommt dazu das Wort.
Vielen Dank. – Ich würde gerne auf die Thematik des
Abzugs der internationalen Streitkräfte aus Afghanistan
– möglicher Termin 2014 – zurückkommen und auf die
Verantwortung, die die Bundesrepublik für den Norden
Afghanistans hat, und zwar nicht nur für die Kräfte der
Bundeswehr, sondern als Führungsnation auch für an-
dere Staaten, die dort mit ihren Soldaten und ihrer Aus-
rüstung vertreten sind. Nach dem, was ich gehört habe,
beläuft sich allein die Zahl der Container, die dort aufge-
baut worden sind, auf ungefähr 120 000. Hinzu kommen
mehrere Tausend, vielleicht 20 000 Fahrzeuge, die im
Falle des Abzugs zurückgeführt werden müssten.
Wenn diese Zahlen stimmen, würde das bedeuten,
dass ab jetzt pro Stunde drei bis vier Container zurück-
geholt werden müssten, um 2014 mit dem Abzug fertig
zu sein. Gibt es dafür eine konzeptionelle Planung?
Stimmt die Information, dass die Länder, durch die gege-
benenfalls Eisenbahntransporte geführt werden müssten,
also die angrenzenden zentralasiatischen Staaten, die
Entgelte zur Nutzung dieser Strecken erhöht haben, so-
dass zusätzliche Belastungen auf uns zukommen?
Herr Staatssekretär.
C
Sehr geehrter Herr Kollege Grund, es werden gegen-
wärtig Konzeptionen erarbeitet, um den zeitlichen und
personellen Umfang, der für die Rückabwicklung und
den Transport nötig ist, zu bewerten. Das gilt nicht nur
für die Bundeswehr, sondern für alle ISAF-Kräfte auf
jeweils nationaler Ebene. Es werden sich sicher da oder
dort Kooperationen ergeben.
Die Frage, wer wohin in welchem Rahmen transpor-
tiert, ist noch nicht abschließend geklärt. Ich bedanke
mich für den mit Ihrer Frage verbundenen Hinweis, dass
man diese Aufgabe nicht leichtnehmen darf. Die Vorstel-
lung, das sei in ein paar Wochen zu erledigen, ist völlig
daneben. Das ist eine monumentale Aufgabe. Wer die
Zeltstadt bzw. das Feldlager Masar-i-Scharif einmal be-
sichtigt hat, kann sich einen Eindruck davon machen.
Wir arbeiten an einer abgestimmten Konzeption.
Die Frage 7 des Kollegen Nouripour und die Frage 8der Kollegin Keul werden schriftlich beantwortet.Damit sind wir am Ende des Geschäftsbereichs desBundesministeriums der Verteidigung. – HerzlichenDank, Herr Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.Zur Beantwortung der Fragen steht der ParlamentarischeStaatssekretär Dr. Hermann Kues zur Verfügung.Ich rufe die Frage 9 der Kollegin Petra Crone auf:Aus welchem Grund lädt die Bundesregierung keine Bun-destagsabgeordneten zum Meinungsaustausch zwischen demBundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend
Metadaten/Kopzeile:
19816 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
und den Verbänden über das Eckpunktepapier zur Vorberei-tung des Entwurfs eines neuen Pflegeberufsgesetzes?Bitte, Herr Staatssekretär.Dr
Frau Präsidentin! Frau Kollegin, ich will darauf gerne
antworten. Im März 2010 ist eine Bund-Länder-Arbeits-
gruppe mit dem Ziel eingesetzt worden, Eckpunkte für
ein neues Pflegeberufsgesetz zu erarbeiten. Die AG hat
aus zwölf Personen bestanden, und zwar aus je zwei Ver-
tretern des Bundesfamilienministeriums und des BMG
und aus je vier Vertretern, die von der Arbeits- und So-
zialministerkonferenz und der Gesundheitsministerkon-
ferenz benannt wurden.
Die Aufgabe dieser Bund-Länder-Kommission war
es, Eckpunkte vorzubereiten, Erfahrungen aus Modell-
vorhaben auszuwerten und mit Experten einen Mei-
nungsaustausch zu pflegen, um zu Ergebnissen zu kom-
men, wie ein solches Gesetz aussehen könnte. Deswegen
sind zu der Veranstaltung am 19. März 2012 zunächst
einmal Fachleute aus dem Vorfeld der Politik eingeladen
worden.
Wenn dieser Diskussionsprozess abgeschlossen ist,
wird der politische Entscheidungsprozess eingeleitet und
ein Referentenentwurf für ein neues Pflegeberufsgesetz
erarbeitet. Es ist völlig selbstverständlich, dass dabei die
Abgeordneten intensiv eingebunden werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Staatssekretär
Kues, wann ist vorgesehen, die Parlamentarier mit ein-
zubeziehen?
Dr
Ich habe ja gesagt, dass die Eckpunkte jetzt feststehen
und wir zuletzt eine Veranstaltung am 19. März 2012,
also in dieser Woche, hatten, die noch auszuwerten sein
wird. Dann werden wir auch parlamentarisch darüber zu
reden haben.
Ihre zweite Nachfrage.
Inwieweit wurden Verbände, Gewerkschaften, Träger
usw. mit einbezogen?
Dr
Sie sind mit einbezogen worden. Zunächst einmal
sind je vier Vertreter der Arbeits- und Sozialministerkon-
ferenz und der Gesundheitsministerkonferenz mit einbe-
zogen worden. Außerdem sind die für die Ausbildung in
der Pflege zuständigen Experten, die verschiedene Mo-
dellvorhaben aus mehreren Ländern ausgewertet haben,
mit einbezogen worden, um einen fachlichen Hinter-
grund zu bekommen.
Eine weitere Nachfrage hat der Kollege Grübel.
Herr Staatssekretär, wird die Berufsanerkennungs-
richtlinie der Europäischen Union noch abgewartet, und
wer ist federführend?
Dr
Die Berufsanerkennungsrichtlinie der Europäischen
Union muss natürlich abgewartet werden, was die Kon-
sequenzen angeht. Sie wird in die Überlegungen mit ein-
bezogen. In dem Eckpunktepapier ist das, was in der
Berufsanerkennungsrichtlinie gefordert wird, bereits
thematisiert worden.
Federführend werden beide Ressorts sein. Wir hatten
bislang die Regelung, dass BMFSFJ und BMG gemein-
sam die Federführung übernehmen.
Ich rufe die Frage 10 der Kollegin Petra Crone auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Tatsache, dass in
den Beratungen zu den Eckpunkten die europäische Berufs-
anerkennungsrichtlinie ignoriert und keine Finanzierungslö-
sung zwischen Bund und Ländern abgestimmt wurde?
Bitte, Herr Staatssekretär.
D
Es gilt auch hier das, was ich zu Ihrer ersten Frage ge-
sagt habe. Wir hatten eine Bund-Länder-Kommission,
die auf Fachebene gearbeitet hat. Das, was in der Frage
formuliert wird, nämlich dass die Berufsanerkennungs-
richtlinie ignoriert worden sei, stimmt nicht. Die Berufs-
anerkennungsrichtlinie ist in den Eckpunkten berück-
sichtigt worden; dazu ist etwas gesagt worden.
Es ist auch etwas zu den möglichen Finanzierungsva-
rianten der neuen Pflegeausbildung, zur Aufteilung der
Finanzierung zwischen Bund und Ländern, gesagt wor-
den. Ich glaube, es ist nachvollziehbar, dass die Arbeits-
gruppe dazu keine Festlegungen getroffen hat. Das muss
politisch entschieden werden.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Gab es denn Differenzen zwischen Bund und Ländernzum Thema Finanzierung, und, wenn ja, wie weit lagman auseinander?
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19817
(C)
(B)
Dr
Sie können selbst erahnen, dass diese groß sind. Die
Länder hätten es natürlich am liebsten, wenn der Bund
alles bezahlt. Das kann aber nicht angehen, weil es hier
eine Zuständigkeit der Länder gibt. Man wird sich im
weiteren Verfahren über eine entsprechende Lösung ver-
ständigen müssen.
Ihre zweite Nachfrage.
Sie sprachen von einem Gesetzentwurf, Herr Staats-
sekretär. Wann ist mit der Vorlage zu rechnen?
Dr
Ich gehe davon aus, dass wir im Laufe des Jahres ei-
nen Gesetzentwurf vorlegen werden.
– Im Laufe dieses Jahres.
Die Fragen 11 und 12 der Kollegin Christel Humme
werden schriftlich beantwortet wie auch die Frage 13 des
Abgeordneten Heinz Paula. Auch die Fragen 14 und 15
des Kollegen Sönke Rix sollen schriftlich beantwortet
werden, ebenfalls die Fragen 16 und 17 der Kollegin
Özoğuz.
Wir kommen damit zur Frage 18 des Kollegen Volker
Beck:
Teilt die Bundesregierung die Auffassung der Antidiskri-
minierungsstelle des Bundes, wonach die Nichtduldung
schwuler Schützenpaare durch den Bund der Historischen
Deutschen Schützenbruderschaften e. V. ein Signal der Intole-
ranz ist, und teilt die Bundesregierung die Bedenken der Anti-
diskriminierungsstelle des Bundes, ob die Satzungsänderung
des Vereins mit dem Diskriminierungsverbot wegen sexueller
Bitte, Herr Staatssekretär.
Dr
Frau Präsidentin! Herr Kollege Beck, dazu gibt es
eine öffentliche Stellungnahme seitens der Leiterin der
Antidiskriminierungsstelle, die auch wir den Medien
entnommen haben. Die Bundesregierung gibt zu dieser
ersten Einschätzung der Antidiskriminierungsstelle
keine Stellungnahme ab. Die Antidiskriminierungsstelle
wird sich damit auseinandersetzen. Sie ist unabhängig.
Es ist ihre Aufgabe, sich dazu zu positionieren und zu
sagen, wie sie das Ganze rechtlich einschätzt, ob dieses
Vorgehen gegen das Allgemeine Gleichbehandlungs-
gesetz verstößt. Dann werden auch wir uns dazu eine
Meinung bilden.
Ihre erste Nachfrage.
Dass die Bundesregierung keine Auffassung hat,
finde ich etwas ungewöhnlich. § 18 des Allgemeinen
Gleichbehandlungsgesetzes regelt ja, dass die Mitglied-
schaft oder Mitwirkung in Vereinigungen, „deren Mit-
glieder einer bestimmten Berufsgruppe angehören oder
die eine überragende Machtstellung im wirtschaftlichen
oder sozialen Bereich“ – das wäre ja hier einschlägig –
innehaben, diskriminierungsfrei zu erfolgen hat.
Würden Sie mit mir übereinstimmen, dass das Verbot
schwuler Schützenkönigspaare – das klingt vielleicht lä-
cherlich, aber diese Verbände haben 400 000 Mitglieder;
das ist also keine Marginalie – eine mittelbare oder un-
mittelbare Diskriminierung aufgrund der sexuellen Iden-
tität nach dem AGG darstellt?
Dr
Herr Beck, ich bitte um Verständnis, dass wir erst ab-
warten, bis die Antidiskriminierungsstelle überprüft hat,
ob die Satzungsänderung gegen das Gesetz verstößt, und
sich dazu öffentlich positioniert hat. Dazu kann ich per-
sönlich eine Meinung haben. Es ist aber, wie ich finde,
richtig, dass sich die Antidiskriminierungsstelle – wir
hatten ja eine unabhängige Stelle gewollt – eine Mei-
nung bildet und auch entsprechend aktiv wird.
Ihre zweite Nachfrage.
Also ist sozusagen Auffassung der Bundesregierung,
dass sie keine eigenen Kompetenzen mehr im Bereich
der Antidiskriminierungspolitik hat, weil diese auf die
Antidiskriminierungsstelle übergegangen sind? So ver-
hält es sich, glaube ich, rechtlich nicht. Sie müssten ei-
gentlich eine Rechtsauffassung haben und diese auch
dem Parlament gegenüber darlegen.
Dr
Herr Beck, Sie haben gerade das Gesetz sehr präzisezitiert. Ich kann das nur bestätigen.
Ich denke aber, Sie wissen auch, dass wir gemeinsamaus guten Gründen die Regelung getroffen haben, dassdie Antidiskriminierungsstelle unabhängig arbeiten soll.Ich fände es etwas unangemessen, wenn die Bundes-regierung, bevor hierzu eine Stellungnahme im Einzel-nen abgegeben wird, auch im Hinblick auf die Satzungdes Schützenwesens, eine Position beziehen würde. Siewird jedoch eine Position beziehen, und Sie haben viel-
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19818 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Parl. Staatssekretär Dr. Hermann Kues
(C)
(B)
leicht meinen Bemerkungen entnommen, dass ich per-sönlich dazu auch eine Position habe.
Die Fragen 19 und 20 des Kollegen Siegmund
Ehrmann werden schriftlich beantwortet wie auch die
Frage 21 der Kollegin Tabea Rößner. Die Fragen 22 und
23 der Kollegin Beate Walter-Rosenheimer werden
ebenfalls schriftlich beantwortet.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs. –
Herzlichen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Gesundheit. Die Frage 24 des Kollegen
Harald Weinberg wird schriftlich beantwortet.
Damit sind wir im Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung.
Zur Beantwortung steht der Parlamentarische Staatsse-
kretär Jan Mücke zur Verfügung.
Die Fragen 25 und 26 des Kollegen Dr. Anton Hofreiter
werden schriftlich beantwortet wie auch die Frage 27 der
Kollegin Dorothea Steiner sowie die Fragen 28 und 29
des Kollegen Gustav Herzog.
Ich rufe die Frage 30 der Kollegin Karin Roth auf:
Ist es richtig, dass der Ausbau der Neckarschleusen für
135 Meter lange Schiffe bis Plochingen von der Zusage der
Landesregierung Baden-Württemberg, weiterhin zu dem Pro-
jekt zu stehen, abhängig ist, so wie es der Abgeordnete
raussetzung dafür sei ein klares Bekenntnis der Landesregie-
rung zum Ausbau bis Plochingen“, und, wenn ja, ist damit die
Ankündigung von Bundesminister Dr. Peter Ramsauer hinfäl-
lig, den Neckarschleusenausbau nur bis Heilbronn zu finan-
zieren?
Bitte, Herr Staatssekretär.
J
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Frau Kollegin Roth,
die Antwort lautet: Es ist richtig, dass ein klares Be-
kenntnis der Landesregierung zum Ausbau des Neckars
bis Plochingen eine notwendige, jedoch keine hinrei-
chende Voraussetzung für ein solches Projekt ist, auch
weil weitere Rahmenbedingungen, wie beispielsweise
die Finanzierbarkeit, erfüllt sein müssen. Die Spielräume
für Investitionen in Bundeswasserstraßen sind begrenzt.
Ihre erste Nachfrage, bitte.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Das ist ja schon
lange bekannt. Mein Kollege Grübel, der heute auch hier
ist, hat aber in einer Pressemitteilung behauptet, dass der
Ausbau nur davon abhängt, dass die Landesregierung
sich zu diesem Projekt bekennt. Er hat gesagt, dass er
dem Herrn Minister Ramsauer das Projekt ans Herz ge-
legt hat. Das ist fein. Dann hat er allerdings hinzugefügt
– ich zitiere –: Voraussetzung dafür ist ein klares Be-
kenntnis der Landesregierung zum Ausbau bis Plochin-
gen.
Das ist von der Landesregierung mehrmals erfolgt,
sowohl vom Minister als auch von den Koalitionsfrak-
tionen. Jetzt frage ich mich: Drückt sich Herr Ramsauer
so schlecht aus, dass mein Kollege Grübel ihn missver-
stehen muss, oder ist es vielleicht so, dass die Antwort
des Ministers davon abhängt, wer fragt? Ich frage Sie
jetzt noch einmal: Beabsichtigt die Bundesregierung, so
wie es in dem Vertrag des Bundes mit dem Land Baden-
Württemberg vorgesehen ist, die Neckarschleusen bis
2025 bis Plochingen auszubauen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
J
Diese Frage möchte ich sehr gerne beantworten.
Selbstverständlich hat sich Herr Bundesminister
Dr. Ramsauer sehr klar ausgedrückt,
so wie er das immer tut. Daran habe ich gar keinen
Zweifel.
Die Antwort wurde schon mehrfach gegeben. Sie fra-
gen ja relativ häufig in der Fragestunde nach diesem Pro-
jekt; auch ich selber hatte schon häufiger die Ehre, Ihnen
Ihre Fragen dazu zu beantworten.
Der Bund steht zu der Zusage, dass wir auch den
Neckarabschnitt zwischen Stuttgart und Plochingen er-
tüchtigen. Wir wissen, dass das mit Blick auf die Bun-
deswasserstraßen in Baden-Württemberg ein wichtiges
Projekt ist. Aber klar ist auch: Es werden Prioritäten ge-
setzt. Deshalb habe ich vorhin gesagt, dass beispiels-
weise die Finanzierbarkeit eine notwendige Vorausset-
zung für einen solchen Ausbau ist. Nach den gesetzten
Prioritäten müssen zunächst andere Strecken, auch ent-
lang des Neckars, ausgebaut werden. Dazu gehört, wie
Sie wissen, die Strecke zwischen Mannheim und Heil-
bronn. Diese ist für uns von größter Wichtigkeit. Ich
gehe davon aus, dass wir zu gegebener Zeit, auch was
den Ausbau der Schleusen bis Plochingen angeht, zu ei-
nem Ergebnis kommen werden.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Herr Staatssekretär, es ist kein Wunder, dass ich nach-frage; denn ich habe damals gemeinsam mit dem Staats-sekretär Köberle als Staatssekretärin im zuständigenBundesverkehrsministerium diese Vereinbarung ge-schlossen. Deshalb weiß ich auch, wie die Planungenaussehen und was vonseiten des Bundes zugesichertworden ist. Mich ärgert nur, dass im Land immer derEindruck erweckt wird, es liege an der Landesregierung,dass diese Investitionen nicht geplant werden – übrigensnatürlich in den Ausbau von Heilbronn bis Plochingen,
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19819
Karin Roth
(C)
(B)
nicht nur von Stuttgart bis Plochingen. In Bezug auf diePlanungen – und wir reden nicht über Planungen bis2013/14, sondern bis 2025 – kann der Herr Ramsauerdem Herrn Grübel nicht sagen, die grün-rote Landesre-gierung müsse sich dazu bekennen, wenn nicht einmalSie hier heute bekennen, dass die Planungen weiterhin sobestehen, wie sie im Vertrag vorgesehen sind. Ich frageSie jetzt noch einmal – deshalb bin ich heute hier –: Istdas, was Herr Ramsauer gegenüber Herrn Grübel gesagthat, richtig oder nicht?J
Wie ich schon sagte: Alles, was Herr Minister
Ramsauer zu diesem Thema geäußert hat, ist selbstver-
ständlich richtig.
Sie wissen, dass wir gemeinsam vereinbart haben, dass
die Landesregierung von Baden-Württemberg auch die
Planungen mit unterstützen soll. Diese Unterstützung
muss natürlich gegeben werden, ansonsten werden wir
nicht zu einer Investitionsentscheidung kommen.
Wenn klar ist, dass die Landesregierung von Baden-
Württemberg dieses Projekt unterstützt und gemeinsam
mit der Wasserstraßenverwaltung auch die Planungen
mit vorantreibt, dann wird es möglich sein, diese Strecke
auszubauen. Aber ich verweise noch einmal darauf, dass
einige andere Bedingungen ebenfalls erfüllt sein müs-
sen. Ich nenne unter anderem die Möglichkeit der Finan-
zierung im Rahmen der uns vom Haushaltsgesetzgeber
zur Verfügung gestellten Haushaltsmittel.
Ihre Nachfragemöglichkeiten sind erschöpft.
Die Frage 31 der Kollegin Cornelia Behm wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 32 des Kollegen Bartol auf. – Der
Kollege Bartol ist offensichtlich nicht anwesend. Dann
verfahren wir bei den Fragen 32 und 33 so, wie in unse-
rer Geschäftsordnung vorgesehen.
Die Frage 34 des Kollegen Stephan Kühn wird
schriftlich beantwortet wie auch die Frage 35 des Kolle-
gen Dr. Ilja Seifert.
Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsi-
cherheit.
Ich rufe die Frage 36 des Kollegen Manfred Nink
auf. – Auch dieser ist nicht mehr anwesend. Wir verfah-
ren also bei den Fragen 36 und 37 so, wie in unserer Ge-
schäftsordnung vorgesehen.
Die Fragen 38 und 39 der Kollegin Sylvia Kotting-
Uhl werden schriftlich beantwortet wie auch die Fra-
gen 40 und 41 des Kollegen Hans-Josef Fell und die Fra-
gen 42 und 43 des Kollegen Oliver Krischer.
Wir kommen nun zum Geschäftsbereich des Bundes-
ministeriums für Bildung und Forschung.
Zur Beantwortung der Fragen steht der Parlamentari-
sche Staatssekretär Thomas Rachel zur Verfügung.
Die Fragen 44 und 45 der Kollegin Marianne Schieder
werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 46 des Kollegen Brase auf:
Versendet das Bundesministerium für Bildung und For-
schung Informationskurzbriefe zu Projektförderungen bzw.
Projektsteckbriefe, und, falls ja, werden diese Briefe erst nach
dem Beschluss über eine Förderung oder bereits im Vorfeld
einer Förderzusage an Wahlkreisabgeordnete verschickt?
Herr Staatssekretär Rachel, Sie haben das Wort zur
Beantwortung.
T
Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Kollege Brase,
ich kann Ihnen auf Ihre Frage antworten, dass das Bun-
desministerium für Bildung und Forschung die Abgeord-
neten des Bundestages grundsätzlich nicht vorab, son-
dern nach einer Bewilligung informiert.
Sie haben das Wort zu einer ersten Nachfrage. – Sie
verzichten?
Dann kommen wir zur Frage 47 des Kollegen Brase:
Wie viele dieser Projektsteckbriefe an Mitglieder des
Deutschen Bundestages werden durchschnittlich pro Woche
versandt, und wie viele Vollzeitstellenäquivalente entsprechen
dem Arbeitsaufwand für das Verfassen und Versenden dieser
Briefe?
Bitte, Herr Staatssekretär.
T
Sehr geehrter Herr Kollege Brase, mit Maßnahmen
der Projektförderung setzt das BMBF den Regierungs-
auftrag der Koalitionsfraktionen um. Seit Frühjahr 2009
informiert das BMBF über besondere Vorhaben in Wahl-
kreisen, nachdem sie – das ist ein Bezug auf die vorhe-
rige Frage – bewilligt worden sind. Diese Information
über besondere Vorhaben im Bereich der Projektförde-
rung ist ein letztlich kleiner Teil der umfassenden
Kommunikation, die wir als Ministerium im parlamenta-
rischen Raum anbieten und für die insgesamt eine ange-
messene Stellenausstattung zur Verfügung steht.
Sie haben das Wort zu einer Nachfrage. – Sie verzich-
ten. Aber der Kollege Beck hat eine Nachfrage dazu.
Ich möchte nur wissen, welche Abgeordnete Sie beieinem bewilligten Projekt informieren. Sind das alle Ab-geordnete, die in dem jeweiligen Wahlkreis kandidierthaben? Oder informieren Sie grundsätzlich alle Abge-ordnete aller Fraktionen, die in der Nähe des Wahlkrei-
Metadaten/Kopzeile:
19820 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Volker Beck
(C)
(B)
ses wohnen? Oder informieren Sie nur Abgeordnete derKoalition in dem jeweiligen Wahlkreis?
Herr Staatssekretär, Sie haben das Wort.
T
Danke schön, Frau Präsidentin. – Herr Kollege Beck,
das Verfahren ist wie folgt: Nach der Bewilligung von
Projektförderungen haben grundsätzlich alle Abgeordne-
ten aller Fraktionen die Möglichkeit, sich über die Pro-
jektbewilligungen zu informieren. Dafür steht im Inter-
net eine umfangreiche Datenbank zur Verfügung. Man
findet sie unter der Adresse www.foerderkatalog.de. Sie
ermöglicht allen Abgeordneten, egal welcher Fraktion
oder welcher regionalen Herkunft, sich über sämtliche
Projekte einzelner Bundesministerien, auch des BMBF,
zu informieren. Auf dieser Seite erhält man Informatio-
nen über die Förderung in den Städten und Gemeinden
und über die Empfänger. Darüber hinaus ist im April
2009 vereinbart worden, über Projektsteckbriefe genau-
ere Informationen zu geben, weil es diesen Wunsch aus
der damaligen Regierungskoalition gab. Diesem Anlie-
gen wurde Rechnung getragen. Diejenigen, die danach
gefragt haben, haben stets entsprechende Informationen
erhalten.
Zudem informieren wir auch die Landesregierungen
über große Projekte, soweit sie regional betroffen sind.
Dies geschieht natürlich unabhängig von der Zusam-
mensetzung der jeweiligen Landesregierung. Das Krite-
rium hierfür ist, ob ein großes Projekt in ihrem Umfeld,
zum Beispiel ein Spitzencluster, erfolgreich war.
Der Kollege Albert Rupprecht hat ebenfalls eine
Nachfrage.
Herr Staatssekretär, ich gehe davon aus, dass das
Ministerium Fragen vonseiten der Parlamentarier beant-
wortet. Wir, die Unionsfraktion, haben zu Beginn der
Legislaturperiode formuliert, dass wir es, neben der
Möglichkeit, die Informationen im Internet einsehen zu
können, für angemessen halten würden, eine schriftliche
Information zu bekommen, wenn in unseren Wahlkrei-
sen Fördermaßnahmen bewilligt wurden. Meine Frage
an Sie ist: Haben Herr Brase und auch der Haushaltsbe-
richterstatter der SPD, der Kollege Hagemann, die dieses
Prozedere zum Thema machen, den Wunsch an das
Ministerium geäußert, über Projektfördermaßnahmen in
ihren Wahlkreisen schriftlich informiert zu werden?
T
Herr Kollege Rupprecht, es ist tatsächlich so: Wir er-
halten eine Vielzahl von Fragen von Abgeordneten aus
den verschiedenen Fraktionen. Wir bemühen uns, sie
umgehend zu beantworten. Bei Herrn Brase – das wird
er mir nachsehen – habe ich das nicht im Kopf. Bei
Herrn Hagemann kann ich mich noch erinnern. Herr
Hagemann hat zu den in seinem Wahlkreis geförderten
Projekten eine Anfrage gestellt. Sie bezog sich auf die
Förderungen in seinem Wahlkreis und in einem Nach-
barwahlkreis, die im Jahre 2010 erfolgt sind. Er hat
24 Stunden später eine ausführliche Zusammenstellung
der gesamten Projekte erhalten. Auch sonst ist er je-
mand, der intensiv nachfragt. Allein im Jahr 2011 haben
wir 57 Anfragen vom Abgeordneten Hagemann bekom-
men, die sich in 150 Einzelfragen aufgeteilt haben, die
die Beamtinnen und Beamten des Ministeriums selbst-
verständlich gerne und ausführlich beantwortet haben.
Danke, Herr Staatssekretär.
Die Fragen 48 und 49 des Kollegen Michael Gerdes
werden schriftlich beantwortet. Die Fragen 50 und 51
des Kollegen Dr. Ernst Dieter Rossmann werden eben-
falls schriftlich beantwortet wie auch die Frage 52 des
Kollegen Klaus Hagemann.
Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereiches
und kommen zum Geschäftsbereich des Bundesministe-
riums für Wirtschaft und Technologie. Zur Beantwor-
tung der Fragen steht der Parlamentarische Staatssekre-
tär Ernst Burgbacher zur Verfügung.
Ich rufe die Frage 53 der Kollegin Dr. Dagmar
Enkelmann auf:
Welche konkreten preissenkenden Wirkungen bei Benzin
und Diesel erwartet die Bundesregierung durch die Umset-
zung der am 4. März 2012 im Koalitionsausschuss beschlos-
senen, auf mehr Wettbewerb orientierten Änderung des
Kartellrechts, und erwägt die Bundesregierung weitere Maß-
nahmen wie zum Beispiel Veränderungen bei der Pendlerpau-
schale, um eine transparente und sozial gerechte Preisgestal-
tung von Benzin und Diesel zu erreichen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
E
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Verehrte KolleginEnkelmann, mit der 8. Novelle des Gesetzes gegen Wett-bewerbsbeschränkungen ist geplant, das Verbot der so-genannten Preis-Kosten-Schere dauerhaft gesetzlich zuverankern. Danach dürfen zum Beispiel marktmächtigeMineralölunternehmen ihren mittelständischen Konkur-renten nicht länger Kraftstoffe zu einem höheren Preisliefern als zu dem, den sie selbst an ihren eigenen Tank-stellen von den Endverbrauchern verlangen. Das Verboterfüllt im Mineralölsektor eine ganz wichtige Funktion:Es verhindert unbillige Behinderungen kleiner und mit-telständischer Unternehmen und stärkt damit den Wett-bewerb.Sie haben auch nach der Entfernungspauschale ge-fragt. Die Entfernungspauschale ist eine verkehrsmit-telunabhängige Pauschale, die der Gesetzgeber losgelöstvon den tatsächlichen Kosten in haushaltspolitisch ver-tretbarem Umfang festgelegt hat. Das heißt: Unabhängigdavon, wie der Arbeitnehmer den Weg zu seiner regel-mäßigen Arbeitsstätte zurücklegt – zu Fuß, mit demFahrrad, den öffentlichen Verkehrsmitteln oder dem
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19821
Parl. Staatssekretär Ernst Burgbacher
(C)
(B)
Pkw –, kann er 30 Cent je Entfernungskilometer alsWerbungskosten ansetzen. Zwischen der Höhe der Ben-zinpreise und der Höhe der Entfernungspauschale be-steht somit keine unmittelbare Verknüpfung.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Herr Kollege Burgbacher, ich hoffe, Sie können die
Leute verstehen, die jetzt an die Tankstellen fahren und
aufgrund der Preise mit Tränen in den Augen tanken.
Die Preise, die sie dort zu zahlen haben, sind bald nicht
mehr vermittelbar.
Das Verbot, von dem Sie gesprochen haben, hilft of-
fenkundig nicht. Mir liegt eine ganz aktuelle Meldung
vor, die heute um 13.59 Uhr eingegangen ist: Eine Stu-
die aus Hamburg belegt, dass in den letzten Jahren nicht
die Bindung an die Rohölpreise zu den hohen Benzin-
preisen geführt hat, sondern das Streben der Ölkonzerne
nach Gewinnmaximierung. Insofern gibt es sehr wohl
gesetzlichen Handlungsbedarf. Sehen Sie diesen gesetz-
lichen Handlungsbedarf, und wenn ja, wie will die Re-
gierung diesen Bedarf ausfüllen?
E
Frau Kollegin Enkelmann, Sie wissen, dass sich das
Bundeskartellamt sehr intensiv mit diesem Problem be-
schäftigt hat. Darüber wurde im Wirtschaftsausschuss
ausführlich diskutiert. Die Gründe sind vielfältiger Na-
tur. Hierzu gehören politische Unsicherheiten ebenso
wie der Euro-Dollar-Wechselkurs. Ich habe Ihnen ge-
sagt: Wir werden mit der 8. GWB-Novelle Änderungen
vornehmen. Auch mir tränen die Augen, wenn ich an der
Tankstelle bin.
Ich sehe das Problem; es macht aber überhaupt keinen
Sinn, jetzt irgendwelche Schnellschüsse abzufeuern. Das
Bundeskartellamt beschäftigt sich mit der Angelegen-
heit, ebenso das Ministerium. Wir wissen selbstverständ-
lich, dass die Energiekosten insgesamt für unsere Wirt-
schaft ein ganz wesentlicher Faktor sind.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Lieber Kollege Burgbacher, wir beobachten diese
Preisentwicklung seit Monaten. Hier geht es nicht um
Schnellschüsse. In den letzten drei Monaten ist der Preis
für Superbenzin im Schnitt um 11,3 Cent pro Liter ge-
stiegen, aber nur 6,6 Cent davon beruhen tatsächlich auf
gesteigerten Rohölpreisen. Ist das für die Regierung kein
Grund zum Handeln?
E
Frau Kollegin Enkelmann, wir haben ja gehandelt,
und zwar mit der 8. GWB-Novelle. Damit schaffen wir
mehr Wettbewerb; denn das Problem ist, dass die mittel-
ständischen Tankstellen, die Freien Tankstellen, benach-
teiligt sind.
Frau Kollegin Enkelmann!
E
Die Verhältnisse werden sich erst dann ändern, wenn
wir Wettbewerb in den Markt bekommen. Mit diesem
Problem beschäftigt sich das Kartellamt; auch wir be-
schäftigen uns damit. In diesem Zusammenhang gibt es
viele andere Vorschläge, beispielsweise das westaustrali-
sche oder das österreichische Modell. Wir haben aber in-
zwischen festgestellt, dass auch mit diesen Modellen
große Risiken verbunden sind. Wir handeln, aber wir
handeln verantwortlich.
in unserer Geschäftsordnung vorgesehen.Die Fragen 55 und 56 des Kollegen Dr. h. c. JürgenKoppelin werden schriftlich beantwortet wie auch dieFragen 57 und 58 des Kollegen Lars Klingbeil. – Herzli-chen Dank, Herr Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des AuswärtigenAmtes. Zur Beantwortung steht die Staatsministerin imAuswärtigen Amt Cornelia Pieper zur Verfügung. DieFragen 59 und 60 des Kollegen Dr. Rolf Mützenich sol-len schriftlich beantwortet werden. Die Frage 61 desKollegen Hans-Christian Ströbele soll ebenfalls schrift-lich beantwortet werden wie auch die Frage 62 der Kol-legin Heike Hänsel. Das gilt genauso für die Frage 63des Kollegen Nouripour und die Fragen 64 und 65 desKollegen Koenigs. Die Fragen 66 und 67 der KolleginDağdelen sollen ebenfalls schriftlich beantwortet werdenwie auch die Frage 68 der Kollegin Keul.Damit sind wir am Ende dieses Geschäftsbereichs.Herzlichen Dank, Frau Staatsministerin.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums des Innern. Zur Beantwortung der Fragensteht der Parlamentarische Staatssekretär Dr. OleSchröder zur Verfügung.Die Fragen 69 und 70 des Kollegen Hunko sollenschriftlich beantwortet werden.
Metadaten/Kopzeile:
19822 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Ich rufe die Frage 71 des Kollegen Volker Beck auf:Wie – Zeitpunkt, Zahl, Parteiebene, welche der 19 Ge-heimdienste – wird die Abschaltung der V-Leute in der NPDim Einzelnen vor sich gehen, und wie schätzt die Bundesre-gierung die Beweislage für einen NPD-Verbotsantrag bezüg-lich der Hürden in der Rechtsprechung des Bundesverfas-sungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs fürMenschenrechte, tatsächliche Gefahr, ein?Bitte, Herr Staatssekretär.D
Herr Kollege, ich beantworte Ihre Frage wie folgt:
Nach den Vorgaben des Beschlusses des Bundesverfas-
sungsgerichts vom 18. März 2003
… müssen die staatlichen Stellen rechtzeitig vor
dem Eingang des Verbotsantrags beim Bundesver-
fassungsgericht – spätestens mit der öffentlichen
Bekanntmachung der Absicht, einen Antrag zu stel-
len – ihre Quellen in den Vorständen einer politi-
schen Partei
– in Bund und Ländern –
„abgeschaltet“ haben …
Hierüber wird am 22. März 2012 auf einer Sonder-
sitzung der Ständigen Konferenz der Innenminister und
-senatoren der Länder mit dem Bundesminister des In-
nern beraten.
Unabhängig davon sind die verfassungsrechtlichen
Anforderungen an ein erfolgreiches Parteiverbotsverfah-
ren weiterhin hoch. Dies gilt insbesondere in Ansehung
der Nachweisführung betreffend die frühere Quellenlage
auf Vorstandsebene sowie hinsichtlich des Umgangs mit
Material, das möglicherweise quellenbelastet ist. Da-
rüber hinaus sind die sich aus der Europäischen Men-
schenrechtskonvention ergebenden Anforderungen zu
beachten. Ein mögliches Verfahren muss daher mit gro-
ßer Sorgfalt vorbereitet werden. Die Beweislage im Hin-
blick auf einen NPD-Verbotsantrag lässt sich erst nach
Durchführung und Bewertung einer Materialsammlung
konkret beurteilen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
Meine erste Frage wäre zur Abschaltung von V-Leu-
ten, die vom Bundesamt für Verfassungsschutz oder von
einem der anderen beiden bundesdeutschen Dienste ge-
führt werden. Mit welcher Position wird denn der Bun-
desinnenminister in die Innenministerkonferenz gehen?
Die Abschaltung von wie vielen V-Leuten, die der Bund
in den drei Geheimdiensten führt, wird er in diesen Ge-
sprächen anbieten? In welcher Weise soll das im Einzel-
nen geschehen?
Sie haben das Wort.
D
Der Bundesinnenminister geht mit der Position in
diese Verhandlungen, dass auch die Dienste des Bundes
ihre Quellen auf Führungsebene der NPD abschalten.
Ihre zweite Nachfrage.
Ich hatte etwas präziser gefragt, aber sei es drum.
Vielleicht haben deshalb heute so viele Leute keine Lust
auf eine mündliche Beantwortung. – Die zweite Frage ist
zu den hohen Hürden. Ich meine, das muss einem ernst-
haft Sorge machen. Wenn man sich die Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu
Parteienverboten anschaut, dann sieht man, dass er ver-
langt, darzulegen, dass die zu verbietende Organisation
eine tatsächliche, aktuelle Gefährdung der demokrati-
schen, rechtsstaatlichen Verhältnisse eines Landes dar-
stellt. Sieht denn die Bundesregierung aufgrund des ge-
genwärtigen Erkenntnisstandes bei den eigenen Diensten
und aufgrund dessen, was sie im Bereich der Innen-
ministerkonferenz diskutiert hat, gegenwärtig Anlass zu
der Annahme, man könne diese Hürde mit dieser Be-
weislage nehmen, oder würde die Bundesregierung sa-
gen, man müsse hier weiter abwarten, bevor man sich zu
einem Verbotsantrag entschließt?
Sie haben das Wort zur Beantwortung.
D
Wir befinden uns im Hinblick auf die Erfolgsaussich-
ten eines möglichen Verbotsverfahrens in der Prüfungs-
phase. Da muss genau das berücksichtigt werden, was
Sie eben gesagt haben: Es muss nach der Rechtspre-
chung des Europäischen Gerichtshofes für Menschen-
rechte plausible Beweise geben, dass die Partei ein hin-
reichendes, unmittelbar drohendes Risiko für die
Demokratie darstellt. Das ist eine noch höhere Hürde als
die, die die Rechtsprechung des Bundesverfassungsge-
richts vorgibt. Das Bundesverfassungsgericht wird
selbstverständlich die Rechtsprechung des EGMR mit-
berücksichtigen müssen, weil wir Vertragsstaat sind.
Die Frage 72 des Kollegen Hans-Christian Ströbelesoll schriftlich beantwortet werden wie auch dieFrage 73 des Kollegen Klaus Ernst. – Herzlichen Dank,Herr Staatssekretär.Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Justiz. Die Frage 74 des KollegenDr. Ilja Seifert wird schriftlich beantwortet.Damit sind wir beim Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums der Finanzen. Die Frage 75 des KollegenKlaus Ernst soll schriftlich beantwortet werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19823
Vizepräsidentin Petra Pau
(C)
(B)
Wir kommen zum Geschäftsbereich des Bundes-ministeriums für Arbeit und Soziales. Zur Beantwortungder Fragen steht der Parlamentarische StaatssekretärHans-Joachim Fuchtel zur Verfügung. Die Fragen 76und 77 des Kollegen Anton Schaaf werden schriftlichbeantwortet wie auch die Frage 78 der Kollegin JuttaKrellmann.Ich rufe die Frage 79 des Kollegen Markus Kurth auf:Mit welcher Begründung hält die Bundesregierung dieEinlegung des Vorbehalts gegen das Europäische Fürsorge-abkommen im Dezember 2011 mit Art. 19 der Wiener Ver-tragsrechtskonvention vereinbar, wonach ein Vorbehalt dannnicht angebracht werden kann, wenn dieser „mit Ziel undZweck des Vertrags unvereinbar ist“?Bitte, Herr Staatssekretär.H
Herr Kollege Kurth, die Begründung ergibt sich
schlichtweg bereits aus dem Vertragstext, hier aus
Art. 16 Buchstabe b des Europäischen Fürsorgeabkom-
mens. Die Möglichkeit nachträglicher Vorbehalte wegen
nationaler Rechtsänderung ist dort eindeutig beschrie-
ben. Wenn Sie möchten, lese ich Ihnen das noch vor.
Wenn Sie das selber lesen möchten, dürfen Sie es selber
gerne einmal nachschlagen.
Möchten Sie eine Nachfrage stellen, oder soll ich den
Staatssekretär zum Verlesen auffordern?
Nein, ich kann das selber nachlesen. – Ich halte die
Antwort aber für nicht zufriedenstellend und möchte da-
her die Möglichkeit einer Nachfrage in Anspruch neh-
men.
Herr Staatssekretär, natürlich ist es möglich, einen
Vorbehalt gegen bestimmte Regelungsbereiche einzule-
gen. Das ist in allen völkerrechtlichen Verträgen so gere-
gelt. Aber wenn sich der Vorbehalt sozusagen gegen das
Kernanliegen des Vertrages richtet – in dem Fall geht es
um die Gewährung gegenseitigen Sozialschutzes –, dann
wird im Grunde genommen der gesamte Vertrag ausge-
höhlt und somit in gewisser Weise sinnentleert. Genau
die Art von Vorbehalten, die sich gegen den Wesenskern
eines Abkommens richten, sind nicht möglich – zumin-
dest nach der Wiener Vertragsrechtskonvention, die so
etwas wie die Geschäftsordnung der internationalen Ver-
träge darstellt. Wie ist das also mit der Vereinbarkeit?
H
Wir stellen mit der von uns eingeleiteten Maßnahme
den Zustand wieder her, der zuvor in § 7 SGB II bereits
bestanden hatte. Hierzu gab es mehrere Entscheidungen
von Gerichten. In der Folge stellte man sich die Frage,
wie weiterzuverfahren ist. Man hat sich dann dafür ent-
schieden, den Zustand, der zunächst von Gesetzes wegen
gewollt war, wiederherzustellen. Deshalb hat man die
entsprechende Maßnahme ergriffen. Wir können Ihrem
Vorhalt daher nicht folgen. Wir machen nichts anderes
als das, was vorher bereits geregelt war. Wir mussten nur
eine Runde durch den Gesetzesdschungel gehen, um
wieder das gleiche Ergebnis zu erreichen.
Sie haben das Wort zur zweiten Nachfrage.
Sie sprechen das an, was im Gesetz ursprünglich ge-
regelt war und was Sie durch das Einlegen des Vorbe-
halts wiederherstellen. Aber es ist doch so: Das, was
durch das Gesetz ursprünglich geregelt worden war, ist
gemäß Bundessozialgericht mit dem Europäischen Für-
sorgeabkommen nicht vereinbar. Das muss man einmal
festhalten. Ihre Antwort darauf ist nun, dass Sie das Ab-
kommen faktisch außer Kraft setzen. Wäre es in diesem
Fall nicht ehrlicher oder direkter gewesen, das Europäi-
sche Fürsorgeabkommen aufzukündigen?
H
Ich kann Ihren Ausführungen nicht folgen. – Es gab
einen Rechtszustand, der durch die Gesetzgebung dieses
Parlaments herbeigeführt wurde. Durch Gerichtsent-
scheidungen hat er eine andere Wendung genommen.
Das ist aber reparabel. Jetzt wird wieder der Zustand
herbeigeführt, der zunächst bestanden hat. Dieses Für-
sorgeabkommen enthält noch eine ganze Reihe von
sonstigen Vorschriften. Wir wollten wirklich nur die he-
rausgreifen, die exakt diesen Punkt betreffen.
Ich rufe die Frage 80 des Kollegen Markus Kurth auf:
Auf welcher Rechtsgrundlage basiert die Annahme der
Bundesregierung, für Staatsangehörige der Vertragsstaaten
des Europäischen Fürsorgeabkommens kommen Leistungen
nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Betracht, wenn sie
von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende und
Bitte, Herr Staatssekretär.
H
Soweit Staatsangehörige aus Vertragsstaaten des Eu-
ropäischen Fürsorgeabkommens aufgrund des Leis-
tungsausschlusses nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II
keine Leistungen nach dem SGB II erhalten, sind jeden-
falls Leistungen im Rahmen der unabweisbaren Hilfe
analog § 1 a des Asylbewerberleistungsgesetzes denk-
bar. Die Begründung liegt darin, dass andernfalls die Be-
troffenen schlechter gestellt wären als Ausländer, die
nicht Staatsangehörige von Vertragsstaaten des EFA sind
und deren Einreise nur erfolgt ist, um Leistungen nach
dem Asylbewerberleistungsgesetz zu beziehen.
Sie haben das Wort zur ersten Nachfrage.
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19824 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
(C)
(B)
Das Asylbewerberleistungsgesetz nennt selber die
Leistungsvoraussetzungen, die gegeben sein müssen, um
das in Anspruch nehmen zu können. Arbeitsuchende aus
den europäischen Nachbarstaaten – oder in dem Fall aus
den Vertragsstaaten – finde ich jedenfalls nicht im Text
des Asylbewerberleistungsgesetzes. Können Sie noch
einmal genauer ausführen, worauf sich denn die An-
spruchsgrundlage in dem Gesetz selbst bezieht?
H
Sie haben hier vielleicht das kleine Wort „analog“
überhört. Deswegen möchte ich es noch einmal hervor-
heben. Es gibt, wie Sie wissen, immer wieder Gesetzes-
auslegungen im Hinblick auf deren Anwendung auf ver-
gleichbare Fälle. Deswegen wird hier die Analogie
benutzt.
Sie haben das Wort zu einer zweiten Nachfrage.
Wie bewerten Sie denn vor diesem Hintergrund den
Vermerk des Berliner Sozialsenators – ich glaube, es ist
sogar eine Weisung –, der besagt, dass Leistungen nach
dem Sozialhilfegesetz bzw. nach dem SGB XII infrage
kämen?
H
Das können wir nicht ausschließen.
Die Fragen 81 und 82 der Kollegin Sabine
Zimmermann werden schriftlich beantwortet. – Herzli-
chen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir sind damit am Ende der Fragestunde.
Ich unterbreche die Sitzung des Bundestages bis
15.30 Uhr. Wir fahren um 15.30 Uhr mit der Aktuellen
Stunde zum Thema „Haltung der Bundesregierung zur
Verwendung der Überschüsse in der gesetzlichen Kran-
kenversicherung“ fort.
Die Sitzung ist unterbrochen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, die unterbrochene
Sitzung ist wieder eröffnet.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktion der SPD
Haltung der Bundesregierung zur Verwen-
dung der Überschüsse in der gesetzlichen
Krankenversicherung
Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort Kol-
legen Karl Lauterbach für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Kolleginnenund Kollegen! Die Lage kurz zusammengefasst: Wir ha-ben derzeit Überschüsse bei den Krankenkassen und imGesundheitsfonds nicht dank der so guten Arbeit derBundesregierung,
sondern dank der günstigen Entwicklung auf dem Ar-beitsmarkt. Diese günstige Entwicklung haben wir, umdas in Erinnerung zu rufen, den Arbeitsmarktreformenvon Gerhard Schröder, die in diesem Hause beschlossenwurden,
und unserer gemeinsamen Arbeit in der Großen Koali-tion zu verdanken. Diese Entwicklung hat aber wenigmit der derzeitigen Regierungsarbeit zu tun. Aufgrunddieser günstigen Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt, diezu deutlich mehr Vollzeitbeschäftigung geführt hat,stehen die Krankenkassen dauerhaft wirtschaftlich bes-ser da.Die Krankenkassen erwirtschafteten Überschüsse inHöhe von circa 10 Milliarden Euro. Im Gesundheits-fonds haben wir einen Überschuss von etwa 9 Milliar-den Euro. Davon sind 3 Milliarden Euro Liquiditäts-reserve, und 2 Milliarden Euro entfallen auf denBundeszuschuss für die Kopfprämien, die derzeit nichterhoben werden.
Das eigentliche Problem ist, dass die Regierung zumjetzigen Zeitpunkt nicht weiß, was sie mit diesen Über-schüssen machen soll.
Die Partei, die hier angekündigt hat, für mehr netto vomBrutto zu sorgen,
tut nichts, Herr Brüderle, um diese Mittel den Bürgernzukommen zu lassen.
Wir bringen in Erinnerung, dass Sie der Ärzteschaft undder pharmazeutischen Industrie entgegengekommensind. Aber der Bürger bekommt einfach nichts. Manmuss sich das einmal vorstellen: Der Bürger bezahlteinen Einheitsbeitragssatz, der auch noch zu hoch be-
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19825
Dr. Karl Lauterbach
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messen ist. Herr Brüderle, so etwas sollte man eigentlicheher von den Kollegen von der Linkspartei erwarten.Wozu brauchen wir 140 Krankenkassen, wenn ein Ein-heitsbeitragssatz genommen wird? Dieser Beitragssatzist wettbewerbsfrei und zu hoch. Diese Vorschläge pas-sen zur äußersten linken Hälfte dieses Hauses.
Mit Wettbewerb hat das nichts zu tun.Ich darf darauf hinweisen, dass der Ehrenvorsitzendeder FDP in Schleswig-Holstein, Jürgen Koppelin, derzeiteine Unterschriftenaktion startet. Es wird gefordert, dasswenigstens die Praxisgebühr abgeschafft wird.
Stellen Sie sich das einmal vor: Der Ehrenvorsitzendeder FDP in Schleswig-Holstein startet eine Unterschrif-tenaktion gegen den FDP-Minister Bahr und akklamiertdamit, wenn Sie so wollen, der Linkspartei.
Darf ich hier frei sprechen? – Das ist ein Armutszeugnis.Weshalb machen Sie schlicht und ergreifend nicht, wasrichtig ist? Sie wissen selbst, dass die Praxisgebührkeine Steuerungswirkung hat. Sie ist fiskalisch nichtwirksam, und sie ist bei Patienten und Ärzten unbeliebt.
– Sie ist von Horst Seehofer im Vermittlungsausschussim Rahmen der Reform von 2003/2004 eingebracht wor-den. Ich selbst war damals in der LandesvertretungBaden-Württemberg zugegen, als er diese Vorschlägeeingebracht hat. Nicht jeder Vorschlag, der von HorstSeehofer eingebracht wird, ist automatisch falsch, aberdas war ein Fehler.
Dieser Seehofer-Vorschlag wurde durchgesetzt. DieseMaßnahme hat sich jetzt als falsch erwiesen, weil eskeine Steuerungswirkung gibt. Das haben wir damalsalle nicht gewusst.
Jetzt müssten Sie die Ehrlichkeit besitzen und demEhrenvorsitzenden Jürgen Koppelin folgen, Herr Bahr,und sagen: Das Ding muss weg!
Die Praxisgebühr hat sich nicht bewährt; niemand willsie.Wir brauchen eine echte Reform, die dazu führt, dassdie 140 Krankenkassen in einem Wettbewerb stehen.Wir müssen den Einheitsbeitragssatz abschaffen. DieKrankenkassen müssen hinsichtlich des Beitragssatzesmiteinander im Wettbewerb stehen. Wir müssen auch dieZusatzbeiträge abschaffen. Wenn die Zusatzbeiträgewegfallen würden, könnten Sie, Herr Bahr, die Versi-cherten sofort um 2 Milliarden Euro entlasten. Ein So-zialausgleich wäre dann auch nicht mehr notwendig.Herr Brüderle, dies wären 2 Milliarden Euro Liquidität,die Sie an den Bürger weitergeben könnten.
Ich wiederhole es, damit Sie es richtig verstehen: Wegmit dem Zusatzbeitrag, den derzeit niemand will! Dannkönnten Sie auch sofort auf den Sozialausgleich für denZusatzbeitrag verzichten. Die Bürger hätten dann netto2 Milliarden Euro mehr.Dann sollten Sie auch noch die Praxisgebühr abschaf-fen. Dies würde zu einer Entlastung um 1,8 MilliardenEuro führen. Das heißt, Sie könnten ohne Verlust an Ver-sorgungsqualität und ohne Gefährdung der langfristigenLiquidität der Kassen die Bürger sofort um fast 4 Mil-liarden Euro entlasten; dies hätte auch noch eine Entbü-rokratisierung zur Folge. Als ehemaligen Wirtschafts-minister müsste Sie das doch interessieren. Jetzt alsFraktionsvorsitzender haben Sie die Kraft, auf HerrnBahr einzuwirken. Sie sind aber offensichtlich hoff-nungslos zerstritten.
Ich höre, dass Sie als Fraktion uns im Prinzip gewogensind. Die Fraktion scheint für die Abschaffung der Pra-xisgebühr zu sein. Herr Bahr ist unentschieden, und dieCDU/CSU blockiert. Herr Koppelin führt eine Unter-schriftenaktion durch.
Das ist ein Chaos ohne Ende. Das ist kein gutes Vorzei-chen für die Endwahl, die Ihnen in NRW bevorsteht. Fürdiese kann ich Ihnen nur viel Glück und gute Reise wün-schen.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Johannes Singhammer für die
CDU/CSU-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-ren! Herr Kollege Lauterbach, den meisten Menschen inDeutschland sind christlich-liberale Überschüsse in der
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19826 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Johannes Singhammer
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gesetzlichen Krankenversicherung lieber als rot-grüneSchulden.
Nichts könnte besser die erfolgreiche Arbeit dieserKoalition dokumentieren als eine intensive Diskussiondarüber, was mit den Rücklagen geschehen soll. Dies isteine komfortable Debatte, geradezu eine Luxusdiskus-sion, die sich fundamental von dem Streit der letztenJahrzehnte unterscheidet, in dem es meistens darumging, wie Defizite, schwarze Löcher und hohe Risiken inder gesetzlichen Krankenversicherung in den Griff be-kommen werden können.Es ist ein hart erarbeiteter Erfolg dieser Bundesregie-rung, der bei 70 Millionen Versicherten Vertrauenschafft. Noch vor zwei Jahren drohte ein Defizit von11 Milliarden Euro. Wir haben beispielsweise imPharmabereich konsequente Sparmaßnahmen ergriffen,die nicht einfach waren. Alle unsere Sparpläne sind auf-gegangen. Unsere geschickte Wirtschafts- und Beschäf-tigungspolitik hat dazu geführt, dass die Einnahmen beiden Sozialversicherungen sprudeln. Deshalb hat sich dasBlatt gewendet.Wir diskutieren nicht mehr, wie vor zwei Jahren, über11 Milliarden Euro Miese. Vielmehr diskutieren wirheute darüber, wie wir mit mehr als 10 Milliarden EuroRücklagen bei den gesetzlichen Krankenversicherungenund über 9,5 Milliarden Euro im Gesundheitsfonds um-gehen. Das alles haben wir ohne Leistungskürzungen,ohne höhere Eigenleistungen der Versicherten, ohneAbstriche beim Leistungskatalog und ohne Rationierungder medizinischen Leistungen – dies ist in anderen Län-dern immer wieder zu beobachten – erreicht.Jetzt sage ich: Lasst uns mit diesen Rücklagen sorg-fältig umgehen, sie hegen und pflegen. Es wäre falsch,jetzt folgende zwei Maßnahmen – über diese wird ak-tuell diskutiert – einzuleiten: zum einen den Ausgaben-hahn aufzudrehen und zum anderen die Einnahmen zuverringern. Ich warne – das betone ich – vor einerAbschaffung der Praxisgebühr. Die Praxisgebühr entlas-tet die gesetzliche Krankenversicherung um 2 MilliardenEuro im Jahr.
Auch eine Absenkung der Beiträge wäre sofort spürbar.Allenfalls Rücklagen in Höhe von 2 Milliarden Euro fürden vorgesehenen Sozialausgleich sind verkraftbar.Denn aller Voraussicht nach wird es in diesem Jahr man-gels Zusatzbeiträgen keinen derartigen Sozialausgleichgeben.Ich werbe dafür, dass wir die Kraft aufbringen, dieRücklage, die wir jetzt haben – das ist eine einmaligeChance –, als Reserve zu erhalten.
Bei der Pflege ist das gemeinsame Ziel aller Fraktionenin diesem Hause, eine Rücklage anzulegen, da wir dieseaus demografischen Gründen brauchen, und zwar wegender Verschlechterung des Verhältnisses zwischen denje-nigen, die arbeiten und Geld verdienen, und denjenigen,die in Rente gehen. Deshalb, so meine ich, sollten wirauch mit Blick auf die Krankenversicherung symme-trisch handeln. Der Überschuss beläuft sich auf insge-samt 9,5 Milliarden Euro. Da die gesetzliche Reserve3 Milliarden Euro beträgt, und der Sozialausgleich, denwir nicht brauchen, ein Volumen von circa 2 MilliardenEuro hat, geht es im Kern um einen Betrag von etwa4,5 Milliarden Euro. Wir sollten die einmalige Chance,als Nukleus einer Vorsorgemaßnahme eine Rücklage zubilden, nutzen.
Was wir nicht brauchen, ist ein Zickzackkurs. Wirdürfen nicht zunächst den Geldhahn aufdrehen unddadurch die Finanzen wieder in eine schwierige Situa-tion bringen, um dann erneut harte Sparmaßnahmen zuergreifen. Nein, wir wollen, dass die 70 Millionengesetzlich Versicherten in Zukunft keine Albträume ha-ben müssen, sondern ruhig schlafen können, weil siewissen: Die Finanzierung dieses wichtigen Bereichs derSozialversicherung ist sicher, dauerhaft, nachhaltig undzukunftsfest.Danke schön.
Das Wort hat nun Harald Weinberg für die Fraktion
Die Linke.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Meine Damen und Herren! Herr Lauterbach,der Einheitsbeitragssatz, von dem Sie gerade sprachen,würde bei der von uns vorgeschlagenen solidarischenBürgerinnen- und Bürgerversicherung 10,5 Prozent be-tragen. Er wäre also rund 5 Prozentpunkte niedriger alsder jetzige Beitragssatz zur gesetzlichen Krankenversi-cherung.
Das wäre in der Tat eine echte Reform und ein echterFortschritt.
70 Millionen Versicherte in diesem Land fragen sich:Was wird mit den Überschüssen gemacht? Das Geld– das ist schon gesagt worden – ist da. Man muss aller-dings wissen, dass von den Rücklagen in Höhe von20 Milliarden Euro 9 Milliarden Euro gesetzlich gebun-den sind. Dieses Geld steht also nicht zur Verfügung.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19827
Harald Weinberg
(C)
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Es gibt verschiedene Möglichkeiten, zu verfahren.Warum nicht den Steuerzuschuss kürzen? Erst einmalsollte man sich fragen: Wem gehört dieses Geld eigent-lich? Nach unserer Auffassung gehört es ganz klar denVersicherten, den Patientinnen und Patienten. Es gehörtnicht dem Finanzminister.
Das will ich begründen. Eigentlich besteht zwischenuns allen Konsens, dass die Krankenkassen Leistungenerbringen, die nicht zu den ursprünglichen Aufgaben dergesetzlichen Krankenversicherung gehören, die alsonicht der Vorbeugung und Behandlung von Krankheitendienen. Diese Leistungen, zum Beispiel die kostenloseMitversicherung der Kinder, sind zweifellos sinnvoll.Sie müssten aus Steuermitteln bezahlt werden.Die Bundesregierung ist schon vor Jahren zu der Er-kenntnis gelangt, dass dafür jährlich etwa 14 MilliardenEuro aus der Staatskasse in den Gesundheitsfonds flie-ßen müssen. Wenn ich mir nun anschaue, wie vielSchäuble und seine Vorgänger tatsächlich gezahlt haben,dann komme ich zu der mathematisch unstreitigen Er-kenntnis, dass der Finanzminister zwar 2010 und 2011 inSumme 3 Milliarden Euro zu viel gezahlt hat – die erjetzt zurückhaben will –, dass er aber 2007, 2008 und2009 insgesamt 29,8 Milliarden Euro zu wenig gezahlthat. Das macht im Saldo 26,8 Milliarden Euro, die HerrSchäuble eigentlich im Soll ist – von den Vorjahren ganzzu schweigen.Wir brauchen einen verlässlichen Finanzminister, derseine Verpflichtungen erfüllt, auch im Hinblick auf denGesundheitsfonds und die versicherungsfremden Leis-tungen. Wir brauchen aber keinen Finanzminister, dersich an Versichertengeldern vergreift, weil er die Rei-chen bei der Besteuerung schonen will;
das ist das genaue Gegenteil einer soliden Finanzpolitik.Wir brauchen auch keinen Gesundheitsminister, der dasmit sich machen lässt; das ist das Gegenteil einer solidenGesundheitspolitik.Warum das Geld nicht als Reserve bei den Kassenlassen? Diesen Vorschlag hat Herr Singhammer geradegemacht. Auf diese Frage kann man die einfache Ant-wort geben: Ein Teil des Geldes muss auf jeden Fall imFonds bzw. bei den Kassen bleiben, weil es als Rücklagegesetzlich gebunden ist. Wie wir aktuell beobachtenkönnen, unterliegt dieses Geld dann aber schnell demZugriff des Finanzministers. Ich denke, man muss schonnaiv sein, zu glauben, dass er nicht spätestens im nächs-ten Jahr neue Ansprüche stellen wird. Insofern ist diesmit Sicherheit nicht der richtige Weg.Warum nicht den Beitragssatz senken? Es gibt andere,vor allen Dingen bei der Union, aber auch bei den Grü-nen, die die Senkung des Beitragssatzes fordern. Dasklingt gut und danach, als würde man den Versichertendas Geld zurückgeben. Aber das ist ja nicht so; denn ers-tens käme auf diesem Weg nur die Hälfte bei den Versi-cherten an. Die andere Hälfte käme bei den Arbeitgebernan, obwohl sie jedes Jahr 9,5 Milliarden Euro wenigereinzahlen als die Beschäftigten, weil wir ja keine paritä-tische Finanzierung mehr haben. Zweitens hat Schwarz-Gelb 2010 die solidarische Finanzierung der Kranken-versicherung auf den Kopf gestellt. Seitdem gilt: Je nied-riger der allgemeine Beitragssatz ist, desto höher werdenkünftig die Zusatzbeiträge, die Kopfprämien, ausfallen,und die zahlen die Versicherten alleine.Eine Beitragssenkung käme letztlich also in ersterLinie den Arbeitgebern zugute. Wenn man wirklich dieBeitragszahler entlasten will, dann muss man das Prin-zip, dass Arbeitgeber und Arbeitnehmer jeweils dieHälfte der Beiträge zahlen, wieder einführen. Es führtkein Weg daran vorbei.
Was also tun? Unserer Meinung nach sollte man die-jenigen, die in den letzten Jahren immer wieder mehr be-lastet wurden und ständig die Hauptlast von sogenanntenGesundheitsreformen getragen haben, nämlich die Pa-tientinnen und Patienten, jetzt entlasten. Nicht nur, dassLeistungen gekürzt worden sind: Allein in den Jahrenseit 2004 haben die Patientinnen und Patienten zu denbestehenden Leistungen zudem x Milliarden Euro anZuzahlungen und Praxisgebühr geleistet. Die Linke will,dass dieses Abkassieren der Kranken ein Ende hat.
Deshalb fordern wir in einem Antrag, über den wir mor-gen debattieren, die Abschaffung der Praxisgebühr, undwir werden sehen, wie sich die Einzelnen dazu verhal-ten.Es freut mich sehr, dass SPD und Grüne nun auchselbst Initiativen dafür ergriffen haben, die einst von ih-nen eingeführte Praxisgebühr abzuschaffen. Ich gratu-liere zu der späten Erkenntnis, dass diese Eintrittsgebührbeim Arzt einer der vielen Fehler der Agenda 2010 war.
Es freut mich fast noch mehr, dass die FDP, aus wel-chem Grund auch immer, nun zum gleichen Ergebniskommt; denn zusammen mit der Linken, die die Praxis-gebühr schon immer abgelehnt hat, hätten wir damit eineMehrheit im Bundestag.
Ich höre aber, dass Sie nicht zustimmen wollen.
Dazu möchte ich eines sagen – weil meine Redezeitgerade abläuft, ist das auch fast mein letzter Satz –:
Es handelt sich bei dem Antrag auf Abschaffung der Pra-xisgebühr – das will ich Herrn Lotter noch einmal deut-lich sagen – nicht um Klamauk. Ich finde vielmehr, Kla-mauk ist es, wenn man beim Landtagswahlkampf inSchleswig-Holstein Unterschriften gegen die Praxisge-bühr sammelt, hier in diesem Hause dann aber einem
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19828 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Harald Weinberg
(C)
(B)
Antrag, mit dem diese Abschaffung möglich werdenkönnte, nicht zustimmt. Das ist Klamauk!
Noch besser wäre es, wenn alle Fraktionen unseremweiteren Antrag, nämlich dem, die Zuzahlungen zurück-zunehmen, ebenfalls zustimmen würden. Ich befürchte:Leider wird das nicht der Fall werden.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Christine Aschenberg-Dugnus für
die FDP-Fraktion.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Ich erinnere mich noch ganz genau an meineerste Rede in diesem Hohen Hause. Das war im Dezem-ber 2009; es ist ja noch nicht so lange her. Wir haben da-mals über eine Neuausrichtung des Gesundheitssystemsdebattiert. Anlass dafür war unter anderem die Hinterlas-senschaft jahrelanger sozialdemokratischer Gesundheits-politik. Wir haben über ein drohendes Defizit in derGKV von rund 10 Milliarden Euro debattiert, das unsUlla Schmidt hinterlassen hatte.
Liebe Freunde, heute sprechen wir über ein Milliarden-plus im Gesundheitssystem. Also, ich freue mich überdie heutige Luxusdebatte.
Herzlichen Dank auch dafür, dass ausgerechnet Sievon der SPD den Nachweis führen, dass schwarz-gelbeGesundheitspolitik genau das ist, was unserem Land solange gefehlt hat. Vielen Dank dafür!
Meine Damen und Herren, wir befinden uns in derwirklich schönen Lage, den Versicherten endlich etwaszurückgeben zu können, statt sie stärker an den Kostenzu beteiligen.
All das Geld, das bei den Kassen liegt, gehört nicht ir-gendwelchen Ministerien oder Politikern,
nein, verantwortlich dafür, dass die Kassen gut gefülltsind, sind die Beitragszahler. Ihnen gehört dieses Geld.Deshalb sind sie es auch, die jetzt profitieren müssen.Genau darum wollen wir die Beitragszahler entlasten.
Es gibt unterschiedliche Ideen dafür, wie wir das ma-chen können. Ich sage Ihnen hier auch ganz klar: DieFDP will die Abschaffung der Praxisgebühr.
Die Praxisgebühr wurde seinerzeit von Rot-Grün ein-geführt, um die Zahl der Praxisbesuche zu senken. DieseSteuerungsfunktion hat die Praxisgebühr ganz offen-sichtlich nicht erfüllt.Sicher, die Praxisgebühr entspricht rund 2 MilliardenEuro zusätzlich. Aber das ist nur die halbe Wahrheit;denn die Praxisgebühr verursacht allein in den Arztpra-xen rund 360 Millionen Euro Kosten pro Jahr. Auch dasmuss einmal gesagt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, wis-sen Sie eigentlich, was Sie damals eingeführt haben?
Mancherorts hört man, einige Patienten würden die10 Euro als Flatrate begreifen. Steuerungsfunktiongleich null! Für die meisten Patienten in den Praxen vorOrt ist die 10-Euro-Abgabe pro Quartal aber einfach nurein wiederkehrendes Ärgernis.Schlimm kommt es auch für diejenigen, die sich vonder Praxisgebühr befreien lassen wollen. Sie müssen Be-lege sammeln, ihre Berechtigung zur Befreiung nach-weisen und dann auf einen Bescheid warten. Wer diePraxisgebühr zahlt, will sie natürlich auch als besondereBelastung von der Steuer absetzen. Also noch mehr Bü-rokratie – dieses Mal beim Finanzamt!
Die Ärzte selbst müssen die Gebühr eintreiben. Übri-gens habe ich nie begriffen, warum die Ärzte und nichtdie Kassen, denen die Gelder hinterher zufließen, dieGebühr eintreiben müssen, Listen führen, wer bezahlthat und wer nicht, hinterhertelefonieren, Mahnverfahreneinleiten. Im Jahre 2010 waren es knapp 1,4 MillionenMahnverfahren, die durch die Ärzte eingeleitet wurden.Liebe Kolleginnen und Kollegen von Rot-Grün, das istdie Realität. Das ist das Ergebnis Ihrer Gesetzgebung.
So viel Bürokratie, ohne dass auch nur ansatzweiseder gewünschte Steuerungseffekt erzielt wurde! DiesemBürokratieaufwand wollen wir einen Riegel vorschie-ben. Bereits im Koalitionsvertrag haben wir vereinbart,„die Zahlung der Praxisgebühr in ein unbürokratischesErhebungsverfahren“ zu überführen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19829
Christine Aschenberg-Dugnus
(C)
(B)
Meine Damen und Herren, gibt es eine schönere Entbü-rokratisierungsmaßnahme als die Abschaffung eines In-strumentes, das sich a) in seiner Funktion nicht bewährthat und b) für alle Beteiligten einen erheblichen Büro-kratieaufwand bedeutet?
Nein.
Deswegen plädiere ich ganz pragmatisch für die Ab-schaffung der Praxisgebühr.
Denn – schön, dass ich das einmal sagen kann – wirkönnen uns das leisten. Wir haben über die gesetzlichvorgeschriebenen Rücklagen hinaus immer noch einenausreichenden Puffer. Das Gute an der Abschaffung derPraxisgebühr ist nämlich: Diese Summe ist absolut kal-kulierbar, und zwar ganz im Gegensatz zu einer auchdiskutierten Senkung der einkommensabhängigen Bei-träge. Diese können wir weniger kalkulieren.Die Abschaffung oder zumindest die Aussetzung derPraxisgebühr ist die einzig logische Konsequenz aus derderzeitigen Situation der Krankenkassen. So können wirdie Versicherten spürbar entlasten und allen Beteiligtensehr viel Bürokratie ersparen.Herzlichen Dank.
Das Wort hat nun Birgitt Bender für die Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir redenüber Überschüsse in der gesetzlichen Krankenversiche-rung. Woher kommen sie? Zum einen sind sie Folge derguten Konjunktur, zum anderen Folge falscher Anreize,die diese schwarz-gelbe Koalition gesetzt hat.
Es ist doch so: In diesem System und auch bei Ihnengeht die Angst um, die Angst vor den Zusatzbeiträgen.Zunächst einmal haben die Krankenkassen Angst. Diesehaben eine Art Schutzwall errichtet, weil sie gesehen ha-ben, was mit den Kassen passiert, die solche Zusatzbei-träge erhoben haben: Ihnen rennen die Versicherten inScharen davon. Also bemühen sich alle, ja nicht zu vielGeld auszugeben, um die Erhebung eines Zusatzbeitra-ges zu vermeiden. Das heißt, sie sparen bei der Präven-tion, bei der Reha und bei Mutter-Kind-Kuren. Sie in-vestieren auch nicht in neue Versorgungsmodelle. Dasheißt, sie horten Geld wie das Eichhörnchen Nüsse fürden kalten Winter, um bloß keinen Zusatzbeitrag erhe-ben zu müssen.
Das ist die eine Seite. Die andere Seite ist: Sie habenden Gesundheitsfonds über Beiträge üppig ausgestattet,bevor der Arbeitgeberbeitrag über den Mechanismus derZusatzbeiträge eingefroren wurde, damit Zusatzbeiträgenicht so schnell nötig werden. Jetzt sehen Sie, dass esnoch vor der Bundestagswahl zu Zusatzbeiträgen aufbreiter Front kommen könnte: Huch, was wäre das un-günstig! Deswegen horten Sie das Geld im Gesundheits-fonds und verzichten zum Beispiel auf eine Beitragssatz-senkung; denn das würde dann zwingend zu denZusatzbeiträgen führen. Das heißt, Sie haben Angst vorder eigenen Courage. Man könnte auch sagen: Sie sindpolitische Hosenscheißer!
Wir begrüßen, dass es keine Zusatzbeiträge gibt. AberSie sollten sich zu den Konsequenzen Ihrer eigenen Poli-tik bekennen.
Denn jetzt muss man doch annehmen, dass Sie nochGeld horten wollen, damit Sie eine Kriegskasse für denWahlkampf haben. Das kann es wohl nicht sein.Jetzt komme ich zu der FDP. Sie hat in ihrem Überle-benskampf ausgeheckt, man könne jetzt die Abschaffungder Praxisgebühr verlangen.
– Sie selbst haben gesagt, Frau Kollegin, dass Sie imKoalitionsvertrag noch etwas ganz anderes unterschrie-ben haben. Damals ging es um eine unbürokratische Pra-xisgebühr. Jetzt heißt es: keine Praxisgebühr mehr. –Willkommen im Klub.
Aber wir Grünen wissen es schon lange: Die Praxis-gebühr – das haben wir uns jüngst per Kleiner Anfragevon der Bundesregierung bestätigen lassen – nütztnichts. Sie ärgert alle, und man muss noch fürchten, dasssie sozial Benachteiligte vom Arzt fernhält. Deswegenwollen wir sie abschaffen.
Der Unterschied zur FDP ist aber: Sie schreien jetzt,und wenn Sie das erreichen könnten, dann wären Sie
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19830 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Birgitt Bender
(C)
(B)
froh. Aber Sie würden das Geld später über Zusatzbei-träge wieder bei den Versicherten abholen.
Genau das wollen wir nicht.
Wir wollen die Zusatzbeiträge abschaffen.
Wir wollen, dass die Kassen wieder entscheiden, wel-chen wohlgemerkt paritätischen Beitrag sie erheben.Dann werden einige die Beiträge auch senken und in derTat Geld an die Versicherten zurückgeben, weil sie danneine planbare Finanzierungslage haben.Wir wollen auch, dass die Praxisgebühr abgeschafftwird. Das lässt die jetzige Finanzlage aufgrund derÜberschüsse zu. Mittelfristig wollen wir das aus den Zu-satzeinnahmen finanzieren, die die Bürgerversicherungbringt.
Kurz gesagt: Bei der FDP reimt sich Abschaffung derPraxisgebühr auf Populismus. Bei uns steckt die Ideevon Solidarität und nachhaltiger Finanzierung dahinter.
Das ist grüne Politik. Sie setzt die richtigen Anreize.
Das Wort hat nun Jens Spahn für die CDU/CSU-Frak-
tion.
Liebe Frau Kollegin Bender, mit vollen Hosen lässt essich gut stinken. Dieses Sprichwort fällt mir dazu ein.Dass es eine gute Art von Praxisgebühr und eineschlechte Art von Praxisgebühr gibt, wie Sie es dialek-tisch herleiten, ist eine besondere Erkenntnis.Eigentlich bin ich der SPD für diese Aktuelle Stundedankbar. Allein das Thema ist bemerkenswert: Über-schüsse in der gesetzlichen Krankenversicherung. Ichverstehe die ganze Aufregung und Ihr Geschrei ebennicht. Eigentlich sind Überschüsse in der gesetzlichenKrankenversicherung ein Anlass zur Freude, zeigen siedoch, dass das Ergebnis der Gesundheitsreform, die wirmit soliden Ansätzen, Berechnungen und Vorgaben end-lich durchgeführt haben, richtig ist.
Die finanzielle Lage in der gesetzlichen Krankenversi-cherung ist nämlich so gut wie nie zuvor in den letztenzehn Jahren, in denen ich Gesundheitspolitik mache.Das hat zwei Gründe:Erstens ist die wirtschaftliche Entwicklung inDeutschland sehr positiv. Wir nehmen sie manchmal fastals selbstverständlich hin, obwohl sie so positiv ist, wiewir sie in den letzten 20 bis 30 Jahren nicht erlebt haben.Wir haben die höchste Zahl von Erwerbstätigen im Landund die niedrigste Arbeitslosenquote. Das führt dazu,dass auch die sozialen Sicherungssysteme in einer sehrguten finanziellen Lage sind. Das ist zwar nicht alleinder Politik zu verdanken; es hat aber auch mit der Politikund den politischen Rahmenbedingungen zu tun. Inso-fern ist die gute Situation auch Ausfluss dessen, was wirin den letzten zwei Jahren gemacht haben.Zweiter Grund ist das sogenannte GKV-Finanzie-rungsgesetz, sind die Spargesetze, die wir gemacht ha-ben. Sie erinnern sich: Wir haben für 2011 das größtejemals zu erwartende Defizit in der gesetzlichen Kran-kenversicherung von bis zu 10 Milliarden Euro vor unsgehabt. Wir haben uns entschieden, ein Sparpaket bzw.ein Maßnahmenpaket zu machen, bei dem wir alle mitins Boot holen, indem wir die Pharmaindustrie massivmitbeteiligen und Apotheker, Großhändler, die Ärzte-schaft und Krankenhäuser wie auch die Arbeitnehmerund Arbeitgeber miteinbeziehen. Wir wollten also einSparpaket schnüren, bei dem sich alle am Sparen beteili-gen müssen und sollen. Sie haben übrigens damals ge-schrien: zu wenig, zu langsam; es hätte viel früher kom-men und viel mehr sein müssen.Jetzt sehen wir: Es hat gewirkt. Wir sind erfolgreich.Das straft alle Ihre Bemerkungen von damals Lüge.Christlich-liberale Gesundheitspolitik ist solide, verläss-lich und planbar, und sie hat gute Ergebnisse, liebe Kol-leginnen und Kollegen.
Wir müssen aber ein bisschen aufpassen – insofernführen wir eine Art Luxusdebatte; der Begriff ist garnicht so schlecht –, dass wir nicht übermütig werden.Das gilt auch für die Forderungen, die mittlerweile anvielen Stellen im Raum stehen.Da ist die Pharmaindustrie. Als ich vor kurzem an ei-ner Podiumsdiskussion teilgenommen habe, hat MaluDreyer, die rheinland-pfälzische Gesundheitsministerin,gesagt, wir sollten die Belastungen der Pharmaindustriezurückfahren. Das war für mich eine interessante Er-kenntnis. Herr Lauterbach fordert an verschiedenen Stel-len, den Krankenhäusern wieder mehr Geld zur Verfü-gung zu stellen. Von verschiedenen Leistungserbringernwird immer wieder die Forderung erhoben, wieder mehrGeld zu bekommen. Sie von der Linkspartei fordern so-wieso in Ihren Anträgen ständig höhere Ausgaben. An-dere fordern die ersatzlose Abschaffung der Praxisge-bühr. Es ist übrigens ganz spannend, festzustellen, dasseinige derjenigen, die die Abschaffung der Praxisgebührfordern, bei anderen Gelegenheiten nach mehr Eigenbe-teiligung und mehr Zuzahlung schreien. Wie das alleszusammenpassen soll, weiß ich nicht.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19831
Jens Spahn
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Wir jedenfalls stehen für eine solide Finanzlage. Wirwollen die gute Finanzlage nicht gefährden.Die Rücklagen des Gesundheitsfonds sind im Übri-gen nicht so groß, dass man sie als übermäßig bezeich-nen könnte. Sie reichen insgesamt nur, um die Ausgabenin der gesetzlichen Krankenversicherung für wenigeTage zu decken. Jede gute Hausfrau und jeder guteHausmann weiß, dass eine Rücklage für wenige Tagenicht besonders viel ist. Wir stehen für Solidität und wol-len diese Rücklage für schlechte Zeiten erhalten. Wirsollten nicht annehmen, dass die Zeiten in Deutschlandnicht schlechter werden könnten, wenn sich die Welt-wirtschaft nicht mehr so gut entwickelt. Wir sollten dieseRücklage aufheben und so für solide Finanzen sorgen.Das ist unser Markenkern als Union.
Noch kurz eine Bemerkung zum Wettbewerb, den derKollege Lauterbach angesprochen hat. Anders verhält essich mit den Rücklagen der gesetzlichen Krankenkassen.Der Gesundheitsfonds verfügt über eine Rücklage inHöhe von etwa 9 Milliarden Euro. Diese sind fürschlechte Zeiten; dafür sind sie da. Auch einzelne Kran-kenkassen verfügen über sehr hohe Rücklagen. AberKrankenkassen sind keine Sparkassen. Diese Rücklagensind – da haben Sie recht – das Geld der Versicherten.Der Wettbewerb, den wir bei Preis und Qualität wollen,findet über die Zusatzbeiträge, aber auch über die Aus-schüttung von Prämien statt. Deswegen ist und bleibt un-sere Erwartungshaltung, dass die Krankenkassen, die inder Lage sind, Prämien auszuschütten, dies im Interesseihrer Versicherten tun, gerade damit Wettbewerb durchden Preis ermöglicht wird.
Wir stehen als christlich-liberale Koalition für solideFinanzen. Wir stehen für Verlässlichkeit und Planbarkeitgerade bei den finanziellen Rahmenbedingungen der ge-setzlichen Krankenversicherung. Das ist auch für die Pa-tienten wichtig; denn nur bei soliden Finanzen stehen ih-nen in Zukunft vergleichbare Leistungen zur Verfügung.Wir stehen für einen Wettbewerb im Interesse der Versi-cherten. Darunter können wir einen Strich ziehen und sa-gen: Alles ist erreicht. Das ist Ausdruck erfolgreicherchristlich-liberaler Gesundheitspolitik.
Das Wort hat nun Bärbel Bas für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine Damen und Herren! HerrSpahn, ich habe Ihrer Rede sehr wohl gut zugehört. Soli-dität ist sicherlich wichtig; das halte ich für einen richti-gen Standpunkt. Aber ich frage mich dann, was Ihr Ge-sundheitsminister macht. Er hat doch letztendlich dieDebatte losgetreten, was mit den Überschüssen gesche-hen soll.
Er hat doch die Krankenkassen angeblich aufgefordert,Prämien zu zahlen. Dabei könnte er selber als Gesund-heitsminister – das wollen wir einmal festhalten – denBeitragssatz per Verordnung senken, wenn er meint, dasser zu viel in der Kasse hat.
– Ja, aber das hätte er machen können, wenn er zu vielGeld hat und nicht weiß, was er damit machen soll, undvorschlägt, die Krankenkassen könnten Prämien zahlen.Sie wissen aber ganz genau, dass das Geld – das ha-ben Herr Spahn und Herr Singhammer bestätigt – unterden Krankenkassen nicht gleichmäßig verteilt ist. Sie ha-ben keine Beitragssenkung gefordert, weil Sie genauwissen, dass dann die Gefahr einer Erhebung bzw. Erhö-hung von Zusatzbeiträgen besteht. Alle, die sich mit derFinanzpolitik im Gesundheitsbereich auskennen, wissen,dass es in einem Jahr ein Defizit geben, dass es aber einJahr später aufgrund der Entwicklung der Gesetze ganzanders aussehen kann. Auch hier hat Herr Singhammervollkommen recht. Ich frage mich, warum der Gesund-heitsminister das nicht erkennt und sich nicht freut, dassdie Finanzlage ganz stabil ist.
– Eben nicht. – Sie rennen durch das Land und fordernden Finanzminister sogar auf, das Geld einzusammeln.Soll ich Ihnen sagen, welche Strategie dahintersteckt?Ich persönlich glaube, dass das mit Absicht geschieht,damit 2 Milliarden Euro für die Realisierung Ihrer wahl-kampftaktischen Steuersenkungsfantasien freigesetztwerden. Um diese gegenzufinanzieren, holen Sie sichdas Geld aus der gesetzlichen Krankenversicherung. Dasnenne ich eine ganz perfide Wahlkampfstrategie.
Ich sage Ihnen auch: Die Wählerinnen und Wählerwerden das bei den nächsten drei Wahlen honorieren;denn sie erkennen, dass das, was Sie hier betreiben, eineSpielerei auf Kosten der gesetzlichen Krankenversiche-rung ist. Wir werden das Geld nämlich spätestens imnächsten Jahr und in den Folgejahren dringend brauchenkönnen. Wenn die Rücklagen jetzt zu hoch sind, dannkann man die Gelder durchaus an andere Stellen im Sys-tem lenken. Schauen wir uns die standardisierten Leis-tungsausgaben an. Wenn wir wirklich wollen, dass dasGeld bei den Menschen ankommt, die schwer kranksind, und wenn wir wollen, dass die Kassen ihre Ausga-ben an dieser Stelle bestreiten können, dann sollten wiran den Richtlinien zum Morbi-RSA arbeiten. Der Beirathat Ihnen Vorschläge gemacht, wie das Geld dorthin ge-steuert werden kann, wo es hingehört. Die Beitragszah-lerinnen und Beitragszahler zahlen nämlich ihre Beiträgedafür, dass die Kassen die Leistungen bezahlen können.Aber da wollen Sie nicht heran.
Sie haben den Finanzminister aufgefordert, die 2 Mil-liarden Euro zu entnehmen. Ich sage ganz deutlich: Es
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Bärbel Bas
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ist eine unverantwortliche Politik, die Sie betreiben unddie Sie im ganzen Land propagieren.
Diese 2 Milliarden Euro waren für die Kopfpauschalegedacht, die Sie jetzt aber scheuen wie der Teufel dasWeihwasser; sonst würden Sie den Beitrag senken. Siehaben Angst, dass die Kassen Zusatzbeiträge erhebenmüssen, was sich im Wahljahr negativ für Sie auswirkenwürde. Der Finanzminister hat sowieso schon seinenKuckuck auf die 2 Milliarden Euro geklebt, Stichwort„Versorgungsstrukturgesetz“. Was durch das sogenannteLandärztegesetz an Belastungen auf uns zukommt, wis-sen wir heute noch gar nicht.
– Ich bin nicht dagegen, aber Ihr Minister hat gefordert,Prämien auszuzahlen. Dafür aber haben wir kein Geld.Wir brauchen das Geld für andere Dinge.
Sie sollten Ihre Spielchen und Ihre Schein- und Schat-tendebatten, die Sie in Ihrer Koalition führen, sein las-sen. Ich wäre dafür, dass die heutige Debatte derSchlusspunkt ist; denn wir werden das Geld noch drin-gend brauchen.
Ich halte es für eine vernünftige und solide Politik, aufein Beitrags-Jo-Jo zu verzichten. Man sollte voraus-schauend agieren, das Geld im System, etwa zum Morbi-RSA, umlenken und etwas für die Patienten tun.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Bundesminister Daniel Bahr.
Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen undKollegen! Wir erleben eine Debatte, um die mich vielemeiner Vorgängerinnen und Vorgänger sehr beneidethätten.
Dass ein Gesundheitsminister Überschüsse verteidigtund eine Diskussion erleben muss, was man mit denÜberschüssen in der gesetzlichen Krankenkasse macht,haben meine Vorgängerinnen und Vorgänger nicht erlebt.Insbesondere die Vorgängerin von der SPD war in einerganz anderen Situation. 2003, als Rot-Grün regiert hat,hatten wir einen Rekordschuldenstand in der gesetzli-chen Krankenversicherung von über 8 Milliarden Euro.
2009, als die christlich-liberale Koalition die Verantwor-tung auch für die Gesundheitspolitik übernommen hat,drohte uns ein Defizit für das Jahr 2009 von 9 MilliardenEuro, für das Jahr 2011 sogar von 11 Milliarden Euro. Esist Ihnen von SPD und Grünen gar nicht bekannt, dassman solide wirtschaften kann. Die Finanzierung der ge-setzlichen Krankenkassen ist heute solide, die Menschenerleben Verlässlichkeit.
Deswegen ist es in der Tat eine Luxusdebatte, die wirhier führen.Ich muss über die eine oder andere Prognose, die hiergeäußert wurde, schmunzeln. Ich kann mich noch gutdaran erinnern, dass Herr Lauterbach mit seinem Institutvor einem Jahr, im März 2011, prognostiziert hat, dassdie durchschnittlichen Zusatzbeiträge im Jahr 2012 bei21 Euro und im Jahr 2013 bei 33 Euro liegen würden.
Ich will daran erinnern, in welcher Situation wir sind.Die Finanzen der gesetzlichen Krankenversicherungsind so solide, dass wir voraussichtlich keinen durch-schnittlichen Zusatzbeitrag in diesem und auch nicht imnächsten Jahr erleben werden. Das spricht für dieseKoalition und die Verlässlichkeit von Schwarz-Gelb.
Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen von der Opposi-tion, merken selbst, dass Ihre Debatte gar nicht richtigzündet. Sie wissen selbst nicht einmal, was Sie von unsfordern sollen. Frau Bas empfehle ich, ihr eigenes Inter-view im Deutschlandradio von vor einem Monat nachzu-lesen. Sie selbst haben gesagt, dass auf die Rücklagender Krankenkassen überhaupt nicht zugegriffen und diegute Wirtschaftslage nicht genutzt werden darf, um ir-gendwelche anderen Dinge zu finanzieren. Herr KollegeLauterbach hat gerade die Abschaffung der Praxisgebührgefordert.
Die Kollegen von den Grünen sprechen in einem viel-stimmigen Chor. Frau Bender fordert die Abschaffungder Praxisgebühr, Herr Trittin fordert eine Senkung derBeitragssätze,
und Frau Künast fordert, dass das Geld in das Finanz-ministerium transferiert werden soll. Sie wissen als Op-position selbst nicht, was aus Ihrer Sicht das Richtige ist.
Deswegen sagen wir als Koalition: Die Menschenkönnen sich darauf verlassen, dass wir für solide Finan-zen der gesetzlichen Krankenversicherung sorgen, mitAugenmaß Entscheidungen treffen und dort, wo Spiel-raum ist, diesen Spielraum für die Entlastung der Versi-
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Bundesminister Daniel Bahr
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cherten und Patienten nutzen. Dazu tragen wir mit unse-ren Entscheidungen auch bei.Herr Lauterbach, Sie haben von Nordrhein-Westfalengesprochen. Ich will hier keinen Wahlkampf machen.
Aber dass wir von SPD und Grünen keine Vorschlägedazu brauchen, wie man mit Finanzen umgeht, zeigt einBlick nach Nordrhein-Westfalen, wo wir Schuldenkö-nige erleben.
Das wurde vom dortigen Verfassungsgericht attestiert.Der Überschussminister in der Gesundheitspolitik scheutden Vergleich mit den Schuldenkönigen in Nordrhein-Westfalen nicht.Ich verweise auch auf Ihre Haltung zu dem Versor-gungsstrukturgesetz, mit dem wir richtige Entscheidun-gen zur Abwendung eines drohenden Ärztemangels tref-fen, weil wir gezielt Investitionen nutzen wollen, um dieVersorgung der Menschen gerade in der Fläche zu ver-bessern.
– Ihre Reaktion zeigt mir, dass diese Kritik in Bezug aufNordrhein-Westfalen Sie sehr zu treffen scheint. Dasscheint ja ein wunder Punkt zu sein.Das Versorgungsstrukturgesetz zeigt, dass wir Ent-scheidungen treffen, um die medizinische Versorgungder Menschen in Deutschland deutlich zu verbessern,
ohne dabei den Blick dafür zu verlieren, dass dies auchalles finanzierbar und vor allem durch eine solide wirt-schaftliche Lage der gesetzlichen Krankenversicherunggewährleistet sein muss.
Deswegen sagen wir auch, dass im Gesundheitsfondsin der Tat mehr Gelder liegen, als gesetzlich vorgeschrie-ben sind.
Wir haben eine Liquiditätsreserve, die weit oberhalb dergesetzlichen Vorgaben ist. In der Vergangenheit wurdendie gesetzlichen Vorgaben von Rot-Grün immer wiederaufgeweicht, wenn die wirtschaftliche Lage schwierigoder es politisch opportun war. Wir sorgen dafür, dassein Puffer über die gesetzlich vorgegebene Reserve hi-naus erhalten bleibt,
weil wir wollen, dass die gesetzliche Krankenversiche-rung bei der nächsten Konjunkturdelle nicht gleich wie-der in Probleme gerät, sondern solide finanziert ist,damit die Menschen Planbarkeit im Bereich des Gesund-heitswesens erfahren können.
Zudem ist die Lage der Krankenkassen unterschied-lich. Wir haben Krankenkassen, die viel Geld auf demKonto haben.
Über 30 Krankenkassen könnten ihren Versichertenwahrscheinlich Prämien auszahlen, ohne dass es ihrefinanzielle Stabilität infrage stellt.
Neun Krankenkassen machen das derzeit, zahlen Prä-mien von bis zu 100 Euro pro Jahr an ihre Versichertenaus. Viel mehr Krankenkassen könnten das tun. Ich for-dere deshalb diejenigen gesetzlichen Krankenkassen, diemehr Geld auf ihrem Konto haben als gesetzlich vorge-schrieben, auf, diesen Spielraum auch zu nutzen, damitwir Wettbewerb zwischen den Krankenkassen, der ja nö-tig ist, erleben
und damit die Versicherten sehen, ob eine Krankenkassemit den Pflichtbeiträgen solide gewirtschaftet und ge-ringe Verwaltungskosten hat oder eben nicht solide ge-wirtschaftet hat.
Diesen Wettbewerb zwischen gesetzlichen Kranken-versicherungen können wir im Interesse der Versichertengut gebrauchen.
Deswegen fordern wir die gesetzlichen Krankenkassenauf, diesen Spielraum auch zu nutzen.
Darüber hinaus gibt es auch Spielraum für Leistungsver-besserungen.Und es gibt keine Begründung, warum gesetzlicheKrankenkassen über die vorgegebenen Reserven von0,25 Monatsausgaben hinaus häufig bis zu zwei undmehr Monatsausgaben auf ihrem Konto haben. Kranken-kassen sind keine Sparkassen.
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19834 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Bundesminister Daniel Bahr
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Krankenkassen sollen das Geld der Versicherten fürLeistungsverbesserungen einsetzen oder für eine Entlas-tung der Patientinnen und Patienten und der Versicher-ten. Das ist solide Politik, wie wir sie von den Kranken-kassen explizit einfordern.Wenn es darüber hinaus Spielraum gibt, dann ist esdoch berechtigt, im politischen Raum, im Bundestag, da-rüber zu diskutieren, ob eine Praxisgebühr, die ihrenSinn und Zweck, nämlich die Zahl der Arztbesuche zureduzieren, nicht mehr erfüllt, noch gerechtfertigt istoder ob man nicht zu besseren Lösungen, auch zu Ent-lastungen von Patientinnen und Patienten, kommenkann.
Deswegen ist es berechtigt, dass diese Diskussion ge-führt wird. Ich sage auch klipp und klar: Der Auftraglaut Koalitionsvertrag ist es, die Praxisgebühr zu über-prüfen. Die Koalition fühlt sich diesem Auftrag ver-pflichtet. Wir werden in diesem Jahr in Ruhe darüber de-battieren, wie wir es besser machen können, was dieBürokratie angeht. Die unbürokratischste Regelung wäresicherlich der Verzicht auf die Praxisgebühr. Aber alleshängt mit allem zusammen.Wir werden die Debatte zunächst in der Koalitionführen und uns auf den Klamauk nicht einlassen, den dieLinken oder die SPD hier mit Schauanträgen machen.
Sie lenken mit Klamauk und Aktionismus davon ab,
dass Sie selbst nicht in der Lage sind, für solide Finan-zen in der gesetzlichen Krankenversicherung, für einplanbares und verlässliches Gesundheitswesen zu sor-gen.
Darauf fallen wir nicht herein, sondern wir treffen dieEntscheidung nach kluger und ruhiger Beratung. Daswerden wir innerhalb der Koalition machen.
Die Entscheidungen stehen an. Wir werden diesesJahr nutzen und in erster Linie dafür sorgen, dass dieMenschen sich darauf verlassen können, dass die Ge-sundheitsversorgung auch in den kommenden Jahren ge-währleistet ist und dann nicht schon wieder eine Einspa-rung vollzogen werden muss. Wenn es jedoch Spielraumgibt, werden wir ihn nutzen und damit eine Entlastungvon Versicherten und Patienten gewährleisten; denn inerster Linie ist das Geld, das in der Krankenversicherungist, das Geld der Beitragszahler, der Versicherten und Pa-tienten. Für diese muss es verwandt werden.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Steffen-Claudio Lemme für die
SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Herr MinisterBahr, Frau Staatssekretärin Mauz, ich muss zunächsteinmal mit dem hier immer wieder aufgebauten Lügen-gebäude aufräumen und mit der immer wieder vorge-brachten Legende brechen, wir hätten 2009 ein Defizit inHöhe von 10 Milliarden Euro hinterlassen. Mir liegenaus dem Hause Bahr offizielle Statistiken vor – ich gebesie Ihnen nachher auch gerne –: Danach endete das Jahr2009 mit einem Einnahmeüberschuss in Höhe von1,42 Milliarden Euro.
Sie bekommen das gleich direkt, um das entsprechendnachlesen zu können.Nun zur Debatte. Seit gut vier Wochen liegen die Pro-gnosen auf dem Tisch: rund 20 Milliarden Euro Rückla-gen bei den Kassen und beim Gesundheitsfonds bis ein-schließlich 2013. Das ist durchaus beachtlich.
Kaum gibt es etwas zu verteilen, ziehen sich diejenigendie Spendierhosen an, die mit dem Rücken zur Wandstehen. Ja, ich meine Sie, liebe Kolleginnen und Kolle-gen der FDP.
Ich sage Ihnen: Ihre Strategie wird von den Versichertendurchschaut. Jetzt, wo Sie sich in politischer Bedrängnisbefinden, versuchen Sie, die gesetzliche Krankenversi-cherung zur Melkkuh Ihres Wahlkampfes zu machen.Sie wollen das Solidarsystem damit weiter untergraben,aber das wird Ihnen nicht gelingen.Wir alle haben in den letzten zweieinhalb Jahren dochgesehen, wie Gesundheitspolitik mit schwarz-gelberHandschrift aussieht.
Ich nenne das Wichtigste hier noch einmal in Kürze:Erstens: Beitragserhöhung ohne den Versuch der He-bung von Effizienzreserven im System.Zweitens: Ausweitung der Regelung zu den Zusatz-beiträgen.Drittens: Entsolidarisierung der Finanzierung durchdas Einfrieren der Arbeitgeberbeiträge und durch Verab-
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Steffen-Claudio Lemme
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schiedung von der paritätischen Finanzierung der Kran-kenversicherung.Viertens: ein Versorgungsstrukturgesetz, das sich we-sentlich nur an den Einkommen der Ärztinnen und Ärzteorientiert.Das ist die Bilanz Ihrer Politik, die vor allem dieSchwächsten in unserer Gesellschaft am härtesten ge-troffen hat.
Nun, wo sich die Debakel in Kiel, Saarbrücken undDüsseldorf bereits am Horizont abzeichnen, soll es maleben ans Verteilen gehen. Sie sind doch diejenigen, dieimmer mit dem Damoklesschwert sinkender Einnahmendurch konjunkturelle Abkühlung drohen. Nun deutetsich am Horizont eine solche Situation an, und trotzdemwollen Sie am liebsten unsolide Politik machen.Ich gebe Ihnen völlig recht, wenn Sie sagen: DieRücklagen gehören den Versicherten. – Ja, sie haben siemit ihren Beiträgen aufgebracht. Da heißt es, mit Augen-maß an die Sache heranzugehen, die kommenden Jahrein den Blick zu nehmen und nicht nur auf die nächstenWahltermine zu schauen. Denn was passiert, wenn sichdie Einnahmesituation der gesetzlichen Krankenversi-cherung konjunkturbedingt verschlechtert?
Wir alle wissen doch, dass Rücklagen in dieser Größen-ordnung bei jährlichen Gesamtausgaben von rund186 Milliarden Euro schmelzen werden wie Butter in derSonne.
Und was droht den Versicherten im Falle von Defiziten?Richtig: Ihre unsolidarischen Zusatzbeiträge – mehrnicht.
Meine Fraktion blickt mit Geschlossenheit in die Zu-kunft.
Statt an dem Hin und Her bei der Finanzierung festzu-halten, müssen wir zu echten Strukturreformen kommen.Unser Weg heißt: mehr Solidarität – und nicht weniger,wie es Ihr Weg ist.Unsere Bürgerversicherung wird ab 2013 echte Spiel-räume, aber vor allem mehr Gerechtigkeit schaffen.
Das schließt so unbeliebte Regelungen wie die Praxis-gebühr mit ein. Ich betone, dass wir als SPD auch in Zu-kunft an einer hausarztzentrierten Versorgung und derLotsenfunktion der Allgemeinmediziner festhalten wer-den. Die bestehende Regelung zur Praxisgebühr, die wirim Übrigen der Haltung der Union im Vermittlungsaus-schuss zu verdanken haben,
hat ihr ursprüngliches Ziel der Reduzierung der Zahl vonArztbesuchen und daraus folgender Einsparungen imSystem leider nicht erreicht und ist daher überholt.Für mich zählt in diesem Zusammenhang, dass dieje-nigen, die beispielsweise durch prekäre Beschäftigungnur über ein geringes Einkommen verfügen oder von Al-tersarmut bedroht sind, nicht davon abgehalten werdendürfen, zum Arzt zu gehen. Denn eines wissen alle ge-nau: Werden Krankheiten verschleppt, schadet das nichtnur dem Patienten; vielmehr muss die Gemeinschaft derVersicherten die Kosten von möglichen Folgeerkrankun-gen tragen. Das können wir alle gemeinsam nicht wol-len.Vielen Dank.
Das Wort hat nun Willi Zylajew für die CDU/CSU-
Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ichmöchte zunächst einmal festhalten, dass aus meinerSicht kein vernünftiger Mensch die Aufgeregtheit derSPD bei diesem Thema verstehen kann.
Noch weniger ist zu verstehen, dass eine Fraktion, diejahrelang Verantwortung im Gesundheitswesen hatte,eine Aktuelle Stunde zu diesem Thema anmeldet.
Halten wir nüchtern fest: Die Lohnnebenkosten lie-gen derzeit unter 40 Prozent, bei 39 Prozent.
– Das sehen manche in Ihrer Fraktion anders, HerrLauterbach. Werden Sie sich da einig, und dann sagenSie uns Bescheid. – 39 Prozent ist die Zahl, die den Ar-beitnehmer in erster Linie interessiert. Wir hatten schonZeiten, in denen die Sozialversicherungsbeiträge bei41 Prozent, also extrem hoch, lagen.
– Ich glaube, das ist eher die Zeit Ihres Kollegen Schröderund anderer gewesen, als Sie noch Berater in der Politikwaren. Da hatten sie das erreicht, Herr ProfessorLauterbach.
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Willi Zylajew
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Die Kassen der Sozialversicherung waren trotz extremhoher Beiträge leer, und sie waren nicht nur leer, sondernwir hatten Milliarden Schulden. Dafür gab es auchGründe. Falsche politische Beratung war sicherlich eineUrsache. Außerdem wurde Systemausbeutung nicht ver-hindert. Es gab Fehlentwicklungen und Fehlanreize inTeilen dieser Branche. Darüber hinaus war auch die Ar-beitslosenzahl eine andere; das gestehe ich Ihnen gernezu.Werter Professor Lauterbach, Sie haben doch ebenschon gehört, wie falsch Ihre Prognosen von vor einemJahr waren. Ich vermute, Ihre heutigen sind auch nichtbesser. Ich weiß nicht, auf welchen Apparat Sie da zu-rückgreifen können und zurückgreifen.
Aber hilfreich sind die Dinge aus meiner Sicht nicht.
– Mit spärlichem Beifall komme ich auch zurecht.
Wir haben die meisten Dinge gegen Sie durchsetzenmüssen.
Wir haben letztendlich – Kollegin Bender, auch diessollte man sagen, um deutlich zu machen, dass wir nichthorten – Überschüsse erwirtschaftet und brauchen kei-nen Sozialausgleich. Die Beiträge sind verkraftbar. Sieliegen bei 39 Prozent.
Damit können wir die Leistungen, die wir verbessert ha-ben, verlässlich finanzieren. Wir können darüber hinausauch noch überlegen, wie man in anderen Bereichen, wiezum Beispiel bei der Haushaltsversorgung, zu Verbesse-rungen kommen kann.
Wir brauchen dazu eine verlässliche Finanzierung. Dieseist gegeben, aber Sie wird von Ihnen attackiert.Kollege Lauterbach, wenn man Ihren Vorschlägen– also denen des Beraters Lauterbach, des Wissenschaft-lers Lauterbach oder des Abgeordneten Lauterbach; diesind ja manchmal unterschiedlich – folgen würde, dannmüssten wir uns den Kopf darüber zerbrechen, was wirim Falle von leeren Kassen tun. Da ist aber nicht nötig.Wie mir vorhin auffiel, sitzen heute Nachmittag auf derZuschauertribüne besonders viele junge Leute. Diese er-warten von uns, dass wir Rücklagen bilden und Reser-ven ansparen. Sie erwarten, dass wir die Sozialversiche-rung
– richtig! – gescheit organisieren. Dazu gehört, dass diein diesem Bereich Tätigen vernünftig bezahlt werdenund dass die Menschen die notwendigen Hilfen bekom-men.All dies können wir schaffen, aber nur deshalb, weilwir eine richtige und vernünftige Politik machen undweil wir die Sozialversicherungssysteme so fahren, dasssie leistungsstark, wirtschaftlich stabil und auch effizientsind.
In diesem Sinne wollen wir weiter arbeiten. Und dazerbrechen wir uns auch gern den Kopf darüber, was wirmit Überschüssen machen. Im Zweifelsfall lassen wir sieeine Zeitlang unangetastet.
Kollege Singhammer hat dazu sehr klar Position bezo-gen. Damit sind wir der Garant für eine vernünftige So-zialpolitik.Danke für die Aufmerksamkeit.
Das Wort hat nun Edgar Franke für die SPD-Fraktion.
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen undHerren! Wir haben schon gehört, wie hoch die Über-schüsse sind. Aber wir haben auch – das fand ich interes-sant, Herr Singhammer und Frau Aschenberg-Dugnus –unterschiedliche Zahlen dazu gehört, wie die Situationvor zwei, drei Jahren aussah. Was Sie behaupten, istwirklich eine Mär. Herr Minister, ich kann dem KollegeLemme nur zustimmen – er hat auch mir das Papier, ausdem er zitiert hat, gegeben –: Vor zwei Jahren hatten wirin der GKV 2 Milliarden Euro Rücklagen und keine10 Milliarden Euro Miese. Andere Zahlen sind einfachnicht wahr.
Herr Singhammer, wem sind diese Rücklagen geradein der gesetzlichen Krankenversicherung geschuldet?Wer hat dafür gesorgt? Diese Rücklagen sind durch dieArbeitsmarktreformen der rot-grünen Regierung ermög-licht worden;
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19837
Dr. Edgar Franke
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denn diese haben dafür gesorgt, dass wir so viel Be-schäftigung haben.
Wir sind vielfach für diese Arbeitsmarktreformen kriti-siert worden.
Aber sie sind die Ursache dafür, dass wir heute einesolch gute wirtschaftliche und Arbeitsmarktlage inDeutschland haben.
– Herr Fraktionsvorsitzender Brüderle, man darf Ursa-che und Wirkung nicht verwechseln. Sie haben denSachverhalt im Grunde genommen nicht richtig darge-stellt.Was machen wir jetzt mit den Überschüssen? Ichhabe einige Äußerungen mitgeschrieben. In der Debattewurden vier Vorschläge gemacht: Der erste Vorschlagwar, den Versicherten das Geld zurückzugeben. Derzweite Vorschlag war, den Beitrag zu senken. Der dritteVorschlag war, die Praxisgebühr abzuschaffen, und dervierte Vorschlag war, alles so zu belassen, wie es ist.Der vierte Vorschlag wird von Teilen der Koalition fa-vorisiert, vom Minister anscheinend auch. Aber daswürde bewirken, dass Sie weiterhin nur Klientelpolitikfür Ihre Leute machen.
Das heißt, bestimmte Facharztgruppen würden Sie wei-ter beglücken. Das wäre die Konsequenz, wenn man dasGeld im System belassen würde.Das Geld in Form von Prämien, die die Kassen zahlenmüssten, den Versicherten zurückzugeben – das hat derMinister vorgeschlagen –, ist nicht realistisch. Denn dieKassen werden nichts auszahlen, weil sie Angst davorhaben, Zusatzbeiträge zu erheben.
Was passiert denn, wenn eine Kasse Zusatzbeiträge ver-langt? Diese Beiträge müssen von den Arbeitnehmernallein gezahlt werden; sie erscheinen nicht auf demLohnzettel. Das würde sofort zu Konsequenzen für dieKasse führen. Herr Minister, wenn man Wettbewerbwill, dann müsste man politisch in eine ganz andereRichtung gehen: Man müsste die Beitragsautonomie derKassen wiederherstellen, um wirklichen Wettbewerb zuerreichen.
Das wäre vielleicht auch etwas für die FDP, meine sehrverehrten Damen und Herren.
Eine Beitragssenkung von 0,1 Prozentpunkten ent-spricht 1 Milliarde Euro. Ich glaube, es ist nicht realis-tisch, hier zielgenau vorgehen zu können.Ich glaube, realistisch ist der Vorschlag, die Praxisge-bühr wieder abzuschaffen. Das wäre ein Akt der Wieder-herstellung der vollen Parität zwischen Arbeitnehmernund Arbeitgebern in der Krankenversicherung. Vielfachist bereits gesagt worden, dass die Praxisgebühr nicht dieSteuerungsfunktion hat, die sie haben sollte. Sie ist alleinein Finanzierungsinstrument; sie bringt knapp 2 Milliar-den Euro. Es gibt aber auch andere Gründe für deren Ab-schaffung. Es sollen nicht nur Kranke und Einkommens-schwache entlastet werden. Vor allen Dingen müssen wir– das hat Frau Aschenberg-Dugnus gesagt – die Büro-kratie- und Verwaltungskosten bei den Ärzten abbauen.
Insofern ist die Abschaffung der Praxisgebühr eine rea-listische Alternative.Sie ist allerdings nur dann eine Alternative – das sageich an die Linken gerichtet –, wenn man das ordentlichund seriös gegenfinanziert. Wir brauchen eine Finanzie-rung, mit der die wegfallenden 2 Milliarden Euro kom-pensiert werden. Wir als Sozialdemokratinnen und So-zialdemokraten sagen: Wir müssen das gegenfinanzierenmit Beitragsautonomie, mit einer nominellen Parität,letztlich mit einer Bürgerversicherung, die bewirkt, dasswir mehr Einnahmen erzielen. Das ist der Weg.
Beitragsautonomie heißt, dass Arbeitgeber und Arbeit-nehmer denselben Beitrag zahlen. Bürgerversicherungheißt, dass alle grundsätzlich nach denselben Kriterien inein System einzahlen, egal in welcher Versicherung siesind. Das ist eine Form, mit der wir nachhaltig und zu-kunftsfähig eine Krankenversicherung finanzieren, dieeine bessere Qualität hat und wirtschaftlicher ist. SelbstHerr Spahn, der gerade nicht anwesend ist, hat mehrfachin Interviews gesagt, dass er für die private Krankenver-sicherung in diesem Sinne keine Zukunft sehe. Die Bür-gerversicherung ist eine Versicherung, die den Interessender Patientinnen und Patienten am ehesten entspricht.Danke schön.
Das Wort hat nun Erwin Lotter für die FDP-Fraktion.
Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine Damen und Herren! Ich möchte mich zunächstbei den Kolleginnen und Kollegen der SPD ganz herz-lich für die Gelegenheit bedanken, hier über die Erfolge
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19838 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Dr. Erwin Lotter
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der christlich-liberalen Gesundheitspolitik sprechen zukönnen.
Aus einem drohenden Defizit der gesetzlichen Kranken-versicherung von 11 Milliarden Euro bei der Regie-rungsübernahme vor zweieinhalb Jahren haben wir mitguter Gesundheits-, aber auch mit hervorragender Wirt-schaftspolitik einen Überschuss von knapp 20 Milliar-den Euro erzielt. Nur deshalb können wir diese Diskus-sion hier und heute überhaupt führen.
Wie wollen wir nun mit den Überschüssen umgehen?Für uns ist eindeutig, dass wir die gute Lage der Kassennicht dazu nutzen wollen, die Ausgaben zu erhöhen. DieLage ist ja auch deshalb so gut, weil wir gespart haben.Also schauen wir uns lieber die Einnahmeseite an.Selbstverständlich – da sind wir uns alle einig – müs-sen wir Rücklagen bilden, im Gesundheitsfonds und beiden einzelnen Kassen. Die christlich-liberale Koalitionsteht auch im Gesundheitssystem für eine solide Haus-haltspolitik. Deshalb müssen wir natürlich sinnvoll wirt-schaften und langfristig planen.Dennoch gilt für uns der Grundsatz: Krankenkassensind keine Sparkassen.
Die erwirtschafteten Überschüsse der Krankenkassenstammen aus Beitragszahlungen und gehören den Ver-sicherten. Es gibt viele Möglichkeiten; wir werden siejetzt in aller Ruhe diskutieren. Wir freuen uns auch aufIhre Vorschläge.Eine Möglichkeit, die der Minister angeregt hat, istdie Prämienausschüttung von Kassen mit großen Reser-ven. Die Kassen sollen ihre Chance auf Teilnahme amWettbewerb annehmen, um attraktiver zu werden undweitere Kunden anzuwerben.Über 9 Milliarden Euro haben sich als Überschuss imGesundheitsfonds angesammelt. Davon ist ein Teil ge-setzlich, auch als Mindestreserve, gebunden. Die guteKonjunktur und aktuelle Lohnsteigerungen werden mit-telfristig für ein weiteres Ansteigen der Überschüsse sor-gen. Damit haben wir genügend politischen Spielraum,um die von Rot-Grün im Jahr 2004 eingeführte Praxis-gebühr abzuschaffen.
Herr Kollege Weinberg, jetzt aber mit einem Schaufens-terantrag einen Keil in die Koalition treiben zu wollen,das bezeichne ich als Klamauk.
Wir können gerne auf sachlicher Ebene weiterdiskutie-ren.
Es gibt gute Gründe für eine Abschaffung der umstrit-tenen Gebühr. Die Praxisgebühr ist eine unsoziale Vor-kasse, von SPD und Grünen eingeführt.
Das mit der Einführung dieser zusätzlichen Krankenkas-sengebühr verbundene Ziel einer Steuerungswirkungwurde schlicht verfehlt.
Geblieben ist der bürokratische Mehraufwand. Die kom-fortable finanzielle Ausstattung der Kassen belegt, dassetwaige Mehreinnahmen aus der Praxisgebühr nicht ge-neriert werden müssen. Die kosten- und zeitintensiveVerwaltungsarbeit ist nicht zu rechtfertigen. Gute medi-zinische Leistung verlangt Zeit für den Patienten, nichtfür seine „administrative Verarztung“.
Die Praxisgebühr ist den Menschen in Deutschlandbei den momentanen Überschüssen in Milliardenhöhenicht mehr vermittelbar.
Der bürokratische Aufwand ist gewaltig. Allein dieVerwaltung und das Mahnwesen für die Praxisgebührbelaufen sich Schätzungen der Kassenärztlichen Bun-desvereinigung zufolge auf knapp 360 Millionen Euro,und das jährlich.Auch besteht bei sozial schwächer gestellten Bürgerndie Gefahr der Krankheitsverschleppung mit hohen Fol-gen für die Solidargemeinschaft.Mit einer Abschaffung der Praxisgebühr entfielenumfangreiche bürokratische Regelungen zur Verwaltungvon Ausnahmetatbeständen und Gebührenbefreiungen.
Dies wäre eine wirklich sinnvolle Maßnahme.
Sie entlastete nicht nur Ärzte und Kassen, sondern träteauch weitverbreitetem Unmut bei Patientinnen und Pa-tienten entgegen.
Ein Wort noch zur Bürgerversicherung, meine Damenund Herren von der linken Seite. Sie würden mit derBürgerversicherung natürlich zunächst mehr Einnah-men generieren;
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012 19839
Dr. Erwin Lotter
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aber die anstehenden Herausforderungen aufgrund derDemografie und des medizinischen Fortschritts werdenSie damit letztlich nicht finanzieren können.
Was wird passieren, wenn die Mittel nicht mehr zur Ver-fügung stehen? Es wird Wartelisten geben. Und was be-deutet eine Warteliste? Rationierung. Das steht am EndeIhrer Bürgerversicherung: eine Rationierung im Gesund-heitswesen, die kein vernünftig denkender Mensch wirk-lich will.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Als letztem Redner erteile ich Kollegen Rudolf
Henke für die CDU/CSU-Fraktion das Wort.
Verehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kol-legen! Meine Damen und Herren! Ich nenne die Gebühr,um die es hier geht, nicht Praxisgebühr, weil das dieSuggestion verbreitet, dass es sich um Geld handelt, dasprimär den Praxen zugutekommt; es handelt sich abervielmehr um eine Kassengebühr.
Das Ganze ist ein zweiter Inkassoweg. Ich habe in derTat mein Problem mit der Sinnhaftigkeit eines zweitenInkassoweges, weil ein solcher immer das Problem insich birgt, dass die typische Einfachheit, die einen ein-zelnen Inkassoweg auszeichnet, entfallen könnte.
– Sie wollen das ja abschaffen. – Nur, liebe Kolleginnenund Kollegen, was ist mit der Zuzahlung bei den Arznei-mitteln? Das ist ja auch ein eigener Inkassoweg. Was istmit den Zuzahlungen im Krankenhaus? Das ist ebenfallsein eigener Inkassoweg.Was ist mit den Zuzahlungen bei Kuren oder, wie esrichtigerweise heißen muss, Rehabilitationsleistungen?Auch das ist ein eigener Inkassoweg. Müsste man, wennman denn sagt „Wir wollen das alles weghaben“, nichtsogar den gesamten Zusatzbeitrag infrage stellen?
Müsste man aus diesem Blickwinkel nicht sagen: „DieOpposition hat recht“?
Ich finde das, wenn ich es von Freund zu Freund sosagen darf, ein bisschen inkonsequent.
Sie haben recht, wenn es um die Bürokratiekosten unddie Frage geht, welche Steuerungswirkung die Gebührhat. Der entscheidende Punkt ist aber doch – HerrDr. Franke hat das ausgeführt –: Sie müssen eine Ant-wort darauf geben, was denn mit den 2,1 MilliardenEuro ist, die die Gebühr in die Kasse bringt.
Frau Bas hat gesagt: Das sind zu viel Mittel; wir brau-chen dieses Geld. – Andere haben gesagt: Wir können esuns leisten. – Ich bin da nicht ganz so optimistisch.Machen wir uns doch einmal klar: Wenn man die2 Milliarden Euro für den Sozialausgleich bei den Zu-satzbeiträgen abzieht – man muss sie ja wohl heraus-rechnen, da die Mittel für einen anderen Zweck als fürdie reine Leistungsfinanzierung gedacht sind –, dannkommen wir auf einen Überschuss von 18 MilliardenEuro. Welche Ausgaben haben wir? Wir haben in der ge-setzlichen Krankenversicherung Ausgaben im Umfangvon über 180 Milliarden Euro. Das heißt: Wenn man ad-diert, was im Gesundheitsfonds und bei den Kassen aufden Konten ist, erkennt man, dass sich die Rücklagen ineiner Größenordnung von gerade einmal 10 Prozent be-wegen.Ja, wir haben eine gute ökonomische Situation inDeutschland, weil wir im Moment finanziell erfolgrei-cher und wirtschaftskräftiger sind als die Staaten um unsherum. Das ist ein Erfolg der christlich-liberalen Koali-tion, ein Erfolg des Kabinetts Merkel.
Wir haben ein Konjunkturhoch, keine Frage. Das habendie Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutsch-land erarbeitet, die mit ihrem Fleiß und ihrer Leistungfür den wirtschaftlichen Erfolg des Landes sorgen. ImÜbrigen sind sie es, die das Geld in die Kassen der So-zialversicherung einzahlen, und zwar sowohl den Ar-beitnehmerbeitrag als auch den Arbeitgeberbeitrag; dennauch der Arbeitgeberbeitrag wird durch die Leistung derArbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer erwirtschaftet.
Aber was ist denn, liebe Kolleginnen und Kollegen,wenn die Konjunktur wieder abkühlt? Schwächelt dannnicht auch die Einnahmebasis? Ich halte deswegennichts von einem Forderungswettbewerb, auf welcheWeise wir dafür sorgen können, dass sich die Finanz-reserven, die sich zuletzt gebildet haben, schnellstenswieder verflüchtigen.
Es gibt noch andere Forderungen als nur die Forde-rung nach der Abschaffung der Kassengebühr. Da gibt es
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19840 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 167. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 21. März 2012
Rudolf Henke
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auch die Forderung, die etwa von der Vertreterversamm-lung der Kassenärztlichen Vereinigung Hamburg formu-liert wird. Die Vertreterversammlung fordert eine Aus-zahlung des in den vergangenen Jahren erbrachtenSparbeitrages der Vertragsärzte zur Sanierung der Finan-zen der Krankenkassen. Da gibt es die Forderung desVerbandes der Krankenhausdirektoren Deutschlands, dervorträgt:Für 2012 zeichnet sich eine Unterfinanzierung imPersonalbereich der Krankenhäuser ab, die wir kon-servativ mit 1 Milliarde Euro veranschlagen.
Da gibt es etwa die Forderung der Psychotherapeuten,die uns schreiben:Psychotherapeuten mahnen: Chance auf Sicherungund Verbesserung der Versorgung psychisch Kran-ker nicht vertun! Kassenreserven für die Versor-gung!Da gibt es die Forderung der Gemeinschaft Fachärztli-cher Berufsverbände, die da schreibt:Die GFB fordert, die GKV-Überschüsse zumindestin Teilen zur Förderung des fachärztlichen Nach-wuchses in Praxen analog zur Förderung der haus-ärztlichen Weiterbildung … zu nutzen.Ich will Ihnen damit nur sagen: Die Debatte, die sichauf die Forderung bezieht, mit diesem Geld irgendetwasfiskal Aktives zu machen, ist nicht die einzige, die wirdann führen müssen. Wenn man meint, das Geld sei da-für da, um es in homöopathischen Dosen zurückzuzah-len, dann wird die Frage sein: Was ist denn mit der Leis-tungsqualität? Was diskutieren wir dann im Bereich derLeistungsfinanzierung? Deswegen sage ich: TäuschenSie die Bürger nicht im Hinblick auf das Gewicht einerRücklage, die bei gerade einmal 19,5 Milliarden Euroliegt; es ist weniger, als wir denken.Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 22. März 2012,
9 Uhr, ein.
Die Sitzung ist geschlossen.