Protokoll:
17160

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Metadaten
  • date_rangeWahlperiode: 17

  • date_rangeSitzungsnummer: 160

  • date_rangeDatum: 27. Februar 2012

  • access_timeStartuhrzeit der Sitzung: 15:00 Uhr

  • av_timerEnduhrzeit der Sitzung: 18:00 Uhr

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  • tocInhaltsverzeichnis
    Plenarprotokoll 17/160Inhaltsverzeichnis Peer Steinbrück (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rainer Brüderle (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Volker Kauder (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Renate Künast (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Hermann Otto Solms (FDP) . . . . . . . . . . . Carsten Schneider (Erfurt) (SPD) . . . . . . . . . . Gerda Hasselfeldt (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/ (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . Heike Hänsel (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . Nicole Gohlke (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . Inge Höger (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . Namentliche Abstimmung . . . . . . . . . . . . . . . Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Nächste Sitzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19081 C 19085 C 19087 D 19090 A 19090 D 19092 C 19094 D 19095 D 19096 D 19109 C 19110 A 19110 C 19111 A 19105 A, B 19105 C 19111 D Deutscher Bundestag Stenografischer Bericht 160. Sitzung Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 I n h a l t : Tagesordnungspunkt 1: a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die Bundeskanzlerin: Finanzhilfen für Griechenland und Europäischer Rat am 1./2. März 2012 in Brüssel . . . . . . . . b) Antrag des Bundesministeriums der Fi- nanzen: Finanzhilfen zugunsten der Hel- lenischen Republik; Einholung eines zu- stimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Sta- bilisierungsmechanismusgesetzes (Stab- MechG) für Notmaßnahmen der Euro- päischen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik (Drucksachen 17/8730, 17/8731, 17/8735) Dr. Angela Merkel, Bundeskanzlerin . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU) . . . . . . . . . Norbert Barthle (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Frank Schäffler (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . Michael Stübgen (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . Kathrin Vogler (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . Dr. Diether Dehm (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . Jutta Krellmann (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . Sevim Dağdelen (DIE LINKE) (Erklärung nach § 31 GO) . . . . . . . . . . . . . Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) 19077 A 19077 B 19077 C 19099 A 19100 A 19101 C 19102 C 19104 C 19108 A 19108 B 19108 D DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Hubertus Heil (Peine) (SPD) . . . . . . . . . . . Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten . . . . . 19097 A 19098 A 19113 A II Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik; Einho- lung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Stab- MechG) für Notmaßnahmen der Europäi- schen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik (Tagesordnungspunkt 1 b) Ingrid Arndt-Brauer (SPD) . . . . . . . . . . . . . . Veronika Bellmann (CDU/CSU) . . . . . . . . . . Karin Binder (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Lothar Binding (Heidelberg) (SPD) . . . . . . . . Christine Buchholz (DIE LINKE) . . . . . . . . . Dr. Peter Danckert (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Werner Dreibus (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Annette Groth (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU) . . . . . . . . . Petra Hinz (Essen) (SPD) . . . . . . . . . . . . . . . . Christian Hirte (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . . Harald Koch (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Manfred Kolbe (CDU/CSU) . . . . . . . . . . . . . Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) . . . . . . . Dr. Erwin Lotter (FDP) . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU) . . . . . Burkhardt Müller-Sönksen (FDP) . . . . . . . . . Jens Petermann (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Richard Pitterle (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sabine Stüber (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . Johanna Voß (DIE LINKE) . . . . . . . . . . . . . . Sahra Wagenknecht (DIE LINKE) . . . . . . . . . Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Funk und Klaus-Peter Willsch (beide CDU/CSU) zur namentlichen Abstim- mung über den Antrag: Finanzhilfen zuguns- ten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Stab- MechG) für Notmaßnahmen der Europäi- schen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik (Tagesordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gerold Reichenbach und Rüdiger Veit (beide SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Finanzhilfen zugunsten der Helleni- schen Republik; Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmecha- nismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnah- men der Europäischen Finanzstabilisierungs- fazilität zugunsten der Hellenischen Republik (Tagesordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Andrej Hunko, Ulla Jelpke und Niema Movassat (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik; Ein- holung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (Stab- MechG) für Notmaßnahmen der Europäi- schen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik (Tagesordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Thilo Hoppe, Maria Klein-Schmeink, Memet Kilic, Monika Lazar und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentli- chen Abstimmung über den Antrag: Finanz- hilfen zugunsten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Euro- päischen Finanzstabilisierungsfazilität zu- gunsten der Hellenischen Republik (Tagesordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martin Burkert, Günter Gloser und Ute Kumpf (alle SPD) zur namentlichen Abstim- mung über den Antrag: Finanzhilfen zuguns- ten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Sta- bilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) 19113 B 19113 D 19114 C 19114 D 19116 A 19116 C 19117 A 19117 D 19118 B 19118 C 19119 A 19119 C 19120 A 19120 B 19120 D 19121 A 19121 B 19121 D 19122 A 19122 D 19123 B 19124 A 19124 A 19124 D 19125 C 19126 B 19126 D 19127 C Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 III für Notmaßnahmen der Europäischen Finanz- stabilisierungsfazilität zugunsten der Helleni- schen Republik (Tagesordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Bätzing-Lichtenthäler, Doris Barnett, Uwe Beckmeyer, Gerd Bollmann, Edelgard Bulmahn, Elvira Drobinski-Weiß, Petra Ernstberger, Karin Evers-Meyer, Elke Ferner, Iris Gleicke, Martin Gerster, Angelika Graf (Rosenheim), Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Klaus Hagemann, Gustav Herzog, Frank Hofmann (Volkach), Dr. h. c. Susanne Kastner, Ulrich Kelber, Gabriele Lösekrug- Möller, Katja Mast, Manfred Nink, Mechthild Rawert, Stefan Rebmann, Dr. Carola Reimann, Sönke Rix, Karin Roth (Esslingen), Ewald Schurer, Frank Schwabe, Rolf Schwanitz, Dr. Carsten Sieling, Christoph Strässer und Franz Thönnes (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Re- publik; Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanis- musgesetzes (StabMechG) für Notmaßnah- men der Europäischen Finanzstabilisierungs- fazilität zugunsten der Hellenischen Republik (Tagesordnungspunkt 1 b) . . . . . . . . . . . . . . . 19128 B 19129 A Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 19077 (A) ) )(B) (C (D 160. Sitzung Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 Beginn: 15.00 Uhr
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    1) Anlage 2 (Cgierung diktieren Griechenland eine fatale Politik und umgehen dabei grundlegende demokratische Verfahrens- weisen. Der Verlust von Souveränitätsrechten, die Ein- richtung eines Sperrkontos zur Schuldenbedienung und das Verbot von Tarifverhandlungen sind Ausdruck die- ses Angriffs. Mit meiner Gegenstimme zum Griechenland-II-Pa- von gut 100 Milliarden Euro abzusichern und umzuset- zen. Das heißt: Die griechischen Staatsschulden werden dadurch nicht sinken. Gleichzeitig wird erzwungen, dass die wachstumsfeindliche Kürzungspolitik weitergeht. So ist die Insolvenz Griechenlands nicht aufzuhalten. (Beifall bei der LINKEN) Ich habe heute gegen das Griechenland-II-Paket ge- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 19113 (A) ) )(B) Anlagen Veronika Bellmann (CDU/CSU): Ich werde den oben genannten Antrag ablehnen und mit Nein stimmen. Ulrich, Alexander DIE LINKE 27.02.2012 Einkommensmillionären entsandt, so die Antwort der Bundesregierung auf die schriftliche Frage 76 für den Monat Februar 2012. Claudia DIE GRÜNEN Senger-Schäfer, Kathrin DIE LINKE 27.02.2012 (C (D Anlagen zum Stenografischen Bericht Anlage 1 Liste der entschuldigten Abgeordneten Anlage 2 Erklärungen nach § 31 GO zur namentlichen Abstimmung über den An- trag: Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusge- setzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität zu- gunsten der Hellenischen Republik (Tagesord- nungspunkt 1 b) Ingrid Arndt-Brauer (SPD): Ich stimme dem oben genannten Antrag nicht zu, weil ich das zweite Rettungs- paket für nicht zielführend halte, um die wirtschaftliche Situation in Griechenland langfristig zu verbessern. Mit den vorgesehenen Maßnahmen ist eine Stabilisierung der Finanzwirtschaft möglich. Im Gegenzug muten wir der griechischen Bevölkerung jedoch Einschnitte zu, die wir der deutschen Bevölkerung kaum abverlangen wür- den. Die Stabilisierung der Finanzwirtschaft allein ist zur Erzeugung von wirtschaftlichem Wachstum nicht ausrei- chend. Notwendig sind zeitgleich zum Rettungspaket einsetzende umfangreiche Fördermaßnahmen zum Auf- bau einer leistungsfähigen Wirtschaft und (Steuer-)Ver- waltung. Mit dem zweiten Rettungsschirm erkauft sich die Bundesregierung – wie bereits beim ersten Rettungs- schirm – erneut ausschließlich Zeit zur Stabilisierung der griechischen Haushaltslage. Diese Zeit wurde bisher nicht oder nur in völlig unzureichendem Maße genutzt, um die strukturellen Defizite in Wirtschaft und Verwal- tung in Griechenland gezielt zu beheben. So wurden bei- spielsweise von der Bundesregierung bislang lediglich fünf deutsche Finanzbeamte zur Verbesserung der Steu- ererhebung, bei der Außenprüfung und bei der Besteue- rung von Selbstständigen mit großen Einkommen und Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich Bär, Dorothee CDU/CSU 27.02.2012 Beck (Reutlingen), Ernst-Reinhard CDU/CSU 27.02.2012 Bluhm, Heidrun DIE LINKE 27.02.2012 Bracht-Bendt, Nicole FDP 27.02.2012 Brinkmann (Hildesheim), Bernhard SPD 27.02.2012 Burchardt, Ulla SPD 27.02.2012 Dreibus, Werner DIE LINKE 27.02.2012 Friedhoff, Paul K. FDP 27.02.2012 Haustein, Heinz-Peter FDP 27.02.2012 Hörster, Joachim CDU/CSU 27.02.2012 Dr. Hofreiter, Anton BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN 27.02.2012 Humme, Christel SPD 27.02.2012 Kaczmarek, Oliver SPD 27.02.2012 Kipping, Katja DIE LINKE 27.02.2012 Körper, Fritz Rudolf SPD 27.02.2012 Dr. h.c. Koppelin, Jürgen FDP 27.02.2012 Kramme, Anette SPD 27.02.2012 Leidig, Sabine DIE LINKE 27.02.2012 Leutert, Michael DIE LINKE 27.02.2012 Marks, Caren SPD 27.02.2012 Pronold, Florian SPD 27.02.2012 Roth (Augsburg), BÜNDNIS 90/ 27.02.2012 Werner, Katrin DIE LINKE 27.02.2012 Abgeordnete(r) entschuldigt bis einschließlich 19114 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 (A) ) )(B) (C (D Dem ersten Griechenland-Paket habe ich noch zuge- stimmt, weil ich hoffte, in der „gekauften“ Zeit könnte anhand des Sonderfalls Griechenland eine Staatsinsol- venzverordnung für den Euro-Raum mit einem Insol- venzplanverfahren, das auf den Weg der Wettbewerbsfä- higkeit zurückführt, erarbeitet werden. Ein Ende mit Schrecken, das weder einen Schulden- noch einen Wäh- rungsschnitt zum Tabu erklärt hätte, wäre allemal heilsa- mer gewesen als die bisherige Entwicklung des Schre- ckens ohne Ende. Nun ist festzustellen, dass Griechenland kein Sonder- fall, sondern ein Sündenfall geworden ist, der für den Euro-Raum zu einer fragwürdigen Rettungspolitik ge- führt hat. Insofern ist ein Punkt erreicht, der kaum noch eine Umkehr zulässt. In dem Moment, in dem Staatsinsolvenz und Wäh- rungsaustritt immer wieder zum Tabu erklärt werden, besteht keinerlei Anreiz für Griechenland, seine Verhält- nisse im Sinne von funktionierender staatlicher Verwal- tung, Strukturreform, Steuerpolitik, Wirtschaftswachs- tum in absehbarer Zeit zu ordnen. Stattdessen stoßen wir auf ein ziemlich hohes Erpressungspotenzial, das bei fast unerreichbarer Zusage von Auflagenerfüllung eine Ali- mentationsspirale in Gang setzt. Das heißt, nach dieser Logik sind weitere Hilfsprogramme nicht nur nicht aus- zuschließen, sondern geradezu notwendig. Das aber wie- derum ist zum einen der unabwendbare Gang in die Haf- tungs- und Transferunion, der weder dem Europa der Vaterländer noch dem europäischen Steuerzahler zuzu- muten ist. Zum anderen kommen die Notmaßnahmen, die auf 728 Seiten des vorliegenden Antrages zusammengefasst sind, einem vollkommen neuen Staatsaufbau gleich. Das mag 1990 zwischen Ost- und Westdeutschland funktio- niert haben, weil die Bürger der ehemaligen DDR diesen neuen Staatsaufbau auf der Straße förmlich herbeide- monstriert haben. Das funktioniert aber nicht gegenüber einem souveränen Staat, dessen politische, wirtschaftli- che und gesellschaftliche Elite kaum Interesse an einem hausgemachten Staatsaufbau und einer effizienten Staatsverwaltung hat. In einem Land, wo diese Men- schen für ihren Schlendrian die Instrumentalisierung der einfachen Bevölkerung in Kauf nehmen und sie damit auf die Straße treiben, um nicht für, sondern gegen not- wendige Strukturreformen zu demonstrieren, funktio- niert das aber nicht. Der bevorstehende Wahlkampf wirft diesbezüglich ebenfalls seine Schatten voraus. Für so ein Land nun aber Programme aufzulegen, die auf der Er- wartung eines jährlichen Wirtschaftswachstums höher als in Deutschland und auf der Erwartung, in drei Jahren könne es wieder an den Kapitalmarkt zurückkehren, auf- bauen, halte ich nicht nur für illusorisch, sondern gera- dezu für fahrlässig. Es wäre dennoch jetzt die Chance gegeben, auch im Euro-Raum für eine Strategie nach der Verhandlungsme- chanik früherer Umschuldungen vorzugehen. Diese könnten für die staatlichen Gläubiger nach den Vorgaben des Pariser Clubs und für die privaten Gläubiger nach denen des Londoner Clubs ablaufen. Griechenland würde die Verhandlungen wieder in die eigenen Hände nehmen. Europäische Regierungen müssten keine unzu- mutbaren Bedingungen mehr stellen. Sie können die für Griechenland vorgesehenen Gelder für die Zeit nach der Umschuldung zusagen, um den Prozess zu erleichtern, bis das Land wieder Zugang zum Kapitalmarkt hat. Eine gleichzeitige Genehmigung, parallel zum Euro eine ei- gene nationale Währung einzuführen, um innere Abwer- tungen vornehmen zu können, würde den Weg zur Wett- bewerbsfähigkeit erleichtern. Karin Binder (DIE LINKE): Ich habe heute gegen den Antrag „Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik“ des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) gestimmt, weil mit dieser vermeintlichen Hilfe die schärfsten Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen von Griechenland erzwungen werden. Dies ist nicht nur un- sozial und unmenschlich, sondern wird das Land noch viel tiefer in die bestehende Krise treiben. Das den Griechinnen und Griechen insbesondere von der deutschen Bundesregierung aufgezwungene Spar- diktat lehne ich entschieden ab. So soll etwa der Min- destlohn in Griechenland von derzeit 4,38 Euro weiter auf lediglich noch 3,48 Euro pro Stunde abgesenkt wer- den. Das Arbeitslosengeld soll um 30 Prozent auf gerade noch 322 Euro monatlich gekürzt werden. Das bedeutet blanke Armut im reichen Europa. Und es sind noch wei- tere unsoziale Sparorgien in Planung. Dies geht zulasten einer Mehrheit der Griechinnen und Griechen, die in den vergangenen zwei Jahren bereits sozial deklassiert wur- den. Meine Solidarität gilt den Menschen in Griechenland, den Arbeiterinnen und Arbeitern, den Schülerinnen und Schülern, den Studentinnen und Studenten, den Rentne- rinnen und Rentnern und all denjenigen Menschen, die von Armut und sozialer Unsicherheit betroffen sind. Was heutzutage anlässlich der Finanz- und Wirt- schaftskrise notwendig wäre, wäre ein Schutzschirm für die Bürgerinnen und Bürger, die wir im Regen stehen lassen. Die Banken und Konzerne haben ihre Schäfchen bereits ins Trockene gebracht. Deshalb habe ich heute gegen den Antrag „Finanzhilfen zugunsten der Helleni- schen Republik“ gestimmt. Lothar Binding (Heidelberg) (SPD): Am Freitag dem 24. Februar 2012, erhalte ich den Antrag des BMF „Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deut- schen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisie- rungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaß- nahmen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik“. Dieser ist auch im Intranet des Bundestages als Drucksache 17/8730 verfügbar. Die dem Antrag zugrunde liegenden Anlagen von circa 750 Seiten waren als Drucksache 17/8731 im Intra- net des Bundestages verfügbar und lagen dem Haus- haltsausschuss am Freitag, dem 24. Februar 2012, als Tischvorlage vor. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 19115 (A) ) )(B) (C (D Die Entscheidung im Bundestag fällt heute, am 27. Februar 2012. Diese Beratungsfolge zur Vorbereitung einer Ent- scheidung über 130 Milliarden Euro, also einem Volu- men, das etwa der Hälfte des Bundeshaushalts ent- spricht, kann dem Anspruch einer demokratischen Beteiligung des Parlaments bzw. der Entscheidungskom- petenz des Parlaments nicht genügen. Damit macht die Bundesregierung das Parlament zum Getriebenen der Finanzmärkte. Ursache für diese Ent- wicklung ist auch die extreme Wankelmütigkeit von Bundeskanzlerin Merkel, die mit ihrem Zickzackkurs – zunächst die „Eiserne Kanzlerin“, die keinen Cent für die Griechen geben will, dann die große Europäerin und Wahlkämpferin für den französischen Präsidenten, die nun doch die Notwendigkeit der Hilfen für Griechenland entdeckt – die Spekulation mit Staatsanleihen und Kre- ditausfallversicherungen angetrieben hat. Durch diese Zickzackbewegung der CDU/CSU-FDP-Regierung ist nicht nur wichtige Zeit für die parlamentarische Be- ratung verloren gegangen – viel dramatischer ist es, dass nun viele Maßnahmen sehr spät kommen, die wir zu einer Zeit, in der die Kanzlerin so eisern war, vermisst haben. Schon dies allein wäre Grund genug, die Regie- rungsvorlage abzulehnen. Gleichwohl habe ich meine Zustimmung zum Ab- schluss einer Vereinbarung über Notmaßnahmen der EFSF zugunsten Griechenlands in Form von Darlehen – zweites Hilfspaket für Griechenland – erteilt, weil ein Staatsbankrott Griechenlands und alle mir bekannten Al- ternativen, Griechenland nicht zu helfen, Deutschland und Europa nicht nur finanziell unberechenbar hohe Kosten aufbürden würden, darüber hinaus wäre auch ein politisch unverantwortlich hoher Preis zu zahlen. Das Risiko einer Zustimmung ist abschätzbar, eine Ableh- nung ist unkalkulierbar. Viele Bürgerinnen und Bürger, Populärwissenschaft- ler und Lobbyisten haben mich aufgefordert, diesem Hilfspaket nicht zuzustimmen – in keiner einzigen Zu- schrift gab es konkrete realistische, also realisierbare an- dere Lösungsvorschläge, in keiner Zuschrift wurden die Kosten bzw. der Preis der Ablehnung beziffert oder be- schrieben. Außerdem bin ich der festen Überzeugung, dass die finanzielle und gesellschaftliche Stabilisierung Griechenlands und damit Europas nur mit der solidari- schen Hilfe der Euro-Länder und nur innerhalb der Euro- päischen Union gelingen kann. Durch die oben genannten Verzögerungen infolge der Wankelmütigkeit der Kanzlerin war es möglich, dass rei- che Griechen ihr Vermögen außer Landes brachten. Nun Griechenland in die Staatsinsolvenz zu schicken, würde die Beteiligung der Vermögenden an der Sanierung Grie- chenlands endgültig vereiteln, aber die Sparguthaben der Griechen mit geringerem Einkommen vernichten. Leider ist die Regierung Merkel noch immer nicht auf dem Pfad, Griechenland mit einer neuen Sozialpolitik, mit Wachstumsimpulsen und einer Stärkung der Verwal- tung zu helfen. Wahrscheinlich müssen diese Aufgaben andere, spätere Regierungen lösen. Im Gegenteil werden gegenwärtig den Griechen Auflagen diktiert – als Vo- raussetzung zur finanziellen Hilfe –, von denen ich mir nicht vorstellen kann, dass sie in den geforderten Fristen erfüllbar sind. Ich denke dabei an Einschnitte in die Ta- rifautonomie, an Lohnkürzungen, an die Privatisierung des Gesundheitswesens, an ein neues Steuersystem, an Entlassungen aus dem öffentlichen Dienst etc. etc. Diese Strangulierungsbedingungen werden Investoren ab- schrecken und Griechenland weder sozial- noch wirt- schaftspolitisch auf die Beine helfen. Deshalb darf es nicht bei den jetzigen Beschlüssen bleiben – die Maßnahmen im Entschließungsantrag der SPD-Fraktion müssen dringend folgen. Andernfalls dient die Hilfe vornehmlich der Befriedigung der Gläu- biger Griechenlands. Mit teilweise gleichlautenden Formulierungen wie in der Erklärung von Rolf Schwanitz kritisiere ich das bis- herige Handeln der Bundesregierung, die in ihrem Kri- senmanagement stets zu spät und unterkomplex agierte, insbesondere, – dass die Notmaßnahmen im ersten und zweiten Hilfs- paket zu einseitig auf die Stabilisierung der Staatsaus- gaben orientieren – diese Orientierung hat die griechi- sche Wirtschaft zusätzlich belastet und das Land in eine mehrjährige Rezession getrieben –, – dass die Maßnahmen in ihrer Unausgewogenheit ei- nen sozialen Sprengstoff beinhalten, der geeignet ist, die Demokratie in Griechenland nachhaltig zu er- schüttern, – dass der finanzielle Nutzen der Maßnahmen überhöht und die Probleme bei deren Realisierung nur unzurei- chend beschrieben werden – insbesondere die Zeit- korridore für die Umsetzung der gesetzgeberischen Maßnahmen, die der Regierung Griechenlands einge- räumt werden, sind zu kurz und erkennbar unrealis- tisch –, – dass eine Beteiligung privater Gläubiger zu spät er- wogen und umgesetzt worden ist – dadurch ist die Wirkung des Schuldenschnitts im Sinne einer nach- haltigen Entlastung Griechenlands erheblich reduziert worden –, – dass die Notmaßnahmen bisher nicht durch einen hinreichenden Wachstumsimpuls für Griechenland – Marshallplan – ergänzt worden sind – allein durch Fiskalpolitik kann eine nachhaltige Stabilisierung des griechischen Staatshaushaltes nicht gelingen –, – dass die Notwendigkeit, die Dimension, aber auch die Dauer der erforderlichen Hilfen für Griechenland ge- genüber der deutschen Bevölkerung nur unzureichend beschrieben werden – tatsächlich handelt es sich bei der finanziellen und gesellschaftlichen Stabilisierung Griechenlands um eine Generationenaufgabe; sie erfordert aber die Bereitschaft der Griechen zu schmerzlichen Veränderungen ebenso wie die Bereit- schaft der Deutschen zur solidarischen Unterstüt- zung –, – dass flankierende Maßnahmen in Deutschland – der Exportüberschuss Deutschlands hat seine Entspre- 19116 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 (A) ) )(B) (C (D chung in der Schuldenlage Griechenlands – bisher sträflich vernachlässigt, ja sogar abgelehnt wurden. Als einziges Beispiel sei hier nur der von CDU/CSU und FDP abgelehnte Mindestlohn genannt. Heute auf den Tag genau vor 59 Jahren hat die damals junge Bundesrepublik Deutschland das Londoner Schul- denabkommen unterzeichnet. Nach der moralischen Katastrophe und dem unermesslichen Leid zweier Welt- kriege haben damals 70 Staaten, darunter auch Griechen- land, einem 50-prozentigen Erlass der deutschen Vor- und Nachkriegsschulden zugestimmt. Dieser Schulden- schnitt war zusammen mit dem Marshallplan die Grund- lage für den raschen wirtschaftlichen Aufstieg der Bun- desrepublik. Wir haben allen Grund, uns bei unseren heutigen Entscheidungen an die eigene Geschichte zu er- innern. Christine Buchholz (DIE LINKE): Mein Nein im Bundestag ist ein Ja zum Widerstand. Ich stimme heute gegen den Antrag der Bundesregie- rung, den sie als „Finanzhilfen zugunsten der Helleni- schen Republik“ bezeichnet. Sie will uns damit weisma- chen, es ginge ihr darum, den Griechen zu helfen. Das ist eine Lüge. Kein einziger Cent der bereitgestellten 130 Milliarden Euro wird der griechischen Bevölkerung zugutekommen. Der griechische Staat erhält das Geld, um seine Schulden bei deutschen, französischen und griechischen Banken abzutragen. Der Rettungsschirm wird nicht für die griechische Bevölkerung aufgespannt, sondern für die europäischen Banken. Ich stimme heute mit Nein, weil nicht die belohnt werden dürfen, die die Krise selbst mit zu verantworten haben. Und ich stimme mit Nein, weil es die griechi- schen Lohnabhängigen und Armen sind, die dafür am Ende zahlen sollen. Jeder Euro, der bereitgestellt wird, soll zu überhöhten Zinsen zurückgezahlt werden. Bezah- len sollen die griechischen Beschäftigten, deren Löhne auf Hungerniveau gestutzt werden, die ihren Arbeits- platz verlieren, deren Renteneinlagen gestohlen werden. Ich stimme mit Nein, weil diese Politik nur mit einem Diktat von außen erzwungen werden kann. Der soge- nannte Rettungsschirm ist in Wirklichkeit eine Waffe, mit der Griechenland die Souveränität über seinen eige- nen Haushalt verliert. Die Troika aus EZB, Europäischer Kommission und IWF hebelt die Demokratie aus, um ei- nen Wirtschaftskrieg gegen die griechische Arbeiter- klasse führen zu können. Auch die Beschäftigten in Deutschland zahlen für diese Politik. Es sind ihre Steuergelder, die in die Ban- kenrettungsschirme fließen. Um uns irrezuführen, wer- den uns die griechischen Arbeiter als Schuldige präsen- tiert. Nein, die griechischen Arbeiter sind nicht „faul“. Sie haben auch nicht „über ihre Verhältnisse“ gelebt. Ich stimme mit Nein, weil ich dagegen bin, dass die Be- schäftigten von den Herrschenden in Europa gegenei- nander ausgespielt werden. Was wir brauchen, sind euro- paweite Mindestlöhne. Was wir brauchen, ist die Verstaatlichung der Banken. Die Finanzmärkte müssen an die Kette gelegt werden. Nur so kann verhindert wer- den, dass ganze Staaten in den Bankrott spekuliert wer- den. Mein Nein im Bundestag ist ein Ja zum Widerstand. Ich unterstütze die Streiks der griechischen Gewerk- schaften gegen das Spardiktat der Troika. Und ich unter- stütze die geplanten Proteste des Frankfurter Banken- viertels gegen die Macht der Finanzmärkte im kommenden Mai. Die Solidarität im Widerstand ist es, die das Spardiktat der herrschenden Klasse brechen kann. Dr. Peter Danckert (SPD): Ich habe meine Zustim- mung zum Abschluss einer Vereinbarung über Notmaß- nahmen der EFSF zugunsten Griechenlands in Form von Darlehen – zweites Hilfspaket für Griechenland – erteilt, weil ein Staatsbankrott Griechenlands abgewendet wer- den muss und weil ich der festen Überzeugung bin, dass die finanzielle und gesellschaftliche Stabilisierung Grie- chenlands nur mit der solidarischen Hilfe der Euro-Län- der und nur innerhalb der Europäischen Union gelingen kann. Dennoch kritisiere ich am bisherigen Handeln der Bundesregierung insbesondere: – dass die Notmaßnahmen im ersten und zweiten Hilfs- paket sich zu einseitig auf die Stabilisierung der Staatsausgaben orientieren – diese Orientierung hat die griechische Wirtschaft zusätzlich belastet und das Land in eine mehrjährige Rezession getrieben –, – dass die Maßnahmen in ihrer Unausgewogenheit ei- nen sozialen Sprengstoff beinhalten, der geeignet ist, die Demokratie in Griechenland nachhaltig zu er- schüttern, – dass der finanzielle Nutzen der Maßnahmen überhöht und die Probleme bei deren Realisierung nur unzurei- chend beschrieben werden – insbesondere die Zeit- korridore für die Umsetzung der gesetzgeberischen Maßnahmen, die der Regierung Griechenlands einge- räumt werden, sind zu kurz und erkennbar unrealis- tisch –, – dass eine Beteiligung privater Gläubiger zu spät er- wogen und umgesetzt worden ist – dadurch ist die Wirkung des Schuldenschnitts im Sinne einer nach- haltigen Entlastung Griechenlands erheblich reduziert worden –, – dass die Notmaßnahmen bisher nicht durch einen hinreichenden Wachstumsimpuls für Griechenland – Marshallplan – ergänzt worden sind – allein durch Fiskalpolitik kann eine nachhaltige Stabilisierung des griechischen Staatshaushaltes nicht gelingen – und – dass die Notwendigkeit, die Dimension, aber auch die Dauer der erforderlichen Hilfen für Griechenland ge- genüber der deutschen Bevölkerung nur unzureichend beschrieben werden – tatsächlich handelt es sich bei der finanziellen und gesellschaftlichen Stabilisierung Griechenlands um eine Generationenaufgabe; sie erfordert aber die Bereitschaft der Griechen zu schmerzlichen Veränderungen ebenso wie die Bereit- schaft der Deutschen zur solidarischen Unterstützung. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 19117 (A) ) )(B) (C (D Heute auf den Tag genau vor 59 Jahren hat die damals junge Bundesrepublik Deutschland das Londoner Schul- denabkommen unterzeichnet. Nach der moralischen Katastrophe und dem unermesslichen Leid zweier Welt- kriege haben damals 70 Staaten, darunter auch Griechen- land, einem 50-prozentigen Erlass der deutschen Vor- und Nachkriegsschulden zugestimmt. Dieser Schulden- schnitt war zusammen mit dem Marshallplan die Grund- lage für den raschen wirtschaftlichen Aufstieg der Bun- desrepublik. Wir haben allen Grund, uns bei unseren heutigen Entscheidungen an die eigene Geschichte zu er- innern. Darüber hinaus erkläre ich, dass dies das letzte Mal sein wird, dass ich meine Zustimmung zu einem weite- ren Hilfspaket für Griechenland gebe. Ich habe schwere Bedenken insbesondere aufgrund der fehlenden und un- zureichend vorliegenden Dokumente in deutscher Spra- che. Das Fehlen einer ausführlichen Schuldentragfähig- keitsanalyse – Debt Sustainability Analysis – ist vor dem Hintergrund der Gewährung von weiteren Darlehen ent- scheidend. Bei der am heutigen Tage versandten Aus- schussdrucksache 17/4326 handelt es sich um eine vor- läufige Einschätzung der Troika. Diese ist als Entscheidungsgrundlage aus meiner Sicht daher keines- wegs ausreichend. Werner Dreibus (DIE LINKE): Ich habe gegen den Antrag der Bundesregierung „Finanzhilfen zugunsten der hellenischen Republik“ gestimmt, weil diese nur den Banken und Finanzakteuren helfen und die mit ihnen verbundenen Spardiktate die griechische Wirtschaft end- gültig ruinieren, den Sozialstaat zerstören und die De- mokratie aushöhlen. Kein einziger Euro der 165 Milliarden Euro dieses zweiten sogenannten Hilfspaketes für Griechenland wird der griechischen Bevölkerung zugutekommen. Die soge- nannten Hilfspakete retten allein die Banken und pri- vaten Gläubiger. Seit Mai 2010 wurden aus dem ersten 110 Milliarden Euro schweren „Hilfspaket“ 73 Milliar- den Euro an Krediten ausgezahlt. 70 Milliarden Euro flossen direkt zurück an die Gläubiger – an griechische und internationale Banken, Versicherungen und Finanz- investoren. Die griechische Bevölkerung muss für diese Banken- rettungspakete teuer bezahlen. Unter der Knute von Kanzlerin Merkel unterwerfen Europäische Union, Europäische Zentralbank und Internationaler Währungs- fonds Griechenland gnadenlosen Spardiktaten. Für das erste Bankenrettungspaket wurde Griechenland zu Kür- zungen in Höhe von 35 Milliarden Euro bzw. 15 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung gezwungen. Die schar- fen Lohn-, Renten- und Sozialkürzungen sind beispiel- los. Und der Erfolg? Die griechische Wirtschaft ist in den letzten zwei Jahren um mehr als 11 Prozent einge- brochen. Die offizielle Arbeitslosenrate liegt bei 21 Pro- zent. Von den Jugendlichen ist sogar jeder Zweite ohne Job. Und die Schulden des Landes sind um über 50 Mil- liarden Euro bzw. von 130 auf 170 Prozent des BIP ge- stiegen. Das zweite Bankenrettungspaket, das heute vom Bun- destag beschlossen werden soll, setzt diese katastrophal falsche Politik Angela Merkels fort. So sollen unter an- derem der Mindestlohn und das Arbeitslosengeld drama- tisch gesenkt, Renten nochmals drastisch gekürzt und weitere 150 000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst vernichtet werden. Doch die Bankenrettungspakete sind nicht nur ein Angriff auf den Sozialstaat, sie sind auch ein Anschlag auf die Demokratie. Durch detaillierte Politikvorgaben, Überwachungsmechanismen und die Einrichtung eines Sperrkontos wird Griechenland die Souveränität entzo- gen. Zu diesem Angriff auf die sozialen und demokrati- schen Rechte der griechischen Bevölkerung sage ich Nein. Den sich wehrenden Menschen in Griechenland gehört meine volle Solidarität. Ich fordere ein sofortiges Ende der Spardiktate, statt- dessen muss ein europäisches Investitionsprogramm aufgelegt werden, das durch die Einführung einer Mil- lionärsteuer finanziert wird. Die Finanzierung der öffent- lichen Haushalte in der Euro-Zone muss über eine öffentliche europäische Bank sichergestellt und so der Spekulation entzogen werden. Griechenland ist von 75 Prozent seiner gesamten Schulden zu befreien und die damit verbundenen Kosten für die öffentliche Hand sind durch eine EU-weite Vermögensabgabe zu finanzie- ren. Alle privaten Großbanken sind in die öffentliche Hand zu überführen und strikt zu regulieren. Zu einer grundlegenden Lösung der Euro-Krise gehört auch die Steigerung der deutschen Binnennachfrage, weil nur so die Handelsungleichgewichte zwischen den europäi- schen Staaten reduziert werden können. Auch aus die- sem Grund haben die Forderungen der Gewerkschaften nach hohen Tarifabschlüssen meine volle Unterstützung. Annette Groth (DIE LINKE): Ich habe heute gegen den Antrag des BMF zu den Finanzhilfen zugunsten der hellenischen Republik gestimmt, weil der Antrag die Verarmung großer Teile der griechischen Bevölkerung mit sich bringen wird. Der heute abgestimmte Antrag wird in den Medien häufig als „Hilfspaket“ für Grie- chenland bezeichnet. Das ist falsch. In Wahrheit haben die EU-Mitgliedstaaten und die Bundesregierung dem griechischen Staat ein Hilfspaket für die Sicherung der Gewinne von Banken und Investoren diktiert. Viele Menschen in Griechenland werden durch die Zwangs- maßnahmen in die Armut getrieben. Die griechische Wirtschaft wird zerstört. Mit den Zwangsmaßnahmen gegenüber Griechenland wird die Demokratie und die Tarifautonomie quasi außer Kraft gesetzt. Der griechische Staat wird gezwungen, dass alle bisher geltenden Tarifverträge nach Annahme der Spargesetze nur noch ein Jahr gelten und danach un- gültig werden. Gleichzeitig wird den griechischen Ge- werkschaften und Unternehmensverbänden gegen ihren erbitterten Widerstand vorgeschrieben, dass alle neu ab- geschlossenen Tarifverträge eine Mindestlaufzeit von drei Jahren haben müssen. Demokratischen Errungen- schaften, die in vielen Jahrzenten erkämpft wurden, wie 19118 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 (A) ) )(B) (C (D die Freiheit der Gewerkschaften und die Rechte der Ar- beitnehmerinnen und Arbeitnehmer, werden für die Inte- ressen der internationalen Finanzmärkte in Griechenland einfach ausgehebelt. Mit der Senkung der im „Nationalen Allgemeinen Ta- rifvertrag“ und der in sektoralen und Branchenvereinba- rungen festgelegten Basislöhne um 22 Prozent wird der Lohn eines neu eingestellten verheirateten Beschäftigten ohne Berufserfahrung von 826,54 Euro auf 644,70 Euro sinken. Für alleinstehende Beschäftigte mit sechs Be- rufsjahren wird der Bruttolohn von 887,99 Euro auf 692,63 Euro gesenkt. Da in vielen Städten die Mieten für kleine Wohnungen über 500 Euro im Monat kosten, kön- nen sich viele Menschen durch Arbeit nicht mehr alleine ernähren. Für junge Berufsanfängerinnen und Berufsanfänger wird zu diesen massiven Kürzungsdiktaten zusätzlich ihr Lohn um weitere 10 Prozent auf knapp über 510 Euro abgesenkt. Alle diese Kürzungen werden zu sozialen Verwerfungen und zu einer weiteren deutlichen Ein- schränkung der Kaufkraft führen. Hierdurch wird sich der griechische Kurs noch mehr auf rezessive Tendenzen begeben. Mit der vorgeschriebenen Höchstvergütung von Ar- beitslosen von 313 Euro werden Arbeitslose automatisch zur Armut verdammt. Mit den vorgeschriebenen Entlassungen von 15 000 Beschäftigten aus dem öffentlichen Sektor und der dik- tierten Reduzierung der Zahl der Beschäftigten in die- sem Bereich bis 2015 um 150 000 wird sich die Massen- arbeitslosigkeit in Griechenland weiter drastisch erhöhen. Schon heute sind in Griechenland mehr als 20 Prozent arbeitslos und etwa 50 Prozent der Jugendli- chen. Die Spardiktate werden Griechenland nicht helfen, sondern zu einer massiven Zerstörung der griechischen Wirtschaft und Gesellschaft beitragen. Deshalb stimme ich dem Antrag des Bundesministe- riums der Finanzen „Finanzhilfen zugunsten der Helleni- schen Republik; Einholung eines zustimmenden Be- schlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzstabilisie- rungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik“ nicht zu. Dr. Stephan Harbarth (CDU/CSU): Ich stimme den beiden Anträgen zu. Mit meinem Votum verbinde ich folgende Erwägung: Eine wirtschaftliche und finanzielle Genesung der Hellenischen Republik erfordert nach meiner Überzeu- gung neben einer Vielzahl weiterer Maßnahmen einen – vorübergehenden – Austritt des Landes aus der Euro- Zone. Es ist für mich nicht erkennbar, dass die heute ge- fassten Beschlüsse einen derartigen Schritt mittel- und längerfristig entbehrlich machen könnten. Den vorliegenden Anträgen stimme ich in der Erwar- tung zu, dass die kommenden Monate genutzt werden, um etwaige Ansteckungsgefahren gegenüber anderen Mitgliedstaaten der Euro-Zone im Fall eines Euro-Aus- tritts der Hellenischen Republik zu minimieren und da- durch die Handlungsoptionen zu erhöhen. Petra Hinz (Essen) (SPD): Ich habe meine Zustim- mung zum Abschluss einer Vereinbarung über Notmaß- nahmen der EFSF zugunsten Griechenlands in Form eines zweiten Hilfspaketes erteilt, weil ein Staatsbank- rott Griechenlands abgewendet werden muss und weil ich der festen Überzeugung bin, dass die finanzielle, wirtschaftliche und gesellschaftliche Stabilisierung Grie- chenlands nur mit der solidarischen Hilfe der Euro-Län- der und nur innerhalb der Europäischen Union gelingen kann. Ich kritisiere am bisherigen Handeln der Bundes- kanzlerin Dr. Angela Merkel und der Bundesregierung insbesondere, dass sich die Notmaßnahmen im ersten und zweiten Hilfspaket zu einseitig auf die Stabilisie- rung der Staatsausgaben orientieren. Diese Orientierung belastet die griechische Wirtschaft zusätzlich und hat das Land in eine mehrjährige Rezession getrieben. Ich kritisiere, dass die Maßnahmen in ihrer Einseitig- keit und sozialen Unausgewogenheit einen sozialen Sprengstoff beinhalten, der geeignet ist, die Demokratie in Griechenland nachhaltig zu erschüttern. Die stärkere Heranziehung von wirtschaftlich starken Bevölkerungs- gruppen und privaten Vermögen ist unzureichend. Ich kritisiere, dass der finanzielle Nutzen der Maßnah- men überhöht und die Probleme bei deren Realisierung nur unzureichend beschrieben werden. Insbesondere die Zeitkorridore für die Umsetzung der gesetzgeberischen Maßnahmen, die der Regierung Griechenlands einge- räumt werden, sind zu kurz, willkürlich und erkennbar unrealistisch. Ich kritisiere, dass eine stärkere Beteiligung privater Gläubiger, insbesondere Banken, zu spät erwogen und umgesetzt worden ist. Dadurch ist die Wirkung des Schuldenschnitts, insbesondere durch freiwillige Privat- sektorbeteiligung, im Sinne einer nachhaltigen Entlas- tung Griechenlands erheblich reduziert worden. Ich kritisiere die Förderung der Kapitalflucht durch Gerede und Vielstimmigkeit von Koalitions- und Kabi- nettsmitgliedern. Ich kritisiere, dass die Notmaßnahmen bisher nicht durch einen hinreichenden und nachhaltigen Wachs- tumsimpuls für Griechenland, Marshallplan, ergänzt worden sind. Allein durch Fiskalpolitik kann eine nach- haltige Stabilisierung des griechischen Staatshaushaltes nicht gelingen. Ich kritisiere, dass die Notwendigkeit, die Dimension, aber auch die Dauer der erforderlichen Hilfen für Grie- chenland gegenüber der deutschen Bevölkerung nur un- zureichend beschrieben werden. Tatsächlich handelt es sich bei der finanziellen, wirt- schaftlichen und gesellschaftlichen Stabilisierung Grie- chenlands um eine Generationenaufgabe. Sie erfordert aber die Bereitschaft der Griechen zu schmerzlichen Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 19119 (A) ) )(B) (C (D Veränderungen ebenso wie die Bereitschaft der Deut- schen und des gesamten Euro-Raums zur solidarischen Unterstützung. Vor genau 59 Jahren hat die Bundesrepublik Deutsch- land das Londoner Schuldenabkommen unterzeichnet. Nach der moralischen Katastrophe und dem unermessli- chen Leid zweier Weltkriege haben damals 70 Staaten, darunter auch Griechenland, einem 50-prozentigen Er- lass der deutschen Vor- und Nachkriegsschulden zuge- stimmt. Dieser Schuldenschnitt war zusammen mit dem Marshallplan die Grundlage für den raschen wirtschaftli- chen Aufstieg der Bundesrepublik Deutschland. Wir ha- ben allen Grund, uns bei unseren heutigen Entscheidun- gen an die eigene Geschichte zu erinnern. Christian Hirte (CDU/CSU): Dem Antrag, der wei- tere Kredite für Griechenland vorsieht, stimme ich nicht zu. Seit zwei Jahren ist die Schuldenkrise einiger euro- päischer Länder das zentrale Thema und die große He- rausforderung. In keinem anderen Land ist die Krise da- bei so scharf wie in Griechenland. Ich bin der festen Überzeugung, dass an dieser Schuldenkrise die europäi- sche Idee nicht zerbrechen darf. Europa, der Frieden, die Freiheit sind mehr wert, als wir in Haushaltszahlen aus- drücken können. Die großen Sparanstrengungen in Griechenland ver- langen der Bevölkerung viel ab. All diese Maßnahmen haben aber in den zurückliegenden Monaten nicht dazu geführt, dass sich für das Land und die Menschen eine Aufschwungperspektive entwickeln konnte. Die Kredite haben in der Regel lediglich private Gläubiger bedient. Der Vollzug und die Umsetzung zahlreicher Beschlüsse sind trotz großer Einschnitte aus meiner Sicht nicht aus- reichend. Als europäische Partner müssen wir ein Inte- resse daran haben, dass die Lage in Griechenland wieder besser wird. Daher müssen wir bei unseren politischen Entscheidungen abwägen, wie ein solcher Pfad für Grie- chenland wieder beschritten werden kann. Dabei erkenne ich besonders die Anstrengungen von Bundeskanzlerin und Bundesfinanzminister an. Beide haben immer wieder in den Verhandlungen auf europäi- scher Ebene für Veränderungen und Reformen in Grie- chenland geworben. Sie haben sich dabei sowohl für den europäischen Gedanken der Solidarität als auch für die Verantwortung der einzelnen Staaten stark gemacht. Bei- des zusammen sind tragende Säulen des Hauses Europa. Ich bin der Überzeugung, dass der Aufschwungpfad im Rahmen immer weiterer Hilfskredite für Griechen- land jedoch nicht erreichbar ist. Die Hilfen der vergan- genen Monate haben aber im Nachhinein einen wichti- gen psychologischen und ökonomischen Beitrag geleistet. In der Situation von vorübergehender Panik an den Finanzmärkten verhinderten diese ein Überspringen auf die Realwirtschaft. Eine solche Situation hätte allen Ländern und Volkswirtschaften Europas sehr geschadet. An der konkreten Situation in Griechenland selbst haben die Hilfen aber nichts ändern können. Das zentrale Pro- blem, das einem Aufschwung und neuen Perspektiven des Landes im Weg steht, ist die mangelnde Wettbe- werbsfähigkeit des Landes. Dies macht Produkte und Dienstleistungen in einem Maße unattraktiv, das die Wirtschaft dauerhaft lähmt. Diese Wettbewerbsfähigkeit kann Griechenland nur dann wieder erlangen, wenn es Instrumente zur Verfü- gung hat, die dem Land als Euro-Mitglied praktisch nicht zur Verfügung stehen. Im Euro müssten Entschei- dungen und Änderungen im Lohngefüge durchgesetzt werden, die praktisch nicht zu stemmen sind. Wir haben Griechenland gemeinsam in die Familie der Euro-Län- der aufgenommen, daher sollten wir es nicht ausschlie- ßen – dieser Schritt kann nur von Griechenland selbst gegangen werden. Gerade als Abgeordneter eines ost- deutschen Bundeslandes weiß ich um den großen Wert europäischer Solidarität. Ohne die Unterstützung und die Hilfe unserer Partner und Freunde in Europa wäre vieles nicht möglich gewesen. Gerade deshalb bin ich auch im Fall Griechenlands für absolute Solidarität. Wir müssen einen – auch finanziellen – Beitrag dazu leisten, dass das Land wieder Tritt fasst. Entscheidend dafür sind jedoch die Strukturen, innerhalb derer dies passieren kann. Kre- ditpakete, bei denen schon jetzt absehbar ist, dass sie in einigen Monaten durch neue Pakete ergänzt werden müssen, können diesen Beitrag nach meiner Überzeu- gung nicht leisten. Harald Koch (DIE LINKE): Ich habe heute gegen den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen zu den „Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik“ ge- stimmt, weil ich nicht hinnehmen kann, dass in Grie- chenland Sozialstaat und Demokratie vernichtet werden, indem man die griechische Wirtschaft kaputtspart und die Bevölkerung mit immer neuen Sozial-, Renten-, Lohn- und Mindestlohnkürzungen drangsaliert. Spardik- tate vergrößern nur die Schuldenfalle, sodass sich Grie- chenland wie viele deutsche Kommunen in einer Art Vergeblichkeitsfalle befindet. Die unsozialen Kürzungs- und Sparorgien werden gegen den Willen der griechi- schen Bevölkerung durchgezogen, mannigfaltige Kon- troll- und Sanktionsmechanismen gefährden Griechen- lands politische Unabhängigkeit in wichtigen Bereichen – und damit gefährden sie auch die Demokratie. So wird Griechenland – und Europa – immer tiefer in eine Krise gestürzt, stattdessen wäre ein strukturierter Aufbauplan vonnöten. Um Haushalte zu sanieren, müssen vor allem Einnahmen erhöht, nicht immer nur Ausgaben gesenkt werden. Es ist aber geradezu grotesk, dass auf der Aus- gabenseite niemand die enormen Rüstungsausgaben Griechenlands beschneiden will. Öffentliche Haushalte sind auf der Einnahmeseite meiner Meinung nach durch eine höhere Besteuerung von Reichen, Vermögenden und Großkonzernen auf eine zukunftsfähige Grundlage zu stellen. EU-weit muss es eine koordinierte und ko- operative Wirtschaftspolitik geben. In erster Linie müs- sen die außenwirtschaftlichen Ungleichgewichte abge- baut werden. Ich fordere deshalb eine europäische Ausgleichsunion, die die Euro-Staaten zum Ausgleich ihrer Leistungsbilanzen zwingt. Um das Diktat der Fi- nanzmärkte zu brechen, sollten gemeinsame europäische Anleihen aufgelegt werden. Bedeutsam wäre in diesem 19120 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 (A) ) )(B) (C (D Zusammenhang auch die Gründung einer Europäischen Bank für öffentliche Anleihen. Deutschland hingegen befeuert durch seine hohen Exportüberschüsse die Krise. Stattdessen muss Deutschland endlich die Binnennach- frage stärken, zum Beispiel durch einen gesetzlichen Mindestlohn von 10 Euro, die Aufstockung des Hartz-IV- Regelsatzes auf mindestens 500 Euro und öffentliche In- vestitionen in einen sozial-ökologischen Umbau. Das neue Hilfspaket hat die falschen Adressaten: Die griechische Bevölkerung wird noch mehr als zuletzt lei- den müssen, und schließlich tragen auch deutsche Steu- erzahlerinnen und Steuerzahler ein Milliardenrisiko. Weil ich für eine Politik der Solidarität stehe und das eu- ropäische Demokratie- und Sozialstaatsmodell vertei- dige, habe ich heute gegen den Antrag „Finanzhilfen zu- gunsten der Hellenischen Republik“ gestimmt. Manfred Kolbe (CDU/CSU): Den heutigen Antrag „Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik“ werde ich ablehnen, ich werde mit Nein stimmen. Erstens. Die bisherige Rettungsschirmpolitik ist ge- scheitert, was schon durch die Notwendigkeit eines zweiten oder gar dritten Rettungspaketes bewiesen wird. Griechenland ist nicht nur illiquide, sondern insolvent und braucht statt weiterer Konkursverschleppung einen vollständigen Neuanfang innerhalb oder außerhalb der Euro-Zone. Dies liegt im Interesse Europas, Deutsch- lands und auch Griechenlands, das durch die bisherige Politik immer tiefer in den Abgrund geraten ist. Zweitens. Griechenland ist innerhalb des Euro- Raumes nicht mehr wettbewerbsfähig. Der Aufbau staat- licher Strukturen, insbesondere einer funktionierenden Finanzverwaltung oder einer international konkurrenzfä- higen Industrie, ist aber nicht in Monaten oder Jahren zu bewerkstelligen, sondern braucht – wie der Aufbau Ost in Deutschland zeigt – Jahrzehnte, wenn überhaupt. Ins- besondere müssen die Griechen selber diesen Weg wol- len, der zunächst sicherlich mit großen Opfern verbun- den ist. Auf all diese Fragen gibt die Bundesregierung keine Antwort. Drittens. Die Fortsetzung der bisherigen Politik über- fordert aber auch die Bundesrepublik Deutschland. Be- reits jetzt haften wir für die gesamten Euro-Rettungs- maßnahmen mit rund 500 Milliarden Euro, einer halben Billion. Neben dem zweiten Griechenland-Rettungs- paket wird bereits ein drittes diskutiert sowie eine Aufstockung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, ESM. Dieses im Ernstfall nicht zu bewältigende Haf- tungsrisiko kann ich mit meinem Gewissen nicht mehr vereinbaren. Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP): Die Stabilisie- rung des Euro hat oberste Priorität. Deutschland wird dieser Verantwortung gerecht. Andere Lösungswege aus der Verschuldungskrise in Griechenland, die ein „An- werfen der Notenpresse“ bedeuten, sind mit uns nicht durchsetzbar. Vielmehr müssen wir jetzt mehr denn je eine Kultur der Stabilität im Euro-Raum mit Nachdruck durchsetzen. Der beschlossene Fiskalpakt ist ein wichti- ger Schritt. Trotz der massiven und teilweise beschämenden Pro- teste und ärgerlichen Vorwürfe aus Griechenland dürfen wir nicht nachlassen, von Griechenland größte Anstren- gungen und das nachhaltige Angehen der Strukturpro- bleme weiterhin mit Nachdruck einzufordern. Insbeson- dere was die Probleme des griechischen Steuersystems und vor allem bei der Steuervereinnahmung, Überbüro- kratie und einer völlig aufgeblähten Verwaltung, den erheblichen Pensionslasten, aber auch bei der Ausgaben- politik in anderen Bereichen angeht, sind die Anstren- gungen noch nicht zufriedenstellend. Hier sind noch grö- ßere Anstrengungen notwendig. Die Entwicklung Griechenlands zeigt sehr eindrück- lich, wie wichtig solide Finanzen, ein effizientes und durchschaubares Steuersystem sowie Wachstum und Produktivität sind. Die Politik der Opposition steht für genau das Gegenteil: für Ausgabenwahn, eine hohe Ab- gabenlast, die den Binnenkonsum abwürgt, eine hohe Staatsquote, Mindestlohn sowie unbezahlbare sozialro- mantische Versprechen. Genau dies waren auch die ent- scheidenden Zutaten, die in Griechenland und anderen Ländern das Chaos erst heraufbeschworen haben. Wären wir den Forderungen von Rot-Grün seit 2010 gefolgt, hätte sich die deutsche Verschuldung dem südeuropäi- schen Niveau angenähert und nicht umgekehrt. Unser Land wäre mit den rot-grünen Forderungen ebenso pleite. Außerdem war es das historische Versagen von Rot-Grün, den Beitritt Griechenlands zur Euro-Zone zu- gelassen und die Stabilitätskriterien aufgeweicht zu ha- ben. Damit sind sie für das jetzige Desaster mitverant- wortlich. Deutschland muss vielmehr weiter für solide Haus- haltsführung, Einsparmaßnahmen, die Reformierung des Steuersystems und die Bekämpfung der Bürokratie ein- stehen. Diese Notwendigkeiten sind auch im Lichte der griechischen Verhältnisse nicht relativierbar und müssen weiterhin mit Nachdruck verfolgt werden. Diese Bun- desregierung steht ausdrücklich dafür. Meine Entscheidung habe ich unter Berücksichtigung all dieser Aspekte abgewogen und mich entschieden, dem Kurs der schwarz-gelben Bundesregierung zu fol- gen. Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU): Seit rund zwei Jahren bemüht sich die europäische Staatengemein- schaft, Griechenland vor dem drohenden Staatsbankrott zu bewahren. Doch die bisherige Rettungsstrategie brachte keinen Erfolg. Im Gegenteil, die Situation Griechenlands hat sich dramatisch verschlechtert. Die Schuldenquote steigt, und die Wirtschaft schrumpft im fünften Jahr in Folge. Leis- tungsbilanzdefizite gehen einher mit Verwaltungsineffi- zienz. Eine zu hohe Konsumquote trifft auf mangelnde Wettbewerbsfähigkeit. Der Investitionsstau wird beglei- tet von Kapitalflucht. Alles deutet darauf hin, dass die bisherigen Maßnahmen eine Insolvenz Griechenlands zwar hinauszögern, nicht aber verhindern können. Nach meiner festen Überzeugung wird auch das neue Rettungspaket weder Griechenlands Schuldentragfähig- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 19121 (A) ) )(B) (C (D keit wiederherstellen, noch kann es dazu beitragen, dass Griechenland seine Wettbewerbsfähigkeit zurückerlangt. Ebenso wird der geplante freiwillige Schuldenschnitt nicht ausreichen, um Griechenland wieder auf einen nachhaltigen Pfad zu bringen. Es wird vielmehr höchste Zeit, eine Insolvenzordnung für Staaten zu etablieren, an deren Ende eine erfolgreiche Sanierung oder ein Austritt steht. Mit den jetzigen Hilfen erkaufen wir uns lediglich Zeit. Aber dieser Kauf könnte uns teuer zu stehen kom- men, denn auf lange Sicht gefährden wir politisch den Zusammenhalt Europas und ökonomisch die Währungs- union. Ich kann aus den genannten Gründen dem Hilfs- paket nicht zustimmen. Dr. Erwin Lotter (FDP): Wenn sich kurz vor der Be- schlussfassung des Deutschen Bundestages – auch – der in der Ressortverantwortung stehende Bundesminister gezwungen sieht, über das Wochenende Fragen von für die heute anstehende Entscheidung elementarer Bedeu- tung presseöffentlich zu behandeln, begründet dies mei- nes Erachtens zusätzlichen parlamentarischen Bera- tungsbedarf. Zeitlich zwingende Abläufe sollen dem entgegenstehen. Damit aber ist mir ein Pro- oder Contra- votum nicht möglich. Aus der Tatsache, den bisher sechs Beschlüssen zur „Rettung des Euro“ aus jeweils überzeugenden Gründen und damit begründeter Überzeugung zugestimmt zu ha- ben, resultiert jedenfalls kein mich bindender Zustim- mungsautomatismus. Im Gegenteil: Meine Verantwor- tung gegenüber unseren deutschen Interessen – wie auch meine persönlich-freundschaftliche Verbundenheit zu Griechenland – gebietet mir vielmehr, mich jeweils neu zu vergewissern, um sodann einen weiterhin als richtig erkannten Weg fortsetzen zu können oder einen sich auf- grund neuer Erkenntnisse bzw. zwischenzeitlicher Ent- wicklungen als falsch abzeichnenden Weg korrigieren zu müssen. Eine über ein Wochenende initiierte Debatte einer Di- mension von drittes Rettungspaket bis Austritt Griechen- lands aus der Euro-Zone kann zwangsläufig nur ein in den Medien ausgetragener Austausch von Schlagworten sein, also alles andere als eine solide Grundlage der be- schriebenen Vergewisserung. Mich heute der Stimme zu enthalten, ist die daraus notwendigerweise folgende Konsequenz. Dr. h. c. Hans Michelbach (CDU/CSU): Zwar wurde die Vertrauenskrise im Euro-Raum, die durch die Schuldenkrise in Griechenland entstanden ist, noch nicht vollständig überwunden. Jedoch konnten mehrere ziel- führende und maßgebliche Erfolge errungen werden. Die Vorgaben des notwendigen Eigenkapitals systemre- levanter Banken wurden deutlich verschärft, die Instru- mente der EFSF konnten deutlich erweitert werden, und die Forderung Deutschlands, den Privatsektor deutlich und nachhaltig zu beteiligen, konnte umgesetzt werden. Griechenland hat es geschafft, das Primärdefizit von 10,4 auf 2,4 Prozent deutlich zu verringern. Es geht im Falle Griechenlands um die Gewährleistung der Wettbe- werbsfähigkeit und nicht um die Vorgabe, um jeden Preis Einsparungen vorzunehmen. Die Vorgaben und Beschlüsse der EU müssen nun weiterhin umgesetzt werden, um Wettbewerbsfähigkeit sicherzustellen und Wachstum zu generieren. Ich kann aber dennoch nur unter Zurückstellung per- sönlicher Bedenken und in Anerkennung des Bestrebens der Regierungskoalition und der Bundesregierung, einen klaren und deutlichen Beitrag zur Überwindung der Schuldenkrise im Interesse Deutschlands und des ge- samten Euro-Raums zu leisten, dem Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen zustimmen. Auch sehe ich die Abstimmung als letztes Angebot an Griechenland, unter klaren Bedingungen eine Schuldentragfähigkeit zu erreichen. Einem Griechenland-III-Programm werde ich nicht zustimmen. Es ist ein Aufzeigen von Grenzen not- wendig, und Griechenland muss klar sein, dass es das letzte Mal ist, dass Deutschland Hilfe leisten kann. Dieses und weitere mögliche Hilfspakete werden die Situation in Griechenland nicht entschärfen, solange die griechische Administration nicht deutliche Erfolge in der Restrukturierung des Haushalts und der Wettbewerbsfä- higkeit in Europa erzielen kann. Solange keine funktio- nierende Steuerverwaltung und eine sinnvolle Neujustie- rung des Lohnniveaus und der Sozialleistungen stattfinden, kann der sich der Staat nicht von den Folgen der noch anhaltenden Krise erholen. Die Chancen beim neuen Griechenland-Paket über- wiegen die Risiken einer solchen Unterstützung. Wir müssen diese Chancen nutzen, anstatt zukünftigen Gene- rationen Schulden zu vererben. Ferner muss sicherge- stellt werden, dass alle Vorgaben, Maßnahmen und Ziele auch dann weiterhin Bestand haben, wenn in Griechen- land eine neue Regierung gewählt wird. Burkhardt Müller-Sönksen (FDP): Meiner Zustim- mung zum vorliegenden Antrag des Bundesministeriums der Finanzen über die Übernahme weiterer Gewährleis- tungen für Griechenland im Rahmen des Stabilisierungs- mechanismusgesetzes liegt eine Abwägung der Auswir- kungen möglicher Alternativen zugrunde. Ein unkontrollierter Prozesses, wie beispielsweise ein kurzfristiges Ausscheiden Griechenlands aus der Euro- Zone oder eine nicht geordnete Staatsinsolvenz, hätte nicht nur verheerende innenpolitische Folgen für Grie- chenland und seine Nachbarländer, sondern würde auch zu einer Instabilität der internationalen Finanzmärkte führen. Um nachhaltige Veränderungen in Griechenland auf der einen Seite zu ermöglichen und verantwort- und planbare Auswirkungen auf den Bundeshaushalt auf der anderen Seite zu schaffen, halte ich es für meine Zustim- mung für konstitutiv, dass die im Antrag des Bundes- ministeriums der Finanzen vorgeschlagenen Bedingun- gen für die Auszahlung der Hilfen vollumfänglich erfüllt werden. Hierbei ist aus meiner Sicht zentral, dass vor der Auszahlung einer ersten Tranche der erfolgreiche Ab- schluss der Umschuldung erfolgt und die Troika bestä- tigt, dass Griechenland durch Umsetzung des Maßnah- 19122 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 (A) ) )(B) (C (D menpaketes im Jahr 2020 einen Schuldenstand von nahe 120 Prozent des BIP erreichen kann. Der heutige Beschluss des Bundestages ist nicht aus- schließlich eine haushälterische oder finanzpolitische Entscheidung. Die Übernahme weiterer Gewährleistun- gen für Griechenland im Rahmen der EFSF ist eine Richtungsentscheidung über die weitere Perspektive des europäischen Projekts. Der von der Bundesregierung vorgeschlagene Weg enthält hohe finanzielle Risiken für den Bundeshalt. Die Risiken sind jedoch gegenüber jedem anderen in der Diskussion befindlichen Modell in ihrer maximalen Höhe bezifferbar. Eine solche Sicherheit konnte mir kei- ner der Kritiker der heutigen Entscheidung für sein je- weils präferiertes Modell geben. Im Gegenteil ist unbe- stritten, dass die vielseitigen Interdependenzen im europäischen Wirtschafts- und Währungsraum eine ver- lässliche Analyse des volkswirtschaftlichen Risikos für Deutschland unmöglich macht. Jens Petermann (DIE LINKE): Ich stimme gemein- sam mit meiner Fraktion gegen den Antrag des Bundes- ministers der Finanzen, weil er mit den unsozialsten Lohn-, Renten- und Gehaltskürzungen in der Geschichte Griechenlands verbunden ist. Ich bedaure es, dass CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD mit den für die Bewilligung der „Hilfen“ verbundenen Auflagen Griechenland und dessen Bevölkerung noch weiter in die Krise stürzen werden. Mit dem ersten Ret- tungspaket im Mai 2010 waren Kürzungen in Höhe von 35 Milliarden Euro verbunden. Dies umfasst 15 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Aufgrund dessen sackte die Wirtschaft seither jährlich um weitere 10 Pro- zent ab. Die griechischen Kolleginnen und Kollegen, die heute auf einen Mindestlohn von 4,38 Euro angewiesen sind, müssen in Zukunft mit einem Euro weniger aus- kommen. Es ist ein Skandal, wenn das Bundesministe- rium der Finanzen dies auf Nachfrage als angemessen erachtet. Nach dortiger Ansicht – und der der gesamten Koalition – sind die Mindestlöhne in Griechenland zu hoch, ebenso wie der Anteil des Staates an der Wirt- schaftsleistung Griechenlands. Deshalb sei auch die Ent- lassung von 150 000 Beschäftigten aus dem öffentlichen Dienst notwendig. Privatisierung gilt als Allheilmittel. Die Entlassenen sollen sich in der privaten Wirtschaft engagieren und für wirtschaftlichen Aufschwung sorgen. Die Wirtschaft aber wird durch die Sanktionen des Stabi- litätsmechanismus ebenso in die Knie gezwungen wie der gesamte Staat. Die Entlassenen haben keine Mög- lichkeit, eine neue Beschäftigung zu finden. Vielmehr sind sie auf das um 30 Prozent heruntergekürzte Arbeits- losengeld in Höhe von 322 Euro im Monat angewiesen. Nach einem Jahr Arbeitslosengeld fallen sie dann durch das soziale Netz und sind der Obdachlosigkeit preis- gegeben, wenn sie nicht bei Familienmitgliedern auf- genommen werden können. Hier wird sehenden Auges eine soziale Katastrophe herbeigeführt. Ich stimme gegen den Antrag, weil mit den verbunde- nen Auflagen tiefe Einschnitte im sozialen Bereich ein- hergehen, während der riesige Militäretat des griechi- schen Staates lediglich um 300 Millionen Euro gekürzt werden soll. Begründet wird das damit, dass sich die Bundesregierung in diesem Bereich nicht gegenüber der griechischen Regierung durchsetzen konnte. Ein vorge- schobenes Argument! Vielmehr verdienen deutsche Un- ternehmen durch Rüstungsexporte nach Griechenland Milliarden. Ich stimme gegen den Antrag, weil mit den verbunde- nen Auflagen tiefe Einschnitte im sozialen Bereich ein- hergehen, während in Griechenland ein gerechtes Steu- ersystem fehlt. Die Reichen zahlen nahezu keine Steuern, während den Armen und mittlerweile auch schon den ehemaligen Normalverdienern die finanzielle Grundlage für ein würdiges Leben genommen wird. Auch hier ist es der Bundesregierung angeblich nicht ge- lungen, vom griechischen Staat ein gerechtes Steuersys- tem inklusive Vermögensteuer und Beitreibungskonzept zu fordern. Entlassungen und Sozialkürzungen sind da wesentlich einfacher durchzusetzen und werden als nor- mal angesehen. Ich stimme gegen den Antrag, weil die Euro-Krise nur durch Schließung des Spekulationskasinos gelöst werden kann. Laut Aussage der Regierung wurde der größte Teil der bisher bewilligten Hilfen zur Erfüllung von Verbindlichkeiten gegenüber Gläubigern verwendet. Wo der restliche Teil geblieben ist, bleibt unklar. Diese Gläubiger sind Großbanken, Kreditausfallversicherun- gen und Spekulanten. Das führt dazu, dass die, die Grie- chenland über Jahrzehnte gemolken haben, immer noch weiter melken können, und das bei einem Minimum an Kapitaleinsatz. Durch Zins und Zinseszins hat Griechen- land seine Kredite schon mehr als einmal zurückgezahlt. Doch den armen Großbanken und Kreditausfallversiche- rungen droht nach Ansicht der Koalition die sichere In- solvenz, wenn sie nun auf ihre weiteren Forderungen verzichten müssten. Und solche Insolvenzen würden die Wirtschaft ganz Europas mit in den Abgrund reißen. Diesem unseriösen Gebaren muss der Boden entzogen werden. Die Staaten müssen sich unabhängig von den Kapitalmärkten finanzieren können, über eine Bank für öffentliche Anleihen. Die Finanzmärkte müssen endlich streng reguliert werden, die Verursacher und Profiteure der Krise müssen zur Kasse gebeten werden: Dies kann man durch eine EU-weite Vermögensabgabe für Super- reiche, durch eine Finanztransaktionsteuer und durch eine Beteiligung großer privater Gläubiger realisieren. Mein Nein zum Antrag des Bundesministers der Fi- nanzen ist ein Nein zu einer antisozialen Politik, die dem griechischen Staat aufoktroyiert werden soll, und ein Ja für die griechische Bevölkerung. Richard Pitterle (DIE LINKE): Bei der heutigen Ab- stimmung über den Antrag auf erneute Finanzhilfen für Griechenland habe ich mit Nein gestimmt. Nicht weil ich der Meinung bin, dass Griechenland nicht geholfen werden soll. Ganz im Gegenteil. Ich habe mit Nein ge- stimmt, weil ich der Meinung bin, dass die Bedingun- gen, die an die Finanzhilfen geknüpft worden sind, Grie- chenland weiter in den Ruin treiben werden. Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 19123 (A) ) )(B) (C (D Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, kurz OECD, hat festgestellt, dass Griechenland im Jahr 2010 sein Strukturdefizit von 7,5 Prozent auf 6,5 Prozent senken konnte. Das hat laut der OECD kein einziges Industrieland in den vergange- nen 25 Jahren geschafft. In Deutschland stieg das Struk- turdefizit im Jahr 2010 sogar um 1,1 Prozentpunkte an. Aber die Finanzmärkte haben dies kein bisschen hono- riert. Die Zinsen, die Griechenland an den Finanzmärk- ten zur Refinanzierung zahlen musste und muss, waren weiterhin horrende, sodass es die EU-Länder wieder und wieder um Finanzhilfen bitten musste. Da die Finanzhilfen der EU an unsoziale Kürzungs- programme geknüpft sind, verringern sie die Schulden- lasten der betroffenen Staaten nicht, sondern erhöhen sie noch. Dass sich ein Land aus einer Krise hinaussparen kann, funktioniert nämlich nicht. Die Kürzungsmaßnah- men, die Griechenland durchführen muss, zerstören die Substanz für die Steuereinnahmen, die das Land drin- gend braucht. Durch die Kürzung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen bricht die Binnennachfrage ein, also auch die Einnahmen aus zum Beispiel der Mehr- wertsteuer. In den letzten zwei Jahren ist die griechische Wirtschaft wegen der Kürzungspolitik um 9 Prozent- punkte geschrumpft und die Verschuldung um weitere 50 Milliarden Euro angestiegen. Zudem gab es keine In- vestitionen, die dringend nötig wären. Dass dies der fal- sche Weg ist, sagen auch Experten aus der Wissenschaft. Selbst Bundeskanzlerin Merkel hat im Zuge der Finanz- krise gesagt, Deutschland dürfe sich nicht kaputtsparen, sondern brauche jetzt Investitionen. Sie hat damals zum Beispiel die Abwrackprämie eingeführt. Aber für Grie- chenland fordert sie das Gegenteil. Ich bin der festen Überzeugung, dass Griechenland eine wachstumsfördernde Politik braucht mit Investitio- nen und keine Kürzungsprogramme, die das Steuer- substrat zerstören. Weil die heute beschlossenen Finanz- hilfen aber wieder den falschen Weg weiter verfolgen, habe ich mit Nein gestimmt. Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN): Dem Antrag stimme ich nicht zu, sondern ich stimme mit Enthaltung. Wie schon bei der Abstimmung über das erste Hilfs- paket für Griechenland halte ich auch jetzt Hilfe für die griechische Bevölkerung in der Finanzkrise für richtig und notwendig. Einen Rauswurf Griechenlands aus der Euro-Zone halte ich für falsch, genauso wie die Auffor- derung zum „freiwilligen“ Austritt. Die EU und auch Deutschland müssen dem Land mit Krediten und weiterer Unterstützung wiederum zur Hilfe kommen. Aber nicht so, wie in dem Antrag vorgeschla- gen. Die finanzielle Hilfe darf nicht wie bisher nur oder ganz überwiegend den Banken zufließen. Das mit der Hilfe verbundene Sparpaket ist zutiefst unsozial und treibt weitere Kreise der griechischen Be- völkerung in die Armut und Perspektivlosigkeit. Die Ar- beitslosigkeit in Griechenland ist seit dem letzten Ret- tungspaket 2010 fast auf das Doppelte – über 20 Prozent – gestiegen. Die Staatseinnahmen sind ge- sunken. Die Verschuldung des Landes hat wiederum zu- genommen. Ich hatte schon 2010 nicht für das Hilfspa- ket gestimmt, sondern mich enthalten. Ich sehe meine damaligen Befürchtungen bestätigt. Das Sparpaket bewirkt einen weiteren drastischen Anstieg der Arbeitslosigkeit und reduziert weiter die Wachstumschancen. Es wirkt sich kontraproduktiv für die wirtschaftliche Erholung aus. Statt der strangulierenden Sparmaßnahmen, wie er- neute Rentenkürzungen, Massenentlassungen im öffent- lichen Dienst, Kürzungen der Ausgaben für Gesundheit, drastische Kürzung des Mindestlohnes und des Arbeits- losengeldes, halte ich das drastische Zusammenstreichen der Militärausgaben und ein nachhaltiges Investitions- programm in Milliardenhöhe für richtig. Aus der Bun- desregierung waren zwar auch solche Forderungen zu hören, aber bis heute fehlen dazu konkrete Vorschläge und Vereinbarungen. Die Bundesregierung hat noch am letzten Donnerstag auf eine Parlamentarische Anfrage von mir nach „konkreter materieller Unterstützung bei Sanierung und Aufbau der Wirtschaft Griechenlands“ geantwortet, „die Staaten der Euro-Zone haben bisher noch keine verbindliche Zusage zur Bereitstellung zu- sätzlicher Mittel gemacht“. Ohne ein Investitionsprogramm sehe ich eine wirt- schaftliche Gesundung Griechenlands in weiter Ferne. Ohne dass auch die großen Vermögen und die Einkom- men der Reichen in Griechenland zur Finanzierung he- rangezogen werden, werden die notwendigen Reformen nicht akzeptiert. Auch der Schuldenschnitt der privaten Gläubiger ist keineswegs in trockenen Tüchern. Bis heute gibt es eine rechtlich bindende Zusage vonseiten der Gläubiger nicht. Auch das hat die Bundesregierung mir am letzten Donnerstag bestätigt. Es soll allgemeine Zusagen von ei- nigen europäischen Großbanken geben. Aber nichts Ge- naues steht fest und andere Privatgläubiger und etwa Hedgefonds halten sich bisher ganz zurück. Schon dem ersten Hilfspaket für Griechenland hatte ich 2010 nicht zugestimmt, weil der Schuldenschnitt für private Gläubi- ger in Höhe von damals 21 Prozent zu vage und zu ge- ring vereinbart war. Bis heute ist es zu keinerlei Schul- denschnitt gekommen. Selbst wenn es diesmal zu einem Schuldenschnitt von 53 Prozent bei einem Teil der privaten Gläubiger kom- men sollte, wird die Restschuld von 47 Prozent für die Zukunft von den europäischen Staaten garantiert. Das heißt, dass ein späterer weiterer Schuldenschnitt nicht möglich bleibt oder zulasten der europäischen Garantie- staaten geht. Es gibt eine Alternative zum Antrag der Bundesregie- rung. Das ist nicht ein ungeregelter Staatsbankrott, son- dern eine Griechenland-Hilfe, die das Sparpaket sozialer gestaltet und ein Investitionsprogramm in Milliarden- höhe enthält, das der Wirtschaft wirklich hilft, sowie ei- nen echten Schuldenschnitt für alle privaten Gläubiger, so wie es im heutigen Entschließungsantrag der grünen Fraktion enthalten ist. 19124 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 (A) ) )(B) (C (D Sabine Stüber (DIE LINKE): Ich habe heute gegen den Antrag des BMF zu den „Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik“ gestimmt, weil die Kredithilfen von 130 Milliarden Euro eine Staatspleite längerfristig nicht abwenden. Die griechische Wirtschaft wird kaputt- gespart, der Sozialstaat zerstört, die Demokratie ausge- hebelt und das Land so immer tiefer in die Schuldenfalle getrieben. Ich stimme gegen den Antrag des BMF, weil die „Griechenland-Hilfen“ seit 2010 immer nur den Finanz- akteuren helfen. Rund 81 Prozent dieser „Hilfen“ fließen direkt zurück an die Gläubiger – an griechische und in- ternationale Banken, Versicherungen und Finanzinvesto- ren. So trägt der deutsche Steuerzahler allein ein drei- stelliges Milliardenrisiko, während Banken und private Gläubiger mithilfe der Bundesregierung ihr Geld in Si- cherheit bringen. Die „Hilfspakete“ für Griechenland waren und sind ein Anschlag auf die Demokratie. Die harten Kürzungs- maßnahmen werden gegen den Willen und Widerstand der griechischen Bevölkerung durchgepeitscht. Durch detaillierte Politikvorgaben, Überwachungsmechanis- men und die Einrichtung eines Sperrkontos wird Grie- chenland die Souveränität in zentralen Bereichen entzo- gen. Deshalb habe ich heute gegen den Antrag des BMF zu den „Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Repu- blik“ gestimmt. Johanna Voß (DIE LINKE): Ich habe heute gegen den Antrag „Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik“ gestimmt, weil er ungeeignet ist, die Staats- pleite Griechenlands abzuwenden. Im Gegenteil: Er be- wirkt, dass die Wirtschaft weiter kaputtgespart wird und die Not der griechischen Bevölkerung verschärft wird. Die Gläubiger und damit die Verursacher der Euro-Krise werden hingegen geschont. Die bewilligten Summen erreichen Höhen, unter de- nen sich niemand mehr etwas Konkretes vorstellen kann. Erst die Aufstockung des europäischen Rettungsfonds, EFSF, auf 440 Milliarden Euro. Dann 110 Milliarden Euro für das erste Hilfspaket an Griechenland. Und nun weitere 130 Milliarden Kredithilfen für ein zweites. Doch für die Griechen ist die Krise längst keine ab- strakte Größe mehr. Fast jede griechische Familie ist von Arbeitslosigkeit betroffen. Mehr als jeder fünfte Grieche ist bereits ohne Job, unter den Jugendlichen sogar jeder zweite. Ein Jahr lang hilft nach dem Verlust des Arbeits- platzes der Staat, dann muss die Familie einspringen. Doch bei vielen neigen sich die Ersparnisse dem Ende zu. Die Not hat längst breite Bevölkerungsschichten er- reicht. Jeder fünfte Grieche lebt unterhalb der Armuts- grenze. Die Zahl der Obdachlosen steigt, und die Schlan- gen an den Suppenküchen werden länger. Machen wir uns nichts vor: Die Zeche für die Krise zahlt das Volk. Die Banken maximieren hingegen weiter ihre Ge- winne – ohne Rücksicht auf Verluste, denn die über- nimmt ja sowieso der Staat. So wird mit allem gezockt, was Rendite verspricht. Auch vor Nahrungsmittelspeku- lation auf Kosten der Ärmsten machen die Finanzakteure nicht Halt. Viele europäische Staaten sprangen 2009 be- reits einmal für die Verluste ein – die Verschuldung stieg sprunghaft an. Davon profitierten die Banken aufgrund des gestiegenen Risikoaufschlages auf Staatsanleihen in Verbindung mit kostengünstiger Refinanzierung durch billiges Zentralbankgeld. Und ist es nicht blanker Hohn, dass jetzt wieder die Steuerzahler ran sollen, um die An- leger vor einem Zahlungsausfall zu bewahren? Es ist unerträglich, dass seit dem Krisenjahr 2008 nichts unternommen wurde, um die Banken auf ihre ei- gentliche Aufgabe zurückzustutzen: die Versorgung der Wirtschaft mit den nötigen Krediten. Noch unerträgli- cher ist die bisherige Krisenstrategie der Bundesregie- rung. Die infolge der Hilfen aufgezwungenen Sozial-, Renten-, Lohn- und Mindestlohnkürzungen treffen die Falschen – und mindern nicht die Verschuldung! Seit Verabschiedung des ersten „Hilfspakets“ für Griechen- land im Mai 2010 sind die Schulden des Landes um über 50 Milliarden Euro gestiegen, die Schuldenquote ist von 130 auf 170 Prozent des BIP hochgeschnellt. Die Griechen müssen einen völlig anderen Weg ein- schlagen, hin zu einer sozialen und gerechten Gesell- schaft. Denn so sehr die neuen Armen unter den Spar- maßnahmen leiden, so sehr haben sich die Reichen geschützt. Sie bringen ihr Geld ins sichere Ausland, kau- fen in Berlin und Paris Immobilien oder verlegen ihre Firmensitze nach London. Deshalb ist es Zeit für einen konsequenten Steuervollzug in Griechenland und eine Reichensteuer, bei der die 2 000 griechischen Familien, die 80 Prozent des Reichtums besitzen, herangezogen werden. Auch Europa muss endlich sozial werden, oder es wird nicht fortbestehen. Dafür müssen die öffentlichen Haushalte von den Finanzmärkten abgeschirmt werden und direkt über die EZB finanziert werden. Dafür muss die krisenverschärfende Kürzungspolitik sofort gestoppt werden und eine europaweite Millionärsteuer eingeführt werden. Und dafür muss ein sozial-ökologisches Investi- tionsprogramm in Europa her. Nichts davon findet sich hier. Europa darf nicht länger vom Finanzsektor in Geisel- haft genommen werden. Alternativen bieten sich an. Neue Wege sind möglich. Und deshalb habe ich heute gegen das zweite Ret- tungspaket für Griechenland gestimmt. Sahra Wagenknecht (DIE LINKE): Gemeinsam mit meiner Fraktion Die Linke habe ich heute gegen das Griechenland-II-Paket gestimmt, weil es sich hierbei um einen weiteren Rettungsring aus Blei handelt. Statt Grie- chenland zu helfen, wird die griechische Wirtschaft ka- puttgespart und die Bevölkerung in die Armut getrieben. Zum Beispiel soll der Mindestlohn in der Privatwirt- schaft um 22 bis 32 Prozent gekürzt werden, bis 2015 sollen 150 000 Arbeitsplätze im öffentlichen Dienst vernichtet und in großem Stil öffentliches Eigentum ver- scherbelt werden. Dabei wird kein Cent aus dem soge- nannten Rettungspaket bei der griechischen Bevölke- rung ankommen, da die Kredite über ein Sperrkonto Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 19125 (A) ) )(B) (C (D direkt an die Gläubiger weitergereicht werden. Statt die Euro-Krise politisch zu lösen, wird die Zukunft Europas in die Hände großer Finanzkonzerne gelegt und die De- mokratie ausgehebelt. An einen Erfolg des angeblichen Rettungspakets glauben nicht einmal die Retter selbst. So geht die Troika aus Europäischer Zentralbank, Internationalem Währungsfonds und EU-Kommission davon aus, dass das Ziel, die griechischen Staatsschulden bis 2020 auf einen Anteil von 120 Prozent des BIP zu reduzieren, vo- raussichtlich nicht erreicht wird. Auch Finanzminister Schäuble hält es für möglich, dass auf das zweite Ret- tungspaket für Griechenland noch weitere folgen wer- den. Schon das erste Rettungspaket für Griechenland war nur ein Rettungspaket für die Banken. Von den 73 Mil- liarden Euro, die seit Mai 2010 aus dem ersten Hilfs- paket an Griechenland ausgezahlt worden sind, flossen 2010 und 2011 rund 70 Milliarden durch Zins- und Til- gungszahlungen direkt in die Hände von Banken und an- deren privaten Gläubigern. Zusätzlich kauften die Euro- päische Zentralbank und einige nationale Notenbanken den Banken und privaten Gläubigern Anleihen im Wert von circa 70 Milliarden Euro ab. Auf diese Weise konn- ten sich Banken, Versicherungen, Hedgefonds und Be- sitzer großer Vermögen bereits zu einem großen Teil aus der Verantwortung ziehen. Gleichzeitig wurden den Steuerzahlern in der Euro-Zone immer höhere Risiken aufgebürdet. Da der geplante Schuldenschnitt von 53,5 Prozent völlig unzureichend ist und die wachstums- feindliche Kürzungspolitik weitergeht, wird Griechen- land früher oder später einen noch größeren Schulden- schnitt brauchen, der fast ausschließlich die Steuerzahler treffen wird. Statt die Misere immer weiter zu verschärfen, fordern wir, dass die öffentlichen Haushalte der Euro-Zone von den Finanzmärkten abgeschirmt werden. Eine öffentli- che Bank sollte den Staaten zu denselben Konditionen Kredit einräumen, zu denen auch die Banken bei der EZB Kredite erhalten. Dies würde der Spekulation ge- gen einzelne Euro-Staaten ein Ende bereiten und die Zinsen für die öffentliche Hand deutlich senken, da die Zinsmarge für die privaten Banken entfallen würde. Eine solche Abkopplung der Staatsfinanzierung von den Fi- nanzmärkten macht auch einen harten Schuldenschnitt möglich, ohne dass die Euro-Krise eskaliert und Staaten wie Portugal, Irland oder Spanien unter Druck geraten. Im Fall Griechenlands muss der Staat von 75 Prozent seiner Schulden befreit werden. Ein solch harter Schul- denschnitt für Griechenland hätte zwar die Folge, dass einige europäische Banken rekapitalisiert werden müss- ten. Diese Rekapitalisierung könnte man aber dazu nut- zen, um die privaten Großbanken dauerhaft in öffentli- che Hand zu überführen und streng zu regulieren. Um zu vermeiden, dass durch die Kosten für die Rekapitalisie- rung und Verstaatlichung der Banken die Bevölkerung belastet wird, müsste eine europäische Vermögens- abgabe für Millionäre eingeführt werden. Neben der einmaligen Abgabe sind eine Millionärsteuer, eine Fi- nanztransaktionsteuer sowie eine sozial gerechte Steuer- reform notwendig, um ein europaweites Investitionspro- gramm zu finanzieren. Dieses sollte in erster Linie dazu dienen, strauchelnde Wirtschaften wie die griechische zu unterstützen. Schließlich muss Deutschland geeignete Maßnahmen zur Stärkung der eigenen Binnennachfrage ergreifen. Nur so lässt sich die Exportfokussierung über- winden, die eine Ursache dafür ist, dass die Wirtschaft Griechenlands niederkonkurriert worden ist. Anlage 3 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Alexander Funk und Klaus- Peter Willsch (beide CDU/CSU) zur nament- lichen Abstimmung über den Antrag: Finanz- hilfen zugunsten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanz- stabilisierungsfazilität zugunsten der Helleni- schen Republik (Tagesordnungspunkt 1 b) Mit dem neuen „Hilfsprogramm“ in Höhe von 130 Milliarden Euro für den insolventen Staat Griechen- land setzt die Bundesregierung ihre seit Mai 2010 umge- setzte Strategie fort, durch Bürgschaften und Schulden- aufkäufe vom Kapitalmarkt abgeschnittene Staaten über gemeinschaftliche Haftung weiter zu finanzieren. Zu- sammen mit den noch nicht abgerufenen Mitteln des ers- ten Paketes und einer Absicherung der EZB summieren sich die nun beabsichtigten Garantien auf 189,4 Milliar- den Euro. Weder die bisherigen Umsetzungen der zugesagten Reformmaßnahmen in Griechenland noch die durch eine tiefe und sich verstetigende Rezession geprägte wirt- schaftliche Realität in Griechenland rechtfertigen nach unserer festen Überzeugung die Fortsetzung dieses We- ges und eine noch höhere Risikoübernahme durch den deutschen Steuerzahler. Das offensichtliche Scheitern der als einmalig und alternativlos bezeichneten Maßnah- men vom Mai 2010 muss spätestens jetzt eingestanden werden und die Schuldenspirale mit Mut und Entschlos- senheit beendet werden. Den Antrag des Bundesministe- riums der Finanzen lehnen wir daher ab. Unsere Ablehnung beruht dabei auf unserer festen Überzeugung, dass prinzipiell die einschlägigen Euro- päischen Vertragsbestimmungen zum Verbot von Schul- denfinanzierung anderer Länder – AEUV § 125 – sowie das Verbot der Staatsfinanzierung über Kapitalflüsse der EZB wesentliche und unerlässliche Pfeiler der Wäh- rungsunion sind und jede weitere Missachtung dieser Bestimmungen für einen weiteren Vertrauensverlust in die Stabilität der Euro-Zone und damit auch ihrer leis- tungsstarken Länder sorgen. Bereits seit den Beschlüssen zur Erweiterung des Ausleihvolumens der EFSF wird deutlich, dass durch die Übernahme immer weiterer Risiken und Verpflichtungen auch die Zweifel in die Bonität der soliden Schuldner er- heblich steigen. Darüber können auch die zurzeit noch niedrigen Refinanzierungskosten für die deutschen 19126 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 (A) ) )(B) (C (D Staatsschulden nicht hinwegtäuschen. Vor dem Hinter- grund dieser absehbaren Folgen warnen wir mit Nach- druck davor, durch weitere Hilfsleistungen das Vertrauen in die Bonität unseres Landes weiter zu schwächen. Selbst wenn man diese prinzipiellen Erwägungen nicht teilen sollte, macht die spezielle ökonomische und politische Situation in Griechenland nicht nur deutlich, dass vorgeblich einmalige und unter besonderen Um- ständen gewährte Hilfen und Bürgschaften gerade nicht zur Bewältigung der Staatsschuldenkrise führen, sondern vielmehr zur Fortsetzung des Bail Out mit immer weite- ren Mitteln einladen. Diese Anreize zur weiteren Ver- schuldung sollten nach unserer festen Überzeugung jetzt unterbunden werden. Alle bisherigen und alle weiteren Maßnahmenpakete fußen darüber hinaus auf überaus optimistischen ökono- mischen Basisannahmen von Schuldentilgung, Privati- sierungserlösen, Reformumsetzungen und Wirtschafts- wachstum, die an der harten Realität der griechischen Verhältnisse scheitern bzw. unzureichend in Rechnung stellen, dass die massiven Budgeteinschnitte rezessiv wirken und dies noch viele Jahre weiter tun werden. Wir würdigen nichtsdestoweniger die Leistungen der Bundesregierung beim Bestehen auf der Umsetzung ver- traglich festgelegter Reformen in Griechenland und nicht zuletzt die erhebliche Opferbereitschaft der leidge- prüften griechischen Bevölkerung. Unabhängig davon bezweifeln wir aber entschieden, dass die bisherige Strategie den Bürgen, dem insolventen griechischen Staat und seiner nicht wettbewerbsfähigen Wirtschaft sowie nicht zuletzt den Griechinnen und Griechen eine realistische Perspektive für eine bessere und erfolgreichere Zukunft bieten kann. Anlage 4 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Gerold Reichenbach und Rüdiger Veit (beide SPD) zur namentlichen Ab- stimmung über den Antrag: Finanzhilfen zu- gunsten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisie- rungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzstabi- lisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik (Tagesordnungspunkt 1 b) Wir halten es im gesamteuropäischen und deutschen Interesse für geboten, den drohenden Staatsbankrott Griechenlands abzuwenden und das Land gesellschaft- lich, wirtschaftlich und finanziell wieder zu stabilisieren, um unkalkulierbare Risiken für die Euro-Zone, die euro- päische Stabilität und damit auch die Bürger unseres Landes abzuwenden. Diese Stabilisierung kann nur in- nerhalb der Europäischen Union und mit der solidari- schen Hilfe der Euro-Länder gelingen. Gleichwohl konnten wir dem Antrag der Bundes- regierung aus folgenden Gründen nicht zustimmen: Die Notmaßnahmen im ersten und zweiten Hilfspaket haben zu sehr eine rigide Sparpolitik Griechenlands im Blick und sind zu einseitig auf die Stabilisierung der Staatsausgaben orientiert. Diese Orientierung hat die griechische Wirtschaft zusätzlich belastet und das Land in eine mehrjährige Rezession getrieben. Diese Maßnahmen bedeuten in ihrer Unausgewogen- heit einen sozialen Sprengstoff, der geeignet ist, die De- mokratie in Griechenland nachhaltig zu erschüttern. Der finanzielle Nutzen der Maßnahmen ist überhöht. Insbesondere die Zeitkorridore für die Umsetzung der gesetzgeberischen Maßnahmen, die der Regierung Grie- chenlands eingeräumt werden, sind zu kurz und erkenn- bar unrealistisch. Eine Beteiligung privater Gläubiger ist zu spät erwo- gen und umgesetzt worden. Dadurch ist die Wirkung des Schuldenschnitts im Sinne einer nachhaltigen Entlastung Griechenlands erheblich reduziert worden. Wir kritisieren, dass die Notmaßnahmen bisher nicht durch einen hinreichenden Wachstumsimpuls für Grie- chenland – Marshallplan – ergänzt worden sind. Allein durch Fiskalpolitik kann eine nachhaltige Stabilisierung des griechischen Staatshaushaltes nicht gelingen. Im Ge- genteil, sie treibt das Land immer tiefer in die Krise. Die Bundesregierung ist nicht bereit, über Ankündi- gungen hinaus Maßnahmen gegen die tieferen Ursachen der Krise zu ergreifen. Besonders deutlich wird dies bei der Einführung einer Finanztransaktionsteuer. Selbst Frankreich will diese Steuer jetzt mit einer nationalen Initiative einführen. Durch eine solche Steuer können bestimmte Formen der Finanzspekulation begrenzt wer- den. Wer hohes Risiko eingeht, muss auch dafür haften. Zudem kann durch die Steuer eine Beteiligung der Fi- nanzmärkte an den Folgen der von ihnen verursachten Krise erreicht werden. Sowohl in der Bundesrepublik wie auch in Griechen- land und in anderen Ländern der Europäischen Union werden die Risiken und Lasten der Krise einseitig auf die breite Bevölkerung verlagert, während die großen Vermögen und die Profiteure der Spekulation weitge- hend geschont werden. Die Bundesregierung beschreibt die Notwendigkeit, die Dimension, aber auch die Dauer der erforderlichen Hilfen für Griechenland gegenüber der deutschen Bevöl- kerung viel zu unzureichend. Tatsächlich handelt es sich bei der finanziellen und gesellschaftlichen Stabilisierung Griechenlands um eine Generationenaufgabe. Sie erfor- dert neben der Bereitschaft der Griechen zu schmerzli- chen Veränderungen ebenso die Bereitschaft der Deut- schen zur solidarischen Unterstützung. Anlage 5 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Andrej Hunko, Ulla Jelpke und Niema Movassat (alle DIE LINKE) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Repu- Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 19127 (A) ) )(B) (C (D blik; Einholung eines zustimmenden Beschlus- ses des Deutschen Bundestages nach § 3 Ab- satz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäi- schen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik (Tagesordnungs- punkt 1 b) Die Bundesregierung fordert die Zustimmung des Bundestages zum sogenannten zweiten Rettungspaket für Griechenland. Es beinhaltet die Gewährung von Fi- nanzhilfen der EFSF an Griechenland in Form von Dar- lehen von bis zu 189,4 Milliarden Euro – 130 Milliarden Euro neue Hilfen, 24,4 Milliarden Euro nicht ausge- schöpfte Gelder aus dem ersten Griechenland-Paket und eine Absicherung der Europäischen Zentralbank in Höhe von 35 Milliarden Euro. Deutschland übernimmt die Haftung für bis zu 38 Milliarden Euro als Sicherheit für die EFSF. Wir haben aus den folgenden Gründen gegen diese Maßnahme gestimmt: Erstens. Die „Finanzhilfen zugunsten der Helleni- schen Republik“ sind in Wirklichkeit ein weiteres Ban- kenrettungspaket. Ziel ist die Rettung der Gläubiger und nicht der griechischen Bevölkerung. Das Geld der Steu- erzahlerinnen und Steuerzahler wird durch diese Maß- nahmen ein weiteres Mal von unten nach oben umver- teilt werden. Zweitens. Das „Rettungspaket“ wird die Krise nicht lösen, sondern verschärfen. Schon die bisherigen Maß- nahmen haben deutlich gezeigt, dass die europäische Krisenpolitik unter Führung der deutschen Bundesregie- rung auf dem Holzweg ist. Anstatt Auswege aus der Krise zu bieten, treibt diese falsche Politik die griechi- sche Wirtschaft immer weiter in eine Abwärtsspirale. Drittens. Die neuen Maßnahmen sind ein offener An- griff auf die Demokratie. Die EU und allen voran die Merkel-Regierung diktieren eine fatale Politik und um- gehen dabei grundlegende demokratische Verfahrens- weisen. Der Verlust von Souveränitätsrechten, die Ein- richtung eines Sperrkontos zur Schuldenbedienung und das Verbot von Tarifverhandlungen sind Ausdruck die- ses Angriffs. Viertens. Für die griechische Bevölkerung bedeuten die mit den Finanzhilfen für die Banken verknüpften Be- dingungen eine historisch beispiellose soziale Verelen- dung. In Zeiten wirtschaftlicher Rezession wird eine nie da gewesene Kürzungspolitik im Sozialbereich kombi- niert mit massiven Lohnkürzungen, Entlassungen und Privatisierungen. Fünftens. Verantwortlich für die Krise ist nicht die griechische Bevölkerung, sondern die neoliberale Wirt- schaftspolitik, die faktische Enteignung großer Teile der Bevölkerung in Europa und die wiederholte „Rettung“ von Gläubigern. Anstatt die Profiteure der Krise sowohl in Griechenland als auch in Deutschland zur Kasse zu bitten, werden die Krisenlasten der Bevölkerung in Grie- chenland, Deutschland und ganz Europa aufgeladen. Anlage 6 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Beate Müller-Gemmeke, Thilo Hoppe, Maria Klein-Schmeink, Memet Kilic, Monika Lazar und Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn (alle BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Finanzhilfen zugunsten der Helle- nischen Republik; Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanis- musgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik (Tages- ordnungspunkt 1 b) Wir stehen heute vor der Frage, ob wir als Mitglieder des Deutschen Bundestages das zweite Hilfspaket für Griechenland parlamentarisch legitimieren oder nicht. Wie bereits bei früheren Entscheidungen können wir die Details des Hilfspakets, die von den Regierungen der Mitgliedstaaten der Euro-Gruppe ausgehandelt wurden, nicht mehr mit aus unserer Sicht notwendigen Verbesse- rungen versehen. Aber: Die Alternative, nämlich ein Staatsbankrott Griechenlands, wäre sowohl für die grie- chische Bevölkerung als auch für die Europäische Union insgesamt wesentlich schlimmer. Obwohl das zweite Rettungspaket einmal mehr sozial unverträglich ausge- staltet ist und zudem seine Ziele zu verfehlen droht, stimmen wir also dennoch zu. Denn Griechenland braucht Hilfe und unsere europäische Solidarität. Am 7. Mai 2010 haben wir in einer persönlichen Er- klärung geschrieben: „Profitiert von Miss- und Günst- lingswirtschaft und Spekulationen haben nur wenige. Weniger Investitionen, weniger Nachfrage, geschweige denn ein ökologischer Umbau von Wirtschaft und Tou- rismus: Griechenland steht vor einer jahrelangen Rezes- sion, die sich natürlich auch auf den Arbeitsmarkt nie- derschlagen wird. Auch hier werden die Verlierer bestimmt nicht jene sein, die die Misere mit zu verant- worten haben.“ Unsere damaligen Befürchtungen haben sich bewahr- heitet. Griechenland hat beispiellos gespart und ist dafür in eine tiefe Rezession gefallen. Aber dennoch wurde auch beim zweiten Rettungspaket dieser Weg mit bei- spiellosem und teilweise unwürdigem Druck auf Grie- chenland weiter verfolgt. Im Mittelpunkt steht ein Spar- programm bei den Sozialsystemen, Löhnen und Mindestlöhnen. Sparen allein ist aber der falsche Weg. Griechenland muss vielmehr konsolidieren, denn Grie- chenland hat vor allem auch ein Einnahmeproblem. Mil- liarden von Euro wurden durch Steuerhinterziehung dem Zugriff des griechischen Staates entzogen. Das Land be- nötigt Hilfe, seine Vermögen zur Finanzierung der Krise heranzuziehen. Dabei müssen ihm die EU-Partner zur Seite stehen. In der Schweiz allein werden an die 286 Milliarden griechisches Vermögen vermutet. Steuer- flucht können die Europäischen Nationen aber nur ge- meinsam bekämpfen. 19128 Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 (A) ) )(B) (C (D Konsolidieren heißt aber auch investieren. Das neue Sparpaket wird Griechenland aber lediglich tiefer in die Rezession treiben und realwirtschaftlich weiter bremsen. Griechenland braucht nicht nur Kredite, sondern auch Investitionen und ein Programm, das die Wirtschaft an- kurbelt und Perspektiven ermöglicht. Nur ein Green New Deal eröffnet Chancen für Griechenland. Nur wenn in eine zukunftsfähige und nachhaltige Wirtschaft inves- tiert wird, können Wertschöpfung und Arbeitsplätze ge- sichert und Schulden abgetragen werden. Eine reine Sparpolitik schwächt hingegen das wirtschaftliche und soziale System in Griechenland. Die Hilfen bleiben ohne Wirkung. Der überdimensionierte Militärhaushalt wurde zu spät und jetzt zu wenig in die Strukturreform einbezogen. Dafür führt aber der unerträgliche Sparkurs Griechen- land in eine unverantwortliche soziale Schieflage. Das ist nicht akzeptabel. Es trifft die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, Studentinnen und Studenten, Pensionä- rinnen und Pensionäre. Ihnen gilt unsere Solidarität. Denn der strikte Sparkurs führt zu Arbeitslosigkeit, Ar- mut und Obdachlosigkeit und nimmt vor allem den jun- gen Menschen jegliche Perspektiven. Die Kürzung bei- spielsweise des Mindestlohns trifft die Ärmsten und führt gleichermaßen zu einem gleich hohen Nachfrage- rückgang zulasten der griechischen Gewerbetreibenden. Das ist nicht nur unsozial, sondern auch ökonomisch schädlich. Vor allem aber kritisieren wir scharf die Ein- griffe in die Tarifautonomie. Wenn der durch einen na- tionalen Tarifvertrag festgelegte Mindestlohn gesetzlich gekürzt wird und die Tarifpartner nicht mehr frei verhan- deln können, dann greift das tief in das Recht auf freie Tarifverhandlungen ein. Das widerspricht grundlegend der europäischen Grundrechtecharta. Damit erreichen die Sparmaßnahmen ein Ausmaß, das mit dem europäi- schen Sozialmodell nicht vereinbar ist. Nur mit Mindest- standards, Arbeitnehmerrechten und Solidarität ist Europa ein soziales und demokratisches Konstrukt. Natürlich ist ein Konsolidierungskurs notwendig. Mit diesen Bedingungen für das zweite Rettungspaket ist je- doch wieder zu befürchten, dass der griechische Schul- denberg nicht kleiner, sondern größer werden wird. Aus europäischer Solidarität und politischer Verantwortung stimmen wir dennoch dem Rettungspaket zu, denn ein Staatsbankrott Griechenlands wäre noch schlimmer für die Menschen. Anlage 7 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Martin Burkert, Günter Gloser und Ute Kumpf (alle SPD) zur namentli- chen Abstimmung über den Antrag: Finanzhil- fen zugunsten der Hellenischen Republik; Ein- holung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismusgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanz- stabilisierungsfazilität zugunsten der Helleni- schen Republik (Tagesordnungspunkt 1 b) Wir haben unsere Zustimmung zum Abschluss einer Vereinbarung über Notmaßnahmen der EFSF zugunsten Griechenlands in Form von Darlehen – zweites Hilfspa- ket für Griechenland – erteilt, weil ein Staatsbankrott Griechenlands abgewendet werden muss und weil wir der festen Überzeugung sind, dass die finanzielle und gesellschaftliche Stabilisierung Griechenlands nur mit der solidarischen Hilfe der Euro-Länder und nur inner- halb der Europäischen Union gelingen kann. Wir kritisieren am bisherigen Handeln der Bundesre- gierung insbesondere, – dass sich die Notmaßnahmen im ersten und zweiten Hilfspaket zu einseitig auf die Stabilisierung der Staatsausgaben orientieren – diese Orientierung hat die griechische Wirtschaft zusätzlich belastet und das Land in eine mehrjährige Rezession getrieben –, – dass die Maßnahmen in ihrer Unausgewogenheit ei- nen sozialen Sprengstoff beinhalten, der geeignet ist, die Demokratie in Griechenland nachhaltig zu er- schüttern, – dass der finanzielle Nutzen der Maßnahmen überhöht und die Probleme bei deren Realisierung nur unzurei- chend beschrieben werden – insbesondere die Zeit- korridore für die Umsetzung der gesetzgeberischen Maßnahmen, die der Regierung Griechenlands einge- räumt werden, sind zu kurz und erkennbar unrealis- tisch –, – dass eine Beteiligung privater Gläubiger zu spät er- wogen und umgesetzt worden ist – dadurch ist die Wirkung des Schuldenschnitts im Sinne einer nach- haltigen Entlastung Griechenlands erheblich reduziert worden –, – dass die Notmaßnahmen bisher nicht durch einen hin- reichenden Wachstumsimpuls für Griechenland – Marshallplan – ergänzt worden sind – allein durch Fiskalpolitik kann eine nachhaltige Stabilisierung des griechischen Staatshaushaltes nicht gelingen – und – dass die Notwendigkeit, die Dimension, aber auch die Dauer der erforderlichen Hilfen für Griechenland ge- genüber der deutschen Bevölkerung nur unzureichend beschrieben werden – tatsächlich handelt es sich bei der finanziellen und gesellschaftlichen Stabilisierung Griechenlands um eine Generationenaufgabe; sie er- fordert aber die Bereitschaft der Griechen zu schmerzlichen Veränderungen ebenso wie die Bereit- schaft der Deutschen zur solidarischen Unterstützung. Heute auf den Tag genau vor 59 Jahren hat die damals junge Bundesrepublik Deutschland das Londoner Schul- denabkommen unterzeichnet. Nach der moralischen Katastrophe und dem unermesslichen Leid zweier Weltkriege haben damals 70 Staaten, darunter auch Grie- chenland, einem 50-prozentigen Erlass der deutschen Vor- und Nachkriegsschulden zugestimmt. Dieser Schul- denschnitt war zusammen mit dem Marshallplan die Grundlage für den raschen wirtschaftlichen Aufstieg der Bundesrepublik. Wir haben allen Grund, uns bei unseren Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 160. Sitzung. Berlin, Montag, den 27. Februar 2012 19129 (A) ) )(B) (D Gabriele Lösekrug-Möller, Katja Mast, Manfred Nink, Mechthild Rawert, Stefan Rebmann, Dr. Carola Reimann, Sönke Rix, Karin Roth (Esslingen), Ewald Schurer, Frank Schwabe, Rolf Schwanitz, Dr. Carsten Sieling, Christoph Strässer und Franz Thönnes (alle SPD) zur namentlichen Abstimmung über den Antrag: Finanzhilfen zugunsten der Helleni- schen Republik; Einholung eines zustimmen- den Beschlusses des Deutschen Bundestages nach § 3 Absatz 1 des Stabilisierungsmechanis- musgesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität zugunsten der Hellenischen Republik (Tages- ordnungspunkt 1 b) Wir haben unsere Zustimmung zum Abschluss einer Vereinbarung über Notmaßnahmen der EFSF zugunsten Griechenlands in Form von Darlehen – zweites Hilfspa- ket für Griechenland – erteilt, weil ein Staatsbankrott Griechenlands abgewendet werden muss und weil wir der festen Überzeugung sind, dass die finanzielle und gesellschaftliche Stabilisierung Griechenlands nur mit der solidarischen Hilfe der Euro-Länder und nur inner- halb der Europäischen Union gelingen kann. Wir kritisieren am bisherigen Handeln der Bundes- regierung insbesondere, – dass sich die Notmaßnahmen im ersten und zweiten Hilfspaket zu einseitig auf die Stabilisierung der Staatsausgaben orientieren. Diese Orientierung hat Wirkung des Schuldenschnitts im Sinne einer nach- haltigen Entlastung Griechenlands erheblich reduziert worden. – dass die Notmaßnahmen bisher nicht durch einen hin- reichenden Wachstumsimpuls für Griechenland – Marshallplan – ergänzt worden sind. Allein durch Fiskalpolitik kann eine nachhaltige Stabilisierung des griechischen Staatshaushaltes nicht gelingen. – dass die Notwendigkeit, die Dimension, aber auch die Dauer der erforderlichen Hilfen für Griechenland ge- genüber der deutschen Bevölkerung nur unzureichend beschrieben werden. Tatsächlich handelt es sich bei der finanziellen und gesellschaftlichen Stabilisierung Griechenlands um eine Generationenaufgabe. Sie er- fordert aber die Bereitschaft der Griechen zu schmerz- lichen Veränderungen ebenso wie die Bereitschaft der Deutschen zur solidarischen Unterstützung. Heute auf den Tag genau vor 59 Jahren hat die damals junge Bundesrepublik Deutschland das Londoner Schul- denabkommen unterzeichnet. Nach der moralischen Katastrophe und dem unermesslichen Leid zweier Welt- kriege haben damals 70 Staaten, darunter auch Griechen- land, einem 50-prozentigen Erlass der deutschen Vor- und Nachkriegsschulden zugestimmt. Dieser Schulden- schnitt war zusammen mit dem Marshallplan die Grund- lage für den raschen wirtschaftlichen Aufstieg der Bun- desrepublik. Wir haben allen Grund, uns bei unseren heutigen Entscheidungen an die eigene Geschichte zu er- innern. (Cheutigen Entscheidungen an die eigene Geschichte zu er- innern. Anlage 8 Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Sabine Bätzing- Lichtenthäler, Doris Barnett, Uwe Beckmeyer, Gerd Bollmann, Edelgard Bulmahn, Elvira Drobinski-Weiß, Petra Ernstberger, Karin Evers-Meyer, Elke Ferner, Iris Gleicke, Martin Gerster, Angelika Graf (Rosenheim), Michael Groß, Hans-Joachim Hacker, Klaus Hagemann, Gustav Herzog, Frank Hofmann (Volkach), Dr. h. c. Susanne Kastner, Ulrich Kelber, die griechische Wirtschaft zusätzlich belastet und das Land in eine mehrjährige Rezession getrieben. – dass die Maßnahmen in ihrer Unausgewogenheit ei- nen sozialen Sprengstoff beinhalten, der geeignet ist, die Demokratie in Griechenland nachhaltig zu er- schüttern. – dass der finanzielle Nutzen der Maßnahmen überhöht und die Probleme bei deren Realisierung nur unzurei- chend beschrieben werden. Insbesondere die Zeitkor- ridore für die Umsetzung der gesetzgeberischen Maß- nahmen, die der Regierung Griechenlands eingeräumt werden, sind zu kurz und erkennbar unrealistisch. – dass eine Beteiligung privater Gläubiger zu spät er- wogen und umgesetzt worden ist. Dadurch ist die 160. Sitzung Inhaltsverzeichnis TOP 1 Regierungserklärung Finanzhilfen für Griechenland Anlagen
Gesamtes Protokol
Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716000000

Die Sitzung ist eröffnet. Nehmen Sie bitte Platz.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die heutige Sitzung
habe ich gemäß Art. 39 Abs. 3 des Grundgesetzes in
Verbindung mit § 21 Abs. 2 unserer Geschäftsordnung
aufgrund des Verlangens aller Fraktionen im Hause ein-
berufen.

Ich rufe den Tagesordnungspunkt 1 a und b auf:

a) Abgabe einer Regierungserklärung durch die
Bundeskanzlerin

Finanzhilfen für Griechenland und Europäi-
scher Rat am 1./2. März 2012 in Brüssel

b) Beratung des Antrags des Bundesministeriums
der Finanzen

Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Re-
publik; Einholung eines zustimmenden Be-
schlusses des Deutschen Bundestages nach § 3
Absatz 1 des Stabilisierungsmechanismus-
gesetzes (StabMechG) für Notmaßnahmen der
Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität zu-
gunsten der Hellenischen Republik

– Drucksachen 17/8730, 17/8731, 17/8735 –

rung 90 Minuten vorgesehen. – Ich höre keinen Wider-
spruch. Dann ist das so beschlossen.

Das Wort zur Abgabe einer Regierungserklärung hat
die Bundeskanzlerin Frau Dr. Angela Merkel.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Angela Merkel (CDU):
Rede ID: ID1716000100

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die

Staatsschuldenkrise in Europa ist die schwerste Bewäh-
rungsprobe in der Geschichte der europäischen Eini-
gung, und ihre Überwindung ist die große Herausforde-
rung für uns alle – für uns alle, die wir heute politische
Verantwortung tragen.

Die Bundesregierung hat nie einen Zweifel daran ge-
lassen, dass sie alles tun wird, damit Europa diese Be-
währungsprobe nicht nur besteht, sondern damit Europa
gestärkt aus dieser Bewährungsprobe hervorgeht.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Gilt das auch für den Innenminister? – Beifall bei der CDU/ CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


In dieser Lage waren es gerade Deutschland und die
Bundesregierung, die immer wieder vor der Illusion
schneller und einfacher Lösungen gewarnt haben.
Ich weise darauf hin, dass Ihnen inzwischen auch die
Unterrichtung des Bundesministeriums der Finanzen
über das vorläufige Troika-Update, also die aktualisierte
Fassung der zunächst mündlich in den Ausschüssen am
Freitag vorgetragenen Einschätzung der griechischen
Schuldentragfähigkeit und zur öffentlichen Finanzie-
rung, vorliegt, die ich, nachdem ich sie heute Mittag in
einer deutschen Übersetzung erhalten habe, unverzüg-
lich habe verteilen lassen. Sie liegt auch draußen an den
bekannten Stellen für diejenigen Kollegen aus, die da
noch Einsicht nehmen möchten.

Über den Antrag des Bundesministeriums der Finan-
zen werden wir später namentlich abstimmen. Zu beiden
Punkten liegen mehrere Entschließungsanträge vor.

Nach einer interfraktionellen Vereinbarung sind für
die Aussprache im Anschluss an die Regierungserklä-


(Fritz Kuhn [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Siehe Friedrich!)


Wir warnen unverändert davor, weil es die schnelle und
einfache Lösung, einen Befreiungs- oder Paukenschlag
nicht gibt.

Wir befinden uns vielmehr inmitten eines langen Pro-
zesses aufeinanderfolgender Schritte und Maßnahmen,
und dieser Prozess wird Jahre in Anspruch nehmen.
Europa muss zeigen, dass es die richtigen Lehren aus der
Krise zieht. Seit dem Beginn dieser Krise vor zwei Jah-
ren sind wir ein gewaltiges Stück vorangekommen.
Heute sind wir uns in Europa über die Ursachen der
Krise einig: die übermäßige Staatsverschuldung, eine
mangelnde Wettbewerbsfähigkeit einiger Euro-Staaten
sowie grundlegende Fehler in der Konstruktion der Wirt-
schafts- und Währungsunion.





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) )


)(B)


(C (D Daraus folgt: Wenn wir Lösungen akzeptieren, die die Ursachen dieser Krise bekämpfen, dann können und dann werden wir auch den Weg finden, um wieder aus dieser Krise herauszukommen. Wenn wir unumkehrbare Schritte hin zu einer nachhaltigen Stabilitätsunion gehen, dann beenden wir auch den Weg in die immer tiefere Verschuldung, an deren Ende nicht nur einzelne europäische Mitgliedstaaten am Abgrund stehen, sondern Europa als Ganzes. Europa scheitert, wenn der Euro scheitert. Europa gewinnt, wenn der Euro gewinnt. Der Euro gewinnt, wenn wir eine Stabilitätsunion schaffen, die diesen Namen tatsächlich verdient, weil sie von einem starken Fundament aus Solidität, Wachstum und Solidarität getragen ist. Solidität, Wachstum und Solidarität, sie sind auch die Grundlage des neuen Griechenland-Pakets, auf das sich die Finanzminister der Euro-Gruppe nach harten Verhandlungen in der letzten Woche geeinigt haben. Wie von den Staatsund Regierungschefs im Oktober letzten Jahres beschlossen, soll der griechische Schuldenstand von heute über 160 Prozent auf 120,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahre 2020 zurückgeführt werden. Dennoch ging und geht es bei Griechenland nicht allein ums Sparen, so unausweichlich das auch ist; es geht darum, Griechenland wettbewerbsfähig zu machen und auf einen nachhaltigen Wachstumspfad zu führen. Dies wird nur gelingen, wenn alle ihren Beitrag leisten, vorneweg natürlich Griechenland selbst, indem es eine umfassende Reformagenda umsetzt. Es führt kein Weg daran vorbei, frühere Fehlentwicklungen jetzt zu korrigieren. So sind in Griechenland zum Beispiel die Löhne nach der Einführung des Euro Jahr für Jahr stärker gestiegen als die Leistungsfähigkeit der Wirtschaft; entsprechend sank die Wettbewerbsfähigkeit. Beides muss wieder in ein vernünftiges Verhältnis gebracht werden, wenn es neues Wachstum geben soll. Deshalb sollen mit dem neuen Programm gerade diejenigen mehr in die Pflicht genommen werden, die sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung bisher nur allzu leicht entziehen konnten. (Dr. Ilja Seifert [DIE LINKE]: Die Millionäre!)


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Dazu gehört auch, dass Griechenland mit europäischer
Unterstützung seine Steuerverwaltung deutlich verbes-
sert. Gerade die Bezieher hoher Einkommen müssen ih-
ren Beitrag zur Finanzierung des griechischen Gemein-
wesens leisten, meine Damen und Herren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Griechenland muss in den kommenden Jahren seinen
Staatsapparat grundlegend modernisieren, umfassende
Strukturreformen durchführen, zum Beispiel durch die
stärkere Öffnung bislang geschlossener Märkte und Be-
rufsgruppen. Dazu sind jetzt im griechischen Parlament
wichtige Beschlüsse gefasst worden. Es gilt jetzt, diese

Beschlüsse auch wirklich umzusetzen. Nur dies wird
mittelfristig die Wachstumschancen und damit auch das
Leben jedes einzelnen Bürgers Griechenlands verbes-
sern. Das ist auch dringend erforderlich; denn den Men-
schen in Griechenland wurde bereits Außerordentliches
abverlangt. Aber nur durch solche Schritte wird den
Menschen in Griechenland eine Perspektive für eine
wirklich bessere Zukunft eröffnet.

Auch wenn ich die Letzte bin, die irgendetwas schön-
reden wollte,


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na! Vorsicht, Frau Bundeskanzlerin!)


so sollten wir doch zur Kenntnis nehmen, dass Griechen-
land in den letzten zwei Jahren bei allen Rückschlägen
durchaus auch Fortschritte erzielt hat. Es ist der griechi-
schen Regierung zum Beispiel gelungen, das Primärdefi-
zit von 10,6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahre
2009 auf 2,4 Prozent im letzten Jahr zu senken. Den-
noch: Der vor Griechenland liegende Weg ist lang, und
er ist wahrlich nicht ohne Risiken. Dies gilt auch für den
Erfolg des neuen Programms. Eine hundertprozentige
Erfolgsgarantie kann niemand geben.

Ich rede auch gar nicht drum herum: Immer wieder
mussten und müssen wir Probleme bei der Umsetzung
der Reformmaßnahmen feststellen. Immer wieder muss-
ten und müssen wir erleben, dass Worten keine oder zu
wenige Taten folgen, dass Griechenland seine Zusagen
nicht eingehalten hat. Um dem Einhalt zu gebieten, wird
die Kommission die Überwachungskapazität vor Ort
verstärken; so haben es die Staats- und Regierungschefs
im Oktober letzten Jahres beschlossen. Genau dem dient
auch die Einrichtung eines Sonderkontos für den Schul-
dendienst, das in der griechischen Verfassung verankert
werden soll. Damit setzt Griechenland ein notwendiges
Zeichen, nach dem Schuldenschnitt zu den verbleiben-
den Verbindlichkeiten gegenüber öffentlichen und priva-
ten Gläubigern zu stehen.

Wir haben seit langem deutlich gemacht: Auch der
Privatsektor muss seinen Beitrag leisten. Dies geschieht
jetzt, indem er griechische Anleihen bei einem Verlust
von 53,5 Prozent des Nennwerts gegen neue Anleihen
mit längeren Laufzeiten und weiter gesenkten Zinsen
tauscht. Wir ermutigen alle privaten Inhaber von Anlei-
hen nachdrücklich, dieses Tauschangebot anzunehmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Die Mitgliedstaaten der Euro-Zone und des IWF wer-
den ihren Beitrag leisten, indem sie das neue Programm-
paket mit zusätzlicher öffentlicher Hilfe von bis zu
130 Milliarden Euro unterstützen. Dass der IWF weiter-
hin einen signifikanten Beitrag leistet und seine Erfah-
rung und Expertise einbringt, ist für die Bundesregie-
rung unabdingbar. Das neue Programm läuft bis 2014.
Die Unterstützung wird in Tranchen und immer vorbe-
haltlich der Erfüllung der Auflagen zur Verfügung ge-
stellt.

Ich kenne die Stimmen derer, die fragen, ob Grie-
chenland nicht ein Fass ohne Boden sei, ein hoffnungs-





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) )


)(B)


(C (D loser Fall, ob es nicht für alle besser sei, wenn Griechenland wieder die Drachme einführte, (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da sitzt er! Friedrich heißt er! – Zuruf: Er sitzt auf Ihrer Regierungsbank! – Weitere Zurufe)


seine Währung abwertete und so Wettbewerbsfähigkeit
zurückgewinnen könnte, ob es, in einem Wort, der Euro-
Zone ohne Griechenland nicht besser ginge als mit Grie-
chenland.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Da zuckt der Innenminister die Schultern!)


Diese Fragen haben ihre Berechtigung. Nach Abwägung
aller Pro- und Kontraargumente komme ich jedoch zu
dem Ergebnis, dass die Chancen, die in dem neuen Pro-
gramm liegen, seine Risiken überwiegen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Vor allem überwiegen die Chancen die Risiken, die
darin liegen, sich jetzt von Griechenland abzuwenden.
Ich halte diese Risiken für unkalkulierbar und deshalb
für nicht verantwortbar. Niemand kann abschätzen, wel-
che Konsequenzen eine immer noch ungeordnete Insol-
venz Griechenlands für uns alle und damit auch für die
Menschen in Deutschland hätte. Niemand kann abschät-
zen, welche Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung
in Deutschland entstünden. Niemand kann abschätzen,
welche Auswirkungen eine Verweigerung des zweiten
Griechenland-Programms auf die anderen Programmlän-
der Portugal und Irland, gegebenenfalls dann auf Spa-
nien und Italien, schließlich auf die Euro-Zone insge-
samt und letztlich auf die ganze Welt hätte.

Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutsch-
land soll und muss ich zuweilen Risiken eingehen;
Abenteuer darf ich aber nicht eingehen: Das verbietet
mein Amtseid.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das gilt dann aber auch für die Koalition mit der FDP!)


Deshalb tue ich das auch nicht, sondern werbe nach Ab-
wägung des Für und Wider, nach Abwägung aller Vor-
und Nachteile dafür, jetzt die Chancen, die wir Grie-
chenland mit dem neuen Programm eröffnen, zu erken-
nen und zu nutzen – für Griechenland wie für die Euro-
Zone insgesamt. Denn das Bemühen um eine nachhal-
tige Stabilisierung Griechenlands dient nicht nur Grie-
chenland, sondern ist ein wichtiger Baustein, mit dem
wir eine neue Stabilitätsunion in Europa schaffen. Damit
liegt die nachhaltige Stabilisierung Griechenlands nicht
nur im Interesse des Landes selbst, sondern sie liegt im
Interesse der Euro-Zone insgesamt, sie liegt im europäi-
schen Interesse und damit auch im deutschen Interesse.
Deshalb bitte ich Sie um Zustimmung für das neue Grie-
chenland-Programm.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Bei allen Maßnahmen geht es im Ergebnis darum,
Spielräume für eine nachhaltige Politik zurückzugewin-
nen. Eine nachhaltige Politik geht nicht auf Kosten kom-
mender Generationen, sondern eröffnet neben dem
Schuldendienst Spielräume für Investitionen in die Zu-
kunft. Für eine solche nachhaltige Politik können wir in
Europa Fortschritte verzeichnen. Italien, die drittgrößte
Volkswirtschaft der Euro-Zone, will durch weitere Spar-
maßnahmen bereits im nächsten Jahr einen ausgegliche-
nen Haushalt erreichen. Es wird seine Produktivität ver-
bessern, indem zum Beispiel die Wettbewerbsbehörde
gestärkt, Dienstleistungen liberalisiert und Genehmi-
gungsverfahren für strategische Infrastrukturprojekte
vereinfacht werden.

Spanien, die viertgrößte Volkswirtschaft der Euro-
Zone, hat eine Schuldengrenze beschlossen, die vor al-
lem auch die nachgeordneten Verwaltungen zu ausgegli-
chenen Haushalten verpflichtet. Eine umfassende
Arbeitsmarktreform soll die Schaffung längerfristiger
Beschäftigungsverhältnisse fördern und die Qualifika-
tion spanischer Arbeitnehmer erhöhen. Damit werden
wichtige Wachstumsimpulse gesetzt.

Irland hat 2011 das vereinbarte Defizitziel nicht nur
erreicht, sondern die vorgegebene Defizitmarke sogar
unterboten. Wichtige Strukturreformen, vor allem im
Finanzsektor, und tiefe Einschnitte im Haushalt werden
umgesetzt. Die gestiegene Wettbewerbsfähigkeit stärkt
Exporte und Wachstum. Wir können sagen, dass die In-
vestoren bereits nach Irland zurückkehren.

In Portugal konnte sich die Regierung Coelho mit den
Sozialpartnern auf weitreichende Maßnahmen zur Flexi-
bilisierung des Arbeitsmarktes und eine aktive Arbeits-
marktpolitik verständigen. Da das Reformprogramm
trotz der damit verbundenen Härten breite politische und
gesellschaftliche Unterstützung genießt, besteht die
große Chance, dass die Maßnahmen auch tatsächlich
umgesetzt werden können.

Wir sehen: Die Europäer haben begonnen, Struktur-
reformen anzupacken, die längst überfällig waren. Dies
gilt für die nationale Ebene, und dies gilt auch für die
europäische Ebene. Das bedeutet stärkere politische Zu-
sammenarbeit. Das heißt, wir müssen die Konstruktions-
fehler der Wirtschafts- und Währungsunion auch in Eu-
ropa beheben. Wir müssen Schritt für Schritt eine
politische Union schaffen. Nur so wird es tatsächlich ge-
lingen, verlorengegangenes Vertrauen in die Euro-Zone
zurückzugewinnen.

In der Vergangenheit wurde der Stabilitäts- und
Wachstumspakt auch deshalb über sechzigmal verletzt,
weil Regelverstöße niemals Konsequenzen hatten. Da-
mit muss nun endgültig Schluss sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Den Weg, den wir im letzten Jahr mit der Stärkung des
Stabilitäts- und Wachstumspaktes eingeschlagen haben
– Sie erinnern sich an das Wort Sixpack –, haben wir mit
dem Fiskalvertrag noch verbindlicher und konsequenter
fortgesetzt.





Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) )


)(B)


(C (D (Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nee!)


Das Defizitverfahren bekommt endlich den Biss, den es
braucht, um effektiv und glaubwürdig zu sein.

Vor einem Jahr haben sich die Staats- und Regie-
rungschefs im Euro-Plus-Pakt politisch darauf verstän-
digt, nationale Schuldenregeln einzuführen, wie sie in
Deutschland bereits seit 2009 gelten. Heute stehen wir
unmittelbar vor der Unterzeichnung eines verbindlichen
völkerrechtlichen Vertrages, der hierzu klare und ehrgei-
zige Vorgaben macht und eine beim Europäischen
Gerichtshof einklagbare, sanktionsbewehrte Umset-
zungsverpflichtung mit einer klaren Frist enthält. Dieser
Fiskalvertrag soll dem Deutschen Bundestag in Kürze
zur Ratifizierung vorgelegt werden. Damit binden sich
nationale Regierungen und nationale Parlamente in noch
nie da gewesener Weise in einem Kernbereich nationaler
Souveränität, dem Haushaltsrecht. Dies wäre noch vor
wenigen Monaten absolut undenkbar gewesen. Aber das
ist eben auch absolut notwendig. Denn wenn die Krise
eines gezeigt hat, dann das: Die unverantwortliche Haus-
haltspolitik eines Euro-Staats kann die gesamte Euro-
Zone an den Rand des Abgrunds bringen.

Eine neue Stabilitätspolitik führt Europa dagegen aus
der Krise heraus. Tatsächlich erfolgreich wird sie aber
nur dann sein, wenn sie gleichzeitig auch Wachstums-
kräfte freisetzt.


(Zuruf von der LINKEN: Aber wie denn?)


Wachstum braucht Wettbewerbsfähigkeit. Sicherlich
brauchen wir auch Geld für Investitionen. Ich will in die-
sem Zusammenhang noch einmal sagen: Für Griechen-
land sind mehr Gelder für Investitionen vorhanden, als
Investitionen im Augenblick umsetzbar sind. Das gilt im
Übrigen auch für Italien, für Spanien und für andere
Länder. Aber es bedarf eben auch der Wettbewerbsfähig-
keit. Niemand produziert in einem Land, in dem keine
wettbewerbsfähigen Produkte hergestellt werden kön-
nen. Angesichts der größeren internationalen Konkur-
renz müssen wir uns diesem internationalen Wettbewerb
stellen. Wer das nicht tut, wird auf Dauer nicht nachhal-
tig wirtschaften können.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Deshalb besteht nachhaltige Politik einerseits darin,
Fehlentwicklungen früher zu erkennen. Die Bundes-
regierung hat durchgesetzt, dass das neue europäische
Ungleichgewichteverfahren auf die Verbesserung der
Wettbewerbsfähigkeit ausgerichtet ist und nicht etwa da-
rauf, wettbewerbsstarke Mitgliedstaaten mit vermeint-
lich zu positiven Leistungsbilanzen zu bestrafen. In ih-
rem erst kürzlich veröffentlichten Frühwarnbericht hat
die Kommission zwölf Mitgliedstaaten benannt, die sie
vertieft analysieren wird. Deutschland ist der einzige
große Mitgliedstaat, der nicht dazugehört.

Nachhaltige Politik besteht andererseits darin, Wachs-
tum und Wettbewerbsfähigkeit aktiv zu fördern. Deshalb
haben wir uns bereits im März letzten Jahres im Euro-
Plus-Pakt auf mehr Strukturreformen für mehr Beschäf-
tigung verpflichtet. Auf dem Januargipfel haben wir be-

schlossen, besondere Anstrengungen zu unternehmen,
um arbeitslosen Jugendlichen schneller Arbeits-, Fort-
und Ausbildungsmöglichkeiten zu geben. Dazu sollen
nationale, aber auch europäische Ressourcen effizienter
eingesetzt werden. So können zum Beispiel die Struktur-
fondsmittel flexibler und ganz bewusst auch für mittlere
und kleine Unternehmen eingesetzt werden, kombiniert
mit der Notwendigkeit, dann auch junge Menschen ein-
zustellen und ihnen eine Arbeitschance zu geben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Auf dem Rat am kommenden Donnerstag wollen wir ei-
nen Schwerpunkt bei den älteren Arbeitnehmern, den
55- bis 64-Jährigen, setzen.

Im Januar haben wir auch beschlossen, die Voll-
endung des Binnenmarktes voranzutreiben, indem wir
die Rahmenbedingungen für kleinere und mittlere Unter-
nehmen verbessern und Schlüsseltechnologien stärken.
Informations- und Kommunikationstechnologie, Mikro-
und Nanotechnologie, optische Technologien und mo-
dernste Fertigungstechnologien, all das hilft dabei, die
Wettbewerbsfähigkeit der Euro-Mitgliedstaaten und der
gesamten Europäischen Union zu verbessern.

Um Rahmenbedingungen zu schaffen, die Innova-
tionen begünstigen, muss die Wirtschaft weiter von un-
nötigen Bürokratiekosten entlastet werden. Das ist ein
kostenloses Konjunkturprogramm. Das EU-Aktionspro-
gramm zum Abbau unnötiger Verwaltungslasten hat be-
reits Erfolge erzielt. In den untersuchten Bereichen
konnten die Kosten um 22 Prozent gesenkt werden. Vor-
schläge liegen auf dem Tisch, deren Umsetzung eine
weitere Verringerung um bis zu 11 Prozent ermöglicht.
Wir sind sehr froh darüber, dass dieses Programm fortge-
setzt wird.

Die europäische Staatsschuldenkrise zeigt, wie eng
die Geschicke der Euro-Länder, aber auch der übrigen
EU-Mitgliedstaaten inzwischen miteinander verflochten
sind. Jeder Mitgliedstaat trägt Verantwortung für sich
selbst, aber letztlich immer auch für die Euro-Zone als
Ganzes und die Europäische Union. Dieser Eigen- und
Mitverantwortung steht die unverbrüchliche europäische
Solidarität gegenüber, wenn es darum geht, Gefahren
von der Euro-Zone insgesamt abzuwenden.

Wir haben diese Solidarität zunächst durch bilaterale
Hilfen, dann durch den temporären Euro-Rettungs-
schirm EFSF und schließlich durch die Entscheidung für
die Einrichtung eines dauerhaften Krisenbewältigungs-
mechanismus, ESM, unter Beweis gestellt. Zuletzt ha-
ben wir entschieden, den ESM ein Jahr früher als geplant
zu aktivieren. Damit werden wir schon im Sommer die-
ses Jahres über ein dauerhaft schlagkräftiges Instrument
verfügen.

Die Bundesregierung ist bereit, den deutschen Kapi-
talanteil schneller in den ESM einzuzahlen als ursprüng-
lich geplant. Genau darüber werden wir auf dem Rat am
Donnerstag sprechen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oder das Volumen erhöhen!)






Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel


(A) )


)(B)


(C (D Voraussetzung dafür ist, dass auch die anderen Mitgliedstaaten mitziehen. Konkret kann ich mir vorstellen, die Hälfte des deutschen Kapitalanteils, das heißt rund 11 Milliarden Euro, schon in diesem Jahr einzuzahlen und die zweite Hälfte dann im nächsten Jahr. Damit würde die effektive Ausleihkapazität des ESM nach nur zwei Jahren erreicht werden statt, wie bislang geplant, nach fünf Jahren. (Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Das war Ihr Wunsch, fünf Jahre! – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Sie wollten fünf Jahre!)


– Veränderte Verhältnisse erfordern verändertes Han-
deln, und genau das haben wir gemacht.

Die Bundesregierung sieht derzeit keine Notwendig-
keit für eine Debatte über eine Erhöhung der Kapazitäten
von EFSF und ESM. Die Refinanzierungsbedingungen
für Italien und Spanien haben sich dank der dortigen Re-
formanstrengungen sichtlich verbessert. Mit der Um-
schuldung Griechenlands – mit der freiwilligen Um-
schuldung; das will ich allerdings sagen – betreten wir
Neuland. Verläuft sie erfolgreich, sinkt die Ansteckungs-
gefahr für andere Euro-Staaten weiter. Jetzt gilt es aller-
dings erst einmal, den Verlauf dieser Umschuldungsak-
tion abzuwarten. Wir werden am 10. März wissen, ob
die freiwillige Beteiligung die notwendigen zwei Drittel
erfüllt, und dann schauen, wie wir über die CACs die
Umschuldung insgesamt beenden. Das heißt, vor uns lie-
gen noch Tage eines Prozesses, den es in Europa und in
der Euro-Zone so noch nicht gegeben hat.

In einem Wort: Wer Verantwortung übernimmt, wird
immer auch mit der Solidarität der Partner rechnen kön-
nen. Wer Solidarität einfordert, muss auch Verantwor-
tung übernehmen. Deshalb ist die Bundesregierung für
die enge Verknüpfung zwischen der Umsetzung der Ver-
pflichtungen aus dem Fiskalvertrag und der Inanspruch-
nahme von Hilfen aus dem dauerhaften Rettungsschirm
ESM eingetreten, wie sie jetzt in beiden Verträgen ver-
ankert ist.

Bei allem müssen wir stets auch über unseren euro-
päischen Tellerrand schauen. Wir sollten die laufenden
multilateralen und bilateralen Handelsverhandlungen
insgesamt intensivieren, um Wachstumsmöglichkeiten
zu verbessern und vor allen Dingen um zu schauen, dass
wir gerade im transatlantischen Verhältnis unsere Han-
delsaktivitäten vereinfachen, damit sich neue Wachs-
tumsmöglichkeiten eröffnen.

Herr Präsident, meine Damen und Herren, die Grün-
derväter der Europäischen Union haben mit Kraft, mit
Ideen, mit Mut Europa gebaut. Sie haben die Lehren aus
Jahrhunderten schrecklichen Blutvergießens und Leids
in Europa gezogen und Frieden und Freiheit in Europa
verankert. Sie haben das nicht nur für sich getan, son-
dern sie haben es auch für die nachfolgenden Generatio-
nen getan. Jetzt ist es an uns, mit Kraft, mit Ideen, mit
Mut diese europäische Erfolgsgeschichte im 21. Jahr-
hundert fortzuschreiben – für uns, vor allem aber auch
für unsere Kinder und Enkel.

Dem dienen die Maßnahmen, die ich Ihnen heute vor-
gestellt habe: das zweite Griechenland-Programm, für

das ich um Ihre Zustimmung bitte, und der Fiskalvertrag,
der dem Deutschen Bundestag in Kürze zur Ratifizie-
rung vorgelegt wird. Mit ihm beginnen wir, die politi-
sche Union zu schaffen, die politische Union, die bei der
Gründung der Europäischen Wirtschafts- und Wäh-
rungsunion vor 20 Jahren noch nicht geschaffen wurde.
So können wir unser Ziel erreichen, dass Europa stärker
aus dieser Krise hervorgehen wird, als es in sie hineinge-
gangen ist. Das wollen wir erreichen, weil wir nie ver-
gessen: Wir Europäer sind zu unserem Glück vereint.

Ich danke Ihnen.


(Anhaltender Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716000200

Ich eröffne die Aussprache und erteile das Wort dem

Kollegen Peer Steinbrück für die SPD-Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Peer Steinbrück (SPD):
Rede ID: ID1716000300

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und

Kollegen! „Alle große politische Aktion besteht im
Aussprechen dessen, was ist, und beginnt damit“, hat
Ferdinand Lassalle einmal gesagt. Ich frage deshalb,

Rede von: Unbekanntinfo_outline
Rede ID: ID1716000400
Was ist denn nun mit den Einlas-
sungen Ihres Innenministers Friedrich,


(Mechthild Rawert [SPD]: Genau! – Zurufe von der CDU/CSU: Ach! – Oh! Oh!)


der vorschlägt, mit Anreizen dafür Sorge zu tragen, dass
Griechenland aus der Euro-Zone ausscheidet? Hätte das
nicht heute Gegenstand Ihrer Regierungserklärung sein
müssen?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN – Ernst Hinsken [CDU/CSU]: Sie hätten besser zuhören sollen!)


Das, was dieses Mitglied Ihres Kabinetts kurz vor Ihrer
Regierungserklärung zum Besten gegeben hat, läuft dem
Tenor Ihrer Regierungserklärung zuwider. Reicht es
dann, dass Ihr Regierungssprecher ein kleines Dementi
abgibt, oder hätten Sie nicht selber dazu Stellung neh-
men sollen? Ich frage mich, was unter einer sozialdemo-
kratisch geführten Bundesregierung passiert wäre, wenn
jemand von uns so quer im Stall gestanden hätte und Sie
als Opposition dies aufgegriffen hätten.


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Ach, Sie standen früher doch oft genug selber quer im Stall! – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Das ist eher das Normale als das Überraschende!)


Im Übrigen ist es in der Tat so, dass es Beklemmun-
gen gibt, nicht nur in diesem Hohen Hause, sondern auch
bei vielen Menschen, die uns zuhören und die Politik im
Fall von Griechenland verfolgt haben. Das zweite Grie-
chenland-Paket löst erhebliche Verunsicherung und
Zweifel aus. Ich hätte mir gewünscht, dass Sie das viel
deutlicher aussprechen und dass Sie nicht bemänteln,
was Sache ist.





Peer Steinbrück


(A) )


)(B)


(C (D Lassen Sie uns das Kind beim Namen nennen: Das zweite Griechenland-Paket ist auf sehr dünnes Eis gesetzt. Der Beitrag des IWF, der von vielen von Ihnen analog zum ersten Griechenland-Paket zur Voraussetzung gemacht worden ist, steht nicht fest; das Exekutivkomitee wird erst Mitte März dieses Jahres beschließen. Das Ergebnis der Umschuldungsaktion bzw. des Anleihentausches gegenüber den privaten Gläubigern steht noch nicht fest; es wird ebenfalls erst Mitte März dieses Jahres feststehen. Auch die Zustimmung des Zentralbankensektors mit Blick auf seine Hilfsmaßnahmen bzw. seinen Verzicht auf die Gewinne aus Griechenland-Anleihen steht nicht fest. Wir haben es bisher allenfalls mit einer sehr unvollständigen Berichterstattung der Troika über die Schuldentragfähigkeit und die Entwicklung Griechenlands zu tun. Das heißt, das Blatt, das hier heute vom Deutschen Bundestag testiert werden soll, ist sehr lückenhaft. Schlimmer als das: Die Troika kommt in einem internen Papier – anders, als wir öffentlich debattieren – zu dem Ergebnis, dass es Griechenland kaum möglich sein wird, seinen Schuldenstand gemessen an seiner Wirtschaftsleistung bis 2020 auf 120 Prozent abzusenken. Die Troika liefert auch den Grund dafür, der in Ihren bisherigen Äußerungen kaum eine Rolle gespielt hat. Der Grund ist, dass sich die wirtschaftlichen Aussichten dieses Landes kontinuierlich verschlechtern. In einem anderen Szenario, das ebenfalls Gegenstand dieses Berichtes ist, kommt die Troika für Griechenland sogar zu einem Schuldenstand von 160 Prozent im Jahre 2020. Das ist exakt die Schuldenbelastung, die dieses Land heute aufweist. Das ist der Hintergrund für die Entscheidung, die wir heute zu treffen haben. Ganz im Sinne von Lassalle lassen Sie uns also aussprechen: Griechenland wird auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein, und zwar auch nicht kurz nach 2014, sich eigenes Geld auf den Kapitalmärkten zu beschaffen. Dies ist eine höchstwahrscheinliche Entwicklung. Alles andere wäre Augenwischerei. Es wäre auch Augenwischerei, zu glauben, dass Griechenland in der Lage ist – das ist Gegenstand der Erörterung –, bereits ab 2013 oder 2014 einen Primärüberschuss zu erwirtschaften. Ein solcher Primärüberschuss, also ein Überschuss ohne Berücksichtigung von Kapitaldienst und Vermögensveräußerungen, könnte diesem Land nur gelingen, wenn es ein sehr starkes Wachstum erzielen und seine staatliche Einnahmebasis deutlich verbessern würde. Dies ist exakt nicht die Perspektive, die dieses Land hat. Das heißt, der Deutsche Bundestag – also auch Sie alle – wird sich in absehbarer Zeit mit einem dritten Griechenland-Paket befassen, was der Bundesfinanzminister mit einer seltenen Hellsichtigkeit für Vertreter der Bundesregierung auch schon angekündigt hat. Ich weiß nicht, ob er dafür von Ihnen gescholten worden ist, aber in einer ziemlichen Offenheit gibt Herr Schäuble in einem Schreiben an alle Mitglieder des Deutschen Bundestages zu erkennen, dass bei der Lage, mit der wir es zu tun haben, nach 2014 ein drittes Griechenland-Paket von wahrscheinlich mindestens 50 Milliarden Euro erforderlich sein wird. Will sagen: Die Strategie des Zeitkaufens der Bundesregierung durch die bisherige bloße Refinanzierung der Schulden von Griechenland plus einem Spardiktat und Kontrollen ist gescheitert, weil die Zeiten immer schlechter geworden sind. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


(Petra Merkel [Berlin] [SPD]: Genau!)


Die Zeiten werden für Griechenland nicht besser, son-
dern sie werden in einem Abwärtssog – schrumpfende
wirtschaftliche Aktivitäten, zunehmende Arbeitslosig-
keit, auch Jugendarbeitslosigkeit, plus sinkende Steuer-
einnahmen – immer schlechter.

Wir haben ganz nüchtern festzustellen, dass wir fast
zwei Jahre nach dem ersten Griechenland-Paket vom
Mai 2010 trotz einzelner Fortschritte, aber auch vieler
großer leerer „Kisten“, die Sie hier vorgestellt haben,
heute wieder exakt an dem Punkt angekommen sind, von
dem aus wir im Mai 2010 gestartet sind: Griechenland
und die damit verbundenen Infektionsgefahren für die
Europäische Währungsunion und für Deutschland.

Nach zwei Jahren, in denen wir über das Europäische
Semester, über das Sixpack der EU-Kommission, über
den Euro-Plus-Pakt, bei dem ich mich frage, was dort
eigentlich genau passiert, und die EFSF diskutiert haben,
die übrigens nur zeitlich limitiert sein und 2013 auslau-
fen sollte – heute kriegen wir hellauf begeisterte Augen,
wenn wir den ESM als permanenten Schirm bereits ab
Juli für alle Zeiten einführen können –, nach der Hebel-
suche vom Oktober des letzten Jahres – können Sie sich
an den Hebel, das Wort des Monats Oktober, erinnern?
Hat jemand den Hebel seitdem irgendwo gefunden?
Nein, keiner hat den Hebel gefunden –, nach einem lee-
ren Paket für Wachstum und Beschäftigung, nach einem
Fiskalpakt und nach einer mehr oder minder zerlaufen-
den Europa-2020-Strategie sind wir heute, nach vielen
Volten, vielen Pirouetten und einer ziemlichen Spring-
prozession, exakt an demselben Punkt wie vor zwei Jah-
ren.

Darüber ist nicht nur die Rechnung höher geworden
– das alleine ist schon schlimm genug –; auch der Groll
und die Vorurteile in Europa haben auf allen Seiten be-
trächtlich zugenommen. Das Zerrbild vom faulen Grie-
chen wird inzwischen durch das Bild des hässlichen
Deutschen komplettiert. Der Firnis über lang zugeschüt-
tete Bezüge auf die Nazizeit, der von uns für wahr-
scheinlich gehalten wurde, ist, wie wir bedauerlicher-
weise feststellen, sehr dünn, und er bricht gerade wieder
auf.

Daneben wachsen allerdings auch das Unverständnis
und der Zorn der Bürger über den merkwürdigen Golf-
strom der Geldverteilung bzw. Umverteilung, indem
zum Beispiel reiche Griechen sich ihrer Steuerpflicht
und ihrer Verantwortung für ihr Land entziehen, Steuern
in Milliardenhöhe hinterziehen und die Gelder auf
Schweizer Banken transferieren. Über diese Schweizer





Peer Steinbrück


(A) )


)(B)


(C (D Banken oder die Orte, die dabei mitmachen, und deren erklärte Hilfsbereitschaft darf man teilweise auch sehr undiplomatisch Klartext reden und sagen, was sie dort machen. (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wo ist der massive internationale Druck zur Rückfüh-
rung dieser Gelder an den griechischen Fiskus und zur
Rückgabe dieser Vermögen von Schweizer Banken an
Griechenland, wo diese Gelder dringend gebraucht wer-
den?


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sie haben eine Schweiz-Phobie!)


– Ja, lieber Herr Kauder, einige lassen die Kavallerie
auch ausreiten. Sie reden nicht nur davon; sie sind
höchst erfolgreich.


(Beifall bei der SPD – Dr. Michael Meister [CDU/CSU]: Außer dummen Sprüchen nichts getan!)


Das Bild von der Kavallerie ist übrigens sehr hilfreich
gewesen, um überhaupt Fortschritte im Hinblick auf das
Thema der Steuerhinterziehung und des Steuerbetrugs
zu erzielen.


(Beifall bei der SPD)


Ein anderes Beispiel ist, dass selbst die Einbeziehung
der privaten Gläubiger, die Sie übrigens bis Juli 2011
nicht wollten – Ihre Fraktion wollte die Einbeziehung
der privaten Gläubiger nicht –, nicht ganz lupenrein ist.
Denn es ist der Steuerzahler, der das Zückerli, also den
Appetitanreger für die privaten Banken, gibt, dass sie
sich mit 30 Milliarden Euro darauf einlassen. Es ist der
Steuerzahler, der mit mindestens 24 Milliarden Euro – in
früheren Zeiten war auch von 50 Milliarden Euro die
Rede – dazu bereitsteht, die griechischen Banken zu re-
kapitalisieren. Das ist eine zweite Umverteilung.

Eine dritte Umverteilung findet kaum beachtet von
der deutschen Öffentlichkeit statt. Die Europäische Zen-
tralbank lässt in wenigen Tagen einen weiteren Milliar-
dentender losgehen, der Banken in den Stand versetzt,
unlimitiert zu einem sehr geringen Leitzins für drei Jahre
unendlich viel Geld zu leihen. Was machen sie mit dem
Geld zu vielleicht 1 Prozent Zinsen? Sie machen einen
dicken Schnitt, der mindestens 4 bis 5 Prozent bringt.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ja! So ist es!)


Was sagt der Mittelstandsbauch Ihrer Steuerzahler dazu,
meine Damen und Herren von der CDU/CSU?


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Im Sinne Lassalles gilt es, festzustellen, dass die Stra-
tegie des ersten Rettungsplanes vom Mai 2010 auf gan-
zer Linie gescheitert ist. Denn sonst müssten wir uns
heute nicht mit einem zweiten Rettungsschirm für Grie-
chenland mit einem nochmals gesteigerten Volumen be-

schäftigen. Daran trägt die Bundesregierung ein gerüttelt
Maß an Mitschuld.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Ökonomisch sind Sie es, Frau Bundeskanzlerin, die
für die einseitige Fixierung auf das Defizit und die Spi-
ralbewegungen nach unten in Griechenland verantwort-
lich ist.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Politisch hat die Bundesregierung, namentlich die Bun-
deskanzlerin, die Dimension der griechischen Tragödie
für das gesamte europäische Ensemble lange Zeit unter-
schätzt: mit einem Krisenmanagement des Immer-zu-
spät, Zu-wenig und vor allen Dingen Zu-ungefähr.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Sie haben Ihre Politik für die Europäische Währungs-
union lange Zeit nach einer innenpolitischen und inner-
koalitionären Raison d‘Être ausgerichtet, übrigens gele-
gentliche Stammtischbesuche nicht ausgeschlossen.
Natürlich sind von der griechischen Regierung Spar-
anstrengungen, Strukturreformen und eine Verbesserung
der Administration und ihrer Governance, wie es im
Neuhochdeutschen heißt, zu verlangen. Dazu gehört es
seitens Griechenlands auch, die Angebote zur Verbesse-
rung seiner Verwaltung, insbesondere seiner Steuerver-
waltung, anzunehmen. Das Land muss ohne Zweifel
Missmanagement, Misswirtschaft, Klientelpolitik und
Steuerhinterziehung bekämpfen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Das haben wir übrigens als Sozialdemokraten immer
wieder betont. Aber genauso haben wir betont, dass dies
allein nicht reicht. Dies allein wird nicht ausreichen. Mit
einem reinen Sparpaket und allein mit Daumenschrau-
ben wird dieses Land nicht wieder Wind unter die Flügel
bekommen und nicht wieder auf die Beine kommen.

Nur dann, wenn investiert und die Arbeitslosigkeit
insbesondere junger Menschen abgebaut wird und sie
ihre Qualifikation zur Geltung bringen können, fließen
Steuereinnahmen. Nur dann wird Griechenland je wieder
in der Lage sein, Primärüberschüsse zu erzielen, die es
ihm erlauben, an die Kapitalmärkte zurückzukehren.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Es ist die derzeitige Perspektivlosigkeit für viele grie-
chische Bürgerinnen und Bürger in dieser wirtschaftli-
chen Abwärtsspirale, die eine Radikalisierung der grie-
chischen Gesellschaft mitbefeuert. Die Senkung von
Mindestlöhnen als Bestandteil dieses Austeritätspro-
gramms ist nicht nur zynisch; sie ist alles andere als ein
Beitrag zur Erholung der griechischen Wirtschaft.





Peer Steinbrück


(A) )


)(B)


(C (D (Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Verkaufsschlager in Griechenland ist im Augenblick
die Wiederauflage eines sogenannten Hungerkochbu-
ches für verarmte Menschen aus der Zeit der Besatzung
in den 1940er-Jahren.


(Zurufe von der CDU/CSU: Oje! Oje!)


– Das muss man sich vor Augen führen; denn das ist ge-
nau das Europa, das wir nicht wollen.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Die Bundesregierung hat nicht die Kraft gefunden,
den zentralen Mangel schon des ersten Griechenland-
Paketes, geschweige denn den des zweiten Griechen-
land-Paketes zu beseitigen. Das heißt, es fehlen weiter-
hin eine glaubwürdige Wachstumsperspektive, ein kon-
kreter Plan für Investitionen in Griechenland.


(Beifall des Abg. Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])


Was die europäische Ebene, den IWF und die G-20-
Gipfel betrifft, werden Sie, Frau Bundeskanzlerin, von
allen Themen, glaube ich, wieder eingeholt, die Ihre
Koalition zuerst verdrängt und ausschließt, um sie dann
gelegentlich unter Camouflage, Wortschwall und Um-
etikettierung bis zur Selbstverleugnung doch weiter zu
verfolgen. Das erste Beispiel haben Sie selber genannt.
Sie haben gesagt, dass aus Ihrer Sicht eine Aufstockung
der EFSF bzw. des ESM nicht infrage kommt. Ich mache
diesem Hohen Haus die Prognose: Wir werden innerhalb
des nächsten halben Jahres über eine Aufstockung der
EFSF und des ESM beraten, und zwar vor dem Hinter-
grund dessen, was der IWF, die Europäische Kommis-
sion und fast alle anderen europäischen Länder machen.
Warum sagen Sie das dem Publikum und dem Hohen
Hause nicht?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Das alles kommt wieder. Es kommt nicht nur die
Frage der Aufstockung wieder, die bei Ihnen tabuisiert
ist. Insbesondere wenn der Fiskalpakt ratifiziert sein
sollte – die Frage ist, wann das sein wird, vor oder nach
der Sommerpause –,


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Ohne Frankreich, das ist die Frage!)


wird es aus Sicht vieler Mitgliedstaaten der Europäi-
schen Währungsunion die Konditionalität geben, die die
Voraussetzung für Gemeinschaftsanleihen – ein anderes
Wort für Euro-Bonds – sein könnte. Das ist der zweite
Punkt.

Der dritte Punkt ist: Sie machen bis heute aus Ihrer
klammheimlichen Genugtuung, wie ich glaube, gar kei-
nen Hehl, dass die EZB weiter Staatsanleihen auf den
Sekundärmärkten aufkauft, wenn es denn nötig ist. Sie
alle in diesem Saal hoffen, dass das in der Übergangs-
phase weiterhin passiert. Die bösen Stichworte „Trans-

ferunion“ und „Haftungsgemeinschaft“ gehören ledig-
lich zu einer Show, die dazu dient, manche in diesem
Haus zu beruhigen, während ansonsten die EZB exakt
diese Politik fortsetzt. Das führt zu dem Ergebnis, dass
das Haftungspotenzial der Bundesrepublik Deutschland
immer weiter steigt. Warum erzählen wir das den Men-
schen nicht, schenken ihnen nicht reinen Wein im Sinne
von Lassalle ein und sprechen aus, was ist?


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Sie werden sich – um ein viertes Beispiel zu nennen –
auch nicht völlig der Initiative der zwölf Kolleginnen
und Kollegen aus anderen EU-Mitgliedstaaten entziehen
können, die in einem Brief an die Kommission eine Art
europäisches Marshallprogramm vorgeschlagen haben.
Im Zweifelsfall sind Sie als Nachzüglerin dabei, und Sie
werden dafür bezahlen.

Zu all diesen Themen, Frau Bundeskanzlerin, hätten
Sie heute uns, der deutschen Öffentlichkeit reinen Wein
einschenken können. Keiner behauptet, zu wissen, wann,
wo und wie das Ganze enden wird. Aber es wird teurer,
als es uns die Bundesregierung weismachen will. Zur
Bewältigung der Krise steht, wie ich selber weiß, nichts
Hilfreiches in den Lehrbüchern. Auch von den Professo-
ren hören wir sehr unterschiedliche Therapien. Aber es
hat an Teilantworten, an Vorschlägen nicht gefehlt. Ver-
treter meiner Partei haben schon vor anderthalb Jahren
einen Schuldenschnitt für Griechenland – diesen haben
Sie lange abgelehnt –, eine Rekapitalisierung der Ban-
ken, ein europäisches Bankeninsolvenzrecht, eine ehr-
geizige Finanzmarktregulierung und die Einführung au-
tomatischer Sanktionen gefordert, und zwar sowohl vor
als auch nach dem Spaziergang von Deauville.


(Beifall bei der SPD)


Wir haben vor allen Dingen ein wirtschaftliches Aufbau-
programm für Griechenland und andere mediterrane
Länder verlangt. All das könnte aus dem Aufkommen ei-
ner Umsatzsteuer auf Finanzgeschäfte – herkömmlich
genannt Finanzmarkttransaktionsteuer – finanziert wer-
den.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Ach herrje! Für was die alles herhalten muss!)


Wir werden dorthin kommen, allerdings mit großer Ver-
spätung.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)


Wir brauchen heute einen Strategiewechsel, der auf
mehr wirtschaftliche Dynamik statt auf ein Spardiktat
setzt, der auf den Abbau von Ungleichgewichten inner-
halb der Europäischen Währungsunion setzt, der auf den
Stopp der Kapitalflucht in Europa und die Rückführung
von Vermögen insbesondere nach Griechenland setzt
und der eine wirkungsvollere Finanzmarktregulierung in
Gang setzt.

Wenn es trotz der großen, grundsätzlichen Einwände,
die es in meiner Fraktion gegen das zweite Griechen-





Peer Steinbrück


(A) )


)(B)


(C (D land-Paket gibt, doch zu einer breiten Zustimmung kommt, – – – Seien Sie froh darüber! Schauen Sie sich doch Ihre Regierungsbank an! (Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


(Zurufe von der CDU/CSU und der FDP: Ah!)


Diese Selbstgewissheit ist sehr arrogant angesichts der
Einlassungen des Innenministers; normalerweise hätte
bei einer derart kontroversen Haltung gegenüber der
Grundlinie der Bundeskanzlerin ein Trennungsbeschluss
erfolgen müssen, wenn ich das richtig sehe.


(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN)


Wir stimmen aus drei Gründen zu: erstens weil es im
wirtschaftlichen Interesse Deutschlands ist, zweitens
weil es im politischen Interesse Deutschlands ist


(Lachen bei Abgeordneten der FDP)


und drittens weil es um das Ganze geht.


(Zurufe von der FDP: Oh!)


Es geht nicht nur um Griechenland, sondern es geht
um dieses Europa, in dem Freiheit und Demokratie die
Grundfesten unseres gemeinsamen Hauses sind, in dem
die Menschen in Frieden mit ihren Nachbarn leben sol-
len. Ich bin überzeugt, dass, wenn wir – und sei es nur
fahrlässig – eine Renationalisierung unserer Währungen
zuließen, dies eine politische Renationalisierung von Eu-
ropa zur Folge hätte – mit dem Auftauchen von ziemlich
unseligen Geistern, die diese Renationalisierung beför-
dern und nutzen würden.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716000500

Herr Kollege Steinbrück.


Peer Steinbrück (SPD):
Rede ID: ID1716000600

Meine Fraktion, jedenfalls die überwältigende Mehr-

heit, stimmt diesem zweiten Griechenland-Paket zu,


(Volker Kauder [CDU/CSU]: Sehr gut!)


aus einer politischen Verantwortung für Europa. Dies ist
keine Zustimmung zu dem Grundkurs der Bundesregie-
rung. Niemand sollte diese Zustimmung missdeuten;
denn die SPD bleibt damit nur ihrer Tradition treu und
nimmt ihre europäische Verantwortung wahr.

Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.


(Anhaltender Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716000700

Das Wort erhält nun der Kollege Rainer Brüderle für

die FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Rainer Brüderle (FDP):
Rede ID: ID1716000800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die christ-

lich-liberale Koalition ist stolz


(Zurufe von der SPD: Oh! – Sigmar Gabriel [SPD]: Ihr habt noch eine Koalition?)


auf das, was die Bundesregierung für Europa leistet.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Unsere Bundeskanzlerin Angela Merkel und der Finanz-
minister Wolfgang Schäuble haben mit der gesamten
Bundesregierung erfolgreich Weichen gestellt.


(Zuruf von der SPD: Den Innenminister haben Sie vergessen!)


Wir loben das, wir unterstützen das, und wir bringen die
Maßnahmen parlamentarisch auf den Weg. Diese euro-
papolitische Schwerstarbeit sollte die Opposition we-
nigstens zur Kenntnis nehmen. Loben ist nicht der Job
der Opposition, auch wenn das angebracht wäre. So ist
das parlamentarische Spiel. Obwohl Sie Zustimmung
angekündigt haben, machen Sie verbal auf: höher,
schneller, weiter, mehr. Das sind nun einmal die Spiele,
die in der parlamentarischen Welt vorhanden sind. Das
Problem ist nur: Sie sind schon in der Theorie so
schwach, dass Europa froh ist, dass es Sie nicht in der
Praxis erleben muss.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Mich erinnert das an die alte Argumentationsschleife
von Gerhard Schröder. Seine Begründung, als er den
Stabilitätspakt kaputtgemacht hat, war: Wir brauchen
Wachstum, es geht nicht um Stabilität. – Das Resultat
der Schröder-Politik waren Nullwachstum und Rekord-
arbeitslosigkeit. 5 Millionen Menschen ohne Job – das
war das Ergebnis von Rot-Grün.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Dann schafft doch die Agenda ab! – Thomas Oppermann [SPD]: Macht das doch rückgängig!)


Jetzt empfehlen Sie die alten linkskeynesianischen
Rezepte für Griechenland und für ganz Europa. Sagen
Sie doch, dass Griechenland entscheidende Struktur-
reformen braucht! Sie wollen die Probleme mit Geld zu-
schütten. Griechenland hat den Zinsvorteil durch den
Euro nicht für Strukturreformen genutzt. Bundesminister
Schäuble hat die Herausforderungen für Griechenland
kürzlich zu Recht mit der Situation der DDR nach dem
Fall der Mauer verglichen. Das sind Perspektiven von
20 bis 30 Jahren.

In Griechenland kann man den schuldenfinanzierten
Wohlfahrtsstaat in seiner ganzen Pracht besichtigen. Ein
gutes Viertel der Beschäftigten arbeitet im öffentlichen
Dienst. Wahrscheinlich sind es mehr. Die Statistiken
sind nicht sehr aussagekräftig. Das Renteneintrittsalter:
so früh wie möglich. Die Löhne orientieren sich an al-
lem, aber nicht an der Produktivität. Es gibt viele Staats-
monopole und kaum Wettbewerb. Es soll deutsche So-





Rainer Brüderle


(A) )


)(B)


(C (D zialdemokraten geben, die sich so das Paradies auf Erden vorstellen. (Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Thomas Oppermann [SPD]: Da haben Sie mal wieder alle Vorurteile reingebracht!)


Das geht nicht, und so passt es auch nicht zusammen.
Was verteilt werden soll, muss erst erarbeitet werden.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Hier kämpft ein Land um seine Zukunft; hoffentlich
nicht mit dem Rückfall in die Vergangenheit. Ich wün-
sche den Griechen, dass sie Maßhalten lernen:


(Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Das können die Bayern!)


Maßhalten beim Schulden machen, Maßhalten bei den
Demonstrationen und Maßhalten beim Ton, der gegen-
über den europäischen Partnern angeschlagen wird.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Wenn Zeitungen schiefe Vergleiche ziehen, dann ist das
schon ärgerlich genug;


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Meinen Sie die Bild-Zeitung?)


wenn sich aber das Staatsoberhaupt im Ton vergreift,
dann dürfen wir schon einmal die Stirn runzeln. Die Le-
bensgeschichte des griechischen Präsidenten ist bekannt.
Sie kann einiges erklären, aber nicht alles. Es wäre gut,
er hätte die Lebensgeschichte von Personen, die er öf-
fentlich angegriffen hat, auch gekannt.

Griechenland braucht gleichzeitig ein Abbaupro-
gramm für die Schulden und ein Aufbauprogramm für
seine Wettbewerbsfähigkeit. Die europäischen Partner
sind bereit zur Hilfe. Wirtschaftsminister Philipp Rösler
hat konkrete Angebote gemacht: Wir bieten Personal an,
das die Verwaltung unterstützt, wir bieten Hilfe dabei an,
realwirtschaftliche Aufbauprogramme abzurufen und
umzusetzen, und wir helfen bei der Investorensuche. Für
die Privatisierung soll eine Art Treuhandanstalt einge-
richtet werden. Herr Steinmeier hat dies öffentlich unter-
stützt. Ich begrüße das.


(Thomas Oppermann [SPD]: Ein guter Vorschlag!)


Ob die vorgezogenen Neuwahlen der Weisheit letzter
Schluss sind, will ich einmal dahingestellt sein lassen.
Die Versuchung wird groß sein, die Sparmaßnahmen in
den Wahlkampf zu ziehen. Wir brauchen ganz klare
Schutzmaßnahmen, damit die Zusagen eingehalten wer-
den. Wir haben wichtige Leitplanken eingezogen. Vor
Beginn des Schuldenschnitts muss Griechenland die vor-
dringlichen Maßnahmen wie Kürzungen des Mindest-
lohns, der einer der höchsten in Europa ist, sowie die
Rentenreform umsetzen. Für Zins und Tilgung wird ein
Sonderkonto eingerichtet.

Meine Damen und Herren, die Mehrzahl der Investi-
tionen in einer Marktwirtschaft sind private Investitio-
nen. Das setzt Strukturveränderungen, Wettbewerbsfä-
higkeit und Vertrauen voraus. Ihre Idee ist: Der Staat soll
alles machen. – Genau das wäre verkehrt. Nein, es müs-
sen auch private Investitionen erfolgen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Die Troika der Europäischen Kommission, der Euro-
päischen Zentralbank und des Internationalen Wäh-
rungsfonds überwacht die Fortschritte permanent. Da-
nach wird ausgezahlt. Es gibt kein Geld ohne
Fortschritte. Ein bisschen muss der Daumen schon
draufgehalten werden. Das Hilfspaket von heute ist auch
die Voraussetzung für die private Gläubigerbeteiligung.
Dies soll den Schuldenschnitt mit abfedern. Die Maß-
nahmen sollen das griechische Finanzsystem stabilisie-
ren. Noch läuft die Frist. Wir setzen auf eine hohe Betei-
ligung der privaten Gläubiger und unterstützen den
Appell der Bundeskanzlerin. Es wird noch schwieriger
Verhandlungen, auch mit dem Internationalen Wäh-
rungsfonds, bedürfen. Deshalb ist das, was wir heute in
Bezug auf die private Gläubigerbeteiligung beschließen,
ein Stück weit ein konditionierter Beschluss. Wir wollen
den IWF dabeihaben. Entscheidend dafür ist seine Ex-
pertise.

Der grüne Abgeordnete Cohn-Bendit hat die Troika
im Europaparlament kürzlich als neoliberale Taliban be-
schimpft. Man kann da eigentlich nur sagen: Oh Herr,
lass Hirn vom Himmel fallen!


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Passen Sie auf, dass es Sie nicht trifft!)


– Herr Trittin, dass Sie sich aufregen, ist putzig. Sie hat
Cohn-Bendit vor kurzem als „Klugscheißer“ bezeichnet.


(Heiterkeit bei Abgeordneten der FDP)


Ich wiederhole nicht die Bezeichnung, ich teile sie we-
der in der Wortwahl noch in der Analyse; es ist Ihr
Freund Cohn-Bendit, der Sie als „Klugscheißer“ be-
zeichnet.

Die Troika macht teilweise den Job, den die griechi-
sche Regierung über viele Jahre nicht gemacht hat. Des-
halb verdient die Troika Respekt und Anerkennung, dass
sie die wirtschaftliche Basis schaffen will, damit man ei-
nen entsprechenden Aufbau bewerkstelligt. Das muss
anerkannt werden und darf nicht in den Schmutz gezo-
gen werden.

Ihre rot-grünen Rezepte zur Bekämpfung der Schul-
denkrise sind jedenfalls vollkommen untauglich. Sie
wollen die Vergemeinschaftung der Schulden durch
Euro-Bonds – heute wieder vorgetragen –, Sie wollen ei-
nen Einheitszinssatz; das ist Zinssozialismus. Nehmen
Sie doch zur Kenntnis: Mit Sozialismus gibt es keinen
Fortschritt, weder in Europa noch in Deutschland.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Widerspruch bei der SPD)






Rainer Brüderle


(A) )


)(B)


(C (D Die Grünen wollen eine Banklizenz für den Rettungsschirm, also Zugriff auf die Notenpresse. Bei der SPD kommt es immer darauf an, welcher Kanzlerkandidat in spe gerade spricht. (Sigmar Gabriel [SPD]: Darauf habe ich gewartet!)


Herrn Steinbrück haben wir heute gehört – die Bazooka.
Herr Gabriel will alles und nichts. Herr Steinmeier hält
sich klug zurück. Insofern sind Sie drei Fragezeichen.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Solange Sie den Wettbewerb machen nach dem Motto
„Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der schönste
Sozi im Land?“, werden Sie so bleiben, wie Sie sind,
nämlich unklar in Ihrer Haltung.

Frau Künast gibt zu Protokoll, unsere Bundeskanzle-
rin sei von der Realität getrieben. Ich frage mich: Was
treibt Sie politisch an? Fantasien oder Fantastereien?


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Realität ist immer die Basis von Politik; da hat die Kanz-
lerin völlig recht.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)


Die Grünen wollen, dass Deutschland keine Export-
überschüsse mehr macht. Meine Damen und Herren, das
ist natürlich nichts anderes als Deindustrialisierungspoli-
tik.


(Lachen des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Thomas Oppermann [SPD]: Morgenthau! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Morgenthauplan!)


Ihr grüner Ministerpräsident will einen Stopp des Stra-
ßenbaus. Seien Sie doch froh, dass wir Exportüber-
schüsse haben, dass wir helfen können! Ich bin froh,
dass wir Autos nach China verkaufen können; Fahrräder
können die selbst bauen.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Tätä, tätä, tätä! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Den Transrapid haben Sie vergessen!)


Das ist Basis für unsere Arbeitsplätze und für unsere
Möglichkeiten. Unsere Exportstärke sichert Arbeits-
plätze und Wohlstand in Deutschland. Wer dagegen ist,
legt die Axt an die Leistungsfähigkeit Deutschlands.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Narrhallamarsch! Rakete!)


Wir haben in den letzten zwei Jahren eine ganze
Reihe von Brandmauern eingezogen. Erste positive Wir-
kungen zeigen sich ja: In Irland, in Spanien, in Italien se-
hen wir konkrete Fortschritte. Wer hätte das vor zwei
Jahren gedacht? Wir sind noch lange nicht über den
Berg, aber Europa ist ein gutes Stück vorangekommen.
Der ESM kommt früher. Die EFSF hat sich als erfolg-
reich erwiesen. Flankiert wird all das von einem Fiskal-

pakt. 25 von 27 EU-Ländern schaffen sich eine Stabili-
tätsarchitektur. Das sind erhebliche Erfolge. Nationale
Schuldenbremsen werden eingebaut. Reden Sie das doch
nicht schlecht! Das ist der Erfolg dieser Bundesregie-
rung, der christlich-liberalen Koalition. Das ist im urei-
genen Interesse Deutschlands und im europäischen Inte-
resse. Das ist realistische, erfolgreiche Politik und nicht
Rückfall in Vorstellungen von vorgestern.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Fundament für einen Erfolg muss eine stabile Wäh-
rung, muss Stabilitätspolitik sein. Es war eine christlich-
liberale Koalition, die den Euro eingeführt hat. Es war
eine grün-rote Regierung, die den Stabilitätspakt kaputt-
gemacht hat.


(Lachen bei Abgeordneten der SPD)


Es ist jetzt wieder eine christlich-liberale Koalition, die
sich für Geldwertstabilität starkmacht. Eine Inflations-
union wäre fatal. Eine Stabilitätsunion – das ist die Zu-
kunft. Dafür kämpfen wir.


(Anhaltender Beifall bei der FDP – Beifall bei der CDU/CSU – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: So sind die 2 Prozent gesichert! – Sigmar Gabriel [SPD]: Jetzt wissen wir endlich, wer der Frosch ist!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716000900

Gregor Gysi ist der nächste Redner für die Fraktion

Die Linke.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716001000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Bun-

deskanzlerin, im ersten Satz Ihrer Rede haben Sie ge-
sagt, es handele sich um eine Staatsschuldenkrise. Ich
finde, das ist nicht die Wahrheit. Die Wahrheit ist, dass
die Staatsschulden zugenommen haben, als wir eine Fi-
nanzkrise, ausgelöst durch Banken und Spekulanten,
hatten. Das müssten Sie hinzufügen. Ansonsten denkt
man, die Staaten seien schuld. Nein, erst einmal sind es
die Banken und Spekulanten, auf die die Staaten aller-
dings völlig falsch reagieren.


(Beifall bei der LINKEN)


Beim ersten Rettungspaket ging es um 110 Milliarden
Euro; das war im Mai 2010. Man muss heute sagen: Das
erste Rettungspaket ist gescheitert. Das Ziel war damals,
dass Griechenland bis 2014 wieder auf eigenen Kredit-
beinen steht. Davon ist heute überhaupt keine Rede
mehr. Ich möchte dies nur einmal erwähnen.

Nun soll das zweite Rettungspaket beschlossen wer-
den; es ist zwar ein falscher Begriff, aber das tut hier
nichts zur Sache. Es geht um weitere 165 Milliarden
Euro. Hinzu kommen 24,4 Milliarden Euro aus dem ers-
ten Rettungspaket, die noch nicht verbraucht wurden.
35 Milliarden Euro, die die Verluste von Banken ausglei-
chen sollen, kommen ebenfalls hinzu. Auch das zahlen
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Wie lautet das





Dr. Gregor Gysi


(A) )


)(B)


(C (D Ziel jetzt? Die Schulden sollen bis zum Jahr 2020 von 164 Prozent auf 120 Prozent der Wirtschaftsleistung abgebaut werden. Das ist völlig unrealistisch. Die Überwachungstroika – – Übrigens, Herr Brüderle, Sie sprechen das Wort „Troika“ richtig aus, während es die meisten in der Union falsch aussprechen. Man sagt nicht Tro-i-ka; denn das Wort kommt aus dem Russischen. Fragen Sie die Bundeskanzlerin; sie wird mir recht geben. Abgesehen davon, die Überwachungstroika glaubt selber nicht an einen solchen Schuldenabbau, wie man einem internen Papier entnehmen kann. Das Rettungspaket ist also auch diesmal nicht für die Griechinnen und Griechen geschnürt, sondern ausschließlich für Banken, Vermögensanleger und Hedgefonds. Sie bekommen das Geld, und kein anderer. Außerdem haben die Europäische Zentralbank und auch die nationalen Notenbanken griechische Staatsanleihen für 70 Milliarden Euro von den Privatbanken aufgekauft. Das sind – es tut mir leid, Frau Bundeskanzlerin – Euro-Bonds. Weil diese Staatsanleihen entweder unserer Notenbank oder der Europäischen Zentralbank gehören, haften dafür allein die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler der Euro-Zone und in besonderem Maße die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Ich habe es einmal ausgerechnet, Frau Bundeskanzlerin: Wenn wir alles zusammennehmen – beide Rettungspakete und die Euro-Bonds –, dann geht es um ein Gesamtpaket in Höhe von 345 Milliarden Euro. Die Deutschen haften in einem Umfang von 100 Milliarden Euro. Wenn wir wenigstens sagen könnten, dass wir dadurch Griechenland helfen würden, dann machte das Ganze Sinn. Aber wir helfen Griechenland nicht mit einem einzigen Euro. Insofern setzen wir das Geld in den Sand. Das gilt sowohl für Griechenland als auch für Deutschland. Ich habe es schon gesagt: Auch die 165 Milliarden Euro werden für die drohenden Verluste der privaten Banken und Hedgefonds eingesetzt. Alles wird sozialisiert, und die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haften dafür. (Sigmar Gabriel [SPD]: Für Sozialisierung seid ihr doch auch!)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


Außerdem kommt Folgendes hinzu, was hier so gut
wie gar nicht thematisiert wird: Weihnachten 2011 hat
die Europäische Zentralbank den großen Privatbanken in
Europa ein Darlehen von 500 Milliarden Euro zu dem
traumhaften Zinssatz von 1 Prozent gewährt – und das
Ganze für drei Jahre. Jetzt bekommen die großen priva-
ten Banken von der Europäischen Zentralbank noch ein-
mal 500 Milliarden Euro, wieder für 1 Prozent und wie-
der für drei Jahre. Das ist doch abenteuerlich: 1 Billion
Euro nur für die Liquidität der Banken. Kein Mensch
fragt, woher das Geld kommt. Es wird doch gedruckt,

Frau Bundeskanzlerin; um es einmal im Klartext zu sa-
gen. Woher wollen Sie es denn sonst nehmen?


(Beifall bei der LINKEN)


Die Frechheit besteht doch darin, dass die Banken im
Geld schwimmen. Wenn sie jetzt Staatsanleihen zum
Beispiel von Irland, Portugal oder Spanien kaufen, dann
verlangen sie mindestens 3 bis 4 Prozent Zinsen. Aber
sie müssen nur 1 Prozent Zinsen zahlen. Was ist mit den
Bürgerinnen und Bürgern? Wenn sie ihren Dispokredit
in Anspruch nehmen, dann müssen sie 13 oder 18 Pro-
zent Zinsen zahlen. Aber die Banken zahlen an uns nur
1 Prozent. Das ist eine Unverschämtheit, um es einmal
klipp und klar zu sagen.


(Beifall bei der LINKEN)


Es geht auch um eine schwerwiegende Verletzung des
Eigentumsrechts. Jetzt wundern Sie sich sicher, dass ich
die Verletzung des Eigentumsrechts rüge. Aber das ma-
che ich. Ich will es Ihnen erklären: Normalerweise haftet
jede Eigentümerin und jeder Eigentümer für ihr oder
sein Eigentum. Das heißt, man kann Gewinn daraus er-
zielen, aber wenn man Verluste oder Schulden hat, haftet
man auch dafür. Das gilt für jede Bürgerin und jeden
Bürger sowie für sämtliche Wirtschaftsunternehmen.

Fragen Sie einmal einen Bäckermeister, der Schulden
hat, ob er sich an die Regierung wenden kann und sie
ihm dann einen zinsgünstigen Kredit zu 1 Prozent gibt,
damit er das Ganze zurückzahlen kann.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Fragen Sie einmal die Bäckerei Müller im Freistaat Bayern!)


Fragen Sie einmal den Eigentümer eines Grundstücks,
ob er eine solche Chance hat. Die Einzigen, die über-
haupt kein Risiko eingehen, sind die Banken; denn sie
bekommen immer die Gewinne und die Profite, haften
aber niemals für die Schulden, weil das immer die Steu-
erzahlerinnen und Steuerzahler übernehmen. Das ver-
letzt das Eigentumsrecht schwerwiegend.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich darf daran erinnern: 480 Milliarden Euro haben
wir in einem Rettungsschirm für die Banken zur Verfü-
gung gestellt. Darüber redet ja schon keiner mehr, weil
es drei Jahre her ist. Jetzt wird der Rettungsschirm wie-
derbelebt, es wird wieder Geld daraus gezahlt.

Ich habe bereits von der 1 Billion Euro gesprochen,
die um Weihnachten und jetzt, im Februar, den Banken
gewährt wurde. Man muss sich einmal überlegen, wel-
che Beträge in die Banken fließen. Für all das haften die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler. Das ist eine Unver-
schämtheit und zerstört übrigens auch das gesamte Wirt-
schaftssystem. Wir brauchen keine Banken, die sich je-
des Risiko leisten können, weil für jeden Verlust die
Steuerzahlerinnen und Steuerzahler haften und nicht sie
selbst.


(Beifall bei der LINKEN)


Deshalb ist unsere Forderung völlig berechtigt: Wenn
die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler schon sämtliche





Dr. Gregor Gysi


(A) )


)(B)


(C (D Schulden der Banken bezahlen, dann müssen diese öffentlich-rechtliches Eigentum werden. Ich möchte, dass die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler dann auch die Gewinne und die Profite bekommen – und nicht nur die Schulden. Genau das muss sich ändern. Außerdem sind die großen privaten Banken zu groß. Wir müssen sie verkleinern. Ich nenne Ihnen nur einen Grund: Frau Kohl, die abends im Fernsehen von der Börse berichtet, sagte zu mir bei Jauch: Wenn Sie deutscher Kanzler wären – ich räume ein, eine unwahrscheinliche Vorstellung; sie hat es aber gesagt –, (Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Gute Idee! – Dr. Frank-Walter Steinmeier [SPD]: Gott behüte!)


(Beifall bei der LINKEN)


müssten auch Sie die Deutsche Bank kurz vor einer In-
solvenz retten.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die Frau hat recht! Das sollte Ihnen zu denken geben!)


Da sagte ich: Daran sehen Sie, dass sie zu mächtig ist.

Wieso sind wir alle erpressbar? Wir müssen die Ban-
ken verkleinern. Auch eine Bank muss in Insolvenz ge-
hen können. Wir können immer noch die Sparguthaben
der Leute retten, aber wir müssen nicht die Bank retten.
Wenn wir das müssen, dann ist sie zu mächtig. Deshalb
sage ich: verkleinern, unbedingt regulieren und öffent-
lich-rechtlich gestalten – so wie die Sparkassen. Aber
nicht wie die Landesbanken; denn die waren gegenüber
den Finanzministern weisungsgebunden. Das will ich
nicht. Ich will, dass sie wie die Sparkassen ausgestaltet
werden. Mit diesen hatten wir in der Krise nicht die ge-
ringsten Schwierigkeiten. Sie sind öffentlich-rechtlich
und sehr sinnvoll.


(Beifall bei der LINKEN)


Jetzt komme ich noch einmal zum Paket für Grie-
chenland. Das, was Sie in diesem Zusammenhang ver-
langen, ist derart unsozial, dass es in mir mehr als Er-
staunen auslöst. Wie Sie, Herr Brüderle, in diesem
Zusammenhang von einem Wohlstandsstaat sprechen
können, zeugt von abenteuerlicher Arroganz.


(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Was machen wir denn? Wir sagen: Der Mindestlohn in
Griechenland muss von 751 Euro auf 586 Euro gekürzt
werden. Das ist für Sie ein Wohlstandsstaat? Die Löhne
müssen um 22 Prozent gekürzt werden. 15 000 Menschen
müssen in diesem Jahr und 150 000 Menschen müssen
bis 2014 aus dem öffentlichen Dienst entlassen werden.
Die Renten sollen in den nächsten drei Jahren um
14 Milliarden Euro gekürzt werden. Und da sprechen Sie
hier von einem Wohlstandsstaat?


(Zuruf von der LINKEN: Pfui!)


Die Konsequenzen der bisherigen Politik, der Kür-
zung von Löhnen, Renten und Sozialleistungen sowie

der Privatisierungen, sind die folgenden: Seit drei Jahren
gibt es eine Wirtschaftskrise. Es gibt einen Rückgang der
Investitionen in Griechenland um 50 Prozent. Die Ar-
beitslosigkeit ist von 9 Prozent auf 21 Prozent gestiegen.
Die Jugendarbeitslosigkeit ist auf 50 Prozent gestiegen.
Es gibt weniger Steuereinnahmen und ein Minuswachs-
tum. Und Sie, Frau Bundeskanzlerin, sprechen von Fort-
schritten. Welche Fortschritte in Griechenland sind denn
damit verbunden? Es gibt doch nicht einen einzigen
Fortschritt.


(Beifall bei der LINKEN)


Die Schulden sind um 50 Milliarden Euro angestiegen.
Wir haben jetzt nicht mehr eine Schuldenquote von
130 Prozent der Wirtschaftsleistung, sondern von
170 Prozent der Wirtschaftsleistung.

Wenn man sieht, dass diese verheerende und rigorose
Kürzungspolitik nicht dazu führt, dass wir Griechenland
retten, sondern, ganz im Gegenteil, dazu, dass wir Grie-
chenland immer weiter in die Katastrophe führen, dann
muss man sich doch korrigieren.


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


Wir kennen das doch. Die Siegermächte des Ersten
Weltkrieges haben in Versailles einen Vertrag beschlos-
sen, der Deutschland bis ins Mark gedemütigt hat. Das
war nicht der einzige, aber einer der Gründe, weshalb
der Verbrecher Hitler und die NSDAP so stark wurden.
Die Sieger des Zweiten Weltkrieges – gerade im Wes-
ten – waren viel klüger und beschlossen geringe Repara-
tionen und den Marshallplan zum Aufbau. Sie machen
bei Griechenland Versailles. Die Griechen brauchen aber
Marshall. Das ist das Entscheidende. Genau das findet
nicht statt.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir gefährden die Solidarität innerhalb einer Gesell-
schaft und zwischen den Gesellschaften. Das ist zerstö-
rerisch für Griechenland und die EU. Wir gefährden
auch die Demokratie. Wenn zwei Männer, die in Banken
Funktionen hatten, jetzt die Chefs in Griechenland und
Italien sind – und das auch noch ohne Wahlen –, dann
finde ich das schon abenteuerlich; ich will gar nicht da-
rüber reden.

Herr Schäuble schlägt den Griechen vor, die Wahlen
zu verschieben, weil sie ihm nicht passen. Ich sage nur:
Wo leben wir denn eigentlich?


(Beifall bei der LINKEN)


Und Innenminister Friedrich will Griechenland aus dem
Euro drängen.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716001100

Herr Kollege Gysi, darf Ihnen der Kollege Beck eine

Zwischenfrage stellen?


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716001200

Ja.






(A) )


)(B)


(C (D Ich möchte Sie fragen, was Sie uns gerade mit den Aussagen zum Versailler Frieden mitteilen wollten. Wollten Sie das intonieren im Sinne von „Weg mit dem Versailler Schandfrieden“, wie das früher in der Weimarer Republik gefordert wurde? Ich bin wirklich ein bisschen entsetzt. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Volker Beck (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716001300

(Zurufe von der LINKEN: Oh!)


Man kann doch diese Art von Parolen nicht ohne histori-
schen Zusammenhang aufnehmen. Was war denn 1870/71,
wie war die Vorgeschichte, und was ist mit dem histori-
schen Kontext? Wie beurteilen Sie die Auseinanderset-
zungen zur Verantwortlichkeit im Hinblick auf den Ers-
ten Weltkrieg?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Unglaublich!)



Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716001400

Das werde ich Ihnen sagen, obwohl ich jetzt keinen

gesamthistorischen Vortrag halten kann; das würde ein
bisschen zu weit führen. In Versailles saßen die Sieger-
mächte zusammen. Das war völlig korrekt, ebenso dass
sie einen Vertrag geschlossen haben. Aber sie sind viel
zu weit gegangen, weil sie nicht aufhören konnten, zu
siegen. Dadurch haben sie Deutschland wirtschaftlich,
sozial und politisch in einem Grade gedemütigt, dass
Hitler mit seiner Verbrecherpartei das Ganze nutzen
konnte. Das ist das, was ich ihnen vorwerfe. Da waren
die Westmächte nach dem Zweiten Weltkrieg viel klü-
ger,


(Thomas Oppermann [SPD]: Was hat das jetzt mit Griechenland zu tun?)


indem sie gesagt haben: So machen wir das nicht wieder,
wir machen das anders. – Das ist das Entscheidende.
Wenn Sie das nicht begriffen haben, dann tut es mir leid.


(Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Unmöglich! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Schämen Sie sich! Das ist wirklich relativ!)


Jetzt komme ich leider nicht mehr zum Fiskalvertrag;
ich sage hierzu aber kurz Folgendes: Der Fiskalvertrag
ist deshalb eine Katastrophe, weil Sie die Schulden-
bremse in ganz Europa einführen. Diese macht aber die
Politik handlungsunfähig.


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: Im Gegenteil!)


Damit werden die Zustände immer undemokratischer.
Egal welche Regierung an der Macht ist, sie kann nicht
mehr verantwortungsbewusst handeln. Sie übertragen
jetzt den falschen Weg, den Deutschland mit der
Agenda 2010 und mit der Schuldenbremse eingeschla-
gen hat, auf ganz Europa. An unserem Wesen werden die
Leute nicht genesen.


(Beifall bei der LINKEN)


Wir müssen in Bezug auf Europa endlich klüger werden.
Zum Schluss – meine Redezeit geht zu Ende, Herr

Bundestagspräsident – sage ich Ihnen noch Folgendes:
Ich habe die tapfere Oppositionsrede von Herrn
Steinbrück gehört, jetzt wird auch Frau Künast eine tap-
fere Oppositionsrede halten, und dann stimmen Sie der
Regierungsvorlage wieder zu. Das ist immer dasselbe.


(Thomas Oppermann [SPD]: Aber dass Ihre Rede jetzt vorbei ist, da können wir froh sein!)


Egal ob ich an den Afghanistan-Krieg, die Agenda 2010 –


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716001500

Herr Kollege.


Dr. Gregor Gysi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716001600

– oder die Griechenland-Pakete denke: Immer

herrscht zwischen Union, SPD, FDP und Grünen eine
Konsenssoße. Aber zum Glück gibt es noch die Linke
und damit eine Kraft, die den Mut hat, Nein zu sagen.

Danke schön.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Gut, dass die Rede vorbei ist!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716001700

Nächster Redner ist der Kollege Volker Kauder für

die CDU/CSU-Fraktion.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Volker Kauder (CDU):
Rede ID: ID1716001800

Liebe Kolleginnen! Liebe Kollegen! Ich bin nicht

sprachlos, nur ein wenig erkältet. Aber nach den histori-
schen Kenntnissen, die Gregor Gysi hier vorgetragen
hat, könnte man sprachlos sein.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Es war eine unglaubliche Interpretation des Geschehens
im Zusammenhang mit dem Ausgang des Ersten Welt-
krieges.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Es waren keine Kenntnisse! – Zuruf von der LINKEN: Sie haben doch keine Ahnung vom Versailler Vertrag!)


Noch etwas, Herr Gysi: Ich finde es nicht richtig, dass
Sie hier lachend und grinsend vom Rednerpult gegangen
sind. Auch für die Opposition ist es eine Frage der Ver-
antwortung, wenn es darauf ankommt, zum Euro und zu
unserem Land zu stehen. Diese Verantwortung nehmen
Sie gerade nicht wahr, Herr Gysi. Das ist der Unter-
schied.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich begrüße es außerordentlich, dass der Kollege
Steinbrück gesagt hat, dass die SPD-Bundestagsfraktion
mit großer Mehrheit zustimmen wird. Aber dann, Herr
Steinbrück, hört es mit den Gemeinsamkeiten auch
schon weitgehend auf.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)






Volker Kauder


(A) )


)(B)


(C (D Ich finde es schon sehr mutig von Ihnen, sich hier hinzustellen und Prognosen abzugeben, was passieren wird und was nicht. (Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aber besser als die von Friedrich!)


Weil ich schon damals dem Bundestag angehört habe,
erinnere ich mich noch sehr gut daran, welche Progno-
sen die Sozialdemokraten und ihr Bundeskanzler
Gerhard Schröder abgegeben haben, als wir vor der Auf-
nahme Griechenlands in die Euro-Zone gewarnt haben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie da vorne ge-
sagt worden ist, das sei alles kein Problem. Wer sich
schon bei dieser Frage so granatenmäßig geirrt hat, der
braucht uns hier keine Belehrungen zu geben, was pas-
sieren wird.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Zuruf der Abg. Petra Merkel [Berlin] [SPD])


Jetzt schauen wir uns doch einmal die Entwicklung
an. Es war völlig richtig, dass wir von Anfang an gesagt
haben: Es geht um den Euro, es geht um Europa, es geht
auch um die Zukunft unseres eigenen Landes; deswegen
sind wir zur Hilfe und Solidarität bereit. Deswegen war
für uns, für die überwiegende Mehrheit unserer Koali-
tion, völlig klar, dass wir den Griechen die Chance ge-
ben wollen, dass sie in der Euro-Zone wieder auf die
Füße kommen und vorankommen. Wir haben gesagt:
Dafür gibt es Hilfe; es müssen aber auch notwendige
Maßnahmen ergriffen werden.

Ich kann nur sagen: Gott sei Dank ist das in dieser Si-
tuation von der Regierungskoalition, von der Bundes-
kanzlerin und vom Bundesfinanzminister so formuliert
worden. Wenn Sie an der Regierung gewesen wären,
hätten Sie versucht, Ihren Fehler, den Sie damals, 2000,
gemacht haben, dadurch zu kaschieren, dass Sie eine
Vergemeinschaftung der Schulden durch Euro-Bonds
vorangetrieben hätten. Das wäre ein glatter Fehler gewe-
sen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es hätte in Griechenland nichts bewirkt, null. Deswegen
kann ich nur sagen: völlig auf der falschen Fährte.

Im Übrigen waren Sie sich nicht ganz sicher – ich
habe mir das einmal angeschaut, Herr Steinbrück –: ein-
mal für Euro-Bonds, dann wieder dagegen. Vielleicht
waren Sie da, wie Frau Künast sagen würde, ein biss-
chen von der Wirklichkeit getrieben.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Er hat es verstanden!)


Das ist im Übrigen kein Fehler; denn, Frau Künast, Poli-
tik beginnt immer mit dem Betrachten der Wirklichkeit,
nicht mit grüner Ideologie. Das will ich einmal klar und
deutlich formulieren.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wir sind in Europa Schritt für Schritt vorangekom-
men. Ich finde es wirklich unglaublich, sich hier im

Deutschen Bundestag hinzustellen und so zu tun, als ob
sich überhaupt nichts bewegt hätte, als ob überhaupt
nichts vorangegangen wäre. Ich will Ihnen einmal sagen:
Ich habe großen Respekt vor den Leistungen, die die
Iren erbracht haben. Ich habe großen Respekt vor dem,
was die Spanier und die Portugiesen vorangebracht ha-
ben.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist also total falsch, hier zu sagen, die Politik, die von
der Regierung und der Koalition gemacht worden ist, sei
nicht erfolgreich. Es hat sich bewährt, dass wir gesagt
haben: Wir gehen hier Schritt für Schritt vor und versu-
chen, zu erreichen, dass es keine Ansteckung gibt.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen, es war eine
Forderung auch aus der Opposition, aber vor allem von
uns, dass der private Sektor beteiligt wird.


(Zurufe von der SPD)


Das war nicht einfach. Ich bin außerordentlich dankbar,
dass genau dieser Punkt, der uns in der Koalition so
wichtig war, von der Regierung eins zu eins umgesetzt
worden ist. Das, was dort erreicht wurde, ist ein wirklich
großer Erfolg.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Geschichtsklitterei, Herr Kauder!)


Ich habe Verständnis dafür, dass sich manche Rentner
und Menschen mit kleinem Einkommen in Griechenland
die Frage stellen: Was ist denn eigentlich passiert? Wie
kann es weitergehen? Wie kriegen wir wieder eine Per-
spektive? Aber, Herr Steinbrück, ich habe überhaupt
kein Verständnis, wenn Sie den Eindruck erwecken – so
ist es wenigstens bei mir angekommen; ich hoffe, Sie ha-
ben es nicht so gemeint –, dass Sie Verständnis dafür ha-
ben, dass einige in Griechenland unsere Spitzenpolitiker
verunglimpfen und von ihnen ein Bild zeichnen, das
nicht akzeptabel ist, das wir in keinster Weise akzeptie-
ren können.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Herr Kauder, wo hat Herr Steinbrück denn das gemacht? Erzählen Sie doch nicht solch einen Unsinn hier!)


Es zeichnet sich jetzt ab, dass diejenigen, die in Grie-
chenland Verantwortung tragen, durchaus Verständnis
für unser Tun haben. Es war schon beeindruckend, dass
eine ganze Reihe von Spitzenpolitikern gesagt hat, dass
sie zu den notwendigen Reformmaßnahmen stehen. Das
wäre vor einigen Monaten noch nicht der Fall gewesen.
Wir haben also erreicht, dass sich ein Bewusstseinswan-
del vollzogen hat.

Natürlich stellt man sich auch in unserem Land Fragen,
zum Beispiel: Warum muss Griechenland so geholfen
werden? Dann ist man sehr schnell dabei, zu sagen: Ei-
gentlich habt ihr recht, auch wir haben unsere Zweifel. –
Ich weiß, dass auch in meiner Fraktion der eine oder an-
dere der Meinung ist, dass man einen anderen Weg be-
schreiten müsste.





Volker Kauder


(A) )


)(B)


(C (D (Dr. Sascha Raabe [SPD]: Sogar im Kabinett! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nicht nur in der Fraktion, auch in der Bundesregierung!)


– Das gibt es bei Ihnen offenbar auch, Herr Trittin; seien
Sie vorsichtig. Wahrscheinlich ist es bei Ihnen selber so,
dass Sie reden und gleichzeitig Zweifel am Gesagten ha-
ben; das kennen wir auch.


(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Was?)


Ich will auf Folgendes hinweisen: Natürlich haben
wir diese Frage diskutiert. Nach reiflicher Überlegung
sind wir zu der Überzeugung gekommen, dass die Risi-
ken, wenn wir es anders machen als jetzt und Griechen-
land nicht mit entsprechenden Auflagen helfen, zu groß
sind; denn niemand kann sagen, was es für Folgen für
den einzelnen Sparer in unserem Land hat, wenn wir
jetzt die falschen Entscheidungen treffen. Deswegen ha-
ben wir uns für dieses Programm entschieden. Wir als
Koalition werden dem Antrag der Bundesregierung zu-
stimmen. Es ist eine Hilfe für Griechenland, für Europa,
aber es liegt auch in unserem ureigenen nationalen Inte-
resse.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Wolfgang Schäuble hat darauf hingewiesen, dass wir
mit diesem zweiten Griechenland-Paket einen entschei-
denden Schritt tun. Ich bin übrigens außerordentlich
dankbar dafür, dass der IWF dabei ist. Man muss ange-
sichts der Situation sagen: Ohne IWF wären wir nicht
auf diesen richtigen und guten Weg gekommen. Darauf
muss man ausdrücklich hinweisen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Der IWF legt Programme nur für drei Jahre auf, und
dann schaut er sich das Ganze wieder an. Deswegen ist
es doch völlig richtig, dass wir uns auf die nächsten drei
Jahre konzentrieren mit der Perspektive, dass es voran-
geht.

Es ist natürlich auch richtig, dass sich jetzt die Staats-
und Regierungschefs darüber unterhalten, wie wir Grie-
chenland eine Wachstumsperspektive eröffnen können.
Man wird sicher überlegen müssen, Frau Bundeskanzle-
rin, wie man es den Griechen leichter machen kann, dass
sie die Gelder, die im Rahmen der europäischen Struk-
turfonds zur Verfügung stehen, tatsächlich einsetzen
können. Ich weiß sehr wohl, dass gesagt wird: Wenn auf
den Eigenanteil verzichtet wird, dann ist das ein Pro-
blem. Aber wir würden zustimmen, dass in einer solchen
Ausnahmesituation bei ganz bestimmten Programmen
dieser Weg gegangen wird, um dem Land wieder eine
Perspektive zu geben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Das ist eine Art Marshallplan, den wir für richtig halten
würden. Diesen Weg bei den nächsten Beratungen in
Brüssel einzuschlagen, dazu möchten wir Sie ermuntern.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir alle ha-
ben uns diese Situation nicht ausgesucht. Für uns alle ist
es nicht leicht, immer wieder mit diesen Fragen konfron-

tiert zu werden, sich in Sondersitzungen außerhalb der
üblichen Sitzungen mit diesen Themen zu befassen und
die Ergebnisse den Menschen draußen im Land zu erklä-
ren. Aber ich kann nur sagen: Es gibt Augenblicke in der
Geschichte, in denen es wirklich darauf ankommt, ge-
schlossen das Richtige zu tun und den einen oder ande-
ren Zweifel zurückzustellen, um die Zukunft zu gewin-
nen. In einer solchen Situation sind wir.


(Thomas Oppermann [SPD]: Ihre Fraktion!)


Deswegen werden wir dem Antrag der Bundesregierung
zustimmen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716001900

Das Wort erhält jetzt die Kollegin Renate Künast,

Bündnis 90/Die Grünen.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716002000

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau

Merkel, wir stehen jetzt erneut hier. Vor fast zwei Jahren,
als es um das erste Griechenland-Paket ging, standen wir
schon einmal hier. Damals haben wir als Grüne zuge-
stimmt. Es entspricht unserem Wertegerüst, zu sagen: Es
gibt eine gemeinsame Verantwortung, nicht nur in der
Euro-Zone, sondern in ganz Europa. Wir wollen kein
Land in der Europäischen Union fallen lassen, und wir
wollen schon gar nicht die Ärmsten der Armen in Grie-
chenland, die Rentnerinnen und Rentner, fallen lassen.
Dazu stehen wir. Unser Gerüst steht. Ich muss aber fest-
stellen, dass Ihr Gerüst bedenklich wackelt, und zwar so
sehr, dass Herr Kauder am Ende seiner Rede sogar pa-
thetisch werden musste, um alle zusammenzubringen.

Was haben wir erlebt? Sie lassen sich in der Europäi-
schen Union „Madame Non“ nennen – Sie haben sich
dort den Ruf erarbeitet, dass Sie das Europäische nicht
weiterentwickeln wollen –, und zu Hause lassen Sie sich
von der Bild-Zeitung als eiserne Lady feiern. Frau
Merkel, das Feuer der Krise in Europa ist durch Ihr Zö-
gern und Zaudern erst richtig angefacht worden. Deshalb
befinden wir uns heute in dieser Situation.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich habe eigentlich nicht damit gerechnet, dass das je-
mals passieren würde, aber ich muss doch sagen: Helmut
Kohl hätte in einer solchen historischen Situation keine
Sekunde gezögert oder gezaudert. Er hätte dagestanden
als einer, der sich für die Weiterentwicklung Europas
einsetzt, und hätte gestaltet, während Sie Ihre Handta-
sche und das Portemonnaie darin wie die eiserne Lady
festhalten und de facto sagen: „Wir geben nichts“,


(Norbert Barthle [CDU/CSU]: So ein Blödsinn!)


während Sie sich im Luftraum über den Stammtischen in
Europa und in Bayern aufhalten. Ich aber sage: Frau
Merkel, knallhartes Sparen allein hilft uns nicht.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)






Renate Künast


(A) )


)(B)


(C (D Herr Brüderle, ich glaube, Sie haben verstanden, was ich meine, wenn ich in diesem Zusammenhang sage: von der Realität getrieben. Alle Vorschläge, die von dieser Koalition gemacht wurden, waren schon nach kurzer Zeit nicht einmal mehr das Papier wert, auf dem sie standen, weil die Vorschläge immer von der Realität überholt wurden. Leider ist dies immer noch der Fall. (Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Ich muss eine Sache ansprechen, die ich entgeistert
zur Kenntnis genommen habe – Frau Merkel, ich gebe
zu, dass Sie dieses Thema angetippt haben; das, was Sie
dazu gesagt haben, war mir aber, ehrlich gesagt, zu we-
nig –: Mittlerweile haben Sie nicht einmal mehr Ihr eige-
nes Kabinett im Griff. Dass selbst im Kabinett keine Re-
dedisziplin mehr herrscht und man nicht mehr an die
eigene Strategie glaubt, ist schon ein unglaublicher Vor-
gang. Überhaupt gibt es lauter unglaubliche Vorgänge.
Der Wirtschaftsminister kümmert sich um Frösche und
philosophiert darüber, und der Bundesinnenminister er-
zählt uns, man solle Griechenland lieber Anreize bieten,
um aus der Euro-Zone herauszugehen. Was ist das denn
für ein Unsinn? Wenn Griechenland geht, gehen auch
andere. Dann haben wir einen Dominoeffekt. Dieses Ge-
rede führt in Griechenland zu Kapitalflucht. Die Kapital-
flucht führt dazu, dass es Griechenland noch schneller
noch schlechter geht. Das, was Herr Friedrich gemacht
hat, ist Brandbeschleunigung. Das hätten Sie mit klaren
Worten zurückweisen müssen.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD – Zurufe von der CDU/CSU)


Jeder erzählt munter, wie es geht. Wir brauchen aber
etwas anderes. Gerade weil wir merken, dass Griechen-
land an den Intentionen Deutschlands zweifelt und man-
ches Plakat und manches Titelblatt als historischer Miss-
griff bezeichnet werden kann – das muss man sich nicht
gefallen lassen –, müssen wir hier deutlich machen: Wir
sagen Ja zu Europa, wir sagen Ja zum Weiterbau Euro-
pas, und wir sind wild entschlossen, den Griechen zu
helfen, und zwar nicht nur beim Sparen, sondern auch
bei der Schaffung ordentlich bezahlter Jobs und beim
Aufbau einer ordentlichen Wirtschaft.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Die kürzen doch nur die Löhne, und ihr stimmt zu! Die Renten kürzen sie auch, und ihr stimmt auch zu!)


– Mit dem einfachen Klappklapp der Linken geht es
nicht. Sie haben ja nicht einmal beim Versailler Vertrag
die Geschichte verstanden.

Wir sagen eines ganz klar: Dieses Paket ist nötig und
sinnvoll, aber es kommt sehr spät. Es ist – aber deshalb
kann man nicht die Zustimmung verweigern – leider
nicht ausreichend für das, was gebraucht wird.

Frau Merkel, Sie haben in der ganzen Zeit der politi-
schen Auseinandersetzung darüber mehrere Fehler ge-
macht. Sie haben am Anfang immer nur das Glück der
Gläubiger und der Commerzbank im Kopf gehabt. Sie
haben sich dem Schuldenschnitt und der privaten Betei-

ligung nicht genähert. Sie haben immer wieder erklärt,
ein nächster Schritt oder eine Aufstockung müsste nicht
sein. Da halte ich es lieber nicht mit Friedrich und nicht
mit Kampeter, der nicht die Wahrheit sagt, sondern lie-
ber mit Herrn Schäuble, der schon heute zugibt, dass ein
drittes Rettungspaket nicht ausgeschlossen werden kann.
Meine Damen und Herren, sagen wir dem Land die
Wahrheit!

Eine gute, prosperierende Entwicklung in Europa,
eine gute Wirtschaft, gute Jobs und gute Einnahmen in
Bund, Ländern und Kommunen sind nur bei einer funk-
tionierenden Euro-Zone und einer neuen Wirtschaftsre-
gierung in Europa möglich. Sie erreicht man nicht, in-
dem man den Menschen keinen reinen Wein einschenkt,
sondern sie in einer Sicherheit wiegt, in der wir uns gar
nicht befinden.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Viele haben es hier schon gesagt: Nur durch Sparen
wird Griechenland nie aus der Krise herauskommen,
Frau Merkel; denn so wird Griechenland am Ende ka-
puttgespart.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Und deshalb stimmt ihr zu?)


Wir brauchen jetzt Folgendes: Wir brauchen den Stopp
der fatalen Abwärtsspirale, in der sich Griechenland ge-
rade befindet.


(Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ihr stimmt doch zu!)


Deshalb geht es jetzt darum, Griechenland die Hand zu
reichen und dafür Sorge zu tragen, dass es kein Fass
ohne Boden gibt, sondern dass ein Boden eingezogen
wird. Das heißt, es muss ein europäisches Investitions-
programm geschaffen werden, eine Art Marshallplan.
Da müssten wir schon längst weiter sein, als Sie es in al-
len Ihren Vorlagen sind.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD)


Zu den Zielen, die sich Europa selbst gesetzt hat, ge-
hört, jetzt loszulegen und einen ganz konkreten Vor-
schlag dafür zu machen – und nicht nur mit Investoren
hinfahren und herumschwadronieren, Herr Rösler –, wie
man eine Taskforce aus Vertretern der griechischen Re-
gierung, lokalen Regierungen, potenziellen Investoren
und vielleicht auch der EU-Verwaltung einrichtet, mit-
hilfe derer in einzelnen Segmenten bürokratische und
rechtliche Hindernisse beseitigt werden, um dort eine
funktionsfähige Wirtschaft bzw. Wirtschaftszweige auf-
zubauen. Was ist denn zum Beispiel mit dem Helios-
Projekt und den erneuerbaren Energien, damit Griechen-
land von den teuren Öl- und Gasimporten wegkommt?


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Wie wäre es denn mit Investitionen in den Netzausbau
und in die Infrastruktur sowie dem Ausbau des Touris-
mus, wovon es viel mehr geben könnte? Nur mit solchen
konkreten Maßnahmen kommen wir weiter.





Renate Künast


(A) )


)(B)


(C (D Was Griechenland in diesem Zusammenhang braucht, ist nicht nur Sparen auf dem Rücken der Ärmsten und Armen, sondern ein Programm, mit dem die Wirtschaft in einigen Regionen tatsächlich losgeht, ein Programm, das den Griechen ein Stück Zeit gibt, und ein Programm – dies sage ich bewusst in Richtung FDP –, das natürlich auch finanziert werden kann. Deshalb noch einmal: Wir brauchen eine Finanztransaktionsteuer. Genau die könnte Griechenland helfen, das, was die Finanzmärkte angerichtet haben, zu beseitigen. Ich muss schon sagen, Frau Merkel: Gemeinhin muss man feststellen, dass der Kern der Krise Vertrauen ist. Deshalb habe ich gerade einmal auf Helmut Kohl rekurriert, bei dem immer alle wussten, dass sie darauf vertrauen können, dass er dieses europäische Projekt vorantreiben will. Das tun Sie nicht. Sie kommen mit einem Fiskalpakt, den wir demnächst zur Notifizierung vorgelegt bekommen und von dem Sie behaupten, er sei ein scharfer Wachhund gegenüber dem bisherigen Schlendrian. Aber wenn ich daraufgucke, dann muss ich feststellen, dass es kein scharfer Wachhund ist, sondern ein klappriges Gebiss; denn Sie haben die Sanktionen nicht einmal so geregelt, dass Sie die Regeln des Fiskalpaktes am Ende auch durchsetzen können. Das Geld wird sehr einseitig eingesetzt, es gibt keine Investitionen in neue Jobs. Ich kann Ihnen eines sagen: Es ist richtig, für die nachfolgenden Generationen ein Zeichen für mehr Haushaltsdisziplin zu setzen, wobei jedes Kind schon heute 20 000 Euro Schulden hat. Aber dieser Fiskalpakt hat jede Menge Mängel. Zum Schluss bleibt mir nur eines festzustellen: Wir werden dem vorliegenden Antrag heute im Bundestag zustimmen, (Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aha! Interessant!)


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


weil es um den Erhalt der Europäischen Union geht. Ih-
nen von den Linken sage ich: Es reicht nicht, im Leben
links zu sein und links zu tönen. Man muss auch dafür
sorgen, dass den Armen und Ärmsten und den Rentne-
rinnen und Rentnern nicht durch einen ungeordneten
Staatsbankrott das letzte Geld aus dem Portemonnaie ge-
zogen wird.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ihr habt keine Lösung. Ihr wisst nicht, wie Griechenland
Mitte März dieses Jahres seine Kredite zurückzahlen
soll. Man muss beides machen: Man muss akut helfen
und gleichzeitig ein zweites Standbein aufbauen, indem
man Griechenland hilft – zum Beispiel bei den Refor-
men, beim Abbau der Korruption und bei der Verwal-
tungsreform – und ein gezieltes Investitionsprogramm
für neue Jobs auf den Weg bringt.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Da klatscht noch nicht einmal die eigene Fraktion! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ihr seid Lohnkürzer!)


Das sollte die Botschaft des heutigen Tages sein.


(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Sagen Sie das lieber mal Ihrer eigenen Fraktion! – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Aha! Also Rentenkürzung und Lohnkürzung, ja?)


Ich sage eines ganz klar: Die Europäische Union ist
ein elementares deutsches Interesse, weil wir die Globa-
lisierung sozial gestalten wollen und weil wir den Kli-
maschutz wollen. Wir wollen keine Europäische Union,
in der die Reichen immer reicher werden, sondern eine
Europäische Union, in der jeder Mann und jede Frau
eine Chance hat.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716002100

Frau Kollegin.


Renate Künast (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716002200

Ich komme zum Schluss. – Unter diesem Gesichts-

punkt muss man eines sagen: Die Pleite Griechenlands
kann man im Interesse der Griechinnen und Griechen
nicht wollen. Man kann sie auch mit Blick auf die ge-
samte Europäische Union nicht wollen. Deshalb stim-
men wir heute zu.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aha!)


Zugleich weisen wir allerdings darauf hin, dass es weiter
zu arbeiten gilt.


(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Also: Rentenkürzung und Lohnkürzung!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716002300

Hermann Otto Solms ist der nächste Redner für die

FDP-Fraktion.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)



Dr. Hermann Otto Solms (FDP):
Rede ID: ID1716002400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Die FDP ist die einzige Partei, die ihre Mitglie-
der zu diesem Thema befragt hat;


(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Klaus Ernst [DIE LINKE]: Ihr habt ja auch nur so wenige! – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Oh ja! Das war von langer Hand von der Parteiführung geplant! – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Haben Sie das beantragt, Herr Solms?)


es wäre gut gewesen, auch Sie hätten das gemacht.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Diese Befragung führte zu dem Ergebnis, dass die Mehr-
heit unserer Mitglieder die Politik der Koalition trotz der
kritischen Stimmung, die in dieser Frage in Deutschland
herrscht, unterstützt.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Wie viele haben denn teilgenommen?)






Dr. Hermann Otto Solms


(A) )


)(B)


(C (D Wir sind der Meinung, dass wir aus europäischer Solidarität, aber auch aus Solidarität mit den Griechen vernünftige Hilfe leisten müssen. Es ist nicht so, Frau Künast, dass nichts gegeben wird. Zu dem Vergleich mit Versailles, Herr Gysi, kann ich nur sagen: Das war voll daneben. (Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Überhaupt nicht!)


Der Versailler Vertrag hatte zur Folge, dass das Deutsche
Reich ausgeblutet ist und das Geld entzogen worden ist.


(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Aha!)


Was wir mit Griechenland machen, ist das genaue Ge-
genteil.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)


Wir haben dem Land zuerst 110 Milliarden Euro gege-
ben, und jetzt stellen wir weitere 130 Milliarden Euro
bereit. Wir zahlen dem Land also riesige Beträge. Aber
wir stellen das Geld nicht einfach so zur Verfügung. Für
diese Leistung muss es eine Gegenleistung geben. Grie-
chenland muss bereit sein, seine Strukturen so zu verän-
dern, dass das Geld vernünftig eingesetzt werden kann.


(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Rahmen der Fonds, die es auf europäischer Ebene
gibt, steht Geld zur Verfügung, das in Griechenland gar
nicht abgerufen werden kann, weil die Voraussetzungen
nicht erfüllt sind. Wir sorgen dafür, dass die Rahmenbe-
dingungen für wirtschaftliche Betätigung, für Wettbe-
werb und für Investitionen in Griechenland so gestaltet
werden, dass es für Investoren Sinn macht, dort tätig zu
werden. Eine Reihe von deutschen mittelständischen
Unternehmern ist gemeinsam mit Herrn Rösler nach
Griechenland gereist. Dass die notwendigen Vorausset-
zungen erfüllt sind, haben sie nicht gesehen. Dies muss
jetzt geschehen. Dafür zu sorgen, ist unsere Aufgabe.

Zu der Forderung, Griechenland solle aus dem Euro-
Raum austreten, muss ich sagen: Diese Forderung
kommt zwei Jahre zu spät. Herr Friedrich, wenn Sie das
ernst meinen, hätten Sie Ihre Kritik vor zwei Jahren äu-
ßern sollen; ich habe meine Kritik damals zu Protokoll
gegeben. Heute sind wir nämlich einen Riesenschritt
weiter, und zwar auf dem Weg in eine Stabilitätsunion
und nicht in eine Transferunion, der einige von Ihnen
noch anhängen, Stichwort Euro-Bonds. Schauen Sie sich
doch an, welche Veränderungen in Irland, Portugal, Spa-
nien und selbst in Italien mittlerweile auf den Weg ge-
bracht worden sind. Schauen Sie sich an, was bei der Re-
kapitalisierung der Banken in Europa geschehen ist. Die
Stabilität des Bankensektors ist doch deutlich gesteigert
worden.

Schauen Sie sich an, welche Regulierungen wir an
den Finanzmärkten eingeführt haben. Sie vergessen das
ja anscheinend immer wieder. Wir haben die Bankenab-
gabe eingeführt, wir haben Leerverkäufe verboten, wir
haben die Hedgefonds reguliert, die Herr Eichel seiner-
zeit nichtreguliert eingeführt hat, wir haben mit einem

speziellen Gesetz die Bankenrestrukturierung vorge-
nommen, und wir haben in Europa dafür gesorgt, dass
die Ratingagenturen gemeldet und genehmigt werden
müssen.

Wir sind also auch hier schon einen Riesenschritt wei-
ter. Sie diskutieren immer nur so, als wären wir noch auf
dem Stand von vor zwei Jahren. Das ist längst Vergan-
genheit.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, wir sind auf
einem guten Weg. Wir halten diese Entwicklung für aus-
gesprochen unterstützenswert. Wir wissen aber, dass auf
dem Weg immer auch Fehler geschehen können. Das ist
nicht schlimm. Man muss die Fehler dann korrigieren
und den Griechen eben auch sagen: Hier habt ihr zusätz-
liche Leistungen zu erbringen, das seid ihr unserer Soli-
darität schuldig. Das ist Geben und Nehmen und beruht
auf Gegenseitigkeit.

Auf dieser Basis sollten alle in diesem Hause diesem
Antrag zustimmen.

Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716002500

Carsten Schneider erhält nun das Wort für die SPD-

Fraktion.


(Beifall bei der SPD)



Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1716002600

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Herr Kollege Solms, Sie haben eben darauf rekurriert,
dass man, wenn man Fehler gemacht hat, sie auch korri-
gieren muss. Das ist grundsätzlich richtig. Mit dem jetzi-
gen Programm für Griechenland korrigieren Sie einen
Fehler, nämlich den, eine Beteiligung privater Gläubiger
an der Sanierung Griechenlands auszuschließen, wie das
bisher der Fall war. Auch das ist ein Grund, weshalb wir
dieses Mal zustimmen werden.


(Beifall bei der SPD)


Peer Steinbrück hat es schon gesagt: Wir haben von
Beginn an gefordert, dass der Finanzsektor einen maß-
geblichen Beitrag für die Sanierung und die Wiederher-
stellung der Ordnung der öffentlichen Finanzen in
Europa leisten muss. Ich kann hinsichtlich der Finanz-
transaktionsteuer nur unterstreichen: Sie ist notwendig.
Sie wehren sich aber dagegen, dass auch diejenigen ei-
nen Teil der Last tragen müssen, die in den vergangenen
Jahren profitiert haben.


(Beifall bei der SPD)


Die Beteiligung des Privatsektors haben wir als So-
zialdemokraten als einen von zwei Marksteinen von An-
fang an gefordert. Diejenigen, die über Jahre hinweg
hohe Zinsen erhalten haben, müssen auch an der Sanie-
rung beteiligt werden. Das passiert jetzt. Das ist der erste
richtige Schritt.

Über den zweiten Schritt, der aufgrund der Analyse
hinzukommen müsste, können Sie heute im Handels-





Carsten Schneider (Erfurt)



(A) )


)(B)


(C (D blatt etwas nachlesen. Ihr Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung empfiehlt Ihnen, auch das Thema Wachstum noch viel mehr in den Mittelpunkt zu rücken. Man muss ganz klar sagen: Hier gibt es eine große Lücke. Nichts aus dem bisher bestehenden Programm hilft, Wachstum oder Stabilität in Griechenland, geschweige denn in Europa, zu generieren. Wir haben hier 2004, 2005, 2006 gezeigt, dass man auch mit aktivierender – Herr Brüderle, Sie haben das vorhin „keynesianisch“ genannt – – – „Linkskeynesianisch“! Nennen Sie es, wie Sie wollen. – Heute profitieren Sie durch die guten Arbeitsmarktzahlen davon, dass wir das damals gemacht haben. (Beifall bei der SPD – Rainer Brüderle [FDP]: Hartz IV!)


(Beifall bei der SPD)


(Otto Fricke [FDP]: Linkskeynesianisch!)


Mit dem neuen Griechenland-Programm, das mit ei-
nem Volumen von 154 Milliarden Euro – das Haftungs-
volumen Deutschlands beträgt 44,4 Milliarden Euro –
auf zwei Jahre angelegt ist, ist klar, dass Griechenland
mindestens in den nächsten zwei Jahren vom Kapital-
markt weg sein wird. Das heißt, Private werden sich an
der Finanzierung nicht mehr beteiligen.

Ich finde, es gehört zur Ehrlichkeit dazu, zu sagen
– Peer Steinbrück hat das vorhin zu Beginn der Analyse
gesagt –, dass es auch nach zwei Jahren nicht anders sein
wird. Es wird uns etwas kosten, Griechenland dauerhaft
im Euro und in der Europäischen Union zu halten, aber
das ist es uns wert, weil uns der Erhalt der Europäischen
Union und vor allen Dingen auch der europäischen Wäh-
rung das wert sein müssen. Alle anderen Alternativen,
die es gibt, sind deutlich teurer.


(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der LINKEN)


Das hat vor allem damit zu tun, dass Sie sich in der
Koalition in den letzten zwei Jahren nie sicher waren,
was eigentlich das Problem ist, was man dagegen tun
kann, wie man es dem Volke sagen kann und ob Sie es
sich überhaupt trauen. Bisher gab es nur einen einzigen
vernünftigen Krisenhelfer, und das war die Europäische
Zentralbank. Sie hat Ende vergangenen Jahres mit den
500 Milliarden Euro den Banken noch ein Aspirin gege-
ben und wird das in dieser Woche erneut tun, indem sie
den Banken unbegrenzte Liquidität gewährt. Das hilft
aber nur kurzfristig, nicht dauerhaft.

Deswegen ist die Lösung Griechenlands für den Fi-
nanzsektor, aber auch zugunsten des Vertrauens in die
politische Handlungsfähigkeit der Europäischen Union
– denn darum geht es –, sich nicht von den Märkten dik-
tieren zu lassen, ob wir eine Staatengemeinschaft mit ei-
ner gemeinsamen Vorstellung von Recht und Ordnung,
von Freiheit, Sicherheit, Wohlstand und sozialer Gerech-
tigkeit sind oder nicht. Deswegen brauchen wir stabile

Mechanismen, die uns in manchen Punkten von den
Märkten unabhängig machen.


(Beifall bei Abgeordneten der SPD)


Die heutige Debatte ist ein Zwischenspiel für das, was
im März mit einer Ausweitung des dauerhaften Europäi-
schen Stabilitätsmechanismus noch kommen wird.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716002700

Herr Kollege.


Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1716002800

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. Aber ich

glaube, dass das vor der Abstimmung für die Kollegen
von Bedeutung ist.


Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716002900

Das gilt aber für andere Redner natürlich meistens

auch.


Carsten Schneider (SPD):
Rede ID: ID1716003000

Natürlich. – Es ist nur ein erster Schritt, und Sie wer-

den auch an dieser Stelle wieder eingeholt werden und
wenn nicht einer Ausweitung, dann zumindest einer Pa-
rallelität der beiden Fonds, die wir derzeit haben, zustim-
men. Denn das hat auch das G-20-Treffen am Wochen-
ende gezeigt: Wir können von anderen Ländern keine
Solidarität erwarten, wenn wir nicht selbst bereit sind,
sie zu gewähren. Wir von der SPD sind dazu bereit.


(Beifall bei der SPD)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716003100

Das Wort hat nun die Kollegin Gerda Hasselfeldt für

die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Warum redet nicht Herr Friedrich für die CSU?)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1716003200

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die

Vereinbarungen zu Griechenland in der vergangenen
Woche und die Vorschläge zum Fiskalpakt sind ein wei-
terer wichtiger Schritt auf dem Weg zur Bewältigung der
Staatsschuldenkrise in den Euro-Ländern.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Sie sind auch die logische Konsequenz unseres bisheri-
gen Kurses. Dieser Kurs war und ist von Solidarität auf
der einen Seite und Eigenverantwortung auf der anderen
Seite geprägt.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sehen das alle in der Landesgruppe so?)


Aber beides, die Solidarität und die Eigenverantwort-
lichkeit, gehört zusammen. Die Fortsetzung dieses Kur-
ses haben wir mit dem Griechenlandpaket unter Beweis
gestellt.





Gerda Hasselfeldt


(A) )


)(B)


(C (D (Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716003300

Frau Kollegin Hasselfeldt, lassen Sie eine Zwischen-

frage des Kollegen Fritz Kuhn zu?


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1716003400

Ja, freilich.


Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716003500

Frau Hasselfeldt, wie man schon am Dialekt un-

schwer erkennen kann, sind Sie von der CSU.


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1716003600

Wie schön, dass Sie Bayern mit der CSU gleichset-

zen, Herr Kuhn!


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Max Straubinger [CDU/CSU]: Alle Bayern sind so!)



Fritz Kuhn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Rede ID: ID1716003700

So leicht kriegt man Beifall.

Aber im Ernst: Wir wollen von Ihnen, der Chefin der
Landesgruppe, wissen, wie Sie die Äußerungen des In-
nenministers – er ist gerade hereingekommen – einschät-
zen. Sie stehen nämlich in einem gewissen Widerspruch
zu dem, was Sie eben in Ihrer Rede gesagt haben. Teilen
Sie die Äußerungen, oder lehnen Sie sie ab? Wie wird er
abstimmen? Haben Sie mit ihm geredet? Das sind die
Punkte, die uns alle interessieren.


(Beifall bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)



Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1716003800

Herr Kuhn, ich empfehle Ihnen, alles zu lesen, was

über die Äußerungen von Herrn Minister Friedrich zu le-
sen war. Dann wird Folgendes deutlich:

Erstens. Er wird dem Griechenlandpaket zustimmen.
Das sage nicht ich über ihn, sondern das hat er selbst ge-
sagt.


(Thomas Oppermann [SPD]: Freiwillig?)


– Natürlich.

Zweitens hat er deutlich gemacht, dass Griechenland
jetzt wirklich an den Wettbewerbsstrukturen arbeiten
und die Auflagen erfüllen muss. Griechenland darf nicht
nur Maßnahmen ankündigen, sondern muss auch Taten
folgen lassen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Im Übrigen gilt der Grundsatz: Wenn ein Land dazu
nicht in der Lage und langfristig auch nicht dazu bereit
ist, dann muss man über andere Wege nachdenken. Aber
jetzt ist eindeutig festzustellen: Dieser Weg ist eine kon-
sequente Fortsetzung von Solidarität und Eigenverant-
wortung. Diesen Weg werden wir auch bei der nun an-
stehenden Entscheidung konsequent weitergehen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Es ist klar: Kein Land kann auf Dauer über seine Ver-
hältnisse leben und darauf hoffen, dass die anderen Län-
der in der Gemeinschaft schon helfen werden. Deshalb
gilt: Es darf nicht nur angekündigt werden. Vielmehr
müssen entsprechende Anstrengungen tatsächlich unter-
nommen werden. Dass unser Kurs grundsätzlich erfolg-
reich war und ist, zeigt sich an einigen Ländern, bei-
spielsweise an Irland und Portugal. Irland ist auf dem
Weg, sich in der vorgesehenen Zeit auf dem Kapital-
markt wieder finanzieren zu können. Unser Kurs ist auch
in anderen Ländern erfolgreich. Dass wir von den Aus-
wirkungen der Situation in Griechenland bislang in
Deutschland und in vielen anderen europäischen Län-
dern so wenig gespürt haben und dass unsere wirtschaft-
liche Entwicklung und insbesondere unsere Arbeits-
marktentwicklung so gut sind, hängt damit zusammen,
dass wir die richtigen, besonnenen Entscheidungen ge-
troffen haben, und zwar Schritt für Schritt und gut vor-
bereitet.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Griechenland ist sicherlich ein schwieriger Einzelfall;
das wird niemand bestreiten. Aber hier zeigt sich in ganz
besonderer Weise, was unsolide Haushaltspolitik, ge-
paart mit fehlenden Wettbewerbsstrukturen, alles anrich-
ten kann. Zur Wahrheit gehört auch, dass wir heute mit
dem Problemfall Griechenland nicht so befasst wären,
wenn nicht unter der rot-grünen Regierung markante
Fehlentscheidungen getroffen worden wären.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Ich kann Ihnen das nicht ersparen. Alles, was Sie heute
sagen, wirkt ein Stück weit unglaubwürdig. Herr
Steinbrück hat zwar beklagt, dass in Griechenland fast
alles schlecht ist und nichts vorwärts geht. Aber das
hätte er schon damals sehen können. Er und viele andere
hätten auf unsere Warnungen hören sollen. Dann hätten
wir vieles, was wir heute zu beklagen haben, nicht zu be-
klagen.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Wie Sie wissen, waren wir damals gegen den Beitritt
Griechenlands zur Euro-Zone. Wir haben hier nicht da-
rüber abgestimmt, sondern eine Debatte geführt, in der
sich die Redner meiner Fraktion eindeutig gegen diesen
Beitritt ausgesprochen haben, und zwar nicht nur ein
bisschen, sodass man es hätte überhören können, son-
dern sehr deutlich und markant.


(Beifall bei der CDU/CSU)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716003900

Frau Kollegin Hasselfeldt, darf der Kollege Heil eine

Zwischenfrage stellen?


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1716004000

Herr Heil, bitte sehr.


(Zuruf des Abg. Volker Kauder [CDU/CSU])







(A) )


)(B)


(C (D Herr Kauder, ich wäre mit Namensspielen recht vor sichtig. (Volker Kauder (CDU/CSU: Sie haben allen Grund dazu!)

Hubertus Heil (SPD):
Rede ID: ID1716004100

– Können Sie das wiederholen, Herr Kauder? Ich habe
Sie akustisch nicht verstanden. – Offenbar nicht. Okay,
das ist Ihr Niveau.

Frau Hasselfeldt, ich habe eine ernsthafte Frage. Kön-
nen Sie bestätigen, dass damals die Vertreterinnen und
Vertreter der CDU/CSU im Europäischen Parlament der
Aufnahme Griechenlands zugestimmt haben, und kön-
nen Sie uns das in diesem Zusammenhang erklären?


Gerda Hasselfeldt (CSU):
Rede ID: ID1716004200

Nach meinen Informationen haben damals die Vertre-

ter der CSU – ich spreche für die CSU – bei der Landes-
gruppe nicht zugestimmt.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Johannes Singhammer [CDU/CSU]: So war es! – Thomas Oppermann [SPD]: Aber die CDU hat zugestimmt?)


Wir haben schon vor einem Jahr deutlich gemacht,
dass weitere Hilfen für Griechenland notwendig sein
werden. Wir haben damals auch deutlich gemacht: Dazu
bedarf es eines Schuldenschnitts, einer Gläubigerbeteili-
gung. Die Verhandlungen dazu sind mittlerweile abge-
schlossen. Dieser Schuldenschnitt muss gelingen. Ohne
einen Beitrag der privaten Gläubiger, ohne einen erfolg-
reichen Schuldenschnitt können wir Griechenland keine
neuen Kredite geben; denn in ein Fass ohne Boden wer-
fen wir kein Geld. Dieser Schuldenschnitt, diese Gläubi-
gerbeteiligung ist notwendig.

Eine weitere Bedingung ist: Griechenland muss seine
Hausaufgaben machen. Es darf nicht nur Maßnahmen
ankündigen, sondern muss sie tatsächlich auch durch-
führen, und zwar glaubhaft und erfolgreich. Die Bürger
haben kein Verständnis dafür, dass angekündigte Maß-
nahmen im Parlament verwässert werden und im End-
effekt wieder nichts passiert. Deshalb ist es richtig, dass
die Umsetzung der Maßnahmen überwacht wird und
dass die Auszahlung der Gelder an Griechenland mit ei-
ner Kontrolle der erforderlichen Reformschritte verbun-
den wird.

Ich bin sehr dankbar dafür, dass am nächsten Don-
nerstag und Freitag im Rat nicht nur die Fragen des Spa-
rens und der soliden Haushalte eine Rolle spielen, son-
dern dass der Schwerpunkt der Beratungen dort auch die
Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der problemati-
schen Länder ist. Die Probleme der Länder sind nicht in
jedem Fall identisch; die Situation in Griechenland ist
eine ganz andere als in vielen anderen europäischen Län-
dern, die auch Probleme haben. Deshalb muss im Detail
gesagt werden, wo angesetzt werden muss und wie man
helfen kann. Dass eine Diskussion über die Details der
Verbesserung der Wettbewerbsstrukturen stattfindet, ist
ein ermutigendes und notwendiges Zeichen.

Genauso wichtig ist die Einrichtung des Sonderkon-
tos. Dieses Sonderkonto bedeutet nicht einen unverant-
wortbaren Eingriff in die Souveränität des Landes, es ist
auch kein Zeichen von Misstrauen, sondern es ist die
entscheidende Voraussetzung für Transparenz, für die
Transparenz der Einnahmen, aber auch für die Transpa-
renz der Zinszahlungen und Tilgungen. Nur mit Trans-
parenz kann gewährleistet werden, dass die Schulden-
tragfähigkeit gesichert wird.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Wir machen uns diese Entscheidung nicht leicht. Wir
haben intensive Diskussionen auch in den eigenen Rei-
hen darüber geführt. Ich kann heute nicht nur für mich,
sondern auch für die Mehrheit meiner Kollegen sagen:
Wir stimmen nach bestem Wissen und Gewissen zu,
nach sorgfältiger Abwägung der Konsequenzen, der
Risiken und aller Alternativen. Dabei geht es nicht um
theoretische Alternativen, sondern um die praktischen
Alternativen für die Menschen und ihre Auswirkungen
auf die wirtschaftliche Entwicklung, die soziale Ent-
wicklung, die Arbeitsmarktentwicklung, die Rentner und
die sozial Schwächeren. Diese sind es, für die wir Ver-
antwortung haben. Die Konsequenzen unserer Entschei-
dungen wirken sich in diesem Fall auf deren Lebensver-
hältnisse in besonderer Weise aus.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Mit dem Griechenlandpaket und den Entscheidungen
zur EFSF und zum ESM, also zu den beiden Rettungs-
schirmen, haben die leistungsstarken Länder in Europa
ihre Solidarität unter Beweis gestellt. Aber diese Soli-
darität ist natürlich nicht unbegrenzt. Auch Deutschland
– auch wenn es noch so leistungsstark ist und über eine
starke Wirtschaft verfügt – kann sich dabei nicht über-
nehmen. Deshalb lehnen wir auch alles, was zur Verge-
meinschaftung von Schulden und zur Übernahme der
Schulden der anderen Euro-Länder führt, ab.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Weg mit der EZB!)


Deshalb lehnen wir auch Ihren Vorschlag der Euro-
Bonds ab, die Sie immer wieder ins Gespräch bringen.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und die Europäische Zentralbank!)


Unser Ziel ist nicht eine weitere Verschuldung, unser
Ziel ist nicht eine Schuldenunion.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Das machen Sie doch gerade!)


Unser Ziel ist eine Stabilitätsunion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Auf dem Weg zur Stabilitätsunion sind wir durch den
Fiskalpakt und das, was jetzt auf europäischer Ebene
diskutiert, verabschiedet und von uns ratifiziert werden





Gerda Hasselfeldt


(A) )


)(B)


(C (D wird. Wer hätte denn noch vor einem Jahr geglaubt, dass so etwas wie die gesetzliche Verankerung der Schuldenbremsen in den nationalen Verfassungen und Gesetzen tatsächlich realisierbar wäre? Ich bin überzeugt davon: kaum jemand von Ihnen. Das wird jetzt gemacht, genauso wie die Verhängung von automatischen Sanktionen oder die Klagemöglichkeiten vor dem EuGH. Das macht deutlich: Wir sind auf dem richtigen Weg. Das ist nicht zuletzt der Hartnäckigkeit und dem Verhandlungsgeschick des Finanzministers und der Bundeskanzlerin zu verdanken. Ich möchte dafür meinen Dank und meine hohe Anerkennung aussprechen und Ihnen versichern: Auf diesem Weg haben Sie auch weiterhin unsere Unterstützung. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Sigmar Gabriel [SPD]: Außer von Herrn Friedrich!)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716004300

Das Wort erhält nun der Kollege Klaus-Peter Willsch.


(Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Für welche Fraktion denn?)



Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1716004400

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich spreche
heute für den Abgeordneten Willsch und nicht für meine
Fraktion.


(Axel Schäfer [Bochum] [SPD]: Oho! Hört! Hört!)


Ich will deutlich machen, dass ich meiner Fraktion in
diesem Punkt nicht folgen kann. Ich halte diesen Weg,
den wir hier weiter gehen, ökonomisch für grundfalsch.


(Thomas Oppermann [SPD]: Sie sind also bei Herrn Friedrich!)


Es ist nicht einmal 22 Monate her, dass wir uns mit dem
Paket Griechenland I beschäftigt haben; das war im Mai
2010. Damals war die Situation so, dass gesagt wurde:
Das ist ein einmaliger Vorgang; das ist strikt befristet
und klar konditioniert. Es war die Rede von Ultima Ra-
tio und einer einmaligen Situation.

Wir alle wissen, dass das Strickmuster der Politik, zu
versuchen, Länder vollständig aus der Marktfinanzie-
rung herauszunehmen und deren Schulden über Verge-
meinschaftungsstrukturen zu finanzieren, mit der EFSF
und in Zukunft mit dem ESM fortgesetzt wird. Ich halte
dies für einen Weg, der nicht gut ist für Europa. Ich kann
auch nicht feststellen, dass sich in den letzten 22 Mona-
ten das Zusammenleben und das Zusammenarbeiten in
Europa erheblich verbessert hätten, im Gegenteil: Ich
höre im Miteinander in Europa Stimmen, die wir lange
nicht gehört haben und die ich nicht für positiv halte.

Wenn wir durch diese Form der Politik die Signalwir-
kung hoher Zinsen ausschalten, dann nehmen wir damit
den wesentlichen Indikator weg, der es verbietet, sich
übermäßig zu verschulden. Wir versuchen, Schulden mit
immer mehr neuen Schulden zu bekämpfen, und schal-

ten das einzig wirksame Signal, das es gegenüber einer
übermäßigen Verschuldung gibt, nämlich hohe Zinsen,
mit dieser Form der Politik aus. Deshalb ist das keine
richtige Politik.

Lassen Sie mich ganz konkret noch etwas zu Grie-
chenland sagen.


(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Darum geht es heute!)


Wir haben einen Fiskalpakt verhandelt, der in der Tat
Bekenntnisse enthält. Einen Teil dieser Bekenntnisse
hatten wir jedoch schon im Vertrag von Maastricht, im
Stabilitäts- und Wachstumspakt. Das ist nicht eingehal-
ten worden. Der Pakt war nicht schlecht, aber er wurde
nicht eingehalten. Ich hoffe, dass es dem jetzigen Fiskal-
pakt besser ergehen wird.

Wenn wir darüber hinaus sehen, was wir an Konditio-
nalität und wirklichen Verhaltensänderungen für das,
was wir gegeben haben, erreicht haben, dann ist das Er-
gebnis nicht besonders positiv. Jetzt sind es 130 Milliar-
den Euro, das letzte Mal waren es 110 Milliarden Euro.
Das sind mal schlankweg 20 Milliarden mehr; das ist das
Gesamtvolumen, das der Verkehrsminister in einem Jahr
zur Verfügung hat.

Wir haben erlebt, dass uns versprochen wurde: Es
wird erheblich privatisiert werden, um den Staat zu ent-
schulden. In Griechenland sollten Privatisierungen im
Wert von 50 Milliarden Euro erfolgen; 5 Milliarden Euro
davon sollten im ersten Jahr erbracht werden. Jetzt ist
das zweite Jahr um. Ende 2011 lag das Ergebnis bei den
Privatisierungserlösen bei rund 400 Millionen Euro. Wir
kommen dort nicht wirklich weiter, weil die staatlichen
Strukturen in Griechenland so sind, wie sie sind, und
weil die Wettbewerbsfähigkeit der griechischen Volks-
wirtschaft so ist, wie sie ist. Ich bin fest davon über-
zeugt, dass Griechenland außerhalb des Euro mit der
Möglichkeit, selbst währungspolitisch zu handeln, eine
wirkliche Chance hätte. So wird Griechenland diese
nach meiner festen Überzeugung nicht haben.

Ich möchte ausdrücklich betonen, dass dies nichts mit
mangelnder Solidarität zu tun hat. Solidarität ist gera-
dezu die Raison d‘Être für die EU. Die gesamte EU ist
ein Modell der Solidarität. Seit der Einführung des Euro
haben wir netto rund 100 Milliarden Euro aufgebracht;
wir sind in der Nettozahlerposition: Wir haben also
100 Milliarden Euro mehr in die Strukturen einbezahlt,
als wir herausbekommen haben. Das ist in etwa der Be-
trag, den Griechenland und Portugal in dieser Zeit ge-
meinsam erhalten haben. So viel zur Abteilung Solidari-
tät.

Darüber hinaus gab es einen so nicht geplanten Ef-
fekt, dass nämlich allein durch die Zinsvergünstigungen,
die sich dadurch ergeben haben, dass sich Griechenland
und andere Länder zu 3 bis 4 Prozent refinanzieren
konnten, nachdem sie vorher 13 bis 14 Prozent an Zin-
sen bezahlt hatten, ein gewaltiger Entlastungseffekt für
diese Länder eingetreten ist. Das ist nicht genutzt wor-
den.






(A) )


)(B)


(C (D Herr Kollege, Sie müssen zum Schluss kommen. Mein Schlusssatz: Ich denke, wir sollten hier ehrlich sein. Für mich persönlich muss ich sagen: Ich kann diesen Weg nicht mittragen, weil ich ihn ökonomisch für falsch halte, weil er das Gegenteil dessen ist, was wir den Menschen bei der Einführung des Euro versprochen haben, und weil er den nachfolgenden Generationen, also unseren Kindern und Enkeln, unzumutbare Risiken aufbürdet. Vielen Dank. Das Wort erhält nun der Kollege Norbert Barthle für die CDU/CSU-Fraktion. (Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Der redet jetzt wieder für die Koalition!)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716004500
Klaus-Peter Willsch (CDU):
Rede ID: ID1716004600

(Beifall bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716004700


Norbert Barthle (CDU):
Rede ID: ID1716004800

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Wir be-

schäftigen uns nicht zum ersten Mal in diesem Hohen
Hause mit der Bekämpfung der Staatsschuldenkrise und
mit der Stabilisierung des Euro. Ich will doch noch ein-
mal zusammenfassen, dass all das, was wir bisher be-
schlossen haben, dazu dient, Europa auf den Weg einer
Stabilitätsarchitektur zu führen. Diese Architektur wird
derzeit ausgearbeitet, verfeinert, eingezogen. Da befin-
den wir uns auf dem richtigen Weg. Zwei wichtige Sei-
ten der einen Medaille auf diesem Wege sind einerseits
das Bemühen um Stabilität – das erkennen wir im Fis-
kalpakt – und andererseits das Bemühen um Solidarität –
das steckt in dem Griechenland-II-Paket drin.

Ich bin froh, dass durch die Regierungserklärung un-
serer Bundeskanzlerin an dieser Stelle noch einmal klar
und deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, dass
Europa mehr ist als eine Währungsunion. Es geht um
ganz Europa. Europa ist ein Hort der Stabilität, ist ein
Hort des Friedens, ist ein Hort des Wohlstands und des
Wachstums und der Demokratie. Deshalb geht es um
mehr als nur um unsere gemeinsame Währung. Es geht
um Europa.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Ich bin überzeugt: Europa kann aus dieser Krise ge-
stärkt hervorgehen. Das muss unser aller Ziel sein. Des-
halb muss es darum gehen, die Gemeinsamkeit zu
beschwören. Die Kritik, die von griechischer Seite an
unserem Finanzminister geübt wurde, kann man nur mit
Unverständnis zurückweisen. Das ist nicht förderlich.
Das muss auch in aller Deutlichkeit gesagt werden.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich an der Stelle ein ganz deutliches Lob
aussprechen an die Staats- und Regierungschefs, an die

Finanzminister der Euro-Zone, die dieses zweite Grie-
chenland-Paket ausgearbeitet haben. Denn dabei wurden
wesentliche Verhandlungserfolge erzielt, die vorher so
nicht zu erwarten gewesen waren. Das Volumen wurde
eingehalten: 130 Milliarden Euro; da waren ganz andere
Zahlen in der Diskussion. Die 120,5 Prozent an Ver-
schuldung wurden erreicht; auch da waren andere Zah-
len in der Diskussion. Der private Sektor wurde stärker
einbezogen, als es vorher absehbar war. Außerdem
wurde das Sonderkonto eingerichtet – unter starker Kon-
trolle der Troika. Das alles sind Verhandlungserfolge erst
der letzten Wochen. Dafür mein hoher Respekt und
meine Anerkennung.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Lassen Sie mich an der Stelle noch etwas zu der Kri-
tik von der Opposition sagen, die insbesondere von Ih-
nen, Herr Steinbrück, vorgetragen wurde. Im Grunde ge-
nommen ist das, was Sie kritisieren – Sie sagen, das Ziel
sei richtig, aber der Weg sei falsch; die Bundeskanzlerin
sei zu zögerlich und mache zu wenig –, eigentlich ein
Lob in seiner schönsten Form.


(Sigmar Gabriel [SPD]: Dann werden Sie aber selten gelobt!)


Wir sprechen ja über ein Paket, das die Regierungschefs
aller Euro-Staaten gemeinsam mit dem IWF und der
EZB ausgehandelt und ausgearbeitet haben. Sie kritisie-
ren nun die Bundeskanzlerin dafür. Damit sagen Sie de
facto, dass dieses Paket die Handschrift der Kanzlerin
trägt und dass alle anderen auch falsch liegen. Sie über-
reichen also eine Rose mit Dornen der Kritik. Aber jede
Rose hat Dornen. Ich bedanke mich für diese schöne
Rose, die Sie der Bundeskanzlerin überreicht haben.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU)


Zu Ihrem Vergleich unserer Bundeskanzlerin mit
Herrn Kohl, Frau Künast:


(Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Bei allem Respekt vor unserem Altbundeskanzler – er ist
ein überzeugter Europäer; wir erinnern uns alle an seine
Regierungserklärungen; sie haben meist eineinhalb
Stunden gedauert; eine Dreiviertelstunde davon ging
über Europa – ist festzuhalten, dass Helmut Kohl es im-
mer abgelehnt hat, nur den Anschein einer Führungsrolle
in Europa zu erwecken.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Eben! Das unterscheidet ihn von Frau Merkel! – Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Frau Merkel sitzt immer im Bremserhäuschen und bremst!)


Lieber hat er die Trikolore oder den Union Jack dreimal
am Tag gegrüßt. Angela Merkel hat diese Rolle übertra-
gen bekommen – das war die Äußerung aller Partner in
Europa. Dafür kann sie nichts. Diese Rolle ist ihr zuge-
wachsen, und sie füllt sie aus. Ich würde mir wünschen,
dass die damit verbundene Verantwortung auch von Ih-





Norbert Barthle


(A) )


)(B)


(C (D nen mitgetragen wird und Sie diese billige Kritik endlich einstellen. (Zuruf des Abg. Lothar Binding [Heidelberg] [SPD])


Lassen Sie mich auf einen weiteren Aspekt hinwei-
sen, durch den deutlich wird, dass das, was wir bisher
zur Bekämpfung dieser Staatsschuldenkrise gemacht ha-
ben, erste Erfolge zeigt, und zwar dort, wo wir immer als
Getriebene erschienen sind, nämlich auf den Finanz-
märkten. Wer sich die Zinsentwicklung der letzten Wo-
chen und Monate anschaut, der erkennt, dass nicht nur
die sicheren Länder enorm günstige Zinsen für ihre
Staatsanleihen erhalten, sondern insbesondere auch die
Zinssätze für die Krisenländer stabiler werden.

Wenn Sie sich einmal die Zinsdifferenz zwischen iri-
schen und deutschen Staatsanleihen anschauen, dann
werden Sie feststellen, dass sich diese Differenz von
Mitte 2011 bis heute halbiert hat. Auch die Krisenländer
werden also zunehmend stabiler und genießen mehr Ver-
trauen. Dasselbe gilt für Spanien, Italien, Frankreich, die
Niederlande und Belgien. All diese Länder können in-
zwischen ihre Staatsanleihen wieder an den Märkten zu
deutlich günstigeren Konditionen platzieren, als es noch
vor Wochen und Monaten der Fall war. Das ist ein Aus-
weis dessen, dass das, was wir und die EZB machen, um
diese Staatsschuldenkrise zu bekämpfen, richtig ist.

Wir sind uns alle darin einig, dass Griechenland einen
Sonderfall darstellt. Dennoch bin ich der Überzeugung:
Griechenland hat eine weitere Chance verdient. Aber
diese Chance ist mit klaren Bedingungen verknüpft.
Diese klaren Bedingungen schlagen sich nieder in den
sogenannten Prior Actions, also den gesetzlichen Aufla-
gen, die Griechenland erfüllen muss, bevor Geld im
Rahmen eines zweiten Paketes ausbezahlt werden kann.
Weiterhin schlägt sich das nieder in der Forderung, dass
der Anleihetausch erfolgreich abgeschlossen sein muss,
und in unserem Wunsch, dass sich der IWF weiterhin an-
gemessen beteiligt. Ich glaube, die Mehrheit des Hohen
Hauses steht hinter diesen drei Bedingungen. Darauf le-
gen wir auch im weiteren Verfahren wert.

Vielleicht ist das die letzte Chance für Griechenland.
Das wissen wir alle nicht. Es bestehen berechtigte Zwei-
fel an der Umsetzung der jeweiligen Auflagen und an
dem Willen Griechenlands, zur Umsetzung dieser Dinge
beizutragen. Aber gerade deshalb braucht es eine starke
Europäische Gemeinschaft und eine starke Euro-Zone,
um nämlich Griechenland auf den Pfad der Tugend zu-
rückzuführen. Wir sind der Auffassung: Hilfe geschieht
immer im Sinne der Subsidiarität, der Hilfe zur Selbst-
hilfe. Dafür stehen das zweite Griechenland-Paket und
vor allem auch der Fiskalpakt, den ich als einen großen
Erfolg und als einen großen Fortschritt auf dem Weg hin
zu einer Stabilitätsunion in ganz Europa betrachte. Las-
sen Sie mich daran erinnern: Wesentlicher Bestandteil
dieses Fiskalpaktes ist die Schuldenbremse. Es ist klar
und deutlich erkennbar, dass gerade die Linke und auch
große Teile der SPD immer gegen diese Schuldenbremse
polemisieren. Auch die Gewerkschaften tun dies.


(Peer Steinbrück [SPD]: Wir haben sie erfunden!)


– Das gilt vielleicht nicht für Sie, Herr Kollege. Aber
viele in Ihrer Fraktion haben überhaupt kein Gefallen an
der Schuldenbremse.

Frau Künast, die Schuldenbremse in diesem Fiskal-
pakt ist ein scharfer Zahn, ein Eckzahn, der das Ganze
nicht zu einem, wie Sie sagten, klapprigen Gebiss, son-
dern zu einem kräftigen Gebiss macht, mit dem man ent-
sprechend zubeißen kann. Davon bin ich überzeugt. Ich
wünsche daher nicht nur dafür, sondern auch für den An-
trag zum zweiten Griechenland-Paket eine möglichst
breite Zustimmung in diesem Hause. Darum bitte ich,
und dafür werbe ich. Für Ihre Zustimmung sage ich ein
herzliches Dankeschön.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716004900

Nächster Redner ist der Kollege Frank Schäffler.


Frank Schäffler (FDP):
Rede ID: ID1716005000

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Her-

ren! Griechenland hat nicht gespart. Griechenland gibt in
absoluten Zahlen mehr Geld aus. Griechenlands Wirt-
schaft schrumpft. Griechenland verschleppt Reformen.
Griechenland ist nicht wettbewerbsfähig. Griechenland
verliert Kapital. Mit anderen Worten: Griechenland ist
insolvent.

Alle Zahlen, die uns 2010 und 2011 vorgelegt wur-
den, stimmten nicht. Jetzt werden uns neue Zahlen vor-
gelegt. Die ihnen zugrunde liegende Schuldentragfähig-
keitsanalyse haben wir erst als Tischvorlage erhalten.
Nun rechnet die Troika im Basisszenario mit einem
Schrumpfen der Wirtschaft in diesem Jahr um 4,3 Pro-
zent. Realistisch sind 7 bis 8 Prozent. Nach nur drei Jah-
ren wird das Bruttoinlandsprodukt Griechenlands Ende
des Jahres um 17 bis 18 Prozent geschrumpft sein.

Griechenland wächst von einer niedrigeren Basis aus,
wodurch sich der prozentuale Schuldenstand von 2012
bis 2020 weiter erhöhen wird. Damit ist der für das Jahr
2020 angenommene Schuldenstand von 120,5 Prozent
des Bruttoinlandsprodukts heute schon unrealistisch. Die
Annahme, dass Griechenland nächstes Jahr einen Über-
schuss im Primärhaushalt von 3,6 Milliarden Euro und
2014 von 9,5 Milliarden Euro erzielen kann, ist reine Il-
lusion.

Nach den öffentlich einsehbaren Zahlen Griechen-
lands gab Griechenland im Jahre 2011 68,9 Milliarden
Euro aus. 2010 hat Griechenland 66,9 Milliarden Euro
ausgegeben. Innerhalb eines Jahres sind die absoluten
Ausgaben des griechischen Staates trotz aller angebli-
cher Sparprogramme um rund 1,9 Milliarden Euro oder
2,9 Prozent gestiegen.

Es ist nichts besser geworden. Es ist alles schlimmer
geworden. Jetzt meinen wir, Griechenland mit einer
Austerity-Politik aus dieser Falle herauszuführen. Das
kann nicht funktionieren.





Frank Schäffler


(A) )


)(B)


(C (D (Beifall des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE] – Dr. Gregor Gysi [DIE LINKE]: Da hat er recht!)


Deshalb ist es entscheidend, dass Griechenland da
Wachstumsimpulse setzt, wo es notwendig ist. Aber
Griechenland macht das nicht. Griechenland gibt zum
Beispiel für den Militäretat mehr Geld aus als in der Ver-
gangenheit. 2010 hat Griechenland 4,5 Milliarden Euro
im Militärhaushalt ausgegeben, 2011 sollen es 4,73 Mil-
liarden sein und 2013 4,63 Milliarden. Griechenland gibt
im Militärhaushalt also mehr Geld aus als im Jahr 2010.

Daran sehen Sie, dass die Weichen falsch gestellt
werden. Griechenland hat im Euro keine Chance, wett-
bewerbsfähig zu werden. Griechenland muss vielmehr
zweierlei hinbekommen: Zum einen muss es aus der
Währungsunion austreten. Verbunden werden muss das
zum anderen mit einem wirklichen Schuldenschnitt, der
seinen Namen auch verdient. Der beschlossene Schul-
denschnitt wird vom europäischen Steuerzahler finan-
ziert: Von den 107 Milliarden Euro stammen 50 Milliar-
den Euro aus dem Programm zur Rekapitalisierung der
Banken, und weitere 30 Milliarden Euro dienen dazu,
das Umtauschangebot attraktiv zu machen. 80 Milliar-
den der 107 Milliarden Euro kommen vom europäischen
Steuerzahler. Das ist keine Beteiligung privater Gläubi-
ger, wie ich sie mir vorstelle.


(Beifall des Abg. Klaus Ernst [DIE LINKE])


Risiko und Haftung gehören zusammen. Das darf
nicht außer Kraft gesetzt werden. Wer Risiken eingeht,
der muss im Zweifel haften, der muss die Verantwortung
für sein Handeln tragen. Wir dürfen nicht die Schulden
sozialisieren und die Gewinne privatisieren. Das ist die
falsche Botschaft.


(Beifall bei der LINKEN)


Damit werden wir den Rattenfängern auf der linken
Seite Zuspruch verschaffen.


(Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Na, na, na, Herr Schäffler! – Hubertus Heil [Peine] [SPD]: Das ist eine nationalbolschewistische Rede!)


Das ist das Gegenteil von sozialer Marktwirtschaft, was
wir an den Tag legen. Deshalb lehne ich dieses Paket ab.

Vielen Dank.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716005100

Letzter Redner in der Debatte ist der Kollege Michael

Stübgen für die CDU/CSU-Fraktion.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Sigmar Gabriel [SPD]: Antworten Sie jetzt Herrn Schäffler? – Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Herr Präsident, warum durfte Herr Friedrich denn nicht reden? – Sigmar Gabriel [SPD]: Der ist doch auch ein Abweichler!)



Michael Stübgen (CDU):
Rede ID: ID1716005200

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und

Herren! Ich möchte am Anfang, gerade mit Blick auf die
Rede von Herrn Schäffler, Folgendes sagen: Wir befin-
den uns jetzt im dritten Jahr der sogenannten Euro-
Finanzierungskrise. Nach meiner Einschätzung – das
lässt sich einfach verdeutlichen – hat die Euro-Zone, hat
die Europäische Union, hat die Bundesregierung und hat
dieser Deutsche Bundestag in den letzten zwei Jahren
deutlich mehr richtig gemacht, als dass Fehler gemacht
worden sind.


(Beifall bei Abgeordneten der FDP)


Bisher ist – das muss man doch auch einmal zur
Kenntnis nehmen – kein Land der Euro-Zone bankrott
gegangen. Der Wechselkurs des Euro ist nach wie vor
stabil. Und wenn wir uns Irland und Portugal anschauen,
die unter Auflagen der EFSF arbeiten, dann sehen wir,
dass Irland sehr klar die Reformen umsetzt, die es selber
versprochen und angekündigt hat, und dass auch Portu-
gal sich in diesem Rahmen bewegt.

Dafür, jetzt immer zu sagen, es sei alles falsch gewe-
sen, gibt es schlichtweg keine sinnvolle Begründung, nur
die Behauptung: In der nächsten Woche, im nächsten
Monat oder im nächsten Jahr wird alles schiefgehen.

Wir müssen das sogenannte Griechenland-II-Paket
beschließen. Warum müssen wir das machen? Als wir vor
knapp zwei Jahren, im Mai 2010, das Griechenland-I-Pa-
ket beschlossen haben, konnten wir das wirkliche Aus-
maß der Verschuldung Griechenlands noch gar nicht
richtig einschätzen, und zwar nicht, weil wir uns ver-
rechnet hätten. Wir haben uns damals auf die Zahlen der
Troika verlassen. Wir konnten auch die makroökonomi-
schen Probleme in Griechenland nicht richtig einschät-
zen, die geradezu beängstigend größer sind, als wir das
vor zwei Jahren gemeint haben.

Wenn die Zahlen, von denen man im Hinblick auf ein
Programm ausgegangen ist, sich nicht als richtig heraus-
stellen, dann muss man doch ein Programm korrigieren,
verändern oder ergänzen können. Herr Kollege
Steinbrück, ich finde Ihre Aussage interessant, dass auf-
grund der Tatsache, dass wir jetzt ein Griechenland-II-
Paket beschließen, das Griechenland-I-Paket gescheitert
sei. Sie selber waren Bundesfinanzminister. Wenn Sie ei-
nen Nachtragshaushalt machen wollten oder die mittel-
fristige Finanzplanung verändern mussten, habe ich nie
gehört, dass Sie dann erklärt hätten: Ich muss etwas ver-
ändern, weil sich die Zahlen anders entwickelt haben;
darum ist meine Haushaltspolitik gescheitert.

Natürlich müssen wir anders vorgehen, wenn wir
merken, dass die Entwicklung nicht so verläuft, wie wir
uns das vorgestellt haben. Das wissen Sie sehr genau.
Sie haben nur versucht, hier einen anderen Eindruck zu
vermitteln.


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)


Ich will auf einen ganz wesentlichen Punkt des Grie-
chenland-II-Pakets hinweisen; darauf habe ich, ebenso
wie viele Kollegen, in diesem Hause schon mehrfach





Michael Stübgen


(A) )


)(B)


(C (D hingewiesen: Bei den jetzigen Rettungsstrukturen für die Euro-Länder gibt es einen Webfehler – das hat natürlich etwas damit zu tun, (Sigmar Gabriel [SPD]: Webfehler gibt es öfter!)


dass wir diese Rettungsmaßnahmen im Mai 2010 sehr
schnell zusammenzimmern mussten –: Die Problematik
besteht darin, dass wir mit diesen Rettungsstrukturen ne-
benher folgenden Effekt erzielt haben: Die privaten
Gläubiger erhalten alle ihre Zinsen und bei Ausschüt-
tung ihrer Staatsanleihen 100 Prozent zurück. Das be-
deutet, sie machen sich mit den privatisierten Gewinnen
einen schlanken Fuß. Die Risiken für neue Staatsanlei-
hen hingegen landen beim Steuerzahler; das heißt, sie
werden sozialisiert, und zwar ohne eine Ausweichmög-
lichkeit. Ich bin überzeugt, dass das weder politisch ak-
zeptabel ist noch dass die Menschen in unserem Land
das Ganze auf Dauer akzeptiert hätten.

Die jetzigen Beschlüsse zur Gläubigerbeteiligung im
Griechenland-II-Paket sind von fundamentaler Bedeu-
tung. Zum einen kann damit die griechische Schulden-
tragfähigkeit erreicht werden. Zum anderen werden die-
jenigen, die in hohen Maße mitverantwortlich für die
Finanzierungskrise sind – nämlich die Kapitalgeber, die
Griechenland noch Kredite zu billigsten Zinsen zu einem
Zeitpunkt gegeben haben, als Griechenland schon nicht
mehr die notwendige Rückzahlungsfähigkeit besaß –,
zur Lösung dieser Probleme auch mit herangezogen.

Das will ich Ihnen an einem einfachen Beispiel ver-
deutlichen: Gehen wir einmal von 1 000 Euro griechi-
schen Staatsanleihen aus: Davon sind mit diesem Um-
tausch 535 Euro futsch, 150 Euro werden cash
ausgezahlt, und 315 Euro werden für 30 Jahre angelegt,
zu einem festen Zinscoupon – 2 Prozent bis 2015, 3 Pro-
zent bis 2020 und danach 4,3 Prozent. Rückzahlung ist
2042. Wer hier behauptet, wie gerade der Kollege
Schäffler, dass das nicht ein nachhaltiger Beitrag der
Gläubiger ist, der kann nicht rechnen. Ich kann mir nicht
vorstellen, wie man sonst zu solch einer Aussage kom-
men kann.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)


Das, was in diesem Programm besonders unattraktiv
und schlecht für die Gläubiger ist, ist besonders hilfreich
für die Schuldner, in diesem Fall Griechenland. Ich bin
der festen Überzeugung, dass Griechenland – auch auf-
grund der Tatsache, dass der übrigbleibende reduzierte
Verschuldungsbetrag erst in 30 Jahren, nämlich 2042,
mit berechenbaren niedrigen Zinsen fällig wird – jetzt
auch längerfristig die Zeit bekommt, die es braucht, um
seine eigenen Strukturreformen voranzubringen.

Ich möchte noch kurz darauf hinweisen, dass beim
Griechenland-II-Paket auch die sogenannten vordringli-
chen Maßnahmen, die Prior Actions, zu denen sich Grie-
chenland verpflichtet hat, einen wesentlichen Raum ein-
nehmen. Dieser Begriff ist, wenn man sich die Liste
einmal genau anschaut, fast ein bisschen euphemistisch.
Denn Tatsache ist, dass die Umsetzung dieser Maßnah-
men – sie betreffen zum großen Teil Strukturreformen,

die den Wettbewerb und die Wettbewerbsfähigkeit för-
dern sollen – von Griechenland teilweise schon vor
einem oder zwei Jahren zugesagt worden ist, ohne dass
es bisher zu einer Umsetzung gekommen wäre.

Es wird für die nächsten Monate und Jahre ganz ent-
scheidend sein, dass die griechische Politik mehr darauf
achtet, an den Punkten, an denen es ganz massive Fehl-
entwicklungen gibt, dringend Reformen umzusetzen: im
Hinblick auf den massenhaften Rentenbetrug, der erst
jetzt richtig angegangen wird, und auf die Tatsache, dass
große Einkommen und Vermögen nach wie vor kaum
zur Steuer herangezogen werden, weil man ausweichen
kann und es keine Strukturen gibt, um die Steuerzahlung
durchzusetzen und zu erzwingen. So kann Griechenland
die Chance erhalten, an die Kapitalmärkte zurückzukeh-
ren.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich werbe
um Zustimmung zu diesem Paket; es ist ein wesentlicher
Schritt bei der Bewältigung dieser Krise. Aber es ist mit
Sicherheit nicht die letzte Beschlussfassung des Bundes-
tages zu dieser Thematik.

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.


(Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)



Dr. Norbert Lammert (CDU):
Rede ID: ID1716005300

Ich schließe die Aussprache.

Bevor wir nun zu den Abstimmungen über die Ent-
schließungsanträge bzw. über den Antrag der Bundes-
regierung kommen, bitte ich um Aufmerksamkeit für
folgenden verfahrensleitenden Hinweis: Mir liegen etwa
25 schriftliche Erklärungen1) und 9 Meldungen zu
mündlichen Erklärungen zur Abstimmung nach
§ 31 GO-BT vor, die nach unserer Geschäftsordnung
nicht länger als fünf Minuten dauern dürfen. Ich schlage
Ihnen vor, dass wir diese mündlichen Erklärungen zur
Abstimmung nach den Abstimmungen mit einer Rede-
zeit von jeweils drei Minuten vornehmen. Sind Sie damit
einverstanden?


(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei Abgeordneten der LINKEN)


– Das ist offenkundig ganz überwiegend der Fall; auch
der Widerspruch der Linken ist zu Protokoll genommen.
Dann ist das aber ganz offenkundig mit der notwendigen
Geschäftsordnungsmehrheit so beschlossen, und dann
werden wir so verfahren.

Wir kommen nun zu den Abstimmungen über die
Entschließungsanträge zur Regierungserklärung.

Zunächst der Entschließungsantrag der Fraktionen
der CDU/CSU und FDP auf der Drucksache 17/8739.
Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer
stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschlie-

1) Anlagen 2 bis 8





Präsident Dr. Norbert Lammert


(A) )


)(B)


(C (D ßungsantrag ist mit den Stimmen der Koalition gegen die Stimmen der Opposition angenommen. Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der SPD auf der Drucksache 17/8740. Wer stimmt diesem Entschließungsantrag zu? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Dieser Entschließungsantrag ist mehrheitlich abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf Drucksache 17/8741. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Der Entschließungsantrag ist mit großer Mehrheit abgelehnt. Entschließungsantrag der Fraktion Die Linke auf der Drucksache 17/8743. Wer stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dagegen? – Wer enthält sich? – Auch dieser Entschließungsantrag ist mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen abgelehnt. Wir kommen nun zum Tagesordnungspunkt 1 b. Hier geht es um die Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen – Drucksachen 17/8730, 17/8731 und 17/8735 – mit dem Titel: Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik; Einholung eines zustimmenden Beschlusses des Deutschen Bundestages nach unseren einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen. Wir stimmen über diesen Antrag namentlich ab. Ich darf die Schriftführerinnen und Schriftführer bitten, die vorgesehenen Plätze einzunehmen. Ich eröffne die Abstimmung. Haben alle anwesenden Mitglieder ihre Stimme abge geben? – Das ist offensichtlich der Fall. Dann schließe ich die Abstimmung und bitte die Schriftführerinnen und Schriftführer, mit der Auszählung zu beginnen. Das Ergebnis der namentlichen Abstimmung wird Ihnen später bekannt gegeben.1)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716005400

Wir kommen nun zur Abstimmung über drei Ent-
schließungsanträge zu dem Antrag des Bundesministe-
riums der Finanzen. Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ich bitte Sie noch einen Moment um Aufmerksamkeit
für die Abstimmung über diese Entschließungsanträge.

Zunächst zum Entschließungsantrag der Fraktionen
von CDU/CSU und FDP auf Drucksache 17/8742. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit den Stimmen der FDP, von Teilen der CDU/CSU
gegen die Stimmen der Linken und der Grünen bei
Stimmenthaltung der SPD angenommen.

Wir kommen nun zum Entschließungsantrag der
Fraktion der SPD auf Drucksache 17/8738. Wer stimmt
für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt dage-
gen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag ist mit
den Stimmen der beiden Koalitionsfraktionen und der
Linken gegen die Stimmen von SPD und Grünen abge-
lehnt.

Wir kommen zum Entschließungsantrag der Fraktion
Bündnis 90/Die Grünen auf Drucksache 17/8737. Wer
stimmt für diesen Entschließungsantrag? – Wer stimmt
dagegen? – Enthaltungen? – Der Entschließungsantrag
ist mit dem gleichen Mehrheitsverhältnis wie zuvor ab-
gelehnt.

Wir kommen nun zu den angekündigten erbetenen
persönlichen Erklärungen zur Abstimmung. Wie verein-
bart gilt für jede dieser persönlichen Erklärungen eine
Redezeit von drei Minuten. Alle acht angemeldeten per-
sönlichen Erklärungen stammen aus der Fraktion der
Linken. Zunächst erteile ich das Wort Kollegin Kathrin
Vogler.


(Beifall bei der LINKEN)



Kathrin Vogler (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716005500

Danke, Herr Präsident. – Sehr geehrte Damen und

Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe den
Antrag des Bundesministeriums der Finanzen „Finanz-
hilfen zugunsten der Hellenischen Republik“ abgelehnt,
weil ich es beinahe als Verhöhnung des Parlaments emp-
finde, dass wir hier über einen Text mit über 700 Seiten
abstimmen sollten, den wir erst am Wochenende zur
Kenntnis nehmen durften. Eine Zustimmung durch die-
ses Haus, die wahrscheinlich erfolgt ist, verliert für mich
ihre Bedeutung, wenn die parlamentarische Beratung ei-
nes derart wichtigen Dokuments auf diese Weise unmög-
lich gemacht wird. Um den Kollegen Marco Bülow von
der SPD zu zitieren: Sie machen die Abgeordneten hier
zu Abnickern und Abnickerinnen. Das kann ich vor mei-
nem Gewissen und gegenüber den Wählerinnen und
Wählern nicht verantworten.


(Beifall bei der LINKEN)


Als Gesundheitspolitikerin habe ich mir zumindest
die Seiten zum Gesundheitswesen näher angesehen. Ich
muss sagen: Ich bin entsetzt, und zwar aus zweierlei
Gründen:

Zum einen entsetzt mich, wie Sie die Austeritätspoli-
tik, also das blindwütige Einsparen öffentlicher Ausga-
ben, auf das griechische Gesundheitswesen ausdehnen.
Da heißt es etwa, dass sich die griechische Regierung
verpflichtet, die öffentlichen Gesundheitsausgaben auf
maximal 6 Prozent des Bruttoinlandsprodukts zu be-
grenzen, und das bei, wie wir alle wissen – das haben
wir gerade mehrfach gehört –, sinkendem Bruttoinlands-
produkt. In Deutschland betragen die Gesundheitsauf-
wendungen ungefähr 11 Prozent des BIP, und das ist im
internationalen Vergleich keineswegs zu viel.

Dieses Paket wird zur Folge haben, dass in Griechen-
land viele Menschen notwendige Behandlungen nicht
mehr erhalten. Schon jetzt sind viele Griechinnen und
Griechen aufgrund zunehmender Armut nicht mehr in
der Lage, sich mit notwendigen Medikamenten zu ver-
sorgen und Krankenhausaufenthalte zu bezahlen. Das ist
für mich ein gewichtiger Grund, dieses Paket abzuleh-
nen.

Die Gehälter der Beschäftigten im Gesundheitswesen
sollen sinken, Krankenhäuser geschlossen und die Priva-1) Ergebnis Seite 19105 C





Kathrin Vogler


(A) )


)(B)


(D Endgültiges Ergebnis Abgegebene Stimmen: 591; davon ja: 496 nein: 90 enthalten: 5 Ja CDU/CSU Ilse Aigner Peter Altmaier Peter Aumer Thomas Bareiß Norbert Barthle Günter Baumann Manfred Behrens Dr. Christoph Bergner Peter Beyer Steffen Bilger Clemens Binninger Peter Bleser Dr. Maria Böhmer Wolfgang Börnsen Norbert Brackmann Klaus Brähmig Michael Brand Dr. Reinhard Brandl Helmut Brandt Dr. Ralf Brauksiepe Dr. Helge Braun Heike Brehmer Ralph Brinkhaus Cajus Caesar Gitta Connemann Alexander Dobrindt Marie-Luise Dött Dr. Thomas Feist Enak Ferlemann Ingrid Fischbach Hartwig Fischer Dirk Fischer Axel E. Fischer (Karlsruhe Land)


(Bönstrup)

Dr. Maria Flachsbarth
Klaus-Peter Flosbach
Dr. Hans-Peter Friedrich


(Hof)

Michael Frieser
Erich G. Fritz
Dr. Michael Fuchs

Hans-Joachim Fuchtel
Ingo Gädechens
Dr. Thomas Gebhart
Norbert Geis
Alois Gerig
Eberhard Gienger
Michael Glos
Josef Göppel
Peter Götz
Dr. Wolfgang Götzer
Ute Granold
Reinhard Grindel
Hermann Gröhe
Michael Grosse-Brömer
Markus Grübel
Manfred Grund
Monika Grütters
Olav Gutting
Florian Hahn
Dr. Stephan Harbarth
Jürgen Hardt
Gerda Hasselfeldt
Dr. Matthias Heider
Helmut Heiderich
Mechthild Heil
Ursula Heinen-Esser
Frank Heinrich

Rudolf Henke
Michael Hennrich
Jürgen Herrmann
Ansgar Heveling
Ernst Hinsken
Peter Hintze
Robert Hochbaum
Karl Holmeier
Franz-Josef Holzenkamp
Anette Hübinger
Thomas Jarzombek
Dieter Jasper
Dr. Franz Josef Jung
Andreas Jung (Konstanz)

Dr. Egon Jüttner
Bartholomäus Kalb
Hans-Werner Kammer
Steffen Kampeter
Alois Karl
Bernhard Kaster

(Villingen Schwenningen)

Volker Kauder
Dr. Stefan Kaufmann
Roderich Kiesewetter
Eckart von Klaeden
Ewa Klamt
zester Zeit gefordert. Sie haben sich geweigert, all dies
für Deutschland auch nur in Erwägung zu ziehen. Grie-
chenland soll jetzt ein umfassendes Werbeverbot für

Antrag ist damit angenommen.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


(Ctisierung des Gesundheitswesens soll weiter vorangetrieben werden. Das ist giftige Medizin; denn die qualifiziertesten Fachkräfte werden Griechenland verlassen und in anderen EU-Staaten ihr Einkommen suchen. Auch dadurch werden konkret Menschenleben gefährdet, und dem kann ich auf keinen Fall zustimmen. Zum anderen erstaunt mich, dass Sie hierzulande gebetsmühlenartig predigen, dass Markt und Wettbewerb die besten Steuerungsinstrumente im Gesundheitswesen sind, nun aber die staatliche Regulierung des griechischen Gesundheitswesens vorantreiben wollen. So sollen alle Krankenkassen zentralisiert und dem Gesundheitsministerium unterstellt werden. Vor allem an die Adresse der Kolleginnen und Kollegen auf der rechten Seite dieses Hauses sage ich: Es ist eine Staatsmedizin nach Kassenlage, die Sie damit vorprogrammieren. Wir haben eine zentrale, öffentliche Festsetzung der Preise für Medikamente gefordert. Wir haben gefordert, dass sich die Arzneimittelpreise an dem niedrigsten Preis orientieren, der in einem anderen EU-Land zu zahlen ist. Wir haben eine Positivliste mit den von den Kassen erstattungsfähigen Medikamenten und die Vorlage einer umfassenden Kosten-Nutzen-Bewertung innerhalb kür Pharmareferenten erhalten. Das ist gut und richtig, aber warum machen wir das nicht auch in Deutschland? Schon heute sind in Griechenland viele Medikamente deutlich preiswerter als in Deutschland. Jetzt fordern Sie für den griechischen Arzneimittelmarkt weitere drastische Preissenkungen. Wenn in Deutschland auch nur ein Teil davon gefordert wird, äußern Sie stets die Befürchtung, dass einige Pharmahersteller ihre Produkte dann hier vom Markt nehmen würden. In Griechenland werden aufgrund Ihrer harten Vorgaben demnächst manche Präparate möglicherweise überhaupt nicht mehr verfügbar sein oder nur noch für jene, die sich die Medikamente im Ausland für teures Geld beschaffen können. Einer solchen Politik gegen die Menschen in Griechenland kann und will ich nicht zustimmen. Liebe Kolleginnen und Kollegen, zwischendurch gebe ich das von den Schriftführerinnen und Schriftführern ermittelte Ergebnis der namentlichen Abstimmung über den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen „Finanzhilfen zugunsten der Hellenischen Republik“, Drucksachen 17/8730, 17/8731, 17/8735, bekannt: abgegebene Stimmen 591. Mit Ja haben gestimmt 496, mit Nein haben gestimmt 90, Enthaltungen 5. Der Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse )


(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716005600




(A) )

(C


(D Volkmar Klein Jürgen Klimke Axel Knoerig Jens Koeppen Dr. Rolf Koschorrek Hartmut Koschyk Thomas Kossendey Michael Kretschmer Gunther Krichbaum Dr. Günter Krings Rüdiger Kruse Bettina Kudla Dr. Hermann Kues Günter Lach Dr. Karl A. Lamers Andreas G. Lämmel Dr. Norbert Lammert Katharina Landgraf Ulrich Lange Dr. Max Lehmer Dr. Ursula von der Leyen Ingbert Liebing Matthias Lietz Patricia Lips Dr. Jan-Marco Luczak Daniela Ludwig Dr. Michael Luther Karin Maag Dr. Thomas de Maizière Andreas Mattfeldt Stephan Mayer Dr. Michael Meister Dr. Angela Merkel Maria Michalk Dr. h. c. Hans Michelbach Dr. Mathias Middelberg Philipp Mißfelder Dietrich Monstadt Marlene Mortler Dr. Gerd Müller Stefan Müller Dr. Philipp Murmann Bernd Neumann Michaela Noll Dr. Georg Nüßlein Franz Obermeier Eduard Oswald Henning Otte Dr. Michael Paul Rita Pawelski Ulrich Petzold Dr. Joachim Pfeiffer Sibylle Pfeiffer Beatrix Philipp Ronald Pofalla Christoph Poland Ruprecht Polenz Eckhard Pols Thomas Rachel Dr. Peter Ramsauer Eckhardt Rehberg Katherina Reiche Lothar Riebsamen Josef Rief Klaus Riegert Dr. Heinz Riesenhuber Johannes Röring Dr. Norbert Röttgen Dr. Christian Ruck Erwin Rüddel Albert Rupprecht Anita Schäfer Dr. Wolfgang Schäuble Dr. Annette Schavan Dr. Andreas Scheuer Karl Schiewerling Norbert Schindler Tankred Schipanski Georg Schirmbeck Christian Schmidt Patrick Schnieder Dr. Andreas Schockenhoff Nadine Schön Dr. Kristina Schröder Dr. Ole Schröder Bernhard Schulte-Drüggelte Uwe Schummer Armin Schuster (Weil am Rhein)


(Heidelberg)

Detlef Seif
Johannes Selle
Reinhold Sendker
Dr. Patrick Sensburg
Bernd Siebert
Johannes Singhammer
Jens Spahn
Carola Stauche
Dr. Frank Steffel
Erika Steinbach
Dieter Stier
Gero Storjohann
Max Straubinger
Karin Strenz
Thomas Strobl (Heilbronn)

Lena Strothmann
Michael Stübgen
Dr. Peter Tauber
Antje Tillmann
Dr. Hans-Peter Uhl
Arnold Vaatz
Volkmar Vogel (Kleinsaara)

Stefanie Vogelsang
Andrea Astrid Voßhoff
Dr. Johann Wadephul
Marco Wanderwitz
Kai Wegner
Marcus Weinberg (Hamburg)

Peter Weiß (Emmendingen)

Sabine Weiss (Wesel I)

Ingo Wellenreuther
Karl-Georg Wellmann
Peter Wichtel
Annette Widmann-Mauz
Elisabeth Winkelmeier-

Becker
Dagmar G. Wöhrl
Dr. Matthias Zimmer
Wolfgang Zöller
Willi Zylajew

SPD

Rainer Arnold
Heinz-Joachim Barchmann
Doris Barnett
Dr. Hans-Peter Bartels

Sören Bartol
Bärbel Bas
Sabine Bätzing-Lichtenthäler
Dirk Becker
Uwe Beckmeyer
Lothar Binding (Heidelberg)

Gerd Bollmann
Klaus Brandner
Willi Brase
Edelgard Bulmahn
Martin Burkert
Petra Crone
Martin Dörmann
Elvira Drobinski-Weiß
Garrelt Duin
Sebastian Edathy
Ingo Egloff
Siegmund Ehrmann
Dr. h. c. Gernot Erler
Petra Ernstberger
Karin Evers-Meyer
Elke Ferner
Gabriele Fograscher
Dr. Edgar Franke
Dagmar Freitag
Sigmar Gabriel
Michael Gerdes
Martin Gerster
Iris Gleicke
Günter Gloser
Ulrike Gottschalck
Angelika Graf (Rosenheim)

Kerstin Griese
Michael Groschek
Michael Groß
Hans-Joachim Hacker
Bettina Hagedorn
Klaus Hagemann
Michael Hartmann


(Wackernheim)

Hubertus Heil (Peine)

Rolf Hempelmann
Dr. Barbara Hendricks
Gustav Herzog
Gabriele Hiller-Ohm
Petra Hinz (Essen)

Frank Hofmann (Volkach)

Dr. Eva Högl
Josip Juratovic
Johannes Kahrs
Dr. h. c. Susanne Kastner
Ulrich Kelber
Lars Klingbeil
Hans-Ulrich Klose
Dr. Bärbel Kofler
Daniela Kolbe (Leipzig)

Nicolette Kressl
Angelika Krüger-Leißner
Ute Kumpf
Christine Lambrecht
Christian Lange (Backnang)

Dr. Karl Lauterbach
Steffen-Claudio Lemme
Burkhard Lischka
Gabriele Lösekrug-Möller
Kirsten Lühmann
Katja Mast
Hilde Mattheis

Petra Merkel (Berlin)

Ullrich Meßmer
Dr. Matthias Miersch
Franz Müntefering
Dr. Rolf Mützenich
Andrea Nahles
Dietmar Nietan
Manfred Nink
Thomas Oppermann
Holger Ortel
Aydan Özoğuz
Heinz Paula
Johannes Pflug
Joachim Poß
Dr. Wilhelm Priesmeier
Dr. Sascha Raabe
Mechthild Rawert
Stefan Rebmann
Dr. Carola Reimann
Sönke Rix
René Röspel
Dr. Ernst Dieter Rossmann
Karin Roth (Esslingen)

Michael Roth (Heringen)

Marlene Rupprecht


(Tuchenbach)

Anton Schaaf
Axel Schäfer (Bochum)

Bernd Scheelen
Marianne Schieder


(Schwandorf)

Werner Schieder (Weiden)

Ulla Schmidt (Aachen)

Silvia Schmidt (Eisleben)

Carsten Schneider (Erfurt)

Swen Schulz (Spandau)

Ewald Schurer
Frank Schwabe
Dr. Martin Schwanholz
Rolf Schwanitz
Stefan Schwartze
Rita Schwarzelühr-Sutter
Dr. Carsten Sieling
Sonja Steffen
Peer Steinbrück
Dr. Frank-Walter Steinmeier
Christoph Strässer
Kerstin Tack
Dr. h. c. Wolfgang Thierse
Franz Thönnes
Wolfgang Tiefensee
Ute Vogt
Andrea Wicklein
Heidemarie Wieczorek-Zeul
Dr. Dieter Wiefelspütz
Waltraud Wolff


(Wolmirstedt)

Uta Zapf
Dagmar Ziegler
Manfred Zöllmer
Brigitte Zypries

FDP

Christian Ahrendt
Christine Aschenberg-

Dugnus
Daniel Bahr (Münster)

Florian Bernschneider





Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse


(A) )


)(B)


(C (D Sebastian Blumenthal Claudia Bögel Klaus Breil Rainer Brüderle Angelika Brunkhorst Ernst Burgbacher Marco Buschmann Helga Daub Reiner Deutschmann Dr. Bijan Djir-Sarai Patrick Döring Mechthild Dyckmans Rainer Erdel Jörg van Essen Ulrike Flach Otto Fricke Paul K. Friedhoff Dr. Edmund Peter Geisen Dr. Wolfgang Gerhardt Hans-Michael Goldmann Heinz Golombeck Miriam Gruß Joachim Günther Dr. Christel Happach-Kasan Manuel Höferlin Elke Hoff Birgit Homburger Heiner Kamp Michael Kauch Dr. Lutz Knopek Pascal Kober Dr. Heinrich L. Kolb Gudrun Kopp Sebastian Körber Holger Krestel Patrick Kurth Heinz Lanfermann Sibylle Laurischk Harald Leibrecht Sabine Leutheusser Schnarrenberger Lars Lindemann Christian Lindner Dr. Martin Lindner Michael Link Oliver Luksic Horst Meierhofer Patrick Meinhardt Gabriele Molitor Jan Mücke Petra Müller Burkhardt Müller-Sönksen Dr. Martin Neumann Dirk Niebel Hans-Joachim Otto Cornelia Pieper Gisela Piltz Dr. Christiane Ratjen Damerau Jörg von Polheim Dr. Birgit Reinemund Dr. Peter Röhlinger Dr. Stefan Ruppert Björn Sänger Christoph Schnurr Jimmy Schulz Marina Schuster Dr. Erik Schweickert Werner Simmling Judith Skudelny Dr. Hermann Otto Solms Joachim Spatz Dr. Max Stadler Dr. Rainer Stinner Stephan Thomae Florian Toncar Serkan Tören Johannes Vogel Dr. Daniel Volk Dr. Guido Westerwelle Dr. Claudia Winterstein Dr. Volker Wissing Hartfrid Wolff BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Kerstin Andreae Marieluise Beck Volker Beck Cornelia Behm Birgitt Bender Agnes Brugger Viola von Cramon-Taubadel Harald Ebner Hans-Josef Fell Dr. Thomas Gambke Kai Gehring Katrin Göring-Eckardt Britta Haßelmann Bettina Herlitzius Priska Hinz Bärbel Höhn Ingrid Hönlinger Thilo Hoppe Uwe Kekeritz Katja Keul Memet Kilic Sven-Christian Kindler Maria Klein-Schmeink Ute Koczy Tom Koenigs Sylvia Kotting-Uhl Oliver Krischer Agnes Krumwiede Fritz Kuhn Stephan Kühn Renate Künast Markus Kurth Undine Kurth Monika Lazar Dr. Tobias Lindner Nicole Maisch Jerzy Montag Kerstin Müller Beate Müller-Gemmeke Dr. Konstantin von Notz Omid Nouripour Friedrich Ostendorff Dr. Hermann E. Ott Lisa Paus Brigitte Pothmer Tabea Rößner Claudia Roth Krista Sager Manuel Sarrazin Elisabeth Scharfenberg Dr. Gerhard Schick Dr. Frithjof Schmidt Ulrich Schneider Dorothea Steiner Dr. Wolfgang Strengmann Kuhn Dr. Harald Terpe Markus Tressel Jürgen Trittin Daniela Wagner Beate Walter-Rosenheimer Wolfgang Wieland Dr. Valerie Wilms Josef Philip Winkler Nein CDU/CSU Veronika Bellmann Wolfgang Bosbach Thomas Dörflinger Herbert Frankenhauser Alexander Funk Dr. Peter Gauweiler Manfred Kolbe Paul Lehrieder Dr. Carsten Linnemann Thomas Silberhorn Christian Freiherr von Stetten Stephan Stracke Klaus-Peter Willsch SPD Ingrid Arndt-Brauer Klaus Barthel Marco Bülow Wolfgang Gunkel Gerold Reichenbach Rüdiger Veit Dr. Marlies Volkmer FDP Jens Ackermann Sylvia Canel Frank Schäffler Torsten Staffeldt DIE LINKE Jan van Aken Agnes Alpers Dr. Dietmar Bartsch Herbert Behrens Karin Binder Matthias W. Birkwald Steffen Bockhahn Christine Buchholz Eva Bulling-Schröter Dr. Martina Bunge Roland Claus Sevim Dağdelen Dr. Diether Dehm Heidrun Dittrich Werner Dreibus Dr. Dagmar Enkelmann Klaus Ernst Wolfgang Gehrcke Nicole Gohlke Diana Golze Annette Groth Dr. Gregor Gysi Heike Hänsel Dr. Rosemarie Hein Inge Höger Dr. Barbara Höll Andrej Hunko Ulla Jelpke Dr. Lukrezia Jochimsen Harald Koch Jan Korte Jutta Krellmann Katrin Kunert Caren Lay Ralph Lenkert Stefan Liebich Ulla Lötzer Dr. Gesine Lötzsch Thomas Lutze Ulrich Maurer Dorothée Menzner Kornelia Möller Niema Movassat Wolfgang Nešković Petra Pau Jens Petermann Yvonne Ploetz Ingrid Remmers Paul Schäfer Michael Schlecht Dr. Ilja Seifert Raju Sharma Dr. Petra Sitte Kersten Steinke Sabine Stüber Alexander Süßmair Dr. Kirsten Tackmann Frank Tempel Dr. Axel Troost Kathrin Vogler Johanna Voß Sahra Wagenknecht Halina Wawzyniak Harald Weinberg Jörn Wunderlich Sabine Zimmermann Enthalten CDU/CSU Christian Hirte Hans-Georg von der Marwitz SPD Ottmar Schreiner FDP Dr. Erwin Lotter BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN Hans-Christian Ströbele Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse )


(Lausitz)


(Frankfurt)


(Lüdenscheid)





(A) )

(C


(D Nunmehr erteile ich dem Kollegen Diether Dehm das Wort zu einer persönlichen Erklärung zur Abstimmung. Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute gegen das zweite sogenannte GriechenlandRettungspaket gestimmt, weil es noch immer nicht um die Rettung der Griechinnen und Griechen geht, sondern einzig um die Rettung der Besitzer griechischer Schuldverschreibungen; denn auch diese 165 Milliarden Euro wandern in den Orkus der Finanzmafia und sollen Bankprofite sowie Spekulationsgewinne absichern, während der griechische Staat endgültig kaputtgespart wird. Fakt ist, dass von den 73 Milliarden Euro, die aus dem ersten Hilfspaket an Griechenland ausgezahlt worden sind, rund 70 Milliarden Euro durch Zinsund Tilgungszahlungen direkt in die Hände von Banken und privaten Gläubigern geflossen sind, während die Schulden des Landes um über 50 Milliarden Euro gestiegen sind und die Schuldenquote von 130 auf 170 Prozent – ich wiederhole: von 130 auf 170 Prozent – des Bruttoinlandsprodukts hochgeschnellt ist. Diese unmenschliche Politik, die den Armen, den Arbeitenden und den Alten in Griechenland und nachfolgend auch in ganz Europa angetan wird, einhergehend mit einer Entmündigung der Demokratie, die auch vor Deutschland und unseren Kommunen nicht haltmachen wird, ist mit meinem Gewissen völlig unvereinbar. Das Wort hat nun Jutta Krellmann. Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich habe heute gegen die sogenannten Finanzhilfen zugunsten von Griechenland gestimmt, weil die Krise nicht auf dem Rücken der Beschäftigten und sozial Schwachen gelöst werden kann und darf. Als Gewerkschafterin muss ich mich dafür schämen, was wir im Moment mit den Menschen in Griechenland machen. Es ist ein Skandal, dass die Kleinen die Zeche zahlen sollen, während kaum einer der griechischen Reichen und Superreichen zahlen muss. Mittlerweile wurden von griechischen Millionären weit über 560 Milliarden Euro ins Ausland gebracht. Das Geld liegt vor allem auf Konten in der Schweiz, in Liechtenstein, Zypern und London. Der neueste Trend der reichen Griechen: Immobilienkauf in Deutschland. Jeder Euro, der in Berlin investiert wird, fehlt jedoch in Athen. Zeitgleich wurde die Mehrwertsteuer von 19 auf 23 Prozent erhöht. Die Steuerfreibeträge sanken von 80 000 auf 5 000 Euro. Die Gehälter der Staatsbediensteten werden bei 2 000 Euro eingefroren. Das 13. und 14. Monatsgehalt entfallen. 180 000 Stellen im öffentlichen Dienst werden gestrichen. Denjenigen, die verbleiben, wurden die Gehälter eingefroren bzw. um 15 Prozent gekürzt und die Arbeitszeit ohne Lohnausgleich verlängert. Der Mindestlohn wurde von 750 auf 580 Euro gekürzt. Es gab eine Kürzung des Arbeitslosengeldes von 461 auf 322 Euro und Lohnkürzungen im privaten Bereich von ungefähr 20 bis 30 Prozent. Die Renten wurden um 20 Prozent gekürzt, und zwar mit sofortiger Wirkung. Anstatt griechischen Rentnern, Arbeitnehmern und Erwerbslosen das Geld aus der Tasche zu ziehen und damit die Binnenwirtschaft weiter zu schwächen, müssen endlich die Vermögenden und Profiteure zur Kasse gebeten werden. Keine europäische Agenda 2020! So nicht! Das Wort hat nun Sevim Dağdelen für die Linke. Herr Präsident! Verehrte Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Gemeinsam mit meiner Fraktion Die Linke habe ich heute gegen das Griechenland-II-Paket gestimmt, weil mit den bis zu 189,4 Milliarden Euro ausschließlich Banken, Versicherungen und Gläubigern geholfen wird. Die deutschen Steuerzahlerinnen und Steuerzahler gehen zum wiederholten Male ein ganz erhebliches finanzielles Risiko zur Rettung der Spekulanten und der Ackermänner ein. Das ist, wie ich finde, unverantwortlich und skandalös. Dieses Paket hilft der griechischen Bevölkerung nicht. Im Gegenteil: Dieses Paket stürzt Griechinnen und Griechen regelrecht ins Elend. Bis 2015 sollen weitere 150 000 Beschäftigte im öffentlichen Dienst entlassen werden. Der ohnehin niedrige Mindestlohn wird in Griechenland massiv abgesenkt. Öffentliches Eigentum mit einem Volumen von 50 Milliarden Euro soll privatisiert werden. Weite Teile der griechischen Bevölkerung leben schon jetzt in bitterster Armut. Zu Hunderten werden Kinder bei den griechischen SOS-Kinderdörfern abgegeben, weil ihre Eltern sie nicht mehr ernähren können. Dafür, dass es in Schulen keine Heizmittel mehr gibt und Kinder erfrieren müssen oder gar nicht mehr zur Schule geschickt werden können, weil es keine Kohle gibt, sind Sie von der Regierung, aber auch Sie von SPD und Grünen verantwortlich. Das ist eine verheerende Verelendungspolitik. Sevim Da?delen )


(Beifall bei der LINKEN)

Dr. Jörg-Diether Dehm-Desoi (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716005700

(Beifall bei der LINKEN)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716005800

(Beifall bei der LINKEN)

Jutta Krellmann (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716005900

(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716006000

(Beifall bei der LINKEN)

Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716006100

(Beifall bei der LINKEN)





(A) )


Sevim Dağdelen


(C (D (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Wofür sind Sie eigentlich verantwortlich?)


Machen wir uns nichts vor: Heute sind es die Grie-
chen, die Opfer dieser verfehlten Politik sind, und mor-
gen wird in Deutschland gekürzt. Beschäftigte, Erwerbs-
lose, Rentnerinnen und Rentner sollen die Zeche für die
Wirtschafts- und Finanzkrise zahlen. Das ist der Kern Ih-
res Pakets. Eine Ablehnung dieses Bankenrettungspa-
kets ist im Interesse der griechischen, aber auch der
deutschen Bevölkerung. Es ist nämlich ein Angriff auf
Demokratie und Sozialstaat in Europa, den die Linken
zurückweisen müssen.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe dagegen gestimmt, weil klar ist: Griechen-
land wird mit diesem sogenannten Rettungspaket regel-
recht unter Wasser gedrückt. Die Bundesregierung hat
Griechenland nämlich zusammen mit SPD und Grünen
einen Rettungsring aus Blei zugeworfen. Es ist nicht hin-
nehmbar, dass Griechenland Souveränitätsrechte entzo-
gen werden. Keine Regierung kann akzeptieren, dass
man ihr sämtliche Staatseinnahmen entreißt und sie ei-
nem Sonderkonto zuführt, auf das allein die Gläubiger
Zugriff haben. Diese demokratiefeindlichen Maßnahmen
zerstören die Zukunft Europas. Deshalb sagen wir dazu
Nein.


(Beifall bei der LINKEN)


Ich habe heute mit meiner Fraktion Die Linke an der
Seite der deutschen und der griechischen Bevölkerung
gegen dieses Paket gestimmt, weil ich es verheerend
finde, dass sogar von einem dritten Paket die Rede ist.
Mit diesen Rettungspaketen für Banken und Spekulanten
untergraben Sie die Zukunft der Bevölkerung in Europa.
Hier im Deutschen Bundestag stehen Sie für die verhee-
rende Politik der Bankenrettung und des Sozialkahl-
schlags.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716006200

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716006300

Ich komme zum Schluss, Herr Präsident. – Ich

möchte sagen: Sie sind solidarisch mit den Zockerban-
den, den Spekulanten und der Finanzmafia. Wir als
Linke sind solidarisch mit der Bevölkerung.


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716006400

Frau Kollegin, Sie müssen zum Schluss kommen.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716006500

Herr Präsident, wenn Sie erlauben, würde ich – –


Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716006600

Nein, ich erlaube es nicht.


Sevim Dağdelen (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716006700

Vielen Dank, Herr Präsident, für Ihr Verständnis und

Ihre Toleranz. Dafür sind Sie sehr bekannt.


(Beifall der Abg. Heike Hänsel [DIE LINKE] – Widerspruch bei der CDU/CSU und der FDP – Peter Hintze [CDU/CSU]: Na, na, na! Eine Rüge des Präsidiums! Ein Fall für den Ältestenrat!)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716006800

Werte Frau Kollegin, ich weise das entschieden zu-

rück.


(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)


Es ist eine Redezeit von drei Minuten vereinbart. Sie ha-
ben bereits 40 Sekunden darüber hinaus geredet. Es ist
eine Unverschämtheit, mich deswegen, weil ich die Re-
gel, die wir vereinbart haben, einhalte, hier öffentlich zu
kritisieren.


(Beifall bei der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)


Das Wort hat nun Eva Bulling-Schröter.


(Beifall bei der LINKEN)



Eva-Maria Bulling-Schröter (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716006900

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ge-

meinsam mit meiner Fraktion Die Linke habe ich heute
gegen das Griechenland-II-Paket gestimmt, weil damit
nicht der griechischen Bevölkerung geholfen wird, son-
dern den Finanzspekulanten. Beschäftigte, Rentnerinnen
und Rentner sowie Arbeitslose, aber auch der Mittel-
stand werden die Zeche für die große Finanzmarkt- und
Wirtschaftskrise zahlen, in einem Ausmaß, das wir uns
heute nur ansatzweise vorstellen können; meine Kolle-
ginnen und Kollegen haben dazu schon einiges gesagt.

Die Berichte, die uns aus Griechenland erreichen, zei-
gen, dass das Geld, das im Rahmen dieses Pakets zur
Verfügung gestellt wird, nicht die Menschen, sondern
nur die Banken erreicht. Auferlegt wird der griechischen
Bevölkerung eine Privatisierungsorgie, verbunden mit
Lohnkürzungen und massiven Preis- und Steuererhöhun-
gen. Der Mindestlohn wird gesenkt, und Entlassungen
sind vorprogrammiert und beschlossen. Dies führt zu
massiver Armut in diesem Land – bitte lesen Sie die Me-
dien und schauen Sie bei Facebook nach; es gibt genü-
gend Berichte darüber –, zerstört mittelfristig die Demo-
kratie und führt zu nationalistischen Tendenzen, vor
denen ich warnen muss.


(Beifall bei der LINKEN)


Die privaten Banken und andere Finanzjongleure wer-
den durch den freiwilligen Forderungsverzicht eben
nicht angemessen an den Kosten beteiligt, die sie maß-
geblich mit verursacht haben.

Ich habe auch deshalb gegen das Griechenland-Paket
gestimmt, weil sich die Bundesregierung und all diejeni-
gen, die ihm zugestimmt haben, damit wieder einmal
zum Erfüllungsgehilfen der Banken und Spekulanten
machen. Ich habe dem nicht zugestimmt; denn ich meine
– und die Linke fordert dies –, dass wir ein sofortiges
Ende der ökonomisch und sozial schädlichen Sparpolitik
in den Schuldnerländern brauchen, dass wir dort für ei-





Eva Bulling-Schröter


(A) )


)(B)


(C (D nen Aufbau sorgen müssen und dass wir die Menschen nicht, wie die Menschen in der Dritten Welt, in die Armut laufen lassen dürfen. Das Wort hat nun Heike Hänsel. Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Mir ist es wichtig, heute diese persönliche Erklärung abzugeben, weil ich nicht in einen Topf mit der Bild-Zeitung geworfen werden möchte, die ständig gegen die griechische Bevölkerung hetzt. Ich habe heute gegen das Griechenland-II-Paket gestimmt, weil dieses Paket ein Angriff nicht nur auf den griechischen Sozialstaat, sondern auch auf die Demokratie in Griechenland ist. Als der ehemalige Ministerpräsident Papandreou letztes Jahr versucht hat, eine Volksabstimmung über die Kürzungsauflagen zu organisieren, musste er zurücktreten. Sarkozy und Merkel haben angedroht, nicht zu zahlen, und es wurde ein sogenannter Experte als Ministerpräsident eingesetzt. Bei den jetzt anstehenden Neuwahlen in Griechenland müssen sich alle großen Parteien verpflichten, nach der Wahl das schon beschlossene Kürzungsprogramm umzusetzen. Im Grunde hat die griechische Bevölkerung also gar keine Wahl. Sie kann nur eine Regierung wählen, die das Sozialabbauprogramm auf alle Fälle umsetzen wird. Das ist völlig undemokratisch. Ich habe heute auch gegen das Griechenland-II-Paket gestimmt, weil ich nicht dazu beitragen will, dass die Demokratie in Griechenland, die Wiege der Demokratie, auf diese Weise beschädigt wird. Griechenland wurde 1981 in die Europäische Gemeinschaft aufgenommen, um die Demokratie nach der Überwindung der Militärdiktatur zu schützen. Mittlerweile ist die EU selbst zur größten Gefahr für die Demokratie in Griechenland geworden. Das muss ein Ende haben. (Beifall bei der LINKEN – Thomas Oppermann [SPD]: Was Sie sagen, ist grober Unfug! Sie reden Unfug!)


(Beifall bei der LINKEN)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716007000

(Beifall bei der LINKEN)

Heike Hänsel (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716007100

(Beifall bei der LINKEN)


(Beifall bei der LINKEN)


Die griechische Bevölkerung verarmt vor unseren Au-
gen von Monat zu Monat mehr, und das sollte uns alle
beschämen. Genau deshalb lehne ich dieses sogenannte
Rettungspaket ab.

Die Menschen in Griechenland, aber auch in Portu-
gal, Spanien und Italien wehren sich gegen diese aufge-
zwungene, unsoziale Politik. Ihnen gehört deshalb un-
sere Solidarität. Ich habe großen Respekt vor den
Menschen, die dort auf die Straße gehen, zum Beispiel
auch der international bekannte Komponist Mikis
Theodorakis, der sich noch mit über 86 Jahren auf den
Syntagma-Platz setzt, um für die Demokratie zu demon-

strieren, für die er während der Diktatur in Griechenland
eingestanden ist.


(Beifall bei der LINKEN)


Am 15. Mai dieses Jahres werden viele Menschen in
vielen europäischen Ländern mit einer großen Demon-
stration zeitgleich gegen diese Politik demonstrieren.
Die Linke wird sich daran beteiligen. Wir sind solida-
risch mit den Menschen, die diese neoliberale Politik
jetzt zu spüren bekommen.


(Jörg van Essen [FDP]: Die drei Minuten sind um!)


„Wir sind alle Griechen“, lautet der Slogan. Imaste oli
Ellines!


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716007200

Das Wort hat nun Nicole Gohlke.


(Beifall bei der LINKEN)



Nicole Gohlke (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716007300

Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich

habe heute gegen den Antrag des Bundesministeriums
der Finanzen zu den sogenannten Finanzhilfen zuguns-
ten der Hellenischen Republik gestimmt, weil mit den
154,4 Milliarden Euro, zu denen de facto noch einmal
35 Milliarden Euro an Hilfen für den sogenannten
Schuldenschnitt kommen, der Bevölkerung Griechen-
lands nicht geholfen wird. Stattdessen ist dieses Paket
ausschließlich ein Rettungspaket für Banken, Versiche-
rungen und Gläubiger und geht zulasten der Steuerzahle-
rinnen und Steuerzahler. Dieses Paket beteiligt noch
nicht einmal diejenigen, die die Krise mit verursacht ha-
ben.

Begleitet von einer unerträglichen rassistischen Stim-
mungsmache gegen die Griechinnen und Griechen, die
auch von dieser schwarz-gelben Regierung mitbefeuert
wird, wird die griechische Bevölkerung durch dieses
Rettungspaket regelrecht ins Elend getrieben. Hundert-
tausende griechische Arbeitnehmerinnen und Arbeitneh-
mer, Rentnerinnen und Rentner und Studierende sind
nunmehr seit Monaten auf der Straße, weil sie in ihrer
Existenz bedroht sind und nicht wissen, wie sie men-
schenwürdig überleben können.

Ich habe gegen das Griechenland-II-Paket gestimmt,
weil klar ist, dass sich dadurch die griechischen Staats-
schulden noch weiter erhöhen werden. Die verfehlte
Wirtschaftspolitik wird lediglich beschleunigt. Statt ei-
ner europaweiten Kürzungspolitik und immer neuen
Rettungspaketen für die Banken brauchen wir endlich
eine europäische Vermögensabgabe und eine Millionär-
steuer.


(Beifall bei der LINKEN)


Nicht die deutsche oder griechische Bevölkerung, nein,
die Verursacher und Profiteure der Krise sollen zahlen.

Die Maßnahmen sind auch ein erneuter Angriff auf
die Demokratie. Die EU und allen voran die Merkel-Re-





Nicole Gohlke


(A) )


)(B)


(D ket stehe ich auch an der Seite der Griechinnen und Griechen, die sich seit Monaten mit Streiks und Massendemonstrationen gegen die Abwälzung einer Politik von Korruption und Profitgier auf ihre Schultern wehren. Sie, nicht die Banken, verdienen unsere Hilfe und Solidarität. Das Wort hat nun Johanna Voß. – Die Kollegin Voß ist nicht da. Dann erledigt sich das jetzt.1)


(Beifall bei der LINKEN)

Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716007400

Als Letzte hat Inge Höger das Wort zu einer persönli-
chen Erklärung.


(Beifall bei der LINKEN)



Inge Höger-Neuling (DIE LINKE.):
Rede ID: ID1716007500

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Gemein-

sam mit meiner Fraktion Die Linke habe ich heute gegen
das Griechenland-II-Paket gestimmt, weil damit eine
grundsätzlich falsche Wirtschaftspolitik weiter vorange-
trieben wird.


(Beifall bei der LINKEN)


Dieses Paket ist nichts weiter als ein neues Bankenret-
tungspaket. Kein Cent davon wird bei der griechischen
Bevölkerung ankommen.

Genauso war es bereits beim ersten sogenannten
Hilfspaket für Griechenland. Damals wurden insgesamt
73 Milliarden Euro ausgezahlt. 70 Milliarden davon
flossen durch Tilgungen und Zinszahlungen direkt an
Banken und private Gläubiger. Die griechische Bevölke-
rung wird dazu gezwungen, für diese Bankenrettung mit
beispiellosen Sozial- und Lohnkürzungen zu bezahlen.
Die Europäische Linkspartei warnte jüngst in einer Pres-
seerklärung: Wer Elend sät, wird Wut ernten. – Das er-
lebt man bei den vielen Demonstrationen jetzt in Grie-
chenland, wo die Menschen dieses Paket nicht mehr
ertragen können.

Im zweiten sogenannten Rettungspaket sind Kredite
in Höhe von knapp 100 Milliarden Euro dafür vorgese-
hen, die sogenannte freiwillige Gläubigerbeteiligung

stimmt, weil sich die Misere durch die geplanten Maß-
nahmen nur weiter verschärfen wird. Die Entwicklung
ist nicht nur schädlich für Griechenland, sondern schäd-
lich für die gesamte Europäische Union.

Die Linke fordert stattdessen, dass die Finanzierung
der öffentlichen Haushalte in der Euro-Zone über eine
öffentliche europäische Bank sichergestellt wird. Diese
öffentliche Bank wiederum sollte zinsgünstige Kredite
bei der EZB erhalten. Nur so kann die Finanzierung der
öffentlichen Haushalte von der Diktatur der Finanz-
märkte befreit werden. Die Staatsschulden lassen sich
auch ohne unsoziale Sparpolitik senken, zum Beispiel
durch einen harten Schuldenschnitt und eine europa-
weite Vermögensabgabe für Millionäre. Die Finanzie-
rung der öffentlichen Haushalte ist dauerhaft durch eine
höhere und konsequente Besteuerung von Reichen und
großen Konzernen auf eine solide Grundlage zu stellen.

Auch hier in Deutschland muss sich vieles ändern. So
brauchen wir geeignete Maßnahmen zur Stärkung der
Binnennachfrage in Deutschland, etwa durch deutliche
Lohnerhöhungen und einen gesetzlichen Mindestlohn
von 10 Euro.


(Beifall bei der LINKEN)


Nur so lässt sich die Exportorientierung überwinden, die
auch eine Ursache dafür ist, dass die Wirtschaft Grie-
chenlands niederkonkurriert worden ist.

Die jetzige Sparpolitik zerstört die griechische Ge-
sellschaft. Die Linke ist solidarisch mit den Menschen,
die gegen Sozialabbau und die Zerstörung von Arbeit-
nehmerinnen- und Arbeitnehmerrechten kämpfen, egal
ob dieser Kampf in Griechenland, in Portugal oder in
Deutschland stattfindet.


(Beifall bei der LINKEN)



Dr. h.c. Wolfgang Thierse (SPD):
Rede ID: ID1716007600

Wir sind damit am Schluss unserer heutigen Tages-

ordnung.

Ich berufe die nächste Sitzung des Deutschen Bun-
destages auf Mittwoch, den 29. Februar 2012, 13 Uhr,
ein.

Die Sitzung ist geschlossen.