Gesamtes Protokol
Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße Siesehr herzlich und heiße Sie alle willkommen. Die Sit-zung ist eröffnet.Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 auf:Befragung der BundesregierungDie Bundesregierung hat als Thema der heutigen Ka-binettssitzung mitgeteilt: Deutsches Ressourceneffizienz-programm.Das Wort für den einleitenden fünfminütigen Berichthat der Bundesminister für Umwelt, Naturschutz undReaktorsicherheit, Herr Dr. Norbert Röttgen. – Bitteschön, Herr Bundesminister.Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Vielen Dank. – Herr Präsident! Sehr geehrte Kolle-ginnen und Kollegen! Die Bundesregierung hat in ihrerheutigen Sitzung das Deutsche Ressourceneffizienzpro-gramm beschlossen. Damit legt eine Bundesregierungerstmals ein umfassendes Programm zur nachhaltigenNutzung von Rohstoffen vor. Es ist ein Programm, dasglobal noch nicht viele Vorbilder hat. Beim Thema Res-sourceneffizienz sind wir vielmehr Vorreiter einer sol-chen programmatisch konzeptionellen Ausarbeitung.Das entspricht dem Anspruch der Bundesregierung, dassunser Land eine der ressourceneffizientesten Volkswirt-schaften wird und Vorreiter bei dieser Entwicklungbleibt. Wir sind erfolgreich, und wir müssen es auchsein. Es gibt kein anderes Gebiet, wo ökonomische Ver-nunft und ökologische Verantwortung so identisch sindwie beim Thema Ressourceneffizienz.In den letzten zehn Jahren haben wir global einendeutlichen Anstieg des Ressourcenverbrauchs erlebt,nämlich um ein Drittel weltweit. In den letzten zehn Jah-ren ist der Ressourcenverbrauch in Deutschland um11 Prozent reduziert worden. Wir haben in den vergan-genen 20 Jahren eine Steigerung der Rohstoffproduktivi-tät um fast 50 Prozent erreicht. Das zeigt, Deutschlandist das Effizienzland. Aber Deutschland ruht sich nichtaus; wir wollen aus ökonomischen und ökologischenGründen das ressourceneffizienteste Land im globalenWettbewerb werden. Die Rohstoffnachfrage wird weitersteigen. Darum sind Effizienz und ein umfassendes Pro-gramm eine Notwendigkeit, der wir uns stellen.In Deutschland werden in der Produktion rund500 Milliarden Euro für den Rohstoffverbrauch ausgege-ben. Im produzierenden Gewerbe liegt der Anteil derMaterialkosten bei 45 Prozent, in rohstoffintensiven Un-ternehmen liegt er bei fast 50 Prozent. Im produzieren-den Gewerbe liegen die Lohnkosten inzwischen beiunter 20 Prozent. Dies macht deutlich, dass es Kosten-gründe, ökonomische Gründe und betriebswirtschaftli-che Gründe sind, die die Ressourceneffizienz zu einemsinnvollen Projekt machen. Ich nenne ein Beispiel. Diedeutsche Metallindustrie ist mit jährlich circa 46 Millio-nen Tonnen Rohstahl und mit circa 2,8 Millionen Ton-nen Nichteisenmetallen der größte Stahl- und Nichtei-senmetallerzeuger in der EU. Die steigenden Preise fürEisenerz, Stahl, Schrott und Nichteisenmetalle belastendie produzierende Wirtschaft erheblich. Die Rohstoff-preise haben sich hier im letzten Jahrzehnt verdreifacht.Recycling von Massenmetallen ist darum ein zentralerBeitrag zur Wettbewerbsfähigkeit unserer Volkswirt-schaft. Ein anderes Beispiel ist Kupfer. Wenn man Kup-fer recycelt und nicht im Tagebau gewinnt, spart man50 Prozent Energie, 50 Prozent Schlacke und 100 ProzentSchwefelsäure. In 1 Tonne Handyschrott steckt 60-malmehr Gold als in 1 Tonne Golderz.Darum gehen wir diese Fragen konzeptionell an,quasi als Strategie; dabei sind wir sowohl umfassend alsauch konkret. In unserer Konzeption betrachten wir diegesamte Wertschöpfungskette: von der nachhaltigenRohstoffversorgung über die Ressourceneffizienz in derProduktion, die Ressourceneffizienz im Konsum und na-türlich die ressourceneffiziente Kreislaufwirtschaft. Wirbetrachten Elektromobilität, Energieversorgung, nach-haltiges Bauen und einzelne Stoffströme. Außerdem ge-hen wir konkreten Fragen nach: Wie führt man Umwelt-managementsysteme ein? Wie können Produkte und vorallem Produktionsprozesse effizienter gestaltet werden?Wie können freiwillige Produktkennzeichen- und Zerti-fizierungssysteme erfolgreich eingeführt werden? Wie
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19132 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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lässt sich Ressourceneffizienz im öffentlichen Beschaf-fungswesen optimieren?Wir werden unseren bisherigen Weg fortsetzen. Alsein erfolgreiches Beispiel nenne ich in diesem Zu-sammenhang die Beratung kleiner und mittlerer Unter-nehmen, die in einer einzigartigen Kooperation desBundesumweltministeriums mit dem Verein DeutscherIngenieure sehr erfolgreich unterstützt und von derdemea, der Deutschen Materialeffizienzagentur, die zumRessortbereich des Bundeswirtschaftsministers gehörtund sehr erfolgreich arbeitet, gefördert wird. Dieses Bei-spiel zeigt, dass unser Anliegen zugleich wirtschaftlicherund umweltpolitischer Natur ist.Den Prozess der Ausarbeitung haben wir sehr praxis-nah und sehr transparent gestaltet. Dabei sind Akteureder Zivilgesellschaft tätig gewesen; es hat wissenschaft-liche Beratungen und Diskussionen gegeben, über hun-dert schriftliche Stellungnahmen sind eingeflossen. Diebreite Öffentlichkeit ist durch eine Internetkonsultationeinbezogen worden.Die Bundesregierung ist der Auffassung, dass diesesKonzept übergreifend ist. Es handelt sich um ein wirt-schaftliches und ressourcenpolitisches Programm zurModernisierung unserer Gesellschaft, mit dem man sichzu Wachstum bekennt, bei dem man aber gleichzeitigweiß, dass sich Wachstum, wenn es nachhaltig sein soll,vom Ressourcenverbrauch abkoppeln muss.Wir sind erfolgreich, aber noch nicht erfolgreich ge-nug und somit noch nicht am Ziel. Wir werden weiter-machen, um das Ziel zu erreichen, in Deutschland bis2020 die Rohstoffproduktivität im Vergleich zu 1994 zuverdoppeln. Das ist ein nationales Ziel; zugleich ist esaber ein nicht zu unterschätzender konkreter Beitragzum Gelingen der vor uns liegenden Konferenz „Rioplus 20“, bei der es darum geht, solche Konzepte inter-national nachhaltigen Wachstums auch in eine interna-tionale Ordnung zu bringen. Das Ganze lebt nicht nurvom Reden, sondern auch vom Handeln. Daraus er-wächst Glaubwürdigkeit. Darum ist dieses Programm sowichtig.Vielen Dank.
Vielen Dank, Herr Bundesminister. – Liebe Kollegin-
nen und Kollegen, ich erinnere an unsere Ein-Minuten-
Regelung für Fragen und Antworten. Bei der Einhaltung
der Minute werden Sie durch eine sekundenweise rück-
wärtslaufende Uhr sowie durch Lichtsignale in Gestalt
eines Farbfeldes Grün-Gelb-Rot unterstützt. In den ers-
ten 30 Sekunden zeigt das Farbfeld Grün, gefolgt von
Gelb. Nach Ablauf der 60 Sekunden, also nach Ablauf
der Redezeit, erscheint es dann in Rot. Ich glaube, beim
nächsten Mal müssen wir darauf nicht mehr hinweisen;
dann ist es allgemein bekannt.
Ich bitte, zunächst die Fragen zu dem Themenbereich
zu stellen, über den soeben berichtet wurde. Als Erstem
gebe ich das Wort unserem Kollegen Dr. Matthias
Miersch.
Herr Minister, vielen Dank für den Bericht. – Das,
was Sie zum Schluss im Hinblick auf Handeln und
Reden gesagt haben, ist mit Blick auf die derzeitige Bun-
desregierung und in Ihr Zusammenspiel mit dem Bun-
deswirtschaftsminister nicht immer so ganz einfach.
Deswegen haben Sie vorhin so schön geredet.
Ich frage Sie ganz konkret nach einer Maßnahme:
Wird sich die Bundesregierung für die Realisierung des
Top-Runner-Ansatzes, der auf internationaler Ebene
durchaus erfolgreich ist, national und auf europäischer
Ebene einsetzen? Haben Sie das beschlossen?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Wir haben uns dafür eingesetzt. Wir werden uns wei-
ter dafür einsetzen; es ist ausdrücklicher Bestandteil un-
serer Beschlussfassung zum Energiekonzept und zur
Energiewende. Also: ein dreifaches Ja.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller ist unser Kol-
lege Dr. Thomas Gebhart.
Herr Minister, es ist ein großer Fortschritt, dass dieBundesregierung ein solches nationales Ressourceneffi-zienzprogramm auf den Weg gebracht hat, ein Meilen-stein, den wir ausdrücklich begrüßen. Die Frage, die sichmir stellt, lautet: Welche Fördermittel beabsichtigt dieBundesregierung im Rahmen der Haushaltsplanung fürdas Deutsche Ressourceneffizienzprogramm zur Verfü-gung zu stellen?Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Wir haben in diesem Jahr nicht nur dieses Programmausgearbeitet, sondern auch parallel gehandelt und neueFörderprogramme auf den Weg gebracht. Alte Förder-programme werden wir fortsetzen und auch intensivie-ren. Ich möchte in besonderer Weise herausheben, dassdie KfW natürlich in Kooperation mit der Bundesregie-rung in diesem Jahr erstmals, übrigens unlimitiert, einenspeziellen Fördertatbestand Ressourceneffizienz in ihrUmweltprogramm aufgenommen hat. Das ist ein neuerSchwerpunktförderbereich der KfW.Die Förderprogramme, die wir in den unterschiedli-chen Bereichen haben, werden natürlich fortgesetzt. Ichhabe eben schon insbesondere ein Projekt, nämlich dasVDI Zentrum für Ressourceneffizienz, genannt. DiesesProjekt ist kennzeichnend für den Schwerpunkt „Bera-tung kleiner und mittlerer Unternehmen“. Das Ziel derRessourceneffizienz wird sich in diesem Jahr noch stär-ker im Umweltinnovationsprogramm der Bundesregie-rung und natürlich in weiterer Gesetzgebung widerspie-geln.Sie wissen, dass gerade vor wenigen Wochen dasnach 16 Jahren novellierte Kreislaufwirtschaftsgesetz inKraft getreten ist; es ermöglicht mehr Wiederverwertungund höhere Recyclingquoten. Darauf aufbauend werden
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Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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wir jetzt die gesetzliche Einführung einer Wertstofftonnein Angriff nehmen. Damit wird zum Beispiel das kon-krete Ziel verfolgt, dass pro Einwohner und Jahr nocheinmal 7 Kilogramm wertvoller Reststoffe nicht depo-niert, verbrannt oder weggeworfen, sondern der Kreis-laufwirtschaft zugeführt werden. Der Ansatz ist also um-fassend: Beratung, Förderung und Gesetzgebung. Wirwerden diesen Aspekt auf nationaler, europäischer undinternationaler Ebene konsequent verfolgen.
Jetzt sind wir am Ende der Zeit. – Nächste Fragestel-
lerin ist Kollegin Dorothea Steiner.
Vielen Dank, Herr Minister, für die Ausführungen zu
diesem Programm, das Ihr Kollege von der Union als
„Meilenstein“ bezeichnet. – Ich teile die Einschätzung
des Kollegen Miersch, dass darin sehr schöne Worte und
hehre Zielsetzungen enthalten sind; je konkreter es wer-
den soll, desto größer ist aber die Nullstellenanzahl.
Nachdem Sie selber das Kreislaufwirtschaftsgesetz
angesprochen haben – da geht es ja auch um Ressour-
cenwiedergewinnung –, möchte ich Sie als Erstes fra-
gen: Wieso haben Sie die Recyclingquoten so niedrig
angesetzt, dass sie teilweise, zum Beispiel bei verschie-
denen Baustoffen, schon jetzt erreicht werden, anstatt
ambitioniertere Recyclingquotenziele, zum Beispiel für
2015, 2017 oder 2020, anzustreben?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Frau Kollegin, wir haben die Debatte um das Kreis-
laufwirtschaftsgesetz geführt. Wir haben in dem Gesetz
ohne jeden Zweifel die höchsten Recyclingquoten in
ganz Europa vorgesehen; sie werden weiter gesteigert.
Wir haben eine neue, fünfstufige Abfallhierarchie einge-
führt, um die Aspekte der Vermeidung von Abfall, der
Wiederverwertung und des Recyclings auszudifferenzie-
ren. Darum gab es am Ende eine so breite Unterstützung,
ich glaube, auch aller Landesregierungen, an denen Ihre
Partei beteiligt ist; das ist schon an sich bemerkenswert.
Es gab auch die Zustimmung der kommunalen Spitzen-
verbände zu diesem Gesetz. Ich meine, dass das nach
16 Jahren der alten Rechtslage in der Tat ein wirklicher
Meilenstein für die Kreislaufwirtschaft ist. Jetzt geht es
– das ist eben angesprochen worden – mit der Wertstoff-
tonne weiter, die wir einführen werden. Ich glaube, das
ist wirklich ambitioniert, und es ist auch von wirtschaft-
lichem Vorteil.
Weil Sie sagten, es werde viel geredet, aber es sei we-
nig konkret unterlegt, darf ich Ihre Aufmerksamkeit
vielleicht auf den im Programm extra aufgeführten An-
hang lenken, in dem die Schwerpunkte der Aktivitäten
der Bundesregierung en détail ressortübergreifend auf-
gelistet werden. Diese Auflistung vermittelt ein ein-
drucksvolles Bild und weist konkret nach, dass Ressour-
ceneffizienzpolitik schon bislang betrieben wurde,
übrigens nicht nur von der Bundesregierung; auch die
Aktivitäten der Landesregierungen, von Verbänden und
Einrichtungen werden aufgeführt. Das ist in der Tat – –
Das war der Hinweis zum Nachlesen.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
So ist es.
Nächste Fragestellerin, Frau Kollegin Eva Bulling-
Schröter.
Herzlichen Dank. – Herr Minister, die deutsche Nach-
haltigkeitsstrategie hat das Ziel, die Ressourcenpro-
duktivität bis 2020 gegenüber 1990 zu verdoppeln. Mo-
mentan haben wir pro Jahr eine Erhöhung der
Ressourcenproduktivität von 2,7 Prozent. Die Wachs-
tumsrate der deutschen Volkswirtschaft seit 1994 beträgt
real 1,5 Prozent. Wenn ich beide Zahlen nehme und sie
fortschreibe, dann ergibt sich für 2050 rechnerisch ein
absoluter Ressourcenverbrauch von 50 Prozent; laut
dem Wuppertal-Institut sind aber 75 Prozent notwendig.
Meine Frage an Sie lautet daher: Halten Sie diese Min-
derungsziele für angemessen? Halten Sie sie für nach-
haltige Ziele? Wir wissen doch, dass gerade in der ersten
Zeit am meisten Ressourcen eingespart werden können,
wohingegen das Einsparen später immer schwieriger
wird.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Lassen Sie mich etwas zu den Zahlen sagen. Ich habe
eben dargelegt, dass wir in der Nachhaltigkeitsstrategie
das eindeutige Ziel festgelegt haben, die Rohstoffpro-
duktivität bis 2020 bezogen auf 1994 zu verdoppeln. Wir
haben bislang 47,5 Prozent erreicht. Wenn wir das ein-
fach so fortsetzen – auch weil am Anfang die noch tief-
hängenden Früchte geerntet werden können –, dann wird
der Zuwachs 2020 bei circa 82 Prozent liegen. Das zeigt:
Wir waren erfolgreich, wir sind erfolgreich, und wir
wollen noch erfolgreicher werden, um das Ziel der Ver-
doppelung zu erreichen. Es geht voran, auch bei der Ent-
koppelung vom Verbrauch.
Um die Zahlen noch einmal zu nennen: Der Rohstoff-
verbrauch in Deutschland ist im letzten Jahrzehnt bei
steigender Wirtschaftsleistung – die zum Teil enorm
war; wir hatten ein Wachstum zwischen 3 und 3,7 Pro-
zent in den vergangenen Jahren – um 11 Prozent zurück-
gegangen. Das heißt, wir liegen gut; aber wir wollen
noch besser werden. Das sind unsere Ziele.
Nächster Fragesteller, Kollege Oliver Krischer.
Herr Minister, herzlichen Dank für Ihren Bericht. –Dieser Bericht war genauso wie das Programm insge-samt: eine interessante und lesenswerte Stoffsammlung.Die Kurzfassung, die Sie vorgetragen haben, würde manso ähnlich auch bei Wikipedia unter dem Stichwort
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19134 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Oliver Krischer
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„Ressourceneffizienz“ finden. Das Problem der gesam-ten Strategie ist, dass es überhaupt keine Maßnahmengibt. Sie ist zu wenig konkret; was vorliegt ist nichts alsbedrucktes Papier. Ich fürchte, dass diese Strategie amEnde im BMU in einem Aktenschrank landet, abgeheftetwird und zu nichts Konkretem führt.Sie selber haben gerade die nationale Nachhaltig-keitsstrategie angesprochen. Die Kollegen im Umwelt-ausschuss waren nicht bereit, die entsprechenden Zielein den Koalitionsantrag aufzunehmen; das ist schon einbisschen traurig. Wenn die Zahlen stimmen, dann verhältes sich so, dass wir in Bezug auf unser Ziel, die Ressour-ceneffizienz bis 2020 zu verdoppeln, derzeit erst 47 Pro-zent erreicht haben. Es verbleiben noch acht Jahre.Meine Frage: Mit welchen konkreten Maßnahmen wol-len Sie gewährleisten, dass die fehlenden rund 50 Pro-zent – Sie sagen selber, es sei schwierig, sie zu erreichen,weil die „low hanging fruits“ schon weg sind – erreichtwerden?Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Sehr geehrter Herr Kollege, da Sie auf fehlende Akti-vitäten hinweisen, sollte ich vielleicht meinen Lektüre-hinweis wiederholen; diesmal möchte ich auch Seiten-angaben machen. Auf Seite 79 des Programms fängt dieDarstellung der Maßnahmen an, die bereits ergriffenworden sind. Das ist relativ eindrucksvoll. Sie müssendas einfach nur einmal lesen bzw. zur Kenntnis nehmen.
– Es mag ein gewisser parteipolitischer Widerwille vor-handen sein, die Fakten zur Kenntnis zu nehmen und dieErfolge anzuerkennen. Das kann ich ein wenig verste-hen; aber man sollte sich am Ende für unser Land freuen.Bislang sind wir wirklich sehr erfolgreich, und zwardadurch, dass sich die Wirtschaft aus eigenem Interesseaktiv für diesen Bereich einsetzt. Wir haben erfindungs-reiche Ingenieure. Der größte Teil der Arbeit wird vonder Gesellschaft geleistet, aber auch die Politik trägt ih-ren Teil dazu bei, indem sie einen gewissen Rahmensetzt. Ich glaube, dass die Gesellschaft das, was dieseRegierung macht, gut findet.Ich habe eben betont, welche Akzente wir mit dieserPolitik setzen. Ich will das kurz wiederholen. Wir habenüber das Kreislaufwirtschaftsgesetz gesprochen. DiesesGesetz ist ein wirklicher Fortschritt hinsichtlich der Res-sourceneffizienz. Wir werden dieses Gesetz in der ebengeschilderten Weise fortentwickeln. Wir werden es inunsere Innovationsprogramme, in unsere Förderpro-gramme, in die Gesetzgebung, in die Strategie der Euro-päischen Kommission, die jetzt folgt, und in den interna-tionalen Prozess einbringen, und zwar bezogen auf ganzunterschiedliche Bereiche: Elektromobilität, Bauen, Ver-kehr, Produktdesign, Kennzeichnungen für den Verbrau-cher, Zertifizierungssysteme usw. Wir werden allerdingsnicht bevormunden, nicht regulatorisch eingreifen, son-dern wir setzen auf Anreize und Innovationen.
Es ist unglaublich, wie schnell eine Minute vergeht. –
Nächster Fragesteller, Kollege Gerd Bollmann.
Herr Minister, auch mich hat es etwas erstaunt, dass
Sie heute hier schon zweimal betont haben, dass Sie die
Ressourceneffizienz bis 2020 verdoppeln wollen, wäh-
rend in der gerade erst beendeten Ausschusssitzung ein
Antrag der Grünen mit dem gleichen Ziel von Ihren Kol-
legen von Union und FDP abgelehnt worden ist.
Jetzt zu meiner Frage: Wie steht die Bundesregierung
zu einer Rücknahmeverpflichtung, zum Beispiel für Mo-
biltelefone oder Photovoltaikmodule, um vor allem sel-
tene und strategisch wichtige Metalle zurückzugewin-
nen?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Herr Kollege, ich habe es soeben betont: Wir setzen
mit diesem Programm auf Information, auf Beratung,
auf Anreize und nicht auf Vorschriften. In der Bevölke-
rung wie bei den Ingenieuren und in der Wirtschaft ist
eine große Bereitschaft vorhanden, mitzuwirken. Über
die Handys habe ich bereits gesprochen; Sie haben die
entsprechende Verpflichtung angesprochen. Wenn es so
ist, dass in 1 Tonne Handyschrott 60-mal so viel Gold ist
wie in 1 Tonne Golderz, dann ist es, glaube ich, richtig,
nicht auf Regulation und Vorschriften zu setzen, sondern
auf die wirtschaftliche Vernunft, darauf, dass erkannt
wird, wie sinnvoll es ist, dieses Potenzial zu heben. Ich
glaube, dass wir auf diesem Gebiet mit Anreizen, mit
Hinweisen auf die wirtschaftlichen Vorteile, mit Freiwil-
ligkeit viel mehr erreichen als mit einem bevormunden-
den Staat. Herr Kollege, die Bürger sind nach meiner
Einschätzung mindestens so weit wie die Politik.
Als Nächsten habe ich auf meiner Liste KollegenHermann Ott.
Danke schön, Herr Präsident. – Herr Minister, es istgut, dass sich die Bundesregierung um dieses wichtigeThema kümmert. Der Bundestag tut das auch. Er hateine Kommission eingesetzt, die Enquete-Kommission„Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“. Ich habe dasVergnügen und die Ehre, in diesem Rahmen eine Pro-jektgruppe zu leiten, in der es um die Punkte Ressour-cenverbrauch und Entkoppelung geht. Zentraler Begriffin dieser Gruppe ist „Rebound“, ein Begriff, der Ihnensicherlich bekannt ist. Man spricht auch von Jevons‘ Pa-radoxon: Effizienzsteigerung bei gleichbleibendem Preisführt zu mehr Verbrauch. Seit 150 Jahren ist das einehernes Gesetz, das anscheinend noch nie durchbrochenworden ist. Der Begriff „Rebound“ ist in Ihrem Pro-gramm übrigens nicht zu finden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19135
Dr. Hermann E. Ott
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Hier meine Frage: Wie wollen Sie es anstellen, eineabsolute Reduktion zu erreichen? Wir wissen ja, dass esnicht darum geht, eine im Verhältnis zur Produktion rela-tive Verbesserung der Effizienz zu erreichen, sonderndarum, dass wir den Ressourcenverbrauch absolut sen-ken, und zwar möglichst auf die Hälfte dessen, was wirheute verbrauchen. Das geht aber nur mit konkretenMaßnahmen. Das geht nur mit der Schaffung von Ober-grenzen oder durch preisliche Maßnahmen. Bitte sagenSie uns, was die Bundesregierung diesbezüglich plant.Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Ich glaube, dass man beides braucht. Der ErfolgDeutschlands liegt darin begründet, dass wir nachweis-lich beides erreicht haben – wir haben über die Zahlengesprochen –: Wir haben eine Rohstoffproduktivitäts-steigerung in dem beschriebenen Zeitraum von 47,5 Pro-zent erreicht. Dabei geht es um die Frage: Wie viel Roh-stoffverbrauch ist nötig, um eine Maßeinheit desBruttoinlandsprodukts zu erwirtschaften?
– Diese Relation ist auch relevant. Sie ist aber nicht dieeinzig relevante. – Gerade im internationalen Kontextwird deutlich, dass Effizienzgewinne allein nicht ausrei-chen.Darum ist der Nachweis, dass das große IndustrielandDeutschland im vergangenen Jahrzehnt erfreulicher-weise eine gestiegene Wirtschaftsleistung verzeichnenkonnte und gleichzeitig absolut 11 Prozent weniger Roh-stoffverbrauch hatte, wichtig. Dies wurde zum Beispieldurch ein modernes Kreislaufwirtschaftsgesetz erreicht.Dieses Gesetz hat dazu geführt, dass heute 13 Prozentder in Deutschland eingesetzten Rohstoffe Sekundärroh-stoffe sind. Das heißt, dass natürliche Rohstoffe zu13 Prozent durch Abfallstoffe ersetzt werden. Das isteine Substitution des Verbrauchs von Rohstoffen durchsogenannte sekundäre Rohstoffe oder Abfallstoffe.Das Ganze ist ein Beispiel dafür, dass es möglich ist,wirtschaftlich erfolgreich zu sein, zu wachsen undgleichzeitig den Verbrauch an Rohstoffen absolut zu re-duzieren. Dies ist möglich durch die Konzeption derKreislaufwirtschaft, durch den Einsatz von Technologieund insbesondere – das wird manchmal ja ein bisschengering geschätzt – durch Information, Bildung und Bera-tung. Diese so weich klingenden Elemente sind enormwichtig, gerade im internationalen Kontext.
Vielen Dank. – Nächster Fragesteller ist der Kollege
Cajus Caesar. Bitte schön, Kollege Caesar.
Herr Minister, für die CDU/CSU-Fraktion ist dies ein
sehr wichtiges Thema. Deshalb sind wir der Bundesre-
gierung außerordentlich dankbar, dass sie dieses Thema
in den Vordergrund stellt. Ich glaube, dass es bedeutend
ist, hier den Zusammenhang im Bereich Umweltschutz,
Wirtschaft und Beteiligte zu erkennen und zu erläutern.
Dazu gehört sicherlich auch der Bereich der Forschung;
schließlich kann es gelingen, Ersatz für bestimmte Roh-
stoffe zu gewinnen.
Meine erste Frage an Sie bezieht sich auf das Mitei-
nander: Wie nehmen Sie die Branchen mit? Gibt es eine
Planung der Bundesregierung, entsprechende Gesprä-
che zu führen und Beteiligungen vorzunehmen? Es gibt
Sorgen in der Baubranche und in anderen Bereichen.
Wie will man das angehen?
Zum Zweiten die Frage: Gibt es Planungen, For-
schungsmittel für den Bereich der Ersatzstoffe zu gewin-
nen, um die Ressourceneffizienz nach vorne zu bringen?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Verehrter Kollege Caesar, all diese Aspekte sind not-
wendig und werden von der Bundesregierung verfolgt;
sie sind auch in der Vergangenheit von ihr verfolgt wor-
den. Die Ausarbeitung dieses Konzepts drückt aus, dass
wir das als einen gemeinsamen Prozess verstehen. Wir,
die Regierung, haben kein Konzept entwickelt, aus dem
hervorgeht, wie es im Einzelnen ablaufen soll, sondern
es fand ein breiter Konsultations- und Arbeitsprozess
statt, an dem die Bundesländer, Verbände, Einrichtun-
gen, die Wissenschaft und die Zivilgesellschaft beteiligt
waren; so ist dieses Konzept entstanden. Es ist also ein
Gemeinschaftswerk, was ich aufgrund Ihrer Frage gerne
noch einmal ausdrücklich betone.
Das Bundesumweltministerium nimmt die Aspekte
der Forschung, die Sie genannt haben, in unterschiedli-
cher Weise auf.
Erstens. Dies geschieht dadurch, dass es in seinem
Umweltinnovationsprogramm dem Aspekt der Rohstoff-
effizienz einen noch größeren Raum geben wird.
Zweitens. Ich bin ganz sicher, dass Forschung und
Innovation in der Gesellschaft, in der Wirtschaft stattfin-
den. Darum finde ich das KfW-Umweltprogramm zur
Förderung von Rohstoffeffizienz in der Wirtschaft, zur
Förderung entsprechender Investitionen, das in diesem
Jahr neu aufgelegt worden ist, so wichtig.
Drittens. Wir setzen einen Wirtschaftsordnungsrah-
men. Wir schaffen eine Regulierung, die diejenigen ho-
noriert, die diese Investitionen vornehmen. Es gibt also
einen wirtschaftlichen Anreiz für diejenigen, die roh-
stoffsparend produzieren. Allerdings ist das Eigeninte-
resse in den Sektoren von vornherein da. Ich habe es ja
eben ausgeführt: Wenn der Materialkostenanteil im pro-
duzierenden Gewerbe bei 45 bis 50 Prozent liegt, dann
ist die Eigenmotivation sehr stark. Das ist eine gute Mo-
tivation.
Nächster Fragesteller ist der Kollege Frank Schwabe.
Sehr geehrter Herr Minister, wie die Kollegen derUnion finde ich ein Ressourceneffizienzprogramm sehr
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19136 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Frank Schwabe
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gut. Ich finde es jedenfalls besser, als Verträge mit Dik-tatoren zu schließen und irgendwann die Bevölkerung inanderen Ländern zu drangsalieren, um an Rohstoffe zukommen. Ich finde es auch gut, dass Sie es der Bevölke-rung zubilligen – so habe ich es gerade verstanden –, imBewusstsein weiter zu sein als manch anderer, vielleichtauch als die Regierung selbst. Trotzdem geht es in derPolitik ja immer um Konkretion und nicht so sehr umPhilosophie. An Konkretem mangelt es in diesem Pro-gramm.Ein vielleicht nur kleines, aber gewichtiges Thema,das mittlerweile immer mehr diskutiert wird, ist dasThema Plastiktüte. Ich will Sie ganz konkret fragen: Wieviele Ressourcen fließen in die Produktion einer Plastik-tüte? Finden Sie den heutigen Umgang mit Plastiktüteneigentlich sinnvoll, oder können Sie sich vorstellen, be-stimmte Politiken zu entwickeln, um in diesem Bereicheine Regulierung vorzunehmen, sodass wir zum Beispielim Meer oder anderswo nicht immer mehr solcher Tüten– man denke an die darin verarbeiteten Rohstoffe – fin-den?Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Vielen Dank, Herr Kollege Schwabe, für dieseFrage. – Ich weiß gar nicht, ob die SPD zu diesemThema eine Meinung hat.
Diese Frage ist geeignet, um die Unterschiedlichkeit derAnsätze zu verdeutlichen. Die Grünen werden beimThema Plastiktüte schon ganz nervös.
Das zeigt – das meine ich eigentlich positiv –, dass Ihnender Beschluss Ihres letzten Parteitags ein bisschen pein-lich ist.
Sie wollen eine Plastiktütenabgabe einführen. Ich weißnicht mehr den genauen Betrag, den der Bürger pro Plas-tiktüte zahlen soll.
– Bitte? Wie hoch ist der Betrag? 28 Cent? Ich weiß esnicht mehr genau.
Dieser Ansatz zeigt Ihr Verständnis von Politik: DiePolitik ist weiter als die Gesellschaft. Wir sind klüger.Wir wissen, wie sich die Leute zu verhalten haben. Da-rum wollen wir sie durch Abgaben zum richtigen Verhal-ten zwingen.
Ich sage ganz ausdrücklich: Das ist nicht der Ansatzder Bundesregierung. Wir glauben, dass die Bürgerinnenund Bürger verantwortungsvoll sind, dass sie sich ökolo-gisch verantwortlich verhalten wollen und dies auch tun.Darum setzen wir auf den Nachweis von Erfolg, auf dasfreiwillige Mitmachen der Bürgerinnen und Bürger undnicht auf drangsalierende Abgaben, durch die das Ver-halten der Bürger gesteuert werden soll.
Ich will Ihnen klar sagen: Die hinter Ihrem Ansatz ste-hende Staatspädagogik lehne ich ausdrücklich ab.
Nächste Fragestellerin, Frau Kollegin Eva Bulling-
Schröter.
Danke schön. – Ich frage jetzt nichts zur Staatspäda-gogik, sondern zu Rohstoffpartnerschaften mit Liefer-ländern; diese werden in einigen Papieren der Bundes-regierung erwähnt. Mich würde interessieren: WelcheVorgaben für die Einhaltung von Menschenrechts- undUmweltstandards sind im Ressourceneffizienzprogrammfestgeschrieben?Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Die Bundesregierung hat vor einiger Zeit ein Konzeptzur Rohstoffsicherung erarbeitet und vorgelegt. Roh-stoffsicherung ist der erste Schritt in der Wertschöp-fungskette. Ich glaube, dass es richtig ist, dass dieBundesrepublik Deutschland dieses Thema in den inter-nationalen Beziehungen nicht einigen wenigen großenLändern – um es klar zu sagen: China – überlässt, son-dern dass wir eine vorausschauende Politik der Rohstoff-sicherung betreiben, insbesondere deshalb, weil wir inDeutschland außer Sand und Kies relativ wenig Roh-stoffe in unseren Böden haben und darum in hohemMaße abhängig sind. Darum ist eine Rohstoffstrategieim nationalen und im europäischen Interesse.Ich glaube, dass die Bundesrepublik Deutschland dieChance hat, im Rahmen solcher Partnerschaften auf dieEinhaltung von Menschenrechten, von sozialen Stan-dards, von Gesundheitsstandards und Umweltstandardseinen positiven Einfluss zu nehmen. Ich sehe da keinenGegensatz. Vielmehr glaube ich, dass eine Rohstoffstra-tegie auch eine außenpolitische Strategie ist, die dazudient, dass sich unsere Vorstellungen von Menschen-rechten, von Menschenwürde und von Respekt vor derUmwelt auch in anderen Teilen der Erde durchsetzen.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19137
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Nächster Fragesteller, Kollege Dr. Thomas Gebhart.
Das Deutsche Ressourceneffizienzprogramm ist ja in
die europäische Politik eingebettet; auch im europäi-
schen Kontext ist dieses Programm sehr ambitioniert
und fortschrittlich. Ich frage: Wie wird sich die Bundes-
regierung auf europäischer Ebene hinsichtlich der Fort-
entwicklung der Politik in diesem Bereich positionieren,
und welche Initiativen wird die Bundesregierung in die-
sem Bereich ergreifen?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
In diesem Jahr, im Jahr 2012, wird sich die Kommis-
sion diesem Thema widmen. Mit dieser Konzeption, mit
dem Deutschen Ressourceneffizienzprogramm, wird die
Position der Bundesregierung – sie ist, wie Sie sagten,
ehrgeizig und anspruchsvoll – im Rahmen der europäi-
schen Ressourceneffizienzpolitik definiert. Das heißt,
wir werden diese anspruchsvolle Position in die europäi-
sche Strategie einbringen, und zwar nicht nur bei der
Entwicklung des strategischen Ansatzes, sondern auch
bei einzelnen Gesetzgebungsaktivitäten der Europäi-
schen Union. Es geht um Richtliniensetzung. Wir haben
über das Kreislaufwirtschaftsgesetz, die Ökodesign-
Richtlinie und andere Themen gesprochen. Es gibt viele
einschlägige Gesetzgebungsfelder und -aktivitäten der
Europäischen Union. Hier haben wir nun eine program-
matische und ebenso konkrete Grundlage, unsere deut-
sche Position geschlossen, einheitlich und damit auch
mit Aussicht auf Erfolg zu vertreten.
Nächste Fragestellerin ist unsere Kollegin Frau
Dorothea Steiner.
Danke. – Das ermöglicht mir, noch eine Frage zu den
konkreten Maßnahmen zu stellen. Sie haben im Okto-
ber 2010, begleitet von bedeutenden Begriffen, die Deut-
sche Rohstoffagentur, die DERA, gegründet, und Sie
bezeichnen sie als rohstoffwirtschaftliches Kompetenz-
zentrum, als zentrale Informations- und Beratungsplatt-
form mit vielerlei Aufgaben; das haben Sie auch gerade
wieder so dargestellt. Ich würde gerne wissen: Wie ist
die Deutsche Rohstoffagentur, die DERA, derzeit perso-
nell ausgestattet, und wie viele Stellen sollen bei der
DERA möglicherweise neu geschaffen werden, damit
sie ihren Aufgaben gerecht werden kann?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Ich kann Ihnen die Zahl der Stellen bei der DERA im
Moment nicht aus dem Kopf nennen.
– Na also, genau.
Nächster Fragesteller, Kollege Dr. Matthias Miersch.
Herr Minister, ich habe ein bisschen gestutzt, weil Sie
in Ihrer Antwort auf die Frage des Kollegen Bollmann
auf die Freiwilligkeit abgestellt und dann von Staats-
pädagogik gesprochen haben. Nun hat der Kollege
Gebhart Sie auf die europäische Ebene angesprochen.
Wenn ich Sie in den letzten Monaten richtig verstanden
habe, haben Sie sich vehement dafür starkgemacht, im
Hinblick auf die Energieeffizienz für Verbindlichkeit zu
sorgen. Nun ist das Gegenteil herausgekommen: Herr
Rösler hat sich gegen Sie durchgesetzt, und Herr
Oettinger kritisiert die Bundesregierung. Müssen wir be-
fürchten, dass das Verbindlichkeitselement, das Sie hier
noch im letzten Monat immer wie ein Mantra aufgesagt
haben, bei Ihnen jetzt keine Rolle mehr spielt und dass
sich der Kollege Rösler auch hier gegenüber den
Schwarzen anscheinend durchgesetzt hat?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Offensichtlich gibt es dort einen wahrscheinlich ein
bisschen parteipolitisch geprägten Unwillen, den Sach-
verhalt zur Kenntnis zu nehmen.
Das Gegenteil von dem, was Sie geschildert haben, ist
der Fall. Wir haben eine gemeinsame Position gefunden
und uns dafür ausgesprochen, dass in die Richtlinie, die
auf europäischer Ebene zu erlassen ist, verbindliche
Ziele aufgenommen werden, und zwar entweder ein ver-
bindliches, anspruchsvolles Energieeffizienzziel, das aus
unserem Energiekonzept abgeleitet ist, oder ein verbind-
liches, definitives Energieverbrauchseinsparziel. Hierzu
haben wir konkrete Ziele formuliert: eine Steigerung der
Energieeffizienz um 6,3 Prozent oder eine Senkung des
Energieverbrauchs um 4,5 Prozent innerhalb von drei
Jahren.
Es sollen nicht nur konkrete und verbindliche Ziele
zum Inhalt der Richtlinie werden, sondern es soll auch
eine Verpflichtung der Mitgliedstaaten geben, konkrete
Aktionspläne und Maßnahmen zu erarbeiten – diese sind
auch der Europäischen Kommission vorzulegen –, aus
denen sich ergibt, dass das Ziel der Europäischen Union,
bis zum Jahre 2020 20 Prozent mehr Energieeffizienz zu
erreichen, realisiert wird. Wir haben uns also für die Ver-
bindlichkeit der Ziele und Maßnahmen ausgesprochen,
und zwar gemeinsam. Ich finde, das ist eine gute Sache.
Es gibt noch zwei Fragesteller, die ich auch aufzuru-fen beabsichtige.Nächster Kollege, Oliver Krischer.
Metadaten/Kopzeile:
19138 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
(C)
(B)
Herr Minister, Ihre Ausführungen zur Plastiktüte und
zur Staatspädagogik, aber auch zur Deutschen Rohstoff-
agentur haben gezeigt: Es ist ein lyrisches Programm. Es
ist ein Programm ohne konkrete Maßnahmen. In der Tat:
Es gibt ein Kapitel über Maßnahmen. Aber darin stehen
keine Maßnahmen. Auch dort findet sich letztendlich
wieder Lyrik.
Nur zur Sachaufklärung: Die Deutsche Rohstoffagen-
tur hat derzeit fünf Mitarbeiter, und es ist nicht beabsich-
tigt, die Mitarbeiterzahl aufzustocken. Wie man die zen-
trale Plattform zu diesem Themenbereich für ganz
Deutschland mit fünf Mitarbeitern betreiben will, ist mir
rätselhaft. Vielleicht können Sie hier noch ein bisschen
Sachaufklärung leisten und erläutern, wie das mit fünf
Mitarbeitern funktionieren soll.
Ich habe eine weitere Frage. In dem Programm ist die
Rede von verantwortungsvollem Rohstoffabbau in ande-
ren Ländern im Rahmen der Rohstoffpartnerschaften.
Hier stellt sich ja auch die Frage, wie das überwacht
werden soll. Deshalb meine Frage: Was tut die Bundes-
regierung konkret, um die dort vereinbarten und festge-
legten Standards zu überwachen? Wie konkret, durch
welche Personen und durch welche Ministerien soll das
im Einzelnen erfolgen?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Wahrscheinlich stimmen Sie mir am Ende zu, dass
wir, wenn wir eine Partnerschaft mit anderen Ländern
eingehen, nicht mit deutschen Vollzugsorganen in diese
Länder marschieren können, um die wirtschaftliche Ak-
tivität in diesen Ländern zu überwachen. Wir haben in
der internationalen Politik stattdessen ein partnerschaft-
liches Verständnis, und wir betreiben eine wertebezo-
gene Außenpolitik. Das ist kein Widerspruch, sondern
wir wollen unsere Wertvorstellungen, die des Grundge-
setzes – Rechtsstaatlichkeit, Demokratie, Menschen-
würde und übrigens auch Schutz der Umwelt und der na-
türlichen Lebensgrundlagen –, in unsere Partnerschaften
einfließen lassen.
Ich glaube, dass ein solch partnerschaftliches Ver-
ständnis der beste Rahmen ist, in dem wir für unsere
Werte und die Werteordnung des Grundgesetzes eintre-
ten können. Dies darf nicht durch Überwachungsmaß-
nahmen in anderen Ländern geschehen. Ich glaube, das
wäre kein erfolgreicher Weg, und das ist auch kein Weg,
den es in der Außenpolitik unseres Landes jemals gege-
ben hat, welche Parteien auch immer die Mitglieder der
Regierung gestellt haben.
Letzter Fragesteller in der Regierungsbefragung, Kol-
lege Gerd Bollmann.
Herr Minister, im Regierungsprogramm taucht auch
der Ausdruck „Produkt- und Herstellerverantwortung“
auf. Dies finden wir zunächst einmal gut. Im Rückblick
auf die langwierigen Verhandlungen zum Kreislaufwirt-
schaftsgesetz im Vermittlungsausschuss stellt sich für
uns allerdings die Frage: Plant die Bundesregierung un-
ter dem Deckmantel „Produkt- und Herstellerverantwor-
tung“ einen weiteren Zugriff auf die Wertstoffe aus pri-
vaten Haushalten, zum Beispiel durch das geplante
Wertstoffgesetz?
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,
Naturschutz und Reaktorsicherheit:
Ich glaube, Sie meinen den Zugriff von privaten Un-
ternehmen auf die sogenannte Wertstofftonne.
Wir haben ja – darum habe ich das eben auch betont –
die Zustimmung aller drei kommunalen Spitzenverbände
zum Kreislaufwirtschaftsgesetz erhalten, worüber ich
mich freue.
Wahrscheinlich haben Sie sich darüber nicht so sehr ge-
freut, aber am Ende sollte man sich immer über ein gutes
Ergebnis freuen.
Wir werden in diesem Geist versuchen, dass wir zu
einer fairen Aufteilung kommen. Es geht auf der einen
Seite um die Zuständigkeit der Kommunen für die Auf-
gaben der Daseinsvorsorge; denn wenn etwas schiefgeht,
dann rufen die Leute nicht nach einem Unternehmen,
sondern nach der Gemeinde.
Auf der anderen Seite kann kein Mensch bestreiten, dass
es sich bei der Abfallwirtschaft um einen wesentlichen
und immer bedeutsamer werdenden Wirtschaftszweig
handelt. Wir wollen auch dort den Wettbewerb ermögli-
chen, so wie wir das jetzt mit dem Kreislaufwirtschafts-
gesetz auch getan haben.
Wenn es eine Dienstleistung gibt, die kommunal nicht
angeboten wird, dann darf man es privaten Unternehmen
nicht verbieten, diese anzubieten, und wenn es ein priva-
tes Leistungsangebot gibt, das besser als ein kommuna-
les Angebot ist, dann darf das, glaube ich, den Bürgern
auch nicht vorenthalten werden. Wir sind also auch dort
selbstverständlich nicht ideologisch, sondern wir haben
zugunsten der Bürgerinnen und Bürger für einen ver-
nünftigen Ausgleich zwischen den kommunalen Ver-
pflichtungen zur Daseinsvorsorge und dem wirtschaftli-
chen Wettbewerb gesorgt.
Genau in diesem Rahmen werden wir auch den Ge-
setzentwurf zur Einführung der Wertstofftonne gestalten,
um am Ende eine wesentliche Menge an recycelbaren
Wertstoffen zu erhalten und sie der Kreislaufwirtschaft
zuzuführen.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich beende nun dieBefragung der Bundesregierung.Herr Bundesminister, vielen herzlichen Dank.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19139
Vizepräsident Eduard Oswald
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Somit rufe ich den Tagesordnungspunkt 2 auf:Fragestunde– Drucksache 17/8723 –Auch an dieser Stelle erinnere ich noch einmal an un-sere Minutenregelung. Für die erste Antwort stehen zweiMinuten zur Verfügung, für die folgenden Fragen undAntworten je eine Minute. Die Signalisierung erfolgt op-tisch durch die rückwärtslaufende Uhr und das Farbfeldin den Ampelfarben.Wir behandeln nun die mündlichen Fragen auf Druck-sache 17/8723 in der üblichen Reihenfolge.Zunächst kommen wir zum Geschäftsbereich desBundesministeriums für Wirtschaft und Technologie.Zur Beantwortung der Fragen steht uns der Parlamenta-rische Staatssekretär Hans-Joachim Otto zur Verfügung.Die Frage 1 stellt die Frau Kollegin Inge Höger:Welche deutschen Unternehmen haben nach Informatio-nen der Bundesregierung derzeit Niederlassungen oder Reprä-sentanten in Libyen?Bitte schön, Herr Staatssekretär.H
Vielen Dank, Herr Präsident. – Frau Kollegin Höger,
ich muss Ihnen sagen, dass aufgrund der immer noch et-
was unübersichtlichen Lage in Libyen der Bundesregie-
rung momentan keine gesicherten Informationen vorlie-
gen, inwieweit die bestehenden Niederlassungen und
Repräsentanzen auch tatsächlich betrieben werden. Ich
kann Ihnen aber mitteilen, dass nach den uns vorliegen-
den Informationen konstant rund 40 deutsche Unterneh-
men in Libyen tätig sind.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Was heißt „kon-
stant“? Sie haben ihre Tätigkeit nicht unterbrochen und
arbeiten jetzt weiterhin alte Verträge ab, die früher abge-
schlossen worden sind? Mit wem sind diese Verträge
abgeschlossen worden? Mit wem besteht die kontinuier-
liche Geschäftsverbindung?
H
Nein, Frau Kollegin Höger, ich darf Sie gleich korri-
gieren: „Konstant“ bezog sich auf die Zahl. Vor der
Krise waren es 40 Unternehmen, und nach der Krise sind
es auch circa 40 Unternehmen. Wir haben aber keine ge-
naue Statistik darüber, wie viele von diesen Repräsen-
tanzen nach derzeitigem Stand tatsächlich betrieben wer-
den. Wir wissen das von einigen wenigen, aber wir
haben die Zahlen noch nicht, weil sich die Situation in
Libyen, wie Sie wissen, erst zu normalisieren beginnt.
Deswegen können wir im Moment noch nicht zu jedem
einzelnen Unternehmen sagen, ob die Repräsentanz tat-
sächlich wieder besetzt und dort schon wieder tätig ist.
„Konstant“ bezieht sich also auf die Zahl der Unter-
nehmen. Ob das dieselben Verträge sind wie vor der
Krise, kann ich Ihnen nicht beantworten. Über solche In-
formationen verfügt die Bundesregierung nicht.
Ihre zweite Nachfrage, Frau Kollegin Höger.
Wie sieht die deutsche diplomatische Vertretung vor
Ort aus? Hat sie ihre Arbeit wieder aufgenommen? Denn
auf der Homepage des Auswärtigen Amts findet sich der
Hinweis:
Zeitlich begrenzte Aufenthalte, etwa zur Wahrneh-
mung unaufschiebbarer Aufgaben oder geschäft-
licher Kontakte, können in begründeten Einzelfäl-
len in enger Abstimmung mit der Deutschen Bot-
schaft in Betracht gezogen werden.
Wie sieht diese Abstimmung aus? Ist das Angebot
bisher überhaupt schon in Anspruch genommen worden?
Wie ist die Präsenz der Botschaft?
H
Frau Kollegin Höger, ich bin, wie Sie wissen, der Ver-
treter des Bundeswirtschaftsministeriums. Diese Fragen
müsste eigentlich die Kollegin des Auswärtigen Amts
beantworten. Ich kann Ihnen aber sagen, dass ich aus
Presseberichten weiß, dass die Botschaft in Tripolis ihre
Arbeit wieder aufgenommen hat.
Ich selber war vor einigen Monaten in Libyen. Da-
mals war die deutsche Botschaft noch geschlossen, und
es gab einen Geschäftsträger in Bengasi. Inzwischen ist
die deutsche Botschaft wieder geöffnet. Wie Sie aus
Presseberichten wissen, hat sich diese Bundesregierung
darauf verständigt und dazu verpflichtet – auch das fällt
in die Zuständigkeit des Auswärtigen Amts –, dass wir
der deutschen Wirtschaft dabei helfen, ihre Kontakte in
den jeweiligen Ländern zu pflegen. Das heißt, dass wir
auch eine gewisse Dienstleistungsfunktion über das Aus-
wärtige Amt und die Außenhandelskammern ausüben.
Aber das ist eine generelle Auskunft, die ich Ihnen nicht
als spezifische Information des Bundeswirtschaftsminis-
teriums geben kann.
Es gibt jetzt eine weitere Nachfrage. Bitte schön, Frau
Kollegin Vogler.
Herr Staatssekretär, können Sie uns mitteilen, wie
viele dieser deutschen Firmen im engeren oder weiteren
Sinne mit der Ölindustrie bzw. mit dem Export von
Rohöl oder Raffinerieprodukten befasst sind?
H
Nein, Frau Kollegin, die Zahlen kann ich Ihnen nichtnennen. Aber Sie und ich wissen, dass es große deutsche
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19140 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
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Unternehmen gibt, die in Libyen tätig waren und mut-maßlich auch wieder sind. Von der Firma Wintershallbeispielsweise weiß ich persönlich, dass sie dort wiedertätig ist, weil ich schon Vertreter dieses Unternehmensgesprochen habe. Die Firma RWE/Dea war seit jeher indiesem Land tätig. Aber die Zahlen kann ich Ihnen nichtnennen. Darüber verfüge ich im Moment nicht.
Sie haben eine weitere Frage. Bitte schön, Frau Kolle-
gin Vogler.
Können Sie uns neben den beiden genannten Firmen
weitere Firmen aus diesem Sektor nennen, von deren
Aktivitäten in Libyen in früherer Zeit – vor mehr als ei-
nem Jahr – Sie wissen?
H
Nein, Frau Kollegin, das kann ich nicht. Ich habe bei
meinem Besuch in Libyen Vertreter der beiden genann-
ten Unternehmen kennengelernt, und deswegen konnte
ich Ihnen das aus eigener Anschauung sagen. Mir liegen
keine Informationen vor, welche Unternehmen in diesem
Bereich tätig sind. Aber ich will mich gerne bemühen,
Ihnen eine ergänzende schriftliche Antwort zu geben.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Wir kommen nun
zur Frage 2 der Frau Kollegin Inge Höger:
Welche deutschen Firmen liefern nach Kenntnis der Bun-
desregierung derzeit Rüstungsgüter, sonstige Waffen, Muni-
tion oder Sicherheitstechnik nach Libyen?
Ich bitte um Beantwortung.
H
Frau Kollegin Höger, auf Ihre Frage kann ich Ihnen
die Antwort geben: Mit der Verhängung des Waffenem-
bargos gegen Libyen durch den Sicherheitsrat der Ver-
einten Nationen am 26. Februar 2011 und mit dem
entsprechenden EU-Embargo, für das sich, wie Sie wis-
sen, die Bundesregierung seinerzeit massiv eingesetzt
hatte, sind Ausfuhren von Rüstungsgütern im Sinne von
Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste nach Libyen grund-
sätzlich verboten. Diese Vorgaben wurden dann auch in
§ 69 q der Außenwirtschaftsverordnung in deutsches
Recht umgesetzt.
Das Waffenembargo sieht einige Ausnahmen vor,
etwa für nichtletale, also nichttödliche militärische
Güter, die ausschließlich humanitären oder Schutzzwe-
cken dienen, oder auch für solche Rüstungsgüter, die
ausschließlich für die libyschen Behörden zur Unterstüt-
zung in den Bereichen Sicherheit und Entwaffnung be-
stimmt sind.
Die Bundesregierung hat Genehmigungen für solche
international zulässigen Zwecke erteilt.
Seit dem 26. Februar 2011 wurde ferner eine Aus-
fuhrgenehmigung für Güter der Informationssicherheit
nach der EG-Dual-Use-Verordnung an eine Auslands-
vertretung eines EU-Mitgliedstaates in Libyen erteilt.
Ihre erste Nachfrage, Frau Kollegin Höger.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Ich habe die
Frage: Liegen inzwischen Erkenntnisse vor, wie zur Zeit
des Embargos Maschinengewehre von Heckler & Koch
nach Libyen gekommen sind?
H
Frau Kollegin, diese Information kann ich Ihnen nicht
geben. Danach hatten Sie nicht gefragt. Auch da kann
ich Ihnen nur eine schriftliche Ergänzung anbieten.
Wenn Sie nach Heckler & Koch fragen wollen, dann
würde ich Ihnen nahelegen, Ihre Frage auch darauf zu
richten.
Über diese Information verfüge ich jetzt natürlich nicht.
Sie fragen zum zweiten Mal nach. Bitte schön.
Sie sprachen von Sicherheitstechnik. Dazu habe ich
noch eine Frage: An wen wird Sicherheitstechnik in
Libyen geliefert? In der derzeitigen Situation ist die
Sicherheitslage sehr konfus. Es gibt keine staatlichen
Institutionen und keinen Sicherheitsapparat, bevor die
Auseinandersetzungen in diesem Land beendet sind; die
Repressionen verschärfen sich.
H
Frau Kollegin Höger, zunächst muss ich leider daraufhinweisen, dass der von Ihnen verwendete Begriff derSicherheitstechnik gesetzlich nicht definiert ist. Darunterkönnen nicht gelistete Güter, Dual-Use-Güter im Sinneder EG-Verordnung, aber auch Rüstungsgüter im Sinnevon Teil I Abschnitt A der Ausfuhrliste fallen. Deswe-gen kann ich Ihnen auf Ihre Frage nach Sicherheitstech-nik nicht antworten.Ich will Ihnen aber gerne entgegenkommen, weil ichnoch einige Informationen zu den Genehmigungen habe,die seit Verhängung des UN-Waffenembargos erteiltworden sind. Wenn Sie damit einverstanden sind, werdeich Ihnen dies mitteilen.
Es sind im Wesentlichen folgende Genehmigungenerteilt worden – ich nenne Ihnen auch jeweils die Posi-tion der Ausfuhrliste, damit das schön konkret ist –: Eswurden Genehmigungen für geländegängige Fahrzeuge
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19141
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
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mit Allradantrieb, Position I A 0006 b der Ausfuhrliste,für Botschaften erteilt. Ferner wurden Genehmigungenfür andere Fahrzeuge für militärische Zwecke, Position IA 0006 a der Ausfuhrliste, erteilt. Dabei handelt es sichim Einzelnen um Minenräumgeräte zum humanitärenMinenräumen sowie Ersatz- und Verschleißteile hierfür.Des Weiteren wurde genehmigt die Ausfuhr vonKörperpanzern und Schutzkleidung; das ist die PositionI A 0013 d der Ausfuhrliste. Dabei handelt es sich umSchutzkleidung zum humanitären Minenräumen. Letzt-lich handelt es sich um die Genehmigung zur Ausfuhrvon Ausrüstung und Teilen zur Dekontamination vonABC-Stoffen, Position I A 0007 f Nr. 2 der Ausfuhrliste,von Chemikalien zur Dekontamination, PositionI A 0007 f Nr. 3 der Ausfuhrliste, sowie von Ausrüstungund Teilen zur Feststellung oder Identifizierung be-stimmter Materialien; Position I A 0007 g der Ausfuhr-liste.Ich hoffe, dass ich damit Ihre Frage ausführlich underschöpfend beantworten konnte.
Vielen Dank. – Es gibt noch eine Nachfrage der Frau
Kollegin Vogler.
Herzlichen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekre-
tär, können Sie uns vielleicht ergänzend noch erklären,
ob es Lieferanträge gegeben hat, die seitens der Bundes-
regierung zurückgewiesen worden sind, und, wenn ja,
um welche Lieferbegehren es sich gehandelt hat?
H
Liebe Frau Kollegin, wie Sie wissen: Wenn es sich
um Anträge gehandelt haben sollte, die den Bundes-
sicherheitsrat betreffen, kann ich Ihnen darüber keine
Auskunft geben, weil dieses Gremium geheim tagt.
Ansonsten werden solche Auskünfte immer nur im Rüs-
tungsexportbericht der Bundesregierung erteilt; sie erfol-
gen immer im Nachhinein.
Erstens verfüge ich über diese Informationen nicht.
Zweitens. Selbst wenn ich darüber verfügen würde, wäre
ich aus gesetzlichen Gründen nicht befugt, Ihnen diese
Auskunft hier zu erteilen. Dafür bitte ich um Ihr Ver-
ständnis.
Vielen Dank.
Die Frage 3 der Kollegin Katja Keul wird schriftlich
beantwortet.
Wir kommen nun zu Frage 4 des Kollegen Klaus
Barthel:
Wie bewertet die Bundesregierung die hohen deutschen
Rüstungsexporte im Jahr 2010 an die Euro-Krisenländer Por-
tugal – 811 Millionen Euro – und Griechenland – 403 Millio-
nen Euro –, und welche Entwicklung der Exporte erwartet die
Bundesregierung für das Jahr 2011 und die folgenden Jahre in
diese Zielländer?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
H
Vielen Dank, Herr Präsident. – Lieber Herr Kollege
Barthel, ich kann Ihnen wie folgt antworten:
Bei den genannten Werten betreffend Rüstungs-
exporte im Jahre 2010 – Sie haben in Ihrer Frage
811 Millionen Euro für Portugal und 403 Millionen Euro
für Griechenland erwähnt – handelt es sich wie immer
um die bekanntgegebenen Werte der tatsächlichen Aus-
fuhren von Kriegswaffen. Die Bundesregierung hat be-
reits mehrfach darauf hingewiesen, dass diese ver-
gleichsweise hohen Zahlen darauf zurückzuführen sind,
dass im Jahre 2010 zwei U-Boote nach Portugal und ein
U-Boot nach Griechenland effektiv geliefert worden
sind. Die Herstellung der U-Boote für Portugal wurde
bereits im Jahre 2004 und die des U-Bootes für Grie-
chenland wurde im Jahre 2000 genehmigt. Als langjähri-
ger, erfahrener Abgeordneter wissen Sie sicherlich, dass
also schon zu Zeiten der rot-grünen Bundesregierung ge-
nehmigt wurde. Ich gehe davon aus, dass Sie besonders
großes Vertrauen in die damalige Genehmigungspraxis
haben. Ich kann Ihnen ferner mitteilen, dass im Jahre
2010 Panzerhaubitzen nebst Zubehör nach Griechenland
ausgeführt worden sind.
Genauso wie an anderen Stellen weise ich im Namen
der Bundesregierung darauf hin, dass der Umfang der
Exporte naturgemäß relativ hohen Schwankungen unter-
worfen ist, weil es, wie gesagt, nicht auf die Anträge und
die Genehmigungen ankommt. Vielmehr werden die
tatsächlichen Auslieferungen bekannt gegeben. Über
Genehmigungen für Rüstungsexporte entscheidet die
Bundesregierung im jeweiligen Einzelfall auf Grundlage
der Politischen Grundsätze der Bundesregierung für den
Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern
– diese stammen aus dem Jahr 2000 – und des Gemein-
samen Standpunktes des Rates der Europäischen Union
vom 8. Dezember 2008 betreffend gemeinsame Regeln
für die Kontrolle der Ausfuhr von Militärtechnologie
und Militärgütern. Da die Genehmigung in jedem Ein-
zelfall erfolgen muss, Herr Kollege, kann ich Ihnen an
dieser Stelle keine Aussagen über die zukünftige Ent-
wicklung von Exporten machen.
Kollege Klaus Barthel hat die erste Nachfrage.
Dann stellt sich aber doch die Frage, wie die Bundes-regierung angesichts der Tatsache, dass der griechischeStaatshaushalt einen überproportional hohen Anteil anRüstungsausgaben aufweist – er beträgt ungefähr dasZweieinhalbfache des OECD-Durchschnitts; auch ver-glichen mit den Ausgaben für die Bundeswehr sind die
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19142 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Klaus Barthel
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(B)
griechischen Ausgaben überproportional hoch –, und an-gesichts der jetzigen Debatte über den griechischenStaatshaushalt und dessen Finanzierung damit umgehenwürde, wenn es weitere Anträge auf Rüstungsexportenach Griechenland oder nach Portugal gäbe.H
Lieber Herr Kollege Barthel, zum Ersten muss ich
klarstellen – das ist natürlich auch Ihnen bekannt –, dass
die Mitgliedstaaten der EU prinzipiell in eigener Verant-
wortung über ihre Rüstungsausgaben entscheiden und
die Bundesregierung nicht befugt ist, von sich aus zu sa-
gen, diese oder jene Ausgabe könne nicht getätigt wer-
den.
Ich will Ihnen aber ergänzend sagen, dass die Politi-
schen Grundsätze der Bundesregierung für den Export
von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern aus
dem Jahre 2000, die ich eben schon erwähnt hatte, aus-
drücklich vorsehen, dass der Export von Kriegswaffen
und sonstigen Rüstungsgütern in NATO-Länder, in EU-
Mitgliedstaaten und in den NATO-Mitgliedstaaten
gleichgestellte Länder grundsätzlich nicht beschränkt
werden kann. Auch daran haben wir uns zu halten.
Das trifft aber – –
Ich gebe Ihnen das Wort für die zweite Nachfrage.
Jetzt sind Sie dran.
Entschuldigung, Herr Präsident. Ich war etwas vor-
eilig, weil die Antwort die Frage gar nicht trifft.
Wir haben es doch damit zu tun, dass die Bundes-
regierung durchaus in der Lage ist, auf europäischer
Ebene bis ins Detail durchzusetzen, welche Arbeitsge-
setze verändert und wie der Mindestlohn und die Renten
gesenkt werden müssen usw. Das betraf Griechenland
und ist ähnlich in Portugal. Ich kann mir vor diesem Hin-
tergrund überhaupt nicht vorstellen, dass die Bundes-
regierung keine Auffassung dazu hat, wie sich zum Bei-
spiel der griechische, aber auch der portugiesische
Rüstungshaushalt in Zukunft entwickeln soll, wenn wir
uns anschauen, was wir erst am Montag beschlossen ha-
ben. Deswegen die Frage: Wie bewertet denn die Bun-
desregierung diese Vorgänge, und wie geht sie damit um,
wenn weitere Anträge in diese Richtung kommen?
H
Lieber Herr Kollege Barthel, auch darauf eine zwei-
geteilte Antwort: Zum einen sind wir als Bundesregie-
rung natürlich daran gebunden, dass das Plenum des
Deutschen Bundestages am 18. März letzten Jahres mit
Mehrheit darüber befunden hat, dass wir das Kriterium 8
des Gemeinsamen Standpunktes – da geht es um die feh-
lende Vereinbarkeit der Ausfuhr mit der technischen und
finanziellen Leistungsfähigkeit des jeweiligen Empfän-
gerstaates – nicht anwenden wollen.
Das Zweite und viel Entscheidendere aber ist, dass
nicht, wie Sie eben insinuiert haben, die Bundesregie-
rung Mindestlöhne usw. senken kann, sondern dass die
Troika eine gemeinsame Verantwortung trägt. Die Bun-
desregierung ist natürlich an den Gesprächen dort betei-
ligt. Wir legen großen Wert auf die Konsolidierung der
Haushalte in den Schuldnerländern. Dabei kann das un-
ter Umständen natürlich auch ein Punkt sein. Nur, es ist
nicht so, dass die Bundesregierung allein bestimmen
könnte, welche Mindestlöhne festgelegt oder welche
Ausgaben für die Rüstung getätigt werden.
Griechenland und Portugal sind unabhängige Länder,
die prinzipiell in eigener Verantwortung ihre Entschei-
dungen treffen.
– Entschuldigung, in aller Klarheit: Die Vereinbarungen,
die mit der Troika getroffen werden, sind Vereinbarun-
gen, an denen auch Portugal und Griechenland beteiligt
sind. Um das einmal folgendermaßen zu sagen: Weder
Griechenland noch Portugal sind Protektorate, schon gar
nicht von Deutschland. Ich hoffe, dass gerade Sie das zu
akzeptieren wissen.
Es gibt noch eine Nachfrage der Frau Kollegin Inge
Höger.
Herr Staatssekretär, Sie haben gerade gesagt, Grie-
chenland und Portugal könnten noch alleine über ihren
Haushalt entscheiden. Die Spardiktate sind aber doch so
formuliert, dass diese Länder kein Geld mehr aus dem
europäischen Stabilisierungsfonds bekommen, wenn sie
die Auflagen nicht erfüllen. Diese bestanden in Renten-
kürzungen, Kürzungen für Gesundheitsausgaben und der
Senkung des Mindestlohns. Sie bestanden aber auch da-
rin, wie ich einer Äußerung der Bundeskanzlerin ent-
nommen habe, dass an bestehenden Verträgen mit deut-
schen Firmen nicht zu rütteln sei.
Es erschließt sich mir wirklich nicht, dass auf der ei-
nen Seite im sozialen Bereich gespart wird, auf der ande-
ren Seite aber auf die Einhaltung von Verträgen, die die
Lieferung von Rüstungsgütern betreffen, gedrängt wird.
H
Offen gesagt, erschließt sich mir der Sinn Ihrer Fragenicht. Ich will zum einen sagen, dass es keine Spar-diktate gibt; das haben Sie eben so dargestellt. Vielmehrsind es Vereinbarungen, die zwischen der Troika und dergriechischen Regierung getroffen werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19143
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
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Zum anderen wissen Sie sehr genau, dass um den In-halt dieser Vereinbarungen gerungen wird. Es ist nichtso, dass die Troika – und schon gar nicht die Bundesre-gierung allein – sagen kann: Ihr habt das so oder so zumachen. – Vielmehr sind es langwierige und schwierigeVerhandlungen, die zu einem bestimmten Ergebnis füh-ren müssen, nämlich zur Haushaltskonsolidierung undzur gesteigerten Wettbewerbsfähigkeit der Schuldnerlän-der.
– Ich finde Ihre Worte völlig unangemessen, Frau Kolle-gin Enkelmann. Sie haben gesagt, das sei Erpressung.Sie werfen der Troika also die Erfüllung eines Straftatbe-stands vor. Ich weise das in aller Klarheit zurück. Es istnicht angemessen, dass Sie so argumentieren. Wenn wirHunderte von Milliarden Euro seitens der deutschen undeuropäischen Steuerzahler als Garantien und Kredite zurVerfügung stellen, dann ist es doch klar, dass wir daraufachten, dass das kein Fass ohne Boden wird. Wir wollenGriechenland helfen, wieder stabil zu werden. Das hatnichts mit Erpressung zu tun.Ich sage hier in aller Klarheit: Es geht um Vereinba-rungen zwischen der demokratischen Regierung vonGriechenland und der Troika. Deswegen ist der Ton, denSie hier hineinbringen, meiner Meinung nach nicht inOrdnung.
– Nein, Sie hat „Erpressung“ gesagt, und auch Nötigungist ein Straftatbestand.
Ich erinnere Sie an die Zeit, Herr Staatssekretär. Die
Zeit gilt für alle.
Ich rufe nun die Frage 5 des Kollegen Klaus Barthel
auf:
Strebt die Bundesregierung eine europäische Vereinbarung
zur Reduzierung von Rüstungsexporten in die Euro-Krisen-
länder an und, wenn nein, warum nicht?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
H
Die Politischen Grundsätze der Bundesregierung für
den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungs-
gütern aus dem Jahr 2000 sehen ausdrücklich vor, dass
der Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungs-
gütern in NATO-Länder, EU-Mitgliedstaaten und
NATO-Mitgliedstaaten gleichgestellte Länder grund-
sätzlich nicht zu beschränken ist; ich habe eben schon
darauf hingewiesen.
Eine Änderung dieser Politischen Grundsätze ist nicht
beabsichtigt. Wir haben diese Grundsätze, die noch aus
sozialliberaler Zeit stammen, einzuhalten, und das tun
wir.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege.
Es wäre schön, wenn Sie diese Grundsätze einhalten
würden.
H
Das tun wir.
Meine Frage lautete vorhin, wie die Bundesregierung
das alles bewertet. Denn auf der einen Seite kann man
sich nicht wie die Bundeskanzlerin dafür feiern lassen,
dass nun ordentliche Sparorgien in Griechenland veran-
staltet werden, und auf der anderen Seite der Einschät-
zung, wie man einer Reduzierung von Rüstungsexporten
gegenübersteht, ausweichen.
Ich frage Sie deshalb: Treffen Presseberichte zu, wo-
nach zum Beispiel sowohl von der Bundesregierung als
auch von der französischen Regierung Initiativen ausge-
hen, dass Griechenland weitere Rüstungsbeschaffungen
zum Beispiel aus Deutschland und aus Frankreich vor-
nimmt? Ich meine beispielsweise die Bestellung von
Eurofightern. Können Sie uns sagen, ob diese Berichte
zutreffen und wie die Entwicklung in diesem Punkt wei-
tergeht?
H
Herr Kollege Barthel, ich kann Ihnen keine Informa-
tionen darüber geben, ob es seitens der griechischen Re-
gierung Anfragen zur Beschaffung von Eurofightern
gibt.
Ich kann Ihnen aber allgemein antworten – das be-
zieht sich auf den ersten Teil Ihrer Frage –, dass die Bun-
desregierung natürlich daran interessiert ist – wir sind
schließlich das Land, das die größten Garantien und Kre-
dite für Griechenland gibt –, dass der griechische Haus-
halt so schnell wie möglich konsolidiert wird. Wenn man
einen Haushalt konsolidiert, wird sicherlich kein Teil des
Haushalts tabu sein können. Insofern liegt es durchaus
im Interesse des deutschen Steuerzahlers und dieses
Hauses, dass auch der Rüstungsetat, der, wie wir wissen
und wie man der Presse entnehmen kann, gerade in Grie-
chenland überdurchschnittlich hoch ist, vor Kürzungen
nicht gefeit ist.
Kollege Barthel, Ihre zweite Nachfrage.
Die Nachfrage hätte sich genau darauf bezogen. Esmuss uns ja allen klar sein, dass vor dem Hintergrundder Herabstufung der Kreditwürdigkeit Griechenlands
Metadaten/Kopzeile:
19144 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Klaus Barthel
(C)
(B)
jeder Kauf, zum Beispiel von Rüstungswaren ausDeutschland, letzten Endes von irgendjemandem ver-bürgt sein muss. Nachdem sich private Finanziers undder griechische Staat dafür nicht mehr eignen, folgt logi-scherweise, dass die Finanzierung solcher Beschaffun-gen über staatliche Garantien, wie zum Beispiel Hermes-bürgschaften der Bundesrepublik Deutschland, oder übereuropäische Garantien, für die im Grunde die deutschenund europäischen Steuerzahler die Last tragen, abgesi-chert werden müsste. Wie sehen Sie denn diesen Tatbe-stand mit Blick auf die Zukunft?H
Herr Kollege Barthel, Sie machen sich jetzt Gedanken
über etwaige Hermesdeckungen usw., ohne dass wir
beide irgendwelche Informationen darüber haben, ob
und in welchem Umfang überhaupt Anträge auf Geneh-
migungen vorliegen.
Sie haben mich konkret nach den Lieferungen an Por-
tugal und Griechenland im Jahr 2010 gefragt. Ich kann
Ihnen jetzt keine Auskünfte darüber geben und habe, of-
fen gesagt, auch gar keine Erkenntnisse darüber, ob für
das Jahr 2012 überhaupt irgendwelche Anträge auf Lie-
ferungen vorliegen. Das weiß ich nicht. Deswegen ver-
bietet es sich meines Erachtens auch, sich Gedanken
über Hermesdeckungen und Ähnliches zu machen.
Ihren theoretischen Überlegungen kann man folgen;
aber es ist doch nicht angebracht, jetzt darüber zu schwa-
dronieren, welche Deckungen notwendig oder sinnvoll
sind bzw. gefährdet sein können, wenn wir überhaupt
nicht wissen, ob Anträge auf Deckungen vorliegen.
Es gibt jetzt zwei Nachfragen, zunächst von der Frau
Kollegin Kathrin Vogler und dann vom Kollegen Volker
Beck. – Bitte schön, Frau Kollegin Kathrin Vogler.
Herr Staatssekretär, da beißt sich ja die Katze in den
Schwanz, wenn Sie dem Kollegen Barthel zunächst ein-
mal nicht sagen, ob es das Ansinnen von Rüstungsexpor-
ten gibt, und dann bei der Frage, wer dafür bürgen soll,
auf diese Nichtantwort verweisen.
H
Danach ist auch nicht gefragt worden, Frau Kollegin.
Ich möchte noch einen ganz anderen Aspekt anspre-
chen. In dem Griechenland-Paket, das wir am Montag
hier im Haus debattiert und verabschiedet haben, werden
Größenordnungen für Einsparungen in unterschiedlichen
Bereichen des griechischen Haushalts und der öffentli-
chen Ausgaben genannt. Ich kann Ihnen mitteilen, dass
im Militäretat bis zu 300 Millionen Euro eingespart wer-
den sollen, während im Gesundheitsetat nur bei den Me-
dikamenten 1 Milliarde Euro in einem Jahr eingespart
werden soll. Teilen Sie mit mir die Auffassung, dass ein
höchst unethisches Verhältnis von Sparmaßnahmen vor-
liegt, wenn – ich spitze das einmal zu – die kranken
Menschen in Griechenland die Sanierung des Staats-
haushaltes stärker finanzieren sollen als die deutschen
und europäischen Rüstungsunternehmen, die von Rüs-
tungsgüterexporten nach Griechenland profitieren?
H
Frau Kollegin Vogler, ich möchte Sie darauf aufmerk-
sam machen, dass die Fragestunde hier eine bestimmte
Ordnung hat.
Wir diskutieren über die Rüstungsexporte nach Portugal
und Griechenland im Jahre 2010. Das war die Frage.
Die weiter gehende Frage, welche Einsparpotenziale es
bei Gesundheitsmitteln und Rüstungsgütern gibt, kann
und möchte ich jetzt natürlich nicht beantworten.
Das war hier nicht gefragt. Deswegen teile ich auch
nicht Ihre Einschätzung,
dass das von vornherein unethisch sei. Wir müssten, um
diese Diskussion zu führen, den Tagesordnungspunkt
„Einsparungen in Griechenland“ haben. Das ist aber
nicht Gegenstand der schriftlich eingereichten Frage.
Deswegen lehne ich es ab, hier irgendwelche Überlegun-
gen oder Einschätzungen von Ihnen zu kommentieren.
Nächste Nachfrage des Kollegen Volker Beck.
Herr Kollege Staatssekretär, für diese Haltung habe
ich grundsätzlich Verständnis.
H
Danke schön.
Es geht darum, die Fragen, die hier gestellt sind, zubeantworten. Gerade das haben Sie bei der Frage vonHerrn Barthel nicht getan. Er hat in Frage 5 überhaupt
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19145
Volker Beck
(C)
(B)
nicht nach 2010, nicht nach 2012 und nicht nach 2011gefragt, sondern er fragt, ob man nicht vor dem Hinter-grund, dass wir von den Krisenländern Sparanstrengun-gen erwarten – darauf haben Sie mit Ausführungen zuden Rüstungsexportrichtlinien geantwortet; das ent-spricht aber auch nicht der Frage –, auf europäischerEbene – nicht auf nationaler Ebene; deswegen geht eseben nicht um Rüstungsexportrichtlinien – die Vereinba-rung treffen will, an diese Länder gegenwärtig keinenicht dringend benötigten Rüstungsgüter zu exportieren.Denn unsere Außenhandelsüberschüsse, auch bei denRüstungsexporten, sind natürlich die Außenhandelsdefi-zite dieser Länder und tragen somit zur schlechten Leis-tungsbilanz und zur finanziellen Situation dieser Staatenbei.Ich wäre Ihnen also dankbar, wenn Sie sich noch ein-mal der vorhin geäußerten Grundfrage widmen würden.Deshalb erspare ich Ihnen Exkurse zu Ihrer persönlichenEthik und zu der der Bundesregierung. Aber Sie solltenschon die Frage des Kollegen Barthel beantworten: Plantdie Bundesregierung oder stellt sie, angeregt durch dieFragestellung, Überlegungen an, im Sinne ausgegliche-ner Außenhandelsbilanzen den Druck von den Haushal-ten dieser Staaten zu nehmen?
H
Lieber Herr Kollege Beck, ich glaube, dass ich diese
Frage schon klar beantwortet habe.
Ich wiederhole meine Antwort: Nein, die Bundesregie-
rung plant das nicht. Ich habe gegenüber dem Kollegen
Barthel auch begründet, warum wir so handeln. Unser
grundsätzliches Verständnis ist, dass NATO- und EU-
Partner selbst zu entscheiden haben – es liegt nämlich in
deren Souveränität –, ob und gegebenenfalls in welchem
Umfang sie welche Güter kaufen.
Der Fall liegt anders bei Ländern außerhalb der
NATO und außerhalb der EU. Ich will es noch einmal
sagen: Die Politischen Grundsätze der Bundesregierung
für den Export von Kriegswaffen und sonstigen Rüs-
tungsgütern aus dem Jahre 2000 – die Grünen waren da-
mals an der Regierung beteiligt –
sehen unter Punkt II Abs. 1 ausdrücklich vor, dass die
Exporte in NATO-Länder nicht zu beschränken sind.
– Lieber Herr Kollege Beck, wenn Sie mich freundli-
cherweise ausreden lassen würden. Ich habe Ihnen lange
zugehört.
Die Bundesregierung hält sich an diese Grundsätze,
die aufgrund der Initiative der damaligen Bundesregie-
rung zustande kamen und die keine Beschränkungen für
den Export in NATO-Länder vorsehen. Daher streben
wir keine Vereinbarung gegenteiligen Inhaltes auf der
europäischen Ebene an.
Im Übrigen, Herr Kollege Beck, möchte ich Sie fra-
gen, welche Form eine Vereinbarung zur Reduzierung
der Exporte haben soll. Starten Sie doch eine parlamen-
tarische Initiative. Dann können wir darüber diskutieren.
Aber hier nur theoretisch über eine Vereinbarung zur Re-
duzierung zu schwadronieren, ist nicht ausreichend. Was
heißt das konkret? Ich kann mir darunter nichts vorstel-
len.
Jetzt haben wir die entsprechenden Zeiten ausgiebig
ausgenutzt.
Die Frage 6 der Frau Kollegin Zimmermann wird
schriftlich beantwortet.
Ich rufe jetzt die Frage 7 unseres Kollegen Manfred
Nink auf:
Welche konkreten Maßnahmen und Schritte hat die Bun-
desregierung bislang eingeleitet bzw. unternommen, um sich
auf EU-Ebene für ein unabhängiges europäisches Kartellamt
einzusetzen, wie es die CDU, CSU und FDP in ihrem Koali-
tionsvertrag angekündigt haben, und warum
konnten bisher noch keine wesentlichen Fortschritte erzielt
werden?
Herr Staatssekretär, ich bitte Sie, diese Frage zu be-
antworten.
H
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Nink,
Sie weisen in Ihrer Frage zu Recht darauf hin, dass die
Schaffung eines europäischen Kartellamts in der Koali-
tionsvereinbarung als Ziel formuliert ist. Allerdings
muss ich Ihnen sagen: Um ein solches Ziel zu erreichen,
bedarf es einer längerfristig angelegten Überzeugungsar-
beit der Bundesregierung, da Voraussetzung für das Er-
reichen eines solchen Ziels die Zustimmung aller Mit-
gliedstaaten für eine entsprechende Vertragsänderung
ist, wie Sie sicherlich wissen. Gespräche haben schon
stattgefunden; sie werden auch weiterhin stattfinden.
Um es ganz offen zu sagen: Das ist kein kurzfristig zu
erreichendes Ziel.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Manfred Nink.
Herr Staatssekretär, was spricht nach Meinung derBundesregierung für ein unabhängiges europäischesKartellamt und gegen die Europäische Kommission alsBehörde zur Verfolgung von Kartellrechtsverstößen?
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19146 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
(C)
(B)
H
Es gibt sicherlich eine Reihe von guten Argumenten
für ein europäisches Kartellamt. Darunter fallen eine
möglicherweise größere Unabhängigkeit und eine gerin-
gere Möglichkeit der Einflussnahme von nationalen Re-
gierungen auf ihre jeweiligen Kartellbehörden oder die
Europäische Kommission. Auf der anderen Seite gibt es
die große Schwierigkeit, dass eine Änderung der EU-
Verträge erforderlich wäre. Sie wissen, wie schwierig ein
solches Änderungsverfahren ist.
Ihre zweite Nachfrage, Kollege Manfred Nink.
Gehen Sie davon aus, dass Ihr im Koalitionsvertrag
angekündigtes Vorhaben noch in dieser Legislatur-
periode umsetzbar ist?
H
Herr Kollege, meine Erkenntnis ist, dass wir in unse-
rem Bemühen um ein europäisches Kartellamt noch
nicht alle Mitgliedstaaten – ich formuliere es einmal vor-
sichtig – haben überzeugen können. Deswegen kann ich
keine Aussage darüber treffen, ob wir das Ziel, das wir
nach wie vor erreichen wollen, noch in dieser Legislatur-
periode verwirklichen können. Wir bleiben am Ball.
Vielen Dank. – Ich rufe die Frage 8 des Kollegen
Manfred Nink auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Forderung, indivi-
duelle Strafsanktionen gegen nachweislich schuldige Mitar-
beiterinnen und Mitarbeiter sowie Managerinnen und Mana-
ger bei Kartellrechtsverstößen zur Verstärkung der
Abschreckung im europäischen Kartellrecht zu verankern,
und welche Schritte wird sie selbst unternehmen, um eine ad-
äquate europäische Regelung zu erzielen?
Bitte, Herr Staatssekretär.
H
Vielen Dank, Herr Präsident. – Ich darf Ihnen antwor-
ten, Herr Kollege: Aus Sicht der Bundesregierung ist das
bestehende europäische Sanktionsregime, das auf der ei-
nen Seite die behördliche Verfolgung und Bebußung von
Unternehmen bei Kartellrechtsverstößen umfasst und
auf der anderen Seite die privatrechtliche Durchsetzung
des Kartellrechts und eine Sanktionierung ermöglicht,
angemessen und auch hinreichend. Einer darüber hi-
nausgehenden Kriminalisierung des EU-Kartellrechts,
nach der Sie gefragt haben, steht die Bundesregierung
zurückhaltend gegenüber. Wir haben Erfahrungsberichte
aus anderen EU-Mitgliedstaaten und den USA ausge-
wertet. Diese Erfahrungsberichte haben uns keinen Hin-
weis darauf geliefert, dass eine weitere Sanktionierung
erforderlich oder zielführend wäre.
Ihre erste Nachfrage, Kollege Manfred Nink.
Herr Staatssekretär, sollen nach Ansicht der Bundes-
regierung Compliance-Maßnahmen der Unternehmen,
die ja letztendlich im Rahmen des Kartellrechts zur Ver-
antwortung gezogen werden, bei der Sanktionierung von
Kartellrechtsverstößen berücksichtigt werden? Wenn ja,
auf welche Art und Weise, wenn nein, warum nicht?
H
Herr Kollege Nink, Ihre ursprüngliche Frage zielte
zunächst nicht darauf ab, Compliance-Regeln anzuwen-
den oder umzusetzen, sondern darauf – das war jeden-
falls Ihre Frage –, ob weitere strafrechtliche Normen ge-
schaffen werden sollen, um ein kartellrechtswidriges
Verhalten der Mitarbeiter zu sanktionieren. Diese Frage
habe ich Ihnen beantwortet.
Es ist eine ganz andere Frage, inwieweit Compliance-
Regeln berücksichtigt werden sollen. Compliance-Re-
geln haben, wie Sie wissen, eine unternehmensinterne
Funktion. Compliance-Regeln sind dafür da, dass die
Mitarbeiter eines Unternehmens genau wissen, was sie
zu beachten und welche Konsequenzen sie zu befürchten
haben, wenn sie gegen diese Regeln verstoßen. Von der
Systematik her ist es so, dass Compliance-Regeln eine
unternehmensinterne und Strafrechtsnormen eine ex-
terne Wirkung entfalten. Das würde ich nicht miteinan-
der kombinieren.
Vielen Dank. – Die zweite Nachfrage.
Herr Staatssekretär, stimmen Sie mir zu, dass mittler-
weile sehr viele Unternehmen Compliance-Maßnahmen
ergriffen haben, die auch wirksam sind, und es trotzdem
in einigen Unternehmen Mitarbeiterinnen und Mitarbei-
ter gibt, die sich gegen Kartellrechtsvorgaben stellen und
damit Schaden für das Unternehmen anrichten, was teil-
weise aus persönlichen Gründen geschieht?
H
Herr Kollege Nink, dies mag durchaus sein. Von sol-chen Fällen liest man gelegentlich in der Presse. Das willich gar nicht in Abrede stellen.Es ist aber nicht so, dass es, wenn ein Mitarbeiter ei-nes Unternehmens das Unternehmen vorsätzlich schä-digt, den Compliance-Regeln zuwiderhandelt und diesmöglicherweise, wie Sie sagen, aus sachfremden Moti-ven geschieht, keine strafrechtliche Sanktionierungs-möglichkeit gäbe. Ich darf Sie darauf hinweisen, dass esin § 266 Strafgesetzbuch den Tatbestand der Untreuegibt. Wenn ein Mitarbeiter vorsätzlich und dauerhaft dieGrundsätze des Unternehmens schädigt, um womöglicheigene oder fremde Vorteile herbeizuführen, dann ist dasschon unter dem jetzigen Regime strafrechtlich sanktio-nierbar. Sie wissen genauso gut wie ich, dass es sogarbei einigen deutschen Großunternehmen strafrechtlicheErmittlungen gegen Mitarbeiter wegen Schädigung desUnternehmens gegeben hat.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19147
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
Aus unserer Sicht besteht keine Veranlassung, dieStrafrechtsnormen zu erweitern oder zu ändern. Wir se-hen in diesem Bereich keine Lücke im Strafrecht. Ichgebe Ihnen recht, dass vorsätzliches nachhaltiges Wirkenzulasten eines Unternehmens nicht ohne Sanktionenbleiben darf. Es gibt aber zum einen zivilrechtlicheSanktionen und zum anderen auch unter dem geltendenRecht in besonderen Fällen die Möglichkeit, strafrechtli-che Ermittlungen und Sanktionen gegen solche schädi-genden Mitarbeiter einzuleiten.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär.
Wir kommen nun zur Frage 9 unseres Kollegen
Garrelt Duin:
Welche Konsequenzen zieht die Bundesregierung aus den
Entscheidungen der Unternehmen TenneT TSO GmbH und
RWE AG, neue Investitionen in den Ausbau von Windpark-
projekten zu stoppen, und wie bewertet die Bundesregierung
die in diesem Zusammenhang geäußerte Begründung, dass
die nötige Rechtssicherheit sowie belastbare Haftungsrege-
lungen für den Fall der Nichtverfügbarkeit oder eines verspä-
teten Netzanschlusses fehlen?
Bitte schön, Herr Staatssekretär.
H
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Kollege Duin,
ich darf Ihnen namens der Bundesregierung Folgendes
antworten: Die Bundesregierung nimmt die Ankündi-
gungen von RWE und TenneT zum Ausbaustopp mit Be-
dauern zur Kenntnis. Die Bundesregierung geht davon
aus, dass die Akteure ihre rechtlichen Verpflichtungen
einhalten. So ist der Netzbetreiber TenneT auf Grund-
lage des Energiewirtschaftsgesetzes verpflichtet, eine
Netzanbindung von Offshorewindparks zu gewährleis-
ten.
Im Übrigen betreibt die Bundesregierung aktiv die
Optimierung der Rahmenbedingungen für die rechtzei-
tige Anbindung von Offshorewindparks. In diversen Ar-
beitsgruppen werden Konzepte für eine zügige Anbin-
dung von Offshorewindparks erarbeitet. Das betrifft
beispielsweise die Verkürzung der Anbindungsdauer des
Windparks durch den Netzbetreiber. Ziel ist es, bis Ende
März Vorschläge für eine Beschleunigung der Offshore-
anbindung vorzulegen. Auch die Bundesnetzagentur
arbeitet an Möglichkeiten zur Optimierung der Off-
shoreanbindung. Gegenwärtig läuft ein Konsultations-
verfahren, in dem über Maßnahmen für einen effizienten
Anschluss von Windparks mit den beteiligten Offshore-
akteuren gesprochen wird. Die Offshorebranche sollte
dieses Verfahren nutzen, um Vorschläge einzubringen.
Lassen Sie mich abschließend noch etwas zur Bewer-
tung sagen: Wir sind uns – vermutlich in völligem Ein-
klang mit Ihren eigenen Auffassungen – dessen bewusst,
dass es sich um ein sehr wichtiges Thema handelt. Die
Offshorewindenergie spielt in dem Energiekonzept der
Bundesregierung eine große Rolle. Deswegen unterneh-
men wir derzeit alles, um diese Schwierigkeiten, die Sie
in Ihrer Frage angesprochen haben, zu beheben.
Kollege Garrelt Duin, Sie haben die erste Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
erlauben Sie mir die Anmerkung, dass sich Ihre Antwort
eher auf die Frage 11 bezog – da geht es um den Zeitplan –
als auf die Frage 9. Sie haben in Ihrer Antwort darauf
hingewiesen, dass Sie auf Vorschläge – so haben Sie es,
glaube ich, gerade formuliert – aus den betroffenen Un-
ternehmen und der betroffenen Branche warten. Eines
der betroffenen Unternehmen, TenneT, hat ja schon Vor-
schläge gemacht.
Ich will einmal ganz konkret auf das Thema Klarstel-
lung der Haftung zu sprechen kommen. Es geht darum,
wie die Versicherungsfrage gelöst werden kann. Gibt es
in der Bundesregierung Überlegungen, wie man diese
Versicherung gewährleisten kann? Welche Vorstellungen
hat die Bundesregierung für den Fall, dass ein Versiche-
rungsschutz über bestimmte Summen hinaus – im Ge-
spräch sind ja 100 Millionen Euro für bestimmte Kons-
tellationen – nicht erlangt werden kann, und wie bzw.
von wem können die dann gleichwohl entstehenden
Kosten getragen werden?
H
Diese Frage kann ich Ihnen mit einem klaren Ja be-
antworten. Das ist eine der zentralen Fragen, die derzeit
erörtert werden. Wie Sie vielleicht wissen, ist am 12. Ja-
nuar bei einem ersten Gespräch zwischen Bundeswirt-
schaftsminister Rösler, der Offshorebranche und den
Netzbetreibern eine sogenannte AG „Beschleunigung“
seitens der betreffenden Akteure gegründet worden. Im
Rahmen dieser AG ist die Frage eines klaren Haftungs-
regimes bei Kabelausfällen einer der zentralen Punkte.
Wir überlegen momentan, ob es möglich ist, eine Re-
gelung zu finden, nach der der Netzbetreiber nur bis zu
einer Höchstgrenze haftet; Sie haben eben einen Betrag
genannt. Es geht hier nicht nur, wie Sie angesprochen
haben, um die Frage der Versicherbarkeit, sondern es
geht auch darum, Investoren zu finden. Diese Investoren
wollen natürlich eine gewisse Investitionssicherheit ha-
ben. Deswegen ist uns klar, dass wir uns an einer sehr
wichtigen Weichenstellung befinden. Im Moment ist
noch nicht entschieden, wie das Ganze ablaufen kann.
Ich kann Ihnen aber bestätigen, dass die Frage des Haf-
tungsregimes einer der wichtigsten Punkte überhaupt ist,
die aktuell in den Gesprächen behandelt werden.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.
Ganz kurz: Können Sie uns diesbezüglich den Zeit-plan der Bundesregierung verraten? Wir alle wissen ja,dass die Zeit sehr drängt, wenn man noch zu Änderun-gen, zum Beispiel im Energiewirtschaftsgesetz, kommenwill.
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19148 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
(C)
(B)
H
Herr Kollege Duin, wir teilen Ihre Einschätzung, dass
die Zeit drängt. Deswegen wird daran mit Hochdruck
gearbeitet. Die beteiligten Ressorts, BMU und BMWi,
werden auf Spitzenebene im März ein Gespräch – –
– Nein, nein. Sie sollten meine Antwort komplett anhö-
ren. – Noch im März,
und zwar dieses Jahres 2012, werden sie tagen. Wie Ihre
Fragestellung schon hat andeuten lassen, geht es um eine
sehr komplexe Materie. Trotzdem: Weil das im Hinblick
auf die Umsetzung der Energiewende ein sehr wichtiges
und drängendes Thema ist – da sind wir völlig bei
Ihnen –, denken wir, dass wir sehr zeitnah im Laufe des
März – gegen Ende März – erste Vorschläge öffentlich
zur Diskussion stellen können.
Vielen Dank. – Wir kommen dann zur Frage 10 eben-
falls unseres Kollegen Garrelt Duin:
Wie bewertet die Bundesregierung aktuelle Vorschläge,
die Finanzierung von Offshore- und Overlayverbindungen
durch die Beteiligung der Übertragungsnetzbetreiber in
Deutschland an einer deutschen Gleichstrom-Netzgesellschaft
zu gestalten, und was gedenkt die Bundesregierung insoweit
zu tun?
H
Danke, Herr Präsident. – Lieber Herr Kollege Duin,
ich kann Ihnen dazu nur sagen, dass wir uns zur Be-
schleunigung des Netzausbaus selbstverständlich alle
Optionen offenhalten. Wir werden auch diese Frage sehr
zeitnah einer Beantwortung zuführen. Wir haben dabei
aber darauf zu achten – das will ich schon andeuten –,
dass keine übermäßige Belastung der Verbraucher er-
folgt. Das heißt, wir müssen dafür sorgen, dass solche
Lösungen, die zu einer Beschleunigung beitragen kön-
nen, nicht auf dem Rücken der Verbraucher ausgetragen
werden. Deshalb muss ich Sie leider insofern um etwas
Geduld bitten. Ich glaube, dass wir Ihnen noch vor Os-
tern konkretere Angaben zu diesem Themenkomplex
machen können.
Die erste Nachfrage des Kollegen Duin wird zeigen,
ob er die Geduld hat. – Bitte schön.
Herr Präsident, ich bin zeitlich sehr unter Druck, weil
ich gleich über das Thema Infrastrukturausbau diskutie-
ren soll. – Insofern gleich die erste Nachfrage – sie geht
eher in Richtung Ordnungspolitik –: Können Sie sich
vorstellen, dass die Bundesregierung – dann hier durch
uns als Gesetzgeber – eine Pflicht zur Gründung einer
solchen Netzgesellschaft in das EnWG hineinschreibt?
Wie die Netzgesellschaft zusammengestellt sein könnte,
möchte ich an dieser Stelle zunächst einmal offenlassen.
H
Es kommt nicht darauf an, was ich mir vorstellen
kann. Ich kann Ihnen nur die offizielle Antwort geben,
dass sich die Bundesregierung alle Optionen offenhält.
Das schließt diese natürlich mit ein. Aber ich glaube, es
ist jetzt nicht angesagt, darüber zu spekulieren, was ich
oder der Minister aus ordnungspolitischen und sonstigen
Gründen davon hielte. Die offizielle Antwort, die Sie ei-
gentlich zufriedenstellen sollte, ist, dass wir keine Op-
tion von vornherein ausschließen.
Damit kommen wir zu Ihrer zweiten Nachfrage.
Ich habe genau dazu eine Nachfrage: Umfasst diese
Offenheit für alle Lösungen auch die Beteiligung des
Staates an einer solchen Netzgesellschaft?
H
Lieber Herr Kollege Duin, Sie werden ahnen, dass
wir als ein liberales Haus dies nicht als erste Option be-
trachten. Aber ich sage Ihnen, dass wir zu diesem Zeit-
punkt keine Option ausschließen; vielleicht kann ich Ih-
nen einen schönen Tag bereiten, wenn ich Ihnen sage,
dass wir auch diese Option nicht von vornherein aus-
schließen.
Wir bekennen uns dazu: Wir tun alles, um die Ener-
giewende so effektiv und zügig wie möglich umzuset-
zen. Wenn wir bei den laufenden intensiven Verhandlun-
gen zu dem Ergebnis kommen, dass eine bestimmte
Lösung diejenige ist, die uns weiterhilft, dann werden
wir diese Lösung Ihnen, dem Haus, vorschlagen; denn
wir werden höchstwahrscheinlich Gesetzesänderungen
brauchen. – Sie alle, liebe Kolleginnen und Kollegen,
werden dann daran beteiligt sein. Im Klartext: Sie wer-
den diejenigen sein, die darüber zu entscheiden haben.
Ich kann Ihnen versichern, dass die entsprechenden
Gespräche mit Hochdruck geführt werden. Ich habe die
Hoffnung, dass wir Ihnen noch im Laufe des März die
ersten konkreten Vorschläge unterbreiten können. Dann
können wir an dieser oder anderer Stelle, möglicher-
weise im Wirtschaftsausschuss, weiter darüber diskutie-
ren.
Mal sehen, ob Sie dem Kollegen Garrelt Duin damiteinen schönen Tag beschert haben.Ich rufe die Frage 11 des Kollegen Ingo Egloff auf:Welche Schlüsse zieht die Bundesregierung daraus, dassStromnetzbetreiber gewarnt haben, der Zeitverzug zwischender Fertigstellung der Offshorewindanlagen und dem An-schluss an das Netz könne bis zu 42 Monate betragen, und dieOffshoreanlagenersteller daraufhin damit gedroht haben,keine Offshoreanlagen mehr zu erstellen, und mit welchen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19149
Vizepräsident Eduard Oswald
(C)
(B)
Maßnahmen will die Bundesregierung sicherstellen, dass zu-künftig die Offshoreanlagen ohne zeitliche Verzögerung andas Netz angeschlossen werden können und der Plan, bis2020 10 Gigawatt Strom aus Offshorewindenergie zu erzeu-gen, tatsächlich eingehalten werden kann?H
Lieber Herr Kollege Egloff, im Grunde hat der Kol-
lege Duin zu Recht darauf hingewiesen, dass die Ant-
worten, die ich ihm eben gegeben habe, eigentlich auch
Ihre Frage schon beantworten.
Wir befinden uns in konkreten Gesprächen mit Ver-
tretern der beiden betroffenen Branchen. Es gibt – ich
will nicht sagen: täglich – aber doch sehr intensive Ge-
spräche. Diese Gespräche werden hoffentlich im Laufe
des März zu konkreten Vorschlägen verdichtet, die mög-
licherweise dann auch der Gesetzgeber, der Deutsche
Bundestag – also Sie – behandeln wird.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Egloff.
Herr Staatssekretär, da Sie eben bei der Beantwortung
der Frage des Kollegen Duin darauf hingewiesen haben,
dass es gegebenenfalls auch gesetzgeberische Maßnah-
men geben muss – und wir alle wissen, dass das mit ei-
nem weiteren Zeitverzug bei der Umsetzung verbunden
sein wird –, stelle ich mir folgende Frage: Die Bundesre-
gierung hat für 2020 einen bestimmten Anteil der durch
Offshoreanlagen gewonnenen Energie an der Gesamt-
energieerzeugung vorgesehen. Sind Sie der Auffassung,
dass die Zielzahlen angesichts der Verzögerung, die wir
jetzt festzustellen haben, noch erreicht werden können?
H
Diese Zielzahlen sind ambitioniert, aber durchaus zu
erreichen. Wenn wir jetzt die Weichen richtig stellen, ist
das bis 2020 in jedem Fall aufzuholen.
Vielen Dank, Herr Kollege. – Die Fragen 12 und 13
der Kollegen Ingrid Nestle und die Frage 14 des Kolle-
gen Krischer werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 15 unserer Kollegin Frau Doris
Barnett auf:
Wird das Bundesministerium für Wirtschaft und Techno-
logie zu dem für den 15. März 2012 angekündigten Termin im
Rahmen des Wirtschaftsdialoges, bei dem die Ergebnisse des
Gutachtens zu Warnhinweisen bei Urheberrechtsverletzungen
mit Rechteinhabern und Diensteanbietern diskutiert werden
sollen, auch Vertreter der Verbraucherschutzorganisationen
und der Zivilgesellschaft einladen und, wenn nein, warum
nicht?
H
Ich habe den Kollegen Krischer bis eben noch gese-
hen und war noch auf seine Fragen vorbereitet. Aber ich
stelle mich schnell um auf Sie, Frau Kollegin Barnett.
Seit dem Jahr 2008 – also schon von der früheren Re-
gierung eingerichtet – gibt es im Bundeswirtschafts-
ministerium einen sogenannten Wirtschaftsdialog für
mehr Kooperation bei der Bekämpfung der Internetpira-
terie, bei dem es darum geht, die Kooperation zwischen
den Rechteinhabern, also den Urhebern oder Rechtever-
wertern, und den Diensteanbietern, also den Servicepro-
vidern, zu fördern und einvernehmliche Lösungen bei
der Bekämpfung der Internetpiraterie zu finden. Die von
Ihnen in der Frage angesprochene vergleichende Studie
über Modelle zur Versendung von Warnhinweisen durch
Internetzugangsanbieter an Nutzer bei Urheberrechtsver-
letzungen soll – das ist unsere Planung – am 15. März
zunächst in diesem Kreise besprochen werden.
In den vergangenen drei Jahren haben immer Vertre-
ter dieser beiden Branchen sozusagen unter der Modera-
tion des Bundeswirtschaftsministeriums und unter Betei-
ligung anderer Häuser diskutiert. Es kann durchaus sein,
dass wir weitere Schritte diskutieren. Selbstverständlich
sind die Verbraucherschutzorganisationen herzlich ein-
geladen, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Wenn
der Wunsch besteht, mit Vertretern des Bundeswirt-
schaftsministeriums oder anderer Häuser über diese Stu-
die zu diskutieren, dann kann ich Ihnen zusichern, dass
die Verbraucherschutzorganisationen bei mir und den
Kollegen immer ein offenes Ohr finden werden.
Frau Kollegin Barnett, Sie haben Ihre erste Nach-
frage.
Vielen Dank, Herr Staatssekretär. – Sie sagen, die
Verbraucherschutzorganisationen können sich an der
Diskussion beteiligen; das könnte zum Beispiel eine In-
ternetdiskussion sein. Aber wie wird tatsächlich gewähr-
leistet, dass am Ende die Verbraucherinteressen und
auch die der Zivilgesellschaft berücksichtigt werden?
Denn Sie haben mit den beiden anderen Organisationen
praktisch schon alles besprochen.
H
Nein, Frau Kollegin Barnett, ich kann Sie beruhigen.Die Diskussion findet nahezu täglich statt. Ich werdezum Beispiel nachher bei einer Veranstaltung deseco-Verbandes – das sind die Internetserviceprovider –,bei der auch Vertreter der Verbraucherschutzorganisatio-nen anwesend sein werden, sprechen. Die Diskussionfindet also nicht nur im Rahmen des Wirtschaftsdialogsstatt.Um das klarzustellen: Der Wirtschaftsdialog ist derVersuch, einvernehmliche Regelungen zwischen denVerwertern der Urheberrechte auf der einen Seite undder Internetindustrie auf der anderen Seite zu finden.Sollten diese Versuche nicht zu einem Einvernehmenführen, dann ist der Bundestag sowieso im Spiel. Dannist zu klären, ob wir die Internetpiraterie mit gesetzgebe-rischen Maßnahmen möglicherweise besser und effekti-ver bekämpfen können, ohne den Rechtsschutz und dieLiberalität des Netzes zu gefährden.
Metadaten/Kopzeile:
19150 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Parl. Staatssekretär Hans-Joachim Otto
(C)
(B)
In jedem Fall, liebe Frau Kollegin Barnett, müssenSie sich keine Sorgen machen, dass uns die Anliegen derVerbraucherschutzorganisationen und der Verbrauchernicht am Herzen liegen. Wir werden mit Sicherheit keineMaßnahmen oder Ähnliches vereinbaren, ohne einenausführlichen Dialog mit den Verbraucherschutzorgani-sationen geführt zu haben. Ich kann Ihnen bestätigen,dass der Dialog mit den Verbraucherschutzorganisatio-nen gerade in diesem Feld immer sehr fruchtbar ist. Des-wegen sage ich: Wir wären ja doof, wenn wir nicht mitden Verbraucherschutzorganisationen reden würden. Dastun wir auf jeden Fall noch ausgiebig.
Sie haben das Recht zur zweiten Nachfrage.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Wie schnell können
Verbraucherschutzorganisationen bzw. wie schnell kann
die Zivilgesellschaft auf Vereinbarungen zwischen den
beiden anderen Organisationen reagieren? Werden die
Vereinbarungen gleich ins Netz gestellt? Kann dann
überhaupt noch etwas geändert werden?
H
Liebe Frau Kollegin Barnett, ich will den Ergebnissen
des Wirtschaftsdialogs am 15. März 2012 nicht vorgrei-
fen. Ich weiß nicht, ob ich Sie damit beruhige, aber ich
rechne nicht damit, dass am 15. März irgendetwas ver-
einbart wird, das dann sofort in Kraft tritt. Die Bekämp-
fung der Internetpiraterie ist sehr langfristig angelegt.
Dieses Thema hat nicht nur diese Bundesregierung, son-
dern auch frühere Bundesregierungen intensiv beschäf-
tigt. Das heißt, wir werden ohnedies, auch jenseits des
Wirtschaftsdialogs, sehr sorgfältig prüfen müssen, wel-
che Maßnahmen gegebenenfalls geeignet sind, um die
Rechte der Urheber im Netz besser zu schützen, ohne
gleichzeitig rechtsstaatliche Positionen preiszugeben.
Das wird nicht nach einem Gespräch und schon gar nicht
am 15. März abgeschlossen werden können. Deswegen
glaube ich, dass ich Ihnen die Sorge, die in Ihrer Frage
durchklang – werden dort Tatsachen geschaffen, und
wird die Zivilgesellschaft daran nicht beteiligt? –, neh-
men kann, sogar nehmen muss. Ich fürchte, es geht gar
nicht so schnell, wie das vielleicht wünschenswert wäre.
Wir werden über die weiteren Schritte sehr sorgfältig in
der Öffentlichkeit und auch in diesem Hause diskutieren
müssen.
Vielen Dank. – Jetzt eine Nachfrage unseres Kollegen
Volker Beck.
Herr Staatssekretär, ich bin hellhörig geworden, als
Sie davon gesprochen haben, dass wir neue rechtliche
Regelungen zur Verbesserung der Urheberrechte im
Netz brauchen, –
H
Nein, das habe ich nicht gesagt.
– oder dass Sie das erwägen. Deshalb wollte ich gerne
wissen, was Sie erwägen. Denken Sie eher an ein Abrüs-
ten im Internet im Sinne einer Pauschalvergütung, was
es ja als Vorschlag gibt, oder wollen Sie die rechtlichen
Instrumentarien zur Durchsetzung des Urheberrechts im
Internet verschärfen, wie es zum Beispiel im Kapitel
zum Schutz des geistigen Eigentums im digitalen Um-
feld des ACTA-Übereinkommens angelegt ist?
H
Lieber Herr Kollege Beck, ich habe nicht gesagt, dass
wir rechtliche Maßnahmen brauchen. Ansonsten würden
wir am 15. März gar nicht über einvernehmliche Rege-
lungen reden. Ob wir Regelungen brauchen und in wel-
che Richtung sie gegebenenfalls zielen, wird mit diesem
Hause natürlich sorgfältig zu erörtern sein. Ich kann Ih-
nen aber schon jetzt definitiv sagen, weil das Bestandteil
der Koalitionsvereinbarung ist, dass wir in keinem Fall
irgendwelche Maßnahmen beschließen werden, die zu
einer Sperrung von Internetanschlüssen oder zu einer
Drosselung der Leistung führen würden. Das jedenfalls
ist schon einmal ausgeschlossen. Alles andere wird sorg-
fältig erörtert.
Sie wissen, dass es eine intensive Diskussion gibt.
Das Ziel muss sein, zum einen die immer noch millio-
nenfach vorkommende Internetpiraterie einzudämmen
und damit die kulturelle Vielfalt – dieses Argument ken-
nen Sie – zu sichern, ohne dabei zum anderen rechts-
staatliche Grundsätze und die Liberalität des Netzes zu
gefährden. Das ist eine schwierige Aufgabe. Sie sind alle
herzlich eingeladen, sich an der Diskussion über dieses
Thema zu beteiligen und Vorschläge zu unterbreiten.
Zunächst ist der Kollege Burkhard Lischka eingela-
den, eine Nachfrage zu stellen. Bitte schön.
Herr Staatssekretär, nun haben wir ja vor einigen Ta-gen – für viele kam das überraschend – die sogenanntenACTA-Proteste erlebt. Ein Vorwurf, der dort artikuliertwurde, war ja, dass Fragen des Urheberrechts hinter ver-schlossenen Türen ausgehandelt worden sind. Sie habenin Ihrer Antwort eben gesagt: Verbraucherschützer undZivilgesellschaft können sich an uns wenden. Ich werdemich gern mit ihnen unterhalten. – Aber halten Sie esnach den Erfahrungen gerade zu ACTA in diesem sen-siblen Bereich nicht für angebracht, dass Sie von sichaus auf Verbraucherschutzverbände und entsprechendeVertreter der Zivilgesellschaft zugehen und bewusst dasGespräch mit ihnen suchen?
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19151
(C)
(B)
H
Herr Kollege Lischka, zum einen kann ich Ihnen ver-
sichern, dass ich persönlich und auch viele Kolleginnen
und Kollegen meines Hauses ohnehin in einem ständi-
gen Austausch mit Verbraucherschutzorganisationen
stehen. Wir sind momentan mehrmals wöchentlich auf
Veranstaltungen, an denen verschiedene gesellschaft-
liche Gruppen teilnehmen. Diese Diskussion findet also
statt.
Sie haben das Thema ACTA noch einmal angespro-
chen. Ich will jetzt gar nicht zu den Vorwürfen in der
Vergangenheit Stellung nehmen. Wir haben jedenfalls
Klarheit hinsichtlich ACTA und der diesbezüglichen Be-
fürchtungen, die es in Teilen der deutschen Bevölkerung
gibt, geschaffen. Der Europäische Gerichtshof ist von
der EU-Kommission angerufen worden, um zu klären,
ob es irgendwelche Rechtsverstöße gibt. Wir werden
selbstverständlich auch über das Thema ACTA, darüber,
ob durch ACTA in Deutschland überhaupt Rechtsnach-
teile drohen oder nicht, diskutieren. Es ist also keines-
wegs so, dass Sie jetzt die Befürchtung haben müssten,
Sie würden vor vollendete Tatsachen gestellt werden.
Das sind alles komplexe Themen, die schrittweise abge-
arbeitet werden müssen.
Ich sage auch Ihnen, was ich dem Kollegen Beck ge-
sagt habe: Jeder von Ihnen ist eingeladen, auch zum
Thema Urheberrecht in der digitalen Welt Vorschläge zu
machen. Wir haben hier eine Hausaufgabe gemeinsam
zu lösen. Ich sehe das nicht als eine parteipolitische oder
allein regierungsmäßige Aufgabe an. Auch die Opposi-
tion des Hauses ist herzlich eingeladen, sich an dieser
Diskussion weiterhin konstruktiv zu beteiligen.
Deshalb hat sich der Kollege Dr. von Notz zu einer
Nachfrage gemeldet. Bitte schön.
Vielen Dank, Herr Präsident. – Herr Staatssekretär,
würden Sie mir denn zustimmen, dass es auch ein Pro-
blem sein kann, wenn durch eine Regelung wie ACTA
bestehendes Recht manifestiert wird – Sie sprachen zu
Recht die Frage an, inwieweit das Urheberrecht für die
digitale Welt ergänzt oder reformiert werden muss –,
dass sozusagen der Platz für diese Reformen gerade
durch ein international bindendes Abkommen wie
ACTA zugestellt werden kann?
H
Lieber Herr Kollege von Notz, wir werden diese Dis-
kussion zunächst einmal auf der Grundlage führen, die
uns der Europäische Gerichtshof dazu geben wird, ob
hier irgendwelche Rechtsverstöße – das meint insbeson-
dere auch Grundrechtseingriffe – drohen. Ansonsten
mache ich Sie darauf aufmerksam, dass das ACTA-
Übereinkommen ja keine Privatidee der deutschen Bun-
desregierung ist, sondern ein letztlich weltweites Ab-
kommen.
– Ja, die Bundesregierung war in dieser Sache gar nicht
initiativ.
Die Diskussion über ACTA werden wir noch führen
müssen. Natürlich wird auch die von Ihnen aufgewor-
fene Frage eine Rolle spielen, also nicht nur die Frage,
inwieweit ACTA Rechtsänderungen in Deutschland er-
fordert, sondern auch umgekehrt die Frage, inwieweit
ACTA Rechtsänderungen in Deutschland verhindert.
Diese Diskussion werden wir selbstverständlich führen.
Auch da – ich wiederhole mich – will ich, dass eine sehr
offensive Diskussion in Gang kommt, damit überhaupt
nicht der falsche Eindruck entstehen kann, es gäbe hier
Geheimverhandlungen oder Ähnliches. Der gesamte
Deutsche Bundestag und die Zivilgesellschaft sind
eingeladen, sich an dieser Diskussion zu beteiligen. Das
findet in großem Maße statt. Diese Diskussion führen
wir mit Freude.
Herzlichen Dank. – Die Frage 16 der Abgeordneten
Beate Walter-Rosenheimer wird schriftlich beantwortet.
Damit, Herr Staatssekretär, sind wir am Ende Ihres Ge-
schäftsbereichs.
Ich komme zum Geschäftsbereich des Auswärtigen
Amtes. Zur Beantwortung steht uns Frau Staatsminis-
terin Cornelia Pieper zur Verfügung.
Die Fragen 17 und 18 der Abgeordneten Heike
Hänsel werden schriftlich beantwortet.
Ich rufe die Frage 19 des Kollegen Dieter Dehm auf:
Wie bewertet die Bundesregierung die Sicherheitslage in
Libyen aktuell?
Frau Staatsministerin, ich bitte um Beantwortung.
C
Die Bundesregierung, Herr Abgeordneter, bewertet
die Sicherheitslage in Libyen als unübersichtlich und mit
erheblichen Risiken behaftet. Bewaffnete Auseinander-
setzungen zwischen einzelnen Milizen finden vereinzelt
weiterhin statt und sind jederzeit möglich. Aus diesem
Grund hat das Auswärtige Amt eine Reisewarnung he-
rausgegeben.
Ihre erste Nachfrage, Herr Kollege Dr. Dehm.
Frau Staatsministerin, sind Ihnen Berichte in Medienoder von „Ärzte ohne Grenzen“ bekannt, wonach115 Folteropfer in staatlichen Gefängnissen und über1 500 Häftlinge in Gefängnissen und ähnlichen Einrich-tungen der Milizen einsitzen?
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19152 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
(C)
(B)
C
Die Menschenrechtslage ist immer wieder Gegen-
stand der bilateralen Gespräche mit der Übergangsregie-
rung in Libyen. Ich will daran erinnern, dass Bundes-
außenminister Westerwelle am 8. Januar 2012 dazu
Gespräche geführt hat. Die libysche Regierung und der
Nationale Übergangsrat haben sich bei dieser Gelegen-
heit erneut zum Schutz der Menschenrechte bekannt. Sie
wissen, dass – auch auf deutsches Betreiben hin – die
Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspoli-
tik, Catherine Ashton, im Namen der EU auf die Über-
prüfung von Foltervorwürfen und das Ahnden entspre-
chender Taten gedrängt hat. Die Bundesregierung wird
im Rahmen ihrer bilateralen Kontakte selbstverständlich
weiterhin auf ein Ende von Folter und Misshandlungen
drängen.
Ihre zweite Nachfrage, Herr Kollege.
Frau Staatsministerin, es ist uns bekannt, dass der
Bundesaußenminister bezüglich des Luftangriffs auf
Libyen sehr zurückhaltend war. Dennoch hat er nach
dem Sturz Gaddafis sehr positive Signale in Richtung
dieses sogenannten Übergangsrats gesendet. Ist es in un-
serem Sinne, dass heute ganze Stadtteile und Städte, die
Gaddafi gegenüber loyal waren – vielleicht waren sie
nicht mit den Segnungen unserer Medien vertraut –, er-
heblichen Repressalien ausgesetzt sind und dort massen-
haft Morde stattfinden?
C
Ich will noch einmal deutlich machen, Herr Abgeord-
neter, dass sich die Situation, auch die Sicherheitslage,
seit dem Sturz des Gaddafi-Regimes wesentlich verbes-
sert hat. Aber – das wissen auch Sie – die Übergangs-
regierung hat noch große Probleme mit der Überführung
der Milizen in nationale Sicherheitskräfte. Es besteht re-
gelrecht ein Sicherheitsvakuum. Der Übergangsregie-
rung ist es bisher nicht gelungen, einen entscheidenden
Einfluss auf die Milizen auszuüben. Der Aufbau der
nationalen Sicherheitskräfte kommt nur mühsam voran.
Der Aufbau von Armee und Polizei wird dadurch behin-
dert, dass nur ein Teil der Milizionäre bislang überhaupt
bereit ist, sich diesen anzuschließen und zu einer zivilen
Tätigkeit zurückzukehren.
Aber die Übergangsregierung hat sich klar zu den
Menschenrechten und zu einer Verbesserung der Sicher-
heitslage bekannt. Berücksichtigen Sie bitte, dass das
Land die ersten Schritte hin zu einer demokratischen und
zivilgesellschaftlichen Form macht. Sie können nicht er-
warten, dass von heute auf morgen Veränderungen statt-
finden. Unser Bestreben ist, dieses Thema – auch zusam-
men mit der Europäischen Union und dem Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen – immer wieder deutlich zu
machen und darauf zu drängen, Verbesserungen durch-
zusetzen.
Es gibt weitere Nachfragen. Zunächst Frau Kollegin
Kathrin Vogler.
Danke, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin, Sie
haben gerade gesagt, dass es eine Reihe von Milizen
gibt, die sich weigern, ihre Waffen abzugeben. Dies wird
auch in der Presse berichtet. Ein wesentliches Argument
dieser Milizen ist – so habe ich das wahrgenommen –,
dass sie ihre Unabhängigkeit nicht aufgeben wollen, be-
vor es ein frei gewähltes Parlament gibt. Wie schätzt die
Bundesregierung das ein? Halten Sie es für möglich, in
einer Situation, in der weite Teile des Landes von kon-
kurrierenden Milizen kontrolliert werden und umkämpft
sind und in der die Sicherheits- und Menschenrechts-
lage, vorsichtig formuliert, mehr als unbefriedigend ist,
freie Wahlen durchzuführen?
C
Die Bundesregierung wird alles daransetzen, die
Durchführung von freien Wahlen zu unterstützen und zu
begleiten. In der Tat ist es so, wie Sie gesagt haben, Frau
Abgeordnete: Viele der Milizen, die sich im Zuge der
Revolution in allen Regionen des Landes gebildet haben,
bestehen noch und sind nicht bereit, in die nationalen
Sicherheitskräfte einzutreten. Das hat damit zu tun – so
wird es auch von unserer Botschaft vor Ort eingeschätzt –,
dass sich viele Milizangehörige mit der Waffe in der
Hand ein größeres politisches und finanzielles Entgegen-
kommen vonseiten der Regierung versprechen, als sie es
bislang erlebt haben.
Ich will aber auch die Erfolge erwähnen. Es gibt bis
zu 200 000 Milizionäre. Von ihnen sind vermutlich we-
niger als 40 000 für einen regulären Dienst angemeldet.
Aber immerhin: Es bewegt sich etwas, und die Über-
gangsregierung ist sehr bemüht, die Sicherheitslage zu
verbessern.
Eine Nachfrage unseres Kollegen Niema Movassat.
Danke, Herr Präsident. – Frau Staatsministerin, Sie ha-
ben gerade in zwei Antworten zwei widersprüchliche
Aussagen gemacht. Sie haben einerseits gesagt, die Sicher-
heitslage habe sich im Vergleich zur Situation vor dem
Bürgerkrieg verbessert. Andererseits haben Sie gesagt, es
gebe Milizen, die nicht bereit sind, sich der jetzigen Re-
gierung, dem jetzigen Regime unterzuordnen. Was gilt
nun aus Sicht der Bundesregierung? Haben wir eine Ver-
besserung der Sicherheitslage – obwohl es zahlreiche Mi-
lizen gibt, die bewaffnet sind, gegeneinander kämpfen
und sich nicht der Regierung unterstellen –, oder haben
wir eine Verschlechterung der Sicherheitslage?
C
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung stellt fest,dass sich die Sicherheitslage im Vergleich zur Zeit des
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19153
Staatsministerin Cornelia Pieper
(C)
(B)
Gaddafi-Regimes verbessert hat. Es ist, glaube ich, auchdie einmütige Meinung in diesem Hohen Hause, imDeutschen Bundestag, dass das so ist. Ich habe gesagt:Die Sicherheitslage hat sich verbessert, ist aber nicht zu-friedenstellend. – Das sind zwei Beschreibungen der Si-tuation, die sich ergänzen und sich nicht widersprechen.Natürlich ist die Sicherheitslage nicht zufriedenstellend;das hatte ich zu Anfang gesagt. Das hat aber seineGründe; auch diese habe ich beschrieben.
Vielen Dank, Frau Staatsministerin.
Wir kommen nun zur Frage 20 unseres Kollegen
Dr. Dieter Dehm:
Welche Schlussfolgerungen zieht die Bundesregierung aus
der Analyse der International Crisis Group, wonach der regie-
rende Nationale Übergangsrat nicht die Kontrolle über Libyen
hat?
Ich bitte um Beantwortung.
C
Nach Einschätzung der Bundesregierung, Herr Abge-
ordneter, hat die libysche Übergangsregierung derzeit
noch nicht die Kontrolle über alle Sicherheitskräfte und
Milizen im Land, wie ich schon sagte. Die Bundesregie-
rung ist der Auffassung, dass es Aufgabe der Übergangs-
regierung ist, Wege zu finden, um die Milizen zu ent-
waffnen und deren Kämpfer entweder in neuen
staatlichen Sicherheitsstrukturen oder im zivilen Sektor
aufzunehmen. Zu diesem Zweck hat die Übergangs-
regierung bereits Pläne entwickelt und entsprechende
Angebote an die Angehörigen der Milizen gerichtet. Die
Mission der Vereinten Nationen in Libyen, UNSMIL,
hat unter anderem die Aufgabe, die libysche Regierung
dabei zu unterstützen, die öffentliche Sicherheit wieder-
herzustellen und die Rechtsstaatlichkeit zu fördern.
Sie haben eine Nachfrage, Herr Dehm? – Bitte schön.
Zwischen der Situation, dass weite Teile des Landes
von Milizen terrorisiert werden, und den Möglichkeiten,
freie Wahlen durchzuführen, gibt es einen Zusammen-
hang. Es ist schlechterdings schwer vorstellbar, dass in
einer Situation, in der auf Menschen aus der Subsahara,
die eine dunkle Hautfarbe haben, eine regelrechte Men-
schenjagd veranstaltet wird, freie, ungehinderte Wahlen
stattfinden. Könnte daraus nicht eine Situation entstehen,
in der es Milizen und Terroristen in der Hand haben, zu
bestimmen, wann sich ein Volk souverän, parlamenta-
risch und demokratisch artikulieren kann?
C
Herr Abgeordneter, die Bundesregierung und auch die
Europäische Union sehen die klaren Bemühungen der
Übergangsregierung, in Libyen freie Wahlen stattfinden
zu lassen. Libyen ist, wie Sie wissen, auf dem besten
Weg dahin. Deswegen haben wir großes Vertrauen in die
Übergangsregierung, dass sie diesen Weg weiterhin be-
schreiten wird.
Ich will die Befürchtung zurückweisen, dass die Mili-
zen die Bevölkerung und die Regierung terrorisieren,
weil ich glaube, dass das nicht in jedem Fall die richtige
Beschreibung der Situation ist.
In der Tat ist es so, dass die Milizen, die sich im Zuge
der Revolution gebildet haben, noch flächendeckend
agieren. Diese Milizen üben in vielen Fällen weiterhin
lokal die Macht aus und begründen dies mit dem Fehlen
von nationalen Sicherheitskräften. Ich sprach bereits von
dem Sicherheitsvakuum. Man kann aus dem Zustand,
den wir heute sehen, aber nicht darauf schließen, dass
Libyen keine Chance hat. Die Übergangsregierung wird
jede Möglichkeit nutzen, damit es zu freien Wahlen
kommen wird.
Sie haben keine weitere Nachfrage. – Frau Höger,
bitte.
Frau Staatsministerin, Sie sprachen vom Aufbau von
Rechtsstaatlichkeit. Es gibt Berichte von Human Rights
Watch, nach denen die Übergangsregierung Gesetze be-
schließt und diese teilweise nicht veröffentlicht. Ist der
Bundesregierung bekannt, um welche Gesetze es sich
dabei handelt?
C
Ich kann Ihnen im Moment keine konkreten Gesetze
nennen. Ich denke, das müssen wir noch erörtern. Das
kann ich Ihnen gerne nachliefern.
Ich denke, über die Berichte von Human Rights
Watch sollten wir weiterhin diskutieren; denn die Bun-
desregierung hat ein großes Interesse daran, die Men-
schenrechtslage in Libyen weiterhin zu beobachten und
den Prozess der Demokratisierung und Rechtsstaatlich-
keit in Libyen weiterhin zu begleiten. Ich werde bei mei-
nem Besuch in Libyen am 12. März 2012 selbst die
Möglichkeit haben, mit der Regierung in Tripolis da-
rüber zu sprechen.
Jetzt sind wir bei der Frage 21 des Kollegen Movassat:
Wie viele von der Übergangsregierung kontrollierte Ge-
fangenenlager in Libyen mit welcher Anzahl von Gefangenen
sind der Bundesregierung bekannt?
Frau Staatsministerin.
C
Herr Abgeordneter Movassat, das Internationale Ko-mitee vom Roten Kreuz hat berichtet, dass insgesamtcirca 8 500 Personen an rund 60 Orten inhaftiert sind.Der Bundesregierung liegen keine belastbaren Zahlen
Metadaten/Kopzeile:
19154 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Staatsministerin Cornelia Pieper
(C)
(B)
dazu vor, wie viele dieser Orte unter Kontrolle der Über-gangsregierung sind.
Herr Movassat, bitte.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Staatsministerin, mit
meiner Nachfrage würde ich gerne auf den Aspekt der
politischen Gefangenen eingehen. Sind der Bundesregie-
rung Zahlen über politische Gefangene bekannt? Wissen
Sie etwas über deren Haftbedingungen, deren Verbleib
und darüber, welche strafrechtlichen Vorwürfe gegen
diese erhoben und ob sie gefoltert werden?
C
Herr Abgeordneter, das Internationale Komitee vom
Roten Kreuz spricht in der Tat, wie ich schon sagte, von
8 500 Inhaftierten. Darunter gibt es auch politische Ge-
fangene.
Es gibt eine Kommission für vermisste Personen, die
seit der Gaddafi-Revolution für ungefähr 30 000 ver-
misste Personen in Libyen zuständig ist. Wir wissen,
dass hier viele Fragen aus den Zeiten des Umschwungs
in Libyen unbeantwortet sind und dass wahrscheinlich
viele politische Häftlinge in den Gefängnissen von den
Milizen gefoltert werden.
Die Bundesregierung hat ein großes Interesse daran
– das kann ich nur immer wieder betonen –, dass die
Übergangsregierung die Zügel in die Hand nimmt und
letztendlich nicht nur über diese Foltermaßnahmen Be-
scheid weiß, sondern auch gegen sie angeht und vor al-
len Dingen die Gefangenen in ihre Obhut nimmt. Ich
sagte bereits, dass die Übergangsregierung zurzeit nicht
in der Lage ist, das alles zu kontrollieren.
Sie haben eine weitere Nachfrage. Bitte sehr.
Frau Staatsministerin, Sie haben den Bericht von
Human Rights Watch angesprochen. Es gibt einen Be-
richt von Ärzte ohne Grenzen vom Januar 2012, demzu-
folge 115 Patienten behandelt worden sind, die unter an-
derem Spuren und Verletzungen von Folter aufwiesen.
Human Rights Watch spricht, wie gesagt, von willkürli-
chen Verhaftungen und der Anwendung von Folter.
Wann hat die Bundesregierung dies konkret gegen-
über der libyschen Übergangsregierung zur Sprache ge-
bracht, und was war die Antwort der libyschen Über-
gangsregierung darauf?
C
In der Tat – ich hatte es bereits erwähnt – spricht die
Bundesregierung nicht nur bilateral, sondern auch auf
EU-Ebene und auf der Ebene der Vereinten Nationen
ständig die Menschenrechtslage in Libyen an. Die Über-
gangsregierung hat geäußert, dass sie bemüht ist, alles zu
tun, um Folter in den Gefängnissen abzustellen, und den
Demokratisierungsprozess weiter voranzutreiben. Man
hat sich auch klar zu den Menschenrechten bekannt.
Eine Nachfrage des Kollegen Beck.
Als Menschenrechtspolitiker machen mich die Be-
richte in Bezug auf die Folter besorgt, die wir bekom-
men, ohne das Ausmaß des Ganzen richtig bewerten zu
können. Deshalb bitte ich Sie, uns zu schildern, was das
Internationale Rote Kreuz dazu sagt, ob es freien Zugang
zu allen Gefangenenlagern und Gefängnissen hat, und
welche konkreten Initiativen die Bundesregierung ergrif-
fen hat, um die libysche Seite bzw. die libyschen Seiten,
wie man vielleicht präziser sagen muss, anzuregen,
Maßnahmen zu ergreifen, damit die Folterproblematik
abgestellt wird. Denn abstrakte Bekenntnisse zu den
Menschenrechten reichen nicht aus. Wir müssen auch
sehen, dass Menschen, die vielleicht als Helfer des vor-
herigen Regimes selber schreckliche Verbrechen zu ver-
antworten haben, trotzdem den Anspruch auf ein rechts-
staatliches Verfahren frei von Folter haben. Dieser
Gedanke scheint sich nicht überall durchgesetzt zu ha-
ben.
C
Herr Abgeordneter, in der Tat ist das auch ein
Schwerpunkt der Bundesregierung in ihrer Menschen-
rechtsarbeit in Libyen. Sie wissen, dass derzeit vor allem
der Umgang mit libyschen mutmaßlichen Gaddafi-An-
hängern sowie den als Gaddafi-Söldnern verdächtigen
Migranten aus Subsahara-Afrika in der Kritik steht. Am-
nesty International und andere Menschenrechtsorganisa-
tionen, auf die Sie auch hingewiesen haben, berichten in
der Tat von willkürlichen Verhaftungen durch Milizen,
von Folter und Misshandlungen.
Es ist aber auch zu sehen, dass in den vergangenen
Wochen der Justizminister zunehmend Gefängnisse un-
ter seine Kontrolle gebracht hat. Das Internationale Ko-
mitee vom Roten Kreuz hat ungehinderten Zugang zu
den Gefängnissen. Aber, wie ich schon sagte, steht nur
ein Teil der Gefängnisse unter staatlicher Kontrolle. Das
macht das Ganze so schwierig.
Frau Vogler, bitte.
Frau Staatsministerin, ich möchte noch einmal auf dieeben erwähnten Berichte von Ärzte ohne Grenzen überdie Folteropfer zurückkommen. Das hat die Organisationdazu gebracht, ihren Einsatz in Libyen zu beenden, weilsie nicht mehr humanitär wirken kann. Wenn die Men-schen, die mit Folterspuren gebracht werden, nach demGesundpflegen nur weitere Folter zu erwarten haben,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19155
Kathrin Vogler
(C)
(B)
dann kann sie ihrem humanitären Auftrag nicht mehrentsprechen.Ist der Bundesregierung bekannt, ob es weitere deut-sche oder internationale NGOs gibt, die in Libyen im hu-manitären Bereich gearbeitet und aus dieser Tatsacheähnliche Konsequenzen gezogen haben?C
Das können wir nicht ausschließen, Frau Abgeord-
nete. Wir sind uns dieser Problematik bewusst, und wir
werden sie bilateral auch immer wieder ins Gespräch mit
der Übergangsregierung in Libyen bringen.
Frau Dağdelen.
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staatsministe-
rin Pieper, Sie haben gesagt, dass Sie auf EU-Ebene,
aber auch bilateral immer wieder auf die neuen Macht-
haber wegen der Berichte, die sich wirklich schrecklich
anhören, zugegangen sind. Vorhin haben Sie gesagt, dass
man sehr bemüht ist, dass der Aufbau in Libyen nach
rechtsstaatlichen und demokratischen Grundsätzen er-
folgt.
In diesem Zusammenhang würde ich gerne wissen, ob
und unter welchen Umständen die Bundesrepublik
Deutschland sich an einer Sicherheitssektorreform in
Libyen beteiligen wird. Es ist sehr naheliegend, dass es
eine SSR-Mission geben wird. Haben Überlegungen in
diese Richtung stattgefunden? Falls ja, unter welchen
Umständen wäre eine Beteiligung denkbar?
C
Wie Sie wissen, Frau Abgeordnete, ist das nicht nur
ein Thema für die Bundesregierung, sondern auch für
die Europäische Union und die Vereinten Nationen. Wir
erwarten dazu einen Bericht mit einer Bestandsauf-
nahme. Den werden wir abwarten, und dann kann man
weitere Schritte unternehmen.
Wir kommen zur Frage 22 des Kollegen Movassat:
Ist der Bundesregierung bekannt, welche Mitglieder der li-
byschen Übergangsregierung unmittelbar oder mittelbar an
Kriegsverbrechen beteiligt waren, und wie geht sie mit diesen
um?
Frau Staatsministerin.
C
Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat die Be-
handlung der Situation in Libyen bereits im Februar
2011 an den Internationalen Strafgerichtshof verwiesen,
der damit auch für Ermittlungen wegen mutmaßlicher
Kriegsverbrechen zuständig ist. Bislang hat der Interna-
tionale Strafgerichtshof in diesem Zusammenhang drei
Haftbefehle wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen er-
lassen, und zwar gegen den inzwischen verstorbenen
Muammar al-Gaddafi, seinen Sohn Saif al-Islam al-
Gaddafi sowie seinen früheren Geheimdienstchef al-
Senussi. Das Verfahren gegen Muammar al-Gaddafi
wurde am 22. November 2011 eingestellt.
Herr Movassat, bitte.
Es geht natürlich um die Verletzungen von Men-
schenrechten durch die Übergangsregierung. Dafür gibt
es verschiedene Beispiele. Was ist der Bundesregierung
zum Beispiel über Vertreibungen der Zivilbevölkerung
im Zusammenhang mit der Machtübernahme durch die
Aufständischen bekannt?
Ein Beispiel sei an dieser Stelle genannt: Die Stadt
Tawergha wurde am 12./13. August 2011 durch die Auf-
ständischen erobert. Infolgedessen wurden die Bewoh-
nerinnen und Bewohner dieser Stadt aus ihr vertrieben.
Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, ein
Verstoß gegen Art. 49 des Genfer Abkommens über den
Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten. Inwiefern ist
der Bundesregierung bekannt, ob Mitglieder der liby-
schen Übergangsregierung daran beteiligt waren?
C
Herr Abgeordneter, Sie wissen so gut wie ich, dass
Libyen sich in einer schwierigen Übergangsphase befin-
det und dass die Übergangsregierung nicht alleine die
Grundlagen für den zivilen Neuaufbau und den Demo-
kratisierungsprozess in der Zukunft schaffen kann. Das
kann nur eine frei gewählte, durch das Volk legitimierte
Regierung.
Wir sollten froh sein, dass das Regime von Gaddafi,
das die Zivilbevölkerung, wie wir alle verfolgt haben,
terrorisiert hat, gestürzt ist. Wir sollten einmal zur
Kenntnis nehmen, dass wir jetzt einen Prozess mit der
Übergangsregierung in Libyen unterstützen können, der
– Anfang Februar ist ein Wahlgesetz verabschiedet und
eine Wahlkommission berufen worden – auf freie Wah-
len in Libyen hinausläuft, die nach der Wahl einer ver-
fassunggebenden Versammlung im Sommer 2013 statt-
finden sollen.
Diesen Prozess unterstützt die Bundesregierung nach-
haltig. Wir verurteilen jeden Fall von Menschenrechts-
verletzungen und Folter, der im Rahmen eines auch für
die jetzige Übergangsregierung nicht immer kontrollier-
baren Prozesses noch stattfindet.
Für eine zweite Nachfrage, Herr Movassat.
Danke, Frau Präsidentin. – Frau Staatsministerin, dieMenschen, die jetzt in den Foltergefängnissen in Libyensitzen, werden sich natürlich über die Möglichkeit, zu
Metadaten/Kopzeile:
19156 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Niema Movassat
(C)
(B)
wählen, sehr freuen. Das ist sicherlich das dringendsteProblem von Menschen in Gefängnissen.Sie haben meine Frage leider zweimal nicht beant-wortet. Deshalb versuche ich es jetzt noch einmal. Meineursprüngliche Frage lautet: Ist der Bundesregierung be-kannt, welche Mitglieder der libyschen Übergangsregie-rung unmittelbar oder mittelbar an Kriegsverbrechen be-teiligt waren, und wie geht sie mit diesen um? Das isteine ganz klare Frage, und ich bitte um eine Antwort.C
Ich habe Ihre Frage bereits beantwortet, Herr Abge-
ordneter, genauso wie die Frage, wie viele Strafverfah-
ren beim Internationalen Strafgerichtshof anhängig sind.
Frau Vogler, bitte.
Frau Staatsministerin, da Sie die Frage des Kollegen
Movassat dreimal nicht beantwortet haben, werden Sie
sie mir auch nicht beantworten. Deshalb stelle ich eine
andere Frage in diesem Zusammenhang. Ich möchte Sie
fragen, ob nach Ansicht der Bundesregierung der Tod
von Muammar al-Gaddafi – Sie haben ihn vorhin so
schön „als verstorben“ bezeichnet – hinreichend und ent-
sprechend den Forderungen der Vereinten Nationen auf-
geklärt ist. Ich möchte Sie bitten, Ihre Antwort zu be-
gründen.
C
Ich hatte Ihnen bereits gesagt, dass der Internationale
Strafgerichtshof drei Haftbefehle wegen mutmaßlicher
Kriegsverbrechen erlassen hat. Ein Haftbefehl betraf
Muammar al-Gaddafi. Sie haben hinreichend verfolgen
können, wie Muammar al-Gaddafi ums Leben ge-
kommen ist. Dass das weiterer Klärung bedarf, ist unbe-
stritten. Trotzdem sollte man aus meiner Sicht nicht
Kriegsverbrecher in den Vordergrund der politischen
Diskussion über die Zukunft Libyens stellen.
Frau Dağdelen.
Frau Staatsministerin Pieper, gehen wir davon aus,
dass sich die Berichte bewahrheiten und die neuen
Machthaber oder Mitglieder der Übergangsregierung
sich an Kriegsverbrechen beteiligt haben oder involviert
sind. Mich interessiert im Vergleich zu vorherigen Akti-
vitäten der Bundesregierung, ob die Bundesregierung
dann zum Beispiel einen Antrag auf Überstellung vor
dem Internationalen Strafgerichtshof stellen wird.
C
In der Tat ist das so. Ich sage noch einmal, dass die
Bundesregierung ein großes Interesse daran hat, dass
alle Menschenrechtsfragen gelöst und dass Kriegsver-
brecher im Einklang mit dessen Statut vor den Interna-
tionalen Strafgerichtshof gestellt werden.
Damit sind wir bei Frage 23 des Kollegen Paul
Schäfer:
Mit welchen Mitteln unterstützt die Bundesregierung in
Libyen die Beseitigung von Kampfmitteln und die Entwaff-
nung von Milizen, und wie viele Waffen konnten bislang ein-
gesammelt werden?
C
Die Bundesregierung finanziert, Herr Abgeordneter
Schäfer, den Aufbau des Libya Centre for Mine Action
and Remnants of War, einer Behörde des libyschen Ver-
teidigungsministeriums, die für Kampfmittelbeseitigung,
Minenräumung und Kleinwaffenkontrolle zuständig ist,
mit circa 750 000 Euro. Das Auswärtige Amt hat 2011
zudem Projekte der Kampfmittelbeseitigung und der Ge-
fahrenaufklärung der libyschen Bevölkerung mit insge-
samt 437 000 Euro gefördert. 2012 wird die Förderung
des Projektes der Gefahrenaufklärung mit 162 000 Euro
fortgeführt. Darüber hinaus unterstützte das Auswärtige
Amt 2011 ein Projekt der Minen- und Kampfmittelräu-
mung in Höhe von 614 617 Euro. Weitere Projekte mit
einem Umfang von 750 000 Euro sind in Planung. Au-
ßerdem hat die Bundesregierung Unterstützung bei der
Inspektion und der Sicherung von Chemiewaffenbestän-
den in Form von zwei Inspektionsflügen durch die Bun-
deswehr und Bereitstellung von Schutzausrüstung sowie
Dekontaminationsgeräten geleistet. Wir sind darüber hi-
naus bereit, die Internationale Atomenergieorganisation
bei der Sicherung hochradioaktiver Strahlenquellen zu
unterstützen. Hierfür ist ein Betrag von 1,6 Millionen
Euro bereitgestellt.
Herr Schäfer, Sie haben eine Nachfrage. Bitte sehr.
Danke. – Frau Staatsministerin, Sie haben auf dieBeiträge zur Minenräumung abgehoben. Das alles istnicht zu kritisieren. Meine Frage bezog sich aber auchauf die Beiträge der Bundesregierung zur Entwaffnungder Milizen. Sie haben vorhin dazu gesagt, das sei Auf-gabe des Nationalen Übergangsrats. Dieser habe Plänezur Überführung der Milizen in die reguläre Armeevorgelegt. Sie haben in diesem Zusammenhang von200 000 Milizionären gesprochen.Ich kann mir nicht vorstellen, dass die künftige liby-sche Armee aus 200 000 Menschen besteht. Deshalbmeine Frage: Drängt die Bundesregierung darauf, dassein solcher Prozess der Entwaffnung und Demobilisie-rung des überwiegenden Teils dieser Milizen stattfindet,
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19157
Paul Schäfer
(C)
(B)
und ist sie bereit, diesen Prozess auch finanziell zu be-gleiten?C
Herr Abgeordneter Schäfer, Sie haben es eben schon
bestätigt: Die Zuständigkeit für die Integration von An-
gehörigen der Milizen in den Staatsdienst oder in eine zi-
vile Tätigkeit liegt bei der libyschen Übergangsregie-
rung, die entsprechende Angebote gemacht hat. Da
bisher nur ein kleiner Teil der Angehörigen von Milizen
bereit war, diese Angebote anzunehmen, gestaltet sich
das Einsammeln von Waffen schwierig. Deutschland hat
deshalb die Resolution 2022 des Sicherheitsrats der Ver-
einten Nationen vom 2. Dezember 2011 mit eingebracht,
die die Aufgaben der VN-Mission UNSMIL um die Un-
terstützung der nationalen Anstrengungen zur Bekämp-
fung der Proliferation ergänzt.
Das Einsammeln der Waffen ist noch nicht abge-
schlossen. Belastbare Zahlen hierzu liegen nicht vor.
Trotzdem will ich deutlich machen: Es handelt sich hier
nicht um ein robustes Mandat der VN. Das heißt, es ist
kein Entwaffnungsmandat. Das ist politisch auch nicht
gewünscht.
Sie haben eine weitere Nachfrage?
Ja. – Frau Staatsministerin, wir haben es mit einem
doppelten Problem zu tun: zum einen mit der unkontrol-
lierten Verbreitung der Waffen des alten Regimes und
zum anderen mit der Zuführung neuer Waffen während
der Kriegshandlungen, zum Beispiel durch die NATO
und EU-Mitgliedstaaten, namentlich durch Frankreich.
Meine Frage lautet: Haben Sie Kenntnis darüber, dass
diese Staaten, wie zum Beispiel unser Bündnispartner
Frankreich, darauf bestehen, dass diese Waffen zurück-
gegeben oder aufgekauft werden, und würden Sie gege-
benenfalls solche Programme zur Entmilitarisierung un-
terstützen?
C
Die Bundesregierung hat natürlich ein großes Inte-
resse an der Bekämpfung der Proliferation der Waffen in
Libyen. Sie wissen, dass mehrere Tausend tragbare Luft-
abwehrsysteme, deren Verbleib zum Teil ungeklärt ist,
ein erhebliches Sicherheitsrisiko auch für die zivile Luft-
fahrt darstellen. Neben den eigenen Projekten engagiert
sich Deutschland auch in der EU für Maßnahmen zur Si-
cherung von Waffen und Munition. Ich will ohne Ein-
schränkung sagen: aller Waffen und aller Munition.
Ich will ausdrücklich darauf hinweisen – das wissen
auch Sie –, dass der Abrüstungsbeauftragte der Bundes-
regierung Libyen vom 19. bis 22. Februar besucht hat,
um sich ein Bild von der auch von Ihnen beschriebenen
Situation in Libyen zu machen. In diesem Zusammen-
hang gibt es übrigens eine sehr enge Zusammenarbeit
mit den USA. Sie werden heute Abend noch die Mög-
lichkeit haben, im Unterausschuss Ihre entsprechenden
Fragen an den Abrüstungsbeauftragten der Bundesregie-
rung zu stellen.
Frau Dağdelen?
– Dann Herr Movassat.
Frau Staatsministerin, ich war gerade in Tunesien und
bin vorher in Niger und anderen Ländern gewesen. Wir
wurden immer wieder darauf hingewiesen, dass die liby-
schen Waffen, die jetzt über die Grenzen gebracht wer-
den, ein sehr großes Problem für diese Staaten darstellen
– einmal stärker, einmal weniger stark, aber auf jeden
Fall ein Problem – und teilweise die Stabilität gefährden.
Wie geht die Bundesregierung damit um? Wie unter-
stützt sie die Nachbarstaaten Libyens dabei, zu verhin-
dern, dass Waffen ins Land kommen, die bisher stabile
Staaten gefährden?
C
Ich finde es gut, dass Sie als Abgeordneter so wie
auch der Bundesaußenminister und ich recht oft nach
Nordafrika reisen, zum Beispiel nach Tunesien, das Sie
eben genannt haben. Ich glaube, wir sollten alles daran-
setzen, um die Proliferation von Waffen einzudämmen.
Die Bundesregierung jedenfalls wird alles tun, um einen
guten und demokratischen Entwicklungsprozess in Li-
byen auf den Weg zu bringen.
Wir kommen zur Frage 24 der Kollegin Vogler:
Ist die Bundesregierung wegen der nicht zuletzt durch die
Aussagen der Hilfsorganisationen Amnesty International und
Ärzte ohne Grenzen bekannt gewordenen Folterungen und
Misshandlungen von Gefangenen in libyschen Lagern bereits
bei den libyschen Behörden vorstellig geworden, und welche
weiteren Aktivitäten plant die Bundesregierung, um den
Druck auf die libyschen Behörden zur Abstellung dieser
Missstände zu erhöhen?
C
Frau Abgeordnete Vogler, die Bundesregierung be-obachtet die Menschenrechtslage in Libyen mit großerAufmerksamkeit und bringt ihre Haltung dazu sowohlbilateral als auch in den Gremien der Vereinten Nationenund der EU kontinuierlich zum Ausdruck. Das sagte ichschon. Die Menschenrechtslage war unter anderem Ge-genstand der Gespräche des Bundesaußenministers imJanuar in Libyen. Die libysche Übergangsregierung undder Nationale Übergangsrat haben sich auch bei dieserGelegenheit zum Schutz der Menschenrechte bekannt;das will ich noch einmal ausdrücklich betonen.Auch auf deutsches Betreiben hin hat die Hohe Ver-treterin der Außen- und Sicherheitspolitik der EU,Catherine Ashton, ihrerseits für die EU auf die Notwen-
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19158 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Staatsministerin Cornelia Pieper
(C)
(B)
digkeit der Überprüfung von Foltervorwürfen und desAhndens entsprechender Taten gedrängt. Die Bundesre-gierung wird auch im Rahmen ihrer bilateralen Kontakteweiterhin aktiv auf ein Ende von Folterungen und Miss-handlungen drängen. Ich kann es nur immer wieder wie-derholen und betonen, dass dies der Bundesregierung einwichtiges Anliegen ist.
Frau Vogler mit einer Nachfrage. Bitte.
Frau Staatsministerin, wir hatten über den Gegen-
stand dieser Frage schon im Zusammenhang mit anderen
Fragen gesprochen. Mir wäre es wichtig, den Blick ins-
besondere auf die Situation der Flüchtlinge aus Subsa-
hara-Afrika in Libyen zu richten. Wie bewertet die Bun-
desregierung deren Situation? Wie hat sie sich
gegenüber der Situation unter dem Gaddafi-Regime ver-
ändert?
C
Ich hatte schon gesagt, dass sich die Sicherheitslage
seit dem Sturz des Gaddafi-Regimes zwar wesentlich
verbessert hat, aber nicht zufriedenstellend ist. Natürlich
wird besonders kritisiert – das haben Sie, Frau Abgeord-
nete, gesagt, und das kritisiert auch die Bundesregierung
in ihren bilateralen Gesprächen ständig –, dass insbeson-
dere ehemalige Anhänger der Gaddafi-Regierung bzw.
Gaddafi-Söldner sowie Migranten aus Subsahara-Afrika
der Folter und Misshandlungen in Gefängnissen unter-
worfen sind. Die Bundesregierung hat das im Auge und
wird alles daransetzen, dass die Übergangsregierung und
auch die zukünftige Regierung die positive Überführung
dieser Gefängnisse, die noch von den Milizen kontrol-
liert werden, die nicht in staatlichen Diensten stehen,
vollziehen.
Ich sagte es schon: Etwa 10 Prozent der Inhaftierten
sind Ausländer. Zahlreiche Häftlinge wurden nicht an ih-
ren früheren Aufenthaltsorten wiedergefunden. Das alles
ist sehr beunruhigend. Das alles sehen wir. Auch die
Übergangsregierung weiß das, und sie setzt alles daran,
um die Lage zu verbessern.
Haben Sie noch eine Nachfrage, Frau Vogler?
Frau Präsidentin, ich habe noch eine Nachfrage. –
Mich interessiert, ob die Bundesregierung Erkenntnisse
darüber hat, ob schwarzafrikanische Flüchtlinge, denen
es gelingt, Libyen zu verlassen und die auf dem Mittel-
meer oder in den Nachbarländern aufgegriffen werden,
nach Libyen zurückverbracht werden und ob es eine EU-
interne Absprache mit den Nachbarländern gibt, wie mit
diesen Flüchtlingen zu verfahren ist.
C
Es gibt keine konkreten Zahlen dazu, Frau Abgeord-
nete. Mir liegen keine Erkenntnisse darüber vor, die ich
Ihnen jetzt hier vermitteln könnte. Ich sage aber noch
einmal, dass der Prozess, der in Libyen stattfindet, auch
für die Übergangsregierung sehr wichtig ist und dass die
internationale Gemeinschaft, dass die Europäische
Union, dass Deutschland und dass wir im Sicherheitsrat
der Vereinten Nationen auf eine Verbesserung der Lage
der Flüchtlinge und der Situation der Inhaftierten in den
Gefängnissen drängen.
Dann rufe ich jetzt Frage 25 – diese ist ebenfalls von
der Kollegin Vogler – auf:
Haben internationale Hilfsorganisationen wie das Interna-
tionale Komitee vom Roten Kreuz, IKRK, freien und unge-
hinderten Zugang zu den libyschen Gefangenenlagern, und,
falls nein, was unternimmt die Bundesregierung gegenüber
den libyschen Behörden, um diesen Zugang durchzusetzen?
Frau Staatsministerin.
C
Frau Präsidentin! Frau Abgeordnete! Die Frage
wurde mir bereits gestellt, und ich kann sie nur so beant-
worten, wie ich sie schon beantwortet habe: Das Interna-
tionale Komitee vom Roten Kreuz hat freien und unge-
hinderten Zugang zu den libyschen Gefangenenlagern.
Ich sagte es aber schon: Nicht alle Gefangenenlager ste-
hen unter staatlicher Kontrolle.
Frau Vogler.
Dann möchte ich noch einmal nachfragen, wie es
denn um den Zugang zu nichtstaatlichen Gefangenenla-
gern bestellt ist und welche Anstrengungen die Bundes-
regierung gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit der EU
und den Vereinten Nationen unternimmt, um den Zu-
gang auch zu den nichtstaatlichen Gefangenenlagern
durchzusetzen.
C
Grundsätzlich hat das Internationale Komitee vom
Roten Kreuz freien und ungehinderten Zugang zu allen
Gefangenenlagern; aber der ist nicht bei allen ausrei-
chend, weil – das sagte ich ja schon, und das ist Ihnen
auch bekannt – nicht alle Gefängnisse unter der Kon-
trolle des Übergangsrats stehen. Die Bundesregierung
wird alles daransetzen, dass sich auch die Möglichkeiten
der Arbeit des Internationalen Komitees vom Roten
Kreuz in der Frage, was den ungehinderten Zugang an-
belangt, verbessert.
Frau Vogler, haben Sie noch eine Nachfrage? – Nein.Dann sind wir bei Frage 26 der Kollegin Högl:
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19159
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
(C)
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Wirkung vom 1. Januar 2012 eingeführt, um private Hausan-gestellte stärker gegen Ausbeutung durch ausländische Diplo-mateninnen und Diplomaten zu schützen, und welche weite-ren konkreten Maßnahmen zum Schutz und zur Unterstützungvon privaten Hausangestellten hat die Bundesregierung in denletzten Monaten ergriffen?C
Frau Abgeordnete Högl, die Bundesregierung hat mit
Wirkung vom 1. Januar 2012 neue Regeln für die Be-
schäftigung von privaten Hausangestellten in Kraft ge-
setzt, die den hiesigen diplomatischen Vertretungen mit
Rundnote Nr. 34/2011 vom 1. Dezember 2011 kommu-
niziert worden sind. Gleichzeitig wurde das Arbeitsent-
gelt neu festgesetzt.
Der von der Bundesregierung vorgegebene Muster-
arbeitsvertrag zeigt Arbeitnehmern und Arbeitgebern be-
reits bei Vertragsabschluss klar ihre Rechte und Pflichten
auf und verpflichtet die Arbeitgeber zur Einhaltung der
deutschen Normen. Hinweise wie die Bekanntgabe der
Arbeitszeiten durch Übergabe der Vorschriften des Ar-
beitszeitgesetzes an den Arbeitnehmer, die Verpflichtung
zu Schutzmaßnahmen gemäß § 618 des Bürgerlichen
Gesetzbuches, die Fortzahlung des regelmäßigen Ar-
beitsentgelts im Fall einer unverschuldeten Arbeitsunfä-
higkeit, infolge Krankheit oder gemäß den Bestimmun-
gen nach dem Mutterschutzgesetz schaffen arbeits- und
sozialrechtliche Klarheit.
Frau Högl, eine Nachfrage? – Bitte sehr.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Herzlichen
Dank auch an Frau Staatsministerin Pieper. Ich hatte da-
nach ja schon einmal gefragt und auch eine Antwort des
zuständigen Staatsministers bekommen. Ich knüpfe da-
ran jetzt an. Vielen Dank, es handelt sich um eine erfreu-
liche Nachricht.
Ich möchte ganz gern noch einmal auf Verdachtsfälle
zu sprechen kommen. Wenn solche Verdachtsfälle auf-
treten, ist es ja schwierig, zwischen dem Immunitäts-
schutz der Botschaften und dem Recht der Angestellten,
ordnungsgemäß behandelt zu werden, abzuwägen. Wel-
che Möglichkeiten gibt es dann, zu handeln? Welche
Möglichkeiten haben Sie, um in solchen Fällen Kontrol-
len vorzunehmen? Nach welchen Kriterien gehen Sie da
vor?
C
Sie wissen ja, dass sich mit der Rundnote die Situa-
tion von privaten Angestellten in diplomatischen Vertre-
tungen wesentlich verbessert hat. Hinzu kommt: Die
diplomatischen Vertretungen sind verpflichtet, der Bun-
desregierung die Einhaltung der vorgegebenen Regeln
per Verbalnote zu garantieren. Die Bundesregierung hat
sie darüber informiert, dass sie sich in Zukunft ausdrück-
lich vorbehält, bei Verstößen gegen ihre Vorgaben die
Genehmigung zur Einstellung von privaten Hausange-
stellten zu verweigern.
Haben Sie eine weitere Nachfrage? – Das scheint der
Fall zu sein.
Ja, habe ich. – Damals hatte Ihr Kollege, Herr
Dr. Hoyer, mir geantwortet, dass Sie vorhaben, diese
neuen Regelungen, die Sie jetzt erlassen haben, auch mit
den anderen EU-Mitgliedstaaten zu besprechen, um so
gegebenenfalls zu gemeinsamen Regelungen zu kom-
men. Können Sie etwas dazu sagen, welche Gesprächs-
kontakte Sie diesbezüglich mit anderen EU-Mitglied-
staaten haben und ob Sie sich weiterhin bemühen, auf
europäischer Ebene vielleicht zu einheitlichen Regelun-
gen zu kommen?
C
In der Tat ist es das Bestreben der Bundesregierung,
dass wir auf EU-Ebene darüber sprechen und verhandeln
und dass wir versuchen, zu einheitlichen Regelungen zu
kommen. Sie müssen allerdings wissen, dass private
Hausangestellte in diplomatischen Vertretungen in
Deutschland nach hiesigem Tarifrecht bezahlt werden.
Diese Tarife stimmen ja mit denen in anderen europäi-
schen Staaten nicht überein. Hier muss es natürlich an-
dere Regelungen geben. Aber das Ziel bleibt bestehen.
Damit kommen wir zur Frage 27 der Kollegin Högl:
Hat die Bundesregierung Elemente guter Praxis aus der
Studie „Domestic Workers in Diplomats‘ Households“ des
Deutschen Instituts für Menschenrechte vom Juni 2011 über-
nommen bzw. eingeführt, und, wenn ja, welche der Elemente
wurden neu eingeführt?
Frau Staatsministerin, Sie haben das Wort zur Ant-
wort.
C
Vielen Dank, Frau Präsidentin. – Frau AbgeordneteHögl, eine Anzahl der in der Studie „Domestic Workersin Diplomats’ Households“ des Deutschen Instituts fürMenschenrechte vom Juni 2011 enthaltenen Elementeguter Praxis werden von der Bundesregierung bereitsseit Jahren angewendet. Hierzu zählen neben klarenRahmenbedingungen für die Beschäftigung von privatenHausangestellten, der Information über Rechte undPflichten der Arbeitgeber und Arbeitnehmer sowie derFestsetzung von Mindestarbeitslöhnen unter anderemauch die Vermittlung zwischen den Parteien bei Streitig-keiten, die Einleitung von diplomatischen Sanktions-maßnahmen, die Dokumentation schwerwiegender Ver-stöße oder, wie ich schon sagte, der Austausch übergemeinsame Maßnahmen zum Schutz der privatenHausangestellten auf europäischer Ebene.
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19160 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
(C)
(B)
Frau Högl, eine Nachfrage, bitte.
Herzlichen Dank, Frau Präsidentin. – Frau Staats-
ministerin, auch für diese Antwort vielen Dank. Ich habe
eine Nachfrage. Wie gelangen bei Vorliegen von Ver-
dachtsmomenten – diesen Punkt habe ich vorhin schon
erwähnt – die Beschwerden der Hausangestellten zu den
zuständigen Stellen?
Diese Studie enthält den Vorschlag, einen unabhängi-
gen Beschwerdemechanismus einzurichten. Ich weiß
zwar, dass das nicht ganz unkompliziert ist. Ich halte es
aber für eine gute Idee, den Hausangestellten eine solche
Beschwerdestelle an die Seite zu stellen, damit die Re-
geln tatsächlich eingehalten werden. Wir alle wissen,
dass die Hausangestellten unter erheblichem Druck ste-
hen. Es ist ein großer Fortschritt, dass ihnen die Wah-
rung ihrer Rechte ermöglicht wird. Die Frage ist aber,
wie ihnen dies ermöglicht wird. Was halten Sie von ei-
nem solchen unabhängigen Beschwerdemechanismus?
C
Über die Elemente guter Praxis in dieser Studie, nach
der Sie gefragt haben, hinaus haben wir Anfang 2012 die
persönliche Abholung von Protokollausweisen in Ver-
dachtsfällen eingeführt, damit wir klärende Gespräche
mit den privaten Hausangestellten führen können. Wir
planen außerdem, Informationsveranstaltungen in Ko-
operation mit einer Nichtregierungsorganisation – es
handelt sich um Ban Ying e. V.; Sie kennen sie wahr-
scheinlich – zu führen, die sich dem Schutz der Interes-
sen der privaten Hausangestellten widmet, was ich für
außerordentlich wichtig halte, um in Verdachtsfällen die
richtigen Hinweise zu bekommen.
Haben Sie eine zweite Nachfrage?
Ja, sehr gerne. – Frau Staatsministerin, ich möchte
gerne noch ein Thema ansprechen, das zwar zu einem
anderen Komplex gehört, das ich gleichwohl hier schon
einmal einführen möchte. Die Internationale Arbeits-
organisation hat im Juni ein wegweisendes Übereinkom-
men über menschenwürdige Arbeit von Hausangestell-
ten verabschiedet; dies betrifft alle und nicht nur
Diplomatenhaushalte. Haben Sie Hinweise darauf, dass
auch damit die Rechte von Hausangestellten in dem
Sinne, wie Sie es eben beschrieben haben, gestärkt wer-
den? Sehen Sie in diesem Übereinkommen der Interna-
tionalen Arbeitsorganisation auch Anknüpfungspunkte,
um das auch global umzusetzen?
C
In der Tat ist die Bundesregierung sehr aufgeschlos-
sen gegenüber den wertvollen Hinweisen der Internatio-
nalen Arbeitsorganisation, die wir natürlich auch in Zu-
kunft mit berücksichtigen werden. Frau Abgeordnete,
wenn Sie mögen, kann ich Ihnen gerne die Dokumente
zur Verfügung stellen, die wir den privaten Hausange-
stellten in den diplomatischen Vertretungen gemäß den
entsprechenden Vorschriften und der Rundnote gegeben
haben. Ich kann Ihnen diese Dokumente gerne aushändi-
gen, damit Sie sehen, dass sie in Einklang mit den inter-
nationalen Bestimmungen stehen.
Die Frage 28 der Kollegin Keul, die Frage 29 der
Kollegin Cramon-Taubadel, die Frage 30 der Kollegin
Zimmermann sowie die Frage 31 des Kollegen Ströbele
werden schriftlich beantwortet.
Wir kommen jetzt als Letztes noch zur Frage 32 der
Kollegin Sevim Dağdelen:
Wurde nach Auffassung der Bundesregierung durch die
Stellungnahme des Bundesministers des Auswärtigen,
Dr. Guido Westerwelle, wonach „die Verweigerung des Zu-
gangs zu Atominstallationen ein weiterer Verstoß Irans gegen-
über der IAEO und der internationalen Staatengemeinschaft“
sei, eine auch von den Medien verbreitete Fehlein-
schätzung verstärkt, wonach es Ziel der jüngsten IAEO-Dele-
gationsreise
in den Iran gewesen sei, tatsächliche oder mutmaßliche
Atominstallationen – insbesondere die Militäranlage Partschin –
zu inspizieren, obgleich der Delegationsleiter, Herman
Nackaerts, bereits vor der Abreise klarstellte, dass ihr Ziel
nicht Inspektionen, sondern lediglich Gespräche hierüber sind
, wel-
che dann auch stattfanden, und wie schätzt die Bundesregie-
rung die Wirkung wiederholter Androhungen eines Krieges
bzw. von Luftschlägen durch ihre Verbündeten auf die Bereit-
schaft der iranischen Führung ein, internationale Beobachter
eine besonders auch für die iranische Luftabwehr relevante
Militärbasis mit einem der größten Munitionsdepots und
wichtigen Rüstungsstandorten inspizieren zu lassen und somit
zu einer friedlichen Lösung des Atomstreites beizutragen?
C
Frau Abgeordnete, Iran ist aufgrund einer Reihe von
Beschlüssen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen
rechtlich verpflichtet, vollständig und umfassend mit der
Internationalen Atomenergie-Organisation zusammen-
zuarbeiten und bei der Aufklärung der offenen Fragen zu
seinem Nuklearprogramm zu kooperieren. Der Gouver-
neursrat der Internationalen Atomenergie-Organisation
hat Iran zuletzt am 18. November 2011 mit überwälti-
gender Mehrheit nachdrücklich dazu aufgefordert, die
geforderten Kriterien einzuhalten. Das Ziel der letzten
Delegationsreise der IAEO nach Teheran war, bei der
Klärung der offenen Fragen mit Iran Fortschritte zu er-
zielen. Hierzu hat die Delegation einen Besuch in der
Anlage in Partschin verlangt. Diesen hat Iran verweigert.
Damit hat Iran seine internationalen Verpflichtungen er-
neut verletzt.
Frau Dağdelen, eine Nachfrage? – Bitte schön.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19161
(C)
(B)
Frau Staatsministerin, das hört sich widersprüchlich
an. Der Leiter der IAEO-Delegation, Herman Nackaerts,
hat vor der Abreise klargestellt, dass ihr Ziel nicht In-
spektionen sind, sondern lediglich Gespräche. Darüber
hinaus interessiert mich, warum von Herrn Westerwelle
in der Öffentlichkeit gesagt wurde: Es ging um Inspek-
tionen der Militäranlage in Partschin. Das hat nicht statt-
gefunden. Das geht nicht usw. – Das kommt mir etwas
aufgesetzt vor. Meines Wissens wurde 2003 der Ver-
dacht geäußert, dass in Partschin eine Sprengkammer in-
stalliert worden sei, in der gegebenenfalls Zünder getes-
tet werden könnten, die auch für Atomwaffen geeignet
sein könnten. Darüber gibt es zwei sehr ausführliche Be-
richte über zwei sehr ausführliche Inspektionen in dieser
Anlage, nämlich von 2004 und 2005. Deshalb interes-
siert mich jetzt: Was ist der Bundesregierung über den
Verlauf und die Ergebnisse dieser Inspektionen aus den
Jahren 2004 und 2005, über die Bedeutung der Militär-
anlage Partschin für die Landesverteidigung Irans und
insbesondere über die Verteidigung gegen Luftangriffe
auf Teheran und mögliche Gegenschläge im Falle eines
Angriffs auf den Iran bekannt?
C
Frau Abgeordnete Dağdelen, Sie wissen wahrschein-
lich, dass Iran bereits zweimal einen Besuch der IAEO
in Partschin zugelassen hat. Es gibt geregelte Verfahren
darüber, wie unter Wahrung der militärischen Vertrau-
lichkeit diese Besuche durchgeführt werden können.
Iran wusste bereits seit Januar 2012 von der Bitte der
IAEO, Partschin zu besuchen. Damit wäre ausreichend
Zeit gewesen, einen solchen Besuch von iranischer Seite
vorzubereiten. Die IAEO hatte mit ihrem Besuchs-
wunsch keine Inspektion von Partschin beabsichtigt,
sondern wollte diesen Besuch als vertrauensbildende
Maßnahme durchführen. Ich meine, damit hätte Iran
seine Bereitschaft signalisieren können, substanziell bei
der Aufklärung der offenen Fragen zu kooperieren. Eine
umfassende technische Inspektion hätte in einem zwei-
ten Schritt folgen können. Das ist nicht passiert.
Die jüngsten Entwicklungen im iranischen Nuklear-
dossier sind zutiefst besorgniserregend. Der Bundes-
außenminister hat das immer wieder zum Ausdruck
gebracht. Iran baut im Widerspruch zu seinen internatio-
nalen Verpflichtungen insbesondere die Anreicherung
auf 20 Prozent aus. Iran kooperiert unzureichend mit der
IAEO. Trotzdem streben der Bundesaußenminister und
die Bundesregierung weiterhin eine diplomatische Lö-
sung der Nuklearfrage an. Das setzt aber voraus, dass der
Iran ernsthaft bereit ist, auch mit den E3+3 über sein Nu-
klearprogramm zu verhandeln.
Da ja in den Medien immer wieder ein militärisches
Vorgehen zur Sprache kommt, will ich nur daran erin-
nern, dass ein militärisches Vorgehen unabsehbare Fol-
gen, auch über die Region hinaus, haben würde. Deswe-
gen lehnen wir es ab, uns an solchen Diskussionen zu
beteiligen, und wollen Iran dazu zwingen, an den Ver-
handlungstisch zurückzukehren. Deswegen haben wir
uns auch seitens der EU für weitere Sanktionen gegen
Iran starkgemacht.
Sie haben noch eine Nachfrage? – Bitte schön.
Es freut mich zu hören, dass die Bundesregierung an
einer diplomatischen Lösung interessiert ist. Weniger be-
sorgniserregend dürften die neuesten Informationen des
US-Geheimdienstes sein. So etwas ist ja schon 2007 ge-
schehen, als man erklärte, dass bis 2003 in Teheran wo-
möglich an einem Atomwaffenprogramm gearbeitet
worden sei, das aber, wie gesagt, 2003 schon eingestellt
wurde. Jetzt ist die CIA wieder zu dem Schluss gekom-
men, dass es überhaupt keine ernstzunehmenden Belege
und Hinweise auf ein Atomwaffenprogramm gibt. Ich
fände es gut, wenn man das einmal zur Kenntnis nehmen
würde.
Wir sind völlig d'accord, dass die Kooperationsfähig-
keit Teherans stärker ausgeprägt sein könnte. Eine Frage
haben Sie mir aber nicht beantwortet. Ich habe danach
gefragt, welche Kenntnisse die Bundesregierung über
den Verlauf und die Ergebnisse der beiden ausführlichen
Inspektionen in der Militäranlage Partschin 2004 und
2005 hat.
C
Frau Abgeordnete, wie ich schon sagte, hat es uns
verwundert, dass der Iran keinen weiteren Besuch der
Anlage in Partschin zugelassen hat. Sie wissen, dass
IAEO-Besuche unter Wahrung der militärischen Ver-
traulichkeit durchgeführt werden. Aber ich will noch
einmal betonen – weil Sie das unterstellten –, dass die
Bundesregierung nachdrücklich an einer diplomatischen
Lösung der Nuklearfrage interessiert ist.
Damit sind wir am Ende der Fragestunde.
Ich rufe den Zusatzpunkt 1 auf:
Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen SPD und BÜND-
NIS 90/DIE GRÜNEN
Auswirkungen der geplanten Kürzung der So-
larvergütung von bis zu 32 Prozent auf die
Energiewende und den Arbeitsmarkt insbe-
sondere in Ostdeutschland sowie drohender
Stillstand bei der EU-Energieeffizienzrichtli-
nie
Als Erstem gebe ich das Wort dem Kollegen Rolf
Hempelmann für die SPD-Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen! Liebe Kolle-gen! In der letzten Sitzungswoche haben wir uns hier zu
Metadaten/Kopzeile:
19162 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Rolf Hempelmann
(C)
(B)
einer Aktuellen Stunde getroffen. Das Thema war dermonatelange Streit zwischen den beiden Ministern HerrnRösler und Herrn Röttgen um die Themen Energieeffi-zienz und Photovoltaik.Die Medien hatten damals scharfe Kritik an der Bun-desregierung geübt. Die erste Reaktion darauf war, dasssich Herr Röttgen, sozusagen demonstrativ, in die ersteReihe neben Herrn Rösler setzte, um deutlich zu ma-chen: Ist doch alles gar nicht so schlimm, wir sind unsdoch im Grunde einig.
Es ist keine Überraschung, dass wir heute, eine Sit-zungswoche später, wieder in einer Aktuellen Stunde zu-sammensitzen, um über das zu diskutieren, was man unsals „Einigung“ vorgesetzt hat. In den Medien hat man er-kannt, dass es – ähnlich wie damals die Show in der ers-ten Reihe – den Versuch gab, sozusagen federndenSchrittes, mit Showeffekten und Erfolgsrhetorik, dieseEinigung als den ganz großen Wurf zu verkaufen. Aberdiejenigen, die das ganz nüchtern als das beschrieben ha-ben, was es ist, nämlich als einen Kuhhandel, haben eswohl eher getroffen.
Meine Damen und Herren, schauen wir uns doch ge-nau an, was der Kern der Einigung ist. Bei der Photovol-taik, mit der ich mich im Moment nur kurz befassen will,weil das andere noch intensiver tun werden, geht es vorallen Dingen um einen radikalen Einmalschritt, um eineAbsenkung der Vergütung um bis zu 32 Prozent. DieOpposition ist nicht grundsätzlich gegen Absenkungenbei der Photovoltaikförderung; das haben wir in der Ver-gangenheit mehrfach deutlich gemacht. Wir haben Kon-zepte vorgelegt, wie man das sukzessive, in vernünftigenSchritten, organisieren kann. Aber das, was hier passiertund auch schon vorher passiert ist, dass nämlich ständigradikale Absenkungen oder sogar der Ausstieg aus derFörderung nach dem EEG angekündigt werden, hat ge-nau zu dem geführt, was wir vermeiden wollten: Es gabein Dezemberfieber und damit Aufwüchse bei der Pho-tovoltaik, die jedenfalls in dieser Form niemand wollte.Dann wird uns da noch etwas mit der Vokabel„Marktintegrationsmodell“ verkauft: Der Eigenver-brauch soll auf 15 Prozent gesteigert werden. Das bedeu-tet im Klartext: Begrenzung der EEG-Vergütung auf85 Prozent. Ich will gar nicht sagen, dass man darübernicht reden kann. Aber es zeugt schon von Chuzpe, dasals Marktintegrationsmodell zu verkaufen.
Es ist also völlig klar, dass Sie auf genau diesem Feld,nämlich bei der Markt- und Systemintegration – da liegtdie eigentliche Herausforderung bei den erneuerbarenEnergien –, bisher völlig versagt haben.Das Einzige, was Sie getan haben, war die Einfüh-rung der optionalen Marktprämie. Sie läuft nach Aus-kunft aller Fachleute ins Leere.
Sie hat keine Wirkung, kostet aber viel Geld: eine halbeMilliarde Euro in einem Jahr.Insofern: Ja, die Vokabel „Marktintegrationsmodell“ist gut; aber sie trifft auf den von Ihnen vorgeschlagenenSachverhalt nicht zu. Vielmehr trifft sie genau auf dieDinge zu, die Sie bisher nicht angegangen sind: nichtszum Thema Speicher, Wärmespeicher, nichts zumThema Kombikraftwerke, virtuelle Kraftwerke, nichtszum Thema Solarthermie – auch sie kann eine Speicher-funktion übernehmen – und zu vielen anderen Fragen.Der zweite Komplex: Energieeffizienz. Ihre Über-schriften klingen hervorragend. Sie sagen immer, wiewichtig Ihnen die Energieeffizienz ist, dass sie die tra-gende Säule bei der Energiewende sein soll. Nur, wennman genau hinschaut, dann erkennt man: Das Einzige,was Sie zu der entsprechenden europäischen Richtliniebeizutragen haben, ist, dass Sie sie ablehnen und versu-chen, sie zu verwässern,
anstatt sich an die Spitze der Bewegung zu stellen – ineinem Land, das eine Energiewende organisieren will,bei der es in besonderem Maße darauf ankommt, dasSystem im Sinne von mehr Energieeffizienz umzugestal-ten.Genau an dieser Stelle versagen Sie. Bei dem, was Siewollen, bleiben Sie nebulös und unklar. Nur bei dem,was Sie nicht wollen, bleiben Sie klar. Sie sagen nicht,welche Maßnahmen Sie ergreifen wollen. Sie verweisennur sehr unkonkret auf einen noch zu erstellenden Ak-tionsplan zur Energieeffizienz. Sie verschieben also wie-der einmal alles in die Zukunft. Sie nennen auch nichtdie Marktakteure, die die Maßnahmen umsetzen sollen.Wie sollten Sie auch! Sie haben ja noch gar nicht dieMaßnahmen genannt. Wir wissen also nicht, was Sie vonden Netzbetreibern, den Energieanbietern und den Ver-brauchern im Privatsektor wie in der Industrie künftigerwarten.Wie soll es in Deutschland eigentlich beim ThemaEnergieeffizienz weitergehen, aber auch beim ThemaEnergiewende, wenn Sie es immer nur bei Überschriftenbelassen? Sie wollen den Energiedienstleistungsmarktentwickeln, aber Sie tun nichts dafür. Wir sehen nicht,wie es etwa bei intelligenten Stromzählern zum Rolloutkommen soll, wie Sie bei intelligenten Netzen oder beivariablen Tarifen vorankommen wollen – alles Grundla-gen eines solchen Energiedienstleistungssystems.Abschließend sage ich Ihnen, meine Herren: Ihre Ei-nigung kommt spät, für Brüssel wahrscheinlich zu spät.Die Signale, die wir dort hören, deuten darauf hin: Manhat keine Lust mehr gehabt, auf diese Bundesregierungzu warten.
Metadaten/Kopzeile:
Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19163
Rolf Hempelmann
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Deswegen wird es wohl so sein, dass die größte europäi-sche Volkswirtschaft bei dieser zentralen Richtlinie un-gehört bleiben wird – kein Kompliment für diese Bun-desregierung.Vielen Dank.
Das Wort hat der Bundesminister Dr. Norbert Röttgen.
Dr. Norbert Röttgen, Bundesminister für Umwelt,Naturschutz und Reaktorsicherheit:Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Ich möchte mich erneut für die Beantragung einerAktuellen Stunde bedanken,
weil sie Gelegenheit zur Diskussion bietet – das schätzeich – und die Gelegenheit gibt, auf Argumente einzuge-hen.Herr Kollege Fell, ich habe damit gerechnet, dass Siein der heutigen Debatte sprechen.
– Ich wollte eher mein Bedauern ausdrücken. Aber wennSie schon nicht reden, dann möchte ich Sie als Ausdruckmeiner Wertschätzung wenigstens zitieren, und zwar auseiner Rede, die Sie ziemlich genau vor zwei Jahren, am25. März 2010, hier im Bundestag gehalten haben. Sieist stellvertretend für die Beiträge der Opposition.Damals ging es um den ersten Vorschlag von mir, dieVergütung im EEG zu senken. Sie wissen, dass dem wei-tere Senkungen folgten. Nun möchte ich aus Ihrem Bei-trag zu dieser Debatte zitieren, der damals – wie bereitserwähnt – ein repräsentativer Beitrag sowohl für dieMeinung der Opposition als auch für die der Branchewar.
Gleichzeitig greifen Sie– „Sie“ bin ich –heute mit der Vorlage der Novelle zum Erneuer-bare-Energien-Gesetz massiv in die Erfolgsge-schichte der Solarwirtschaft ein. Sie wollen nachder zum Jahreswechsel erfolgten Senkung der So-larvergütung um etwa 10 Prozent nun zum Juli er-neut um bis zu 16 Prozent senken und zu Beginndes nächsten Jahres noch einmal um circa 10 Pro-zent zulangen. Einnahmeverluste von mehr als30 Prozent innerhalb eines Jahres kann keine Bran-che schadlos überstehen. Zusätzlich wollen Sie mitden besonders kostengünstigen Freiflächen auf denÄckern sogar ein ganzes Marktsegment völlig zumErliegen bringen.Ich zitiere immer noch:
Alle diese Vorschläge sind hochgefährlich für diedeutsche Solarwirtschaft.Ich zitiere weiter:Viele der jungen deutschen Solarfabriken haben be-reits 2009 rote Zahlen geschrieben. … Viele Exper-ten befürchten,– das ist der letzte Satz, den ich zitiere –dass mit Ihren Vorschlägen zur Solarvergütung undzur Kürzung der Fotovoltaikforschungsmittel Zehn-tausende Jobs in den deutschen Solarfabriken ge-fährdet sind. Symbolische Werksschließungen undProtestkundgebungen der Belegschaft lassen Sieeinfach kalt.
Das ist Ihr Beitrag von damals. Kollege Fell klatscht je-denfalls nicht. Das rechne ich ihm hoch an.
Das war die Meinung der Grünen-Fraktion und derSPD-Fraktion; es war die Meinung der Branche, es wardie Meinung der Mehrheit der Bundesländer. Was wardie Realität? Tatsache ist: Zu Beginn des Jahres, für dasSie den Tod der Branche vorausgesagt haben – Sie alle,ich möchte mich nicht nur auf Herrn Fell beziehen –,
fing die Erfolgsgeschichte der Photovoltaik in Deutsch-land erst richtig an, und ich freue mich darüber, dass sieangefangen hat.
Sie fing erst an, der Tod war nicht eingetreten.Sie haben vorausgesagt, dass wir Jobverluste erleidenwerden, aber das Gegenteil ist eingetreten. Wir konntenin den darauffolgenden Jahren 2010 und 2011 insgesamt15 000 Megawatt Zubau von Photovoltaikanlagen ver-zeichnen. Das entspricht der Kapazität der 15 Großkraft-werke, die nach der Todesankündigung von SPD undGrünen in Deutschland gebaut worden sind. Das ist dieErfolgsgeschichte, die wir ermöglicht haben.
Die Erfolgsgeschichte besteht darin, dass wir dieseTechnologie und die Wertschöpfung im Land halten,dass wir die Technologieführerschaft in der globalenKonkurrenz behaupten und gleichzeitig die Vergütungensenken, weil Kostensenkungen durch den Markt möglichsind. Die Bürgerinnen und Bürger, die Stromverbrau-cher, haben einen Anspruch darauf, dass sie das Geld be-
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Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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kommen; denn sie finanzieren die Renditen der anderen.Alles das, was der Markt hergibt, gehört den Verbrau-chern und nicht einzelnen Investoren.
Es ist den Verbraucherinnen und Verbrauchern zurück-zugeben und nicht wegzunehmen. Das ist der Erfolg.Es ist immer ein Unterschied, ob man die Energie-politik als ideologisches Projekt betrachtet oder ob es umdie wirtschaftliche Kompetenz geht, die Energiewendezu vollziehen. Die liegt bei uns.
Das haben Sie bis auf den heutigen Tag noch nicht ge-lernt.
Das ist die politische Wahrheit in Deutschland.Die Erfolgsgeschichte geht weiter. In diesem Jahr istder selbst produzierte Solarstrom preiswerter als derStrom aus dem Netz; es ist heute schon wirtschaftlich at-traktiv, Solarstrom selbst zu produzieren; denn das istpreiswerter, als ihn zu beziehen. Das ist ein Erfolg.Herr Kollege Hempelmann, Marktintegration bedeu-tet übrigens, dass wir die Technologie so wettbewerbsfä-hig machen, dass die Vergütung immer weiter zurück-geht. Ich sage das hier sicher schon zum zehnten Mal,ich wiederhole es trotzdem: Als wir 5 Prozent Strom auserneuerbaren Energien hatten, konnte man die Brancheauf Basis eines Subventionsgesetzes fördern. Jetzt habenwir aber 20 Prozent, und wir wollen 80 Prozent haben.Dieses Ziel können wir nicht auf Basis eines Subven-tionsgesetzes erreichen. Dafür braucht man Markt,Marktordnung und wettbewerbsfähige Technologien.Das ist der Ansatz, den wir verfolgen. Es geht um dieMarktintegration.
Wer für eine stärkere Nutzung der Photovoltaik ist,der muss das Vergütungssystem anpassen. Die Freundevon Subventionen im Bereich Photovoltaik, die denMarkt ignorieren, sind die schlechtesten Freunde der So-larbranche in Deutschland.
Sie helfen der Solarbranche nicht, weil sie an Einzelinte-ressen denken. Weil ich für die Nutzung erneuerbarerEnergien bin und die Solartechnologie für eine Gegen-wartstechnologie mit hohem Zukunftspotenzial, mit gu-ten Exportchancen und einer großen technologischenInnovationsfähigkeit halte – sie hat alles Notwendige:hohe Investitionen und hohes Innovationspotenzial –,muss ich ganz nüchtern konstatieren – hoffentlich kön-nen wir diesbezüglich einen fachlichen Konsens errei-chen –, dass wir uns ein drittes Jahr mit einem Zubauvon sieben oder acht konventionellen Großkraftwerkenim Bereich Photovoltaik nicht leisten können. DasStromversorgungssystem in Deutschland hält das nichtaus. Darum müssen wir hier wirksam eingreifen.Die Maßnahmen, die wir vorschlagen, dienen dazu,dass die Photovoltaik dauerhaft ein integraler Bestand-teil der Stromversorgung wird. Wer diese Branche wu-chern lässt und nicht dafür sorgt, dass sie systemverträg-lich ist – angesichts der gegenwärtigen Zubauratenmüssen wir sagen, dass das systemunverträglich ist –,der gefährdet die Stromversorgung und die Photovolta-ikbranche gleich mit. Das muss verhindert werden.
Darum unterbreiten wir diese Vorschläge: aus wirt-schaftlicher Vernunft und sozialer Verantwortung gegen-über den Bürgerinnen und Bürgern, die das über ihreStromrechnung finanzieren. Die normalen Einkommens-bezieher, die Arbeitnehmer bezahlen das über ihreStromrechnung. Deshalb ist es ökonomisch und sozialgeboten, die Kostensenkungspotenziale zu nutzen.Wir tun das, weil im letzten Jahr die Stromgeste-hungskosten für Solarstrom um 30 Prozent gefallen sind.Das markiert – das ist fachlich ziemlich unbestritten –das vorhandene Kostensenkungspotenzial. Das realisie-ren wir, nicht durch einen generellen 30-Prozent-Schnitt,sondern wir fangen mit einer einmaligen Absenkung an.Darüber hinaus schlagen wir in der Tat ein neues Instru-ment vor, mit dessen Hilfe die gesunkenen Solarstrom-gestehungskosten stärker in den Markt eingebracht wer-den. Wenn wir das Nischenprodukt Solarstrom – das giltgenerell für Strom aus erneuerbaren Energien – zu einemMassenprodukt, das der Grundversorgung dient, entwi-ckeln wollen – das wollen wir, ich will es –, dann kön-nen wir den Strom nicht völlig unabhängig davon bezah-len, ob ihn irgendjemand braucht, ob er also am Marktnachgefragt wird. Nach dem jetzigen System wird jedeKilowattstunde Strom aus erneuerbaren Energien unab-hängig von der Frage, ob diesen Strom irgendjemandbraucht, bezahlt. Das geht auf Dauer nicht. Auf Dauerkönnen wir nur Produkte bezahlen, die gebraucht wer-den. Da muss man einsteigen.
Das ist das Marktintegrationsmodell.
Wir sagen: 85 Prozent garantierte Vergütung bei denDachanlagen. Es werden nicht mehr 100 Prozent garan-tiert vergütet, sondern nur noch 85 Prozent, weil es mög-lich ist, 15 Prozent entweder selbst zu verbrauchen – dasist nämlich preiswerter – oder direkt zu vermarkten. Dasist der Einstieg in eine wirksame Marktintegration. Die-sen Ansatz werden wir weiterverfolgen.Die Photovoltaikbranche wird in Deutschland blei-ben. Wir werden Technologieführer bleiben; wir wollendas. Wir werden Wertschöpfung im Land haben, aberwir werden die Branche nach und nach ins System inte-grieren.Noch eine Bemerkung zur Energieeffizienz. Ich willhier darstellen, was wir erreicht haben
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Bundesminister Dr. Norbert Röttgen
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und wie wir jetzt in Europa verhandeln. Unser Konzeptsteht nämlich auf zwei Beinen. Erstens wollen wir denBereich der erneuerbaren Energien entwickeln, und zwarin Richtung Marktintegration. Zweitens wollen wir mehrEnergieeffizienz und mehr Energieeinsparung. Das istdas zweite Bein, das dazugehört. Darum ist es wichtig,dass wir die europäischen Potenziale nutzen. Wir setzenuns nun gemeinsam dafür ein, dass wir in Europa an-spruchsvolle Effizienz- oder Einsparziele verfolgen: ent-weder 6,3 Prozent Effizienzsteigerung oder 4,5 ProzentEnergieverbrauchsabsenkung jeweils in einem Dreijah-reszeitraum. Das sind verbindliche, ehrgeizige konkreteZiele.
Um diese Ziele zu erreichen, verpflichten wir die Mit-gliedstaaten dazu, konkrete Maßnahmen und Aktions-pläne vorzulegen, wobei diese unterschiedlich sind. Esmacht nämlich einen Unterschied, ob die Maßnahmen inRumänien oder in Deutschland angewendet werden. Wirwollen die nationalen Besonderheiten und den erreichtenStand an Effizienz berücksichtigen. Das ist ein zweiterBeitrag dazu, dass die Energiewende vorankommt.Die Energiewende ist ein ökonomisches und ökologi-sches Erfolgsmodell. Sie ist kein Selbstläufer, wie esIhre Kritik vermuten lässt. Darum ist es gut, dass CDU/CSU und FDP diese Energiewende wirtschaftlich ver-nünftig gestalten.
Jetzt hat Oliver Krischer für Bündnis 90/Die Grünen
das Wort.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Röttgen, dass Sie den Kollegen Fell hier minuten-lang zitieren, adelt den Kollegen. Das ist in Ordnung,das ist gut. Was ich hier tun könnte, wäre, Sie zu zitieren,wie Sie die Atomkraft hochgejubelt haben, wie Sie jedeEEG-Novelle abgelehnt haben, wie Sie die Erneuerbarenin Grund und Boden geredet haben. Sie haben dieseEnergiewende nicht verstanden.Was ist denn in den letzten Monaten passiert?
Wir haben einen Streit erlebt, bei dem man sich jetztfragt, worum es eigentlich ging;
denn Herr Röttgen, der Umweltminister, ist zu 100 Pro-zent eingeknickt. Herr Rösler hat sich durchgesetzt. Esgeht gegen Erneuerbare, es geht gegen Energieeffizienz.Das ist das Ergebnis dieses Streits.
Es gehört schon Chuzpe dazu, sich hier hinzustellen undkampfgrün für die Energiewende zu reden.
Meine Damen und Herren, bis vor kurzem habe ich jageglaubt, Sie können es nicht. Wenn man aber den Streiterlebt hat und sich anguckt, was es in den letzten Mona-ten gegeben hat, dann kommt man zu dem Ergebnis: Siewollen die Energiewende nicht. Sie wollen keine erneu-erbaren Energien und keine Energieeffizienz. Sie wollenzurück zu Kohle und Atom. Das ist das Ergebnis.
Richtig ist, dass man die Vergütungen im BereichPhotovoltaik reduzieren muss, angepasst an die Ent-wicklung der Kosten. Aber was nicht geht, ist das, wasSie machen: Sie greifen in bestehende Verträge ein. Siemachen das Ganze rückwirkend. Sie sehen eine Verord-nungsermächtigung vor, die das Parlament entmachtet.Das alles geht nicht. Ich habe immer gedacht, Schwarz-Gelb, die bürgerliche Koalition, sei wenigstens ein an-ständiger Kaufmann und greife nicht in die Verträge derHandwerker ein.
Aber ich erlebe das Gegenteil. Sie treiben Tausende vonHandwerksbetrieben, die sich auf das verlassen haben,was hier beschlossen worden ist, in die Insolvenz. Dasist das Ergebnis Ihrer Politik. Das müssen Sie den Leu-ten erklären.
– Nein, wir reden hier über den kleinen Handwerker, derüberall im Lande diese Anlagen baut. Der hat investiertund sich darauf verlassen, dass es einen verlässlichenWeg gibt. Den machen Sie kaputt. Gerade Sie, HerrLindner, müssen das Ihrer Klientel einmal erklären, daSie immer davon sprechen, Sie seien für den Mittelstand.
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Oliver Krischer
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Interessant ist, dass genau diese Kritik inzwischenauch aus Ihren Reihen kommt. Da laufen die Ticker jaschon über. Frau Hasselfeldt – ich sehe sie hier leidernicht –, die noch vor ein paar Wochen in einem Brief ge-fordert hat, man möge die Vergütungen kürzen, läuftjetzt durch Bayern und sagt: Verhindert diese Kürzun-gen! – Das ist doch die Irre Ihrer Politik: Vor Ort, da, woes konkret wird, sind Sie dagegen, aber hier betreibenSie das Gegenteil.
Beim Thema Energieeffizienz – das muss man leidersagen – ist es noch viel schlimmer; denn dieses Themareduzieren Sie – das haben wir gerade bei Herrn Röttgenerlebt – nicht auf konkrete Maßnahmen, sondern aufLyrik und Sonntagsreden. Man muss sich vor Augenführen: Es war die Bundeskanzlerin, die 2007 Deutsch-land zum Energieeffizienzweltmeister machen wollteund mehr Energieeffizienz in der EU – minus 20 ProzentEnergieverbrauch – durchsetzen wollte. Was war das Er-gebnis? Deutschland steht beim Thema Energieeffizienzin Europa nur auf der Bremse. Herr Oettinger – er istwahrlich kein Grüner – hat recht, wenn er an die Adresseder Bundesregierung sagt: Nur Eisbären zu knutschen,nützt nichts; man muss auch konkrete Maßnahmen er-greifen.
Wir erleben einen Wirtschaftsminister, der bei diesemThema von Planwirtschaft und Sozialismus spricht. Dasist völlig absurd. Großbritannien, Frankreich, Italien, et-liche Staaten der USA, zum Beispiel Kalifornien, NewYork und Texas, praktizieren solche Maßnahmen, wiesie in Art. 6 der EU-Richtlinie verankert sind. Texas alsHort des Sozialismus und der Planwirtschaft – das istdoch lächerlich, Herr Rösler.
Das Schlimme daran ist: Sie zerstören damit dieChancen deutscher Unternehmen. Unternehmen wieBosch und Siemens würden davon profitieren, wenn wiruns mit konkreten Maßnahmen und ambitionierten Zie-len in Europa durchsetzen würden. Aber Sie zerstörenihre Chancen. Das ist unverantwortlich mit Blick auf denWirtschaftsstandort Deutschland und das Klima. Es führtauch zum Scheitern der Energiewende.
Ich glaube, dass Sie eines nicht verstanden haben. Siehaben gedacht: Es reicht, einmal Atomkraftwerke abzu-schalten, dann kann man zur alten Welt zurückkehren. –So wird es aber nicht sein. Sie bewegen sich zurück zuKohle und Atom und versuchen, den Ausbau von erneu-erbaren Energien und die Steigerung der Energieeffi-zienz zu verhindern.
Herr Kollege.
Das ist der falsche Weg. Dagegen werden wir uns
wehren.
Vielen Dank.
Das Wort hat der Kollege Michael Kauch für die
FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Wir ha-ben das alles schon erlebt – der Umweltminister hat esdeutlich gemacht –: Vor jeder Kürzungsrunde bei derPhotovoltaik wurde der Tod der Branche ausgerufen,und das Gegenteil ist passiert. Es ist der Erfolg dieserBundesregierung und dieser Koalition, dass die Solar-vergütung seit unserem Regierungsantritt in etwa hal-biert wurde und sich der Ausbau der Solarenergie trotz-dem auf einem nie zuvor erreichten Niveau befindet.Das zeigt: Man kann auch mit weniger Geld viel errei-chen. Man muss Branchen nicht möglichst viel Geld vordie Tür schütten, wie es die Grünen immer machen.
Die Anlagenpreise sind drastisch gesunken, und zwarschneller als die Vergütungen. Das Ergebnis davon ist:Da machen sich Leute die Tasche voll,
und zwar mit dem Geld aller Bürger in Deutschland;denn es ist Teil ihrer Stromrechnung. Es findet also eineUmverteilung von den Stromkunden zu den Investorenstatt. Das kann man akzeptieren, solange sich die Rendi-ten in einer vernünftigen Größenordnung bewegen. Aberdie Renditen in den letzten Jahren waren sehr hoch. Diesführt dann zu einer sozialen Schieflage. Da machen sichgenau die Leute die Tasche voll, die genügend Kapitalhaben, das sie investieren können.
Es ist spannend, wenn die SPD-Fraktion hier sagt: Sokann man es nicht machen. Sie sagt aber nicht, wie manes machen soll. Das ist auch nicht verwunderlich. Die
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Michael Kauch
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Ministerpräsidentin von Nordrhein-Westfalen, FrauKraft, sagt zum einen: Wir müssen aufpassen, dass dieKosten aus der EEG-Umlage unsere Industrie nicht ge-fährden. Man müsse sie davon befreien. Das kritisiert dieSPD hier im Bundestag. Auf der anderen Seite sagt FrauKraft, man müsse die Photovoltaik in einem vernünfti-gen Rahmen fördern. Das machen wir. Sie sollten viel-leicht einmal mit Ihrer Ministerpräsidentin reden, HerrHempelmann, dann könnten Sie etwas lernen.
Meine Damen und Herren, wir finden es gut, dass dieSolaranlagen immer billiger werden. Das ist genau das,was man angesichts des technischen Fortschritts erwar-ten kann. Wir erwarten aber auch, dass diese Preisreduk-tion an die Verbraucherinnen und Verbraucher weiterge-geben wird. Sie darf nicht bei bestimmten Gruppen inder Wirtschaft hängenbleiben. Sie muss bei den Verbrau-chern ankommen. Deswegen machen wir diese Reform.Nun zu der Menge an Solaranlagen, in die wir inves-tieren. Ich denke, dass die Grünen immer noch glauben:Immer mehr ist immer besser. Wir sind inzwischen aberin einer Situation, die erfordert, dass wir systemischdenken.
Wir müssen uns fragen: Welcher vernünftige Mix an er-neuerbaren Energien bringt Stabilität in unser Netz? Esbraucht einen vernünftigen Mix aus Wind, Biogas undSolarenergie. Aber wir können nicht die Hälfte der Sub-ventionen, die gezahlt werden, auf eine einzige Techno-logie konzentrieren, egal was dies im Hinblick auf dieNetzstabilität bedeutet. Wir haben, weil es bei der Solar-technik zu Schwankungen kommt, Probleme mit demNetz. Deswegen kann die Menge nicht in den Himmelwachsen.Die Solarbranche hat den Zielkorridor, der im Gesetzsteht und den jeder in der Solarbranche kennen müsste,zwei Jahre hintereinander gebrochen, und zwar nicht um10 oder 20 Prozent, sondern um das Doppelte. Dabei hatdie schwarz-gelbe Koalition diesen Korridor im Ver-gleich zu der Zeit, in der SPD-Umweltminister Gabrieldie Verantwortung trug, schon verdoppelt. Das heißt, derAusbau, den wir im letzten Jahr zu verzeichnen hatten,war viermal so hoch wie der, den Herr Gabriel ange-strebt hat. Die SPD braucht uns also nicht zu belehren,wie man erneuerbare Energien ausbaut.
Die SPD sollte sich nicht in einen Wettbewerb mit denSubventionshubern von den Grünen begeben, sondernvielleicht einmal vernünftige Politik für die Verbrauche-rinnen und Verbraucher machen.Was den kritisierten Punkt im Hinblick auf den Eigen-verbrauch betrifft, sage ich ganz deutlich: Wir fordern,dass 15 Prozent des Stroms, den die Anlage produziert,selbst verbraucht werden. Wer von Solarenergie alsdezentraler Energie redet, der kann doch nicht ernsthaftwollen, dass eine Anlage für teuer Geld den Strom insNetz einspeist und der Produzent dann für billigeresGeld den Strom aus dem Netz bezieht. Das ist nicht das,was ich mir unter dezentraler Energieversorgung vor-stelle.
Ein solches Vorgehen ist im Übrigen erst recht nichtsinnvoll, wenn die Stromproduktion über eine Solar-anlage demnächst billiger ist als der Bezug von Haus-haltsstrom. Wir können von den Anlagenbetreibern for-dern, dass sie sich darüber Gedanken machen. Das istmöglich.Der Kollege Göppel, der nicht im Verdacht steht, eingroßer Anhänger der Atomlobby zu sein – das unterstel-len Sie ja immer gleich jedem –, hat eine Anlage, dieohne Speicher 30 Prozent schafft. Ich glaube, das, wasder Kollege Göppel schafft, –
Herr Kollege!
– können viele Menschen in diesem Land schaffen.
Insofern ist es gut, dass wir an dieser Stelle nicht nur för-
dern, sondern auch fordern.
Der Kollege Ralph Lenkert hat jetzt das Wort für die
Fraktion Die Linke.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Werte Kolleginnenund Kollegen! Will diese Regierung die Energiewende?Wollen die Herren Rösler und Röttgen mit der erneutenNovelle zum Erneuerbare-Energien-Gesetz wirklich dieVerbraucher schützen?
Die Einspeisevergütung sinkt zum 9. März dieses Jahresum über 20 Prozent. Ab Mai dieses Jahres wird sie dannmonatlich um 15 Cent je Kilowattstunde verringert.Damit fällt die Vergütung von Solarstrom aus neuenAnlagen von etwa 21 Cent auf 17 Cent je Kilowatt-stunde. Laut Bundesregierung soll durch diese Kürzungder Zubau von Photovoltaikanlagen auf 3 Gigawattreduziert werden. Dann betrüge die Gesamtentlastung
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Ralph Lenkert
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für die Stromkunden 660 Millionen Euro. Fast könnteman eine soziale Ader der Koalition vermuten –
wenn da nicht die umgewälzten Strompreisrabatte fürdie Industrie wären.Nach einer Studie von arepo consult im Auftrag derRosa-Luxemburg-Stiftung
müssen Bürgerinnen und Bürger, Handwerker und Un-ternehmen jährlich 3,25 Milliarden Euro für die Befrei-ung der Industrie von Netzentgelten und EEG-Umlagebezahlen. Der Staat verzichtet zum Wohle der Großun-ternehmen jährlich auf über 6,5 Milliarden Euro an Ein-nahmen aus der Ökosteuer und dem Handel mit CO2-Zertifikaten. Wir alle zahlen Monat für Monat 100 Euromehr zugunsten der Industrie. Das belegt: Wenn Röslerund Röttgen die Verbraucher schützen wollten, dannmüssten sie die Ausnahmen für die Industrie begrenzen.
Bei Photovoltaikmodulen kommt es zu Preissenkun-gen. Die Preise für die Installation auf Dächern und Frei-flächen sinken im Laufe der Jahre kaum, doch bei größe-ren Anlagen werden sie anteilig kleiner.
Mit der Novelle wird deshalb gerade die Installationkleiner, dezentraler Photovoltaikanlagen unrentabel.
Nach der erneuten, plötzlichen und überzogenen Kür-zung bei der Solarstromförderung kann niemand weitereRösler-/Röttgen-EEG-Kapriolen ausschließen. WederHerstellerunternehmen noch Investoren können so fürdie Zukunft planen.
Den Solarfirmen brechen seit letztem DonnerstagKunden, Finanzbeteiligungen und Kreditlinien bei denBanken weg.
Wer neue Solaranlagen plante, weiß nicht mehr, wie esweitergeht. Wer profitiert davon? Es sind die großenStromkonzerne,
weil der Ausbau der Solarstromerzeugung ausgebremstwird und so mehr Platz für konventionellen Strom imNetz bleibt. Dass dabei die einheimische Solarindustriestirbt, wie die Solon AG, ist gewollt; denn diese lieferteben auch an Häuslebauer und Landwirte. Die asia-tischen Großhersteller bevorzugen dagegen auch großeKunden. Somit können RWE, Eon, EnBW und Vatten-fall ihr Monopol auch in diesem Bereich sichern. DieseRegierung verdirbt die Energiewende.
120 000 Menschen arbeiteten 2011 in der Solarindus-trie. In Thüringen wurden für neue Arbeitsplätze durch-schnittlich 40 000 Euro an Fördermitteln gezahlt.
Will man mit diesem Fördersatz 120 000 neue Ersatz-arbeitsplätze schaffen, so kostet dies 4,8 MilliardenEuro. Die Kosten für einen Arbeitslosen liegen bei20 000 Euro je Jahr. Teile ich die 660 Millionen Euro angestrichener Solarförderung durch die gefährdeten120 000 Jobs, dann stelle ich fest: Diese Regierungriskiert jeden dieser Arbeitsplätze für 5 500 Euro. Das istvolkswirtschaftliches russisches Roulette.
Die Solarbranche hat ihre Kosten in den letzten Jah-ren massiv gesenkt. Schon heute kostet Solarstrom weni-ger, als Sie und ich je Kilowattstunde bezahlen.
In fünf bis sieben Jahren wird Solarstrom billiger alsStrom aus Windkraft sein. Spätestens in zehn Jahrenwird Solarstrom preiswerter sein als Strom aus Gaskraft-werken. Solarstrom hat daneben einen praktischenVorteil: Den höchsten Stromverbrauch des Jahres inSüdeuropa und anderen wärmeren Ländern gibt es imSommer mittags bei strahlender Sonne, wenn alleKlimaanlagen Höchstleistungen bringen. Preisfrage:Welche erneuerbare Energie liefert dann den meistenStrom? – Dieser Strommix deckte übrigens auch bei unsdie Mittagsspitzen in diesem Winter ab.Damit von dieser positiven Preisentwicklung und denVorteilen der Photovoltaik auch die einheimische Solar-branche profitiert, damit nicht zum zweiten Mal in20 Jahren Teile Ostdeutschlands deindustrialisiert wer-den, schlägt die Linke folgende Maßnahmen vor: erstensdie Einrichtung eines Programms zur sicheren Finanzie-rung der Solarunternehmen über die Kreditanstalt fürWiederaufbau, zweitens die Unterstützung von Grund-lagenforschung zur Speicherung und Netzintegrationvon Solarstrom, drittens die Herstellung von zuverlässi-gen Rahmenbedingungen für die Solarbranche,
viertens die Verlängerung der bis 31. Dezember 2011 be-fristeten Sonderregelung für Kurzarbeiter für die Solar-industrie und fünftens die Ergänzung des EEG um eineFörderung der Tagesspeicherung von Solarstrom.Die Linke will die Energiewende. Wir kämpfen fürgute, zukunftsfähige Arbeitsplätze in der Solarindustrie –
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19169
Ralph Lenkert
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in Frankfurt, in Bitterfeld, in Thalheim, in Arnstadt, inNürnberg, in Jena und an anderen Standorten. Wir wol-len eine saubere, dezentrale Energieversorgung, bei derdie Steuereinnahmen und Gewinne in den Kommunenbleiben und Menschen ihren Lebensunterhalt in Solar-firmen verdienen können. Dafür sind wir zur Zusam-menarbeit bereit.
Der Kollege Thomas Bareiß hat jetzt das Wort für die
CDU/CSU-Fraktion.
Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen!Meine Herren! Lassen Sie mich nach den ersten beidenReden von Rot-Grün doch noch einmal aus dem EEG-Erfahrungsbericht 2007 des damaligen UmweltministersSigmar Gabriel zitieren. Damals hieß es wortwörtlich:Die Photovoltaik liefert bis dahin– bis 2020 –mit 8 bis 9 TWh Strom bereits einen nennenswertenBeitrag. Dabei geht der jährliche Anlagenzubaugegenüber dem Jahr 2006 von 950 MWp auf400 MWp im Jahr 2015 zurück.Wir sind bereits jetzt bei 12 TWh.
Das ist der Stand 2011. Wir haben 2009 3 800 MW zu-gebaut. Wir haben 2010 7 400 MW zugebaut. Wir haben2011 7 500 MW zugebaut. Wir haben die Ziele, die Sievor vier Jahren festgelegt haben, um das Zehnfacheüberschritten.
Insofern können wir bei Ihren Zielen schon allemal Voll-zug melden. Wir haben das, was Sie bis 2020 erreichenwollten, schon heute geschafft.
Jetzt geht es darum, die nächste Stufe einzuleiten.
Dabei geht es darum, den quantitativen Zubau hin zu ei-nem qualitativen Zubau zu entwickeln.
Das ist die große Herausforderung, die wir in den nächs-ten Monaten anpacken müssen. Dazu kann ich gleich dasnächste Zitat anführen. Das sehen wir nicht alleine so.Ihr Frank-Walter Steinmeier hat vor 22 Tagen Folgendesgesagt:… die Förderung der Installation von Photovoltaik,von der deutsche Solarhersteller immer wenigerprofitieren, erkennbar an die Grenzen derWirtschaftlichkeit.
Das EEG war richtig und ist ein Katalysator derEnergiewende. Jetzt ist der Zeitpunkt gekommen,an dem wir es innovativ weiterentwickeln müssen.Der Zubau der erneuerbaren Energien muss mit derAufnahmefähigkeit des Stromnetzes synchronisiertwerden.Genau das machen wir.
– Die Vorschläge der Bundesregierung, unter anderemauch im Bereich der Systemintegration, lieber HerrHempelmann, sind der richtige Weg.
Wir müssen jetzt Ihre Fehler korrigieren.
Lassen Sie mich zwei Zahlen nennen, die vielleicht inte-ressant sind. Knapp 50 Prozent der Förderung für dieerneuerbaren Energien fließt in die Photovoltaik. DiePhotovoltaik hat aber nur einen Anteil von 3 Prozent ander Stromversorgung. Wir müssen Ihren Förderbauchvon 2007 abbauen.
– In den nächsten 20 Jahren kostet uns die Photovoltaik65 Milliarden Euro. Das ist der Förderbauch von SigmarGabriel, den wir vor uns herschleppen müssen. 65 Mil-liarden Euro kostet uns die Photovoltaik in den nächsten20 Jahren bei einem Anteil von nur 3 Prozent an derStromversorgung. Das müssen wir angehen. Deshalb istdie Einmal-Degression der richtige Schritt.Wir müssen auch in den nächsten Monaten auf dieMärkte reagieren. Deshalb brauchen wir auch einen Sys-temwechsel. Wir brauchen mehr Markt und mehr Wett-bewerb. Nur so können sich die Photovoltaikherstellerzukünftig bei uns behaupten. Obwohl wir im letzten Jahr7 500 Megawatt zugebaut haben, kommen nur noch10 Prozent der Module aus Deutschland. Das sollte unszum Nachdenken anregen. Wir müssen jetzt darauf ach-ten, dass sich unsere Modulhersteller Schritt für Schrittdem Markt stellen können. Deshalb ist die vorgeseheneRegelung richtig, dass künftig mindestens 10 bis 15 Pro-zent der Energie selbst vermarktet werden müssen undder Eigenverbrauch entsprechend gefördert wird.
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19170 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Thomas Bareiß
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Das ist der eine Baustein, der jetzt vorliegt. Der an-dere Baustein ist der wichtige Bereich der Energieeffi-zienz. Energieeffizienz hat für uns oberste Priorität.
Auch wenn es in dieser Frage etwas länger gedauert hat,ist der vorliegende Vorschlag richtig. Denn wir habenuns klar zu einem Energieeffizienzziel auf europäischerEbene bekannt. Wir verpflichten uns, die Ziele auch aufeuropäischer Ebene einzugehen. Aber wir sagen mit dergleichen Entschiedenheit, dass wir die Instrumente undMaßnahmen in unserem Land selber regeln wollen.Ich frage mich, welches Selbstverständnis Sie als Par-lamentarier in Deutschland eigentlich haben. Wir müs-sen uns in diesem Haus darüber verständigen, welcheZiele wir ansetzen bzw. welche Maßnahmen wir umset-zen wollen. Das ist der richtige Punkt.
Wir wollen ein gemeinsames Ziel auf europäischerEbene. Die Maßnahmen diskutieren wir in diesemHause. Deswegen ist es richtig, dass wir die Wahlfreiheithaben, bestimmen zu können, was wir wollen, und dieInstrumente auch selber umsetzen können.Wir sind dabei auch erfolgreich. Wir haben im letztenJahr den Energieverbrauch um 4,8 Prozent reduziert undtrotzdem 3 Prozent Wirtschaftswachstum erzielt. Ichglaube, das ist ein Schritt in die richtige Richtung. Inso-fern wollen wir auch zukünftig auf Anreize setzen, nichtauf Zwang. In diesem Sinne werden wir die Energie-wende erfolgreich, wirtschaftlich, sicher und bezahlbargestalten.Herzlichen Dank.
Für die SPD-Fraktion hat jetzt Kollege Dirk Becker
das Wort.
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnenund Kollegen! Herr Röttgen, es ist natürlich leicht, heuteAussagen des Kollegen Fell und anderer aus dem Jahr2010 zu zitieren. Um die Geschichte vollständig zu er-zählen, muss man aber auch feststellen, dass wir die Ver-gütung von 2008 bis 2012 um 50 Prozent gekürzt haben.Das heißt, es gibt keine Endloskürzungsspirale, sondernman muss immer wieder von Neuem die Frage stellen,was noch verkraftbar ist.Es gibt heute viele Argumente vonseiten derer, die inden entsprechenden Branchen beschäftigt sind, die zu-mindest uns als Sozialdemokraten Anlass geben, genauhinzuschauen, ob man jetzt diesen Schritt in dieser Aus-prägung gehen kann. Das müsste doch eigentlich auchfür die Verantwortlichen in Ihrem Ministerium erkenn-bar sein. Man kann doch nicht einfach sagen, dass es im-mer so weitergeht.
Herr Minister, wenn Sie mir kurz Ihre Aufmerksam-keit schenken könnten! Ich weiß, dass Sie das ungerntun, weil Sie nie zuhören, wenn die Opposition redet.
Sie haben im Jahr 2010 die Zahlen des Nationalen Ak-tionsplans für erneuerbare Energien nach Brüssel gemel-det und kommen selbst zu dem Ergebnis, dass im Jahr2020 52 000 Megawatt aus solarer Strahlungsenergiekommen sollen. Das waren auch Ihre Ziele. Davon istheute kein Wort zu hören.Im Gegenteil, Sie spielen hier jetzt wieder den großenRetter der erneuerbaren Energien. Auch für uns Sozial-demokraten war immer ganz klar, dass wir den Ausbauder erneuerbaren Energien vorantreiben wollen. Soschwierig die Umlageentwicklung ist: Die Ausbauzahlenzeigen den Erfolg der Erneuerbaren. Darüber darf mansich auch ein Stück weit freuen. Wir müssen aber natür-lich auch sehen, wie wir die Entwicklung mit Blick aufdie Umlagebelastung steuern. Wir haben in der Vergan-genheit sehr wohl gesagt, dass wir einem Korridor zu-stimmen, und wir werden das auch jetzt tun.Aber es kann doch nicht sein – das hat mit Investi-tionssicherheit nichts zu tun –, dass Sie in der Breiteneue Kürzungsschritte debattieren, obwohl die EEG-Novelle 2012 noch nicht einmal in Kraft getreten ist. Somachen Sie den Markt kaputt, so verunsichern Sie Inves-toren. Das ist keine vorausschauende Energie- und Wirt-schaftspolitik.
Auch wenn das EEG kein Gesetz zum Zwecke derWirtschaftspolitik ist – es ist ein Markteinführungs-instrument für erneuerbare Energien –, so hat es zu unse-rer großen Freude doch gerade in Ostdeutschland auchwirtschaftliche Impulse gegeben. Ich weiß, dass dasEEG kein Schutzschirm zur dauerhaften Bewahrung vonArbeitsplätzen ist. Aber man muss doch auch ein biss-chen Verantwortung für die geschaffenen Arbeitsplätzezeigen und bei der Rückführung der Vergütungen einwenig Rücksicht darauf nehmen. Es darf keinen Schnell-schuss geben, der diese Arbeitsplätze nachhaltig gefähr-det.Ja, wir müssen die Umlage im Blick behalten. Aberauch die Arbeitsplätze insbesondere in Ostdeutschlandsind uns wichtig und müssen bei der Entscheidung imBlick behalten werden.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19171
Dirk Becker
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Es gibt viele Projekte, die in der Planung bereits soweit vorangeschritten sind, dass, wenn die Kürzung inder vorgesehenen Form kommt, die hohen Vorlaufkostennicht refinanziert werden können. Wenn es überhaupt sokommt, wie Sie vorschlagen, dann brauchen wir Über-gangsregelungen – die Zusage gibt es –, damit begon-nene Projekte nicht zum Ruin führen. Ich appelliere anIhre Verantwortung für die getätigten Investitionen.Das große Risiko bei dieser Debatte ist, dass wir wie-der einmal sehr emotional über die Kürzungsschritte re-den. Der Teufel steckt im Detail. Wenn ich vom Teufelim Detail in Bezug auf diese Novelle spreche, dannmeine ich zum einen das Marktintegrationsmodell undzum anderen die Verordnungsermächtigung zur Übertra-gung dieses Modells auf andere Branchen. Es handeltsich um eine Ermächtigung, die wir Parlamentarier die-ser Regierung, dem BMWi und dem BMU unter Füh-rung von Herrn Röttgen – Sie lachen, Herr Rösler; wirtun es auch –, erteilen sollen. Sie sollen die Verantwor-tung und die Kompetenz erhalten, künftig über die Fragezu entscheiden, wie viel Vergütung es für welche Tech-nologie gibt, nach dem Motto: Kürzen wir doch einmalauf 85 oder auf 70. – Es kann doch nicht Ihr Ernst sein,dass wir eine Kernregelungsschraube des EEG in IhreHände legen. Unser Vertrauen haben Sie nicht. Schonunter anderen Regierungen – auch in der Großen Koali-tion – gab es entsprechende Absichten. Wir haben be-reits damals gesagt: Dies ist ein Kerninstrument des par-lamentarischen Handelns, und es muss beim Parlamentbleiben. Daher sagen wir Nein zu dieser Verordnungser-mächtigung.
Herr Röttgen, Sie haben Aussagen anderer Kollegenzitiert und bekennen sich jetzt ausdrücklich zu den Aus-bauszenarien betreffend die erneuerbaren Energien, diedie Gutachten enthalten, die Sie im Rahmen der Lauf-zeitverlängerung haben anfertigen lassen. Wir haben inden letzten Debatten mehrfach gefragt, Herr Röttgen:Sind diese Ausbauszenarien Bestandteil des Konzeptsder Bundesregierung, und stellen sie die Ziele dar? – Siehaben gesagt: Nein, das sind wissenschaftliche Gutach-ten, die die Basis bilden. – Nun nehmen die Fraktions-vorsitzenden und Sie selbst immer Bezug auf diese Sze-narien und sagen: Jawohl, das sind unsere Ziele. –Tatsache ist, dass Sie die Mechanismen entsprechend an-passen. Wer gibt uns die Garantie, dass das, was Sie nunbei der Solarenergie machen, morgen nicht auch bei an-deren Energien, zum Beispiel bei der Windenergie, ma-chen?
Herr Kollege!
Sie haben Ihre Maske fallen lassen. Sie sind nicht der
Umweltminister der Energiewende. Herr Röttgen, Sie
sind kein Antreiber, sondern ein Getriebener, und zwar
vom Wirtschaftsminister.
Herr Kollege!
Mit Ihnen wird diese Wende nicht gelingen.
Das Wort für die Bundesregierung hat HerrDr. Philipp Rösler.
Dr. Philipp Rösler, Bundesminister für Wirtschaftund Technologie:Sehr verehrte Frau Präsidentin! Meine sehr verehrtenDamen und Herren Abgeordnete!
Ich habe mir Ihre Redebeiträge angehört und kann fest-stellen: Weder in Ihren Beiträgen noch in dem Titel dervon Ihnen beantragten Aktuellen Stunde kommen dieje-nigen,
die all das bezahlen müssen, was Sie für eine bestimmteBranche lauthals fordern, mit einem einzigen Wort vor.Das zeigt deutlich, wie weit Sie sich von den Menschenentfernt haben.
Ich halte weiter fest: Die Prognosen, die Sie im Jahr2010 mit großen Krokodilstränen abgegeben haben, ha-ben sich bereits als falsch erwiesen. Kollege Röttgen hates vollkommen zu Recht zitiert. Sie haben damals beidem großen Schnitt für die Solarvergütung gesagt: Dasist das Ende der Photovoltaikbranche. – Aber im Jahr2011, nur ein paar Monate später, haben wir genau dasGegenteil erlebt. Es gab einen Rekordzubau im Bereichder Photovoltaik. Das müssen Millionen Kundinnen undKunden, Millionen Haushalte, und Millionen mittelstän-dische Unternehmen bezahlen. Ich finde es daher ge-rechtfertigt, an die Bezahlbarkeit von Energie zu denken.Wir tun es jedenfalls und orientieren uns nicht nur anden Interessen einer einzigen Branche, wie Sie das vor-hin in Ihren Wortbeiträgen getan haben.
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19172 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
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Selbstverständlich wollen wir den Ausbau der erneu-erbaren Energien.
Heute liegt der Anteil dieser Energien bei 20 Prozent.Unser Energiekonzept sieht bis 2020 den Ausbau auf35 Prozent
und bis 2050 sogar auf 80 Prozent vor.
Aber gerade angesichts dieser Zahlen ist klar: Der Aus-bau muss bezahlbar bleiben. Das bedeutet, dass wir an-dere Instrumente als bisher brauchen.
Denn es ist genauso ersichtlich: Wenn bei einem Anteilvon 3 Prozent an der Stromproduktion über 7 Milliardenvon den 14 Milliarden Euro der EEG-Umlage, also mehrals die Hälfte, für die Photovoltaikförderung draufgehen,dann ist das nicht wirtschaftlich, erst recht nicht bei ei-nem geplanten Ausbau auf 35 bzw. 80 Prozent. Deswe-gen müssen wir zu einer besseren EEG-Förderung kom-men, zumindest zu einer besseren als derjenigen, die Sieauf den Weg gebracht haben.
Sie tun immer so, als wäre die Förderung der erneuer-baren Energien Ihre Erfindung gewesen.
Ich erinnere daran, dass die Grundidee Anfang der 90er-Jahre im Zusammenhang mit dem Stromeinspeisegesetzentstanden ist und von der christlich-liberalen Koalitionstammt.
Es war richtig, die damalige Nischenbranche erneuer-bare Energien mit Subventionen zu fördern. Aber jetzthaben wir einen Anteil von 20 Prozent, den wir massivausbauen wollen.
Wenn wir künftig einen Massenmarkt haben, dann müs-sen dort natürlich Marktinstrumente eine Rolle spielen.Deswegen ist der erste Schritt, dass wir eine erfolgreicheMarktintegration schaffen, nämlich mit dem Marktinte-grationsmodell.
Das ist die beste Voraussetzung für die Bezahlbarkeitvon erneuerbaren Energien, gerade bei dem dramatischstarken Ausbau in der Zukunft im Rahmen der Energie-wende.
Ein weiterer Punkt ist die Energieeffizienz. Um eshier genauso festzuhalten: Wir bleiben natürlich bei demZiel, das wir uns auf europäischer Ebene gesetzt haben,nämlich eine Steigerung um 20 Prozent bis zumJahr 2020.
Wir können mit dem Erreichten sehr zufrieden sein.Kollege Bareiß hat es deutlich gemacht. Die Zahlensprechen für sich. Trotz eines wirtschaftlichen Wachs-tums in den letzten Jahren ist der Energieverbrauch inDeutschland gesunken. Das ist ein Erfolg auch unsererPolitik für mehr Energieeffizienz in Deutschland. Daraufkönnen wir stolz sein, und auf diesem Weg müssen wirgemeinsam voranschreiten, wenn es darum geht, dieEnergieeffizienz in Deutschland und in Europa zu ver-bessern.
Deswegen unterstützen wir die Kolleginnen und Kol-legen auf europäischer Ebene bei dem Ziel,
eine Steigerung der Energieeffizienz von 20 Prozent biszum Jahr 2020 zu erreichen.
– Holen Sie einmal ordentlich Luft, dann haben Sie einekleine Pause! Dann werden Sie feststellen, dass wir dasZiel auf europäischer Ebene natürlich unterstützen.
Aber wir fordern gleichermaßen
Flexibilität für die einzelnen Mitgliedstaaten auf demWeg zum Erreichen dieses Ziels. Sie sprechen immervon verpflichtenden Maßnahmen. Was heißt denn „ver-pflichtende Maßnahmen“? Das sind am Ende Zwangs-maßnahmen. Sie wollen den Energieversorgern vor-schreiben,
jährlich die Energieproduktion um 1,5 Prozent zu sen-ken. Das ist so, als wollte man einem Automobilkonzernvorschreiben, jedes Jahr 1,5 Prozent weniger zu produ-zieren.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19173
Bundesminister Dr. Philipp Rösler
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Mit sozialer Marktwirtschaft hat eine solche starre Vor-gabe definitiv nichts zu tun. Das ist in Wahrheit Plan-wirtschaft.
Das kann man auf europäischer Ebene nicht akzeptieren.
Ich wundere mich immer wieder. Es geht dabei nichtum die großen Energieversorgungsunternehmen. Diewerden es leichter haben, zu einer Reduktion von1,5 Prozent zu kommen. Die brauchen nur eine Verein-barung mit Großen zu treffen, und dann haben sie dieReduktion. Uns geht es um die vielen kleinen und mittel-ständischen Energieversorgungsunternehmen. Das sindüber 1 000 Unternehmen in Deutschland, größtenteilsauf kommunaler Ebene. Was Sie, Herr Hempelmann,fordern, wird von denen rundweg abgelehnt. Das zeigt,dass Sie mittlerweile Politik gegen die Kommunen inDeutschland machen.
Deswegen bleiben wir bei unseren Zielen.
Im Übrigen gibt es noch nicht einmal eine Handvollvon Energieministerkollegen auf europäischer Ebene,die diese starren Vorgaben in irgendeiner Form unterstüt-zen. Wir wollen den Ausbau der erneuerbaren Energienund die Steigerung der Energieeffizienz. Wir wollen dasdurch bessere Produkte, bessere Dienstleistungen, durchKraft-Wärme-Kopplung und durch die energetische Ge-bäudesanierung, wenn ich auch die erwähnen darf, errei-chen. Wir haben darüber schon beim letzten Mal hier imBundestag diskutiert.
Sie hätten damals die Chance gehabt, im Bundesrat einerEinigung zuzustimmen. Die Wahrheit ist sehr konkret,Herr Hempelmann: Wieder einmal hat die Sozialdemo-kratie da versagt. Sie haben der energetischen Gebäude-sanierung nicht zugestimmt.
Das ist Politik gegen Energieeffizienz, gegen den Mittel-stand, der händeringend genau auf diese Zustimmungder Länder wartet.
Deswegen halten wir fest: Wir kommen mit dem Aus-bau der erneuerbaren Energien unter marktwirtschaftli-chen Gesichtspunkten voran. Es findet erstmalig eineMarktintegration statt. Wir arbeiten weiter an der Ener-gieeffizienz.Ihre Glaubwürdigkeit wird sich daran messen lassen,ob Sie endlich im Bundesrat zustimmen oder nicht. Un-abhängig von all den Reden, die Sie halten, können Sieim Bundesrat zeigen, ob Sie wie die Bundesregierungfür Energieeffizienz sind oder nicht.Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Das Wort für Bündnis 90/Die Grünen hat jetzt Kerstin
Andreae.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Herr Rösler, Sie stellen sich hier hin und sagen, dieStrompreise seien das Problem und keiner spreche überdie Verbraucher, die diese Strompreise zahlen müssten.Hallo?! Wer hat denn die Zahl der Unternehmen, die vonder EEG-Umlage befreit sind, verzehnfacht? Wer hatdenn Ausnahmen für Teile der Industrie bei den Netzent-gelten gemacht?
Das ist doch der Grund für die hohen Strompreise. Hö-ren Sie auf mit der Lüge vom teuren Solarstrom! SeienSie ehrlich an dieser Stelle! Reden Sie nicht blödes Zeugim Hinblick auf die Strompreise!
Sie sind doch gerade dabei, eine der erfolgreichsten In-dustrien, die sich in den letzten Jahren entwickelt haben,massiv zu beschädigen. Die Solarbranche konnte in denletzten Jahren Wachstumspotenziale verzeichnen, die Siein dieser Größenordnung in anderen Industrien nichtnachweisen können.Jetzt verunsichern Sie Investoren. Sie gefährden Ar-beitsplätze. Ihre Ministerpräsidenten – ich meine den ei-nen in Sachsen-Anhalt und den anderen in Bayern –
sind ja schon zitiert worden. Sie sagen: So wollen wirdas nicht haben. Das macht uns in Ostdeutschland dieSolarindustrie kaputt.
Sie machen hier nicht nur eine falsche Energiepolitik,sondern Sie machen hier auch noch eine falsche Indus-triepolitik.
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19174 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Kerstin Andreae
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Wir Grüne haben uns nie gegen die Absenkung derVergütung ausgesprochen. Das haben wir nicht getan.
Wir haben immer klare Zeitpläne und eine klare Degres-sion vorgeschlagen. Wir haben allerdings auch gesagt,dass wir Augenmaß und vor allem Planungssicherheitals Ziele haben.Ihr Termin 9. März bedeutet doch, dass zwischen derAnkündigung des Gesetzes und dem 9. März 16 Tageliegen. Eine Dachanlage braucht mindestens zwei Mo-nate.
Eine Freiflächenanlage braucht mindestens sechs Mo-nate. Was machen Sie denn jetzt mit jemandem, der ge-rade erst die Solaranlage bestellt hat? Wie reagierenBanken, wenn die ersten Unternehmen in die Insolvenzgehen? Institutionelle Anleger brauchen doch Sicherheit.Die Energiewende braucht privates Kapital, und das be-dingt Planungs- und Investitionssicherheit. Wir fordernSie daher hier auf: Weg mit dem 9. März! Machen Siewenigstens einen vernünftigen Zeitplan, der Planungssi-cherheit garantiert.
Jetzt noch einmal zur Industriepolitik. Die deutschenSolarunternehmen haben es doppelt schwer. Sie müssenständig mit dieser chaotischen schwarz-gelben Energie-politik umgehen. Heute hü, morgen hott! Stop and go!Gas und Bremse! Ständig ändert sich irgendetwas, undgleichzeitig müssen sie auf einem immer schärfer wer-denden Weltmarkt bestehen.Anstatt eine vernünftige Industriepolitik zu machenund zu sagen: „Ja, wir stellen uns vor die deutsche Solar-industrie, wir stellen uns vor die europäische Solarindus-trie, und wir überlegen, wie sich diese Industriepolitikweiterentwickeln kann, und wir fördern Forschung undInnovation“, veranstalten Sie ein absolutes Chaos. Inno-vation braucht Forschung. Forschung braucht Perspek-tive. Perspektive braucht Vertrauen, und Vertrauenbraucht Planungssicherheit. So sähe Industriepolitik aus,die Sie an dieser Stelle machen müssten. Das von Ihnenveranstaltete Chaos hilft uns jedoch nicht weiter.
Zur Energieeffizienz. Die beste Energie ist die, diewir nicht verbrauchen, und die billigste Energie ist die,die wir nicht verbrauchen. So viel zu den Strompreisen.Nun liegt uns diese Energieeffizienzrichtlinie vor.Was aber machen Sie? Klare Maßnahmen werden durchirgendwelche nebulösen Ziele ersetzt. Ursprünglich wares so: Die Akteure waren die großen Energieversorger,und es wurde gesagt, dass diese jedes Jahr 1,5 Prozenteinsparen müssen. – Das war wirtschaftspolitisch nichtnur deshalb sinnvoll, weil ein klares Einsparziel genanntwurde, sondern auch deshalb, weil sich für die Energie-versorger neue Geschäftsfelder aufgetan haben.Was haben wir jetzt? Wir haben Ziele, aber keinenverbindlichen Akteur, und eingerechnet wird das, wassowieso schon gemacht wird; Stichwort „Kraft-Wärme-Kopplung“. Dann erzählen Sie uns: Na ja, wenn wir dreiJahre lang von 1,5 Prozent ausgehen, dann können wirauch gleich 4,5 Prozent sagen. – Sie haben also nichtsverstanden. Setzen Sie die Energieeffizienzrichtlinie for-ciert und engagiert um. Denn sie ist einer der entschei-denden Hebel dafür, dass wir im Hinblick auf Versor-gung mit Energie und Strompreise auf den richtigen Wegkommen. Gehen Sie die Energieeffizienzrichtlinie so an,wie sie vorgeschlagen ist, aber handeln Sie nicht aufdiese nebulöse Art und Weise.
Wir hatten heute Morgen schon im Ausschuss dieMöglichkeit, mit Ihrem Staatssekretär über diese zweiVorschläge zu sprechen. Wissen Sie, was wir inzwischenglauben? Herr Röttgen, das werfe ich Ihnen vor. Das tutmir wirklich – –
– Nein, es tut mir nicht nur leid, dass ich Ihnen das vor-werfen muss.Aber wissen Sie, was ich glaube? Ich glaube, die FDPhat sich mit diesem Wirtschaftsminister inzwischen da-rauf eingestellt, dass sie im Jahre 2013 nicht mehr in derRegierung sein wird. Sie baut ihre Oppositionsstrategieauf. Diese Oppositionsstrategie nimmt keine erfolgrei-che Energiewende in den Blick; vielmehr braucht ihr denMisserfolg bei der Energiewende, damit ihr in zwei Jah-ren eure Oppositionsstrategie habt.
Wir appellieren an die Union: Nehmen Sie Ihre Ver-antwortung für die Umsetzung der Energiewende wahr!
Raus aus der Froschperspektive! Rein in die Verantwor-tung! Rein in die Energiewende! Das müssen Sie ma-chen. Dafür sind Sie gewählt worden. Das haben Sie denMenschen versprochen. Also setzen Sie es auch um.Vielen Dank.
Maria Flachsbarth hat jetzt das Wort für die CDU/CSU-Fraktion.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19175
Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt
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Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Die Solarbranche, aber auch wir haben ein Problem, undzwar mit dem eigenen Erfolg. Wer hätte das gedacht,auch von den früheren Umweltministern, die eben be-reits genannt worden sind, dass in zwei aufeinanderfol-genden Jahren, nämlich 2010 und 2011, ein Zubau an in-stallierter PV-Leistung in Höhe von 7,5 Gigawatt proJahr möglich ist?
Dieser Zubau ist einfach zu viel, weil er zu schnellkommt. Es gibt doch – das wissen wir alle – Problememit der Netzstabilität. Wir haben die große Sorge, dasses durch entsprechenden PV-Einfluss zu einem Blackoutkommen könnte. Von daher bin ich dankbar, dass dieBundesregierung zugleich mit dieser Novelle das Pro-blem aufgreift und die 50,2-Hertz-Problematik lösenwill.Zu der Argumentation, PV sei ja im Moment gar nichtmehr so teuer, von daher könnten wir das ganz gut ver-kraften, möchte ich nur sagen: Allein der im letzten Jahrerfolgte Zubau kostet Jahr für Jahr 1,6 Milliarden Euro.Da hilft nichts. Man kann also wirklich nicht sagen, dasses sich dabei um Peanuts handeln würde.
Beides zusammen, die Befürchtung eines Blackoutsund die hohen Kosten, die einfach anfallen – das müssenwir zur Kenntnis nehmen –, macht mir Sorge im Hin-blick auf die Akzeptanz bei den Bürgerinnen und Bür-gern in diesem Land. Diese müssen wir auf jeden Fallfür unsere Energiewende, also den Umbau hin zu immermehr erneuerbaren Energien, erhalten.Wir müssen doch zur Kenntnis nehmen, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, dass der atmende Deckel, den wirbislang hatten
und der an 2 500 bis 3 500 Megawatt ausgerichtet war,eben nicht funktioniert hat, obwohl sich die Vergütungfür Solarstrom in den letzten vier Jahren fast halbiert hat.Das war angesichts des rasanten Verfalls der Modul-preise viel zu langsam. Dieser rasante Verfall der Preiseliegt letztendlich überhaupt nicht in unserer nationalenGesetzgebung begründet, sondern darin, dass in Chinaund in Asien riesige Produktionskapazitäten aufgebautworden sind, mit riesigen staatlichen Subventionen, ge-gen die wir überhaupt nicht ankommen, und darüber hi-naus darin, dass die Nachfrage der internationalenMärkte zusammengebrochen ist. Das alles, liebe Kolle-ginnen und Kollegen, können wir nun von hier aus, ausdem Deutschen Bundestag heraus, überhaupt nicht be-einflussen. Deshalb ist es einfach falsch, wenn man sagt,dass wir durch Änderungen am EEG entweder Arbeits-plätze retten oder in Gefahr bringen könnten. Mit sol-chen Aussagen werden die Leute draußen einfach fürdumm verkauft. Das stimmt einfach nicht.
Deshalb ist es richtig, dass die Bundesregierung jetztdrei Maßnahmen vorgeschlagen hat, um zu einem nach-haltigen Ausbau der Erneuerbaren, insbesondere derPhotovoltaik, zu kommen.Eine Maßnahme ist die Einmalabsenkung, die, aufden ersten Blick betrachtet, weil sie sich in einer Grö-ßenordnung von 20 bis 30 Prozent bewegt, sicherlichheftig ist. Das ist überhaupt keine Frage. Aber wenn manin Erwägung zieht, dass es sich in Wirklichkeit um dasVorziehen der ohnehin zum 1. Juli geplanten Absenkungum 15 Prozent handelt, relativiert sich das Ganze schonwieder ein wenig. Man kann eben nicht sagen: Alles,was möglichst teuer ist, ist auch gut. Vielmehr müssenwir schauen, wie wir es möglichst effizient machen.
Es ist richtig, dass die Bundesregierung jetzt sagt: FürAnlagen über 10 Megawatt soll keine Vergütung mehrgezahlt werden; denn diese bringen die größten Netz-integrationsprobleme. Es ist auch richtig, dass wir denBau von „Solarstadl“ oder „Scheinscheunen“ nun nichtmehr durch das EEG fördern. Auch hier gibt es nämlichganz sicher Korrekturbedarf.Mit Blick auf die Marktintegration will ich sagen,dass die Frage, ob die Begrenzung der Vergütung fürInvestoren eine Zumutung ist, durchaus berechtigt ist.Besitzer von Solaranlagen, die auf den Dächern vonEigenheimen installiert sind, können durch Verhaltens-änderungen einen Eigenverbrauch von 10 Prozent leichtrealisieren. Ich wünsche mir, dass die Gewerbebetriebeund die landwirtschaftlichen Betriebe, die entsprechendgrößere Anlagen haben, jetzt tatsächlich in die Pöttekommen und schauen, was sie denn tun können, um ih-ren Eigenverbrauch zu steigern. Das halte ich für einausgesprochen gutes Signal.
Die Verstetigung wird gebraucht, damit nicht immerund immer wieder eine Schlussverkaufsrallye stattfindet.Bei all dem, was wir tun, müssen wir aber schauen, dasswir den Vertrauensschutz gewährleisten. Das bedeutet,dass die Investoren, die im Vertrauen auf die von unsverabschiedeten Gesetze Geld in die Hand genommenhaben, sicheren Grund unter den Füßen haben. Deshalbmuss es da zu Änderungen im Vorschlag der Bundes-regierung kommen. Wir müssen auch die Frage vernünf-tig überdenken, inwieweit wir als Parlamentarier das Ge-setz – Stichwort „Verordnungsermächtigung“ – in deneigenen Händen behalten können.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ich bin mir ganz si-cher, dass wir auf Grundlage dieser Novelle auch weiter-hin einen dynamischen Zubau von Photovoltaikanlagen
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19176 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Dr. Maria Flachsbarth
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in Deutschland haben werden und dass die Photovoltaikauch zukünftig einen wichtigen Beitrag zur Energie-wende leisten wird. Ich bin mir ebenfalls sicher, dass wirdie selbst gesteckten Ziele – dazu gehört die Realisie-rung einer Leistung von 52 Gigawatt – erreichen wer-den.Herzlichen Dank.
Wolfgang Tiefensee hat jetzt das Wort für die SPD-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir beschäfti-gen uns heute erneut mit dem Thema Energiewende.Nach dem Verlauf der Diskussion kann ich resümieren:Es macht eigentlich keinen Spaß, ewig dieselben Dingein Richtung Regierungsbank zu sagen, ohne dass es vondieser Seite eine vernünftige Reaktion gibt.
Sehr verehrter Herr Kollege Rösler, was nicht geht,ist, dass Sie in einer ernsthaft geführten Debatte, in deres um Energieeffizienz und um Solarstromförderunggeht, der Opposition in denunziatorischer Weise vorwer-fen, sie würde sich nicht um die Stromkunden, um denMittelstand und um den vernünftigen Einsatz erneuerba-rer Energien kümmern.
Das geht so nicht. Wir erwarten, dass Sie die Vorschlägeder Opposition konstruktiv aufnehmen, damit endlichdie Energiewende stattfindet, die wir gemeinsam wollen.
Ich will den Stand der Diskussion anhand einigerPunkte verdeutlichen. Herr Rösler und Herr Röttgen, dieEnergieeffizienzrichtlinie der EU-Kommission hat bis-her nur dazu geführt, dass Sie – übrigens nach monatelan-gem Streit; wir haben es vor drei Wochen thematisiert –eine Stellungnahme auf den Tisch gelegt haben, die mitBlick auf das Gesamtkonzept besagt: Wir erwarten, dasses Aktionspläne für die Energieeffizienz gibt, in denenwir zukünftig die Maßnahmen verankern wollen. –Meine sehr verehrten Damen und Herren von der Regie-rung, wo sind denn jetzt die Maßnahmen, über die wirdiskutieren können und die sich in ein großes Systemeinbetten?Erster Kritikpunkt. Es gibt kein Gesamtkonzept. Wiewill man dann überhaupt vorangehen?Zweiter Kritikpunkt. Es gibt keine Kostensicherheit.In einigen Bereichen – ich greife beispielsweise dieElektromobilität und das Gebäudesanierungsprogrammheraus – gibt es nur einen Schlingerkurs. Sie haben dieFörderung der Elektromobilität an den Erlös aus demZertifikatehandel gebunden. Der Finanzminister mussjetzt die Förderung für die nächsten Jahre auf 50 Prozentund die Höhe der Verpflichtungsermächtigungen auf60 Prozent begrenzen. Wie soll sich denn eine Technolo-gie, die im Mobilitätssektor die Effizienz vorantreibenkönnte, entwickeln, wenn es diese Unsicherheiten gibt?Dritter Kritikpunkt. Die fehlende Planungssicherheitwurde schon mehrfach angesprochen. Sowohl die Groß-industrie als auch der Mittelstand, aber natürlich ebensodie privaten Haushalte und die öffentliche Hand brau-chen Planungssicherheit.Herr Röttgen, ich kann nicht verstehen, dass Sie einenPappkameraden aufbauen und hier ausführen, dass dieOpposition eine Degression der Subventionen verhin-dern wolle. Erst bauen Sie einen Pappkameraden auf,und dann fassen Sie einen entsprechenden Beschluss inder Öffentlichkeit. Es hat nie einen Zweifel daran gege-ben, dass wir Subventionen intelligent zurücksteuernmüssen; schließlich waren sie ein Markteinführungs-instrument. Also: Die Vorschläge liegen auf dem Tisch.Im letzten April haben wir unser Konzept vorgelegt. Le-sen Sie es nach; dann können Sie sehen, was Planungs-sicherheit ist.Eine Partei wie die FDP, die so tut, als ob sie für denMittelstand wäre, aber am Ende dazu beiträgt, dass imMittelstand Verunsicherung herrscht, sollte umdenken,Herr Rösler, statt auf diejenigen einzudreschen, die ver-nünftige Vorschläge machen.
Es hat keinen Sinn, von einer Seite der Allee zur anderenzu fahren. Wir brauchen vielmehr eine Verstetigung,eine Planungssicherheit, einen Vertrauensschutz für denMittelstand.
Das nächste Thema ist die Transparenz. Ich habe ge-hört, dass Sie über die Verordnungsermächtigung nocheinmal nachdenken wollen. Es ist doch ein Unding, dassSie den zentralen Gedanken der Festlegung der Förde-rung von der Entscheidung eines Verwaltungsgremiumsabhängig machen wollen.
– Nein. – Das ist nicht nur eine Entmachtung des Parla-mentes, sondern auch eine völlig unsachgemäße Ent-scheidung. Diese Entscheidung gehört hierhin. Wir bit-ten, das zu überdenken.
Schließlich: Was tun Sie für die Kommunikation inBezug auf die Energiewende, in Bezug auf die Energie-effizienz? Was für eine chaotische Diskussion erlebenwir in der Öffentlichkeit? Es wird nur kommuniziert,dass sich die Ministerien streiten. Für die Akzeptanz inder Bevölkerung, in den öffentlichen Verwaltungen, in
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19177
Wolfgang Tiefensee
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den Handwerksbetrieben und in der Industrie tun Sienichts.Summa summarum: Sie gefährden die Umweltziele.Sie gefährden die Industriepolitik und die Politik für denMittelstand. Sie gefährden Arbeitsplätze. Deshalb ist esan der Zeit, dass Sie ein Gesamtkonzept mit Maßnahmenvorlegen, die überprüfbar sind und die sich in den euro-päischen Kontext einordnen. Ich erwarte, dass Sie – hierspreche ich insbesondere Sie an, Herr Rösler; ich habeSie in Leipzig vor Tausenden Unternehmern erlebt –endlich Ihre Arroganz und Ihren Zynismus in Bezug aufdiejenigen fallen lassen, die das eingeleitet haben, aufdem Sie sich jetzt ausruhen.Vielen Dank.
Klaus Breil hat das Wort für die FDP-Fraktion.
Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kol-legen! Heute geht es um eine längst überfällige Anpas-sung der Solarförderung. Wir begrüßen die Einigung. Aneiner Stelle wollen wir allerdings nachbessern: Wir ar-beiten daran, mehr Vertrauensschutz und längere Über-gangsfristen zu schaffen. Wir wollen damit Investitio-nen, die die mittelständische Wirtschaft getätigt hat,sichern. Das haben Sie hoffentlich gehört, HerrTiefensee.
In Deutschland wurde allein in den letzten beidenJahren eine Kapazität von rund 15 Gigawatt Photovol-taik neu installiert. Dieser gewaltige Zubau verursachtauch gewaltige Kosten, die der Verbraucher zu tragenhat. Ich meine zuerst diejenigen Verbraucher, die selbstkein Haus besitzen und mit ihrer Stromrechnung dieRenditen der Besitzer von Photovoltaikanlagen sichernmüssen. Es ist also das Gebot der Stunde und nicht weni-ger auch eine Frage sozialer Gerechtigkeit, die Kostenfür den Zubau wirkungsvoll zu begrenzen.Zugleich werden wir dafür sorgen, dass die deutschePhotovoltaikindustrie auf dem Weltmarkt bestehen kann.Es ist zwar richtig, dass die Solarindustrie in Ostdeutsch-land, vor allem auch in Thüringen, sehr stark ist; aller-dings leiden viele Branchen im Osten massiv unter denhohen Energiepreisen. Es droht, dass diese Branchen ausdiesem Grund Personal abbauen und sogar aus Deutsch-land abwandern müssen. Es ist wahrscheinlich, dass einweiteres Steigen der Energiepreise im Endeffekt mehrArbeitsplätze kosten wird als die jetzt beschlossenenFörderkürzungen.Mit der hohen Förderung subventionieren wir ohne-hin schon jetzt zum großen Teil Arbeitsplätze in Chinaund nicht in Ostdeutschland. Ich will einmal deutlichmachen, wie viele Menschen eigentlich direkt in derdeutschen Photovoltaikindustrie und in der Installationtätig sind: Es handelt sich um 30 000 Vollzeitjobs. Dasstimmt, auch wenn die Photovoltaikindustrie immer an-dere Zahlen in die Welt zu setzen versucht.Schließlich muss uns bekannt sein, wie viel uns diePhotovoltaikförderung kostet und wie viel Strom amEnde produziert wird. Es geht um einen gesunden Blickauf das Verhältnis von Subvention zu Ergebnis: 2011produzierte die Photovoltaikindustrie 19,5 Terrawatt-stunden Strom. Das sind lediglich 3,2 Prozent der Pri-märenergie zur Erzeugung von Strom in Deutschland.Das Ganze kostet uns Verbraucher 8 Milliarden Euronetto pro Jahr. Dieser Luxus bedeutet: Jede erzeugte Ki-lowattstunde Photovoltaikstrom kostet 41 Cent.Frau Andreae, als Wirtschaftspolitiker wissen Siedoch:
Es kommt auf ein gesundes Verhältnis von Kosten undNutzen an. Sie wissen auch, dass die deutsche Industrieweltweit die höchsten Energiekosten hat. Deshalb sindKostenentlastungen notwendig.
Aus diesem Grund passen wir jetzt mit einer einmali-gen Absenkung die Vergütung an die gesunkenen Markt-preise der Anlagen – also Module, Wechselrichter undInstallationen – an; wir tun nicht mehr und nicht weni-ger. Die Reaktion darauf war übrigens überwältigend.Die Tinte unter diesem Kompromiss zwischen BMU undBMWi war noch nicht trocken, da klingelte schon dasTelefon Sturm. Photovoltaikverbände und Projektiererzeichneten ein Bild des Untergangs.Das Gegenteil wird der Fall sein, wie schon bei frühe-ren Anpassungen bewiesen. Der Markt wird richtig re-agieren und sich auf die neue Situation einstellen. Nurdie Solarlobby hat das noch nicht erkannt; denn sie hates versäumt, ihre Mitglieder über die absehbare Ent-wicklung von Preisen und Kosten hinreichend zu infor-mieren,
obwohl sie selbst wiederholt Bedenken über die schwin-dende Akzeptanz der Photovoltaikförderung äußerte.Falsch gehandelt haben auch weite Teile der Solarindus-trie. Sie ruhte sich insbesondere in den Jahren satter Ge-winne auf garantierten Vergütungssätzen aus, anstattausreichende Mittel in Forschung und Entwicklung zuinvestieren.Wir verfolgen übrigens auch das Ziel, bei einer Über-oder Unterschreitung des Zubaukorridors sofort Ände-rungen an der monatlichen Degression vornehmen zukönnen. Bei der hierfür angedachten Verordnungser-mächtigung für das BMU im Einvernehmen mit demBMWi fehlt mir allerdings noch die notwendige Beteili-gung des Parlaments. Wir werden hier noch eine geeig-nete Lösung finden.Meine Damen und Herren, um die Photovoltaik näheran den Markt heranzubringen, wird künftig nur noch einbestimmter Prozentsatz – 85 bis 90 Prozent der Strom-
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19178 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Klaus Breil
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menge – vergütet. Die nicht vergüteten Strommengenkönnen entweder selbst verbraucht oder am Markt ver-kauft werden. Gleichzeitig fällt der Eigenverbrauchsbo-nus nach dem EEG 2012 weg. Die EEG-Kosten werdenso weiter entlastet.Noch ein Wort zur EU-Effizienzrichtlinie. Deutsch-land hat seit Jahren einen rückläufigen Energieverbrauchund dennoch ein beachtliches wirtschaftliches Wachs-tum. Diese Entkopplung von Energieverbrauch undWirtschaftswachstum haben nur wenige andere EU-Mit-gliedstaaten geschafft. Natürlich bekennen wir uns zudem Ziel, die Energieeffizienz bis 2020 um 20 Prozentzu steigern.Vielen Dank.
Jetzt hat Waltraud Wolff das Wort für die SPD-Frak-
tion.
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen undKollegen! Bei diesem Thema geht es insbesondere umdie Arbeitsplätze in Ostdeutschland. Deshalb, HerrBreil, hören Sie einmal gut zu; Sie können vielleichtnoch etwas lernen.Das Solarmagazin Photon hat in seiner aktuellen Aus-gabe Herrn Minister Röttgen zum „Solarfeind Nr. 1“ er-klärt.
In einem offenen Brief hat die Redaktion in Gänze sei-nen Rücktritt gefordert und gefragt, für wie dumm er dieLeute eigentlich hält. In den letzten Tagen habe ich vielmit Betriebsräten gesprochen. Ich kann Ihnen sagen: DieLeute im Land sind nicht dumm. Sie sehen ganz genau,dass die schwarz-gelbe Bundesregierung bei der Photo-voltaik einen Kahlschlag vornehmen will. Sie sehenauch, dass es hier um ihre Arbeitsplätze geht.Herr Minister Rösler, es wurde vorhin schon ange-sprochen: Keiner redet über die Verbraucher. Auch Ar-beitnehmer und Arbeitnehmerinnen sind Verbraucher.Ich rede über sie. In Sachsen-Anhalt hält sich Q-Cells,eines der ersten und größten Unternehmen der Branche,so gerade noch über Wasser. Herr Breil, die Angestellten– es geht um 1 650 Arbeitsplätze – produzieren dort zu40 Prozent für den deutschen Markt, nicht für China;
China produziert auch nicht für den hiesigen Markt. Die-sen Markt, meine Damen und Herren, will die Bundesre-gierung trockenlegen. Ist das der Todesstoß nicht nur fürQ-Cells? Fakt ist doch, dass jeder verlorene Arbeitsplatzin der Solarbranche auf das Konto der Herren MinisterRösler und Röttgen gehen wird.
Meine Damen und Herren, noch im August 2010 hatHerr Röttgen in Thüringen die „hochwertigen Arbeits-plätze“ in der Solarindustrie gelobt. Seitdem wird diePhotovoltaikbranche aber ständig ausgebremst. Was be-deutet der jetzige, der aktuelle Schritt? Der Zubau wirdbegrenzt. Herr Röttgen, Sie vernichten jetzt die Arbeits-plätze, die Sie noch 2010 hoch gelobt haben.
Die Solarbranche … schafft gerade in Ostdeutsch-land viele hochwertige Arbeitsplätze.So ließ sich Herr Röttgen noch im vorletzten Jahr zi-tieren; es ist auch ein Thema dieser Aktuellen Stunde. Esstimmt: 12 500 Arbeitsplätze sind es schon allein bei denPV-Herstellern im Solar Valley in Mitteldeutschland. Ineinem Standortgutachten zur Entwicklung in Ost-deutschland heißt es: 18,4 Prozent der ErwerbstätigenDeutschlands arbeiten im Osten der Republik; im Be-reich der Photovoltaik sind es 32,6 Prozent, bei den in-dustriellen Herstellern ganze 57,1 Prozent. Damit istganz klar belegt, dass die Photovoltaikbranche die zweit-wichtigste auf dem ganzen ostdeutschen Arbeitsmarktist.
Nun kann man sich heute hier die Frage stellen: Wirddas so bleiben? In Bitterfeld bangen die Mitarbeiter vonQ-Cells. Bei First Solar in Frankfurt an der Oder gibt esab morgen Kurzarbeit. Mein Herz ist bei den Kollegen inFrankfurt .
Betroffen sind 1 200 Mitarbeiter. Auch das sind Verbrau-cherinnen und Verbraucher.
Auch bei Conenergy fängt man jetzt mit Kurzarbeit an;die ersten Mitarbeiter wurden sogar entlassen.Meine Damen und Herren, das EEG ist doch eine Er-folgsgeschichte.
Die Erneuerbaren haben sich durchgesetzt. Es gibt erfolg-reiche Technologien. Ostdeutschland hat hochqualifi-zierte Arbeitsplätze gewonnen. Aber diese Bundesregie-rung reißt alles ein. Die Zeche zahlen die Unternehmer,die auf Zukunft gesetzt haben, und die Arbeitnehmerin-nen und Arbeitnehmer.
Herr Röttgen, Photon scheint recht zu haben: Als Um-weltminister sollten Sie an dieser Stelle Ihren Hut neh-men. Anstatt auf diese Entwicklung stolz zu sein, setzen
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19179
Waltraud Wolff
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Sie hier die Axt an, zielen auf den Solarstrom und treffendamit den Klimaschutz und den Aufbau Ost.
Meine Damen und Herren, zum Schluss vielleicht einkleiner Blick in die Geschichte. Noch vor 100 Jahren be-herrschte ein Land, das Großbritannien heißt, den Welt-markt. Dann hat es in Deutschland Vorreiter gegeben.Vorhin ist Siemens angesprochen worden; es gab nochmehr Vorreiter. Sie haben es geschafft, die deutscheWirtschaft durch Vordenken auf die Gewinnerstraße zubringen und zum Exportweltmeister zu machen. DieBundesregierung und die beiden Minister, die heute hierim Mittelpunkt stehen, führen diese Branche auf die Ver-liererstraße.
Es ist ein trauriger Tag, wenn es dabei bleibt.Vielen Dank.
Jetzt spricht Franz Obermeier für die CDU/CSU-
Fraktion.
Frau Präsidentin! Kolleginnen und Kollegen! Vor we-nigen Tagen wurde in Deutschland das Ergebnis einerUmfrage veröffentlicht, in der die Frage gestellt wurde:Welcher Fraktion im Deutschen Bundestag würden Siedie größte Problemlösungskompetenz zumessen? DasErgebnis: Die SPD ist marginalisiert, und die Grünenspielen keine Rolle.
Warum sage ich das? Weil diese Aktuelle Stunde deneinschlägigen Beweis dafür liefert, dass hier mit Argu-menten gearbeitet wird, die alles andere als stichhaltigsind und die ausschließlich der Verwirrung unserer Bür-gerinnen und Bürger dienen.
Ich möchte mich als Erstes mit dem Argument aus-einandersetzen, dass die Novellen zum EEG, die dieseBundesregierung auf den Weg gebracht hat, die Ursachedafür sind, dass in Deutschland Arbeitsplätze in der Pho-tovoltaikindustrie gefährdet sind. In den zurückliegen-den zwei Jahren hatten wir einen Aufwuchs im BereichPhotovoltaik in einem Ausmaß, das wir volkswirtschaft-lich nicht mehr vertragen. Deswegen muss jetzt korri-giert werden.
Trotzdem haben wir uns gegen Ende vergangenen Jahresmit der Insolvenz von Solon auseinandersetzen müssen,und das, obwohl die Nachfrage nach Modulen inDeutschland so hoch war wie nie.
Frau Kollegin Wolff, allein dieses eine Beispiel wi-derlegt Sie eindeutig: Die Ursache für den Niedergangder Solarbranche, den wir hoffentlich in Grenzen haltenkönnen, ist eben nicht der deutsche Markt.
Nein, die Ursache sind der weltweite Wettbewerb undder Aufbau von Produktionsüberkapazitäten, insbeson-dere in China. Auch ich beklage die Tatsache, dass inChina mit Mitteln gearbeitet wird, die wir als Anhängerder sozialen Marktwirtschaft nicht tolerieren können.Staatliche Subventionen für Produkte, die den Wettbe-werb auf dem Weltmarkt verfälschen, das entsprichtnicht unseren Vorstellungen.Lassen Sie mich ein paar Worte zur aktuellen Diskus-sion über den Vorschlag der Bundesregierung sagen. Na-türlich werden wir über den Stichtag reden.
– Selbstversändlich werden wir über den Stichtag reden. –Es gilt das Struck’sche Gesetz:
Noch kein Gesetz hat das Parlament so verlassen, wie eshineingekommen ist. Das ist das eine.Das andere ist
die Verordnungsermächtigung.
Ich gebe ganz offen zu, dass ich mich furchtbar schwerdamit tue, meine Meinung von 2008 und 2009 – damalshaben wir schon einmal über dieses Thema gesprochen –zu ändern. Es gäbe zwar Gründe, weil zumindest in ei-nem Ministerium mittlerweile mehr Sachverstand vor-handen ist; das will ich gerne zugestehen. Aber ich binauch der Auffassung, dass das Parlament bei diesen Ent-scheidungen das Heft des Handelns in der Hand haltensollte.
Zum Abschluss noch ein Wort zum Thema Eigenver-brauch. Die Regelung zur Eigenverbrauchsvergütung,die Minister Röttgen bei der vorletzten Novelle zumEEG eingeführt hat, war ein erster, für meine Begrifferichtiger Schritt. Wenn man das ganze System jetzt so
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19180 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012
Franz Obermeier
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umstellt, dass wir von der erzeugten Strommenge pau-schal prozentual etwas abziehen, dann ist auch das eineMöglichkeit, vermutlich sogar eine bessere Möglichkeitals die freiwillige Inanspruchnahme.Wir werden die Energiewende so gestalten, dass sievolkswirtschaftlich verträglich ist, dass sie keinen be-sonderen Schaden anrichtet; denn wir haben die Gesamt-verantwortung für die Volkswirtschaft in Deutschland.
Wir sind mit dem Herzen nicht nur bei den Mitarbeite-rinnen und Mitarbeitern in der Photovoltaikindustrie,sondern bei allen Mitarbeitern in der gesamten deut-schen Wirtschaft. Denen fühlen wir uns verantwortlich,und so werden wir Politik betreiben.Herzlichen Dank.
Der letzte Redner in der Aktuellen Stunde ist der Kol-
lege Jens Koeppen für die CDU/CSU-Fraktion.
Vielen Dank. – Frau Präsidentin! Meine lieben Kolle-ginnen und Kollegen! Ich versuche einmal, die Debattezusammenzufassen: Es besteht Konsens – das habe ichfestgestellt –, dass der Umbau der Energieversorgungnach wie vor eine der größten Herausforderungen unse-rer Zeit ist; darin sind wir uns einig.Ich möchte mich auf ein paar Kernaussagen dieserDebatte konzentrieren. Ich fange bei der Energieeffi-zienz an. Dieses Thema ist aus meiner Sicht ein bisschenzu kurz gekommen.
Wir wollen die Energieeffizienz steigern. Die Energie,die wir nicht verbrauchen, müssen wir nicht erzeugen.Ich glaube, das ist die beste Alternative. Auf diesem Ge-biet müssen wir mehr tun. Wir geben auf europäischerEbene pro Jahr 400 Milliarden Euro für Energieimporteaus. Wir wollen einen großen Teil dieses Geldes um-schichten, damit nicht mehr so viele Energierohstoffeeingekauft werden müssen. Das entspricht unseremEnergieeffizienzansatz. Wir wollen in Energieeffizienz-technologie investieren. Das spart Ressourcen, dasschont die Umwelt, und das schafft vor allen Dingen Ar-beitsplätze hier bei uns im Land. Darauf müssen wirmehr Wert legen.
Es gibt die ganz hervorragende und erfolgreiche Export-initiative Energieeffizienz – die gibt es allerdings schonseit 2007 –: „Energieeffizienz – Made in Germany“. Aufdiesem Gebiet müssen wir noch ein bisschen mehr tun.
Es wurde bereits gesagt, dass die Bezahlbarkeit derEnergie an oberster Stelle steht. Das kann ich nur unter-stützen. Energie darf kein Luxusgut werden. Die EEG-Umlage darf – das haben wir ins Konzept geschrieben –3,5 Cent pro Kilowattstunde nicht überschreiten. DieWettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie muss ge-währleistet bleiben. Hohe Energiepreise sind heutzutagedie größte Wirtschaftsbremse. Weit vor den Personalkos-ten stehen die Energiekosten, und die müssen wir imAuge behalten.
In diesem Zusammenhang wurde hier immer wiederüber Arbeitsplätze gesprochen. Ich möchte ganz deutlichsagen, dass wir die Arbeitsplätze auf keinen Fall gegen-einander ausspielen dürfen: auf der einen Seite die gutenArbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien undauf der anderen Seite die weniger guten im Bereich derIndustrie.
Wenn wir das machen, haben wir schon verloren. Unssind alle Arbeitsplätze in Deutschland wichtig. Ich for-dere Sie auf, unseren Kurs mitzutragen.
Am meisten wurde hier darüber diskutiert, dass dieEnergieversorgung zum überwiegenden Teil durch dieNutzung erneuerbarer Energien erfolgen soll. Das heißt,dass wir das Zeitalter der erneuerbaren Energien ge-meinsam beginnen wollen. Dazu brauchen wir aber An-reize und nicht Dauersubventionen. Das EEG – das istjetzt, glaube ich, die fünfte Novelle – ist eine gute Idee,wenn es um Energieversorgung geht.
Hier hatte ich aber immer wieder den Eindruck – vor al-len Dingen bei Ihnen, den Sozialdemokraten –, dass esum enttäuschte Renditeerwartungen geht. Es geht umVergütungssätze – hoch und runter.
In den Diskussionen im Ausschuss geht es immer wiederum den NaWaRo-Bonus. Es geht um den Güllebonusund um die Maisquote; aber es geht nicht um Energie-versorgung. Deswegen sage ich: Im Zusammenhang mitdem Erneuerbare-Energien-Gesetz muss es wieder umdie Energieversorgung in Deutschland gehen. Dazu rufeich Sie auf.
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Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 161. Sitzung. Berlin, Mittwoch, den 29. Februar 2012 19181
Jens Koeppen
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Wir brauchen bezahlbare, sichere Energie. Es mussauch wieder über Grundlasten gesprochen werden. Esmuss über Lastmanagement gesprochen werden.
Es muss über Regelenergie gesprochen werden.
Es muss darüber gesprochen werden, wie dafür gesorgtwerden kann, dass die Regelenergie bezahlbar bleibt. Esmuss über Energietransporte gesprochen werden, überNetzausbau, über Speichertechnologie und nicht nurüber den Bonus.Es kann einfach nicht sein, dass wir auf der einenSeite erneuerbare Energien, die überschüssig sind, ex-portieren und auf der anderen Seite teuren Kernenergie-strom aus Frankreich oder Temelin importieren. Dasmuss der Vergangenheit angehören. Wir wollen, dass dasGanze im Kontext gesehen wird.
Meine Damen und Herren, man sollte innovativ seinund nicht 20 Jahre lang blind einspeisen. Blind einzu-speisen, das bewirkt, dass Unternehmer satt und trägewerden. Das EEG braucht viel stärkere Innovations-ansätze. Wir müssen es zu einem wahren Innovations-gesetz fortschreiben. Sie glauben doch nicht wirklich,dass Sie mit höheren Vergütungssätzen Arbeitsplätze si-chern können. Arbeitsplätze bleiben nur dann erhalten,wenn Qualität und technologische Leistungsfähigkeitkaufentscheidend sind. Den Wettbewerb mit Asien wer-den wir nicht gewinnen, auch wenn wir die Vergütungs-sätze um 10 Cent erhöhen. Die Rendite durch den Ver-kauf chinesischer Module wird immer höher als dieRendite durch den Verkauf unserer Module sein. Dasmüssen wir doch endlich einmal begreifen.
Das EEG muss die Branche zu Innovation ermuntern.Ein überhitzter Markt, ein überstürzter Umbau, extremhohe Zubauraten und die ständige Jahresendrallye scha-den der Branche. Die deutsche PV-Industrie muss mitInnovationen am Weltmarkt gehalten werden. Deswegenfordere ich Sie auf, diese Novelle zu unterstützen.Vielen herzlichen Dank.
Die Aktuelle Stunde ist beendet.
Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-
ordnung.
Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf morgen, Donnerstag, den 1. März 2012,
9 Uhr, ein.
Genießen Sie den Abend und die gewonnenen Ein-
sichten.
Die Sitzung ist geschlossen.